Generalprävention und Jugendstrafrecht aus kriminologischer und dogmatischer Sicht [Reprint 2015 ed.] 9783110902129, 9783110101485


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German Pages 43 [44] Year 1984

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Table of contents :
Α. Einleitung
B. Kriminalgesetzgebung und Androhungsprävention
C. Die obligatorische Ermittlungsaufnahme
D. Die staatsanwaltschaftliche Beendigung des Ermittlungsverfahrens durch Einstellung
E. Das Hauptverfahren, namentlich die Hauptverhandlung
F. Der Schuld- und Rechtsfolgenausspruch
F. Vollzug der Jugendstrafe
G. Zusammenfassung
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Generalprävention und Jugendstrafrecht aus kriminologischer und dogmatischer Sicht [Reprint 2015 ed.]
 9783110902129, 9783110101485

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Wilfried Bottke Generalprävention und Jugendstrafrecht aus kriminologischer und dogmatischer Sicht

Generalprävention und Jugendstrafrecht aus kriminologischer und dogmatischer Sicht Von Wilfried Bottke

w DE

G

1984

Walter de Gruyter · Berlin · N e w York

Dr.

jur.

Wilfried

Bottke

P r o f e s s o r an d e r U n i v e r s i t ä t

CIP-Kurztitelaufnahme

Mannheim

der Deutschen

Bibliothek

Bottke, Wilfried: Generalprävention und Jugendstrafrecht aus kriminologischer und dogmatischer Sicht / von Wilfried B o t t k e . - Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1984. ISBN 3-11-010148-3

© C o p y r i g h t 1984 by W a l t e r de G r u y t e r & C o . 1000 Berlin 30 A l l e R e c h t e , i n s b e s o n d e r e das R e c h t d e r V e r v i e l f ä l t i g u n g u n d V e r b r e i t u n g s o w i e der Ü b e r s e t z ung. v o r b e h a l t e n . K e i n T e i l des W e r k e s d a r f in i r g e n d e i n e r F o r m ( d u r c h F o t o k o p i e , M i k r o f i l m o d e r ι Ί η anderes Verfahren) ohne schriftliche G e n e h m i g u n g des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer S y s t e m e v e r a r b e i t e t , vervielfältigt o d e r v e r b r e i t e t tverden. P r i n t e d in G e r m a n y Satz und D r u c k : Saladruck, Berlin 36 B i n d e a r b e i t e n : V e r l a g s b u c h b i n d e r e i D i e t e r M i k o l a i . B e r l i n 10

Α. Einleitung Ι. Die herrschende Meinung Das Thema: „Generalprävention und Jugendstrafrecht" reizt dazu, aus rechts- und sozialwissenschaftlicher Sicht mit Fragezeichen versehen zu werden. Denn die jugendstrafrechtliche Dogmatik begreift das Jugendstrafrecht „materiell"' entweder als „Teilgebiet des Jugendrechts"', als „Erziehungsrecht" 2 , das der Jugend ein „ A n r e c h t . . . a u f . . . erzieherische Hilfe" gebe 3 , oder sieht im Jugendstrafrecht ein „Täterstrafrecht" 4 , das dem Primat des Erziehungsgedankens verpflichtet sei5. Besonders deutlich ist diese Ansicht zuletzt auf dem 19. Deutschen Jugendgerichtstag 1983 in Mannheim 5 ' artikuliert worden. Dieser hat entschieden bezweifelt, daß im Jugendstrafrecht und den von ihm geregelten Verfahren Kriminalprävention durch Generalprävention geschehe, das, was „Generalprävention" meinen kann, negativ verengt und seine „konsequente Ablehnung des Gesichtspunktes" „Abschreckung anderer" „ausdrücklich auch aus kriminologischen Gründen"' hergeleitet.

II. Gründe der Problemstellung Wenn ich es dennoch unternehme, hier von „Generalprävention und Jugendstrafrecht" zu sprechen, so aus drei Gründen: Erstens ist - so meine These - de lege lata dem Jugendstraf recht eine generalpräventive Aufgabenkomponente eingestiftet, die in zahlreichen Problembereichen, wenn auch auf den verschiedenen Stufen seines Werdens (ζ. B . JugendkriVgl. Peters, Strafprozeß, 3. Aufl., 1981, §69 II. ' Vgl. Schild, Der Strafrichter in der Hauptverhandlung 1983, S. 12. Vgl. auch Weitl, die dogmatischen Grundlagen des geltenden Jugendstrafrechts, Diss. 1965, S. 44 f. ' Vgl. Brunner, Jugendgerichtsgesetz, 6. Aufl., 1981, Einführung II Rdn.4. ' Vgl. Schaffstein, Jugendstrafrecht, 8. Aufl., 1983 §1 I. 5 Vgl. etwa Roxin. Der allgemeine Teil des materiellen Strafrechts, in: Roxin/ Arzt/Tiedemann, Einführung in das Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1983, S. 158. Kritisch Eisenberg, J G G , 1982, Einleitung Rdn. 10 ff. 5" Vgl. dazu den Bericht von Plewig, 19. Deutscher Jugendgerichtstag Mannheim 3.-7.10.1983, in: ZBIJugR 1984, S. 73-75. ' Vgl. das vom Arbeitskreis VI. (Thema „Kriminalprävention durch Generalprävention"?) erarbeitete und dem Schlußplenum zur Verfügung gestellte Papier, These 1 und 2. Zustimmend Eisenberg, Bestrebungen zur Änderung des JGG, 1983, S. 10 Anm. 15, S. 22 mit dem „Vorwurf eines im Jugendstrafrecht unzulässigen Rückgriffs auf generalpräventive Elemente". 1

6

minalrecht, Ermittlungsauinahme, Schuldspruch,

Verfehlungsfolgenaus-

wahl,- Sanktionenvollzug) unterschiedlich ausgeprägt,

nachweisbar ist.

Zweitens ist die generalpräventive Zielkomponente des Jugendstrafrechts kriminologisch nicht bestreitbar, sondern - sofern man „Kriminologie" nicht auf empirisch-statistisch gesicherte oder gar verifizierte Theorien verkürzt - gut begründbar. U n d drittens ist ein undifferenziertes Nein zur General- und ein ebenso ungeschiedenes J a zur Spezialprävention oder zur „ E r z i e h u n g " einer sachgerechten, gesetzestreuen Interpretation des geltenden Jugendstrafrechts und seiner „inneren" R e f o r m ' eher ab- als zuträglich. An einer solchen R e f o r m m u ß gerade auch jenen Kritikern gelegen sein, die der Praxis ζ. B . in Hinblick auf die von ihr auch nach Tatschweregesichtspunkten geübte Sanktionenauswahl und deren Vollstreckung eine Kluft zwischen (erzieherischem) „Anspruch und (repressiver) Wirklichkeit"' bescheinigen. Denn die Versuche, das Jugendstrafrecht in ein Jugendhilferecht zu überführen und auf Straftaten junger Menschen rein unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten zu reagieren 1 ,

7 Nach dem Scheitern der Versuche, das J G G in ein „Jugendhilferecht" zu integrieren, steht in den „Achtziger Jahren" die „Innere Reform" des geltenden Jugendstrafrechts durch Auslegung im Vordergrund, vgl .Jung, Die jugendrichterlichen Entscheidungen - Anspruch und Wirklichkeit - , int ZRP 1981, S. 36 ff.; Pfeiffer, Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren, 1983, S. 52, 79, 119 ff., 146 ff., 335 ff., Pomper/Waller, Möglichkeiten der ambulanten Behandlung karrieregefährdeter junger Straftäter, 1980. 8 Vgl. die Beiträge in: DVJJ (Hrsg.) Die jugendrichterlichen Entscheidungen Anspruch und Wirklichkeit, 1981. ' Das Postulat, das Jugendstrafrecht zu entkriminalisieren und auf Straftaten junger Menschen unter 18 Jahren rein „unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten" zu reagieren, ist „so alt wie die Praktizierung des Gegenteils". Bereits 1920 wünschte auf dem 5. Deutschen Jugendgerichtstag eine beachtliche Minderheitsgruppe, die Strafmündigkeit möge erst mit dem vollendeten 18. Lebensjahr beginnen; dem Jugendgerichtsgesetz vom 12. Februar 1923, das sich diesem Desiderat versagte, schallte schon vor seinem Inkrafttreten der Ruf entgegen, es sei reif zum Verschwinden. Nicht minder erfolglos blieb die 1973 durch den Diskussionsentwurf eines Jugendhilfegesetzes unterbreitete Anregung, Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr generell und 16- bis 18jährige bei Bagatelldelikten der Jugendgerichtsbarkeit zu entziehen, obschon er von einer Sachverständigenkommission erarbeitet wurde, die das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit im Juli 1970 berufen hatte. Selbst der moderate Vorschlag der Konferenz der Jugendminister und -Senatoren aus dem Jahre 1980, wenigstens die 14und 15jährigen für bestrafungsunmündig zu erklären und im Falle der Delinquenz allein der Jugendhilfe zuzuordnen, verfiel im Oktober 1981 dem Verdikt der Justizminister.

Speziell zum Jugendhilferecht vgl. Bericht der Bundesregierung über Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe - 3. Jugendbericht - Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, Drucksache VI/3170, Bonn 1972; Deutscher Verein für öffentliche

7

sind - zumindest mittelfristig - gescheitert, nicht zuletzt wegen der dabei hintangesetzten generalpräventiven Bedürfnisse, die Kriminologie und Dogmatik im Interesse einer sinnvollen Weiterentwicklung des geltenden Rechts nicht schlichtweg leugnen dürfen, sondern orten und in ihre interpretationsleitenden Maximen einfügen müssen. Vorab muß jedoch noch eines klargestellt werden: Daß ein zunächst am Konzept der (Androhungs- und) Integrationsprävention orientiertes Erwachsenenstrafrecht in normativer Hinsicht richtig und in empirischer Hinsicht effektiv ist, muß ich in Einklang mit der ganz herrschenden Meinung 10 hier voraussetzen, weil eine Problematisierung auch dieser Prämisse den vorgegebenen Rahmen bei weitem sprengen würde.

B. Kriminalgesetzgebung und Androhungsprävention I. Das geltende Recht Der Nachweis, daß das geltende Jugendstrafrecht echtes Kriminalrecht ist und insofern an der generalpräventiven Funktion der strafrechtlichen Deliktstatbestände teilhaben soll, ist leicht zu führen. Denn gem. § 1 Abs. 1 J G G setzt jede jugendstrafrechtliche Maßnahme voraus, daß der Jugendliche oder Heranwachsende eine „Verfehlung", begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist. Das Jugendstrafrecht beginnt damit personenneutral bei der Kriminalisierung der legislatorisch für strafbedürftig und strafwürdig gehaltenen Verhaltensweisen, also jener gravierender Normbrüche, die regelmäßig in unerträglich friedens-' störender Weise Rechtsgüter anderer gefährden oder verletzen. Das Jugendstrafrecht garantiert so N o r m e n mit, auf deren generelle Beachtung im Interesse friedlich-freiheitlichen Zusammenlebens aller nicht verzichtet werden kann, und richtet, indem es die Straftaten Jugendlicher mit

und private Fürsorge (Hrsg.), Grundthesen zu einem neuen Jugendhilferecht, 1971; Grieswelle, Sozialarbeit, Pädagogik und Jugendstrafrecht. Eine vergleichende Analyse, Stuttgart 1972, S. 141; Häuser, Der Jugendrichter - Idee und Wirklichkeit, Kriminologische Studien, Bd. 31, 1980, S. 234 ff.; Kaiser, Gesellschaft, Jugend und Recht. System, Träger und Handlungsstile der Jugendkontrolle, 1977, S. 120ff., 184ff.; Roestel, Das Jugendgerichtsgesetz wird den erzieherischen Aufgaben nicht gerecht, in: ZBIJugR 57 (1970), S. 36ff. 10 Vgl. aus der hier nicht erschöpfend angebbaren Literatur statt aller aus empirisch-wissenschaftlicher Sicht: Streng, Schuld, Vergeltung, Generalprävention, ZStW 92 (1980), S. 637ff.; Vanberg, Verbrechen, Strafe und Abschreckung: Die Theorie der Generalprävention im Lichte der neueren sozialwissenschaftlichen Diskussion, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 509, 1982. Aus normativer Sicht vgl. statt aller Jakobs, Strafrecht A T §4 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht AT, Studienbuch, 1982, 2 / 1 ff. jeweils m. w. Nachw.

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bestimmten Folgen verknüpft, auch ihnen gegenüber sanktionsbewehrtc „plakathafte Grundsatzverbote" auf, um bestimmte sozial erwünschte Verhaltensdispositionen in der Gesellschaft erstmals durchzusetzen, um moralisch vorbereitete Verhaltensmuster zu fördern oder um bereits bestehende Verhaltensbereitschaften zu stabilisieren'1.

II. Kriminologische Analyse und Bewertung 1. Die legislatorische

Wirkhypothese

Der Versuch des geltenden Jugendstrafrechtes, durch Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen und Androhung unangenehmer Tatfolgen Jugendliche und Heranwachsende zum Befolgen besonders wichtiger Verhaltensregeln anzuhalten, geht von der Annahme aus, daß auch diese „Mitglieder der Gesellschaft deren grundlegende Regeln ohne äußeren Druck nicht ausnahmslos von sich aus einhalten"11, sondern als ursprünglich asoziale Wesen u. a. erst durch die Androhung von verfehlungsahndenden mala erlernen oder zur Befolgung angehalten werden11. 2. Die Plausibilität

der legislatorischen

Wirkhypothese

So düster das Menschen- und Gesellschaftsbild auch scheinen mag, das jugendstrafrechtliche Sozialkontrolle voraussetzt, der gemeine Verstand wird es kaum als wirklichkeitsblind bezeichnen, zumal er auf mehr verweisen kann, als auf eine alltagstheoretische, der geübten Praxis entliehene Plausibilität. a) Präzisierung

der

Wirkhypothese

Zwar wägen Jugendliche kaum je die Vor- und Nachteile kriminalisierten Verhaltens vor Tatbegehung ab und entscheiden sich „rational" für die größtmöglichen Nutzen oder Lustgewinn versprechende Handlungsalternative; die Hoffnung Anselm von Feuerbachs, der „sinnliche Antrieb" (seil: zur Straftat) werde dadurch aufgehoben, daß jeder gewiß wisse, auf seine Tat werde unausbleiblich ein Übel folgen, welches größer sei als die Unlust, die aus dem nichtbefriedigten Antrieb zur Tat entspringe14,

" Vgl. Schünemann, Nulla poena sine lege?, 1978, S. 13 f. 12 Haffiie, Tiefenpsychologie und Generalprävention, 1976, S. 6 2 / 6 3 . ,J

Vgl. Haffke (Anm. 12), S. 62 f.

P.J. Anselm von Feuerbach, Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen R e c h t s , 1799, N e u d r u c k 1966, S. 45 f.; Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen R e c h t s , 14. Aufl., hrsg. von 14

C . J . A . Mittermaier,

1847, §13.

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zerstiebt gerade bei ihnen zur Illusion'5. Eine richtige - und d. h. im Sinne kollektiver Verhaltenssteuerung - verstandene Theorie der Androhungsprävention besagt aber nicht, daß der einzelne Jugendliche „vor Begehung der Tat aktuell die Strafandrohung als ein der kriminellen Handlung gegenläufiges Motiv" erleben muß". Sie verlangt - dem anonymen Kontrollansatz der Strafrechtsnormen getreu - lediglich, daß sich generell auch Jugendliche u. a. durch die Inkriminierung gravierender Normbrüche (und gegen andere wahrgemachte Strafandrohungen) in einem komplizierten längeren Kulturierungs- und Sozialisationsprozeß zu rechttreuem Verhalten motivieren lassen".

b) Normverinnerlickung und gesetzliche Kriminalisierung Allerdings ist zuzugeben, daß die (Jugend-)Kriminologie selbst diese vom geltenden (Jugend-)Kriminalrecht unterstellte, mittelbare „Androhungs-" oder „Integrationsprävention" in ihrer Wirkung auf das Verhalten potentieller Delinquenten und der gehorsamen Öffentlichkeit bis in die 70er Jahre hinein „nahezu völlig unbeachtet" gelassen hat". Dies war und ist auch nicht verwunderlich. Denn wenn das Jugendkriminalrecht schon durch seine „bloße Existenz"" tabuisierend wirken und Verhaltenspräferenzen bestärken soll, ist es auf eine weithin „in unsichtbarer Aktion"" ablaufende Internalisierung seiner Verhaltensappelle angelegt, die sich in ihrem Ablauf messender Beobachtung gänzlich und in ihrer Fernwirkung eines quantitativ-statistischen Nachweises weithin entzieht. aa) Sanktionswahrscheinlichkeit

und

Sanktionenschwere

Nicht von ungefähr hat sich die kriminologische Forschung zur Generalprävention daher während der letzten 10 Jahre auf die empirisch zugängliche Frage konzentriert, ob kriminalisierte Handlungen desto seltener auftreten, je schwerer, wahrscheinlicher und schneller die Abweichung von der strafrechtlichen

15 Zur psychologischen Zwangstheorie Feuerbachs vgl. allg. Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, 1962; Naucke, P . J . A . von Feuerbach. Zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am H.November 1975, in: ZStW 87 (1975), S.861 ff., 880ff.; Radbruch, P . J . A . von Feuerbach. Ein Juristenleben, o . J . , S.44ff„ 85 ff. " Vgl. Hafße (Anm. 12), S. 102. 17 Vgl. Hafße, (Anm. 12), S. 102. " Vgl. Hood/Spars, Kriminalität, 1970, S.176. Vgl. auch Pfeiffer (Anm. 7), 1983, S. 87. " Baumann, Uber die Strafe, in: Meyers, Enzyklopädisches Lexikon, 9. Aufl., Bd. 22, S. 626.

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D e l i k t s n o r m e n sanktioniert w i r d " . N a c h den bisher vorliegenden U n t e r s u c h u n gen 21 haben Strafverschärfungen u n d Strafmilderungen keine feststellbaren dauerhaften A u s w i r k u n g e n auf die Kriminalitätsrate 2 2 . Dies gilt sowohl für die legislatorischen S t r a f r a h m e n ä n d e r u n g e n als auch f ü r Modifizierungen der gerichtlichen S t r a f z u m e s s u n g . Hingegen k o m m t der von einem potentiellen T ä t e r unterstellten Sanktionswahrscheinlichkeit „erhebliche B e d e u t u n g für seine Bereitschaft zu, sich n o r m g e m ä ß zu v e r h a l t e n " " , vorausgesetzt, daß der tatgeneigte D e l i n q u e n t ein T a t e n t d e c k u n g s r i s i k o unterstellt, d e m er im Rahmen einer laienhaften G e s a m t b e w e r t u n g u n d „ K o s t e n - N u t z e n - A b w ä g u n g " 2 ' hinreichend u n a n g e n e h m e K o n s e q u e n z e n zuschreibt 2 '; d a ß es dann n o t w e n d i g u n d schwierig w i r d , nach Delikt- u n d T ä t e r t y p e n zu unterscheiden, liegt auf der H a n d , ebenso, daß sich die hier vorgestellten Ergebnisse der allgemeinen (Erwachsen e n - ) P r ä v e n t i o n s f o r s c h u n g n u r vorsichtig u n d mit Vorbehalten auf den K o m plex jugendstrafrechtlicher Sozialkontrolle übertragen lassen. bb) Deliktsbegehungsbereitschaft, Νormv erinnerlich ung Sanktionenerweiterung

und

N i c h t m i n d e r b e s c h r ä n k t ist die A u s s a g e k r a f t der Versuche, t r o t z aller methodischen P r o b l e m e auch die Internalisierung der strafrechtlichen Deliktsnormen u n d den von ihr ausgehenden Präventionseffekt unmittelbar z u m Gegenstand kriminologischen B e m ü h e n s zu machen u n d von anderen kriminalitätshindernd e n Einflüssen a b z u g r e n z e n . In der allgemeinen Kriminologie sind insoweit Befragungen zu nennen, die insbesondere im R a h m e n der D u n k e l f e l d f o r s c h u n g 2 ' die Bereitschaft, Delikte zu begehen, eruieren sollten. D a s vorläufige Ergebnis dieser Befragungen 2 ' ist, daß die mitgeteilte Bereitschaft, Delikte zu begehen b z w . zu unterlassen, primär davon abhängt, wie stark der Befragte die N o r m verinnerlicht hat, während der erwartete A u s s p r u c h negativer Sanktionen bei den meisten vorgestellten

21

Vgl. Pfeiffer ( A n m . 7), S. 87. Vgl. Schroth/Neumann, N e u e r e Theorien von Kriminalität und Strafe, 1980,

S. 36. 22

Pfeiffer ( A n m . 7), S.91. " Vgl. Pfeiffer ( A n m . 7), S. 91 f. 2 ' Pfeiffer ( A n m . 7), S.91 f. 25 Z u r D u n k e l f e l d f o r s c h u n g vgl. allg. Kaiser, Kriminologie, 6. Aufl., 1983, S. 184ff.; Kreuzer, Ü b e r G i e ß e n e r D e l i n q u e n z b e f r a g u n g e n , in: Festschr. f. Mallm a n n , 1979, S. 129 ff; Müller, D u n k e l f e l d f o r s c h u n g , ein verläßlicher Indikator der Kriminalität? Diss. J u r . , F r e i b u r g 1978; Schwind, D u n k e l f e l d f o r s c h u n g , in; Die Psychologie des 2 0 . J a h r h u n d e r t s , B d . X I V , 1981, S . 2 2 3 f f . ; Scböcb, Ist Kriminalität normal? in: K r i m G e g f r . 12 (1976), S.211 f. 26 Vgl. H . J . Albrecht, Die generalpräventive Effizienz von strafrechtlichen Sanktionen, in: F o r s c h u n g s g r u p p e Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie. Ein J a h r z e h n t kriminologischer F o r s c h u n g am M a x - P l a n c k - I n s t i t u t Freiburg i. Br., B e s t a n d s a u f n a h m e u n d Ausblick, 1980, S. 305 ff. Vgl. auch Diekmann, Die Befolgung von Gesetzen, 1980, insbes. S. 72 f., 115 f., 126 f; Diekmann, Die Rolle von N o r m e n , B e z u g s g r u p p e n und Sanktionen bei Ladendiebstählen, 1980, insbes. S. 20 f.

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Deliktsplänen geringer tathindernd wirkte und u.U. gar nur Anlaß war, mehr Zeit und Sorgfalt auf die Deliktsplanung aufzuwenden27. Offen lassen diese Untersuchungen jedoch, welchen Einfluß die gesetzliche Kriminalisierung auf die normative Attitüde der Befragten hat. Die These, daß das Jugendkriminalrecht gegenüber Jugendlichen „sittenbildend", „verhaltensprägend" oder „Uber-Ich-stärkend" wirkt, wird durch den kriminologischen Befund, „daß die Variablen zur internen Kontrolle von ungleich größerer Bedeutung sind als externe Verhaltenskontrolle"2', weder erwiesen noch widerlegt.

c) Die Skepsis der Jugendkriminologie zur Androhungsprävention Gleichwohl glaubt die deutschsprachige Jugendkriminologie meist, aus den spärlichen empirischen Untersuchungen der allgemeinen Kriminologie zur Frage, ob Strafgesetze zur Stärkung des allgemeinen Wertbewußtseins und zur Verinnerlichung der geschützten Normen beitragen begründete „Skepsis"" herauslesen zu können.

aa) Fingierte

Kriminalisierungen

So weist etwa Pfeiffer in seiner Studie zur „Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren" auf den Walker und Argyle bei ihren Befragungen festgestellten „Bumerang-Effekt" hin30. Personen, denen entgegen der wahren Rechtslage mitgeteilt worden war, öffentliche Trunkenheit bzw. Prostitution seien strafbar, hätten diese angeblich kriminellen Verhaltensweisen weniger unmoralisch empfunden als Personen, die über die wahre Rechtslage in Kenntnis gesetzt wurden. Über den Einfluß, den wirkliche gesetzgeberische Entscheide auf kriminalitätsresistente Wertüberzeugungen haben, ließe sich jedoch allenfalls nach einer Vielzahl von Langzeituntersuchungen befinden. Befragungen, die gleichsam als Momentaufnahmen den Einfluß fingierter Kriminalisierungen erkunden, sagen nichts darüber aus, ob und wie reale Strafrechtsnormen auf Dauer verhaltensprägend wirken.

bb) Delikts- und

Strafverfolgungszahlen

Entgegen Pfeiffer sind auch die hohe Dunkelziffer und die äußerst geringe Quote der Anzeigen, die zu den Delikten Ehebruch, Abtreibung

27 Vgl. Kerner, Vortrag, gehalten auf dem 19. Deutschen Jugendgerichtstag, demnächst abgedruckt in: DVJJ (Hrsg.), 1984. 28 Pfeiffer (Anm.7), S.99. 2' Pfeiffer (Anm. 7), S. 104. » Vgl. Pfeiffer (Anm. 7), S. 105.

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u n d H o m o s e x u a l i t ä t u n t e r E r w a c h s e n e n v o r deren R e f o r m bestanden, keine „Belege f ü r eine e h e r s k e p t i s c h e Sicht d e r W i r k u n g des Strafrechts" > : g e g e n ü b e r J u g e n d l i c h e n . W e r d e n einige d e r Motivationsappelle, die die d e n strafrechtlichen D e l i k t s t a t b e s t ä n d e n vorgelagerten V e r h a l t c n s n o r m e n g e g e n ü b e r d e n potentiellen D e l i n q u e n t e n a u s s p r e c h e n , verstärkt sanktionslos m i ß a c h t e t , s o f o l g t hieraus w e d e r , d a ß diese N o r m e n ü b e r h a u p t keine g e h o r s a m e n A d r e s s a t e n f i n d e n , n o c h falsifizierten Ü b e r t r e t u n g e n u n d geringe S t r a f t a t a u f k l ä r u n g s q u o t e n bei einigen D e l i k t s g r u p p e n den A n s p r u c h des S t r a f r e c h t s , im allgemeinen als ein Sozialisationsfaktor u n t e r vielen a n d e r e n z u r e c h t s t r e u e m V e r h a l t e n b e i z u t r a g e n .

cc) Befragungen

zu „eigennützigen"

Delikten

Selbst die „ g e m ä ß i g t e " T h e s e , „ d a ß A b s c h r e c k u n g s w i r k u n g e n

eher

g e g e n ü b e r solchen S t r a f t a t e n z u e r w a r t e n sind, die z u r E r l a n g u n g irgendw e l c h e r Vorteile g e s c h e h e n , als bei D e l i k t e n , die gewissermaßen Selbstz w e c k s i n d " " , ist im L i c h t e einer U n t e r s u c h u n g zu relativieren, die

Hans-

Ulrich Stooss z u m T h e m a „ D r o g e n p r ä v e n t i o n mittels S t r a f d r o h u n g bei 16 bis 21jährigen J u g e n d l i c h e n " 1978 in d e r Schweiz vorlegte. Stooss zeigte d u r c h B e f r a g u n g v o n 3576, w i l l k ü r l i c h aus L u z e r n e r J u g e n d l i c h e n ausgew ä h l t e n P r o b a n d e n , d a ß o h n e die E x i s t e n z des schweizerischen Betäub u n g s m i t t e l g e s e t z e s „ m i t m i n d e s t e n s 30 % z u s ä t z l i c h e n

Drogenkonsu-

m e n t e n g e r e c h n e t w e r d e n ( m ü ß t e ) " " . D a b e i r e c h n e t e Stooss als nichtgef ä h r d e t jene ein, w e l c h e a n g a b e n , d a ß sie bei N i c h t b e s t e h e n des D r o g e n v e r b o t e s n u r „vielleicht" eine D r o g e k o n s u m i e r t h ä t t e n ; die Zahl der „ V i e l l e i c h t - K o n s u m e n t e n " e n t s p r e c h e 1 1 8 , 4 % d e r heutigen D r o g e n k o n sumentenzahl". Diese Zahlen werden noch eindrucksvoller, wenn hinzugenommen wird, daß lediglich 1,1 % aller Befragten behaupteten, daß die Reizwirkung des Verbotenen für sie einer der beiden wichtigsten Gründe für den ersten Drogenkonsum gewesen sei". Hingegen nannten 11 % der Probanden ohne praktische Drogenerfahrung an erster oder zweiter Stelle die Strafdrohung als Grund für den Verzicht auf die Droge. 17,4% aller Probanden hielten es für möglich, daß sie bereits eine Droge probiert hätten, wenn sie keine Strafe erwarten würde1*. Selbst unter den Drogenerfahrenen hatten nach eigenen Angaben 14,5% mit

31

Pfeiffer (Anm. 7), S. 105. Pfeiffer (Anm. 7), S. 98 unter Hinweis auf Chambliss, Types of Deviance and the Effectiveness of Legal Sanctions, in: Wisconsin Law Review, 1967, S. 707ff., 708 f. " Stooss, Drogenprävention. Der strafrechtliche Beitrag, 1978, S. 136. M Stooss (Anm. 33), S. 137. JS Stooss (Anm. 33), S. 18. * Stooss (Anm. 33), S.17. 32

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dem ersten Drogenkonsum gezögert, weil dieser strafbar sei57. Und immerhin 36,3 % der Drogenerfahrenen halten es für möglich, daß sie den Erstkonsum unterlassen hätten, wenn ihnen im fraglichen Zeitpunkt bekannt gewesen wäre, mit welcher Strafe sie hätten rechnen müssen". Zwar erweisen diese Resultate - selbst wenn man subjektive Wahrhaftigkeit der Angaben unterstellt - nicht die generalpräventive Wirksamkeit der im deutschen Betäubungsmittelgesetz von 1981 aufgestellten Verbote; anonyme Befragungen dringen nicht zu jenen Vorgängen vor, durch die Verhaltensappelle internalisiert werden. Immerhin kann aber selbst bei einem so häufig begangenen, „selbstnützigen" Delikt wie dem Verschaffen (und Konsumieren 5 *) von Drogen, nach dieser Untersuchung nicht mehr die Rede davon sein, daß ein strafrechtlich sanktioniertes (Betäubungsmittel)Verbot für den Jugendlichen „fast überhaupt keine R o l l e " " spielt.

d) Nicht quantifizierte

Überlegungen

zur

Androhungsprävention

D a die empirischen Befunde der Jugendkriminologie zur Präventivwirkung des Jugendkriminalrechts entgegen verbreiteter Meinung nicht dessen generalpräventive Untauglichkeit erweisen, stützen Befürworter einer Entkrimininalisierung ihre Absage an die generalpräventive Kraft des Jugendstrafrechts auch auf nicht quantifizierte Überlegungen. Diese kann man wie folgt zusammenfassen 40 :

aa) Die „herrschende" jugendkriminologische

Meinung

Generalprävention bezwecke kollektive Verhaltenssteuerung. Das Verhalten Jugendlicher könne jedoch „nur auf interpersonellem Wege beeinflußt werden". Denn der Jugendliche orientiere sich primär an dem Verhalten der ihn umgebenden Gesellschaftsmitglieder; er lerne in personalen Erfahrungen und nicht an abstrakten Normen, deren Vorhandensein er entweder nicht kenne oder die er mangels entsprechender Einübungsmöglichkeiten nicht einhalten könne 4 '. Zudem sei der fiormdruck, der die generalpräventive Wirkung des Strafrechts ausmache, bei Jugendlichen wesentlich geringer als bei Erwachsenen, weil Jugendliche (bedingt

Stooss (Anm.33), S.23. " Das Konsumieren von Drogen ist wegen der prinzipiellen Straflosigkeit selbstgefährdender Handlungen im BtmG nicht kriminalisiert. " So aber allgemein für das Strafrecht Fehes, Jugend, Konflikt und Recht, 1979, S. 339. 40 Vgl. Fehes (Anm. 39), S. 338-391 m. Nachw. 41 Fehes (Anm. 39), S. 340. 37

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durch ihre psycho-soziale Entwicklung) eher risikobereit seien (und damit auch lernbereit für neue Erfahrungen)".

bb) Kritik Diese Argumentation ist mehrfach falsch, und zwar auch dann, wenn man anerkennt, daß Jugendliche wegen ihrer unabgeschlossenen Persönlichkeitsentwicklung, ihres größeren Triebpotentials und ihrer eingeschränkten Möglichkeiten, Konsuminteressen legal zu befriedigen, in stärkerem Maße delinquenzgeneigter sind als Erwachsene, deren persönliche und berufliche Entwicklung weiter vorangeschritten ist. Denn man kann mit mindestens gleicher Plausibilität tiefenpsychologisch vermuten, daß unter dem permanenten, in der Stille wirkenden, sozialen D r u c k " der Sanktionsandrohung auch bereits Jugendliche normtreues Verhalten einüben und erlernen, „und zwar neben den unbewußten Prozessen der Introjektion, Identifikation und Initiation" wesentlich auch durch die andauernde Erfahrung, daß bestimmte Triebäußerungen untersagt und gegebenenfalls 44 geahndet werden. Nichts spricht dafür, daß ein solcher Lernprozeß erst nach dem Erreichen der Volljährigkeitsgrenze möglich sein sollte, im Gegenteil: Gerade weil die Persönlichkeit und die Wertüberzeugungen des Jugendlichen noch formbar sind, ist die Kriminalisierung gravierender Normbrüche sinnvoll, da sie bei wahrscheinlicher Tatverfolgung normwidrige Devianz in die Heimlichkeit drängt und so dem Jugendlichen ein „Beobachtungslernen der Kriminalität" 4 5 und fehlleitende Nachahmung erschwert.

e)

Zwischenergebnis

Oder anders gesagt: W e r dem Kriminalrecht auch gegenüber Jugendlichen die Funktion zuschreibt, im Interesse friedlich-freiheitlichen Zusammenlebens sozial erwünschte Verhaltensdispositionen zu fördern oder zu verankern, wird durch die jugendkriminologische Präventionsforschung nicht widerlegt. Die gesetzgeberische Annahme, das Kriminalrecht sei auch für Jugendliche ein Sozialisationsfaktor, ist, so sehr sie auch eines quantitativen Nachweises mangelt, keine bloße Illusion. Wenn Jugendkriminologen dennoch zumeist die Entkriminalisierung des Jugendstrafrechts und seine Uberführung in ein Jugendhilferecht fordern, so geschieht dies vor dem Hintergrund der von ihnen beklagten

42 43 44 45

Fehes (Anm. 39), S. 339. Hafße (Anm. 12), 1976, S. 157. Hafße (Anm. 12), S.81. Schünemann (Anm. 11), S. 13 Fn. 49.

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„Dysfunktionalität"" des geltenden Rechts: Dieses knüpfe mit dem Kriminalrecht bei den Schwierigkeiten an, die Jugendliche oder Heranwachsende anderen oder der Allgemeinheit durch kriminelles Verhalten machen, anstatt unmittelbar über die Schwierigkeiten zu reden, die jugendliche Delinquenten haben, und im Interesse besserer Lebenschancen zu beheben"; statt die Konflikte vermeiden zu wollen, die Jugendliche bereiten, gelte es, ein neues Jugendrecht zu schaffen, „das die Chance des gestatteten, ausgetragenen Konflikts (böte) und damit die viel beschworene Friedensfunktion des Rechts in einem substantiellen Sinn tatsächlich wirksam werden (lasse)"**. Allein, so sehr personenneutral formulierte Kriminalrechtsnormen individuelle Nöte ausblenden und dem aggressionsabführenden Finden von „Sündenböcken" Vorschub leisten mögen", keine Kritik am geltenden Recht darf verdunkeln, daß derzeit ein Kriminalrecht, das Tadel und Sanktionen erlaubt, vonnöten ist, um bei einer großen Anzahl seiner Adressaten rechtstreue Gewohnheiten deliktshindernd zu internalisieren und zu bestärken; positive Stimuli reichen hierzu nicht aus. Und schließlich erfüllt das Recht kaum seine „Friedensfunktion", wenn es Jugendlichen die uneingeschränkte Chance des gestatteten, ausgetragenen Konflikts ließe. Vielmehr nimmt es nur dann seine Verantwortung gegenüber dem Jugendlichen wahr, wenn es ihm auf die Frage, wie er sich in einer Sozietät verhalten soll, die friedlich-freiheitliches Zusammenleben als wertvoll erlebt, antwortet und zu rechtmäßigem Verhalten anhält; ein letztes, fragmentarisch eingesetztes Mittel hierzu ist das Jugendstrafrecht, das schon durch seine Existenz zur Sozialisation der Jugendlichen und zur gesellschaftlichen Stabilisierung beiträgt.

C. Die obligatorische Ermittlungsaufnahme Seinen anonymen, generalpräventiven Kontrollansatz behält das Jugendstrafrecht auch bei, wenn es sich zum Jugendstrafverfahrensrecht 44

So Kerner, Vorwort zu Feltes (Anm. 39), S. 7. " Vgl. Albrecht/Schüler-Springorum (Hrsg.), Jugendstrafe an 14- und 15jährigen, Strukturen und Probleme, 1983, S. 13. 48 Vgl. Kerner (Anm. 46). 4 ' Vgl. Matzke, Der Leistungsbereich bei Jugendstrafgefangenen. Ein Beitrag zur Funktion der Jugendstrafe, jur. Diss. Berlin 1982, S. 174. Mitunter werden die Gewichte auch anders verteilt. Nach P. A. Albrecht, Zur Legitimationsfunktion von Jugendkriminalstatistiken, in: Schüler-Springorum (Hrsg.), Jugend und Kriminalität, 1983, S. 18 ff., 22 werden „eher Unterschichtenangehörige von den sozialen Kontrollorganen erfaßt", werden „eher jüngere Menschen" als Erwachsene verfolgt, werden „Tatverdächtige ohne Verteidiger eher verurteilt und nicht zufällig wird Bagatellkriminalität intensiver verfolgt als hochkomplizierte Wirtschaftsstrafsachen".

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konkretisiert. Denn auch dieses stellt dadurch, daß es das Legalitätsprinzip übernimmt und somit wegen jeder Verfehlung die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erzwingt, zunächst allein auf die Tat und den von ihr ausgehenden Störeffekt ab 50 .

I. Das geltende Recht Weder „schädliche Neigungen" noch „persönliche Verwahrlosung" oder sonstiges individuelles Gefährdetsein lösen, so sehr sie auch nach Ab-Hilfe schreien mögen, das Ermittlungsverfahren aus. Dieses beginnt vielmehr de lege lata mit dem schlichten, auf Tatsachen begründeten Anfangsverdacht, eine Straftat sei - von wem auch immer - begangen worden, und zwar auch dann, wenn der Tatverdacht sogleich einem Jugendlichen oder Heranwachsenden zugeschrieben werden kann. D i e gesetzliche Pflicht, „ohne Ansehen der Person" 5 1 den tatsächlichen Anzeichen eines Deliktes in willkürfreier Ermittlungsaufnahme

und

Selektion nachzugehen, erklärt sich zunächst aus der polizeitaktischen Notwendigkeit, einem Straftatverdacht auch dann nachzugehen, wenn über den konkret Tatverdächtigen noch nichts bekannt ist, insbesondere seine Strafmündigkeit nicht feststeht". D e r Gesetzgeber konkretisiert mit dem Legalitätsprinzip darüber hinaus den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und sichert den Geltungsanspruch der materiellen Strafrechtsnormen sowie die von ihnen erhoffte generalpräventive Tabuisierung bestimmter Verhaltensweisen ab.

II. Kriminologische Analyse und Bewertung Zweifel an der Wirklichkeitsnähe des legislatorisch Gewollten nährt die neuere Kriminologie vor allem aus zwei Befunden: Zum einen schreibt sie auch unserem Nichtwissen über die tatsächlich geübte Kriminalität eine „Präventivwirkung" zu". Zum anderen hat sie nachgewiesen, daß die Polizei nicht tat- und täterneutral Ermittlungen aufnimmt und verdächtigt, sondern eher schwerere, leicht beweisbare Taten der Unterschicht

50 Vgl. §§2 J G G , 160, 163 I, 152 II StPO. Vgl. auch Kreuzer, Kinderdelinquenz und Jugendkriminalität, Z. f. Pädagogik 29 (1983), Nr. 1, S. 49-70. 51 Roxin, Strafverfahrensrecht, 18. Aufl., 1983, §14 A I; arg. Art.3 G G . Vgl. auch Naucke, Der Tatverdacht, in: Festschrift der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Joh. W. Goethe-Universität Frankfurt a.M., 1980, S. 293 ff., 296. 52 Vgl. §§2 J G G , 160, 163 I, 152 StPO, 3 J G G . " Vgl. Popitz, Über die Präventivwirkung des Nichtwissens, 1968. Vgl. dazu Lüderssen, Strafrecht und Dunkelziffer, 1972; Schultz, Von der dreifachen Bedeutung der Dunkelziffer, in: Festschrift für Henkel, 1974, S. 239 ff.

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verfolgt, als bagatellarische oder schwer beweisbare Delikte der Mittelund Oberschicht 54 . Beide Befunde widerlegen aber dem Jugendstrafrecht weder die generalpräventive Sinnhaftigkeit des Legalitätsprinzips noch diejenige tatsächlich begonnener Ermittlungsverfahren. Zwar erschwert auch unser „Nichtwissen" über die tatsächliche Delinquenz deren Beobachtungslehren. Und richtig ist auch, daß „bei der Strafverfolgung angesichts der Unmöglichkeit einer lückenlosen Erfassung sämtlicher Rechtsbrüche eine zweckgeleitete Auswahl stattfinden (muß), deren Kriterien der Erforschung bedürfen" 55 . Erstem würden das Jugendstrafrecht und dessen Androhungen aber unglaubwürdig, wenn selbst ein auf Anhaltspunkte gestützter Verdacht, eine Tat sei gegangen worden, ohne indiziengerechte, angemessene Reaktion bliebe5*. Zweitens ist das Legalitätsprinzip wohl als uneingeschränktes Gebot obligatorischer, tat- und täterneutraler Verfolgung formulierbar, wenn es mit der Idee des Vergeltungsstrafrechts verknüpft wird57. Ein Strafrecht, das aus präventiven Gründen um Rechtsgüterschutz besorgt ist und dem Strafverfolgungsapparat nichts Unerfüllbares zumutet, faßt das Legalitätsprinzip aber von vorneherein als Gebot willkürfreier Ermittlungsaufnahme und Straftatverfolgung, bei deren Beginn die Polizei einen pflichtgemäß auszufüllenden Beurteilungsspielraum hat5·. Und drittens belegt die jugendkriminologische Präventionsforschung, daß trotz oder vielleicht gerade wegen einer so gesteuerten Aufnahme jugendstrafrechtlicher Verfahren sich Jugendliche auch durch die Vorstellung hinreichend wahrscheinlicher Straftatverfolgung zu rechtstreuem Verhalten motivieren lassen5*.

D. Die staatsanwaltschaftliche Beendigung des Ermittlungsverfahrens durch Einstellung Wenn die jugendkriminologische Literatur den hier aufgezeigten generalpräventiven Ansatz des geltenden Jugendkriminal- und Jugendstrafver54 Vgl. Fest/Blankenburg, Die Definitionsmacht der Polizei, 1972, S. 35ff.; Feest/Laufmann (Hrsg.), Die Polizei, 1971, S. 81 ff. 55 Roxin, Recht und soziale Wirklichkeit im Strafverfahren, in: Göppinger/ Kaiser (Hrsg.), Kriminologie und Strafverfahren, 1976, S. 9 ff., 12. 54 Böhm, Einführung in das Jugendstrafrecht, 1977, S.5. 57 Vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, 18. Aufl., 1983, §14. 58 Vgl. B G H N J W 1970, S. 1 543. Aus der Lit.: V.Hindte, Die Verdachtsgrade im Strafverfahren, Diss. Kiel 1973, S.47; Meyer-Gossner/Löwe/Rosenberg, StPO, 23. Aufl., §152 Rdn.23; Naucke (Anm.51), S. 305f.; Rieß, Prolegomena zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, in: Festschrift für Schäfer, 1980, S. 176. Vgl. für die StA: Weigend, Anklagepflicht und Ermessen, 1978, insbes. S.40, 167 ff. " Vgl. ζ. B. die Untersuchung von Stooss (Anm. 33).

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fahrensrechts gering schätzt, so liegt dies an der Vorstellung, er bedinge und legitimiere eine „primär repressive und zu sehr am Strafrecht orientierte Praxis des Jugendkriminalrechts" < c sowie „stigmatisierende und diskriminierende, kurz kriminalisierende formelle Verfahrensprozedur e n u " und trüge so „zu einer Verfestigung von kriminellen Karrieren"'·' bei.

Im

Bestreben,

solch

schädigende

Nebenfolgen

durchgeführter

Jugendstrafverfahren zu vermeiden, wendet sie sich, namentlich angeregt durch die Labeling-Theorie", zunehmend der Frage zu, „wie das vom Strafverfahren ausgehende Risiko der Kriminalisierung des Täters verringert oder völlig beseitigt werden kann" M . In das Blickfeld der Jugendkriminologie treten dabei in tatsächlicher Hinsicht ζ. B-. Erfahrungen aus den U S A mit Diversionsgrundsätzen' 5 , mit dem sog. „Präventionsprogramm Polizei/Sozialarbeiter" in Hannover" sowie mit dem Münchner „BrückeP r o j e k t " " . Von den staatsanwaltschaftlichen Einstellungsmöglichkeiten, die das geltende Recht vorsieht, thematisiert die Jugendkriminologie allein die Handhabung der § § 4 5 , 47 J G G " ; den Abschluß der Verfahren nach den § § 1 5 3 ff. S t P O erörtert nur die Erwachsenenkriminologie".

I. Die Praxis Auf den ersten Blick liegt hierin wenig Kritikwüidiges. Denn die Praxis macht, wie es in den Richtlinien zum J G G heißt, von § 153 S t P O nur „in

M Vgl. Pfeiffer, Justiz und Kriminalprävention, in: Schüler-Springorum (Hrsg.), Jugend und Kriminalität, edition Suhrkamp NF 201, 1983, S. 128 ff., 128 in. Nachw. " Vgl. P.A. Albrecht, Polizei und Kriminalprävention, in: Schüler-Springorum (Hrsg.), (Anm. 60), S. 111 ff., S. 120. " Pfeiffer (Anm. 60), S. 129. " Die Literatur hierzu ist unübersehbar, vgl. statt aller Rüther, Abweichendes Verhalten und labeling approach, 1975. M Pfeiffer (Anm. 60), S. 129. 65 Vgl. P. A. Albrecht, Perspektiven und Grenzen polizeilicher Kriminalprävention - Diversionsmodelle aus den USA in der Sicht deutscher Instanzenvertreter, 1983, S. 30 ff. " Vgl. dazu P.A. Albrecht (Anm.61), S. 118ff. 47 Vgl. dazu Pfeiffer (Anm. 60), S. 128 ff.; Pfeiffer (Anm. 7), bes. S. 117 ff.; Pfeiffer, Das Projekt Brücke e.V., ein Beitrag zur „inneren Reform" des Jugendkriminalitätsrechts und zur Sanktionsforschung im Bereich der Weisungen und Rechtsmittel, in: KrimJ 1979, S.261 ff. 68 Vgl. etwa Pfeiffer (Anm. 7), S. 129 ff. zu den Möglichkeiten der Diversion in der deutschen Jugendkriminalität. " Zur Praxis der §§153 ff. StPO vgl. etwa Kunz, Die Einstellung wegen Geringfügigkeit durch die Staatsanwaltschaft, 1980; Weigend, Anklagepflicht und Ermessen, 1978.

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seltenen Ausnahmefällen" n und von §153 a StPO auf Anraten der herrschenden Lehre" überhaupt keinen Gebrauch; einen Gegenstand, der empirischer Erforschung zugänglich wäre, bildet die Einstellungspraxis insoweit nicht. Gleichwohl seien drei Monita bedacht.

II. Das geltende Recht und die Jugendkriminologie Erstens gebietet das Prinzip eines fairen Jugendstrafverfahrens, dem es sowohl um die allgemeine Rechtstreue als auch um die Bereitschaft des Jugendlichen, seinen Prozeß als rechtmäßiges Geschehen akzeptieren zu können, zu tun ist, einem beschuldigten Jugendlichen zumindest die gleichen Chancen grundrechtseingriffsloser oder minderbelastender Einstellung zu belassen, die einem erwachsenen Beschuldigten in vergleichbarer prozessualer Situation gewährt sind72. Weil die Einstellungen nach den §§ 153 ff. StPO anders als die Einstellungen nach den §§45, 47 JGG nicht registrierungspflichtig" sind, darf diese günstigere Möglichkeit auch einem Jugendlichen nicht vorenthalten werden - auch wenn von dieser Möglichkeit bisher weder Praxis und Literatur noch Jugendgerichtstage nennenswerte Notiz genommen haben. Zwar ist es nicht Sache einer erfahrungswissenschaftlichen Jugendkriminologie, über die richtige Auslegung des geltenden Rechtes zu befinden. Indem die Jugendkriminologie aber zumeist undifferenziert dem generalpräventiven Aspekt des Jugendstrafrechts mit Ablehnung begegnet und lediglich die täterorientierten Einstellungen nach den §§ 45, 47 JGG als Möglichkeit der Diversion im Deutschen Jugendkriminalrecht erwähnt", schüttet sie zweitens nolens volens Wege zur Entpönalisierung zu, die bereits ein tatorientiertes Strafverfahrensrecht öffnet. Drittens sollte gerade eine um Nichtintervention bemühte Jugendkriminologie notieren, daß nach legislatorischer Ansicht schon in Fällen der leichten und mittleren Erwachsenenkriminalität bereits die bloße Durchführung des Ermittlungsverfahrens das allgemeine Normvertrauen stabilisiert und, sei es auch nur im Verein mit Auflagen nach §153 a StPO, präventive Bedürfnisse befriedigen kann. Um so mehr trifft diese Annahme im Bereich der Jugenddelinquenz zu. Taten Jugendlicher sind vielfach - wie ζ. B. das Schwarzfahren oder der Diebstahl geringwertiger Sachen - eher lästig, als daß sie bei der Bevölkerung gravierende Unruhe und Strafbedürfnisse auslösen; sie haben ange70 Vgl. RiJGG zu §45 Nr. 5, S. 1 J G G . " Vgl. z.B. Brunner, J G G , 6. Aufl., 1980, §45 Rdn. 1. 72 Vgl. dazu Bottke, Zur Ideologie und Teleologie des Jugendstrafverfahrens, in: ZStW 95 (1983), S . 6 9 f f „ 88 ff., 92 ff. " Vgl. §56 I N r . 7 BZRG.

20

sichts der besonderen Situation, in der sich jugendliche T ä t e r befinden, keinen nachhaltigen Sogeffekt auf E r w a c h s e n e , die ihre Konsuminteressen legal leichter befriedigen k ö n n e n . Selbst wenn man - wie geboten den Verzicht auf stigmatisierende Registrierung und weitere Straftatverfolgung lediglich im H i n b l i c k darauf bewertet, wie er auf J u g e n d l i c h e und H e r a n w a c h s e n d e w i r k t , ist er weithin angezeigt. D a gemäß § 4 3 I Satz 2 J G G „der E r z i e h u n g s b e r e c h t i g t e u n d der gesetzliche Vertreter, die Schule und der L e h r h e r r o d e r der sonstige Leiter der Berufsausbildung" im Ermittlungsverfahren „soweit m ö g l i c h gehört w e r d e n " , löst die insoweit b e k a n n t g e w o r d e n e Straftat auch o h n e formelle Sanktionierung informelle R e a k t i o n e n der F a m i l i e und anderer für den J u g e n d l i c h e n

wichtiger

Bezugspersonen aus. D i e P r ä v e n t i o n s f o r s c h u n g belegt, daß die große M e h r z a h l der J u g e n d l i c h e n gerade diese K o n s e q u e n z e n , ζ. B . das Werturteil der F a m i l i e , in der sie leben, f ü r c h t e n , w ä h r e n d die S c h w e r e formeller staatlicher Sanktionen einen geringeren E i n f l u ß auf ihre N o r m t r e u e ausü b t " . Z u d e m attestiert die K r i m i n o l o g i e jeder Registrierung des Jugendlic h e n , sie lege diesen auf ein negatives F e i n d b i l d " fest und mit ihrer fortdauernden sozialen A c h t u n g die V e r m u t u n g nahe, ihr V o l l z u g „habe die F u n k t i o n

der

früheren

Ehrenstrafe

D a h e r sollte es einer J u g e n d k r i m i n o l o g i e ,

weitgehend die um

übernommen""'. Entstigmatisicrung

besorgt ist, leicht fallen, die M ö g l i c h k e i t e n registrierungsfreier Einstellung zu b e m e r k e n , die die § § 2 J G G , 153 ff. S t P O für Jugenddelinquenz mit Vergehenscharakter bei fehlendem oder beseitigbarem

Strafverfol-

gungsinteresse bereitstellen 7 7 .

III. Konsequenzen In ihren praktischen Ergebnissen k o m m t eine J u g e n d s t r a f p r o z e ß t h e o rie, die dem J u g e n d g e r i c h t s verfahren anfänglich die Aufgabe stellt, die allgemeine R e c h t s t r e u e zu bekräftigen und daher auch um prozessuale Fairneß b e m ü h t ist, durchaus den I n t e n t i o n e n einer J u g e n d k r i m i n o l o g i e entgegen,

die

Stigmatisierungen

und

schädigende

Sanktionen

durch

N i c h t i n t e r v e n t i o n und vermehrte Diversion vermeiden will.

1. Einstellungsquoten und Steigerungsmöglichkeiten über §§ 153ff. StPO Zwar werden z u n e h m e n d V e r f a h r e n bereits nach § 4 5 J G G eingestellt; so wurden 1980 von 2 3 0 9 5 5 Jugendgerichtsverfahren 15,3 % durch EinVgl. Pfeiffer (Anm. 7), S. 77, 97 f. Vgl. Pfeiffer (Anm.' 7), S. 78. 76 Vgl. Haffke, Hat das Bundeszentralregister eine Konzeption? Öffentliche Strafmoral und Gesetzesplanung, in: GA 1975, S. 65 ff., Fußn. 19. 74

75

21

Stellung nach § 45 J G G erledigt77. Die Quote aller staatsanwaltschaftlichen Verfahrensbeendigungen ließe sich durch eine zusätzliche Anwendung der §§2 J G G , 153 StPO jedoch noch steigern; auf ein insgesamt vorhandenes großes Einstellungspotential weisen unter anderem die beträchtlichen Einstellungsquoten nach den §§ 45, 47 J G G in den verschiedenen Bundesländern hin, die 1978 zwischen 2 5 % im Saarland und 7 0 % in Bremen lagen7". Dabei würde eine vorrangige Prüfung der §§ 153 ff. StPO unter Tatschweregesichtspunkten diejenigen Fälle leichter Jugenddelinquenz mit Vergehenscharakter herausfiltern, an deren weiterer Straftatverfolgung bei geringer Tatschuld des Jugendlichen, sei es auch u. U. erst nach Erbringung von Auflagen nach § 153 a StPO, kein öffentliches Interesse mehr besteht. Sind - wie z . B . bei einem Verbrechen - die Voraussetzungen der allgemeinen Einstellungsgründe nicht gegeben, ist das Verfahren registrierungspflichtig nach den §§45, 47 J G G beendbar; statt Einstellungschancen zu verkürzen, vermehrt das J G G täterorientiert die Nichtinterventions- und Diversionsmöglichkeiten bis in den Verbrechensbereich hinein", es sei denn, eine „Ahndung durch Urteil" (§45 I Satz 1 JGG), d. h. durch Zuchtmittel oder Jugendstrafe, sei nach den §§ 5 II, 17 II J G G , etwa wegen der „Schwere der Schuld"10, erforderlich.

2. Reduktion des Verfahrensaufwands, Ermittlungsgespräch und Einstellungen nach §§ 45, 47 JGG Würde die Praxis auch die Einstellungschancen nach den §§ 2 J G G , 153 ff. StPO in der skizzierten Weise nützen, könnte sie ihren Verfahrensaufwand reduzieren und sich intensiver den Delinquenten zuwenden, die sie registrierender Behandlung unterwerfen will. Sie könnte dann ζ. B. die in §44 J G G durch eine Sollvorschrift geforderte Vernehmung des Beschuldigten vor Anklageerhebung wenigstens in allen Fällen durchführen, in denen Verbrechensverdacht gegeben ist oder freiheitsentziehende Maßnahmen in Betracht kommen". Zwar fordert die Praxis, die Sollvorschrift des §§44 J G G zu streichen, da die Flut der Verfahren eine

Vgl. Pfeiffer (Anm. 7), S. 52. Vgl. Pfeiffer (Anm. 7), S. 133. n Die hier vorgeschlagene Anwendung der §§153 ff. StPO verschiebt den von den §§45, 47 J G G erfaßten Deliktsbereich „nach oben", bis hin zum Verbrechensbereich. Vgl. §17 II J G G . " Für eine regelmäßige Vernehmung noch RiJGG Nr. 2 S. 1 zu §29 RJGG 1929. Vgl. auch Eisenberg (Anm.5), §44 Rdn.2, Schaffstein (Anm.4), §34 I; Daliinger/Lackner, J G G , Kommentar, 2. Aufl., 1966, §44 Rdn. 1. 77

78

22

Vernehmung nach § 4 4 J G G verhindere 1 '. Sie übersieht dabei aber bereits in „justizökonomischer" Hinsicht, daß ein sorgfältiges Ermittlungsgespräch zwischen Staatsanwalt und Jugendlichem eine insgesamt arbeitsentlastende Diversion vorbereiten

kann, die nach den auf Vergehen

zugeschnittenen § § 2 J G G , 153, 153 a S t P O nicht möglich ist: Gesteht der Jugendliche ζ. B. eine geringwertige Sache mit Gewalt weggenommen zu haben, kann der Jugendstaatsanwalt nach § 45 II N r . 1 J G G von der weiteren Verfolgung absehen, wenn der Jugendliche im Vernehmungstermin staatsanwaltschaftlich ermahnt wird, ζ. B . eine seinen Möglichkeiten entsprechende Geldbuße leistet, gemeinnützig arbeitet oder von den Erziehungsverantwortlichen

eine erzieherische Maßnahme

angeordnet

ist, „die eine Ahndung (der Tat) durch den Richter entbehrlich macht". Von einem solchen Verhalten des Jugendlichen, daß das zunächst bestehende Interesse an weiterer Straftatverfolgung weichen läßt, kann der Staatsanwalt die Einstellung nach § 4 5 II N r . 1 J G G in dem Ermittlungsgespräch auch abhängig machen. E r kann zu diesem Termin auch ζ. B. die Eltern der Jugendlichen formlos einladen und diesen, wie es ζ. B. in Lübeck geschieht, Kontakte zu Beratungsstellen verminein".

3. „Erziehung",

Sanktionenzweck und Einstellung nach §§ 153 f f . StPO

Freilich ist zuzugeben, daß in die durch § 4 5 I Satz 1 J G G geforderte staatsanwaltschaftliche Entscheidung, „eine Ahndung durch Urteil" sei „entbehrlich", spezialpräventive Überlegungen eingehen, ja, denkt man an die Rechtsprechung des B G H , wonach selbst die Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld nur zulässig ist, wenn diese aus erzieherischen Gründen zum Wohle des Jugendlichen erforderlich ist 84 , ausschließlich von erzieherischen Erwägungen und der Suche nach der pädagogisch wirkungskräftigsten Tatreaktion bestimmt scheint. Erstens hat der B G H aber mitunter neben dem Erziehungsgedanken auch der Schuldsühne und Vergeltung für begangenes Unrecht Einfluß auf die Sanktionenauswahl und die Bemessung der Jugendstrafe zugebilligt 45 , ohne daß Klarheit über den Inhalt und die Rangfolge jener Topoi bestünde. Zweitens zeigen jugendkriminologische Untersuchungen der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis, daß diese unter den vielfältigen

82 Vgl. die Denkschrift über die Reform des J G G im Rahmen der großen Strafrechtsreform von 1964, hrsg. von der DVJJ, S. 20. " Vgl. Pohl-Laukamp, Staatsanwaltschaft beim LG Lübeck, in: DVJJ (Hrsg.) (Anm.8), S. 200 ff., 200 f. M BGHSt. 15, S. 224; 16, S.261. " BGH bei Holtz MDR 1980, S.814.

23

Möglichkeiten jugendstrafrechtlicher Sanktionen auch nach Tatschweregesichtspunkten auswählt". Und drittens ist der „Erziehungserfolg", den weitere Straftatenverfolgung und eine der jugendrichterlich aussprechbaren Sanktionen bewirken könnten, schon wegen der verzweifelten Unsicherheit, die täterorientierten Wirk-Prognosen eigen sind", häufig ungewiß. Jedenfalls in Vergehensfällen, in denen - wie ζ. B. bei einem Erstdelikt - die erzieherische Notwendigkeit und Tauglichkeit weiterer jugendstrafrechtlicher „Täterbehandlung" zweifelhaft sind, ist nicht einzusehen, warum eine grundrechtsschonende tatorientierte Einstellung nach den § § 1 5 3 ff. S t P O , die weitere Eingriffe in die Rechtssphäre des Jugendlichen und seiner Umwelt erspart, unterbleiben sollte.

£. Das Hauptverfahren, namentlich die Hauptverhandlung Das Leitbild eines fairen Jugendstrafprozesses, dem es anfänglich um die allgemeine Rechtstreue zu tun ist, verbietet nicht, daß das Jugendstrafverfahren im Laufe seiner Entwicklung zum tat-täterorientierten Erziehungsstrafprozeß wird, und, wie es in der deutschen Ubersetzung des Art. 14 I V des „Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte" vom 1 9 . 1 2 . 1 9 6 6 seit 1976 für die Bundesrepublik Deutschland rechtsverbindlich heißt, gegen Jugendliche „in einer Weise (geführt wird), die ihrem Alter entspricht und (ihre) Wiedereingliederung in die Gesellschaft fördert"".

I. Das geltende Recht D e r Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte konkretisiert dieses Postulat ζ. B . durch das Gebot, jugendliche Inhaftierte von Erwachsenen getrennt unterzubringen und in Jugendstrafsachen so schnell wie möglich ein Urteil zu fällen™. Das J G G überantwortet in seinem § 3 8 Abs. 2 Satz 1 den Vertretern der Jugendgerichtshilfe die Aufgabe, die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen

Gesichts-

84 Vgl. Fenn, Kriminalprognosen bei jungen Straffälligen, Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg i. Br., Bd.5, 1981, S.3: „mangelnde Treffsicherheit bisheriger Prognoseinstrumente". Zu den „Prognoseentscheidungen im (Erwachsenen) Strafrecht" vgl. Frisch, 1983. " Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBR) wird von der Jugendstrafrechtslehre bislang völlig ignoriert. Sein Text ist in BGBl. 1973 II 1534 zu finden. " Vgl. Art. 10 II a und b IPBR. Zum Jugendstrafvollzug vgl. Art. 10 III S. 1 und 2 IPBR.

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punkte im Verfahren vor den Jugendgerichten zur Geltung zu bringen". Nach §§35 II Satz 2, 37 J G G sollen die Jugendschöffen, Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein*; zahlreiche Abweichungen vom Recht des Erwachsenenstrafverfahrens, die in den §§ 43 ff. J G G verankert sind, sollen einem jugendgemäßen Verfahren dienen.

II. Empirischer Befund Keine der genannten Vorschriften richtet jedoch das Jugendstrafverfahren auf ein - wie auch immer definiertes - Erziehungsziel aus. Dementsprechend gering sind im Bereich des Jugendstrafverfahrens die besonderen Abweichungen gegenüber dem allgemeinen Strafverfahren geblieben"; insbesondere der jugendgerichtlichen Hauptverhandlung bescheinigen empirische Untersuchungen" einen zeremoniellen Charakter sowie ein überwiegend autoritäres Sprachverhalten der Richter, die meist mehr an der Aufklärung des Tatvorwurfs und dessen juristischer Klassifizierung als an den erzieherisch wichtigen Hintergründen der Tat interessiert seien und so eine „erzieherische Wirksamkeit der Hauptverhandlung" hinderten".

III. Analyse und Bewertung 1. Die „herrschende" Meinung Jugendkriminologen ist dieser Befund meist Anlaß, eine Kluft zwischen „Idee und Wirklichkeit" des Jugendstrafverfahrens zu diagnostizieren*. Denn sie sehen namentlich in der. Durchführung der Hauptverhandlung eine „pädagogische Aufgabe"", bei deren Erfüllung die „Unschuldsm Zur „Ermittlungstatigkeit der Jugendgerichtshilfe und ihrem Einfluß auf die Entscheidung des Jugendrichters" vgl. Momberg, jur. Diss. Göttingen 1982. 90 In der Praxis wird diese Vorschrift leider weiterhin unterlaufen. " Vgl. allg. Kube, Zur Reform der Hauptverhandlung, in: Kriminalistik 24 (1970), S.248ff.; Wassermann, Sozialklinik oder juristische Thesen, in: Wassermann (Hrsg.), Justizreform, 1970, S. 124. " Vgl. insb. Hauser, Der Jugendrichter - Idee und Wirklichkeit, 1980, S.61 ff. " Vgl. Pfeiffer (Anm.7), S. 110; Schönfelder, Die erziehende Wirksamkeit der Hauptverhandiung, in: Kinder- und Jugendpsychiatrie, 1974, S. 128. * Vgl. Hauser (Anm. 92). K So Hauber, Die Funktionsverteilung zwischen Richtern und Sachverständigen im deutschen Jugendgerichtsverfahren. Zugleich ein Beitrag zur Gestaltung einer künftigen Jugendgerichtsverfassung, jur. Diss. Freiburg 1976, S. 83. Ebenso Härringer, Die Erziehung des jungen Rechtsbrechers in der Freiheit, in: Würtenberger, Kriminologie und Vollzug der Freiheitsstrafe, 1961, S. 173 ff., 176;

25

Vermutung... kein Problem"* sei: Ein Jugendlicher sei „dazu da, erzogen zu werden"*; über das Unrecht der Tat „brauche man nicht zu reden"'7. 2.

Stellungnahme

Wer Gesetz und Wirklichkeit als Bezugspunkte seiner Arbeit ernsttiimmt, muß dies anders sehen. Gesetzestreu akzeptiert er, daß das JGG lediglich in §71 vorläufige Anordnungen über die Erziehung zuläßt, jedoch keine Rechtsgrundlage für erzieherische Einwirkungen auf einen Jugendlichen normiert, der gem. Art. 6 II der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Art. 14 II des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig gilt. Die generalpräventive Aufgabenkomponente des Jugendstrafverfahrens setzt sich ihm in der Hauptverhandlung insofern fort, als diese den Ernst eines Tatvorwurfs manifestiert, der nicht im Vorfeld des Hauptverfahrens möglichst stigmatisierungsarm bewältigt werden konnte; gerade weil für ihn das Jugendstrafverfahren nicht einer „primitiven Abschreckungsdressur"9*, sondern der allgemeinen Rechtstreue dienen soll und daher von vorneherein auf hochrangige Rechtswerte bezogen und um prozessuale Fairneß besorgt ist, bejaht er zugunsten der Freiheitsbelange des Jugendlichen Schweige-, Beteiligungs- und Verteidigungsrechte sowie Verfahrensförmlichkeiten, die einer „Erziehung auf Verdacht hin" suspekte Fremdkörper bleiben müssen. Und realitätsnah bestreitet er, daß im Jugendstrafverfahren ein herrschaftsfreier Diskurs zwischen Richter und Angeklagtem möglich ist; schon wegen der zeitlichen Beschränktheit der Hauptverhandlung bietet sie für ihn keine „große pädagogische Chance"". 3. Das Reformpotential

des Leitbildes eines fairen verfahrens

Jugendgerichts-

Dies bedeutet nicht, daß das Leitbild eines „fairen", anfänglich um Integrationsprävention bemühten Jugendstrafverfahrens praxisunkritisch wäre, im Gegenteil. Schild, Der Strafrichter in der Hauptverhandlung, 1983, S. 14; Sieverts, Die Verteilung der Funktionen zwischen Jugendrichter und den anderen Mitarbeitern in der Jugendkriminalrechtspflege, in: ZBIJugR 1959, S.241 ff., 248. * Schild (Anm. 95), S. 14. " Schild (Anm. 95), S.13. " Roxin, Schuld, Prävention und Verantwortlichkeit im Strafrecht, in: Festschrift für Bockelmann, 1979, S.300. " So aber Härringer (Anm. 95), S. 1761; Hauber (Anm. 95), S. 84.

26

D a die Mitwirkungsrechte des Jugendlichen und seine C h a n c e , sich und seine Konfliktsicht in das Verfahren einzubringen, fairneßwidrig zu Lasten späterer Sozialisation auch durch überschießende Amtsautorität und ü b e r k o m m e n e Sitzanordnung gemindert werden k ö n n t e , die nicht gesetzlich angeordnet

sind, steht es einer Verhandlung

T i s c h " , wie sie 1978 in Niedersachsen

erprobt wurde' 0 0 ,

am

„runden

keineswegs

ablehnend gegenüber; statt jedoch eine „problemlösende G e m e i n s c h a f t " vorzugaukeln, mahnt es, den an seiner Freiheit interessierten Jugendlichen als Verfahrenssubjekt mit effektiven Verteidigungs- und Beteiligungsrechten ernstzunehmen und diese - gegebenenfalls durch Verteidigerbestellung und entsprechende Hinweise - fürsorglich zu effektuieren. D a r ü b e r hinaus empfiehlt es, tat- und personenorientierte E r m i t t l u n gen spätestens in der Hauptverhandlung durch ein Verfahrensinterlokut voneinander abzuschichten 1 0 1 . Prozessuale Ansätze hierzu bieten de lege lata bereits die §§ 2 7 und 53 J G G , die die T r e n n b a r k e i t von schuldspruchu n d sanktionenrelevanten U m s t ä n d e n unterstellen. Sie bereits nach geltendem R e c h t i. S. eines informellen Tatinterlokuts verstärkt auszunützen, also erst die tatbegründenden Faktoren zu erörtern, ehe der soziale N a h r a u m , der Werdegang und die Eigenart des Jugendlichen in der Hauptverhandlung zur Sprache k o m m e n , entspräche nicht nur den G e b o ten „fairer": grundrechtsachtender Verhandlungsführung, die die I n t i m sphäre des Jugendlichen und seiner U m w e l t erst dann bloßlegt, wenn dies notwendig ist. E i n e solche Verfahrensweise würde auch namentlich den Laienrichtern eine unvoreingenommene Würdigung des tatvorwurfsbedeutsamen Beweismaterials ermöglichen und unterstriche, daß es auch im Jugendstrafverfahren zunächst um die T a t und den von ihr ausgehenden Störeffekt geht.

F. Der Schuld- und Rechtsfolgenausspruch. A u f eine besondere N a g e l p r o b e wird die These, das Jugendstrafrecht habe eine positive, auf Stärkung der allgemeinen Rechtstreue gerichtete generalpräventive F u n k t i o n , gestellt, wenn das Verfahren mit einer V e r urteilung endet. D e n n das Jugendstraf recht bietet dem R i c h t e r , der sich nach Durchführung des Hauptverfahrens vom Vorliegen einer einstellungsuntauglichen

schuldhaften

Verfehlung

eines

reifen

(§3

JGG)

100 Vgl. Scbreiber/Schöch/Sönitz, Die Jugendgerichtsverhandlung am „Runden Tisch", 1981, m. Bibliographie. 101 In der Literatur ist das Schuld- bzw. Tatinterlokut bereits im Grundsatz nahezu unumstritten, vgl. Rieß, Uber die Beziehungen zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung im heutigen Strafprozeßrecht, in: ZStW 95 (1983), S. 529 ff., S. 534 f., 550 m. Nachw. in Fußn. 20 und 114.

27

Jugendlichen überzeugt hat, eine vielfältige Palette an möglichen Rechtsfolgen an und folgt so dem Streben nach möglichst weitreichender Individualisierung.

I. Das geltende Recht und seine Tatfolgenpalette'01 1. Erzieh ungsmaßregeln Aus Anlaß der Jugendstraftat kann der Jugendrichter zunächst Erziehungsmaßregeln anordnen; als solche bezeichnet das Gesetz die Weisungen, die Erziehungsbeistandschaft, die Fürsorgeerziehung und die Erziehungshilfe durch den Disziplinarvorgesetzten der Soldaten102.

a) Weisungen In den Weisungen spricht derJugendrichter Gebote und Verbote aus, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen (vgl. §10 I Satz 1 JGG); er kann den Jugendlichen z.B. auferlegen, eine Lehr- oder Arbeitsstelle anzunehmen, ohne daß es hierzu der Zustimmung der Erziehungsberechtigten oder des Jugendlichen bedarf (vgl. § 10 I Satz 3 Nr. 3 JGG).

b) Heilerziehensche

Behandlung

Mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters kann der Richter dem Jugendlichen auch auferlegen, sich einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen oder einer Entziehungskur zu unterziehen ($ 10 II Sau 1 JGG); hat der Jugendliche das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so soll dies nur mit dem zusätzlichen Einverständnis des Jugendlichen geschehen (§ 10 II Satz 2 JGG).

c) Erziehungsbeistandschaft

und Fürsorgeerziehung

Ist die leibliche, geistige oder seelische Entwicklung des Jugendlichen gefährdet oder geschädigt, kann der Jugendrichter Erziehungsbeistandsschaft anordnen' 01 . Ergeben bestimmte Tatsachen, daß der Jugendliche verwahrlost ist oder zu verwahrlosen droht' 04 , kann der Jugendrichter die Fürsorgeerziehung anordnen; eine wie auch immer definierte „Unerziehbarkeit" des Jugendlichen ist seit 1961 kein gesetzlicher Grund, die Fürsorgeerziehung zu beenden'".

10 " Ein Überblick über das Rechtsfolgesystem der JGG findet sich bei Eidt, Sanktionensystem des Jugendstrafrechts, in: Jung (Hrsg.), Fälle zum Wahlfach Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 1975, S. 148ff.; Eisenberg, Einführung in die Grundprobleme des Jugendstrafrechts, in: JuS 1983, S. 561 ff., 572ff.; Terdenge, JA 1978, STR S.95ff., 101 ff., 147 ff., 303 ff. 102 Vgl. §§9, 10, 12, 112a Nr.2, 112b JGG. 105 Vgl. §§ 12 JGG i. V. m. § 55 JWG. '« Vgl. §§ 12 J G G i. V. m. §4 JWG. Vgl. aber LG Kassel RdJ 1968, S. 248; OLG Saarbrücken NJW 1968, S. 455 f.

28

2.

Zuchtmittel

Reichen Erziehungsmaßregeln nicht aus, ohne daß wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, oder wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe geboten ist, ahndet der Richter die Straftat des Jugendlichen mit Zuchtmitteln, wenn dem Jugendlichen eindringlich zum Bewußtsein gebracht werden muß, daß er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat"*. Das Gesetz nennt in § 13 II J G G als Zuchtmittel die Verwarnung, die Erteilung von Auflagen und den Jugendarrest, die allesamt nicht die Rechtswirkungen einer Strafe haben 10 '.

a)

Verwarnung

Die Verwarnung ist eine förmliche Zurechtweisung'™ des Jugendlichen, die ihm das Unrecht seiner Tat eindringlich vorhalten soll (§ 14 JGG).

b)

Auflagen

Anders als die Weisungen sind die Auflagen durch das Gesetz abschließend normiert: Der Richter kann gem. § 15 J G G dem Jugendlichen auferlegen, nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wieder gut zu machen, sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen oder einen Geldbetrag zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen. Als Schadenswiedergutmachung kommen sowohl Arbeitsleistungen als auch z.B. die Zahlung eines Geldbetrages in Betracht 109 . O b die Auflage, den Schaden durch Arbeits-, Ersatz- oder Geldleistung wieder gut zu machen, geeignet sein muß, Ansprüche des Geschädigten, sei es auch nur teilweise, zu tilgen, läßt das Gesetz offen; nach herrschender Meinung setzt die Auflage voraus, daß der Geschädigte die Leistung zivilrechtlich verlangen kann110. Die Zahlung eines Geldbetrages zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung soll der Richter gem. §15 II J G G nur anordnen, wenn der Jugendliche eine leichte Verfehlung begangen hat und anzunehmen ist, daß er den Geldbetrag aus Mitteln zahlt, über die er selbständig verfügen darf, oder dem Jugendlichen der Gewinn, den er aus der Tat erlangt, oder das Entgelt, das er für sie erhalten hat, entzogen werden soll'".

c)

Jugendarrest

Obwohl das Erwachsenenstrafrecht die kurzfristige Freiheitsstrafe als schädlich erkannt und daraus Konsequenzen gezogen hat, hält das Jugendstrafrecht an der kurzzeitigen Freiheitsentziehung in Gestalt des Jugendarrestes fest; namentlich die Justizverwaltungen sehen in ihm „ein geeignetes Zuchtmittel bei nicht allzu schweren Verfehlungen gutgearteter Jugendlicher, die durch eine kurze, strenge Freiheitsentziehung, den damit verbundenen Zwang zur Selbstbesinnung und die Betreuung während des Arrestes noch erzieherisch beeinflußt werden könnm

Vgl. §13 '» Vgl. 109 Vgl. Vgl. 1,1 §15 107

§§5 II, 13 I, 17 II J G G . III J G G . RiJGG Nr. 1 zu § 14 J G G . RiJGG Nr. 1 zu § 15 J G G . dazu O L G Stuttgart MDR 1971, S. 1025 m. Nachw. II J G G .

29

ten""'. Das Gesetz unterscheidet den sog. Freizeit-, Kurz- und Dauerarrest. Der Freizeitarrest wird auf die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen verhingt und auf mindestens 1 Freizeit und höchstens 4 Freizeiten bemessen; in der Regel fällt so der Freizeitarrest auf das Wochenende und dauert von Samstag nachmittag bis Montag früh" 1 . Erscheint ein zusammenhängender Vollzug aus Gründen der Erziehung zweckmäßig und werden weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt, wird statt des Freizeitarrestes Kurzzeitarrest verhängt. Dabei stehen zwei Tage Kurzarrest einer Freizeit gleich. Die Gesamtdauer des Kurzarrestes darf 6 Tage nicht überschreiten"*. Der Dauerarrest betragt mindestens 1 Woche und höchstens 4 Wochen" 5 . Keine der verschiedenen Arrestformen kann zur Bewährung ausgesetzt werden 1 ". Jedoch kann der t Vollstreckungsleiter nach teilweiser Verbüßung des Jugendarrestes von der Restvollstreckung absehen, wenn dies aus Gründen der Erziehung geboten ist"7. Ist zu erwarten, daß der Jugendarrest neben einer Strafe, die gegen den Verurteilten wegen einer anderen Tat verhängt wurde oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, seinen erzieherischen Zweck nicht mehr erfüllen wird, kann der Vollstreckungsleiter von der Vollstreckung des Jugendarrestes sogar ganz absehen"'.

3.

Jugendstrafe

Reichen wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht aus oder ist wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich, verhängt der Richter Jugendstrafe. Das JGG kennt, rechnet man die in §27 JGG geregelte Entscheidung ein, 4 Formen der Verurteilung zur Jugendstrafe: Die Schuldfeststellung bei gleichzeitiger Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe (vgl. §27 J G G ; - a -), die Verurteilung zur Jugendstrafe von unbestimmter Dauer (§ 19 J G G ; - b -), die Verurteilung zur Jugendstrafe von bestimmter Dauer, die zur Bewährung ausgesetzt wird (§§17, 18, 21 JGG; - c -), sowie die Verurteilung zur Jugendstrafe von bestimmter Dauer, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird (§§ 17, 18, 21 JGG; - d -). Die Möglichkeit, nach Schuldfeststellung bei gleichzeitiger Aussetzung der Verhängung von Jugendstrafe auf Jugendstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung120 zu erkennen, ergänzt die hier an erster Stelle genannte Verurteilungsform.

a) Schuldfeststellung

nach §27

JGG

Die Schuld des Jugendlichen stellt der Richter fest und setzt die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aus, wenn er nach pflichtgemäßer Erschöpfung der Ermittm

Vgl. Vgl. 1.4 Vgl. " 5 Vgl. Vgl. 1,7 Vgl. "· Vgl. " ' Vgl. Vgl. 1.3

RiJGG Nr. 1 zu §16 JGG. Eisenberg JGG 1982, §130 Rdn.25. §16 III JGG. §.16 IV JGG. §87 1 JGG. §87 II S. 1 JGG. §87 III S.2JGG. §17 II JGG. §30 I S.2JGG.

30

lungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilen kann, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, der Jugendstrafe erfordert'11, und nicht wegen der „Schwere der Schuld" auf Jugendstrafe erkannt werden muß'". Für die Dauer der Bewährungszeit, die 2 Jahre nicht überschreiten und 1 Jahr nicht unterschreiten darf'2', unterstellt der Richter den Jugendlichen der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers'"; der Richter soll die Lebensführung des Jugendlichen durch Weisungen erzieherisch beeinflussen und kann dem Jugendlichen zu diesem Zweck auch Auflagen erteilen'". Die Feststellung der Schuld sowie das Ende der Bewährungszeit werden in das Bundeszentralregister eingetragen12'. Bewährt sich der Jugendliche oder Heranwachsende, so wird der Schuldspruch getilgt127 und die Eintragung aus dem Bundeszentralregister entfernt' 2 '. Stellt sich wahrend der Bewährungszeit heraus, daß die in dem Schuldspruch mißbilligte Tat auf schädliche Neigungen von einem Umfang zurückzuführen ist, der Jugendstrafe erfordert, so verhängt der Jugendrichter in einem Nachverfahren die Strafe, die er im Zeitpunkt des Schuldspruchs bei sicherer Beuneilung der schädlichen Neigung des Jugendlichen ausgesprochen hätte'", ohne diese Strafe zur Bewährung aussetzen"0 oder zu Gunsten von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln vermeiden'" zu können. Die so verhängte Jugendstrafe wird zusätzlich zum Schuldspruch in das Bundeszentralregister eingetragen'".

121 §27 J G G . Zur Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe vgl. Braden, Zur Problematik der bedingten Verurteilung (§27 JGG), in: DVJJ (Hrsg.), Niederschrift über die 10. Norddeutsche Studienwoche über Jugendgerichtsbarkeit vom 16.-20. 10.1967 in Husum, S. 52 ff.; Brockmann, Die Anwendung des §20 und des §27 im OLG-Bezirk Oldenburg in den Jahren 1954 bis 1958, jur. Diss. Hamburg, 1960; Kreischer, Die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe (§27 JGG) in ihrer praktischen Bedeutung, jur. Diss. Heidelberg 1970; Lorbeer, Probleme der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe nach §§27 ff. J G G , Jur. Diss. Hamburg, 1982; Memmler, Schuldspruch gem. §27 J G G - und was dann? in: RdJ 1966, S. 225 ff.; Pichler-Drexler, Zur Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, in: UJ, 1955, S.551 ff.; Potrykus, Über die bedingte Verurteilung nach §27 J G G , in: MDR 1955, S.456ff. 122 Vgl. RiJGG Nr. 1 zu §27 J G G . Wer allerdings Jugendstrafe nur bei gleichzeitigem Vorliegen von schädlichen Neigungen für zulässig erachtet (BGH St. 15, S.224; 16, S.261), müßte trotz „Schwere der Schuld" nach §27 J G G verfahren, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. §28 I J G G . 124 §§29, 24 I S. 1 J G G . ' " §§29, 23 I J G G . , 2 ' §§4 Nr. 4, 8 III BZRG. 127 §30 II J G G . 1 2 " § 30 II J G G . ,2« §15 II S.2 Nr. 1 BZRG. , 2 ' §30 I S2 J G G . 130 §30 I S.2 J G G . ' " Vgl. Lorbeer (Anm. 121), S. 71. " 2 §15 II S. 1 BZRG.

31

b) Jugendstrafe

von unbestimmter

Dauer

Ist sich der Richter nach pflichtgemäßen Ermittlungen gewiß, daß in der Tat schädliche Neigungen hervorgetreten sind, die eine Jugendstrafe von höchstens 4 Jahren gebieten, und kann er nicht voraussehen, welche Zeit erforderlich ist, um den Jugendlichen durch den Strafvollzug zu einem rechtsschaffenden Lebenswandel zu erziehen, verhängt er Jugendstrafe von unbestimmter Dauer mit einem Höchstmaß von 4 Jahren und einem Mindestmaß von 6 Monaten'"; nach der Judikatur ist der Richter nicht gehindert, Jugendstrafe von unbestimmter Dauer zu verhängen, wenn neben den schädlichen Neigungen auch die

Vgl. § 19 I und II S. 1, § 18 I S. 1 J G G . Zur bestimmten Jugendstrafe nach § 1 9 J G G vgl. Bahr, Von der Fragwürdigkeit der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer, in: UJ 1962, S. 369ff.; Creifelds, Die unbestimmte Strafe im geltenden und im künftigen Recht, GA 1954, S.289ff.; Dahlström, Zur Praxis der unbestimmten Verurteilung im Jugendstrafrecht, jur. Diss. Hamburg, 1948; Dra, Jugendkunde und unbestimmte Verurteilung, in: DJ 1943, S. 8ff.; Freister, Die unbestimmmte Verurteilung Jugendlicher als Persönlichkeitsfrage, in: DStR 1941, S. 133 ff.; Ders., Gedanken zur V O über die unbestimmte Verurteilung, in: DJ 1941, S.949ff., 981 ff., 1013 ff.; Gregor, Die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher, in: Z. f. psych. Hyg., 1941, S. 42 ff.,; Heinen, Ist die Jugendgefängnisstrafe unbestimmter Dauer kriminalpolitisch bedenklich? in: U H 1951, S. 335 ff.; ders. Die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer, in: MDR 1954, S. 264ff.; Hochdörffer, Täterschuld und unbestimmte Verurteilung, jur. Diss. Heidelberg 1950; Jacoby, Unbestimmte Verurteilung? Einwände gegen die Einführung in das Jugendstrafrecht, in: ZBIJugR 1931, S. 305ff.; Kümmerlein, Unbestimmte Verurteilung Jugendlicher, in: ZAKDR 1941, S. 392 ff.; Meins, Die unbestimmte Verurteilung im Jugendstrafrecht 1939; Mollenhauer, Fragen zur unbestimmten Verurteilung, DJugHilfe 1942, S. 217ff.; Ders., Zur „Fragwürdigkeit der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer", in: UJ 1962, S. 567ff.; Egon Müller, Zum Erziehungserfolg der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer, 1969; Naether, Die Lebensbewährung zu unbestimmter Jugendstrafe verurteilter Jugendlicher und Heranwachsender, jur. Diss. Göttingen 1967; Peters, Die unbestimmte Verurteilung im Jugendstrafrecht, in: ZStW 58 (1939), S.567ff.; Potrykus, Zur unbestimmten Verurteilung Jugendlicher, in: ZBIJugR 1951, S. Iff.; Rietsch, Die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher, in: RVerwBl. 1942, S. 30 ff.; Röbel, Probleme der Verhängung und Bemessung der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer, in: Niederschrift über die Neueste Norddeutsche Studienwoche, Studienwoche 1964, S. 59 ff.; Schwab, Das unbestimmte Strafurteil im Jugendstrafrecht, jur. Diss. Tübingen, 1955; Selbe, Die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer in der Praxis der Rechtssprechung der Jugendgerichte und des Jugendstrafvollzugs, in: MSchrKrim 1962, S. 129ff.; Taube, Die Auswirkungen der unbestimmten Verurteilung auf den jugendlichen Rechtsbrecher, jur. Diss. Hamburg, 1967; Wächter, Untersuchungen über Erfolg und Mißerfolg der Erziehung durch die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer, jur. Diss. Heidelberg 1966; Wasserburg, Die Jugendstrafe in der Rechtsprechung der LG-Bezirke Frankenthal und Mainz, Urteilsanalysen bei der Verhängung von bestimmter und unbestimmter Jugendstrafe, jur. Diss. Frankfurt 1980; Würtenberger, Zur Einführung der unbestimmten Verurteilung im deutschen Jugendstrafrecht, in: Die Erziehung 1942, S.24 ff., 62 ff.

32

„Schwere der Schuld" Strafe gebieten würde"'. Zur Bewährung kann die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer nicht ausgesetzt werden'"; in das Bundeszentralregister wird sie als „Strafe" eingetragen"*.

c) Aussetzungsfähige und aussetzungspflichtige von bestimmter Dauer

Jugendstrafe

Zur Bewährung aussetzungsfähig ist dagegen eine bestimmte Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, die 2 Jahre nicht übersteigt, wenn besondere Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Jugendlichen vorliegen und zu erwarten ist, daß der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird 1 ". Der Richter muß die Vollstreckung einer Verurteilung zu einer bestimmten Jugendstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn das Strafmaß nicht mehr als 1 Jahr beträgt und wegen der Warnungswirkung durch die Verurteilung sowie wegen der Einwirkungen während der Bewährungszeit eine günstige Sozialprognose gegeben ist15*; Umstände des Prognosesachverhalts sind dabei „namentlich" die Persönlichkeit des Jugendlichen, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind"*. Die Dauer der Bewährungszeit, die der Richter bestimmt, darf 3 Jahre nicht überschreiten und 2 Jahre nicht unterschreiten140. Ist dies angezeigt, beeinflußt der Richter die Lebensführung des Jugendlichen durch Weisungen und Auflagen; anders als die tatahndenden Auflagen, die Zuchtmittel sind, sollen die Bewährungsauflagen ausschließlich die Entwicklung des Verurteilten fördern 1 ".

d) Nicht aussetzungsfähige Jugendstrafe

von bestimmter

Dauer

Nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann die Vollstreckung (1.) bei bestimmten Jugendstrafen von mehr als 2 Jahren, (2.) bei bestimmten Jugendstrafen von mehr als einem Jahr und unter 2 Jahren, wenn keine besonderen Umstände der Tat und in der Persönlichkeit des Jugendlichen vorliegen oder es an einer günstigen Sozialprognose mangelt, und (3.) bei bestimmten Jugendstrafen, wenn der Jugendliche sich nicht durch die Verurteilung beeindrucken lassen und ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keinen rechtschaffenen Lebenswan del führen wird. Die genannten Versagungsgründe sind nicht im Rückgriff auf generalpräventive Erwägungen erweiterbar, denen das Erwachsenenstrafrecht in §56 III StGB mit dem Begriff der „Verteidigung der Rechtsordnung" eine

BGH bei Herlan, GA 1958, S. 47. " s Vgl. §21 JGG. 134 Zur Registrierungspflicht vgl. §4 Nr. 1 BZRG. " ' Vgl. §21 I S. 1 und II JGG. " ' Vgl. §21 I JGG. Vgl. §21 I S.2 JGG. 140 §22 I JGG. 1,1 Vgl. dazu Ulmschneider, Durchführung, Erfolg und rechtliche Grenzen der Bewährungsauflagen bei Jugendlichen, jur. Diss. Kiel, 1966.

33

aussetzungslimitierende Bedeutung zuerkennt'". Desgleichen steht auch die Verhängung von Jugendstrafe wegen „schädlicher Neigungen" nicht der Aussetzung zur Bewährung entgegen und zwar auch dann nicht, wenn eine Jugendstrafe zwischen einem und zwei Jahren verhängt wird'"; den Richtlinien zum J G G ist nur insoweit zu folgen, als eine Aussetzung zur Bewährung dann, wenn die Strafe wegen der Schwere der Schuld verhängt wurde, insbesondere in Betracht kommt, wenn die Tat persönlichkeitsfremd erscheint und Gründe der Erziehung eine - auch teilweise - Vollstreckung nicht gebieten'".

4. Verfehlungsfolgen Der „breite Fächer" 14S individualisierender Tatreaktionen, den Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe bilden, wird noch ergänzt durch die Nebenstrafen und Nebenfolgen sowie durch die Maßregeln der Besserung und Sicherung'", die nach dem J G G zulässig sind. Darüber hinaus können alle genannten Tatfolgen miteinander verbunden werden, soweit nicht § 8 J G G , die Eigenart der anzuordnenden Rechtsfolge oder allgemeine Rechtsgrundsätze einer gleichzeitigen Anordnung entgegenstehen"*. Hat ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen, so stellt der Richter diese und deren Konkurrenzverhältnis zwar im Urteilsspruch fest, bestimmt jedoch nach dem in §31 J G G .verankerten Prinzip der einheitlichen Maßnahme - bzw. Rechtsfolgenverhängung die Tatfolge so, als ob der Jugendliche nur ein Delikt begangen hätte'4'.

II. Die Praxis und die in ihr zu findenden Tatfolgen Wer wegen der Existenz eines vom allgemeinen Erwachsenenstrafrecht abgehobenen Systems jugendstrafrechtlicher Tatfolgen meinte, in der Praxis seien vorwiegend solche Tatreaktionen zu finden, die im Erwachsenenstrafrecht keine Entsprechung finden, muß sich durch die Realität eines anderen belehren lassen. Denn von den genannten Tatfolgen, die den Jugendrichtern außerhalb der Einstellungen gem. § § 4 5 , 45 J G G zur Verfügung stehen, bevorzugt die Praxis solche, die in allgemein-strafrechtlichen Sanktionen eine Paralelle finden.

Vgl. dazu BGHSt. 24, S. 40 ff., 45 f. Vgl. Eisenberg (Anm.5), §21 J G G Rdn. 13. 144 Vgl. RiJGG zu Nr.l S.5 zu §21 J G G . '4S E. Müller (Anm. 133), S. 13. 144 Vgl. §§6, 8 III J G G . 147 Vgl. §7 J G G . 148 § 8 J G G regelt in - durchaus deutungsbedürftiger und viele Zweifelsfragen offenlassender - Weise nur die Verbindung von Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln, Jugendstrafe, Nebenstrafen und Nebenfolgen, nicht dagegen die Verbindung mit den im § 7 J G G für zulässig erklärten Maßregeln der Besserung und Sicherung. ' " Vgl. zu §31 J G G Frisch, Zur Einheitsstrafe des §31 J G G , in: NJW 1959, S. 1669; Potrykus, Zur Einbeziehung im Jugendstrafrecht, NJW 1959, S. 1060. 142

143

34

1.

Tatfolgenverteilung

N a c h den v o m Statistischen B u n d e s a m t herausgegebenen D a t e n haben im J a h r e 1982 die J u g e n d g e r i c h t e insgesamt 149 760 Verurteilungen ausges p r o c h e n . D a b e i kam es in 22 0 8 3 oder 14,7 % aller Fälle zur Verhängung von J u g e n d s t r a f e n . 31 5 2 9 m a l o d e r in 21 % aller Fälle verhängten J u g e n d gerichte J u g e n d a r r e s t . U n d 4 8 123mal oder in 32,1 % aller Fälle legten die J u g e n d g e r i c h t e den Verurteilten die Zahlung eines Geldbetrages gem. § 15 A b s . 1 Satz 1 N r . 3 J G G auf. H i n g e g e n ordneten sie lediglich in 45 654 o d e r 3 6 , 4 % aller Fälle E r z i e h u n g s m a ß r e g e l n an. Z w a r lassen sich die zum J u g e n d a r r e s t und z u r G e l d b u ß e angegebenen Zahlen nicht gänzlich addieren, da beide F o l g e n de jure gem. § 8 J G G

nebeneinander

verhängt

werden k ö n n e n ' " . D a es aber realiter k a u m je zu einer solchen K u m u l a tion k o m m t , bestand in ca. 53,1 % aller Verurteilungen die R e c h t s f o l g e in einer Q u a s i - G e l d s t r a f e o d e r Q u a s i - F r e i h e i t s s t r a f e . H i n z u z u z ä h l e n sind n o c h die Fälle echter J u g e n d s t r a f e , so daß in ca. 6 4 , 8 % aller Verurteilungen die im Jugendgerichtsverfahren

angeordnete R e c h t s f o l g e in ihrer

praktischen Ausgestaltung den typischen Strafen des Erwachsenenstrafrechts verwandt ist; diese prozentuale Verteilung hat sich seit 1970 so gut wie nicht verändert' 5 2 . V e r s t ä r k t wird dieser E i n d r u c k einer weitgehenden Ä h n l i c h k e i t z u m E r w a c h s e n e n s t r a f r e c h t bei den Jugendstrafen durch den weitgehenden N i c h t g e b r a u c h der Jugendstrafe von relativ u n b e s t i m m t e r D a u e r : Lediglich in 2 8 7 Fällen oder 0 , 1 9 % aller Verurteilungen m a c h t e n die J u g e n d r i c h t e r von der dem jugendstrafrechtlichen

Sanktionenrecht

eigentümlichen M ö g l i c h k e i t G e b r a u c h . U n d nur in 1859 Fällen

oder

1 , 2 % aller Verurteilungen entschlossen sie sich, die Schuld des Täters festzustellen

und die V e r h ä n g u n g der Jugendstrafe auszusetzen

J G G ) . D e r E i n d r u c k einer weitgehenden Parallele z u m

(§27

Erwachsenen-

strafrecht wird unterstrichen durch die Zahlen, die hinsichtlich der F ü r sorgeerziehung und Erziehungsbeistandschaft zu nennen sind: Fürsorgeerziehung w u r d e 1982 lediglich in 131 Fällen oder 0 , 0 8 7 % aller Verurteilungen angeordnet; Erziehungsbeistandschaft wurde nur in 2 3 0 Fällen o d e r 0,15 % aller Verurteilungen gewährt. W e n n überhaupt, so vermögen allenfalls die W e i s u n g e n die Eigenständigkeit der jugendstrafrechtlichen Sanktionenauswahl in der Praxis zu b e g r ü n d e n ; Weisungen erteilten, sei es auch in V e r b i n d u n g mit anderen T a t f o l g e n , die J u g e n d r i c h t e r 1982 in 54 4 3 0 Fällen o d e r in ca. 3 6 % aller Verurteilungen.

150 Hilde Kaufmann, Jugendstrafrechtsreform de lege lata? in: Festschrift für Hans Welzel, 1974, S. 897 ff., 900. 151 Vgl. zur Situation 1970 Hilde Kaufmann (Anm. 150), S.900. Vgl. etwa §18 JGG.

35

2. Deutung der

Tatfolgenverteilung

O b w o h l das J G G die Sanktionenbemessung von den Strafrahmen und Strafzumessungsregeln des Erwachsenenstrafrechts völlig löst'", zeigen Befragungen von Jugendrichtern sowie Urteilsanalysen 1 ", daß die Bemessungspraxis der Jugendgerichte „offenbar noch stark von Zumessungsgedanken geleitet wird, wie sie ,auch' im Erwachsenenstrafrecht... Geltung haben: nämlich der Ahndung nach dem Grad der Schuld und dem Versuch, einen Delinquenten, auch wenn seine Deliktsrichtung gleich bleibt,

mit

nacheinander

sich

steigernden

Maßnahmen

zu

beein-

drucken" 155 .

a) Die „herrschende"

Meinung

Jugendkriminologie und Jugendpädagogik lehnen die auch an der Tatschwere orientierte jugendrichterliche Strafzumessungspraxis, deren Straftaxendenken und deren durch Rückfall indiziertes Strengerwerden meist als erzieherisch unbefriedigend ab156. Statt die Persönlichkeit eines Jugendlichen im einzelnen zu analysieren und dann, wie es gerade bei mehrfach auffälligen Jugendlichen mit erheblichen Sozialisationsschäden angezeigt wäre, die bestmögliche Therapie einzuleiten, übernähmen die Jugendrichter wegen ihrer Organisationsverhaftung in der Justiz ungeprüft 158 die dort eingeübte Strafpraxis; mangels entsprechender Vorbildung seien die Jugendrichter häufig nicht in der Lage, ihrer Entscheidung eine ausreichende Persönlichkeitsdiagnose zugrunde zu legen und der Versuchung zu widerstehen, in einer weiteren Straftat eine Nichtbeachtung ihrer Autorität zu sehen und solche „Kränkung" gegenüber dem Jugendlichen in eine erhöhte Strafe umzumünzen 15 '.

Hilde Kaufmann/Hartmann/Höfer/Marquardt/Rausch, Jugendliche Straftäter und ihre Verfahren, 1975, S.41, 42. 154 Hilde Kaufmann/Hartmann/Höfer/Marquardt/Rausch, (Anm. 153), S. 42. Vgl. zur sich steigernden „Strenge" jugendrichterlicher Sanktionen gegenüber einem rückfälligen Delinquenten auch Bussmann/Plewig, Muß man immer strenger werden? - Fragen an die richterliche Sanktionspädagogik, in: DVJJ (Hrsg.), Die jugendrichterlichen Entscheidungen - Anspruch und Wirklichkeit, 1981, S. 354 ff. 155 Vgl. Bussmann/Plewig (Anm. 154), S. 354 ff., insbes. S.362, 379 jeweils mit zahlr. Nachw. Vgl. auch allg. Scheibe, Pädagogisches Lexikon, 2. Bd., 1970, S. 1127. Vgl. Hilde Kaufmann (Anm. 153), S.42. 157 Vgl. Bussmann (Anm. 154), S.365. 158 Vgl. Bussmann (Anm. 154), S.366, 363. 159 Vgl. Hauher, Spezialisierung als Legitimation jugendrichterlichen Handelns, in: ZBIJugR 64 (1977), S. 372ff., 376f., 382; Plate, Jugendkriminalität - Erklärungsansätze und Überlegungen zu Interventionsmöglichkeiten der Polizei, in: 155

36

b)

Stellungnahme

Es ist wenig hilfreich, mit den meisten jugendkriminologischen Autoren, der Praxis vorzuwerfen, sie sei ideologisch auf repressive Zumessungskriterien fixiert. Zum einen kann etwaige Sachgründe und eine geheime Plausibilität des usus fori nicht bemerken, wer eine solche Anklage erhebt. Und zum anderen wäre der Vorwurf, gerade bei den jugendrichterlichen Sanktionsentscheidungen klafften Anspruch und Wirklichkeit auseinander, de lege lata nur berechtigt, wenn das Gesetz, an das die Jugendrichter gebunden sind, generalpräventive Aspekte verbannen und eine prinzipiell andere Tatfolgenauswahl und -zumessung vorschreiben würde. Hieran ist zu zweifeln. Zwar unterstellt das J G G die erzieherische Tauglichkeit jugendrichterlich anordbarer Tatfolgen, wenn es ζ. B. in § 17 Abs. 2 davon spricht, der Richter verhänge Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel „zur Erziehung nicht ausreichen". Und pädagogisch wünschenswert wäre es auch, wenn der Jugendrichter jedem einzelnenjugendlichen die jeweils ihm hilfreiche Maßnahme dezidieren könnte. Zugleich gibt das geltende Recht aber repressiven, tatorientierten Erwägungen Raum, wenn es in § 5 II J G G davon redet, die Straftat eines Jugendlichen werde mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe „geahndet", in §17 II 2. Alt. J G G „der Schwere der Schuld" straflegitimierende Bedeutung beimißt oder in den §§45, 47 J G G den jugendrichterlichen Ausspruch von jugendstrafrechtlichen Tatfolgen durch das Wort „Ahndung" charakterisiert. In solchen Formulierungen schlägt sich nieder, daß nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers auch im J G G trotz allen Bestrebens, die Auswahl der erzieherisch günstigen Tatfolge sicherzustellen, in jedem Schuld- und Tatfolgenausspruch spezial- und generalpräventive Zwecke intrikat gemischt sind; erst bei der Bemessung und Ausgestaltung der jeweils angeordneten Maßnahme werden, wie ζ. B. die §§ 18 II, 21, 91 J G G , die dort verwandte Wortwahl und das Nichterwähnen generalpräventiver Topoi wie der „Verteidigung der Rechtsordnung" zeigen, ausschließlich maßgebend. Um nicht mißverstanden zu werden: Auch ich halte es bereits de lege lata für dringend geboten, die Vorschriften des J G G zu nützen und mit Leben zu erfüllen, die edukative Chancen bereitstellen. So ist es z.B. ein Skandal, daß der Programmsatz des §37 J G G in der Praxis nicht nur fast gänzlich bedeutungslos ist" 1 , sondern sich sogar in einer von Plate 1979 in B K A Jugendkriminalität, T e i l 1, 1982, S . X L V ff., X X X I I I ; Störzer, p r o z e ß und junges O p f e r , in: IK

Hess/Störzer/Streng

Plate ( A n m . 159), S. X X X I I I .

Sittlichkeits-

(Hg.), 1978, S. 101 ff., 1 2 2 f f .

37

Niedersachsen durchgeführten Befragung ergab, daß die Jugendrichter während ihrer Studien- und Referendarzeit sogar weniger kriminologische und strafvollzugskundliche Lehrveranstaltungen besucht hatten, als ihre nur im Erwachsenenstrafrecht tätigen Kollegen. (Danach hatten 36,8 % der befragten Jugendrichter und 26,6 % der befragten sonstigen Strafrichter an keiner einzigen derartigen Veranstaltung teilgenommen; 38,4 % der befragten Jugendrichter gaben sogar an, bisher an keiner einzigen Fortbildungsveranstaltung teilgenommen zu haben 1 ".) Denn von der Vorbildung und der dadurch geprägten Persönlichkeit des Richters hängt nicht nur die - weithin unkodifizierbare - Art und Weise ab, wie er in der Hauptverhandlung den konkreten Jugendlichen anspricht und mit ihm kommuniziert" 2 . Sie bestimmt auch seine psychodiagnostischen und prognostischen Fähigkeiten sowie sein Wissen über die erzieherische Tauglichkeit und Realität der jeweils anordbaren Maßnahmen mit. Und segensreich wäre es, wenn der Jugendrichter durch seine Procedere und seine Entscheide gerade solchen Jugendlichen helfen könnte, die in ihrer Lebensgeschichte bereits mehrfach benachteiligt wurden und daher wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt gerieten; es ist eines Sozialstaates unwürdig, sie nur als Störende zu bemerken und zu kontrollieren. Als Disziplin, die dem Gesetz und seiner Wahrheit verpflichtet ist, hat die jugendstrafrechtliche Dogmatik aber auch solche Normen, Maximen und Funktionen jugendstrafrechtlicher Entscheide offenzulegen, die sich pädagogischen Desideraten nicht oder nur mit Abstrichen fügen.

III. Die Funktion des Schuldspruchs 1. Vorkommen eines Schuldsprucbs Einen eigenständigen Schuldspruch kennt das geltende Recht nur in § 27 J G G , wenn nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden kann, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, der Jugendstrafe erfordert 1 ". Sachlogisch enthält aber jede Verurteilung einen Tat-, Wahr- oder Schuldspruch, mag sie eine Sanktion verhängen, oder, wie im Falle des § 27 J G G , die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe für eine Bewährungszeit aussetzen. Denn jede jugendrichterlich ausgespro-

Man denke etwa an die in den ersten Momenten zu entscheidende Frage, ob dieser Jugendliche - ζ. B. ein Vierzehnjähriger - noch zu „duzen" oder „per Sie" anzureden ist. Vgl. oben F III 3 a. Vgl. § 3 J G G .

38

c h e n e T a t f o l g e setzt voraus, daß der R i c h t e r aufgrund der mündlichen Verhandlung der U b e r z e u g u n g ist, der J u g e n d l i c h e habe die ihm zu Last gelegte T a t in z u r e c h e n b a r - v o r w e r f b a r e r Weise begangen, weil er zur Zeit der T a t insbesondere seiner sittlichen und geistigen E n t w i c k l u n g nach reit genug war, das U n r e c h t der T a t einzusehen und nach dieser U n r e c h t s e i n sicht zu h a n d e l n 1 " .

2. Die „Verantwortungsreife"

und ihre Prüfung in der Praxis

D i e Praxis bejaht die auf der Schuldstufe durch § 3 J G G über § 2 0 S t G B hinaus geforderte „ V e r a n t w o r t u n g s r e i f e " meist o h n e nähere Prüfung und m i t s c h a b l o n e n h a f t e r B e g r ü n d u n g " 5 , wenn der J u g e n d l i c h e nur eines Vergehens angeklagt ist und - verglichen mit anderen straffälligen J u g e n d lichen - keine b e s o n d e r e n Auffälligkeiten aufweist, die auf eine E n t w i c k lungs- und R e i f e s t ö r u n g hindeuten 1 ". Ist dagegen - wie ζ. B . bei einem Rezidivisten o d e r einem T ö t u n g s d e l i k t - Jugendstrafe wegen „schädlicher N e i g u n g e n " o d e r „ S c h w e r e der S c h u l d " zu erwarten, beauftragen J u g e n d r i c h t e r vorwiegend

zur T ä t e r b e g u t a c h t u n g

Psychiater als

forensische

Sachverständige" 7 , statt sich bei der Suche nach einer A n t w o r t auf die F r a g e , o b die geistige und seelische E n t w i c k l u n g des Jugendlichen zur Zeit der T a t n o c h unabgeschlossen war und daher es an Einsichts- oder Handlungsfähigkeit fehlte, nach entwicklungspsychologischen

Kriterien

auszurichten und der H i l f e eines J u g e n d p s y c h o l o g e n zu bedienen. I m Ergebnis wird so die Verantwortungsreife in der Regel b e j a h t ; die E x k u l pierung wegen fehlender Verantwortungsreife bleibt die „ A u s n a h m e " O b w o h l die höchstrichterliche J u d i k a t u r und die Literatur meinen. § 3 J G G fordere, die Schuldfähigkeit des Jugendlichen nach einer eingehenden, individuellen P r ü f u n g positiv festzustellen und sorgfältig zu begründ e n " ' , werden die J u g e n d r i c h t e r ihre Praxis kaum wesentlich

ändern.

Erstens gibt es nämlich kein testpsychologisch verläßliches M e ß i n s t r u m e n t a r i u m , mit dessen H i l f e sich Verantwortlichkeitsausschließende Störungen im P r o z e ß stets sicher diagnostizieren ließen 1 7 0 ; nach

Ansicht

namhafter P s y c h i a t e r kann fehlende Verantwortungsreife nur dann einVgl. aber selbst RGSt. 58, S. 128. " s Vgl. dazu Keller/Kuhn/Lempp, Untersuchungen über die Entscheidungen gem. §§3 und 105 JGG an süddeutschen Amtsgerichten, in: MSchKrim 1975, S. 153 ff. Vgl. Eisenberg (Anm. 5), § 3 Rdn. 10. " 7 Vgl. Brunner (Anm. 3), § 3 Rdn. 3. 148 RGSt. 58, S. 128; B G H Herlan GA 1961, S.358; Brunner (Anm.3), § 3 Rdn. 5; Schaffstein (Anm. 4), § 7 1. "' Eisenberg (Anm. 5), § 3 Rdn. 12. 170 Bresser, ZStW 74 (1962), S.579. 1M

39

deutig festgestellt werden, wenn sie mit Schwachsinn gekoppelt sei'71. U n d zweitens umfassen die von §17 II 1. Alt. J G G für eine Jugendstrafe verlangten „schädliche(n) Neigungen" auch solche Entwicklungsfehlverläufe und Erziehungsdefizite, die auf einen retardierten Reifeprozeß hindeuten. Wenn sie echte Kriminalstrafen als ultima ratio des Jugendstrafrechts legitimieren, können sie de lege lata regelmäßig die strafrechtliche Haftung des Jugendlichen nicht ausschließen.

3. Deutung des Schuldspruchs Wer das Jugendstrafrecht als Erziehungsrecht begreift, das dem einzelnen Jugendlichen die ihm förderliche Hilfe gewähren will, kann den Schuldspruch nur mit der Überlegung zu rechtfertigen versuchen, es sei erzieherisch angezeigt, den Jugendlichen für sein Handeln verantwortlich zu machen, da so eine „Selbstwertkränkung" 172 und eine „Desorientierung" des Jugendlichen über seinen Status' 71 vermieden würden; die jugendstrafrechtliche Literatur beruft sich darüber hinaus auf die Straferwartung des Jugendlichen, dessen Ausbildung ethischer Normen empfindlich gestört würde, wenn man ihn entgegen seiner Erwartung nicht für Straftaten zur Verantwortung zöge 1 ". Unter devianzpädagogischen Gesichtspunkten sind diese Behauptungen aber nur bedingt stichhaltig. Denn die individuelle Verantwortungsreife eines Jugendlichen, der in seiner Lebensgeschichte psychosozial beschädigt wurde und daher schädliche, kriminogene Neigungen ausbildete, ist für die Devianzpädagogik nicht der „Anfang, sondern allenfalls das Ergebnis einer unter günstigen Umständen vielleicht erfolgreichen sozialtherapeutischen Behandlung" 175 ; wer Therapie stets mit einem Vorwurf, wie er herkömmlichem Verständnis nach im strafrechtlichen Schuldurteil steckt, beginnt, begeht einen „Kunstfehler" 17 '. Letztlich kann das Schuldurteil auch gegenüber solchen Jugendlichen, deren Entwicklung zu „schädlichen Neigungen" führte, und die geübte jugendrichterliche Praxis, in der Regel Verantwortungsreife anzunehmen, 171

Vgl. Lempp, Das Problem der Strafmündigkeit aus Kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht, in: Nissen/Schmitz (Hg.), Strafmündigkeit, 1973, S.27. 17! Strunk, MSchKrim 1965, S.218. m Brunner (Anm.3), § 3 Rdn. 1. 174 Vgl. Hafflee, Wird das materielle Strafrecht von dem geplanten Strafvollzugsgesetz unterlaufen?, in: MSchKrim 58 (1975), S. 40ff., 48; vgl. auch Bohnert, Strafe und Erziehung im Jugendstrafrecht, in: J Z 1983, S.517ff., 520. 175 Vgl. Haffie (Anm. 174), S. 53. 176 Zur Schuld als strafbegründungslegitimierender Maxime vgl. aus der unübersehbaren Literatur statt aller zuletzt Kargl, Kritik des Schuldprinzips, 1982, mit erschöpfenden Nachweisen.

40

n u r mit generalpräventiven Ü b e r l e g u n g e n begründet w e r d e n : Gerade weil sich unsere Sozietät ihre Mitglieder als freie, vernunftbegabte

Bürger

d e n k t und kriminogene F a k t o r e n h i n n i m m t o d e r gar produziert, erkennen sich ihre Mitglieder wechselseitig im allgemeinen als schuldfähig und verantwortungsreif an. D a s jugendstrafrechtliche Schuldurteil dient so gesehen gesellschaftlichen Stabilisierungsinteressen und erklärt sich aus kollektivpsychologischen

G r ü n d e n ; wenn die G e r i c h t e , wie es in der

Regel geschieht, einem als durchschnittlich „frei" und „reif" vorgestellten J u g e n d l i c h e n seine T a t personal z u r e c h n e n , so bekräftigen sie die strafrechtlich sanktionierten V e r h a l t e n s n o r m e n und unterstreichen den staatlichen A n s p r u c h , auch J u g e n d l i c h e hätten sich in ihrem Verhaltensgefüge so einzurichten, daß sie nicht straffällig würden.

IV. Die Auswahl jugendstrafrechtlicher Sanktionen Das

Ziel jugendstrafrechtlicher

Integrationsprävention,

auch

unter

J u g e n d l i c h e n die kollektive Bereitschaft zu n o r m k o n f o r m e m Verhalten zu f ö r d e r n , ist als legislatorisches Anliegen selbst bei der Auswahl jugendstrafrechtlicher Sanktionen nachweisbar.

1. Die „Schwere" der Schuld Z w a r will der G e s e t z g e b e r in den § § 5 ft. J G G

individual-präventiv

richtige Einzelfallmaßnahmen ermöglichen und deutet durch das in § 5 II JGG

verankerte „Subsidiaritätsprinzip"

eine Vorrangigkeit der E r z i e -

hungsmaßregeln an. Indem es aber den R i c h t e r zur Verhängung von Jugendstrafe verpflichtet, wenn dies die „Schwere der S c h u l d " erfordert, unterstellt es den Ausspruch von Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln einem letztlich nur generalpräventiv deutbaren V o r b e h a l t . D e n n angesichts der Schwierigkeit, ja U n m ö g l i c h k e i t , bei einem Jugendlichen die Schuld i. S. eines konkret-individuellen A n d e r s - H a n d e l n - K ö n n e n s fest zustellen, kann eine Q u a n t i f i z i e r u n g dieses M o m e n t s nicht gemeint sein. D a s Jugendstrafrecht einer rechtstaatlichen D e m o k r a t i e , die im Jugendlichen einen Grundrechtsträger erkennt und in dessen R e c h t e nur aus rational einsehbaren, verfassungsrechtlich legitimierten G r ü n d e n in m ö g lichst schonender Weise eingreifen darf" 7 , kann für die „Schwere der S c h u l d " einen eigenständigen straflegitimierenden G r u n d nur in der N o t -

" 7 Vgl. zur generalpräventiven Anreicherung des strafbegründenden Schuldbegriffs im Erwachsenenstrafrecht statt aller Jakobs, Schuld und Prävention, 1976; Roxin, Schuld und Verantwortlichkeit als strafrechtliche Systemkategorien, in: Festschrift für Henkel, 1974, S. 171 ff.; Streng, Schuld, Vergeltung, Generalprävention, in: ZStW 92 (1980), S. 63 ff.

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wendigkeit finden, im gegenwärtigen Entwicklungsstand der Gesellschaft zur Stabilisierung des allgemeinen Rechtsvertrauens auf gravierende Normbrüche rechtsuntreuer Jugendlicher strafend reagieren zu müssen. Die Schuld ist im Sinne des § 17 Abs. 2 2. Alt. J G G daher nur dann so schwer, daß sie Strafe erfordert, wenn diese Sanktion nicht schon - wie im Erwachsenenstrafrecht"" - durch die rechtswidrige-schuldhafte Tatbestandserfüllung verwirkt ist, sondern erst wenn sie aus generalpräventiven Gründen unerläßlich erscheint, um die kollektive Rechtstreue zu stabilisieren"'. Zwar achtet die Jugendkriminologie den integrationspräventiven Effekt verhängter Jugendstrafen gering. Dieser Umstand ist aber auf der Basis des geltenden Rechtes nur Anlaß, die Eingriffsschwelle für die Verhängung von Jugendstrafen als ultima ratio jugendgerichtlich aussprechbarer Tatfolgen im Rahmen des legislatorisch Erlaubten möglichst hoch anzusetzen: Da bereits die Straftatverfolgung, der Schuldspruch und Erziehungsmaßregeln sowie Zuchtmittel weithin, sei es auch nur im Sinne eines „Nebenreflexes", generalpräventive Bedürfnisse aufarbeiten, ist eine Notwendigkeit, nicht spezialpräventiv indizierte Jugendstrafe zu verhängen, erst bei Schwerstkriminalität, ζ. B. bei Tötungsdelikten, annehmbar.

2. Die „schädlichen" Neigungen Darüber hinaus kann ein generalpräventiver Ansatz auch zu einer restriktiven Interpretation des die Jugendstrafe legitimierenden Begriffs der „schädlichen Neigungen" beitragen"0. Denn unter generalpräventiven Aspekten ist Strafe nicht bei Jugendlichen notwendige die eher „lästige" als sozialschädliche Straftaten begehen. Unter „Schädlichen Neigungeä? sind daher nur solche Mängeleigenschaften zu verstehen, die" die im Einzelfall zu belegende Gefahr in sich bergen, der Jugendliche werde ohne den fortdauernden erzieherischen Einfluß einer Freiheitsstrafe erhebliche, nicht bloß lästige oder bagatellkriminelle Delike begehen.

V. Strafbemessung Last not least wirken sich generalpräventive Überlegungen eingriffsbegrenzend bei der Strafbemessung aus: Zwar ordnet §18 II J G G an, die Jugendstrafe sei „so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist". Und richtig ist auch, daß die h. M. hiermit die Insofern schlägt sich die „Pionierfunktion" des Jugendstrafrechts in einer erhöhten „Eingriffsschwelle" nieder, die die Jugendstrafe und generalpräventive Strafgründe übersteigen müssen. Vgl. §17 II J G G . 180 Vgl. Roxin (Anm.5), S. 16; Ό allingerI Lackner (Anm.89), §§17 Rdn.4, 18 Rdn. 7 ff. m. Nachweis.

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strafbegrenzende Wirkung des Schuldprinzips aufgegeben sieht1". Sie übersieht dabei aber nicht nur die Verankerung des Schuldprinzips in den Grundrechten des Grundgesetzes sowie dem Rechtstaatspnnzip, sondern auch, daß die allgemeine Rechtstreue lediglich durch solche Strafen gestärkt werden kann, die nach allgemeinem Rechtsempfinden „noch als schuldangemessen" erscheinen. Im übrigen ist zweifelhaft, wie das Erziehungsziel, den Jugendlichen in die Gesellschaft zu integrieren, durch eine das Maß der Schuld übersteigende Strafdauer erreicht werden kann; eine schuldmaßübersteigende Strafe denaturiert den Verurteilten zum Erziehungsobjekt, ohne daß über die zu einer erfolgreichen Erziehung erforderliche Mindestdauer Sicherheit bestünde1". Dagegen ist es gesetzes- und sachgerecht, generalpräventiven Topoi keine begünstigungslimitierende Wirkung beizumessen: Das J G G schweigt sich, anders als die §§47 I, 56 III StGB, „beredt" über die „Verteidigung der Rechtsordnung" aus; die Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe zur Bewährung kann daher gem. §21 J G G nicht von generalpräventiven Überlegungen abhängig gemacht werden.

F. Vollzug der Jugendstrafe Nicht minder beredt weist schließlich §91 J G G dem Jugendstrafvollzug keine generalpräventiven Aufgaben zu; nur mittelbar bewirkt dieser die Internalisierung oder die Respektierung der strafrechtlich geschützten Normen durch nichtinhaftierte Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene. Dies ist auch nicht zu tadeln, im Gegenteil, zu tadeln ist, daß der Gesetzgeber den Jugendstrafvollzug bislang nicht auf eine eigene gesetzliche Grundlage gestellt und verstärkt nach sozialpädagogischen Erfordernissen ausgerichtet hat; nicht die Abkehr vom Sozialisationsvollzug, sondern seine volle Umsetzung in die Praxis ist Gebot der Stunde.

G. Zusammenfassung Um das Verhältnis von „Generalprävention und Jugendstrafrecht" abschließend in einigen Kernsätzen zusammenzufassen: Das Jugendstrafrecht ist echtes Kriminalrecht, dem es bei der Kriminalisierung gravieren-

Vgl. Eisenberg (Anm. 5), § 1 8 Rdn. 5. Gegen eine schuldmaßübersteigende Strafe auch z . B . Schaffstein, Festschrift für Heintz, 1977, S. 461 ff., 470 f.; Ders., Festschrift für Würtenberger, 1977, S.450ff.; Miehe, Die Bedeutung der Tat im Jugendstrafrecht, 1964, S. 118 ff. 152 Insoweit bejahend Matzke, Der Leistungsbereich bei Jugendstrafgefangenen, jur. Diss. Berlin, 1982, S. 155.

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der Normbrüche auch gegenüber Jugendlichen um positive Generalprävention geht. Und es ist echtes Strafverfahrensrecht, das trotz allen Bemühens, erzieherische Nachteile zu vermeiden und die erzieherisch günstigste Tatfolge zu finden, an den Geboten eines fairen Strafprozesses auch gegenüber Jugendlichen festhält und die generalpräventive Wirksamkeit des Jugendkriminalrechts sicherstellt. Zwar bereinigte der hier unternommene Versuch, positive generalpräventive Momente im Bereich der Kriminalisierung, der Straftatverfolgung und des Schuldspruchs gegenüber Jugendlichen zu orten, nicht den Konflikt zwischen „Strafe" und „Erziehung", den die jugendstrafrechtliche Literatur seit jeher diskutiert. Und es ist auch richtig, daß die anonyme, generalpräventive Aufgabenkomponente des Jugendstrafrechts für die edukative Ausrichtung seiner Tatfolgen und des Jugendstrafvollzugs wenig beiträgt; systematische Reinheit vermittelt der Nachweis generalpräventiver Funktionen des Jugendkriminalrechts, des Jugendstrafverfahrens und des Schuldspruchs also nicht. Er verspricht aber, aus einem Gegeneinander herauszuführen, indem er den Stellenwert generalpräventiver Aspekte aufzeigt und zugleich deren Geltungsweite begrenzt. Auf diese Weise könnte er zu der notwendigen „inneren Reform" des Jugendstrafrechts beitragen; dem jugendkriminalpolitischen Postulat nach möglichst weitreichender Diversion und Nicht intervention kommt er in der aufgezeigten Weise entgegen und erhöht so dessen Realisierungschancen. Und mehr noch: Statt den Eingriffscharakter des Jugendstrafrechts mit der Rede zu vernebeln, das Jugendstrafrecht sei allein oder vornehmlich Erziehungsrecht, das dem Jugendlichen und seiner Umwelt erzieherische Hilfen gebe, fordert der generalpräventive Ansatz, diesen Eingriffscharakter bloßzulegen. Er bannt so auch die in rein spezialpräventivem oder edukativem Denken begründete Gefahr, den jugendstrafrechtlich und verfassungsrechtlich verbürgten Schutz des Individuums vor unnötigen Eingriffen in wohlgemeinten Diversionsprogrammen, im Zusammenwirken von Polizei und Sozialarbeitern'83 oder in „Verhandlungen am runden Tisch" 1 " preiszugeben1'5. Vgl. dazu Kreuzer/Plate, Polizei und Sozialarbeit, 1980. Vgl. oben Anm. 100. Damit ist nicht gesagt, daß solche Verhandlungen weder statthaft noch wünschenswert wären, sondern „nur" gefordert, bei ihrem Ablauf, ζ. B. bei der Verteidigerbestellung oder Rechtsmittelbelehrung, rechtsstaatliche Belange zu wahren. 185 Nota bene: Die generalpräventive Zielkomponente verbietet derartige spezialpräventive Fortentwicklungen nicht, sondern erinnert „nur" an rechtliche Kautelen, wie sie ζ. B. das Ideal eines „fairen Jugendgerichtsverfahrens" leitmotivisch bündelt, vgl. Bottke (Anm. 72). 181

184