Deutscher Faschismus und Kultur: Aus der Sicht eines Franzosen [Reprint 2021 ed.] 9783112472286, 9783112472279


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German Pages 354 [356] Year 1982

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Deutscher Faschismus und Kultur: Aus der Sicht eines Franzosen [Reprint 2021 ed.]
 9783112472286, 9783112472279

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Lionel Richard

Deutscher Faschismus und Kultur

Literatur und Gesellschaft Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Literaturgeschichte

Lionel Richard

Deutscher Faschismus und Kultur Aus der Siebt eines Franzosen

Akademie-Verlag • Berlin 1982

Titel der französischen Originalausgabe: Le nazisme et la culture Aus dem Französischen von: Gudrun Klatt Fernand Nohr Renate Petermann Fachwissenschaftliche Redaktion: Gudrun Klatt Wissenschaftlich-technische Redaktion: Peter-Volker Springborn Die deutschsprachige Fassung wurde von Lionel Richard autorisiert

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR - 1086 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © der deutschsprachigen Ausgabe Akademie-Verlag, Berlin 1981 © Editions Maspero, Paris 1978 Lizenznummer: 202 • 100/177/81 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 4450 Gräfenhainichen • 5768 Bestellnummer: 753 773 7 (2150/72) • LSV 8023 Printed in GDR DDR 12,50 M

Inhalt

11

Vorwort (Gudrun Klatt) Vorwort zur französischen

Ausgabe (1978)

Die Umkehrung von König Midas Die dreißiger Jahre: Ein neues geistiges Klima . . . . Angst vor einem neuen Krieg Blickpunkt Kultur . Über den deutschen Faschismus und seine angeblichen Werte

21 23 24 25 28 29 35

Adler und Eiche Vom Preußentum zum Imperialismus oder Die geistige Ausrichtung der Massen Nationalismus und vorherrschender Geschmack . . . . Faschisierung durch Zeitungen und Bücher Entwicklungstendenzen in der Filmindustrie der Weimarer Republik Die pronationalsozialistischen Kulturorganisationen . . .

35 45 50 53 60 65

Über die Ästhetik der Nazis Futurismus und Faschismus Der deutsche Faschismus und die moderne Kunst . . . . Was ist schön? Ein Künstler neuen Typs Gesetzlich verordnete Muster

65 70 72 76 78 83

Der Phönix des neuen Geistes Auf dem Weg zum legalen Terror Erste Anschläge auf die Institutionen Das Propagandaministerium 5

84 87 92

Die Taktik von Goebbels Die Bücherverbrennung und ihre Bedeutung Kulturbarbarei

106

Der „Säuberungskrieg" Die Reichskulturkammer Die Ächtung der modernen Kunst Der „Säuberungskrieg" Bücher zur Manipulierung der Jugend Manipulierung durch Freizeitgestaltung Der Schriftsteller ist Soldat

108 112 117 118 120 122 125

Dafür oder dagegen Gründe für die Unterstützung des Faschismus Wer hat Widerstand geleistet? Im antifaschistischen Kampf Das Dritte Reich und seine Literatur Schriftsteller aus der Zeit vor dem Dritten Reich . . . . Zurück zum Boden Hauptströmungen Übernahme und Förderung verschiedener Formen der Trivialliteratur Eine Angelegenheit von Glauben und Instinkt

126 130 134 138 138 140 142 148 149 152

Epilog Anhang (Dokumente

97 100 103

und Kommentare)

159 161

Vorläufer Beispiele für Repressalien gegen linke Schriftsteller und Künstler in der Weimarer Republik 1. Juristische Verfolgungen 2. Treibjagd auf die revolutionäre Literatur Die Nazis und ihre Kulturpolitik 1. Einige Kampagnen 2. Wilhelm Frick, Minister in der Thüringischen Landesregierung 3. Der Kampfbund für Deutsche Kultur und seine Kunstkonzeption 4. Gegen die Freiheit der Kunst 6

161 161 161 162 162 163 163 164

Eine Hochflut proimperialistischer und rassistischer Bücher

165

Einige Zahlen

166

Über die Ästhetisierung

der Politik

167

Presse und Literatur im Programm der Nazipartei . . . . Der „Künstler" Adolf Hitler 1. Hitlers Selbstdarstellung 2. Hitler aus der Sicht anderer

167 167 167 169

Was ist Kunst? 1. Ausdruck der rassischen Eigenschaften eines Volkes 2. Dressur der Gefühle

172 172 174

Leitsätze 1. Kunst muß Propaganda sein, weil Propaganda selbst Kunst ist 2. Freiheit für die Kunst - aber nach Maßgabe des Staates 3. Gegen die „Dekadenz" 4. Für die Reinheit der Sprache . 5. Rückkehr zu den Traditionen der Ahnen

176

Einzelne Künste und ihre besondere Funktion 1. Die Architektur als Symbol der neuen Zivilisation . 2. Die neue Malerei 3. Der Mythos in der Bildhauerkunst - eine Notwendigkeit 4. Heerschau der Naziideale - die Kunst Arno Brekers und ihre Symbolik 5. Das Musikleben im Dienst des Naziideals 6. Das Massenmedium Film als politische Waffe . . . 7. Der Schriftsteller ist ein Soldat Die Diktatur

auf dem Vormarsch

176 176 177 180 181 183 183 184 185 185 187 188 190 192

Ein Autodafé - die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 1. Augenzeugen berichten 2. Kommentar einer noch nicht gleichgeschalteten deutschen Zeitung 3. Wirkungen in Frankreich

193 195

Stufen der Gleichschaltung 1. Goebbels und seine Macht 2. Allmächtigkeit des völkischen Staates 3. Die Reorganisation der Schriftstellerverbände

195 195 197 197

7

. . .

192 192

4. Antisemitische Maßnahmen 5. Säuberungen und neue Maßstäbe für die Kritik . . Andere kulturelle Zwangsorgane 1. Kraft durch Freude 2. Rosenbergs Ämter Zeugnisse über die Lage der Schriftsteller und Künstler in Nazideutschland 1. Die Jagd auf die sogenannte entartete Kunst . . . . 2. Ein verbotener Maler 3. Schriftsteller im Dritten Reich - ein unbekanntes Dokument Worte

199 202 204 204 208 209 209 211 211 214

der Ergebenheit

Das Neue Reich und sein kulturelles Erbe 1. Die Bestimmung durch den rassischen Ursprung 2. Rückkehr zu den bäuerlichen Tugenden Die Macht der deutschen Sprache 1. Hitlers Reden - Faszination durch Demagogie 2. In der Volksseele verwurzelt

. .

. . .

Kennzeichen der faschistischen Literatur in Deutschland . 1. Begeisterung für starke und gesunde Helden . . . . 2. Von Blut und Boden 3. Auch „Arbeiterliteratur" 4. Das Theater und seine Unterdrückungsfunktion

. .

Einige Beispiele 1. Huldigungen für den Führer 2. Opferhymnen 3. Das mobilisierende Theaterstück 4. Nazilieder Wege

der Unterwerfung 1.Das Glaubensbekenntnis eines Erfolgsschriftstellers Hanns Heinz Ewers 2. Treueschwüre

214 214 217 218 218 219 220 220 220 221 222 224 224 224 225 227 229 229 232

3. Vom Irrtum zum ideologischen Irrweg: Gottfried Benn

234

Auseinander Setzungen um die moderne Kunst 1. Ein Brief von Karl Hofer 2. Eröffnung einer Ausstellung: „Italienische futuristische Flugmalerei (Aeropittura)" im Hamburger Kunstverein (Februar 1934) . .

242 242

8

244

Aus französischer

Sicht

246

Kollaborateure vor der Kollaboration 1. Die Anziehungskraft faschistischen Gedankenguts für die französischen Intellektuellen 2. Ein profaschistischer Intellektuellen-Club 3. Ein profaschistisches Organ unter anderen

246 247 248

Im besetzten Frankreich 1. Einmischung in das französische Verlagswesen 2. Eine Wochenschrift für „europäische" Kultur 3. Das Kulturinstitut der Nazis 4. Eine „bemerkenswerte" Anthologie 5. Schöne Reisen nach Weimar

249 251 252 254 256 256

. . . . . .

Die Naziliteratur aus der Sicht willfähriger französischer Schreiberlinge 1.Vom Aufblühen der Lyrik 2. Der Stil der Epopöe 3. Bekenntnisse zu einer „engagierten" Literaturkritik und Literatur

246

258 258 258 259

Affinität gegenüber dem Faschismus - Streiflichter . . . 1. Blendung durch die Stärke und Organisation der Nazis 2. Faszination ästhetischer Art 3. Für eine geistige Allianz aller Spielarten des Faschismus im Namen des „neuen Europa"

261 261 262

Schriftsteller und Intellektuelle im Widerstand 1. Aufrufe und Warnungen im Kampf gegen den deutschen Faschismus 2. Ein offener Brief von Romain Rolland 3. Vom Verhalten zu den Emigranten - Ein Hymnus auf die Zukunft 4. Eine andere Anthologie deutscher Poesie

265

Klatt)

264

265 267 270 272

Anmerkungen

zum Vorwort (Gudrun

275

Anmerkungen

zum Textteil

276

Anmerkungen

zum Dokumentenanhang

322

Z« dieser Ausgabe

343

Personenregister

344 9

Vorwort

„Über Kunst im Kampf gegen Faschismus sprechen heißt, sich zuerst mit Faschismus befassen, mit dem von gestern wie dem von heute",1 sagte Konrad Wolf im Mai 1979 auf einer Plenartagung der Akademie der Künste der DDR. Das Buch des französischen Literaturwissenschaftlers, Journalisten und Hochschullehrers Lionel Richard, das der Akademie-Verlag nunmehr in einer für die DDR-Edition vom Autor überarbeiteten und ergänzten Fassung vorlegt, beschäftigt sich mit dem Faschismus von gestern, konkret mit dem deutschen Faschismus und seinen Versuchen, sich der Kultur bei der Errichtung und Sicherung seiner Herrschaft zu bedienen. Ein Buch über den Faschismus von gestern also, aber ebenso ein Buch, das durch viele Fäden mit dem antifaschistischen Kampf von heute verbunden ist. Die Zeit seiner Entstehung, die politischen Auseinandersetzungen der siebziger Jahre, waren nicht bloß zeitgeschichtlicher Hintergrund, sondern Impuls und Antrieb beim Schreiben. Die „Jetztzeit" des Autors ist eingeflossen in dieses Buch, sie prägt seinen polemischen Gestus, sie läßt ihn Akzente setzen, bestimmt Rhythmus und Aufbau der Arbeit, sie erzwingt die operative, für den Leser leicht handhabbare und lesbare Schreibweise, sie macht das Buch von Richard - wie das Zentralorgan der FKP, L'Humanité, in seiner Rezension schrieb - zu einem „ausgezeichneten Arbeitsinstrument"2. Das Buch erschien 1978 in der Petite collection des Pariser Maspero-Verlages unter dem Titel Le nazisme et la culture. Richards Auseinandersetzung mit dem Gegenstand deutscher Faschismus und seine Beschäftigung mit der deutschen antifaschistischen Literatur reicht jedoch wesentlich weiter zurück. Bereits 1967 war er es, der die Gedichte der Lyrikerin Nelly Sachs ins Französische übersetzte und 1969 bei Gallimard eine weitere Nelly-Sachs-Edition herausbrachte. Damit machte Richard in Frankreich Kunstwerke bekannt, 11

in denen Opfer des Faschismus, gerade jene Erniedrigten und Beleidigten ihr grenzenloses Leid an die Nachgeborenen übermittelten. Die Aufnahmebereitschaft der französischen Leser für solche Zeugnisse humanistischer Anklage des Faschismus war eindeutig politisch motiviert - sie war einerseits auf dem Boden verschärfter Klassenauseinandersetzungen, der Mai-Ereignisse in Frankreich 1968, gewachsen und verstand sich andererseits auch als Reaktion auf Entwicklungen in der BRD, die Mitte der sechziger Jahre mit der Beschimpfung antifaschistischer Schriftsteller wie Rolf Hochhuth begonnen hatten und vorerst, Ende der sechziger Jahre, im Durchpeitschen der Notstandsgesetzgebung gipfelten. Vor dem Hintergrund des Ende der sechziger Jahre einsetzenden Politisierungsprozesses und der Formierung der seinerzeit sogenannten Neuen "Linken in Westeuropa entstand Lionel Richards erstes Buch, das sich unmittelbar dem deutschen Faschismus zuwandte. 1971 erschien Nazisme et littérature, das auf das neue Bedürfnis nach Selbstverständigung über Geschichte innerhalb jener Studentengeneration vom Beginn der siebziger Jahre stieß. Der kleine Band war bereits nach kurzer Zeit vergriffen - nicht zuletzt deshalb, weil die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus in jenen Jahren an vielen Universitäten auch direkt Eingang in das Ausbildungsprogramm der französischen Germanistik-Studenten fand. Für Richard persönlich, den antifaschistisch gesinnten linken Intellektuellen, stellte dieses erste Buch zugleich den Beginn einer politisch motivierten Publizistik in Zeitungen und Zeitschriften dar. Ihr Impuls war die wachsende Sorge angesichts des Auflebens des Neofaschismus in der BRD, ein Prozeß, der auch in Frankreich nicht ohne Echo blieb. So wurden z. B. die Memoiren von Hitlers Minister Albert Speer wie auch die des Nazibildhauers Arno Breker kurz nach ihrem Erscheinen in der BRD ins Französische übersetzt und mit ziemlichem Propagandaaufwand in Massenauflagen verbreitet. Richard schrieb dazu bereits 1972 in einem Artikel, den die Deutsche Volkszeitung veröffentlichte: „In Frankreich wurde sein Erscheinen (die Memoiren von Speer unter dem Titel Au coeur du Troisième Reich - G. K.) mit einer außerordentlichen Werbekampagne vorbereitet, und trotz seines hohen Preises gehörte dieses Buch monatelang zu den Bestsellern. Speer selbst wurde wiederholt im französischen Fernsehen interviewt, wo er sich als .Künstler' und .Techniker' vorzustellen beliebte, der bis zum Jahre 1944 von der 12

Existenz der Vernichtungslager nicht wußte." Während die Memoirenwelle alter Faschisten Frankreich überschwemmte, fehlte - so vermerkte Richard - zum gleichen Zeitpunkt eine Übersetzung von Heinrich Manns Henri IV., es fehlten auch die anderen antifaschistischen Werke Heinrich Manns, Arnold Zweigs und Lion Feuchtwangers, es fehlten ebenfalls die Memoiren von Günter Weisenborn, Maximilian Scheer u. a. Dieses Mißverhältnis bei Übersetzungen aus dem Deutschen ging jedoch einher mit einer Tendenz, von der die fortschrittliche französische Öffentlichkeit noch viel unmittelbarer betroffen war. Richard beschrieb sie 1972 folgendermaßen: „Es wäre falsch, sich der Illusion hinzugeben, daß in Frankreich diese Art von Rehabilitierung' der Nazigrößen überall auf Ablehnung gestoßen wäre. Regelmäßig erscheinen Wiederauflagen oder neue Bücher französischer Schriftsteller, die während des Krieges zweifelsfrei mit den Nazis kollaborierten; ihre Bücher finden in der Presse verständnisvolle Aufnahme."3 Was 1972 nur mehr registriert wurde, empfanden gegen Ende der siebziger Jahre viele französische Intellektuelle bereits als greifbare Gefahr. Ariane Mnouchkine beispielsweise, als Regisseurin der Theaterinszenierung 1789 und des Films über Molière international bekannt geworden, brachte Anfang 1979 eine Adaption des antifaschistischen Romans Mephisto von Klaus Mann zur Aufführung. Befragt in einem Interview, warum sie gerade diesen Stoff gewählt habe, der wie ein deutsches Panorama der Jahre 1926 bis 1936 erscheine, antwortete sie: „Arbeitslosigkeit und Inflation in Frankreich heute sind mit der Situation im Deutschland der dreißiger Jahre nicht vergleichbar, das ist wahr. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie ähnelt sich. Heute kann man Denkweisen, Blindheiten und Verweigerungen, eine Anfälligkeit der Intellektuellen für Leistung, für 'Realpolitik' und für einen zur Doktrin erhobenen Zynismus wiedererkennen."4 Mnouchkine artikulierte hier Atmosphärisches, Beunruhigung über das geistige Klima im Frankreich von heute, angesichts dessen sich historische Parallelen aufdrängen. Lionel Richard beobachtete Ähnliches, wertete es jedoch eindeutiger, denunzierte die verschärfte Kampfsituation am Ende der siebziger Jahre, als er in seinem Beitrag Du nazisme à Syberberg et vice-versa im März 1979 schrieb: „Aus Respekt vor den Opfern und vor all denen, die gegen den Faschismus gekämpft haben, damit wir, wir anderen, unser Leben nach 13

ihnen besser gestalten, darf man mit der Geschichte nicht wie mit einem Kinderspielzeug umgehen. Es sei denn, wir lassen von nun an alles laufen, wie es läuft, und legen selbst unseren Kopf aufs Schafott. Wir brauchten dort wohl nicht lange zu warten, denn die alten und neuen Pétainisten, die Vichy-Anhänger, die Pronazis, Antisemiten und ihre Sippschaft kehren mit großem Aufwand in unser öffentliches Leben zurück."5 Neofaschismus und Hitlerwelle, Berufsverbote und Verharmlosung der Naziverbrechen in der politischen Praxis der BRD, Aufwertung der französischen Kollaborateure und Verschärfung der imperialistischen Krise in allen Lebensbereichen Frankreichs - das ist der konkrete Hintergrund, vor dem Richards publizistische und editorische Aktivitäten in jenen siebziger Jahren standen, ein Feld politischer Auseinandersetzung, in die er mit seinen Mitteln, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten eingreift. Das inhaltliche Spektrum seiner Veröffentlichungen erklärt sich aus dieser politischen Funktion und weist verschiedene Schwerpunkte auf: Da wäre zuerst sein Bemühen zu nennen, als Autor und Herausgeber die französische Öffentlichkeit mit der fortschrittlichen deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts bekannt zu machen. Die Spannweite reicht hier vom deutschen Expressionismus bis zu Brecht.6 Einen weiteren Schwerpunkt bilden Kritik und Auseinandersetzung mit den verschiedenen Arten - von der „seriösen" Forschung über die politische Publizistik bis zur kulturellen Szene - von Klitterung und Verfälschung der Geschichte des deutschen Faschismus in der BRD sowie deren Auswirkungen in Frankreich.7 Und schließlich gehört zu diesen Schwerpunkten der Versuch, mit den beiden Büchern Nazisme et littérature und he nazisme et la culture einen eigenen Beitrag zur Aufarbeitung von Geschichte zu leisten und die französischen Leser über den deutschen Faschismus zu informieren und aufzuklären. Le nazisme et la culture ist in diesem Sinne sozusagen ein im Kampf geschriebenes Buch, ist ein Buch, das weder von einem Historiker noch von einem Wirtschaftshistoriker verfaßt wurde, sondern von einem, dessen Beruf es ist, sich mit Literatur, ihrer Funktion und ihrem Wirken, ihrer Situierung im kulturellen und gesamtgesellschaftlichen Umfeld, mit dem literarischen Leben zu beschäftigen. Sein Interesse richtet sich damit speziell auf die kulturpolitischen Aktivitäten des deutschen Faschismus. Richard setzt die Kenntnis voraus, daß Faschismus „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des 14

Finanzkapitals" 8 ist, daß - wie es wörtlich bei ihm heißt - „die deutschen Faschisten die eigentliche Regierungsgewalt erst durch das deutsche Monopolkapital erhielten" 9 . Von dieser Grundposition ausgehend, arbeitet er eine bestimmte Seite des historischen Phänomens „deutscher Faschismus" heraus. Richard konzentriert sich auf das, was er zu leisten vermag - und das ist nicht wenig. Dabei deutet die Veränderung des Titels vom ersten zum zweiten Buch die Richtung seiner speziellen Untersuchungen an. Der ursprüngliche Ansatz seiner Arbeiten zu diesem Thema lief darauf hinaus, jene in der B R D verbreitete These zu widerlegen, der deutsche Faschismus habe eine ästhetisch minderwertige Literatur hervorgebracht, die überhaupt außerhalb des Ästhetischen liege, und es sei folglich unnütz, daß sich Literaturwissenschaft und -geschichte mit der faschistischen Literaturproduktion beschäftigten. Das Prekäre solcher Auffassung nimmt Richard zum Anlaß seiner konzeptionellen Überlegungen: Auf Darstellung und Analyse faschistischer bzw. präfaschistischer Literatur zu verzichten, hieße, sich der Möglichkeit zu begeben, das Manipulierungssystem des deutschen Faschismus in all seinen Verästelungen zu entlarven. Soll aber gerade diese Seite faschistischer Machtausübung und Herrschaftssicherung erfaßt und aufgedeckt werden, dann reicht wiederum eine Konzentration auf Literatur, im Sinne der produzierten und veröffentlichten Werke, nicht aus - im Gegenteil, dann müssen der gesamte Apparat und die politischen Institutionen der Vermittlung von Literatur, der politisch-ideologische Kontext, in welchem diese Literatur stand, untersucht werden. Kurzum: Es muß der Mechanismus von Produktion und Distribution der Literatur als Teil faschistischer Kulturpolitik bloßgelegt und dargestellt werden. Dem übergreifenden allgemeinen Titel Le nazisme et la culture liegen diese Überlegungen zugrunde. Sie erklären im übrigen auch, warum Richard sich hauptsächlich auf die Zeit vor der Errichtung der faschistischen Herrschaft in Deutschland, also auf jenen latenten Faschisierungsprozeß schon während der Weimarer Republik, der im Kulturleben deutlich zu beobachten ist, und auf die ersten Jahre der Etablierung der faschistischen Diktatur konzentriert. Es geht ihm um den Nachweis, wie, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen der deutsche Faschismus in die kulturelle Sphäre eindrang und sich ihrer bemächtigte, so daß schließlich das übrigblieb, was Stephan Hermlin „ein Kompendium des Jammers, der Niedertracht, des Verrats am Geist" nannte, „sofern hier noch etwas zu verraten war, denn 15

Deutschland hatte den Geist aufgegeben, als das hier geschah, die deutsche Literatur hatte die deutschen Grenzen fluchtartig hinter sich gelassen, als eine Schrifttumskammer die Dichtung ersetzte" 10 . Solcherart Konzentration auf den Zeitraum bis etwa 1938 hat selbstverständlich Nachteile, sie bringt Disproportionen mit sich: So bleibt z. B . die systematische Integration und Unterordnung der Kulturpolitik unter die Erfordernisse des faschistischen Raubkriegs außerhalb der Betrachtung. Als Orientierungshilfe für den D D R Leser wurde daher in den Anmerkungen zu unserer Edition auf entsprechende Arbeiten von DDR-Historikern verwiesen. Richards ursprüngliches Thema, die Literatur im faschistischen Deutschland, hatte - wie angedeutet - im Arbeitsprozeß, bedingt durch den konzeptionellen Ansatz, seine Ausweitungen, seine Fluchtpunkte gezeigt, und der Autor hat sich ihnen gestellt. D a s geschah, indem er zunächst an die Quellen herangegangen ist, an jene Dokumente, die den ideologischen Manipulierungsmechanismus offenlegen. Für die Publikation hat er all jenes Material zusammengetragen und in einem Dokumententeil montiert, in welchem die Hitler, Goebbels, Rosenberg, Ley und wie sie alle hießen, unverblümt ihre Ziele darlegen und sich selbst entlarven. Richards Montage läßt dabei deutlich den Eklektizismus der faschistischen Demagogie im Ideologiebereich hervortreten, jenen Eklektizismus, auf den gerade auch Konrad Wolf in seiner Akademie-Rede 1979 hinwies: „Ideologisch war er die Pervertierung von Resten bürgerlich-demokratischen Nationalbewußtseins, von Traditionen der deutschen Arbeiterklasse, von antikapitalistischen Stimmungen unter den Bauern und den Mittelschichten, von .Systemverdruß' der Jugend usw. Besonders ausgiebig wurde die deutsche Arbeiterbewegung geplündert, bevor sie ganz unterdrückt wurde. Nicht nur die großen Begriffe Sozialismus und Revolution eigneten sich die Nazis an - auch die rote Fahne, die Symbole, das Liedgut. Nur indem der deutsche Faschismus an positive, wenngleich zum Teil unscharfe Wertvorstellungen anknüpfte und sie für seine Zwecke mißbrauchte, konnte er seine Massenbasis gewinnen. Aber er übernahm auch alles Reaktionäre, Spießige, Dumpfe, Minderwertige und Brutale, alles, was seiner Mentalität eigentlich und ureigenst entsprach." 11 Richard hat aber noch etwas anderes getan, nämlich die zeitgenössischen französischen Dokumente beigebracht, die Aufkommen und Herrschaft des Faschismus in Deutschland gleichsam begleiten, kommentieren und aus französischer Sicht bewerten. Während er in dem 16

- eigens für die DDR-Edition geschriebenen - einleitenden Teil jene Unruhe und Besorgnis innerhalb der französischen Intelligenz am Beginn der dreißiger Jahre vorstellt, zeigt er in dem Kapitel Aus französischer Siebt, das die Zeit vor und nach der Okkupation Frankreichs durch die faschistische Wehrmacht behandelt, wie und in welcher Weise sich die Klassenfronten in der ideologisch-kulturellen Sphäre reproduzieren. Er rollt das Spektrum an Ansichten, Auffassungen und Haltungen im Frankreich der enddreißiger und vierziger Jahre auf, ein Spektrum, das von der unmittelbaren ideologischen Vorbereitung der Kollaboration und der Unterstützung der Naziokkupanten bis zum aktiven Antifaschismus in der Résistance reichte. Das Wirken deutscher Kommunisten und Antifaschisten in diesem Kampf hat - bereits 1969 - der französische Kommunist Florimond Bonte in seinem Buch Les antifascistes allemands dans la Résistance française dargestellt, auf das Richard in seiner Arbeit verweist.12 Lebens- und Kampfbedingungen der deutschen Exilierten in Frankreich waren Gegenstand einer umfangreichen Forschungsarbeit, die an der Universität Paris VIII (Vincennes) unter Leitung von Gilbert Badia entstand und unter dem Titel Les barbelés de l'exil ein Jahr nach Erscheinen von Richards Buch vorgelegt werden konnte.13 Was die Kennzeichnung der Situation im Frankreich der dreißiger und vierziger Jahre sowie das Verhalten der französischen Öffentlichkeit und des französischen Staates zu den deutschen Antifaschisten anbetrifft, komplettiert diese Arbeit in spezifischer Weise das Buch von Richard. War das Aufsuchen und Zusammenstellen authentischer Quellen die eine Sache, so war die andere, dem französischen Leser einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich die Herrschaft des Faschismus in der Kulturszene etablieren konnte, auf welche ideologischen Traditionen - resultierend aus dem andersartigen Verlauf der deutschen Geschichte, die sich von der Frankreichs unterscheidet hinsichtlich der Herausbildung einer einheitlichen Nation, der Ablösung des Feudalismus durch die Herrschaft der Bourgeoisie, der Entwicklung des Klassenkampfes Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sich der deutsche Faschismus stützen bzw. welche er für sich in Anspruch nehmen konnte, wie der Manipulierungsapparat der Nazis tatsächlich funktioniert hat. In der Humanité-Rezension zu Richards Buch wurde dieser Darstellungsteil als „essai" charakterisiert, Essay im Sinne von Versuch, von Probe, von kurzer Abhandlung, was dem nach zusammenfassen.2

Faschismus

17

der Wertung drängenden Thema wie der operativen Funktion des Buches entspricht. Essay, diese Kennzeichnung gilt hier aber auch im übertragenen Sinne als Angebot an den Leser, sich der grob skizzierten Linien eines komplexen und nicht minder komplizierten Prozesses zu versichern, sie anzunehmen als Orientierungshilfe für eigenes Nachdenken. Richard will sein französisches Publikum heranführen an Fragestellungen, die - verdrängt oder vergessen - zumindest aber von vielfältigen Vorurteilen und ideologisch zurechtgestutzten Urteilen belastet sind. Er will Geschichte hineinholen in ein den Alpdruck der Vergangenheit leichtfertig wegwischendes Heute. Das geschieht, indem er die einen nachdenklich macht, die anderen mit Informationen ausstattet und wieder andere mit Hinweisen auf Quellen und Materialien zum eigenen Nachforschen anregt. Diese Art von Adressiertheit des Essays hinterläßt Spuren in der Schreibweise. Sie ist häufig zugespitzt polemisch, bisweilen locker bis salopp; sie läßt den Autor mitunter auch vor die exakte Analyse die treffende sprachliche, ins Ironische gefärbte Wendung setzen, was wie wir hoffen - in unserer Übersetzung nicht verloren gegangen ist; sie formt so den Charakter und den Gestus des Buches, gibt ihm aber auch eine Wirkungschance, die über den engen Kreis der Germanisten und Spezialisten hinausreicht. Freilich sind wir in der D D R Schreibweisen dieser Art - zumindest in literaturwissenschaftlichen Publikationen - kaum noch gewohnt. Essays und Streitschriften, wie sie in der marxistischen Literaturwissenschaft der D D R ein Paul Rilla praktizierte, sind mehr und mehr aus der Mode gekommen. Bedauerlicherweise, mag man hinzufügen, sind doch gerade sie es, die provozieren, die Debatten auslösen, die die literarische Öffentlichkeit in Bewegung halten, ihr sozusagen die Würze geben. Ein politisch operatives Anliegen wird polemisch streitbar vorgetragen. Richards Art zu schreiben läßt uns - auch dort, wo sie unseren Widerspruch herausfordert - die Vielfalt methodischer Möglichkeiten, über die literaturwissenschaftliche Publizistik verfügt, bewußt werden. Allein, nicht nur die Schreibweise, auch die Komposition des Bandes erklärt sich aus dieser Richtung auf den Adressaten. Was Richard vorlegt, ist im Grunde eine Art Montage. Und dies gilt nicht bloß in dem Sinne, daß hier Dokumente montiert werden zum Zwecke der Selbstentlarvung der Nazis, der Entschleierung ihres - wie auch immer verbrämten - Manipulierungsmechanismus. Das Montageprinzip waltet darüber hinaus auch im Verhältnis von Essay und Dokumententeil. Beide sind durchaus nicht deckungsgleich. Der Essay 18

wirft Probleme auf, die im Dokumententeil nicht in jedem Fall mit Material abgestützt werden, und umgekehrt bringt Richard auch eine Fülle von Quellen, die nur durch einen lockeren Kommentar eingeführt, aber im Essay nicht ausdrücklich behandelt werden. D i e Spannung, die hier entsteht, ist Anregung für den Leser, sich des Buchs als „Arbeitsinstrument" zu bedienen, mit ihm umzugehen. Hier liegt die Produktivität des methodischen Verfahrens, denn das organisierende Element der Montage ist die in diesen Strukturen des Buches materialisierte Wirkungsabsicht, seine politische Funktion. Eingebracht wird all das, was dem Leser bei der selbständigen Entschlüsselung des historisch-gesellschaftlichen Phänomens deutscher Faschismus und Kultur behilflich sein, womit er arbeiten kann, um urteilsfähig zu werden. Das Montageprinzip läßt bewußt Lücken, tippt manches nur an, huscht über anderes schnell hinweg, läßt Probleme einfach benennen oder stellt Wertungen hin - es obliegt dem Leser, sich zu diesem Angebot zu verhalten, er hat die Möglichkeit, mit seinen Assoziationen, seinen Erfahrungen, seinem Urteil dazwischenzukommen; auf jeden Fall muß er Position beziehen zum Faschismus gestern und heute. Solcherart Leserhaltung, ursprünglich einem französischen Publikum abverlangt, mag auch uns anstehen, jenen, die bei uns, im sozialistischen deutschen Staat, dieses Buch in die Hand nehmen, mit ihm umgehen wollen. Sie ist nicht bloß dort angemessen, wo Richards Wertungen unseren Widerspruch finden, zum Beispiel bei seiner spezifischen Sicht auf bestimmte Phasen deutscher Geschichte, wie etwa die Befreiungskriege, zu denen die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft der D D R eine andere, differenziertere Position hat, die wir im übrigen in den Anmerkungen hinzugefügt haben. Eine souveräne, kritisch-urteilende, mit dem Urteil dazwischenkommende, in den Kämpfen von heute engagierte Haltung ist dem Gegenstand überhaupt angemessen. Mit der DDR-Edition kommt Richards im politischen Tageskampf entstandenes, für französische Leser geschriebenes Buch in ein anderes sozial-gesellschaftliches Wirkungsfeld, die sozialistische Öffentlichkeit, hinein. Unsere Republik hat, wie Konrad Wolf auf der bereits erwähnten Tagung der Akademie der Künste noch einmal bekräftigte, ihre „historische Verpflichtung" erfüllt und „die Wurzeln des Faschismus und seine Ideologie für immer beseitigt". Dies kann jedoch nicht bedeuten, daß wir nun die Hände in den Schoß legen, und Konrad Wolf betonte in diesem Sinne: „Wir sind jedoch nicht 2*

19

aus der Pflicht entlassen, am Kampf gegen die mörderischste Form imperialistischer Herrschaft teilzunehmen, solange sie die Menschheit bedroht." Wenn wir Richards Buch bei uns publizieren, ein Buch zu einem Aspekt faschistischer Herrschaft, zu dem unsere eigene Forschung bisher wenig veröffentlicht hat, so ist das auch ein kleiner Beitrag innerhalb der Gesamtheit unserer Aktivitäten beim Wahrnehmen dieser Pflicht. Es ist plaziert in einem Kampf, der in dem kürzlich ebenfalls im Akademie-Verlag erschienenen Baad Faschismusforschung so definiert wurde: „Wer wissenschaftliche Forschung über den Faschismus betreibt, ist sich dessen bewußt, daß er kein historisch erledigtes Thema behandelt, sondern daß er damit unmittelbar am Klassenkampf unserer Zeit, am Kampf der Völker gegen den Imperialismus, für Frieden und Sozialismus teilnimmt. Die marxistisch-leninistische Faschismusforschung steht an einem der wichtigsten Abschnitte des Kampfes zwischen Fortschritt und Reaktion, zwischen den um echte Demokratie und Sozialismus kämpfenden Volskmassen und jenen Kräften, die jeden Fortschritt in dieser Richtung auch mit äußersten Mitteln zu verhindern trachten." 14 Berlin, im Juni 1980

Gudrun Klatt

Vorwort zur französischen Ausgabe (1978)

Mit diesem Buch habe ich nicht die Absicht, eine Erklärung für den Aufstieg des Faschismus in Deutschland zu liefern. Zahlreiche Faktoren (ökonomischer, soziologischer, psychologischer, politischer Art) müßten dazu in Betracht gezogen werden. Dies erfordert das Zusammenwirken mannigfaltiger Forschungen, deren Umfang meine Kompetenz übersteigt. In der mir bewußten Begrenztheit meines Sachverstandes sollte man also nicht eine willkürliche Ausklammerung dieser oder jener Methode, dieses oder jenes Fachgebietes sehen. Ich habe lediglich in aller Bescheidenheit meine Gedanken äußern wollen auf Gebieten, denen ich mich annähernd gewachsen fühlte. Dieses neue Buch hat zunächst den Zweck, ein etwas älteres, Deutseber Faschismus und Literatur, zu ersetzen, das hiermit verbessert, aktualisiert und vervollständigt wird. Es handelt sich jedoch nicht um eine Neuauflage im eigentlichen Sinn. Die Änderung des Titels wird durch einen dem ursprünglichen Essay gegenüber recht unterschiedlichen Inhalt gerechtfertigt. Jener Anfang 1971 erschienene Essay führte in Probleme ein, mit denen man sich damals in Frankreich kaum und in anderen Ländern nur wenig beschäftigte. Indem ich denselben Stoff noch einmal aufgriff und erweitert behandelte, habe ich versucht, das frühere durch ein besser ausgearbeitetes Werk mit beträchtlich überarbeitetem dokumentarischem Teil zu ersetzen. Da ich vor allem die Aktionsprinzipien des deutschen Faschismus auf kulturellem Gebiet darlegen wollte, habe ich mich bemüht, eine anekdotische Wiedergabe der Fakten zu vermeiden. Sind es doch diese Prinzipien, und nicht etwa die Einzelheiten der Geschehnisse oder die Beschreibung der Beteiligten, die zum Wesentlichen führen und die es erlauben, das vom deutschen Faschismus ausgeklügelte Herrschaftssystem besser zu begreifen. Vom deutschen Faschismus ist die Rede und von nichts anderem. 21

Wie könnte man es jedoch einem heutigen Leser verwehren, die nazifaschistische Wirklichkeit mit Ereignissen in Verbindung zu bringen, die sich in seiner eigentlichen Zeit abspielen? Wie könnte man ihn hindern, Vergleiche zu ziehen, Analogien herzustellen? Der Faschismus lebt weiter in anderer Gestalt; er bedient sich ähnlicher oder neuer Methoden. Und somit trägt das historische Wissen um den Faschismus dazu bei, die Gegenwart zu entschleiern und die faschistische Demagogie zu entlarven, selbst wenn sie sich mit sozialistischen Glaubensbekenntnissen zu tarnen versucht. 1

Die Umkehrung von König Midas2

Im Jahre 1931 spricht der ständige Berichterstatter über deutsche Literatur, der Germanist Félix Bertaux3, in einem seiner Artikel in der Nouvelle Revue Française zum ersten Mal von den deutschen Faschisten: „Ihr Spiel besteht darin", signalisiert er, „Abgründe aufzureißen und Horizonte zu übersteigen. In ihrer Naivität fragen ihre Anhänger nicht danach, was sie jenseits der Horizonte und in den Abgründen erwartet."4 Ist diese „politische" Abschweifung in einer Zeitschrift, die sonst vor allem bemüht war, die Literatur als eine autonome Angelegenheit zu betrachten und sich ausschließlich mit literarischer Qualität zu beschäftigen, eine einmalige Entgleisung eines Mitarbeiters? Durchaus nicht. Auch andere Beiträge in der Nouvelle Revue Française in diesen dreißiger Jahren sind Ausdruck der Unruhe angesichts der politischen Situation in Deutschland. Erstes Beispiel dafür: das Interesse, das die Betrachtungen von Ernst Robert Curtius5 über die geistige Atmosphäre jenseits des Rheins bei dieser Zeitschrift finden. Im Dezember desselben Jahres 1931 bringt die Nouvelle Revue Française eine gerade erst im September in der Neuen Rundschau erschienene Studie des liberalen bürgerlichen Gelehrten mit dem Titel Abbau der Bildung in einer Übersetzung von Jacques Decour6. Einige Monate später - 1932 - veröffentlicht Ernst Robert Curtius in Stuttgart sein Werk Deutseber Geist in Gefahr, in das die erwähnte Studie eingearbeitet ist, und fast unmittelbar darauf - ungewöhnlich schnell für ein noch nicht ins Französische übersetztes Buch - wird es sogar von Jean Schlumberger7, einem der Mitbegründer der Nouvelle Revue Française, in einer ausführlichen Besprechung gewürdigt. Was aber greift dieser auf? Nicht etwa die polemischen Ausführungen von Curtius gegen die Politik der französischen Regierungen, die es seit mehreren Jahren aus mangelnder politischer Einsicht versäumt haben, die demokratischen Kräfte in der Weimarer Republik zu unterstützen, sondern 23

vielmehr den Abbau der humanistischen Kultur in Deutschland. Mit Bezug auf Curtius äußert Jean Schlumberger seine Befürchtung, eines Tages erleben zu müssen, daß in Deutschland alle geistigen Werte zugrunde gehen und daß die Nationalsozialisten dabei auch vor der Vernunft, vor dem, was er „esprit latin" nennt, nicht haltmachen werden. 8 Ein zweites Beispiel: die Würdigung anläßlich des 100. Todestages von Goethe. Dieses Gedenken ist an sich nichts Erstaunliches, das gab es auch in anderen Zeitschriften. Aber es hat den Anschein, als ob es für die Nouvelle Revue Française eine Gelegenheit ist, sich auf ein deutsches Modell zu berufen, das in Deutschland selbst eine Alternative gegen die aufsteigende Barbarei sein könnte und müßte. Wenn René Berthelot die fehlende Übereinstimmung zwischen Deutschland und den „umfassend humanistischen" 9 Idealen Goethes beklagt, dann bringt er eine allgemein verbreitete Auffassung zum Ausdruck: „Deutschland hat seit hundert Jahren die Möglichkeit gehabt, seinen größten Dichter zu verherrlichen; tatsächlich aber hat es ihn zunehmend und schließlich gänzlich verleugnet. Und diese wachsende Trennung zwischen der deutschen Realität und dem Traum Goethes von menschlicher Kultur ist im Grunde seit einem Jahrhundert die Tragödie Deutschlands." 10

Die dreißiger Jabre : Ein neues geistiges Klima Die Nouvelle Revue Française ist damals eine Art Barometer, das die Veränderungen im geistigen Klima Europas anzeigt. 11 Die Schriftsteller sind unvermeidlich in die Auseinandersetzungen ihrer Zeit miteinbezogen, es wird für sie zunehmend unmöglich, auf rein ästhetischen Positionen zu verharren. Auf allen Seiten - links ebenso wie rechts - verschärfen sich die politischen Aktionen, werden die Intellektuellen zu Entscheidungen herausgefordert. Der „personalistische" Philosoph Emmanuel Mounier 12 , der 1932 die christlich orientierte Zeitschrift Esprit gründete, zieht rückblikkend eine sehr richtige Bilanz dieser Jahre, die einer seiner Kollegen, der katholische Schriftsteller Daniel-Rops 13 , bei anderer Gelegenheit als Jahre der Wende bezeichnet hat: „Die Generation der dreißiger Jahre wurde eine ernste, gesetzte, problembewußte Generation, die sich um die Zukunft sorgte. Die vorangegangene Generation konnte sich der Literatur in ihrer größeren Unverbindlichkeit hingeben. Die 24

jetzige mußte sich gründlicher geistigen, philosophischen und politischen Untersuchungen widmen."14 Die vor 1914 von Paul Desjardins15 gegründete unabhängige Union pour la Vérité veranstaltete von 1930 bis Mitte 1931 mehrere Diskussionen über deutsche Probleme. Daran beteiligten sich renommierte französische Intellektuelle: Schriftsteller wie Benjamin Crémieux und Jean Guéhenno17, Deutschlandspezialisten oder gute Kenner der deutschen Verhältnisse wie Raymond Aron18, Félix Bertaux, Henri Lichtenberger19 und Pierre Viénot20. Für die Organisierung war neben Georges Guy-Grand - damals einer der führenden Köpfe der Union pour la Vérité - auch ein Mitarbeiter der Nouvelle Revue Française, Ramon Fernandez21, verantwortlich. Diese Debatten werden von der immer lauter werdenden Frage beherrscht: Wohin entwickelt sich Deutschland? Und es ist in dieser Hinsicht symptomatisch, daß sich Henri Lichtenberger in einem Vorwort in Form eines Briefs vom Dezember 1931, das im Protokollband der Gespräche22 von 1932 abgedruckt wurde, bemüht, beruhigend auf diejenigen einzuwirken, die im Fall der Machtergreifung durch die deutschen Faschisten einen neuen Krieg befürchteten.23 Tatsächlich waren alle, die den so mörderischen ersten Weltkrieg miterlebt hatten, durch ihre Erfahrungen belastet. Deutschland war für viele Franzosen nicht nur der imperialistische Staat (wie etwa für Barbusse), sondern es erschien ihnen nach dem Brand der Universität Loewen und der Beschädigung der Kathedrale von Reims - Geschehnisse, die sie als überlegte Angriffe auf die Kultur ansahen24 - als Verkörperung der Barbarei, die Frankreich wie eine Woge überschwemmt hatte. Genauso hatten sie auf das berüchtigte sogenannte Manifest der 93^ reagiert, in dem ein Teil der deutschen Intellektuellen seine Zustimmung zur Kriegspolitik Wilhelms II. bekundet hatte. Zahlreiche Schriften dieser Zeit belegen, wie sehr in Frankreich damals die Wörter „Deutscher" und „Barbar" gleichgesetzt werden.26

Angst vor einem neuen Krieg Das Aufkommen des Faschismus in Deutschland mußte folgerichtig besonders bei dieser Generation von Franzosen das Mißtrauen gegenüber jenem Land, das vor noch nicht langer Zeit zwei Kriege gegen Frankreich geführt hatte, aufs neue anwachsen lassen. Die Politik Mussolinis hat in der französischen Öffentlichkeit - eine Ausnahme 25

machten die äußersten Linken - keine so tiefgehende Empörung hervorgerufen. Das Anwachsen der faschistischen Bewegung in Deutschland dagegen löst seit Beginn der dreißiger Jahre in den verschiedensten Schichten Befürchtungen aus und ist verbunden mit dem Gedanken an die Möglichkeit eines neuen Krieges. Die ablehnende Haltung der französischen Regierung auf der Konferenz von Lausanne 193227 sowie der berechtigte Eindruck von der Schwäche der Weimarer Republik gegenüber den Faschisten verstärken die Vorahnung, daß die Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und Deutschland zu einer kriegerischen Auseinandersetzung führen müssen. So ist es kein Zufall, daß 1932 - anders als in früherer Zeit - in Frankreich mehrere Initiativen teilweise erfolgreich sind, die undifferenziert als „intellektuelle Arbeiter" Bezeichneten zu sammeln und zu vereinigen. Am 17. März erfolgt die Gründungsversammlung der Association des écrivains et artistes révolutionnaires (A. E. A. R.), deren Manifest am 22. und am 29. März in der Humanité veröffentlicht wird. In diesem Zusammenhang ist auch der internationale Antikriegskongreß zu sehen, der am 28. Mai von Barbusse in der Zeitschrift Monde angekündigt wird und vom 27. bis zum 29. August in Amsterdam stattfindet. Dieses unterschiedliche Echo, das der italienische und der deutsche Faschismus in Frankreich fand, hat auch Jean-Richard Bloch gespürt und Anfang 1933 mit Recht hervorgehoben. Während der Arbeit an einem neuen Buch, für das er Notizen von 1931 vervollständigt, hört er im Radio die Reden der deutschen Faschisten und bemerkt dazu: „Die Schimpfereien der Redner, ihre Appelle an den Gott der Rasse, an den germanischen Geist, an den wiedererweckten unbeugsamen Willen des Volkes, ein man weiß nicht wie hartes und bedrohliches Schicksal zu tragen, diese Anrufungen aller dieser wilden Gottheiten werden untermalt und skandiert von ständigen Trommelwirbeln. [. . ] Wir haben wahrlich das zweifelhafte Glück, im zu Ende gehenden ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Auferstehung der dunklen, primitiven Leidenschaften mitzuerleben. Aber der Volksstamm, bei dem dieses muntere Tam-Tam erschallt, ist eine Nation von 62 Millionen Menschen, ein Volk von Chemikern, Physikern, Kaufleuten, Musikern und Gelehrten im Herzen Europas! Und dieses Volk rast, wenn es die Stimme seines Führers hört, wie sogar die Italiener bei der Stimme ihres Duce nicht einmal in den Anfängen des Faschismus gerast haben." 28

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Auch in Großbritannien rief der italienische Faschismus - jedenfalls bis zum Einfall in Äthiopien 1935 - eine geringere Oppositionsbewegung hervor. Die Mehrzahl der englischen Intellektueller» teilte die Meinung des renommierten Schriftstellers H. G. Wells, der 1933 sagte, die Methoden Mussolinis seien sicherlich nicht gutzuheißen, aber sein Regime habe Italien eine Stabilität gegeben, die es unter dem parlamentarischen System nie gekannt habe, und sein Vorgehen bleibe schließlich auf Italien beschränkt und habe keine Auswirkungen auf andere Länder. Im Gegensatz dazu erregten die deutschen Faschisten besonders wegen ihres Antisemitismus schnell das Mißfallen der englischen Öffentlichkeit. Auch dafür ist ein Zeugnis von H. G. Wells bezeichnend: Während er den italienischen Faschismus toleriert, bringt er seine Entrüstung über die von den deutschen Faschisten verkündeten politischen Grundsätze öffentlich zum Ausdruck. 29 Den meisten englischen Intellektuellen begannen die Augen erst wirklich aufzugehen, als Hitler Reichskanzler wurde, bestätigt John Lehmann 1938 30 Erst jetzt fingen sie an zu begreifen, was für eine Bedrohung der Faschismus darstellte, und in der Folgezeit haben die Ereignisse in Spanien31 diese Erkenntnis wesentlich verstärkt. Ähnliches gilt für die USA. Die ökonomische Krise von 1929 hat zwar eine Radikalisierung der amerikanischen Intellektuellen bewirkt, aber noch Anfang 1933 beklagt Michael Gold in einer von der Zeitschrift New Masses veranlaßten Untersuchung über den Faschismus die weitgehende Gleichgültigkeit, die er in Amerika verspürt. Sein Aufruf zur antifaschistischen Einheit verbirgt nicht, wie schwierig dieser Kampf ist: „Zögern wir nicht länger, uns zu vereinigen! Seien wir bereit, gegen Hitler zu kämpfen!" 32 Die Realität des Dritten Reiches und später der Putsch Francos gegen die legale republikanische Regierung in Spanien führen allerdings sehr schnell zu einer Protestbewegung bei den Schriftstellern in den USA und veranlassen sie zu Stellungnahmen, die bei einigen von ihnen - etwa bei Hemingway - vorher undenkbar gewesen wären. So kann die New York Times am 1. April 1937 eine Erklärung von 98 amerikanischen Schriftstellern veröffentlichen (unter ihnen William Faulkner, Sinclair Lewis, Carl Sandburg, Sherwood Anderson, Thornton Wilder), in der die Politik der Nichteinmischung als Zurückweichen vor dem Faschismus angeprangert wird, als Neutralitätspolitik, die nach ihrer Ansicht auf eine Unterstützung Francos hinausläuft.

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Blickpunkt Kultur Es ist also die Bedrohung der Kultur durch den deutschen Faschismus und nicht durch den italienischen, die in diesen dreißiger Jahren immer größere Teile der Bevölkerung im Ausland zu einer engagierten Haltung veranlaßt. Viele Schriftsteller und Künstler ahnen, daß ihre Existenz als „Kulturproduzenten" überhaupt in Frage gestellt ist - die einen, weil sie ein vom Naziegespenst beherrschtes Deutschland als Inkarnation der Barbarei ansehen, die anderen, weil sie in der technischen Übermacht des faschistischen Deutschland einen eroberungssüchtigen kriegslüsternen Faschismus erblicken, der schließlich alles geistige Leben auslöschen würde.33 Sicher gibt es nicht erst in den dreißiger Jahren kritisches Aufbegehren aus Intellektuellen- und Schriftstellerkreisen. In Frankreich war seit der Dreyfus-Affäre am Ende des 19. Jahrhunderts bei vielen Intellektuellen (der Begriff stammt übrigens aus dieser Zeit) die Einsicht gewachsen, daß ein Sich-Einschließen in einen Elfenbeinturm unmöglich sei. Aber im Unterschied zu vielen früheren Äußerungen - besonders in der von Zola ausgehenden Literatur des Naturalismus - beschränken sich jetzt die Stellungnahmen nicht mehr auf einen Protest gegen das Unrecht, das Elend oder die Erniedrigung der arbeitenden Klassen, sondern sie sind von politischen Überlegungen begleitet. Viele Schriftsteller und Künstler haben ein solches politisches Bewußtsein erlangt, daß sie jegliche Trennung von individueller geistiger Produktion und dem allgemeinen sozialen Leben entschieden zurückweisen und an kollektiven Aktionen gegen die Barbarei teilnehmen. So erinnert sich Jean Schlumberger im Hinblick auf die Nouvelle Revue Française dieser Jahre: „In den eigentlichen Artikeln wurde die Disziplin mehr oder weniger eingehalten, aber ansonsten ließ sich nicht verhindern, daß die Anschauungen der Mitarbeiter in die Kurzmeldungen, in die Berichte und in die aktuellen Beiträge Eingang fanden und daß alle Vorwände und alle Gelegenheiten in dieser Hinsicht entschlossen genutzt wurden." 34 Dieser plötzliche verändernde Zwang, den die Geschichte auf die Mitarbeiter einer literarischen Zeitschrift ausübt, ist kein Phänomen, das auf einen kleinen Kreis beschränkt bleibt. Wenn man von einigen Unentschiedenen absieht, entwickelt sich international eine konsequente Kampfbewegung, in der sich das faschistische und das antifaschistische Lager gegenüberstehen.33 Vor 1940 kulminiert dieser Kampf im nationalrevolu-

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tionären Krieg in Spanien: Während Franco unter den Schriftstellern aller Länder extrem wenig Anhänger hat, vereinigt die republikanische Sache Journalisten, Romanciers und Dichter in einem in der Geschichte noch nie dagewesenen Ausmaß. 3 6 Auf diese Weise treten also die Beziehungen zwischen faschistischer Gesellschaft und Kultur in den Vordergrund der Debatten. Der Faschismus schließe in seiner Theorie ebenso wie in seiner Praxis die Kultur aus, erklärt z. B. Granville Hicks 1937 auf dem II. Kongreß amerikanischer Schriftsteller und fährt fort: „Kein feinfühliger, wacher, allgemein mitfühlender Mensch - kurz kein Künstler - kann gegenüber den Ungerechtigkeiten dieser Welt und gegenüber dem drohenden organisierten Unrecht einer faschistischen W e l t auf die Dauer gleichgültig bleiben." 37 Es kann festgestellt werden, d a ß dieser Standpunkt von den Schriftstellern, die sich für die antifaschistische Seite entschieden haben, allgemein vertreten wird, was Positionswechsel von einzelnen und sogar Übergänge von einem Lager in das andere nicht ausschließt (Ramon Fernandez wird in Frankreich zum Kollaborateur; Ernst Glaeser 38 kehrt aus der Emigration in das faschistische Deutschland zurück und dient in der Wehrmacht).

Über den deutseben Fasebismus und seine angeblichen Werte Kann man jedoch behaupten, daß die faschistischen Gesellschaften in ihrer Zerstörungswut nur ein kulturelles Vakuum geschaffen haben? Wurde von den faschistischen Regierungen in Italien und in Deutschland keine Kulturpolitik betrieben, und haben sie nicht den Anspruch erhoben, ihren Bürgern eine bestimmte Kultur zu bringen? Konkreter gefragt: Hat der deutsche Faschismus, der auf viele Kulturschaffende abstoßend wirkte und sie dadurch auf einen antifaschistischen W e g orientierte, keine Maler, Musiker oder Schriftsteller in sein Lager ziehen können? Und wenn ja, hieße es dann nicht, auf jede Reflexion zu verzichten, wenn man das Schaffen derjenigen, die in faschistischer Sicht als „Kulturschöpfer" gegolten haben, schlicht und einfach als wert- und interesselos einstuft? 3 9 Diese und viele andere Fragen zwingen dazu, vor allem im Hinblick auf das faschistische Deutschland, dessen sogenannte künstlerische Zeugnisse (architektonische Schöpfungen, Plastiken, Musikwerke) noch in Erinnerung sind - bei den Jüngeren durch entsprechende Filme - , den Gebrauch und die 29

Funktion der Künste in einer faschistischen Gesellschaft gründlicher zu betrachten. Bei der Untersuchung dieser Beziehungen zwischen den Künsten und der faschistischen Macht in Deutschland muß man vom Wesen des Staates 40 ausgehen, so wie es von den Faschisten definiert wurde. Mussolini hat die notwendige Unterwerfung der Individuen und Gruppen unter ein „Absolutum" hervorgehoben, das nicht nur Ordnungs- und Schutzfunktionen ausübt wie in den liberalen Demokratien, sondern alle Formen des moralischen und geistigen Lebens der Menschen erfaßt. Für Hitler setzt das von ihm in Mein Kampf definierte Autoritätsprinzip gleichfalls eine Macht voraus, die sich nicht auf bloße Administration beschränkt, sondern eine selektive Organisation darstellt, in der die sich als Stärkste erweisenden Individuen in seinem Sprachgebrauch die Besten - berechtigt sind, ihre Lebensnormen den Massen aufzuzwingen, die sich damit identifizieren sollen. Das Ergebnis dieses Konzepts nannte Goebbels in seiner Rede zur Eröffnung der Reichskulturkammer im November 1933: „Die Revolution, die wir gemacht haben, ist eine totale. Sie hat alle Gebiete des öffentlichen Lebens erfaßt und von Grund auf umgestaltet. Sie hat die Beziehungen der Menschen untereinander, die Beziehungen der Menschen zum Staat und zu den Fragen des Daseins vollkommen geändert und neu geformt." 41 Die antidemokratische und autoritäre faschistische Macht versucht, die ganze Nation ihren Instanzen zu unterwerfen, und behauptet, sie zu repräsentieren, nicht in ihrer sozialen Vielfalt, sondern in ihrer geistigen Einheit, in ihrer „Seele". 42 Was wird aus der Kunst? Auch sie wird in die Strukturen des Staates eingegliedert. 43 D a kein Bereich des öffentlichen und privaten Lebens sich der faschistischen Herrschaftspraxis entziehen kann, werden alle ästhetischen Mittel eingesetzt, um das faschistische Gedankengut der gesamten Gesellschaft aufzuzwingen - von der Fotografie bis zum Konzert, von der monumentalen Bildhauerei bis zum Film, vom Massentheater bis zum Bilderbuch. Im Unterschied zu zahlreichen früheren Regierungen, die die künstlerische Betätigung nicht förderungswürdig fanden und die der Verewigung ihrer Taten in Bild und Stein den Gewinn klingender Münze vorzogen, haben der italienische und der deutsche Faschismus dem Kulturschaffen große Aufmerksamkeit geschenkt. Es war eine Art von In-den-DienstNehmen, womit sie jedoch nicht einfach Herrschaftsprinzipien der Tyranneien des Altertums oder der monarchischen Dynastien wei30

terführten. Ihr Vorgehen, das im Zusammenhang mit ihrem gesamten Weltanschauungskonzept gesehen werden muß, beruht auf einer systematischen Pervertierung des Schönen und der ästhetischen Emotion mit dem Ziel ideologischer Manipulierung. Goebbels berief sich 1933 im internen Kreise auf Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin als Beispiel für die Wirkungsmöglichkeiten von Tendenzkunst. E r schlußfolgerte, selbst die „schlechteste" Tendenz müsse sich propagieren lassen - vorausgesetzt, es geschehe mit höchster technischer Perfektion. 44 Das Schöne wird ausschließlich zur Faszination, zur Suggestion, zur Unterwerfung des Individuums eingesetzt. Das geht so weit, daß eine so populäre Kunst wie der Film, laut Goebbels, nur nebenbei eine Unterhaltungsfunktion haben soll. E r unterstrich das 1941: Das, was als Unterhaltung erscheint, darf nur ein Trick sein, um die ideologische Beeinflussung wirksamer anzubringen, wobei sich die beste Propaganda fast unbemerkt einschleicht. 45 Selbstverständlich haben sehr verschiedene Regierungsformen, lange bevor eine faschistische Doktrin entstanden war, eine offizielle Kunst gefordert und gefördert. Doch noch nie wurden in Europa die Künste in ihrer Gesamtheit so forciert dazu angehalten, eine Politik zu illustrieren, und noch nie zuvor hatte die Propaganda in einem solchen Ausmaß dazu gedient, bestimmte künstlerische Formen zu verherrlichen. Es gibt kein besseres Beispiel für ein „Kultur"-Konzept, das zugleich Instrument und Ausdruck der politischen Macht war, wobei nicht alle Äußerungen und Erscheinungen direkt Produkte faschistischer Vorstellungen sind. Durch Bilder, Symbole, Mythen und Ideen, die zum allein gültigen Programm für die Gesellschaft erhoben wurden, ist die Ideologie der Nazis willkürlich auf das Kunst- und Literaturleben, auf die Funktion und den Status des Künstlers projiziert worden. Die relative Eigengesetzlichkeit künstlerischer Produktion wurde nach und nach liquidiert. Selbst wenn die widersprüchlichen Auffassungen im Dritten Reich niemals ganz verschwanden, so wurden sie doch ständig geringer, sei es durch staatliche Eingriffe oder durch Gewaltanwendung. Die groß „aufgezogene" öffentliche Aufwertung der Künste diente einzig und allein dem Ziel, die faschistische Ideologie zu verbreiten. Bleibt zu fragen, auf welchem Hintergrund solche Integration von Kultur und Kunst möglich war. Wie wir darlegen werden, spielen hierbei ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle, die mit der sozialen 31

Basis des deutschen Faschismus sowie der NSDAP, mit den Widersprüchen und Rivalitäten in den eigenen Reihen, mit dem unmittelbaren Ursprung ihrer Macht und mit der Kulturgeschichte Deutschlands zusammenhängen. Eine mechanistische Interpretation, die die Kulturpolitik der Nazis und die Gesamtheit der künstlerischen Produktion des Dritten Reiches schematisch auf den Einfluß einiger Theoretiker oder Philosophen, auf den bestimmenden Einfluß einzelner Persönlichkeiten, zurückführt, ist nicht haltbar. Das System nazifaschistischer Vorstellungen ist nur ein Sammelsurium des in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts 46 besonders unter der Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum verbreiteten reaktionären Gedankenguts. Es muß betont werden, daß die deutschen Faschisten, wenn sie auch eine starke Wählerschaft vor allem in den Mittelschichten hatten, die eigentliche Regierungsgewalt erst durch das deutsche Monopolkapital im Hinblick auf dessen Profitstreben erhielten. 47 Allerdings darf man auch hier nicht schematisch vorgehen und das gesamte Kulturleben im Dritten Reich lediglich als Abbild der ökonomischen Strukturen verstehen. Ausgangspunkt muß die konkrete Realität sein. Wir weisen jedoch schon jetzt darauf hin, daß der deutsche Faschismus generell - wie jeder Faschismus - die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zum Äußersten trieb, indem er sich neben der institutionalisierten Gewalt u. a. auch der Mystifizierung und der Perversion bediente. Mystifizierung bedeutet hier Nachahmung der Tradition, des Vokabulars, der Forderungen der Arbeiterbewegung, scheinbarer Antikapitalismus. Perversion steht für Gebrauch herkömmlicher moralischer Werte (Opferbereitschaft, Ehrgefühl, Heldentum, Brüderlichkeit usw.) zum Zweck des Betrugs und der Herrschaftssicherung. Die Nazis haben sich auf das Leben immer nur berufen, um besser in den Tod führen zu können. Betrachtet man das gesellschaftliche Leben des Dritten Reichs etwas näher, bemerkt man, daß gelenkte Todesbereitschaft eines seiner wesentlichen Merkmale ist. Gewöhnlich wird der Tod in unseren westlichen Gesellschaftssystemen als der absolute Nicht-Wert betrachtet, und die moralischen Werte stehen für seine Aufhebung im Hegeischen Sinne. Der deutsche Faschismus jedoch nimmt diesen Nicht-Wert als Grundwert. Die faschistischen Gebote preisen die Gewalt, die Ausrottung der Schwachen, die Notwendigkeit, seinen Nächsten töten zu lernen. In einer seiner Reden im Jahre 1929 verkündete Hitler, wer nicht die Kraft habe, seine Waffe in das Herz 32

seines Gegners zu stoßen, verdiene es nicht, ein Volk in seinem harten Schicksalskampf zu führen. Das einzig anerkannte Gesetz ist das der Herrschaft der Gewalt, folglich das eines blutigen Kampfes und des Todes. D a der „Arier", zumindest jenes von den Nazis erfundene mythische Wesen, laut Hitler seine Überlegenheit nur durch die Ausübung von Gewalt behaupten «konnte, wollte man ihm die Fähigkeit zurückgeben, seine Identität wiederzufinden. Dazu mußte alles ausgelöscht werden, was von den als minderwertig angesehenen Völkern geleistet worden war, da sie von Natur aus die Keime der Kulturentartung in sich trügen. Die von den Nazis verkündete „neue Zivilisation" konnte sich somit zwangsläufig nur mit Hilfe von Terror verwirklichen. Die schwarze Uniform der SS und der Totenkopf auf ihrer Mütze symbolisierten die Vollendung dieser Umkehrung der Werte, die die Nazis vollzogen hatten, eine Umkehrung, die bei den spanischen Faschisten ihren Ausdruck in der antithetischen Losung „Viva la muerte" fand. Der deutsche Faschismus wollte Jahrhunderte in der Menschheitsentwicklung ausradieren, um zu den rohen und elementaren Kräften zurückzukehren. Das Töten wurde organisiert, es hatte seine Beamten in Treblinka, Auschwitz und den anderen Konzentrationslagern. Der ehemalige Naziminister Albert Speer vergleicht in seinem nach 1945 im Spandauer Gefängnis geschriebenen Tagebuch Hitler mit König Midas. 48 Doch anstatt alles, was sie berührten, in Gold zu verwandeln, seien Hitlers Hände mit Korruption und Tod beladen gewesen. Bezieht man das Bild allein auf Hitler, dann ist seine Aussagekraft gering, da es auf jeden Faschismus zutrifft; außerdem kann die Erklärung des deutschen Faschismus nicht auf die diabolische Persönlichkeit Hitler reduziert werden. Das ganze Ausmaß der Tragödie, in die der Faschismus führte, wurde dagegen von einer französischen Journalistin angesichts der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin angedeutet: Sie fragte sich, was gebildete Menschen - wie Goebbels, der über „ein Allgemeinwissen, das man ihm nicht absprechen kann, und sogar über ein gewisses Literaturverständnis verfügte" - dazu brachte, in eine solche Barbarei zu sinken. 49 Was für eine Bildung war das, die den Architekten Albert Speer, einen gebildeten Menschen, zum Zeugen der Naziverbrechen und zum Mittäter werden ließ? Von den fünfzig bekanntesten Schriftstel3

Faschismus

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lern des Dritten Reichs hatten achtunddreißig an einer Universität studiert, zwei an Fachschulen, sechs waren als Lehrer ausgebildet worden. Nur vier, darunter zwei Frauen, hatten nicht studiert. Die Eltern dieser Schriftsteller kamen fast alle aus dem Kleinbürgertum, die Hälfte von ihnen war in einem Lehrberuf tätig. Und alle waren sie, in unterschiedlichem Maße, Propagandisten der Naziideen. In seiner Untersuchung über Probleme des Schreibens in der spätbürgerlichen Welt, in der die Aneignung von angeblicher Kultur und technischem Fortschritt den Trend in die Barbarei nicht eo ispo aufhebt, unterstreicht George Steiner die immer noch aktuelle Bedeutung der vom deutschen Faschismus verursachten Tragödie: Wir, die Nachkommen, können Literatur, Sprache, Erziehung nicht mehr ohne Argwohn betrachten, denn wir wissen jetzt, daß man abends Goethe oder Rilke lesen, Bach oder Schubert spielen und am nächsten Morgen ohne Zaudern seine grausige Arbeit in einem Konzentrationslager wieder aufnehmen kann. 50

Adler und Eiche

Die ideologischen Grundlagen des Faschismus in Deutschland sind nicht an dem Tag entstanden, an dem die Nazipartei gegründet wurde. Die Hauptströmungen, die ihre Richtung bestimmten, der Antibolschewismus, der Pangermanismus und der Antisemitismus 51 , stammen aus der Zeit vor 1920, dem Jahr, in dem die Nazis ihr Parteiprogramm formulierten. Wo liegen ihre historischen Wurzeln, und wie konnten sie in den deutschen Massen wirksam werden? Der Grund hierfür scheint weniger in gelehrten Werken oder intellektuellen Spekulationen irgendwelcher Theoretiker zu finden zu sein, als vielmehr in den gesellschaftlichen Strukturen, die ihre Verbreitung ermöglichten. Zweifellos knüpfen die politischen und sozialen Ideen der Nazis an den antidemokratischen Geist des 19. Jahrhunderts an. Auch wenn sie sich nicht ausdrücklich darauf berufen, sind es die Lehren Treitschkes, Lagardes oder Langbehns, die in ihren Losungen durchscheinen. Aber sollte die schleichende Infiltration solcher Ideen allein aus ihrer Kraft oder dem Boden, auf dem sie gedeihen, herrühren?

Vom Preußentum %um Imperialismus oder Die geistige Ausrichtung der Massen Die geistige Ausrichtung des deutschen Volkes wurde zunächst durch das Preußentum vorbereitet. Das politische System des preußischen Staates hat eine deutsche Mentalität nach seinem Bilde geformt. 52 Als Bismarck mit „Blut und Eisen" die nationale Einheit von oben durchsetzte, schuf er jene Grundwerte, auf denen das ganze Gebäude des imperialistischen Deutschland ideologisch ruhen sollte: Autoritätsgläubigkeit, Anerkennung vorhandener Hierarchien, den Stolz, Deutscher zu sein, Militarismus, Opferbereitschaft. Chauvinismus, 3*

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Militarismus und Untertanengeist wurden durch die Bourgeoisie gefördert, die nach dem Scheitern der Revolution von 1848 ihre progressiven Ideale nach und nach aufgab. Nach dem Krieg von 1870 mokierte sich Nietzsche über die musikalische Begabung der Deutschen und prophezeite, daß sie, einmal dazu dressiert, den Klang ihrer Stimme zu militarisieren, am E n d e auch militärisch schreiben und denken würden. Obwohl diese Bemerkung eine gewisse elitäre Verachtung des angeblich in seiner Dummheit befangenen Pöbels bezeugt, ist sie darum hier doch nicht weniger zutreffend: D i e Kasernenhofatmosphäre im Alltagsleben blieb nicht ohne Konsequenzen für das geistige Leben. Romain Rolland vertraute 1905 einer Freundin an: „Jedesmal, wenn ich nach Deutschland komme, ergreift mich Bewunderung und auch ein wenig Schrekken, denn die deutsche Nation macht den Eindruck einer großartigen Maschine. All das ist fähig zu essen, zu denken, zu wollen und zu handeln wie ein einziger Mann. Ich frage mich, wie in diesem furchtbaren Staat Individualitäten bestehen können. Von einem E n d e Deutschlands bis zum anderen können diese Menschen an jedem vorausbestimmten Tag, zu jeder festgesetzten Stunde sich für jede vom Staat beschlossene Sache begeistern." 53 D i e Öffentlichkeit des imperialistischen Deutschland wurde in der T a t durch ein System von Normen geprägt, die dem Individuum durch das Räderwerk einer Gemeinschaft - deren Bestandteil es war - aufgezwungen wurden und die sich in allen Schichten der B e völkerung festsetzten. Das beste Beispiel ist natürlich das politische Sendungsbewußtsein. Lange Zeit schöpften hier die Politiker aus den Schriften von Philosophen, die die Schaffung einer einheitlichen deutschen Nation predigten. Sie mißbrauchten jedoch deren Gedanken für rein imperialistische Ziele. D a s so entstandene Bild des Deutschen war das eines berufenen Eroberers. D a s Werk Friedrich Lists gehörte u. a. zu jenem Ideenreservoir, aus dem die Führer der damaligen Zeit ihre Propagandathemen herholten. Was hatte dieser Professor für politische Wissenschaften, der sich 1846 das Leben genommen hatte, so Interessantes zu sagen? D i e germanische Rasse sei berufen, die Geschicke der W e l t zu leiten, die Vorsehung habe ihr auferlegt, die wilden Länder zu zivilisieren und die unbewohnten zu bevölkern. E r hatte sogar einen Plan für die Besiedlung Ungarns und der Donaustaaten entworfen, mit dem Ziel, ein deutsch-ungarisches Reich von der Adria bis zum Schwarzen Meer zu errichten. 36

Bismarck gab das zwar nicht offen zu, hatte aber auch diese Wunschvorstellung von einem Deutschland, das die von ihm als minderwertig angesehenen Völker, insbesondere die slawischen, seinem Joch unterwirft. Wenig später verkündete Wilhelm II. in seinen Reden dieses Klischee eines einigen Deutschland, das die höchsten Kulturwerte verkörpere. Als Hitler 1925 in der ersten Ausgabe von Mein Kampf die Behauptung von der Überlegenheit der arischen Rasse aufstellte, war das keineswegs ein grundlegend neuer Gedanke. Er artikulierte lediglich eine Uberzeugung, die die herrschenden Kreise den Massen in Deutschland seit Jahrzehnten mittelbar oder unmittelbar einzutrichtern versucht hatten. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts verbreiteten die Studentenorganisationen in der Aristokratie und der Bourgeoisie den Pangermanismus. Auch Friedrich Ludwig Jahn 54 , Gründer der Turnvereine nach der Niederlage Preußens bei Jena, hatte dabei entscheidenden Einfluß. Mit dem Einmarsch Napoleons in Deutschland bildeten sich patriotische Vereine, um sich dem Eindringling entgegenzustellen. In derselben Absicht, aber in größerem Ausmaß, entwickelte Jahn die Turnvereine mit Aufmärschen und Wettkämpfen, um die Bestimmungen des Tilsiter Vertrages über die Abrüstung Preußens zu umgehen. Die Körperkultur als militärische Vorbereitung auffassend, schlug er vor, die Jugend in einer Weise zu unterrichten, daß sie, wie er sagte, zur Bildung des deutsch-nationalen Geistes beitragen könne. Der berechtigte Kampf für nationale Unabhängigkeit wurde ideologisch bereits mit rassistischen Theorien unterlaufen. Es wurde empfohlen, eine starke und reine Rasse zu züchten, den Gebrauch von Fremdsprachen zu verpönen und sich an dem griechischen Ideal auszurichten - Losungen, die später alle von Hitler wieder aufgegriffen werden sollten. Als sich Napoleon geschlagen aus Rußland zurückziehen mußte, traten die Mitglieder der Turnvereine in die Freikorps ein. Sie kehrten 1813 wieder in ihre Schulen und Universitäten zurück, gehörten aber weiterhin paramilitärischen Organisationen an. Welcher Geist herrschte dort? Heine vermittelt davon eine Vorstellung, wenn er seine Kommilitonen beschreibt, die damit beschäftigt waren, Ächtungslisten aufzustellen für den Tag, an dem sie an die Macht kämen: „Wer, wenn auch nur im siebenten Grad von einem Franzosen, Juden oder Slawen abstammte, war zum Exil verurteilt. Wer etwas gegen Jahn im besonderen oder gegen all die teutonischen Possen im allgemeinen hatte, konnte seines Todes sicher sein."55 37

Während des Wartburgtreffens 1817, auf dem die Gründung der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft vorbereitet wurde, verbrannten die Studenten mit großer Begeisterung im Namen des „Deutschtums" u. a. alte Papiere als Symbole für die Werke jener Schriftsteller, die sich gegen die nationale Befreiung stellten. Diese Bewegung, durch die sich die Studenten mit der Nation, aber eben auch mit Blut und Rasse verbunden fühlten, war durch und durch antisemitisch geprägt. Der Franzosenhaß ging einher mit der Forderung nach einer germanisch-christlichen Ordnung. Dahinter stand schon der Ruf nach Rückkehr zu einer nordischen Religion und zu den „gesunden germanischen Werten". Als Verkünder des Antisemitismus und des Deutschtums nach 1815 wurde Friedrich Ludwig Jahn im Dritten Reich ausgiebig geehrt. Die Nazis vereinnahmten das Erbe der Kämpfer der Befreiungskriege und besonders das Erbe Jahns, weil er den Kult des männlichen Körpers und der männlichen Kraft mit einer Bejahung des Rassismus verband. Die Befreiungskämpfer wurden zwischen 1933 und 1945 in zahllosen Büchern als Urheber des ersten Aufstandes des deutschen Volkes gegen den „Fremdgeist" und den „Erbfeind" gefeiert. Anläßlich der Wiedereinführung der Wehrpflicht bezeichnete der Völkische Beobachter vom 17. März 1935 diese Maßnahme als die Erfüllung des Vermächtnisses, das die Kämpfer der Befreiungskriege Deutschland hinterlassen hätten. Der reaktionäre Charakter der Studentenverbindungen nahm übrigens von 1848 bis 1870 zu: Ihre oft dem Junkertum entstammenden Mitglieder stellten die hohen Verwaltungsbeamten und bildeten eine Kaste, deren Aufgabe es war, das gesellschaftliche Leben zu bürokratisieren. Obwohl die preußischen Junker Bismarcks Militärpolitik nicht ohne Widerspruch aufnahmen, dienten sie im großen und ganzen der Verpreußung Deutschlands. Um ein Bild Alexander Herzens wiederaufzugreifen, so schienen die Beziehungen zwischen den Deutschen wie mit einem Korporalstock geregelt zu sein. Die meisten von ihnen waren jedenfalls gegen den Liberalismus, gegen die entstehende Arbeiterbewegung, gegen republikanische Ideen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fanden in den studentischen Kreisen zweifelsohne Veränderungen statt. Es entstanden Reformbestrebungen und sogar revolutionäre Strömungen. Doch in der Revolte der expressionistischen Generation oder auch in den studentischen Sitten, die der junge Walter Benjamin analysiert hat, 56 zeigen sich vor allem die Grenzen der gegen das preußische Sparta Berlin gewonnenen 38

Freiheiten. Nur einzelne Idividualitäten haben sich gegen den Zwang der herrschenden sozialen Strukturen erfolgreich zur Wehr setzen können. Als Gesamtheit lassen sich die Studentenverbände in einige wenige Kategorien einteilen, die sich alle, wenn auch auf verschiedene Weise, dem herrschenden Nationalismus beugten. Sei es, weil sie ihn aus Treue zu den feudalen Traditionen verfochten, sei es, weil sie sich ihm aus Gehorsam unterwarfen, sei es schließlich, weil sie von einer Erneuerung der Menschheit träumten und dabei der Versuchung erlagen, mit Gedanken zu spielen, anstatt konkret für gesellschaftliche Veränderungen zu kämpfen. Im ersten Weltkrieg unterstützte die große Masse der Studenten ganz selbstverständlich die Politik Wilhelms II. - das verwundert nicht, wenn man etwa die patriotischen Ergüsse der französischen Intellektuellen aus dieser Zeit kennt. Letzteren kann man aber wenigstens zugute halten, daß sie jubelnd in den Kampf gegen einen Aggressor zu ziehen glaubten, während viele ihrer deutschen Kameraden sich im Namen der Aggression - diesbezüglich waren die Reden Wilhelms II. sehr eindeutig - an die Front drängten. 57 Trotz unzähliger Appelle aus dem Ausland, den nationalen Egoismus zu überwinden, klammerten sich die deutschen Studentenorganisationen hartnäckig an die Vergangenheit. Im Verlauf des Krieges gab es natürlich eine beträchtliche Differenzierung. Das Gemetzel des Krieges rüttelte die Geister wach. Besonders seit 1916 fanden außerordentlich starke pazifistische und dann sozialistische Tendenzen Eingang in die intellektuellen Schichten. 58 Was aber taten die Studentenverbände, und wie trugen sie dazu bei, das Denken der Menschen zu beeinflussen? Seit 1920 in der Allgemeinen Deutschen Studentenschaft zusammengefaßt, gingen sie den konservativen Weg weiter, verherrlichten sie in ihren Publikationen den Pangermanismus, stellten sie sich gegen alles, was mit Demokratie zu tun hatte, und predigten unablässig ihren Antisemitismus. 1928 erfolgte eine Spaltung: Die demokratischen und sozialistischen Studenten gründeten ihre eigenen Organisationen. Doch diese umfaßten nur eine kleine Minderheit. Die Wirklichkeit sah so aus, daß die Allgemeine Deutsche Studentenschaft allmählich und immer massiver mit der Nazipartei sympathisierte: 1931 waren mehr als 50 Prozent ihrer Mitglieder mit den politischen Anschauungen Hitlers einverstanden. Nach den Wahlen vom 5. März 1933 begrüßten die Korporationen den Erfolg der Nazis als ihren Sieg. In einer seiner anderen Erscheinungsformen, den bürgerlichen

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Jugendbewegungen nämlich, hat das Gemeinschaftsleben - sicher viel weniger augenfällig, aber doch in dem Maße, wie alle gesellschaftlichen Schichten davon erfaßt wurden - nicht unbeträchtlich dazu beigetragen, die Aufnahme faschistischen Gedankenguts zu begünstigen. Die Wandervögel, als Gruppierung Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, wurden von Reformpädagogen unterstützt, die die Jugend von der Autorität der Schule und der Erwachsenen befreien wollten. Sie stützten sich auf einen jugendgemäßen Organisationstyp, die Schar. Das aktive Leben, das sie predigten, bestand hauptsächlich aus Wanderungen in die Natur. Anstatt das Wissen um die gesellschaftliche Realität zu fördern, trieben sie die Jugend in eine Flucht vor der Welt. Den Städten und der Industrialisierung setzten sie einfach den Gedanken der Flucht entgegen. Indem sie ihre Bezugswerte in einer Vereinigung mit der Natur suchten, fanden die Jugendbewegungen zu den Riten und Mythen eines abgetakelten Deutschtums zurück. Ihr antibürgerliches Revoluzzertum59 endete in einem rückständigen Vergangenheitskult. Daneben entstanden mit der Schar die sehr verworrenen Begriffe von Führer und Gehorsam. In einem Artikel im Mercure de France vom 1. Oktober 1923 stellte Regina Zabloudowsky fest, wie zweideutig diese dem Führer zugedachte Rolle war, und daß sie letztendlich der im preußischen System nahekam: „Die Disziplin, die in den Jugendvereinigungen herrscht, ist sehr streng", schrieb sie, „sie unterscheidet sich von der in den traditionellen Organisationen nur dadurch, daß der Befehl von einem Führer stammt, den die Jugend selbst bestätigt hat." Es war eine Zeit, in der man sich nach auserwählten Führern sehnte: „Das deutsche Volk durchlebt eine Zeit, die von der nostalgischen Suche nach Persönlichkeiten gekennzeichnet ist, die die moralische wenn nicht sogar die materielle Führung des Landes übernehmen, die den desorientierten, begeisterungshungrigen Massen ihren Willen aufzwingen sollen." Diese unklaren Gefühle wurden von den Nazis nicht nur geschickt genutzt und kanalisiert, sondern in diesem ideologischen System erschien Hitler auch als der erwartete Retter. In Die Revolution des Nihilismus hat Hermann Rauschning gesagt, von den Jugendbewegungen zum Nationalsozialismus führte ein direkter Weg; die angeblich revolutionäre Dynamik des einen stamme von den anderen, beiden sei der gleiche Irrationalismus und eine im gleichen Nationalismus schwelgende Sprache gemeinsam.60 Die Jugendbewegungen, zumindest in ihren bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Teilen, wider-

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setzten sich kaum dem Geist des Nationalsozialismus. Ihren Romantizismus, ihren Naturkult, die von ihnen betriebene Mythisierung einer vom Mann geprägten Gesellschaft, ihren Kameradschaftsgeist (alles Themen, die von der nationalistischen Literatur seit dem 19. Jahrhundert behandelt wurden) fanden sie bei den Nazis wieder integriert in deren eigene Organisationen. Diese Jugend war für die Nazidemagogie um so empfänglicher, als sie zum Teil Erlebnisse hatte, die ihr diese äußerst schmackhaft machten. Das Bild, das der französische Germanist Jean-Edouard Spenle später von ihrem politischen Engagement in den Jahren nach 1918 entwarf, ist zwar apologetisch und führt zu einer Rechtfertigung des deutschen Faschismus, kommt aber der historischen Realität der zwanziger Jahre sehr nahe: „Die deutsche Jugend wird sich dann in Massen in die Freikorps der Schwarzen Reichswehr, später in die politischen Kampforganisationen, wie den Jungdo 61 oder den Stahlhelm 62 einreihen. Hier werden die Parolen einer neuen, den westlichen Vorstellungen von Liberalismus und Individualität feindlich gegenüberstehenden, politischen Mystik geprägt, die dieser Generation eine völlig entgegengesetzte Auffassung von Autorität, von soldatischer Disziplin und einem vollständigen Aufgehen des Individuums in der Gesamtheit vermitteln wird." 63 Auf der II. Internationalen Konferenz proletarischer und revolutionärer Schriftsteller in Charkow 1930 prangerte Johannes R. Becher einen Zustand an, der diese Analyse insofern bestätigt, als er eine verderbliche Beeinflussung der Jugend durch den Militarismus feststellt, bis in jene Teile hinein, die den Krieg nicht unmittelbar kennengelernt hatten: „In ungezählten Werken, Tausenden von Auflagen schwemmt die bürgerliche Kriegsliteratur über Deutschland hinweg und setzt sich in den Herzen der Leser fest. Vor allem in den Herzen und in den Gehirnen der Jugend, die den Krieg nicht aus eigenem Erleben kennt und der der Krieg in heroischer Aufmachung präsentiert wird. Kein Wunder, daß diese Jugend sich für den Krieg begeistert und ihn erlebenswert findet."64 Das Schulsystem begünstigte seit Bismarck diese Irreleitung der Jugend, die sie in die Arme des deutschen Imperialismus trieb. 1874 erklärte Moltke 65 vor dem Parlament, daß die gewonnenen Schlachten dem Erzieher Staat zu verdanken seien, einem Staat, der seit sechzig Jahren die Erziehung der Nation auf Körperkraft und geistige Gesundheit, auf Ordnung, Treue und Gehorsam, auf Vaterlandsliebe und Männlichkeit ausgerichtet habe. Dieses Programm 41

wurde von Wilhelm II. fortgesetzt. Das Turnen - 1842 in den Oberschulen und zwanzig Jahre später in den Grundschulen eingeführt war eine Art militärische Erziehung. 1914, von den ersten Kriegstagen an, erhielten die Lehrer den Befehl, die Schüler mit allen Mitteln für die Ereignisse zu interessieren. Der normale Stundenplan wurde gekürzt, um Wehrvorbereitungskurse durchzuführen. Während der Debatte über die Volksbildungsausgaben in der preußischen Kammer am 16. März 1916 verurteilte Karl Liebknecht diesen Eingriff des deutschen Imperialismus in das Schulwesen entschieden. In den Gymnasien wurde der Englisch- und Frainzösischunterricht abgeschafft. Ein Lehrer aus dieser Zeit rechtfertigte diesen Schritt mit der Behauptung, daß die deutsche Literatur der Vergangenheit und der Gegenwart Schätze genug für die Erziehung im nationalen Geist böte, und daß auch die deutsche Kunst reich genug sei, um auf ausländische Vorbilder verzichten zu können. 66 Das war keine Einzelmeinung. Der gleiche Chauvinismus wurde mit Hilfe der Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen des Staates verbreitet bis hin zum Religionsunterricht. Überall wurde den Köpfen der Gedanke von der Überlegenheit des deutschen Geistes, der deutschen Schriftsteller, der deutschen Maler, des deutschen Wesens eingetrichtert. Wilhelm II. schreckte nicht davor zurück, auch Gott für sich mit Beschlag zu belegen, indem er behauptete, der Krieg für einen deutschen Sieg sei gottgewollt. Und die deutschen Linken um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die mit diesem deutschen Nationalismus nicht einverstanden waren und den imperialistischen Krieg verurteilten, waren schon aus der Gemeinschaft der Deutschen ausgestoßen, wurden praktisch als undeutsch diskriminiert. Das Universitätssystem beruhte auf dem Prinzip der sozialen Auslese und entsprach damit den Anforderungen des Imperialismus. Die Universität hatte die Aufgabe, die exklusive Ausbildung der Elite zu sichern, sie war die privilegierte Vermittlerin der herrschenden deutschen „Kultur". Neben der bereits erwähnten Einreihung der Studenten von Studienbeginn an in das System von Korporationen war der Inhalt der Ausbildung seit 1870 auf eine imperialistische Politik ausgerichtet. Dieser Erziehung kam eine spezifische Rolle zu, was einen hohen wissenschaftlichen Standard nicht ausschloß, der übrigens weitaus höher als der in Frankreich war: Das Menschenmaterial sollte großdeutsch geformt und ein Gemeinschaftsgeist geschmiedet werden. Die Begeisterung, mit der sich Intellektuelle, Studenten und Professoren, 1914 in den Krieg stürzten, ist somit teil42

weise erklärbar, waren sie doch ideologisch auf die Expansion des Deutschtums in der Welt ebensogut vorbereitet wie der Generalstab. Selbstverständlich kann man nationalistische Tendenzen auch in anderen Ländern feststellen, besonders in Frankreich, wo ein Barrés bestimmte, daß der einzige deutsche Schriftsteller ein Belgier sei, nämlich Maeterlinck, und wo es den Direktoren der Konzertagenturen verboten wurde, Werke von Wagner aufzuführen. Doch was allein Frankreich betrifft, so waren die gesellschaftlichen Widersprüche dort viel stärker. Auch wenn sie unterdrückt wurde, so existierte doch eine demokratische Tradition. Das offizielle Leitbild des soldat-laboureur (Bauern-Soldat) setzte sich erst mit dem Anwachsen der deutschen Gefahr durch. Deutschland dagegen mußte nach der Novemberrevolution von 1918 erst ein republikanisches System einführen, damit das ganze Land mit der Weimarer Verfassung endlich demokratische Rechte erhielt, damit das Versammlungsrecht, die Pressefreiheit, die Tätigkeit der Gewerkschaften - Forderungen der bürgerlich-demokratischen Revolution - durchgesetzt wurden. Das sind Errungenschaften, die sowohl Ergebnis der Niederlage des deutschen Imperialismus im ersten Weltkrieg sind, als auch auf jener anderen Tradition basieren, die, obwohl unterdrückt, verdrängt, verdeckt, besiegt, immer lebendig war: die revolutionäre Tradition der Volksmassen, die sich seit 1525 zu behaupten versuchte, seit den Bauernkriegen über die Revolution von 1848 bis zur Novemberrevolution 1918/19. Das Scheitern der Novemberrevolution, genauer die Repression, der die Linke in Deutschland seitdem ausgesetzt war, stärkte die Positionen, auch die ideologischen, der Reaktion. In der Weimarer Republik war man an den Universitäten demokratischen Idealen gegegenüber außerordentlich feindlich eingestellt. Wenn die Studentenorganisationen nach und nach zu den Nazis stießen, so trifft das auch auf den Lehrkörper der Universitäten zu. An den Universitäten fanden die Nazis einen disziplinierten Kern von Anhängern, die mit allen Wassern des Nationalismus gewaschen waren. Als sie an die Macht kamen, haben sie allerdings auch den Lehrkörper mit Säuberungsmaßnahmen nicht verschont. W e r das Regime kritisierte oder sich weigerte, Hitler zu unterstützen, indem er sich hinter der Notwendigkeit wissenschaftlicher Objektivität verschanzte, wurde entlassen oder mußte emigrieren. Das betraf jedoch anfangs nur 2 0 Prozent der Professorenschaft. So war es im Grunde die Mehrheit der Universitätslehrer, die sich dem Faschismus anschloß. Heinrich Mann unterstrich 1935

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in einem Artikel diese aktive Rolle des Lehrkörpers bei der Etablierung des Naziregimes an den Universitäten: „Die Universitäten sollen nachgerade am gründlichsten enttäuscht sein von dem Regime. D a s wird niemals weder ungeschehen noch vergessen machen, daß sie seine ersten Propagandisten gewesen sind. Ihre späte Widersetzlichkeit kann auch nichts ändern an ihrer Abhängigkeit." 6 7 Man muß außerdem die Rolle der Kirchen bei dieser allgemeinen Verbreitung bestimmter moralischer Werte in Betracht ziehen. 1871 gab es in Deutschland ungefähr zwei Drittel Protestanten und ein Drittel Katholiken. D i e Zugehörigkeit zu einer Konfession wurde zu einer institutionalisierten Angelegenheit. Auf beiden Seiten wurde die etablierte politische Ordnung respektiert. Auch als Bismarck 1872 den Katholizismus angriff, um ihn stärker der Kontrolle des Staates zu unterwerfen - ein Kampf übrigens, der mehr der Kirche Pius' I X . als den deutschen Katholiken galt - , verteidigte dieser eher religiöse Interessen, als daß er das politische System als solches in Frage stellte. D a s war im Grunde auch die Position der Zentrumspartei, deren Gründung 1861 vornehmlich auf der Grundlage eines konfessionellen Programms erfolgte. Diese Haltung erklärt, warum sie in ihrer Opposition zu Bismarck nie grundsätzliche politische Veränderungen anstrebte und warum sie sich später der Weimarer Republik anschloß, solange der Religionsunterricht und die kirchlichen Privilegien nicht ganz abgeschafft wurden. Ebenso fühlten sich auch die protestantischen Kirchen von ihrer Tradition her dazu verpflichtet, die politische Macht loyal zu akzeptieren. Durch den obligatorischen Religionsunterricht und seine Abhängigkeit vom Staat wurde Christus für beide Konfessionen gewissermaßen ein Erzieher zum Patriotismus. Das verschärfte sich noch im ersten Weltkrieg, der bei den eingezogenen Priestern und Pastoren oft übersteigerte nationalistische Gefühle auslöste. Dieser Geist lebte in der Weimarer Republik weiter, in vielen religiösen Schriften wurde weiterhin der Kaiser verehrt. D i e offizielle katholische Kirche verhielt sich gegenüber der Nazibewegung ziemlich reserviert, die deutschen Bischöfe jedoch hatten aktiven Anteil an der Popularisierung der Mythen von der Volksgemeinschaft. Bei den Protestanten bewies die Unterstützung, die die Evangelische Kirche dem Generalfeldmarschall von Hindenburg bei den Präsidentschaftswahlen von 1925 gewährte, das Weiterwirken monarchistischer und reaktionärer Ideen. 6 8

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Nationalismus und vorherrschender Geschmack Jedes Ideengebilde vergegenständlicht sich mit Hilfe besonderer Zeichen, Bildwerke, und Texte. Es zeigt sich - und man muß dazu nicht sehr weit in die Vergangenheit zurückgehen, lediglich bis in das 19. Jahrhundert - , daß die in der Schule gelernten Lieder und Gedichte, die von Unzähligen gelesene Literatur, eine Zeitschrift mit hoher Auflage wie Die Gartenlaube in Deutschland reaktionäre Ideen verbreiteten.69 So positiv das Lesen- und Schreibenlernen in jeder Hinsicht ist, es kann auch mißbraucht werden. Wenn die Rezeption von Büchern zu gesellschaftlichen Zwecken genutzt und ein Massenphänomen wird, kann sie zur Herausbildung kollektiver Züge beitragen und Symbole, Leitbilder und Mythen in den Massen festsetzen helfen. Eine von der Gesellschaft organisierte Kunst- und Literaturproduktion vermag einen kollektiven Einfluß auf die Weltanschauung der Individuen auszuüben. Am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland populäre sozialkritische Romane. Trotzdem war das Buch an sich in dieser Zeit kein Instrument der sozialen Befreiung, sondern auf Grund der ökonomischen Verhältnisse ebenfalls ein Mittel zur Verbreitung der Ideen der herrschenden Klasse. Ohne daß man seinen Einfluß genau hätte messen können, sollte es dazu dienen, die entstehenden sozialen Befreiungsbewegungen zu desorientieren.70 Noch stärker als die dargestellten Inhalte und das daraus resultierende Weltbild, das sich in Meinungen manifestiert, muß man die zwar wesentlich diffusere, aber dauerhaftere erzieherische Macht der Formen und Strukturen hervorheben. Denn diese Formen gehen natürlicherweise in die Gewohnheiten ein, in die sozialen Konventionen, die allgemeine Denkweise, und zwar relativ unabhängig von Gruppen- oder Klassenunterschieden. Sie sind ein Faktor zur Normierung der Gesellschaft. Diese Formen zu akzeptieren, heißt oft, unbewußt die etablierte Autorität zu akzeptieren. Was als gesellschaftlicher Brauch erscheint, ist somit in Wirklichkeit ein Mittel der Unterdrückung. Im deutschen Kaiserreich um die Jahrhundertwende sind die ästhetischen Kriterien untrennbar verbunden mit den zeitgenössischen Ideen oder den Werten, die sie transportieren. Die politisch endlich hergestellte Einheit Deutschlands findet in der Ästhetik ihr Pendant in einem Drang zur Harmonie. Was zählt, ist der „schöne Schein"; ihn darf 45

nichts beeinträchtigen. Das Gekünstelte, die hohlen Konventionen werden als Mittel bevorzugt, um alle gesellschaftlichen Widersprüche einzuebnen, diese sollen unter der Schönheitsmaske, mit der die Wirklichkeit überzogen ist, verschwinden. Gleichzeitig wurde in den Turnvereinen und den Jugend- und Studentenorganisationen das Physische aufgewertet. Es sollte der Eindruck erweckt werden, daß in einem gesunden Körper zwangsläufig ein gesunder Geist wohne eine Meinung, die übrigens auch von Hitler in Mein Kampf vertreten wird. Äußerlich gewordene Schönheit muß ausreichen, um innere Harmonie zu stabilisieren. Dieses Prinzip findet man bis hin zu der Ausstattung der Wohnungen, die mit Teppichen und Samt überladen waren. Alles ging, wie Hermann Broch schrieb, „um die Schönheit, um den schönen Effekt, um die Dekoration".71 Während sie die wirklichen Dinge mit einer Maske verhüllte, huldigte diese Gesellschaft dem Kitsch und Schund. Die deutschen Staatsoberhäupter selbst erhoben ihn zur offiziellen Richtung. Kitsch gab es nicht nur unter Ludwig II. von Bayern in München, sondern auch unter Wilhelm II. in Berlin. Der Kaiser hatte einen ausgesprochenen Hang zum Kitsch. Er war auf den Schein bedacht, um eine Etikette besorgt, die mit großem Pomp aufgezogen wurde. Er liebte Uniformen, wechselte sie zu jeder passenden Gelegenheit, und seine Garnisionsparaden waren wie Schauspiele gestaltet, die er selbst inszenierte. Sein Lieblingsschriftsteller, mit dem er sich gerne unterhielt und dessen philosophische Ansichten er zu teilen behauptete, war Ludwig Ganghofer, Autor fragwürdiger sentimentaler Heimatromane. Diese Verkehrung der Werte sagt alles über das geistige Niveau dieser Person. Zudem wurde Wilhelm II. von der Gesellschaft beflissen nachgeahmt, er war ein wesentlicher Faktor im System der Reproduktion kultureller Werte. Sein kriegerisches Auftreten wurde kopiert, die Frisöre versahen ihre Kunden mit dem gleichen aufgezwirbelten Schnurrbart. Wilhelm II. wollte sogar auf dem Gebiet der bildenden Künste und der Literatur als Autorität gelten. 1898 erklärte er, das Theater habe „das heranwachsende Geschlecht heranzubilden und vorzubereiten zur Arbeit für die Erhaltung der höchsten geistigen Güter unseres herrlichen deutschen Vaterlandes", es solle beitragen „zur Bildung des Geistes und des Charakters und zur Veredlung der sittlichen Anschauungen". Das königliche Theater, dessen Schirmherr er war, spielte historische Dramen seiner Wahl. In der Oper wohnte er nicht nur den Proben bei, sondern er leitete sie häufig 46

selbst. Seine Meinung galt als kompetentes Werturteil. Als am 18. Dezember 1901 im Berliner Tiergarten die Siegesallee eingeweiht wurde, erklärte er: „Die Kunst soll mithelfen, erzieherisch auf das Volk einzuwirken, sie soll auch den unteren Ständen nach harter Mühe und Arbeit die Möglichkeit geben, sich an den Idealen wieder aufzurichten. Uns, dem deutschen Volke, sind die großen Ideale zu dauernden Gütern geworden, während sie anderen Völkern mehr oder weniger verloren gegangen sind. Es bleibt nur das deutsche Volk übrig, das an erster Stelle berufen ist, diese großen Ideen zu hüten, zu pflegen, fortzusetzen, und zu diesen Idealen gehört, daß wir den arbeitenden, sich abmühenden Klassen die Möglichkeit geben, sich an dem Schönen zu erheben und sich aus ihren sonstigen Gedankenkreisen heraus- und emporzuarbeiten." 72 Diese Konzeption einer utilitaristischen, belehrenden und erbauenden Kunst mit nationalistischer Tendenz, die lediglich als Mittel zur Verbreitung bestimmter Ideen in Anspruch genommen wurde,, führte zu einer Verurteilung der Schöpfer neuer Formen, all derer, die in der Kunst einen Zweck und nicht ein Mittel sahen. Dieser Konformismus der Zeit Wilhelms II. war es, gegen den die expressionistische Generation revoltierte, als sie die konventionellen Formen sprengte und das individuelle Ich, die Subjektivität zum Ausdruck brachte. 73 Der Kitsch, der Schund beruhen im Gegensatz dazu auf einem imitativen, reproduzierenden, nicht schöpferischen System. Durch die Industrialisierung, die Serienfertigung (Farbdrucke, Kalenderbilder, Nippesfiguren) zur Massenkunst geworden, als schaler Klassizismus oder als bürgerlicher Pseudo-Realismus, der nicht die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der Malerei seit der Erfindung der Fotografie begriffen hatte, entspricht dieser Kitsch ganz den Erfordernissen einer zeitgemäßen Propaganda, da er ständig zur Gewohnheit gewordene und von der Gesellschaft assimilierte Formen wiederverwendet. Das Verhalten Wilhelms II., seine Urteile über Kunst sind insofern nur ein Indiz für den Umgang mit Kunst in der Wilhelminischen Gesellschaft. Von dieser Gesellschaft ausgestoßen, zog sich eine Gruppe von Schriftstellern und Malern - oft unter Berufung auf den „Rebellen" Nietzsche - in die Boheme, in das, was man damals die Avantgarde nannte, zurück. Als auf einer Sitzung des preußischen Landtags am 12. April 1913 einige Abgeordnete mit der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm wedelnd, gegen die moderne Kunst wetterten, klatschten die meisten Anwesenden Beifall, es fand sich kein einziger, der protestiert hätte. 74 47

Muß man sich angesichts dieser Tatsachen über den Geschmack Hitlers wundern? Es konnte eigentlich niemand schockieren, wenn er zugab, die Malerei von Hans Makart oder die Romane von Ganghofer zu lieben. Er bewegte sich mit diesen Namen genau im Rahmen des gängigen Geschmacks. Nur auf eine Minderheit, vor allem auf Intellektuelle, wirkte er lächerlich. Er artikulierte die typischen Gefühle des Kleinbürgertums, jener sozialen Schichten, die ihre Lebensvorbilder nur über eine Scheinkultur, über die Nachahmung der Werte aus der Kaiserzeit fanden. Was die bildenden Künste betrifft, war er beim Jahre 1890 stehen geblieben, erzählt die Frau des Architekten der Nazipartei, Paul Troost. In Mein Kampf hat er seine Begeisterung bei seiner Ankunft in München, dem Athen an der Isar, selbst beschrieben. Was ihm von dieser „Stadt der Künste" in Erinnerung blieb, ist der Kitsch, den ihr Ludwig II. von Bayern bescherte. Ebenso bewunderte er stundenlang das Parlament und die Oper - Zeugnisse des plattesten Klassizismus. Als Lektüre, so berichtet sein ehemaliger Vertrauter Hermann Rauschning, bevorzugte er hauptsächlich Wildwestgeschichten, Kriminalromane oder pornographische Schriften.75 Die Schriftsteller, die er nennt, gehören alle zur Trivialliteratur, so Karl May, dessen Indianergeschichten Generationen von jungen Deutschen entzückten. Dieses Beispiel ist recht bezeichnend, denn es gab in den deutschsprachigen Ländern wohl kaum einen Autor, der einen so großen Einfluß ausgeübt hat. Hitlers Vorliebe ist also keine Einzelerscheinung, die auf eine besondere geistige Spätentwicklung zurückzuführen wäre, sondern sie ist Ausdruck der Identifizierung mit einem gemeinschaftlichen Bewußtsein. Hitler stand im Einklang mit den in Deutschland am weitesten verbreiteten Durchschnittserwartungen der Leser und mit dem, was sie von der Literatur erhofften. Daß er sich zu Karl May hingezogen fühlte, war kein Zufall, da für eine große Masse von Lesern die Helden Karl Mays dem Typ des vorbildlichen Deutschen entsprachen.76 Im großen und ganzen stimmte der Geschmack Wilhelms II. und Hitlers mit den oberflächlichen ästhetischen Emotionen und dem belehrenden Sentimentalismus der deutschen Philister überein. Jacques Decour gibt einen Begriff von ihrer Primitivität, wenn er 1931 in Philisterburg die „Kunstgegenstände" beschreibt, die man gewöhnlich in den deutschen Geschäften fand: „Es sind Bronze- oder Porzellanfiguren, die immer dasselbe darstellen: ein Soldat mit Helm, ein Schmied, ein Hund, Friedrich II., Bismarck usw. Jeder Gegen48

stand verkörpert eine Idee, ist Symbol: D i e wilde Gestalt mit den zusammengebissenen Zähnen, das ist der Held; der Arbeiter, das ist die Arbeit; der Pudel, das ist die Treue; die großen Männer, das ist der deutsche Geist. Für die Küchenmädchen und für einfältige Herzen werden schlechte Verse über die Lebensführung oder über die jeweiligen Aufgaben der Familienmitglieder eingerahmt." 7 7 D e r Aufschwung dieses Kitsches ist eng verbunden mit der Vervollkommnung der industriellen Ausrüstungen und Fertigungsmethoden gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Flaubert beschreibt das bereits in L'Education sentimentale am Beispiel des sozialen Aufstiegsversuchs von Jacques Arnoux zunächst durch die Herausgabe einer Zeitung mit dem Titel L'Art industriel, dann durch den Reliquienhandel: „An beiden Seiten der Auslage standen zwei mit Gold, Zinnober und Azurblau bepinselte Holzfiguren; ein heiliger Johannes der Täufer in seinem Schafspelz und eine heilige Genoveva, mit Rosen in ihrer Schürze und einer Spindel unter dem Arm; dann Gruppen aus Gips; eine Nonne, die ein kleines Mädchen unterrichtet, eine vor einem Bettchen knieende Mutter, drei Schüler vor einem Altar . . ," 7 8 Über den Kitsch werden in der Klassengesellschaft gesellschaftliche Normen in einer Pseudokunst reproduziert und dabei zugleich auch tatsächlich vorhandener ästhetischer Bedürfnisse bedient. D e r Kitsch unterliegt jedoch nicht den Kriterien von „schön" und „häßlich", was allzuoft behauptet wird. D e r Kitschgegenstand ist vor allem ein T r ä ger von Ideologie, sei es, daß er auf seine Art Ideen symbolisiert, sei es, daß sich durch ihn - etwa in Porträts oder Plastiken - emotional komplexe Identifikationen herstellen. Eine solche Beziehung kann natürlich Spiel oder Ironie sein, wie bei manchen Liebhabern und Sammlern. Am häufigsten ist sie jedoch, wie der massenhafte Konsum zeigt, Faszination und Unterwerfung oder allgemeiner ausgedrückt, Entfremdung. In dieser Hinsicht war der Kitsch durch seine Fähigkeit, echtes Verlangen nach einer „heilen W e l t " zu pervertieren, ein ideologischer Gehilfe aller faschistischen Systeme. Angefangen bei Hitler-Fotos und Stichen, über Darstellungen, die oft durch religiöse Ikonographie inspiriert waren, bis zur Flut von populären Bildern und Plakaten, die den Eroberer Mussolini ehrten, hat der Kitsch das öffentliche Leben in den faschistischen Ländern wie in Italien und Deutschland überwuchert. Daran haben auch einzelne Versuche der Nazis, den Kitsch mit administrativen Maßnahmen zurückzudrängen, wenig geändert. 4

Faschismus

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Faschisierung durch Zeitungen und Bücher Die Nationalisten führten ihrerseits seit der Thronbesteigung Wilhelms II. ihren Feldzug in der Literatur und der Malerei mit besonderer Beharrlichkeit. In einer anonym veröffentlichten Broschüre unter dem Titel Rembrandt als Erzieher eröffnete Julius Langbehn das Feuer gegen den Naturalismus, den er als dem deutschen Wesen fremd ablehnte, da er aus Paris, der Hauptstadt des Lasters, käme. Er geißelte Zola als Unruhestifter und Verbreiter von Pessimismus. Die Inspiration sollte von dem ausgehen, was zutiefst dem deutschen Volk entspräche, z. B. der Krieg: „Krieg und Kunst ist eine griechische, eine deutsche, eine arische Losung." Oder auch das Gesunde: „Das Schöne, das Vornehme, das Große, das Wahre vereinigen sich in dem einen Begriff - des Gesunden. Ist der Deutsche gesund, so ist er gut." Diese Verherrlichung des sogenannten wahren deutschen Geistes, die z. T. von Paul de Lagarde geprägt ist, war schon von Begeisterung für den Bauernstand und von Antisemitismus begleitet. „Deutschland für die Deutschen", schrie Langbehn und fuhr fort: „Ein Jude kann sowenig zu einem Deutschen werden, wie eine Pflaume zu einem Apfel werden kann." Die Wiedergeburt könne nur durch „arisches Blut", das ein „aristokratisches Blut" ist, erfolgen, und deshalb mußte Rembrandt als Beispiel herhalten: „Rembrandt ist ein echter Arier; .wenn der stille und gewaltige Hauch Rembrandtschen Geistes sie erfüllt, so kann die germanische Eigenart sich wieder einmal neu beleben." Man versteht nun, warum das Werk Langbehns, das bis 1905 in einer Auflage von 90 000 Exemplaren erschienen war, ständig von den Nationalisten und dann von den Nazis bis zum Ende der faschistischen Herrschaft in Deutschland zitiert wurde. 79 Gleichen Geistes wie Langbehn, doch um vieles einflußreicher, da er über achtzig Jahre alt wurde, war Adolf Bartels, dem während der ganzen Zeit des Dritten Reiches höchste Ehren zuteil wurden. Er war Literaturhistoriker und auch Schriftsteller und wurde von Hitler, der ihn schon 1926 in Weimar kennenlernen wollte, hoch geschätzt. Vor allem seine Essays brachten ihm das Lob der Nazis ein. Als eingefleischter Rassist vertrat er darin den Standpunkt, wer nicht ursprünglich deutschen Blutes sei, sei auch nicht fähig, deutsch zu schreiben. 1910 hat er seine Grundsätze folgendermaßen definiert: „Wer sich heute in der Literaturgeschichte um die Judenfrage herumdrückt, wer nicht ganz klar zwischen gesundem deutschen und 50

ungesundem jüdischem und internationalem Geist unterscheidet, der erfüllt nicht nur nicht seine Pflicht gegen das deutsche Volk, sondern begeht einfach ein Verbrechen an ihm."80 Nicht nur, daß seine Geschichte der deutschen Literatur bis zu seinem Tode 1945 etwa zwanzig Mal neu aufgelegt wurde, auch seine Anschauungen machten im Dritten Reich Schule. Einige Zeitschriften taten das Ihre, solche Thesen zu popularisieren, so Der Kunstwart (1887 von Ferdinand Avenarius gegründet), zu dessen ständigen Mitarbeitern eben dieser Adolf Bartels gehörte. Die Kunstkritiken wurden von einem anderen sehr bekannten Nationalisten, Professor Schultze-Naumburg, verfaßt. Die Zeitschrift hatte 1902 eine Auflage von 20 000 Exemplaren, ein großer Teil ihrer Leser waren Lehrer. Sie veröffentlichte Reproduktionen von Gemälden mit erklärendem Text und hauptsächlich regionalistische Literatur, machte sich jedoch auch um Autoren wie Wilhelm Raabe oder Carl Spitteier verdient. Für eine ganze Kategorie von Beamten und Angestellten, die sich, wie es im Untertitel hieß, „auf allen Gebieten des Schönen" auf dem laufenden halten wollten, war sie der Inbegriff des guten Geschmacks. Ihr Nationalismus und ihr Antisemitismus waren relativ gemäßigt; sie machte jedoch die rassistischen Urteile über Literatur und Kunst für eine bestimmte Leserschaft glaubwürdig. Die Auflagen der Zeitungen und Zeitschriften, in denen der antidemokratische Geist vorherrschte, wurden besonders von 1929 bis 1933 erhöht. Alle nationalistischen Vereinigungen - Berufsverbände, Studentenverbindungen, Jugendbewegungen - verfügten über eigene Presseorgane, die vor allem unter den Mitgliedern vertrieben wurden. Eine sehr aktive Rolle auf diesem Gebiet spielte Ernst Jünger61. Sein Name erschien von 1925 bis 1929 immer wieder als Herausgeber oder Mitarbeiter in vielen Publikationen dieser Art wie Die Standarte (1925-1928), Arminius (1919-1927), Der Vormarsch (19271928) und Die Kommenden (1925-1929), eine von den Völkischen Jugendbündlern gegründete Zeitschrift. Eine der höchsten Auflagen im Jahr 1933 hatte mit 110 000 Exemplaren die Wochenzeitung Der Stahlhelm, das Organ der Vereinigung gleichen Namens. Darüber hinaus führte die Hilfe der deutschen Kapitalisten für Hitler zu einem spektakulären Anwachsen der Nazipresse. Innerhalb von zwei Jahren, von 1930 bis 1932, stieg die Zahl der von den Nazis abhängigen Publikationen von sechs auf einhunderteinundzwanzig mit einer Gesamtauflage von mehr als einer Million Exemplaren. 4*

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Angesichts einer solchen Offensive und unter den herrschenden politischen Bedingungen scheint es selbstverständlich, daß die Intellektuellen und darunter die Schriftsteller die Folgen dieses Nationalismus mehr oder weniger stark verspürten. Auf Grund der bürgerlichen Herkunft der meisten von ihnen, auf Grund ihrer in den Gymnasien und Universitäten erhaltenen Bildung, waren sie ideologisch kaum gerüstet, um sich einer solchen Propaganda widersetzen zu können. Sie waren durch ihre schöpferische Arbeit wohl oder übel in ein bestimmtes Produktionssystem eingeordnet, das ihre Selbständigkeit äußerst einschränkte. In dieser Hinsicht ist die Haltung der deutschen Schriftsteller bei Ausbruch des ersten Weltkrieges aufschlußreich. Sie unterstützten in ihrer Mehrheit die Politik Wilhelms II. Stimmen gegen den Krieg waren selten und wurden kaum gehört. 82 D a ß sich reaktionäre Schriftsteller und Vorläufer des Nazismus wie Gustav Frenssen, Hermann Löns, Walter Bloem oder Adolf Bartels mit Begeisterung für die Ziele des deutschen Imperialismus ausgesprochen haben, ist verständlich; doch auch die Mehrheit der anderen, selbst die von Langbehns Jüngern Diffamierten, reiht sich in diese Richtung ein. Wie begründeten sie ihre Aussöhnung? Thomas Mann und viele andere haben gesagt, es sei der Wunsch gewesen, „eins zu sein" mit der deutschen Nation, um sich der Vernichtung der „Kultur" und des Volkes zu widersetzen. Das Erlebnis des Krieges hat bei vielen Schriftstellern zu einer geistigen Wandlung geführt. Doch der Einfluß der linken Intellektuellen auf die Massen blieb in der Weimarer Republik relativ schwach. Die Niederschlagung der Novemberrevolution ermöglichte den nationalistischen Kräften, ihre ideologische Basis weiter zu festigen und ihre Aktivitäten zu vervielfachen. Der Büchermarkt wurde von Kriegsberichten überschwemmt, die das Heldentum der deutschen Soldaten von 1914 bis 1918 verherrlichten, wie Feuer und Blut von Ernst Jünger, Douaumont und Gruppe Bosemüller von Werner Beumelburg oder Frontsoldaten von Walter Bloem, um nur die Werke zu nennen, deren Auflage 20 000 Exemplare überstieg. Andererseits lenkte die Trivialliteratur die Massen von den politischen Problemen sowie von den wertvollen literarischen Werken ab. Von den 600 Millionen Mark, die den Gesamtwert der 1930 verkauften Bücher darstellten, entfallen nur 6 Millionen auf den Umsatz der Verlage der Linken. Den Zeitungen mit hoher Auflage, ob von Mosse, Scherl oder Ullstein herausgegeben, ging es nicht darum, das Bildungsniveau der 52

Massen zu heben, sondern vor allem darum, der Öffentlichkeit eine leicht lesbare Lektüre vorzusetzen, meist Liebesgeschichten oder auch Kriminalgeschichten. Literatur war Geschäft. Man bezahlte, mehr oder weniger gut, mittelmäßige Schriftsteller, die fähig waren, in einer bestimmten geforderten Art zu schreiben. Das 8 Uhr Abendblatt, ein Sensations- und Skandalblatt, weihte seine Leser in Bettgeheimnisse ein. Die Berliner Zeitung füllte ihre Kulturseiten mit erotischen Erzählungen. Fotos hatten Artikeln, die Nachdenken erforderten, bereits den Rang abgelaufen; Die Berliner Illustrierte Zeitung erschien in einer Auflage von 1 800 000 Exemplaren. Die einzige Zeitung, die auf eine niveauvolle Kulturberichterstattung Wert legte, war Die Frankfurter Zeitung. Selbst die sozialdemokratische Presse verlegte sich auf seichte Unterhaltungsliteratur.83

Entwicklungstendenzen in der Filmindustrie der Weimarer Republik Die größten Gewinne erzielte der Hugenberg-Konzern, der vor allem Scherl und Ullstein kontrollierte; seiner Unterstützung versicherte sich die Nazipartei 1931 durch die Harzburger Front. Seit 1927 stand Alfred Hugenberg jedoch ein noch mächtigeres und wirksameres Druckmittel als eine Kette von Zeitungen zur Verfügung: der Film. Die Einverleibung der Ufa in den Hugenberg-Konzern war die logische Folge der Konzentrationsprozesse, die die deutsche Filmproduktion seit ihrem Entstehen kennzeichneten. Diese mußte übrigens nicht erst in den Hugenberg-Konzern eingehen, um ein Propagandainstrument zu werden. Seit langem hatte sich der großdeutsche Nationalismus teils offen, teils verdeckt dort eingenistet. Er gehörte seit ihrem Entstehen dazu. Vor 1914 wurde der internationale Filmmarkt von französischen Produktionsgesellschaften beherrscht. An ihrer Spitze stand die Société Pathé, die Vertriebsbüros in vielen europäischen Ländern, in den USA und in Brasilien hatte. Einige sahen in dieser Vormachtstellung ein Hindernis für die Entwicklung einer nationalen Filmproduktion. Das war auch in Deutschland der Fall, wo das Kapital zur Förderung dieses Wirtschaftszweiges nicht ausreichte, und das daher zwangsläufig von Frankreich abhängig blieb. Mit Kriegsausbruch veränderte sich diese Situation. Ökonomisch geschwächt, verlor Frankreich seine Vormachtstellung. Das imperia53

listische Deutschland nutzte diese Gelegenheit und versuchte, eine eigene Filmindustrie aufzubauen. Zu Beginn des Krieges noch von ausländischen Produktionen abhängig, insbesondere von einer dänischen Firma, schuf sich der deutsche Imperialismus Ende 1917 eine moderne Filmgesellschaft, die Ufa 84 . Organisatorisch war sie aus der Fusion von drei Gesellschaften hervorgegangen: Messter, Nordisk und Union. Finanziell wurde ihre Gründung auf Initiative des Außenministeriums und des Kriegsministeriums durch Bankanleihen und eine direkte Beteiligung des Wilhelminischen Staates gestützt. Man wollte einerseits gegen die Konkurrenz der französischen und amerikanischen Filmindustrie gerüstet sein und andererseits den Film für die Kriegspropaganda nutzen: Die vom Staat verfolgte Politik sah vor, das öffentliche Leben in Deutschland, aber auch in den besetzten Gebieten systematischer in ein weites Netz großdeutscher proimperialistischer Propagandatätigkeit einzubeziehen. Das hatte zur Folge, daß die Ufa zwischen 1917 und 1920 zu einer international einflußreichen, wenn nicht sogar voll akzeptierten Macht wurde, die allerdings noch kein absolutes Monopol im deutschen Filmwesen hatte. Ihre neuartige Organisationsform - sie war eine Aktiengesellschaft mit staatlicher Beteiligung - konnte sich nach der Niederschlagung der Novemberrevolution nicht behaupten. Statt die vollständige Nationalisierung der Ufa voranzutreiben, tastete die Weimarer Republik die Besitzverhältnisse nicht an. Im Mai 1920 lehnte der Reichstag alle Nationalisierungsprojekte ab. Unter dem Vorwand ökonomischer Schwierigkeiten beschloß das Finanzministerium 1921, den Staatsvertrag mit der Ufa zu kündigen. Dadurch fiel diese, um nicht Bankrott zu machen, in die Hände der Deutschen Bank. 85 Das veränderte Unterstellungsverhältnis hatte allerdings kaum sichtbare Auswirkungen auf die Ufa-Strategie. Jedoch trat jetzt neben die ideologische Funktion, großdeutsche Denkweisen zu verbreiten, verstärkt die ökonomische Aufgabe, unbedingt Profite zu erwirtschaften. Die deutsche Filmindustrie, die ihre Produktion sowohl an politischen als auch an ökonomischen Zwecken orientierte, hatte damit durchaus Erfolge. So kam ihr Bemühen um eine gewisse technische und ästhetische Qualität den Bedürfnissen des Filmmarkts entgegen. Ein gut gemachter Film ließ sich nämlich im Ausland besser verkaufen. Die Geldgeber der Ufa, die dem Bereich für künstlerisch anspruchsvolle Produktionen eine relative Selbständigkeit zubilligten, hatten das sehr wohl begriffen. 54

Natürlich zog die alleinige Kontrolle durch die Deutsche Bank auch bestimmte politische Folgen nach sich. In den herrschenden Klassen existierten damals verschiedene taktische Varianten. So gab es Pläne zur Stabilisierung der Mark, die auf die Ablehnung des Parlamentarismus und die Einsetzung eines mit allen Vollmachten ausgestatteten und ausschließlich aus Bankiers, Industriellen und Großgrundbesitzern bestehenden Direktoriums hinausliefen. Diese Variante war offen gegen alles gerichtet, was in den revolutionären K ä m p fen erreicht worden war, besonders gegen die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse, wie z. B . den Achtstundentag. Generell profitierte die Deutsche Bank von der Verflechtung, die sich in dieser Zeit zwischen den Monopolen und den staatlichen Organen anbahnte. Während ein Teil der deutschen Bourgeoisie, wie Reichskanzler Joseph Wirth und seine Umgebung, auf Lösungen zur Gesundung der Währung orientierten, bediente sich das Finanzkapital des Inflationssystems, um die ökonomische Konzentration zu forcieren. 86 Diese Tendenzen machten sich natürlich in der Tätigkeit der U f a bemerkbar. Hinter der Fassade eines nicht zu übersehenden schöpferischen Aufschwungs wurden Maßnahmen getroffen, die die Monopolisierung des Filmwesens vorantrieben. Zunächst wurden verschiedene kleinere Gesellschaften, wie die Decla-Bioscop von Erich Pommer, von ihr geschluckt. Dann erfolgte eine Reorganisierung, die zu einer Konzentration der Vollmachten führte. Im Oktober 1923 entstand ein zentrales Organ für die deutsche Filmindustrie als Dachorganisation für alle Unternehmerverbände der Kino-, Atelier- und Verleihbesitzer.®' Analog dazu entstand eine Art Haussyndikat für die Angestellten, in dem alle Filmschaffenden vereinigt waren. 8 8 D i e enorme Beschleunigung des Konzentrationsprozesses ist mit denen anderer Länder kaum vergleichbar. Deutschlands Filmproduktion wird bald nahezu völlig von einem Konzern beherrscht. 89 Bis dahin hatte die Inflation Vorteile für die deutsche Filmindustrie gebracht, die ihre Unkosten weitgehend durch die guten Exportmöglichkeiten decken konnte. Die Stabilisierung der Mark im Jahre 1924 verursachte jedoch eine Krise. Ausländisches Kapital, darunter amerikanisches, gelangte auf den deutschen Markt und beeinflußte Produktion und Verleih. Die U f a bekam die Auswirkungen dieser neuen Lage finanziell zu spüren. Als Ausweg wurden Ullstein und Mosse ihre früheren Anteile wieder angeboten, die jedoch ablehnten. Um dieses bedeutende Instrument zur Verbreitung proimperialistischen Gedankenguts zu erhalten, griff 1926 eine Gruppe von Indu-

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striellen und Bankiers unter dem Vorsitz von Alfred Hugenberg ein und kaufte die Ufa auf; die Deutsche Bank gehörte weiterhin zu ihren Aktionären. Unter den Neuhinzugekommenen, wie Thyssen, hatte jedoch der Hugenberg-Konzern die Aktienmehrheit.90 Die Integration in den Hugenberg-Konzern hatte zur Folge, daß noch konsequenter als bisher imperialistisches Gedankengut in der Öffentlichkeit verbreitet wurde. Die Ufa sollte auf doppelte Weise eine Vormachtstellung einnehmen: einerseits auf organisatorischem Gebiet (Produktion, Einsatz, Verkauf und Verleih von Filmen) und andererseits im ideologischen Bereich durch die nunmehr mögliche inhaltliche Koordinierung mit den bereits von Hugenberg kontrollierten Zeitungen. Massenwirkung versprach sich der Kreis um Hugenberg vor allem von den Wochenschauen, denn von den elf Gesellschaften, die Wochenschauen verliehen, waren nur zwei nicht von der Ufa abhängig. In der Wochenschau-Produktion wurde schon seit 1920 eine reaktionär-konservative Linie verfolgt, das bedeutete Parteinahme für die Freikorps, Aufpeitschen nationalistischer Gefühle in bezug auf das besetzte Rheinland, Betreiben von Revanchehetze. In einem Bericht über die Tätigkeit des Hugenberg-Konzerns verheimlichte ein Angehöriger der Deutsch-Nationalen Volkspartei die angestrebten Ziele keineswegs.91 E r wies darauf hin, daß die Ufa seit ihrer Sanierung 1928 im Dienst der nationalen Sache gestanden habe, wie übrigens der gesamte Scherl-Verlag auch. Er enthüllte sogar zynisch die dafür gewählte Taktik: Die nationalistischen Losungen sollten selbst in die Unterhaltung eingehen, um auch jenes Publikum zu erreichen, das sich sonst abwenden könnte. Im Interesse ihrer zentralen ideologischen Funktion sollte sich die Ufa nicht auf die Herstellung von Filmen mit betont vordergründig nationalistischem Charakter beschränken. Dies galt auch für die Wochenschauen: Bei einer Dauer von ungefähr zehn Minuten hatte die Politik nur einen Anteil von zehn bis fünfzehn Prozent und war meist an bestimmte Ereignisse oder Persönlichkeiten geknüpft. Der Rest bestand aus Mode, Sport und Unterhaltung.92 1931 hat der sowjetische Schriftsteller Ilja Ehrenburg in Die Traumfabrik. Chronik des Films die Karriere Alfred Hugenbergs skizziert.93 Dieses ironische Porträt erhebt nicht den Anspruch auf absolute historische Treue, es gibt aber sehr glaubwürdig Einblick in die Welt kommerzieller Filmproduktion und deren Resonanz bei einem kleinbürgerlichen Publikum. Es ist ein Dokument, das zwar den Nachteil hat, nur die Oberfläche zu zeigen, aber auch den Vor56

zug, zeitgenössisch zu sein. Die psychologischen Tricks, mit denen das nationalistische Gift in die Hirne geträufelt wurde, werden in zutreffenden Formulierungen enthüllt - wenn diese aus heutiger Sicht auch etwas übertrieben erscheinen, weil sie zu stark den Eindruck entstehen lassen, die Manipulierung der öffentlichen Meinung sei lediglich eine einfache Propagandaoperation. Hugenberg gleicht hier einem Armeebefehlshaber, der eine Seelenfabrik leitet und dem es gelingt, allen Deutschen mit Hilfe der Film-Wochenschauen sein Wunderheilmittel einzutrichtern. Dagegen ist das Raffinement, mit dem der Nationalismus in das Netz banaler Wahrnehmungen eingewoben wurde, gut beobachtet: Kaum erkennbar schlich er sich unter einen Paravent, in einen Kuß oder eine Modenschau, wie etwas Selbstverständliches, etwas Alltägliches. Die Masse einer ganzen kleinen zufriedenen Welt bewunderte sich in ihrem eigenen Spiegelbild. Und die ahnungslosen Zuschauer, die das doppelte Spiel, das hier getrieben wurde, noch nicht durchschaut hatten, wurden in raffinierter Dosierung dazu gebracht, sich in diese Welt einzupassen. Der Umfang der finanziellen Mittel, über die die Ufa verfügte, wird durch Vergleich deutlich. Andere Produktionsgesellschaften waren nicht in der Lage, mit der Ufa zu konkurrieren. Noch mehr als es bei der Presse der Fall war, kamen konkrete Maßnahmen, die ein wirksames Gegengewicht zu ihrem Einfluß hätten schaffen können, entweder zu spät oder sie fehlten ganz und gar. Während im Theater auf Grund der weniger großen finanziellen Anforderungen und dank bedeutender Persönlichkeiten eine politisch progressive Entwicklung stattfinden konnte, blieb die Filmindustrie in der Weimarer Republik von der reaktionären Rechten beherrscht. In der Geschichte des Filmwesens waren Änderungen von Drehbüchern ohne Einwilligung der Autoren, Zensur, Beschneidungen, Vernichtung von Filmmaterial und Prozesse an der Tagesordnung. Während des Prozesses, den Brecht wegen der Filmversion seiner Dreigroschenoper84 führte, behauptete die von Alfred Hugenberg und der Ufa kontrollierte Filmzeitschrift bündig, wer für den Film arbeiten wolle, müsse sich den herrschenden Verhältnissen fügen. Brecht sollte sich auch noch glücklich schätzen, daß sein Theaterstück für eine Verfilmung ausgesucht worden war. Jedes Einspruchsrecht wurde ihm verwehrt mit dem Hinweis darauf, daß derjenige, der im Filmgeschäft Riesensummen investiere, selbstverständlich auch Erfolg in Tausenden von Kinos haben müsse, wenn er sein Geld nicht verlieren wolle. Das war das ungeschminkte Eingeständnis der - sich an57

geblich aus seinem Wesen ergebenden und deshalb notwendigen ökonomischen Abhängigkeit des Films, die seine Form und seinen Inhalt bestimmte. Natürlich darf nicht übersehen werden, daß es trotz dieser generellen Situation verschiedene Experimente gab, um aus den Zwängen auszubrechen. Als Beispiel wäre etwa Hans Richter zu nennen, der sich bemühte, etwas zu entwickeln, das er als Gegenstück zur offiziellen Produktion den Avantgarde-Film nannte. Er hatte hierzu die Liga für unabhängigen Film 95 gegründet, deren Programm von der Grundforderung ausging, die Kamera zu befreien. Der Film sollte von allen Fesseln befreit werden, von den materiellen Interessen, von den politischen Beschränkungen und dem kleinbürgerlichen Geschmack. Hans Richter hat später jedoch selbst zugegeben, daß diese Art Film nie eine sehr starke soziale Wirkung erzielt hat, weil er oft in Formspielereien verfiel, anstatt an den etablierten Strukturen zu rütteln. Für die linken politischen Kräfte war es unmöglich, die ökonomische Macht, die der Ufa-Konzern darstellte, zu brechen. Die SPD hatte dies auch gar nicht vor. Ohne in ihrer Analyse je weiterzugehen und ohne einen konstruktiven Gegenvorschlag zu machen, verbohrte sich die Sozialdemokratie in dem Vorurteil, der Film sei der kulturellen Entwicklung des Menschen wenig förderlich, weil es darin zu viel Flüchtiges, zu viel Oberflächliches gäbe, das der Konzentration der Gedanken abträglich sei. Mit den Kabaretts und den Jazzkonzerten gehöre er zu den schädlichen städtischen Vergnügungen, die die Arbeitermassen vom Streben nach Kultur abhielten. Allerdings beschäftigte sich das Organ der Sozialdemokratischen Partei 1928 mit der ungeheuren Macht der Filmindustrie und schlug eine öffentliche Kontrolle vor. Aus diesen Überlegungen ergab sich aber kein durchdachtes Aktionsprogramm, es blieb bei einigen zaghaften Versuchen, sozialdemokratische Propaganda in den Wochenschauen der EmelkaGesellschaft unterzubringen.96 Die K P D dagegen hatte die neuen und außergewöhnlichen Möglichkeiten des Films sehr schnell erkannt.97 In einem Aktionsaufruf warnte die Rote Fahne, das Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands, 1922: Wer das Filmwesen beherrscht, wird auch die Ideologie der Volksmassen bestimmen. Es wurde auf die Gefahren einer Filmkunst hingewiesen, die von einer Industrie abhängig ist, also den Gesetzen des kapitalistischen Marktes gehorcht.98 Zu dieser Zeit bereits schlug Béla Balázs vor, dieser Situation zu be-

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gegnen: Man solle sich nicht damit begnügen, die gezeigten Filme zu kritisieren, sondern auch versuchen, selbst revolutionäre Filme zu produzieren. Voller Enthusiasmus und Optimismus versicherte er, daß ein solches Unternehmen ökonomisch lebensfähig sein würde." Eine Konferenz über die Aufgaben in der Erziehung und Bildung beschloß im selben Jahr ein Programm, das auch die Filmkunst einbezog. Auf internationaler Ebene wurde die Abteilung Agitation und Propaganda damit beauftragt, unter den Funktionären Kampfmaterial, das den modernen Techniken entspricht, zu verteilen. Damit waren neben der Fotografie, dem Plakat und der Postkarte auch der Film gemeint.100 Allerdings gab es Diskrepanzen zwischen Absicht und Ergebnis. Nachdem Willi Münzenberg das Proletariat 1926 dazu aufgerufen hatte, den Film zu erobern,101 wurde ebenfalls 1926 die „erste deutsche proletarische Filmfirma" gegründet.102 Dieses Projekt entsprach der bündnispolitischen Orientierung, die den kommunistischen Intellektuellen empfahl, in die kulturellen Massenorganisationen einzudringen und an der Basis eine gemeinsame Kulturfront ins Leben zu rufen. 103 Diese Strategie führte 1928 unter anderem zur Gründung des Volks-Film-Verbands 104 , der sich z. B. für den Vertrieb fortschrittlicher Filme einsetzte. Es gelang, als Gegenoffensive zur UfaPropaganda und unter Benutzung von deren Bildmaterial einige Wochenschauen zu produzieren sowie eine Reihe der bedeutendsten revolutionären sowjetischen Filme zu verleihen.105 Talente, die keine ihren politischen Anschauungen entsprechende Anstellung fanden, waren gezwungen, für den kommerziellen Film zu arbeiten oder ihre schöpferischen Ambitionen aufzugeben. Ein eklatantes Beispiel dafür ist Erwin Piscator, Mitglied des Vorstandes des Volks-Film-Verbandes. Er hatte unbegrenztes Vertrauen in die Möglichkeiten des Films und rief 1930, als der Tonfilm aufkam, begeistert dazu auf, sich dieses neuen Agitpropmittels zu bedienen.106 Doch nicht in Deutschland erhielt er die Möglichkeit, seine Pläne zu realisieren, sondern in der Sowjetunion, wo er Anna Seghers' Roman Aufstand der Fischer von St. Barbara verfilmte. Trotz vieler Projekte blieb dies sein einziger Film. 107

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Die pronationalso^ialistischen Kulturorganisationen Die reaktionären Kräfte begnügten sich nicht damit, die fortschrittlichen Schriftsteller und Künstler von den Massen zu isolieren, indem sie sich aller Medien bemächtigten und den Konsum von Schundliteratur, Kitsch oder Propagandafilmen steuerten, sie wandten dabei auch alle Mittel ihres Justizapparates an. 1921 wurde in Deutschland die Zensur wieder eingeführt. Das nach dem RathenauMord erlassene Gesetz zum Schutze der Republik108 vom 18. Juli 1922 diente nicht allein dazu, die antireaktionären Stimmungen in den Volksmassen zu unterdrücken, sondern auch diese oder jene Veröffentlichung der Linken der Zensur zu unterziehen. Am 18. Dezember 1926 wurde gegen den Widerstand der literarischen Öffentlichkeit ein Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und SchmutzSchriften verabschiedet.109 Praktisch wurde es aber weniger gegen die wirklich anstößigen Schriften eingesetzt, sondern es bot vor allem eine Handhabe gegen die revolutionäre Literatur. Bücher von Johannes R. Becher, Berta Lask, Kurt Kläber wurden verboten. Am 28. Januar 1927 wurden die Buchhändler Domning und Reimann vor ein Leipziger Gericht zitiert, weil sie Bechers Roman Levisite oder Der einzig gerechte Krieg zum Verkauf gebracht hatten. Mit der Wirtschaftskrise von 1929 nahmen die Angriffe auf die Meinungsfreiheit zu. Alle fortschrittlichen Kräfte des Kulturlebens wurden systematisch unterdrückt. Für die Literatur war eine neue Situation entstanden. Konnte bis dahin ein Buch nur durch Gerichtsbeschluß verboten werden, so genügte von nun an eine einfache polizeiliche Verfügung. In diesem Machtzuwachs der Reaktion kam deutlich die politische Schwäche der Weimarer Republik zum Ausdruck. Die demokratischen Kräfte wurden in ihrer Bewegungsfreiheit immer mehr eingeengt. Die Erlasse des Reichspräsidenten vom 28. März und 17. Juli 1931, bekannt als Verordnungen zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen, und eine weitere Pressenotverordnung verstärkten die Willkür gegen die linken Schriftsteller. So wurden in dieser Zeit mehrere Auftritte Erich Weinerts verboten, z. B. am 12. Oktober 1931 auf einer Kundgebung der Internationalen Arbeiterhilfe im Berliner Sportpalast und am 30. Oktober 1931 auf einer A/Z-Kundgebung ebenfalls in Berlin. Unter dem Vorwand der „Gotteslästerung" (diesem Begriff war ein besonderer Paragraph dieser Erlasse gewidmet) hagelte es Verurteilungen gegen die satirische Zeitschrift Eulenspiegel und gegen Schriftsteller wie Walter 60

Hasenclever, Wieland Herzfelde, Kurt Tucholsky. In den ersten sechs Monaten des Jahres 1931 wurden etwa fünfzig Zeitungen und Zeitschriften von Verboten betroffen. Friedrich Wolf, Carl von Ossietzky und Ludwig Renn wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Diese latente Faschisierung machte andererseits die nationalistischen Schriftsteller und Organisationen noch angriffslustiger. Ein neuer Verband, der Kampfbund für Deutsche Kultur, veröffentlichte im Mai 1928 in einem Gründungsaufruf sein Manifest. Darin wurde die Entschlossenheit bekundet, gegen den sogenannten Verfall in allen kulturellen Bereichen aufzutreten: „Wir stehen heute vor der Tatsache, daß Hand in Hand mit dem von volksfeindlichen Kräften geförderten politischen Niedergang auch ein planmäßiger Kampf gegen sämtliche deutschen Kulturwerte geführt wird."110 Dementsprechend hieß es in den Satzungen des Kampfbundes klar und eindeutig: „Der Kampfbund für deutsche Kultur hat den Zweck, inmitten des heutigen Kulturverfalls die Werte des deutschen Wesens zu verteidigen und jede arteigene Äußerung kulturellen deutschen Lebens zu fördern. Der Kampfbund setzt sich als Ziel, das deutsche Volk über die Zusammenhänge zwischen Rasse, Kunst und Wissenschaft, sittlichen und willenhaften Wert aufzuklären. Er setzt sich zum Ziel, bedeutende, heute totgeschwiegene Deutsche in Wort und Schrift der Öffentlichkeit näherzubringen und so dem kulturellen Gesamtdeutschtum ohne Berücksichtigung politischer Grenzen zu dienen."111 Am 23. Februar 1929 fand die erste öffentliche Veranstaltung dieses neuen Kampfbundes statt.112 Es war ein Vortrag des Wiener Staatswissenschaftlers Othmar Spann an der Universität München über das Thema Die Kulturkrise der Gegenwart. Die neue Organisation, der viele Akademiker angehörten, bekannte sich noch nicht offen zur nationalsozialistischen Bewegung, jedem einigermaßen informierten Intellektuellen mußte jedoch ihre politische Neutralität verdächtig erscheinen, wenn er erfuhr, daß ihr Gründer Alfred Rosenberg war. Die Nazipartei, die auf ihrem Parteitag 1928 vergeblich versucht hatte, eine eigene nationalsozialistische Kulturorganisation ins Leben zu rufen, bemühte sich nun auf Umwegen, die antikommunistischen Ressentiments verschiedener sozialer Schichten zu schüren und für ihre Sache auszunutzen. Über die Literatur und die Kunst machten sie sich daran, die unterschiedlichen nationalistischen Strömungen zu vereinen. Beträchtliche Mittel wurde aufgewendet, um Gehör und Unter61

Stützung zu finden. 1929 wurden in München Mitteilungen herausgegeben. Vortragsreisende fuhren durch ganz Deutschland, Kunstausstellungen wanderten von einer Stadt zur anderen. Eine Kampagne gegen die neue Architektur wurde lanciert und Le Corbusier für die Kulturdekadenz des Westens verantwortlich gemacht. Der Architekt Alexander von Senger, der für den Kampfbund als Kunst-Experte galt, forderte eine „nationale Diktatur in Kunstsachen". Pfingsten 1930 fand in Weimar eine Kundgebung statt, auf der Wilhelm Frick sprach. Es wurde eine Resolution verabschiedet, in der energische Maßnahmen gegen „für das Volk unheilvolle Einflüsse" auf dem Gebiet des Theaters, der Literatur, der bildenden Künste und der Architektur gefordert wurden. Ein unter den Mitgliedern des Kampfbundes vertriebenes Bulletin zählte als „Zersetzer" der deutschen Kunst u. a. namentlich auf: Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Thomas Mann, Bertolt Brecht, George Grosz, Wassili Kandinsky. Die heftigsten Angriffe richteten sich immer gegen den „Kulturbolschewismus". Auf diese Weise gelang es dem Kampfbund, daß sich ihm die völkisch-nationalen Kulturvereine anschlössen. Mit Unterstützung eines Führer-Rates der Vereinigten Deutschen Kunst- und Kulturverbände, der auf Initiative einer sogenannten Deutschen Kunstgesellschaft Dresden im März 1930 in Weimar gegründet worden war, beeinflußte er etwa 250 000 Menschen, obwohl die Zahl seiner Mitglieder vor der Machtergreifung Anfang 1933 nie 10 000 überstieg. Dieser Führer-Rat gab seinerseits seit 1927 eine Zeitschrift heraus, Die deutsche Bildkunst, an der Rosenberg, Schultze-Naumburg und Hans F. K. Günther mitwirkten. Ein selbständiger Pressedienst verteilte kostenlos ein Bulletin Deutsche Kunstkorrespondenz (später Deutscher Kunstbericht), aus dem die Zeitungen regelmäßig ihre Kunstinformationen entnehmen sollten. Außerdem wurde 1932 mit finanzieller Unterstützung der Berliner Gauleitung der Nazipartei ein wirksames Organ zur Koordinierung aller Verbände geschaffen, die als Anhänger eines „nationalen" Kulturwillens und einer wiederaufgebauten „wahren deutschen Kunst" galten. Der Zustrom neuer Mitglieder war in den Jahren 1931/32 - besonders von seiten der Lehrer - so stark, daß Fachgruppen für Musik, bildende Künste, Literatur usw. gebildet wurden. Die Nazipartei verfügte nunmehr über eine Organisation, die in der Lage war, mit ihrer Konzeption einer sogenannten echten deutschen Kunst in die kleinbürgerlichen Intellektuellenkreise einzudringen. Was unter dieser Konzeption zu verstehen war, zeigt ein zu dieser 62

Zeit in Thüringen unternommenes Experiment. Die Nazis waren durch ihre Erfolge bei den thüringischen Landtagswahlen vom 8. Dezember 1929 nach voraufgegangenen Schwierigkeiten mit den Mittelstandsparteien, die die sozialen Parolen der nationalsozialistischen Partei abschreckten, an einer Koalitionsregierung beteiligt. Am 23. Januar 1930 wählte der Thüringische Landtag Wilhelm Frick zum Innen- und Volksbildungsminister. Zum ersten Mal übertrug man einem Nazi eine Regierungsverantwortung, und er nahm sofort Reformen im nationalsozialistischen Sinne in Angriff. Durch das Amtsblatt des Ministeriums Frick vom 22. April 1930 wurde bekanntgegeben, daß jetzt die günstige Aussicht bestände, „wider die Negerkultur für deutsches Volkstum" zu kämpfen. Als Berater in Sachen Kunst setzte Frick Professor Schultze-Naumburg ein und verschaffte dem Rassentheoretiker Hans F. K. Günther einen Lehrstuhl an der Universität Jena. Remarques Roman Im Westen nichts Neues wurde verboten, ebenso die Filme von Pudowkin, Eisenstein, Pabst. Werke von „musikalischen Bolschewisten" (wie sie Hans Severus Ziegler bezeichnete) wie Hindemith und Strawinsky durften nicht mehr aufgeführt werden. Aus den Ausstellungsräumen der Museen wurden die Werke der modernen Malerei entfernt.113 Diese Maßnahmen riefen in Deutschland unter den Schriftstellern und Künstlern Proteste hervor.114 Wilhelm Frick wurde durch einen Beschluß des Thüringischen Landtags vom 1. April 1931 sein Ministerposten entzogen. Übrigens waren selbst viele Nazis der Kulturpolitik Fricks gegenüber skeptisch, weil sie ihre Partei in Verruf brachte zu einer Zeit, als sie sich bemühte, die der Weimarer Republik feindlich gesinnten Intellektuellen zu sammeln. Etwas mehr als ein Jahr Naziherrschaft auf kulturellem Gebiet hatte jedoch deutlich gezeigt, wozu die Anhänger Hitlers imstande waren. Rosenberg, Goebbels und ihre Nacheiferer konnten aus dieser Episode Schlußfolgerungen ziehen. Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß ihnen eine geschwächte, weil politisch zerstrittene Gegnerschaft gegenüberstand, versuchten die Nazis nicht ohne Erfolg, immer größeren Einfluß auf das Literatur- und Kunstschaffen in der Weimarer Republik zu gewinnen. Diesen Übergriffen kam entgegen, daß viele „schöpferisch Arbeitende" kaum organisiert und in der Mehrzahl nicht an die politisch fortschrittlichen Bewegungen gebunden waren. In ihrer scheinbar individualistischen Tätigkeit isoliert und überdies stark von der Wirtschaftskrise betroffen, waren gerade sie besonders anfällig für die Demagogie der Nazis.115 63

Eine ganze kulturelle Richtung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts scheint also im Faschismus zu kulminieren. D a ß es möglich gewesen wäre, die Machtergreifung der Nazis zu verhindern, steht auf einem anderen Blatt. Sicher ist das Dritte Reich nicht die logische und unabwendbare Konsequenz einer bestimmten reaktionären Linie deutscher Kulturentwicklung. Was man aber sehr leicht in der deutschen Kultur entdecken kann, wenn man die Geschichte aufmerksam betrachtet, ist das Vorhandensein von Kräften und Anstrengungen, die die Aufnahme des Faschismus begünstigten. Die kulturellen Einrichtungen als solche haben die gesellschaftliche Entwicklung sicher nicht direkt bewirkt. So ist z. B. sehr schwer feststellbar, welchen Einfluß die Filme der Weimarer Republik tatsächlich auf die Haltung der Massen zum Dritten Reich gehabt haben. Doch die bürgerliche deutsche Kultur barg in sich Keime, die das erklären helfen, was mit ihr nach 1933 geschah.

Über die Ästhetik der Nazis

Es ist oft behauptet worden, die Gründe für die Vertreibung bedeutender Künstler aus dem faschistischen deutschen Staat und für den qualitativen Verfall der Künste im Dritten Reich seien in der Herrschaft von ungebildeten Kleinbürgern über die deutsche Gesellschaft zu finden. Ganz naiv schreibt z. B. der Maler Ernst Ludwig Kirchner, der wenig später in die Emigration getrieben wurde und durch Selbstmord endete, seinem Bruder am 25. Dezember 1933: „Da ja niemand von den heutigen Machthabern etwas von Kunst versteht, haben alle dunklen Nichtskönner Oberwasser." 116 1936 wundert sich auch Gottfried Benn in einem seiner Briefe an Frank Maraun darüber, daß die Nazikritik sich befleißigt, eine wertlose Literatur in den Himmel zu heben, und er fügt hinzu, es sei außerordentlich bedauerlich, daß der Nationalsozialismus die Beurteilung der Kunst in so schlechte Hände gelegt habe. 117 Aus derartigen Auffassungen ergibt sich, daß nicht der Faschismus als solcher für die in Deutschland zwischen 1933 und 1945 maßgebenden ästhetischen Konzepte verantwortlich zu machen sei. Diese Konzepte wären dann nicht an ein bestimmtes politisches System gebunden, sondern von einigen bornierten Individuen in führender Position abhängig, denen jede künstlerische Sensibilität und auch das Verständnis für Kunst fehlte. Die Kulturpolitik Nazideutschlands könne umgekehrt demnach auch nicht den Faschismus als politisches Regime in Mißkredit bringen. Es sei möglich, sich eine faschistische Regierung vorzustellen, die großes Ansehen unter den Künstlern genieße und keinen Druck auf sie ausübe.

Futurismus und Fasebismus Mit dieser These wird gewöhnlich dem deutschen Faschismus der italienische Faschismus gegenübergestellt, der, anstatt die moderne Kunst zu verurteilen, sie im Gegenteil integriert und zur offiziellen 5

Faschismus

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Kunst erklärt habe, wie das Beispiel des Futurismus beweise. Vergleicht man Deutschland und Italien in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen jedoch derart willkürlich, dann läßt man die historische Entstehung der italienischen und der deutschen Nation ebenso außer Acht, wie die spezifische an eine bestimmte Situation gebundene Eigenart eines jeden Faschismus. Außerdem bleibt dann der Charakter der futuristischen Bewegung außer Betracht. Schließlich werden auch die tatsächlichen Beziehungen zwischen dem faschistischen Staat Mussolinis und der Praxis jener Kulturschaffenden nicht berücksichtigt, die sich auf eine Kunst berufen, die man gewöhnlich zur Avantgarde zählt. Im Unterschied zu Hitler wünschte Mussolini nicht nur einen Modus vivendi mit den Intellektuellen - selbst mit den aufsässigen - , sondern er wollte beweisen, daß das faschistische Regime in der Lage sei, sie zu assimilieren. Insofern war es ein Aspekt seiner Politik ihnen gegenüber, geschickt mit Zuckerbrot und Peitsche zu hantieren. Solange sie nicht über einen Salonantifaschismus hinausgingen, solange dieser sich auf Fachzeitschriften für Eingeweihte beschränkte, solange ihre Opposition nicht auf die Massen überzugreifen drohte, solange schritt das Regime nicht ein. So zeigte sich z. B. in La Critica, die Benedetto Croce 118 herausgab, und in anderen Publikationen eine gewisse Oppositionshaltung, die man jedoch in den höchsten faschistischen Kreisen nicht einmal ungern zur Kenntnis nahm. Dies verschaffte nämlich dem Faschismus eine liberale Fassade, hinter der er seine repressive Macht zu verstecken suchte. Er verschonte die Intellektuellen nicht, sobald er sie für gefährlich hielt. Physische Vernichtung oder Isolierung waren dann die üblichen Praktiken. 119 Dennoch scheiterten Mussolinis Versuche, die Kultur gänzlich zu faschisieren, weil es ihm nie gelang, die in Italien verbliebenen Schriftsteller und Künstler gleichzuschalten. Die Bemühungen des Regimes, dem Faschismus durch apologetische Kunstwerke Ansehen zu verschaffen, waren nur sehr begrenzt erfolgreich. Es gelang ihm auch nie, die kulturverbreitenden Institutionen ganz unter seine Kontrolle zu bringen, obwohl ihm legal die Mittel hierzu zur Verfügung standen. Verlage, Zeitungen, Schulen garantierten zu keiner Zeit die vollständige Propagierung der herschenden Ideologie. 120 Allerdings darf man daraus nicht schlußfolgern, daß die kulturellen Aktivitäten des italienischen Faschismus kaum spürbar oder unwirksam gewesen wären. Trotz seiner relativen Mißerfolge ver66

fügte er mit den Massenkundgebungen, den Festen und Kulturveranstaltungen über enorme Einflußmittel, nicht zu vergessen die öffentlichen Auftritte Mussolinis und der um seine Person getriebene Kult. Zur Manipulierung der Massen wurde in Wort und Bild das Irrationale verherrlicht. Mussolini hat im übrigen nie seine Forderung aufgegeben, daß die Künste sich streng an die faschistischen Ambitionen halten müßten. Laut E l i o Vittorini 1 2 1 hätte er es gern gesehen, wenn es einen faschistischen Stil gegeben hätte, so wie man von einem Louis-XIV.-Stil spricht. Um diesen faschistischen Stil durchzusetzen, waren alle Mittel recht, von der Kleidung bis zum Lied, von der Konfektschachtel bis zum Gedicht, vom Film bis zum Kalender. Man kann also unmöglich dem erzwungenen und durch besondere Umstände bedingten Liberalismus der Mussolini-Regierung eine Sonderstellung einräumen, ohne Gefahr zu laufen, die wesentlichen Züge des Faschismus zu rechtfertigen, und dazu gehören auch seine maßlosen Versuche, die Künste seiner Politik unterzuordnen, was begünstigt wurde durch die passive Billigung ja sogar eifrige Unterwürfigkeit sehr vieler Künstler. Was die Futuristen betrifft, so führten sie zu Beginn des Jahrhunderts in Italien einen Bruch mit dem offiziell anerkannten, aristokratischen, ästhetisierenden Literaturschaffen herbei, das das Volk ausschloß und auf einer hohlen Rhetorik beruhte. D e n traditionellen klassischen Lyrismus, die Mythologie von der römischen Größe der Vergangenheit, den Symbolismus und die Dekadenz verwerfend, erschienen sie als Götzenstürmer, die den Weg für neue Beziehungen zwischen den Schriftstellern und den Sehnsüchten des Volkes freimachten. Jean-Richard Bloch erlebte 1913 in Florenz, wie Marinetti und seine Gefährten Massenerfolge feierten. E r notierte dazu: „Die von den Futuristen angesagten Abende sind Abende anstrengender Mobilmachung für die örtliche Polizei. Am 12. Dezember 1913 haben sie das Verdi-Theater in Florenz bis zum letzten der siebentausend Plätze gefüllt, und die Menge staute sich vor den Türen unter den Augen der machtlosen Polizei." 1 2 2 Was den italienischen Futurismus von Beginn an ideologisch charakterisiert - zumindest den von Marinetti und seinen Anhängern geprägten - , ist ein mit Nationalismus gepaarter Anarchismus. E r wird durch die Forderung nach „Italianität" gekennzeichnet. Punkt neun des futuristischen Manifestes von 1909 besagt: „Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt - , denMilitarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die 5*

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schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes" (Le Figaro vom 20. Februar 1909). Seit 1910 stimmen die öffentlichen Stellungnahmen Marinettis absolut mit den Zielen des italienischen Imperialismus überein.123 Er erklärt sich zum Gegner der demokratischen Parteien und des parlamentarischen Systems. Ein Jahr später rechtfertigt er den Libyenkrieg und veröffentlicht ausgerechnet von Tripolis aus ein zweites politisches Manifest, in dem er die Pazifisten geißelt und die Begeisterung der Futuristen für „die Gefahr und die Gewalt, den Patriotismus und den Krieg" verkündet. Das erste „politische Programm" vom Oktober 1913 greift diese Ideen sinngetreu wieder auf. Es wird eine stärkere Armee gefordert, eine expansionistische Kolonialpolitik, die Entwicklung des freien Unternehmertums, damit Italien seine Landwirtschaft, seine Wirtschaft allgemein und seinen Handel besser entwickeln könne. Trotz des Antiklerikalismus der Futuristen sahen sich die Faschisten veranlaßt, sie angesichts solcher Programme selbstverständlich zu ihren Verbündeten zu machen. Sie stellten übrigens bei den Wahlen von 1919 gemeinsam Listen auf. Sogar ihren Abscheu gegenüber der Tradition und ihre Modernitätssucht konnte Mussolini ausnutzen, soweit sie damit Anklang bei den Massen fanden, die in den bilderstürmerischen Manifestationen der Futuristen eine Opposition zur herrschenden akademischen Kunst sahen. Giuseppe Prezzolini schrieb 1923 in der Revue de Genève: „Man könnte fast sagen, daß der Faschismus das Ergebnis der Vereinigung von Nationalismus und Futurismus ist. Tatsächlich findet man im Faschismus diese Dynamik von Überspanntheit und Gewalttätigkeit, von Vernunftwidrigkeit und Verwegenheit, die einem beim Futurismus begegnet."124 Marinetti selbst hat sich gerühmt, den Faschismus kreiert zu haben. In einem in Comoedia vom 29. Juni 1925 veröffentlichten Gespräch mit einem Journalisten erklärte er: „Die faschistische Regierung hat eine ganz neue Seele; vergessen wir nicht, daß Mussolini und seine Freunde alle mit unserer künstlerischen, intellektuellen, geistigen Erneuerung verbunden sind. Die ersten Futuristen waren die ersten Faschisten. Ich war mit Mussolini im Gefängnis, als wir die Straßenschlachten organisierten für den Eintritt Italiens in den Krieg und für die faschistische Propaganda. Diese futuristische Mentalität ist die der faschistischen Masse, die revolutionär und erneuernd ist. Wissen Sie, wer den Impero, eine superfaschistische Tageszeitung, leitet? Zwei futuristische Dichter, Settimelli und Mario Carli . . . " 68

Andere Aspekte dieser ideologischen Konvergenz zwischen Futurismus und Faschismus wurden von Edoardo Sanguineti in seines Betrachtungen über den Begriff Avantgarde hervorgehoben: „Einerseits gibt es eine Ablehnung der Geschichte, einen Willen zur Zerstörung der Geschichte, in dem sich der Wunsch offenbart, den Zustand einer für das Museum geschaffenen Kunst, einer Ruinen erzeugenden Kunst, zu überwinden, und zugleich gibt es die Suche nach einer völlig neuen Sensibilität und neuen Inhalten. Doch letztendlich führt dieses Unternehmen den Futurismus an die Seite des Faschismus. Andererseits gibt es noch einen zweiten Wesenszug, der den Futurismus zum Faschismus drängt, das ist die übersteigerte Verklärung der Industrie, d. h. des Großkapitals." 125 Trotz dieser Gemeinsamkeiten zwischen Faschismus und Futurismus erfordert die historische Wahrheit die Feststellung, daß die Futuristen nur deshalb nicht verfolgt wurden, weil sie sich allen Entscheidungen Mussolinis beugten und ihren ästhetischen Konzeptionen abschworen. Sie wurden dafür großzügig geehrt, die Akademie stand ihnen von ihrer Gründung an offen, ihre Werke fanden Eingang in jene Museen und Bibliotheken, deren Abschaffung sie einst gefordert hatten. Die Voraussagen von Giuseppe Prezzolini erfüllten sich, der, nachdem er den Gegensatz zwischen der Verherrlichung der traditionellen Werte durch den Faschismus und dem Bruch der Futuristen mit der herkömmlichen Form aufgezeigt hatte, schrieb: „Ich glaube, daß die Gruppe der Futuristen bald gezwungen sein wird, ihre Position zu wechseln und jene Entwicklung zu festen Werten, zu einer logischen Literatur, zu konstruierten Bildern mitzumachen, die andere Persönlichkeiten aus den gleichen Kreisen wie Papini, Soffici, Carrä für sich selbst bereits vollzogen haben, ungeachtet ihrer politischen Ansichten." 126 Die futuristische Ästhetik wurde einbalsamiert, damit eine andere, in ihrer Form stärker klassisch orientierte Kunst gedeihen konnte, die besser geeignet war, der Ideologie des Macht ausübenden italienischen Faschismus zu dienen. Die ästhetischen Neuerungen der modernen Kunst wurden nicht nur entschärft, sondern man feierte offiziell die Rückkehr zur Tradition und zum Kult der Vergangenheit, man verschaffte dem Pomp wieder Geltung, man versuchte, eine dahinsiechende Folklore neu zu beleben, man förderte den Hang zum Ruinen-Klassizismus, baute Triumphbögen. Die Experimente der damaligen Avantgarde beschränkten sich darauf, in der Architektur Le Corbusier und in der Malerei die Surrealisten nachzuahmen, sie ende69

ten bestenfalls in einer epigonalen Kunst und in einem neuen Akademismus. Wohl wurden die modernistischen Bemühungen teilweise geduldet, doch ihre Verwendung, die auf ideologische Gemeinsamkeiten zurückzuführen ist, war nur eine zeitweilige und blieb immer der Gesamtstrategie der faschistischen Bewegung unterworfen. Die Beziehungen zwischen Futuristen und Faschisten waren sicherlich nicht immer einfach. 1937/38 kam es sogar zum Bruch. Marinetti wurde heftig von den Konservativen angegriffen, die zur Zeit der Achse Rom-Berlin seine lächerlichen Phantastereien nicht mehr dulden konnten. (Er hatte z. B. die Frauen aufgefordert, ihre Fingernägel in den Farben der italienischen Flagge zu lackieren.) Doch Marinetti gab seinerseits ein Beispiel und ging 1942 an die Ostfront. Er bewies damit durch die Tat, was man ihm absprach: daß man zugleich Futurist und Faschist sein konnte. Wenn es auch stimmt, d a ß der italienische Faschismus einigen ästhetischen Experimenten, die man der Avantgarde zurechnen kann, freien Lauf ließ, so hemmte er ihre revolutionären Impulse jedoch völlig. Die Experimente waren übrigens sehr begrenzt; sie waren keineswegs die zu dieser Zeit vorherrschenden Ausdrucksformen. Die Tatsache, daß sie einigermaßen toleriert wurden, war ein Sieg, den diese „Avantgarde" 1 2 7 mit dem Preis ihrer Unterordnung bezahlte. Dadurch wurde aber die Flut aller Schattierungen des Neoklassizismus und Traditionalismus in keiner Weise eingedämmt. Man kann den italienischen Faschismus in der Tat nicht als Musterbeispiel für einen Typ des Faschismus anführen, der die künstlerische Moderne voll akzeptiert und assimiliert hätte. W i e jeder Faschismus hat er im Gegenteil die Weiterentwicklung der Ästhetik gehemmt, ja er hat sie zum völligen Stillstand gebracht. Wenn die Suche nach neuen ästhetischen Ausdrucksmitteln in den Vordergrund gestellt wurde, dann diente sie dem Faschismus in doppelter Hinsicht als Alibi: Als Staatsmacht wollte er einen Liberalismus vortäuschen und gegenüber den Künstlern mit dem politischen Kredit, den er dadurch für sich verbuchte, seine angebliche geistige Größe beweisen.

Der deutsche Faschismus und die moderne Kunst Die abweichende Haltung der Nazis hinsichtlich der angewandten Mittel und auch der erstrebten Ergebnisse erklärt sich weniger aus grundsätzlich verschiedenen Auffassungen des italienischen Faschis-

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mus und des Nationalsozialismus über literarische und künstlerische Fragen als aus der andersartigen Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland.128 Aus historischen Gründen war es den Nazis nicht möglich, sich der modernen Kunst wirksam zu bedienen. Diese hatte sich zu Beginn dieses Jahrhunderts in den Kreisen um die expressionistischen Zeitschriften Der Sturm und Die Aktion sehr weit ausländischen Einflüssen geöffnet. Später hatte die Weimarer Republik trotz ihrer Schwächen - diesen Internationalisierungsprozeß befördert. In den zwanziger Jahren kam es zu neuen fruchtbaren Beziehungen besonders zwischen deutschen und sowjetischen Künstlern. In allen Bereichen künstlerischen Schaffens entstand eine neue Ästhetik, die mit den Idealen der nationalistischen Kräfte und deren Kulturkonzepten brach.129 Am Beginn ihrer Bewegung und auch während ihrer Herrschaft haben die Nazis wohl einige ehemalige Vertreter der Avantgarde in ihre Reihen aufgenommen. Diese waren zugleich Lockvögel für die Intellektuellen und der angebliche Beweis für die guten Absichten der Nazis gegenüber den Künsten. Auf dem Gebiet der Literatur versuchten sie, durch Benn und Johst einen Teil der Expressionisten zumindest jene, die weder Juden noch Kommunisten waren - an sich zu ziehen, doch da blieben nicht viel übrig. In der Malerei war es Emil Nolde, der für die Nazis eintrat. Doch es zeigte sich sehr schnell, daß es ihnen nicht gelang, die moderne Kunst ins Fahrwasser der Naziideologie zu ziehen. Schon aus taktischen Gründen konnten sie nicht eine Kunst fördern, die keine Massenbasis hatte, da es ihnen ja darauf ankam, ihr Gedankengut in den Massen zu verbreiten. Außerdem - und das ist der Hauptgrund - setzte der Nationalsozialismus, der keine wirklich neue Ideologie geschaffen hat, in der Kunstpolitik wie in der Politik überhaupt den Weg seiner Vorgänger fort. Hätten die Nazis die moderne Kunst geduldet, wären sie in Widerspruch zum Nationalismus geraten, auf den sie sich stützten. Ein Brief Emil Noldes an Goebbels zeigt, daß sie in dieser Hinsicht wenig Mitleid hatten, auch nicht mit ihren eigenen Anhängern: „Auch bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Minister, die gegen mich erfolgte Diffamierung aufheben zu wollen. Ich empfinde diese als besondere Härte und auch besonders, weil ich vor Beginn der Nationalsozialistischen Bewegung als fast einzigster deutscher Künstler in offenem Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst, gegen das unsaubere Kunsthändlertum und gegen die Machenschaften der Liebermann- und Cassiererzeit gekämpft habe, ein Kampf gegen eine 71

große Übermacht, der mir jahrzehntelange materielle Not und Nachteile brachte. Als der Nationalsozialismus auch gegen mich und meine Kunst die Benennungen .entartet' und .dekadent' prägte, empfand ich dies sehr als Verkennung, denn es ist nicht so, meine Kunst ist deutsch, stark, herb und innig."130 Emil Nolde, der ja seine Treue zum Nationalsozialismus oft bekundete und der in diesem Brief, trotz seiner üblen Erfahrungen, seine Verbundenheit mit dessen Auffassungen bekräftigte, erhielt nichtsdestoweniger 1941 Malverbot. Er, der bereits seit 1920 Mitglied der Nazipartei war, wurde - nur etwas später - genauso diffamiert wie die Vertreter der „jüdischen Kunst" und des „Kulturbolschewismus". Dieser „Zersetzer der nationalen Formen" hatte offensichtlich das Programm der Partei, der eer beigetreten war, schlecht gelesen, oder er hatte vielleicht die Hintergründigkeit eines Abschnittes in diesem Programm nicht begriffen, in dem die Verurteilung aller Kunstrichtungen gefordert wurde, die einen verderblichen Einfluß auf das Leben der Nation ausübten. Die Abhandlungen der Professoren Adolf Ziegler und Schultze-Naumburg und die von ihnen vorgeschlagenen Modelle konnten jedoch bereits lange vor 1933 keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, auf welche praktische Politik das hinauslaufen würde. Es genügte überdies, die Reden Adolf Hitlers zu hören. „Deutsch sein, heißt klar sein"131, verkündete er z. B. auf dem Parteitag der NSDAP von 1934, und das bedeutete, für jeden verständlich zu sein und auf alle zu wirken. Die Schriftsteller und Künstler, die wissen sollten, daß Genies tiefe und erleuchtete Gedanken in anschaulicher Verkürzung auszudrücken pflegen, hätten sich diese wenigen Worte nur genau merken müssen, denn die zu beachtenden ästhetischen Normen waren darin im wesentlichen definiert.

Was ist schön? Es fällt auf, daß die Nazis kein Standardwerk über Ästhetik herausgegeben haben. Um ihre Auffassungen über die verschiedenen Kategorien des Schönen zu erfahren, muß man ihre Reden durchforsten oder in den allgemeinen Abhandlungen über nationalsozialistische Weltanschauung suchen. Ästhetik im Sinne von Untersuchung künstlerischer Strukturen interessierte sie nämlich nicht.132 Fritz Heike schreibt im Völkischen Beobachter vom 5. Juni 1935: „Es sind nicht 72

Fragen der Ästhetik, die uns bewegen, wenn wir heute von deutscher Dichtung sprechen. Ein Kampf um Formen, auf welch geistiger Ebene er auch geführt würde, vermöchte uns nicht zu begeistern. Wo Schicksalsfragen der Nation die Stunde beherrschen, da ist für Streitigkeiten literarischer Teezirkel kein Raum." 133 Das ist kein Einzelstandpunkt. Die Nazis lehnen den Intellektualismus ab, und die formalen Mittel spielen für sie nur in dem Maße eine Rolle, wie sie einen Zweck erfüllen: „Nationalsozialistische Ästhetik? Diese Wortzusammenstellung wird sicher zunächst einiges Unbehagen hervorrufen, denn der Begriff des Ästhetischen ist für uns mit der Vorstellung von etwas Angekränkeltem, Unmännlichem, Verweichlichtem verbunden. Man empfindet weithin das Wort ästhetisch als den denkbar schärfsten Gegensatz etwa zu kämpferisch, männlich, hart. Die Vorstellungsbilder, die der Klang des Wortes Ästhetik bei den einzelnen hervorruft, mögen verschieden sein. Immer aber werden wir im Geiste sofort eine Abwehrstellung einnehmen."134 Diese Haltung gegen die Ästhetik wird mit scheinbar mehr wissenschaftlichen Argumenten bei Robert Scholz begründet, der einer der „Kulturexperten" des Naziregimes war und die Zeitschriften Die Völkische Kunst und Die Kunst im Dritten Reich leitete: „Ästhetik ist in unserer neuen Auffassung nicht etwa, was als nachträgliche Regel aus dem individuell geschaffenen Kunstwerk herausgezogen werden könnte, nicht eine Erkenntnis, welche aus der psychologischen Reflektion des Beschauens gewonnen wird, nicht ein subjektiver und zeitgebundener Wert, sondern ein Glaube und eine Zielsetzung, die ihre Gewißheit aus der außerästhetischen Sphäre der Weltanschauung bezieht."135 Anders ausgedrückt: Die ästhetischen Kriterien werden weder vom Produzenten der Kunstwerke, noch vom Rezipienten her entwickelt. „Genialität" und „Geschmack" sind auf kollektive Faktoren bezogen, die außerhalb der künstlerischen Produktion existieren. Es gibt keine Ästhetik der künstlerischen Formen. In seiner Form schön ist das, was durch die „Volksseele" als schön empfunden und von ihr akzeptiert wird. Das einzige Kriterium ist hier der „Volksbrauch". Die Nazis behaupten, daß ihre ästhetischen Auffassungen denen des Volkes entsprechen. Nun hatte die kulturelle Unterjochung der Massen durch die Monopole - jene Verdummung, die schon immer die Praxis der herrschenden Klassen war - zur massenhaften Verbreitung der Pseudokunst geführt, was durch neue Reproduktionsverfahren und durch Serienfertigung von Farbdrucken von Land73

Schäften, Porträts und ländlichen Szenen ermöglicht und begünstigt wurde. 136 Gleichzeitig erfolgte bereits vor der Machtergreifung der Nazis Rosenbergs Kampagne, durch die die moderne Kunst in den Augen der Massen als „entartet" dargestellt wurde. Die damit verbundene Fetischisierung der durch Gewohnheiten fest verankerten herkömmlichen Formen galt als Aufforderung, den ganzen Schund und Kitsch, der sich im Volk breitgemacht hatte und ihm auch direkt zugänglich war, als Vorbild zu nehmen: die Postkartenmalerei, Volkslieder, Kalendergeschichten usw. Goebbels bediente sich dieser demagogischen Argumentation in einem Brief an Wilhelm Furtwängler, den der Lokal-Anzeiger vom 11. April 1933 veröffentlichte: „Die Kunst soll nicht nur gut sein, sie muß auch volksmäßig bedingt erscheinen oder, besser gesagt, lediglich eine Kunst, die aus dem vollen Volkstum selbst schöpft, kann am Ende gut sein und dem Volke, für das sie geschaffen wird, etwas bedeuten. Kunst im absoluten Sinne, so wie der liberale Demokratismus sie kennt, darf es nicht geben." Die Nazis interessiert die künstlerische Form nur als Mittel, das sie benutzen, um an die Gefühle und Wünsche der Massen heranzukommen und sie dadurch besser zu beherrschen. Daher rührt auch der Versuch, die großen Dichter der Vergangenheit zu verfälschen: Schiller, Büchner, Hölderlin werden so zu Vorläufern des Nationalsozialismus.137 Um die Teile der Arbeiterklasse anzulocken, in denen die Traditionen der Sozialdemokratie lebendig waren, unterstützen die Nazis eine Literatur, in der die Arbeitswelt heroisiert wird und die sich formal der Bilder und des Vokabulars der sozialistischen Literatur bedient. Ein typisches Beispiel hierfür sind die Märsche der Hitlerjugend und der SA, wo oft die Melodien der alten Arbeiteroder Kampflieder übernommen und mit einem neuen Text versehen wurden. 138 Wenn aber der Begriff des Schönen im wesentlichen von den ästhetischen Kategorien unabhängig ist, auf welche Werte führen die Nazis ihn dann zurück? Ihre Theoretiker hämmern es immer wieder ein: auf sogenannte biologische Werte. Alfred Rosenberg liefert uns den Schlüssel zu ihrem Konzept, wenn er erklärt: Die nationalsozialistische Weltanschauung gründe sich auf die Überzeugung, daß Blut und Boden das Wesen der deutschen Volksgemeinschaft bestimmen, daher müsse sich die gesamte Ästhetik und Kulturpolitik aus diesen beiden Elementen entwickeln. Der Begriff „Blut" steht für „Rasse". Nur wer biologisch der „Volksgemeinschaft" angehöre, d. h. der „Arier", könne den Anspruch erheben, deutsche Kunst zu schaffen. 74

Der wahre Künstler finde nämlich den natürlichen Quell seiner Inspiration nur in einer mystischen Vereinigung mit seinem Volk. Hitler definierte dieses Grundprinzip 1936 auf dem 8. Parteitag der N S D A P , als er erklärte, kein menschliches Wesen könne enge Beziehungen zu einer Kulturleistung haben, die sich nicht auf die charakteristischen Merkmale seiner eigenen Herkunft gründe. Der Begriff „Boden" drückt die Verbundenheit mit der E r d e der Vorfahren und mit ihrem Glauben aus. Um ein echter Deutscher zu sein, genüge es also nicht, gewisse Rassenmerkmale zu besitzen, man müsse sich auch die Vergangenheit angeeignet haben und mit deutscher E r d e verwachsen sein. Diese biologischen Werte projezieren die Nazis auf das Modell der griechischen Kunst. Rosenberg sieht in der hellenischen Zivilisation einen Aspekt des „nordischen Menschen". Im GriechenlandMythos Hitlers wird eine Zivilisation konstituiert, die die Vorherrschaft der „weißen Rasse" über die Barbaren etablierte. In diesem Denkmodell erscheint die griechische Tradition als Atem eines ganzen Volkes, das seinen gemeinsamen Glauben, seine gemeinsamen Freuden und seine kriegerischen Werte hatte. Der griechische Klassizismus ist in seiner Form deshalb nachahmenswert, weil er dem biologistischen Konzept entgegenkommt, denn seine ästhetischen Normen entsprechen genau der Harmonie des menschlichen Körpers. D i e griechische Kunst wird als Abbild des „nordischen Menschen" gedeutet. Ihre Schlichtheit, ihre klaren Linien entsprächen vollkommen der angestrebten Wirkung. In ihrer Darstellung des Menschen, ob Mann oder Frau, finde man die „absolute Richtigkeit" in der Gestaltung der wesentlichen Lebensfunktionen: „ D a s Bild des Mannes ist genauso Ausdruck höchster männlicher Kraft und damit seinem Wesen und seiner von der Natur gewollten Bestimmung nach richtig, als das Bild der Frau die Lebensreife und ihrem höchsten Zweck geweihte Mutter verherrlicht. In dieser richtig gesehenen und wiedergegebenen Zweckmäßigkeit liegt ein letzter Maßstab für die Schönheit." 139 Aus dieser biologisch begründeten Konzeption ergibt sich auch das Gegen- und Feindbild: Wer nicht der arischen Rasse angehört und somit nicht fähig ist, die Nöte und die Sehnsüchte der Volksgemeinschaft zu verspüren, der zersetzt die deutsche Kunst. Seine Werke tragen zum Sittenverfall bei. 140 In der ersten Rede, die er als Staatsmann der Kunst widmete, hob Hitler hervor: Was den Künstler auszeichne, sei die ihm von der Vorsehung verliehene Berufung, die „Seele eines Volkes" auszu75

drücken. Man müsse das „gesunde Volksempfinden" rühmen. Drei Jahre später wiederholt er: Das Schönheitsideal der Deutschen muß das Gesunde sein!

Ein Künstler neuen Typs So wird zwangsläufig eine neue Definition des „Künstlers" lanciert. Die künstlerische Persönlichkeit soll nicht mehr ihre individuelle Erfahrung ausdrücken. Alfred Rosenberg begründet das: „Wir empfinden heute die echte Persönlichkeit nicht mehr als gleichgesetzt mit dem autonomen Ich oder mit dem wirtschaftlichen Individualismus, sondern gerade als das Symbol der tiefsten Bindung an eine bestimmte Bluts- und Seelengemeinschaft einer Nation." Die Leidenschaft, die ein Werk entstehen läßt, erscheint als spontane Eingebung, die aus der tiefen Gemeinschaft mit dem Volk hervorgeht. Demzufolge ergibt sich auch das ästhetische Vergnügen bei der Rezeption aus dieser Rückkehr zu den Ursprüngen. Rosenberg fordert dazu auf, die von den Germanen bzw. von den Ariern herrührenden schöpferischen Kräfte wiederzufinden.141 In der faschistischen Gesellschaft wird dem Künstler als Beauftragtem der Machthaber eine bedeutende Rolle zuerteilt. Alles in sich unterdrückend, was rein individuellen Eingebungen entspricht, soll er mit seiner Arbeit der Volksgemeinschaft dienen. Er muß die Aufgaben, die ihm der Staat zuweist, in zweifacher Hinsicht erfüllen, nämlich als Staatsbürger und als schöpferisch Tätiger. Die einzige urteilende Instanz für die geleistete Arbeit ist die Volksgemeinschaft. Als Künstler hat er keinerlei Sonderrechte, da der Künstler ein Bürger wie jeder andere ist. Goebbels legte Wert auf die Feststellung, daß es in der Kunst keine andere Freiheit gibt als die, den politischen Grundsätzen zu gehorchen. Das heißt im Klartext, daß der Künstler sich dem Staat als der Verkörperung der Volksgemeinschaft unterwerfen muß. Die Kunst wird somit zu einem Propagandainstrument, das der Willkür der politischen Macht unterliegt. In Mein Kampf hatte Hitler bereits die Richtung einer derartig umfunktionierten Ästhetik vorgezeichnet. Er hatte verkündet, daß aus dem Theater, den bildenden Künsten, der Literatur, dem Filmwesen, der Presse alle Erzeugnisse liquidiert werden würden, die für ihn aus einer verrotteten Welt stammten: Sie würden durch eine dem Staat und der Moral dienen76

den Kunst ersetzt werden. An die Macht gekommen, umreißt er seine Absichten im Reichstag am 23. März 1933. E r erklärte, daß die Regierung eine vollständige Säuberung der Gesellschaft vornehmen werde, damit Blut und Rasse wieder Quell der künstlerischen Eingebung würden. Die „Sendung" des Dritten Reichs bestehe darin, eine Veränderung in den Köpfen zu bewirken. Bei der Grundsteinlegung des Hauses der Deutschen Kunst im Oktober 1933 sagte er: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wenn wir die Wiederaufrichtung unseres Volkes als Aufgabe unserer Zeit und unseres Lebens empfinden, sehen wir vor uns nicht nur die leidende Wirtschaft, sondern ebenso die bedrohte Kultur, nicht nur die Not des Leibes, sondern nicht weniger die Not der Seele, und wir können uns keinen Wiederaufstieg des deutschen Volkes denken, wenn nicht wieder ersteht auch die deutsche Kultur, und vor allem die deutsche Kunst." 142 Welchem Ziel müssen die Künstler nunmehr dienen? Ihre grundsätzliche Aufgabe sollte es sein, an der Schaffung der Volksgemeinschaft mitzuwirken. Die Deutschen sollten sich durch eine organische Glaubens- und Kulturgemeinschaft vereint fühlen. Diese Gemeinschaft, die politisch angeblich durch den Nationalsozialismus repräsentiert wird, muß auch künstlerisch Gestalt annehmen. Daher werden die Aufgaben der Kultur der Initiative und der Verantwortung des Künstler-Individuums entzogen. Es sei notwendig, sagen die Nazis immer wieder, daß alle Bereiche des künstlerischen Lebens zentral geleitet würden und daß die Kunst, die ausschließlich im Dienst des Staates stehe, umfassend die nationalsozialistische Weltanschauung widerspiegele. Das gesamte Kulturschaffen wird also in das hinter den gepriesenen moralischen Werten stehende Gesellschaftskonzept einfunktioniert: Patriotismus, Heldentum, Gehorsam, Liebe zum eigenen Volk, zur Arbeit, zum Führer und zum Krieg. Das Leben der Nation soll davon bis in die alltäglichsten Verrichtungen hinein geprägt sein. Literatur, Malerei, Architektur dienen dazu, das große Gebäude des nationalsozialistischen Deutschland harmonisch zu gestalten. Ein ganz besonderer Platz wird dabei der Architektur zugewiesen. Die Kasernen sollen sauber, luftig, einladend und zur Natur geöffnet sein, alles dient der Gesundheit des deutschen Soldaten. Die Fabriken sollen die Schönheit der Arbeit und die Freude des Arbeiters ausdrücken. In einer Rede am 3. Juni 1939 rühmte Alfred Rosenberg das bisher Erreichte: „Das Amt Schönheit der Arbeit hat alles getan, um nach und nach das Gerümpel aus den alten schmutzigen Fabriken 77

hinwegzufegen, und das Gesetz des National-Sozialismus fordert heute, daß, wo irgend nur die Möglichkeit besteht, auch die neuen zu errichtenden Werke von Natur und Licht umgeben sind." 143 Wie ein Rundschreiben der Nazipartei unterstreicht, müsse die materielle Umsetzung und Gestaltung absolut mit den ideologischen Bestrebungen des Dritten Reichs übereinstimmen: „Die Grundhaltung des neuen Stiles wird bestimmt durch die heroische Grundhaltung der nationalsozialistischen Weltanschauung. Einfachheit und Geradheit der Gesinnung fordern auch einen einfachen und geraden baulichen Ausdruck. Der organischen Gliederung und dem straffen Zug der Kolonnen entspricht die organische und straffe Ordnung des Grundrisses und des Aufbaus." 144 Als Oberster Richter in Sachen Kunst und Ästhetik wird der Führer, die vollkommene Verkörperung der „Volksgemeinschaft", hingestellt. Laut Nazimythologie erkennt sich das Volk in ihm wieder, er ist sein Erlöser. Die Gestalt des Führers ist das Banner, das den wahren deutschen Geist vorwärts führt. Es kam übrigens nur wenigen in den Sinn, an Hitlers Befähigung für dieses hohe Amt zu zweifeln. 145 Den Futurismus und den Kubismus will er als Mann vom Fach, als einer, der selbst Künstler ist, verurteilt haben. E r soll, wie Konrad Heiden in seinem Buch Adolf Hitler, eine Biographie berichtet, gesagt haben: „Hätte Deutschland nicht den Krieg verloren, wäre ich nicht Politiker geworden, sondern ein großer Baumeister, so etwas wie ein Michelangelo."

Gesetzlich verordnete Muster Unter den westlichen Historikern, Kommentatoren und Memoirenschreibern, die sich mit dem deutschen Faschismus beschäftigen, gibt es die Tendenz, jene Widersprüche hervorzuheben, die im Führungskern des Dritten Reiches aufgetreten sein könnten. In bezug auf das Kunstschaffen wird sogar behauptet, die moderne Kunst hätte ihren Platz in Deutschland behalten können, wenn Goebbels allein dafür verantwortlich gewesen wäre. Das gelte auch für Baidur von Schirach, der sogar noch aufgeschlossener als Goebbels gewesen sei,146 was seine Bemühungen bei der Organisierung von Ausstellungen in Wien beweisen würden. Und was Göring betrifft, so sei seine Liebe zum Theater und zur guten Malerei allgemein bekannt gewesen. Blieben nur Hitler und Rosenberg, die in Wahrheit für die gesamte Kulturpolitik der Nazis verantwortlich zu machen seien. 78

Sicherlich mangelte es im Dritten Reich nicht an Widersprüchen, und man sollte sie beachten. Aber eine derart einseitige These führt vor allem dazu, Hitler als den Alleinschuldigen hinzustellen. Hitler wäre dann nur noch eine mephistophelische Gestalt, ein Wahnsinniger und ein Verbrecher, der Deutschland verführt und in seinen Untergang getrieben hat. Damit gerät jedoch der Faschismus als System völlig aus dem Blickfeld. Noch schlimmer, er wird rehabilitiert, wobei gleichzeitig der heutigen Welt suggeriert wird, mit Goebbels oder Baidur von Schirach wäre es möglich gewesen, einen „guten" Faschismus zu machen. Und dainn begegnet man wieder dem Hinweis auf das - wie wir gezeigt haben, verfälschte - Beispiel von Mussolini und dem Futurismus. In Wirklichkeit aber hat das Dritte Reich bis zu seiner Niederschlagung existiert, ohne daß einer seiner Führer ausgeschert wäre. Ob man das nun mit den einzelnen persönlichen Ambitionen, mit ihrer gemeinsamen politischen Überzeugung, die stärker war als die Widersprüche, oder mit Einmütigkeit in den grundlegenden Ansichten trotz gelegentlicher Opposition erklärt, ist in diesem Fall von zweitrangiger Bedeutung. Der deutsche Faschismus hat als reaktionäres System ausgezeichnet funktioniert. Bei dieser oberflächlichen Betrachtung der Dinge werden mindestens zwei Faktoren nicht berücksichtigt: einerseits die Gründung der Nazipartei und ihre vor 1933 entwickelten Konzeptionen, die keinen Zweifel darüber aufkommen ließen, welche Maßnahmen die N S D A P im Falle ihres Machtantritts ergreifen würde; andererseits die Berührungspunkte dieser Kulturpolitik mit den in Deutschland verbreiteten ästhetischen Konventionen. Als der französische Schriftsteller Saint-Exupéry mit eigenen Augen sehen wollte, was Faschismus ist, unternahm er 1939 eine Autoreise nach Deutschland und schrieb in sein Notizbuch folgende Bemerkung, die die kulturpolitische Praxis der Nazis auf einen Nenner bringt: „Man läßt die Ruhrarbeiter an einem Van Gogh, einem Cézanne und einem Farbdruck vorbeimarschieren. Sie wählen natürlich den Druck. Man sperrt die Kandidaten Cézanne, Van Gogh, alle großen Nonkonformisten in ein Konzentrationslager und versorgt eine willfährige Viehherde mit Farbdrucken." 1 4 7 D a ß die von den Nazis bevorzugte Kunst die Funktion hatte, ideologische Themen zu illustrieren, ist etwas Alltägliches und sogar Selbstverständliches, da sie ja ein Bestandteil des Manipulierungsmechanismus war. Schon beim flüchtigen Hinschauen sollte man die 79

Bilder unmißverständlich deuten können. Erst nach dem Untergang des Dritten Reichs war manchmal der Sinn nicht mehr zu entschlüsseln - ein Beweis dafür, daß die Deutung auf den Zusammenhang mit der inneren Logik und den Argumentationslinien der Nazipolitik angewiesen ist. So kam es vor, daß absolut dasselbe Thema unter Umständen im Verlauf weniger Jahre völlig anders dargestellt wurde, weil sich die politische Taktik geändert hatte. 148 Die Darstellungsweise, lediglich Mittel zur Unterjochung, war ständig von durch Propaganda determinierten Umständen abhängig. Sie wurde benutzt, um zur Mystifizierung beizutragen. Wichtiger ist die Feststellung, daß sich der deutsche Faschismus auf einen eingeschliffenen Formenkanon stützt. In seiner Rede zur Einweihung des Hauses der Deutschen Kunst im Jahr 1937 erklärt Hitler, der Nationalsozialismus könne nur gutheißen, was „dauerhaft", „ewig" sei. Es wird also nur das akzeptiert, was ohne Umschweife in die herrschenden Geschmackskonventionen einfunktioniert werden kann, was tot ist und keine Widersprüche mehr hervorruft, was nicht mehr viele Menschen anstößig finden und was scheinbar zum „Volksgut" gehört. Anders ausgedrückt: Die einzig lebende Kunst war für die Nazis eigentlich die bereits tote Kunst, die nicht mehr gemacht, nicht mehr erfunden werden mußte, die zurückliegende, die nur kopiert zu werden brauchte. Der von Hitler öffentlich verkündete Richtwert waren der bürgerliche Pseudorealismus und die pompöse Kunst des 19. Jahrhunderts, deren Muster nach einem akademischen Kodex sklavisch nachgeahmt wurden. Jede formale Neuerung drohte nämlich, die künstlich errichtete Homogenität dieser „Kultur" zu sprengen - einer solchen Demagogie erlagen die Deutschen um so eher, als sie ihnen das Fragen und das Denken ersparte. In der offiziellen Malerei Nazideutschlands tauchen formal alle Varianten der thematischen Malerei, der Genremalerei auf: Landschaften, Jagdszenen, Madonnen, Haustiere, Bauern bei der Arbeit, Akte, Porträts. Wie in der pompösen Kunst des 19. Jahrhunderts ist die Darstellung allegorisch, mythologisch, symbolisch (Akte, Porträts) oder von einem künstlichen und platten fotografischen Realismus geprägt (ländliche Szenen). Fritz Alexander Kauffmann, der 1941 in einer Propagandabroschüre diese Themen aufführte, fand das Schlagwort, das ihre formale Technik bezeichnen sollte: Klassizismus. Albert Speer schreibt 1942 Ähnliches in seinem Vorwort zu einem Werk über die neue Plastik: „Die bildende Kunst unserer Tage hat

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zurückgefunden zu klassischer Einfachheit und Natürlichkeit und damit zum Wahren und Schönen." 149 Wenn man sie in ihren großen Zügen betrachtet, ist die Ästhetik im Dritten Reich alles andere als unlogisch oder einer anarchischen Entwicklung unterworfen, wie so oft behauptet wird. Sie erscheint im Gegenteil als Bestandteil eines Gesamtsystems. Auch die Gesellschaft sollte in Deutschland nach dem Wunsch der Naziführer ein „Kunstwerk" werden. Auf ihre Art sind sie Ästhetizisten, 150 und sie nähern sich übrigens einer der Grundthesen des Fin-de-siecle-Ästhetizismus, die besagt, das Kunstwerk solle nicht das Leben widerspiegeln, sondern das Leben müsse ein Kunstwerk werden. Insofern erstaunt es nicht, wenn sich in Europa einige dem Ästhetizismus verpflichtete Intellektuelle in den Dienst des Faschismus stellten. Ideologisch vereint diese Ästhetik alle politischen Grundlinien des deutschen Imperialismus: den Pangermanismus, den Rassismus, den autoritären Zentralismus, die Demagogie von der Aufhebung der sozialen Klassen. Technisch erfordert sie nur noch handwerkliches Können, ein berufliches Geschick, da das Wesentliche nicht das Schöpfertum, sondern die Reproduktion ist. Diese Ästhetik diente dem Ziel, sowohl durch die Themen als auch durch die Form die Nation einer Ordnung zu unterwerfen, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufrecht erhält. Indem er sich gegen den Marxismus oder auch „jüdischen Bolschewismus" und gegen die Demokratie richtet und auf ein „goldenes Zeitalter" zurückblickt, in dem alle sozialen Widersprüche scheinbar ausgelöscht waren, lehnt der Faschismus zunächst alles ab, was nach dem ersten Weltkrieg in den Kämpfen der Weimarer Republik entstanden war. Laut Hitler hat die Weimarer Republik das Kulturleben in einem solchen Maße zersetzt, daß das Land schließlich nicht mehr regierbar war. Allein die Diktatur realisiere den Einklang von Kunst und Kultur mit den Wünschen der Gemeinschaft. D a der deutsche Faschismus prinzipiell alle demokratischen Freiheiten negierte, konnte er natürlich auch die künstlerische Freiheit nicht dulden. Um seine politischen Konzeptionen durchzusetzen, hat er auf kulturellem Gebiet nicht nur die Kunst im Dienst seiner Propaganda gefördert, sondern auch durch politische Maßnahmen die schöpferische Entfaltung der Kunst verhindert. Diese Maßnahmen sind Bestandteil einer umfangreichen Reorganisation, mit der hauptsächlich Goebbels beauftragt war. Von Verbot zu Verbot, von Verfügung zu Verfügung, von Kundgebung zu Kundgebung setzten die 6

Faschismus

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Nazis schließlich eine Kunst durch, die nahezu gänzlich ihrer Politik unterworfen war. Diejenigen, die sich damit nicht abfinden wollten, mußten schweigen oder im Exil weiterkämpfen. Die anderen - durchaus nicht nur Mittelmäßige - sangen den unsterblichen Ruhm des genialen Führers und seiner Ideen und ernteten Belohnungen und Ehre für ihre Unterwürfigkeit.

Der Phönix des neuen Geistes

Die Persönlichkeiten bzw. Strömungen, die mit ihren Theorien die Kulturpolitik eines neuen Reiches vorwegnahmen, fanden bei vielen deutschen Intellektuellen einen gewissen Anklang. Aber vor 1933 waren der praktischen Umsetzung dieser Theorien bestimmte Grenzen gesetzt. Der Kreis um Adolf Bartels und der Kampfbund für Deutsche Kultur hatten vorher nur einen sporadischen Einfluß auf die Entwicklung von Kunst und Literatur ausüben können. Als Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde, stand ihm dagegen der Justizapparat zur Verfügung, mit dem das frühere Experiment des Frick-Ministeriums in Thüringen auf ganz Deutschland ausgedehnt werden konnte. Vom 1. Februar 1933 an, als er den Reichstag auflöste, erklärte Hitler, er wolle die geistige Einheit des deutschen Volkes auf den alten - von der Weimarer Republik korrumpierten - Werten wiederherstellen, auf dem Christentum, der Familie, der Ehrfurcht vor der großen deutschen Vergangenheit, dem Stolz auf die Traditionen. Das waren gemäßigte Worte, deren wahrer Sinn erst später, etwa in der nationalsozialistischen Politik gegen die Kirchen, deutlicher werden sollte. Die Umstände erforderten zunächst eine gewisse Zurückhaltung, Hitler stand zu dieser Zeit nur einem Kabinett der nationalen Einheit 151 vor. Aber schon damals war hinter dieser rudimentären und aggressiven Sprache der Terror erkennbar, einer Sprache, in der alle Begriffe verwechselt wurden, wie bei einem schlechten Schüler, der Worte auf gut Glück gebraucht, ohne wirklich ihren Sinn zu verstehen. Deutschland, verkündete der neue Kanzler, dürfe nicht im „anarchistischen Kommunismus" versinken, und die Regierung mache sich deshalb zur Aufgabe, „der geistigen, politischen und kulturellen Nihilisierung einen unbarmherzigen Krieg anzusagen"! Die Absicht, das Leben einer Nation demagogisch in veraltete Klischees zu pressen, war nicht ohne konkrete Maßnahmen zu reali6«

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sieren. Die Naziführer verkündeten lautstark, daß die Zeit gekommen sei, ihre ideologischen Ziele in die Tat umzusetzen. Die Regierung Hitler hatte kaum ihr Amt angetreten, als Rosenberg das Feuer eröffnete. Im Völkischen Beobachter vom 2. Februar 1933 forderte er die Säuberung des geistigen Lebens, die Verurteilung aller „Verräter und Verbrecher", die mit der Republik gemeinsame Sache gemacht hätten. Gegen die Kommunisten und die Juden, gegen die Demokraten, gegen die Schriftsteller und Künstler der Linken, bzw. alle die, deren ästhetische Auffassungen als „jüdisch-marxistisch" abgestempelt wurden, begann die Gleichschaltung152.

Auf dem Weg %um legalen Terror Die einzige Organisation, auf die sich die Nazis damals stützen konnten, um Literatur und Künste gleichzuschalten, war der Kampfbund für Deutsche Kultur. Auf ihn setzte Rosenberg, während Hitler und Goebbels über die Ergebnisse seiner Tätigkeit nicht sehr günstig urteilten. Neben anderen Einwänden machten sie geltend, daß dieser Bund zu wenig Einfluß bei den Massen habe und in zu starkem Maße eine minoritäre nationalistische Elite vertrete. Die Reichspropagandaleitung der NSDAP, die seit 1928 Goebbels anvertraut war, hatte wohl Zweigstellen im ganzen Land, doch lag der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in der politischen Agitation. Außerdem gab es bisher keine staatliche Behörde, die das gesamte deutsche Kulturleben erfaßte. Auch das traditionelle Volksbildungsministerium konnte das nicht, denn die innere Verwaltung Deutschlands beruhte noch auf einem föderalistischen System. Die föderativen Staaten hatten Vorrechte gegenüber der Zentralregierung. Die größten Schwierigkeiten ergaben sich aus der Vormachtstellung des preußischen Staates, die zu Widersprüchen zwischen der preußischen und der deutschen Politik führte. Da bis Anfang Februar 1933 in den staatlichen Strukturen nichts grundlegend verändert wurde, ergab sich auf dem Gebiet der Kultur eher ein Wirrwarr in der Abgrenzung der Zuständigkeiten als eine festgelegte Linie. Trotz einiger Nuancen in den Auffassungen und trotz taktischer Differenzen waren für die Nazis allerdings die Grundzüge der zu treffenden Maßnahmen und ihre brutale Verwirklichung überhaupt kein Diskussionsgegenstand: Es mußte zunächst „entjudet", „entbolschewisiert" werden, und es mußten rassische Kri84

terien als verbindlich durchgesetzt werden. Doch die Verbote und Ausschlüsse, die normalerweise von jedem föderativen Staat für die ihm unterstehenden Institutionen beschlossen wurden, erfolgten auf Grund der unterschiedlichsten Ursachen: private Denunziationsbriefe, Eingreifen der SA, Druck von örtlichen Organisationen, öffentliche Verketzerung durch den Kampfbund, Kundgebungen oder physische Gewaltanwendung. Rassengesetze, auf die man sich berufen konnte, gab es noch nicht, daher erfand man Vorwände. Die Lage war ziemlich verworren, weil nicht alle Verwaltungsund Polizeibeamten Nazis waren und weil selbst die hohen Nazifunktionäre es vorläufig vorzogen, sich hinter der Fassade der Legalität zu verschanzen, um die gerade errungenen Machtpositionen erst einmal zu stabilisieren. Viele haben damals in Deutschland und im Ausland den demagogischen Versprechungen der Hitler-Regierung geglaubt, an Hitlers Absicht, Deutschland aus der Krise herauszuführen, an seine Friedensbeteuerungen. Die Nazipartei täuschte vor, eine verantwortungsbewußte Bewegung zu sein, und Hitler gab sich wie ein besonnener Staatsmann. Mit Ausnahme der K P D , gegen die sich der Hauptstoß richtete, existierten andere Oppositionskräfte zunächst auch noch legal. Bei denen, die sich Demokraten oder Liberale nannten, waren allerdings diese Illusionen kaum zu entschuldigen.153 Mit dem Einzug Hitlers in die Reichskanzlei begann der Faschismus sein Werk. Sicher war es nicht möglich, die Massenvernichtung der Juden vorauszusehen. Und es ist zu verstehen, wenn nicht alle sofort begriffen haben, daß der Weg der Nazis direkt in den Krieg führte. 154 Aber die Doktrin und die Praxis des Faschismus waren bekannt. Die Deutschen erlebten seine Art zu regieren in den ersten Monaten des Jahres 1933. Das Gegenteil behaupten zu wollen, ist historischer Betrug, der lediglich Versagen und Feigheit, Kompromittierung und Kapitulation rechtfertigen soll. Eine erste Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes wurde am 4. Februar 1933 erlassen.155 Sie ermächtigte den Innenminister, alle Schriften, die unwahre Informationen verbreiten, zu verbieten. Natürlich hatten allein die Behörden zu bestimmen, was unwahr ist. Die Journalistenverbände protestierten mit Ausnahme der nationalsozialistischen, die diese Maßnahme als im Sinne einer nationalen Erneuerung begrüßten. Der Protest war vergeblich. Am 15. Februar 1933 stellte Goebbels mit Genugtuung fest, daß die Zeitungen, die in der Weimarer Republik der Nazibe85

wegung so sehr geschadet hatten, jetzt aus dem Straßenbild verschwunden seien.156 Eine andere Notverordnung Zum Schutze von Volk und Staat ging noch weiter.157 Diese neue Maßnahme erfolgte am Morgen nach dem Reichstagsbrand. Im Zusammenhang damit wurden über zehntausend Menschen ins Gefängnis geworfen. Drei Verordnungen und ihre Ergänzungen ermöglichten es, die Verhaftungen zu rechtfertigen und die Diktatur zu errichten. Unter Berufung auf den Artikel 48 der Weimarer Verfassung nahm die Regierung das Recht für sich in Anspruch, die Grundrechte und besonders das Recht auf Pressefreiheit außer Kraft zu setzen. Mit der erzwungenen Legalisierung des politischen Terrors ging die Maßregelung der Kultur einher. Denn der Reichstagsbrand, der von den Nazis angezettelt worden war, um ihre Gegner unter dem Vorwand eines Komplotts gegen den Staat auszuschalten und zur Alleinherrschaft zu kommen, war das Signal für eine perfekt organisierte Verfolgungskampagne. Das Versammlungsrecht wurde aufgehoben. Haussuchungen wurden legal. Die gesamte kommunistische Presse und ein Teil der von den Sozialdemokraten herausgegebenen Zeitungen wurden verboten. Die Druckereien der Kommunistischen Partei und der Arbeiterorganisationen wurden von den Nazis besetzt. Die Listen der angeblich die Sicherheit des Staates gefährdenden Personen waren nicht von den Nazidienststellen, sondern bereits in der Weimarer Republik aufgestellt worden. Als Göring preußischer Innenminister wurde, fand er sie bereits fertig in den Archiven vor. Sie enthielten auch die Namen von Dutzenden von Schriftstellern. Viele sperrte man in Konzentrationslager ein, wo sie schwer mißhandelt wurden. Der schwerkranke Nobelpreisträger Carl von Ossietzky, der nur dank einer internationalen Kampagne in ein Krankenhaus überführt wurde (wo er allerdings weiterhin unter Beobachtung der Gestapo stand), verstarb kurz danach 1938 an den Folgen seiner Internierung. Erich Mühsam wurde an einem Junimorgen des Jahres 1934 im KZ Oranienburg tot aufgefunden, seine Peiniger hatten ihn in den Latrinen aufgehängt. Andere, wie Toller und Brecht, entkamen der Gestapo nur durch sofortige Emigration.

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Erste Anschläge auf die Institutionen Die Angriffe der Nazis richteten sich nicht allein gegen Individuen. Die Gleichschaltung setzte die Inbesitznahme und die grundlegende Umgestaltung der Institutionen voraus. Zunächst kamen jene an die Reihe, die den Nazis als Bastionen des Liberalismus der Weimarer Republik erschienen. Journalisten- und Schriftstellerverbände, Kunstschulen, Akademien und Museen erlebten eine Welle von Amtsenthebungen, Entlassungen von Persönlichkeiten, Umbildungen und Treuebekenntnissen zum neuen Regime. Der Kampf wurde sofort aufgenommen, der ganze Prozeß dauerte allerdings einige Zeit (z. B. wurde der Beschluß über die Schließung des Bauhauses offiziell erst im April 1933 gefaßt). Wilhelm Frick, nun Reichsinnenminister, leitete die „Säuberung" des Kulturlebens administrativ mit einem Stab von Beratern für kulturelle Angelegenheiten. Die Musikabteilung des Kampfbundes für Deutsche Kultur sorgte für die Entlassung aller jüdischen Dirigenten und für die Auflösung aller Musikvereine, die von Juden geleitet wurden. Außerdem wurden moderne Musik und Jazz heftig bekämpft. Am 10. Februar 1933 lobte der Völkische Beobachter das Auftreten des Komponisten Paul Graener, der während eines internen Schülervorspiels in der Berliner Hochschule für Musik die Anwesenden aufgefordert hatte, gegen das „undeutsche Gestammel" zu protestieren, das eine Zumutung für die Ohren sei. Der Vorsitzende des Kampfbundes, Hans Hinkel, war Staatskommissar im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung geworden und benutzte diese Gelegenheit, um die Ausrottung des „intellektuellen Bolschewismus" an allen musikpädagogischen Einrichtungen zu fordern. Darin fand er übrigens die Unterstützung seines Vorgesetzten Bernhard Rust, damals kommissarischer preußischer Kultusminister und bald darauf Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, der den gleichen Standpunkt gegenüber der Hochschule für Kunsterziehung vertrat. Noch im Februar wurde sie von einem Nazitrupp besetzt, was zu Schlägereien mit den Studenten führte. Wer auch immer die Schuld daran hatte, Rust war fest entschlossen, vor allem den „Kulturbolschewismus", der in dieser Schule angeblich herrschte, zu zerschlagen. Die nachfolgenden „Untersuchungen" stellten schließlich den schädlichen Einfluß einiger Professoren fest. Zwei von ihnen, Georg Tappert und Kurt Lahs, wurden von ihrem Lehramt entbunden. 87

Eine ähnliche „Säuberung" fand mit großem propagandistischem Aufwand in den Theatern statt, damit deutsche Kunst, wie der Kampfbund forderte, endlich von deutschen Künstlern ausgeübt würde. In Berlin standen die preußischen Staatstheater seit 1927 unter der Leitung von Heinz Tietjen, der 1931 auch Leiter der Bayreuther Festspiele gewesen war. E r wurde als nicht würdig befunden, einer echten deutschen Kultur zu dienen, da er auch jüdische Schauspieler engagiert und gefördert hatte. An seine Stelle trat Franz Ludwig Ulbrich, der sich als Intendant des Nationaltheaters Weimar durch die Aufführung eines Stückes von Mussolini hervorgetan hatte. 158 Künstlerischer Leiter wurde der frühere Expressionist Hanns Johst, der sich als überzeugter Nazi für ein nationales und politisches Theater aussprach. Ziel der umfassendsten Umbildung war die Preußische Akademie der Künste. 1696 vom Kurfürsten Friedrich III. gegründet, hatte sie zunächst dem Brandenburger Hof dazu gedient, die Künstler für seine Ausgestaltungsarbeiten zu stellen. Zum gleichen Zweck wurde ihr eine Kunstschule angeschlossen. Ein neuartiger Musikunterricht führte 1809 auf Anregung von Goethe zur Bildung einer speziellen Abteilung unter Leitung des mit ihm befreundeten Komponisten Zelter. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden ehrenhalber einige Schriftsteller in die Akademie aufgenommen. E s gab jedoch enorme Unterschiede zwischen der Wertschätzung von Dichtern und der von Malern im reaktionären Preußeen. Sosehr die Bildhauerkunst und die Malerei gebraucht und geehrt wurden, sosehr blieben der Literatur alle Ehren versagt. Erst nach 1918 entstand eine literarische Abteilung an der Akademie. Ihre offizielle Gründung als Deutsche Dichterakademie lag noch gar nicht lange zurück, ihre erste Sitzung hatte erst 1926 stattgefunden. Zu ihren ersten Mitgliedern gehörten Ludwig Fulda, Gerhart Hauptmann, Arno Holz, Thomas Mann. Bald waren es zweiunddreißig Schriftsteller, darunter eine Frau, Ricarda Huch. Sie wollten sich in einem Land, das lange Zeit die Literatur gering geschätzt hatte, für die öffentliche Anerkennung der literarischen Tätigkeit einsetzen. Ihr erster Präsident, Wilhelm von Scholz, hatte in seiner Eröffnungsrede ihrer aller Aufgabe definiert: Sie sollten alle geistigen Güter verteidigen und jeden Angriff auf die Freiheiten abwehren. In der Folgezeit wurde Wilhelm von Scholz seinen eigenen Erklärungen untreu und kapitulierte vor den Nazis. Aber die angeregten, gehaltvollen Diskussionen der neuen Mitglieder der Akademie zwi88

sehen 1926 und 1933 zeugen von ihrem Verantwortungsbewußtsein. Anläßlich des 200. Geburtstages von Lessing würdigte Thomas Mann im Januar 1929 den Verfasser von Nathan der Weise, indem er zeigte, daß der Kampf der Vernunft gegen die Unwissenheit, den dieser Streiter der Aufklärung begonnen hatte, bis in die Gegenwart hinein geführt wurde. 159 Bei Verkündung des Gesetzeserlasses vom August 1931 über die Einführung einer Zensur protestierte die Akademie gegen die Unterdrückung andersdenkender Schriftsteller. Ende 1932 verfaßte Heinrich Mann für seine Kollegen einen Bericht, der zu einer großen Diskussion führte. Er verlangte, daß die Methoden der Nationalisten auf dem Gebiet der Literaturkritik eindeutig verurteilt werden sollten und führte als jüngstes Beispiel ein Buch von Paul Fechter an. Das Verhalten der Akademiemitglieder war also alles andere als ein Rückzug in den Elfenbeinturm. Gewiß gab es in der Akademie auch Anhänger des Nationalsozialismus, sei es nur der Präsident aller Sektionen, der Komponist Max von Schillings. Doch die Sektion für Dichtkunst verkörperte in den Augen der Nazis vollkommen den Geist der Weimarer Republik, der sie ja ihr Entstehen verdankte. Der Faschismus hatte dort ideologisch nur eine sehr unsichere Position - und dies um so mehr, als sie seit 1931 von Heinrich Mann geleitet wurde, dem Verfechter einer Demokratie französischer Prägung.160 Als Heinrich Mann am 5. Februar 1933 gemeinsam mit Käthe Kollwitz einen Dringenden Appell zur Bildung einer linken Einheitsfront gegen den Faschismus unterschrieb, war der Vorwand zum Einschreiten gefunden. Dieser Appell war in Berlin während der Wahlkampagne zu den Reichstagswahlen im März als Plakat ausgehängt worden. Repressalien ließen nicht auf sich warten. Minister Rust verlangte von den zwei Unterzeichnern den Austritt aus der Akademie. Im Falle ihrer Weigerung sollte diese aufgelöst werden. Der Minister begründete seine Forderung mit der Behauptung, die Akademie müsse entsprechend ihren Satzungen unpolitisch sein. Mit ihrer Unterschrift unter eine öffentliche Erklärung hätten Heinrich Mann und Käthe Kollwitz - seiner Meinung nach - die ganze Akademie einbezogen. Die Argumentation war allzu fadenscheinig, doch um ihren Kollegen nicht zu schaden, zogen es Heinrich Mann und Käthe Kollwitz vor, freiwillig auszuscheiden. Dieser verschleierte Ausschluß wurde am 15. Februar vom Präsidenten Max von Schillings bestätigt. Aus Solidarität verließ der Berliner Architekt Martin Wagner ebenfalls freiwillig die Akademie. 89

Mit dem Vorgehen gegen zwei so bedeutende Mitglieder wollten die Nazis eine Krise auslösen. In seiner Zeitschrift Deutsches Volkstum ließ Wilhelm Stapel diese Absichten erkennen, als er schrieb, es wäre moralisch erforderlich gewesen, daß auch jene aus der Akademie ausgetreten wären, die Heinrich Mann zum Präsidenten der Sektion für Dichtkunst gewählt hätten.161' Während des Monats Februar inszenierten die Zeitungen bis auf wenige Ausnahmen in dieser Absicht eine Hetzkampagne gegen Heinrich Mann. Da sich jedoch innerhalb der Akademie nichts tat, gingen die Nazis zur Offensive über und verfügten autoritär ihre Reorganisierung. Gottfried Benn, der zwei Jahre zuvor anläßlich des sechzigsten Geburtstages von Heinrich Mann die Laudatio gehalten hatte, sagte Minister Rust seine Unterstützung zu und wurde als Verantwortlicher für die Durchführung der neuen Anweisungen vorgestellt. Alle Mitglieder der Sektion für Dichtkunst erhielten einen Brief mit einem Fragebogen, in welchem sie erklären sollten, ob sie bereit seien oder nicht, gemeinsam mit der Akademie ihre zukünftige neue Kulturaufgabe zu übernehmen, was natürlich, so der Brief, jede „öffentliche politische Betätigung gegen die Regierung" ausschlösse. Thomas Mann, Alfred Döblin und Ricarda Huch, die ihre Zustimmung verweigerten, verließen ihrerseits freiwillig die Akademie. Daraufhin wurde beschlossen, alle jüdischen oder auch nur als pazifistisch angesehenen Mitglieder auszuschließen. Zu den neuen Opfern gehörten Franz Werfel, Leonhard Frank, Fritz von Unruh, Jakob Wassermann. Dermaßen entblößt, wurde die Literatursektion der Akademie schließlich aufgelöst und völlig neu aufgebaut. Im Mai 1933 kamen neue Mitglieder hinzu, meist mittelmäßige oder schlechte Schriftsteller, wie Paul Ernst, Wilhelm Schäfer, Emil Strauß, Will Vesper und Erwin Guido Kolbenheyer. Das Prinzip der Aufnahme durch Wahl wurde jedoch beibehalten, obgleich es lediglich noch Fassade war. Nach Verhandlungen mit den Dienststellen von Minister Rust war eine Kandidatenliste aufgestellt worden, über die die wenigen verbliebenen Akademiemitglieder abzustimmen hatten. Ein einziger Kandidat auf dieser vorfabrizierten Liste wurde abgelehnt, der rassistische Dramatiker Otto Erler. Den Teilnehmern an der Wahl war nicht unbekannt, daß er höchst offizielle Unterstützung genoß. Aber sie hatten seine Werke nicht gelesen, und im Bemühen, sehr schnell vorzugehen, schoben sie vor, keine Zeit mehr dafür zu finden. Alle anderen vorbestimmten Kandidaten wurden einstimmig gewählt. Eine Ergänzungswahl erfolgte im Oktober 1933. Sie führte zur 90

Aufnahme von Hermann Claudius, Gustav Frenssen und Heinrich Lersch. Zur selben Zeit erhielt auch Ernst Jünger ein Angebot. Er lehnte höflich ab: Durch den Charakter seiner Werke, den er „durch akademische Bindungen nicht beeinträchtigen" wolle, fühle er sich seit 1914 wie ein Soldat in einem permanenten Zustand allgemeiner Mobilmachung, und er wünsche nicht, sich Erfordernissen zu beugen, die ihm das Gefühl vermitteln würden, in einem Museum außer Dienst gestellt zu sein. In seiner Antwort auf einen persönlichen Brief von Werner Beumelburg sagte er, daß er dennoch entschlossen sei, mit dem neuen Staat zusammenzuarbeiten, trotz einiger Verdrießlichkeiten wie eine kürzliche Durchsuchung seiner Wohnung. 162 Auch Stefan George wurde gebeten. Man wollte ihn sogar zum Präsidenten machen. Er galt als ein bedeutender Verkünder des Nazireiches. Außerdem hatte Goebbels an der Universität bei Friedrich Gundolf studiert, einem Vertrauten im Freundeskreis des Dichters und einem der eifrigsten Interpreten seiner Werke. Alles ließ darauf schließen, daß Stefan George zusagen und daß sein Ansehen somit der Akademie und der Politik des Nationalsozialismus zugute kommen würde. Einige seiner Gedichte aus der Zeit vor 1933 hatten eine gewisse Verwirrung im Hinblick auf ausschließlich geistig gemeinte Ansprüche entstehen lassen. Aus ihnen erklangen der zweideutige Ruf nach Rache und Terror, eine Verherrlichung des Krieges und der Männlichkeit, die Erwartung eines Messias, der Deutschland retten würde. In seinem Band mit dem prophetischen Titel Das neue Reich aus dem Jahr 1928 besang er die Ankunft eines wahren Herren und einer wahren Ordnung. 163 Doch Stefan George hatte in aristokratischer Zurückgezogenheit Abstand zum Faschismus und seinem vulgären Pöbel gewahrt. Seit 1920 hatte er sich zu keinem einzigen Wort der Unterstützung herabgelassen. Der Antisemitismus der Nazis und ihr Rückgriff auf ein verpöntes Preußentum waren ihm zuwider. Zwar lobte Goebbels öffentlich seine Verdienste und schickte ihm zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag ein Telegramm, in dem er den guten Deutschen, den seherischen Dichter und Künder des Dritten Reiches würdigte, doch Stefan George verharrte in verachtendem Schweigen, öffentlich hat er nie ein Wort der Verurteilung fallen lassen. Um die Marionettenrolle, die ihm die Nazis anboten, nicht übernehmen zu müssen, emigrierte er in die Schweiz, wo er im Dezember 1933 in der Nähe von Locarno verstarb. Die anderen Schriftstellerorganisationen hatten ähnliche Probleme

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wie die Preußische Akademie der Künste. So der Schutzverband Deutscher Schriftsteller. Er vereinigte die meisten der linken Schriftsteller und war wegen der Angriffe gegen die Meinungsfreiheit seit einigen Jahren sehr aktiv. 164 Im Gegensatz zu den Gruppen in der Provinz bemühte sich seit 1931 die um seine Berliner Ortsgruppe versammelte Opposition, die politische Gefährdung des literarischen Schaffens bewußtzumachen. Im Sinne einer gemeinsamen antifaschistischen Front hatte die Berliner Ortsgruppe am 7. Februar 1933 ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Schriftsteller aufgefordert wurden, den Kampf aufzunehmen, wenn sie nicht physisch zum Hunger und geistig zur Verdummung verurteilt sein wollten. 165 Doch die Unterdrückungsmaschinerie war schon installiert. Auf einer Vorstandssitzung am 10. März zwangen die mit dem Faschismus sympathisierenden Schriftsteller ihre Gegner zum Austritt aus dem Verband. Der Nazi Mantau-Sadila hat berichtet, daß man damit begann, alle bekannten Kommunisten auszuschließen; danach wurden Kommissionen gebildet, die die Neuaufnahmen vornahmen und die Mitgliederlisten genau prüften. Die „Säuberung" wurde innerhalb der folgenden zwei Wochen abgeschlossen. All jene, die als links eingestellt galten, sowie jene, von denen man annahm, daß sie sich dem faschistischen Deutschland nicht zur Verfügung stellen würden, wurden gestrichen. Die verantwortlichen Ämter wurden einigen Schriftstellern übertragen, die sich als unpolitisch ausgaben. Die neuen Statuten wurden am 8. Mai einstimmig angenommen. Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller hatte keine Gewerkschaftsfunktion mehr, sondern war nur noch eine reine Berufsvereinigung. Und im Juni gab er sich den neuen Namen: Reichsverband Deutscher Schriftsteller. 166 Unter dem Vorsitz des früheren Freikorps-Kämpfers Götz Otto Stoffregen war er die Dachorganisation für alle in Deutschland existierenden literarischen Vereinigungen. 167 (Siehe S. 197 ff.)

Das

Propagandaministerium

Diese verschiedenen Maßnahmen sind nicht verständlich, wenn man sie losgelöst von der allgemeinen Atmosphäre in den ersten Monaten des Jahres 1933 und ohne Berücksichtigung der Bildung eines Ministeriums ganz neuer Art durch Hitler betrachtet, des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Die Gründung des Propagandaministeriums wurde am 13. März 1933 offiziell bekanntgegeben, die 92

Idee dazu entstand vermutlich schon 1932. Leiter dieses Ministeriums wurde Goebbels, der damit nach seinen Parteiämtern auch in der Reichsregierung den Posten erhielt, der seinen Ambitionen entsprach. Schon in der zweiten Märzhälfte brachen in ganz Deutschland kollektive Begeisterungsstürme aus, die alle nach demselben Schema perfekt inszeniert waren: In den Städten wurden Straßennamen geändert, und dazu fanden Fackelzüge mit Fanfarenklängen und Aufmärsche der S A statt. D e r psychologische E f f e k t war gewaltig. Viele Deutsche schlössen sich damals aus Opportunismus oder aus Angst spontan den Nazis an - genau das hatte Goebbels erreichen wollen. In einer Rede am 16. März 1933 begründete er die Bildung seines Ministeriums mit der Notwendigkeit, die Massen zu beeinflussen, um sie auf die L ö sung der großen nationalen Aufgaben vorzubereiten und die „geistige Revolution" zu fördern. D a dieses Ministerium die erste von den Nazis eingesetzte offizielle Institution nach der Machtergreifung Hitlers war, sollte sie in jeder Hinsicht den faschistischen Zielen genügen. Das Propagandaministerium umfaßte alle Ideologiebereiche und wurde von vornherein als Instrument zur Durchsetzung der faschistischen Herrschaft angelegt. D i e Inbesitznahme des Staates erforderte einen ideologischen Kampf anderer Art als zuvor, es ging nicht mehr um Wettstreit, sondern um Unterwerfung. Goebbels wurde durch das von Hitler erst am 30. Juni 1933 unterschriebene Dekret - ich zitiere nach Hildegard Brenner - zuständig erklärt „für alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft, der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit über sie und der Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen". Daraus entstand zeitweise ein Kompetenzstreit der verschiedenen Instanzen des Dritten Reiches. Goebbels vermerkte am 8. März 1933 in seinem Tagebuch, daß er sein Ministerium in fünf Bereiche gliedern wolle, die jeweils den Rundfunk, die Presse, den Film, das Theater und die allgemeine Orientierung der Propaganda überwachen sollten. Diese Aufgaben fielen aber in die Zuständigkeit bereits existierender Ämter, mit denen also nach und nach verhandelt werden mußte. „Das neue Ministerium", schreibt Hildegard Brenner, „übernahm aus dem Reichsministerium des Innern die Ressorts allgemeine innenpolitische Aufklärung, Gestaltung nationaler Festtage und Feiern, Rundfunk, Hochschule für Politik und Deutsche Bücherei, die Abteilungen Kunst, Musikpflege, Theater- und Lichtspielwesen sowie die Bekämpfung von ,Schmutz und Schund'. Das Auswärtige

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Amt trat Nachrichtenwesen, Aufklärung, Kunst, Film- und Sportwesen ab; das Wirtschafts- und Ernährungsministerium Messe- und Werbungswesen; das Post- und Verkehrsministerium u.a. wichtige Rundfunkkompetenzen und das Reichserziehungsministerium seine Hauptabteilung Kunst. So umfaßte schließlich das Ministerium Goebbels nicht nur den im Namen enthaltenen Propagandabereich, sondern darüber hinaus - abzüglich der Gebiete Wissenschaft und Erziehung - sämtliche Kompetenzen eines Reichskulturministeriums."168 Damit waren alle Mittel zur ideologischen Beeinflussung in Goebbels' Händen konzentriert. Von nun an lag es in seiner Macht zu bestimmen, was die Deutschen zu wissen, zu lesen und zu denken hatten. Am 19. März 1933 stellte er Eugen Hadamovsky, seit Jahren einer seiner engen Mitarbeiter in der Reichspropagandaleitung der NSDAP, als Reichssendeleiter an die Spitze des Rundfunks.169 Die Theorie dieses Taktikers der psychologischen Kriegsführung war simpel: Der physische Terror sollte durch einen ständigen ideologischen Druck ergänzt werden. Der Terror gegen alle potentiellen Antifaschisten war deshalb immer von einer vergiftenden Propaganda begleitet, mit der die Nazipolitik gerechtfertigt werden sollte. Getreu diesem Prinzip wurde die Reichstagssitzung vom 23. März, auf der das Ermächtigungsgesetz angenommen wurde, mit einem Aufwand ohnegleichen im Rundfunk übertragen.170 Am 20. April war das Rundfunkprogramm ganz auf den Geburtstag des „Führers" zugeschnitten. Und am 1. Mai 1933 erreichte die Demagogie ihren Gipfel, als auf Vorschlag von Goebbels der „Tag der Arbeit" eingeführt wurde, um den Widerstand der Arbeiterbewegung zu unterlaufen.171 Auf die wirren und sporadischen Maßnahmen folgte jetzt ein systematischer Umbau des gesamten deutschen Kulturlebens. Im Namen der Volksgemeinschaft und der germanischen Rasse wurden neue Kriterien aufgestellt, die die Wiedergeburt einer sogenannten echten deutschen Kunst fördern sollten. Der Ministerpräsident des Staates Hessen, Ferdinand Werner, deutet am 27. März 1933 die Richtung an: Schriftsteller und Journalisten hatten zehn Gebote zu befolgen. Eins davon stellte kategorisch fest: Wer nicht auf seinem Schreibtisch Mein Kampf stehen hat, verletzt seine Pflichten gegenüber seinem Volk und seinem Beruf. Goebbels selbst erklärte Anfang Mai 1933 auf einer Sitzung, zu der die Theater- und Filmschaffenden beordert waren, seine Politik bestünde darin, den Internationalismus in der Kunst zurückzudrängen, die Tätigkeit seiner Agenten, der Juden, zu 94

unterbinden und den Nationalsozialismus zur großen Leitidee des Kulturlebens zu machen. Gegen das Beiseitedrängen von berühmten Juden wie Max Reinhardt, Bruno Walter, Otto Klemperer, die das künstlerische Ansehen Deutschlands mitgeprägt hatten, erhoben sich einige Stimmen. Sie wurden jedoch schnell zum Schweigen gebracht. In einem Brief an Goebbels, in dem er ausschließlich musikalische Interessen geltend machte und auf die entstehende Gefahr hinwies, daß die deutsche Musik ihrer besten Kräfte beraubt würde, versuchte der Dirigent Wilhelm Furtwängler Anfang April 1933, sich für die angesehensten und bedeutendsten Künstler einzusetzen. Er bat darum, daß nur ein einziger Trennstrich gezogen werde, der zwischen Kunst und Kitsch. Der Propagandaminister antwortete ihm, es sei von nun an unzulässig, die Kunst als etwas Absolutes anzusehen, wie in den Zeiten der liberalen Demokratie. Kunst könne nur gut sein, wenn sie mit dem Volk verbunden sei, für das sie geschaffen werden müsse. Er fügte hinzu, das deutsche Kulturleben habe sich in einem den völkischen Wurzeln entfremdeten sterilen Experimentieren verloren, man müsse zunächst echten deutschen Künstlern, die seit 1919 zum Schweigen verurteilt gewesen seien, die Möglichkeit geben, sich auszudrücken. Der Übergang von den Institutionen der Weimarer Republik zu jenen des Drittem Reichs war somit deutlich markiert. Um seinen Einfluß zu festigen, fehlte dem neuen Ministerium nur noch ein spektakuläres Ereignis. Das sollte die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 werden. In der zweiten Märzhälfte ergingen Anweisungen zu ihrer systematischen Vorbereitung. Zunächst wurden von kompetenten Angestellten der Bibliotheksbehörden schwarze Listen aufgestellt eine Arbeit, die fast drei Wochen dauerte. Dann kamen diese Listen zum Kampfbund für Deutsche Kultur, wo sie vervollständigt und danach in ihrer endgültigen Fassung den Studentenvereinigungen in allen Hochschuleinrichtungen übergeben wurden. Die zahlreichen, seit einigen Jahren im Völkischen Beobachter beharrlich wiederholten Forderungen nach einer Säuberung der nationalen Kultur ließen eine derartige aufsehenerregende Aktion ohne Mühe voraussehen. Die Prophezeiungen mehrten sich mit der Zeit. Während er am 3. Februar bereits die Namen der zu eliminierenden Autoren öffentlich nannte, wetterte Wilhelm Weiß gegen die falsche Avantgardeliteratur, die aus dem deutschen Vaterland „das Tummelfeld aller Landes- und Heeresverräter" gemacht habe. Am 22. März, anläßlich des Tages des Buches, veröffentlichte der Völkische Beob95

achter einen Artikel von Hellmuth Langenbucher. Dieser beklagte sich darüber, daß die Jugend die wahren Volksschriftsteller nicht kenne, und sprach sich massiv gegen jede Aufforderung zur Lektüre der Werke der Gebrüder Mann und der Zweigs aus, als ob es sich hier, wie er betonte, um „deutsche" Literatur handelte! Am 27. März setzte Will Vesper diese Angriffe fort und erklärte es als abwegig, daß das Dritte Reich bei der Schaffung einer neuen deutschen Volksgemeinschaft mit „Mördern und Verfolgern und Vergiftern des deutschen Geistes" zusammenarbeiten könne. Immer in vorderster Front, organisierte der Kampfbund für Deutsche Kultur im April in Berlin unter der Losung „Deutscher Geist und deutsches Buch" eine Veranstaltung für die Buchhändler. Staatskommissar Hans Hinkel betonte, der Buchhandel müsse jetzt Bedingungen schaffen, die es dem Leser ermöglichten, sich der wahren Literatur zuzuwenden „anstatt asiatischen und jüdischen Giftbüchereien". Wenige Tage später beschloß Hans Schemm in Bayern, wo er Unterrichtsminister geworden war, diese Losung in die Tat umzusetzen. Alle Leihbüchereien sollten von „marxistischen Büchern, Broschüren, periodischen Heften und Zeitschriften aller Art" und besonders von solchen „mit bolschewistischer Tendenz, mit atheistischen und pazifistischen Grundzügen" gesäubert werden. Indem er die zuvor in Thüringen getroffenen Maßnahmen hochspielte und als beispielhaft darstellte, gab der Völkische Beobachter am 8. Mai 1933 schließlich konkrete Hinweise für die Reglementierung des Buchwesens. Alle Werke, deren Inhalt als schädlich für die nationalsozialistische Weltanschauung angesehen wurde, sollten entfernt werden, das hieß konkret: „Das wissenschaftliche Schrifttum des Kommunismus, einschließlich derjenigen Bücher über das moderne Rußland, in denen eine Verherrlichung des Sowjetsystems angestrebt wird, das wissenschaftliche Schrifttum des Marxismus, die von marxistischen Verfassern geschriebene Schönliteratur, die aus dem Geiste volksentfremdeten Großstadtliteratentums hervorgegangene Asphaltliteratur, belehrende und Schönliteratur, die das Erlebnis des Frontsoldaten in den Schmutz zieht oder den berechtigten Wehrwillen unseres Volkes herabzusetzen trachtet, belehrende und Schönliteratur, die die sittlichen und religiösen Grundlagen unseres Volkes untergräbt, und Schriften zur Verherrlichung der Weimarer Republik, sonstiges, das berechtigte Empfinden nationaler Kreise verletzendes Schrifttum." Der Völkische Beobachter forderte statt dessen, eine Literatur, die für das Volk nützlich ist, zur Geltung zu bringen: „Bei 96

Neuanschaffungen ist das Schrifttum der nationalen Haltung und solche Literatur, die die Grundsätze des neuen Staates, Volk und Rasse, Ehr und Wehr, Verbundenheit aller Volksgenossen und soziale Gerechtigkeit verkörpert, bevorzugt einzustellen." Die fieberhafte Tätigkeit des Kampfbundes erstreckte sich ebenso nachdrücklich auf die Malerei. Aus Karlsruhe kam die Anregung für eine Ausstellung mit dem Titel Regierungskunst von 1918 bis 1933, die eine Lawine von ähnlichen Aktivitäten auslöste. Man stellte Bilder aus, die als typisch für den „Kulturbolschewismus" bezeichnet wurden. An jedem Bild war der von den Museen für seine Anschaffung gezahlte Preis angebracht. Die Besucher sollten den Eindruck bekommen, in der Weimarer Republik seien die Gelder zum Ankauf von schmutzigen, pornographischen oder absolut bedeutungslosen Werken verschleudert worden. Als Gegenstück dazu wurden seit April 1933 Wanderausstellungen organisiert, um die sogenannte echte deutsche Kunst zu propagieren. Zwischen den Mitgliedern der Brücke oder des Blauen Reiters und Hans Thoma, Wolfgang Willrich, Adolf Ziegler, zwischen den „zersetzenden" Formen eines Wassili Kandinsky, Paul Klee oder Franz Marc und der „Klarheit der deutschen Natur" sollte sich die Öffentlichkeit selbst von der unbestreitbaren Überlegenheit der Maler deutschen Geistes überzeugen.

Die Taktik von Goebbels Warum wurde nicht einfach der Kampfbund beauftragt - anstatt sich auf die Studenten zu stützen den berüchtigten 10. Mai zu organisieren, zumal er sich doch bei der Säuberung in Sachen Kunst schon so gut bewährt hatte? Die Gründe liegen in der Taktik von Goebbels, die von seiner Rivalität zu Rosenberg mitbestimmt wurde. Rosenberg orientierte sich hauptsächlich auf das Funktionieren der Nazipartei. Er wollte ihr und ihren Organisationen unabhängig von den Strukturen des Staates eine Vormachtstellung innerhalb der Gesellschaft sichern. Goebbels dagegen wollte den Staat erobern, wobei sich die Partei in den Staat einfügen sollte. Dieser Strategie unterwarf er auch die Kultur. Dabei stieß er mit Rosenberg zusammen, der die Leitung der Aktionen zur „geistigen Erneuerung" dem Kampfbund übertragen wollte. 172 Rosenberg sah sich genötigt, seine führende Stellung zu verteidigen, da er sie beeinträchtigt fand. Hitlers Einzug in die Reichskanz7

Faschismus

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lei hatte Rosenberg keinen Posten im Staatsapparat eingebracht. Er wurde 1933 lediglich Leiter des außenpolitischen Amtes in der Reichsleitung der NSDAP, und das war keine sehr bedeutende Stellung, da es ja das Auswärtige Amt gab. Die einzige Aufgabe, die ihm durch einen Erlaß von Rudolf Heß im April 1933 übertragen wurde, war, die nationalsozialistischen Kulturorganisationen mit Hilfe des Kampfbundes zu vereinen. Er hatte nicht das Recht, in Organisationen anderer Art einzugreifen, und der Kampfbund selbst war noch nicht als offizielle Organisation der Nazipartei anerkannt. Diese Entscheidung erfolgte nach vielen Gesuchen erst Ende Mai 1933. Rosenberg intrigiert also seit Januar 1933, damit ihm ein verantwortlicher Posten eingeräumt wird, auf den er ein Anrecht zu haben glaubt und den man ihm verwehrt. Er versucht, sich eine Machtposition zu schaffen. Seine Strategie besteht darin, die von den Nazis kontrollierten Kulturorganisationen zu vereinen, um ihnen einen Massencharakter zu verleihen. Er wendet sich direkt an die nationalsozialistischen Juristen, Mediziner, Lehrer, an die Hitlerjugend wegen ihrer Mitarbeit, er nimmt sogar Kontakt zu Röhm auf, um die Kulturarbeit der SA zu koordinieren. Zwangsläufig sind seine Unternehmungen eine Konkurrenz für Goebbels' Politik. Die alte Rivalität zwischen beiden (1925 hatte Rosenberg im Völkischen Beobachter Goebbels sogar den absurden Vorwurf bolschewistischer Abweichung gemacht) wird somit durch einen Kompetenzstreit noch verschärft. Die Vorbereitung der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 liefert Goebbels eine Gelegenheit, die Ansprüche des Kampfbundes und Rosenbergs im Hinblick auf das Kulturschaffen zurückzuweisen. Darauf deutet auch eine Besonderheit in der Vorbereitungsphase hin. Das Propagandaministerium stützte sich dabei nicht auf den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, sondern auf die Studentenverbände überhaupt. Damit verfolgte Goebbels ein doppeltes Ziel: Erstens grub er damit Rosenberg das Wasser ab, und zweitens trug er dadurch zur Gleichschaltung der Studentenorganisationen bei, da sie in eine große Aktion einbezogen waren. Es sollte demonstriert werden, daß es in Deutschland nicht mehr die innere Zwietracht von früher gab, sondern nur noch eine einzige und geeinte Bewegung im Gefolge des Führers. Und dazu mußte man sich der Massenorganisationen bemächtigen. Die Allgemeine Deutsche Studentenschaft führte diese im Propagandaministerium ausgearbeitete Kampagne voller Eifer durch, wohl nicht nur, weil die Masse der Studenten von der Notwendigkeit einer 98

Säuberung der Hochschuleinrichtungen überzeugt war, sondern auch, weil die Studentenführer hofften, wenn sie ihr hohes Verantwortungsbewußtsein unter Beweis stellten, würde es nicht nötig sein, den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund zu bemühen, an den Universitäten den Geist des neuen Staates durchzusetzen. Sie kamen also den Wünschen der Nazis entgegen, um eine gewisse Selbständigkeit der Studentenorganisationen zu retten.173 Aber der Verlauf der Ereignisse zeigte, daß sie sich verrechnet hatten. Die ersten beiden Rundschreiben vom 6. und 8. April 1933 mit der Ankündigung der Bücherverbrennung stammten von der Allgemeinen Deutschen Studentenschaft, und nirgendwo war von einer Zusammenarbeit mit der Nazipartei die Rede. Als er von dieser Initiative erfuhr, kam der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund ihr zuvor und forderte am 11. April alle seine Mitglieder nicht nur dazu auf, sich auf die Aktion vorzubereiten, sondern auch ihre Leitung zu übernehmen. Am 22. April veröffentlichte der Völkische Beobachter eine Mitteilung mit den genauen Zeiten und Stellen, an denen die zur Verbrennung bestimmten Bücher abgegeben werden konnten. Das war die erste Etappe der Einverleibung aller Studentenorganisationen, die in den darauffolgenden Monaten abgeschlossen wurde. Die Allgemeine Deutsche Studentenschaft hatte die ideologischen Grundsätze der Nazis bereits aufgenommen. Das erste ihrer Rundschreiben war noch ziemlich allgemein, es kündigte lediglich die Vorbereitung einer öffentlichen Kundgebung an, die zwischen dem 12. April und dem 10. Mai stattfinden sollte. Im zweiten war schon die Rede von Bücherverbrennungen als Antwort auf den sogenannten schändlichen Feldzug des Weltjudentums gegen Deutschland. Jeder Student hatte aus seiner persönlichen Bibliothek die durch den „jüdischen Geist" verseuchten Werke zu entfernen. Auf Grund einer Initiative der Allgemeinen Deutschen Studentenschaft wurden am 13. April 1933 in ganz Berlin Plakate angeschlagen, die unter der Überschrift Wider den undeutschen Geist in zwölf Punkten die vorgesehenen Aktionen rechtfertigten. Punkt sieben forderte z. B. die Einführung einer Zensur für jüdische Werke, das Verbot für jüdische Schriftsteller, in deutscher Sprache zu schreiben, und die Ausmerzung des undeutschen Geistes aus den öffentlichen Büchereien. In dieser Situation macht ein Beispiel das Tauziehen zwischen Goebbels und Rosenberg deutlich. Am 6. April 1933 verschickte die Allgemeine Deutsche Studentenschaft einen Brief an Rosenberg und an ungefähr sechzig Schriftsteller mit einer Absichtserklärung. Da eine 7*

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große Propagandaaktion (im Rundfunk, in der Presse, durch Plakate und Flugblätter) vorgesehen war, wurden die Adressaten um Beiträge zur Unterstützung dieser Kampagne gebeten. Doch Rosenberg antwortete nicht auf diesen Brief, und nur vier der Angesprochenen schickten einen Text, während einige andere die Studenten lediglich ihrer Sympathie versicherten.

Die Bücherverbrennung und ihre Bedeutung Die eigentlichen Vorgänge am 10. Mai 1933 hatten den Charakter einer offiziellen Feier, bei der auf Bräuche aus der Tradition der Studentenverbindungen zurückgegriffen wurde. Nachdem der Scheiterhaufen aus verbotenen Büchern aufgeschichtet und angezündet worden war, traten nacheinander neun Rufer vor und wiederholten in der Art einer Beschwörung anklagende, läuternde und moralisierende Worte. Nacheinander wurden die Werke von bedeutenden Schriftstellern, Philosophen und Wissenschaftlern (unter ihnen Marx, Freud, Heinrich Mann) dem Haß und der Verachtung überantwortet. (Siehe S. 192ff.) In einem doppelten Akt von Negierung und Bejahung wurde die demokratische Vergangenheit der Weimarer Republik verworfen, im Namen einer Neugeburt, die letztlich wieder an die Wertvorstellungen der Wilhelminischen Ära anknüpfte. Die formelhaften Sprüche basierten auf konstruierten, scharf formulierten Gegensätzen, und die Schlagworte erinnerten an die Reden Wilhelms II.: Nationalismus gegen Marxismus, Agnostizismus gegen Wissenschaft, Idealismus gegen Materialismus, Militarismus gegen Pazifismus. In diesem Rückfall in die Barbarei kam die Ablehnung jeglicher gesellschaftlicher Entwicklung zum Ausdruck und zeichnete sich das Modell einer erstarrten, scheinbar Geborgenheit ausstrahlenden Welt ab: Die Familie, der Staat, die Sprache, so wie sie vor den Umwälzungen durch die Industrialisierung und den ersten Weltkrieg kodifiziert worden waren. Zwanzigtausend Bände wurden damals in Berlin auf dem Opernplatz verbrannt. Die Szenerie und der Verlauf der Aktion erinnerten an ein Sühneopfer. Die Studenten trugen das Festkleid ihrer Verbindungen und Fackeln. Ihnen war - wie Priestern - die symbolische Handlung vorbehalten, die Menge stand abseits und nahm an dem Ereignis mit kollektivem Schreien wie an einer kultischen Feier teil. Auch die Wahl des Zeitpunktes war bezeichnend, man hatte den Abend abgewartet. Der magische Zauber der Nacht steigerte die Er100

Wartung, die Andacht und die Faszination. Sie erzeugte die für die Ausübung eines Kultes notwendige religiöse Stimmung. Abgesehen vom traditionellen Aspekt waren Feuer und Nacht bei den Nazifeiern stets ein Teil der Zeremonie. Lagerfeuer und Fackelzüge gehörten zu den Bräuchen der Hitlerjugend. Ein 1932 herausgegebenes Handbuch für Nazifunktionäre zählte die vielen Gelegenheiten für Festveranstaltungen auf, angefangen beim Führergeburtstag bis zu deutschen Abenden, bei denen auf ein nächtliches Ritual Wert gelegt wurde. Die Bühne, der Altar oder das Rednerpult sollten am Halbschatten stehen und schwarz drapiert sein. D i e Nacht, die Rückkehr zum Ursprung, wurde als die Quelle der Wiedergeburt der Welt, d. h. der Erneuerung dargestellt. Zu ihr gehörte das Feuer. E s ist läuternd, erneuernd, ein Element des Sonnenkults, Sinnbild des wiederentstehenden Lebens. Der deutsche Faschismus hat Feuer und Flammen als Symbole der Kraft, des Blutes und des Heldenmuts ausgiebig benutzt. In einem Lied zu den Sonnenwendfeiern drückt Gerhard Schumann diese Beziehung zwischen Nacht und Feuer aus, indem er über die Teilnehmer schreibt, sie seien die Glieder einer Feuerkette, die aus der Nacht des Ursprungs kommen, um in die Ewigkeit einzugehen. 174 Musik und Lieder nehmen hier, wie in jedem Ritual, einen bedeutenden Platz ein. 1943 würdigte ein verantwortlicher Mitarbeiter im Amt Rosenberg die historische Rolle der SA bei der Schaffung eines neuen Liedschatzes und beglückwünschte sie und die Hitlerjugend dazu, aus den Deutschen ein singendes Volk gemacht zu haben. D i e Bücherverbrennungen bestätigten diesen generellen Trend zum kulthaft Theatralischen. Überall erklangen Fanfaren, die vom heiligen Ruf einer neuen Religion kündeten. Besonders das Schlagen der Trommeln sollte akustisch den Aufschwung symbolisieren. In der Öffentlichkeit, auf Kongressen, Versammlungen oder Paraden traten die Nazis immer mit Gesang und Fanfaren auf. Suggestive Wirkung wurde auch vom Kult um die Jugend erwartet. In vielen Reden vor 1933 kennzeichnete Goebbels den Faschismus als eine Bewegung, die das Streben der Jugend ausdrücke, ihre Auflehnung und ihre Verzweiflung, ihren Willen, mit den Schwindlern und Profiteuren der Weimarer Republik, wie er sie nannte, zu brechen. D i e Jugend bildete angeblich die Vorhut des neuen Deutschland. D i e Verherrlichung des Jungseins als Wert an sich, eine Erscheinung, die man in allen faschistischen Systemen der damaligen Zeit feststellen kann, sollte heldische Lebensauffassungen prägen helfen -

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Garant für die Zukunft Nazideutschlands. Als Akteure im Aufstand gegen den Intellektualismus legitimierten die Studenten für Goebbels und die Nazis die Vision einer „revolutionären Hoffnung". Ein anderes Beispiel verdeutlicht, mit welchem Aufwand die Kundgebung in Berlin vorbereitet wurde. Die Bücher wurden mit Lastwagen herangefahren und mit Benzin übergössen, damit sie besser brannten. E s waren sogar Feuerwehrleute angefordert worden. Diese Details verdienen insofern Beachtung, als die Kundgebungen an anderen Orten zuweilen anders verlief. In Frankfurt/M. waren die Bücher auf einen Ochsenkarren geladen worden, die Ochsen wurden von Fleischergesellen in weißen Kitteln geführt. D a s glich schon mehr einem Karnevalsumzug als einem Fegefeuer. In der Hauptstadt, wo ein Beispiel gegeben werden sollte, hatte Goebbels als Zeremonienmeister der Nazifeste Tradition und technische Perfektion vereint. Diese Mischung aus alt und neu, aus Irrationalem und Rationalem, sollte zu einem ständigen und ungeheuer wirksamen Brauch im Dritten Reich werden. In einer Rede zum Abschluß der Bücherverbrennung beschränkte sich Goebbels darauf, die entscheidende Wende hervorzuheben, die in Deutschland eingetreten sei. In dem grandiosen Bild einer kulturellen Erneuerung, das er vor den Studenten zeichnete, waren die Gaskammern zwar noch nicht erwähnt, aber die angebliche nationalsozialistische Revolution trug schon bedrohliche Züge. Goebbels gab sie als die Inkarnation des Staates aus und unterstrich ihren totalen Anspruch: „ E s gibt keine Revolutionen, die nur die Wirtschaft oder nur die Politik oder nur das Kulturleben reformierten oder umstürzten. Revolutionen sind neue Weltanschauungen." Zwischen den Zeilen, in vage geistige Ansprüche verkleidet, war Deutschlands Zukunft umrissen. Sich in billigen Schmeicheleien über die Begeisterung und die Hellsichtigkeit der Studenten ergehend, forderte Goebbels sie im übrigen auf, sich loyal und verantwortungsbewußt hinter die neuen Machthaber zu stellen. E r hatte damit jesuitisch auf das nicht mehr ferne Schicksal der Studentenorganisationen hingewiesen, auf ihre zwangsweise Unterwerfung und ihre Integration in einen nunmehr faschisierten Staat. Im Januar 1934 waren sie endgültig gleichgeschaltet. Goebbels kleidete die Idee einer Erneuerung und eines neubelebenden Feuers in ein zum Klischee gewordenes Symbol, in dem sich die ganze Borniertheit nazifaschistischer Pseudokultur offenbart: „Aber aus diesen Trümmern wird sich siegreich erheben der Phönix eines 102

neuen Geistes, eines Geistes, den wir tragen, den wir fördern und dem wir das entscheidende Gesicht geben und die entscheidenden Züge aufprägen." 175 Diese symbolische Anspielung auf den Phönix gehört zu all den aus Sagen und Mythen entliehenen Banalitäten, mit denen die Nazis ihre Aktionen verbrämten und ihnen die Aureole eines mystifizierten Heldentums verleihen wollten. Die Bücherverbrennung wurde so in die uralten Riten des Todes und der Auferstehung eingereiht, und der gewählte Zeitpunkt erleichterte den Bezug auf den natürlichen Zyklus der Jahreszeiten, wo die Wiedergeburt im Frühling stattfindet. Der Phönix sollte Deutschland sein, das befleckte, der Unsterblichkeit geweihte Deutschland, das strahlend und verjüngt aus den Flammen wiedererstand.

Kulturbarbarei Eine der wenigen Zeitungen, die sich von den Bücherverbrennungen distanzierte, war Die Frankfurter Zeitung. Am 16. Mai 1933 hat der Theaterkritiker Bernhard Diebold den Mut, Goebbels' Kulturpolitik anzugreifen, Thomas Mann zu verteidigen und sich ironisch über die Maßnahmen zu äußern, durch die die Juden gezwungen werden sollten, sich hebräisch auszudrücken, obwohl die wenigsten von ihnen die Sprache beherrschten. Doch im allgemeinen gab es in den Massenmedien wie der Presse und im Universitätsmilieu wenig Opposition.176 Einige Professoren beteiligten sich sogar an den „Säuberungsmaßnahmen". Ohne Nazis zu sein, waren viele von ihnen glücklich, den „Nationalstolz" wiederentdeckt zu haben. In der Schwäche des Widerstandes zeigt sich, wie weit das Regime schon gekommen war. Eine Rolle spielten dabei die Angst und die Kapitulation vor der Gewalt, die Sorge, den Posten und den Sozialstatus zu verlieren, sowie der Terror, den jede Mißfallensbekundung für die ganze Familie nach sich ziehen konnte. Im Oktober 1817 hatten die deutschen Studenten in Eisenach auch Bücher verbrannt. Es war nach dem großen Krieg gegen Napoleon, in der Zeit der enttäuschten Hoffnung auf nationale Einheit. Die Studenten hatten eine Sammlungsbewegung ins Leben gerufen, um den Kampf im Namen des deutschen Vaterlandes fortzusetzen. Die Feiern zum dreihundertsten Jahrestag der Reformation zum Anlaß nehmend, hatten sie sich in Massen auf die Wartburg begeben, wo der Vater des Protestantismus nach dem Reichstag zu Worms Zuflucht gefunden 103

hatte. Symbolisch Luthers Handlung wiederholend, der die päpstliche Bulle dem Feuer übergeben hatte, machten sie ein Feuer aus all den Schriften, die ihrer Ansicht nach gegen das nationale Befreiungsprogramm gerichtet waren. Ein Chronist berichtet, daß ein Rufer den Titel eines jeden Werkes laut ansagte und daß die Anwesenden im Chor die Aufforderung, es dem Feuer zu übergeben, wiederholten. Damals schon hatte Heine hellsichtig die Gefahr erkannt: „Dort, wo man Bücher verbrennt", schrieb er, „verbrennt man auch am E n d e Menschen." Man muß jedoch zwischen den Kundgebungen von 1817 und 1933 unterscheiden. D i e zweite war nicht nur weniger spontan und lediglich eine ritualisierte Kopie der ersten, sondern 1817 wurden auch keine wirklichen Bücher verbrannt. Man hatte eine Menge alter Papiere mit den Namen der Autoren und den Titeln der Bücher beschriftet. Die Nazis verliehen dem Ereignis einen ganz anderen Inhalt. D a s Symbol wird dynamisch, wird in tatsächliches Geschehen umgesetzt. D a s ist ein sehr typisches Beispiel für die Wirkung des gesetzten Signals in der Gesellschaft des Dritten Reichs. In diesem Fall deutet die Verbrennung der Bücher selbst auf die zukünftige physische Vernichtung der Gegner hin. Als die Bücherverbrennung stattfand, gab es bereits die ersten Konzentrationslager in Deutschland. Außerdem wurde ebenfalls am 10. Mai 1933 die Deutsche Arbeitsfront gegründet, der alle Deutschen, die eine geistige oder manuelle Tätigkeit ausübten, angehören mußten. D i e Gewerkschaften waren verboten. D i e SA hatte am 2. Mai 1933 alle Gewerkschaftshäuser besetzt, viele Arbeiterführer wurden verhaftet. Der gesamte Besitz der Gewerkschaften, die Druckereien, Zeitungen, Sportanlagen, Buchhandlungen, Büchereien waren in die Hände der Nazis gefallen. D i e Kampforganisationen, die sich die Arbeiterbewegung in vielen Jahren geschaffen hatte, sollten zerschlagen werden. D i e letzten von der Sozialdemokratie beeinflußten legalen Publikationen, die sich als unpolitisch tarnten, wurden abgeschafft. In drei Monaten hatte der Faschismus seine Macht etabliert. E s erfolgte eine Einteilung der Schriftsteller in „Gute" und „Schlechte". Für einige hatte bereits die Emigration begonnen; andere waren verhaftet. Vielen blieb in Deutschland selbst nur noch das Schweigen übrig. D i e Gleichschaltung erforderte zwar noch ein festes juristisches Gefüge, um die gesamte Opposition endgültig zu knebeln, die ersten Schritte auf dem Wege zur Zentralisierung der Macht über Kunst und Literatur aber waren getan, so wie es im Programm der Nazipartei 104

für Kulturfragen vorgesehen war. Am 13. Mai 1933 verkündete Bernhard Rust triumphierend vor den Vertretern der Studenten- und Lehrerschaft, daß an der Kulturfront die Machtergreifung vollzogen sei. Das so hellsichtige Urteil Heines, dessen Werke nun verboten waren, wurde durch einen Satz aus Johsts Stück Schlageter, das im April 1933 zum Geburtstag Hitlers aufgeführt wurde, bestätigt: „Wenn ich .Kultur' höre, entsichere ich meinen Browning!"177

Der „Säuberungskrieg"

Es genügte den Nazis nicht, Bücher zu verbieten, die propagandistische Literatur zu fördern und Künstler oder Schriftsteller, die sie in ihrem Vokabular als liberal, bolschewistisch und undeutsch bezeichneten, an der Ausübung jeglicher beruflicher Tätigkeit zu hindern. D a der Staat seinen Prinzipien nach undemokratisch war, mußte er die gesamte Kultur seinen Interessen unterordnen. Die Künste und die Literatur im besonderen konnten der nazifaschistischen Konzeption nach nicht selbständig bleiben. Das Dritte Reich sollte als eine Totalität, als vollkommen funktionales und homogenes Bauwerk erscheinen. Alle Organisationen und Institutionen, von den Gewerkschaften bis zu den Kirchen, wurden allmählich den nazifaschistischen Vorstellungen entsprechend nivelliert, und ganz Deutschland wurde das Schema eines architektonischen Monumentalwerks aufgezwungen. An der Spitze des Staates - der oberste Künstler: Hitler. Massen von Unterführern leiteten über die Nazipartei zur Verwirklichung des Werkes Millionen Sklaven, die ausschließlich zu arbeiten hatten und die folglich abgerichtet, besessen und gleichgeschaltet waren.178 Eine derartige Organisation erinnert an einen Film ¡von Fritz Lang mit dem Titel Metropolis, einen Film, den Goebbels bewundert hatte und der 1927 vorausahnend die künstliche, nur vom Gefühl herbeigeführte Versöhnung zwischen Herrschenden und Beherrschten schildert, wobei letztere eine autoritäre Macht akzeptieren, die ein System ökonomischer Ausbeutung schützt und weiter ausbaut. In der Tat wird in dem erwähnten Schema ein wesentlicher Teil der Ursprünge des Faschismus ebenso wie dessen soziale Funktion deutlich erkennbar. Die Uniformierung Deutschlands in seinen Strukturen wie auch in seiner ideologischen Ausrichtung durch die Nazis steht in engem Zusammenhang mit den Garantien, die Hitler der Gruppe Industrieller, Bankiers und Junker gegeben hatte, von der ihm die 106

Macht direkt übertragen wurde. Es ist historisch erwiesen: Diese Gruppe w a r dafür verantwortlich, daß er den Posten des Reichskanzlers erhielt. 179 Eins der Schlüsselwörter der gesellschaftlichen Mystifikation jeder Art von Faschismus ist das Wort „Arbeit", mit dem die materielle und moralische Unterordnung unter eine auf der systematischen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruhende ökonomische Ordnung gemeint ist. Die angebliche Beseitigung der Klassenwidersprüche und die gleichmachende Funktion der Arbeit - in Wirklichkeit ein Mittel zur Unterordnung und Gleichschaltung aller Deutschen - waren Hauptthemen der Propagandapolitik, deren Erfolge auf dem allmählichen Rückgang der Arbeitslosigkeit beruhten. Das war in Anbetracht der Situation vor 1933 und der Folgen der Wirtschaftskrise in den anderen europäischen Ländern ein äußerst wirksames psychologisches Argument bei den Massen. Für denjenigen, der sich ohne genauere Nachprüfung auf unmittelbare Beobachtungen in seiner Umwelt stützte, war es unwichtig, daß die Arbeitslosigkeit infolge einer intensiven Kriegsvorbereitung verschwand. Hans Friedrich Blunck gibt in seinen Erinnerungen ein recht zutreffendes Bild von der Haltung eines politisch wenig interessierten Deutschen, wenn er in seinem Bericht über die ersten Maßnahmen des Dritten Reiches schreibt: „Jetzt war eine neue Regierung am Ruder, die, das möge man nicht vergessen, auf vielen, besonders auf sozialen Gebieten Bedeutendes geleistet hatte", eine Regierung, „die Schiffe fahren ließ, Autostraßen und Siedelungen baute." 180 Die Irreführung des deutschen Volkes, selbst der Arbeiterklasse, wurde innerhalb weniger Jahre systematisch betrieben. Die bei oberflächlicher Betrachtung spürbare Verbesserung der materiellen Lage verschaffte der Politik der Nazis in der Öffentlichkeit ein um so günstigeres Echo, als sie mit dem Nationalismus in Verbindung gebracht wurde, mit der so gerühmten Qualität der deutschen Arbeit, der Disziplin, dem Berufsethos und der Tüchtigkeit der deutschen Arbeiter. Als Demagoge, der sicher war, daß ihm vielee glaubten, konnte Robert Ley schon 1936 schreiben: „Der deutsche Arbeiter ist heute glücklich, ein freier Mensch in freiem Land zu sein. Er ist der erste Arbeiter der Welt." 1 8 1 Wenn man das Schicksal des Dritten Reiches insgesamt betrachtet, so hat nur das Monopolkapital in Deutschland tatsächlich vom Faschismus profitiert. 152 Als Hitler am 1. Mai 1933 den „Tag der Arbeit" einführte, verkündete er, er symbolisiere offiziell den Zusammen107

Schluß der Deutschen um die Idee der nationalen Arbeit, und er gab ohne Umschweife zynisch zu verstehen, daß alle widerstrebenden Deutschen gewaltsam zu dieser Vereinigung zurückgeführt würden. Bis 1945 wird die Arbeit im faschistischen Deutschland überall und ständig als das geeignete Mittel hingestellt, der Volksgemeinschaft einen homogenen Charakter zu verleihen. 183

Die Reichskulturkammer Auch das kulturelle Leben war von diesem Zwang zu Unterordnung und Homogenisierung betroffen. Eigens zu diesem Zweck wurde ein neues Instrument der Unterdrückung geschaffen: die Reichskulturkammer. (Siehe S. 195 ff.) Das Gesetz vom 22. September 1933, das ihre Existenz festlegte, kam nicht vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, sondern vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. D a s war ein Beweis für die anerkannte Macht von Goebbels, der - um dem Einfluß Rosenbergs entgegenzuwirken - seit der Gründung seines Ministeriums nur danach gestrebt hatte, die Produktion und Rezeption von Kultur in Deutschland administrativ zu kontrollieren. Auf scheinbar legale Weise war nun ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem, was man gewöhnlich künstlerische Tätigkeit nennt, und der Propaganda geschaffen worden, d. h. die künstlerische Arbeit sollte von der Propaganda genutzt werden können, und diese wiederum wurde - so Goebbels - in den Rang einer Kunst erhoben. Ursprünglich hatte das Reichsministerium für Wissenschaft, E r ziehung und Volksbildung eine Abteilung für Kunst. E s behielt sie auch, aber ihre Zuständigkeit wurde auf einen vor allem materiellen Aspekt beschränkt und galt nur noch für einige Gebiete wie Denkmalspflege, Museen, Musik- und Zeichenunterricht und für die Volksbibliotheken. 184 Faktisch lag die Leitung der Kulturpolitik von da an vollständig in der Hand von Goebbels. D a die Grenzen zwischen den Kompetenzen jedes einzelnen Ministeriums oder den jeweiligen Befugnissen der verschiedenen machtausübenden Persönlichkeiten, also etwa von Rosenberg, fließend waren, hatten außenstehende B e obachter manchmal die Illusion, daß für die Künstler und Schriftsteller noch eine relative Unabhängigkeit existiere. Aber derartige Überschneidungen führten im Gegenteil dazu, die Überwachung zu verstärkenund die Möglichkeiten,sich ihr zu entziehen,einzuschränken.

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Die Gründe, mit denen Goebbels die Schaffung der Reichskulturkammer rechtfertigte, waren folgende: die Notwendigkeit, die für den Staat schädlichen Elemente zu bekämpfen, und das Bemühen, bei den Künstlern einen Gemeinschaftswillen zu erzeugen. Seine Absicht sei lediglich, der - angeblichen - kulturellen Anarchie durch eine zentralisierte Vereinigung aller Berufsorganisationen zu begegnen. In Wirklichkeit aber war die faschistische Diktatur über die Wissenschaften und Künste errichtet worden. Von oben wurde festgelegt, was unter deutscher Kultur zu verstehen war, ohne daß diejenigen, die es in erster Linie anging, nämlich die schöpferisch Tätigen, das Recht hatten, ihre Meinung zu äußern. Viele Schriftsteller, die - weil sie weder Juden noch Kommunisten waren und folglich nicht zu den „schädlichen Elementen" gehörten - glaubten, sie könnten immer noch austreten, wenn es schlimm käme, und von ihrer Feder leben, sahen sich später zum Schweigen verurteilt. Die Reichskulturkammer, die faktisch selbst eine Art Sektion der Deutschen Arbeitsfront darstellte, einer korporativen Organisation, deren Ziel ausdrücklich die Schaffung einer Volksgemeinschaft war, 1 8 5 bestand aus sechs Kammern, die für Literatur, Theater, Musik, Rundfunk, Presse und bildende Künste zuständig waren. Seit dem 14. Juli 1933 existierte schon eine spezielle Kammer für den Film. Diese Gegebenheiten wurden durch eine Verordnung vom 1. November 1933 ergänzt, in der vor allem festgelegt war, daß der Beitritt zu einer dieser speziellen Kammern für alle obligatorisch war, deren Tätigkeit mit der Produktion, der Vervielfältigung, der Verteilung oder der Bewahrung kultureller Güter zusammenhing. Danach mußte der Verkäufer von Postkarten oder der Zeitungshändler genauso wie der Journalist, der Maler, der Filmschaffende oder der Schriftsteller Mitglied der Reichskulturkammer sein. D a s bedeutete die völlige Reglementierung des kulturellen Lebens. Die offizielle Vorstellung der neuen Institution erfolgte am 15. November 1933 in Berlin in Gegenwart Hitlers. Zu ihrer Bedeutung erklärte Goebbels, sie sichere durch den Zusammenschluß aller schöpferisch Tätigen die geistige Einheit der Kultur und trage dazu bei, die hoffnungslose Leere auszufüllen, die bisher zwischen den Künstlern und den dynamischen Kräften der deutschen Nation bestanden habe. Der Propagandaminister verwahrte sich dagegen, die freie Entwicklung des kulturellen Lebens hemmen zu wollen; er behauptete, diese Maßnahmen seien im Gegenteil ergriffen worden, um die Kunst voranzubringen. Nach seiner Ansicht komme es dem Staat wie einem 109

Mäzen zu, die Kunst zu schützen und zu lenken. Das künstlerische Werk sei eine gesellschaftliche Notwendigkeit, und es könne folglich nicht nur dem egoistischen Vergnügen einiger Amateure vorbehalten bleiben, zumal der Künstler die Freuden und Leiden seines Volkes mitempfinden müsse, um Bleibendes schaffen zu können. In diesem Sinn sei allein der Staat als Verkörperung der Volksgemeinschaft in der Lage, die Kunst auf eine dem Volk gemäße Konzeption zu orientieren. Die vorgebrachten juristischen Motive (in einer einzigen Organisation verschiedene Gruppen von Künstlern zusammenzufassen) traten in dieser verworrenen Darlegung von Argumenten schließlich hinter den offen politischen Gründen zurück: Eine nationalsozialistische Epoche könne aus Prinzip nur eine nationalsozialistische Kunst haben, erklärte Hitler auf dem Reichsparteitag 1936. Nach Ansicht von Goebbels ist die Kultur der vollkommenste Ausdruck der schöpferischen Kräfte eines Volkes, und die Mission des Künstlers könne sich außerhalb der Volksgemeinschaft nicht voll verwirklichen. Wenn man davon ausging, daß der Nationalsozialismus der Bewahrer dieser Werte war, kam es den Künstlern logischerweise zu, sich seinen Auffassungen unterzuordnen. Die Freiheit des künstlerischen Schaffens, zu deren Anwalt sich Goebbels auf den ersten Blick zu machen scheint, muß innerhalb dieser Kette von Deduktionen gesehen werden, d. h. sie wird damit praktisch liquidiert. Goebbels erklärt die Kunst als frei, aber mit der Einschränkung, daß diese Freiheit außerhalb der festgelegten Grenzen, die angeblich von den nationalen Lebensinteressen des Volkes bestimmt sind, nicht geduldet wird. Die Unterordnung der Künstler werde nicht durch die Entscheidungen verantwortlicher Nazis befohlen, sondern sie sei durch die historische Notwendigkeit bedingt, durch das Schicksal des Volkswillens, dessen Wiedergeburt die Epoche mit Recht fördere. Der organisatorische Aufbau der Reichskulturkammer entsprach im wesentlichen dieser eigenartigen Vorstellung von der Freiheit des künstlerischen Schaffens. An der Spitze der Reichskulturkammer stand ein Präsident, und zwar der Propagandaminister Goebbels selbst. Dieser ernannte nach eigener Entscheidung und ohne vorhergehende Wahl den Präsidenten jeder einzelnen Kammer. Diese Präsidenten wurden von einem Präsidialrat unterstützt, dessen Mitglieder ebenfalls vom Präsidenten der Reichskulturkammer ernannt wurden, und von einem Verwaltungsrat, dessen Mitglieder er gleichfalls nach eigenem 110

Ermessen ernennen und abberufen konnte. Jeder einzelnen Kammer waren alle Organisationen angegliedert, deren Tätigkeit direkt oder indirekt mit ihrer Funktion zusammenhing. So umfaßte die Reichsschrifttumskammer den Reichsverband Deutscher Schriftsteller, aber auch verschiedene Organisationen, deren Aufgabe mehr in der Distributionssphäre l a g : den Börsenverein der Deutschen Buchhändler, die Gesellschaft der Bibliophilen, die Reichsfachschaft Buchhandel im Deutschen Handlungsgehilfenverband. So wurde das kulturelle Leben in seinen Grundzügen durch den Regisseur bestimmt, der alle Fäden zog - den Propagandaminister. W a s das eigentliche künstlerische Schaffen angeht, so scheint es leicht vorstellbar, daß der Künstler außerhalb der Öffentlichkeit nur für sich malt oder schreibt. Aber selbst wenn man annimmt, daß für bestimmte Künstler diese Möglichkeit auch materiell gegeben war, so kommt eine solche Haltung doch eher einer Form von Selbstmord gleich. In der Tat hat jedes Kunstwerk (Buch, musikalische Komposition, Bild) in bezug auf die Gesellschaft auch Warencharakter, und zwar insofern, als es verkauft werden muß, wenn der Künstler weiter als Künstler leben will. Im faschistischen Staat mußte nun nicht nur jeder geistig Tätige Mitglied der für seine Tätigkeit zuständigen Kammer sein, sondern er konnte ihr nicht einmal nach eigenem Ermessen beitreten, denn sein Beitritt mußte zuvor vom Präsidenten der betreffenden Kammer gebilligt werden. Zu diesem Zweck mußte das virtuelle Mitglied einen detaillierten Fragebogen ausfüllen, auf dessen Grundlage dann eine Ermittlung eingeleitet wurde. Paragraph zehn der Verordnung vom 1. November 1933 über die Gründung der Reichskulturkammer legte fest, daß der Beitritt zu einer bestimmten Kammer verweigert oder eins ihrer Mitglieder ausgeschlossen werden konnte, wenn es Beweismaterial dafür gab, daß die betreffende Person nicht die zur Ausübung ihrer Tätigkeit unbedingt erforderlichen Qualitäten und Fähigkeiten besaß. 186 Wodurch wurde dieser Qualitätsbegriff im Dritten Reich bestimmt? Zunächst durch rassische Kriterien und zum andern durch den Grad der Sympathie für die nationalsozialistischen Auffassungen. Das künstlerische Schaffen war also vollkommen der Willkür der faschistischen Machthaber unterworfen. Ein Schriftsteller, dem die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer verweigert worden war, hatte kein Recht mehr, Beziehungen zu einem Publikum zu unterhalten, auch wenn es nur aus einem Kreis von Freunden bestanden hätte. Es war für einen Künstler unmöglich geworden, seine Werke selbst auszustellen, seine

III

Bücher zu verkaufen oder seine Kompositionen selbst aufzuführen. Das Gesetz versperrte seiner Produktion den Zugang zur Öffentlichkeit und zum Markt. Sie konnte sich nicht mehr als Kunst bestätigen.

Die Ächtung der modernen Kunst Die gesamte kulturelle Tätigkeit in Deutschland geriet allmählich unter die Amtsgewalt des Propagandaministers. Im Verlauf der Jahre 1934 und 1935 regelten mehrere Gesetze nacheinander die Organisation des Films, des Theaters, der Musik und der Literaturkritik. Richtlinie für jedes Gebiet war, den etwa noch vorhandenen Teil Selbständigkeit einzuschränken, um eine bessere Verbreitung des faschistischen Gedankenguts zu sichern. Extremes Beispiel dafür ist die Presse, der die Beamten von Goebbels täglich Schwerpunkte und Form der Berichterstattung vorschrieben, wobei man allerdings einem renommierten Blatt wie der Frankfurter Zeitung als Aushängeschild für das Ausland ein gewisses Maß an Eigeninitiative überließ. Ein Ereignis, das die Kulturpolitik in den ersten Jahren des Dritten Reichs besonders auf die Probe stellte, war die im März 1934 in Berlin der „Italienischen futuristischen Flugmalerei (Aeropittura)" gewidmete Ausstellung, die vorher bereits in Hamburg gezeigt worden war. (Siehe S. 244 ff.) Dem Komitee, das die Schirmherrschaft ausübte, gehörten die Regierungsmitglieder Goebbels, Rust und Göring an, dazu der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, Eugen Hönig, und Vittorio Cerruti, der Botschafter des faschistischen Italien. Marinetti selbst eröffnete die Ausstellung. An seiner Seite standen der Dichter und Dramaturg Ruggero Vasari, der sich bereits kurz nach dem ersten Weltkrieg in Berlin niedergelassen hatte, sowie zwei deutsche Helfershelfer, ehemalige Expressionisten, Rudolf Blümner und Gottfried Benn, der damals Vizepräsident des offiziellen Schriftstellerverbandes (RDS) war. Nach den Verfolgungskampagnen gegen Schriftsteller und Künstler, die als Repräsentanten des „Kulturbolschewismus" hingestellt worden waren, und nach der zwangsweisen Vereinigung aller auf kulturellem Gebiet Tätigen in der Reichskulturkammer brachte eine solche Ausstellung Probleme mit sich. Es ging dabei weniger um den italienischen Futurismus als um das Schicksal der modernen Kunst im faschistischen Deutschland selbst. Sollte der deutsche Faschismus von jetzt an gewissen modernistischen Tendenzen in der Kunst freien Lauf lassen? 112

Es lohnt, den Hintergrund dieser Berliner Ausstellung zu beleuchten, um verständlich zu machen, worauf sie zielte. Im Laufe des Sommers 1933 widersetzte sich eine Gruppe nationalsozialistisch organisierter Studenten den Maßnahmen gegen die moderne Kunst. Sie taten das im Namen der „nationalen" Tradition und des „nordischen" Geistes, indem sie behaupteten, die Maler der Brücke und des Blauen Reiters müßten in diesem Kontext gesehen werden und nicht im Zusammenhang mit dem „Kulturbolschewismus". Zwei junge Maler waren die Sprecher dieser Gruppe: Otto Andreas Schreiber und Hans Weidemann; letzterer war schon seit langem politischer Agitator der Nazis. Sie protestierten z. B. gegen die Angriffe auf Barlach, Kirchner, Nolde und Schmidt-Rottluff. Am 29. Juni 1933 fand eine vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund organisierte Kundgebung an der Berliner Universität statt. Otto Andreas Schreiber wandte sich dort unter starkem Beifall gegen den „Versuch der kunsthistorischen Dogmenbildung durch unschöpferische Menschen" ( D e u t s c h e Allgemeine Zeitung vom 10. Juli 1933). Die Polemik wurde bald publik. Ein Teil der liberalen Bourgeoisie reagierte optimistisch. Man hoffte, daß die durch die Übertreibung der faschistischen Kulturpolitik hervorgerufenen Spannungen nachlassen würden. Dem faschistischen System stand man nicht grundsätzlich feindlich gegenüber, wünschte aber, daß es humaner würde. Derartige illusionäre Auffassungen wurden durch das Image gestützt, das die Naziführer hatten und das besonders in der Umgebung von Schacht und Neurath verbreitet war: „Die Nationalsozialisten sind gar nicht so schlimm, man muß nur mit ihnen umzugehen wissen." 187 Eine der seltenen öffentlich zum Ausdruck gebrachten Kritiken stammt von dem Maler Karl Hofer. (Siehe S. 242 ff.) Sie wurde in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 13. Juli 1933 gedruckt und als ein Beitrag zu der gerade stattfindenden Auseinandersetzung um die moderne Kunst präsentiert. Wenn man diese Stellungnahme jedoch aufmerksam liest, stellt man fest, daß ihr das antifaschistische Engagement fehlt und sie eher wie eine Lektion über ästhetische Fragen wirkt. Karl Hofer stellt allerdings auf jeden Fall die Stoßrichtung der Nazikulturpolitik in Frage. 188 Er greift Auffassungen an, die unter dem Vorwand, eine dem Volk gemäße Kunst zu privilegieren, den Kitsch förderten, aber er spricht nicht als Gegner des Faschismus, und seine politische Ungeschicklichkeit ist zu offensichtlich, als daß sie nicht aufrichtig sein könnte. Sein Standpunkt ist ausschließlich der eines Malers, der in aller Freiheit so weitermalen möchte, wie er es 8

Faschismus

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bisher tat. Mit der Naivität eines „reinen" Künstlers spricht er willkommene Wahrheiten aus, entschuldigt aber zugleich die Nazis wegen der gegen die moderne Kunst organisierten Kampagnen und sucht die Verantwortung dafür in vage bezeichneten reaktionären Strömungen. In seinem Brief liefert Karl Hofer außerdem absichtlich oder unwissentlich Argumente, die - was viel schwerer wiegt - zu der Auffassung führen mußten, der Faschismus könne unter der Voraussetzung, daß er eine etwas intelligentere Kunstpolitik betreibe, akzeptabel sein. Karl Hofer bewies Mut, als er öffentlich Kritik an der faschistischen Kulturpolitik übte. Seine Stellungnahme führte übrigens dazu, daß er als einer der ersten Dozenten an einer Kunsthochschule suspendiert wurde und Malverbot erhielt.189 Angesichts der Realität des Dritten Reiches festigte sich seine politische Haltung, so daß er in seinen Werken sogar einen konsequenten Antifaschismus zum Ausdruck zu bringen begann.190 Noch nach 1945 wird er die Zielscheibe der Reaktionäre sein, die seine humanistische Überzeugung und seine eindeutige Ablehnung des antikommunistischen Kurses der B R D nicht billigen. Aber ein Brief wie der aus dem Jahre 1933 an die Deutsche Allgemeine Zeitung ist Teil einer Argumentation, welche die entschiedene Entwicklung eines konsequenten Antifaschismus nicht zuläßt: In ihm tritt nicht nur ein gewisser Ästhetizismus im Sinne einer sich gegen den Geschmack der Massen wendenden künstlerischen Elite in Erscheinung, sondern es bleiben auch die wesentlichen ideologischen Faktoren des Faschismus, nämlich Antisemitismus und Antikommunismus, unangefochten. Die erste offizielle Antwort, die alle Illusionen zerstörte und alle Diskussionsversuche abbrach, gab Alfred Rosenberg: Er bezeichnete Otto Andreas Schreiber als einen den Brüdern Strasser nahestehenden Ultrarevolutionär, und unser Empörer, der seine Lage nicht verschlimmern wollte, sah sich gezwungen nachzugeben. E r richtete am 14. Juli 1933 in der Deutschen Allgemeinen Zeitung Entschuldigungen an die Adresse Rosenbergs und erklärte, er habe nicht gegen dessen persönliche Auffassungen polemisieren wollen. Dieser Rückzug war notwendig, denn am 22. Juli 1933 sollte - unterstützt von den Nazistudenten in Berlin in der Galerie Ferdinand Moeller - eine Ausstellung unter dem Titel Dreißig deutsche Künstler eröffnet werden, in der die nichtjüdischen Expressionisten (Barlach, Macke, Nolde, Pechstein, Rohlfs, Schmidt-Rottluff) um einige junge Maler gruppiert 114

wurden. Die Eröffnung fand tatsächlich statt, aber drei Tage später wurde die Ausstellung auf Anweisung des Reichsinnenministers Wilhelm Frick geschlossen. Innerhalb der Nazibewegung spielte sich damals in der Tat ein Richtungskampf ab. Am 24. Januar 1934 wurde Rosenberg von Hitler zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der N S D A P " ernannt. In diesem Zeitabschnitt vertrat Goebbels eine Richtung, die danach strebte, die bürgerlichen Schriftsteller und Künstler eventuell sogar die „modernistischen" - mit dem deutschen Faschismus zu verbinden. Der Propagandaminister, der sich rühmte, selbst auch Schriftsteller zu sein, erinnerte bei dieser Gelegenheit an seine eigene „expressionistische" Vergangenheit. Im Gegensatz dazu vertrat Rosenberg den „nationalistischen" Flügel. Indem Hitler Rosenberg diese Überwachungsfunktion zuwies, bestimmte er zugleich seine eigene Position. Doch seine Taktik bestand i m m e r - v o r allem in jenen Jahren der inneren Machtkämpfe (im Juni 1934 kam es zur Röhm-Affäre) - darin, die internen Rivalitäten sich entwickeln zu lassen oder sie, wenn nötig, sogar zu provozieren, um dann als Richter über die Cliquen auftreten, dessen Autorität sich schließlich jeder unterwerfen mußte. Dieser Sachverhalt erklärt, daß einige Monate nach der Schließung der „expressionistischen" Ausstellung in der Galerie Ferdinand Moeller Otto Andreas Schreiber und Hans Weidemann im Auftrag von Goebbels an verantwortlicher Stelle in der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude tätig sind. Ende Oktober 1933 konnte Otto Andreas Schreiber sogar die Zeitschrift Kunst der Nation gründen. Sie erschien monatlich zweimal mit einer Auflage von beinahe 5000 Exemplaren und verteidigte die sogenannte avantgardistische Kunst. Und im Januar 1934 wurden auf Schreibers Anregung in Berlin wieder Werke von Barlach, Feininger und Nolde ausgestellt. Bis dahin hatte sich die Gegenseite darauf beschränkt, im Völkischen Beobachter die „Saboteurcliquen" anzuprangern, die von der durch Hitler auf dem Nürnberger Parteitag 1933 verkündeten Kulturproklamation abwichen. D a das wirkungslos blieb, schrieb Rosenberg damals an Robert Ley, dem die Organisation Kraft durch Freude unterstand, daß sich eine kulturelle Orientierung breitmache, die vollkommen im Gegensatz zu den Prinzipien stände, für welche die Partei seit vierzehn Jahren gekämpft hätte. 191 Aber es geschah nichts, und die Galerie Ferdinand Moeller stellte 8*

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noch im April 1934 mehr als 60 Aquarelle und Lithographien von Nolde aus, eine Initiative, der die Zeitschrift Kunst der Nation ihre Anerkennung aussprach. Dieses Mal schrieb Rosenberg an Goebbels persönlich und beschwerte sich darüber, daß durch ihn, Goebbels, die Prinzipien der nationalsozialistischen Weltanschauung stäadig unter, miniert würden. Doch endete diese Auseinandersetzung im September 1934 auf dem nächsten NSDAP-Parteitag mit dem Eingreifen der obersten Autorität. Hitler traf die Entscheidung, indem er zwei Gefahren anprangerte, vor denen die nationalsozialistische Bewegung bewahrt werden müsse: Die eine werde von den „Kunstverderbern" verkörpert, die den gesunden Körper des Nationalsozialismus vergifteten, d. h. von den Kubisten, Futuristen, Dadaisten usw., die andere käme von den nostalgischen Verehrern der Vergangenheit. Im Namen der Reinerhaltung des Nationalsozialismus sprach sich Hitler also gleichzeitig gegen Goebbels und gegen Rosenberg aus. Wie die Kulturpolitik der Nazis in späteren Jahren beweist, tendierte Hitler persönlich eher zu Rosenberg als zu Goebbels. Aber seine Taktik auf kulturellem Gebiet war damals auch durch die politischen Umstände bedingt. Wenn er Rosenberg recht gab, so zielte er dadurch auf den ultrarevolutionären Flügel der Nazibewegung und setzte damit die Ausschaltung von Anhängern Röhms und Gregor Strassers fort. Auf dem Umweg über Angriffe gegen die regionalistischen und ultrareaktionären Tendenzen führte er die Zurückdrängung der konservativen Nationalisten um von Papen und Alfred Hugenberg weiter. Der Futurismus vereinte in sich gerade jene beiden Richtungen, die bekämpft werden sollten: Einerseits sammelte er in Deutschland selbst wieder eine Gruppe von Unruhestiftern, die einen bestimmten politischen Widerspruch gegen das Regime nährten; andererseits brachte Hitler ihn mit Mussolini in Verbindung, den er am 14. und 15. Juni 1934 getroffen hatte und in dessen Äußerungen er die politische Sprache der Clique um von Papen zu erkennen meinte. Durch Hitlers Eingreifen wurde die „Ordnung" wiederhergestellt, und fast alle Beteiligten entschlossen sich endlich, im Gleichschritt zu marschieren. Goebbels und Rosenberg gaben jeder in gewisser Weise nach, vor allem Goebbels. Die moderne Kunst war im Dritten Reich für immer ausgeschaltet. Die Zeitschrift Kunst der Nation wurde Anfang 1935 verboten. Otto Andreas Schreiber und Hans Weidemann beugten sich und setzten ihre Karriere bei Kraft durch Freude fort. Weidemann wurden sogar neue Verantwortlichkeiten 116

übertragen, in die er seinen Gesinnungsgenossen einbezog: Im Oktober 1935 wurde er von Goebbels zum Vizepräsidenten der Reichsfilmkammer ernannt. 192

Der „Säuberungs krieg" Gewiß bestanden die Rivalitäten zwischen den auf kulturellem Gebiet verantwortlichen Nazis in verschleierter Form weiter. Rosenberg besaß durch seine neue Parteifunktion endlich die Macht, gegebenenfalls auf Entscheidungen in kulturellen Fragen Einfluß zu nehmen. Abgesehen von den Ereignissen, zu denen es im Zusammenhang mit der Futurismus-Ausstellung gekommen war, bewies sein wiederholtes Eingreifen zwischen 1934 und 1936 sein Vermögen, Entscheidungen von Goebbels umzustoßen. So z. B. sein erfolgreicher Protest im November 1934 gegen die Aufnahme von Werken Paul Hindemiths in Konzertprogramme; der Skandal um Richard Strauß und dessen Rücktritt als Präsident der Reichsmusikkammer im Juli 1935, weil man ihm seine freundschaftlichen Beziehungen zu dem „Juden" Stefan Zweig vorwarf; im Oktober 1935 die Verdrängung Hans Friedrich Bluncks von der Präsidentschaft der Reichsschrifttumskammer und seine Ersetzung durch Hanns Johst, weil Blunck in einer Rede ein Konkordat zwischen dem Nazis und den deutschen Juden vorgeschlagen hatte, ähnlich dem, das mit der katholischen Kirche abgeschlossen worden war. Aber seit 1936 bemühte sich Goebbels seinerseits, die Spannung zu Rosenberg abzubauen. Eine Basis für diese Annäherung war die Einheitlichkeit der Auffassungen, die sich allmählich zwischen ihnen wie auch in der gesamten Führung im Hinblick auf die Probleme der modernen Kunst herausbildeten. Zwei im Juli 1937 in München - einem symbolischen Ort, weil diese Stadt als historische Hauptstadt der faschistischen Bewegung galt - eröffnete Gemäldeausstellungen waren charakteristisch für die erreichte Übereinstimmung. In der einen war die sogenannte echte deutsche Kunst zu sehen, in der anderen die im Gegensatz zu ihr stehende sogenannte entartete Kunst. Obwohl Rosenberg für die letztere nicht verantwortlich war und obwohl sie ihm verschiedene Vorwände zur Kritik bot, protestierte er diesmal nicht. Andererseits sah sich Goebbels, der bis zum Frühjahr 1937 versucht hatte, eine andere Möglichkeit als diese Art von öffentlicher Zurschaustellung zu finden, 117

durch die Umstände veranlaßt, selbst die Verfolgung der modernen Maler anzuordnen: Er eröffnete persönlich die Ausstellung der - zu Unrecht - als entartet bezeichneten Kunst. Ähnlich wie die Bücherverbrennung von 1933 markierten diese Ausstellungen einen entscheidenden Punkt in der Kulturpolitik des faschistischen Deutschland. Jetzt ist alles offiziell verdammt, was Hitler in Mein Kampf als intellektuelle Verderbtheit, als Prostitution der Kunst, als Extravaganzen von Narren und von Dekadenten definiert hatte. Dem deutschen Volk wurde zum einen gestattet, die als „schöpferisch" geltenden Werte zu betrachten, zum anderen präsentierte man ihm - anhand einer Übersicht über die in der Weimarer Republik geschaffene Malerei - ein „Museum des Schreckens" mit seinen verschiedenen Abteilungen, die mit suggestiven Titeln versehen waren: „Offenbarung der jüdischen Rassenseele", „Invasion des Bolschewismus in die Kunst", „Verhöhnung der deutschen Frau", „Beschimpfung der Helden", „Die deutschen Bauern aus jüdischer Sicht", „Vollendeter Wahnsinn", „Die Natur im Spiegel kranker Geister". 193 Die Urheber dieser „unverständlichen Schmierereien" 194 waren unter anderen Franz Marc, George Grosz, Ernst Barlach, Paul Klee und Wassili Kandinsky. Schließlich schienen Rosenberg und Goebbels Hitlers Meinung zu teilen, derzufolge es nach vier Jahren faschistischer Herrschaft an der Zeit sei, die in bezug auf die Grundprinzipien sekundären Meinungsverschiedenheiten zurückzustellen und energische Maßnahmen zu ergreifen, um auf allen Gebieten die faschistischen Konzepte durchzusetzen. Das war der eigentliche Sinn der Äußerungen Hitlers, und sicher sprach er nicht zufällig so nachdrücklich von „Krieg", als er am 18. Juli 1937 offiziell das Haus der Deutschen Kunst in München eröffnete: „Wir werden von jetzt ab einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung." 195

Bücber %ur Manipulierung der Jugend Die Schriftsteller, die sich vom deutschen Faschismus distanziert hatten, aber in Deutschland bleiben und nicht emigrieren wollten, konnten auch nicht auf Bücher für Kinder ausweichen, denn die Kinder- und Jugendliteratur wurden in derselben Weise reglementiert wie die übrige literarische Produktion. Im Juni 1933 entstand auf dem Kongreß deutscher Erzieher in Magdeburg der Plan für ein Amt zur 118

Überwachung des Jugendschrifttums. Von 1933 bis 1935 beschäftigten sich verschiedene Kommissionen mit seiner Ausarbeitung. Es wurde die Gründung von 41 Landesstellen beschlossen, die dem Nationalsozialistischen Lehrerbund angegliedert waren und alle für Kinder bestimmten Bücher kontrollieren sollten. Kataloge wurden aufgestellt, in denen die zu verbietenden Werke verzeichnet waren. Schon seit 1927 verfügte die Hitlerjugend über einige Zeitschriften für ihre Mitglieder. Aber seit der Errichtung der Naziherrschaft spielte die faschistische Jugendorganisation in Verbindung mit dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung auf kulturellem Gebiet eine immer größere Rolle. Im Dezember 1934 versuchte sie mit Hilfe der von Baidur von Schirach gegründeten Arbeitsgemeinschaft junger Künstler, die Aufgaben der jungen Generation bei der Entwicklung einer lebendigen „echten deutschen" Kunst zu bestimmen. Auf ihre Anregung hin wurden nicht nur zehn neue Publikationen (Zeitschriften oder Zeitungen zu Fragen des Sports wie Sport der Jugend und über politische Probleme wie Wille und Macht und Das Junge Deutschland) herausgegeben, sondern sie gründete 1935 auch eine Kommission, die eine Auswahl unter den für die Jugend bestimmten Büchern zu treffen hatte. Diese „Riesenaufgabe" auf dem Gebiet der ideologischen Bildung wurde der Hitlerjugend „in ihrer Eigenschaft als die vom Vertrauen des Führers getragene Gemeinschaftsorganisation der deutschen Jugend" übertragen.196 Ihre Führer betonten verschiedentlich: „Es muß darüber Klarheit herrschen, daß das Wollen der deutschen Jugend auch auf dem Gebiet des Jugendschrifttums durch die H J repräsentiert wird." 197 In der Pariser Wochenschrift L'Europe Nouvelle bestätigte ein Journalist mit dem Pseudonym L'observateur genevois nach der Lektüre des Bestsellers Mutter, erzähl von Adolf Hitler! (Ein Buch zum Vorlesen, Nacherzählen und Selbstlesen für kleinere und größere Kinder) von Johanna Haarer, in dem das Leben Hitlers für Kinder erzählt wird, die Wirksamkeit derartiger Jugendbücher und schrieb: „Ich gebe offen zu, daß ich selten etwas so Ergreifendes und Überzeugendes gelesen habe wie die gemeine Geschichte der jüdischen Händlerin Veilchenstein, die - wie die Hexe aus den Feenmärchen - während des letzten Krieges mit ihrem Sohn im Hinterstübchen eines Ladens an der Zersetzung Deutschlands arbeitet. Ich habe auch die Entrüstung von Hermann und Fritz und den Kummer Gertruds verstanden, als ihre Mutter ihnen vom rührenden Tod des großen Helden erzählt, den sie in dem widerwärtigen Zuhälter Horst Wessel 119

sieht. Ich verzieh diesen armen Kindern, daß sie Siegfried und Jesus in ihrem Herzen durch die unheilvolle Gestalt Hitlers, des Schurken mit den blutigen Händen, ersetzt haben."

Manipulierung durch

Freizeitgestaltung

Indoktrinierung und Verhetzung durch sämtliche Spielarten unterhaltender Bücher wurden in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens betrieben. Die Erwachsenen waren dem Druck der faschistischen Kulturpropaganda durch die Organisation Kraft durch Freude ausgesetzt. Die Freizeitgestaltung der Deutschen wurde jetzt planmäßig gelenkt. Eines der offiziell erklärten Ziele der am 27. November 1933 gegründeten NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude (siehe S. 204 ff.) bestand darin, den Werktätigen das künstlerische und kulturelle Erbe des deutschen Volkes zugänglich zu machen.198 Zu diesem Zweck kam es zu einer wirksamen Zusammenarbeit mit der Reichskulturkammer: Gemeinsame Museumsbesuche, Wanderausstellungen mit Gemälden und Plastiken, Vorträge von renommierten Nazischriftstellern wurden organisiert, es gab Kunstwerke, die für jeden Geldbeutel erschwinglich waren, usw. Es sei nötig, so drückte es Robert Ley in einer Rede vom 28. November 1938 aus, die Arbeit durch die Kunst zu verschönern; man müsse die Türen der Kunst für den Arbeiter, für den Bauern, ja für das ganze Volk so weit öffnen, daß jeder am Schönen teilhaben könne. Alle Deutschen sollten sich bilden. Diese an sich nicht schlechte Forderung bezog sich aber in der Praxis natürlich nur auf die Aneignung und Verbreitung des faschistischen Gedankenguts. In einer Propagandabroschüre in französischer Sprache mit dem Titel L'Esprit et les realisations du nationalsocialisme kann man unter einer Fotografie, die Regale voller Bücher und einen am Tisch sitzenden Arbeiter in einem Zimmer zeigt, das durch ein großes Fenster erhellt wird und augenscheinlich von konzentrationsfördernder Ruhe erfüllt ist, folgendes zu lesen: „In den Bibliotheken der großen Unternehmen finden die Arbeiter Bücher, um sich zu unterhalten und zu bilden." Doch was waren das für Bücher? Man hat dabei sofort ein übergroßes Werbeplakat für das Buch der Bücher vor Augen, das in jeder Bibliothek vorhanden sein mußte: Hitlers Mein Kampf. „Das Buch, ein Schwert des Geistes" heißt es auf einem anderen Plakat. Welchen Sinn haben diese Worte? Der Vizepräsident der Reichsschrifttums120

kammer, Wilhelm Baur, formuliert ihn auf folgende Weise: „Das Buch ist eine Waffe, Waffen gehören in die Hände von Kämpfern, Kämpfer für Deutschland zu sein, heißt Nationalsozialist sein."199 Kraft durch Freude war eine genaue Nachbildung der Freizeitorganisation des faschistischen Italien, des Dopolavoro. 200 Aber die Tätigkeit der deutschen Organisation war viel systematischer und umfassender als die der italienischen, da die deutsche Gesellschaft für solche Absichten wesentlich aufnahmebereiter war. Das erklärte Ziel der Organisation Kraft durch Freude war, sich durch Ansprechen der Gefühle der gesamten Lebenswelt des deutschen Arbeiters zu bemächtigen, und dementsprechend wurden die Mittel gewählt. Die spektakulärsten Unternehmungen gab es auf dem Gebiet der Reisen. Ein erstes Passagierschiff wurde am 5. Mai 1937 in Anwesenheit Hitlers in Hamburg feierlich vom Stapel gelassen, und etwa zehn weitere kamen in der Folgezeit noch dazu. Nach offiziellen Angaben nahmen 1934 zwei Millionen und 1937 sechs Millionen Deutsche an Kreuzfahrten teil. Zwischen Deutschland und Italien fand auf Grund von Verträgen der beiden Freizeitorganisationen ein regulärer Austausch statt. Den italienischen Werktätigen wurden einwöchige Urlaubsaufenthalte in Deutschland geboten, während es mit Hilfe der Kreuzfahrten möglich war, jährlich dreißigtausend deutsche Werktätige nach Genua, Neapel, Palermo und Venedig zu befördern. Das zu Kraft durch Freude gehörende Amt Schönheit der Arbeit verfügte über Kontrollbeauftragte, die die Betriebe inspizierten. Als Vorwand dafür wurde die Verbesserung des Arbeitsplatzes und damit der Lebensqualität angegeben. Brecht entlarvte die demagogisch verbrämte Zielstellung in einer Szene in Furcht und Elend des Dritten Reiches, indem er zeigte, wie auf diese Weise versucht wurde, die Arbeiterklasse in das kapitalistische Ausbeutungssystem zu integrieren. Wenn man berücksichtigt, daß die Beiträge für Kraft durch Freude obligatorisch waren, finanzierten die Arbeiter also eine Intensivierung ihrer eigenen Ausbeutung, da die vorgeschlagenen Verbesserungen nur dazu dienen sollten, ihre Arbeitskraft zu steigern oder zu reproduzieren. Ein doppelter Aspekt wurde verfolgt: Es ging darum, die Bevölkerung zur Volksgemeinschaft zusammenzuschließen und auf der Grundlage materieller Bedürfnisse bestimmte Produktionszweige zu entwickeln. So präsentierte eine vom Amt Schönheit der Arbeit veranstaltete Ausstellung vom 13. Oktober bis 3. November 1937 Wohnungen und Möbel, die den damals modernen Ansprüchen an Ar121

beiterwohnungen entsprachen.201 1939 wurde beschlossen, in großem Maßstab einen „Volkswagen" zu produzieren, den Arbeiter und Angestellte über ein System wöchentlicher Lohnabzüge erwerben konnten. Da der Fälligkeitstermin in weiter Ferne lag - die Fabriken sollten erst Ende 1945 fertig sein - , fand dieses Projekt anfangs wenig Zuspruch, und später wirkte sich der Krieg nachteilig auf den Zustrom von Interessenten aus. Robert Ley hatte für 1945 eine Jahresproduktion von mehr als einer Million Wagen vorausgesagt. Hygiene, Gesundheit und Sauberkeit waren für Kraft durch Freude Gegenstand ständiger Aufmerksamkeit. Robert Ley - selbst Alkoholiker - trat entschieden gegen die Umweltverschmutzung auf. Das Amt Schönheit der Arbeit führte ökologische Kampagnen durch etwa unter der Losung: gesunde Luft für einen gesunden Ort. Wissenschaftliche Berechnungen wurden angestellt, um die von den Einwohnern Berlins absorbierten Kubikmeter Staub und die Menge der täglich von den Schülern in den Klassenzimmern aufgenommenen Bakterien zu ermitteln. Es wurde bewiesen, wie schädlich schlecht eingerichtete, mangelhaft belüftete und schlecht ausgestaltete Fabrikräume für die Gesundheit des Arbeiters und damit schließlich für die nationale Produktion waren. Die gesellschaftliche Sorge um die Reinerhaltung der Luft sollte - so hieß es wenigstens - ein wesentlicher Beitrag zum Wohl der Volksgemeinschaft sein. Aber auch diese Gedanken und Bemühungen beruhten offensichtlich nicht auf humanitären Prinzipien, denn dieses „Wohl" war an die Existenzsicherung des kapitalistischen Ausbeutungssystems geknüpft.

Der Schriftsteller ist Soldat Allmählich wurden auch die Verlage direkt oder indirekt von den Nazis verwaltet oder kontrolliert. Was konnte unter diesen Bedingungen aus dem Schriftsteller und was aus der Literatur werden? 1935 meinte Hans Friedrich Blunck, einer der Beweihräucherer des Regimes, die Freiheit des künstlerischen Schaffens wäre noch niemals so groß gewesen, und die Regierung Hitler wäre die erste, die sich so großzügig der Künste annähme. 202 Wie sich die Auffassung von der Rolle des Schriftstellers in den ersten Jahren des Dritten Reiches veränderte, ist z. B. an den Plaketten zum „Tag der Arbeit" ablesbar. Man erkennt daran sehr deutlich, auf welche Weise die Nazis die Symbole benutzten, die ihnen 122

öffentlich als Sinnbild angeblich bestehender gesellschaftlicher Beziehungen dienten, welche ihrerseits wiederum die Grundlage bildeten, auf der sie ihr Gebäude errichten und die Massen beeinflussen wollten. Die Plakette zum 1. Mai 1934 zeigt unten einen Adler mit einer Sichel an dem einen und einem Hammer am anderen Flügel; über ihm in der Mitte ist ein Porträt en face zu sehen: Goethe - Sinnbild des Schriftstellers. Bauern, Arbeiter und Intellektuelle sind so vereinigt. Die zwangsweise erfolgte Gleichschaltung wird mystifiziert, indem Symbole der Arbeiterbewegung benutzt und zugleich verfälscht werden. Damals ging es den Nazis darum, die verschiedenen Klassen der Gesellschaft, besonders der Arbeiterklasse und die intellektuellen Schichten der liberalen Bourgeoisie, in ihr System zu integrieren. Ein Jahr später war diese Integration erreicht. Die Plakette von 1935 zeigt einen Arbeiter, der einen Hammer auf der Schulter trägt, einen Schriftsteller, der ein Pergament zusammenrollt, und einen Bauern, der eine Garbe Ähren in den Armen hält. Das Bild symbolisiert die Rückkehr in ein Zeitalter, in dem es noch keinen Klassenkampf gab. Die drei Gestalten scheinen vorwärts zu marschieren, sie stehen alle in gleicher Größe über den Flügeln eines Adlers. Daraus läßt sich die Vorstellung von Uniformierung, von disziplinierter Arbeit für ein gemeinsames Ziel ablesen. 1936 schließlich ist auf der Plakette keine menschliche Gestalt mehr zu sehen. Die Symbole erscheinen nun in reinster Form: ein Pflug, ein Hammer, ein Schwert. Der Schriftsteller wird allein durch das Schwert symbolisiert und damit dem Soldaten gleichgestellt. Der schöpferische Geist ist nur noch eine Waffe, die dem - das ewige Deutschland symbolisierenden - Adler untergeordnet ist. Außerdem ist bezeichnend, daß das Schwert nicht mehr den Platz in der Mitte einnimmt wie der Schriftsteller auf den beiden vorhergehenden Plaketten, sondern dem Pflug und dem Hammer folgt. Das entsprach der von Hanns Johst im Frühjahr 1933 aufgestellten Forderung: Die Schriftsteller sollten in der von den Nazis geplanten Gesellschaft nichts anderes als „Kultursoldaten Adolf Hitlers" sein.203 Ein anderes symbolisches Bild, das im Dritten Reich außerordentlich verbreitet war und sogar die Titelseite der Zeitschrift Die Kunst im Dritten Reich schmückte, weist den bildenden Künstlern dieselbe Stellung zu. Auf dem von Richard Klein zum Tag der Deutschen Kunst 1938 in München entworfenen Plakat ist ein Adler zu sehen, der ein Hakenkreuz in einem Kranz aus Eichenlaub in den Klauen 123

hält; in der Mitte seines linken Flügels ist eine Fackel und über ihm ein behelmter, überdimensionaler Minerva-Kopf, der das Ganze beherrscht. Keines der hier verwendeten Symbole war an sich etwas Neues. Vor allem war der Minerva-Kopf schon von Franz von Stuck auf seinem Plakat für die I. Internationale Kunstausstellung des Vereins bildender Künstler Münchens (Secession) 1893 benutzt worden, und die Fackel gehörte zu den alten germanischen Riten. Aber die Kälte und Härte dieses neuen Minerva-Kopfs im Vergleich mit dem Franz von Stucks und die Zusammenstellung aller dieser Zeichen kündigten eine heroische Kunst an, die den Vorkämpfern die Botschaft des nationalsozialistischen Deutschlands überbrachte, eines Deutschlands auf dem Weg in eine mythologisch umwölkte Ewigkeit. Dabei waren nicht einmal nur die Schriftsteller und Künstler betroffen, sondern vielmehr alle, die eine geistige Tätigkeit ausübten: Ärzte und Lehrer, Physiker und Richter, wie es Brecht in Furcht und Elend des Dritten Reiches schildert. Welche Rolle war ihnen zugedacht? Sie sollten sich der Kraft beugen, die angeblich von den Massen ausging und sich im Führer verkörperte. Sie hatten zu dienen und in ihren Werken das „deutsche Wesen" widerzuspiegeln. Anders gesagt, ihre Arbeit war kein originäres Schaffen oder Forschen mehr, sondern sie war apologetisch, ja hagiographisch. Sie bestand darin, die angeblich einzigartigen biologischen Instinkte der arischen Rasse aus ihrem eigenen Inneren hervorzuholen und wirksam werden zu lassen.

Dafür oder dagegen

Waren die Schriftsteller in Deutschland gezwungen, als Schriftsteller zum Naziregime Stellung zu beziehen? Anfangs schien es nicht so. Nur die politisch Klarsichtigen unter ihnen wußten, was auf die Kunst als Ganzes zukommen würde, wenn die Nazis an die Macht gelangten. D i e Haltung der anderen erklärt sich im wesentlichen aus dem geistigen Leben der Epoche, aus ihrer Erziehung und aus den philosophischen Einflüssen, die auf sie gewirkt hatten. Wenn sich einige von ihnen in den ersten beiden Jahren des Dritten Reiches der faschistischen Bewegung anschlössen und andere ins E x i l gingen, so taten sie das weniger im Hinblick auf das Schicksal, das die Literatur erwartete, als mit Rücksicht auf ein größeres Ganzes, dem sie sich verbunden fühlten und bei dem es sich im Grunde um ihre Weltanschauung handelte. 204 Erst allmählich und als der faschistische Staat die gesamte literarische Produktion reglementierte, gaben sich manche 1933 in Deutschland gebliebene Schriftsteller Rechenschaft über die Zusammenhänge zwischen dem Faschismus und den Künsten: Angesichts des ausgeübten Zwanges war es nahezu unmöglich, von der schriftstellerischen Arbeit zu leben, wenn man nicht die Themen der offiziellen Propaganda behandelte. Bestimmte Schriftsteller und Künstler hatten dabei um so weniger Gewissenskonflikte, als das Dritte Reich ja vorgab, die Entwicklung der „Kultur" zu fördern. Balder Olden 2 0 5 , der 1933 ins Exil ging, brachte klar zum Ausdruck, daß er in Deutschland genauso hätte weiterleben können wie vorher, wenn er nicht eine klare Vorstellung von der politischen Situation gehabt hätte: Als ehemaliger Soldat, als reinrassiger „Arier" und Mitarbeiter an bürgerlichen Zeitschriften wäre er zumindest anfangs von den Nazis kaum behelligt worden. E r erhielt übrigens, als er schon in der Emigration war, noch Briefe von inzwischen gleichgeschalteten Publikationsorganen, die Artikel von ihm haben wollten. 125

Durch die faschistische Politik der Nazis war schließlich bedeutend mehr als Literatur und Kunst gefährdet; in Frage gestellt wurde der Mensch überhaupt. Um die Reaktion der deutschen Schriftsteller auf den Faschismus richtig zu verstehen, genügt es also nicht, ihre Werke einer fachlichen Analyse, einer Strukturuntersuchung zu unterziehen, obwohl die Formen nicht von den behandelten Themen, vom Inhalt ihrer Bücher zu trennen sind. Außerdem repräsentiert jeder einzelne einen individuellen Fall mit Besonderheiten, die in einer allgemeinen Tendenz nicht aufgehen. Aber im Rahmen dieser Gesamtdarstellung der Kulturpolitik des deutschen Faschismus kam es mir darauf an, in Form einer kritischen Beschreibung die Motive zu verdeutlichen, die den am häufigsten vorkommenden Haltungen zugrunde lagen.

Gründe für die Unterstützung des Faschismus Zuerst muß die Legende zerstört werden, derzufolge der Nationalsozialismus 1933 der Verteidigung wert gewesen wäre, und erst einige Jahre später nicht mehr. Man kann Gottfried Benn nicht zustimmen, wenn er nach 1945 in einem Brief schreibt, daß der Nationalsozialismus ein wahrhafter und grundlegender Versuch zur Rettung des ins Wanken geratenen Abendlandes gewesen wäre, daß aber unglücklicherweise kriminelle und unqualifizierte Elemente in der Folgezeit den Sieg davongetragen hätten.206 Der Faschismus und seine zerstörerische Gewalt waren jedoch schon 1933 allen Deutschen bekannt (die Presse jener Zeit bezeugt es), besonders den Intellektuellen. Von unglücklichen Umständen zu sprechen, wie Beon es tut, um die später von den Nazis ergriffenen Maßnahmen zu erklären, ist einfach intellektuelle Scharlatanerie. Auf diese Weise versuchte kurz nach dem Kriege eine ganze Reihe von Schriftstellern, die Hitlers Machtergreifung unterstützt hatten, ohne weitere geistige Auseinandersetzung ihr einstiges Verhalten zu rechtfertigen. In Der lautlose Aufstand, einem der ersten Werke über die deutsche Widerstandsbewegung, erklärt Günther Weisenborn, daß 1933 - zur Zeit der Gleichschaltung - für die Intellektuellen drei Verhaltensweisen möglich waren: entweder sich der Widerstandsbewegung anzuschließen oder zu emigrieren (nach innen oder ins Ausland) oder sich selbst zu verleugnen und auf die Seite Hitlers überzugehen.207 Aber viele Schriftsteller brauchten sich nicht einmal selbst zu verleugnen, denn in Deutschland existierte schon lange vor der 126

faschistischen Machtergreifung eine faschistische Literatur, und ihre Repräsentanten (wir haben es im Zusammenhang mit der Reorganisation der Preußischen Akademie der Künste und des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller gezeigt) haben dem Hitlerregime den Weg bereitet. Hans Friedrich Blunck erklärte 1952 in seinen Memoiren, er und seine Gefährten hätten all ihre Hoffnung auf den Nationalsozialismus gesetzt, und niemals, so betonte er nachdrücklich, hätten die verschiedenen Schichten des deutschen Volkes einander so nahegestanden wie in den ersten Jahren des Dritten Reichs. Zur Bücherverbrennung von 1933 äußerte er zynisch, er habe sich nicht beunruhigt über das, was er „Gerüchte" nennt, da solche Dinge seiner Meinung nach alle Revolutionen begleiteten.208 Blunck wußte angeblich von nichts und hatte nichts gesehen; für ihn war der Nationalsozialismus eine Bewegung für das Wohl und für den Fortschritt des Menschen. Wenn man das politische Klima der damaligen Zeit etwas ernsthafter untersucht, kehren sich Rechtfertigungen dieser Art, die es nach dem Krieg in großer Zahl gab, schließlich gegen ihren Urheber. Allerdings waren unter den Schriftstellern, die Hitler unterstützten, auch Opportunisten.209 Unter denjenigen, die 1932 ein Heine-Denkmal für Düsseldorf forderten, befanden sich Leute, die ein Jahr später das Treuegelöbrtis deutscher Schriftsteller für den Reichskanzler Adolf Hitler unterzeichneten, eine Erklärung, die an das berüchtigte Manifest der 93 unter Wilhelm II. erinnert. Aber kann dieser Opportunismus eine Entschuldigung sein? Er war im allgemeinen für zweitrangige Schriftsteller charakteristisch, denen es bisher nicht gelungen war, das Publikum für ihre Werke zu interessieren, und die nun glaubten, die faschistische Regierung werde ihnen endlich die sehnlichst erwartete Wirkung verschaffen. Deshalb durfte der Schriftsteller natürlich keine Feindseligkeit bekunden gegen ein „Schicksal, das sein Volk sich selbst gewählt hatte", wie Gottfried Benn es ausdrückte. Ist die Haltung dieser opportunistischen Schriftsteller nicht in doppelter Hinsicht verwerflich? Selbst wenn man annimmt, daß ihr Werk von faschistischen Tendenzen unberührt blieb, wiegt das ihre öffentliche Anbiederung bei den Nazis auf? . . . Hier geht es immerhin um die moralische Verantwortung des Schriftstellers und nicht mehr nur um fragwürdigen literarischen Ruhm, der mit Hilfe der Lüge, der Unaufrichtigkeit, der Heuchelei und im schlimmsten Falle mit Hilfe der Verherrlichung des Verbrechens erworben wurde. Schriftsteller, die sich bis dahin in Ästhetizismus geflüchtet hatten, 127

entdeckten jetzt offenbar in ihrem eigenen Inneren Gefühle, die sie auf die Seite der „nationalen Revolution" führten. In solchen Fällen kann man schon nicht mehr von Opportunismus sprechen. Die ideologischen Gründe, die die Schüler Stefan Georges veranlaßten, die Nazis zu unterstützen, lagen woanders. Ihr Ästhetizismus verband sich mit der Ablehnung der vorgefundenen Gesellschaft und deren „niedriger" materialistischer Realität. Die Isolierung auf geistigen Höhen, die für die Massen unzugänglich waren, sowie die aristokratische Verachtung des Banalen und Gewöhnlichen mündeten schließlich in eine Negation der Demokratie und in den Ruf nach einer „neuen Ordnung", in der Auserwählte verantwortliche Posten übernehmen sollten. Stefan George selbst distanzierte sich vom Nationalsozialismus und ging ins Schweizer Exil. Interessant aber ist es zu untersuchen, wie Georges Bewunderer sein Werk auslegten. Der Dichter und Professor für Literaturgeschichte Ernst Bertram 210 z. B. erblickte darin die Versöhnung dreier Richtungen: eine klassische Poesie, die - griechisch oder germanisch inspiriert - eine visionäre Dichtung ist; eine Kunst, bei der sich das germanische und dorische Element vermischen; und schließlich das, was uns in unserem Zusammenhang am wichtigsten erscheint, ein neues Staatsideal von „Herrschaft" und „Dienst", von „Führertum" und „Gefolgschaft". Diese Begriffe, die aus der faschistischen Ideologie stammen, berechtigen zu der Auffassung, daß der Aristokratismus Stefan Georges zu den ideologischen Wegbereitern des deutschen Faschismus zählte. 211 Eine andere Interpretation des Werkes von George, die von Gottfried Benn, verdeutlicht besonders die Verbindung zwischen diesem von der Philosophie Nietzsches herkommenden Ästhetizismus und dem faschistischen Staat, denn das Werk sei für den Künstler ebenso wie für den Staat die Forderung nach einer Form. Benn fügt hinzu, daß für George das künstlerische Werk in der Form bestehe. Er definiert dann, was man unter „Form" verstehen soll: Damals kamen Begriffe wie „Anordnungsnotwendigkeit", „Ordnung" und „Zucht" aus seiner Feder, „alle diese Worte, die uns so geläufig wurden, weil in ihrem Namen die neue geschichtliche Bewegung sich geprägt hat". 212 Zwischen dieser Haltung und jener der Vertreter des Neuen Nationalismus 213 , der sich in der Weimarer Republik entwickelt hatte, bestanden verschiedene Berührungspunkte. Trotz unterschiedlicher Tendenzen innerhalb dieser Bewegung kann man bestimmte Hauptgedanken nachweisen, die ihr einen relativ homogenen Charakter ver128

liehen. D i e unter dem Einfluß dieser Strömung stehenden Schriftsteller, wie z. B . die Anhänger Stefan Georges, wurden stark von Nietzsche 214 beeinflußt. E s war kein Zufall, daß Ernst Bertram Nietzsche ein Buch widmete (1918), ebenso wie Friedrich Georg Jünger, dessen Werk Der Aufmarsch des Nationalismus (1926) die Grundlage der nationalrevolutionären Doktrin bildet. Beide Strömungen wendeten sich unter anderem gegen den Positivismus und die Herrschaft der trockenen Wissenschaft. Auch ihre Staatsauffassungen weisen keine entscheidenden theoretischen Unterschiede auf. 215 Wenn man einige von ihnen als „linke Leute von rechts" bezeichnet, wie es Otto Ernst Schüddekopf tut, so erfaßt man sicher die für sie charakteristische Doppelgesichtigkeit, betont aber ihre „linke" Seite in übertriebener Weise. Sie sympathisierten nämlich niemals mit den linken Kräften der Weimarer Republik, weder mit der sozialdemokratischen Bewegung noch mit kommunistischen Organisationen oder pazifistischen Gruppen. Alle waren mehr oder weniger Anhänger eines diktatorischen Regimes, dessen Kommandostellen von einer E l i t e besetzt werden sollten. Im wesentlichen sind es diese elitären Tendenzen, welche die Vertreter des Ästhetizismus und die politischen Theoretiker der neunationalistischen Kreise in derselben Volksverachtung vereinigten. E s gibt eine Persönlichkeit, die beinahe wie eine Synthese dieser beiden Richtungen erscheint: der Graf von Stauffenberg. Dabei ist die Entwicklung Stauffenbergs interessant: Als Offizier wurde dieses ehemalige Mitglied des George-Kreises zum Initiator des Attentats vom 20. Juli 1944 auf H i t l e r 2 1 6 Sicher haben sich - ziemlich spät - a u c h Gottfried Benn und die Brüder Jünger von Nationalsozialismus distanziert, ohne sich aber Hitler direkt zu widersetzen. In Wirklichkeit waren sie weniger Gegner der nationalsozialistischen Doktrin als der vom faschistischen Staat angewandten Methoden. Nach der Meinung Edgar Jungs sollte die Staatsgewalt wenigstens im Namen des Geistes ausgeübt werden. D i e Nazis, die sich zunächst der Kräfte der äußersten Rechten bedient hatten, zögerten später nicht, gegen sie vorzugehen. Sie duldeten nur diejenigen Nationalisten auf leitenden Posten, die sich ihren Anordnungen fügten. Edgar Jung wurde während der Röhm-Affäre ermordet; die Brüder Jünger verließen die politische Szene, lehnten die ihnen angebotenen Ehrungen ab und veröffentlichten Bücher und Gedichte, die von den Nazis als feindlich angesehen wurden; Rudolf Pechel kam 1942 in ein Konzentrationslager; Wilhelm Stapel mußte 9

Faschismus

129

die Publikation seiner Zeitschrift Deutsches Volkstum, die doch den Kampf der Nazis gegen die avantgardistische Kunst und Literatur beträchtlich unterstützt hatte, unterbrechen; Hans Zehrer, der einflußreiche Direktor der Zeitschrift Die Tat, mußte fast während der gesamten Naziherrschaft isoliert in seinem Landhaus leben. Aber können solche Schriftsteller als „Widerstandskämpfer" angesehen werden? Welchen Wert hat es, „Feuer" zu rufen, nachdem man selbst dazu beigetragen hat, den Brand zu legen? 217

Wer hat Widerstand

geleistet?

Die Frage wird so gestellt, um zu ermitteln, in welcher Weise von 1933 bis 1945 Schriftsteller Widerstand gegen den Faschismus und die faschistische Kulturpolitik leisteten. Es wurde bereits erwähnt, daß sich der Dirigent Wilhelm Furtwängler 1933 den von Goebbels ergriffenen Maßnahmen gegen Musiker jüdischer Herkunft widersetzt hatte. Wir wollen auch noch auf das öffentliche Bekenntnis Gottfried Benns zur expressionistischen Bewegung als Antwort auf einen Artikel von Börries von Münchhausen über den „antinationalen", nicht „volkstümlichen" und „amoralischen" Charakter des Expressionismus hinweisen. 218 Aber das waren Einzelerscheinungen ohne bleibende Wirkung. Furtwängler fügte sich und arbeitete während des Dritten Reichs fast normal weiter. Benn erhielt 1938 Veröffentlichungsverbot, wurde darum aber kein Widerstandskämpfer. Die Tätigkeit der Schriftstellerorganisationen in der Illegalität war begrenzt. Der Gestapo-Terror fand viele Opfer. In Berlin konnte der Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller zwei Jahre lang, bis Mitte 1935, illegal weiterarbeiten und die Zeitschrift Stich und Hieb mit zwölf vervielfältigten Seiten herausbringen. Der verantwortliche Redakteur war Jan Petersen. Sie erreichte eine Auflagenhöhe von etwa 500 Exemplaren. Doch sie mußte ihr Erscheinen einstellen, weil ein Teil der Redaktionsmitglieder von der Gestapo verhaftet wurde und der andere Teil ihrer Initiatoren emigrierte. 219 Ende 1934 erkannte auch Johannes R. Becher, der vom Ausland aus versuchte, die illegale Arbeit der Schriftsteller in Deutschland zu organisieren, wobei er vor allem von den noch in Deutschland verbliebenen Mitgliedern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller ausging, daß die Schwierigkeiten unüberwindlich wurden. 220 130

Es ist jedoch nicht zu bestreiten, daß sich später und bis zur Niederlage Hitlers auch Schriftsteller antifaschistischen Widerstandsgruppen angeschlossen haben (Günther Weisenborn, Ricarda Huch usw.). 221 Auch in Zeitschriften (z. B. Hochland, Die weißen Blätter, Corona, Deutsche Rundschau) versuchten einige Schriftsteller, sich der faschistischen Kulturpolitik zu widersetzen. Sie veröffentlichten Werke oder Artikel, die in der „Sklavensprache" geschrieben waren: Wer zwischen den Zeilen zu lesen verstand, konnte antifaschistische Äußerungen darin entdecken. Allerdings waren diese Versuche recht begrenzt. Der Widerstand in Deutschland ist viel umfassender gewesen, als man bei uns in Frankreich bis in die sechziger Jahre glaubte, aber er hatte andererseits nicht die Breite, die ihm in generöser Weise gewisse Leute in der BRD zuschreiben, die mit der Bezeichnung „Widerstandskämpfer" etwas zu leichtfertig umgehen.222 Man muß anerkennen, daß zahlreiche in Deutschland gebliebene Schriftsteller sich der Gefahr aussetzten, ins Konzentrationslager gebracht oder ermordet zu werden, weil sie illegale Propaganda gegen das Hitlerregime betrieben. Obwohl sie nicht in organisierten Widerstandsgruppen tätig waren, engagierten sie sich als Einzelpersönlichkeiten im Kampf gegen den Faschismus und taten das, um ihre menschliche Würde gegenüber der Barbarei zu bewahren. So gingen Gedichte Reinhold Schneiders von Hand zu Hand; so protestierte Ernst Wiechert u. a. 1938 gegen die Verhaftung von Pastor Niemöller und wurde deshalb zwei Monate lang im Konzentrationslager Buchenwald gefangengehalten, so versuchte Werner Bergengruen in zwei seiner während der Zeit des Dritten Reichs erschienenen Romane eine verschleierte Verurteilung des Faschismus.223 Aber ohne den Mut und die Rechtschaffenheit dieser Schriftsteller anzuzweifeln, muß man doch fragen, ob die Bedeutung des Phänomens, das als Innere Emigration bezeichnet wird und mit dem man sie mehr oder weniger in Verbindung brachte, nicht übertrieben wurde. Als Innere Emigration bezeichnete man allgemein eine Haltung, die darin bestand, in Deutschland zu bleiben, sich aber vom Nationalsozialismus zu distanzieren und sich zu weigern, dessen Ideologie in irgendeinem Werk zu verherrlichen.224 Zwei Wege gab es damals: Man konnte entweder vollkommen schweigen oder aber weiterschreiben, indem man die von der Hitlerschen Propaganda angepriesenen Themen mied. Welcher Weg auch gewählt wurde, es erscheint uns wichtig zu betonen, daß die Wahl von einer Entscheidung des einzelnen Schriftstellers abhing. Sicher muß man unterscheiden zwischen Schriftstellern, für 9*

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die die Flucht in die Vergangenheit, in den Traum oder in nicht zeitgenössische Gegenstände vollkommen natürlich war, ja ihrem Wesen entsprach, und denjenigen, deren Schweigen oder deren Veränderung des Stils und der Inspiration eine tatsächlich vorhandene ablehnende Haltung gegenüber der faschistischen Gewaltherrschaft verrieten. Allerdings herrscht größte Unklarheit über die Festlegung dieser Demarkationslinie: Schriftsteller, die mit den Nazis kollaborierten, und andere, deren Werk vor und nach der Herrschaft des Nazismus ausnahmslos das Siegel der berühmt berüchtigten deutschen Innerlichkeit und Zeitlosigkeit trägt, werden heute in der B R D als Repräsentanten der Inneren Emigration ausgegeben, auch wenn sie selbst gar nicht den Anspruch darauf erhoben. 225 Letzten Endes handelt es sich um den Versuch, mit Hilfe dieses Begriffs alle Schriftsteller, die trotz des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland blieben, zu rechtfertigen und zu rehabilitieren. Man kann feststellen, daß die Schriftsteller, die bei dieser Diskussion anvisiert werden, meistens Repräsentanten des bürgerlichen Traditionalismus sind; die linken Schriftsteller stehen außer Frage, sie haben sich wirklich engagiert. Man erlebt also eine Rehabilitierung jener bürgerlichen Literatur, die im Dritten Reich weiter erscheinen konnte und die der faschistischen Politik in dem Maße diente, wie diese Art von „Liberalismus" Goebbelsscher Prägung dazu beitrug, der deutschen Bourgeoisie und literarischen Kreisen im Ausland ein beruhigendes Bild von den Zuständen im faschistischen Deutschland zu vermitteln. Wenn man Gedichte über die Natur veröffentlichte, bestand kaum eine Gefahr, und in einer Zeitschrift wie Das Reich, die durch die regelmäßigen Leitartikel von Goebbels eine wichtige Rolle in der Propagandatätigkeit spielte, erschienen ziemlich viele Beiträge, die nicht unmittelbar politisch waren. 226 Dürfen sie deshalb als Zeugnisse des Widerstands betrachtet werden? Jene, die ihre Mißbilligung des deutschen Faschismus klar zum Ausdruck brachten, verdienen offensichtlich, Gegner der Nazis genannt zu werden. Taten dagegen jene, die sich in eine Literatur der Unverbindlichkeit flüchteten, etwas anderes, als ihre persönliche Existenz zu sichern? Und inwiefern gaben sie dem Naziregime nicht sogar eine Art Vertrauensbekundung, wenn sie mit ihren Beiträgen den Eindruck unterstützten, daß eine „freie" Literatur noch möglich war? Thomas Mann betont in einem Brief an den Schweizer Kritiker Eduard Korrodi vom 3. Februar 1936 227 mit Recht, daß die Grenze zwischen der Literatur der Emigranten und der im Inneren Deutsch132

lands nicht leicht zu ziehen sei, weil sich die deutsche Literatur in jedem Fall in einer dramatischen Situation befinde und weil die noch unter der Herrschaft des Dritten Reiches lebenden Schriftsteller nicht zwangsläufig alle die faschistischen Ideen billigten. Im Jahr 1938 unterstrich auch der Vorsitzende der KPD, Wilhelm Pieck, in Der deutsche Schriftsteller, einer Zeitschrift des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller, in dem die emigrierten Schriftsteller vereinigt waren: „Wir wissen, daß es neben den aus Deutschland verjagten noch Hunderte von deutschen Schriftstellern im Lande gibt, die - obschon sie zu Zwangsmitgliedern der Reichsschrifttumskammer gepreßt sind - nicht zu Verrätern an der Sache des Geistes, des Fortschritts und der Kultur wurden." 228 Nach 1945 wurde der Meinungsstreit in der Öffentlichkeit ausgetragen. Thomas Mann zögerte nach zwölf Jahren Naziherrschaft nicht, mit Bezug auf seine früheren Äußerungen den Mythos von der Inneren Emigration anzuprangern. 229 Mit Bitterkeit stellte er fest, die in Nazideutschland gebliebenen Schriftsteller würden für bessere Deutsche gehalten als die Emigranten. Dennoch, so meinte er, könnte allen im faschistischen Deutschland veröffentlichten Büchern nur Blut und Schande anhaften. Zweifellos erforderte die Wirklichkeit eine genauere Analyse, daran erinnerte Alfred Andersch 1948. 230 Aber Thomas Manns Reaktion war mehr als der Ausdruck seiner Verstimmung. Sie zeugte von dem Bewußtsein, daß der Faschismus trotz angeblicher Entnazifizierung noch nicht in ganz Deutschland ausgerottet war. Wie viele Male hat man nicht wiederholt, die „Emigranten von gestern" wären nur vor ihrer Verantwortung als Deutsche, vor ihrer Verantwortung gegenüber Deutschland geflohen! Diese anklägerische Behauptung Gottfried Benns aus dem Jahr 1933, der Zeit seiner Auseinandersetzung mit Klaus Mann, ist in der BRD noch immer aktuell. Sie verhilft allen Intellektuellen, die weder den Mut hatten, das Land zu verlassen, noch sich aktiv im Widerstandskampf gegen den Faschismus zu engagieren, zu einem guten Gewissen. Es war nicht leicht, Widerstand zu leisten, aber die Emigration war ihrerseits alles andere als eine Möglichkeit, vor den Problemen des Tages zu fliehen. Wenn einige Vertreter der Inneren Emigration oder solche, die sich dafür halten, über ihre Gewissensnöte und ihr Leiden im Dritten Reich sprechen, kann man ihnen zur Not noch folgen. Aber das Verständnis hört dann auf, wenn sie sich als Märtyrer aufspielen und die von ihren Kollegen gewählte Emigration als einen 133

Hafen ausgeben, in dem man einige Jahre lang ruhig hätte leben können. Für einen Schriftsteller bedeutete die Emigration in erster Linie den Verlust seines Publikums und eine Umstellung seiner ganzen Schriftstellerexistenz. Lion Feuchtwanger schrieb zu diesem Thema, daß das Fundament seiner materiellen Sicherheit verlorenging, da es aus Gründen der Sprache nicht sicher war, im Ausland Leser zu finden. Er wies außerdem auf alle Schwierigkeiten hin, mit denen sich der Schriftsteller im Exil täglich herumzuschlagen hatte: Gelegenheitsarbeiten, um das Nötigste zu verdienen, die Papiere, die nicht immer in Ordnung waren, das Hotelzimmer, das man bezahlen mußte und aus dem man von einem Augenblick zum anderen mit seinen Manuskriptkästen von der Polizei hinausgejagt werden konnte. 231 Diese ständige Unruhe erschwerte das künstlerische Schaffen beträchtlich.

Im antifaschistischen

Kampf '1'-1

Der Weg in die Emigration war für fortschrittliche oder rassisch verfolgte Intellektuelle und Künstler die einzige Möglichkeit, dem faschistischen Terror zu entfliehen. Zu jenen, die nach 1933 „unter fremden Himmeln" lebten, gehörten mehr als zweihundertfünfzig bekannte Schriftsteller, darunter die bedeutendsten wie Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Erich Weinert, Willi Bredel, Hans Marchwitza, Heinrich Mann, Thomas Mann, Lion Feuchtwanger u. a. Prag, Zürich, Wien, Paris, London und Moskau waren anfangs die wichtigsten Zufluchtsorte. Später strömten sie in die ganze Welt hinaus, besonders nach 1939. Bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges gewährten die westeuropäischen Regierungen das Asylrecht relativ freizügig, während die deutschen Emigranten nach Kriegsausbruch auch in den Gastländern Repressalien ausgesetzt waren. So verfügte die damalige französische Regierung ihre Internierung in Lagern wie denen von Rivesaltes, Gurs, Le Vernet. 233 Nach 1945 ist in den westlichen Ländern, vor allem in der B R D der Adenauer-Regierung, das politische Vermächtnis der deutschen antifaschistischen Emigration lange Zeit totgeschwiegen worden. Erst am Ende der sechziger Jahre, vor dem Hintergrund der damaligen politischen Entwicklungen (Studentenbewegung, außerparlamentarische Opposition) wurde die antifaschistische Tradition wieder in 134

das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. In diesem Kontext war es u. a. Golo Mann, der Anfang 1968 in Luxemburg - anläßlich der Ausstellung Die deutsche Literatur im Exil"134 - in einer Rede auf die Probleme der Emigranten verwies. Es ging ihm damals darum, das Emigrantendasein als politische Haltung zu charakterisieren. Auch jene Emigranten, die politisch nicht aktiv waren, seien als Antifaschisten politisch engagiert gewesen. Der emigrierte Schriftsteller, auch wenn er nicht politisch organisiert war, wurde durch die politischen Umstände Antifaschist. Ihm oblag es, die Weltöffentlichkeit über die Ziele und Praktiken der Nazis aufzuklären, das Dritte Reich seiner ideologischen Fassade - sei sie nun durch Kitsch oder durch Mythologie verbrämt - zu entkleiden und die illegalen Kämpfer in Deutschland mit brauchbarem Material zu versorgen. Auf diese Weise gelangten zahlreiche getarnte Werke, Flugschriften, Zeitungen, Zeitschriften nach Deutschland. Im antifaschistischen Kampf der exilierten deutschen Schriftsteller hatten die literarischen Zeitschriften als Organe der kollektiven Diskussion und der Verbreitung antifaschistischen Schrifttums einen zentralen Platz. Zu den Neugründungen im Exil gehörten u. a. Die Sammlung235, in Amsterdam von Klaus Mann herausgegeben, die Neuen Deutschen Blätter236, in Prag herausgegeben von Wieland Herzfelde, Oskar Maria Graf, Anna Seghers und Jan Petersen, Das Wort237, in Moskau herausgegeben von Bertolt Brecht, Willi Bredel und Lion Feuchtwanger. Ebenfalls gelang es in einigen Gastländern, Exilverlage zu gründen, wie die Editions du Carrefour 238 in Paris, die zahlreiche politische Arbeiten zur Auseinandersetzung mit dem Faschismus wie auch antifaschistische Belletristik veröffentlichten. Zu den bekanntesten Exilverlagen gehörten weiterhin der in London arbeitende Malik-Verlag und der Verlag Aurora in den USA. Um die antifaschistischen Schriftsteller im gemeinsamen Kampf auch organisatorisch zusammenzuführen, wurden Schriftstellervereinigungen geschaffen bzw. erneut aufgebaut. 239 Eine der wichtigsten Schriftstellerorganisationen war der Schutzverband Deutscher Schriftsteller im Exil, der in Paris neu gegründet wurde. Er stellte sich das Ziel, alle antifaschistischen Kräfte zu vereinigen und gerade auch die nicht-faschistischen, aber von den Nazis irregeleiteten Schriftsteller für die gemeinsame Sache zu gewinnen. Da er den emigrierten Schriftstellern auch materielle Unterstützung gewähren konnte, außerdem Vortragsabende und Lesungen 135

organisierte, war er ein wichtiges Instrument im antifaschistischen Kampf. E r verfügte über Verbindungen zu den wichtigsten Emigrationsländern: der CSR, der Sowjetunion, Großbritannien, den U S A und Mexiko. In Paris organisierte er wöchentlich Veranstaltungen, auf denen die Formen des gemeinsamen Kampfes gegen den Faschismus debattiert wurden. Eine seiner entscheidenden Leistungen war die Gründung der Deutschen Freiheitsbibliothek (1934), in der alle vom Hitlerregime verbotenen Werke aufbewahrt werden sollten. 240 Für die Mobilisierung der Weltöffentlichkeit gegen den Faschismus nutzten die exilierten Schriftsteller die internationalen Tribünen. So sprachen Johannes R. Becher, Friedrich Wolf, F. C. Weiskopf, Willi Bredel auf dem 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller (1934). 2 4 1 Ein Jahr später war es der Kongreß zur Verteidigung der Kultur, der in Paris die antifaschistischen Schriftsteller der Welt zusammenführte. An seiner Vorbereitung und Durchführung waren die deutschen Schriftsteller, 242 unter ihnen Johannes R. Becher, Heinrich Mann, wesentlich mitbeteiligt. Auch die Kongresse des PEN-Clubs waren ein Forum, um die internationale Öffentlichkeit über das faschistische Deutschland aufzuklären. 243 Trotz bedeutender Erfolge im gemeinsamen Kampf war es natürlich nicht einfach, für den ganzen Zeitraum der faschistischen Herrschaft eine innere Einheit aller antifaschistischen deutschen Schriftsteller herzustellen. 244 Trafen doch die verschiedensten politischen Richtungen und künstlerischen Strömungen in der Emigration aufeinander. Isolierung und Vereinsamung einzelner erleichterte der Gestapo ihr Spiel; sie machten aber auch manchen Schriftsteller anfälliger gegenüber Unsicherheit und Verzweiflung; manche, die hoffnungslos geworden waren, die die Erschwernisse und Leiden des Exils nicht mehr ertragen konnten, begingen Selbstmord. Die Aktivitäten spezieller Schriftstellerorganisationen waren vor allem bis 1940 sehr intensiv; später kämpften die Schriftsteller in Widerstandsgruppen oder in organisierten politischen Bewegungen wie dem Freien Deutschland, das nicht nur in der U d S S R , sondern auch in Mexiko, Schweden, Großbritannien und der Schweiz arbeitete. Nach dem Krieg wählte ein bedeutender Teil der ehemaligen Emigranten seinen Wohnsitz in der Deutschen Demokratischen Republik, ein anderer Teil lebte jahrelang überall in der Welt verstreut. Die zur Zeit des Hitlerregimes in Deutschland gebliebenen Schriftsteller 136

fanden ihr ehemaliges Lager in der BRD wieder; die einen die bürgerliche Tradition, die anderen - nach den notwendig gewordenen Rechtfertigungen - die Pfade des Antikommunismus und die Apologie der Autorität. In einem seiner Briefe verkündete Gottfried Benn stolz, er sei keineswegs bereit, sein Unrecht anzuerkennen und „Pater peccavi" zu sagen. 245 Ernst Jünger erklärte in einem Gespräch: „Hitler hat viel erreicht, und zwar, das muß man sagen, anfangs dank der Sympathie des Auslands. Erst mit zunehmendem Erfolg wurden die Dinge komplizierter. Ich denke z. B. daran, wie es war, als wir nach Rußland kamen: Ich habe selbst gesehen, mit welcher Freude man uns empfing. Aber als man über die schrecklichen Repressionen Bescheid wußte, war es mit der Sympathie vorbei: Das ist nur ein Beispiel von vielen für die Art und Weise, in der diese Leute unsere Karten verspielt haben." 246

Das Dritte Reich und seine Literatur

Immer wieder hört und liest man, der deutsche Faschismus habe keine literarischen Werke von Wert hervorgebracht und es lohne folglich kaum, über die „Literatur" des Dritten Reiches zu sprechen. Zu fragen bleibt, ob das nicht nur ein Vorwand ist, um sich den wirklichen Problemen nicht stellen zu müssen. Wohin führt denn eine solche Behauptung? Man muß daraus folgern, einige bedeutende Schriftsteller hätten zur Zeit des Dritten Reiches in Deutschland bleiben und sogar mit den Nazis kollaborieren können, ohne daß ihre Bücher deswegen als Zeugnisse faschistisch beeinflußter Literatur angesehen werden müssen. Im Extremfall kann daraus auch abgeleitet werden, daß die in Deutschland weiterhin gelesene und geschätzte Literatur in keinem einzigen Fall unterschwelliger faschistischer Gedanken verdächtigt werden kann, 247 wodurch offensichtlich die deutsche Literatur in ihrer Gesamtheit rehabilitiert wird: Die „schlechte" Literatur, die vielleicht faschistisch war, ist heute vergessen; die „gute" war es niemals und verdient deshalb mit Recht das Interesse, das man ihr noch jetzt entgegenbringt. Schlußfolgerungen dieser Art ermöglichen es, die entscheidende Frage zu umgehen, ob nämlich „gute" Literatur im Grunde nicht auch faschistisch gewesen sein kann. 248 Schließlich lehnt man es auf diese Art und Weise überhaupt ab, nach den Beziehungen zwischen Faschismus und Literatur zu fragen.

Schriftsteller ans der Zeit vor dem Dritten Reich Einige Auszüge aus der 1939 in Frankreich herausgegebenen Petite histoire de la poésie allemande zeigen - über ihren ein wenig zu gewollt „objektiven" Charakter hinaus, der sie in die Nähe impliziter Apologie geraten läßt - , welche Tendenzen die Nazis fördern wollten, auch wenn sie teilweise bei ihren Bemühungen scheiterten. Der 138

Verfasser schreibt über den Faschismus folgendes: „Ganz am Anfang schien es so, als wäre die von jungen Leuten gegründete Bewegung, die sich auf junge und begeisterte Kräfte stützte und die Herzen und Hirne in einem latenten Rauschzustand und einem permanenten Enthusiasmus auf der Grundlage einer mystischen Vereinigung mit dem Führer hielt, dazu bestimmt, eine neue Explosion der Lyrik herbeizuführen, und sicher fehlen den jungen Lyrikern, sofern sie Apologeten des neuen Deutschland sind, die offiziellen Ermutigungen nicht . . ." Der Verfasser führt vor allem Erwin Guido Kolbenheyer, Gottfried Benn, Hans Carossa und Rudolf G . Binding an, behandelt sie aber wenig differenziert und kommt dann zu folgendem Urteil über die literarische Produktion des Dritten Reiches: „Diese Autoren sind nicht plötzlich mit der Hitlerschen Bewegung aufgetaucht; sie haben die neue Bewegung akzeptiert und verherrlicht, aber sie entwickelten ihre Ideen zunächst unabhängig von ihr. Unter den vielen jungen Dichtern, welche die Diktatur zu ermutigen sucht, kann man sich die Namen Richard Billinger, Hans Heinrich Ehrler, Zerser, Hermann Claudius, Karl Bröger, Josef Winckler, Herbert Böhme und Baidur von Schirach merken. Welchen Wert hat diese Lyrik, in der die Person des Führers und die Erneuerung Deutschlands, der Kameradschaftsgeist und die Hingabe an die neue Volksgemeinschaft verherrlicht werden? Im ganzen gesehen ist ihre Qualität ziemlich mittelmäßig. D a s nationalsozialistische Deutschland wartet noch auf seine Dichter und wird sie vielleicht eines Tages haben." 2,i9 Trotz der Winkelzüge, die den Anschein erwecken, der Faschismus wäre fähig gewesen, dem kulturellen Leben zu einer breiten Entfaltung zu verhelfen, enthält diese Wertung ein Stück Wahrheit: Die faschistische Literatur ist nicht erst mit dem Machtantritt Hitlers entstanden. E s gab bereits vorher Übereinstimmungen zwischen der faschistischen Bewegung (dem Anschein nach der einzigen Bewegung „nationalen" Charakters, die in den Massen genügend verwurzelt war, um die Eroberung des Staates zu gewährleisten) und den vom Neuen Nationalismus beeinflußten Intellektuellen. Diese näherten sich trotz unbestreitbarer Unterschiede den Nazis in einem Punkt beträchtlich, nämlich im Antidemokratismus, und viele von ihnen konnten ohne Schwierigkeiten in das Dritte Reich integriert werden. 250 Außerdem gingen nicht nur die ästhetischen Auffassungen der N a zis auf die in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert verbreiteten nationalistischen Ideen zurück, wie schon zu zeigen versucht wurde, 139

sondern auch die von der nationalsozialistischen Kritik als „exemplarisch" beurteilten Bücher wurden vor 1933 veröffentlicht; alle diese Werke, die ehemals als wenig bedeutend galten, wurden mit Beginn der Hitlerdiktatur in den Rang von „Literatur" erhoben.251 Das wichtigste Organ, um die deutsche Literatur einzufunktionieren, war die von Will Vesper geleitete Zeitschrift Die neue Literatur. 1910 gegründet, hieß sie bis 1931 Die schöne Literatur - schon die Titeländerung war bezeichnend. In jener Zeit, als der Einfluß der NSDAP zunahm, sollte - entsprechend den nationalsozialistischen Prinzipien - ein „neues" literarisches Programm entwickelt und eine mit den „ewigen Werten des Deutschen Volkes" verbundene Literatur gefördert werden. Die Veränderung der Zeitschrift ging mühelos vonstatten, und nach 1933 unterstützte Die neue Literatur alle von den Nazis ergriffenen Maßnahmen zur „Säuberung". Sie trat gegen den „Verfall" auf, der die Literatur zwischen 1920 und 1932 gekennzeichnet habe: Die Lyrik, das Theater und der Roman seien von Narren berherrscht worden, die gute Literatur sei in einer Flut von Verrücktheiten untergegangen.

Zurück %um Boden Die von der Neuen Literatur dargelegten Konzepte hatten ganz und gar nichts Originelles: „Rückkehr zur Vergangenheit", das war der Haupttenor dieser literarischen „Revolution". Damit ist jene Vergangenheit gemeint, die in die tiefsten Schichten der deutschen Sprache eindringt. Schon einige Jahrzehnte lang wetterte Adolf Bartels gegen den Verfall der deutschen Sprache, den der Gebrauch von Fremdwörtern mit sich gebracht habe. Seit 1933 konnte er, unterstützt von seinen Adepten, offiziell für eine gereinigte Sprache votieren. Es sei notwendig, sie vom „entwürdigenden Intellektualismus" (für den er vor allem „jüdische" und „marxistische" Elemente verantwortlich machte) zu befreien und zur „ursprünglichen Sprache der Bauern" zurückzukehren. Durch die Sprache manifestiere sich die Verwurzelung im Boden und die Verbundenheit mit ihm am stärksten. Nach Ansicht von Hanns Johst, einem der repräsentativen Nazischriftsteller, konnte allein die Liebe zur Sprache zum Verständnis für das Vaterland führen. Ohne diese Liebe sei alles ohne Gestalt und Kraft. Die Sprache sei die Verkörperung der Seele, und diese Seele wäre nur im Boden faßbar, und zwar im deutschen Boden.252 140

Anläßlich des 48. Geburtstages von Hitler rühmt Hanns Johst die mystische Verbindung zwischen dem faschistischen Diktator und der Seele seines Volkes. Er weist darauf hin, daß - jenseits jeden vernunftmäßigen Begreifens - die Sprache, die Tatsache, deutsch zu sprechen, hier ihre ganze magische Kraft entfalte. Wenn Adolf Hitler nach Auffassung Johsts berufen ist, Deutschland zu regieren, so gerade deshalb, weil er diese außerordentliche Gabe eines Künstlers besitze, seine Zuhörer durch die Faszination der Sprache zu beherrschen, durch eine Redeweise, die mit dem ewigen deutschen Boden korrespondiere und damit bis zum inneren Wesen des deutschen Volkes vordringe. Von dieser Verwurzelung im deutschen Boden, als deren ewiges Symbol die Sprache erscheint - genauer die Sprache der Bauern, die noch nicht durch den in den Städten herrschenden „Kosmopolitismus" und die Ausschweifung verdorben sind - , kommt man wie selbstverständlich zum Ahnenkult. Dieser mündet in den Rassismus. In seinem Roman Meister Joachim Pausewang (1910) läßt Erwin Guido Kolbenheyer z. B. einen Mann aus dem Volk, einen Schuhmacher, sein Leben erzählen. Dieser erinnert an seinen in der Fremde gestorbenen Vater und überträgt feierlich die Macht und die Verpflichtung des Blutes, die vom Opfer dieses Vorfahren auf das Vaterland ausstrahlen, auf seine eigenen Nachkommen; dabei beschwört er sie, ihrerseits die Reinheit des Blutes zu bewahren und weiterzugeben. Von der Verherrlichung des deutschen Bodens und seiner Vergangenheit gelangt man dann zur Begeisterung für die germanischen Mythen. Insofern erhält die bäuerliche Literatur für die Nazis in gewisser Weise politische Bedeutung. In bezug auf Emil Strauß, einen Vertreter der bäuerlichen Literatur vom Beginn des Jahrhunderts, hob der französische Germanist und Kollaborateur André Meyer 1942 besonders hervor, daß er als Schriftsteller ein politischer Wegbereiter gewesen sei: „Die heutigen nationalsozialistischen Vorstellungen stimmen mit denen von Emil Strauß völlig überein. Strauß ist einer der repräsentativen Schriftsteller des neuen Deutschland, einer der größten vielleicht, denn er verstand es, in seiner immer sehr persönlichen und musikalischen Sprache tiefgründige Beobachtungen über die enge Verbindung zwischen Mensch und Natur zum Ausdruck zu bringen."253 In dieselbe Richtung zielt ein kurzer anonymer Bericht, der 1943 in der Zeitschrift Comoedia zum Tod des im Alter von 74 Jahren verstorbenen Rudolf Herzog erschien. Ausgehend von dessen Biographie erinnert der Verfasser an den ungeheuren Erfolg, den 141

Herzog bei den Volksmassen hatte, weil er „für ihre Rasse repräsentative und mit ihrem Heimatboden eng verbundene Menschen in ihren vertrauten Landschaften" 254 dargestellt habe. Schließlich muß man noch betonen, daß in der von den Nazis geschätzten Literatur generell eine Apologie irrationaler Kräfte zum Ausdruck kommt. Dieser Irrationalismus war Gegenstand zahlreicher philosophischer Studien, die nachweisen wollten, daß die Grundlagen der nationalsozialistischen Doktrin schon bei Fichte, Hegel, Nietzsche und später bei Spengler und Heidegger zu finden seien. Die Empfänglichkeit der Massen in Deutschland für derartige Auffassungen scheint aber nicht direkt auf diese Philosophen zurückzuführen zu sein, deren Werke nicht gelesen und noch weniger angeeignet wurden. Dagegen waren in der Weimarer Republik außerordentlich viele Bücher über Spiritismus, Handliniendeutung, Seelenwanderung und andere okkulte Wissenschaften massenhaft verbreitet. In dieser Zeit übte auch der Orient beträchtliche mystische Anziehungskraft aus. Die politischen und ökonomischen Verhältnisse veranlaßten viele Deutsche in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, der Wirklichkeit zu entfliehen und im Irrationalen Zuflucht zu suchen. Vor allem in der Literatur wurde die ursprünglich aus der deutschen Romantik kommende Auffassung, derzufolge die Dynamik des Lebens und die Bewegung der Geschichte irrationalen Mächten unterliegt, neu belebt. Als Reaktion auf den Positivismus und auf die Entwicklung der verschiedenen Zweige der Mathematik, auf die sich der Materialismus berief, priesen die präfaschistischen Schriftsteller die „mystischen Kräfte, die uns mit dem Boden verbinden". 255 Die Naziliteratur setzte um so mehr auf diesen Irrationalismus, als wirksame Propaganda im Sinne der Nazis das Herz des einzelnen zu rühren und zu bewegen sucht, keinesfalls aber seinen kritischen Verstand anspricht. In Mein Kampf bekundet Hitler eine ständige Verachtung der Vernunft: Um sich die Massen zu unterwerfen, müsse man sich an ihren „Instinkt" wenden.

Hauptströmungen Auf dieser Basis bauten die meisten literarischen Strömungen auf, die im Faschismus weiterbestehen und sich entwickeln konnten. Sie lassen sich schematisch auf vier Hauptrichtungen eingrenzen. Allerdings ist dieser oder jener Schriftsteller nicht eindeutig einer be142

stimmten Strömung zuzuordnen, auch wenn es gelingt, jeweils charakteristische Züge festzustellen: Manchmal vermischen sich alle Elemente - das gilt besonders für die in der Nazizeit veröffentlichte politische Literatur. Die erste wichtige Strömung rekrutiert sich aus den nationalistischen Schriftstellern. Ihre Werke entstanden zwar vor 1933, aber die Nazis konnten sie mühelos für sich in Anspruch nehmen. Der Nationalsozialismus identifizierte sich mit dieser Art „politischer" Literatur, er absorbierte alles, was der erste Weltkrieg an Kriegsliteratur hervorgebracht hatte. Besonders sei auf den Erfolg der Werke des reaktionären Schriftstellers Walter Flex hingewiesen.256 Die behandelten Gegenstände entsprachen meist den Zielen des deutschen Imperialismus und noch genauer dem politischen Programm des Alldeutschen Verbandes.257 Die Bücher der nationalistischen Schriftsteller fanden vor allem in jenen imperialistischen Kreisen Anklang, die weder die Unterwerfung Deutschlands unter den Versailler Vertrag noch die Errichtung der Weimarer Republik akzeptierten. Der Krieg ist das bevorzugte Thema dieser Romane. Es ist verständlich, daß zu jener Zeit in ganz Europa eine Literatur über den Krieg verbreitet war. Aber die Romane, die die größten literarischen Erfolge hatten, waren gegen den Krieg gerichtet, so Le feu von Barbusse und Im Westen nichts Neues von Remarque. Die imperialistische Kriegsliteratur dagegen hüllte den Krieg und das Soldatentum in eine faschistisch beeinflußte Mythologie und Philosophie ein. Daher gab es Übereinstimmungen zwischen Schriftstellern wie dem Italiener Marinetti, dem Deutschen Ernst Jünger und dem Franzosen Drieu la Rochelle258. Für alle drei war der Krieg eine Situation, in der der Mensch seine Existenzberechtigung und sein Heldentum zu beweisen hatte. Insofern verstanden sie den Krieg als notwendige Voraussetzung für den Fortschritt der Zivilisation. Da während des Dritten Reichs eine Unmenge von Büchern erschien, die den Krieg verherrlichten, ist es sinnlos, eine Autorenliste aufzustellen. Auch wenn das Niveau unterschiedlich war, muß man doch betonen, daß alle Verfasser aus einem ideologischen Fonds schöpften, dessen theoretische Grundlagen lange vor Hitlers Machtantritt existierten. Alle Erscheinungsformen des Faschismus priesen Kampf und Gewalt als Entwicklungsgesetz des Lebens. So schrieb Alphonse de Chäteaubriant259 1937 in La gerbe des forces: „Der Kampf muß sein. Der Kampf bringt die Kraft des Herzens hervor 143

und hält sie am Leben. Durch ihn wird jeder einzelne zum höchsten Ausdruck seines Menschseins gebracht." Neben den Propagandisten des militanten Nationalismus (deren Werke die Thesen des deutschen Imperialismus, - Notwendigkeit des Lebensraums, Antikommunismus, Verteidigung der westlichen Zivilisation usw. - illustrieren) steht eine Gruppe nationalistischer Ideologen. D i e Schriftsteller, die ihr angehören, rechtfertigen den Krieg weniger, weil sie sich in ihrem nationalen Stolz verletzt und erniedrigt fühlen, sondern weil sie in ihm das Heil der Menschheit erblicken. Hier haben wir es mit einer biologistischen Geschichtsauffassung zu tun. Die von Nietzsche beeinflußten Vertreter der „konservativen Revolution" rechnen den Krieg zu den Elementarkräften im biologischen Kreislauf der Natur. 2 6 0 Für sie ist der Krieg der Ursprung der Dynamik des Lebens und damit auch die Quelle aller menschlichen Werte. E r erscheint ihnen als eine Schule des Heldentums, entwickelt den Kameradschaftsgeist und vermittelt dem Individuum den Sinn der Volksgemeinschaft. D e r Krieg wird gleichsam als Einführung ins Erwachsetienleben aufgefaßt. Durch den Krieg offenbare der Mensch in seiner Feigheit oder seinem Mut zutiefst sich selbst. 2 6 1 Die Nation erstarke mit der Zahl der Schlachten, an denen sie teilnimmt. D e r Krieg - auf diese Weise zwangsläufig idealisiert und mythisiert - solle besungen werden, damit er in die Legende eingehe und nie vergessen werde, sonst verliere die Nation ihre Männlichkeit. Idealisierung, Mystifizierung, Appell an die geheimnisvollen Kräfte des Lebens und der Natur - solcher Mittel bedient sich auch die „Neuromantik" 2 6 2 , die übrigens ihre Symbolik, ihre Bilder und ihr Pathos in die nationalistische Literatur einbringt. Diese zweite literarische Strömung basiert auf der unter veränderten Vorzeichen neu belebten romantischen Tradition, die in Deutschland niemals völlig abgebrochen war, sondern sich zu Beginn des Jahrhunderts als Reaktion auf den Naturalismus sogar verstärkt hatte. D i e Sozialdemokratische Partei, die sich auf ihrem V I I . Parteitag in Gotha (1896) mit dem Naturalismus auseinandersetzte, konnte - da ein alternatives Leseangebot fehlte - nicht verhindern, daß die Massen die „tröstende" idealistische und mystische Literatur rezipierten. 263 Ihr dominierender Wesenszug ist Irrationalismus: Verherrlichung des Triebhaften, Verneinung des Todes, Flucht in den Traum. Nicht alle Vertreter der Neuromantik können als Nazis angesehen werden, aber ein großer Teil von ihnen bekannte sich begeistert zur Gleich144

Schaltung: Ina Seidel, Börnes von Münchhausen, Wilhelm von Scholz, Hermann Stehr u. a. In der Lyrik bevorzugten diese Autoren die Ballade, in der Prosadichtung die Erzählung. Ihre Werke durchzieht eine latente Religiosität, sie besingen die Natur, die Bauern oder den Führer. Die Nazis profitierten von der Neuromantik, indem sie ihre Techniken und ihre Gegenstände übernahmen: Die Aura von Dunkelheit und Geheimnis, Sinnenrausch und falsch verstandener Pantheismus das alles findet sich in den typisch faschistischen Werken wieder, verbunden mit den durch die aktuellen Erfordernisse bedingten Schlüsselthemen. Die Natur wird bemüht, um das ewige Deutschland, die ursprüngliche Harmonie und die Versöhnung aller lebenden Wesen zu besingen. In einer kosmischen Verschmelzung wird geschildert, wie Mutter Erde und der Mensch gemeinsam an den neuen Zeiten arbeiten. Der Leser wird aufgefordert, seinem Instinkt zu folgen und intuitiv aus den elementaren Kräften zu schöpfen, indem er sich ihnen hingibt. Man kann also feststellen, daß die Neuromantik den Akzent auf die Restauration der Vergangenheit legt. Diese wird im allgemeinen dargestellt als eine Verteidigung der Volksgemeinschaft und ihrer angeblichen traditionellen Werte, als eine Rückkehr zum „Blut" und zum „Boden"; dadurch nähert sich die Neuromantik der dritten literarischen Strömung, dem „Regionalismus" und der Heimatliteratur. 264 Diese Strömung geht auch aus dem Naturalismus hervor, gibt aber dessen kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft der Zeit auf. Die reaktionäre Literatur, die am Ende des 19. Jahrhunderts vom Naturalismus abzweigt und im Provinzialismus versandet, bewahrt nur eins seiner Prinzipien: die Nachahmung der Wirklichkeit. Aber die für sie tiefste und bedeutungsvollste Wirklichkeit Deutschlands ist die der deutschen Erde. Die Nazis haben auch hier nur ein Erbe aufgegriffen. Anfangs wies die Heimatliteratur keine direkt politische Tendenz auf, aber die Nationalisten (der Kreis um Adolf Bartels) nahmen sie sehr schnell für sich in Anspruch. Als Gegner der Industrialisierung, in deren Folge sich der Klassenkampf verschärfte, fanden die Nationalisten in der Heimatliteratur jene heile Welt der Vergangenheit wieder, die in der literarischen Boheme der Hauptstadt Berlin längst verloren gegangen war. Indem sich die nationalistische Ideologie der Heimatliteratur bemächtigte, bekam diese unvermeidlich einen völkischen Akzent, wobei „völkisch" bedeutet: mit dem Volk in seiner 10 Faschismus

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rassischen Grundlage verbunden. Als die Nazis an die Macht kamen, wollten sie daher gerade diese Literatur vollständig integrieren und empfahlen sogar die Lektüre eines ihrer Gegner - Oskar Maria Graf. Graf wurde zum „bayrischen" Romancier abgestempelt, und seine Bücher entgingen am 10. Mai 1933 (zu seiner Unehre! erklärte er in einem Offenen Brief an die Naziführer 265 ) der Verbrennung. Diese Episode offenbart vor allem die Ambivalenz der Heimatliteratur: Es ist nicht immer leicht, die zum Faschismus tendierende Literatur genau abzugrenzen. Die „Rückkehr zum Boden" findet man in allen faschistischen Theorien wieder, welches Land auch immer betrachtet wird; sie gehört zu den Leitmotiven aller nationalistischen Bewegungen. In seinem Roman de l'énergie nationale läßt Maurice Barrés 266 einen seiner entwurzelten Lothringer folgendes sagen: „Ich fühle, wie die französische Nationalität, d. h. die Substanz, die mir Halt gibt und ohne die ich zugrunde ginge, in mir abnimmt, wie sie allmählich verschwindet. Wir müssen die vcnn unseren Vätern ererbte Energie wiedererlangen, sie schützen und mehren." Die Beschreibung von Bauern, die nicht mehr in ihrem Heimatboden verwurzelt sind, bei Kolbenheyer und Emil Strauß verfolgte eine ganz ähnliche Richtung. Hauptgegenstand der Heimatliteratur ist der Kampf eng mit dem Boden verbundener Menschen gegen den vom technischen Fortschritt hervorgebrachten Verfall. Der Boden erhält eine mythische Dimension: Er ist der Bewahrer ewiger Werte. Der Bauer und die Dorfgemeinschaften leben entsprechend dem Rhythmus des Bodens, sie vernehmen seinen Ruf, dem Vergänglichen zu entfliehen. Auf der einen Seite ist die „Mutter Erde" und das zeitlos Ewige, auf der anderen sind die an die Geschichte gebundenen oberflächlichen Veränderungen, die im gesellschaftlichen und politischen Leben zum Ausdruck kommen. Nur wenn sich der Mensch den Geboten des Bodens unterwirft, kann er Ruhe finden. Flucht vor der Verantwortung gegenüber der Gegenwart, Verzichtdenken, Resignation - dahin tendiert im wesentlichen die Heimatliteratur. Von dieser zur faschistischen Propagandaliteratur ist es nur ein kleiner Schritt, denn in beiden Strömungen geht es um den Kampf für das ewige Deutschland. Die Inspiration des Dichters geht aus einer mystischen Vereinigung mit „der ewigen Kraft des Reiches" hervor. In diesem Kampf übernimmt der Dichter in Ehren seine Funktion und ist bereit, sich vollkommen dem Dienst an der „Volksgemeinschaft" zu weihen, sich ihr - d. h. dem Staat als ihrer Ver146

körperung - zu unterwerfen und die Soldaten der braunen Armee als seine Verteidiger zu besingen. Hanns Johst bezeichnete es im Frühjahr 1933 als Aufgabe der Schriftsteller, die Taten und den Opfermut der Soldaten zu verherrlichen, zu beweihräuchern und zu feiern. Zahlreiche Schriftsteller begaben sich direkt .in den Dienst der NSDAP und illustrierten mit ihren Werken einzig und allein die Hauptlinien der nationalsozialistischen Doktrin. Erwähnt seien hier u. a. Heinrich Anacker, Hans Baumann, Hanns Johst, Gerhard Schumann, Baidur von Schirach. Sie unterscheiden sich von den vorher behandelten Autoren nur durch das Ausmaß, in dem sie offen und ohne Verbrämung dazu aufriefen, das deutsche Blut zu reinigen, sich von den Juden zu befreien, gegen den Bolschewismus in den Krieg zu ziehen und die Welt zu erobern. In ihren massenhaft verbreiteten Liedern sind immer wieder dieselben Themen behandelt mit demselben militärischen Vokabular und den gängigen Symbolen für die Gewalt. (Siehe S. 224 f. und S. 227 f.) Eine Ausnahme bildet der Fall des Schriftstellers Hermann Claudius; er ist mit den Nazibarden nicht vergleichbar. Claudius wurde von den Nazis benutzt und ließ es sich gefallen. Er, der aus der Neuromantik und politisch aus der Sozialdemokratie kam, bürgte für die Nazis sowohl als Person, da er Mitglied der gleichgeschalteten Preußischen Akademie der Künste war, als auch durch den Gebrauch, der von seinen Gedichten gemacht wurde. Eins von ihnen aus der Zeit des ersten Weltkrieges, das den Titel Wann wir schreiten trägt und durch die Musik von Michael Englert als Arbeiterlied berühmt wurde, ist in den Nazianthologien zu den Zeugnissen der Arbeiterdichtung gestellt worden. 267 Da es ein Ziel der faschistischen Politik war, die Arbeiterbewegung zu integrieren, wurden zahlreiche Arbeiterlieder - durch Textänderungen verfälscht - von den Gesangvereinen oder in den Massenkundgebungen nach 1933 wieder aufgegriffen. Doch das Gedicht von Hermann Claudius brauchte man überhaupt nicht zu ändern, es konnte so, wie es war, vereinnahmt werden. Der Text als solcher ist in seinen Bildern so doppeldeutig, daß ihn die Nazis auch in ihrem Sinne auslegen konnten. In dem Lied wird Seite an Seite marschiert, man ist mit der Vergangenheit durch alte Lieder verbunden, die den Rhythmus der Schritte bestimmen; verbunden ist man auch mit der deutschen Natur. Dieser von Zuversicht erfüllte Marsch mündet in Eintracht, in eine leuchtende Zukunft. Hermann Claudius wurde ein Lieblingsdichter der deutschen Solid*

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daten. Philippe Lavastine, der ihn 1941 in Paris traf, lobte seine Kriegsgedichte und betonte, daß er im faschistischen Deutschland sehr bewundert werde: „Er ist ein volkstümlicher Dichter im besten Sinne des Wortes, denn er kennt die Worte, die man wählen muß, um das Volk zu rühren, von dem er spricht und an das er sich wendet. Der Ton seiner Verse ist immer einfach und echt. Das Volk und die Soldaten haben sich zahlreiche Strophen zu eigen gemacht, und sie singen diese in Stundein, in denen sie der Ermutigung und des Trosts bedürfen, wie alle die, die den höheren Sinn der jetzt von uns erlebten tragischen Augenblicke begriffen haben."268 Die ausgesprochene Propagandaliteratur weist alle Eigenschaften ihres Genres auf: Sentimentalität, Schematismus und Effekthascherei. Das Resümee zum Drama Schlageter von Hanns Johst informiert über die Machart aller dieser Werke: Die Handlung entfaltet sich vor einem gesellschaftlichen Hintergrund, der vom Konflikt zwischen Verdorbenheit und Reinheit, zwischen Demokratie und faschistischem Ideal beherrscht ist. Die Akteure werden zu Helden, indem sie mit ihrem ganzen Wesen das Schicksal Deutschlands auf sich nehmen. Der Leser oder Zuschauer soll durch die dramatische Spannung gebannt und dazu bewegt werden, eine Lehre aus dem Dargestellten zu ziehen, d. h. ebenfalls den Wunsch zu haben, sich für die Größe Deutschlands zu opfern. (Siehe S. 225-227)

Übernahme und Förderung verschiedener Formen der Trivialliteratur In dem Maße, wie die Nazis versuchten, ihre Ideologie möglichst massenwirksam zu verbreiten, förderten sie alle Formen der Trivialliteratur. Sie wollten alle Möglichkeiten zur Manipulierung der Leser ausnutzen. Die imperialistische „Massenliteratur" entging der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 vor allem deshalb, weil sie tatsächlich von den Massen gelesen wurde und es schwierig gewesen wäre, gegen sie vorzugehen. Außerdem bot die Struktur der Kitschromane ein Modell dafür, wie die Emotionen der Menschen erreicht und beeinflußt werden konnten. Wenn Walter Benjamin in einer seiner Studien269 Gottfried Benn, Arnolt Bronnen und einige andere als Vorläufer des deutschen Faschismus ansieht und der progressiven deutschen Kritik vor 1930 vorwirft, ihren Büchern nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt 148

zu haben, tendiert er dazu, die gesellschaftliche Wirkung dieser Autoren zu überschätzen. Er widerspricht sich übrigens auch teilweise selbst, da er darauf hinweist, daß der Faschismus nur subalterne Geister brauche; deshalb habe er Beim und Bronnen den Abschied gegeben. In Wirklichkeit bedient sich der Faschismus, wo immer er auftritt, stets der Kitschliteratur und der Kitschkunst und ihrer Methoden, denn sie sind sehr gut geeignet, seine Propaganda zu verbreiten. Und Walter Benjamin selbst stellt das im Hinblick auf die Monumentalkunst fest, deren Funktion darin bestehe, suggestiv zu wirken und das Rationale auszuschalten.270 Es ist bezeichnend, daß die Nazis sich gern auf Hedwig CourthsMahler berufen hätten. Aber die Courths-Mahler ließ sich nicht darauf ein, in ihren „schönen Geschichten" SS-Gestalten auftreten zu lassen. Die gesamte Kitschliteratur (besonders Ludwig Ganghofer und Ina Seidel) wurde massenhaft vertrieben und teilweise sogar in den Schulbüchern als Lektüre abgedruckt. Josef Nadler, der sich noch 1928 verächtlich über die „platte Philosophie" Karl Mays geäußert hatte, machte zehn Jahre später aus ihm einen Propheten des neuen Deutschland. Und wenn auf Initiative von Goebbels auch bestimmte Einschränkungen die Boulevardliteratur betrafen, bzw. das, was er die Überschwemmung mit patriotischem Kitsch nannte, so förderten die Nazis doch eine anspruchslose Unterhaltungsliteratur, die - in Form von Groschenromanen oder als Veröffentlichungen in der Presse (Novellen, Feuilletons) bis hin zum Völkischen Beobachter - Themen der aktuellen Politik und die ideologischen Schwerpunkte des Dritten Reiches illustrierte: Aufopferung des Individuums für die Gemeinschaft, kriegerischer Heroismus, Verherrlichung der Männlichkeit, Treuepflicht gegenüber dem Staat; Verzicht der Frau auf persönliches Glück zugunsten ihrer Pflichten als Mutter und Hausfrau.

Eine Angelegenheit von Glauben und Instinkt Als Thomas Manm 1936 von der Bonner Universität der Ehrendoktortitel aberkannt wurde, schrieb er in seiner Antwort an den Dekan der Philosophischen Fakultät, das Ziel des Nationalsozialismus bestünde darin, aus den Deutschen „ein grenzenlos willfähriges, von keinem kritischem Gedanken angekränkeltes, in blinde und fanatische Unwissenheit gebannntes Kriegsinstrument"271 zu machen. Dabei 149

spielte die Propagandaliteratur im Dritten Reich eine entscheidende Rolle. Die in der faschistischen Literatur verwendeten Metaphern sind allgemein und ungenau: Es wird vom Feuer, von Flammen, vom Fluß, von Stahl, von Sternen usw. gesprochen. Man muß aber die hinter den Bildern verborgenen Anspielungen auf die konkrete Wirklichkeit assoziieren. Es handelt sich dabei um Appelle an die „Gemeinschaft"; häufig werden auch Bilder und Vokabular aus dem religiösen Bereich verwendet: Eine Nation erlebt ihre „Auferstehung", und das geschieht für die „Ewigkeit". Die Treue zum Führer, die in dieser politischen Dichtung artikuliert wird, stellt sich als ein religiöses, auf einem bestimmten Glauben beruhendes Verhältnis dar. Der französische Kollaborateur Fernand de Brinon 272 schrieb in der Revue de Paris vom 15. Oktober 1937: „Wenn man einen Vergleich weitertreibt, den ich meiner Meinung nach als erster gezogen habe und der jetzt alltäglich geworden ist, könnte man behaupten, daß der Nürnberger Parteitag das alljährliche Konzil der Hitlerschen Religion ist. Dort werden die Dogmen festgelegt und von dort die Enzykliken ausgesandt. Dem Nationalsozialisten mißfällt es nicht, seinen Glauben als eine religiöse Bewegung dargestellt zu sehen, ganz im Gegenteil. Er ist ein Gläubiger, ein Apostel und ein Fanatiker." De Brinon bringt noch ein Beispiel, das den Führerkult illustriert: „In diesem Jahr sah man überall in Nürnberg ein gedrucktes Blatt, das den Führer redend an einem Tisch zeigt, um den verzückt lauschende Gefährten sitzen. Als Bildunterschrift die Worte: ,Am Anfang war das Wort'. Das ist ein Meßbuchbild. Viele andere Zeugnisse bestätigen diesen Eindruck, der sich von Jahr zu Jahr festigt." Die Nazidichter sind also nur die Adepten des Führers, und ihre Werke sind nichts weiter als Rhetoriklektionen, die die Öffentlichkeit zur Unterwerfung unter die Kulte und Riten erziehen sollen. In diesem Kommunikationsprozeß, der sich zwischen dem Zeichen und seinem Empfänger vollzieht, vermittelt die direkt politische Naziliteratur beinahe nur eine leere Botschaft. Die gesamte semantische Information kommt von der Vergangenheit oder von den schon in der Presse oder im Rundfunk immer wieder verbreiteten Parolen: Die Kunst der Propaganda, schrieb Hitler in Mein Kampf, bestehe darin, stereotyp immer dieselben Begriffe zu wiederholen. Dazu paßt, daß - nach der Theorie der Nazis - der Schriftsteller das Erbe der Vergangenheit nicht über den Verstand aufnimmt, sondern daß dieses 150

spontan aus seinen „instinktiven biologischen Werten" hervorsprudelt und somit beim Leser unvermeidlich eine „biologische Emotion" erzeugt. Der Kommunikationsweg verläuft also von Instinkt zu Instinkt, ohne jede Beteiligung des Verstandes. Sicher läßt sich nicht die gesamte im faschistischen Deutschland verbreitete Literatur diesen vier Strömungen zuordnen, die hier näher charakterisiert wurden. Es gab noch Randgruppen, so z. B. die Repräsentanten der „Arbeiterliteratur". 273 Außerdem konnten zur Zeit des Dritten Reiches auch Werke erscheinen, die - wenn sie auch gesellschaftlich meist kaum relevant waren - nicht mit zur direkt faschistischen Literatur gezählt werden können. Aber ob der Schriftsteller unmittelbar die Ziele und Anliegen des Naziregimes zum Ausdruck brachte oder ob er sich hinter anscheinend neutralen Themen und Worten verbarg - auf jeden Fall stand ihm nur noch eine verfälschte, gezinkte Sprache zur Verfügung: Er wird von den Ausdrucksmitteln beherrscht, anstatt sie zu beherrschen; er ist eingesperrt in einem Käfig rhetorischer Formeln.

Epilog274

Gleich axa Anfang eines Buches, das im Jahre 1945 den französischsprachigen Lesern eine „Erklärung des gegenwärtigen Deutschland" geben wollte, schrieb der Verfasser Adrien de Meeüs, daß seine Arbeit nur der Versuch sein könne, sich einer solchen Erklärung zu n ä h e r n . Denn - und nun gibt er die entscheidende Begründung - „für jeden logisch denkenden esprit latin bleibt Deutschland durch sich selbst ein Rätsel" 275 . Ohne Zögern spricht er von „einem Volk, dessen Ideen fast nicht mitteilbar sind, dessen Sprache nicht übersetzbar ist und dessen Logik außerhalb unseres Fassungsvermögens liegt", und kommt dann zu der Behauptung, daß die Ursache für den Erfolg der deutschen Faschisten in der besonderen Mentalität der Deutschen liege: „Jeder Deutsche hat vor allem und in erster Linie Angst vor der Anarchie. Das ist für ihn eine wahrhafte Zwangsvorstellung, ein Alptraum. . ," 276 Vereinfachungen dieser Art waren in Frankreich lange vor 1945 im Schwange. Sie haben einen Antigermanismus genährt, der sich nach der Woge der Begeisterung für ein „träumerisches und romantisches Deutschland", die vom Kreis um Madame de Staël zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausging, - vor allem nach dem Krieg von 1870 entwickelte und zur Zeit des ersten Weltkriegs noch verstärkte. Ein Buch wie L'Allemand. (1919) von Jacques Rivière 277 , das von vielen Intellektuellen gelesen wurde, ist ein charakteristisches Beispiel dafür. Rivière - Direktor einer so hervorragenden Zeitschrift wie die Nouvelle Revue Française - scheute sich nicht, grenzenlosen Schwachsinn zu äußern, als er schrieb, der Deutsche sei geistig „von der Natur armselig ausgestattet", sein Verstand habe einen „unheilbaren Fehler", und bei ihm sei ein „Fach im Gehirn" leer geblieben.278 Was erbringt unter einem solchen Blickwinkel die Wertung des deutschen Faschismus? E r erscheint als natürliche Folge einer angeborenen Krankheit des „germanischen Geistes". Bestimmte franzö-

152

sische Intellektuelle, häufig repräsentativ für einen Nationalismus katholischer Prägung, präzisieren ihre Anklagen sogar dahingehend, daß die Reformation an allem schuld sei. Auf diese Weise wird Hitler - obwohl getaufter Katholik - zum Nachfolger von Luther. Einer, der vor 1940 in dieser Richtung am weitesten über das Ziel hinausschießt, ist André Suarès: „Luther und die Reformation sind - nur weniger grob - aus demselben Holz geschnitzt wie Hitler und die Racaille (so nenne ich die Religion der Rasse)." 279 Georges Bernanos scheint sich zu seinem Echo zu machen, wenn er 1946 in einer Rede in Genf Deutschland „ein verfehltes Christentum", „ein anormales Christentum" vorwirft, so daß Preußen es zu einer „bewaffneten Nation" formen konnte, aus der Hitler schließlich nur noch einen „ehernen Block" zu schmieden gehabt hätte. 280 Umgekehrt gibt es in Frankreich eine Tendenz, den deutschen Faschismus in einem Konglomerat von Ideen aufzulösen, die seit dem Aufkommen nationalistischer Strömungen am Ende des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger alle europäischen Völker heimgesucht hätten. Angesichts der deutschen Vormachtstellung brüsteten sich die Apostel eines Faschismus, der ihrer Meinung nach französischen Ursprungs war, schon in den dreißiger Jahren damit, daß Leute wie Vacher de Lapouge, Gobineau und Drumont früher als Hitler ein theoretisches Gerüst für den Rassismus geschaffen hätten. Daran erinnert während des zweiten Weltkriegs Claude Grander, eifriger Parteigänger der Kollaboration, die Franzosen in einer Apologie des Dritten Reichs, wobei er sie auffordert, konsequenterweise auch den in Frankreich existierenden Antisemitismus zu sehen. 281 Später gelangten bestimmte Gegner des Faschismus - mit der isehr begründeten Befürchtung, dadurch die reaktionären Kräfte in Frankreich selbst anzugreifen - unglücklicherweise zu einer recht ähnlichen Sicht der Dinge: Das Ideensystem der deutschen Faschisten habe seinen Ursprung in den ideologischen Ausgeburten der französischen Rechten zwischen 1880 und 1914, und folglich sei diese an der Existenz der faschistischen Systeme in Europa ebenso schuld wie die antidemokratischen Kräfte in Italien und Deutschland. Diese letzte Argumentation, die sicher einen Teil Wahrheit enthält, ist nach 1945 von allen, die die Nazis reinwaschen oder sich selbst rehabilitieren wollten, nach Kräften ausgenutzt worden. Albert Béguin, ein angesehener Germanist, enthüllte implizit die damit verbundene Gefahr, als er das Fazit seiner Begegnungen und seiner Reisen in die westlichen Besatzungszonen im Februar 1947 in der 153

Zeitschrift Esprit so beschrieb: „Ich bin einigen wenigen Deutschen begegnet, die die Kenntnis der Hitlerschen Verbrechen belastet," und dann fortfuhr: „Aber sie bilden die Ausnahme. Die übrigen, falls sie die Tatsachen nicht generell leugnen, lassen sie entweder in einer unbestimmten Kollektivschuld aller Völker untergehen, oder sie wälzen alles von sich auf einige Führer und professionelle Henker ab." 2 8 2 Das führte unter den gegebenen politischen Bedingungen und entsprechenden Verantwortlichkeiten dazu, daß die Regierungen der westlichen Länder sich nach und nach einem „Willen zum Vergessen" überließen, wie eine religiöse jüdische Zeitschrift mit Bitterkeit konstatierte. Anstatt zunächst vor ihren eigenen Türen zu kehren, beteiligten sie sich so konsequent an einer „wahrhaften Verschwörung des Schweigens", daß sich dieselbe Zeitschrift nur fünf Jahre nach Kriegsende mit Bezug auf Frankreich zu folgender Feststellung veranlaßt sah: „Es ist eine Tatsache - seit 1945 ist der Abscheu, den die Deportation und die Gaskammern hervorriefen, außerordentlich schwach geworden, wenn nicht sogar gänzlich verschwunden." 2 8 3 Im Unterschied zu diesen beiden Haltungen gegenüber dem deutschen Faschismus, von denen die eine auf der Illusion beruht, daß allein die Ideen den Verlauf der Geschichte bestimmten, während die andere die Praktiken des deutschen Faschismus einer angeblichen besonderen deutschen Mentalität zuschreibt, habe ich mich bemüht, die deutsche Kultur wieder in ihren eigenen historischen Kontext zu stellen. Selbst wenn es tatsächlich stimmt, daß Auffassungen von Gustave L e Bon zur Psychologie der Massen oder von Georges Sorel über die Gewalt das schwache theoretische Arsenal von Mussolini, Goebbels und Hitler bereichert haben, so war doch der Einfluß dieser Theorien in Frankreich bis 1940 nur mäßig und beschränkte sich auf extrem rechte politische oder extrem linke syndikalistische Gruppierungen, die keine entscheidende Wirkung auf die Gesellschaft ausgeübt haben. 2 8 4 D a ß der Faschismus in Aktion treten und vor allem, daß er zu einer Massenbewegung werden konnte, hatte andere Ursachen gehabt. Ebenso hat das E r b e der antidemokratischen Kulturtraditionen, das unbestreitbar der Kulturbarbarei des deutschen Faschismus als Stütze diente, diese Funktion einzig und allein auf Grund der historischen Bedingungen 2 8 5 ausüben können. Denn es gab weder in Frankreich noch in England, ja selbst nicht einmal in Italien eine derartige Menge eindeutig faschistisch inspirierter Kulturprodukte, obwohl sich auch dort eine beträchtliche Anzahl von Intellektuellen zum Faschismus bekannte. 154

Es schien mir, da sich hier ein durch sein Ausmaß so bestürzender Tatbestand manifestiert, daß man den damit verbundenen Problemen nicht ausweichen konnte: Nazideutschland hat ungefähr zweitausend Filme produziert, die Veröffentlichung von Tausenden Romanen und Hunderten Gedichtanthologien gefördert, Hunderte Gemäldeausstellungen organisiert, die Schaffung von Tausenden Denkmälern, Skulpturen und Fresken veranlaßt. Die sogenannten künstlerischen Erzeugnisse wucherten, drangen in das tägliche Leben von Millionen Deutschen ein und haben deren Innerstes vergewaltigt. Ein solches massenhaftes „Kulturangebot hatte es vorher in Deutschland noch nicht gegeben. Der größte Teil dieser Erzeugnisse, wenn auch nicht alle, transportierte die Ideologie des deutschen Faschismus. Die Literatur und die Künste waren meist lediglich Widerspiegelung und Vermittler des Mythos, eines Mythos, wie ihn Georges Sorel gefordert und angepriesen hat und wie ihn einer seiner Anhänger in einem Kommentar zu Sorels Lehren folgendermaßen definiert - wobei er unfreiwillig die Funktion des Mythos enthüllt, die er in allen faschistischen Systemen bekommt: „Der Mythos bereitet die Menschen darauf vor, das Bestehende gewaltsam zu zerstören und ein neues Regime zu errichten, das nicht exakt definiert zu werden braucht; denn der Mythos drückt die Anschauungen einer Gruppe nur als Richtung und Bewegung aus; Stillstand, Gleichgewicht oder Konstruktivität würden ihn zunichte machen; er ist eine antreibende Kraft und kein Muster; er kann nicht widerlegt werden, die Wirksamkeit des Mythos erwächst aus seinem inneren Wesen." 286 Es ist übertrieben zu behaupten - wie geschehen287 - , die Macht des Nationalsozialismus habe darauf beruht, daß es ihm gelungen sei, „die Romantik der Dichter und der Denker mit dem brutalen Realismus der Militärs" zu vereinigen, bzw. „eine praktische, realistische und organisatorische Seite" mit magischen und primitiven Grundlagen zu verbinden. Aber unleugbar haben sich die deutschen Faschisten in einem in der Geschichte seltenen Ausmaß der Symbole, Bilder und Mythen für ihre Zwecke bedient entsprechend dem Prinzip, daß alles, was die Phantasie beeindruckt, „überzeugender wirkt als eine abstrakte Überlegung", weil es das Gefühl, das Herz und den Instinkt unmittelbar anspricht. Die mythischen Elemente wurden von den deutschen Faschisten um so mehr in Anspruch genommen, als sie daraus eine zur Überwindung der Leere erforderliche gesellschaftliche Dynamik ableiten konnten, ohne daß sie gezwungen gewesen wären, ihren Slogans irgendeine konkrete Rechtfertigung oder 155

ihren Theorien einen wissenschaftlichen Wahrheitsbeweis zu geben: „Mythen der Rasse, des Bluts, des Bodens, der Überlegenheit des arischen Menschen oder eines neuen Heidentums, alle unbeweisbar, aber alle so, daß sie die Menschen hinreißen, elektrisieren und augenblicklich aus ihrer Lethargie aufwecken, ohne daß die Vernunft im geringsten eingreifen könnte." Fazit? Ernst Ottwalt hat es schon im Juni 1934 in seinem Artikel Literarische Beihilfe zum. Mord in den Neuen Deutschen Blättern gezogen: „Die deutsche bürgerliche Wissenschaft, in den Dienst der faschistischen Diktatur gestellt, ist zu einer Clownerie von abstoßender Dummheit und Gemeinheit entartet. Die deutsche Presse, deren Geschichte doch mit den Namen wie Marx und Rüge, Bucher und Lassalle, Harden und Ossietzky verknüpft ist, wurde mit ihrer Gleichschaltung zu einem Instrument verbrecherischer Lügenhaftigkeit. Die Literatur, im Dritten Reich .Schrifttum' genannt, gehorcht dem Kommando nationalsozialistischer Kulturunteroffiziere. Die ewig .Objektiven', die mit Stolz .Unparteiischen', die sich früher erbittert weigerten, den gesellschaftlichen Charakter und die Klassengebundenheit jedes geistigen Schaffens anzuerkennen, sind durch die Wirklichkeit ad absurdum geführt worden."288 Und indem er eine widerwärtige Reimerei zitiert, einen Hetzaufruf zur Ermordung Ernst Thälmanns, betont Ottwalt: „Man wird in den Literaturen der ganzen Welt und in allen Epochen der Literaturgeschichte lange suchen müssen, ehe man einen Fall findet, wo Sprache und Reim zu so tierischer Bosheit, zu so abgrundtiefer Gemeinheit mißbraucht worden sind wie hier." Diese Feststellung verdient verallgemeinert zu werden: Die deutschen Faschisten haben bewirkt, daß das Deutsche so häufig wie keine andere Sprache jemals in der Geschichte für ausdrückliche Aufrufe zum Mord und zur Zerstörung verwendet worden ist.289 In seinem Artikel gelangte Ottwalt zu folgendem Schluß: „Der Terror, der im nationalsozialistischen Deutschland gegen die Arbeiterschaft eingesetzt worden ist, ist nicht zu trennen von der Kulturbarbarei, die jede Regung der Geistesfreiheit mit den gleichen Methoden unterdrückt wie die Zukunftsforderungen der Arbeiterklasse. Beide Wesensäußerungen des Faschismus gehören zu einander, sind nicht von einander zu trennen."290 Ich habe zu zeigen versucht, in welcher Weise die faschistische Kulturproduktion möglich war und wie sie funktionierte. Sicher gibt es in den Ursprüngen und in der jeweiligen Praxis Übereinstim156

mungen und Gemeinsamkeiten in der Kulturpolitik a l l e r faschistischen Systeme, aber mein Anliegen war es, die besonderen historischen Grundlagen in Deutschland herauszuarbeiten, die bewirkt haben, daß Kultur nur noch als ihre eigene Negation, als Kulturbarbarei existierte. Insbesondere habe ich verständlich zu machen versucht, wie und warum das faschistische Deutschland über Tausende Kulturschaffende" hat verfügen und sich ihrer nach Kräften hat bedienen können. Diese Fragen erschienen mir wesentlich, denn sie schließen andere ein, die aktuell bleiben und drängend sind. Sie regen uns dazu an, nach dem Sinn der menschlichen Aktivitäten überhaupt zu fragen. Sie fordern uns alle und besonders die Künstler - wenn man sie nicht nur als geistige Scharlatane, als Possenreißer oder als diensteifrige Lakaien ansieht - dazu auf, über die moralische und soziale Verantwortung jedes einzelnen nachzudenken und uns intensiv mit dem Wesen und der Funktion der Künste auseinanderzusetzen. 291 Sie lenken unsere Aufmerksamkeit stärker als je auf die Probleme, die die Menschheit immer wieder beschäftigen. Mit der Vernunft gegen die Kräfte des Todes und der Zerstörung! - so lautete in den dreißiger Jahren eine der Antworten der Antifaschisten auf die faschistische Drohung der Verdummung und der Vernichtung. Der Botschafter der spanischen Republik in Frankreich hat das bei der Besichtigung des spanischen Pavillons auf der Pariser Weltausstellung von 1937 folgendermaßen formuliert: „Während dumme und böswillige Menschen fragen, ob es wahr sei, daß wir das Museo del Prado verkauft haben, verteidigen wir es ebenso hartnäckig wie die anderen Schatzkammern, die die faschistischen Flugzeuge mit Vorliebe bombardieren. Wir bauen neue Schulen; wir publizieren immer mehr; wir machen das Ausland mit unseren Intellektuellen bekannt - mit einem Wort, wir fördern unser Kulturschaffen in demselben Maß, wie wir unsere Verteidigungsarmee stärken, oder sogar in noch größerem Umfang. Denn wir wissen, daß die Geschicke der Völker auf die Dauer nicht von Sprengstoffen, sondern vom Verstand bestimmt werden." 292

Vorläufer Beispiele für Repressalien gegen linke Schriftsteller und Künstler in der Weimarer Republik

1. Juristische

Verfolgungen

A m 9. Juni 1 9 2 8 stand in der von Barbusse geleiteten Zeitschrift Monde-. „Für die Inszenierung von Die Abenteuer des braven Soldaten Schweyk nach dem gleichnamigen tschechischen Roman von Hasek, die in diesem Winter im Piscator-Theater in Berlin zur Aufführung gelangte, hatte George Grosz eine Reihe von Zeichnungen angefertigt. Als Bildband im Malik-Verlag veröffentlicht, wurde das Buch von der Polizei unter dem Vorwand beschlagnahmt, daß es die Religion angriffe. Diese Maßnahme hat Proteste in der linken Presse ausgelöst. 1 [ . . . ] Die deutsche Justiz verfolgt proletarische Schriftsteller. Erst wurde dem Dichter Johannes R. Becher der Prozeß gemacht,2 jetzt ist Hans Lorbeer wegen eines Sprechchors über Karl Liebknecht 3 des Hochverrats angeklagt." Einige Monate später, im Dezember 1928, kam es zu neuerlichen Angriffen gegen George Grosz: „Der große deutsche revolutionäre Künstler George Grosz und sein Verleger Wieland Herzfelde wurden am letzten Montag vom Bezirksgericht Charlottenburg zu jeweils zwei Monaten Gefängnis und 2000 Mark Geldstrafe verurteilt. Begründung: Verleumdung und Schädigung öffentlicher Einrichtungen der Kirche gemäß Paragraph 166 des Strafgesetzbuches. Grosz' Verbrechen bestand in der Veröffentlichung des Bildbandes Hintergrund mit Zeichnungen zur Inszenierung von Die Abenteuer des braven Soldaten Schweyk nach Jaroslav Hasek am Piscator-Theater."

2. Treibjagd, auf die revolutionäre

Literatur

A m 5. März 1 9 3 2 berichtete Monde über die Politik von Reichskanzler Brüning und deren Folgen: „Die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 10. August 1931 unterwirft Deutschland einem Zensurregime und schränkt die Freiheit des Schriftstellers entscheidend ein. Mit zahlreichen Polizeimaßnahmen und Gerichtsur11

Faschismus

161

teilen wird in der letzten Zeit eine wahre Treibjagd auf die proletarische Literatur veranstaltet, während sich die Publikationen der nationalsozialistischen Partei ungestraft in den Schaufenstern der Buchhandlungen breitmachen und zum Bürgerkrieg hetzen und Revanchegelüste schüren."

Die Na^is und ihre Kulturpolitik 1. Einige

Kampagnen

1929 führten die Nazis eine heftige Kampagne gegen die Ernennung Max Reinhardts zum Direktor der Münchner Theaterfestspiele. Das ging bis zu Kundgebungen, an denen Hitler persönlich teilnahm. In einer Münchner Rede, die der Völkische Beobachter am 5. April 1929 veröffentlichte, erklärte er: „Das Judentum hat an sich überhaupt keinen ausgeprägten Kunstwillen. Es sieht in der Kunst das, was es in allem sieht, nämlich eine Geschäftsmöglichkeit."

Und einige Tage später, am 11. April 1929, stand im Beobachter:

Völkischen

„Wir meinen, daß die Kunst den Zeitgeist zu bilden hat, daß eine Zeit größten nationalen Verfalls zwangsweise höchste Kunst erfordert, um durch die Kunst die Nation herauszuheben aus der Gesinnungslosigkeit der Zeit und ihren schlechten Erscheinungen."

1930 wurde der Film Im Westen nichts Neues nach Remarque verboten. 4 Im März 1930 unterbreiteten die Abgeordneten der Nazipartei dem Reichstag den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Nation. Er sah ein Verbot alles dessen vor, was angeblich nicht mit dem „deutschen Geist" vereinbar war, und sollte dazu dienen, den Begriff des „Kulturverrats" juristisch zu etablieren, für den hohe Gefängnisstrafen vorgesehen waren. Der Entwurf wurde nicht angenommen. 1932 legten die Nazis im Preußischen Landtag einen Beschluß zur Abstimmung vor, der es ermöglichte, Verträge mit nichtdeutschen Künstlern nicht zu verlängern sowie aus den Theaterspielplänen alle als antinationalistisch, pazifistisch und moralisch zersetzend eingestuften Stücke zu entfernen.

162

2. Wilhelm

Frick,

Minister

in der Thüringischen

Landesregierung

In seiner Arbeit Le National-socialisme vers le Troisième Reich (1932) teilte René Laurent Einzelheiten über Wilhelm Frick mit. (Siehe S. 62 f.) Er erinnerte vor allem daran, daß Frick, der zusammen mit Ludendorff und Hitler am Putschversuch vom 9. N o v e m b e r 1923 beteiligt war, vor dem Reichsgericht in Leipzig erscheinen mußte und wegen Beihilfe zum Verrat zu 15 Monaten Festungshaft und 1 000 Mark Geldstrafe verurteilt worden war. Über Fricks Rolle in der in Thüringen gebildeten Koalitionsregierung schrieb Laurent: „Nach den Wahlen zum Thüringischen Landtag wurde Frick zum Innenminister ernannt. Manche sagen, die politische Tätigkeit dieses Ministers habe allgemeines Aufsehen erregt, andere wieder behaupten, er habe sich lächerlich gemacht, besonders als er Herrn Günther auf den Lehrstuhl für Anthropologie an die Jenenser Universität berief. Sicher ist, daß die Abgeordneten der Deutschen Volkspartei dem ersten hitlertreuen Minister in Deutschland, den sie unterstützt hatten, wegen seiner Überspanntheiten am 1. April 1931 ihr Vertrauen entzogen." Laurent zitierte auch eine Rede von Frick, die er 1931 in Frankfurt/Oder gehalten hatte. Sobald die Nazis an der Macht seien, gab er dort zu verstehen, würden sie den Marxismus in Deutschland innerhalb von 24 Stunden auslöschen und mit ihm Zehntausende „marxistischer Führer". 3. Der

Kampfbund

für Deutsche

Kultur

und sein

Kunstkonzeption

A m 17. Mai 1931 berichtete der Völkische Beobachter über das „Dramaturgische Büro" des Kampfbundes für Deutsche Kultur. D a s Büro sollte neue Stücke entwickeln helfen. D i e in diesem Zusammenhang gegebene Definition der Kunst enthielt schon alle Thesen, die dann im Dritten Reich praktisch durchgesetzt wurden : „Die Kunst ist ein besonderer Lebensausdruck eines Volkes, eine besondere Form, in der sich Wesen und Charakter, Fühlen, Denken und Wollen eines Volkes ebenso manifestieren, wie in anderen Ausdrucksformen, etwa in der Wissenschaft. Alle Kunst ist demzufolge in ihrem Grundwesen völkisch bedingt. Die Kunst bildet weiter einen nicht loszulösenden und nicht selbständig zu denkenden Bestandteil der Kultur eines Volkes, die selbst wieder nur die Zusammenfassung all seiner Lebensäußerungen, aller von ihm aus seinem Wesen entwickelten und mit seinem Fühlen und Wollen erfüllten Wertgebiete in ihrer organischen Wechselbeziehung und Wechselbedingtheit darstellt. Die Kunst ist daher nicht Selbstzweck, sondern Kulturzweck. 11*

163

Das Wesen der Kultur trägt gleichzeitig für die Nation die Aufgabe in sich, ihren Charakter, ihre Anlagen rein und unverfälscht zu bewahren und zu entwickeln, ihre Wertgebiete zu steigern und immer neu zu vervollkommnen. Auf Grund ihres organischen Eingeordnetseins in die ganze Kultur trägt die Kunst diese Aufgabe gleichfalls in sich. Dies um so mehr, als die ihr innewohnende psychologische und suggestive Wirkung ihr mit innerer Notwendigkeit -

ob

beabsichtigt oder nicht, spielt keine Rolle - eine ungeheure Kraft verleiht zur Erzeugung bestimmter Gefühle und Vorstellungen, zur unauffälligen, aber durch ihr Mittel um so sicheren Formung von Betrachtungsweisen der Dinge und Gesinnungen. Die Gesinnung, die aus einem Kunstwerk spricht, seine negative oder positive Haltung zu den Grundwerten einer deutschen Kultur ist daher von entscheidender Wichtigkeit für seine Bewertung. Der Kampfbund wendet sich deshalb - zunächst ganz unabhängig von der Beurteilung eines rein künstlerisch-formalen Wertes -

notwendig gegen jede

Kunst und Kunstpflege, die bewußt oder unbewußt das nationale und völkische Wertbewußtsein, das religiöse und sittliche Empfinden unterhöhlen und zerstören. Dagegen fördert er jede Kunst und Kunstübung, die deutsches Wertgefühl auslösen und steigern kann." (Siehe S. 61 f.)

4. Gegen die Freiheit der Kunst Noch vor der Machtübernahme verunglimpften die Nazis besonders die in den intellektuellen Kreisen der Weimarer Republik geschätzte Literatur. Seit 1925 wurden der Expressionismus und die moderne Kunst überhaupt im Völkischen Beobachter verurteilt. Insofern erscheint es unverständlich, daß manche glauben konnten, der Expressionismus sei als ideologische und künstlerische Richtung in das Dritte Reich integrierbar. Auf einer Konferenz, die 1928 stattfand, erläuterte Hanns Johst die für das Theater vorgesehenen Veränderungen. Dieser Text wurde erst 1936 in Heft 4 der Zeitschrift Wille und Macht publiziert. „Das Drama war zuletzt am augenscheinlichsten die Stätte der Zersetzung, der Auseinandersetzung, der Materiadismen, der Parteilichkeit. Das kommende Theater wird Kult werden müssen, oder das Theater hat seine Sendung, seinen lebendigen Ideengehalt abgeschlossen und wird nur noch als eine Art versteinerte Fossilie in den Kulturschiebungen mitgeführt. Das kommende Drama wird leben! Die Not, die Verzweiflung, das Elend unseres Volkes braucht Hilfe. Und Hilfe kommt letzten Endes und tiefsten Sinnes nicht aus Betteleien an Banknoten der Hochvaluta, sondern die Hilfe kommt aus der Wiedergeburt einer Glaubensgemeinschaft.

164

[ . . . ] Der Dramatiker nun muß kein Christ sein, aber er muß fromm sein, er kann der Welt gehören, aber er muß seinem Volke dienen." Wie

Johst

i m Völkischen

Beobachter

vom

6. S e p t e m b e r

schrieb, hat dieser religiöse D i e n s t a m V o l k e i n e

1931

Voraussetzung:

D a s V o l k - genauer also der nationalsozialistische Staat -

bestimmt

d i e F u n k t i o n der K u n s t , d i e Freiheit der K u n s t s c h l i e ß l i c h w i r d abgeschafft: „Der nationalsozialistische Staat und Kultur sind identisch. Das eine kann ohne das andere nicht sein. Der nationalsozialistische Staat ohne Kultur wäre atheistische Tyrannis, und ohne persönliche Herrschaft einer gläubigen Verantwortung gibt es keine Kultur. Für Bürokratie, Interessen und Mehrheiten, wie sie sich in der Maske einer .Staatsreform' festsetzen, hat Kunst und Kultur keinen Sinn. Man wird gegen meinen Kulturoptimismus in Hinsicht auf den Nationalismus einwenden, daß die Kunst Liberalität brauche. Fälscht An jeder Form von Liberalität ist die Kunst stets gestorben. Stärkste Gegensätzlichkeit, ja robustester Kampf entgegengesetzter Gesinnung beherbergt in seiner elementaren Wahrhaftigkeit mehr seelisches Mäzenatentum als windelweicher, nach allen Windrichtungen offener Opportunismus."

Eine Hochflut proimperialistischer und rassistischer Bücher E i n P r o g r a m m e n t w u r f des B u n d e s proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, der w a h r s c h e i n l i c h v o n L u k á c s stammt, e n t l a r v t e d i e mittels unzähliger B ü c h e r betriebene latente Faschisierung der M a s s e n : „Die bürgerliche Literatur Deutschlands kann nicht ausschließlich nach ihren Spitzenleistungen beurteilt werden. Während in der .führenden' bürgerlichen Literatur Deutschlands tiefe Depression, Unglauben an die Zukunft, Pessimismus, Zweifel und Mystik vorherrschen, arbeitet der ganze gewaltige Apparat der Massenliteratur der Bourgeoisie mit fast unverminderter Kraft weiter. Von den Kurzgeschichten der Tagespresse bis zu Courths-Mahler und den Detektivromanen wird diese Literatur in Millionen Exemplaren nach wie vor unter den Werktätigen abgesetzt. Presse, Radio, Kino, Theater, Schule, Leihbibliothek, Bücherkreise stehen im Dienste der Verbreitung dieser Literatur." 5 Dasselbe Dokument

verwies

auf

das A u s m a ß der V e r b r e i t u n g

einer direkt faschistischen Literatur: „Dabei ist die größte Aufmerksamkeit zu richten auf die Tatsache der Herausbildung einer eigenen faschistischen Literatur, die sich nicht mehr nur auf die Reproduktion von Kriegserlebnissen beschränkt, sondern die die reaktionäre Gestaltung aller Seiten des menschlichen Lebens in Angriff genommen hat und 165

die vor allem zusammen mit der katholischen Traktätchen-Literatur eine außerordentlich geschickte aktive Hetz- und Kriegskampagne gegen die Sowjetunion unter den kleinbürgerlichen Massen (Frauen) entfaltet." 6

Einige Zahlen 1. 1. 1. 1. 1.

Mitglieder des Kampfbundes für Deutsche Kultur (geschätzt) 7 April 1929 300 1. Januar 1933 6 000 Januar 1930 600 1. April 1933 10 000 Januar 1931 1000 1. Juli 1933 21700 Januar 1932 2 100 1. Oktober 1933 38 000

2. Mittlere Auflagenhöhen des Völkischen Beobachters von 1926 bis 19328 1926 10 997 1930 84 511 1927 13 869 1931 108 746 1928 16 782 1932 126 642 1929 26 715

Über die Ästhetisierung der Politik

Presse und Literatur im Programm der Na^ipartei A m 25. Februar 1920 fand in München eine Versammlung der N S D A P statt, in deren Verlauf ein 25 Punkte umfassendes Programm ausgearbeitet wurde. E s wurde endgültig am 22. Mai 1926 angenommen. D e r Paragraph 23 befaßte sich direkt mit literarischen und künstlerischen Fragen. Hieraus ging bereits eindeutig hervor, welchen politischen Kurs die Nazis nach 1933 einschlagen würden. „Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen die b e w u ß t e politische Lüge und ihre Verbreitung durch die Presse. Um die Schaffung einer deutschen Presse zu ermöglichen, fordern wir, daß: a) sämtliche Schriftleiter und Mitarbeiter von Zeitungen, die in deutschet Sprache erscheinen, Volksgenossen sein müssen; b) nichtdeutsche Zeitungen zu ihrem Erscheinen der ausdrücklichen Genehmigung des Staates bedürfen. Sie dürfen nicht in deutscher Sprache gedruckt werden; c) jede finanzielle Beteiligung an deutschen Zeitungen oder deren Beeinflussung durch Nicht-Deutsche gesetzlich verboten wird, und fordern als Strafe für Übertretungen die Schließung eines solchen Zeitungsbetriebes sowie die sofortige Ausweisung der daran beteiligten Nicht-Deutschen aus dem Reich. Zeitungen, die gegen das Gemeinwohl verstoßen, sind zu verbieten. Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung, die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt, und die Schließung von Veranstaltungen, die gegen vorstehende Forderungen verstoßen." 9

Der „Künstler" Adolf 1. Hitlers

Hitler

Selbstdarstellung

In Mein Kampf berichtete Hitler über sein Leben und über seine Beziehungen zur Kunst. Er gestand dort, daß er eigentlich habe Maler werden wollen und daß er von München, jener Stadt der Bo167

hemiens und zugleich „Metropole der deutschen K u n s t " , fasziniert gewesen wäre. Hitler war im Frühjahr 1912 nach München gekommen. E r schilderte seine Bewunderung in um so lebhafteren Farben, als München inzwischen die „ H a u p t s t a d t " der Nazibewegung geworden war. Wien dagegen habe er als wahrhaftes „Babylon der Rassen" empfunden. München sei für ihn der Ort, wo er seine Persönlichkeit entfaltet habe. In der Stadt K ö n i g Ludwigs II. von Bayern hätte - das hebt er ausdrücklich hervor - eine Atmosphäre geherrscht, die seiner „empfindsamen Seele" Impulse für ihre künstlerische Entwicklung gegeben habe. Hitler wollte seine Kunstauffassungen, das geht auch aus Mein Kampf hervor, als Reaktion auf die „Kulturdekadenz" verstanden wissen, für die er Marxisten und Juden verantwortlich machte. E r redete dem Leser beharrlich ein, es habe sich bei ihm um eine Offenbarung gehandelt: In einem bestimmten Moment sei ihm aufgegangen, daß all der literarische Unflat, die Stumpfsinnigkeiten auf dem Theater, die Manieriertheit in der Malerei das Werk der Juden waren. D i e Angriffe auf Wilhelm II., der Lobgesang auf die französische Demokratie, die Verleumdung der Deutschen in der Presse stammten ebenfalls von „jüdisch-bolschewistischen" Journalisten. Schon die Sprache dieser Artikel hätte in seinen Ohren einen fremden K l a n g gehabt. Aus allen Beobachtungen habe er schnell geschlußfolgert, daß dieses „ G e s i n d e l " die Frucht eines Systems sei und daß man dieses System konsequent vernichten müsse. Somit waren für Hitler die Zusammenhänge klar. D i e Kulturdekadenz - oder das, was er dafür hielt - habe den Verfall der po-' litischen Institutionen vorbereitet und bereits vorweggenommen. Literarische und künstlerische Werke beeinflußten seiner Meinung nach ein L a n d außerordentlich stark. Hieraus erklärten sich dann sein Interesse an der Kunst und die Rolle, die ihr im Dritten Reich zuerkannt wurde. Für Hitler gab es eine sehr enge Beziehung zwischen den Ideen, den geistigen Konzeptionen und ihrer praktischen Realisierung auf allen Gebieten. D a s Primäre aber war für ihn die Idee. E r stellte ganz mechanisch Beziehungen her: Jüdische Künstler würden nur eine geistig verderbliche Arbeit zustande bringen; in einem jüdischen Herrschaftssystem (damit meinte er die liberale Demokratie ebenso wie auch das sozialistische System, denn Lenin ist von den N a z i s oft als „ J u d e " bezeichnet worden) könne nur dekadente Kunst entstehen. E r definierte insbesondere den Begriff 168

„Kulturbolschewismus" lange bevor der Kampf gegen diesen im Zusammenhang mit der Verdammung der „entarteten Kunst" auf der Tagesordnung stand. In seiner Sicht erschienen Kubismus und Dadaismus als Extravaganzen von Narren und generell als Elemente des Verfalls, die den bolschewistischen Staat ankündigten bzw. seine Existenz vorbereiteten. Diese kulturellen Erscheinungen müßten allen ins Bewußtsein gerufen werden, um dem politischen Zerfall Deutschlands entgegenzuwirken. Hitlers besondere Demagogie bestand darin, daß er sich selbst als Künstler und Kenner ausgab, und daß er unter der Maske des Spezialisten Gemeinplätze des Kleinbürgertums aufnahm und sie mit seinen Urteilen in eine allgemeine politische Orientierung einfunktionierte, während diese Ansichten und Gefühle in den Massen oft verborgen, bisweilen vage und unartikuliert blieben. Durchgehend läßt sich feststellen, daß er auf das Irrationale setzte, das bei dem Wort „Dekadenz" assoziiert wird, und auf seinen Nährboden: Beunruhigung, Krankheit, Angst. Die Bezeichnung der modernen Künstler als „Narren" ist signifikant, weil sie sich die Angst vor dem „Unnormalen", wie sie im kollektiven Unterbewußtsein verborgen ist, zunutze macht und zugleich das Gefühl der Bedrohung durch herannahende Umstürze aufrechterhält. Die modernen Künstler, die Juden oder die Bolschewiken, die Narren - ihnen allen wird bald das gleiche Schicksal zuteil werden: die systematische Vernichtung. Die Existenz literarischer Richtungen wie Futurismus, Kubismus und Dadaismus war für Hitler, wie er in Mein Kampf schrieb, der Beweis für einen Zustand fortgeschrittener politischer Auflösung, das unübersehbare Zeichen der „Krankheit", derer man Herr werden müsse, um den Staat regieren zu können.

2. Hitler aus der Sicht

anderer

Hitlers Umgebung hat von ihm schon lange vor 1933 das Bild einer außergewöhnlichen künstlerischen Persönlichkeit verbreitet. Im Völkischen Beobachter vom 10./11. April 1932 stellte Baidur von Schirach ihn als einen äußerst kulturvollen Menschen mit angeborenem schöpferischem Willen dar. Der Rückgriff auf die Kunst zur Begründung von Hitlers Größe ist ein interessanter Aspekt, der häufig auftauchte. Es handelte sich hier um eine prinzipielle Auffassung: Jede mächtige Persönlichkeit, besonders in der Politik, war auf ihre 169

Weise notwendig auch ein Künstler. Es galt als selbstverständlich, daß ein großer Mann zwangsläufig auch ein Propagandist und befruchtender Anreger der Kultur war. Da Hitler nach der Meinung seiner Anhänger zweifellos ein großer Mann war, war er dieser Logik zufolge notwendigerweise auch ein Künstler. So urteilte Baidur von Schirach, der Hitler Hindenburg gegenüberstellte, dessen Handlungen seiner Meinung nach der künstlerische Geist immer gefehlt habe. Hitler dagegen habe eine Begabung und ein Verständnis für die Dinge der Kunst, wie es nur wenige Deutsche besäßen. Mehr noch, er vermittele anderen seine künstlerische Konzeption. Baidur von Schirach beendete sein Loblied, indem er die Gewißheit zum Ausdruck brachte, daß die Ära Hitler nicht einfach bloß zur physischen Stärke Deutschlands, sondern auch zu seiner geistigen Macht führen werde. Nach der Machtergreifung des Faschismus war es dann dieser zweite Aspekt, den die Propaganda in drei Leitgedanken einhämmerte : - Hitler ist ein ¡Künstler, er ist Architekt und Bauherr des nationalsozialistischen Staates; - Dieser Staat muß als Kunstwerk betrachtet werden, er hat die Struktur, die Organisation, die Harmonie und die Einheit eines Kunstwerks; - Hitler liebt die Kunst, und er ist als Primus inter pares Förderer der Künstler. Adolf Wagner, Leiter des Hauses der Deutschen Kunst in München, huldigte Hitler zum Tag der Deutschen Kunst am 15. Oktober 1933 und nannte ihn den „Bauherrn" des Dritten Reiches, der durch seine Hammerschläge dem deutschen Volk seine Seele wiedergegeben habe, eine Seele, die jetzt in Stein Gestalt annehme. Der Völkische Beobachter stellte Hitler aus demselben Anlaß neben Bach und Beethoven. Als Hitler 1933 an der Jahrestagung der Reichskulturkammer teilnahm und den Reichskultursenat einsetzte, wurde er im Völkischen Beobachter vom 16. November 1933 mit folgenden Worten gefeiert: „Vor allem ist der Mann selbst gekommen, dem wir es danken, daß wir im Reiche überhaupt einen Neuaufbau der Kultur in Angriff nehmen, daß man Schutt wegräumen konnte: der Führer und Reichskanzler. In dem Deutschland, das er schuf, regt sich allerorts ein junges Kunstschaffen, das wieder den Glauben an sich selbst und seine Berufung gewonnen hat. Diese Kunst und ihre Träger einzuordnen in die Gesamtheit des revolutionä-

170

ren Aufbaus im verjüngten und in seiner Verjüngung erst stark gewordenen Reiches: das ist die Aufgabe der Reichskulturkammer."

Bereits am 16. August 1934 scheute sich der Völkische Beobachter nicht, in einem anonymen Artikel im Namen aller deutschen Künstler zu sprechen: „Den darstellenden Künstlern von der Anteilnahme des Führers am Leben und Wirken in Theater, Musik und Film zu berichten, ist überflüssig. Sie wissen es alle: Der Führer bekennt sich inmitten von Millionen Menschen

immer wieder zu wahrer Künstlerschaft.

Der

deutsche

deutscher Künstler

dankt dem Führer für seine warmherzige und schöne Anteilnahme. Führertum und Künstlerschaft sind für immer eins, in Gegenwart und Zukunft. Es gibt im Reiche Adolf Hitlers keinen deutschen Künstler, der nicht den Willen und Geist des Führers in Politik und Kunst aus innerer Überzeugung bejaht."

Am folgenden Tag wurde in einem ebenfalls anonymen Artikel die schöpferische Energie des Führers gepriesen: „Keinen Zweig der bildenden Künste gibt es, dem der Führer inmitten seiner großen staatspolitischen Arbeiten nicht immer wieder stärkstes persönliches Interesse entgegenbringt. Anregend, fördernd, dankbar für alles Schöne und jedes gelungene Werk, geht vom Führer ein Kraftstrom aus, der das künstlerische Leben aus der Erstarrung, Verflachung und Verzerrung der letzten Jahre erlöste. Neues Leben beginnt sich in Museen, in Ausstellungen und Akademien zu regen. Baukunst und bildende Kunst verdanken es Adolf Hitler, dem Bauherrn des Dritten Reiches."

Goebbels, der mit dergleichen Komplimenten nie geizte, hatte den Führer im November 1935 vor der Reichskulturkammer zum Schutzherrn der Künste erhoben. Im Völkischen Beobachter vom 16. November 1935 schrieb er: „Die deutschen Künstler grüßen in ihm den Patron und Schutzherrn ihres Schaffens. E r hält seine Hand über alles, was am Wesen einer echten deutschen Kunst und Kultur tätig ist. Die deutschen Künstler fühlen sich stolz und glücklich in dem Gefühl: E r gehört zu uns. E r ist Geist von unserem Geist, Trieb von unserem Trieb, er ist der Flügel unserer Phantasie, der Stern unserer Hoffnung."

Am 24. April 1936 publizierte der Völkische Beobachter einen Artikel über den Maler Hitler und dessen Aquarelle unter dem Titel Die Kunst als Grundlage der schöpferischen Kraft in der Politik, der die hier aufgezählten Gesichtspunkte zusammenfaßte: „Und heute wissen wir es, daß es kein Zufall war, daß Adolf

Hitler

damals nicht einer der vielen Malschüler der Wiener Akademie wurde. E r war für eine größere Aufgabe bestimmt, als nur ein guter Maler oder vielleicht

171

ein guter Architekt zu werden. Die malerische Begabung ist aber nicht nur eine zufällige Seite seiner Persönlichkeit, sondern ein Grundzug, der den Kern seines Wesens trifft. Es besteht eine innere und unlösbare Verbindung zwischen den künstlerischen Arbeiten des Führers und seinem großen politischen Werk. Das Künstlerische ist auch die Wurzel seiner Entwicklung als Politiker und Staatsmann. Seine künstlerische Tätigkeit ist nicht bloß eine zufällige Jugendbeschäftigung dieses Mannes, nicht Umweg des politischen Genies, sondern die

Vorraussetzung

seiner

schöpferischen

Totalitätsidee."

Unter Hitlers Führung nahm dann der Staat ganz natürlich eine künstlerische Form an: „Der Führer hat dem Begriff Politik einen aufbauenden Inhalt

gegeben,

und er konnte das nur, weil seine politische Idee sich aus den Erkenntnissen einer künsderisch

selbst schöpferischen

Tätigkeit entwickelt

hat."

Der Regierungsfotograf Heinrich Hoffmann gab 1936 eine Sammlung von Aquarellen Hitlers heraus. Sechs wurden farbig reproduziert und eine siebente schwarz-weiß.

Was ist Kunst? 1. Ausdruck der rassischen Eigenschaften eines Volkes In der Zeitschrift Hochschule und Ausland definierte Paul SchultzeNaumburg im November 1933 die Kultur als Ausdruck der Rasse. Dies ist das erste Prinzip, das für die nationalsozialistische Kunstkonzeption gilt: „Die weltanschauliche Grundlage einer jeden Kultur beruht auf den besonderen

seelischen

und köperlichen

Anlagen, wie sie für die die

Kultur

tragende Rasse richtunggebend sind. Eine Kultur kann daher nur einheitlich und deshalb im eigentlichen Sinne schöpferisch sein, wenn eine einzige Rasse oder doch wenigstens unter der Führung einer Rasse einige unter sich harmonisierende Rassen das Volk bilden. Treten Rassen hinzu, deren seelische und körperliche

Erbeigenschaften

eine zu große Spannweite zu dem

Wirtsvolk

bedeuten, so müssen sich Störungen bilden, die bei Überschreitung gewisser Grenzen die gesamte Kultur des Wirtsvolks in Unordnung, ja in Zersetzung bringen. Das erstere war der Fall, als die Juden sich in Deutschland durch Einwanderung und Fruchtbarkeit derartig vermehrten, daß sie eine beträchtliche und fühlbare Menge der Volkszahl bildeten. Das zweite dagegen trat ein, als der Einfluß der Juden nicht allein über den ihnen zahlenmäßig entsprechenden Anteil am politischen und wirtschaft-

172

liehen Leben weit hinausging, sondern als sie mehr oder minder zur Alleinherrschaft strebten. Diese Begriffe sind als Voraussetzung notwendig, wenn wir den Grundgedanken der nationalsozialistischen Kunstauffassung richtig verstehen wollen. Kunst ist nicht irgendeine rein artistische Übung, sondern die tiefste Sehnsucht einer Rasse, die sinnfällige Form angenommen hat. Ihr Wert für das Volk ist genau so groß, als sie dem höchsten Zielbild der Rasse entspricht." A l s H i t l e r 1 9 3 3 auf d e m N a z i p a r t e i t a g w e i t s c h w e i f i g über K u n s t f r a g e n referierte, b e d i e n t e er sich ähnlicher A r g u m e n t e .

Besonders

h o b er h e r v o r : „Denn niemals kann man die Kunst vom Menschen trennen. Das Schlagwort, daß gerade sie international sei, ist hohl und dumm." U n d als B e i s p i e l d i e n t e i h m die griechische Z i v i l i s a t i o n : „Der Grieche hat nie international gebaut, sondern griechisch, das heißt, jede klar ausgeprägte Rasse hat ihre eigene Handschrift im Buche der Kunst, sofern sie nicht, wie z. B. das Judentum, überaupt ohne eigene künstlerisch produktive Fähigkeit ist." So erklärt sich auch, w a r u m d i e nationalsozialistische

Kunstkon-

z e p t i o n v o r f r e m d e n E i n f l ü s s e n b e w a h r t w e r d e n sollte. H i t l e r prangerte d e s h a l b die Karrieristen a n u n d w a r n t e v o r ihren U m t r i e b e n . W a h r s c h e i n l i c h hatte er d a b e i L e u t e w i e G o t t f r i e d B e n n i m A u g e . Benns Radiovortrag

Der

neue

Staat

und

die

Intellektuellen

vom

A p r i l 1 9 3 3 l a g e i n i g e M o n a t e zurück, u n d als E x p r e s s i o n i s t w a r er kein o p p o r t u n e r Vertreter deutscher K u n s t : „Die nationalsozialistische Bewegung und Staatsführung darf auch auf kulturellem Gebiet nicht dulden, daß Nichtskönner oder Gaukler plötzlich ihre Fahne wechseln und so, als ob nichts gewesen wäre, in den neuen Staat einziehen, um dort auf dem Gebiete der Kunst und Kulturpolitik abermals das große Wort zu führen. Ob die Vorsehung uns alle die Männer schenkt, die dem politischen Wollen unserer Zeit und seinen Leistungen einen gleichwertigen kulturellen Ausdruck Zu schenken vermögen, wissen wir nicht. Aber das eine wissen wir, daß unter keinen Umständen die Repräsentanten des Verfalls, der hinter uns liegt, plötzlich die Fahnenträger der Zukunft sein dürfen. Entweder waren die Ausgeburten ihrer damaligen Produktion ein wirklich inneres Erleben, dann gehören sie als Gefahr für den gesunden Sinn unseres Volkes in ärztliche Verwahrung, oder es war dies nur eine Spekulation, dann gehören sie wegen Betrugs in eine dafür geeignete Anstalt. Auf keinen Fall •wollen wir den kulturellen Ausdruck unseres Reiches von diesen Elementen verfälschen lassen; denn das ist unser Staat und nicht der ihre." 10 Auf

d e m 8. Parteitag der N S D A P

(1936)

erklärte

9 . S e p t e m b e r 1 9 3 6 , ein I n d i v i d u u m k ö n n e nur d a n n 173

Hitler

am

schöpferische

Kräfte entfalten, wenn es eng mit seinem Volk verbunden sei. Aber selbst diese augenfällige Tatsache galt für ihn nur unter der Grundvoraussetzung, daß - biologisch gesehen - nur bestimmte Völker schöpferisch veranlagt seien, andere dagegen nicht. Zum Beweis stellte er wiederum Juden und Griechen gegenüber. D i e Juden haben - so Hitler - im Verlauf ihrer Geschichte nichts hervorgebracht. Sie waren immer destruktiv. Die Griechen indessen haben ihre Zivilisation der gesamten Menschheit hinterlassen. Hitler räumte ein, daß die Überlegenheit eines Volkes weder allein rassisch noch allein ökonomisch begründet sei. Sie erwüchse aber aus der Tatsache, daß die Rasse ihre schöpferische Veranlagung im kulturellen Bereich zum Ausdruck bringe, und daher seien in der Geschichte der Menschheit einzig die Kulturtaten von Bedeutung, sie verliehen einer Zivilisation ewige Dauer. Um der Kultur die nötige Unterstützung geben zu können, müsse die Volksgemeinschaft neugestaltet und müssen die zersetzenden oppositionellen Kräfte unterdrückt werden. Dazu bedürfe es einer Autorität, die - als Ausdruck eines politischen Willens - fähig sei, die Voraussetzungen für große kulturschöpferische Taten zu garantieren. Im Namen der Kultur wurde kurzerhand die Diktatur gerechtfertigt. E s galt, den Beweis praktisch anzutreten. Künftig übernahm der nationalsozialistische Staat die Aufgabe, eine nationalsozialistische Kunst zu entwickeln, denn jede Epoche - so lautete die theoretische Begründung - drücke sich in den ihr gemäßen Kulturtaten aus. Alle Auswüchse dekadenter Kunst mußten demzufolge ausgerottet werden. D a s einzige Kriterium sollte das Gesunde sein. Daraus, so prophezeite Hitler, werde die edle Form hervorgehen, eine Form, unberührt von den Einflüssen der Zeit und ruhend auf dem unwandelbaren Charakter des deutschen Volkes.

2. Dressur der

Gefühle

1937 sprach Goebbels vor der Reichsfilmkammer über die Aufgaben des Films. D a s nahm er zum Anlaß, um einige grundsätzliche Bemerkungen zur Kunst vorauszuschicken. Die Kunst, so argumentierte er, folge ewigen Gesetzen, die für alle Bereiche künstlerischer Tätigkeit gleichermaßen gültig wären: „Die Kunst ist nichts anderes als Gestalter des Gefühls. Sie kommt vom Gefühl und nicht vom Verstände her; der Künstler ist nichts anderes als der

174

Sinngeber dieses Gefühls. Er unterscheidet sich vom normalen Menschen nicht dadurch, daß er Gefühl hat, sondern daß er die Kraft besitzt, Gefühle zu formen. E r wird dann im Herzen der Menschen einen Widerhall finden, wenn er die wunderbare Gabe besitzt, gerade jene Gefühle zu formen, die in den Herzen der Menschheit lebendig geworden sind."

Wenngleich der Künstler aus einem inneren Bedürfnis heraus tätig werde, so existiere die Kunst dennoch niemals um ihrer selbst willen: „Jede Kunst hat eine Tendenz. Kunst hat eine Absicht, hat ein Ziel, eine Richtung. Wenn man sagt, die Klassiker bilden eine Ausnahme, so behaupte ich, daß ihre Tendenz sich nicht mehr im vollen Umfange erkennen läßt, aber durchaus vorhanden war."

Damit begründete er, daß das nationalsozialistische Deutschland eine nationalsozialistische Tendenzkunst brauche, so wie - nach Goebbels' Ansicht - der russische Film bolschewistisch und der italienische Film faschistisch sei. Denn im Selbstverständnis der Nazis verwandelt die Kunst die in einem Volk vorhandene Energie in Form und Gestalt. Insofern ähnele die Arbeit des Künstlers der des Staatsmannes : „Ebenso wie die Kunst Menschen, so formt die Politik Völker und Nationen. Im Grund genommen ist jede Kunst nichts anderes, als aus dem Urstoff einer Masse eine Form zu gebären, und ich glaube, es gibt deshalb keine größere Kunst als die, aus dem Urstoff einer turbulenten breiten Millionenmasse nun eine Nation zu gestalten, dieser Nation ein Gesicht, ein Gerippe und ein Gefüge zu geben und sie als einen nicht mehr wegzudenkenden Faktor in das Konzert internationaler Weltmächte hineinzustellen. Ich glaube, damit ist die Politik kein spezifiziertes Handwerk, sondern nichts anderes als die Kunst der Völkerformung; damit berühren sich die Gebiete der Künstler und Politiker. Sie alle sind von dem edlen Ehrgeiz besessen, dem Rohstoff, der form- und gestaltlos ist, Form und Gestalt zu geben." 11

Alle diese Gedankengänge der Nazis - Goebbels unterschied sich da nicht von Hitler - lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Der Mensch ist ein biologisches Wesen, und das Gefühl beherrscht den Verstand. D i e fortwährenden Appelle an das Emotionale, Instinkthafte hatten eine Repressionsfunktion. Mit Hilfe des Gefühls konnten die Massen nach Wunsch manipuliert werden. Brecht hatte das sehr wohl durchschaut, als er in Auseinandersetzung mit dem aristotelischen Theater und den von ihm produzierten Identifikationshaltungen sein episches Theater und die Methode der Verfremdung entwickelte.

175

Leitsätze 1. Kunst muß Propaganda sein, weil Propaganda selbst Kunst ist Anläßlich einer Reichstheaterwoche, die vom 16. bis 23. Juni 1935 in Hamburg stattfand, sprach Goebbels am 17. Juni 1935 über die künstlerischen Aufgaben des Dritten Reiches. Zuerst verpönte er den Individualismus, und dann hob er hervor, der Nationalsozialismus brauche eine lebendige, an die Volksseele gebundene Kunst. Den Vorwurf, die Kunst werde auf eine einfache Propagandafunktion reduziert, wies er zurück, weil Propaganda, so wie er sie verstand, selbst Kunst war: „Was wäre diese Bewegung ohne die Propaganda gewesen? Und wohin geriete unser Staat, wenn nicht eine wirklich schöpferische Propaganda ihm heute noch das geistige Gesicht gäbe? Ist die Kunst nicht auch eine Ausdrucksform dieser schöpferischen Gestaltungskraft? Hieße es die Kunst herabwürdigen, wenn man sie in eine Linie stellte mit jener edlen Kunst der Volkspsychologie, die in vorderster Linie das Reich vom Abgrund zurückriß?

Mit

Theoremen allein kann man in solchen Notzeiten einem Volke nicht helfen; man muß ihm praktische Möglichkeiten geben, ein neues Leben anzufangen. Das haben wir getan, die wir Tag für Tag an der Lösung dieser Aufgaben arbeiten." 1 2

2. Freiheit für die Kunst - aber nach Maßgabe des Staates Auf der Jahrestagung der Reichskulturkammer hielt Goebbels am 15. November 1935 ein Grundsatzreferat, über das der Völkische Beobachter am 16. November berichtete. Einleitend wurde in einem nicht unterzeichneten Artikel mitgeteilt, der Eröffnungssitzung habe Hitler, der Schöpfer des neuen Deutschland und Schutzherr der Künstler, beigewohnt. Außerdem wurde eine Passage t aus der Rede von Goebbels in dem Sinne interpretiert, daß der Künstler sich der vom Staat geforderten Aufgaben und Pflichten annehmen müsse. Tatsächlich war Goebbels weniger direkt. Er hatte zuerst - durch Zahlen belegt - überschwenglich die vom Nazistaat gewährte Unterstützung aller Künste gerühmt und hatte danach in zehn Punkten die Aufgaben der Reichskulturkammer umrissen. Dabei blieben die Punkte 5 und 6 bemerkenswert zweideutig. Einmal nämlich wurde die Freiheit der Kunst akzeptiert, zum anderen aber die Notwendigkeit bekräftigt, innerhalb der vom Staat festgelegten Grenzen zu bleiben: 176

„ - Nicht alles kann in Gesetzen gefaßt und reglementiert werden. Besonders im Kulturleben gilt der Grundsatz: Nicht zuviel den Gesetzen, mehr aber dem natürlichen Wachstum unserer kulturellen Kräfte vertrauen. — Die Freiheit des künstlerischen Schaffens ist auch im neuen Staate gewährleistet. Sie bewegt sich im scharf abgegrenzten Bezirk unserer nationalen Notwendigkeit und Verantwortung. Diese Grenzen aber werden von der Politik und nicht von der Kunst gezogen."

3. Gegen die

„Dekadenz"

Der Kampf gegen die „Dekadenz" oder auch gegen den „Kulturbolschewismus" und für eine „wahrhaft deutsche, ewige Kunst" war eines der ständig wiederkehrenden Themen in den Hitlerreden. Auf dem Nürnberger Parteitag 1935 erklärte er: „Während Zentrum und Marxismus geschlagen und verfolgt der Vernichtung verfielen, die Gewerkschaften ausgelöscht und die nationalsozialistischen Gedanken und Ideen aus der Welt phantastischer Pläne Zug um Zug ihre Verwirklichung erfuhren, fand sich trotz alledem noch Zeit genug, die

Funda-

mente

Göttin

der

zu

legen

Kunst.

für

den

neuen

Tempel

der

Eine Revolution fegt also über einen Staat hinweg und müht

sich zugleich um die ersten Keime einer neuen hohen Kultur. Und wahrlich nicht im negativen Sinne! Denn, was immer wir mit unseren Kulturverbrechern an Rechnungen zu begleichen hatten, wir haben uns wirklich nicht zu lange damit aufgehalten, diese Verderber unserer Kunst zur Verantwortung zu ziehen. Seit jeher stand ein Entschluß fest: Wir

werden

einlassen gen

zu

uns

mit

urteilen

waren.

Ja,

Führer

wir

dieser

Verbrechen

einmal

nicht

Menschen, -

die

entweder

haben

die

in

-

endlose

nach

Narren

meisten

K u 11 u r h e r o s t r a t e n

Debatten

ihren

Leistun-

oder

Betrüger

Handlungen

der

immer

als

nur

empfunden."

E r präzisierte auch die Funktion der Kunst im Nazistaat: „Die auch

Kunst

muß,

wirklich

Schönen

und

Gesunden Ist sie dies,

um

ein

solches

Verkünderin

damit

Trägerin

Ziel

zu

erreichen,

des

Erhabenen

und

des

Natürlichen

und

sein. dann

ist

für

sie

kein

Opfer

zu

groß.

Und

ist sie dies nicht, dann ist es schade um jede Mark, die dafür ausgegeben wird. Denn dann ist sie nicht ein Element des Gesunden und damit des Aufbaues und Fortlebens, sondern ein Zeichen der Degeneration und damit des Verfalls. Was sich uns als sogenannter ,KuIt des Primitiven' offenbart, ist nicht der Ausdruck einer naiven unverdorbenen Seele, sondern einer durch und durch korrupten und krankhaften Verkommenheit." 12

Faschismus

177

Aber wenn er zugestand, daß die Kunst wirklichkeitsbezogen sein müsse, mußte sie dann nicht gleichermaßen das Schöne wie das Häßliche zeigen? Hitler antwortete darauf: „Gewiß hat die Kunst stets auch die tragischen Probleme des Lebens behandelt und die S p a n n u n g e n z w i s c h e n G u t u n d B ö s e d. h. nützlich und schädlich, aufgezeigt und für ihre Schöpfungen verwendet. Allein niemals, um damit dem Schädlichen den Triumph zu geben, sondern um das Nützliche als notwendig zu beweisen. Es ist nicht die Aufgabe der Kunst, im Unrat um des Unrats willen zu wühlen, den Menschen nur im Zustand der Verwesung zu malen, Kretins als Symbol der Mutterwerdung zu zeichnen und krumme Idioten als Repräsentanten der männlichen Kraft hinzustellen." 1 3

1937 kam er in seiner Rede zur Eröffnung der Ersten Großen Deutschen Kunstausstellung und des Hauses der Deutschen Kunst in München auf alle diese Probleme zurück und unterstrich einmal mehr, daß das Kulturschaffen ständige Aufmerksamkeit verlange. Denn: „Das Judentum verstand es, besonders unter Ausnutzung seiner Stellung in der Presse, mit Hilfe der sogenannten Kunstkritik nicht nur die natürlichen Auffassungen über das Wesen und die Aufgaben der Kunst sowie deren Zweck allmählich zu verwirren, sondern überhaupt das allgemeine gesunde Empfinden auf diesem Gebiete zu zerstören. An Stelle des normalen Menschenverstandes und Instinkts traten bestimmte Schlagworte, die dank ihrer dauernden Wiederholung langsam doch einen großen Teil der sich mit Kunstdingen beschäftigenden oder die Kunstaufgaben beurteilenden Menschen entweder u n s i c h e r m a c h t e n oder zumindest so e i n s c h ü c h t e r t e n , daß es diese dann nicht mehr wagten, gegen den dauernden Strom solcher Phrasenflüsse ernstlich und offen anzukämpfen. Angefangen von Behauptungen allgemeiner Art, wie zum Beispiel der, d a ß die Kunst international sei, bis zu den Analysierungen des Kunstschaffens durch bestimmte, im Grunde genommen aber nichtssagende Ausdrücke, bewegte sich der fortgesetzte Versuch der Verwirrung des gesunden Menschenverstandes und Instinktes. Indem man die Kunst einerseits nur als ein internationales Gemeinschaftserlebnis ausgab und damit überhaupt jedes Verständnis für ihre Volksverbundenheit tötete, verband man sie dafür desto mehr mit der Zeit, das heißt also: es gab nun gar keine Kunst der Völker oder besser der Rassen mehr, sondern nur jeweils eine Kunst der Zeiten. Nach dieser Theorie haben damit auch nicht die Griechen die griechische Kunst geformt, sondern eine bestimmte Zeit hat sie als deren Ausdruck entstehen lassen. Dasselbe gilt natürlich ebenso von der römischen, die ebenfalls dann nur zufälligerweise mit dem Emporsteigen des römischen Weltreiches zusammenfiel. Ebenso sind auch die späteren Kunstepochen der Menschheit nicht durch Araber, Deutsche, Italiener, Franzosen usw. geschaffen worden, sondern desgleichen nur zeitbedingte Erscheinungen. Daher gibt es auch heute

178

keine deutsche, keine französische, japanische oder chinesische Kunst, sondern es gibt einfach eine .moderne'. Demnach ist also die Kunst als solche nicht nur vollkommen losgelöst von volklichen Ausgängen, sondern der Ausdruck eines

bestimmten

Jahrganges,

der

heute

mit dem Wort .modern' gekenn-

zeichnet ist und mithin morgen natürlich unmodern, weil veraltet, sein wird. Durch die

eine

Kunst

gesetzt

dem

dereien

und

Und

zwar

solche

und

nach

Theorie

wird

dann

K un s t b etä t ig ung

Handwerk

unserer

allerdings

endgültig modernen

gleichSchnei-

M o d e a t e 1 i ers . dem

Grundsatz:

Jedes

Jahr

mal

was

anderes.

Einmal

Impressionismus, dann Futurismus, Kubismus, vielleicht aber auch D a d a i s m u s usw. E s ist dann weiter klar, daß man selbst für die verrücktesten Ausgeburten tausend sie kennzeichnende Ausdrücke finden wird — und ja auch gefunden hat. Wenn es auf der einen Seite nicht so traurig wäre, könnte es fast lustig wirken, einmal festzustellen, mit wieviel Schlagwörtern und Phrasen die sogenannten ,Kunstbetlissenen' in den letzten Jahren ihre jammervollen

Produkte

ausgeschrieben und gedeutet haben." W a s also tun? D i e D e k a d e n z ausrotten und eine „deutsche

Kunst"

durchsetzen: „Bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus hat es in Deutschland eine sogenannte .moderne' Kunst gegeben, d. h. also, wie es schon im Wesen dieses Wortes liegt, fast jedes Jahr eine andere. D a s nationalsozialistische Deutschland aber will wieder eine .deutsche Kunst', und diese soll und wird, wie alle schöpferischen Werte eines Volkes, eine e w i g e

sein. Entbehrt sie aber eines

solchen Ewigkeitswertes für unser Volk, dann ist sie auch heute ohne höheren Wert." Dieses

Ausrotten mußte notwendigerweise

mit autoritären

Maß-

nahmen geschehen: „Kubismus, Dadaismus, Futurismus, Impressionismus usw. haben mit unserem deutschen Volke nichts zu tun. Denn alle diese Begriffe sind weder alt, noch sind sie modern, sondern sie sind einfach das gekünstelte Gestammel von Menschen, denen Gott die G n a d e einer wahrhaft künstlerischen Begabung versagt und dafür die G a b e des Schwätzens oder der Täuschung verliehen hat. Ich will daher in dieser Stunde bekennen, daß es mein

unabänderlicher

Entschluß ist, genau so wie auf dem Gebiet der politischen Verwirrung, nunmehr auch hier mit den Phrasen im deutschen Kunstleben aufzuräumen." 1 4 N i e m a n d möge glauben, d a ß Hitlers primitive T i r a d e n ohne Wirkung auf

die noch im Reich lebenden deutschen Intellektuellen

ge-

blieben w ä r e n . D i e B e e i n f l u s s u n g w a r i m Gegenteil so intensiv,

die

L o b g e s ä n g e auf den „ K ü n s t l e r " Hitler waren so beharrlich, d a ß gebildete Menschen, abgeschnitten v o n der A u ß e n w e l t , an ihren fassungen zu zweifeln begannen. 12*

179

Auf-

Die französischen Nazianhänger waren übrigens an dieser Umkehrung der Werte aktiv beteiligt. So Fernand de Brinon, später Mitglied der Vichy-Regierung, der 1937 am Parteitag der Nazis teilnahm und am 15. Oktober 1937 in der Revue de Paris einen ausführlichen Bericht publizierte. Nachdem er den Zauber und den Glanz einer Aufführung der Wagnerschen Meistersinger gepriesen hatte, bewunderte er Hitlers Rede über Fragen der Kultur: „Im Ablauf zwar ein wenig langsam und beherrscht von mitunter unerwarteten Umwegen des Vortragenden, war das eine Rede voller einzigartiger, frappierender Gedanken [. . .] Man gewann den Eindruck, in einer dunklen Kathedrale umherzugehen, in der einzelne Lichtstrahlen plötzlich erstaunliche Konturen sichtbar werden ließen. Mit spürbarer Betroffenheit endeckte man, daß der wunderbare Redner Adolf Hitler nach so vielen volkstümlichen Veranstaltungen jetzt imstande war, vor der Elite seiner Partei über die kompliziertesten Fragen der Philosophie der Kunst zu sprechen."

4. Für die Reinheit der

Sprache

Die Nazis, die selbst ein fremdartiges Kauderwelsch sprachen und schrieben, setzten sich paradoxerweise für eine von allen Unreinheiten gesäuberte deutsche Sprache ein. Am 9. Mai 1933 äußerte sich Wilhelm Frick zu dieser Frage. Der Völkische Beobachter berichtete darüber am 10. Mai 1933: „Zu den edelsten Werten gehöre unsere Muttersprache. Leider werde ihre Reinheit noch immer nicht so gepflegt, wie es wünschenswert wäre. Auch amtliche Stellen

verwendeten

nicht selten überflüssige Fremdwörter.

Hier habe

die Schule wichtige Aufgaben zu erfüllen. Dabei sei zugleich auch der deutschen Schrift gedacht, die ihren unbedingten Vorrang vor der lateinischen niemals verlieren dürfe."

Der Schriftsteller Hans Friedrich Blunck schrieb am 22. September 1934 im Völkischen Beobachter-. „Unsere Sprache ist der Klang unserer Seele, sie ist der Widerklang unseres Blutes." Reinigung und Vereinheitlichung sollten die Sprache zu einem Instrument machen, das die Klassenwidersprüche verschleierte: „Man hat in den letzten Jahrzehnten versucht, gleiches Recht in der Sprachübung zu schaffen, indem man die sogenannten Ungebildeten mit Fremdwörtern und fremden Begriffen vollstopfte und glaubte, sie damit .emporgehoben' zu haben. Der Versuch ist mißlungen. Wir werden zukünftig den andern Weg gehen, und uns wieder zu reinen und von jedermann deutbaren deutschen Wort-

180

bildern zurückfinden müssen, die helfen sollen —, die entscheidend mithelfen können, in späteren Geschlechtern die Neubildung eines Proletariats auszuschließen." G e r e i n i g t u n d reglementiert ist d i e deutsche Sprache i m D r i t t e n R e i c h e i n fürchterliches G e b i l d e der D e m a g o g i e g e w o r d e n .

Durch

b e s t ä n d i g e W i e d e r h o l u n g eines b e s t i m m t e n V o k a b u l a r s ist sie

der

W o r t l e h r e eines spezifischen Herrschaftsapparates v e r f a l l e n . A n g e s i c h t s dieser Situation schrieb Johannes R . B e c h e r 1 9 4 1 in der Zeitschrift Internationale

Literatur-.

„Auch wir sind für eine Sprachreinigung, insofern diese bereichernd wirkt. Aber Reinigung und Bereicherung der Sprache hängen aufs innigste zusammen mit einer Reinigung und Bereicherung des Lebens selbst, soll die Sprache als lebendiges Wachstum erhalten bleiben. Reinigungs- und Bereicherungsprozeß der Sprache vollzieht sich nicht in der Retorte, sondern dort, wo das Leben im Wirbel heftigster Konflikte vorwärtsdrängt." 15

5. Rückkehr Der

Ethnologe

zu den Traditionen

Matthes Ziegler,

der

Ahnen

der im A m t s b e r e i c h

Rosenbergs

e i n e v e r a n t w o r t l i c h e S t e l l u n g innehätte, propagierte a m 14. Januar 1 9 3 7 i m Völkischen

Beobachter

die sogenannte Rückkehr zum „Nor-

dischen" : „Aufgabe deutscher Volkskunde aber ist es, d i e d u r c h fremde Überlagerungen verschütteten Quellen nordischer Ü b e r l i e f e r u n g f r e i z u l e g e n und ihr u n g e s t ö r t e s Fließ e n f ü r d i e Z u k u n f t z u s i c h e r n . Diese hervorragend politische Aufgabe erfordert eine ungeheure Einfühlungsgabe in die Linien deutscher Entwicklung, um das Pochen des nordischen Blutes auch dort zu vernehmen, wo es in fremden Formen Gestalt gewann. Damit ergibt sich aber auch für die deutsche Volkskunde die selbstverständliche Pflicht einer engen und steten T u c h f ü h l u n g m i t der deutschen Vorgeschichtsforschung im Geiste eines Gus t a v K o s s i m a und mit der Rassenkunde im Sinne des Programmatikers des nordischen Gedankens, H a n s F . K . G ü n t h e r . Wir sehen heute Volkskunde, Vorgeschichte, Rassenkunde, Sprachkunde und Siedlungsgeschichte als einen festgefügten Block, als die W i s s e n s c h a f t d e r deutschen Volksforschung. Wenn wir glauben, daß auch eine Volkskunde von heute vom B a u e r n t u m ausgehen muß, so nicht aus einer falschen Bauernromantik heraus, sondern deshalb, weil der Bauer mit den Urkräften unseres Wesens noch besser verbunden ist als der dauerndem Wechsel viel leichter unterworfene Städter 131

und Großstädter. Von dieser Grundlage aus wird es aber auch am ehesten möglich sein, das Traditionsbewußtsein

des A r b e i t e r s ,

dem der National-

sozialismus ebenso wie dem Bauern das Bewußtsein der Ehre seines Namens und seines Standes wiedergegeben hat, zu stärken und zu vertiefen. Damit werden zugleich die praktischen Aufgaben kunde sichtbar, sie sind vor allem mit der und

Alltagslebens

einer deutschen

Gestaltung

des

VolksFest-

gegeben. Die Feste des Lebenslaufes, die Feste

des Jahreslaufes und vor allem die großen Feiern der Nation stellen ein weites Betätigungsfeld dar für eine ihrer nationalsozialistischen Verantwortung sich bewußte Forschung. D i e Feierabendgestaltung in allen Organisationen der Bewegung und des neuen Staates stellt an die Volkskunde Frage auf Frage. In

Arbeitsdienst und Landjahr wird heute eine überwiegend in der Groß-

stadt aufgewachsene Jugend unvermittelt für längere oder kürzere Zeit in ländliche Verhältnisse hingestellt. Diese Jugend beobachtet und erlebt, stellt Vergleiche an zwischen Stadt und Land, die sie ganz unwillkürlich zu den gedanklichen und praktischen Versuchen einer Neugestaltung ihrer Lebensbedingungen drängen. Hierbei fällt der deutschen Volkskunde gerade in den Fragen des Hausbaues, der Kleidung und der handwerklichen Gestaltung eine ganz e n t scheidende fung

Aufgabe

der

Beratung

und

Überprü-

zu.

Für die heute mit Recht im Vordergrund der volkskundlichen Betrachtung stehenden Fragen der Feiergestaltung vermag das Bild Wilhelm Grimms von dem zersprungenen Edelstein, dessen Stück vielfach verstreut und verborgen liegen, ein guter Wegweiser zu sein. Nationalsozialistische Feiergestaltung ist z u s a m m e n g e b a l l t e stellung

der

Glaubenskräfte

unserer

Nation.

DarGerma-

nische Frömmigkeit und nordischer Gottglaube sind gleich dem bunten Edelstein eingesprengt in die Überlieferungswelt der Sagen, Märchen und Lieder ebenso wie in die Welt des Volksbrauches und abzulesen an den heiligen Zeichen und Sinnbildern, die wir allenthalben an unseren Bauernhäusern und an den Schöpfungen unserer Handwerkskunst finden können. Es

kommt beileibe

nicht darauf an, aus diesen

Resten

einer

einstmals

geschlossenen Weltanschauung durch vorschnelle Deutungen baldmöglichst ein Religionssystem zu schaffen. Das wäre der unorganische Weg und der Beginn eines neuen Dogmatismus. Aber die Kenntnis der wechselvollen wicklungsgeschichte

der geistigen

und sachlichen Überlieferungswelt

Ahnen kann uns zunächst einmal den Blick öffnen und das O h r für

arteigenes

und

artfremdes

Wesen.

Ent-

unserer

schärfen

Dann werden wir

auch das Weben und Wirken der ewigen Glaubenskräfte unseres Volkes verspüren, die von der Vorzeit bis zu diesem Augenblick lebendig sind und die heute gerade in den Feiern der Kampforganisationen der Bewegung und in den großen Festen der Nation die Ausdrucksformen unserer Zeit finden, in denen sich die neu gewonnene Einheit unseres Volkes dokumentiert."

182

Einzelne Künste und ihre besondere Funktion 1. Die Architektur

als Symbol

der neuen

Zivilisation

H e r m a n n Rauschning, ein e h e m a l i g e r N a z i , der sich sehr f r ü h v o m d e u t s c h e n F a s c h i s m u s distanzierte, hat ein B u c h über s e i n e G e s p r ä c h e mit H i t l e r aus der V o r k r i e g s z e i t v e r ö f f e n t l i c h t . 1 6 H i t l e r k ü n d i g t e d a m a l s v o r a l l e m d i e R e a l i s i e r u n g grandioser B a u v o r h a b e n an. A b e r a u c h d i e alltäglichsten B a u t e n m u ß t e n b e s t i m m t e n N a z i n o r m e n e n t sprechen. V o n ihnen w a r in einer französisch e r s c h i e n e n e n gandabroschüre L'Habitation

en Allemagne

Propa-

die R e d e . D i e I d e o l o g i e

v e r m i s c h t e sich hier mit ö k o n o m i s c h e n Kriterien, u m das autoritäre V o r g e h e n zu rechtfertigen: „Es ist vorgesehen, den Geschmack zu reinigen, das Gefühl für die Form, für technische Solidität und für den nützlichen Gebrauch von Rohstoffen zu entwickeln. Jeder soll begreifen, was wirklich seinen Vorstellungen, der Begrenztheit seiner Mittel und seinen wahren Bedürfnissen entspricht." W i e in der Literatur erscheint auch hier z w a n g s l ä u f i g der B e z u g auf die Rasse, auf B l u t u n d B o d e n . D i e bäuerlichen T u g e n d e n w e r d e n als M u s t e r v o n B e h a g l i c h k e i t u n d W o h l e r g e h e n

angepriesen.

„Heute ist die große Bedeutung des Heimatbodens unbestritten. Es überrascht nicht, sogar in gepflegten städtischen Häusern irgend etwas Bäuerliches zu finden. Zugleich ist der charakteristische Einfluß der jeweiligen Umgebung zu spüren. Unter anderem bezeugen zwei Dinge diesen bäuerlichen Charakter: einerseits der wachsende Respekt vor dem alten deutschen Handwerk, seiner produktiven Kraft, seiner Stärke und seiner Schlichtheit und andererseits dieser sportliche, militärische Geist des neuen Deutschland, das alles ablehnt, was nicht einfach, stark und nützlich ist. Jeder der hier aufgezählten Faktoren hat - das ist nicht zu übersehen - seinen besonderen Reiz. Der Beitrag Deutschlands zur Lösung der in Europa anstehenden Probleme modernen Wohnens dürfte eine Synthese dieser moralischen Vorstellungen sein." N i c h t nur ein neuer B a u s t i l w u r d e gefordert, s o n d e r n auch b e s t i m m t e B a u s t o f f e , w i e e t w a der statt B e t o n b e v o r z u g t e W e r k s t e i n . In s e i n e m B u c h Bauten

des

Dritten

Reichs

( 1 9 3 9 ) schrieb

Hubert

S c h r a d e auf S. 2 0 : „Er [Der Werkstein - L. R.] erscheint dauernder. Wer so baut wie der Nationalsozialismus, muß sich der Dauer versichern. Nur was für Jahrhunderte berechnet ist, darf den Anspruch darauf erheben, wahrhaft gebaut zu sein. Aber die Verwendung des Werksteins hat auch eine sehr gegenwärtige Bedeutung. Sie schafft in viel größerem Umfange Arbeit, als es die reine Beton183

konstruktion tun würde. Sie ist daher eine sozialistische Tat. Sie macht die Nürnberger Bauten auch in rein handwerklicher Beziehung zu Werken

der

Volksgemeinschaft."

Der Autor erwähnte auch die Autobahnen, die angeblich zur Einheit des deutschen Volkes beitragen würden. Hier tauchte auch der Gedanke eines in sich harmonischen Kunstwerkes wieder auf, gleichsam als Sinnbild für das nationalsozialistische Kunstwerk, das der Führer schafft. Auf S. 34 heißt es: „Der raumüberwindende Wille unserer Zeit setzt sich in ihnen [den Autobahnen - L. R.] ein Denkmal. Weder Täler noch Höhen hemmen ihren Weg. Sie sind darin freier, als es im 19. Jahrhundert gemeinhin die Eisenbahnen sein konnten. Sie artikulieren daher das Landschaftsbild auch merkbarer als die Schienenwege, von denen sie sich überdies durch ihre lichtere Erscheinung unterscheiden, und sie bringen den einzelnen auch in eine viel nähere Beziehung zur Landschaft. Dem romantischen Liebhaber der gewundenen Wege mögen die geraden Straßen freilich als naturfeindliche Einschnitte in die Landschaft vorkommen."

2. Die neue

Malerei

Der Kunsthistoriker Fritz Alexander Kauffmann hat in seinem Werk Die neue deutsche Malerei (1941) 1 7 eine ausführliche - apologetisch angelegte - Darstellung der an die Malerei gestellten Naziforderungen gegeben. Ausgehend von der für die Künstler bestehenden Notwendigkeit, den Modernismus und den Intellektualismus, das Morbide, Korrumpierte und Senile zu überwinden, hob er als positives Kriterium künstlerischer Produktionen ihre männliche und junge Atmosphäre hervor. Die Sujets - es handelte sich ja um Motivmalerei - waren Bauern, glückliche Mutterschaft, Kinder, Familien bei der Arbeit, deutsche Landschaften. Sie galten als Abbilder einer natürlichen und gesunden Ordnung. Der Stil ist der des Klassizismus, meinte Kauffmann. Der Begriff Akademismus wäre wohl richtiger, wie folgendes Zitat über die Darstellung des menschlichen Körpers beweist: „Der

menschliche

Leib,

die

Aktdarstellung

wird

eine

Sache

blutvollen

Lebens. Man will in ihm die gesunde körperliche Basis, den biologischen Wert der Person als Voraussetzung jeder völkischen und geistigen Neugeburt vor Augen stellen. Es geht der Kunst um Leiber, so wie sie von Natur sein sollen, um Bestformen,

um rein durchgebildeten

Gliederbau,

um gut

durchblutete

Haut, um den angeborenen Wohllaut der Bewegung und um sichtbare vitale Reserven, kurz um eine moderne und deshalb fühlbar sportliche Klassizität."

184

3. Der

Mythos

in der Bildhauerkunst

- eine

Notwendigkeit

D a s in F r a n k r e i c h h e r a u s g e g e b e n e W o c h e n b l a t t Die

Pariser

Zeitung

v e r ö f f e n t l i c h t e a m 1 0 . O k t o b e r 1 9 4 3 einen a n o n y m e n A r t i k e l

über

den B i l d h a u e r R i c h a r d Scheibe. A l s seine b e s o n d e r e L e i s t u n g w u r d e hervorgehoben,

daß

er

das

Kunstwerk

wieder

einem

mythischen

U n i v e r s u m einverleibt h a b e . So r e p r ä s e n t i e r e R i c h a r d Scheibe geistig seine E p o c h e , denn er sei -

unserem a n o n y m e n K r i t i k e r zufolge

-

z u m W e s e n d e r K u n s t v o r g e d r u n g e n , zur M y t h i s i e r u n g : „Nur wenige Künstler entgingen bisher der Gefahr, die die Allegorie mit sich bringt. Meist fielen geistige und emotionale Bedeutung auseinander, und der Betrachter war gezwungen, eigene Gefühle und Gedanken zu ergänzen, wenn er ein Werk verstehen wollte. In der Kunst des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gibt es genügend Beispiele für mißlungene allegorische Darstellungen, bei denen eine wirkliche lebendige Einheit zwischen dem figürlichen Motiv und seiner Bedeutung, zwischen Körper und Geist nicht zustande kam. Nichtsdestoweniger muß diese Einheit das Ziel des

Schaffens sein. Wir meinen, daß gerade in der Mythi-

sierung die besondere künstlerische Aufgabe unserer Epoche besteht. Bekanntlich ist die Mythisierung eine Methode, die die Kräfte und Elemente der Natur vermenschlicht. Sie hat in der Kunst der Griechen ihre höchste Blüte gefunden. Die griechische Kunst ist ohne Mythen unvorstellbar; ohne sie wäre sie nie das geworden, was sie ist. Auch die christliche Kunst hat wesentlich davon profitiert, daß die mythische Methode noch lebendig und mächtig war. Erst in der modernen westlichen Epoche wurde das mythische Denken in seinen Grundlagen erschüttert. Nicht zufällig ging in dieser Epoche der Barock zu Ende, der letzte große künstlerische Stil des Westens, welcher alle Formen des Mythischen in sich vereinte. Seitdem mußte die Kunst ohne Mythen existieren, was zu einer Fehlentwicklung führte. Vom Ende des 18. Jahrhunderts an folgte ein Stil dem anderen, aber keiner von ihnen hat die Welt in ihrer Gesamtheit erfaßt und dargestellt."

4. Heerschau

der

Naziideale

-

die

Kunst

Arno

Brekers

und

ihre

Symbolik D a n k seiner guten B e z i e h u n g e n zu A l b e r t Speer ist A r n o B r e k e r einer der

favorisierten

Bildhauer

des

Dritten

Reiches

gewesen.

Breker

h a t sich m i t seinen französischen F r e u n d s c h a f t e n - b e s o n d e r s zu M a i l lol und J e a n C o c t e a u - gebrüstet und a u c h b e h a u p t e t , d a ß e r P i c a s s o v o r d e m K o n z e n t r a t i o n s l a g e r b e w a h r t h a b e . 1 6 Selbst w e n n ein T e i l 135

seiner Erinnerungen erfunden ist, so muß man doch zugeben, daß er in der Zeit der Kollaboration von bestimmten Kreisen französischer Intellektueller sehr hofiert wurde. Vom 15. bis 31. Mai 1942 fand im Museum der Orangerie eine Ausstellung19 seiner Werke statt, und die intellektuelle Creme des besetzten Paris ließ es an Honneurs nicht fehlen. Dem Ehrenkomitee der Ausstellung gehörten an: Abel Bonnard (Präsident), Paul Belmondo, Henri Bouchard, Robert Brasillach, Jacques Chardonne, Alphonse de Chäteaubriant, René Delange, André Derain, Charles Despiau, Jean-Claude Dondel, Cornelis van Dongen, Pierre Drieu la Rochelle, André Dunoyer de Segonzac, Othon Friesz, Jacques Greber, Louis Hautecoeur, Jean Janin, Paul Landowski, Raymond Legueult, Louis Lejeune, Aristide Maillol, Roland Oudot, Auguste Perret, Maurice de Vlaminck, Jean Walter. 20 Der Minister für Volksbildung, Abel Bonnard, eröffnete die Ausstellung persönlich. In seiner Festrede würdigte er vor allem das Heldentum, das den Statuen Brekers innewohne: „Unsere bewegte Zeit braucht überall Helden, aber was schafft solches Heldentum?

Selbst das uneingeschränkte Talent des Künstlers reicht allein

dazu nicht aus. Der Held ist der Mensch, der sich nicht nur in seiner Überlegenheit, sondern auch in seiner höchsten Entfaltung offenbart. Sie, Herr Breker, gestalten die Mühen derjenigen, die arbeiten und die kämpfen."

Aber dieses Heldentum, so präzisierte Jacques Benoist-Méchin, 21 erwachse aus der Größe der durchlebten Epoche : „Ohne Zweifel hat der Krieg die schöpferischen Kräfte von Breker entscheidend befruchtet. Neue Symbole sind entstanden, die eine heldische Haltung gegenüber dem Leben ausdrücken, Kameradschaftsgeist und Opfermut. Symbole, in welchen das deutsche Volk seine Tugenden, Treue und Opferbereitschaft, verherrlicht sieht." 22

Im Katalog zu dieser Ausstellung bekräftigte Jean-Marc Campagne die Bemerkung Benoist-Méchins. E r erwähnte, daß Breker zwar auch in Frankreich und Italien geweilt habe, aber erst die Atmosphäre im wiedergefundenen Deutschland habe ihn auf den richtigen Weg gebracht: „Breker wird künftig nicht mehr für die Liebhabereien irgendwelcher Sammler und einer Elite arbeiten, er wird sich auf öffentlichen Plätzen an das Volk wenden. E r wird sich in seiner Kunst einer einfachen Ausdrucksweise bedienen, allen zugänglich, direkt und universell. Als er nach Deutschland zurückkehrte, wo er neue Kraft schöpfen wollte, empfing ihn eine brennende, heldische Jugend. E r wird ihr Bildhauer sein. Die Besucher der Orangerie brauchen übrigens keinen Führer, um die monu-

186

mentalen Figuren verstehen zu können. Es sind neueste Werke eines Künstlers, den man für würdig befunden hat, das Bild der deutschen Jugend zu schmieden. Wie einstmals die Griechen, glaubt diese Jugend an ihre Kraft, weil sie vor allem an die Schönheit glaubt." D e r V e r l a g Flammarion publizierte 1 9 4 2 im G e f o l g e dieser Retrospektive über die Kunst Brekers unter Federführung v o n Charles Despiau eine Monografie mit 1 2 0 Stichen, darunter Porträts von A l bert Speer, Goebbels, der Frau Martin Bormanns und Görings Tochter E d d a . Auch hier herrschte die gleiche Penetranz der Beziehungen zum neuen Ideal der Nazis wie zuvor bei den Skulpturen Brekers. Charles Despiau schrieb auf S. 6 7 f . : „Diese Kunst, die das Individuum in seiner Schönheit, seinem Adel, seiner Kraft, seiner physischen Gesundheit, seinem Mut preisen will, diese Kunst wird männlich sein, sie wird einfach und nackt sein: Weder Gewand noch Anzug haben jemals die Menge begeistert." Nach männlicher Anstrengung und männlicher K r a f t o f f e r i e r t e nun Christian Michelfelder in Deutschland/Frankreich (Nr. 2, 1 9 4 2 ) die strahlende Gewißheit, d a ß die Zugehörigkeit zum Nationalsozialismus den W e g in die Zukunft weise: „Die Helden von Breker stählen ihren Willen wie am Beginn eines neuen Zeitalters. Sie sind sich ihrer Mission bewußt, sind aber auch wie emporgehoben und fortgerissen von einer Kraft, die sie überwältigt. Das gibt ihnen einen klaren Blick und eine Entschlossenheit ohnegleichen. In ihnen ist Gewißheit ohne jeden Zug von Beunruhigung. Sie haben sich entschieden. Der Wille zur Tat prägt ihr Antlitz."

5. Das Musikleben

im Dienst des

Naziideals

In den Cahiers franco-allemands (Juli/August 1 9 4 1 ) informierte ein französisch geschriebener Artikel von A l f r e d Küchel L'Instruction musicale contemporaine über die Rolle der Musik im Dritten Reich. D i e Musik diente zur Entfesselung der G e f ü h l e - diese Konzeption w a r Goebbels teuer - und hatte ihre Funktion bei der Pervertierung der J u g e n d : „Die Musik ist ein bedeutender Faktor bei der Erziehung der Hitler-Jugend. Natürlich wird dort kein Musikunterricht im schulischen Sinne gegeben, sondern man singt, man musiziert, organisiert Feste und lädt junge Talente zur Mitarbeit ein. Auf diese Weise haben wir selbst in den kleinsten Gruppen eine äußerst lebendige musikalische Aktivität. Selbstverständlich singen unsere Jugendkolonnen, wenn sie auf den Straßen marschieren." 187

Die Nazis haben nicht nur die Juden aus dem deutschen Musikleben ausgeschlossen, sondern auch die ausländische Musik insgesamt verbannt, besonders den Jazz. Statt dessen wurde alles gefördert, was - nach Rosenberg - mit dem Rhythmus des deutschen Blutes übereinstimmte, damit war die atonale Musik verurteilt. Musikalische Veranstaltungen sollten das Volk im Sinne der nationalsozialistischen Idee zur „Volksgemeinschaft" führen. 1934 schrieb Friedrich Wilhelm Herzog, Herausgeber der Zeitschrift Die Musik: „Wir wollen eine Musik, die erfüllt ist von Ausdrucksgewalt der nationalsozialistischen Idee. Als revolutionäre Musik -wird sie dem Fortschritt dienen, als nationale Musik wird sie neu sein, und als sozialistische Musik wird sie in das Herz eines jeden Volksgenossen, ohne Rücksicht auf Alter, Stand und G e schlecht, dringen und verstanden werden." 2 3

In der Geschichte der deutschen Musik (1938), die viel Anklang fand und in viele Sprachen, u. a. 1943 auch in das Französische, übersetzt wurde, 24 wies Joseph Müller-Blattau nach, daß das Dritte Reich eine - in der Geschichte Deutschlands beispiellose - Phase musikalischen Schöpfertums eingeleitet habe. Das sei auch normal, weil der Deutsche von Natur aus Musik im Blut habe. Müller-Blattau würdigte die Politik der Nazis, weil diese die esoterische, vaterlandslose, dekadente Musik ausgerottet und eine den Deutschen adäquate Volksmusik geschaffen hätten: „ D i e nationalsozialistische Revolution führte eine neue Volksliedzeit herauf. D a s Dritte Reich ist nicht nur erkämpft, sondern auch ersungen worden. D a s

Horst-Wessel-Lied, das K a m p f l i e d Volk ans Gewehr sind inzwischen in den ewigen Besitz des deutschen Volkes eingegangen. So wurde das Wurzelreich unserer deutschen Musik mit neuem kräftigem Leben erfüllt. Und immer noch entstehen in der jungen Mannschaft neue Lieder, die bald vom Volk aufgenommen werden: Heilig Vaterland, von H . Spitta; Bin junges Volk steht auf von W. Altendorf; Nur der Freiheit gehört unser Leben von H. Baumann usw."

6. Das Massenmedium

Film als politische

Waffe

Seit Beginn des Dritten Reiches ermunterten zahlreiche Artikel dazu, das Kino als politische Waffe zu nutzen. Die Eindringlichkeit der Bildsprache prädestinierte den Film geradezu für die propagandistische Tätigkeit. So sollte der Film z. B. 1938 zur Steigerung der Geburtenrate eingesetzt werden: „ D a ß Filme hergestellt werden, deren Thema sich ausschließlich dem Schicksal der kinderreichen Familie widmet, ist unerläßliche Forderung. D i e Photo-

188

graphie des Lebens, die der Film darstellt und seinem Wesen nach darstellen soll, muß den bevölkerungspolitischen Zielen des Dritten Reiches in der Auswahl der Themen und in der Ausführung der Einzelheiten möglichst nahekommen. Dann ist er lebenswirklich; denn lebenswirklich ist nur, was von uns als lebenserhaltend, lebensfördernd und lebensfreudig anerkannt werden kann." 2 5

Im Juli 1937 orientierte Curt Belling, Vertreter der Nazipartei in der Filmabteilung des Propagandaministeriums, die Filmproduktion grundsätzlich auf die Propagierung der nationalsozialistischen Ideen, räumte jedoch einen gewissen Spielraum ein: „Ein Punkt des in der Kampfzeit von der Partei aufgestellten Filmprogramms forderte die Schaffung eines neuen Filmstils, also die Durchdringung der Filmproduktion mit nationalsozialistischen Ideen. Der Geist unserer Weltanschauung wird und muß einmal über jeden kommen, der im oder am deutschen Film entscheidend mitarbeitet. Wir verlangen den nationalsozialistischen Geist auch im Filmschaffen. Das heißt nicht, daß nun die Industrie nur noch parteipolitische Propagandafilme machen soll." 26

Bekanntlich waren Hitler und Goebbels leidenschaftliche Kinoanhänger. In einem anonymen Brief aus Berlin, den die Revue beige am 1. Februar 1939 publizierte, berichtete ein früherer intimer Freund der Naziregisseurin Leni Riefenstahl über Gespräche mit ihr. In ihrer Darstellung erscheint Hitler als Kinoliebhaber: „Sie glauben, Hitler ist verrückt, blutrünstig und fanatisch. Sie müßten ihn einmal nachts auf seinem Balkon stehen sehen, wenn er den Sternenhimmel bewundert, von Wagner spricht, ohne ein Wort über Politik zu verlieren . . . oder aber wenn er seine Gedanken über die Entwicklung des deutschen Films erläutert. Bewegt ihn irgendeine Sache, hat er Tränen in den Augen, aber im nächsten Moment ist er in seiner Heftigkeit nicht wiederzuerkennen. Er spricht unaufhörlich, aber er diskutiert niemals. Gleichwohl hört er mir zu, wenn ich ihm meine Filmprojekte darlege." 27

Goebbels seinerseits betonte ständig die Notwendigkeit eines technisch perfekten Kinos. Die nationalsozialistischen Ideen könnten nur überzeugen, sagte er, wenn sie nicht im Klischee steckenblieben. Man muß die Herzen erreichen, die Gefühle entfesseln, den heldischen Charakter des deutschen Schicksals durch eine filmspezifische Qualität einhämmern. Er bewunderte Panzerkreuzer Potemkin von Eisenstein und hätte gewünscht, daß der Regisseur Fritz Lang, obgleich Halbjude, für den Nazifilm arbeitete. 28 Schönheit um der Schönheit willen, Faszination durch Bilder oder das Spiel eines Darstellers wurden auf seine Initiative hin ausgenutzt, um für den deutschen Faschismus besonders während des Krieges Kraftreserven zu mobilisieren. 189

7. Der

Schriftsteller

ist ein Soldat

(Siehe S. 122-124)

A m 15. Oktober 1933 forderte Otto Nippold, der spätere „Landeskulturverwalter" im Gau München-Oberbayern, im Völkischen Beobachter die Künstler auf, nicht mehr einfach nur Maler und Bildhauer, Architekten und Schriftsteller zu sein, sondern Hüter alles Schönen im deutschen Menschen: „Wohl ist es erste Notwendigkeit, in der Zukunft die materiellen Voraussetzungen für das Leben zu schaffen, aber sinn- und zwecklos ist dieses Leben dann, wenn es nicht durchdrungen ist vom deutschen Geist und deutscher Seele. Dem Künstler erwächst hieraus die hohe Aufgabe, nicht nur Maler und Bildhauer, Architekt und Zeichner, Dichter und Schauspieler zu sein, sondern Hüter alles Großen und Hehren, das im deutschen Menschen liegt. Möge er sich einreihen in die große revolutionäre Front der Arbeiter und Bauern, möge er als Soldat Adolf Hitlers Künder deutschen Wesens werden." D e r Schriftsteller als Soldat, diese Mission konkretisierte - ebenfalls 1933 - Hans Schemm, bayrischer Kultusminister, in seiner Schrift Das Jugendbuch im Dritten Reich (1933) speziell für die Jugendbuchautoren: „Das gute deutsche Jugendbuch ist mitberufen, ein Geschlecht heranzubilden aus der großen fruchtbaren Dreieinheit von Körper, Seele und Geist, von Rasse, Volk und Gott, eine Jugend, die weiß, daß man fest auf der Erde, auf dem Boden der Heimat, des Vaterlandes stehen muß, wenn man nach Idealen streben, nach den Sternen greifen will. Keine lebensfremden Stubenhocker und bleichwangigen Bücherwürmer, sondern ganze Kerle, echte deutsche Männer und Frauen sollen aus unserer Jugend hervorwachsen. Das rechte und rechtgebrauchte Jugendbuch kann dem dienen."29 Hans Schemm war es übrigens auch, der programmatisch die Einheit von Politik und Kunst verkündete: „So wie der politische Genius Adolf Hitlers in unausgesetztem Kampf alle Tiefen des deutschen Lebens erfaßt und durchdrungen hat, so wird auch der künstlerische Genius unseres Geschlechts alle Tendenzen der Zerstörung, alle Stürme der Auflösung überwinden müssen, um im nordischen und germanischen Streben, Suchen und Kämpfen eine dem deutschen Volk gemäße Kunst zu schaffen. Das Wort Schillers: ,Die erste Pflicht des Dichters ist, sich selbst zu veredeln!' weist dem deutschen Künstler das Ziel. Seine weitere Aufgabe ist es, von der Selbstveredelung fortzuschreiten zu der Veredelung und Höherführung des deutschen Volkes. Veredeln aber kann nur der, der Führer ist. Somit sind Wesen, Ziel und Aufgabe des politischen und künstlerischen Genius einander gleich. Beide können nur sein Erzieher ihres Volkes."30

190

I n s e i n e m A r t i k e l Gibt

es eine

nationalsozialistische

Dichtung?

stellte der D i c h t e r Richard E u r i n g e r 1 9 3 5 die N a z i p a r t e i als

den

einzig l e g i t i m e n R e p r ä s e n t a n t e n des deutschen V o l k e s dar: „Die Partei ist der Körper des nationalsozialistischen Geistes, und im nationalsozialistischen Körper wird wohl der nationalsozialistische Geist wohnen, der seine typische Dichtung austrägt. Damit ist nun nicht gesagt, daß die nationalsozialistische Dichtung .Parteidichtung' sein müsse; denn für den Nationalsozialisten ist die Partei ja nicht .Partei', sondern Sauerteig des Lebens. Sie ist das ewig wirkende Deutschland dieser Zeit und ihrer Zukunft. Sie ist nicht allein der Staat des Dritten Reiches, sondern das Volk in seiner Verkörperung, und sie ist das werdende Reich." 31 E u r i n g e r l e g t e das B e k e n n t n i s ab, ein D i e n e r der N a z i p a r t e i , ein „Arbeiter

der Stirn" der N a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n

Arbeiter-

Partei z u sein: „So gibt es heute noch .unmöglich' ablehnen, weil beiter der Stirn und wollen dienen aber scheint mir als sozialistischer Dichtung." Nach

Euringer

Hunderte von Schaffenden, die einen Auftrag als ein Dichter nicht dienen dürfe. Sie sind nicht Ares auch niemals werden. Gerade der Entschluß zu Voraussetzung typisch für die Möglichkeit national-

ist der

echte

nationalsozialistische

Dichter

ein

kämpfender Soldat: „Der politische Kampf darüber zu sagen ist, hat mindestens ein Jahrzehnt dauert vielleicht zehnmal

ist entschieden, um die Kultur wird gekämpft. Was Alfred Rosenberg gesagt. Der politische Kampf hat gedauert, der Kampf um die Erneuerung der Kultur so lange."

A u c h E b e r h a r d W o l f g a n g M ö l l e r n a h m in d e m A u f s a t z und Dichter

im nationalsozialistischen

Staat

Dichtung

dieses B i l d v o m k ä m p -

f e n d e n Schriftsteller a u f : „Der große Prozeß der Zusammenschweißung aller Volksglieder erfaßte auch die Dichter. Sie wurden entweder völlig ausgestoßen oder völlig einbezogen in die Gemeinschaft, die ihnen nun von sich aus Stellung und Aufgabe anwies. Es ist ein Wunder, wie schnell die verhältnismäßig kurze Zeit des Kampfes, in der es nichts als den politischen Kampf gab, praktisch mit falschen Bewertungen aufgeräumt hat. Die Literatur-Klüngel zerstoben vor dem Ansturm der braunen Bataillone; die sich exklusiv gebärdenden Dichter mußten wohl oder übel einsehen, in welchem luftleeren Raum sie schwebten. Die Gemeinschaft nahm nur das noch an, was ihr nützlich und notwendig erschien, und wir sehen, wie sich hier das wahre Talent erweisen konnte. Alles das, was sich aus seiner Vereinsamung nicht zu lösen vermochte, fiel zurück; das aber, was die Größe der Stunde begriff, begann ihr Ausdruck zu geben, angefangen vom Kampflied bis zur Gestaltung der Feiern der Gemeinschaft." 32 191

Die Diktatur auf dem Vormarsch Ein Autodafé — die Bücherverbrennung

vom 10. Mai 1933

(Siehe S. 100-105)

1. Augenzeugen

berichten

Die französische Zeitung Le Temps berichtete am 12. Mai 1933 die Depesche datierte vom 11. Mai - detailliert vom Ablauf der Bücherverbrennung. Vor einer großen Menschenmenge wurden 20 000 Bücher vernichtet, teilte der Korrespondent mit und beschrieb die Zeremonie folgendermaßen: „Um 22 Uhr marschierte - angeführt von einem Musikkorps der SA - eine Abordnung von Studenten vorbei. Wenig später kam ein großer Zug von Studenten, alle in der Gala-Uniform ihrer Korporation, mit Fackeln auf den Platz gestürmt. Feuerwehrmänner Übergossen den Scheiterhaufen mit Petroleum und entfachten das Feuer. Dann brachten Lastwagen die Bücher, und die Studenten stellten sich in einer Reihe auf, um sie in die Flammen zu werfen. Jedesmal, wenn ein Packen im Feuer landete, erschollen begeisterte Hurra-Rufe der Anwesenden."

Wie Le Temps angab, erschien Goebbels gegen Mitternacht, um am Ort des Geschehens eine Ansprache zu halten. Irène Chevreuse hat am 1. Juli 1933 in L'Illustration in ihrem Artikel Quels furent les livres brûlés à Berlin? die Bücherverbrennung ebenfalls beschrieben. Sie präzisierte den Vorgang: Nach jedem ins Feuer geworfenen Buchpacken rief eine Stimme den Namen des betreffenden Autors, dann folgte ein entsprechender Urteilsspruch. Ihrer Meinung nach war Goebbels der geistige Urheber dieser Sprüche, die sie jeweils mit Bemerkungen über die betreffenden Schriftsteller kommentierte. Marx hatte als erster die Ehre, den Flammen übergeben zu werden, sagte sie, denn er gelte als Todfeind des deutschen Volkes, ihm folgte Kautsky, weil er Symbol des lebendigen Marxismus sei. Einige ihrer Einschätzungen halte ich für so treffend, daß ich sie teilweise zitieren möchte. Zu Freud schrieb sie: Die Nationalsozialisten fürchteten, eine Theorie, die den Sexualtrieb zur Basis menschlichen Handelns macht, könnte die kriegerische Leidenschaft der germanischen Helden hemmen und sie für den .Befreiungskampf untauglich machen."

192

Oder der Kommentar zu Werner Hegemann: „Er hatte einen gewissen Ruf als kritischer Historiker erlangt, beging aber die Unvorsichtigkeit, die gleichsam göttliche Persönlichkeit Friedrichs des Großen in einem ungünstigen Licht darzustellen und sogar an seiner Unfehlbarkeit zu zweifeln. Dieses Vergehen wird ihm die nationalsozialistische Regierung niemals verzeihen, denn für die Führer des Dritten Reiches ist Friedrich II. der größte Staatsmann, der Preußen jemals regiert hat." Im folgenden nun die berüchtigten „Feuerbeschwörungsformeln": „1. Rufer: Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung 1 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky. 2. Rufer: Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner. 3. Rufer: Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe an Volk und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Friedrich Wilhelm Förster. 4. Rufer: Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud. 5. Rufer: Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Emil Ludwig und Werner Hegemann. 6. Rufer: Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, für verantwortungsbewußte Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard. 7. Rufer: Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges, für Erziehung des Volkes im Geist der Wahrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque. 8. Rufer: Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr. 9. Rufer: Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky!"33

2. Kommentar

einer noch nicht gleichgeschalteten

deutschen

Zeitung

A m 20. Mai 1933 publizierte Die Frankfurter Zeitung in der Rubrik Mosaik auf der ersten Seite einen nur mit den Buchstaben c k unterzeichneten Artikel: 13

Faschismus

193

„In allen deutschen Universitätsstädten ist vor einigen Abenden in großer Öffentlichkeit der undeutsche Geist verbrannt worden, der zersetzende, der jüdische, der marxistische. Von Königsberg bis Bonn, von Kiel bis München wurde das getan, unter kräftigen Feuersprüchen der Redner und von starkem Beifall umrauscht. Die Flammen loderten, züngelten und stoben den geächteten Geist in alle Winde. Überall versicherten die Sprecher, es handele sich um einen symbolischen Akt, der aus dem Willen zu deutscher Erneuerung komme. Wir achten diesen Willen, er stammt aus den tiefsten Quellen, und sein Tun, die Ketzerverbrennung, war gelenkt von der Entrüstung. Schluß damit! Und wenn der Vorgang für viele, der Ketzerbücher wenig kundige Zuschauer auch nur ein Schauspiel war, so standen doch viele auch mit wissenden Köpfen und reinem Herzen dabei, zutiefst des Glaubens, die Flammen fräßen den undeutschen Geist. Und auch darüber ist kein Zweifel: die veranstaltenden Studenten und die begleitenden Professoren und Pfarrer waren gewiß erfüllt von der rein symbolischen Bedeutung ihres Handelns, da Bücher sich ja nicht wehren können, und die von gewaltigen Mengen umstandenen Urteilsvollstreckungen hatten keine Ähnlichkeit mit jener auf der Wartburg, die Heinrich v. Treitschke unbeschreiblich abgeschmackt und roh fand, hochmütig, unduldsam und ehrfurchdos, ein Tun, aus dem keine Freiheit kommen werde. Über die Auswahl der Opfer, die dem Armesünderkarren überliefert wurden und die man in Frankfurt von zwei beauftragten Ochsen auf den historischen Römerberg transportieren ließ, werden die Meinungen geteilt sein dürfen. Heine, der die Lorelei nicht hebräisch gedichtet hat, war erfreulicherweise nicht dabei, es hätte uns auch leid getan, zumal wir kürzlich in Ergriffenheit dem Pariser Rundfunk zuhörten, als er uns die unausrottbaren deutschen Lieder des Düsseldorfer Juden auf den Tönen von Schumann und Schubert ins Zimmer trug. Aber, wir gestehen es, andere Schriftsteller und Dichter waren unter den Verbrannten, denen wir unvergeßliche Stunden verdanken, Dichter, zu denen die Richter von heute, wenn sie alte Leute geworden sind, vielleicht einmal greifen werden. Es tröstet uns nicht, daß einige von ihnen in Auswahl u n d e u t s c h sein sollen. Teils, teils, das geht nicht an. Wir sehen jeden Dichter als einen Ganzen, Goethe z. B. von der ungezügelten Erotik bis zu den verdämmernden Worten des zweiten Faust, jeder hat in sich eine Welt und schreibt aus der Anschauung seiner Welt, und was für jeden Menschen gilt: .Sprich, wovon du willst, du wirst immer von dir reden', für den Dichter gilt es dreimal. Besser als der Geächteten Teil-Brandmarkung wäre gewesen, die Studenten hätten statt dieser Bücher und der Gesamtwerke einzelner, in denen die Qualen des Empfangens und Gebärens stecken, Nervenkraft und ruhelose Arbeit, Dienst am Geist und auch Reinheit des Wollens, die Berge des Kitsches verbrannt, der inmitten unseres Volkes aufragt. Wir denken an die lebensfälschende und darum undeutsche Unterhaltungsliteratur, die dem Ladenfräulein den Millionär aus Amerika in die Arme führt, an die Filmrollen, die unseres Lebens Tatbestände so honigsüß verzuckern, die Notenblätter und Schallplatten, deren Schlager uns die beste der Welten vorgaukeln, 194

auch an die Kriegsbücher, die den Kampf der Völker humoristisch verniedlichen. Allerdings : zwei Ochsen hätten das nicht geschafft. So ist diese Art von Literatur, diese Bücherei, die man nicht als .Diener am Volkstum' und .Boten der Kultur', um ein Wort von Goebbels über das deutsche Buch zu gebrauchen, ansehen kann, unangefochten geblieben. Dafür zogen die Ochsen (wir wissen nicht, ob auch in Frankfurt) auch Denker zur Feuerstätte."

3. Wirkungen in Frankreich In ausländischen Publikationen hatte diese Bücherverbrennung überwiegend ein breites Echo. Die Boulevardpresse berauschte sich an ihrer spektakulären Seite, die Illustrierten - wie L'Illustration — brachten sogar Fotos. Meist wurde die Bücherverbrennung als Äußerlichkeit ohne reale Bedeutung abgetan, während eine wirkliche Analyse der Vorgänge kaum versucht wurde. Eine anonyme Notiz in den Nouvelles littéraires vom 5. Januar 1935 wertete das Autodafé rückblickend als Randepisode, die keine praktischen Konsequenzen oder - wie man vielleicht hätte erwarten können - zumindest keine für die Literatur schwerwiegenden Konsequenzen gehabt hätte: „Von einem Kurzaufenthalt in Berlin bleibt zu berichten, daß die Zensur der Nazis, so unbarmherzig sie auch sein mag, nicht zügellos ist. Hier und da stehen wohlmeinende Zeilen über die verbotenen Bücher. Die öffentlichen Bücherverbrennungen waren nur ein Symbol."

Stufen der Gleichschaltung 1. Goebbels und seine Macht (Siehe S. 108-112) Mit der Verordnung vom 30. Juni 1933 bestimmte Hitler die in den Verantwortungsbereich von Goebbels und des Propagandaministeriums gehörenden Aufgaben. Damit wurde vor allem dem Reichsinnenministerium der Kampf gegen Schund- und Schmutzliteratur entzogen, und Goebbels rückte in den Rang eines nationalen Zensors auf. Der Rechtsstatus der Reichskulturkammer wurde in der Verordnung vom 22. September 1933 geregelt, die den Staat - in Gestalt des Propagandaministeriums - zur Führung der nationalen Kultur ermächtigte. Das Ergebnis gleichartiger Bestrebungen war im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Anzeiger vom 26. September 1933 schließlich folgendermaßen formuliert: 13*

195

„Die Aufgabe des Staates ist es, innerhalb der Kultur schädliche Kräfte zu bekämpfen und wertvolle zu fördern, und zwar nach dem Maßstab des Verantwortungsbewußtseins für die nationale Gemeinschaft. In diesem Sinne bleibt das Kulturschaffen persönlich und frei. Wohl aber ist es, um eine Politik der deutschen Kultur zu treiben, notwendig, die Schaffenden auf allen ihren Gebieten unter der Führung des Reichs zu einer einheitlichen Willensgestaltung zusammenzufassen."

Dem Propagandaministerium unterstellt, erhielt die Reichskulturkammer die Aufgabe, alle Berufsverbände im Kulturbereich zu reorganisieren. Theoretisch sollte sie die Entwicklung der deutschen Kultur fördern und die Interessen der verschiedenen dazu gehörenden Berufe in Einklang bringen: „Die Vielgestaltigkeit der deutschen Kultur hat dazu geführt, daß sich beim Theater, in der Musik, bei der Presse usw. Verhältnisse entwickelt haben, die einer planmäßigen Einwirkung überaus große Schwierigkeiten bereiten. Die verschiedenen Verbände und Organisationen führen auf diesen Gebieten einen Kampf aller gegen alle. Das Reich muß daher nicht nur die geistige Richtung bestimmen, sondern auch die Berufe organisatorisch leiten und zusammenfassen."

Die Reichskulturkammer hatte folgende Struktur: - Präsident und offizieller Repräsentant war der Propagandaminister. - Reichskultursenat, der am 15. November 1935 eingesetzt wurde, dem etwa hundert Persönlichkeiten angehörten und der viermal im Jahr vom Präsidenten einberufen wurde. - Reichskulturrat, bestehend aus den Präsidenten der verschiedenen Einzelkammern, bereeits am 15. Dezember 1935 wieder aufgelöst. - Verwaltungsrat, bestehend aus den direkt vom Propagandaminister ernannten Präsidenten der Einzelkammern. Außerdem stand jedem Präsidenten einer Einzelkammer ein Präsidentialrat, bestehend aus mindestens zwei - vom Präsidenten der Reichskulturkammer, also vom Propagandaminister ernannten - Mitgliedern zur Seite. Am 15. November 1935 analysierte Goebbels auf der Jahrestagung der Reichskulturkammer in Berlin die Tätigkeit dieser Institution und teilte im Völkischen Beobachter vom 16. November 1935 einige Zahlen mit: - Die Reichskammer der Bildenden Künste hatte 64 ArchitekturWettbewerbe organisiert und 1100 Künstlern ein Reisstipendium gewährt; 196

- Die Reichspressekammer hatte die Auflagen von Periodika und Zeitungen beträchtlich erhöht (von 18,7 Millionen Exemplaren 1934 auf 19 Millionen Anfang 1935). Der Presse waren Kredite bewilligt worden. - Die Reichsmusikkammer hatte 150 Veranstaltungen und Konzerte durchgeführt. An den Bach- und Händel-Ehrungen nahmen mehr als 200 000 Hörer teil. Die Zahl der arbeitslosen Musiker sank um 50 Prozent. Für die Förderung des Musiklebens wurden beachtliche Kredite bereitgestellt. - Die Reichsrundfunkkammer hatte Literaturpreise gestiftet und sich für die Sendung von Werken junger Schriftsteller eingesetzt. Die Hörerzahl war von 4,2 Millionen auf 6,8 Millionen angewachsen. - Die Reichsfilmkammer hatte schwerpunktmäßig die Wochenschau entwickelt und Film-Archive gegründet. Die Zuschauerzahlen waren um 10 Prozent gestiegen. - Die Reichstheaterkammer hatte einige Spielstätten wiedereröffnet. Deutschland verfügte zu diesem Zeitpunkt über 181 ständige Theater, 26 Wandertheater, 20 Tournee-Ensembles, 81 kleine Wandertheater. Vorgesehen war die Gründung einer Theaterakademie zur Ausbildung des Schauspielernachwuchses.

2. Allmächtigkeit

des völkischen

Staates

Nach Ernst Krieck war der Staat der „Oberherr des völkischen Lebens", „der Zuchtmeister und Ordner am ganzen Volk". Für die Kultur ergaben sich daraus bestimmte Forderungen: „Kultur im engeren Sinn, geistige Schöpfung in Dichtung, Kunst und Wissenschaft haben der völkischen Lebenssubstanz und Lebensrichtung Ausdruck zu geben, sie in Bild und Bewußtsein zu erheben und wiederum im Dienst der Gesamtaufgabe erhöhend und bildend auf das Volkstum zurückzuwirken. Der Staat als Oberherr des völkischen Lebens übt auch hier die Zucht, die Auslese, den Schutz gegen die zerstörenden und zersetzenden Tendenzen." 34

3. Die Reorganisation

der Schriftstellerverbände

(Siehe S. 91 f.)

Am 8. Mai 1933 berichtete der Völkische Beobachter von der Umstrukturierung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (SDS): „In der Generalversammlung des SDS wurden die neuen Satzungen einstimmig angenommen. Danach ist der SDS ein reiner Berufsverband und keine

197

Gewerkschaft mehr. Einstimmig wurde dann Herr Dr. Walter Bloem zum Ehrenvorsitzenden mit Sitz und Stimme im Hauptvorstand und folgender Hauptvorstand gewählt: 1. Vorsitzender Götz Otto Stoffregen, 2. Vorsitzender Hans Richter, 1. Schriftführer Hans Heinz Mantau-Sadila, 2. Schriftführer Hans Henning Freiherr Grote, 1. Schatzmeister Dr. Bruno H. Jahn, 2. Schatzmeister Wolfgang Loeff, Syndikus Dr. Carl Haensel, Beisitzer Dr. Eberhard Meckel, Hans Caspar von Zobeltitz, Dr. Margarethe Kurlbaum-Siebert, Max Barthel, Robert Seitz, Werner Bergengruen, Dr. Bruno Werner, Hans Wienand, Friedrich Franz von Konrig und Friedrich Arenhövel."

Die Gründung des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller wurde am 12. Juni 1933 im Völkischen Beobachter bekanntgegeben: „Zur Schaffung eines alle deutschen Schriftsteller zusammenfassenden Verbandes, der die bisherige Spaltung in verschiedene Berufsverbände überbrücken soll, wurde von den Herren Intendanten Pg Götz Otto Stoffregen, Intendant Friedrich Arenhövel, Hans Caspar von Zobeltitz, Hans Heinz Mantau-Sadila, Hofrat Arthur Rehbein, der sich den wohlklingenden .germanischen' Namen Atz vom Rhyn gab, Hans Richter und Dr. Albert Soergel in Abwesenheit und unter Zustimmung von Vertretern des Verbandes der Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten der Reichsverband Deutscher Schriftsteller begründet. Von den Gründern gehören die Herren Stoffregen, Arenhövel, Zobeltitz und Mantau-Salida dem Hauptvorstand des SDS, Richter dem Verband Deutscher Erzähler, Rehbein dem Deutschen Schriftstellerverein, Soergel dem Kartell Lyrischer Autoren an. Den Vorsitz des nunmehr neu begründeten RDS übernimmt Götz Otto Stoffregen. Der Zusammenschluß umfaßt den Schutzverband Deutscher Schriftsteller, den Verband Deutscher Erzähler, den Deutschen Schriftstellerverein und das Kartell Lyrischer Autoren. Damit ist die Standesorganisation Deutscher Schriftsteller eine vollendete Tatsache geworden."

Am 4. Oktober 1933 wurde das Reichsschriftleitergesetz das die Arbeit der Presse strengen Richtlinien unterwarf:

erlassen,

„§ 1. Die im Hauptberuf oder auf Grund der Bestellung zum Hauptschriftleiter ausgeübte Mitwirkung an der Gestaltung des geistigen Inhalts der im Reichsgebiet herausgegebenen Zeitungen und politischen Schriften durch Wort, Nachricht oder Bild ist eine in ihren beruflichen Pflichten und Rechten vom Staat durch dieses Gesetz geregelte öffentliche Aufgabe. Ihre Träger heißen Schriftleiter. Niemand darf sich Schriftleiter nennen, der nicht nach diesem Gesetz dazu befugt ist. § 2. Zeitungen und Zeitschriften sind Druckwerke, die in Zwischenräumen von höchstens drei Monaten in ständiger Folge erscheinen, ohne daß der Bezug an einen bestimmten Personenkreis gebunden ist. Als Druckwerke gelten alle zur Verbreitung bestimmter Vervielfältigungen von Schriften oder bildlichen Darstellungen, die durch ein Massenvervielfältigungsverfahren hergestellt worden sind.

198

§ 3. W a s in diesem Gesetz für Zeitungen vorgeschrieben ist, gilt auch für politische Zeitschriften. Auf Zeitungen und Zeitschriften, die im amtlichen Auftrage herausgegeben werden, findet das Gesetz keine Anwendung. D e r Reichsminister für V o l k s aufklärung

und Propaganda

bestimmt, welche Zeitschriften

als politische

Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind. Betrifft die Zeitschrift ein

im

bestimmtes

Fachgebiet, so trifft er die Entscheidung im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Reichs- und Landesbehörde. § 4 . Mitwirkung an der Gestaltung des geistigen Inhalts deutscher Zeitungen liegt auch

dann

vor, wenn

sie nicht

im Betriebe einer Zeitung

stattfindet,

sondern bei einem Unternehmen, das zur Belieferung von Zeitungen mit geistigem Inhalt (Wort, Nachricht oder Bild) bestimmt ist. § 5. Schriftleiter kann nur sein, w e r : 1. die deutsche Reichsangehörigkeit besitzt, 2. die bürgerlichen Ehrenrechte und die Fähigkeiten zur Bekleidung öffentlicher Ä m t e r nicht verloren hat, 3 . arischer Abstammung ist und nicht mit einer Person nichtarischer

Abstam-

mung verheiratet ist, 4 . das 2 1 . Lebensjahr vollendet hat, 5 . geschäftsfähig ist, 6. fachmännisch ausgebildet ist, 7. die Eigenschaften

hat, die die Aufgabe der geistigen Einwirkung auf die

Öffentlichkeit erfordert." 3 5

4. Antisemitische

Maßnahmen

Nach dem Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 besaßen allein die Deutschen „arischer" Herkunft alle politischen Rechte. Dieses Gesetz unterschied zwischen „Reichsbürgern" und „Staatsangehörigen" oder auch „Reichsangehörigen", die nicht deutscher Rasse waren. Das Gesetz gab dazu folgende Definitionen: „§ 1. 1. Staatsangehöriger ist, w e r dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehört und ihm dafür besonders verpflichtet ist. 2. D i e

Staatsangehörigkeit

Staatsangehörigkeitsgesetzes § 2. 1.

Reichsbürger

ist

wird

nach

den

Vorschriften

des

Reichs-

und

erworben. nur der

Staatsangehörige

deutschen

oder

artver-

wandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in T r e u e dem deutschen V o l k und Reich zu dienen."

Zu Staatsfeinden erklärten Bürgern wurde die Staatsbürgerschaft aberkannt, wie es bei zahlreichen Schriftstellern der Fall war. Das war ein ausdrücklicher Angriff auf alles, was - und sei es auch nur theoretisch - in Beziehung stand zur liberalen Demokratie und ins-

199

besondere zu den Prinzipien, die sich aus der Revolution von 1789 und der allgemeinen Menschenrechtserklärung herleiteten. Mit derselben Datierung vom 15. September 1935 wurde ein Gesetz zum Schutze des deutscheti Blutes und der deutschen Ehre verkündet. Es legte u. a. folgendes fest: „§ 1. 1. Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen

deutschen

oder artverwandten Blutes sind verboten. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig, auch wenn sie zur Umgehung dieses Gesetzes im Auslande geschlossen sind; 2. D i e Nichtigkeitsklage kann nur der Staatsanwalt erheben. § 2. Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen

deut-

schen oder artverwandten Blutes ist verboten. § 3. Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren nicht in ihrem Haushalt beschäftigen." 36

Als der Reichskultursenat am 15. November 1935 gebildet wurde, sagte Goebbels zur Lage der Juden in Literatur und Kunst: „Die Reichskulturkammer ist heute judenrein. Es ist im Kulturleben unseres Volkes kein Jude mehr tätig. Ein Jude kann deshalb auch nicht Mitglied einer Kammer sein."

Der Völkische Beobachter referierte die Ausführungen von Goebbels über die eigens für Juden gegründeten Verbände, womit die Juden „großzügigerweise" die Möglichkeit erhalten hätten, ihr eigenes kulturelles Erbe zu pflegen: „Der Reichsverband der jüdischen Kultur umfasse 110 000 Mitglieder und unterhalte drei jüdische Theater sowie mehrere eigene Orchester mit dauernden Veranstaltungen jeder Art in fast allen Städten des Reiches. Nur die Pflege der deutschen Kultur sei den Juden unterbunden, wie ja umgekehrt auch kein deutscher Künsder den Ehrgeiz habe, sich am jüdischen Kulturleben zu beteiligen."

Das waren allerdings nur zeitweilige Zugeständnisse. Später, nach der Kristallnacht vom 9./10. November 1938, betonte Goebbels vor der Gemeinsamen Jahrestagung der Reichskulturkammer und der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude: „Der Nationalsozialismus ist eine antisemitische Bewegung. Es war deshalb notwendig, sich auch auf dem Felde des deutschen Kulturlebens mit der Judenfrage sofort und radikal auseinanderzusetzen. Wir haben das getan. In einer reinlichen Scheidung zwischen Deutschen und Juden haben wir nicht nur die kulturell Schaffenden, sondern auch die Kultur Empfangenden von den parasitären Elementen des internationalen Judentums getrennt." 37

200

D e r Kulturbund deutscher Juden, dessen kümmerliche

Existenz

sich hauptsächlich auf Theateraufführungen vor jüdischem Publikum beschränkte, wurde am 11. September 1 9 4 1 verboten. D i e „Säuberungsmaßnahmen" erstreckten sich auch auf das kulturelle E r b e . Eins der markantesten Beispiele antisemitischer

Maß-

nahmen dieser A r t w a r die Entfernung der W e r k e Heines aus den Lehrprogrammen der Universitäten und aus Kulturveranstaltungen. D a s bekannte Lied von der Lorelei

konnte allerdings nicht einfach

totgeschwiegen werden. Man sang es weiterhin als Volkslied

von

einem angeblich unbekannten Textdichter. Heines Ansehen w a r so groß, d a ß einige Vertonungen seiner Gedichte noch 1937 ganz offiziell in Konzertprogrammen standen. Gegen diesen Zustand wurde am 3. Juni 1937 in einem Artikel protestiert, der in Das Korps,

Schwarze

dem Organ der SS erschien:

„Was will die einsame Träne? Es war sehr feierlich bei den Berliner Kunstwochen 1937, die als Romantikerfest im Weißen Saale des Berliner Schlosses am 30. April abgehalten wurden. Am Bechsteinflügel saß Michael Raucheisen, und die herrlichen Schumann-Lieder sang Frau Emmi Leisner mit Texten verschiedener Dichter. Das ausgesuchte Programm führt auch die Verfasser der Liedertexte alle an: Goethe, Byron, Burns, Rückert, Moser und Moore. Nur drei Liedlein, die als Ohrenschmaus zum Besten gegeben wurden, schienen unbekannten Ursprungs zu sein: Die Lotosblume, Du bist wie eine Blume und Was will die einsame Träne"}. Nun handelt es sich bei diesen um keine Dichtungen eines unbekannten Deutschen, dessen Name von der Zeit im Laufe der Jahrhunderte verweht wurde, sondern um drei Reimereien Heinrich Heines, dessen Kunst nicht um ein Haar arischer wird, wenn man einfach seinen Namen wegläßt, sondern der nach wie vor ein ausgewachsener Jude bleibt, mag man ihn auch abgetarnt bei den .Berliner Kunstwochen 1937' als deutschen Romantiker vorstellen. Da fragt man sich nur: ,Was will die einsame Träne?', und wer hat sie vergossen, die da im Berliner Schloß aufglitzerte? Wir weinen Heinrich Heine keine Träne nach, nicht etwa aus Barbarei, wie man in manchen Kreisen behauptet, aus Unfähigkeit, seine Verse zu verstehen, sondern weil Heinrich Heine sich während seines Pariser Aufenthaltes von der französischen Regierung bezahlen ließ, Deutschland in seinen literarischen Arbeiten herabzusetzen. Wir sind die letzten, die Heine nun einfach aus der Welt schaffen möchten. Aber wir wollen ihn — wenigstens in Deutschland - dem jüdischen Kulturbund überlassen, der doch so einen befremdenden Mangel an Kunstwerken besitzt und immer wieder auf den guten alten Walzerkönig Strauß zurückgreift, um seine Abende zugkräftiger zu gestalten. Dort gehört Heinrich Heine auch hin, und er soll ihnen gerne ganz erhalten bleiben. Wir aber haben deutsche Künstler genug und Klassiker die rauhe Menge,

201

mit denen wir nicht nur Kunstwochen, sondern ganze Kunstjahre erfüllen können. Deshalb keine Schüchternheit und brav die Namen angegeben. Schließlich, steht auch heute noch der Loreleifelsen, ohne daß wir ihn nach Heine besingen. Das sollte man tun, schon mit Rücksicht auf die Mitglieder der N. S. Kulturgemeinde, die sich bei den drei Liedern ansahen, als ob sie versehentlich zu enge Schuhe angezogen hätten."

5. Säuberungen

und neue Maßstäbe

für die

Kritik

Am 10. April 1935 wurde das Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften vom 18. Dezember 1926 abgeschafft. Durch die Bildung der Reichskulturkammer war es überflüssig geworden. Der Buchhandel unterlag vollständig der Kontrolle der Reichskulturkammer. Laut Verordnung vom 25. April 1935 stellte die Reichsschrifttumskammer den Büchereien und dem Buchhandel eine Liste der „schädlichen und unerwünschten" Bücher zur Verfügung, deren Verbreitung - in welcher Form auch immer - strengstens verboten war. Die Säuberungen selbst allerdings schleppten sich hin, und in zahlreichen Presseartikeln wurde ein wirksameres Durchgreifen gefordert. 1933 berichtete der Völkische Beobachter, viele Buchhandlungen würden versuchen, einen Teil ihrer Bücher der Polizeikontrolle zu entziehen. Ganze Bibliotheken seien in Remisen, Kellern und auf Böden aufgefunden worden. Das Fachorgan der Druckerei-Industrie wandte sich am 26. März 1937 dagegen, daß immer noch deutsche Kalender mit Zitaten jüdischer Autoren und talmudistischen Sprüchen erschienen! Die Ostdeutsche Morgenpost berichtete am 20. April 1937 über ein für sie erstaunliches Phänomen: Eine Kontrolle der Buchhandlungen und öffentlichen Bibliotheken im Raum Hannover deckte Nachlässigkeit bei der Säuberung auf. Ungefähr 50 Prozent der überprüften Bücher hätten bereits vernichtet sein müssen. Solche Vorkommnisse dürfen allerdings nicht zu voreiligen Schlußfolgerungen verleiten. Zweifellos stießen die Säuberungen in Literatur und Malerei auf Widerstand. Verbotene Bücher wurden illegal verkauft, und Privatpersonen haben Sammlungen moderner Malerei aufbewahrt. Dabei spielte aber die Spekulation eine genauso große Rolle wie das Aufbegehren gegenüber den administrativen Maßnahmen. Andererseits bauschten die Nazis solche Beispiele von Ungehorsam gerne auf, um das Kontrollsystem erweitern zu können. In manchen Redaktionen, so etwa in der Frankfurter Zeitung, blieb 202

auch die Literaturkritik von den Wertungskriterien der Nazis relativ unabhängig. Beispiele solcher Art dürfen jedoch nicht über das tatsächliche Ausmaß der Naziherrschaft in Presse und Verlagswesen hinwegtäuschen. 1935 veröffentlichte Schwarz van Berk, der Chefredakteur der Nazizeitung Der A n g r i f f , einen Aufsatz mit dem Titel Die Stunde diktiert und erläuterte eingangs die Funktion des Journalisten im Dritten Reich. Zynisch gab er zu verstehen, der Journalist solle sich nicht an den Intellekt der Leser wenden, sie auch nicht zum Nachdenken anregen, sondern sie irreführen: „Es ist ja nicht richtig, daß das Volk alles wissen will. Nur die Intellektuellen sind neugierig, das Volk aber will etwas ganz anderes: es will glauben können und geführt werden."

Mitte Dezember 1935 fand in Berlin unter der Schirmherrschaft der Reichskulturkammer ein Kritiker-Kongreß statt. Wilhelm Weiß, der Präsident des Reichsverbands der Deutschen Presse, brachte in seinem Referat heftige Angriffe gegen die bisher praktizierte Literatur- und Kunstkritik vor. In dem Maß, wie der Journalist Sprachrohr einer öffentlichen Aufgabe sei, müsse er sich dem Staat unterordnen und sich die nationalsozialistische Weltanschauung aneignen. Der Westdeutsche Beobachter referierte am 17. Dezembeer 1935 die Ausführungen von Weiß - mit Ausnahme von zwei Sätzen, die direkt zitiert wurden: „Es sei heute nicht entscheidend, ob ein Theaterstück vom Kritiker für gut oder schlecht befunden werde, sondern entscheidend sei, für welche Sache auf der Bühne gekämpft werde. Auf beiden Seiten, auf Seiten der Kunst sowohl als auch auf Seiten der Kritik, müsse sich eine grundsätzliche Erkenntnis durchsetzen: ,Der Standpunkt von der ( K u n s t an sich) ist nach nationalsozialistischer Auffassung nicht haltbar. Beide, die Kunst sowohl als auch die Kritik, dienen einem höheren Ideal, dem Ideal der nationalen Ehre und dem Ideal einer wahrhaft deutscher Kultur' -

Niemand w e r d e behaupten wollen, daß dieses

Ideal im Theater und Film heute schon überall erreicht sei. Damit es aber erreicht werde, dazu brauche man die positive Mitarbeit der Kritik."

Goebbels empfing die Kongreßteilnehmer in seinem Ministerium und hielt ihnen vor, ein Kritiker sei kein Künstler, andererseits aber dürfe die Kritik nicht Liebhabern und Laien überlassen bleiben. Der Kritiker solle Fachmann sein, und es sei beispielsweise unvorstellbar, daß ein Musikkritiker keine Partitur lesen könne. Goebbels brachte abschließend die Hoffnung auf ein Vertrauensverhältnis zwischen Künstlern und Kritikern zum Ausdruck, das aus ihrer gemeinsamen 203

Verantwortung für die Entfaltung einer großen, wahrhaft deutschen Kunst erwachsen werde. Diese Äußerungen kündigten bereits die Verordnung vom 26. November 1936 an, welche die Kritik alten Stils abschaffte. In der Zeitschrift Der deutsche Schriftsteller (H. 12/1936, S. 280 f.) erklärte Goebbels demagogisch: „Da auch das Jahr 1936 keine befriedigende Besserung der Kunstkritik gebracht hat, untersage ich mit dem heutigen Tage (26.11.1936) endgültig die Weiterführung der Kunstkritik in der bisherigen Form. An die Stelle der bisherigen Kunstkritik, die in völliger Verdrehung des Begriffs .Kritik' in der Zeit jüdischer Kunstüberfremdung zum Kunstrichtertum gemacht worden war, wird ab heute der Kunstbericht gestellt; an die Stelle des Kritikers tritt der Kunstschriftleiter. Der Kunstbericht soll weniger Wertung, als vielmehr Darstellung und damit Würdigung sein. Er soll dem Publikum die Möglichkeit geben, sich selbst ein Urteil zu bilden, ihm Ansporn zu sein, aus seiner eigenen Einstellung und Empfindung sich über künstlerische Leistungen eine Meinung zu bilden." Tatsächlich aber erfolgte das genaue Gegenteil: An die Stelle der informativen Rezension, die das Publikum befähigte, sich selbst ein Urteil zu bilden, trat jetzt die von den Nazis vorgegebene pragmatische Wertung. Für die total reglementierte Tätigkeit des Kunstschriftleiters bedurfte es im übrigen einer besonderen Zulassung (verbunden mit einer Eintragung in die Berufsliste) und eines Mindestalters von dreißig Jahren, da angeblich eine gewisse Reife für die Beschäftigung mit Kunstwerken unabdingbar wäre. In Wirklichkeit war damit ein weiteres Instrument zur absoluten Kontrolle ästhetischer Urteile und Kriterien entstanden.

Andere kulturelle Zwangsorgane 1. Kraft durch Freude

(Siehe S. 120-122)

Am 27. November 1933 wurde die Organisation Kraft durch Freude geschaffen, die institutionell zur Deutschen Arbeitsfront gehörte. Nach Robert Ley sollte sie - in einem Staat, der sich das Attribut sozialistisch zugelegt hatte - dem Arbeiter Lebensfreude und Genuß verschaffen. In Wahrheit ging es darum, den Arbeitern Zerstreuungen zu bieten und sie gleichzeitig zu manipulieren. Kraft durch Freude hatte verschiedene Abteilungen, die für Reisen und Ausflüge, Sport, 204

künstlerische Veranstaltungen, Verbesserung der Arbeitsplätze, Verschönerung der Arbeiterwohnungen und -Siedlungen zuständig waren. 1941 zog eine französisch geschriebene Propagandabroschüre L'Allemagne d'aujourd'hui. L'espit et les réalisations du nationalsocialisme eine Bilanz dieses Experiments: Hervorgehoben wurde die „revolutionäre" Orientierung, denn Kraft durch Freude hätte den Arbeitern das künstlerische und kulturelle Erbe der deutschen Nation nahegebracht und somit zur „Versöhnung der Klassen" zum Nutzen der „Volksgemeinschaft" beigetragen. Als Beweis für diese Demagagie wurde erwähnt: Kraft durch Freude verfüge in den Großstädten über Theater, und die Arbeiter könnten die besten Stücke zu niedrigsten Preisen sehen : „Der Theaterbesuch ist im heutigen Deutschland nicht mehr den Leuten in Àbendgarderobe vorbehalten; einen Theaterplatz können der Lehrling, die einfache Stenotypistin bezahlen. Sie wählen selbst aus, was sie sehen bzw. hören wollen: klassisches Repertoire oder Komödie, Oper oder Operette, klassische oder leichte Musik, Sinfoniekonzerte oder Soloabende. Was hier von Theater und Musik gesagt wurde, gilt auch für die Schönen Künste."

Die Broschüre nannte auch Zahlen. Sie sind nicht nachprüfbar, verdeutlichen aber einen realen Fakt - die feste Absicht, Deutschland systematisch mit einer Vielzahl kultureller Veranstaltungen auszurichten : „Bis zum November 1938 hatte das Amt Feierabend 73 000 stellungen organisiert, denen 33 700 00 Zuschauer beiwohnten,

Theatervor15 6 0 0 Kon-

zerte wurden von 7 900 000 Hörern besucht — während 180 000 andere künstlerische und kulturelle Veranstaltungen ein Publikum von 70 Millionen erreichten, und 47 000 Filmvorführungen in den Dörfern -

mit Spezialautos durch-

geführt, die eine Tonfiilmanlage haben, - wurden von 18 650 000 Zuschauern gesehen. Seither sind diese Zahlen schon beachtlich übettroffen worden, besonders während

des Krieges,

denn Kraft

durch Freude

führt

regelmäßig

Theateraufführungen, Konzerte und Veranstaltungen jeder Art für die Frontsoldaten durch."

In einem Artikel des Völkischen Beobachters vom 2. April 1939 wurde Kraft durch Freude demagogisch und ohne Umschweife als Instrument der Zusammenführung des deutschen Volkes und der Eingliederung des Arbeiters in die vom Naziregime geschaffenen Tatsachen dargestellt: „Die Zeiten sind vorbei, in denen das Empfinden des Volkes und das Kulturund Geistesschaffen der Nation verschiedene Wege gehen konnten. Wir möch-

205

ten hier nochmals feststellen, daß eine Kultur, die ihre Wurzeln nicht in der breiten Basis des Volkes hat, nicht als Kultur gewertet werden kann. Was aber aus dem Volke kommt, muß dem Volke wieder zugänglich gemacht werden. Deshalb war des Führers Kampf gegen die soziale Not von Anfang an nicht nur ein Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, sondern ebenso ein Kampf gegen die seelische und geistige Vereinsamung, insbesondere des Arbeiters. Die einst so vielgebrauchte Behauptung von der kulturellen Anspruchslosigkeit des .Proletariers' können wir ebensowenig gelten lassen wie die Lüge, daß der Arbeiter an dem Schönen außerhalb seines Berufes uninteressiert sei. Beides wurde durch nichts vernichtender widerlegt als durch die von Jahr zu Jahr wachsende Zahl der Teilnehmer an den Veranstaltungen der N . S. Gemeinschaft Kraft durch Freude." D i e ganze D e m a g o g i e der N a z i s d e m „ V o l k " g e g e n ü b e r u n d d i e Pervertierung berechtigter kultureller B e d ü r f n i s s e k a m in einer a m 2 5 . N o v e m b e r 1 9 3 8 auf der G e m e i n s a m e n Jahrestagung der ReichsFreude

von

R o b e r t L e y g e h a l t e n e n R e d e z u m A u s d r u c k , die der Völkische

k u l t u r k a m m e r u n d der N S - G e m e i n s c h a f t Kraft

Be-

obachter

durch

a m 2 6 . N o v e m b e r 1 9 3 8 v e r ö f f e n t l i c h t e . Seine W o r t e ent-

larvten u n f r e i w i l l i g , w e l c h e

Täuschungsmanöver

gemacht

wurden,

d a m i t u n z ä h l i g e D e u t s c h e sich v o n d e n „Kulturtaten" des D r i t t e n Reiches blenden ließen: „Es sind fünf Jahre her, seitdem wir die N . S.-Gemeinschaft Kraft durch Freude verkündeten. Allein das Herz und das Gefühl waren es, die damals Pate waren; der Verstand wollte es nicht begreifen, und viele lachten und höhnten und behaupteten sogar, daß das nur dazu da sei, um dem Arbeiter Sand in die Augen zu streuen. Jedoch das Herz behielt Recht. W i r begann e n e i n W e r k , d a s h e u t e in d e r g e s a m t e n W e l t sozialpolitisch e i n z i g a r t i g d a s t e h t . Ja, was wir damals nur ahnen konnten, trat ein, nämlich, daß wir damit die Wünsche der Arbeiterschaft erfüllten und die Sehnsucht der breiten Masse trafen, und ihr das gaben, worum sie jahrzehntelang gekämpft hatte. Es erwies sich als absolut richtig, was wir annahmen, daß der Arbeiter diese schweren Kämpfe in den achtziger und neunziger Jahren und vor dem Kriege auf sich genommen hatte, nicht um lächerliche Lohnpfennige zu erringen, nicht um materieller Dinge wegen, sondern, daß er damals gekämpft hatte um die Ehre und um die Achtung, die er sich erwerben wollte. Es war die große Sehnsucht nach der Heimat, nach dem Volke, nach seinem Blute, nach der Kultur. Es war die Sehnsucht, teilzunehmen an all dem, was seine Vorfahren und sein Volk miterarbeitet hatten. Der Arbeiter fühlte sich betrogen um das, was seine Väter mit erkämpft hatten; und er fühlte sich mit Recht betrogen, denn die Kultur war nicht mehr Angelegenheit des Volkes und der breiten Masse, sondern des Geld-

206

beutels, des Besitzes. U n d n u n g a b e n w i r i h m d a s zurück, wonach er s i c h s e h n t e , und wir g a b e n ihm damit sein Vaterland, seine Heimat, seine Ehre, seine A c h t u n g . Und vor allem war es weiteres, was wir ihm gaben: i n d a s Dunkel seines Alltags u n d in d i e S c h w e r e seiner A r b e i t b r a c h t e n w i r e t w a s L i c h t h i n e i n , S o n n e . Er nahm nun teil an all dem Schönen. Man kann behaupten, daß das Größte, was der Führer diesem deutschen Volke brachte, die Tatsache war, daß er dem Volke all das Häßliche wegnahm und seinem Blick entzog, und ihm dafür das Schöne, das Erhabene und das Edle gab, in schönen Worten, in den schönen Straßen Adolf Hitlers, in den schönen Theatern, Kulturzentren, Konzerten, Parteitagen, ja in der Fahne. Welche Fahne der Welt wäre schöner als unsere Fahne. Sie ist die schönste. Man hat oft gefragt, ob man den Arbeiter nicht verwöhnte, indem man ihn zum Schönen hinführte. Ich bin oft gefragt worden, ob sich die Menschen zu Hause noch wohlfühlen würden, wenn sie von den schönen Seefahrten oder aus den Theatern zurückkommen. Ich habe aber nie gehört, daß der Arbeiter sich nicht wieder zurechtgefunden hätte, vielmehr habe ich v i e l e T a u s e n d e v o n B r i e f e n e r h a l t e n , in d e n e n s i c h die M e n s c h e n b e d a n k t h a b e n , daß nun auch sie an alledem teilhaben konnten. Man sagte, es sei Luxus; man dürfe der breiten Masse das nicht geben. Was heißt überhaupt Luxus? Was vor 100 Jahren noch Luxus war, ist heute alltäglicher Gebrauch geworden. Nein, ein Volk wie unseres kann man nicht verwöhnen, indem man ihm Gutes bietet. Das Beste ist gerade gut genug, um es unserem Volke zu geben. Man hat weiter gefragt, ob der Arbeiter die Kultur überhaupt versteht. Auch hierzu ist zu sagen, daß die Künstler und alle Kulturschaffenden noch niemals ein so andächtiges Volk in den Theatern gehabt haben wie in den letzten fünf Jahren. Der Geldbeutel versteht meistens nicht die Kultur; bei ihm ist es Modesache, zum Teil Langeweile. Das Volk dagegen in seiner breiten Masse nimmt Anteil daran und ist dankbar für alles, was ihm die Künstler geben. S o w a r d e r E r f o l g a u f u n s e r e r S e i t e d e s h a l b , w e i l w i r m i t di'es e m W e r k in d e n M i t t e l p u n k t der S e h n s ü c h t e und d e r H o f f n u n g e n d e r M a s s e n h i n e i n s t i e ß e n , die seit Jahrhunderten an nichts anderes gedacht und nichts anderes erhofft hatten, als endlich an all dem Schönen teilzunehmen, was unser Vaterland hat. Und wir sind erst am Anfang, all das ist erst ein Beginn. Was bedeuten fünf Jahre? Im Leben des einzelnen nichts, im Leben des Volkes nur einen Hauch! Wir haben heute zuwenig Raum, zuwenig Künstler, zuwenig von allem. Wir müssen schaffen, daß wir mehr Musik- und Kunsttempel bekommen; wir müssen schaffen, daß sich mehr Kunstschaffende dem Volke anbieten. Wir wollen dankbar sein für jedes große küristlerische Empfinden, das sich dem Volke bietet. So wird - davon bin ich überzeugt - durch all das einmal eine Epoche anbrechen,

207

wie sie die Geschichte unseres Volkes noch niemals sah: Deutschland wird wirklich ein Volk in Kraft, Energie und Leistung und ein Volk in Schönheit und Kultur sein."

2. Rosenbergs

Ämter

Wie bereits gesagt, erhielt Alfred Rosenberg im Januar 1934 eine neue offizielle Funktion: Er wurde zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der N S D A P " ernannt. Seiner Verantwortung oblag es, die Reinheit der Nazidoktrin im Inneren des Landes zu überwachen. So kam es, daß er auch solche Bereiche kontrollierte, die normalerweise in Goebbels Ressort gehörten, insbesondere, wenn er literarische oder künstlerische Werke hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit der Naziideologie begutachten ließ. Zu diesem Zweck standen ihm verschiedene Ämter zur Verfügung: — Das Amt Schrifttumspflege, das die Speichellecker von Rosenberg als den ältesten von den Nazis geschaffenen literarischen Frontabschnitt ausgaben. Sie führten es nämlich auf das Jahr 1932 zurück, in dem der Kampfbund für Deutsche Kultur in Franken schon ein Kontrollbüro geschaffen hatte. Das Amt bestand aus einem „zentralen Lektorat", das alle Veröffentlichungen überwachte. 1934 hatte Rosenberg nur 23 Lektoren, 1938 waren es 400 und 1400 im Jahr 1940. Mehrere Publikationen wurden für alle im Buchwesen Beschäftigten herausgegeben: Buch und Volk für die Büchereien; Bücherkunde war ein allgemeines Informationsbulletin für die Verlage; Kataloge und Dienst am Schrifttum. — Die Nationalsozialistische Kulturgemeinde entstand 1934 durch die Vereinigung des Kampfbundes für Deutsche Kultur und der Deutschen Bühne. Mit Hilfe dieser Organisation versuchte Rosenberg, in Nazideutschland massenwirksam zu werden und die Autorität von Goebbels zu untergraben. Sie publizierte für jeden kulturellen Sektor zugeschnittene Fachzeitschriften, so Volkstum und Heimat speziell für literarische Fragen; Deutsche Bühnenkorrespondenz für das Theater; Völkische Kunst für die Schönen Künste. — Der Einsatzstab Rosenberg, so genannt mit Bezug auf die Kriegssituation, wurde 1939 gegründet und sollte die besetzten Gebiete plündern. Im Auftrag dieses Einsatzstabs raubten die deutschen Truppen in den besetzten Ländern aus Museen und Bibliotheken 208

Kunstwerke und Bücher. Diesen in der Geschichte einmaligen Kunstraub bemäntelte Rosenberg, indem er vorgab, mit der Beute ein Forschungsinstitut eröffnen zu wollen. 3 8

Zeugnisse über die Lage der Schriftsteller und Künstler in Na^ideutscbland 1. Die Jagd auf die sogenannte entartete

Kunst

Göring, ein versierter Kunstsammler (er liebte besonders Aktmalerei), nahm Hitlers Ausführungen zum Tag der Deutschen Kunst in München 1 9 3 7 wörtlich, d. h. er fühlte sich persönlich aufgerufen, in Preußen „Säuberungsmaßnahmen" gegen die moderne Kunst einzuleiten, selbst auf die G e f a h r hin, in eine Domäne einzugreifen, die eigentlich Goebbels gehörte. Le Temps publizierte die Neuigkeit am 7. August 1937 und zeigte, welche Formen die Jagd auf die sogenannte entartete Kunst annahm: „Der neue Erlaß von General Göring, die Säuberung der Museen betreffend, hat sehr scharfe Diskussionen in der Führungsschicht ausgelöst. In seiner Eigenschaft als Propagandaminister behauptete Herr Goebbels, die Säuberung gehöre in seinen Verantwortungsbereich und nicht in den des Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Herrn Rust. Göring wäre angesichts solcher Beschwerden bereit gewesen, zuriickzustekken, aber auf Einspruch des Führers wurde Herr Rust in seiner Funktion als .Säuberer' bestätigt. Es ist zu befürchten, daß Goebbels die Säuberung noch weiter ausdehnen würde, als es das Gesetz von Göring bereits vorsieht, daß er die entartete Kunst überhaupt aussondern würde, also die gesamte moderne Kunst, und nicht bloß in den Museen, sondern auch selbst die in den kleinsten Privatsammlungen. Die Jagd auf die entartete Kunst ist übrigens ein Politikum ersten Ranges geworden. Wiederholt führte die Gestapo Razzien bei Kunsthändlern durch; drei von ihnen mußten bereits ihre Galerien schließen. Alle diese Kunsthändler waren übrigens Arier, denn Juden ist bekanntlich der Handel mit Kunstgegenständen generell verboten." Das Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst vom 3 1 . Mai 1 9 3 8 sah vor, daß Werke, die von einer entsprechenden Kommission als „entartete Kunst" eingestuft wurden, ohne Entschädigung zu konfiszieren waren. Sie wurden aus allen öffentlichen und privaten Sammlungen entfernt. 14

Faschismus

209

„Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: § 1. Die Erzeugnisse entarteter Kunst, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in Museen oder der Öffentlichkeit zugänglichen Sammlungen sichergestellt und von einer vom Führer und Reichskanzler bestimmten Stelle als Erzeugnisse entarteter Kunst festgestellt sind, können ohne Entschädigung zu Gunsten des Reiches eingezogen werden, soweit sie bei der Sicherstellung im Eigentum von Reichsangehörigen oder inländischen juristischen Personen standen. § 2. (1) Die Einbeziehung ordnet der Führer und Reichskanzler an. Er trifft die Verfügung über die in das Eigentum des Reiches übergehenden Gegenstände. Er kann die im Satz 1 und 2 bestimmten Befugnisse auf andere Stellen übertragen. (2) In besonderen Fällen können Maßnahmen zum Ausgleich von Härten getroffen werden. § 3. Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda erläßt im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Rechts und Verwaltungsvorschriften." 39 Z u f r i e d e n v e r m e r k t e R o b e r t Scholz, der Leiter der A b t e i l u n g B i l d e n d e K ü n s t e im A m t R o s e n b e r g , in der Zeitschrift Die Dritten

Reich,

die A u s s t e l l u n g Entartete

Kunst

Kunst

im

sei nach ihrer Ü b e r -

siedlung von München nach Berlin noch eindrucksvoller und überzeugender g e w o r d e n : „Die Ausstellung ist gegenüber der Münchener Schau wesentlich ergänzt und in einer Weise gegliedert worden, die noch eindringlicher und sinnfälliger die Absicht und den Zweck der Ausstellung zum Ausdruck bringt, hier nicht irgendwelche artistischen Ausdrucksformen anzuprangern, sondern eine dahinterstehende politische Ideologie zu demaskieren, die sich den Untergang des Abendlandes zum Ziel gesetzt hat. So ist die Austeilung nicht mehr nach den Namen der Erzeuger dieser Machwerke, sondern nach Motivgruppen geordnet, so daß schon vom Inhaltlichen her die zersetzende Tendenz klar erfaßbar wird. Eine Gruppe zeigt, wie durch die Verherrlichung des Kretinismus und eine Nachahmung der primitivsten Negerkunst jedes Bewußtsein für das menschliche Schönheitsideal systematisch ertötet wurde. Eine andere Gruppe zeigt, wie unter dem Vorwand einer religiösen Vertiefung das religiöse Gefühl verhöhnt und zu Wahnsinnsekstasen geführt wurde. In einer anderen Gruppe sieht man, wie durch Verhöhnung von Staat und Familie und eine Glossierung aller Ideale und Werte der menschlichen Gesellschaft diese widerliche politische Tendenzkunst zielsicher die Absicht einer Demoralisierung des Volkes anstrebte. Aufreizung zum Klassenhaß, Verherrlichung des Untermenschentums, schmutzigste Erotik waren die Hauptthemen dieser Kunst, die sich in den Dienst des bolschewistischen Kulturnihilismus gestellt hatte. Eine andere Gruppe gibt Kostproben jüdischer Malerei und Plastik, durch welche die Verführer- und Schrittmacherrolle der Juden klar wird.

210

Ganz

besonders

eindrucksvoll

sind aber

die

Gegenüberstellungen

dieser

sogenannten .Kunstwerke' mit den Mal- und Modellierversuchen richtiger Geisteskranker der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg. Simulierter und wirklicher Unsinn sind hier nicht mehr zu unterscheiden. Wie ein höllisches Inferno ziehen diese Spukgestalten menschlichen Wahnwitzes an dem Beschauer vorüber, der heute kaum noch zu begreifen vermag, daß diese Scheußlichkeiten einmal dem deutschen Volke als Kunst vorgesetzt werden konnten und daß für den Ankauf dieser Irrsinnsprodukte von deutschen Kunstgalerien Millionen von Steuergeldern ausgegeben wurden. Jeder, der die kunstpolitischen Maßnahmen und die Bedeutung der künstlerischen Leistungen des Nationalsozialismus ganz begreifen will, muß diese Ausstellung gesehen haben, denn indem sie den Abgrund zeigt, vor dem die deutsche Kunst, oder, besser gesagt, das was als solche damals bezeichnet wurde, gestanden

hat,

stellt sie die beste Rechtfertigung

der

nationalsozalistischen

Kunstpolitik dar."

2. Ein

verbotener

Maler

E r n s t B a r l a c h , ein O p f e r d e r „ S ä u b e r u n g e n " - seine A r b e i t e n w u r d e n als e n t a r t e t e K u n s t a b g e s t e m p e l t -

h a t in aus seinem N a c h l a ß v e r -

öffentlichten N o t i z e n E n d e J u l i 1 9 3 7 die für ihn als M a l e r n e u e Sit u a t i o n , in d e r er leben m u ß t e , r e f l e k t i e r t : „Diese mir zugedachte langsame Erdrosselung umgeht nur jene andere der echten Garottierung, aber das Verschleierte ist wegen Vermeidung des geraden Weges nicht weniger verhängnisvoll, es ist nur ein ungerader. Bemäntelungen werden nur gewählt zur Bequemlichkeit des Vollziehers, nicht zur Erleichterung des Verurteilten. Man macht mir jeden Versuch einer Aufhellung und Klärung der zur Verurteilung führenden Tatsachen, Widerspruch gegen die irrige Betrachtung meiner zur Schuld gestempelten Tätigkeit unmöglich, das Rechtsgut der Verwahrung gegen schief gesehene Werturteile. Der Darlegung und Aufführung von innersten Notwendigkeiten meiner Art zu sein und zu wirken, wird kein Gehör geliehen, und ich frage mich mit Grund, warum dieses als erster Rechtsgrundsatz überall Selbstverständliche einem Künstler versagt wird, während es jedem gemeinen Rechtsbrecher, jedem Zuhälter, Dieb, Mörder und Hochstapler zugestanden wird" 4 0

3.

Schriftsteller

im Dritten

Reich

- ein unbekanntes

Dokument

W i r zitieren im f o l g e n d e n A u s z ü g e aus einem B e r i c h t zur L a g e

der

Intellektuellen im D r i t t e n R e i c h , v o n d e m nur die französische - m i t u n t e r ungeschickt übersetzte - F a s s u n g a u f g e f u n d e n w e r d e n k o n n t e . 14*

211

V o r h a n d e n sind einige maschinenschriftliche Seiten ohne D a t u m , d i e wahrscheinlich 1936 entstanden sind. V o n der Position d e s alten S D S aus versuchen die A u t o r e n , die V e r t e i d i g u n g materieller Interessen - in einer e t w a s ständisch a n m u t e n d e n H a l t u n g - mit einem politischen Protest im N a m e n demokratischer Prinzipien zu v e r b i n d e n . Ziemlich überrascht liest man, d a ß es viele durchaus als normal ansahen, N a z i o r g a n e n M a n u s k r i p t e anzubieten, u m leben zu können. Insofern ist das D o k u m e n t auch ein B e l e g f ü r die Illusionen mancher E m i g r a n t e n in b e z u g auf das W e s e n des F a s c h i s m u s und die M ö g lichkeiten, in N a z i d e u t s c h l a n d selbst W i d e r s t a n d zu leisten. „Als 1933 der Reichsverband Deutscher Schriftsteller zur Zwangsorganisation aller Schriftsteller Deutschlands erklärt wurde, kam das in Wahrheit schon der Unterordnung der Schriftsteller unter die Befehlsgewalt einer nationalsozialistischen Organisation gleich. Jedoch gab es immerhin noch eine gewisse Versammlungsfreiheit, die Zusammenkünfte von Gruppen zuließ, und so dem Einzelnen die Teilnahme am Leben des Verbandes ermöglichte. Als der Verband aber in eine Fachschaft umgewandelt und der Reichskulturkammer unterstellt wurde, veränderte sich nicht nur die Organisationsform, sondern wurden auch die Rechte des Schriftstellers grundsätzlich eingeschränkt. Zuallererst verschwanden im Zuge der Reorganisation alle vom ehemaligen SDS geschaffenen sozialen Einrichtungen, die entscheidend zur materiellen Sicherstellung der Schriftsteller beigetragen hatten. Gegenwärtig gibt es keinen juristischen Schutz mehr für den Schriftsteller. Die sogenannte Rechtsabteilung der Reichsschrifttumskammer beschränkt sich darauf, Ratschläge zu geben. Bei Streitfällen mit den Verlegern oder bei Honorarverweigerungen ist der Schriftsteller heute jeglicher Unterstützung beraubt, während früher die Rechtsabteilung des SDS solche Angelegenheiten sofort regelte. Außerdem sind die Vermittlung von Manuskripten, der Vertrieb und ähnliches, sowie alle weiteren beruflichen Hilfeleistungen, die früher das Schriftstellerdasein erleichterten, abgeschafft worden. Heute ist der Schriftsteller dagegen von Verordnungen abhängig, die seine Aktivität hemmen. So hat z. B. ein Erlaß vom 2. Juli 1936 festgelegt, daß Schriftsteller für Dienstreisen ins Ausland nur noch dann Devisen bekommen, wenn die Reichsschrifttumskammer ihr Anliegen befürwortet. Finanzielle Unterstützung wird selbstverständlich nur Nationalsozialisten gewährt. 1935 sind 500 000 RM ausgegeben worden, um die nationalsozialistische literarische Produktion zu fördern. Jedes Jahr werden 250 000 RM als Preise für Bücher mit nationalsozialistischem Inhalt verwendet. Für bedürftige Schriftsteller bleiben infolgedessen nur 100 000 RM. Abgesehen davon, daß einzig die Nationalsozialisten davon profitieren können, gehören der Reichsschrifttumskammer 11 000 Schriftsteller an, daher reichen die erwähnten Summen sowieso nur für eine sehr begrenzte Zahl von Privilegierten. Anhand der - in offiziellen Statistiken angegebenen - Auflagenhöhen lassen sich die normalen Einnahmen der Schriftsteller errechnen. Die mittlere Auf212

lagenhöhe eines Romans beträgt 3 000 Exemplare. Maximal 10 Prozent des Kaufpreises für jedes verkaufte Exemplar bekommt der Schriftsteller als Honorar. Im Durchschnitt kostet ein Buch schätzungsweise 3,35 RM, und etwa 1500 Exemplare werden in einem Jahr verkauft. So kann der Autor also durchschnittlich 500 RM im Jahr an einem Buch verdienen. Die Deutsche Allgemeine Zeitung mußte daher eingestehen, daß im Dritten Reich gegenwärtig nur noch sehr wenige Schriftsteller vom Verkauf ihrer Bücher leben können. Viele Schriftsteller sind deshalb dazu übergegangen, Bücher nur noch nebenbei zu schreiben, sie stellen sich auf praktische Berufe um oder versuchen, Artikel in Zeitungen unterzubringen. Allerdings ist die Zahl der Zeitungen und Zeitschriften spürbar gesunken, und die Honorare überschreiten selbst bei größeren Arbeiten und bei angesehenen Zeitungen kaum 3,50 bis 10 RM." 4 1 Anschließend bekundeten die Verfasser ihre Solidarität mit den von den Nazis eingekerkerten und verfolgten Schriftstellern. Sie wandten sich gegen die Vernichtung einer unabhängigen Wissenschaft, gegen die Verbannung von Freiheit und Humanismus aus der Literatur, gegen die Vergiftung des deutschen Volkes durch rassistische Propagandawerke.

Worte der Ergebenheit Das Neue Reich und sein kulturelles Erbe

1. Die Bestimmung

durch den rassischen

Ursprung

Bekanntlich haben die Nazis die Juden aus dem kulturellen Leben in Deutschland ausgeschaltet. Das ist in literaturgeschichtlichen A r beiten dieser Zeit mit Argumenten, die sich den Anstrich von Wissenschaftlichkeit gaben, gerechtfertigt worden. So behauptete ein gewisser Gerhard Köhler in der Zeitschrift Neues Volk, die ursprünglich aus dem Osten und Kleinasien kommenden Juden hätten eine anatomische Fehlbildung des Mundes, die sie daran hinderte, korrekt deutsch zu sprechen, und folglich schrieben sie zwangsläufig immer einen mehr oder weniger „verjudeten" Stil. 4 2 In einem Buch, das die angebliche Vorherrschaft der Juden in der deutschen Literatur zwischen 1 9 1 8 und 1 9 3 3 behandelte, erklärte Wilhelm Stapel auf ähnliche Weise die Tatsache, daß viele Juden Literaturkritiker geworden sind: „Wenn der Jude auch von Kindheit an die deutsche Sprache gebrauchte und in ihr alles ausdrücken konnte, was er w o l l t e , so blieb doch diese Sprache immer ein Leben, das nicht aus der jüdischen Substanz, der jüdischen Seele und dem jüdischen Körperbau, hervorgegangen war. Darum konnte für ihn die Sprache immer nur ein m i t t e l b a r e r (indirekter) Ausdruck, niemals ein u r s p r ü n g l i c h e s A u s s t r ö m e n seines Lebens sein. Er konnte mit Geschick, und vielleicht mit großem Geschick, den Rhythmus und Klang v o r gedichteter deutscher Dichtung n a c h zudichten suchen und auf diese Weise eine mittelbare Wirkung auch auf den Deutschen erzielen, aber er konnte sich nicht naiv äußern, weil ein naives Ausströmen seiner Seele an der Inkongruenz der sprachlichen Mittel scheitern mußte. Er konnte immer nur eine g e l e r n t e Vollkommenheit statt einer g e w a c h s e n e n Vollkommenheit zustande bringen. Sobald er u n m i t t e l b a r aus der eigenen Seele zu bilden versuchte, mußte die Inkongruenz des Ausdruckes peinlich offenbar werden. Daher war der jüdische Dichter zur R e f l e x i o n über die Dichtung gezwungen. Er beschäftigte sich kritisch mit der Dichtung, um das Vorbild, sei es durch besonderen Geschmack, sei es durch besondere Wendungen des Geistes, zu überbieten. So ergab es sich, und zwar unvermeidlich, daß der Jude, der sich der deutschen Dichtung widmete, sowohl K r i t i k e r wie 214

A r t i s t wurde. Die Vereinigung von Kritikertum und Artistentum ergab den Typ des L i t e r a t e n . Da die jüdischen Dichter nicht werden konnten, was sie gern gemocht hätten: deutsche Dichter, wurden sie Literaten. Die Kritik aber ist die wahre Domäne des Literaten. So rückten denn die Juden a l s L i t e r a t e n in die Stellungen der Kritik ein." 43

Diese schon vor der faschistischen Machtergreifung bestehende, an rassischen Kriterien orientierte Richtung setzte sich nach 1933 in den Hochschulschriften durch. Ein angesehener Hochschullehrer wie Heinz Kindermann begründete 1939 den Zusammenhang von Nazistaat und den neuen künstlerischen Wertmaßstäben: „Nur das Kunstwerk darf uns als wertvoll gelten, das auf den Empfangenden (sofern er ein .Empfänglicher' ist) seelisch wandelnd oder vertiefend, willenstärkend oder mutschenkend wirkt. Und [. . .] natürlich nur wandelnd und vertiefend, willenstärkend und mutschenkend in einem Sinne, der dem Wesen dieser Volksganzheit, dem Wesen also des Volkhaften nicht widerspricht."4'1

Noch entschiedener war Hellmuth Langenbucher, der verlangte, daß die Treue zur Volksgemeinschaft zum entscheidenden Qualitätskriterium erhoben werden sollte: „Der Dichter erhält seinen Auftrag von den Lebensnotwendigkeiten seines Volkes, und er hat, wie alle anderen, dem Volk zu dienen. Erfüllt er diese Forderung nicht, geht von dem Gehalt seiner Dichtung keine aufbauende Wirkung auf das Leben der Volksgemeinschaft aus, so verliert diese für uns an Bedeutung, auch wenn sie formal noch so vollendet ist." 4 5

Im einzelnen zwar etwas modifiziert, grundsätzlich aber ebenfalls an rassischen Kriterien orientiert, erfreuten sich die Arbeiten von Josef Nadler eines großen Ansehens. Josef Nadler, Professor an der Wiener Universität, hat übrigens seine Literaturgeschichte immer den jeweils gegebenen Umständen angepaßt. Eine Untersuchung ihrer Varianten zwischen 1920 und 1945 würde die sich verändernden Beziehungen zwischen Literatur und deutscher Gesellschaft offenbaren. Allerdings hat sich Nadlers methodisches Grundprinzip, das schließlich auch die Anpassung an das faschistische Konzept ermöglichte, nie geändert. Diese Methode erklärte die literarischen Schreibweisen aus der Stammesherkunft der Schriftsteller. D a s geistige Leben in Deutschland war - nach Nadler - Produkt jener Elemente, aus denen sich der deutsche Volkskörper zusammensetzte. Dazu gehörten: Im Osten die Siedler; im Westen das Rheinland mit seiner französischen Artverwandschaft; im Norden die germanischen Vettern, die Angelsachsen. Der deutsche Geist habe sich im Osten, vor allem in Preußen 215

und Schlesien geformt, aber auch jeder andere Raum habe seine Besonderheiten eingebracht: - Die Dichter und Denker im Osten befanden sich in der Auseinandersetzung mit Polen als ständigem historischem Problem. - In Niedersachsen herrschte ein tiefes religiöses Gefühl. Die Rückkehr zur Natur und zum bäuerlichen Leben ging von diesem Raum mit einer vorwiegend bäuerlichen Bevölkerung aus; zugleich entwickelten sich hier die besonders tiefen Bindungen zum Germanischen. - Die Einflüsse des nahen Frankreich prägten die Besonderheiten des Rheinlands. Die Literatur spiegelte die dort vor sich gegangenen dramatischen Ereignisse wider, so etwa Stefan George, den Nadler zum frühen Verkünder des Dritten Reiches und der Führeridee machte; so auch Binding, Strauß und Gmelin, die sich thematisch ausführlich mit Problemen von Krieg und Vaterland auseinandersetzten. Trotz aller Besonderheiten bilde die deutsche Literatur dennoch eine innere Einheit, die Nadler so definierte: „Die große deutsche Dichtung aller Zeiten kreist um das Gottgeheimnis der Welt. Sie ist eine Dichtung der Gottsucher, der Gottesprediger und Glaubenserneuerer. Urbäuerliche Triebe lassen in ihr das Mysterium der Natur und Gottes ineinander verschwimmen. Dieser Gottnaturdienst in all seinen gedanklichen, gefühlsmäßigen, kultischen Abstufungen beherrscht die ganze deutsche Lyrik."4®

Das wichtigste für Nadler - wie auch für Hitler, Goebbels und Rosenberg - ist die Übereinstimmung der deutschen Literatur mit den Idealen der Volksgemeinschaft: „Es ist der Staat, der den Dichter aus der ichbezogenen Einsamkeit seiner G e fühle in eine Mitwelt reißt, w o Teilnahme an gemeinsamen Freuden und Schmerzen höchstes sittliches Gesetz ist. D e r Dichter mag diese Mitwelt wie immer nennen, es ist der staatliche Verband der wahren Notgemeinschaft, an dem diese Gemeinschaft unmittelbar und gegenständlich erlebt wird. D e r Künstler ist seinem innersten Wesen nach auf leidende Schau der W e l t gerichtet, auf ein Erlebnis, das ihn über die Dinge hinausrückt. Es ist der Staat, der ihn v o r öffentliche Entscheidungen stellt und ihn zwingt, die ewige Gültigkeit seiner Gedichte an der Wirklichkeit zu bewähren. Staat ist frei gewählte, weil jederzeit widerrufbare Unterwerfung unter eine Schicksalsgemeinschaft. Staat begründet geschichtliches Bewußtsein. Staat schafft Ideen und setzt Ziele der Verwirklichung."

Auf einer Konferenz Buchhandel, Literatur und Nation, die am 11. November 1932 - also noch vor der Machtergreifung - stattfand, formulierte Nadler bereits jene Kriterien, die die Nazis später im Umgang mit nichtarischen Autoren praktizierten und für den Literaturunterricht an den Universitäten verbindlich machten: 216

„Kunstwerke, die sich gegen die anerkannten Werte einer Gemeinschaft wenden, sie leugnen oder schmähen, sind für diese Gemeinschaft keine Kunstwerke. Es gibt kein Kunstwerk, wenn es nicht die drei Ehrfurchten Goethes hat: die Ehrfurcht vor dem, was über uns ist, was um uns ist, was unter uns ist. Jede Gemeinschaft hat die Literatur, die sie duldet. Erziehung zur Gemeinschaft ist Erziehung zu den Werten, die diese Gemeinschaft setzt. Erziehung zur Kunst ist Gemeinschaftserziehung, weil keine Kunst außerhalb der Gemeinschaft bestehen kann. Es ist die Gemeinschaft, die im Kunstwerk und im Buch ihre Werte setzt." 47 1 9 3 9 brachten d i e Cahiers

fratico-allemands

e i n e n Ü b e r b l i c k über

n e u e literarhistorische A r b e i t e n . N a d l e r s m e t h o d i s c h e s

Herangehen

w u r d e auf S. 3 3 7 mit g e w i s s e n V o r b e h a l t e n beschrieben: „Er unterscheidet auf dem deutschen Territorium die ,Altstämme' im Westen und Süden sowie die .Neustämme' im Norden und Osten. Nach Nadlers Theorie, die umstritten ist, entwickelten sich die deutsche Literatur und der deutsche Geist entsprechend den ethnischen Elementen: Die .Neustämme' im Osten brachten das romantische Ideal ein, während die .Altstämme' das klassische Ideal vervollkommneten. Diese These ist als Ganzes zwar verständlich, aber wenn es darum geht, Epochen abzugrenzen oder die Dichter einzeln Gruppen zuzuordnen, dann ergeben sich Schwierigkeiten. Je näher Nadler der Gegenwart und ihrer Vielschichtigkeit kommt, desto mehr sind die Konsequenzen dieser geographischen Unterscheidung spürbar."

2. Rückkehr

zu den bäuerlichen

lugenden

(Siehe S. 1 4 0 - 1 4 2 )

In d e n T h e o r i e n der N a z i s (besonders im U m k r e i s v o n R o s e n b e r g , H e l l m u t h L a n g e n b u c h e r u n d A r n o M u l o t ) erscheint d i e bäuerliche W e l t als Q u e l l der g e s u n d e n L e b e n s k r ä f t e eines V o l k e s . N a c h A r n o M u l o t rührt der kulturelle V e r f a l l D e u t s c h l a n d s v o n der städtischen Z i v i l i s a t i o n i m S ü d e n her, der N o r d e n d a g e g e n h a b e d i e Z e u g n i s s e einer g e r m a n i s c h e n V o l k s k u l t u r in erstaunlicher E i n h e i t l i c h k e i t wahrt. H e l l m u t h L a n g e n b u c h e r erklärte selbst d e n B e g r i f f

be-

„volk-

h a f t e Literatur" aus jener mystischen V e r w u r z e l u n g i m H e i m a t b o d e n : „Das Bewußtsein des gemeinsamen Blutes und Schicksals und des dadurch ganz natürlich sich ergebenden Auftrags schaffen im Dichter die innere Haltung, die entscheidender ist als Stoff und Form. Denn nur diese Haltung bietet die Gewähr dafür, daß Stoff und Form zu der Einheit eines Kunstwerkes verschmolzen werden, das wir als ,volkhaft' empfinden, weil es Ausdruck des innersten Seins unseres Volkes ist." 48 D i e deutschen Literaturgeschichten dieser Z e i t e r h o b e n f o l g e r i c h t i g d i e A u t o r e n der B a u e r n r o m a n e z u d e n G r ö ß t e n der G r o ß e n : G u s t a v 217

Frenssen, Friedrich G r i e s e , E m i l Strauß als Vertreter der a l t e n G e neration n e b e n

den jüngeren A l b e r t B a u e r ,

Heinrich

Eckermann,

K a r l H e i n r i c h W a g g e r l . A u c h d i e M a l e r e i w u r d e in d i e s e bäuerliche T r a d i t i o n e i n g e o r d n e t , u n d H a n s T h o m a a v a n c i e r t e z u m Musterbeispiel s o l c h e n R e g i o n a l i s m u s . D i e Cabiers

franco-allemands

schrieben

i m Januar 1 9 3 6 : „Hans Thoma vereint in sich alle Qualitäten, die ihn zum Vorbild für die Malerei des Dritten Reiches prädestinieren: Bauernsohn, großer Naturfreund, tief im Mutterboden verwurzelt, von den Snobs verachtet, durch sein Werk mit dem Volk verbunden . . . bis hin zu seinen Illustrationen für Bauern- und Handwerkerkalender. Niemals war er ein Verfechter des l'art pour l'art. Unter seinem Pinselstrich verwandelt sich jede Landschaft (und was hat er für Landschaften geschaffen!), jedes Kind, jeder Baum, jedes Tier in ein Symbol, ein Rätsel, ein Bild des zeitlosen Lebens." 49

Die Macht der deutseben Sprache 1. Hitlers

Reden

- Faszination

durch

Demagogie

Für d i e N a z i s hatte d i e Sprache e i n e m a g i s c h e K r a f t . W e r sie überz e u g e n d zu h a n d h a b e n w u ß t e , beherrschte d e n Zuhörer. E i n e

An-

sprache z u H i t l e r s G e b u r t s t a g n a h m H a n n s Johst z u m A n l a ß , u m das b e s o n d e r e R e d n e r t a l e n t des Führers z u rühmen. In d e n Neuesten

Nachrichten

Münchner

v o m 2 0 . A p r i l 1937 h i e ß e s :

„Adolf Hitler wird von den dem deutschen Wesen fremden Elementen, der sogenannten Weltmeinung, gern als Tyrann verzerrt, nur weil sie das Wort, den Spruch, den An-Spruch dieses Mannes in seinem tiefsten Grund, in seinem Anlaß, seiner Begründung nicht verstehen — einfach, weil sie unfähig sind, deutsch zu verstehen. Adolf Hitler spricht deutsch, nur deutsch - er meistert das Deutsche, und darum ist er der Führer nicht nur aller Deutschen, sondern das Deutsche schlechthin wird von ihm angezogen und überwältigt. Durch seine Kraft wurde der früher zentrifugale Deutsche eine neue Einheit, ein neues Kraftfeld. Die Welt wird sich mit diesem ,Deutsch' auseinandersetzen müssen, wie sie sich mit Martin Luther, dem ewigen Deutschen, auseinandersetzen mußte. Der Anspruch, den Adolf Hitler an die Welt stellt, ist gar kein machtpolitischer, brutal aggressiver - Adolf Hitler erstrebt keine Propaganda, keine Mission für machtpolitische Belange, nein, er stellt nur kulturpolitische, deutsche Gewissensforderungen fest. Er spricht deutsch, nur deutsch - das heißt, er spricht nur zu allen Deutschen in der Welt. Aber dieses tut er unerbittlich - er spricht zu allen Deutschen. Seine Sprache ist der unerhörteste Appell eines Deutschen, den die Welt je hörte." 218

2. In der Volksseele

verwurzelt

D i e m a g i s c h e K r a f t der Sprache w a l t e auch im Inneren aller w a h r h a f t deutschen D i c h t u n g , b e h a u p t e t e A r n o M u l o t u n d

konstruierte

e i n G e f l e c h t v o n U r s a c h e - W i r k u n g - B e z i e h u n g e n , das d i e literarische Wertung unvermeidbar bestimme: „Der deutsche Dichter ist heimgekehrt zu seinem Volk. Was er in der Gnade dieser Begegnung empfängt, schenkt er ihm in der deutschen, volkhaften Schau der Welt und Gottes wieder. Das Volk aber erkennt sich wieder in seiner Dichtung. Dichtung wird Lebensmacht; ihre Sprache, aus der Gemeinschaft geboren, schafft neue Gemeinschaft. Der Ring schließt sich: aus Begegnung wir Offenbarung, aus Offenbarung wird Anruf, aus Anruf wird Tat. Volkhafte Dichtung, der völkischen Wiedergeburt verpflichtet, wirkt ewiges Volk." 5 0 Z u einer ähnlichen E i n s c h ä t z u n g g e l a n g t e Fritz v a n Briessen, als er die F u n k t i o n des D i a l e k t s a m B e i s p i e l der W e r k e v o n E m i l Strauß analysierte. I n d e n Cahiers

franco-allemands

schrieb er i m Januar 1 9 3 7 :

„Dieses Werk wurzelt in der lebendigen Volksseele. Aus ihren Quellen schöpfte es Märchen und Legenden, hier fand es Helden und Heilige, es wurzelt in der deutschen Erde, im Mutterboden und der aus ihm geborenen Sprache. Der Dialekt, vor allem der alemannische, ist bei Emil Strauß kein gewöhnliches Sprachmittel, um Gedanken und Reden seiner Figuren auszudrücken, sondern ein gehobenes Gestaltungselement; er schafft das eigentliche Wesen, die lebendige Atmosphäre und ist ein ständiges Begleitmotiv. Die derben Wörter, die ausdrucksvollen bäuerlichen Redewendungen sind seiner Sprache harmonisch einverleibt." E b e n f a l l s 1 9 3 7 , z u m G e b u r t s t a g Hitlers, entwarf G o e b b e l s in den Münchner

Neuesten

Nachrichten

ein Porträt, in w e l c h e m H i t l e r bis

hin zu seiner Sprache als V e r k ö r p e r u n g der „ S t i m m e des

Volkes"

erschien: „Es gibt Männer, die achtet, und es gibt Männer, die verehrt das Volk. Höchstes Glück aber einer geschichtlichen Persönlichkeit ist, von einem Volk geliebt zu werden. Und der stolzeste Ruhm eines Mannes besteht darin, mit seinem Volke so verbrüdert und eins zu sein, daß er zu jeder Stunde und in jeder Situation in seinem Namen sprechen kann. Das ist beim Führer der Fall. E r ist in der Tat der Träger des deutschen Nationalwillens. Aus seiner Stimme spricht die Stimme des Volkes."

219

Kennzeichen der faschistischen Literatur in Deutschland 1. Begeisterung

für starke und gesunde

Helden

Hitler interpretierte den Nationalsozialismus als heldische Weltanschauung, um in seinem Namen Opferbereitschaft bis zum Tod im Dienste der Volksgemeinschaft zu mobilisieren. So verstandenes Heldentum fand seine Krönung im Kampf und im Krieg. Selbst die Schriftsteller sollten - wie schon gezeigt - „Soldaten" sein. D i e Mitglieder der Nazipartei hatten selbstverständlich „Kämpfer" zu sein. In seinem profaschistischen Buch Panorama de L'Allemagne actuelle (1941) charakterisierte Claude Grander den neuen „Realismus" in der Literatur des Dritten Reiches. Primär formulierte er dabei eine Gegenposition zu jedweder Kunst, die sich - wie auch immer als unabhängig oder autonom verstand: „Auch die Kunst muß der sozialen Sache dienen, indem sie ein moralisches Erziehungsziel verfolgt und dem Volk hilft, sich seiner selbst, seiner Natur und Rasse, bewußt zu werden."

Folglich mußten den Lesern entsprechende positive Leitfiguren vorgesetzt werden: „Der Held in der Kunst ist nicht mehr das problematische gequälte Individuum, das seine Leiden vorträgt, es ist der starke und gesunde Held, der seine Siege oder auch seine Niederlagen verkündet, aber immer in einem heldischen Geist." 51

2. Von Blut und

Boden

Eine ganze literarische Richtung stand im Zeichen der „nordischen Wiedergeburt". Ihre Hauptvertreter waren Hans Friedrich Blunck, Moritz Jahn und Will Vesper. Letzterer rechtfertigte 1931 das Sujet eines seiner historischen Romane folgendermaßen: „Das Blut strömt, ein unversiegbarer Strom, von der ältesten Zeiten zu uns her. Und so leben in den fernsten Geschlechtern der Väter auch schon wir, und in uns leben heute und gegenwärtig sie, von denen wir stammen, deren Blut in uns fließt, auch nicht als unser Eigentum. Sondern wir sind wie das Flußbett, durch das der ewige Blutstrom dahinbraust, von den Vätern bis zu unseren Kindern und Enkeln bis in die fernste Zukunft. In beiden sind wir zu Hause und nicht nur in der kurzen Spanne der Gegenwart, und wenn wir der Väter gedenken, so lauschen wir in Wahrheit nur den dunklen Stimmen des eigenen Blutes und ahnen erschüttert ein wenig von dem Geheimnis des Menschen und des Lebens." 52

220

3. Auch

„Arbeiterliteratur"

Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, als die revolutionäre Tradition sozialdemokratischer Dichtung kaum Fortsetzung fand, hat die Mehrheit der aus der Arbeiterklasse stammenden oder der Arbeiterbewegung verbundenen Schriftsteller die Politik der opportunistischen Führung der Sozialdemokratie unterstützt. Zu ihnen gehörten Heinrich Lersch und Karl Bröger. Ihre Gedichte hatten einen nationalistischen oder eindeutig proimperialistischen Zuschnitt, besonders während des Krieges, und waren von einer sozial unbestimmten, die Klassenwidersprüche verschleiernden Ideologie beherrscht. 53 Nach 1933 haben diese „Arbeiterlyriker" den deutschen Faschismus offen oder versteckt gebilligt. Ein großer Teil ihrer Texte - sofern sie politisch indifferent waren - wurde von den Nazis vereinnahmt, um dem Dritten Reich einen sozialen Anstrich zu verleihen; sie erschienen in zahlreichen Anthologien. Karl Bröger, der selbst einige Zeit im Konzentrationslager Dachau inhaftiert war, hatte das makabre Vergnügen, seine vertonten Gedichte im Nazirundfunk gesungen zu hören. 1936 brachten die Cahiers franco-allemands auf S. 258 f. einen Nekrolog für Heinrich Lersch, in welchem zugleich verallgemeinernde Feststellungen über diese Art von „Arbeiterlyrik" getroffen wurden: „Die geistigen Kräfte der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland haben ihren deutlichsten und künstlerisch wertvollsten Ausdruck in der Arbeiterlyrik gefunden. Diese Lyrik ist in Frankreich kaum bekannt, sie ist jedoch viel aussagekräftiger als die Ergüsse einiger Intellektueller, die sich anmaßen, die Arbeiter darzustellen. Sie zeugt von innerem menschlichem Reichtum und bekennt sich gleichzeitig zur Schaffenskraft der Arbeiter und zum neuen Anliegen der deutschen Lyrik. Nach so vielen Jahren, in denen neue Wege für die literarische Produktion gesucht wurden, gelang es der Arbeiterlyrik, die elementaren Kräfte der Seele wieder zu gestalten. Ewiges Wunder unserer so verschiedenartigen Kultur - die wirklichen schöpferischen Kräfte erwachen gerade in dem Augenblick, wo die Kultur sich selbst zu zerstören scheint 1 Weit entfernt von jedwedem Manierismus wandten sich die Arbeiterschriftsteller, im Krieg gestählt und von der morbiden bürgerlichen Zivilisation abgestoßen, gegen die Welt der Technik und machten sich zum Verkünder neuer lebendiger Werte. Diese fast religiöse Reinheit und die gedankliche Tiefe gaben der deutschen Lyrik einen unerwarteten Aufschwung. Zu ihren Besten, auf die Deutschland stolz sein konnte, gehörte Heinrich Lersch, dessen Verlust wir heute beklagen."

Ebenfalls in den Cahiers franco-allemands (1937, S. 383-387) schrieb Karl Heinz Bremer in einer Studie über August Winning: 221

„Lange der Sozialdemokratie angehörend, ist er doch ein waschechter Nationalsozialist. Bei Winnig beruht die Haltung zum Nationalsozialismus auf Lebenserfahrung, er ist für ihn eine Synthese von deutscher Seele und Lebensform; denn keineswegs sind die Einzelheiten eines starren Programms das Wichtige am Nationalsozialismus, der ja selbst den Rahmen eines engen Dogmatismus sprengt. Der Weg eines deutschen Arbeiters, der die Morgenröte der sozialistischen Bewegung anbrechen sah, einer der führenden Köpfe der Arbeiterorganisation wurde, dann das große Ideal von einst schwinden sah, sich angewidert von der Politik abwandte und nun zu den Ursprüngen des Vaterlands zurückkehrte, um nur noch den Weg der Pflicht und des Kampfes für eine neue Gemeinschaft zu gehen, alles das hat - über die Persönlichkeit von Winnig hinaus - symbolische Bedeutung: Sein Weg ist nicht nur der eines einzelnen deutschen Arbeiters, sondern der dornenreiche Pfad aller Arbeiter an dieser Jahrhundertwende. Er ist der Spiegel unserer innneren Kämpfe, unserer Gewissensfragen, unserer deutschen Seele, deren unzerstörbare Treue und lebendige Kräfte sich gerade in der Not zeigten. In der Person von Winnig erleben wir, wie die Volksgemeinschaft im Verlaufe jener Jahre reifte, die das Schicksal Deutschlands entschieden. Deshalb sind seine Bücher für uns von großem Interesse; sie führen uns zu uns selbst und zeigen uns den Weg, den wir gehen müssen."

4. Das Theater und seine

Unterdrückungsfunktion

Die Nazis machten das Theater zu einer Kultstätte im Sinne ihrer politische Ziele. Sei es nun vordergründiges Propagandatheater, seien es sogenannte Volksschauspiele oder unterhaltende Stücke, immer kam es auf den ideologischen Nutzen an. Zynisch gab man beispielsweise zu, daß das Wehrmachtstheater eine notwendige Entspannung für die Soldaten bereithalte, die sie die Leiden der Front vergessen machen und für kommende Kämpfe Kraft schöpfen lassen sollte. Ganz im Ernst betrachteten daher manche Nazikritiker den Krieg gewissermaßen als Stimulanz theatralischer Schöpfung, besonders für das komische Genre, denn die Soldaten verstünden sich auf Humor! Im volkstümlichen Freilichttheater, dem sogenannten „Thingspiel"; wurde die „Volksgemeinschaft" mit großem Aufwand geprobt. Der Dramatiker Richard Euringer erläuterte die Grundprinzipien des Thingspiels am 20. Juli 1934 im Völkischen Beobachter: - ein Theater, das nicht wie die gewöhnlichen Freilichttheater Nymphen, Feen und Nixen bemüht, sondern in welchem das Volk selbst zum Akteur wird; ebenso nicht mehr Beschwören einer legendären Vergangenheit, sondern der Alltag selbst wird zur Sage; keine 222

mythologischen Sujets mehr, sondern aus den alltäglichen Problemen entsteht der Mythos; - die Schauspieler bleiben anonym, einzig dem Volk gebührt der Ruhm; - Opferbilder sowie Opferhandlung, Ehrung der Opfer durch das Volk schaffen einen neuen kultischen Geist; - keine Kunst, sondern ein an geweihten Stätten (historischen Orten) ausgeübter Kult. 1933 ließ Otto Laubinger verlauten, 400 Theatereinrichtungen dieser Art seien vorgesehen; aber bereits 1935 präzisierten die Behörden, daß sich nur 25 im Bau befänden. In Heidelberg konnte der ehemalige Expressionist Kurt Heynicke mit dem wegen seiner politischen Didaktik begrüßten Stück Der Weg ins Reich einen gewissen Erfolg verbuchen; insgesamt jedoch bewährte sich das Thingspiel nicht. Der letzte größere Versuch wurde 1936, anläßlich der Olympischen Spiele, mit der Gründung der Dietrich-Eckart-Bühne in Berlin gemacht, die mit einem „Spiel" von Eberhard Wolfgang Möller eröffnet wurde. Hatte Goebbels 1934 diesen Theatertyp zunächst gefördert (er beriet mit etwa 40 Schriftstellern über ein entsprechendes Repertoire), so wurden die Versuche 1937 endgültig eingestellt. In seinem während des Krieges erschienenen Buch Arne et visages de l'Allemagne (1943) widmete der französische Hochschullehrer Ernest Klein, der Hitlerdeutschland in der Gefangenschaft kennengelernt hatte, der Literatur und den Künsten ein kurzes Kapitel. Sein Bemühen um Objektivität geriet dabei - wie folgender Abschnitt über das Theater (S. 157) beweist - fast zur Apologie: „Wenn es auch wenig gute neue Stücke gibt, so sind doch die Inszenierungen von beachtlicher Reife. Die Schauspielhäuser in München, Berlin, Frankfurt, Leipzig sowie die Bayreuther Festspiele haben ein außerordentliches Niveau. Ein interessanter Versuch sei hervorgehoben: die Erneuerung der Theaterkunst, die von zahlreichen Freilichttheatern in Angriff genommen wird. In Frankfurt am Main beispielsweise dient die wunderbare Fassade des Rathauses - der Römer — als natürliche Kulisse für Stücke wie Goethes Egmont. Die großen Volksszenen, das subtile und bewegende Wechselspiel von nächtlicher Dunkelheit und dem Licht der Scheinwerfer geben dem Schauspiel eine Größe und eine ungemeine emotionale Ausstrahlung. Ganz gewiß hat die deutsche Theatertechnik der Regie und der Inszenierung Neuerungen von hohem Kunstwert zur Verfügung gestellt."

223

Einige Beispiele 1. Huldigungen

für den Führer

Viele Autoren - NSDAP-Mitglieder oder nicht - schrieben Verse zu Ehren Hitlers. Dabei handelte es sich weniger um politische als um religiöse Dichtung. Der Führer erschien als neuer Christ oder als Gott selbst. Es sei denn, daß Gott - wie bei Hermann Claudius - als Beschützer des Führers angerufen wurde: „Herrgott/steh dem Führer bei,/daß sein Werk das deine sei,/daß dein Werk das seine sei,/Herrgott/steh dem Führer bei! Herrgott/steh uns allen be,/daß sein Werk das unsre sei,/unser Werk das seine sei./Herrgott/ steh uns allen bei!"

Heinrich Anacker, dem Preisgedichte dieser Art besonders lagen, besang die Größe des in Angriff genommenen Werks: „Es ragt dein Werk, so wie die Dome ragen ¡/Gebaut für eine deutsche Ewigkeit,/Wird es die Kunde dieser hohen Zeit/Bis zu den Enkeln unserer Enkel tragen." usw.

Wolfram Brockmeier legte dem Führer ein ganzes demütiges Volk zu Füßen: „Wir alle stehen für den Mann,/Der Deutschland neu erschaffen ¡/Er rief uns auf, wir traten an,/Und, was undenkbar schien, begann :/Es wuchs ein Volk in Waffen. Nun trägst D u , Führer, unser Los,/Das Los der deutschen Lande./Ob wir vergehen namenlos,/Gilt nichts, steigt rein und makellos/Großdeutschland aus dem Brande. Nun blickt ein ganzes Volk auf Dich/In Liebe und Vertrauen./Du tratest einstmals ein für mich,/Nun tritt ganz Deutschland hinter Dich,/Das neue Reich zu bauen. Und was auch kommt: Dein Volk bekennt/Zu Dir sich stets und ständig./ Du bist die Glut, die in uns brennt ;/Wenn einer von uns Deutschland nennt,/ Bist du in ihm lebendig!"

2.

Opferhymnen

D i e Aufforderung, sich für Deutschland und den Führer zu opfern, spielte in der Nazipropaganda insgesamt, besonders aber bei der Mobilisierung der Jugend, eine große Rolle. Gedichte taten das ihre dabei, wie etwa folgendes von Herbert Böhme: 224

„Morgenrot, Deutschland!/Mit wachsender Glut/trink unser junges, fieberndes Blut, raffe dich auf, ein einziger Schrei:/tot oder frei! Morgenrot, Deutschland I/Wir fassen Tritt,/gib deinen Namen als Fahne mit,/ und über Ströme, Städte und Land/weht sie, ein Brand! Morgenrot, Deutschland !/Gott steht im Licht,/Recke dich auf, sonst sieht er dich nicht./Führe dein Volk zu Pflug und Altar,/daß wieder wird, was einstmals war:/Morgenrot Deutschland!"

Ein anderes Beispiel ist folgendes Kampflied von Heinrich Anakker, in dem die Soldaten mit olympischen Läufern verglichen werden, die die Flamme, die nicht erlöschen darf, von einem zum anderen weitergeben: „Die Fackel geht von Hand zur Hand -/Wenn einem sie der Tod entwand,/ nimmt sie der nächste wieder auf;/der flammende Stafettenlauf/geht weiter . . . Die Zeit rinnt schnell, und niemand frägt,/wie lang die Fackel jeder trägt./ Nur daß sie rein und leuchtend brennt,/und daß in ihr ein Herz mitbrennt,/ist wichtig. So tragen denn auch ich und du/die Fackel fernen Zielen zu/ein kleines Stück. Mag hell sie lohn!/Vor uns im Dunkel warten schon/die andern!"

3. Das mobilisierende

Theaterstück

Das Journal des débats publizierte am 26. April 1933 folgenden lediglich mit den Initialen P. D. unterzeichneten - Bericht über die Berliner Aufführung von Hanns Johsts Schlageten : „Das Stück, das Hanns Johst über Schlageter geschrieben hat, wurde am Sonnabend, dem 21. April, erstmalig der Berliner Öffentlichkeit vorgestellt. D e r Generalprobe am Vortag, dem Geburtstag Hitlers, hatten einzig die Regierungsmitglieder und einige Tausend Braunhemden beigewohnt. Im langen und langweiligen ersten Akt Studenten Leo Schlageter -

Handlungsort ist die Stube des

zeigte der Autor, wie der ehemalige

Offizier

der kaiserlichen Armee, noch ganz im Banne der tragischen Erinnerungen an den großen Krieg stehend, zögert und es schließlich ablehnt, Sprengstoffanschläge auf Militärzüge und Eisenbahnlinien auszuführen. Die zögernde Haltung entsprach ganz und gar nicht dem Geschmack des Publikums. Als der Vorhang fiel, wurde nicht applaudiert. Im zweiten Akt karikierte Herr Johst einen sozialdemokratischen Regierungsbeamten, einen ehemaligen Arbeiter, der sich in seinem dem Protokoll entsprechenden Anzug ein wenig unwohl fühlte und durch seine zu roten Arbeiterhände gehemmt war. Die Zuschauer waren außer sich vor Schadenfreude; ihr brausender Beifall entlarvte die Ausflüchte des sozialdemokratischen Regierungsbeamten Schneider - groteske Widerspiegelung der sogenannten .Novemberverräter' - erst 15

Faschismus

225

recht als lächerliche Anmaßungen. Das ist die Vergangenheit. Der Autor führte uns in die Gegenwart und auch zum eigentlichen Kern des Stücks, indem er uns Zeugen einer dramatischen Begegnung zwischen einem alten, bereits pensionierten General und dem Reserveleutnant Leo Schlageter werden ließ. Nachdem er erst zu passivem Widerstand geraten hatte, ermutigte der General den jungen Mann in seinem Kampf gegen die französischen Okkupationstruppen. Meine Nachbarn im Zuschauerraum wurden frohgestimmt und spendeten Applaus. Im dritten Akt ist aus der Stube des Widerstandshelden das Hauptquartier der Saboteure geworden. Schlageter ist Bandenchef, und der Sohn des sozialdemokratischen Regierungsbeamten aus Düsseldorf gehört zu seinen engsten Mitarbeitern. Trotz des Engagements der Schauspieler schleppte sich die Handlung kläglich hin. Einige beleidigende Ausfälle gegen Frankreich brachten den Zuschauern gerade noch rechtzeitig ins Bewußtsein, daß sie endlich wieder ihre Genugtuung bekunden mußten. Der vierte Akt zeigt die Familie von Alexandra Thielmann, die gerade von der Verhaftung Schlageters und seiner Bande durch die französischen Behörden erfahren hat. In langen Monologen beklagt Professer Thielmann die nutzlosen Opfer des Weltkriegs. Der alte General, den das Amt für Propaganda glücklicherweise herbeigeführt hat, um diese defätistischen Reden zu beenden, widerlegt diese infame Behauptung des Professors sofort. Nun ist die bis dahin sehr schweigsame Verlobte Schlageters an der Reihe. Sie gründet ihr Wehklagen auf einen Satz, der Georges Clemenceau zugeschrieben wird: ,Es gibt 20 Millionen Deutsche zuviel.' Selbstverständlich wäre es ihr und dem alten General lieber, wenn es 20 Millionen Deutsche mehr gäbe, damit das große Abenteuer ein zweites Mal mit größeren Erfolgschancen gestartet werden könnte. Zweifellos wäre das auch Herrn Hitler lieber. Das Publikum trampelte erwartungsvoll mit den Füßen. Endlich klingelt das Telefon: Leo Schlageter wurde zum Tode verurteilt, weil er Eisenbahnschienen in die Luft gesprengt hatte. Nicht im geringsten scherte sich der Autor um die historische Wahrheit, denn tatsächlich hatte dieser vom nationalsozialistischen Deutschland gefeierte Held seine Aktion gegen einen Militärtransport gerichtet; das Attentat kostete dreißig französische Soldaten das Leben. Frankreich wird nach Wunsch beschimpft. Das französische Militärgericht ist ein unwürdiges Tribunal. Wir hören außerdem die unvermeidliche Litanei über die .große Nation', die das gute Deutschland, das makellos und mit reinen Händen dastehe, auf unwürdige Weise mißhandelt. Nichts wird ausgelassen - die Zusammenarbeit zwischen Herrn Johst und Propagandaminister Goebbels klappt prächtig. Dann wird die Szene dunkel, die Bühne dreht sich, und wir sehen das Schlußbild: die Exekution. Der Held dreht dem Publikum den Rücken zu, vor ihm, also auf dem hinteren Teil der Bühne, stehen die zwölf Soldaten des Exekutionskommandos. Leo Schlageter wird aufgefordert, sich hinzuknien; schließlich muß das alles ganz exakt sein. Die Deutschen haben bei Erschießungen von Spionen und Geiseln in Frankreich und Belgien genügend Erfahrungen gesammelt, um sich auch bei der Darstellung einer solchen Zeremonie

226

als talentierte Regisseure zu erweisen. Wenn die zwölf französischen Soldaten auf Schlageter schießen, dann schießen sie auch auf das Publikum, auf ganz Deutschland. So entsteht ein Symbol. Dieses schlechte Stück, von Künstlern gespielt, die ihr ganzes Können einsetzen, um die Schwächen des Autors zu kaschieren, ist aber auch ein Symbol für die geistige Haltung Deutschlands fünfzehn Jahre nach dem verlorenen Krieg. Es gehört zu einer ganzen Reihe von Werken in Theater, Literatur und Film, die - auf Befehl der Naziregierung geschaffen - die öffentliche Meinung anheizen und die Massen für ein noch nicht offen eingestandenes Ziel mobilisieren sollen." 4.

Nazilieder

D i e offizielle Hymne der SA war Deutschland erwache! mit einem Text von Dietrich Eckart und der Musik von Hans Gansser. D i e t rich Eckart gehörte zu Hitlers Freundeskreis und war schon seit den Anfängen der Nazibewegung eine exponierte Persönlichkeit. In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Auf gut deutsch, die er aufgab, als er 1921 Hauptschriftleiter des Völkischen Beobachters wurde, hatte er 1919 ein Gedicht mit dem Titel Feuerjo veröffentlicht. Auf Bitten der SA, der es an eigenen Liedern mangelte, nahm Eckart 1922 dieses Gedicht wieder auf und stellte ihm eine neue Strophe voran. D a s Lied erklang erstmalig 1923 auf dem Parteitag der N S D A P : „Sturm, Sturm, Sturmi Sturm, Sturm, Sturm ¡/Läutet die Glocken von Turm zu Turml/Läutet die Männer, die Greise, die Buben,/Läutet die Schläfer aus ihren Stuben ¡/Läutet die Mädchen herunter die Stiegen,/Läutet die Mütter hinweg von den Wiegen I/Dröhnen soll sie und gellen die Luftl/Rasen, rasen im Donner der Rachel/Läutet die Toten aus ihrer Gruft! -/Deutschland erwache!"55 usw. Außerdem galt auch das Horst-Wessel-Lied Hymne:

fast als offizielle

„Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen/SA marschiert mit mutig festem Schritt./Kam'raden, die Rotfront und Reaktion erschossen,/Marschier'n im Geist in unsern Reihen mit."56 usw. Selbstverständlich hatte die SA noch zahlreiche andere Lieder. Vier Zeilen sollen den Grundton vermitteln: „So steht die Sturmkolonne/Zum Massenkampf bereit/Erst müssen Juden bluten/ Erst dann sind wir befreit." D a s Lied der Hitlerjugend hatte Baidur von Schirach selbst geschrieben; es wurde von Hans-Otto Borgmann vertont: 15*

227

„Vorwärts! Vorwärts! schmettern die Helden-Fanfaren/ Vorwärts! Vorwärts! Jugend kennt keine Gefahren./Deutschland, du wirst leuchtend stehn,/Mögen wir auch untergeh'n./Vorwärts! Vorwärts! schmettern die Helden-Fanfaren/Vorwärts ! Vorwärts! Jugend kennt keine Gefahren./Ist das Ziel auch noch so hoch,/ Jugend zwingt es doch. Refrain: Unsre Fahne flattert uns voran/In die Zukunft zieh'n wir Mann für Mann./ Wir marschieren für Hitler durch Nacht und durch Not,/Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot./Unsre Fahne flattert uns voran./Unsre Fahne ist die neue Zeit,/Und die Fahne führt uns in die Gwigkeit./Ja, die Fahne ist mehr als der Tod!" 57

Wege der Unterwerfung

1. Das Glaubensbekenntnis

eines Erfolgsschriftstellers: Ewers

Hanns Heinz

Liebhaber der fantastischen Literatur, besonders in Frankreich, empfinden die Bücher von Hanns Heinz Ewers geradezu als klassischen Ausdruck des fin de siècle, also der sogenannten ,,Décadence"-Literatur. In gehobenen literarischen Kreisen Deutschlands allerdings wurde Ewers nie besonders geschätzt, schon gar nicht innerhalb der Avantgarde. E r galt in den zwanziger Jahren vielmehr als Skandalautor, der mit morbider und makabrer, die Fantasie des Lesers anstachelnder Thematik Geld zu machen suchte. Gemacht dämonisch und absichtlich ungesund, so beurteilte Heinrich Mann die Bücher von Ewers. Daher meinte Brecht auch, die Nazis hätten für die Horst-Wessel-Legende keinen besseren Biografen als Ewers finden können ; es gäbe keinen anderen Autor, der eine so große Einbildungskraft hätte wie dieser gewiefte Pornograf. 58 Trotzdem führte diese Biografie in Nazikreisen zu einem E k l a t , löste Polemiken aus, und 1935 erhielt Ewers Publikationsverbot. Man warf ihm vor, er habe gewisse, wenig attraktive Seiten aus dem Leben von Horst Wessel zu sehr betont und so dessen Andenken beschmutzt; Ewers, der ganz eindeutig zur Asphaltliteratur gehöre, habe es gewagt, sich an einem Helden des Nationalsozialismus zu vergreifen. D a s war der Preis, den Ewers für seinen Opportunismus zahlen mußte. Relativ spät, allerdings vor 1933, zu den Nazis gestoßen, glaubte Ewers mit der Geschichte von Horst Wessel ein zugkräftiges Sujet gefunden zu haben, das seinen Ambitionen entgegenkam. D e r berühmte Naziheld war bekanntlich Zuhälter. D i e Nazis wiederum hatten offenbar in einem so bekannten Autor wie Ewers einen G e winn für ihre Bewegung gesehen. Angeblich hatte sogar Goebbels die Biografie in Auftrag gegeben. Auf jeden Fall gewährte Hitler dem Autor Einsicht in seine Privatarchive und erleichterte ihm damit die Verwirklichung seines Vorhabens. Das Buch war übrigens dem Führer gewidmet. 229

Die wöchentlich erscheinende französische Zeitung Lu publizierte 1932 ein Hitler-Porträt von Ewers, dem folgende Zeilen - als Information für den Leser - vorangestellt waren: „Ewers, Autor des mystischen Romans Alraune, hat in Deutschland die hoch' sten Auflagen. Er gehört zur nationalsozialistischen Bewegung. Wir haben Hanns Heinz Ewers um diesen Artikel gebeten, um ein Hitler-Porträt von einem seiner leidenschaftlichsten Mitkämpfer zu bekommen. Ewers ist dieser Bitte in verbindlicher Weise nachgekommen."

Sollte der folgende Text nur französisch publiziert worden sein? Wie dem auch sei, trotz unserer Bemühungen haben wir keine deutsche Fassung auffinden können: „Als ich das erste Mal die Stufen zum Braunen Haus emporstieg, schlug mein Herz nicht stärker als gewöhnlich. Ich habe in all den Jahren in der ganzen Welt so viele große Menschen gesehen, Politiker, Erfinder, Künstler, Finanzleute und Industrielle, Persönlichkeiten, die den Einfluß auf Millionen Menschen hatten, daß mich so leicht nichts aus der Fassung brachte. Nicht der Wunsch, einen weiteren bedeutenden Zeitgenossen kennenzulernen, führte mich zu Hitler, sondern das ehrliche Anliegen, mich einem Menschen zur Verfügung zu stellen, der fast allein in Deutschlands tiefstem Unglück für unsere Freiheit kämpfte. Während ich wartete, überlegte ich: Was hat Hitler wirklich Großes geleistet? Gewiß, er hat es verstanden, aus dem Nichts eine große Bewegung zu schaffen; er hat es verstanden, Millionen Deutsche um sich zu scharen, für die sein Name zum Evangelium geworden ist. Aber war das alles wirklich sein Werk? Hatte nicht das unausweichliche Schicksal, hatten nicht die schrecklichen Zeiten diese Massen in Hitlers Arme getrieben? Adolf Hitler kam nicht mit Versprechungen. Er verlangte, er forderte, er bürdete seinen Anhängern schwierige Aufgaben auf: Er nahm ihre Ersparnisse bis zum letzten Groschen, ihre ganze Arbeit und selbst ihr Blut. In allen seinen Reden tauchte immer wieder ein Gedanke auf: . S e l b s t w e n n i h r f ü r Deutschland Euer Leben gegeben habt, dann habt i h r n o c h n i c h t s g e g e b e n ! ' Für ihn und seine Mitstreiter gab es nichts anderes als die Verpflichtungen gegenüber dem Volk - und ein einziges Recht: ihre Pflicht zu tun. So hatte Hitler zunächst ein Dutzend Männer um sich geschart, dann einige Hundert, dann Tausende und Millionen. Die eigentümliche Macht, die diese Persönlichkeit ausstrahlte, trugen seine Gefolgsleute ins Volk. Ich weiß nicht, ob dieser Mann immer so spricht, wie er mit mir gesprochen hat. Ich hatte den Eindruck, daß er mich mit einer intuitiven Sicherheit verstand. Sein Blick blieb einige Male in der Luft hängen, und ein Traum huschte über sein Gesicht - ein Traum, den wir Deutschland nennen. Und ich begriff: Dieser Mann war meinesgleichen, ein Dichter, ein Künstler, ein Träumer - ein Deutscher.

230

Das Herz vermag nichts ohne das Gehirn. Aber je klarer und einfacher ein Gedanke ist, um so mehr kommt er aus dem Herzen. Hitler ist ein Mann mit Herz, und sein Herz schlägt für Deutschland. Jemand, der nur Journalist ist, wird ihn niemals begreifen. Hitler hat nur eine einzige Liebe - Deutschland. Der Journalist wird lachen und sagen: ,Na und?' Aber das Volk versteht ihn und antwortet mit gleicher Liebe. Das ist das Geheimnis seines Erfolgs: Er spricht nicht einzelne Schichten an, sondern das ganze Volk. Hitler wendet sich gegen besondere und egoistische Interessen einzelner Gruppen; er will nichts hören von Sonderinteressen der Bauern und Arbeiter, der Künstler und Industriellen, der Religionen und der Klassen. Für ihn ist Klassenkampf ein Verbrechen gegen das Volk. E r k ä m p f t für die Seele des deutschen V o l k e s ! Anfangs hielten alle Politiker sein Vorhaben für den naiven Traum eines Geistesgestörten. Das deutsche Volk, gefesselt und gespalten wie kein anderes in der Welt, bis zum letzten Wähler durch Politik vergiftet (bis zu 90 Prozent gaben bei den zahlreichen Wahlen ihre Stimme ab), würde dieses Volk seine Klasseninteressen aufgeben können, um sich fest und stark zu vereinen? Man machte sich lustig über den Mann, der die Macht im Namen einer fantastischen Idee ergreifen wollte. Heute, wo klar ist, daß zwölf Millionen Menschen hinter ihm stehen, lacht keiner mehr. Viele politische Parteien wissen bereits, daß sie der Sturm des Nationalsozialismus hinweggeweht hat, andere zittern um ihre Existenz, versuchen noch, mit allen Mitteln wild zu kämpfen, aber auch sie werden fallen. Dieser Mann, der an seinen Traum glaubte, hat das Unmögliche möglich gemacht: Er hat die Deutschen gelehrt, sich als Deutsche zu fühlen. Er hat das zum Wohl Deutschlands und für die ganze europäische Zivilisation getan. Wenn Europa nicht die Beute des Bolschewismus geworden ist, dann verdankt es das zwei Männern: Benito Mussolini und Adolf Hitler." Dieser Artikel von Ewers ist über die Person des Autors hinaus aufschlußreich. Hier finden sich tatsächlich die entscheidenden Thesen, die viele deutsche Intellektuelle dazu gebracht haben, sich in dieser Zeit dem Nationalsozialismus anzuschließen : - die Faszination der außergewöhnlichen Persönlichkeit, des Individuums, das mit dem Gewöhnlichen Schluß macht, die Faszination des Übermenschen. Für Literaten wie Ewers gibt es hier übrigens eine Verbindung zum Ästhetizismus, zur Bewunderung des Schönen an sich; - die berühmte deutsche Seele, die auf Herz und Instinkt beruht; - das deutsche Vaterland als Negation sozialer Klassen; - der Antibolschewismus und die Angst vor dem Kommunismus. Mit Recht allerdings hat sich Hubert Juin in den Lettres

françaises

vom 29. Juli 1 9 7 0 gegen Auslegungen gewandt, die Ewers und seine 231

Bücher überhaupt zum Vorläufer des deutschen Faschismus stempeln, ohne die wirklich Verantwortlichen zu benennen. Selbstverständlich wäre es zu einfach, den Sündenbock lediglich unter den Schriftstellern und Künstlern zu suchen: „Man hat wenigstens aufgehört zu schreiben - wie es bestimmte Leute getan haben

daß dieser Ewers selbst das Nazischreckgespenst aus seinen Büchern

hervorquellen sah und daß er also zu den Urhebern des Faschismus gehöre. Junge Menschen begingen Selbstmord, und es fanden sich Schurken, die erklärten, das sei die Schuld von Cocteau oder von Gide oder von Sartre."

2.

Treueschwüre

Ähnlich der Taktik Wilhelms II. im Jahre 1914, der mit dem Manifest der 93 die Zustimmung der Intellektuellen für seine imperialistische Politik erhalten hatte, wünschten auch die Nazis Bekenntnisse von Schriftstellern und Künstlern zu ihrer Politik. Im Interesse der deutschen Einheit und der Homogenität der Nation sollten auch die Schriftsteller in die Volksgemeinschaft integriert werden. Die Losung „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!" war die aktualisierte Nazivariante zum Ausspruch von Wilhelm II., der keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche kannte. Zu Beginn des Dritten Reiches kam es Hitler, Goebbels und Rosenberg hauptsächlich darauf an, bekannte Intellektuelle vor ihren Propagandakarren zu spannen. Wie wir schon gezeigt haben, war auf der ersten Plakette, die die Nazis zum „Tag der Arbeit" 1934 prägen ließen, symbolisch das Bündnis zwischen Arbeitern, Intellektuellen und Bauern dargestellt, wobei das zentrale Goethe-Porträt den Geistesadel des aufstrebenden Regimes versinnbildlichen sollte. (Siehe S. 122 f.) Im Oktober 1933, also schon nach der Bücherverbrennung und nach Beginn der ersten Emigrationswelle, gelobten „88 deutsche Schriftsteller durch ihre Unterschrift dem Reichskanzler Adolf Hitler" die Treue in einem vom Reichsverband Deutscher Schriftsteller inszenierten Treuegelöbnis. In ihrer Erklärung hieß es, daß ihre Parteinahme von der Schwere der Stunde diktiert sei und im Bewußtsein ihrer Aufgaben beim Wiederaufbau des Reiches erfolge. Die Mehrzahl der Unterzeichner waren nationalistische Schriftsteller (Beumelburg, Blunck, Euringer, Frenssen, Griese, von Molo, Ponten u.a.), die dann im Dritten Reich Karriere machten. Außerdem waren Schriftsteller vertreten, die einstmals zur sogenannten Avantgarde 232

gehört hatten (Benn, Bronnen, Flake, der Verleger Richard Alfred Meyer), sowie wirkliche Nazis (Johst, Vesper). Bleibt zu fragen, ob ihnen diese Unterschriften mehr oder weniger abgenötigt wurden. Wenn man den Entwicklungsweg der betreffenden Autoren in Betracht zieht, scheint das nicht der Fall gewesen zu sein. Manche haben freiwillig unterschrieben, um - wie es z. B. Oskar Loerke hinstellte - ihre Verleger nicht zu gefährden. Einzig Rudolf G. Binding hat öffentlich gegen die Verwendung seines Namens protestiert - jedoch nur, weil er vorher nicht informiert worden war. Von den Unterzeichnern werden später nur drei gegen den deutschen Faschismus auftreten (Arnolt Bronnen, Leo Weismantel, Bruno E . Werner). Weitaus befremdlicher und zweifelhafter ist ein Aufruf, der am 18. August 1934 im Völkischen Beobachter erschien. Eine Reihe von Persönlichkeiten aus dem Kulturleben unterstützte dort Hitler beim Referendum am 19. August 1934. Nach Hindenburgs Tod ging die ganze Macht auf Hitler über. Aus diesem Aufruf sprach ein blindes, ja gläubiges Vertrauen zum „Führer", der als Garant der Freiheit, der Einheit und der Würde des deutschen Volkes erschien. Sicher, manche Namen auf dieser Liste überraschten nicht: Werner Beumelburg, Rudolf G. Binding, Hans Friedrich Blunck, Richard Euringer, Gustav Frenssen, Hanns Johst, Erwin Guido Kolbenheyer, Werner Krauss, Emil Nolde, Josef Thorak u. a. Unerwartet haben aber auch Ernst Barlach und Mies van der Rohe unterschrieben: „Volksgenossen! Freunde! W i r haben einen der Größten deutscher Geschichte zu Grabe geleitet. An seinem Sarge sprach der junge Führer des Reiches für uns alle und legte Bekenntnis ab für sich und den Zukunftswillen der Nation. W o r t und Leben setzte er zum Pfand für die Wiederaufrichtung unseres Volkes, das in Einheit und E h r e leben und Bürge des Friedens sein will, der die Völker verbindet. W i r glauben an diesen Führer, der unseren heißen Wunsch nach Eintracht erfüllt hat. W i r vertrauen seinem Werk, das Hingabe fordert, jenseits aller krittelnden Vernünftelei, wir setzen unsere Hoffnung auf den Mann, der über Mensch und Ding hinaus in Gottes Vorsehung gläubig ist. W e i l der Dichter und Künstler nur in gleicher Treue zum Volk zu schaffen vermag und weil er von der gleichen und tiefsten Überzeugung kündet, daß das heiligste Recht der Völker in der eigenen Schicksalsbestimmung besteht, gehören wir zu des Führers Gefolgschaft. W i e fordern nichts anderes für uns, als was wir anderen Völkern ohne Vorbehalt zugestehen; wir müssen es für dieses Volk, das deutsche Volk fordern, weil seine Einheit, Freiheit und E h r e unser aller N o t und Wille ist. D e r Führer hat uns wiederum aufgefordert, in Vertrauen und T r e u e zu ihm zu stehen. Niemand von uns wird fehlen, wenn es gilt, das zu bekunden."

233

Den Aufruf unterzeichneten: Werner Beumelburg, Ernst Barlach, Rudolf G. Binding, Hans Friedrich Blunck, Verleger Alfred Bruckmann, Richard Euringer, Professor Emil Fahrenkampf, Erich Feyerabend, Gustav Frenssen, Wilhelm Furtwängler, Prof. Dr. Eberhardt Hanfstaengl, Gustav Havemann, Erich Heckel, Prof. Eugen Hönig, Hans Ihlert, Hanns Johst, Georg Kolbe, Erwin Guido Kolbenheyer, Werner Krauss, Franz Lenk, Heinrich Lersch, Prof. Karl Lörcher, Architekt Walter March, Agnes Miegel, Börries Freiherr von Münchhausen, Emil Nolde, Paul Pfund, Hans Pfitzner, Prof. Dr. Wilhelm Pinder, Mies van der Rohe, Prof. Dr. h. c. Paul Schultze-Naumburg, Hermann Stehr, Richard Strauß, Josef Thorak, Generalintendant Hans Tietjen, Oberbürgermeister Dr. Weidemann, Adolf Weinmüller.

3. Vom Irrtum zum ideologischen

Irrweg: Gottfried

Betin

Dem Expressionismus nur insofern angehörend, als er in dessen Zeitschriften Der Sturm und Die Aktion veröffentlicht wurde, hat sich Gottfried Benn von den politischen und den sozialen Manifestationen dieser Bewegung immer abseits gehalten. Kurt Hiller schrieb in seinen Memoiren, Benn sei schon in dieser frühen Zeit Ästhet gewesen und habe nur für die Literatur gelebt. Während sich die Mehrzahl der Expressionisten zwischen 1917 und 1920 revolutionären Positionen annäherte, selbst wenn diese noch unbestimmt und konfus blieben, sei Benns Opposition auf die Ästhetik beschränkt geblieben.59 Das hinderte ihn allerdings nicht daran, nach wie vor gute Beziehungen zu den engagierten Expressionisten zu unterhalten. Da Pfemfert mit Hilfe der Aktion 1917 seine erste Gedichtsammlung Fleisch herausbrachte, schickte Benn selbst Texte an die pazifistische Zeitschrift Die weißen Blätter von René Schickele. Bei Benn kommt die Ambivalenz des Expressionismus deutlich zum Ausdruck: Hier vermengten sich zwei Richtungen der Revolte, wobei Nietzsche viel stärker als Marx den gemeinsamen Nenner bildete. Die eine Richtung kommt in ihrer Zurückweisung philisterhafter Gewöhnlichkeit vom Ästhetizismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts; die andere erhält ihren Impuls eher von den sozialen Kämpfen. Der Übergang der Bourgeoisie in ihre imperialistische Phase und die daraus resultierende - bzw. so empfundene - Krise aller Werte schweißte die neue Generation in einem antibürgerlichen Protest zusammen. In diesen Jahren folgte Benn nur dem Impuls der Wirklichkeitszertrüm234

merung, der Verachtung jener Welt, die bisher auf den scheinbar gesicherten Werten des kaiserlichen Deutschland geruht hatte. Das, was er aufschrieb, war persönliche Krisenerfahrung aus der Sicht seines Arztberufs und seines Soldatseins im ersten Weltkrieg. Der Tod, das Kranke, die Fäulnis - bereits Metaphern der Literatur des fin de siècle - zogen als Reflex auf eine erlebte soziale Realität eine ganze Generation in ihren Bann. Bei Benn - wie auch bei anderen Autoren dieses Zeitraums - sind Ästhetizismus und echter sozialer Protest kaum zu unterscheiden. Durch die Umstände miteinander verwoben, kam es zu dieser Ambivalenz. In den Jahren der Weimarer Republik schien Benn für viele ein Mann der Linken zu sein, und zwar aus zweierlei Gründen: einmal wegen seiner Attacke gegen das mangelnde Interesse der sozialen Institutionen an den Problemen der Schriftsteller, gegen eine auf Repräsentation bedachte staatliche Kulturpolitik, die nur ein Deckmantel war und die Künstler ins Elend stürzte; zum andern wegen seiner Stellungnahme gegen den Abtreibungsparagraphen. Jedoch hielt er trotz allem an seiner Forderung nach einer „reinen" Kunst fest. In dem bekannten Radiodialog mit Johannes R. Becher wandte er sich 1930 strikt gegen jedwede Tendenzkunst, denn Tendenz war seiner Meinung nach Politik und keine Kunst.60 So opponierte er gegen pseudowissenschaftliche Strömungen sowie gegen das soziale Anliegen in der dokumentarischen Literatur und in der sogenannten Neuen Sachlichkeit. Diese bei ihm durchgehende Haltung kam 1930, angesichts der sich verschärfenden imperialistischen Krise, an einen Wendepunkt. Benn behauptete, der Materialismus sei veraltet, reaktionär, und empfahl, die moralische Zerrüttung Deutschlands durch eine Metaphysik der Form zu überwinden. In seinem Aufsatz Nach dem Nihilismus (1932) bediente er sich ausdrücklich des Begriffs der Volksgemeinschaft, die sich durch straffe Disziplin im Dienst am absoluten Wesen der Form erneuern würde. Auffallend ist hier, wie er ästhetische Forderungen in politische ummünzte. Schon der Ästhet benutzte eine Sprache, die derjenigen der Nazitheoretiker - vor allem Goebbels mit seiner Idee, daß jeder echte Staatsmann ein Künstler sei, der das soziale Bauwerk forme - sehr nahekam. Nach der Machtergreifung unterstützte Benn die Politik der Nazis. Er war aktiv an der Gleichschaltung der Preußischen Akademie der Künste beteiligt und betrat mit einer Reihe von Artikeln und Reden die politische Szene. Am 25. April 1933 erschien in der Berliner Bör235

senzeitung

sein R a d i o v o r t r a g Der

neue

Staat

und die

Intellektuellen.

E r b e k a n n t e sich dort zur „anthropologischen" W e n d u n g , d i e m i t dem Dritten Reich vollzogen würde: „Der neue Staat ist gegen die Intellektuellen entstanden. Alles, was sich im letzten Jahrzehnt zu den Intellektuellen rechnete, bekämpfte das Entstehen dieses neuen Staates. Sie, die jeden revolutionären Stoß von seiten des Marxismus begeistert begrüßten, ihm neue Offenbarungswerte zusprachen, ihm jeden inneren Kredit einzuräumen bereit waren, betrachteten es als ihre intellektuelle Ehre, die Revolution vom Nationajen her als unmoralisch, wüst, gegen den Sinn der Geschichte gerichtet anzusehen. Welch sonderbarer Sinn und welche sonderbare Geschichte, Lohnfragen als den Inhalt aller menschlichen Kämpfe anzusehen. Welch intellektueller Defekt, welch moralisches Manko, kann man schon an dieser Stelle hinzufügen, nicht in dem Blick der Gegenseite über die kulturelle Leistung hinaus, nicht in ihrem großen Gefühl für Opferbereitschaft und Verlust des Ich an das Totale, den Staat, die Rasse, das Immanente, nicht in ihrer Wendung vom ökonomischen zum mythischen Kollektiv, in diesem allem nicht das anthropologisch Tiefere zu sehen!" 61 Die

G e f a h r , die der M e n s c h h e i t durch d e n F a s c h i s m u s

drohte,

m a c h t e er lächerlich u n d rief d i e J u g e n d a u f , sich der m i t d e m „biologischen" G e s e t z ü b e r e i n s t i m m e n d e n T a t a n z u s c h l i e ß e n : „Eine echte neue geschichtliche Bewegung ist vorhanden, ihr Ausdruck, ihre Sprache, ihr Recht beginnt sich zu entfalten, sie ist typologisch weder gut noch böse, sie beginnt ihr Sein. Sie beginnt ihr Sein, und es tritt ein in ihr Sein die Diffamierung von seiten aller sich zu E n d e neigender Geschlechter, die Kultur ist bedroht, die Ideale sind bedroht, das Recht, die Menschheit ist bedroht, es klingt wie Echo: aus der Lombardei, aus Ungarn, aus Versailles, als die Gallier kamen, die Goten, die Sansculotten, klang es schon so. Sie beginnt ihr Sein, und alles Feine, Abgestimmte, zu was Gelangte wirft sich ihr entgegen; aber es ist die Geschichte selber, die diese Angriffe entkräftet, ihr Wesen, das nicht abgestimmt und demokratisch verfährt. Die Geschichte verfährt nicht demokratisch, sondern elementar, an ihren Wendepunkten immer elementar. Sie läßt nicht abstimmen, sondern sie schickt den neuen biologischen Typ vor, sie hat keine andere Methode, hier ist er, nun handele und leide, baue die Idee deiner Generation und deiner Art in den Stoff der Zeit, weiche nicht, handele und leide, wie das Gesetz des Lebens es befiehlt." Nach

Benn

hat

der

Materialismus

das

v e r s c h u l d e t . D a b e i v e r m e n g t er in s e i n e m

Siechtum

Deutschlands

„Materialismus"-Begriff

d i e vulgärmaterialistische A u s l e g u n g u n d d e n M a r x i s m u s . In B e n n s L o g i k zerstört der M a r x i s m u s die I d e e , w e i l er d i e T h e o r i e v o m K l a s senkampf e n t w i c k e l t habe u n d d i e B e f r i e d i g u n g „niederer" materieller B e d ü r f n i s s e v e r f o l g e . E r sei daher unlösbar mit d e m 236

Kapitalismus

verbunden, ja, Marxismus und Kapitalismus seien zwei Seiten derselben Wirklichkeit, die den Geist und große menschliche Taten unterdrückten, die es also beide gleichermaßen verdienten, verworfen zu werden. Der Faschismus würde statt dessen der deutschen Gesellschaft die Möglichkeit bieten, zu einer neuen menschlichen Qualität, zum Absoluten zu gelangen, nach welchem das innere Wesen jedes Individuums natürlicherweise strebe. In Benns Konzeption wird das Irrationale zum ausgeprägtesten schöpferischen Element menschlicher Natur. Mit der Machtergreifung des Faschismus sei der Rationalismus, die Vorherrschaft des Gehirns, endgültig zugunsten des Instinktiven, Biologischen in seine Schranken verwiesen. Ein langjähriger Bewunderer Benns, Klaus Mann, schrieb ihm am 9. Mai 1933 aus Sanary-sur-Mer und bat um eine Erklärung für seine derzeitige Haltung zu den Nazis. Obgleich es sich um einen privaten Brief handelte und es nicht nötig gewesen wäre, beantwortete Benn ihn mit einem Offenen Brief, der im Radio verlesen, in der Deutschen Allgemeinen Zeitung unter dem Titel Antwort an die literarischen Emigranten veröffentlicht und später in den Band Der neue Staat und die Intellektuellen aufgenommen wurde. Benn verhöhnte darin die literarischen, philosophischen und politischen Theorien der Emigranten und betrachtete diese - in Übereinstimmung mit den Nazis - ausnahmslos als Schande für Deutschland: „.Erst kommt das Bekenntnis zum Irrationalen, dann zur Barbarei, und schon ist man bei Adolf Hitler.' Das schreiben Sie in dem Augenblick, w o doch v o r aller Augen Ihre opportunistische Fortschrittsauffassung vom Menschen f ü r weiteste Strecken der Erde Bankerott gemacht h*t, w o es sich herausstellt, daß es eine flache, leichtsinnige, genußsüchtige Auffassung war, daß nie je in einer der wahrhaft großen Epochen der menschlichen Geschichte das Wesen des Menschen anders gedeutet wurde als irrational, irrational heißt schöpfungsnah und schöpfungsfähig. — Verstehen Sie doch endlich dort an Ihrem lateinischen Meer, daß es sich bei den Vorgängen in Deutschland gar nicht um politische K n i f f e handelt, die man in der bekannten dialektischen Manier verdrehen und zerreden könnte, sondern es handelt sich um das Hervortreten eines neuen biologischen Typs, die Geschichte mutiert, und ein V o l k will sich züchten." 62

Als die Nazis ihren Feldzug gegen die sogenannte entartete Kunst begannen, geriet Benns Vertrauen ins Wanken; er zog aber vorerst daraus keine logischen Konsequenzen. Im Gegenteil, er warf dem Nazistaat noch Blumen hinterher, lobte ihn ohne jede Ironie für sein Verständnis, das er künstlerischen Fragen entgegenbrachte. Seine Taktik war es, im Inneren des Regimes das korrigieren zu wollen, was er für Irrtümer bzw. zufällig unterlaufene Fehler hielt. Der deut237

sehe Faschismus schien ihm an sich brauchbar und nur durch die Unfähigkeit bestimmter Leute fehlgeleitet. In diesem Sinn verteidigte er im November 1933 den deutschen Expressionismus. Er versuchte, den Expressionismus zu retten, indem er ihn so darstellte, daß er in den Faschismus integrierbar war. Abschließend konstruierte er eine merkwürdig anmutende Parallelität zwischen grundlegenden Intentionen der Expressionisten und der Nazis: „Aber da hämmert eine Gruppe das Absolute - ihm verfallend, aber es geistig überwindend - in abstrakte harte Formen: Bild, Vers, Flötenlied. Arm und rein, nie an bürgerlichen Erfolgen beteiligt, am Ruhm, am Fett des schlürfenden Gesindes. Lebt von Schatten, macht Kunst. Auch die kleine Gruppe vor der letzten Wende der Welten: lebte der Kunst, das heißt: lebte in Todesbereitschaft und lebte aus Deutschlands gläubigem Blut." 63

Im Vorwort zur Buchveröffentlichung Der neue Staat und die Intellektuellen (1933) bekannte Benn in provozierender Arroganz, seine Parteinahme für die Nazis sei das Resultat seiner „fünfzehnjährigen gedanklichen Entwicklung". Seinen Gegnern aus dem demokratischen Lager, die ihm vorwarfen, von links nach rechts übergewechselt zu sein, entgegnete er: „Ich bin nie links gewesen, nicht eine Sekunde. . . Das Schöpferische ist weder links noch rechts, sondern immer zentral."64 Benn hoffte, die Nazis könnten den Expressionismus in gleicher Weise akzeptieren, wie die italienischen Faschisten den Futurismus gebilligt hatten. Übrigens war es Benn, der Marinetti am 29. März 1934 offiziell in Berlin empfing und auf einem zu Ehren des Gastes veranstalteten Bankett das neue Reich als Heimstatt der Schriftsteller pries. Angeblich im Namen aller Schriftsteller brachte er deren uneingeschränkte Bewunderung für den Führer und dessen „Kunstwillen" zum Ausdruck. In seiner Rede auf Stefan George, die für den vorgesehenen, dann aber untersagten Trauerakt gedacht war und im April 1934 publiziert wurde, erschien George als ein Künstler der Form, dessen Axiom in seiner Kunst „wie im Kolonnenschritt der braunen Bataillone als e i n Kommando lebt"65. Benns politische Haltung wie auch seine Versuche, den Expressionismus für die Nazis akzeptabel zu machen, führten zu Auseinandersetzungen unter den Emigranten und lösten - beginnend mit einem Beitrag Klaus Manns in der Zeitschrift Die Sammlung vom September 1933 - heftige polemische Diskussionen über den Expressionismus aus. Der Titel eines Lukacs-Essays, der im ersten Heft des Jahrgangs 1934 der Zeitschrift Internationale Literatur veröffentlicht 238

wurde, war schon bezeichnend genug: Größe und Verfall des Expressionismus. Einige Jahre später, im September 1937, begann in der in Moskau erscheinenden Zeitschrift Das Wort eine umfassende Debatte zum gleichen Thema, die mit Aufsätzen von Klaus Mann Gottfried Benn. Die Geschichte einer Verirrung und Alfred Kurella Nun ist dies Erbe zuende eingeleitet wurde. Benn war Kurellas Paradebeispiel dafür, daß die ideologische Konzeption des Expressionismus in den Faschismus mündet. An dieser These entzündete sich die Diskussion, die sich zu einer kollektiven Verständigung über Funktion und Methode des Realis j mus ausweitete.66 Zum Abschluß der Debatte fiel Kurellas Urteil über den Expressionismus differenzierter aus. Auffallend ist jedoch, daß die Beteiligten in ihrer Argumentation kaum auf die Kultur-1 Politik des Dritten Reiches eingingen und auch die tatsächliche Lage von Benn um 1937 wenig berücksichtigten. Schon nach der RöhmAffäre nämlich spürte Benn den Widerspruch zwischen seiner Idee von diesem neuen Staat und dessen Praktiken - eine für ihn persönlich tiefgreifende Tragödie, die er im August 1934 in einem Brief reflektierte. Sein Weg in die Ungnade hatte begonnen, er war schon fast abgeschlossen, als die Debatte im Wort erst eröffnet wurde. 1935 bat Benn, als Militärarzt wieder in die Wehrmacht aufgenommen zu werden - eine seiner Meinung nach aristokratische Form der Emigration. Als aus Anlaß seines 50. Geburtstags im Mai 1936 die Anthologie Ausgewählte Gedichte 1911-1936 erschien, wurde der Band sofort vom Schwarzen Korps, dem Organ der SS, attackiert. Bis zum endgültigen Bruch dauerte es nicht mehr lange: 1938 wurde Benn aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und erhielt Publikationsverbot. Heute kann man den Ablauf der Ereignisse in Benns inzwischen veröffentlichtem Briefwechsel verfolgen. Nachdem er vom Schwarzen Korps als „Judenjunge" und „warmer Bruder" beschimpft worden war 67 und der Völkische Beobachter den Artikel außerdem nachgedruckt hatte, befürchtete Benn, von der Wehrmacht dispensiert zu werden. Er ging Hanns Johst um Fürsprache an und konnte am 7. Juni 1936 berichten, Goebbels und Johst hätten sich zu seinen Gunsten verwandt.68 Die Angriffe ließen jedoch nicht nach; sein Verleger erhielt einen infamen Brief von Rosenberg, der mit Maßnahmen drohte, die bis zur KZ-Haft reichten. Kurz darauf verlangte dieser, aus dem Schutzumschlagtext die Worte „warnender Seher und Führer 239

in eine neue Gemeinschaft" zu streichen sowie vier Gedichte aus der Anthologie zu entfernen. 69 Nur unter dieser Bedingung könne die Auswahl „stillschweigend und ohne Propaganda" vertrieben werden. Das endgültige Verbot war damit aber nur aufgeschoben. So ging der Bruch mit dem Dritten Reich zwar nicht von Benn selbst aus, sondern wurde - trotz seiner Anbiederungen - von den Nazis eingeleitet, aber er hat eben doch stattgefunden. Das kulturpolitische Konzept der Nazis und Benns Ansichten, nach denen der Expressionismus hätte integriert werden können, sind insofern nicht unmittelbar gleichzusetzen, denn man wird damit weder der Spezifik des Falls Benn noch dem Wesen des deutschen Faschismus gerecht. Benns Weg war außerdem durchaus nicht typisch für die gesamte expressionistische Generation, und er kann ihr daher auch nicht angelastet werden; er war typisch nur für jenen Teil der Intellektuellen, die sich wegen ihres Ästhetizismus vom Faschismus einfangen und benutzen ließen. 1935 erschien der letzte im Dritten Reich veröffentlichte Prosatext von Benn - eine Rezension des Buches Erhebung wider die moderne Welt von Julius Evola. Sich dem Konzept des italienischen Faschisten anschließend, setzte Benn darin auf den Geist, das „transcendente Leben" als das Maß aller Dinge und das Entscheidende am menschlichen Sein. Nach seiner enttäuschenden Erfahrung, daß es der deutsche Faschismus nicht vermochte, das Handeln dem Geist unterzuordnen, zog er sich auf die Vorstellung eines unversöhnlichen Antagonismus zwischen „transcendentalem Leben" und „Verwirklichungsleben" zurück. 70 Bis zu seinem Tode wird er auf diesem Dualismus beharren: Geist, Statik, Dauer, Kontemplation auf der einen Handeln, Werden, Geschichte auf der anderen Seite. Der Ästhet war endgültig in seinen Elfenbeinturm zurückgekehrt, dorthin, wo Denken Qual ist, wo Leiden in der Einsamkeit eine Vorbedingung der Schöpfung ist, wo der Geist das sich in einer „Kreislage" befindende „Verwirklichungsleben" zurückstößt und in die „Gestaltungssphäre" 71 eindringt, um eine chaotische Welt zu ordnen. Benns Bekenntnis zum Faschismus und seine Ablösung von ihm beruhten auf der gleichen gedanklichen Konzeption: das Primat der „Ausdruckswelt", die „gegen den allgemeinen Nihilismus der Werte eine neue Transzendenz [setzt]: die Transzendenz der schöpferischen Lust" 72 . Nach dem Krieg war Benn neuerlich gezwungen, seine Vergangenheit zu reflektieren. In seiner Autobiografie Doppelleben legte er dar, 240

daß er an eine wirkliche Erneuerung des deutschen Volkes geglaubt habe. Der Faschismus, so habe er gehofft, würde Deutschland aus seiner Erstarrung in Funktionalismus, Szientizismus und Rationalismus herausreißen. Er habe den Eindruck eines Engagements für Menschlichkeit, Generosität und Kultur gehabt und sei getäuscht worden. Rückblickend gab er zu, Klaus Mann habe die Dinge klarer gesehen als er. 73 Als Entschuldigung fügte er hinzu, er sei unpolitisch gewesen und wäre nie auf den Gedanken gekommen, sich gegen den Führer zu stellen und zu emigrieren; schon deshalb nicht, weil Hitler legal zur Macht gelangt wäre. Das Programm der NSDAP indessen hätte er nie gelesen. Benn spielte also den Unschuldigen und weigerte sich, den Kern seines Irrtums zu suchen. Eingesponnen in die Probleme des lyrischen Ich, verschloß er sich in seiner ästhetischen Zuflucht vor all denen, die auf gesellschaftliche Veränderungen orientierten. Wenn er nach 1945 in der BRD zum Erfolgsautor avancierte, dann hatte das sicher verschiedene Gründe: Einmal verbreitete sein Werk eine Atmosphäre der Katastrophe, der Zerstörung, des Nichts zu einem Zeitpunkt, als die Träume von deutscher Größe, die die Nazis der Jugend eingeimpft hatten, zerbrochen waren; zum anderen - und dies scheint noch gewichtiger - beruhigte Benn das schlechte Gewissen jener deutschen Intellektuellen, die - wie er - den Bankrott des Nationalsozialismus zwar frühzeitig genug erkannt hatten, ohne jedoch etwas zu unternehmen, um dem Spuk ein Ende zu setzen.74

16

Faschismus

241

Auseinandersetzungen um die moderne Kunst

1. Ein Brief von Karl Hof er™ (Siehe S. 113 f.) Im Zusammenhang mit den Diskussionen, die die ersten Vorstöße der Nazis gegen die moderne Kunst ausgelöst hatten, griff der Maler Karl Hofer mit folgendem - an die Deutsche Allgemeine Zeitung gesandten und von ihr am 13. Juli 1933 veröffentlichten - Brief in die Debatte ein: „Eine bedeutungsvolle Erscheinung der nationalen Bewegung ist das leidenschaftliche Interesse, das sie den Künsten entgegenbringt. Ein ungewohnter Ton nach der tödlichen Gleichgültigkeit, welche die offiziellen Organe der verflossenen Periode der Kunst entgegenbrachten. Doch birgt dieses Interesse, das sich oft gegen den Willen der Führer der Kunst gegenüber diktatorisch verhält, große Gefahren, die sich in verhängnisvoller Weise auswirken, wenn nicht bessere und tiefere Einsichten in diese schwierigste aller Materien sich Bahn brechen. Das Beispiel der Wilhelminischen Periode sollte ein warnendes sein. Die Tatsache allein, daß eine in der Tiefe, nicht an der Oberfläche rein nationale Kunst vorhanden ist, häufig aber beschimpft und verleugnet wird, ist bedauerlich. Im Kampf der Meinungen tauchen schlagwortartige Begriffe auf, deren am schwersten faßbarer die Forderung nach einer Volkskunst ist, nach einer Kunst für den kleinen Mann aus dem Volk, der teilhaben solle an den Gütern der nationalen Kultur. Bitter geschmäht wird die Kunst der jüngst vergangenen Zeit, die sich vom Volke entfernt habe, dem Volke fremd sei, sich

im luftleeren

Raum bewege, um nichts sich kümmernd ihren Problemen nachgehe. In gleichem Atem schimpft man diese Kunst aber marxistisch und bolschewistisch, ohne zu bedenken, daß von dieser Seite die gleiche Kunst, nur mit anderen Vorzeichen gefordert wurde. Die heute verfolgte Kunst hat sich nicht und niemals nach dem verflossenen System gerichtet, denn wenn sie dessen innerstes Wesen Zum Ausdruck hätte bringen wollen, wären Werke von öder Langeweile und Kraftlosigkeit, wäre eine liberalistische Kunst für Alle weitergeführt worden, ein verwässerter französischer Impressionismus, ein öder Naturalismus, die heute noch die Ausstellungen füllen. Die Illusion aber, Kunst müsse in erster Linie Volkskunst sein, muß grausam und restlos zerstört werden. J e größer und bedeutsamer eine Kunst ist, desto weniger kann sie Kunst für die Massen sein, ist es nie gewesen und kann es

242

nimmer werden. Also eine Kunst für die Oberschicht, für Bevorzugte, von der das Volk ausgeschlossen sein soll? Nein, keineswegs, die Kunst soll keine Kunst für Alle sein, aber für alle zugänglich, zu ihr aber kommen nur die, welche durch Übung, Kenntnis oder Instinkt ein Organ und Auffassungsvermögen dafür haben. Denn die Trennung in Volk und Oberschicht in bezug auf Kunst ist ein Irrtum, und nur aus ihm und dem daraus entstandenen Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit auch auf diesem Gebiet entstanden. Es gibt nun aber kunstfremde, kunstfeindliche, weil amusische Menschen. Diese sind in allen Bevölkerungsschichten in gleichem Maße Zu finden, ein General, ein Großindustrieller, ein Gelehrter, ja auch ein Kunstkritiker mag der Kunst genauso verständnislos gegenüberstehen wie der einfache Mann aus dem Volk. Andererseits ist die dünne Schicht, die wirklichen Verständnisses fähig ist, keine Oberschicht, sondern in allen Volkskreisen heimisch. Der Schnitt ist also nicht horizontal, sondern vertikal zu machen. Ich habe mir anderseits das Vergnügen gemacht, einem gewiß nationalen, aber ahnungslosen Mann eine Abbildung einiger Figuren des Naumburger Doms zu zeigen. Er hatte schon so manches über Greuelkunst in den Zeitungen gelesen und meinte: ,Sone Bolschewikenköppe wolln wer nich mehr sehen.' Als ich ihn belehrte, daß diese Werke vor vielen Jahrhunderten entstanden seien, entgegnete er : J a das ist was anderes, die konnten das damals nicht besser.' Solche Äußerungen sind symptomatisch und durchaus nicht als Ausnahmen zu werten. Für diese sonst guten, wertvollen und tüchtigen Menschen aber werden Greuelausstellungen gemacht, ihre Ahnungslosigkeit wird von Unverantworlichen mißbraucht. Es sollte jedem Gebildeten bekannt sein, daß eine neue Kunst, daß jede neue und starke Äußerung menschlichen Geistes von der Mitwelt zunächst abgelehnt, bekämpft und mißverstanden wird. Mozarts Don Juan wurde bei seinem Erscheinen als barbarisch empfunden, von der Aufnahme, die Wagners Werke fanden, ganz zu schweigen. In der bildenden Kunst war es nicht anders. Aber die ewigen Beckmesser sind heute wieder am Werk, sie versuchen die nationale Bewegung zu kompromittieren. Da sachliche Argumente nicht mehr vorzubringen sind gegen eine Kunst, die wieder zurückführt zu den Quellen künstlerischen Gestaltens, und vor allem deutschen Gestaltens, bedient man sich des heute unfehlbarsten Mittels zur Vernichtung: des Vorwurfes des Judentums, oder zumindest des jüdischen Geistes. Demgegenüber muß ein für alle mal festgestellt werden, daß nächst dem Militär kein menschlicher Tätigkeitsbezirk so judenfrei ist wie die bildende Kunst, so frei auch von jeglichem jüdischem Einfluß im Gegensatz zu Literatur, Musik und Theater. In der gesamten deutschen Bildnerei seit dem Mittelalter hat als einzige Ausnahme der jüdische Meister Max Liebermann eine Rolle gespielt. Der jüdische Kunsthandel hat auf das Schaffen deutscher Künstler keinen Einfluß ausüben können. In der bildenden Kunst sind die Verhältnisse gänzlich anders gelagert wie auf dem Gebiet der Literatur, der Musik und des Theaters. 16*

243

Für jeden Einsichtigen ist es schlechthin unfaßbar, wie eine junge, leidenschaftliche und stürmische Bewegung, eine Bewegung der kraftvollsten Jugend auf dem Gebiet der Kunst das Mittelmaß [zuläßt], das Epigonentum, eine falsche Biedermeierei, das Schmückedeinheimbild, den Öldruck, eine Kunst des plattesten Liberalismus, gegen den man sonst kämpft, daß all diese saft- und kraftlosen Machwerke Ausdruck der mächtigsten Bewegung sein sollen, die Deutschland je aufgerüttelt hat. D i e einzige Erklärung hierfür ist die von so vielen falsch verstandene Forderung, daß es eine Kunst fürs Volk geben müsse, eine Kunst, die dem Volk nahe gebracht werden könne wie eine politische Einsicht. Man verwechselt Volkskunst mit Massenkunst. Das, was aber die Masse in der Kunst sucht, ist der Kitsch. Es wäre nun völlig abwegig, die Masse Volk darum gering zu schätzen, sie zu belächeln vom Standpunkt des Ästheten oder Snobs. Masse und gesunder Kitsch gehören zusammen, aus geheimnisvollen und tiefen Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Im Kitsch wird das tiefe und reine Gefühl der Masse für das Edle und Schöne auf eine kompromißlose, unkomplizierte und sinnvolle Art befriedigt. Denn aus einem ästhetisch und künstlerisch durchgebildeten Volk (furchtbarer Gedanke), aus einem Volk, das die dem sinnfälligen Naturalismus gegensätzliche reine Gestaltung der Kunst zu erfassen vermöchte, würde vielleicht kein schöpferischer Künstler mehr hervorgehen können, gleichwie eine zu verbrauchte Erde keine vollsaftige Pflanze mehr hervorzubringen vermag. Dennoch soll der Kitsch, besonders seine geschäftstüchtigen Auswüchse bekämpft und das allgemeine Kulturniveau gehoben werden. Aber man versuche nicht, die schöpferische Kunst, auch nicht in ihren Wandlungen und Experimenten zu unterdrücken. Wir wissen, daß manches, was geschehen ist, besonders in der Provinz, in keiner Weise den reinen und hohen Intentionen der Führer entspricht. Aber nun taucht die neue Gefahr auf, daß, um dem Vorwurf des Reaktionären zu begegnen, willkürlich einzelne Künstler unserer Front herausgegriffen und als national proklamiert werden, womit die Vernichtung der anderen, die um nichts weniger deutsch sind, nur um so vollkommener würde. Wir kämpfen nicht um irgend welcher Vorteile willen, das überlassen wir gern den Anderen, die bereits am Werk sind, wir kämpfen um unsere Existenz und damit um die Existenz der Deutschen Kunst."

2. Eröffnung

einer

Ausstellung: (

im Hamburger

Kunstverein

„Italienische

futuristische

Flugmalerei

Aeropittura)" (Februar

1934)

(Siehe S. 1 1 2 f.)

R u g g e r o V a s a r i , F u t u r i s t u n d F a s c h i s t , organisierte eine futuristische Ausstellung,

die beweisen sollte, d a ß die m o d e r n e K u n s t m i t

dem

faschistischen R e g i m e v e r e i n b a r w ä r e . In seiner E r ö f f n u n g s r e d e

die

1 9 3 4 a u c h g e d r u c k t erschien (Flugmalerei,

Re-

aktion)

Moderne

Kunst

und

k a m diese A b s i c h t b e s o n d e r s deutlich z u m A u s d r u c k :

244

„Nicht einen Augenblick hat das faschistische Italien gezögert, im Futurismus die Kunst zu erkennen und anzuerkennen, die seiner Richtung und seiner Zukunft gemäß ist. Darum haben wir Futuristen als die Wegbereiter des Faschismus das Recht, die futuristische Kunst auch eine faschistische zu nennen. Und so ist es denn auch der futuristisch-faschistische Geist, der in der gesamten neuen Kunst Europas - kein Land, auch Rußland nicht, ausgenommen — seinen Ausdruck gefunden hat. Und so wird man es begreifen, daß wir Futuristen es mit besonderer Bitterkeit empfinden, wenn unsere Reaktionäre sich nicht scheuen, auch diese Wahrheit auf das groteskeste zu entstellen. Während der Volkskommissar Lunatscharski einst offen und ehrlich anerkannte, daß die moderne Malerei des bolschewistischen Rußland futuristischen Ursprungs sei, haben unsere eigenen Reaktionäre, wenn ich so sagen darf, den Spieß umgedreht und sind mit der lächerlichen Behauptung hervorgetreten, die von uns geschaffene futuristische Kunst, die Kunst derer, die 30 000 Kommunisten und Sozialisten in die Flucht geschlagen und das faschistische Italien vorbereitet hat, sei bolschewistischen Ursprungs! Eine so unerhörte Fämschung hat die Kunstgeschichte wohl noch nicht erlebt. Man könnte über dieses verabscheuungswürdige Qui pro quo lachen, wenn seine Absicht nicht so deutlich zu erkennen wäre: nämlich der Welt die Wahrheit über die neue Kunst und ihren Ursprung zu verschleiern und der künstlerischen Reaktion dienstbar zu sein." 76

Im Völkischen Beobachter bezeichnete Robert Scholz diese Ausstellung als Schau einer „Verfallskunst"; daraufhin schrieb ihm Vasari einen Protestbrief. Der wiederum forderte nun den Völkischen Beobachter am 28. März 1934 zu einer Antwort heraus, in welcher das kulturpolitische Konzept der Nazis klar und eindeutig herausgestellt wurde: „Herr Dr. Vasari protestiert heftig dagegen, daß der Futurismus als eine Verfallskunst bezeichnet wird. Wir möchten aber in dieser Frage einer italienischen Autorität das Wort geben und ihm das entgegenhalten, was der im Inund Ausland als Führer der jungen italienischen Malerei anerkannte Maler Giorgio de Chirico über den Futurismus in einem Aufsatz, betitelt Rückkehr Zum Handwerk, gesagt hat. Dieser führende Maler des jungen faschistischen Italien schreibt da wörtlich: ,Die Vernachlässigung der menschlichen Formen und ihre Verzerrungen ermutigen Legionen von Malern zu leichtfertiger und ungeistiger Wiedergabe. Darstellerisch wie handwerklich hat der Futurismus der italienischen Malerei den Gnadenstoß gegeben. Schon vorher in schlechtes Fahrwasser geraten haben die futuristischen Kindereien das Lchifflein zum Kentern gebracht.' So urteilen die offiziellen Repräsentanten der jungen italienischen Kunst über den Wert des sogenannten .Futurismus', und hier steht das junge faschistische Italien mit jener jungen nationalsozialistischen Künstlergeneration, die gegen den künstlerischen Anarchismus und für das Werden einer bodenständig nationalen Kunst kämpft, in einer Front." 77

245

Aus französischer Sicht78

Kollaborateure vor der Kollaboration Nazideutschland hat auf bestimmte politisch-soziale Gruppen in Frankreich nicht erst während des Krieges und nach der Einsetzung der Vichy-Regierung Einfluß ausgeübt. In Wirklichkeit gab es Kollaboration schon lange vor 1940, wenngleich kollaborationistische Haltungen vorerst weder die Breite noch die Beständigkeit wie später unter dem Petain-Regime hatten; doch fanden sie Unterstützung durch Organisationen und Presse. Insofern wäre es ein historischer Irrtum, wollte man die Kollaboration lediglich als Produkt der gegebenen Umstände ausgeben. Ein nicht geringer Teil der Kollaborateure im besetzten Frankreich war lange vor der Okkupation zu einer Zusammenarbeit mit den faschistischen Regimen in Europa bereit und das wurde auch offen verkündet. Nazideutschland förderte ihren guten Willen übrigens nach Kräften.

1. Die Anziehungskraft

faschistischen Gedankenguts zösischen Intellektuellen

für die

fran-

Im Zusammenhang mit der - auf Initiative von Pierre Vienot - erfolgten Gründung eines deutsch-französischen Komitees für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland 79 wurde 1927 beschlossen, zwei Zeitschriften herauszugeben, die zum besseren gegenseitigen Verständnis beitragen sollten: die Revue d'AUemagne50 in Paris und die Deutsch-französische Rundschau81 in Berlin. Die von Otto Grautoff geleitete Deutsch-französische Rundschau wurde 1933 von den Nazis verboten. Sie ersetzten sie auf Betreiben des späteren Botschafters in Frankreich, Otto Abetz, durch eine andere, die aber fast den gleichen Namen trug: Deutsch-französische Monatshefte oder Cahiers franco-allemandi82; sie erschien auch während des Krieges. 246

Otto Abetz83, der mit einer Französin verheiratet war und sich in der Jugendbewegung für eine deutsch-französische Annäherung eingesetzt hatte, unternahm große Anstrengungen, um französische Schriftsteller und Künstler zu gewinnen. So organisierte er im Januar 1934 in Berlin ein Treffen, in dessen Verlauf Drieu la Rochelle einen Vortrag hielt. Abetz war besonders mit Jean Luchaire verbunden, dem damaligen verantwortlichen Direktor der Zeitung Notre Temps, der als Gallionsfigur der Kollaboration während des Krieges Direktor von Nouveaux Temps war. Abetz war auch Initiator des bekannten Comité France-Allemagne und seines Pendants in Berlin, der Deutsch-französischen Gesellschaft, die für ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen den beiden Völkern werben sollten. Die Cahiers franco-allemands publizierten Texte zahlreicher französischer Schriftsteller in deutscher Sprache (André Chamson, Jean Guéhenno, Jean Giraudoux, Henry de Montherlant u. a.) 84 , Rechte wie Linke, um den Liberalismus und die Großzügigkeit Nazideutschlands zur Schau zu stellen. Das grenzte schon an Perversion. Jules Romains85, der seinen Irrtum später eingestanden hat, gehörte zu jenen, die sich irreführen ließen. In der Zeit dieses friedlichen „Kollaborationismus" publizierte er die Broschüre Le Couple France-Allemagne, die seine Illusionen zum Ausdruck brachte.86 Begegnungen von Schriftstellern und Verlegern beider Länder, die Schaffung literarischer Kommissionen dienten dazu, die französischen Schriftsteller gefügig zu machen, ihre Mißbilligung der Vorgänge in Deutschland zu paralysieren. Den Cahiers franco-allemands war ein Hochschuldienst angeschlossen, der die Irreführung auf breitere Kreise ausdehnte. Er organisierte Konferenzen, Konzerte und Schülerreisen. Im November 1937 wurde in Paris das Goethe-Institut gegründet.

2. Ein profaschistischer

Intellektuellen-Club

In Paris entfaltete der Club Cercle Rive gauche, zu dem außerdem eine Buchhandlung gehörte, eine große Propagandatätigkeit für die Nazis. Am 8. Juli 1939 schrieb L'Europe nouvelle darüber: „Viele Seiten wären notwendig, um die vielfältigen und gewöhnlich verborgenen Schritte des Herrn Abetz auch nur summarisch aufzuführen. Im Cercle Rive gauche, um nur ein Beispiel zu nennen, fühlt er sich w i e zu Hause. Z w a r wird versucht, die Aktivitäten zu vertuschen, indem man von Zeit zu Zeit mal die radikalen Sozialisten, mal die Syndikalisten, ja selbst die Kommunisten, V o r -

247

träge halten läßt, aber das wirkliche Ziel des Unternehmens ist deshalb nicht weniger eindeutig: Die aus dem Reich kommenden Vortragsredner sollen einen möglichst breiten Zuhörerkreis, vor allem unter der Jugend, finden. Scheinbar geht das alles ganz korrekt zu, die deutschen Redner beschränkten sich darauf, ihre Institutionen zu loben. Robert Brasillach,

Pierre Gaxotte 8 7

und viele

andere taten dasselbe für unsere Seite. Äußerte irgend jemand den Wunsch, sich an Ort und Stelle zu informieren, dann genügte ein Wort von Herrn Abetz und derjenige wurde mit großer Zuvorkommenheit in Berlin in einem eigens dafür eingerichteten Haus empfangen, ohne etwas bezahlen zu müssen. Hat man nicht sogar eines Abends die Leitung des Cerde Rive gauche mit Herrn Abetz feiern sehen, wobei sie gemeinsam deutsche Lieder sangen, und - mit der Mode gehend - natürlich nationalsozialistische Lieder? Das ist schon Beweis genug, wenn es eines Beweises bedürfte:Es gibt heute in Frankreich Franzosen,die nicht bloß nationalsozialistisch im allgemeinen Sinn des Wortes, sondern die wirklich Hitleranhänger, d. h. d e u t s c h e

Nationalsozialisten,

3. Ein profaschistisches

Organ unter

sind."

anderen

Goethe, so hieß ein Informations- und Dokumentationsbulletin angeblich für deutsch-französische Zusammenarbeit, das seit April 1938 monatlich zweimal - jeweils am 1. und am 15. - erschien. Es wurde von Fernand Demeure geleitet, die Redaktionsanschrift war seine Privatadresse. Anfangs, vom 1. April bis 15. Mai 1938, war es lediglich ein hektografiertes Blatt. Dann, seit der 5. Nummer, wurde es schon auf vier Seiten gedruckt, erhielt im November 1938 ein größeres Format und erschien seit Januar 1939 als Broschüre. Zu seinen Mitarbeitern gehörten: Fernand Demeure, Jacques Pady, Faber, Fernand de Brinon. Insgesamt kamen von Goethe 14 Nummern heraus. Deutsch-Kurse für Franzosen und Französisch-Kurse für Deutsche wurden von ihm zur Verbesserung der „deutsch-französischen Verständigung" vermittelt; dafür standen auch eine Bibliothek und ein Übersetzungsdienst zur Verfügung. In der Nummer 11 schrieb Fernand Demeure am 1. Dezember 1938, man wolle seine Publikation finanziell ruinieren, und Zeitschriften, für die er arbeite, würden seine Artikel nicht mehr annehmen. E r versicherte, daß seine Geldmittel einzig aus seinem eigenen Vermögen stammten und daß er von niemand abhängig sei, sondern nur von seinem Idealismus getrieben werde. In der Nummer 12, am 15. Dezember 1938, faßte er seine Anklagen schon präziser. Die Juden hätten einen Anschlag auf sein Bulletin verübt. E r wandte

248

sich gegen die - angebliche - Vorherrschaft des Fremden in einer Redeweise, die seinen Antisemitismus offenkundig werden ließ. Goethe vertrat auf allen Gebieten ein prohitlerisches Konzept. Die Zeitschrift nahm mit ihrem ausgeprägten Antisemitismus und den uneingeschränkten Lobreden auf die kulturellen Aktivitäten des Dritten Reiches die Kollaboration vorweg. Fernand Demeure bezeichnete die Unterdrückung der Freiheit in Nazideutschland als pure Verleumdung. Er publizierte eine Besprechung von Célines L'Ecole des cadavrei88 und erklärte sich mit dem antisemitischen Standpunkt des Verfassers vollauf einverstanden. In der Nummer 7 wurde am 1. Juli 1938 der Schriftsteller Hans Carossa vorgestellt, und Demeure nutzte die Gelegenheit, um Behauptungen über die Reglementierung des künstlerischen Schaffens durch das Naziregime zu dementieren: „Wollte man gewissen Individuen glauben, die mit ihren Lügen die Franzosen irreführen, dann könnte man denken, daß es in Deutschland keine Schriftsteller mehr gäbe und daß das geistige Leben dort überhaupt aufgehört habe zu existieren. In Wirklichkeit blüht dort die Literatur genauso wie bei uns, und die Dichter und Romanciers sind ebenso zahlreich wie hier."

In einem langen Artikel über Paul Alverdes wiederholte er am 1. Dezember 1938 das schon Gesagte: „Die heutige deutsche Literatur hat keinen Mangel an Talenten, und man kann versichern, daß sich Roman, Poesie, Essayistik und Kritik jenseits des Rheins heute genauso wie einst und so frei wie bei uns entfalten."

Das konnte auch gar nicht anders sein, stand doch - wie ein anonymer Artikel vom 15. Juni 1938 weismachte - ein „wirklicher Kunstmäzen" an der Spitze Deutschlands: „Während vor einigen Monaten Privatinitiativen - eine Ausstellung deutscher Kunst in Paris betreffend - fehlschlugen, lud jetzt Berlin offiziell französische Maler ein und bereitete ihnen einen herzlichen Empfang. Die Deutschen kauften zahlreiche französische Werke, und Herr Hitler gab als erster ein Beispiel: Er erstand insbesondere eine kleine Skulptur, für die der Künstler 20 000 Francs verlangte. Das Kunstwerk gefiel dem Führer sehr, er meinte, es sei wertvoller als der geforderte Preis, und er zahlte schließlich 30 000 Francs."

Im besetzten Frankreich Als die Nazis Frankreich besetzten, war es ihr Ziel, das Land materiell und geistig zu unterwerfen; das geschah einerseits durch ökonomische Ausplünderung und andererseits durch Propaganda und 249

Betrug. Die Unterwerfung der französischen Intelligenz vollzog sich auf zwei Wegen. An erster Stelle standen Organe zur direkten Einflußnahme: die Tätigkeit der Botschaft, das Deutsche Institut und Nazipublikationen in französischer Sprache wie Signal, die Pariser Zeitung, die Zeitschrift Deutschland/Frankreich und die Cahiers franco-allemands. Zum anderen dehnten die deutschen Besatzer ihren Einfluß auf solche Organe aus, die in den französischen Zuständigkeitsbereich gehörten, und zwar durch Förderung von Kollaborationstendenzen und durch strenge Zensur: Publikationsorgane wie Idées, Comoedia, Panorama und die alte angesehene Nouvelle Revue Française spielten die Rolle, die die Nazis ihnen zugedacht hatten, was auch eine gewisse Selbständigkeit einschloß. In diesen Zeitschriften publizierten Autoren ganz unterschiedlicher Couleur. Das breite, oft auch verwirrende Spektrum reichte von erklärten Faschisten und Fanatikern bis zu literarischen Emporkömmlingen, über Naive, die mißbraucht wurden, und selbst solche, die - hinter dieser Maske in der Résistance arbeiteten. Es überrascht natürlich, die Namen angesehener Schriftsteller neben mittelmäßigen faschistischen Ideologen und Schreiberlingen ohne Talent zu finden. Die Nazis waren so geschickt, jede Gelegenheit zu nutzen, und mehr als einer hat sich von ihnen - fast gegen seinen Willen - vereinnahmen lassen. Weiterhin überrascht die Tatsache, daß ehemals linke Intellektuelle, in den ersten Jahren des Dritten Reichs noch Gegner des deutschen Faschismus, zu Propagandisten eines deutschen Europa, des Germanismus, des Rassismus oder des Faschismus als Regierungsform wurden. Manche von ihnen schlössen sich im letzten Moment, nach Stalingrad, als die Niederlage der Nazis absehbar war, der Résistance an. Innerhalb dieses schändlichen Haufens, der den Nazis diente, haben sich einige französische Germanisten bei der angeblich kulturellen Propaganda hervorgetan. Sie besuchten das Deutsche Institut (Direktor Karl Epting) und nahmen an seinen Veranstaltungen teil. Als Germanisten, so meinten sie, müßten sie künftig zu einem besseren Verständnis für Nazideutschland beitragen. Folglich haben sie die emigrierten Schriftsteller verunglimpft und statt dessen armseligen Literaten gehuldigt bzw. der nationalsozialistischen „Größe" selbst. Zu dieser Sorte Germanisten gehörten vor allem Eugène Bestaux, René Lasne und der - wegen seines heftigen Antisemitismus - besonders infame André Meyer.

250

1. Einmischung

in das französische

Verlagswesen

Nach der Befreiung kam die Stunde der Abrechnung, nicht nur für die Kollaborateure, sondern für die ganze französische Nation. Die aus der Unterdrückung durch die Nazis und ihre Lakaien, die VichyRegierung, resultierenden Verluste mußten eingeschätzt werden. Dazu wurden Untersuchungskommissionen gebildet. Die Kommission, die den Einfluß der Nazis auf das französische Geistesleben untersuchte, 89 kam zu dem Ergebnis, daß - trotz des illegalen Verkaufs behördlich verbotener Werke - durch die Verbote ein beträchtlicher Schaden entstanden war. Die Kommission vermerkte außerdem: „Allgemein ist festzustellen, daß die Deutschen mit ganz einfachen Mitteln versucht haben, ihren Einfluß auf die französische Literatur geltend zu machen: Favorisierung solcher Schriftsteller, die für die Kollaboration waren, Vergünstigungen für einen bekannten Verleger, um dessen Kollegen für die neue Ordnung zu gewinnen usw."

Dieselbe Kommission, deren Untersuchungsergebnisse 1947 von der Imprimerie nationale veröffentlicht wurden, ermittelte einen einzigen Fall von Verlagsneugründung: La Librairie Rive gauche, spezialisiert auf Nazipropaganda, die am 25. April 1941 eröffnet wurde. Präsident ihres Verwaltungsrats war der Deutsche Dr. Karl Franck, /on den sechs weiteren Mitarbeitern waren drei ebenfalls Deutsche. Darüber hinaus arbeiteten die Verlage Sorlot, Denoel und de Cluny als französische Unternehmen mit finanzieller Beteiligung von deutscher Seite. Mit folgenden Verfügungen verstärkten die Nazis die Kontrolle über das französische Verlagswesen: „ - A m 1. April 1942 Bildung einer Kontrollkommission für Papiervergabe unter dem direkten Druck der Besatzer. Ihr mußte jedes Manuskript vorgelegt werden, ohne Genehmigungsnummer durfte kein Druck erfolgen. Hauptziel dieser Kommission war es, eine erste Auswahl zu treffen und die Auflagenhöhen zu begrenzen ; -

Beglaubigungsvermerk

der Propaganda-Abteilung 90

für jede

genehmigte

Veröffentlichung und jede durch die obengenannte Kommission bewilligte Menge Papier; — Beschlagnahme der Messageries Hachette 9 1 durch die Deutschen, wodurch eine strenge Kontrolle des Buchvertriebs möglich wurde."

Die Nazibesatzer zwangen das Syndicat des Editeurs, eine Liste der verbotenen Publikationen zusammenzustellen. Sie hieß Liste 251

Otto92 und wurde im September 1940 mit folgender Präambel veröffentlicht: „Um eine gesündere Atmosphäre und die notwendigen Voraussetzungen für eine gerechtere und objektivere Einschätzung der europäischen Probleme zu schaffen, haben die französischen Verleger beschlossen, die in der folgenden Liste und in eventuell später erscheinenden ähnlichen Listen erfaßten Bücher aus den Buchhandlungen herauszunehmen und vom Verkauf überhaupt zurückzuziehen. Unter diese Regelung fallen Bücher mit verlogenem und tendenziösem Gedankengut, die die öffentliche Meinung in Frankreich systematisch vergiftet haben, im besonderen Publikationen politischer Flüchtlinge oder jüdischer Schriftsteller, die die ihnen von Frankreich gewährte Gastfreundschaft verraten und skrupellos zum Krieg gehetzt haben, aus dem sie Vorteile für ihre eigenen egoistischen Ziele zu ziehen gedachten."

Im Juli 1942 gab ein Kommuniqué bekannt, daß die Liste Otto nicht mehr gültig sei und durch eine andere, bereits zusammengestellte ersetzt werde. Der Präsident des Syndicat des Editeurs, René Philippon, erklärte einleitend : „Es handelt sich um Maßnahmen, die in Ubereinstimmung mit dem Zensurabkommen durchgeführt werden. Sie bringen dem französischen Verlagswesen wahrscheinlich keinen ernsthaften materiellen Schaden, und sie gestatten der französischen Geisteswelt, ihre zivilisatorische Mission bei der Annäherung der Völker fortzusetzen."

2. Eine Wochenschrift

für „europäische"

Kultur

D i e erste Nummer von Panorama erschien am 18. Februar 1943 mit der Genehmigungsnummer 342. Ihr Direktor war Pietro Solari, Direktionssekretär war R. Cardinne-Petit, und als Herausgeber fungierte Georges Donguy. Die Zeitschrift trug den Untertitel Europäische Wochenschrift. Auf der letzten Seite stand in einem Kästchen eingerahmt: „Panorama, die europäische Wochenschrift, wird in ganz Europa verkauft." Ein Leitartikel zum Erscheinen der ersten Nummer erhob die Kollaboration zum Programm - unter dem Vorwand, es sei unmöglich und anachronistisch, außerhalb der Kämpfe bleiben zu wollen, und es sei notwendig, zwischen den besten europäischen Geistern die literarischen Beziehungen wieder herzustellen: „Wir werden der Elite des Kontinents die Möglichkeit geben, den Schriftstellern, Künstlern und Denkern der verschiedensten Länder und den hervorragenden und besten Vertretern jedes Landes näherzukommen. Vermutlich wird

252

der Leser überrascht sein, wenn er entdeckt, wie nahe sich auf ideeller Ebene der deutsche Erzähler und der französische Essayist, der italienische Maler und der ungarische, spanische oder finnische Dichter sind, die wir ihm vorstellen. E r wird überrascht davon sein, daß heute schon eine gemeinsame Sprache des europäischen Kontinents existiert, die - ob man es will oder nicht - mit dem vieldiskutierten Wort .Kollaboration' identisch ist." D i e s e W o c h e n s c h r i f t erschien wahrscheinlich bis A u g u s t 1 9 4 4 . I n ihr k a m e i n e seltsame M i s c h u n g sogenannter Vertreter der K u l t u r z u W o r t , darunter M o n t h e r l a n t , Marinetti, R a m o n F e r n a n d e z , H . - R . L e n o r m a n d , E m i l i o Cecchi u. a. K o n z e p t der R e d a k t i o n w a r ,

das

w u r d e w i e d e r h o l t versichert, d i e S c h a f f u n g eines e u r o p ä i s c h e n

Be-

w u ß t s e i n s . W a s m a n darunter zu v e r s t e h e n hatte, erklärte F e r n a n d e z in einer R e z e n s i o n d e s B u c h e s L'Europe

en marche

Ramon (1943)

v o n E d u a r d W i n t e r m a y e r a m 18. M ä r z 1 9 4 3 in N u m m e r 5 : „Nach Eduard Wintermayer hat vor allem Deutschland im 20. Jahrhundert die revolutionäre Schöpferrolle übernommen. E r ist überzeugt, daß dadurch die Hirngespinste der Feinde der europäischen Ordnung verschwinden werden. Für uns ist daran entscheidend wichtig : Je größer unser guter Wille zum Verständnis dieser neuen Ordnung sein wird, desto größer werden unsere Chancen sein, in ihr einen dauerhaften und bedeutenden Platz einzunehmen. Nacheinander haben erst Italien, dann Deutschland und dann auch andere Nationen den Rhythmus dieses neuen Weges aufgenommen. Frankreich ist durch ein Komplott der Überlebenden und Privilegierten der alten Welt bisher daran gehindert worden. Es wäre zwecklos, wenn Frankreich über die Vorteile diskutieren und die neue Welt verschmähen würde. Nur in dieser neuen Welt, und nirgendwo anders, kann sein Genius neuerlich aufblühen." N i c h t nur v i e l e D e u t s c h e beehrten d i e Spalten v o n Panorama

mit

ihren B e i t r ä g e n , s o n d e r n - w i e g e w ö h n l i c h - auch die ihnen zu D i e n sten s t e h e n d e n französischen G e r m a n i s t e n : b e s o n d e r s E u g è n e B e s t a u x u n d R e n é L a s n e . Ü b r i g e n s sind ihre V e r ö f f e n t l i c h u n g e n nicht ausschließlich n e g a t i v zu w e r t e n : A r t i k e l , d i e sie über G o e t h e , H ö l d e r l i n , H e b b e l , Stefan G e o r g e , R i l k e geschrieben haben, sind nicht uninteressant. Dritten

Die

Mehrzahl

Reiches,

und

ihrer A r b e i t e n folgende Zeilen

galten

jedoch

von Eugène

Autoren Bestaux

des über

B r u n o «Brehm (in N u m m e r 25 v o m 5. A u g u s t 1 9 4 3 ) v e r m i t t e l n d e n Grundton: „Brehm hat seherische Gaben, mit denen er hinter geläufigen Ereignissen deren tiefere Wurzeln zu erkennen vermag, hinter den Menschen sieht er die Triebkräfte, hinter den Worten die geheimen Gedanken. Seine Bücher haben einen so großen und andauernden Erfolg, weil sie vielen beunruhigten Menschen den Weg in die Zukunft erhellen. [ . . . ] 253

Heute verteidigt er Europa, aber Hauptmann Brehm, der in Griechenland und Rußland gekämpft hat, ist gleichzeitig ein mutiger und überzeugter Verteidiger Großdeutschlands. Er ist einer derjenigen, die das bessere, das neue Europa von morgen, das die Zukunft der westlichen Zivilisation und der Welt bestimmen wird, bereits fühlen. Das Werk dieses edlen Schriftstellers dient der Ermutigung seiner Landsleute. Dieser Dienst, in den er sein Talent gestellt hat, brachte ihm die Genugtuung, seine Pflicht getan zu haben, und die Freude, an einem der wichtigsten Werke der Weltgeschichte mitzuarbeiten."

Panorama war - gut „europäisch" - selbstverständlich antisemitisch. Ein gewisser Fritz Vanderpyl hatte beim Verlag Mercure de France eine Broschüre mit dem Titel L'Art sans patrie, un mensonge mit einem Vorwort von Jean-Marc Campagne publiziert. Er schrieb dort: „Die Gesichter, die Merkmale und die Gefühle der Juden entstammen dem Chaos und werden ewig das Chaos hervorbringen." An diese These knüpfte Alphonse Séché mit seinen Reflexions sur l'art juif in zwei Artikeln vom 11. und 18. März 1943 an. Seine Argumente waren denen von Hitler sehr ähnlich: Die Juden sind Apostel der Unordnung und zu künstlerischer Schöpfung völlig unfähig. „Schönheit ist ein Ensemble von Proportionen, eine Harmonie, die ihnen immer fremd geblieben ist. Solange sie leben, verkehren sie deshalb alles in Mißgestaltete, in ihr Ebenbild."

Es gibt keine jüdische Kunst, behauptete er, aber die Kunst sei durch die Juden korrumpiert worden, durch ihren Internationalismus und ihr Geld: „Mit Bluffs, mit kaufmännischen Tricks, mit Frechheit, Schamlosigkeit, Zweideutigkeit und schlechtem Geschmack haben die Juden Schule gemacht, eine Schule der Scharlatanerie und der Zerstörung, das entspricht ihrer Natur, ihrer Rasse."

3. Das Kulturinstitut

der

Nazis

Im September 1940 wurde in Paris das Deutsche Institut eröffnet. Es war Nachfolger des Goethe-Instituts und wurde von Karl fipting geleitet. Der stellvertretende Direktor war Karl Heinz Bremer Deutschlektor an der Sorbonne. Vorträge, Sprachkurse, Filmveranstaltungen, Konzerte, öffentliche Schriftstellerlesungen fanden dort statt. Die Nazis vermittelten in den Jahren der Okkupation ausschließlich über dieses Institut die deutsche Kultur. In seinem Buch über die Widerstandsbewegung der Intellektuellen in Frankreich L'In254

telligence en guerre (1945) berichtete Louis Parrot, daß das Institut großen Zulauf hatte. Tatsächlich haben sich Künstler, Schriftsteller oder französische Akademiker dort getroffen, das bestätigte auch der Nazibildhauer Arno Breker in seinen Memoiren. 1942 organisierte das Institut ungefähr siebzig Veranstaltungen mit Vorträgen, in der Mehrzahl zu politischen oder rassischen Themen. Seine Ausstrahlung war aber insofern noch größer, als es in der Provinz über Zweigstellen verfügte, wo die Pariser Veranstaltungen tourneeartig wiederholt wurden. Die meisten großen Universitätsstädte (Bordeaux, Dijon, Besançon, Poitiers) hatten solche Zweigstellen. Das Institut gab Informationsbroschüren heraus und seit 1942 die Zeitschrift Deutschland/Frankreich93. In der Einleitung zur ersten Nummer erklärte Otto Abetz, daß Frankreich und Deutschland bei aller gegenseitig tolerierten Unterschiedlichkeit - Träger der europäischen Ideale seien, die ihre gemeinsame Zukunft bestimmen würden. Karl Epting skizzierte ein Programm: „Werden wir im Verlauf der kommenden Jahrhunderte den deutsch-französischen Streit fortsetzen? Oder wird es uns gelingen, diese schwere Bürde in der konkreten Arbeit für den europäischen Aufbau abzulegen? Das besondere Anliegen dieser Zeitschrift besteht darin, jene Kräfte zu sammeln, die dem deutsch-französischen Dialog einen neuen Geist geben wollen."

Unterstützt von französischen Schriftstellern und Verlegern, beauftragte das Deutsche Institut eine Kommission, die Kapazitäten französischer Verlage für die Übersetzung deutscher Bücher zu prüfen. Unter der Leitung von Karl Epting wurde eine Liste mit wärmstens empfohlenen deutschen Büchern zusammengestellt. Sie war das Gegenstück zur Liste Otto und bekam den Namen Liste Mattias. Sie wurde im Februar 1941 dem Präsidenten des Syndicat des Editeurs übergeben, damit er sie an seine Kollegen weiterleiten konnte. 1943 schrieb Georges Blond in DeutschlandlFrankreich, seit dem Waffenstillstand seien mehr als 250 deutsche Bücher als Übersetzungstitel erschienen ; dabei würdigte er die Kulturpolitik der Nazis : „Wir waren wenn schon nicht auf eine entschlossene geistige Invasion, so doch zumindest auf geistigen Druck gefaßt, auf eine Verbreitung militanter Ideologie und Ästhetik. Eine einfache Übersicht aller in französischer Übersetzung erschienenen Werke läßt klar erkennen, daß die erste Phase des ideologischen Kampfes in der geistigen Produktion des Dritten Reiches vorbei ist. Heute können wir uns mit a l l e n deutschen Werten auseinandersetzen. Hinzig die Namen jüdischer Schriftsteller fehlen, aber das läßt durchaus nicht den Eindruck der Verarmung aufkommen."

255

4. Eine „bemerkenswerte"

Anthologie

Eines der „bemerkenswertesten" Produkte dieser Art von Kollaboration war die zweibändige Anthologie bilingue de la poésie allemande des origines à nos jours, 1943 im Verlag Stock von René Lasne und Georg Rabuse herausgegeben. Im Vorwort wurde übrigens auf die weitreichende Unterstützung des Deutschen Instituts hingewiesen. Mit einem Geleitwort von Karl Epting ist diese Anthologie ein Spiegelbild nazifaschistischer Kulturbestrebungen. Während Heine und mit ihm alle sogenannten jüdischen und bolschewistischen Schriftsteller fehlen, sind die Nazibarden, deren Talent einzig und allein zur Glorifizierung Hitlers ausreichte, massenhaft vertreten. Die Anthologie erschien mit großem Propagandaaufwand. Panorama und Comoedia veröffentlichten Auszüge. In vielen Rezensionen wurde sie als positives Ergebnis der „Kollaboration" gewertet. René Lasne reiste zu Vorträgen in der Provinz umher. In den illegal erscheinenden Lettres Françaises^ um die sich antifaschistische Schriftsteller sammelten, bezeichnete André Rousseaux 95 diese Anthologie als offenen Verrat, nach der Befreiung würde der Verlag Stock wegen Zusammenarbeit mit dem Feind verurteilt werden müssen. Rousseaux schrieb im Februar 1944: „Die Anthologie des Stock-Verlags ist in Hitlers Schlepptau geraten. Hitler verlangt, Deutschland müsse an der Spitze Europas stehen, um es zu verteidigen und neu zu organisieren."

5. Schöne Reisen nach Weimar 1941 und 1942 wurden auf Initiative von Otto Abetz die kollaborationswilligen französischen Schriftsteller zu literarischen Treffen nach Weimar eingeladen, die als „europäische Kongresse" ausgegeben wurden. In seinen Memoiren behauptete Abetz, 1941 wäre die Einladung ohne Zustimmung von Goebbels erfolgt. Goebbels habe das Treffen nicht gewollt, weil Mussolini dagegen protestiert habe, der gegen ein kulturelles Europa unter Vorherrschaft Deutschlands gewesen sei. Rechtfertigungen dieser Art, die in den Memoiren von Abetz häufig auftauchen und mit denen er sich von den Nazikonzeptionen abgrenzen will, erscheinen kaum glaubhaft. Es ist unvorstellbar, daß sich im Jahr 1941 Vertreter aus vierzehn europäischen Ländern ohne die Zustimmung von Goebbels treffen konnten und daß sich 1942 das gleiche wiederholt haben sollte. 256

Viele

der e i n g e l a d e n e n

Franzosen v e r ö f f e n t l i c h t e n l o b e n d e

Be-

richte über ihre R e i s e n u n d die K u l t u r p o l i t i k der N a z i s , so D r i e u la R o c h e l l e u n d M a r c e l J o u h a n d e a u in der Nouvelle R a m o n F e r n a n d e z schrieb in Comoedia,

Revue

Française.

die B e g e g n u n g v o n

1941

sei ein S y m b o l d e s schöpferischen D i a l o g s u n d der H o f f n u n g auf e i n neues L e b e n g e w e s e n . Für A n d r é Fraigneau w a r in Frankreich

das T r e f f e n A u f t a k t zur

Schaffung e i n e s

Deutschland/ neuen

euro-

p ä i s c h e n K l a s s i z i s m u s . D e r M a l e r D u n o y e r d e S e g o n z a c lobte e i n e m G e s p r ä c h mit M a x i m i l i e n G a u t h i e r , v e r ö f f e n t l i c h t in

in

Comoedia

a m 29. N o v e m b e r 1 9 4 1 , die a n g e b l i c h das künstlerische Schaffen b e fruchtende Atmosphäre: „Politik ist meine Stärke genausowenig wie die Ihre. Trotzdem möchte ich sagen, daß sich der Staat dort leidenschaftlich für die Künstler einsetzt und daß durch bestimmte Appelle von oben ein großes Interesse der Öffentlichkeit an den Künsten hervorgerufen wurde. Man spürt deutlich, daß eine mächtige K r a f t die deutschen Künstler unterstützt." Am

17. O k t o b e r

1 9 4 2 s c h w ä r m t e A n d r é T h é r i v e 9 6 nach

seiner

R ü c k k e h r aus T h ü r i n g e n v o n der schöpferischen Freiheit, d i e

die

Nazis großzügig gewährten: „Der prächtige und empfindsame Herbst im grünen Thüringen hat noch nicht die Melancholie des Todes ; die sehr reiche und geschätzte Vergangenheit scheint dort genauso fruchtbar und jung zu sein wie der Frühling. Wenn es in Europa einen Ort natürlicher Versöhnung gibt, dann ist er hier. Unnötig zu sagen, daß die Franzosen sich hier ebenso frei und willkommen wie vor dem Kriege fühlen." I m N a m e n d e s Liberalismus b e w u n d e r t e auch Jacques C h a r d o n n e 1 9 4 3 in Deutschland/Frankreich

d i e v o n den N a z i s erreichten sozia-

len V e r ä n d e r u n g e n u n d begeisterte sich für deren

Europa-Konzep-

tion, die d i e R e t t u n g Frankreichs bringen w ü r d e : „Ich nenne denjenigen liberal, der das Leben achtet. Europas Zukunft ist klar. Entweder wird der Deutsche siegen, oder Rußland und der Kommunismus machen sich in Europa breit. Im Falle eines russischen Sieges und den damit verbundenen asiatischen Einflüssen wird das Anglo-Amerikanische, das so weit entfernt und wankelmütig ist, nicht mehr zu spüren sein. In einem kommunistischen, also nationslosen Europa wird Frankreich verschwinden, und wir werden keinen Einspruch erheben können. In einem von Deutschland regierten Europa aber wird Frankreich seine Existenz bewahren, denn Deutschland ist geistig mit uns verwandt; es kennt den Wert Frankreichs. Franzosen, konkreter: liberale Franzosen, ich habe meine Wahl getroffen, ich weiß, wo unser Weg ist." 17

Faschismus

257

Die Na^iliteratur aus der Siebt willfähriger französischer Schreiberlinge 1. Vom

Aufblühen

der

Lyrik

N a c h d e m die A n t h o l o g i e deutscher L y r i k v o n R e n é L a s n e und G e o r g R a b u s e erschienen w a r , b e m ü h t e n sich Z e i t u n g e n und

Zeitschriften,

die G r ö ß e d e r N a z i l i t e r a t u r herauszustellen. R o b e r t P i t r o u z. B . 1 9 4 3 in N u m m e r 6 v o n

schrieb

Deutschland/Frankreich-.

„Leider hatten viele Franzosen nur eine vage Vorstellung von der Entwicklung der deutschen Lyrik; diese Arbeit hier wird ihnen wesentliche Kenntnisse vermitteln und ihnen vorbehaltlose Bewunderung ermöglichen. Manche leugneten, daß nach 1933 in Deutschland überhaupt noch Dichtkunst existierte; nun werden sie sehen, daß die deutsche Lyrik durchaus nicht mit Rainer Maria Rilke aufgehört hat, sondern heute wieder in voller Blüte steht und daß Persönlichkeiten wie Carossa und Agnes Miegel eine Plejade von einfachen und mitreißenden Anhängern um sich geschart haben."

2. Der

Stil der

E b e n f a l l s in Deutschland/Frankreich

Epopöe (Nummer

1, 1 9 4 2 )

hat

rice B e t z , als R i l k e - Ü b e r s e t z e r b e k a n n t , in einer C h r o n i k Livres

Maude

guerre

allemands

gezeigt, d a ß die deutschen Schriftsteller i m D r i t t e n

Reich

von

„großartigen"

den

europäischen

Unternehmungen

der

N a z i s nicht u n b e r ü h r t geblieben s i n d : „Die deutsche Kriegsliteratur steht gerade am Anfang; nachdem einige Dokumentarberichte und die ersten Feldtagebücher erschienen sind, deren Vielfalt überraschend ist, kann man noch nicht voraussehen, wie die Gestaltung des gewaltigen Kriegsabenteuers insgesamt vor sich gehen wird. In den vorliegenden Werken nimmt die Beschreibung der Fakten und der technischen Bedingungen der Schlacht noch einen bedeutenden Raum ein. Erst später wird sich das Werk als harmonisches Ganzes entfalten, und die Ereignisse werden ihren wahren Sinn enthüllen. Man kann indessen sicher sein, daß der Größe des Abenteuers nur der Stil der Epopöe angemessen ist, eine Art von heroischem Realismus, den die Kriegsbücher von Ernst Jünger schon vorweggenommen haben. Dieser Kult der Stärke, dieser männlich harte und großartige Einsatz, dem bei uns ein Montherlant und ein Drieu la Rochelle Ausdruck verliehen haben, hat in Fritz Otto Büschs Darstellung der Schlacht bei Narvik, jenes dramatischen Zusammenstoßes der englischen und der deutschen Flotte in den verminten norwegischen Fjorden, ein mehr fiebriges und herberes Pendant gefunden.

258

Norwegen, Polen, Belgien, Frankeich, Jugoslawien, Griechenland, Rußland, Afrika . . . was für Schlachtfelder und was für erhebende Bilder für die menschliche Erfahrung, die in den deutschen Kriegsbüchern eine adäquate Widerspiegelung zu finden beginnt ! Aufrecht wie auf einer gewaltigen Drehscheibe stehend, hat der deutsche Soldat die Armeen, die Landschaften und die Träume aller vier Himmelsrichtungen aufsteigen sehen."

3. Bekenntnisse

und

Literatur

A n d r é M e y e r h a t sich z u m u n e r m ü d l i c h e n A p o s t e l einer

Literatur-

kritik

zu einer

rassistischen

Bartels Comoedia

und

Will

„engagierten"

Typs

gemacht.

Vesper.

Am

5.

Literaturkritik

Seine

Vorbilder

Dezember

1942

waren

Adolf

schrieb

er

in

:

„Alle beide wurden zu Vorkämpfern einer wahrhaft nationalen Literatur und haben schon in einer Zeit gegen die Invasion der Juden in der deutschen Literatur gekämpft, als dieser Kampf noch gefahrvoll war." M e y e r b e k a n n t e sich ganz b e s o n d e r s zu W i l l V e s p e r : „Vor allem als Herausgeber der Zeitschrift Die

Schöne

Literatur

kann Will

Vesper als der Nachfolger und Fortsetzer von Adolf Bartels angesehen werden. Von Anfang an ging es ihm um einen unabhängigen, aufrichtigen, aber schonungslosen Kampf für eine freie, gesunde, wertvolle und tief im deutschen Boden verwurzelte Literatur. Diesem Anliegen ist er in den letzten zwanzig Jahren immer treu geblieben. E r machte seine Zeitschrift zu einem Kampforgan; vor allem in der Spalte Unsere

Meinung

führte er scharfe Auseinandersetzungen

mit der ganzen jüdisch-marxistischen Clique, die von 1918 bis 1933 mit ihren schmutzigen Produkten den deutschen Literaturmarkt überschwemmte. Mit unerbittlicher Härte entlarvte er die üblen Tricks dieser Händler-Literaten, ließ ihre Reklameballons platzen, gab sie der Lächerlichkeit preis, enthüllte ihre gespreizte Gedankenleere, die Nichtigkeit ihrer Kunst. E r gab außerdem fast allen großen deutschen Gegenwartsschriftstellern in der Serie Heimat

und

Ahnen

Gelegenheit, die wertvollsten Gedanken über ihre

Herkunft zu äußern und über das, was sie ihrer Geburtslandschaft verdanken." D e r s e l b e A n d r é M e y e r berichtete a m 1 9 . D e z e m b e r 1 9 4 2 in d e r Comoedia

v o n einer öffentlichen L e s u n g des N a z i s c h r i f t s t e l l e r s H e i n -

rich Zillich, die, v o m D e u t s c h e n Institut organisiert, eine W o c h e z u v o r in P a r i s s t a t t g e f u n d e n hatte. M e y e r s L o b setzte z w e i A k z e n t e : Z i l l i c h verstehe

sich auf H u m o r , u n d er habe seine politischen

Überzeu-

gungen b e s t ä t i g t : „Mit gleicher Ungezwungenheit kam er vom Schweren zum Lieblichen, vom Ernsten zum Vergnüglichen. Der sehr schönen und dramatischen Novelle 17*

259

Der

baltische Graf folgte die lustige Anekdote Die erlistete Mitgift, die alle zum Lachen brachte. Einführend erinnerte Zillich an die zivilisatorische Tätigkeit der Deutschen im Südosten Europas; er erwähnte ihren Einsatz zum Schutze Europas vor Invasionen seitens der Türken oder Russen, für den sie aber nur Undank ernteten. Kein anderer Schriftsteller könnte besser als er verständlich machen, wie notwendig dieses neue Europa ist, das in den russischen Ebenen und im Kaukasus entsteht, und an dessen Wiedergeburt diesmal ganz Transsylvanien - die Sachsen, Ungarn, Rumänen - mitwirkt." Von allen Schriftstellern des Dritten Reiches mußte man in Frankreich - nach André Meyer - vor allem einen kennen: Hans Friedrich Blunck (Comoedia vom 22. Mai 1 9 4 3 ) : „Wer sich darauf beschränken müßte, nur einen einzigen der zahlreichen bedeutenden Schriftsteller, auf die das heutige Deutschland stolz ist, kennenzulernen, der sollte sich für Hans Friedrich Blunck entscheiden. Sein Werk überragt - und nicht nur durch seinen imponierenden Umfang - die gesamte zeitgenössische literarische Produktion. Entschieden nationalsozialistisch eingestellt, bringt er die Bestrebungen des neuen Deutschland am vollständigsten zum Ausdruck. Außerdem umgibt ihn der Hauch einer kraftvollen, besonders befähigten und anziehenden Persönlichkeit; er verfügt über die Meisterschaft der begabtesten Künstler unserer Epoche. [ . . . ] 1933 erhielt er Genugtuung für die im jüdisch-republikanischen Deutschland erlittenen Schikanen; er wurde zum Mitglied der neuen Akademie für Dichtkunst und zum Präsidenten der Reichsschrifttumskammer ernannt. Da er die wichtigen Aufgaben dieses neuen Amtes sehr ernst nahm, blieb ihm jedoch kaum noch Zeit für sein literarisches Schaffen, deshalb übergab er zwei Jahre später seinen Platz an Hanns Johst. 1938 übereichte ihm der Führer die GoetheMedaille." André Meyer begnügte sich nicht damit, die Nazischriftsteller in der Presse vorzustellen, sondern er trieb auch seine Kollegen Germanisten dazu an. E r wetterte gegen jene, die die „jüdisch-marxistische Clique" der Emigranten verteidigten und die „Frechheit" besessen hatten, bis 1940 das W e r k von Alfred Döblin in den Lehrprogrammen der Universitäten zu belassen. In Nummer 1, 1942 von Frankreich

Deutschland/

warf er sich zum unerbittlichen Richter über sie auf:

„Als sie die jenseits des Rheins praktizierten neuen literarischen Wertmaßstäbe nicht akzeptierten, sind unsere Germanisten nicht nur einem Irrtum erlegen und luden damit schweres Unrecht auf sich, sondern sie unterstützten außerdem die - sowieso in Frankreich schon weit verbreitete - Auffassung, daß der Nationalsozialismus das Denken getötet oder zumindest in Ketten gelegt habe."

260

Meyer wies seine Kollegen in scharfem Ton an, der deutsch-französischen Versöhnung zu dienen, also Lakaien der Nazis zu sein: „Deutsche und Franzosen brauchen keine .Erbfeinde' mehr zu sein. In einem vereinigten, befriedeten Europa werden sie aus der Zusammenarbeit auf allen Gebieten die größten Vorteile ziehen. Um zu gegenseitigem Verständnis zu gelangen, das die unerläßliche Basis dieser Zusammenarbeit ist, müssen sich die Germanisten unverzüglich an die Arbeit machen."

Affinität gegenüber dem Fasebismus — Streiflichter Nazideutschland hat vor und nach 1940 auf einen großen Teil der französischen Bevölkerung - und zwar verschiedener sozialer Schichten - eine große Anziehungskraft ausgeübt. Das erklärt sich sicher z. T. durch die Einwirkung der Propaganda, aber auch dadurch, daß sie bestimmte tiefer liegende politische und psychologische Neigungen ausnutzen konnten. Die folgenden Streiflichter deuten an, wie sich das in Texten äußerte. 1. Blendung durch die Stärke und Organisation der Nazis Schon vor 1914 haben viele Franzosen die deutsche Ordnung, das Organisationstalent der Deutschen und ihre Effektivität in der produktiven Arbeit bewundert; sie übertrugen diese Denkschablonen auch auf Nazideutschland, das davon natürlich profitierte. Alle diese Vorzüge wurden im gewöhnlichen Alltag, bei den Okkupationstruppen festgestellt oder auch von Nazideutschland selbst propagiert. Die Presse, die in der besetzten Zone ganz unter Kontrolle der Deutschen stand, bediente sich all dieser Argumente und verbreitete sie maßgeblich. In Illustrierten wie La Semaine, in der kein Artikel namentlich gezeichnet war, läßt sich das Eindringen der pronazistischen Lobgesänge, die bewußt auf ideologische Höhenflüge verzichteten, deutlich verfolgen. So berichtete am 6. September 1942 ein anonymer Report über die Atmosphäre in Berlin. Unter einem Goebbels-Foto stand: „Dr. Goebbels ist Propagandaminister; Hunderte von Telegrammen, Berichten, Radiosendungen, Zeitungsausschnitten unterrichten ihn über das gesamte Weltgeschehen. Jeden Morgen versammelt er seine Mitarbeiter und gibt ihnen Anweisungen. Dr. Goebbels verabscheut unnützen Papierkrieg. Er sagte: .Zwei Telefone sind mehr wert als ein dickes Dossier.'"

261

Dem scheinbar allmächtigen und allwissenden Organisator Goebbels standen befähigte junge und moderne Mitarbeiter zur Seite. „Das sensationellste tägliche Berliner Ereignis ist unzweifelhaft die Pressekonferenz von Dr. Schmidt, Bevollmächtigter des Ministers und Chef der Abteilung Auslandspresse. Um ihn herum herrscht ein babylonisches Sprachengewirr: 210 Journalisten, die die Zeitungen der ganzen Welt vertreten, ausgenommen den angelsächsischen Block. Diese Pressekonferenz ist überall berühmt, denn durch sie erfährt die Welt Neuigkeiten von den Fronten, an denen Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt kämpft. Bis heute kann sich Herr Schmidt rühmen, von keiner einzigen Niederlage berichtet zu haben. E r ist ein Mann von mittlerer Größe und wirkt sehr jung mit seinen gerade vierzig Jahren. E r weiß, daß in jedem Journalisten ein Bohemien schlummert, und er fordert deshalb keine Etikette. Rauchen ist erlaubt, alles drängt sich um den langen Tisch, der aus Tradition mit einem grünen Tuch bedeckt ist. Wenn er seine Ausführungen beendet hat, hebt er den Kopf und sagt: .Keine Fragen?'."

Schriftsteller - wie Alphonse de Chäteaubriant in La Gerbe des forces (1937) - haben gleichfalls aus der angeblichen Überlegenheit der Nazis einen Kult gemacht. Noch peinlicher war es, wenn französische Universitätslehrer in der Organisiertheit .des Dritten Reiches ein Vorbild für die französische Jugend sahen. So berichtete z. B. Jean-Edouard Spenle, damals Rektor der Akademie von Dijon und angesehener Germanist, auf einer Konferenz des Deutschen Instituts enthusiastisch über die Erfolge der Naziuniversität. E r lobte den Arbeitsdienst, die soldatische Disziplin und das Prinzip der Rassenselektion. E r empfahl auch, den Kulturaustausch zwischen Nazideutschland und Vichy-Frankreich auszubauen, um auf diese Weise maßgeblich die neue „europäische Gemeinschaft" zu fördern: „Denn schließlich sind wir alle überzeugt von der Notwendigkeit einer physischen und moralischen Erneuerung, vom Bedürfnis nach neuen Orientierungen und Zielstellungen für die Jugend, von der Dringlichkeit einer totalen Verschmelzung unserer politischen Sitten und unseres Erziehungssystems, vom Bedürfnis nach einer neuen Gemeinschaft, die hauptsächlich auf der Arbeit und der ständigen Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Forschung, dem Unterrichtswesen und bei der Gestaltung der Lebensprozesse überhaupt basiert." 97

2. Faszination

ästhetischer

Art

Die spektakulären Naziaufmärsche, die Olympischen Spiele von 1936, die Konzerte, die Architektur und die Autobahnen, d. h. die von den Nazis angestrebte „Ästhetisierung der Politik", hat auf fran-

262

zösische Schriftsteller und J o u r n a l i s t e n , die meinten, für das S c h ö n e e m p f ä n g l i c h zu sein, einschlagend g e w i r k t . D e r Ü b e r g a n g z u m

Fa-

schismus w u r d e für diese v e r z ü c k t e n Ä s t h e t e n zu e i n e m artistischen G e n u ß . D a s gilt für D r i e u la R o c h e l l e und einige a n d e r e . Chardonne

schrieb

dazu

in

Deutschland/Frankreich

Jacques

(Nummer

4,

1943) : „Wenn ich die deutsche Gesellschaft in ihrer Gesamtheit betrachte, sind meine Gefühle ästhetischer Natur. D a gibt es moralische Schönheit (Mut, Willensstärke, Selbstüberwindung, Haltung und verschiedene Formen von Gesundheit) und auch Stil und Plastik. Selbst im einfachsten hat diese Gesellschaft Stil; sie verbreitet eine gehobene Atmosphäre." D i e s e r artistische G e n u ß ist häufig m i t ideologischen W e r t e n v e r b u n d e n , z u m i n d e s t in d e r M i t t e i l u n g d a r ü b e r . I m W e r k v o n

Arno

B r e k e r f a n d m a n nicht nur d i e R e i n h e i t der P l a s t i k , s o n d e r n

auch

d a s „ H e l d e n t u m " d e r N a z i k ä m p f e r . Selbst der f o l g e n d e A r t i k e l v o n R . - E . G e n i n in Paris-Soir Woche Vienne)

{Pur

génie

de

v o m 1 2 . D e z e m b e r 1 9 4 1 über die M o z a r t -

la musique,

le divin

Mozart

a été

glorifié

à

springt v o n rein musikalischen P r o b l e m e n d i r e k t über z u m

L o b auf das H e i m a t l a n d der K ü n s t e : N a z i d e u t s c h l a n d . D e r

künst-

lerische E r f o l g w i r d v o r a l l e m d e s w e g e n so herausgestellt, w e i l e r s e l b s t r e d e n d ohne das N a z i r e g i m e nicht d e n k b a r w ä r e : „Man wird sich bei uns wohl kaum vorstellen können, was eine Veranstaltung wie die Mozart-Woche sein kann. Seit dem 18. Jahrhundert ist die Kunst in Frankreich immer mehr zum exklusiven Beiwerk einer kleinen Kaste geworden, das Volk war vom Kunstgenuß ausgeschlossen. Selbst jene, die das Volk hätten aufklären müssen, haben sich ebensowenig um seine Erziehung wie um sein materielles Wohl gekümmert, und die Demokratie ist zugrundegegangen, weil sie unfähig war, mehr als bloß Reden hervorzubringen. In Deutschland dagegen hat der Nationalsozialismus mit großer Anstrengung den Massen ihre Würde bewußtgemacht. Wir haben es selbst gesehen, daß die ganze Bevölkerung an der Ehrung eines der größten wahren Genies ihrer Kulturgeschichte beteiligt war. Das ganze deutsche Volk ist musikalisch; die Straßen in Wien tragen rundum die Namen von Schubert, Beethoven, Strauß, Brahms. In diesen acht Tagen hat um uns und mit uns die ganze Hauptstadt die Darbietungen verfolgt, ja wir haben uns als Gäste eines ganzen Volkes gefühlt. Um bei uns ebenso großes allgemeines Interesse zu erregen wie hier beim 150. Todestag eines großen Mannes, müßte man eine internationale Ausstellung organisieren. Aus all dem Gesagten resultiert ganz natürlich die hohe Qualität der Aufführungen, die wir gesehen haben und von denen ich noch sprechen werde.

263

Als Haupteindruck dieser großartigen Manifestation sei aber zuerst einfach die Tatsache festgehalten, daß sie in einem solchen Moment hat stattfinde» können. Sie ist das hervorstechende Zeichen einer jugendlichen Vitalität. Fertig zu werden mit den unzähligen Notwendigkeiten des gigantischen K o n flikts der Geschichte; das unermeßliche und tragische menschliche Schicksal vom Schnee der Steppen bis zum Wüstensand zu beherrschen; gleichzeitig eine Zivilisation zu verteidigen und eine neue Ordnung zu errichten; schließlich in eben diesem Moment der W e l t die höchsten geistigen Werte, für die gekämpft wird, zu offenbaren, indem man in einer der Hauptstädte Vertreter aus siebzehn Nationen zusammenführt -

das ist die erstaunliche Leistung in diesem

Schauspiel, zu dem uns die Regierung des jungen Deutschland eingeladen hatte."

3. Für eine geistige

Allianz aller Spielarten des Faschismus des „neuen Europa"

im

Namen

Das Thema vom „neuen Europa" stand - wie die vorhergehenden Texte gezeigt haben - besonders während der Okkupation auf der Tagesordnung, als behauptet wurde, das Wohl Frankreichs komme aus der Gemeinschaft mit Deutschland. Dabei wurde Deutschlands Hegemonie akzeptiert, aber man betonte, die Nazis wollten Frankreich nicht unterwerfen, und das beste Mittel zur Verteidigung der französischen Besonderheiten sei die Unterstützung der Kollaborationspolitik. Solche Thesen waren gegen die Sowjetunion und allgemein gegen den Kommunismus oder den „jüdischen Bolschewismus" gerichtet. Besonders kurios ist, daß sich auf dieser Ebene die Verfechter eines progermanischen mit denen eines „lateinischen" Rassismus trafen. Ob man die Referenzen nun dem faschistischen Italien oder Nazideutschland erwies, das Resultat war das gleiche. Camille Mauclair (1872-1945), in seiner Jugend vor 1914 Sympathisant der sozialistischen Bewegung (er hat in dieser Zeit seinen „Kosmopolitismus" bekannt), hatte sich zum Kunstkritiker gemausert, dessen Positionen denen der Nazis sehr nahe waren. Er mißbilligte das „Fremde", die „entartete" Kunst, den „Zerfall", den die modernen Maler praktizierten, und gab sich darum zur Kollaboration her. Er verkündete in der Presse seinen militanten Antisemitismus. Der einstige Verteidiger der „Latinität" schloß sich seinen rassistischen Gesinnungsgenossen an, die auf die „Germanität" schworen. Am 17. November 1941 schlug er in der Tageszeitung Le Matin vor, die geistigen Bindungen zwischen Frankreich und Spanien wieder zu knüpfen, damit die jungen Phalangisten, die in den Franzosen vor 264

allem F e i n d e F r a n c o s sahen, sich nicht mehr beschwerten. A l s nachahmenswertes

Beispiel

empfahl

er

die

Deutschlandreisen

franzö-

sischer Schriftsteller und Künstler, die „im Reich so herzlich e m p fangen" w o r d e n seien. Seiner Ansicht nach w a r dies ein i d e a l e r W e g , um das künftige E u r o p a vorzubereiten: „Ein gereinigtes Frankreich, befreit von den Juden, vom Kommunismus, von den Freimaurern, ein wieder gläubig gewordenes Frankreich, d a s die L ü g e n h a ß t , die ihm s o v i e l U n g l ü c k g e b r a c h t haben, muß und will der heldischen Jugend von Alcazar und Teruel die Hand reichen. Ihre gemeinsame Aktion muß die tieferen Schichten beider Nationen durchdringen und überzeugen. Sogar im Verlauf dieses Krieges zwischen der Barbarei und der Zivilisation bereitet sich schon die europäische Zusammenarbeit vor, in der - gerecht und harmonisch - Frankreich wie Spanien seinen Platz haben wird. Die lateinische Kultur des Mittelmeers wird die historischen Rechte beider Länder wahren; beider Genies werden sich dem europäischen Schicksal anschließen, jedoch ohne darin aufzugehen. Deshalb müssen unsere Intellektuellen mit denen des neuen Spanien zusammenarbeiten; Spanien hat uns Schlechtes mit Gutem vergolten. Aus dieser gegenseitigen vielfältig variierten Einheit, die frei von konkurrierender Eifersucht sein wird, aus dieser Harmonie der verschieden erstrahlenden Nationen wird das Genie einer wahrhaft neuen Welt, des Europa von morgen, hervorgehen."

Schriftsteller und Intellektuelle im Widerstand D e r organisierte antifaschistische K a m p f begann in F r a n k r e i c h

be-

reits nach der Machtergreifung Mussolinis in Italien. V o r a l l e m B a r busse bemühte sich, mit H i l f e seiner Zeitschriften

alle

antifaschi-

stischen Schriftsteller und Intellektuellen zum gemeinsamen zusammenzuführen. In der W o c h e n z e i t u n g Monde

Kampf

und in der

Front

ist die Stoßrichtung seiner Initiativen und die seiner M i t -

mondial

streiter deutlich ablesbar. Bis zu seinem T o d e im J a h r e 1 9 3 5 setzte er sich -

ohne seine K r ä f t e zu schonen -

für das Z u s t a n d e k o m m e n

internationaler Friedenskongresse und für die B i l d u n g v o n K o m i t e e s zur Verteidigung antifaschistischer Häftlinge ein.

1. Aufrufe

und Warnungen

im Kampf

gegen

den

deutschen

Faschismus Nach

der

faschistischen

Machtergreifung

in D e u t s c h l a n d

trierten sich Protestbewegungen zunächst auf die Befreiung

konzenGeorgi

D i m i t r o f f s und dann E r n s t T h ä l m a n n s 9 8 . A m 10. F e b r u a r 1 9 3 4 v e r -

265

öffentlichte Barbusse in Monde bemerkung:

einen Aufruf mit folgender Schluß-

„Wer sich der internationalen Protestbewegung nicht anschließt und nicht sein Möglichstes tut für die Rettung der deutschen Antifaschisten, der macht sich unweigerlich zum Komplizen der mörderischen Barbaren. Mehr als jemals zuvor appellieren wir heute deswegen an das menschliche Gewissen, an die besten Gefühle der Männer und Frauen jeder Richtung, sich in diese breite Front zur Unterstützung der Opfer des Faschismus und des antifaschistischen

Kampfes

einzureihen."

Seltsamerweise trug dieser Aufruf auch die Unterschrift von LouisFerdinand Céline, der später berüchtigte antisemitische Pamphlete verfaßte. Der Autor von Voyage au bout de la nuit schickte Barbusse folgenden zweideutigen Brief, in dem er nicht an Hitlers „Großmut" zweifelt und in dem man das noch zurückhaltende Einverständnis des späteren offenen Verfechters der Nazipolitik spürt: „Lieber Barbusse, Keinem anderen als Ihnen stünde es besser an, diese Protestnote zu formulieren, die ich selbstverständlich mit Ihnen unterschreibe. Beim gegenwärtigen

Stand der Dinge kommt, wie ich hoffe, eine

solche

Geste nicht zu spät, um ihren guten Zweck zu erfüllen. E s sei denn, daß Hitler bereits zu Weihnachten irgendeine politische Amnestie e r l ä ß t . . . Das Leben hängt oft an solchen Zufälligkeiten! Aber Sie können das besser beurteilen. Seien Sie herzlich gegrüßt

L . - F . Céline"99

Selbstverständlich war Barbusse nicht der einzige, der die Ereignisse klar durchschaute, aber nur wenige Schriftsteller verfügten über solche Einsatzbereitschaft und Selbstüberwindung wie er. Nach 1935 wurde die antifaschistische Bewegung, deren Organisator Barbusse in Frankreich teilweise war, verfolgt, besonders seit 1936, als Franco gegen die spanische Republik putschte. Aktive Unterstützung bekamen die deutschen Antifaschisten durch Solidaritätsveranstaltungen und zahlreiche Broschüren, an denen Schriftsteller mitarbeiteten wie Jean-Richard Bloch 100 , Jean Cassou'101, André Chamson, André Gide 1 0 2 (vor seiner Sowjetunion-Reise), André Malraux 103 , Victor Margueritte 104 u. a. sowie die Gruppe revolutionärer Schriftsteller und Künstler, die sich um Louis Aragon und Paul Nizan in der Zeitschrift Commune zusammenfand. Im Vorwort zu dem Buch Les morts parlent aux vivants (1935) schrieb Francis Jourdain 1935 beispielsweise diese Würdigung: 266

„Wenn es gelingt, die Kriegshetze des deutschen Faschismus rechtzeitig zu unterbinden und diese Büchse der Pandora unschädlich zu machen, bevor aus ihr eine neue blutige Sintflut hervorbricht, dann wird das vor allem das Verdienst der deutschen Antifaschisten sein, die ihren Kampf ohne Todesfurcht führen." T r o t z dieser im wesentlichen politischen und menschlichen U n t e r stützung w a r e n jedoch die französischen Zeitungen und Zeitschriften gegenüber

den

deutschen

Exilschriftstellern

recht

zurückhaltend.

E i n i g e r m a ß e n regelmäßig erschienen ihre Beiträge lediglich in P u blikationsorganen w i e L'Europe nouvelle (Leitung Louise W e i s s 1 0 5 ) , Monde, Europe o d e r Commune™. A l l e r d i n g s haben bestimmte P e r sönlichkeiten in bedeutenden Zeitschriften w i e Revue de Paris, Revue des Deux-Mondes im, Journal des débats, Annales über die L a g e in Nazideutschland und das Schicksal der Emigranten i n f o r m i e r t . D a z u gehörten u. a. R o b e r t d'Harcourt 1 0 8 , Maurice M u r e t 1 0 9 , A r m a n d Pierh a i 1 1 0 , Louis G i l l e t 1 1 1 . Letzterer bemerkte im September 1 9 3 8 in einer speziell der deutschen Literatur gewidmeten N u m m e r d e r Zeitschrift Le Point: „Wo gab es das schon einmal in der Geschichte? Die ganze moralische Elite eines Volkes, alle seine großen Meister, seine Künstler wurden vertrieben und ins Exil gejagt oder zur Flucht gezwungen : Die bedeutendsten Vertreter der deutschen Literatur, ein Thomas und ein Heinrich Mann, ein Stefan Zweig, ein Franz Werfel, ein Döblin wurden verstoßen und leben, wo sie der Zufall Asyl finden ließ, in der Schweiz, in Großbritannien, in Frankreich, in den USA, den letzten liberalen und aufnahmewilligen Ländern. Kurzum, seit den Bücherverbrennungen von 1933, als man in Deutschland Freudenfeuer mit all dem entzündete, was nicht so dachte wie Herr Hitler, seit das Dritte Reich den , K u l t u r k a m p f ' gegen jeden entfesselte, der es wagte, von Allah und seinem Propheten abzuweichen, kann man sagen, daß die deutsche Intelligenz nur noch außerhalb Deutschlands lebt. Nazideutschland hat über sich selbst die Blockade verhängt. Es ist ein großes Konzentrationslager, ein Hort der Blinden, der von Blindheit, von Instinkten, Leidenschaften, Wahnsinn und Alpträumen beherrscht wird. Was soll daraus werden? Wir werden es schon sehen. Während wir abwarten, hat der Nazistaat völlige Leere, totale Sterilität, absolute Knechtschaft geschaffen - das ist einer der großen Triumphe des totalitären Staates. Du denkst, also haßt Du mich." 112 2. Ein offener

Brief

von Romain

Rolland

R o m a i n R o l l a n d unterstützte Barbusse bei allen internationalen antifaschistischen und

Kundgebungen.

bewunderte,

wurde

Er,

sofort

den

man

Zielscheibe

267

in

Deutschland

las

der

Nazipresse.

Am

9. M a i 1 9 3 3 griff ihn Die

Kölnische

Zeitung

an und w a r f ihm v o r ,

in den „bolschewistischen" C h o r der F e i n d e D e u t s c h l a n d s eingestimmt zu haben. D a s ist zugleich der k l a r e A u s d r u c k d a f ü r , d a ß

Nazi-

deutschland v o n nun an als G e n d a r m E u r o p a s im K a m p f gegen den Kommunismus auftreten wollte: „Die Kommunistische Internationale betreibt vom Ausland her eine maßlose Hetze gegen die nationale Regierung in Deutschland. Mit einem großen Aufwand an Lügen und Schauergeschichten sucht sie der Welt weiszumachen, daß Deutschland ,vom Blut der Arbeiter dampft' und daß das Proletariat aller Länder die Pflicht habe, sich zum Angriff .gegen den faschistischen Terror in Deutschland' zu sammeln. In pathetischen Wendungen werden die sogenannten Intellektuellen aufgefordert, sich diesem Kampf anzuschließen. Viele sind verblendet genug, das zu tun, und man wundert sich nicht, ihre Namen unter den Aufrufen der Kommunistischen Internationale zu lesen. Merkwürdig berührt nur, daß eine jener Übeln Schmähschriften, die in Kopenhagen erscheint, neben einem Beitrag von Henri Barbusse auch einen solchen von Romain Rolland veröffentlicht. Man erinnert sich bei dieser Gelegenheit, daß die beiden einst einen lebhaften Meinungsstreit hatten, da Romain Rolland die grausamen Irrungen des Bolschewismus entschieden verurteilte, während Barbusse sie als Durchgangsstufen zu einer besseren Zukunft der Menschheit zu rechtfertigen suchte. Jetzt haben sich beide zusammengefunden, der fanatische Jünger Moskaus und der Mann, den man einst ,das Gewissen Europas' nannte, weil er tapfer genug war, die Dinge gerecht zu betrachten, und dem Deutschland während des Krieges und in den späteren Jahren für manchen Beweis seiner gerechten Gesinnung dankbar sein konnte. Zuletzt war Romain Rolland noch für die Ansprüche Deutschlands auf eine gründlichere Revision der Verträge eingetreten. Daß er sich dadurch den Haß der französischen Chauvinisten zuzog, kümmerte ihn nicht, denn es ging ihm um Europa und seine hohen Kulturgüter, für die er einen besseren Frieden erkämpfte. Und gerade weil er diese Einsicht besaß, hätte er auch für die nationale Regierung in Deutschland Verständnis aufbringen müssen. Denn nur dank des entschlossenen Zugriffs dieser Regierung blieb Deutschland von dem bolschewikischen Chaos verschont. Das aber hätte an den Grenzen des Reiches bestimmt nicht haltgemacht, wenn ihm Deutschland zum Opfer gefallen wäre. Wer weiß, ob es nicht auch jene ruhigen Orte ergriffen hätte, wo heute unter falscher Berufung auf Kultur und Frieden gegen Deutschland gehetzt wird." R o m a i n R o l l a n d b e a n t w o r t e t e diesen A n g r i f f in einem B r i e f , den Die

Kölnische

Zeitung

am

21.

Mai

1933

veröffentlichte.

Dem

D e u t s c h l a n d , dessen „ W e l t b ü r g e r [ . . . ] an der Vereinigung der V ö l ker und der G e i s t e r gearbeitet haben", nicht dem der N a z i b a r b a r e n gehöre seine Liebe, e r k l ä r t e er, klagte Hitlers A p o l o g e t e n an und e n t l a r v t e die f ü r Deutschland eindeutig u n h e i l v o l l e Politik der N a z i s :

268

„Eine solche Politik ist ein Verbrechen nicht nur gegen den menschlichen Geist, sondern auch gegen Ihre eigene Nation. Sie entziehen ihr einen großen Teil ihrer Energien, Sie nehmen ihr die Hochachtung ihrer besten Freunde in der Welt. Ihre Führer haben das Kunststück fertiggebracht, die Nationalisten und Internationalisten aller Länder gegen Sie zusammenzuschließen. Sie wollen das nicht sehen. Sie ziehen es vor, von einer Verschwörung gegen Deutschland zu sprechen. Aber Sie, Sie selbst, Sie allein haben sich doch gegen sich selbst verschworen!" A l s Postskriptum f ü g t e er f o l g e n d e n A b s a t z hinzu, g e w i s s e r m a ß e n als A u f f o r d e r u n g an d i e deutschen I n t e l l e k t u e l l e n , zu d e n dirigistischen M a ß n a h m e n der N a z i s S t e l l u n g zu n e h m e n : „P. S. Sie behandeln die Anklagen der ausländischen Presse gegen den Hitlerschen Faschismus als Verleumdung. Wir haben ein ganzes Bündel Zeugnisse der Verfemten, scheußlicher Greueltaten von Braunhemden, die keine amtliche Erklärung bestraft oder mißbilligt hat. Aber sprechen wir hier nicht davon! Uns genügen die amtlichen Texte. Wollen Sie die eigenen Erklärungen Ihrer Führer - Hitler, Göring, Goebbels - verleugnen, die veröffentlicht und durch den Rundfunk verbreitet worden sind, ihre Aufreizungen zur Gewalt, ihre Verkündungen des Rassismus (racisme), der andere Rassen, wie die Juden, verletzen muß, diesen Modergeruch eines seit langem für den Westen verflossenen Mittelalters? Leugnen Sie die freche Eindrängung der Politik in die Akademien und Universitäten? Glauben Sie denn nicht, daß der große Bannstrahl der Wissenschaft und Kunst schwerer wiegt auf der Waage der Weltmeinung als die lächerlichen Exkommunikationen Ihrer Inquisitoren? R. R." D i e s e E r k l ä r u n g v o n R o m a i n R o l l a n d , die d i e N a z i s publizierten, u m ihren a n g e b l i c h e n L i b e r a l i s m u s zur Schau zu stellen, löste e i n e g a n z e R e i h e v o n S t e l l u n g n a h m e n aus, d i e d e m Inhalt nach T r e u e bekenntnisse z u m deutschen Faschismus w a r e n . Sie w u r d e n in e i n e m B u c h Sechs Bekenntnisse

zum

neuen

Deutschland

(1933) zusammen-

gefaßt. N e b e n Rudolf G . Binding und Erwin G u i d o

Kolbenheyer

w i e s a u c h ein Franzose, der B a r o n R o b e r t F a b r e - L u c e , d i e

Äuße-

rungen v o n R o l l a n d zurück u n d stellte sie als gänzlich u n w a h r hin. F a b r e - L u c e , O r g a n i s a t o r eines rassistischen europäischen B ü n d n i s s e s , d e s s e n Sitz in Berlin w a r (er w u r d e dort sogar als Initiator einer französischen

nationalsozialistischen

Bewegung

vorgestellt),

versi-

cherte, d a ß d i e „nationalsozialistische R e v o l u t i o n " o h n e j e d e s B l u t v e r g i e ß e n v o r sich g e g a n g e n sei u n d z u m M o d e l l für E u r o p a w e r den müßte: „Ich als Franzose kann meinem Landsmann nur sagen, daß er sich über die Vorgänge im neuen Deutschland gründlich getäuscht hat.

269

Aber zuallererst protestiere ich gegen die Verleumdungen und Lügen, die bestimmte daran interessierte Kreise über Deutschland verbreiten. Ich füge hinzu, daß die Bücherverbrennungen, die man lächerlicherweise als eine Sünde gegen den Geist dargestellt hat, meiner Ansicht nach im Gegenteil das Symbol einer geistigen Wiedergeburt alles Gesunden, Edlen und Ehrlichen sind. Ich nutze die Gelegenheit, um dem neuen Deutschland zu raten, sich durch die Nachreden und Lügen nicht einschüchtern zu lassen. Das neue Deutschland steht unter dem Zeichen männlicher Kraft. Es muß nur wachsam sein. Und die seiner würdigen Führer werden ihr Vaterland zu bewachen wissen."

Am 5. Dezember 1938 schickte Romain Rolland an den Weltbund für jüdische Kultur ein weiteres antifaschistisches Protestschreiben. Er brachte dort seine Solidarität mit den verfolgten Juden zum Ausdruck sowie seine Verachtung des Antisemitismus und versicherte, daß der Faschismus in Deutschland für lange Zeit ein Schandmal hinterlassen würde. Bedenkt man, mit welcher Heftigkeit ein Teil der deutschen Jugend nach 1945 ihre Väter angeklagt hat, dann bekommt der Brief geradezu prophetischen Sinn: „Kein Feind Deutschlands hätte ihm die Schmach und den Schaden zufügen können wie diese erbärmlichen Fanatiker des Rassismus es getan haben. Sie haben Deutschland in den Augen der Welt entehrt. Der Widerruf des Edikts von Nantes hat das monarchistische Frankreich für Jahrhunderte geschwächt. Die Maßnahmen gegenüber den Juden in Deutschland sind ein Aderlaß am besten Teil seiner Intelligenz. Durch die Niederträchtigkeit, die Grausamkeit und das Ausmaß der Schmach ist das Antlitz Deutschlands gebrandmarkt, und es werden Jahrhunderte nötig sein, um dieses Zeichen auszulöschen." 112

3. Vom Verhalten zu den Emigranten

- Ein Hymnus auf die Zukunft

Die Zeitschrift Commune brachte im Februar 1939 eine Sondernummer zu Problemen des deutschen Humanismus heraus. In der anonymen Einleitung wurden zwei Hauptpunkte den deutschen Faschismus betreffend hervorgehoben: - Die gewöhnlich vertretene Auffassung, der deutsche Faschismus habe die Kultur als Ganzes negiert, ist falsch. Im Gegenteil liquidierte er bestimmte geistig-kulturelle Strömungen und andere wieder favorisierte er. Die Nazis waren fortwährend damit beschäftigt, eine angeblich „neue Kultur" zu entwickeln. - Das Phänomen des Nationalsozialismus ist untrennbar mit bestimmten Zügen des deutschen Charakters und besonders zählebigen germanischen Werten verbunden. 270

Nach Meinung der Commune kann der Widerspruch zwischen den Kräften der Reaktion und des Fortschritts, zwischen der deutschen Intelligenz und den Regierungen in Deutschland als durchgehender Zug in der deutschen Geschichte angesehen werden: „Wir stehen zwei gegensätzlichen Traditionen gegenüber: Macht und Geist. Kann man sagen, daß nur eine von beiden Deutschland repräsentiert, daß es zwei Deutschland gibt, von denen nur eines das ewige Deutschland ist? Das wäre eine gefährliche Blindheit. In Wirklichkeit haben wir es mit zwei gleichermaßen durchgehenden Seiten Deutschlands zu tun. Deutschland ist ein uraltes Schlachtfeld, auf dem sich hochentwickelte Zivilisation und äußerst inhumane Barbarei gegenüberstehen. Immer wieder im Verlauf seiner Geschichte ist dieses Land der Dichter und Denker - es trägt diesen Titel zurecht - in Exzessen von Dünkel und Haß versunken. Immer wieder im Verlauf seiner Geschichte hat die Welt ihm seinen Irrtum begreiflich gemacht, und immer haben die großen Deutschen die nationale Ehre gerettet."

Diese Sondernummer von Commune hat mehr oder weniger einen Gedanken aufgenommen, der - in Frankreich sehr häufig anzutreffen - Deutschland aus seiner Psychologie erklärt, was letztendlich bedeutet, den deutschen Faschismus auf eine Manifestation der unaufhörlich wiederkehrenden ewigen germanischen Seele zu reduzieren: „Wird dieser Rhythmus eines Tages aufhören? Wir hoffen es von ganzem Herzen als Europäer und als Franzosen, als Humanisten. Aber wir sehen natürlich, daß das Deutschland von heute sich leidenschaftlich seinem finsteren germanischen Wesen hingibt, das schon Tacitus so gut beschrieben hat."

Diese Erklärungsweise wurzelt in einer gewissen französischen Marotte, nämlich der Idealisierung der aus der Französischen Revolution herrührenden Werte. Das Wesen und die Folgen des Faschismus werden dabei nicht entschleiert, denn er fällt so fast mit allem Reaktionären in Deutschland zusammen. Nichtsdestoweniger bleibt die Sondernummer ein nennenswerter Beitrag - übrigens mit der grundlegenden Orientierung der Zeitschrift übereinstimmend - für die Sache der antifaschistischen Emigranten. Das sollte sie auch sein, und Aragon hob es in seinem Beitrag Reconnaissance ä l'Allemagne hervor. Leidenschaftlich engagiert, rief er dazu auf, das große deutsche Gedankengut nicht mit den Helfershelfern einer vergänglichen Diktatur zu verwechseln: „Man muß die Werke der großen Schrifsteller der Vergangenheit bekannt- 1 machen, um gegen diesen von den Progromen erzeugten H a ß anzukämpfen, der nicht mehr zwischen dem unsterblichen Deutschland und seinen heutigen Macht-

271

habern unterscheidet. In Frankreich sind Börne, Büchner zu wenig bekannt, man liest zu wenig Heine . . . Aber während ich das schreibe, kommt mir in den Sinn, daß diese ungerechtfertigte Geringschätzung der Toten weniger empörend ist als unser aller Unkenntnis der Lebenden. Gibt es niemand, der Heine, Büchner, Börne gleichkommt unter uns Lebenden? Die Lebenden muß man lesen, den poetischen und erregten Protest der deutschen Seele! Es reicht nicht, sich lediglich auf die Vergangenheit zu berufen. Man muß sich auch zu den Bindungen von heute, zu den Lebenden, bekennen. Es gibt Thomas Mann und Bertolt Brecht, es gibt Heinrich Mann und Anna Seghers, es gibt Lion Feuchtwanger und Willi Bredel, es gibt Emil Ludwig und Egon Erwin Kisch, es gibt Erich Maria Remarque und Ludwig Renn, es gibt (ohne damit die brutale Annexion Österreichs billigen zu wollen) Franz Werfel und Musil. . . Und viele andere Namen, die die Hoffnung und der Hymnus auf die Zukunft sind. Es gibt Lieder, Geschichten und lebendige Entrüstung. Alles, was von diesem großen geknebelten Volk in sie übergegangen ist, hat in ihren glühenden Worten, ihrer Begabung und ihrem Haß Ausdruck gefunden. Wer in Frankreich wirklich französisch ist, der sollte dieses exilierte Deutschland kennenlernen, es lieben und verteidigen. Ich weiß nicht, wie viele so denken, aber so wenige wir auch sein mögen, die sich dessen bewußt sind, wir wollen in den Exilierten ihrem Vaterland danken für alles, was es uns - von Hölderlin bis Schumann, von Hegel bis Wagner, von Heinrich Heine bis Wedekind - gegeben hat. Schauen wir auf sie, sie geben das Beispiel, sie haben nicht versagt."

4. Eine

andere

Anthologie

deutscher

Poesie

In Frankreich w u r d e n zahlreiche Z e u g n i s s e u n d v i e l e d o k u m e n t a r i s c h e Berichte über die R é s i s t a n c e publiziert. Bereits E n d e 1 9 4 5

schrieb

L o u i s Parrot, aktiver K ä m p f e r in der Résistance, sein B u c h

L'Intel-

ligence

en guerre.

E r berichtete dort über die i l l e g a l e n P u b l i k a t i o n e n ,

über d i e G r ü n d u n g d e s C o m i t é national des écrivains u n d der Z e i t schrift Lettres

Françaises,

über d i e E n t w i c k l u n g

der E d i t i o n s

de

M i n u i t . Parrot hat a l l e A k t i v i t ä t e n französischer I n t e l l e k t u e l l e r i m antifaschistischen K a m p f v e r z e i c h n e t : M a l e r , Schriftsteller, M u s i k e r , Schauspieler, F i l m s c h a f f e n d e , Lehrer, R e c h t s a n w ä l t e , Ä r z t e h a b e n

-

w i e dieses packende Buch nachweist - aktiv am K a m p f teilgenommen. I m K a p i t e l über die französischen U n i v e r s i t ä t e n e r w ä h n t e Parrot b e sonders d e n T o d d e s v o n d e n D e u t s c h e n erschossenen

Philosophen

G e o r g e s Politzer, d i e E r m o r d u n g v o n M a r c B l o c h durch vier B a n d i t e n a m A b e n d des 14. Juni 1 9 4 4 , d i e V e r h a f t u n g u n d D e p o r t a t i o n 272

von drei international bekannten Gelehrten, des Soziologen Maurice Halbwachs, des Spezialisten für Thermodynamik Georges Bruhat, des Sinologen Henri Maspero. „Maurice Halbwachs, Henri Maspero und Georges Bruhat - drei Männer von so vielen - fanden nach Tagen der Erniedrigung und des Leidens im Konzentrationslager Buchenwald den Tod. Viele Franzosen mußten dort ihr Leben lassen. Sie wurden Opfer der schrecklichsten Barbarei, die es jemals auf der Welt gegeben hat. Sie sind typische Repräsentanten der französischen Universität, die selbst in den dunkelsten Tagen nie die Hoffnung verlor und durch die würdige Haltung ihrer besten Vertreter ein Beispiel gab." 114

Auch Alain Guérin hat in seiner großen Histoire illustrée de la Résistance (1972) dem Kampf der Schriftsteller und Künstler breiten Raum gewährt. Die Zeitschrift Europe brachte 1974 ein Sonderheft La poésie et la Résistance mit Gedichten der Résistance heraus. Pierre Seghers behandelte in La Résistance et les poètes (1974), einer Arbeit, die historische Analyse mit einer Anthologie verband und ursprünglich zur Verteidigung seiner Dissertation gehörte, das gleiche Problem. Mit dem Wirken deutscher Antifaschisten in der französischen Résistance (Les antifascistes allemands dans la Résistance française, 1969) beschäftigte sich Florimond Bonté. Eine Episode in diesem Kampf ist der kleine Band Les Bannis115, der 1944 mit Unterstützung des Comité national des écrivains in den Editions de Minuit herauskam und eine kleine Auswahl ausschließlich deutscher Dichter vorstellte. Die Übersetzung besorgte Jean Tardieu (Pseudonym Armor), die Einführung war von Claude Bellanger (Pseudonym Mauges). Mangelnde Verbindungen sowie Schwierigkeiten bei der Übersetzung bedingten, daß nur wenige Exilschriftsteller in die Anthologie aufgenommen werden konnten. Immerhin findet man darin Brecht, Toller, Tucholsky, Fritz von Unruh, Werfel und Stefan Zweig. Sinn dieser illegalen zweisprachigen Publikation war es, zu zeigen, daß Deutschland nicht mit dem faschistischen Regime identisch ist. Sie verstand sich insofern als Gegenbild zu den Verfälschungen des Deutschen Instituts. Claude Bellanger hob diese Funktion im Vorwort hervor: „In Paris erschien kürzlich die Anthologie

bilingue de la poésie

allemande

des origines à nos jours. Auf Initiative des Deutschen Instituts herausgegeben, hat dessen Direktor Dr. Karl Epting die beiden dickleibigen Bände selbst eingeleitet. Nicht ohne eine gewisse Überraschung haben wir diese Publikation zur Kenntnis genommen. Der Zeitpunkt schien in der Tat denkbar schlecht gewählt 18

Faschismus

273

für eine solche Würdigung und das Aufsehen, das man ihr in einem besetzten Land verschaffen wollte. Das ganze Unternehmen war unangebracht. Bedauerlich bleibt auch, daß sich ein Übersetzer, Herr René Lasne, und ein französischer Verlag, die Editions Stock der Herren Delamain und Boutelleau alias Jacques Chardonne, dafür zur Verfügung gestellt haben. Über sie ist das letzte Wort noch nicht gesprochen."

Bellanger ging davon aus, daß Les Bannis ein Anfang war, dem nach dem Krieg eine Fortsetzung folgen sollte: „Diese Ausgabe ist Vorbereitung und Vorankündigung einer wirklichen thologie, die die beiden schändlichen Bände von 1943 ersetzen wird. Bannis gehört in das Konzept der Editions de Minuit, die in diesen Zeiten Unterdrückung das französische Gedankengut repräsentiert; wir wollen, diese Anthologie vom Stolz der Literatur kündet."

AnLes der daß

Lange nach 1945 ist die Anthologie der Editions Stock, bei Neuauflagen nach Bedarf leicht verändert, noch auf dem französischen Buchmarkt geblieben. Natürlich wurden die direkt faschistischen Texte entfernt. Auch verschwand der Name des deutschen Mitherausgebers Georg Rabuse, und René Lasne blieb allein übrig. Immer noch mit seinem Namen und ebenfalls ohne Ausdruck des Bedauerns über die Umstände, unter denen die Erstauflage während des Krieges erschien, haben die Editions Marabout (Brüssel) 1969 diese Anthologie - mit einigen Veränderungen und Ergänzungen - in zwei Bänden als Taschenbuch wiederaufgelegt.

Anmerkungen

Anmerkungen %um Vorwort (Gudrun Klatt) 1 Konrad Wolf: Kunst im Kampf gegen Faschismus gestern und heute. In: Neues Deutschland v. 9. 5. 1979. 2 Claude Prévost: L'idéologie „harmonieuse" de la destruction. In: L'Humanité v. 2. 2. 1978. 3 Lionel Richard: Über den Fall Breker. In: Deutsche Volkszeitung v. 7. 9. 1972. 4 L'histoire ne se répète pas, elle se ressemble. (Interview mit Ariane Mnouchkine.) In: Le Monde v. 22. 3. 1979. 5 Lionel Richard: Du nazisme à Syberberg et vice-versa. In: H. J. Syberberg. Université de Dijon. 11.-12. 3. 1979, S. 2. 6 Es sei hier vor allem auf die beiden Sondernummern der Zeitschrift Obliques verwiesen: L'expressionisme allemand. Obliques Nr. 6-7, Paris 1976; Brecht. Obliques Nr. 20-21, Paris 1979. Bei beiden Nummern hat Richard als Herausgeber fungiert. - Vgl. auch Gudrun Klatt: Ein Angebot zur Diskussion. Sonderheft von Obliques : Bilanz französischer Brecht-Forschung der siebziger Jahre. In: notate. H. 2/1980. S. 16. 7 Dazu gehört Lionel Richard: L'action contre l'idéologie nazie en RFA. In: Antisémitisme et néo-nazisme aujourd'hui. Les cahiers de Droit et liberté. Paris o. J., Nr. 379, S. 59-63. Richard setzt sich in diesem Beitrag u. a. mit der Position von Joachim Fest auseinander. 8 Georgi Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben det kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. In: VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale. Berlin 1960, S. 87. 9 Siehe S. 32 unserer Ausgabe. 10 Stephan Hermlin: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. In: Stephan Hermlin : Lektüre. Berlin-Weimar 1973, S. 48-49. 11 Konrad Wolf: Kunst im Kampf gegen Faschismus gestern und heute. In: Neues Deutschland v. 9.5. 1979. 12 Vgl. dazu die Rezension von Stephan Hermlin: Deutscher Widerstand in Frankreich. In: Stephan Hermlin: Lektüre. Berlin-Weimar 1973, S. 124-130. 13 Vgl. Silvia Schlenstedt, Wolfgang Klein: Arbeit über antifaschistisches Exil 18»

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- Arbeit mit dem antifaschistischen Exil. In: Weimarer Beiträge 26 (1980) 4, S. 164-175. 14 Faschismusforschung. Positionen - Probleme - Polemik. Hg. • . Dietrich Eichholtz und Kurt Gossweiler. Berlin 1980, S. 14. - Dieser Titel wird in den folgenden Anmerkungen in der Kurzform Fascbismusforscbung angeführt.

Anmerkungen %um Textteil 1] Einen Überblick über die Aktivitäten französischer linker Intellektueller in der Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus heute gibt das thematische Heft Antisémitisme et néo-nazisme aujourd'hui von Les cahiers de Droit et liberté. Paris o. J. Nr. 379. Lionel Richard ist darin mit dem Beitrag L'action contre l'idéologie nazie en RFA vertreten. - Les cahiers de Droit et liberté sind das Organ der MRAP (Mouvement contre le racisme et pour l'amitié entre les peuples). 2] Für die DDR-Edition seines Buches hat Lionel Richard das 1. Kapitel teilweise neu geschrieben; er ersetzte die Seiten 7 bis 17 der französischen Buchausgabe. 3] Félix Bertaux (1876-1948), Germanist und Publizist, Übersetzer von Thomas Manns Tod in Venedig und Leiden und Größe Richard Wagners. Hauptwerk: Panorama de la littérature allemande (1928). 4 Félix Bertaux: Littérature allemande. In: Nouvelle Revue Française, Januar-Juni 1931, S. 614-620. 5] Ernst Robert Curtius (1886-1956), Romanist, Universitätslehrer in Marburg, Heidelberg, Bonn. Werke u. a.: Balzac (1923), Marcel Proust (1928), Essays zur europäischen Literatur (1950). 6 Jacques Decour (d. i. Daniel Decourdemanche) (1910-1942, Germanist, Schriftsteller, Mitglied der FKP, Direktor von Commune, 1941 Mitbegründer der illegalen Lettres Françaises, aktiv in der Résistance, von den deutschen Faschisten erschossen. Werke u. a. : Le sage et le caporal, Pbilisterburg (1931), Werkauswahl hg. v. Louis Aragon (1947). 7) Jean Schlumberger (1877-1972), Schriftsteller, Mitbegründer der Nouvelle Revue Française. Werke u. a. : Essays zur französischen Literatur, Le Procès Pétain (1949). 8 Nouvelle Revue Française, Juni 1932, S. 922. - Jean Schlumberger schreibt mit besonderem Bezug auf Curtius: „Es ist bewegend zu sehen, wie ein Literaturwissenschaftler, der die umfangreichste Kenntnis aller Literaturen und Ideenbewegungen besitzt, ein Mensch, der zu einer heiteren Richterschaft des Geistes unter dem Patronat seines Meisters Sainte-Beuve bestimmt schien, durch die Bedrängnis des Tages veranlaßt wird, diese unvergängliche Rolle aufzugeben." Ernst Robert Curtius war gleich nach dem

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- Arbeit mit dem antifaschistischen Exil. In: Weimarer Beiträge 26 (1980) 4, S. 164-175. 14 Faschismusforschung. Positionen - Probleme - Polemik. Hg. • . Dietrich Eichholtz und Kurt Gossweiler. Berlin 1980, S. 14. - Dieser Titel wird in den folgenden Anmerkungen in der Kurzform Fascbismusforscbung angeführt.

Anmerkungen %um Textteil 1] Einen Überblick über die Aktivitäten französischer linker Intellektueller in der Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus heute gibt das thematische Heft Antisémitisme et néo-nazisme aujourd'hui von Les cahiers de Droit et liberté. Paris o. J. Nr. 379. Lionel Richard ist darin mit dem Beitrag L'action contre l'idéologie nazie en RFA vertreten. - Les cahiers de Droit et liberté sind das Organ der MRAP (Mouvement contre le racisme et pour l'amitié entre les peuples). 2] Für die DDR-Edition seines Buches hat Lionel Richard das 1. Kapitel teilweise neu geschrieben; er ersetzte die Seiten 7 bis 17 der französischen Buchausgabe. 3] Félix Bertaux (1876-1948), Germanist und Publizist, Übersetzer von Thomas Manns Tod in Venedig und Leiden und Größe Richard Wagners. Hauptwerk: Panorama de la littérature allemande (1928). 4 Félix Bertaux: Littérature allemande. In: Nouvelle Revue Française, Januar-Juni 1931, S. 614-620. 5] Ernst Robert Curtius (1886-1956), Romanist, Universitätslehrer in Marburg, Heidelberg, Bonn. Werke u. a.: Balzac (1923), Marcel Proust (1928), Essays zur europäischen Literatur (1950). 6 Jacques Decour (d. i. Daniel Decourdemanche) (1910-1942, Germanist, Schriftsteller, Mitglied der FKP, Direktor von Commune, 1941 Mitbegründer der illegalen Lettres Françaises, aktiv in der Résistance, von den deutschen Faschisten erschossen. Werke u. a. : Le sage et le caporal, Pbilisterburg (1931), Werkauswahl hg. v. Louis Aragon (1947). 7) Jean Schlumberger (1877-1972), Schriftsteller, Mitbegründer der Nouvelle Revue Française. Werke u. a. : Essays zur französischen Literatur, Le Procès Pétain (1949). 8 Nouvelle Revue Française, Juni 1932, S. 922. - Jean Schlumberger schreibt mit besonderem Bezug auf Curtius: „Es ist bewegend zu sehen, wie ein Literaturwissenschaftler, der die umfangreichste Kenntnis aller Literaturen und Ideenbewegungen besitzt, ein Mensch, der zu einer heiteren Richterschaft des Geistes unter dem Patronat seines Meisters Sainte-Beuve bestimmt schien, durch die Bedrängnis des Tages veranlaßt wird, diese unvergängliche Rolle aufzugeben." Ernst Robert Curtius war gleich nach dem

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ersten Weltkrieg unter der Perspektive einer geistigen Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland durch Vermittlung von André Gide in Beziehungen zur Nouvelle Revue Française getreten. Sein Werk Deutscher Geist in Gefahr erschien 1932 bei der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart. Die Nouvelle Revue Française brachte im November 1932 einen übersetzten Auszug daraus in Form einer Studie. Ebenfalls 1932 erschien eine Übersetzung des wesentlich überarbeiteten Buchs Die französische Kultur (Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1930) unter dem Titel Essai sur la France bei Grasset in Paris. 9 Vgl. auch André Gide: Goethe. In: Nouvelle Revue Française, JanuarJuni 1932, S. 368: „Wenn er [Goethe] uns Franzosen weniger deutsch erscheint als andere Dichter von jenseits des Rheins, dann auch deswegen, weil er allgemeiner und umfassender humanistisch ist." 10 René Berthelot: Goethe et l'esprit de la Renaissance. In: Ebenda, S. 378. 11 Dazu verweise ich auf mehrere Studien, die ich in Zeitschriften veröffentlicht habe und die besonders die literarischen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts behandeln: Giraudoux entre deux nationalismes. In: Mosaic (University of Manitoba, Canada), September 1972; La Nouvelle Revue Française devant l'Allemagne de 1909 à 1914. In: Ebenda, September 1974; Barbusse, Clarté et l'Allemagne. In : Europe (Sondernummer), September 1974 ; Jacques Rivière et l'Allemagne. In: Ethnopsychologie (Université de Rouen), März 1974; Drieu la Rochelle et la Nouvelle Revue Française des années noires. In: Revue d'Historié de la Deuxième Guerre Mondiale (P. U. F., Paris), Nr. 97, Januar 1975; Jacques Rivière et l'orientation idéologique de la Nouvelle Revue Française au lendemain de la Première Guerre Mondiale. In: Ethnopsychologie, September 1975; André Suarès face au nazisme. In: Cahiers André Suarès, Revue des Lettres Modernes. Minard éditeur, Paris 1977. Vgl. außerdem meinen Beitrag zum Katalog der Ausstellung ParisBerlin im Centre Pompidou (Paris) von 1978: Eine Epoche und ihre Widersprüche. Deutsch beim Prestel Verlag München 1979. - Es ist interessant, festzustellen, daß die vor allem von André Gide und Jean Schlumberger 1909 gegründete Nouvelle Revue Française zwischen 1919 und 1939 mehrere Phasen hat, die eng mit den von Deutschland in Frankreich ausgelösten Vorurteilen korrespondieren. So interessiert sie sich unter der Leitung von Jacques Rivière zwischen 1919 und 1925 sehr stark für politische Probleme und unter diesem Aspekt besonders für die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland. Danach, in der Zeit von 1925 bis 1930, gibt es fast keine Artikel politischen Charakters, ein Phänomen, das sich natürlich auch durch den 1925 erfolgten Tod von Jacques Rivière und die danach beginnende, Risiken vermeidende Leitung der Zeitschrift durch Jean Paulhan erklärt. Andererseits sind das aber auch gerade die Jahre, in denen man versucht, die politischen Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland durch Verhandlungen und den Austausch der Meinungen abzubauen. Seit 277

1931 wird diese scheinbare Entpolitisierung unter dem Druck der historischen Ereignisse verbunden mit einem Krisenbewußtsein aufgegeben. Die Unterschiede in den politischen Haltungen treten bei den Mitarbeitern der Zeitschrift bis 1940 von Jahr zu Jahr deutlicher hervor. Schon zeichnen sich die beiden Lager ab, die sich während der faschistischen Okkupation herausbilden werden: das der Résistants (Julién Benda, Jean Paulhan, André Suarès usw.) und das der Collaborateurs (Drieu la Rochelle, Ramon Fernandez, Armand Petitjean usw.). 12] Emmanuel Mounier (1905-1950), Philosoph und Schriftsteller, bemühte sich um eine Synthese von Christentum, Existenzialismus und Marxismus. Seine Theorie, der „personnalisme", geht aus vom Primat des menschlichen Individuums gegenüber den materiellen und gesellschaftlichen Bedingungen, die seine Entwicklung unterstützen. Gründer der Zeitschrift Esprit (1932). 1941-1944 inhaftiert. Werke u.a.: Révolution personnaliste et communautaire (1935), De la propriété humaine et Manifeste au service du personnalisme (1936). 13 Henri Daniel-Rops (d. i. Henri Petitot) (1901-1965), Lehrer, Publizist, dem Katholizismus verpflichtet. Werke u. a. : Histoire de l'Eglise. 14 Emmanuel Mounier: Réflexions sur le personnalisme. In: Synthèses, Nr. 4 (1947), S. 25. 15 Paul Desjardins (1859-1940) war Lehrer an einem Gymnasium. Er war der Begründer der Treffen, die unter der Bezeichnung Décades de Pontigny jährlich in den restaurierten Gebäuden der alten Abtei von Pontigny stattfanden. Diese Abtei wurde 1911 zu einem internationalen geistigen Mittelpunkt. 16] Benjamin Crémieux (1888-1944), Essayist und Kritiker. Von den Nazis nach Buchenwald deportiert. Übersetzer und Vermittler der italienischen Literatur in Frankreich u. a. von Pirandello und Italo Svevo. Werke u. a. : Inquiétude et reconstruction (1931), Panorama des problèmes littéraires après 1920 (1932). 17) Jean Guéhenno (1890-1978), Schriftsteller. Vor dem zweiten Weltkrieg Chefredakteur von Europe, seit 1962 Mitglied der Académie française. Werke u. a. : Jeunesse de la France (1936), Journal d'une révolution (1937/38), Journal des années noires (1946). 18] Raymond Aron (geb. 1905), Journalist und Soziologe, Professor für Soziologie in Paris. Werke u. a. : La Sociologie allemande contemporaine (1949/50). 19) Henri Lichtenberger (1864-1941), Germanist, Publikationen über Nietzsche, Heine, Wagner. L'Allemagne nouvelle (1936), unkritische Haltung gegenüber dem deutschen Faschismus, trat für die „Verständigung" zwischen Deutschland und Frankreich ein. 20 Pierre Viénot (1897-1944), Politiker, Diplomat. 1936 Unterstaatssekretär für auswärtige Angelegenheiten in der Regierung von Léon Blum. 1943 Mitarbeiter von de Gaulle in London, wird Botschafter der provisorischen 278

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französische Regierung in Großbritannien. Wichtigste Publikation: Incertitudes allemandes. La crise de la civilisation bourgeoise en Allemagne (1931). Ramon Fernandez (1894-1944), Kritiker, Romancier. Seit 1923 Mitarbeiter der Nouvelle Revue Française. Zunächst der F K P nahestehend, wurde er während der Okkupation Mitglied der Parti Populaire Français unter Jacques Doriot und kollaborierte mit den Nazis. Vorwort zu Problèmes franco-allemands d'après-guerre. Paris 1932. In dieser Präzisierenden Feststellung als Einführung, die ein Brief an Georges Guy-Grand vom 21. Dezember 1931 ist, ist die spätere kollaborationistische Haltung von Henri Lichtenberger bereits ablesbar. E r registriert bei den Nazis vor allem eine Zunahme der „Versicherungen von Mäßigung und Friedensliebe, an deren Aufrichtigkeit zu zweifeln wir keinerlei Grund haben." Und an anderer Stelle schreibt er: „Mit dem Deutschland von morgen, wie es sich auch immer darstellt, wird es sich wie mit dem Deutschland von heute vor allem darum handeln, einen akzeptablen Modus vivendi zu finden." Ich beziehe mich hier auf Äußerungen von Jean Schlumberger während eines langen Gesprächs, das ich 1960 mit ihm führte. Natürlich war gerade er für diese Probleme sehr sensibel, da er aus dem Elsaß stammte. Es handelt sich um den Aufruf an die Kulturwelt. Abgedruckt in Dokumente zur deutschen Geschichte. 1914-1917. Hg. v. Dieter Fricke. Berlin 1976, S. 45 ff. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, den Artikel zum Stichwort „racisme" im Larousse encyclopédique dieser Jahre nachzulesen. Die Konferenz von Lausanne fand vom 16. Juni bis 9. Juli 1932 statt; sie „endete mit der Unterzeichnung eines Vertrages zwischen Deutschland und Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Polen sowie den britischen Dominions. Er reduzierte die Reparationsverpflichtungen Deutschlands auf eine Restsumme von 3 Mrd. RM. Eine Ratifizierung erfolgte nicht. Damit hatte der deutsche Imperialismus, der auch die ab 1935 fällige Restsumme nicht zahlte, das Ende der Reparationen erzwungen." Zit. nach: Chronik zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 2. Berlin 1966, S. 291-92. Jean-Richard Bloch: La guerre qui est en nous. Überarbeitete Fassung eines Vortrags von 1931. In: Jean-Richard Bloch: O f f r a n d e à la politique. Paris 1933, S. 82-83. Vgl. Herbert George Wells: The Shape to Things to Come. London 1933, S. 13-138. John Lehmann: Les poètes anglais et la lutte du peuple espagnol. In: La Littérature Internationale (Moscou), Nr. 5, 1938. Vgl. ebenfalls William York Tindall : Forces in Modem British Literatur 1885-1956. N e w York 1956, S. 48: „Die Bedrohung durch den Faschismus war eine wirkungsvollere Argumentation und erreichte mehr, als es die Bemühungen der nicht unterstützten Kommunistischen Partei konnten."

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31] Vgl. Willi Bredel: Spanienkrieg. Hg. v. Manfred Hahn. Berlin-Weimar 1977; Horst Kühne: Revolutionäre Militärpolitik 1936-1939. Militärpolitische Aspekte des nationalrevolutionären Krieges in Spanien. Berlin 1969. 32 Nachgedruckt in La Littérature Internationale (Moscou), Nr. 5, 1933. 33] Vgl. in diesem Zusammenhang die Faschismus-Auseinandersetzung innerhalb der Kommunistischen Internationale vor und nach 1933, dargestellt bei Elfriede Lewerenz: Zur Bestimmung des imperialistischen Wesens des Faschismus durch die Kommunistische Internationale (1922 bis 1935). In: Faschismusforschung, S. 2 1 - 4 7 ; Elfriede Lewerenz: Die Analyse des Faschismus durch die Kommunistische Internationale. Berlin 1975. 34 Jean Schlumberger: Oeuvres. Bd. 5. Paris 1960, S. 171. 35] Vgl. u. a. Klaus Kändler: Die internationale Schriftstellervereinigung zur Verteidigung der Kultur. In: Internationale Literatur des sozialistischen Realismus. Berlin-Weimar 1978, S. 582-616. 36] Vgl. Lidija M. Jurjewa: Die weltliterarische Bedeutung des Spanienthemas. In: Ebenda, S. 617-643. 37 Zitat aus der Rede von Granville Hicks. In deutscher Fassung zit. nach: Frederick R. Benson: Schriftsteller in Waffen. Zürich 1969, S. 64. 38) Die politisch-künstlerische Entwicklung Ernst Glaesers hat Lionel Richard im Vorwort zur französischen Ausgabe des Romans Der Frieden dargestellt. Ernst Glaeser: La paix. Introduction de Lionel Richard. Paris 1977, S. 1 - 2 1 . - Vgl. auch Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 349-350. — Offenbar hat der Weg, den Richard Greiner im Roman von Alfred Kurella Kleiner Stein im großen Spiel (1961 gedr.) geht, das Schicksal von Ernst Glaeser zur Grundlage. 39 Selbst wenn man zugesteht, daß - wie Balder Olden schreibt - die Schriftsteller des Dritten Reichs insgesamt Leute waren, die „literarisch einfach nicht existieren, noch je existieren werden, wo man gedankenvolles, edles Deutsch spricht", kann man sich deshalb mit der Feststellung begnügen, daß sie nur „ein paar Schock von Namen" gewesen seien? Oder damit — immer noch aus der Feder von Balder Olden, der das unter den Umständen der Emigration schreibt, die eine gründliche Kenntnis der Dinge natürlich sehr erschweren - : „Die deutsche Literatur in Deutschland hat nichts hervorgebracht in zehn Jahren, davon je zu sprechen wäre."? (Balder Olden: Paradiese des Teufels. Hg. v. Ruth Greuner. Berlin 1977, S. 382 u. S. 385. - Ursprünglich handelte es sich um einen Beitrag mit dem Titel Die deutsche Literatur heute und . . . ? in dem Sammelband Zehn Jahre Aufbauarbeit in Südamerika, der von der Association Filantrópica Israelita 1944 in Buenos Aires herausgegeben wurde.) 40] Ernst Gottschling: Der faschistische Staat. Das deutsche Beispiel. In: Faschismusforschung, S. 73-98. 41] Zit. nach: Joseph Goebbels: Reden. Hg. v. Helmut Heiber. Bd. 1. Düsseldorf 1971, S. 131. 42] Die Autoren von Deutschland

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analysieren die Funk-

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tion dieser Demagogie: „Die Konsolidierung der faschistischen Diktratur, die zunehmende Verschmelzung der Organe des Finanzkapitals mit den Behörden der faschistischen Staatsmacht, der Ausbau eines perfekten Systems der Massenbeeinflussung sowie vor allem des Terrors gegen alle Antifaschisten bildeten die entscheidenden Voraussetzungen, um aufzurüsten und alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens militarisieren zu können." Zit. nach: Deutschland im zweiten Weltkrieg. Bd. 1. Berlin 1975 2 , S. 70. Vgl. die Kapitel Faschistische Ideologie und Kulturbarbarei in: Ebenda, S. 78-80, sowie Faschistische Ideologie und Propaganda nach Kriegsbeginn in: Ebenda, S. 2 1 3 - 2 1 6 ; Klaus Scheel: Meinungsmanipulation im Faschismus. Die faschistische Propagandamaschinerie - Bestandteil des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems in Nazideutschland. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 17 (1969), S. 1283 ff.; Klaus Scheel: Faschistische Kulturpropaganda im zweiten Weltkrieg. Ihr Einsatz zur Irreführung des deutschen Volkes während der ersten Kriegsjahre. 1939-1941. In: Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte, 1979, Bd. 7 N. F., S. 99-119. Goebbels über Eisensteins Fanzerkreuzer Potemkin am 28. März 1933: „Wer weltanschaulich nicht fest ist, könnte durch diesen Film zum Bolschewisten werden. Dies beweist, daß Tendenz sehr wohl in einem Kunstwerk enthalten sein kann, und auch die schlechteste Tendenz ist zu propagieren, wenn es eben mit den Mitteln eines hervorragenden Kunstwerkes geschieht." Zit. nach: Erwin Leiser: „Deutschland erwache!" Propaganda im Film des Dritten Reiches. Hamburg/Reinbek 1968, S. 10. Goebbels in einer Rede bei der Kriegstagung der Reichsfilmkammer vom 15. Februar 1941: „Auch Unterhaltung kann zuweilen die Aufgabe haben, ein Volk für seinen Lebenskampf auszustatten, ihm die in dem dramatischen Geschehen des Tages notwendige Erbauung, Unterhaltung und Entspannung zu geben. Das aber bloß nebenbei! Das heißt: der Film hat heute eine staatspolitische Funktion zu erfüllen. Er ist ein Erziehungsmittel des Volkes." Zit. nach: Ebenda, S. 53. Vgl. Joachim Petzold: Die Entstehung der Naziideologie. In: Faschismusforschung, S. 216-278. - Über den Eklektizismus faschistischer Ideologiebildung vgl. Wolfgang Heise: Aufbruch in die Illusion. Berlin 1964. Vgl. u. a. Wolf gang Rüge: Monopolbourgeoisie, faschistische Massenbasis und NS-Programmatik in Deutschland vor 1933. In: Faschismusforschung, S. 1 2 5 - 1 5 5 ; VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale. Referate. Aus der Diskussion. Schlußwort. Frankfurt/M. 1971. - In Deutschland im zweiten Weltkrieg heißt es dazu: „Mit der NSDAP bekam jene Partei die politische Macht übertragen, deren aggressives Programm den Interessen der reaktionärsten Gruppen des deutschen Monopolkapitals am meisten entsprach. Am 30. Januar 1933 leiteten die reaktionärsten politischen Kräfte in Deutschland einen Prozeß ein, in dessen Verlauf die Form der Machtausübung des Monopolkapitals auf allen Gebieten des gesell-

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schaftlichen Lebens schnell und grundsätzlich verändert wurde. Mit der Übergabe der Regierungsgewalt an die NSDAP erreichten diese Kreise ihr wichtigstes strategisches Teilziel, auf das sie seit ihrer Niederlage im ersten Weltkrieg und seit der Novemberrevolution hingearbeitet hatten. An die Stelle der parlamentarisch verbrämten Diktatur des Monopolkapitals trat die unverhüllte Diktatur des Finanzkapitals, gerichtet in erster Linie gegen die Arbeiterklasse und ihre revolutionäre Vorhut." Zit. nach: Deutschland im zweiten Weltkrieg. Bd. 1. Berlin 1975 2 , S. 67. Albert Speer: Spandauer Tagebücher. Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1975. Irène Chevreuse: Quels furent les livres brûlés à Berlin? In: L'Illustration v. 1. 7. 1933, S. 344. George Steiner: Vorwort zu Language and Silence. New York 1967. Vgl. Kurt Pätzold: Von der Vertreibung zum Genozid. Zu den Ursachen, Triebkräften und Bedingungen der antijüdischen Politik des faschistischen deutschen Imperialismus. In: Faschismusforschung, S. 181-208. Zum marxistisch-leninistischen Preußenbild vgl. Horst Bartel, Ingrid Mittenzwei, Walter Schmidt: Preußen und die deutsche Geschichte. In: Einheit 34 (1979) 6, S. 6 3 7 - 6 4 6 ; Ingrid Mittenzwei: Friedrich II. von Preußen. Berlin 1979. Auszug aus einem unveröffentlichten Brief von Romain Rolland an Clara Collet vom 28. Mai 1905. Zit. nach: René Cheval: Romain Rolland. L'Allemagne et la guerre. Paris 1963, S. 143. Zur Einschätzung F. L. Jahns schrieb Alexander Abusch in seinem Buch Der Irrweg einer Nation (Berlin 1949, S. 85 f.) : „Doch der Kreis um den .Turnvater' Jahn, die Burschenschaften und die neue Turnerbewegung, richtete den Blick zurück auf das Mittelalter und die alten Germanen. An germanische Sitten und Bräuche, an den altgermanischen Geist sollte wieder angeknüpft werden, um die .deutsche Idee' dem internationalen Polizeiregime Metternichs, der drückenden Wirklichkeit des reaktionären Preußentums und der kleinstaatlichen Enge entgegenzustellen. [. . .] Die deutsche reaktionäre Geschichtsschreibung schreibt dem .Turnvater' Jahn die Erfindung des Begriffs .deutsches Volkstum' zu. Dieses .Volkstum' knüpfte an die Erinnerung des mittelalterlichen .Reiches' an, das in der Phantasie Jahns - wie in der romantischen Dichtung seiner Zeit - grob gefälscht war." Vgl. auch Heinz Kamnitzer in Wider die Fremdherrschaft (Berlin 1962, S. 175): „Arndt und vor allem Jahn riefen zum Haß gegen das französische Volk auf und verherrlichten eine .christlich-germanische Ordnung'. Der Turnvater Jahn, der sich vor dem Wiener Kongreß große patriotische Verdienste erworben hatte, wurde nach 1815 der völkische Herold der Deutschtümelei und des Antisemitismus." Als Beleg für diese „Deutschtümelei" kann folgende Äußerung Jahns dienen, die wie eine Losung aus dem Dritten Reich klingt: „Je reiner ein Volk, je besser, je vermischter, je bandenmäßiger" (Friedrich Ludwig Jahn: Werke. Hg. v. Carl Euler. Bd. 1. Hof 1884, S. 164). Es versteht sich daher, daß für den nationalsozialisti-

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sehen Ideologen Alfred Baeumler Jahn als „Vorbild einer neuen Generation, für die Politik und Weltanschauung, Handeln und Denken nicht mehr zu trennen sind," galt (Alfred Baeumler: Politik und Erziehung. Berlin 1939, S. 149). - In der DDR erschienene Literatur über Jahn verzeichnet Peter Rohrlach: Friedrich Ludwig Jahn. Auswahlbibliographie zum 200. Geburtstag Jahns am 11. 8. 1978. Berlin 1978 (Bibliographische Kalenderblätter). Heinrich Heine: Ludwig Börne. In: Heinrich Heine: Werke und Briefe. Bd. 6. Berlin 1962, S. 171. Vgl. Benjamins Artikel unter dem Pseudonym Ardor in Der Anfang, einer 1910 in Berlin erschienenen mimeografierten Zeitschrift, und besonders den Artikel Erotische Erziehung in Die Aktion (17. 1. 1914). Ebenfalls Das Leben der Studenten in Der Neue Merkur (April-September 1915) und ebenso in Das Ziel (Berlin 1916, S. 141-155). Zum Charakter des ersten Weltkrieges heißt es im Grundriß der deutschen Geschichte: „Mit diesem Krieg, der von allen Seiten als ein ungerechter imperialistischer Eroberungskrieg geführt wurde, setzten die herrschenden Klassen aller beteiligten Großmächte ihre volksfeindliche Außen- und Innenpolitik mit den Mitteln militärischer Gewalt fort, um eine Neuaufteilung der Macht- und Einflußsphären der Erde zu erzwingen sowie die werktätigen Massen von inneren politischen Krisen abzulenken und die revolutionäre Arbeiterbewegung zu vernichten." Zit. nach: Grundriß der deutschen Geschichte. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Klassenkampf - Tradition - Sozialismus. Berlin 1979, S. 341. Zum Antikriegskampf der deutschen Linken und ihren wachsenden Einfluß auf breite Schichten der deutschen Bevölkerung ab 1916 vgl. ebenda, S. 341-354. Erinnert sei hier an den in den zwanziger Jahren bekannt gewordenen politisch-satirischen Song von Erich Weinert Gesang der Latscher. Vgl. auch Friedrich Wolf: Schuld und Schicksal in der deutschen Jugendbewegung. In: Friedrich Wolf: Aufsätze. 1919-1944. Berlin-Weimar 1967, S. 53-58. Hermann Rauschning: Die Revolution des Nihilismus. Kulisse und Wirklichkeit im Dritten Reich. Zürich/New York 19383, S. 96-97: „Es ist ein weiter, aber gerader Weg, der von der Jugendbewegung über die Kriegsgeneration und die jungen und jüngsten Nachkriegsgenerationen zu dem revolutionären Lebensgefühl der heutigen Jugend führt . . ." Jungdo - Jungdeutscher Orden, wurde im Januar 1920 in Kassel durch den Offizier Arthur Mahraun gegründet. Anfangs handelte es sich um eine paramilitärische Organisation, die zusammen mit den Freikorps kämpfte. Später verwandelte sie sich in eine politische Bewegung mit feudalistischen und mystischen Positionen, die gegen das kämpfte, was Mahraun „jüdischmarxistische Welt" nannte. Der Jungdeutsche Orden hatte großen Einfluß auf die Jugend, aus der die Mehrzahl seiner Mitglieder herkamen.

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Stahlhelm war eine Vereinigung alter Frontkämpfer, die 1918 von Franz Seldte gegründet wurde. Ehrenpräsident war Hindenburg. Der Stahlhelm war eine paramilitärische Organisation. Er umfaßte 1930 500 000 Mann. Franz Seldte war Mitglied der Nazipartei. Nach der faschistischen Machtergreifung wurde aus dem Stahlhelm der Nationalsozialistische Deutsche Frontkämpferbund. Jean-Edouard Spenlé: Les universités allemandes dans le passé et dans le présent. In: Esquisses allemandes. Cahiers de l'Institut d'Etudes Germaniques. Paris 1942, S. 164. Johannes R. Becher: Die Kriegsgefahr und die Aufgaben der revolutionären Schriftsteller. Zit. nach: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Berlin-Weimar 1967, S. 229-230. Vgl. Heinz Helmert: Helmuth von Moltke. Über die Macht des Schwertes und den Entschluß zum Kriege. In: Gestalten der Bismarckzeit. Hg. v. Gustav Seeber. Berlin 1978, S. 106-125. Zit. nach: V. H. Friedel: Pédagogie de guerre allemande. Paris 1917, S. 165. Heinrich Mann: Geheime Schulen. In: Die Neue Weltbühne v. 24. 1. 1935, S. 97. - Zur Wissenschaftspolitik des deutschen Faschismus vgl. Klaus Scheel: Die Wissenschaftspolitik des deutschen Faschismus auf dem Weg in den zweiten Weltkrieg. Referat, gehalten am 24. Oktober 1979 auf dem Internationalen Kolloquium der Polnischen Kommission für die Geschichte des zweiten Weltkriegs in Krakow. Vgl. Wolfgang Rüge: Hindenburg. Berlin 19803. - Zum antifaschistischen Widerstand in christlichen Kreisen vgl. Ihr Gewissen gebot es. Christen im Widerstand gegen den Hiderfaschismus. Hg. v. Klaus Drobisch und Gerhard Fischer. Einführung v. Gerald Gotting. Berlin 1980; Christen im Nationalkomitee Freies Deutschland. Eine Dokumentation. Hg. v. Klaus Drobisch. Berlin 1979. Vgl. hierzu mein Buch D'une apocalypse à l'autre (Paris 1976), wo ich diesen Gesichtspunkt in dem Kapitel Quand le livre est un glaive behandelt habe. - Aus dem genannten Kapitel in D'une apocalypse â l'autre geht hervor, daß sich Richard auf die Bûcher von Marlitt und Courths-Mahler bezieht. Vgl. auch Die Gartenlaube als Dokument ihrer Zeit. Hg. v. Margarete Zimmermann. München 1963. Zur widersprüchlichen Funktion der Gartenlaube vgl. Hans Heinrich Klatt: E. Marlitt. Zwischen Apologie und moralischem Anspruch. In: Gestalten der Bismarckzeit. Hg. v. Gustav Seeber. Berlin 1978, S. 176-193. Im genannten Zeitraum bildeten sich im Kampf der deutschen Arbeiterklasse aber Elemente einer „zweiten" Kultur heraus. Um 1890 existierte bereits seit zwei Jahrzehnten die frühe deutsche sozialistische Literatur. Freilich geriet sie um die Jahrhundertwende - angesichts der politischen Entwicklungen in der deutschen Sozialdemokratie - in den Sog des Revisionismus und Opportunismus. Die Zeugnisse der frühen sozialistischen

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Literatur sind in den Textausgaben des Akademie-Verlages in der D D R wiederaufgelegt worden. Zur Geschichte der frühen sozialistischen Literatur in Deutschland vgl. Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 9. Berlin 1974. - Vgl. auch Zum Kulturprogramm des deutschen Proletariats im 19. Jahrhundert. Eine Sammlung kulturpolitischer und ästhetischer Dokumente. Hg. v. Helmut Barth. Dresden 1978. 71 Hermann Broch: Einige Bemerkungen zum Problem des Kitsches. In: Essays. Bd. 1. Zürich 1955, S. 295-310. Das Zitat auf S. 296. 72) Die Zitate aus Wilhelm II.: Ansprache an das Kunstpersonal der Königlichen Schauspiele (16. 6. 1898) und Die wahre Kunst (18. 12. 1901). Zit. nach: Reden Kaiser Wilhelms II. Zusammengestellt v. Axel Matthes, Nachwort v. Helmut Arntzen. München 1976, S. 64 und S. 110-111. 73) Entstehung und Funktion der expressionistischen Bewegung ist differenziert analysiert in Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 9. Berlin 1974, S. 328-341. - Vgl. auch Lexikon des Expressionismus. Hg. v. Lionel Richard. Gütersloh 1977. 74 Rede des freikonservativen Abgeordneten Vorster im Preußischen Landtag in einer Debatte über Kunst und Wissenschaft. Zit. nach: Verkannte Kunst. Hg. v. Franz Roh. Ausstellungskatalog Kunsthalle Recklinghausen 1957. Vorster spricht von einer „krankhaften Entwicklung" der modernen Malerei, von einer „Entartung", vom „Symptom einer krankhaften Zeit". Die Ähnlichkeit mit dem späteren Vokabular der Nazis ist evident. 75 Hermann Rauschning: Gespräche mit Hitler. New York 1940. 76 Vgl. Edwin Hoernle: Grundfragen der proletarischen Erziehung. Berlin 1929, S. 133-134: „Daß Karl May die Jugend zu packen verstand, zeigt die Tatsache, daß seine Romane in Hunderttausenden von Exemplaren unter allen Schulbänken, in unzähligen Proletarier- und Bürgerwohnungen, in fast allen Taschen der halbwüchsigen Jugend, ja selbst in den Kasernen zu finden sind und heute mit derselben glühenden Begeisterung verschlungen werden wie vor 30 Jahren. Der Streit ist müßig, ob die Karl-May-Literatur und ihre zahllosen Nachahmungen ,Schund' darstellen oder nicht; diese Bücher sind samt und sonders Träger imperialistischer G e d a n k e n g ä n g e : sie feiern insbesondere die Herrschaft der weißen Rasse und den Sieg des .Kulturmenschen' über den .Wilden'. Sie kennen keinen Kampf der ausgebeuteten Klassen und Rassen gegen ihre Ausbeuter." 77 Jacques Decour: Philisterburg. Paris 1931, S. 90. 78 Gustave Flaubert: L'Education sentimentale. Eingeleitet v. Edoard Maynial. Paris 1954, S. 395. 79 Julius Langbehn: Rembrandt als Erzieher. Weimar 1922, S. 193, 249, 274, 280. - Daß der Antisemitismus, an den die Nazis anknüpften, auch nach dem ersten Weltkrieg unvermindert brutal in Deutschland weiter existierte, beweist z. B. folgender Aufruf des Deutschen Schutz- und Trutzbundes, den der Völkische Beobachter am 18. April 1920 veröffentlichte:

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„Nehmt Juden in Schutzhaft, dann herrscht Ruhe im Land./Juden hetzen zum Spartakismus./Juden wiegeln das Volk auf./Juden verhindern, daß Deutsche sich verständigen./Juden drängen sich überall an die Spitze./Juden wuchern mit Lebensmitteln./Juden verschieben Heereswäsche nach Polen. Datum :/Fort mit den jüdischen Machern und Unruhestiftern I/Deutschland den Deutschen! Das sei die Losung/für unseren Befreiungskampf./ Männer und Frauen deutschen Blutes und deutschen Geistes,/schließt Euch zusammen/im Deutschen Schutz- und Trutzbund." 80 Adolf Bartels: Der Literaturhistoriker und die Gegenwart. Leipzig 1910, S. 17. - Adolf Bartels wurde von den Nazis bereits im Völkischen Beobachter vom 14. November 1931 gewürdigt. So schrieb Baidur von Schirach (.Bekenntnis zu Bartels): „Heute ahnt man kaum, was Adolf Bartels für unser Volsktum bedeutet, aber es wird eine Zeit kommen, die diesem tapferen Mann, der zu den Ersten unseres Kampfes und Volkes gehört, die längst verdiente Anerkennung ausspricht. Wer sich mit unserem deutschen Schrifttum befaßt hat, weiß, daß Adolf Bartels auf diesem Gebiet eine Leistung vollbracht hat von ebenso großer Bedeutung für die deutsche Freiheitsbewegung und von derselben politischen Tragweite wie manche großen Siege des Nationalsozialismus. . ." 81] Vgl. Joachim Petzold: Ernst Jüngers Beitrag zur faschistischen Kriegspsychologie. In: Militärgeschichte 16 (1977) 6, S. 7 0 7 - 7 1 5 ; Joachim Petzold: Konservative Theoretiker des deutschen Faschismus. Jungkonservative Ideologen in der Weimarer Republik als geistige Wegbereiter der faschistischen Diktatur. Berlin 1978. 82 Zu jenen, die gegen den Krieg protestierten, gehörten Heinrich Mann, die Gruppe um Die Aktion von Ludwig Rubiner und Franz Pfemfert, Erich Mühsam mit seiner Zeitschrift Kain, Wilhelm Herzog und die Zeitschrift Das Forum. Im April 1913 hatte Franz Pfemfert ein Dokument gegen die Erhöhung der Rüstungskredite und die Kriegsvorbereitungen veröffentlicht. Zweihundert Intellektuelle unterzeichneten dieses Manifest: Das geistige Deutschland protestiert. In: Die Aktion, Nr. 17 (1913), S. 441 bis 443. Vgl. dazu auch D'une apocalypse ä l'autre. Paris 1976, S. 115 ff. 83] Vgl. in diesem Kontext die DDR-Publikationen, die den Kampf der revolutionären Arbeiterklasse unter Führung der KPD um die Presse und die Herausbildung einer proletarisch-revolutionären Literatur dokumentieren, darunter u. a. Zur Tradition der sozialistischen deutschen Literatur. Eine Auswahl von Dokumenten. Bd. 1. Berlin-Weimar 1979; Heinz Willmann: Geschichte der Arbeiter-Ulustrierten-Zeitung. 1921-1938. Berlin 1974; Der Malik-Verlag. Ausstellungskatalog. Akademie der Künste der DDR. Hg. v. Wieland Herzfelde. Berlin 1966. 84] Die Geschichte des Films von Jerzy Toeplitz in drei Bänden ist beim Henschelverlag in einer Neuauflage 1979/80 erschienen. Sie stellt den in der D D R greifbaren umfassendsten Überblick über Geschichte, Funktion und Wirkung des Films in der Weimarer Republik dar und öffnet zugleich den

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Blick für den internationalen Kontext der Filmentwicklung. Zur Information über die Geschichte des proletarisch-revolutionären Films sei außerdem die Dokumentation empfohlen: Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland. 1918-1932. Dokumente und Materialien Zur Entwicklung der Filmpolitik der revolutionären Arbeiterbewegung und zu den Anfängen einer sozialistischen Filmkunst in Deutschland. Hg. v. Gertraude Kühn, Karl Tümmler, Walter Wimmer. 2 Bde. Berlin 1975. 85] Zur Funktion der Banken in der Weimarer Republik und ihren Manipulationen vgl. Kurt Gossweiler: Großbanken, Industriemonopole, Staat. Berlin 1971. 86] Wolfgang Rüge: Monopolbourgeoisie, faschistische Massenbasis und NSProgrammatik in Deutschland vor 1933. In: Faschismusforschung, S. 125 bis 156. 87 Diese Organisation wird später die Spio, die Spitzenorganisation der deutschen Filmindustrie. 88 Genannt Dacho - Abkürzung von Dachorganisation der Filmschaffenden Deutschlands e. V. 89) Von der Ufa unabhängig blieben nur noch die Terra-Gaumont-Woche und die Emelka-Wochenschau. Der Sozialdemokratischen Partei gelang es 1929 - unter dem sozialdemokratischen Kanzler Müller - zu verhindern, daß die Emelka-Gesellschaft in die Hände der Ufa fiel. Politische Gründe waren ausschlaggebend. Es ging darum, dem Einfluß des Hugenberg-Konzerns zur Zeit des Young-Planes entgegenzuwirken, da Alfred Hugenberg und Hitler eine nationale Einheitsfront gegen diese Politik gebildet hatten. Vgl. Republikanisierung der „Emelka". In: Film und Volk, Nr. 11. 1930. Abgedr. in: Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland. 1918-1932. Bd. 1. Berlin 1975, S. 159-161. 90) Diese Vorherrschaft zeigt sich auch darin, daß Hugenbergs Vertrauensmann Ludwig Klitzsch neue Funktionen erhält. Bisher Vorsitzender des Verwaltungsrates des Scherl-Verlages, übernimmt er nunmehr den Vorsitz der Filmgesellschaft. Ludwig Klitzsch ist 1927 auch Vorsitzender der Spio, und er bleibt Vorsitzender des Aufsichtsrates der Ufa im Dritten Reich. Vgl. Das Filmgeschäft als Glied der Monopolwirtschaft. In: Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland. 1918-1932. Bd. 1. Berlin 1975, S. 134-165. 91 Axel Frhr. von Freytagh-Loringhoven : Die Deutschnationale Volkspartei. Berlin o. J., S. 47 ff. Auszug in: Dokumente zur deutschen Geschichte. 1924-1929. Berlin 1975, S. 93. 92 Klaus W. Wippermann: Die Wochenschauen in der Weimarer Republik. In: Publizistik 3 (1970), S. 242-252. 93) Die Traumfabrik, ein Essay, dessen französische Übersetzung bei Editions Gallimard veröffentlicht wurde (Paris 1936). Eine deutsche Übersetzung von Rudolf Selke erschien unter dem Titel Die Traumfabrik. Chronik des Films 1931 im Berliner Malik-Verlag. Laut Uja Ehrenburg, der diese Zahlen

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sicher von Ludwig Bernhard (Der Hugenberg-Konzern. Berlin 1928) übernommen hat, verfügte die Ufa in ihren Sälen über 112 000 Plätze. - Vgl. auch Ilja Ehrenburg: Menschen, Jahre, Leben. Memoiren. Bd. 2. Berlin 1978, S. 130-136. 94] Bertolt Brecht : Der Dreigroschenprozeß. In : Bertolt Brecht : Schriften zur Literatur und Kunst. Bd. 1. Berlin-Weimar 1966, S. 151-257. Brecht zitiert hier u. a. den Kinematograph, vgl. S. 193. Vgl. auch Wolfgang Gersch: Film bei Brecht. Berlin 1975, S. 39-100. 95] Vgl. Hans Richter: Der Kampf um den Film: München 1976. - Es existierten noch andere gegen die Filmindustrie gerichtete Organisationen, die meist als Filmklubs tätig waren. So der Filmvolksbund um Kurt Hiller und die Neue Filmgruppe. 1930 gründeten auch die Nazis eine kleine Produktionseinheit für Propaganafilme. Goebbels wurde 1932 dafür verantwortlich. E r erweiterte sie durch eine Filmagentur, die auf aktuelle Filmberichte spezialisiert war, die NS-Bildberichte. Diese Produktion blieb jedoch in ihrer Gesamtheit vor 1933 unregelmäßig und schwach. Vgl. auch Jerzy Toeplitz: Geschichte des Films. Bd. 1. Berlin 1972, S. 420-446. 96] Vgl. Sozialdemokratische und bürgerlich-humanistische Alternativen zum reaktionären Film. In : Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland. 1918-1932. Bd. 2. Berlin 1975, S. 421-495. 97] Vgl. „ . . . wichtigste aller Künste". Lenin über den Film. Dokumente. Materialien. Berlin 1970. 98 In: Die Rote Fahne v. 14. 6. 1922, 5. 8. 1922 und 10. 10. 1922 99] Béla Baläzs: Der revolutionäre Film. In: Die Rote Fahne v. 10. 10. 1922. Abgedr. in: Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland. 1918-1932. Bd. 1. Berlin 1975, S. 35-38. 100] Es handelt sich hier um den IV. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, auf dem Edwin Hoernle als Vertreter der Kommission für Erziehungsfragen am 28. 11. 1922 zum Thema Über kommunistische Bildungsarbeit referierte. Auszug aus dem Protokoll abgedr. in: Ebenda, S. 38-42. 101] Willi Münzenberg: Erobert den Film! I n : Ebenda, S. 5 5 - 6 3 . 102] Die „erste deutsche proletarische Filmfirma" wurde am 2. Februar 1926 „unter dem offiziellen Namen .Prometheus Film-Verleih und Vertriebsgesellschaft m.b.H.' in das Handelsregister eingetragen. Der Gesellschaf tsvertrag war am 19. Dezember des Vorjahres von Willi Münzenberg und den beiden Direktoren, Richard Pfeiffer und Emil Unfried, abgeschlossen worden." Zit. nach: Ebenda, Bd. 2, S. 9. 103] Zur Notwendigkeit der Schaffung einer „roten Kulturkampffront" vgl. Materialien des XI. Parteitages der K P D . Essen. 2.-7. 3. 1927. 104] Der Volks-Film-Verband und seine Arbeit. I n : Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland. 1918-1932. Bd. 2. Berlin 1975, S. 236-298. Aus dem Gründungsaufruf vom Januar 1928 (S. 236-237) geht hervor, daß an eine ähnliche Organisation wie die Volksbühne ge-

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dacht war. Zur Leitung gehörten Heinrich Mann, Erwin Piscator, Béla Baläsz, Georg Wilhelm Pabst. Der Volks-Film-Verband gab die Zeitschrift Film und Volk heraus, die 1930 mit der Zeitschrift Arbeiterbühne unter dem neuen Titel Arbeiterbübne und Film zusammengelegt wurde. Produktion und Vertrieb sozialistischer Filme wurden aber nicht über den Volks-Film-Verband, sondern über die Prometheus- und Weltfilm-Gesellschaft organisiert. Auf ihre Initiative und mit Unterstützung der sowjetischen Filmgesellschaft entstand das Fundament des sozialistischen Films in Deutschland. Zu den wichtigsten Leistungen gehören die drei Filme: Mutter Krausens Fahrt ins Glück, Hunger in 'Waldenburg, Kuble Wampe oder Wem gehört die Welt? Vgl. dazu und zur Wirkung der sowjetischen Filme in Deutschland: Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland. 1918-1932. Bd. 1. Berlin 1975, S. 2 7 7 - 4 2 3 ; Bd. 2, S. 58 bis 184. Vgl. Erwin Piscator: Tonfilm - Freund und Feind. In: Erwin Piscator: Schriften. Bd. 2. Berlin 1968, S. 70-72. - 1922 gibt Die Rote Fahne ohne Angabe von Quellen 1 500 000 Zuschauer am Tag für ganz Deutschland an. Der Filmvolksbund gibt seinerseits für 1928 und ohne genauere Belege 60 Millionen im Jahr allein für die Stadt Berlin an. Drehbeginn war 1931. Die Premiere des Films mit dem Titel Der Aufstand der Fischer fand 1934 statt. Das Gesetz wurde vom Reichstag mit Zustimmung der Fraktionen von SPD und USPD angenommen. Die KPD lehnte die Annahme ab, weil es „als rechdiche Grundlage zur Verfolgung der revolutionären Kräfte dienen kann". Vgl. Chronik zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 2. Berlin 1966, S. 131. Der erste Vorsitzende des SDS, Theodor Heuss, hatte als Reichstagsabgeordneter selbst für dieses Gesetz gestimmt. Der Protest gegen das Gesetz kam demzufolge auch nicht vom SDS, sondern von den linksgerichteten Verlegern. Die Ortsgruppe Berlin des SDS verlangte in den letzten Monaten des Jahres 1926 entschieden den Ausschluß von Heuss aus dem Verband, aber dieser Vorschlag wurde vom Hauptvorstand des SDS abgelehnt. Auf Grund dieses Gesetzes wurde u. a. auch gegen Ernst Glaeser 1927 ein „Gotteslästerungsprozeß" inszeniert. Vgl. Der Fall Ernst Glaeser. In: Der Schriftsteller, Nr. 1 (1927), S. 7 f. In: Der Weltkampf, Nr. 5 (1928), S. 209-212. Zit. nach: Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Stuttgart 1970, S. 2 7 - 2 8 . In: Nationalsozialistische Monatshefte. 2. Jg., H. 11, Februar 1931. Daß dieser Kampfbund in Frankreich nicht unbeachtet blieb, zeigt ein anonymer Artikel in der Wochenschrift Comoedia (Paris) vom 1. August 1930. Der Verfasser des Artikels erklärt das Programm dieser Organisation und charakterisiert dann sehr deutlich ihre Gefährlichkeit: „Das Programm ist außerdem in einer rüden und herausfordernden Sprache verfaßt, die vor allem von knappen und herrischen Sätzen geprägt ist und

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beinahe ständig ein militärisches Vokabular benutzt. Es preist die reine deutsche Rasse und die religiösen Kräfte Deutschlands, es ist rassistisch und antisemitisch. Das wahre deutsche Volk in kleinen Städten und auf dem Lande wird den .verdorbenen Abfällen' der Großstädte gegenübergestellt. Das Programm tadelt Berlin und vergleicht seine Sitten mit denen, die in Rom zur Zeit des Niedergangs herrschten. Es beschimpft die Schriftsteller, die sich nicht zum Geist der germanisch-deutschen Hegemonie bekennen, als entartete Intellektuelle und meint damit Künstler wie Emil Ludwig, Ernst Toller, Lion Feuchtwanger, Jakob Wassermann, ja selbst Thomas Mann und Stefan Zweig. Es verlangt das Verbot von Zeitungen und Publikationen, die unter jüdischer Leitung stehen oder die die pangermanistischen und revanchistischen Forderungen nicht unterstützen. Der .Kampfbund' wurde von einer ziemlichen Anzahl von Schriftstellern und Künstlern gegründet, die zwar nicht alle zu den bekanntesten gehören, ja sogar häufig nur zur zweiten oder zur dritten Garnitur, dafür aber um so aktiver sind." Zur Tätigkeit des Kampfbundes für Deutsche Kultur und zu einer genaueren Darstellung der Kulturpolitik Wilhelm Fricks vgl. Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963, S. 1 1 - 1 3 und S. 22-35. In seiner Arbeit über die Funkpropaganda Krieg über Ätherwellen (Berlin 1970) vermerkt Klaus Scheel, daß in Jena Kundgebungen von kommunistischen und sozialdemokratischen Studenten stattfanden, um den Rücktritt von Hans F. K. Günther zu fordern. Zur Entstehung und Wirkung der proletarisch-revolutionären Literatur in Deutschland vgl. u. a. die bisher umfangreichste Dokumentation Zur Tradition der deutschen sozialistischen Literatur. 1926-1935. (Bd. 1. BerlinWeimar 1979); weiterhin die entsprechenden Passagen in der Geschichte der deutschen Literatur (Bd. 10. Berlin 1973); sowie die Veröffentlichungen von Alfred Klein, Klaus Kandier, Friedrich Albrecht, Irmfried Hiebel in der Reihe Beiträge zur Geschichte der deutschen sozialistischen Literatur im 20. Jahrhundert. Zu diesem Thema erschien von Manfred Nössig, Johanna Rosenberg und Bärbel Schräder Literaturdebatte in der 'Weimarer Republik (Berlin-Weimar 1980). Zit. nach: In letzter Stunde. 1933-1945. Hg. v. Dieter Schmidt. Dresden 1964, S. 56. Gottfried Benn an Frank Maraun (d. i. Erwin Goeltz). Brief v. 12. 4. 1936. In: Ausgewählte Briefe. Wiesbaden 1957, S. 6 7 - 6 8 . Vgl. auch Cornelia Lehmann: Benedetto Croce:Zur Problematik seiner Traditionsauffassung. In: Tradition in der Literaturgeschichte. Berlin 1972, S. 2 6 - 7 2 (Literatur und Gesellschaft).

119] Was hier am Beispiel des Verhältnisses des faschistischen Staates zu den Intellektuellen erörtert wird, analysiert Palmiro Togliatti sehr differenziert in seiner Untersuchung über das Herrschaftssystem des italienischen

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Faschismus und die verschiedenen Varianten seiner Machtausübung und der Terrormaßnahmen. Vgl. Palmiro Toglatti: Worin liegt die Stärke des italienischen Faschismus begründet? I n : Palmiro Togliatti: Lektionen über den Faschismus. Frankfurt/M. 1973, S. 123-145. 120

Diese Feststellung belegt Maria-Antonietta Macciocchi mit interessanten eigenen Erfahrungen, die sie in ihrem Beitrag zum 2. Band von Eléments pour une analyse du fascisme (Paris 1976, S. 30) mitteilt: „Uns andere Schüler von Lyzeen wie ich, die ich 1940 das Lyzeum 'Dante Alighieri' in Rom besuchte - überfütterten unsere Lehrer mit klassischer Kultur der Griechen und Römer, mit Philosophie- und Literaturgeschichte, und deshalb blieben wir, bzw. ließ man uns, gänzlich unberührt von der T h e o r i e des Regimes, von der faschistischen Weltauffassung und der faschistischen Politik und Propaganda. Die einzigen fanatischen Faschisten in der Schule schienen die Sportlehrer zu sein. 121 Elio Vittorini in: Diario in pubblico. Bompiani, Milano 1970 2 . 122 Jean-Richard Bloch: Les raisons d'un futuriste et les nôtres. In: Jean-Richard Bloch: Carnaval est mort. Paris 1920, S. 102-113. 123 Vgl. auch Filippo Tomaso Marinetti: Mafarka le Futuriste. Paris 1910. 124 Giuseppe Prezzolini: Ecrivains fascistes. Französisch erschienener Artikel in: Revue de Genève, Nr. 39. September 1923, S. 362-371. 125 Edoardo Sanguineti : Sociologie de l'avant-garde. Beitrag in französischer Sprache auf dem Kolloquium in Brüssel vom 21.-23. Mai 1964 über methodologische Probleme in der Literatursoziologie. Veröffentlicht in: Littérature et Société. Hg. v. Institut de sociologie, Université libre de Bruxelles. Brüssel 1967, S. 15. 126 Giuseppe Prezzolini: Ecrivains fascistes. In: Revue de Genève, N r . 39, September 1923, S. 326-371. 127] Zu Begriff und Problem der künstlerischen Avantgarde in ihrer Heterogenität vgl. Künstlerische Avantgarde. Annäherungen an ein unabgeschlossenes Kapitel. Berlin 1979 (Literatur und Gesellschaft). 128] Über zeitweilige Versuche der deutschen Faschisten in den ersten Jahren ihrer Herrschaft, sich auch des italienischen Futurismus zu bedienen, berichtet Lionel Richard: Petite Chronique allemande à propos Marinetti. In: Marinetti. Hg. v. Giovanni Lista. Lausanne 1978, nicht paginiert. 129] Die internationalen Beziehungen der revolutionären Kunst in den zwanziger Jahren sind in der D D R großräumig erforscht worden. Aus der Fülle der vorhandenen Publikationen vgl. u. a. Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 2 7 - 6 9 u. S. 1 9 5 - 2 3 5 ; Edgar W e i ß : Die sozialistischen deutschen Schriftsteller in ihrem Verhältnis zur sowjetischen Literaturentwicklung in den Jahren 1917-1933. I n : Deutschland und Sowjetunion. Aus fünf Jahrzehnten kultureller Zusammenarbeit. Berlin 1966, S. 245-259. 130 Zit. nach: In letzter Stunde. 1933-1945. Hg. v. Dieter Schmidt. Dresden 1964, S. 152-153. - Siehe auch einen Brief von Lyonel Feininger, 19*

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ebenda, S. 75. Nolde zeigte Rudolf Pechstein als Juden an, der er gar nicht war. Nach dem Krieg stellte auch Karl Hofer Nolde als eine kaum zu empfehlende Person dar, die sich zu Beginn des Dritten Reichs als Denunziant hervortrat Er hat diese Worte in seiner Rede vom 25. Januar 1936, anläßlich des zehnten Jahrestages der Gründung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, wiederholt. Er definierte Klarheit als logisches Denken und logisches Handeln, was nach seinen Worten ihn selbst charakterisiere, wenn er dem deutschen Volk eine Verfassun-g gebe, die es stark machen solle. Er wiederholte genau dieselbe Formel am 19. Juli 1937 bei der Einweihung des Hauses der Deutschen Kunst in München. Er definierte dort Klarheit zugleich mit den Begriffen des Logischen und des Wahren und kam so Langbehn nahe, für den es hieß: Deutsch sein, ist wahr sein. Zur Auseinandersetzung mit der faschistischen Kunstkonzeption vgl. u. a. den erst kürzlich wiederabgedruckten Aufsatz von Alexander Abusch: Die Verteidigung der deutschen Kultur und die Volksfront (1937). In: Sinn und Form 31 (1979) 5, S. 959-973. Fritz Heike: Junge Front in Dichtung der Gegenwart. In: Völkischer Beobachter v. 5. 6. 1935, S. 5. Hans Arnold in: Nationalistische Monatshefte, September 1936, S. 836. Zit. nach: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, S. 316. Robert Scholz: Lebensfragen der bildenden Kunst. München 1937. Zit. nach: Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, S. 211. Vgl. hierzu die Artikel von Otto Nagel in den zwanziger Jahren, besonders Hauskitsch in Arbeiterwohnungen. In: Arbeiter-Illustrierte-Zeitung 4 (1927). Er schrieb: „Man soll nicht sagen, daß der Kampf gegen den Hauskitsch unwichtig, überflüssig ist. Nicht gegen schlechten Geschmack soll Front gemacht werden, sondern gegen den Spießbürger, der sich in euren Wohnungen breit macht." Vgl. Georg Lukäcs: Der verfälschte und der wirkliche Büchner. In: Das Wort 2 (1937) 3, S. 7 - 2 6 . Lukäcs entlarvt hier die prä- und profaschistischen Büchnerdarstellungen, die darauf hinausliefen, Bücher zu einem tragisch-verzweifelt Untergegangenen und damit zu einem Vorläufer der „nationalsozialistischen" Revolution zu machen. - Zur Klassikerverfälschung besonders auf dem Theater vgl. auch Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 615. Dort wird auch darauf verwiesen, daß beispielsweise Schillers Don Carlos und Wilhelm Teil während des Krieges sowohl aus den Spielplänen wie aus dem Lehrstoff der Schulen entfernt wurden. In welcher Weise die Nazis diese Umfunktionierung des Arbeiterliedguts bemäntelten, geht aus folgendem Zitat hervor: „Wie die großen religiö-

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sen und sozialen Bewegungen der Geißler und der Reformation bewußt an bekannte Texte anknüpfen und im Volke beliebte Melodien für neue Texte übernahmen, so schalteten auch die Nationalsozialisten ganz frei mit dem vorhandenen Volksliedergut. Gerade dem gegnerischen Lied setzten sie vielfach ein ganz ähnliches entgegen, das sich textlich nur durch wenige, aber entscheidende Stellen unterschied." (Martin Wähler: Das politische Kampflied der Gegenwart im Unterricht. In: Zeitschrift für Deutschkunde, XLVIII (1934), S. 634-743; zit. nach: NS-Literaturtheorie. Hg. v. Sander L. Gilman. Frankfurt/M. 1971, S. 135.) Adolf Hitler: Blut und Kultur. In: Odal, Oktober 1834. Zit. nach: Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, S. 212. Zur Umfälschung der Klassenkämpfe in Rassenkämpfe vgl. auch Bertolt Brecht: Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. In: Bertolt Brecht: Stücke. Bd. 6. Berlin-Weimar 1961. Vgl. Alfred Rosenberg: Tradition und Gegenwart (Reden und Aufsätze 1936-1940). Berlin 1943. Das Zitat auf S. 33. - In der Argumentation Hitlers und Rosenbergs waren die „Juden" und die „Neger" die hauptsächlichen Urheber der Zersetzung der echten deutschen Kunst. Die Juden, weil sie Internationalisten, geldgierig und verdorben seien. Sie wollten sich behaupten, obwohl sie von Natur aus nicht konstruktiv, sondern negierend veranlagt seien. Das Volk der Juden, erklärt Hitler unumstößlich, habe nie ein Kunstempfinden gehabt. In der Literatur könne der Jude nie zu einer echten deutschen Sprache gelangen, da der spezifische Bau seiner Sprechorgane ihm das nicht erlaube. Was die Neger betrifft, die auch zu den minderwertigen Rassen gehören, so seien die primitiven Formen ihrer angeblichen Kunst, besonders der Jazz, leider in Deutschland eingedrungen. Völkischer Beobachter v. 16. 10, 1933. Vgl. Alfred Rosenberg: Tradition und Gegenwart (Reden und Aufsätze 1936-1940). Berlin 1943, S. 325. Zit. nach: Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963, S. 123-124. Vgl. hierzu im Dokumentenanhang alle Texte, die aus Hitler einen Kunstsachverständigen machen. In den Münchner Neuesten Nachrichten vom 20. April 1937 zeichnet Goebbels folgendes Porträt von Hitler: „Adolf Hitler ist der beste Sachkenner, den man sich denken kann. Es ist ganz unmöglich, ihm potemkinsche Dörfer vorzumachen. Das hat mancher erleben müssen, der ihn durch Ausstellungen führte oder ihm bei Konferenzen Vortrag über neue Pläne und Projekte zu halten hatte. [ . . . ] Es ist ein Merkmal des Genies, von den Dingen, Situationen und Menschen das Wesen zu erfassen, das Unwesentliche aber nur als Material der Sachkunde zu verwerten, im Grundsätzlichen zu denken und das Grundsätzliche gegen ein manchmal verwirrendes Spezialistentum durchzusetzen. 293

Diese Eigenschaft zeichnet den Führer in ausgesprochenem Maße aus. Seine höchste Kunst besteht darin, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Daher rührt wohl auch sein phänomenales Gedächtnis, das selbst seine engsten Mitarbeiter immer wieder aufs neue in Erstaunen versetzt." Es gab unzählige Beschreibungen dieser Art im Dritten Reich, sie waren genau zugeschnitten und forderten die Massen zum absoluten und blinden Vertrauen in den Führer auf. Nach 1945 haben viele alte Nazis auf diese Hitler angedichteten Eigenschaften verwiesen, um den Faschismus und ihre eigenen Schwächen zu rechtfertigen. Vgl. dazu die Memoiren von Arno Breker, Albert Speer und Hans Severus Ziegler. 146 Das war eine der Illusionen hauptsächlich von Arnolt Bronnen und Gottfried Benn. In seinen Memoiren (Licht auf den Zügeln. 2 Bde. Mannheim 1953) rechtfertigt Hans Friedrich Blunck auch die Rolle von Goebbels. So heißt es im 2. Band, Unwegsame Zeiten, auf S. 208 über die Gründung der Reichskulturkammer: „Das Kulturkammergesetz gab uns jedenfalls in ausgezeichneter und knapper Formulierung mit der Selbstverwaltung eine hohe Vollmacht und Verantwortung. Ich bin des Glaubens, daß erst die beständige Furcht, ähnlich wie Strasser und andere von den Polterern beim Führer verdrängt zu werden, Goebbels später den Weg wechseln ließ." Blunck geht sogar so weit, Goebbels eine außergewöhnliche Toleranz zuzuschreiben (ebenda, S. 216) : „Unsere Buchmessen wurden nach sprödem Beginn ein Erfolg, die Presse sorgte für uns. Auch Goebbels schmökerte eine Stunde in unserem großen Laden; er hatte Geschmack und gutes Urteil. Als er die Lagerlöf fand, wurde ihm mit einem anklagenden Blick auf mich bedeutet, daß sie sich gegen Deutschland ausgesprochen habe. Ob man ihre Bücher wohl ausstellen dürfe? Ich griff ein, ihre politische Haltung gehe uns nichts an, und Goebbels lächelte höflich. Ihre Werke blieben auf der Messe. " 147 Antoine de Saint-Exupéry: Lettre au général X. In: Le Figaro littéraire v. 10. 4. 1948. Wiederabgedruckt in: Un sens à la vie. Unveröffentlichte Texte. Hg. v. Claude Reynal. Paris 1956, S. 223-231. Das Zitat S. 229. 148 Das trifft z. B. auf die Darstellung der Frau zu. In den ersten Jahren der Naziherrschaft, bis 1936, hatten die Frauen für den Haushalt und für Nachkommenschaft zu sorgen. Sie wurden an den Küchenherd zurückgeschickt, die Arbeitsstellen, die dadurch frei wurden, halfen, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Der öffentliche Dienst wurde Frauen unter fünfunddreißig Jahren verboten, für die medizinischen Berufe gab es eine Beschränkungsklausel, und der Beruf des Richters wurde den Frauen einfach verwehrt. Diese Maßnahmen wurden durch eine Propaganda vervollständigt, die die Frau darauf beschränkte, dem Mann zu dienen, sich um den Haushalt und um ihre Kinder zum Wohl des Staates zu kümmern. Hitler betrachtete übrigens die Emanzipation der Frau als eine von den Juden

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erfundene Losung. Seit 1936 und besonders seit 1940 wurden im Gegensatz dazu weibliche Arbeitskräfte in der Kriegsindustrie eingestellt. Die Arbeit außerhalb des Haushalts, die früher als entehrend für die Frau und nicht ihrer biologischen Natur entsprechend angesehen wurde, wurde plötzlich zum „Dienst am Vaterland" erhoben. Diese beiden Etappen sind in der nationalsozialistischen Malerei erkennbar. In der ersten gab es verhältnismäßig wenig Aktdarstellungen (es war die Zeit, da sich Walter Darre zum Moralapostel aufschwang und die schädlichen Einflüsse der Freikörperkultur verbot), aber dafür viel Familienszenen und Interieurs. In der zweiten gab es als Ausnahme einige Frauen auf dem Feld und eine Flut von Akten. Diese weiblichen Akte fallen übrigens unter das, was manche Pornographie nennen. Es ist die Darstellung der jungen, aufregenden, appetitlichen Frau, die die Begierde des Mannes weckt und sich ihm darbietet. Die Malerei soll hier zur Zeugung zukünftiger neuer Soldaten anregen. 149

Albert Speer im Vorwort zu: Deutsche Plastik unserer Zeit. Hg. v. Kurt Lothar Tank. München 1942. 150] Walter Benjamin schreibt zu dem gleichen Problem: „Der Faschismus versucht, die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindringen, anzutasten. Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht in ihrem Recht) kommen zu lassen. Die Massen haben ein Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse; der Faschismus sucht ihnen Ausdruck in deren Konservierung zu geben. Der Faschismus läuft folgegerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus. Der Vergewaltigung der Massen, die er im Kult eines Führers zu Boden zwingt, entspricht die Vergewaltigung einer Apparatur, die er der Herstellung von Kultwerten dienstbar macht." (Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Walter Benjamin: Lesezeichen. Leipzig 1970. S. 402-403.) 151] Am 30. Januar 1933 beauftragte Hindenburg Hitler mit der Regierungsbildung. Dem Kabinett gehörten Vertreter der NSDAP, der DNVP und Minister der ehemaligen Papen-Regierung an. Damit war der Übergang zur offenen terroristischen Diktatur der reaktionärsten und am meisten chauvinistischen Elemente des Finanzkapitals in Deutschland vollzogen, dem durch eine Fülle neuer Gesetze der äußere Anschein von juristischer Legalität gegeben werden sollte. Vgl. Ernst Gottschling: Der faschistische Staat. Das deutsche Beispiel. In: Faschismusforschung, S. 73-98. 152 Helmut Nicolai erklärt den Begriff Gleichschaltung in seinem Bändchen Der Staat im nationalsozialistischen Weltbild (Leipzig 1935, S. 3 0 ) : „Unter Gleichschaltung versteht man die organisatorische Eingliederung von Körperschaften, Verbänden, Vereinen usw. in das Gesamtgefüge des NSStaates." 153 Im Gegensatz zu den Darlegungen in Geschichtsbüchern der B R D , in

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denen die Bejahung des Faschismus durch die verschiedenen Schichten des deutschen Volkes mit dem scheinbaren Antikapitalismus der Nazipartei entschuldigt werden soll, hat Hitler oft genug seinen Antikommunismus offen zugegeben. Es war unmöglich, sich darüber hinwegzutäuschen. Als er 1932 gegen das Zentrum wetterte und dabei versuchte, alle Christen in den Schoß der Nazipartei zu ziehen, stellte er sich sogar als der Abgesandte Gottes dar, der Deutschand vor dem Bolschewismus bewahrt und damit die Welt rettet. Schon wegen seines Stils und der Hartnäckigkeit, mit der die Argumente auch nach dem Dritten Reich wiederholt worden sind, lohnt es sich, aus diesem Neujahrsaufruf zu zitieren, den der Völkische Beobachter vom 1./2. Januar 1932 wiedergibt: „Ein Sieg des Bolschewismus ist nicht nur das Ende unserer heutigen Völker, ihrer Staaten, ihrer Kulturen, ihrer Wirtschaft, sondern auch das Ende ihrer Religionen! Nicht Freiheit kommt aus dieser Welterschütterung, sondern barbarische Tyrannei auf der einen Seite und eine materialistische Vertierung des Menschen auf der anderen! Wie so oft in der Geschichte der Völker wird auch dieses Mal Deutschland in seinem Schicksal von entscheidender Bedeutung sein für das Schicksal aller. [. . .] Dem internationalen Bolschewismus gegenüber steht heute im Nationalsozialismus die deutsche Nation. Der Allmächtige selbst schafft durch seinen gnädigen Willen die Voraussetzung zur Rettung unseres Volkes; indem er die laue Mitte vernichten läßt, will er uns den Sieg geben." 154] Die einzige Kraft in Deutschland, die frühzeitig auf die Aggressivität des Faschismus und seine Eroberungspläne hingewiesen und vor ihnen gewarnt hat, war die KPD. Erinnert sei nur an die Kampflosung zu den Reichstagswahlen 1932: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler; wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" Vgl. auch die Dokumente der KPD-Parteitage, besonders des XI. Parteitages 1927. 155] Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes stellte „jede Kritik an der Naziregierung unter Strafe, verfügt Versammlungs- und Presseverbote, die sich vorwiegend gegen die revolutionären Kräfte des Proletariats richten. Diese Notverordnung drängt die KPD faktisch in die Illegalität und soll sie von einer aktiven Beteiligung am Wahlkampf ausschließen." Die Wahlen zum Reichstag waren von Hindenburg auf den 5. März 1933 festgesetzt worden. Zit. nach: Chronik zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 2. Berlin 1966, S. 310. 156] Vgl. darüber sein Tagebuch. Nacl Kurt Koszyk (Das Ende der Pressefreiheit nach dem Reichstagsbrand. In: Publizistik, Sept.-Okt. 1960) mißbilligte ein einziger legal in Deutschland erschienener Kommentar öffentlich die Verordnung vom 4. Februar 1933. Das war eine legal erschienene Broschüre von Franz Neumann mit dem Titel Das gesamte Presse-Notrecht vom 4. Februar 1933 (Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Berlin 1933). Franz Neumann wies nach, daß das faktisch das Ende der de-

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mokratischen Freiheiten war und daß alles nur noch vom Führer abhing. - Eine Zusammenstellung der illegal erscheinenden Presseorgane der K P D und ihr nahestehender Organisationen gibt: Klaus Mammach: D i e deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933-1939. Berlin 1974, S. 74. 157] Am 28. Februar 1933 wurde die Notverordnung Zum Schutze von Volk und Staat erlassen. „Auf Grund des Artikels 48 der Weimarer Verfassung werden zur .Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte' die Artikel 114, 115, 117, 118, 123 und 153 außer kraft gesetzt und damit Beschränkungen der persönlichen Freiheit, der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen u. a. gestattet, für jede antifaschistische Betätigung wird die Todesstrafe angedroht. Mit dieser Verordnung, die faktisch die Weimarer Verfassung aufhebt und bis zum Sturz der Naziherrschaft in K r a f t bleibt, gehen die Faschisten zum staatlich organisierten Terror größten Ausmaßes über. Diese Verordnung und die über 460 Sondergesetze und Verordnungen, die die Hitlerregierung bereits in den ersten Monaten ihrer Herrschaft erläßt, sollen die blutigen Ausschreitungen und Gewalttaten legalisieren." Zit. nach: Chronik zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 2. Berlin 1966, S. 314 - Vgl. auch Klaus Drobisch: Über den Terror und seine Institutionen in Nazideutschland. In: Faschismusforschung, S. 157 bis 180. 158 Mussolini hatte es zusammen mit G. Forzano verfaßt. Unter dem Titel Die hundert Tage (Campo di Maggio) wurde dieses Stück in drei Akten und acht Bildern in einer deutschen Fassung von H. Sassmann und G. Herczeg gespielt. Es wurde zweimal verlegt, beim Verlag Marton, Wien 1931 (Fassung des Wiener Burgtheaters) und beim Verlag Zsolnay, Wien 1933. 159] Thomas Mann: Zu Lessings Gedächtnis. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke. Bd. XI. Berlin 1965, S. 191-196. - Vgl. Hildegard Brenner: Das Ende einer bürgerlichen Kunst-Institution. Die politische Formierung der Preußischen Akademie der Künste. Stuttgart 1972. 160] Vgl. Heinrich Mann. 1871-1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern. Berlin-Weimar 1971; Heinrich Mann: Verteidigung der Kultur. Antifaschistische Streitschriften und Essays. Berlin-Weimar 1971; Werner Herden: Geist und Macht. Heinrich Manns Weg an die Seite der Arbeiterklasse. 2. durchges. Aufl. Berlin-Weimar 1977. 161 Wilhelm Stapel in: Deutsches Volkstum, März 1933, S. 17. 162] Vgl. Hildegard Brenner: Das Ende einer bürgerlichen Kunst-Institution. D i e politische Formierung der Preußischen Akademie der Künste Stuttgart 1972, S. 78; vgl. auch Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 504. 163] Vgl. ebenda, S. 239-240.

297

164] Vgl. Aktionen, Bekenntnisse, Perspektiven. Berichte und Dokumente vom Kampf um die Freiheit des literarischen Schaffens in der Weimarer Republik. Berlin-Weimar 1966, S. 321-468. 165] An alle Ortsgruppen des SDS! An alle Oppositionellen im Verbände! Rundschreiben. Abgedr. in: Ebenda, S. 460-461. 166] Vgl. Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 410-411. 167] Ergänzend ist anzumerken, daß der Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller bis 1935 in der Illegalität weiterkämpfte. Vgl. ebenda, S. 417-420. - Außerdem wurde der Schutzverband Deutscher Schriftsteller im Sommer 1933 auf Initiative von Anna Seghers, Rudolf Leonhard, Alfred Kurella, Max Schroeder u. a. im antifaschistischen Exil neu aufgebaut. Vgl. ebenda, S. 428-429. 168] Die beiden Zitate zit. nach: Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963, S. 42. 169] Zur Gleichgestaltung des Rundfunks vgl. Erich Richter: Entwicklung und Wirken des faschistischen Rundfunks. In: Beiträge zur Geschichtswissenschaft, 1968, H. 3, S. 5 - 3 5 ; H. 4, S. 4 - 3 6 ; 1969 H. 2, S. 4-39. Vgl. auch Peter Dahl: Arbeitersender und Volksempfänger. Proletarische Radio-Bewegung und bürgerlicher Rundfunk bis 1945. Franfurt/M. 1978, S. 103-125. 170] Auf der Reichstagssitzung am 23. März 1933, an der die Abgeordneten der KPD nicht teilnehmen konnten, da ihre Mandate annulliert worden waren, begründete Hitler das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz). Danach erhält die Reichsregierung gesetzgeberische Gewalt und kann Gesetze erlassen, die „von der Verfassung abweichen", und internationale Verträge schließen. Das Gesetz wurde mit den Stimmen der NSDAP und aller bürgerlicher Parteien angenommen. Die 94 Abgeordneten der SPD (26 sind bereits verhaftet oder emigriert) erklären sich gegen das Gesetz und stimmen mit Nein. Vgl. Chronik zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 2. Berlin 1966, S. 318. 171 Am 1. April 1933 verfügte derselbe Goebbels den Tag des Boykotts der jüdischen Geschäfte. Er betonte, daß dieser Boykott nur eine Warnung sei und nicht fortgesetzt würde, wenn die Auslandsjuden ihre Kampagne gegen Nazideutschland beendeten. Viele Deutsche jüdischer Herkunft fielen darauf herein und baten ihre Bekannten im Ausland, ihre Angriffe gegen die Nazis einzustellen. Sie hofften, nicht zum Verlassen Deutschlands gezwungen zu werden oder wenigstens, daß der Antisemitismus ein wenig nachlassen würde. Diese Illusion wurde noch dadurch genährt, daß acht Tage später ein Gesetz erlassen wurde, das zwar allen nicht rein arischen Bürgern den öffentlichen Dienst verwehrte, Kaufleute jedoch von diesen Bestimmungen (noch) ausnahm. 172) Über die Verflechtung von Nazipartei und Staat handelt ausführlich Ernst Gottschling: Der faschistische Staat. Das deutsche Beispiel. In: Faschismusforschung, S. 73-98, besonders in dem Abschnitt Der Ausbau

298

173

174 175 176]

der Diktatur zum „völkischen Führerstaat" (S. 89-95). - In der Sekundärliteratur der B R D wird vermerkt, daß diese sehr engen Grenzen, in denen sich Rosenberg zu bewegen hatte, auf seine inkonsequente Haltung zurückzuführen seien, auf seinen Mangel an Informationen und auf seine Nachlässigkeit bei der Einflußnahme auf die Kulturpolitik des FrickMinisteriums in Thüringen. Diese Vorwürfe waren zwar nicht alle berechtigt, sie führten aber dazu, daß Hitler die Leitung der neu gegründeten Abteilung für Rasse und Kultur der NSDAP am 31. Dezember 1930 nicht Rosenberg übertrug, sondern einem ziemlich unbekannten Funktionär, einem gewissen Hanno Konopath, der sich als Rassendogmatiker neben Hans F. K. Günther in Thüringen betätigt hatte. Rosenberg war offensichtlich übergangen worden. Seinetwegen war damals sogar der Kampfbund und sein Streben nach Vorherrschaft umstritten. Diese Situation wurde nur durch äußere Umstände entschärft: Die Abteilung für Rasse und Kultur ging später ein wegen privater Schwierigkeiten Konopaths. - Zu dem ganzen Komplex vgl. Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Stuttgart 1970. — Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Goebbels und Rosenberg hatten einen Sachbezug, nämlich eine unterschiedliche Auffassung in der Frage, ob moderne Kunstströmungen, z. B. der Expressionismus, integrierbar seien oder nicht. Die Frage war, ob sich die kulturpolitische Linie von vor 1933, die eine gewisse Popularität gerade durch die Verurteilung der modernen Kunst erreicht hatte, nach der Machtergreifung modifizieren ließ, um einige bekannte Künstler für den Faschismus in Anspruch nehmen zu können. Goebbels versuchte solche Modifikation, setzte sich aber damit nicht durch. Vgl. hierzu auch S. 70-72 dieses Buches, sowie S. 114-115. Vgl. die Studie von Hans Wolf gang Strätz: Die studentische Aktion wider den undeutschen Geist im Frühjahr 1933. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1968, H. 4. Gerhard Schumann: Sonnwendfeier. München o. J. [1936], S. 4 : „Wir sind Glied der Feuerkette/Aus der Urnacht in die Ewigkeit!" Beide Zitate zit. nach: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, S. 46 f. Tatsächlich gab es vom ersten Tage der Diktatur an einen organisierten antifaschistischen Widerstandskampf der deutschen Arbeiterklasse und ihrer in die Illegalität getriebenen Partei. Vgl. u. a. Der Widerstandskampf der KPD und anderer Antifaschisten für den Sturz der faschistischen Diktatur. In: Deutschland im 2. Weltkrieg. Bd. 1. Berlin 1974, S. 8 0 - 8 5 ; Klaus Mammach: Die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933-1939. Berlin 1974, besonders die Kapitel Die Stellung der verschiedenen Antihitlerkräfte zur Errichtung der faschistischen Diktatur Januar/Februar 1933 und Die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung im Kampf gegen die Kriegsvorbereitung des deutschen Imperialismus, für den Sturz der faschistischen Diktatur Frühjahr 1933 bis

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Ende 1935; Klaus Mammach: Zum antifaschistischen Kampf der KPD. In: Faschismusforschung, S. 3 2 3 - 3 5 4 ; siehe auch die Autobiographie von Karl Mewis: Im Auftrag der Partei. Berlin 1972, besonders das Kapitel Illegal am Mittelrhein (S. 10-47). 177 Dieser Satz wurde oft entweder Goebbels oder Göring zugeschrieben. Beide haben ihn sicherlich mehrfach zitiert, und er hatte unbestreitbar einen durchschlagenden Erfolg im Dritten Reich. Er stammt aus dem Schlageter-Stück von Hanns Johst und wird dort von Friedrich Thielmann gesprochen, eine Rolle, die 1933 von Veit Harlan gespielt wurde. - Albert Leo Schlageter hatte als Offizier am ersten Weltkrieg teilgenommen. Nach 1918 war er Angehöriger der Freikorps und trat 1922 der NSDAP bei. Er wurde 1923 Mitglied der Organisation Heinz, die mit Attentaten gegen die französischen Okkupationstruppen im Ruhrgebiet kämpfte. Als Verantwortlicher für Sabotageakte gegen die Eisenbahn angezeigt, wurde er von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und im Mai 1923 hingerichtet. 178 In diesem Zusammenhang ist das Bild der faschistischen Hierarchie, das Helmut Nicolai in seiner Schrift Der Staat im nationalsozialistischen Weltbild, (Leipzig 1935, S. 36) entwirft, recht aufschlußreich: „Autoritäre Staatsführung bedeutet: An der Spitze des Staates steht der Führer, dessen Geist und Wille das Staatswesen beseelen. 1. Der Führer besitzt die gesamte politische Macht im Staate. Seine Anordnungsgewalt ist rechtlich und tatsächlich unbeschränkt. 2. Der Führer ernennt die erforderlichen Unterführer höheren Grades, er kann sie zur Ernennung von Unterführern niederen Grades ermächtigen. a) Die Unterführer führen die ihnen anvertrauten Geschäfte selbständig im Sinne des Führers und sind dem Führer für ihre Geschäftsführung verantwortlich. b) Die Unterführer und die Geführten sind dem Führer zu unverbrüchlicher Treue verpflichtet. Der Bruch dieser Treue bildet das strafwürdigste Verbrechen im NS-Staate." Und Becker, ein Naziabgeordneter, erklärte in einer Rede vor den Beamten und Angestellten des Landratsamtes und der Sparkasse des Kreises Niederbarnim (zit. nach: Durch Nationalsozialismus zu Ehre, Freiheit und Arbeit. Privatdruck, o. O. u. J., wahrscheinlich 1933), der Nationalsozialismus sei „eine heldische Weltanschauung, die von dem einzelnen Menschen etwas verlangt hat, nämlich Dienst und nochmals Dienst, Pflicht und nochmals Pflicht, Opfer und nochmals Opfer". 179) Bereits im Oktober 1931 schlössen sich verschiedene „nationale" Persönlichkeiten mit Bankiers und rechten Industriellen in der Harzburger Front zusammen, um die Bildung eines Regierungskabinetts mit Hugenberg und Hitler zu fordern. Am 20. Oktober 1932 wohnten Thyssen und Hitler einem Treffen von Industriellen des Ruhrgebiets auf dem Schloß Landsberg bei. Hier wurde beschlossen, die NSDAP bei den nächsten Reichs-

300

tagswahlen zu unterstützen. Im November 1932 schickte diese G r u p p e Industrieller

ein Empfehlungsschreiben

an Hindenburg, daß er

Hitler

in die Reichskanzlei berufen sollte. D i e s e Annäherungsversuche erreichten am 4. Januar 1933 in Köln bei Baron Kurt von Schröder ihren entscheidenden

Punkt. Von Papen machte sich zum Vermittler

zwischen

Hitler und den Industriellen. E r wurde zum Anstifter der Manipulationen, die am 30. Januar 1933 zur Berufung Hitlers durch Hindenburg führten. Vgl. Materialien zur Strategie und Taktik der herrschenden imperialistischen Kreise Deutschlands 1 9 1 9 - 1 9 3 3 . I n : Siegfried Vietzke, Heinz Wohlgemuth: Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung in der Zeit der Weimarer Republik. 1 9 1 9 - 1 9 3 3 . Berlin 1966, S. 3 7 7 - 4 2 1 ; Wolfgang R ü g e : Monopolbourgeoisie, faschistische Massenbasis und NS-Programmatik in Deutschland vor 1933. In: Faschismusforschung, S. 1 2 5 - 1 5 5 . 180

Hans Friedrich Blunck: Unwegsame Zeiten. Mannheim 1952, S. 574.

181 Robert L e y : D e r Führer und der deutsche Arbeiter. In: Adolf

Hitler,

Bildalbum. Hamburg 1936, S. 63. Zit. nach: Hermann Hink.el: Zur Funktion des Bildes im deutschen Faschismus. Steinbach/Gießen 1975, S. 44. 182] D a s bedeutete gleichzeitig Verschärfung der Ausbeutung der Werktätigen. Auf der Brüsseler Konferenz der K P D (1935) analysierte Wilhelm Pieck: „ N a c h den Angaben der faschistischen Statistik läßt sich errechnen, daß die nominellen Stundenlöhne 1934 um mindestens 10 Prozent niedriger sind als 1932. Wenn dazu noch die Steigerung der Ernährungskosten von der faschistischen Statistik selbst mit mindestens

8 Prozent

angegeben

wird, so ist der Lohn nach zwei Jahren Hitlerdiktatur um 18 Prozent niedriger als 1932, am Tiefpunkt der

K r i s e . " Zit. nach: Wilhelm

Pieck:

Gesammelte Reden und Schriften. B d . V . Berlin 1972, S. 247. Vgl. auch Dietrich Eichholtz: Faschismus und Ökonomie. Zu Problemen der Entwicklung der Produktionsverhältnisse unter der faschistischen Diktatur. I n : Faschismusforschung, S. 4 9 - 7 2 ; Kurt Gossweiler: Faschismus und Arbeiterklasse. I n : E b e n d a , S. 9 9 - 1 2 3 . 183

„In der ganzen Welt galt dieser T a g als Manifest des Klassenkampfes, bis erst das Deutschland Adolf Hitlers ihm einen neuen Sinn gab. E s machte aus ihm den Nationalfeiertag des deutschen Volkes, das sich in seiner Arbeit einig fühlt . . ." ( E . Dickmann: Sieg der schaffenden Arbeit. I n : N . S. Frauenwarte, H . 21 [1940], S. 416.)

184

1934 verlor dieses Ministerium folgerichtig den Terminus Kunst aus seiner offiziellen Bezeichnung. Aus dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst, Erziehung und Volksbildung wurde das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.

185

D i e Deutsche Arbeitsfront ist in einer Verordnung Hitlers vom 21. Oktober 1934 juristisch bestimmt als die Organisation, der alle Deutschen, die einer praktischen oder geistigen Tätigkeit nachgehen, als Mitglieder angehören müssen. D i e Verantwortlichkeit dafür war D r . Robert L e y übertragen, der auch Reichsorganisationsleiter der N S D A P war.

301

186 Die Aufnahme in den RDS erfolgte nach denselben strengen Prinzipien: „Mitglied des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller (RDS) kann jeder deutschblütige Schriftsteller werden, der politisch einwandfrei im Sinne des neuen Staates ist. Entscheidung liegt bei der Reichsleitung." (Der Schriftsteller, 8/1933, S. 96.) 187 Zit. nach: Arnolt Bronnen: arnolt bronnen gibt zu Protokoll. Reinbek bei Hamburg 1954. Reprint im Athenäum Verlag. Kronberg/Taunus 1978, S. 280. - Noch viele andere Fakten schienen die Hoffnungen und Illusionen der intellektuellen und liberalen Bourgeoisie zu rechtfertigen: „Jeder einigermaßen mutige Theater-Leiter war imstande, Schauspieler, die als .jüdisch versippt' oder als jüdische Mischlinge' bezeichnet wurden, zu halten, und bis zum Film war die .rassische' Reinigung überhaupt noch kaum vorgedrungen. Der große Albert Bassermann hatte noch in dem ersten Schlageter-Stück von Hanns Johst gespielt, und zwischen Thomas Mann und dem Reichsinnenminister Dr. Frick wurden noch Briefe gewechselt . . ." (ebenda). 188] In der Dokumentensammlung In letzter Stunde. 1933-1945 (Dresden 1964, S. 243) wird der Hofer-Artikel Der Kampf um die Kunst als „AntiNazi-Artikel" gewertet, nach dessen Erscheinen Hofer „von der NaziJournaille heftig angegriffen wurde". 189] Oskar Schlemmer schreibt bereits in einem Brief vom 25. 4. 1933, daß Hofer von seiner Lehrtätigkeit beurlaubt sei. Aus der Preußischen Akademie der Künste wurde Hofer am 1. Juli 1938 ausgeschlossen. In: Ebenda, S. 48 u. 55. 190] Im Vorwort zur Dokumentation In letzter Stunde untersucht Dieter Schmidt die komplizierten Prozesse des Umdenkens, die sich nach 1933 bei jenen Künstlern vollzogen, die in der Weimarer Republik den Anschluß an die revolutionäre Arbeiterbewegung nicht gefunden hatten und erst allmählich durch die Erfahrung des faschistischen Terrors nach neuen Wegen zu suchen begannen, das „Lager der .reinen Kunst' verließ[en] und sich mit ihrem künstlerischen Werk gesellschaftlich-parteilich engagierte [n]". Er stellt in dem Zusammenhang fest: „In Deutschland spielte die demokratische Konsequenz Karl Hofers eine ähnlich bedeutende Rolle wie das Engagement Max Beckmanns und Oskar Kokoschkas für die deutsche Emigration." (S. 22-23.) 191 Rosenbergs Angriffe auf die moderne Kunst sind in seinem Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts (München 1930) deutlich formuliert. In der Ausgabe von 1935 schrieb er über Picasso (S. 298): „Picasso kopierte einst mit größter Sorgfalt alte Meister, malte dazwischen starke Bilder (eines davon hängt bei Schtschukin in Moskau), um schließlich seine Theorie-Illustrationen in lehmig helldunklen Quadraten dem richtungslosen Publikum als neue Kunst zu empfehlen. Und das schreibende Schmarotzertum ergriff voller Gier die neueste Sensation und schwärmte von einer neuen Epoche in der Kunst. Was Picasso aber noch schamhaft hinter

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192

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195

geometrischen Kunststücken verschwieg, trat nach dem Weltkrieg offen und frech hervor: das Mestizentum erhob den Anspruch, seine bastardischen Ausgeburten, erzeugt von geistiger Syphilis und malerischem Infantilismus, als ,Seelenausdruck' darzustellen zu dürfen. Man sehe einmal lange und aufmerksam etwa die Selbstbildnisse' eines Kokoschka an, um angesichts dieser Idiotenkunst das grauenhaft Innere halbwegs zu begreifen." Ich habe mich hier gestützt auf Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Hamburg/Reinbek 1963, und besonders auf Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Stuttgart 1970. - Zur Rezeption der Theorien Marinettis in Deutschland verweise ich auf mein Buch D'une apocalypse ä l'autre (Paris 1976), und in bezug auf weitere Einzelheiten über Ruggero Vasari sowie über die Beziehungen zwischen italienischem und deutschem Faschismus in der staatlich gelenkten Kulturpolitik auf meinen Beitrag in dem Sammelband Marinettt (Hg. v. Giovanni Lista. Lausanne 1978). Diese Titel werden nach der französischen Tageszeitung he Temps zitiert und sind aus dem Französischen rückübersetzt. Der Ausstellungsführer (Redaktion: Fritz Kaiser, München 1935) nennt folgende Gruppierungen: Gruppe 1 „Zersetzung des Form- und Farbenempfindens", „Absolute Dummheit der Stoffwahl"; Gruppe 2 „Unverschämter Hohn auf jede religiöse Vorstellung"; Gruppe 3 „Der politische Hintergrund der Kunstentartung"; Gruppe 4 „Politische Tendenz"; Gruppe 5 „Einblick in die moralische Seite der Kunstentartung", „Bordell, Dirnen, Zuhälter"; Gruppe 6„Abtötung des letzten Restes jedes Rassebewußtseins";Gruppe 7 „Idioten, Kretins, Paralytiker"; Gruppe 8 „Juden"; Gruppe 9 „Vollendeter Wahnsinn". So äußerte Adolf Ziegler, Präsident der Reichskammer der bildenden Künste anläßlich der Eröffnung der Ausstellung Entartete Kunst am 19. Juli 1937. In: Mitteilungsblatt der Reichskammer der bildenden Künste vom 1. 8. 1937, S. 11 f. Zit. nach: Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, S. 323. Am Beginn seiner Rede sagte Ziegler: „Wir befinden uns in einer Schau, die aus ganz Deutschland nur einen Bruchteil dessen erfaßt, was von einer großen Zahl von Museen für die Spargroschen des deutschen Volkes gekauft und als Kunst ausgestellt worden war. Sie sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtskönnertums und der Entartung. Uns allen verursacht das, was diese Schau bietet, Erschütterung und Ekel . . ." Am 6. Juni 1931 war der Glaspalast in München durch einen Brand zerstört worden. Zahlreiche Bilder, besonders von Malern der Romantik, waren dabei verbrannt. Mehrere Pläne wurden für seinen Wiederaufbau entworfen. Nach der Machtergreifung nahmen die Nazis die Sache in die Hand. Hitler übertrug den Wiederaufbau Paul Ludwig Troost, seit 1930

303

Architekt

der

Nazipartei,

und

legte

am

15.

Oktober

Grundstein für das zukünftige Haus der Deutschen

1933

Kunst. Es

den sollte

der „Tempel der deutschen Kunst", das „erste große Architekturdenkmal der neuen Epoche" werden. Troost starb schon 1934, also lange vor der offiziellen

Eröffnung

des neuen Museums. Das Zitat zit. nach :

Die

Malerei im deutschen Faschismus. Hg. v. Berthold Hinz. München 1974, S. 169. 196

Vgl. Fritz Heike in: Der deutsche Schriftsteller, Nr. 1 (1936), S. 8. Zit. nach: Peter Aley: Jugendliteratur im Dritten Reich. Gütersloh 1967, S. 31.

197

Diese Äußerung stammt ebenfalls von Fritz Heike, aber aus dem Jahr 1937. Vgl. ebenda, S. 29.

198] Die NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude war der Deutschen Arbeitsfront angegliedert und untergeordnet. Ihre hier dargestellten auf

Kulturver-

mittlung orientierten Bestrebungen waren in den komplexen Funktionsmechanismus von Arbeit und Freizeit im faschistischen Staat integriert. 199 Zit. nach: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, Kommentar unter dem Bild Nr. 8. 200] Zu Organisation und Funktion des Dopolavoro vgl. Palmiro Togliatti: Lektionen über den Faschismus. Frankfurt/M. 1973, S. 7 6 - 8 9 . Togliatti schätzte beispielsweise ein, daß das Dopolavoro „eine der komplexesten Organisationen in der faschistischen Diktatur" sei (S. 79) und wies nach, daß auf Grund ihrer Verankerung in den Massen innerhalb dieser Organisation Möglichkeiten für die politische Arbeit der Kommunistischen Partei bestanden. 201] Es handelte sich also vorwiegend um Produktionszweige der Leichtindustrie, die im Zuge der intensiven Aufrüstung nicht die gewünschten Profite machen konnte und sich nun über Kraft durch Freude einträgliche Gewinne sichern wollte. 202 In einem Vortrag sagte Blunck über die Reglementierung des Schrifttums in Nazideutschland : „Wir in Deutschland können über die Frage nur lächeln, es sind eine ganze Reihe von Büchern unterdrückt worden, aber nur weil in ihnen jener Geist des Verfalls und der Zersetzung lebte, der nicht nur auf politischem Felde niedergerungen

werden mußte, wenn

Deutschland leben sollte. Das echte dichterische Schaffen aber ist im Dritten Reich so frei wie nie zuvor -

und statt von den vollkommen

gestrigen und gleichgültigen Machwerken jener vom Verfall zehrenden Literatur zu reden, sollte die Welt lieber ein Augenmerk darauf richten, daß unsere Regierung als die erste in Europa alle Angelegenheiten der schönen Künste in der Einrichtung einer sich selbst regierenden Kulturkammer zusammengefaßt hat." (Vortrag vom 16. 10. 1935. Zit. nach: Hildegard Brenner: D i e Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963, S. 198.) 203 Vgl. Helmut Hartwig: Plaketten zum 1. Mai 1 9 3 4 - 1 9 3 9 . In: Ästhetik und Kommunikation, H. 26, Dezember 1976, S. 5 6 - 5 9 .

304

204] Für die sozialistischen Schriftsteller wie auch für die bürgerlich-humanistischen jüdischer Abstammung war der Weg ins Exil in der Regel die einzige Möglichkeit, dem faschistischen Terror und den Verfolgungen zu entkommen. Nicht zufällig nannten sie sich „Vertriebene" und „Verbannte". 205 Der Schriftsteller, Kritiker und Journalist Balder Olden (1882-1948) arbeitete an Emigrationszeitschriften wie Neue Deutsche Blätter und Das Wort mit. Er starb in Montevideo. - Vgl. Neue Deutsche Blätter, Nr. 3, 1933, S. 139-141. Diese Zeitschrift wurde in der D D R vom AufbauVerlag als Reprint wieder veröffentlicht. 206 Gottfried Benn an Max Niedermayer. Brief v. 6. 4. 1949. In: Briefe an einen Verleger. Max Niedermayer zum 60. Geburtstag. Hg. v. Marguerite Schlüter. Wiesbaden 1965, S. 13 ff. 207 Günther Weisenborn: Der lautlose Aufstand (Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933-1945). Reinbek bei Hamburg 1954, S. 203. 208 Hans Friedrich Blunck: Unwegsame Zeiten. Mannheim 1953, S. 177 u. 186. 209 Z. B. Hanns Heinz Ewers, der die Biographie Horst Wessels schrieb. Er wurde als Autor ärgerniserregender pornographischer Schriften angegriffen. Goebbels mißfiel es, daß ein „heruntergekommener Mensch" wie er sich die Biographie des „vorbildlichen" und „tugendhaften" Horst Wessel anvertrauen lassen konnte. Auch Adolf Bartels sah in Ewers einen Begründer der „modernen Perversion und Erotik". Er brachte dessen Vergangenheit ins Spiel: ein 1922 geschriebenes Vorwort zu einer Aufsatzsammlung „seines alten Freundes Israel Zangwill" Die Stimme Jerusalems! 210] Zu Ernst Bertram vgl. seinen Briefwechsel mit Thomas Mann: Thomas Mann an Ernst Bertram. Briefe aus den Jahren 1910-1955. Pfullingen 1960. Über Bertrams politische Haltung während des Faschismus schreibt Thomas Mann am 30. 7. 1948 an Walter Schmitz. In: Thomas Mann: Briefe. 1948-1955. Nachlese. Berlin-Weimar 1968, S. 4 0 - 4 2 . 211 Vgl. Ernst Bertram: Möglichkeiten deutscher Klassik (George-Rede 1933). In: Deutsche Gestalten. Leipzig 1935, S. 316. 212 Vgl. Rede auf Stefan George. In: Gottfried Benn: Gesammelte Werke. Hg. v. Dieter Wellershoff. Bd. 1: Essays, Reden, Vorträge. Wiesbaden 1959, S. 472. — Der französische Germanist Claude David schreibt in seiner Dissertation über Stefan George (Phil.-Diss. Lyon 1952, S. 369): „Gehört George zu den Vorläufern des deutschen Faschismus? Ebensowenig wie Nietzsche oder ebensoviel. Man muß danach fragen, ob ein Schriftsteller für die Irrtümer verantwortlich ist, die durch seine Ansichten veranlaßt werden. Wir antworten: ja. Jeder Gedanke hat eine bestimmte Steigung und wählt selbst die Richtung, nach der er abfallen muß. Dieser ,Hitlerismus', den Nietzsche und George verabscheut hätten, ist dennoch in ihrem Werk enthalten. Hitler konnte es für seine Zwecke mißbrauchen, indem er es nur wenig entstellte. Haß, Sarkasmus und Verzweiflung haben 20

Faschismus

305

bei beiden Dichtern - gleichsam als Umkehrung der idealen Welt, die sie vergeblich entwarfen - Bilder einer sich erneuernden Barbarei erzeugt. Oberflächliche Leser haben den Sarkasmus übersehen und ihre Lehre naiv aufgenommen. Wenn man den Antichrist predigt, hilft man schließlich mit bei seiner Geburt." Man müßte allerdings etwas differenzierter urteilen. Man kann nicht alles als „faschistisch" bezeichnen, nur weil es von den Nazis benutzt wurde, und zwar ganz schematisch nur aus diesem Grunde. Wie bereits gesagt, machten die Nazis ihre Wertschätzung nur von den Erfordernissen ihrer augenblicklichen ideologischen Orientierung abhängig. Darin liegt das Wesentliche: Pervertierung war der Grundzug ihres gesamten Vorgehens. Waren Hölderlin und Büchner Faschisten? Doch sie wurden „nazifiziert". Umgekehrt konnte George auch von der politischen Linken akzeptiert werden. Es gibt einen Brief von Rosa Luxemburg, in dem sie ihre Bewunderung für ein Gedicht Stefan Georges zum Ausdruck bringt. Sie schreibt Mitte Dezember 1917 aus Breslau an Sophie Liebknecht: „Die Gedichte Georges sind schön . . ." (Rosa Luxemburg: Schriften über Kunst und Literatur. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Marlen M. Korallow. Dresden 1972, S. 195). 213) Unter diesem Begriff fasse ich die Anhänger der „konservativen Revolution" (Moeller van den Bruck und die Gruppe um die Zeitschrift Die Tat), die Nationalrevolutionäre (vor allem die Brüder Jünger und der Romancier Ernst von Salomon) und den Jungdeutschen Orden um Arthur Mahraun zusammen. In seinem dokumentarischen Buch Der

Fragebogen

(Hamburg 1951)

behandelt Ernst von Salomon, der Ernst Jünger vor 1933 gut kannte und mit ihm an der Zeitschrift Der Vormarsch zusammenarbeitete, dieses terminologische Problem. Gegen den Willen Jüngers sei der Kreis der Mitarbeiter des Vormarsch gleichgesetzt worden mit einer „national-revolutionär" genannten Strömung, deren politische Richtung man als die eines „neuen Nationalismus" bezeichnet hätte. Ernst von Salomon meint, daß die rechten und rechtsextremistischen Gruppen insgesamt mit diesen Bezeichnungen einverstanden gewesen wären und daß der Terminus „Neuer Nationalismus" ihnen besonders zugesagt habe, weil er eine politische Richtung kennzeichnete, die mit dem Wortschatz und dem Gefühlsinhalt des alten Nationalismus des 19. Jahrhunderts brach und so eine gemeinsame Basis mit der Ultralinken der Nazipartei um Otto Strasser fand. Wenn man davon ausgeht, daß die Bezeichnung „revolutionär" von allen faschistischen Strömungen in demagogischer Weise mißbraucht wurde, scheint es mir - um jegliche Verwirrung zu vermeiden - besser, den Begriff „neunationalistisch" zu gebrauchen, der übrigens der historischen Realität dieser Gruppierungen genauer entspricht. - Vgl. Walter Benjamins Rezension zu dem Sammelband Krieg und Krieger (hg. v. Ernst Jünger). Walter Benjamin: Theorien des deutschen Faschismus. In: Walter Benjamin: Lesezeichen. Leipzig 1970, S. 2 3 9 - 2 5 2 . - Vgl. auch Joachim Petzold:

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Konservative Theoretiker des deutschen Faschismus. Berlin 1978. Joachim Petzold: Zur Funktion des Nationalismus. Moeller van den Brucks Beitrag zur faschistischen Ideologie. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1973, H. 11, S. 1286-1300. - Der Begriff „Neuer Nationalismus" ist aus dem Französischen rückübersetzt und in der DDR-Wissenschaft so nicht gebräuchlich. 214) VgL Heinz Malorny: Friedrich Nietzsche und der deutsche Faschismus. In: Faschismusforschung, S. 279-301. - Eine differenzierte Wertung Nietzsches enthält der Beitrag von Mazzino Montinari Nietzsche zwischen Alfred. Baeumler und Georg Lukäcs in Basis - Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur (Bd. 9. Frankfurt/M. 1979, S. 188-223). Montinari zeigt, w i e Nietzsche von Alfred Baeumler kommentiert, d. h. verfälscht und mit der Naziideologie „gleichgeschaltet" wurde, und er begründet die Notwendigkeit einer neuen Ausgabe der Werke Nietzsches, um so mehr, als dessen Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche den Nachlaß grob veruntreut hatte. Daraus erklärt sich, daß Lukäcs und mit ihm viele Marxisten Nietzsche ungeschichtlich (d. h. ohne Berücksichtigung seiner Zeit und dessen, was er infolge seiner zeitbedingt begrenzten Kenntnisse - etwa vom Marxismus und vom Sozialismus - w i r k l i c h geschrieben hat) beurteilt und vereinfacht haben. Es muß erwähnt werden, daß im Unterschied zu Lukäcs (und seiner vereinfachenden Interpretation z. B. in seinem Aufsatz Nietzsche als Vorläufer der faschistischen Ästhetik, der 1934 in der Internationalen Literatur, auch in der französischen Ausgabe dieser Zeitschrift, erschien) kommunistische Intellektuelle in Frankreich versucht haben, Nietzsche nicht den Naziverfälschern zu überlassen. In seinem Buch Nietzsche, das 1939 in den Editions Sociales Internationales, dem Verlag der FKP, erschien, kämpfte der marxistische Philosoph Henri Lefebvre gegen die Inanspruchnahme Nietzsches für den Antisemitismus und den Faschismus, gegen seine entstellende Interpretation durch Leute wie Ludwig Klages, Ernst Bertram, Alfred Baeumler und Gottfried Benn. E r machte deutlich, d a ß die Werke Nietzsches nicht absolut und einseitig als eine Kritik am Bismarckreich von rechts verstanden werden können. Ähnlich wie von Lefebvre wurde Nietzsche auch von dem Humanisten und antifaschistischen Demokraten Edmond Vermeil und von Jacques Decour (vgl. Anm. 6 zum Textteil) gesehen (vgl. z. B. dessen Vorwort zu dem H e f t der Zeitschrift Commune vom Februar 1939, das der Französischen Revolution von 1789 gewidmet war, wo Decour vor den Verfälschungen Hegels und Nietzsches durch die deutschen Faschisten warnte, mit denen die Barbarei gerechtfertigt werden sollte). 215) Das intellektuelle Klima in der Umgebung der Brüder Jünger charakterisiert Arnolt Bronnen in arnolt bronnen gibt zu Protokoll (Reinbek bei Hamburg 1954, S. 173 f.): „Eine Publikation, Aufmarsch des Nationalismus, hatte eben ihr Programm verkündet, das sich ,eine autoritative Satzung här20*

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tester Prägung' nannte, wiewohl gegnerische Stimmen schon damals auf die breiige Konsistenz sotaner Satzung hinwiesen. Imperialismus, Diktatur, Totale Mobilmachung waren die Stützen eines solchen deutschen Nationalismus, der mit sich selber berauschenden Worten Mut, Gefahr und Heroismus forderte und zum Ende doch, zugegebenermaßen, nichts anderes war als ,der Ausdruck der tiefen Angst des deutschen Menschen, vor der Geschichte, vor der Zukunft in seinem Wollen verworfen zu werden'. Dieser kleine Katechismus des Jünger-Kreises enthielt in einer an Nietzsche und an George geschulten Form bereits die ganze Ideologie des Nationalsozialismus von Hitler bis Goebbels und Rosenberg." - Vgl. Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 155-156, S. 238; Günter Härtung: Über die deutsche faschistische Literatur. 2. Teil. In: Weimarer Beiträge, 1968 Sonderh. 2, S. 121-159, besonders S. 126-132. 216] Vgl. Kurt Finker: Staufenberg und der 20. Juli 1944. Berlin 1973. 217 Ich verweise hier auf zwei ausgezeichnete Analysen: Klaus Fritzsche: Politische Romantik und Gegenrevolution. Fluchtwege in der Krise der bürgerlichen Gesellschaft: Das Beispiel des Tat-Kreises. Frankfurt/M. 1976; Joachim Petzold: Konservative Theoretiker des deutschen Faschismus. Berlin 1978. - Von den Schlußfolgerungen, zu denen Joachim Petzold kommt, zitiere ich die folgenden: „Ungeachtet persönlicher Gegensätze und sachlicher Differenzen haben die Jungkonservativen den Nazis in die Hände gearbeitet und wesentlich zur Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland beigetragen. Das geschah zunächst und vor allem auf ideologischem Gebiet . . ." (S. 243) Und außerdem: „Hitler und den Konservativismus trennten also keine Welten. Man kann keinen Pakt mit dem Teufel schließen, ohne selbst Anteil an der Hölle zu nehmen. Man kann nicht die Grundlagen der faschistischen Theorie schaffen und sich von der Verantwortung für die faschistische Praxis lossagen. Man kann nicht in der Stunde des Triumphes als Wegbereiter und Ideenspender der Nazis und in den Jahren nach der Niederlage als prinzipieller Gegner Hitlers auftreten . . ." (S. 252). 218 Der Artikel Die neue Dichtung von Börries von Münchhausen erschien zuerst im Deutschen Almanach auf das Jahr 1934 (Leipzig 1933). Er wurde wiederveröffentlicht in: Börries von Münchhausen: Die Garbe. Ausgewählte Aufsätze. Stuttgart 1933. In der zweiten Ausgabe ist der Artikel leicht verändert: In der Namensliste der expressionistischen Schriftsteller fehlt vor allem Gottfried Benn. Die Angriffe von Börries von Münchhausen fanden in den nationalistischen Kreisen ein großes Echo. Der einzige Expressionist, der öffentlich darauf antwortete, war Gottfried Benn. Sein Artikel Bekenntnis zum Expressionismus wurde zum ersten Male in Deutsche Zukunft vom 5. November 1933 veröffentlicht. 219] Vgl. Hans Baumgart: Die illegale Arbeit des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller in Deutschland 1933-1935. In: Literatur der Arbeiterklasse. Berlin-Weimar 1971, S. 191-203.

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220) Anfangs scheint Becher an die Möglichkeit geglaubt zu haben, in Deutschland eine wirksame Widerstandsbewegung organisieren zu können. Es ging ihm vor allem darum, die antifaschistische Einheitsfront zu schaffen und dafür zu sorgen, daß die proletarisch-revolutionären Schriftsteller sich nicht von den bürgerlichen Schriftstellern distanzierten. Er riet ihnen sogar, wenn nötig, der Reichskulturkammer beizutreten, um zu erfahren, was darin vorging, und über die Mitgliedskarte zu verfügen, die es ermöglichte, nicht nur weiter zu arbeiten, sondern auch Deutschland zu Reisen ins Ausland zu verlassen. Auf diese Weise konnte Jan Petersen am Kongreß für die Verteidigung der Kultur teilnehmen, der 1935 in Paris stattfand. André Gide verlas seine Rede; er selbst erschien maskiert, um sich in der Folge nicht einer Verhaftung durch die Gestapo auszusetzen. Aber er konnte dann doch nicht nach Deutschland zurückkehren und lebte bis 1945 in der Emigration. Ich habe alle diese Auskünfte von Jan Petersen selbst erhalten, dem ich kurz vor seinem Tod begegnet bin. Petersens dokumentarisches Buch Unsere Straße sollte damals in französischer Sprache erscheinen, der Vertrag mit den Editions Sociales Internationales (Paris) war sogar schon unterzeichnet, aber der Kriegsausbruch verhinderte das Erscheinen. Jan Petersens Sammlung von Archivmaterialien über die illegale Arbeit der in Deutschland gebliebenen Schriftsteller und über den späteren Kampf in der Emigration war sehr bedeutend. Vgl. auch Johannes R. Becher: Bericht über die Tätigkeit während meiner Reise vom 5. Juli bis 27. September 1933; ders.: Bericht über eine Reise nach Prag, Zürich und Paris. Oktober/November 1934. Beides abgedruckt in Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Berlin-Weimar 1967, S. 570-590 und S. 669-683. Vgl. außerdem den aus dem Nachlaß publizierten autobiografischen Band von Jan Petersen Die Bewährung (Berlin-Weimar 1970). 221] Erwähnt werden muß hier vor allem auch Adam Kuckhoff, der der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe angehörte und am 3. August 1943 hingerichtet wurde. Vgl. Adam Kuckhoff: Eine Auswahl von Erzählungen, Gedichten, Briefen, Glossen und Aufsätzen. Berlin 1970. - Vgl. außerdem Klaus Mammach : Die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung. 1933-1939. Berlin 1974, S. 203-208 ; Antifaschistische Literatur und Kunst (Juni 1941-November 1942). In: Deutschland im zweiten Weltkrieg. Bd. 2. Berlin 1975, S. 580-582; Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 468-471. 222 So wird Ernst Jünger als „echter Widerstandskämpfer" präsentiert. Es ist nicht unsere Aufgabe, im Rahmen dieses Essays auf die Person und das Werk Ernst Jüngers näher einzugehen, aber man beobachtet in der BRD eine befremdende Rehabilitierung nicht nur seiner Werke, sondern auch seines Verhaltens während der Zeit des Nationalsozialismus. Man behauptete, er habe durch seine Schriften die deutschen „Verschwörer" angeregt, das Attentat des 20. Juli 1944 zu planen. Ernst Jünger sympathisierte

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zweifellos mit ihnen, aber er selbst tat nichts, da er die Solidarität mit dem Schicksal Deutschlands nicht aufgeben wollte! . . . In einer von der Zeitschrift Documents (Mai 1949) veröffentlichten Umfrage über den deutschen Militarismus erklärte er: „In einer Diktatur wie der des Dritten Reiches hatte man den Eindruck, sich in einem mit Höchstgeschwindigkeit fahrenden Schnellzug zu befinden. Es ist nutzlos, die Notbremse zu ziehen. Nur ein Hindernis, z. B. eine Mauer, kann die Fahrt bremsen. Und der Widerstand war um so schwieriger, als die Verschwörer nur auf sich selbst rechnen konnten, denn sie erhielten keine Unterstützung von außen , . ." In diesen aus dem Französischen rückübersetzten Äußerungen muß man zwangsläufig eine Art Selbstrechtfertigung sehen. 223) Alle drei sind christliche Schriftsteller. Die beiden Romane von Werner Bergengruen sind Der Großtyrann und das Gericht (1935) und Am Himmel wie auf Erden-, der zuletzt genannte Roman erschien im Oktober 1940 und wurde 1941 verboten. Bergengruen veröffentlichte auch Gedichte. Ernst Wiechert wurde nach seiner Inhaftierung im Konzentrationslager Buchenwald in Deutschland fast totgeschwiegen. Zur Rezeption seiner Werke im Dritten Reich vgl. u. a. den Beitrag von Hildegard Chatellier Ernst Wiechert im Urteil der deutschen Zeitschriftenpresse (1933-1945) in der französischen Zeitschrift Recherches Germaniques (Strasbourg, 3/ 1973, S. 153-195). Reinhold Schneider veröffentlichte 1938 die historische Erzählung Las Casas vor Karl V., die wie eine Verurteilung des Faschismus wirkte. Seine Sonette aus der Hitler-Zeit wurden nach dem Kriege gesammelt und 1954 veröffentlicht. - Vgl. Wolfgang Brekle: Die antifaschistische Literatur in Deutschland. 1933-1945. In: Weimarer Beiträge 16 (1970) 6, S. 67-126. Der Aufsatz basiert auf Wolfgang Brekle: Das antifaschistische Schaffen deutscher Erzähler 1933-1945 in Deutschland. Phil.-Diss. Berlin 1967. Brekle setzt sich auch mit dem Begriff „Innere Emigration" auseinander und beleuchtet die verschiedenen Positionen der im faschistischen Deutschland gebliebenen Schriftsteller. 224 Vgl. besonders Gisela Berglund: Einige Anmerkungen zum Begriff der „Inneren Emigration". Stockholmer Koordinationsstelle zur Erforschung der deutschsprachigen Exil-Literatur. Universität Stockholm. Deutsches Institut. 1974 [hekt.]. 225) Das ist der Fall bei Hans Friedrich Blunck, dem ehemaligen Präsidenten der Reichskulturkammer, und auch bei Hans Carossa. - Über diese und ähnliche Tendenzen in der Öffentlichkeit der B R D berichtet Richard im Abschnitt Les fondements d'un laxisme des 8. Kapitels der französischen Buchausgabe (S. 162-176), das in unserer Edition durch den Epilog ersetzt wurde, der stärker die Sichtweise der französischen Öffentlichkeit auf die faschistische Vergangenheit Deutschlands akzentuiert. 226 Heute bekannte Schriftsteller, die aber in der damaligen Zeit keine direkt faschistischen Werke schrieben, veröffentlichten ihre ersten Versuche in der Zeitschrift Das Reich. Dazu gehörten u. a. der Dichtet

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Karl Krolow, der Gelehrte und Dichter Max Bense (beide leben heute in der BRD) wie auch der Schriftsteller Franz Fühmann, einer der namhaftesten Autoren der Deutschen Demokratischen Republik. 227] Zur Einschätzung dieses Briefes von Thomas Mann vgl. Werner Mittenzwei: Exil in der Schweiz. Leipzig 1978, S. 172-173. 228) Wilhelm Pieck: Arbeiter und Schriftsteller müssen zusammengehen. In: Der deutsche Schriftsteller. Sonderheft. Paris, November 1938. - Vgl. Wilhelm Pieck: Brief an den Schutzverband deutscher Schriftsteller. 28. 10. 1938. In: Wilhelm Pieck: Gesammelte Reden und Schriften. Bd. 5. Berlin 1972, S. 540-541 (Erstveröffentlichung in: Deutsche Volkszeitung v. 13. 11. 1938). Das Zitat S. 540. 229 Thomas Mann in Ein Streitgespräch über äußere und innere Emigration, mit Beiträgen von Thomas Mann, Frank Thieß und Walter von Molo. Dortmund 1946. - Thomas Mann setzte sich besonders mit Frank Thieß und Hans Friedrich Blunck auseinander. Auch Alfred Dö'blin weist in einem Brief an Hermann Kesten vom 3. Dezember 1948 voll Bitterkeit und Ironie darauf hin, daß Ernst Glaeser und Gottfried Benn, beide ehemalige Stützen der Nazis, sorgfältig wieder ediert würden. Das war bei den ehemaligen Emigranten offensichtlich nicht der Fall, und die Emigrationsliteratur wurde bis ungefähr 1970 in der Bundesrepublik kaum beachtet. Alfred Döblin konnte seinen letzten Roman nur im demokratischen Berlin veröffentlichen (vgl. Hermann Kesten: Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933-1949. München 1964, S. 347-349). 230 Vgl. Alfred Andersch: Deutsche Literatur in der Entscheidung. Karlsruhe 1948. 231 Lion Feuchtwanger: Der Schriftsteller im Exil. Ursprünglich in: Centum Opscula. Rudolstadt 1956, S. 547-555. Vgl. auch: In dunkler Zeit (Künstlerische Schicksale zwischen 1933 und 1945). Berlin 1963, S. 132-137. 232] Die Erforschung der Literatur im antifaschistischen Exil bildete von jeher einen Schwerpunkt der DDR-Literaturwissenschaft. Den erreichten Forschungsstand am Beginn der siebziger Jahre repräsentiert der Abschnitt Von der Machtübergabe an den Faschismus bis zur Befreiung Deutschlands (1933-1945) in der Geschichte der deutschen Literatur (Bd. 10. Berlin 1973, S. 407-654). In Weiterführung dieser Forschungen sind im Verlauf der siebziger Jahre u. a. erschienen: Dieter Schiller: von Grund auf anders". Berlin 1974; Frank Wagner: der Kurs auf die Realität". Berlin 1975; Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1935-1945. Berlin 1976; Wolfgang Kießling: Alemania Libre in Mexiko. Berlin 1974 (alle Titel aus der Reihe Literatur und Gesellschaft). Einen neuen Forschungsstand am Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre markieren die sieben Bände des Projekts Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil. 1933-1945. (Ltg. Werner Mittenzwei): Exil in der UdSSR (1979), Exil in der Schweiz

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(1978), Exil in den USA (1980), Exil in Lateinamerika (1980), Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und Palästina (1981), Exil in den Niederlanden und in Spanien (1981), Exil in Frankreich (1981). Parallel zu diesem beim Reclam-Verlag erscheinenden Unternehmen bringt der Henschelverlag die Reihe Deutsches Theater im Exil. Bisher sind erschienen: Peter Diezel: Exiltheater in der Sowjetunion (1978), Hansjörg Schneider: Exiltheater in der Tschechoslowakei (1979), Werner Mittenzwei: Das Zürcher Schauspielhaus (1980). Vgl. dazu die Erinnerungen von Maximilian Scheer: Paris-New York. Berlin 1966, sowie seine Autobiographie: Ein unruhiges Leben. Berlin 1973. - Vgl. ebenfalls Friedrich Wolfs Erzählungen, u. a. Kiki. In: Friedrich Wolf: Gesammelte Werke. Bd. 13 und 14. Berlin-Weimar 1964. - Walter Hasenclever: Iutum und Leidenschaft. Berlin (West) 1969. - Von französischer Seite behandelt der Band Les barbelés de l'exil (Grenoble 1979) Probleme der deutschen antifaschistischen Emigration in Frankreich. Golo Mann : Exil und Gegenwart. In : Exilliteratur, eine Ausstellung in Luxemburg (17.-19. Januar 1968). Bad Godesberg 1968, S. 35-44. Vgl. Günter Härtung: Klaus Manns Zeitschrift Die Sammlung. In: Weimarer Beiträge 19 (1973) 5, S. 3 7 - 6 0 ; 6, S. 95-116. - Die Sammlung. Bibliographie einer Zeitschrift. Berlin-Weimar 1974. Die Neuen Deutschen Blätter sind in der D D R 1975 als Reprint erschienen. Vgl. Neue Deutsche Blätter. Bibliographie einer Zeitschrift. Berlin-Weimar 1973. Vgl. Simone Barck: Das Wort - literarische Zeitschrift der Volksfront. In: Exil in der UdSSR. Leipzig 1979, S. 194-229. Die Zeitschrift erschien 1968 in der D D R mit einem Vorwort von Fritz Erpenbeck als Reprint. Die Veröffentlichung der Editions du Carrefour sind im Beitrag von Hélène Roussel Editeurs et publications des émigrés allemands (1933-1939) enthalten. In: Les barbelés de l'exil. Grenoble 1979, S. 359-417. Es sei auch darauf hingewiesen, daß viele Schriftsteller mit der Waffe in der Hand gegen den Faschismus kämpften, und zwar in den internationalen Brigaden in Spanien. Die Bücher Willi Bredels und Ludwig Renns über den Spanienkrieg sind Dokumente dieses Kampfes. Vgl. auch Anm. 31. Die Deutsche Freiheitsbibliothek entstand ein Jahr nach der Bücherverbrennung vom Mai 1933. Der SDS im Exil (Schutzverband Deutscher Schriftsteller) wurde 1933 in Paris gegründet. Seine öffentliche Vorstellung vor der Presse fand im Oktober 1933 statt. Die Initiatoren waren Heinrich Mann, Rudolf Leonhard, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Joseph Roth u. a. Im Herbst 1933 wurden Kontakte zu Jean-Richard Bloch und Henri Barbusse aufgenommen, die damals bei der A. E. A. R. (Association des écrivains et artistes révolutionnaires) und der Zeitschrift Commune arbeiteten. Die Bücher der Deutschen Freiheitsbibliothek wurden später von der

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Gestapo beschlagnahmt. Einige fanden sich nach dem Krieg bei den Bouquinistes wieder; es ist also möglich, daß sie je nach Gunst der Umstände dahin und dorthin verstreut wurden. Ich konnte selbst feststellen, daß etliche von ihnen in der Nationalbibliothek gelandet sind. So trägt das in der Pariser Staatsbibliothek befindliche Exemplar des Stückes Die schlimme Botschaft. Zwanzig Szenen von Carl Einstein (Berlin 1921) den Stempel der Freiheitsbibliothek: Bibliothèque allemande des Livres brûlés 65 Boulevard Arago 65, Paris XXIIème. Vgl. Simone Barck: Die Bedeutung des Ersten Allunionskongresses der sowjetischen Schriftsteller für das antifaschistische Bündnis. In: Exil in der UdSSR. Leipzig 1979, S. 103-110. Im Akademie-Verlag Berlin erscheint demnächst eine von Wolfgang Klein herausgegebene Dokumentation über den Pariser Kongreß zur Verteidigung der Kultur. Vgl. auch Klaus Kandier: D i e internationale Schriftstellervereinigung zur Verteidigung der Kultur. In: Internationale Literatur des sozialistischen Realismus. 1917-1945. Berlin-Weimar 1978, S. 582-616. Vgl. in den Anmerkungen zum Dokumentenanhang die Rede von Emil Ludwig, S. 3 2 9 - 3 3 2 dieser Ausgabe. Zum Kampf um das antifaschistische Bündnis vgl. die Titel in Anm. 232 sowie auch Werner Herden: Wege zur Volksfront. Berlin 1978. Gottfried Benn an Max Niedermeyer. Brief v. 6 . 4 . 1949. In: Briefe an einen Verleger. Max Niedermeyer zum 60. Geburtstag. Hg. v. Marguerite Schlüter. Wiesbaden 1965, S. 13 f. Dieses Gespräch wurde veröffentlicht in: La Quinzaine littéraire. 15. bis 31. Januar 1969. Es ist sehr wichtig und verdiente, ausführlicher kommentiert zu werden. Ernst Jünger verharrt in demselben Irrationalismus wie vor dem Krieg. Seine Urteile über Hitler sind für seine Haltung charakteristisch; er verurteilt keinesfalls die Prinzipien des Nationalsozialismus und scheint sicher nicht zu begreifen, daß der deutsche Faschismus zwangsläufig in Krieg und Barbarei münden mußte. In einem Gespräch mit Jean-Louis de Rambures (Le Monde v. 2 2 . 2 . 1973) rechtfertigte Jünger ebenfalls seine Haltung: „Schreiben Sie, daß ich gute Gründe hatte, Nazi zu sein. Ich war von Anfang an gegen die Diffamierung Deutschlands, wie sie durch den Versailler Vertrag legalisiert wurde (auch Hitler bezog seine Argumentation aus dem Kampf gegen den Versailler Vertrag). Aber die Nazis gefielen mir nicht. D i e Nacht der langen Messer, die Kristallnacht, das alles hat mich zutiefst angewidert. Noch heute kann ich es Hitler nicht verzeihen, daß er - wie vor ihm schon Wilhelm II. - ein so herrliches Instrument, wie es unsere Wehrmacht war, kaputt gemacht hat. Zweimal nacheinander, als die ganze Welt gegen ihn verschworen war, hat der deutsche Soldat unter der Führung unfähiger Leute seinen Kopf hinhalten müssen. Wie hat er das gekonnt? Das ist die einzige Frage, die man sich meiner Ansicht nach in hundert

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Jahren stellen wird. Gewiß, nach dem Kriege hatte ich - wie auch meine Freunde - Schwierigkeiten. Chateaubriand hat sie zu seiner Zeit mit den Emigranten auch gehabt. Aber ich sehe nichts, was man mir vorwerfen könnte. Ich habe mein Land zweimal verteidigt. Als sich die ganze Welt gegen Deutschland wandte, richtete sie sich auch gegen mich . . ." 247 Das wird besonders von der Heimatliteratur oder auch von der imperialistischen Massenliteratur behauptet. 248) Das erlaubt offensichtlich gewissen Autoren in der B R D , deren B e j Ziehungen zu den Nazis zumindest zweideutig waren, sich von jeder Schuld reinzuwaschen. Im Extremfall werden Gottfried Benn und Hans Carossa als „Vertreter der Inneren Emigration" und Ernst Jünger als ein „echter Widerstandskämpfer" hingestellt! - Zur Analyse der faschistischen Literatur vgl. Günter Härtung: Über die deutsche faschistische Literatur. In: Weimarer Beiträge 14 (1968) 3, S. 4 7 4 - 5 4 2 ; 4, S. 6 7 7 - 7 0 7 ; Sonderheft 2, S. 1 2 1 - 1 5 9 . Vgl. außerdem Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 5 0 3 - 5 0 8 , S. 5 9 3 - 5 9 7 , S . 6 1 3 - 6 1 4 . 249 Barthélémy O t t : Petite histoire de la poésie allemande.Paris 1939, S. 8 3 - 8 5 . 250 Z. B. billigte ein Teil der Strömung, die sich von Moeller van den Bruck herleitete, alle rassistischen Konzeptionen der Nazis und ihre Ideen auf ästhetischem Gebiet, ohne sich verleugnen zu müssen. So kann man in den Süddeutschen Monatsheften vom Mai 1934 einen Artikel von Lothar Stengel von Rutkowski mit dem Titel Rassische Grundlagen von Bildung, Kunst und Kultur lesen, in dem mit Berufung auf Moeller van den Bruck der Rassismus als fundamentaler Wert einer blühenden Zivilisation und - im Hinblick auf eine dauerhafte, im Boden verwurzelte Kultur - die Vernichtung des Geistes „jüdischen Nomadentums" gepriesen wird. Und Oswald Sprengler, der, als er 1934 starb, nur Verachtung für Hitler empfand, obwohl er doch selbst die Ankunft eines neuen Cäsars herbeigewünscht hatte, vertrat reaktionäre ästhetische Auffassungen, die völlig mit dem vereinbar waren, was die Nazis auf kulturellem Gebiet versucht hatten. E r ignorierte die modernen künstlerischen Bewegungen seiner Zeit ganz bewußt und war der Ansicht, daß die „Dekadenz" in der modernen Zeit selbst verwurzelt wäre. So verunglimpfte er den Expressionismus als „eine schamlose Farce", als „ein Stück Kunstgeschichte, das der Kunsthandel organisiert hat". (Oswald Spengler: Untergang des Abendlands. Bd. 2. München 1923, S. 3 7 7 - 3 7 8 ) . Von diesen Ansichten bis zu den Urteilen der Nazis ist es nicht weit! 251 Im allgemeinen wurde diese „Literatur" in Frankreich zwischen den beiden Kriegen nicht zur Kenntnis genommen. Die literarisch wertvollen deutschsprachigen Werke, die für eine eventuelle Besprechung in den französischen Publikationen in Frage kamen, waren schon zahlreich genug. Aber die Auflagenhöhe der schlechten Romane beweist, daß sie in

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Deutschland sehr gelesen wurden und daß die in ihnen entwickelten Autfassungen im Bewußtsein der Allgemeinheit verankert werden konnten. In Frankreich muß man ihre Präsenz in einer Fachzeitschrift wie der Revue germanique (Universität Lille) suchen. Nach dem ersten Weltkrieg erschienen darin zahlreiche Besprechungen von nationalistischen (Paul Ernst, Walter von Molo usw.) und antisemitischen Werken. Für das Jahr 1939 findet man auf S. 150 dieser Zeitschrift nach einer Vorstellung der letzten Bücher von Friedrich Griese, R. G. Binding, Wilhelm Schäfer, Wilhelm von Scholz, Stefan Andres und Hans Fallada eine eigenartige Würdigung der literarischen Situation: „Wir glauben jedoch, in dieser unparteiischen Zeitschrift einige notwendige, wenn auch naheliegende Schlußfolgerungen ziehen zu können: Erstens existiert in Deutschland noch eine der Lektüre würdige, an schöpferischer Kraft reiche Literatur. Zweitens bekunden die Schriftsteller eine legitime Sorge um die Reinheit ihrer Muttersprache, und drittens beweisen die Zahl der Romane (von denen wir nur eine Übersicht geben können), ihre Qualität und ihr Erfolg den anhaltenden Geschmack des heutigen deutschen Lesers an Poesie, an der Landschaft und den menschlichen Werten." - Mit der Frage der Auswahl deutscher Literatur dieser Zeit für die Übersetzung in das Französische beschäftigte sich Joseph Breitbach in seinem Beitrag Les Français connaissent-ils vraiment la littérature allemande d'aujourdhui? in der Revue Hebdomadaire vom 9. Juni 1934. Erstaunlicherweise ging er, der bereits seit 1929 in Frankreich lebte, dabei von dem Begriff einer „echten deutschen Literatur" aus, wie ihn die Nazis verstanden, Robert de Saint-Jean, der Chefredakteur der Zeitschrift, hatte übrigens in einer kurzen Vorbemerkung zu dem Artikel vor der Verwendung dieses Begriffs gewarnt. Die Franzosen wären - laut Breitbach - nicht in der Lage, die zeitgenössische deutsche Literatur zu beurteilen, da nur Schriftsteller, die aus „französischem Geist" schrieben, wie Heinrich Mann, Joseph Roth u. a., in Frankreich bekanntgemacht würden. Man sollte auch die „echt" deutschen Schriftsteller übersetzen, um so die „germanische Seele" verstehen zu können. Er nannte aus dieser Richtung besonders zwei „große Werke": Volk ohne Raum von Hans Grimm und Helianth von Albrecht Schaeffer, das er Goethes Wilhelm Meister an die Seite stellte. Er beendete seinen „informativen" Aufsatz mit einem Lob von Hermann Stehr und fügte hinzu: „Nur Frankreich kennt ihn nicht. Und das ist schade, denn sein Werk enthüllt besser als jede kritische Analyse über Deutschland das, was die Deutschen von den Franzosen unterscheidet." Dieser Artikel Breitbachs führte zu einer Polemik, die in der Revue Hebdomadaire vom 4. August 1934 veröffentlicht wurde. Joseph Roth erklärte, daß die erwähnten Schriftsteller deshalb nicht in das Französische übersetzt seien, weil sie ganz einfach langweilig und schlecht schrieben, und nicht deshalb, weil sie eine sogenannte „deutsche Seele" ausdrückten : „Wenn es sich darum handelt, deutsche Bücher zu übersetzen,

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so denke ich, daß die Franzosen einen besseren Geschmack als die Deutschen haben." Klaus Mann war in Hinsicht auf den Wert Grimms und anderer derselben Meinung wie Joseph Roth. Er wies darauf hin, daß aus dem Aufsatz Breitbachs der Eindruck entstehen könnte, daß die Übersetzungen deutscher Schriftsteller in das Französische nach „geheimnisvollen jüdischen Manövern" erfolgten. Für ihn galt ein Werk als „groß" und repräsentativ „deutsch", das über den engen spezifisch nationalen Charakter hinausgeht und sich universalen Werten und Tendenzen nähert und sie integriert. 252 Vgl. Völkischer Beobachter v. 24. 9. 1934. 253 In der Wochenschrift Comoedia v. 14. 3. 1942. 254) Ebenda, 24. 4. 1943. - Im Band 9 der Geschichte der deutschen Literatur (Berlin 1974, S. 126) wird Rudolf Herzog folgendermaßen charakterisiert: „Im Werk dieses Vielschreibers spiegelt sich prägnant die Entwicklung der .Heimatkunst' von den noch gemäßigten, an Wald und Flur, national rückständiger Überlieferung und .deutscher Seele' orientierten Formen des Affronts gegen die modernen Klassenkämpfe zum aggressiven Nationalismus und zur schamlos direkten Verherrlichung der Junker- und Kapitalistenherrschaft." Herzog kann daher nur bedingt zur „Blut-und-Boden"Literatur gerechnet werden, denn diese fußt auf einem romantisch-reaktionären Antikapitalismus, während Rudolf Herzog einer der ganz wenigen deutschen Autoren dieser Zeit ist, der die moderne kapitalistische Entwicklung apologetisch darstellt. 255 Das ist besonders bei dem Romancier Hermann Stehr der Fall, der nach der Machtergreifung der Nazis außerordentlichen literarischen Erfolg hatte. Ihm wurde durch Friedrich Griese eine Würdigung zuteil (Rede gehalten bei der Stehr-Feier der Deutschen Akademie der Dichtung. Zweite literarische Beilage des Jahrgangs 1934 der Zeitschrift für Bücherfreunde), in der man folgendes lesen kann: „Das Geschehen unserer Tage ist nicht ohne sein Dichtertum zu denken, also wird auch das weitere Geschehen sich nicht abseits von ihm zutragen können. Denn immer war er in seiner Art der Mit- und Vorsprecher seines Volkes." Und weiter heißt es: „Von Hermann Stehr sprechen, heißt: von der deutschen Welt bekenntnishaft aussagen." 256] Zu Walter Flex (1887-1919) vgl. Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 9. Berlin 1974, S. 343-344 u. S. 440. Vgl. außerdem Hubert Orlowski: Untersuchungen zum falschen Bewußtsein im deutschen Entwicklungsroman. Poznan 1971, besonders das Kapitel Die Flucht in die Gemeinschaft (S. 105-115). 257) Vgl. hierzu Annelise Thimme: Flucht in den Mythos (Die Deutschnationale Volkspartei und die Niederlage von 1918). Göttingen 1969 (Kleine Vandenhoeck-Reihe); Alfred Krück: Geschichte des Alldeutschen Verbandes. Wiesbaden 1954. - Vgl. außerdem: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und

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258]

259]

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262] 263)

anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis 1945. Bd. 1. : Alldeutscher Verband - Fortschrittliche Volkspartei. Leipzig 1968. Drieu la Rochelle (1893-1945), französischer Schriftsteller; Socialisme fasciste (1934), Notes pour comprendre le siècle (1941) sind seine wichtigsten Programmschriften, in denen das faschistische Konzept dargelegt ist. Er war während der faschistischen Okkupation Frankreichs Direktor der Nouvelle Revue Française und verübte nach der Befreiung Frankreichs Selbstmord. Eine Auseinandersetzung mit dem bisherigen Forschungsstand in Frankreich und zugleich eine Analyse des weltanschaulich-politischen wie ästhetischen Konzepts von Drieu la Rochelle gibt Jean-Marie Pérusat: Drieu la Rochelle ou Le goût du malentendu. Strasbourg 1976. Habilschr. maschschr. vervielfältigt, gedruckt Bern 1977. Alphonse de Châteaubriant (1877-1951), französischer Schriftsteller, Kollaborateur; gründete während der Okkupation die Wochenzeitschrift La gerbe. 1945 nach Österreich geflüchtet, in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Damit sei auch die Regeneration der Gesellschaft verbunden. Alle Spielarten des Faschismus vertraten die Auffassung, der Krieg ermögliche die „Sammlung der Nation". 1914 sieht auch Maurice Barrés (vgl. Anm. 266) im Krieg das Mittel, um „die Reserven an nationaler Energie" zu sammeln. In gleicher Weise sah Paul Bourget im Krieg einen „erzieherischen Wert", eine „schmerzhafte, aber fruchtbare Schule des blutigen Opfers". Vgl. L'Echo de Paris v. 7. 9. 1913. Der Nazikritiker Hans W. Hagen schrieb dem Sinne nach folgendes: Fast jeder ist damit einverstanden, den Krieg, insofern er eine Leben zerstörende Macht ist, als Wahnsinn zu betrachten. Darf man sich aber auf diese Darstellung beschränken? Das wäre Naturalismus. Es handelt sich aber heute nicht darum, die Wirklichkeit einfach widerzuspiegeln, sondern die sittlichen Werte zu entdecken. Der Krieg stellt in dieser Hinsicht zwei ethische Forderungen: Kampfbereitschaft und Opferfreude. Vgl. Hans W. Hagen: Deutsche Dichtung in der Entscheidung der Gegenwart. Dortmund-Berlin 1938, S. 92. Vgl. Richard Hamann, Jost Hermand: Stilkunst um 1900. Berlin 1967. Der Gothaer Parteitag fand im Oktober 1896 statt. Die Debatten kreisten um die naturalistische Zeitschrift Die Neue Welt und den Naturalismus im allgemeinen. Die Orientierung der Diskussion zeigt, daß die Mehrheit der Sozialdemokratie eine kulturpolitische Emanzipation des Proletariats hauptsächlich auf der Grundlage der sittlichen und ästhetischen Werte des konservativen Bürgertums befürwortete. Sie stand unter dem Einfluß der bürgerlichen Kulturnormen und zog der modernen Literatur die bewährten Rezepte der pseudovolkstümlichen Romane vor. Der Franzose Ernest Seillière, der über Deutschland, wo er studierte, viele Bücher geschrieben hat, gibt einen ausführlichen Bericht über die Gothaer Debatten in seinem Buch Littérature et morale dans le parti socialiste allemand (Paris 1899,

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S. 2 5 7 - 2 9 5 ) . - Vgl. Das Nachwort von Ursula Müachow zu: Naturalismus. Dramen, Lyrik, Prosa. 2 Bde. Bd. 2. Berlin 1970, S. 6 9 9 - 7 2 9 , bes. S. 7 0 9 - 7 1 0 . 264] Vgl. dazu besonders im ersten Teil des Aufsatzes von Günter Härtung zur faschistischen Literatur (Weimarer Beiträge 14 (1968) 3, S. 5 0 1 - 5 2 2 ) seine komplexe Analyse der ideologischen politisch-ästhetischen Prozesse in der „Blut-und-Boden"-Literatur. 265) Oskar Maria Graf (1894-1967) veröffentlichte seinen Offenen Brief unter dem Titel Verbrennt mich! u. a. in der Wiener Arbeiterzeitung vom 11. Mai. 1933. Wiederabgedr. in: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Bd. 1. Berlin-Weimar 1979, S. 622 f. - Vgl. auch Rainer Stollmann: Der Faschismus und das Private. Eine Analyse des Anton Sittinger von Oskar Maria Graf. In: Brecht-Jahrbuch 1979. Frankfurt/M. 1979, S. 8 2 - 1 0 2 . 266] Maurice Barrés ( 1 8 6 2 - 1 9 2 3 ) , französischer Schriftsteller, gilt als intellektueller Kopf der nationalistischen Bewegung in Frankreich. Verstand seinen Roman de l'énergie nationale als Protest gegen die „désagrégation de la France". 267) Vgl. besonders die Anthologie Poètes et -penseurs, die in Frankreich von der faschistischen Propaganda-Abteilung in den Cahiers de l'Institut Allemand (Paris 1941) veröffentlicht wurde. Hier findet man eine Übersetzung des Gedichts von Claudius ins Französische. - In seinem Referat Kunst im Kampf gegen Faschismus gestern und heute sagte Konrad Wolf zu dem hier am Beispiel von Hermann Claudius entwickelten Problem: „Ideologisch war er [der Faschismus - G. K.] die Pervertierung von Resten bürgerlich-demokratischen Nationalbewußtseins, von Traditionen der deutschen Arbeiterklasse, von antikapitalistischen Stimmungen unter den Bauern und den Mittelschichten, von .Systemverdruß' der Jugend usw. Besonders ausgiebig wurde die deutsche Arbeiterbewegung geplündert, bevor sie ganz unterdrückt wurde. Nicht nur die großen Begriffe Sozialismus und Revolution eigneten sich die Nazis an - auch die rote Fahne, die Symbole, das Liedgut. Nur indem der deutsche Faschismus an positive, wenngleich zum Teil unscharfe Wertvorstellungen anknüpfte und sie für seine Zwecke mißbrauchte, konnte er seine Massenbasis gewinnen. Aber er übernahm auch alles Reaktionäre, Spießige, Dumpfe, Minderwertige und Brutale, alles, was seiner Mentalität eigentlich und ureigenst entsprach." (Neues Deutschland v. 9. 5. 1979.) 268 In: Comoedia, Nr. 3, 1941. 269 Walter Benjamin : Pariser Brief I, André Gide und sein neuer Gegner. In : Das Wort, H. 5, November 1936, S. 8 6 - 9 5 ; wiederabgedr. in: Der Stratege im Literaturkampf. Frankfurt/M. 1974, S. 91. „Die Ausbildung des Kultur-Begriffs scheint einem Frühstadium des Faschismus anzugehören. Jedenfalls war das in Deutschland der Fall. Unverzeihlicher Weise hat die revolutionäre deutsche Kritik vor 1930 es unterlassen, den Ideologien eines

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Gottfried Benn oder eines Arnolt Bronnen die nötige Aufmerksamkeit zuzuwenden." 270 Ebenda, S. 96. 271] Thomas Mann an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn v. 1. 1. 1937. I n : Thomas Mann: Briefe. 1 9 3 7 - 1 9 4 7 . Hg. v. Erika Mann. Berlin-Weimar 1965, S. 14. 272

Fernand de Brinon ( 1 8 8 5 - 1 9 4 5 ) , französischer Journalist und Politiker. 1 9 2 0 - 1 9 3 2 Chefredakteur des Journal

des débats;

leitete in den dreißiger

Jahren das außenpolitische Ressort der durch das Bankhaus Lazard finanzierten Zeitung L'Information.

1933 erster französischer Journalist, der

Hitler interviewte; 1935 Mitbegründer des Comité France-Allemagne. Zusammen mit Otto Abetz trat er für eine deutsch-französische „Annäherung" ein, die bis zur Kollaboration ging. Gehörte zu den hohen Würdenträgern des Vichy-Regimes ; 1945 zum Tode verurteilt und erschossen. 273 Hans W . Hagen (Deutsche Dichtung in der Entscheidung der Gegenwart. Dortmund-Berlin 1938, S. 114 f.) schrieb demagogisch folgendes über diese „Arbeiterliteratur" : „Heute ist der Arbeiter in den Wertzusammenhang des Volkes gestellt. Seine Arbeit ist keine drückende Pein, sondern eine notwendige und sinnvolle Aufgabe, die ihm im Volksganzen gestellt ist. [ . . .] Deshalb klingt aus unserer Dichtung der Arbeit die Freude am erfüllten Werk und der geleisteten Tat, wo früher der Neid und die Mißgunst nur verzerrte Töne des Hasses aufkommen ließen. Im klassenkämpferischen Sinn war die Arbeit ein Fluch, der einer unterdrückten Kaste auferlegt war; im nationalsozialistischen Begreifen ist sie eine Verpflichtung, die den einzelnen in seinem Teilhaben am Ganzen würdigt und damit adelt."

-

Zur Arbeiterliteratur vgl. Christoph Rülcker: Ideologie der Arbeiterdichtung 1 9 1 4 - 1 9 3 3 . Stuttgart 1970. E r schreibt auf Seite 1 8 : „Auch die Liste

des schädlichen

und unerwünschten

Schrifttums

kann trotz ihrer Un-

vollständigkeit als ein Indiz gewertet werden, daß von nationalsozialistischer Seite die Arbeiterdichtung nur auf wenig Ablehnung traf, denn nur das Werk zweier Autoren wird ganz verboten; die Mehrzahl wird entweder gar nicht erwähnt oder nur beschränkte Teile ihres Schaffens werden verboten." Vgl. auch Johannes R. Becher: Ein Schritt weiter 1 I n : D i e Linkskurve, 1 / 1 9 3 0 ; wiederabgedr. in: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Berlin 1967, S. 1 7 5 - 1 8 2 . Es heißt z. B . auf S. 1 7 7 - 1 7 8 : „Wir werden weiterkämpfen gegen die sogenannten .Arbeiterdichter', wie sie die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie hätscheln und hochpäppeln, gegen alle religiösen und pazifistischen Klassenversöhnungspoeten, die ihre Sendung darin erblicken, das Proletariat lyrisch zu erweichen und ihm durch .ästhetische Stimmung' sein Fließband- und Maschinendasein schicksalsgerecht zu machen." Ferner vgl. Alexander Abusch: Literatur und Wirklichkeit. Berlin 1953, S. 91 : „Die opportunistischen ,Arbeiterdichter', wie Heinrich Lersch und Hermann Claudius, waren in ihrem spießbürgerlich-opportunistischen Kriechen zu den Fleischtöpfen der

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281 282 283 284

jeweils Herrschenden vom Sozialdemokratismus zum Nazismus hinübergewechselt." Der Epilog ersetzt das Kapitel 8 (Le chant des sirènes) der französischen Buchausgabe; er wurde vom Autor für die DDR-Edition neu geschrieben. Adrien de Meeüs: Explication de l'Allemagne actuelle. Paris/Bruxelles/ Liège 1945, S. 10. Ebenda, S. 106. - Dieses Buch des belgischen Schriftstellers Adrien de Meeüs hat übrigens durchaus dokumentarischen Wert. Jacques Rivière (1886-1925), französischer Schriftsteller, seit 1910 Mitarbeit und seit 1919 bis zu seinem Tode Direktor der Nouvelle Revue Française. Studien über Claudel, Gide, Baudelaire, Rimbaud. Sein Buch L'Allemand entstand unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs, während dessen er in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Jacques Rivière: L'Allemand. Paris 1919, S. 130, 124 u. 75. André Suarès: Vues sur 1' Europe. Paris 1939, S. 32. - André Suarès, der zusammen mit Romain Rolland die Ecole Normale Supérieure in Paris besuchte und wie dieser vor 1914 Péguy nahestand, ist heute in Frankreich nicht in dem Maße anerkannt, wie er es verdient hätte. Er war vor allem ein außerordentlich begabter Pamphletist. Zu seiner Haltung zum deutschen Faschismus vgl. meinen Beitrag in dem Kollektivband André Suarès et l'Allemagne (Paris 1977, S. 151-174). - Anm. d. Übers.: Der Bezug des französische Wortes Racaille ( - Lumpenpack) auf race ( - Rasse) ist ein Wortspiel von Suarès, das im Deutschen nicht wiederzugeben ist. Georges Bernanos : L'esprit européen et le monde des machnes. Rencontres internationales de Genève, 12 septembre 1946. In: La liberté pour quoi faire? Paris 1972, S. 179 und S. 207. - Georges Bernanos war zunächst Monarchist und gehörte der Action française von Charles Maurras an. Er brach mit der französischen Rechten zur Zeit des spanischen Bürgerkriegs angesichts der von den Franco-Anhängern begangenen Massaker. Vgl. dazu sein Buch Les Grands Cimetières sous la lune (Paris 1938). Claude Grander: Panorama de l'Allemagne actuelle. Paris 1942. Albert Béguin in: Esprit, Februar 1947, S. 334. Meyer Jais : Auschwitz et le problème du mal. In : L'Amandier fleuri, H. 6, Oktober-November 1950, S. 4. Das Buch von Gustave Le Bon hat den Titel Psychologie des foules (Paris 1895), das von Georges Sorel heißt Réflexions sur la violence (Paris 1908). Georges Sorel konnte für sich in Anspruch nehmen, gleichzeitig die extreme Linke (die syndikalistisch-revolutionäre Strömung, die die Action directe propagierte,) und die extreme Rechte beeinflußt zu haben. Einige seiner Artikel sind nur in Italien publiziert worden, wo ihm bestimmte Zeitschriften zu Beginn des Jahrhunderts eine Sonderstellung einräumten. Mussolini hat sich namentlich auf ihn berufen, obgleich Sorel seinerseits diesen Erben abgelehnt hat. In dem schon erwähnten Werk von Helmut Nicolai Der Staat im nationalsozialistischen Weltbild (Leipzig 1935) findet

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285] 286 287 288

289]

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21

man auf Seite 13 f. folgende Huldigung für Georges Sorel, dessen „Ideen jetzt auch in Deutschland Eingang gefunden haben" und „die geistigen Grundlagen des Faschismus in Italien" gebildet haben: „Von Sorel (daneben auf ihn fußend von Pareto) stammt namentlich: a) Die politisch revolutionäre Verfahrensregel für das praktische Vorgehen des Faschismus zur Bildung einer Elite (Führerauslese) im Gegensatz zum liberal-demokratischen Wahlverfahren. b) Die Ersetzung de? liberalen Schlagworte der französischen Revolution .Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit' durch die Schlagworte .Wahrheit, Gerechtigkeit, Moral'." Zu den historischen und ökonomischen Voraussetzungen des deutschen Faschismus vgl. S. 32 diesees Buches und die Anmerkung 47. Jacques Rennes : Georges Sorel et le syndicalisme révolutionnaire. Paris 1936, S. 143. Vgl. Adrien de Meeüs: Explication de l'Allemagne actuelle. Paris/Bruxelle/Liège 1945, S. 218-219. -Alle folgenden Zitate auf diesen Seiten. Ernst Ottwalt: Literarische Beihilfe zum Mord. In: Neue Deutsche Blätter, Juni 1934. Zit. nach: Ernst Ottwalt: Schriften. Hg. v. Andreas Mytze. Berlin 1976, S. 79-83. In welcher Weise die deutschen Antifaschisten mit ihrem Kampf und ihrer Kunst diesem Eindruck entgegengewirkt haben, sei beispielhaft aus einem Artikel von Anna Seghers über Die Sprache der Weigel zitiert: „Sie [die Weigel - G. K.] gab damals in Paris zwei Gastvorführungen, zur Zeit des spanischen Bürgerkrieges. Da war es auf einmal wieder da, das wirkliche Deutsch. Der Mensch, der es spricht, war wieder da. Und seine Bewegungen, die das ausdrückten, was er sagte, einfach und klar. Das Klare und Einfache, das, daheim korrumpiert und entstellt, hier in der Fremde durch die einzelne Frau zu uns sprach. [ . . . ] Denn sogar um seine Sprache war es [das deutsche Volk - G. K.] betrogen worden. Es hatte so oft und so lange gespreizte Phrasen, Hetzreden und Mordbefehle angehört, daß seiner Sprache Sanftheit und Witz und echte Härte abhanden gekommen waren." Anna Seghers: Über Kunstwerk und Wirklichkeit. Hg. v. Sigrid Bock. Bd. 2. Berlin 1971, S. 103-104. - Vgl. auch Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig 1966 (RUB). Ernst Ottwalt: Schriften. Hg. v. Andreas Mytze. Berlin 1976, S. 83. Auf der Plenartagung der Akademie der Künste der D D R im Mai 1979 hat Konrad Wolf diesen Gedanken, den Richard hier vorträgt, in ähnlicher Weise aufgenommen und aus der Sicht unserer historischen Erfahrungen weitergeführt: Antifaschistische Kunst „gehört zu dem klassischen Fonds der Kultur dieses Landes, in dem die Wurzeln des Faschismus und seine Ideologie für immer beseitigt sind. Unsere Republik hat diese historische Verpflichtung erfüllt. Wir sind jedoch nicht aus der Pflicht entlassen, am Kampf gegen die mörderischste Form imperialistischer Herrschaft teilzunehmen, solange sie die Menschheit bedroht.

Faschismus

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Der Kampf gegen den Faschismus muß mit allen Mitteln geführt werden, auch mit den Künsten. Alle Kunst und Erfahrung ist nötig für ihn". (Neues Deutschland v. 9. 5. 1979, S. 4). 292 Rede des spanischen Botschafters in Paris, Ossorio y Gallardo. Teilweise abgedr. in der Wochenschrift Vendredi (Paris) vom 16. Juli 1937, S. 1.

Anmerkungen %um Dokumentenanhang Vorbemerkung

des

Autors

Für die Anmerkungen in diesem Dokumententeil gebe ich - soweit sie bereits vor 1978 existierten - die Quellen nach den vorhandenen Dokumentensammlungen an. Alle anderen Quellen werden in der Arbeit selbst verzeichnet. Ein großer Teil der von mir zitierten Texte ist vorher noch nicht wieder verfügbar gemacht worden. Für die Unterstützung habe ich zu danken: der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Berlin-West), dem Institut für Zeitungsforschung (Dortmund), der Bayerischen Staatsbibliothek (München), dem Johannes R. Becher-Archiv der AdK der DDR (Berlin). 1] Vgl. Erwin Piscator: Das Politische Theater. Berlin 1968, S. 198 f. 2] Vgl. Aktionen, Bekenntnisse, Perspektiven. Berichte vom Kampf um die Freiheit des literarischen Schaffens in der Weimarer Republik. BerlinWeimar 1966, S. 23-127. 3] Lorbeers Sprechchor hieß Liebknecht, Luxemburg, Lenin (1972). Vgl. Alfred Klein: Im Auftrag ihrer Klasse. Berlin-Weimar 1972, S. 422. 4] Der Film wurde am 11. Dezember 1930 verboten, mußte jedoch nach Protest wieder freigegeben werden. 5] Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Berlin-Weimar 1967, S. 385-402, das Zitat S. 389 f. - Vgl. auch die zusätzlichen Erläuterungen im Anmerkungsapparat des Bandes (S. 782-784), aus denen hervorgeht, daß Lukäcs, aber auch Becher, Wittfogel u. a. an dem Entwurf mitgearbeitet haben. 6 Ebenda, S. 390. 7 Zit. nach: Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Stuttgart 1970. 8 Diese Zahlen nennt Ernst Karl Brenner: Deutsche Literatur im Urteil des Völkischen Beobachters. 1920-1933. Ein Beitrag zur publizistischen Vorgeschichte des 10. Mai 1933. Phil.-Diss. München 1954 [ungedr.]. 9 Zit. nach: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945. Hg. v. Walter Hof er. Frankfurt/M. 1957. 10

Adolf Hitler: Die deutsche Kunst als stolzeste Verteidigung des deutschen Volkes. München 1934, die Zitate auf S. 8 und S. 15.

11

Joseph Goebbels: Rede auf der 1. Jahrestagung der Reichsfilmkammer.

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Der Kampf gegen den Faschismus muß mit allen Mitteln geführt werden, auch mit den Künsten. Alle Kunst und Erfahrung ist nötig für ihn". (Neues Deutschland v. 9. 5. 1979, S. 4). 292 Rede des spanischen Botschafters in Paris, Ossorio y Gallardo. Teilweise abgedr. in der Wochenschrift Vendredi (Paris) vom 16. Juli 1937, S. 1.

Anmerkungen %um Dokumentenanhang Vorbemerkung

des

Autors

Für die Anmerkungen in diesem Dokumententeil gebe ich - soweit sie bereits vor 1978 existierten - die Quellen nach den vorhandenen Dokumentensammlungen an. Alle anderen Quellen werden in der Arbeit selbst verzeichnet. Ein großer Teil der von mir zitierten Texte ist vorher noch nicht wieder verfügbar gemacht worden. Für die Unterstützung habe ich zu danken: der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Berlin-West), dem Institut für Zeitungsforschung (Dortmund), der Bayerischen Staatsbibliothek (München), dem Johannes R. Becher-Archiv der AdK der DDR (Berlin). 1] Vgl. Erwin Piscator: Das Politische Theater. Berlin 1968, S. 198 f. 2] Vgl. Aktionen, Bekenntnisse, Perspektiven. Berichte vom Kampf um die Freiheit des literarischen Schaffens in der Weimarer Republik. BerlinWeimar 1966, S. 23-127. 3] Lorbeers Sprechchor hieß Liebknecht, Luxemburg, Lenin (1972). Vgl. Alfred Klein: Im Auftrag ihrer Klasse. Berlin-Weimar 1972, S. 422. 4] Der Film wurde am 11. Dezember 1930 verboten, mußte jedoch nach Protest wieder freigegeben werden. 5] Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Berlin-Weimar 1967, S. 385-402, das Zitat S. 389 f. - Vgl. auch die zusätzlichen Erläuterungen im Anmerkungsapparat des Bandes (S. 782-784), aus denen hervorgeht, daß Lukäcs, aber auch Becher, Wittfogel u. a. an dem Entwurf mitgearbeitet haben. 6 Ebenda, S. 390. 7 Zit. nach: Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Stuttgart 1970. 8 Diese Zahlen nennt Ernst Karl Brenner: Deutsche Literatur im Urteil des Völkischen Beobachters. 1920-1933. Ein Beitrag zur publizistischen Vorgeschichte des 10. Mai 1933. Phil.-Diss. München 1954 [ungedr.]. 9 Zit. nach: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945. Hg. v. Walter Hof er. Frankfurt/M. 1957. 10

Adolf Hitler: Die deutsche Kunst als stolzeste Verteidigung des deutschen Volkes. München 1934, die Zitate auf S. 8 und S. 15.

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Joseph Goebbels: Rede auf der 1. Jahrestagung der Reichsfilmkammer.

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In: Jahrbuch der Reichsfilmkammer 1937. Hg. v. Präsidenten der Reichsfilmkammer Prof. Dr. Oswald Lehnich. Berlin/Schöneberg 1937, S. 61-85. Zit. nach: Hamburger Fremdenblatt v. 18. 6. 1935. Auszüge dieser Rede auch in der Beilage zu Der Neue Weg vom 15. Juli 1935 unter dem Titel Wie steht der Nationalsozialismus zur Kunst. Adolf Hitler: Rede auf der Kulturtagung des Reichsparteitages in Nürnberg 1935. Zit. nach: Völkischer Beobachter v. 12. 9. 1935. Adolf Hitler: Rede zur Einweihung des Hauses der Deutschen Kunst in München. Zit. nach: Völkischer Beobachter v. 19. 7. 1937. - Die wichtigsten Hitlerreden seit 1935 zu Problemen der Kunst enthält Berthold Hinz Die Malerei im deutschen Fasebismus, München 1974, unsere Zitate auf S. 139, 147, 148, 154-156, 158, 165. Johannes R. Becher: Wiedergeburt. In: Publizistik Bd. 2 (1939-1945). Berlin-Weimar 1978, S. 6 5 - 6 6 ; vgl. Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1935-1945. Berlin 1976, S. 146 f. und S. 222 f. - Vgl. weiterhin Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig 1966 (RUB). Die Erstauflage erschien 1946. - Vgl. auch die Darlegungen von Ernst Ottwalt im Text S. 156 unserer Ausgabe. Hermann Rauschning: Die Revolution des Nihilismus. Kulisse und Wirklichkeit im Dritten Reich. Zürich,'New York 19383. Die neue deutsche Malerei (Berlin 1941) von Fritz Alexander Kauffmann wurde ins Französische übersetzt und unter dem Titel ha nouvelle peinture allemande publiziert. Vgl. Lionel Richard: Über den Fall Breker. In: Deutsche Volkszeitung v. 7. 9. 1972. Über diese Ausstellung berichteten die Zeitungen L'Oeuvre vom 16./17. Mai 1942 und die Nouvelles Continentales vom 30. Mai 1942 in der Wochenendbeilage. Andere Zeitschriften veröffentlichten in dieser Zeit Artikel über Arno Breker, so die Comoedia vom 14. Oktober 1941 und vom 23. Mai 1942, die Cahiers franco-allemands 1942 (S. 187-189) und Deutschland/Frankreich (Nr. 3, 1943, S. 137-139). Abel Bonnard (geb. 1883), französischer Schriftsteller, Volksbildungsminister der Vichy-Regierung. 1945 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Kehrte 1958 nach Paris zurück und wurde 1960 zu zehn Jahren Haft verurteilt. - Die Namensliste des Ehrenkomitees ist insofern aufschlußreich, als neben Bonnard nur noch Robert Brasillach (1909-1945; 1937-1943 Chefredakteur der Wochenzeitung Je suis partout, 1945 erschossen) zu den Kollaborateuren gehörte und nur Drieu la Rochelle (vgl. Anm. 258) eine eindeutig profaschistische Konzeption hatte. Die Mehrzahl der anderen, vor allem bildende Künstler und Architekten, gehört zur sogenannten Moderne, deren Werke wie die von Derain, Despiau, Friesz, Maillol internationalen Ruf haben und im Musée de l'art moderne ausgestellt sind. Jacques Benoist-Méchin (geb. 1901) leistete seinen Militärdienst 1921 bis 1923 in der französischen Rheinarmee; Bekanntschaften mit zahlreichen

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deutschen Künstlern, übersetzte 1924 Fritz von Unruhs Opfergang, publizierte Artikel über Georg Kaiser. Einer der aktivsten Vertreter der Kollaboration, Staatssekretär in der Vichy-Regierung. Zum Tode verurteilt, verbüßte nur eine Haftstrafe von zehn Jahren, danach schriftstellerische Karriere, vor allem Bücher über die arabischen Länder. Auszüge aus den Reden von Abel Bonnard und Jacques Benoist-Méchin veröffentlichte Pascal Ory: La France allemande. Paroles du collaborationisme français 1933-1945. Paris 1977, S. 226-227. Friedrich Wilhelm Herzog: Was ist deutsche Musik? In: Bausteine zum deutschen Nationaltheater, Juli/August 1934, S. 2 0 0 - 2 0 5 . Zit. nach: Musik im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, S. 227. Das Buch erschien unter dem Titel Histoire de la musique allemande 1943 bei den Editions Payot in Paris. Werner-Herbert Rascher: Bevölkerungspolitische Zielsetzung im Film. In: Neues Volk, 1938, H. 11. Zit. nach: Theater und Film im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1964, S. 329. - In ähnlicher Weise hatte die Rheinisch-Westfälische Zeitung vom 7. Januar 1937 an die deutschen Maler appelliert, durch die Darstellung kinderreicher Familien ihren Beitrag zur Orientierung der Bevölkerung auf Kinderreichtum zu leisten. Curt Belling: Film und Nationalsozialismus. In: Der Autor, 1937, H. 7. Zit. nach: Ebenda, S. 347. Zu Leni Riefenstahl und ihrer Tätigkeit im Dritten Reich vgl. Glenn B. Infield : Leni Riefenstahl, the fallen film goddess. New York 1976. Das Buch wurde 1978 ins Französische übersetzt. Vgl. außerdem Francis Courtade/ Pierre Cadars: L'histoire du cinéma nazi. Paris 1972. - Zur Auseinandersetzung um die BRD-Übersetzung dieses Buches vgl. K. R. : Verlage der B R D fälschten französisches Buch. In: Neues Deutschland v. 15. 2. 1980. Der letzte Film, den Fritz Lang in Deutschland drehte, war Das Testament des Dr. Mabuse, eine französisch-deutsche Koproduktion von 1932. Im Programmheft anläßlich der Premiere im World Theatre New York erklärte Lang, er habe einen allegorischen Film machen wollen, der die terroristischen Methoden Hitlers zeigt. Die Vorführung des Films wurde in Deutschland verboten. Trotzdem schlug Goebbels Fritz Lang vor, für den Nazifilm zu arbeiten. Unmittelbar nach diesem Vorschlag emigrierte Lang nach Paris. Hans Schemm: Das Jugendbuch im Dritten Reich. Hg. v. d. Reichsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. Bayreuth/Stuttgart o. J. [1933], S. 1. Zit. nach: Peter Aley: Jugendliteratur im Dritten Reich. Gütersloh 1967, S. 188. Völkischer Beobachter v. 15. 10. 1933.

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Richard Euringer: Gibt es eine nationalsozialistische Dichtung? In: Wille und Macht, 1935, H. 16

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Eberhard Wolf gang Möller: Dichtung und Dichter im nationalsozialistischen Staat. In: Völkische Kultur, 1935, H. 4, S. 5 - 1 0 .

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Zit. nach: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, S. 45 f. Ernst Krieck: National-politische Erziehung. Leipzig 1933, S. 22. Zit. nach: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945. Hg. v. Walter Hofer. Frankfurt/M. 1957. Beide Gesetzesauszüge zit. nach: Reichsgesetzblatt, Jg. 1935, Teil I. Nr. 100, S. 1146 f. Völkischer Beobachter v. 26. 11. 1938. Zum Kunstraub der Nazis in Frankreich vgl. Jean Cassou: Le pillage par les Allemands des oeuvres d'art et des bibliothèques appartenant à des Juifs en France. Paris 1947; Rose Valland: Le Front de l'Art. Paris 1947. Zit. nach: Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Hg. v. Joseph Wulf. Gütersloh 1963, S. 337. Ernst Barlach: Als ich vom Verbot der Berufsausübung bedroht -war. Zit. nach: In letzter Stunde. 1933-1945. Hg. v. Dieter Schmidt. Dresden 1964, S. 111. - Vgl. auch Franz Fühmann: Barlach in Güstrow. In: Franz Fühmann: Gesammelte Erzählungen. Berlin-Weimar 1968. Maschinenschriftliches Manuskript in der Bibliothek des Centre de Documentation Internationale. Nanterre. Nummer: Q Pièce 5564. Gerhard Köhler ist auch Verfasser einer Dissertation: Kunstanschauung und Kunstkritik in der nationalsozialistischen Presse. Die Kritik im Feuilleton des Völkischen Beobachters. Phil.-Diss. München 1936. Wilhelm Stapel: Die literarische Vorherrschaft der Juden in Deutschland 1918 bis 1933. Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland. Hamburg 1937. Zit. nach: Nationalsozialistische Literaturtheorie. Hg. v. Sander L. Gilman. Frankfurt/M. 1971, S. 217-243. Heinz Kindermann : Dichtung und Volkheit. Grundzüge einer neuen Literaturwissenschaft. Berlin 19392. Zit. nach: Ebenda, S. 23. Hellmuth Langenbucher : Die deutsche Gegenwartsdichtung. Berlin 1939. Zit. nach: Ebenda, S. 15. Josef Nadler: Deutscher Geist/Deutscher Osten. Zehn Reden. München 1937. Zit. nach: Ebenda, S. 5. Josef Nadler in: Buchhandel, Literatur und Nation. Berlin 1932. Hellmuth Langenbucher: Die deutsche Gegenwartsdichtung. Berlin 1939. Zit. nach: Nationalsozialistische Literaturtheorie. Hg. v. Sander L. Gilman. Frankfurt/M. 1971, S. 20. O. A.: Les idées contre la forme. In: Cahiers franco-allemands. 1936, H. 1, S. 22. Arno Mulot: Die deutsche Dichtung unserer Zeit. Stuttgart 1944. Zit. nach: Klaus Vondung: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literaturtheorie. München 1973, S. 109. Claude Grander: Panorama de l'Allemagne actuelle. Paris 1941. Will Vesper: Das harte Geschlecht. Zit. nach: Franz Schonauer: Deutsche Literatur im Dritten Reich. Freiburg/Br. 1961, S. 78 f.

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53] Vgl. Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 9. Berlin 1974, S. 403. 54] Vgl. die Schlageter-Aanalyse in Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 614 f. 55] Vgl. Margarete Plewnia: Auf dem Weg zu Hitler. Der völkische Publizist Dietrich Eckart. Bremen 1970, S. 248. 56] Vgl. Bertolt Brechts Kälbermarscb aus Scbweyk im zweiten Weltkrieg und folgenden Dialog in der Szene Militärgefängnis: „ D E R M I T K R Ü K K E N : [. . .] Den Horst-Wessel-Marsch spielens, wo sie nur können. E r is von einem Zutreibet gedichtet worn. Ich mecht wissen, was dem sein Text bedeutet. [. . .] S C H W E Y K : Ich weiß einen andern Text, den hammer im ,Kelch' gesungen. Hinter der Trommel her Trotten die Kälber Das Fell für die Trommel liefern sie selber. Der Metzger ruft. D i e Augen fest geschlossen. Das Kalb marschiert mit ruhig festem Tritt. Die Kälber, deren Blut im Schlachthof schon geflossen Sie ziehn im Geist in seinen Reihen mit. Sie heben die Hände hoch Sie zeigen sie her Sie sind schon blutbefleckt Und sind noch leer. Der Metzger ruft . . . Sie tragen ein Kreuz voran Auf blutroten Flaggen Das hat für den armen Mann Einen großen Haken Der Metzger ruft . . ." (Bertolt Brecht: Stücke. Bd. 10. Berlin-Weimar 1961, S. 103-104.) 57] Die Gedichte werden zit. nach: Ernst Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz. Frankfurt/M. 1966. - Vgl. Günther Härtung: Analyse eines faschistischen Liedes. In: Wiss. Zeitschrift der Universität Halle. 1974, H. 6, S. 4 7 - 6 4 . 58] Vgl. Heinrich Mann: Der Haß. Amsterdam 1933, S. 134-135 und Bertolt Brecht: Schriften zur Politik und Gesellschaft. Bd. 2. Berlin-Weimar 1968, S. 50. 59] Vgl. Silvia Schlenstedt: Haltungsangebote für ein finales Ich. I n : Silvia Schlenstedt: Wegscheiden. Deutsche Lyrik im Entscheidungsfeld der Revolutionen von 1917 und 1918. Berlin 1976 (Literatur und Gesellschaft), S. 2 5 6 - 2 7 4 ; Hans Kaufmann: Krisen und Wandlungen der deutschen Literatur von Wedekind bis Feuchtwanger. Berlin-Weimar 1966, S. 189 bis 197.

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60] Johannes R. Becher/Gottfried Benn: Rundfunk-Gespräch. In: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Berlin-Weimar 1967, S. 148-152. 61] Gottfried Benn: Der neue Staat und die Intellektuellen. In: Gesammelte Werke. Hg. v. Dieter Wellershoff. Bd. 4. Wiesbaden 1961, S. 393 ff. 62] Gottfried Benn: Antwort an die literarischen Emigranten. In: Deutsche Allgemeine Zeitung v. 25.5. 1933. 63] Gottfried Benn: Bekenntnis zum Expressionismus. In: Deutsche Zukunft v. 5. 11. 1933. 64] Gottfried Benn: Der neue Staat und die Intellektuellen. In: Gesammelte Werke. Hg. v. Dieter Wellershoff. Bd. 4. Wiesbaden 1961, S. 393 ff. 65] Gottfried Benn: Rede auf Stefan George. In: Die Literatur 34 (1934) v. 7. 4. 1934. Der betreffende Satz wurde von Benn bei der Herausgabe der Gesammelten Werke gestrichen. - Zu dieser Rede vgl. Klaus Mann: Gottfried Benn. Die Geschichte einer Verirrung. In: Das Wort 2 (1937) 9, S. 35-42. 66] Die Dokumente der Expressionismus-Debatte sind zusammengefaßt in Die Expressionismusdebatte. Materialien zu einer marxistischen Realismuskonzeption. Hg. v. Hans-Jürgen Schmitt. Frankfurt/M. 1973. Zur Analyse der Debatte vgl. u. a. Reinhard Weisbach: Wir und der Expressionismus. Berlin 1972 (Literatur und Gesellschaft), S. 8 4 - 1 5 7 ; Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 10. Berlin 1973, S. 457-461. - Die ExpressionismusDebatte ist ausführlich dokumentiert in: Zur Tradition der deutschen sozialistischen Literatur. Bd. 2. Berlin-Weimar 1979, S. 313-650. 67] Gottfried Benn an Ewald Wasmuth. Brief v. 18. 10. 1936. In: Gottfried Benn: Ausgewählte Briefe. Wiesbaden 1957, S. 74. 68] Gottfried Benn an Frank Maraun. Brief v. 7. 6. 1936. In: Ebenda, S. 73. 69] Gottfried Benn an Friedrich Wilhelm Oelze. Brief v. 14. 8. 1936. Zit. nach: Dichter über ihre Dichtungen. Gottfried Benn. München 1969, S. 71. 70] Gottfried Benn an Friedrich Wilhelm Oelze. Brief v. 26. 12. 1935. Zit. nach: Ebenda, S. 60. 71] Gottfried Benn an Friedrich Wilhelm Oelze. Brief v. 28. 2. 1938. In: Ebenda, S. 261. » 72] Gottfried Benn: Probleme der Lyrik. In: Gottfried Benn: Gesammelte Werke. Hg. v. Dieter Wellershof. Bd. 1. Wiesbaden 1959, S. 500. 73 Vgl. Gottfried Benn an Max Niedermeyer. Brief v. 29. 11. 1949. In: Briefe an einen Verleger. Max Niedermeyer zum 60. Geburtstag. Hg. v. Marguerite Schlüter. Wiesbaden 1965, S. 37; siehe auch S. 184. 74] Zur Position Benns in den Nachkriegsjahren vgl. Ursula Reinhold: Humanismus und Realismus in der Diskussion (1945-1949). In: Literarisches Leben in der D D R 1945 bis 1960. Literaturkonzepte und Leseprogramme. Berlin 1979 (Literatur und Gesellschaft), S. 137-139. 75] Vgl. unseren Text S. 113 f. und die dazu gehörigen Anmerkungen. 76 Ruggero Vasari: Flugmalerei. Moderne Kunst und Reaktion. In: Italien

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in Vergangenheit und Gegenwart. Leipzig 1934, H. 3. - Vasari publizierte im selben Jahr eine Anthologie italienischer Literatur Junges Italien (Leipzig 1934, Verlag Max Moehring). Aus diesem Anlaß wurde er in der Zeitschrift Das Deutsche Wort (1934, H. 22, S. 7 f.) von Kurt Liebmann vorgestellt: „Ruggero Vasari, 1898 in Messina geboren, hat neben konzentrierten theatralischen Synthesen und einem Band rhythmisch-dynamischer Lyrik außerordentlich bedeutende und bedeutsame Dramen veröffentlicht: die Tragödie Maschinenangst und die Schauspiele Tung-Ei und Raun. Vasaris Ausgangspunkt ist der Futurismus und dessen deformierende Kunst-Philosophie, die in der alogischen Darstellung von Kraftlinien, Bewegungsströmen zum Wesen des empirischen Dinges vordringt. Vasari hat wie keiner den Futurismus der Maschine dramatisch gestaltet und die Mächte Geist und Mechanik gegeneinander prallen lassen. Und dies in kühnen Visionen von einer mechanisierten Menschheit, einem mechanischen Kosmos und dem Sieg des Menschen und der Natur über den absoluten Gehirnmenschen. Tonkir, die tragische Hauptgestalt in dem Drama Maschinenangst, ist eine der stärksten dichterischen Gestalten der europäischen Moderne überhaupt, da in ihr das biologische Schicksal des modernen Abendlandes verkörpert ist: die Gefahr und Gefährlichkeit der männlichen Suprematie über den weiblichen Pol der Menschheit, über die Tiefschichten mütterlichen Lebens. Formal hat Vasari den Futurismus durch klassische Einfachheit, konstruktive Geschlossenheit, Plastik und Rhythmik der Sprache bereichert. Das Wertvolle und Sympathische der Vasarischen Einführung in die zeitgenössische italienische Literatur ist die umfassende Gründlichkeit, Gerechtigkeit und Blickweite." In der Deutschen Zukunft vom 8. April 1934, S. 19, schrieb Will Grohmann zu dieser Anthologie: „Man hätte geglaubt, die Dichter und Schriftsteller des neuen Italiens wären alle durchaus positiv und aufbauend. Dagegen finden wir sehr viel in dem Buch, was bei uns nach 1918 aktuell war und inzwischen von der Oberfläche verschwunden ist. [. . .] Alles in allem ist das Junge Italien ein lesbares und aufklärendes Buch, und wir freuen uns, in der verwirrenden Fülle von Talenten ein paar neue Begabungen kennenzulernen, die Aussicht haben, in den Kreis der großen europäischen Dichter und Schriftsteller aufgenommen zu werden. Vorläufig belegen sie hinter den wesentlichen deutschen, englischen und französischen Vertretern des Schrifttums noch den zweiten Platz." 77] Im Anschluß an diesen Teil folgen in der französischen Edition die Abschnitte Die Ossietzky-Affäre und Kämpfe in der Emigration. Letztgenannter unterteilt sich in Johannes R. Becher und die antifaschistische Einheit; Protest eines weltbekannten Schriftstellers - Thomas Mann; Die Funktion des Exil-Schriftstellers - Klaus Mann; Erich Weinert über die Rolle der Exilliteratur im illegalen Kampf in Deutschland; Antifaschisti328

sehe Schriftsteller nutzen internationale Tribünen; Die wichtigsten Exilzeitschriften. D a - im Unterschied zu Frankreich - gerade die antifaschistische Tradition der deutschen Literatur kontinuierlich erforscht und aufgearbeitet wurde, Richard außerdem Dokumente aus DDR-Editionen benutzt, haben wir auf den gesamten Komplex (S. 264-281) für die D D R Ausgabe dieses Buches verzichtet. D i e einschlägigen DDR-Titel zum Problem Literatur im antifaschistischen Exil vgl. die Anm. 232 zum Textteil. Wir wollen indessen unseren Lesern bei uns bisher nicht bekannte D o kumente zugänglich machen, die Richard in dem betreffenden Komplex zitiert. So verweist Richard in dem Abschnitt über Thomas Mann auf einen bisher nicht deutsch publizierten Aufsatz des Dichters. D e r Aufsatz erschien am 29. Januar 1932 in der ungarischen Zeitschrift Pesti Naplo und wurde von der französischen Wochenzeitung Lu nachgedruckt. Thomas Mann erklärte dort : „Was die Zukunft der nationalsozialistischen Bewegung anbetrifft, so meine ich, daß sie - obgleich sie ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat - unzweifelhaft in Deutschland scheitern wird. Für eine lebensfähige historische Bewegung ist die geistige Basis des Nationalsozialismus zu schwach. Sie ist ein Koloß auf tönernen Füßen oder eher ein aus dem Boden ragender gewaltiger Pilz ohne Wurzeln, der genauso schnell verschwinden wird, wie er aufgeschossen ist." Vgl. auch Antal Madl/Judit Györi: Thomas Mann und Ungarn. Essays, Dokumente, Bibliographie. Budapest 1977, S. 346-348. - Richard kommentierte dieses Zitat wie folgt: „Sehr viele ausländische Intellektuelle hatten an diese verharmlosende Einschätzung des deutschen Faschismus geglaubt und waren sehr überrascht, als die Nazis 1933 an die Macht kamen. In den Annales stellte Armand Pierhai am 24. Februar 1934 fest: ,Was gab es doch für Irrtümer über den Nationalsozialismus! Wie oft hat man uns gesagt, daß diese Bewegung bedeutungslos sei und dann, d a ß sie ihre größte Stärke bereits erreicht hätte und nun nur noch schwächer werden könnte!'" Außerdem informierte Richard kurz über zwei Kongresse des internationalen PEN-Clubs 1936 in Buenos Aires und 1937 in Paris. D i e Materialien dieser Tagung sind französisch publiziert worden in: Actes des Congrès des P.E.N. Clubs pour les années 1936 et 1937. Auf der Tagung von 1936 sprach u. a. Emil Ludwig, dessen Rede Richard auszugsweise zitierte. D a dieser Beitrag deutsch nicht vorliegt, haben wir uns entschlossen, ihn hier aus dem Französischen zu übersetzen. Das Auftreten Ludwigs, der auch zu diesem Zeitpunkt von antikommunistischen Ressentiments nicht frei war, deutet an in welcher Weise und in welcher Richtung sich sogenannte Positionen der Geistigkeit unter dem Eindruck der Nazigreuel politisierten. Der auffordernd-beschwörende Ton, dessen sich Ludwig bediente, gibt Aufschluß über die Atmosphäre dieser PEN-Tagung. „Ich habe die Ehre, im Namen der deutschen emigrierten und exilierten Schriftsteller zu Ihnen zu sprechen. Ich persönlich bin in der glücklichen Lage, schon in meiner Jugend, vor dreißig Jahren, in die Schweiz emigriert

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und seit langem Schweizer Staatsbürger zu sein. Aber ich bin immer ein deutscher Schriftsteller geblieben, und an einem Abend im Mai 1933 hatte ich die große Ehre, daß meine Bücher zusammen mit denen meiner besten Gefährten auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Ich war in guter Gesellschaft zwischen Heinrich Heine und Spinoza, und es schien mir ehren* hafter, zusammen mit zwei rassisch verfolgten Genies verbrannt als von irgend einem rassistischen Professor geehrt zu werden. Unsere Bücher, die Sie gut kennen, die Bücher von Heinrich Mann, Thomas Mann, Stefan Zweig, Remarque, Feuchtwanger und vielen anderen, waren in hohen Auflagen erschienen und so etwas wie öffentliches Kulturgut Deutschlands geworden, aber als die Nazis die Macht übernommen hatten, wurden sie plötzlich als schädlich für das Vaterland erklärt. Juden und Kommunisten sind durchaus nicht die einzigen, die ermordet oder verhaftet worden sind. Demokratischen .Ariern' erging es ebenso. Ossietzky, der bekannte Schriftsteller, den eine breite Weltöffentlichkeit für den Nobelpreis vorschlug, siecht in den Gefängnissen des sogenannten Dritten Reiches dahin. Die Mehrzahl der verbrannten Schriftsteller hat niemals über politische Themen geschrieben. Die Diktatoren behaupten immer, daß ihre Feinde auch Feinde der Gesellschaft seien. Wenn ein Schriftsteller mit ihnen nicht einverstanden ist, behandeln sie ihn als .Kommunisten'. Kein Mitglied unserer Sektion ist oder war Mitglied der Kommunistischen Partei. In den Anklageschriften ist oft zu lesen: .Beim Angeklagten wurden pazifistische Dokumente gefunden." Auch katholische Autoren sind ins Exil gegangen, ganz einfach weil sie weiter an das Alte Testament glaubten. Einem Autor, der das weltanschauliche Programm der Nazis nicht akzeptiert, in dem der Krieg als eine Art Hygiene für die Völker dargestellt wird, ist es untersagt, in Deutschland Bücher zu veröffentlichen. Ich will unter den deutschen Schriftstellern keine Rangordnung aufstellen, aber merkwürdig ist es doch, daß fast alle deutschen Künstler, die Weltruf genießen, heute eingekerkert sind oder emigrieren mußten, während keiner der Autoren, die das Dritte Reich für sich in Anspruch nimmt, über die Grenzen hinaus bekannt ist. Die beiden berühmten Schriftsteller, auf die sich die Nazis berufen, Stefan George und Oswald Spengler, waren Feinde des Regimes; die Liebe der Nazis beruht hier nicht auf Gegenseitigkeit. Beide großen Geister sind in bitterer Einsamkeit gestorben. Die verfemten deutschen Dichter und Schriftsteller haben mich nicht die weite Reise über den Ozean machen lassen, damit ich hier um die Hilfe ihrer ausländischen Kollegen bitte. Ihre Bücher werden in der ganzen zivilisierten Welt gelesen; die Schriftsteller des Dritten Reiches dagegen kennt man nur in Deutschland. Vielleicht zöge es mancher von ihnen vor, über dieses Thema zu schweigen. Vielleicht sehen manche von Ihnen uns als arme Brüder mit lästigen Klagen an. Ich möchte Ihnen dazu sagen: Wir bitten um nichts, aber wenn

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hier von der gesellschaftlichen Funktion des Geistes die R e d e ist, finde ich es ungeheuerlich, daß man in einem großen L a n d , bis vor kurzem vielleicht dem gebildetsten der Welt, den Schriftsteller von seinen Funktionen abgelöst und ihn zum Bürokraten oder zum bezahlten Hofsänger herabgewürdigt hat. Ich finde es ungeheuerlich, daß im L a n d e Schillers die Freiheit des Wortes unterdrückt wird, von der Sie gerade mit Achtung und innerer Anteilnahme gesprochen haben. Auf

jedem

Kongreß trifft man Delegierte, die behaupten, daß

die

Zusammenkünfte der P E N - C l u b s nichts mit Politik zu tun hätten und daß wir uns darauf beschränken sollten, akademisch über unseren Beruf zu diskutieren. Fast alle Redner des gestrigen Tages haben unterstrichen, d a ß wir uns nicht in die Politik einzumischen hätten - und dennoch haben sie alle von Politik gesprochen. Man fordert uns immer auf, im Garten E d e n des Geistes zu bleiben. Erlauben Sie mir die Feststellung, daß auch in anderen Ländern diese schönen Gärten mit Maschinengewehren umstellt sein werden, deren Mündungen sicher nicht nach außen gerichtet sein werden. D i e Grenzen zwischen Politik und Literatur - wo sind sie? Seit zwei Jahren ist die Buchproduktion in Deutschland um 45 Prozent zurückgegangen. Ist das ein rein literarisches Problem? Hitler hat zu erklären gewagt, daß Weimar - unser Weimar - entehrt ist, weil es der Sitz der Nationalversammlung der deutschen Republik war. Ist das ein Problem der Politik oder der Literatur? Sagen wir denn unsererseits z. B., daß Nürnberg für immer entehrt ist, weil dort die N a z i s ihre Parteitage abhalten? D e r Rektor der ältesten deutschen Universität hat auf einer feierlichen Sitzung erklärt, daß objektive Wissenschaft nur leeres G e r e d e sei und d a ß die Universität einmütig dem Staat dienen müsse. Ich wiederhole: Ist das eine F r a g e der Politik oder der L i t e r a t u r ? " Nachdem Ludwig im folgenden aufgezeigt hatte, zu welchen

lächer-

lichen Geschichtsauslegungen sich die nationalsozialistischen Schriftsteller verstiegen, um ihren „nordischen Charakter" zu belegen, kam er erneut auf das Problem der Verantwortlichkeit der Intellektuellen zurück: „ K a n n ein internationaler Schriftstellerkongreß sich gegenüber solchen Tatsachen gleichgültig verhalten? Ist es nicht eins der Hauptprinzipien unserer Vereinigung, gegen die Barbarei und für die Freiheit des Wortes zu k ä m p f e n ? Hat das nicht jeder Redner in diesen Tagen zum Ausdruck gebracht? Vielleicht haben nicht alle der in diesem Saal Versammelten die gleiche Meinung über den Krieg. Und trotzdem wird heute der K r i e g in den Schulen und Universitäten vorbereitet. Man hat mir geraten, das unselige Wort .Krieg' hier nicht auszusprechen, um nicht die idyllische Atmosphäre unserer Versammlung zu stören. Wenn sich ein Regime dank dem, w a s man heute als ,Dynamismus' bezeichnet, einige Jahre lang

erfolgreich

hält, dann beginnt der größte Teil der öffentlichen Meinung an die Q u a l i täten dieses Regimes zu glauben.

331

Ich habe mir erlaubt, Ihre Aufmersamkeit auf diese Dinge zu lenken, um Ihnen begreiflich zu machen, daß das Schicksal der deutschen Schriftsteller —zumindest in Europa — durchaus morgen schon auch das Ihre sein könnte. Von einem Kongreß zum anderen sehen wir die Zahl der Länder, die der Zensur unterworfen

sind, anwachsen. Wenn wir

Gelegenheit

haben sollten, uns noch vor dem Krieg zu versammeln, dann wird diese Zahl noch größer sein. Sie sitzen heute auf dem Gipfel des Berges, aber die Flut steigt ständig. Unser nächster Kongreß wird wahrscheinlich auf einer kleinen unbekannten Insel Ozeaniens stattfinden, die die künftigen Historiker die letzte Zuflucht des Geistes nennen werden. Wer angesichts dieser Probleme schweigt, der ähnelt jenem Astronomen, der auf dem Höhepunkt einer Epidemie sagte: ,Alles das geht mich nichts an, mich interessiert nur der Himmel.' Doch siehe da, der Epidemie gelang es, ihn auch für die Angelegenheiten der Erde zu interessieren. Ich habe hier das Wort ergriffen, weil ich es für meine Pflicht halte, Ihnen diese Warnung zu übermitteln. Ich habe aber noch einen anderen Grund: Wenn eines Tages ein Historiker über den internationalen Kongreß der Dichter und Denker, der 1936 stattgefunden hat, sprechen wird, dann wird er nicht mehr sagen können, daß dieser Kongreß angesichts der großen Gefahren, die heute den Geist und die Diener des Geistes bedrohen, geschwiegen hat." 78] Vgl. hierzu auch die Frankreich betreffenden Teile in Deutschland, int zweiten Weltkrieg (Bd. 1. Berlin 1974, S. 4 8 7 - 5 0 0 , S. 5 1 4 ; Bd. 2, S. 525). 79 Zum deutsch-französischen Komitee vgl. Fernand L'Huillier: Dialogues franco-allemands ( 1 9 2 5 - 1 9 3 3 ) . Strasbourg 1971. Das Gründungsdokument wurde am 30. Mai 1926 in deutscher Sprache veröffentlicht und bei L'Huillier wiederabgedruckt (S. 1 4 1 - 1 4 2 ) : „Auf Einladung des Präsidenten Emil Mayrisch nahmen am 29. und 30. Mai an den Besprechungen zur Vorbereitung eines Deutsch-Französischen Studienkomitees teil, französischerseits die Herren CHARDON

H.

DEBRIX

Pierre LYAUTEY Cte Wladimir D'ORMESSON

FOUGÈRE

Charles LAURENT Théodore LAURENT

DE

LICHTENBERGER

PEYERIMHOFF

Jean SCHLUMBERGER Cte Félix DE VOGUE

deutscherseits die Herren Prof. BRUNS

Dr.

KRUKENBERG

Dr.

BRUHN

Georg MUELLER-OERLINGHAUSEN

Dr.

BUECHER

A. v.

Geh. Rat F.

NOSTITZ-WALLWITZ

Graf OBERNDORFF Edgar SCHLUBACH

Prof. E . R. CURTIUS DEUTSCH

Dr. Wilhelm HAAS

D r . E . v . SIMSON

332

Nach einer vorbereitenden Sitzung am Sonnabend, den 2 9 . M a i

1926,

kam es am 30. Mai zur förmlichen Gründung des Komitees. Über diese Gründung wurde von deutscher Seite folgende Mitteilung an die Presse ausgegeben : Unter Vorsitz des bekannten Luxemburger Großindustriellen E m i l Mayrisch haben in den letzten Tagen hier Besprechungen deutscher und französischer Persönlichkeiten stattgefunden. D i e Beteiligten haben sich heute zu einem Komitee zusammengeschlossen, das die persönliche Fühlung unter seinen Mitgliedern aufrecht erhalten und sich die objective der kulturellen

Klarstellung

und wirtschaftlichen Tatsachen und Zusammenhänge

in

Deutschland und Frankreich zur Aufgabe machen wird. B e i voller Wertung des nationalen Gesichtspunktes will man auf diesem W e g e eine fehlerfreiere und dem beiderseitigen Interesse entsprechendere Grundlage für die Beurteilung der Fragen gewinnen, die das Verhältnis der beiden Länder berühren.

In Paris und Berlin

soll j e ein ständiges Büro

eingerichtet

werden." L'Huillier bringt auch eine Liste der Mitglieder (S. 1 6 9 - 1 7 1 ) : Deutsch-Französisches Studienkomitee Comité franco-allemand d'Information et de Documentation 1926-1930 Mitglieder Präsident: Emil MAYRISCH, Präsident der Aciéries Réunies Burbach, E i c h , Duedelingen

( A . R . B . E . D . ) , Luxemburg. Präsident der

Internationalen

Rohstahlvereinigung. Stellvertreter: Alois MEYER, Generaldirektor der A . R . B . E . D . Vorsitzender und Mitglieder der deutschen Gruppe: v. NOSTITZ-WALLWITZ, sächsischer Staatsminister a. D . v. BECKERATH, Professor der Nationalökonomie BERGSTRAESSER, Professor für Sozial- und Staatswissenschaften BRUHN, Vorstandsmitglied der Friedrich-Krupp A . G . BRUNS, Professor, Direktor des Instituts für ausländisches, öffentliches und Völkerrecht BÜCHER, Wirklicher Legationsrat a. D . , Generaldirektor der A . E . G . E . R . CURTIUS, Professor für romanische Literatur DEUTSCH, G e h . Kommerzienrat, Präsident der A . E . G .

DIEHM, Generaldirektor des Deutschen Kalisyndikats FROWEIN, Zweiter Vorsitzender des Reichsverbandes der deutschen

In-

dustrie GLUM, Generaldirektor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften W . HAAS, Professor an der Technischen Hochschule, Charlottenburg HAGEN, Geh. Kommerzienrat, Präsident der Handelskammer, K ö l n

333

Fürst zu HATZFELD-WILDENBURG, Botschafter a. D . HANIEL, Landrat a. D . , Vorsitzender des Aufsichtsrates der Gutehoffnungshütte HELLPACH, Staatspräsident a. D . , Professor der Philosophie v. MENDELSSOHN, Präsident der Handelskammer Berlin, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages MÜLLER-ORLINGHAUSEN, Mitglied des Reichswirtschaftsrates Graf von OBERNDORF, Gesandter z. D . ONCKEN, Professor der Geschichte von PAPEN, Mitglied des Preussischen Landtages POENSGEN, Erster Stellvertretender Vorsitzender der Vereinigten Stahlwerke A.G. Graf von PRASCHMA, Mitglied des Reichsrates Edgar SCHLUBACH, Mitinhaber der Firma Schiubach, Thiemer & Cie. SCHMIDT-OTT, Staatsminister a. D . , Präsident der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft SCHREIBER, Bischof von Berlin SIMONS, Reichsminister des Auswärtigen a. D . , Präsident des Reichsgerichts von SIMSON, Staatssekretär a. D . , Vorstandsmitglied der I.G.

Farben-

Ind. A.G. von STRAUSS, Direktor der Deutschen Bank STIMMING, Geh. Regierungsrat, Generaldirektor des Norddeutschen Lloyd Fritz THYSSEN, Vorsitzender des Aufsichtsrates der August Thyssen-Hütte Max WARBURG, Bankier, Hamburg Freiherr von WILLMOWSKY, Landrat a. D . , Stellv. Vorsitzender des Aufsichtsrates der Friedrich Krupp A G . Otto WOLFF, Köln KRUKENBERG, Delegierter in Paris. Vorsitzender und Mitglieder der französischen Gruppe: Charles LAURENT, Ambassadeur de France, Président de la Banque du Nord et de la Société Internationale du Canal de Suez Duc de BROGLIE, physicien, Membre de l'Institut Du CASTEL, Ancien Directeur des Chemins de Fer de l'Etat CHARDON, Président du Conseil d'Etat, Membre de l'Institut DAL PIAZ, Président du Comité Central des Armateurs de France et de la Compagnie Transatlantique DEBRIX, Directeur général de la Société Générale Alsacienne de Banque DERETZ, Directeur général des Mines de Potasse d'Alsace DUBRULLE, Président de la Commission des Relations extérieures du Comité central de la Laine DUCHEMIN, Président des Etablissements Kuhlmann et de la Confédération Générale de la Production

334

FONTAINE, Président du Conseil d'administration du Bureau International du Travail FOUGÈRE, Président de l'Association Nationale d'Expansion économique Maître HENRI-ROBERT, ancien Bâtonnier de l'Ordre des Avocats Monseigneur JULIEN, Evêque d'Arras, Membre de l'Institut KEMPF, Président de l'Union Syndicale des Tissus LAEDERICH, Président du Syndicat Général de l'Industrie cotonnière Théodore LAURENT, Vice-Président du Comité des Forges H. LICHTENBERGER, Professeur à la Sorbonne Pierre LYAUTEY, Directeur de l'Association de l'agriculture et de l'industrie MARUO, Président de la Chambre Syndicale des Forces Hydrauliques MERCIER, I n d u s t r i e l

Comte et Marquis de NICOLAY, Vice- Président de la Société des Agriculteurs de France Comte Wladimir d'ORMESSON, Publiciste, Ambassadeur de France de PEYERIMHOFF, Président du Comité des Houillères ROMIER, Président de la Société d'Economie Nationale SCHLUMBERGER, Homme de Lettres SERRUYS, ancien Directeur des Accords commerciaux au Ministère de Commerce Jacques SEYDOUX, Ministre plénipotentiaire, Président de la Banque de Paris et des Pays-Bas André SIEGFRIED, Professeur à l'Ecole des Sciences politiques, membre de l'Académie SOMMIER, Président de la Raffinerie Sommier C o m t e d e VOGUE

80

81

82

83

Pierre VIÉNOT, Délégué à Berlin. La Revue d'Allemagne et des pays de langue allemande erschien von 1927 bis 1933 unter der Leitung von Maurice Boucher, Professor an der Sorbonne. Mitarbeiter waren Germanisten wie Félix Bertaux, Henri Lichtenberger und Schriftsteller wie Jules Romains, Jean Giraudoux, Edmond Jalous, Thomas Mann. Die Deutsch-französische Rundschau wurde 1928 in Berlin gegründet. Pierre Viénot setzt sich dafür ein, daß Otto GrautofE mit der Leitung beauftragt wurde. Die Cahiers franco-allemandslDeutsch-französische Monatshefte wurden 1934 von Otto Abetz und Fritz Bran gegründet. Schriftleiter in Berlin war Fritz Bran. Zur Tätigkeit von Abetz und zur kollaborationistischen Funktion des Comité France-Allemagne vgl. Otto Abetz: Das offene Problem. Köln 1951; Fernand de Brinon: France-Allemagne 1918-1934. Paris 1934.

84] André Chamson (geb. 1900), ursprünglich protestantische Haltung in politisches Engagement übergeführt. Werke u. a. : L'Annê e des vaincus (1934), La Galère (1939). Jean Giraudoux (1882-1964). Werke u. a.: La guerre

335

de Troie n'aura pas lieu (1935), Electre (1937), La Folle de Chaillol (1945). Henry de Montherlant (geb. 1896), Werke u. a.: Les Célibataires (1934). 85] Jules Romains (geb. 1885), gehört seit 1903 zum Unanimismus, während des 2. Weltkriegs emigriert in die USA, Mexiko. Werke u. a.: L'Ame des hommes (1904), Les Hommes de bonne volonté (27 Bde., 1932-1947). 86 Über diese Broschüre von Jules Romains gab es eine Kontroverse in der Öffentlichkeit, an der sich u. a. Paul Vaillant-Couturier (L'Humanité v. 12. 3. 1935) und Louis Aragon (Monde v. 15. 3. 1935) beteiligten. Die Zeitschrift Commune (1935, April, Nr. 20, S. 863-74) brachte ein Resümee der Debatte. - Jules Romains wurde nicht zum Kollaborateur. Er verließ Frankreich im Juni 1940 und gelangte über Lissabon in die USA. Von dort aus sprach er in Radiosendungen zu seinen französischen Mitbürgern, rief sie auf, „Frankreich nicht zu entehren" und Widerstand zu leisten. Nach der Befreiung kehrte er im Juni 1945 nach Frankreich zurück. 87] Pierre Gaxotte (geb. 1895), Historiker und Journalist. Chefredakteur von Candide seit 1923; Direktor von ]e suis partout bis 1937. Arbeiten zu historischen Themen: Louis XIV., Louis XV., Französische Revolution. 88) Louis-Ferdinand Céline (1894-1961), Schriftsteller, antisemitische Haltung, die ihn Kompromisse mit den Nazis eingehen ließ, verließ Frankreich 1944, kehrte aber 1951 zurück. Werke u. a.: Voyage au bout de la nuit (1932), Mort à crédit (1936), antisemitisches Pamphlet L'Ecole des cadavres (1936). - Zu Céline, Châteaubriant, Drieu la Rochelle vgl. Margarete Zimmermann: Die Literatur des französischen Faschismus. München 1979. 89 Commission consultative des Dommages et des Réparations. Emprise allemande sur la Pensée française. Monographie P. F. 3 : Industries et Arts du Livre. Paris 1947, S. 15. 90 Die Propaganda-Abteilung in Frankreich wurde am 18. Juli 1940 geschaffen. Sie war das offizielle Organ für die Nazipropaganda in Frankreich. Ihre Mitarbeiter gehörten der Wehrmacht an. Sie unterstand der Abteilung „Ausland" des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, die sie mit Direktiven, Broschüren und Materialien aller Art versorgte. In jedem Verwaltungsbezirk verfügte die Propaganda-Abteilung über regionale Propaganda-Staffeln. Vgl. dazu Elisabeth Dunan: La PropagandaAbteilung de France. Tâches et organisation. In: Revue d'Histoire de la Deuxième Guerre Mondiale (Paris), 1951, Oktober, Nr. 4, S. 19-32. 91] Messageries sind kommerzielle Unternehmen, die - über verschiedene ihnen zu- bzw. untergeordnete Zweigstellen - die Preiskalkulation, die Verteilung und den Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften vornehmen. Die Messageries Hachette waren das einschlägige zentrale französische Unternehmen für das Buchwesen. 92

Liste Otto - Ouvrages retirés de la vente par les éditeurs ou interdits par les autorités allemandes. Syndicat des Editeurs Paris 1940. 1942 veröffentlichte das Syndicat des Editeurs eine zweite Ausgabe dieser Liste mit dem

336

Titel Unerwünschte französische Schriftsteller; das Vorwort war vom 8. Juli 1942. Die Durchführung der in der Liste festgelegten Bestimmungen oblag Karl Epting, der von Otto Abetz zum „Beauftragten für die kulturellen Beziehungen in der okkupierten Zone" mit dem Ziel ernannt worden war, das kulturelle Leben in Frankreich zu kontrollieren. 93 Sechs Nummern der Zeitschrift Deutschland/Frankreich für die Jahre 1942/43 werden in der Nationalbibliothek Paris aufbewahrt. Die Zeitschrift wurde offiziell bei der Hanseatischen Verlagsanstalt Hamburg publiziert. Hier die Inhaltsübersicht zu den sechs Heften: 1 (1942) Geleitwort von Botschafter Otto Abetz Karl Epting: Deutschland-Frankreich Friedrich Sieburg: Die Sprache als Schicksal Ëdouard Dujardin: Souvenirs sur H. St. Chamberlain Fritz Neubert: Schiller, Goethe und die französische Klassik . . . André Meyer: Les germanistes français et l'Allemagne Ernst Jünger: Tagebuchblätter aus Frankreich Robert Brasillach: Réflexions d'un prisonnier Hellmuth Rademacher: Die sozialpolitische Arbeit der Militärverwaltung in Paris

1 3 14 20 48 65 79 106 112

Chronik und Kritik Ein Jahr Deutsches Institut Karl Epting: Henri Lichtenberger zum Gedächtnis J. H. von Kutzschenbach : Deutsch-französische Wirtschaftschronik . Karl Epting/Karl Heinz Bremer: Europäische Stimmen: Drieu la Rochelle/Jacques Chardonne Georg Rabuse: La seule France? Gerhard Funke: Bergson-Epilog

123 130 131 137 142 147

Neue Bücher L'Europe spirituelle (M.-Th. Mogan). - La mission du Reich (Ph. Lavastine). - Jeanne d'Arc (K. H. Bremer). - François Villon (M.-Th. Mogan). Luther (K. Klaehn). - Richelieu (Ph. Lavastine). - De la démocratie française (Gueydan de Roussel). - Livres de guerre allemands (Maurice Betz). - Stefan George (Otto Diehl). - La poésie allemande (René Lasne). 2 (1942) Carl Schmitt: Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten Gueydan de Roussel: La notion polémique de race en France depuis 1789 Leo Weisgerber: Theudisk. Der Name der europäischen Mitte . . Karl Epting: Louis-Ferdinand Céline André Fraigneau : Une nouvelle figure de Goethe 22

Faschismus

337

1 31 39 47 59

Hermann Bunjes: Empire und Preußischer Stil Luden Combelle: Confessions d'un jeune nationaliste français . . . Stephan Hirzel: Pestalozzi und die französische Revolution . . . . Heinrich Strobel: Die französische Einstellung zur neueren deutschen Musik Henry de Montherlant: Fragments d'un journal de guerre 1940 . .

64 74 85 98 109

Chronik und Kritik Eugène Bestaux: Napoléon vu par Philipp Bouhler Kurt Borries: Die Staatsschöpfung Karls des Großen Peter Klassen: Die französische Literatur der Selbstbesinnung seit dem Waffenstillstand Lucien Rebatet: Mozart et le génie allemand Christian Michelfelder: Arno Breker et le sourire grec Hermann Conrad: Kleo Pleyer zum Gedächtnis

118 122 128 141 145 147

Neue Bücher Schiller und die französische Revolution (A. Meyer). - Rilke à Paris (C. Pinette). - Rousseau und die deutsche Romantik (M. Boucher). Cours de droit constitutionnel (H. Conrad). - Das Bild des Krieges im deutschen Denken. - Die Klassiker des französischen Romans (A. Thérive). - La France des origines à la guerre de cent ans (H. Büttner). Claude Debussy (A. Co'uroy). 3 (1943) Karl Epting: Karl Heinz Bremer zum Gedächtnis Henry de Montherlant: In memoriam Karl Heinz Bremer . . . . Karl Heinz Bremer: Kaisertum und Sozialismus in Frankreich . . Drieu la Rochelle: France, Angleterre, Allemagne Gottfried Schlag: Die Pfalzen der Karolingerzeit René Lasne: Trois mois avec une unité allemande Wilhelm Grotkopp: Die wirtschaftlichen Kräfte Frankreichs . . . George Montandon: La science française devant la question raciale aux X I X e et XX" siècles Jean Edouard Spenlé: Nietzsche à Nice

1 5 9 28 43 54 81 104 121

Chronik und Kritik Gertrud vom Steeg: Zwei Jahre deutsche Musik und deutsches Theater in Frankreich Albert Buesche: Breker-Ausstellung in Paris

134 137

Charles Le Verrier: Johannes Hoffmeister: Hölderlin und die Philosophie

140

Neue Bücher Die Anglomanie in Frankreich. - Arno Breker (H. Fegers). - Das fränkisch-germanische Bewußtsein des französischen Adels im 18. Jahrhundert

338

(A. Meyer). - Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit (G. Montandon). - Over stadsont-wikkeling tusschen Loire en Rijn gedurende de middeleeuwen (P. E . Hübinger). - Die Normandie (R. Lasne). - Frankreich. Ein Erlebnis des deutschen Soldaten (R. Lasne). - Gluck (E. Bükken). - La tradition française (H. Fegers). - Les institutions de la France nouvelle (Schätzel-Marburg). - Die französische Klassik und Europa (M. Boucher). - Aus der romanischen Welt (A. Thérive). - Deutsche Dramatik der Gegenwart (A. Meyer). -

Wille und Macht in den Jahrhunderten

französischer Schau (M. Boucher). 4 (1943) Franz Böhm: Das cartesische Zeitalter und seine Überwindung . . Jacques Chardonne: Les divinités sociales Hans Fegers: Das politische Bewußtsein in der französischen Kunstlehre des 17. Jahrhunderts Philippe Verdier: Renan et l'Allemagne André Meyer: Grabbe et la France

1 32 46 91 119

Chronik und Kritik Karl'Epting: Karsten Klaehn zum Gedächtnis

135

Fritz Bentmann: Der deutsche Beitrag zur geistigen Betreuung der französischen Kriegsgefangenen Franz Grosse: Der Einsatz französischer Arbeit im Reich . . . .

136 144

Neue Bücher Petit catéchisme antijuif (H. Seemann). - Das Buch deutscher Reden und Rufe (E. Bestaux). - La croisade des démocraties (W. S.). - Chronique politique 1 9 3 4 - 1 9 4 2 (P. Klassen). - Die Steine von Carnac (R. Vaufrey). Aus der romanischen Welt III et I V (A. Thérive). 5 (1943) Adolf von Grolman: Hölderlin in Frankreich Ramon Fernandez: Barrés et l'Allemagne Walter Mönch: Voltaire und Friedrich der Grosse Jacques Bousquet: Charnière des temps Hermann Conrad: Der Code civil und die historische Rechtsschule in Deutschland

1 10 23 46 54

Chronik und Kritik Friedrich Grimm: Ungewisses Frankreich

69

Zur deutsch-französischen Auseinandersetzung um Martin Luther . .

75

Neue Bücher L'économie allemande à l'épreuve de la guerre. L'économie allemande contemporaine (C. Brinkmann). -

L'économie française entre les deux

guerres 1 9 1 9 - 1 9 3 9 (H. Kuntze). - Ein neues Frankreich? (A. Dauphin22*

339

Meunier). - Osteuropa in kontinental-europäischer Schau (R. Martel). Histoire du cinéma (G. vom Steeg). - Balzac romancier (Otto Weise). Rilke et la France (G. vom Steeg). - Friedrich Hölderlin (A.Meyer). Die Dichtung im kommenden Europa (A. Meyer). 6 (1943) Max Kommerell: Goethe und die europäische Jugend William Gueydan de Roussel: La conquête de l'opinion française par l'Angleterre au XVÏIle siècle Wilhelm Grotkopp: Frankreichs Landwirtschaft und Europa . . . Raymonde Lefèvre: Carmen Sylva et Pierre Loti Otto Weise: Charles Andler und der Pangermanismus

1 12 24 66 82

Chronik und Kritik Robert Brasillach: La parole du cœur Bemerkungen zu einem Übersetzungskatalog Georges Blond: Quand les traductions ne trahissent pas Georg Schnath: Drei Jahre Archivschutz in Frankreich

100 104 111 114

Neue Bücher Anthologie de la poésie allemande (Robert Pitrou). - Génie de la France (Karl vom Rath). - Quelques aspects du droit allemand (Jacques Schweizer). 94

Les Lettres Françaises waren zu dieser Zeit nur ein hektografiertes Bulletin. Ihr bedeutendster Mitarbeiter war Claude Morgan. Die Artikel erschienen alle anonym. Erst nach dem Krieg konnten die Autoren ermittelt werden. Literaturkritiker der Lettres Françaises war André Rousseaux, der nach 1945 bei Le Figaro arbeitete. 95] André Rousseaux (geb. 1896), Literaturkritiker, bis 1936 Feuilletonredakteur bei Le Figaro. Publikationen zur Literatur des 20. Jahrhunderts. 96] André Thérive (geb. 1891), Literaturkritiker und Romancier, gehört zum sogenannten Populismus. 97 Jean-Edouard Spenlé: Les universités allemandes dans le passé et dans le présent. In: Esquisses allemandes. Cahiers de l'Institut d'Etudes Germaniques. Paris 1942, S. 137-181. 98] Über die Aktivitäten des französischen Thälmann-Komitees berichtete Gilbert Badia auf dem Kolloquim '78 Deutsche antifaschistische Literatur im internationalen Widerstand. 1933-1945 des Zentralinstituts für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R . - Vgl. den Kolloquiumsbericht von Gudrun Klatt in Weimarer Beiträge 25 (1979) 6, S. 157. 99

Louis-Ferdinand Céline an Henri Barbusse. Brief. In : Monde v. 10. 2. 1934, S. 5. - Der Brief hat im Datum nur die Zahl 19, es handelt sich wahrscheinlich um den 19. 12. 1933.

340

100] Jean-Richard Bloch (1884-1947), Schriftsteller, während des zweiten Weltkrieges Emigration in die Sowjetunion, Sprecher von Radio-France in Moskau, Teilnehmer am 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller (1934) und am Kongreß zur Verteidigung der Kultur in Paris (1935), Mitbegründer von Europe. Werke u. a.: Et de. (1918), Naissance d'une culture (1936). 101] Jean Cassou (geb. 1897), Schriftsteller und Kritik, aktiv in der Résistance; Werke u. a.: Cervantes (1936), Picasso et Matisse (1939). 102] André Gide (1869-1961, Schriftsteller, vom Katholizismus kommend, zeitweilig Annäherung an kommunistische Positionen, Ressentiments nach Sowjetunion-Reise. Werke u. a.: Les caves du Vatican (1914), Les Faux-Monnayeurs (1925), Retour de l'URSS (1936), Retouches à mon Retour de l'URSS (1937). - Vgl. Bertolt Brecht: Kraft und Schwäche der Utopie. In: Bertolt Brecht: Schriften zur Literatur und Kunst. Bd. 2. Berlin-Weimar 1966, S. 212-218. - In der Nummer 5/6 (Januar/Februar 1934, S. 582-589) von Commune findet sich eine Erzählung von Ludwig Turek Leben und Tod meines Bruders Rudolf, die André Gide übersetzt hat. Auf meine Anfrage antwortete mir Ludwig Turek am 23. 9. 1970 in einem Brief, der die Solidarität Gides gegenüber den antifaschistischen deutschen Emigranten bezeugt: „ [ . . . ] Der Sachverhalt ist so: Ich bin Kommunist - damals so wie heute - und wohnte etwa acht Monate im Hause Gides (Rue Vaneau 1). Die Frau André Malraux' hatte Gide die Erzählung gezeigt und als eine gute Arbeit empfohlen. Sie sagte dabei zu Gide: ,Ich wollte diese Geschichte übersetzen, aber ich mußte immer weinen, ich kann es nicht I' Darauf hat Gide die Geschichte gelesen (er konnte gut deutsch lesen) und den Entschluß gefaßt sie zu übersetzen. Zu diesem Zweck fuhr er in die Schweiz und hat in einem Gebirgshotel die Übersetzung gemacht. Er wurde deshalb sehr angefeindet von rechtsgerichteten Literaten. Einmal war ich bei einer solchen telefonischen Anfeindung zugegen. Gide sagte dem Feind das Folgende: ,Sie haben doch die Geschichte gelesen, wie ich hoffe? Und dann haben Sie nicht gemerkt, daß es eine ganz besonders gute Geschichte ist? Dann sind Sie ein Idiot!' Gide hängte den Hörer an. Inzwischen ist diese Erzählung vielmals gedruckt worden. Leider habe ich aus der Zeit bei André Gide keinerlei Dokumente. Ich mußte während der Hitlerzeit ab 1940 illegal in Deutschland leben und konnte mich deshalb nicht mit Dokumenten belasten, zumal ich eine internationale Widerstandskampfgruppe organisiert und bis zum Kriegsende geführt habe." 103] André Malraux (geb. 1901), Schriftsteller, Politiker, Spanienkämpfer, aktiv in der Résistance, 1947 Generalsekretär der französischen Nationalversammlung, 1959 Kulturminister. Werke u. a. : La condition humaine (1933), Le Temps du mépris (1937). 104] Victor Marguerite (1886-1942), Schriftsteller, sozial engagiert, Eingetreten für Emanzipation der Frau, friedliches Zusammenleben der Völker.

341

105

106] 107

108] 109] 110

111] 112 113

114 115

Louise Weiss war Sekretärin von Aristide Briand, der in Vorbereitung des Locarno-Vertrages 1925 die deutsch-französischen Verhandlungen mit Stresemann führte. Vgl. Louise Weiss: Ce que femme veut. Souvenirs de la III ème République. Paris 1946. Vgl. Wolfgang Klein: Schriftsteller in der französischen Volksfront. Die Zeitschrift Commune. Berlin 1978 (Literatur und Gesellschaft). Zur Revue des Deux-Mond.es vgl. Norbert Ohler: Deutschland und die deutsche Frage in der Revue des Deux-Mondes 1905-1940. Frankfurt/M. 1973. - Zeitschriften, in denen Artikel deutscher Antifaschisten erschienen, waren außerdem: Regards, in der u. a. Egon Erwin Kisch publizierte, Le Cabter bleu, zu deren Autoren Rudolf Leonhard gehörte, und Les Volontaires. - In diesem Kontext vgl. auch Les relations franco-allemandes 1933-1939. Paris 1976. Robert d'Harcourt (geb. 1881), Schriftsteller, zahlreiche Arbeiten über Literatur und Geschichte Deutschlands. Maurice Muret (1870-1954), Schweizer Essayist und Literaturkritiker. Arbeiten über ausländische Literaturen u. a. : Littérature allemande (1909). Armand Pierhai war Freund und Übersetzer von Ödön von Horvath. E r schrieb nach 1933 zahlreiche antifaschistische Artikel, darunter Ecrivains et artistes quittent l'Allemagne. I n : Les Annales v. 14. 4. 1933, S. 429 bis 430; Littérature hitlérienne. In: Revue de Paris v. 15. 10. 1936, S. 891-903. Louis Gillet (1882-1943), Kunstwissenschaftler, Mitglied der Académie Française. Louis Gillet: Une mesure pour rien. In: Le Point, September 1938, S. 156-157. Auszug aus einem Brief Rollands an Naoum Aronson vom 5. Dezember 1938. I n : Un beau visage à tous sens. Briefauswahl 1886-1944. Paris 1967, S. 357-358. Louis Parrot: L'Intelligence en guerre. Paris 1945, S. 4 2 - 4 3 . Der genaue Titel lautet: Les Bannis. Poèmes traduits de l'allemand par Armor. Introduction de Mauges. Editions de Minuit. Publication du Comité National des Ecrivains. Paris 1944.

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Zu dieser Ausgabe

Die vorliegende Ausgabe geht zurück auf die 1978 in Paris (Maspero) erschienene Publikation Le nazisme et la culture; sie erfuhr jedoch - da an andere Leser adressiert - einige Veränderungen: Der Autor hat speziell für die DDR-Ausgabe das Einleitungs- und das Schlußkapitel neu geschrieben (siehe dazu im einzelnen die Anmerkungen 2, 225 und 274 zum Textteil) sowie - dank neuer Materialaufschlüsse - einzelne Passagen im Text umgeformt bzw. ergänzt. Erweiterungen erfuhren auch die Anmerkungen - sowohl durch den Autor wie durch die Bearbeiterin. Es wurde darauf verzichtet, die Kleineren Ergänzungen durch den Autor jeweils zu kennzeichnen; ersichtlich ist jedoch die Herkunft der Anmerkungen: Diejenigen ohne Klammern stammen vom Autor; steht nach der Ziffer eine ], wurde sie von der Bearbeiterin hinzugefügt; ) kündigt an, daß die folgenden Angaben bzw. Quellennachweise z. T. vom Autor, z. T. von der Bearbeiterin stammen. Im Dokumentenanhang fehlen gegenüber der französischen Originalausgabe die Dokumente und Kommentare, die den Widerstandskampf der Schriftsteller im Exil belegen, da dieser - weitaus vollständiger - in DDR-Ausgaben dokumentiert und dargestellt ist (siehe dazu Anmerkung 77 zum Dokumentenanhang). Aus einem vergleichbaren Grund wurde auch auf den Anhang der französischen Ausgabe verzichtet: Er enthält Angaben (Chronologie u. ä.), die in Nachschlagewerken der D D R zugänglich sind. Zur Erleichterung für den Leser finden sich in unserer Ausgabe innerhalb des Textes Verweise auf die jeweiligen Dokumente im Anhang sowie im Dokumentenanhang Verweise auf die jeweiligen Passagen im Textteil.

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Personenregister

Abetz, Otto 246-248 255 256 319 335 337 Abusch, Alexander 282 Altendorf, Werner 188 Alverdes, Paul 249 Anacker, Heinrich 147 224 225 Andersch, Alfred 133 Anderson, Sherwood 27 Andres, Stefan 315 Aragon, Louis 266 271-272 336 Ardor (d. i. Walter Benjamin) 283 Arenhövel, Friedrich 198 Armor (d. i. Jean Tardieu) 273 Arndt, Ernst Moritz 282 Arnoux, Jacques 49 Aron, Raymond 25 278 Atz vom Rhyn (d. i. Arthur Rehbein) 198 Avenarius, Ferdinand 51 Bach, Johann Sebastian 34 170 197 Badia, Gilbert 17 340 Baeumler, Alfred 283 307 Balâzs, Béla 58 289 Barbusse, Henri 25 26 143 161 265 bis 226 267 268 312 340 Barlach, Ernst 113-115 118 211 233-234 Barrés, Maurice 43 146 317 318 Bartels, Adolf 5 0 - 5 1 52 83 140 145 259 286 305 Barthel, Max 198 Bassermann, Albert 302

344

Baudelaire, Charles 320 Bauer, Albert 218 Baumann, Hans 147 188 Baur, Wilhelm 121 Becher, Johannes R. 41 60 130 134 136 161 181 235 309 322 Becker 300 Beckmann, Max 302 Beethoven, Ludwig van 170 263 Beguin, Albert 153-154 Bellanger, Claude (Pseud. Mauges) 273 Belling, Curt 189 Belmondo, Paul 186 Benda, Julién 278 Benjamin, Walter (Pseud. Ardor) 38 148-149 283 295 Benn, Gottfried 65 71 90 112 126 bis 130 133 137 139 148-149 173 233 234-241 294 307 308 311 314 319 327 Benoist-Méchin, Jacques 186 323 bis 324 Bense, Max 311 Bergengruen, Werner 131 198 310 Bernanos, Georges 153 320 Bernhard, Georg 193 Bernhard, Ludwig 288 Bertaux, Félix 23 25 276 335 Berthelot, René 24 Bertram, Emst 128-129 305 307 Bestaux, Eugène 250 253 Betz, Maurice 258

Beumelburg, Werner 52 91 232 bis 234 Billinger, Richard 139 Binding, Rudolf G. 139 216 233 bis 234 269 315 Bismarck, Otto Fürst von 35 37 38 41 44 48 307 Bloch, Jean-Richard 26 67 266 312 340 Bloch, Marc 272 Bloem, Walter 52 198 Blond, Georges 255 Blum, Léon 278 Blümner, Rudolf 112 Blunck, Hans Friedrich 107 117 122 127 180 220 232-234 260 294 304 310 311 Böhme, Herbert 139 224 Bonnard, Abel 186 323 324 Bonté, Florimond 17 273 Borgmann, Hans-Otto 227 Bormann, Martin 187 Börne, Ludwig 272 Bouchard, Henri 186 Boucher, Maurice 335 Bourget, Paul 317 Boutelleau (d. i. Jacques Chardonne) 274 Brahms, Johannes 263 Bran, Fritz 335 Brasillach, Robert 186 248 323 Brecht, Bertolt 57 62 86 121 124 134-135 175 229 272 273 288 326 Bredel, Willi 134-136 272 312 Brehm, Bruno 253-254 Breitbach, Joseph 315-316 Breker, Arno 12 185-187 255 263 294 323 Brekle, Wolfgang 310 Bremer, Karl Heinz 221 254 Brenner, Hildegard 93 Briand, Aristide 341 Briessen, Fritz van 219

Brinon, Fernand de 150 180 248 319 Broch, Hermann 46 Brockmeier, Wolfram 224 Bröger, Karl 139 221 Bronnen, Arnolt 148-149 233 294 307 319 Bruckmann, Alfred 234 Bruhat, Georges 273 Brüning, Heinrich 161 Bucher, Adolf Lothar 156 Büchner, Georg 74 272 306 Burns, Robert 201 Busch, Fritz Otto 258 Byron, George Gordon Noël 201 Campagne, Jean-Marc 186 254 Cardinne-Petit, R. 252 Carli, Mario 68 Carossa, Hans 139 249 258 310 314 Carrà, Cario 69 Cassirer, Paul 71 Cassou, Jean 266 341 Cecchi, Emilio 253 Céline, Louis-Ferdinand 249 266 336 340 Cerruti,Vittorio 112 Cézanne, Paul 79 Chamson, André 247 266 335 Chardonne, Jacques (Pseud. Boutelleau) 186 257 263 274 Châteaubriant, Alphonse de 143 186 262 317 Chatellier, Hildegard 310 Chevreuse, Irène 192 Chirico, Giorgio de 245 Claudel, Paul 320 Claudius, Hermann 91 139 147 bis 148 224 318 319 Clemenceau, Georges 226 Cocteau, Jean 185 232 Collet, Clara 282

345

Courths-Mahler, Hedwig 149 165 284 Crémieux, Benjamin 25 278 Croce, Benedetto 66 Curtius, Ernst Robert 23 24 276 bis 277 Daniel-Rops, Henri (d. i. Henri Petitot) 24 278 Darré, Richard Walter 295 David, Claude 305 Decour, Jacques (d. i. Daniel Decourdemanche) 23 48 276 307 Decourdemanche, Daniel (Pseud. Jaques Decour) 276 Delamain 274 Delange, René 186 Demeure, Fernand 248-249 Derain, André 186 323 Desj'ardins, Paul 25 278 Despiau, Charles 186 187 323 Diebold, Bernhard 103 Dimitroff, Georgi 265 Döblin, Alfred 90 260 267 311 Domning 60 Dondel, Jean-Claude 186 Dongen, Cornelis van 186 Donguy, Georges 252 Doriot, Jacques 279 Drieu la Rochelle, Pierre 143 186 247 257 258 263 278 317 323 Drumont, Edouard 153 Dunoyer de Segonzac, André 186 257 Eckart, Dietrich 223 227 Eckermann, Heinrich 218 Ehrenburg, Hja 56 287 Ehrler, Hans Heinrich 139 Eisenstein, Sergej M. 31 63

189

281 Englert, Michael 147 Epting, Karl 250 254-256 337

273

Erler, Otto 90 Ernst, Paul 90 315 Erpenbeck, Fritz 312 Euringer, Richard 191 222 232 bis 234 Evola, Julius 240 Ewers, Hanns Heinz 229-232 305 Faber 248 Fabre-Luce, Robert 269-270 Fahrenkampf, Emil 234 Fallada, Hans 315 Faulkner, William 27 Fechter, Paul 89 Feininger, Lyonel 115 291 Fernandez, Ramon 25 29 253 257 278 279 Fest, Joachim 275 Feuchtwanger, Lion 13 134-135 272 290 330 Feyerabend, Erich 234 Fichte, Johann Gottlieb 142 Flake, Otto 233 Flaubert, Gustave 49 Flex, Walter 143 Förster, Elisabeth, geb. Nietzsche 307 Förster, Friedrich Wilhelm 193 Forzano, Giovacchino 297 Fraigneau, André 257 Franck, Karl 251 Franco y Bahamonde, Francisco 27 29 266 320 Frank, Leonhard 90 Frenssen, Gustav 52 91 218 232 bis 234 Freud, Sigmund 100 192 193 Frick, Wilhelm 62 63 83 87 115 163 180 290 299 302 Friedrich II., König von Preußen 48 193 Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg 88 Friesz, Othon 186 323 Fühmann, Franz 311

346

Fulda, Ludwig 88 Furtwängler, Wilhelm 234

74

95

130

Ganghofer, Ludwig 46 48 149 Gansser, Hans 227 Gaulle, Charles de 278 Gauthier, Maximilien 257 Gaxotte, Pierre 248 336 Genin, R.-E. 263-264 George, Stefan 91 128-129 216 238 253 305-306 308 330 Gide, André 232 266 277 309 320 341 Gillet, Louis 267 342 Giraudoux, Jean 247 335 Glaeser, Ernst 29 193 280 289 311 Gmelin, Otto 216 Goebbels, Joseph Paul 16 30 31 33 63 71 74 76 78-79 81 84 85 91 93-95 97-99 101-103 106 108 bis 110 112 115-118 130 132 149 154 171 174-176 187 189 192 195 bis 196 200 203-204 208 209 216 219 223 229 232 235 239 256 261 bis 262 269 281 288 293 29: 298 299 300 305 308 324 Gobineau, Joseph Arthur de 153 Gogh, Vincent van 79 Gold, Michael 27 Göring, Edda 187 Göring, Hermann 78 86 112 187 209 269 300 Goethe, Johann Wolfgang 24 34 88 123 194 201 217 223 232 247 253 254 260 277 315 Graener, Paul 87 Graf, Oskar Maria 135 146 318 Grander, Claude 153 220 Grautoff, Otto 246 335 Greber, Jacques 186 Griese, Friedrich 218 232 315 316 Grimm, Hans 315 316 Griiini, Wilhelm 182 347

Grohmann, Will 328 Grosz, George 62 118 161 Grote, Hans Henning 198 Guehenno, Jean 25 247 278 Guerin, Alain 273 Gundolf, Friedrich 91 Günther, Hans F. K. 62 163 181 290 299 Guy-Grand, Georges 25 279 Haarer, Johanna 119 Hadamovsky, Eugen 94 Hagen, Hans W. 317 319 Halbwachs, Maurice 273 Händel, Georg Friedrich 197 Hanfstaengl, Eberhardt 234 Haensel, Carl 198 Harcourt, Robert d' 267 342 Harden, Maximilian (d. i. Maximilian Felix Ernst Witkowski) 156 Harlan, Veit 300 Harnack, Arvid 309 Hasek, Jaroslav 161 Hasenclever, Walter 61 Hauptmann, Gerhart 88 Hautecoeur, Louis 186 Havemann, Gustav 234 Hebbel, Friedrich 253 Heckel, Erich 234 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 142 272 307 Hegemann, Werner 193 Heidegger, Martin 142 Heiden, Konrad 78 Heine, - Heinrich 37 104-105 127 194 201-202 256 272 330 Heike, Fritz 72 304 Hemingway, Ernest 27 Herczeg, Geza 297 Hermlin, Stephan 15 Herzen, Alexander 38 Herzfelde, Wieland 61 135 161 Herzog, Friedrich W. 188 286 316 Herzog, Rudolf 141-142

Heß, Rudolf

98

Heuss, Theodor 289 Heynicke, Kurt 223 Hicks, Granville 29 280 Hiller, Kurt 234 288 Hindemith, Paul 63 117 Hindenburg, Paul von 44 170 233 284 295 296 301 Hinkel, Hans 87 96 Hitler, Adolf 12 16 27 30 32 33 37 39 40 43 46 48 49 50 51 63 66 72 7 5 - 7 6 7 8 - 8 0 81 8 3 - 8 5 92 bis 93 97 105 106 107 109 110 115 116 118 119 120 121 122 123 126 127 129 131 136 137 139 140 141 142 143 150 153 154 162 163 167-172 173-174 175 176 177 bis 180 183 189 190 195 207 209 216 218 219 220 224 225 226 227 228 229-231 232 233 237 241 248 249 254 256 266 267 268 269 287 293 294 295 296 298 299 300-301 303 305 308 313 319 324 331 Hochhuth, Rolf 12 Hofer, Karl 113-114 242-244 292 302 Hoffmann, Heinrich 172 Hölderlin, Friedrich 74 253 272 306 Holz, Arno 88 Hönig, Eugen 112 234 Hoernle, Edwin 285 288 Horväth, Ödön von 342 Huch, Ricarda 88 90 131 Hugenberg, Alfred 53 5 6 - 5 7 116 287 300 Ihlert, Hans

234

Jahn, Bruno H. Jahn, Friedrich

198 Ludwig

bis 283 Jahn, Moritz 220 Jalous, Edmond 335 Janin, Jean 186

3 7 - 3 8 282

Johst, Hanns 71 105 117 123 140 bis 141 147 148 164-165 218 225 bis 226 233-234 239 260 300 302 Jouhandeau, Marcel 257 Jourdain, Francis 266 Juin, Hubert 231 Jung, Edgar 129 Jünger, Ernst 51 52 91 129 137 143 258 306 307 309-310 313 314 Jünger, Friedrich Georg 129 306 307 Kaiser, Georg 324 Kamnitzer, Heinz 282 Kandinsky, Wassili 62 97 118 Kästner, Erich 62 193 Kauffmann, Fritz Alexander 80 184 323 Kautsky, Karl 192 193 Kerr, Alfred 193 Kesten, Hermann 311 Kindermann, Heinz 215 Kirchner, Ernst Ludwig 65 113 Kisch, Egon Erwin 272 312 342 Kläber, Kurt 60 Klages, Ludwig 307 Klee, Paul 97 118 Klein, Ernest 223 Klein, Richard 123 Klein, Wolfgang 313 Klemperer, Otto 95 Klitzsch, Ludwig 287 Köhler, Gerhard 214 Kokoschka, Oskar 302 303 Kolbe, Georg 234 Kolbenheyer, Erwin Guido 90 139 141 146 233-234 269 Kollwitz, Käthe 89 Konopath, Hanno 299 Konrig, Friedrich Franz von 198 Korrodi, Eduard 132 Kossima, Gustav 181 Krauss, Werner 233-234 Krieck, Ernst 197 Krolow, Karl 311

348

Küchel, Alfred 187 Kuckhoff, Adam 309 Kurella, Alfred 239 298 Kurlbaum-Siebert, Margarethe

198

Lagarde, Paul de 35 50 Lagerlöf, Selma 294 Lahs, Kurt 87 Landowski, Paul 186 Lang, Fritz 106 189 324 Langbehn, Julius 35 50 52 292 Langenbucher, Hellmuth 96 215 217 Lapouge, Vacher de 153 Lask, Berta 60

Lörcher, Karl 234 Loerke, Oskar 233 Luchaire, Jean 247 Ludendorff, Erich 163 Ludwig, Emil 193 272 290 313 329 bis 332 Ludwig II., König von Bayern 46 48 168 Lukàcs, György (Georg) 165 233 292 307 322 Lunatscharski, Anatoli Wassiljewitsch 245 Luther, Martin 104 153 218 Luxemburg, Rosa 42 306

Lasne, René 250 253 256 258 274 Lassalle, Ferdinand 156 Laubinger, Otto 223 Laurent, René 163 Lavastine, Philippe 148 L e Bon, Gustave 154 320 L e Corbusier (d. i. Charles Edouard Jeanneret) 62 69 Lefebvre, Henri 307 Legueult, Raymond 186 Lehmann, John 27 Leisner, Emmi 201 Lejeune, Louis 186 Lenin, Wladimir Iljitsch 168 Lenk, Franz 234 Lenormand, Henri-René 253 Leonhard, Rudolf 298 312 342 Lersch, Heinrich 91 221 234 319 Lessing, Gotthold Ephraim 89 Lewis, Sinclair 27 Ley, Robert 16 107 115 120 122 204 206-208 301 Lichtenberger, Henri 25 278 279 335 Liebermann, Max 71 243 Liebknecht, Karl 42 161 Liebknecht, Sophie 306 List, Friedrich 36 Loeff, Wolfgang 198 Löns, Hermann 52 Lorbeer, Hans 161 322

349

Macciocchi, Maria-Antonietta 291 Macke, August 114 Mahraun, Arthur 283 306 Maillol, Aristide 185 186 323 Makart, Hans 48 Malraux, André 266 341 Mann, Golo 135 Mann, Heinrich 13 43 8 9 - 9 0 96 100 134 136 193 229 267 272 286 289 312 315 330 Mann, Klaus 13 133 135 237-239 241 316 Mann, Thomas 52 62 88 89 90 96 103 132-134 149 267 272 290 302 305 311 319 329 330 335 Mantau-Sadila, Hans Heinz 92 198 Maraun, Frank 65 Marc, Franz 97 118 March, Walter 234 Marchwitza, Hans 134 Margueritte, Victor 266 341 Marinetti, Filippo Tommaso 67-68 70 112 143 238 253 303 Marlitt, E. (d. i. Eugenie John) 284 Marx, Karl 100 156 192 193 234 Maspero, Henri 273 Maeterlinck, Maurice 43 Mauclair, Camille 264-265 Mauges (d. i. Claude Bellanger) 273

Maurras, Charles 320 May, Karl 48 149 285 Meckel, Eberhard 198 Meeüs, Adrien de 152 320 Meyer, Alfred 233 Meyer, André 141 250 259-261 Michelangelo Buonarroti 78 Michelfelder, Christian 187 Miegel, Agnes 234 258 Mittenzwei, Werner 311 Mnouchkine, Ariane 13 Molière, Jean Baptiste 13 Möller, Eberhard Wolfgang 191 223 Moeller, Ferdinand 114 115 Moeller van den Bruck, Arthur 306 314 Molo, Walter von 232 311 315 Moltke, Helmuth von 41 Montherlant, Henry de 247 253 258 336 Montinari, Mazzino 307 Moore, Thomas 201 Morgan, Claude 340 Mosen, Julius 201 Mounier, Emmanuel 24 278 Mozart, Wolfgang Amadeus 243 263 Mühsam, Erich 86 286 Müller-Blattau, Joseph 188 Müller, Hermann 287 Mulot, Arno 217 219 Münchhausen, Börnes von 130 145 234 308 Münchow, Ursula 318 Münzenberg, Willi 59 288 Muret, Maurice 267 342 Musil, Robert 272 Mussolini, Benito 25 27 30 49 66 bis 69 79 88 116 154 231 256 265 297 320 Nadler, Josef 149 215-217 Nagel, Otto 292 Napoleon I. Bonaparte 37 Neumann, Franz 296

Neurath, Konstantin von 113 Nicolai, Helmut 295 300 320 Niemöller, Martin 131 Nietzsche, Friedrich 36 47 128-129 142 144 234 305 307 308 Nippold, Otto 190 Nizan, Paul 266 Nolde, Emil 71-72 113-116 233 bis 234 292 Olden, Balder 125 280 305 Ory, Pascal 324 Ossietzky, Carl von 61 86 156 193 330 Ossorio y Gallardo 322 Ottwalt, Ernst 156 Oudot, Roland 186 Pabst, Georg Wilhelm 63 289 Pady, Jacques 248 Papen, Franz von 116 295 301 Papini, Giovanni 69 Pareto, Vilfredo 321 Parrot, Louis 255 272 Paulhan, Jean 277 278 Pechel, Rudolf 129 Pechstein, Rudolf 114 292 Peguy, Charles 320 Perret, Auguste 186 Pérusat, Jean-Marie 317 Pétain, Henri-Philippe 246 Petersen, Jan 130 135 309 Petitjean, Armand 278 Petitot, Henri (Pseud. Henri DanielRops) 278 Petzold, Joachim 308 Pfeiffer, Richard 288 Pfemfert, Franz 234 286 Pfitzner, Hans 234 Pfund, Paul 234 Philippon, René 252 Picasso, Pablo 185 302 Pieck, Wilhelm 133 301 Pierhai, Armand 267 329 342

350

Roth, Joseph 312 315-316 Rousseaux, André 256 340 Roussel, Hélène 312 Rubiner, Ludwig 286 Rückert, Friedrich 201 Rülcker, Christoph 319 Rüge, Arnold 156 Rust, Bernhard 87 89 90 105 112 209

Pinder, Wilhelm 234 Pirandello, Luigi 278 Piscator, Erwin 59 289 Pitrou, Robert 258 Pius IX. 44 Politzer, Georges 272 Pommer, Erich 55 Ponten, Josef 232 Prezzolini, Giuseppe 6 8 - 6 9 Pudowkin, Wsewolod J. 63 Raabe, Wilhelm 51 Rabuse, Georg 256 258 274 Rambures, Jean-Louis de 313 Rathenau, Walter 60 Raucheisen, Michael 201 Rauschning, Hermann 40 48 183 283 Rehbein, Arthur (Pseud. Atz vom Rhyn) 198 Reimann 60 Reinhardt, Max 95 162 Remarque, Erich Maria 63 143 162 193 272 330 Rembrandt van Rijn 50 Renn, Ludwig 61 272 312 Richard, Lionel 11-20 275 276 321 329 Richter, Hans 58 198 Riefenstahl, Leni 189 324 Rilke, Rainer Maria 34 253 258 Rilla, Paul 18 Rimbaud, Jean Nicolas Arthur 320 Rivière, Jacques 152 277 320 Rohe, Mies van der 233-234 Rohlfs, Christian 114 Röhm, Ernst 98 115 116 129 239 Rolland, Romain 36 267-270 282 320 ~ Romains, Jules 247 335 336 Rosenberg, Alfred 16 61 62 63 74 bis 77 78 84 97-100 101 108 114 bis 118 181 188 191 208-209 210 216 217 232 239 293 299 302 308

351

Sachs, Nelly 11 Saint-Exupéry, Antoine-Marie-Roger de 79 Saint-Jean, Robert de 315 Sainte-Beuve, Charles Augustin de 276 Salomon, Ernst von 306 Sandburg, Carl 27 Sanguineti, Eduardo 69 Sartre, Jean Paul 232 Sassmann, Hanns 297 Schacht, Hjalmar 113 Schäfer, Wilhelm 90 315 Schaeffer, Albrecht 315 Scheel, Klaus 290 Scheer, Maximilian 13 Scheibe, Richard 185 Schemm, Hans 96 190 Schi ekele, René 234 Schiller, Friedrich 74 190 292 331 Schillings, Max von 89 Schirach, Baidur von 7 8 - 7 9 119 139 147 169-170 227 286 Schlageter, Albert Leo 225-227 300 Schlemmer, Oskar 302 Schlumberger, Jean 2 3 - 2 4 28 276 277 279 Schmidt, Dieter 302 Schmidt 262 Schmidt-Rottluff, Karl 113-114 Schmitz, Walter 305 Schneider 225 Schneider, Reinhold 131 310 Scholz, Robert 73 210 245

Scholz, Wilhelm von 88 145 315 Schrade, Hubert 183-184 Schreiber, Otto Andreas 113-116 Schröder, Kurt 301 Schroeder, Max 298 Schtschukin 302 Schubert, Franz 34 194 263 Schüddekopf, Otto Ernst 129 Schultze-Naumburg, Paul 51 62 63 72 172 234 Schulze-Boysen, Harro 309 Schumann, Gerhard 101 147 Schumann, Robert 194 201 272 Schwarz van Berk 203 Séché, Alphonse 254 Seghers, Anna 59 135 272 298 312 321 Seghers, Pierre 273 Seidel, Ina 145 149 Seillière, Ernest 317 Seitz, Robert 198 Seldte, Franz 284 Selke, Rudolf 287 Senger, Alexander von 62 Settimelli, Arrigo 68 Soergel, Albert 198 Soffici, Ardengo 69 Solari, Pietro 252 Sorel, Georges 154 155 320-321 Spann, Othmar 61 Speer, Albert 12 33 80 185 187 294 Spengler, Oswald 142 314 330 Spenlé, Jean-Edouard 41 262 Spinoza, Benedikt 330 Spitta, H. 188 Spitteier, Carl 51 Staël, Anna Louise Germaine de 152 Stapel, Wilhelm 90 129 214 Staufenberg, Claus Graf Schenk von 129 Stehr, Hermann 145 234 315 316 Steiner, George 34 Stengel von Rutkowski, Lothar 314

352

Stoffregen, Götz Otto 92 198 Strasser, Gregor 114 116 294 Strasser, Otto 114 306 Strauß, Emil 90 141 146 216 218 219 Strauß, Johann 201 263 Strauß, Richard 117 234 Strawinsky, Igor 63 Stresemann, Gustav 342 Stuck, Franz von 124 Suarès, André 153 Svevo, Italo 278 Tacitus, Publius Cornelius 271 Tappert, Georg 87 Tardieu, Jean (Pseud. Armor) 273 Thälmann, Ernst 156 265 Thérive, André 257 340 Thielmann, Alexandra 226 Thielmann, Friedrich 226 300 Thieß, Frank 311 Thoma, Hans 97 218 Thorak, Josef 233-234 Thyssen, August 56 300 Tietjen, Heinz 88 234 Togliatti, Palmiro 290 304 Toller, Ernst 86 273 290 Toeplitz, Jerzy 286 Treitschke, Heinrich von 35 194 Troost, Paul Ludwig 48 303-304 Tucholsky, Kurt 61 62 193 273 Turek, Ludwig 341 Ulbrich, Franz Ludwig 88 Unfried, Emü 288 Unruh. Fritz von 90 273 324 Vaillant-Couturier, Paul 336 Vanderpyl, Fritz 254 Vasari, Ruggero 112 244-245 303 328 Vermeil, Edmond 307 Vesper, Will 90 96 140 220 233 259

Vienot, Pierre 25 246 278 335 Vittorini, Elio 67 Vlaminck, Maurice de 186 Vorster 285 Waggerl, Karl Heinrich 218 Wagner, Adolf 170 Wagner, Martin 89 Wagner, Richard 43 180 189 243 272 Walter, Bruno 95 Walter, Jean 186 Wassermann, Jakob 90 290 Wedekind, Frank 272 Weidemann, Hans 113 115-116 234 Weigel, Helene 321 Weinert, Erich 60 134 283 Weinmüller, Adolf 234 Weisenborn, Günter 13 126 131 Weiskopf, Franz Carl 136 Weismantel, Leo 233 Weiss, Louise 267 341 Weiß, Wilhelm 95 203 Wells, Herbert George 27 Werfel, Franz 90 267 272 273 Werner, Bruno E. 198 233 Werner, Ferdinand 94 Wessel, Horst 119 188 227 229 305 Wiechert, Ernst

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Faschismus

Wienand, Hans 198 Wilder, Thornton 27 Wilhelm II., deutscher Kaiser 25 37 39 42 4 6 - 4 7 48 50 52 100 127 168 232 313 Willrich, Wolfgang 97 Winckler, Josef 139 Winnig, August 2 2 1 - 2 2 2 Wintermayer, Eduard 253 Wirth, Joseph 55 Wittfogel, August 322 Wolf, Friedrich 61 136 Wolf, Konrad 11 16 19 318 321 Wolff, Theodor 193 Zabloudowsky, Regina 40 Zangwill, Israel 305 Zehrer, Hans 130 Zelter, Carl Friedrich 88 Zerser 139 Ziegler, Adolf 72 97 303 Ziegler, Hans Severus 63 294 Ziegler, Matthes 181-182 Zillich, Heinrich 259-260 Zobeltitz, Hans Caspar von 198 Zola, fimile 28 50 Zweig, Arnold 13 96 Zweig, Stefan 96 117 267 273 290 330

131 310

353