113 31 43MB
German Pages 300 Year 1985
ECKART
CUNTZ
Verfassungstreue der Soldaten
Schriften
zum öffentlichen Band 486
Recht
Verfassungstreue der Soldaten Zur politischen Treuepflicht i m Soldatenverhältnis aus historischer, dogmatischer und rechtsvergleichender Sicht
Von Dr. Eckart Cuntz
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Cuntz, Eckart: Verfassungstreue der Soldaten: zur polit. Treuepflicht i m Soldatenverhältnis aus histor., dogmat. u. rechtsvergl. Sicht / von Eckart Cuntz. — Berlin: Duncker u n d Humblot, 1985. (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 486) I S B N 3-428-05830-5 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1985 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1985 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05830-5
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit wurde i m Jahre 1984 dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hannover als Dissertation vorgelegt. Ihr Titel sollte ursprünglich lauten: „Die politische Treuepflicht i m Soldatenverhältnis". Der stattdessen gewählte Titel „Verfassungstreue der Soldaten" entspricht der schon i m Verlauf der Vorarbeiten gewonnenen Überzeugung, daß es bei der anstehenden Thematik u m die Grundfrage der Beziehung zwischen Soldaten und Verfassung geht. Bei der Verfolgung der historischen Entwicklung ließ sich erkennen, daß es ein spezifisches Problem der Verfassungstreue der Soldaten gab und auch heute noch gibt. Dies wurde bei der Untersuchung des geltenden Rechts bestätigt. Die Bundeswehr begeht in diesem Jahr ihr 30jähriges Jubiläum. Die Soldaten sind heute ebenso wie die Beamten und alle Staatsbürger überhaupt uneingeschränkt i n die freiheitliche demokratische Verfassungsordnung integriert. Aufgabe der Arbeit war es, der Frage nach dem rechtlichen Bindungsverhältnis zwischen Verfassung und Soldaten nachzugehen. Einige Ergebnisse der Untersuchung des geltenden Rechts, aber auch des rechtsvergleichenden Teils — der freilich nur Umrisse anderer Denkmodelle aufzeigen kann —, mögen zunächst überraschend erscheinen. Vielleicht regen sie zur Vertiefung an, wo die vorliegende Arbeit Probleme nur anschneiden konnte. Mein aufrichtiger Dank gilt meinem Betreuer, Herrn Prof. Dr. HansPeter Schneider, dem geschätzten Lehrer i n Freiburger QuellenlektüreKursen. Auf ihn geht die Wahl des Themas zurück; er hat m i r den Weg zur Universität Hannover eröffnet und hat m i r stets mit Rat und Hilfe zur Seite gestanden. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Götz Frank für die aufmerksame Begutachtung meiner Arbeit und Herrn Prof. Dr. Friedrich Dencker für wertvolle Hinweise. Für die freundliche Aufnahme an der Universität Hannover bin ich dem Fachbereich Rechtswissenschaften insgesamt verbunden. Dem Verlag Duncker & Humblot und seinen Mitarbeitern, insbesondere Frau Michitsch, möchte ich für die Veröffentlichung meiner Arbeit in der Schriftenreihe zum Öffentlichen Recht danken.
8
Vorwort
Dank verdienen schließlich auch die hilfreichen Damen und Herren i m Bundesministerium der Verteidigung, beim Militärarchiv i n Freiburg sowie den Botschaften Frankreichs, der USA, des Vereinigten Königreichs, Spaniens und Portugals für Auskunft und Unterstützung. Ohne meine Frau und ihre Schwester Gisela hätte ich das mehrfach überarbeitete Manuskript nicht fertigstellen können. Diese Arbeit ist damit auch ihr Werk. Ihren Eltern gebührt für die Hilfe bei der Durchsicht der Arbeit mein herzlicher Dank. Alfter, i m Februar 1985 Eckart Cuntz
Inhaltsverzeichnis
Problemstellung
Erstes
19
Kapitel
Die Treuepflicht der Soldaten gegenüber der Verfassung in der historischen Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts
26
I. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Stellung der Soldaten gegenüber dem Monarchen zu Beginn des 19. Jahrhunderts
26
1. Die Reformbewegung i n Preußen
27
2. Einflüsse französischen Denkens
31
3. Stehendes Heer u n d Volksheer
33
4. Das Heer i m Bereich der Prärogative?
35
5. Das monarchische Prinzip
36
I I . Die Auseinandersetzungen u m Fahneneid u n d Verfassungseid i n der Zeit des Deutschen Bundes 1. Die Vereidigung der „Staatsdiener" Verfassungen
auf die neugeschaffenen
38 38
2. Forderungen nach der Vereidigung des Heeres auf die Verfassung
40
3. Die Frankfurter Reichs Verfassung von 1849
43
4. Das Beispiel der Verfassungstreue der kurhessischen Offiziere
44
I I I . Die Entwicklung i n Preußen u n d i m Kaiserreich bis zum I . W e l t krieg
46
1. Die Versprechen des Königs u n d die preußische „revidierte Verfassung" von 1850
46
2. Der preußische Heereskonflikt u n d seine Bedeutung für das Verhältnis der Soldaten zur Verfassung
48
3. Soldaten u n d Verfassung bei F. J. Stahl, J. C. Bluntschli u n d L o renz v. Stein
49
a) F. J. Stahl (1802—61)
49
b) J. C. Bluntschli (1808—81) c) Lorenz v o n Stein (1815—90)
50 51
d) Zusammenfassung
53
nsverzeichnis
10
4. Das Recht der „Militärpersonen" u n d der strafrechtliche Schutz der Verfassung i m Kaiserreich
53
5. Das Sozialistengesetz u n d die Bekämpfung der Sozialdemokraten i m Heer
57
6. Soldaten u n d Verfassung i m I. Weltkrieg; die „ M i l i t ä r d i k t a t u r " der D r i t t e n Obersten Heeresleitung
59
7. Der Übergang der Streitkräfte von der Monarchie zur Weimarer Demokratie
61
I V . Reichswehr u n d Verfassungstreue i n der Weimarer Zeit
63
1. Die Stellung der Reichswehr i m Weimarer Staat
63
2. Der Verfassungseid
64
3. Reichswehr u n d Verfassungstreue
67
4. Die Behandlung der Extremistenfrage
70
5. Der Ulmer Hochverratsprozeß 1929/30
72
V. Soldaten i m „ D r i t t e n Reich"
75
1. Fahneneid u n d Treuepflicht
75
2. Wehrmacht u n d P o l i t i k
78
3. „Verfassungsschutz" i m D r i t t e n Reich
80
4. Widerstand
82
a) Motive
82
b) Eidespflicht u n d Widerstand
84
c) Der Gehorsam
85
Zweites
Kapitel
Die Verfassungstreue der Soldaten im geltenden Recht A. Rechtliche
Grundlagen
I. Die Stellung der Bundeswehr Grundgesetzes
87
der Verfassungstreue i n der Verfassungsordnung
88 des
88
1. Entstehungsgeschichte der Wehrverfassung
88
2. Militärische Verteidigung als Verfassungsauftrag?
92
a) Staatstheorie
92
b) Positives Verfassungsrecht: A r t . 87 a Abs. 1 GG, A r t . 73 Nr. 1 GG 95 3. Die Einordnung der Streitkräfte i n das Verfassungsgefüge a) Die Streitkräfte als „vollziehende Gewalt"
99 99
b) Der „ P r i m a t der P o l i t i k "
101
c) Die „Staatsbürger i n Uniform"
103
nsverzeichnis
11
I I . Ist die Verfassungstreue der Soldaten i m Grundgesetz verankert? Bisherige Lösungsversuche 105 1. Herleitung aus A r t . 33 Abs. 5 u n d Abs. 2 GG?
106
a) A r t . 33 Abs. 5 GG (BVerfGE 39, 334) als Grundlage für die Treuepflicht der Soldaten? 106 b) A r t . 33 Abs. 2 GG als Grundlage für die Verfassungstreuepflicht? 108 c) Analogie zum Beamtenverhältnis?
110
2. Herleitung der Verfassungstreue aus dem Grundsatz der „streitbaren Demokratie"? 112 3. Herleitung der Verfassungstreuepflicht aus der „Funktionsfähigk e i t " der Streitkräfte? 116 I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des Grundgesetzes Sicherung der Verfassungstreue der Streitkräfte
zur 118
1. Grundlagen
118
2. „Objektive" Verfassungstreue
119
3. Verfassungstreue als „Verfassungsgehorsam" Abs. 3 GG)
(Art. 1 Abs. 3, 20
120
a) Verfassungsrechtliche Begründung
121
b) I n h a l t der Verfassungstreue als „Verfassungsgehorsam"
124
4. Verfassungstreue als Bindung an die freiheitliche demokratische Grundordnung 127 a) Soldaten als Staatsbürger
127
b) Berufs- u n d Zeitsoldaten
129
c) Wehrpflichtige Soldaten
137
I V . Soldatengesetz
143
1. § 8 Soldatengesetz: Der Soldat u n d die freiheitliche demokratische Grundordnung 144 a) Zur Entstehungsgeschichte
144
b) Der I n h a l t der Treuepflicht aus § 8 SG; Unterschiede z w i schen Berufs- u n d Zeitsoldaten u n d wehrpflichtigen Soldaten 146 c) Verfassungstreue u n d Menschenwürde
151
2. Die Gewähr der Verfassungstreue bei der Berufung der Berufsu n d Zeitsoldaten — § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG 153 a) I n h a l t der Bestimmung
153
b) Z u m Verfahren
155
c) Prüfungsdurchführung
157
d) Die M i t w i r k u n g des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) an der Prüfung der Verfassungstreue 162 e) Rechtsschutz 168 3. Die Dauer der Verfassungstreuepflicht — § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG .. 170 a) Allgemeines
170
nsverzeichnis
12
b) Fortdauer k r a f t gesetzlicher Bestimmung?
170
c) Unterscheidung zwischen Wehrpflichtigen u n d Berufs- u n d Zeitsoldaten 173 4. Diensteid u n d feierliches Gelöbnis (§ 9 SG) a) Fahneneid oder Verfassungseid?
174 174
b) Die Rechtswirkung v o n Diensteid u n d feierlichem Gelöbnis . . 176 5. Einheitlichkeit des Soldatenverhältnisses? V. Verfassungstreue u n d Staatstreue
178 180
1. Grundlagen der Staatstreue
180
2. Das Verhältnis der Staatstreue zur Verfassungstreue
183
V I . Verfassungstreue der Soldaten = Wehrverfassungstreue? V I I . Zwischenergebnis B. Auswirkungen der Verfassungstreuepflicht auf die Rechtsverhältnisse der Soldaten I. Die Bedeutung des A r t . 17 a GG 1. Enumerationstheorie u n d Statustheorie
184 188
189 189 189
2. Bestimmung der Verfassungstreue i m Lichte des A r t . 17 a GG .. 191 I I . Rechte der politischen Betätigung
192
1. Meinungsfreiheit u n d Verfassungstreue
192
2. Verfassungstreue u n d Parteienprivileg (Art. 21 Abs. 2 GG)
197
a) Grundlagen
197
b) Der NPD-Beschluß des B V e r w G von 1973
198
c) Das N P D - U r t e i l des B V e r w G v o n 1983 202 d) Bloße Mitgliedschaft u n d Betätigung i n „verfassungsfeindlichen" Parteien 203 3. Mitgliedschaft i n politischen Vereinigungen (Art. 9 GG)
205
4. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) u n d die Verfassungstreue der Soldaten 207 I I I . Verfassungstreue u n d Zitiergebot nach A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG — Schutz vor Aushöhlung der Soldatenrechte? 208 I V . Verfassungstreue u n d Widerstandsrecht der Soldaten 1. Historische Grundlagen
212 212
2. I n einem obiter dictum v o m Widerstandsrecht zur Widerstandspflicht 215 V. Ergänzungsfrage: Der Einsatz der Bundeswehr i m I n n e r n u n d die Extremistenfrage 218
nsverzeichnis C. Politische Betätigung, Verfassungstreue und Extremistenfrage in der Praxis der Bundeswehr I. Die „Theorie der Praxis"
13
220 220
I I . Der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung v o m 18.11.1980 über die politische Betätigung v o n Soldaten 222 1. Einschränkungen von Grundrechten
222
2. Der Soldat u n d die freiheitliche demokratische Grundordnung .. 223 3. Teilnahme an politischen Veranstaltungen
225
I I I . Jahresberichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages 226 1. Die F u n k t i o n des Wehrbeauftragten als Hüter der Grundrechte 226 2. Die Jahresberichte des Wehrbeauftragten u n d die Verfassungstreue der Soldaten 227 a) Jahresbericht 1970 (Schulz)
228
b) Jahresbericht 1971 (Schulz)
229
c) Jahresbericht 1972 (Schulz)
229
d) Jahresbericht 1973 (Schulz)
230
e) Jahresbericht 1974 (Schulz)
230
f) Jahresbericht 1975 (Berkhan)
231
g) Jahresbericht 1978 (Berkhan)
232
h) Jahresbericht 1981 (Berkhan)
233
i) Jahresbericht 1983 (Berkhan)
233
j) Fazit
234
I V . Die Verfassungsschutzberichte
235
1. Die F u n k t i o n der Verfassungsschutzberichte
235
2. Die Verfassungsschutzberichte von 1978 bis 1983
237
a) Rechtsextremisten
237
b) Linksextremisten
238
c) Fazit
238
V. Transparenz der Rechtsprechung V I . Sonstige öffentlich zugängliche Informationen
239 244
1. Verbot der A N S
244
2. Fragestunde des Bundestages am 30.11.1983
245
3. Beobachtung durch die DDR
247
14
nsverzeichnis Drittes
Kapitel
Die Verfassungstreue der Soldaten in den Rechtsordnungen ausgewählter westlicher Demokratien und der DDR
248
I. Einleitung
248
I I . Frankreich
249
1. Historischer H i n t e r g r u n d
249
2. Die Stellung der Armee i n der französischen Verfassung
251
3. Treuepflicht u n d politische Rechte der Soldaten
252
4. Vereidigung
255
I I I . Großbritannien/England
255
1. Die Stellung der Streitkräfte i m Verfassungsrecht u n d i h r V e r hältnis zum Parlament 255 a) Britisches Verfassungsrecht
255
b) Die Streitkräfte (armed forces)
256
2. Die politische Betätigung der Soldaten
257
3. Treuepflicht u n d Sicherheitsaspekte
258
4. Vereidigung
259
I V . USA 1. Die Streitkräfte i n der Verfassung der USA v o m 17.9.1787
260 260
2. Die politischen Rechte der Soldaten u n d das First Amendment 261 a) Meinungsfreiheit
261
b) Politische Vereinigungsfreiheit
263
3. Vereidigung V. Spanien
264 265
1. Die Aufgaben der Streitkräfte i n der spanischen Verfassung .. 265 2. Streitkräfte u n d P o l i t i k
266
3. Vereidigung
267
V I . Portugal
268
1. Die Rolle des Revolutionsrates i n der Verfassung v o m 2.4.1976 268 2. Die Streitkräfte i m geltenden Verfassungsrecht
269
3. Vereidigung
271
a) Treueeid der Offiziere b) Fahneneid der Soldaten
271 271
nsverzeichnis V I I . DDR
15 272
1. Die Stellung der Nationalen Volksarmee (NVA) i m Staatsaufbau der DDR 272 a) Die Entstehung der N V A
272
b) Die Landesverteidigung i n der Verfassung
273
c) N V A u n d Partei
274
2. Politische Treuepflicht der Soldaten a) Treuepflicht i m Gesetz
274 274
b) Der Fahneneid
276
c) Parteiprogramm
276
d) Zulassungsvoraussetzungen für Berufssoldaten
277
e) Ergebnis
277
V I I I . Zusammenfassung
278
1. Stellung der Streitkräfte i n der Verfassung
278
2. Verfassungstreue u n d Vereidigung
278
3. Extremistenfrage
279
4. Zurückhaltungspflichten
280
5. Unterscheidung Wehrpflichtige: Berufs- u n d Zeitsoldaten
280
6. Fazit
281
Schluß I . Historische Grundlagen I I . Verfassungstreue i m geltenden Recht
282 282 283
I I I . Rechtsvergleichung
285
I V . Ergebnis
285
Literaturverzeichnis
287
Abkürzungsverzeichnis a. Α . Abs. Abt. a. E. a. F. AJDA ALR Alt. Anm. ANS/AAR AöR Art. Aufl.
= = = = = = = = = =
anderer Ansicht Absatz Abteilung am Ende alte Fassung Actualité Juridique/Droit A d m i n i s t r a t i f Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten v o n 1794 Alternative Anmerkung A k t i o n Nationaler Sozialisten/Aktion Ausländerrückführung = Archiv des öffentlichen Rechts = Artikel = Auflage
BAG Bundesarbeitsgericht BBG Bundesbeamtengesetz Bd. Band BfV Bundesamt für Verfassungsschutz B G B l . I, I I Bundesgesetzblatt Teil I, I I BGH Bundesgerichtshof BHE B u n d der Heimatvertriebenen und Entrechteten BMI Bundesministerium des I n n e r n Bundesministerium der Verteidigung BMVg Bundesnachrichtendienst BND Bundesrechtsanwaltsordnung BRAO Beamtenrechtsrahmengesetz BRRG Bismarcksche Reichsverfassung von 1871 BRV Bundestag BT BT-Drucksache = Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz: Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes u n d der Länder i n Angelegenheiten des Verfassungsschutzes Bundesverwaltungsgericht BVerwG Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE CDU Cmd. CSU
Christlich-Demokratische Union Command Paper Christlich-Soziale Union
DBD d.h. Diss. DKP DÖV DRiG DVB1.
Demokratische Bauernpartei Deutschlands das heißt Dissertation Deutsche Kommunistische Partei Die öffentliche V e r w a l t u n g Deutsches Richtergesetz Deutsches Verwaltungsblatt
Abkürzungsverzeichnis ebd. E.N.A. et seq. f. (ff.) FAZ FDGB FDP Fn. Forts. G-10 GB GBl. GG Halbs. HessVGH h. L. h. M . Hrsg. hrsg. i. d. F. i. d. R. i.S. i. V. m. Jb JöR jur. Kap. KBW KPD KPD/ML KPF L.Q.R. LDPD MAD MdB MDg m. E. MSB MStGB m. w. N. NDPD NJW No. NPD Nr. NSDAP NVA NZWehrr o. a. o. ä. OVG 2 Cuntz
= = = = = = = = = —
= = = =
= = = = = = = = = =
= = = = = = = = = —
= = = = = = —·
= = = = = = = = = =
17
ebenda Ecole Nationale d'Administration folgende (amerikanische Literatur) folgende Seite(n) Frankfurter Allgemeine Zeitung Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Demokratische Partei Fußnote Fortsetzung Gesetz zu A r t i k e l 10 Grundgesetz (Gesetz zur Beschränk u n g des Brief-, Post- u n d Fernmeldegeheimnisses) Großbritannien Gesetzblatt Grundgesetz Halbsatz Hessischer Verwaltungsgerichtshof herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber herausgegeben i n der Fassung i n der Regel i m f inne i n Verbindung m i t Jahresbericht Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart juristisch Kapitel Kommunistischer B u n d Kommunistische Partei Kommunistische Partei Kommunistische Partei
Westdeutschland Deutschlands Deutschlands/Marxisten-Leninisten Frankreichs
L a w Quarterly Review Liberal-demokratische Partei Deutschlands Militärischer Abschirmdienst M i t g l i e d des Deutschen Bundestages Ministerialdirigent meines Erachtens Marxistischer Studentenbund Spartakus Militärstrafgesetzbuch m i t weiteren Nachweisen Nationaldemokratische Partei Deutschlands (DDR) Neue Juristische Wochenschrift Nummer, number Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nummer Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationale Volksarmee Neue Zeitschrift für Wehrrecht oben angegeben(e) oder ähnliches Oberverwaltungsgericht
Abkürzungsverzeichnis
18 pol.
= politikwissenschaftlich
Randnr. RBG RG RGBl. RGStE RStGB
= = = = = =
Randnummer Reichsbeamtengesetz Reichsgerichtshof Reichsgesetzblatt Entscheidungssammlung des Reichsgerichtes i n Strafsachen Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich v o m 15. 5.1871
s. S. SA SDAJ sec. SED SG
= = = = = = =
SLV sog. SPD SRP SS StGB
= = = = = =
siehe, section Seite, Satz Sturmabteilung Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend section Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (DDR) Soldatengesetz (Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten) Soldatenlaufbahnverordnung i. d. F. v o m 27.1.1977 sogenannt(e) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische Reichspartei Schutzstaffel Strafgesetzbuch
u. u. a. u. ä. U.S. U.S.C. U.S.C.A. u. U.
= = = = = = =
und unter anderen/anderem u n d ähnliches * United States Supreme Court Reports United States Code (bereinigte Sammlung) United States Code Annotated unter Umständen
v. VerwArchiv VG VGH VMB1. VO VS-NfD VVDStRL
= = = = = = = =
VwGO WbG
von, v o m (englisch: versus/against) Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Ministerialblatt des Bundesministers der Verteidigung Verordnung Verschlußsache — N u r für den Dienstgebrauch Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer = Verwaltungsgerichtsordnung
WDO WG WP WPflG WRV WStG
= Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages = Wehrdisziplinarordnung = Wehrgesetz = Wahlperiode = Wehrpflichtgesetz v o m 21. 7.1956 = Weimarer Reichsverfassung v. 11.8.1919 = Wehrstrafgesetz i. d. F. der Bekanntmachung v o m 24. 5.1974
ZAkDR ZBR ZRP
= Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht = Zeitschrift für Beamtenrecht = Zeitschrift für Rechtspolitik
„Die Demokratie ist k e i n Gegensatz zum Soldaten, sie ist die Voraussetzung für seine w i e für jede andere F o r m menschenwürdiger Existenz." „Soldat u n d Nicht-Soldat sind zwei verschiedene Aggregatzustände desselben Staatsbürgers." (Graf Baudissin)
Problemstellung I. 1. Das Bundesverfassungsgericht h a t m i t d e m „ R a d i k a l e n b e s c h l u ß " 1 aus d e m J a h r e 1975 g r u n d l e g e n d z u r F r a g e der V e r f a s s u n g s t r e u e d e r B e a m t e n S t e l l u n g g e n o m m e n u n d d a m i t d e n R a h m e n f ü r die B e u r t e i l u n g d e r P r o b l e m a t i k gesteckt, was die B e a m t e n angeht 2 . Diese Entscheid u n g e n t h ä l t w i c h t i g e K e r n a u s s a g e n z u m verfassungsrechtlichen V e r h ä l t n i s zwischen Staatsdiener u n d Staat a l l g e m e i n , ist aber dennoch i n i h r e r B e g r ü n d u n g , die sich auf die „ h e r g e b r a c h t e n G r u n d s ä t z e des B e r u f s b e a m t e n t u m s " ( A r t . 33 A b s . 5 GG) s t ü t z t , a u f die B e a m t e n begrenzt. W e r m e i n t , daß S o l d a t e n v e r h ä l t n i s u n d B e a m t e n v e r h ä l t n i s i h r e r N a t u r n a c h v e r s c h i e d e n u n d d u r c h die u n t e r s c h i e d l i c h e n B e g r i f f s p a a r e „ B e f e h l u n d G e h o r s a m " einerseits u n d „ d i e n s t l i c h e A n o r d n u n g u n d P r ü f u n g s p f l i c h t " andererseits gekennzeichnet seien 3 , m a g z u d e m Schluß k o m m e n , daß S o l d a t e n i n e i n e m S o n d e r v e r h ä l t n i s zu Staat u n d V e r f a s sung stehen. A b e r s i n d S o l d a t e n n i c h t Staatsdiener w i e die B e a m t e n 1 BVerfGE 39, 334. I m folgenden w i r d w e i t e r h i n die inzwischen allgemein eingebürgerte Bezeichnung „Radikalenbeschluß" verwandt, obwohl eine Verengung der Verfassungstreueproblematik auf die Extremistenfrage weder angemessen noch v o m B V e r f G intendiert erscheint (der Ausdruck „Radikaler" erscheint ohnehin schief — radikal sein heißt j a i m Wortsinn: an die Wurzel, i n die Tiefe gehend). 2 Böckenförde bezweifelt, daß die Entscheidung eine abschließende v e r fassungsrechtliche K l ä r u n g gebracht hat. Dies g i l t aber i n erster Linie f ü r die inzwischen fast unübersichtliche L i t e r a t u r zu diesem Thema. Für die Praxis — so gesteht Böckenförde zu — hat der „Radikalenbeschluß" i n seinen E i n deutigkeiten wie i n seinen Unklarheiten u n d Mehrdeutigkeiten den Rahmen für die seitherige Praxis gesetzt. Vgl. Böckenförde, Rechtsstaatliche politische Selbstverteidigung als Problem, in: Böckenförde / Tomuschat / Umbach, E x tremisten und öffentlicher Dienst, S. 9 ff. (9 u. 27) m. w. N. 3 So die Regierungsbegründung zum Soldatengesetz, BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 16.
2*
20
Problemstellung
auch? Sind sie nicht, wie die Beamten, für die Wahrung der Verfassung verantwortlich? Muß ihr Handeln nicht auch verfassungsgemäß sein? Schließlich, wie steht es mit den wehrpflichtigen Soldaten, deren Dienstverhältnis nicht nur kürzer als das der meisten Beamten ist und schlechter bezahlt wird, sondern vor allem ja nicht auf der Basis der Freiwilligkeit gegründet ist? Gibt es ein „Differenzierungsverbot" zwischen wehrpflichtigen Soldaten und Berufs- und Zeitsoldaten? Eine dem Radikalenbeschluß vergleichbare Entscheidung ist für das (oder die) Soldatenverhältnis(se) bisher nicht ergangen, auch die „Soldatenbeschlüsse" des BVerfG 4 aus dem Jahre 1970 hatten keine Klärung der Verfassungstreueproblematik hinsichtlich der Soldaten erbracht. Eine neuere Entscheidung des 1. Wehrdienstsenats des BVerwG aus dem Jahre 1983 ist lediglich i n Leitsätzen veröffentlicht worden 5 , die hinsichtlich der Verfassungstreue der Soldaten allgemein auf § 8 Soldatengesetz (SG) Bezug nehmen, jedoch keinen Hinweis auf die verfassungsrechtliche Seite enthalten. Erst mit dem Urteil des BVerwG vom 24.1. 19846 t r i t t die Verfassungstreue der Soldaten i n das Zentrum einer höchstrichterlichen samt den Gründen veröffentlichten Entscheidung: Die Achtung vor dem Menschen erscheint darin als Wesensinhalt der Verfassungstreue. 2. „Treue" ist zunächst die sittliche Haltung der Beständigkeit i n einer eingegangenen Bindung, die nicht zum eigenen Vorteil wieder aufgegeben wird, auf die der andere daher vertrauen kann 7 . Die Treue gehört zweifellos auch zu den wichtigsten Soldatentugenden. Welche Rolle aber spielt sie i m rechtlichen Bereich? Ist das Dienstverhältnis von Berufsund Zeitsoldaten eines wie andere auch, wobei das Soldatenverhältnis lediglich durch die gesetzlich näher geregelten Pflichten inhaltlich bestimmt ist (Dienst- und Gesetzlichkeitsmodell)? Oder steht der Soldat darüber hinaus i n einem Treueverhältnis, das i h m rechtlich eine Beständigkeit i n der Bindung an die Verfassung auferlegt, auf die auch der andere Teil vertrauen kann (Treuemodell) 8 ? Das BVerfG hat sich i m Radikalenbeschluß 9 mit der verrechtlichten Treuebindung auseinandergesetzt, dabei aber nicht den Begriff der Ver4
BVerfGE 28, 36; 28, 51; 28, 55; 28, 282. BVerwG, N Z W e h r r 1984, 39. 6 BVerwG, N Z W e h r r 1984, 167. 7 Stichwort „Treue", in: Der Große Brockhaus, 18. Aufl., Bd. 11, Wiesbaden 1980, S. 468; vgl. auch schon Laband, Bd. 4, S. 159 f. 8 Vgl. zur Unterscheidung zwischen „Dienst- u n d Gesetzlichkeitsmodell" u n d „Treuemodell" Böckenförde, Rechtsstaatliche politische Selbstverteidigung, i n : Böckenförde / Tomuschat / Umbach, S. 13 f. 9 BVerfGE 39, 334. 5
Problemstellung
fassungstreue i n den Vordergrund gestellt, sondern den der „politischen Treuepflicht", die es aber wiederum als „Staats- und Verfassungstreue" definierte. Eine scharfe Trennung zwischen der Staatstreuekomponente und der Verfassungstreuekomponente w i r d dabei nicht ersichtlich: Es ist allein die Verfassung, die i n unserem Rechtsstaat die Maßstäbe und Grenzen setzt, i n deren Rahmen sich das politische Leben und der Staat entfalten. Ohne oder gegen das Grundgesetz gibt es kein legales staatliches Handeln. Es ist die Verfassungstreue, die auch i m Radikalenbeschluß der „politischen Treuepflicht" Farbe und Substanz gibt. Diese Verfassung aber ist eine freiheitliche und demokratische, zu ihr gehört „nicht n u r die persönliche, sondern ebenso die politische Freiheit u n d — als deren hauptsächliche Anwendungsfälle — die (politische) Meinungs-, V e r sammlungs- u n d Vereinigungsfreiheit sowie die Freiheit v o n politischer Diskriminierung, ferner das gleiche Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern"10.
Die dem Radikalenbeschluß entsprechenden Fragen lauten — ins Soldatenverhältnis übersetzt: Was geschieht i n der Bundeswehr mit den „Feinden der Freiheit", die mit der rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes nicht übereinstimmen oder sie bekämpfen? Sollen sie Berufs- oder Zeitsoldaten werden oder bleiben dürfen? Sollen sie als wehrpflichtige Soldaten m i t dem Mittel des Disziplinarrechts zu Freunden der Freiheit gemacht werden? Davon zu unterscheiden ist die Frage der Staatstreue. Wem soll hier eigentlich Treue gehalten werden: dem „Staat an sich" (dem die Reichswehr i n Weimarer Zeit zu dienen glaubte), der Regierung, dem Verteidigungsminister, den Vorgesetzten? Und wie verhält es sich m i t der Staatstreuepflicht — falls es eine solche überhaupt gibt — i n Beziehung zur Verfassungstreuepflicht? 3. Soldaten der Demokratie sind „Staatsbürger i n Uniform". Sie dienen der Demokratie und der Freiheit, aber sie nehmen auch an beiden teil. Sie sind Angehörige der Streitkräfte, die einen starken Machtfaktor i m Staate darstellen. W i l l das Grundgesetz seine Geltungskraft auch m i t und i n den Streitkräften erhalten, so muß gewährleistet sein, daß die Bundeswehr in die Verfassungsordnung so eingefügt ist, daß sie dieselbe nicht gefährden kann, sondern zu ihren Stützen zählt. Dies ist ein wichtiges Element wahren Verfassungs-„Schutzes". Aber muß es nicht neben der allgemein-institutionellen Sicherung verfassungsmäßigen Verhaltens der Streitkräfte — die doch aus Menschen bestehen — auch eine individuelle Treuehaltung der Soldaten zum Grundgesetz geben? Welche Mittel gibt es, die Verfassungstreue der einzelnen Soldaten abzusichern? Einen Eid oder eine gesetzliche Pflicht? Oder ergibt sich die 10
Vgl. Böckenförde,
i n : Böckenförde / Tomuschat / Umbach, S. 11.
Problemstellung
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individuelle Verfassungstreuepflicht bereits aus dem Grundgesetz selbst? Worin besteht eine solche Verfassungstreuepflicht? Und schließlich — welche Auswirkungen hat eine Verfassungstreuepflicht auf die Rechtsverhältnisse des Soldaten, greift sie gestaltend i n sein Dienstverhältnis ein? 4. Die Frage der Verfassungstreue w i r d normalerweise mit der Extremistenfrage i n Zusammenhang gebracht. Extremismus ist aber eine Ausnahmehaltung zu einer geltenden rechtlich-politischen Ordnung. Ist er keine Ausnahme mehr, so w i r d die bis dahin vorherrschende Ordnung selbst zwangsläufig dem Umbruch unterworfen sein. Dies gilt insbesondere für eine freiheitliche und demokratische Ordnung, die von demokratischen Mehrheiten getragen w i r d und die Freiheit des einzelnen zu schützen sucht. Soll eine demokratische und freiheitliche Ordnung vor Verfall und Selbstzerstörung bewahrt werden, so gilt es vor allem, die Lebenskraft der Verfassung zu stärken, u m sicherzustellen, daß sie von möglichst allen ihr zugehörigen Bürgern getragen w i r d 1 1 und der Extremismus auf diese Weise die Ausnahme bleibt. Die Verfassung besteht nicht nur i n einer Urkunde, sie ist nicht nur formales Gesetz, sondern Gewährleistung eines freien politischen Lebensprozesses 12. Sie ist übergeordnetes Recht, und sie spiegelt die Lebensordnung der Menschen wider, die sie für sich gewählt haben. Stellt man die Bekämpfung der Extremisten i n den Vordergrund, so geht die freiheitliche und demokratische Ordnung das Risiko ein, gerade die Werte zu schmälern oder gar aufzugeben, die sie schützenswert machen und damit die Basis ihrer Lebenskraft bilden. Die Staatsbürger i n Uniform — und diese Eigenschaft durchläuft als Stadium ein erheblicher Anteil der männlichen Bevölkerung — gehören sowohl als Staatsdiener als auch als Staatsbürger zu den tragenden Säulen unserer Verfassungsordnung. Freiheit und Demokratie sollen nicht nur durch sie geschützt werden, sie soll auch i n ihnen leben. Verfassungstreue — die (zweiseitige) Bindung der Soldaten an das Grundgesetz — sollte mehr sein als Ablehnung des Extremismus. Die Bekämpfung des Extremismus mit M i t t e l n der Freiheitsbeschränkung muß Ausnahme bleiben, wenn der Extremismus selbst Ausnahme und die Freiheit bestehen bleiben soll. Zugleich gehört es zur Glaubwürdigkeit einer freiheitlichen politischen Ordnung, daß sie „auch den Feinden 11
Vgl. die Ausführungen bei Hesse, Verfassungsrecht § 23 V I I I , Randnr. 771. Vgl. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung (1952), i n : Beiträge zur Verfassungstheorie u n d Verfassungspolitik, 21 ff. (122). 12
Problemstellung
der Freiheit, deren politische Betätigung sie beschneiden muß, nur mit rechtsstaatlichen Mitteln" begegnet 13 . II. 1. Die Verfassungstreue der Soldaten ist als Problem so alt wie die Verfassungen selbst. Geschriebene Verfassungen gibt es in Deutschland seit Anfang des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, i n der sich auch die allgemeine Wehrpflicht durchsetzte, die selbst als Teil eines Aufbruchs i n eine freiere und die Bürger am politischen Leben beteiligende Welt empfunden wurde. Von Anfang an gab es für die Soldaten einen Zwiespalt: Auf der einen Seite stand die unmittelbare Bindung der Soldaten an den Monarchen als stabilisierendes Element der staatlichen Ordnung, auf der anderen Seite der Geltungsanspruch der Verfassungen als übergeordnetes Recht, das die Rechtsstellung der Bürger gegenüber dem Staat zu sichern suchte. Diese Zweigleisigkeit blieb so lange bestehen, wie der Staat bzw. das ihn personifizierende Staatsoberhaupt und die Verfassung konkurrierend nebeneinanderstanden. I m ersten Kapitel der Arbeit „Die Treuepflicht der Soldaten gegenüber der Verfassung in der historischen Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts" soll das Problem der Verfassungstreue i n seiner historischen Dimension zurückverfolgt werden. A u f diese Weise soll nicht nur verifiziert werden, wie sich die historischen Wurzeln der Treuepflicht darstellen (dies entspräche der Vorgehensweise des BVerfG i m „Radikalenbeschluß" 1 , das i m Rahmen des A r t . 33 Abs. 5 GG die „hergebrachten Grundsätze des Beruf sbeamtentums" analysierte). Es geht auch u m die Feststellung, inwieweit die Rechtsstellung der Soldaten in der neu errungenen, inzwischen über 35 Jahre bewährten Demokratie sich unterscheidet von dem Zustand i n der Monarchie, der Weimarer Republik und i m Hitlerschen Unrechtsregime — und wo Gemeinsamkeiten liegen. 2. I m zweiten Kapitel, dem Hauptteil der Arbeit, soll unter der Überschrift „Die Verfassungstreue der Soldaten im geltenden Recht" untersucht werden. A. wo die rechtlichen Grundlagen der Verfassungstreue der Soldaten liegen, B. welche Auswirkungen die Verfassungstreuepflicht auf die Rechtsstellungen der Soldaten hat und C. welche Erkenntnisse sich aus den öffentlich zugänglichen Informationen über die Rechtspraxis ergeben. 13
BVerfGE 13,46 (53).
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Problemstellung
Grundlagen der Verfassungstreue (A) sind i n einen verfassungsrechtlichen Rahmen für die Streitkräfte eingebettet. Die Deutung der Verfassungstreue der Soldaten verlangt deshalb nach einer Klärung der Position der Streitkräfte i n der Verfassungsordnung. Von Bedeutung für die Beziehung zwischen Grundgesetz und Bundeswehr ist die Frage, ob es einen sog. Verfassungsauftrag zur Aufstellung von Streitkräften gibt, aus dem sich angeblich ein verfassungsrechtliches Gebot der „Funktionsfähigkeit" der Bundeswehr ergeben soll. Ausgehen muß die Suche nach den Grundlagen der Verfassungstreue vom Grundgesetz selbst. Gegenstand der von grundsätzlichen Überlegungen ausgehenden Untersuchung sind u. a. die Entstehungsgeschichte der Wehrverfassung, Zielsetzungen des Grundgesetzes, Lösungsansätze verschiedener A r t , das B i l d vom Soldaten i n der Demokratie, die rechtliche Umwelt und schließlich — Rechtsprechung und Literatur zum Thema Verfassungstreue. Eingehende Betrachtung gebührt dem Soldatengesetz als zentraler Pflichtenordnung der Soldaten. I m Vergleich zu der vieldiskutierten Problematik i m Beamtenrecht verdient die Frage besondere Prüfung, welche konkrete Ausgestaltung die Regeln für die Gewähr der Verfassungstreue beim Zugang zur Bundeswehr gefunden haben, und wie sie sich ins Verhältnis setzen zu anderen, überschneidenden Bereichen (wie der Sicherheitsprüfung bei Soldaten). Darzustellen ist dabei auch die Rolle des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Von grundlegendem Interesse ist endlich das Verhältnis der Verfassungstreue zur Staatstreue. Der Inhalt der Verfassungstreue läßt sich vollständig erst dann bestimmen, wenn man ihre Auswirkungen auf die Rechtsverhältnisse der Soldaten erfaßt (B). Welche Funktion hat die Verfassungstreue bei der Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, schützt sie vor Extremisten oder/und schützt sie die Grundrechte? Für die Verfasungstreuepflicht sind insbesondere die Grundrechte m i t Bezug auf die politische Betätigungsfreiheit der Soldaten von Belang. Schließlich: berechtigt oder verpflichtet die Verfassungstreue den Soldaten i m äußersten Fall auch zum Widerstand? Zur Beleuchtung der Rechtspraxis (C) werden politische Grundsatzaussagen von Politikern und Praktikern, Bundeswehrerlasse, die Jahresberichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, die Verfassungsschutzberichte und sonstige offene Erkenntnisquellen ausgewertet. Auch die Rechtsprechung und ihre Transparenz sind Gegenstand dieses Abschnittes. 3. Verfassungstreue der Soldaten ist kein Problem, das auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist. Soweit der Rahmen einer Dis-
Problemstellung
sertation es erlaubt, soll daher auch eine rechtsvergleichende Schau vorgenommen werden. Das dritte Kapitel ist überschrieben: „Die Verfassungstreue der Soldaten in den Rechtsordnungen ausgewählter westlicher Staaten und der DDR". Die großen und traditionsreichen westlichen Staaten wie Frankreich, Großbritannien und USA haben mit der Sicherung ihrer demokratischen Verfassungsordnungen ein erhebliches Maß an Erfahrung gesammelt, das sich i n der Einfügung der Streitkräfte und der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse der Soldaten niedergeschlagen hat. Aber auch Staaten, die wie Spanien und Portugal erst i n jüngerer Zeit wieder i n die Demokratie gefunden haben, sind hier von Interesse: wie sichern sie die Verfassungstreue von Streitkräften und Soldaten? Schließlich sollen Regelungen für Armee und Soldaten i m zweiten deutschen Staat, der DDR, betrachtet werden. Den historischen Hintergrund teilt die DDR mit der Bundesrepublik Deutschland, die rechtlich-politische Ordnung ist jedoch gänzlich anderer Natur. Was bedeutet dies für die Rechtsverhältnisse der Soldaten? 4. Die vorliegende Arbeit ist nicht auf eine abschließende Lösung der angeschnittenen Fragen ausgerichtet. Sie zielt vielmehr darauf ab, Probleme bewußt zu machen und mögliche Wege zum Verständnis der Verfassungstreue der Soldaten aufzuzeigen. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, bemerkte i n einem Vortrag — Ende 1983, kurz nach der lebhaften Debatte i m Bundestag über die Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenwaffen —, daß die Bundeswehr „gewissermaßen als Stiefkind der Verfassungsrechtslehre" behandelt werde, was ihrer bedeutsamen Funktion bei weitem nicht entspreche 14. Diese Feststellung t r i f f t auch und gerade auf das Thema „Verfassungstreue der Soldaten" zu. Die vorliegende Abhandlung w i l l das Problem der Verfassungstreue unter historischen, rechtstheoretischen, verfassungs- und wehrrechtlichen, praktischen und rechtsvergleichenden Aspekten betrachten. Sie w i l l zugleich versuchen, Anregung zu sein für weitere vertiefte Beschäftigung mit der noch immer nicht völlig ausgeloteten Problematik einer von Disziplin und Gehorsam geleiteten Institution i n der freiheitlichen Demokratie.
14 Vgl. Benda, Frieden u n d Verfassung, Vortrag am 25.11.1983 i n München, AÖR 1984,1 ff. (10).
Erstes Kapitel
Die Treuepflicht der Soldaten gegenüber der Verfassung in der historischen Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts I . D i e Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Stellung der Soldaten gegenüber dem Monarchen zu Beginn des 19. Jahrhunderts
Das Zeitalter der Französischen Revolution und der darauf folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen und politischen Umwälzungen brachte auch für die Stellung der Soldaten i n Staat und Gesellschaft grundlegend neue Perspektiven. War das stehende Heer des Absolutismus nach ständischer Gliederung aufgebautes Instrument des Monarchen gewesen, so schien sich i m Verlaufe der Kriege mit den Franzosen und der Heeresreformen i n Preußen ein neues Verhältnis des Militärs zur bürgerlichen Gesellschaft anzubahnen. Mit der Entstehung geschriebener Verfassungen i n den meisten deutschen Kleinstaaten, die den Bürgern verbriefte Rechte gegenüber Monarch und Staat gewährten, stellte sich alsbald die Frage nach den Loyalitätspflichten der Soldaten, die traditionell an den Monarchen gebunden waren, nun aber dem Geltungsanspruch der neugeschaffenen Verfassungen gegenüberstanden. Erst die Existenz der „Verfassungsurkunden" ließ die „Verfassungstreue der Soldaten" als Problem aufkommen 1 . Aber auch da, wo wie in Preußen eine geschriebene Konstitution zunächst nicht gegeben war, führte die Diskussion u m das Verhältnis der Soldaten zum Monarchen und zur bürgerlichen Gesellschaft h i n zu den Grundprinzipien der staatlichen Ordnung überhaupt 2 . 1
Vgl. Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 3. Buch, 12. Kap., S.222: „Practisch wichtig w i r d sie (die Frage, ob dem K ö n i g allein oder auch der Verfassung Treue zu schwören ist), w e n n der Fürst u n d die Verfassung i n Conflict gerathen u n d jener die Macht des Heers zu Maszregeln verwenden w i l l , w e l che den Vorschriften der Verfassung widerstreiten oder zu widerstreiten scheinen." 2 Vgl. R. Höhn, Verfassungskampf u n d Heereseid (1938), S. 13 ff.; Huber, Heer und Staat (1938), S. 169. Beide Werke erschienen i n nationalsozialistischer Zeit u n d sind i n Teilen v o n nationalsozialistischem Denken beeinflußt. Insbesondere Höhn, der m i t der SS i n Beziehung stand, hat sich i m Laufe des
I. Beginn des 19. Jhs.: A l l g . Wehrpflicht u n d monarchisches Prinzip
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Die Idee des Volksheeres, wie sie von Frankreich so erfolgreich vorexerziert worden war, mußte an die Grundfesten der überkommenen gesellschaftlichen Ordnung rühren. Nun erfolgte auch i n Deutschland die Beteiligung des Bürgertums am Offizierskorps des Heeres, dessen Führung bisher zu den Privilegien des Adels gehört hatte, und die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht, d.h. alle Staatsbürger erfassenden und ohne Ausnahme oder Möglichkeiten der Stellvertretung geltenden Teilnahme am Wehrdienst. Es entstand eine Situation, i n der die Stellung der Streitkräfte und des einzelnen Soldaten gegenüber Monarch, Volk, Recht und Verfassung neu überdacht wurde. 1. Die Reformbewegung in Preußen
Das überkommene System der absoluten Monarchie zeigte sich i n besonderer Deutlichkeit i m militärischen Bereich. Auf das Militär stützten sich Macht und Ansehen der absoluten Fürsten. Dennoch war der m i l i tärische Bereich nicht rechtsfrei: zum einen galt auch für das Heer das Naturrecht. Die Schöpfer des Preußischen Allgemeinen Landrechts vertraten die Ansicht, daß die Position des Rechts schlechthin eine Grundverfassung, d. h. eine geschriebene Verfassungsurkunde, ersetzte 3. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 enthielt zudem präzise Vorschriften über Rechte und Pflichten der „Diener des Staats", zu denen „ M i l i t a i r - und Civilbediente" gleichermaßen gezählt wurden 4 . Die „Militairpersonen", wie man damals einheitlich Soldaten und Militärbeamte bezeichnete, waren dem Monarchen und dem 2. Weltkrieges zu einem Verfechter Hitlerscher Eroberungsgedanken gemacht (vgl. u. a. seine Schrift „Reich, Großraum, Großmacht", Darmstadt 1942). Dennoch ist es unerläßlich, zum Thema M i l i t ä r u n d Verfassung i m 19. Jahrhundert auf diese beiden grundlegenden Werke zurückzugreifen. Sie werden j e doch n u r dann u n d insoweit zitiert, als der Verfasser dies für wissenschaftlich geboten u n d verantwortbar hält. 3 Vgl. Scheyhing, 8. Kap., Randnr. 25: „Bedenkt man, daß unter dem E i n fluß des Naturrechts u n d seiner Lehre v o m Staatsvertrag die Eingriffsmöglichkeiten des Staates auf das Präziseste bestimmt werden, so k a n n man diesem U r t e i l n u r zustimmen." 4 Allgemeines Landrecht, 2. Teil, 10. Titel: V o n den Rechten u n d Pflichten der Diener des Staats: § 1. M i l i t a i r - u n d Civilbediente sind vorzüglich bestimmt, die gute Ordnung u n d den Wohlstand des Staates zu unterhalten u n d befördern zu helfen. § 2. Sie sind, außer den allgemeinen Unterthanenpflichten dem Oberhaupte des Staats besondere Treue und Gehorsam schuldig. § 3. E i n jeder ist nach der Beschaffenheit seines Amtes und nach dem Inhalte seiner Instruction dem Staat noch zu besonderen Diensten durch Eid und Pflicht zugethan. § 4. Die besonderen Pflichten des Soldatenstandes sind hauptsächlich durch die Kriegsartikel u n d andere einschlägige Verordnungen festgesetzt.
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
Staat als Diener verpflichtet, „Treue und Gehorsam" 5 aber schuldeten sie der Person des Staatsoberhauptes. Pflichten bestanden also auch gegenüber dem Staatswesen als solchem, Treue wurde dagegen als persönliches Verhältnis zum Monarchen verstanden. Die Stein-Hardenbergschen Reformen, die i m Militärbereich durch die Scharnhorst-Boyensche Wehrgesetzgebung abgeschlossen wurden, bedeuteten gegenüber dem geltenden Rechtszustand keinen umwälzenden Neuanfang, sie bauten vielmehr auf dem überkommenen Rechte auf. Eine Wehrpflicht bestand rechtlich auch bereits i m Preußen vor den großen Reformen 6 , nur daß sie bis dahin durch zahlreiche Ausnahmen durchlöchert war. Bereits 1733 wurde i n Preußen die Wehrpflicht i n Form der Zwangswerbung eingeführt, neu geregelt wurde sie i m Kantongesetz von 1792. Die allgemeine Wehrpflicht der preußischen Reformer schaffte die bisherigen Exemtionen vom Wehrdienst ab und versuchte, ein „Bündnis zwischen Regierung und Nation" zu schaffen 7. Die sich angesichts der Niederlage von Jena (1806) durchsetzende Einsicht, daß eine aus der gesamten Bevölkerung rekrutierte bürgerliche Armee viel motivierter und damit schlagkräftiger sein müsse als ein Söldnerheer, hatte bereits Friedrich II. 1740 i n seinem „Anti-Machiavel" (hierin mit Machiavelli übereinstimmend) vertreten 8 . Es bedurfte erst des offensichtlichen Fehlschlags des alten Systems, daß diese Einsicht in die Tat umgesetzt werden konnte. Es gab aber auch eine echte Begeisterung i m Volke für den Wehrdienst, da man i m Bündnis zwischen Regierung und Nation ein neues, beiderseitiges Verhältnis erhoffte 9 . 5
Allgemeines Landrecht, 2. Teil, 10. Titel, § 2. Vgl. Händel, Der Gedanke, S. 47; vgl. Wolzendorff, Volksheer, S. 9 f.; Wohlfeil, in: Papke / Petter, 1 I I , S. 85 ff. m i t ausführlichen Hinweisen. 7 Anti-Machiavel, X I I . Kapitel, Ausgabe F r a n k f u r t / L e i p z i g 1745, S. 280: „Ich bin, wie der Verfasser (Machiavelli), versichert, daß einem Staate m i t den i n Sold übernommenen Soldaten schlecht gedient sey, u n d daß der M u t h der Landeskinder, durch die Bande, wodurch sie verbunden sind, verdoppelt v/erde." S.281: „ M a n hat mehr als einmal wahrgenommen, daß die Staaten, welche erst bürgerliche Kriege geendigt, ihren Feinden weit überlegen gewesen sind; denn i n einem bürgerlichen Kriege ist jedermann Soldat." A u f S.282 beklagt er den Zustand i n Preußen: „Bauer u n d Bürger geben zum Unterhalt der Soldaten, die sie beschützen sollen, ein gewisses; sie selber aber ziehen nicht mehr zu Felde. Es werden n u r die allergeringsten aus dem Volke zu Soldaten g e n o m m e n ; . . . A l l e diese haben vor ihren Herren aber so wenig Neigung, u n d i n derselben Beständigkeit, als die Fremden." 8 Friedrich II. hatte als K ö n i g Bedenken gegen eine konsequente A n w e n dung der Wehrpflicht i m Kantonreglement, da er eine Beeinträchtigung von K u l t u r u n d Wirtschaft befürchtete; vgl. Wolzendorff, S. 10. 9 Hierzu Endres, Reichswehr u n d Demokratie, S. 5: „Es w a r die begreifliche u n d berechtigte Begeisterung der Freiheitskriege, die m i t dazu half, daß das V o l k ganz darauf vergaß, daß die geschaffene u n d gewordene allgemeine Wehrpflicht nicht der Idee der allgemeinen Wehrpflicht entsprach, sondern zum M i t t e l der Aufrichtung eines reinen Militärstaates wurde." 6
I. Beginn des 19. Jhs.: A l l g . Wehrpflicht u n d monarchisches Prinzip
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Bei ihren Bestrebungen, eine nationale Verfassung zu schaffen, waren die preußischen Reformer gescheitert. Dieser Gedanke war jedoch von vornherein m i t der Heeresreform verbunden. E. R. Huber stellt in seinem Werk über „Heer und Staat" diesen Zusammenhang besonders deutlich heraus 10 . Von Anfang an, so Huber, seien sich die Reformer bewußt gewesen, daß die Bildung eines Volksheeres eine entsprechende Verfassungsreform notwendig nach sich ziehen müsse. Er zitiert Gneisenau mit seiner Denkschrift vom August 1808: „Es ist b i l l i g u n d staatsklug zugleich, daß m a n den V ö l k e r n ein Vaterland gebe, w e n n sie ein Vaterland k r ä f t i g verteidigen sollen. . . . Hat man die deutsche Nation zu frohen Hoffnungen einer wohltätigen Staatsreform durch Proklamation u n d Tat berechtigt, so ist es keinem Zweifel unterworfen, daß nicht ein großer T e i l derselben für unsere Sache gegen unsere Dränger den Schild erhebe 11 ."
Gneisenau hatte i n dieser Denkschrift für den bewaffneten Volksaufstand geworben und damit den zuerst von der Französischen Revolution verwirklichten Gedanken der Massenerhebung übernommen. „Für den preußischen Staat wird eine freie Konstitution proklamiert" — so forderte er i n einer anderen Denkschrift des gleichen Jahres 12 . Es bestand offensichtlich eine Wechselwirkung zwischen Heeresverfassung und Staatsverfassung 13 . Die neue, insbesondere von Scharnhorst hergestellte Heeresverfassung, die das gesamte Volk zu integrieren versuchte, verlangte geradezu nach einer Gesamtverfassung des Staatswesens. „Zutrauen und Liebe zur Verfassung" wurden in engem Zusammenhang mit der Gesamtreform gesehen14. Das frühe Ende des neuen Aufbruchs i n Preußen wurde 1819 durch den Sturz des Kriegsministers Boyen manifestiert. Er war Mitarbeiter und Vollender der Scharnhorstschen Heeresreform gewesen, die Boyen10
Huber, Heer u n d Staat, S. 159 ff. Ebd. 12 Vgl. Forsthoff, Verfassungsgeschichte, S. 80. 13 Vgl. ebd.; vgl. auch Scheyhing, 9. Kap., Randnr. 27, S. 92: „Das M i l i t ä r i sche zeigte dies k l a r : die ruhmbedeckte friderizianische Armee leitete ihre Stärke u n d Leistungsfähigkeit i m wesentlichen von dem Offizierskorps ab. Des gemeinen Soldaten hielt sie sich versichert durch harte Disziplin u n d durch die geschlossene Schlachtordnung, die den einzelnen M a n n u m k l a m merte u n d i h m keine I n i t i a t i v e abverlangte. V o n diesem Grundsatz aus ergab sich alles weitere i n Heerverfassung, T a k t i k u n d Strategie bis h i n zum Staatsaufbau. Anders die Heere Frankreichs: die Revolution u n d der Kaiser konnten ihrer Soldaten sicher sein." 14 Immediatbericht der Scharnhorstschen Militär-Reorganisationskommission von 1807 — zitiert bei Händel, „Der G e d a n k e . . . " , S.47: „Es scheint bei der jetzigen Lage der Dinge darauf anzukommen, daß die Nation m i t der Regierung aufs Innigste vereinigt werde, daß die Regierung gleichsam m i t der Nation ein Bündnis schließt, welches Zutrauen u n d Liebe zur Verfassung erzeugt u n d i h r eine unabhängige Lage wert macht." 11
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
sehe W e h r g e s e t z g e b u n g v e r k ö r p e r t e die f ö r m l i c h e V e r w i r k l i c h u n g v o n Reformgedanken
im
Heerwesen. Unvollendet
blieb
die R e f o r m
des
Staatswesens. D i e Preußischen V e r f a s s u n g s e n t w ü r f e v o n 1819 e r w i e s e n sich als P a p i e r w e r k 1 5 . I m E r g e b n i s h a t t e die E n t w i c k l u n g des Rechtsdenkens i n D e u t s c h l a n d neue A n s t ö ß e gebracht, ohne daß die R e f o r m e n als v o l l e n d e t k o n n t e n . D i e preußische H e e r e s r e f o r m
i n i h r e r Gestalt v o n
gelten 1814/15
n a h m z w a r die b ü r g e r l i c h e Gesellschaft i n das H e e r m i t h i n e i n , es k a m j e d o c h z u k e i n e r V e r s c h m e l z u n g . Stehendes H e e r u n d L a n d w e h r b l i e b e n n e b e n e i n a n d e r bestehen. F ü r die L a n d w e h r als e i n e r A r t B ü r g e r m i l i z f a n d sich k e i n e E n t s p r e c h u n g i n d e r p o l i t i s c h e n V e r f a s s u n g 1 6 . B l i e b s o m i t die Frage der e i g e n t l i c h e n „ V e r f a s s u n g s t r e u e " d e r Soldat e n zunächst obsolet, so ließ sich doch schon d e r G e d a n k e e i n e r h ö h e r e n L o y a l i t ä t s p f l i c h t als der T r e u e z u m M o n a r c h e n e r k e n n e n . E r n s t M o r i t z A r n d t schrieb i n s e i n e m 1812 ( i n Z u s a m m e n a r b e i t m i t Stein) v e r f a ß t e n k u r z e n K a t e c h i s m u s f ü r deutsche S o l d a t e n 1 7 : „Wenn aber ein Fürst anders tut, als wofür i h n Gott eingesetzt hat, u n d nicht fürstlich regieret nach dem Ebenbild Gottes, so muß der Soldat u n d Christ Gott mehr gehorchen als dem Menschen. Denn w e n n ein Fürst seinen Soldaten beföhle, Gewalt zu üben gegen die Unschuld u n d das Recht; w e n n er sie gebrauchte, das Glück u n d die Freiheit ihrer Mitbürger zu zerstören, w e n n er sie den Feinden des Vaterlandes gegen das Vaterland zu Hofe schickte; . . . Denn auch ein K ö n i g u n d Fürst darf nimmermehr t u n u n d befehlen, was i n aller Ewigkeit Unrecht bleibt 1 8 ." I n diesen Sätzen k l i n g t d e r G e d a n k e des W i d e r s t a n d s r e c h t s an, das z u r G e l t u n g k o m m t , w e n n die L o y a l i t ä t s p f l i c h t gegenüber d e m M o n a r 15 Vgl. zum Ganzen: E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 165 ff.; zur Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht ausführlich Messer Schmidt, in: Papke / Petter, S, 59 ff. 16 Vgl. Schieder, Fahneneid, S. 22; zum Verhältnis Staatsverfassung u n d Militärorganisation vgl. auch Ehmke, Militärischer Oberbefehl, in: Beiträge 377 ff. (378). 17 E.M.Arndt, Staat u n d Vaterland, hrsg. v o n E. Müsebeck, S.9; zit. bei Huber, Heer u n d Staat, S. 162. 18 Hier w i r d ausgedrückt, was i m Grunde schon I n h a l t des Gottesgnadentums der Monarchen gewesen war. Der Fürst von Gottes Gnaden w a r nicht ungebunden, sondern Gott u n d dem höheren Recht, i n der Auffassung der A u f k l ä r u n g dem Naturrecht oder dem Vernunftrecht, unterworfen. Friedrich II. schrieb i n seinem A n t i - M a c h i a v e l I. Capitel, S. 218: „Es ist dam i t die Gerechtigkeit, welche das vornehmste Augenmerk eines Fürsten sein soll; es ist demnach die Wohlfahrt seines Volkes, so er allem anderen Nutzen vorziehen muß. Der Fürst ist keineswegs ein unumschränkter Herr der Völker, die unter seiner Botmäßigkeit stehen: Er ist unter ihnen nichts anderes, als der oberste Richter." U n d i m X V . Capitel, S.301: „Ich wollte lieber einen Tyrannen als auch einen guten König, einen L u d w i g den X I als einen L u d w i g X I I , einen D o m i t i a n als T r a j a n bekriegen. Denn einem guten K ö n i g w i r d man rechtschaffen dienen; hingegen werden die Unterthanen eines Tyrannen meinen V ö l k e r n zufallen."
I. Beginn des 19. Jhs.: A l l g . Wehrpflicht u n d monarchisches Prinzip
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chen vor einer höherstehenden Bindung zurücktreten muß 19 . Eine Verpflichtung der Soldaten gegenüber höherstehendem Recht wurde nicht erst mit einer handgreiflichen „Verfassungsurkunde" angenommen, sondern bereits aus dem ungeschriebenen Recht gefolgert. 2. Einflüsse französischen Denkens
Der französische Einfluß auf die Entwicklung des Wehrrechts in Deutschland war unverkennbar 2 0 . Die preußische Konskriptionskommission hatte ihre Vorschläge zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am Modell des französischen Wehrgesetzes von 1789 ausgearbeitet 21 . Scharnhorst richtete seine Vorschläge nicht unmaßgeblich am französischen Vorbild aus 22 . Ebenso wie i n den süddeutschen Verfassungen der „ersten Welle" orientierte man sich i n den Verfassungen der „zweiten Welle" (nach der Juli-Revolution in Frankreich 1830) an der französischen „Charte Constitutionelle" von 1814. Die linksrheinischen deutschen Gebiete und die Rheinbundstaaten hatten französische Staatsund Rechtsideen übernommen. Zahlreiche deutsche Soldaten hatten mit Napoleon gekämpft. So blieben i n Deutschland auch nach dem Wiederaufleben des Königstums i n Frankreich Grundsätze über die Rechtsstellung der Soldaten und der Streitkräfte, die aus dem Gedankengut der Französischen Revolution übernommen worden waren, wirksam 2 3 . Selbst Clausewitz, ein 19 Auch Hobbes, Verkünder eines starken Staates, erkennt eine Bindung der Staatsdiener an höheres Recht an, er nennt diese Bindung „Treuepflicht" — (Leviathan Kap. X X V I [Ausgabe i n der Ubersetzung von Dorothee Tidow, München 1965, S. 210 f.]): „ F ü r alle öffentlichen und privaten Diener des Staates gilt das gleiche. Die Verhaltensmaßregeln, die die natürliche V e r nunft aufstellt, mag m a n zusammenfassen unter dem Begriff der TreuePflicht. Die Treuepflicht ist ein Zweig der natürlichen Gerechtigkeit." 20 I m ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts ist unter den Historikern eine lebhafte Kontroverse darüber ausgetragen worden, i n w i e w e i t die preußischen Reformen, zumal die von Stein inspirierten, den Ideen v o n 1789 v e r pflichtet waren. Vgl. hierzu Forsthoff, Verfassungsgeschichte, S. 79 f., unter Berufung auf: Emst v. Meier, Französische Einflüsse auf die Staats- u n d Rechtsentwicklung Preußens i m 19. Jahrhundert, 2. Bd. 1907 und 1908; v. Meier, Der Minister v o n Stein, die Französische Revolution u n d der preußische Adel, 1908; Gegenmeinung bei Lehmann, Die preußische Reform von 1808 und die fianzösische Revolution, Preuß. Jahrbücher, Bd. 137. Unumstritten w a r j e doch, daß es Einflüsse der Französischen Revolution prinzipiell gab. 21 Vgl. Händel, Der Gedanke, S. 54. 22 So z. B. i m Begleitschreiben zum Brief der Konskriptionskommission v o m 5.4.1818 vgl. Händel, S. 55. 23 Vgl. hierzu das W e r k von Carl Richter, Staats- u n d Gesellschafts-Recht der Französischen Revolution, B e r l i n 1865; H. P. Schneider, Verfassungswandel und politischer K o n f l i k t , unveröff. Manuskript, S. 19 u. 22.
1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
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überzeugter Verfechter nationaler Ideen und prinzipiell Gegner revolutionär-republikanischen Gedankenguts, hat aus der Französischen Revolution eine Lehre gezogen: die Monarchie mußte sich, u m Überlebenskraft zu haben, i n einem Volk verwurzeln, das am Staatsleben teilnahm 24 . I n der Französischen Revolution hatte die überkommene stehende Armee als Stütze des Ancien Régime gegolten, sie erweckte das Mißtrauen der Bürgerlichen. Von diesem Berufsheer wurde unberechtigte Einmischung i n die politische Willensbildung befürchtet 25 . Eines der tragenden Prinzipien der Französischen Revolution, das i n den Verfassungstexten von 1791/92 bis 1848 immer wieder auftauchte und noch heute als anwendbar betrachtet wird 2 6 , war das sog. „De lib er ationsv erbot" 17. „ L a force armée est essentiellement obéissante, n u l corps armé ne peut délibérer."
Das Deliberationsverbot der Franzosen bezweckte den Schutz der jungen Republik 2 8 . Die Streitkräfte sollten sich nicht in die politischen A n gelegenheiten einmischen 29 und „deliberieren", d.h. beratschlagen oder Beschlüsse fassen. I m Ergebnis sollte die Armee politisch neutral bleiben. Der Gedanke der Repression demokratischer — d. h. damals revolutionärer — Bestrebungen, wie die restaurierenden Kräfte i n Deutschland später das Deliberationsverbot interpretierten 3 0 , lag den Schöpfern dieses Grundsatzes in Frankreich dagegen fern 31 .
24
Vgl. Raymond Aron , Clausewitz et la Conception de l'Etat, S. 109. Vgl. Arnold Bergsträsser, Staat u n d Wirtschaft Frankreichs, Kap. 7; zum M i l i t ä r als politische K r a f t i n der frz. Revolution Wohlfeil, in: Papke / Petter, 1 I I , S. 54 f., 39 ff. 26 Vgl. Herry, La fonction militaire, S. 166. 27 Die Texte der französischen Verfassungen sind zu finden bei Godechot, Les constitutions de la France depuis 1789, Paris 1970. 28 Vgl. C. Richter, Staats- u n d Gesellschaftsrecht der Französischen Revolution, S. 501. 29 Vgl. Bergsträsser, Staat u n d Wirtschaft Frankreichs, Nr. 7: Das Heer. 30 F. J. Stahl, christlicher Philosoph der Konservativen Partei i n Preußen, hat das Deliberationsverbot zur Stützung des monarchischen Führungsprinzips i m Heer umgedeutet. So wurde der zum Schutz der Republik gedachte Grundsatz beinahe i n sein Gegenteil verkehrt, nämlich zur Verteidigung des monarchischen Prinzips. Vgl. F. J. Stahl, Die Philosophie des Rechts, S. 574. 31 U m so befremdlicher ist daher, daß das Deliberationsverbot später i n Deutschland zum Instrument der Disziplinierung der Landwehr u n d ihrer Reservisten wurde. Hierzu Müller, Diss., S. 68 f. Das Deliberationsverbot wurde i n die preußische Verfassung von 1850, A r t . 38 u n d später i n § 101 MStGB 1872 aufgenommen. 25
I. Beginn des 19. Jhs.: A l l g . Wehrpflicht u n d monarchisches Prinzip
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3. Stehendes Heer und Volksheer a) D i e preußische H e e r e s o r g a n i s a t i o n v o n 1814/15 h a t t e das stehende H e e r n i c h t b e s e i t i g t , das schon d e r ständischen O p p o s i t i o n i m 18. J a h r h u n d e r t als I n b e g r i f f d e r a b s o l u t e n F ü r s t e n h e r r s c h a f t erschienen w a r 3 2 . D e r F r e i b u r g e r Professor K a r l v o n R o t t e c k w a r W o r t f ü h r e r d e r l i b e r a l e n O p p o s i t i o n gegen die so steckengebliebene Heeresorganisation. I n seinem W e r k
„ Ü b e r stehende Heere u n d N a t i o n a l m i l i z " s t e l l t e er
F o r d e r u n g e n a u f 3 3 , die die I d e e n d e r Französischen R e v o l u t i o n w i d e r spiegelten 3 4 . Seine Vorschläge l i e f e n a u f eine v ö l l i g e A b s c h a f f u n g d e r stehenden Heere als W e r k z e u g e d e r M o n a r c h e n u n d i h r e d u r c h eine „ N a t i o n a l w e h r "
Ersetzung
h i n a u s , die n i c h t e i n e r Person, also d e m
M o n a r c h e n , s o n d e r n V a t e r l a n d u n d R e g i e r u n g v e r p f l i c h t e t sei. D i e „ a l l gemeine Statsverfassung" sollte Sorge d a f ü r t r a g e n , daß d i e N a t i o n a l wehr
auch „ n a t i o n a l b l e i b e " . N i c h t u m d i e bloße O r g a n i s a t i o n
der
A r m e e g i n g es h i e r . D i e F o r d e r u n g e n Rottecks g i n g e n v i e l w e i t e r , sie h ä t t e n das gesamte Staatswesen a u f eine neue Machtbasis gestellt. Rotteck glaubte i m System der V o l k s b e w a f f n u n g u n d der Abschaff u n g des stehenden Heeres e i n M i t t e l z u r G a r a n t i e d e r V e r f a s s u n g gefunden zu haben: „ I m Schooße der Nation selbst werden die zum Schirm der Verfassung tüchtigsten, bereitesten, unüberwindlichsten Kräfte erzeugt, gepflegt, i n constitutioneller Richtung erhalten werden, vor allem durch eine Weise v o n Erziehung i m Sinne der Verfassung, d . h . des Rechts u n d der Freiheit also durch eine möglichst vollständige politische Mündigkeit aller Klassen sich zum Ziele sezende . . . Erziehung 3 5 ." 32 Vgl. Schieder, S, 23; treffend Messerschmidt, in: Papke / Petter, 2 I V I , S. 60: „Preußen verfügte also über eine Wehrverfassung, die den Vorstellungen eines Carnot am weitesten entsprach. Aber der Geist der Armee u n d ihre I n stitutionen — w i e Kadettenkorps, Garde, Ehrengerichtsbarkeit — waren v o n revolutionärem oder auch n u r demokratischem Denken unberührt." 33 Karl von Rotteck, Über stehende Heere u n d Nationalmiliz, S. 130: „ I. Die ganze Nation — d. h. der streitfähige T h e i l derselben — bildet das Heer oder die bewaffnete M a c h t . . . I I . . . . Die allgemeine Staatsverfassung sowohl als spezielle Gesetze u n d V e r ordnungen leisten hierfür Bürge, daß auch diese ständige Nationalwehr i h r e m Geist u n d W i r k e n nach immer wahrhaft national b l e i b e . . . Sie schwöre Treue dem Vaterland u n d der Regierung. Ihre Fahnen tragen die Symbole v o n beyden." (Dieser Treueeid entspricht dem Eid der französischen Armee der ersten Revolutionsjahre. Erst später i n der französischen Republik wurde der V e r fassungseid eingeführt. Vgl. Richter, Staats- u n d Gesellschaftsrecht der Französischen Revolution, S. 501.) 34 Hinsichtlich des frz. Einflusses skeptischer Ehmke: K a r l v. Rotteck, der „politische Professor", in: Beiträge, 396 ff. (496). 35 Karl von Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts, 1830, zit. bei Denninger, Der Schutz der Verfassung, S. 1294 f. I n eine ähnliche Richtung gingen die
3 Cuntz
34
1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
b) Die Entwicklung i n Deutschland ließ jedoch angesichts der Restauration, die von den Fürsten und dem von ihnen getragenen Deutschen Bund vorangetrieben wurde, die Entstehung eines Volksheeres wie i m revolutionären Frankreich nicht zu 36 . I n den Kriegen mit Frankreich hatten sich zunächst die ständischen Berufsheere dem Volksheer der Franzosen als rettungslos unterlegen erwiesen. Dann wurden, unter diesem Eindruck, allgemeine Wehrpflicht und die bürgerliche Landwehr aufgebaut. Nun aber galt es, die alte Ordnung wieder herzustellen. M i t Mißtrauen wurde jetzt der Landwehrmann betrachtet, der infolge seiner Doppelstellung als Soldat und Bürger besonders geeignet erschien, ein revolutionäres Element, ein „Insurrektionsmittel" i m Heere 37 , zu bilden. Was folgte, war nicht das von den Reformern angestrebte dauerhafte „Bündnis zwischen Nation und Regierung", nicht die Verbürgerlichung der Armee, sondern einseitig die Umgestaltung des stehenden Heeres i n die „Haupt-Bildungsschule der ganzen Nation für den Krieg" 3 8 , schließlich die Eingliederung großer Teile der Landwehr i n das stehende Heer i n der preußischen Heeresreform der 50er Jahre 39 . Zugleich auch wurde der Gedanke an eine Volksvertretung oder Nationalrepräsentation zurückgedrängt. Die Verfassung, die sich die liberale Seite i n Preußen erhofft hatte, wurde mehr und mehr nicht als Basis, sondern als Gegensatz zum monarchisch regierten Staat betrachtet 40 . Treue zum Monarchen war also nicht ohne weiteres vereinbar mit Bindung an eine Verfassung, die den Monarchen gerade in seinen Machtbefugnissen einschränken sollte.
Vorschläge von Rottecks Gießener Kollegen Friedrich Schmitthenner, Grundl i n i e n des allgemeinen oder idealen Staatsrechts, 1845, der die Volksbewaffnung ebenfalls als Garantie der Verfassung ansah, aber zweifelnd meinte: „Ebenso läßt sich durch das bewaffnete V o l k die Verfassung schützen, aber auch vernichten." Zit. bei Denninger, ebd. 36 Vgl. Scheyhing, 10. Kap., Randnr. 27 ff. Umgekehrt, so Scheyhing, Randnr. 37, wurde der Deutsche B u n d i n der Auseinandersetzung m i t den Ideen v o n 1789 durch die konservierende K r a f t der Bindung von Heer u n d Beamtenschaft an den Landesherrn unterstützt. 37 Höhn, Verfassungskampf u n d Heereseid, S. 14. 38 Preußisches Wehrgesetz v o m 1814, § 4 zit. bei Wolzendorff, Der Gedanke des Volksheeres, S. 21; vgl. auch Höhn, Die Armee als Erziehungsschule der Nation, passim; Forsthoff, Verfassungsgeschichte, S. 136, meint sogar, daß der wehrpflichtige Soldat durch seinen Dienst auch über die Dienstzeit hinaus i n seiner Treue für den K ö n i g gefestigt u n d gegen die liberalen Ideen i m m u nisiert werden sollte. 39 Vgl. Scheyhing, Verfassungsgeschichte, 15. Kap., Randnr. 2, S. 183; Forsthoff, S. 136 f.; ausführlich zum Dualismus L a n d w e h r / L i n i e Messerschmidt, in: Papke / Petter, 2 I V 1, S. 63 ff. 40 So Höhn, Verfassungskampf u n d Heereseid, S. 15.
I. Beginn des 19. Jhs.: A l l g . Wehrpflicht u n d monarchisches Prinzip
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4. Das Heer im Bereich der Prärogative?
I m Schrifttum zur Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts w i r d das Heerwesen immer wieder mit der sog. „Prärogative" des Monarchen i n Verbindung gebracht 41 . Der Begriff der „Prärogative" des Königs entstammt nicht dem deutschen Recht. Er wurde vielmehr i m Laufe des 19. Jahrhunderts aus Großbritannien „importiert", als i n Deutschland Parlamente eingeführt wurden. Georg Jellinek umschrieb die staatsoberhauptliche Prärogative als Inbegriff der Rechte des Königs ohne Parlamentsmitwirkung 4 2 . Er machte hierbei jedoch deutlich, daß es sich u m einen aus dem englischen Rechtsbereich übernommenen Begriff handelte. Folgt man der Theorie der „Prärogative", wie sie verschiedentlich i m deutschen Schrifttum vertreten wurde 4 3 , so hätte der konstitutionelle Monarch des 19. Jahrhunderts bei der Regelung des Heerwesens einen hergebrachten Freiraum gehabt, i n dem i h m von dritter Seite nicht hineingeredet werden konnte. Ein Loyalitätskonflikt der Soldaten hätte nicht entstehen können, da die Treue zum Souverän den Soldaten ausschließlich an i h n band. Untersucht man jedoch das englische Recht, so ist festzustellen, daß dort schon i m 17. Jahrhundert die B i l l of Rights (1689) ein Mitwirkungsrecht des Parlaments vorgesehen hatte. Die „army", das Heer, mußte als Institution seit dieser Zeit i n regelmäßigem Abstand immer wieder vom Parlament genehmigt werden 44 . John Locke, der Vordenker der liberalen englischen Aufklärung, hatte sich i n seinem Werk über die Regierung ausführlich zur Prärogative des Königs geäußert. Er bezeichnet sie als „Macht, ohne Gesetzesvorschrift — bisweilen sogar gegen das Gesetz — zum öffentlichen W o h l nach dem eigenen Ermessen zu h a n d e l n . . 4 5 ."
Das Volk aber — so fährt er fort — habe sich genötigt gesehen, der Prärogative dort, wo sie ihm zum Nachteil gereichen konnte, kraft ausdrücklicher Gesetze Grenzen zu setzen 46 . 41 Vgl. E.R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 13 ff.; Lepper, Diss., S. 114: „Der Oberbefehl gehörte daher zu den ,königlichen Prärogativen 1 , u m diese Rechtslage m i t einem Begriff zu bezeichnen, der i m englischen Staatsrecht seit Jahrhunderten Heimrecht genießt u n d der den damaligen preußisch-deutschen Rechtszustand treffend charakterisiert"; W. Kaiisch, Die Wehrmacht der britischen Krone, Leipzig 1942; Kleiner, Diss., S. 441 ff. 42 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 602, S.629. 43 Ebd.; Lepper, Diss., S. 114. 44 Vgl. de Smith, Constitutional and administrative law, S„ 199 ff. 45 Locke, Über die Regierung, X I V , S. 160. 46 Locke, X I V , S. 162.
3*
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
Locke stellt hierbei nicht eindeutig klar, ob er das Heerwesen zur Prärogative rechnet. A n anderer Stelle aber schreibt er dem „Verlangen nach einem Feldherrn geradezu konstituierende Kraft für die monarchische Gewalt zu 47 . Locke hält den Befehl über das Heer für eine ursprüngliche Gewalt des Herrschers, die i h m aber vom Volk i n die Hand gelegt worden ist. Damit w i l l er nicht sagen, daß es sich hier u m einen rechtsfreien Raum handelt, i n den das Volk und seine Vertretung i m Parlament nicht hineinzureden haben. Vielmehr zeigt die englische Rechtstradition, daß das Parlament seit Lockes Zeiten ein Mitspracherecht, ja sogar ein Genehmigungsrecht für die Unterhaltung des stehenden Heeres i n Anspruch genommen hatte. Für den deutschen Rechtsbereich des 19. Jahrhunderts erscheint der Begriff der Prärogative i m Sinne eines Vorbehaltsrechts des Monarchen kaum brauchbar. Denn hätte der Monarch ein solches Recht nach englischem Muster i n Anspruch genommen, so hätte er zugleich ein „ H i n einregieren" von anderer Seite hinnehmen müssen. Gerade das wollten die deutschen Landesherren aber verhindern, wie es sich i m preußischen Heereskonflikt des vorigen Jahrhunderts noch einmal i n aller Schärfe zeigte. 5. Das monarchische Prinzip
Die konstitutionellen deutschen Monarchien des 19. Jahrhunderts, aber auch und gerade das zunächst ohne geschriebene Verfassung gebliebene Preußen, waren doch — bei allem Unterschied zum Absolutismus des 18. Jahrhunderts — nach dem monarchischen Prinzip ausgeformt. Die Gewalt des Fürsten über das Heer galt der Staatslehre des 19. Jahrhunderts als Grundlage des Staates. Hegel, Vordenker der preußischen Staatsphilosophie 48 , formulierte so: „Seine Richtung nach außen hat der Staat darin, daß er ein individuelles Subjekt ist. Sein Verhältnis zu anderen fällt daher i n die fürstliche Gewalt, der es deswegen unmittelbar u n d alleine zukommt, die bewaffnete Macht zu befehligen, die Verhältnisse m i t anderen Staaten durch Gesandte usf. zu unterhalten, K r i e g u n d Frieden u n d andere Traktate zu schließen 49 ."
Auch die liberale Seite erkannte dem Monarchen besondere Kompetenzen auf dem Gebiet des Heerwesens zu, die sie allerdings durch das 47
Locke , V I I I , S. 110: „Das Verlangen nach einem Feldherrn, der sie anführt, u m sie i m K r i e g gegen ihre Feinde zu schützen, u n d das große V e r trauen, die Unschuld u n d Aufrichtigkeit, m i t der die Menschen einander begegneten i n jener armen, aber tugendhaften Zeit . . . ließ die Begründer eines Staatswesens i n der Regel die Herrschaft i n die Hände eines einzigen legen, u n d zwar ohne jede andere ausdrückliche Begrenzung oder Einschränkung, welche die Natur der Sache u n d der Zweck der Regierung forderte." 48 Hierzu differenzierend Scheuner, Staatstheorie u n d Staatsrecht, passim. 49 Vgl. Hegel, Rechtsphilosophie, § 329.
I. Beginn des 19. Jhs.: A l l g . Wehrpflicht u n d monarchisches Prinzip
37
Recht b e g r e n z t sehen w o l l t e 5 0 . F ü r die K o n s e r v a t i v e n w a r die B e f e h l s g e w a l t ü b e r das H e e r u r e i g e n t l i c h e s Recht des M o n a r c h e n , der h i e r m i t erst seine S t e l l u n g als S o u v e r ä n b e g r ü n d e n k o n n t e 5 1 . Das preußische Recht basierte a u f d e m „ m o n a r c h i s c h e n
Prinzip"52,
die Z u o r d n u n g des M i l i t ä r w e s e n s z u m S t a a t s o b e r h a u p t w a r geltendes Recht 5 3 . Das monarchische P r i n z i p gehörte zu d e n G r u n d l a g e n des D e u t schen Bundes. D i e r e v i d i e r t e B u n d e s v e r f a s s u n g v o n 1820 b e s t i m m t e , daß die gesamte S t a a t s g e w a l t i n d e m O b e r h a u p t des Staates v e r e i n i g t b l e i b e n m u ß t e 5 4 . H i e r m i t sollte k l a r g e s t e l l t w e r d e n , w e r — z u m i n d e s t n a c h außen h i n — als S o u v e r ä n z u g e l t e n h a t t e : d e r M o n a r c h u n d n i c h t das Volk. I n d e n J a h r z e h n t e n v o n 1815 bis 1848 w u r d e d i e S t e l l u n g d e r A r m e e zwischen d e m m o n a r c h i s c h e n S o u v e r ä n u n d d e n p o l i t i s c h e n B e w e g u n g e n des B ü r g e r t u m s z u e i n e m P r o b l e m ersten Ranges 5 5 . Das monarchische P r i n z i p beließ auch n a c h 1848 d e m M o n a r c h e n e i n Sonderrecht
über
das H e e r 5 6 , das i m Gegensatz z u m B e r e i c h d e r B e a m t e n v e r w a l t u n g gegen eine u n m i t t e l b a r e E i n w i r k u n g d e r Verfassungen, d e r t r e t u n g e n oder d e r P a r l a m e n t e 50
Ständever-
abgeschirmt w u r d e . A u c h w e n n
die
Vgl. Zachariä, Deutsches Staats- u n d Bundesrecht, 2. Abt., S. 178. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, 2. Bd., §159; vgl. auch Ehmke, M i l i tärischer Oberbefehl, in: Beiträge, 377 ff. (378) m. w . N. 52 F. J. Stahls 1845 erschienene Schrift „Das monarchische Prinzip" gab eine weltanschauliche Fundierung u n d staatsrechtliche Begründung dieses Begriffs: „Der eigentliche u n d spezifische Gegensatz gegen das monarchische Prinzip ist deshalb vielmehr das parlamentarische Prinzip, wie w i r i h m diesen Namen geben wollen; d. i. die überwiegende Stellung des Parlaments gegenüber dem Könige, die sich i n England herausgebildet hat, u n d natürlich i n den auf Volkssouveränität gegründeten Verfassungen nicht i n geringerem, sondern i n höherem Maße angestrebt w i r d . " Vgl. Zitat bei Ellwein, Das Erbe der Monarchie i n der deutschen Staatskrise, S. 86. 53 Das Preußische Allgemeine Landrecht v o n 1794 bestimmte i m 2. Teil, 12. Titel, §1: A l l e Rechte u n d Pflichten des Staats gegen seine Bürger u n d Schutzverwandte vereinigen sich i n dem Oberhaupte desselben. §5 (Majestätsrechte): Die Verteidigung des Staates gegen auswärtige Feinde anzuordnen; Kriege zu führen; Frieden zu schließen; Bündnisse u n d Verträge m i t fremden Staaten zu errichten, k o m m t allein dem Oberhaupt des Staates zu. 54 A r t . 57 Wiener Schlußakte; vgl. Scheyhing, 10. Kap., Randnr. 30. 55 Vgl. Schieder, Der Fahneneid, S. 23. 56 Vgl. hierzu eingehend Ellwein, Das Erbe der Monarchie i n der deutschen Staatskrise, S·. 127 ff.; plausibel erscheint Hubers Darstellung, der das „ m o n archische Prinzip" i m militärischen Bereich nach dem Modell des „existentiellen Vorbehalts" aufgebaut sieht. Für die Kommandogewalt über das Heer habe ein stillschweigender existentieller Vorbehalt zugunsten der monarchischen Exekutive gegolten, der die Gegenzeichnung u n d Ministerverantwortlichkeit i m Kommandobereich ausgeschlossen habe. — Vgl. E. R. Huber, V e r fassungsgeschichte, Bd. 1, S. 16 f.; hiergegen sprechen auch nicht die Einwände Boldts, der das Budgetrecht des Parlaments (nach 1848) als gleichberechtigtes Vorbehaltsrecht der Bürger neben die Vorbehaltsrechte des Monarchen setzt — vgl. Hans Boldt, Verfassungshistorie, S. 88 f. 51
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
preußische Verfassung von 1850 und die ßismarcksche Reichsverfassung später eingehende Aussagen über Heer und Marine machten, waren die Akte der königlichen Kommandogewalt von der Gegenzeichnungspflicht ausgenommen, waren also nicht der zivilen Kontrolle unterstellt, sondern exemt 57 . Wegen der exemten Stellung des Kommandobereichs war das Militärwesen i n seinem zentralen Bereich ein „Staat i m Staate" 58 . Die Vorstellung von einem Sonderverhältnis der Soldaten zum Staatsoberhaupt, das auf einer aus der allgemeinen Staats- und Rechtsordnung herausgenommenen Treuebindung basiert, beherrschte trotz aller gegenläufigen Bemühungen von liberaler und demokratischer Seite das Rechts- und Staatsdenken i n Deutschland und das Selbstverständnis der preußischen Armee bis weit ins 20. Jahrhundert hinein 5 9 . I I . Die Auseinandersetzungen um Fahneneid und Verfassungseid in der Zeit des Deutschen Bundes I n den deutschen Staaten, i n denen Verfassungen i n Kraft getreten waren, entspann sich bald eine Auseinandersetzung u m die Frage der rechtlichen Bindung der bewaffneten Macht an die Verfassung und j u ristische Garantien hierfür. Bekannt geworden ist diese Auseinandersetzung als der Kampf um den Verfassungseid des Heeres 60 .
1. Die Vereidigung der „Staatsdiener" auf die neugeschaffenen Verfassungen
Der Staatsdiener des 18. Jahrhunderts war allein dem Landesherrn verpflichtet gewesen, der den Staat personifizierte 61 . Aber auch schon das „verfassungsfreie" Staatsdienstverhältnis — wie es i n Preußen bis 1848 bestand — bedeutete kein Verhältnis u m der persönlichen Belange des Monarchen willen, sondern eine Bindung an den Monarchen u m des staatlichen Berufs des Monarchen willen 6 2 . Die Aufgabe des Staatsdie57
Vgl. Fenske, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 28. Ebd.; kritisch gegenüber der außerkonstitutionellen Stellung der Armee E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I V , S. 517. 59 Vgl. Hornung, Staat u n d Armee, S. 35 f.; vgl. hierzu H.-P. Schneider, V e r fassungswandel u n d politischer K o n f l i k t (unveröffentlichtes Manuskript), S. 19 et passim; Ehmke, Militärischer Oberbefehl, in: Beiträge, 377 ff. (380 ff.). 60 Vgl. zum Ganzen: Reinhard Höhn, Verfassungskampf u n d Heereseid; E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 170 ff.; Peter Dade, Diss., Fahneneid u n d feierliches Gelöbnis, S. 27 ff. 61 Vgl. Zwirner, Politische Treupflicht des Beamten, Diss. (1956), S. 9 f. 62 Zwirner, S. 10. 58
I I . Die Auseinandersetzung u m den Verfassungseid des Heeres
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ners war demnach begründet auf dem Berufe des Landesherrn: Es war Pflicht des Staatsoberhauptes, für die Erhaltung „sowohl der äußeren als der inneren Ruhe und Sicherheit", den Schutz „eines jeden bei dem Seinigen vor Gewalt und Störungen" zu sorgen 63 . Es war aber zugleich ein Majestätsrec/ii des Monarchen „die Vertheidigung des Staats gegen auswärtige Feinde anzuordnen, Kriege zu führen" und „Frieden zu schließen" 64 . I n Preußen war der Staatsdiener — und das galt für „ M i l i t a i r - und Civilbediente" — aufgrund der Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts von 1794 „nach der Beschaffenheit seines Amtes u n d nach dem I n h a l t seiner Instruction, dem Staate noch zu besonderen Diensten durch Eid und Pflicht zugethan"65.
Der Soldateneid wurde allerdings dem Staatsoberhaupt nicht als abstraktem Begriff, sondern der Person geleistet. Dies ging auch daraus hervor, daß bei eintretendem Thronwechsel regelmäßig eine Erneuerung des geleisteten Eides gefordert wurde 6 6 . Die Verfassungen der deutschen Kleinstaaten, deren Geltungskraft es allgemein durchzusetzen galt, sahen i n der Mehrzahl eine Vereidigung oder ein Gelöbnis des Landesherrn auf die Verfassung vor, u m i h n an ihre Regeln zu binden. Dies genügte den Schöpfern dieser Verfassungen jedoch nicht, sie suchten die Verfassungen vielmehr noch durch einen Eid der Beamten, vielfach sogar aller „Untertanen" formell abzusichern 67 . Entsprechende Vorschriften wurden meist unter dem Abschnitt „Gewähr der Verfassung" aufgeführt. Als Beispiele seien genannt: a) Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818, Titel X, § 3: „ A l l e Staatsbürger sind bey der Ansässigmachung u n d bey der allgemeinen Landeshuldigung, sowie alle Staatsdiener bey ihrer Anstellung v e r 63
Ebd. unter Z i t a t von A L R , 2. Teil, 13. Titel, §§ 2, 4. A L R , 2. Teil, 13. Titel, § 5. 65 A L R , 2. Teil, 10. Titel, § 2; vgl. hierzu Zwirner, Diss. (1956), der die V o r haltung bei Diensteiden der Beamten v o m 26.10.1799 zitiert: Der Diensteid forderte „ i n treuer Wahrnehmung seines Amtes u n d stengster E r f ü l l u n g der i h m obliegenden Pflichten nicht allein der Vorschriften der Gesetze, sondern auch der inneren Stimme seines Gewissens überall Folge" zu leisten, also, „die übernommenen Verbindlichkeiten nicht allein so zu erfüllen, wie er es vor dem Landesherrn u n d den vorgesetzten Behörden, sondern auch wie er es v o r dem höchsten Richter verantworten kann." (Zitat der Verordnung v o m 26.10.1799, abgedr. i n A . J. Mankopfs Ausgabe des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten [1838], A n m . 1 a zum 2. Teil, 10. Titel, § 69 ALR.) 66 Vgl. Bluntschli / Brater, Deutsches Staatswörterbuch, 1860, Stichwort „Heer", S. 31. 67 Verfassungstexte, abgedr. bei E.R. Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 153 ff., 172 ff., 187 ff., 221 ff., 238 ff. 64
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g bunden, folgenden Eid abzulegen: ,Ich schwöre Treue dem König, Gehorsam dem Gesetze u n d Beobachtung der Staats-Verfassung, so w a h r m i r Gott helfe u n d sein heiliges Evangelium.' "
Titel X, § 4: „Die königlichen Staats-Minister u n d sämtliche Staatsdiener genaue Befolgung der Verfassung verantwortlich."
b) Verfassungsurkunde 1819, § 45:
sind für die
für das Königreich Württemberg vom 25.9.
„ I n den Dienst-Eid, welchen sämtliche Staatsdiener dem K ö n i g abzulegen haben, ist die Verpflichtung aufzunehmen, die Verfassung gewissenhaft zu wahren."
c) Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen vom 4. 9.1831, § 139: „Der Unterthanen-Eid u n d der Eid der Civil-Staatsdiener u n d der Geistlichen aller christlichen Confessionen ist, nächst dem Versprechen der Treue u n d des Gehorsams gegen den K ö n i g u n d die Gesetze des Landes, auch auf die Beobachtung der Landesverfassung zu richten."
Ähnliche Regelungen bestanden i m Großherzogtum Hessen-Darmstadt, i n Baden und anderen deutschen Staaten. I m Königreich Hannover verweigerte der 1837 inthronisierte neue Landesherr nach langem Verfassungskampf allerdings eine unmittelbare Unterstellung der Staatsdiener unter die Verfassung, weil er sich selbst als Mittler zur Verfassung sah. Die Göttinger Sieben haben sich i n ihrem Protestschreiben auf ihren Eid auf das Staatsgrundgesetz von 1833 bezogen 68 , das der Fürst mit dem Patent vom 1. November 1837 für ungültig erklärt hatte. Diese eidliche Bindung wurde alsbald abgeschafft, die Verbindlichkeit der Verfassung für die Beamten wurde allerdings durch den Monarchen selbst bestätigt. Das Landesverfassungsgesetz für das Königreich Hannover vom 6. 8. 1840 lautete dann i n § 182: „sondern W i r befehlen auch insbesondere allen Behörden u n d öffentlichen Dienern unseres Königreiches, daß sie sowohl selbst den Bestimmungen gebührend nachkommen, als auch ernstlich darüber wachen, daß ihnen nachgelebt werde". 2. Forderungen nach der Vereidigung des Heeres auf die Verfassung
Gestützt auf die Überlegung, daß der Soldat ebenso wie der Beamte Staatsdiener sei und nicht allein dem Fürsten unterworfen, wurde von bürgerlicher Seite gefordert, daß er gleich dem Beamten den Eid auf die Beobachtung der Verfassung leiste 69 . Diese Überlegung war auch 68
Vgl. Scheyhing,
12. Kap., Randnr. 28 ff.
I I . Die Auseinandersetzung u m den Verfassungseid des H e e r e s 4 1
nicht abwegig, ging doch selbst das Preußische Allgemeine Landrecht davon aus, daß „ M i l i t a i r - und Civilbediente" zu den Staatsdienern zählten. I n Bayern war es der Abgeordnete von Hornthal, der in der Kammer zuerst die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung forderte, v. Hornthal legte dar, daß schon nach der existierenden Verfassung 70 von 1818 Soldaten als „Staatsdiener" zu bezeichnen seien und damit der m i l i tärische Verfassungseid vorgeschrieben sei 71 . Ebenso wurde auch i n anderen deutschen Staaten argumentiert. Verschiedentlich wurden auch lediglich die Offiziere als Staatsdiener verstanden, nicht aber einfache Soldaten 72 . Die Bezeichnung des Soldaten bzw. Offiziers als Staatsdiener lieferte eine klare juristische Grundlage für die Durchsetzung der Vereidigung auf die Verfassung. Wer den Verfassungseid der Offiziere leugnen wollte, leugnete auch ihre Eigenschaft als „Staatsdiener" 73 . Außer in Bayern wurde der Kampf u m den Verfassungseid auch i n Baden und Sachsen mit besonderer Heftigkeit geführt 7 4 . Die monarchische Seite wehrte sich gegen diese Forderungen. Die Landesherren waren bestrebt, ihre alleinige Verfügungsgewalt über das Militär zu erhalten und die Soldaten durch den Fahneneid i n ein persönliches Treueverhältnis an sich zu binden 75 . Durch die Schaffung des Begriffes der besonderen militärischen Kommandogewalt i m Unterschied zur allgemeinen Regierungsgewalt wurde gleichsam mit einem Kunstgriff das Unmittelbarkeitsverhältnis zwischen Heer und Krone erhalten. Angesichts dieses so postulierten Unmittellbarkeitsverhältnisses wurde der Verfassungseid als systemwidrig und dem monarchischen Prinzip entgegenstehend verworfen 7 6 . E. R. Huber 77 kritisiert die Forderungen nach einem Verfassungseid des Heeres: Die Armee wäre durch einen Verfassungseid nur notwen69 Vgl. E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 171 f.; Dade, Diss., S. 27; Höhn, V e r fassungskampf u n d Heereseid — Einführung S. X X I . 70 s. 1. Kap. I 5. 71 Vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 364. 72 Vgl. Höhn, Verfassungskampf u n d Heereseid, S. X X I . 73 Vgl. A L R , 2. Teil, 10. Titel, §§ 1 ff. (Soldaten als Staatsdiener). 74 Vgl. Höhn, Verfassungskampf u n d Heereseid, S. 101 f. I n Baden hatte die Kammer einen entsprechenden A n t r a g des Abgeordneten Mittermaier auf Vereidigung der Offiziere einstimmig angenommen, die Regierung ignorierte den Beschluß der Kammer. 75
Vgl. E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 170 ff. Vgl. Dade, Diss., S. 27; vgl. auch die Begründung der Ablehnung des V e r fassungseids bei Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 2. Bd., S. 223. 77 E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 364 f. 76
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
digerweise politisiert worden. Nicht der einfache Soldat hätte bei Einführung eines Verfassungseids über seine Treuepflichten zu entscheiden gehabt, sondern die hohen Ofiziere. Die Armee hätte sich dann, wenn sie aufgrund eines Verfassungseids über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit von Dienstbefehlen zu entscheiden gehabt hätte, i n die Rolle eines Hüters der Verfassung gebracht. Schließlich sei das Verlangen nach einem Verfassungseid des Heeres nur der Beweis dafür gewesen, daß die Verfassungen des 19. Jahrhunderts keine eigene Lebenskraft gehabt hätten, sondern des Eids als rechtlicher Garantie bedurft hätten 78 . Das Bürgertum hat in Wirklichkeit aber mit seinen Bemühungen u m die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung versucht, die bestehende Heeresorganisation, die man nicht beseitigen konnte, i n den Rahmen der bürgerlichen Verfassung einzubeziehen und damit der alleinigen Verfügungsgewalt des Fürsten zu entwenden 79 . Auch die diesbezüglichen Ausführungen i m Werk des liberalen Juristen Zachariä über das „Deutsehe Staats- und Bundesrecht" (1841F* lassen erkennen, daß es den liberalen Kräften zuerst um die Eingrenzung der fürstlichen Gewalt und die M i t w i r k u n g der Stände ging. Dem stehenden Heer, dem die liberale Seite eher mißtraute, wollte man gewiß eine Stellung als „Hüter der Verfassung" nicht zubilligen. Daß die Bindung der Soldaten an übergeordnetes Recht auch dem Staatsrecht des alten Kaiserreiches nicht unbekannt gewesen war, wies Zachariä durch Hinweise auf frühere Regelungen, ζ. B. i n der „bäuerischen Landschaft" von 1516 nach und belegte dies noch durch ein Zitat von Moser („Von der Teutschen Reichsstände Landen", 1769), das den Amtseid der Offiziere auf Landesfreiheiten und Verträge behandelt 81 : „Wie aber, w e n n ein Landes-Herr einem Collegie, Rath, Beamten, Officier usw. etwas befiehlt, davon m a n weiß, daß es gegen die Landes-Verfassung seye? Wer Gott mehr fürchtet als Menschen, oder auch n u r sonsten ein recht christlicher M a n n ist, der lehnt es m i t Bescheidenheit ab, u n d t h u t es nicht, sondern leidet lieber darüber, was er nicht ändern kann. W e i l der wenige so denken, so geht es halt, wie es geht; so w i r d es aber auch an dem Großen Welt-Gerichte dem, der es befohlen, u n d dem, der es befolgt hat, gehen, wie es gehen w i r d . "
I m Ergebnis wurde bis 1848 nur in einem einzigen deutschen Staat der Verfassungseid für Offiziere eingeführt, in Kurhessen (Kassel) 82 . 78
E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 172. Vgl. Schieder y Der Fahneneid als politisches Problem i n der deutschen Geschichte, S. 22 f.; Höhn, Verfassungskampf u n d Heereseid, Einführung, S. XXI. 80 Zachariä, Deutsches Staats- u n d Bundesrecht, 1841, S. 178 ff. 81 Zachariä, S. 132 f. 82 Vgl. Höhn, Verfassungskampf, S. 114. 79
I I . Die Auseinandersetzung u m den Verfassungseid des Heeres
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Die Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen vom 5.1 1831 — in Kraft gesetzt nach den Juli-Unruhen von 1830 — enthielt folgende Regelungen: „§ 60: Die Verpflichtung zur Beobachtung u n d Aufrechterhaltung der L a n desverfassung soll i n den Diensteid eines jeden Staatsdieners m i t aufgenommen werden. § 156: Diese Verfassungsurkunde t r i t t i n ihrem ganzen Umfange sofort nach ihrer Verkündung i n K r a f t u n d Wirksamkeit, u n d muß ohne Verzug von allen Staatsdienern des geistlichen u n d weltlichen, sowohl des Militairals Civil-Standes, sowie v o n allen Unterthanen männlichen Geschlechts, w e l che das 18. Jahr erreicht haben, beschworen werden 8 3 ."
Nachdem die durch die Julirevolution ausgelösten Unruhen überwunden waren, sprach sich der Deutsche Bund durch den A r t . 24 des Wiener Schlußprotokolls von 1834 entschieden gegen den Verfassungseid des Heeres aus: „Die Regierungen werden einer Beeidigung des Militärs auf die Verfassung nirgend u n d zu keiner Zeit stattgeben 8 4 ."
Eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung hätte dem „monarchischen Prinzip", diesem fundamentalen Leitsatz des Deutschen Bundes, konträr entgegengestanden. 3. Die Frankfurter Reichsverfassung von 1849
Die Revolution von 1848 brachte nur einen kurzfristigen Einbruch zugunsten des Verfassungseids der Soldaten 85 . I n einer Reihe der kleineren deutschen Staaten wurden die Armeen alsbald auf die Verfassung vereidigt, so ζ. B. schon i m März 1848 i n Sachsen und Baden, aber auch in Österreich. I n den meisten deutschen Staaten wurde der Verfassungseid des Heeres nach den Revolutionsjähren 1848/49 jedoch wieder abgeschafft, namentlich i n Österreich aber wurde er beibehalten 86 . Für die demokratischen Kräfte war die Integration des Heeres i n die Gesellschaft ein wesentliches Anliegen. Nachdem der Heeresreform i n Preußen die Staatsreform nicht gefolgt war, vielmehr der Monarch es verstanden hatte, das Heer persönlich an sich zu binden, drangen die Demokraten auf weitere Reformen auch des Militärs: den Ersatz des Heeres durch eine Nationalwehr, wie sie Rotteck gefordert hatte, den Verfassungseid des Heeres, das aktive Wahlrecht der Soldaten zum Parlament, die Beschränkung der königlichen Kommandogewalt und 83
Vgl. E. R. Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 238 ff. Vgl. E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 172. « Vgl. Dade, Diss., S. 28. 86 Vgl. E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 176 f.; Höhn, Verfassungskampf, S. 158,187. 84
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
anderes mehr 87 . Die Volksbewaffnung erschien den Demokraten als Garantie der Verfassung 88 . Die Frankfurter Nationalversammlung erkannte, daß das stehende Heer nicht beseitigt werden konnte. Es sollte jedoch der Reichsgewalt unterstellt und der Reichsverfassung verpflichtet werden. Die Reichsverfassung von 1849 bestimmte: „§11: Der Reichsgewalt steht die gesamte bewaffnete Macht Deutschlands zur Verfügung." „§ 14: I n den Fahneneid ist die Verpflichtung zur Treue gegen das Reichsoberhaupt u n d die Reichsverfassung an erster Stelle aufzunehmen."
Den Landesherrn der Einzelstaaten sollten ihre Streitkräfte nicht genommen werden, vielmehr sollten alle Truppen zusammengenommen das Reichsheer 89 bilden. Der Fahneneid sollte nach wie vor dem Landesherrn geschworen werden, jedoch sollte i n ihn an erster Stelle die „Treue" zum Reichsoberhaupt und zur Reichsverfassung aufgenommen werden. Es war erstmals i n einem Verfassungstext vom Begriff der Treue der Soldaten i m Zusammenhang mit der Verfassung die Rede 90 . M i t dem Scheitern der demokratisch-bürgerlichen Revolution von 1848/49 blieb jedoch die Frage der Verfassungstreue der Soldaten für lange Zeit ungelöst. 4. Das Beispiel der Verfassungstreue der kurhessischen Offiziere
§ 156 der kurhessischen Verfassung enthielt 9 1 die vor 1848 einzige Bestimmung in einem deutschen Staat über den Verfassungseid der Armee 92 . Der 1850 neu inthronisierte Kurfürst Wilhelm I. versuchte den Einfluß der liberalen Seite zurückzudrängen und dem monarchischen Prinzip i n der Staats- und Heeresordnung wieder mehr Geltung zu verschaffen 93 . 87
Vgl. E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 170. Vgl. F. Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechts, 1845, zit. bei Denninger, Der Schutz der Verfassung, S. 1295. 89 Vgl. § 12 Frankfurter Reichsverfassung. 90 I n den Bestimmungen über den Eid der Staatsdiener i n den Einzelstaatsverfassungen w a r nicht von „Treue", sondern lediglich v o n „Beachtung", „Beobachtung", oder „Einhaltung" der Verfassung die Rede gewesen. 91 s . l . K a p . I I 1. 92 Die kurhessischen Offiziere wurden 1831—1850 nach folgendem W o r t l a u t vereidigt: „Ich gelobe u n d schwöre zu Gott dem Allmächtigen einen leiblichen Eid, daß ich dem allerlauchtigsten Landesfürsten W i l h e l m II., Kurfürsten von Hessen u n d Friedrich Wilhelm, Kurprinzen u n d Mitregenten, i n allen u n d jeden Vorfällen, zu Kriegs- u n d Friedenszeiten, getreu u n d redlich dienen, die Verfassung beobachten, die Befehle meiner Vorgesetzten genau befolgen u n d den Offiziers-Kriegsartikeln überall nachkommen wolle. So w a h r m i r Gott helfe u n d sein heiliges Wort." — Zit. nach E. R. Huber, Dokumente, Bd. I, S.630. 88
I I . Die Auseinandersetzung u m den Verfassungseid des H e e r e s 4 5
Der Verfassungseid der Soldaten lief diesen Bestrebungen zuwider und so ließ er die Offiziere seiner Armee aufgrund des Wechsels i n der Person des Landesherrn einen persönlichen Eid ohne die Verpflichtung zur Beobachtung der Verfassung schwören. Dies schuf Unruhe unter den Offizieren, die den früher geleisteten Verfassungseid verletzt sahen. Darauf versicherte der Kurfürst jedoch ausdrücklich, daß der früher geleistete Verfassungseid durch den neuen Fahneneid auf seine Person nicht berührt werde. Nachdem der Kurfürst dann aber i n einem staatsstreichartigen Vorgehen gegen den Willen des von ihm einseitig aufgelösten Landtages die zivile und militärische Gewalt unter den Oberbefehl des Generals Bauer gestellt hatte und dieser unter Berufung auf seinen Verfassungseid den i h m befohlenen Vollzug der verfassungswidrigen Kriegszustand-Verordnung vom 7. September 1850 verweigert hatte, verschärfte sich der Konflikt. Als der Kurfürst General Bauer am 28. September 1850 seiner Stellung enthob und unter Erlaß einer verschärften Kriegszustandsverordnung den kurfürstentreuen General v. Haynau zum Oberbefehlshaber ernannte, erbaten fast alle Offiziere der kurhessischen Armee (von 257 Offizieren 241, darunter 4 Generale und 7 Oberste) nach einem Ultimatum v. Haynaus den Abschied. Vergeblich versuchte v. Haynau die Offiziere davon zu überzeugen, daß es für die Rechtsgültigkeit von Verordnungen genügen müsse, wenn sie den formalen Erfordernissen der Verfassung entsprächen, d. h. die ministerielle Gegenzeichnung trügen. Die kurhessischen Offiziere empfanden sich jedoch nicht, wie die preußische Armee, außerhalb der Gesellschaft stehend, sondern fühlten sich an den geltenden Verfassungszustand gebunden. Sie beriefen sich auf § 61 der Verfassung, wonach sie für jede ihrer Amtsverrichtungen verfassungsrechtlich verantwortlich waren 94 . Zwar behielt der Kurfürst mit Hilfe der Intervention des Deutschen Bundes letztlich die Oberhand, aber eine große Zahl der Offiziere blieb ihrem Verfassungseid treu. Dieser Haltung zollte sogar der preußische König Achtung: Nachdem Kurhessen 1866 von Preußen vereinnahmt worden war, bewilligte König Wilhelm I. den sieben letzten noch lebenden verfassungstreuen Offizieren des Widerstands von 1850, die vom Kurfürsten nicht amnestiert worden waren, das Recht auf Pension 95 . Das Beispiel der Verfassungstreue dieser Offiziere ist einzigartig i n der deutschen Geschichte. Nie zuvor und nie danach gab es eine solch 93 Vgl. zum Ganzen: Höhn, Verfassungskampf u n d Heereseid, S. 190 ff.; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I I , S. 910, 914 f. 94 Vgl. Höhn, Verfassungskampf, S. 198 f. 95 Vgl. Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 635, Fn. 6. Preußen hatte die kurhessischen „Renitenzler" zunächst allerdings unterstützt; vgl. Petter, in: P a p k e / Petter, 2 I V 2, S, 271 ff.
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
geschlossene Haltung von Beamten oder Soldaten i n Treue zur Verfassung. Zwar konnten sich die hessischen Offiziere klar auf einen Eid und auf eindeutige Gerichtsurteile, die ihre Position unterstützten, berufen. Angesichts der Vorstellung vom disziplinierten, gehorsamen Soldaten stellte dieser Vorgang jedoch die Tat der „Göttinger Sieben" an Spontaneität und Risiko noch weit in den Schatten 96 . Die kurhessischen Offiziere hatten gezeigt, daß sie sich nicht als Macht außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung sahen. Sie verhielten sich hiermit grundsätzlich anders als die sächsischen Offiziere, die i m Konfliktfall dem Befehl des Königs gehorchten 97 . Der Gedanke an einen Putsch lag den Kurhessen allerdings ebenso fern. Sie maßten sich auch nicht eine ihnen nicht gebührende Stellung eines „Hüters der Verfassung" an, sondern konnten ihre Haltung auf eine von Gerichten eindeutig geklärte Rechtslage stützen 98 . Ihre Abschiedsgesuche stellten i n der gegebenen Situation die angemessene Reaktion verfassungstreuer Staatsdiener dar. I I I . Die Entwicklung in Preußen und im Kaiserreich bis zum I. Weltkrieg Nach den Ansätzen zu einer Annäherung von Gesellschaft und Heer i n den Scharnhorst-Boyenschen Heeresreformen, den Bestrebungen der Demokraten bis zur 1848er Revolution und den Vorgängen i n Kurhessen, entwickelte sich das Militär zur außerhalb des allgemeinen Verfassungslebens stehenden „Preußischen Armee". Die Treuepflicht galt dem Monarchen und nicht der Verfassung. 1. Die Versprechen des Königs und die preußische „revidierte Verfassung" von 1850
Auch der preußische König hatte am 22. März 1848 gegenüber einer Deputation aus Liegnitz die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung zugesagt. Er versprach bei dieser Proklamation u. a. nicht nur eine allgemeine Bürgerwehr-Verfassung mit freier Wahl der Führer, sondern führte am Schluß noch ausdrücklich aus: „Außerdem werde ich das stehende Heer auf die Verfassung vereidigen lassen 99 ." I m Dezember 1848 96
So Ernst Wagemann, Staat u n d Armee, Der Staat 1977, S. 239. Vgl. Höhn, Verfassungskampf, S. 191. 98 E. R. Hubers U r t e i l über die kurhessischen Offiziere fällt i n Verfassungsgeschichte, Bd. I I , S. 510 sehr v i e l milder aus als seine K r i t i k am Verfassungseid des Heeres i m allgemeinen — s. o. 1. Kap. I 5; auch Huber erkennt, daß sich die Offiziere einem Staatsstreich des Landesherrn zu widersetzen versuchten. 99 Vgl. E. R. Huber, Dokumente, Bd. I, S. 449 f. 97
I I I . E n t w i c k l u n g bis zum I. Weltkrieg
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hatte er i n einem Patent betreffend die Zusammenberufung der Volksvertretung dieses Versprechen noch bekräftigt 1 0 0 . Die konservativ dominierte Kammer aber sprach sich entgegen dieser ausdrücklichen Versprechungen am 10. Oktober 1849 dafür aus, i n die Verfassung den Satz aufzunehmen: „Eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung findet nicht statt 1 0 1 ." Denselben Wortlaut enthielt dann der bekannte A r t i k e l 108 der preußischen revidierten Verfassung vom 31.1.1850 102 : „Die Mitglieder der beiden K a m m e r n u n d alle Staatsbeamte leisten dem Könige den E i d der Treue u n d des Gehorsams u n d beschwören die gewissenhafte Beobachtung der Verfassung. Eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung findet nicht statt"
Die Armee hatte somit — i m Gegensatz zur Beamtenschaft — eine Sonderstellung außerhalb des Verfassungslebens erhalten. Dem König war es gelungen, sich die vorkonstitutionelle Autorität seines Amtes zu bewahren 103 . Das Heer selbst, zumindest das Offizierskorps, hatte sich unterdessen gegen eine Bindung an die Verfassung durch Vereidigung gewandt. Die Befürchtungen des traditionell gesinnten Offizierskorps wurden treffend in einem A r t i k e l in der Deutschen Wehrzeitung vom 9.12.1848 zusammengefaßt: „Wehe aber dem Staat, wo es i n das Ermessen oder i n die Gewissenhaftigkeit jedes einzelnen Soldaten gestellt ist, zu deuten, ob eine Verletzung der Constitution vorliegt 1 0 4 ."
Man merkt auch hier, wie ernst es Offizieren i m 19. Jahrhundert m i t einem Eid gewesen ist. Zugleich ist die Unsicherheit zu verspüren, i n der sich die i n die neue Verfassungswelt gestellten, an Befehle und Gehorsam gewöhnten Offiziere befunden haben müssen. Die Absonderung der Armee vom politischen Leben u m sie herum wurde i n der Verfassung von 1850 noch weiter verstärkt. I n dem bereits weiter oben erwähnten A r t i k e l 38 der preußischen Verfassung wurde das „Deliberationsverbot" festgeschrieben und behielt so bis 1918 Gültigkeit 1 0 5 . 100 „ U n m i t t e l b a r nach erfolgter Revision (der Verfassung) werden W i r die von Uns verheißene Vereidigimg des Heeres auf die Verfassung veranlassen." — Vgl. Huber, Dokumente, Bd. I , S. 494. 101 Vgl. Dade, Diss., S. 28; Höhn, Verfassungskampf, S. 343; Messerschmidt, in: Papke / Petter, 2 I V , S. 160. 102 Vgl. E. R. Huber, Dokumente, Bd. I, S. 513. 103 Vgl. E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 176. 104 Zit. bei Höhn, Verfassungskampf, S.344 (Deutsche Wehrzeitung v o m 9.12.1848, S. 5). 105 A r t . 38 der preußischen Verfassung v o m 31.1.1850 lautete: „Die bewaffnete Macht darf weder i n noch außer Dienst berathschlagen oder sich anders
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
Dieses ursprünglich i n der Französischen Revolution entstandene Verbot der „Beratschlagung" der bewaffneten Macht zur Abwehr einer Einmischung derselben i n die demokratische Willensbildung, bildete so die rechtliche Grundlage der „unpolitischen", an das Staatsoberhaupt gebundenen preußischen Armee. Eine solche, dem Befehlszwang unterworfene Armee ließ sich von der Staatsführung selbst gegen das Volk einsetzen, wie sich 1848 zeigte, als das Königtum sogar die Landwehr, das „Volk in Waffen", gegen das revolutionäre Bürgertum einzusetzen suchte 106 . 2. Der preußische Heereskonflikt und seine Bedeutung für das Verhältnis der Soldaten zur Verfassung
Die von der preußischen Staatsführung vorgesehene Heeresreform sah eine Neuorganisation von Linie (stehendes Heer) und Landwehr vor, wobei die Linie auf Kosten der Landwehr gestärkt werden sollte. I n der Revolution von 1848/49 hatte sich gezeigt, daß auf die Linie Verlaß war, auf die Landwehr nur bedingt. Die Regierung vertrat die Auffassung, die Reform könne als bloße Organisationsmaßnahme kraft der Kommandogewalt des Königs bewerkstelligt werden 107 . Die Befugnis, die Heeresstärke zu bestimmen, lag damals eindeutig — anders als heute i n A r t . 87 a Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich vorgesehen — bei der Exekutive, beim König. Die Frage, ob aus budgetrechtlichen Gründen eine M i t w i r k u n g des Parlaments erforderlich war, stand nach der Ernennnung Bismarcks 1862 zunächst i m Vordergrund der Diskussion, nachdem das Parlament die Streichung aller Heeresreformausgaben beschlossen hatte 1 0 8 . Die Zentralfrage des Konflikts war aber, darin ist Hubers Darstellung zu folgen, nicht budgetrechtlicher, sondern wehrrechtlicher Natur m. König Wilhelm I. hatte — so Huber — i n diesem Verfassungskonflikt i m Verein mit Roon und Bismarck die königliche Kommandogewalt mit Erfolg verteidigt und die Stellung der Armee außerhalb des dem parlamentarischen Einfluß ausgesetzten Bereiches der geschriebenen Verfassung erhalten 110 . Die Bismarcksche „Lückentheorie" 1 1 1 , mit der er gegenüber den Zuständigkeiten des Parlaments ein Budgetnotrecht beanspruchte, zielte als auf Befehl versammeln. Versammlungen u n d Vereine der Landwehr zur Berathung militairischer Einrichtungen, Befehle u n d Anordnungen sind auch dann, w e n n dieselbe nicht zusammengerufen ist, . . . untersagt." 106 Vgl. E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 179 m i t Zitat v o n H. v. Moltke. 107 Vgl. zum Ganzen Scheyhing, 15. Kap., Randnr. 1. ff. 108 Vgl. Scheyhing, 15. Kap., Randnr. 5. 109 Vgl. E. R. Huber, Heer u n d Staat, S. 243. 110 Ebd.; auch Schmädeke, Militärische Kommandogewalt, S. 13.
I I I . Entwicklung bis zum I. W e l t k r i e g
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auf die Herausnahme der Armee aus der verfassungsmäßigen Ordnung. Das monarchische Prinzip hatte letztendlich — und dies für die nächsten 60 Jahre — die Oberhand behalten 112 . Das Ergebnis war die fortbestehende Trennung der militärischen Ordnung von den Institutionen der geschriebenen Verfassung 113 . Der preußische Heereskonflikt manifestierte noch einmal die herrschende Tendenz, die sich nach der Revolution von 1848 i n Deutschland durchgesetzt hatte: der Soldat war dem Staatsoberhaupt als Oberbefehlshaber unmittelbar zur Treue verpflichtet. Zugleich fand eine „restlose Entbürgerlichung" des Heeres 114 statt. Das sich nun bildende Preußen-Deutschland stand i m Zeichen starken militärischen Übergewichts innerhalb der sozialen Rangordnung. Verfassungstreue der Soldaten war diesem Denken fremd, ja unvereinbar hiermit. 3. Soldaten und Verfassung bei F. J. Stahl, J. C. Bluntschli und Lorenz v. Stein
Drei einflußreiche Staatstheoretiker, F. J. Stahl, Vertreter der konservativen Partei i n Preußen, J. C. Bluntschli, den Liberalen zugerechnet, und Lorenz v. Stein, dem „sozialen Königstum" zugewandt, haben sich i n ihren Werken besonders mit der Stellung von Armee und Soldaten i n der staatlichen Ordnung befaßt. Ihre Auffassungen spiegeln die Vorstellungen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wider, ergründen und analysieren sie; i n ihren Erkenntnissen gehen sie teils über ihre Zeit hinaus. a) F. J. Stahl (1802—61) Stahl sieht die Kriegsmacht als Grundlage des Staatswesens überhaupt, auf der alle Herrschaft beruhe 115 . Der „wahrhaft entwickelte Staat" müsse ein nationales Heer, das auf allgemeiner Wehrpflicht be111
Bismarck führte i n seiner Rede v o m 27.1.1863 aus: „Die Verfassung h ä l t das Gleichgewicht der drei gesetzgebenden Gewalten i n allen Fragen auch i n der Budgetgesetzgebimg durchaus fest. Keine dieser Gewalten k a n n die andere zum Nachgeben zwingen; die Verfassung verweist daher auf den Weg der Kompromisse zur Verständigung. . . . Wer die Macht i n Händen hat, geht dann i n seinem Sinne vor, w e i l das Staatsleben nicht einen Augenblick s t i l l stehen kann." — Z i t . nach v. Eppstein, Bismarcks Staatsrecht, S. 351. 112 Vgl. Forsthoff, Verfassungsgeschichte, S. 141; Scheyhing, Verfassungsgeschichte, 15. Kap., Randnr. 6, S. 186; vgl. Th. Ellwein, Das Erbe der Monarchie i n der deutschen Staatskrise, S. 115. 113 V g l , Huber, Heer u n d Staat, S.243; a. A . Boldt, Verfassungskonflikt u n d Verfassungshistorie, S. 88 ff. 114 Hierzu Graf Baudissin, A r t i k e l „Soldat", Herderlexikon, 1962, S. 193; vgl. auch Ehmke, Militärischer Oberbefehl, in: Beiträge, S. 377 ff. (379). 115 Vgl. F. J. Stahl, Die Staatslehre u n d die Principien des Staatsrechts, § 156, S. 565. 4 Cuntz
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ruhe, besitzen, das „als ein ungetheiltes Ganzes in allen seinen Gliedern unmittelbar dem Souverän", d.h. dem Monarchen, verpflichtet sei 116 . Der Einfluß des Parlaments auf das Heer dürfe nie auf dessen Befehligung, sondern nur auf die Existenz oder die Bildung des Heeres 117 gehen. Das Heer dürfe nur dem Souverän, d. h. dem Monarchen, den Eid der Treue leisten. Sowohl der Eid auf Nation, Gesetz und König, wie er aus den Anfängen der Französischen Revolution bekannt sei, wie auch der Verfassungseid des Heeres seien verwerflich. I m einen Fall müsse das M i l i t ä r prüfen, ob der König dem Volke getreu ist, i m anderen, ob der Fürst die Verfassung verletzt. Anders als der Verfassungseid der Beamten, sei der Verfassungseid der Soldaten nicht gerechtfertigt, denn die Beamten seien i m Gegensatz zu den Soldaten Organ für die Anwendung der Verfassung 118 . Die verhängnisvolle Folge des Verfassungseides sei, so Stahl, daß der Gehorsam des Heeres gegen den Souverän erst von der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit seiner Befehle abhängig gemacht werde 119 . Hier widerspricht sich Stahl allerdings selbst, bemerkt er doch an anderer Stelle, daß der Schwörende durch den Eid keineswegs eine andere Stellung zur Verfassung erhalte, als sie ohnehin in seinem Berufe liege, auch nicht das Recht zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit über den Fürsten oder den Vorgesetzten 120 . Stahl wendet sich trotzdem gegen den Kadavergehorsam der Soldaten: ein „Assassinengehorsam" gegenüber dem Souverän sei durch die „Gesittung" ausgeschlossen121. b) J. C. Bluntschli (1808—81) Bluntschli sieht die Stellung des Heeres i m Staat „auf das Prägnanteste durch die Ablegung des Fahneneides" bezeichnet, d. h. i n persönlicher Treue und Gehorsam gegen die Person des Staatsoberhaupts 122 . Die Bewegung des Jahres 1848 habe versucht, den Soldaten zum Staatsbürger umzuwandeln und die Heere daher auf die Staatsverfassung vereidigen zu lassen 123 . Der Verfassungseid erschwere dem Fürsten zwar einerseits die Verletzung der verfassungsmäßigen Zustände. A u f der anderen Seite aber lockere der zwiefache Eid auf Fürst und Verfassung 116
Vgl. Stahl, § 157, S. 566. Vgl. Stahl, § 158, S. 571. 118 Vgl. Stahl, § 159, S. 572 ff. 119 Vgl. Stahl, § 159, S. 574; ähnl. kategorisch gegen den Verfassungseid der Soldaten auch Laband, Staatsrecht, 4. Bd., S. 38. 120 Vgl. Stahl, §88, S.299. 121 Vgl. Stahl, § 169, S. 572. 122 Vgl. Bluntschli / Brater, Staatswörterbuch, Stichwort Heer, S. 31. 123 Ebd. 117
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die Disziplin 1 2 4 . Nur i n äußersten Notfällen werde sich die Verweigerung des Gehorsams von Seite des Heeres rechtfertigen lassen. Für verderblich hält es Bluntschli, ebenso wie Stahl, das Heer zu einem „ b e r a t e n den Körper" zu machen, welcher erst die Verfassungsmäßigkeit der einzelnen Befehle zu prüfen habe. Bluntschli warnt vor einer Überschätzung der Eidesleistung: der Königseid habe Jacob II. von England so wenig vor dem Abfall seiner Truppen als der französische Verfassungseid die Direktorialregierung vor dem Sturz durch Napoleon bewahrt. Der Geist sei auch hier entscheidend, nicht die Form 125. Bluntschli beschreibt — auf die Beamten bezogen, aber inhaltlich auf den Staatsdienst überhaupt anwendbar — i n besonders präziser Weise das Treueverhältnis zum Staat und seinen Grundprinzipien, die Staatstreue. Er nimmt hiermit bereits die Diskussion des 20. Jahrhunderts zur individuellen Treuepflicht vorweg. „Der Beamte, welcher i m einzelnen u n d sogar i n wichtigen Beziehungen eine andere politische Uberzeugung hat als seine Obern u n d diese unter Umständen ausspricht, verletzt zwar die Treue nicht schon aus diesem Grunde. Aber w e n n er sich m i t den dauernden Grundprincipien, worauf die Staatsregierung beruht, i m Widerspruch befindet u n d als Feind jener handelt, w e n n er ζ. B. i n der Monarchie sich als Republikaner erklärt u n d f ü r die Einführung der Republik arbeitet oder umgekehrt i n der Republik als Beamter für die Monarchie w i r k t , dann verletzt und bricht er das Band der Treue, das i h n als ein Glied eines einheitlichen Staatsorganismus m i t diesem verbindet. Ebenso w e n n der Regierungsbeamte an systematischer, d. h. consequent auf Sturz oder Lähmung der Regierung gerichteter Opposition T h e i l n i m m t , so ist das ein Treuebruch. . . . Nicht die abweichende u n d selbst nicht die feindliche Gesinnung ist ein Treuebruch (!) — denn diese k a n n das I n d i v i d u u m i n sich verschließen u n d dennoch i n amtlicher Stellung seine Pflicht i m weitesten Umfang i n guten Treuen erfüllen, aber die amtliche Bethätigung solcher Gesinnung ist es, denn dabei k a n n weder die nöthige Harmonie der Staatsgewalt noch ihre Sicherheit bestehen 126 ."
Diese Sätze, die auch für die Soldaten gelten können, spiegeln klar und deutlich die Auffassung eines unabhängig liberalen und zugleich staatstreuen Denkens wider. Sie haben auch heute noch für die Auseinandersetzung u m die Staats- und Verfassungstreue von Beamten und Soldaten Bedeutung. c) Lorenz von Stein (1815—90) Lorenz von Stein, der als Hegelianer, Verfechter sozialer Reformen und als Mitbegründer der Soziologie in die Geschichte der Staatswissenschaft eingegangen ist, hat sich i n seiner „Lehre vom Heerwesen" intensiv mit der staatstheoretischen und staatsrechtlichen Position des M i l i tärs befaßt 127 . 124 125 126
4*
Vgl. Bluntschli, Vgl. Bluntschli, Vgl. Bluntschli,
Allgemeines Staatsrecht, S. 222 f. Staatsrecht, S. 224. Staatsrecht, S. 622 f.
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Für Lorenz v. Stein besteht der Staat wie eine Persönlichkeit aus einer Einheit der drei Momente „Ich" (Staatsoberhaupt), „Willen" (Gesetz) und „That" (Vollziehende Gewalt und Verwaltung) 1 2 8 . Das Heerwesen rechnet er dem Bereich der „That" und hierin dem engeren Gebiet der „Verwaltung" zu. Die „Verwaltung" wiederum teilt v. Stein i n den militärischen und den zivilen Sektor ein 129 . Lorenz v. Stein läßt keinen Zweifel daran, daß das Heer unter Verfassung und ihrem Gesetze steht 130 . Das Gesetz aber habe beim Heer eine Grenze, die es bei keinem anderen Teil des Staatslebens gebe, weil die Verfassung das Heer zwar schaffen und verwalten, nicht aber dem Heer befehlen könne. Der Befehl beginne, wo das Gesetz aufhört, v. Stein formuliert: „Das Heerwesen steht unter dem Gesetz, die Armee unter dem Befehl; die Einheit beider aber ist das Staatsoberhaupt als Kriegsherr i n allen Zeiten u n d i n allen Staaten 1 3 1 ."
Hieraus schließt v. Stein aber nicht auf eine unbedingte Gehorsamspflicht der Soldaten. Vielmehr unterscheidet er zwischen einem „staatsbürgerlichen Gehorsam", der Gesetz und Verfassung zu gelten hat, und einem gleichberechtigten „militärischen" Gehorsam" 132 . Beiden Gehorsamspflichten sei der Soldat unterworfen und beide könnten i m Extremfall i n Konflikt miteinander treten, auch wenn grundsätzlich Harmonie zwischen „Befehl und Commando" einerseits und „Gesetz" andererseits bestehen solle. Möglich sei aber auch die Umkehrung dieses Verhältnisses, wenn nämlich der Befehl das Gesetz, ja sogar die gesetzgebende Gewalt selbst angreife. Ohne eine eindeutige Lösung für den Fall eines solchen Gegensatzes, „von den ernstesten Folgen für das Leben der Staaten" anzubieten, neigt v. Stein doch wohl einem Vorrang der Verfassung zu, wenn er sagt, „daß das Recht des Heeres ein Theil der Verfassung sein müsse". Die Erfahrung aus der Zeit von 1848 habe gezeigt, daß „ein V o l k sein Heer stets i n dem Grade mehr liebt u n d achtet, i n welchem es des freien Gesetzes seiner Regierung sicher i s t " 1 3 3 . 127
Lorenz υ. Stein, Die Lehre v o m Heerwesen als T h e i l der Staatswissenschaft, Stuttgart 1872. 128 Vgl. v. Stein, S. 9 f. 129 Es t r i f f t also nicht zu, daß Lorenz v. Stein das M i l i t ä r aus dem Bereich der Exekutive ausklammert, so aber Lepper, Diss., S. 96, der h i e r i n eine Parallele zwischen L. v. Stein u n d Otto Mayer zu erkennen glaubt. Otto Mayer stellt — genau i m Gegensatz zu v. Stein — das „militärische Kommando", das für i h n „seiner Natur nach unbedingt u n d an Rechtsschranken n u r notdürftig gebunden ist" außerhalb der „ V e r w a l t u n g " , die an Recht u n d Gesetz gebunden ist. — Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., 2. Aufl., S. 10 f. 130 Vgl. υ. Stein, S. 12 f. 131 υ. Stein, S. 13. 132 Vgl. υ. Stein, S. 163 f. 133 v. Stein, S. 164 f.
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d) Zusammenfassung Stahl, Bluntschli und v. Stein, alle drei, sehen das M i l i t ä r als einen Sonderbereich des Staatslebens. Es ist dem Staatsoberhaupt und seiner Befehls- und Kommandogewalt unmittelbar untergeordnet. Der Konservative Stahl w i l l zwar keinen „Assassinengehorsam" der Soldaten, hält aber Verfassungseid und Verfassungstreue für „verwerflich". Bluntschli, der Liberale, befürchtet wie Stahl die Gefahr eines Zwiespaltes zwischen Gehorsam und Verfassungstreue, ohne hierzu klar Stellung zu nehmen. Er definiert deutlich bereits die Grundlagen einer persönlichen Staatstreuepflicht. v. Stein geht, trotz Einordnung des Heeres i n den Bereich des Staatsoberhaupts, einen Schritt weiter auf dem Weg einer Verfassungsbindung des Militärs. Für ihn steht das Heerwesen unter der Verfassung. Der Soldat ist Verfassung und Befehl gleichermaßen verpflichtet, als Staatsbürger einerseits, als Militärperson andererseits. I n Umrissen w i r d die Idee des Staatsbürgers i n Uniform erkennbar, ohne daß sie allerdings präzise und i n ihren Konsequenzen fortgeführt wird. Gemeinsam ist jedenfalls allen drei Staatstheoretikern die Erkenntnis, daß Verfassungstreue nicht mit der Treue zum Staatsoberhaupt oder der Staatsführung gleichzusetzen ist, vielmehr sogar ein Gegensatz zwischen beiden entstehen kann. Verfassungstreue ist nicht gleich Staatstreue. 4. Das Recht der „Militärpersonell" und der strafrechtliche Schutz der Verfassung i m Kaiserreich
a) Die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871 beließ den Einzelstaaten ihre eigenen Truppen, unterstellte jedoch die gesamte Landmacht i n Krieg und Frieden dem Oberbefehl des Kaisers (Art. 63 Abs. 1 BRV) 1 3 4 . Die Soldaten wurden durch ihren Fahneneid, den sie dem Landesherrn schworen 135 , zugleich i n ein Bindungsverhältnis zum Kaiser gestellt, auch wenn es sich nicht u m ein eigentliches „Treueverhältnis" handelte, denn dieses bestand zum Landesherrn 136 . A r t . 64 Abs. 1 der Reichsverfassung vom 16.4.1871 bestimmte: 134 Vgl. Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 289 ff.; Laband, Bd. 4, S. 5 f. stellte fest, es gebe k e i n Heer des Reiches, sondern n u r Kontingente der Einzelstaaten. Allerdings bezeichnete er die Militärhoheit der Einzelstaaten als „keine souveräne". Diese Fragen waren umstritten. Laut Laband, Staatsrecht, Bd. 4, S. 6 f. Fußnote, w a r die Frage, ob das Heer ein Einheitsheer oder ein K o n t i n gentsheer sei, ein „Lieblingsthema juristischer Doktordissertationen". 135 Die v o m Kaiser ernannten Offiziere schworen i h m den E i d unmittelbar — vgl. Laband, Bd. 4, S. 74.
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„ A l l e Deutschen Truppen sind verpflichtet, den Befehlen des Kaisers unbedingt Folge zu leisten. Diese Verpflichtung ist i n den Fahneneid aufzunehmen."
Eine Verpflichtung der Soldaten auf die Reichsverfassung unterblieb, wohingegen die Reichsbeamten i m Diensteid zu schwören hatten, daß sie dem Kaiser „treu" und gehorsam sein, die Reichsverfassung und die Gesetze des Reiches „beobachten" würden 1 3 7 . Es gab zudem keine eigenen Militärinstanzen des Reiches. Der preußische Kriegsminister wurde vom Reichstag als verantwortlich für das Militärwesen behandelt 138 . Die Bindung der Soldaten an das Reich wurde allein mittels der Person des Kaisers gewährleistet 139 . b) Soldaten, d. h. Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, sowie Militärbeamte wurden i m Wehrrecht des Kaiserreiches unter dem Begriff der „Militärpersonen" zusammengefaßt. Die Soldaten befanden sich i n einer staatsbürgerlichen Sonderstellung 140 , die sie i n ihren Rechten und Pflichten deutlich von zivilen Staatsbürgern unterschied. Das aktive Wahlrecht für Reichs- und Landesvertretungen der zum aktiven Heer gehörigen Soldaten ruhte während ihrer Dienstzeit 141 . Das Reichsmilitärgesetz untersagte außerdem allen zum aktiven Heer gehörigen M i l i t ä r personen die Teilnahme an „politischen Kreisen und Versammlungen" 1 4 2 . Unter politischen Vereinen verstand man alle Vereinigungen, „die Organisation und Funktion des Staates betreffende Gegenstände verfolgen" 1 4 3 , d. h. insbesondere auch die politischen Parteien. c) Die besonderen Pflichten der Soldaten waren — außer in der M i l i tärgesetzgebung — noch i n den sog. „Kriegsartikeln" zusammengefaßt, 136 Vgl. Laband, Bd. 4, S. 7, 63, 74 u. 160 m. w. N. Laband unterscheidet (Zit.): „die Landesherren sind die Kontingentsherren, Mannschaften u n d Offiziere stehen zu ihnen i m militärischen Dienstverhältnis, sind ihnen zu militärischer Treue verbunden", „aber der Kaiser hat den Oberbefehl, das Recht auf Gehorsam,...". 137 Verordnungen betreffend den Diensteid der unmittelbaren Reichsbeamten v o m 29.6.1871 — abgedr. bei Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 341. 138 v g l . Schmädeke, Kommandogewalt, S. 13. 139 Auch i m Kaiserreich bewahrte Bismarck der Krone nach A r t . 63 Abs. 4 B R V gegenüber den Rechten des Parlaments i n A r t . 60 B R V das Notrecht zur Bestimmung der Heeresstärke, w i e er es i m Heereskonflikt der 1850er Jahre durchgesetzt hatte. A r t . 63 Abs. 4 B R V schloß sozusagen die Bismarcksche „Lücke" i n der Verfassung — vgl. die Rede Bismarcks i m Reichstag am 11.1. 1887 — Verhandlung des Reichstages, Bd. 93, S. 341 ff.; zur Auseinandersetzung über die Präsenzstärkebestimmung: Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I V , S. 547 ff. 140 Vgl. Schwenger, Die staatsbürgerliche Sonderstellung des deutschen Militärstandes, Tübingen 1907. 141 Vgl. § 49 Satz 1 u. 2 Reichsmilitärgesetz v o m 2.5.1874. 142 § 49 Satz 3 Reichsmilitärgesetz v o m 2. 5.1874. 143 Vgl. Schwenger, S. 41.
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Vorschriften, die als von den Landesherrn ausgegebene Richtlinien seit der Zeit der Söldnerheere bekannt waren 1 4 4 . Die Kriegsartikel für das Heer vom 22. 9.1902 und für die Marine vom 10.1.1903 galten bis zum Ende des I. Weltkrieges. Sie ermahnten zu treuer Pflichterfüllung und stellten nach Aufzählung der wichtigsten Pflichten dafür Anerkennung und Wohlwollen, Belohnung und Auszeichnung in Aussicht 145 . A r t . 2 der Kriegsartikel von 1902 begann: „Die unverbrüchliche Wahrung der i m Fahneneid gelobten Treue ist die erste Pflicht des Soldaten 1 4 6 ."
d) Charakteristisch für das Soldatenverhältnis war das Prinzip des „blinden Gehorsams", d.h., daß die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit von Befehlen von Untergebenen nicht geprüft werden durfte 1 4 7 . Vom Gehorsam zu unterscheiden war die Treue. Die herrschende Staatslehre des Kaiserreichs verstand die „militärische Treuverpflichtung" als „Verstärkung oder Potenzierung der Treuepflicht der UntertanenDer Soldat sei i m Unterschied zum Untertanen „zu positiver Förderung des Wohles des Kriegsherrn resp. des Staates und Reiches verpflichtet" 14*. Die Sicherung dieser moralischen Pflicht werde vor allem durch den Treueid gegenüber dem Monarchen gewährleistet 149 . e) Zur Durchsetzung der „Untertanentreuepflicht" sollten u. a. die Hoch- und Landesverratsnormen des Strafrechts dienen 150 . A r t . 74 BRV von 1871 schrieb vor, daß „jedes Unternehmen gegen die Existenz, die Integrität, die Sicherheit oder die Verfassung des Deutschen Reiches"
in den einzelnen Bundesstaaten beurteilt und bestraft würde. § 81 Abs. 1 Ziff. 2 RStGB vom 15. 5.1871 enthielt die entsprechende Bestimmung des Strafrechts: Wegen Hochverrats machte sich strafbar, wer es unternahm, „die Verfassung des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaats oder die i n demselben bestehende Thronfolge gewaltsam zu ändern". 144 Vgl. hierzu bereits A L R , 10. Titel, § 4; die Kriegsartikel sind aus den u m 1500 üblichen A r t i k e l b r i e f e n für die schweizerischen Söldner entstanden, die Eidesformeln darstellten. I n Preußen gab es Kriegsartikel seit 1713. Vgl. Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 49. 145 Vgl. hierzu Dieiz, Handwörterbuch des Militärrechts, Stichwort „Kriegsartikel", S. 434 f. 146 Vgl. ebd., S.435; u m s t r i t t e n blieb, ob Fahneneid u n d Kriegsartikel u n mittelbare rechtliche Verpflichtungen bewirkten. 147 Vgl. Laband, Bd. 4, S. 37 f. 148 Vgl. Laband, Bd. 4, S. 160. 149 Ebd. 150 Vgl. Laband, Bd. 4, S. 159; nach §56 M S t G B waren Soldaten nach dem allg. Strafrecht (§§ 80—93 RStGB) verantwortlich.
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Eine Strafbestimmung über den „Verfassungsverrat" war zu dieser Zeit allerdings nicht mehr völlig neu. Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 hatte bereits folgende Regelung i m 2. Titel §29 enthalten: „ E i n Unternehmen, welches auf eine gewaltsame Umwälzung der Verfassung des Staats oder gegen das Leben oder die Freiheit seines Oberhaupts abzielt, ist Hochverrath."
Diese Vorschrift war dann leicht verändert und erweitert i n das Preußische Strafgesetzbuch und von da schließlich i n das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 übernommen worden. War also die Strafbestimmung über den Verfassungsverrat vorkonstitutionellen Ursprungs, so wurde juristisch feinsinnig geschlossen, konnte es sich auch bei dem Begriff der „Verfassung" i n RStGB § 81 Abs. 2 Ziff. 2 nicht u m die „Verfassungsurkunde" oder geschriebene Verfassung handeln, da es ja zur Zeit der Entstehung des Allgemeinen Landrechts noch keine geschriebene Verfassung i n Preußen gegeben habe. Vielmehr seien i n dieser Strafvorschrift mit „Verfassung" die „wesentlichen Grundlagen" des Staates gemeint, mögen sie sich i n der geschriebenen Verfassung finden oder nicht 1 5 1 . Als geschützt galten also nicht die zumindest teilweise i m Sinne und zum Schutz der Bürger ergangenen Verfassungen, sondern das Staatsgefüge und seine wesentlichen Grundlagen. Das Reichsgericht selbst rechnete zu den „wesentlichen Grundlagen" des Staates auch das „deutsche Heerwesen" 152. Wer es unternehme, so führte das Reichsgericht i n einem Urteil gegen den Redakteur einer anarchistischen Wochenschrift aus, die „Wehrverfassung des Deutschen Reiches" zu zerstören, u m „dam i t das Reich wehrlos zu machen", strebe eine Änderung der Reichsverfassung an und mache sich hiermit des Hochverrats schuldig. Ob eine Z i v i l - oder Militärperson Täter des Hochverrats war, begründete grundsätzlich keinen Unterschied. Es war jedoch zu beachten, daß nach A r t . 6 der Kriegsartikel von 1902 die Pflicht der Treue dem Soldaten gebot, jede Gefahr von „Kaiser, Landesherrn und Vaterland" abzuwenden, daß also Hochverrat, von einer Militärperson begangen, eine Verletzung besonders heiliger militärischer Pflichten darstellte 153 . War bis zur preußischen Heeresreform Mitte des 19. Jahrhunderts i n der Diskussion u m Heeresreform und Verfassungseid die von liberaler Seite geforderte „Verfassungstreue" der Soldaten noch als Gegensatz zur Monarchentreue und zur bestehenden Ordnung aufgefaßt worden, 151 Vgl. v. Ohlshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1915, A n m . 6 zu § 81 RStGB, m. w . N. 152 Vgl. RGStE 41,137 ff. (140). 153 Vgl. Dietz, Handwörterbuch des Militärrechts, Stichwort „Hochverrat", S. 384 f.
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so hatte sich gegen Ende des Jahrhunderts i m strafrechtlichen Bereich eine Begriffswandlung vollzogen. Schutz der „Verfassung" bezog sich i n diesem Zusammenhang nicht mehr auf die i n der Verfassungsurkunde verbrieften Garantien, sondern auf die Grundlagen des Staates und damit sogar des Heereswesens selbst. Die i m Strafrecht niedergelegte Staatsschutzbestimmung des „Verfassungsverrats" war somit gänzlich anderer A r t als es der Zielsetzung derer entsprach, die mit „Verfassungseid" und „Verfassungstreue" den Schutz der Verfassungsgrundsätze und der bürgerlichen Freiheiten angestrebt hatten 1 5 4 . Die dem Strafrecht und Staatsschutzdenken entspringende Vorstellung vom Schutz der Verfassung w i r k t bis heute nach 155 . 5. Das Sozialistengesetz und die Bekämpfung der Sozialdemokraten i m Heer
Das Gesetz über die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie 156 vom 21.10.1878 157 (Sozialistengesetz), das auf zwei aufeinanderfolgende Attentate (1878) auf Kaiser Wilhelm I. ergangen war, wurde auch für das Militär zu einem Konfliktherd, zumal durch die allgemeine Wehrpflicht zahllose Sozialdemokraten als Soldaten Wehrdienst leisteten 158 . Zwar betraf das Sozialistengesetz nur „sozialdemokratische und ähnliche Bestrebungen", die den „Umsturz" der bestehenden Ordnung bezweckten, aber die Stoßrichtung ging doch gegen die sozialdemokratische Organisation schlechthin 159 .
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Sollte „Verfassungstreue" der Staatsdiener die verfassungsmäßig verbürgten Rechte der Bürger gegenüber jeder Gefährdung — also auch gegenüber Staat u n d Monarchen — schützen, so diente die Strafvorschrift des „ V e r fassungsverrats" i n § 81 Abs. 2 Ziff. 2 RStGB der A b w e h r von A n g r i f f e n gegen Staat u n d Monarchen. 155 Noch heute bezeichnen Schänke / Schröder (Randnr. 7 zu §81 StGB) als Angriffsobjekt des Verfassungshochverrats nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung, sondern „die auf diesen Verfassungsgrundsätzen beruhende konkrete Staatsordnung" (!); vgl. auch H.-P. Schneider, Der Verfassungsschutz, S. 112. 156 Reichsgesetzblatt 1878, S. 351—358. § 1 des Sozialistengesetzes lautete: „Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder k o m m u n i s t i sche Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken, sind zu verbieten. Dasselbe gilt von Vereinen, i n w e l chen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische, auf den U m sturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen i n einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen, gefährdenden Weise zu Tage treten. Den Vereinen stehen gleich Verbindungen jeder A r t . " 157 Das Gesetz t r a t gegen den W i l l e n Bismarcks 1890 außer K r a f t . 158 Vgl. zum Ganzen Höhn, Sozialismus u n d Heer, Bd. I I I , S. 3 ff. 159 Vgl. Scheyhing, Verfassungsgeschichte, 17. Kap., Randnr. 27.
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
Die Mitgliedschaft von Soldaten i n sozialdemokratischen Vereinigungen galt als mit der Treuepflicht gegenüber Thron und Vaterland und insbesondere gegenüber dem Monarchen als dem Kriegsherrn nicht vereinbar 160 . Nicht nur aktive Soldaten, sondern auch Reservisten konnten deshalb belangt und degradiert oder sogar noch als Reserveoffiziere entlassen werden 161 . Zur Behandlung sozialdemokratischer Rekruten erließ die Armee Spezialvorschriften. Darüber hinaus versuchte sie die Sozialdemokraten durch Verteilung auf ländliche Garnisonen weitgehend zu isolieren 162 . Die aus dem Sozialistengesetz herrührenden Fragen wurden weniger von juristischen als von politischen Gesichtspunkten aus beurteilt und eben deshalb wurden auch politische und nicht richterliche Organe mit der Kontrolle beauftragt 163 . Zur Begründung hieß es, eine richterliche Kontrolle würde „lähmend auf die Verwaltung wirken" und die W i r k samkeit der Durchführung gefährden 164 . Man wagte andererseits jedoch nicht, ein Verbot, sozialdemokratische Abgeordnete zu wählen, auszusprechen. Bei der Beratung des Sozialistengesetzes war man sich darüber einig gewesen, daß die Sozialdemokraten bei der Ausübung ihres freien Wahlrechts und einer „loyalen Agitation" für die Wahlen nicht behindert werden sollten 165 . Das Sozialistengesetz von 1878 bezweckte nicht den Schutz der geschriebenen Verfassung. Geschützt wurde — wie i n den Strafvorschriften über den Verfassungsverrat — die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung 166 . Gefordert wurde nicht Verfassungstreue, sondern Einfügung in die bestehende Ordnung. Nach Außerkrafttreten des Sozialistengesetzes i m Jahre 1890 wurden i m Heer Maßnahmen gegen die Aktivitäten der Sozialdemokratie weitergeführt. Hierzu gehörten ζ. B. Verbote von Vereinigungen und Versammlungen, Festlichkeiten und Geldsammlungen, entsprechende Aufrufe, Gesänge oder ähnliche Kundgebungen der Sozialdemokraten 167 . 160 Vgl. Höhn, Sozialismus u n d Heer, S. 365 ff., 368 ff., 374 ff.; Laband, Bd. 4, S. 223 Fußnote 2; Müller, Diss., S. 71. 161 Vgl. Müller, Diss., S. 70 f. 162 Vgl. Höhn, Sozialismus u n d Heer, S. 53. 163 Vgl. Höhn, Sozialismus u n d Heer, S. 1. 164 Vgl. Begründung zum Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, Aktenstücke Nr. 4, Stenograph. Bericht, 4. Legislaturperiode, I. Session 1878; Höhn, Sozialismus u n d Heer, S. 1. 165 Vgl. Höhn, Sozialismus u n d Heer, S. 8. 166 Sozialistengesetz, § 1. 167 Vgl. Höhn, Sozialismus u n d Heer, S. 174 ff.; Schmidt-Richberg, in: Papke / Petter, 3 V, S. 113 ff. m i t ausführl. Hinweisen.
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Das Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Heer blieb auch nach Außerkrafttreten des Sozialistengesetzes von gegenseitigem Mißtrauen gekennzeichnet. 6. Soldaten und Verfassung im I . Weltkrieg; die „Militärdiktatur" der Dritten Obersten Heeresleitung
Zu Beginn des I. Weltkrieges, am 4. August 1914, stimmten die sozialdemokratischen Abgeordneten zusammen mit den anderen i m Reichstag vertretenen Parteien für die Bewilligung der Kriegskredite und 16 weitere Kriegsgesetze 168 . Das weitreichendste dieser Gesetze war das „Ermächtigungsgesetz" 169 , mit dem der Reichstag sich selber aus dem außerordentlichen Rechtsetzungsverfahren ausschaltete, während er dem Bundesrat die volle Rechtsetzungsmacht über „wirtschaftliche Maßnahmen u n d über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- u n d Scheckrechts i m Falle kriegerischer Ereignisse"
einräumte. Das Ermächtigungsgesetz vom 4. August 1914 bezeichnete den Durchbruch eines neuen verfassungspolitischen Prinzips von außerordentlicher Tragweite für Deutschland, das i n einer Kette von Ermächtigungsgesetzen der Weimarer Zeit und schließlich dem Ermächtigungsgesetz vom 24. 3.1933 seine Fortsetzung fand 170 . Zu dieser „Zivildiktatur" des Bundesrates trat die „Militärdiktatur die auf Grund des A r t . 68 BRV i n Verbindung mit den Kriegszustandsgesetzen von den Militärbefehlshabern ausgeübt wurde 1 7 1 . Die Entscheidung i m Reichstag über die Kriegsgesetze am 4. 8.1914 ließ eine Versöhnung von M i l i t ä r und Sozialdemokratie nahe erscheinen 172 . Eine Demokratisierung nach Beendigung des Krieges wurde zur Hoffnung für die Sozialdemokratie 173 . M i t dem Krieg trat aber die Rolle der Politiker zusehends i n den Hintergrund 1 7 4 . Unter der Dritten Obersten Heeresleitung HindenburgLudendorff geriet die politische Reichsleitung dann i n völlige Abhängigkeit von der Militärgewalt 1 7 5 . Eine formale Übernahme der Regierungs™ RGBl. 345. 169 RGBl. 337. 170 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 63 f. 171 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 66; Laband, Staatsrecht, Bd. 2, S. 518, hatte schon die „ E r k l ä r u n g des Kriegszustandes" nach A r t . 68 B R V als die „ E i n f ü h r i m g einer M i l i t ä r d i k t a t u r " bezeichnet. 172 Vgl. Höhn, Sozialismus u n d Heer, S. 634 f. 173 Vgl. Scheyhing, 17. Kap., Randnr. 40/41, S.217. 174 Vgl. Forsthoff, Verfassungsgeschichte, S. 163; Scheyhing, 17. Kap., Randnr. 40, S.217; vgl. hierzu auch Hurten, Reichswehr u n d Ausnahmezustand, S. 18. 175 Vgl. Huber, Heer u n d Staat, S. 416.
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gewalt erfolgte jedoch nicht. Die sog. Militärdiktatur entwickelte sich zu einer machtmäßigen Ausdehnung der Militärgewalt auf den Bereich der Außen- und Innenpolitik 1 7 6 . I n Umkehrung der Verhältnisse, wie sie noch unter Bismarck galten, wich schließlich der „Primat der Polit i k " dem „Primat des Militärs" 1 7 7 . Hatte hiermit das M i l i t ä r seine Verfassungstreue verletzt? Huber vertritt die Ansicht, daß das geltende Verfassungsrecht i n der kritischen Lage des Kriegs durch die nunmehr divergierende Verfassungswirklichkeit verdrängt worden sei 178 . Wer jedoch zulassen w i l l , daß die Verfassungswirklichkeit das bestehende Verfassungsrecht verdrängt, der hebt die Verfassung selbst aus ihren Angeln. Es gibt keine Verfassungswirklichkeit contra constitutionem normatamP 9, auch nicht i m Krieg oder Notzustand. Hat die Dritte Oberste Heeresleitung also den ihr durch die Verfassung zugewiesenen Zuständigkeitsbereich überschritten und die Regierungspolitik selbst i n die Hand genommen, dann hat sie nach damals geltendem Recht zwar nicht gegen ihre Treuepflicht verstoßen, die nicht der Verfassung, sondern dem Kaiser als dem obersten Kriegsherrn, dem Landesherrn, Staat und Reich galt 1 8 0 ; wohl aber hat die militärische Führung die auch das Heer bindenden Normen der Verfassung selbst mißachtet, indem sie Machtbefugnisse i n Anspruch nahm, die ihr nicht zugewiesen waren. Obwohl die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871 keine einschlägige Vorschrift zur Gewaltenteilung enthielt 1 8 1 , wie sie heute das Grundgesetz i n Art. 20 Abs. 2 GG kennt, und auch der „Primat der Politik" weder in der Reichs- noch i n der preußischen Verfassung festgeschrieben war, so war doch allgemein anerkannt, daß die Führung der politischen Geschäfte nicht i n der Hand des Militärs liegen sollte 182 . Das 176
H i e r i n ist Huber, Heer u n d Staat, S. 414, zu folgen. Vgl. Baudissin, Staatslexikon, S. 193, der i m D r i t t e n Reich wiederum eine „seltsame U m k e h r u n g der Verhältnisse des I. Weltkriegs" erkennt, als aus innerer Konsequenz der soldatische dem politischen Bereich v ö l l i g u n t e r worfen worden sei. 178 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 193 f. 179 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 1 I I I 5, Randnr. 47. 180 Vgl. Laband, Staatsrecht, Bd. 4, S. 160 u. S. 7. 181 Die Gewaltenteilung w a r als Prinzip schon von Bismarck i n seiner Rede v o m 27.1.1863 anerkannt worden, m i t der er die „Lückentheorie" verfocht. Er hatte dabei aber zugleich auf den Weg verwiesen, den die Oberste Heeresleitung dann i m I. Weltkrieg beschritt: „Wer die Macht i n Händen hat, geht dann i n seinem Sinne vor, w e i l das Staatsleben nicht einen Augenblick s t i l l stehen kann." — Vgl. v. Eppstein, Bismarcks Staatsrecht, S. 351. 182 Bismarck selbst hatte stets großen Wert auf den Primat der P o l i t i k gelegt, diesen aber auch durchzusetzen vermocht. Die Auseinandersetzung Bismarck—Moltke u m die militärische oder politische Suprematie w a r hierfür kennzeichnend. — Vgl. E. JR. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 534 ff., insbes. S. 537. 177
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Militär hatte zu gehorchen, nicht zu politisieren 183 . Trotz seiner Sonderstellung i m Verfassungsgefüge war das M i l i t ä r auch nach der i m Kaiserreich herrschenden Verfassungsanschauung der politischen Suprematie zumindest insoweit unterworfen, als es ohne gesetzliche Ermächtigung nicht i n den Bereich der zivilen Gewalt übergreifen durfte 1 8 4 . Damit stellte die „Militärdiktatur" der Dritten Obersten Heeresleitung einen Verstoß gegen die geltende Verfassungsordnung dar. 7. Der Übergang der Streitkräfte von der Monarchie zur Weimarer Demokratie
Als i n Berlin die Übernahme der zivilen Regierungsgewalt vom Reichskanzler Prinz Max von Baden an Friedrich Ebert vollzogen und von Scheidemann die Republik ausgerufen wurde, stand das Heer noch unter dem Befehl des Kaisers. Kaiser Wilhelm II. übertrug am Nachmittag des 9. Novembers 1918 Hindenburg als dem Chef der Obersten Heeresleitung den Oberbefehl über das Feldheer und wies ihn an, die Truppen nach Abschluß des Waffenstillstandes i n die Heimat zurückzuführen 185 . Durch diesen staatsrechtlich bedeutsamen A k t schuf der Kaiser eine von der neuen Reichsleitung formal zunächst unabhängige Befehlsinstanz. Zusätzlich hatte der Kaiser noch kurz vorher die Kommandogewalt über das Heimatheer auf den preußischen Kriegsminister übertragen, über den die Träger der zivilen Regierungsgewalt i m Reich nach überliefertem Staatsrecht keine Weisungskompetenz besaßen 186 . Ohne Wissen v. Hindenburgs, aber mit dessen späterer Billigung, bot der Erste Generalquartiermeister Groener noch am selben Tage Ebert die Zusammenarbeit an 187 . I m sog. „Bündnis Ebert-Groener" entschied sich die militärische Führung für den Verzicht auf jede gegenrevolutionäre A k t i o n und für das Zusammenwirken mit der von Ebert geführten neuen Regierung. Dabei bestand zwischen Groener und Ebert ein stillm Nichts anderes besagte i m Grunde das Deliberationsverbot i n A r t . 38 der preußischen Verfassung v o n 1850, die bis 1918 i n Geltung w a r : „Die bewaffnete Macht delibèriert nicht, sie f ü h r t bloß aus", hatte beispielsweise auch Roon gelehrt; vgl. seine Reformdenkschrift v o m 21.7.1858, D e n k w ü r d i g k e i ten aus dem Leben Roons, Bd. I I , 5. A u f l . 1905, S. 521 ff.; zitiert bei G. Ritter, Staatskunst u n d Kriegshandwerk, Bd. I, München 1954, S. 152 f. 184 Vgl. auch die Zabernaffäre v o n 1913, i n der sich der Reichskanzler noch einmal gegen das M i l i t ä r durchsetzen konnte — vgl. Huber, Deutsche V e r fassungsgeschichte, Bd. I V , S. 590 ff. 185 Vgl. Fenske, Verfassungsgeschichte, S.40; Scheyhing, Verfassungsge-r schichte, 17. Kap., Randnr. 49, S. 220; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 699. 186 Ebd. 187 Vgl. Fenske, S.40; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 751 ff.
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
schweigendes Einverständnis, daß der Staatsverhältnisse über die Berufung benden Nationalversammlung führen somit als eigenständiger Machtfaktor der Weimarer Republik beteiligt.
legale Weg beim Neuaufbau der einer gewählten verfassungsgemüsse 188 . Die Streitmacht war an der Legitimitätsbegründung
Der am Abend des 9. November 1918 geschlossenen Übereinkunft gemäß, gab die Oberste Heeresleitung am 10.11.1918 i n einem von Hindenburg selbst telegrafisch übermittelten Befehl an die Truppe bekannt: „Damit angesichts der dem Vaterland durch den Bolschewismus drohenden Gefahr des Bürgerkriegs das Heer i n Festigkeit u n d Ordnung i n die Heimat zurückgeführt werden kann, sind alle Offiziere u n d Mannschaften moralisch verpflichtet, alle m i t Recht bestehenden Gewissensbedenken bezüglich des Seiner Majestät dem Kaiser u n d K ö n i g geleisteten Fahneneides zurückzustellen, u m unvermindert ihre Pflicht zu t u n zur Rettung der deutschen Lande aus größter Gefahr. Aus demselben Grunde habe ich mich entschlossen, auf meinem Posten zu verharren u n d gemäß der m i r mündlich gewordenen Weisung Seiner M a j e stät des Kaisers u n d Königs den Oberbefehl über das deutsche Feldheer übernommen 1 8 9 ."
Nach dem Grenzübertritt nach Holland erst unterzeichnete W i l h i l m l l . am 28.11.1918 die bis dahin noch ausstehende förmliche A b dankungserklärung, mit der er auf die preußische Krone, ebenso wie auf das damit verbundene Recht auf das Kaisertum, verzichtete. Zugleich entband er alle Angehörigen der Marine, des preußischen Heeres und der übrigen Heereskontingente von dem i h m geleisteten Treueid. Er sprach dabei die Erwartung aus, daß alle vom alten Eid Entbundenen bis zur Neuordnung des Reiches den „Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland" dabei Hilfe leisten würden, das Volk vor Anarchie, Hungersnot und Fremdherrschaft zu bewahren 190 . Die i n die Weimarer Republik übernommene Streitmacht, die spätere Reichswehr, rettete sich somit über den verfassungsgeschichtlichen Einschnitt von 1918 hinweg eine autonome Legitimationsgrundlage. I n ihrem Selbstverständnis war die Streitmacht zwar der Monarchentreue entbunden, mit der Entstehung der neuen Demokratie und der Weimarer Verfassung aber hat sich die Reichswehr nie identifizieren können und stellte so einen „monarchischen Rest" i n der Republik dar 1 9 1 . 188
Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, B d . V , S. 759. Vgl. Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 16. W i l h e l m I I hatte zunächst n u r als Kaiser, nicht aber als K ö n i g v o n Preußen abdanken wollen. — Vgl. Scheyhing, 17. Kap., Randnr. 49, S.220; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V , S. 681. 190 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 706; Huber, D o k u mente, Bd. 2, Nr. 385. 191 Vgl. Krausnick, Vorgeschichte u n d Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 182. 189
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Sie bildete ein eigenständiges Machtelement, das sich einem über der Verfassung stehenden „Staat an sich" und seiner Ordnung verpflichtet fühlte 1 9 2 und die Legitimität der demokratisch gewählten Regierung nicht zur Grundlage seines eigenen Treueverständnisses machte 193 .
IV. Reichswehr und Verfassungstreue in der Weimarer Zeit 1. Die Stellung der Reichswehr im Weimarer Staat
Die Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919 schob die Grenzen der Reichsgewalt weit vor, deutlich hervortretend bei der Gesetzgebung und i m Übergang der Streitkräfte auf das Reich 194 . Die Stellung des Reichspräsidenten, der vom Volk gewählt wurde, war mit besonderer Machtfülle ausgestattet worden. Der Oberbefehl über die Streitkräfte lag — wie früher beim Kaiser bzw. Landesherrn — jetzt beim Reichspräsidenten 195 , dessen Stellung der eines „Ersatzkaisers" 196 nachgestaltet war. Reichspräsident Ebert übertrug den Oberbefehl für den Regelfall dem Reichswehrminister. Nachdem der erste, auf politische Führung bedachte Reichswehrminister Noske aus dem A m t geschieden war, entwickelte sich die Reichswehr unter der militärischen Führung von General v. Seeckt jedoch immer mehr zum „Staat i m Staate" 197 , v. Seeckt selbst beteuerte Jahre nach seiner Verabschiedung, offensichtlich i n der Not, sich selbst rechtfertigen zu müssen: „Nicht zum Staat i m Staat soll das Heer werden, sondern i m Staat dienend aufgehen u n d selbst zum reinsten A b b i l d des Staates werden 1 9 8 ."
v. Seeckt, Chef der Heeresleitung, unterschied zwischen der Befehlsgewalt des verantwortlichen Reichswehrministers und der „Kommandogewalt", die i h m selbst als dem obersten militärischen Führer der 192
Nicht der konkrete Staat der Gegenwart, die Republik v o n Weimar, sondern das idealisierte Scheinbild einer überparteilichen Staatsführung „besserer Vergangenheit" u n d schönerer Z u k u n f t w a r L e i t b i l d der Reichswehr, vgl. Krausnick, Vorgeschichte, S. 183. 193 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 700. 194 W R V ; A r t . 6 u. 79; vgl. Scheyhing, 18. Kap., Randnr. 8; das 100 000-MannHeer w a r auf Grund alliierter Auflagen eine Berufsarmee. 195
A r t . 47 W R V ; m i t Verordnung v o m 20.8.1919 (RGBl., S. 1478) übertrug er den Oberbefehl dem Reichswehrminister, soweit er keine unmittelbaren Befehle erteilte. 196 Z u m Begriff vgl. Ellwein, Das Erbe der Monarchie i n der deutschen Staatskrise, S. 330; Ehmke, Beiträge, S. 381. 197 Hierzu Schmädeke, Kommandogewalt, S. 86 ff.; Wohlfeil, in: Papke / P e t ter, 8 V I , S. 134 ff. 198 υ. Seeckt, Gedanken eines Soldaten, B e r l i n 1929, S. 113, zit. bei Krausnick, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 1828.
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
R e i c h s w e h r z u s t a n d u n d i h m de facto d e n O b e r b e f e h l sowie d e n E i n f l u ß auf die P e r s o n a l i e n d e r O f f i z i e r e sicherte 1 9 9 . M a n g l a u b t e i n d e r R e i c h s w e h r , u n t e r d e m E i n f l u ß d e r v . Seecktschen M i l i t ä r p o l i t i k , e i n e m a b s t r a k t e n , v o n der P o l i t i k z u scheidenden Staat z u dienen, v o n d e m m a n u n m i t t e l b a r seine N o r m e n bezog 2 0 0 . I n e i n e m B r i e f an d e n b a y e r i s c h e n G e n e r a l s t a a t s k o m m i s s a r v . K a h r v o m 5.11. 1923 sprach Seeckt es o f f e n aus: D i e l e g i t i m e R e g i e r u n g dieses Staat? (Stresemann) w a r d e r R e i c h s w e h r „ w e s e n s f r e m d " .
2. Der Verfassungseid a) D i e W e i m a r e r Reichsverfassung schrieb f ü r die S o l d a t e n ebenso w i e f ü r die B e a m t e n i n A b k e h r v o n der T r a d i t i o n des T r e u e i d s a u f die Person des M o n a r c h e n d e n Eid auf die Verfassung vor201: „ A l l e öffentlichen Beamten u n d Angehörigen der Wehrmacht sind auf die Verfassung zu vereidigen. Das Nähere w i r d durch Verordnung des Reichspräsidenten bestimmt." D e r v o n 1919 bis 1933 geschworene S o l d a t e n e i d 2 0 2 b r a c h t e e i n e n B r u c h m i t bis d a h i n fast als u n u m s t ö ß l i c h e m p f u n d e n e r Ü b e r l i e f e r u n g 2 0 3 : D i e Treue w u r d e n i c h t m e h r e i n e r Person, s o n d e r n der V e r f a s s u n g geschwo^· r e n ; d e m Reichspräsidenten u n d d e n V o r g e s e t z t e n gegenüber b e e i d i g t e der Soldat k e i n e T r e u e , s o n d e r n n u r n o d i Gehorsam. 199
Vgl. E. Busch, Der Oberbefehl, S. 73; Ehmke, S. 382. Vgl. Graf Baudissin, i n : Knopp / Wiegmann, W a r u m habt i h r H i t l e r nicht verhindert?, S. 116. 201 A r t . 176 W R V ; auch der Verfassungseid der Beamten bedeutet eine A b kehr v o m persönlichen Treueeid auf den Monarchen, vgl. Zwirner, Diss., S. 108. Da es keine Landesherren mehr gab, die über eigene Truppenkontingente verfügten, vertrat der Reichspräsident nicht n u r die Rolle des früheren Kaisers, sondern w a r auch an die Stelle des Landesherren getreten. F ü r die Reichswehr, die dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert m i t Distanz gegenüberstand, w a r jedoch m i t dem Wegfall von Kaiser u n d Landesh e r r n eine, durch den Reichspräsidenten nicht ausgefüllte Lücke entstanden, i n die v. Seeckt einzutreten verstand. 202 Nach der Verordnung des Reichspräsidenten v o m 14.8.1919, A r t . 1, Ziff. 3, hatten die „Angehörigen der Wehrmacht" folgenden Eid zu leisten: „Ich schwöre Treue der Reichsverfassung u n d gelobe, daß ich als tapferer Soldat das Deutsche Reich u n d seine gesetzlichen Einrichtungen jederzeit schützen, dem Reichspräsidenten und meinen Vorgesetzten Gehorsam leisten w i l l . " Der Eid wurde also auch auf die Person des Reichspräsidenten geleistet. Unzutreffend daher Dade, Diss., S. 49, der behauptet, daß keine Person als Eidnehmer gegolten habe. Allerdings wurde die „Treue" als solche nicht dem Reichspräsidenten, sondern der Verfassung geschworen. 203 Die bis 1918 noch gültige preußische Verfassung hatte j a i n ihrem bekannten A r t . 108 Abs. 2 bestimmt: „Eine Vereidigung des Heeres auf die V e r fassung findet nicht statt." — Vgl. hierzu Friesenhahn, Der politische Eid, S. 98 f. 200
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b) Dem Verfassungseid wurde allerdings — wie schon i m Rechtsverständnis des 19. Jahrhunderts i m Falle des Diensteides der Beamten oder des Fahneneides der Soldaten — keine rechtsbegriindende Wirkung zugeschrieben 204 . Man argumentierte, die Reichsverfassung gelte ohnehin — ob mit oder ohne Beeidigung — als unmittelbar verbindlich für Beamte und Soldaten, wie überhaupt für jeden, den sie angehe 205 . Gegen die Rechtsgültigkeit der Verordnung des Reichspräsidenten vom 14. 8.1919 über den Verfassungseid sind unter den Juristen dennoch Bedenken erhoben worden, da „Treue" nur einer Person, nicht aber einer Verfassung gehalten werden könne und zudem A r t . 130 Abs. 2 WRV, der Gesinnungsfreiheit verbürge, dem Verfassungseid entgegenstehe 206 . c) Friesenhahn hat i n seiner noch heute oft zitierten Schrift über den politischen Eid (1928)207 scharfe K r i t i k am Verfassungseid der Weimarer Republik geübt. Die „unzweideutige Klarheit" des Fahneneides gehe beim Verfassungseid verloren, wenn der Soldat auf der einen Seite unbedingten Gehorsam, auf der anderen Seite Beobachtung oder gar Treue der Verfassung schwören müsse 208 . Wie auch schon die Gegner des Verfassungseides i m 19. Jahrhundert argumentiert hatten 2 0 9 , so warnte auch Friesenhahn, dem Soldaten werde eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Befehlen auferlegt und damit eine zerstörende Wirkung auf die militärische Disziplin ausgeübt 210 . Friesenhahn schlug daher vor, die gesuchte Sicherung der Verfassung über den Eid der Obersten Kommandostelle auf die Verfassung zu erreichen. Der preußische König, dem i m Fahneneid unbedingter Gehorsam zugesichert worden sei 211 , habe ja auch seinerseits den Eid auf die Verfassung geleistet 212 . 204 Vgl. Anschütz, Kommentar zur WRV, 14. Aufl., A n m . 1 zu A r t . 176. H i n sichtlich des Beamtenverfassungseides hatte die Rechtssprechung festgestellt, daß die beeidete Verfassungstreue nicht binde, „die Ziele u n d Bestrebungen dessen, dem die Treue angelobt (ist), durch Einsetzen seiner ganzen Persönlichkeit zu fördern", sondern lediglich besage, daß „der Beamte die Verfassung gewissenhaft beobachten w o l l e " : O V G 1977, 495; 78, 430, zit. bei Zwirner, S.111. 205 Vgl. Anschütz, A n m . 1 zu A r t . 176 WRV. 206 Vgl. Nachweise bei Anschütz, A n m . 2 zu A r t . 176 WRV, der diese Bedenken für unbegründet hält. 207 Ernst Friesenhahn, Der politische Eid. 208 Friesenhahn, Der politische Eid, S. 100. 209 Siehe dazu oben, 1. Kap. I I 4, I I I 3 a). 210 Friesenhahn, Der politische Eid, S. 101. 211 Friesenhahn, Der politische Eid, S. 98 bezeichnet die allg. Wehrpflicht des 19. Jahrhunderts als „potenzierte Untertanenpflicht". Der Eid, m i t dem die E r f ü l l u n g der Pflicht gelobt wurde, sei ein auf die speziellen militärischen Pflichten abgestellter Untertaneneid, der ein besonders enges Verhältnis z w i schen Soldat u n d Kaiser bedeute.
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Friesenhahn empfahl also nichts anderes als eine Rückkehr zu den Prinzipien der konstitutionellen Monarchie. Seine Forderung nach Abschaffung des Verfassungseids entsprach aber auch dem Selbstverständnis der Reichswehr, die sich als „Staat i m Staate" von den Entwicklungen i n der Gesellschaft und vom „Parteienstreit" abzukapseln suchte 213 . Bezeichnend ist der Befehl des Reichswehrministeriums, Heeresleitung gez. v. Seeckt vom 4.11.1923, daß das Lebensinteresse der Reichswehr es verlange, den Parteikampf aus dem Heere auszuschließen und nur den überparteilichen Notwendigkeiten zu dienen, damit die Reichswehr ein zuverlässiges Instrument i n der Hand ihrer Führer bleibe 214 . d) Noch aber bedeutete die Eidesleistung auf die Verfassung für die Soldaten eine tiefe innere Verpflichtung, deren Wert nicht zu unterschätzen war, auch wenn dem Eid selbst keine rechtsbegründende W i r kung beigemessen wurde. Der langjährige Reichswehrminister Geßler (1920—1928, geriet nach dem 20. J u l i 1944 ins KZ), der zusammen mit v. Seeckt die Reichswehr gestaltet hatte, schrieb hierzu 2 1 5 : „Die Heilighaltung des Eides gehörte insbesondere zum Berufsethos der Soldaten. . . . Dieser Verfassungseid w a r für die Reichswehr u n d i h r Offizierskorps nicht nur ein starkes, sondern zeitweise w o h l auch das einzige Band, das sie m i t dem neuen Staat verknüpfte."
Doch dieser Eid war kein „Eid des Herzens, sondern des Verstandes und vielleicht der Resignation" 216 . Der Verfassungseid der Weimarer Republik wurde restriktiv interpretiert. Nach Auffassung von Regierung und Rechtsprechung verlangte er kein inneres Bekenntnis zu dem bestehenden politischen System 217 . Dem Treueid gegenüber der Verfassung war nach Auffassung der Rechtsprechung i m Beamtenrecht Genüge getan, wenn der Beamte die Verfassung „beobachtete", d.h., wenn er die Verfassungsgesetze nicht übertrat 2 1 8 . Entsprechend wurde auch der Verfassungseid der Soldaten verstanden, aber selbst diese Verantwortung nahm ihnen i m Grunde die Heeresleitung ab. 212 Friesenhahn, Der politische Eid, S. 101; ähnlich Huber, Heer u n d Staat, S. 172. 213 Vgl. Knütter, Verfassungsfeindliche Beamte i n der Weimarer Republik, S. 71; vgl. hierzu Hornung, Staat u n d Armee, S. 42 f.; kritisch Wagemann, Bemerkungen zu Hornung, S. 239. 214 Vgl. Z i t a t i m „ U l m e r Hochverratsurteil", Die Justiz 1931, S·. 191; ähnlich lautete der Befehl v o m 22. 9.1924, ebd. 215 Otto Geßler, Reichswehrpolitik i n der Weimarer Zeit, Stuttgart 1958, S. 434: Der Chef der Heeresleitung, General v. Seeckt, habe gesagt: „ E i n General bricht seinen Eid nicht." 216 Krausnick, Vorgeschichte u n d Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 186. 217 Vgl. den Hinweis bei E. R. Huber, Der Schutz der Verfassung, Z A k D R 5, 1938, S. 78 ff. 218 Vgl. Zwirner, Diss., S. 111.
IV. Die Weimarer Zeit
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3. Reichswehr und Verfassungstreue
a) Die Reichswehr verhielt sich — hier einmal abgesehen von der Krise des Kapp-Putsches — trotz aller Distanz zur Republik auch in den kritischen Zeiten der Weimarer Republik loyal und staatstreu. Die entstehende Reichswehr hatte die Republik gegen Angriffe des revolutionären Linksextremismus 1919 verteidigt. Nach ihrem vollzogenen Aufbau stand sie auch gegen den Münchner Putschversuch Hitlers (November 1923) zur Republik 2 1 9 . Der langjährige Reichswehrminister Geßler bescheinigte General v. Seeckt, daß er die vollziehende Gewalt, die i h m als Chef der Heeresleitung auf dem Höhepunkt der Krise von 1923 übertragen worden war, absolut korrekt und verfassungstreu ausgeübt habe 220 . Diese „Verfassungstreue" aber war formeller, am Legalitätsdenken ausgerichteter Natur 2 2 1 . Der sozialdemokratische Reichsinnenminister Severing soll bei der Beratung des Republikschutzgesetzes i m Reichstag am 13. 3.1930 die Reichswehr gewürdigt haben: „Heute allerdings verfügt die Reichsregierung über eine Reichswehr m i t vorzüglicher Disziplin u n d eine Staatspolizei, Machtmittel, die jeden A n schlag auf die Reichsverfassung i m K e i m ersticken könnten 2 2 2 ."
Die Haltung der Reichswehr, die keinen gewaltsamen Umsturz zuließ, zwang schließlich die Nationalsozialisten, die Macht auf „legalem" Weg anzustreben 223 . Die Reichswehr behielt eine innere Reserve zur Republik 2 2 4 , ja, Distanz zur Politik wurde von ihr sogar erwartet. Sie galt als vom „Parteiengezänk" freie „pouvoir neutre", als „objektivierte Staatsgewalt" 225 . NSDAP und Reichswehr standen zueinander in einem zwiespältigen Verhältnis 2 2 6 . Die Nationalsozialisten bekämpften trotz grundsätzlicher Sympathie für das Militär die Reichswehr, weil sie dem Weimarer Staat diente, und verachteten den „unpolitischen" Geist der Reichswehr. H i t 219
Vgl. hierzu Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V I , S.631; Hornung, S.43. Geßler, S. 436. 221 Der General hatte 1923 weitreichende Pläne diktatorischer oder halbdiktatorischer Natur geschmiedet u n d ihre V e r w i r k l i c h u n g insgeheim vorbereitet, hat sie aber dann nicht durchgeführt. — Vgl. Krausnick, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 184. v. Seeckt hat n u r ein einziges M a l an einer V e r fassungsfeier teilgenommen und i n der Folge für diesen Tag stets eine unaufschiebbare Dienstreise i n seinem Jahresprogramm verankert. — Vgl. Fr. v. Rabenau, Seeckt, Aus seinem Leben, 1918—1936, Leipzig 1940, S. 199, zit. bei Krausnick, in: Vollmacht, Bd. I , S. 183. 222 Vgl. Zitat bei Hjalmar Schacht, Abrechnung m i t Hitler, S. 33. 223 Vgl. Hornung, S. 43. 224 Vgl. hierzu Lepper, Diss., S. 82. 225 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 294; Lepper, Diss., S. 82. 226 Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 59. 220
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
1er selbst appellierte i n der Reichswehrsondernummer des „Völkischen Beobachters" vom 26. 3.1929 an die wahre politische Mission der Reichswehr, „nicht etwa parteipolitisch zu denken, sondern das parteipolitische Getriebe und Ungeziefer zu vernichten" 2 2 7 . Umgekehrt gab es innerhalb der Reichswehr Offiziere, die die nationalsozialistische „Machtübernahme" begrüßten, wie andere, die sie auch bei Distanz zur Weimarer Republik ablehnten 228 . b) Eine inhaltliche Verfassungstreue, d.h. innere Übereinstimmung mit den wichtigsten Grundsätzen der Weimarer Verfassung war von den Soldaten der Reichswehr nicht zu erwarten. Dies wurde aber von ihnen auch gar nicht verlangt. Die Verfassung enthielt ja selbst keine Legitimationsgrundlage nach A r t des A r t . 79 Abs. 3 GG i n sich. Jede Änderung der Reichsverfassung wurde auf dem legalen Weg der Gesetzgebung nach A r t . 76 WRV für zulässig und möglich gehalten 229 . Anschütz, dessen Kommentar zur Weimarer Verfassung damals als maßgeblich gelten konnte, rechnete zu den Prinzipien, die so beseitigt werden konnten: „ . . . die Staats- u n d Regierungsform des Reiches u n d der Länder (Republik, Demokratie, Wahlrecht, Parlamentarismus, Volksentscheid, Volksbegehren) u n d andere prinzipielle Fragen (Grundrechte!)" 2 3 0 .
Eine „Unterscheidung, welche Bestandteile der Verfassung bedeutsam sind und welche nicht", hielt Anschütz, der die Verfassung wie die herrschende Meinung seiner Zeit als „nur der Form nach qualifiziertes formelles Gesetz" 231 verstand, weder theoretisch noch praktisch für möglich 2 3 2 . c) Die i m Jahr 1931 erlassenen „Richtlinien über die Ausbildung i m Heere" zeigten, wie sehr die rechtliche Verantwortlichkeit des Soldaten zugunsten des Staates oder Vaterlandes i n den Hintergrund getreten war 2 3 3 . Die Richtlinien betonten sogar: 227
Vgl. Krausnick, Bd. 1, S. 190 f. Vgl. Baudissin, in: Knopp / Wiegmann, W a r u m habt i h r H i t l e r nicht verhindert?, S. 112 f. 229 Z u dieser Frage ausführlich m i t Darstellung der verschiedenen Ansichten Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, in: Beiträge, 21 ff. (29 ff.). 230 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, A n m . 3 zu A r t . 76 W R V i n Auseinandersetzung m i t der v o n Triepel, C. Schmitt u n d Bilfinger vertretenen Gegenmeinung; vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, § 21, Randnr. 697. Anschütz weiter: „Die durch A r t . 76 den hier bezeichneten qualifizierten Mehrheiten des Reichstages u n d des Volkes übertragene verfassungsändernde Gewalt ist gegenständlich unbeschränkt." Z u r Problematik auch Kriele, F A Z v o m 25.10.1978, S·. 10; kritisch Ehmke, Grenzen, in: Beiträge, S. 29 ff. 231 Zwirner, Diss., S. 110. 232 Anschütz, A n m . 3 zu A r t . 76 WRV. 233 Vgl. Bucher, Der Reichswehrprozeß, S. 147. 228
I V . Die Weimarer Zeit
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„Die Verfassung gibt Raum für die freie Betätigung der politischen Kräfte, sofern sie auf friedlichem Wege w i r k e n u n d nicht der Mehrheit des Volkes ihren W i l l e n gewaltsam aufzwingen wollen." und „Die Wehrmacht dient allein dem Staate. Sie verleiht i h m die Macht, seinen Willen durchzusetzen, Verfassung und Recht zu schützen m." D a m i t w u r d e gesagt, daß n i c h t die R e i c h s w e h r , s o n d e r n der Staat d u r c h die R e i c h s w e h r die V e r f a s s u n g zu schützen h a t t e . E i n K o n f l i k t zwischen G e h o r s a m u n d V e r f a s s u n g s t r e u e w u r d e f ü r d e n einfachen S o l d a t e n d a mit
ausgeschaltet 2 3 5 .
D i e R e i c h s w e h r h a t , i h r e m S e l b s t v e r s t ä n d n i s als d e m Staat u n d n i c h t e i n e r „ p o l i t i s c h e n " V e r f a s s u n g v e r p f l i c h t e t e K r a f t folgend, die „ l e g a l e " M a c h t ü b e r n a h m e H i t l e r s 1933 o h n e W i d e r s t a n d h i n g e n o m m e n 2 3 6 , auch w e n n v o n d e n inhaltlichen Werten der W e i m a r e r V e r f a s sung schon n a c h k u r z e r Z e i t nichts m e h r ü b r i g b l i e b 2 3 7 . R ü c k b l i c k e n d k o n n t e die R e i c h s w e h r die i n sie gesetzten E r w a r t u n g e n d e m o k r a t i s c h e r P o l i t i k e r 1933 2 38 gar n i c h t e r f ü l l e n . D i e f o r m e l l e L e g a l i t ä t d e r H i t l e r schen „ M a c h t ü b e r n a h m e " gab der R e i c h s w e h r ebenso w i e d e n z i v i l e n I n s t a n z e n G r u n d genug, der n e u e n A u t o r i t ä t G e h o r s a m entgegenzub r i n g e n , o b w o h l sie d u r c h E i d z u r T r e u e gegenüber d e r W e i m a r e r V e r fassung v e r p f l i c h t e t w a r 2 3 9 .
234 Richtlinien über die Ausbildung i m Heere, T e i l I I , Leitfaden für die E r ziehung u n d Unterricht, Leitgedanken, S. 11 f., Reichswehrministerium 1931 — zit. bei Bucher, S. 147. 235 Vgl. Bucher, S. 147. 236 Trotz Diskussionen i n der Reichswehr, w i e die Machtübernahme Hitlers zu vermeiden sei: General v. Schleicher hatte zuvor als Reichskanzler 1932/33 versucht, m i t etlichen M i t t e l n die Machtergreifung zu verhindern. Die Reichswehr blieb angesichts des „legalen" Vorgehens jedoch schließlich untätig. Vgl. hierzu Vogelsang, Reichswehr, Staat u n d NSDAP, S. 381 ff. 237 Sie begriff sich nicht als „ H ü t e r der Verfassung", wie es Huber, Heer und Staat, S. 172, befürchtet; ähnlich w i e Huber Friesenhahn, Der politische Eid, S. 101; zum Begriff „ H ü t e r der Verfassung" grundlegend Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, S. 90. Schmitt beanstandete eine „ P l u r a l i t ä t der Treueverpflichtungen" an Stelle der Treue gegenüber Staat und Verfassung u n d eine „ P l u r a l i t ä t der Legalitätsbegriffe". 238 Vgl. die Aussagen der Politiker Schauff (Zentrum), Karpf (Bayerische Volkspartei), Vogel (Zentrum), in: Knopp / Wiegmann, S. 26, 55, 69. 239 v g l Generale Heusinger u n d Matzky, i n : Knopp / Wiegmann, S. 105,123. I n w i e w e i t die „Legalität" der Machtübernahme nur V o r w a n d war, m i t dem man das Nichtstun begründete, ist hier nicht abschließend zu beurteilen. Jedenfalls bot die „Legalität" eine „Rechtfertigungs"basis für das (passive) V e r halten sowohl der G u t w i l l i g e n als auch der Böswilligen, denen eine Beseitigung der Weimarer Demokratie zupaß kam.
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung 4. Die Behandlung der Extremistenfrage
a) Auch die Weimarer Republik kannte Maßnahmen gegen Extremisten i m öffentlichen Dienst und der Reichswehr 240 . Die Weimarer Beamtengesetze, vor allem das „Gesetz über die Pflichten des Beamten zum Schutze der Republik" 2 4 1 beschrieben allerdings nur die Treuepflicht des eingestellten Beamten i n seiner Amtsausübung, nicht aber die „Gewähr der Verfassungstreue" eines Beamtenbewerbers, wie sie heute verlangt wird 2 4 2 . Das thüringische Staatsministerium verlangte i m J u l i 1922 von den Beamten eine eidesstattliche Versicherung, daß sie nicht einer verbotenen noch einer sonstigen monarchistischen oder antirepublikanischen Vereinigung angehören oder angehört haben. Das Preußische Staatsministerium unter Ministerpräsident Braun verbot den Beamten i m Juni 1930 die Mitgliedschaft in der NSDAP und der KPD 2 4 3 . Da die inhaltlichen Ziele der Parteien, denen sich der Beamte anschloß, jedoch gleichgültig waren, konnte dieser Beschluß der preußischen Staatsregierung hinsichtlich der NSDAP aufgehoben werden, nachdem sich diese Partei zur „legalen" Durchsetzung ihrer Ziele erklärt hatte 2 4 4 . b) Das Wehrrecht allerdings ging weiter. I n der Reichswehr war den Soldaten ohnehin jegliche politische Betätigung untersagt 245 . Der Befehl des Reichswehrministers vom 31.1.1923 verbot den Soldaten jede „Betätigung einer Gesinnung", die auf Änderung verfassungsmäßiger Zustände oder gesetzlicher Einrichtungen ausgehe und besagte, daß jede Zuwiderhandlung als Ungehorsam gegen einen Befehl in Dienstsachen zu bestrafen sei. I n der Fassung vom 29.4.1927 verbot der Ministerbefehl dann auch die sonstige politische Betätigung 246 . Trotz der vorgeschriebenen politischen Abstinenz in der Reichswehr, oder gerade weil die NS-Parteimitgliedschaft nicht offen dargelegt werden konnte, wußte gegen Ende der Weimarer Republik auch die oberste militärische Führung nicht mehr sicher, wo die jungen Offiziere politisch standen 247 . Jedenfalls dürfte eine nicht unerhebliche Zahl vor allem 240 Vgl. hierzu insbes. die Diskussion zwischen Kriele u n d Böckenförde i n der F A Z v o m 25.10.1978, S. 11 u n d v o m 8.12.1978, S. 9 f. — abgedr. bei Koschnick, Abschied v o m Extremistenbeschluß, S. 76. 241 „Republikschutzgesetz" v o m 21. 7.1922 — RGBl. I, S>. 590 ff.; aufgrund A r t . 2 des Republikschutzgesetzes wurde die Geltung der §§ 10 a, 10 b R B G auch auf die Soldaten erstreckt. 242 Vgl. hierzu Zwirner, Diss., S. 112; Küchenhoff / Schimke, „Gewährbieten jederzeitiger Verfassungstreue", S. 63. 243 Vgl. Kriele, F A Z v o m 25.10.1978, S. 10. 244 Vgl. Zwirner, Diss., S. 112 ff. 245 Vgl. §36 Wehrgesetz v o m 23.3.1921, RGBl., S.32a, abgeändert durch Gesetz v o m 18. 6.1921, RGBl., S. 787 (hier allerdings ohne ausdrückliche Strafdrohung). 246 s. Zitat i m Ulmer Reichswehrurteil, Die Justiz 1931, S. 191.
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jüngerer Offiziere mit der NSDAP „sympathisiert" haben 248 . Selbst der damalige Kavallerieleutnant Graf Stauffenberg setzte sich am 30.1. 1933 i n Bamberg an die Spitze eines Fackelzuges, der den nationalsozialistischen Sieg feierte 249 . Spezielle Maßnahmen der Staatsführung gegen NSDAP und K P D blieben nicht aus, erwiesen sich jedoch als nicht wirksam. So reagierte ζ. B. das Reichswehrministerium 1930 auf eine gegen die Reichswehrführung gerichtete Rede Hitlers in München mit dem Verbot, die Sondernummer des Völkischen Beobachters 250 , der die Rede Hitlers enthielt, i n der Reichswehr zu verbreiten; weiterhin wurden alle nationalsozialistisch organisierten Arbeiter i m Bereich der Heeres- und Marineleitung entlassen und i m übrigen ein Hochverratsverfahren gegen H i t ler eingeleitet 251 . Gegen das Fortschreiten des Nationalsozialismus aber konnte man durch solche Maßnahmen nichts ausrichten. c) Wie i n einer Untersuchung aus dem Jahr 1932 über die Behandlung staatsfeindlicher und revolutionärer Parteien i n der Weimarer Republik festgestellt wurde 2 5 2 , hielten die disziplinarrechtlichen Entscheidungen i m Beamtenbereich lediglich die Frage für wesentlich, ob sich eine Partei den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Verfassung zum Ziel gesetzt hatte. Für die Disziplinarrechtsprechung der Weimarer Republik sei es kennzeichnend, daß in den Entscheidungen grundsätzlich der Begriff der Staatsfeindlichkeit nicht zu finden, sondern nur von „revolutionären Parteien" die Rede sei. Auch das Strafrecht schützte durch die Hochverratsbestimmungen die Verfassung nur vor Unternehmungen, die auf „gewaltsame Änderungen" gerichtet waren 2 5 3 . Das Reichsgericht zählte (hierin über die Rechtsauffassung der Kaiserzeit hinausgehend) zum „strafrechtlich geschützten Bereich der Verfassung" auch die Demokratie 254 . Aber diese ver247
Vgl. Scheuner, N Z W e h r r 1959, S. 86. Vgl. Graf Baudissin, in: Knopp / Wiegmann, S. 112; Krausnick, in: V o l l macht des Gewissens, S. 204, m. w. N. 249 Vgl. Krausnick, S. 204. 250 Vgl. Vogelsang, Reichswehr, Staat u n d NSDAP, S. 61. »! Ebd. 252 Vgl. Werner Tenge, Diss., Greifswald 1932: „Die Stellung des Beamten gegenüber staatsfeindlichen u n d revolutionären Parteien", insbes. S. 30. 253 StGB §§ 80 ff.—§ 81 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellte den „Verfassungsverrat" unter Strafe, vgl. hierzu schon oben, S. 51 ff., zum S traf recht des Kaiserreiches. 254 Vgl. RGStE 56, 259, zur Beteiligung am Putsch von Kapp u n d v. L ü t t witz; RGStE 56, 173 (Urteil v. 12.10.1921 zur erstrebten Errichtung einer Räteherrschaft). Diese Entscheidungen zeigen entlarvend, daß die Rechtsprechung noch nicht einmal vor einer „illegalen" Machtübernahme ausreichend Schutz bot. 24e
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
gleichsweise fortschrittlich anmutende Rechtsprechung bot der Demokratie keinen Schutz vor der „legalen" und vom Reichspräsidenten selbst protegierten Machtübernahme durch Hitlers NSDAP. Ein strafoder disziplinarrechtlicher Schutz der Demokratie war i n der Weimarer Zeit m i t h i n nicht gegeben, wo sie nicht mittels einer „gewaltsamen Änderung" oder „Umsturz", sondern auf „legalem" Wege über Wahlen und Gesetzgebung beseitigt werden sollte 255 . 5. Der Ulmer Hochverratsprozeß 1929/30
Der „Reichswehrprozeß" 256 von 1929/30 gegen drei des Hochverrats beschuldigte Ulmer Offiziere vor dem Reichsgericht zeigte in beispielhafter Weise, wie die Rechtsprechung der Weimarer Republik auf die zunehmenden Aktivitäten der NSDAP und ihr nahestehender Soldaten reagierte, aber auch, wie die Reichswehr selbst dazu stand 257 . a) Den Offizieren war zur Last gelegt worden, sich als Angehörige der Reichswehr eines hochverräterischen Unternehmens nach § 86 StGB schuldig gemacht zu haben. Sie hätten versucht, i n der Reichswehr nationalsozialistische Zellen zu bilden und die Reichswehr dahin zu beeinflussen, daß sie bei einem Putsch der Nationalsozialisten nicht auf diese schieße, sondern Gewehr bei Fuß stehe 258 . Der IV. Strafsenat des Reichsgerichts verurteilte die Angeklagten zu je einem Jahr sechs Monaten Festungshaft unter Anrechnung der Untersuchungshaft von sechs Monaten drei Wochen; zwei der drei Offiziere wurden aus der Reichswehr entlassen. I n der Reichswehr wurde das Verhalten der Ulmer Offiziere teilweise als „Kavaliersdelikt" angesehen. Kein anderer als ihr damaliger Regimentskommandeur, der spätere Generalstabschef Beck, setzte sich vor Gericht für sie ein 259 . b) Die Begründung des Urteils führt i n aller Schärfe vor Augen, mit welcher verhängnisvollen Einseitigkeit die Justiz der Weimarer Zeit Gefahren nur von gewaltsamen Umstürzen drohen sah, nicht aber von der Umkehrung der Verhältnisse auf dem „legalen" Wege Hitlers, der für rechtlich zulässig gehalten wurde. Dabei erkannte das Reichsgericht deutlich, welch schweren Erschütterungen die Republik seit ihrem Bestehen ausgesetzt war: der Staat, der sich nach innen behaupten und 255
Vgl. Vgl. 257 Vgl. u n d 123. 258 Vgl. 259 Vgl. 256
auch Zwirner, S. 113 m. w . N. zum Ganzen Peter Bucher, Der Reichswehrprozeß. die Generäle Heusinger u n d Matzky, in: Knopp / Wiegmann, S. 104 Die Justiz, 1931, S. 189. Krausnick, Vorgeschichte, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 195.
I V . Die Weimarer Zeit
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sich nicht selber aufgeben wolle, müsse es als seine wichtigste Aufgabe betrachten, seine Machtmittel, Heer und Polizei, als überparteiliche und verfassungstreue Instrumente zur Durchsetzung des staatlichen Willens fest i n der Hand zu halten 2 6 0 . Entscheidend waren dabei für das Reichsgericht weniger die Ziele, die die NSDAP verfolgte. Auch hielt es das Vorbringen des Staatssekretärs Zweigert vom Reichsinnenministerium für irrelevant, der Material vorlegen wollte, daß die NSDAP einen gewaltsamen Umsturz erstrebte 261 . Es kam nach Ansicht des Reichsgerichts allein darauf an, daß die drei Angeklagten damit gerechnet hatten, daß die NSDAP „illegale", d.h. umstürzlerische Ziele verfolge und i n absehbarer Zeit einen nationalsozialistischen Putsch für wahrscheinlich hielten 2 6 2 . Beinahe so etwas wie wohlwollendes Verständnis brachte das Reichsgericht für die Argumentation der Verteidigung auf, die Angeklagten hätten anders als die Kommunisten „nur Gutes angestrebt", seien „nur von lauterstem Wollen für das Heer und das Vaterland beseelt gewesen". Allerdings stellte das Reichsgericht klar, daß Soldaten das „Vaterland" nicht über die Verfassung stellen dürften 2 6 3 . Vor allem dürfe man sich zur Erreichung des Ziels keiner gesetzwidrigen Mittel bedienen. c) Hitler hatte i n diesem Verfahren Gelegenheit, unter Eid und unter den Augen der Öffentlichkeit, die den Prozeß über die Presse verfolgte 264 , dazu Stellung zu nehmen, ob von der NSDAP ein Umsturz beabsichtigt war. I n seiner Aussage, die auch i n den Gründen des Urteils wiedergegeben wurde, beteuerte Hitler, daß er seine Ziele nur noch auf „streng legalem Wege" verfolge; die „Gewalt falle i h m mit der Zeit auf legalem Wege von selbst zu" 2 6 5 . Diese Aussage, bekanntgeworden 260
U r t e i l v o m 4.10.1930, Die Justiz 1931, S. 191. Die preußische Staatsregierung hatte 1930 unter dem T i t e l „Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung" eine Denkschrift herausgebracht, die den i l l e galen Charakter der NSDAP nachzuweisen sich bemühte u n d zu diesem Zweck dem Reichsinnenminister u n d anläßlich des Reichswehrprozesses dem Oberreichsanwalt zuging, jedoch ohne W i r k u n g blieb. — Vgl. die Nachweise bei Krausnick, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 189. 262 Vgl. Die Justiz 1931, S.214f. 263 Vgl. Die Justiz 1931, S.217: „ M a n k a n n auch aus hohen vaterländischen Motiven strafbare Handlungen begehen; die Angeklagten w o l l t e n i m Endziel gewiß etwas ganz anderes, als die Kommunisten es wollen; aber zur Erreichung des Zieles bedienten sie sich gesetzwidriger Mittel. Es ist nicht richtig, daß es einen P u n k t gebe, bei dem der Soldat das Vaterland über die V e r fassung stellen dürfe, nämlich dann, w e n n nach seiner Meinung die Verfassung das Vaterland verderbe. Der Soldat hat über die Frage, ob das der F a l l ist, nicht zu entscheiden, er hat zu gehorchen u n d gemäß seinem Treueeid die Verfassung zu schützen." 264 Der bekannte „Legalitätseid", vgl. hierzu die zahlreichen Pressezitate bei Bucher, Der Reidhswehrprozeß. 261
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
als der „Legalitätseid", wurde für die Einschätzung der NSDAP als zwar republikfeindliche, jedoch i n den Methoden legale Bewegung wichtig für die Schlußphase der Weimarer Demokratie 266 . Unzweideutig äußerte sich Hitler zu Demokratie und Pazifismus: „Es sind allgemein die Erscheinungen, die i n Verfallzeiten immer wieder auftauchen u n d auch das deutsche V o l k langsam zersetzt haben, die das Fundament für diese Überzeugung abgegeben haben: 1. . . . 2. Die Beseitigung der A u t o r i t ä t der Persönlichkeit u n d die Einführung der Demokratie u n d des demokratisch-parlamentarischen Systems und 3. endlich die Vergiftung des deutschen Volkes m i t pazifistischem u n d pazifistischem Geist 2 6 7 ."
Denken
Hitler hatte also klar und unter Eid bekannt, daß er vorhatte, die Demokratie zu beseitigen. Dieses Vorhaben aber war nach geltender Rechtsauffassung zulässig, da Hitler, wie er vor Gericht öffentlich aussagen konnte, es auf „legalem" Wege durchsetzen wollte. d) Der Reichswehrprozeß insgesamt legte Zeugnis dafür ab, daß die Truppe weder selbst eine Revolution machte, noch bereit war, eine solche, und sei es auch von der „nationalen" oder nationalsozialistischen Seite, zuzulassen. Hitler habe dies gewußt, so interpretiert Bucher sein Verhalten, und deshalb sei auch sein Legalitätseid subjektiv echt und keine Lüge gewesen. Von hier aus werde deutlich, daß es — trotz ihrer distanzierten Handlung zur Demokratie — nicht die Reichswehr gewesen sei, die Hitler zur Macht verholfen habe 268 . Sie hat aber auch Hitlers Diktatur nicht verhindert, weil sie sich gegenüber der „legalen" Machtübernahme Hitlers nicht verpflichtet fühlte, Demokratie, Menschenwürde und Freiheit zu schützen 269 . 265 Vgl. Die Justiz 1930, 214; H i t l e r hatte außerdem Gelegenheit, Grundzüge seines politischen Programms darzustellen: „Die nationalsozialistische Bewegung w i r d i n diesem Staate m i t den verfassungsmäßigen M i t t e l n das Ziel zu erreichen suchen. Die Verfassung schreibt uns nur die Methoden vor, nicht aber das Ziel. W i r werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten i n den gesetzgebenden Körperschaften zu erlangen suchen, u m i n dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu gießen, die unseren Ideen entspricht— Zitat bei Bucher, S. 270. 266 Kniitter, Verfassungsfeindliche Beamte, S. 33; hierzu auch Jesse, Streitbare Demokratie, S. 13. 267 s. Bucher, S.241. 268 Vgl. Bucher, S. 151; vgl. auch General Matzky, in: Knopp / Wiegmann, S. 123: „Diese Versuche (der Ulmer Reichswehroffiziere) wurden m i t allen M i t t e l n des Gesetzes, m i t Unterstützung der Reichswehr beseitigt. . . . Auch dies ist ein Beispiel dafür, daß sich die Reichswehr damals i n streng legalen Grenzen gehalten hat." 269 Die Reichswehr fühlte sich ohnehin nicht gebunden, ausgerechnet der von i h r m i t Abstand betrachteten Demokratie Treue zu halten, vgl. Baudissin, in: Knopp / Wiegmann, S. 112.
V. Soldaten i m „ D r i t t e n Reich"
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Hitler hat schließlich die Macht i m Januar 1933 nicht „ergriffen", sondern er hat sie i n „legalen" Formen aus den Händen des Reichspräsidenten und Obersten Befehlshabers der bewaffneten Macht empfangen 270 . Was einst den Plänen Hitlers zum größten Nachteil gereicht hatte — die Zuverlässigkeit der Armee als gehorsames Instrument der Staatsgewalt — verwandelte sich nun i n einen unschätzbaren Vorteil für ihn 2 7 1 . V. Soldaten im „Dritten Reich" Hitler hatte i m Reichswehrprozeß bereits einige Grundzüge seiner zukünftigen Politik erkennen lassen. Nach der Machtergreifung stellte er als neuer Kanzler i n einer Rede vor Reichswehrgeneralen am 3. Februar 1933 seine innenpolitischen Ziele vor 2 7 2 : „Wer sich nicht bekehren läßt, muß gebeugt werden. Ausrottung des M a r xismus m i t Stumpf u n d Stiel. Einstellung der Jugend u n d des ganzen V o l kes auf den Gedanken, daß n u r der Kampf uns retten k a n n und diesem Gedanken gegenüber alles zurückzutreten hat. Ertüchtigung der Jugend u n d Stärkung des Wehrwillens m i t allen M i t t e l n . Todesstrafe für Landesu n d Volksverrat. Straffste autoritäre Staatsführung. Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie."
Hitler begegnete mit dieser Rede einer ihm deutlich spürbaren Zurückhaltung. Man beschwichtigte sich jedoch gegenseitig und glaubte wohl, die Reichswehr werde schon durch ihr Vorhandensein ein Abgleiten des neuen Regimes i n hemmungslosen Radikalismus verhüten 2 7 3 . 1. Fahneneid und Treuepflicht
Eine der ersten militärpolitischen Maßnahmen der 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialisten war die Abschaffung des Verfassungseides der Soldaten. Der Soldateneid, den alle neu eintretenden Soldaten ablegen muß ten, wurde mit Gesetz vom 1. Dezember 1933 neu gefaßt: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich meinem V o l k u n d Vaterland allzeit treu u n d redlich dienen u n d als tapferer und gehorsamer Soldat bereit sein w i l l , jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen 274 ." 270
S.203. 271
Vgl. Krausnick,
Die Reichswehr, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1,
Ebd. Z i t a t bei Vogelsang, Die nationalsozialistische Zeit, S.21. 273 Vgl. Krausnick, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 206. 274 Abgedr. bei Merk, Verfassungsschutz, S. 655, Fn. 101. Vgl. auch Vollmacht des Gewissens, S. 122: Es fällt auf, daß die Beamten nach § 1 des Gesetzes v o m 1.12.1933 noch auf die Verfassung vereidigt wurden: „Ich werde V o l k 272
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
Nach der Ermordung Röhms und General v. Schleichers 275 folgte der Tod Hindenburgs. Unmittelbar danach, am 2. 8.1934, ordnete Reichswehrminister v. Blomberg auf dem Verordnungswege hastig eine Vereidigung aller Soldaten der Reichswehr auf Hitler an. Wochen später erst wurde der geänderte Eid durch Gesetz vom 20. 8.1934 276 auf „legalem" Wege bestätigt. Ohne Rücksicht auf das geltende Vereidigungsgesetz von 1933 hatte Blomberg nach dem Ableben Hindenburgs einen Schritt getan, der für die Position der Wehrmacht i m politischen Gefüge von größter Bedeutung war 2 7 7 . Nach Ablösung der Reichswehr durch die Wehrmacht erhielt der Eid am 20. 7.1935 m geringfügig geändert folgenden Wortlaut: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reichs u n d Volkes, A d o l f Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten u n d als tapferer Soldat bereit sein w i l l , jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen."
Auch in der nationalsozialistischen Zeit wurde dem Fahneneid keine rechtsbegründende Wirkung zugeschrieben 279 . Die Soldaten sollten jedoch durch die Eidesleistung innerlich an die Person Hitlers gebunden werden 280 . Für die nationalsozialistische Rechtslehre kam i m Fahneneid die „altgermanische Auffassung vom persönlichen Treueverhältnis zwischen Führer und Gefolgsmann" zum Ausdruck 281 . Vermöge des Eides sollten alle Soldaten mit dem Führer der Nation in Gefolgschaftstreue zu einer „Eidgenossenschaft" zusammentreten. Die Soldaten wurden durch den Eid unmittelbar der Person Hitlers verpflichtet. Auffallend ist dabei aber, daß i n der Eidesformel das Wort „Treue", das ja eine zweiseitige Bindung bedeutet, nicht vorkommt. Es u n d Vaterland Treue halten, Verfassung u n d Gesetze beachten u n d meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so w a h r m i r Gott helfe." 275 Der ehemalige Reichskanzler v. Schleicher hatte 1932/33 noch versucht, die Machtübernahme der Nationalsozialisten m i t politischen M i t t e l n zu verhindern. Er hatte jedoch keinen Putsch beabsichtigt, w i e m a n Hindenburg i m Januar 1933 glauben machte u n d es i n Kreisen der Reichswehr auch tatsächlich diskutiert wurde — vgl. hierzu Vogelsang, Reichswehr, Staat u n d NSDAP, S. 381 ff. 276 Verordnung über die Vereidigung der Beamten u n d Soldaten der Wehrmacht, RGBl. I, S. 785. 277 Vgl. Krausnick t in: Vollmacht, Bd. 1, S. 237. 278 RGBl. I, S. 1035. 279 Vgl. Heckel, Wehrverfassung und Wehrrecht, 1939, S, 181; Rehdans / Dombrowski / Kersten, Das Recht der Wehrmacht, S. 98. 280 Später beriefen sich viele Soldaten auf diesen Fahneneid, als sie nach ihrer bedingungslosen Gefolgschaft für H i t l e r gefragt w u r d e n — vgl. Hjalmar Schacht, Abrechnung m i t Hitler, S. 96. 281 Vgl. Rehdans / Dombrowski / Kersten, S. 98. Allerdings w a r i m Fahneneid nicht mehr die Rede von Treue, die eine beiderseitige Verpflichtung bedeutet hätte, sondern nur v o n „Gehorsam".
V. Soldaten i m „ D r i t t e n Reich"
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ist vielmehr die Rede vom „unbedingten Gehorsam" 282 . Ein Zweifeln darüber, ob der Verfassung, höherem Recht, der Nation oder anderen übergeordneten Werten mehr zu gehorchen sei als dem Führer, konnte es nach dem Wortlaut des Eides nicht geben. Eine offiziöse Schrift über die Wehrmacht i m nationalsozialistischen Staat von 1935 bezeichnete den persönlichen Eid auf den Führer als „die Rückkehr zu dem natürlichsten Gesetz soldatischen Wesens. . . . Es ist die Eidesform, die keine Vorbehalte, keinen Ausweg i n sich schließt" 2 8 3 .
Durch die 1935 erfolgte Einführung der allgemeinen Wehrpflicht w u r den große Schichten der Bevölkerung in die Wehrmacht aufgenommen. Wie früher i m monarchischen Denken die Wehrpflicht als „potenzierte Untertanenpflicht" 2 8 4 verstanden worden war, so definierte man jetzt die Wehrpflicht als „die allgemeine völkische Treuepflicht in der Ausprägung für die Zwecke der nationalen Verteidigung" 2 8 5 . Sie entspringe i n nationalsozialistischer Sicht der Treuepflicht des Volksgenossen zu seinem Volke 2 8 6 . Geschickt verstand es Hitler, die Tradition des monarchisch-deutschen Soldatentums und seine Ideale für seine Zwecke einzusetzen. Auch Hindenburg hat die wahren Absichten Hitlers nicht zu erkennen vermocht, sondern i h m Stück für Stück das Machtinstrument Reichswehr ausgeliefert. Hindenburg hatte noch kurz von seinem Ableben i n einer Verordnung am 4. Juni 1934 i n Ersatz der früheren „Kriegsartikel" die Berufspflichten des Soldaten festgelegt 287 . Darin hieß es an erster Stelle: „Die Wehrmacht ist der Waffenträger des deutschen Volkes. Sie schützt das Deutsche Reich und Vaterland, das im Nationalsozialismus geeinte Volk und seinen Lebensraum."
Diese Berufspflichten, die vom Soldaten daneben auch eine gottesfürchtige Haltung verlangten, wurden jedoch nicht — wie früher die Kriegsartikel — i n den Eid aufgenommen.
282
Dies fiel sogar Heckel (Wehrverfassung, 1938, S. 184) auf. Es fehlte i m Hitlereid überhaupt ein Bezugspunkt, an den beide Seiten gebunden waren. — Vgl. Kinder, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 134; vgl. auch v. Rabenau, Treue — Gehorsam — Widerstand des Soldaten, Truppenpraxis 1984, S. 719. 283 H. Foertsch, Die Wehrmacht i m nationalsozialistischen Staat, Hamburg, 1935, S. 29; hierzu Krausnick, Bd. 1, S.238. 284 Vgl. Friesenhahn, Der politische Eid, S. 98. 285 Vgl. Heckel, S. 96. 286 Ebd. 287 Verordnung v o m 5.6.1934, abgedruckt bei Kluge / Krüger, Verfassung und Verwaltung, S. 107; zur Rechtsqualität vgl. Heckel, S. 236 f.
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g 2. Wehrmacht und Politik
Die neue Führungsspitze der Reichswehr i m Ministerium hatte nach der Machtübernahme Hitlers schnell eine Schwenkung i n Richtung Nationalsozialismus vollzogen. Diese von Reichswehrminister General v. Blomberg und dem neuen Leiter des Ministeramtes, Oberst v. Reichenau verfolgte Richtung lief ausgerechnet unter dem Namen „Entpolitisierung der Reichswehr" 288 , auch wenn Reichenau das genaue Gegenteil, nämlich die Durchdringung der Reichswehr mit NS-Gedankengut anstrebte 289 . Reichenaus Vorgänger, Oberst v. Bredow, war am 1. 2.1933 mit der Begründung des Amtes enthoben worden, „daß die Entpolitisierung der Reichswehr von Grund auf geschehen müsse" 290 . Äußerlich gesehen verlief die Entwicklung i m Bereich des Beamtenrechts i m „umgekehrten" Sinne einer nationalsozialistischen Politisieruung. Die „Gewähr", daß der Beamte „jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintritt", wurde bald Voraussetzung für die Berufung 29 1 . Hitlers Zusage, „die Reichswehr als unpolitisches Instrument des Reiches zu bewahren", stellte jedoch eine wesentliche Bedingung Hindenburgs für seine Ernennung zum Kanzler dar 292 . Hindenburg soll dann Hitler vor seinem Tode noch einmal gedrängt haben, die Reichswehr als unpolitischen Bereich zu erhalten 293 . § 26 Abs. 1 u. 2 des Wehrgesetzes vom 21. 5.1935 bestimmte mithin: „(1) Die Soldaten dürfen sich politisch nicht betätigen. Die Zugehörigkeit zur NSDAP oder einem der i h r angeschlossenen Verbände ruht für die Dauer des aktiven Wehrdienstes. (2) Für die Soldaten ruht das Recht zum Wählen oder zur Teilnahme an Abstimmungen i m Reich."
Begründet wurde das Verbot der politischen Betätigung 2 9 4 abgesehen vom bereits genannten Versprechen Hitlers an den verstorbenen Hin288
Vgl. Vogelsang, Die nationalsozialistische Zeit, S. 37. Diese „ A k t i o n " verlief parallel zu den Maßnahmen i n der Beamtenschaft, für die am 7.4.1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" erlassen wurde; vgl. Blanke, u. a., Ohne Zweifel für den Staat, S. 38. 289 Vgl. Krausnick, in: Vollmacht des Gewissens, S. 212 f. 290 Vgl. Nachweise bei Krausnick, S. 202. 291 §3 des Gesetzes zur Änderung v o n Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamtenrechts, des Besoldungs- und Versorgungsrechts v o m 30. 6.1933 — zitiert bei Zwirner, Diss., S. 138. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums v o m 7.4.1933" hatte zunächst negativ bestimmt: „Beamte, die nach ihrer bisherigen p o l i t i schen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten", konnten entlassen werden. Vgl. Blanke u. a., S. 38 m. w. N. 292 Rede Hitlers v o m 13. 7.1934 i m Reichstag, zit. bei Krausnick, S. 202. 293 Vgl. München, Das V o l k als Wehrgemeinschaft, S. 114. 294 Untersagt w a r die politische „Betätigung" auch für die NSDAP. E r wünscht aber w a r eine „politische Gesinnung", Heckel, S. 254.
V. Soldaten i m „ D r i t t e n Reich"
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denburg damit, daß die verfassungsrechtliche Beschränkung der Wehrmacht auf das Soldatische es nicht zulasse, daß die Soldaten sich politisch betätigten; zugleich sprächen dagegen „militärisch-technische" Gründe 295 . I n Wahrheit aber war i n der Stärkung einer „unpolitischen Wehrmacht" eher ein planvolles Handeln Hitlers zu sehen, der schon in der Auseinandersetzung der Reichswehr mit der SA erkannt hatte, daß er eine formal unpolitische Wehrmacht 296 wirksamer als die politisch abdriftende SA für seine Zwecke einsetzen konnte 2 9 7 . Unvereinbar mit dem Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten war die Bildung eines eigenen politischen Willens in der Wehrmacht. Sie durfte ihr von vielen Vorausgesetzes „konservatives Gegengewicht" zum Nationalsozialismus nicht ausspielen können 298 . Die Wehrmacht wurde daher als ein „unpolitisches Instrument" des Führers und Reichskanzlers beschrieben 299 . Die Wehrmacht sei zwar „schneidigstes Mittel der Führung", habe aber nicht selbst zu führen. Sie sei daher nur ein Instrument der Politik 3 0 0 . Äußeres Zeichen der Bewahrung des „unpolitischen" Charakters der Streitkräfte war die noch von Hindenburg 1934 durchgesetzte Ablösung Reichenaus als Chef der Heeresleitung durch Fritsch 301 . Die Wehrmacht erhielt sich damit einen scheinbar politikfreien Sonderstatus, während der Beamtenschaft spätestens mit dem „Deutschen Beamtengesetz" vom 26.1.1937 die NS-Politisierung zur gesetzlichen Pflicht gemacht wurde 3 0 2 . 295 Vgl. Heckel, S. 253, der andererseits eine „politische Gesinnung" der Soldaten für angebracht hielt. Rehdans / Dombrowski / Kersten, S. 98; München, S. 114 f., der die Wehrmacht als „Erziehungsschule des deutschen Volkes" beschreibt. I n der Begründung des Wehrgesetzes von 1935 hieß es: „Politische Betätigung ist allen Soldaten verboten, damit nach bewährtem Grundsatz politische Zwistigkeiten unter Kameraden vermieden werden." — Abgedr. bei Semler / Senftieben, Wehr recht, S. 35. 296 „Nationalsozialistische Weltanschauung" gehörte nach herrschender A u f fassung andererseits zum „soldatischen Denken". Sie diente ebenso wie die rechte „politische Gesinnung" zur Stärkung des Wehrwillens: Heckel, S.254; Dietz, Wehrgesetz, S. 179. 297 Vgl. Krausnick, in: Vollmacht des Gewissens, S. 220 ff. 298 Vgl. Krausnick, S. 210. 299 Vgl. Haselmayer, Wehrmacht, S. 17; Heckel, Wehrverfasung und Wehrrecht, S.253. 300 Vgl. Heckel, S. 68, der jedoch andererseits zugestand, „daß beim Versagen der politischen Führung die Wehrmacht zu einem solchen Verzweiflungsschritt zu greifen gezwungen sein kann, u m das V o l k zu retten. Keinem V e r ständigen w i r d es einfallen, etwa daraus der deutschen Obersten Heeresleitung des Weltkrieges einen V o r w u r f zu machen". 301 Vgl. Krausnick, S. 227. 302 Vgl. § 3 Abs. 2 Deutsches Beamtengesetz, zit. bei Zwirner, Diss., S. 140: „Der Beamte ist verpflichtet, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten u n d sich i n seinem ganzen Verhalten von der T a t sache leiten zu lassen, daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei i n unlöslicher Verbundenheit m i t dem Volke die Trägerin des deutschen Staatsgedankens ist."
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
„ I n seltsamer Umkehrung der Verhältnisse des I. Weltkriegs" 3 0 3 , als nämlich die Oberste Heeresleitung die politischen Geschicke i n die Hand genommen hatte, wurde dann i m II. Weltkrieg der soldatische dem politischen Bereich total unterworfen. I n der Endphase des Dritten Reiches i m Anschluß an das Attentat vom 20. J u l i 1944 wurde allerdings dieses „politisch farblose" 304 Treueverhältnis des § 26 WG i n der Fassung vom 21. 5.1935 beseitigt und den Angehörigen der Wehrmacht die Pflicht auferlegt: „dienstlich u n d außerdienstlich i m Sinne nationalsozialistischer Weltanschauung zu w i r k e n u n d sich jederzeit für sie einzusetzen. Es ist eine der wesentlichen Aufgaben aller Offiziere, Unteroffiziere u n d Wehrmachtsbeamten, ihre Untergebenen nationalsozialistisch zu erziehen u n d zu führen"305. 3. „Verfassungsschutz" im Dritten Reich
Die Weimarer Verfassung, obwohl niemals formell von den Nationalsozialisten außer Kraft gesetzt, war schon nach kurzer Zeit völlig ausgehöhlt. Dennoch machte man sich auch in nationalsozialistischer Zeit Gedanken über „Verfassungsschutz", obwohl man treffender sicher von Staatsschutz gesprochen hätte 3 0 6 . Doch ob „Verfassung", „Partei" oder „Staat", bedeutete der NS-Rechtsauffassung keinen Unterschied, „ w e i l hier das W o h l des Staatsganzen u n d die Substanz des innerpolitischen Regimes zu einer Identität"
gebracht waren 3 0 7 . E. R. Huber unterzog 1938 aus der Sicht der nationalsozialistischen Zeit i n einem Aufsatz 308 den Schutz der Verfassung in der Weimarer Republik und i m „Dritten Reich" einem aufschlußreichen Vergleich: Die Weimarer Verfassung habe — i n den Worten von Carl Schmitt 3 0 9 — als „dilatorischer Formelkompromiß" lediglich eine unentschiedene Kampflage überdeckt. Eine liberale Verfassung dieser A r t aber lasse den politischen Widerstreit zu und setze nur voraus, daß die kämpfenden Gruppen sich der „Legalität" bedienten; sie erlaube jedes Kampf303
Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 194. BVerfGE 3, 228 (311) (Soldatenurteil), hierzu auch Müller, Diss., S. 72; Krause, Diss., S. 39. 305 § 26 W G 1935 i n der Fassung v o m 24. 9.1944, RGBl. I, 317. 306 Wilhelm Merk veröffentlichte 1935 ein ganzes Buch über „Verfassungsschutz". 307 Vgl. Zwirner, Diss., S. 155 m i t Zitat von W. Webers „Die politische K l a u sel i n den Konkordaten", 1939, S. 70. 308 E. R. Huber, Der Schutz der Verfassung, Z A k D R 5, 1938, S. 78 ff. 309 C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 31 ff. 304
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ziel und schränke nur die Kampfart ein, indem sie die Verwendung „verfassungsmäßiger Mittel" verlange. Der Verfassungsschutz des liberalen Staates habe sich lediglich gegen bestimmte Formen des Kampfes gegen die Verfassung gerichtet und sei insofern formeller Natur gewesen 310 . „Der Verfassungsschutz des völkischen Reiches" verteidige dagegen den „Inhalt der politischen Grundordnung" und habe materiellen Sinn. Der Verfassungsschutz i m „völkischen Reich", so meinte Huber, sei nicht mehr das politische Kernproblem des Verfassungslebens wie i n der liberalen Zeit. Denn die „völkische Verfassung" kenne keinen Verfassungskonflikt und keinen Verfassungskampf mehr. Sie sei nicht normative Regel, sondern „existentielle Lebensordnung". Der Verfassungsschutz erschöpfe sich ferner nicht i n justizieller Sicherung, sondern er gipfele in exekutiven Maßnahmen, die der richterlichen Kontrolle entzogen seien 311 . Als besonders wichtige Formen des nationalsozialistischen Verfassungsschutzes nannte Huber die strafrechtlichen Bestimmungen gegen den Hochverrat 312 , den politischen Treueid und die Befugnisse der politischen Polizei. Es sei falsch, anzunehmen, das nationalsozialistische Recht kenne keinen „Verfassungseid" mehr. Vielmehr sei der Treueid gegenüber dem Führer — und damit beschrieb Huber die Wirklichkeit des NS-Staates — zugleich ein Eid auf die von ihm verkörperte Lebensordnung, die Verfassung 313. Hinsichtlich der politischen Polizei habe das nationalsozialistische Recht durch die Außerkraftsetzung der wichtigsten Grundrechte und vor allem durch die Lösung vom allgemeinen Polizeirecht und der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle wieder ein wirksames — weil rechtlicher Überprüfung entzogenes — Instrument des Verfassungsschutzes entstehen lassen 314 . 310
Huber, S. 78. f. Huber, S. 79. 312 § 81 StGB i n der Fassung v o m 24.4.1934 definierte den „Verfassungsverrat" so: „Wer es u n t e r n i m m t , den Führer u n d Reichskanzler oder ein anderes M i t g l i e d der Reichsregierung seiner verfassungsmäßigen Gewalt zu berauben." I n der 12. A u f l . des Ohlshausenschen Kommentars zum Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1942 wurde Verfassung i m Sinne des Hochverrats begriffen als alles, „was sachlich zu den wesentlichen Grundlagen des Staates i n seinem gegenwärtigen Zustand gehört". E i n Unternehmen richte sich auf Änderung der Verfassung, w e n n es darauf abziele, die verfassungsmäßig bestehende Staatsgewalt zu verdrängen u n d eine andere an ihre Stelle zu setzen. 313 Vgl. zum Treueid der Beamten auch die Darstellung bei Zwirner, Diss., S. 152. 314 Huber, S. 81. M a n f ü h l t sich durch manche dieser treffenden Ausführungen auch an die heutige Diskussion erinnert. 311
6 Cuntz
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
Der nationalsozialistische Staat kannte also keine rechtlichen Schranken des „Verfassungsschutzes". Er hatte absoluten Charakter 315 . Die „Verfassung", soweit von ihr überhaupt die Rede war, nahm Gestalt erst i n der durch den Führer verkörperten „Lebensordnung" an. Das Wehrrecht i m NS-Staat bedurfte deshalb auch keiner besonderen rechtlichen oder gar justiziablen Vorschriften über den Verfassungsschutz 316 , ja eine juristische Festlegung der Schutzmaßnahmen wäre dem absoluten Machtanspruch Hitlers sogar entgegengelaufen. 4. Widerstand
a) Motive Nach Übernahme des unmittelbaren Oberbefehls über die Wehrmacht aus den Händen des Kriegsministers v. Blomberg am 4.2.1938 wurde Hitler endgültig „Herr" der Wehrmacht 317 . Die Wehrmacht, die bis dah i n noch als ein „stilles konservatives Gegengewicht" 318 gegolten hatte, wurde jetzt völlig i n den Staat integriert. I n völliger Unterwerfung des soldatischen Bereichs unter die Politik Hitlers beherrschte eine „fachbestimmte" Haltung die Mehrheit des Offizierskorps der Wehrmacht 319 . Dennoch hat sich nach Jahren des Abwartens der Widerstand gegen Hitler gerade auch in der Wehrmacht entwickelt, i n deren Tätigwerden der nichtmilitärische Widerstand Hoffnungen setzte 320 . Die Widerstandshaltung begründete sich allerdings nicht i n erster Line i n Treue zur alten Verfassung oder zur Demokratie. Zwar waren i m bürgerlichliberalen und sozialdemokratischen „Kreisauer Kreis" u m Graf Helmuth James v. Moltke und Julius Leber Ordnungsvorstellungen entwickelt worden, die freiheitlich demokratischen Charakter trugen. Doch blieben maßgebliche militärische Widerstandskreise u m Generaloberst Ludwig Beck an autoritären Ordnungsvorstellungen orientiert 3 2 1 . Es waren auf dem Wissen u m die menschenverachtende Ausrichtung des Hitlerschen NS-Regimes beruhende ethische Motive, die den militärischen Widerstand als gemeinsame Handlungsbasis bis h i n zum 20. Juli 1944 leite315
Vgl. Huber, S. 79. § 13 Wehrgesetz von 1935 bestimmte allerdings: „ W e h r u n w ü r d i g u n d dam i t ausgeschlossen von der Erfüllung der Wehrpflicht ist, . . . wer wegen staatsfeindlicher Betätigung gerichtlich bestraft ist." 317 Vgl. hierzu Vogelsang, Die nationalsozialistische Zeit, S. 113. 318 Ebd. 319 So Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 194. 320 Vgl. Bracher, A u f dem Weg zum 20. J u l i 1944, S. 147. I m Widerstand gab es eine Vielfalt politischer Kräfte. 321 Vgl. Wiggershaus, in: Fischer u.a., Der militärische Widerstand gegen H i t l e r u n d das NS-Regime 1933—45, S. 202 ff. (214). 316
V. Soldaten i m „ D r i t t e n Reich"
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ten 322 . Der Widerstand gegen Hitler gründete sich moralisch i n einer Orientierung an überpositiven Maßstäben, einer Überwindung des von Rechtspositivismus, Formaljurisprudenz und „Legalitätsdenken" bestimmten Grundhaltung 3 2 3 . Die deutsche Militärtradition bot hingegen kein tragfähiges Fundament für den Widerstand, der seinen Ansatzpunkt i n der Gewissensentscheidung des einzelnen fand 324 . Generalstabschef Beck war einer der ersten, die Konsequenzen zogen. Er nahm bereits angesichts der drohenden Gefahr des Weltkrieges seinen Abschied. Hier sollen seine Argumente gegenüber seinem Vorgesetzten, General v. Brauchitsch, festgehalten werden 3 2 5 : „Es stehen hier letzte Entscheidungen für den Bestand der Nation auf dem Spiel; die Geschichte w i r d diese Führer m i t einer Blutschande belasten, w e n n sie nicht nach ihrem fachlichen u n d staatspolitischen Gewissen handeln. I h r soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo i h r Wissen, i h r Gewissen u n d ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbietet. . . . Es ist ein Mangel an Größe u n d Erkenntnis der Aufgabe, w e n n ein Soldat i n höchster Stellung i n solchen Zeiten seine Pflichten u n d Aufgaben n u r i n dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufträge sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volke bewußt zu w e r den. Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Handlungen."
Der Rücktritt Becks hatte angesichts der allgemeinen „Disziplin" i n der Wehrmacht i n der Situation des Jahres 1938 keine Wirkung zeigen können 326 . Beck blieb nach seinem Rücktritt aber Zentralfigur des W i derstands 327 . I n seinen oben zitierten Worten ist ein Schlüssel zum Widerstandsrecht zu sehen 328 . Sie machen deutlich, daß es Gehorsam, nicht eine (vermeintliche) Treuepflicht war, der dem Widerstand entgegenstand. Die Treuepflicht, die „höchste Verantwortung vor dem Volke", rief geradezu zum Widerstand auf.
322 Vgl. Vogelsang, Die nationalsozialistische Zeit, S. 117; P.Hoffmann, Widerstand gegen Hitler, S. 59. 323 Erst i m Verlauf des 19. Jahrhunderts hatte sich die bisher auch i n Deutschland auf der Grundlage überpositiven Naturrechts begründete A n e r kennung des Widerstandsrechts verloren. Für den Rechtspositivismus w a r es undenkbar gewesen, daß formal u n d legal zustandegekommenes „Recht" bzw. entsprechende militärische Befehle Unrecht darstellen konnten. Vgl. Weinkauff, Die Militäropposition gegen H i t l e r u n d das Widerstandsrecht, in: V o l l macht des Gewissens, Bd. 1, S. 146 f. 324 Vgl. Bracher, S. 147. 325 Zit. bei Vogelsang, Die nationalsozialistische Zeit, S. 117. 326 v g l . p . Hoffmann, S. 37. 32? v g l . Sendtner, Die deutsche Militäropposition i m ersten Kriegsjahr, i n : Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 427 ff.; P. Hoffmann, S. 21 f. 328
6*
Vgl. Deutsche Gespräche, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 54.
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen E n t w i c k l u n g
b) Eidespflicht
und Widerstand
Für uns ist es heute eine Selbstverständlichkeit, daß die Akte des Widerstandes der Militäropposition gegen Hitler nicht als rechtswidrig anzusehen sind 329 . Beck, Stauffenberg, Hoepner und Tresckow werden als Vorbilder der Offiziere i n der Bundeswehr geehrt 330 . Für die Offiziere der Wehrmacht war jedoch die Frage der Bindung an Hitler durch den i h m geleisteten Eid nicht unproblematisch 331 ; für viele ist der Eid Anlaß oder Vorwand gewesen, dem Gewissenskonflikt i n den bloßen Gehorsam auszuweichen 332 . Der Hitlereid traf mit der Beschwörung des „unbedingten Gehorsams" gerade eine innere, i m Gewissen und i m religiösen Bereich angesiedelte Bindung 3 3 3 . Es kam weniger auf die rechtliche Verpflichtung an, die auch ohne Eidesleistung angenommen wurde, sondern auf dieses auf die Persönlichkeit des i n preußisch-deutscher Tradition herangebildeten Soldaten zielende Element. Nicht zuletzt deshalb mußte der militärische Widerstand zunächst auf eine Beseitigung der Person des Eidnehmers Hitlers zielen 334 . Hitler hatte jedoch keinen Anspruch auf die eidliche Bindung der Soldaten, und das muß den Soldaten des Widerstandes bewußt gewesen sein: — Der Hitlereid widersprach zunächst einmal dem i n der Weimarer Verfassung vorgeschriebenen Verfassungseid, den die älteren Soldaten selbst noch abgelegt hatten 3 3 5 . — Eine eidliche Bindung kann immer nur zweiseitig sein. Hitler selbst hat seinen Teil der eidlichen Verpflichtung in jeglicher Hinsicht gebrochen 336 , angefangen von seinem eigenen Eid als Reichskanzler auf die Weimarer Verfassung 337 ' 3 3 8 . 329 Vgl. hierzu insbes. zu den Tatbeständen v o n Hoch- u n d Landesverrat, das ausführliche Rechtsgutachten v o n H. Weinkauff, Die Militäropposition, i n : Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 139 ff. 330 Vgl. Verteidigungsminister Wörner vor der Offiziersschule des Heeres i n Hannover am 10.6.1983 „ Z u m B i l d des Offiziers", Soldat u n d Technik 1983, S. 407 ff. 331 Vgl. R Hoff mann, S. 33 f.; Deutsche Gespräche über das Recht zum W i derstand, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 118; Hjalmar Schacht, S.96. 332 Vgl. Bracher, A u f dem Weg zum 20. J u l i 1944, S. 147. 333 Vgl. Stadtmüller, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 135; Pribilla, in: Vollmacht des Gewissens, S. 163. 334 Vgl. Bracher, S. 151: Unter den Bedingungen des Krieges w a r die Tötung Hitlers Voraussetzung jedes Regimewechseis. 335 Vgl. Hölper, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 126. 336 Vgl. Hjalmar Schacht, S. 96; Bracher, S. 150. 337 Vgl. Bogatsch, Deutsche Gespräche, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S.127.
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V. Soldaten i m „ D r i t t e n Reich"
— Selbst d e r H i t l e r e i d e n t h i e l t i. d. R. eine religiöse E i d e s f o r m e l . D i e religiöse, a u f G o t t bezogene E i d e s f o r m e l besagte schon i n sich, daß e i n H a n d e l n gegen Gott
v o m E i d n i c h t g e f o r d e r t sein k o n n t e 3 3 9 .
— W e n n ü b e r h a u p t das Recht a u f W i d e r s t a n d gegen e i n e n p e r v e r t i e r t e n Staat bestand, d a n n k o n n t e es n i c h t w e g e n des auf H i t l e r gel e i s t e t e n Eides v e r n e i n t w e r d e n . D i e V e r p f l i c h t u n g z u r Treue
gegen-
ü b e r d e m V o l k , die z u m W i d e r s t a n d a u f r i e f , w u r d e j a n i c h t erst d u r c h e i n e n E i d b e g r ü n d e t 3 4 0 oder d u r c h e i n e n E i d b e s e i t i g t . T r e u e gegenüber d e m V o l k w i r d v i e l m e h r — u n d das w a r d e n O f f i z i e r e n des W i d e r s t a n d s b e w u ß t — d u r c h das Soldatsein selbst b e g r ü n det. c) Der
Gehorsam
I m H i t l e r e i d w a r k e i n e Rede v o n T r e u e , s o n d e r n „ u n b e d i n g t e r Geh o r s a m " w a r es, d e r d e n S o l d a t e n a b v e r l a n g t w u r d e . Das f ü r die M i l i t ä r o r g a n i s a t i o n t y p i s c h e S y s t e m des soldatischen Gehorsams b i l d e t e — m e h r noch als d e r E i d — e i n wesentliches H i n d e r n i s f ü r d e n A u f b a u des m i l i t ä r i s c h e n W i d e r s t a n d s 3 4 1 . Das S y s t e m des Gehorsams u n d sein lückenloser D r u c k ließ — so P. H o f f m a n n 3 4 2 — besonders u n t e r d e n Soldaten „Bilder zusammenbrechender Disziplin aufsteigen, ließ Treuegefühle gegenüber den Kameraden u n d die Selbstverständlichkeit des Gehorsams gegen die Führung n u r stärker werden; man Schloß eher die Reihen i m A n gesicht des drohenden Zusammenbruchs, als daß man aus ihnen ausgebrochen w ä r e " 3 4 3 . 338
Bezeichnend ist i n diesem Zusammenhang die Aussage v o n H j a l m a r Schacht i n Nürnberg, er habe seinen E i d nicht auf H i t l e r als Mensch, sondern auf H i t l e r als Staatsoberhaupt geschworen. Vgl. bei Gilbert, Nürnberger Tagebuch, S. 302. 339 Vgl. Pribilla, Der E i d nach der Lehre der katholischen Moraltheorie, i n : Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 167 ff. (162); Künneth, in: Vollmacht, S. 130 f. 340 Vgl. Pribilla u n d Hölper, Deutsche Gespräche, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 127 ff.; υ. Rabenau, S. 719, schließt: „ W o keine Treuepflicht besteht, k a n n es auch keine Gehorsamspflicht geben." Er vermutet — dies erscheint vielleicht etwas spekulativ —, daß der Eidesschöpfer v. Reichenau das Fehlen des Treuebezugs i m E i d als „Notausgang" konzipiert habe. 341 Viele Oppositionelle i n Kreisen des Militärs, dem die zivilen Oppositionellen das Handeln hinsichtlich eines Attentats überließen, hielten an ihrer vermeintlichen Verpflichtung an Eid u n d Gehorsam fest. Vgl. Bracher, S3148. 342 P. Ho ff mann, Widerstand gegen Hitler, S. 34. Λ w t 343 Verstärkt wurde das Gefühl, zu Disziplin u n d Gehorsam vei^flïéhtët zu sein, noch durch die Tatsache, daß m a n i m K r i e g stand. M a n w o l l t e deii eigenen Soldaten „nicht i n den Rücken fallen" — vgl. hierzu die Äüssagen v o n Halder vor der Spruchkammer München am 20. 7. u n d 20.9. 1Ö4&, abgedr. bei Sendtner, Bd. 1, S. 387 ff. (401 u. 479). V/
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1. Kapitel: Treuepflicht i n der historischen Entwicklung
„Gehorsam" war auch das von den i n Nürnberg angeklagten Offizieren immer wieder angeführte Argument, mit dem sie Verständnis für ihre Handlungsweise zu wecken versuchten 344 . Auch die zögerliche Haltung der am Widerstand beteiligten Generale unmittelbar nach dem Attentat vom 20. J u l i 1944 mag damit zusammengehangen haben, daß sie sich angesichts des Systems von Disziplin und Gehorsam ihrer eigenen Truppe nicht sicher sein konnten, solange der Tod Hitlers nicht sichergestellt war 3 4 5 . Die zum Teil gegen die eigene Überzeugung bis zum Ende des Krieges durchgehaltene Diensterfüllung durch die hohen Offiziere der Wehrmacht war i n der Scheu des Soldaten begründet, sich gegen den Machtanspruch des Diktators offen aufzulehnen. Der „Rückzug auf das Prinzip des soldatischen Gehorsams" 346 erklärt das Verhalten vieler Offiziere, die sich trotz besseren Wissens nicht zum Widerstand entschlossen. Die Teilnehmer am militärischen Widerstand, die aus ethischen Motiven und i n Treue gegenüber Volk und Vaterland handelten, mußten gegen dieses Wehrmacht und Gesellschaft beherrschende Prinzip „Gehorsam" 3 4 7 ankämpfen, das doch ihrem eigenen soldatischen Herkommen selbst entsprang. Treue, d. h. Bindung an übergeordnete Werte — von den Soldaten des Widerstandes i n Volk und Vaterland gesehen — und die auf unbedingtem Gehorsam basierende Ordnung standen gegeneinander 348 . Die Gehorsamspflicht aber mußte entfallen, wo Treue und übergeordnetes Recht dies forderten. I n dieser Erkenntnis begründet sich der Widerstand. Widerstandsrecht und Treuepflicht der Soldaten sind so in engem Zusammenhang zu sehen. 344
So Keitel, Jodl, Dönitz — vgl. Gilbert, S. 32 f., 316 f. Vgl. hierzu H. Schacht, Abrechnung m i t Hitler, S. 99. 346 Krausnick, in: Fischer, Hackl u. a., Der militärische Widerstand gegen H i t l e r u n d das NS-Regime 1933—1945, S. 62. 347 Hier geht es nicht u m die Frage, ob i n Einzelfällen der Soldat einen Befehl verweigern durfte, w e i l er wußte, daß der Befehlende ein Verbrechen bezweckte. Entscheidend ist hier vielmehr die Frage der auf dem Gehorsam beruhenden militärischen Verordnung, m i t der sich der Widerstand auseinanderzusetzen hatte. I n den noch von Hindenburg erlassenen „Pflichten des deutschen Soldaten" — abgedr. bei Semler / Senf tieben — heißt es: „2. Die Ehre des Soldaten liegt i m bedingungslosen Einsatz seiner Person für V o l k u n d Vaterland bis zur Opferung seines Lebens. 3. Höchste Soldatentugend ist der kämpferische M u t . Er fordert Härte und Entschlossenheit. Feigheit ist schimpflich, Zaudern unsoldatisch. 4. Gehorsam ist die Grundlage der Wehrmacht, Vertrauen die Grundlage des Gehorsams. Soldatisches F ü h r e r t u m beruht auf Verantwortungsfreude, überlegenem K ö n n e n u n d unermüdlicher Fürsorge." 348 A u f f ä l l i g ist dabei, daß das „germanische Recht", auf das sich die Nationalsozialisten so oft berufen haben, den Begriff des Gehorsams überhaupt nicht gekannt hat. „Gehorsam" galt i m germanischen Recht nur für Sklaven. Der Freie w a r n u r zur „Treue" verpflichtet, u n d Treue setzt Gegenseitigkeit voraus. Vgl. Hölper, in: Deutsche Gespräche, in: Vollmacht des Gewissens, Bd. 1, S. 127; vgl. auch v. Rabenau, S. 719 f. 345
Zweites
Kapitel
Die Verfassungstreue der Soldaten im geltenden Recht Die Loyalität der Streitkräfte zu Staat und Verfassung ist für uns heute kein Problem mehr. Dies war nicht immer selbstverständlich. Als i n den fünfziger Jahren über die Wiederbewaffnung gestritten wurde, erinnerte man sich an die Rolle der Reichswehr, die der Weimarer Demokratie als „Staat i m Staate" mit Distanz gegenübergestanden hatte 1 . Das Verhältnis sowohl der Bundeswehr als Institution als auch der einzelnen Soldaten zur gefestigten freiheitlichen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland muß heute unter notwendig ganz anderen Aspekten betrachtet werden als i n der Monarchie, der labilen Weimarer Demokratie oder i m Unrechtsstaat der Nationalsozialisten. Der gewaltenteilende Rechtsstaat unserer Demokratie fordert die Eingliederung der Streitkräfte i n das Verfassungsleben. Das Verteidigungswesen und seine Organisation darf heute kein „außerkonstitutionelles Reservat" 2 bleiben. Auch dürfen die Streitkräfte und ihre Führung „nicht mehr außerhalb oder neben der Verfassung stehen wie i n Preußen und i m Bismarck-Reich und i n etwa auch noch unter der Weimarer Verfassung" 3 . Die Streitkräfte verkörpern nach wie vor den „wichtigsten Faktor staatlicher Macht" 4 . A u f ihre Verfassungstreue muß Verlaß sein. Dies bedingt, daß die Streitkräfte selbst i n die freiheitliche Demokratie unserer Verfassungsordnung integriert sind und auch ihre innere Ordnung nicht als „Staat i m Staate" verstehen, sondern an den Prinzipien des Grundgesetzes ausrichten. 1
Vgl. Knütter, Verfassungsfeindliche Beamte i n der Weimarer Republik, S. 31. I n diesem P u n k t übereinstimmend die „Himmeroder Denkschrift", V B , die jedoch zugleich i m Seecktschen Sinne eine „überparteiliche Haltung" fordert. Auch i n anderen Punkten ist die Himmeroder Denkschrift ungeeignet, als Modell für Streitkräfte einer Demokratie zu dienen, w e n n sie z.B. eine Rehabilitierung der Waffen-SS· fordert ( I L ) . Himmeroder Denkschrift abgedruckt bei Rautenberg / Wiggershaus, Die Himmeroder Denkschrift; vgl. insbesondere Fn. 226, 165. 2 Hornung, Staat u n d Armee, S. 45. 3 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 153. 4 Hesse, Verfassungsrecht, § 14 I I 3., Randnr. 544.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
A. Rechtliche Grundlagen der Verfassungstreue Die Verfassungstreue der Soldaten kann ihre rechtliche Grundlage i m Verfassungsrecht selbst oder i m Recht unterhalb des Verfassungsranges haben. Gemäß dem Prinzip des Vorrangs der Verfassung darf sich kein staatlicher A k t mit dieser i n Widerspruch setzen5. Deshalb soll zuallererst untersucht werden, welche Stellung die Bundeswehr i n der Verfassungsordnung einnimmt und ob das Grundgesetz selbst von den Soldaten Verfassungstreue verlangt. Erst dann ist zu prüfen, welche Bedeutung die i m Soldatengesetz, insbesondere § 8 SG, geforderte Verfassungstreuepflicht hat.
I. Die Stellung der Bundeswehr in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes 1. Entstehungsgeschichte der Wehrverfassung
Das Grundgesetz enthielt ursprünglich i n seiner Fassung vom 24. 5. 19496 keine Regelung über die Aufgabenstellung von Streitkräften. Immerhin gab es schon einige Vorschriften, die dem Wehrrecht i m weiteren Sinne zuzurechnen waren. Hierzu gehörten insbesondere A r t . 4 Abs. 3 (Kriegsdienstverweigerung), A r t . 24 (Kollektives Sicherheitssystem), Art. 26 (Verbot des Angriffskrieges) und A r t . 140 i n Verbindung mit A r t . 141 WRV (Seelsorge i m Heer). Manche wollen auch A r t . 37 (Bundeszwang) und A r t . 91 a. F. (Abwehr von Gefahren für den Bestand des Bundes) i n diesen „Urbestand" von Vorschriften mit Bezug auf Streitkräfte hineinnehmen 7 . Die Grundzüge der eigentlichen Wehrverfassung wurden dann i n den beiden Wehrnovellen vom 26. 3.1954 8 und vom 19. 3.1956 9 geschaffen, die weitere Ergänzungen durch die einfachen Wehrgesetze erhielt 1 0 . I h r gingen die sog. Pariser Verträge 11 voraus, der Vertrag vom 26. 5.1952 5
Vgl. Hesse, § 6 I I , Randnr. 199. B G B l . 1949, S. 1. 7 Vgl. Kleiner, Diss., S. 158; Scheuner, i m Wehrbeitrag I I , S. 97 ff.; Breitinger, Diss., S. 4 ff. 8 Vgl. Kleiner, Diss., S. 158; Scheuner, i m Wehrbeitrag I I , S. 97 ff.; Breitinger, Diss., S. 4 ff. 9 B G B l . I, S. 45. 10 B G B l . I, S. 111. 11 Z u m Begriff der „Wehrverfassung" Lepper, Diss., S. 52 ff., 73 ff., 155 ff.; Martens, Grundgesetz u n d Wehrverfassung, S. 95 ff., 103 ff. Hier gebrauchter Begriff: Die das Wehrrecht regelnden Teile des Grundgesetzes. — A b w e i chende, auf der T r a d i t i o n des preußisch-deutschen Wehrrechtsverständnisses 6
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über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Mächten („Deutschlandvertrag") und der Vertrag über die Gründung der (später gescheiterten) Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vom 27. 5.1952. Nach der Billigung der „Pariser Verträge" durch den Bundestag am 19. März 1953 in 3. Lesung war der Weg eröffnet worden, den deutschen „Wehrbeitrag" (zur westlichen Verteidigung) auch i m innerstaatlichen Recht zu verankern und die hierzu notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen. Dabei war zunächst umstritten gewesen, ob es einer förmlichen Ä n derung des Grundgesetzes bedurfte, um den deutschen „Wehrbeitrag" i n die Tat umzusetzen. Weitgehend durchgesetzt hatte sich dagegen die Auffassung, daß das Grundgesetz jedenfalls nicht für alle Zeiten auf eigene Streitkräfte habe verzichten wollen 1 2 . Entgegen der ursprünglichen Haltung der Bundesregierung, die grundsätzlich keine Grundgesetzänderungen für erforderlich hielt, waren es vor allem die Gutachten Smends, die überzeugend die Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung darlegten 13 . Smend wandte sich dabei gegen die Auffassung, daß das Wehrwesen i m Grundgesetz ja schon vorausgesetzt sei. Ganz i m Gegenteil gehöre 14 insbesondere Art. 4 Abs. 3 (Kriegsdienstverweigerung als Teil der Gewissensfreiheit) „zu den wichtigsten, den freiheitlich demokratischen Charakter und damit die Legitimität der Bundesrepublik u n d ihres Rechts tragenden Grundlagen des Grundgesetzes".
Dieses Recht setze somit nicht, wie von der Gegenseite behauptet w u r de, die mindestens stillschweigende Zulassung der Wehrpflicht voraus. Das schwerste Bedenken gegen die Einführung des Wehrbeitrags ohne Grundgesetzänderung aber liege darin, daß, wie schon zuvor i n der deutschen Verfassungsgeschichte, die Gefahr bestehe, daß die Verfassung „sozusagen vom Rande her" aufgerollt werde 15 . Weiterhin k r i t i sierte Smend auch „die fragwürdige Theorie von den besonderen Gewaltverhältnissen", die ohne weiteres Grundrechtsbeschränkungen der Soldaten für möglich halte. Man dürfe nicht noch hinter die preußische beruhende Definition bei Grimm, Allgemeine Wehrpflicht u n d Menschenwürde, S. 12: Gesamtheit aller das Wehrrecht betreffenden Normen, unabhängig davon, ob i n einer Verfassung oder i n einfachem Gesetzesrecht verankert. Die Grimmsche Begriffsbestimmung der Wehrverfassung läßt diese als v o n der Staatsverfassung unabhängigen Rechtsbereich erscheinen, auch w e n n das von i h m sicher so nicht beabsichtigt ist. 12 Vgl. hierzu Kleiner, Diss., S. 159 f. m i t Hinweisen auf die Diskussion. 13 Vgl. insbesondere Smend i n „ K a m p f u m den Wehrbeitrag", Bd. 2, S. 559 ff., 575 ff.; a . A . Gutachten Scheuner, in: „ K a m p f u m den Wehrbeitrag", Bd. 2, S. 61 ff. 14 Smend, S. 559. 15 Smend, S. 574.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Verfassung von 1850 und die Weimarer Reichsverfassung zurückfallen, die beide schon die Rechtsbeschränkungen der Soldaten i n der Verfassung selbst geregelt hätten 16 . Weiter wandte sich Smend mit Bestimmtheit dagegen, daß die Wiederbewaffnung sich aus höherem Recht ergebe. „Das überpositive Recht k a n n keinen Verfassungsgrundsatz ersetzen, der nicht da ist 1 7 ."
Aus welchen Gründen auch immer, rechtlichen oder politischen Erwägungen, entschied man sich dann für die Regelung i m Grundgesetz. Die 1. Wehrdienstnovelle von 1954 enthielt als wesentliche erste Maßnahme die Schaffung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes i n A r t . 73 Nr. 1 GG. A m 27. Juni 1955 — nach Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft — brachte die Bundesregierung dann am 27. Juni 1955 das „Gesetz über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen i n den Streitkräften" (Freiwilligengesetz), den Vorläufer des Soldatengesetzes, i m Bundestag ein. Die Vorlage des Entwurfs eines Soldatengesetzes — das von der allgemeinen Wehrpflicht ausging — durch die Bundesregierung i m September 1955 machte nun weitere wehrverfassungsrechtliche Grundgesetzergänzungen dringlich 1 8 . I n der innerparlamentarischen Diskussion über die Wehrverfassung war es vor allem die SPD gewesen, die eine weitgehende Kontrolle der Streitkräfte durch das Parlament anstrebte. Teil der Gesamtkonzeption der SPD war u. a. die Errichtung eines Personalausschusses des Parlaments zur Prüfung „der fachlichen und charakterlichen Eignung" des leitenden militärischen Personals und seiner „unbedingten Zuverlässigkeit und Treue zum demokratischen Staatsgedanken" 19. Diese Idee setzte sich allerdings so nicht durch. A m 23. Februar 1956 erzielten endlich die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD, Krone und Erler, einen Kompromiß, wonach die Unionsfraktion der Einsetzung des Wehrbeauftragten des Bundestages und der Verankerung des Verteidigungsausschusses i n der Verfassung — beides Forderungen der SPD — zustimmte und zusicherte, daß die Verwendung der Streitkräfte bei inneren Notständen nur durch ein Verfassungsgesetz geregelt werden sollte. Dafür zog die SPD ihren Antrag auf direkte Vertrauensabhängigkeit des Verteidigungsministers vom Parlament zurück 20 . 16
Smend, S. 576. Smend, S. 573. 18 Vgl. Hornung, S. 67. — Der Bundesrat hatte i n seiner Stellungnahme auf eine Regelung des Verfassungsgesetzgebers gedrängt. 19 Vgl. Hornung, S. 62. 20 Vgl. Hornung, S. 72. 17
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Nicht unumstritten war auch gewesen, wer den Oberbefehl über die Streitkräfte erhalten sollte. Eine nicht unbeträchtliche Minderheit setzte sich dafür ein, „gemäß der deutschen Verfassungstradition" (der konstitutionellen Monarchie und der Weimarer Republik) den Oberbefehl dem Staatsoberhaupt, nämlich dem Bundespräsidenten zu übertragen 21 . Auch für den Oberbefehl des Bundeskanzlers gab es Stimmen, da eine solche Regelung dem Prinzip des „Monismus der Staatsleitung" entsprochen hätte 22 . Es setzte sich schließlich aber die Vorstellung von einer vollständigen Eingliederung und Unterordnung der Bundeswehr i n den Aufbau der gewaltenteilenden Verfassung durch. Die Bundeswehr sollte keine Sonderstellung i m Verfassungsgefüge erhalten: Die Befehlsund Kommandogewalt 23 über die Bundeswehr wurde einheitlich dem Verteidigungsminister (Art. 65 a) 24 zugewiesen. Der Verfassungsgesetzgeber hat damit ausschließen wollen, daß unterhalb der Befehlsgewalt des politisch-parlamentarisch verantwortlichen Ministers (bzw. Bundeskanzlers) eine besonders abgegrenzte, rein militärische „Kommandogewalt" entstehen kann, wie sie v. Seeckt Anfang der zwanziger Jahre zu Lasten des Reichswehrministers geschaffen hatte 25 . Die Abgeordnete Schwarzhaupt trug i m Parlament den 2. schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses zur Wehrnovelle vor 2 6 . Sie stellte darin fest, daß „sämtliche Änderungen des Grundgesetzes", die hier vorgeschlagen wurden, „der Einordnung der Bundeswehr in den verfassungsmäßigen Aufbau des Staats dienen" sollten. Der deutsche Soldat solle „soweit es die Natur eines militärischen Verbandes zuläßt, i m Besitz seiner bürgerlichen Rechte bleiben". Schließlich erläuterte sie die Stellung des Verteidigungsausschusses und des Wehrbeauftragten. Beide 21
Insbesondere die FDP — vgl. Hornung, S. 60, S. 64 f. m i t Nachweisen. Vgl. Hornung, S. 47 m i t Nachweisen. 23 Z u m Unterschied zwischen Befehlsgewalt u n d Kommandogewalt: Kleiner, Diss., S. 442; Lepper, Diss., S. 105 ff.; Witte, Diss., S. 47 ff., 55 f. I m A l l g e meinen w i r d die Befehlsgewalt als die allgemeinere (formale) u n d die K o m mandogewalt als die speziellere (materielle) Befugnis angesehen; a. A . Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 18 zu A r t . 65 a: einheitliche Weisungsbefugnis. V o m Rechtsverständnis des 19. Jahrhunderts her entsprach es insbesondere dem „monarchischen Prinzip", daß der Souverän nicht n u r als Regierungschef den Oberbefehl, sondern auch als Truppenführer die Kommandogewalt innehat — hierzu ζ. B. Laband, Staatsrecht I V , S. 34; i n der Weimarer Repub l i k sicherte sich v. Seeckt eine von der Befehlsgewalt des Reichswehrministers gesonderte Kommandogewalt; a. Α . E. Busch, Der Oberbefehl, S. 123, der die Bezeichnung „Befehls- und Kommandogewalt" für eine Tautologie hält. 24 A r t . 115 b (Ubergang der Befehls- u n d Kommandogewalt auf den B u n deskanzler i m Verteidigungsfall) eingefügt durch Gesetz v o m 24.6.1968 (BGBl. I, S. 709); für den Oberbefehl des Verteidigungsministers Ehmke, M i l i tärischer Oberbefehl (1954), in: Beiträge, S. 377 ff. (391). 25 Vgl. Helmut Schmidt, in: Die Zeit v. 10.2.1984. 26 BT-Drucksache, 2. WP, 2150. 22
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
seien gedacht als „eine Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle", die durch die „Einfügung samtaufbau
eines starken Machtfaktors wie der Bundeswehr der Staatsordnung eine erhöhte Bedeutung"
in den Ge-
erhalte 27 . I n der Schlußabstimmung i m Bundestag wurden die Verfassungsergänzungen als Ganzes mit der überwältigenden Mehrheit von 390 gegen 20 Stimmen gebilligt. Damit wurden A r t . 1 Abs. 3, 12, 36 Abs. 2, 49, 60 Abs. 1, 96 Abs. 3, 137 Abs. 1 GG ergänzt, eingefügt wurden A r t . 17 a, 45 a, 59 a, 65 a, 87 a, 87 b, 96 a, 143 GG 23 . A l l e i n schon durch den Umfang der Vorschriften i m Grundgesetz Wehrbezug w i r d deutlich, wie sehr die Armee mit dem System demokratischen Rechtsstaates verklammert werden sollte, i n einer tensität, die i n früheren Epochen deutscher Wehrrechtsgeschichte erreicht worden ist 29 .
mit des Innie
2. Militärische Verteidigung als Verfassungsauftrag?
Grundlegend für den Rang der militärischen Verteidigung i n der Verfassungsordnung ist die Frage nach der Freiheit oder Bindung der demokratisch legitimierten Staatsorgane bei der Entscheidung über die Schaffung der Streitkräfte. a) Staatstheorie aa) Die überlieferte Staatstheorie der monarchischen Welt stellt an den Ursprung der Staaten und der Herrschergewalt immer wieder den Schutz der i n Staaten zusammengefaßten Menschen 30 : Luther ordnet i n seiner Zwei-Reiche-Lehre dem „weltlichen Regiment" die Aufgabe zu, „den Unchristen und Bösen" zu wehren, „daß sie äußerlich müssen Frieden halten" 3 1 . Damit war nicht nur die Strafgewalt der weltlichen Obrigkeit gemeint, sondern auch die militärische Verteidigung 32 . Für Thomas Hobbes, Befürworter eines starken Staates, schließen sich die Menschen zu einem Staat zusammen, damit dieser (der große Leviathan, der sterbliche Gott) „Schutz und Frieden" schafft. Durch 27
Ebd., S. 1 u. 3. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v o m 19. 3.1956, BGBl. I, S. 111. 29 Vgl. Schwenk, Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 12. 30 Vgl. auch die Präambel der Bismarckschen Reichsverfassung von 1871. 31 Vgl. Luther, „ V o n weltlicher Obrigkeit, wie weit m a n i h r Gehorsam schuldig sei", 1523, I. 32 Vgl. v. Loewenich, M a r t i n Luther, S. 222. 28
A.I. Stellung der Bundeswehr i n der Verfassungsordnung
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die i h m von jedem einzelnen i m Staate zuerkannte Autorität und die i h m übertragene Macht ist er i n der Lage, alle Bürger zum Frieden und zu gegenseitiger Hilfe gegen auswärtige Feinde zu zwingen. Auch die Souveränität ist für Hobbes i m Oberbefehl über das Heer begründet, denn selbst ohne Staatsgründung hat der die souveräne Gewalt, der das Heer befehligt 33 . Auch sein liberaler Gegenspieler John Locke sieht am Anfang der Staatswerdung und der Königsherrschaft die Verteidigung von Leben, Freiheit und Eigentum gegen äußere Feinde 34 , auch wenn er die Herrschergewalt nur in engen Grenzen anerkennen w i l l . Auch Rousseau, Denker der unmittelbaren Demokratie, sieht — nicht anders als Hobbes und Locke — die Aufgabe des Staates darin, mit der ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Eigentum eines jeden Mitglieds gegen äußere und innere Gefahr zu verteidigen 35 . Hegel meint i n seiner frühen Schrift über die Verfassung Deutschlands (1802) als wesentliches Merkmal eines Staates die Macht zu erkennen, sich gegen innere und auswärtige Gewalten wirksam zu verteidigen, daher sei Deutschland zu seiner Zeit kein Staat mehr gewesen 36 . Noch deutlicher zeichnet F. J. Stahl, Vertreter der preußischen Konservativen Partei, das B i l d des Staates, der zuerst damit beginne, „kriegerische Macht zu bilden". Die Kriegsmacht sei, wie Stahl fortfährt, für „die ungebildete Vorstellung das Einzige oder doch Hauptsächliche, was sie bei der Betrachtung eines Volkes oder Staates ins Auge faßt" 3 7 . Diese Macht sei „ a n sich sittliche Bethätigung der Nation, indem sie auf äußerster Aufopferung, sittlichem Muthe, unbedingter Hingebung an das gegliederte Heer, als Geist des einzelnen Bürgers wie des gesammten Heeres, r u h t " .
Auch heutige Staatslehrer wie R. Herzog verfechten die These vom Heerwesen als Urfunktion des Staates, das nach wie vor eine zentrale Bedeutung einnehme 38 . bb) Muß also eine Verfassung wesensnotwendig auch Maßnahmen der Verteidigung und die Einrichtung von Streitkräften vorsehen oder sind 33
Vgl. Hobbes, Leviathan, Kap. X V I I , S. 137 u n d Kap. X V I I I , S. 143. Locke, Über die Regierung, passim, insbesondere V I I I , 109. 35 Vgl. Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, I 6, I I 1, 3, 4. 36 Hegel, Die Verfassung des Deutschen Reichs, (Herausg. 1935), S. 14 ff. (15). Vgl. auch D. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 153. I n Hegels Souveränitätslehre i n der später verfaßten Rechtsphilosophie (Grundlagen der Philosophie des Rechts, §§ 277, 278) ist hiervon freilich keine Rede mehr. 37 Vgl. Stahl, Die Philosophie des Rechts, § 156. 38 Vgl. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 110, 113. 34
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
diese, wenn sie schon nicht ausdrücklich durch die Verfassung begründet werden, zumindest Voraussetzung einer jeden Staatsverfassung? Beginnt die Staatswerdung erst mit den Streitkräften? I n einem demokratischen Staat konstituiert die Verfassung die Regeln politischen Handelns und Entscheidens. Sie ermöglicht und gewährleistet einen freien politischen Prozeß und hat vor allem eine machtbegrenzende und individuelle Freiheit sichernde Funktion 3 9 . Ihre Aufgabe ist es nicht, staatliche Macht zu fördern und zu begründen, wo der demokratische Willensbildungsprozeß sich dagegen entschieden haben mag, den Machtfaktor „Streitkräfte" zu schaffen. Souveränität fordert keine bewaffnete Verteidigung. Jean Bodin, der als Begründer der Souveränitätslehre gelten kann, hatte diese i n erster Linie als Programm innerstaatlicher Ordnung verstanden. Der Ordnungsfunktion der Souveränität entsprach es, daß sie als absolute und perpetuierliche Gewalt bestimmt wurde 4 0 . Auch die „Drei-Elemente-Lehre" Georg Jellineks — die die Staatsqualität mit Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt erst beginnen läßt 4 1 — bedingt nicht eine bewaffnete Verteidigung, schließt sie allerdings auch nicht aus: „Staatsgewalt" ist zunächst eine nach innen gerichtete Kraft. Ebensowenig läßt sich Jellineks Staatszwecklehre anführen, denn es gibt keinen jedem Staat immanenten Zweck, der besagte, daß „die Selbstverteidigung dem Begriff des Staates inhärent" sei und „der Schutz der staatlichen Existenz und seiner Bürger zu den Wesensfunktionen und natürlichen Aufgaben des Staates" gehöre 42 . Jeder Staat bestimmt sich seinen Staatszweck selbst, der sich aus der konkreten Staatsverfassung ergibt 43 . Auch die äußere Souveränität, die Unabhängigkeit von allen anderen Staaten, zielt nicht auf eine Selbstbewaffnungspflicht. Erst wenn der Staat eine von innen heraus gewachsene Kraft erlangt hat, kann er sich wirksam i n Beziehung zu anderen Staaten setzen. Verteidigung und Schutz nach außen muß damit auch nicht denknotwendig eine bewaffnete Verteidigung sein. Verteidigung ist kein Selbstzweck. Das Völkerrecht enthält zwar ein Verteidigungsrecht, wie es i n A r t . 51 der VNCharta konkretisiert ist, es kennt jedoch keine Verteidigungspflicht 4. 39
Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 1 I I I 2. Vgl. J. Bodin, Six livres de la république, 1576, I Kap. 1. 41 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A u f l . 1914, S. 394 ff. 42 Bundesregierung, K a m p f u m den Wehrbeitrag I I , S. 13 ff.; vgl. Zitat bei Martens, Grundgesetz u n d Wehrverfassung, S. 84. 43 Vgl. Martens, S. 84 m. w. N. u. Hinweisen auf Smend, Kelsen, Nawiasky. 44 Vgl. Mosler, Völkerrecht vor deutschen Gerichten, S. 42 f.; Martens, S. 86; wie hier auch Hernekamp i n „Grundgesetzkommentar", Hrsg. v. Münch, A n m . 2.1 zu A r t . 87 a GG, Randnr. 8. 40
A.I. Stellung der Bundeswehr i n der Verfassungsordnung
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Eine Selbstbewaffnungsp/Zic/ii würde dem heute gültigen Gedanken der Volkssouveränität sogar konträr entgegenstehen. Wohl aber kann sich der Träger der Staatsgewalt, der Souverän „Volk" i n Ausübung seiner „Wehrhoheit" für die Einrichtung und Unterhaltung einer bewaffneten Macht zu seiner Verteidigung entscheiden 45 . Diese w i r d aber stets an diese Willensentscheidung des den Staat tragenden Volkes und die i n der Verfassung gesetzten Regeln und Grenzen gebunden bleiben. Der Einsatz nach außen ist durch das Völkerrecht (Verbot des Angriffskrieges) und die vom Volkssouverän gesetzte Verfassung geregelt und begrenzt. Besonders eng aber müssen die Grenzen der Machtausübung durch die Streitkräfte da sein, wo sie gegen den Souverän selbst, das Volk oder Teile desselben, eingesetzt werden sollen. Die bewaffnete Macht darf sich weder über die demokratische, nach Verfassungsregeln zustande gekommene Willensentscheidung hinwegsetzen, noch aber darf sie die i n der Verfassung gesetzten Regeln und grundlegenden Prinzipien einschließlich der Grundrechte überschreiten, verletzen oder mißbrauchen. Anders als i m Staat der konstitutionellen Monarchie, i n dem die Streitkräfte in einem Treueverhältnis an den „Souverän", nämlich den Monarchen, gebunden waren, sind die Streitkräfte i m demokratischen Staat erst legitimiert durch die Willensentscheidung des Volkes, das alleiniger Inhaber von Souveränität und Wehrhoheit ist. b) Positives Verfassungsrecht: Art. 87 a Abs. 1 GG, Art. 73 Nr. 1 GG Das Bundesverfassungsgericht hat i n seiner Rechtsprechung der m i l i tärischen Landesverteidigung hohen Wert beigemessen. So hat es ζ. B. in seinem „Kriegsdienstverweigerungsbeschluß" 46 eine institutionelle Anerkennung der Streitkräfte bereits i n A r t . 73 Nr. 1 GG gesehen, der die Gesetzgebungskompetenz zugunsten des Bundes regele 47 . Zuvor hatte das BVerfG bereits i m KPD-Urteil 4 8 festgestellt, daß insbesondere mit den Stellungnahmen der KPD zur Wiederbewaffnung „die Grundentscheidungen der Bundespolitik nach innen und außen angegriffen" w ü r den 49 .
45 Wie hier das „Wehrpflichturteil", BVerfGE 48, 127 = N J W 1978, 1245 (1246). 46 BVerfGE 12, 45 (50). 47 Vgl. hierzu Böttcher, Diss., S. 149. 48 BVerfGE 5, 85 (367). Dementsprechend auch Leibholz / Rinck, A n m . zu A r t . 87 a, S. 665. 49 Vgl. hierzu M. Kutscha, Verfassung und streitbare Demokratie, S. 79.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Noch weiter ging das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung zur Wehrpflichtnovelle i m Jahr 1978. Leitsatz 1 des bekannten Urteils vom 13.4.1978 50 lautete: „Die von der Verfassung geforderte militärische Landesverteidigung kann auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht, oder — sofern ihre F u n k tionsfähigkeit gewährleistet bleibt — verfassungsrechtlich unbedenklich beispielsweise auch durch eine Freiwilligenarmee sichergestellt werden."
I n der Begründung heißt es dann: „Nach A r t i k e l 87 a Abs. 1 S. 1 GG stellt der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf. M i t diesen nachträglich i n das Grundgesetz eingefügten Bestimmungen hat der Verfassungsgeber zugleich eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die militärische Landesverteidigung getroffen. E r richtung u n d F u n k t i o n der Bundeswehr haben verfassungsrechtlichen Rang."
I n seiner Entscheidung vom 18.2.1970 51 ging der Zweite Senat des BVerfG ohne nähere Erläuterung von einem „Verfassungsauftrag" des A r t . 87 a Abs. 1 S. 1 GG aus, der auch das Gebot umfasse, das innere Gefüge der „aufzustellenden Streitkräfte" so zu gestalten, daß sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen sind. Auch der Erste Senat setzte einen „Verfassungsauftrag zur Verteidigung" i n seinem bald folgenden Beschluß vom 26. 5.1970 voraus, ohne weitere Begründungen zu liefern 52 . Das Schrifttum verfolgt keine einheitliche Linie: Ipsen 53 bezeichnet den A r t . 87 a GG als eine „grundlegende Verfassungsnorm für den m i l i tärischen Bereich" 54 , stellt aber später klar, daß A r t . 87 a Abs. 1 Satz 1 seiner ratio legis nach dennoch reine Kompetenznorm sei 55 . v. Mangoldt / Klein 56 erkennen i n der Formulierung „stellt . . . auf" zwar keinen Verfassungsauftrag, der völkerrechtliche Bündnispflichten konkretisiere (insbesondere nicht die verfassungsmäßige Konkretisierung einer völkerrechtlichen Rüstungspflicht), wohl aber eine „innerstaatliche Zuständigkeitsregelung", kraft derer der Bund zur Aufstellung von Streitkräften berechtigt und auch verpflichtet sei. E. Busch schließt gar aus dem Prinzip der „streitbaren" Demokratie auf eine Selbstbewaffnungspflicht 57 . Demgegenüber bemerkt Herne50
BVerfGE 48, 127 = N J W 1978, 1245. BVerfGE 28,36 (47). 52 BVerfGE 28,282 (294). 53 Ipsen, i n „Bonner Kommentar", A n m . A . 2, Randnr. 7, 8 zu A r t . 87 a GG. 54 Präziser Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 5 zu A r t . 87 a: „ G r u n d n o r m für das Verhältnis des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates zu seiner Armee." 55 Ipsen, in: „Bonner Kommentar", A n m . 2.1, Randnr. 8 zu A r t . 87 a. 56 v. Mangoldt / Klein, Bd. I I I , A n m . I I I 4 zu A r t . 87 a GG. 57 Busch, Staat u n d Streitkräfte, S. 25. 51
A.I. Stellung der Bundeswehr i n der Verfassungsordnung
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kampP richtig, daß das Prinzip der „streitbaren Demokratie" für eine Selbstbewaffnungspflicht nichts hergebe, da es „ i n besonderem Maße opportunitätsgeprägt" sei. Auch sei A r t . 87 a Abs. 1 Satz 1 seiner systematischen Stellung wie auch seiner ratio legis nach reine Kompetenznorm,, Die von der Gegenmeinung der Bundesrepublik aufoktroyierte Selbstbewaffnungspflicht finde weder i m völkerrechtlichen noch i m staatsrechtlichen Souveränitätsbegriff eine Stütze. I n der Tat läßt sich aus der Entstehungsgeschichte von A r t . 87 a GG nicht auf einen Verfassungsauftrag zur Verteidigung i m Sinne einer Selbstbewaffnungspflicht schließen. Die Entwürfe zu A r t . 87 a a. F. waren i m Verlauf der parlamentarischen Beratungen zur 2. Wehrnovelle 1956 mehrfach geändert worden 59 . Der 16. Ausschuß (Rechtswesen und Verfassungsrecht) hatte A r t . 87 a folgenden Wortlaut gegeben: „Abs. 1: Der B u n d stellt die zur Verteidigung erforderlichen auf.
Streitkräfte
Abs. 2: Die zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte u n d die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben 60 ."
Schon i n dieser Fassung war A r t . 87 a eine bloße Kompetenznorm, die keinen zwingenden Verfassungsauftrag bezweckte 61 . I n zweiter Beratung wurde dann folgende Fassung beschlossen: „Die zahlenmäßige Stärke der vom Bund zur Verteidigung aufgestellten Streitkräfte u n d die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben 62 ."
Diese letztere Fassung ergab i m Vergleich mit der vom 16. Ausschuß gebilligten Fassung noch weniger Aufschluß auf einen „Verfassungsauftrag" oder eine Selbstbewaffnungspflicht. Vielmehr besagt ja die Formulierung „ . . . der vom Bund aufgestellten Streitkräfte" i n A r t . 87 a Abs. 1 a. F., daß sich die Auflagen der Verfassung (betr. Haushaltsplan) erst an die Aufstellung anknüpfen, nicht aber selbst zur Aufstellung beauftragen. Diese vom Bundestag i n der 2. Beratung gebilligte Fassung blieb dann bis zur Notstandsgesetzgebung von 1968 i n Geltung. M i t Gesetz vom 58 Hernekamp, in: „Grundgesetzkommentar", hrsg. v . M ü n c h , Randnr. 8 zu A r t . 87 a m i t Nachweisen. 59 Hierzu Hornung, S. 75. 60 Vgl. BT-Drucksache, 2. WP 2187. 61 Vgl. 2. Schriftl. Bericht des 16. Ausschusses v o m 1.3.1956 — B T - D r u c k sache, 2 . W P 2150, S.4: „ Z u A r t . 87 a: Abs. 1 begründet die Kompetenz des Bundes für die Aufstellung der Streitkräfte, eine Regelung, die nicht streitig war. Absatz 2 enthält eine Handhabe für die Ausübung der K o n t r o l l e des Parlaments." 62 A r t . 87 a Abs. 1 GG i. d. F. v o m 19. 3.1956.
7 Cuntz
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
24. 6.1968 63 wurde A r t . 87 a GG neugefaßt. Der Verfassungsgesetzgeber von 1968 hat ebensowenig wie der Verfassungsgesetzgeber von 1956 mit der Formulierung „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf" einen neuen Auftrag zur Aufstellung von Streitkräften erteilen wollen, die Bundeswehr bestand ja schon. Ganz deutlich w i r d dies bei dem Studium der Entstehungsgeschichte von A r t . 87 a Abs. 1 GG in der Fassung von 1968. Der Rechtsausschuß erläuterte A r t i k e l 87 a Abs. 1 GG so: „Ohne wesentliche sachliche Änderung w i r d der I n h a l t der geltenden Fassung des A r t i k e l s 87 a, u m i h n systematisch der Neuregelung einzufügen, i n zwei Sätze aufgelöst, von denen Satz 1 nunmehr als Kompetenzvorschrift ausgestaltet w i r d , während Satz 2 haushaltsrechtliche Maßgaben aufnimmt 6 4 ."
Aus A r t . 87 a Abs. 1 Satz 1 GG eine Selbstbewaffnungspflicht zu entnehmen, hieße die klare Intention des Verfassungsgebers — eine Kompetenznorm zu schaffen — verdrehen. Das Grundgesetz fordert nicht die Einrichtung von Streitkräften, wohl aber erteilt es einmal aufgestellten Streitkräften einen „Verteidigungsauftragder sich aus A r t . 87 a Abs. 1 u. 2 in Verbindung mit A r t . 26 GG ergibt 65 . Das Grundgesetz klärt die Zweckbestimmung der Streitkräfte: Hauptauftrag der Streitkräfte bleibt die Friedenssicherung i n den Grenzen erlaubter Handlungen des Grundgesetzes 66 . Funktion des A r t . 87 a Abs. 1 Satz 1 GG ist aber nach wie vor eine Kompetenzregelung 67 , nämlich die Zuweisung der Exekutivkompetenz bezüglich der Streitkräfte an den Bund. Dies ist das „logische Komplement" zu A r t . 73 Ziff. 1 GG, wonach dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Bereich Verteidigung zusteht 68 . I n A r t . 87 a Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG sind heute die Kompetenznorm und die haushaltsrechtliche Bestimmung, die das Mitwirkungsrecht des Parlaments sichert, zusammengefaßt 69 . A r t . 87 a Abs. 1 Satz 1 i n Verbindung m i t A r t . 73 Ziff. 1 GG begründen also die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes. Die verfassungsrechtlich zuständigen Bundesorgane können (aber müssen nicht) 63
BGBl. I, S. 709. BT-Drucksache, 5. W P 2873, S. 12. 65 I n den Protokollen des Rechtsausschusses ist nie v o n „Verfassungsauftrag", mehrfach aber von „Verteidigungsauftrag" die Rede. — Vgl. B T Drucksache, 5. W P 2873, S. 13. 66 Vgl. Kleiner, Diss., S. 183 f. 67 Vgl. ebd. 68 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 7 zu A r t . 87 a. 69 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 3 und 11 zu A r t . 87 a. Durch die ausdrückliche Betonung der parlamentarischen Kontrolle i n A r t . 87 a Abs. 1 Satz 2 w i r d dieses ohnehin bestehende Recht des Parlaments, das auch bei der Organisation m i t w i r k t , nochmals ins volle Bewußtsein gerückt — i n E r innerung an die Bismarcksche „Lückentheorie" i m preußischen Verfassungskonflikt. 64
A . I . Stellung der Bundeswehr i n der Verfassungsordnung
99
diese Kompetenz wahrnehmen 70 , und ihnen obliegt es i n pflichtgemäßer politischer Verantwortung zu entscheiden, ob und ggfs. welche Maßnahmen für eine wirksame Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland erfolgversprechend sind. Es gibt ein Recht, aber keine Pflicht des Bundes zur Aufstellung von Streitkräften. Von diesem Recht hat er Gebrauch gemacht. Ein ausdrücklicher Auftrag der Verfassung an den Staat zur Aufstellung und Unterhaltung von Streitkräften läßt sich dem Grundgesetz, insbesondere A r t . 87 a Abs. 1 Satz 1, nicht entnehmen 71 . Damit kann auch die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte kein Selbstwert sein, der aus sich heraus Maßnahmen beliebiger A r t ohne Rücksicht auf Einzelermächtigungen — wie Gesetzesvorbehalte bei Grundrechten — erlauben würde. Auch die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte muß sich in rechtsstaatlichen Formen vollziehen. Vom Grundgesetz gewollt und anerkannt ist nur eines: der „Verteidigungsauftrag" der Streitkräfte, der um weitere Aufgaben in Art. 87 a Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 sowie A r t . 35 Abs. 2, S. 2 und Abs. 3 i n eng begrenztem Rahmen erweitert ist 72 . Die Bundeswehr muß dem Frieden dienen. 3. Die Einordnung der Streitkräfte in das Verfassungsgefüge
Die Grundlegung der Wehrverfassung i n der 2. Wehrnovelle von 1956 sollte, so der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages (BT-Drucksache, 2. WP 2150, S. 1), der „Einordnung der Bundeswehr i n den verfassungsmäßigen Aufbau des Staates dienen". Damit wurde zunächst einmal klargestellt, daß die Bundeswehr am Verfassungsleben teilhaben, den Regeln der Verfassung folgen sollte. a) Die Streitkräfte
als „vollziehende
Gewalt"
Die Streitkräfte sind i n der Vergangenheit als ein Faktor außerhalb der Gewaltenteilung i n Legislative, Exekutive und Rechtsprechung hingestellt worden, auch wurde die Wehrgewalt verschiedentlich als „vierte Gewalt" bemüht 73 . Hier ist vor allem Otto Mayer zu nennen, der die Streitkräfte in einem Sonderbereich ansiedelte, der aus dem Gebot der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt herausfiel 74 . 70 BVerfG, DVB1.1984, 136 ff. (138); vgl. auch die Stationierungsentscheidung V. 18.12. 84. 71 Dies ergibt sich auch i m Umkehrschluß aus der Stationierungsentscheidung des BVerfG, DVB1. 1984, 136 ff. (138): Ob die Aufstellung von Streitkräften eine notwendige Maßnahme zur Verteidigung ist, entscheidet nicht die Rechtsprechung, sondern Exekutive u n d Legislative; mißverständlich Benda, Frieden u n d Verfassung, AöR 1984, 1 ff. (10). 72 Vgl. allgemein hierzu Kleiner, Diss., S. 157 ff.; kritisch zum Einsatz i m Inneren bei politischen Unruhen Hesse, Verfassungsrecht. 73 Vgl. hierzu m i t Nachweisen Hornung, S.53; Kleiner, Diss., S. 46.
ι*
100
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
D e r Verfassungsgesetzgeber
des Grundgesetzes h a t aber
eindeutig
k l a r g e s t e l l t , daß d e r B e r e i c h d e r S t r e i t k r ä f t e v o l l u n d ganz, u n d z w a r u n t e r Einschluß d e r B e f e h l s - u n d K o m m a n d o g e w a l t , z u r Gewalt 75
vollziehenden
gehört. A r t . 1 Abs. 3 G G lautete ursprünglich:
„Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, Verwaltung Rechtsprechung als u n m i t t e l b a r geltendes Recht."
und
Das W o r t V e r w a l t u n g w u r d e d u r c h die 2. W e h r n o v e l l e v o n 1956 d u r c h d e n A u s d r u c k „vollziehende Gewalt" stellen, so d e r z w e i t e s c h r i f t l i c h e
ersetzt. D i e Neufassung sollte k l a r Bericht
des Rechtsausschusses
des
Bundestages 7 6 , daß „ a l l e A u s ü b u n g v o n S t a a t s g e w a l t " , also auch d e r m i l i t ä r i s c h e Bereich, a n die G r u n d r e c h t e g e b u n d e n ist. D e r A u s d r u c k „ v o l l z i e h e n d e G e w a l t " s t a t t „ V e r w a l t u n g " — so w e i t e r der Rechtsausschuß — entspreche d e m i n A r t . 20 A b s . 2 Satz 2 u n d A b s . 3 b e n u t z t e n W o r t l a u t u n d solle j e d e n Z w e i f e l d a r a n beheben, daß auch a l l e staatl i c h e n M a ß n a h m e n , die d i e B u n d e s w e h r b e t r e f f e n , m i t eingeschlossen sind. O b n u n die S t r e i t k r ä f t e i n das G e b i e t d e r „ V e r w a l t u n g " ( M i n d e r m e i n u n g ) e i n z u o r d n e n s i n d oder a b e r e i n e n eigenen S e k t o r i n n e r h a l b der „vollziehenden G e w a l t "
(h. M.) ausmachen, ist eine
zweitrangige
F r a g e 7 7 . A u f a l l e F ä l l e ist die B u n d e s w e h r als T e i l d e r v o l l z i e h e n d e n G e w a l t v o l l u n d ganz a n Verfassung, G r u n d r e c h t e , Recht u n d Gesetz u n m i t t e l b a r g e b u n d e n ( A r t . 1 A b s . 3, A r t . 20 A b s . 3 G G ) 7 8 .
74 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, l . B d . , S. 10/11: „Das m i l i t ä r i sche Kommando, welches sie (die Heereseinrichtung) i m inneren K e r n zusammenhält, ist seiner N a t u r nach unbedingt u n d an Rechtsschranken n u r n o t d ü r f t i g gebunden; das genügt, u m auch dieses außerhalb der V e r w a l t u n g zu stellen" — Die M i l i t ä r v e r w a l t u n g stellte Mayer wiederum unter die Rechtsordnung. Wie Mayer auch Laband, Heckel, Marschall V.Bieberstein, Haenel — Nachwort O. Mayer, Fn. 16. 75 A m entschiedendsten u n d klarsten hierzu Dürig, in: Maunz / Dürig; Salzmann, Diss., S. 77 ff.; Witte, Diss., S. 13 f.; Lepper, Diss., S. 79 ff., 96; Kleiner, Diss., S. 46 f.; Hornung, S. 50 ff. m. w. N.; Busch, Der Oberbefehl, S. 192, der annimmt, daß Folge der nahtlosen Eingliederung der Bundeswehr i n den exekutiven Bereich die Beseitigung ihrer institutionellen Sonderstellung zum Staatsoberhaupt sei. Martens, S. 107. 76 BT-Drucksache, 2. W P 2150, S. 2. 77 Vgl. zum Streitstand Hornung, S.50f.; Kleiner, Diss., S. 46 f., m. w . Ν . Bedenklich daher die Auffassung v o n Busch, Der Oberbefehl, S. 109, der die Auffassung v e r t r i t t , daß die Armee, wie angeblich Lorenz v. Stein bereits festgestellt habe, nicht unter dem Gesetz u n d seiner Vollziehung stehe, sondern unter dem Befehl. Die Bindung an Gesetz u n d Recht, wie sie f ü r das Verwaltungshandeln k o n s t i t u t i v sei, sei i m militärischen Bereich nicht i n dem Maße möglich. Diese Ansicht widerspricht dem W i l l e n des Grundgesetzes, die Streitkräfte als vollziehende Gewalt gezielt an Recht u n d Gesetz zu b i n den. Auch hatte Lorenz v. Stein, vgl. oben, 1. Kap. I I I 3, das Heer i n seiner Lehre v o m Heerwesen gerade nicht außerhalb v o n Verfassung u n d Recht stellen wollen, sondern lediglich festgestellt, daß die Verfassung dem Heer nicht befehlen könne.
A.I. Stellung der Bundeswehr i n der Verfassungsordnung
b) Der „Primat
101
der Politik"
Die Frage der Unterordnung der Streitkräfte unter die Politik war schon i m 19. Jahrhundert Thema gewesen. Clausewitz bezeichnete den Krieg als „wahres politisches Instrument, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben m i t anderen M i t t e l n " 7 9 .
Es sei eine „unzulässige u n d selbst schädliche Unterscheidung, wonach ein großes k r i e gerisches Ereignis oder der Plan zu einem solchen eine rein militärische Beurteilung zulassen solle" 8 0 .
Die Einsicht i n das Kriegswesen sei nicht die Haupteigenschaft eines fähigen Kriegsministers. Ein „großartiger, ausgezeichneter Kopf, ein starker Charakter" würde vielmehr gebraucht; die Einsicht i n das Kriegswesen lasse sich auf die eine oder andere A r t wohl ergänzen 81 . A n diese Regel hatte sich der preußische Staat trotz der Sonderstellung des Militärs zum Monarchen insofern gehalten, als er als Kriegsminister meist Zivilisten benannte. Als Grundsatz war i m 2. Kaiserreich anerkannt, daß politische Auffassungen gegenüber allen Erwägungen rein militärischer Zweckmäßigkeit Prävalenz genossen82. I m I. Weltkrieg wich der Primat der Politik dann weitgehend dem Primat des Militärs, als die Dritte Oberste Heeresleitung nicht nur militärische, sondern auch politische Angelegenheiten selbst und unmittelbar regelte und bestimmte 83 . I n der Weimarer Republik führte die Reichswehr ein politisches Eigenleben, das den Einfluß der Politik auf ein M i n i m u m beschränken sollte. Die Reichswehr führte ein Sonderleben als „Staat i m Staate"* 4 . I m Dritten Reich schließlich ließ sich die Wehrmacht als unpolitisches Instrument des „Führers" mißbrauchen 85 . Der Primat der Politik ist kein unmittelbar der Verfassung selbst zu entnehmender Begriff. Das Grundgesetz t r i f f t jedoch Vorkehrungen, die 79
Clausewitz, V o m Kriege, 1. Teil, 1. Buch, 1. Kap. Ziff. 24, S. 34. Clausewitz, 3. Teil, 8. Buch, 6. Kap. (B), S. 678. 81 Vgl. ebd. 82 Vgl. Wolzendorff, Der Gedanke des Volksheeres, S. V I I I . 83 Vgl. Hurten, Reichswehr u n d Ausnahmezustand, S. 8 ff. 84 Eine solche Entwicklung sollte i n einer neuen Armee verhindert w e r den, so auch die ansonsten teilweise rückschrittliche Himmeroder Denkschrift" v. 1950, vgl. Rautenberg / Wiggershaus, S. 53; Walz, N Z W e h r r 83, 123: „Das Deutsche Kontingent darf nicht ein ,Staat i m Staate 4 werden. Das Ganze w i e der Einzelne haben aus innerer Uberzeugung die demokratische Staats- u n d Lebensform zu bejahen." Der spätere Verteidigungsminister B l a n k stellte v o n Anfang an klar, daß die Armee k e i n Staat i m Staate sein dürfe, vgl. Stenographische Berichte 2. WP, S. 5214 A . 85 s. oben, l . K a p . V 2 . 80
102
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
den „Primat der Politik" faktisch sichern. Die Frage der Einfügung des Militärwesens i n die demokratische Ordnung versucht das Grundgesetz i n erster Linie dadurch zu lösen, daß es eine „Verschmelzung von politi scher und militärischer Führung" und eine besondere parlamentarische M i t w i r k u n g und Kontrolle vorsieht 86 . I n A r t . 65 a w i r d die „Befehls- und Kommandogewalt" i n Friedenszeiten dem Verteidigungsminister zugewiesen, i m Verteidigungsfall geht sie auf den Bundeskanzler über (Art. 115 b GG). Die Befehls- und Kommandogewalt i n der Hand des Verteidigungsministers bewirkt, daß die Streitkräfte, ebenso wie andere Bereiche, der Richtlinienbefugnis des Bundeskanzlers (Art. 65 Satz 1 GG) unterstellt sind 87 . I m Rahmen der Zielvorgaben des Grundgesetzes sind es die verfassungsrechtlich zuständigen Bundesorgane, denen die Führung der Verteidigungspolitik obliegt 8 8 . I n Art. 87 a Abs. 1, der i n den Worten Dürigs 89 die „Grundnorm für das Verhältnis des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats zu seiner Armee" darstellt, w i r d mit der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte durch den Haushaltsplan noch einmal der grundsätzliche Vorrang der „zivilen Gewalt" bestätigt; die Einordnung der Streitkräfte i n den Bereich der dem Parlament verantwortlichen Exekutive und die Mitverantwortung des Bundestages für den Aufbau einer „verteidigungsbereiten und -fähigen bewaffneten Macht" w i r d in Art. 87 a Abs. 1 ausdrücklich normiert 9 0 . Weiterhin ist die parlamentarische Kontrolle durch den Verteidigungsausschuß (Art. 45 a GG) 91 und den Wehrbeauftragten des Bundestages gesichert (Art. 45 b GG). Andere „zivile" Kontrollrechte sind i n A r t . 87 b GG (Bundeswehrverwaltung), A r t . 60 GG (Ernennung der Offiziere und Unteroffiziere durch den Bundespräsidenten) und A r t . 96 Abs. 2 Satz 4 (Wehrstrafgerichte i m Geschäftsbereich des Bundesjustizministers) enthalten. Damit sind die Streitkräfte einer „civil control " unterworfen, wie dies auch i m amerkanischen Verfassungsrecht und ihr folgend in anderen demokratischen Verfassungen der Fall ist 92 . 86
Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Randnr. 545. Vgl. 16. Ausschuß, BT-Drucksache 2. WP2150, S.4; Ellwein, Das Regierungssystem, S. 421; Busch, Der Oberbefehl, S. 119 m. w . N. 88 Vgl. hierzu das B V e r f G i n seinem Beschluß v. 16.12.1983 zur Stationierungsentscheidung der Bundesregierung, BVerfG, DVB1.1984, 136 ff. (138); vgl. auch die abschließende Entscheidung des B V e r f G v. 18.12. 84. 89 Dürig, in: Maunz / Dürig, Bd. 2 Randnr. 5 zu A r t . 87 a. 90 Dürig, Randnr. 11 zu A r t . 87 a. 91 Vgl. E.Busch, Zur parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte, N Z Wehrr. 1983, 81 ff., m. w. N.; Ehmke, Militärischer Oberbefehl, 1954, S. 393 f., wollte den Verteidigungsausschuß als eine A r t „kleines Haus" sehen. 87
A.I. Stellung der Bundeswehr i n der Verfassungsordnung
103
Die zivile, politische Kontrolle erfaßt den gesamten militärischen Bereich. υ. Unruh 93 sieht die „zivile Kontrolle" gar so weit ausgedehnt, daß er nicht mehr i n den Soldaten, sondern i n den Organen und politischen Sachverwaltern die „Herren der Waffen" erkennen w i l l ; die Soldaten seien lediglich „Träger der Waffen". Umzudeuten sei damit auch die „resignierende Feststellung" des Aristoteles, daß die Herren der Waffen auch die Herren über den Bestand oder Untergang der Verfassung eines Staates seien (Politik I X , 1239 a) 94 . Dieser Gedankengang mag zwar i m Kern richtig sein, jedoch darf er nicht den Blick dafür verstellen, daß auch die Soldaten selbst als bloße „Träger der Waffen" eine faktische Macht i n der Hand halten, der eine Verantwortung vor der Verfassung entspricht. c) Die „Staatsbürger
in Uniform"
95
Der „Primat der Politik" bedeutet nicht, daß sich die Soldaten außerhalb von Politik und Gesellschaft stellen sollen 96 . Der Nur-Soldat, der i m Stil eines Condottiere i n jedem politischen System Verwendung finden könnte, hat i m Konzept der Bundeswehr keinen Platz mehr 9 7 . Schon i n der Scharnhorstschen Heeresreform Anfang des 19. Jahrhunderts war die Idee des „politischen" Soldaten angelegt 98 . Danach folgte eine lange Zeit, i n der der „neutrale und isolierte" Soldat einen Sonderstatus einnahm. Erst unter dem Grundgesetz wurde aufgrund der historischen Erfahrungen erkannt: Für eine Gemeinschaft kann nur eintreten, wer sie bejaht, wer i n ihr wurzelt und wer die eigene Existenz vom Fortbestand ihrer Ordnung abhängig weiß 99 . General Graf Baudissin, der Wegbereiter des Gedankens vom „Staatsbürger i n Uniform", folgerte hieraus, daß der Soldat i m Besitze seiner staatsbürgerlichen Rechte bleiben müsse, soweit es irgend mit seiner Aufgabe vereinbar sei. Soldat und Nichtsoldat müßten somit als „zwei verschiedene Aggregatzustände" desselben Staatsbürgers begriffen werden 100 . 92
Hierzu v. Unruh, V V D S t R L 26, 157 (158); Schwenck, Rechtsordnung u n d Bundeswehr, S. 12 f.; vgl. The Constitution of thé United States, A r t . I, Sect i o n 8 (14), abgedr. i n Hamilton, Madison and Jay, S. 205 ff. 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Ausführlich zur Problematik: Krause, Die Idee des Staatsbürgers i n Uniform, Diss.; grundlegend Baudissin, Soldat für den Frieden; vgl. auch Waldmann, Soldat i m Staat, S. 65 f. 96 Treffend Wagemann, A n m e r k u n g zu Hornung, Staat u n d Armee, S.241. 97 Vgl. de Mazzière, Bekenntnis zum Soldaten, S. 61. 98 Vgl. Baudissin, Soldat für den Frieden, S.201. 99 Vgl. Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 163. 100 Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 201.
104
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Der „Staatsbürger i n Uniform" sei das neue Leitbild der Soldaten gegenüber drei Typen der Vergangenheit, die Baudissin unterscheidet 101 : 1. der patriarchalisch-feudale Soldat, der der mittelalterlichen Standesordnung i m Verhältnis vom Herrn zum Knecht entspreche, 2. der mechanisch-totalitäre Soldat, der materialistisch, organisatorisch und technisch ausgerichtet sei und dem Prinzip des Befehls folge, 3. der autonome Soldat, der i n einem Gegensatz Bürger/Soldat lebe. Der neue Soldat, der Staatsbürger in Uniform, aber solle soviel Grundrechte behalten wie möglich und so erfahren, was Freiheit ist. Der Soldat müsse wissen, wofür und wogegen er steht 102 . Auch der Begriff des Staatsbürgers i n Uniform ist wörtlich nicht i m Grundgesetz enthalten. Er lag jedoch bei der Gestaltung der Wehrverfassung i n den zwei Wehrnovellen von 1954 und 1956 als Leitbild zugrunde 103 . Der Verteidigungsausschuß und der Rechtsausschuß waren bei der Beratung der zweiten Wehrnovelle 1956 der übereinstimmenden Meinung, „daß der deutsche Soldat, soweit es die Natur eines militärischen Verbandes zuläßt, i m Besitz seiner bürgerlichen Rechte bleiben soll" 1 0 4 .
Auch bei der Beratung des Soldatengesetzes ging der Verteidigungsausschuß von der „Grundkonzeption des Staatsbürgers i n Uniform" aus 105 . Die beiden wichtigsten Regeln i m Grundgesetz, die das B i l d vom Staatsbürger i n Uniform in sich tragen, sind A r t . 17 a GG und A r t . 1 Abs. 3 GG. Sie geben verfassungsrechtlich positiviert der Idee Ausdruck, daß der Soldat prinzipiell Grundrechtsträger bleibt und seine staatsbürgerlichen Rechte, soweit mit seinen militärischen Aufgaben vereinbar, behält 1 0 6 . Das B i l d vom Soldaten als „Staatsbürger i n Uniform" w i r d i n der Bundeswehr nach wie vor für gültig gehalten. Verteidigungsminister Wörner bekräftigte i n einer Rede vor der Offiziersschule des Heeres i n Hannover am 10. 6.1983 107 : 101
Ebd., S. 199. Baudissin, Soldat für den Frieden, S.201; Breitinger, Diss., S. 38. 103 Baudissin hat seine Gedanken v o m „Staatsbürger i n U n i f o r m " vor den beiden Wehrnovellen zum Grundgesetz entwickelt. Die obigen Zitate stammen aus dem „ L e i t b i l d des Soldaten", 1952, abgedruckt i n „Soldat für den Frieden", 1969. 104 BT-Drucksache 2. W P 2150, S. 1. 105 Schriftlicher Bericht des 6. Ausschusses, BT-Drucksache 2. WP2140; entsprechend ist auch § 6 SG formuliert. 106 v g l . Dürig, i n : Maunz / Dürig, Randnr. 6 zu A r t . 17 a; K. Ipsen / J. Ipsen, in: „Bonner Kommentar", Randnr. 1 ff. zu A r t . 17 a; Böttcher, Diss., S. 149 ff., m. w . Ν . 107 Vgl. zum B i l d des Offiziers „Soldat u n d Technik", 1983, 407. 102
A . I I . Bisherige Lösungsversuche
105
„Das L e i t b i l d v o m »Staatsbürger i n Uniform' gilt. Streitkräfte i n einem demokratischen Gemeinwesen dürfen k e i n Eigenleben führen und müssen daher i n besonderem Maße vor der Gefahr der Isolierung bewahrt werden. Dazu muß der Soldat über politisches Bewußtsein verfügen, sich der Demokratie u n d dem Grundgesetz innerlich verbunden fühlen u n d den Vorrang der P o l i t i k bejahen 1 0 8 ."
II. Ist die Verfassungstreue der Soldaten im Grundgesetz verankert? Bisherige Lösungsversuche Verfassungstreue hat nur dann einen Sinn, wenn sie Schutz und Bestand der Verfassung dient. Sie gehört damit i n den weiteren Bereich des „Verfassungsschutzes". Voraussetzung allen Verfassungsschutzes aber ist die „normative K r a f t " 1 0 9 der Verfassung, d.h., daß die Geltung der Verfassung sich vor allem i n der Realität als wirksam erweisen muß. Die normative Kraft der Verfassung beruht somit auf einem grundsätzlichen Konsens, die Verfassung als verbindlich anzusehen und ihrem Inhalt i m wirklichen Leben Gestalt zu geben. Erst eine Verfassung mit normativer Kraft kann letztlich auch durch zusätzliche Maßnahmen geschützt werden. Hesse 110 unterscheidet bei den Vorkehrungen zum Schutz der Verfassung zwischen „konstruktiven Sicherungen", wie sie in den organisatorischen und verfahrensmäßigen Regelungen des Grundgesetzes enthalten sind (z. B. A r t . 19 Abs. 2, A r t . 79 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GG) und „präventiven und repressiven" Sicherungen (ζ. B. A r t . 18, 21 Abs. 2, 5 Abs. 3 Satz 2, 61, 98 Abs. 2). „Verfassungstreue" als subjektive Einstellung der Soldaten verstanden, kann prima facie allen drei Bereichen zuzuordnen sein: — Die Soldaten nehmen am allgemeinen Konsens teil, der die Verfassung trägt und erfüllen sie i n ihrer Dienstausübung mit Leben („normative Kraft"). — Die Streitkräfte sind in die Verfassungsordnung so eingegliedert, daß ein Mißbrauch dieses wichtigen Faktors staatlicher Macht möglichst verhindert und der Bestand der Verfahrensregeln gesichert wird. Die Soldaten richten sich getreu an den i n der Verfassung enthaltenen Organisations- und Verfahrensregeln aus („konstruktive Sicherung"). 108 Über angebliche Bestrebungen, von diesem L e i t b i l d abzugehen: „Der Spiegel" Nr. 41/83 v o m 10.10.1983, S. 19 „Zurück zur Legende v o m besonderen Sterben". 109 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 1 I I I 5, Randnrn. 41 ff., Randnrn. 692 ff.; zum Begriff der normativen K r a f t der Verfassung: grundlegend Hesse, Die normative K r a f t der Verfassung (1959). 110 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 20, Randnr. 694.
106
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
— Die Soldaten werden Treuepflichten unterworfen, die ihnen Verhalten oder auch innere Einstellung zur Verfassung vorschreiben. Die Durchsetzung dieser Pflichten w i r d organisatorisch oder disziplinar- und strafrechtlich gewährleistet („präventive/repressive Sicherung"). I n der allgemeinen Diskussion um die Verfassungstreuepflicht oder „politische Treuepflicht" der Beamten geht es meist nur u m den dritten Aspekt, die präventive und repressive Sicherung. Wenn i m folgenden anhand der bisher von Rechtsprechung und Lehre angebotenen Lösungsmöglichkeiten untersucht werden soll, ob die Verfassungstreue der Soldaten ein im Grundgesetz verankerter Begriff ist, so sollen aber auch die ersten beiden Aspekte „normative K r a f t " und „konstruktive Sicherung" nicht aus den Augen verloren werden.
1. Herleitung aus Art. 33 Abs. 5 und Abs. 2 GG?
a) Art. 33 Abs. 5 GG (BVerfGE 39, 334) als Grundlage für die Treuepflicht der Soldaten? Das Bundesverfassungsgericht hat i n seinem bekannten „Radikalenbeschluß" 111 eine grundlegende Entscheidung hinsichtlich der Verfassungstreue i m Beamtenverhältnis gefällt 112 . Es hat in dieser Entscheidung die sog. politische Treuepflicht — definiert als Staats- und Verfassungstreue 113 — aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) hergeleitet: Die Geschichte des deutschen Berufsbeamtentums kenne seit dem Ende des 18. Jahrhunderts — ζ. B. das Preußische Allgemeine Landrecht (ALR), Teil II, Titel 10 §§ 1 ff. — unbeschadet von Veränderungen i m Verständnis dieses Spezifikums je nach wechselnden Verfassungsordnungen — eine besondere Bindung des Beamten, die auf einer mit dem E i n t r i t t in das Beamtenverhältnis verbundenen und übernommenen Treuepflicht beruhe. A n jener traditionellen Treuepflicht des Beamten halte auch das Grundgesetz als einem hergebrachten und zu beachtenden Grundgesetz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) fest; auf ihn werde ausdrücklich in A r t . 33 Abs. 4 (Dienst- und Treueverhältnis) und A r t . 5 Abs. 3 Satz 2 GG (Treue zur Verfassung) Bezug genommen. Diese hergebrachte Treuepflicht des Beamten erhalte ein besonderes Gewicht 111
BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641. Vgl. für viele m. w. Ν . E. Denninger u n d H. H. Klein, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, in: V V D S t R L Heft 37, 1979, S. 7 ff. und S. 53 ff. sowie B V e r w G 39, 334, N J W 1982, 779. 113 BVerfGE 39, 334 (NJW 1975), 1641). 112
A . I I . Bisherige Lösungsversuche
107
dadurch, daß das Grundgesetz eine Grundentscheidung für eine „wehrhafte Demokratie" (Art. 2 Abs. 1, A r t . 9 Abs. 2, Art. 18, A r t . 20 Abs. 4, A r t . 21 Abs. 2, A r t . 79 Abs. 3, A r t . 91, A r t . 98 Abs. 2 GG) getroffen habe 114 . Schließlich stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß die sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergebende Rechtslage — Treuepflicht des Beamten und Prüfung des Bewerbers, ob er die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten — für jedes Beamtenverhältnis, für das Beamtenverhältnis auf Zeit, auf Probe, auf Widerruf und auf Lebenszeit gelte 115 . Endlich bemerkt das BVerfG noch i n einem obiter dictum, daß die Angestellten i m öffentlichen Dienst dem Dienstherrn Loyalität schuldeten 116 . Ausgangspunkt der Argumentation des BVerfG zu den „hergebrachten Grundsätzen des Beamtentums" ist das Preußische Allgemeine Landrecht, das an der vom BVerfG angegebenen Stelle 117 gerade nicht zwischen Beamten und Soldaten differenziert, sondern sie unter dem Titel „Diener des Staates" 118 als „ M i l i t a i r - und Civilbediente" hinsichtlich ihrer grundlegenden Treuepflichten gegenüber Monarchen und Staat i n §§ 1—3 zusammenfaßt. Das BVerfG sieht die „politische Treuepflicht" der Beamten auch darin begründet, daß sie i n einem „besonders engen Verhältnis" zum freiheitlichen demokratischen Staat stünden 119 . Auch der Soldat, zumindest der Berufssoldat, steht i n einem „besonders engen Verhältnis" zum Staat. Es liegt also nahe, die Soldaten dem „öffentlichen Dienst" i m Sinne von A r t . 33 Abs. 5 GG zuzurechnen. Allein, nach der inzwischen etablierten Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ist es nicht möglich, die Soldaten nach den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums" zu beurteilen 120 . Das BVerfG hat i n seiner grundlegenden Entscheidung BVerfGE 16, 94 (110/111) zwar eingeräumt, daß der Dienst des Berufssoldaten dem Wortlaut nach zum Recht des „öffentlichen Dienstes" des Art. 33 Abs. 5 GG gehören würde. Da A r t . 33 Abs. 5 GG aber vorschreibe, daß dieses Recht „unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufs114
BVerfGE 39, 334 (NJW 1975, 1642). BVerfGE 39, 334 (NJW 1975), 1644). 116 Ebd. 117 A L R , Teil I I , 10. Titel, §§ 1 ff. m s. Zitat oben, 1. Kap. 11. 119 B V e r f G 39, 334, N J W 1975, 1645; vgl. auch Eckertz, Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, 1981, S. 78. 120 Vgl. für viele andere H. Quaritsch, V V D S t R L 26 (1968), 207; Maunz / Dürig, A n m . 44 u. 51 zu A r t . 33 GG; Isensee, öffentlicher Dienst, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1192; BVerfGE 3, 289 (334); 16, 94 (110). 115
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
beamtentums" zu regeln ist, ergebe sich, daß hier i n Wahrheit nur das Recht des Beamtendienstes gemeint sei. I m sog. „Soldatenurteil" hatte das BVerfG zuvor 1 2 1 festgestellt, daß A r t . 33 Abs. 5 GG nach Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck keine „institutionelle Garantie des Berufssoldatentums" enthalte; darüber hinaus ließen sich auch „hergebrachte Grundsätze" für das Berufssoldatentum gar nicht aus der Geschichte ableiten, da es i m Kaiserreich, i n der Weimarer Republik und i m nationalsozialistischen Staat ganz verschiedenartige Wehrverfassungen gegeben habe 122 . A r t . 33 Abs. 5 ist auch von seinem ursprünglichen Sinn her kaum auf Soldaten anzuwenden. Er war bereits i n der „Urfassung" des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 vorhanden und hat seine ratio legis i n dem Interesse an der Erhaltung der Einrichtung des Berufsbeamtentums und der Sicherung seiner Funktion 1 2 3 . A r t . 33 Abs. 5 kann somit keine Grundlage für die Verfassungstreuepflicht der Soldaten sein. b) Art. 33 Abs. 2 GG als Grundlage für die Verfassungstreuepflicht? Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 1 2 4 traf am 6.2.1975, kurz vor dem „Radikalenbeschluß" des BVerfG, eine offenbar als Grundsatzurteil gedachte Entscheidung zur Frage der „Gewähr der Verfassungstreue" von Beamtenbewerbern. Das BVerwG kam i n diesem als „Lenhart-Urteil" bekanntgewordenen Fall zu der Auffassung, daß die von Bewerbern u m Übernahme i n den Beamtendienst geforderte Gewähr jederzeitigen Eintretens für die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne des Grundgesetzes ein „persönliches Eignungsmerkmal" i m Sinne des A r t . 33 Abs. 2 GG sei und aus diesem Grunde Verfassungsrang habe 125 .
121
BVerfGE 3, 289. BVerfGE 3, 289 (334/335), ebenso Isensee, Öffentlicher Dienst, S. 1192; Eckertz, S. 78 Fn. 183, bemerkt treffend, daß die freiheitliche demokratische Grundordnung j a selbst nicht „hergebracht" sei. 123 Vgl. BVerfGE 3, 58 (139); 8, 1 (12, 16); 8, 332 (343); 15, 167 (195 f.); Hesse, Verfassungsrecht, § 14 I I 2 b; Blanke u. a., Ohne Zweifel für den Staat, S. 38 f. 124 B V e r w G E 47, 330. 125 Ablehnend H. P. Schneider, V o m Rechtsstaat zum Gesinnungsstaat?, S. 1021 ff.; grundsätzlich zustimmend Battis, Bundesbeamtengesetz, A n m . 3 a zu § 7 B B G ; Menger, V e r w A r c h i v 1976, 106; auch das B V e r f G hat i n seinem Radikalenbeschluß, a.a.O., N J W 1975, 1642 das Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung als Eignungsmerkmal i m Sinne v o n A r t . 33 Abs. 2 GG gesehen, jedoch die Verfassungstreuepflicht nicht aus A r t . 33 Abs. 2, sondern A r t . 33 Abs. 5 GG abgeleitet. 122
A . I I . Bisherige Lösungsversuche
109
Entsprechend ließ auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) i n seinem Urteil vom 31.3.1976 Angestellte unter den Art 33 Abs. 2 GG fallen, da nach „Wortlaut, Sinn und Zweck" die Bestimmung für den „gesamten öffentlichen Dienst" und nicht nur für Ämter mit hoheitsrechtlichen Befugnissen gelte 126 . Das B A G berief sich dabei auf Maunz 121, der den Begriff des „öffentlichen Amts" i n A r t . 33 Abs. 2 GG sehr weit faßt: Inhaber eines solchen Amtes seien „Beamte, einschließlich der Richter u n d Hochschullehrer, Angestellte u n d Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, beliehene Unternehmer, Laienbeisitzer i n Gerichten u n d auch ehrenamtlich Tätige i m öffentlichen Bereich".
Maunz nennt die Soldaten jedoch auffallenderweise nicht i n seiner Aufzählung, die andererseits Personen umfaßt, die ein augenfällig weniger enges Verhältnis zum Staat haben als Berufs- und Zeitsoldaten 128 . Zu erwähnen bleibt Stern, der, ohne auf die wehrrechtliche Problematik näher einzugehen, die soldatengesetzlichen Vorschriften zur Verfassungstreue als „Ausfüllung" verfassungsrechtlicher Grundsätze aus A r t . 33 Abs. 2 GG erscheinen läßt 1 2 9 . Das BVerwG ist freilich wieder davon abgegangen, die „Verfassungstreuepflicht" auf A r t . 33 Abs. 2 GG zu begründen, sondern stützt seine Auffassung i n seiner neueren Rechtsprechung i m Anschluß an den „Radikalenbeschluß" des BVerfG auf die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" 13°. Bei näherer Betrachtung gibt auch A r t . 33 Abs. 2 GG von seinem Wortlaut her wenig für die Begründung einer Verfassungstreuepflicht her. Ganz i m Gegenteil, so bemerkt Edmund Jess m zutreffend, muß die „insbesondere bei Anstellungen häufig zu beobachtende" Frage nach der „religiösen oder politischen Zugehörigkeit" als Verstoß gegen die zwingende Vorschrift des A r t . 33 Abs. 2 GG angesehen werden. Denn A r t . 33 Abs. 2 GG w i l l gerade nicht Rechte einschränken, sondern jedem Staatsbürger gleichen Zugang zu einem öffentlichen A m t ermöglichen. 126
B A G , N J W 1976, 1789; eine Loyalitätspflicht der Angestellten i m öffentlichen Dienst forderte auch das „obiter dictum" des Radikalenbeschlusses, BVerfG, N J W 1975, 1641 (1644) (BVerfGE 39, 334). 127 I n : Maunz / Dürig, Randnr. 13 zu A r t . 33. 128 Isensee zählt zum „öffentlichen Dienst" auch den Berufssoldaten als beamtenähnlichen Sonderstatus des öffentlichen Rechts; Maunz wiederum rechnet n u r Beamte zum „öffentlichen Dienst" i m Sinne v o n Abs. 4 des A r t . 33 GG. 129 Stern, Z u r Verfassungstreue der Beamten, S. 52 f. 130 BVerwG, DVB1. 1981, 455: das B V e r w G vermied hier jedoch auffällig den Begriff „politische Treuepflicht". 131 Jesse, in: Bonner Kommentar, A n m . I I 3 zu A r t . 33 GG.
110
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
A r t . 33 Abs. 2 GG zählt somit, ebenso wie Art. 33 Abs. 1 GG, zu den speziellen Gleichheitsrechten 132 . Denkbar und zulässig wäre es zwar, wie es das BVerfG i m Radikalenbeschluß tat, eine ohnehin bestehende Verfassungstreuepflicht zur Kennzeichnung der „Eignung" i n A r t . 33 Abs. 2 GG heranzuziehen. Man kann jedoch nicht den Karren vor den Ochsen spannen und umgekehrt aus dem Erfordernis der „Eignung" auf eine „politische Treuepflicht" folgern. Der Frage, inwieweit das Diskriminierungsverbot des A r t . 3 Abs. 3 GG sich noch auf das spezielle Gleichheitsrecht i n A r t . 33 Abs. 2 GG auswirkt 1 3 3 , braucht an dieser Stelle nicht nachgegangen zu werden, da A r t . 33 Abs. 2 GG jedenfalls nicht die Grundnorm der Verfassungstreuepflicht für Soldaten (und auch nicht für Beamte) sein kann. Selbst das Bundesarbeitsgericht konnte i n seiner Entscheidung von 1976 zur Begründung der Verfassungstreuepflicht von Angestellten i m öffentlichen Dienst kaum mehr ins Feld führen, als sich auf den Radikalenbeschluß des BVerfG zu berufen, der aber seinerseits A r t . 33 Abs. 5 GG und nicht A r t . 33 Abs. 2 GG zur Grundlage der Entscheidung genommen hatte 1 3 4 . Noch viel weniger lassen sich unmittelbar aus A r t . 33 Abs. 2 GG Folgerungen für die Verfassungstreuepflicht der Soldaten ziehen. c) Analogie
zum
Beamtenverhältnis?
Soldaten stehen wie Beamte i n einem Dienst- und Treueverhältnis zum Staat. „Staat und Soldaten sind durch gegenseitige Treue miteinander verbunden" (§ 1 Satz 2 SG). Es läge daher nahe — insbesondere dann, wenn man Soldaten wie Beamte unter A r t . 33 Abs. 4 GG fallen läßt — analog zu den Beamten, oder i n Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), eine Verfassungstreuepflicht der Soldaten zu konstituieren. Das BVerfG hat zur Gleichbehandlung von Soldaten und Beamten i m „Soldatenurteil" i n der Tat festgestellt, daß Soldaten, die nach A r t . 131 GG bis 1945 i m „öffentlichen Dienste" standen, obwohl eigentlich die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" nach A r t . 33 Abs. 5 GG nicht unmittelbar auf sie anwendbar seien, nach „einheitlichen Grundsätzen" wie die Beamten behandelt werden müßten 135 . Da „hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums" nicht bestünden, bedeute dies, daß A r t . 33 Abs. 5 GG auch für die Regelung der Rechtsverhältnisse der (früheren) Berufssoldaten „ i n 132
Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 12, I I 2 Randnr. 437. Das B V e r f G hat sich i m Radikalenbeschluß m i t A r t . 3 Abs. 3 GG befaßt, ohne dabei jedoch auf das Verhältnis A r t . 3 Abs. 3 zu A r t . 33 Abs. 2 GG einzugehen — vgl. BVerfG N J W 1975, 1647. 134 B A G , N J W 1976, 1789. 135 BVerfGE 3, 289 (334 f.). 133
A . I I . Bisherige Lösungsversuche
111
gleichem Umfang heranzuziehen ist, wie bei der Gestaltung der Verhältnisse der Berufsbeamten". Nun ging es i m „Soldatenurteil" des BVerfG freilich u m versorgungsrechtliche Ansprüche — eng auf den Fall des A r t . 131 GG begrenzt. Nicht gedacht war an die Begründung von Pflichten wie der „Verfassungstreuepflicht". Das BVerwG hat — dies könnte evtl. für eine Analogie sprechen — i m „Peter-Urteil" 1 3 6 bekräftigt, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes („Radikalenbeschluß") 137 sowohl zum Bestehen und Inhalt der politischen Treuepflicht, als auch hinsichtlich des sog. Differenzierungsverbotes verbindlich sei. Das BVerwG, das sich hierbei auf eine langjährige Rechtsprechung des BVerfG berufen konnte 1 3 8 , hat die Rechtswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht nur auf den Tenor, sondern auch auf die „tragenden Gründe" verfassungsgerichtlicher Entscheidungen erstreckt. Es wäre aber verfehlt, wollte man hieraus schließen, daß das „obiter dictum" des „Radikalenbeschlusses" zur Verfassungstreuepflicht der Angestellten Bindungswirkung für andere Gerichte habe 139 , und überhaupt die Ausführungen zur politischen Treuepflicht der Beamten u m der einheitlichen Behandlung des Themas w i l len auch auf Soldaten anzuwenden seien 140 . Irreführend und ohne Begründung übernimmt Scherer i n der 5. Auflage seines Kommentars zum Soldatengesetz die Grundsätze zum Inhalt der politischen Treuepflicht der Soldaten (§ 8 SG) — ohne Unterscheidung zwischen Wehrpflichtigen und Berufs- und Zeitsoldaten — der Entscheidung des BVerfG über die Beamtentreuepflicht 141 . Der Blick sollte nicht davor verstellt werden, daß die Begründung einer Pflicht der Soldaten zur Verfassungstreue nicht einfach auf dem Wege der Analogie zu den Beamten oder in Anwendung des Gleichheitssatzes gelöst werden kann, denn auf eine unzulässige Analogie liefe die ohne grundgesetzliche Bestimmung erfolgende „einheitliche" Behandlung von Beamten und Berufssoldaten hinaus. Treffend hat hierzu auch schon Anschütz bemerkt 1 4 2 , es gebe 136 BVerwG, U r t e i l v o m 29.10.1981, N J W 1982, 779. 137
BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641. Vgl. BVerfGE 30, 1 ff.; 40, 88 (94); 42, 243 (260). 139 So Schlick, Der Radikalenbeschluß des Bundesverfassungsgerichts — I n h a l t u n d Konsequenzen, N J W 1975, 2169 ff. (2173); kritisch H. Meier / U. Wollenteit, Disziplinarrecht — „Politische Treuepflicht", Kritische Justiz 1983, 22 ff. 140 ζ. B. rechnet auch K . Kröger, Abstufung der Treuepflicht der Beamten?, ZRP 1982, S. 161 ff., das Verbot der Differenzierung der Verfassungstreuepflicht zu den tragenden Gründen des Radikalenbeschlusses. 141 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641; Scherer, Soldatengesetz, Randnrn. 3 ff. zu § 8 SG. 138
112
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
„ k e i n überirdisches Magazin, gefüllt m i t absolut richtigen Rechtsnormen, die m a n n u r herauszuholen brauche, u m sie i n die Lücken des positiven Rechts zu stopfen".
Wenn die Verfassungsordnung eine konkrete Verfassungstreuepflicht nicht positiv begründet, so kann diese auch keinen Verfassungsrang haben. Smend hatte i n seinem Gutachten zum Wehrbeitrag hierzu betont: „Das überpositive Recht k a n n keinen Verfassungsgrundsatz ersetzen, der nicht da ist 1 4 3 ."
Der „Erfinder" eines solchen Grundsatzes, der nicht konkret i n der Verfassung selbst angesiedelt ist, würde sich die Rolle des Verfassungsgebers anmaßen 144 . Noch viel mehr muß dies für Grundsätze gelten, die disziplinarrechtlich oder gar strafrechtlich geahndet werden können. A r t . 103 Abs. 2 GG verbietet jeden Analogieschluß 145 , wenn es u m Straf- oder Disziplinartatbestände geht, u m Strafbegründung oder -Verschärfung. Hier kann es auch keinen — etwa von Beamten auf Widerruf, Postbeamten, Lokomotivführern ausgehenden — Schluß a minore ad maius geben. Ist einmal klargestellt, wie anhand der oben geschilderten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu ersehen ist, daß die Rechtsverhältnisse der Berufssoldaten nicht nach den „hergebrachten" Grundsätzen des Beamtentums zu beurteilen sind, so kann eine Verfassungstreuepflicht der Berufssoldaten auch nicht auf Umwegen aus A r t . 33 Abs. 5 GG oder gar A r t . 33 Abs. 2 GG entnommen werden.
2. Herleitung der Verfassungstreue aus dem Grundsatz der „streitbaren Demokratie"?
Der zweite Senat des BVerfG hat i n seinen beiden Entscheidungen vom 18.2.1970, dem Dienstzimmerbeschluß 146 und dem SDAJ-Beschluß 147 , einen Zusammenhang hergestellt zwischen der „streitbaren Demokratie" und der Pflicht der Soldaten, „durch ihr gesamtes Verhalten nung einzutreten (§8SG)". 142
für die Erhaltung
der freiheitlichen
Ord-
Anschütz, V e r w A r c h i v 14, 319, so zitiert bei Martens, S. 55. Vgl. Smend, in: K a m p f u m den Wehrbeitrag, I I , S. 573. 144 Hier w i r d nicht der Wiederkehr eines Verfassungspositivismus das W o r t geredet, sondern einer schöpferischen, Rechte der Bürger u n d Soldaten u n bestimmt beschränkenden Verfassungsinterpretation widersprochen. 145 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 14 I I I 2, Randnr. 558. 146 BVerfGE 28, 36 (48 f.) u n d unter Berufung auf erstere Entscheidung. 147 BVerfGE 28, 51 (55). 143
A . I I . Bisherige Lösungsversuche
113
Die Bundesrepublik Deutschland sei eine Demokratie, die von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlichen Ordnung erwarte und einen Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen diese Ordnung nicht hinnehme (Art. 9 Abs. 2, 20 Abs. 4, 18, 21 Abs. 2, 98 Abs. 2 und 5 GG). Aus dieser insoweit noch akzeptablen nun freilich einen weitreichenden und i n Schluß, der der streitbaren Demokratie Grundnorm für das Wehr recht gibt: das kratie gelte auch für die innere Ordnung
Feststellung zieht das BVerfG der Folgezeit mißverstandenen scheinbar den Charakter einer Prinzip der streitbaren Demoder Bundeswehr 1* 8.
Scherer zieht i n der 5. Auflage seines Kommentars zum Soldatengesetz 149 die beiden Entscheidungen heran und folgert daraus, daß § 8 SG diese verfassungsmäßige Grundpflicht des Soldaten „konkretisiere". Auch der 2. Wehrdienstsenat des BVerwG operiert i n seiner neuesten — ansonsten durchaus positiv zu bewertenden — Entscheidung ohne nähere Erklärung m i t dem vom BVerfG i m Dienstzimmerbeschluß aufgebrachten Argument der „streitbaren Demokratie" und stellt sie i n einen Zusammenhang mit der politischen Treuepflicht, die von jedem Soldaten die Bereitschaft verlange, sich mit der Idee des Staates, dem er diene, zu identifizieren 150 . I m „Radikalenbeschluß" von 1975151 bevorzugt das BVerfG die Bezeichnung „wehrhafte" Demokratie; hier stützt es den Begriff ebenfalls auf A r t . 9 Abs. 2, A r t . 18, A r t . 20 Abs. 4, 21 Abs. 2, 91, 98 Abs. 2 GG und — hierin über die beiden Entscheidungen von 1970 hinausgehend — noch auf A r t . 2 Abs. 1, 79 Abs. 3 und A r t . 91, nicht aber A r t . 98 Abs. 5 GG. Die „Grundentscheidung der Verfassung" für die wehrhafte Demokratie schließe es aus, daß der Staat, dessen verfassungsmäßiges Funktionieren von der freien inneren Bindung seiner Beamten an die geltende Verfassung abhänge, zum Staatsdienst Bewerber zulasse und i m Staatsdienst Bürger belasse, die die freiheitliche demokratische, rechtsund sozialstaatliche Ordnung ablehnen und bekämpfen. Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat könne und dürfe sich nicht i n die Hand seiner Zerstörer geben. Die eigentliche politische Treuepflicht der Beamten führt das BVerfG i m Radikalenbeschluß allerdings eindeutig auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (und nicht auf die „streitbare" oder „wehrhafte" Demokratie) zurück; die „streit148 B V e r f G 28, 36 (48 f.), grundsätzlich zur K r i t i k beider Entscheidungen: H.-P. Schneider, Die parlamentarische Opposition, Bd. 1, S. 307; Hesse, V e r fassungsrecht, § 20 Fn. 4; Bulla, A ö R 98, 340 ff. (356 f.); Lameyer, Diss., S. 50 f. 149 Scherer, Soldatengesetz, Randnr. 1 zu § 8 SG. 150 BVerwG, 2. Wehrdienstsenat, U r t e i l vom 24.1.1984, NZWehrr. 1984, 167 f. 151 BVerfGE 39, 334.
8 Cuntz
114
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
bare Demokratie" spielt für die Beamtentreuepflicht nur eine verstärkende und interpretierende Rolle. Der Begriff der „streitbaren Demokratie", oft auch „wehrhafte" oder „abwehrbereite" Demokratie genannt 152 , hat seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der KPD i m Jahr 1956 zunehmend Anwendung und Bedeutung erlangt 153 . Das Grundgesetz habe — so das BVerfG i m K P D - U r t e i l — „bewußt den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen u n d dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung unternommen".
Die Formel von der „streitbaren Demokratie" ist nicht wörtlich der Verfassung entnommen, sondern wurde von Rechtsprechung und Lehre aus verschiedenen Normen des Grundgesetzes und seiner Werteordnung entwickelt 1 5 4 . Der Begriff „streitbare Demokratie" w i r d nicht immer identisch angewandt und ausgelegt. Er ist gewissermaßen die Kehrseite der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" 1 5 5 , deren Schutz die streitbare Demokratie dienen soll 156 . I m oben bereits angeführten „Dienstzimmer-Beschluß" 157 verwendet das BVerfG den Begriff „streitbare Demokratie" — wie es zunächst den Anschein haben w i l l — unmittelbar als Grundlage für die Verfassungstreuepflicht der Soldaten (§ 8 SG). Jedenfalls werden daraus Folgerungen für die Einschränkung der Meinungsfreiheit des betroffenen Unteroffiziers gezogen; dieser — ein Zeitsoldat, also Freiwilliger — hatte u. a. gesagt, man könne i n der Bundesrepublik seine Meinung nicht frei äußern. Das Gericht bezeichnet diese Meinungsäußerung als Diffamierung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung 1 5 8 . 152 Z u m Begriff vgl. Lameyer, Diss.; Fromme, Die streitbare Demokratie i m Bonner Grundgesetz m. w. N. und Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, S. 185 ff.; Bulla, Die Lehre von der streitbaren Demokratie, AöR 98, 340. 153 BVerfGE 5, 85 (139). 154
Vgl. Lameyer, Diss. S. 1 ff. Der Begriff geht auf die Urteile des BVerfG zum Verbot von K P D u n d SRP zurück — BVerfGE 2, 1; 5, 85; als Schöpfer des Ausdrucks „streitbare Demokratie" k a n n nach Lameyer, Diss., Einleitung, S. 1, K a r l Mannheim gelten. Er prägte demnach den Begriff während des 2. Weltkrieges i n seinem Aufsatz „Diagnose of our time". (Vgl. dazu Karl Mannheim, Diagnose unserer Zeit. Gedanken eines Soziologen, Zürich — Wien — Konstanz 1951, S. 9—23, besonders S. 13 ff., 17 f.) 156 Vgl. Bulla, AöR 98, 341. 157 B V e r f G 28, 36 (48 f.) (auch „Soldatenbeschluß" genannt). 158 Hier w i r d offensichtlich die — w e n n v o m Soldaten auch falsch gesehene — Realität unseres Staates zu einem bestimmten Zeitpunkt m i t der freiheitlichen demokratischen Grundordnung selbst verwechselt. Vgl. auch Lameyer, Diss., S. 52/53. 155
A . I I . Bisherige Lösungsversuche
115
I n der zweiten o. a. Entscheidung 159 geht es u m einen wehrpflichtigen Soldaten, ein Mitglied der „Sozialistischen Deutschen Arbeiter-Jugend" (SDAJ). Er hatte i n Z i v i l außerhalb des Sicherheitsbereiches der Kaserne 100 Flugblätter gegen die Notstandsgesetzgebung an Soldaten verteilt und darin dazu aufgefordert, den Befehl zur Ausbildung i m Straßenkampf zu verweigern. Er erhielt hierauf 14 Tage Arrest. Hierzu stellt das Gericht — man kann einen unwilligen Unterton hier nicht überhören — schlicht fest, daß „solche Umtriebe i n einem Gemeinwesen, das sich auf das Prinzip der streitbaren Demokratie gründet",
nicht hingenommen werden könnten 1 6 0 . Selbst wenn man den beiden Entscheidungen, insbesondere der letzteren, i m Ergebnis zustimmen mag, so läßt sich doch sicherlich nicht unmittelbar aus dem Begriff der „streitbaren Demokratie", wie Scherer 161 es tut, auf die Begründung einer Verfassungstreuepflicht der Soldaten schließen. Zunächst einmal hat das BVerfG i n keiner der beiden genannten Entscheidungen Stellung zu Inhalt und Tragweite der Verfassungstreuepflicht selbst genommen, sondern lediglich ausgeführt, daß das Grundrecht des Beschwerdeführers aus A r t . 5 Abs. 1 GG nicht verletzt sei. Die Verfassungstreuepflicht, wie sie etwa i m Radikalenbeschluß des BVerfG hinsichtlich der Beamten definiert wurde, geht viel weiter, hat Auswirkungen, wie sie das BVerfG in den beiden o. a. Entscheidungen nicht i m Auge hatte oder überhaupt haben konnte. Auch i n der scharf gefaßten Kürze der Begründung haben die beiden Beschlüsse von 1970 kaum die Gestalt von Grundsatzentscheidungen zur Verfassungstreuepflicht der Soldaten wie später der Radikalenbeschluß des BVerfG i m Jahr 1975. Das BVerfG hat i n den Entscheidungen von 1970 die „streitbare Demokratie" lediglich als Auslegungsprinzip für §§ 10 Abs. 6, 8 SG angewandt. Viel entscheidender aber ist noch, daß der Begriff der „streitbaren Demokratie", der aus ganz bestimmten, auf Fälle der Gefährdung von Freiheit und Demokratie zielenden Vorschriften der Verfassung entnommen ist, doch dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung selbst dienen soll. Er kann nicht einfach, wo immer er gebraucht wird, pauschal gegen die Grundrechte aufgerechnet und zur Begründung von Pflichten herangezogen werden 162 . Wie schon unter I I la) deutlich wurde, läßt sich eine Pflicht, die eine Beschränkung des 159
BVerfGE 28, 51. 160 B V e r f G 28, 51 (55). 161
Scherer, Kommentar, Randnr. 1 zu § 8 SG. Vgl. H.-P. Schneider, Die parlamentarische Opposition, S. 307; i h m folgend Lameyer, Diss., S. 48. 162
8*
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Grundrechtsgebrauchs bedeuten und deren Verletzung disziplinarrechtliche Folgen nach sich ziehen kann, nicht „einfach direkt i n abstracto" aus der „streitbaren Demokratie" herleiten 1 6 3 . Wo immer die Verfassung sich „streitbar" zeigt — i n A r t . 9 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2, 79 Abs. 3, 91, 98 Abs. 2 u. 5 GG — gibt es i n diesen Normen bestimmte konkrete Regeln und Grenzen für die Streitbarkeit 1 6 4 , die bei pauschalierter Anwendung der Formel unabhängig von diesen Grundnormen weitgehend entfallen würden, d. h. der Schutz der durch die Verfassung gewährleisteten Grundrechte würde unzulässig verkürzt werden. I m wichtigsten Fall der Streitbarkeit, A r t . 79 Abs. 3 GG, richtet sich das Grundgesetz nicht an die Adresse des Bürgers, sondern an den Staat, insbesondere Exekutive und Legislative. Ihnen werden Grenzen aufgezeigt. „Streitbare Demokratie" ist selbst nicht Norm des Grundgesetzes, sondern Sammelbegriff für die i m Grundgesetz eingebauten „Abwehrnormen". Nur eine bestimmte Norm des GG könnte verfassungsrechtliche Grundlage der Verfassungstreue darstellen. Folgerichtig hat das BVerfG i m Radikalenbeschluß 165 auch Rückgriff auf die konkrete Vorschrift des A r t . 33 Abs. 5 GG genommen. I m Ergebnis läßt sich also eine Verfassungstreuepflicht der Soldaten allein mit dem Prinzip der streitbaren Demokratie nicht begründen.
3. Herleitung der Verfassungstreuepflicht aus der „Funktionsfähigkeit" der Streitkräfte?
Battis und Stern 166 führen die Verfassungstreue auf den Begriff der „Leistungs- und Funktionsfähigkeit" (Stern) bzw. „Funktion" des öffentlichen Dienstes zurück. Die Verfassungstreuepflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes — unter diesen Begriff kann man Beamte und Berufs« und Zeitsoldaten subsumieren — folge aus der Notwendigkeit der Staatserhaltung und des Staatsschutzes. Aber auch dieser Gedankengang h i l f t hier nicht weiter. Die „Funktionsfähigkeit" des Staates ist zwar ein legitimes und notwendiges A n liegen, jedoch ein Begriff, der nicht der Verfassung entstammt. Aus dem Begriff der Funktion oder Funktionsfähigkeit des Staates ließe sich 163 Daß A r t . 103 Abs. 2 GG hier eine Rolle spielt, hatte auch das B V e r f G i n BVerfGE 28, 51 (54) anerkannt. Es hat bei der Beurteilung der Frage, ob der gesetzlichen Bestimmtheit genügt ist, Rückgriff auf die konkreten Normen §§ 7, 8, 17 Abs. 2 genommen. 164 Vgl. auch die K r i t i k bei Lameyer, Diss., S. 48. 165 BVerfGE 39, 334.
166
Battis, Bundesbeamtengesetz, Anm. 3 a zu § 7 BBG; Stern, Zur Verfas-
sungstreue der Beamten, S. 52. Beide stützen ihre Theorien noch auf A r t . 33 Abs. 2 GG.
A . I I . Bisherige Lösungsversuche
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allenfalls eine Staatstreuepflicht, nicht aber eine Verfassungstreuepflicht ableiten. Denn der Staat und die Streitkräfte können auch „funktionieren", wenn sie sich nicht an die Verfassung halten. Das Grundgesetz ist aber nicht „wertneutral", sondern entscheidet sich für zentrale Grundwerte, die es i n seinen Schutz nimmt und dem Staat aufgibt, sie zu sichern und zu gewährleisten 167 . Es ist daher auch irreführend, wenn das BVerfG i m „Dienstzimmerbeschluß" die Einschränkung politischer Meinungsäußerungen unter Berufung auf einen sich aus dem „Wesen einer Armee ergebenden Grundsatz der Disziplin" für gerechtfertigt hält 1 6 8 . Der „Grundsatz der Disziplin" w i r d i m Dienstzimmerbeschluß aus dem angeblichen „Verfassungsauftrag" des A r t . 87 a Abs. 1 GG gefolgert, der auch das Gebot umfasse, das innere Gefüge der Streitkräfte so zu gestalten, daß sie ihren m i l i tärischen Aufgaben gewachsen seien. Die „Funktionstüchtigkeit" der Streitkräfte hat jedoch keinen gegen die Grundrechte aufwiegbaren, eigenen Verfassungswert. Hier droht der Abweg einer unbestimmt weiten Einschränkung der Grundrechte der Soldaten. Dem Sinn der Verfassungstreue, nämlich den Werten von Freiheit und Demokratie i m täglichen Leben wie i n Krisenzeiten Geltung zu verschaffen, würde diese Sichtweise schließlich konträr entgegenstehen. Funktionsfähigkeit ist kein Spezifikum der freiheitlichen Demokratie. Ebensowenig t r i f f t es das Problem, wenn Schmidt-Bleibtreu 1 6 9 statuiert, daß Art. 87 a Abs. 1 GG „funktionstüchtige Streitkräfte" fordere, deren Verfassungstreue vorausgesetzt werde. Verfassungstreue kann nicht einfach „vorausgesetzt" werden, sie muß i n der Wirklichkeit Leben und normative Kraft gewinnen. Eine ganz andere Frage ist es, ob die Funktionstüchtigkeit der Bundeswehr als Auslegungsregel für die Pflichten der Soldaten herangezogen wird, wie es Battis für die Beamten vorschlägt 170 . Die Pflichten der Soldaten können selbstverständlich nur insoweit ausgedehnt werden, als es die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte erfordert. Funktionsfähigkeit bildet damit eine zusätzliche Obergrenze jeder Einschränkung der Rechte der Soldaten, aber keine rechtliche Begründung für die Einschränkung. Eine Begründung der Verfassungstreuepflicht liefert der Begriff der Funktionsfähigkeit jedenfalls nicht. 167 Vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642); BVerfGE 2, 1 (12); 5, 85 (134 ff.); 6, 32 (40 f.). 168 Vgl. BVerfGE 28, 36 (47). Z u Recht wendet sich auch Hassemer (Strafverteidiger 1982, 275 ff. m. w. N.) gegen die Rechtsprechung des B V e r f G zur „Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege". 169 I n : Schmidt-Bleibtreu / Klein, Kommentar zum Grundgesetz, A n m . 2 u. 3 zu A r t . 87 a. 170 Battis, B B G § 8, A n m . 3 a, S. 61 f.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des Grundgesetzes zur Sicherung der Verfassungstreue der Streitkräfte 1. Grundlagen
Zwischenergebnis der bisherigen Überlegungen ist: Die Verfassungstreuepflicht der Soldaten hat nur dann Verfassungsrang, wenn sie sich auf konkrete und bestimmte Normen des Grundgesetzes zurückführen läßt. I n dem bereits zitierten Wort von Smend 171 liegt der Schlüssel: „Das überpositive Recht k a n n keinen Verfassungsgrundsatz ersetzen, der nicht da ist."
Gehen w i r auf die Überlegung zurück, die oben hinsichtlich des Verhältnisses der Streitkräfte zum Grundgesetz angestellt wurde. Die Schöpfer der Wehrverfassung zielten i n großer Einmütigkeit auf eine „Einordnung der Bundeswehr i n den verfassungsmäßigen Aufbau des Staates". Der „deutsche Soldat" sollte, „soweit es die Natur eines m i l i tärischen Verbandes zuläßt, i m Besitz seiner bürgerlichen Rechte bleiben". Die Bundeswehr sollte als Bestandteil der „vollziehenden Gewalt" an Verfassung, Grundrechte, Recht und Gesetz nach A r t . 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG unmittelbar gebunden sein 172 : — Die Bundeswehr, das erhellt aus ihrer Einordnung in die gewaltenteilende Demokratie, sollte am Verfassungsleben mit allen Rechten und Pflichten teilnehmen. Sie sollte ebenso wie alle anderen Teile der Staatsmacht der öffentlichen und gewaltenteiligen Kontrolle durch Regierung, Parlament und Gerichte unterliegen. Sie ist nicht als unabhängiger „Staat i m Staate" konzipiert, nicht als vierte Gewalt, aber auch nicht als „Parlamentsheer". Die Bundeswehr ist „Verfassungsheer" 173 . Hierauf beruhen die „konstruktiven Sicherungen" für die Verfassungstreue der Bundeswehr als Institution. — Verfassungstreue und Funktionstüchtigkeit der „konstruktiven Sicherungen" muß aber notwendig einer subjektiven Einstellung der Verantwortungsträger innerhalb der Bundeswehr, der Soldaten entspringen. Verfassungstreue der Soldaten ist insofern in erster Linie „Verfassungsgehorsam". Der „Verfassungsgehorsam" der Soldaten hat aber nicht nur hinsichtlich der konstruktiven Sicherungen zu gelten, sondern auch — besonders bei Vorgesetzten — hinsichtlich der Achtung vor den unmittelbar geltenden Grundrechten anderer, ζ. B. der Untergebenen oder — vor allem bei einem möglichen Ein171
I n : K a m p f u m den Wehrbeitrag, Bd. 2, S. 573. 172 v g l . 2. schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages v o m 1.3.1956 — BT-Drucksache, 2. W P — 2150, S. 1 f. 173
Vgl. υ. Unruh, V V D S t R L 26, 157.
A . I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des GG
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satz i m Inneren — der Bürger (Art. 1 Abs. 3 GG). Damit nehmen die Soldaten an der „normativen Kraft" der Verfassung teil. — Schließlich aber sind zur Durchsetzung der Verfassungstreue der Streitkräfte i n verfassungsmäßigen Grenzen auch präventive und notfalls auch repressive Sicherungen erforderlich, und das gilt i n erster Linie für die Berufs- und Zeitsoldaten, die i n einem freiwillig „übernommenen" 1 7 4 „Dienst- und Treueverhältnis" stehen. Wie bei den Beamten ist als „repressive" Maßnahme die Ahndung einer Pflichtverletzung (§ 23 SG), falls eine solche vorliegt, i m Wege eines förmlichen Disziplinarverfahrens möglich, das bei Berufs- und Zeitsoldaten bis zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis gehen kann (§ 58 WDO). Der Dienstherr hat aber auch „präventive" Vorkehrungen zu treffen, u m die Verfassungstreue der Soldaten zu sichern. Dazu können auch Maßnahmen bei der Einstellung von Berufs- und Zeitsoldaten gehören 175 . I n diesem Rahmen ist die Frage nach der verpflichtenden Bindung der Soldaten an die freiheitliche demokratische Grundordnung zu prüfen.
2. „Objektive" Verfassungstreue
„Verfassungstreue" kann objektiv in einem Verhältnis zwischen der Institution Bundeswehr und der Verfassung verstanden werden. Diese „objektive" Verfassungstreue ist auch gemeint, wenn etwa Benda 176 die „Verfassungstreue" der Bundeswehr i m Zusammenhang m i t dem Einsatz i m Innern „voraussetzt". „Objektive" — weil nicht dem einzelnen Soldaten auferlegte — Verfassungstreue ist es i n diesem Sinne auch, wenn man nur die der bewaffneten Macht übergeordneten Organe und Politiker an die Verfassung binden w i l l , wie es Friesenhahn vorschlug 177 . I n eine ähnliche Richtung wie Friesenhahn geht v. Unruh 1 7 8 , wenn er als die „Herren der Waffen" nicht die verantwortlichen Soldaten, sondern die „Organe und politischen Sachverwalter" bezeichnet. „Objektiv" ist diese Perspektive der Verfassungstreue, weil sie dem 174 V o m freiwilligen A k t des „Ubernehmens" geht das B V e r f G auch i m Radikalenbeschluß aus, vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642). 175 Vgl. hierzu BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1643). 176 Die Notstandsverfassung, S. 136 f.; i h m folgend Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu / K l e i n : Kommentar zum Grundgesetz, A n m . 2 zu A r t . 87 a GG: „ A n der Verfassungstreue der bewaffneten Macht besteht k e i n Zweifel; aber i h r Einsatz gegen Bürger des eigenen Landes stellt auch dann, w e n n diese sich i n gefährlicher Weise gegen die Rechtsordnung u n d die demokratisch legitimierte Staatsgewalt stellen, eine innenpolitische Zerreißprobe größten Ausmaßes dar, die möglichst vermieden werden sollte." 177 Friesenhahn, Der politische Eid, S. 107. 175 V V D S t R L 26, 157 (158).
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
einzelnen Soldaten keine spezifische und unmittelbare Treuepflicht gegenüber der Verfassung abverlangt, sondern lediglich Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten, damit die Institution Bundeswehr insgesamt „verfassungstreu" bleibt. Der sicherlich notwendige Gehorsam und die dadurch erfolgende Unterordnung unter die Organe und politischen Sachverwalter — Disziplin — aber reicht nicht aus. M i t Graf Baudissin ist festzustellen, daß bei der Schaffung der Bundeswehr i m betonten Gegensatz zur bisherigen Auffassung („Die Disziplin ist die ganze Seele der Armee." [Moltke]) — neue Wege gegangen werden sollten 179 . So unverzichtbar Gehorsam und Disziplin sind, so wichtig ist auch die Verantwortung der Soldaten. Diese „Rangverschiebung" von Verantwortung und Disziplin bedeutet Abkehr von einer Entwicklung, die mit den Söldnern begonnen hatte 1 5 0 . Die „objektive" Verfassungstreue der Institution Bundeswehr, die vor allem durch konstruktive Sicherungen gewährleistet wird, kann jedoch ohne subjektive Verfassungstreue der Soldaten, besonders der Verantwortungsträger, leicht leerlaufen. A u f verfassungsgemäße Wahrnehmung ihrer Aufgaben durch die Soldaten muß Verlaß sein. „Treue" ist i n erster Linie als dieses individuelle, persönliche Verhältnis zu Demokratie und Grundgesetz zu verstehen 181 . Die „objektive Verfassungstreue" der Bundeswehr steht und fällt letztlich mit der subjektiven Verfassungstreue des einzelnen Soldaten. 3. Verfassungstreue als „Verfassungsgehorsam" (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG)
Das Grundgesetz kann nur dann wirksam werden, wenn es von seinen Organen und Sachverwaltern und gerade auch von den Angehörigen der bewaffneten Macht i m täglichen Leben umgesetzt und angewandt wird. Der „Verfassungsgehorsam" aller Staatsdiener ist deshalb erste Voraussetzung der Lebensfähigkeit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Heute kann nicht mehr gelten, was vor mehr als 100 Jahren Lorenz v. Stein noch so formulierte: „Die Verfassung k a n n das Heer schaffen u n d verwalten; aber eines k a n n sie nicht: sie kann nicht dem Heer befehlen 182." 179 Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 195, 157. Wie hier auch Isensee, Öffentlicher Dienst, S. 1192. 180 Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 195, 157. 181 Vgl. hierzu Friesenhahn, Der politische Eid, S. 99 f. — Treue wurde lange n u r zwischen zwei Personen für möglich gehalten — zwischen Untertan u n d Herrscher, Untergebenem u n d Vorgesetzten, Soldat u n d Monarchen; allerdings enthielt auch schon die Frankfurter Reichsverfassung von 1849 § 14 den Begriff der „Treue zur Reichsverfassung" bei den Soldaten. 182 Lorenz v. Stein, S. 12.
A . I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des GG
Dieser Satz war allerdings auch i m 19. Jahrhundert gültig gehalten worden. Vielmehr war gerade i n der zung u m den Verfassungseid darum gekämpft worden, ebenso wie die Beamten schwören sollten, daß sie die achten", „beobachten", „aufrechterhalten", „wahren", stimmungen nachkommen" 183 .
121
nicht immer für Auseinandersetdaß die Soldaten Verfassung „beoder „ihren Be-
Der Bürger muß heute — da Soldaten wie Beamte unter der Verfassung stehen — darauf vertrauen können, daß die Staatsgewalt i n allen ihren Erscheinungsformen — also auch und gerade die Streitkräfte — sich von der Verfassung „befehlen" läßt. a) Verfassungsrechtliche
Begründung
Verfassungstreue als „Verfassungsgehorsam" der Streitkräfte ist an sich eine selbstverständliche Konsequenz daraus, daß die Verfassung unmittelbare und dem einfachen Recht und Gesetz vorangehende Geltung beansprucht. Daraus w i r d verschiedentlich auf eine allgemeine Grundpflicht der Bürger zum Gehorsam gegen das Grundgesetz geschlossen184. Auch A r t . 19 des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfs lautete so: „Jeder hat die Pflicht der Treue gegen die Verfassung u n d hat Verfassung u n d Gesetz zu achten u n d zu befolgen."
Diese Vorschrift ist aber nicht i n das Grundgesetz übernommen worden, da man sie für eine „Selbstverständlichkeit" hielt 1 8 5 . I m 19. Jahrhundert war das nicht so gewesen: in verschiedenen Verfassungen der Einzelstaaten war unter dem Abschnitt „Gewähr der Verfassung" vorgesehen worden, daß nicht nur der Landesherr, sondern auch alle Staatsbürger bzw. Untertanen die Verfassung zu beeiden hatten 1 8 6 , weil man die Beachtung der Verfassung nicht für eine Selbstverständlichkeit hielt. Das Grundgesetz aber bedarf heute keiner Beeidigung durch die Staatsbürger mehr. Es lebt durch seine „normative Kraft" 1 8 7 . Die Verbindlichkeit des 183 Vgl. die landständischen Verfassungen i n Kurhessen, Bayern, W ü r t t e m berg, Sachsen, Hannover — oben 1. Kap. I I 1 u n d I I 4. 184 vgl. H. Peters, Geschichtliche Entwicklung u n d Grundfragen der Verfassung, S. 305; Müller, Diss., S. 78; Kallreuter, DÖV 1951, 469. 185
Vgl. Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1950, S. 33; Stober, Grundpflichten u n d Grundgesetz, S. 4 f.; Müller, Diss., S. 78 unter Berufung auf Scheuner, Politische Betätigung v o n Beamten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, S. 70. Offensichtlich w i r d der Begriff „Treue" i m Herrenchiemseer E n t w u r f allgemein m i t Befolgung der Verfassung gleichgesetzt. 186 s. oben, 1. Kap. I I 1 u. 2; vgl. hierzu auch E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 364 f. 187 v g l Hesse, Verfassungsrecht § 1 I I I 5; näher Hesse, Die normative K r a f t der Verfassung, 1959, S. 9 ff.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Grundgesetzes für jeden einzelnen, soweit er betroffen ist, ist Grundbedingung seiner Geltung. Dies ist auch die Grundlage für die Formulierung des A r t . 2 Abs. 1 GG, der eine Befolgung der Verfassung durch die Bürger voraussetzt 188 . Alle Soldaten haben somit bereits als Bürger die Pflicht, sich an die Regeln der Verfassung zu halten, das Grundgesetz also als verbindlich zu beachten 189 . Diese staatsbürgerliche Pflicht gilt, gleich, ob sich der Soldat i m Dienst oder außer Dienst befindet 190 . Es handelt sich jedoch u m keine eigenständige Rechtspflicht, sondern u m die subjektive Kehrseite der Verbindlichkeit der Verfassung. Alle Soldaten sind aber — Berufs- und Zeitsoldaten ebenso wie Wehrpflichtige —, wenn sie sich dienstlich betätigen, als Angehörige der bewaffneten Macht und damit als Vertreter der „vollziehenden Gewalt" nach Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG an Verfassung und Grundrechte unmittelbar gebunden 191 . Nach dem Grundsatz des Vorrangs der Verfassung 192 darf sich kein staatlicher A k t mit der Verfassung in Widerspruch setzen. Soweit eine Tätigkeit der Soldaten als dienstliche Verrichtung anzusehen ist, sind die Soldaten unmittelbar der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) und besonders auch den Grundrechten (Art. 1 Abs. 3 GG) zum Gehorsam verpflichtet 1 9 3 . Hier geht es u m eine echte positive und durchsetzbare Rechtspflicht, die dem Soldatsein „anhängt", sofern überhaupt dienstliche Tätigkeit vorliegt. Eine Unterscheidung zwischen Tätigkeit der Soldaten i m „Einsatz" nach A r t . 87 a, A r t . 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG und einem sonstigen Tätigwerden ist hierbei weder sinnvoll noch rechtlich zulässige Möglichkeit, denn sonst könnten sich die Streitkräfte selbst einen verfassungsrechtsfreien Raum schaffen 194 , indem sie nach Wahl „ i m Einsatz" oder außerhalb eines „Einsatzes" tätig wer188
Vgl. Stober, S. 23. Hier soll freilich keine Aussage über die D r i t t w i r k u n g der Grundrechte bzw. Bindung der Bürger an die Grundrechte gemacht werden; vgl. zur Problematik Henke, Zeitschrift für P o l i t i k 1983, 239 (150 f.). 190 v. Unruh, V V D S t R L 26, 157 (200) meint hierzu, daß der Auslegungsspielraum von Verfassungsnormen so eng wie möglich gehalten werden müsse, damit nicht die Streitkräfte, statt als „Hüter der Verfassung" ihnen zu dienen, i n die Lage geraten, sie bestimmen zu müssen. Die Auslegung von Verfassungsnormen k a n n aber nicht speziell für die Soldaten angefertigt werden! 191 Eine andere — unter dem Thema Widerstandsrecht zu behandelnde — Frage ist es, ob ein Untergebener den verfassungswidrigen, aber nicht eine Straftat darstellenden Befehl des Vorgesetzten ausführen muß — § 11 SG. 192 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 6 I I . 193 Vgl. auch § 10 Abs. 4 SG: „Er (der Vorgesetzte) darf Befehle n u r zu dienstlichen Zwecken n u r n u r unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze u n d der Dienstvorschriften erteilen." 194 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 111. 189
A . I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des GG
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den. Die Pflicht zum Verfassungsgehorsam w i r k t sich konkret ζ. B. auf das Verhältnis vom Vorgesetzten zum Untergebenen aus, aber auch i m Verhältnis zwischen Soldat und Bürger. Die Soldaten müssen wie die Beamten „ i n der beruflichen Tätigkeit" die verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften beachten und erfüllen und ihrer Aufgabe aus dem Geiste dieser Vorschriften nachkommen 195 . Die Streitkräfte sind, indem sie dem Verteidigungsminister (Art. 65 a GG) und damit der demokratisch gewählten Regierung untergeordnet sind, wie alle Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) letztlich i m Auftrag des Volkes tätig. Ihre Legitimität erfahren auch die Streitkräfte erst aus der Volkssouveränität, von der alle staatliche Gewalt ausgeht. Es ist der Volkssouverän, von dem der „Befehl" zum Verfassungsgehorsam ausgeht. Das Grundgesetz normiert mit der Entscheidung für die Demokratie — A r t . 20 Abs. 2 GG — allerdings keine abstrakte, von der wirklichen und augenblicklichen Gesellschaft abgelöste Doktrin, sondern die konkrete demokratische Ordnung heutiger geschichtlicher Wirklichkeit 1 9 6 . Die Befehlsabhängigkeit von der demokratisch gewählten Regierung sichert in normalen Zeiten auch die Durchsetzung des Volkswillens in den Streitkräften. Von daher versteht sich, daß „Verfassungsgehorsam" der Streitkräfte Ein- und Unterordnung i n den demokratischen Prozeß bedeutet, an dem grundsätzlich das ganze Volk teilnimmt, nicht nur die gegenwärtige Mehrheit des Volkes, sondern auch Minderheiten 1 9 7 . Nicht zu übersehen ist dabei, daß auch die Soldaten selbst als Staatsbürger am demokratischen Willensbildungsprozeß teilnehmen. Achtung vor dem Staatsbürger i m anderen Soldaten gehört mithin unzweifelhaft zum demokratischen Prinzip. Die Demokratie ist damit auch Grund der Begrenzung staatlicher Macht gegenüber dem einzelnen Soldaten. Verfassungstreue, als „Verfassungsgehorsam" begriffen, ist in der Geschichte nicht immer als Selbstverständlichkeit verstanden worden. Die Sorge, daß Soldaten der Verfassung mehr als dem Fürsten gehorchen könnten, wurde i m 19. Jahrhundert als Argument gegen den Verfassungseid angeführt 198 . Das Abschiedsgesuch der 241 kurhessischen Offiziere i m Jahre 1850 war kein A k t der „Identifizierung" mit der Verfassung, sondern schlicht „Verfassungsgehorsam" 199 . Eine weit verbreitete Meinung der Weimarer Zeit hielt dann die Verpflichtung auf die Verfassung für unvereinbar mit der Disziplin 2 0 0 . Auch heute macht man sich 195 196 197 m 199
BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642). Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 5 I, Randnr. 133. Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 5 I, Randnr. 133. Vgl. oben, 1. Kap. I I 2 u. 4, I I I 3. Vgl. auch Frielinghaus, ZRP 1971, 230; s. oben 1. Kap. I I 4.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
nicht immer bewußt, wie weit ein ernstgenommener Verfassungsgehorsam der Soldaten gehen kann. Die Verantwortung für die Befehle t r i f f t kraft ausdrücklicher Vorschrift des § 10 Abs. 5 Satz 1 SG zwar i n erster Linie den Vorgesetzten, aber auch der gehorchende Untergebene ist nicht völlig entlastet. So darf ein Befehl nach § 11 Abs. 2 Satz 1 SG nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat, ζ. B. Vorbereitung eines Angriffskriegs, begangen würde 2 0 1 . I m Normalfall dürfte die Verantwortung für die Beobachtung der Verfassung beim befehlenden Vorgesetzten liegen. Diese Tatsache sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß alle Soldaten nach A r t . 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG i m Dienst dem Verfassungsgehorsam unterworfen sind 202 . b) Inhalt der Verfassungstreue
als „Verfassungsgehorsam"
Verfassungstreue als Verfassungsgehorsam heißt für Soldaten vor allem, den auf die Bundeswehr anwendbaren Vorschriften des Grundgesetzes Folge zu leisten. Die folgende Aufstellung nennt Schwerpunkte: — „Primat
der Politik"
Hierzu gehört vor allem die Beachtung des „Primats der Politik" 2 0 3 , wie er — ohne als Begriff genannt zu sein — i m einzelnen vom Grundgesetz ausgeformt wurde. Die Streitkräfte sind demnach eindeutig i n Friedenszeiten der Befehls- und Kommandogewalt des Verteidigungsministers (Art. 65 a GG), i m Verteidigungsfall des Bundeskanzlers (Art. 115 b GG) untergeordnet. Ein Verstoß gegen den Verfassungsgehorsam wäre es ζ. B., wenn sich die militärische Führung der Streitkräfte, wie etwa unter General v. Seeckt und seinen Nachfolgern i n der Weimarer Zeit, verselbständigen wollte 2 0 4 . —
„Einmischungsverbot" Inhalt der Verfassungstreue i m Sinne von Verfassungsgehorsam ist aber auch ein Verbot der Einmischung der Streitkräfte und ihrer
200 Vgl. Friesenhahn, Der politische Eid, S. 101; Knütter, Verfassungsfeindliche Beamte i n der Weimarer Republik, in: Schönbohm, Verfassungsfeinde als Beamte?, S. 31. 201 A r t . 26 Abs. 1 GG; § 80 StGB. 202 E i n schiefes B i l d entsteht daher, w e n n man — wie Schreiber i n N Z Wehrr. 1967, 166 f. meint, „daß der Soldat i m Unterschied zu den Beamten nicht m i t Gesetzen umgehen" müsse, die i h m n u r Recht u n d Schranke seien; irreführend auch E. Busch, Der Oberbefehl, S. 110. 203 Vgl. oben, 2. Kap. A I 3 b). 204 Vgl. hierzu Schmädeke, Militärische Kommandogewalt u n d parlamentarische Demokratie, S. 86 ff.; E.Busch, Der Oberbefehl, S. 117: „Eine selbständige, d. h. v o m Parlament weitgehend unabhängige u n d unbeeinflußbare Entwicklung der Streitkräfte ist unter der Herrschaft des Grundgesetzes staatsrechtlich immöglich geworden."
A . I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des GG
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Verantwortungträger in den Ablauf der politischen Entscheidungen. Dies ergibt sich nicht nur aus der befehlsmäßigen Unterstellung unter den demokratisch legitimierten Verteidigungsminister (Art. 65 a GG), sondern unmittelbar schon aus dem demokratischen Prinzip (Art. 20 Abs. 2 GG). Wenn der Soldat als Staatsbürger am politischen Leben teilnimmt, ist das korrekt und vom Grundgesetz so gewollt. Nimmt aber die Bundeswehr als Institution, bzw. ihre Verantwortungsträger, mit der Macht der Waffen i m Hintergrund Einfluß auf das politische Geschehen, so kann ein Konflikt mit dem demokratischen Prinzip entstehen. Der Extremfall wäre ein Putsch gegen die verfassungsmäßige und demokratisch legitimierte Regierung. Die Furcht vor einem Putsch oder sonstiger Einmischung hatte i n der Zeit der Französischen Revolution zum „Deliberationsverbot" geführt 2 0 5 . Wo Soldaten i n dienstlicher Eigenschaft auf nicht rein militärischfachliche, sondern allgemeinpolitische Entscheidungen Einfluß nehmen, muß der Spielraum mit Rücksicht auf das demokratische Prinzip sehr eng gesteckt bleiben 206 . I n jedem Fall wäre eine Einwirkung auf politische Entscheidungen unter Nutzung des militärischen Gewichts unzulässig 207 . Diese Regeln gelten nicht nur i m Verhältnis zwischen Soldaten und politischen Entscheidungsträgern oder Soldaten und Bürgern, sondern auch innerhalb der Bundeswehr, ζ. B. i m Verhältnis von Vorgesetzten und den ihnen anvertrauten wehrpflichtigen Soldaten. 205 Vgl. oben, 1. Kap. 12: „ L a force publique est essentiellement obéissante. N u l corps armé ne peut délibérer." 206 Für die „Ministerialsoldaten" i m B M V g sind die zulässigen E i n w i r k u n g s möglichkeiten naturgemäß größer. Die M i t w i r k u n g bei militärpolitischen E n t scheidungen ist, soweit sie i m Rahmen ihrer Zuständigkeit handeln, ihre u r eigentliche Aufgabe. 207 Eine Ausprägung des — bereits durch das demokratische Prinzip v o r gegebenen — Einmischungsverbots findet sich i n § 15 Abs. 2 SG, der „jedes Verhalten ausschließen" w i l l , das einen Kameraden i n seiner dienstfreien Zeit gegen seinen W i l l e n i n eine politische Auseinandersetzung drängt. — (Vgl. BVerfGE 44, 197 [203]). Das BVerfG, das i n § 15 SG eine Sicherung von Diszip l i n u n d Schlagkraft der Truppe sieht, fährt an gleicher Stelle fort: „ V i e l mehr gebietet unter den besonderen Bedingungen des militärischen Lebensbereichs der Schutzanspruch der anderen, sich nicht gegen ihren W i l l e n einer sie bedrängenden Inanspruchnahme oder Beeinflussung seitens ihrer Kameraden m i t deren Gedankenwelt aussetzen zu müssen." — Wenn dieses P r i n zip, der Anspruch „ i n Ruhe gelassen zu werden" (BVerfG ebd. unter Berufung auf BVerfGE 6, 32 [41]; 27, 1 [6 f.]) schon unter Kameraden gleichen Dienstrangs gilt, dann u m so mehr noch, w e n n Vorgesetzte versuchen, politischen Einfluß auf ihre Untergebenen zu nehmen, u n d sei es i m Sinne der offiziellen W e h r p o l i t i k der Regierung. Der Soldat, der pflichtgemäß seinen Dienst verrichtet, hat das Recht, auch v o n einer „bundeswehrkonformen" politischen E i n w i r k u n g auf i h n „ i n Ruhe gelassen" zu werden. Dieses Prinzip ist i n § 15 Abs. 4 SG konkretisiert.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Eine Beeinflussung i n einer bestimmten politischen Richtung, und sei es auch die regierungsoffizielle Linie, widerspricht grundsätzlich dem Einmischungsverbot, wie es i n § 15 Abs. 4 SG konkretisiert ist. — Beachtung der Grundrechte Inhalt des Verfassungsgehorsams ist auch die Beachtung der Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG). Einen herausgehobenen Stellenwert nimmt dabei die Menschenwürde ein (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Bundeswehr als eine Institution, die dem Schutz von Staat und Volke dient, ist hier besonders in die Pflicht genommen. Der Soldat, insbesondere der in Kasernen lebende wehrpflichtige Soldat, ist als Untergebener weitgehend ein Abhängiger, seine Rechte sind besonders schützenswert 2 0 8 . Aber auch der Berufs- und Zeitsoldat, der dem Prinzip von Befehl, Gehorsam und Disziplin unterworfen ist, muß — seiner Situation entsprechend — vor Eingriffen in seine persönlichen Rechte geschützt werden. Auch hier gilt, daß die Verfassungstreue i m Sinne des Verfassungsgehorsams nicht nur i m Verhältnis von Soldaten zu Bürgern zu sehen ist, sondern auch i m Verhältnis von Soldaten zu Soldaten. Der Soldat bleibt auch i m Dienst der Staatsbürger i n Uniform, dem i m Rahmen der militärisch absolut notwendigen Einschränkungen die Grundrechte erhalten bleiben. Der Akzent der freiheitlichen demokratischen Wehrverfassung liegt in diesem Bereich — i m Grundgesetz durch A r t . 17 a GG positiviert. Der Soldat ist also i m Dienst gleichzeitig als Amtswalter der Bundeswehr grundrechtsgebunden und als Staatsbürger Grundrechtsträger 209 . — Einsatz der Streitkräfte Schließlich ist es aber auch Inhalt der Verfassungstreue i m Sinne des Verfassungsgehorsams, daß sich die Soldaten da, wo sie als Repräsentanten der Streitkräfte angesprochen sind — bei aller Unter208 Vgl. hierzu auch die Ausführungen i n BVerfGE 44, 197 (203): „Bei der Anwendung der Vorschrift (gemeint ist i n diesem Zusammenhang § 15 Abs. 2 SG) darf nicht außer Betracht bleiben, daß der Soldat i n der Kaserne nicht abgeschlossen w o h n t u n d deshalb seine Privatsphäre n u r unter wesentlich erschwerten Bedingungen schützen kann. Sein Grundrecht auf unbedingte Achtung seines privaten Lebensbereichs (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG), sein A n spruch, i n Ruhe gelassen zu werden (vgl. BVerfGE 6, 32, 41; 27, 1, 6 f.), sind i n dieser besonderen Situation besonders gefährdet u n d deshalb i n besonderem Maße schützenswert." 209 Vgl. hierzu Isensee, öffentlicher Dienst, S. 1192 f.; hierzu auch de Mazzière, Bekenntnis zum Soldaten, S. 91: „ W i r verstehen auch den Soldaten als Staatsbürger u n d meinen damit nicht nur, daß er die staatsbürgerlichen Rechte wahrnehmen kann, soweit es nicht die E r f ü l l u n g des militärischen Auftrages v o m Gesetzgeber festgelegte Einschränkungen verlangt: W i r meinen, daß der Staatsbürger auch als Soldat i n der M i t v e r a n t w o r t u n g für unseren Staat bleibt."
A . I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des GG
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Ordnung unter die demokratisch legitimierte Regierung —, an die sie speziell ansprechenden Verfassungsregeln halten. A r t . 26 GG (Verbot des Angriffskriegs und vorbereitender Handlungen) und A r t . 87 a Abs. 2, 4 GG, A r t . 35 Abs. 2 Satz 2 u. Abs. 3 GG (Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr) bilden hier die Schwerpunkte. Die Soldaten unterstehen dem Friedensgebot unserer Verfassung (Präambel, A r t . 1 Abs. 2, 24 Abs. 2, 26 Abs. 1 GG). Sie sind Soldaten für den Frieden 210 . — Rechtsstaatlichkeit
und Völkerrecht
Die Soldaten stehen unter dem Gebot des Rechtsstaats (Art. 20 Abs. 3 GG). Wenn ζ. B. die Streitkräfte für einen Einsatz im Innern i n Betracht kommen (Art. 87 a Abs. 3 u. 4 GG; A r t . 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG), sind sie wie alle staatliche Gewalt in Berührung mit dem Bürger nicht nur an die Grundrechte, sondern auch an die Gebote der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden 211 . Bei einem Einsatz im Verteidigungsfall sind, wie schon i m Frieden, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts 212 unmittelbar für die Soldaten verbindlich (Art. 25 GG).
4. Verfassungstreue als Bindung an die freiheitliche demokratische Grundordnung
a) Soldaten als Staatsbürger I m Schrifttum ist verschiedentlich aus A r t . 18 GG und/oder A r t . 2 Abs. 1 GG nicht nur auf eine allgemeine Gehorsamspflicht gegenüber der Verfassung, sondern sogar auf eine noch weiter gefaßte Grundpflicht der Bürger zur „Verfassungstreue" i m Sinne einer inneren Einstellung geschlossen worden 213 . Auch das BVerfG kam unter Berufung auf das Prinzip der streitbaren Demokratie im „Dienstzimmerbeschluß" 214 zu der Auffassung: 210 Zur Verfassung als Friedensordnung vgl. Benda, Frieden u n d Verfassung, S. 3. Z u A r t . 26 Abs. 1 S. 2 GG Götz Frank, A b w e h r völkerfriedensgefährdender Presse durch innerstaatliches Recht, B e r l i n 1974. 211 Vgl. Kleiner, Diss., S. 341 ff. 212 Vgl. auch § 10 Abs. 5 SG: „Er (der Vorgesetzte) darf Befehle n u r zu dienstlichen Zwecken u n d n u r unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze u n d der Dienstvorschriften erteilen." 213 Vgl. Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft i n Deutschland, S. 290 f.; Stober, Grundpflichten u n d Grundgesetz, S. 4 f.; Krause, Diss., 98; Köttgen, Von den Grundrechten der Soldaten, S. 74, der A r t . 18 GG als „Schweigepflicht" i n t e r pretiert. 214 BVerfGE 28,36 (38).
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
„Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Demokratie, die von ihren B ü r gern eine Verteidigung der freiheitlichen Ordnung erwartet und einen M i ß brauch des Grundrechts zum K a m p f gegen diese Ordnung nicht h i n n i m m t . "
Das BVerfG hat hierbei jedoch nicht klar zum Ausdruck gebracht, ob es sich u m eine notfalls erzwingbare echte Rechtspflicht der Bürger handelt, denn etwas „erwarten" und „nicht hinnehmen" heißt noch nicht, mit Sanktionen belegen 215 . Vielmehr dürfte sich das BVerfG mit dieser Äußerung auf die Vorschrift des A r t . 18 GG bezogen haben, ohne eine neue Pflicht konstituieren zu wollen. A r t . 18 GG gibt aber für die Herleitung einer Grundpflicht der Bürger zur Verfassungstreue nichts her. Die in A r t . 18 GG genannte „Verwirkung" ist keine Sanktion oder Strafe. Die Entscheidung des BVerfG hat hierbei konstitutive Wirkung 216. Sie w i r k t nicht ex tunc, sondern 217 ex nunc . Die Verwirkung findet zudem nur bezüglich bestimmter Grundrechte, nicht der Grundrechte insgesamt statt 2 1 8 . A r t . 18 GG bet r i f f t einen Extremfall; bisher ist vom BVerfG noch keine Verwirkung von Grundrechten ausgesprochen worden 2 1 9 . Eine allgemeine Treuepflicht ist aus A r t . 18 GG jedenfalls nicht herauszulesen. Auch A r t . 2 Abs. 1 GG oder A r t . 21 Abs. 2 GG lassen nicht auf eine Grundpflicht zur Verfassungstreue schließen 220 . Maunz / Zippelius stellen demgemäß zutreffend fest, daß das Grundgesetz eine allgemeine Bürgerpflicht zur Verfassungstreue nicht zum Ausdruck bringt 2 2 1 . Auch das BVerfG hat i m „Radikalenbeschluß" 222 dem Bürger die Freiheit zuerkannt (Art. 21 Abs. 2 GG), die „verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen u n d sie politisch zu bekämpfen, solange er es innerhalb einer Partei, die nicht verboten ist, m i t allgemein erlaubten M i t t e l n t u t " .
Daraus ergibt sich, daß es keine Grundpflicht des Bürgers zum Bekenntnis zur „verfassungsmäßigen oder freiheitlichen demokratischen 215
Müller, Diss., S. 78, Fn. 5, meint unter Berufung auf Maurer, N J W 1972, 602, daß der Unterschied zwischen Verfassungstreuepflicht der Bürger u n d der der Soldaten bzw. Beamten n u r i n der Sanktionsmöglichkeit liege. 216 Vgl. BVerfGE 10, 118 (122 ff.); Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 67 zu A r t . 18 GG. 217 Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 68 zu A r t . 18 GG. 218 A . Hamann sieht deshalb i n A r t . 18 ein Freiheitsrecht — Hamann / Lenz, A n m . 1 zu A r t . 18 GG. 219 Lediglich zwei Anträge w u r d e n zurückgewiesen; vgl. BVerfGE 11, 28 ff.; zur Gesamtproblematik Gallwas, Der Mißbrauch v o n Grundrechten, 1967, S. 118 ff. 220 So aber m i t unterschiedlichen Argumenten Stober, l . T e i l I I I 11; H.Peters, Geschichtliche Entwicklung, S.305 — Pflicht zur „Unterlassung des Kampfes" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. 221 Maunz / Zippelius, Staatsrecht, § 22. 222 BVerfGE 31, 334 (375 f.) = N J W 1975, 1641 (1645).
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Grundordnung" gibt 2 2 3 . Dies ändert nichts an der Verbindlichkeit der Verfassung. Der Bürger muß sich in den Grenzen der „erlaubten Mittel" halten, also die Regeln der Verfassung, soweit sie ihn betreffen, befolgen. b) Berufs- und Zeitsoldaten Weithin unbestritten ist, daß Staatsbedienstete, jedenfalls dann, wenn ihre Beziehung zum Staat nicht rein arbeitsrechtlich gestaltet ist, sich in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis befinden. Hierzu zählen nach allgemeinem Verständnis auch die Berufs- und Zeitsoldaten 224 . I m Grundgesetz kommt dies insbesondere i n A r t . 33 Abs. 4 GG zum Ausdruck, der für die „Angehörigen des öffentlichen Dienstes" i. d. R. ein „öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis" vorsieht. Auch die Soldaten stehen — § 1 SG — in einem „Dienst- und Treueverhältnis" 2 2 5 . Entgegen einer verbreiteten Meinung, die unter A r t . 33 Abs. 4 GG nur Beamte fallen lassen w i l l 2 2 6 , sind zum „öffentlichen Dienst" i m Sinne des A r t . 33 Abs. 4 GG auch Berufs- und Zeitsoldaten zu zählen 227 . Sinn des A r t . 33 Abs. 4 GG ist es gerade, die Ausübung der Staatsgewalt i n die Hand besonders verpflichteter Personen zu legen. Wer als Berufs- oder Zeitsoldat dienstlich tätig wird, übt hoheitliche Befugnisse, ζ. B. schon gegenüber den Untergebenen durch einen Befehl, aus. Die i m Grundgesetz genannten Aufgaben der Streitkräfte — A r t . 87 a, 35 Abs. 2 und 3, 26 GG — sind Ausübung von Staatsgewalt i n besonders auffälliger Form. Ihre Aufgabe stellt die Soldaten i n ein besonderes Vertrauensverhältnis 228 . I m Gegensatz zu A r t . 33 Abs. 5 GG enthält A r t . 33 Abs. 4 GG keinen Bezug auf das „Berufsbeamtentum". A r t . 33 223
Ebenso Maunz / Zippelius, Staatsrecht § 22. Vgl. BVerfGE 28; Maunz / Zippelius, Staatsrecht, §22; Isensee, Öffentlicher Dienst, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1150; Schwenck, Rechtsordnung u n d Bundeswehr, 4.2.1; Lerche, in: Β ettermann / Nipper dey / Scheuner, S.507. 225 Vgl. Mann, D Ö V 1960, 409 ff. (410); Ule, V V D S t R L 15, 151; Weber, V V D S t R L 15, 188 u n d Merk, V V D S t R L , 15, 193, der rechtsgeschichtliche Bezüge zum altgermanischen Gefolgschaftsverhältnis wie i m D r i t t e n Reich erkennen w i l l . 226 Maunz, in: Maunz / Dürig, Randnr. 39 zu A r t . 33; Quaritsch, Führung u n d Organisation, S. 228 unter Berufung auf Maunz u n d — unzutreffenderweise — auf BVerfGE 3, 330; 16, 94 (110/111). 227 BVerfGE 16, 94 (110/1): „ A r t . 33 Abs. 5 GG handelt zwar nach seinem Wortlaut v o m Recht des öffentlichen Dienstes schlechthin, zu dem auch der Dienst des Berufssoldaten gehören würde." — Hieraus ergibt sich, daß das B V e r f G die Berufssoldaten grundsätzlich dem „öffentlichen Dienst" zurechnet, n u r nicht i n A r t . 33 Abs. 5 GG; ebenso Stern, Z u r Verfassungstreue der Beamten, S. 52; Isensee, öffentlicher Dienst, S. 1150; i m Ergebnis genauso Hesse, Verfassungsrecht, § 14 I I 2. 228 Vgl. die Argumentation bei Böttcher, Diss., S. 160 ff. 224
9 Cuntz
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Abs. 4 GG ist damit weiter als A r t . 33 Abs. 5 GG. Er umfaßt sowohl Beamte als auch Berufs- und Zeitsoldaten. Ganz abgesehen von A r t . 33 Abs. 4 GG kann aber auch gar kein Zweifel darüber bestehen, daß Berufs- und auch Zeitsoldaten i n der konkreten Ausgestaltung ihrer Beziehungen zum Dienstherrn — ζ. B. im Disziplinar- und Versorgungsrecht — i n einem den Beamten vergleichbaren Dienst- und Treueverhältnis zum Staate stehen. Der Berufs- und Zeitsoldat übernimmt mit E i n t r i t t i n das Dienstund Treueverhältnis Berufspflichten 229 , die ihrem Aufgabenbereich, wie er vom Grundgesetz festgelegt wird, entsprechen: Soldaten sind nach A r t . 87 a Abs. 1 GG zur „Verteidigung" da. Verteidigung dient aber dem Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Rechtsgütern der Gemeinschaft 230 . Zu diesem Zweck werden die Berufs- und Zeitsoldaten eingestellt; die Bewahrung des Friedens und der Schutz der i n der staatlichen Gemeinschaft zusammengefaßten Menschen und ihrer durch Freiheitsrechte und Demokratie gekennzeichneten Ordnung sind erste und oberste Berufspflichten und geben dem Soldatenberuf erst seinen Sinn: Das Treueverhältnis zwischen ihnen und dem Staat ist nur i n Verbindung mit der diesen Staat erst legitim begründenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung überhaupt denkbar. Zugleich aber unterstellt die Verfassung die Soldaten der politischen Führung. I n die Hand der Berufs- und Zeitsoldaten ist eine erhebliche Konzentration staatlicher Macht gelegt. Ihre Verantwortung aber entspricht dieser Machtfülle. Soldaten sind für Krisen- und Konfliktsituationen da. W i r d von Beamten erwartet, daß sie zur Verfassung stehen, kann es nicht Wille der Verfassung sein, die Berufs- und Zeitsoldaten von entsprechenden Treuepflichten zu entlasten 231 . Ein wesentliches Argument, das das BVerfG i m „Radikalenbeschluß" für die politische Treuepflicht der Beamten anführte, war gerade die Krisensituation: „Politische Treuepflicht bewährt sich i n Krisenzeiten u n d i n ernsthaften Konfliktsituationen, i n denen der Staat darauf angewiesen ist, daß der Beamte Partei für i h n ergreift 2 3 2 ."
Wieviel mehr spricht gerade dieses Argument dafür, daß die Berufsund Zeitsoldaten i n ein Treueverhältnis zur Grundlage unseres Staates, die i h m die einzig legitime Gestalt gibt, der Verfassung gebunden sind 233 . 229
Vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642). Vgl. BVerfGE 48, 127 = N J W 1978, 1245 (1246). 231 Auch A r t . 137 Abs. 1 GG ist ein deutlicher Hinweis, daß Beamte u n d Berufs· u n d Zeitsoldaten i n ihrer staatsbürgerlichen Stellung u n d ihrer Verfassungstreuepflicht nicht unterschiedlich gesehen werden. 232 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642). 233 Vgl. H. P. Schneider, unveröffentlichtes Gutachten zur Treuepflicht des 230
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Woraus aber läßt sich positiv i n der Verfassung ablesen, was die Verfassungstreue vom einzelnen Berufs- oder Zeitsoldaten erwartet? Einen Schlüssel bietet Art. 79 Abs. 3 GG 2 3 4 . Dieser Angelpunkt des Grundgesetzes richtet sich an die staatliche Gewalt. Er ist mehr als eine bloße Verfahrensvorschrift, die nur an Regierung und Gesetzgebung gerichtet wäre und damit nur in Ausnahmefällen Bedeutung erlangte. Sie schützt vielmehr einen Kernbestand von Grundsätzen vor jedem staatlichen Zugriff 35. Sie enthält die „Legitimationsgrundläge" unseres Staates, die heute positiv formuliert ist, anders als i n der Weimarer Republik, als es keine Legitimität, sondern nur „Legalität" i m Verfassungsrecht gab 236 . Die Verfassung w i l l mit A r t . 79 Abs. 3 GG verhindern, daß ein Selbstmord der rechtsstaatlichen Demokratie auf dem Wege einer formellen Pseudolegalität vollzogen werden kann 2 3 7 . Insgesamt deckt sich der durch A r t . 79 Abs. 3 GG der Verfassungsänderung entzogene materielle Kern des Grundgesetzes mit dem, was A r t . 18, 21 Abs. 2, 87 a Abs. 4 und 91 Abs. 1 GG als „freiheitliche demokratische Grundordnung" bezeichnen und vorbeugend gegen Beeinträchtigungen anderer A r t zu schützen suchen 238 . Hierzu treten i n A r t . 79 Abs. 3 GG kraft positiver Bestimmung die Grundlagen der bundesstaatlichen Ordnung 2 3 9 als Grenzen einer Verfassungsänderung, die jedoch nicht mit dem Grundsatz freiheitlicher Demokratie, dem Kernbestand der Verfassung zu t u n haben 240 . A r t . 79 Abs. 3 GG nennt den Kernbestand unserer Verfassung ausdrücklich: A r t . 1 und 20 GG, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Beamten v o m 12.9.1982, S. 27: „Unter der Geltung des Grundgesetzes ist u n ter „Treue" n u r die Verfassungstreue zu verstehen." 234 Vgl. auch Böttcher, Diss., S. 160 f., der A r t . 79 Abs. 3 als „inhaltliche Ausprägung" des Soldatendienstes versteht. 235 Vgl. H.-P. Schneider, Der Verfassungsschutz, in: W. Narr (Hrsg.), W i r Bürger als Sicherheitsrisiko, S. 124: „Wenn die Kernprinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gemäß A r t . 79 Abs. 3 GG sogar dem Z u griff verfassungsändernder Mehrheiten entzogen sind, dürfen sie zweifellos auch von den Verfassungsschutzbehörden nicht angetastet werden." Dies gilt auch für die Streitkräfte. 236 s. oben, l . K a p . I V 3; Böckenförde, F A Z v o m 8.12.1978, S. 9, 10, abgedr. bei Koschnick, Abschied v o m Extremistenbeschluß, S. 76. 237 Vgl. Hesse, §21 I I , Randnr. 701; BVerfGE 30, 1 (24). 238 Vgl. Hesse, § 21 I I , Randnr. 706; Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, in: Beiträge, S. 101. 239 Der Vorläufer des A r t . 79 Abs. 3 GG, A r t . 108 des Herrenchiemseer-Entwurfs lautete: „Anträge auf Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche u n d demokratische Grundordnung beseitigt würde, sind unzulässig." Die bundesstaatliche Ordnung w a r i n A r t . 107 des HerrenchiemseerEntwurfs getrennt geschützt; vgl. Denninger, Der Schutz der Verfassung, in: Benda / Maihof er / Vogel, S. 1306. 240 Vgl. Denninger, Der Schutz, S. 1307 f., m. w. N.; Zwirner, Politische Treupflicht, Diss., S. 196, Fn. 1 m. w. N.; Ehmke, S. 101 f. 9*
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
A r t . 79 Abs. 3 hat eine besondere Funktion: der Schutz, den sich die Verfassung i n A r t . 18, 21 Abs. 2 und 91 Abs. 1 GG sichern w i l l , geht grundsätzlich i n eine andere Richtung als A r t . 79 Abs. 3 GG; geschützt werden soll die Verfassung hier vor Kräften außerhalb des Staates. Gemeinsam ist diesen Vorschriften dabei m i t A r t . 79 Abs. 3 GG, daß als der eigentlich geschützte K e r n der Verfassung die freiheitliche demokratische Grundordnung zu betrachten ist 2 4 1 . A r t . 79 Abs. 3 GG schützt aber die freiheitliche demokratische Grundordnung (Art. 1 und 20 GG), i m Unterschied zu A r t . 18, 21 Abs. 2 und 91 Abs. 1 GG, gerade vor den Machtträgern des Staates und entzieht sie damit jedem staatlichen Zu-
griffBerufs- und Zeitsoldaten sind also nicht nur nach A r t . 1 Abs. 3 und A r t . 20 Abs. 3 GG dem „Verfassungsgehorsam" unterworfen, sondern sie sind als Repräsentanten der Staatsgewalt auch zum Schutz des ihre Legitimität erst begründenden Kernbestandes des Grundgesetzes verpflichtet. Diese Schutzpflicht klingt auch i n A r t . 87 a Abs. 4 GG an: Krisenfall, i n dem die Soldaten (nach streng verfassungsmäßigem Verfahren) gefragt sind, ist die „drohende Gefahr" für die „freiheitliche demokratische Grundordnung". Berufs- und Zeitsoldaten stellen den Großteil der Verantwortungsträger und Vorgesetzten i n der Bundeswehr. Diese Stellung hebt sie aus dem allgemeinen Soldatenstatus heraus. Als „Staatsbürger i n Uniform" haben sie wie jeder andere Staatsbürger das Recht, am demokratischen Willensbildungsprozeß teilzunehmen. Als Berufs- und Zeitsoldaten aber haben sie freiwillig die Verantwortung übernommen — bei voller Unterordnung unter die politische Führung —, den Kernbestand der Verfassung, die freiheitliche demokratische Grundordnung, zu schützen 242. Das Soldatenverhältnis, i n dem sie stehen, ist nämlich nicht wertneutral, sondern unmittelbar auf die das Grundgesetz gestaltenden Werte bezogen 243 . 241 So gewinnt auch der Grundsatz der „streitbaren Demokratie" seinen Sinn: Er erscheint nicht als ungeschriebene Verfassungsnorm, die pauschal gegen Grundrechte aufgewogen w i r d , sondern als Kennzeichnung der konkret i m Grundgesetz enthaltenen Schutznormen für die freiheitliche Demokratie. 242 Eine Pflicht übernehmen heißt nicht, auf Grundrechte als Ganzes zu verzichten, sondern die Ausübung der Grundrechte an dieser Pflicht auszurichten. Es ist daher nicht nötig, w i e Mann, DÖV 1960, 410, m i t dem G r u n d satz „volenti non fit i n i u r i a " zu arbeiten. Treffend Zwirner, Politische Treupflicht, Diss., S. 245: Der Satz „volenti non fit iniuria" läßt sich auch deshalb nicht verwenden, w e i l der demokratische Rechtsstaat ohnehin keine „ U n rechtszonen" schaffen kann. Der Berufs- oder Zeitsoldat ü b e r n i m m t vielmehr Rechtspflichten, nicht Unrecht. Es geht hier auch nicht u m die Frage, ob j e m a n d auf seine politischen Grundrechte verzichten kann; hierzu Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehre, S. 281 ff. 243 v g L Mann, Grundrechte u n d militärisches Statusverhältnis, DÖV, S. 409 ff. (411).
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Der Schutzpflicht entspricht ein inneres Bekenntnis als subjektive Komponente. Der Berufs- und Zeitsoldat „bekennt" sich, indem er seinen Dienst antritt, zu den obersten Werten, die er zu schützen hat 2 4 4 . Verfassungstreue der Berufs- und Zeitsoldaten — wie sie sich aus Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 und 79 Abs. 3 ergibt — beinhaltet also auch ein Bekenntnis zum Kernbestand unserer Verfassung, zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zu deren Schutz sie berufen sind. Dabei ist jedoch den genannten Normen des Grundgesetzes an keiner Stelle zu entnehmen, daß eine bloße Gesinnung, das „Haben einer Uberzeugung", eine Verletzung der Verfassungstreue bedeuten würde 2 4 5 . Die m i t Dienstantritt übernommene Pflicht zur Verfassungstreue fordert vielmehr — indem sie jemanden „bindet" — zu einem Handeln oder Unterlassen auf (Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG) 246 . Der Boden der Bekenntnistreue w i r d also erst bei einer Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder bei einem Unterlassen des erforderlichen Eintretens für sie verlassen. Das Bekenntnis ist nichts anderes als die subjektive Kehrseite des Eintretens für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Verfassungstreue i n diesem Sinne w i r d vor allem relevant, wenn sich Berufs- und Zeitsoldaten im Dienst befinden oder i n dienstlicher Eigenschaft handeln. Der Berufs- und Zeitsoldat hat sich aber durch seine Dienstverpflichtung mit seiner ganzen Person i n dieses Schutzverhältnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung begeben. Selbst Furcht vor Gefahr kann ihn, ähnlich wie Beamte i n gefahrengeneigten Positionen, nicht entlasten 247 . Das Treueverhältnis, i n das sich der Berufs- oder Zeitsoldat begeben hat, hört nicht auf, wenn der Soldat die Kaserne verläßt. So wie Dienstherr und Verfassung dem Soldaten noch außerhalb des Dienstes verpflichtet sind, so ist der Berufs- oder Zeitsoldat seiner Schutzpflicht 244
Es geht nicht u m die „grundrechtsbeschränkende K r a f t " einer „ f r e i w i l l i gen Unterwerfung", w i e sie Böttcher, Diss., S. 167, Fn. 54, v e r w i r f t , sondern u m das positive Bekenntnis zu den Grundwerten der Verfassung. I n w i e w e i t die Grundrechte dadurch eingeschränkt werden können, ist eine hiervon ganz verschiedene Frage, die erst i m Lichte des A r t . 17 a GG zu beantworten ist. Der Zusammenhang zwischen „Bekenntnis" u n d f r e i w i l l i g e m Dienstantritt auch bei Schwenck / Weidinger, Handbuch des Wehrrechts, Stand Nov. 1982, Erläuterung zu § 8 SG. 245 Ebenso BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642). 246 Auch das B V e r f G k o m m t i m Radikalenbeschluß (BVerfGE 39,334 = N J W 1975, 1641 [1642]) über den Begriff v o m „ M i n i m u m an Gewicht u n d an E v i denz der Pflichtverletzung" zu dem Erfordernis, daß „ A k t i v i t ä t e n " oder „ U n terlassen" des Betroffenen vorliegen müssen, u m eine Pflichtverletzung festzustellen. 247 Vgl. Schwenck, Rechtsordnung u n d Bundeswehr, S. 50; Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 86; M . Buth, N Z W e h r r 1981, 216 ff. (217), der feststellt, daß die von Soldaten zu erfüllenden Pflichten über die eines Beamten hinausgehen.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
gegenüber dem Kernbestand der Verfassung, zu dem er sich durch die Wahl und Ausübung des Soldatenberufs bekennt, auch nach Dienstschluß nicht entbunden. Auch außerhalb des dienstlichen Bereiches darf daher nicht derselbe Soldat, der sie zu schützen beauftragt ist, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung kämpfen oder sie zu beseitigen trachten 248 . Die Verfassungstreuepflicht ist außer Dienst typischerweise nur bei Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verletzt, denn die Dienstpflicht zum Handeln ist hier eingeschränkt. Ein Unterlassen des Eintretens für sie kann i n außerdienstlicher Eigenschaft nur i n Extremfällen eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht darstellen. T r i t t der Soldat außer Dienst i n seiner Eigenschaft als Soldat auf, ζ. B. i n Uniform, so mag er insofern als i m Dienst befindlich anzusehen sein. Die auf Bekenntnis beruhende Verfassungstreue des Berufs- und Zeitsoldaten dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, d. h. den durch A r t . 79 Abs. 3 GG als „unveränderlich" deklarierten Grundsätzen der A r t . 1 und 20 GG, die unbestreitbar fundamentalen Charakter tragen 249 . Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist — i n ihrem eigenen Interesse — präzise und konkret zu fassen 250, damit nicht die eine oder andere politisch motivierte Ausdeutung dieses Begriffs sich gegen sie selbst kehrt 2 5 1 und der freie demokratische Willensbildungsprozeß 252 , wie er vom Grundgesetz beabsichtigt ist, beeinträchtigt wird 2 5 3 . Der Charakter der Verfassungstreue ist wie jede Treuebindung zweiseitig. D.h., der Berufssoldat hat sich nicht einseitig mit seiner ganzen Person zum Schutz der freiheit248
Entsprechend auch Böttcher, Diss., S. 160 ff., der diese Pflicht aus dem Vertrauensgrundsatz und der institutionellen Anerkennung der Bundeswehr entwickelt. 249 v g l . j j ρ Schneider, Stellungnahme zum Ministerpräsidentenbeschluß vom 28.1.1972, Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 152 ff. 250 Die weite Fassung des Begriffs, wie sie aus dem SRP-Urteil (BVerfGE 2, 1 [12 f.]) entwickelt wurde, h i l f t hier, wo es u m Individualpflichten des Soldaten geht, nicht weiter. Seine Bindung beruht nicht auf A r t . 21 GG, sondern auf A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 und 79 Abs. 3 GG. 251 Vgl. Η . P. Schneider, Der Verfassungsschutz, in: W.-D. Narr (Hrsg.), W i r Bürger als Sicherheitsrisiko, S. 124, m i t Zitat des Minderheitsvotums zum A b hörurteil des BVerfG: „Es ist ein Widerspruch i n sich selbst, wenn man zum Schutz der Verfassung unveräußerliche Grundsätze der Verfassung aufgibt." (BVerfGE 30.1 [46].) 252 Die Funktion der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besteht wesentlich i n der Gewährleistung des „freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes" — vgl. BVerfGE 44, 125 (139); Denninger, Der Schutz der Verfassung, in: Benda / Maihofer / Vogel, S. 1308. 253 Vgl. Hesse, § 20: „Wenn daher diese Form des Verfassungsschutzes m i t der Formel von der „streitbaren Demokratie" begründet w i r d , so darf dabei nicht übersehen werden, daß die Substanz freiheitlicher Demokratie sich prinzipiell nicht durch Verkürzung von Freiheit sichern läßt."
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liehen demokratischen Grundordnung verpflichtet. Vielmehr schützt die Verfassung die Freiheitsrechte des Soldaten vor einem auf bloßem Sicherheitsdenken beruhenden unberechtigten Zugriff. I m Mittelpunkt unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht der Mensch. Die Achtung vor dem Menschen, die in A r t . 1 Abs. 1—3 gleich am Anfang des Grundgesetzes herausgerückt wird, ist das höchste Gut unserer Verfassung. Gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt sich also nicht schon der, der gegen die regierungs- oder parlamentsoffizielle Meinung opponiert, ζ. B. wer u m Verständnis für den Standpunkt der Kriegsdienstverweigerer wirbt 2 5 4 . Es richtet sich aber umgekehrt auch nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, wenn man die Stationierung von Mittelstreckenraketen befürwortet 2 5 5 . Der Kerngehalt der Verfassung ist allerdings berührt, nämlich die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), wenn ein Offizier an einer symbolischen Judenverbrennung teilnimmt 2 5 6 . Ein Berufs- oder Zeitsoldat, der gegen die von i h m übernommene Verfassungstreuepflicht verstößt, verletzt seine Dienstpflicht. Diese von §8 SG konkretisierte Verfassungstreuepflicht, quasi der Kernbestand des „Verfassungsgehorsams", kann — als „repressive Sicherung" — nach § 7 WDO i n Verbindung m i t § 23 SG disziplinarrechtlich geahndet werden 257 . Dabei bleibt der Bestimmtheitsgrundsatz des A r t . 103 Abs. 2 GG zu beachten, der sich jedenfalls nach Auffassung des BVerfG auch auf Disziplinarstrafen erstreckt 258 . Die Berufspflicht, sich weder gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu betätigen, noch dienstlich ihren Schutz zu unterlassen, ergibt sich aus dem Inhalt der Aufgabe der Berufs- und Zeitsoldaten. Solange der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eng auf die Prinzipien der A r t . 1 und A r t . 20 GG definiert bleibt, ist diese Berufspflicht auch für jeden 254
Vgl. B V e r f G N J W 1970, 1267 (1268) — „Leserbrief entscheidung". Z u widersprechen ist der Ansicht, daß Befürwortung der Stationierung Bruch m i t der Verfassungstreue bedeutet. Die Bedrohung (etwa durch sowjetische Raketen) mag zwar durch die Stationierung angewachsen sein, dies U r teil ist jedem freigestellt — jedoch ist der Zweck der Aufstellung der USRaketen, wie er v o n der Bundesregierung gesehen worden ist, gerade die Kriegsverhütung. Eine Verletzung v o n A r t . 26 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich, schon gar nicht durch die Bundeswehr. Das „Heilbronner Manifest" — angef ü h r t durch Günter Grass u n d andere prominente Vertreter der Friedensbewegung — hat daher weniger juristische als politische Bedeutung. M a n k a n n der Bundeswehr — i m juristischen Sinne — die Verfassungstreue nicht absprechen, w e i l man selbst ein anderes sicherheits- u n d friedenspolitisches Konzept v e r t r i t t . Vgl. zur Problematik das Gespräch m i t Günter Grass, i n : „Die Zeit" v. 24. 2.1984, S. 45. 256 Vgl. Fall O V G Münster N Z W e h r r 1979, 111. 257 Wie bei Beamten: vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1643). 258 Vgl. BVerfGE 26, 186 (203 f.). 255
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
einzelnen Berufs- und Zeitsoldaten leicht erkennbar. Damit wären die Anforderungen, die das BVerfG an die Bestimmtheit disziplinarischer Tatbestände stellt, eingehalten 259 . Dem Dienstherrn erwächst zudem aus A r t . 1 Abs. 3, A r t . 20 Abs. 3 und 79 Abs. 3 GG die Pflicht, „präventive Vorkehrungen" zu treffen, daß der Kernbestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie er i n A r t . 1 und A r t . 20 GG positiv normiert ist, nicht durch von ihm eingestellte Berufs- und Zeitsoldaten gefährdet wird 2 6 0 . Eine Gefährdung des Kernbestandes der Verfassung — A r t . 1 und 20 GG — dürfte gegeben sein, wenn ein Berufs- oder Zeitsoldat unmittelbar und i n grober Weise gegen Normen verstößt, die selbst Bestandteil des Kernbestandes sind (ζ. B. Menschenwürde), oder wenn er sich aktiv gegen Kernbestandsgrundsätze betätigt oder seine dienstliche Schutzpflicht gegenüber diesen Grundnormen durch Unterlassen verletzt. Für einen Bewerber u m die Stellung eines Berufs- oder Zeitsoldaten w i r d auch A r t . 33 Abs. 2 GG wieder relevant: es ist ein Eignungsmangel des Bewerbers, wenn von i h m eine Gefahr für die Gewährleistung der i n A r t . 1 und 20 GG niedergelegten Prinzipien droht 2 6 1 . Als „verfassungsfeindlich" kann zu Recht erst der bezeichnet werden, wer sich konkret gefährdend betätigt, nicht aber, wer bloß „verfassungsfeindlich" gesinnt ist. Worin eine Gefährdung besteht, muß i m Einzelfall entschieden werden. Auch die Betätigung für eine selbst i n diesem Sinne „verfassungsfeindliche Partei" kann dabei als Gefährdung gewertet werden, sofern die Gefährdung konkretisiert ist. Welche Vorkehrungen zum Schutz des Kernbestandes der Verfassung zu treffen sind, bleibt grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten 262 . Die Maßnahmen müssen sich aber i m Einklang m i t der Verfassung und insbesondere ihrem zu schützenden Kern — A r t . 1 und A r t . 20 GG — befinden. Die durch den einfachen Gesetzgeber vorgenommene Konkretisierung dieser präventiven Vorkehrungen liegt i n § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG vor 2 6 3 . Aber auch diese — von der Verfassung geforderte Norm 259 Vgl. BVerfGE 26, 186 (203 f.); erst so k a n n die k l a r i m Grundgesetz n o r mierte freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne v o n A r t . 79 Abs. 3 i n Verbindung m i t A r t . 1 u n d A r t . 20 GG jedem Soldaten selbstverständlich sein — vgl. BVerfGE 28, 51 (54). 260 Wie hier die Begründung hinsichtlich der Beamten bei BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1643). 261 Dies bedeutet nicht, daß A r t . 33 Abs. 2 GG die Ursprungsnorm der V e r fassungstreue darstellt, w i e es B V e r w G 47, 330 suggeriert. Vielmehr ist umgek e h r t die Verfassungstreue Eignungsmerkmal. 262 Auch das B V e r f G sieht i n den beamtenrechtlichen Konkretisierungen nicht die einzige Möglichkeit der Vorkehrung, sondern n u r „ein legitimes M i t tel" — BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1643) (BBG § 7 Abs. 1 Nr. 2, B R R G § 4 Abs. 1 Nr. 2; D R G § 9 Nr. 2).
A . I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des GG
137
— darf nur i m Einklang m i t den Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung selbst ausgelegt werden. Schutz der Verfassung bedeutet immer auch Schutz der Rechte des einzelnen, so daß beide zur optimalen Geltung gelangen. Dies bedeutet, daß der Regelschluß von der Mitgliedschaft i n einer bestimmten Partei auf die Beurteilung der Verfassungstreue nicht zulässig ist, sondern daß eine individuelle Bewertung stattfinden muß. c) Wehrpflichtige
Soldaten
Das Grundgesetz eröffnet dem einfachen Gesetzgeber auf Grund von Art. 12 a Abs. 1 GG die Befugnis, Männer vom 18. Lebensjahr an der allgemeinen Wehrpflicht zu unterwerfen. Die allgemeine Wehrpflicht soll an die freiheitlich-demokratische Tradition anknüpfen, die bis auf die Französische Revolution von 1789 und die Reformzeit i n Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Sie hat damit nichts mit der „Zwangswerbung" des preußischen Kantonrechts 264 oder der „potenzierten Untertanenpflicht" der preußischen Monarchie 265 zu tun. Der allgemeinen Wehrpflicht des Grundgesetzes liegt — so das BVerfG i m Wehrpflichturteil — vielmehr die Vorstellung zugrunde, daß es Pflicht aller männlichen Staatsbürger ist, für den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Rechtsgütern der Gemeinschaft, deren personale Träger auch sie selbst sind, einzutreten 266 . Diese Eintretenspflicht erfüllt der Wehrpflichtige aber schon durch Ableistung seines Wehrdienstes. Der Wehrpflichtige setzt sich durch seinen Dienst für „Freiheit und Menschenwürde" als den „obersten Rechtsgütern der Gemeinschaft" ein, also für nichts anderes als den durch A r t . 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbestand des Grundgesetzes i n A r t . 1 und Art. 20 GG. Lassen w i r das BVerfG sprechen: „ M i t anderen Worten: Individueller grundrechtlicher Schutzanspruch u n d gemeinschaftsbezogene Pflicht des Bürgers eines demokratisch verfaßten Staates, zur Sicherung dieser Verfassungsordnung beizutragen, entsprechen einander 2 6 7 ."
Es besteht m i t h i n eine zweiseitige Bindung und Verpflichtung zwischen Verfassung und Wehrpflichtigen. Der Wehrpflichtige schützt die Verfassung, aber umgekehrt schützt auch die Verfassung Grundrechte, 263 Insofern handelt es sich u m eine „Ausfüllung" verfassungsrechtlicher Grundsätze i m Sinne v o n Stern, Z u r Verfassungstreue der Beamten, S. 53. 264 s. oben, unter 1. Kap. 11. 265 Vgl. Friesenhahn f Der politische Eid, S.98; Laband, Staatsrecht, Bd. 4, S.159. 266 267
Wehrpflichturteil, BVerfGE 48, 127 = N J W 1978, 1245 (1246). Vgl. BVerfGE 48, 127 = N J W 1978, 1245 (1246).
138
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Freiheit und Menschenwürde des einzelnen Wehrpflichtigen. Dies ist der Urgrund des Treueverhältnisses zwischen Verfassung und Wehrpflichtigen. M i t dem aufgrund der Wehrpflicht bestehenden Dienstverhältnis ist es — ebenso wie bei Berufs- und Zeitsoldaten — nicht vereinbar, daß sich der dienstlich handelnde Soldat gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne von A r t . 1 und Art. 20 GG betätigt. Wirbt der wehrpflichtige Soldat ζ. B. i m Dienst für die Errichtung eines Rätesystems oder verbreitet er antisemitische Parolen, so hat er — neben möglichen anderen Dienstpflichtverletzungen — zweifellos gegen seine Verfassungstreue verstoßen. Auch der Soldat, der während der Freizeit als Soldat auftritt, ζ. B. i n Uniform, handelt insofern nicht anders. Außer Dienst gelten aber grundsätzlich andere Regeln — insbesondere, was den persönlichen Bereich des wehrpflichtigen Soldaten angeht. M i t der Wehrpflicht haben die Wehrpflichtigen, anders als die Berufs- und Zeitsoldaten, kein „Bekenntnis" zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgelegt. Ihre außerdienstliche politische Betätigung bleibt somit unberührte staatsbürgerliche Grundfreiheit 2 6 8 . Es sei hier bereits klargestellt, daß auch Mäßigungs- und Zurückhaltungspflichten, wie sie in §§ 17 Abs. 2, 15 Abs. 1 u. 2, 10 Abs. 6 SG gesetzlich normiert sind, niemals den Inhalt einer Meinungsäußerung oder politischen Betätigung beschränken können, sondern allenfalls deren Form oder Intensität 269 . Der Allgemeinplatz, daß der Soldat „immer i m Dienst" ist, kann hinsichtlich der Teilnahme wehrpflichtiger Soldaten am demokratischen und politischen Willensbildungsprozeß nicht gelten. Vielmehr kann der wehrpflichtige Soldat — solange er nicht dienstlich tätig ist oder auft r i t t — wie jeder Staatsbürger von seiner Freiheit Gebrauch machen,
268
Die Bundesregierung hatte 1982 einen Referentenentwurf zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften vorgelegt, nach dem zwischen Verfassungstreue i m Dienst u n d außerhalb des Dienstes unterschieden werden sollte. Dieser E n t w u r f wurde, da noch v o n der sozialliberalen K o a l i t i o n stammend, nicht weiterentwickelt. Kritische Stimmen hierzu: Scholz, Teilbare Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst, ZBR 1982, 129 ff.; K.Kröger, Abstufung der Treuepflicht der Beamten? ZRP 1982, 161 ff.; beide verkennen, daß das B V e r f G ein Differenzierungsverbot für inner- u n d außerdienstliche Tätigkeiten nicht ausgesprochen hatte (BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641). Bei Wehrpflichtigen liegt aber ohnehin eine grundlegend andere Situation vor. (Zum Uniformtragen vgl. B V e r w G N Z W e h r r 1983, 105 ff.) 269 Eine verfassungsrechtlich begründete Mäßigungspflicht der Soldaten gibt es nicht. Die — grundsätzlich zulässigen — gesetzlich normierten Mäßigungspflichten müssen sich i m Rahmen der durch das Grundgesetz und die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte gezogenen Grenzen halten. Vgl. H. P. Schneider, unveröff. Gutachten zur Meinungsfreiheit der Beamten v o m 12. 9.1982, S. 35.
A . I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des GG
139
„die verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen u n d sie politisch zu bekämpfen, solange er es innerhalb einer Partei, die nicht verboten ist, m i t allgemein erlaubten M i t t e l n t u t " 2 7 0 .
Wer i n dieser Hinsicht die Rechte des wehrpflichtigen Soldaten einschränken will, t r i f f t die Allgemeinheit. Die Freiheit der politischen Betätigung, ja das i n A r t . 20 Abs. 2 GG selbst geschützte demokratische Prinzip könnte ins Wanken geraten, wollte der Dienstherr selbst bestimmen, für welche nicht verbotene Partei ein Wehrpflichtiger aktiv werden darf und für welche nicht. Die freiheitliche demokratische Grundordnung, wie sie sich in A r t . 1 und A r t . 20 GG darstellt, w i l l die uneingeschränkte Teilnahme der Bürger am politischen Willensbildungsprozeß. Die freiheitliche demokratische Grundordnung „ist das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit u n d Gleichheit ablehnt" 2 7 1 .
Sie ist eine Ordnung, „die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- u n d Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem W i l l e n der jeweiligen Mehrheit u n d der Freiheit u n d Gleichheit darstellt" 2 7 2 .
Mehr als Einordnung i n die staatliche Ordnung zu verlangen, den Bürger nach einer politischen Leitidee auszurichten, ist das Kennzeichen totalitärer Herrschaftssysteme 773 . Wollte der Staat alle Wehrpflichtigen, und sei es auch nur vorübergehend, ebenso wie Beamte und Berufs- und Zeitsoldaten in die Pflicht nehmen, so könnte er auf diesem Umweg einen Großteil der männlichen Bevölkerung (Art. 12 a Abs. 1 GG) politisch disziplinieren. Hiervon ist unsere freiheitliche Demokratie jedoch weit entfernt. Heute darf nicht mehr, wie i m Preußen-Deutschland des 19. Jahrhunderts 274 oder i m Dritten Reich 275 , die Armee die Schule der 270 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1645). Er k a n n dies natürlich auch ganz außerhalb einer Partei tun. 271
BVerfGE 2,1 (12). BVerfGE, a.a.O. (12 f.). 273 Ebenso Salzmann, Diss., S. 100 f. 274 Vgl. Höhn, Sozialismus u n d Heer, Bd. 2, passim. 275 Die Wehrmacht galt als „Erziehungsschule des deutschen Volkes", die von der „sittlichen Aufgabe" durchdrungen sein sollte, die jungen Menschen „politisch weiterzubilden". T. München, Das V o l k als Wehrgemeinschaft, S. 115: Heckel, Wehrverfassung u n d Wehrrecht, S.254; teilweise bedenklich der Bericht der Wehrstruktur-Kommission 1972/73, S. 160: „Die Wehrpflicht löst vier Aufgaben: . . . 3. Wehrpflichtige sichern der Bundeswehr den A n schluß an die geistige, politische u n d technische Entwicklung i n der Gesellschaft. 4. Wehrpflichtige gewinnen durch den Wehrdienst — Untersuchungen haben das ergeben — demokratisches Staatsbewußtsein; diese Sozialisationsleistung der Bundeswehr stärkt das demokratische Potential der Gesell272
140
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
N a t i o n , s o n d e r n es m u ß u m g e k e h r t d i e N a t i o n d i e Schule der S t r e i t kräfte
sein 2 7 6 .
Entscheidet sich d e r Staat f ü r die a l l g e m e i n e W e h r p f l i c h t — u n d h i e r z u h a t i h n das G r u n d g e s e t z i n A r t . 12 a A b s . 1 G G e r m ä c h t i g t — so n i m m t er das ganze Risiko
a u f sich, daß auch e i n K o m m u n i s t
oder
R e c h t s e x t r e m i s t z u m D i e n s t eingezogen w i r d 2 7 7 . Dieses R i s i k o 2 7 8
kann
n i c h t d e m e i n z e l n e n d u r c h B e s c h n e i d u n g seiner F r e i h e i t s r e c h t e aufgeb ü r d e t w e r d e n , s o n d e r n m u ß d u r c h geeignete M a ß n a h m e n des Staats zur
Sicherung
der
Funktionsfähigkeit
der
Streitkräfte
ausgeglichen
w e r d e n . D e r Staat k a n n sich b e i dieser A u f g a b e auch auf die h i e r a r c h i sche O r g a n i s a t i o n der B u n d e s w e h r stützen, d u r c h das P r i n z i p v o n B e f e h l u n d G e h o r s a m u n d die K a s e r n i e r u n g w i r d die Masse d e r w e h r p f l i c h t i g e n S o l d a t e n o h n e h i n e i n e r die P r i v a t s p h ä r e i n n i c h t u n b e t r ä c h t lichem Ausmaß
berührenden
Funktionsfähigkeit
Kontrolle
unterstellt279.
Sicherung
der
d e r B u n d e s w e h r a l l e i n b e r e c h t i g t aber i n k e i n e m
F a l l zu e i n e r k o n k r e t e n G r u n d r e c h t s b e s c h r ä n k u n g gegenüber S o l d a t e n 2 8 0 ; d e n n i n w i e w e i t das P o s t u l a t d e r F u n k t i o n s f ä h i g k e i t b e s c h r ä n k e n d w i r k e n k a n n , b e s t i m m e n a l l e i n k o n k r e t e N o r m e n des Grundgesetzes u n d schaft." Wer letztere Ausführung konsequent weiterverfolgt, langt wieder beim totalen Staat an, der seine Staatsbürger i n seinem Sinne zu erziehen sucht u n d sich nicht umgekehrt von den Bürgern tragen u n d formen läßt. Sinn der Wehrpflicht ist die Sicherung der Verteidigung u n d nicht eine angebliche Erziehungsaufgabe der Streitkräfte! 276 Vgl. Baudissin, Z u m L e i t b i l d des Soldaten „Neue Gesellschaft", 1955, S. 189 ff. (221). 277 So auch der Abgeordnete Arndt (SPD) i m Rechtsausschuß bei der Beratung des Soldatengesetzes m i t Zustimmung der Vorsitzenden und Vertreter der CDU/CSU: Protokoll der 86. Sitzung des 16. Ausschusses v o m 18.11.1955: „ Z . B . könne m a n nicht ein derartiges Bekenntnis (zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung) von einem wehrdienstverpflichteten Soldaten v e r langen, der vielleicht Rechtsradikaler oder Kommunist sei. Verlangen könne man v o n i h m nur, daß er die freiheitliche demokratische Grundordnung wahre u n d alles zu ihrer Erhaltung tue. Dem Berufssoldaten hingegen könne man ein solches Bekenntnis vorschreiben; wer es nicht ablegen wolle, solle draußenbleiben oder unter Umständen entlassen werden." Der Abgeordnete Kopf (CDU/CSU) anschließend: „ M a n könne keinen Menschen zwingen, bestimmte Gedanken zu haben, sondern n u r ein bestimmtes Verhalten von i h m erwarten." Später der Vertreter des B M V g , M D g Barth: „befürwortet den Begriff »achten', da m a n i m Hinblick auf die Achtung i m m e r einen Gehorsam verlangen könne, während die Anerkennung (im heutigen § 8 SG) schon eine innere Bejahung voraussetze und mehr i n der Richtung des Bekenntnisses liege". 278 Vgl. auch Denninger, Verfassungstreue, in: V V D S t R L 37, 7 ff. (S. 49), Leitsatz 6: „Gegenüber einem verabsolutierten Sicherheitsdenken ist daran zu erinnern, 1. daß es totale Sicherheit ohne Risiko nicht geben kann, u n d 2. daß die streitbare Demokratie ihren legitimierenden Grund darin findet, daß sie eine freiheitliche Demokratie bleibt." 279 Vgl. BVerfGE 44,197 (203). 280 Vgl. h . P. Schneider, unveröffentlichtes Gutachten zur Meinungsfreiheit der Beamten v o m 12. 9.1982, S. 37.
A . I I I . Herleitung aus den konkreten Normen des GG
141
auf verfassungsrechtlichen Ermächtigungen beruhende Gesetze, nicht aber der Dienstherr 281 . Pflichten auferlegen heißt auch, sie mit Sanktionen belegen zu können. Dies ist beim Wehrpflichtigen nur begrenzt der Fall. Kann etwa der Berufs- oder Zeitsoldat wegen schuldhafter Verletzung seiner Verfassungstreuepflicht aus dem Dienstverhältnis entfernt werden 282 , wie es das BVerfG bei Beamten für gerechtfertigt hält 2 8 3 , so w i r d dies als Sanktion für den Wehrpflichtigen nicht i n Betracht kommen 284 . Extremisten unter den wehrpflichtigen Soldaten dürfen überhaupt erst dann vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen werden, „ w e n n nach dem bisherigen Verhalten durch sein Verbleiben i n der B u n deswehr die militärische Ordnung oder die Sicherheit i n der Truppe ernstlich gefährdet würde" (§ 29 Abs. 1 Nr. 6 W P f l G ) " 2 8 5 .
Hierbei geht es also nicht u m die Verletzung von eigentlichen Pflichten der wehrpflichtigen Soldaten, sondern u m objektive Erfordernisse der Erhaltung des Dienstbetriebes. Das BVerfG statuierte i m „Radikalenbeschluß" für die Beamten ein Verbot der Differenzierung „je nach A r t der dienstlichen Obliegenheiten" oder nach A r t des Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit, auf Zeit, auf Probe oder auf Widerruf 2 8 6 . Diese Feststellung wurzelte aber i n dem Gedanken der Freiwilligkeit 2 8 7 des Eintritts in das Beamtenverhältnis, auch bei den Beamten i m Vorbereitungsdienst:
281
Vgl. Hesse, § 10 I I I 2, Randnr. 325. §§ 54 Abs. 1 Nr. 4, 48, 7; WDO, § 23 SG. 283 Vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (Leitsatz c)). 284 Vgl. § 59 Abs. 1 Satz 2 WDO, vgl. auch die Argumentation des Abgeordneten Arndt, i m Rechtsausschuß zu den Grundpflichten v o n Berufssoldaten einerseits u n d Wehrpflichtigen andererseits (Protokoll der 86. Sitzung des 16.Ausschusses, 2 . W P , S. 13): „ . . . f ü r den ersten ist die Entlassung eine Schande, für den anderen ein Anlaß zur Freude". 285 Grundlegend hierzu B V e r w G E 42, 20 (24) (der i n diesem F a l l betroffene wehrpflichtige „Extremist" durfte nicht entlassen werden): „Der Begriff der militärischen Ordnung i. S. des § 29 Abs. 1 Nr. 6 WPflG, die durch das V e r bleiben des Wehrpflichtigen ernstlich gefährdet sein muß, ist dagegen ebenso zu verstehen, wie der i n § 55 Abs. 5 SG gebrauchte gleiche Begriff. E r ist nicht gleichzusetzen m i t der Einhaltung v o n Pflichten des Soldaten. . . . Unter m i l i tärischer Ordnung ist vielmehr der Inbegriff der Elemente zu verstehen, die die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nach den gegebenen und t a t sächlichen Verhältnissen erhalten." 286 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1644). 287 M i t dem Gedanken der F r e i w i l l i g k e i t arbeitet auch Mann, DÖV 1960, 509 ff. (410), der allerdings den Berufs- u n d Zeitsoldaten nach dem Grundsatz „volenti non fit i n i u r i a " auf „gewisse Grundrechtsbetätigungen" verzichten läßt. Es geht hier jedoch nicht u m Verzicht, sondern u m Pflichten. Die V e r fassungstreue begründet k e i n Unrecht! Vgl. Zwirner, Diss., S. 245. 282
142
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
„Wer dem Staat dienen w i l l , darf nicht gegen den Staat u n d seine Verfassungsordnung aufbegehren u n d anrennen wollen 2 3 8 ."
Der Wehrpflichtige w i l l aber i n der Regel, anders als der Berufs- und Zeitsoldat, anders auch als der Beamte auf Widerruf i m Vorbereitungsdienst, nicht aus freien Stücken dienen. Er w i r d zum Dienst „einberufen" (§ 21 WPflG), der „Berufs- und Zeitsoldat" w i r d „berufen" (§ 37 SG). Der Wehrpflichtige kann auch nach A r t . 4 Abs. 3 GG den Kriegsdienst nicht verweigern 2 8 9 , weil er die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt und sie bekämpfen w i l l . Der Verfassungsfeind aber kann sich dafür oder dagegen entscheiden, ob er Berufssoldat oder Soldat auf Zeit werden möchte. Wer Berufs- oder Zeitsoldat wird, legt damit ein Bekenntnis ab, der Wehrpflichtige nicht. Zwischen Berufsund Zeitsoldaten einerseits und wehrpflichtigen Soldaten andererseits gibt es also kein Differenzierungsverbot, sondern ein „Differenzierungsgebot". Dieses Differenzierungsgebot entspringt dem zweiseitigen Treueband zwischen Verfassung und Wehrpflichtigem einerseits, Berufs- und Zeitsoldat andererseits. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die Schutzpflicht des Wehrpflichtigen gegenüber dem Kernbestand der Verfassung, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Art. 1 und A r t . 20 GG) t r i t t ein, wenn rein dienstliche Tätigkeit vorliegt oder wenn der Soldat als A n gehöriger der Bundeswehr auftritt. Eine Beeinträchtigung seiner außerdienstlichen Tätigkeiten oder gar seiner inneren Uberzeugungen unter Berufung auf die Treuepflicht 2 9 0 ist dagegen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Ist der Wehrpflichtige als dienstlich handelnder Soldat zum 288
BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1648). Grundsätzlich BVerfGE 12, 45. Das heißt nicht, daß ein Kommunist nicht den Kriegsdienst verweigern könnte: Vgl. V G Köln, 10 Κ 2433/73, das bei DKP-Mitgliedschaft sogar auf Glaubwürdigkeit des Verweigerers Schloß; V G Schleswig, U r t e i l v o m 2. 8.1973, F A 258/72: „Die Kammer k o m m t ferner zu dem Ergebnis, daß auch das Bemühen des Klägers zur Veränderung der V e r fassungswirklichkeit durch sein Bekenntnis zu kommunistischen Zielen nicht die Geltendmachung des A r t . 4 Abs. 3 GG ausschließt. . . . A u f diese Schutzn o r m k a n n sich jedermann berufen, auch w e n n i m Nebenzweck letzten Endes damit eine Systemüberwindung beabsichtigt ist." (Beide Entscheidungen zitiert bei Daum, Ulrich, Grundsatzurteile zur Kriegsdienstverweigerung, 2. Aufl., München 1981.) 290 I m Ergebnis wie hier: Böttcher, Diss., S. 163 ff.; ähnlich Salzmann, Diss., S. 100 f.; Hautmann, Diss., S. 138; abw. Müller, Diss., der wehrpflichtige Soldaten m i t allen Staatsbürgern gleichbehandeln w i l l , die ihrerseits einer Grundpflicht nach A r t . 18 GG unterliegen sollen; ebenso V. Fleig, N Z W e h r r 1971, 177 a. A . Köttgen, V o n den Grundrechten der Soldaten, der zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch die Wehrverfassung rechnet; Hamel, V o n den Grundrechten der Soldaten, S. 81 u n d 85; Mann, Grundrechte u n d militärisches Statusverhältnis, DÖV 1960, 409 (410), der Berufs- u n d Zeitsoldaten ebenso wie Wehrpflichtige behandeln w i l l ; Lerche, Grundrechte der Soldaten, S. 482 f., der dem Soldaten eine „Demonstrationspflicht" auferlegt. 289
A . I V . Soldatengesetz
143
Schutz der f r e i h e i t l i c h e n d e m o k r a t i s c h e n G r u n d o r d n u n g v e r p f l i c h t e t , so e n t s p r i c h t es d e m z w e i s e i t i g e n C h a r a k t e r d e r T r e u e b i n d u n g , daß die V e r f a s s u n g i h r e r s e i t s die F r e i h e i t s r e c h t e des W e h r p f l i c h t i g e n i m a u ß e r d i e n s t l i c h e n B e r e i c h u n b e e i n t r ä c h t i g t l ä ß t u n d sie v o r d e m Z u g r i f f d u r c h die staatliche G e w a l t s c h ü t z t 2 9 1 .
I V . Soldatengesetz Das Soldatengesetz i n seiner Fassung v o m 19. 3.1956 w u r d e i m B u n destag z u g l e i c h m i t d e r f ü r die W e h r v e r f a s s u n g entscheidenden 2. W e h r n o v e l l e z u m Grundgesetz b e r a t e n . D a m i t s i n d W e h r v e r f a s s u n g i m Grundgesetz u n d das Soldatengesetz i n i h r e r E n t s t e h u n g eng m i t e i n a n d e r v e r z a h n t 2 9 2 . Das Soldatengesetz w u r d e z u s a m m e n m i t d e r 2. W e h r n o v e l l e z u m Grundgesetz a m 6. 3.1956 — a l l e r d i n g s gegen die S t i m m e n der o p p o s i t i o n e l l e n S P D — i m B u n d e s t a g v e r a b s c h i e d e t 2 9 3 . D i e B e schlüsse 2 9 4 i m f e d e r f ü h r e n d e n Verteidigungsausschuß w u r d e n i m w e s e n t l i c h e n einstimmig gefaßt. Das Soldatengesetz w u r d e g e m e i n s a m m i t der Ä n d e r u n g des Grundgesetzes v o m 19. 3.1956 v o m B u n d e s p r ä s i d e n t e n v e r k ü n d e t 2 9 5 . Es ist s o m i t i n e n g e m Z u s a m m e n h a n g m i t der W e h r v e r fassung i m Grundgesetz zu v e r s t e h e n .
291
Der Wehrpflichtige hat sich i n k e i n engeres Verhältnis zum Grundgesetz begeben als der Rechtsanwalt, der f r e i w i l l i g Organ der Rechtspflege geworden ist. Wenn schon Rechtsanwälte keiner besonderen Verfassungstreuepflicht nach § 7 Nrn. 5 u. 6 B R A O unterliegen, dann noch weniger die W e h r pflichtigen, die sich nicht f r e i w i l l i g i n i h r Dienstverhältnis begeben haben. Vgl. zu § 7 B R A O die grundsätzliche Entscheidung des B V e r f G v. 8. 3.1983, N J W 1983, 1535 ff. (1536): „Jedenfalls läßt sich schon aus dem geltenden Recht nichts dafür herleiten, daß der freie u n d durch das Grundrecht der Berufsfreiheit geschützte Anwaltsberuf entgegen der rechtsstaatlichen T r a d i t i o n der freien A d v o k a t u r an die Staatsorganisation herangeführt, beamtenähnlichen Treuepflichten unterworfen oder berufsrechtlich der Stellung v o n Richtern u n d Staatsanwälten" angenähert werden sollte. Ebd., S. 1538: „Denn unbeschadet der Freiheit, das geltende Recht zu k r i t i sieren u n d für seine Änderung zu streiten, gehört es zu den selbstverständlichen Pflichten eines Rechtsanwaltes, bei seiner Berufsausübung die Verfassung u n d die m i t i h r i n Einklang stehenden Regelungen zu beachten, insbesondere die aus den Verfahrensordnungen u n d dem Berufsrecht folgenden u n d m i t den besonderen Rechten korrespondierenden Pflichten zu befolgen." 292 Der Verteidigungsausschuß hat „ v o r E i n t r i t t i n die Beratungen über das Soldatengesetz die notwendig erscheinenden Änderungen u n d Ergänzungen des Grundgesetzes beraten" — BT-Drucksache 2. W P 2140. S. 1. 293 Vgl. F. Kopp, Chronik der Wiederbewaffnung i n Deutschland, S. 112. 294 Vgl. schriftl. Bericht des Verteidigungsausschusses, BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 2. 295 Vgl. zum Ganzen: Hornung, S. 65 ff. (67, 75).
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht 1. § 8 Soldatengesetz: Der Soldat und die freiheitliche demokratische Grundordnung
a) Zur Entstehungsgeschichte Das Soldatengesetz i n der Fassung vom 19. 3.1956 296 , das i n den hier interessierenden Teilen i n der Fassung vom 19. 8.1975 297 unverändert übernommen wurde, wollte die Rechtsstellung des Soldaten i n einer Form festlegen, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung dieses Staates entspricht 298 . Man war sich bewußt, daß das Gesetz nur eine Voraussetzung dafür sein konnte, daß der von i h m gewollte freiheitliche demokratische Geist in der Bundeswehr wirksam ist 2 9 9 . Der Regierungsentwurf zum jetzigen § 8 SG — damals § 7 — hatte folgende Fassung vorgesehen: „Der Soldat muß sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung i m Sinne des Grundgesetzes bekennen u n d für deren Erhaltung eintreten 3 0 0 ."
I n der Begründung hierzu hieß es dann: Diese Pflicht „entspricht der Bestimmung des §52 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes". Man wollte also von Seiten der Regierung ursprünglich keinen Unterschied zwischen Wehrpflichtigen und Berufs- und Zeitsoldaten machen, sondern beide hierin den Beamten völlig gleichstellen. Hiergegen wurde i m Rechtsausschuß geltend gemacht, man könne von einem wehrdienstverpflichteten Soldaten nicht verlangen, daß er ein derartiges „Bekenntnis" zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablege, denn er könne vielleicht ja auch Rechtsradikaler oder Kommunist sein 301 . Verlangen könne man von ihm nur, daß er die freiheitliche demokratische Grundordnung wahre und alles zu ihrer Erhaltung tue. Dem Berufssoldaten hingegen könne man ein solches Bekenntnis vorschreiben; wer es nicht ablegen wolle, solle eben draußenbleiben oder unter Umständen entlassen werden 302 . 296
BGBl. I , S . 114. B G B l . I , S . 2273. 298 Vgl. Verteidigungsausschuß, BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 2. 299 Verteidigungsausschuß, BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 2. 300 Vgl. BT-Drucksache 2 . W P 1700; hierzu auch Rittau, Soldatengesetz, A n m . 1 zu § 8 SG. 301 Abgeordneter Arndt, SPD, m i t allgemeiner Zustimmung einschließlich von Seiten der CDU/CSU. Protokoll der 86. Sitzung des Rechtsausschusses, 2. WP, S. 21 f. 302 Abgeordneter Arndt, Protokoll der 86. Sitzung der Rechtsausschüsse, 2. WP, S. 21 f.; auch der Rechtsausschuß sah also i m f r e i w i l l i g e n Dienstantritt eine besondere Verpflichtung der Berufs- u n d Zeitsoldaten. 297
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Man einigte sich dann i m Rechtsausschuß auf Vorschlag der Abgeordneten Lüders (FDP) auf das Wort „anerkennen" statt „bekennen" i m Regierungsentwurf 303 . Der Soldat, der mit der Eidesformel verpflichtet werde, das Grundgesetz zu wahren, könne dies nur, wenn er die Grundordnung innerlich anerkenne. Da aber „anerkennen" als ein Minus gegenüber „bekennen" empfunden wurde, entstanden Bedenken, man dürfe von einem Berufssoldaten i n dieser Hinsicht nicht weniger verlangen als von einem Berufsbeamten, von dem ein solches Bekenntnis gefordert würde. Diese Bedenken, so der Vertreter des Bundesministeriums des Innern 3 0 4 , würden nicht durch § 32 Abs. 1 Nr. 2 SG-Entwurf (heute § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG) ausgeräumt, denn diese Bestimmung besage nur, daß derjenige, der i n das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten berufen werde, i n diesem Augenblick die Gewähr dafür bieten müsse, daß er für die demokratische Grundordnung eintrete. Damit sei noch nicht die Pflicht begründet, die der Soldat erfüllen müsse, wenn er später i m aktiven Soldatenverhältnis stehe. Diese Pflicht müsse i n einer besonderen Vorschrift ausdrücklich festgelegt werden. Die Abgeordnete Schwarzhaupt 305 regte daraufhin an, das „Bekenntnis" der Berufssoldaten i n § 32 Abs. 1 Nr. 2 SG-Entwurf (heute § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG) aufzunehmen: „ . . . Gewähr dafür bietet, daß er sich zu der . . . bekennt u n d jederzeit dafür e i n t r i t t " .
Man ließ die Angelegenheit jedoch unentschieden und vereinbarte, sie bei späterer Beratung des § 32 SG-Entwurf (heute § 37 SG) wieder aufzunehmen 306 . Dies ist dann aber, als über § 32 SG-Entwurf gesprochen wurde, nicht geschehen307. Bei der Vorstellung des Soldatengesetzes durch den federführend beratenden Verteidigungsausschuß hieß es folglich zu § 7 SG-Entwurf (heute § 8 SG): „Der Ausschuß hat sich entschlossen, entsprechend den Beschlüssen des Rechtsausschusses das i n der Regierungsvorlage enthaltene W o r t »bekennen' durch ,anerkennen' zu ersetzen. Der Ausschuß ging dabei v o n der A u f fassung aus, daß diese Bestimmung auf alle Soldaten, also auch auf die Wehrpflichtigen, A n w e n d u n g findet. Bei den auf Grund eines Wehrpflichtgesetzes eingezogenen Soldaten k a n n ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ernstlich nicht v o n allen verlangt werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß das Bekenntnis zu einem Lippenbe303
Vgl. Protokoll der 86. Sitzung des Rechtsausschusses, 2. WP, S. 22. Vgl. Protokoll der 86. Sitzung des Rechtsausschusses, 2. WP, S. 23. 305 Ebd. 306 Ebd. 307 Vgl. Protokoll der 13. Sitzung des Rechtsausschusses, 2. W P vom 12.12. 1955, S.16. 304
10 Cuntz
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
kenntnis w i r d . Jedoch muß von allen Soldaten wie v o n allen Staatsbürgern gefordert werden können, daß sie die i m Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerte freiheitliche demokratische Grundordnung als verbindlich a n s e h e n . . . . . . Der Unterschied zu der i n § 52 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes gefundenen Regelung, i n der das W o r t „bekennen" verwendet w i r d , ergibt sich daraus, daß das Beamtenrecht es n u r m i t Personen zu t u n hat, die sich freiwillig für den Beruf des Beamten entscheiden u n d v o n denen daher auch die Pflichten erwartet werden können, die über die allgemeinen Verpflichtungen des Staatsbürgers hinausgehen. Der Ausschuß w a r übereinstimmend der Auffassung, daß an Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit Anforderungen gestellt werden müssen, die dem Bundesbeamtenrecht entsprechen. Dies ergebe sich auch aus dem § 32 Abs. 1 Nr. 2 (heute § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG), der v o n dem f r e i w i l l i g länger dienenden Soldaten verlangt, daß er die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne des Grundgesetzes einzutreten 3 0 8 ."
Der Verteidigungsausschuß ist also davon ausgegangen, daß die Bekenntnispflicht der Berufs- und Zeitsoldaten nicht nur i m Augenblick des Eintritts i n das Soldatenverhältnis bestehe, sondern wie bei den Beamten während des Dienstverhältnisses fortdauern werde. Er hat diesen Schluß aus § 32 Abs. 1 Nr. 2 SG-Entwurf (heute § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG) gezogen. I n den Augen der verantwortlichen Schöpfer des Soldatengesetzes legt der Berufs- oder Zeitsoldat mit seinem Eintritt in das Dienstverhältnis ein dauerhaftes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. b) Der Inhalt der Treuepflicht aus § 8 SG; Unterschiede zwischen Berufs- und Zeitsoldaten und wehrpflichtigen Soldaten Die Auslegung des § 8 SG hat nicht nur — wie oben dargestellt — i n den Bundestagsausschüssen für Recht und Verteidigung, sondern offenbar auch i n der Literatur Schwierigkeiten bereitet. Scherer 309 übernimmt i n der letzten, 5. Auflage seines Kommentars einfach die Inhaltsbestimmung des BVerfG i m „Radikalenbeschluß" für die politische Treuepflicht, ohne klarzustellen, daß das BVerfG nicht über die Rechtsverhältnisse der Soldaten, sondern der Beamten zu entscheiden hatte. Infolgedessen geht er auch i n keiner Weise auf die auf der Hand liegenden Unterschiede zwischen Wehrpflichtigen und Berufsund Zeitsoldaten ein. So w i r d aus dem „Anerkennen" des Gesetzestextes auch schnell ein „Bekennen", ohne daß diese Abweichung begründet 308
S.5. 309
Schriftl. Bericht des Verteidigungsausschusses, BT-Drucksache 2. W P 2140, Soldatengesetz, A n m . S. 80 ff. zu § 8 SG.
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wird. Ähnlich meint auch Hanik 310, die Vorschrift verlange von jedem Soldaten die Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dem er dient, zu identifizieren. Schreiber 311 und Köttgen 312 (zeitlich vor dem „Radikalenbeschluß" des BVerfG 1975) stellen auf die „Einheitlichkeit" des Soldatenverhältnisses ab und wollen alle Soldaten wegen des Wortes „anerkennen" statt „bekennen" einer minderen Treuepflicht unterstellen als die Beamten. Köttgen versteht anerkennen als „herkömmliche Schweigepflicht", wie sie sich auch aus A r t . 18 GG ergebe 313 . Auch die ältere Meinung von Lerche 314 schließt sich weitgehend Köttgen an, indem er „anerkennen" gleichermaßen für Wehrpflichtige wie Berufs- und Zeitsoldaten als „herkömmliche Schweigepflicht" deutet, das „Eintreten" aber als eine „Demonstrationspflicht" für die freiheitliche demokratische Grundordnung betrachtet. I n einem neueren A r t i kel 3 1 5 sieht Lerche jedoch die Pflichten des Soldaten ähnlich denen des Beamten, wobei er freilich Zweifel hegt, ob dem „einfachen Soldaten", also üblicherweise dem Wehrpflichtigen, nicht zuviel zugemutet werde. Scheuner 316 umschreibt die aus §§ 7, 8 SG resultierende Pflicht als „Verbindlichkeit, gegen staatsfeindliche Bestrebungen u n d gegen gemäß A r t . 21 GG verbotene Parteien Stellung zu nehmen".
Breitinger 311, Dowie 318 und Hahnenfeld 319 erwarten von den Soldaten ebenfalls ein aktives Verhalten, und zwar von den Wehrpflichtigen ebenso wie von den Berufs- und Zeitsoldaten, v. Scheliha 320 deutet § 8 SG dagegen lediglich als ein Gebot passiven Verhaltens der Soldaten, während Fleig 321 und Hautmann 3,22 die „politische Loyalitätspflicht" 310 wehrrecht, 5. Teil, I Β 1 I I I , S. 73. 311
N Z W e h r r 1967, S». 166 f. u n d „Pflichten u n d Rechte des Soldaten der Bundeswehr", F r a n k f u r t 1970, S.42. 312 Die Meinungsfreiheit des Soldaten, 1957, S. 86 u. 83. 313 Köttgen, S. 67; ebenso Müller, Diss., S. 77, ohne sich hinsichtlich des U n terschiedes oder der Gleichsetzung von Wehrpflichtigen u n d Berufs- und Zeitsoldaten zu entscheiden. 314 Grundrechte der Soldaten, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, 1960, S. 482 u. 486. 315 Lerche, Stichwort „Bundeswehr", in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl., 1975, Spalte 310. 316 Vgl. Scheuner, Der Soldat und die Politik, N Z W e h r r 1959, S. 81 ff. 317 Breitinger, Diss., S. 165. 318 Dowie, Diss., S. 137 ohne eindeutige Stellungnahme. 319
Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 85, der aber wiederum wegen des Wortes „anerkennen" statt „bekennen" beim Soldaten ein „weniger" an Treuepflicht sieht als beim Beamten. 320 v. Scheliha, Diss., S. 105. 321 Fleig, N Z W e h r r 1971, S. 170, 177. 1
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
beim Wehrpflichtigen i n erster Linie i n dem mehr passiven „Anerkenntnis", bei Berufs- und Zeitsoldaten i n der mehr aktiven Form des „Eintretens" sehen wollen. Salzmann m und Krause 324 deuten schließlich § 8 SG lediglich als Verbot, sich aktiv i n Wort und Tat (Salzmann) oder aggressiv (Krause) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu betätigen. Eine wegweisende Richtung schlagen folgende Meinungen ein: Unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte des § 8 SG 325 erkennen Rittau 326 und Schwenck / Weidinger* 11, daß Wehrpflichtige grundsätzlich anders zu behandeln seien als Berufs- und Zeitsoldaten, da letztere ebenso wie die Beamten freiwillig i n das Dienstverhältnis eingetreten seien. Auch das BVerwG hat i n zwei grundlegenden Entscheidungen 325 klargestellt, daß von den Berufs- und Zeitsoldaten hinsichtlich ihrer Verfassungstreue mindestens ebensoviel wie von den Beamten, von den Wehrpflichtigen aber nur ein minus verlangt werden könne 329 . Böttcher 330 hat auf verfassungsrechtlicher Grundlage seiner Argumentation — Vertrauensgrundsatz und institutionelle Anerkennung des Soldatenverhältnisses — nachgewiesen, daß die Pflicht zum „Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung" keine „Propagandapflicht" ist 331 . Eine Manipulation des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses werde durch das Grundgesetz nicht gedeckt. Böttcher hat ebenso verdeutlicht, daß Berufs· und Zeitsoldaten während des Dienstes und außerhalb des Dienstes entsprechende Treuepflichten haben wie die Beamten, der wehrpflichtige Soldat aber i m wesentlichen nur i m Dienst und innerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen i n ähnlichem Maße der Treuepflicht gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterliegen kann 3 3 2 . 322 Hautmann, Diss., S. 138 unter Berufung auf Fleig, N Z W e h r r 1971, S. 170, 177 u n d H . - K . Koch t N Z W e h r r 1975, S. 57. 323 Salzmann, Diss., S. 100 ff. 324 Krause, Diss., S. 98 ff. 325 Vgl. oben unter a). 326 Soldatengesetz, Kommentar, A n m . 1 zu § 8 SG, S. 98. 327 Handbuch des Wehrrechts, Erläuterung zu § 8 SG. 328 B V e r w G DVB1. I. Wehrdienstsenat 1970, S. 362 ff. (363); B V e r w G E 42, 20 (24). 329 B V e r w G E 42, 20 behandelte den F a l l eines Extremisten, der nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 W P f l G aus der Bundeswehr ausgeschlossen werden sollte. Das B V e r w G hat dies i n diesem F a l l untersagt u n d gleichzeitig klargestellt, daß § 29 Abs. 1 Nr. 5 W P f l G nicht die E i n h a l t u n g der Verfassungstreuepflicht des Soldaten betrifft, sondern der objektiven Erhaltung der „militärischen Ordnung" dient. Hier ist der Begriff „Funktionsfähigkeit" also angebracht, nicht aber — wie es z. B. Battis versucht — bei der Begründung der Verfassungstreuepflicht. 330 Böttcher, Diss., S. 149 ff., 159. 331 Ebd. (S. 159).
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Die Entstehungsgeschichte 333 und eine verfassungskonforme gung 334 ergeben übereinstimmend folgendes:
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Ausle-
— Unter „Anerkennen" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist nichts anderes zu verstehen als der Gehorsam gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Soldaten müssen die freiheitliche demokratische Grundordnung „als verbindlich ansehen" 3 3 5 und ihr Folge leisten, soweit sie betroffen sind. § 8 SG ist insofern nicht vollständig. Nach A r t . 1 Abs. 3 und A r t . 20 Abs. 3 GG sowie deren Konkretisierung i n § 10 Abs. 4 SG (hinsichtlich der Befehle) sind dije Soldaten i n ihrem dienstlichen Handeln der Verfassung insgesamt, nicht nur ihrem Kern, zum Gehorsam verpflichtet. I m Begriff „Eintreten" kommt die Schutzpflicht 336 der Soldaten gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck. Diese Schutzpflicht kann sowohl durch ein Handeln als auch durch Unterlassen verletzt werden, wie sich aus dem Wortlaut des § 8 SG — durch sein gesamten Verhalten „eintreten" — und der Normierung der Verfassungsbindung i m Grundgesetz — A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 33 Abs. 4, 79 Abs. 3 GG — ergibt. — A n freiwillige Soldaten — also Berufs- und Zeitsoldaten — werden hinsichtlich der Treuepflicht gleichwertige Anforderungen gestellt wie an die Beamten. Dies ergibt sich nicht nur, wie der Verteidigungsausschuß bei der Beratung des Soldatengesetzes feststellte, aus § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG 337 , der die Gewähr verlangt, daß der Berufs- oder Zeitsoldat jederzeit i m Sinne des Grundgesetzes eintritt; das Grundgesetz unmittelbar fordert von seinen Staatsdienern, den Berufs- und Zeitsoldaten, schützendes Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Dienst und außer Dienst. Das Bekenntnis zu ihr liegt bereits i m Antreten des militärischen Dienstes, dessen Inhalt unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht Selbstzweck, sondern Verteidigung von Freiheit und Menschenwürde ist. Die Verfassungstreuepflicht der Berufs- und Zeitsoldaten ist nicht gleichzusetzen mit Gesinnungspflicht. Das von den Berufs- und Zeitsoldaten i n ihrem Beruf abgelegte Bekenntnis ist subjektive Kehrseite des Eintretens für die freiheitliche demokratische Grundord332
Böttcher, Diss., S. 160 ff. u n d 164 ff. Vgl. oben unter a). 334 Vgl. oben, 2. Kap. I I 4. 335 v g l . Schriftl. Bericht des Verteidigungsausschusses, BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 5; ebenso auch Scherer, Voraufl. (4.) v o n 1971, A n m . I 2 zu § 8 SG, S. 58. 333
336 Vgl. oben, 2. Kap. I I ; ähnlich Scherer, 4. A u f l . v o n 1971, A n m . I I I zu § 8 SG, S. 54. 337 Vgl. BT-Drucksache 2. WP 2140, S. 5.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
nung. Die Erfüllung des Bekenntnisses bemißt sich an äußerem Verhalten, Tun oder Unterlassen der Berufs- und Zeitsoldaten 338 . Die Verfassungstreuepflicht der Berufs- und Zeitsoldaten i m Sinne von § 8 SG ist daher erst dann verletzt, wenn sich an konkreten Handlungen feststellen läßt, daß der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewußt nicht Schutz und Achtung entgegengebracht wurde, wie es durch das Grundgesetz (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 33 Abs. 4, 79 Abs. 3 GG) und dessen Konkretisierung in § 8 SG geboten ist. Diese Regel gilt i m Dienst und außer Dienst, denn der Berufs- und Zeitsoldat hat sich mit seiner ganzen Person i n das Dienst- und Treueverhältnis begeben 339 . — Für wehrpflichtige Soldaten kann hingegen i m Einklang mit dem Wortlaut des § 8 SG nur eine eingeschränkte Verfassungstreuepflicht gelten. Sie müssen die freiheitliche demokratische Grundordnung als verbindlich anerkennen und in ihrer dienstlichen Tätigkeit durch ihr gesamtes Verhalten (Tun und Unterlassen) für ihre Erhaltung eintreten, d.h. sie schützen und achten. Eine Ausdehnung der Verfassungstreuepflicht aus § 8 SG auf den außerdienstlichen und persönlichen Bereich der Wehrpflichtigen aber darf es nicht geben, w i l l der Staat nicht ein totaler Staat werden 340 . Etwas anderes gilt, wenn der wehrpflichtige Soldat außerhalb des Dienstes als Repräsentant der Bundeswehr auftritt, ζ. B. i n Uniform 3 4 1 . I n einem solchen Fall wäre sein Verhalten der Bundeswehr zuzurechnen, er muß also so handeln, als ob er i m Dienst wäre. Einschränkungen muß er auch während der Freizeit i n den dienstlichen Unterkünften und Anlagen hinnehmen. Dieser Zurechnungsgrundsatz w i r d i n § 15 Abs. 2 SG für jegliche politische Betätigung aufgestellt, gleich ob es sich u m A k t i vitäten für eine „extremistische" oder eine allgemein als verfassungstragend eingeschätzte Partei handelt. Der wehrpflichtige Sol338
H i e r m i t stimmt die Leitlinie des B V e r f G i m Radikalenbeschluß überein (BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 [1643]): Die Pflichtverletzung k a n n „nicht nur i n A k t i v i t ä t e n , sondern auch i n einem Unterlassen" bestehen. Das „bloße Haben einer Überzeugung" genügt nicht! 339 Ebenso der Verteidigungsausschuß des Bundestags, Schriftl. Bericht, B T Drucksache 2. W P 2140, S. 5 unter Heranziehung des § 24 Abs. 2 SG; vgl. zu § 8 S G die ohne Gründe veröffentlichte Entscheidung des 2. Wehrdienstsenats des B V e r w G v. 20. 5. 83, N Z W e h r r 1984, 39. 340 Vgl. oben, 2. Kap. A I I 4. 341 Vgl. BVerwG, 1. Wehrdienstsenat, Beschluß v o m 8.12.1982, N Z W e h r r 1983, 105 ff. (108): „Zweck der generellen Erlaubnis zum Tragen der U n i f o r m außer Dienst ist es vielmehr, die Soldaten, die außerhalb des Dienstes U n i form tragen, auch hier — also i n der Öffentlichkeit — sichtbar als Hoheitsträger u n d als Repräsentanten der Bundeswehr auftreten zu lassen i n einer Weise, welche die Wehrbereitschaft der Bundesrepublik augenfällig symbolisiert." — § 15 Abs. 3 SG verdeutlicht dies für Teilnahme an politischen V e r anstaltungen.
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dat ist aber i m außerdienstlichen und persönlichen Bereich, wo die oben genannten Ausnahmen nicht gelten, frei wie jeder andere Staatsbürger auch 342 . c) Verfassungstreue
und Menschenwürde
I m Mittelpunkt unserer Verfassungsordnung und damit des § 8 SG steht die Menschenwürde. Geradezu typisch für eine Verletzung der Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung erscheint der Sachverhalt i n einem vom OVG Münster 3 4 3 i m Jahre 1978 behandelten Fall: Ein Leutnant, Soldat auf Zeit, nahm an einer Feier teil, bei der es zu Handlungen kam, die als symbolische Judenverbrennungen aufzufassen waren. Dabei fielen wiederholt Äußerungen wie „Legt noch einen Juden nach". Das OVG Münster vertrat hierzu die überraschende Ansicht, daß nicht festzustellen gewesen sei, ob der Leutnant mit dieser „Handlungsweise eine Gesinnung bestätigt habe, die die Anerkennung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgelehnt" habe. Doch: der Leutnant hatte bewußt an der die Menschenwürde i n offener Weise verhöhnenden Feier teilgenommen. Er hat dies „mitgefeiert". Er hat sich allein schon durch seine fortdauernde Anwesenheit an einer für unseren Staat gefährlichen, gegen die Würde des Menschen gerichteten Handlung beteiligt, aktiv und nicht erst durch Unterlassen des Einschreitens oder Weggehens. Die Menschenwürde 344 aber ist das höchste Gut unserer Verfassung und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 3 4 5 . Der Offizier hatte also gegen eine seiner obersten Pflichten als Soldat grob verstoßen, nämlich die Pflicht, die Menschenwürde zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) 346 . Das OVG Münster meinte i n offensichtlicher Verkennung des hohen Wertes der Menschenwürde, daß es dahingestellt bleiben könne, ob ein Dienstvergehen vorgelegen habe. 342 Dies entspricht dem authentischen I n h a l t des Radikalenbeschlusses: BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1645). 343 Beschluß v o m 29. 3.1978 — I Β 52/78 — N Z W e h r r 1979, 111. 344 Z u r Definition der Menschenwürde i n Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r vgl. Grimm, Allgemeine Wehrpflicht u n d Menschenwürde, S. 33 ff. m. w. N. Er selbst bezeichnet Menschenwürde als „Wert, der dem Menschen auf G r u n d seines bloßen Da-Seins zukommt". Kritisch hierzu Walz, N Z W e h r r 1983, 78 (78), der die „Objekttheorie" befürwortet: Das B V e r f G versuche nicht zu bestimmen, was die Würde des Menschen ist, sondern w a n n sie verletzt ist. 345 Vgl. BVerfGE 2, 1 (12 f.); 6, 32 (36); 10, 59 (81); 12, 45 (53); 27, 1 (6); 30, 1 (25 ff., 39 f.) usf. 346 Wenn A r t . 1 Abs. 1 GG der Menschenwürde an erster Stelle i m Grundgesetz diesen Rang beimißt, dann ist diese fundamentale Wertentscheidung n u r aus den bitteren Erfahrungen des „ D r i t t e n Reiches" zu erklären, vgl. H.-P. Schneider, „Verfassungswandel u n d politischer K o n f l i k t " , S. 31.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Schwer verständlich ist sein Schluß, daß eine fristlose Entlassung lediglich i m „überwiegenden öffentlichen Interesse" wegen der Schädigung des Ansehens der Bundeswehr nach § 55 Abs. 5 SG gerechtfertigt sei, nicht aber wegen eines Dienstvergehens. Das BVerwG hat dagegen i n einem ähnlichen, ebenfalls i m Jahr 1978 entschiedenen Fall 3 4 7 die disziplinarrechtliche Entscheidung eines Truppendienstgerichtes hinsichtlich der Maßnahmebemessung — Entfernung aus dem Dienstverhältnis — ausdrücklich bestätigt. Der Soldat, ein Oberfeldwebel, hatte antisemitische Äußerungen grob verunglimpfender A r t getan, namentlich „Scheißjuden", „der beste Jude ist ein toter Jude". Das BVerwG befand, allerdings ohne auf die Problematik der Verfassungstreue einzugehen, daß der betroffene Soldat ein Dienstvergehen besonders schwerer A r t begangen hatte. Es fällt immerhin auf, daß sich das BVerwG dabei ausdrücklich auf Berufs- und Zeitsoldaten bezog: „ F ü r einen solchen Soldaten k a n n i n der Bundeswehr als Berufs- u n d Zeitsoldat k e i n Platz sein, auch nicht als Mannschaftsdienstgrad 3 4 8 ."
Ganz deutlich aber nimmt das BVerwG in seiner neuesten Entscheidung 3 4 9 zum Zusammenhang zwischen Verfassungstreue und Menschenrechten Stellung: Ein Soldat, ein Unteroffizier, hatte sich bei kameradschaftlichen Zusammentreffen i n Dienstpausen i n verunglimpfender Weise über Türken und Ausländer geäußert, u. a. hatte er gesagt: „ T ü r k e n haben das noch v o r sich, was die Juden schon hinter sich haben."
Das BVerwG hierzu: „Gerade unter dem Eindruck jener Greuel und jener Verbrechen gegen die Menschlichkeit u n d Rechtsstaatlichkeit (im ,Dritten Reich', A n m . des Verfassers) hat sich das deutsche V o l k i n A r t . 1 Abs. 2 GG zu unverletzlichen u n d unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft des Friedens u n d der Gerechtigkeit i n der W e l t bekannt."
Der betroffene Soldat, so das BVerwG, habe damit gegen die politische Treuepflicht des § 8 SG verstoßen, die zu den elementarsten soldatischen Pflichten und ihre Verletzung zu den schwersten denkbaren Pflichtwidrigkeiten gehöre. Der 2. Wehrdienstsenat des BVerwG hat damit — auch wenn er über A r t . 1 Abs. 2 und nicht A r t . 1 Abs. 1 GG argumentiert — der Menschenwürde den ihr gebührenden Rang gegeben. I h r Schutz steht i m Mittelpunkt der Verfassungstreuepflicht der Soldaten. 347 348 349
167 f.
B V e r w G E 63, 69 (Entscheidung des 2. Wehrdienstsenats v o m 9. 5.1978). B V e r w G E 63, 69 (72). BVerwG, U r t e i l des 2. Wehrdienstsenats v o m 24.1.1984, N Z W e h r r 1984,
.IV. Soldatengesetz
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2. Die Gewähr der Verfassungstreue bei der Berufung der Berufs- und Zeitsoldaten — § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG
a) Inhalt
der
Bestimmung
§ 37 Abs. 1 Nr. 2 SG bestimmt wortgleich mit § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG und § 4 Abs. 1 Nr. 2 BRRG, daß i n das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit nur berufen werden darf, wer „Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne des Grundgesetzes e i n t r i t t " .
Die Begründung des Regierungsentwurfs zum Soldatengesetz 350 und der federführende Verteidigungsausschuß des Bundestages 351 stellten (ohne erläuternde Kommentare) übereinstimmend fest, daß man eine dem Beamtenrecht entsprechende Regel habe finden wollen. Das BVerfG hat i m „Radikalenbeschluß" 352 die Prüfung der Gewähr der Verfassungstreue als „legitimes Mittel" der verfassungsrechtlich möglichen Vorkehrungen bezeichnet. Auch nach der oben erfolgten verfassungsrechtlichen Analyse ist der Staat als Dienstherr nach A r t . 79 Abs. 3, 20 Abs. 3,1 Abs. 3 GG dazu verpflichtet, die freiheitliche demokratische Grundordnung vor Bewerbern u m die Einstellung als Berufsoder Zeitsoldaten zu schützen, die eine Gefahr für sie darstellen könnten 353 . Der Gesetzgeber ist dieser Aufgabe durch § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG nachgekommen. Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, i n die hinsichtlich des Beamtenverhältnisses gründlich geführte Diskussion zur „Gewährbieteformel" i m Detail einzusteigen und zu versuchen, sie noch weiter zu vertiefen 354 . Festgehalten werden kann, daß nach Intention des Gesetzgebers, wie sich aus der Entstehungsgeschichte ergibt, und übereinstimmendem Wortlaut i n § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG, § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG und § 4 Abs. 1 Nr. 2 BRRG bei der Berufung von Berufs- und Zeitsoldaten mindestens die Anforderungen gestellt werden müssen wie bei den Beamten 355 . Nicht vertretbar wäre es, die Treuepflicht der Berufs- und Zeitsoldaten nach § 8 SG bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG auf je verschiedenem Niveau anzusetzen. Diese Konsequenz würde sich aber notwendig aus den A n sichten ergeben, die aus Gründen der „Einheitlichkeit des Soldatenver350
BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 26 f. BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 12. 352 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1643). 351
353
Vgl. oben, 2. Kap. A I I 4. 354 v g L hierzu ausführlich Battis , Bundesbeamtengesetz, A n m . 3 zu § 7 B B G m i t zahlreichen Nachweisen; grundlegend Denninger u n d H.-J. Klein, Verfassungstreue u n d Schutz der Verfassung, V V D S t R L 37, 1 u. 53. 355 Vgl. Verteidigungsausschuß, BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 5.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
hältnisses" die Verfassungstreuepflicht der Berufs- und Zeitsoldaten nach § 8 SG der i m Vergleich zu den Beamten eingeschränkten Verfassungstreuepflicht der Wehrpflichtigen angleichen wollen 3 5 6 . Hieraus würde sich die geradezu groteske Situation ergeben, daß ein Berufs- oder Zeitsoldat i m Augenblick der Berufung ebenso wie die Beamten volle Gewähr bieten muß, daß er für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt und dann anschließend i n seiner Verfassungstreuepflicht nachlassen könnte. Die oben 357 angestellten Überlegungen haben jedoch gezeigt, daß Berufs- und Zeitsoldaten auch und gerade während ihres Dienstverhältnisses zur Verfassungstreue — Verfassungsgehorsam, sowie Schutz und Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung — verpflichtet sind. Ihre Verfassungstreuepflicht steht der der Beamten i n nichts nach. Bei einer künftigen Überarbeitung des Soldatengesetzes wäre es allerdings angebracht, durch eine klare Unterscheidung zwischen Wehrpflichtigen und Berufs- und Zeitsoldaten die durch das Grundgesetz gebotene Differenzierung i n den Gesetzestext aufzunehmen und so alle Mißverständnisse 358 auszuschließen. Es bleibt die Frage, ob bei Soldaten auf Zeit ein anderer Maßstab anzulegen ist als bei Berufssoldaten. Der Bewerber, der sich auf eine kurze Zeit, ζ. B. zwei Jahre, verpflichten w i l l , w i r d häufig nichts anderes i m Sinne haben, als den weniger lukrativen, auf Wehrpflicht beruhenden Grundwehrdienst durch die zweijährige Verpflichtung als Zeitsoldat zu ersetzen. Er dürfte — i n der beamtenrechtlichen Judikatur — dem „Beamten auf Widerruf" am nächsten kommen. Das BVerfG hat zwischen Lebenszeitbeamten und Beamten auf Widerruf ein klares Differenzierungsverbot bei den Anforderungen an die Verfassungstreue aufgestellt 359 . M i t dem BVerfG ist aber auch anzunehmen, daß hinsichtlich von Zeitsoldaten, die sich nur kurzfristig, ζ. B. auf zwei Jahre, verpflichten, wie bei Widerrufsbeamten eine „vorläufige Beurteilung" der 356
So ζ. B. Schreiber, N Z W e h r r 1967, 166; Köttgen, S. 68 u. 83. Vgl. oben, 2. Kap. A I I I 3 u n d 4 b. 358 E i n solches — auf Abstufung der Verfassungstreuepflicht von Berufssoldaten u n d Beamten hinauslaufendes — Mißverständnis lag möglicherweise vor, als das B V e r w G i n einer Stellungnahme zur öffentlichen Reaktion auf seine i m Prinzip richtige Entscheidung (NJW 1973, 1649 u. 1662) zum Parteienp r i v i l e g des A r t . 21 Abs. 2 GG u n d der NPD-Mitgliedschaft eines Oberstleutnants feststellt: „Eine Entscheidung der Beamtensenate des B V e r w G zu der Frage, ob das M i t g l i e d einer »radikalen' Partei als Beamter oder Richter eingestellt werden k a n n oder eine sonstige Entscheidung zum genannten Fragenkomplex ist entgegen anders lautender Pressemitteilungen noch nicht ergangen." — Die Entscheidung sei vielmehr zur Prüfung der Frage der Treuepflicht während des Dienstes, nicht für die Prüfung der Treuepflicht v o r der Einstellung ergangen. 359 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1644). 357
A . I V . Soldatengesetz
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Verfassungstreue ausreicht. Hierfür spricht der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. b) Zum Verfahren Grundsätzlich ist für die Berufs- und Zeitsoldaten festzuhalten: die Gewähr, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, bietet der Bewerber, dem nach seinem bisherigen Verhalten zur Überzeugung der Einstellungsstelle zuzutrauen ist, daß er auch während des Dienstverhältnisses seiner sich aus dem Grundgesetz und § 8 SG ergebenden Verfassungstreuepflicht nachkommen wird 3 6 0 . Nach Auffassung des BVerfG 3 6 1 müssen bei Beamtenbewerbern die Einstellungsbehörden ein „prognostisches Urteil" über die Persönlichkeit des Bewerbers anstellen, wobei ihr ein „Beurteilungsspielraum" 3 6 2 eingeräumt wird. Die Gewähr der Verfassungstreue ist, so das BVerfG, dann nicht gegeben, wenn die Einstellungsbehörde „Zweifel an der Verfassungstreue" des Bewerbers hat, d.h. „nicht überzeugt ist" von der jederzeitigen Gewähr. Dabei gebe es keine „Beweislast" 363 , also auch keine Pflicht der Einstellungsbehörde, den Bewerber vorher zu den „Zweifeln" anzuhören. Es ist eine Einzelfallbewertung vorzunehmen, zu seinen Gunsten ist von seiner Verfassungstreue auszugehen 364 . Da der Bewerber selten gegenüber der Einstellungsbehörde eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Einstellung offen 360 Vgl. Scherer, 5. Aufl., A n m . 12 a) zu § 37 SG, der aber außerdem auf die „Gesamtpersönlichkeit" abstellt. Hierbei ist Vorsicht geboten, u m W i l l k ü r auszuschließen. 361 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1643 f.). 362 Kritisch hierzu H. J. Schimke, Diss., passim, insb. S. 136: „Die Behördenentscheidung ist vielmehr uneingeschränkt überprüfbar, wobei die K r i t e r i e n dieser Überprüfung an einer grundsätzlichen Vermutung der Verfassungstreue des Bewerbers auszurichten ist." 363 Kritisch hierzu Stern, Staatsrecht I, S. 183. 364 Vgl. auch Entschließung des Deutschen Bundestags v o m 24. Oktober 1975, BT-Drucksache 7. W P 4183: „1. Der Bundestag ist der Auffassung, daß m i t dem Gesetz (geplante, aber am Bundesrat gescheiterte Änderung des BRRG) die notwendige verfahrensrechtliche Ergänzung der materiell-rechtlichen Vorschriften über die politische Treuepflicht der Beamten, Richter und Soldaten geschaffen worden ist. Die neuen, den Beschluß des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts v o m 22. M a i 1975 berücksichtigenden Regelungen geben den Einstellungsbehörden sachgerechte u n d eindeutige A n weisungen für das bei Einstellung zu beachtende Verfahren. . . . Der freiheitliche demokratische Staat geht von der Verfassungsloyalität seiner Bürger aus. Zugunsten der Bewerber für den öffentlichen Dienst spricht daher grundsätzlich die Vermutung, daß sie i n ihrer Person die Gewähr der Verfassungstreue bieten. Wenn bei Behörden Tatsachen vorliegen, die diese Vermutung i m Einzelfall ernsthaft i n Frage zu stellen geeignet sind, ergibt sich für die Einstellungsbehörden die Pflicht, eine konkrete Überprüfung vorzunehmen." Grundlegend zur Vermutung der Verfassungstreue, dem „favor civis" : Denninger, Verfassungstreue, V V D S t R L 37, 7 ff. (Leitsatz S. 20; S. 23 u. 43).
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
zugeben wird, muß auf Tatsachen zurückgegriffen werden, die klare Hinweise auf eine von i h m ausgehende Gefährdung für die freiheitliche demokratische Grundordnung geben können. Tatsachen, die zu diesem Schluß führen können, sind ζ. B. Straftaten 365 nach §§ 84 ff. StGB (Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats), oder §§ 81 ff. StGB (Hochverrat); §§ 80 f. StGB (Friedensverrat) oder § 98 ff. StGB (Landesverrat und Gefährdung der äußerlichen Sicherheit) 366 . Typischerweise darf auch niemand berufen werden, der Mitglied einer vom BVerfG gemäß § 21 Abs. 2 GG als verfassungswidrig verbotenen Partei oder einer sonstigen gemäß A r t . 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Vereinsgesetz verbotenen Vereinigung ist 3 6 7 . Ob Mitglieder einer für „verfassungsfeindlich" gehaltenen oder nicht nach A r t . 21 Abs. 2 GG verbotenen Partei wie NPD oder D K P in das Soldatenverhältnis berufen werden können, ist noch i n einem gesonderten Abschnitt zu behandeln. Es darf jedenfalls keine abstrakte Bewertungsformel geben, die der Persönlichkeit der individuellen Bewerber nicht gerecht werden kann, sondern nur Einzelfallbeurteilungen 368 . Soll ein Bewerber aus mangelnder Verfassungstreue abgelehnt werden, so müssen Tatsachen vorliegen, die eine mangelnde Gewähr der Verfassungstreue i m Einzelfall belegen. Bei allen Aspekten, die die Einstellungsbehörde verwertet, ist A r t . 3 Abs. 3 GG zu berücksichtigen, der durch § 1 der Soldatenlaufbahnverordnung konkretisiert wird 3 6 9 : 365 Vgl. den Vorschlag v o n Küchenhoff / Schimke, die eine A n l e h n u n g an § 8 Nr. 6 B R A O empfehlen: „ I n das Beamtenverhältnis darf nicht berufen werden, w e r sich i n strafrechtlicher Weise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt hat." — in: Koschnick (Hrsg.), Der Abschied v o m Extremistenbeschluß, Bonn 1979; vgl. auch Battis , Bundesbeamtengesetz, A n m . 3 d bb) zu § 8 BBG. 366 Vgl. hierzu bereits die positive Vorschrift des § 38 Abs. 1 Nr. 1 SG. 367 Vgl. Scheuner, Der Soldat und die Politik, N Z W e h r r 1959, S. 89 ff. (84); Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 85. 368 Vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1643); vgl. auch Entschließung des Deutschen Bundestags v o m 24.10.1975, BT-Drucksache 7/4183. 369 Soldatenlaufbahnverordnung (SLV) v o m 27.1.1977 — B G B l . I, S. 233, § 1, geändert durch TO v o m 24.4.1980 — BGBl. I, S. 466; vgl. hierzu bedenkliche Formulierung F. Schneider, Kommentar zur SLV, A n m . 7 zu § 1 SLV, S. 15: „Der Soldat muß bereit sein, die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen u n d durch sein gesamtes Verhalten für sie einzutreten (§ 8 SG). Bietet er hierfür nicht die Gewähr, ist er politisch ungeeignet, i n das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit berufen zu werden." Entgegen Schneider ist daran festzuhalten, daß es eine Beurteilung nach „politischer" Eignung nach A r t . 3 Abs. 3 GG nicht geben darf. Auch das B V e r f G hat i m Radikalenbeschluß — N J W 1975, 1647 — die Bewertung politischer Anschauungen i m Sinne einer bezweckten Benachteiligung als durch A r t . 3 Abs. 3 GG verboten bezeichnet. K r i t e r i u m darf also nicht die politische Anschauung, sondern nur die Gewähr der Verfassungstreue sein.
A . I V . Soldatengesetz
157
„Die Soldaten sind nach Eignung, Befähigung u n d Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Heimat oder H e r k u n f t zu ernennen "
Die Berufssoldaten wachsen aus dem Kreis der diensttuenden oder in Reserve befindlichen Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten hervor (§ 39 SG) 370 . Der Schwerpunkt der Prüfung der von § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG geforderten Gewähr sollte für die Berufssoldaten daher in der Zeit vor der Berufung liegen, in der sie als Wehrpflichtige oder Zeitsoldaten Dienst t u n und sich die Truppe unmittelbar ein B i l d über sie machen kann 3 7 1 . c) Prüfungsdurchführung Das Vorgehen zur Prüfung der Verfassungstreue bei Beamtenbewerbern hat i n den siebziger Jahren zu teilweise erregten Diskussionen in der juristischen Literatur und der Öffentlichkeit geführt 37 2 . Insbesondere das Problem der Anfrage bei den Nachrichtendiensten (Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst [ M A D ] ) und ihre routinemäßige Durchführung bei jeder Bewerbung („Regelanfrage") gab Anlaß, grundsätzliche Untersuchungen über die rechtliche Zulässigkeit der Einschaltung der Nachrichtendienste anzustellen 373 . Das Bundeskabinett der sozialliberalen Koalition hat dann am 17.1. 1979 die bis heute noch nicht aufgehobenen „Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue" beschlossen374. Diese versuchten, einheitliche Verfahrensgrundsätze für die Einstellung von Bewerbern in den „öffentlichen Dienst" aufzustellen. Es heißt darin u. a.: „ I . Die Feststellungen, ob der Bewerber die Eignungsvoraussetzung der Gewähr der Verfassungstreue erfüllt, t r i f f t die für diese Entscheidung zuständige Bundesbehörde unter Beachtung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts v o m 22. M a i 1975 — 2. B v L 13/75 — u n d der i n der E n t schließung des Deutschen Bundestages v o m 24. Oktober 1975 aufgestellten Grundsätze unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles. I I . Bei der Feststellung, ob ein Bewerber die für die Einstellung i n den öffentlichen Dienst erforderliche Gewähr der Verfassungstreue bietet, sollen einheitlich folgende Verfahrensgrundsätze beachtet werden: 370 Vgl. Begründung zum E n t w u r f des Soldatengesetzes, BT-Drucksache 2. W P 1700. 371 Vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1644). 372 Vgl. zum Ganzen: Kriele, N J W 1979, 1; Denninger, V V D S t R L 37, 32; H.H.Klein, V V D S t R L , 86; Blanke u.a., „Ohne Zweifel für den Staat", passim. 373 Vgl. insb. H.-P.Schneider, Rechtsschutz u n d Verfassungsschutz, N J W 1978, 1601 ff.; ders., Der Verfassungsschutz, in: W i r Bürger als Sicherheitsrisiko, S. 131; E. Denninger, Der Schutz der Verfassung, in: Benda / M a i hofer / Vogel, S. 1693 ff. 374 B u l l e t i n Nr. 6, S. 45 v o m 19.1.1979.
158 1.
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht Bei der Entscheidung, ob bei der Verfassungsschutzbehörde angefragt w i r d , gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit:
1.1. Anfragen dürfen nicht routinemäßig erfolgen, 1.2. Anfragen haben zu erfolgen, w e n n tatsächliche Anhaltspunkte darauf hindeuten, daß der Bewerber nicht die Voraussetzungen f ü r die E i n stellung i n den öffentlichen Dienst erfüllt. Diese Anhaltspunkte können insbesondere während Vorbereitungsdienst und Probezeit gewonnen werden."
Die Bezeichnung „öffentlicher Dienst", für den die „Grundsätze" 375 gelten, würde an sich auch die Berufs- und Zeitsoldaten umfassen 376 . A n sie ist aber offensichtlich bei der Abfassung der „Grundsätze für die Verfassungstreue" nicht oder nur in Teilaspekten gedacht worden. Eine gezielte Anfrage des Verfassers beim Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) ergab: „ F ü r Berufs- und Zeitsoldaten w i r d eine gesonderte Prüfung der Verfassungstreue i m Sinne der »Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue' v o m 17.1.1979 nicht durchgeführt. Diese Prüfung ist vielmehr Bestandteil der nach den »Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Bundesbediensteten (Beschluß der Bundesregierung v o m 15.2.1971)' v o r gesehenen Sicherheitsüberprüfung, der alle Bundeswehrangehörigen unterzogen werden, die für eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit vorgesehen sind. Für die Sicherheitsüberprüfung von Bundeswehrangehörigen ist der M i l i tärische Abschirmdienst (MAD) zuständig."
Weiter teilte das B M V g am 22. 8.1983 mit: „Die Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Bundesbediensteten (Beschluß der Bundesregierung v o m 15.2.1971) sind V S - N U R FÜR DEN D I E N S T G E B R A U C H (VS-NfD) 3 7 7 eingestuft u n d daher der Öffentlichkeit nicht zugänglich. 375 Auch nach dem Beschluß des Bundeskabinetts über die „Grundsätze über die Prüfung der Verfassungstreue" sind die Verfahrensweisen i n B u n d u n d Ländern uneinheitlich geblieben. Während i n einigen Bundesländern w e i t e r h i n die „Regelanfrage" existiert, ist i m B u n d u n d einigen anderen Bundesländern unter Berufung auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr routinemäßig, sondern n u r noch dann angefragt worden, w e n n der Einstellungsbehörde ohne besondere E r m i t t l u n g e n Tatsachen bekannt waren, die Zweifel an der Verfassungstreue begründen; vgl. B. Preis, Verfassungsschutz u n d öffentlicher Dienst, S. 9. 376 Der „Ministerpräsidentenbeschluß" oder „Extremistenbeschluß" v o m 28. 1. 1972 betraf eindeutig n u r das „Beamtenverhältnis", vgl. Abdruck, in: Blanke u. a., Ohne Zweifel für den Staat, S. 187. 377 Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte i m Zusammenhang m i t der K i e ß l i n g / M A D - A f f ä r e am 24.1.1984 diese Richtlinien w i e folgt: „Nach dem Beschluß der Bundesregierung v o m 15. Februar 1971 sind i n den Richtlinien des Bundesinnenministers die Sicherheitsrisiken wie folgt beschrieben: Sicherheitsrisiken sind Umstände, die es aus Gründen der staatlichen Sicherheit oder i m eigenen Interesse der betroffenen Personen verbietet, sie m i t einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu betrauen. Sicherheitsrisiken können n u r nach Lage des Einzelfalls beurteilt werden. Es können insbesondere i n Frage kommen:
A . I V . Soldatengesetz
159
Für alle Berufs- u n d Zeitsoldaten w i r d eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt. Grundwehrdienst leistende Soldaten werden nur dann einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen, w e n n sie für eine sicherheitsempfindliche T ä t i g keit vorgesehen sind."
Hieraus ergibt sich, daß zwar nach dem Wortlaut des Gesetzes — § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG und § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG —, nicht aber i n der Durchführung der Prüfung der Verfassungstreue Bundesbeamte und Berufs- und Zeitsoldaten einander gleichgestellt sind. Dies erscheint angesichts der durchweg sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der Berufsund Zeitsoldaten auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt 378 . Berufs- und Zeitsoldaten nehmen 1. Verbindung zu gegnerischen Nachrichtendiensten; 2. Politische Sicherheitsrisiken; Politische Sicherheitsrisiken sind alle Umstände i m Verhalten einer Person, die bezweifeln lassen, daß sie sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und bereit ist, jederzeit für ihre Erhaltung einzutreten. I n Betracht zu ziehen sind insbesondere jetzige oder frühere Mitgliedschaft oder Betätigung i n Organisationen, die a) f ü r verfassungswidrig erklärt oder verboten sind, b) mit ihren politischen Zielen in einem derartigen Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder den Bündnisverpflichtungen der Bundesrepublik stehen, daß ein überzeugter Anhänger je nach Art seines Tätigkeitsgebietes in Versuchung geraten kann, seine Dienstpflichten zu verletzen. 3. Sicherheitsrisiken, die i n der Person des Betroffenen liegen; a) ernste geistige oder seelische Störungen, b) abnorme Veranlagung auf sexuellem Gebiet, c) T r u n k - u n d Rauschgiftsucht, d) Verschwendungssucht, e) Spiel- u n d Wettleidenschaft, f) Hang zur Bestechlichkeit, g) Neigung zu Geschwätzigkeit, Angeberei oder Unwahrheiten, h) Überschuldung, i) Straftaten. 4. Sonstige, unverschuldete Sicherheitsrisiken; a) i m kommunistischen Machtbereich wohnende nahe Angehörige der betroffenen Person oder andere Beziehungen i n den kommunistischen Machtbereich, b) längerer Aufenthalt der betroffenen Person i m kommunistischen Machtbereich außer i m amtlichen Auftrag. Dies gilt jedoch nicht, w e n n seither mindestens fünf Jahre verstrichen sind; für den Zugang zu Verschlußsachen des Geheimhaltungsgrades STRENG G E H E I M beträgt die Frist zehn Jahre, c) fehlende Möglichkeiten einer ausreichenden Überprüfung, d) Umstände, der unter Nummer 1 bis 4 c) genannten A r t , die zwar n u r i n der Person des Ehegatten oder Verlobten vorliegen, jedoch f ü r die sicherheitsmäßige Beurteilung des Betroffenen von Bedeutung sein können." 378 Vgl. auch die Grundsätze der SPD zur „Feststellung der Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst", vorgelegt von H. Koschnick (Hrsg., SPD-Vorstand) v o m Oktober 1978, abgedr. bei Blanke u. a., S. 209 ff.: „Unser demokratisches Gemeinwesen verlangt zu Recht von den Beamten, Richtern,
160
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
eine besondere V e r t r a u e n s s t e l l u n g ein. Ist auf sie k e i n V e r l a ß , e n t b e h r t unser Staatswesen u n d unsere V e r f a s s u n g d e r S t a b i l i t ä t . H i e r l i e g e n z w i n g e n d e G r ü n d e v o r , b e i j e d e m B e w e r b e r eine g r ü n d l i c h e heitsprüfung
vorzunehmen,
die
auch Aufschlüsse
über
die
SicherGewähr
seiner V e r f a s s u n g s t r e u e g i b t 3 7 9 . Dieser I n f o r m a t i o n s e i n g r i f f i n das P e r sönlichkeitsrecht des B e w e r b e r s ( A r t . 2 A b s . 1 i. V . m . A r t . 1 A b s . 1 GG), i n sein „ i n f o r m a t i o n e l l e s
Selbstbestimmungsrecht"
k a n n jedoch nicht
einfach d a m i t g e r e c h t f e r t i g t w e r d e n , daß die G r u n d s ä t z e der V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t u n d des ü b e r w i e g e n d e n A l l g e m e i n i n t e r e s s e s beachtet w ü r den380. Der
Informationseingriff
ist g r u n d s ä t z l i c h n u r
dann
zulässig,
w e n n der B e w e r b e r e i n w i l l i g t oder eine gesetzliche G r u n d l a g e f ü r d e n Eingriff
gegeben i s t 3 8 1 . A u s der gesetzlichen G r u n d l a g e müssen sich
die „ V o r a u s s e t z u n g e n u n d der U m f a n g d e r B e s c h r ä n k u n g e n k l a r u n d f ü r d e n B ü r g e r e r k e n n b a r e r g e b e n " , sie m u ß d a m i t d e m rechtsstaatl i c h e n Gebot d e r N o r m e n k l a r h e i t entsprechen 3 8 2 . Es ist u n t e r diesen V o r a u s s e t z u n g e n g r u n d s ä t z l i c h n i c h t zu b e a n s t a n den, daß die P r ü f u n g d e r Verfassungstreue u n d die S i c h e r h e i t s ü b e r p r ü f u n g sozusagen „ i n e i n e m A u f w a s c h " e r l e d i g t w e r d e n 3 8 3 . W i r d e i n Angestellten u n d A r b e i t e r n i m öffentlichen Dienst u n d den Berufssoldaten Verfassungstreue . . . 4. Eine Anfrage beim Verfassungsschutz muß jedoch noch stattfinden: a) bei der Einstellung von Richtern, Staatsanwälten, Polizei- u n d Strafvollzugsbediensteten, Berufssoldaten u n d solchen Personen, die nach der Entscheidung des politisch verantwortlichen Ministers/Senators i n der V e r w a l t u n g eine besondere Vertrauensstellung erhalten sollen." Entsprechend auch die FDP auf dem 29. Ordentlichen Bundesparteitag v o m 12.—14.11.1978 (Zitat bei Blanke u.a., S.214): „ B e i Einstellungen i n den öffentlichen Dienst gilt der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Deshalb fordert die FDP, daß bei Bewerbungen u n d vor Einstellungen i n den öffentlichen Dienst nicht mehr beim Verfassungsschutz angefragt w i r d . Die bisherige Praxis der Sicherheitsüberprüfung bleibt unberührt Die FDP lehnt es ab, außerhalb des Bereichs der Sicherheitsüberprüfung einzelne Gruppen v o n Bediensteten des öffentlichen Dienstes festzulegen, bei denen an der Praxis routinemäßiger Anfragen festzuhalten wäre. 379 Grundsätzliche Bedenken äußert Preis (Verfassungsschutz u n d öffentlicher Dienst, 1982, S. 62) gegenüber der Verwertung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse bei Beamtenbewerbern. 380 Personenbezogene Informationssammlung und -weitergäbe ist ein E i n g r i f f i n die Freiheit des Betroffenen, vgl. H.-P. Schneider, N J W 1978, 1502, i h m folgend Denninger, V V D S t R L 37, 7 ff. 381 Vgl. zum „Informationellen Selbstbestimmungsrecht" die Entscheidung des B V e r f G zum Volkszählungsgesetz v o m 15.12.1983, DVB1. 1954, 128 ff., u n d die einstweilige A n o r d n u n g durch das BVerfG, N J W 1983, 1307. 382 Vgl. B V e r f G DVB1. 1984, 128 ff. (129) (Volkszählungsurteil) unter Berufung auf BVerfGE 45, 400 (420). 383 Bei der Sicherheitsüberprüfung w i r d das Interesse an möglichen Verbindungen zum Osten überwiegen; Elemente, die für mangelnde Gewähr der Verfassungstreue v o n Belang sein könnten, wären ζ. B. aber auch rechtsextremistische A k t i v i t ä t e n ohne jeden Bezug zum Ausland.
A . I V . Soldatengesetz
161
mal der Informationseingriff durch eine zuständige Stelle zu beiden Zwecken vorgenommen, so werden sich sowohl Erkenntnisse ergeben, die für die Sicherheitsaspekte von Bedeutung sind (ζ. B. ob der Bewerber ein notorischer Trinker ist, Angehörige i n einem Land des Warschauer Paktes hat), als auch solche, die für die Prüfung der Verfassungstreue wichtig sind 3 8 4 . Die Einstellungsbehörde ist jedoch nicht davon entbunden, sich ein eigenes Bild von der Persönlichkeit des Bewerbers zu machen. Die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse dürfen nur Hilfe, aber nicht Entscheidung selbst sein. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG beauftragt sie eindeutig, diese Prüfung vorzunehmen. Sie kann sich nicht damit entlasten, daß ja ohneh i n eine Sicherheitsüberprüfung vorgenommen werde 3 8 5 . Die Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue 386 lassen — wie dort ausdrücklich vermerkt i s t — die „Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Bundesbediensteten" unberührt. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des A r t . 3 Abs. 1 GG folgt jedoch, daß diejenigen Regeln, die ohne Auswirkung auf die Sicherheitsüberprüfung bleiben und ohne Sinnverkehrung auf Soldaten anwendbar sind, auch bei der Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern als Berufs- oder Zeitsoldaten berücksichtigt werden müssen. Zu verwerten hat die Einstellungsbehörde alle Erkenntnisse, die für oder gegen die Gewähr der Verfassungstreue sprechen. Aus dem Grundsatz der Vermutung der Verfassungsloyalität (favor civis) 3 8 7 und dem Toleranzgrundsatz 388 ist aber zu schließen, daß der Militärische A b schirmdienst nur diejenigen Tatsachen an die Einstellungsbehörden übermitteln darf, 384
Nicht gleichzusetzen ist der F a l l der Einholung von Auskünften beim Verfassungsschutz, auf den sich das O V G B e r l i n (4. Senat) i n einer u m s t r i t tenen Entscheidung (NJW 1978, 1648) bezog: „Unter diesen Umständen wäre es geradezu widersinnig, den Staat an der V e r w e r t u n g von Material zu h i n dern, das er sich zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beschaffen hat." I n der v o m O V G B e r l i n ergangenen Entscheidung ergaben sich K r i t i k p u n k t e v o r allem daraus, daß der Verfassungsschutz getrennt von der Prüfung der Verfassungstreue zu anderen Zwecken gesammelte Erkenntnisse weitergegeben hatte. Vgl. zur K r i t i k der Entscheidung: H.-P.
Schneider, NJW 1978, 1602.
385 Vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1643): „ u n d es ist die Rechtspflicht aller Einstellungsbehörden, sie m i t diesem I n h a l t ernst zu nehmen u n d sie m i t diesem I n h a l t anzuwenden."; vgl. auch Großmann, Bundeswehrsicherheitsrecht, Randnr. 285, S. 119: „Auch die Bundeswehr muß der v e r fassungsrechtlichen Verpflichtung nachkommen, die Verfassungstreue i n jedem Falle zu prüfen." 386 B u l l e t i n Nr. 6, S. 45 v o m 19.1.1979. 387 Entschließung des Deutschen Bundestages v o m 24.10.1975, B T - D r u c k sache 7/4183; vgl. Denninger, V V D S t R L 37, S. 32 u. 43. 388 Vgl. BVerfGE 5, 85 (139).
11 Cuntz
162
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
„die den Schluß einer verfassungsfeindlichen, die demokratischen Freiheiten zielstrebig untergrabenden Hetze oder eines tätlichen Angriffs zuverlässig tragen" 3 8 9 . Es d a r f keineswegs aus d e m G e d a n k e n der „ E i n h e i t d e r S t a a t s g e w a l t " a u f e i n e n schrankenlos zulässigen I n f o r m a t i o n s f l u ß s t a a t l i c h e n S t e l l e n geschlossen w e r d e n 3 9 0 . d) Die des Militärischen an der Prüfung
zwischen
allen
Mitwirkung Abschirmdienstes der
(MAD)
Verfassungstreue
aa) D e r M i l i t ä r i s c h e A b s c h i r m d i e n s t w i r k t , w i e oben d a r g e s t e l l t w u r de, a n der P r ü f u n g d e r G e w ä h r j e d e r z e i t i g e n E i n t r e t e n s f ü r die f r e i h e i t ^ liehe d e m o k r a t i s c h e
Grundordnung
n a c h § 37 A b s . 1 N r . 2 S G
mit391.
G r u n d s ä t z l i c h aber b e d a r f auch der M i l i t ä r i s c h e A b s c h i r m d i e n s t ( M A D ) b e i m I n f o r m a t i o n s e i n g r i f f i n die P r i v a t s p h ä r e , n ä m l i c h das P e r s ö n l i c h k e i t s r e c h t des B e w e r b e r s ( A r t . 1 u n d 2 A b s . 1 i. V . m . 1 A b s . 1 GG), e i n e r f o r m e l l e n gesetzlichen E r m ä c h t i g u n g 3 9 2 . 389 O V G Berlin, 2. Senat, U r t e i l v o m 18.4.1978, DVB1. 1978, 756 = N J W 1978, 1644; vgl. hierzu auch H.-P. Schneider, Rechtsschutz u n d Verfassungsschutz, N J W 1978, 1601 ff. (1602 f.): „Eine wichtige Signalwirkung für die längst überfällige Rückkehr zu offeneren Formen des Verfassungslebens k o m m t schließlich dem Hinweis des 2. Senates auf die »politische Toleranz' als ,Ordnungsfaktor' u n d ,Wesensmerkmal der freiheitlichen Demokratie' zu." 390 Vgl. H.-P. Schneider, N J W 1978, 1602; dem widerspricht auch nicht die jüngste Entscheidung des 1. Senats des B V e r w G — 1 C/137.79 — der die Feststellungs- u n d Unterlassungsklage des Berliner Hochschullehrers W o l f Dieter N a r r gegen die Weitergabe von Erkenntnissen des Berliner Verfassungsschutzes über i h n an den niedersächsischen Verfassungsschutz abgewiesen hatte (vgl. Süddeutsche Zeitung v o m 22. 2.1984, S. 6). I n dem Rechtsstreit w a r laut Urteilsbegründung nicht darüber zu entscheiden, ob die Verfassungsschutzbehörde i n Niedersachsen die i h r zugegangenen Informationen an die Einstellungsbehörde habe weitergeben dürfen u n d ob der Verfassungsschutz bei der Einstellungsüberprüfung m i t p r ü f e n durfte. Das B V e r w G stützte seine Entscheidung auf das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes u n d der Länder i n Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, das den M A D nicht betrifft. 391 Nicht n u r durch die A u s w a h l der weiterzugebenden Informationen, sondern auch i n der Sache selbst t r i f f t der M A D eine gewichtige Vorentscheidung, die tatsächlich — ζ. B. bei der Abgabe einer Sicherheitsempfehlung — zu einer weitergehenden B i n d u n g der entscheidenden Behörde führt. Vgl. W. Schatzschneider, Ermittlungstätigkeit der Ä m t e r für Verfassungsschutz u n d Grundrechte, F r a n k f u r t 1979, S. 190. 392 Vgl. H.-P. Schneider, Der Verfassungsschutz, S. 125; ders., N J W 1978, 1603; i h m folgend Denninger, V V D S t R L 37, 7 ff. (41); ebenso H. H. Klein, V e r fassungstreue u n d Schutz der Verfassung, V V D S t R L 37, 53 (92). Daß die Beschaffung v o n Informationen einen E i n g r i f f darstellt, ist heute herrschende Auffassung u n d auch i n der Rechtsprechung des B V e r f G anerkannt — vgl. BVerfGE 27, 1; 28, 334; 32, 373; 33, 367; 34, 238; 44, 353; B.Schlink, Das nachrichtendienstliche M i t t e l , N J W 1980, 552 ff., (554) m. w . N.; zuletzt Volkszählungsentscheidung BVerfG v o m 15.12.1983, DVB1. 1984, 128 ff.
A . I V . Soldatengesetz
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Nun gibt es für die Existenz des M A D keine gesetzliche Grundlage wie für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Der M A D ist kraft der Organisationsgewalt (Art. 65 a GG) des Bundesministers der Verteidigung als Einrichtung der Bundeswehr i m Jahre 1956 errichtet worden 3 9 3 . Die Zuständigkeit des Bundes für die Tätigkeit des M A D ergibt sich aus der Normierung der Exekutivkompetenz i n Art. 87 a Abs. 1, 87 b GG. Da auf der Bundesebene kein Gesetzesvorbehalt für die Organisation der Verwaltung besteht, genügte für die Gründung des M A D ein Organisationserlaß der Bundesregierung 394 . Die Existenz des M A D erscheint nur mittelbar i n Gesetzen, und zwar einerseits i m Haushaltsplangesetz, i n dem unter besonderen Schutzvorkehrungen die für die Arbeit des M A D erforderlichen Mittel bereitgestellt werden 395 , andererseits w i r d er i m Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes vom 11.4.1978 genannt 396 . Die einzige i n einem Gesetz erscheinende Zuweisung von Befugnissen ist i m G-10 zu finden, das das A m t für Sicherheit der Bundeswehr i n Köln, die organisatorische Spitze des MAD 3 9 7 , zu Eingriffen i n das Post- und Fernmeldegeheimnis ermächtigt. Demgemäß ist nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 G-10 das A m t für Sicherheit der Bundeswehr durch seinen Leiter oder dessen Stellvertreter antragsberechtigt für Beschränkungen nach diesem Gesetz. Die Aufgaben des M A D erscheinen in offiziellen Dokumenten, soweit ersichtlich, nur an wenigen Stellen: relativ knapp faßt § 3 der „Richtlinien über die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Nachrichtendiensten mit den Strafverfolgungsbehörden" i n der Fassung vom 23. 7.1973 die Aufgaben des M A D zusammen 398 . Weiter enthält auch der Schriftliche Bericht des 2. Untersuchungsausschusses des 5. Bundestages eine kurze Zusammenstellung der Aufgaben des Amts für Sicherheit der Bundeswehr 399 . Demnach hat das A m t für Sicherheit der BundesGrundlegend Evers, Die rechtlichen Grenzen der Nachrichtensammlung durch die Ä m t e r für Verfassungsschutz, S. 107, Fn. 42: „Da der Bundesnachrichtendienst keine gesetzliche Grundlage hat, die Eingriffe i n die P r i v a t sphäre rechtfertigt, ist es bedenklich, w e n n er ,Operationen i m Inland' durchführt, von denen die Rede ist. . . . 393 Vgl. Gusy, Der Militärische Abschirmdienst, DÖV 1983, 60; Η . H. Klein, Verfassungstreue u n d Schutz der Verfassung, V V D S t R L 37, 53 (92). 394 Vgl. Gusy, S. 60; Stern, Staatsrecht, S. 186. 395 Vgl. E. Friesenhahn, Die Kontrolle der Dienste, S. 87 ff. 3% vgl Friesenhahn, Die K o n t r o l l e der Dienste, S. 87 ff.; Denninger, Der Schutz der Verfassung?, S. 1313 f., der die Tätigkeit des M A D damit als förmlich „legalisiert" bezeichnet. 397
Vgl. Gusy, S. 61; neuerdings heißt das A m t für Sicherheit der Bundeswehr „ M A D - A m t " ; vgl. „Der Spiegel" v. 1.10.1984, S. 30. 398 v g l . ebd. 399 BT-Drucksache 5. W P 4208, S. 2. 1
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
wehr die Aufgabe, die Bundeswehr gegen Spionage, Sabotage und Zersetzung abzuschirmen und aufgrund von Sonderweisungen für die Bundeswehr auf den Gebieten der Absicherung der Sicherheitslage und des Schutzes der Verteidigungswirtschaft tätig zu werden. Weitere Hinweise auf die Aufgabe des M A D gibt der Bericht des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß i m Fall Wörner / Kießling 4 0 0 vom 13. 6.1984. Nun ist die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für den M A D immer wieder erhoben worden 401 . I n einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des 8. Bundestags 402 lautet ein Ergänzungsantrag der CDU/CSU-Minderheit zu dem Bericht des Ausschusses: „ E i n Gesetz für den M A D ist erforderlich."
Dieser Antrag wurde mit vier zu drei Stimmen abgelehnt. Der Ausschuß stellte nach mehrheitlicher Entscheidung i m Gegenteil fest: „Nach Auffassung des Ausschusses haben sich die Regelungen des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- u n d Fernmeldegeheimnisses (G-10-Gesetz) als ausreichend erwiesen. Darüber hinaus besteht kein Bedürfnis für weitere Regelungen, die zum Eingriff in grundrechtlich geschützte Bereiche des Bürgers berechtigen können."
Der M A D hat also nur sehr begrenzte gesetzliche Eingriffsbefugnisse. Die Organisationsgewalt des Bundesverteidigungsministers als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (Art. 65 a GG) macht ihn jedoch zu einem Teil der Bundeswehr 403. Friesenhahn schließt aus dem Faktum, daß der Gesetzgeber die Existenz des M A D unterstellt, daß er damit auch die Anwendung der Mittel approbierte, die für die Erfüllung dieses Auftrages notwendig sind und sich i m Rahmen der Verfassung halten 4 0 4 . Was aber hat sich i m Rahmen der Verfassung zu halten — die Mittel oder die Eingriffe? Heiligen die Mittel den Zweck? Die bloße Anerkennung von Existenz und Tätigkeit des M A D berechtigt nicht per se zu Eingriffen. Auch für den M A D sind Eingriffe nur aufgrund der Vorbehalte zulässig, die die einzelnen Grundrechte aufweisen 405 . 400
BT-Drucksache 10/1604. Vgl. Friesenhahn, Die Kontrolle der Dienste, S. 93, der es als „ v e r w u n derlich" bezeichnet, daß dies bisher noch nicht geschehen ist; vgl. a u d i Datenschutzbeauftragter Bull, BT-Drucksache 9/93; Grundlegend Evers, Die rechtlichen Grenzen der Nachrichtensammlung durch die Ä m t e r f ü r Verfassungsschutz, S. 107, Fn. 42; vgl. auch H. H. Klein, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, V V D S t R L 37, 53 (92). 402 Z u r Lockheed-Affäre u n d den gegen F.-J. Strauß gerichteten A b h ö r f a l l — BT-Drucksache 8/3853, S. 8 f. 403 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 186, A n m . 6 V I 2 c). 404 Vgl. Friesenhahn, Die Kontrolle der Dienste, S. 90. 405 Vgl. Stern, Staatsrecht, S. 189; H. H. Klein, Verfassungstreue u n d Schutz der Verfassung, V V D S t R L 37, 53 (92) m. w. N.; Gusy, S. 65 unter Berufung 401
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Das BVerfG hat i m „Abhörurteil" 4 0 6 hinsichtlich des „Bundesamtes für Verfassungsschutz" festgestellt, daß es nicht der Sinn der Verfassung sein könne, zwar den verfassungsmäßigen obersten Organen i m Staate eine Aufgabe zu stellen und für diesen Zweck ein besonderes A m t vorzusehen, aber den verfassungsmäßigen Organen und dem A m t die Mittel vorzuenthalten, die zur Erfüllung ihres Verfassungsauftrages nötig sind. Nun hat der Bund für den Verfassungsschutz klare Zuständigkeiten durch das Grundgesetz i n Art. 73 Nr. 10 b), 87 Satz 2 GG zugewiesen bekommen, nicht aber für den MAD. Die Zuständigkeit für die Tätigkeit des M A D kann sich, mangels Gesetzes, nur aus der Exekutivkompetenz des A r t . 87 a Abs. 2, 87 b GG 4 0 7 ergeben; der M A D kann als wesentlicher Bestandteil der Bundeswehr mit dieser Kompetenzzuweisung — außerhalb des Falles von G-10 — grundsätzlich solche Tätigkeiten i m Rahmen der Zuständigkeiten der Bundeswehr vornehmen, die keinen Eingriff i n mit Gesetzesvorbehalt geschützte Grundrechte des Bürgers darstellen. Solange sich der M A D mit seinen Aktivitäten räumlich und hinsichtlich der betroffenen Personen innerhalb der Bundeswehr bewegt 408 , befindet er sich doch nicht in einem rechtsfreien .Raum. Zwar bietet § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG eine gesetzliche Basis für die Prüfung der Verfassungstreue. Es fehlt allerdings an einer gesetzlichen Grundlage dafür, daß der M A D hierzu eingeschaltet w i r d 4 0 9 und auch noch Informationseingriffe in die Privatsphäre der Betroffenen (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) vornimmt 4 1 0 . auf BVerfGE 41, 205 (224 f.): „ I n einem Rechtsstaat bestimmt sich das, was ein A m t t u n darf, niemals nach dem, was es real t u n könnte, w e n n man i h m n u r die M i t t e l dazu gäbe, sondern allein nach Verfassung u n d Gesetz." 406 BVerfGE 30, 1 (207). 407 Der kleinste Nachrichtendienst i n der Bundesrepublik Deutschland besteht ungefähr j e zur Hälfte aus zivilem u n d militärischem Personal (über 2000 Mitarbeiter). Ob der M A D zu den Streitkräften gehört oder zur Bundeswehrverwaltung, ist hier nicht zu entscheiden; vgl. hierzu E. Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S.32f. Jedenfalls gehört der M A D zur „Bundeswehr", die Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung umfaßt. 408 Kortmann, Verfassungsschutz i n B u n d u n d Ländern, S. 17: „Der M A D schützt die Bundeswehr gegen A k t i v i t ä t e n , für deren Beobachtung ansonsten die Behörden für Verfassungsschutz zuständig sind. Er hat also die gleiche Aufgabenstellung, beschränkt auf den Bereich innerhalb der Bundeswehr." — Überspitzt Schwagerl / Walther, Der Schutz der Verfassung, K ö l n 1968, Randnr. 281, Fn. 4: „Die Zuständigkeit hört grundsätzlich am Kasernentor auf"; zutreffend Gusy, S. 64, der die Zuständigkeitsbegrenzung des M A D auf die Zuständigkeitsbegrenzung des Bundesverteidigungsministers selbst zurückführt. 409 A u f dieses Problem weisen auch CDU/CSU, FDP u n d SPD i m KießlingUntersuchungsausschuß h i n — vgl. BT-Drucksache 10/1640, S. 68. Das B V e r w G hat i n einem Beschluß v. 22.10.1979 (ZBR 1980, 90) für Sicherheitsprüfungen durch die Verfassungsschutzbehörden § 3 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 BVerfSchG als ausreichende Rechtsgrundlage bezeichnet. I m F a l l des M A D fehlt diese Rechtsgrundlage.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Ohne gesetzliche Grundlage für Informationseingriffe kann ein Eingriff allenfalls auf (incidente) Einwilligung des Bewerbers gegründet werden. Ein Bewerber muß i n der Tat damit rechnen, daß vor seinem Eintritt in die Bundeswehr eine Sicherheitsüberprüfung stattfindet. Er w i r d hierzu sogar häufig Angaben machen und Referenzen nennen müssen. Die Vornahme von Sicherheitsüberprüfungen ist — dies ist zuzugeben — grundsätzlich durch den Sicherheitsauftrag der Bundeswehr geboten. Die Sicherheitsüberprüfung dient nicht nur der Spionageabwehr, sondern soll auch gewährleisten, daß die Bundeswehr Personen, bei denen ein hohes Sicherheitsrisiko vorliegt, nicht einstellt, u m auch eventueller Zersetzungsarbeit vorzubeugen. Diese sicherlich objektiv gegebenen Erfordernisse können jedoch das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung" (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) von zukünftigen (!) Soldaten nicht beseitigen. Und selbst dienstleistende Soldaten verlieren dieses Recht nicht aufgrund ihres Soldatenstatus. Zentrale Persönlichkeitsrechte verlieren ihre Gültigkeit auch nicht i n abstrakter Abwägung mit der „Funktionsfähigkeit der Bundeswehr" 4 1 1 . Es ist auch nicht anzunehmen, daß die Soldaten auf ihr „informationelles Selbstbestimmungsrecht" auf Dauer verzichtet haben. Einwilligung i n den Informationseingriff „heilt" also nur einzelne (sonst rechtswidrige) Verfassungstreue- oder Sicherheitsprüfungen. Der M A D ist Teil der Bundeswehr und erfüllt mit seiner Tätigkeit die Aufgabe, das Gefüge der nach A r t . 87 a Abs. 1 Satz 1 GG aufgestellten Streitkräfte so zu gestalten, daß sie ihrem Auftrag nachkommen können 412 . Handelt der M A D aber — räumlich, zeitlich und hinsichtlich der betroffenen Personen — außerhalb der Bundeswehr, so bewegt er sich i n einem durch die Exekutivkompetenz ungedeckten Raum. Dies hat auch schon den früheren Datenschutzbeauftragten B u l l zu kritischen Äußerungen veranlaßt: „Nachdem i m Jahre 1977 alle gemusterten Wehrpflichtigen unter Einschaltung des B f V überprüft worden waren, wurde i m Berichtsjahr erneut die Frage diskutiert, ob u n d i n welchem Maße derartige Überprüfungen durchgeführt werden sollen . . . I n einigen hundert Fällen hatten sich (1977) »Erkenntnisse' ergeben; nach näherer Überprüfung dieser verblie410 Eine gesetzliche Grundlage für Beschränkungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts ist selbst i m vergleichsweise weniger gravierenden F a l l der offenen Volkszählung erforderlich; vgl. U r t e i l zum Volkszählungsgesetz v o m 15.12.1983, BVerfG, DVB1. 1984, 128 ff. (129). Noch viel mehr muß das für verdeckte Informationseingriffe gelten, bei denen der Betroffene keine Kontrolle oder Mitwirkungsmöglichkeit hat. 411 A u f das Prinzip der „Funktionsfähigkeit der Bundeswehr" hat das BVerfG allerdings seinen Dienstzimmerbeschluß gestützt — vgl. BVerfGE 28, 36. 412 Vgl. BVerfGE 28, 36 (47); zur allgemeinen Problematik kritisch: Gusy, S. 64 f.
.IV. Soldatengesetz
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benen Wehrpflichtigen w u r d e n dann »vorbeugende' Maßnahmen bei der Verwendungsplanung getroffen. Dieses Ergebnis steht i n keinem angemessenen Verhältnis zu dem Aufwand. Vor allem aber: Das Ziel, einige ,Extremisten' (im Sinne v o n § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG) zu erkennen, rechtfertigt es nicht, über Hunderttausende junger Menschen Erkundigungen beim Verfassungsschutz einzuholen 4 1 3 ."
Die Einschaltung des BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) durch den M A D i n diesem Fall erweckt Bedenken i n dreierlei Hinsicht: — Zum einen handelte der M A D außerhalb der Bundeswehr. Auch das „Einschalten" des Verfassungsschutzes auf dem Wege der Amtshilfe nach A r t . 35 Abs. 1 GG ist ein Handeln außerhalb dieses Bereiches. Ergebnisse der Untersuchung des Verfassungsschutzes würde der M A D selbst erhalten und speichern. — Zum anderen stehen Wehrpflichtige i n ihrer Person zeitlich erst dann i n einem Dienstverhältnis zur Bundeswehr, wenn sie diesen Dienst tatsächlich angetreten haben. Sie haben i m Gegensatz zu den Berufs- und Zeitsoldaten i n nichts eingewilligt. I h r Recht auf „informationelle Selbstbestimmung" wäre durch derartige Überprüfungen ihres persönlichen Bereichs verletzt 4 1 4 . — Zum dritten reicht die eigene Zuständigkeit des BfV nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 BVerfSchG nicht aus. Die M i t w i r k u n g bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder beschäftigt werden sollen, kann sich nicht auf alle die Personen beziehen, die potentiell einmal bei der Bundeswehr eingesetzt werden sollen. Bei Überprüfung aller wehrpflichtigen Jahrgänge hätte man nach und nach eine „Übersicht" über einen Großteil unserer männlichen Bevölkerung. Dies ist mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht in Einklang zu bringen, ebensowenig mit der „Zweckbindung" der vom BfV gesammelten Informationen 415 . Man kann nicht einfach alle, die der „Wehrüberwachung" 4 1 6 unterliegen, auch der gesetzlich durch nichts begründeten Überwachung durch den M A D unterstellen 4 1 7 . 413
Unter dem Abschnitt „ M A D " , BT-Drucksache 9 . W P 9/93, S. 56. Vgl. die Entscheidung des B V e r f G v o m 15.12.1983 zum Volkszählungsgesetz, DVB1. 1984, 128 ff. 415 Gusy, S. 64, der allerdings n u r die Wehrpflichtigen vor der Erfassung und die Reservisten vor dieser Informationssammlung geschützt sieht, vgl. aber die Volkszählungsentscheidung des BVerfG v o m 15.12.1983, DVB1. 1984, 128. 416 Die Pflichten u n d Beschränkungen während der Wehrüberwachung sind i n § 24 Abs. 6, 6 a u n d 7 W P f l G aufgezählt. 417 CDU/CSU, FDP u n d SPD i m Kießling-Untersuchungsausschuß bemängeln die hohe Zahl v o n Sicherheitsprüfungen i n der Bundeswehr — 200 000 jährlich — vgl. BT-Drucksache 10/1604, S. 69. 414
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Eine sicherheitsmäßige Überprüfung könnte zudem da, wo es bei Verwendung i n sicherheitsempfindlichen Positionen nötig ist, auch noch während der dreimonatigen Grundausbildung der wehrpflichtigen Soldaten ohne unverhältnismäßigen Aufwand durchgeführt werden. Aber auch dann kann ein Informationseingriff nur auf Einwilligung oder Gesetze gestützt werden. Die Fortführung oder Wiedereinführung der Überprüfungspraxis des Jahres 1977 (die dem Anschein nach eingestellt wurde) würde die freiheitliche demokratische Grundordnung, die das „Gegenteil des totalen Staates" ist 4 1 8 , i n einem zentralen Punkt treffen, dem Menschenwürdegehalt (Art. 1 Abs. 1 GG) des Persönlichkeitsrechts. Auch neuerdings ist die Tätigkeit des M A D i m Zusammenhang mit der Kießling-Affäre wieder Gegenstand öffentlicher K r i t i k geworden. I n diesem Zusammenhang erschienen Veröffentlichungen über „Interne Prüfberichte" des Bundesbeauftragten für den Datenschutz über den M A D i n der Presse 419, die einige Praktiken des M A D kritisieren. Ein Untersuchungsausschuß des Bundestages befaßte sich schließlich mit dem MAD. Es ist wahrscheinlich, daß infolge der offiziellen Beanstandungen am M A D rechtspolitische Konsequenzen gezogen werden, d.h. auf dem Gebiet der Aufsicht, Tätigkeitseingrenzung und insbesondere der Gesetzgebung Maßnahmen ergriffen werden, die eine rechtsstaatlich einwandfreie Funktion des M A D sichern. So schlägt ζ. B. auch die von Bundesverteidigungsminister Wörner eingesetzte „Höcherl-Kommission" ein Gesetz über den M A D vor 4 2 0 . Sollte dies nicht geschehen, so müßte es der Rechtsprechung überlassen bleiben, den Schutz der Rechte des einzelnen und der Gesamtheit von Bevölkerung und Soldaten vor ungerechtfertigten Eingriffen zu gewährleisten. e) Rechtsschutz Die Frage des Rechtsschutzes gegen die Entscheidung der Einstellungsbehörde zur Gewähr der Verfassungstreue kann hier nur kurz angerissen werden. A r t . 19 Abs. 4 GG garantiert den Rechtsweg, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt i n seinen Rechten verletzt ist. Der Ablehnungsbescheid kann grundsätzlich durch Anfechtungsklage nach § 42 VwGO angegriffen werden 421 . Das Gericht darf jedoch die Eignung des Bewerbers nicht aufgrund eines eigenen prognostischen Werturteils, 418
BVerfGE 2, 1 (12). Vgl. „Der Spiegel" v o m 23.1.1984, S. 27 ff. 420 Vgl. „General-Anzeiger" v o m 16. 6.1984, S. 17. Minister Wörner denkt nach dieser Meldung an eine A n l e h n u n g des neuen MAD-Gesetzes an das Verfassungsschutzgesetz v o n Nordrhein-Westfalen. 421 Vgl. BVerfGE 31, 334 = N J W 1975, 1641 (1644); B V e r w G , DVB1. 1981, 455. 419
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das Sache der Einstellungsbehörde ist, abweichend vom Dienstherrn selbst feststellen 422 . Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Einstellungsbehörde den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, i n dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat 4 2 3 . Die Nachprüfung ist i m übrigen nach der Rechtsprechung des BVerfG hinsichtlich der Einstellungsentscheidung auf die Willkürkontrolle beschränkt 424 . Zu den Grenzen der Prüfung der Verfassungstreue gehört damit aber auch der Rahmen gesetzlicher Eingriffsermächtigungen, Aufgabenzuweisungen und Einsehbefugnisse 425 , d.h. einschließlich der A r t und Weise der Erkenntnisgewinnung (ζ. B. M i t w i r k u n g des MAD). Die Einstellungsbehörde muß — falls ein Ablehnungsbescheid angefochten w i r d — zur Ermöglichung dieser gerichtlichen Kontrolle die Gründe der Ablehnung darlegen. Dem Bewerber ist die Ablehnungsbegründung unter Angabe der hierfür maßgeblichen Tatsache, jedenfalls auf seinen Antrag hin, schriftlich mitzuteilen. Der Bescheid muß eine Rechtsmittelbelehrung enthalten 426 . Auch hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfung durch den MAD, deren Bestandteil die Prüfung der Gewähr der Verfassungstreue nach §37 Abs. 1 Nr. 2 SG ist, besteht gerichtlicher Rechtsschutz. Das BVerwG hat entschieden, daß die Entziehung eines Sicherheitsbescheides während des Dienstverhältnisses — jedenfalls für einen Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit mit mehr als zweijähriger Dienstzeit — eine mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbare Maßnahme ist 427 . Daraus folgt, daß auch eine auf Sicherheitsgründen fußende Ablehnung eines Bewerbers der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Es w i r d jedoch naturgemäß niemals möglich sein, vollen Einblick i n die vom M A D bearbeiteten Vorgänge zu bekommen 428 . I n einem — möglicherweise wegen einer Anfechtungsklage gegen einen Ablehnungsbescheid — anhängigen Gerichtsverfahren, kann nach der Entscheidung des Hess422
Vgl. B V e r w G , DVB1. 1981, 455 (458). Vgl. BVerfGE 39, 334 (354); BVerwG, DVB1. 1981, 455 (458). 424 Vgl. BVerfGE 39, 334 (354). 425 Vgl. H.-P. Schneider, N J W 1978, 1602. 426 Vgl. Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue v o m 17.1.1979, B u l l e t i n Nr. 6, S.45 v o m 19.1.1971; Doehring (in: Verfassungstreue, S.26f.) hält den Begründungszwang für ein wesentliches M e r k m a l unserer rechtsstaatlichen Ordnung. 427 Vgl. B V e r w G E 53, 134; Großmann, Bundeswehrsicherheitsrecht, S. 119. 428 Vgl. auch H.-P. Schneider, Rechtsschutz und Verfassungsschutz, N J W 1978, 1601; Großmann, S. 120 f. 423
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
VGH 4 2 9 der Verfassungsschutz die Vorlage von Akten, deren Inhalt Rückschlüsse auf Organisation und Arbeitsweise des Verfassungsschutzamtes ermöglicht, nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO verweigern 4 3 0 . Diese Grundsätze würden vermutlich entsprechend von der Rechtsprechung auf den M A D angewandt werden. Rechtsschutz gegen die eigentliche Observierung durch den MAD, ζ. Β. auf dem Wege der Feststellungsoder Unterlassungsklage, w i r d wohl i n der Praxis daran scheitern, daß es der Betroffene normalerweise überhaupt nicht merkt 4 3 1 . 3. Die Dauer der Verfassungstreuepflicht — § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG
a) Allgemeines Die Verfassungstreuepflicht der Soldaten beginnt mit dem „Soldatsein", d.h. mit Einberufung und Dienstantritt bei den Wehrpflichtigen (§21 WPflG, §2 SG) 432 und mit der „Ernennung" und „Einstellung" bei den Berufs- und Zeitsoldaten (Art. 60 Abs. 1 GG, § 4 Abs. 1 SG, § 3 Abs. 1 SLV). Die Verfassungstreuepflicht endet wie alle soldatischen Pflichten grundsätzlich mit der Eigenschaft des aktiven Soldaten nach § 2 2. Halbsatz SG, also m i t dem Ablauf des Tages, an dem der Soldat aus der Bundeswehr ausscheidet. Diese Vorschrift wurde i n das Soldatengesetz eingefügt, damit Rechtssicherheit darüber besteht, „ w a n n dem einzelnen die besonderen soldatischen Pflichten obliegen u n d w a n n die Unterwerfung unter den Pflichtkreis endet, soweit es sich nicht u m Pflichten handelt, die k r a f t Gesetzes auch nach dem Ende des Dienstverhältnisses f o r t w i r k e n " 4 3 3 .
b) Fortdauer
kraft gesetzlicher
Bestimmung?
Eine Fortdauer nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst könnte sich aus folgenden Vorschriften ergeben:
429
HessVGH, DÖV 1977, 683. Vgl. Großmann, S. 121; H.-P. Schneider, Der Verfassungsschutz, S. 131. 431 Vgl. H.-P. Schneider, N J W 1978, 1601. 432 A u f die Problematik des einberufenen wehrpflichtigen Soldaten, der seinen Dienst nicht an dem i m Einberufungsbescheid angegebenen Tag ant r i t t , w i r d hier nicht näher eingegangen; die Begründung des Regierungsentwurfs ging davon aus, daß die „festgesetzte" Zeit des Dienstantritts maßgeblich ist, vgl. BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 17; ebenso der Verteidigungsausschuß, BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 3. 433 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum SG, BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 17. 430
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§ 14 Abs. 4 SG bestimmt zu der Verschwiegenheitspflicht der Soldaten, die auch nach dem Ausscheiden aus dem Wehrdienst fortwirkt (§ 14 Abs. 1 u. 3 SG): „unberührt bleibt die gesetzlich begründete Pflicht des Soldaten, Straftaten anzuzeigen und bei Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für ihre Erhaltung einzutreten" 4 3 4 .
Man könnte versucht sein, aus dem Fortwirken der Verschwiegenheitspflicht auch auf die fortgesetzte Geltung der Verfassungstreuepflicht zu schließen. Dies ist mit dem nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit gestalteten § 2 2. Halbsatz SG nicht vereinbar. Zweck des § 14 Abs. 4 SG ist nicht, die Dauer der Verfassungstreuepflicht zu bestimmen, sondern den Vorrang der Verfassungstreue zu unterstreichen. Nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG „gilt" es als Dienstvergehen, wenn sich „ein Offizier oder Unteroffizier nach seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne des Grundgesetzes betätigt".
Diese Vorschrift könnte in dreierlei Richtung interpretiert werden: — Daß § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG ein eigenes Dienstvergehen der Offiziere und Unteroffiziere der Reserve fingiert 4 3 5 , — oder, daß § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG die Verfassungstreuepflicht des § 8 SG fortwirken läßt 4 3 6 , — oder, daß eine unabhängig von § 8 SG ohnehin bestehende Verfassungstreuepflicht fortwirkt. Für die erstgenannte Auslegungsmöglichkeit würde sprechen, daß der Wortlaut von § 8 SG („anerkennen" und „eintreten") und § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG („betätigen") voneinander abweicht. Auch w i r d angeführt, daß alle anderen nachwirkenden Pflichten, die in § 23 Abs. 2 als Dienstvergehen „gelten", i m Soldatengesetz noch besonders aufgeführt sind — ζ. B. § 23 Abs. 2 Nr. 1 und die §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 19 Satz l 4 3 7 . Dafür würde auch das Wort „gelten" sprechen, das eine Fiktion vermuten läßt. Anders die Entstehungsgeschichte von § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG: Die Begründung des Regierungsentwurfs 438 und der schriftliche Bericht des 434 Der Wortlaut des § 14 S G wurde textgleich m i t den beamtenrechtlichen Vorschriften i m § 61 Abs. 1—4 B B G formuliert — vgl. Verteidigungsausschuß, BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 7 zu § 13 SG-Entwurf. 435 So Lerche, Grundrechte der Soldaten, S.485; Müller, Diss., S. 79. 436 Vgl. Breitinger, Diss., S. 165; Dowie, Diss., S. 158 f.; Rittau, Soldatengesetz, A n m . 2 zu § 8 SG. 437 Vgl. Müller, Diss., S. 79. 438 BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 19.
172
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
federführenden Verteidigungsausschusses 439 gingen übereinstimmend davon aus, daß die Verfassungstreuepflicht bei Offizieren und Unteroffizieren i m Reserveverhältnis „nachwirkt". Der Zweck der Vorschrift sei, so die Begründung des Regierungsentwurfs, daß man die Möglichkeit haben wolle, einen „Feind der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" seines Dienstgrades zu entkleiden 440 . Die Vorschrift wurde entsprechend § 77 Abs. 2 Nr. 1 BBG gefaßt. Die Annahme einer „Fiktion" i n §23 Abs. 2 Nr. 2 SG w i r d allein schon durch den Begriff des Dienstvergehens (§ 23 Abs. 1 SG) selbst widerlegt. Ein Dienstvergehen kann nicht einfach fingiert werden. Ein Dienstvergehen kann nur die Verletzung bestehender Pflichten sein: ohne Pflichtverletzung kein Vergehen. Eine Fortdauer der Verfassungstreuepflicht aus § 8 SG hätte besonders normiert werden müssen, wie es in den anderen Vorschriften 441 des Soldatengesetzes auch geschehen ist, die in § 23 SG wiederkehren. § 8 SG hätte ζ. B. mit dem Einschub „auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis" versehen werden können. § 8 SG findet nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst also keine Anwendung 4 4 2 . Fortdauernde Wirkung hat jedoch die unmittelbar aus dem Grundgesetz — Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 33 Abs. 4 und A r t . 79 Abs. 3 GG resultierende Verfassungstreuepflicht der Berufs- und Zeitsoldaten, die auch außerhalb des Dienstes zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen müssen. Die Schutzpflicht, zu der sich der Berufs- oder Zeitsoldat durch seinen Dienst bekennt, lebt als Restbestand des Treueverhältnisses weiter. §23 Abs. 2 Nr. 2 1. A l t . ist bloße Sanktionsvorschrift, keine pflichtbegründende Norm 4 4 3 . Das Wort „gilt" stellt also i n diesem Zusammenhang klar, daß eine ohnehin fortgeltende Verfassungstreuepflicht eines Offiziers oder Unteroffiziers nicht mit dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst belanglos wird, sondern ihre Verletzung i m Hinblick auf das gegenseitige Treueverhältnis und die mögliche Wiederverwendung als Offizier oder Unteroffizier als Dienstvergehen geahndet werden kann. Hingegen können Mannschaftsdienstgrade nicht belangt werden. Offiziere und Unteroffiziere der Reserve begehen ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 1. A l t . SG nur bei einer aktiven Betätigung gegen 439 BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 5. 440 441
Nr. 1.
BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 19. Vgl. §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1, 17 Abs. 3, 23 Abs. 2 Nr. 3, 51 Abs. 1
442
Vgl. Scherer, 5. A u f l . Randnr. 13 zu § 23 SG. Ebenso Müller, Diss., S. 79 f., der andererseits aber von der eines Dienstvergehens spricht. 443
Fiktion
A . I V . Soldatengesetz
173
die freiheitliche demokratische Grundordnung, wie sie nur selten nachzuweisen sein wird. Es ist dementsprechend aus der öffentlich zugänglichen Literatur kein praktischer Fall bekannt, i n dem sich ein Gericht auf § 23 Abs. 2 Nr. 2 1. A l t . SG berufen hätte 4 4 4 . c) Unterscheidung zwischen Wehrpflichtigen und Berufs- und Zeitsoldaten Die Regierungsbegründung zum Entwurf des Soldatengesetzes445 nahm an, daß auch Wehrpflichtige, die sich als Offiziere oder Unteroffiziere der Reserve gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigen, nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG ein Dienstvergehen begehen. Dem begegnen bei näherer Betrachtung jedoch Zweifel. Wie oben 446 dargelegt wurde, sind die Wehrpflichtigen nur i n dienstlicher Eigenschaft der Verfassungstreuepflicht unterworfen. M i t der Ausbildung zum Unteroffizier oder Offizier übernehmen sie zwar freiwillig zusätzliche Verantwortung, aber eben nur i m Hinblick auf ihre dienstliche Tätigkeit. Wollte man alle wehrpflichtigen Offiziere oder Unteroffiziere einer lebenslangen Verfassungstreuepflicht unterziehen, so hätte man sie damit auf Dauer „diszipliniert". Dies kann nicht der Wille des Grundgesetzes und des i n seinem freiheitlich-demokratischen Sinne gestalteten Soldatengesetzes sein. Gegen die Annahme einer fortwirkenden Verfassungstreuepflicht der Wehrpflichtigen spricht auch, daß die Wehrpflichtigen — anders als zumindest die Berufssoldaten — nach dem Ausscheiden aus dem Dienste keine entsprechenden Vergünstigungen wie die Berufssoldaten von Seiten des Dienstherrn i m Sinne eines fortgesetzten Treueverhältnisses erhalten. Auch die entsprechende Regelung des BBG i n § 77 Abs. 2 Nr. 1 bezieht sich nur auf „Ruhestandsbeamte oder frühere Beamte mit Versorgungsbezügen", nicht auf alle Beamten schlechthin. Der Zweck der Vorschrift des § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG, wie ihn die Regierungsbegründung sah, ist die Möglichkeit, einen Feind der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seines Dienstgrades zu entkleiden 447 . Hierfür aber sieht § 30 WPflG bereits eine Reihe von Möglichkeiten vor: ζ. B. verliert der Wehrpflichtige nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 WPflG i. V. m. § 38 Abs. 1 SG und § 81 Abs. 1 Nr. 2 StGB den Dienstgrad, wenn er von einem deutschen Gericht wegen Verfassungsverrats verurteilt wurde, oder aber, wer sich nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 WPflG i. V. m. § 38 Abs. 1 SG und § 84 Abs. 2 StGB in einer vom Bundesverfassungsgericht 444 445 446 447
Vgl. auch Müller, Diss., S. 82, Fn. 2. BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 19. 2. Kap. A I I u n d A I I I 1 b). BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 19.
174
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
für verfassungswidrig erklärten Partei als Mitglied betätigt oder ihren organisatorischen Zusammenhalt unterstützt 4 4 8 . Sollte der wehrpflichtige Offizier oder Unteroffizier der Reserve ein Risiko für die innere Sicherheit der Bundeswehr sein, so kann er — falls er eingezogen werden muß — an sicherheitsunempfindlicher Stelle eingesetzt werden. Betätigt er sich aber während einer erneuten Verwendung, ζ. B. während einer Wehrübung, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, so ist der Tatbestand des § 8 SG erfüllt. Es ist somit kein durchschlagender Grund zu erkennen, warum § 23 Abs. 2 Nr. 2 l . A l t . SG auch auf Wehrpflichtige anwendbar sein soll. Ein Dienstvergehen nach §23 Abs. 2 Nr. 1 l . A l t . SG kann nur dann vorliegen, wenn eine tatsächlich fortwirkende Pflicht verletzt wird. Die Verfassungstreuepflicht w i r k t aber nur bei Berufs- und Zeitsoldaten nach, nicht bei Wehrpflichtigen. 4. Diensteid und feierliches Gelöbnis (§ 9 SG)
a) Fahneneid
oder Verfassungseid?
Der Regierungsentwurf zum Soldatengesetz hatte ursprünglich vorgesehen, daß Berufs- und Zeitsoldaten wie auch Wehrpflichtige einen Eid auf das Grundgesetz ablegen sollten 449 . Die Frage des Eides oder Gelöbnisses war eine der umstrittensten Fragen des Soldatengesetzes, die 1955/56 in den Ausschüssen für Recht und Verteidigung ebenso wie in der Plenarsitzung des Bundestages ausführlich behandelt wurde. Quer durch die Parteien gingen die Meinungen auseinander, ob überhaupt ein Eid vorgesehen werden sollte, ob Wehrpflichtige zu vereidigen seien, ob es einen Unterschied zwischen Eid und Gelöbnis gebe und schließlich auch die Frage, ob Soldaten auf das Grundgesetz schwören sollten 450 . 448 Auch bei Verurteilung wegen verfassungsfeindlicher E i n w i r k u n g auf die Bundeswehr nach § 89 StGB geht über § 30 Abs. 2 Nr. 1 W P f l G i. V. m. § 38 Abs. 1 SG der Dienstgrad verloren. 449 BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 6: § 16 Abs. 1 des SG-Entwurfs lautete: „Der Soldat hat folgenden Diensteid zu leisten: ,Ich schwöre, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu wahren, treu zu dienen u n d Vaterland u n d Freiheit unter Einsatz meiner Person tapfer zu verteidigen, so w a h r m i r Gott helfe.'" 450 v g l . z u m Ganzen Bade, Fahneneid u n d feierliches Gelöbnis, Diss., K i e l 1970, S. 72 ff. Wichtige Dokumente aus den parlamentarischen Beratungen sind: 1. Regierungsentwurf BT-Drucksache 2. W P 1700; 2. Beratung i m Rechtsausschuß, Protokoll der 86. Sitzung v o m 18.11.1955; 3. Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses, BT-Drucksache 2. W P 2140;
A . I V . Soldatengesetz
175
Der federführende Verteidigungsausschuß kam zunächst nach längeren Diskussionen zu dem Schluß, daß alle Soldaten ein einheitliches „Gelöbnis" ablegen sollten 451 . Dieses Gelöbnis wurde dann entsprechend der „Grundpflicht" des Soldaten gestaltet, so daß nicht mehr das Grundgesetz, sondern nur die „Bundesrepublik Deutschland" als Treuebezug erschien. I n der 2. Beratung des Soldatengesetzes am 6. 3.1956 wurde aber durchgesetzt, daß die Berufs- und Zeitsoldaten i m Gegensatz zu den Wehrpflichtigen nicht nur ein Gelöbnis, sondern nach § 9 SG einen Eid abzulegen haben. Als einer der wesentlichen Gründe für die Vereidigung der Berufsund Zeitsoldaten wurde angeführt, daß ohne den Eid „nach der Verabschiedung dieses Soldatengesetzes beispielsweise i m V e r teidigungsministerium die groteske Situation entsteht, daß der Hausmeister als Beamter des einfachen Dienstes den Treueid leisten muß, w ä h rend die gesamte Generalität unvereidigt b l e i b t " 4 5 2 .
Den Wehrpflichtigen aber wollte man einen Eid, der nach allgemeiner Auffassung eine „Selbstverfluchung" für den Fall seines Bruchs beinhaltete, nicht zumuten 453 . Das Gelöbnis hielt man für weniger belastend 454 . Ein Änderungsantrag der FDP-Fraktion sah vor, daß die Berufs- und Zeitsoldaten einen den Beamten entsprechenden Eid auf das Grundgesetz, die Wehrpflichtigen aber lediglich ein Gelöbnis mit dem heute geltenden Wortlaut ablegen sollten. Dieser Antrag wurde vom Plenum des Bundestages abgelehnt 455. Damit steht fest, daß jedenfalls i m Bundestag die Idee des Verfassungseides für Soldaten verworfen wurde. Man hatte genau die groteske Situation erreicht, die man eigentlich vermeiden wollte: Der Pförtner im Beamtendienstverhältnis ist auf das Grundgesetz vereidigt, der Generalinspekteur der Bundeswehr, der durch seine Türe geht, ist es nicht. Unser Staat erhält seine Legitimität aus der Verfassung. Das scheint nahezulegen, den Staatseid (bzw. das Gelöbnis) der Soldaten, wie er 4. Protokoll der 132. Sitzung des Bundestags v o m 6. 3.1956 (Stenographischer Bericht). 451 § 7 a SG sollte lauten: „Der Soldat bekennt sich zu seinen Pflichten durch das folgende feierliche Gelöbnis: ,Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen u n d das Recht u n d die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.'" — BT-Drucksache 2. W P 2140, S.31. 452 M d B Kliesing (CDU/CSU), der den Änderungsantrag m i t der endgültigen Fassung des § 9 SG einbrachte — Stenograph. Berichte, 132. Sitzung v o m 6. 3.1956, S. 6832; i n dieser Hinsicht ebenso M d B Merten (SPD), Stenograph. Berichte, 132. Sitzung, S. 6833. 453 v g l . Verteidigungsausschuß, BT-Drucksache 2. WP 2140, S. 5 f. 454
Vgl. Dade, Diss., S. 83. Stenograph. Berichte, S.6883. 455
132. Sitzung
des 2. Bundestags
vom
6.3.1956,
176'
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
heute geleistet wird, i n einen Verfassungseid umzudeuten. So erblickt v. Unruh 4 5 6 i n der Formel vom treuen Dienen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und der tapferen Verteidigung des Rechts und der Freiheit des deutschen Volkes eine Verpflichtung des Soldaten auf die Verfassung als Ganzes. Lerche 457 sieht die Verteidigungspflicht zum Schutz von Recht und Freiheit des deutschen Volkes i n der Eintretenspflicht für die freiheitliche demokratische Grundordnung wiederkehren. Entscheidend aber sind — trotz dieser Deutungen — die vom Beamteneid abweichenden Eidesworte. Es ist die Eidesformel, durch die sich der Schwörende äußert. Der Wortlaut unseres Soldateneides oder Gelöbnisses enthält einen Bezug auf den Staat, nicht aber auf das Grundgesetz. Er ist darum ein Diensteid, aber kein Verfassungseid. Der Soldateneid des § 9 Abs. 1 SG ist bestimmt nicht mit dem „Untertaneneid" der Monarchie, wie er bis 1918 geschworen wurde, gleichzusetzen 458 . Aber w i r haben heute auch keinen Verfassungseid 459 und befinden uns damit i m Gegensatz zur freiheitlich demokratischen Tradition der Weimarer Republik und des 19. Jahrhunderts, für die der Verfassungseid der Soldaten ein wichtiges Mittel zur Gewährleistung der Verfassung darstellte. Seit dem 19. Jahrhundert — und heute noch — w i r d als Argument gegen den Verfassungseid immer wieder angeführt, man müsse verhindern, daß die Soldaten aus dem Verfassungseid einen „Prüfungsanspruch" gegenüber verfassungswidrigen Befehlen ableiteten und Unsicherheit aufkomme, wem zu gehorchen sei 460 . Verkannt w i r d hierbei jedoch, daß die Verfassung selbst in A r t . 65 a GG klare Verhältnisse hinsichtlich der Befehlsunterstellung unter den Verteidigungsminister schafft. Verfassungstreue i n ihrem Aspekt Verfassungsgehorsam, besagt also Unterordnung unter die verfassungsmäßige, demokratisch gewählte Regierung und die ihr unterstellte Hierarchie. Verneinung des Verfassungseides aber liegt gefährlich nahe bei einer Ablehnung der Verfassungsbindung der Streitkräfte überhaupt. b) Die Rechtswirkung
von Diensteid und feierlichem
Gelöbnis
Der Diensteid ist ein sog. promissorischer Eid. I m Gegensatz zum „assertorischen" Eid zieht ein Eidesbruch keine Strafbarkeit wegen 456 υ. Unruh, Führung u n d Organisation der Streitkräfte, V V D S t R L 26, 157 (199). 457 Lerche, Evangelisches Staatslexikon, Stichwort „Bundeswehr", Spalte 311. 458 Vgl. Friesenhahn, Der politische Eid, S. 98. 459 Vgl. Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 88. Z u r Geschichte s. oben, l . K a p . II, IV. 460 Vgl. Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 88; Friesenhahn, Der politische Eid, S.101.
.IV. Soldatengesetz
177
Meineides nach sich 461 . Belangt werden kann der Eidbrüchige des promissorischen Eides nur wegen der zugrundeliegenden Pflichtverletzung (ζ. B. Fahnenflucht, Hochverrat, Dienstvergehen usw.). Bei den assertorischen Aussageeiden vor Gericht bezieht sich das Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit des Aussagenden. Politische Erklärungen wie der Soldateneid sind dagegen dazu bestimmt, Vertrauen auf Vorschuß zu erhalten, u m die Stellung als Berufs- oder Zeitsoldat zu übernehmen 462 . Wie schon das Reichsmilitärgericht i m März 1902 entschieden hatte, ist dem soldatischen Eid nur die Bedeutung einer äußerlich erkennbaren feierlichen Bekräftigung getreuer Pflichterfüllung der schon i m Augenblick der Zugehörigkeit zum aktiven Dienst übernommenen Pflichten beizumessen 463 . Der Soldat ist also bereits durch Verfassung und Gesetz verpflichtet, seine Dienstpflichten zu erfüllen, „wenn er das Kasernentor durchschreitet" 464 . Damit besteht die Verfassungstreuepflicht der Soldaten (Verfassungsgehorsam und Schutzpflicht gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach A r t . 1 Abs. 3, 33 Abs. 4, 20 Abs. 3, 79 Abs. 3 GG und § 8 SG) unabhängig davon, ob ein Verfassungseid abgelegt wurde oder nicht. Dennoch w i r d dem Eid auch heute noch Bedeutung für die Verfassungstreue zugemessen. Das Bundesverfassungsgericht beruft sich i m „Radikalenbeschluß" bei der Begründung der politischen Treuepflicht 4 6 5 auf die Vereidigung der Beamten. Auch i m Schrifttum zum Beamtenrecht w i r d immer wieder auf den Eid als Garantie der Verfassungstreue der Beamten hingewiesen 466 . I m Wehrrecht geht die Diskussion dagegen eher u m Sinn und Zweck des Soldateneides bzw. des feierlichen Gelöbnisses überhaupt 4 6 7 , die öffentlich veranstalteten Gelöbnisfeiern 468 und die Verpflichtung der Wehrpflichtigen, am feierlichen Ge461 Vgl. Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 88; Scherer, 5. A u f l . Randnr. 6 zu § 9 SG. 462 Vgl. E. Hirsch, Über die Gesellschaftsbezogenheit des Eides, in: Festschrift für Heinitz, S. 141. 463 Zit. nach Rede M d B Heye i n der 132. Sitzung des 2. Bundestages v o m 6.3.1956, Stenograph. Berichte, S.6847. 464 Ebd.; vgl. auch Scherer, 5. Aufl., Randnr. 6 zu § 9 SG. 465 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642) unter I : „ Z u den i n A r t . 33 Abs. 1 G G genannten hergebrachten u n d zu beachtenden Grundsätzen des Berufsbeamtentums u n d des Richterrechts gehört der Grundsatz, daß v o m Beamten u n d Richter zu fordern ist, daß er für die Verfassungsordnung — auf die er vereidigt ist —, eintritt." 466 Vgl. E.Hirsch, S. 151; Kriele, Die Gewähr der Verfassungstreue, F A Z v o m 25.10.1978, S. 10. 467 Vgl. Berg, Soldateneid u n d Gelöbnis — ohne Funktion? ZRP 1971, 79 ff.; Frielinghaus, A n m . zu Berg, ZRP 1971, 120.
12 Cuntz
178
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
l ö b n i s t e i l z u n e h m e n 4 6 9 . Es g i b t h e u t e k e i n e n „ K a m p f u m d e n V e r f a s sungseid" der Soldaten. D i e V e r f a s s u n g s t r e u e steht i n der B u n d e s w e h r , die m i t d e n m o n a r c h i s c h e n T r a d i t i o n e n der Verfassungsdistanz chen h a t , auch ohne Verfassungseid
gebro-
a n d e r Spitze d e r D i e n s t -
und
Berufspflichten. 5. Einheitlichkeit des Soldatenverhältnisses? Es ist e i n ü b e r k o m m e n e s P o s t u l a t , daß es e i n e i n h e i t l i c h e s S o l d a t e n verhältnis
gebe 4 7 0 , das o h n e U n t e r s c h i e d W e h r p f l i c h t i g e
und
Berufs-
u n d Z e i t s o l d a t e n g l e i c h e r m a ß e n erfaßt. Dies k o m m t e t w a z u m A u s d r u c k , w e n n eine B e g r ü n d u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g z u m E n t w u r f des Soldatengesetzes gleich a m A n f a n g feststellt: „alle Soldaten sind durch die Gleichartigkeit des Pflichtenkreises m i t e i n ander v e r b u n d e n . . . Die Gleichartigkeit des Pflichtenkreises ist der vornehmliche Ausdruck der Einheit des Soldatentums" 4 7 1 . A u s der E i n h e i t des S o l d a t e n t u m s f o l g e r t e die B e g r ü n d u n g des Soldatengesetzes d e n u r s p r ü n g l i c h vorgesehenen e i n h e i t l i c h e n D i e n s t e i d f ü r B e r u f s - u n d Z e i t s o l d a t e n u n d W e h r p f l i c h t i g e 4 7 2 . E b e n h i e r i n aber zeigt sich h e u t e b e r e i t s e i n U n t e r s c h i e d : Nach § 9 S G l e i s t e n B e r u f s u n d Z e i t s o l d a t e n e i n e n D i e n s t e i d , w e h r p f l i c h t i g e S o l d a t e n aber legen e i n feierliches G e l ö b n i s a b 4 7 3 . 468 Ablehnend gegenüber den öffentlichen Gelöbnisfeiern Grimm; A l l g e meine Wehrpflicht u n d Menschenwürde, S. 98; a. A . Walz, Buchbesprechung zu G r i m m , i n N Z W e h r r 1983, 78 (79) m i t Erwiderung G r i m m N Z W e h r r 1983, 225 ff. 469 Vgl. O V G Münster = N Z W e h r r 1976, 153, das die Nichtteilnahme am feierlichen Gelöbnis als Dienstvergehen bezeichnet, w e i l die Entstehungsgeschichte von § 9 SG auf eine Pflicht hinweise; ebenso Scherer, 5. Aufl., Randnr. 8 zu § 9 SG. Anders die 4. A u f l . von Scherer, Soldatengesetz, unter Hinweis auf den Erlaß des preußischen Kriegsministers v o m 27.3.1866; K r i tisch W. Stauf, Befohlene Teilnahme am feierlichen Gelöbnis — ein Verstoß gegen A r t . 1 Abs. 1 Satz 1 GG, N Z W e h r r 1978, 93; ablehnend auch Busch, N Z W e h r r 1969, 137. I n der Tat läßt die Entstehungsgeschichte entgegen der Ansicht des O V G Münster nicht zwingend auf eine Teilnahmepflicht schließen — vgl. BT-Drucksache 2 . W P 2140, S.5: „Der Wortlaut des §9 Abs. 2 SG spricht gegen eine Teilnahmepflicht" — Entsprechend ist auch die Praxis, denn der B M V g hat i m Erlaß v o m 30. 5.1967 darauf verzichtet, die Ablegung des feierlichen Gelöbnisses durch einen Befehl zu erzwingen — zit. bei OVG Münster, a.a.O.; bei den Berufs- u n d Zeitsoldaten (§§46 Abs. 2 Nr. 4, 55 Abs. 1) ist die Eidesleistung unbestritten eine Dienstpflicht; vgl. Scherer, 5. Aufl., Randnr. 4 zu § 9 SG. 470 Es gibt keine Vorschrift des Wehrrechts, die die Einheitlichkeit des Soldatenverhältnisses normiert. Auch § 1 Abs. 1 Satz 2 SG besagt nur, daß gegenseitige Treue Staat u n d Soldaten miteinander verbindet, ohne das Maß der Treue zu bestimmen! 471 472
BT-Drucksache 2 . W P 1700, S. 16. BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 24.
A . I V . Soldatengesetz
179
Wie oben dargestellt wurde, besteht ein Unterschied i n der Verfassungstreuepflicht der Berufs- und Zeitsoldaten und der wehrpflichtigen Soldaten 474 . Auch das BVerwG 4 7 5 hat festgestellt, daß das Dienstverhältnis der Berufs- und Zeitsoldaten störempfindlicher ist als das auf der Wehrpflicht beruhende Dienstverhältnis. Es hat zu Recht den Status der Berufs- und Zeitsoldaten mit dem der Beamten verglichen, der beispielsweise durch die gemeinsamen versorgungsrechtlichen Ansprüche seine Ausprägung findet. Entscheidend aber sind die Bedingungen des Ein- und Austritts aus der Bundeswehr. Ein- und Austrittsbedingungen der Wehrpflichtigen und Berufs- und Zeitsoldaten sind so verschieden, daß sie i n zwei getrennten Gesetzen geregelt werden mußten 476 : die der Wehrpflichtigen i m Wehrpflichtgesetz, die der Berufs- und Zeitsoldaten i m zweiten Abschnitt des Soldatengesetzes. Sind aber Ein- und Austritt unter verschiedenen Bedingungen vor sich gegangen — hier Pflicht, da Wille — so muß notwendig auch die innere Bindung an die Bundeswehr, an den Staat und seine Verfassung verschieden ausfallen. Das Soldatengesetz kann einheitliche Handlungen und äußeres Verhalten der Soldaten fordern, es kann aber nicht die Einstellung der Soldaten ändern. Einheitlichkeit des Pflichtenkreises hat weiterhin nur dort Wirkung und Sinn, wo die Funktion der Betroffenen, also i m dienstlichen Bereich, vergleichbar ist. Ist dies nicht der Fall, weicht die Einheitlichkeit der Differenzierung 477 . Einheit des Soldatentums ist m i t h i n ein Postulat, das seinen Niederschlag in dem Versuch einer einheitlichen Regelung der Soldatenpflichten i n §§ 7 ff. SG gefunden hat. „Einheitlichkeit des Soldatenverhältnisses" ist aber keine Grundnorm des geltenden Wehrrechts, die die Rechtsverhältnisse der Soldaten regelt und bestimmt. Aus der „Einheitlichkeit des Soldatenverhältnisses" können also keine Schlußfolgerungen auf die Verfassungstreuepflicht von Berufs- und Zeitsoldaten einerseits und wehrpflichtigen Soldaten andererseits gezogen werden 478 . 473 Rechte u n d Pflichten der Soldaten sind einander angeglichen, aber nicht gleich. 474 Ebenso Böttcher, Diss., S. 158 ff.; a. Α . Nettersheim, N Z W e h r r 1975, 89 ff.; Schreiber, N Z W e h r r 1967, 166 f. 475 B V e r w G E 42, 20 (23). 476 Vgl. die Äußerung des BMVg-Vertreters M D g Barth i m Rechtsausschuß, Protokoll der 86. Sitzung des Rechtsausschusses des 2. Bundestages v o m 18.11.1955. 477 Vgl. ζ. B. bei der Regelung der Nebentätigkeit i n § 20 SG. 478 So aber Schreiber, N Z W e h r r 1967, 166 f.; Köttgen, S. 67 ff.
12*
180
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht V . Verfassungstreue u n d Staatstreue 1. Grundlagen der Staatstreue
Das BVerfG hat i m „Radikalenbeschluß" die politische Treuepflicht der Beamten als „Staats- und Verfassungstreue" bezeichnet 479 . Es sind demnach offensichtlich zwei Elemente, die die politische Treuepflicht ausmachen — Treue zum Staat und Treue zur Verfassung. Als Staat bezeichnet das BVerfG „konkreter
jede verfassungsmäßige
Regierung
und die
Bürger" 4* 0,
Der Staat müsse sich darauf verlassen können, „daß der Beamte i n seiner A m t s f ü h r u n g Verantwortung für diesen Staat, für »seinen' Staat zu tragen bereit ist, daß er sich i n dem Staat, dem er dienen soll, zu Hause f ü h l t — jetzt u n d jederzeit u n d nicht erst, w e n n die von i h m erstrebten Veränderungen durch entsprechende Verfassungsänderungen v e r w i r k l i c h t worden sind" 4 8 1 .
Zugleich stellt aber das BVerfG klar, daß Staatstreue nicht mit Regierungstreue zu verwechseln ist 4 8 2 : „Gemeint ist damit nicht eine Verpflichtung, sich m i t den Zielen oder einer bestimmten P o l i t i k der jeweiligen Regierung zu identifizieren. Gemeint ist vielmehr die Pflicht zur Bereitschaft, sich m i t der Idee des Staates, dem der Beamte dienen soll, m i t der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung dieses Staates zu identifizieren."
Schon hier w i r d deutlich, daß Staatstreue kein von der Verfassungstreue unabhängiges oder zu ihr gar i n Konkurrenz tretendes Element darstellt, daß vielmehr die Staatstreue Teil der Verfassungstreue ist 4 8 3 . Worin gründet sich die Staatstreuepflicht der Soldaten? Institutionelle Staatstreuepflicht der Bundeswehr beruht i m Grundgesetz zunächst auf der Grundnorm des A r t . 87 a Abs. 1 Satz 1 GG 4 8 4 ' ^ Macht der Bund von seiner Zuständigkeit Gebrauch, Streitkräfte aufzustellen, so sind es seine Streitkräfte. Sie haben sich den Organen und Regeln dieses 479
BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642). Ebd. 481 Ebd. 482 Ebd. 483 Die Staatstreuepflicht w i r d durch die Normen des Grundgesetzes verm i t t e l t . Sie bezieht sich n u r auf dienstliches Verhalten, vgl. H.-P. Schneider, Unveröff. Gutachten zur Meinungsfreiheit der Beamten v o m 12.9.1982, S. 29. 484 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Randnr. 5 zu A r t . 87 a: „ G r u n d n o r m f ü r das Verhältnis des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates zu seiner Armee — dem bewaffneten Machtinstrument der Exekutivspitze." 485 Das Treueverhältnis aller Staatsdiener ist i n A r t . 33 Abs. 4 GG angesprochen; vgl. oben, 2. Kap. A I I I 4 b). 480
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181
Staates unterzuordnen. Dieser Grundsatz w i r d weiter präzisiert i n A r t . 87 a Abs. 1 Satz 2, 65 a, 115 b GG, die die Streitkräfte i n ihrer Gesamtheit — und damit auch jeden einzelnen Soldaten — der verfassungsmäßigen Staatsleitung unterstellen. Das Grundgesetz unterstellt die Soldaten aber auch, und bedient sich hier der Vermittlung durch die demokratisch gewählte Regierung, der Gesamtheit der Bürger, denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus 486 . I m Soldatengesetz sind es vor allem zwei Vorschriften, i n denen die Staatstreue festgeschrieben ist: § 1 Abs. 1 Satz 2 SG lautet: „Staat u n d Soldaten sind durch gegenseitige Treue miteinander verbunden" ;
und § 7 SG: „Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen u n d das Recht u n d die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen . . . "
Die sogenannte Grundpflicht des Soldaten, wie sie i n § 7 SG formuliert ist, kehrt i n der Eides- bzw. Gelöbnisformel der Soldaten wieder (§ 9 SG). Die „Grundpflicht" des Soldaten hat Interpretationen in verschiedenen Richtungen erhalten. Viele wollen sie als alle anderen soldatischen Pflichten, einschließlich der Verfassungstreue, umfassende Generalklausel verstanden wissen 487 . Sie w i r d damit als eine A r t Rückfallklausel gedeutet, unter die alle auch nur denkbaren soldatischen Einzelpflichten bis zum Sauberhalten des Gewehres fallen sollen, sofern eine ausdrücklich genormte Pflicht der §§ 8 ff. SG nicht greift 4 8 8 . Die §§ 8 ff. SG sollen nach dieser Auffassung als „leges speciales" der „lex generalis" des § 7 SG vorgehen 489 . I n der Rechtsprechung w i r d teilweise i n weiterer Formulierung aus § 7 SG die Pflicht hergeleitet, alles zu unterlassen, was der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr abträglich ist oder die Erfüllung der Aufgaben der Bundeswehr erschwert 490 . 486
A r t . 20 Abs. 2 GG. Vgl. Nettersheim, I n h a l t u n d Grenzen der Treuepflicht des § 7 SG, N Z W e h r r 1975, 89 ff.; Dowie, Diss., S. 157; Barth, N Z W e h r r 1963, S. 2 ff.; Kröng, N Z W e h r r 1959, 9 ff.; Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 85 f. 488 Vgl. Hahnenfeld, Soldatengesetz, S. 85 f.; Scherer, Randnr. 23 f. zu § 7 SG; Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 2. W P 1700, S. 18. 489 Vgl. Nettersheim, N Z W e h r r 1975, 89 (95); Schwenck, Rechtsordnung u n d Bundeswehr, S. 50. 490 Vgl. zum Grundsatz B V e r w G E 43, 353, 357 zum „Haarerlaß". Der 2. Wehrdienstsenat des BVerwG, Beschluß v o m 14.4.1983 — 2 W D B 1/83, in: N Z W e h r r 1983, 145 hat diese Rechtsprechung zwar grundsätzlich anerkannt, sie jedoch zugleich wieder i n enge Schranken verwiesen: „Der Senat vermag jedoch den sogenannten »Irokesen-Haarschnitt' eines Soldaten nicht als geeignet anzusehen, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr zu beeinträchtigen oder die E r f ü l l u n g ihrer Aufgaben zu erschweren." 487
182
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Eine Auslegung, die auf den historischen Willen des Gesetzgebers und die i m Grundgesetz enthaltenen Basisnormen der Staatstreue zurückgeht, kommt dem Inhalt des § 7 SG näher: Der Entwurf zum Soldatengesetz v. 23. 9.1955 definierte es als Grundpflicht des Soldaten (damals § 6); treu zu dienen und Vaterland und Freiheit unter Einsatz seiner Person tapfer zu verteidigen 491 , ohne den Dienstherrn festzulegen. I m Verteidigungsausschuß wurde dann der heutige Wortlaut des § 7 SG formuliert. Der Ausschuß wünschte klarzustellen, daß der Soldat Befehle und Anweisungen von den Organen der Bundesrepublik Deutschland entgegenzunehmen und treu zu erfüllen habe, daß er sich aber zugleich für das Schicksal des gesamten deutschen Volkes, auch soweit es nicht i m Geltungsbereich des Grundgesetzes lebt, verantwortlich weiß 492 . Es w i r d also die Pflicht zum treuen Dienen gegenüber den i m Grundgesetz selbst (Art. 65 a, 115 b) bestimmten Befehlsorganen der demokratisch gewählten Regierung vorgeschrieben. Damit ist § 7 SG nicht eine Klausel, auf die stets dann rekurriert werden darf, wenn man sonst keine Pflichtverletzung am Soldaten finden kann. § 7 S G 1. Satzteil ist vielmehr Grundnorm der Staatstreuepflicht i m Soldatengesetz. Als Dienstherrn nimmt das Gesetz nicht mehr, wie das ältere Recht, eine Person i n Anspruch, sondern das westdeutsche Staatswesen 493. I m Nebeneinander des Bezugs auf die ideellen Werte der Freiheit, die Idee des Volkes und auf den konkreten Staat, w i r d man mit Scheuner 494 die unausgetragene politische Problematik der deutschen Teilung erkennen können 495 . Die Staatstreuepflicht des Soldaten w i r d — und dies w i r d auch i n der neueren Rechtsprechung des BVerwG deutlich 496 — durch die pflichtgemäße Erledigung des Dienstes erfüllt. Dies, und nicht mehr und nicht weniger, ist i m Kern die Staatstreue.
491
Vgl. BT-Drucksache 2. W P 1700. Vgl. BT-Drucksache 2.WP2140, S.4. 493 Vgl. auch BVerfG, DVB1. 1981, 1050: § 7 SG als „Dienstpflicht gegenüber V o l k u n d Staat". 494 Vgl. Scheuner, Der Soldat u n d die Politik, S. 86 f. 495 Ebd. 496 Vgl. B V e r w G , Entscheidung v o m 22.10.1980 — 2 W D 70/79, abgedr. in: Truppenpraxis 1982, 14 ff.: „Liegt ein derartiges Ereignis vor, durch das der Soldat trotz seines Willens oder Bereitschaft, Dienst zu leisten, aus tatsächlichen Gründen oder aus rechtlichen Verpflichtungen, die seiner Dienstpflicht vorgehen, gehindert ist, i h r nachzukommen, so bleibt er nicht p f l i c h t w i d r i g dem Dienst fern . . . k a n n i h m ein Verstoß gegen die v o n § 7 SG begründete Pflicht zum treuen Dienen nicht angelastet werden." Vgl. auch die oben bereits zitierte Entscheidung zum „Irokesenhaarschnitt", BVerwG, Beschluß v o m 14. 4.1983, N Z W e h r r 1983, 145 ff. 492
A.V. Verfassungstreue
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183
2. Das Verhältnis der Staatstreue zur Verfassungstreue
I n der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts gab es, bis auf den aufsehenerregenden Fall der Verfassungstreue der kurhessischen Offiziere 497 , keinen Zweifel darüber, daß die Treue zum Monarchen eine unmittelbare Bindung der Soldaten an die Verfassung ausschloß. Der Monarch, als oberster Kriegsherr zentraler Bezugspunkt für die Soldaten, vermittelte nach konservativem Verständnis erst die Bindung an Staat und Verfassung 498 . Ein zwiespältiges Verhältnis zur Verfassung hatte die Reichswehr i n der Weimarer Republik 4 9 9 , die sich eher dem „Staat an sich" als Verfassung und Demokratie verpflichtet fühlte. Der Verfassung gegenüber glaubte man noch immer, der Vermittlung durch die vorgesetzten Organe der Streitkräfte zu bedürfen 500 . Die Bundeswehr ist heute in die Verfassungsordnung eingegliedert und w i r d durch die Verfassung selbst zu Staatstreue und Gehorsam gegenüber der Regierung (Verteidigungsminister bzw. Bundeskanzler) verpflichtet. Die Verfassung vermittelt heute die Staatstreuepflicht. Hieraus ergibt sich, daß es kein Vorrangverhältnis der Staatstreue gegenüber der Verfassungstreue geben kann, denn die Staatsorgane finden ihre Legitimität erst durch den Volkssouverän und seine Verfassung. Auch das BVerfG hat i m Radikalenbeschluß die Staatstreue nur gegenüber einer „verfassungsmäßigen" Regierung gelten lassen: Gegenüber einer nicht verfassungsmäßigen Regierung besteht keine Treuepflicht 501 . Verfassungstreue und Staatstreue müssen nicht naturnotwendig übereinstimmen, so wenig Verfassungsschutz und Staatsschutz einander gleichzusetzen sind, weil die Verfassung neben dem Bestand des Staates auch die Demokratie und die Grundfreiheiten der Bürger schützt 502 . 497
Vgl. oben, 1. Kap. I, I I , I I I , insbes. I I 4, I I I 1 u. 2. Vgl. Friesenhahn, Der politische Eid (1928), S. 101; anschaulich die A n weisung durch den K ö n i g von Hannover i m Landesverfassungsgesetz v. 1840, § 182: „Sondern W i r befehlen auch insbesondere allen Behörden und öffentlichen Dienern unseres Königreiches, daß sie sowohl selbst den Bestimmungen gebührend nachkommen, als auch ernstlich darüber wachen, daß ihnen nachgelebt w i r d . " (Diese Anweisung w a r freilich auf Beamte gemünzt.) 499 Vgl. oben, 1. Kap. I V . 500 Typisch für dieses Verständnis: Friesenhahn, Der politische Eid (1928), S. 101: „Die gesuchte Sicherung k a n n dadurch erreicht werden, daß man die obersten Kommandostellen den E i d auf die Verfassung leisten läßt. Der preußische König, dem i m Fahneneid unbedingter Gehorsam zugesichert wurde, hatte seinerseits den Eid auf die Verfassung geleistet." Kennzeichnend auch die oben, l . K a p . I V 3 c zitierten Richtlinien über die Ausbildung i m Heere 1931: „Die Wehrmacht dient allein dem Staate. Sie verleiht i h m die Macht, seinen W i l l e n durchzusetzen, Verfassung u n d Recht zu schützen." 501 Vgl. BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1642). 502 Vgl. H.-P. Schneider, Der Verfassungsschutz, S. 98. 498
184
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Staatstreue hat nur dann ihren Sinn, wenn die Grundwerte der Verfassung i n diesem Staat erhalten bleiben. Freilich darf hieraus nicht geschlossen werden, daß der Soldat selbst, sozusagen als mit militärischer Macht ausgestatteter Prüfer der Verfassungsmäßigkeit von Befehlen und anderen Staatsakten, über den Wirkungsgrad des Grundgesetzes oder den Vorrang einer Verfassungsnorm vor der anderen bestimmen könnte 503 . Das BVerfG hat in einer jüngeren Entscheidung festgestellt, daß die i n § 8 SG niedergelegte Pflicht des Soldaten zur Verfassungstreue deshalb noch nicht dazu berechtigt, sich unter Berufung auf einzelne, der Verfassung zu entnehmende politische Ziele über Vorschriften des Soldatengesetzes hinwegzusetzen 504 . Daraus folgt, daß die Soldaten zwar die Verfassung zu achten und zu schützen, nicht aber selbst nach eigenem Gutdünken zu interpretieren und ihre Verbindlichkeit i m Einzelfall festzulegen haben. Umgekehrt kann aber auch nicht der Staat bzw. die Regierung den Soldaten eine politische Überzeugung vorschreiben. Grenze aller staatlichen Autorität ist der Kernbestand der Verfassung, die freiheitliche demokratische Grundordnung, wie sie i n A r t . 79 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt. Die Staatsraison ist kein unbedingt vorrangiger Wert. I m Staat der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist Staatsraison oder besser Staatstreue ausschließlich mittels der „Verfassungsraison" oder Verfassungstreue legitimiert 5 0 5 . Die Verpflichtung der Soldaten, dem Staat, ihrem Dienstherrn treu zu sein, ergibt sich erst aus ihrer Verfassungstreue 506 . VI. Verfassungstreue der Soldaten = Wehrverfassungstreue? Es ist nicht neu, daß Verfechter eines Undefiniert weiten Pflichtverständnisses den Soldaten einer Wehrverfassungstreue zu unterziehen suchen. Köttgen 5 0 7 vertritt ζ. B. schon 1957 die Ansicht: „Jedenfalls dürften politische Angriffe des i m aktiven Wehrdienst stehenden Soldaten auf die Grundlagen der Wehrverfassung, w e n n nicht gegen die »Grundpflicht' des § 7, so doch gegen § 8 des Soldatengesetzes verstoßen. I m F a l l einer Verletzung dieser politischen Pflichten k a n n der Soldat disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden." 503
Vgl. V. Unruh, V V D S t R L 26, 157 (2007). BVerfG, Beschluß des 2. Senats v o m 7.4.1981 — 2. B V R 446/80, DVB1. 1981, 1051 f. (Zum Uniformverbot bei pol. Veranstaltungen nach § 15 Abs. 3 SG.) 505 Vgl. Minderheitsvotum Geller, v. Schlabrendorff, Rupp zum A b h ö r urteil, BVerfGE 30, 1 (45). 506 Vgl. A r t . 87 a Abs. 1, 65 a, 115 b GG — i n denen die Verfassung die U n t e r ordnung der Streitkräfte unter die Staatsführung vorschreibt. 504
507
Köttgen, S. 74.
A . V I . Verfassungstreue = Wehrverfassungstreue? Ä h n l i c h u r t e i l e n Jescheck 5 0 8 , S c h r e i b e r 5 0 9 u n d der
185
1. W e h r d i e n s t s e n a t
des B V e r w G i n e i n e r E n t s c h e i d u n g des Jahres 1970 5 1 0 u n t e r
Berufung
auf § 7 SG; Scherer i n d e r 4. A u f l a g e seines K o m m e n t a r s v o n 1971 5 1 1 u n d E. K l e i n 5 1 2 u n t e r B e r u f u n g auf § 8 SG. A u s dieser so b e h a u p t e t e n T r e u e p f l i c h t des S o l d a t e n zu d e n G r u n d lagen der Wehrverfassung 513 keine Werbung
für
wird
d a n n geschlossen, daß der
Kriegsdienstverweigerung
b e t r e i b e n oder
Soldat keine
„ A n t i - B u n d e s w e h r g r u p p e n " 5 1 4 u n t e r s t ü t z e n d ü r f e u n d n i c h t an A k t i o n e n m i t w i r k e n d ü r f e , die sich gegen die verfassungsmäßige und Funktionsfähigkeit
Existenz
der B u n d e s w e h r r i c h t e n 5 1 5 . D i e so p o s t u l i e r t e
„Wehrverfassungstreue"
wird
exzessiv bis zu d e m P u n k t
ausgelegt,
daß d e r Soldat „ j e d e H a n d l u n g z u u n t e r l a s s e n " habe, „ d i e E i n s a t z b e reitschaft u n d K a m p f k r a f t
der S t r e i t k r ä f t e (ernstlich)
beeinträchtigen
k a n n " 5 1 6 . M a n k a n n sich u n s c h w e r v o r s t e l l e n , daß d a m i t eine p r o n o n cierte
Meinungsäußerung
gegen die o f f i z i e l l e
Verteidigungspolitik517
508 Jescheck, Der strafrechtliche Schutz der Bundeswehr gegen Zersetzung, N Z W e h r r 1969, 121 ff. (125). 509 N Z W e h r r 1982, 204 ff. (208). 510 B V e r w G , DVB1. 1970, 362 ff. 511 Scherer, Soldatengesetz u n d Vorgesetztenordnung, 4. Aufl., 1971, A n m . I I 2 zu § 8 SG. 512 E. Klein, N Z W e h r r 1969, S. 98 ff. (100). 513 Jescheck, 121 ff.; zweifelhaft ist hierbei ohnehin, was unter „Wehrverfassung" zu verstehen ist. Exzessiv ist ζ. B. die v o n Ch. Grimm, Allgemeine Wehrpflicht u n d Menschenwürde, S. 12 gebrauchte Definition: „Wehrverfassung = Gesamtheit aller das Wehrrecht betreffenden Normen, unabhängig davon, ob i n einer Verfassung oder i n einfachem Gesetzesrecht verankert." Treffender u n d dem Begriff Wehr „Verfassung" gerechter werdend erscheint die v o n Kleiner, Diss., S. 165, unter Berufung auf Martens, Grundgesetz u n d Wehrverfassung, S. 103 ff. benutzte Umschreibung, die die Wehrverfassung als die das Wehrrecht regelnden Normen des Grundgesetzes begreift. M a n k a n n schlechterdings nicht Normen des Grundgesetzes einerseits u n d V o r schriften des einfachen Gesetzes- oder Verordnungsrechts oder gar zentrale Dienstvorschriften u. ä. andererseits innerhalb eines all diese Normen gleichermaßen umfassenden Begriffes „Wehrverfassung" auf eine Ebene stellen. 514 Schreiber, N Z W e h r r 1982, 204 ff. 515 B V e r w G , DVB1. 1970, 326 ff. 516 Vgl. Schreiber, N Z W e h r r 1982, S. 208. 517 Vgl. die v o m Generalinspekteur der Bundeswehr, Altenburg, auf der 27. Kommandeurtagung i n Travemünde am 16.2.84 geäußerte Ansicht: „Wer als Offizier an den Maßnahmen der verfassungsmäßig gewählten Regierung entstellende K r i t i k ü b t u n d dabei noch den Eindruck entstehen läßt, hier äußere sich ein sachkundiger Angehöriger der Exekutive auf militärischem Gebiet, der w i r d hinzunehmen haben, daß i h m entgegengetreten wird." Die v o m Grundgesetz als wehrhaft ausgewiesene Demokratie dürfe keine Erosion hinnehmen. — vgl. General-Anzeiger v o m 15.2.84, S. 2. Die hier sinnw i d r i g herangezogene „wehrhafte Demokratie" v e r w e h r t es aber keinem Soldaten, sich kritisch zur Regierungspolitik zu äußern. Dies würde eine politische Disziplinierung der Soldaten i m Regierungssinne bedeuten, die m i t
186
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
unterbunden werden kann 5 1 8 . Es geht letztendlich dann nicht mehr darum, ob der Soldat zu Freiheit und Demokratie steht und pflichtgemäß seinen Dienst versieht, sondern ob er mit den geltenden Prinzipien der militärischen Verteidigung übereinstimmt. Dies w i r d ζ. B. i n den Worten von E. Klein 5 1 9 erkennbar: „Der A u f r u f zur Schwächung der Bundeswehr und Zersetzung ihrer A u t o r i täten widerspricht der Konzeption einer zwar hierarchisch gegliederten, aber doch v o l l demokratisch legitimierten Streitkraft, die eben darum integrierender, wenn auch nicht wesensnotwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist "
Die freiheitliche demokratische Grundordnung erscheint i m Weltbild dieser Theorien für den Soldaten als eine durch die militärische Verteidigung geprägte Ordnung. Es gibt aber nur eine freiheitliche demokratische Grundordnung, für Soldaten ebenso wie für Zivilpersonen. Lerche 520 ist der die Verfassungstreue zur „Wehrverfassungstreue" umdeutenden Tendenz mit aller Entschiedenheit entgegengetreten. Die politischen „Angriffe des aktiven Soldaten auf die Grundlagen der geltenden Wehrverfassung" verstießen nicht gegen die Eintretenspflicht des § 8 SG. Diese würden vielmehr durch § 15 SG gezügelt, nicht aber durch § 8 SG. Denn mit der Konzentrierung dieser Vorschrift (§ 8 SG) allein auf das (freiheitliche und) demokratische Element würden jene Grundpflichten ausgeschieden, die nicht schon durch das demokratische Element i m Sinne des Grundgesetzes begriffsbedingt sind. Auch der 2. Wehrdienstsenat des BVerwG hat einer ausufernden Beschränkung der politischen Rechte der Soldaten durch eine Bindung an die offizielle Verteidigungspolitik einen Riegel vorgeschoben. I n einer Entscheidung, die sich an §§ 10 Abs. 6, 17 Abs. 1 SG orientierte, stellte das BVerwG 5 2 1 fest, daß ein Soldat grundsätzlich seine Diensteiner freiheitlichen Demokratie unvereinbar ist. Eine andere Frage ist es, ob ein Soldat sich dabei „als sachkundiger Angehöriger der Exekutive" ausgeben darf. Dies hat aber nichts mit „wehrhafter Demokratie" zu tun! 518
Vgl. auch den Erlaß des B M V g v o m 18.11.1980 (VMB1., S. 533 Ziff. 5, 2. Anstrich): „Die Pflicht zum treuen Dienen u n d zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne des Grundgesetzes verbietet auch während eines Wahlkampfes jeden unsachlichen, insbesondere jeden beleidigenden, gehässigen oder hetzerischen A n g r i f f gegen . . . die Grundlagen der Wehrverfassung und der Wehrpolitik sowie gegen Vorgesetzte." 519 E. Klein, N Z W e h r r 1969, S. 100. 520 P. Lerche, Grundrechte der Soldaten, S. 486 i n Erwiderung auf Köttgen, V o n den Grundrechten der Soldaten, S. 74. 521 B V e r w G E 63, 37 (Leitsatz u n d S. 38 f.). Vgl. auch aus der neueren Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats, Beschl. v. 14.4.83 — 2 W D B 1/83 i n N Z Wehrr. 1983, 145 ff.: „Der Senat vermag jedoch den sog. ,Irokesen-Haarschnitt' eines Soldaten nicht als geeignet anzusehen, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr zu beeinträchtigen oder die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erschweren."
A . V I . Verfassungstreue = Wehrverfassungstreue?
187
pflichten nicht verletzt, wenn er i n einer öffentlichen Veranstaltung nach kritischen Ausführungen über die Verteidigungspolitik und das Verhältnis des Bundesministers der Verteidigung zu dessen eigener Partei dessen Rücktritt fordert. Das BVerwG konnte sich bei dieser Entscheidung auf den bereits mehrfach zitierten „Leserbriefbeschluß" des BVerfG 522 stützen. Das BVerfG hatte das Recht eines Soldaten anerkannt, sich in einem Leserbrief kritisch gegen die öffentlich geäußerte Meinung eines Vorgesetzten zu äußern und sich vor allem gegen die Verletzung der Rechte A n dersdenkender zu wenden. Der Soldat dürfe demnach auch um Verständnis für die Bestrebungen der sog. außerparlamentarischen Opposition und für den Standpunkt der Kriegsdienstverweigerer werben. Das BVerfG hat dabei erneut die „schlechthin freiheit"
konstituierende
Bedeutung
des Grundrechts
der
Meinungs-
für die freiheitliche demokratische Grundordnung unterstrichen 523 . Damit sind klare Grenzlinien gezogen: Die politische Betätigung der Soldaten ist grundsätzlich frei wie die aller Staatsbürger 524 . Sedes materiae für die Regelung der politischen Betätigung der Soldaten ist §15 S G und sind nicht die immer wieder herangezogenen Zurückhaltungs- und Meinungspflichten §§ 7, 10 Abs. 6 oder 17, Abs. 1 und 2 SG, auch wenn sich diese Pflichten mittelbar auf die politische Betätigung auswirken können 525 . Bestimmte politische Meinungen — und seien es solche zur Verteidigungspolitik — werden und können durch das Soldatengesetz weder verboten noch befohlen werden 526 . Der Soldat kann sich, ohne den Boden der Verfassungstreue zu verlassen, außerhalb des Dienstes und ohne Uniform auch gegen die regierungsoffizielle Verteidigungspolitik wenden, er kann sich der Friedensbewegung anschließen und gegen die Stationierung von Raketen stimmen 527 . Die ohne Grundlage i m Grundgesetz oder i m Soldatengesetz behauptete „Pflicht" des Soldaten zur „Wehrverfassungstreue" setzt der politischen 522
BVerfGE 28, 53 (63) = N J W 1970, 1267. B V e r f G 28, 53 (63) = N J W 1970, 1267, unter Berufung auf BVerfGE 20, 56 (97). 524 Vgl. hierzu Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 2. W P 2140, S.4. 525 Vgl. BT-Drucksache 2 . W P 2140, S. 7 f.; Lerche, Grundrechte der Soldaten, S. 486. 526 Vgl. B V e r w G E 63, 37 ff. (38, 39). 527 So auch der Parlamentarische Staatssekretär i m B M V g i n der Fragestunde des Bundestages am 30.11.1983 — Stenograph. Berichte, Protokoll der 39. Sitzung i n der 10. Wahlperiode, S. 2679 f. auf Fragen der Abgeordneten Heyenn u n d Lambinus. 523
188
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Betätigung der Soldaten hierbei keine Schranken. Die Verfassungstreue der Soldaten besagt i n diesem Zusammenhang etwas ganz anderes als „Wehrverfassungstreue": der Soldat muß die Gebote der Verfassung in der Dienstausübung befolgen, und er ist zu Schutz und Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet. Der Soldat muß sich — das ergibt sich aus seiner Verfassungstreue — auch den Leitungsentscheidungen der demokratisch legitimierten Staatsorgane fügen. Das heißt i m Ergebnis: persönliche und dienstliche Betätigung müssen nicht miteinander übereinstimmen. Derselbe Soldat, der dienstlich bei der Aufstellung von bestimmten Waffensystemen m i t w i r k t , kann und darf persönlich gegen diese Maßnahme eingestellt sein. Als Staatsbürger kann er sich gegen die Verteidigungspolitik der Regierung wenden, als Soldat muß er sie möglicherweise selbst ausführen. Dies ist keine Paradoxie, sondern Konsequenz unserer freiheitlichen Demokratie. Hierin begründen sich die Werte, die von der Bundeswehr zu verteidigen sind. V I I . Zwischenergebnis Die individuelle Verfassungstreuepflicht der Soldaten beruht i m Grundgesetz auf A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 33 Abs. 4, 79 Abs. 3 GG. Sie w i r d i m Soldatengesetz durch §§ 8, 37 Abs. 1 Nr. 2 SG konkretisiert. Verfassungstreue umfaßt den Verfassungsgehorsam (d.h. die Pflicht, bei dienstlichen Verrichtungen das Grundgesetz und seine Normen zu befolgen) und die zweiseitige Treuebindung zwischen dem einzelnen Soldaten und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die er zu achten und zu schützen verpflichtet ist. Dabei ist zwischen Berufsund Zeitsoldaten einerseits und wehrpflichtigen Soldaten andererseits zu differenzieren: wehrpflichtige Soldaten sind außerhalb des dienstlichen, der Bundeswehr zurechenbaren Bereiches i n ihrer politischen Betätigungsfreiheit prinzipiell durch die Verfassungstreue nicht eingeschränkt, sondern frei wie jeder andere Staatsbürger auch. Die Berufsund Zeitsoldaten, die durch Berufswahl ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablegen, sind auch außerhalb des Dienstes i n eine besondere Treuebindung zur Verfassung gestellt. Die Verfassung fordert nicht nur, sie schützt vor allem die Rechte der Soldaten — auch vor einer Fehlinterpretation der Verfassungstreue als persönlicher „Regierungstreue" oder „Wehrverfassungstreue" oder vor unzulässigen Eingriffen i n die Grundrechte und die Privatsphäre der Soldaten.
B.I. Bedeutung des A r t . 17 a GG
189
B. Auswirkungen der Verfassungstreuepflicht auf die Rechtsverhältnisse der Soldaten Der Soldat hat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger (§ 6 Satz 1 SG) und dennoch steht der Staatsbürger i n Uniform i n einem Dienstverhältnis zum demokratischen Staat, das i h m besondere Pflichten abfordert (§ 6 Satz 2 SG). Eine zentrale Pflicht ist die der Verfassungstreue, d.h. Verfassungsgehorsam und Schutzpflicht gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Welche Auswirkung hat diese Pflicht auf die Rechtsverhältnisse der Soldaten? Inwieweit sichert die Verfassung — in Erfüllung ihres Teils der gegenseitigen Treuebindung — dem Soldaten seine Rechte? und umgekehrt: schränkt die Verfassungstreue die Rechte der Soldaten ein? Berechtigt und verpflichtet die Verfassungstreue die Soldaten schließlich zum äußersten Einsatz zur Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch gegenüber Vorgesetzten und staatlicher Führung, zum Widerstand? Diesen Fragen soll i m folgenden nachgegangen werden: I. Die Bedeutung des Art. 17 a GG A r t . 17 a GG ist zentraler Angelpunkt für die individuellen Rechte und Pflichten der Soldaten i m Grundgesetz. Befassen sich die übrigen auf das Wehrrecht unmittelbar bezogenen Normen des Grundgesetzes in erster Linie mit der Institution der Streitkräfte (z. B. A r t . 87 a GG), der Begründung des Dienstverhältnisses der Wehrpflichtigen (Art. 12 a GG), bzw. der Verweigerung des Kriegsdienstes überhaupt (Art. 4 Abs. 3 GG), so betrifft A r t . 17 a Abs. 1 GG die Rechtsverhältnisse der bereits i m Dienst befindlichen Soldaten, seien es Wehrpflichtige oder Berufs- und Zeitsoldaten. Die Verfassungstreuepflicht der Soldaten muß i n das rechte Verhältnis zu dieser Zentralnorm gesetzt werden, u m in Bedeutung und Ausmaß bestimmt werden zu können. 1. Enumerationstheorie und Statustheorie
A r t . 17 a GG geht auf die 2. Wehrnovelle zum Grundgesetz zurück 528 . Seine endgültige Gestalt fand er i n den Diskussionen des Verteidigungsausschusses, der eine Generalklausel zur Einschränkung der Grundrechte, wie sie die Initiativanträge der Fraktionen der CDU/CSU, GB/ BHE, DP und der FDP entsprechend dem Vorbild des A r t . 133 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung vorgesehen hatten, ablehnte. Der Verteidi528
A r t . 17 a GG eingefügt durch Gesetz v. 19. 3.1956 (BGBl. I, S. 111).
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
gungsausschuß empfahl, die einschränkbaren Grundrechte einzeln aufzuführen 529. Der Rechtsausschuß und später das Plenum des Bundestages folgten diesem Vorschlag, die einzelnen Grundrechte wurden also einzeln aufgeführt, d. h. „enumeriert". Bei der Erörterung der Grundrechte, deren Einschränkungen i m einzelnen vorzusehen war, war die Mehrheit allerdings der Auffassung, daß es jedenfalls insoweit nicht zwingend geboten sei, Einschränkungen für Grundrechte vorzusehen, als sich die Einschränkbarkeit unmittelbar und unvermeidbar aus dem Wesen des i n A r t . 73 Nr. 1 vorgesehenen „Wehrverhältnisses", d.h. dem Status der Soldaten, ergebe. Die Entstehungsgeschichte scheint somit keinen eindeutigen Aufschluß darüber zu geben, ob die für den Soldaten besonders einschränkbaren Grundrechte in A r t . 17 a GG abschließend aufgeführt sind („Enumerationstheorie") 530 oder aber i m Dienstverhältnis der Soldaten der Statusgehalt als Rechtfertigung für die Beschränkung bestimmter Rechte dient („Statustheorie") 531 . Betrachtet man die Auswirkungen des Theorienstreits auf die Rechte der Soldaten, so ergibt sich folgendes: Die Konsequenz der „Statustheorie" ist es, daß i m Wehrdienstverhältnis begriffsmäßig überhaupt kein eingriffsartiger Angriff auf Grundrechte von Soldaten stattfinden kann 532 und die Grundrechte der Soldaten immer dann für einschränkbar gehalten werden, wenn sich die „Verteidigungsaufgabe" der „Funktionsfähigkeit" der Bundeswehr zur Rechtfertigung heranziehen läßt 5 3 3 . Die Statustheorie besagt i m Grunde genommen also nichts anderes als die ältere Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis", die es zuließ, die Grundrechte der diesem Verhältnis unterworfenen Personen — hier der Soldaten — i n einer „unerträglichen Unbestimmtheit zu relativieren" 5 3 4 . Die Statustheorie ist mit dem durch das Grundgesetz geprägten Verständnis verfassungsmäßig gesicherter Rechte nicht vereinbar. 529 Vgl. 2. Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache, 2. W P 2150, S.2. 530 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig: Grundgesetz, Bd. 1, Randnr. 6 zu A r t . 17 a, A n m . I 4 a); Ipsen, in: Bonner Kommentar, A n m . A zu A r t . 17 a GG; v. Mangold/Klein, Kommentar, S.516, A n m . I I I 1 c) zu A r t . 17 a GG; Hamann / Lenz, Kommentar, A n m . A . zu A r t . 17 a GG; Böttcher, Diss., S. 153; Salzmann, Diss., S. 102. 531 Vgl. Köttgen, S. 47 ff.; Lerche, Grundrechte, S. 447 ff.; Doehring, Staatsrecht, S. 343; Ullmann, Diss., S. 59; ähnlich S.Mann, Grundrechte u n d m i l i tärisches Statusverhältnis, DÖV 1960, S. 409 ff. (411). 532 Vgl. Ullmann, Diss., S. 59. 533 Vgl. Doehring, Staatsrecht, S. 344 f. 534 Vgl. Strafgefangenenurteil, BVerfGE 33, 1 (9 ff.) u n d die darauffolgende, ständige Rechtsprechung.
B.I. Bedeutung des A r t . 17 a GG
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A r t . 17 a GG soll gerade verhindern, daß der Soldat außerhalb der Rechtsordnung gestellt w i r d und seine Rechte ungesichert bleiben 535 . A r t . 17 a GG enthält somit eine Bestandsgarantie der Grundrechte i m Wehrdienst 536 . Der Gedanke des „Staatsbürgers in Uniform" hat hier seine verfassungsrechtliche Verankerung gefunden 537 . Eine Einschränkung der Grundrechte der Soldaten ist über den für alle Staatsbürger vorgesehenen Rahmen hinaus nur dann zulässig, wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zwecks unerläßlich ist und i n den dafür in Art. 17 a GG verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht 538 . A r t . 17 a GG bestimmt — und hier beweist sich die Richtigkeit der Enumerationstheorie —, daß die Einschränkungen i m Soldatenverhältnis nur durch „Gesetze über Wehrdienst" vorgenommen werden können und nicht anders. Die den Soldaten durch die Verfassung gewährleisteten Grundrechte können i m Ergebnis also nur insoweit begrenzt werden, als dies verfassungsrechtlich positiv in Art. 17 a GG bestimmt ist 5 3 9 . 2. Bestimmung der Verfassungstreue im Lichte des Art. 17 a GG
Ist A r t . 17 a GG Bestandsgarantie der Grundrechte der Soldaten, so muß auch die Bestimmung der Soldatenpflichten an dieser Norm gemessen werden. Es ist mit Rücksicht auf A r t . 17 a GG nicht zulässig, auf das „statusmäßig Unerläßliche" zurückzugreifen 540 , u m einen Pflichtenkreis zu umschreiben, der die Grundrechte nach Bedarf einschränkbar macht. Aus der Verfassungstreuepflicht kann nicht gefolgert werden, daß dem Soldaten andere als ohnehin für alle Bürger einschränkbare oder die in A r t . 17 a GG aufgezählten Grundrechte gekürzt werden könnten. 535 2. Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 2. W P 2150, S. 1 u. 2. Da die Minderheit i m Rechtsausschuß der Meinung war, daß sich eine Einschränkbarkeit nicht aus dem „Wehrverhältnis" ergeben kann, erschien dem Ausschuß eine Klarstellung i m Grundgesetz zweckmäßiger. 536 Vgl. Ipsen, in: Bonner Kommentar, A n m . 1, Randnr. 4 zu A r t . 17 a GG. 537 Vgl. Breitinger, Diss., S. 47. 538 BVerfGE 33, 1 (10). 539 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Randnr. 325; damit ist auch den Theorien zu widersprechen, die A r t . 17 a GG lediglich deklaratorischen Charakter zuschreiben wollen, wie z.B. Böttcher, Diss., S. 152; Hamel, Bedeutung der Grundrechte, S. 51; Mann, S.412. Die Formalisierung einer — keineswegs allgemein anerkannten — immanenten Grundrechtsschranke zu einem Gesetzesvorbehalt hat schon aus diesem Grund konstitutiven Charakter u n d macht jede weitere Berufung auf ungeschriebenes Verfassungsrecht unzulässig. Vgl. Ipsen, in: Bonner Kommentar, A n m . A l a ) Randnr. 10 zu A r t . 17 a GG; Martens, Grundgesetz u n d Wehrverfassung, S. 112. 540 So aber Lerche, Grundrechte, S.490; wie hier Ipsen, Randnr. 17 zu A r t . 17 a GG.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden
echt
Es ist sogar Inhalt der Verfassungstreuepflicht der Vorgesetzten (im Sinne des Verfassungsgehorsams), die Grundrechte der Untergebenen zu beachten (Art. 1 Abs. 3 GG)! Die Verfassungstreuepflicht der Soldaten beruht andererseits aber selbst auf positiven Normen des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 33 Abs. 4, 79 Abs. 3 GG) und des Soldatengesetzes (§8 SG). Sollte sich i m Einzelfall ein Konflikt zwischen Verfassungstreue und Grundrechten ergeben, so kann es erforderlich werden, die Abgrenzung zwischen verfassungsmäßig gewährleisteten Rechten und Pflichten i m Wege der „Herstellung praktischer Konkordanz" 5 4 1 zu ziehen. Stets w i r d dabei nach dem Inhalt der Verfassungstreue gefragt werden müssen 542 . Verfassungstreue w i l l , das ist der Sinn dieser zweiseitigen Bindung zwischen Verfassung und Soldaten, die Geltung der Grundrechte nicht i n Frage stellen, sondern sie schützen. Erst wenn durch den Gebrauch von Rechten eine konkrete Gefahr für den Kernbestand der Verfassung, die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt, kann Verfassungstreue eine Beschränkung dieser Rechte bedeuten. Die Grenzen dürfen jedoch nicht vorab verallgemeinernd gezogen werden, sondern sind i n einer Einzelfallbewertung 5 4 3 so zu bestimmen, daß beide Güter, Grundrechte und Verfassungstreue, zu optimaler Wirksamkeit gelangen 544 . I I . Rechte der politischen Betätigung 1. Meinungsfreiheit und Verfassungstreue
Die Bedeutung der Meinungsfreiheit wurde oben schon des öfteren beleuchtet. Verfassungstreue und Meinungsfreiheit können als Problemkomplexe schlechterdings nicht voneinander getrennt betrachtet wer541 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 2 I I I 2 c) Randnr. 72 u n d § 10 I I 2 a) Randnrn. 317 ff.; i n vielen Fällen würde m a n über die Lehre v o n der „Güterabwägung", wie sie v o m B V e r f G vertreten w i r d , zum gleichen Ergebnis k o m men — vgl. BVerfGE 28, 55 = N J W 1970, 1267 zur Güterabwägung; BVerfGE 59, 231 (265) arbeitet faktisch bereits nach den Methoden der praktischen Konkordanz — hierzu H.-P. Schneider, unveröffentl. Gutachten zur Meinungsfreiheit der Beamten v o m 12.9.1982, S. 49. 542 Verfassungstreue ist keine „immanente Grundrechtsschranke", sondern eine konkrete Pflicht, die sich aus der Verfassung ergibt. Das B V e r f G (2. Senat) schien zeitweise — so i n BVerfGE 28, 36 (46 f.) u n d 28, 55 = N J W 1970, 1267 — davon auszugehen, daß der gesamte Pflichtenkreis der Soldaten, der auf den dem „Wesen einer Armee" entspringenden „Grundsatz der Disziplin" zurückgehe, als grundrechtsimmanente Schranke zu verstehen sei. Deshalb wurde auch die Anwendbarkeit des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG geleugnet. Davon ist das B V e r f G (1. Senat) i n seiner Entscheidung BVerfGE 28, 282 wieder abgegangen. 543 Vgl. auch BVerfGE 39, 334 = N J W 1975, 1641 (1644). 544 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 2 I I I 2, Randnr. 72.
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er politische
Betätigung
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den, da stets die Frage wiederkehrt, ob und inwieweit die Verfassungstreuepflicht eine Einschränkung der Meinungsfreiheit bedeutet. Umgekehrt aber — und dieser Aspekt soll hier besonders berücksichtigt werden — w i r d die Meinungsfreiheit ausdrücklich durch das Grundgesetz geschützt, dem der Soldat die Treue halten soll. Das Verhältnis von beiden, Meinungsfreiheit und Verfassungstreue, kann somit keinen Gegensatz darstellen. Die rechtsdogmatischen Aspekte sollen hier untersucht werden: Auch A r t . 5 Abs. 1 GG kann nach A r t . 17 a GG insoweit eingeschränkt werden, als das Recht, seine Meinung i n Wort, Schrift und B i l d frei zu äußern und zu verbreiten, betroffen ist. Dagegen kann A r t . 5 nach A r t . 17 a GG nicht eingeschränkt werden, soweit er sich auf die Informationsfreiheit bezieht, nämlich das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere also auch aus Zeitungen und Zeitschriften, ungehindert zu unterrichten 5 4 5 . Umstritten ist, ob A r t . 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz GG die Meinungsäußerungsfreiheit durch die Sonderregelung des A r t . 17 a GG jeder anderen gesetzlichen Einschränkung, also auch durch die allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2) entzogen ist 546 . Diese Frage ist insbesondere i m Hinblick auf A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG relevant, da das Soldatengesetz, ohne den eingeschränkten A r t . 5 GG zu nennen, die Meinungsäußerungsfreiheit mehrfach einschränkt — ζ. B. i n §§ 10 Abs. 6, 14,15 SG. Zur Abgrenzung der Vorschriften des A r t . 5 Abs. 2 GG und A r t . 17 a Abs. 1 GG hinsichtlich der Meinungsäußerungsfreiheit haben sich i n Literatur und Rechtsprechung mehrere Ansichten ausgebildet 547 : — Nach der ersten soll A r t . 17 a Abs. 1 GG als „deklaratorische lex specialis" lediglich die Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG bestätigen 548 . Nach dieser Auffassung hätte es des neuen Gesetzesvorbehalts i n A r t . 17 a Abs. 1 GG nicht bedurft, die Vorschrift wäre unnötig. — Nach der zweiten Auffassung ermächtigt A r t . 17 a Abs. 1 GG als „ergänzende lex specialis" den Gesetzgeber, die Meinungsäußerungsfreiheit für Soldaten über die von A r t . 5 Abs. 2 GG gezogenen Grenzen hinaus einzuschränken 549 .
545 so der ausdrückliche W i l l e des Verfassungsgesetzgebers, vgl. 2. Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 2. W P 2150, S.2. 546 Vgl. zum Meinungsstand i n der Literatur: Dürig, in: M a u n z / D ü r i g , Randnr. 27 zu A r t . 17 a GG; Ipsen, in: Bonner Kommentar, Randnr. 41 ff. 547 Vgl. hierzu BVerfGE 28, 282 (290 f.) m i t Darstellung des Meinungsstandes. 548 Vgl. insbes. Köttgen, Meinungsfreiheit der Soldaten, S. 69 ff. 549 Vgl. insbes. Lerche, Grundrechte der Soldaten, S. 474 ff. 1 Cuntz
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
— Nach der dritten Auffassung ist A r t . 17 a Abs. 1 GG hinsichtlich der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber A r t . 5 Abs. 2 GG „verdrängende lex specialis" 55°. Der 1. Wehrdienstsenat des BVerwG hat sich i n einer Grundsatzentscheidung 551 unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte 552 der letzteren Meinung angeschlossen. Das BVerwG hat hieraus aber nicht geschlossen, daß die Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit i m Soldatengesetz dem Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 2 Satz 2 GG unterliegen. Vielmehr hielt es das Zitiergebot deswegen für nicht betroffen, weil die Begrenzungen der Grundrechte i m Soldatengesetz 553 durch die Verfassung selbst vorgezeichnet seien 554 . Diese Auffassung des BVerwG erscheint unhaltbar: die Behauptung, daß alle Begrenzungen von Grundrechten i m Soldatengesetz schon i m Grundgesetz vorgezeichnet seien, würde — konsequent angewandt — den Soldaten in Wahrheit einer „unerträglich unbestimmten Einschränkbarkeit" seiner Grundrechte aussetzen555, eine Rückkehr zum überholten 5 5 6 Begriff des „besonderen Gewaltverhältnisses". Entsprechende konkrete Normen des Grundgesetzes, die diese „Vorzeichnung" vornehmen würden, sind nicht erkennbar. A r t . 17 a Abs. 1 GG kann damit nicht gemeint sein, denn der würde ja gerade Zitierpflicht fordern. Die bloße Voraussetzung oder Anerkennung des Wehrdienstverhältnisses i m Grundgesetz — insbes. in A r t . 87 a Abs. 1 GG — besagt ebenfalls noch nichts über den gesamten Pflichtenkreis der Soldaten und kann diesen auch nicht festlegen. Das BVerwG hat dementsprechend auch den eigenen, als ausufernd erkannten Standpunkt durch den Kunstgriff, mit der „Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte zu arbeiten, wieder zu relativieren versucht 557 — was die Gefahr eines ständigen Sich-im-Kreise-Drehens in sich birgt 5 5 8 . 550 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 28 zu A r t . 17 a GG; Ipsen, in: Bonner Kommentar, Randnr. 47 zu A r t . 17 a GG; B V e r w G , N J W 1970, 908 unter Aufgabe der älteren Rechtsprechung — vgl. Nachweise i n N J W 1979, 675 = N Z W e h r r 1969, 140. 551 BVerwG, N J W 1970, 908. 552 Vgl. oben 2. Kap. Β I I 1; BT-Drucksache 2. W P 2150, S. 2. 553 Hier speziell §§ 7, 17 Abs. 2 SG. 554 BVerwG, N J W 1970, 908 (910). 555 Vgl. hierzu Strafgefangenenurteil BVerfGE 33, 1 (10). Der Auffassung des B V e r w G ist jedoch zuzustimmen, w e n n sich konkrete Pflichten wie die Verfassungstreue aus dem Grundgesetz selbst ergeben. I n diesem Fall liegt keine Verletzung des Zitiergebots des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG vor. 556 Seit BVerfGE 33, 1 (9 ff.); 33, 125, 159 ständige Rechtsprechung. 557 BVerwG, N J W 1970, 908 (910). 558 v g l . m i t Nachweisen H.-P. Schneider, Unveröffentl. Gutachten zur Meinungsfreiheit der Beamten v o m 12. 9.1982, S. 44.
B . I I . Rechte der politischen Betätigung
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Das BVerfG hat i n seinem Beschluß vom 26. 5.1970 559 mehr Klarheit geschaffen: ratio legis des Art. 17 a GG ist — neben der Bestandsgarantie der Grundrechte für die Soldaten —, daß i m Interesse der Wirksamkeit der Streitkräfte einige Grundrechte von Soldaten stärkeren Begrenzungen unterworfen werden können, als dies bei Zivilpersonen zulässig ist. Findet also schon hinsichtlich der Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit der Zivilpersonen in allgemeinen Gesetzen das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG keine Anwendung, dann auch nicht gegenüber Soldaten. Das BVerfG wendet ein argumentum a minore ad maius an; jetzt kommt es nach dieser Auffassung nur noch darauf an, i m einzelnen festzustellen, ob die jeweiligen Vorschriften des Soldatengesetzes als „allgemeine Gesetze" gelten können oder nicht. Für das BVerfG ist dem Begriff des „allgemeinen Gesetzes" genügt, wenn „jedermann, der als Adressat des Gebotes denkbar ist", von einem solchen Gebot betroffen ist 5 6 0 . Solange sich also eine Vorschrift des Soldatengesetzes an alle Soldaten richtet, wie z. B. § 14 Abs. 1 SG, und nicht nur die Meinungsfreiheit einer bestimmten politischen Gruppe unter den Soldaten einschränkt, unterliegt sie nach Auffassung des BVerfG als „allgemeines Gesetz" nicht dem Zitiergebot 561 . Ob § 8 SG hiernach als „allgemeines Gesetz" zu qualifizieren ist, hängt davon ab, ob die „Verfassungsfeindlichkeit" als eine „bestimmte politische Meinung" zu betrachten ist. Diese Frage kann i m Zusammenhang der Verfassungstreuepflicht jedoch letztendlich dahingestellt bleiben: Eine Vorschrift unterfällt dem Zitiergebot jedenfalls dann nicht, wenn sie, wie § 8 SG, eine sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebende Pflicht konkretisiert 5 6 2 . Die Verfassungstreuepflicht, die in § 8 SG konkretisiert ist, setzt der Meinungsäußerungsfreiheit der Soldaten eine Grenze erst am Kernbestand des Grundgesetzes. Auch bei Meinungsäußerungen muß der Soldat seiner Pflicht zu Schutz und Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nachkommen, wobei allerdings der wehrpflichtige Soldat i m außerdienstlichen und persönlichen Bereich frei von Beschränkungen ist und damit einer Zivilperson gleichsteht 563 . Sowohl für Berufs- und Zeitsoldaten wie auch für wehrpflichtige Soldaten gilt der Grundsatz, daß — abgesehen von der Pflicht zur Ver559 BVerfGE 28, 282 (291 f.), basierend auf der langjährigen Rechtsprechung seit dem „ L ü t h - U r t e i l " , BVerfGE 7, 209 f.; 26, 205; 28, 185. 560 BVerfGE 8, 282 (292). 561 Vgl. BVerfG, N J W 1977, 2205; a. A . Ipsen, Randnr. 58 zu A r t . 17 a GG; Dürig, Randnr. 28 zu A r t . 17 a; Hamann / Lenz, A n m . A zu A r t . 17 a; Lerche, Grundrechte, S.478. 562 BVerwG, N Z W e h r r 1977, 21 m. w . N . ; grundlegend B V e r w G E 5, 153 (160); vgl. oben, 2. Kap. Β I I 3. 563 Vgl. oben, 2. Kap. A I I I 4 c) u n d I V 3 c).
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
fassungstreue i n ihren i n ihr selbst angelegten Grenzen — eine bestimmte politische Meinung aufgrund einer Vorschrift des Soldatengesetzes weder verboten noch befohlen werden darf 5 6 4 . Auch aus dem „Grundsatz der Disziplin 5 6 5 , den das BVerfG i n seinen Entscheidungen i m 28. Band der Entscheidungssammlung (1970) aus A r t . 87 a Abs. 1 GG und dem „Wesen einer Armee" gefolgert hatte, läßt sich nicht schließen, daß ein Soldat sich nicht kritisch gegenüber den bestehenden Verhältnissen äußern dürfe. Er hat grundsätzlich außerhalb des dienstlichen Bereichs (§ 15 Abs. 2 SG) das Recht, seine auch kritische Meinung offen zu äußern, solange er den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht verläßt 5 6 6 . Dabei kann er sich durch sachlich vertretbare K r i t i k mit der Meinung von Vorgesetzten auseinandersetzen, wenn dadurch die innere Ordnung der Bundeswehr nicht unmittelbar beeinträchtigt wird. Soldaten sind zwar nach dem Soldatengesetz gewissen Zurückhaltungspflichten unterworfen, ζ. B. i n § 15 SG oder § 10 Abs. 6 SG. Sinn dieser Gebote ist es jedoch nicht, das hat nunmehr das BVerwG erneut bestätigt, bestimmte Meinungen wegen ihres Inhalts zu verbieten. Deshalb darf sich ein Bundeswehrhauptmann — so i n diesem vom BVerwG beurteilten Fall — auch für die Friedensbewegung engagieren, solange er dies nicht i n Uniform tut und die allgemeine soldatische Zurückhaltung wahrt. Es darf keine Rolle spielen, von welcher Seite er Beifall erhält, dies hat das BVerwG unmißverständlich klargestellt 5 6 7 . Die Meinungsfreiheit der Soldaten hat wie die Meinungsfreiheit aller Staatsbürger „schlechthin konstituierende Bedeutung" für die freiheitliche demokratische Grundordnung 568 und ist nicht mit dem Hinweis auf so allgemeine und darum unbestimmt weit auslegbare Begriffe wie „Disziplin" zu relativieren. Auch die Vorgesetzten haben die Meinungs564 Vgl. BVerfGE 44, 197 ff. = N J W 1977, 2205, das ausdrücklich feststellt, daß es sich bei der Vorschrift des § 15 Abs. 2 SG nicht u m das Verbot einer bestimmten Meinung handelt. Eine durch Verbot oder Gebot bestimmte Meinung würde zudem auch gegen A r t . 3 Abs. 3 GG verstoßen. 565 Vgl. BVerfGE 28, 36 (47); BVerfG, Beschluß v o m 18.2.1970, BVerfGE 28, 55 = N J W 1970, 1267; es ist zu bezweifeln, daß der „Grundsatz der Disziplin" verfassungsrechtlichen Rang hat. Aus der Kompetenznorm des A r t . 87 a Abs. 1 GG läßt sich ein solcher Grundsatz jedenfalls nicht erkennen. s« „Leserbriefentscheidung": BVerfGE 38, 55 (63) = N J W 1970, 1267 (1268); der wehrpflichtige Soldat k a n n sich außerhalb des Dienstes auch kritisch gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung äußern, vgl. oben, 2. Kap. A I I I 4 c). 567 Die Entscheidung des B V e r w G findet sich beschrieben i n einem A r t i k e l des „Spiegel" v o m 17.9.1984, S. 86, der die Wehrdienstsenate freilich i r r t ü m lich i n B e r l i n ansiedelt. 568 Vgl. BVerfGE 28, 55 = N J W 1970,1267 (1268) unter Berufung auf BVerfGE 20, 56 (97).
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freiheit ihrer Untergebenen i n Gehorsam gegenüber der Verfassung zu achten. Meinungsfreiheit und Verfassungstreue müssen i m Sinne praktischer Konkordanz beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen, es darf nicht ein Prinzip zugunsten des anderen i n den zweiten Rang verwiesen werden. Die äußerste Grenze des einen Rechtsbereichs liegt jeweils erst dort, wo diese Grenze zur Bedingung der Lebensfähigkeit des anderen Rechtsbereichs wird 5 6 9 . Die Verfassungstreue der Soldaten darf m i t h i n nicht als einseitig die Meinungsfreiheit einschränkende Pflicht verstanden werden, sondern ist vielmehr als ein die Meinungsfreiheit vor einer überzogenen Disziplinierung schützendes Prinzip zu verstehen 570 . Dieses Prinzip schützt ihn auch vor der Zumutung, mit der Meinung der aktuellen Regierung übereinstimmen zu müssen 571 . 2. Verfassungstreue und Parteienprivileg (Art. 21 Abs. 2 GG)
a) Grundlagen Das BVerfG hat i n seiner früheren Rechtsprechung der Lehre vom „Parteienprivileg" einen hohen Stellenwert i n der freiheitlichen Demokratie eingeräumt. Die Mitgliedschaft in Parteien ist nach dieser Rechtsprechung nicht durch A r t . 9 GG, sondern durch die i n A r t . 21 GG angesiedelte „besondere Vereinigungsfreiheit" der Parteien geschützt 572 . Das „Privileg" der Parteien, von der hier die Rede ist, besteht i n der exklusiven Regelung des Verbots in A r t . 21 Abs. 2 GG 5 7 3 — eine Anwen569 Zwirner, Politische Treuepflicht, Diss. S. 247, i h m folgend Hesse, Verfassungsrecht, § 10 Randnr. 325. Es geht hier nicht u m Grundrechte „ i m " Soldatenverhältnis, sondern u m die praktische Konkordanz v o n Meinungsfreiheit und Verfassungstreue. 570 Ob dies n u n i m Sinne der „Abwägung" zwischen Disziplin u n d Meinungsfreiheit i m Sinne des BVerfG, N J W 1970, 1267 oder i n dem h i e r vertretenen Abgrenzungsprinzip i m Sinne der Herstellung „praktischer Konkordanz" (Hesse, Randnr. 72 m. w . N.) geschieht, k a n n dahingestellt bleiben. Auch die Güterabwägung erbrachte dies gleiche Ergebnis. 571 Zulässig ist es ζ. B., daß ein aktiver Bundeswehroffizier bei einer öffentlichen politischen Veranstaltung den Rücktritt des Verteidigungsministers fordert — BVerwG, ZBR 1978, 313 ff. — oder daß ein Offizier 1971 i n einem Leserbrief K r i t i k an der Ostpolitik der Bundesregierung äußerte — BVerwG, DVB1.1974, 463 ff. Wie bei Beamten — vgl. BVerfGE 39, 334 (348) können Staat u n d Gesellschaft an unkritischen Soldaten k e i n Interesse haben. 572 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Randnr. 2 zu A r t . 9 GG. 57 3 Th. Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien u n d Vereinigungen, Diss., 1983, S. 187, beschreibt das Parteienprivileg unter Berufung auf Κ . H. Seifert, Die politischen Parteien i m Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 470, als „die Sperrwirkung, die vor der — formellen — Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht auch eine materiell verfassungswirdrige Partei schützt". Diese Auffassung widerspricht j e doch dem Sinn des A r t . 21 Abs. 2 GG: Wenn erst das B V e r f G über die Verfas-
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
dung des A r t . 9 Abs. 2 GG auf Parteien ist ausgeschlossen574. Bis zur Entscheidung des BVerfG über ein Parteienverbot nach A r t . 21 Abs. 2 GG kann niemand die Verfassungswidrigkeit der betroffenen Partei rechtlich geltend machen. Insofern w i r d der (Verbots-)Entscheidung des BVerfG konstitutive Bedeutung mit ex nunc-Wirkung zugemessen 575 . Daraus folgt die Rechtmäßigkeit des ansonsten legalen Handels der für eine nicht verbotene Partei tätigen Personen, selbst dann, wenn die Partei später für verfassungswidrig erklärt wurde 5 7 6 . Damit wurde das Parteienprivileg auch auf die Funktionäre und Anhänger der politischen Parteien erstreckt, soweit sie mit allgemein erlaubten Mitteln für sie tätig sind 577 . b) Der NPD-Beschluß des BVerwG
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Welche Bedeutung hat das Parteienprivileg für das Soldatenverhältnis? Der 1. Wehrdienstsenat des BVerwG hat in seiner aufsehenerregenden Entscheidung vom 14. 3.1973 578 aus dem Parteienprivileg des A r t . 21 Abs. 2 GG sowie aus A r t . 3 Abs. 3 und A r t . 5 Abs. 1 Satz 1 GG gefolgert, daß ein Oberstleutnant wegen seiner Mitgliedschaft und Betätigung in der NPD nicht benachteiligt und kein Druck auf ihn ausgeübt werden dürfe, u m ihn zum Austritt aus dieser Partei zu bewegen. Das BVerwG berief sich in seiner Argumentation auf die Feststellung des BVerfG i m KPD-Urteil 5 7 9 , daß ein „administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei",
die nicht verboten ist, schlechthin ausgeschlossen sei. Erst bei einer Betätigung, die aus dem Rahmen erlaubter Parteitätigkeit heraustrete oder wenn ein Soldat durch die besondere A r t und Weise seines Auftretens seine spezifischen Pflichten verletze, so meinte das BVerwG 5 8 0 , könnten hieraus auch nachteilige Folgerungen gezogen werden, dann aber ohne Unterscheidung danach, welcher nicht verbotenen Partei seine Betätigung diene 581 . sungswidrigkeit entscheidet, dann k a n n es keine materiell „verfassungswidrige" Partei ohne Verbotsurteil geben, allenfalls eine „verfassungsfeindliche" Partei. 574 BVerfGE 2,1 (13); 12,296 (304); 17,155 (166). 575 Vgl. BVerfGE 12,296. 576
BVerfGE 12,296 (306). BVerfGE 17,155 (167). 578 BVerwG, 1. Wehrdienstsenat, Beschluß v o m 14. 3.1973 — I W B 26/73, ZBR 1973, 276 ff. = N J W 1973, 1469 u n d 1662. 579 BVerfGE 5, 85 (149). 580 I m Anschluß an Maurer, N J W 1972,601 (603) u n d den Beschluß des Richterdienstsenats des O L G Hamburg v o m 17.11.1972 — ZBR 1973, 22 ff. 581 BVerwG, ZBR 1973, 276 (278). 577
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Die bis dahin konsequente und i m Lichte des Toleranzprinzips geführte Begründung gleitet nunmehr aber in unscharfe Hinweise auf einen besonderen Status der Soldaten ab: Der betroffene Offizier habe weder gegen eine spezifische Pflicht verstoßen, noch sich als „Sicherheitsrisiko" erwiesen, genannt werden z. B. § 10 Abs. 6 SG und § 15 SG 582 . Auffallenderweise setzte sich der 1. Wehrdienstsenat des BVerwG gedanklich zwar mit §§ 15, 10 Abs. 6 SG, dagegen nicht m i t der i n § 8 SG konkretisierten Verfassungstreuepflicht der Soldaten auseinander. Die nachteilige Versetzung des Oberstleutnants war aber auch gar nicht auf einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht, sondern auf Sicherheitsaspekte gestützt worden 583 . Auch das BVerwG befaßte sich nur mit der Frage, ob die Mitgliedschaft in der NPD eine nachteilige Versetzung aus Sicherheitsgründen rechtfertigte und verneinte dies 584 . Die Verfassungstreue spielte für das BVerwG offenbar gegenüber dem Sicherheitsgedanken eine subsidiäre, zumindest nicht zutage tretende Rolle. Warum das BVerwG die Frage der Verfassungstreue auf diese Weise unter den Tisch fallen ließ, hätte angesichts des Rangs der Verfassung zumindest einer Begründung bedurft. Oder ist Verfassungsfeindlichkeit nach dieser Auffassung mit „Sicherheitsrisiko" gleichzusetzen? Der 1. Wehrdienstsenat des BVerwG setzte sich mit seiner Entscheidung bewußt 5 8 5 i n Widerspruch zur früheren beamtenrechtlichen Rechtsprechung des BVerwG 5 8 6 , nach der eine Anwendung des Parteienprivilegs in solchen Fällen ausgeschlossen sein sollte. Diese frühere Rechtsprechung hat aber weitgehend ihre Bestätigung i m „Radikalenbeschluß" des BVerfG von 1975 gefunden 587 . Die Frage, ob ein Beamter i n seinem A m t die politische Treuepflicht verletzt oder nicht, ist nach Ansicht des BVerfG i m „Radikalenbeschluß" grundsätzlich anderer Natur als das Parteienprivileg, es ist ein „aliud" 5 8 8 . Ein Stück des Verhaltens, das hier zu beurteilen sei, könne auch 582 § 10 Abs. 6 SG: Zurückhaltungspflicht der Offiziere u n d Unteroffiziere. — § 15 SG: Verbot politischer Betätigung i m Dienst. 583 Hier erhärtet sich die oben vertretene Auffassung, daß § 8 SG wegen des Worts „anerkennen" statt „bekennen" dahingehend mißverstanden w i r d , daß die Soldaten ganz allgemein einer geringer wiegenden Verfassungstreuepflicht unterworfen seien als die Beamten — vgl. oben 2. Kap. A I V 1 u n d 5. 584 Diese Denkweise erinnert an die Praxis, daß bei der Einstellung von Berufs· u n d Zeitsoldaten die durch § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG gesetzlich vorgeschriebene Prüfung der Verfassungstreue als Bestandteil der Sicherheitsüberprüfung vorgenommen w i r d ; s. oben 2. Kap. I V 2 c). 585 BVerwG, ZBR 1973, 276 (278). 586 BVerfGE 10, 213 (216 f.). 587 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975,1641 (1645). 588 Hierzu Th. Schmidt, Diss., S. 266 f.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
„der B e i t r i t t oder die Zugehörigkeit zu einer Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt"
— unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des BVerfG festgestellt ist oder nicht. Diese Rechtsprechung w i r d seit dem „Radikalenbeschluß" auch hinsichtlich der NPD — i m Beamtenrecht konsequent weitergeführt 5 8 9 . Auch schon vor dem „Radikalenbeschluß" des BVerfG, der 1975 eine grundlegende Klärung der Extremistenfrage i m Beamtenrecht schaffen sollte, mußte die NPD-Entscheidung des BVerwG von 1973 einiges Aufsehen erregen, schien sie doch den Vorrang des Parteienprivilegs prinzipiell anzuerkennen. Das BVerwG unternahm nach der lebhaften öffentlichen Reaktion auf seine Entscheidung i m Falle des Oberstleutnants 590 den außergewöhnlichen Schritt, mit einem i n der Presse 591 veröffentlichten Brief zu reagieren: Eine Entscheidung der Beamtensenate des BVerwG „zu der Frage, ob das M i t g l i e d einer »radikalen' Partei als Beamter oder Richter eingestellt werden k a n n " ,
oder eine sonstige Entscheidung zu dem genannten Fragenkomplex sei bisher noch nicht ergangen. Die Entscheidung des BVerwG und viel mehr noch die obige Pressemitteilung bargen die Gefahr des Fehlschlusses i n sich, daß Berufsund Zeitsoldaten das Parteienprivileg genießen könnten (während es bei den Beamten nach inzwischen etablierter Rechtsprechung i m Verhältnis zur Verfassungstreue zurücktritt). Nach dem „Radikalenbeschluß" mußte die Auffassung des BVerwG gänzlich ad absurdum führen: Ist man einmal mit dem BVerfG der Ansicht, daß die ratio legis des A r t . 21 GG darin liege, i m „normalen Status des politischen A k t i v bürgers" parteioffizielle Tätigkeit von Sanktionen freizustellen, u m des ungestörten und unbehinderten Funktionierens der Partei willen, nicht aber den Beamten i m Verhältnis zum Staat von seiner Treuepflicht zu entlasten 592 , dann muß diese Argumentation doch wohl auch auf die Berufs- und Zeitsoldaten Anwendung finden 593 . Man käme 589 Vgl. BVerwG, U r t e i l v o m 28.11.1980 — ZBR 1981, 80 = DVB1.1981,460; zu dieser Entscheidung des B V e r w G BVerfG, DVB1.1981, 1053: „Die rechtliche Wertung, daß die NPD Ziele verfolge, die m i t der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar seien, ist das Ergebnis von durchaus nachvollziehbaren, keinesfalls w i l l k ü r l i c h e n Erwägungen"; BVerwG, N J W 1982, 779 — das aus §31 Abs. 1 B V e r f G auf eine Bindung an die Grundsätze des „Radikalenbeschlusses" des BVerfG schließt; Bundesdisziplinargericht, U r t e i l v o m 4. 6.1980, ZBR 1980, 287 ff. hinsichtlich eines Bundesbahnzugführers, eines Mitglieds der D K P . 590 BVerwG, Z B R 1973,276 = N J W 1973,1469 u n d 1662. 591 Tagesspiegel v o m 10. 8.1973, zit. A n m . Battis zu o. a. Entscheidung des 1. Wehrdienstsenats des BVerwG, N J W 1973, 1662 f. 592 BVerfGE 39, 334 = N J W 1975,1641 (1645). 593 Noch prägnanter beleuchtet Stern (Zur Verfassungstreue der Beamten,
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sonst zu dem seltsamen Ergebnis, daß ein Zugführer, der der D K P beitritt, auch ohne parteioffizielle Tätigkeit wegen Verletzung seiner Verfassungstreuepflicht belangt wird 5 9 4 , während der Oberstleutnant, der wegen seiner aktiven Tätigkeit für die NPD nicht benachteiligt werden darf, gar General werden darf. Wenn das Prinzip „Toleranz außer gegen Intoleranz" i m Beamtenrecht gilt 5 9 5 , dann muß dieser Grundsatz u m so eher noch auf Soldaten und gar Offiziere, denen Waffen und Befehlsgewalt über untergebene Soldaten anvertraut sind, angewandt werden. Wenn es darum geht, daß der Staat „ i n seiner freiheitlichen, demokratischen Verfaßtheit" „eines Beamtenkörpers bedarf, der für i h n u n d die geltende verfassungsmäßige Ordnung e i n t r i t t "
und „ i n Krisen und Loyalitätskonflikten i h n verteidigt" 5 9 6 ,
dann darf es auch keinen Zweifel daran geben, daß die mit großer Verantwortung betrauten Berufs- und Zeitsoldaten i n der Bundeswehr, die ja gerade für Krisenfälle da ist, loyal zum Kernbestand unserer Verfassung stehen. Ein weiterer Gesichtspunkt bleibt zu beachten: W i r d nur — wie in dem dem 1. Wehrdienstsenat des BVerwG 5 9 7 i m Jahre 1973 vorliegenden Fall — auf die Sicherheitslage oder die Disziplin (§§ 10 Abs. 6, 15 SG) abgestellt, so gerät man leicht zu dem Ergebnis, daß NPD-Mitgliedschaft zwar tragbar ist, weil ja der Gegner i m Osten dieser Partei nicht nahesteht (der Rechtsextremismus fühlt sich darüber hinaus ja sogar dem Militärischen verwandt 5 9 8 ; Disziplin und Ordnung sind i h m Werte, die zur Durchsetzung seiner Vorstellungen dienlich sind). Die D K P Mitgliedschaft müßte hingegen regelmäßig aus Sicherheitserwägungen zum Ausschluß aus dem Verhältnis eines Berufs- oder Zeitsoldaten führen, weil i n diesem Fall Verbindungen zur östlichen Seite naheliegen. Rechtsextremismus würde i m Ergebnis als die Bundeswehr weniger gefährdend hingenommen werden können, während LinksextremisMünchen 1974, S. 37) die ratio des A r t . 21 Abs. 2 GG: Diese Vorschrift „ w i l l nicht den Schutz des öffentlichen Dienstes vor Verfassungsfeinden schwächen, sondern i h n stärken". 594 Vgl. Bundesdisziplinargericht, U r t e i l v. 4. 6.1980, ZBR 1980, 278. 595 Vgl. Kriele, in: B i l d u n g konkret, 1972, Heft 4, S. 8 ff.; E. Plümer, M i t g l i e d schaft von Beamten u n d Beamtenanwärtern i n verfassungsfeindlichen Parteien, N J W 1973, 4 (5). 596 BVerfGE 39,334 = N J W 1975,1641 (1645). 597 B V e r w G , ZBR 1973,276 = N J W 1973,1469 u. 1662. 598 Vgl. ζ. B. der frühere U n t e r t i t e l der „Deutschen National-Zeitung": „Deutsche National- u n d Soldatenzeitung" oder die pseudomilitärische Ausrichtung der „Wehrsportgruppe Hoffmann".
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
m u s w e i t e r b e k ä m p f t w e r d e n m ü ß t e 5 9 9 . Sicherheit i n d e r B u n d e s w e h r m u ß sein, aber l e t z t l i c h z u m Schutz v o n L e b e n , M e n s c h e n w ü r d e , F r e i h e i t u n d D e m o k r a t i e . Diese W e r t e müssen schon i n der t ä g l i c h e n P r a x i s , i m U m g a n g m i t U n t e r g e b e n e n , geschützt w e r d e n . W i c h t i g e r noch als die sicherheitsmäßige Ü b e r p r ü f u n g d e r S o l d a t e n ist d a h e r d e r Schutz der G r u n d p r i n z i p i e n der V e r f a s s u n g — auch v o r r e c h t s e x t r e m e n O f f i zieren. U m g e k e h r t sollte i n e i n e m Rechtsstaat auch k l a r u n d d u r c h die Rechtsprechung k o n t r o l l i e r b a r d e f i n i e r t sein, was e i n „ S i c h e r h e i t s r i s i k o " d a r s t e l l t . I n der E n t s c h e i d u n g des B V e r w G w i r d dies j e d e n f a l l s n i c h t deutlich. Es b l e i b t
festzuhalten:
Der
konnte keine Vorreiterfunktion
NPD-Beschluß im
des B V e r f G
S i n n e einer a m
von
1973
Toleranzprinzip
ausgerichteten Rechtsprechung h a b e n , da er e i n e n spezifischen E i n z e l f a l l b e t r a f u n d z u d e m i n d e r B e g r ü n d u n g auf die w e s e n t l i c h e F r a g e der Verfassungstreue n i c h t e i n g i n g . c) Das NPD-Urteil
des BVerwG
von 1983
Das B e m e r k e n s w e r t e a m N P D - U r t e i l des 2. W e h r d i e n s t s e n a t e s des B V e r w G v o m 20. 5 . 1 9 8 3 6 0 0 ist v o r a l l e m , daß es — ohne die G r ü n d e — l e d i g l i c h i n L e i t s ä t z e n v e r ö f f e n t l i c h t w u r d e . H i e r der T e x t : a) „Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands verfolgt Ziele, die m i t der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren sind („verfassungsfeindliche Ziele"). b) Die Unterstützung einer solchen Partei durch Übernahme herausgehobener Funktionen u n d auf andere Weise verstößt auch dann gegen die Pflicht zur Verfassungstreue (§ 8 SG), w e n n die Partei diese Ziele nicht a k t i v kämpferisch und planvoll verfolgt. c) W i r d einem Soldaten die Unterstützung einer Partei m i t verfassungsfeindlicher Zielsetzung vorgeworfen, so i r r t er über Tatumstände i m Sinne des § 16 StGB, w e n n er die Verfassungsfeindlichkeit der Zielsetzung verkennt. Dies gilt auch dann, wenn er alle Tatsachen kennt, aus denen sich auf eine derartige Zielsetzung schließen läßt. d) Die Pflicht des Vorgesetzten zur Zurückhaltung (§10 Abs. 6 SG) k a n n n u r durch Äußerungen verletzt werden, die an die Öffentlichkeit d r i n 599
I n dieser gefährlichen Richtung aber argumentierte i n der Tat auch der Wehrbeauftragte Schulz i n seinem Jahresbericht 1974, S.48, der einen von einem Truppendienstgericht entschiedenen parallelen F a l l eines Soldaten, der D K P - M i t g l i e d w a r u n d dem der Sicherheitsbescheid entzogen wurde, kritisch beurteilt hatte: „Ich verkenne dabei nicht, daß i n gleicher Weise rechtsextreme Gruppen versuchen, Staat und Gesellschaft Schaden zuzufügen. Die von diesen Gruppen ausgehenden A k t i v i t ä t e n richten sich jedoch nicht u n m i t telbar gegen die Bundeswehr, deren Existenz aus rechtsextremer Sicht nicht i n Frage gestellt zu werden braucht, u m die politischen Ziele dieser Gruppen durchzusetzen." 600 2 W D 11/82 — N Z W e h r r 1984/1, S. 39.
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gen oder auf andere Weise Untergebenen zur Kenntnis gelangen k ö n nen. e) Eigenart u n d Schwere des Dienstvergehens erfordert bei vorsätzlicher Verletzung der Verfassungstreuepflicht durch einen Soldaten m i t V o r gesetztendienstgrad regelmäßig die disziplinare Höchstmaßnahme. Bei fahrlässigem Verstoß gegen diese Pflicht ist die Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. f) Eine glaubhafte Distanzierung v o n einer Partei m i t verfassungsfeindlicher Zielsetzung ist bei der Maßnahmebemessung zugunsten des Soldaten zu berücksichtigen."
Die „nackte" Veröffentlichung der Leitsätze ohne Gründe läßt u. a. folgende Fragen offen: — Verstößt nach dieser Entscheidung die bloße Mitgliedschaft i n der NPD ohne Übernahme von Parteiämtern nicht gegen die Verfassungstreue der Soldaten? — Durfte ein Bundeswehrsoldat nach und vielleicht sogar wegen der NPD-Entscheidung des BVerwG (1. Wehrdienstsenat) von 1973 annehmen, daß die NPD nicht verfassungsfeindliche Ziele anstrebt? Kann er damit den I r r t u m über Tatumstände (§ 16 StGB) für sich geltend machen? — Schließlich: Distanziert sich der 2. Wehrdienstsenat mit dieser Entscheidung von dem NPD-Beschluß des 1. Wehrdienstsenats von 1973, der den Vorrang des Parteienprivilegs statuiert hatte? Oder fand der 2. Wehrdienstsenat einen Weg, nicht in Widerspruch zum Beschluß des 1. Wehrdienstsenats von 1973 zu geraten? Die Fragen müssen vorerst unbeantwortet bleiben. Die Entscheidung stellt aber jedenfalls eines klar: wie in der Rechtsprechung zum Beamtenrecht w i r d — i m Gegensatz zur Entscheidung von 1973 — ein Zusammenhang hergestellt zwischen Verfassungstreue und Tätigkeit für eine als verfassungsfeindlich qualifizierte Partei. Damit schließt sich der 2. Wehrdienstsenat offenbar der Rechtsprechung i m Beamtenrecht an, die ihre Grundlage i m „Radikalenbeschluß" des BVerfG 6 0 1 hat. Berufs- und Zeitsoldaten — u m einen solchen handelt es sich wohl i m vorliegenden Fall (Vorgesetzter) — werden damit hinsichtlich der Verfassungstreuepflicht Beamten gleichgestellt. d) Bloße Mitgliedschaft und in „verfassungsfeindlichen"
Betätigung Parteien
Wie oben dargelegt wurde, bemißt sich die Verfassungstreue an äußerem Verhalten, sie kann nicht durch eine möglicherweise „verfassungsfeindliche" Gesinnung, sondern nur durch ein Handeln oder Unterlasse1 BVerfGE 39, 334.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
sen verletzt werden 602 . Nur der Soldat, der durch Handeln oder Unterlassen gegen seine Pflicht, dem Grundgesetz zu gehorchen und die freiheitliche demokratische Grundordnung zu achten und zu schützen, verstößt, kann mangelnder Verfassungstreue bezichtigt werden. Die „bloße Mitgliedschaft" in einer als „verfassungsfeindlich" gekennzeichneten Partei wie NPD oder D K P kann freilich — darin ist dem BVerfG zu folgen 603 — ein Indiz für mangelnde Verfassungstreue sein. Auch der Beitritt und die fortdauernde Mitgliedschaft i n einer solchen Partei ist äußeres Verhalten 6 0 4 . Dieses Indiz ist für sich allein genommen jedoch noch kein Nachweis für mangelnde Verfassungstreue 605 . Die Tatsache der bloßen Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft eines Soldaten i n einer als verfassungsfeindlich einzustufenden Partei heranzuziehen, erscheint auch vor dem geschichtlichen Hintergrund der Weimarer Republik und ihres Unterganges kaum ein probates Mittel zur Sicherung der Grundwerte einer Verfassung zu sein: den Soldaten der Reichswehr war es ja sogar — wie oben dargestellt — vollständig versagt worden, Mitglieder i n politischen Parteien zu werden, seien es verfassungstragende Parteien oder die NSDAP gewesen 606 . Erst wenn weitere handgreifliche Elemente hinzukommen, kann sich der Verdacht einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch den Betroffenen zur Gewißheit verdichten: ζ. B. bei intolerantem Umgang mit Untergebenen, wiederholten Verstößen gegen die Zurückhaltungspflicht, bei denen der Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlassen wird, Werbung i n der Bundeswehr für verfassungsfeindliche Ziele, wie ζ. B. Abschaffung von Wahlen, Herabwürdigung von bestimmten Rassen oder Personengruppen und ähnliches. Umgekehrt kann aber durch verfassungskonformes Verhalten das durch die Mitgliedschaft in der „verfassungsfeindlichen" Partei gegebene Indiz auch wieder entkräftet werden. I n Fällen verfassungswidrigen äußeren Verhaltens w i r d i n der Regel nicht nur ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht, sondern auch gegen weitere Soldatenpflichten der §§ 10 ff. SG vorliegen. Die M i t gliedschaft in der „verfassungsfeindlichen" Partei allein — das ist festzuhalten — besagt aber noch nichts über die Verfassungsfeindlichkeit des Soldaten. Er kann Mitglied aus vielerlei Motiven sein, ohne sämtliche Ziele dieser Partei mitzutragen. Er kann sie durch seine Mitglied602
s. oben 2. Kap. A I I I 3,4 u n d I V 1 b). BVerfGE 39, 334 = N J W 1975,1641 (1645). 604 Vgl. Kriele, Die Gewähr der Verfassungstreue, in: F A Z v o m 25.10.1978, S. 10, abgedruckt bei Koschnick (Hrsg.), Abschied v o m Extremistenbeschluß, S. 70 ff. 605 Vgl. auch Bockenförde, N J W 1976,1385 f. 606 Vgl. 1. Kap. I V 4. 603
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schaft unterstützen wollen, weil er sie als Opposition stärken w i l l , ohne sie an die Macht bringen zu wollen. Eine Benachteiligung des Soldaten wegen seiner politischen Anschauungen ist schließlich durch das Grundgesetz i n Art. 3 Abs. 3 GG ausdrücklich untersagt 607 . Auch das BVerfG hat i m „Radikalenbeschluß" anerkannt, daß das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, daß man eine solche habe, niemals eine Verletzung der Treuepflicht darstellen kann m. Ein Automatismus, der von der Mitgliedschaft i n einer „verfassungsfeindlichen", aber nicht verbotenen Partei ausnahmslos auf den Verstoß gegen die Verfassungstreue schließt, w ü r de den Tatbestand einer „bezweckten" Benachteiligung einer politischen Anschauung i m Sinne der Auslegung des A r t . 3 Abs. 3 GG durch das BVerfG 6 0 9 erfüllen 6 1 0 . Wie steht es aber mit einer parteioffiziellen Tätigkeit des Berufsoder Zeitsoldaten für eine „verfassungsfeindliche" Partei wie NPD oder DKP, wie er dem BVerfG i m NPD-Urteil von 1983 vorlag 611 ? Das Parteienprivileg des A r t . 21 Abs. 2 GG schließt es auch hier nicht aus, daß Schlüsse aus der Parteitätigkeit auf die Verfassungstreue gezogen werden. Das Indiz für mangelnde Verfassungstreue dürfte i n diesem Fall stärker zu bewerten sein als die bloße Mitgliedschaft. Entscheidend aber bleibt das Verhalten des Soldaten hinsichtlich seiner Pflicht zu Gehorsam, Achtung und Schutz der Verfassung gegenüber, wie es sich am besten am dienstlichen Umgang mit Verantwortung und Untergebenen ablesen läßt. 3. Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen (Art. 9 GG)
Die Mitgliedschaft i n politischen Vereinigungen, die nicht als Parteien zu bezeichnen sind, bewertet sich nach A r t . 9 Abs. 1 GG 612 . A r t . 9 GG ist — i m Gegensatz zu den übrigen Grundrechten der politischen Kommunikation, wie A r t . 5 Abs. 1, 8 und 18 GG — in A r t . 17 a GG nicht 607 Selbst w e n n m a n — wie D ü r i g — Beamten die politische Tätigkeit allein i n A r t . 33 Abs. 2 u n d 3 GG geregelt sehen w i l l , ist bei Soldaten eine Spezialnorm dieser A r t nicht ersichtlich — vgl. die Auffassung von Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 118 zu A r t . 3 Abs. 3 GG. 608 BVerfGE 39,334 = N J W 1975,1641 (1643). 609 B V e r f G 39, 334 (NJW 1975, 1647). 610 a. A . Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 118 ff. zu A r t . 3 Abs. 3 GG, der die Treuepflicht der Beamten, die er i n A r t . 33 Abs. 2 u. 3 GG angesiedelt sieht, gegenüber A r t . 3 Abs. 3 G G vorgehen lassen w i l l . D ü r i g erkennt aber an, daß auch die Mitgliedschaft i n Parteien als „politische Anschauung" grundsätzlich durch A r t . 3 Abs. 3 GG geschützt ist. 611 B V e r w G , N Z W e h r r 1984/1, S.39. 612 Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig, Randnr. 75 zu A r t . 9 GG.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
aufgeführt Die h. M. schließt hieraus, daß Soldaten in ihren Grundrechten aus A r t . 9 GG keinen spezifischen Beschränkungen unterworfen werden können 613 . Sie verbleiben hinsichtlich der Vereinigungsfreiheit i m allgemeinen staatsbürgerlichen Status. I n der Tat belegt die Entstehungsgeschichte des A r t . 17 a GG die Auffassung der h. M. Der Verteidigungsausschuß des Bundestages, der die Redaktion des A r t . 17 a GG federführend übernommen hatte, war auf diese Problematik ausdrücklich eingegangen 614 . Er hatte jedoch davon abgesehen, eine Einschränkung des Vereinigungsrechts nach A r t . 9 GG vorzuschlagen. Der Ausschuß ging dabei von der Auffassung aus, daß Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, ohnehin verboten sind, und daß das Vereinigungsrecht nicht die Befugnis in sich schließt, i m Bereich der Truppe Agitation zu entfalten 615 . Diese Ansicht des Verteidigungsausschusses findet jedoch keine Bestätigung in A r t . 9 Abs. 2 GG. Trotz des Wortlauts des A r t . 9 Abs. 2 GG („sind verboten") t r i t t das Verbot nicht automatisch ein, sondern bedarf i m Einzelfall eines Aktes der Behörde, der konstitutiv, nicht deklaratorisch w i r k t 6 1 6 . Ob i m Verbotsverfahren selbst das „Opportunitätsprinzip" wie i m Falle des Verbotes von Parteien gilt, kann dabei dahingestellt bleiben 617 . Ähnlich wie auch hinsichtlich des Parteienprivliegs (Art. 21 Abs. 2 GG) bereits festgestellt, gilt auch bezüglich politischer Vereinigungen, daß Verfassungstreue und Vereinigungsverbot eine grundsätzlich andere Richtung haben 613 . Aus A r t . 17 a Abs. 1 GG ergibt sich zwar eindeutig, daß in „Gesetzen über Wehrdienst" die Vereinigungsfreiheit nicht über das den Zivilpersonen zugemutete Maß eingeschränkt werden darf. Beruhte die Verfassungstreue ausschließlich auf der Regelung des § 8 SG, so könnte wegen der enumerativen Wirkung von A r t . 17 a GG die Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen durch die613 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 34 zu A r t . 17 a GG; v. Mangoldt / Klein, A n m . I I I 1 c zu A r t . 17 a; Martens, S. 113; Ipsen, in: Bonner Kommentar, Randnr. 121 zu A r t . 17 a GG; v. Münch, in: Bonner Kommentar, Randnr. 97 zu A r t . 9 GG; a. A . Lerche, Grundrechte, S. 470; Ullmann, Diss., S. 213 ff. 614 Vgl. BT-Drucksache 2. W P 150, S. 3. 615 Vgl. BT-Drucksache 2. WP 150, S. 3. 616 Vgl. B V e r w G E 4, 188 (189 f.); 47, 330 (351 f.); Scholz, in: Maunz / Dürig, Randnr. 32 zu A r t . 9 GG; a. A . Th. Schmidt, Diss., S. 209 ff.; m. w. Ν . ν. Münch, in: Bonner Kommentar, Randnr. 95 zu A r t . 9 GG. 617 Vgl. für Opportunitätsprinzip i m Fall des A r t . 9 Abs. 2 GG Scholz, in: Maunz / Dürig, Randnr. 134 zu A r t . 9 GG m. w. N.; dagegen Böckenförde, Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue, in: F A Z v o m 8.12.1978, S. 9 f., abgedr. in: Koschnick (Hrsg.), Abschied v o m Extremistenbeschluß, S. 76 ff. (78). 618 Es k o m m t hierbei nicht darauf an, ob es ein „Vereinigungsprivileg" ähnlich dem Parteienprivileg gibt. Z u dieser Frage ausführlich m. w. N. Th. Schmidt, Diss., S. 208 ff.
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se einfachgesetzliche Vorschrift nicht betroffen sein. Die Verfassungstreue der Soldaten ist aber in konkreten Normen des Grundgesetzes selbst begründet — A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 33 Abs. 4, 79 Abs. 3 GG. Deshalb kann die Tatsache, daß A r t . 9 GG in A r t . 17 a Abs. 1 GG nicht erwähnt wird, nicht gegen eine Auswirkung der Verfassungstreue auf die Vereinigungsfreiheit ins Feld geführt werden. Ein Bewerber für den Dienst als Berufs- oder Zeitsoldat kann sich zum Beweis seiner Verfassungstreue nicht darauf berufen, daß die Vereinigung, der er angehört, nicht gemäß Art. 9 Abs. 2 GG verboten sei 619 . Etwas anderes muß für die wehrpflichtigen Soldaten gelten. Sie verbleiben, was ihren außerdienstlichen und ihren persönlichen Bereich angeht, i m vollen Besitze ihrer Rechte wie jeder andere Staatsbürger auch 620 . Sie können also Mitglieder jeder politischen Vereinigung sein, sei diese auch „verfassungsfeindlich" ausgerichtet, solange auch anderen Staatsbürgern diese Mitgliedschaft gestattet wird. Es gibt weder ein „Privileg" noch eine „Diskriminierung" wehrpflichtiger Soldaten gegenüber zivilen Staatsbürgern. 4. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die Verfassungstreue der Soldaten
I m Gegensatz zu A r t . 9 GG ist A r t . 8 GG in Art. 17 a Abs. 1 GG ausdrücklich als einschränkbares Grundrecht genannt. Für die Einschränkbarkeit des Art. 8 Abs. 1 GG war die Erwägung entscheidend, daß es angezeigt sein könnte, den Soldaten in Krisenzeiten von politischen Versammlungen fernzuhalten 621 . Bisher hat der einfache Gesetzgeber jedoch keinen Gebrauch von der Ermächtigung des A r t . 17 a GG gemacht 622 . Das Recht, sich unter freiem Himmel zu versammeln, steht schon unter dem Vorbehalt des A r t . 8 Abs. 2 GG 623 . Insofern ist auch die Demonstrationsfreiheit betroffen, die sich aus A r t . 5 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 GG ergibt. Hinsichtlich wehrspezifischer Einschränkungen ist jedoch Art. 17 a GG gegenüber A r t . 8 Abs. 2 GG verdrängende lex specialis 624. Die Freiheit, Versammlungen in geschlossenen Räumen 619 Vgl. für das Beamtenverhältnis B V e r w G E 47, 330 (351 f.); Scholz, in: Maunz / Dürig, Randnr. 130 zu A r t . 9 GG; Böttcher, Diss., S. 158; m i t abweichender Begründung Steinkamm, NichtÜbernahme, S. 93. 620 s. oben, 2. Kap. A I I I 4 c). 621 Schriftl. Bericht des Verteidigungsausschusses, BT-Drucksache 2. WP 2150. 622 Vgl. Ipsen, in: Bonner Kommentar, Randnr. 70 zu A r t . 17 a GG; Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 29 zu A r t . 17 a. 623 Vgl. Dürig, Randnr. 29 zu A r t . 17 a; Böttcher, Diss., S. 155 f. 624 Vgl. Ipsen, in: Bonner Kommentar, Randnr. 66 zu A r t . 17 a GG.
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden
echt
zif veranstalten, kann jedoch in jedem Fall nur nach A r t . 17 a GG und nicht nach A r t . 8 Abs. 2 GG eingeschränkt werden. Ein allgemeines „Deliberationsverbot" wie in der preußischen Verfassung von 1850 besteht nicht 625 . Durch § 15 Abs. 1 SG sind politische Betätigungen i m Dienst untersagt, in § 15 Abs. 3 SG w i r d dem Soldaten die Teilnahme an politischen Veranstaltungen in Uniform verboten. Das BVerfG umgeht das Problem, indem es i m Falle des Uniformverbotes A r t . 8 Abs. 1 GG für von vornherein nicht berührt hält, da die Versammlungsfreiheit nicht die Befugnis umfasse, dieses Recht gerade in Uniform auszuüben 626 . Eine Schranke für die Versammlungsfreiheit außer Dienst und ohne Uniform ist jedoch aus dem Soldatengesetz nicht ersichtlich. Eine Grenze könnte der Versammlungsfreiheit der Soldaten allerdings durch die Verfassungstreue gesetzt sein, da sich diese nicht nur in § 8 SG, sondern aus dem Grundgesetz selbst begründet. Berufs- und Zeitsoldaten, die der Verfassungstreue auch außerdienstlich unterliegen, dürfen deshalb an Versammlungen und Demonstrationen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, nicht teilnehmen. I m übrigen unterliegen sie nur der nach A r t . 8 GG zulässigen Beschränkung wie jeder andere Staatsbürger auch. Bei wehrpflichtigen Soldaten gelten i m rein außerdienstlichen und persönlichen Bereich aber nur die Beschränkungen, die nach A r t . 8 Abs. 2 GG auch auf Z i v i l personen Anwendung finden, ζ. B. i m Versammlungsgesetz. Wehrpflichtige Soldaten können außerdienstlich (und ohne Uniform) somit an allen friedlichen, legalen Versammlungen und Demonstrationen ohne spezifische Beschränkungen teilnehmen, auch wenn eine Demonstration von der D K P oder NPD veranstaltet sein sollte.
I I I . Verfassungstreue und Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG — Schutz vor Aushöhlung der Soldatenrechte? Schon bei der Untersuchung des Verhältnisses von Meinungsfreiheit und Verfassungstreue 627 und der Bestandsgarantie der Grundrechte in A r t . 17 a Abs. 1 GG 6 2 8 wurde die Bedeutung des Zitiergebotes nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG deutlich. Das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 625
Vgl. oben, 1. Kap. I I I 1. Vgl. BVerfG, DVB1. 1981, 1051 unter Berufung auf BVerfG, N Z W e h r r 1979, 173; vgl. auch Steinkamm, S. 93, der auf „immanente" Schranken zurückzugreifen versucht. 627 Vgl. 2. Kap. Β I I 1. 6M Vgl. 2. Kap. Β I. 626
Β . I I I . Verfassungstreue u n d Zitiergebot
209
Satz 2 GG soll den Gesetzgeber zwingen, sich über den Tatbestand der Grundrechtsbegrenzung klar zu werden und diesen Tatbestand offenzulegen 629 . A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG hat den mit i h m verbundenen Zweck, den Gesetzgeber zu einer Offenlegung jeder Grundrechtsbegrenzung zu zwingen, wie für die nicht wehrrechtlichen Bereiche zugegeben wird, nur zu einem geringen Teil erreicht 630 . Lehre und Rechtsprechung des BVerfG haben das Zitiergebot restriktiv ausgelegt. So w i r d ein großer Teil faktischer Grundrechtsbegrenzungen vom Zitiergebot ausgenommen, weil man sie den sog. verfassungsimmanenten Grundrechtsschranken zurechnet 631 . Hierzu gehören A r t . 5 Abs. 2, 12 Abs. 1 Satz 2 und 14 Abs. 1 Satz 2 GG 632 . Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG wendet sich das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG auch nur an den nachkonstitutionellen Gesetzgeber 633 , der Grundrechte aufgrund eines Gesetzesvorbehalts einschränkt, also nicht an den Verfassungsgesetzgeber. Das BVerwG hat schließlich wiederholt festgestellt, daß A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG dann nicht eingreife, wenn eine gesetzliche Regelung Normen des Grundgesetzes lediglich konkretisiere, also keine zusätzliche, über das Grundgesetz hinausgehende Einschränkung eines Grundrechts vornehme 634 . Die Schöpfer der Wehrverfassung gingen davon aus, daß alle durch Art. 17 a GG zugelassenen Einschränkungen von Grundrechten nur durch Bundesgesetze eingeführt werden, die dem Art. 19 Abs. 1 u. 2 GG genügen 625. Es sollte also grundsätzlich nicht ein Grundrecht der Soldaten unter Hinweis auf seinen „Status" oder das „Wesen einer Armee" eingeschränkt werden, ohne gemäß A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG das Grundrecht unter Angabe des Artikels des Grundgesetzes zu nennen 636 . 629
Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, § 10 I V 1. Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Randnr. 49 zu A r t . 19 G G m. w. N. 631 Vgl. BVerfGE 7, 377 (404); 13, 97 (122); 21, 92 (93); 24, 367 (398); 35, 52 (77); 35, 185 (188); 44, 197 (201). 632 Vgl. die Nachweise bei Herzog, in: Maunz / Dürig, Randnr. 54 zu A r t 19 GG, der eine A n w e n d u n g des Zitiergebots für diese Fälle allerdings bejaht u n d — w e n n keine verfassungskonforme Auslegung möglich ist — Nichtigkeit der entsprechenden Gesetze annimmt (Randnr. 60). 633 Vgl. BVerfGE 2,121 (122); 5,13 (16); 15,288 (293). 634 Vgl. BVerwG, N Z W e h r r 1977, 21 m. w. N.; grundlegend B V e r w G E 5, 153 (160); zu einem ähnlichen Ergebnis käme man, folgte m a n der Lehre des BVerfG, daß A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG n u r für solche Gesetze gelte, die darauf abzielten, ein Grundrecht über die i n i h m selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken — vgl. BVerfGE 28, 36 (46) unter Berufung auf BVerfGE 7, 377 (404). 635 Vgl. BT-Drucksache 2. WP 2150, S. 2. 630
14 Cuntz
210
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Auch i n der Rechtsprechung des BVerfG ist kein Hinweis darauf zu finden, daß A r t . 17 a GG das Zitiergebot ausschließen könnte 637 . Das Soldatengesetz, das parallel zur 2. Wehrnovelle und insbesondere zu A r t . 17 a GG entstand, enthält aber keine Nennung eingeschränkter Grundrechte. Dies bedeutet — bei verfassungskonformer Auslegung des Soldatengesetzes638 —, daß durch diese zentrale Pflichtenordnung der Soldaten gar keine Grundrechte, zumindest nicht solche mit Gesetzesvorbehalt — wie die in A r t . 17 a Abs. 1 GG genannten A r t . 8 und Art. 17 GG —, eingeschränkt werden. Dementsprechend muß auch die Auslegung des Pflichtenkatalogs des Soldatengesetzes eng sein, allein schon, um einem Konflikt mit A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG aus dem Weg zu gehen. Das BVerfG hat wiederholt zu dem Kunstgriff Zuflucht nehmen müssen, Pflichten aus dem Soldatengesetz mit Auswirkung auf die politische Betätigungsfreiheit als „immanente" Schranke der Grundrechte darzustellen, die damit begrifflich gar keine „Einschränkung" i m Sinne der Gesetzesvorbehalte vornehmen könnten: verschiedentlich w i r d vom BVerfG der „Verfassungsauftrag" 639 des Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG zu Hilfe genommen, aus dem sich wiederum der — die Grundrechte in sich beschränkende — „Grundsatz der Disziplin" ergebe 640 . Um eine Abgrenzung zum absolut geschützten Kernbereich der Grundrechte der Soldaten zu erreichen, w i r d dann eine „Abwägung" pauschaler A r t vorgenommen. I m Falle des A r t . 5 Abs. 1 GG w i r d das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG umgangen, indem das BVerfG die Vorschriften des Soldatengesetzes als „allgemeine Gesetze" i m Sinne des A r t . 5 Abs. 2 GG qualifiziert, die keiner ausdrücklichen Nennung der eingeschränkten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1) bedürften 641 . Schließlich entgeht das BVerfG i n seinen Entscheidungen i m Wehrrecht Konflikten, indem es die Grundrechte der Soldaten einschrän636 v. Mangoldt / Klein, A n m . I I I 1 e zu A r t . 17 a; Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 20 zu A r t . 17 a GG; Ipsen, in: Bonner Kommentar, Randnr. 25 zu A r t . 17 a GG; a. A . Mann, DÖV 1960, 412; Ullmann, Diss., S. 125. 637 I m Gegenteil: Das B V e r f G hat sich ausführlich m i t der Frage des Z i t i e r gebots i m Falle der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) auseinandergesetzt — B V e r f G 28, 282. 638 Eine verfassungskonforme Auslegung ist allein schon deshalb notwendig, u m eine Nichtigkeit wegen Verstoß gegen das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG zu vermeiden. Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Randnr. 60 zu A r t . 19 GG. 639 Einen „Verfassungsauftrag" i m Sinne einer Selbstbewaffnungspflicht gibt es aber nicht. Vgl. oben 2. Kap. A I 2. 640 Vgl. BVerfGE 28, 36 (46 f.); 2851 (54 f.); 28, 55 (63) = N J W 1970, 1267 (4). 641 Vgl. BVerfGE 28, (289).
B . I I I . Verfassungstreue u n d Zitiergebot
211
kend auslegt. So stellte das BVerfG i n seiner Soldatenentscheidung vom 18. 2.1970 fest, daß durch „§ 10 Abs. 6 SG das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt worden"
sei 642 . Meinungsäußerungen Grundordnung seien
gegen
die
freiheitliche
demokratische
„nicht durch das i n A r t . 5 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht gedeckt" 6 4 3 .
Später ging das BVerfG in oben bereits zitierten Entscheidungen noch weiter: A r t . 5 Abs. 1, A r t . 8 Abs. 1 und A r t . 9 Abs. 1 und 3 GG würden durch das Uniformverbot für Soldaten bei politischen Veranstaltungen (§ 15 Abs. 3 SG) „von vornherein nicht berührt tt( M. Weder das Recht der freien Meinungsäußerung noch die Rechte auf Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit umfaßten die Befugnis, diese Rechte gerade i n Uniform auszuüben. Hier ist nicht der Ort, i m einzelnen auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG äußerst restriktiv anwendenden Rechtsprechung einzugehen 645 . Auf alle Fälle muß jedoch eines festgehalten werden: die Bestandsgarantie der Grundrechte der Soldaten, wie sie sich i n A r t . 17 a Abs. 1 GG findet 6 4 6 , darf nicht leerlaufen. Es darf keinen Zweifel an der uneingeschränkten Gültigkeit der Grundrechte auch für Soldaten, die Staatsbürger i n Uniform, geben, solange diese Grundrechte nicht ordnungsgemäß aufgrund eines Gesetzesvorbehalts oder anderer i m Grundgesetz für alle Staatsbürger vorgesehener Möglichkeiten eingeschränkt werden. Wenn die i n A r t . 17 a Abs. 1 GG genannten Grundrechte eingeschränkt werden, dann darf das nur unter Nennung der eingeschränkten Grundrechte unter Angabe des Artikels erfolgen. Wie w i r k t sich diese Feststellung auf die Verfassungstreuepflicht des § 8 SG aus? Krause 647 glaubt, daß § 8 SG gegen das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, weil er die potentiell eingeschränkten Grundrechte, z. B. A r t . 5, 8 GG, nicht nennt. Er kommt 642
BVerfGE 28,36 (46). BVerfGE 28,36 (50). 644 BVerfG, N Z W e h r r 1979, 173; BVerfG, DVB1. 1981, 1051. 645 Eine ausführliche K r i t i k der restriktiven Handhabung des Zitiergebots m i t zahlreichen Hinweisen auf L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung findet sich bei Herzog, in: Maunz / Dürig, Randnrn. 49 ff. zu A r t . 19 GG. 646 Vgl. 2. Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses zu A r t . 17 a GG, B T - D r u c k sache 2. W P 2150, S. 1 u n d 2; Ipsen, in: Bonner Kommentar, A n m . A , Randnr. 4 zu A r t . 17 a GG. 647 v. Mangoldt / Klein, A n m . I I I 1 e zu A r t . 17 a; Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 20 zu A r t . 17 a GG; Ipsen, in: Bonner Kommentar, Randnr. 25 zu A r t . 17 a GG; a. A . Mann, DÖV 1960, 412; Ullmann, Diss., S. 159. 643
14*
212
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
dennoch zu einer verfassungskonformen Auslegung, indem er — sinnwidrig — den Inhalt von § 8 SG mit A r t . 18 GG gleichsetzt 648 . Die Verfassungstreuepflicht, wie sie i n § 8 SG konkretisiert wird, ergibt sich aber schon unmittelbar aus dem Grundgesetz 649 . A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG richtet sich ganz grundsätzlich nur an den einfachen Gesetzgeber, der Grundrechte einschränkt. Werden in einer gesetzlichen Regelung wie § 8 SG Normen des Grundgesetzes konkretisiert, so greift das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ein 650 . Hieraus ergibt sich aber auch, daß eine über die Konkretisierung der Verfassungsnormen hinausgehende Interpretation des § 8 SG nicht zulässig ist 651 , denn jede» Ausdehnung grundrechtseinschränkender Pflichten über diesen Rahmen hinaus würde gegen A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen. Bedeutsam w i r d das Zitiergebot hinsichtlich § 7 1. Teil SG, der, wie oben festgestellt, die Grundnorm der Staatsdiensttreue enthält 6 5 2 . Jede Ausdehnung dieser Pflicht zu einer A r t Rückfallklausel, die immer dann zu Hilfe genommen wird, wenn die i n §§ 8 ff. SG festgelegten Pflichten nicht greifen, käme mit dem Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG i n Konflikt. Solange aber §7 1. Teil SG strikt auf die i m Grundgesetz vorgeschriebene Treue gegenüber den demokratisch gewählten Regierungsorganeri (Art. 65 a, 115 b GG) und die Erledigung der Dienstpflicht begrenzt ist, bleibt A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG unberührt 6 5 3 . IV. Verfassungstreue und Widerstandsrecht der Soldaten 1. Historische Grundlagen
Die Verfassungstreue ist bei den Soldaten von alters her eng mit der Vorstellung vom Widerstandsrecht verknüpft. Bereits i n der vorkonstitutionellen Zeit hatte sich das Bewußtsein entwickelt, daß es ein über 648
Krause, Diss., S. 98. Krause begreift dabei A r t . 18 GG als eine Grundnorm für die „Verfassungstreuepflicht" der Staatsbürger, nicht aggressiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorzugehen — Diss., S. 99. Diese Auffassung k a n n nicht geteilt werden. Es gibt keine Verfassungstreuepflicht des Staatsbürgers; vgl. Th. Schmidt, Diss., S. 219 ff. u n d oben, 2. Kap. A I I 4. 650 A r t . 1 Abs. 3,20 Abs. 3,33 Abs. 4, 79 Abs. 3 GG. 651 s. oben 2. Kap. A I V I . 652 s. oben 2. Kap. A V . 653 Unhaltbar ist die Meinung v o n Schreiber, N Z W e h r r 1982, 205 (208), der § 71. T e i l SG als „Grundlage für eine i n i h r e m Umfang k a u m begrenzbare, jedenfalls zahlenmäßig nicht abschließend aufzuzählende Gruppe von Einzelpflichten" versteht. Diese Auffassung f ü h r t i n die Zeiten zurück, i n denen die Streitkräfte als außerhalb der Rechts- u n d Verfassungsordnung stehend betrachtet wurden. 649
213
Β . I V . Verfassungstreue und Widerstandsrecht dem Monarchen
stehendes Recht gab, das i n e x t r e m e n
Situationen
z u m W i d e r s t a n d passiver oder auch a k t i v e r A r t b e r e c h t i g t e 6 5 4 . F ü r d i e Schöpfer
der
Militärreform
im
Preußen
der
Befreiungskriege
war
W i d e r s t a n d gegen e i n u n r e c h t m ä ß i g e s K ö n i g t u m eine durchaus d e n k b a r e O p t i o n 6 5 5 . D i e V e r f a s s u n g e n der deutschen K l e i n s t a a t e n des f r ü h e n 19. J a h r h u n d e r t s s i n d sozusagen aus d e m „ W i d e r s t a n d " gegen die F e u d a l h e r r s c h a f t h e r v o r g e g a n g e n , sie w a r e n — gleich ob „ o k t r o y i e r t " oder „vereinbart" 656
—
Ausfluß
der
Bestrebungen
des
Bürgertums,
am
Staatsleben b e t e i l i g t z u w e r d e n 6 5 7 . Schon daraus e r g a b e n sich W i d e r sprüche z u m „ m o n a r c h i s c h e n P r i n z i p " 6 5 8 , das die S o u v e r ä n i t ä t beim Fürsten
angesiedelt sah. Das
„monarchische
Prinzip"
allein
forderte
auch die U n m i t t e l b a r k e i t s s t e l l u n g des Heeres gegenüber d e m M o n a r chen 6 5 9 , die j e d e andere T r e u e b i n d u n g , e t w a an die Verfassung,
aus-
schloß. 654 Die Staatstheorie hat lange Zeit ein ambivalentes Verhältnis zum W i d e r standsrecht gehabt. Eike von Repgow i m Sachsenspiegel ( I I I , 78, 82, zit. bei Scheidle, Das Widerstandsrecht, S. 18): „Der M a n n muß auch w o h l seinem K ö n i g u n d Richter, w e n n dieser Unrecht tut, widerstehen u n d sogar helfen i h m zu wehren, i n jeder Weise, selbst w e n n jener sein Verwandter oder Lehensherr ist. U n d damit verletzt er seine Treuepflicht nicht." Luther stellt i n seiner Schrift „ V o n weltlicher Obrigkeit, w i e w e i t m a n i h r Gehorsam schuldig sei" (1523, zit. bei v. Loewenich, M a r t i n Luther, S. 218 ff., m i t Quellennachweisen) einerseits fest, daß der Christ der Obrigkeit Untertan sein sollte u n d ein K r i e g gegen die Obrigkeit unzulässig sei. Andererseits aber betont er, daß der Christ die Heeresfolge seinem Fürsten verweigern müsse, w e n n dieser Unrecht habe. Als bekannte Gegner des Widerstandsrechtes gelten Kant (Die Regierungs^ gewalt, bei R. Schmidt, Die drei K r i t i k e n , S. 411; Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, §49, Allgemeine A n m e r k u n g — Ausgabe Wiesbaden/Reutlingen 1956, S. 440) u n d — zu Unrecht — Rousseau (Der Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 1. Kap., S. 13). Erst die rechtspositivistischen Schlußfolgerungen aus den Gedanken Rousseaus führten zu einer Ablehnung des Widerstandsrechts (vgl. Weinkauff, Über das Widerstandsrecht, Karlsruhe 1956, S, 10). Carl v. Rotteck, der Befürworter einer deutschen Nationalwehr, bezeichnete einen Befehl, der darauf gerichtet sei, „die Constitution zu verletzen" für offenbar nichtig. Die Folgeleistung müsse nach Umständen daher selbst Verantwortlichkeit nach sich ziehen (ν . Rotteck, Lehrbuch des Vernunft rechts, Bd. 2, S. 111). Selbst der konservative Denker F. J. Stahl sah auch für „Beamte, Richter, Minister, Militärs" „ j e nach der bestimmten amtlichen Stellung" irgendwo eine Grenze des Gehorsams (Die Philosophie des Rechts, Bd. 2, S. 323 ff.). Ubersicht über die historische Entwicklung des Widerstandsrechts bei C. Arndt, Bürger oder Rebell, S. 34 (Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte, B. 39/83). 655 Vgl. oben, 1. Kap. I I zum „Katechismus für deutsche Soldaten" (Ε. M . Arndt i n Zusammenarbeit m i t Frhr. v. Stein). 656 Z u den v o m Landesherrn „oktroyierten" u n d den m i t den Ständen „ v e r einbarten" Verfassungen vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 318 f. 657 Vgl. H.-P. Schneider, Verfassungswandel u n d politischer K o n f l i k t (uttveröff. Manuskript), S. 21. 1 «β Vgl. ebd. 659 Vgl. hierzu 1. Kap. I 4. Das „monarchische Prinzip" w a r i n der Deutschen Bundesakte v o m 8. J u n i 1915 verankert.
214
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Deutlich zum Ausdruck kam der sich zuspitzende Konflikt zwischen Monarchentreue und Bindung an die Verfassung, die ja die Rechte des Monarchen wenn nicht beschnitt, so doch festschrieb, i n der bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts teilweise m i t Heftigkeit geführten Auseinandersetzung u m den Verfassungseid der Soldaten 660 . Das Beispiel der kurhessischen Offiziere, die i n Treue zur Verfassung den Bund m i t dem Landesherrn aufkündigten und ihren Rücktritt erklärten, wurde i n der damaligen Zeit als Beweis dafür hingestellt, daß der Verfassungseid m i t Disziplin und Monarchentreue nicht vereinbar sei 661 . Auch i n der darauffolgenden Zeit (und noch zu unserer Zeit) argumentierte man gegen den Verfassungseid, der während der Weimarer Republik durch die Verfassung selbst vorgeschrieben war 6 6 2 , einem „Prüfungsrecht" der Soldaten wegen der Verfassungsmäßigkeit von Befehlen müsse gewehrt werden. Der militärische Widerstand i m „ D r i t t e n Reich" (das den Verfassungseid zugunsten des Hitlereides abgeschafft hatte) ließ sich von höherstehendem Recht, von der Bindung an Volk und Vaterland leiten. Aus der Erfahrung des Widerstandes gegen das Unrechtsregime des „Dritten Reiches" sind fundamentale Wertentscheidungen unseres Grundgesetzes hervorgegangen 663 , allen voran A r t . 1 Abs. 2 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Dennoch hat man i m Staat des Grundgesetzes aus nicht ersichtlichen Gründen auf einen Verfassungseid der Soldaten verzichtet: U m einem befürchteten „Prüfungsanspruch" der Soldaten zu entgehen? Oder weil Soldaten weniger Rechtsanwender seien als die Beamten 664 ? Die Nichtexistenz einer Vereidigung auf das Grundgesetz läßt jedoch nicht auf ein eingeschränktes Widerstandsrecht der Soldaten schließen. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Altenburg, bekennt sich einem A r t i k e l zum 40. Jahrestag des 20. J u l i 1944 zu der Tradition des Widerstandes und stellt das Widerstandsrecht, ja sogar eine Widerstandspflicht, i n unmittelbaren Zusammenhang m i t Eid und Gelöbnis der Soldaten 665 : 660
Vgl. oben, 1. Kap. I I . Vgl. oben, 1. Kap. I I , I I I 3. 662 Vgl. oben, 1. Kap. I I 2. 663 Vgl. H.-P. Schneider, Verfassungswandel und politischer K o n f l i k t (unveröff.Manuskript), S.31; a.A.Wiggershaus, in: Fischer u.a., Der militärische Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933—45, S.214; Wiggershaus beruft sich dabei auf die autoritären Ordnungsvorstellungen der Widerstandskreise u m Beck u n d Goerdeler (im Gegensatz zum Kreisauer Kreis). Er gesteht allerdings zu, daß vom Widerstand Impulse für die Prinzipien einer Grundordnung ausgingen, die auf der Menschenwürde aufbaut. 664 So aber Schreiber, NZWehrr 1967, 166 f. 661
Β . I V . Verfassungstreue u n d Widerstandsrecht
215
„Die Bundeswehr hat eine besondere Bindung an den 20. J u l i 1944... Die besondere Bindung erwächst aus dem Eid u n d dem feierlichen Gelöbnis, m i t welchen Soldaten sich zum treuen Dienen u n d zur Verteidigung v o n Recht u n d Freiheit verpflichten. Eine Pflicht, die i n bitterster Konsequenz auch Widerstand einschließen kann."
Doch Widerstand zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist heute kein Sonderrecht für Soldaten 666 . Das bis dahin als überpositives Recht anerkannte Widerstandsrecht wurde positiv 6 6 7 1968 i m Zuge der Notstandsgesetzgebung in Gestalt des A r t . 20 Abs. 4 GG 6 6 8 i n das Grundgesetz aufgenommen 669 . Dieses Recht gilt für die Soldaten wie für alle Staatsbürger. 2. I n einem obiter dictum vom Widerstandsrecht zur Widerstandspflicht
Hat der Soldat Treue zur Verfassung und insbesondere zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu halten, so liegt der Schluß nahe, daß er die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht nur gegen Angriffe von außen (Art. 87 a Abs. 1 Satz 1, A r t . 26 GG) oder Umsturzversuche von unten (Art. 87 a Abs. 4 GG), sondern auch gegen einen Staatsstreich von oben zu schützen hat. Das BVerwG 6 7 0 hat dementsprechend i n einem obiter dictum die grundsätzliche Auffassung vertreten, daß A r t . 20 Abs. 4 GG, falls andere Abhilfe nicht möglich ist, allen Deutschen das Recht zum Widerstand gegen diejenigen einräumt, die es unternehmen, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Damit hätten auch die aktiven Soldaten unter diesen Voraussetzungen das Widerstandsrecht nach Art 20 Abs. 4 GG. Die Soldaten hätten, so das BVerwG, aufgrund ihrer Treuepflicht gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und deren freiheitlicher demokratischer Grundordnung (§§ 7, 8 SG) sogar die Pflicht, Befehlen, die auf die Beseitigung der Verfassungsstruktur abzielen, Widerstand entgegenzusetzen. Ergibt sich diese Pflicht aus A r t . 20 Abs. 4 GG? 665 Altenburg, „Rettungstat für unser Gewissen v o r der deutschen Geschichte", Europäische Wehrkunde 1984, 380. 666 Informationen für Kommandeure 3/84, abgedr. in: Europäische W e h r k u n de 1984, S. 381. 667 Das B V e r f G hatte i m K P D - U r t e i l (BVerfGE 5, 85 Leitsatz 10) die Existenz eines „dem Grundgesetz immanenten Widerstandsrechtes gegen einzelne Rechtswidrigkeiten" nicht v o n der Hand gewiesen, dieses allerdings an strenge Voraussetzungen geknüpft. 668 A r t . 20 Abs. 4 GG, eingefügt durch Gesetz v o m 24. 6.1968 — B G B l . I, S. 709. 669 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht § 23 V I unter Hinweis auf M d B Stammberger, Stenogr. Berichte 5. WP, S. 9369 f. Z u m Widerstandsrecht allgemein vgl. u. a. J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969. 670 BVerwGE 43, 9 ff. (15).
216
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Nach weithin verbreiteter Meinung begründet A r t . 20 Abs. 4 GG zwar ein Widerstandsrecht, aber keine Widerstandspflicht 671 . I n der Tat hat auch der Verfassungsgesetzgeber von 1968 keine Widerstandspflicht begründen wollen, wie sich aus dem Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages ergibt 6 7 2 . Die Mehrheit des Rechtsausschusses hielt die Konzeption einer allgemeinen Widerstandspflicht für nicht realisierbar, „ w e i l sie für die Betroffenen i n vielen Fällen eine unzumutbare Belastung darstellen w ü r d e " .
Diese Feststellung schließt allerdings eine spezielle Widerstandspflicht der Soldaten nicht aus. Das Grundgesetz enthält — i m Gegensatz zur Hessischen und Bremer Verfassung 673 — keine ausdrückliche positive Normierung einer Widerstandspflicht. Gibt A r t . 20 Abs. 4 GG als sedes materiae keinen Aufschluß auf eine Pflicht zum Widerstand, so kann aus der Verfassungstreuepflicht unmittelbar nicht einfach eine Widerstandspflicht hergeleitet werden, die A r t . 20 Abs. 4 GG gleichsam ergänzen würde. Denkbar aber ist eine sich aus der Verfassungstreue der Soldaten ergebende Verhaltensregel, die nicht m i t A r t . 20 Abs. 4 GG konkurriert, sondern darin aufgeht. Man w i r d der Bundeswehr als Institution i n jedem Falle das Widerstandsrecht absprechen müssen 674 . Das Widerstandsrecht des A r t . 20 Abs. 4 GG ist ein Individualrecht, das von einzelnen Bürgern oder Bürgern gemeinsam ausgeübt werden kann. Es soll vor einem Staatsstreich, sei es von oben oder unten, schützen 675 . Art. 20 Abs. 4 GG würde sich als Grundrecht einer staatlichen Instanz geradezu als „Anreiz zum Militärputsch" entlarven 6 7 6 . Auch die Verfassungstreue berechtigt und 67 1 Herzog, in: Maunz / Dürig, Bd. 2, Randnr. 2 zu A r t . 20 Abs. 4; vgl. R. Stober, Grundpflichten u n d Grundgesetz, S.87 ff.; Stern, Staatsrecht I I , S. 1511 m. w . N.; für eine Pflicht zum passiven Widerstand i n Grenzfällen: H.-P. Schneider, Verfassungswandel, S. 22 f. 672 BT-Drucksache 5. W P 2873, S. 9. 673 Fälle einer normierten Widerstandspflicht finden sich i n A r t . 147 Abs. 1 der Hessischen Verfassung u n d A r t . 19 der Bremer Verfassung (vgl. hierzu Stern, Staatsrecht I I , S. 1511; S. Wührer, Das Widerstandsrecht i n den deutschen Verfassungen seit 1945, S. 67). A b e r auch i n diesen Fällen k a n n eine Widerstandspflicht n u r eine „ l e x imperfecta" sein (vgl. Isensee, Das legalisierte W i d e r standsrecht, S. 67). Die Pflicht, Widerstand zu leisten, ist auch i n den positiven Normierungen nicht erzwingbar. Der Widerstand ist i m Gegenteil stets ein Wagnis (vgl. S. Wührer, S. 69). 674 Vgl. K . Stern, Staatsrecht I I , S. 1510. 675 Vgl. Herzog, i n : Maunz / Dürig, Randnr. 2 zu A r t . 20 Abs. 4 GG; Hesse, Verfassungsrecht, § 23 V I . 676 Vgl. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, S.48.
.IV. Verfassungstreue und Widerstandsrecht
217
verpflichtet die Bundeswehr als Institution nicht dazu, in das politische Geschehen mit ihren Machtmitteln einzugreifen. Bedenklich ist auch die Auffassung, daß ein Vorgesetzter seinen Untergebenen zur Teilnahme an einer „Verfassungshilfe" verbindliche Befehle erteilen könnte 6 7 7 . Verfassungstreue beinhaltet eine Pflicht zum Gehorsam gegenüber der Verfassung und zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie enthält aber keine Pflicht, Befehlen zu einer möglicherweise vorgetäuschten „Verfassungshilfe" Folge zu leisten. W i r k t ein Soldat bei einer „Verfassungshilfe" mit, dann kann er das nur aufgrund des eigenen Widerstandsrechts, nicht aufgrund des Widerstandsrechts anderer tun, und seien es die Vorgesetzten. Schwierig dürfte es sein, neben A r t . 20 Abs. 4 GG eine Pflicht zum aktiven Widerstand aus der Verfassungstreue herzuleiten 678 . Wohl aber ergibt sich aus dem Prinzip des Vorrangs höheren Rechts, daß der Gehorsam verweigert werden muß619, wenn ein Befehl über seine bloße Verfassungswidrigkeit hinaus zur Gefährdung oder schwerwiegenden Verletzung des durch A r t . 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbestandes der Verfassung, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, führen würde. Die höher als die Gehorsamspflicht stehende Verfassungstreuepflicht befreit den Soldaten vom Gehorsam und ruft ihn zum Ungehorsam auf 680 , wenn es u m den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geht. Dies entspricht Sinn und Zweck des Art. 20 Abs. 4 GG 681 . Der i m Lichte der Verfassungstreue gesehene 677 So aber Hans Schneider unter Berufung auf § 8 SG, Widerstand i m Rechtsstaat, S. 16. 678 w e r W o l l t e sich zum Richter machen, w e n n einer solchen „Pflicht" zum aktiven Widerstand, angenommen sie bestünde, nicht nachgekommen wird? Wie müßte dieser Widerstand aussehen, wo lägen seine Grenzen? Ohne eine positive Bestimmung i m Grundgesetz k a n n es eine solche Pflicht nicht geben. Gegen eine Pflicht zum aktiven Widerstand aus Verfassungstreue ausdrücklich Bertram, Das Widerstandsrecht des Grundgesetzes, S. 87 f. 679
Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I I , München 1980, S. 1489; C.Arndt, a.a.O., S. 32 (Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte Β 39/83). 680 Vgl. Evers, Beamte u n d Politik, in: Festgabe für H. Herrfahrdt, S. 19 ff. (24); ähnlich auch v. Unruh, V V D S t R L 26, 157; ablehnend E. Huber, Die Grenzen der Gehorsamspflicht der Soldaten, Diss., S. 144; vgl. auch Altenburg, S. 380; aus historischem B l i c k w i n k e l ebenso Wiggershaus, S.222, u n d Oberst a. D. v. Rabenau, S. 719 f., der schließt: „Ohne Treuepflicht keine Gehorsamspflicht." 681 Daß i n grober Weise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Befehle nicht befolgt werden dürfen, ergibt sich bereits aus den Regeln des Soldatengesetzes. §11 Abs. 2 Satz 1 SG bestimmt, daß ein Befehl nicht befolgt werden darf, w e n n dadurch eine Straftat begangen würde. H i e r zu gehören z.B. auch die Straftaten des Ersten Abschnitts des Besonderen Teils des StGB — §§ 80 ff. — Friedensverrat, Hochverrat u n d Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates. Diese S traf Vorschriften schützen i n erster
218
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
A r t . 20 Abs. 4 GG enthält also auch eine spezielle Widerstandspflicht der Soldaten. Jeder Angriff durch Vorgesetzte auf die freiheitliche demokratische Grundordnung, sei es als „Staatsstreich von unten" oder als „Staatsstreich von oben", entbindet die Soldaten von ihrer Gehorsamspflicht, ja verpflichtet sie sogar zur Gehorsamsverweigerung 682. Diese so verstandene Pflicht zum passiven Widerstand, zur Verweigerung, ist letztendlich wohl nicht erzwingbar 683 . Sie bleibt — soweit keine Vorschrift wie i n § 11 Abs. 2 Satz 1 SG den Fall der Ungehorsamspflicht (ζ. B. i m Falle des Hochverrats durch den Befehlenden) positiv regelt — eine „lex imperfecta" 684 . Darüber hinaus aber hat der Soldat alle aus A r t . 20 Abs. 4 GG resultierenden Rechte, wie jeder andere Staatsbürger auch. Die Verfassungstreue mag i h m die Verantwortung um diese Rechte besonders bewußt machen. V. Ergänzungsfrage: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern und die Extremistenfrage Der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht läßt es zu, daß auch Personen zum Wehrdienst eingezogen werden, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestellt sind. Ein Wehrpflichtiger muß nicht wie ein Berufs- oder Zeitsoldat bei E i n t r i t t in das Wehrdienstverhältnis die Gewähr jederzeitiger Verfassungstreue bieten. Damit können auch Kommunisten oder Rechtsextremisten Soldaten werden 685 . Was geschieht aber, wenn Extremisten als Soldaten zur Bekämpfung von Extremisten eingesetzt werden sollen? A r t . 87 a Abs. 4 GG gibt die klare Antwort, daß unter bestimmten Voraussetzungen bei einem inneren Notstand (Art. 91 Abs. 2 GG) 686 zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes Soldaten eingesetzt werden können. Derselbe Soldat, der persönlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestellt ist, muß sie also schützen, L i n i e n u r v o r dem „Staatsstreich von unten", grundsätzlich aber nicht vor dem „legalen" Staatsstreich v o n oben. 682 I m Ergebnis w i e B V e r w G E 43, 9 ff. (151); auch M. Kriele, der sich heftig gegen die Lehre v o m „zivilen Ungehorsam" wendet, bejaht die Rechtfertigung des Widerstandes i n Despotien aller A r t — incl. M i l i t ä r d i k t a t u r — vgl. Kriele, Die Rechtfertigungsmodelle des Widerstandes, S. 12 (Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte, B. 39/83). 683 Vgl. S. Wührer, Das Widerstandsrecht, S. 69. 684 Vgl. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, S. 67. 685 Vgl. oben, 2. Kap. A I I I 4 c u n d 2. Kap. A I V 1. 686 Vgl. E.Beckert, Rechtsstaat u n d Einsatz der Streitkräfte, N Z W e h r r 1984/1, S. 9 ff. (13).
B.V. Der Einsatz der Bundeswehr i m I n n e r n
219
wenn ihm unter den Voraussetzungen des A r t . 87 a Abs. 4 GG dieser Einsatz befohlen wird 6 8 7 . Diese zunächst widersprüchlich erscheinende Folge der allgemeinen Wehrpflicht ist aber letztendlich keine Frage des Rechts, sondern der Politik. Der Einsatz der Bundeswehr i m Innern kann stets nur das äußerste Mittel darstellen, von dem erst Gebrauch gemacht werden darf, wenn andere Möglichkeiten sich als nicht ausreichend erweisen. Der Einsatz der Bundeswehr gegen Bürger stellt immer, auch wenn diese sich gegen die Rechtsordnung und die demokratisch legitimierte Staatsgewalt stellen, „eine innenpolitische Zerreißprobe größten Ausmaßes" dar, die m ö g l i c h s t v e r m i e d e n w e r d e n s o l l t e 6 8 8 .
Sollte allerdings das Recht der Regierung, die Bundeswehr i m Innern einzusetzen, mißbraucht werden und den Soldaten verfassungswidrig eine Beteiligung am Einsatz befohlen werden, dann haben sie — so das BVerwG in einem obiter dictum — das Recht und sogar die Pflicht, diesen Befehl nicht auszuführen 689 . Ist der Befehl zum Einsatz i m Innern nach A r t . 87 a Abs. 4 GG 6 9 0 jedoch verfassungsmäßig, so muß jeder Soldat, sei er Verfassungsfeind oder Verfassungsfreund, diesem Befehl Folge leisten 691 . Es bleibt jedoch die Frage, ob ein Staat, der sich zur Bekämpfung von politischen Unruhen nach A r t . 87 a Abs. 4 GG der Streitkräfte bedienen muß, nicht einen so erheblichen Verlust an Freiheitssubstanz erlebt, daß er aufhört, ein freiheitlich demokratischer zu sein 692 . Sollte dies jemals der Fall sein, wäre der Einsatz i m Innern nicht mehr verfassungsgemäß, denn die freiheitliche Demokratie ist der auch vor der staatlichen Gewalt absolut geschützte Kernbestand (Art. 79 Abs. 3 GG) unserer Verfassungsordnung.
687
Vgl. zum
Schutzobjekt
„freiheitliche
demokratische
Kleiner, Diss., S. 271 f. 688 Vgl. Benda, Die Notstandsverfassung, S. 136 f. 689
Grundordnung"
B V e r w G E 42,20 ff. (22,23). Gleiches gilt für Einsätze nach A r t . 35 Abs. 2 Satz 2 u n d Abs. 3 GG. 691 Vgl. auch den F a l l des 2. Senats des B V e r f G v o m 18. 2.1970, BVerfGE 28, 51: E i n Soldat hatte seinen Kameraden i n einem v o n i h m hergestellten u n d verteilten Flugblatt zum Ungehorsam aufgefordert, w e n n befohlen werde, „Häuserkampf u n d Straßenschlachten zu üben". Das BVerfG ist i n seiner Entscheidung, ohne dies allerdings ausdrücklich zu sagen, v o n der offenbaren Verfassungsmäßigkeit der durch die Notstandsgesetzgebung eingeführten Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr i m I n n e r n ausgegangen. 692 Zweifel hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes bei p o l i t i schen Unruhen Hesse, Verfassungsrecht, § 23 V I I I , Randnr. 771. 690
220
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
C. Politische Betätigung, Verfassungstreue und Extremistenfrage in der Praxis der Bundeswehr I . D i e „Theorie der Praxis"
Die Gestaltung der Rechtsverhältnisse der Soldaten, insbesondere hinsichtlich ihrer staatsbürgerlichen Stellung, sollte nach dem Willen der Begründer der Bundeswehr zu einer „grundsätzlichen Abkehr von der Vergangenheit" führen 6 9 3 . Man wollte die Rechtsstellung des Soldaten in einer Form festlegen, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dieses Staates entspricht 694 . Man war sich aber auch bewußt, daß das Gesetz nur eine Voraussetzung sein kann, daß der von ihm gewollte freiheitliche demokratische Geist i n der Bundeswehr wirksam ist. Auf den gesetzlichen Voraussetzungen aufbauend, sollten Verwaltung und Truppenführung es sich zur Aufgabe machen, den Willen des Gesetzgebers in die Praxis umzusetzen 695 . Nur der Soldat könne schließlich seiner Aufgabe voll gerecht werden, der auf dem Boden unserer demokratischen Grundordnung stehe und die hohen Werte des Rechts und der Freiheit auch im täglichen Dienst vorlebe und weitervermittele m. Die Schöpfer der neuen Streitkräfte wollten i n betontem Gegensatz zur bisherigen Auffassung keinen unkritischen Soldaten. Der „Staatsbürger in Uniform" sollte sich seiner Verantwortung gegenüber der politischen Ordnung bewußt sein 697 . Es war kein „blinder Gehorsam" 698 , den man vom Soldaten erwartete, sondern „kritische Loyalität" 699. Graf Baudissin, der Gestalter des Gedankens der „inneren Führung" und des „Staatsbürgers in Uniform", äußerte allerdings Zweifel, ob sich Staatsdienertum (und Berufs- und Zeitsoldaten sind ja Staatsdiener) mit der Unterstützung und Vertretung extremistischer politischer An693 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum Soldatengesetz, B T Drucksache, 2. W P 1700, S. 16. Nicht durchgesetzt hatten sich die Vorstellungen der „Himmeroder Denkschrift" ζ. B. zu Beschränkungen des Wahlrechts u n d der Parteimitgliedschaft von Soldaten. Vgl. Rautenberg / Wiggershaus. 694 Schriftl. Bericht des Verteidigungsausschusses zum E n t w u r f des Soldatengesetzes, BT-Drucksache 2. W P 2140, S. 2. 695 Ebd. 696 Ebd. 697 Baudissin, Soldat für den Frieden, S. 195. 693 „Blinder Gehorsam" w a r das Prinzip der preußisch-deutschen Armee gewesen, d . h . Gehorsam ohne Rücksicht auf Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des Befehls — vgl. Laband, Bd. I V , S. 156 f. „ B l i n d e n Gehorsam" forderte auch Hitler, vgl. Reichstagsrede v o m 20.2.1938, zit. bei Salewski, in: Papke / Petter, 4 V I I , S, 208. 699 Baudissin, Soldat für den Frieden, S.50.
C.I. Die „Theorie der Praxis"
221
sichten vereinbaren ließen 700 . Radikale Ablehnung von Staat und Gesellschaft und die Neigung zur Gewalttätigkeit seien mit dem Engagement für den Frieden nicht i n Übereinstimmung zu bringen. Ulrich de Maizière 701 , der wie Graf Baudissin zu den prägenden Persönlichkeiten der Bundeswehr zu zählen ist, führte diesen Gedanken noch weiter: wer sich zur Abwehr totalitärer Herrschaftsansprüche entschließe — und dieser Entschluß habe ja letztlich zur Aufstellung der Bundeswehr geführt —, müsse der totalitären Idee etwas Besseres entgegensetzen. A m deutlichsten unterscheide sich unser Denken von Kommunisten und Rechtsextremisten i m B i l d vom Menschen. Unser Menschenbild lasse es nicht zu, junge Männer zu unmündigen Werkzeugen allmächtiger Vorgesetzter zu machen. Unsere Soldaten sollten daher während ihrer Dienstzeit ebenso wie i n ihrer zivilen Existenz erleben, daß die Begriffe von Freiheit und Recht ernstgenommen werden. Diese Werte sind auch heute noch Inhalt der offiziellen Ansicht, wie sie der Bundesminister der Verteidigung, Wörner, i n einer Rede vor Offizieren 1983 formulierte: Der Soldat solle die Wertordnung des Grundgesetzes und die Grundrechte des demokratischen Staatsbürgers auch innerhalb der Bundeswehr erfahren. Parteipolitik jedweder A r t habe allerdings i n den Streitkräften nichts zu suchen. Die Bundeswehr sei nicht die Armee einer Partei, sondern unseres demokratischen Staates und des ganzen Volkes. Selbstverständlich aber habe jeder Soldat — außerhalb des Dienstes — das Recht zu parteipolitischer Meinung und Mitgliedschaft m. Das Bild des Offiziers, so sagte Minister Wörner 703 , werde i m Bewußtsein einer „klaren ethischen Bindung an das Grundgesetz" bestimmt. Durch sein eigenes Verhalten könne ein Offizier nicht nur selbst zur Ausprägung des Bildes vom Offizier beitragen, sondern beeinflusse auch die Einstellung vieler Bürger zum Staat. Viel liege damit bei den Offizieren, den Willen zur Erhaltung und Verteidigung der freiheitlichen Lebensordnung zu stärken 704 . 700
Ebd. Erziehung zum Staatsbürger i n Uniform, S. 196, in: de Maizière, Bekenntnis zum Soldaten, S. 57 f. (61). 702 Manfred Wörner, Z u m B i l d des Offiziers, Zeitschrift Soldat u n d Technik 1983, S. 407 ff. (411). 703 Ebd., S. 408. 704 Auch das Europäische Parlament formuliert i n einer Entschließung zum Koalitionsrecht der Angehörigen der Streitkräfte v o m 12. A p r i l 1984 (vgl. Bundesrats-Drucksache 204/84, Ziff. D.): „ . . . i n Erwägung der Tatsachen, daß Soldaten, seien es wehrpflichtige oder längerdienende Soldaten, nicht von der demokratischen Gesellschaft isoliert werden dürfen u n d die Demokratie, die sie schützen, auch selbst erleben müssen." 701
222
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Deutlich w i r d die historische Dimension der Verfassungstreue in einer Streitmacht der Demokratie i n den „Zehn Grundsätzen zur Tradition", die Wörners Vorgänger als Verteidigungsminister, Hans Apel, i m „Weißbuch 1979" veröffentlichte 705 : „ T r a d i t i o n i n der Bundeswehr darf n u r sein, was vor der Verfassung bestehen kann. Das Grundgesetz ist die Prüfungsinstanz, T r a d i t i o n i n der Bundeswehr muß v o m Geist der Verfassimg durchdrungen s e i n . . . 3. . . . Treue, Tapferkeit, Pflichterfüllung, militärische Tüchtigkeit erlangen erst dann sittlichen Wert u n d politischen Rang, w e n n sie u m übergeordneter Ziele w i l l e n erbracht werden. F ü r den Soldaten der Bundeswehr sind das Frieden, Freiheit u n d Recht."
Es ist dieser historische Kontext, i n dem Verfassungstreue i n der Bundeswehr gesehen werden muß. Freiheit, Menschenwürde und gleiches Recht waren i n den früheren deutschen Armeen wie i n Staat und Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit. I n den Streitkräften des demokratischen und freiheitlichen Staates müssen sie es sein. Auch der einzelne Soldat muß sich darauf verlassen können, daß seine Rechte als Staatsbürger nicht über das verfassungsmäßig zulässige Maß hinaus eingeschränkt werden. II. Der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 18.11.1980 über die politische Betätigung von Soldaten Der Bundesminister der Verteidigung hat in Ausfüllung der gesetzlichen Vorschriften am 18.11.1980 den Erlaß zur Regelung der „politischen Betätigung von Soldaten, insbesondere bei Europa-, Bundestags·, Landtags- und Kommunalwahlen" neu gefaßt 706 . 1. Einschränkungen von Grundrechten
Der Erlaß stellt einleitend unter Ziff. 1 Abs. 1 Satz 1 fest, daß das Wahlrecht i n unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein wichtiges staatsbürgerliches Recht ist. „Beschränkungen der staatsbürgerlichen Rechte" — so heißt es weiter in Ziff. 1 Abs. 3 des Erlasses — seien insbesondere enthalten i m Soldatengesetz (insbes. i n den §§ 7, 8, 10, 12, 15, 17, 25 und 33) und i n den hierzu ergangenen Erlassen:
705 Weißbuch 1979, Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland u n d zur E n t w i c k l u n g der Bundeswehr, hrsg. v o m Bundesminister der Verteidigung am 4. 9.1979, S. 196 f. Das Weißbuch 1983 enthält keine näheren Ausführungen zur inneren Gestalt der Bundeswehr. 706 v m B I . , S . 5 3 3 , abgedr. bei Schwenck / Weidinger, Handbuch des Wehrrechts, Nr. 276.
C.II. Erlaß B M V g über politische Betätigung
223
— „Uniformtragen bei politischen Veranstaltungen" 707 , — „Private Veröffentlichungen und Vorträge" 7 0 8 . Zu dieser Formulierung ist folgendes zu bemerken: Staatsbürgerliche Rechte der Soldaten, die i m Grundgesetz unter Gesetzesvorbehalt (bzw. Schranke der allgemeinen Gesetze i n A r t . 5 Abs. 2) i n A r t . 8, 9, 17, 5 Abs. 1 GG gesichert sind, können grundsätzlich nur durch ein Gesetz beschränkt werden. Dieses Prinzip w i r d durch A r t . 17 a Abs. 1 GG noch bekräftigt 7 0 9 . Die genannten Erlasse sind also nicht geeignet, solche staatsbürgerlichen Rechte zu beschränken, allenfalls können sie ohneh i n gesetzlich vorgenommene Einschränkungen zusammenfassen und präzisieren. Auch das Soldatengesetz vermag — mit Ausnahme der Meinungsfreiheit, für die das Soldatengesetz als „allgemeines Gesetz" i. S. des Art. 5 Abs. 2 GG gelten mag — die staatsbürgerlichen Grundrechte der Soldaten, die unter Gesetzesvorbehalt i m Grundgesetz gesichert sind, nicht einzuschränken, solange nicht gemäß dem Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG das eingeschränkte Grundrecht ausdrücklich genannt ist 710 . Alle „Beschränkungen" i m Erlaß sind deswegen selbst restriktiv und verfassungskonform zu interpretieren. 2. Der Soldat und die freiheitliche demokratische Grundordnung
a) Ziffer 5, 2. Anstrich des Erlasses besagt: „Die Pflicht zum treuen Dienen u n d zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes verbietet, auch während eines Wahlkampfes, jeden unsachlichen, insbesondere jeden beleidigenden, gehässigen oder hetzerischen A n g r i f f gegen die Bundesrepub l i k Deutschland oder eines ihrer Länder, ihre verfassungsmäßig berufenen Organe, die Grundlagen der Wehrverfassung und der Wehrpolitik sowie gegen Vorgesetzte."
Zu der sinnwidrigen Umdeutung der Verfassungstreue i n eine „Wehrverfassungstreue" oder gar Treue zu den Grundlagen der „Wehrpolitik" ist schon oben Stellung genommen worden 711 . Auch in diesem Punkt ist der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung restriktiv und streng an den Normen des Grundgesetzes ausgerichtet zu interpretieren. Keinem Soldaten kann abverlangt werden, daß er mit der offi707 VMB1. 1965, S. 257, i n der Fassung des Erlassens v o m 30. März 1973 — VMB1., S. 119. 708 VMB1.1976, S. 360. 709 Vgl. oben, 2. Kap. Β I. 710 Vgl. oben, 2. Kap. Β I I I . 711 Vgl. oben, 2. Kap. A V I .
224
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden R e t
ziellen Verteidigungspolitik übereinstimmt m. Ein Angriff auf die „Grundlagen der Wehrverfassung und der Wehrpolitik" ist kein Unterfall einer Verletzung der Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Ein Verstoß gegen die „Pflicht zum treuen Dienen" nach § 7 SG liegt allerdings dann vor, wenn ein Soldat seinem Dienst nicht nachkommt oder sich der Unterordnung unter die politische Führung versagt 713 . Ohne hier ins Detail gehen zu wollen, kann jedoch festgestellt werden, daß ein Bekenntnis zur Wehrpflicht weder vom Grundgesetz noch vom Soldatengesetz gefordert wird. b) I n Ziffer 5 3. Anstrich des Erlasses heißt es: „ K e i n Vorgesetzter darf seine dienstliche Stellung dazu mißbrauchen, seine Untergebenen zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten politischen Richtung zu beeinflussen. Unberührt bleibt das Recht u n d die Pflicht jedes Vorgesetzten u n d Soldaten nach § 8 SG, sowohl i m Dienst als auch außerhalb des Dienstes allen Äußerungen u n d Bestrebungen entgegenzutreten, die sich gegen die Grundsätze unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten u n d auf die gewaltsame Änderung dieser Grundordnung abzielen."
Es gibt, das ist zur Klarstellung zu bemerken, keine „Propagandapflicht" der Soldaten 714 . Der Erlaß ist in dieser Hinsicht zweideutig: die Verfassungstreue verlangt zwar von allen Soldaten — Wehrpflichtigen wie Berufs- und Zeitsoldaten —, daß sie i m dienstlichen Bereich die freiheitliche demokratische Grundordnung nach Kräften schützen und achten, ζ. B. verfassungsfeindliche Bestrebungen melden 715 , sie fordert jedoch keine Propaganda für die freiheitliche demokratische Grundordnung auch noch außerhalb des Dienstes. I m außerdienstlichen Bereich steht der wehrpflichtige Soldat in dieser Hinsicht ohnehin den zivilen Staatsbürgern gleich 716 . 712
So auch der Parlamentarische Staatssekretär i m B M V g , Würzbach, i n der Fragestunde des Bundestages am 30.11.1983, Stenogr. Berichte, Protokoll der 39. Sitzung des Bundestages der 10. Wahlperiode, S.2679: „Dienstliche Verletzungen von Soldaten i m Zusammenhang m i t politischer Betätigung werden nach denselben Maßstäben gewürdigt, unabhängig davon, ob die Soldaten für eine Auffassung eintreten, die mit der Regierungspolitik in Einklang steht, oder ob sie eine davon abweichende persönliche Meinung vertreten, wie es ζ. B. jene tun, die sich gegen den Nachrüstungsteil des N A T O Doppelbeschlusses aussprechen. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß, auf eine Änderung der geltenden Bestimmungen über die politische Betätigung der Soldaten hinzuwirken." Dies bedeutet, daß es keinen Unterschied macht, ob ein Soldat, w e n n er seine persönliche Meinung äußert, für oder gegen die Regierungspolitik Stellung n i m m t . Es gibt auch keine besondere Zurückhaltungspflicht für abweichende Meinungen. 713 Vgl. oben, 2. Kap. A V. 714 Vgl. Ipsen, in: Bonner Kommentar, Randnr. 63 f. zu A r t . 17 a GG; Böttcher, Diss., S. 158; vgl. oben, 2. Kap. A I V 1. 715 Vgl. § 14 Abs. 4 SG, 716 Vgl. oben, 2. Kap. A I V 1.
C.II. Erlaß B M V g über politische Betätigung
225
3. Teilnahme an politischen Veranstaltungen
I n Ziffer 5 6. Anstrich bestimmt der Erlaß: „Außerhalb des Dienstes u n d außerhalb militärischer Anlagen u n d E i n richtungen darf der Soldat an politischen Veranstaltungen teilnehmen, hierbei jedoch keine U n i f o r m t r a g e n . . . Soldaten, deren dienstliches E r scheinen auf einer politischen Veranstaltung lediglich als Ausdruck der Verbundenheit m i t der politisch interessierten Bevölkerung zu werten sind (offizielle Vertretung der Bundeswehr), sind nicht zu politischen V e r anstaltungen solcher Parteien zu entsenden, die i m Bundestag nicht vertreten sind."
I m Umkehrschluß folgt hieraus, daß die Bundeswehr Soldaten i n Uniform als offizielle Vertreter zu Veranstaltungen von i m Bundestag vertretenen Parteien — also ζ. B. auch der „Grünen" — entsenden kann 7 1 7 . Wie es sich mit dem Gebot der parteipolitischen Neutralität der Bundeswehr verträgt, daß dem Bundestag angehörige Parteien privilegiert werden, kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Besser wäre es jedenfalls, würden Soldaten überhaupt nicht i n Uniform an Parteiveranstaltungen teilnehmen, sei die Partei i m Bundestag vertreten oder nicht 718 . Von einer solchen Regel könnte, wie Ziff. 5 (ß.Anstrich Abs. 1 letzter Satz) ja auch vorsieht, die dienstliche Entsendung von Vortragenden i n Uniform i m Rahmen der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr ausgenommen werden. Unzulässig und mit parteipolitischer Neutralität wie mit dem Einmischungsverbot 719 unvereinbar wäre es jedenfalls, wenn die Bundeswehr Soldaten i n Uniform zu der Veranstaltung einer Partei entsenden würde, i n der i m Sinne der Regierungspolitik Stellung zu einer politischen Tagesfrage genommen w i r d (ζ. B. Stationierung der Mittelstreckenwaffen), die entsprechende Veranstaltung einer anderen Partei, die in dieser Frage eine entgegengesetzte Meinung vertritt, trotz Einladung aber nicht beschicken würde. Das Uniformverbot und die Ausnahmeregelungen — dessen sollte man sich bewußt bleiben — dürfen nicht als Vehikel zur Förderung oder Beeinträchtigung bestimmter Meinungen oder Parteien mißbraucht werden. 717 Beispiele, genannt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Würzbach, i n der Fragestunde des Bundestages am 30.11.1983, Stenograph. Berichte, Protokoll der 39. Sitzung der 10. Wahlperiode, S. 2677: Veranstaltung der CDU Essen zum Thema „Frieden und Freiheit", SPD-Forum zur Sicherheitspolitik. 718 Der klare Wortlaut des § 15 Abs. 3 SG bestimmt ohne Ausnahmeregelung: „Der Soldat darf bei politischen Veranstaltungen keine U n i f o r m t r a gen." 719 s. oben, 2. Kap. A I I I 3 b).
15 Cuntz
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2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
I I I . Jahresberichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages 1. Die Funktion des Wehrbeauftragten als Hüter der Grundrechte
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat nach A r t . 45 b GG die Aufgabe, zum Schutz der Grundrechte der Soldaten und zur parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr beizutragen. Das A m t des Wehrbeauftragten wurde als Teil der Zweiten Wehrdienstnovelle vom 19. 3.1956 720 , mit der die Grundlagen unserer heutigen Wehrverfassung geschaffen wurden, als Instrument des Parlaments 721 zur unmittelbaren M i t w i r k u n g in Angelegenheiten der Bundeswehr gestaltet. Die Einführung der zu dieser Zeit völlig neuen Institution des Wehrbeauftragten geht auf eine Vereinbarung der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD zurück 722 . Die SPD nahm damals von ihrer Forderung Abstand, die Möglichkeit eines gesonderten Mißtrauensvotums gegen den Verteidigungsminister vorzusehen. Die CDU/CSU stimmte ihrerseits der Einrichtung des Wehrbeauftragten zu 723 . Die Stellung des Wehrbeauftragten wurde konzipiert als eine „Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle, die durch die Einführung eines starken Machtfaktors wie der Bundeswehr i n den Gesamtaufbau der Staatsordnung eine erhöhte Bedeutung"
erhalte 724 . Der Wehrbeauftragte erhielt als einen wesentlichen Bestandteil seiner Aufgabe die Funktion eines „Hüters der Grundrechte" in der Bundeswehr 725 . Gemeint waren in A r t . 45 b GG alle i m Grundgesetz verankerten Grundrechte 726 . Die Beschreibung seines Auftrages i n § 1 der Neufassung des Wehrbeauftragtengesetzes vom 16. Juni 1982727 stellte klar, daß der Wehrbeauftragte stets, also auch in der Funktion eines „Hüters der Grundrechte", als Hilfsorgan des Bundestages bei 720
BGBl. 1,111. Z u r zweiten parlamentarischen Sonderinstitution zur Kontrolle der Streitkräfte, dem i n A r t . 45 a Abs. 2 GG m i t besonderen Rechten ausgestatteten Verteidigungsausschuß vgl. Eckart Busch, Zur parlamentarischen K o n trolle der Streitkräfte, N Z W e h r r 1983, 81 ff. 722 Vgl. E.Busch, Das A m t des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Bonn 1969, S. 16. 723 Vgl. ebd.; Hartenstein, Der Wehrbeauftragte, S. 53, Fn. 5 m. w. N. Die Einrichtung des Wehrbeauftragten wurde an das V o r b i l d des schwedischen Militärombudsman angelehnt; vgl. Hartenstein, S. 55 m. w. N. 724 Vgl. 2. Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 2. WP, S.3. 725 Vgl. E. Busch, S. 19. 726 Vgl. Hartenstein, Diss., S. 131 m. w. Ν . 727 Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages i. d. F. der Bekanntmachung v o m 16. 6.1982 — BGBl. I, S. 678. 721
C.III. Jahresberichte des Wehrbeauftragten
227
der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle und nicht aus eigenem Recht tätig wird 7 2 8 . Die Tätigkeit des Wehrbeauftragten w i r k t sich neben dem Individualgrundrechtsschutz als „Kontrolle des militärischen Apparates" aus 729 . Die Wahrung der Grundrechte — A r t . 1 Abs. 3 GG — durch die Verantwortungsträger in der Bundeswehr bildet einen Eckpfeiler der Verfassungstreue. Der Wehrbeauftragte ist damit i n den Grenzen seiner durch A r t . 45 b GG und des Wehrbeauftragtengesetz umschriebenen Aufgaben und Befugnisse ein „Hüter der Verfassungstreue" der Bundeswehr. Inwieweit der Wehrbeauftragte mit den i h m zur Verfügung stehenden Mitteln seiner Aufgabe gerecht werden kann, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit 7 3 0 . Hilfreich für das Verständnis der Praxis ist jedoch eine Auswertung der Jahresberichte des Wehrbeauftragten 731 , die eine publikumswirksame Waffe i m Kampf gegen Mißstände darstellen 732 und Aufschluß zumindest über einen Ausschnitt der Praxis in der Bundeswehr geben können. 2. Die Jahresberichte des Wehrbeauftragten und die Verfassungstreue der Soldaten
I n den Jahresberichten sind jeweils zahlenmäßige Übersichten über die Tätigkeit des Wehrbeauftragten enthalten 733 . Die Eingaben der Soldaten an den Wehrbeauftragten lagen i n den Jahren 1967 bis 1977 i m Bereich „Grundrechte" bei 5,55 %>734, der Schwerpunkt lag bei der „Inneren Führung". I m Jahre 1983 gab es 525 Einzelanliegen von 314 Sol728 I n der Vergangenheit hatte es hierzu auseinandergehende Meinungen gegeben, die teilweise darauf hinausliefen, daß der Wehrbeauftragte hinsichtlich des „Schutzes der Grundrechte" selbständig u n d unabhängig vom Parlament sei. Vgl. zu dieser Auseinandersetzung E. Busch, S. 19 f. 729 Vgl. Hartenstein, der Wehrbeauftragte, S. 131. 730 J. Oertel k o m m t i n seiner politikwissenschaftlichen Dissertation „Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages u n d sein Verhältnis zum Parlament" zu dem ernüchternden Ergebnis, daß das funktionale Verhältnis z w i schen Bundestag u n d Wehrbeauftragtem „über bestimmte Zeiträume teils gespannt oder gar gestört, teils indifferent, jedenfalls nicht synchron" gewesei sei. Sowohl der „historisch-analytische Uberblick wie die empirische U n tersuchung" hätten ergeben, daß eine offensichtliche Interessenverflechtung zwischen Exekutive u n d Legislative und eine allgemein zu beobachtende K o n t r o l l u n w i l l i g k e i t des Parlaments die A k t i o n e n des Wehrbeauftragten schon v o n der Substanz her auszuhöhlen drohe. — Vgl. Oertel, Diss., S. 319— 322. 731 Vgl. § 2 Abs. 1 WbG. 732 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Randnr. 32 zu A r t . 45 b GG. 733 Eine Auswertung der Tätigkeitsübersichten der Jahre 1967—1977 ist bei Oertel, S. 84 ff., enthalten. 734 Vgl. Oertel, Diss., S. 86.
15*
228
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
daten an den Wehrbeauftragten in Sachen „ G r u n d r e c h t e e s waren 704 Einzelanliegen i n Grundrechtsfragen von Soldaten und anderen Erkenntnisquellen 7 3 5 (zusammengenommen). Insgesamt — Grundrechte und Innere Führung zusammengenommen — hatte der Wehrbeauftragte 1983 immerhin 11 451 Einzelanliegen aufgrund von 6047 Erkenntnissen, die von Einsendern oder besonderen Quellen herrührten, zu bearbeiten 736 . Die Wahrnehmung der Funktion eines „Hüters der Grundrechte" und damit auch eines „Hüters der Verfassungstreue" nahm also nach der Zahl der Einzelfälle nur einen geringen Teil der Tätigkeit des Wehrbeauftragten i n Anspruch. Dennoch ist die genannte Zahl von 525 Einzelanliegen von Soldaten in Sachen „Grundrechte", die eingehender Prüfung bedurften, nicht unerheblich. Die Jahresberichte der Wehrbeauftragten Fritz Rudolf Schulz und K a r l Wilhelm Berkhan von 1970 bis 1982 haben sich in unterschiedlichem Umfang m i t dem Thema „Extremisten i n der Bundeswehr" befaßt. I m folgenden sollen schwerpunktweise die Ausführungen der Wehrbeauftragten wiedergegeben werden: a) Jahresbericht
1970 (Schulz)
Der Jahresbericht 1970 steht unter dem Eindruck der „Soldatenentscheidungen" des BVerfG des Jahres 1970737. Der Wehrbeauftragte betont, daß das Prinzip der „streitbaren Demokratie" als übergreifende Maxime auch für die innere Ordnung der Bundeswehr verbindlich sei. Das korrespondierende Verhältnis von individueller Entfaltung und solider Pflichtenbindung des einzelnen sei konstitutiv für den dauernden Bestand und die beständige Fortentwicklung des freiheitlich-demokratischen Staatswesens 738 . Als praktischen Fall nennt der Jahresbericht die Schrift „Soldat 70 — Wehrpflichtige melden sich zu Wort", i n der die freiheitliche demokratische Grundordnung unseres Staates, ihre Verteidigungswürdigkeit, die Grundlagen des Verteidigungsauftrages und der Defensivcharakter der Streitkräfte sowie die rechtsstaatliche Orientierung ihres inneren Gefüges i n Frage gestellt worden sei. Der Wehrbeauftragte bemerkt hierzu, daß die Soldaten, die die Schrift unterzeichnet hätten, ihre Dienstpflichten verletzt hätten, da sie das Grundrecht der freien Meinungsäußerung dazu mißbraucht hätten, durch falsche Behauptungen die Bundeswehr i n der Öffentlichkeit herabzusetzen und Unruhe 735 736 737 738
Vgl. Jahresbericht 1983, BT-Drucksache 10/1061, S.29. Vgl. ebd. BVerfGE 28, 36; 28, 52; 28, 55; 28, 282. Jahresbericht (künftig i n Fn. abgekürzt: Jb) 1970, S. 9 f .
C.III. Jahresberichte des Wehrbeauftragten
229
in die Truppe hineinzutragen 739 . Nicht erwähnt ist jedoch die konkrete Vorschrift des Soldatengesetzes, gegen die verstoßen worden sein soll. Der Wehrbeauftragte hält andererseits jedoch das Verbot an einen Soldaten, an einer außerhalb der Kaserne stattfindenden Diskussionsveranstaltung über die Schrift „Soldat 70" teilzunehmen, für grundrechtswidrig 740 . Das Risiko, in der öffentlichen Diskussion durch ausdrückliche Unterstützung verfassungswidriger Zielsetzungen eine Dienstpflichtverletzung zu begehen, müsse der Soldat selbst tragen. Die Frage, welche Dienstpflicht ein wehrpflichtiger Soldat verletzt, wenn er außerhalb des Dienstes „verfassungswidrige Zielsetzungen" ausdrücklich unterstützt, bleibt allerdings unbeantwortet. Zu dem Fall der Befestigung von Porträts von Che Guevara, Lenin und Mao-Tse Tung an der Stubenwand bzw. i m Spind stellt der Wehrbeauftragte fest, daß i n der bloßen Anbringung „antidemokratischer Embleme" noch kein Dienstvergehen zu erblicken sei. Eine Verletzung der gesetzlichen Dienstpflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung setze auch die Absicht voraus, verfassungswidrige Zielsetzungen zu bejahen und sich i n ihrem Sinne zu betätigen. b) Jahresbericht
1971 (Schulz)
Der Wehrbeauftragte erwähnt i n diesem Jahresbericht die sich häufende Verletzung des Uniformverbotes bei politischen Veranstaltungen (§ 15 Abs. 3 SG). So hätten am DKP-Kongreß i m Spätherbst 1971 in Düsseldorf etwa 15 bis 20 Soldaten in Uniform teilgenommen 741 . I n mehreren anderen Fällen hätten sich Soldaten als überzeugte Mitglieder der D K P bezeichnet; sie hätten Äußerungen ihrer Kommandeure auf Tonband mitgezeichnet. Beanstandet w i r d jedoch weder die Teilnahme am DKP-Kongreß als solche noch die Mitgliedschaft i n der DKP, sondern das Verhalten der Soldaten in diesem Zusammenhang, ζ. B. die Verletzung des Uniformverbots. c) Jahresbericht
1972 (Schulz)
I n diesem Jahresbericht finden die politischen Aktivitäten linksgerichteter Organisationen und Gruppen gegen die Streitkräfte besondere Aufmerksamkeit. Hervorgehoben werden die Aktivitäten der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), des Marxistischen Studentenbundes Spartakus (MSB) und der Jugendorganisation der Deut739 740 741
Jb 1970, S. 25 ff. A r t . 5 Abs. 1 GG. Jb 1971, S. 39.
230
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
sehen Kommunistischen Partei (DKP) 7 4 2 . Ein Gefreiter sei zum Vertrauensmann der Mannschaften gewählt worden und habe sich nach seiner Wahl bei Gesprächen mit dem Batteriechef als Kommunist und Mitglied des Spartakus bekannt. Das zuständige Truppendienstgericht habe den Antrag des Batteriechefs auf Ablösung des Gefreiten als Vertrauensmann gemäß § 22 Vertrauensmännerwahlgesetz mit der Begründung zurückgewiesen, die spezifischen Befugnisse oder Pflichten als Vertrauensmann seien nicht verletzt worden; als Befugnisse und Pflichten könnten nicht die Soldatenpflichten schlechthin, sondern nur die besonderen Rechte und Pflichten des Vertrauensmannes aus § 35 SG in Betracht kommen 7 4 3 . Der Wehrbeauftragte hält jedoch „auch eine andere Beurteilung des Sachverhalts", als sie das Truppendienstgericht vorgenommen habe, für „vertretbar". Es sollten Maßnahmen erwogen werden, u m Soldaten, die nicht bereit seien, die freiheitliche demokratische Grundordnung anzuerkennen, von der Wählbarkeit zum Vertrauensmann auszuschließen 744 . „Solche Soldaten" sollten auch nicht bei Truppendienstgerichten als ehrenamtliche Richter tätig sein dürfen. d) Jahresbericht
1973 (Schulz)
Der Wehrbeauftragte stellt fest, daß die politischen Aktivitäten linksextremer Organisationen und Gruppen gegen die Bundeswehr auch i m Berichtsjahr 1973 angehalten hätten. Hervorzuheben sei die zunehmende A k t i v i t ä t der K P D / M L und des Kommunistischen Jugendverbandes sowie der Fraktion „Roter Morgen" der K P D / M L . Die Stoßrichtung dieser Bestrebungen ziele deutlich auf eine Zersetzung und Verunsicherung der Streitkräfte von innen. Der Kommunistische Jugendverband habe bereits versucht, sogenannte Basiszellen in den Streitkräften zu bilden 7 4 5 . e) Jahresbericht
1974 (Schulz)
I n seinem letzten Jahresbericht geht der Wehrbeauftragte Schulz noch einmal auf die „Versuche linksextremer Organisationen und Gruppen" ein, „ i n die Streitkräfte hineinzuwirken u n d Soldaten — hier insbesondere die Wehrpflichtigen — zu verunsichern".
742 743 744 745
Jb 1972, S. 29 (30). Jb 1972, S. 31. Ebd. Jb 1973, S. 23 f.
C.III. Jahresberichte des Wehrbeauftragten
231
Er verkenne dabei nicht, daß i n „gleicher Weise rechtsextreme Gruppen versuchen, Staat u n d Gesellschaft Schaden zuzufügen".
Die von diesen Gruppen ausgehenden Aktivitäten richteten sich jedoch „nicht unmittelbar gegen die Bundeswehr, deren Existenz aus rechtsextremer Sicht nicht i n Frage gestellt zu werden brauche, u m die p o l i t i schen Ziele dieser Gruppen durchzusetzen" 746 .
Einen Fall führt der Wehrbeauftragte besonders an: ein Batteriechef hatte einem Soldaten, der Mitglied der D K P war, auf Empfehlung des Militärischen Abschirmdienstes die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlußsachen entzogen. Das Truppendienstgericht hatte dann diese Maßnahme mit der Begründung aufgehoben, die Benachteiligung eines Soldaten allein wegen seiner Mitgliedschaft i n einer vom BVerfG nicht verbotenen Partei verstoße gegen A r t . 3 Abs. 3 und A r t . 5 Abs. 1 Satz 1 GG sowie gegen das Parteienprivileg des A r t . 21 Abs. 2 GG 747 . Der Wehrbeauftragte hält diese Entscheidung des Truppendienstgerichtes für zwar „ i n rechtlicher Hinsicht vertretbar", aber „ i m Ergebnis für unbefriedigend" 748 . f) Jahresbericht
1975 (Berkhan)
Der neue Wehrbeauftragte Berkhan untersucht in seinem ersten Jahresbericht für 1975 wie sein Vorgänger die Aktionen „extremer Gruppen und Organisationen" gegen die Bundeswehr. Er stellt jedoch klar, daß sich i m Rahmen seines gesetzlichen Auftrages seine Prüfung nur so weit erstrecke, als die „Grundrechte der freien Meinungsäußerung u n d der freien Information i m Einzelfall unzulässigerweise eingeschränkt oder Verstöße v o n Soldaten gegen die i h m nach dem Soldatengesetz obliegende Schranke angemessen geahndet w u r d e n " 7 4 9 .
Die meisten extremistischen Aktionen gegen die Bundeswehr seien von Zivilpersonen ausgegangen. Der Jahresbericht nennt ein Beispiel einer „extremistischen Aktion", an der ein Soldat unmittelbar betei746 Jb 1974, S. 48 f. — aber gerade deshalb sind die Bestrebungen rechtsextremer Gruppen u m so gefährlicher, denn sie könnten die Bundeswehr eines Tages für ihre Zwecke mißbrauchen wollen. Auch die Nationalsozialisten waren nicht gegen die Streitkräfte als Institution, sie trachteten sie vielmehr für ihre Zwecke umzugestalten — vgl. oben, 1. Kap. I V 4 u n d V. 747 Jb 1974, S. 47 f. 748 Vgl. auch oben, 2. Kap. Β I I 2 b): wie befürchtet, w i r d hier argumentiert, daß rechtsextreme Betätigung sich j a meist nicht gegen die Bundeswehr u n d deren Sicherheit richte, w o h l aber die Mitgliedschaft i n der D K P sicherheitsgefährdende Momente nahelegte. 749 Jb 1975, S. 16.
232
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
ligt war: ein Leutnant der Reserve habe vor einer Kaserne Exemplare der Zeitung „Rührt Euch" verteilt. Darin seien die Mitglieder des Bundestages, die Bundesregierung, die Bundeswehr und die Vorgesetzten i n verleumderischer und diffamierender Weise angegriffen worden. Das Truppendienstgericht setzte, so der Jahresbericht, den Reserveoffizier in den niedrigsten Mannschaftsdienstgrad herab 750 . g) Jahresbericht
1978 (Berkhan)
Der Wehrbeauftragte stellt, wie schon i m Jahresbericht 1975, fest, „daß die Vorgesetzten m i t A k t i o n e n politisch extremer Gruppen recht gut fertig werden" 7 5 1 .
Die gegen die Bundeswehr und die Wehrbereitschaft gerichteten Umtriebe seien — wie i m wesentlichen auch 1977 — zu etwa 7 °/o rechtsextremistischen, zu etwa 84 %> linksextremistischen und zu etwa 9 % sonstigen Ursprungs gewesen. Aus der Praxis berichtet der Wehrbeauftragte: Ein wehrpflichtiger Stabsarzt, Mitglied des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), hatte in der Münchner Innenstadt mehrere Exemplare einer Druckschrift verteilt, i n der die Bundesrepublik Deutschland und ihre demokratische Grundordnung sowie die Bundeswehr und andere Organe diffamiert und angegriffen wurden. Aufgrund dieses Sachverhalts war zunächst die Versetzung des wehrpflichtigen Stabsarztes in eine weniger sicherheitsempfindliche Verwendung und seine fristlose Entlassung aus der Bundeswehr beantragt worden 7 5 2 . Disziplinar war gegen den Soldaten jedoch nicht eingeschritten worden 753 . Der Wehrbeauftragte kritisiert die angeblich „abwegige" Auffassung des Disziplinarvorgesetzten, eine Disziplinarmaßnahme sei nicht angebracht, da es sich u m einen Überzeugungstäter handele 754 . Dabei hatte der Disziplinarvorgesetzte völlig korrekt festgestellt, daß zwar bei einem Berufs- oder Zeitsoldaten ein disziplinargerichtliches Verfahren mit dem Ziele der Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder zumindest der Dienstgradherabsetzung geboten sein könne 755 , nicht aber bei einem Wehrpflichtigen. Als Begründung für seine abweichende Meinung führte der Wehrbeauftragte an, daß legitimer Zweck der Diszi750
Ebd. Jb 1978, S. 15. 752 Vermutlich aufgrund § 29 Abs. 1 Nr. 6 WPflG. 753 Vgl. Jb 1978, S. 15. 754 Vgl. Jb 1978, S. 16. 755 Vermutlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 3 u. 4 WDO; § 23 Abs. 1 i. V. m. § 8 SG. 751
C.III. Jahresberichte des Wehrbeauftragten
233
plinarmaßnahme die Aufrechterhaltung der Disziplin sein könne. Diese „generalpräventive Zielsetzung" sei von dem Vorgesetzten nicht erkannt worden 756 . M. E. scheint der Wehrbeauftragte hierbei zu verkennen, daß eine Disziplinarmaßnahme ohne schuldhafte Pflichtverletzung — § 23 Abs. 1 SG — nicht verhängt werden kann, auch nicht zu „generalpräventiven" Zwecken. Die Antwort, welche Pflicht der Stabsarzt verletzt habe, bleibt der Wehrbeauftragte schuldig. h) Jahresbericht
1981 (Berkhan)
I n den Jahresberichten nach 1978 geht der Wehrbeauftragte kaum mehr auf den Problemkreis „Extremismus und Bundeswehr" ein. I m Jahresbericht 1981 stellt er fest, daß Soldaten das unbestrittene Recht haben, ihre Meinung öffentlich bei politischen Veranstaltungen zu vertreten, so ζ. B. auch an der großen Friedensdemonstration am 10. Oktober 1981 i n Bonn teilnehmen durften. Der Schutzbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach A r t . 5 Abs. 1 GG und der Versammlungsfreiheit nach A r t . 8 Abs. 1 GG umfasse aber nicht, diese Rechte auch in Uniform auszuüben 757 . Der Wehrbeauftragte kritisiert, m. E. zu Recht, einen Kompaniechef, der einen Soldaten seiner Einheit nach dessen Teilnahme an der Großveranstaltung i n Bonn (Friedensdemonstration) am 10.10.1981 als „linksradikalen Aufsässigen" darstellte 758 . i) Jahresbericht
1983 (Berkhan)
Der Wehrbeauftragte stellt fest 759 : „Wie m i r Kommandeure berichtet haben, hat sich die Masse der Soldaten von der Debatte nicht besonders berührt gezeigt. Bei den i n diesem politischen Bereich interessierten Soldaten gab es Befürworter u n d Gegner der Nachrüstung. Einige bekannten, a k t i v i n der Friedensbewegung mitzuarbeiten. Sie sahen h i e r i n keinen Widerspruch zu i h r e m Dienst."
Er übt aber auch berechtigte K r i t i k an einzelnen Vorgesetzten: „Es ist auch falsch, die Friedensbewegung insgesamt als kommunistisch abzustempeln 7 6 0 ." 756 Jb 1978, S. 16 unter Berufung auf B V e r w G I W B 93/77 — v o m 9.11.1977, ohne daß auf diese Entscheidung u n d dem zugrundeliegenden Sachverhalt eingegangen w i r d . 757 Jb 1981, S.4: Der Wehrbeauftragte konnte sich hierbei auf die neuere Rechtsprechung des B V e r f G stützen — vgl. BVerfG, N Z W e h r r 1979, 173; BVerfG, DVB1.1981,1051. 758 Jb 1981, S. 5. 759 Jb 1983, S. 5 (Randnr. 17).
234
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Insbesondere w i r d der Bundesminister der Verteidigung ermahnt: „bei der dienstrechtlichen Bewertung vergleichbarer Vorfälle einheitliche Maßstäbe anzuwenden. Zumindest unangebracht ist es, Äußerungen, seien sie n u n pro oder kontra Nachrüstung, unterschiedlich zu beurteilen".
Der Wehrbeauftragte widerspricht hiermit allen Tendenzen, die den Soldaten eine Übereinstimmung mit der Wehrpolitik auferlegen wollen. Ob sich ein Soldat persönlich für oder gegen die Regierungspolitik — und sei es auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik — ausspricht, darf i n einer funktionierenden Demokratie keinen Unterschied machen. Eine „Loyalitätspflicht", die dem Soldaten „besondere" Rücksichtnahme auf die Regierungspolitik abverlangte, gibt es nicht 7 6 1 . Der Wehrbeauftragte warnt zu Recht vor einseitiger Beeinflussung der Soldaten: „Denn statt die Soldaten zu integrieren u n d sie i n der übergreifenden gemeinsamen Auffassung von der Verteidigungswürdigkeit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bestärken, richten sie unnötig B a r rieren auf u n d erschweren ihnen die Integration i n die soldatische Gemeinschaft 762 ."
Verfassungstreue der Soldaten lebt erst mit der politischen Meinungsfreiheit der Soldaten. j) Fazit Der Wehrbeauftragte ist als Beschützer der Grundrechte der Soldaten ein „Hüter der Verfassungstreue" der Bundeswehr. Es ist allerdings nicht seine Aufgabe, wie es teilweise in den früheren Jahresberichten den Anschein haben w i l l , sich als eine A r t „Verfassungsschutzbeauftragter" oder gar „Sicherheitsbeauftragter" der Bundeswehr ohne Weisung des Parlaments mit der Extremistenfrage zu befassen, soweit nicht die Grundrechte oder die Grundsätze der „Inneren Führung" betroffen sind 763 . Die Feststellung Oertels 764 für die Jahre bis 1978, daß der Wehrbeauftragte zumindest i n Teilbereichen Vorfällen nachgehe und Vorgänge überprüfe, wo es für ihn von seiner Kon760
Jb 1983, S. 6 (Randnr. 20). Vgl. H.-P. Schneider, unveröffentl. Gutachten zur Treuepflicht der Beamten v o m 12. 9.1982, S. 28. Z u Recht bemängelt der FDP-Bundestagsabgeordnete Feldmann die Stellungnahme des B M V g zum Jb 83, i n der es heißt: „Die Loyalitätspflicht gebietet vor allem Vorgesetzten, deren persönliche Meinung von der geltenden Sicherheitspolitik abweicht, besondere Zurückhaltung" (vgl. Plenarprotokoll 10/88 v. 4.10.1984, S. 6479). 762 Jb 1983, S. 6 (Randnr. 25). 763 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 W b G i. d. F. von 1982 (BGBl. I, S. 678); §2 Abs. 2 Satz 1 W b G i. d. F. v o m 1957 (BGBl. I, S. 642 ff.). 76 4 Oertel, pol. Diss., S. 320. 761
G.IV. Die Verfassungsschutzberichte
235
zeption her gesehen absolut nichts zu untersuchen gebe, ist in diesem Kontext gesehen zutreffend. Die Extremistenfrage spielt allerdings i n den Jahresberichten nach 1978 eine immer geringer werdende Rolle. Der Wehrbeauftragte nimmt vielmehr die Soldaten zunehmend gegen Diffamierungen als „Extremisten" i n Schutz. Als Maßstab kann die vom Wehrbeauftragten Berkhan i m Jahresbericht 1975 gemachte Feststellung gelten, daß sich seine Prüfung i m Rahmen seines gesetzlichen Auftrages nur so weit erstrecke, als die Grundrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit, involviert sind 765 . Der Schutz der Meinungsfreiheit der Soldaten vor Zugriffen durch Vorgesetzte ist nicht nur ein Recht, sondern sogar die Pflicht des Wehrbeauftragten. Die Jahresberichte zeigen, wenn auch sachnotwendig nur in Ausschnitten, wie praktische Fälle in der Bundeswehr gelöst werden und wie sie ein unabhängiger Beobachter beurteilt: der Wehrbeauftragte erhöht damit auch die Transparenz der Rechtspraxis i n der Bundeswehr. Den Ausführungen des Wehrbeauftragten ist zu entnehmen, daß in der Praxis die Frage der Verfassungstreue (dieses Wort w i r d selten gebraucht) und der Extremisten in der Bundeswehr bei wehrpflichtigen Soldaten differenziert betrachtet wird. Man nimmt es dem Anschein nach zwar hin, daß wehrpflichtige Soldaten Mitglieder von zwar extremistischen, aber nicht verbotenen Parteien und Vereinigungen sind, macht ihnen aber, wie i m Fall des Stabsarztes (im Jahresbericht 1978), zum Vorwurf, wenn die Soldaten für diese Organisationen tätig werden. Ob hierin wohl eine Linie zu erkennen ist: Duldung der „bloßen" Mitgliedschaft von wehrpflichtigen Soldaten, Ahndung der Tätigkeit für extremistische Organisationen? Der Wehrbeauftragte, das ist sein besonderes Verdienst, ist einer politischen Disziplinierung der Soldaten i m Sinne der offiziellen Sicherheitspolitik energisch entgegengetreten und hat Mängel publik gemacht. Schon allein deshalb kommt seiner Funktion als „Hüter der Verfassungstreue" eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. IV. Die Verfassungsschutzberichte 1. Die Funktion der Verfassungsschutzberichte
Die vom Bundesministerium des Innern jährlich herausgegebenen Verfassungsschutzberichte sollen die Öffentlichkeit und das Parlament über die Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und 765
Jb 1975, S. 14, vgl. oben unter f).
236
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
Parteien unterrichten. Das BVerfG hält diese Berichte, die es fraglos der „Öffentlichkeitsarbeit des Bundesinnenministeriums" zurechnet 766 , für verfassungsrechtlich unbedenklich 767 : „Soweit daraus für eine Partei faktische Nachteile (bei der Gewinnung von Mitgliedern oder Anhängern) entstehen, ist sie dagegen nicht durch A r t . 21 GG geschützt. Dasselbe g i l t für faktisch nachteilige Auswirkungen, die sich mittelbar aus den dargelegten Schranken, die A r t . 33 Abs. 5 GG für den Zugang zum Staatsdienst u n d für die Belassung i m Staatsdienst aufrichtet, ergeben."
Für Soldaten und Soldatenbewerber muß entsprechend der Grundlage ihrer Verfassungstreuepflicht — A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 33 Abs. 4, 79 Abs. 3 GG 7 6 8 (nicht A r t . 33 Abs. 5 GG) — das Gleiche gelten. Dabei ist jedoch — ebenso wie i m Fall der Beamten und Beamtenbewerber — darauf zu achten, daß mit Rücksicht auf den „hohen Rang der Personenwürde" 769 die Veröffentlichung von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, die Aufschluß über Einzelpersönlichkeiten geben können, in der Regel nicht zulässig sein dürfte 7 7 0 . Während die Jahresberichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages eine Darstellung der Tätigkeit des Wehrbeauftragten und ein Lagebild über Grundrechte und innere Führung der Bundeswehr abgeben sollen, informieren die Verfassungsschutzberichte über verfassungsfeindliche Aktivitäten aus ihrer inhaltlichen Bestimmung heraus. Hinsichtlich extremistischer Aktivitäten i n der Bundeswehr verfügt das Bundesministerium des Innern allerdings nur über mittelbare Informationen, da für nachrichtendienstliche Erkenntnisse innerhalb der Bundeswehr nicht das dem Innenministerium zugeordnete Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern der dem Bundesminister der Verteidigung unterstehende Militärische Abschirmdienst (MAD) zuständig ist 771 . Eine detaillierte Weitergabe von Informationen des M A D für die Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht wäre angesichts des Rechtes auf „informationelle Selbstbestimmung" (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. A r t . 1 Abs. 1 GG) 772 mit Sicherheit unzulässig, insbesondere dann, wenn Rückschlüsse auf einzelne Personen gezogen werden könnten. 766 BVerfGE 40,287 (292). 767
Vgl. BVerfGE 39,334 (360). Vgl. oben, 2. Kap. A I I I . 769 A r t . 1,2 GG. 770 Vgl. H.-P. Schneider, Der Verfassungsschutz, S. 108 f.; die Achtung vor dem Persönlichkeitsrecht muß nach dem Volkszählungsurteil noch ernster genommen werden — vgl. BVerfGE. 771 Vgl. zum M A D oben, 2. Kap. A I V 2 d). 772 Vgl. BVerfG-Entscheidung zum Volkszählungsgesetz v o m 15.12.1984 — DVB1. 1984,128 ff. 768
237
C.IV. Die Verfassungsschutzberichte 2. Die Verfassungsschutzberichte von 1978 bis 1983
Die Verfassungsschutzberichte enthalten zahlenmäßige Übersichten über „Extremisten" i m öffentlichen Dienst 773 . Hierzu muß vorausgeschickt werden, daß das hierbei angewandte K r i t e r i u m des „Extremismus", die Mitgliedschaft in als „extremistisch" bezeichneten Vereinigungen wie D K P oder NPD, kein Maßstab für die Verfassungstreue sein kann. Verfassungstreue von Soldaten zeigt sich i n erster Linie in ihrem dienstlichen Verhalten. Wie wenig umgekehrt die Nichtmitgliedschaft i n der NSDAP Aufschluß geben konnte, zeigte sich i n der Weimarer Republik, als den Soldaten jegliche Parteimitgliedschaft verboten war. Selbst i m „Dritten Reich" durften Soldaten i. d. R. keine Parteimitglieder sein 774 . Gegenüber der Bezeichnung „Extremisten" i n der folgenden Aufstellung muß ein Vorbehalt gelten: a) Rechtsextremisten Rechtsextremisten i m Bundes-, Landes- u n d Kommunaldienst sowie öffentlich-rechtlichen Körperschaften u n d Anstalten
hiervon Bundesdienst
hiervon Bundeswehr
hiervon Soldaten*
1978
427
218
92
64
1979
389
196
88
53
1980
362
183
87
62
1981
339
159
71
46
1982
293
127
49
46
1983
280
113
43
21
* Berufs- und Zeitsoldaten (Wehrpflichtige sind in den neueren Verfassungsschutzberichten nicht erfaßt). Der Verfassungsschutzbericht von 1973, S. 15, hatte nodi Wehrpflichtige mitgezählt.
773 Ausgewertet w u r d e n i m folgenden die „Ubersicht i n Zahlen" unter den jeweiligen Abschnitten i n den Verfassungsschutzberichten über Rechtsextremisten u n d Linksextremisten. I m Verfassungsschutzbericht 1983 wurden u n ter I I 4.1 zu den 2299 „Linksextremisten" i m öffentlichen Dienst gezählt: D K P und SEW, Nebenorganisationen v o n D K P u n d SEW, von D K P u n d SEW beeinflußte Organisationen u n d „Neue L i n k e " . Z u den 280 „Rechtsextremisten" i m öffentlichen Dienst werden i m Verfassungsschutzbericht 1983 unter I I 4.1 gezählt: NPD und „sonstige Rechtsextremisten". 774 Vgl. oben, 1. Kap. V 2.
238
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
b) Linksextremisten Linksextremisten i m Bundes-, Landes- u n d Kommunaldienst sowie öffentlich-rechtlichen Körperschaften u n d Anstalten
hiervon hiervon Bundesdienst Bundeswehr
hiervon Soldaten*
1978
2309
271
20
Nur Zeitsoldaten
1979
2454
267
10
Nur Zeitsoldaten
1980
2360
262
15
?
1981
2360
242
17
?
1982
2362
246
10
8 Zeitsoldaten
1983
2299
225
11
9 Zeitsoldaten
* Berufs- und Zeitsoldaten (Wehrpflichtige sind in den neueren Verfassungsschutzberichten nicht erfaßt). Der Verfassungsschutzbericht von 1973, S. 15, hatte noch Wehrpflichtige mitgezählt.
c) Fazit Die Verfassungsschutzberichte beanspruchen selbst keine Vollständigkeit, ihre Zahlenangaben gelten „soweit bekannt" 7 7 5 . Ein weiterer Vorbehalt muß gegenüber den Verfassungsschutzberichten gelten: als „Extremisten" bezeichnen sie Mitglieder einer Anzahl als „extremistisch" qualifizierter Vereinigungen. Sie geben keine Auskunft über evtl. „Extremisten" ohne Mitgliedsbuch oder das Verhalten der M i t glieder. Dennoch können die Übersichten unter diesen Prämissen Aufschluß über gewisse Tendenzen der letzten Jahre geben: — Die Zahl der „Extremisten" i m Bundesdienst geht, trotz Schwankungen, tendenziell zurück, — insgesamt überwiegen zahlenmäßig i m öffentlichen Dienst „Linksextremisten" die „Rechtsextremisten" bei weitem.
die
— I m Bundesdienst ist das Verhältnis dagegen längst nicht so kraß. Die „Rechtsextremisten" sind i m Bundesdienst verhältnismäßig stärker vertreten als i m übrigen öffentlichen Dienst. — I n der Bundeswehr (ohne Wehrpflichtige) überwiegt die — wenn auch geringe — Zahl der „Rechtsextremisten" die der „Linksextrem 775
Vgl. Verfassungsschutzbericht 1980, S. 19.
C.V. Transparenz der Rechtsprechung
289
misten" bei weitem. Dies gilt auch, wenn man nur Zeit- und Berufssoldaten betrachtet, nicht aber die Zivilbediensteten. Es scheint keine „linksextremistischen" Berufssoldaten zu geben, wohl aber Berufssoldaten, die „rechtsextremistischen" Organisationen angehören. — Insgesamt ist die Zahl der „extremistischen" Beschäftigten in der Bundeswehr nur gering. Dennoch w i r d der Verbleib einer Anzahl von „Rechtsextremisten" als Zeit- und sogar als Berufssoldaten i n der Bundeswehr offenbar geduldet. Die Verfassungsschutzberichte sollten nicht den Blick dafür verstellen, daß es bei Verfassungsschutz und Verfassungstreue u m weit mehr geht als die Extremistenfrage. Wesentlich für die Lebenskraft unserer Verfassung ist die Erfüllung und Befolgung der Verfassungsgebote i m täglichen Dienstgeschäft, insbesondere die Achtung der Grundrechte der Soldaten, allen voran der Menschenwürde. Hieran läßt sich besser als an einer formalen Parteimitgliedschaft ablesen, ob der Soldat auch i m Krisenfall zur Verfassung steht, oder Freiheit und Demokratie zugunsten einer autoritären Ordnung aufgeben wird.
V . Transparenz der Rechtsprechung
Für disziplinargerichtliche Verfahren gegen Soldaten wegen Verletzung der Verfassungstreuepflicht (§8 SG) und für Verfahren über diesbezügliche Beschwerden von Soldaten sind nach § 62 WDO die Truppendienstgerichte (§§ 63 bis 72 WDO) und die beiden Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts (§ 73 WDO) zuständig. Gegen die Ablehnung eines Bewerbers als Berufs- oder Zeitsoldat wegen behaupteter mangelnder Gewähr der Verfassungstreue (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 SG) oder bei der Sicherheitsprüfung erhobener Bedenken ist über §42 VwGO (Anfechtungsklage) der allgemeine Verwaltungsrechtsweg gegeben 776 . Gemessen an der großen Zahl beamtenrechtlicher Entscheidungen zur Verfassungstreuepflicht nimmt sich jedoch eine Aufstellung einschlägiger Entscheidungen i m Wehrrecht seit den „Soldatenbeschlüssen" des BVerfG von 1970777 bescheiden aus: eine veröffentlichte Entscheidung der allgemeinen Verwaltungsgerichte i m Zusammenhang mit der Ablehnung eines Bewerbers wegen mangelnder Verfassungstreue ist überhaupt nicht bekannt 7 7 8 . Lange Jahre gab es keinen ver776 So für Beamte ausdrücklich BVerfGE 39, 334; für Berufs- und Zeitsoldaten k a n n nichts anderes gelten. 777 BVerfGE 28, 36, 51.
240
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
öffentlichten Fall, in dem § 8 SG als maßgebliche Norm der Entscheidung eines Truppendienstgerichtes oder der Wehrdienstsenate des BVerwG zugrunde gelegt worden wäre. Erst mit dem NPD-Urteil des BVerwG von 1983779 w i r d mit dieser „Tradition" gebrochen. I h m folgte das Urteil des BVerwG vom 24.1.1984 780 , das Verfassungstreue und Achtung vor dem Menschen in einen engen Zusammenhang stellte. Bis dahin spielten § 8 SG oder allgemeine Verfassungstreueerwägungen oft nur ergänzend oder in einem obiter dictum eine Rolle 781 . Warum kam der Gedanke der Verfassungtsreue i m Wehrrecht so lange nicht zum Tragen? Zweierlei könnte der Fall sein: a) man arbeitete i n der wehrrechtlichen Praxis selten mit der Verfassungstreuepflicht, und/oder b) einschlägige Entscheidungen kamen nicht zur Veröffentlichung. Es ist das besondere Verdienst der „Neuen Zeitschrift für Wehrrecht" (NZWehrr), für ein gewisses Maß an Transparenz in der Rechtsprechung zu sorgen. 1982 und 1983 standen in der NZWehrr:
B V e r w G (Wehrdienstsenate) Truppendienstgerichte Nord/Süd/Mitte Sonstige Gerichte, u. a. B V e r w G (ohne Wehrdienstsenate), Verwaltungsgerichte, Allgemeine Gerichte
1982
1983
21 Entscheidungen
21 Entscheidungen
1 Entscheidung
3 Entscheidungen
12 Entscheidungen
10 Entscheidungen
Die Zeitschrift „Truppenpraxis", die vor allem an eine Leserschaft innerhalb der Bundeswehr gerichtet ist, veröffentlicht unter Betreuung von Weidinger i. d. R. monatlich eine Entscheidung (1982: 11 Entscheidungen, 1983: 12 Entscheidungen). Die Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts widmet i n mehrjährigen Abständen einen Band besonders der Rechtsprechung der Wehrdienstsenate 782 . Schließ778 Z u m Entzug eines Sicherheitsbescheides während des Berufssoldatenverhältnisses s. oben, NPD-Beschluß des B V e r w G von 1973, ZBR 1973, 276 ff. 779 BVerwG, NZWehrr 1984, 39, bisher n u r i n Leitsätzen veröffentlicht. 780 BVerwG, N Z W e h r r 1984, 167. 781 Vgl. hierzu B V e r w G E 43, 9 ff.; 2112 ff. (2113). 782 Wehrrechtliche Bände sind: B V e r w G E 43; B V e r w G E 63; zur Rechtsprechung des B V e r w G erscheinen auch die an eine begrenzte Anzahl von Beziehern verschickten „Dokumentarischen Berichte aus dem Bundesverwaltungsgericht".
C.V. Transparenz der Rechtsprechung
241
lieh erscheinen i n der „Neuen Juristischen Wochenschrift" (NJW), dem „Deutschen Verwaltungsblatt" (DVB1.), der Zeitschrift „Die öffentliche Verwaltung" (DÖV) und der „Zeitschrift für Beamtenrecht" (ZBR) h i n und wieder wehrrechtliche Entscheidungen. Die Gesamtzahl (veröffentlichter und unveröffentlichter) Entscheidungen der Truppendienstgerichte und der Wehrdienstsenate des BVerwG ist nicht gering. Das Bundesministerium der Verteidigung stellte auf Anfrage des Verfassers am 26. 6.1984 folgende Aufstellung zur Verfügung (s. S. 242 und 243). I m Ergebnis erscheint die Zahl der veröffentlichten Entscheidungen der Wehrdienstsenate des BVerwG (NZWehrr 82: 21, NZWehrr 1983: 21) i m Vergleich zu den durch Urteil oder Beschluß insgesamt erledigten Verfahren (1981: 193, 1982: 151, 1983: 162) angemessen. Hilfreich für eine bessere Transparenz der wehrrechtlichen Praxis wäre es jedoch, wenn über die große Zahl der truppendienstgerichtlichen Entscheidungen (1981: 572 Urteile, 9911 Beschlüsse; 1982: 599 Urteile, 8493 Beschlüsse; 1983: 674 Urteile, 8083 Beschlüsse) etwas häufiger Veröffentlichungen erscheinen würden (NZWehrr 1982: 1; NZWehrr 1983: 3). Das BVerwG stützt Entscheidungen offenbar erst neuerdings auf die Verfassungstreuepflicht des § 8 SG 783 . A l l e i n die Tatsache, daß sich das BVerwG in seinem Urteil vom 24.1.1984 auf keine weiter als 1983784 zurückliegende Entscheidung des BVerwG selbst berufen kann, legt die Vermutung nahe, daß bis dahin eben nicht mit der Verfassungstreuepflicht gearbeitet wurde. I n disziplinarrechtlicher Praxis scheint bis dahin die Verfassungstreuepflicht nur selten als entscheidungsrelevant herangezogen worden zu sein. Diese Feststellung klingt auch i n der Stellungnahme des Verfassungsrichters Rottmann 785 an, wenn er in einem Sondervotum schreibt: „Schließlich w i r d dem Beschwerdeführer nicht zum V o r w u r f gemacht, daß er die Unterschriftenliste an den k o m m u n i s t i s c h e n B u n d Westdeutschland 4 weitergeleitet habe oder daß i h m die Veröffentlichung der Solidari783 So i n den beiden Entscheidungen des 2. Wehrdienstsenates v o n 1983 u n d 1984, BVerwG, N Z W e h r r 1984, 29; 1984, 167. 784 Es stützt sich — außer auf BVerfGE 28, 36 — auf die Urteile des B V e r w G selbst, v o m 20.6.1983 — 2 W D 11/82 u n d v o m 1.6.1983 — 2 W D 48/82. 785 Sondervotum zum Beschluß des BVerfG v o m 2.3.1977, N J W 1977, 2205; i n diesem F a l l verhängte ein Disziplinarvorgesetzter einen Disziplinararrest von 14 Tagen, w e i l der betroffene Soldat einem Kameraden eine „Solidaritätsadresse" v o n Soldaten einer Kaserne an die Kaiserstühler Bevölkerung zur Unterschrift vorgelegt hatte. I n der „Solidaritätsadresse", die später von der „Kommunistischen Volkszeitung" abgedruckt wurde, erklärten sich die Soldaten u. a. solidarisch m i t dem Widerstand gegen den Bau des A t o m k r a f t werks i n W y h l .
16 Cuntz
585
—
674
1024
1099
695
202
158
12
1083
146
44
127
941
9
647
5
878
4
236
174
271
608
588
46
44
55
562
544
555
610
77
55
34
159
119
168
— — — — — — — —
255
262
8080
36
47
38
219
215
233
1983
FL
6039
6598
7868
6249
6832
167
210
234
212
GL
1982
1981
ASL BLc
— — — — — — — —
956
—
8
davon BLb
— — — — — — — —
599
—
BL ideile insges. Β La
1 84
1 86 186 — — 80
176 —
— — 79
1983
1982
1981
1983
1982
8
2
1981
Jahr
1981
— —
40 — — 72
43 —
6
AL
— —
50 — — 73
146
133
117 — —
WL
1983
1982
2. K a p i t e l : V e r f a s s u n g s t r e u e i m g e l t e n d e n R e c h t
Erläuterung: VL = disziplinargerichtliche Verfahren u. Feststellungsverfahren — BL = Beschwerdesachen; BLa = Wehrbeschwerdesachen; BLb = Disziplinararrestbesch werdesachen; BLc = sonstige Disziplinarbeschwerdesachen — ASL = Disziplinararrestsachen — GL = Antragsverfahren und sonstige richterliche Entscheidungen — FL = richterliche Untersuchungsverfahren — WL = Wiederaufnahmeverfahren — AL = Allgemeine u. Rechtshilf esadien
erledigt
Insgesamt
Art
c) auf andere
b) Beschluß
a) Urteil 572
Erledigung durch
VL
Geschäftsnachweis der Truppendienstgeridite für die Zeit vom 1.1.1981 bis 31.12.1983 242
16*
243
19
15
2
242
—
—
1
—
43
35
65
96
—
3
100
41
13
„„ 1
—
40
45
7
—
—
14
10
7
1
-
—
—
7
1
3
46
4
144
—
—
—
144
165
1
61
79
1982
15
13 „
2
1
1983
1981
18
1982
Jahr erledigt
1983
1981
1983
1982
1981
1983
1982
1981
^g^f Rücknahme Auf andere Weise
andere
Besdiluß
Erledigung durch
8
—
10
113
2
1
4
4
UrteU
87
249
20
Vorlagen und Beschwerden nach der WDO VBL
Verfahren nach der WBO WBL
1
70
98
annangig
Wiederaufnahmeverfahren WAL
Berufungsverfahren BL
Art der Verfahren ^^
Geschäftsnachweis des BVerwG — Wehrdienstsenate — für die Zeit vom 1.1.1981 bis 31.12.1983
C.V. Transparenz der Rechtsprechung 243
244
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
tätsadresse i n der »Kommunistischen Volkszeitung' . . . Wenn der Disziplinarvorgesetzte etwa der Auffassung war, der Beschwerdeführer betätige sich für eine verfassungsfeindliche politische Organisation und verletze seine Pflicht, für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzutreten (§ 8 SG), so hätte er die dafür sprechenden Tatsachen ermitteln u n d zum Gegenstand des Disziplinarverfahrens machen müssen."
Es mag dahingestellt bleiben, warum die Verfassungstreuepflicht i n der Praxis der Rechtsprechung bis 1983 so selten zum Vorschein kam, ob man etwa bei Soldaten auf die Verfassungstreuepflicht weniger Wert legte als bei Beamten, ob man die Verfassungstreue wegen des Wortes „anerkennen" i m § 8 SG (statt „bekennen") nur als formale und letztlich unverbindliche Pflicht ansah, oder ob eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht nur schwer nachweisbar war. Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß die Verfassungstreuepflicht i n der wehrrechtlichen Praxis lange Zeit als Rechtsnorm weitgehend unberücksichtigt blieb. Ob die beiden neueren Entscheidungen des BVerwG 7 8 6 eine allgemeine Trendwende bedeuten, bleibt abzuwarten. Sie legen jedoch den Grund für die Entwicklung einer bewußteren Anwendung des Verfassungstreuegedankens i m Wehrrecht.
VI. Sonstige öffentlich zugängliche Informationen Die Bundesministerien des Innern und der Verteidigung geben i n ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich Informationen je nach Anfall an die Presse oder nehmen Stellung bei parlamentarischen Anfragen oder Diskussionen. Die darin enthaltenen Aussagen können, da sie sich nur verstreut und unregelmäßig i n den Medien finden, nicht annähernd erschöpfend ausgewertet werden. Folgende Informationen, die für die Bewertung der Praxis bedeutsam sind, sollen jedoch festgehalten werden: 1. Verbot der ANS
Ende 1983 wurde die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten" (ANS) vom Bundesinnenministerium verboten. I h r Leiter, Michael Kühnen, gehörte früher als Leutnant der Bundeswehr an, aus der er entlassen wurde 7 8 7 . Die ANS (mit ihren ca. 270 Mitgliedern) verstand sich als Gemeinschaft „politischer Soldaten" 788 , ähnlich wie die schon früher verbotene „Wehrsportgruppe Hoffmann" 7 8 9 . Der Begriff „politische Sol786
B V e r w G , N Z W e h r r 1984, 39; 1984, 167. Vgl. Verfassungsschutzbericht 1978, S. 31. 788 Vgl. D. Strothmann, in: „Die Zeit" v o m 9.12.1983, S. 6. M i t der A N S verbunden ist die A A R — A k t i o n Ausländerrückführung — Volksbewegung gegen Überfremdung u n d Umweltzerstörung." 787
245
C.VI. Sonstige Informationen
daten" weist auf ein irreführendes Selbstverständnis dieser Gruppe hin. Auch die Bundeswehr muß vor gefährlichen Rechtsextremisten, wie das Beispiel Kühnen zeigt, geschützt werden. Sie hat rechtsstaatliche M i t t e l und Wege, sich deren Aktivitäten zu erwehren. 2. Fragestunde des Bundestages am 30.11.1983
Der Parlamentarische Staatssekretär i m Bundesministerium der Verteidigung, Würzbach, antwortete i n der Fragestunde des Bundestages am 30.11.1983 auf eine Reihe von parlamentarischen Fragen und Zusatzfragen i m Zusammenhang mit der politischen Betätigung von Soldaten 790 . Neben dem Uniformverbot bei politischen Veranstaltungen, Betätigung von Soldaten i n Kommunalparlamenten u. ä., ging es vor allem u m die Beurteilung von Berufs- und Zeitsoldaten, die sich gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen i n der Bundesrepublik Deutschland wenden. Er stellte dabei klar, daß Soldaten keine Nachteile daraus erleiden dürften, daß sie eine von der Regierungspolitik abweichende Meinung zu diesem Thema vertreten. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Heyenn (SPD) richtete sich darauf, ob gegen die Unterzeichner des „Darmstädter Signals" m Ermittlungen wegen Verdachts eines Dienstvergehens eingeleitet wurden. Frage Heyenn: „ H e r r Staatssekretär, sind Sie i n der Lage mitzuteilen, aufgrund welcher A k t i v i t ä t e n der Unterzeichner dieses ,Darmstädter Signals' die E r m i t t l u n gen eingeleitet wurden?"
Antwort Würzbach: „ W e i l die Vorgesetzten einiger dieser Soldaten die Meinung hatten, daß möglicherweise ein Verstoß gegen die genannten Paragraphen (Anm. Verfasser: u n k l a r welche) des Soldatengesetzes betreffend die politische Betätigung vorliegt, waren sie verpflichtet, diese Meinung durch Aufnahme einer formellen Überprüfung zu prüfen 7 9 2 ."
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus (SPD) Schloß sich an: „ H e r r Staatssekretär, i n unmittelbarem Zusammenhang m i t der Frage des Kollegen Heyenn möchte ich Sie fragen, ob und, w e n n j a , wie viele E r m i t t lungsverfahren gegen Soldaten der Bundeswehr, die i n U n i f o r m an den 789
870 ff.
Z u m Verbot der „Wehrsportgruppe
Hoffmann"
B V e r w G , DÖV 1981,
790 Protokoll der 39. Sitzung des Deutschen Bundestages i n 10. WP, Stenographischer Bericht, S. 2677—2683. 791 Das „Darmstädter Signal" ist ein „ v o m Obergefreiten bis zum Oberst reichender Bundeswehr-Arbeitskreis" (vgl. Fritz J. Raddatz, i n „Die Zeit" v o m 24.2.1984, S. 45), der sich u. a. gegen die Stationierung v o n M i t t e l s t r e k kenraketen aussprach. 792 Protokoll der 39. Sitzung am 30.11.1983, S. 2680.
246
2. Kapitel: Verfassungstreue i m geltenden Recht
großen Demonstrationen am 22. Oktober teilgenommen haben, eingeleitet sind."
Antwort Würzbach: „ H e r r Kollege, das müßte ich zusammenstellen lassen. Die Zahl ist so unbedeutend, daß ich sie nicht i m Kopf habe. Wäre sie groß, wäre sie m i t Sicherheit i n der Leitung des Ministeriums häufiger bewegt worden. Ich möchte aber jetzt bitten, hier noch einmal zwei Dinge anzusprechen: Das eine ist folgendes: w i r benutzen das Wort, das der Kollege prägte, Ermittlung. Das ist eine disziplinarische Würdigung des untersten m i l i t ä r i schen Vorgesetzten, des Chefs, des Kommandeurs, der p r ü f t u n d abwägt u n d etwas t u t oder nicht tut. Ich möchte das noch einmal aussprechen, w e i l das etwas anders zu gewichten ist als andere Dinge, über die w i r uns i m Augenblick unterhalten. Bezogen auf Ihre Frage betreffend die großen Demonstrationen möchte ich hier sehr w o h l mitteilen, daß w i r Beobachtungen haben, daß nicht alle aktive Soldaten gewesen sind, die w i r über die Bildschirme i m Fernsehen an solchen Demonstrationen gesehen haben, sondern daß zuweilen, w o h l präpariert u n d organisiert, Uniformen ausgegeben wurden, die m a n sich anzog, u m vor der Öffentlichkeit so zu tun, als w ü r d e n hier zahlenmäßig stark auch Soldaten teilnehmen 7 9 3 ."
Auszugsweise soll hier noch die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs auf eine Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann (SPD) festgehalten werden: „Wenn sich ein Soldat politisch betätigt, in welcher demokratischen Partei auch immer, dann hat der Disziplinarvorgesetzte seines Verbandes überhaupt nichts zu unternehmen. Überhaupt nichtsI Das b r i n g t für den Soldaten weder Vorteile noch Nachteile m i t sich. Dagegen ist der Vorgesetzte i n Einzelfällen bei einem bestimmten Verhalten i n irgendwelchen Situationen, für die ich keine hypothetischen Bilder malen möchte, gerufen, disziplinar zu würdigen, ob ein Verstoß vorliegt oder nicht 7 9 4 ."
Schließlich auszugsweise die Antwort auf die Frage des Abgeordneten Kirschner (SPD): „ H e r r Kollege Kirschner, das Grundrecht der freien Meinungsäußerung — w i r sind i n den Bereich eben schon sehr w e i t hineingegangen — nach Art. 5 des Grundgesetzes gilt für alle Soldaten der Bundeswehr wie für jeden anderen Staatsbürger. Es enthält für den Soldaten die Möglichkeit zur p o l i tischen Betätigung u n d Teilnahme an der politischen Meinungs- u n d W i l lensbildung. Soldaten dürfen dabei ihre politische Meinung auch zu sicherheitspolitischen Fragen frei äußern, selbst dann, wenn ihre Meinung von der Auffassung der Bundesregierung abweicht. Ihre staatsbürgerlichen Rechte sind allein durch die gesetzlich begründeten soldatischen Pflichten im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes zulässigerweise eingeschränkt 7 9 5 ." 793
Ebd. Protokoll der 39. Sitzung am 30.11.1983, S. 2681. 795 Zur Meinungsfreiheit B V e r f G N J W 1977, 2205. Das BVerfG stellte i n dieser Entscheidung fest, daß auch § 15 Abs. 2 SG keine bestimmte politische Meinung verbietet. 794
C.VI. Sonstige Informationen
247
Die Fragestunde des Bundestages, das zeigt sich auch an diesem Fall, ist ein wichtiges Mittel zur Sicherung der politischen Kontrolle der Streitkräfte und ihrer verfassungsgemäßen inneren Ordnung. 3. Beobachtung durch die DDR
Die DDR, deren eigene Verhältnisse i m dritten Kapitel noch untersucht werden sollen, beobachtet genau, was sich i n der Bundeswehr ereignet. Eine Meldung der DDR-Nachrichtenagentur A D N ν. 3. 7. 84 soll hier festgehalten werden: „ E i n Gefreiter der Bundeswehr (erhielt) v o r wenigen Tagen ein Schreiben seines Kompaniechefs, i n dem eine Unterstützung der D K P als Verstoß gegen das Soldatengesetz bezeichnet w i r d . Setze sich ein Soldat a k t i v für die politischen Ziele der D K P ein, so müsse er m i t »disziplinaren Folgen' rechnen. A u f Anfragen bestätigte ein Sprecher des BRD-Verteidigungsministeriums die Existenz einer solchen Dienstanweisung unter der Bezeichnung G 1 — Hinweis Nr. 3/84 v o m 30. A p r i l dieses Jahres. Sie basiere auf den i n jüngster Zeit gefällten Grundsatzurteilen des Bundesverwaltungsgerichtes. Dieses Gericht hatte bekanntlich vor wenigen Wochen i n einer Grundsatzentscheidung das Berufsverbot gegen den Stuttgarter Postbeamten Hans Meister wegen dessen Mitgliedschaft i n der D K P verhängt 7 9 6 ."
Die Rechtstellung der Soldaten der Bundeswehr w i r d hier einseitig und verzerrt dargestellt. Wie es mit den Verhältnissen i n der DDR selbst aussieht, soll i m folgenden, rechtsvergleichenden Kapitel untersucht werden.
796
A D N - M e l d u n g aus Bonn v o m 3. 7.1984.
Drittes
Kapitel
Die Verfassungstreue der Soldaten in den Rechtsordnungen ausgewählter westlicher Demokratien und der DDR I . Einleitung
Zu den wichtigen rechtsvergleichenden Neuerscheinungen der letzten Jahre gehören die von Böckenförde / Tomuschat / Umbach 1 und Doehring 2 zusammen mit anderen Verfassern herausgegebenen Untersuchungen über die Verfassungstreue und die Extremistenfrage i m öffentlichen Dienst einer Reihe von Staaten. Die von Böckenförde / Tomuschat / Umbach betreute Studie befaßt sich mit dem Dienstrecht in Belgien, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Niederlanden, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz, USA, Jugoslawien und der Europäischen Gemeinschaft. Die von Doehring u. a. vorgelegte Arbeit behandelt die Frage der Verfassungstreue i n Belgien, England, Frankreich, Italien, Niederlande, Schweden, der Schweiz und der DDR. Beide i n ihrer rechtspolitischen Zielsetzung offensichtlich i n verschiedene Richtungen gehende Werke 3 befassen sich i n erster Linie mit den Rechtsverhältnissen der Beamten. Das Wehrrecht w i r d nur am Rande behandelt. Eine Grundlinie kann Tomuschat allerdings festhalten: 1
Emst-W. Böckenförde, Christian Tomuschat, Dieter C. Umhach (Hrsg.), Extremisten u n d öffentlicher Dienst, Baden-Baden 1981. 2 Karl Doehring u. a.: Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst europäischer Staaten, B e r l i n 1980. 3 Die rechts vergleichende Analyse von Böckenförde / Tomuschat / Umbach wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert u n d steht unter der L e i t linie „den Blick nicht allzusehr auf die spezifischen Regelungen über den Z u gang zum öffentlichen Dienst zu verengen, sondern ein weiteres verfassungsrechtliches Umfeld miteinzubeziehen". Sie k o m m t zu dem Schluß, daß „fast alle Rechtsordnungen versuchen, Verfassungstreue oder Sicherheitsgewähr amtsbezogen zu definieren, anstatt v o m starren Begriff des einheitlichen öffentlichen Dienstes auszugehen". (Wie i n der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Rechtssprechung des BVerfG.) — Vgl. Tomuschat, Rechtsvergleichende Analyse, in: Böckenförde / Tomuschat / Umbach: Extremisten, S. 647 u. 681; Doehring stellt dagegen i m Gesamtbericht über die rechtsvergleichenden Untersuchungen fest, daß der „Unterschied zur Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland mehr i m verbalen Ausdruck zu finden ist als i n der Sache selbst". — Vgl. Doehring, Gesamtbericht, in: Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst europäischer Staaten, S. 15.
I I . Frankreich
249
„Besonders strikte Regeln gelten durchweg für die Angehörigen der Polizei u n d der Streitkräfte 4 ."
Die vorliegende Arbeit w i l l aufbauend auf den beiden rechtsvergleichenden Studien versuchen, i n wenigen Schwerpunkten die Stellung der Soldaten in den Rechtsordnungen einiger ausgewählter westlicher Staaten und der DDR zu beleuchten, u m einen zusätzlichen Maßstab für die Beurteilung der Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen. Folgende Länder wurden ausgewählt: Frankreich, Großbritannien und die USA als Beispiele großer, traditionsreicher westlicher Demokratien; Spanien und Portugal als Staaten, die — bei einer relativ eigenständigen Rolle der Streitkräfte — erst i n jüngerer Zeit wieder auf unterschiedliche Weise i n die Demokratie gefunden haben. Schließlich die DDR als zweiter Staat i n Deutschland, der aus der gemeinsamen deutschen Geschichte hervorgehend einen ganz anderen Weg genommen hat als die Bundesrepublik Deutschland. I I . Frankreich 1. Historischer Hintergrund
Die Rechtsgedanken der französischen Revolution hatten einen maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung des Verfassungsrechts und des Gedankens der Verfassungstreue i m Deutschland des 19. Jahrhunderts 5 . Das Verhalten der französischen Streitkräfte war von entscheidender Bedeutung für den Verlauf der Revolution gehalten worden. Eine der Aufgaben der verfassungsgebenden Versammlung (Constituante) i n den ersten Revolutionsjahren (noch unter formeller Herrschaft des Königs) war es gewesen, die Armee in die neue politische Ordnung einzugliedern und eine Einmischung der Armee i n die Politik zu verhindern 6 . Nur auf Aufforderung der bürgerlichen Autorität sollte die bewaffnete Macht einschreiten und Hilfe leisten. Nur diesen Behörden sollten die Offiziere für sich und an der Spitze ihrer Soldaten den Eid leisten, treu zu bleiben der Nation, dem Gesetz und dem König 7 . Ein anderes Dekret erklärte, daß die Truppen nicht mehr „vive le roi", sondern „vive la nation, la loi et le roi" rufen sollten 8 . Die Armee sollte 4 Vgl. Tomuschat, Rechtsvergleichende Analysen, in: Böckenförde u. a.: E x tremisten, S. 647 ff. (667). 5 Vgl. oben, 1. Kap. I 2. 6 Vgl. Bergsträßer, Staat u n d Wirtschaft Frankreichs, Nr. 7: Das Heer; Carl Richter, Staats- u n d Gesellschaftsrecht der französischen Revolution von 1789 bis 1804, B e r l i n 1865. 7 Decret v o m 23.10.1790 — vgl. bei Richter, S. 501. 8 Decret v o m 10.-14. 8.1789 — vgl. bei C. Richter, S. 501; Bluntschli, A l l g e meines Staatsrecht, Stuttgart 1876, S. 223 berichtet von einer Jugendbegeben-
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
250
u r s p r ü n g l i c h ü b e r h a u p t n i e i m I n n e r n , n u r gegen äußere F e i n d e v e r w e n d e t w e r d e n . D e r Soldat sollte B ü r g e r des Staates b l e i b e n u n d die G r u n d r e c h t e desselben auch i m Dienste genießen 9 . G r u n d r e g e l z u r S i c h e r u n g d e r L o y a l i t ä t der A r m e e w a r das berationsverbot",
„Deli-
das i n seiner klassischen F o r m u l i e r u n g e r s t m a l s i m
Gesetz ü b e r E i n r i c h t u n g , Z u s a m m e n s e t z u n g u n d P f l i c h t e n d e r S t r e i t kräfte
v o m 1 4 . 9 . 1 7 9 1 noch u n t e r n o m i n e l l e r H e r r s c h a f t
des K ö n i g s
erschien 1 0 u n d d a n n i n die m e i s t e n französischen V e r f a s s u n g e n 1791 bis 1848 a u f g e n o m m e n w u r d e
11
von
:
„ L a force armée est essentiellement obéissante; n u l corps armé ne peut délibérer 1 2 ." I m g e l t e n d e n Recht f i n d e t
das D e l i b e r a t i o n s v e r b o t
bei aller
Fort-
e n t w i c k l u n g des p o l i t i s c h e n K o n t e x t e s noch i m m e r A n w e n d u n g , auch w e n n es n i c h t m e h r i n d e r geschriebenen V e r f a s s u n g v o n 1958 s t e h t 1 3 . heit Napoleons: „Die Meinungen des Tages nehmen nach u n d nach auch sogar unter den Offizieren der Armee überhand, besonders seit jenem Eid für die Nation, das Gesetz u n d den König. Wenn ich (Napoleon) bis dahin den Befehl erhalten hätte, meine Kanonen gegen das V o l k zu richten, so zweifle ich nicht, daß die Gewohnheit, das Vorurtheil, die Erziehung, der Name des K ö nigs mich bestimmt hätten, zu gehorchen; aber nachdem ich den Nationaleid einmal geleistet, wäre das vorbei gewesen u n d ich hätte n u r auf die Nation gesehen." Heute gibt es i n Frankreich i m allgemeinen keinen politischen Eid der Beamten u n d Soldaten mehr. 9 Vgl. C. Richter, S. 500 f. 10 Vgl. Händel, Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht, S. 36 f. 11 Vgl. oben, 1. Kap. I 2 a): Die französischen Verfassungen sind abgedruckt bei Godechot, Les constitutions de la France depuis 1789, Paris 1970. 12 „Die Bewaffnete Macht hat i n erster Linie zu gehorchen, keine bewaffnete Einheit darf beratschlagen." So A r t . 12 des Gesetzes v o m 14. 9.1791 über Einrichtung, Zusammensetzung u n d Pflichten der Streitmacht (force publique) — vgl. Roqueplo, L'Armée de la République, S. 32. Das parlamentarische Decret v o m 12.12.1790 hatte gelautet: „ N u l corps armé ne peut exercer le droit de délibérer." — Vgl. Κ. Hailbronner, Treuepflicht u n d die Grenzen politischer Betätigung i m öffentlichen Dienst F r a n k reichs, in: Doehring u.a., Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst europäischer Staaten, S. 93 ff. (134). N u r die zweite Hälfte dieser Bestimmungen enthielt die Verfassungsakte v o m 24.6.1793 i n ihrem A r t i k e l 114: „ N u l corps armé ne peut délibérer." I n A r t . 109 der Verfassungsakte v o n 1793 erschien dafür der Gedanke der Wehrpflicht u n d des Volksheeres: „Tous les Français sont soldats; ils sont tous exercés au maniement des armes." M a n erkennt hier den Grundsatz der „levées en masse" Camots, der i m Gesetz v o m 23.8. 1793 rechtliche Gestalt fand — vgl. Händel, S. 38. Die Bindung an die Prinzipien der Revolution wurde i n der Direktorialverfassung v o m 22.8.1795 sehr deutlich: Devoirs A r t . 9: „Tout citoyen doit ses services à la patrie et au maintien de la liberté, de la légalité et de la propriété, toutes les fois que la l o i l'appelle à les défendre." — I n A r t . 275 der Verfassung von 1795 erschien dann wieder der überlieferte Satz: „ L a force publique est essentiellement obéissante; n u l corps armé ne peut délibérer." 13 Vgl. Herry, La fonction militaire, évolution statutaire, S. 166; Hailbronner, S.154.
I I . Frankreich
251
2. Die Stellung der Armee in der französischen Verfassung
Die Armee ist in Frankreich traditionell der zivilen politischen Gewalt untergeordnet 14 . Schon die nominell monarchische Verfassung der französischen Revolution von 1791 hatte vorgesehen, daß der König als Staatsoberhaupt Oberbefehlshaber der Armee ist 15 . Die Verfassung der IV. Republik vom 27.10.1946 bestimmte i n A r t . 33, daß der Präsident den „Titel des Armeechefs" trägt 1 6 . Die heute geltende Verfassung der V. Republik vom 4.10.1958 stellt in unzweideutiger Weise in A r t . 15 fest: „Der Präsident der Republik ist der Armeechef."
Der Premierminister (Art. 21) ist dagegen — so heißt es etwas verschwommener — „für die nationale Verteidigung verantwortlich" 1 7 .
I m Verhältnis zur Regierung stellen nach herrschendem Rechtsverständnis der militärische Apparat und die, die ihm dienen, ein „Instrument" dar, das dazu bestimmt ist, den Staat zu schützen, wobei die „bewaffnete Macht grundsätzlich untergeordnet" bleibt und nicht „beratschlagen" darf 18 . Der Präsident der französischen Republik ist nicht nur Oberbefehlshaber der Armee, er ist nach A r t . 5 der Verfassung von 1958 auch oberster „Hüter der Verfassung", sichert die Kontinuität des Staates und ist Garant der nationalen Unabhängigkeit 19 . I m französischen Verfassungsrecht w i r d zwischen diesen Funktionen — Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Garant der nationalen Unabhängigkeit — ein enger Zusammenhang gesehen20. Die Armee ist ihm, dem Präsidenten, persönlich untergeordnet und zur Treue verpflichtet, er sichert den 14 Vgl. Roqueplo (Leiter der Rechtsabteilung i m französischen Verteidigungsministerium), S. 29 ff. (32). 15 Kap. I V , 1. A r t . der Verfassung v o m 3.9.1791 — vgl. Dabezies, A n m . zu A r t . 15 der Verfassung, in: Luchaire / Conac, La Constitution de la République Française, S. 332. 16 A r t . 33: „Le Président de la République préside, avec les mêmes a t t r i butions, le conseil supérieur et le comité de la défense nationale et prend le t i t r e de chef des armées", abgedr. bei Godechot; vgl. auch Roqueplo, S. 32. 17 Vgl. Roqueplo, S, 32. 18 Vgl. ebd. 19 A r t . 5 der Verfassung v o m 4.10.1958: „ L e président de la République veille au respect de la constitution. I l assure, par son arbitrage, le fonctionnement régulier des pouvoirs publics ainsi que la continuité de l'Etat. I l est le garant de l'indépendance nationale, l'intégrité du territoire et le respect des traités." 20 Vgl. Dabezies, A n m . zu A r t . 15, in: Luchaire / Conac, S. 332 f.
252
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
Primat der Politik. Er hat auch gegenüber der Armee den Vorrang vor dem Premierminister 2 1 . Die französische republikanische Tradition versichert sich der Treue des Militärs in erster Linie durch eine politische Neutralisierung der Armee 2 2 . Den Streitkräften w i r d die Rolle der „grande muette", der großen Schweigerin 23 , zugeschrieben. Das aus der französischen Revo-" lution überkommene Deliberationsverbot hat dabei die Funktion, die Loyalität der Streitkräfte gegenüber der demokratisch legitimierten Regierung besonders abzusichern 24 . Aus diesem Loyalitätsgebot für die gesamten Streitkräfte erschließen sich auch Folgerungen für die Rechtsstellung der einzelnen Soldaten, die grundsätzlich dieselben Rechte genießen wie andere Staatsbürger auch. Dazu gehören auch die Menschen» und Bürgerrechte. Zu beachten ist dabei freilich, daß die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 zwar nach wie vor i n der Verfassung verankert ist, aber nicht zum geltenden Text der Verfassung selbst gehört 25 . Die Berufs- und Zeitsoldaten werden zum öffentlichen Dienst (fonction publique) gerechnet, auch wenn es i n bestimmten Fällen zu unterschiedlichen Regelungen für Beamte und Berufs- und Zeitsoldaten kommt 2 6 . 3. Treuepflicht und politische Rechte der Soldaten
Seit der I I I . Republik hat Frankreich eine insgesamt liberale Vorstellung vom öffentlichen Dienst. Der französische Beamte verfügt über Meinungsfreiheit, Freiheit der Mitgliedschaft in einer Partei oder Gewerkschaft und über das Streikrecht. Er braucht keinen Eid abzulegen und verpflichtet sich nicht einmal zur Beachtung der verfassungsmäßigen Ordnung 27 . Beamte wie Soldaten unterliegen grundsätzlich keiner Pflicht zur Regierungstreue. Diese Grundregel ergibt sich aus der französischen republikanischen Tradition, in der sich Beamte und Soldaten, die früher gegenüber dem Monarchen gebunden waren, politische Freiheit erkämpft haben 28 . Allgemein gefordert und anerkannt 21
Vgl. ebd., S. 333. Vgl. Roqueplo, S. 33 f.; Herry, La fonction militaire, S. 116. 23 Vgl. Roqueplo, S. 35: Z u r E t h i k der „grande muette". 24 Vgl. Herry, S. 116. 25 Vgl. Henke, Juristische Grundrechte u n d politische Menschenrechte, S. 242; H.J.Mengel, Die Verfassung der V . R e p u b l i k Frankreichs, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Bd. 30 (1981), S. 21 ff. (28 ff.): Der Conseil d'Etat hat aus der Menschenrechtserklärung „principes généraux du droit" gewonnen, aus denen er Recht spricht. 26 Vgl. Hailbronner, S. 98. 27 So Fromont, Staatsschutz i n Frankreich, in: Verfassungsschutz, S. 149 ff. 28 Vgl. Hailbronner, S. 97. 22
I I . Frankreich
253
w i r d allerdings eine Treuepflicht der Staatsdiener gegenüber der Nation (loyalisme national) 29 . Der französische Soldat genießt alle Rechte und Freiheiten, die den Staatsbürgern zustehen. Die Meinungs-, Glaubens- und Gewissensfreiheit w i r d garantiert 30 . Schon die Menschenrechtsdeklaration von 1789 sicherte allen Bürgern den Zugang zu öffentlichen Ämtern i n gleicher Weise ohne andere Unterscheidung als der nach ihren Fähigkeiten und Eignung zu. Die Ausübung gewisser staatsbürgerlicher Rechte ist dem Soldaten jedoch i m Unterschied zu anderen Staatsbürgern untersagt oder beschränkt gemäß dem Gesetz über den Status der Soldaten von 197231. Die Soldaten unterliegen vor allem zweierlei Beschränkungen in politischer Hinsicht: — Die „obligation de réserve", die politische Zurückhaltungspflicht: Der Tradition der Streitkräfte als „grande muette" entspricht der „stille Gehorsam" der Soldaten. Wenn ein Soldat (ebenso wie übrigens auch Beamte) sich öffentlich über Fragen der Politik oder hinsichtlich einer ausländischen Macht oder internationalen Organisation äußern w i l l , muß er die Genehmigung des Verteidigungsministers einholen 32 . Verbunden hiermit ist die Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich dienstlicher Angelegenheiten. Die Loyalitätspflicht gegenüber Staat und Staatsführung w i r d in der Rechtsprechung als bloßer Anwendungsfall der obligation de réserve behandelt 33 . Schließlich ist die Einführung von Publikationen aller A r t in m i l i tärische Einrichtungen, die die Moral oder Disziplin der Truppe schädigen könnten, verboten 34 . — Das Verbot 3 5 für aktive Soldaten, politischen Vereinigungen jeder A r t beizutreten 36 . Davon unberührt bleibt die Mitgliedschaft von 29
Vgl. ebd.; gelegentlich nur w i r d auch ausdrücklich vom „loyalisme envers la Nation et le régime consti tutionel" gesprochen, vgl. J. Rivero, A J D A 1977, 583. 30 Vgl. Hailbronner, S. 93 ff. (120). 31 Statut général des militaires v o m 13. 7.1972 m i t Änderungen von 1975 — vgl. Roqueplo, S. 36. 32 Vgl. Roqueplo, S. 37; Hailbronner, S. 154; Herry, S.206. 33 Vgl. Hailbronner, S.99, 109; a . A . Rivero, A J D A 1977, S.581: Treuepflicht gegenüber der Nation u n d der Verfassung ausdrücklich von Zurückhai tungspflicht unterschieden. 34 Vgl. Hailbronner, S. 120. 35 M a n stellt anscheinend i m französischen Verteidigungsministerium Überlegungen an, ob hier nicht Reformen am Platze wären, vgl. Roqueplo, S. 42. 36 Statut général v o n 1972, A r t . 9: „ I I est interdit aux militaires en activité de service d'adhérer à des groupements ou associations à caractère politique." Vgl. Herry, S. 167, der an die Zustände i n der I I I . Republik erinnert u n d da-
254
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
wehrpflichtigen Soldaten i n Vereinigungen, denen sie schon vor Eint r i t t i n die Armee angehörten. Sie müssen jedoch während ihrer Militärdienstzeit jegliche politische A k t i v i t ä t in diesen Vereinigungen unterlassen 37 . I m übrigen hat der Soldat grundsätzlich aktives und passives Wahlrecht. Unvereinbar mit dem Status eines Berufs- (carrière) oder Zeitsoldaten (engagé) ist jedoch die Ausübung einer Funktion als Gewählter. Berufs- und Zeitsoldaten müssen sich daher zwischen Militärdienst und Position als Gewählter entscheiden 38 . Wie steht es mit der Extremistenfrage? Aus der allgemeinen Treuepflicht (loyalisme national) w i r d jedenfalls nicht gefolgert, daß „Extremismus" als solcher ein K r i t e r i u m für die Eignung oder Pflichterfüllung des Soldaten oder Beamten sei 39 . Hinsichtlich der Beamtenlaufbahn hatte der Conseil d'Etat 1954 in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, daß es unzulässig ist, die Aufnahme von Studenten, die M i t glieder der kommunistischen Partei sind bzw. waren, in die renommierte Nationale Verwaltungsschule (ENA) aus politischen Gründen abzulehnen, da die Regierung hiermit den Grundsatz des gleichen Zugangs zu den öffentlichen Ämtern verletze 40 . Diese Regel, die Anwendung auf alle „extremistischen" Parteien 41 finden dürfte, w i r d auch für die Streitkräfte anerkannt 42 . Der freie Zugang zu einem öffentlichen A m t ist ein Prinzip, das sich bereits i n der Erklärung der Menschenrechte von 1789 fand, in die Präambel der Verfassung von 1946 wieder aufgenommen und von dort i n die Verfassung von 1958 (Art. 45) übernommen wurde. Insofern glaubt man sich in Frankreich in deutlich abweichender Position zur Regelung in der Bundesrepublik Deutschland 43 zu befinden. Man hält etwas auf die liberale französische Tradition, die politischen Aktivitäten sich „ i m Tageslicht" entwickeln zu lassen 44 . Dieses Prinzip w i r d nicht deshalb aufgegeben, weil man erkennt, daß Extremismus i m Militär, das über die „force brutale" verfüge, noch wenibei Weil, L'officier et le fonctionnaire, zitiert: „Dieses System entsprach der Idee, daß der Offizier i m Gegensatz zum Beamten die Treuepflicht der Regier u n g u n d der politischen Macht schulde u n d nicht n u r dem Staat." 37 Vgl. Roqueplo, S. 38; Hailbronner, S. 120 schreibt dieses Recht allen Soldaten zu. 38 Vgl. Roqueplo, S. 35. 39 Vgl. Hailbronner, S. 97 f., 101 f. 40 Conseil d'Etat 1954, S. 302; vgl. Fromont, S. 149. 41 Heute, da die K P F an der Regierungskoalition beteiligt ist, w i r d man die Mitglieder dieser Partei w o h l k a u m als „Extremisten" bezeichnen können. 42 Vgl. Herry, S. 179. 43 Vgl. ebd. 44 Vgl. ebd.; Mitgliedschaft von Beamten i n verbotenen Parteien u n d Organisationen (selten) ist freilich unzulässig, vgl. Hailbronner, S. 99 f. m. w . N.
I I I . Großbritannien/England
255
ger erträglich erscheint als unter den Beamten 45 . Die bloße Einstellung der Soldaten gegenüber dem republikanischen Staat und seinen Institutionen ist rechtlich unerheblich, solange sie nicht i n einer den Dienst berührenden Weise nach außen kundgetan wird 4 6 . Öffentlich kaum zugänglich sind Informationen über die Sicherheitsprüfung der Soldaten. Inwieweit hier eine unkontrollierbare Auslese durch den Staat getroffen wird, kann daher nicht beurteilt werden 47 . Gerechterweise müßte man sagen, daß auch i n der Bundesrepublik Deutschland trotz Begründungszwang 45 ein vollständiger Einblick in die Ausleseverfahren und Sicherheitsprüfungen nicht möglich ist. 4. Vereidigung
Eine Anfrage des Verfassers bei der französischen Botschaft in Bonn ergab, daß die Soldaten in Frankreich nicht vereidigt werden 49 . I I I . Großbritannien/England 1. Die Stellung der Streitkräfte im Verfassungsrecht und ihr Verhältnis zum Parlament
a) Britisches Verfassungsrecht Das britische Verfassungsrecht beruht nicht auf einer formalen Verfassungsurkunde 50 , Quellen des Verfassungsrechts sind gleichwohl nicht durchweg „ungeschriebenes" Recht. Zu ihnen sind zu zählen 51 : 45
Vgl. Herry, S. 181. Vgl. Hailbronner, S. 101. 47 Sénéchal, Droits politiques et Liberté d'Expression des Officiers des Forces Armées, Paris 1964, S. 104, meinte aus der Sicht jener Zeit, daß sich die Lage i n Frankreich n u r insofern von der anderer Länder unterscheide, als diese offen Kommunisten von öffentlichen Ä m t e r n fernhielten. I n Frankreich werde dasselbe Ergebnis — i n Widerspruch zu A r t . 34 der Verfassung — durch die Praxis erreicht. 48 Vgl. hierzu Doehring (Gesamtbericht, in: Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst europäischer Staaten, B e r l i n 1980, S.26f.), der darauf abhebt, daß i n Frankreich i m Gegensatz zur Regelung i m Verfassungsrecht der B u n desrepublik Deutschland k e i n Begründungszwang bestehe. 49 Auch die Beamten müssen i n Frankreich i. d. R. keinen Eid ablegen. Der politische E i d (serment politique) der Beamten wurde 1820 abgeschafft u n d für die hohen Beamten 1941 bis 1944 wieder eingeführt. Der Berufseid (serment professionel) w i r d von den Magistratsbeamten, Rechtsanwälten, Notaren (officiers ministériels), den Angehörigen der Gendarmerie u n d bestimmten Schutzeinheiten (gardes) verlangt. — Vgl. Grand Larousse encyclopédique, Bd. 9, Paris 1969; nach Hailbronner, S. 99, wurde die Verpflichtung der Beamten zur Leistung eines Treueides m i t Dekret v o m 1. und 2. März 1848 abgeschafft. 46
256
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
— Gesetzgebungsakte, wie ζ. B. die grundlegende „ B i l l of Rights" von 1689, — gewohnheits- und richterrechtliche Quellen (Common law sources). Hierher gehört auch die sog. Prärogative („prerogative") der britischen Krone, — Konvention („conventions of the constitution") wie ζ. Β. die Regel, daß es einen Premierminister und sein Kabinett gibt. „Convention" w i r d üblicherweise vom echten „Recht" (strict law) unterschieden 52 . — Das Parlamentsrecht („lex et consuetudo parliamenti"), das teils Gesetzes-, teils Richterrecht ist, — Europäisches Gemeinschaftsrecht, soweit es unmittelbare Wirkung hat. Das britische Verfassungsrecht kennt grundsätzlich keinen „Ewigkeitswert" oder „Kernbestand" der Verfassung, der nicht der „parliamentary sovereignty" durch einfache Gesetzgebung unterworfen wäre — mit Ausnahme wohl des Grundsatzes der „parliamentary sovereignty" selbst 53 . Jedenfalls gibt es keinen der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" entsprechenden Begriff. b) Die Streitkräfte
(armed forces)
Die britischen Streitkräfte sind eine Berufsarmee. Veranlaßt durch die Empörung über den Einsatz von Truppen i m Innern durch Jakob II. verbot die Bill of Rights von 168954 die Aushebung oder Unterhaltung eines stehenden Heeres i m Inland in Friedenszeiten ohne die Zustimmung des Parlaments. Uber Jahrhunderte hinweg wurden Jahr für Jahr i n „ M u t i n y Acts" und seit 1881 i n „ A r m y Acts" bzw. seit 1917 auch i n „ A i r Force Acts" die parlamentarische Ermächtigung für die Unterhaltung der Luft- und Landstreitkräfte erteilt 5 5 . Seit 1955 werden nur noch alle fünf Jahre A r m y und A i r Force Acts aus der Schublade geholt und — evtl. mit Änderungen versehen — erneut vom Parlament beschlossen56. Nur die Marine (navy) existiert weiterhin aufgrund könig50 Vgl. de Smith, Constitutional and administrative law, S. 35; n u r Israel u n d Neuseeland haben eine ähnlich aufgebautes Verfassungsrecht ohne V e r fassungsurkunde — vgl. de Smith, S. 31. 51 Vgl. de Smith, S. 41 ff. 52 Vgl. de Smith, S. 47 ff. m. w. N. 53 Vgl. de Smith, S. 65. A u f S. 19 bezeichnet es de S m i t h als distinguierte Eigenschaft des deutschen (und zyprischen) Verfassungsrechts, daß sie einen Ewigkeitswert kennen. 54 Der Text zweisprachig bei Günther Franz, Staatsverfassungen, 2. A u f l . 1964. 55 Vgl. de Smith, S, 199 f. 56 Vgl. P.Rowe, 44, Modern L a w Review, Nov. 1981, S. 693.
I I I . Großbritannien/England
257
licher Prärogative, da sie, i m Gegensatz zu Heer und Luftwaffe, selten oder nie als (mögliches) Instrument der Unterdrückung angesehen wurde 5 7 . Die jährliche Genehmigung von Heer und Luftwaffe durch das Parlament erfolgt aber nach wie vor durch eine Erneuerung der „Acts" durch „Orders in Council", die i m Entwurf von beiden Häusern des Parlaments gebilligt werden. Außerdem ist die parlamentarische M i t sprache durch die jährlichen „Appropriation Acts" zum Haushalt und die „Statements on the Defence Estimates" gesichert 58 . Auch der Primat der Politik, die „primacy of the civil power", w i r d traditionell akzeptiert 59 . Er ist ein verfassungsrechtliches Faktum. Keine britische Regierung ist j e seit 1688 durch militärische Macht abgesetzt worden. Kein höherer Offizier der Streitkräfte ist jemals Premierminister gewesen — außer dem Herzog von Wellington (1828—1830, 1834), und das lange nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst der Streitkräfte 6 0 . 2. Die politische Betätigung der Soldaten
Der britische Soldat hat als „Zivilist in Uniform" 6 1 (civilian i n uniform) die gleichen Rechte und Pflichten wie die anderen Staatsbürger, auch wenn er gewissen Sonderregelungen 62 unterliegt: — A k t i v e Soldaten dürfen ebenso wie Beamte keine Mitglieder des Unterhauses werden 63 . Ein aktiver Soldat darf auch nicht für einen Unterhaussitz kandidieren, sondern muß sich hierfür beurlauben lassen. Er hat jedoch das aktive Wahlrecht. — Durch die Verordnungen aufgrund des A r m y Act von 1955 bzw. dessen Fortschreibung (zuletzt 1981) w i r d Heeresangehörigen befohlen, nicht an der Arbeit irgendwelcher politischer Organisationen oder Parteien teilzunehmen. Soweit ihre Pflichterfüllung nicht behindert 57 Vgl. de Smith, S. 200; neben dem A i r Force A c t 1955 u n d A r m y Act 1955 w i r d allerdings auch der „Naval Discipline A c t 1957" alle fünf Jahre wieder v o m Parlament — evtl. m i t einer Fortschreibung oder Änderung versehen — von neuem beschlossen. 58 Vgl. P. Rowe, S. 693. 59 Vgl. de Smith, S. 201 f. 60 Vgl. de Smith, S. 199. 61 Vgl. de Smith, S. 202 unter Berufung auf Dicey, Introduction to the Study of the L a w of the Constitution, dessen 1. A u f l . i m Jahre 1885 erschien. 62 Das Militärische Sonderrecht ist i m „ M a n u a l of M i l i t a r y L a w " zusammengefaßt; vgl. auch James Stuart-Smith (1969) 85, L.Q.R. 478; Umbach u n d C. Harlow, in: Böckenförde / Tomuschat / Umbach, Extremisten u n d öffentlicher Dienst, S. 229. 63 House of Commons Disqualification Act 1957, s. 1 (1).
17 Cuntz
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
258
wird, darf ihre Teilnahme an politischen Versammlungen nicht beschränkt werden 64 . Ähnliche Vorschriften gelten für die anderen Teilstreitkräfte. — Ein Grundsatz des britischen öffentlichen Dienstes ist die politische Neutralität. Die Regeln, die die politischen Aktivitäten der Soldaten einengen, sind allgemein strikter als bei Beamten 65 . Zu berücksichtigen bleibt, daß die Meinungsfreiheit (freedom of expression) und die Vereinigungsfreiheit (freedom of association) zu den zentralen Grundrechten des britischen Verfassungsrechts gehören 66 . Die Vereinigungsfreiheit hat hauptsächlich zwei Begrenzungen: — Unzulässig nach Richterrecht sind Vereinigungen mit „rechtswidrigem" (unlawful) Zweck, d. h. ζ. B. kriminelle Vereinigungen oder solche, die auf gewaltsamen Umsturz zielen 67 . — I m „Public Order Act 1936" sind in Section 2 unter dem Untertitel „Verbot quasimilitärischer Organisationen" Regelungen getroffen worden, die vor allem auf die Aktivitäten der britischen Faschisten i n den dreißiger Jahren zielten. Man geht mit dieser Verbotsmöglichkeit jedoch sparsam um. So war es 1972 in Nordirland ζ. B. verboten, Mitglied der Irisch-Republikanischen Armee zu sein, nicht jedoch i n Großbritannien 68 . 3. Treuepflicht und Sicherheitsaspekte
Der Soldat ist zur Diensterfüllung (duty) und Treue (allegiance) gegenüber der Krone verpflichtet. Die Treue (allegiance) gegenüber der Krone ist eine allgemeine, prinzipiell alle britischen Personen treffende Pflicht 69 . Die „allegiance" der Soldaten geht jedoch weiter als die allgemeine Treuepflicht, so daß die Verleitung eines Soldaten zum Bruch der Dienst- oder Treuepflicht (duty or allegiance) nach der „Incitement to Disaffection Bill" geahndet werden kann 7 0 . In der Praxis hat es aufgrund dieses Gesetzes nur wenige Strafurteile gegeben. 1974 wurde Pat Arrowsmith nach diesem Gesetz dafür verurteilt, daß sie Flugblätter besessen und i n Kasernen verteilt hatte, die Soldaten dazu verleiten 64
Vgl. Umbach / Harlow, S. 230. Vgl. de Smith, S. 202. 66 Vgl. de Smith, S. 474 ff. u. 497 ff. 67 Vgl. de Smith, S. 497. 68 Vgl. de Smith, S.498. 69 Vgl. de Smith, S. 437. 70 Vgl. H. Street, Freedom, the I n d i v i d u a l and the Law, S. 215 ff. Das Gesetz wurde 1934 v o n der Regierung eingebracht, die größere Vollmachten zur Bekämpfung faschistischer Bestrebungen verlangte. Der E n t w u r f des Gesetzes erregte viel V e r w i r r u n g u n d wurde i n mancherlei Hinsicht abgeschwächt. 65
I I I . Großbritannien/England
259
konnten, ihrer Dienstpflicht in Nordirland nicht nachzukommen 71 : Sie hatte sich als überzeugte Pazifistin gegen den Einsatz britischer Truppen i n Nordirland gewandt. Soldaten unterliegen besonderen Sicherheitsprüfungen bei Einstellung und auch während des Dienstes. Sie können aus Sicherheitsgründen entlassen werden 72 . Sie haben hiergegen praktisch keinen Rechtsschutz, anders als Beamte (civil servants), die sich grundsätzlich i n Fällen des „positive vetting" (Sicherheitsprüfungen bei besonders geheimhaltungsbedürftiger Arbeit) oder der „purge procedure" (Fernhaltung von Faschisten, Kommunisten oder Sympathisanten von Parteien m i t vitalem Interesse für die Staatssicherheit) an Drei Ratgeber (Three Advisers) wenden können 73 . Das Verteidigungsministerium vertritt hierzu den Standpunkt 7 4 , daß man einen Soldaten jederzeit i m eigenen Interesse oder nach dienstlichen Erfordernissen entlassen können müsse und bezeichnet es als seiner Politik entgegenstehend, wenn es in solchen Fällen Gründe angeben müßte. Bei einer Entlassung aus Sicherheitsgründen kann vermutlich auch die Tatsache einer faschistischen oder kommunistischen Verbindung eine Rolle spielen. Treffend bemerkte jedoch der heute noch als grundlegend betrachtete Radcliffe Report von 196275, der von der Regierung zur Prüfung der Sicherheitsverfahren in Auftrag gegeben worden war, daß die wirkliche Gefahr für die Sicherheit nicht von erklärten Kommunisten ausgehe, sondern vom sowjetischen Geheimdienst. 4. Vereidigung
Auf eine Anfrage des Verfassers antwortete die britische Botschaft in Bonn am 7. 2.1984 wie folgt: „ A l l e Soldaten der Streitkräfte legen einen Eid ab, w e n n sie eintreten."
71
Vgl. H. Street, S. 220. Vgl. H. Street, S. 248; H. Street k r i t i s i e r t (S. 247) die i n Großbritannien übliche Praxis, w e i l sie i m Gegensatz zu anderen wesentlichen Rechtsordnungen die Rechte des Einzelnen unberücksichtigt lasse. 73 Vgl. zu positive v e t t i n g u n d purge procedure: Schiedermair / Murswiek, in: Doehring u. a., Verfassungstreue, S. 69 ff. 74 Vgl. H. Street, S. 248. 75 Vgl. Security Procedures i n the Public Service, Cmd 1681 (1962); vgl. H. Street, S. 239 f.; s. auch Schiedermair / Murswiek, S. 72. 72
17*
260
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
Der Eid hat folgenden Wortlaut: „The Oath of Allegiance I . . . Swear by A l m i g h t y God that I w i l l be faithful and bear true allegiance to Her Majesty Queen Elizabeth I I Her Heirs and Successors and that I w i l l as i n duty bound honestly and faithfully defend Her Majesty, Her Heirs and Successors, i n Person, Crown and D i g n i t y against all enemies and w i l l observe and obey all orders of Her Majesty, Her Heirs and Successors and of the Generals and Officers set over me."
IV. USA 1. Die Streitkräfte in der Verfassung der USA vom 17.9.1787
Verteidigung gehört zu den i n der Präambel der Verfassung der USA genannten Aufgaben des Staates 76 . Der amerikanische Präsident ist seit den Zeiten General Washingtons traditionell Oberbefehlshaber der regulären Streitkräfte der Vereinigten Staaten 77 . Die Schöpfer der amerikanischen Verfassung vom 17. September 1787 haben sich hierin am B i l d des britischen Mutterlandes orientiert, i n dem der König die Funktion des Oberbefehlshabers hatte. Man wollte aber die Stellung des Präsidenten schwächer gestalten als i n England, wo der König zumindest nominell aus der Prärogative die Befugnis innehatte, den Krieg zu erklären, sowie Flotten und Armeen auszuheben und deren Recht zu regeln 78 . I n der amerikanischen Verfassung wurden die Befugnisse, den Krieg zu erklären, Landstreitkräfte und eine Marine aufzustellen und zu unterhalten, sowie rechtliche Vorschriften für die Land- und Seestreitkräfte zu erlassen, dem Kongreß zugewiesen 79 . I n Anlehnung an die britische Regel der jährlichen Genehmigung von Heer und Marine wurde festgelegt, daß die Bewilligung von Haushaltsm i t t e l n für die Streitkräfte für keinen längeren Zeitraum als zwei Jahre erfolgen dürfe 80 . Trotz des „Verteidigungsauftrages" i n der Prä76 Die Präambel lautet: „We, the People of the United States, i n order to form a more perfect Union establish Justice, insure domestic t r a n q u i l i t y , provide for the common defence , promote the general welfare and secure the blessings of L i b e r t y to ourselves and our posterity, do ordain and establish this constitution for the United States of America." 77 A r t . I I Section 2(1) 1. Halbsatz: „The President shall be Commander i n Chief of the A r m y and Navy of the United States and of the M i l i t i a of the several States, w h e n called into actual service of the United States." 78 Vgl. Hamilton , Federalist Papers, in: Hamilton, Madison and Jay, S. 144. 79 Verfassung A r t . I Section 8 (11) (12) (13) (14).
I .
261
ambel wurde also keine „Selbstbewaffnungspflicht" begründet, sondern die Unterhaltung der Streitkräfte von einem Willensakt des Kongresses abhängig gemacht. Damit sollte sichergestellt werden, daß die Exekutive nicht i n der Lage war, ohne öffentliche Kontrolle Streitkräfte aufzustellen, die zu einer Gefahr für die erworbenen Freiheiten werden könnten 81 . 2. Die politischen Redite der Soldaten und das First Amendment
Die Grundrechte der Kommunikation 8 2 sind vor allem i m First Amendment der Verfassung, der B i l l of Rights vom 15.10.1791 enthalten 83 : „Congress shall make no l a w respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedeom of speech, or of the press; or the right of the people peacably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances."
a) Meinungsfreiheit Soldaten genießen als „citizen soldiers" grundsätzlich dieselben Rechte wie jeder andere Staatsbürger auch 84 . I n der Rechtsprechung w i r d dem sich aus dem First Amendment ergebenden Recht auf freie Meinungsäußerung (freedom of expression, freedom of speech) ein hoher Stellenwert beigemessen. Meinungsäußerungen, die zu rechtswidrigen Handlungen auffordern, können nicht in jedem Fall als verboten gelten. Bloße Befürwortung oder Versammlung zur Befürwortung rechtswidriger Aktionen darf nicht verboten werden 85 . Es muß eine „clear and present danger", eine eindeutige und unmittelbare Gefahr bestehen, daß eine Meinungsäußerung zu erheblichem Schaden (substantive evil) führt, wenn der Kongreß das Recht i n Anspruch nehmen w i l l , diese Meinung zu verbieten 86 . I m Soldatenverhältnis w i r d freilich eine Abwä80 Verfassung A r t . I Section 8 (12); Hamilton, S. 144, vertrat die Auffassung, daß das britische Parlament dem K ö n i g nicht i n seine Prärogative i n diesem Bereich hineinreden könne. Das t r i f f t zumindest heute nicht mehr zu. 81 Vgl. Hamilton, S. 28. 82 Z u r politischen Meinungs- u n d Petitionsfreiheit der Soldaten vgl. die neuere Entscheidung des Supreme Court, Brown v. Glines 444 U.S. 348 (1980). 83 Vgl. Hamilton, S. 222. 84 Vgl. Leonard Boudin, The A r m y and the First Amendment, in: Conscience and Command (Hrsg. J. Finn), S. 55 ff. (68). 85 Vgl. Brandenburg v. Ohio, 395 U.S. 444 (1969); hierzu Schwartz, Constitutional L a w , S. 330. 86 Grundlegend Schenck v. United States, 249 U.S. 47, 52 (1919); Schwartz, S. 330 f.; Mason / Beaney / Stephenson, American Constitutional Law, S. 477. E i n anderer, i n diesem Zusammenhang wichtiger Rechtsbegriff, der mehr als „clear and present danger" den Interessen des Staates gerecht w i r d , ist die „bad tendency"; vgl. Mason / Beaney / Stephenson, S. 474 u. S. 476 m. w . N.
262
3. Kapitel: Recht svergleichung
g u n g zwischen d e r M e i n u n g s f r e i h e i t u n d d e n m i l i t ä r i s c h e n E r f o r d e r n i s sen v o r g e n o m m e n 8 7 . D a b e i w i r d v o n e i n e r „Tradition
eines
neutralen
ausgegangen 8 8 .
militärischen
Deshalb darf
Bereichs
unter
ziviler
Kontrolle"
politisch
ζ. B . g r u n d s ä t z l i c h i n m i l i t ä r i s c h e n E i n r i c h t u n g e n
kein
W a h l k a m p f oder sonstige politische W e r b u n g b e t r i e b e n w e r d e n oder ohne G e n e h m i g u n g politisches I n f o r m a t i o n s m a t e r i a l v e r t e i l t w e r d e n 8 9 . D i e besonderen P f l i c h t e n der S o l d a t e n s i n d u. a. i m „ U n i f o r m Code of M i l i t a r y J u s t i c e " zusammengefaßt, d e r z. B . i n 10 U.S.C. § 934 (1976) verbietet, „disorders and neglects to the prejudice of good order and discipline i n the armed forces" zu begehen. D e r C o u r t of M i l i t a r y A p p e a l s 9 0 h a t a n h a n d dieser V o r s c h r i f t die M e i n u n g s f r e i h e i t der S o l d a t e n m i t der m i l i t ä r i s c h e n D i s z i p l i n abgewogen. W e i t e r e V o r s c h r i f t e n s i n d i n R i c h t l i n i e n u n d Erlassen der A d m i n i s t r a t i o n enthalten. Das U S - V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m h a t i n e i n e m E r l a ß die R e g e l n f ü r die Betätigung v o n politischen A b w e i c h l e r n i n den S t r e i t k r ä f t e n zusamm e n g e f a ß t 9 1 . D a r i n h e i ß t es u. a.: „ I I . . . . The service member's right of expression should he preserved to the maximum extent possible , consistent with good order and discipline and the national security. I I I . E. The Commander of a m i l i t a r y installation shall prohibit any demonstration or activity on the installation which could result i n interference w i t h or prevention of orderly accomplishment of the mission of the i n stallation, or present a danger to loyalty, discipline, or morale of the troops. . . . F. Members of the A r m e d Forces are prohibited from participating i n off-post demonstrations w h e n they are on duty . . . or w h e n they are i n u n i f o r m i n violation of DoD Directive 1334.192." 87
Vgl. die Entscheidung des Supreme Court, Greer v. Spöck, 424 U.S. 828 (1976); Brown v. Glines, 444 U.S. 348 (1980); zu diesen Entscheidungen A n m e r k u n g E. Strangeways i n 1981, New Y o r k L a w School Review, 1134; vgl. auch Zillmann, Free Speech and M i l i t a r y Command, 1977, U t a h Review 423, 431— 436. 88 Vgl. Greerv. Spöck, 424 U.S. 828 at 839; vgl. auch Strangeways, a.a.O., S.1140. 89 Vgl. die i n Brown v. Glines (444 U.S. at 350 η . 2) zitierte Airforce regul a t i o n 35 — 15 (3) (a) (1970): „(2) When p r i o r approval for distribution or posti n g is required, the commander w i l l determine i f a clear danger to the loyalty, discipline, or morale of the members of the A r m e d F o r c e s . . . " „(4) D i s t r i b u t i o n or posting may not be prohibited solely on the ground that the material is critical of Government policies or officials." 90 Vgl. United States v. Priest, 21. U.S.C.M.A. 564, 45 C.M.R. 338 (1972): Es ging dabei u m eine Zeitschrift, i n der v o n „Befreiung m i t notwendigen M i t teln" und sogar der Ermordung des Präsidenten die Rede war. 91 Department of Defense No. 1325.6 — Guidelines for Handling Dissent and Protest Activities among Members of the A r m e d Forces v o m 12.9.1969.
I .
263
Es w i r d dabei, wie man sieht, deutlich zwischen Aktivitäten innerhalb militärischer Anlagen und außerhalb dieser unterschieden. Keine Beschränkungen gibt es offenbar, wenn sich der Soldat außer Dienst und ohne Uniform außerhalb der Anlagen befindet. b) Politische
Vereinigungsfreiheit
Auch die politische Vereinigungsfreiheit (freedom of political association) w i r d vom First Amendment geschützt, auch wenn sich dies nicht unmittelbar dem Wortlaut entnehmen läßt 93 . Die Vereinigungsfreiheit gilt als der Meinungsfreiheit eng verwandt 9 4 . Die Freiheit des einzelnen, sich mit anderen zusammenzuschließen, u m gemeinsame Ideen zu verfolgen, steht mithin unter dem Schutz des First Amendment 9 5 . Die politische Vereinigungsfreiheit verbietet es wie A r t . 3 Abs. 3 GG, einen A n gehörigen des öffentlichen Dienstes wegen seiner Parteizugehörigkeit zu entlassen 96 . Geschützt vom First Amendment dürfte auch die M i t gliedschaft in der Kommunistischen Partei sein 97 . Säuberungskampagnen wie die 1947 von Präsident Truman durch die Executive Order 1835 verkündeten „Loyalitätsprogramme" (loyalty programs) gegen die kommunistische Partei wären nach der heutigen Rechtsprechung vermutlich nicht mehr durchführbar, auch wenn nach wie vor anerkannt ist, daß die Regierung dazu berechtigt ist, Angehörige des öffentlichen Dienstes, die sich als illoyal oder als Sicherheitsrisiko erweisen, zu entlassen 98 . Durch ein Gesetz von 1954" wurden M i t glieder der „Communist action organizations" von nicht durch Wahl besetzten Ämtern i m Dienste der Vereinigten Staaten bzw. von Tätigkeiten i n Verteidigungseinrichtungen (defence facilities) ausgeschlossen100. I n der Entscheidung des Supreme Court United States v. Röbel 101 w u r den i m Jahre 1967 diese Vorschriften mit einer Mehrheit von 6 :2 Stim92
Vgl. den Fall Locks υ. Laird, , 300 F. Sapp, 915 (N. D. Cal. 1969), i n dem der A i r m a n First-Class Michael Locks wegen Teilnahme an einer A n t i k r i e g s demonstration i n U n i f o r m wegen Verletzung v o n A r m y Regulations 600-20 und 600-21 zu einem Jahr „hard labour, forfeature of all pay and allowances" verurteilt wurde. 93 Vgl. Mason / Beaney / Stephenson, S. 474, 479 ff. 94 Vgl. Schwartz, S. 334 unter Berufung auf Buckley v. Valeo, 424 U.S. I, 25 (1976). 95 Vgl. Abood v. Detroit Board of Education, 431 U.S. 209, 233 (1977). 96 Vgl. Schwartz, S. 337 unter Berufung auf Elrod v. Burns, 427 U.S. 347/ 1978. 97 Vgl. Schwartz, S. 337. 98 Vgl. ebd., S. 331 f. m. w . N. 99 50 U.S.C.A. §§ 841 et seq.; 50 U.S.C.A. § 784. 100 Vgl. Umbach / Levinson, in: Bockenförde u. a., Extremisten und öffentlicher Dienst, S. 575/576. 101 United States v. Röbel, 389 U.S. 258 (1967).
264
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
men für verfassungswidrig erklärt; die bloße Mitgliedschaft i n einer Communist Action Organization ohne Nachweis der spezifischen Absicht, illegale Ziele der Vereinigung zu fördern, wurde als kein ausreichender Grund angesehen, jemanden von der Tätigkeit in Verteidigungseinrichtungen auszuschließen 102 . Chief Justice Warren i n dieser Entscheidung: „Dieses Konzept einer nationalen Verteidigung darf nicht als Selbstzweck betrachtet werden, der jeden gesetzgeberischen A k t , der diesem Ziel dient, rechtfertigte. Dem Begriff »Nationale Verteidigung' ist das Verständnis eigen, daß solche Werte und Ideale verteidigt werden sollen, die diese Nation ausmachen . . . Es wäre in der Tat ironisch, wenn wir es im Namen der nationalen Verteidigung guthießen, Subversion zu betreiben gegen eine der Grundfreiheiten, die die Verteidigung der Nation erst wert machen — die Vereinigungsfreiheit 103." Es ist allerdings zulässig, KP-Mitglieder von sicherheitsempfindlichen Positionen fernzuhalten 104 . 3. Vereidigung
Amerikanische Soldaten werden vereidigt. Dabei w i r d ein Unterschied gemacht zwischen einfachen Soldaten (enlisted man), die lediglich Treue zu den Vereinigten Staaten schwören („faith and allegiance to the United States") 105 und Offizieren und Offiziersanwärtern, die i n Übereinstimmung m i t A r t . V I Abs. 3 1. Halbs. US-Verfassung auf die Verfassung vereidigt werden. Die eidliche Bindung des Offiziers ist dabei noch fester als die des Offiziersanwärters. Ein Offiziersanwärter (cadet) schwört: „ I , . . . , do solemnly swear that I w i l l support
the Constitution
of the
United States, and bear true allegiance to the National Government; . .
Ein Offizier schwört: I , . . . , having been appointed a . . . , A r m y of the United States, do solemnly swear (or affirm) that I w i l l support and defend the Constitution of the United States against all enemies, foreign or domestic, that I w i l l bear true faith and allegiance to the same ..
Der Treueeid ist i n den USA ein wichtiges Mittel der Loyalitätssicherung 106 . Er gewährleistet eine persönliche Bindung der Offiziere 102 Vgl. auch Elrod v. Burns , 427 U.S. 347, 358—359 (1976). Der Supreme Court stellte i n diesem F a l l klar, daß die bloße Mitgliedschaft i n einer p o l i t i schen Vereinigung nicht ausreiche, u m jemandem den Zugang zum öffentlichen Dienst zu verweigern. Vgl. hierzu auch Schwartz , S. 333. 103 United States v. Röbel, 389 U.S. 258 (1967), zit. bei Mason / Beaney / Stephenson, American Constitutional Law, S. 477 f. 104 Vgl. Schwartz , S. 330. 1ÜS Standardeid des „enlisted man", 10 U.S.C. Sec. 1581. 106 Vgl. z u den „loyalty oaths" insbes. Schwartz , S. 333 f. Der Soldateneid ist nicht m i t den i n einzelnen Bundesstaaten verschiedentlich geforderten „ l o -
V. und Offiziersanwärter
a n
265
an die V e r f a s s u n g 1 0 7 . A u f f a l l e n d ist, daß i n d e n
U S A ganz o f f e n s i c h t l i c h b e i m T r e u e e i d d i f f e r e n z i e r t
w i r d nach R a n g
u n d F u n k t i o n d e r Soldaten. H i e r a u s e r g i b t sich auch eine A b s t u f u n g der beeideten Verfassungstreuepflicht.
V . Spanien 1. Die Aufgaben der Streitkräfte in der spanischen Verfassung D i e n e u e r r u n g e n e spanische D e m o k r a t i e h a t i h r e S t r e i t k r ä f t e
aus
dem Franco-Regime übernommen. E i n Hauptanliegen der D e m o k r a t e n w a r es v o n A n f a n g a n gewesen, w i e m a n diese S t r e i t k r ä f t e i n die neue demokratische
u n d freiheitliche
Verfassung
einordnen konnte108.
V e r f a s s u n g v o n 1978 w e i s t d e n S t r e i t k r ä f t e n
Die
i n A r t . 8 einen eigen-
ständigen A u f t r a g zu109: 1. Den Streitkräften, bestehend aus Heer, Flotte und Luftwaffe, obliegt es, die Souveränität u n d Unabhängigkeit Spaniens zu garantieren und seine territoriale Integrität u n d verfassungsmäßige Ordnung zu schützen. 2. E i n Organgesetz regelt die Grundlagen der Militärorganisation i m Rahmen der Grundsätze der vorliegenden Verfassung 1 1 0 . A r t . 37 des Organgesetzes des Staates ( L e y O r g à n i c a d e l Estado) v o m 10.1.1967 h a t t e g e l a u t e t 1 1 1 : „Die Streitkräfte der Nation, bestehend aus Heer, Marine u n d Luftwaffe u n d die Ordnungskräfte (Fuerzas de Orden Püblico) gewährleisten die E i n heit u n d Unabhängigkeit des Vaterlandes, die Integrität seines T e r r i t o riums, die nationale Sicherheit u n d die Verteidigung der institutionellen Ordnung." W i e sein V o r g ä n g e r e n t h ä l t A r t . 8 d e r V e r f a s s u n g v o n 1978 d r e i Gesichtspunkte: Die N a t u r der Streitkräfte, ihre Zusammensetzung u n d i h r e n A u f t r a g 1 1 2 . W i c h t i g f ü r die F r a g e der V e r f a s s u n g s t r e u e ist y a l t y oaths" zu verwechseln, die v o n Beamten eine ausdrückliche Distanzierung v o n Kommunismus o. ä. verlangten. Diese Eide w u r d e n v o r Gericht meist für verfassungswidrig befunden. 107 Die behauptete Verletzung des Verfassungseids k a n n i n den USA zur Einleitung eines Meineidverfahrens führen. Vgl. Tomuschat / Umbach, in: Böckenförde u. a.: Extremisten, S. 651. 108 v gL p q Burbano, Las Fuerzas Armadas en el Inicio del Constitucionalismo Espanol, M a d r i d 1982. 109 Die Streitkräfte werden insofern m i t den Parteien (Art. 6) sowie den Arbeitnehmergewerkschaften u n d Unternehmerverbänden (Art. 7) i n eine Reihe gestellt. 110 Übersetzung bei Albrecht Weber, Die spanische Verfassung von 1978, JÖR 1980, S. 252 ff. 111 Vgl. Serrano Alberca, in: Garrido Falla, Comentärios, A n m . 1 zu A r t . 8, S. 87. 112 Vgl. ebd.
266
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
vor allem der Auftrag. Neben der Gewährleistung der äußeren Sicherheit und der Verteidigung haben die Streitkräfte auch einen Auftrag i m Innern: Sie sollen die verfassungsmäßige Ordnung schützen (defender). Daraus ist nicht zu schließen, daß die Streitkräfte als Hüter der spanischen Verfassung eine selbständige politische Funktion zur Verfassungsverteidigung erhalten hätten, sie also nach eigenem Ermessen einschreiten könnten 1 1 3 . Vielmehr sind die Streitkräfte als Teil der Staatsgewalt durch A r t . 9 an die Verfassung und die übrige Rechtsordnung gebunden 114 . Die Regeln für einen Einsatz im Innern sind nach verfassungsrechtlicher Auffassung i n der Verfassung selbst festgelegt. A r t . 116 definiert den Ausnahmezustand, in dem erst die Streitkräfte u. U. i m Innern eingreifen könnten. Die konkrete Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte i m Innern steht der demokratisch gewählten Regierung zu, während dem Parlament die Erklärung der zugehörigen Maßnahmen zukommt 1 1 5 . 2. Streitkräfte und Politik
Die Streitkräfte müssen sich auch nach spanischer Verfassungsrechtsauffassung dem Primat der Politik beugen und nach Art. 8 i. V. m. Art. 97 der Verfassung sich der zivilen Staatsgewalt unterordnen 116 . Nach Art. 97 leitet die Regierung die zivile und militärische Verwaltung (administración) und die Verteidigung des Staates. Die Streitkräfte müssen also in allen ihren Aufgaben — auch hinsichtlich des Schutzes der verfassungsmäßigen Ordnung — der politischen Leitung der Regierung folgen. Die tatsächliche Verfügung, die technische Befehlsgewalt über die Streitkräfte hatten bis vor kurzem die m i l i t ä r i schen Streitkräfte inne 117 , die in der „junta de Jefes de Estado Maior", dem Rat der Stabschefs, die Spitze der Streitkräfte bildeten, während dem König 1 1 8 nur formal der Oberbefehl zustand. Die sozialistische Regierung Gonzalez hat dies jetzt geändert. Der neue Rat der Stabschefs besitzt nicht mehr die Befehlsgewalt über die Streitkräfte, sondern hat nur noch beratende Funktion. Die Befehlsgewalt für Friedenszeiten w i r d — abgesehen vom formalen Oberbefehl des Königs — auf den Ministerpräsidenten und den Verteidigungsminister übertragen. 113
Vgl. Serrano Alberco, in: Garrido Falla, S. 92. A r t . 9 Abs. 1: „Die Bürger u n d die Staatsgewalten sind an die Verfassung u n d die übrige Rechtsordnung gebunden." 115 Vgl. Serrano Alberca, in: F. Garrido Falla, S. 93. 116 Vgl. Serrano Alberca, in: F. Garrido Falla, S. 98. 117 Vgl. Serrano Alberca, S. 98. 118 A r t . 62 Ziff. h der Verfassung. 114
V.
a n
267
Lediglich i m Kriegsfall soll der oberste Generalstabschef die Befehlsgewalt erhalten 119 . Die spanischen Streitkräfte unterstehen dem Prinzip der Unparteilichkeit und der politischen Neutralität 1 2 0 . Demgemäß schreibt Art. 182 der „Reales Ordenanzas" 121 vor, daß die Streitkräfte keine Partei für eine der verschiedenen politischen Optionen nehmen dürfen. Nach Art. 70 der Verfassung sind die Berufssoldaten und aktive Mitglieder der Sicherheitskräfte durch das Wahlgesetz von der Wählbarkeit als Deputierte und Senatoren auszunehmen 122 . Der sozialistische Ministerpräsident Gonzales hat anläßlich der „Woche der Streitkräfte" 1983 ausdrücklich die Verdienste der Streitkräfte u m die Verteidigung der Verfassung gelobt 123 . Die Krise des Putschversuchs einer Gruppe von Offiziern i m Jahre 1981 hat die Integration der Streitkräfte i n die Demokratie offenbar nicht aufgehalten.
3. Vereidigung
Die spanische Botschaft i n Bonn teilte dem Verfasser am 15. 6.1984 folgende Eidesformel mit, die für alle Soldaten Anwendung findet: „JURO POR DIOS Ο POR M I HONOR Y PROMETO A E S P A N A , besando con unición su Bandera, obedecer y respetar al Rey y a mis Jefes, no abandonarles nunca y derramar, si es preciso, en defensa de la soberania e independencia de la Patria, de su unidad e integridad t e r r i t o r i a l y del ordenamiento constitutional, hasta la ù l t i m a gota de m i sangre." „Ich schwöre bei Gott/oder bei meiner Ehre u n d verspreche Spanien, dessen Fahne ich m i t Hingabe küsse, dem K ö n i g u n d meinen Vorgesetzten Gehorsam u n d Achtung entgegenzubringen, sie niemals i m Stich zu lassen u n d mich, falls nötig, i n Verteidigung der Souveränität u n d Unabhängigkeit des Vaterlandes, seiner Einheit u n d territorialen Integrität u n d seiner verfassungsmäßigen Ordnung bis zum letzten Blutstropfen einzusetzen."
Die spanischen Soldaten werden also auch auf die „verfassungsmäßige Ordnung" vereidigt.
119 120 121 122 123
Vgl. Manfred Schröder, in: „Süddeutsche Zeitung" v o m 13.1.1984. Vgl. Serrano Alberca, S. 98. Gesetz v o m 18.12.1978 — vgl. Serrano Alberca, S. 98. Vgl. Übersetzung bei A . Weber, S. 262. Vgl. Lothar Labusch, in: „Badische Zeitung" v o m 31. 5.1983, S. 5.
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3. Kapitel: Rechtsvergleichung
VI. Portugal 1. Die Rolle des Revolutionsrates in der Verfassung vom 2.4.1976
Die Revolution vom 25. A p r i l 1974, die Portugal zur Demokratie führte, war aus den Streitkräften hervorgegangen; sie wurde getragen von der „Bewegung der Streitkräfte" (Movimento das Forças Armadas — MFA). Die Präambel der Verfassung vom 2. A p r i l 1976 — auch noch i n der Fassung des Verfassungsgesetzes vom 30. September 1982124 — beginnt mit einer Feststellung: „ A m 25. A p r i l 1974 hat die Bewegung der Streitkräfte, dem langjährigen Widerstand des portugiesischen Volkes zum Erfolg verhelfend u n d seine tiefen Gefühle interpretierend, das faschistische Regime seiner Macht enthoben . . . 1 2 S ."
Die Verfassung vom 2.4.1976 i n ihrer ursprünglichen Gestalt hatte den Streitkräften durch den „Revolutionsrat" (Conselho da Revoluçâo) die Stellung des Hüters der Verfassung eingeräumt. A r t i k e l 142 der Verfassung a. F. lautete: „Der Revolutions rat hat die Aufgaben eines Rats des Präsidenten der Rep u b l i k u n d eines Garanten des ordnungsgemäßen Funktionierens der demokratischen Institutionen, eines Garanten der Verfassungserfüllung (Cumprimento da Constituciçao) u n d der Treue zum Geist der portugiesischen Revolution v o m 25. A p r i l 1974 sowie eines politischen u n d gesetzgeberischen Organs i n Militärangelegenheiten 1 2 6 ."
Zum Revolutionsrat gehörten nach A r t i k e l 143 Verfassung a. F. der Präsident der Republik, Generalstabschef und Vize-Generalstabschef der Streitkräfte, die Stabschefs der drei Teilstreitkräfte, der Ministerpräsident, sofern er Militär war, und 14 von den Teilstreitkräften benannte Offiziere, davon 8 aus dem Heer, 3 aus der Luftwaffe und 3 aus der Marine 1 2 7 . I n seiner Eigenschaft als Garant der Verfassungsverwirklichung hatte der Revolutionsrat nach Art. 146 Verfassung a. F. u. a. die Befugnis, sich aus eigener Initiative oder auf Antrag des Präsidenten der Republik über die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift jeder A r t (diploma) vor ihrer Verkündigung oder Unterzeichnung auszusprechen. 124 Lei Constitucional No 1/82 de 30 de Setembro de 1982, Diario da Repüblica I Série No 227. 125 Präambel der Verfassung: „ A 25 de A b r i l de 1974, ο Movimento das Forças Armadas, coroando a longa resistência do povo partuguês e interpretando os seus sentimentos profundos, derrubou ο regime fascista . . . " 126 Vgl. Text u n d Kommentar i n J. J. Gomes Canotilho / Vital Moreira, Constituiçâo da Repùblica Portuguesa, S. 202 ff. 127 Vgl. Textkommentar bei Canotilho / Moreira, S. 307 f.
VI.
ug
269
Hierzu gehörten Gesetze, Dekretgesetze, Ordnungsdekrete, einfache Dekrete und Resolutionen des Parlaments 128 . Weiter konnte der Revolutionsrat Empfehlungen für Maßnahmen zur Verfassungsverwirklichung beschließen und sogar die Verfassungswidrigkeit von Vorschriften jeder A r t mit verpflichtender Kraft aussprechen 129 . Die Streitkräfte selbst waren i n der Verfassung a. F. durch A r t . 275 Abs. 1 zur politischen Neutralität verpflichtet: „Die portugiesischen Streitkräfte stehen i m Dienst des portugiesischen Volkes, nicht einer Partei oder Organisation, u n d sind streng unparteiisch 1 3 0 ." 2. Die Streitkräfte im geltenden Verfassungsrecht
Nach Ablauf von 5 Jahren seit Verkündung der Verfassung vom 2.4.1976 konnte die Einrichtung des Revolutionsrates mit verfassungsändernder 2/3-Mehrheit der Volksvertretung abgeschafft werden 131 . Dies geschah, nachdem die 1981/82 noch oppositionelle Sozialistische Partei für die Verfassungsänderung gewonnen werden konnte. Hüter der Verfassung ist jetzt das Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional), das aus 13 Richtern besteht; 10 davon werden durch die Volksvertretung (Assembleia da Repùblica) ernannt, 3 durch diese kooptiert 1 3 2 . Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Normen steht heute dem Verfassungsgericht zu 133 . Die Streitkräfte spielen nunmehr eine verfassungsrechtlich normalisierte Rolle. A r t i k e l 273 Abs. 1 der Verfassung i. d. F. von 1982 gibt ihnen freilich eine Bestandsgarantie: „Es ist Verpflichtung des Staates, die nationale Verteidigung zu sichern." A r t . 273 Abs. 2 ordnet die Verteidigungsaufgabe deutlich dem demokratischen Prinzip unter: „Die nationale Verteidigung bezweckt i n Achtung der demokratischen I n s t i tutionen, die nationale Unabhängigkeit, die Integrität des Territoriums u n d die Freiheit u n d Sicherheit der Bevölkerung gegen jeden A n g r i f f oder Bedrohung von außen zu gewährleisten."
Den Streitkräften obliegt die militärische Verteidigung Portugals 134 . Sie werden dem Primat der Politik ausdrücklich unterstellt: 128 129 130 131 132 133 134
Vgl. Art. Vgl. Art. Art. Art. Art.
Canotilho / Moreira, S. 308. 146 Abs. b) u n d c) Verfassung a. F. Text u n d Kommentar bei Canotilho / Moreira, S. 473 f. 284 der Verfassung v o m 2.4.1976 i. d. F. v o m 30. 9.1982. 284 der Verfassung v o m 2.4.1976 i. d. F. v o m 30. 9.1982. 277 ff. der Verfassung v o m 2.4.1976 i. d. F. vom 30. 9.1982. 275 Abs. 1 Verf. i. d. F. v o m 30. 9.1982.
270
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
„Die Streitkräfte gehorchen den zuständigen Souveränitätsorganen gemäß Verfassung u n d Gesetz 135 ."
A r t . 275 Abs. 2 schreibt den Streitkräften politische Abstinenz vor — ein klares Einmischungsverbot: „Die Streitkräfte stehen i m Dienste des portugiesischen Volkes, sind streng unparteiisch u n d ihre Angehörigen dürfen sich nicht ihrer Waffe, ihres Postens oder ihrer F u n k t i o n zu einer politischen Einmischung (intervençâo politica) bedienen."
Das Gesetz über die nationale Verteidigung und die Streitkräfte vom 11.12.1982 136 konkretisiert die Verfassungsgrundsätze: Nach A r t . 31 Abs. 2—5 Streitkräftegesetz unterliegen Berufs- und Zeitsoldaten einer allgemeinen politischen Zurückhaltungspflicht. Nach Art. 31 Abs. 6 Streitkräftegesetz dürfen Berufs- und Zeitsoldaten keinen politischen, Partei- oder allgemeinen gewerkschaftlichen Organisationen angehören. Sie sind nicht wählbar für das A m t des Präsidenten der Republik oder eines Abgeordneten der Volksvertretung, können aber in Friedenszeiten für eine Kandidatur beurlaubt werden 137 . Auch wehrpflichtige Soldaten unterliegen nach A r t . 31 Abs. 12 Streitkräftegesetz der Pflicht zu politischer, parteipolitischer und gewerkschaftlicher Zurückhaltung (isençâo), die jedoch weniger ausgeprägt ist als die der Berufs- und Zeitsoldaten. Nach A r t . 35 Streitkräftegesetz sind schließlich die Streitkräfte in die allgemeine Staatsverwaltung mittels des Verteidigungsministeriums integriert. Dem Verteidigungsminister unterstehen direkt der Generalstabschef der Streitkräfte und die Stabschefs der Teilstreitkräfte. Das Streitkräftegesetz vom 11.12.1982 erklärt vorhergehende Gesetze für aufgehoben, wobei jedoch das Dekretgesetz N°434 — F./82 vom 29.10.1982 138 nicht genannt ist, das der Revolutionsrat noch kurz vor seiner Auflösung erlassen hatte. Den Soldaten w i r d i n diesem Dekretgesetz ausdrücklich politische Zurückhaltungspflicht vorgeschrieben 139 . Art. 4 Abs. 1 des Dekretgesetzes bestimmt: „Außer i n den i n der vorliegenden Vorschrift angeführten Fällen ist der Dienst i n den Streitkräften nicht vereinbar m i t der Ausübung von 135
A r t . 275 Abs. 2 Verf. i. d. F. v o m 30. 9.1982. Lei no 29/82 de 11 de Dezembro, L e i da Defesa Nacional e das Forças Armadas, Diario da Repùblica, I Serie No. 285 v o m 11.11.1982, S. 4067 ff. — k ü n f t i g genannt „Streitkräftegesetz". 137 A r t . 31 Abs. 9 u n d 10 Streitkräftegesetz. 138 Decreto Lei No 434-F/82 Diario da Repùblica I Serie No. 251 v o m 29.10. 1982, S. 3598 — (34). 139 A r t . 12 Abs. 1 Dekretgesetz No. 434-F/82 bestätigt den Präsidenten der Republik als Oberbefehlshaber der Streitkräfte. 136
VI.
271
ug
a) politischen Wahlämtern b) politischen Ernennungsämtern c) A k t i v i t ä t e n parteipolitischer A r t d) gewerkschaftlichen A k t i v i t ä t e n . " Soldaten, die A k t i v i t ä t e n der o. a. A r t ausüben, müssen o b l i g a t o r i s c h i h r e m i l i t ä r i s c h e T ä t i g k e i t einstellen. N u r d u r c h
Sondergenehmigun-
gen k ö n n e n A u s n a h m e n geschaffen w e r d e n . D i e S o l d a t e n d e r portugiesischen S t r e i t k r ä f t e
s i n d also h e u t e
zur
p o l i t i s c h e n E n t h a l t s a m k e i t v e r p f l i c h t e t . I n der portugiesischen V e r f a s sung i. d. F. v o m 30. 9.1982 g i b t es k e i n e verfassungsrechtlichen
Son-
derbefugnisse des M i l i t ä r s m e h r . 3. Vereidigung D i e portugiesische Botschaft i n B o n n t e i l t e d e m Verfasser a m 6 . 4 . 1984 folgende E i d e s f o r m e l n m i t : a) Treueeid
der
Offiziere
Fòrmula de Juramento de Fidelidade „Juro, por minha honra, corno português e corno oficial d. . . . (Exército, Armada ou Força Aèrea), guardar e fazer guardar a Constituiçâo da Repùblica; cumprir as ordens e deveres militares de acordo com as leis e regulamentos; contribuir com todas as minhas capacidades para ο prestigio das Forças Armadas e servir a m i n h a Patria em todas as circunstâncias e sem hesitaçôes, mesmo com ο sacrificio da pròpria vida." „Ich schwöre bei meiner Ehre, als Portugiese u n d O f f i z i e r . . . (des Heeres, Marine, Lw), die Verfassung der Republik zu achten u n d achten zu lassen; die militärischen Befehle und Pflichten zu erfüllen i n Übereinstimmung m i t den Gesetzen u n d Vorschriften; m i t all meinen Fähigkeiten zum Ansehen der Streitkräfte beizutragen u n d meinem Vaterland, ohne zu zögern, unter allen Umständen, sogar m i t dem Opfer des eigenen Lebens zu dienen." b) Fahneneid
der
Soldaten
Fòrmula de Juramento de Bandeira „Juro, corno português e corno m i l i t a r servir as Forças Armadas, cumprir os deveres militares, guardar e fazer guardar a Constituiçâo da Repùblica. Juro, defender a minha Pàtria e estar sempre pronto a lutar pela sua liberdade e independência, mesmo com ο sacrificio da pròpria vida." „Ich schwöre als Portugiese u n d Soldat, den Streitkräften zu dienen, die militärischen Pflichten zu erfüllen u n d die Verfassung der Republik zu achten u n d achten zu lassen. Ich schwöre, m e i n Vaterland zu verteidigen und i m m e r bereit zu sein, für seine Unabhängigkeit zu kämpfen, sogar bei dem Opfer des eigenen Lebens." N a c h b e i d e n F o r m e l n w e r d e n also O f f i z i e r e u n d andere S o l d a t e n dazu v e r e i d i g t , die V e r f a s s u n g z u achten u n d achten z u lassen.
272
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
V I I . DDR 1. Die Stellung der Nationalen Volksarmee (NVA) i m Staatsaufbau der DDR
a) Die Entstehung der NVA Schon vor Beginn der Wiederbewaffnung i n der Bundesrepublik Deutschland war bereits seit 1948 mit dem Aufbau von Streitkräften begonnen worden. Bereits i m August 1948 waren 10 kasernierte Bereitschaften von je 250 Mann aufgestellt, deren Kader ehemalige Wehrmachtsoffiziere und -Unteroffiziere bildeten 1 4 0 . Seit 1952 wurden diese Bereitschaften unter dem Namen K V P (Kasernierte Volkspolizei) geführt, der Führungskader von 15 000 Offizieren und 30 000 Unteroffizieren zur Verfügung standen 141 . Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, bei dem die K V P die i n sie gesetzten Hoffnungen als SED-Parteitruppe nicht erfüllte, wurden i n einer großen Säuberungsaktion 12 000 Mann aller Dienstgrade als „unzuverlässige Elemente" entlassen 142 ; die K V P und ihr Kommando wurden organisatorisch weiter umstrukturiert. A m 18. Januar 1956 verabschiedete die Volkskammer das „Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee und das Ministerium für Nationale Verteidigung" 1 4 3 . Ihre Gesamtstärke betrug damals schon 120 000 Mann. I n der Bundesrepublik Deutschland begann man zur gleichen Zeit damit, die ersten 1000 Freiwilligen für die Aufstellung der Bundeswehr einzuberufen 144 . Die Aufstellung der Volksarmee wurde u. a. damit legitimiert, daß a) „die direkte konterrevolutionäre Attacke gegen die Arbeiter- und Bauernmacht i m J u n i 1953 sowie die äußerst gewachsene Bedrohung des Sozialismus durch den Abschluß der Pariser Verträge (durch die B u n desrepublik Deutschland) die Schaffung von Land-, L u f t - und Seestreitkräften erforderlich gemacht" habe 1 4 5 u n d b) die Arbeiterklasse bereit sein müsse, „den bewaffneten Schutz ihrer E r rungenschaften i n die eigenen Hände zu nehmen" 1 4 6 .
M i t Gesetz vom 24.1.1962 wurde die allgemeine Wehrpflicht rechtsförmlich eingeführt 147 . 140 141 142 143 144
1985.
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Forster, N V A , S. 22. Forster, N V A , S. 28. Forster, N V A , S. 29. Forster, N V A , S. 31. ebd.; die Bundeswehr begeht ihren 30. Jahrestag am 12. November
145 Vgl. Proli, Bundeswehr u n d Nationale Volksarmee, i n Staat u n d Gesellschaft, S. 15. 146 4. FDGB-Kongreß v. J u n i 1953, zit. bei Proli, S. 16.
V I I . DDR
b) Die Landesverteidigung
273
in der Verfassung
Die Verfassung der DDR vom 6. A p r i l 1968 in der Fassung vom 7. Oktober 1974148 erhebt die Verteidigung zu einem Verfassungsauftrag 1 4 9 . „Artikel 7 (1) Die Staatsorgane gewährleisten die territoriale Integrität der Deutschen Demokratischen Republik u n d die Unverletzlichkeit ihrer Staatsgrenzen einschließlich ihres Luftraumes u n d ihrer Territorialgewässer sowie den Schutz u n d die Nutzung ihres Festlandsockels. (2) Die Deutsche Demokratische Republik organisiert die Landesverteidigung sowie den Schutz der sozialistischen Ordnung u n d des friedlichen Lebens der Bürger. Die Nationale Volksarmee u n d die anderen Organe der Landesverteidigung schützen die sozialistischen Errungenschaften des Volkes gegen alle Angriffe von außen. Die Nationale Volksarmee pflegt i m Interesse der Wahrung des Friedens u n d der Sicherung des sozialistischen Staates enge Waffenbrüderschaft m i t den Armeen der Sowjetunion u n d anderer sozialistischer Staaten."
I n A r t . 23 Abs. 1 der DDR-Verfassung w i r d die Wehrpflicht festgelegt: „Der Schutz des Friedens u n d des sozialistischen Vaterlandes und seiner Errungenschaften 150 ist Recht und Ehrenpflicht 151 der Bürger der Deutschen 147 Vgl. Forster, N V A , S. 37; das Wehrpflichtgesetz v o m 24.1.1962 (GBl. I Nr. 1 Satz 2) wurde durch den § 47 Wehrdienstgesetz v. 25. März 1982 (GBl. I Nr. 12 Satz 221) außer K r a f t gesetzt. 148 GBl. I, S. 425, abgedruckt bei Sieger, Verfassung der DDR, München 1980 und bei Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, F r a n k f u r t a. M . 1982. 149 Vgl. Sorgenicht / Weichelt / Riemann / Semler, Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. 1, A n m . 2 zu A r t . 7, S. 59; vgl. zum Thema auch Inge Reiß, Diss., S. 72. 150 Unter Errungenschaften sind die Sachverhalte zu verstehen, die die DDR zu einem sozialistischen Staat machen, v o r allem aber die i n A r t . 2 genannten unantastbaren Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung einschließlich der führenden Rolle (der Suprematie) der marxistisch-leninistischen Partei (Art. 1), das Ende der Ausbeutung der Werktätigen infolge des sozialistischen Eigentums an Produktionsmitteln, die Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwicklung unter der Suprematie der m a r x i stisch-leninistischen Partei; das Leistungsprinzip (Art. 2 Abs. 3), die Volksvertretung, die die Grundlage des Systems der Staatsorgane bilden (Art. 5). Vgl. Mampel, Randnr. 5 zu A r t . 23 (S. 645). 151 Die DDR-Verfassung kennt k e i n Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Jedoch w i r d i n bescheidenem Maße Gewissens- oder Glaubensnöten Rechnung getragen. Durch A n o r d n u n g des Nationalen Verteidigungsrates v o m 7.9.1961 wurde die Aufstellung von Baueinheiten befohlen, i n denen solche Wehrpflichtigen dienen, die „aus religiösen Anschauungen oder aus ä h n l i chen Gründen" den Wehrdienst m i t der Waffe ablehnen (GBl. I Nr. 11 v o m 16. 9.1964, S. 129) — vgl. Mampel, Randnr. 12 zu A r t . 23 S. 647). I m DDR-eigenen Kommentar zur Verfassung v o n 1968 Sorgenicht / Weichelt / Riemann / Semler (S. 61) liest sich das so: „Das bedeutet, daß der sozialistische Staat auf Gewissenskonflikte Rücksicht n i m m t , jedoch keinen
18 Cuntz
274
3. Kapitel: Rechtsvergleichung
Demokratischen Republik. Jeder Bürger ist zum Dienst u n d zu Leistungen für die Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik entsprechend den Gesetzen verpflichtet." c) NVA
und
Partei
D i e N V A ist, o b w o h l eine E i n r i c h t u n g des Staates, w e i t h i n m i t der S E D v e r s c h r ä n k t 1 5 2 . I m P a r t e i p r o g r a m m der „Sozialistischen E i n h e i t s p a r t e i D e u t s c h l a n d s " (SED) v o n 1976 w u r d e n die b e w a f f n e t e n T r u p p e n d e r D D R a u s d r ü c k l i c h der L e i t u n g d u r c h die P a r t e i u n t e r s t e l l t 1 5 3 : „ U n t e r Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, i n enger Klassen- u n d Waffenbrüderschaft m i t der Sowjetarmee u n d den anderen Armeen der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages erfüllen die Nationale Volksarmee, die Grenztruppen, die anderen Schutz- u n d Sicherheitsorgane der Deutschen Demokratischen Republik sowie die K a m p f gruppen der Arbeiterklasse ihre Pflicht, u m den Frieden i n Europa zu sichern, u m günstigere Bedingungen für den sozialistischen und k o m m u n i stischen A u f b a u schaffen zu helfen." I n n e r h a l b d e r N V A besteht n e b e n d e r m i l i t ä r i s c h e n K o m m a n d o s t r u k t u r n a c h s o w j e t i s c h e m V o r b i l d eine politische H i e r a r c h i e . I h r e G r u n d l a g e b i l d e t die P a r t e i o r g a n i s a t i o n d e r N V A , die n a c h Z i f f e r 68 des S t a t u t s d e r S E D nach besonderen, v o m Z e n t r a l k o m i t e e b e s t ä t i g t e n I n s t r u k t i o n e n a r b e i t e t 1 5 4 . I m P r o g r a m m der S E D v o n 1976 h e i ß t es: „Die Stärke der bewaffneten Organe beruht vor allem auf der Führung durch die marxistisch-leninistische Partei. Daraus ergibt sich die wachsende Rolle der Parteiorganisation i n allen Bereichen der sozialistischen Landesverteidigung 1 5 5 ." 2. Politische Treuepflicht der Soldaten a) Treuepflicht
im
Gesetz
Das W e h r d i e n s t g e s e t z d e r D D R v o m 25. 3 . 1 9 8 2 1 5 6 s t e l l t i n § 21 A b s . 1 die A n g e h ö r i g e n d e r N V A a u s d r ü c k l i c h d e n Z i v i l b ü r g e r n h i n s i c h t l i c h Wehrpflichtigen v o m Dienst i n den Streitkräften zum Schutz des Friedens u n d der DDR entbinden kann." Bis Ende des Jahres 1975 erfolgten acht Durchgänge m i t bis dahin insgesamt 2200 eingezogenen Bausoldaten — vgl. F. Werner, Wehrdienstverweigerung i n der DDR, 1976, S. 161. Nach der Bekanntmachung des Sekretärs des Nationalen Verteidigungsrates v o m 25. März 1982 — GBl. I Nr. 12, S. 268 entspricht der Dienst i n den Baueinheiten der Ableistung des Wehrdienstes. 152 Vgl. Mampel, Randnr. 36 zu A r t . 7, S. 263/264. 153 v g l . Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Dresden 1976, S. 23. 154
Vgl. Mampel, Randnr. 35 zu A r t . 7, S. 263. 155 v g l . Programm der SED v o n 1976, S. 77.
156 Gesetz über den Wehrdienst i n der Deutschen Demokratischen Republik — Wehrdienstgesetz — v o m 25. 3.1982, GBl. I v o m 2.4.1982, S. 221.
V I I . DDR
275
der „ G r u n d r e c h t e u n d G r u n d p f l i c h t e n nach der V e r f a s s u n g der D e u t schen D e m o k r a t i s c h e n R e p u b l i k "
gleich. I h r e besonderen Rechte u n d
P f l i c h t e n w e r d e n j e d o c h n a c h § 2 1 A b s . 2 Wehrdienstgesetz nach d e n „ E r f o r d e r n i s s e n des m i l i t ä r i s c h e n Schutzes d e r Deutschen D e m o k r a t i schen R e p u b l i k " festgelegt. A u c h w e n n d e n A n g e h ö r i g e n d e r N V A das a k t i v e u n d passive W a h l r e c h t z u g e b i l l i g t w i r d , k a n n sich n u r d i e S E D — n i c h t O s t - C D U , D B D , L D P D oder N D P D — i n n e r h a l b der
NVA
betätigen157. § 22 A b s . 1 Satz 1 u n d 2 Wehrdienstgesetz b e s t i m m t : „Die Angehörigen der Nationalen Volksarmee sind verpflichtet, auf der Grundlage der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, der Gesetze u n d anderen Rechtsvorschriften sowie i n E r f ü l l u n g ihres geleisteten Fahneneids die sozialistische Gesellschaftsordnung u n d das friedliche Leben der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik gegen jeden Feind zu schützen. D a r u m haben sie der Deutschen Demokratischen Repub l i k , i h r e m sozialistischen Vaterland u n d der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands als der führenden gesellschaftlichen Kraft treu und zuverlässig zu dienen, V o l k u n d Armee unablässig zu festigen." § 22 A b s . 3 Wehrdienstgesetz b e s t i m m t : „Die militärische Disziplin Volksarmee. Sie haben
ist Pflicht der Angehörigen der
Nationalen
a) die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik u n d die anderen Rechtsvorschriften s t r i k t einzuhalten sowie den Fahneneid zu erfüllen, . . . " Vorgesetzte h a b e n nach § 23 A b s . 2 Wehrdienstgesetz die besondere Pflicht, „die führende Rolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands i n der Nationalen Volksarmee unablässig zu stärken u n d ihre Unterstellten so zu erziehen, daß ihre Treue und Ergebenheit zur Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei, ihre Liebe zum sozialistischen Vaterland u n d ihre Verbundenheit m i t dem V o l k der Deutschen Demokratischen Republik sowie ihre H a l t u n g zum proletarischen Internationalismus ständig weiter vertieft u n d gefestigt werden." § 23 A b s . 3 S. 1 W e h r d i e n s t g e s e t z b e s t i m m t : „Die Vorgesetzten haben den Wehrdienst zu einer wichtigen Etappe der kommunistischen Erziehung u n d Formung sozialistischer Persönlichkeiten zu gestalten." P f l i c h t v e r l e t z u n g e n k ö n n e n d i s z i p l i n a r geahndet w e r d e n (§ 45 A b s . 2 u. 3 Wehrdienstgesetz).
157 Vgl. Wehrpflicht, Wehrrecht u n d Dienstverweigerung i n beiden deutschen Staaten, hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 38.
18»
276
3. Kapitel: Rechtsvergleichung b) Der
Fahneneid
S o w o h l w e h r p f l i c h t i g e S o l d a t e n — m i t A u s n a h m e der B a u s o l d a t e n 1 5 8 — als auch B e r u f s - u n d Z e i t s o l d a t e n müssen nach § 19 A b s . 1 W e h r dienstgesetz e i n e n F a h n e n e i d leisten. E r l a u t e t 1 5 9 : Ich schwöre: Der Deutschen Demokratischen Republik, meinem Vaterland, allzeit treu zu dienen u n d sie auf Befehl der A r b e i t e r - und Bauernregierung gegen jeden Feind zu schützen. Ich schwöre: A n der Seite der Sowjetarmee u n d der Armeen der m i t uns verbündeten sozialistischen Länder als Soldat der Nationalen Volksarmee jederzeit bereit zu sein, den Sozialismus gegen alle Feinde zu verteidigen u n d mein Leben zur Erringung des Sieges einzusetzen. Ich schwöre: E i n ehrlicher, tapferer, disziplinierter u n d wachsamer Soldat zu sein, den militärischen Vorgesetzten unbedingten Gehorsam zu leisten, die Befehle m i t aller Entschlossenheit zu erfüllen u n d die militärischen u n d staatlichen Geheimnisse immer streng zu wahren. Ich schwöre: Die militärischen Kenntnisse gewissenhaft zu erwerben, die militärischen Vorschriften zu erfüllen u n d immer u n d überall die Ehre unserer Repub l i k u n d ihrer Nationalen Volksarmee zu wahren. Sollte ich jemals diesen meinen feierlichen Fahneneid verletzen, so möge mich die harte Strafe der Gesetze unserer Republik u n d die Verachtung des werktätigen Volkes treffen." Das D D R - M i l i t ä r l e x i k o n 1 6 0 i n t e r p r e t i e r t d e n F a h n e n e i d als M i t t e l , die K a m p f m o r a l d e r A r m e e z u e n t w i c k e l n u n d zu s t ä r k e n . I n i h m d r ü c k e sich d e r K l a s s e n c h a r a k t e r e i n e r A r m e e aus. D i e V e r b i n d l i c h k e i t des Fahneneides b e r u h e a u f d e r p r a k t i s c h e n W a c h s a m k e i t der sozialistischen M o r a l u n d W e h r m o r a l , auf d e r K r a f t der ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g u n d d e r m i l i t ä r i s c h e n K o l l e k t i v e sowie auf d e r A k t i v i t ä t des G e w i s sens d e r S o l d a t e n p e r s ö n l i c h k e i t . c)
Parteiprogramm
Das P r o g r a m m d e r S E D v o n 1976 sieht das I d e a l b i l d 1 6 1 des Soldat e n so 1 6 2 : 158
Die Bausoldaten legen nach der A n o r d n u n g des Nationalen Verteidigungsrates v o m 16.9.1964 — GBl. I S. 129 § 5 m i t Anlage — keinen Fahneneid, sondern ein ähnlich lautendes Gelöbnis ab. 159 Anlage zu §19 Abs. 1 Wehrdienstgesetz, GBl. I v o m 2. A p r i l 1982, S.229. 160 v g l . M i l i t ä r l e x i k o n S. 91, Stichwort Fahneneid. 161 F ü r B. Proli S. 30 f., geht es bei der Herausbildung eines Ideals i m K e r n darum, die Soldaten politisch für die Lösung der militärischen Aufgaben zu
277
VII.
„Proletarischer Internationalismus u n d sozialistischer Patriotismus, Freundschaft m i t der Sowjetunion, militärische Meisterschaft u n d eiserne Disziplin, Liebe zum werktätigen V o l k und Treue zu den kommunistischen Idealen — das sind die wertvollsten Eigenschaften der Verteidiger des Friedens, des Sozialismus u n d des Kommunismus." d) Zulassungsvoraussetzungen
für
Berufssoldaten
D i e B e w e r b e r f ü r „ m i l i t ä r i s c h e B e r u f e " (§ 18 A b s . 1 c W e h r d i e n s t gesetz) müssen u . a. f o l g e n d e V o r a u s s e t z u n g e n e r f ü l l e n oder bis z u m B e g i n n d e r A u s b i l d u n g zu m i l i t ä r i s c h e n L e h r e i n r i c h t u n g e n e r w e r b e n : „Verbundenheit m i t der Partei der Arbeiterklasse u n d der Werktätigen, Treue zur DDR, Patriotismus u n d internationalistische Haltung, aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben u n d fester Wille, aktiven Wehrdienst i n militärischen Berufen zu leisten 1 6 3 ." § 3 A b s . 2 d e r D i e n s t l a u f v e r o r d n u n g der N V A v o m 25. 3 . 1 9 8 2 1 6 4 besagt: „Die Voraussetzungen für die Ernennung i n eine Dienststellung oder zu einem Dienstgrad bzw. für die Beförderung i m Dienstgrad sind: a) Die politische, militärische u n d charakterliche Eignung u n d die dafür erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten u n d Leistungen sowie b) die verfügbare Planstelle." M a n k a n n w o h l sagen, daß i n der P r a x i s fast a l l e O f f i z i e r e der N V A M i t g l i e d oder K a n d i d a t der S E D sind. W e n n g l e i c h Z a h l e n a n g a b e n d a r ü b e r n i c h t v e r ö f f e n t l i c h t w e r d e n , t r i f f t dies v e r m u t l i c h auch f ü r d i e Mehrzahl der Unteroffiziere u n d der übrigen Berufssoldaten zu165. e)
Ergebnis
S o l d a t e n der N V A , insbesondere B e r u f s - u n d Z e i t s o l d a t e n , s i n d e i n e r engen p o l i t i s c h e n A n b i n d u n g a n d i e SED u n t e r w o r f e n . N i c h t politische N e u t r a l i t ä t , n i c h t U n p a r t e i l i c h k e i t s i n d gefragt, s o n d e r n D i s z i p l i n u n d P a r t e i l i c h k e i t f ü r M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s u n d die SED. Das g i l t f ü r B e r u f s s o l d a t e n u n d Vorgesetzte i n noch s t ä r k e r e m M a ß e als f ü r d e n einfachen w e h r p f l i c h t i g e n Soldaten.
motivieren. Er zitiert Bendrat / Freudenreich, Politische Schulung, m i t weiteren Merkmalen des Idealsoldaten: „Bedingungslose Befehlsdurchführung", „eiserne militärische Disziplin", „Persönliche Verantwortung f ü r den Schutz des Sozialismus, den der Soldat als die gerechteste u n d verteidigungswürdigste Sache anerkennt u n d erfahren hat." 162 Parteiprogramm der SED v o n 1976, S. 77. 163
Vgl. Knöfel / Lindner, Ich werde Soldat, B e r l i n (Ost) 1982, S. 81/82. Vgl. bei Holzweißig, Die geltende Wehrgesetzgebung der DDR, S. 52 ff. 165 v g l . Wehrpflicht, Wehrrecht u n d Kriegsdienstverweigerung i n beiden deutschen Staaten, hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1980, S. 25. 164
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3. Kapitel: Rechtsvergleichung
V I I I . Zusammenfassung 1. Stellung der Streitkräfte in der Verfassung
I n allen untersuchten demokratischen Verfassungsordnungen sind Vorkehrungen getroffen, um die Streitkräfte i n den Staats- und Verfassungsaufbau einzuordnen und sie den demokratisch legitimierten Staatsgewalten unterzuordnen. Die Streitkräfte sollen nicht zu einem eigenständigen Machtfaktor werden, sondern dem „Primat der Politik" unterstehen. Alte Tradition haben die verfassungsmäßigen Sicherungen i n England (jährliche Bewilligung des Heeres durch das Parlament seit 1689), den USA (Oberbefehl des demokratisch gewählten Präsidenten, Rechte des Kongresses in der Verfassung von 1787) und Frankreich (Deliberationsverbot seit der Revolution von 1789, Oberbefehl des demokratisch gewählten Präsidenten, Neutralisierung der Streitkräfte). I n Spanien und Portugal, die erst i m letzten Jahrzehnt wieder zur Demokratie gefunden haben, nehmen — bzw. nahmen — die Streitkräfte eine Sonderstellung ein, die ihnen eine relative Unabhängigkeit von den demokratisch gewählten Staatsorganen gewährte und ihnen eine Rolle als Hüter der Verfassung zuwies — insbesondere in Portugal. I n Portugal ist seit der Verfassungsänderung von 1982 der Primat der demokratisch gewählten Organe auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht klargestellt; i n Spanien hat die sozialistische Regierung Anfang 1984 Maßnahmen ergriffen, die die befehlsmäßige Unterstellung der Streitkräfte unter die Regierung und damit eine Integration in den demokratischen Staat sichern sollen. I n der DDR dienen die Streitkräfte nicht nur dem Staat, sondern auch der Partei (SED). 2. Verfassungstreue und Vereidigung
I n keiner der untersuchten Rechtsordnungen gibt es einen Begriff, der wort- und gebrauchsgleich denen unserer „Verfassungstreue" oder „politischen Treuepflicht" entspräche. A m ehesten ist noch i n Frankreich eine vergleichbare politische Treuepflicht (loyalisme national), i n den USA, aber auch i n Portugal eine ähnlich enge Bindung an die Verfassung zu finden. Außer Zweifel steht, daß die Streitkräfte in allen westlichen demokratischen Staaten den Verfassungsregeln untergeordnet sind, sie zu beachten und sich an ihnen auszurichten haben. Der Gedanke einer Einschränkung der politischen Meinungs- und Handlungsfreiheit wegen einer Verpflichtung gegenüber der Verfas-
V I I I . Zusammenfassung
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sung oder Grundprinzipien wie der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" ist den untersuchten westlichen Rechtsordnungen nicht bekannt. Auch wo Sicherheits- oder Loyalitätserwägungen hervortreten (z. B. Großbritannien, Frankreich und USA), w i r d heute kein Zusammenhang zwischen Verfassungstreuepflicht und Extremistenbekämpfung hergestellt (in den USA ist die Zeit der aktiven Kommunistenbekämpfung vorbei). I n Frankreich w i r d überhaupt nicht vereidigt, i n Großbritannien auf die Königin, i n USA (Offiziere und Offiziersanwärter), Spanien und Portugal auf die Verfassung. I n letzteren drei Staaten hat man offensichtlich keine ähnlichen Schwierigkeiten mit dem Verfassungseid der Soldaten wie in der Bundesrepublik (wo nicht auf das Grundgesetz, sondern auf den Staat vereidigt wird). I n Großbritannien kann es schon deshalb keinen Verfassungseid geben, weil es keine geschriebene Verfassung gibt. I n Spanien und Portugal haben Bindung und Schutzpflicht der Streitkräfte gegenüber der Verfassung eine eigene Bedeutung: i n Spanien, weil man sich der Einfügung der aus der Franco-Zeit übernommenen Streitkräfte i n die demokratische Verfassungsordnung versichern wollte; in Portugal, weil die Streitkräfte selbst bei der Verfassungsgebung mitgewirkt hatten und einige Jahre als Hüter der Verfassung fungierten. Aber auch i n diesen beiden Ländern gibt es keinen Begriff, der dem der individuellen „Verfassungstreue" in der Bundesrepublik Deutschland gleichkäme. I n der DDR sind die Soldaten der Treue zum Staat und zur SED verpflichtet; den Begriff der Verfassungstreue gibt es nicht. Der Fahneneid w i r d nicht auf die Verfassung geleistet, sondern enthält eine Treueerklärung zum Staat und zum „Sozialismus" sowie die Verpflichtung zu Disziplin und unbedingtem Gehorsam.
3. Extremistenfrage
Eine Einschränkung politischer Rechte wegen „extremistischer" politischer Anschauung oder Betätigung ist m i t Eindeutigkeit i n keiner der untersuchten Verfassungsordnungen zu erkennen. I n den USA und besonders i n Großbritannien ist allerdings die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Partei oder extremistische Betätigung Gesichtspunkt bei sicherheitsmäßigen Prüfungen. I n den USA sichert jedoch eine den Grundfreiheiten Rechnung tragende Rechtsprechung auch Vertretern politisch extremer Ansichten einen Freiraum; i n Großbritannien ist es die lange freiheitliche Überlieferung,
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3. Kapitel: Rechtsvergleichung
die einer Benachteiligung wegen bestimmter politischer Anschauungen entgegensteht. I n Frankreich hat der Conseil d'Etat eine Diskriminierung wegen extremistischer Ansichten ausdrücklich untersagt. Allgemein stehen i n den untersuchten westlichen Rechtsordnungen auch Extremisten unter dem Schutz des Rechts. I n der DDR hat ein „Extremist" — für dortige Verhältnisse wäre ein Demokrat wohl als solcher zu bezeichnen — nach den strikten wehrrechtlichen Vorschriften keine Chance, Berufs- und Zeitsoldat zu werden oder sich als wehrpflichtiger Soldat frei zu betätigen. 4. Z u r ü c k h a l t u n g s p f l i c h t e n
Politische Neutralität der Streitkräfte ist Gebot i n den demokratischen Rechtsordnungen. Dabei sind die Restriktionen der politischen Betätigungsfreiheit am deutlichsten in Frankreich (obligation de réserve), in Spanien und Portugal. Auch i n Großbritannien ist die politische Enthaltsamkeit der Soldaten rechtliche Verpflichtung. I n den USA gelten Einschränkungen der politischen Handlungsfreiheit i n erster Linie innerhalb militärischer Anlagen, außerhalb derselben vor allem dann, wenn der Soldat i m Dienst befindlich ist oder eine Uniform trägt. I n keiner der westlichen Rechtsordnungen ergibt sich jedoch die Benachteiligung einer bestimmten Partei oder Meinung aufgrund der Zurückhaltungspflicht. Wohl aber sind in bestimmten Fällen Einschränkungen pazifistischer Betätigungen i n Großbritannien und den USA festzustellen (vor allem innerhalb oder mit Wirkung auf militärische Anlagen). I n der DDR besteht keine Zurückhaltungspflicht i m westlichen Sinne, die ja prinzipiell Meinungsfreiheit zuläßt, sondern man statuiert — insbesondere für Vorgesetzte — eine Propagandapflicht für die Sache des Kommunismus. 5. U n t e r s c h e i d u n g W e h r p f l i c h t i g e : B e r u f s - u n d Z e i t s o l d a t e n
I n Frankreich und Portugal, in denen allgemeine Wehrpflicht besteht, unterliegen auch die Wehrpflichtigen politischen Zurückhaltungspflichten, sie sind jedoch freier als Berufs- und Zeitsoldaten. I n Frankreich „ruht" die Parteimitgliedschaft während des Wehrdienstes der Wehrpflichtigen (bei Berufs- und Zeitsoldaten keine Parteimitgliedschaft). I n Portugal sind die Wehrpflichtigen einer allgemeinen nicht genauer definierten politischen Zurückhaltungspflicht (isençâo) unterworfen, die jedoch nicht den Umfang der Zurückhaltungspflichten der Berufs- und Zeitsoldaten hat.
V I I I . Zusammenfassung
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I n den USA, in denen es keine allgemeine Wehrpflicht mehr gibt, ist immerhin eine klare Unterscheidung zwischen einem Offizier, einem Offiziersanwärter (cadet) und einem einfachen Soldaten getroffen. Während Offiziere und Offiziersanwärter auf die Verfassung schwören müssen, sind einfache Soldaten auf den Staat vereidigt. 6. Fazit
Der Begriff der „Verfassungstreue" ist dem Recht der Bundesrepublik Deutschland eigen. Er ist — so lassen es die rechtshistorischen Entwicklungen erkennen — auf die Zeit der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts zurückführen, als eine Verfassungsurkunde gegenüber Monarchen und Staatsorganen gewährleistet werden mußte. Die Verbindung der Frage der Verfassungstreue mit der Extremistenfrage ist eine Entwicklung erst jüngerer Zeiten. I n den untersuchten ausländischen Rechtsordnungen w i r d die Extremistenfrage nicht i m Zusammenhang mit der Verfassungstreue, sondern in erster Linie unter Sicherheitsgesichtspunkten oder auch allgemeinen (Staats-)Loyalitätserwägungen (USA) betrachtet. Wo eine besondere individuelle Treuebindung an die Verfassung zu erkennen ist (USA, Spanien, Portugal), t r i t t sie nicht i n Zusammenhang mit der Extremistenfrage in Erscheinung. I m übrigen geht es den untersuchten Rechtsordnungen vor allem darum, politische Neutralität ihrer Streitkräfte zu sichern, sie dem Primat der Politik unterzuordnen. Gemeinsam ist den demokratischen Verfassungsordnungen das A n liegen, die Streitkräfte so i n ihre Verfassungsstruktur einzubauen, daß sie eine Stütze und nicht eine Gefahr für die freiheitliche und demokratische Staats- und Verfassungsordnung sind. Sie müssen sich der demokratischen Entscheidung der Bürger fügen und der jeweils gewählten Regierung unterordnen. Ein Gegenbeispiel mag die N V A in der DDR sein: sie soll nicht politisch neutral sein, sondern sich die Ziele der Staatspartei zu eigen machen und unterliegt deren Kontrolle. Demokratische Meinungsfreiheit weicht hier „eiserner Disziplin".
Schluß I. Historische Grundlagen Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen und die Entstehung von geschriebenen Verfassungen i n Deutschland stehen am A n fang von Auseinandersetzungen um die Stellung der Streitkräfte i n Staat, Gesellschaft und der Verfassungsordnung. Verfassungstreue der Soldaten wurde dabei oft als ein Fremdkörper empfunden, als etwas, was zu Soldaten, die dem Prinzip von Befehl und Gehorsam unterworfen sind, nicht paßt. I m Verhältnis Verfassungstreue zu Staats- bzw. Monarchentreue setzte sich meist letztere durch. Erst i m Staat des Grundgesetzes erhielt die Verfassungstreue eine rechtsstaatliche Umwelt, i n der sie zu einer Selbstverständlichkeit werden konnte, über die man meist nur noch i m Zusammenhang mit der Extremistenfrage spricht. Die Verfassungstreue der Soldaten trat vor allem i n drei historischen Perioden als Problem hervor: — I n der Auseinandersetzung um Fahneneid und Verfassungseid in der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts, i n der es i n Wahrheit um den Konflikt zwischen Monarchentreue und Verfassungstreue ging. Die kurhessischen Offiziere, die an ihrem Verfassungseid festhaltend ihren Rücktritt erklärten, sind uns auch heute noch ein Beispiel verfassungstreuer Soldaten. Obsiegt hat aber letztendlich das monarchische Prinzip. M i t dem Ausgang des preußischen Heereskonfliktes stand für lange Zeit fest, daß die Streitkräfte dem Monarchen zugeordnet und außerhalb des normalen Verfassungslebens bleiben würden. — I n der Weimarer Republik, als die Reichswehr zwar auf die Verfassung vereidigt war, jedoch sich i m Dienst des „Staates an sich" glaubend auf Distanz zur jungen und labilen Demokratie ging. Die Reichswehr konnte die Demokratie nicht retten. Die Soldaten des Widerstandes i m „Dritten Reich" aber setzten i n Treue zu höheren Werten ein Zeichen gegen bedingungslosen Gehorsam gegenüber Vorgesetzten, Staat und Führer. — I n der Zeit der Wiederbewaffnung und der Entstehung von Wehrverfassung und den dazugehörigen Gesetzen. Angesichts der histo-
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rischen Erfahrungen und der Teilung Deutschlands suchte man eine Abkehr von den Traditionen der Vergangenheit und bemühte sich, die Bundeswehr in die freiheitliche demokratische Ordnung der neuen Republik einzufügen. Dennoch verzichtete der Gesetzgeber — i n merkwürdigem Unterschied zum Beamtenrecht — auf eine Vereidigung der Soldaten auf die Verfassung; sie leisten heute einen Eid (bzw. die wehrpflichtigen Soldaten ein Gelöbnis) auf Treue zum Staat, nicht zum Grundgesetz. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, daß der Soldat dem Staat, aber nicht der Verfassung zur Treue verpflichtet sei. Nicht der Eid begründet heute die Verfassungstreuepflicht der Soldaten, sondern die Verfassung selbst und das sie konkretisierende Gesetz. II. Verfassungstreue im geltenden Recht Die Verfassungstreue der Soldaten zeigt sich i n drei wesentlichen Aspekten: — Die objektive, institutionelle Sicherung der Verfassungstreue der Streitkräfte (Basisnormen: A r t . 87 a Abs. 1, 65 a, 115 b GG). — Der subjektive Verfassungsgehorsam der Soldaten, der ihnen gebietet, den Regeln der Verfassung und insbesondere den Grundrechten auch außerhalb der Bundeswehr volle Geltung zu verschaffen (Basisnormen: A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). — Die zweiseitige Treuebindung zwischen Soldaten und Verfassung, insbesondere ihrem Kernbestand, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Basisnormen: A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 33 Abs. 4, 79 Abs. 3 GG, §§ 8, 37 Abs. 1 Nr. 2 SG). Dieser Aspekt entspricht der „politischen Treuepflicht", wie sie das BVerfG i m „Radikalenbeschluß" (BVerfGE 31, 334) dargestellt hat. Die Treuebindung verpflichtet Berufs- und Zeitsoldaten auch außerhalb des Dienstes zu Schutz und Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Wehrpflichtige Soldaten stehen i m außerdienstlichen und persönlichen Bereich den übrigen Staatsbürgern gleich. Die Wehrpflicht kann von ihren Staatsbürgern nicht mehr verlangen als pflichtgemäße Dienstausübung. Ob Extremisten eingezogen werden, ist das Risiko des den Wehrdienst verlangenden Staates. Wohlverstandene Verfassungstreue der Soldaten bedeutet grundsätzlich keine Verkürzung der Freiheitsrechte, sondern — i m bewußten Gegensatz zur Tradition der Vergangenheit — eine Ausdehnung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung auf den Bereich der Streitkräfte. Daher wäre es heute eine Sinnverkehrung, wollte man bei
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der Anwendung des Begriffs der Verfassungstreue die Extremistenfrage und damit die Repression und Prävention von Freiheitsausübung in den Vordergrund stellen. Von grundlegender Bedeutung für die Verfassungstreue der Soldaten ist vielmehr die Achtung vor Freiheit und Demokratie und i m Zentrum die Achtung vor dem Menschen. Der Grundgedanke des A r t . 1 GG, die Achtung vor dem Menschen, das hat nunmehr auch das BVerwG 1 unzweideutig anerkannt, ist untrennbar mit der Verfassungstreue verbunden. Die Gewähr der Verfassungstreue ist Voraussetzung der Einstellung von Berufs- und Zeitsoldaten (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 SG). Bei Erwägungen in diesem Zusammenhang kann die Zugehörigkeit zu einer „verfassungsfeindlichen" Partei eine Rolle spielen, darf aber nicht allein ausschlaggebend sein. Die Rechtspraxis, Prüfung der Verfassungstreue mit Sicherheitsprüfungen zu vermengen, ja, die Sicherheitsprüfung alles umfassend vom M A D in zumindest teilweiser geheimer Mission (und das bisher noch ohne Gesetz) vornehmen zu lassen, verengt die Rechtsstellung des betroffenen Bewerbers in unzulässiger Weise. Auch gegen Sicherheitsbescheide muß Rechtsschutz gegeben sein. Der M A D hat keine Befugnisse, Recherchen über Wehrpflichtige vor ihrem Dienstantritt bei der Bundeswehr anzustellen. Verfassungstreue ist nicht gleich Staatstreue, noch t r i t t sie gegenüber dieser zurück. Die Treuepflicht gegenüber dem Staat w i r d heute erst durch die Verfassung vermittelt. I n bitterster Konsequenz schließt die Verfassungstreue sogar den Widerstand ein. Verfassungstreue ist auch nicht gleich Wehrverfassungstreue. Die Grundrechte bleiben den Soldaten erhalten. Art. 17 a Abs. 1 GG stellt eine Bestandsgarantie ihrer Grundrechte dar. Das gilt auch für die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. I m Lichte dieser Bestandsgarantie müssen die Verfassungstreue, aber auch die von der Rechtspraxis bevorzugten — weil anscheinend leichter zu handhabenden — Zurückhaltungspflichten gesehen und bestimmt werden. Zurückhaltungspflichten können die Meinungsfreiheit der Soldaten dem Inhalt nach nicht einschränken. Weder ein behaupteter „Verfassungsauftrag" der Streitkräfte noch ein Gebot der „Funktionsfähigkeit" der Streitkräfte vermögen die Rechte der Soldaten aus sich heraus zu beschränken. Quellen zur Rechtspraxis sind spärlich. Sie läßt sich am ehesten noch aus den Jahresberichten des Wehrbeauftragten ablesen. Die Rechtsprechung der Truppendienstgerichte w i r d nur in Einzelfällen veröffentlicht. Die publizierte Rechtsprechung der Wehrdienstsenate des BVerwG gab bis 1983 wenig Aufschluß über die Auslegung der Verfassungstreue 1
BVerwG, N Z W e h r r 1984, 167.
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durch das BVerwG. I m Gegensatz zur beamtenrechtlichen Diskussion, die sich intensiv mit politischer Treuepflicht und Verfassungstreue auseinandersetzt, scheint die Verfassungstreue lange Zeit i n der wehrrechtlichen Praxis eine geringe Rolle gespielt zu haben. Ob mit den neueren Entscheidungen des BVerwG 2 zu § 8 SG eine Tendenzwende zugunsten einer bewußteren Anwendung des Verfassungstreuegedankens eingeleitet wurde, bleibt abzuwarten.
I I I . Rechtsvergleichung Westliche Demokratien mit alter Tradition wie Frankreich, Großbritannien und die USA haben i n ihren Verfassungsordnungen Mittel zur Sicherung der Loyalität ihrer Streitkräfte eingebaut. Repression extremistischer Ansichten steht dabei nicht i m Vordergrund. I n Spanien und Portugal, die erst in jüngerer Zeit wieder zur Demokratie gefunden haben, wurde besonderer Wert auf die Absicherung der Einordnung ihrer Streitkräfte i n das Verfassungsgefüge gelegt. I m Prinzip versuchen alle westlichen Demokratien, bei aller Wahrung des Sicherheitsgedankens, die Rechte der Soldaten denen der übrigen Staatsbürger anzunähern. Bekämpfung des „Extremismus" ist kein vorrangiges Anliegen. Ein Gegenbeispiel politischer Disziplinierung der Soldaten stellt die DDR dar. Dort ist der Soldat der Partei, dem Marxismus-Leninismus verpflichtet, die Achtung individueller Freiheiten t r i t t zurück. IV. Ergebnis Verfassungstreue ist ein Element der Selbstbehauptung der freiheitlichen demokratischen Ordnung. Nicht der Gesetzgeber, nicht der Staat mit seinen Zwangsmitteln oder die Gerichte mit einer die Disziplin fördernden Rechtsprechung schaffen Verfassungstreue. Verfassungstreue schöpft ihre Lebenskraft aus dem realen Wirken der Verfassungsnormen, allen voran derjenigen, die Freiheit und Demokratie begründen. Die Bekämpfung des Extremismus mit Mitteln der Freiheitsbeschränkung kann heute daher schwerlich als ein zentraler Gegenstand der Erhaltung einer demokratischen Verfassungsordnung begriffen werden. Der Schutz von Freiheit und Demokratie, die Wahrung des Friedens und die Achtung vor dem Menschen, dies sind die Werte der Verfassungstreue. 2
BVerwG, N Z W e h r r 1984, 39; 1984, 167.
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Nur der Staat, der „Extremisten" mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnet und auch ihnen i m Rahmen seiner in sich stabilen Verfassungsordnung die für einen demokratischen Willensbildungsprozeß erforderliche Freiheit beläßt, kann von sich behaupten, ein freiheitlicher und demokratischer Staat zu sein. Somit ist auch die „streitbare Demokratie" keine allseits anwendbare Norm des Grundgesetzes, die eine Begrenzung der Freiheitsrechte bewirkte. Sie ist vielmehr Kennzeichen bestimmter Normen, die den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bezwecken. Der Begriff „Staatsbürger i n Uniform" ist ernstzunehmen. Berufsund Zeitsoldaten bekennen sich mit ihrer Berufswahl zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, nicht aber zur Politik einer Regierung. Auch abweichende persönliche Meinungen können bei voller Einhaltung der besonderen gesetzlichen Pflichten vertreten und geäußert werden. Wehrpflichtige Soldaten haben darüber hinaus kein den Berufs- und Zeitsoldaten vergleichbares Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgelegt. Sie haben außerdienstlich grundsätzlich die politischen Freiheiten wie zivile Staatsbürger, die i n keinem Dienstverhältnis zum Staat stehen.
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