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German Pages 300 Year 2014
Strukturen und Schauplätze der Gestik
Florens Deuchler
Strukturen und Schauplätze der Gestik Gebärden und ihre Handlungsorte in der Malerei des ausgehenden Mittelalters Mit einem Exkurs zum “Bildwissen”
DE GRUYTER
Den Enkeln Rebecca und Tommaso, Cosima und Afonso.
ISBN 978-3-11-031814-2 e-ISBN 978-3-11-031829-6 Library of Congresss Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied at the Library of Congress. Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin / Boston Umbruch und Gestaltung: Rufus Deuchler, Impruneta Umschlagbild: Villard de Honnecourt, Bauhüttenbuch, Fall des Hochmuts, um 1235. Paris, Bibliothèque de France Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis VORWORT ALTE UND NEUE WEGE ZUM THEMA 1 ZUM UMFELD DER BEGRIFFE STIL UND GESTIK Das Kunstwerk als historische Quelle – Dichtung und bildende Künste – Stil – Vorbedingungen zur Ausbildung – Wie wird man faber und artifex? – Väter und Söhne – Künstler wandern – Historische Stilbezeichnungen – Passagen zum vorstellbaren Raum – Grundlagen zum Wandel – Wende – Welt und Gegenwelt – Der Zeithorizont – Zum tatsächlichen Stand der Überlieferung – Zeitliches Umfeld und geographische Bereiche. Zum genius loci – Werke wandern – Mittlerrollen BUCH- UND WANDMALEREIEN ALS HISTORISCHE QUELLEN 19 DREI REFERENZWERKE 1. Der Ingeborgpsalter 19 Handgesten im Psalter – Allgemein verständliche Gebärden. Augendialog als Teil der Gestik – Gebärden, die Schriftquellen vorgeben oder nahelegen 2. Die Manessische Liederhandschrift 24 Zur Frage der Autorschaft – Der Zeitrahmen – Die manessische Beweglichkeit –Architektur und Raum 3. Die Wandmalereien in der Torre Aquila in Trient 28 Datierungsfragen – Zum Profil der Werkstatt und ihres Leiters – Landschaften – Die “Generation 1400” – «Die stille Form» – Künstlerheimat und “Vaterland” STRUKTUREN UND TRÄGER DER GESTIK 39 Voraussetzungen – Zur Dekodierung und Deutung der Gestik – Handlungsrichtung und Bildlesung NOTATE ZUM KÖRPER UND ZUR DARSTELLUNG SEINER GLIEDER 43 Der nackte Körper – Corpus humanum als strukturelle Einheit – Die Rückenfigur – Antlitz, Kopf und Hals – Augen, Augen-Blicke – Ohren – Wangen, Mund und Lippen – Nase und Kinn – Mienenspiele – Brüste und Busen – Hände und Finger – Arme und Beine – Füße – Monster und das Nicht-Darstellbare – Das Porträt – Das Selbstporträt – Das Autorenporträt – Grundlinien in der Gesichtsdarstellung von 1200 bis 1500
VI – Inhaltsverzeichnis FORMEN DER GESTIK UND REGIE DER SCHAUPLÄTZE 68 Die konventionelle Gestik in Alltag und Arbeit – Der Turm zu Babel – Feldarbeit in Monatsbildern – Lyrische Gestik verso il vivo. Anmut, Zärtlichkeit und Liebesbeweis – Inspirationsgesten – Kraftakte – Sportliche Kurzweil und Spiel – Kühne und einmalige Bewegungen – Pathos – Unkontrollierte und schreckhafte Gestik. Emotionale Ausnahmesituationen – Allegorische und Theatergestik. Amors Wunden – Ein Modellfall: Theophilus Presbyter – Ungeklärte Gesten und Irrtümer – Unterschiedliche Zeitpunkte innerhalb der Erzählung EINZEL- UND GRUPPENDYNAMIK 80 Der Monolog – Dialog der Liebespaare – Tristan und Isolde –Abélard und Héloïse – Traum und Vision – Annäherungen, Umarmung und Kuß – Belehrende und verführerische Gespräche – Gemeinsame Bäder und Betten – Ehepaar- und Familienbild – Spielszenen – Massen und Getümmel GESELLSCHAFTLICHES GEHABE UND SOZIALE DYNAMIK 88 Der urbane Mann – Das ideale Bild der Frau – Höfische Minne. Spielarten des Adels – Eine ideale Gemeinschaft: Artus’ Tafelrunde – Berühmte Helden, Heilige, Männer und Frauen – Weltliche und antike Stoffe – Gegenwelten: Landleute, Bürger, Bettler, Pilger, Einsiedler und Zigeuner – Glaube, Aberglaube, Wunder und Leiden – Historia calamitatum – Zahlensymbolik GARDEROBEN FÜR KLEIDUNG UND TRAVESTIE 99 Kleidung und Kostümierung – Verkleidung – Kaiser Maximilian I. als Herkules und heiliger Georg – Weitere Notate zur Travestie – Schminke als Verkleidung – Lachen, Humor und Spott – Lug und Trug – Wortwitz und Bildwitz: Vom Sprichwort zur Bildmetapher REQUISITEN DER ZEITDARSTELLUNG 107 Der Augenblick. Die Momentaufnahme – Der Zufall – Zwischen Fiktion und Realität DAS DEKORATIVE BEIWERK MODE UND MODEN 111 Kritik am Schmuck – Haartracht und Bart – Kopfbedeckungen – Schmuck, Ringe, Kränze und Bänder – Brillen TEXTILIEN UND LEDERWERK 117 Stoffe und Kleidung – Mäntel – Gürtel – Schuhwerk – Spiegel und Kästchen – Turnier- und Kriegsrüstung REQUISITEN DER BILDBÜHNE UND ARCHITEKTURKULISSEN 122 Zierstoffe, Teppiche, Tapisserien – Bibliotheken und Bücher als Attribute des Gelehrten
Inhaltsverzeichnis – VII DIE WAHL DER FARBE 124 Signalfarben – Blau – Blond – Braun – Gelb – Gold – Grau – Grisaille – Grün – Rot – Schwarz – Weiß – Licht, Schatten und Farbe DIE NATUR ALS SCHAUPLATZ UND HANDLUNGSORT 131 Die Rolle der Natur. Gestaltete Landschaft – Gärten – Grotten – Jahreszeiten – Sinnbilder des Gartens. Locus amoenus – Quellen – Blumen – Bäume und Wald – Lob der Linde – Tiere – Tierdarstellungen – Gesang der Vögel – Der Falke – Schoßhündchen und andere Hunde MUSIK UND TANZ 145 ZWISCHEN ARS ANTIQUA UND ARS NOVA Kirchenmusik – Weltliche Sänger, Musikanten und ihre Instrumente – Feste und Gelage – Tanz und Tänze EXKURS ZUM “BILDWISSEN” 155 VOM UMGANG MIT VORBILDERN. EINE ZUSAMMENFASSUNG Wissen und Erinnerung – Leitbilder des Wissens – Buchwissen – Spuren oder Spiegelungen der Institutio oratoria? –Mündlich weitergegebenes Wissen – Bilderschatz–Wortschatz – Museales Bildwissen BIBLIOGRAPHIE 165 Abgekürzungen, abgekürzt zitierte Spezialuntersuchungen, Catalogues raisonnés, Gesamtausgaben, Lexika und Tageszeitungen 165 Ausstellungskataloge und -publikationen 166 Museen und Handschriftenabteilungen (in Standortangaben) 169 Zitierte antike, frühchristliche und byzantinische Texte 170 Zitierte mittelalterliche und Renaissance-Texte 171 1. Sammelwerke und Übersichtsdarstellungen 171 2. Einzeln zitierte Autoren und Werke (Mittelalter und Frührenaissance) 172 Neuere sowie weiterführende Forschungsliteratur 175 REGISTER 197 Personenregister 197 Sachregister, Worterklärungen, Definitionen 215 Topographisches und geographisches Register 231 Zeittafel 1096–1545 235 BILDTAFELN 239 Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise 279 NACHWORT UND DANK 285
Vorwort Die hier vorgelegten Texte sind als Notate im Verlaufe der letzten sechs Dezennien am Rande anderer Themen entstanden. Sie entwickelten sich zu Notizen, schließlich zu umfangreicheren Überlegungen, die nicht in erster Linie menschliche, oft unmotivierte Ur-Motorik und entsprechende Automatismen ins Auge fassten, sondern vielmehr Fragen nachzugehen suchten, die der bewußten Darstellung individueller Körperhaltungen und Körperbewegungen galten. Wie wichtig entsprechende Aspekte im ausgehenden Mittelalter waren, belegt beispielsweise ein Text von Petrarca, der Laura an ihrem Gang wiederzuerkennen hoffte (S. 46). Jetzt, in ein Programm gefügt, gewähren sie Einblicke in Zusammenhänge, die Gesten und Gebärden zu schöpferischen Aussagen machen und sich aus der anonymkollektiven Unverbindlichkeit zu Botschaften personifizierter Rhythmik und Eurythmie steigern. Im gewählten Zeitrahmen (1200–1500) geht es um Fragen der Körperhaltung, Körperbewegung und um deren Schauplätze, denn menschliche Bewegungen – besonders dann, wenn sie Absichten signalisieren – schaffen entsprechend zugeschnittene Aktionsräume. Wie sind letztere ausgestattet, gestaltet und wie haben sie sich im Laufe der Zeit anverwandelt oder entwickelt? ❧ Die folgenden Gedankengänge, von visuellen Bedürfnissen feudaler Gesellschaftsund Verhaltensstrukturen zum Bildbedarf bürgerlicher Organisations- und Lebensformen überleitend, verbergen dabei nicht persönliche Bedenken allgemeiner Art hinsichtlich kunstgeschichtlicher “Mittelalterforschung”. Ich werde diese Zweifel – ebenfalls seit Jahrzehnten in meinen Überlegungen in Betracht gezogen – zu begründen suchen und Vorbehalte darlegen. Sie lauten, vorderhand kurz umschrieben, wie folgt: Der Historiker steht, ähnlich wie der klassische Archäologe, vor einem Trümmerberg, der, trotz materiellen Umfangs, aus überwiegend zufälligem Strandgut besteht. Im Vorwort zu seiner Europäischen Kunstgeschichte stellte Peter Meyer fest: «Vor unseren Augen ist vom Erbe der europäischen Kunst mehr zu Asche verbrannt und in Schutt gesunken, als die Nachlässigkeit gleichgültiger Jahrtausende verfallen ließ und die Wut früherer Katastrophen zerstörte» (1947, S. 5). Schätzungen sprechen davon, daß vielleicht überhaupt nur wenige Prozente von dem im Laufe der Zeiten Geschaffenen auf uns gekommen sind. Und doch tut man so, als sei bei einer Bestandsaufnahme des tradierten Gutes alles vollständig und ohne störende Fehlstellen erhalten. Emil Maurer schließt 1989 einen Aufsatz über die Fresken in der Florentiner Carmine-Kirche folgendermaßen:
X – Vorwort
Abb. 1 Christus vor Pilatus. Detail aus der Wandmalerei im Oratorio di San Bernardo, Chiaravalle Milanese. Um 1460.
Vorwort – XI «Wäre der Brancacci-Zyklus um 1690 [durch Brand] oder 1771 [durch Umbauten] untergegangen, wie falsch wäre heute die Kunstgeschichte der Renaissance geschrieben? Wie viel falscher, als sie ohnehin falsch geschrieben ist? Es genügt ja, Vasari zu lesen, um sich die zahllosen Verluste an Hauptwerken aus dem Quattrocento bewußt zu machen. Die Kunstgeschichte ist eine Konjekturen- und Scherbenwissenschaft, nicht anders als die Archäologie, jedoch ohne es sich selber einzugestehen» (Maurer 1992, S. 17).
Überliefertes zeigt sich in vielen Fällen als schlecht erhalten, abgerieben, übermalt, restauriert, gerade noch lesbar, zerbrochen, ergänzt, irrtümlich oder bruchstückhaft gekittet. Vorsätzlich wählte ich als Titelbild und Anhaltspunkt den 1988 entdeckten, beschädigten Christuskopf der Abtei von Chiaravalle Milanese (Abb. 1). Auch keines der drei in den Mittelpunkt gestellten Denkmale ist vollständig erhalten. Den teils verstümmelten Handschriften fehlen die originalen Einbände; im Zyklus der Jahreszeiten in Trient ging ein Monat verloren. ❧ Im Laufe der Darlegungen bin ich meinen Zettelkästen “im alten Stil” gefolgt; Wiederholungen sind daher nicht ausgeschlossen, bisweilen – wissentlich und anders artikuliert – stehen gelassen. Die Themen sind, trotz ihrer Fülle, jedenfalls keineswegs erschöpft, sondern, wie ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt, lediglich erneut angestoßen, auch wenn mich der Stoff seit 1961 in Abständen immer wieder beschäftigt hat. Ich verhehle ebensowenig, daß ich dem Charme eines “Notizbuchs” nicht ausgewichen bin. Es geht ja nicht um einen roten Faden, sondern um punktuell behandelte Gesichtspunkte über einem gemeinsamen Nenner; um Aspekte, die sich je nach Lesart zu einer Kette fügen mögen. Die Aufarbeitung des Manuskripts bot außerdem die Möglichkeit einer nochmaligen Auseinandersetzung mit Marcus Fabius Quintilianus, von dem ich vermute, daß er, so vor allem im 14. Jahrhundert, dank seiner Institutio oratoria besonders viele aufmerksame Leser hatte; davon ist im Exkurs zusammenfassend nochmals die Rede. ❧ Im Buch Jesus Sirach (Liber Ecclesiasticus, um 180/170 v. Chr.) 18, 6 liest man die Mahnung: «Cum consummaverit homo, tunc incipiet. Et cum quieverit, apporiabitur.»
XII – Vorwort In der Übertragung von Martin Luther heißt dies: «Aber ein Mensch, wenn er gleich sein Bestes getan hat, so ists noch kaum angefangen; Vnd wenn er meinet, er habs volendet, so feilet es noch weit.»
Dessen bewußt und eingedenk, habe ich das Manuskript im Mai 2013 zu einem Abschluß gebracht. Danksagungen an Helfer und Musen finden sich im Nachwort.
Alte und neue Wege zum Thema Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik
Das Kunstwerk als historische Quelle. Im Überlebenskampf ist der Mensch genötigt, sich zu bewegen und tätig zu werden. Um diesen Willen und die dahinter verborgenen Absichten den Artgenossen, Gottheiten und Tieren kundzutun und nachvollziehbar zu machen, bedient er sich, neben guten Worten, ebenso vieler Gebärden. Jede Generation stellt, unter stets wechselnden Ansprüchen, an die individuelle und kollektive Gestik neue Anforderungen. Blättert man in der Geschichte entsprechend zurück, so kann der jeweils befragte Zeuge Lebenszeichen vermitteln und Auskunft erteilen. Günter Bandmann (1917–1975) beschrieb diese Frage, die Gewichte verlagernd, einmal wie folgt: «Als geschichtliches Gebilde hat das Kunstwerk einen ganz bestimmten, so nicht wiederkehrenden geschichtlichen Ort, der durch epochale Tendenz, Landschaft, Nation, Stamm, Glaubensmeinung, politische und soziale Umstände, Verwendungszweck und vieles andere gekennzeichnet ist. Mehr oder weniger sind diese Faktoren im Kunstwerk niedergeschlagen und integriert; sie können durch entsprechende methodische Analyse isoliert und als historische Bedingungen und Mächte bewußt gemacht werden. Insofern trägt das Kunstwerk etwas aus vergangenen Situationen in unsere Gegenwart, worüber vielleicht alle anderen historischen Quellen schweigen. In der Erscheinung des Kunstwerks, in seinem Typ, seiner Gattung, im Einzelmotiv, aber auch in Struktur und Gesamtstil ist uns etwas anschaulich zur Verfügung gestellt, was einst lebendiger Antrieb, Sprachmittel oder auch nur passiv gegebene Möglichkeit war. Wir können also, um vom Menschen und seiner Geschichte etwas zu erfahren, das Kunstwerk als Quelle benutzen» (Bandmann 1962, S. 147).
Dichtung und bildende Künste. Wenn man zusätzlich den folgenden und nicht überholten Satz von Franz Wickhoff (1853–1909) zu verallgemeinern wagt, so wird außerdem ersichtlich, warum in der consecutio temporum geistesgeschichtlicher und künstlerischer Entwürfe Werke der Dichtung chronologisch vor denjenigen der Kunst zu berücksichtigen sind.1 Wickhoff schreibt: «Wohl aber hinkt die bildende Kunst der eiligen Phantasie des Dichters oft langsam nach, weil ihre schwierigen Mittel der Darstellung erst allmählich gefunden oder erlernt werden, und manche Völker sind niemals dazu gelangt, die ganze Summe von 1 Dieses Problem beschäftigt die Forschung bis in den italienischen Humanismus hinein. Dazu grundlegend die Arbeiten von Witt 2000 und 2012.
2 – Alte und neue Wege zum Thema Anschauung, die sie in ihrer Poesie niederlegten, auch bildlich auszugestalten und der Nachwelt zu überliefern» (Wickhoff 1912, S. 2).
Selbst wenn hier dem Bild, im Sinne von Bandmanns Äußerungen, kunstgeschichtliche Vortrittsrechte zugestanden werden, gehört das Aufsuchen zeitgenössischer Texte, die zu bildlichen Darstellungen führen und mit ihnen, gemäß damaliger Ansprüche und Vorstellungen, übereinstimmen und somit in ihre zeitliche Nähe gehören oder sie gar vorbereiten und dementsprechend erhellen, zu einem wesentlichen Bestandteil der nachfolgenden Kapitel; ebenso die Beziehungen zu möglichen Anregungen aus dem im Mittelalter allgegenwärtigen römischen Schrifttum (Cicero, Ovid, Plinius, Seneca, Quintilian, Boethius). Boethius schreibt einmal, Dichter würden sich «der vergessenen Dinge erinnern»; das können Dichter, nicht aber bildende Künstler. Stil. Ob Kunstgeschichtler, Archäologe, Musik- oder Literaturhistoriker, alle benutzen mit oft beneidenswerter Unbeschwertheit den Fachausdruck “Stil”.2 Und doch weiß im Grunde genommen niemand so genau, was “Stil” als verbindlich wissenschaftliche Verständigungsformel letztlich meint, da die Auslegung im Sprachgebrauch verwildert – bis zum heutigen, selbstgefälligen “Lebensstil” (gemeint ist Lebensweise). Jan Białostocki (1921–1988) formulierte: «Der täglich vom Kunsthistoriker, Kritiker und Ästhetiker benutzte Stilbegriff ist keineswegs eindeutig. Sinnbereich und Inhalt werden meist ziemlich subjektiv gefaßt» (1961, S. 12). Er zitiert eines seiner Vorbilder, Meyer Schapiro (1904–1996): «Für einen zur Synthese strebenden Kulturhistoriker oder Geschichtsphilosophen ist Stil Manifestation einer Kultur als Ganzheit, ein sichtbares Merkmal ihrer Einheit.»3 Der Begriff setzt voraus, daß die gleichen stilistischen Merkmale mehrfach auftreten und nicht zu einem ausgeprägten Individualstil oder “Altersstil” gehören. Dabei wird oft ungenügend geschieden zwischen Stil und Form sowie zwischen Personal- und Zeitstil. Letztere werden als Schlüsselbegriffe gerne für Datierungsfragen herangezogen. Ähnlichkeiten, ja Identitäten in der Darstellung – dank sekundärer Mittel wie etwa der Haartracht und Frisuren – gehören jedoch dem Form- und nicht dem Stilrepertoire an. Erst wenn dominante Moden parallel mit bestimmten Bewegungs-, Gewand- und Faltenkonfigurationen auftreten – und dies in mehreren Belegen gleichzeitig oder zumindest in geraffter zeitlicher Folge –, kann spekulativ von innewohnenden, stilistischen sowie klar umreißbaren Ausdrucksweisen gesprochen wer2 Ich beziehe mich auf meinen Vortrag, der 1989 in der Bibliotheca Hertziana, Rom, gehalten wurde. Anlaß war der damals aktuelle und noch stets verwirrende Freskenfund von 1988 in Chiaravalle Milanese sowie das damit verbundene Rätselraten um den Autor der Malereien: Bosch oder nicht Bosch? Ein Nordländer, ein Südländer? Ein Meister, aber warum? 1430, 1450 oder gar 1500? Ein Tafelmaler? Ein Linkshänder? Ein alter Routinier oder ein junges Genie? (Abb. 1) [Kursiv gesetzte Abbildungshinweise beziehen sich auf Bildbeispiele in dieser Veröffentlichung]. – Bert W. Meijer, Il Cristo davanti a Pilato a Chiaravalle. In: Quaderno di studi sull’arte lombarda dai Visconti agli Sforza per gli 80 anni di Gian Alberto Dell’Acqua. Mailand 1990, S. 77–79 (Künstler nicht lombardischer Herkunft, tätig nach 1460). – Weitere Lit. im Bildkommentar. 3 Meyer Schapiro, Style. In: Anthropology Today. Hrsg. von Koerber. Chicago 1953, S. 287–312; Zitat S. 287.
Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik – 3 den. Je nach den historischen Voraussetzungen und dem sogenannten kulturellen “Umfeld” vermögen Definitionen dann für einen Ort oder eine Landschaft bezeichnend und als solche wiedererkennbar sein. Sie können auf eine klösterliche Stilbildung (Kalligraphie von Corbie), später auf einen höfischen (karolingische “Palastsschule”), einen städtischen Lokalstil (Nürnberg) oder ein Atelier zutreffen (“Winchester Style”). Sie kristallisieren sich aus, werden mustergültig und überstehen Export und Implantation fern ursprünglicher Quellgebiete. Diese membra disiecta dienen als Prüfsteine ihrer Lebenskraft; sie wachsen zu Sonderformen aus und mutieren (“Utrecht Style” – mit dem berühmten Psalter als Ausgangspunkt).4 Erst Giorgio Vasari personalisiert und spricht von einer «maniera di Giotto» (II, S. 101). Die Prämissen dazu liegen, wie im Exkurs (S. 155) zusammengefaßt, im Bildwissen jedes einzelnen Handwerkers, den wir heute “Künstler” nennen – eine Bezeichnung nachmittelalterlichen Ursprungs. Johan Huizinga nennt ihn, dessen eingedenk, kurzum und richtig “Handwerksmann” (Homo ludens, S. 325); wir werden auch das lateinische faber und artifex verwenden. ❧ Vorbedingungen zur Ausbildung. Trotz des im Vorwort erwähnten Flickenteppichs mit Fehlstellen muß man sich zumindest theoretisch die Frage stellen, wie Handwerker, Buchmaler, Freskanten, Tafelmaler, Weber, Stickerinnen und Sticker (opus anglicanum) unterschiedlichster Begabung ihren Beruf erlernt, praktiziert und nach getaner Lebensarbeit einer jüngeren Generation weitergegeben haben. Wie wird man im Mittelalter überhaupt zum faber und artifex? Cennini sagt im zweiten Kapitel seines Libro dell’Arte: «Come alcuni vengono all’arte, chi per animo gentile e chi per guadagno» (S. 5–6). Neulinge im Geschäft der “Kunst”, ob nun aus Neigung oder pekuniärer Gewinnsucht, orientieren sich zunächst am Vorhandenen. Sie lernen im Stilverständnis ihrer näheren Umgebung – falls man darüber tatsächlich laut nachgedacht hat. Erst Vasari erwähnt solche Künstlertreffen, von denen Gruppenimpulse ausgingen: «bellissimi discorsi e dispute d’importanza» (Goldstein, S. 11). Einen kreativen Wandel, gar eine künstlerische Wende herbeizuführen, ist jedenfalls kein vorsätzliches Ziel des Debütanten. Es sind vielmehr die Leistungen der eigenen bottega, vielleicht des Vaters, der seine Talente weitergibt und einer interessierten Kundschaft anbietet.5 Oder es kann ebenso die Persönlichkeit eines Lehrers 4 Zum Weiterleben dieses Vorbilds über manche Stilstufen hinweg: Suzy Dufrenne, Les suites du psautier d’Utrecht. In: Les dossiers de l’archéologie 16, Mai / Juni 1976, S. 45–53. – Adelheid Heimann, The Last Copy of the Utrecht Psalter. In: The Year 1200: A Symposium. The Metropolitan Museum of Art. New York 1975, S. 313–338. Swarzenski 1954, Tafeln 2–3. 5 Siehe Quintilian, Institutio I, Prooemium 27, 1–6. – Boccaccios Lob der Väter allgemein: «Durch sie werden die neugeborenen Kinder ernährt, unsere Jugend erhalten, die übermütige Mannbarkeit gezähmt und in allen Künsten unterwiesen. Man lernt durch sie Geduld und Maß» (Boccaccio I, S. 241). – Grundlegend, wenn auch nicht auf das Mittelalter bezogen: Louis Hautecœur, La famille et l’éducation
4 – Alte und neue Wege zum Thema sein («sotto la guida del maestro», Cennini, S. 6), oder eines Beraters, der auch als Auftraggeber auftritt (Jean de Berry). Der Lernende arbeitet somit vornehmlich nach überlieferten, gleichsam verbuchten und daher für gültig gehaltenen Modellen, den exempla. Auf Grund ihrer Anschaulichkeit und ihrer beim Publikum eingebürgerten Lesbarkeit nimmt solches Erbgut den Rang von verbindlichen Vorlagen ein. Gar bei Giotto (doctus laut dem Florentiner Filippo Villani) stellt man fest, «daß selbst solche Figuren, die man für unverwechselbare Schöpfungen des großen Malers halten möchte, keineswegs aus der Natur gegriffen, ja nicht einmal eigenständige Erfindungen waren, sondern lediglich ein viel älteres künstlerisches Motiv auf geniale Weise variieren» (Schmidt 1979, S. 134). Vergleichbar ist die Lage in der Literatur: «Le rôle de l’écrivain au Moyen Âge n’est pas d’inventer une histoire originale. Il est plutôt d’adapter des histoires qui existent déjà (sous une forme écrite ou orale) et de leur donner une nouvelle actualité», schreibt Philippe Walter in der notice seiner Übersetzung des Yvain (Chrétien de Troyes, S. 231). Individuelle Initiativen – vor allem in Form zusätzlicher narrativer Ausschmükkungen außerhalb kanonischer Texte (Bibel, Kirchenväter) – boten den artifices lange Zeit nur gering bemessene Spielräume; sie tummeln sich indessen als eigene Ideen, gar mit Witz und Spott unterfüttert, in Randzonen: in den Drolerien der Kapitelle und als Marginalien in Handschriften. In erster Linie galt es, Heilstatsachen und theologische Wahrheiten ohne Umschweife in vertrauten Formen den Bilderlesern (zumindest im frühen Mittelalter bis in die obersten Schichten hinein oftmals Analphabeten)6 erkennbar und glaubhaft vor Augen zu führen. «Das Bild muß immer wieder exemplarisch bestätigen und veranschaulichen, welche unsichtbaren Gewißheiten den Menschen umschließen» (Bandmann 1962, S. 165). Alleinig dem gesprochenen Wort und den imagines wohnte verpflichtende Aussagekraft inne, nicht den Texten, die eben nur wenige zu lesen verstanden. Das aus Vorbildern Geschöpfte und an ihnen Erlernte «wird zu einer abstrakten Zeichensprache und die Zeichen sind beliebig verwendbar und auswechselbar» (Weisbach, S. 13). Chiffren aus der religiösen Kunst konnten als Komponenten in weltliche Zusammenhänge übernommen werden, wenn es galt, gängige Sachverhalte abzubilden und deutlich zu machen. In vielen Fällen sind die Schritte zur puren Piktographie gering. Für das heutige Bildverständnis, zumindest bis in den de l’artiste. In: Hautecœur I, S. 56–62 mit den Paragraphen Les influences familiales; L’éducation de l’enfant und L’éducation de l’artiste. – Übersicht der erhaltenen Musterbücher in: R. W. Scheller, A Survey of Medieval Model Books. Haarlem 1963. – Cennini, Kapitel XXIX, meint, etwas umständlich, portfolios: «Abbi a modo d’una tasca fatta di fogli incollati o pur di legname, leggiera, fatta per ogni quadro, tanto vi metta un foglio reale […]» (S. 29). 6 Selbst Herrscher benötigten Kaplane zum Vorlesen von Missiven oder zum Schreiben von Antworten; so König Marc in Bérouls Tristan et Iseut, S. 76 und 78. Die des Schreibens und Lesens Kundigen, oft Notare (notarii, scriptores), hielten daher in Klöstern und an Höfen wichtige Vertrauensstellungen inne; sie unterlagen der absoluten Schweigepflicht. Einzelne Herrscher benutzten klösterliche Kanzleien für ihre Administration (Bumke II, S. 627) und ihren Schriftverkehr. Als Artus (im Lai du Cor von Robert Biket) wissen wollte, was die in Silber eingelassenen Buchstaben auf dem elfenbeinernen Trinkhorn, das ihm überreicht worden war, bedeuten, befahl er einem Kammerherrn: «Nimm dieses Horn und zeig es meinem Kaplan» (Lange / Langosch, S. 300).
Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik – 5 Kubismus hinein, bleibt als Träger die ostentative und daher überdauernde Bedeutung und Aussagekraft der Gesten. Wie wird man faber und artifex? Die Weitergabe des Bildwissens, der Bilderfahrung und -notation findet von Generation zu Generation erst einmal über ateliereigene Skizzen, Musterbücher, Pausen, Konvolute, Portfolios und Probestücke statt – fragile Gebrauchsmaterialien mit unterschiedlichen, doch meist raschen Verfallsdaten; sie sind entsprechend spärlich erhalten. Im 15. Jahrhundert kommt als Medium der Vermittlung die Druckgraphik hinzu (Chicago 2011).7 Hinlänglich bekannt ist, daß die erhaltenen Musterbücher für Auskünfte erster Hand hervorragende Plätze einnehmen. Dasjenige des pikardischen Architekten Villard de Honnecourt, um 1235 entstanden, ist der meist aufgerufene Zeuge dafür, auch wenn man sich heute zu fragen beginnt, inwieweit praktische Aufgaben dem Album tatsächlich zukommen (Abb. 25–27). Es belegt jedenfalls, wie Beischriften mehrfach bestätigen, daß es sich um persönliche Eindrücke und didaktische Probleme gehandelt hat: Auf Grund der aufdringlich anmutenden und ad oculos veranschaulichten Muldenfalten-Methodik Villards – eine geniale Art, Draperien darzustellen und Menschen einzukleiden –, hatte das Dokument wohl für andere Benutzer auch maßgeblich stilbestimmende Auswirkungen.8 Erst in der Frührenaissance beschleunigte sich die Suche nach “klassischen” Originalen, die 1506 in der Auffindung der Laokoon-Gruppe in Rom einen Höhepunkt fand.9 Man wagte also bewußt Schritte, die, statt in vertraute Väter- und Großvätervorstellungen, in ferne, längst vergangene und bruchstückhaft überlieferte Zeiten führten, welche man vor den Kreuzzügen auf Grund zufälliger heimischer (und meist provinzieller) römischer und keltischer Kleinfunde nur zu erahnen vermochte. Väter und Söhne. Was die erwähnte Aufgabe der Väter anbetrifft, sollte man, zumindest spekulativ, annehmen, daß namentlich in patrilinear geführten Werkstätten diese Vorlagenvorräte nicht von (vollbeschäftigten) Vätern auf Söhne, sondern vielmehr von den Großvätern (im Ruhestand) auf Enkel weitergegeben worden sind.10 Diese 7
Siehe hierzu den Exkurs, S. 155. Zu Villard: Hahnloser; Scheller, S. 88–93; zu den modelli: Cristiani Testi 1977. – Frankl 1960 übersetzt mit Lodge Book (S. 35). – “Architekt”: Nikolaus Pevsner, The Term ‘Architect’ in the Middle Ages. In: Speculum XVII, 1942, S. 549–562. 9 Siehe Daltrop 1987. – Zugleich Bekanntwerden einer für Generationen maßgeblichen “Pathosformel” (Aby Warburg; siehe: Hamburg 2011), um ein exemplum doloris zu statuieren. 10 Der Vergleich mit einem außereuropäischen Beispiel ruft in Erinnerung, daß abendländische weltliche Ateliers in den wenigsten Fällen im Mittelalter über zwei Generationen hinaus im Besitz der gleichen Familie blieben: B. N. Goswamy, Pahari Painting. The Family as the Basis of Style. In: MARG, A Magazine of the Arts (Bombay) XXI, Nr. 4. September 1968, S. 17–62. Soweit ich sehe, ging man dieser Frage noch nie systematisch nach; vgl. Heers in unserer Anm. 13. – Siehe Vitruvs Angaben über die Ausbildung des Baumeisters: «Des Architekten Wissen umfaßt mehrfache wissenschaftliche und mannigfaltige elementare Kentnisse. Seiner Prüfung und Beurteilung unterliegen alle Werke, die von den übrigen Künsten geschaffen werden» (de architectura, liber primus I; Vitruv / Fensterbusch, S. 23); Architektur ist Wissenschaft. 8
6 – Alte und neue Wege zum Thema Generationensprünge in die relative Vergangenheit zurück könnten beobachtete, dem Anschein nach alltertümliche, ja überlebt wirkende Aspekte teilweise erklären helfen, über die man sich – vielleicht umsonst – den Kopf zerbricht. Erst in zweiter Linie gehören zu den verschwiegenen Vertrautheiten der mittelalterlichen bottega die technischen und handwerklichen Präliminarien und Vorbereitungen der Bildträger, die Handhabung der Farben, der Farbmischung sowie deren Auftrag auf Pergament, Holztafel, Leinwand oder Mauer. Hier dominieren praktische Könnerschaft und Fingerfertigkeit. Darunter versteht Vitruv das, was er mit fabrica bezeichnet (Vitruv, de architectura I, 1, 20). Es sind erlernbare, manuelle Fähigkeiten. Doch: «Die Anerkennung handwerklicher Normen half auch erfindungsschwachen Talenten.»11 Der Umgang mit bindenden Mustern, mit losen, auf Reisen notierten Skizzen – Autopsie, das heißt: persönliche Eindrücke eines Kunstwerks de visu, mit eigenen Augen –, gehört zur Ausbildung: «Quando se’ per le chiese o per cappelle e incominci a disegnare […]» (Cennini, S. 29). Wenn auch nicht belegbar, so dürfte man zumindest vermuten, daß das Zusammenspiel der einzelnen Maler, Bildhauer und Holzschnitzer in einer bottega angelernt und erprobt werden mußte. Die Harmonie im Schoß einer Arbeitsgemeinschaft war, vor der Gründung von Fachverbänden und deren zunftmäßiger Organisation der Ausbildung, jedesmal ad hoc zu suchen. Iris Kalden vermittelt aus dem frühen 16. Jahrhundert eine Liste von Riemenschneiders zwölf Lehrbuben (knaben); hier finden sich zudem Angaben über bis zu 26 Gesellen, die für den Meister arbeiteten (Kalden 1991, S. 138). Das war, wie man heute sagt, eine logistische Herausforderung. Aus späterer Zeit kennt man begabte Spezialisten, welche die Ateliervorsteher für die eine oder andere, eben qualifizierte und fachgerechte Aufgabe heranzogen: für Gesichter, Figuren, Hände – entscheidende Dienstleister der gestischen Glaubwürdigkeit –, Tiere, Landschaften, Blumen, Schriften.12 Vertraulich gehaltene mündliche und interne Überlieferungen schließen, wie angedeutet, für das Mittelalter die Möglichkeit ein, nicht allein auf Gedanken und Vorstellungen der Vätergeneration, sondern selbst auf noch ältere Vorbilder und Modelle Bezug zu nehmen. Erscheinen in einem Werk vermeintlich mehrere Hände (etwa in der Maestà von Duccio, 1308–1311), sollte zumindest die Möglichkeit erwogen werden, daß es sich nicht um weitere Maler, sondern vielmehr, wie bereits erwähnt, um Benutzung von bereits vorhandenen Vorlagen unterschiedlichen Alters handeln 11 Braun, S. 44. – Collingwood 1958: Art and Craft, § 1. The meaning of Craft, S. 1517. – Alessandro Conti, Artisti e artigiani. In: Storia dell’Arte italiana II: L’artista e il pubblico. Turin 1979, S. 185–188 («la nostra distinzione tra arti maggiori e arti minori nel Medioevo non esisteva» (S. 185). – Rainer Brandl, Art or Craft? Art and the Artist in Medieval Nuremberg. In: New York 1986, S. 51–60. Neuerdings Castelnuovo 2004 über den artifex bonus. Schnelles Malen wird schon von Plinius überliefert: ein Maler «befolgte die Schnelligkeit seines Lehrmeisters und erfand auch jetzt noch einige abkürzende Wege in der Maltechnik» (Plinius, S. 85). So sparte man Material und Zeit. 12 Experten (so wohl der Fall in der Riemenschneider-Werkstatt) und die auf ihnen ruhende Arbeitsteilung erwähnt bereits Plinius. Er spricht von einem Theatermaler, der aber keinen Menschen korrekt darzustellen in der Lage war (Plinius, S. 85). Ein anderer malte für Leute mit Humor, etwa einen Mann von lächerlichem Aussehen mit dem Namen Gryllos, wonach man diese Gattung der Malerei grylloi nannte (ibid., S. 87).
Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik – 7 könnte. Diese Modelle wären, so die These, nicht neu gestaltet, jedoch neu durchdacht, à jour gebracht und anverwandelt worden, andere wiederum, möglicherweise unter der Ungeduld der Auftraggeber – in Dokumenten des öfteren herauszulesen –, wären in ihrem bereits überalterten Originalzustand und in ihrer ursprünglichen Diktion als Anregungen in die Bilderfolge eingeflossen.13 Im Falle Duccios geht es um Muster der Vorgängergeneration und somit um Materialien aus bereits leicht angestaubten Schubfächern der bottega. Dabei muß es sich nicht um eine “Renaissance”, sondern eher um einen Generationenwandel handeln.14 Man notiert dabei, daß mit der Zeit die Benutzung “alter” Muster als Vorlagen merklich nachläßt. Hans Sedlmayr hielt einmal fest, daß «unter den Formen, in denen eine Epoche sich im Felde der Kunst verkörpert, radikal neue immer sehr selten [sind]» (1955, S. 9). Ein Beleg aus einer Zeit des Wandels – dank Giotto um 1300 ein Schulbeispiel einer mutatio – ist insofern aufschlußreich, als gerade in der Gestik hier Neues (“Modernes”, wie Vasari sagt) auf Altes mit Veränderungspotentialen trifft und sich jetzt ein einzelner inspirierter und beredter Bild-Operateur zu Worte meldet und keine anonyme oder kollektiv getragene Stilströmung einer Stadt oder einer Landschaft. Der Dichter Paul Éluard notierte sich in seiner Anthologie des écrits sur l’art eine Bemerkung seines Zeitgenossen Lionello Venturi: «Giotto clôt une civilisation picturale qui s’occupe surtout de Dieu, et en ouvre une autre qui s’occupe surtout de l’homme» (S. 64). Es geht also nicht nur um neue Darstellungsformen, sondern auch um neue geistige Entwürfe und Konzepte. Es geht um die Entdeckung des Mitmenschen. Künstler wandern. Die Stilexegese verunsichert, wohl viel früher als man gemeinhin annimmt, Mobilität und wachsende Neugier der Künstler. Abt Suger von Saint-Denis (1081–1151) spricht in seinem Liber de rebus in administratione sua gestis sybillinisch von Meistern ihres Faches – «artifices peritiores de diversis partibus convocavimus» –, die er von außerhalb für Bau und Ausstattung seiner Kirche berief.15 Wir kennen in Paderborn die operaios graecos (wohl Byzantiner). In Wimpfen im Tal sind es französische Anregungen in Gestalt von Hinweisen auf more francigeno und opus francigenum, was im Chronicon des Burchard von Hall weniger den Stil als die technisch gekonnte Arbeitsweise umschreibt.16 Wir sind vertraut mit der auf- und abwogenden 13 Die Frage habe ich schon früher gestellt: 1984, S. 186–188 u. Anm. 233. – Von der Kunstgeschichte nicht beachtet blieb: Jean Heers, Le clan familial au Moyen Âge. Études sur les structures politiques et sociales des milieux urbains. Paris 1974. – Für eine spätere Generation: Jean-Marie Guilllouët, Famille et réseau Colombe. In: Tours 2012, S. 133–135. 14 Definitionen der “Generation” und der “Generationenlehre” hat Werner Braun zusammengestellt (S. 19– 24) und dabei auch das damit verbundene “Epochenbewußtsein” behandelt (S. 68–78). 15 Erwin Panofsky (Hrsg.), Abbot Suger on the Abbey Church of Saint-Denis and Its Art Treasures. Princeton 1946, und Postlogium Sugerianum, in: Art Bulletin XXIX, 1947, S. 119. – Erica Deuber-Pauli / Dario Gamboni, Suger, Théophile, Le Guide du Pèlerin. Éléments de théorie de l’art au XIIe siècle. In: Études de Lettres. Bulletin de la Faculté des Lettres de l’Université de Lausanne et de la Société des Études de Lettres, IV, 3, Nr. 2, 1980, S. 43–91. – Zusammenfassung bei Fritsch, S. 4–13. Vgl. Paula Lieber Gerson. – Zu Cennini: die klassische deutsche Ausgabe von Albert Ilg (1871); ich zit. hier nach Franco Brunello. 16 Frankl 1960, S. 55–57; in Anm. 2: Abdruck der Textstelle im Chronicon Burchards . – Fritsch, S. 56
8 – Alte und neue Wege zum Thema Problematik von Castelseprio,17 dem internationalen Kaleidoskop des Mailänder Werkplatzes nach 1386 (Dombaubeginn); oder mit dem eingangs erwähnten Rätsel von Chiaravalle Milanese. In einer versponnen-überbordenden Spätgotik gipfeln überdies regionale Konjunkturen wie in der Wende um 1350 zur deutschen “Sondergotik” (Pinder 1937, S. 301–304) oder in England in den «crazy vaults of Lincoln cathedral» (Frankl in: Art Bulletin XXXV, 1953, S. 105). Die großen Veränderungen werden allerdings erst im 15. Jahrhundert nach den Meisterleistungen des “internationalen” Stils stattfinden, als sich die “Gotik” trotz aller Triumphe dank der italienischen Renaissance formal, doch nur allmählich, teils mit Zurückhaltung, verabschiedete.18 Doch wirkt sie für Generationen nach, außerhalb und unabhängig von üblichen Stilverspätungen als Erfinderin einer neuen Wirklichkeit, die um 1400 ihre weitertragenden und unübersehbar gewordenen Blüten entfaltet. Zur langen Inkubationszeit der Renaissance gehört unabdingbar die einheimisch-europäische Gotik (und Gestik) des 14. Jahrhunderts – selbst ohne “Antike”, die erst eine folgende Generation wiederfindet und entsprechend rezipiert. Die kunsthistorische Literatur teilt “Stil” oft in eine Frühphase, eine Blüte und in eine Spätzeit ein.19 Es werden ihm menschliche Eigentümlichkeiten, Stärken und Schwächen unterlegt, vom Jüngling bis zum Greis. Grundformen der konstant bleibenden Gestik sichern dabei die Kontinuität. Eine wie zufällig niedergeschriebene Bemerkung Vasaris ist hier aufschlußreich. Er sagt in der Vita seines älteren Landsmanns Margaritone aus Arezzo, dieser Künstler, hochbetagt, sei infastidito gestorben: «vedendo variata l’età e gli onori negli artefici nuovi».20 Das heißt wohl kaum etwas anderes, als daß ein älterer Zeitgenosse den Stilwandel kurz vor und um 1300 geradezu als unerträglichen Bruch mit der Vergangenheit und implizit mit seiner eigenen Malerei empfand.
(mit Lit.). – Peter Kurmann, OPUS FRANCIGENUM. Überlegungen zur Rezeption französischer Vorbilder in der deutschen Architektur des 13. Jahrhunderts anhand des Beispiels von Wimpfen im Tal. In: Mitteilungen der Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung in Wien 33, Nr. 3/4, September 1981, S. 1–5. Die Kirche wurde 1269 begonnen, der Text in der Chronik von Burchard von Hall entstand um 1280 (Monumenta Germaniae historica, Scriptores XXX 1, S. 666). 17 Castelseprio im Kontext: Carlo Bertelli, Sant’Ambrogio da Angilberto II a Gotofredo. In: Bertelli 1988, S. 16–81. 18 Mit Ausnahmen: 1421 wurde das Berner Münster unter Matthäus Ensinger in gotischen Formen begonnen. Es blieb ihnen verbunden – bis ins 19. Jh. Im selben Jahr 1421 begann Filippo Brunelleschi San Lorenzo und wölbte die Kuppel des Florentiner Domes ein. Dies war eine Wende, in Bern ein Wandel. 19 Hilfreich für die Findung von Definitionen sind in Grimms Wörterbuch die Einträge: Stil, Stilbegriff, Stilcharakteristik, Stilgattung, Stilgefühl, Stilkritik (XVIII, Sp. 2905–2939). Siehe auch oben Anm. 1 und 2. 20 Infastidito bedeutet “verärgert”, “sich belästigt fühlend”. – Zu “Stil”-Fragen Werner Braun: S. 112 unter Stichwort Stil.
Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik – 9 ❧ Historische Stilbezeichnungen. Im Bereich der bildenden Künste bediente sich das Mittelalter weniger Stilbegriffe im heutigen Sinn. Man kannte Ausdrücke wie maniera moderna, more antiquo oder maniera greca, wobei die beiden letzteren meist die – als “antik” gehaltenen – Byzantinismen umschrieben. Bei Vasari wird «quella goffa maniera greca» der «moderna e buona arte della pittura» gegenübergestellt, will sagen: der maniera toscana (Vasari / Milanesi I, S. 372). Für den von Vasari benutzten Stilbegriff (maniera) und den Stilwandel bis in die “Moderne” hinein sei auf die umfassende Zusammenstellung von Jean Rouchette verwiesen.21 Vor 1400 fällt die Antwort schwer; schriftliche Äußerungen fehlen. Die vielfache Zitierung oder volkstümliche Vervielfältigung bestimmter Werke läßt jedoch Rückschlüsse auf ihr Ansehen zu. Wir kennen die Endprodukte, nicht die Auslöser, die hinter ihnen stehen. Ebenfalls wäre zu erwägen, was das Publikum innerhalb unterschiedlicher gesellschaftlicher Lebensbereiche, Strukturen und Ordnungen überhaupt sehen und – neben den heiligen Schriften sowie Legenden – hören wollte.22 Dabei meint man insbesondere die “hohe” Kunst; von der “Volkskunst”, die es ja auch gegeben haben muß, ist, da zu spärlich überliefert, bis weit in das 15. Jahrhundert hinein nicht die Rede.23 Was galt – und warum – als “modern” und gar nachahmenswert? Ein prüfbares Muster bietet die franziskanische Malerei, die auf Grund der darstellerischen Mittel und Bildstrategien in der Zeit unmittelbar vor Giotto eine Rolle spielte. Sie war vulgaris, sie ist vergleichsweise wortreicher als die Sprache der offiziellen Kirche, die grundsätzlich andere Bilderwelten förderte. Entlang dieser Linie äußerte sich eine neue Frömmigkeit, eine dienende “Volkskunst” im Sinne der antiken Rhetorik. Margaritone bietet einen stile humile an, ja, in einem ursprünglichen Sinne des Ausdrucks, gar eine arte povera. Es fällt auf, daß in dieser italienischen Malergeneration kein Kollege mit solcher Regelmäßigkeit seine Werke signiert hat.24 Für Franziskus-Bilder beanspruchte er gleichsam die Urheberrechte. Den franziskanischen Auftraggebern der ersten Stunde war er offenbar der einzige ernst zu nehmende Lieferant, der mit einer “armen Kunst” – zum Beispiel gelb statt gold –, mit Reduktion der Palette und unter Verwendung von Ersatzmaterialien, den Wünschen des Bettelordens nachzukommen gewillt war.
21 Rouchette, S. 190–224. – Das Wort Stil ist erst seit etwa 1425 mit der Bedeutung Schreibart bezeugt (Grimm, Wörterbuch XVIII, Sp. 2905). Winckelmann scheint Stil 1756 als Darstellungsweise in den bildenden Künsten eingeführt zu haben (ibid., Sp. 2907). 22 Lesenswert: François Avril, Boccace et ses illustrateurs au Moyen Âge. In: Paris 1975, S. XIII–XV. 23 Ich denke beispielsweise an den anachronistisch wirkenden kolorierten Holzschnitt mit dem heiligen Christophorus am Kaminmantel in der Brüsseler Verkündigung an Maria des Meisters von Flémalle (Frankfurt am Main 2008, S. 191). 24 MARGARIT’ [DE A] RITIO ME FECIT auf einer Marientafel, zwischen 1250 und 1270. Siehe: Fern Rusk Shapley, Catalogue of the Italian Paintings. National Gallery of Art. Washington 1979, Text S. 301– 302, Bild: Tafel 215. – Deuchler 1985.
10 – Alte und neue Wege zum Thema Passagen zum vorstellbaren Raum. Trotz ungesicherten Ausgangslagen kann festgehalten werden, daß Malerei meist Geschichten erzählt, wenn sie Menschen darstellt und ihnen Gegenstände attributiv zuordnet. Diese vermitteln als Merkmale gedanklich Erinnerungen (also: Gedächtnis), Ergänzungen, auch zusätzliche Erläuterungen. Wieweit sind sie für Lesung, Entschlüsselung und Verständnis der Inhalte von Belang, wenn keine zusätzlich aufgemalten Schriftbänder, bildinterne Texte oder tituli in die angestrebte Richtung weisen? (Abb. 11, 22) Man darf dabei von der Tatsache ausgehen – auf den ersten Blick eine Binsenweisheit –, daß ein erzählendes Bild vor dem 15. Jahrhundert nicht vorwiegend von der Gesamtkomposition her konzipiert, doch oft durch einen Rahmen bedingt, und so eingegrenzt, von außen gefestigt wird. Seine treibenden Kräfte liegen in den ins Bild gerufenen Akteuren selbst und ihrer zur Schau gestellten Bewegungen, die, wie ein Schriftstück, buchstabiert, gelesen sowie identifiziert sein wollen; und dies ebenso in ikonographisch festgelegten und festgezurrten (und daher erstarrten) Traditionsketten. Erst in der Hochrenaissance – und jetzt mit signalkräftigen antiken Versatzstücken und Zitaten angereichert – instrumentalisieren Überbauten die Bildgeometrie und -perspektive. Entsprechende Fiktionen der Architektur dienen als optische Gerüste. Sie übernehmen und vollstrecken Verantwortung für die kompositorische Darstellung. Eine Verkündigung an Maria kann in kompliziert aufgebauten Kulissen gerade noch als Vorwand oder Fußnote nebenbei erwähnt werden. Die Form triumphiert über den Inhalt. Sie wird zum Kunststück. Hauptdarsteller ist die prospettiva. So entwickelt sich etwa die dafürgehaltene (doch “gefühlte”) Räumlichkeit in der Bildvorstelllung der Gotik Schritt für Schritt zum vorstellbaren Raum, der des Künstlers eigene Wirklichkeit wiedergibt. Das Sinnbild wird mit gleichen Instrumentarien zum Abbild. Grundlagen zum Wandel. Die Wortgeschichte des Begriffs “Wandel” ist schon bei Notker Labeo als wandil mit der Bedeutung “Sinnesänderung”, mutatio, belegt (Grimm XXVII, Sp. 1524). Sie lehrt, daß Wandel auch Spielraum, Lockerung, Bewegung beinhaltet: «Der Fuß muß im Schuh Wandel haben» (ibid., Sp. 1525). “Wandel schaffen” meint ebenso: «einem Übel abhelfen» (ibid., Sp. 1543). Ein Wandel entwikkelt, erweitert, korrigiert Bestehendes, das nicht über Bord geworfen werden soll. Insofern liegt bei Giotto ein Wandel und noch keine Wende vor. Giottos “Wende” überrollte sozusagen einen Wandel. Seine herausragende Leistung konnte in einen Teppich ähnlicher, doch weniger schlagkräftig artikulierter Bestrebungen eingearbeitet werden. Die Wende besaß dank der dichterischen Phantasie des inspirierten “Sehers” Giotto unglaubliche Strahlkraft und dementsprechende Vorbildhaftigkeit. Peter Meyer hat dies so gesehen: «In gewissem Sinne wirkte es [Giottos Vorbild] aber zugleich lähmend, wie einst die Parthenonskulpturen und später Raffael und Michelangelo ihre Zeit beherrschten und belasteten. Es ist die Tragik jedes in sich ‘klassischen’ Stils, daß von einem Gipfel nur Abstiege möglich sind» (S. 130).
Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik – 11 Wende hingegen ist unwiderruflich. Es gibt sprichwörtlich ausschließlich eine “Wende zum Besseren”.25 In unserem Kontext: zu etwas gestalterisch absolut Neuem. Nicht nur die Syntax paßt sich an, sondern der gesamte Wortschatz. Dabei ist nicht außer acht zu lassen, daß auch die italienische Renaissance auf Grund der vorhergegangenen Gotik (das heißt des ausgereiften Stils, nicht der “Sondergotik”) ihr als unentbehrliche und dankbar genutzte Inkubationszeit diente. Sie konnte ihre Frühformen ohne grundlegende Richtungsänderungen dank einer vorhandenen starken Basis überraschend schnell finden, neu definieren und festigen.26 Als Grundstock diente die weitgehend übernommene Darstellung menschlicher Körper-Motorik, der eine erstaunliche Gestaltungsfreiheit innewohnte und die, in neue Sichtweisen integriert, Zukunft hatte. Die in Frage kommenden Quellgebiete lagern außerhalb herkömmlicher “Stilfragen”. Sie befinden sich vielmehr im Spielraum neuer Empfindsamkeiten, die jede Generation weiter vertieft und neuen Bewegungsmustern anvertraut. So werden Gefühle und Affekte, die passiones animae, in verständlicher Art und Weise ausgedückt. Peter Wapnewski (S. 28) spricht in der Literatur von einer aufbrechenden «Sensibilität in der Registrierung seelischer Regungen, die künftig das Wesen des Dichterischen (auch bis zum Übermaß) entscheidend bestimmen werden». Welt und Gegenwelt. Hier sollte auch untersucht werden, wieweit Stile äußeren (und negativen) Einflüssen unterworfen sein könnten: Spielten Hunger, Seuchen, Kampfhandlungen27, Aufstände, Religionskriege, Bilderstürme, Beutezüge sowie Naturkatastrophen (1164, 1277 und 1362 Sturmfluten an der Ost- und Nordseeküste, Erdbeben in Basel 1356), die den Zeitraum peitschten, Rollen?28 Die Gotik, die “Internationale Gotik” und der “Weiche Stil” eröffneten vor solch düsteren Hintergrundskonstellationen so etwas wie heile Gegenwelten. Sie feierten im religiösen wie weltlichen Bereich, dank der neu eingestandenen Darstellungen des Zärtlichen und somit der Zärtlichkeiten, ein neues Bild der Zeigenossen in ihrer Gefühlstiefe, aber gleichermaßen in ihrer seelischen Zerbrechlichkeit und körperlichen Hinfälligkeit. Es waren die letzten gotischen Generationen, um und nach 1400 tätig, die für die Erfindung und Bildung des lieblichen und graziösen Menschenbildes Verantwortung tragen. Sie begünstigten ein bis anhin unberührtes Fühlen und somit ein anderes Mitfühlen. Sie verrieten geradezu ein unverhohlenes Vergnügen 25 Zum Begriff der Wende vgl. Ulrich Mölk (Hrsg.), Europäische Jahrhundertwende. Wissenschaften, Literatur und Kunst um 1900. Göttingen 1999; mit grundsätzlichen Überlegungen. –Will-Erich Peuckert, Die große Wende. Das apokalyptische Saeculum und Luther (Bd. I) und Die große Wende. Geistesgeschichte und Volkskunde (Bd. II). Hamburg 1948. Darmstadt 1966. 26 “Renaissance” ist auch Rückschritt, oft un retour, wie die Franzosen vorsichtiger sagen. In der Musik lautet dies: “im alten Stil” komponieren. 27 Ein fernes Beispiel: Die langen Grenzstreitigkeiten zwischen Kastilien und León, die 1230 eine dynastische Verbindung eingingen, die weitgehend von der Politik Berenguelas von Kastilien bewerkstelligt wurde. 28 «Krieg und Frieden sind dabei die mächtigsten Bezugspunkte. Wer wollte die lenkende Kraft der großen politischen Ereignisse von 1618, 1648, 1789, 1815, 1870/71, 1914 und 1918, 1939 und 1945 […] bezweifeln» (Braun, S. 42/43). Das gilt auch, im territorial bescheideneren Rahmen, für das von Unheil geplagte und geprüfte europäische Mittelalter.
12 – Alte und neue Wege zum Thema am Schönen. Sie förderten dieses ästhetische Ergötzen in Mode und Tand. Sie kleideten sich schichtenspezifisch erkennbar und sie begannen, am Formvollendeten, an schönen Bewegungen des menschlichen Körpers, am goût, sogar am bon goût, Gefallen zu finden. Dementsprechend agierten sie anders, zumindest in einer angepaßten gestischen Rhythmik. Diese Entwicklung zeigt sich erstmals an den Portalen der Kathedrale von Reims im 13. Jahrhundert auf erkennbare Weise. Sie nimmt in der Monumentalskulptur, sozusagen in coram publico, also vor aller Augen, um 1300 in Madonnendarstellungen der Île-de-France sichtbare und bereits verallgemeinerte und gültige Formen an. Maria ist nicht länger die unnahbare, vergöttlichte und sitzende sedes sapientiae der Romanik; befangen, in regungsloser Haltung, in zeitloser Hoheitsstarre. Sie erhebt sich, steht auf, bewegt sich. Sie ist dem Kinde zugewandte, mitfühlende, liebevolle (und ahnende) Mutter. Die französischen Bezeichnungen solcher Gruppen heißen nicht mehr La Vierge à l’Enfant, sondern La Vierge et l’Enfant. Mutter und Sohn dialogisieren.29 Das Kind greift nach Mariens Kinn, spielt mit ihrem Kleid und Schleier oder legt sein Ärmchen liebevoll um ihren Hals (Abb. 29) – Inszenierungen byzantinisierender Zärtlichkeits- oder Glykophilousa-Vorstellungen leben, frisch gedeutet, weiter. Zeitgemäß ausgesuchte Attribute und fortschrittliche, lebensnahe Räume rechtfertigen in der Malerei bahnbrechend andere Bewegungsmuster. Bezüge zum gelebten Alltag des jeweiligen Heute werden selbstredend. Marienstatuen und -bilder sprechen, wie in vertrauter Mundart, jede irdische Mutter an. Otto Pächt nannte dies “Betrachterbezogenheit”; einmal verwirklicht, überlebt die Letztere alle Stilwechsel. Es geht geradezu um ein mimetisches Verstehen, einen Reflex sichtbar gewordener Welt aus dem aktuellen Alltag, aus der eigensten – und profanen – Wirklichkeit, in uralten Grundformeln dargeboten. Daß dies jedoch Täuschung ist, wußte schon Isidor von Sevilla. Um das Jahr 600 schrieb er, auf Platon zurückgreifend, das Bild sei ohnehin nur Fiktion und keine Wahrheit: «Pictura autem dicta quasi fictura; est enim imago ficta, non veritºas» (Isidor / Etymologiae XIX, 16, 1). Der Zeithorizont. «On oublie toujours que le Moyen Âge a duré mille ans.» Die Mahnung des französischen Schriftstellers Léon Bloy (1846–1917) gilt noch immer; die folgenden Feststellungen verdeutlichen, warum, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Denkmäler der Generationen zwischen 1200 und 1500 im Vordergrund stehen. Es ist die Zeitspanne, die von Philippe-Auguste und Ludwig dem Heiligen über die Zürcher Manessische Liederhandschrift (um 1300–1330) zu den norditalie29 Beispiele: Maria in Fontenay, um oder kurz vor 1300 (Abb. 29); die Elfenbeinstatuette in Assisi, um 1320/30 (Paris 1981, Nr. 139); Madonna in Sens, 1334 gestiftet; die vergoldete Silberstatuette (nicht der Sockel), 1339 von Jeanne d’Evreux nach Saint-Denis gestiftet (Louvre); Madonna, um 1400/1410, in Cleveland (Paris 1981, Nr. 116). – Schlüsselwerke im Osten: Rosenstrauchmadonna aus Straubing, um 1300 (München); Madonna aus Admont, um 1310, in Graz, Johanneum; die Dienstbotenmuttergottes im Wiener Dom, um 1320; die Madonna aus Krumau, um 1400, in Wien; Jakob Kaschauers Muttergottes aus dem Freisinger Dom, 1443 (München); die Maria aus Dangolsheim, um 1470, in Berlin; Gregor Erharts Maria vom Hochaltar in Blaubeuren, 1493/94.
Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik – 13 nischen Fresken im Adlerturm zu Trient (um 1400 oder eine Generation später) an den Ausgang der Gotik führt. Doch sind dies, trotz scheinbarer Einschränkungen, drei Jahrhunderte mit höchst unterschiedlichen Leistungen.30 Obendrein wird stillschweigend der Irrtum begangen, “das Mittelalter” als eine in sich geschlossene Epoche zu sehen, so wie uns Manierismus, Romantik oder klassische Moderne gegenwärtig sind. Die Middle Ages gehören zu den in mancher Beziehung unterschiedlichsten ages; das Englische bedient sich sinnvoll und zweckdienlich des Plurals.31 Zum tatsächlichen Stand der Überlieferung. Die auf uns gekommenen mittelalterlichen Werke sind nicht mehr und nicht weniger als zufallbedingtes Strandgut.32 Dieser Umstand ruft abermals ins Gedächtnis, daß in unserer geschichtlichen Denkmälerkenntnis die Lücken überwiegen – und daß unser Wissen dementsprechend fragmentarisch bleibt –, was eben nur wenige zuzugeben gewillt sind (siehe Vorwort). Insofern scheinen, auf Grund solcher Schranken, Fehldiagnosen vorprogrammiert, Zuschreibungen fragwürdig, “Resultate” schwankend. Schicksalshaft am Rande Erhaltenes wird, wie die Adlerturm-Fresken in Trient, überschätzt (Abb. 88–98). Allein die Tatsache des zufälligen Überlebens sichert ihnen in der Forschung vernehmbaren Ruf.33 Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit belegt erneut, wie groß die materiellen Lücken tatsächlich sind: die kleine, um 1407 entstandene Tafel mit Christus am Ölberg (Prado, 56,5 × 42 cm groß). Sie zeigt als traditionelle Begleitfiguren drei schlafende Jünger und – bei der Restaurierung unter einer späteren Übermalung entdeckt – eine stehende heilige Agnes mit Lamm, die Louis de Valois, duc d’Orléans zugeordnet ist; letzterer – mit Schriftband (Psalm «miserere mei […]») – fiel offenbar einer damnatio memoriae zum Opfer.34 Diese Art der Szenerie eines Ölbergs mit Stifter ist vielleicht einmalig, jedenfalls noch nicht gelüftet. 30
Zur Frage der Epochenbegrenzung und Periodisierung unserer Zeitspanne: Bumke I, S. 31. Ein irreführender Ausdruck “Wie im finstersten Mittelalter” kann in dieser Form erst im 19. Jh. entstanden sein, da der Begriff “Mittelalter” bis dahin in der deutschen Sprache nicht vorhanden war. Wieland spricht noch vom mittleren Zeitalter, von der Mittelzeit oder von mittleren Zeiten. Mittelalter erscheint literarisch 1809 im Titel eines geschichtlichen Werkes: Die kürzeste und bündigste Charakteristik des Mittelalters deutscher Nation (von Campe). Goethe benutzt neben Mittelzeit auch das neugeprägte Wort “Mittelalter” (Röhrich II, S. 1038). Joachim Heinrich Campe (1746–1818) schrieb u. a. ein Wörterbuch der Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke (1801). – Bereits Christoph Cellarius (eigentlich Keller, 1638–1707, Rektor in Weimar und Professor in Halle) teilte die Geschichte in Historia antiqua, Historia medii aevi und Historia moderna ein (1685–1696). – Vgl. auch Grimm XII, Sp. 2393. – Beck 1950. 32 Wenn Restauratoren manches retten, so darf nicht verschwiegen werden, daß sie auch vieles zerstört haben: Sterling 1970. – Nach heutigen Grundsätzen muß eine Restaurierung reversibel sein. – Von Fehlleistungen berichtet schon Plinius: «Die Anmut dieses Bildes [von Aristeides] ging durch die Ungeschicklichkeit eines Malers verloren, der es […] kurz vor den Apollinischen Spielen reinigen sollte» (Plinius, S. 77). 33 Zu den Verlusten: Gert von der Osten, Vermutungen über die Anzahl der Altkölner Tafel- und Leinwandbilder. In: Köln 1974, S. 26–29. 34 Der wichtige Fund ging durch die Presse (vgl. Le Monde, Samstag, 2. März 2013, mit Farbabbildungen vor und nach der Reinigung). – Pilar Silva (Prado), die sich um die Entdeckung kümmert, hat auch eine Zuschreibung bereit: Colart de Laon, berühmt zu seiner Zeit um 1400 und valet de chambre von Louis de Valois, duc d’Orléans. Doch ist bis heute nur sein Name und kein einziges Werk von ihm bekannt, 31
14 – Alte und neue Wege zum Thema ❧ Allerdings stehen für eine Geschichte der Gestik innerhalb der Zeitspanne 1200 bis 1500 weitere wegweisende Materialien zur Verfügung: die literarischen Werke der Dichter. Sie übermitteln als Wegbereiter, was Menschen von damals wirklich bewegt hat. Es handelt sich dabei nicht um Nebenprodukte, sondern um Schöpfungen großer musischer, ja artistischer Vollkommenheit. Dank einer unverbrauchten Vorstellungskraft reflektieren Texte ihre Zeit anschaulich, auch wenn sie ihre Geschichten und Dramen insofern auf neutralen Boden stellt, als sie die erzählten Begebenheiten in schon damals längst vergangenen Epochen ansiedelt. Nur die nie schwindende Macht der Liebeslyrik, diese Gestaltungsart und -gewalt, die dem Wunder der Liebe näher zu kommen sucht, ist, da jedermann davon betroffen sein kann, im hic et nunc der höchsten Gegenwärtigkeit aufgerufen. Zum kunsthistorischen Programm gehören aber nicht nur die Bezüge zu zeitgenössischen Quellen und Schriften, sondern ebenso eine Sichtung der wenigen überlieferten Werke selbst. Es geht dabei, wie bereits angedeutet, um das bewußte Zusammenrücken von Buch-, Wand- und Glasmalerei. Diese «polyvalence du métier» (Girault, S. 123) meint nicht Verlust, sondern impliziert im Gegenteil eine Bereicherung. Sie ist integrierender Teil des artifex-Profils jener Tage. Denn: man unterteilt zu extrem in ortsansässige Zünfte (mit ihren Vorschriften zur Ausbildung, Tätigkeitsmerkmalen, Lebenskonventionen), man gliedert in Berufsgilden, Standesordnungen, Gemeinschaften, “Spezialisten”.35 Man mutet einem Buchmaler a priori eben nur Buchmalerei zu. In Wahrheit zeigen sich allerdings viele artifices oft in unterschiedlichen Techniken gut, ja meisterlich bewandert. Die Urheber dieser Tätigkeiten waren, ich wiederhole mich, bisweilen geniale, ja visionäre Handwerker. Wir nennen sie heute, mit romantisierenden Untertönen, “Künstler”. Buchmaler reihten sich in Hofrechnungen im besten Fall unter die valets de chambre ein, galten aber, was ihr Können anbetraf, zum streng gehüteten Privatbesitz des Auftraggebers, als nos ouvriers, wie die Limburg-Brüder; so beim Herzog Jean de Berry (Paris 2004II, S. 98–113). Der bahnbrechende, visionär gestaltende Claus Sluter wird in Dijon kurzum – und richtig – als ouvrier d’ymages sowie tailleur d’images betitelt. Zeitliches Umfeld und geographische Bereiche. Zum genius loci. Die neue Beredsamkeit, ja Redseligkeit des ausgehenden Mittelalters gibt nicht nur Auskunft über innere seelische Zustände der Protagonisten, sondern auch über ihr Gebaren. Sie wie denn die gesamte nordfranzösische und Pariser Tafelmalerei der “Internationalen Gotik” auf wenige Beispiele – wie etwa von Jean Malouel (1370–1415) – verloren und zusammengeschmolzen ist. Ein 2012 entdeckter Malouel war dem Louvre 7,8 Millionen Euro wert. 35 Dazu beispielsweise: Georges Bernhard Depping, Règlements sur les arts et métiers de Paris rédigés au XIIIe siècle et connus sous le nom du Livre des Métiers d’Étienne Boileau. Paris 1837. – Vgl. die London Regulations for the Trade of Masons, 1356: Frisch, S. 103–105. Ferner: Tripps 1984 mit Zusammenfassung der Fragestellungen.
Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik – 15 vermag zu erklären, warum sie so und nicht anders handeln, handeln werden oder handeln konnten. Akute Gegenwart und Voraussicht sowie Rückschau legen Zeitachsen frei, auf denen die Aktionen verlaufen. Die consecutio temporum beansprucht nicht nur eine mentale Trägerfunktion, sondern erweist sich für das Verständnis der vermittelten Geschichten als entscheidend. Dabei kann schwerlich mißachtet werden, daß diese Aufgaben keineswegs in allen geographischen Gebieten und Landschaften übereinstimmend (synchron, in schneller Folge des Zitats oder in abgewandelten Wiederholungen) stattfanden. Außerkünstlerische Kräfte schafften Voraussetzungen wie groß- und kleinräumig Wirtschaftsbeziehungen; Meere, Flüsse, Seen (Boden- oder Genfersee) sowie Pilgerwege, die “interterritoriale Systeme” ins Leben riefen.36 Es geht dabei auch um den genius loci, den faszinierenden Geist des einzelnen Ortes oder einer Landschaft mit gefühlten und daher die Vorstellungskraft inspirierenden Eigenheiten. Hierzu liegt eine aufschlußreiche Bemerkung Quintilians vor. Er erwähnt von ihm erkannte Stilunterschiede zwischen griechischen und etruskischen (römischen) Statuen. Die einen hätten diese Verehrer, jene hingegen wieder andere amatores, «nicht nur weil bei einen dies, bei anderen etwas anderes hervorragender ist und Zuspruch erhält, sondern weil nicht allen Betrachtern nur eine Form gefallen hat – teils nach den Verhältnissen, sei’s der Zeiten, sei’s der Gegenden, teils nach dem Urteil jedes einzelnen und seiner Ansprüche» (condicione locorum; Quintilian XII 10, 2).37 Wenn Gottfried von Straßburg im Tristan den Helikon besingt, denkt er an den genius loci des heiligen Musenbergs: «die selben gotes gâbe des wâren Elicones, des obersten trônes, von dem diu wort entspringent, diu durch daz ôre clingent» (Tristan, 4896–4900). Einen genius loci empfand 1336 , als er den Mont Ventoux bestieg. ❧ Werke wandern. Nicht nur Künstler, auch Kunstwerke bewegten sich. Entscheidend für Definition und Verständnis mittelalterlicher Ins-Bild-Setzung ist nicht nur ihr Umfeld, gewissermaßen ihr intellektueller Biotop – Kloster, Zunftbindung oder Hofhaltung –, sondern ebenso die physische Abmessung, das heißt Groß- oder Kleinformat – von “lebensgroß” bis miniaturisiert. Verwendete Materialien und ihre Endprodukte (Skulptur jeglicher Form, Wand- und Glasmalerei, Tapisserie, Stickerei, Tafel- und Buchmalerei) haben dabei keine Bedeutung, auch wenn spezialisier36
Den Ausdruck übernehme ich von Alois Gerlich, Geschichtliche Landeskunde des Mittelalters, S. 303. Sei’s der Gegenden: Der Terminus genius loci (Schutzgeist eines Ortes, lateinisch eigentlich “Personifikation der Zeugungskraft”, dann “Schöpfergeist”) reicht bis zu Vasaris (1568) maniera-Begriff. – Die conditio loci spielt bei Vitruv eine Rolle, wenn er z. B. klimatische Vorbedingungen für Privatgebäude untersucht und Unterschiede zwischen Nordvölkern (mit ungeheuer großen Körpern) und Südvölkern herausarbeitet. Nicht weniger hat der Klang der Stimme (sonus voci) bei verschiedenen Völkern ungleiche Qualitäten (varias qualitates). – Vgl. Vitruv, de architectura, Liber sextus I, 135–136 sowie Schuler, S. 39. 37
16 – Alte und neue Wege zum Thema te oder exklusive Techniken den Weg zu einer detailreichen Darstellung aus handwerklichen oder materiellen Gründen verbauen, erschweren, radikal vereinfachen (Abb. 42 a und b) oder gar verunmöglichen. Manches befindet sich am Entstehungsort, vieles ist als Reliquienraub aus religiösen, finanziellen oder ideellen Gründen zerstört, gestohlen oder verschleppt worden. «Vielleicht besäßen wir [noch] die drei Altäre Grünewalds im Mainzer Dom, hätten die Schweden sie nicht eben ihres Kunstwertes wegen entführt (und in den Schiffbruch gefahren).»38 Leicht transportierbare Ware wie Handschriften, Elfenbeine und andere Produkte der Kleinkunst wanderten als Luxusgüter im Gepäck mobiler Hofhaltungen, in den Reisebeuteln von Fahrenden, Dieben und Handelsleuten quer durch Europa (so auch arabisches Kunstgut) – gingen verloren, wurden von Hof zu Hof verschenkt, auf Kriegszügen erbeutet; oder sie endeten, nun aller historischer Prämissen entblößt, in Wunder- und Schatzkammern, später in Museen. Man darf hier schon, ohne den folgenden Notaten vorzugreifen, von der Gewißheit ausgehen, daß originale Werke der artes minores – und vorzüglich im Taschenformat – in der Verbreitung von Bildthemen und Stilerneuerungen im profanen Bereich überraschende, allerdings oft unterbewertete Rollen gespielt haben – und dies in höfischen und später in gesellschaftlich emanzipierten Kreisen des heranwachsenden Bürgertums. Als Verteilernetz kommen der etablierte Fernhandel und die wiederkehrenden Messen (von Provins bis Frankfurt am Main und Nowgorod) in Frage. Ebensoberühmt waren sie als polyglotte Klatschbörsen.39 Die Jahrmärkte versorgten die Führungsschichten in ihren Bannmeilen mit Gütern des gehobenen Bedarfs (Gerlich, S. 373). Dabei nehmen Brückenstädte an der Loire und im Rhein- und Donaugebiet unumgehbare Stellungen als Relaisstationen ein. Mittlerrollen spielten vor allem Elfenbeine (Damenkämme, Rückseiten von Taschenspiegeln, verzierte Schreibtäfelchen oder Minnekästchen), im frühen 14. Jahrhundert in modischen Brauch gelangt. Sie gingen ursprünglich von Frankreich und von Paris aus. Entsprechend fanden sie, Lauffeuern gleich, Verbreitung und scheinen im Thementransfer entscheidende Träger gewesen zu sein (Abb. 32–41). Und dies im profanen wie im religiösen Bereich, wobei vor allem an Frauenklöster erinnert 38 Gert von der Osten in: Köln 1974, S. 27. – Grünewald war 1517–1520 im Dienst von Albrecht von Brandenburg, Kardinal und Erzbischof von Mainz. Einer der Altäre war laut Sandrart 1520 datiert (Thieme / Becker 15/16, S. 136). Mainz war im Dreißigjährigen Krieg 1631–1635 Sitz einer schwedischen Regierung. – Zum Raub von Reliquien: Patrick J. Geary, Furta Sacra. Thefts of Relics in the Central Middle Ages. Princeton 1978. – Von manchen Produktionszentren weiß man, daß ihre Werkstätten nach auswärts lieferten und nicht nur lokalen Bedarf befriedigten. Über den Kölner Export vermutete Gert von der Osten, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach groß war. «Kölner Gemälde auf dem flachen Land, in den kleinen Städten haben gewiß das typische Schicksal aller Kunstwerke dort geteilt; von ihnen sind gewiß etwa 98 Prozent verloren.» (von der Osten, ibid., S. 29). 39 Kauderwelsch kommt von Churer Welsch, da sich auf dem Markt in Chur (Graubünden) zwischen den ladinischen, italienischen Säumern und Händlern und den Schweizer und süddeutschen Kaufleuten im Mittelalter eine merkantile Sondersprache herausbildete, die man eben nur an Ort gebrauchte; anderswo galt sie als verworren und abstrus.
Zum Umfeld der Begriffe Stil und Gestik – 17 werden muß. Nonnen stammten oft aus aristokratischen Kreisen, denen modische Neuheiten nicht verborgen bleiben konnten. Diese These wird später für die Manessische Liederhandschrift eine mögliche Rolle spielen. «Les ivoires profanes, entre autres les boîtes à miroir, accueillent, avec l’iconographie de la littérature courtoise, la Dame de Vergi, la partie d’échecs de Huon de Bordeaux, les chevaleries de Perceval, les épisodes, les divertissements, les songes préférés de la vie mondaine, à laquelle le génie romanesque des Valois et le désordre moral de la fin du siècle donneront un ton de féerie. Les ivoires parisiens, répandus dans tout l’Occident, contribuent à cette remarquable unité de style qui caractérise une fois de plus une langue européenne, riche en dialectes, mais homogène dans son principe» (Focillon, S. 230).40
Hermann Schnitzler schrieb in der Einleitung zu seiner Bonner Doktorarbeit 1934, daß seit der Romanik der qualitative Schwerpunkt auf der Kleinkunst der Goldschmiede lag. Wir fügen die Elfenbeinschnitzer hinzu. «Es ergibt sich so für die Methodik der Zwang, Kleinkunst und Monumentalkunst im Zusammenhang zu sehen» (Schnitzler, S. VII). Elfenbeine haben als Vermittler ähnliche Relevanz wie zum Beispiel antike Kameen (Panofsky 1960, Abb. 73 und 74). Außerdem wurden bedeutende Marienstatuen mit entsprechenden Devotionsansprüchen kleinformatig in Holz oder Elfenbein nachgeschnitzt. Sie fanden ihre Wege durch das gesamte Abendland und stießen vielfach auf Nachahmer und Kopisten.
40 Die Erzählung La Châtelaine de Vergi (vor 1288) war eine der meist gelesenen Liebesgeschichten. Sie reicht bis in den Palazzo Davanzati in Florenz: Walter Bombe, Un roman français dans un Palais Florentin Davizzi-Davanzati. In: Gazette des Beaux-Arts 6, 1911, S. 231–242. Ders., Die Novelle der Castellane di Viergi in einer Freskenfolge des Palazzo Davanzati. Berlin 1912. – Maribel Königer, Die profanen Fresken des Palazzo Davanzati in Florenz. Private Repräsentation zur Zeit der internationalen Gotik. In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 34, 1990, S. 245–278. – Rosanna Caterina Proto Pisani (Hrsg.), Palazzo Davanzati. Tra realtà e sogno. Livorno 2009 (mit Abb. der restaurierten Fresken, S. 46, 48–49 und 52. – Zur Überlieferung: Frenzel, Stoffe, S. 358–360.
Buch- und Wandmalereien als historische Quellen Drei Referenzwerke
Die gewählten Kronzeugen stehen ungefähr (doch zufällig) im Sog entscheidender Jahrhundertwenden: der Ingeborgpsalter in Chantilly (um 1200), die Manessische Liederhandschrift in Heidelberg (um und nach 1300–1330), sowie die Wandmalereien im Adlerturm des Castello del Buonconsiglio in Trient (um 1400–1420). Sie gliedern und markieren großmaschig den Zeitraum, dem sich in den folgenden Kapiteln unterschiedliche Fragestellungen nach Gesten und Gebärden zu nähern suchen.
1. Der Ingeborgpsalter Die Handschrift (Abb. 10–22) befand sich im Besitz der dänischen Prinzessin Ingeborg. Sie wurde 1193 in Amiens als pulcherrima puella und bonis moribus ornata (Rigord, Histoire de France XVII, 38) Gattin des französischen Königs Philippe-Auguste.41 Als kunsthistorisches Objekt, kurz vor oder um 1200 entstanden, wirft die illustrierte Handschrift mancherlei Fragen auf. Ein stilgeschichtliches Problem bietet das Atelier insofern, als zwei Buchmaler nebeneinander saßen: einer mit spätromanischen Faltensystemen im Repertoire, ein anderer (jüngerer?) als Wegbereiter des frühgotischen Muldenfaltenstils. Darin ist in der französischen Buchmalerei ein Neuanfang zu erkennen. Die Muldenfaltendidaktik, die Villard de Honnecourt in seinem Skizzenbuch um 1235 virtuos in vollendeter Prägung darbietet (Abb. 27), wurde bereits erwähnt. Der nun weichere Fluß der Gewänder verändert auch das Repertoire an Gesten und Gebärden. Letztere bestimmen mehr und mehr Kleidungsstücke. Körper und Kostüm sind aufeinander bezogen, beginnen sich zu finden und zu ergänzen, sich gegenseitig zu bedingen.
41 Chantilly, Musée Condé, Bibliothek, ms. 9, olim 1695. – Deuchler 1967. – Louis Grodecki, Le Psautier de la reine Ingeburge et ses problèmes (1969), wiederabgedruckt in: Louis Grodecki, Le Moyen Âge retrouvé. De l’an mil à l’an 1200. Paris 1986, S. 545–563. – Charles J. Liebman Jr., Remarks on the Manuscript Tradition of the French Psalter Commentary. In: Scriptorium XIII, 1, 1959, S. 61–69. – Siehe zum Stilwandel um 1200 die in Deuchler 1200 zusammengestellten Beiträge sowie den Katalog New York 1970 und The Year 1200. A Symposium. New York 1975. – Zuletzt François Avril 1987.
20 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen Im Gegensatz zu früheren Stillagen vermochten sich die Muldenfalten schnell und typisierend zu verbreiten. Dieses Faktum der Unverkennbarkeit stellt, da es über ein einzelnes Atelier hinausgreift, eine Neuheit dar: Es sind die ersten Schritte zu einer Internationalisierung, auch wenn letztlich offenbleibt, wo der “Style 1200”, wie ihn die Ausstellung 1970 zu definieren suchte, seine Ursprünge hatte (Deuchler 1200). Er kann nicht vorzüglich oder gar ausschließlich der Île-de-France zugewiesen werden. Sein Quellgebiet liegt am ehesten im östlichen Kronland (aus dem auch Villard de Honnecourt stammt). Gleichzeitig findet, und wohl unabhängig vom Festland, der jüngste Maler der Winchester Bible, “the Master of the Gothic Majesty”, um Walter Oakeshotts Benennung (1945) beizubehalten, vergleichbare Formenkanones, die in ihrer Summe zu dem auf dem Festland entwickelten Stil parallel verlaufen und sich zu gemeinsamen (steno)graphischen Phänomenen (und Mechanismen) durchfinden. Man steht um 1200 am Anfang des ersten von antiken Reminiszenzen durchwirkten paneuropäischen Stils, der von Nikolaus von Verdun im Maasgebiet, von Benedetto Antelami in Norditalien, von Meister Matteo in Spanien sowie vom Urheber des Trivulziokandelabers in Mailand (Homburger 1949, Deuchler 1988) teils vorbereitet, teils in verbindliche (und somit in nachahmungsfähige und so exportierbare) Normen gefügt wird. Hinsichtlich der Erzählweise der Miniaturen belegt die Handschrift in Chantilly beispielhaft den um 1200 vonstatten gegangenen Wandel. Für eine allgemeine Einschätzung verschiedener neuer Szenarien und Bewegungsabläufe treffen die Bemerkungen von Argan in seiner Storia dell’arte italiana bestens zu: In den Mosaiken von San Marco in Venedig, wo sich vergleichbare Veränderungen abzuzeichnen beginnen, erkennt er um die Jahrhundertwende die «intenzionalità di suscitare emozioni uscendo dalla convenzionalità iconografica e stilistica bizantina», um zu einem «più elevato livello di sentimenti» zu gelangen (Argan I, S. 351).42 Was die im Bild dargestellte Gestik anbelangt, so kam sie, von der Romanik in die Gotik übergehend, «anfangs abstrakt zum Ausdruck, um dann langsam körperliche Wirklichkeit zu gewinnen» (Malraux, S. 34). Außerdem: Die Figuren bekommen im wahrsten Sinne des Wortes nach und nach Boden unter den Füßen und somit optische Standfestigkeit. Ein Rückblick verdeutlicht: Die ganzseitige Miniatur der frühromanischen Vie de saint Omer, um 1080 entstanden,43 zeigt den heiligen Audomarus, an den Händen gefesselt, mit einem Strick um den Hals, von zwei Schergen abgeführt (Abb. 2). Die Handlung ist dramatisch und dramaturgisch vollendet in Szene gesetzt. Große Schritte und fliegende Röcke zeigen Eile an. Die Beine der Schergen bewegen sich teils hinter, teils vor dem Gefangenen. Ihre Körper überschneiden beidseitig den Rahmen, was das Stoßen und Ziehen des ergrauten Opfers unterstreicht. Diese Zufälligkeit der Gesten wird zu einem Schnappschuß von hoher Brisanz. Die Hän42
Vgl. dazu Bal 1980 und 1985. Vita sancti Audemari. Saint-Omer, Bibliothèque municipale, ms. 698. 19 ganzseitige Miniaturen, für die verschiedene Hände verantwortlich sind. – Paris 1954, Nr. 118. 43
Der Ingeborgpsalter – 21 de erzählen mit beachtlichem Geschick: sie packen, greifen, ziehen oder sie fügen sich dem unentrinnbaren Schicksal. Es ist die Intensivierung auf den «ergiebigsten dramatischen Moment der Erzählung» zu, wie es Robert Oertel in einem anderen Zusammenhang beschrieben hat (Oertel 1943/44, S. 4). Die Illustration eilt in der abendländischen Leserichtung von links nach rechts am Betrachter vorbei. Sie reißt ihn mit; das Bild ersetzt die Schrift. Die drei Figuren, aus Einzelgliedern zu einer “Summe Mensch” strukturiert, sind in den unteren zwei Bilddritteln wie silhouettiert und marionettenhaft auf den Grund und den perspektivisch wirkenden (aber nicht so verstandenen) Rahmen gelegt. Sie haben, trotz der Vortäuschung einer minimalen – zwar nur erahnten – Tiefe, keine Bodenhaftung, keine Standfestigkeit.44 Kommt man von hier auf den Ingeborgpsalter zurück, so lassen sich Veränderungen, die auf Bilderfahrungen und Bildwissen der späten Romanik beruhen, erkennen und beschreiben. Die Szenen zeigen jetzt in den meisten Fällen eine Neuerung, durchgehende, wellige Böden, auf oder vor denen die Handelnden agieren, jedoch nur zum Teil “stehen” (Abb. 10, 13). Von Tiefe kann wegen des glättenden und raumnegierenden Goldgrunds zwar noch keine Rede sein. In Innenräumen (Darstellung im Tempel, Abb. 15) “schweben” die Figuren in altertümlicher Weise; eine standbietende Unterlage fehlt, und die Beschaffenheit des Schauplatzes ist der Phantasie des Betrachters überlassen; bemerkenswert, daß die Rahmen an einigen Stellen (wie auch in den Kalendermedaillons) knapp überschritten, also nicht mehr als nachdrückliche Trennleisten, sondern als Vorderkanten einer (imaginären) Plattform verstanden werden (Abb. 19). Ähnliche Lösungen mit Über- und Unterschneidungen wird man noch in der Manesse-Handschrift wiederfinden. Handgesten im Psalter. Im Rahmen einer neuen, doch genau kontrollierten figuralen Flexibilität führen die Hände mit Bewegungen und Stellungen das Geschehen an. Sie erfüllen die Vorgaben der verbindlichen Bibeltexte. Sie erweisen sich als sorgfältig und feingliedrig gemalt, den abverlangten Funktionen prägnant und treffsicher angepaßt. Wahrscheinlich dienten als Vorlagen lebende Hände, vielleicht sogar die eigenen der Maler. Im Atelier waren sie als stets abrufbare Modelle vorhanden. Es lassen sich folgende, bisweilen variierte Formeln unterscheiden, wobei es belangvoll ist, in welcher Höhe zum eigenen Körper die Hände (und Arme) agieren: Unterhalb der Taille ist die Handlung meist mit negativem Beiklang, auf Taillenhöhe neutral, darüber positiv / aktiv.
44 Schon früheren Betrachtern fiel die Miniatur auf: «Die innere Unruhe bemächtigt sich der äußeren Form. So entstehen Bildungen von einer Phantastik und Erregtheit, die ihresgleichen in der gesamten Kunstgeschichte suchen» (Baum 1930; Zitat S. 164).
22 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen Allgemein verständliche Gebärden. Augendialog als Teil der Gestik Gesten im Überblick45 Gruß-, Begrüßungs- und Verkündigungsgesten: (Engel kommen zu Abraham, Abb. 10), (Verkündigung an Maria, Abb. 14), XVIII (Einzug in Jerusalem). (Moses und der brennende Busch, Abb. 12). Zur Begrüßung gehört auch die Umarmung: XI. Nicht jeder Begrüßungsgestus ist auch Segensgestus, ein Unterschied, der in der Literatur oft verwischt oder mißverstanden wird. Zeigegestus: Engel zeigt Abraham das Opferlamm, Abb. 11, (König zeigt auf Stern, Abb. 16), XIV (Scherge im Hintergrund), XVIII (Einzug Christi in Jerusalem), XXIV (Marien am Grab), Emmaus, Abb. 19. Belehrungsgestus: Ankläger der Ehebrecherin, mit erhobenem Zeigefinger, Abb. 20. Geballte Hand, gestreckter Zeigefinger. Frage und Antwort (Christus befragt die Ehebrecherin). Empfangsgestus einer Antwort (Ehebrecherin spricht, Christus vernimmt ihr Wort, Abb. 18). Empfangsgestus (von Gaben; Besitzergreifung): XII (Darstellung im Tempel; Simeon mit verhüllten Händen; das Kind mit in Erwartung geöffneten Händchen); (Gaben der drei Könige), (Abb. 16), XIX (Abendmahl: der vorderste Jünger mit geöffneten Händen in Bereitschaftsstellung zum Empfang der Hostie). Gesprächsgestus (Dialog): VII, (Abraham und Isaak mit aufeinander gerichteten Augen, Abb. 11); XIII (Könige vor Herodes; alle Blicke richten sich auf Herodes, Abb. 16); XV (Christi Versuchung), XXVI (Emmaus). Abwehrgestus: XXV (Christus in der Noli me tangere-Szene). Trauergesten: XXIV (Assistenz um den Salbungsstein). Gestus des Zweifels: XI (Joseph der Geburtsszene, Abb. 14). Fragender Blickwechsel zwischen Joseph und Maria. Überraschungsgestus: XXV (Noli me tangere). Geöffnete, zum Greifen bereite Hände der eilend schreitenden Magdalena. Geste der Verneinung: XVII (Ehebrecherin, Abb. 18). Hand auf Schulter der vorgehenden Person; Umarmung: VI (Sara hinter Abraham, Abb. 10); (Moses’ Begleiter, Abb. 12); XI (Heimsuchung); XXI (Scherge stößt Christus). Greifgestus: XIX (Fußwaschung). Halte- und Greifgestus (Gegenstände halten, tragen): (Abraham); (Holzbündel Isaaks in Kreuzform, Abb. 11); (Moses empfängt die Gesetzestafeln, Abb. 12); (Begleiter auf der Flucht nach Ägypten, Abb. 17). Raffen der Kleidung: (Engel bei Abraham, Abb. 10); XV (Versuchung Christi). Geste des Mantelhaltens (Tasselband-Motiv): IX (Moses; linke Figur der Gruppe, Abb. 35); XIII (Herodes, Abb. 16); XXXIV / Abb. 50 (David). 45 Die römischen Ziffern betreffen die Tafeln der Psalter-Edition von 1967. Andere Angaben beziehen sich auf die vorliegende Publikation. Ich greife auf Notizen zurück, die mir, ein Irrtum, damals nicht besonders bemerkenswert schienen.
Der Ingeborgpsalter – 23 Betgestus: (Anbetung des goldenen Kalbs, Abb. 13); XX (Christus); (Theophilus, Abb. 22). Demutsgestus: XVII (Ehebrecherin antwortet, Abb. 18). Befehlsgestus: (Kindermord, Abb. 17); XXII (Geißelung Christi). Gebärden, die Schriftquellen vorgeben oder nahelegen Gesten der inneren Erregung :XXVI (Apostel erfahren von Magdalena, daß sie Christus gesehen hat, Abb. 19). Gesten der Trauer und Nachdenklichkeit: XXIII (Maria und Johannes unter dem Kreuz); XXX (Marientod). Gestus plötzlichen Erstaunens und Staunens: VII, IX, XVI (Christi Verklärung: die Jünger fielen vor Schrecken hin und schliefen: Matthäus 17, 6 und Lukas 9, 32); XVIII (Lazarus-Auferweckung), XXV, XXVII, XXVIII. Verhüllte Hände: XII (Darstellung im Tempel); XV (Engel, Taufe Christi); XVI (Transfiguration). XVIII (Einzug in Jerusalem), XXII (Marien in der Kreuztragung), XXVI (Emmaus-Pilger, Abb. 19); XXVII (Thomas und Himmelfahrt); XXIX (Engel mit Lanze und Nägeln); XXX (Marientod und Marienkrönung). In der Verkündigung an die Hirten (Abb. 15) sticht der vorderste Schäfer mit dem Gestus seiner rechten Hand in die Augen; er handelt sozusagen als Ansprechperson des Engels. Die Stellung (Ringfinger auf Daumen, die anderen drei Finger alle gestreckt) ist im Psalter einmalig. Sie entspricht dem griechisch-orthodoxen, meist Christus eigenen Handzeichen (Abb. 123 a). Ich habe 1967 darüber hinweggesehen. Der Gestus ist früher zu finden, hat orientalische Parallelen (Katari mudra) und gelangte, wohl mit der Vorstellung energetischer Kräfte verbunden, über Byzanz in den Westen.46 Ungewöhnliche Körperhaltungen und Posen fallen im Psalter dann auf, wenn man sich den erwähnten Figurenraster vor Augen hält und Gebärden der Arme und Hände aus diesem Grundstock löst. Andererseits belegen sie auch die erfinderische 46 Vgl. Frugoni, S. 82–86 mit einer irrtümlichen Beschreibung der Fingerstellungen («l’anulare si unisce al pollice in un anello, mentre le altre tre dita sono piegate», S. 83), was gerade nicht der Fall ist. – Es seien hier im formalen Bereich einige signifikante, identische Fingerstellungen genannt. Rabula-Codex (586), fol. 10recto: Kanonseite, rechte Figur (Grabar 1966, Abb. 324). – Silberplatte mit Szenen aus dem Leben Davids (613–629/39), Nicosia, Antikenmuseum: David empfängt Samuels Botschafter (ibid., Abb. 353). – Homilien des Gregorios Nazianzos (867/886), Paris BN, gr. 510: Thronender Christus (Rice 1959, Abb. 84). – BL, Arundel MS 155, fol. 10recto («shortly before 1023»: Wormald 1952, Abb. 24 b: hl. Benedikt [?]).– Pantokrator-Mosaik (1028/1042), Istanbul, Hagia Sophia (Rice, Abb. 133). – Christus als Pantokrator (um 1150), Florenz, Bargello (Rice 1959, Abb. 169). – Christus (1185–1195), Istanbul, Erlöserkirche von Chora (Karije Cami). Mosaik (Rice 1959, Farbtafel XXXI). – Sutri, Dom, Christustafel (Abb. 123 a), Anfang 13. Jh. Etwas früher ist der identisch segnende Christus, um 1192, in der zypriotischen Kirche der Panagia tou Arakou in Lagoudera (Stylianou 1964, Abb. 35). Der Gestus bleibt auf Zypern lebendig: Stella Frigerio-Zeniou, L’Art “italo-byzantin” à Chypre au XVIe siècle. Venedig 1998, Abb. 116 (Christus), Abb. 121 (Christkind begrüßt die heiligen drei Könige), Abb. 124 (Christus als Kind auf dem Schoß Marias), Abb. 128 (Engel an der Tafel Abrahams). Letztere Belege datieren aus dem 16. Jh. und lassen vermuten, daß der Gestus im “byzantinisierenden” Osten verwurzelt ist. – In der Daktylologie bedeutet die Stellung “7”. – Für Buddha-Darstellungen vgl. beispielsweise den Buddha Amitabha (11.–12. Jh., 2. H. der FujiwaraEpoche) mit dem “geste de la Prédication” in Paris, Musée Guimet, EO 851.
24 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen Kraft der Ingeborg-Maler. Einzelmotive werden zur Darstellung narrativer Brennund Knotenpunkte neu erfunden. Hervorzuheben ist Isaak auf der Opferstätte (Abb. 11). Abraham hebt soeben zum Dolchstoß an. Isaak, mit auf den Rücken gebundenen Händen, zappelt in Todesangst auf der Altarplatte, wobei sich der Maler des alten Knielauf-Schemas erinnert. In der vorhergehenden Szene trägt Isaak, bereits beunruhigt, wie die beigefügen Texte47 in Rot auf dem Goldgrund belegen, das Brennholz. Das Motiv der sich kreuzenden Bündel spielt auf die Kreuztragung Christi an. Zu vergleichen ist die identische Szene, doch anders geprägt, im New Yorker Psalter (PML Ms. 333); er stammt ebenfalls aus dem Ingeborg-Atelier (Deuchler 1967, Abb. 149). Moses, der die Gesetzestafeln zerstört (Abb. 13), tritt in außergewöhnlich dramatischer Stellung auf. “Unten am Berg”, so lautet der zu befolgende topographische Bibeltext, ist ins Bild umgesetzt, und der Zornige wendet und dreht sich, mit erhobenen Händen die Tafeln haltend, dem “zuchtlosen Volk” zu. Diese ergrimmte serpentinataFigur ist in ihrer wie zur Rotation ansetzenden Wucht einzigartig (2. Moses, 32, 19). Vergleichbares findet sich im Figurenkanon des Psalters nicht. Als ein weiteres Zeichen für das unmoralische Volk (ibid., 25) ist die “höfische” ( und daher als verwerflich eingestufte?) Handstellung der vordersten Figur zu deuten: das hier wohl als arrogant und als “sündig” belastete Tasselband.
2. Die Manessische Liederhandschrift Die Handschrift (426 Pergamentblätter; Abb. 43–83) enthält Minnelieder von 140 Dichtern und 137 begleitende kolorierte Federzeichnungen sowie eine Entwurfsskizze.48 Der Codex, als “offene Sammlung” entworfen, war somit stets ergänzungs- und erweiterungsfähig; leere Seiten deuten darauf hin. Mindestens sechs Schreiber und vier Maler, für die es keine verbindlichen Daten gibt, arbeiteten während mehrerer Jahrzehnte an der Sammlung. Es sind:
47
Die Texte bei Deuchler 1967, S. 28. Heidelberg, Universitätsbibliothek, Codex Palatinus Germanicus 848. 426 Bll. 35,5 × 25,0 cm. Einband 1928. – Ausgaben und Würdigungen: Mittler / Werner 1988; Ingo F. Walther (Hrsg.), CM. Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift. Frankfurt am Main 1988; zuletzt: Zürich 1991. – Was die Chronologie anbetrifft, bleiben Fragen offen. Im Hinblick auf (allerdings ebenfalls nicht genau datierbare) französische Vorlagen (Elfenbeine) kann man eine Datierung für den/die Grundstockmeister/in “um 1305 plus” nicht ausschließen. Die zu Vergleichen herangezogenen Elfenbeine aus Paris könnten entprechend um einige Jahre früher angesetzt werden, denn auch hier sind die Datierungen der spezialisierten Forschung unsicher und oszillieren für unsere Zeitspanne zwischen 1300 und 1350 (Grodecki, Natanson, Gaborit-Chopin, John Lowden). Hier wie dort ist man an eine “relative” Chronologie gebunden, die mit genauen Jahreszahlen nicht zur Deckung gebracht werden kann. Der gesamte Fragenkomplex müßte neu aufgerollt werden, was seit 2008 in London stattfindet: Gothic Ivories Project of The Courtauld Institute of Art, London, jetzt über das Internet zu erreichen: www.gothicivories.courtauld.ac.uk. 48
Die Manessische Liederhandschrift – 25 Grundstockmeister(in?), um 1300–1305 Erster Nachtragmeister, um 1310 Zweiter Nachtragmeister, um 1320 Dritter Nachtragmeister, um 1325–1330. Aus Frankreich oder aus Frankreich zurück? Vierter Nachtrag, um 1330–1340, ohne Miniaturen und Initialen Inwiefern die Handschrift von Gliedern der Zürcher Familie Maness(e) inspiriert worden ist, bleibt eine zwar kaum anfechtbare Vermutung. Derweil bietet sie trotz einsichtsreicher Untersuchungen ungelöste, vielleicht unlösbare Rätsel.49 Das heißt: als ursprünglicher Auftraggeber amtierte wohl der literarisch interessierte Zürcher Rüdiger II. Manesse (vor 1252–1304), der offensichtlich einen repräsentativen Codex wünschte; sein Sohn Johannes setzte das Werk fort. Welches Scriptorium – jedenfalls in einer religiösen Niederlassung angesiedelt – und nach welchen Kriterien Rüdiger die in diesem Atelier arbeitenden Buchmaler wählte, ist unbekannt. In der Literatur wird, zu voreilig, ein Frauenkloster ausgeschlossen. Überflüssig scheint die bisweilen gestellte Frage, ob es denkbar sei, daß Liebeslieder hier hätten kopiert werden können; das wäre wohl eine der kleinsten Sünden gewesen. Zur Frage der Autorschaft. Für ein Frauenkloster sprechen mehrere Hinweise. Dem Zoologen Klaus Deuchler fiel auf, daß einige der in den Miniaturen dargestellten Pferde eine seltsame – und wiederholt ins Bild gesetzte – Anomalie aufweisen: «Merkwürdig ist die Tatsache, daß der sogenannte Grundstockmeister, von dem die überwiegende Zahl der Miniaturen stammt, seinen Rossen in einer bestimmten Stellung zwischen dem hinteren Fessel- und Sprunggelenk in Anlehung an die Verhältnisse beim Vorderbein ein in Wirklichkeit nicht existierendes zusätzliches Gelenk anfügt (Abb. 55). Es ist erstaunlich, daß es möglich war, den pferdekundigen Rittern einen so offensichtlichen Fehler vorzusetzen» (Klaus DeuchlerII, S. 10 u. 12).50 Von einer Konventualin waren hippologische Kenntnisse kaum zu erwarten. Ordensfrauen sahen Pferde wohl eher aus der Ferne. Wäre dem so, würde auch die Frage aufgerollt, an welchem Ort in Zürich die Bebilderung der Handschrift begann. Es kommt das Dominikanerinnenkloster Oetenbach in Frage: hier stellten Nonnen, oft in jungem Alter sich aus der Welt zurückziehend, nachweisbar erwerbsmäßig Bücher her. Es waren meist Töchter aus aristokratischen Geschlechtern der Ostschweiz und dem örtlichen Stadtadel. Das Kloster verfügte über eine große, gut dokumentierte Schreibstube.51 Priorin war Cäcilia von Homberg (1286–1338). Es fällt auf, daß in der Manessischen Liederhandschrift nur Dominikaner als Dichter aufgenommen sind (fol. 75verso, Herr Heinrich von der Mure, und fol. 48verso, Eberhard von Sax).
49
Siehe Flühler-Kreis in: Zürich 1991, S. 41–49. Hier auch Angaben zur weiterführenden Literatur. Weitere Beispiele finden sich z. B. fol. 73recto, 164verso, 169verso, 183verso oder 201recto. 51 Flühler-Kreis erinnert an die Nonne Elsbeth von Beggenhof, die vom Todesengel mitgezerrt wird, «so weit, wie die Schreibstube lang ist» (S. 48); zit. nach Heinrich Zeller-Werdmüller et al. (Hrsg.), Stiftung des Klosters Oetenbach und das Leben der seligen Schwestern daselbst. In: Zürcher Taschenbuch, NF 1889, S. 260. – Schon Plinius hat auf malende Frauen hingewiesen (pinxere et mulieres, S. 106 u. 107). 50
26 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen Je länger man sich mit dem ersten Illustrator des Codex beschäftigt und sich in seine Gemütslage sowie in sein radikal vereinfachtes, ja spärlich und nüchtern wirkendes Vokabular hineinzuversetzen sucht, desto stärker wird die Vermutung geschürt, hier das Werk einer Frauenhand zu sehen; Beweise fehlen. Doch: geht man von einem Frauenkloster als Herstellungort der Handschrift aus, versucht man die unübersehbaren und nachprüfbaren Fehler in den Pferdedarstellungen des Grundstockmeisters zu verstehen, und betont man die Bedeutung der französischen Elfenbeinspiegel – gewiß nur Damen so geläufig und zugänglich – und ihrer Ikonographie als willkommene Bildvorlagen, so wird nachvollziehbar, warum man der gestellten Frage eigentlich nicht auszuweichen vermag. Der Zeitrahmen. Um die von den Illustratoren zwischen 1300 und 1330 vertretenen poetischen Stile zu würdigen, vermag man bedeutende zeitgenössische Werke, teils in geographischer Nähe zu Zürich, heranziehen: die Glasfenster in Kappel am Albis (um 1310) und in Königsfelden (1325–1330); in der Buchmalerei das Graduale von Katharinental (1312 datiert); die Cloisters-Apokalypse (um 1320) sowie das Stundenbuch der Jeanne d’Evreux (1324–1328), beide heute in New York. Dabei wird deutlich, daß die Zürcher Liederhandschrift, trotz Sonderlichkeiten, künstlerisch zu den europäischen Spitzenleistungen der Zeit gezählt werden muß.52 Im Modus der Malerei ist eine Wirklichkeit in bewunderungswürdiger, ja asketisch wirkender Kurzform geschaffen worden. Sie fügt sich zum Teil aus Tatsachen, zum Teil aus nur dem Auftraggeber und seiner Zeit verständlichen Anspielungen. Bemerkenswert erscheint der darstellerische Minimalismus, wenn man Vergleiche mit der zeitgenössischen Glasmalerei anstellt, die – teils aus technischen Gründen – ebenso wortarm ist und sich auf das Wesentliche zu beschränken weiß. Trotzdem kann man vermuten, daß die Manessische Liederhandschrift vom Inhalt wie auch vom Aufbau her insofern kein originales Werk darstellt, als es sich auf ein vermutetes, heute verlorenes Vorbild bezog, über das gerätselt wird. Erneut: man steht vor einem hervorragenden Einzelgänger, dessen Umfeld und Netzwerk weitgehend verlorengegangen ist. Von besonderem Interesse scheint der dritte Nachtragmeister zu sein, dessen Eingreifen man um 1325 bis 1330 ansetzt. Der Maler ist auch für die Miniaturen in der Cloisters-Apokalypse verantwortlich (Deucher / Hoffeld / Nickel 1971)53. Diese Handschrift entstand um 1320 in der Umgebung von Coutances (Manche). Die Übereinstimmungen in Farbwahl, Faltensyntax, Gesichtsformeln und Gestik sind offensichtlich, so daß man den gleichen Miniaturisten annehmen darf (Abb. 70–73).54 Ich komme hier nicht darauf zurück. 52 Für die kunsthistorischen Zusammenhänge: Schmidt 1979/80. – Emil Maurer entwirft für Königsfelden ein treffliches Gesamtbild (1954 und 1969). 53 Zur Handschrift in den Cloisters (Metropolitan Museum, New York), siehe: Deucher / Hoffeld / Nikkel 1971. Vgl. dazu: Anna Maria Cetto, Der dritte apocalyptische Reiter. In: Der Bund. Der kleine Bund. Beilage für Literatur und Kunst. Bern, 28. Januar 1973, Nr. 22. 124. Jahrgang. – Die Handschrift erstmals erwähnt von Léopold Delisle, Mémoire sur les figures de l’Apocalypse, Paris 1901, S. XCV–XCVIII («J’hésite à me prononcer sur le pays auquel il convient de l’attribuer»). 54 Was ausgefallene Gestik anbetrifft, so bietet die Handschrift in der Geburtsszene (Abb. 70) ein be-
Die Manessische Liederhandschrift – 27 Die manessische Beweglichkeit. Um die Notate über die Bodendarstellung und -haftung im Ingeborgpsalter aufzunehmen, hat sich bis 1330 bezüglich der Standfestigkeit der Dargestellten nicht viel verändert. Dies fällt um so eher auf, als jetzt die Figuren mit ausdrucksvollen Armbewegungen die Körpersilhouetten gestikulierend verlassen, was sie um 1200 nur ausnahmsweise tun: Hirten-Verkündigung (Abb. 15) und Anbetung der Könige (Abb. 16); Begrüßungs-, Erkennungs- wie Dialogszenen und Wutausbrüche (Moses, Abb. 13). In der Manesse-Handschrift scheinen die Figuren in aufrechter Haltung immer, wo ihre Beine sichtbar werden, zu schreiten, ohne je bodenständig zu sein. Die Füße sind nie parallel nebeneinander, sondern gehen leicht gespreizt auseinander. Dies ist insofern bedeutsam, als die so festgelegten Standmotive den Körper in Bebung und Mäntel und Röcke in Schwingung versetzen (Abb. 79). Sitzfiguren, ob im Sattel, sei es auf einer Bank oder einem Stein, gar auf einem kleinen, blumenbewachsenen Hügel, bilden mit den attributiven Sitzgelegenheiten eine Einheit (Abb. 44). Liegefiguren befinden sich meist lagernd auf einem Bett (Abb. 121) oder ruhend in den Armen der Geliebten. Im Vergleich zum Psalter, wo abschließend von der dramaturgischen Bedeutung der Hände und ihrer Typologie die Rede war, soll hier die Körperhaltung näher beschrieben werden. Die Wiedergabe der menschlichen Gestalt wartet in der Malerei zwischen 1200 und 1300 mit einer Reihe von Veränderungen und Neuerungen auf, unter denen besonders Entdeckungen und Entwicklungen in der Wiedergabe der körperlichen Anmut neue und noch unbenutzte Lösungen bieten. Gleichzeitig weiten sich die Bewegungsbühnen, auch wenn kein nachvollziebarer “Raum” zur Darstellung kommt. Es gibt, neben dem seltenen frontalen Blick auf das Gesicht des Darstellenden (Abb. 43), vor allem Köpfe in Dreiviertel- und so gut wie keine in Profilansicht. Stellt man im Ingeborgpsalter das Vorhandensein eines Grundschemas für die Wiedergabe menschlicher Figuren fest, so kann dies auch für den manessischen Kanon gelten, und zwar übergreifend auf alle vier beteiligten Buchmaler – mit neuen, flexibleren, sogar tänzerisch anmutenden (französischen?) Formeln, die selbst extravagante Stellungen von Spielern, Tänzern und Akrobaten glaubhaft machen. Als Könner solcher Inszenierungen dürfen der/die Maler/in des Grundstocks sowie der dritte Nachtragmeister genannt werden; die beiden anderen Maler waren gehorsame, doch geringere Begabungen. Architektur und Raum. Die in der Manesse-Handschrift vorgeführten Figurendarstellungen können sich mit erhaltenen Leistungen des frühen 14. Jahrhunderts messen. Um so auffallender sind die bescheiden wirkenden, gar kleinlich anmutenden, ja kargen architektonischen Versatzstücke. Dieser oben erwähnte, antidekomerkenswertes Detail. Christus ist nicht der in Windeln gewickelte Säugling, sondern ein kleiner Erwachsener, der nicht in der Krippe liegt (Ochs und Esel erinnern daran), sondern auf einem Sarkophag sitzt und auf seine zukünftige Auferstehung anspielt. Hierauf deutet ebenso die ungewöhnliche Stellung der Beine.
28 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen rative Minimalismus beschränkt sich als asketisch anmutendes Ideal auf das Attributive wie in Kurzschrift: die Dame in ihrer Burg (fol. 261recto) zum Beispiel. Ja, es herrscht allemal eine verbreitete Architekturphobie.55 Bis zum Eintreffen des zweiten Nachtragmeisters sind die Bauwerke – wie auch der Badebottich des Jakob von Warte (Abb. 102) – in die Fläche gewalzt. Raum wird nur zufällig dann geschaffen, wenn Personen oder Gegenstände hintereinander zu stehen kommen und sich entsprechend überschneiden, gar buchstäblich aus dem Rahmen fallen (Heinrich von Frauenberg, fol. 61verso). Die Bildgrenzen werden hier und dort tatsächlich von den Figuren außer acht gelassen (fol. 158recto, 205recto) oder von ihren Attributen überschnitten. Solche Strategien befürworten Räumlichkeit, stellen sie jedoch noch nicht dar. An der senkrechten Rahmenleiste kann an einem hier eingeschlagenen Bolzen das Schwert des Sängers hängen (fol. 151recto, 205recto, 247verso), womit am ehesten “Innenraum” gemeint sein dürfte. Anderswo haben Liebende auf einer lehnenlosen Bank Platz genommen – ebenfalls in einem raumlosen Innenraum (fol. 98recto): ihre Mäntel scheinen über die hintere Kante der Sitzfläche zu rutschen, auch wenn diese wie senkrecht gestellt ist; ein solches Detail erzeugt zwar noch keine dreidimensionale Illusion, doch wird sie zumindest angedeutet. Diese Einzelheiten führen zu den offengeblienenen Problemen, wie Vorbilder oder die verwendeten Vorlagen (Muster für Stickereien?) ausgesehen haben mögen. Dann bricht der im Codex Manesse gesponnene und geknüpfte Faden ab, und man mag sich fragen, was aus dem Zürcher Scriptorium im Kloster Oetenbach geworden ist.
3. Die Wandmalereien in der Torre Aquila in Trient Die Fresken des Adlerturms im Castello del Buonconsiglio in Trient (Abb. 88–98) bekunden als Monatsbilder eine heile Welt. Der Maler überdeckt teppichartig die Wände der kleinen Kammer mit vereinzelten Figurengruppen, die er aus ihm zweifellos zugänglichen Mustern neu ordnet. Es sind, was die erzählerische Montage anbetrifft, vielfigurige Parzellenbilder. Architektonische Anspielungen, welche die wie mit Bändern umwundenen Säulchen ankündigen, trennen die einzelnen Monatsbilder.56 Es geht hier in keiner Weise um einen angestrebten künstlerischen Wurf, sondern um Darstellungen “natürlicher” und sogleich verständlicher Bewegungsabläufe der Feldarbeit, von menschlichen Gebärden, Posen und Gesten, die im Rahmen ihrer Schauplätze “sprechen” und verstanden sein wollen. Es ist eine Darstellung des Friedens, wie ihn beispielsweise Eike von Repgow im Sachsenspiegel heraufbeschwor: 55 Bemerkenswert ist die “gotisch” anmutende Architekturrahmung auf der Seite des Bruders Eberhard von Sax (fol. 48verso), mit Schaftringen an den Säulen. 56 Sie erinnern an die “twisted columns” (allerdings ohne den festen Kernstab), die Pisanello mit heraldischer Eleganz gezeichnet hat (Hill, Tafel XLVII). Sie galten damals offenbar als “modern” sowie bedenkenswert und könnten möglicherweise eine – weiter unten diskutierte – Spätdatierung der Malereien in die 1420er Jahre stützen (Abb. 127).
Die Wandmalereien in der Torre Aquila in Trient – 29 «Für alle Tage und für aller Zeit soll der Friede gelten für Besitz und Leben von Priestern und geistlichen Leuten, von Mädchen und Frauen sowie von Juden. Der Friede soll weiter gelten für Kirchen und Kirchhöfe, für jedes Dorf innerhalb seines Grabens und Zaunes, für Pflüge und Mühlen sowie für alle Straßen des Königs zu Wasser oder zu Land […]» (Sachsenspiegel / Schott; Landrecht II, 66, 1).
Die Monate April / Mai sowie November / Dezember verhängen die Landschaft und eine ummauerte Stadt lose miteinander; das Bühnenkontinuum bricht jedoch auseinander. Der Monat März ist wegen eines späteren Treppeneinbaus nicht erhalten. Folgende Themen werden mit dem Zodiakus in Einklang gebracht: Januar: (Sol in Aquario; 21. Januar–19. Februar) (Abb. 88) Schneeballschlacht und Jagd. Februar: (Sol in Piscibus; 20. Februar–20. März) (Abb. 89) Turnier mit Zuschauern. [März: (Sol in Ariete; 21. März–20. April) Nicht erhalten] April: (Sol in Tauro; 21. April–20. Mai) (Abb. 90) Pflügen und Eggen der Felder; Aussaat; Arbeit im Gärtchen. Mai: (Sol in Gemini; 21. Mai–21. Juni) (Abb. 91) Höfische Liebespaare in der Natur. Höfische Vergnügungen. Liebespaare, stehend, schreitend und sitzend auf blumiger Wiese. Ländliches Essen am Rundtisch bei einer Quelle. Juni: (Sol in cancro; 22. Juni–22. Juli) (Abb. 92) Oben: Käseherstellung. Unten: wandelnde Paare, Schritt-Tanz zu Musik. Mitte rechts: Hunde verfolgen Perlhühner. Ein Paar verläßt die Stadt. Juli: (Sol in Leone; 23. Juli–20. August) (Abb. 93) Heuernte, Fischfang und Vogelstellerei. August: (Sol in Virgine; 21. August–23. September) (Abb. 94 a und b) Kornernte. – Vgl. die Ernteallegorie, um 1190, im Speculum Virginum (Bonn, Rheinisches Landesmuseum; Abb. in: Magdeburg 2009, S. 412). – Paar vor Torarchitektur. September: (Sol in Libra; 24. September–23. Oktober) (Abb. 95) Feldarbeiten; Pflügen der Äcker; sich entgegenreitendes Paar. Das Paar trennt jedoch eine Schlucht. Auch hier sind die Figuranten in keine Beziehung zu einer tragenden und bespielbaren Bühnenlandschaft gesetzt. Oktober: (Sol in Scorpione; 24. Oktober–22. November) (Abb. 96) Nur ein Thema beherrscht die Beschäftigungen: Traubenlese und Weinherstellung. Es reicht von der Ernte in den Weinbergen über den Transport der Trauben in die Kelter, mit einer genau geschilderten (und offensichtlich funktionstüchtigen) Presse, bis zur Kostprobe und das Stampfen. Sie bildet inhaltlich eine erzählerische Einheit. Fräuleins scheinen im Rebberg den Winzern helfen zu wollen, stehen den Arbeitenden jedoch eher im Weg.
30 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen November: (Sol in Sagittario; 23. November–21. Dezember) (Abb. 97) Jäger unterwegs; Treibjagd auf Bären. Dezember: (Sol in Capricorno; 22. Dezember–20. Januar) (Abb. 98) Bäume fällen und Holz transportieren; Jagd. Zur Ikonographie der Holzfäller: RDK II, S. 2–3. Die Anordnung der Monate und der Jahreszeiten erinnert an ältere Programme ähnlichen Inhalts, etwa an die Beschreibung der regia solis, des Palastes des Sonnengottes, in den Metamorphosen. In der Einleitung zum zweiten Buch beschreibt Ovid den Thron des Phoebus und fährt dann fort: «Zur Rechten und Linken standen der Tag, der Monat, das Jahr, die Jahrhunderte und in gleichmäßigen Abständen die Stunden. Da stand der junge Frühling im Blütenkranz, da stand der nackte Sommer und trug Ährengewinde, da stand auch der Herbst, bespritzt von den Trauben, die er gekeltert hatte, und der eisige Winter im struppigen grauen Haar» (II, 25–31).
Da es sich in Trient ausschließlich um dargestellte Außenräume handelt, erinnert der Zyklus zudem an spätere Beispiele mit durchgehenden Landschaftsdarstellungen.57 Man befindet sich hier in Gegenwart eines bedeutenden frühen Beispiels der Kalenderlandschaft, worüber Otto Pächt ausführlich geschrieben hat (1950, S. 37–47); wir kommen darauf zurück. Die Monatsbilder der Très Riches Heures des Herzogs von Berry, um 1412 bis 1416 entstanden, sind anderen Bildtraditionen verpflichtet. Es geht, was die Beurteilung der Malereien in Trient betrifft, zu guter Letzt um die lange Zeit chauvinistisch getrübte Prioritätsfrage: Frankreich oder Italien: «The question of the priority of French or Italian Calendar landscapes is a highly controversial subject, which has not been treated in a sufficiently detached spirit» (Pächt, ibid., S. 38). Datierungsfragen. Der Turm am Ostende der Schloßanlage des Castello del Buonconsiglio wurde im ausgehenden 14. Jahrhunderts umgebaut und aufgestockt.58 Hier richtete Bischof Georg von Liechtenstein, Glied einer mährischen Adelsfamilie, nach erfolgtem Amtsantritt 1390 seine privaten Gemächer ein (Meckseper 2002, S. 279, Abb. 5). 1407 vertrieb man den Würdenträger, was für die Fresken (als deren Auftraggeber er vermutet wird) – seine Wappen, die Pächt (1950, S. 38) erwähnt, vermochte ich nicht zu finden – ein Datum ante quem böte. 57 Marcel Roethlisberger, Räume mit durchgehenden Landschaftsdarstellungen. In: ZAK 42, 1985, S. 243– 250. Siehe: Eva Börsch-Supan, Garten-, Landschafts- und Paradiesmotive im Innenraum. Berlin 1967. 58 Betty Kurth, Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient. In: JB des kunsthist. Instituts der K. K. Zentralkommission für Denkmalpflege V, 1911, S. 2–104. – Fritz Burger, Die Deutsche Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance II,1. Die österreichisch-bayerischen Lande (2. Teil), Schwaben, Oberrhein und die Schweiz bis 1420 (HDK). Berlin-Neubabelsberg 1917, S. 257–263. – Rasmo 1962 und 1982. – Roettgen 1996. – Castelnuovo 1996.
Die Wandmalereien in der Torre Aquila in Trient – 31 Ein Blick auf die Forschungslage zeigt folgende, divergierende Positionen: Die Realisierung des Zyklus könnte, neigt man zu Georg von Liechtensteins Auftraggeberschaft, ab 1390/91 begonnen worden sein. Rasmo59 schlägt ohne Begründung die Jahre 1395 bis 1398 vor: «L’autore degli affreschi, certamente nordico, come dimostrano la tecnica pittorica e lo stile, va probabilmente identificato con quel Venceslao che un documento del tempo ci presenta come pittore di corte del vescovo Giorgio.» Auch Creighton Gilbert bezieht sich auf diesen Text, der im Bruderschaftsbuch von St. Christoph am Arlberg (angelegt 1393) steht: «Wenczla Mins Herren von Trient Maler, gibt alle Jahr 3 grosch.» Gilbert schließt daraus: «Es muß sich um den Hofmaler des Georg von Liechtenstein […] handeln.»60 Das ungelöste Personalproblem verdunkelt die Datierungsfrage. Eine nicht weiter erläuterte “nordische Herkunft” des Malers schien bereits Fritz Burger 1917 (im Gefolge von Betty Kurth) die plausibelste Erklärung, «und zweifellos ist auch das Gestaltungsmaterial im wesentlichen von französischen Vorbildern übernommen worden» (Burger S. 257–258); so die damalige, heute jedoch angezweifelte Lehrmeinung. Burger verweist auf französische Handschriften. Cécile Goldscheider vermutete 1966 (S. 1028): «Le Cycle des Mois […] est une transposition de tapisseries françaises» – doch fehlen überzeugende Vergleichsstücke.61 Stefania Macioce suchte 1989 den Mittelweg: «un artista lombardo certamente a conoscenza della coeva cultura boema» (S. 22). Sie verschweigt, durchaus nachvollziehbar, was sie unter cultura boema versteht, und sie läßt sich auch zu keiner Datierung verführen. Richard Zürcher schlägt, wie schon Burger, einen Zeitpunkt “um 1420” vor und verweist auf die «ungefähr gleichzeitigen Wandbilder im Salone zu Padua» (Zürcher 1944, S. 203).62 Kenneth Ckark schließt sich dieser Ansicht an. Die angebliche Gegenwart eines maestro Venceslao in Trient ist mehr verwirrend als klärend. Um den Zwölfmonats-Zyklus besser eingrenzen zu können, wäre es von Nutzen, die fragwürdig bleibende und sonst nicht belegbare “böhmische” Komponente (so noch Wetzel 2002, S. 421, Anm. 57) in der Gesamtrechnung zu vergessen. Erst neue archivalische Funde böten Gelegenheit, sie wieder in die Diskussion einzubringen. Lombardische und norditalienische Anregungen sind tatsächlich glaubwürdiger, und Richard Zürcher sowie Kenneth Clark mögen mit einer “Spätdatierung” im Recht sein, selbst wenn überzeugend Vergleichbares fehlt oder verlorengegangen ist;
59 Rasmo 1982, S. 25 sowie Anm. 15. – Kenneth Clark schwankt 1961 zwischen “c.1415” und “about 1420” (S. 16). – Keller 1965, S. 645: kurz vor 1407 («aus politischen Gründen»). 60 Creighton Gilbert in: Białostocki 1972, S. 209. – Vgl. Ellen Haniel, Meister Wenzlaus von Riffian. München 1940. Es handelt sich um Fresken in der Kirche Nostra Signora al Cimitero (1415 dat.), die aber von einem anderen Maler stammen. – Castelnuovo 2002. – Benezit, Dictionary 14 (2006), S. 126. – Abb.: Conta IV, S. 314–315. – In der Figurenwiedergabe sind die schlecht erhaltenen und übermalten Malereien in der Campanile-Durchfahrt des Doms in Meran näher am Trientiner Monatszyklus (Conta I, S. 190). 61 Siehe die schlecht erhaltenen höfischen Szenen in Paris, Musée des Arts décoratifs (PE 601. 603 und 604 abgebildet in: Paris 2004II, S. 225–227) sowie Le don du Cœur im Louvre, ibid., S. 228, alle um 1400–1410. 62 Ring in: HDA VII, Sp. 702–724. Ringfinger: HDA II, Sp. 1494–1495.
32 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen es bleibt also bei einer Hypothese.63 Immerhin sind die Säulenzeichnungen von Pisanello in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen. Zum Profil der Werkstatt und ihres Leiters. Zu einer möglichen Klärung des Problems sollten die genannten und offensichtlichen Schwächen des artifex ins Feld geführt werden. Hätte dieser erwähnte Wenzeslaus tatsächlich Hofmaler-Status, müßten die malerischen und künstlerischen Ergebnisse doch wohl anders lauten. Sie stellen im Vergleich mit den zeitgenössischen Wandmalereien in Padua und Verona eine wesentlich bescheidenere Leistung dar: sie sind zwar reizvoll und anmutig in der Einzelbeobachtung, doch stammen sie von einem Maler, der hier wahrscheinlich erstmals vor einer monumentalen Aufgabe gestanden hat und sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht in den Griff zu bekommen vermochte. Es mangelt ihm eine einheitlich konzipierte Komposition. Insofern vermag ich die Meinung, hier sei eine «ästhetisch-physische Gewalt» am Werk, nicht zu teilen (Meckseper, S. 274). Die einzelnen Szenen sind, ob nun um oder kurz nach 1400 oder um 1420 entstanden, in einer altertümelnden Weise wie Puzzle-Stücke aneinandergeschoben. Sie verzahnen sich nicht. Die Paare und Gruppen wurden in die Natur eingesetzt, doch nicht in sie integriert. Sie haben alleinig auf der Erzählebene – etwa in der Weinlese im Oktober (Abb. 96) – einen inhaltlich gemeinsamen Nenner. Der ausführende Maler war an kleinen Formaten geschult, was die Vermutung nahelegt, daß er in erster Linie Buchmaler war, der über ein beachtliches Formenund Bewegungsrepertoire, jedoch über kein maßstäblich korrekt wirkendes Bildwissen verfügte. Das könnte darauf schließen lassen, daß es sich entweder um einen unausgegorenen Erstlingsauftrag handelt – oder ebensogut um ein Alterswerk, das sich auf Muster der Vorgängergeneration beruft.64 Das Vorlagenmaterial stammt aus klassischen Monatsdarstellungen – selbst noch später wie bei Cesare Ripa als Symbole für die Mesi secondo l’agricultura überliefert 63
Liana Castelfranchi Vegas erinnert an die Meinung Toescas: «Ma la vecchia attribuzione degli affreschi, da parte del Toesca, ad un pittore lombardo rappresenta ancor oggi una indicazione preziosa: infatti tutto il ciclo presenta stretti legami con la miniatura lombarda; e infatti una simile abbondanza di osservazioni freschissime sulle fatiche agresti e sugli svaghi mondani […] non si poteva trovare a quel tempo se non nei calendari e nei taccuini lombardi, anche se un tono acutamente nordico, quasi da arazzo francese, traspare dalla composizione in verticale e dalla folta trama vegetale degli sfondi» (1966, s. p. im Kapitel über Stefano e la cultura Veronese). Wenn sie sich auf Pietro Toesca beruft, so meint sie La pittura e la miniatura nella Lombardia. Dai più antichi monumenti alla metà del Quattrocento (Mailand 1912 / Turin 1966) und den ergänzenden Aufsatz in: L’Arte XVI, 1913, S. 13–140. Toesca (1966, S. 196) sagt wörtlich:« [gli affreschi] che crediamo siano stati eseguiti nei primi decenni del secolo XV.» – Pächt weist auf die Nähe zum Jagdfest am Hofe Philipps des Guten hin: als Kopie des 16. Jh. nach einem Original des frühen 15. Jh. in Versailles (Musée National) überliefert: Pächt 1989, Abb. 67. Farbige Abb. der Kopie aus dem 17. Jh. (Dijon, Musée des Beaux-Arts) in: Dijon 2004, S. 162–163. – Neuerdings datiert Anne van Buren (2011): 1407 (S. 168, Anm. 2), wie auch schon Pächt (1950, S. 37) und Sterling (Wien 1962, S. 59). In der Forschung scheint sich die Meinung durchzusetzen, daß das eigentliche Quellgebiet für den in Trient vertretenen Landschaftstypus hier in Norditalien zu suchen ist. Nordfranzösische Textilien mit vergleichbarer Thematik würden demnach von dieser Kunstlandschaft abhängen. 64 Vgl. Toesca 1966, S. 159, Anm. 2, wo er von einem Buchmaler (1426 dat.) sagt, er sei «ritardatario, ligio ancora alla maniera della fine del Trecento».
Die Wandmalereien in der Torre Aquila in Trient – 33 (S. 281–284). Anregungen, vielleicht “Muster”, gehören am ehesten in den Umkreis der Tacuinum Sanitatis-Handschriften. Das Wiener Exemplar (Nationalbibliothek, ms. Series Nova n. 2644), seinerzeit ausgerechnet im Besitz von Georg von Liechtenstein (ein eher irritierender Zufall), vermag zwar in die mögliche Richtung weisen, kann jedoch als unmittelbare Anregung nicht in Frage kommen,65 spielt jedoch für die Ursprünge der Kalenderlandschaft eine Rolle «and therefore gives the art of the North Italian Trecento a big share in the creation of modern landscape painting» (Pächt 1950, S. 38). Sowohl die feine Gesellschaft (Mai, September, Dezember) wie auch die Landleute vermögen sich nicht aus den wie schläfrig gewordenen Floskeln zu lösen. Damen und Herren reiten unmotiviert aufeinander zu, nebeneinander her, sie scherzen, raffen sich immerhin zu einer bühnenmäßig inszenierten Schneeballschlacht auf – höchst originell, doch theatralisch gestellt (Abb. 88). Die Darstellenden sind in den meisten Fällen nebeneinander und nicht miteinander. Sobald sie sich bücken oder hinsetzen, werden sie zu Problemfiguren und geraten aus den Proportionen. Liebhaber knien vor ihren Damen nieder, verstecken sich zu zweit auf blumiger Wiese am Waldrand (Abb. 91), was nicht nur Ovid-, sondern auch Tristan-, Vogelweide- sowie Petrarca-Erinnerungen wachruft.66 Sie setzen sich Blumenreife auf, essen an einem runden Tisch. Bekränzte Mädchen gehen durch den Wald; eines sucht gar Halt an dem Trennsäulchen zwischen April und Mai (eine ingeniöse Idee). Ein Vorgänger zu Trient findet sich an der Südwand des Pisaner Campo Santo, wo das monothematische Leben der Einsiedler (Storie dei Santi Padri, um 1340–1343), gewissermaßen in Breitwandprojektion, mit dem hier übernommenen Schema übereinstimmt (Caleca, S. 64 für Abb.; Text S. 55); im 14. Jahrhundert ist sie zeitgemäß, im 15. Jahrhundert altbacken. Landschaften. Fünfzehn Darsteller sind im Juli (Abb. 93) aufgeboten, davon dreizehn mit ländlichen Beschäftigungen unterwegs, auf dem Felde tätig oder beim Fischfang. Unten ein höfisch gekleidetes Liebespaar. Die Figuren verteilen sich in ungefähr gleichen Abständen über die Fläche, die unten rechts vom Durchgang angeschnitten wird. Alle sind etwa gleich groß. Zwei Burgen, eine Ruine sowie ein Gehöft, in unterschiedlichen Maßstäben, dienen als Füllsel, denn sie sind nicht in die Handlungen einbezogen. Überschneidungen werden vermieden. Es wird in der obersten Szene besonders deutlich, daß die Figuren aus einem anderen Kontext stammen. Die Tätigkeiten des Sensens und Erntens gingen üblicherweisen nicht kreuz und quer, sondern parallel und im Takt vor sich. Hier aber wird Heu gewendet und gerecht, auch wenn an dieser Stelle noch gar nicht geschnitten worden ist; Blumen blühen weiter. Ebenso gibt es am Ufer des Weihers kein Heu, das gezettelt werden könnte.67 65 Toesca 1966, S. 150–154; Abb. 291–298, 464. Die Wiener Handschrift wird ausführlich von Brucia Witthoft besprochen. 66 «Wohl dir, Mai, wie schlichtest du alles in Freundlichkeit, wie bekleidest du Wald und Au und erst recht die Heide! Die hat noch größeren Glanz. ‘Du bist kürzer’ – ‘Ich bin länger’, so wetteifern auf der Wiese Blumen und Klee» (Vogelweide; Wehrli, S. 237). 67 Allerdings muß gesagt werden, daß solche Details am Ende der Ausführung a secco aufgetragen
34 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen Der Vergleich mit den Sieneser Wandmalereien von Ambrogio Lorenzetti (1338– 1339/40) drängt sich hier insofern auf, als man im Palazzo Pubblico am Rande einer überzeugend konstruierten und großatmig angelegten Landschaft steht. Auch wenn es sich nicht um ein ‘Porträt’ handelt, so ist «the ‘Ager senensis’ […] without parallel in the whole of Italian Trecento painting in as far it dispenses entirely with the conventional formulas of barren corkscrew-shaped hills and multiple rocky terraces, spreading instead before our eyes like a carpet the softly undulating surface of cultivated land. It is exactly in these two distinctive features, in the painstaking description of cultivated landscape and in the topographical realism in general, that Ambrogio Lorenzetti’s fresco prefigures the art of the Calendar pages of the Très Riches heures. […] the ‘Ager Senensis’ combines in a kind of synoptical table activities and aspects of nature belonging to different seasons whereas the Limbourgs attempt in their Calendar to portray, in twelve separate pictures, the individual appearance of nature at a distinct seasonal moment» (Pächt 1950, S. 41). Die Einzelhandlungen trennen im Adlerturm entweder Zäune oder Straßenzüge (wie in Pisa), buschige Grünborten, gar gebirgsartige, wie vom Wind gepeitschte Felsriffe, oder Waldstücke (in Pisa durch einzelne Bäume), die als strukturierende Muster in das Ganze Ordnung zu bringen versuchen. Vergleichbares findet sich in Frankreich, in Norditalien und um 1430 in Nürnberg (New York 1986, S. 148).68 Es geht in Trient außerdem um einen vergleichsweise bescheidenen, intimen Auftrag, wenn an die stark in Mitleidenschaft gezogene, geradezu monumental wirkende, gleichzeitige Ausmalung des Palazzo della Ragione in Padua erinnert wird.69 Auch von qualitätvollen Händedarstellungen kann in Trient kaum die Rede sein. Der Maler von Riffian, gelegentlich als Vergleich genannt, malt sie jedenfalls besser. Die Hände der Trienter Darstellenden greifen in den wenigsten Fällen motorisch richtig zu; sie bleiben im Formelhaft-Repetitiven stecken. Sie sind an dem für sie in Frage kommenden Einsatzort als offene Zeichen hingesetzt, meist mit gestreckten Fingern, auch wenn sie einen Gegenstand zu tragen hätten. Man darf sich also, was den tatsächlichen künstlerischen Stellenwert anbetrifft, nicht aus der Fassung bringen lassen: Der Zyklus ist zufälligerweise als erratischer, doch liebenswürdiger Bilderblock erhalten geblieben; Verwandtes fehlt. Er bietet historische Dokumente, doch kein kunstgeschichtliches “capolavoro del Gotico internazionale” (so die lokale Preisung in Touristenprospekten); denkt man an das tatworden sind, und oberste Malschichten haben durch Abreibungen stets am stärksten gelitten; so sind hier Leseirrtümer nicht ausgeschlossen. 68 Für Norditalien: Jacobello del Fiore, Anbetung der Könige, Stockholm. Abb.: Castelfranchi Vegas 1966, Vergleichsabb. – Ähnliche “Felsriffe” im Spätwerk von Lorenzo Monaco, Anbetung der Könige in den Uffizien, 1420/22 (New York 1994, S. 112; vgl. ibid., S. 112 die Geburt Christi in der Lehman Collection). 69 Hier standen, wohl kurz nach 1420, Wände mit über 35 m Höhe, über 81 m Länge und einer Breite von über 20 m zur Verfügung. Die Fresken (319 Szenen in drei Reihen übereinander), an denen um 1420 Giovanni Miretto beteiligt war, zeigten u. a. ebenfalls die Monate, ihre astrologischen Zeichen und die den Jahreszeiten entsprechenden Feldarbeiten. Vgl. Michelangelo Muraro et al., Pitture murali nel Veneto e tecnica dell’affresco. Venedig, Fondazione Giorgio Cini 1960; zu Giovanni Miretto: S. 72–74 und Abb. 35. Siehe: Jörg Rüpke, Zeit und Fest. Eine Kulturgeschichte des Kalenders. München 2006. Hier der Abschnitt über den Kalender der Natur, S. 35–39.
Die Wandmalereien in der Torre Aquila in Trient – 35 sächliche Meisterwerk der Generation zurück, nämlich an die Très riches Heures des Herzogs von Berry, so führt dieses Lob ad absurdum.70 Es ist zwingend, diese Kategorien mit aller Deutlichkeit auseinanderzuhalten, um Maßstäbe zu wahren oder sie wiederzugewinnen, sie ebenfalls im größeren historischen Rahmen zu sehen, was bereits eine Plinius-Stelle nahelegt, denn ähnliche Programme gab es offensichtlich schon in der Antike.71 ❧ Die “Generation 1400”. Der Maler (samt Werkstatt) in Trient gehört jedenfalls, wie auch immer man die Fresken nun zeitlich anzusetzen gewillt ist, zur apatrid wirkenden Künstlergeneration der “Internationalen Gotik”. Im Laufe eines Menschenlebens haben diese artifices im Dienste vieler Herren und Auftraggeber gedient und gearbeitet. Sie überschritten Sprachgrenzen, waren in ganz Europa tätig.72 So verhält es sich auch mit dem Torre Aquila-Atelier, das nach heutiger Denkmälerkenntnis nirgends weitere Spuren oder gar Fingerabdrücke hinterließ; es hat viel gekannt, doch wenig gewußt. Sein Bildwissen pendelt sich auf einem niedrigen, doch einnehmend-naiven Niveau ein. Künstler reisen – das Problem ist allgegenwärtig. Leider läßt sich dies auf Grund der mangelnden Berichte nicht genau nachzeichnen. Man darf die Frage demnach ebenfalls in der Gegenrichtung stellen: Es wäre nachzuweisen, daß sie nicht gereist sind. War Giotto nicht um 1290 in der Champagne und in Reims und einige Jahre später in Avignon, wie schon Vasari behauptet? Kam Pucelle nicht aus Siena? Claus Sluter nicht aus Haarlem? Waren Witz und Fouquet nicht in Italien? Materialien zum Thema haben Georg Troescher 1953 und Gerhard Schmidt 1979 kritisch und wegweisend zusammengestellt.73 70
Zur Frage, was ein Meisterwerk sein muß, siehe auch Walter Cahn 1979. Plinius erwähnt Spurius Tadius, Zeitgenosse des Augustus, «der als erster die anmutigste Wandmalerei (amoenissimam parietum picturam) schuf, Landhäuser und Säulenhallen und Gartenanlagen, Haine, Lustwälder, Hügel, Fischteiche, Kanäle, Flüsse, Gestade und was man sich nur wünschte, sowie verschiedenartige Gestalten von Spaziergängern oder Schiffsreisenden und solchen, die zu Land auf Eseln oder Wagen sich zu ihren Landhäusern begeben, ebenso auch Fischer, Vogelsteller oder Jäger oder auch Winzer. Auf seinen Bildern findet man schöne Landhäuser mit sumpfigem Zugangsweg, auf dem Männer und Frauen, die sich um Lohn auf den Schultern tragen, schwankend einhergehen, während jene, die getragen werden, sich ängstigen, außerdem noch viele derartige Einfälle von höchst geistreichem Humor» (Plinius, S. 86–89). 72 Zu diesen Fahrenden, ohne einen Heimathafen nennen zu können, gehört ja auch ein begnadeter Könner wie der Maler des Wilton-Diptychons (London) – das Feinste vom Feinen der “Internationalen Gotik” (siehe: Wormald 1954). Und doch werden von berufener Seite sowohl England wie etliche Länder des Kontinents als mögliche Ausbildungs- und Tätigkeitsorte des Staatenlosen genannt. Geschichtlich steht man an der beginnenden Spaltung zwischen “Lokal”-Kunst und “Emigranten”-Kunst. 73 Auch im späteren Mittelalter kennt man Künstler, die weit herumgekommen sind. So Maestre Nicolás Francés, tätig in León und Tordesillas (Sanchez Canton 1964). Französische Maler sind seit dem frühen 14. Jh. in Spanien dokumentiert. Schon 1304 berief Felipe IV. einen Everardo de Orleans, den er notre aimé nennt (ibid., S. 9–10). – Starnina, nach Vasari Masolinos Lehrer, weilte 1379–87 am Hofe Juans I. in Toledo; Nicolas Florentino arbeitete 1445–70 in Salamanca und Valencia; der Spanier Jaime 71
36 – Buch- und Wandmalereien als historische Quellen Was in der Mittelalterhistoriographie weitgehend wegfällt, ist die bereits erwähnte Suche nach einem Jugend- oder Alterswerk bestimmter Künstler – überhaupt das Fehlen einer erkennbaren und im besten Fall rekonstruierbaren “Laufbahn”. Durch den geschmälerten Denkmälerbestand bedingt, vermag man die Entwicklung als organisches Lebenswerk nicht mehr nachzuvollziehen. Die Lücken zwischen einzelnen erhaltenen Zeugen werden zu groß, womit selbst relative Chronologien keinen Tritt mehr fassen und den Zusammenhang verlieren. «Die stille Form». Zum 1400-Allgemeingut geworden ist das Streben nach erzählerischer Dichte, die verschiedene Ebenen zu verbinden vermag; die Narrativität der Erzählung verdichtet sich. Dabei bedrängen diese Bereicherungen in keiner Weise die “stille Form” der Jahrhundertwende.74 Vom Meister der heiligen Veronika, tätig in Köln um 1395 bis 1415, sagte Zehnder: Der Maler habe hier als «Neuerer der stillen Form sein Bestes gegeben». Es ist in der Tat eine frische Gemengelage aus Zartheit, Anmut, Zutrauen und Ernst, das durch illustrative Zutaten nicht eingeschränkt, sondern, in seiner anachronistisch mittelalterlich-zeitgenössischen Häuslichkeit vorgetragen, weiter unterstrichen wird, auch wenn es nur Bruchteile von Realitäten des ausführenden Malers und seines Kunden sein mögen. Focillon nennt dies «la poétique de l’objet» (Focillon, S. 276). Im religiösen Bereich könnte man den reicher werdenden Schmuck des Jesuskindes und seiner Mutter untersuchen.75 Der Umgang mit dem Beiwerk und seine Handhabung führen zu neuen Gebärden und Körperstellungen. Künstlerheimat und “Vaterland”. Nochmals zu den apatriden Künstlern: sie haben keine eigentliche “Heimat” mehr, oft nur eine geographische Herkunft. Sie können, von außen kommend, den neuen genius loci perfekt assimilieren. Man beobachtet, «daß bei Umsiedlung in einen anderen Raum, in eine andere Stadt, über kurz oder lang der neue Ort der Tätigkeit seine prägende Kraft durchsetzt, ohne daß es zu einer völligen Angleichung zu kommen braucht. Das bekannteste Beispiel dafür ist Stephan Lochner, der, vom Bodensee stammend, zum Inbegriff kölnischen Wesens» wurde (Paul Pieper in: Köln 1974, S. 45). Pisanello in Pisa geboren, empfing Eindrücke in Mailand und schloß seine Laufbahn um 1425 als Pisanello “da Verona”. Deutsche Goldschmiede arbeiteten in Paris (Troescher I, S. 106–111). Marzal de Sas, pintor Alamany, kam wohl aus Sachsen nach Valencia; er spielte dort eine vergleichbare Rolle wie Pisanello in Verona (Kauffmann 1970). Baço Jacomart (um 1413–61) zog von Valencia aus mehrmals nach Italien. Einem unbekannten, in der Touraine tätigen italienischen Bildhauer um 1510 verdankt man die Büste der Louise de Savoie, heute im Louvre (Tours 2012, S. 58–59). Juan de Flandes, Jorge Inglés sind weitere Namen, welche auf die Mobilität und Migration der Künstler hinweisen. – Nur am Rande sei an die Künstlerwanderung im Rahmen der Kreuzzüge erinnert. Folda hat die Materialien für Saint-Jean d’Acre zusammengetragen (Folda 1976). Die Kreuzfahrer-Handschriften sind auf Grund ihrer militärischen Details für die Schlachtenikonographie von Bedeutung. Siehe: Girault in: Tours 2012, S. 128–131. 74 Ich übernehme den Ausdruck von Frank Günter Zehnder: Köln 1974, S. 37. 75 Ein Beispiel um 1470: das Kind mit Korallenperlen und einem Korallenast auf der Brust (Wien 1969, Abb. 22). Hier als Unheil abwehrendes Amulett; siehe LCI II, Sp. 556 mit weiteren Beispielen. Vgl. den Neujahrsgruß um 1465: ibid., Sp. 403.
Die Wandmalereien in der Torre Aquila in Trient – 37 Die Künstler lernen und gehen auf Wanderschaft, wie Matteo Giovannetti nach Avignon; sie gehen ins “Ausland”, wie im Lied eines unbekannten schwäbischen Dichters (2. Hälfte 13. Jahrhundert): «Frankreich ruft, das gastliche, / nun mich zum Studieren. Und ich gehe, / lasse weinend / euch zurück, ihr Freunde. […] Liebe Heimat, lebe wohl, / süßes Schwabenländle.»76 Da scheint sich viel verändert zu haben, wenn man etwa an ein 1203 datierbares Lied von Walther von der Vogelweide erinnert: «Ich habe viele Länder gesehen und habe dort gern die Besten kennengelernt. Unglück möge mich treffen, hätte mein Herz mich je betört, daß ihm ausländische Sitten gefielen. Was würd es mir nützen, wenn ich etwas Falsches behauptete? Deutsche Lebensart übertrifft sie alle [tiuschiu zuht gât vor in allen]» (Vogelweide / Stapf, S. 291).
Des Dichters Sehnsucht schließt die deutschen Frauen (tiuschen frowen) ein. Im gleichen Gedicht liest man: «Deutschen Frauen will ich ein Loblied singen, daß sie aller Welt noch mehr gefallen müssen; das tue ich ohne besonderes Entgelt. Was könnte ich schon verlangen? Sie sind mir zu wertvoll. Deshalb bin ich bescheiden und bitte sie nur, daß sie mir freundlich begegnen» (ibid.). Und was die Reize deutscher Männer anbetrifft: «Tiusche man sint wol gezogen». Hochdeutsch lautet das: «Deutsche Männer sind wohl gebildet, wie Engel aber sind die Frauen. Wer sie tadelt, der ist verblendet; anders kann ich ihn nicht begreifen. Hoher Sinn und keusche Liebe [tugent und reine minne], wer sie sucht, der komme in unser Land. Da gibt es viel Gutes und Schönes. Ewig möchte ich dort leben» (ibid., S. 293). In Italien formulierte Petrarca: «Ist dies nicht der Boden, den ich zuerst berührte? / Ist dies nicht mein Nest, / wo ich so liebevoll genährt wurde? / Ist dies nicht meine Heimat, der ich vertraue, / eine gütige und fromme Mutter, / die meine beiden Erzeuger deckt?» (Canzoniere 128, 81–86). Dies einige Materialien zur geistesgeschichtlichen Umgebung und zu einem Brückenschlag zur gleichzeitigen Gestik.
76 Psalterium profanum, S. 131–133. Mit “süßes Schwabenländle” übersetzt Eberle die wunderbare Zeile 34: “suavis Suevorum Suevia”, von der er S. 553 sagt, daß sie auf deutsch eigentlich nicht wiederzugeben ist.
Strukturen und Träger der Gestik
Voraussetzungen. Baustoff und Gerüst humaner Gestik ist, in der Summe, eine bündige, doch höchst komplexe structura, die den menschlichen Körper und seine Glieder definiert.77 Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Gestik in den meisten Fällen der übergeordnete Begriff, unter dem sich einzelne Gebärden zusammenfassen lassen. Gestik ist Normen, Regeln sowie Konventionen unterworfen. Diese werden von einer sie bestimmenden Syntax vorgegeben – teils unbewußt, teils gewußt und gekonnt, weil angelernt. Das Wort Syntax sei hier gewählt, da gestische Regungen nie allein, sondern immer in einem interaktiven Bewegungsverhältnis stehen, also syntagmatisch auftreten: die Glieder erhalten ihren Sinn mit ihrer Stellung im Bild. Diese Regeln stecken den Rahmen kommunikativen Handelns in Sequenzen von Zeichengebungen ab. Sie sind entweder überindividuell (Schrecken, aber auch Riten und Zeremonien) oder im Kontakt mit der Umwelt subjektiv gesteuert (Begrüßung, Gespräch, Abschied, Angst). Damit sei ebenfalls verdeutlicht, daß diese Kategorien mit dem Strukturalismus der Sprache nicht verglichen werden können. Doch ist auch der Gestik eine Systemhaftigkeit nicht abzusprechen, insbesondere dann, wenn man einzelne Gebärden und Körperbewegungen umreißbarer sozialer Ordnungen abfragt. In Ritter- und Adelskreisen einerseits, in Hof- und Hausbereichen der Bauern und Bürger andererseits bestimmen Funktionsbedingungen der jeweiligen mitmenschlichen Ordnung die zur Schau getragene Konduite (ich gebrauche mit Absicht die altmodische Bezeichnung). Diese wird dann als anders, gar als fremd erkannt, wenn sie vom Gegenüber aus einer “unteren” oder “oberen” Schicht und Sicht bemerkt wird; jeweils etablierte soziale Systeme knüpfen und knoten immer wieder genau erkennbare Beziehungsund Verhaltensmuster. Die im Bild tätigen Protagonisten als Darstellende erzeugen die Vorstellung von Ereignissen und Handlungen. Sie umfassen mitbeteiligte Akteure sowie, als innerbildliche Zuschauer und Zeugen, hierzu aufgerufene Komparsen. Als Muster diene im Ingeborgpsalter die Szene der drei Engel bei Abraham (Abb. 10). Protagonist ist Abraham, die soeben eintreffenden Boten sind die Akteure, Sarah verweilt als Nebendarstellerin in einer stummen Rolle. Zur Dekodierung und Deutung der Gestik. In seinem eigensten Umfeld fühlt sich der Mensch angesprochen und verstanden, und dies auf Grund von Kopf-, Beinoder Handstellungen (seltener der ganzen Körperhaltung). Er vermag gefühlsmäßig 77 Structura bedeutet Mauerwerk (und seine Bauart), dann Zusammenfügung und Ordnung, als Schlüsselbegriff ebenso Prüfstein, auch im übertragenen Sinn.
40 – Strukturen und Träger der Gestik auf Bewegungen einer Botschaft einzugehen und zu reagieren. Die Vielfalt der Gebärden als Gesamtsumme einer Körpersprache ermöglicht dabei subtil angemessene Teilvokabulare dieser nonverbalen Verständigung. Sie ist dem Bilderleser – damals so gut wie heute – insofern vertraut, als sie auch konventionelle Elemente einschließt und weitergibt; als augenfällige Referenz ruft sie die eigene Gestik in Erinnerung. Fehlendes oder Übertriebenes vermag der Mensch ex negativo wahrzunehmen. Ein entsprechend gebildeter und wacher, aufmerksamer Betrachter wird, über den Grundstock von gängigen Handlungs-, Verhaltens- und Kontaktbewegungen hinaus, zusätzliche Entdeckungen und Erfahrungen machen, so wie man intuitiv “zwischen den Zeilen” zu lesen vermag. Weder Theophilus in seiner Schedula diversarum artium aus dem ersten Viertel des 12. Jahrhunderts, noch Cennino Cennini um 1400 in seinem Libro dell’Arte sind auf Fragen der menschlichen Gestik oder der Gebärde eingegangen. Um 1435/36 beschäftigt sich Alberti in De Pictura am Rande damit: die Bewegungen der Seele würden sich in den Bewegungen des Körpers reflektieren (Spencer, S. 79). Und doch lagen bekannte (spät)antike Anregungen und Vorbilder vor, so etwa in den Schriften Quintilians,78 den Alberti mehrfach zitiert. Für die Kunstgeschichte erweist sich die Institutio oratoria als unentbehrlich: «Es bewährt sich aber oft, von der überkommenen Ordnung etwas zu ändern, und bisweilen ist es auch schicklich so, wie wir bei Statuen und Bildern sehen, daß auf ihnen Haltung, Miene und Stellung abwechseln. Denn der gerade stehende Körper zeigt wohl am wenigsten Anmut: lasse man doch nur das Gesicht geradeaus blicken, die Arme herabhängen, die Füße glatt nebeneinander gestellt: ein starres Werk wird es sein von oben bis unten. Die Schmiegsamkeit der Linien, die ein solcher Körper zeigt, und – ich möchte sagen – ihre Bewegung ergibt den Eindruck von Handlung und Gefühlsbewegung. Deshalb sind die Hände nicht nach einer Weise gestaltet, und im Mienenspiel liegen tausend Arten des Ausdrucks. Manche zeigen eine Laufhaltung und ungestüme Bewegung, andere sitzen oder sind gelagert. Nackt sind die einen, bekleidet andere, manche zeigen Mischungen zwischen beiden Möglichkeiten» (Quintilian, Institutio II 13, 8–10).79
Der im Bildwerk ins Leben gerufene fiktive Sprecher kann diese Kommunikation dank Körperbewegungen und des so entstehenden Spielraums deutlich machen. Es sind Gesten, die eine bevorstehende Handlung oder einen Dialog – selbst unter Taubstummen – anzukündigen vermögen: ein Schritt auf den Partner zu, ein Finger-
78 Der römische Rhetor aus Spanien, in Rom als Lehrer und Redner tätig, sicherte sich Ruhm mit seinem Hauptwerk, den zwölf Büchern der Institutio oratoria. Dieses Lehrbuch, zusammen mit den rhetorischen Schriften Ciceros, war während des Mittelalters Grundlage jeder höheren Bildung. Sie bestimmte später erneut die Erziehung der Humanisten. 79 Das klingt wie eine inspirierende Anweisung an die Maler des Codex Manesse. – Am Rande sei auf den aufschlußreichen Beitrag von Ursula Kirkendale hingewiesen, in dem Quintilians Einfluß in der Musik und vor allem bei Johann Sebastian Bach diskutiert wird (Kirkendale 1980). Wie Bach in den Besitz einer Institutio oratoria kam: Kirkendale, S. 132–133.
Strukturen und Träger der Gestik – 41 zeig, das Anheben des Kopfes, der gezielte Blick. In den 1580 veröffentlichten Essais von Michel de Montaigne findet sich die Feststellung, «que nos muets disputent, argumentent et content des histoires par signes. J’en ay veu de si soupples et formez à cela, qu’à la verité il ne leur manquoit rien à la perfection de se sçavoir faire entendre; les amoureux se courroussent, se reconcilient, se prient, se remercient, s’assignent et disent enfin toutes choses des yeux […].»80
Die Gesten und ihre Bedeutungen verdichten sich zu einer unverzichtbaren Grundlage für die Kenntnis menschlicher Kommunikation – ob freundschaftlich gestimmt, gleichgültig oder feindlich gesinnt. Johann Georg Sulzer (1720–1779) resümierte das facettenreiche Problem treffsicher in seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste:81 «Es liegt in den verschiedenen Stelllungen des Leibes eine so große Kraft, daß fast jede Vollkommenheit und jede Schwachheit, jede Leidenschaft, jede Gemüthsart und jeder Charakter durch die Stellung allein kann ausgedrückt werden. Zuneigung, Hochachtung, Mitleiden für andere Menschen oder Verachtung, Furcht und Abneigung gegen sie, können durch die bloße Stellung des Leibes bewürkt werden. Auch die Unachtsamsten wissen es, daß es freche und bescheidene, hochmüthige und demüthige, fröhliche und niedergeschlagene Stellungen giebt; die sich aber besonders darin geübt haben, die menschliche Seele in dem Körper zu sehen, entdecken bisweilen in der Stellung des Leibes ihre ganze Beschaffenheit. […] Darum ist es eben so wichtig für sie, den Menschen in seinen verschiedenen Stellungen zu beobachten, als auf die innern Bewegungen und Regungen des Herzens Achtung zu geben; und der kennt den Menschen gewiß nur halb, der blos sein Inwendiges kennt. Gar oft überzeuget uns die blosse Stellung von der Aufrichtigkeit oder Falschheit der Versicherungen, die man uns giebt; und oft empfinden wir durch die Stellung mit weit mehr Zuverläßigkeit oder mit stärkerm Nachdruck, was in dem Herzen der andern vorgeht, als ihre Worte uns sagen können» (Sulzer IV, S. 231–232). 80 Es folgt der Abschnitt über die Hände und den Kopf: «Quoy des mains? Nous requerons, nous promettons, appellons, congedions, menaçons, prions, supplions, nions, refusons, interrogeons, admirons, nombrons, confessons, repentons, craignons, vergoignons, doubtons, instruisons, commandons, incitons, encourageons, jurons, tesmoignons, accusons, condamnons, absolvons, injurions, mesprisons, deffions, despitons, flattons, applaudisson, benissons, humilions, moquons, reconcilions, recommandons, exaltons, festoyons, resjouissons, complaignons, attristons, desconfortons, desesperons, estonnons, escrions, taisons; et quoy non? d’une variation et multiplication à l’envy de la langue . – De la teste: nous convions, nous renvoyons, advoüons, desadvoüons, desmentons, bienveignons, honorons, venerons, desdaignons, demandons, esconduisons, égayons, lamentons, caressons, tansons, soubmettons, bravons, enhortons, menaçons, asseurons, enquerons. Quoy des sourcils? Quoy des espaules? Il n’est mouvement qui ne parle et un langage intelligibile sans discipline et un langage publique: qui faict, voyant la varieté et usage distingué des autres, que cestuy cy doibt plus tost estre jugé le propre de l’humaine nature» (Michel de Montaigne, Essais, chapitre XII, Apologie de Raimond Sebond. Paris 1950 (Pléiade), S. 481–683. Zitat: S. 499–500). – Der Text datiert aus den Jahren zwischen 1576 und 1580. «As a riff, the passage is terrific, but as a description of human behaviour it is distinctly culture-specific. For good or ill, most of us today do not perform three-quarters of these functions by gesturing with our hands.» So Ferdinand Mount in einer Besprechung von Angus Trumble, The Finger. A Handbook (Yale University Press), in: TLS, Januar 2011, S. 7. 81 Vgl. Goethes Kritik an Sulzer in: Goethe 1.2., S. 397–402.
42 – Strukturen und Träger der Gestik Die Dekodierung der individuellen Gestik und der kollektiven Gebärdensprache kann dank solcher Aussagen für das erweiterte Bildverständnis wegweisend sein. Die augenblickliche Mimik, gefrorene Blicke des Staunens oder der Ungläubigkeit erlauben, als Psychodiagnostik, ein Gesicht zu “lesen” und damit verknüpfte Signalhaltungen und -handlungen zu deuten und zu verstehen. Letzteres gilt zwar erst für Darstellungen aus dem späten 14. Jahrhundert; vorher werden kaum Mienen verzogen; sie verharren, wenn es sich um die “Bösen” handelt, in maskenhafter Unzugänglichkeit. Sie können zur Grimasse ausarten. Gerhard Schmidt vermutet, «daß sich der Einfluß des Schauspiels – und zwar des profan-volkstümlichen nicht minder als des geistlichen – auf die bildende Kunst nicht bloß in der Übertragung einzelner Bildmotive und ikonographischer Themen erschöpfte. Vielleicht spiegeln auch die outrierten Grimassen der Törichten Jungfrauen in Magdeburg bereits Erfahrungen und Beobachtungen, die ihr Schöpfer dem Zusehen bei irgendwelchen, nicht notwendig geistlichen Spielen verdankte. Wenn dies zutrifft, waren diese Statuen wohl auch imstande, bei jedem Betrachter mit einem vergleichbaren Erfahrungshorizont ähnliche Assoziationen auszulösen» (Schmidt 1984, S. 12). Die Entzifferung der Körpersprache wird insofern zu einer, überspitzt gesagt, nonverbalen ars oratoria. Bild und Gestik richten sich, wie die Bildkomposition, primär an die Augen. In erster Instanz entscheidet das Auge, ob Bilder oder Gesten “stimmen”. Augustinus schreibt: «Mit einem Gestus ein Zeichen geben – ist das etwas anderes als sichtbar zu sprechen?» (De Trinitate XV, X, 19). Ad oculos demonstrieren heißt: sich vergewissern, daß der Angesprochene das Vorgeführte nicht bloß akustisch, sondern ebenso optisch wahrnimmt und versteht. Der Kirchenvater erinnert sich dabei an seine eigene Kindheit: «Wenn [die Leute] irgendeinen Gegenstand benannten und gleichzeitig eine entsprechende Körperbewegung machten, dann sah und erfaßte ich, daß mit solchem Wort ein bestimmtes Ding gemeint sei, das sie mir zeigen wollten. Daß sie eben dies wollten und meinten, war, wie gesagt, zu ersehen aus den Bewegungen des Körpers, gleichsam der natürlichen Sprache aller Völker, die durch Mienenspiel, Augenblinzeln sowie allerlei sonstige Gebärden und Laute die Regungen des Gemütes kundtut, das Gegenstände bald haben und behalten, bald von sich weisen und fliehen möchte» (Bekenntnisse I, VIII, 13).
Handlungsrichtung und Bildlesung haben keine unmittelbare Verbindung mit dem anschließend diskutierten Rechts-Links-Problem der Einzelfigur und der zugehörigen Symbolik. Es handelt sich hier um die Richtung der Handlungsabläufe im Bild: quer, diagonal oder vertikal (Apotheosen, Himmelfahrten, Höllenstürze). Diese gewinnen verschiedene Wertungen, da der Europäer, durch die Lesung geschriebener Texte von links nach rechts vorprogrammiert, anders reagiert als auf Handlungen, die, im Gegensinn, von rechts nach links gehen. Solche treffen, ja prallen auf den
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 43 Betrachter und haben somit weitergehende dramaturgische und gefühlsbetonte Potentiale, ja Sprengkräfte. In einer Verkündigung an Maria kommt der Engel üblicherweise von links.82 Der abendländische Bilderleser, der von links in das Geschehen einsteigt – so wie er lesend einen Text links beginnt –, identifiziert sich (zumindest unbewußt) mit Gabriel; er wird selbst zum Überbringer der Botschaft. Er weiß bereits, was erfahren, empfangen und gewußt werden wird. In der gegenläufigen und selteneren Inszenierung übernimmt er die empfangende Rolle Mariens. Er blickt, wie die Hauptdarstellerin, überrascht, oft in ihrer Arbeit oder Lektüre unterbrochen, nichtsahnend dem Engel entgegen.
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder «Vorrangig geht es um die Zucht der Bewegungen, damit ein jedes Körperglied das verrichtet, wozu es geschaffen ist und damit nicht die anderen Körperglieder ihre Aufgaben verwechseln. Es geht darum, daß die Augen sehen, die Ohren hören, die Nasen riechen, der Mund sprechen, die Hand handeln und die Füße gehen sollen, damit die Glieder ihre Aufgaben nicht verwechseln und unkontrolliert durcheinander geraten» (Hugo von St. Victor, zit. nach Hartung, S. 234).
Der nackte Körper. Bemerkungen zum Thema wären ohne Kenntnisnahme von Kenneth Clarks Buch The Nude. A Study of Ideal Art (1956) lückenhaft. Clark behandelt nicht ausschließlich klassische Themen, in denen die Nacktheit Triumphe feiert (Apollo, Venus, Energy, Pathos und Ecstasy), sondern er fügt stichhaltige Überlegungen an zu The Alternative Convention (S. 300–334); hier spricht er von Adam und Eva sowie den Auferstehenden am Jüngsten Tag. Er kommentiert Werke von Wiligelmo, die Szenen auf der Hildesheimer Tür, die Eva in Autun, das Jüngste Gericht in Bourges (um 1270–1280) und geht bis van Eyck, Hugo van der Goes, Konrad Meit und Masolino (Abb. 117). Er stützt sich dabei auf den nur im Englischen möglichen Unterschied von nude und naked.83 «Given my distinction between the nude and the naked, it may be asked by what criterion the Gothic body is included in this book. The answer is that since nakedness 82
Vgl. dagegen Don Denny, The Annunciation from the Right from Early Christian Times to the Sixteenth Century. New York 1977 (Garland Outstanding Dissertations in the Fine Arts); mit der älteren Lit. Siehe beispielsweise die Außenseite in Grisaille des Marienaltars von Moulins, 1496–1500, den Charles Sterling dem Flamen Jean Hey zuordnet. Der Engel landet von rechts kommend. – Wenn bisweilen die Hände in der Buch- und Wandmalerei verwechselt werden, hängt dies wohl eher mit dem Umstand zusammen, daß Vorlagen spiegelverkehrt kopiert worden sind. 83 Nude kann mit “Akt(malerei)”, naked mit “nackt” oder “unverhüllt” übersetzt werden. – Zur Nacktheit im religiösen Bereich als Ausdruck der Erniedrigung, Zeichen der Sünde, als Tugend und Bild der Seele: LCI III, Sp. 308–309.
44 – Strukturen und Träger der Gestik was required in certain subjects of Christian iconography, the body had to be given a memorable shape, and in the end the Gothic artist evolved a new ideal. We may call it the alternative convention» (S. 301).
Zögerlich wies die Kunst mittels protokollarisch wirkender Kürzel auf Brüste oder Geschlechtsteile hin, welche die Unterschiede zwischen Frau und Mann verdeutlichen. Dies geschah offenbar schon einmal in der Antike, denn Plinius erwähnt den Athener Eumares, «der als erster in der Malerei den Mann von der Frau unterschied und alle Gestalten nachzuahmen wagte» (Plinius, S. 49). Dabei verwendete der griechische Künstler, was die Farben anbetrifft, für den Mann Braunrot, für die Frau Weiß.84 Der mittelalterliche Menschendarsteller selbst hat wohl außerhalb des Ehe- und Liebesbettes selten Nacktes zu sehen bekommen. Man schlief im allgemeinen unbekleidet. Hartmann von Aue schreibt im Gregorius: «Alle beide waren ausgezogen, ohne Kleider, bis auf die Bettdecke» (S. 27, 367–369). Heinrich von Morungen beginnt sein berühmtes Tagelied mit [es spricht der Mann]: «O weh, soll mir denn nie mehr leuchten durch die Nacht noch weißer als Schnee ihr schöngestalter Leib? Der trog meine Augen: ich wähnte, es sei des lichten Mondes Schein – da ward es Tag.» Und er schließt mit [es spricht die Frau]: «‘O weh, daß er so oft in meinen Anblick sich verlor! Wie er die Decke mir nahm, da wollte er ohne Kleid mich Arme sehn entblößt. Es war ein Wunder groß, daß er’s nicht müde ward.’ Da ward es Tag» (Wehrli, S. 157 und 259). Bei Walther von der Vogelweide findet man: «Ihre Kehle, ihre Hände, jeder Fuß, die sind vollkommen schön. Wenn ich loben darf, was dazwischen ist, so mein ich allerdings, noch mehr geschaut zu haben. Nicht gerne hätte ich: ‘Bedecke dich!’ gerufen, als ich sie entblößt sah. Sie sah mich nicht, als sie mich traf, was mich noch sticht, wie es mich damals stach, wenn ich des lieben Ortes gedenke, da die Reine vom Bade kam» (Wehrli, S. 229; Minnesang, S. 20).
Ungehöriger, oft unzüchtig ging es in öffentlichen Badehäusern zu (Abb. 103); Albrecht Dürer hat sie aufgesucht. Berufsmodelle sind erst seit den Jahren um 1450 (vorwiegend persone basse e plebee) überliefert.85 Erhaltene Gliederpuppen aus dem frühen 16. Jahrhundert legen die Vermutung nahe, daß notfalls auch solche Behelfe Eingang fanden. Unverfängliche Bildbühnen für imperatives Vorzeigen nackter Körper bieten Jüngste Gerichte (Abb. 86). Henri Focillon stellte angesichts des Türsturzes von Rampillon fest, daß die Auferweckung der Toten «présente des nus d’un grand charme et 84
Zum Phallos und seiner Bedeutung im Altertum, siehe zusammenfassend: Pauly IV, Sp. 701–706. Zur Aktmalerei: Kurt Karl Eberlein, in: RDK I, Sp. 282–288. – Melanchthon schreibt: «Als Apelles die Venus malte, sorgte er dafür, daß ihm dreißig schöne Jungfrauen ausgesucht wurden, die er genau betrachtete.» Ähnlich machte es Dürer, «ein ehrbarer Mann, Maler aus Nürnberg, dem sich ehrbare Jungfrauen zur Verfügung stellten» (Dürer Druckgraphik, S. 1129). – Die Auswahl verschiedener unbekleideter Jungfrauen geht wohl auf eine Stelle bei Plinius zurück (S. 55). – Zeuxis hat in einem Pariser Codex (um 1400–1405) fünf Schönheiten als Modelle vor sich: Paris 2004, S. 230. – Zu den Theorien der Nacktheit siehe: HDA VI, Sp. 823 ff. 85
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 45 du jet le plus fier. L’art du Moyen Âge ne serait pas complet, s’il ne nous avait laissé de telles images du corps de l’homme et du corps de la femme» (Focillon, S. 230). Im Jüngsten Gericht des Fürstenportals am Bamberger Dom fallen die grinsenden Verdammten auf. Wilhelm Vöge hat sich 1897/98 mit ihnen beschäftigt.86 Voll kurioser Einzelheiten ist die Miniatur mit dem Jüngsten Gericht (Seelenwägung) von Jean de Bruges in Augustins Cité de Dieu. Raoul de Presles hatte sie für Karl V. übersetzt und dem König gewidmet (1376; Paris 1955, Nr. 124; Tafel XVIII). Anderswo sind vor allem jene Auferstehenden bemerkenswert, die sich teils in höchst ungewöhnlichen Stellungen zwischen Himmel und Hölle im vom Teufel gespannten Netz verfangen: So in der Capella Sant’Antonio oberhalb von Morcote (Tessin), wo der Maler, nach 1400 tätig, eine in der Legenda aurea zwar erwähnte, doch wohl einzigartige Vision des heiligen Antonius ins Bild umsetzte.87 Entblößen heißt, sich das Hemd ausziehen: Alsbald steht man nackt da, denn Unterwäsche in Hosenform für Frauen und Männer gab es noch lange nicht.88 Corpus humanum als strukturelle Einheit. Der menschliche Körper gilt dank seiner Symmetrie als Maß aller Dinge – sogar für die Baukunst und, im übertragenen Sinn, für die gesamte civitas: «[…] quod civitas ad modum corporis humani aedificaretur.» So will es Albertus Magnus in seinem Kommentar zur Politik des Aristoteles, wobei er sich auf Vitruv beruft. Er fährt fort: «In corpore enim humano primo fundatur cor et munitur ossibus pectoralibus et officialibus membris in circuitu positi, et in extremo ponuntur membra motiva, sicut manus et pedes quibus repellantur et attrahantur convenientia» (Schuler, S. 69 mit Nachweisen).
Gottfried von Straßburg beschreibt Tristans Ziehvater Rual mit folgenden Worten: «Er war von vornehmem Wuchs. Körper und Glieder waren hünenhaft gewachsen. Er hatte schöne lange Arme und Beine. Sein Gang war herrlich und vornehm. Er war gut gebaut. Er war weder zu jung noch zu alt. Er war in den besten Jahren, in denen
86 Erste Veröffentlichung 1901. Wiederabgedruckt in: Vöge 1958, S. 130–200. Über das Jüngste Gericht: S. 148–150 (mit Abb.). Detail der Verdammten in: Schmitt 1990, Tafel XXIII. Siehe auch Wilhelmy 2012. 87 Gastone Mandozzi, Il ciclo di S. Antonio a Morcote nel contesto del gotico internazionale in Ticino. In: L’Almanacco. Cronache di vita ticinese 7, Bellinzona 1988, S. 121–128 (mit Abb.). Der Text in der Legenda aurea lautet: «Einstmals ward er im Geist entrückt, und sah die ganze Welt mit Schlingen überspannt, die alle miteinander waren verknüpft. Da schrie er und sprach ‘O Herr, wer mag diesen Schlingen entrinnen?’ Da hörte er eine Stimme, die sprach ‘Demütigkeit’» (Legenda aurea / Benz, S. 123). 88 Siehe z. B. die sich am Feuer wärmenden Bauern in der Februar-Miniatur der Très Riches Heures des Herzogs von Berry (Longnon, Tafel 3; Châtelet / Recht, Abb. 167.) – Das Verdecken der aidoia (der Schamteile), seit der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies verbindlich, hat bisweilen seltsame “Feigenblätter” generiert. Cennino Cennini macht als erster Angaben über die Darstellung der männlichen Geschlechtsteile: l’uomo «de’ avere la natura sua, cioè la verga, a quella misura ch’è piacere delle femmine; sia i suo’ testicoli piccoli, di bel modo e freschi» (S. 83).
46 – Strukturen und Träger der Gestik das Alter und die Jugend dem Leben die meiste Kraft verleihen» (Tristan, 4034–4043). Sein schône ganc wird schon in Zeile 3331 erwähnt.
«Der tapfere Held stand vor der Jungfrau, als wäre er von Meisterhand an eine weiße Wand gemalt» («vor der juncfrouwen stuont der helt guot, sam er ûz meisters hende wol entworfen wære an einer wîzen wende»).
So liest man in Kudrun (XII. Âventiure, v. 660, 2–4 [218–219]). Beachtenswert ist die Gegenüberstellung mit meisterlichen Kunstwerken der Maler und Gießer (wie gleich in dem folgenden Wolkenstein-Zitat). Ovid zieht eine Parallele zwischen der Schönheit Adonis’ und Kunstwerken: «Wie man auf Bildern die nackten Amoretten malt, so sah er aus» (Metamorphosen X 516: «[…] qualia namque / corpora nudorum tabula pinguntur Amorum»). Oswald von Wolkenstein besingt in einem seiner Lieder die kunstvollendete Erscheinung eines Mädchens – wohl zum Teil auch eine rhetorische Übung: «Freu dich, du irdisches Geschöpf [weltlich creatur], daß deine ganze Gestalt nach dem Kunstsinn eines Meisters gebildet ist, glänzend gemacht von oben bis unten, untadelig im rechten Maß, adeliges Wesen unlösbar eingefügt. Das Bildwerk ist makellos gegossen; wem es sich hingegeben hat, der darf sich dessen herzlich freuen. / Ein zierliches Köpflein habe ich gefunden, darauf in hellen Locken kraus das Haar, zwei feine Brauen, blanke Augen, ein Mündlein wie Rubin und Rosen, Nase, Kinn und Hals, die Haut hell weiß, der Wänglein Feuer; die Stirn mit guten Gedanken gefüllt, die sich seit früher Jugend darin ausgebreitet haben. Dank sei dem, der das alles freudenreich geschaffen hat. / Betrachte und bedenke ich dieses Bild, seine Statur, sein Leben, seine Schönheit und Herrlichkeit, wie es der Meister ersonnen hat und wie es, ganz nach seinem Plan, dazu kommt, daß niemand auf Erden in ähnlich reiner Schönheit sich darstellen kann, thronen, prangen und was auch immer: dann gewinnt sie jeden Wettstreit. Vollendet weiß sie sich zu betragen in Ernst und Scherz» (Lieder, S. 5; Wehrli, S. 401).89
Was die hier in Text und Bild aufgerufenen Protagonisten anbetrifft, so stellt sich die Frage, wie man sie äußerlich als Erscheinungen wahrgenommen hatte: ob groß und schlank oder gedrungen klein. Wie war die Art, sich zu geben, den Körper in Szene zu setzen. Ein Ritter fällt auf, wenn er sich schön bewegt: «wie süeze ist aller sîn gebâr» (Tristan, 716); zudem sprach der Betroffene die Dame französisch an: «â, dê vus saut, bêle» ( = Gott behüte Euch, meine Schöne). «‘mercî’ dît la buzêle» (= das Mädchen; Tristan, 743–746). Das ist höchste Eleganz. Petrarca möchte Laura an ihrem Gang (a l’andar) wiedererkennen (Canzoniere 282, 13). 89 Bei Ovid lautete dies: «[Apollo] sieht wie das schmucklose Haar bis zum Hals herabhängt. ‘Ei’ sagt er ‘wenn es erst noch frisiert würde!’ Er sieht die sternengleichen Augen Funken sprühen; er schaut das Mündchen an und will sich mit bloßem anschauen nicht begnügen; er lobt die Finger, die Hände, die Arme und die Oberarme, die bis zur Mitte entblößt sind; und was verborgen ist, stellt er sich noch schöner vor. Sie [Daphne] aber flieht […]» (Metamorphosen I 499–502) .
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 47 Ein Mensch erscheint dann als “schön”, wenn seine Glieder in entsprechendem Verhältnis zueinander stehen; so Dante (Convivio I, 5): «Onde pare l’uomo essere bello, quando le sue membra debitamente rispondono.»90 Cennino Cennini widmet das 70. Kapitel im Libro dell’Arte den Proportionen: «Le misure che de’ avere il corpo dell’uomo fatto perfettamente» (S. 81–83). Diejenigen der Frau teilt er nicht mit: «Quelle della femmina lascio stare, perché non ha nessuna perfetta misura» (S. 81). Dies ist ein höchst bemerkenswertes Urteil, für das ich keine Erklärung zu bieten wage. Um 1400 liest sich hingegen in einer Benedictus-Oration eine Beschreibung von der Schönheit der Gottesmutter (der ganze Text bei Herkommer 2007, S. 84–85): «Gesegnet seien deine allerleuchtendsten Augen (Benedicti sint oculi tui clarissimi), gesegnet seien deine Rosenwangen (Benedicte sint rosifere gene tue), gesegnet sei deine jungfräuliche Nase und gesegnet seien deine duftenden Nasenlöcher (Benedictus sit nasus tuus virgineus et benedicte nares tue odorifere), gesegnet seien deine alleranmutigsten, schneeweißen Zähne (Benedicti sint dentes tui candore niveo decentissimi), gesegnet sei dein allerweißester Hals, an dem du den allerliebsten Jesus, den Preis unseres Heils, in zärtlicher Umarmung hieltst (Benedictum sit collum tuum candissimum, quo salutis nostre precium Ihesum dulcissimum cum amplexu tenerrimo tociens suscepisti), gesegnet seien deine allerdemütigsten Schultern und gesegnet sei dein allerelegantester Rücken (Benedicti sint humeri tui modestissimi, et benedictum dorsum tuum elegantissimum).»
Boccaccio notiert über Frauen seiner Zeit in einem Abschnitt “Gegen die Weiber”: «Obwohl sie [die Frauen] genau wissen, daß ihre reizende Gestalt mit dem schönen, rosigen Angesicht, die schwarzen oder braunen Augen, ihr goldfarbenes langes Haar, ihre krausen Locken, ein süßer Mund, eine gerade Nase, ein weißer makelloser Hals, der aus runden Schultern herauswächst, die schönen straffen Brüste, die wohlgeformten Arme und reizenden Hände, ihre schmalen Finger, ein schlanker Leib und der kleine Fuß schon so viel vermögen, haben sie daran noch nicht genug, sondern achten mit Eifer und Geschick darauf, die natürlichen Anlagen künstlich zu vermehren» (Boccaccio I, S. 60).91
Bei Matteo Bandello, dem Boccaccio lombardo, findet sich folgende Beschreibung der Fenicia in seiner Seltsamen Liebesgeschichte aus Messina: 90 Zum Begriff der Schönheit (mit Belegen): Curtius, S. 189–190. – Zu Körperteil-Metaphern: ibid., S. 146–148. – Zur Diskussion der Begriffe pulchritudo und formositas und deren Unterschiede siehe: Annie Cazenave, PULCHRUM et FORMOSUM. Notes sur le sentiment du beau au Moyen Âge. In: Actes du 102e Congrès national des Sociétés savantes, Limoges 1977. Section de philologie et d’histoire jusqu’à 1610. Bd. II, Paris 1979, S. 43–67. – Zur Unterscheidung von facies und vultus siehe Baxandall S. 10 und 172 (Lorenzo Valla, Elegantiae linguae latinae). 91 Zum Thema Frauenverehrung und Frauenverachtung: Bumke II, S. 454–466. «Das Frauenbild der höfischen Dichter wirkt wie ein Gegenentwurf zu der übermächtigen Tradition christlicher Frauenfeindlichkeit, die in der weltverneinenden und weltverachtenden, körper- und sinnenfeindlichen Grundeinstellung des Christentums ihre Wurzeln hatte» (Bumke, S. 454). Nur Jungfräulichkeit ist verehrungswürdig. – Zur schmückenden und dienenden Rolle der Frau: ibid., S. 466–503.
48 – Strukturen und Träger der Gestik «In feine Damaszenerseide war sie gekleidet, weiß wie frischer Schnee, und auf dem Haupt hatte sie einen Schmuck, der ihr ganz prächtig stand. Sie war für ihre Jahre ziemlich groß von Wuchs und prangte in lieblicher Fülle ihrer Glieder. […] Zierlich wölbte sich unter der duftigen Hülle ihres Seidenkleides der Busen, zwei süßen Paradiesäpfelchen vergleichbar. Wer ihr Angesicht betrachtete, konnte sich kaum sattsehen an dem feinen Teint und dem zarten Rot der Wangen, das oft in glühenden Purpur überspielte. Weiß und rein wie Alabaster92 war ihr Hals. Ein Grübchen zeigte sich auf Kinn und Wangen, wenn sie lächelte und sprach. Klein war ihr Mund und schimmernd weiß die Zähne, einem Schmuckkästchen ähnlich anzusehen, das mit glitzernden Rubinen angefüllt ist oder mit den reichsten Perlen, wie sie nur das ferne Morgenland uns schickt. […] Alles aber überstrahlten ihre schwarzen Augen, die funkelnden Sternen glichen oder auch dem Glanz der Sonne. In diese Augen konnte niemand lange schauen, ohne von einer süßen, stillen Wonne ergriffen zu sein. Ihre Arme waren ebenmäßig, ihre Hände so delikat und fein, daß selbst der Neid daran nichts hätte aussetzen können.93 Kurz, ihre ganze Gestalt war von der Natur so liebreizend gebildet, ihre Bewegungen waren so leicht und heiter, daß jeder sie liebgewinnen mußte» (Keller, Novellen, S. 120).
Geoffrey Chaucer, «von französischer und italienischer Substanz genährt» (Curtius, S. 44), beschreibt im Prolog der Canterbury Tales (1387–1400) eine Nonne: «Her way of smiling very simple and coy. […] For courtliness she had a special zest, / And she would wipe her upper lip so clean / That not a trace of grease was to be seen / Upon the cup when she had drunk. […] And she had little dogs she would be feeding / With roasted flesh, or milk orfine white bread. […] Her veil was gathered in a seemly way, / Her nose was elegant, her eyes glass-grey; / Her mouth was very small, but soft and red, / Her forehead, certainly, was fair of spread, / Almost a span across the brows, I own» (Chaucer, S. 24 und 25).
Die Schilderung eines schönen Mannes findet sich in dem viel gelesenen Roman Flore und Blancheflur (v. 6816–63) von Konrad Fleck, um 1220.94 Die Rückenfigur gehört zum antiken Überlieferungsgut (Abb. 107).95 Von hinten gesehene Figuren lassen sich vor allem in Darstellungen liturgischer Szenen (so die elfenbeinernen Diptychontafeln in Cambridge und Frankfurt am Main) und des Letzten Abendmahls geschichtlich weit zurückverfolgen – oft seltsame Lösungen bietend, wenn Köpfe der vorne sitzenden und von hinten gesehenen Jünger durch ihren eigenen Heiligenschein verdeckt werden oder in die vor ihnen befindlichen Aureolen 92
Meist wird Weiß mit Marmor verglichen und umschrieben, siehe S. 128. Bei Ovid heißt es: «Sogar der Neid würde seine [Adonis’] Schönheit loben» (Metamorphosen X, 515) und: ibid. VI, 129; hier geht es um Arachnes Kunstwerk: «[…] non illud carpere Livor possit opus» (Livor = blasser Neid). 94 Auszüge in: Zürich 1991, S. 159. – Zur byzantinischen Sage: Frenzel, Stoffe, S. 180–181. – Die aristokratische Version besagt, die Tochter von Flore und Blancheflur sei Berta, die Mutter Karls des Großen (hierzu: Frenzel, ibid., S. 82–84). 95 Weitere Beispiele unter vielen: das sogenannte Blumenmädchen aus Stabiae in Neapel und der römische Sarkophag mit dem Triumph des Bacchus, um 180 v. Chr. (Abb.: Deuchler 1984, S. 212). 93
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 49 sehen, wie in der Himmelfahrt Christi in Santa Clara, Tordesillas (Innenseite des Retabels: Sanchez Canton, Tafel 31; Gaspar / Lyna, Tafel XVI).96 Die noch heute übliche Redewendung “Jemandem den Rücken kehren” findet sich bei Spervogel: «O weh dir, Armut! Du nimmst dem Mann Witz und Verstand, daß er nichts taugt. Die Freunde machen es leicht ohne ihn, wenn er kein Vermögen hat: sie kehren ihm den Rücken (si kêrent ime dem rugge zuo) und grüßen ihn verdrossen. Solange er im vollen lebt, hat er treue Verwandte» (Spervogel; Wehrli, S. 79). Antlitz, Kopf und Hals «L’homme doit tenir sous son contrôle les deux traîtres dont il ne peut se défaire: sa parole et son visage.» Jean Giraudoux, Ondine (IIe acte, scène 9e).
Ovid schreibt in seiner Schöpfungsgeschichte, Gott habe dem Menschen den aufrechten Gang verliehen: «Und während die übrigen Lebewesen nach vorn geneigt zur Erde blicken, gab er dem Menschen ein emporblickendes Antlitz, gebot ihm, den Himmel zu sehen und das Gesicht aufrecht zu den Sternen zu erheben» (Metamorphosen I, 84–85). Plinius berichtet über den Maler Kimon aus Kleonai, der die Verkürzungen (katágrapha) erfunden haben soll, das heißt: Er schuf und malte «Bilder von der Seite und verschiedenartige Darstellungen der Gesichter: solche, die rückwärts, aufwärts oder nach unten blicken. Durch Gelenke unterschied er die Glieder, die Adern machte er sichtbar und erfand außerdem Runzeln [in den Gesichtern] und Falten an den Gewändern» (Plinius, S. 49 und 51). Plinius fährt fort mit Künstlern wie Polygnotos aus Thasos, «der als erster Frauen in durchsichtigem Gewand malte [translucida veste], ihre Köpfe mit bunten Mitren bedeckte, und die Ausbildung der Malerei weit förderte, indem er anfing, einen geöffneten Mund darzustellen, die Zähne zu zeigen [dentes ostendere], dem Gesicht anstelle der alten Steifheit verschiedenen Ausdruck zu verleihen [voltum ab antiquo rigore variare]» (ibid., S. 50). Vasari erkennt bei Giotto die Einführung vergleichbarer Körperrhythmen und -stellungen: «E Giotto in particolare fece migliori attitudini alle sue figure, e mostrò qualque principio di dare una vivezza alle teste, e piegò i panni che traevano più alla natura che non quegli innanzi, e scoperse in parte qualcosa dello sfuggire e scortare le figure. Oltre a questo, egli diede principio agli affetti che si conoscesse in parte il timore, la speranza, l’ira e lo amore» (Vasari / Milanesi II, S. 101).
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Für das Spätmittelalter sei auf die Hirten in der Geburt Christi der Très Riches Heures (fol. 44verso; Longnon, Tafel 40) hingewiesen; hier weitere Belege. – Castelroncolo, Stua da bagno: Abb. 100. – Zur Deutung der “Badestube”: Christian Nikolaus Opiz, Eine “chambre aux enfants” auf Burg Runkelstein. Ein neuer Vorschlag zur Deutung der sogenannten “Badestube”. In: ZfK, 2008, S. 467–480.
50 – Strukturen und Träger der Gestik Solche Feststellungen treffen auf Italien zu. In der gotischen Malerei Frankreichs und Deutschlands waren sie bereits in Ansätzen vorhanden. Selbst Giotto beruft sich auf diese zeitlich früheren Anregungen (Schmidt 1979). Das Vasari-Zitat legt außerdem die bereits ausgesprochene Vermutung nahe, daß die gotische Optik und ihre Projektion, und hier vor allem die Gebärdensprache, als entscheidende Ausgangslage der ersten Renaissance zu sehen ist. Besondere Bewunderung gilt dem weiblichen Hals. Er ist schneeweiß, makellos oder wie aus Alabaster. Ovid schreibt von einer colla, die wie Elfenbein schimmert (Metamorphosen IV 335: eburnea colla). Megenberg betont in seinem Buch der Natur, wie bedeutungsvoll der Hals sei: durch ihn flösse zur Seele hin alles Blut in den Kopf, wo «aller sinnen und aller kreften der sêl» sich befinden (HDA III, Sp. 1362). «Stirn und Hals, / die ohne Runzeln, / und dein Engelsantlitz / weisen dich als himmlisches, / nicht als irdisches Wesen / aus vor den Menschen» (Frons et gula sine ruga […]; Psalterium profanum, S. 310 und 311). Bleiche Gesichter verraten psychische Probleme oder schlechte Nachrichten: «Yseut entra dans sa chambre. Brangien [die Zofe] la vit toute pâle. Elle comprit qu’elle avait entendu une nouvelle qui avait boulversé son cœur, pour qu’elle change de couleur et pâlisse de la sorte […]» (Béroul, S. 28; vgl. auch S. 67). Schlagen wir abermals bei Sulzer nach: «Auch ein bloß mittelmäßiger Beobachter der Menschen muß entdecken, daß gar oft nicht nur der herrschende Charakter, sondern auch die vorübergehenden Empfindungen, am gewissesten und nachdrücklichsten durch die Kopfstellung ausgedrückt werden. Stolz und Demuth, Hoheit, Würde und Niedrigkeit, Sanftmuth und Strengigkeit der Seele, zeigen sich durch keine Abwechslung der Form lebhafter als durch diese. Der ganze Charakter des Apollo im Belvedere kann schon aus seiner Kopfstellung erkannt werden» (Sulzer III, S. 44–45; Kopfstellung). – «Der Zeichner […] muß ein äußerst feines Gefühl haben, um jede Empfindung der Seele, die dem Kopf um den Hals eine eigene Wendung gibt, in der äußeren Form zu bemerken; er muß diese Zeichensprache der Natur vollkommen verstehen, damit ihm von den Wirkungen der Empfindung auf diese vorzüglichen Theile des Körpers nichts entgehe» (ibid., S. 45).97
Der geneigte Kopf paßt oft zu einem Zweifler. Ich zitiere Béroul, S. 34: «Le roi a compris, il pousse un soupir, baisse la tête. Il ne sait que dire, il marche de long en large.» Bemerkenswert ist der Zusatz des Hin- und Hergehens als Ausdruck der Ratlosigkeit, der wie eine dramaturgische Anweisung klingt. Auf S. 45 (ibid.) ist die Rede von «la tête baissée, triste et morne». Der nach hinten geworfene Kopf bedeutet Skrupel, Skepsis, ja ungeschminkte Abneigung. Zum Verständnis sind syntaktisch ergänzende Arm- und Handbewegungen zu beachten (Vgl. HDA V, Sp. 201–215). Das Gesicht in toto erweist sich in den Bildkünsten als zentraler graphischer Tat- und Fundort, als höchst sensibler Aktionsbrennpunkt jeglicher Handlung. Meyer Schapiro widmete 1973 einen Abschnitt dem Problem Frontal and profile as symbolic forms (S. 37–49). Die eingezeichneten Gesichtszüge versuchen den Gesamtzustand menschlicher Gefühle zu geben, ein 97
Zum Hals allgemein: Röhrich I, S. 632–635.
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 51 Ziel, dessen Darstellung in den Profilköpfen im allgemeinen scheitert. Es fällt auf, daß Seitenansichten oft keinen ausgeprägten Hinterkopf besitzen. Auge, Augen-Blicke. Augen und Ohren «dienten ursprünglich der Sicherung im Lebenskampf. In den bildenden Künsten und der Musik sind sie Organe zweckfreien, idealen Schaffens geworden» (Curtius, S. 19).98 Im Tristan spricht der Dichter von «venster der ougen» (Tristan, 8126), und es heißt, die Musik dringe «laut und vernehmlich durch das Königreich der Ohren ins Herz» (ibid., 8119–8121) – «durch der ôren künicrîche». Im gleichen Text finden sich die Zeilen: «Sie fingen oft bei Tage an / sich offnen Auges zu verstricken / mit ihren liebevollen Blicken, / unter Leuten, in der Menge / wo die Blicke Zeichen geben / ja ganze Dialoge sind, / in denen die geliebte Liebe / volle Übereinkunft findet» (ibid. 12976–12983; Übersetzung Ranke).99
Bei Walther von der Vogelweide finden sich die Stellen: «Geschieht es aus Vorsicht, daß du mich so selten ansiehst? Tust du es in dieser Absicht, dann mache ich dir keinen Vorwurf daraus. Dann aber schau mir nicht ins Gesicht und sieh, wenn du nicht mehr wagen kannst, nach unten auf meinen Fuß. Das sei dein Gruß» (ibid.). «Würde sie mir mit ihren Augen so nahe kommen, daß ich mich darin spiegeln könnte! Dann kann noch ein Wunder geschehen. Tut sie es, werde ich wieder jung, und Linderung wird mir Sehnsuchtskrankem» (Vogelweide / Stapf, S. 343).
Heinrich von Morungen dichtet: «Das heimliche Spiel meiner Augen, das allein mir bleibt, um es als Boten zu ihr zu schicken, das möge sie um Gottes Willen (durch got) wie bittende Worte von mir werten und, wenn sie dann lächelt, dann sei es ein Gruß für mich» (Heinrich von Morungen, Lieder XIb 2; S. 69).
Mit den Augen hängt jedoch ebenso der Topos vom bösen Blick zusammen. Schielende Augen versprechen im Bereich des Aberglaubens nichts Gutes. Wer unter Strabismus leidet, ist ein Neidhammel und hat den bösen Blick.100 Beim Würfelspiel waren «Lachen, Sprechen und Augenwinke» verboten (Neidhart, S. 31). Augen, die aus dem Bilde blicken, schlagen sich auf die Seite des Außenstehenden. Die klassische Grenze zwischen Bildraum und Betrachterraum wird mit diesem 98
Zu den Körperteil-Metaphern siehe: Curtius, S. 146–148. Aures mentis – die Ohren des Herzens, S. 146. Zu dieser Stelle und über den weiteren Zusammenhang des Abschieds im Mittelalter: Herkommer 2008. 100 Clarence Maloney (Hrsg.), The Evil Eye. New York 1976. – Alan Dundes (Hrsg.), The Evil Eye (1981). Madison / Wisc. 1992. – Pierre Bettez Gravel, The Malevolent Eye. New York 1995. – Blindheit: Röhrich I, S. 215–216; Schielen: ibid., III, S. 1327–1328. 99
52 – Strukturen und Träger der Gestik Kunstgriff überspielt und aufgehoben. Noch Beispiele in der Manessischen Liederhandschrift zeigen ihn, geradezu herausfordernd in der Steinstoß-Szene (Abb. 59). Das Anblicken des Gegenübers, das “Ins-Auge-Fassen”, war stets eine Initialformel menschlicher Kontaktaufnahme.101 Geschlossene Augen deuten auf einen Blinden hin (Manessische Liederhandschrift, Abb. 45) – oder einen inspirierten Menschen, der auf sein Inneres horcht, das sich mitzuteilen beginnt. Borstige Weggefährten der Augen sind die Brauen. Zusammengewachsen deuten sie, laut Aristoteles, auf Anzeichen von Grämlichkeit und Melancholie hin.102 Die Sehkraft des Auges wird an das geistige Erkenntnisvermögen weitergegeben, den äußeren Sinnen werden innere Sinne zugeordnet. Es galt als beleidigend, wenn man jemanden “übersah”: «Eins nur betrübt mich: du schaust an mir vorbei und schaust über mich hinweg» («[…] dû sihst bî mir hin und über mich» (Vogelweide / Stapf, S. 335). Ohren. Über das Ohr wurde Maria schwanger: «Du wurdest schwanger vom Worte: dir kam, durch dein Ohr, Herrin, ein Kind.» So steht es in der Mariensequenz aus dem Kloster Muri (Aargau), zweite Hälfte 12. Jahrhundert (Wehrli, S. 19). Was die zeichnerische und malerische Wiedergabe der Sinnesorgane anbetrifft, so hat sie bis ins 15. Jahrhundert darstellerische Hürden, ja regelrechte Barrieren geboten. In unzähligen Fällen retten sich die Maler vor der schwierigen Aufgabe, indem sie Ohren mit wallender Haartracht verdecken, gleichsam unter den Teppich kehren. Sonst sind diese für Generationen tropfenartig, gar muschelförmig angedeutet oder stenographisch auf die Ohrläppchen verkürzt. Als Ausnahmen sehe man etwa den Barbarossa-Kopf in Kappenberg (um 1165) – als Herrscherbüste «in dieser Zeit höchst ungewöhnlich» (Bandmann 1962, S. 164) –, den kahlen Jonas von den Bamberger Chorschranken (um 1230), die Büste Peter Parlers im Prager Domchor (um 1380), Hans Stethaimers gemeißeltes Autoporträt in Landshut (1432), Nicolaus Gerhaerts Selbstbildnis (?), um 1467 in Straßburg. Giotto war ein aufmerksamer Ohrenmaler (Padua, Annas Ohr in der Begegnung an der Goldenen Pforte, 1304/05). Der Meister von Cesi benutzte gleichzeitig in seinem Triptychon mit der Himmelfahrt Mariens, spätestens 1305 entstanden, noch die gequetschte O-Form für das rechte Ohr Christi (Saint-Jean-Cap-Ferrat, Musée de l’Île-de-France; Frugoni, Abb. 213, 214). Nach Paracelsus’ De Natura rerum (Buch IX) verraten große Ohren ein gutes Gehör und ein treffliches Gedächtnis.103 Das begierige Ohr gehört aber auch der heimlichen Lauscherin an der Wand – ein hin und wieder auftretendes Motiv, wie in den Fresken des Barna da Siena in San Gimignano. Der oder die Horchende werden damit zu Zeugen von Dingen, die sie eigentlich nichts angehen. 101 Alfred Neumeyer, Der Blick aus dem Bilde. Berlin 1964. – Dagobert Frey, Dämonie des Blickes. Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse, 1953, Nr. 6. Wiesbaden 1953. 102 Laut Grimm (XXII, Sp. 706) werden die Augenbrauen mehrfach mit Triumphbögen verglichen. 103 Siehe: HDA VI, Sp. 1204 ff. – Zu Paracelsus: Frenzel, Stoffe, S. 500–502.
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 53 Wangen, Mund und Lippen. «Gott hat sich mit ihren Wangen hohe Müh gegeben, er malte so kostbare Farbe hin, so reines Rot, so reines Weiß, hier rosenhaft, dort lilienfarbig. Wär’s keine Sünde, es zu sagen: ich möchte sie immer lieber ansehen als den Himmel oder den Großen Wagen» (Walther von der Vogelweide; Wehrli, S. 227).104 Bei Petrarca findet sich die Stelle: «Die hellen Augen und die bestirnten Wimpern, der schöne engelhafte Mund, gefüllt mit Perlen, Rosen und süßen Worten […]» (Canzoniere 200, 9–11). Vorhergehende Zitate wie auch einige der folgenden mittelalterlichen Textbelege haben, bewußt oder unbewußt, eine gemeinsame Quelle: das Hohelied. «Siehe, du bist schön meine Freundin, / siehe, du bist schön. / Deine Blicke sind Tauben / zwischen deinen Locken. / Dein Haar eine Ziegenherde, / auf dem Berge Gilead. / Deine Zähne sind wie eine Herde zur Schur bereiter Schafe, / die aus der Schwemme heraufsteigen, / die alle Zwillinge haben, / von denen keines ein Junges verloren hat. / Wie eine scharlachrote Kordel sind deine Lippen / und dein Mund ist hinreißend. / Wie ein Ritz im Granatapfel / ist dein Gaumen hinter deinen Locken. / Wie der Davidsturm ist dein Hals, / aufgebaut in Schichten. / Tausend sind die Schilde, die an ihm aufgehängt sind, / alles Schilde von Helden. / Deine Brüste sind wie zwei Kitzen, / Zwillinge einer Gazelle, / die unter Lotusblumen weiden» (Hohelied 4, 1–5).
Bei Oswald von Wolkenstein lautet eine ähnliche Lobpreisung wie folgt: «Dein rotes Mündlein, wenn es mich freundlich grüßt, benimmt mir schön alle tiefe Kümmernis» (Lieder, S. 7). Und: « wenn ich eine so schöngeformte rote feine Spalte gewahre, zum Lächeln geschaffen, Zähnlein weiß darin die Reihe, lippenschön, lächelnd, füllig, rosig, leuchtend wie ein trefflich gemaltes Bild» (ibid., S. 11). Wernher von Homberg schreibt einmal: «Ich sah eine Frau, deren Mund in Röte brannte wie feuriger Zunder» (Zürich 1991, S. 117). Hartmann von Aue dichtet: «[seine Kinder] waren beide gleichermaßen so überaus erfreulich geraten in ihrer äußeren Erscheinung, daß selbst einer verbitterten Frau ein Lächeln über die Lippen gekommen wäre» (Gregorius 203–207). Die Lippe gilt als Charakterausweis: wie ist Utas Unterlippe in Naumburg zu deuten?105 Die buchstäbliche Verzerrung des Munds kann zur Grimasse und Fratze sowie zum Signal haßerfüllter Verachtung verkommen. So zu sehen in den Kalvarienbergen der Pfarrkirchen von Darup und Warendorf in Westfalen.106 Cesare Ripa nennt als Droh-Symbol (minacce) eine «Donna con la bocca aperta» (Ripa, S. 287).
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Den Großen Wagen bilden am Nordhimmel die sieben hellsten Sterne des Großen Bären (ursa maior). Der Wagen führt zum Polarstern und hat Wegweiserfunktion. HDA IX, Sp. 679–684 (Großer Bär). Darin liegt vielleicht die Erklärung von Walthers Wahl des Sternbildes: es weist ihn hin auf seine Liebe, die größer als der Himmel ist, und: der Große Wagen geht laut Ovid nicht unter. – Im gleichen Gedankenbereich befindet sich Petrarca: «Nun da der Himmel und die Erde und der Wind schweigen, und der Schlaf die wilden Tiere und die Vögel zügelt, die Nacht den bestirnten Wagen auf den Weg bringt [Notte il carro stellato in giro mena], und das Meer ohne Woge in seinem Lager ruht» (Canzoniere 164, 1–4). 105 Naumburg 2011, S. 936–941. – Lippen allgemein: HDA V, Sp. 1310–1311. 106 Köln 1974, S. 44 und 42. – Darup: gute Farbabb. in: Hamburg 1969, Tafel 35.
54 – Strukturen und Träger der Gestik Durch den Mund ergießt sich ebenso die Sprache, als sprudelnde Quelle, und fließt über die Lippen. Sie vermag unterschiedliche Qualitäten anzunehmen. Boccaccio meint: «Unsere Sprache ist von zweierlei Art. Die eine lernen wir von der Mutter; sie ist natürlich, einfach, ungehobelt und für jeden gleich. Die andere, nach bestimmten Kunstregeln mit Geschick aufgestellt, begreifen und erlernen nur wenige» (Boccaccio I, S. 157). Als Zeichen der Verachtung wird durch den Mund gleichermaßen gespuckt.107 Mund und Wangen sind ebenso entscheidende Träger des Lachens. «Wie jedes menschliche Ausdrucksverhalten hat Lachen in hohem Maße (obgleich nicht ausschließlich) den Charakter einer Mitteilung und besitzt somit eine unverzichtbare soziale Dimension. Wir lachen nur selten, wenn wir ganz allein sind, häufig aber mit anderen gemeinsam. Lachen ist nicht bloß selbstgenügsamer Ausdruck unserer Heiterkeit, sondern richtet sich gerne auch an einen oder mehrere Adressaten; ihnen geben wir zu verstehen, daß wir ihre frohe Stimmung oder ihre Bewertung einer komischen Situation teilen, daß wir einen Witz verstanden haben – oder daß wir sie selbst lächerlich finden» (Schmidt 1984, S. 10; Wilhelmy 2012). Im Mittelhochdeutschen – etwa bei Hartmann von Aue – deckt das Verb lachen eine breite Bedeutungsreihe ab, vom schallenden Lachen bis zum Schmunzeln oder Lächeln. Nase und Kinn. Augen, Zunge und Nase stehen bisweilen für den ganzen Kopf, wenn nicht sogar für den ganzen Körper. Sie repräsentieren den Menschen. Juden werden mit hervortretenden Nasen wiedergegeben (Mellinkoff 1993, II, Abb. III.125) oder sind mit knolligen Auswüchsen gezeichnet (ibid., Abb. I.43, VI.51 und 56, VII.15). Der Ausspruch «Man sieht’s einem an der Nase an, was für ein Kerl er ist» läßt erkennen, wie Nasenformen prägend sein können, um Rückschlüsse auf Veranlagung von Menschen zu ziehen.108 Nach der Physiognomia des Apuleius sind große Nasen bessere Charakterausweise als kleine, die eher auf spießerhafte, engstirnige Geister, Diebe und Deserteure hindeuten. Martial erklärt, lange Nasen zeigten Geistesschärfe. So ähnlich Megenberg, der sich zu den Nasenöffnungen äußert, die Auskunft über den Charakter erlauben sollen. Verlust und Verstümmelung der Nase signalisieren Scham und Boshaftigkeit. Sie gelten als Strafe für Niederträchtigkeit und Schandtaten. Und: ohne Nase kein Gesicht – bis zu Gogols Nase (1836) und der gleichnamigen Oper von Schostakowitsch (1930).109 Der Satiriker treibt hier die Absurdität der “verlorenen” Nase Platon Kusmitsch Kowaljows (in der Oper näselnd singend) noch weiter bis in die totale Lächerlichkeit. 107 Mellinkoff 1993, II, Abb. I.29, X.8. Aus gleichen Beweggründen wird er mit der Hand zum Schlund aufgerissen (ibid., Abb. VI.57, VI.17, X.6, X.7, X.8, X11, X15). Ebenso ostentativ kann die Zunge herausgestreckt werden (ibid., Abb. VI.16 und 57, VII.38, X.29). 108 Vgl. die Angaben in HDA VI, Sp. 969 ff. – Das Naso in Ovids Namen (P. Ovidius Naso) wurde in mittelalterlichen Etymologien mit der Nase des Dichters erklärt – «entweder wegen ihrer Größe oder wegen ihres ‘Spürsinns’» (Stroh 1969, S. 28, Anm. 76). 109 Zum Thema ferner: David J. Wasserstein, Marulic’s nose. Judith, Hecuba and the meanings of mutilation. In: TLS, 25. Februar 2011, S. 14–15.
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 55 In physiologischen Studien von Leonardo bis Lavater wird in Profildarstellungen der Ausformung der Nase besonderes Augenmerk geschenkt. Die spitze Nase ist Zeichen eines listigen, spöttischen Menschen (so nach der Ansicht von Paracelsus in La Divina Commedia). Eine Stumpfnase (ebenfalls nach Paracelsus) weist auf einen bösen, falschen, unkeuschen oder wankelmütigen Träger hin; nannte Dante dies nasetto (Purgatorio VII, 103), und er dachte dabei an König Philipp III. von Frankreich. Leute mit Adlernasen galten im Mittelalter als freigebig, hochherzig, beredt und stolz. Vorbild war um 1500 die Nase Kaiser Maximilians I. Cicero forderte den Redner Titus Pinarius, der das Kinn beim Reden verdrehte, auf, er solle, falls er etwas sagen wolle, erst reden, wenn er seine Nuß geknackt habe (De oratore II, 266). Herodes streichelt, als Zeichen der Zärtlichkeit, Salome unter dem Kinn, wie in einem Kapitell in Toulouse, um 1125/35 (Frugoni, Abb. 35). So ist gleicherweise die vieldiskutierte Szene in der Stickerei von Bayeux mit Ælfgyva zu verstehen (Abb. 120). Elfenbeine (Abb. 32) und die Manessische Liederhandschrift bieten weitere Belege. Der Gestus wird im 14. Jahrhundert zum Signal, um Liebkosungen im Bild begreiflich zu machen. Mienenspiele. «Am allerwenigsten schickt es sich für den Redner, Miene und Gebärden zu verzerren, worüber man gewöhnlich bei den Volksschauspielern (Mimen) lacht» (Quintilian VI 3, 29). In der Mienensprache finden sich Augen, Brauen, Nase und Mund (Lippenstellung) zu einer gemeinsamen Aussage. Der Schauspieler «verfügt über ein breites Spektrum mimisch-gestischer und stimmlicher Ausdrucksmittel, während das Bildwerk alleinig durch seine optische Evidenz wirken kann. Das Theater appelliert nicht nur, wie die bildende Kunst, an unseren Gesichtssinn, sondern auch an unser Gehör und unser motorisches Empfinden; kein Wunder also, daß es unsere ‘Einfühlung’ viel unmittelbarer anzusprechen und heftigere Reaktionen (auch physiologischer Natur) auszulösen vermag als ein Gemälde» (Schmidt 1984, S. 10). Das Antlitz wird zur theatralischen Simultanbühne, so beschrieben von Augustinus in seinem Seelenkampf im Mailänder Garten: «Denn meine Stimme klang ganz ungewohnt, und Stirn, Wangen, Augen, Farbe [des Gesichts] und Tonfall brachten besser zum Ausdruck, was in mir vorging, als die Worte, die ich hervorstieß» (Augustinus / Thimme, S. 206). Gekünstelte Mienen (Unschuldsmienen) sind schwer zu deuten. «Ich kenne sie, jene stolze höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde» (Lessing; Grimm XII, Sp. 2173). «Wenn Blicke reden, Mienen schreiben und Händedrükke siegeln können, so sind die Ehepacten fertig», meint Kleist im Käthchen von Heilbronn (3, 3). In Schillers Don Carlos (I, 5) spricht die Königin zum Titelhelden: «Wenn Philipps ehrerbietge Zärtlichkeit / Und seiner Liebe stumme Mienensprache / Weit inniger, als seines stolzen Sohns / Verwegene Beredsamkeit mich rührte?» Zur schnellen Signalisierung und zur sofortigen Erkennung von Gemütszuständen sind Stirnfalten besonders aussagekräftig. Sie wirken, um bei der Schauspielerei zu bleiben, als Theaterblitze mit Donnerfolge. Warzen am Kopf unterstreichen bös gemeinte Mimik (Mellinkoff 1993, II, Abb. VI.35, VIII.3, 9, 10).
56 – Strukturen und Träger der Gestik Brüste und Busen. Die Geschichte der Darstellung weiblicher Brüste resümiert als pars pro toto die gotische Entwicklung menschlicher Aktfiguren bis hin zu den “klassischen” Darstellungen Adams und Evas in Memlings Spätwerk, dem Johannesaltärchen in Wien, van der Goes’ Sündenfall, um 1470 (Wien) oder Dürers erstem Menschenpaar.110 Im Schriftgut der Zeit (Parzival 258, 26) ist lange vor den bildlichen Versionen die Rede von Busen. Kenneth Clark behandelt in The Nude das Thema der bildnerischen Darstellung weiblicher Brüste, indem er mit den Hildesheimer Türen beginnt: «Eve’s breasts hang down flat and formless, and there is no other attempt to suggest that the structure of her body differs from that of Adam» (S. 304). Die Entwicklung läßt Clark in einer der Auferstehenden des mittleren Westportals um 1220 bis 1230 der Kathedrale von Bourges gipfeln: «The scuptor has looked at the human body with an interest which had not been shown since antiquity» (S. 307). Karlinger erkannte in diesem Jüngsten Gericht «ikonographisch wie stilistisch eine entscheidende Wendung zum Realismus des 14. Jahrhunderts: nicht Episoden, sondern der Totaleindruck der Gerichtsvorstellung entscheidet» (S. 632, Text zu Abb. 373). In der Manessischen Liederhandschrift liegt die Geliebte des Meisters Heinrich Teschler halbentblößt auf ihrem Lager (Erster Nachtragmeister, um 1310; Abb. 68). Ihre linke Brust ist in der traditionellen Flaschenform dem Körper graphisch aufgezeichnet und wiederholt das seit Jahrhunderten übliche, linear auf den Körper stenographierte Zeichen, das graphologisch zwischen kelchförmig und bauchig variieren kann.111 Französische Marienstatuen zeigen seit etwa 1330 Ansätze zu Wölbungen und Rundungen der Brüste, so die Marienstatue von Jean Pépin de Huy, 1329.112 Dralle Brüste duldete man nur in der Ikonographie der Maria lactans (Abb. 28). Erst im 15. Jahrhundert und im Rahmen der Adam und Eva-Darstellungen setzen sich Aktfiguren im heutigen Sinne durch. Die Paradies-Wiedergabe in den Très Riches Heures des Herzogs Jean de Berry (um 1416) zeigt feminine Akte in vollendeter Form (Longnon, Tafel 20). In der deutschen Buchmalerei gelingt es erst Berthold Furtmeyr, die entsprechende Anatomie naturgerecht ins Bild umzusetzen.113 110 Zu Adam und Eva: RDK I, Sp. 126–156. – Zur christlichen Ikonographie (Maria lactans) siehe Günter Bandmann in: LCI I, Sp. 336–337. – Frenzel, Stoffe, S. 8–12. 111 Vgl. die Vertreibung Adams und Evas in Sant’Angelo in Formis (um 1072/87). Fragment des Sündenfalls aus Maderuelo im Prado (um 1130); Fragmente aus San Martin de Sescorts (um 1120) in Vich, Museo Episcopal; Fresken von Sigena (um 1210/20) in Barcelona, Museo de Arte de Cataluña. Vgl. Gurk, um 1260/70. Alle Hinweise bei Demus 1968. 112 Arras, Musée des Beaux-Arts; Abb.: Paris 1981, S. 67. 113 Regensburg 2010/11, Abb. 2, Tafel 10e, 82, 88. – In diesem Zusammenhang sei auch auf Albrecht Altdorfers Lot und seine Töchter (Wien) hingewiesen (ibid., Abb. 140, S. 99). – Ernst H. Buschbeck, zu dessen Zeit das Bild noch Hans Baldung Grien zugeschrieben war, beschreibt den «geilen Gesichtsausdruck des Greises» und den «verworfenen Blick und Mund des Mädchens», wobei die «Zweideutigkeit der Szene mit unerhörter Eindringlichkeit ausgesprochen ist» (Führer durch die Gemäldegalerie. Wien 1928, S. 39). – Hans Memling, Bathseba (Stuttgart, Staatsgalerie). Abb.: Regensburg 2010/11, Abb. 145, S. 105. – Weiteres Material zum Thema bieten Selbstmord-Darstellungen der Lukretia, so z. B. Lucas Cranach 1524 in München oder die Bronzestatuette von Konrad Meit, um 1515–1520 in Köln, Kunstgewerbemuseum.
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 57 «Eine Dame setzte sich dem Tadel aus, wenn sie zuviel von ihrem Körper sehen ließ.» «Manche zeigen offen ihre Brüste, damit man sieht, wie weiß ihre Haut ist.»114 Wie aus den oben angeführten Zitaten von Bandello und Boccaccio hervorgeht, gewinnen, nach der griechischen Antike, Busen und Brüste erst im 15. Jahrhundert ihre erotische Bedeutung in den bildenden Künsten zurück. Hände und Finger. Ihre Lesung und Deutung befolgen Gesetze und Bedingungen höchster Augenblicklichkeit. Sie können neben eindringlich zugespitzter Gegenwart ebenso auf eine vergangene Handlung oder auf einen Akt in nächster Zukunft hinweisen. Pyramus und Thisbe, die nicht heiraten dürfen, haben keine Mitwisser ihrer Liebe: «Sie sprechen durch Winke und Zeichen» (Ovid, Metamorphosen IV, 63). Oder: «pro voce manus fuit» (ibid., VI, 609). Hände und Handbewegungen dienen der Erinnerung und der Wiedererkennung: Ein liebestoller König ruft sich das Erscheinungsbild der Begehrten auf Grund ihrer Bewegungen und ihrer Hände ins Gedächtnis zurück («motusque manusque», ibid., VI, 491). Abraham zückt den Dolch, womit er den verhängnisvollen, doch durch das Eingreifen des Engels verhinderten Todesstoß einleitet; er wendet sich vehement um (Abb. 11). Arme, die sich aus der Silhouette des Körpers lösen, rücken Hände in den gewünschte Blickpunkt (Abb. 15, 18). Sie werden zum eigentlichen Träger der Aktion. In Anbetungs- und Betgesten, so auch bei Engeln, legen sich die geöffneten Hände aufeinander, sonst agieren sie getrennt; Ausnahmen sind die Schergen in der Geißelung Christi. Die für Lesung und Verständnis der Darstellung entscheidenden Bewegungen werden, falls nicht beide Hände beschäftigt sind, stets mit dem rechten Arm vollzogen. Gegrüßt wird gleicherweise mit der rechten Hand, ebenso rechterseits hingewiesen auf einen für die Erzählung wichtigen Gegenstand oder den Fortgang des inszenierten Stoffes. Jakobs Segen von Ephraim und Manasse mit gekreuzten Händen – so bereits in der Synagoge von Dura Europos (245–256), am bekanntesten bei Rembrandt – hat die Forschung mehrfach beschäftigt (so beispielsweise: von Einem 1950). «Je ne crois pas absolument à l’éminente dignité de la droite. Si la gauche lui manque, elle entre dans une solitude difficile et presque stérile. La gauche, cette main qui désigne injustement le mauvais côté de la vie, la portion sinistre de l’espace où il ne faut pas rencontrer le mort, l’ennemi ou l’oiseau, elle est capable de s’entraîner à remplir tous les devoirs de l’autre. Construite comme l’autre, elle a les mêmes aptitudes, auxquelles elle renonce pour l’aider. […] C’est un bonheur que nous n’ayons pas deux mains droites. Comment se répartirait la diversité des tâches?» (Focillon 1947, S. 101–102).115
114
Bumke II, S. 478 zitiert Anweisungen im Chastoiement des dames von Robert de Blois (Mitte 13. Jh.). Was eine Dame zeigen durfte, waren ihre weiße Kehle, ihr weißer Hals, ihr weißes Gesicht, ihre weißen Hände (blanche gorge, blanc col, blanc vis, blanches mains). 115 Für Bedeutungsfragen der Seitensymbolik, siehe: Erika Dinkler-von Schubert in: LCI III, Sp. 511–515.
58 – Strukturen und Träger der Gestik «Als er [Tristan] die Harfe nahm, fügte sie sich gut in seine Hände. Die hätten, wie ich gelesen habe, nicht schöner sein können: weich und zart, schmal, lang und schneeweiß wie ein Hermelin» (Tristan, 3547–3553). Hände und attributive Elemente greifen intensiv ineinander: «Die Hand ist das wichtigste Arbeits- und Greifinstrument des Menschen, das ursprünglichste und umfassendste Werkzeug, das er besitzt. Sie greift, nimmt, gibt, streichelt oder schlägt. Sie deutet an, weist, befiehlt oder drückt Empfindungen aus. Mit der Haltung der Hände im Alltag sind viele Bedeutungsebenen verknüpft. Aus ihr lassen sich Tun und Handeln, aber auch Plan und Vollzug ablesen. «So gilt die Hand von jeher auch als Symbol der Gewalt (Macht), des Besitzes und des Schutzes. Sie steht oft für den ganzen Menschen, ja für Gott selbst.»116 Ripa notiert unter Operatione manifesta in seiner Iconologia, daß die ausgestreckten Hände auf die Vielfalt ihrer Möglichkeiten hinweisen: «[…] le mani s’intendono facilmente per l’operationi, come vero istromento dell’ opperationi nostre, principali, et necessarie» (S. 323). Der Ursinn des Händedrucks ist zunächst das Ineinanderlegen der waffenlosen Hände zum Zeichen gegenseitig empfundener oder angestrebter friedlicher Gesinnung. Die iunctio der Hände begründet eine Ehe. Auch das Händeschütteln hat ursprünglich den Charakter eines Rechtsbrauches. «Zur Bekräftigung von Verträgen schlug einer der Partner in die dargebotene Rechte des anderen. Das galt für Kauf- und Friedensverträge. ‘Sie stracten den vride mit ir handen’ heißt es im zwischen 1230 und 1240 entstandenen Kudrun-Epos» (Röhrich I, S. 592. Frenzel, Stoffe, S. 223–225). Im Gregorius schreibt Hartmann von Aue: «Dem Alten überantwortete er seine Schwester bî der hant» – durch Handschlag (S. 41, 632–633). Für den Illustrator Jörg Breu ist Handschlag das Motiv in Alciatis Emblematum libellus, um Concordia zu typisieren. «Les deux main jointes dans celles de l’abbé de Cluny, et la tête découverte»: So bezeugte und gelobte der Graf von Clermont dem Abt, um 1375, seine Treue und Verehrung (foi et hommage).117 Der Ausdruck “sein Schicksal in jemandes Hände legen” geht auf die Vorstellung dieses Treuegelöbnisses zurück. “An den Fingern abzählen” – der Prediger benutzt die Hände, um seine Argumente über die Passion Christi darzulegen. So in Jean Gerson, Sermons sur la Passion, um 1480. Oder erläutert er die Trinität, die hinter seiner Kanzel sichtbar wird? (Schmitt 1990, Tafel XI). Allbekannt ist Dürers Christus unter den Schriftgelehrten von 1506 (Madrid, Thyssen).118 In der Mitte drehen sich vier Hände wie ein von der Diskussion beflügeltes Windrad: jene des Alten und diejenigen des Zwölfjährigen. Ähnlich bereits in der Händekomposition der Leidtragenden in der Kreuzigung Christi von
116 Röhrich II, S. 639. – Man denke an die wunderbare Hand Gottes in Tahull, um 1123, heute in Barcelona, Museo de Arte de Cataluña (Demus 1968, S. 159). 117 Hand in: HDA III, Sp. 1379–1398. Verhüllen der Hände: HDA VIII, Sp. 1605–1606. – Zu den musikalischen Handzeichen im Mittelalter: MGG V, Sp. 1451–1454. Grundlegend Joseph Smits van Waesberghe, School en Muziek in den Middeleeuwen. Amsterdam 1949. 118 Farbabb. in: Madrid 2007, S. 201 (Kat. Nr. 34). – Was die Zeichensprache anbetrifft, soll diese unter Mönchen, von Abtei zu Abtei verschieden, üblich gewesen sein. Ich kann mich hierzu keiner Belege erinnern.
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 59 Rueland Frueauf d. Ä. in Wien, um 1490/91.119 Ein König zählt dem Stammhalter an den Fingern dessen zukünftige Verpflichtungen auf: so König Tyro von Schottland seinem Sohn Fridebrant in der Manessischen Liederhandschrift (fol. 8recto). Noch glaubhafter belehrt das Ehepaar Windsbeke seine Kinder (Abb. 48 b, 49). In der gleichen Handschrift reihen sich Besucherinnen von Turnieren und Waffengängen in Freude- oder Notgebärden. Sie stehen auf Zinnen120 oder Tribünen und begleiten das Geschehen mit eindeutigen Hand- und Fingerzeichen. «Die Damen aber schauten auf der Höhe der Mauern zu und schürten die Flammen [der Liebe] zu heftigsten Erregungen» (Geoffrey of Monmouth, Lange / Langosch, S. 38). Auf der Seite des Besiegten werden die Hände unter dem Kinn gerungen oder der Kopf in die Hand gestützt, die andere, nach außen geöffnet, wie in Abwehr vor die Brust gehalten. Auf der Seite des Siegers strecken sich die Zeigefinger in unverhohlener Freude nach oben; so in der Walther von Klingen gewidmeten Miniatur. Auf der Seite des Herzogs von Anhalt fiebern vier Damen mit. Es wird gekämpft; es gibt noch keinen Sieger, doch die Dame außen links weist nach unten und deutet mit dem Zeigefinger auf den wohl als Verlierer aus dem Kampfe Scheidenden hin (Abb. 51). Die drei anderen sind unentschlossen und gestikulieren mit erregt erhobenen Händen und spitzen Fingern.121 Auf der dem Grafen Albrecht von Haigerloch zugedachten Seite in der Manessischen Liederhandschrift stehen drei Zuschauerinnen im Turmsöller, in sicherem Abstand vor dem unter ihnen tobenden Gemetzel (fol. 42recto). Sie winden pathetisch die Hände, halten die Rechte vor das Gesicht, um entsetzlichen Anblicken notfalls ausweichen zu können. Sie halten ihre Hände vor die Brust. Musterbeispiele von Fingerhaltungen der Verachtung bietet das Ecce Homo-Bild im Pulkauer Altar aus der Werkstatt des Niclas Preu, um 1520.122 Der Kreuzigungsgestus der übereinandergelegten Zeigefinger ist zwar ein allgemeiner Spottgestus, doch in einer Ecce Homo-Szene gewinnt er insofern an Bedeutung, als die Menge schreit: Kreuziget ihn!123 Der Daumen genießt innerhalb der Hand einige Vorzüge (HDA II, Sp. 174–177). Er ist der stärkste Finger und mit übernatürlichen Kräften begabt. Die Redewendung “Den Daumen drücken” diskutiert Röhrich (I, S. 305): «Der Daumen wird dabei zwischen die übrigen vier Finger der Hand eingeschlagen und von diesen festgehalten oder kräftig gedrückt. Die Gebärde ist zugleich obszön oder von apotropäischer Wirkung. Plinius erwähnt dazu ein Diktum und schreibt in seiner Naturalis histo119
Baldass, Abb. 81 und 93 (Ausschnitt). Zinnen als beliebte Beobachtungsposten: «Ich stand gestern abend spät auf der Zinne: Da hörte ich einen Ritter schön singen in Kürenbergs Weise mitten aus der Menge» (Wehrli, S. 41). – «Der Wächter auf der Zinne, der sang so schön ein Morgenlied» (Kerensteinballade, in einer Handschrift von 1454 überliefert; Wehrli, S. 49). – «So geh ich vom Fenster wieder auf die Zinne: da spähe ich ostwärts, westwärts, ob ich ihn wahrnehme, der mein Herz seit langem bezwungen hat» (Wolfram von Eschenbach; Wehrli, S. 201). 121 Für sprechende Hände: Frugoni, S. 67–108. Bei Giotto: Barasch, S. 18–20 (The speaking hand). – Angus Trumble, The Finger. A Handbook. Yale University Press 2010. 122 Katalog Die Kunst der Donauschule 1490–1540. St. Florian und Linz. Linz 1965, Nr. 247, Abb. 16. 123 Urban Görtschacher, Ecce Homo, 1508, Wien (Elfriede Baum, Katalog des Museums mittelalterlicher österreichischer Kunst. Wien / München 1971,Tafel XVI, S. 128). Vgl. auch Schmitt 1990, Tafel X. 120
60 – Strukturen und Träger der Gestik riae (28, 25): ‘pollices, cum faveamus, premere etiam proverbio iubemur’ (schon das Sprichwort fordert uns auf, den Daumen zu pressen, wenn wir jemandem geneigt sind). Bei den römischen Gladiatorenwettkämpfen galt der Brauch, daß das Publikum in der Arena den Daumen einschlug (premere pollicem), um für einen gestürzten Kämpfer Gnade zu erbitten; der nach unten ausgestreckte Daumen aber bedeutete das Gegenteil (convertere pollicem)».124 Dem Daumendrücken benachbart ist die sogenannte “Feige”. Jemandem die Feige zeigen heißt, ihn höhnisch zurückzuweisen. Darunter ist in dieser Redensart “Die geballte Faust” zu verstehen, aus der der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger – gelegentlich beidhändig – sich dem verachteten Feind entgegenstreckte. “Diese im ganzen Abendland bekannte, oft obszöne Handgebärde wird eindrucksvoll in einer Federzeichnung Albrecht Dürers von 1494 dargestellt» (Albertina; Röhrich I, S. 427–430; Abb. S. 428). Bei der Gegensätzlichkeit von rechter und linker Hand geht es, wie oben erwähnt, um antithetische Begriffe, denn rechts ist die Glücksseite. Die rechte Hand Gottes erhebt sich beim Weltgericht. Das rechte Auge sagt Glück, das linke Unglück voraus.125 Auf verhüllte Hände trifft man vor allem in religiösen Szenen (Abb. 15). «Ein dem orientalischen Herrscherzeremoniell entstammender Gestus, dem König einen Gegenstand mit verhüllten Händen zu überreichen, womit magische Vorstellungen verknüpft waren, wird mit einer auf christliche Verhältnisse übertragenen Bedeutung überall dort angewandt, wo ein geweihter Gegenstand getragen und einer Gestalt von heiligem oder sonst ehrwürdigem Charakter dargebracht wird» (Weisbach, S. 12). So findet die Scheu vor dem Sakralen die Verbildlichung.126 Arme und Beine. Hände und Arme helfen und stärken: «manus auxiliabitur […] et brachium confortabit», so in Psalm 88 (89), 22. Für den didaktischen Aspekt beginne man bei Villard de Honnecourt, hier noch in seine Körpergeometrie eingebunden (Abb. 25). Giotto entdeckte «als erster in der Malerei die große Geste, ohne sie ins Theatralische zu kehren» (Malraux, S. 49). Theodor Hetzer hebt die «große Würde» seiner Figuren hervor: «Man wird keine hastige Bewegung entdecken, selbst nicht in Szenen, die dies nahelegen, wie die Flucht nach Ägypten oder der Kindermord; und das Bild der Gefangennahme Christi mit seinem Aufruhr gehört sichtlich nicht zu denen, die Giotto leicht gefallen sind» (Hetzer 1959, S. 11). Die Verschränkung der Arme vor der Brust besagt Trauer oder steht für die Humiltà («con le braccia in croce al petto»: Ripa, S. 173 und 174). Sie meint fer124
Röhrich I, S. 305–306. – Mellinkoff 1993, II, Abb. X.13. Röhrich II, S. 968 mit Lit. – Plinius hielt es für erwähnenswert, einen pictor zu nennen, der mit der linken Hand malte (Plinius, S. 25). 126 Finger allg. in: HDA II, Sp. 1478–1496 und Röhrich I, S. 444–449. – Auf die Fingerzahlen gehe ich hier nicht ein. Karl-August Wirth hat das Material zusammengetragen (RDK VIII, Sp. 1225–1309). – Bemerkenswert, daß beim “An-den-Fingern-Abzählen” Nordeuropäer mit dem Daumen beginnen, Spanier und Südamerikaner jedoch mit dem kleinen Finger. Der Daumen als fünfter Finger (khamsa) gilt dem Moslem als stärkstes Glied der Hand und hat eine Vorzugsstellung. 125
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 61 ner Frieren oder signalisiert den Aufbau einer Schranke zum Nächsten. Vorzugsweise aktiviert sind Arme, wenn es um die Interpretation von Redequalitäten geht (Redegesten).127 Sie werden emporgehalten (Visionen, himmlische Erscheinungen), leicht angewinkelt (Verkündigung) oder der Horizontalen benachbart ausgestreckt (Begegnungen). Hochgehobene Arme können “Entblößung” meinen: sich zu erkennen geben, wie Joseph, der sich seinen Brüdern offenbart (Schapiro 1973, Abb. 18). Ein Topos ist das In-den-Armen-Lagern: «Wenn ich dran denke, daß ich so glücklich lag heimlich in seinen Armen, dann tut mir Sehnsuht weh» (Burggraf von Regensburg; Wehrli, S. 59). «Froh wird er nie mehr, bevor er nicht so recht glücklich in deinem Arme liegt» (Meinloh von Söflingen; Wehrli, S. 55). Erst im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert stellten sich Frauenbeine als sekundäre Geschlechtsmerkmale zur Schau, bewundert und gefeiert. Hingegen fanden Männerbeine schon im Mittelalter Beachtung. Im Parzival trägt ein Marschall den Beinamen «Maurin mit den schönen Beinen» (662, 19 f.). Gottfried von Straßburg läßt Damen sich für die Beine Tristans begeistern: «Auf beiden Seiten des Pferdes / streckten sich seine schönen Beine / gerade und gleichmäßig wie Gerten» (Tristan, 6704–6706). Jedem Menschen ist ein besonderer Gang eigen. Béroul sagt: «Brangien gagne la sortie d’un pas léger» (S. 32). Megenbergs Buch der Natur unterscheidet die trägen und jähzornigen Menschen nach ihrer Gangart; die Schrittweise wird von der Nobilität künstlich unter Kontrolle gehalten. Petrarca bittet sein Schicksal nach dem Tode der Geliebten: «Nur einen Trost finde ich in vielen Leiden, daß, wenn du zurückkehrst, ich dich erkenne und verstehe am Gang [a l’andar], an der Stimme, am Antlitz, an den Gewändern» (Canzoniere 282, 12–14). Aufschlußreich ist das Weiterleben des antiken Motivs der Stand- und Spielbein-Varianten (Heimsuchung im Ingeborgpsalter, Abb. 14). Sie sind in Malerei und Skulptur nie ganz verlorengegangen und können an den Marienstatuen des 14. Jahrhunderts Schritt für Schritt verfolgt werden (Abb. 29). Eine tänzerisch anmutende Beinstellung nimmt im Ingeborgpsalter der Prophet Amos ein, unten links neben der Wurzel Jesse (Deuchler 1967, Tafel X). Ein symbolträchtiges Motiv ist das Übereinanderlegen der Beine, «eine Richtergebärde, die die Befugnis zur Rechtsprechung öffentlich sichtbar werden ließ» (Röhrich I, S. 167). Der Verfasser illustriert den Befund mit dem Relief eines sitzenden Richters an St. Stephan in Wien. Es ist aber ebenso die herrscherliche Pose, die sich schon Villard de Honnecourt notierte (Hahnloser, Tafel 24). Das wohl bekannteste Beispiel dieser Haltung bietet die Manessische Liederhandschrift: Walther von der Vogelweide mit übergeschlagenem Bein, auf dessen Knie er sich aufstützt (Abb. 44). Die Stellung beruht auf seinem eigenen dichterischen Text. Der Spruch ist in die Literatur eingegangen: «Ich saß auf einem Stein, / Schlug übers Bein das Bein, / Den Ellenbogen setzt ich drauf, / Und stützend nahm die Hand mir auf / Das Haupt mit Wange und mit Kinn.» So dachte der Dichter, mit offenen Augen, «wie man auf Erden könne leben».128 In verwandten Darstellungen haben 127 128
Siehe Stichwort Arm in: Röhrich I, S. 99–100 (mit Lit.). – Zum Ellenbogen: Röhrich I, S. 382. In Wapnewskis Auswahl der Gedichte Walthers von der Vogelweide (= Vogelweide) wähle ich die
62 – Strukturen und Träger der Gestik die Autoren die Augen ebenfalls geöffnet; Reinmar von Zweter zeigt sie geschlossen, denn der Maler wußte, daß er blind war (Abb. 45). Walthers nachdenkliche Haltung findet sich bei Petrarca wieder, der nach Laura verlangt: «Wenn die Wahrheit dann den süßen Irrtum vertreibt, dann lasse ich mich daselbst nieder, erstarrt, ein toter Stein auf einem lebenden Stein, wie ein Mann, der denkt und weint und schreibt» (Canzoniere 129, 49–52). Die Pose kehrt in Ripas Iconologia wieder und bedeutet dort Meditatione (S. 267), wird aber ebenso für Darstellungen des Schmerzensmanns, von den Passionswerkzeugen gerahmt, benutzt.129 Herodes sitzt bei der Befehlserteilung zum Kindermord oft mit überschlagenem Bein, so 1331 bis 1342 in dem Altar-Fragment der Abtei Hautecombe (Paris 1981, S. 74). Die gekreuzten Beine deutet hier Françoise Baron (ibid.) «en signe de puissance». Bei lagernden Figuren ist die Stellung seit der Antike häufig. Füße. «Wie schön sind deine Füße / in den Sandalen, du Fürstentochter. / Die Rundungen deiner Schenkel sind wie ein Geschmeide, / ein Werk von Künstlerhänden» (Hohelied 7, 2–6). Sandalen sind wie Schmuckstücke. So ähnlich lautet eine Stelle im Roman de la Rose von Guillaume de Lorris und Jean de Meun. Das Mädchen soll darauf achten, seinen Fuß zu zeigen «en sorte que chacun de ceux qui passent / en voie la belle forme» (zit. nach Schmitt 1990, S. 228). Tristans Füße und Beine, «an denen seine Schönheit sich am deutlichsten zeigte, verdienen so viel Lob, wie man einem Manne spenden kann» (Tristan, 3341–3344). Auch Rual, Tristans Ziehvater, wird mit langen Armen und Beinen beschrieben; entsprechend war sein Gang: «schoene unde hêrlich was sîn ganc» (Tristan, 4072). Denn der Fuß gilt als Sitz besonderer Macht, bisweilen sogar der Lebenskraft (HDA III, Sp. 224–236; Röhrich I, S. 491– 495). Berthold Furtmeyr schildert dies deutlich, wenn er den abgestorbenen und verkrüppelten Fuß einer bettelnden Mutter zeigt.130 Auf einem Fresko über dem Eingang der ehemaligen Antoniter-Kirche in Memmingen sieht man im Vordergrund einen Mann, der sich auf eine Krücke stützt, weil infolge der Mutterkornkrankheit sein linkes Bein vom Ergotismus gangraenosus befallen und mißgestaltet ist (Boockmann, Abb. 390; vgl. auch Abb. 396) oder gar amputiert werden mußte (Wien 1969, Abb. 10). Barfüßigkeit gilt als Zeichen der Armut; im christlichen Kontext als Demut. Ist die Fußsohle jedoch so gewölbt, daß Wasser unter ihr durchfließen kann, gilt dies als ein Zeichen hoher Abkunft (HDA III, Sp. 238).
“poetische” Fassung von P. Hase, S. 273. Für Wapnewskis Version siehe S. 125. – Die nachdenkliche Haltung Walthers wirkt noch Generationen nach, wie z. B. in der Nonne als “Betrachterin” – so die Aufschrift – in einer Bilderfolge der Tätigkeiten von Nonnen, um 1480: Boockmann, Abb. 357. 129 So der Schmerzensmann in Boston, um 1450: Charles Sterling, Jost Haller. Peintre à Strasbourg et à Sarrebruck au milieu du XVe siècle. In: Bulletin de la Société Schongauer à Colmar, 1979–1982, S. 53–89 und Abb. 19. 130 Salzburger Missale, nach 1478, in: Regensburg 1987, Tafel 175. – Regensburg 2010/11, Abb. 123, S. 75.
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 63 ❧ Monster und das Nicht-Darstellbare. Ungeheuer, Moloche, Drachen, Fabelwesen, Kopffüßler, Kentauren, verwachsene Schweine, “wilde Leute” – die zwar niemand wirklich gesehen hat – und tatsächliche Mißbildungen der Natur sind auffallende Erscheinungen, die des Beschauers Aufmerksamkeit durch irrationale Gestik oder wirre Gebärden noch zusätzlich provozieren. Für des Künstlers Phantasie gibt es da keine verbindlichen Darstellungsgrenzen mehr: der Druck zur Ähnlichkeit drängt sich nicht zwingend auf. So geschieht es “am Rande der Welt”, wie im Tympanon in Vézelay, oder nach Iulius Solinus (wohl um die Mitte des 3. Jahrhunderts) in einer Handschrift aus Arnstein (2. Hälfte 12. Jahrhundert); Kämpfe zwischen Molochen finden in der Apside der Kirche San Jacopo am Kastellaz (Termeno / Tramin) im frühen 13. Jahrhundert statt.131 Unter den literarischen Denkmälern sei an die Häßlichkeit Charons in Heinrich von Veldekes Eneasroman erinnert (92, 3049–3073). Der ungestalte Riese Harpin wird im Yvain (Chrétien de Troyes, S. 151) besiegt; bezeichnend, daß in seiner Nähe ein verlogener Zwerg sein Unwesen treibt.132 Diebold Schilling bildet die Mißgeburt von Rottweil ab (Schilling, S. 251), ebenso notiert er die sirenenartige Abnormität in Florenz (ibid., S. 339), ein durch Flugblätter in Europa bekannt gewordenes Ereignis. Solche Irrungen der Schöpfung, Seuchen und Himmelserscheinungen faßte man als unheilverkündende Zeichen auf. Ungeheuerlich war ebenso der Drache, der die Reuß hinunterschwamm; Schilling hat ihn ins lokalgeschichtliche Protokoll miteinbezogen hat (ibid., S. 290). Wie es Unsagbarkeitstopoi (Curtius, S. 168–171) gibt, so gibt es im Bild nichtdarstellbare literarische Vorlagen. Wenn der Evangelist Johannes (XII, 3) berichtet, wie Maria Jesus die Füße salbte und das ganze Haus voll vom Duft des Öls war, so könnte das olfaktorische Element dieser Szene allein mit Gebärden und Stellungen der Beteiligten umgesetzt werden, was aber nicht geschieht. Gestank hingegen läßt sich bildlich umsetzen: durch das Verdecken oder Zuhalten der Nase. Die Graböffner in der Auferweckung des Lazarus (Sant’Angelo in Formis, 1072/87) verklemmen sich 131
Demus 1968, Farbtafel XXXIII; Conta III, S. 366 f. Farbige Abb. S. 367 (gesamt) und 369 (Ausschnitte). – Arnstein: BL, MS. Harley 2799, fol. 243recto. Abb. in : Swarzenski, Tafel 189. – Für den Überblick: Rudolf Wittkower, Marvels of the East. A Study in the History of Monsters. In: Journal of the Warburg and Courtaulds Institutes V, 1942, S. 156–197. – Claude-Claire Kappler, Monstres, démons et merveilles à la fin du Moyen Âge. Paris 1999. – Dem Mythos der “wilden Leute” galten zwei Ausstellungen in Hamburg 1963 und in The Cloisters, New York (New York 1980). Zu “wilden Männern” in der Heraldik: Wolfram, S. 115. Allgemein im Alpenraum: ibid., S. 149–156. – Ernst Guldan, Das Monster-Portal am Palazzo Zuccari in Rom. Wandlungen eines Motivs vom Mittelalter zum Manierismus. In: ZfK 1969, S. 229–261. – Kampf mit Riesen: Iwein 6073–6866. 132 «Dans les récits arthuriens, le nain est toujours une créature diabolique habitée par la ruse et la félonie» (Philippe Walter, Anm. in seiner Übersetzung des Yvain, Chrétien de Troyes, S. 151, Anm. 2). – Zu Harpin ferner ibid., S. 144 und Anm. 1 und 2. – Makro-, ja Gigantosomie duettieren mit Mikrosomie wie in den Fresken auf Schloß Runkelstein. Vgl. Walther Müller-Bergström, Zwerge und Riesen. In: HDA 9, Nachträge, Sp. 1008–1138.– Zu Yvain siehe: Rushings. – Pauly I, Sp. 1441 (deliciae).
64 – Strukturen und Träger der Gestik die Nase. Im Stundenbuch der Bonne de Luxembourg in New York (The Cloisters) zeigt eine Doppelseite die Begegnung der drei Lebenden mit den drei Toten, die sich im Verwesungszustand befinden. Einer der drei Reiter verdeckt sich die Nase. Als Beigabe zeigt der Maler im Rankenwerk links oben eine Sitzfigur, die sich ebenfalls die Nase zuhält – aber nicht der vermodernden Toten wegen, sondern angesichts eines hinter ihm sitzenden Wiedehopfs, der ja im Volksglauben Kot pickt und übel riechen soll. ❧ Das Porträt. Überlebt haben Bilder des heiligen Lukas, der die Madonna malt: «Zwar konnte auch St. Lukas die wunderbare Schönheit des Antlitzes und die Anmut und Würde ihrer Gestalt nur andeuten; denn ein irdischer Künstler konnte weder damals noch wird er je in Zukunft die Frau […] würdig abbilden können; aber die Apostel waren hochbeglückt davon und sagten Gott Dank dafür» (Klapper, S. 73 und Anm. S. 281). Im Umkreis der Frage nach den frühesten mittelalterlichen Porträts stehen in Frankreich einerseits die Grabmäler in Saint-Denis – eine virtuell einsetzende Bildnisgalerie, die immer natürlichere Umrisse gewinnt («L’art du portrait [est] né sur les tombeaux», so Focillon, S. 230) –, andererseits geht die Diskussion um ein gemaltes Herrscherbild, das Profilporträt von Jean le Bon im Louvre, um 1350.133 «C’est un profil, sans doute très ressemblant, car il nous montre un être humain d’un âge, d’une complexion et d’un type bien définis, qui n’ont rien à voir avec les conventions d’une série. Ce Valois sympathique, chevaleresque et débile est royal par le style de son peintre, Girard d’Orléans» (Focillon, S. 265).134 Laut Quintilian kommt allerdings das ganze Gesicht – das heißt en face – am besten zur Geltung. «Apelles indessen zeigt das Bild des Antigonos nur von der Seite, um den häßlichen Verlust des einen Auges zu verbergen» (Quintilian II 13, 12). Dies war noch für Piero della Francesca eine Herausforderung, als er den Herzog von Montefeltre porträtierte.135 Carel van Mander ergötzt sich bei der Betrachtung des Genter Altars der Brüder van Eyck an den «ungefähr 330 vollständigen Gesichtern, von denen nicht eines dem andern gleicht. Diese Gesichter zeigen verschiedene Arten des Ausdrucks: göttlichen Ernst, Liebe und Andacht, auch das der Maria, de-
133
Paris 1981, S. 42 (Abb.) und 370–371. – Focillon, S. 264–265, beschreibt das Umfeld. Diese Zuschreibung an einen der berühmten Maler der Zeit (man nennt auch Jean Coste) wird heute nur noch für möglich gehalten. Jedenfalls handelt es sich um eines der ältesten erhaltenen Profilporträts; ein Bildnistyp, den man von Medaillen kennt. 135 Schon Plinius überliefert die Geschichte (Plinius, S. 70 und 71). – Meyer Schapiro erwähnt einen spanischen Bischof, 1250 verstorben, der ein Marienbild im Profil als “einäugig” verdammte. Er glaubte, Häretiker hätten sie so gemalt, um zu zeigen, wie häßlich Christi Mutter tatsächlich war (Schapiro 1973, S. 42–43). – Lesenswert ibid. Schapiros Bemerkungen in Anm. 87 über «the pairing of frontal and profile» im ausgehenden 19. und im 20. Jh. 134
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 65 ren Mund einige Worte, die sie aus einem Buche herausliest, auszusprechen scheint» (van Mander I, S. 33). Ans Ende unserer Zeitspanne gehört die Entdeckung des Altersbildnisses. Michael Roth hat mit Dürers Mutter das Thema neu behandelt. Geläufiger ist das Bild des Alten in den Darstellungen der Ungleichen Liebespaare (Dürers Kupferstich, um 1495; Roth, S. 119); Aristoteles und Phyllis (Meister MZ, um 1500; Hans Schäufelein, um 1511; Hans Baldung Grien, 1513; Roth, S. 117–118).136 Das Selbstporträt ist literarisch zwar möglich, doch allein der bildende Künstler vermag sich so darzustellen, daß sein Ich individuell wiedererkannt wird. Dem Musiker ist das Selbstporträt versagt, denn ein Porträt oder Selbstporträt ist allein dank der Augen zu realisieren und somit ein Produkt des Sehvermögens. Mit dem Selbstporträt tritt der Künstler erst dann aus der Anonymität heraus, wenn er es mit seiner Unterschrift signiert. Er bekennt sich öffentlich zu sich selbst, zu seiner physischen Erscheinung und durch diese zu seiner geistigen Potenz und seiner künstlerischen Leistung. Diese liegt in der erstrebten Ähnlichkeit und deren Deutung. Im Brennpunkt stehen die Gesichtszüge, die jedoch durch Zutaten ergänzt, ja “verkleidet” werden können (Hüte, Pfeife, Brille). Des Malers Auftritt vollzieht sich innerhalb eines größeren Ganzen (Umgebung, Atelier, Landschaft, in einer Gruppe) oder als autonome Wiedergabe vor neutralem Grund. Letztere ist namentlich vor dem Spiegel zu bewerkstelligen. Sie verharrt in der Frühzeit in der Form eines Kopf- oder Brustbildes, wie beispielsweise die Malerin Marcia in Boccaccios De claris mulieribus (Paris 1975, S. 28). Der Spiegel, auf das Antlitz gerichtet, ist oft die Verbildlichung der unausweichlichen Gegenwart. Er reflektiert jedoch nicht das volle Sein, sondern lediglich dessen bloßes Aussehen. Mit der steigenden Schätzung des Künstlers wächst das Abbild zur Halb- und Ganzfigur. Aus dem Altertum sind Selbstbildnisse nicht bekannt (da eher verpönt), doch berichtet Plutarch, Phidias hätte sich auf dem Bronzeschild seiner Athenastatue selbst dargestellt. Im Mittelalter beginnt die Reihe der Belege unter anderem mit dem Goldschmied Volvinus auf der Altarverkleidung von Sant’Ambrogio in Mailand (9. Jahrhundert). Die erste bekannte sicher beglaubigte Eigendarstellung des Künstlers in einem Altarwerk findet sich 1447 in der Marienkrönung des Fra Filippo Lippi in den Uffizien.137 Dann häufen sich die Belege, nicht nur in Italien. Das Einzelselbstbildnis gewann zuerst im Norden Verbreitung, mit bohrender Sachlichkeit durch Dürer und seinen Kreis.138 Dabei handelt es sich ebenfalls um die Profilierung des eige136 Ein weiteres Beispiel aus dem Revaler Rathaus aus dem frühen 16. Jh., in Verbindung mit dem Simson-und-Dalila-Motiv, bei Boockmann, Abb. 226. – Zusammenfassung des Themas von Wolfgang Stammler in RDK I, Sp. 1027–1040. Siehe auch Frenzel, Motive: Der verliebte Alte, S. 1–11 mit Lit. zu Aristoteles. 137 Goldscheider 1936, Abb. 19. – Für weitere italienische und andere Belege: ibid. 138 Wilhelm Waetzoldt, Die Kunst des Porträts. Leipzig 1908. Ernst Benkard, Das Selbstbildnis vom 15. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Berlin 1927. – Goldscheider 1936. – Totenmasken erlangen erst in der Neuzeit Bedeutung und Verbreitung. Dazu Hubert Spiegel, Die letzte aller Lügen. Totenmasken, Dich-
66 – Strukturen und Träger der Gestik nen Künstler-Mythos. Belege zeigen den Künstler als Christus.139 Am Beginn dieser Tradition scheint um 1500 ebenfalls Dürer zu stehen. Dies ist nicht Anmaßung und Überheblichkeit, sondern markiert die nachantike Geburtsstunde des Künstlerkults.140 Das Autorenporträt. Alle Miniaturen in der Manessischen Liederhandschrift gehören im weitesten Sinn zur Gattung des Autorenporträts, denn sie begleiten (mit wenigen Ausnahmen) Texte der abgebildeten Dichter. Dasjenige des Walther von der Vogelweide ist der einleuchtendste Zeuge hierfür (Abb. 44), denn es setzt eines seiner Lieder buchstabengetreu ins Bild um.141 Andere spielen auf Ereignisse im Leben der Dargestellten an – wie die Teilnahme an einem Kreuzzug. Oder sie gehen witzig auf Charaktereigenschaften des Sängers ein und heben, mit verhaltenem Spott, seine Verkleidungskünste hervor (Abb. 75, 76). Nur diejenigen, die sich beim Diktat oder bei der Niederschrift ihrer Dichtungen zeigen, gliedern sich der klassischen Tradition des Dichter- und Gelehrtenbildnisses an.142 ❧ Grundlinien in der Gesichtsdarstellung von 1200 bis 1500. Die bis hierher aufgeführten literarischen Zeugnisse passen wenig in das zeitgenössische Bildmaterial. Im Ingeborgpsalter sprechen die Protagonisten noch nicht miteinander. Der Mund ist konsequent geschlossen: Das verwendete graphische Kürzel ist überall einheitlich. Lippen werden bei Frauen und jüngeren Figuren als Strich wiedergegeben. Nur die als “alt” gedachten Männer – Josua, Jesse, Joseph, Simeon, Jakobus – haben einen etwas nach unten gewinkelten Mund, meist in Verbindung mit der Zeichenformel für den Bart. Die Augen gehorchen einer durchgehend stereotypen Wiedergabe. Bemerkenswert ist, daß die Pupille bei Dialogen in die Ecke des Auges verlegt werden kann, um die Sprechrichtung anzudeuten, wie in den beiden Engeln links in der Szene mit Abraham (Abb. 10). Wenn sie sich wie fragend an einen Partner wenden, beginnen terbilder. Eine Marbacher Ausstellung. In: FAZ, Samstag, 13. November 1999, Nr. 265, S. VI, anläßlich der Ausstellung Archiv der Gesichter. Toten- und Lebendmasken aus dem Schiller-Nationalmuseum Marbach. Marbach 1999 (Marbacher Katalog Nr. 53). 139 Dazu: Philippe Junod, (Auto)portrait de l’artiste en Christ. In: Das Selbstportrait im Zeitalter der Photographie. Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne 1985, S. 59–79. – Andrew Martindale, The Rise of the Artist in the Middle Ages and Early Renaissanc. London 1972. 140 Grundlegend bleiben: Ernst Kris / Otto Kurz, Die Legende vom Künstler. Ein historischer Versuch, und Edgar Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes, ein Beitrag zur Ideengeschichte der Antike und des Frühkapitalismus. Tübingen 1926. – Damit verbunden ist auch die Anerkennung des Künstlers durch die Zeitgenossen. Reiner Haussherr hat dazu einige Beispiele zusammengestellt: Arte nulli secundus. Eine Notiz zum Künstlerlob im Mittelalter. In: Ars auro prior. Studia Ioanni Białostocki sexagenario dicata. Warschau 1981, S. 43–47. 141 So auch in der Weingartner Liederhandschrift (Stuttgart, Württemberg. Landesbibliothek, HB XIII 1). Beide Fassungen nebeneinander abgebildet in: RDK II, Sp. 1485 und 1486. 142 Siehe: Saltert / Pearsall.
Notate zum Körper und zur Darstellung seiner Glieder – 67 sie zu “sprechen”; Josua, der sich an das Gefolge wendet (Abb. 12); die Gruppe, die erschrocken auf Moses blickt, der die Tafeln zerschmettert (Abb. 13); die zwei links stehenden Könige in der Anbetung (Abb. 16); Christus und Pilatus; der Engel und die drei Marien am leeren Grab; die Emmaus-Pilger erkennen den Herrn. Diese Blicke begleiten entsprechend erklärende oder hinweisende Arm- und Handbewegungen. Letztere muten sich die eigentliche Regie zu. Die Grundhaltung ist ernst, man freut sich nicht, man trauert nicht. Gemütshaltungen werden nicht von den Darstellenden, sondern vom Inhalt und Tenor des Themas angezeigt, die den Benutzer rühren, weil er sie bereits kennt. Mit den Figuren der Manessischen Liederhandschrift scheint sich im geläufig gewordenen, ja routiniert-gewandten gotischen Formelrepertoire wenig getan zu haben. Die vorwiegend lieblichen Gesichtszüge fallen allerdings profilierter aus: Brauen, Nasenlinien und Lippen werden kräftiger betont, sind jedoch, wie hundert Jahre früher, unerbittlich einem streng eingehaltenen Schema unterworfen. Sie sprechen noch nicht, selbst wenn im Dialog kräftig gestikuliert wird. Sogar Liebespaare scheinen an sich vorbeizuschauen. Erst der dritte Nachtragmeister läßt Otto vom Turne in die Augen seiner Geliebten blicken (Abb. 70). Einen fixierten Blick schildert der Grundstockmeister jedoch im Streit beim Tricktrack (Abb. 61) – ebenfalls mit unmißverständlichen Arm- und Fingergebärden erläutert.143 Die Handlungsklimax spitzen auch hier pantomimische Mittel zu. Selbst wenn Lächeln und Lachen fehlen, zeichnet sich Wohlbehagen ab. Es werden Gefühle signalisiert – niedere und erhabene Emotionen gestisch verhalten angedeutet. Mit dem letzten Meister der Manessischen Liederhandschrift befindet man sich bereits in den Dreißigerjahren des 14. Jahrhunderts – ein Wandel, für den in Frankreich die Wurzeln wie die primären und daher entscheidenden Entwicklungen zu sehen sind. Trifft es zu, daß der letzte hinzugezogene Maler im Zürcher Codex für die zweifellos im Westen entstandenen Miniaturen der Cloisters-Apokalypse verantwortlich ist, so wird (wie in den Elfenbeinen) implizit der künstlerische Einfluß aus dem Westen personalisiert. Was der christologische Vorspann (Abb. 72, 73) sowie die Stifterseite (Abb. 71) in der Apokalypse an Neuheiten bieten, liegt vor allem in des Malers Talent begründet, lebendige Szenen nicht nur zu bilden, sondern auch mit einfachsten Mitteln zu rhythmisieren. Die mise-en-scène stimmt; die Protagonisten schauen sich in die Augen und kommunizieren. Gleichzeitig werden zu einem frühen Zeitpunkt jene scheinbar so belanglosen Details eingeführt, die den damaligen Besitzer der Handschrift erfreut haben mußten: in der Anbetung der Könige der dritte Magier, der sich seiner weißen Handschuhe entledigt hat; oder das Kind, neugierig nach dem dargebotenen Goldschatz greifend; gar der Weise, der seine Krone unbefangen über seinen rechten Arm stülpt. Das Motiv des auf dem rechten Knie der Mutter stehenden Christus ist dasjenige der Elfenbeinmadonna im Schatz von San Francesco in Assisi, somit ein zeitgenössisches Werk, um 1320/30 (Gaborit-Chopin, Farbtafel Abb. 182). Hier liegen wohl die Wurzeln, wenn nicht gar die Anfänge der Internationalisierung 143 So schon bei Villard de Honnecourt (Hahnloser, Tafel 17). Siehe hier die Vergleichsabb. 5 (Fenster in Chartres).
68 – Strukturen und Träger der Gestik der Gotik – Ausgangspunkte für die Findung einer spirituellen wie weltlichen, selbstbewußten Sinnlichkeit mit neuen Sehnsüchten und, wie Bandmann es nannte: «Reizempfindlichkeiten». Am Ende des Jahrhunderts finden sich solche Details der spontanen und zwischenmenschlichen Zuneigung, unabhängig von direkten französischen Anregungen, etwa beim Kölner Meister der heiligen Veronika (tätig um 1395–1415). Die Muttergottes mit der Wickenblüte (um 1400) in Köln geht in ihrer mütterlichen Innigkeit und des Kindes Zutraulichkeit über Pariser Formulierungen hinaus. Der Sohn ist Teil der Mutter, geborgen und behütet. Es legt seine rechte Hand unter ihr Kinn und hält in der Linken eine goldene Kette, die neben dem Christusmonogramm der Brosche hängt. Die Wickenblüte gilt teils als Symbol des Todes, teils als Hinweis auf Zärtlichkeit. Beide Aspekte sind formvollendet miteinander zur Einheit nicht nur verbunden, sondern verwoben. Es ist der lange Weg zum “süßen” Stil, dem stilus suavis, dulcis. Man kennt ihn als stilus humilis – die bescheidenere Ausbildung der rhetorischen Grundformen. Die Erzählmechanismen haben sich im 14. und 15. Jahrhundert verändert, so wie sich vor allem in höfischen Kreisen die Ausdrucksweisen, Dialekte und Dichtungen zu Hochsprachen wandeln, polyphonisch das Latein verlassen und sich in neuen Umgangs- und Alltagssprachen festigen: in Italien (mit Dante und Petrarca), Deutschland (mit Sebastian Brant: Narrenschiff, 1494: «Uns sag dir tütsch wie ich das meyn», 83. 21) und England (mit Chaucer) wuchsen die heutigen Idiome heran. In Frankreich sind es vor allem die französisch schreibenden Chronisten, die das neue Idiom (Commynes) prägen.
Formen der Gestik und Regie der Schauplätze Die Aufzählung der einzelnen Körperteile sowie die Hinweise auf deren Bedeutung in bildlichen Darstellungen führten bereits mehrfach an folgende Fragen heran: Wie haben sich diese Körper als Summe der Teile bewegt? Und was bedeuten die Bewegungen der Glieder, die man unter dem Begriff der Gestik subsumiert? Was bedeutet der Raum für die Entfaltung der Gestik? Eine mögliche Klassifizierung gründet auf drei gleichlaufenden Strängen mit unterschiedlichen Akzenten und Limiten: 1. Die Gestik gemäß traditionsgebundener Anwendung. Gemeint sind konventionelle Zeichen, die spontan verstanden werden, da sie, wie Augustin dies eindrücklich schildert, vom Kindesalter an erlernt, zum ABC des Lebens gehören. Sie gelten anfänglich als Symbole, um dann durch Nachahmung beim Erwachsenen einleuchtende Zeichen zu werden (Piaget 1945, S. 248). Als primäre Gesten dienen sie allein der zwischenmenschlichen Basiskommunikation. 2. Die Gestik gemäß dem gesellschaftlichen und sozialen Status. Es sind institutionalisierte, gruppenspezifische Zeichen und Verständigungsformen, die erlernt werden müssen. Insofern sind sie künstlich (Hofhaltung, kirchliches Zeremoniell, soldatische wie behördliche Befehle und Anweisungen). Sie können beiläufig wirken,
Formen der Gestik und Regie der Schauplätze – 69 werden jedoch im augenblicklichen sozialen Umfeld sofort verstanden. Redegesten verdeutlichen Redestrukturen. 3. Außerordentlicher oder plötzlich einsetzender Schmerz, Schreck oder Freudentaumel lösen die unkontrollierte Gestik aus. Sie bleibt ausschließlich punktuell erfahrbar und ist ausdrucksvoll vor allem auf Gruppen übertragbar (Klageweiber, die Mütter im Kindermord)144. Sie umfaßt Grenzwerte des menschlichen Ausdrucks und siedelt sich oftmalig in Todesnähe an. Ein Beleg ist Giottos Ira in der ArenaKapelle, Padua. Zornig-verbissen, den Kopf zurückgeworfen, reißt sie ihr Kleid auf. Die Beischrift ira dient zur Identifikation, denn sie könnte ebensogut Verzweiflung symbolisieren oder Trauer wie in Alciatis Emblematum libellus. Im Gegensatz zu romanischen Programmen stürzen die Verdammten mit unkontrollierten Gesten in die Tiefe (Abb. 85) oder steigen die Toten aus ihren Gräbern, wie etwa im Jüngsten Gericht von Gherardo Starnina (gest. um 1413) in München (Abb. 86). Diese drei Kategorien können sowohl auf religiöse wie auf profane Themen angewendet werden. Sie sind austauschbar. Die konventionelle Gestik in Alltag und Arbeit. Sie wird angelernt und beruht auf Traditionen. Dank Cicero ist man über die Bedeutung der Gesten des Redners unterrichtet: «Er muß durch die Bewegung des Körpers, durch Mienen- und Gebärdenspiel, durch Ausdruck und Abwechslung der Stimme das rechte Maß erhalten; wieviel allein schon das an sich bedeutet, lehrt die schlichte Schauspielkunst und das Theater» (Cicero, De oratore I 18).
Die Bewegungen sowie die Gebärdensprache eines Menschen lassen weitere Rückschlüsse zu: «So machen zum Beispiel die Ballspieler beim Spiel selbst keinen Gebrauch von der spezifischen Technik des Ringkampfes, doch schon ihre Art sich zu bewegen verrät es, ob sie den Ringkampf beherrschen oder nichts davon verstehen» (ibid. I 73).
Spezifische Gebärden lassen sich nicht endlos modifizieren. Der untätige Mensch hält seine Arme unmittelbar am Körper. Es bilden sich erst dann Varianten, wenn sie, durch Arbeiten bedingt – und vor allem als Berufsgesten –, erläutert sind. Die gekonnte Handhabung der Geräte bestimmt den körperlichen Einsatz des Bauern und Feldarbeiters. Werkzeuge diktieren und definieren die Bewegungen des Maurers oder, wie in einem Elfenbein um 1100 aus Salerno, des Schreiners: Noah beaufsichtigt den Bau der Arche (Abb. 3). Auf der Nichtbeachtung dieser Regeln beruht die Kritik an den chaotisch wirkenden Gesten in den Trentiner Wandmalereien (S. 33).
144 Vgl. den Kindermord im Ingeborgpsalter (Abb. 17): Entsetzen und Schmerz spiegeln sich nicht in den Gesichtern, sondern werden mit Zeichen indirekt ins Bild umgesetzt: mit der Mutter, die den abgeschlagenen Kopf ihres Kindes küßt oder mit dem brutalen Durchstechen der Opfer, die zerstückelt am Boden liegen.
70 – Strukturen und Träger der Gestik Der Turm zu Babel vermittelt vor allem aufschlußreiche Bild- und Bewegungsmaterialien. Pure Phantastik einer erfundenen, fernen Vergangenheit verknüpft mit selbst gelebter und erfahrener Wirklichkeit. Sie verknüpfen sich in tableau-artigen Darstellungen aufs engste. Die Kinder Noahs sprachen: «Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen» (1. Moses 11, 4). Auf Grund der eintretenden Verwirrung der Sprachen blieben die Stadt, der man den Namen Babel gab, und das tollkühne Bauwerk unvollendet, doch der Mythos überdauerte in der Phantasie.145 Auf Grund dieses ikonographischen Materials ist man gut über mittelalterliche Bauplätze, die Baumethoden, die Bauarbeiter und die von ihnen verwendeten Werkzeuge unterrichtet. In fast allen Darstellungen gehören begreiflicherweise Leitern und Baugerüste zur Grundausrüstung. Im 13. Jahrhundert sind treppenartige Aufgänge mit Handläufen überliefert. Im 14. Jahrhundert kommen mit Treträdern bewegte Kräne zum Einsatz, ausgerüstet mit Teufelskrallen (Steinzangen) am Ende der Seile, um versatzfertige Werkstücke zu packen. Vorher hievte man die Steinblöcke von Hand an Seilen hoch oder schleppte sie auf Schultern in die Höhe. Zeitgleich findet das Zuhauen der Steine, das Kalkbrennen, Mörtelmischen oder das Einsetzen der Blöcke mit Kelle statt; die Kontrolle mit Winkelmaß und Lot beschließt die Arbeit. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erscheinen Schubkarren mit tiefem Schwerpunkt für massige Bauteile. Schwere Lasten werden auf der einen Schulter – mit in die Hüfte gepreßtem Arm – abgefedert. Je weiter man zeitlich vorrückt, um so genauer sind diese Beobachtungen.146 Feldarbeit in Monatsbildern.147 Ohne auf die Wandmalereien in Trient zurückzukommen, sei wegen den teilweise sich wiederholenden Monatsbildern in Kalendern – je nach Landschaft verschieben sich die Tätigkeiten der Bauern (Saat und Ernte) im Jahresablauf – auf einige weitere Aspekte hingewiesen. Die ländlichen Verrichtungen sind nachdrücklichen Bestimmungen unterworfen: so die Heuernte. Die Reihenfolge der Mäher, die einen gewissen Abstand halten müssen, ist geregelt (HDA V, Sp. 1484–1490; mähen, Mäher); so auch das Dreschen, wie in Ambrogio Lorenzettis Landschaft des Guten Regiments. Im Norden Europas dauerte diese Tätigkeit den ganzen Winter. Sie sicherte den Landarbeitern das zwölfmonatige Auskommen. «Es war zugleich die schwerste und anspruchsvollste jährliche Arbeit, die große Körperkräfte und dazu eine besondere rhythmische Geschicklichkeit erfordert» (Röhrich I, S. 337). Die sich repetierende, maschinell anmutende Dreschbewegung bemerkte bereits Villard de Honnecourt (Hahnloser, Tafel 35). 145
Helmut Minkowski, Aus dem Nebel der Vergangenheit steigt der Turm zu Babel. Berlin 1960. – Siehe RDK I, Sp. 1315–1321. – Weitere Beispiele in: Magdeburg 2009, S. 116 (Anfang 13. Jh.), S. 133 (um 1350). 146 Jean-Claude Schmitt widmete 1990 einen Abschnitt den Gestes du travail (S. 239–245) sowie den Travaux des mois (S. 245–251). – Erst 1568 erschien von Hans Sachs die Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden – ein Handbuch, das in der Bebilderung Aufschlüsse über die Arbeitsgesten gibt: «Also sind hier gezeiget an / Vierzehn und hundert Person / In Emptern, Künsten und Handarbeit»; so im “Beschluß”. 147 Monate, Monatsbilder in: LCI III, Sp. 274–279 (mit Lit.).
Formen der Gestik und Regie der Schauplätze – 71 «Définir le travail rural – agricole ou artisanal – en des termes de force physique ou d’habileté ‘manuelle’ serait une réduction. Le corps tout entier est un instrument de travail; les postures minutieuses et précises qui président à telle ou telle tâche se déroulent souvent comme une véritable succession de pas de danse. Une longue éducation, principalement par imitation, et dont les modalités sont mal connues, aboutit à cette aisance gestuelle» (Cuisenier 1978, S. 19).
Die Holzfäller und Straßenbauer in den Chroniques du Hainaut (1446/49) bieten gut beobachtete, dem Leben abgeschaute Arbeitsgesten (Abb. 110). Lyrische Gestik verso il vivo. Anmut, Zärtlichkeit und Liebesbeweis. Zartheit, Grazilität und Anmut bestimmen das neue sentimentalisch ausgelegte Grundklima. Sie beginnen sich im Verlauf des 14. Jahrhunderts von Frankreich und dem Rheinland durchzusetzen. Vergleichbares beobachtete Vasari in Italien: «La invenzione più copiosa di figure, più ricca d’ornamenti; ed il disegno più fondato, più naturale verso il vivo» (Vasari / Milanesi II, S. 103). Diesseits und jenseits der Alpen fallen die vielen Tanzszenen ins Auge. Mit Erfolg in Italien weiter gedacht, erscheinen in der menschlichen Rhythmik neue Ausdrucksformen dank flexibel gestalteter Körper und Glieder. Grazile Regungen, Liebkosungen und Liebesszenen erweitern das Gestenrepertoire beträchtlich. Die gesamte Gebärdensprache gewinnt bis jetzt unbenutzte Aussage- und Tragkräfte. Nicht zufällig sind es die Jahrzehnte, aus denen in der christlichen Ikonographie auffallend viele Christus-Johannes-Gruppen überliefert sind (Wentzel 1960). Inspirationsgesten. Der Inspirationsgestus wird mit der erhobenen rechten Hand angedeutet, wie in Darstellungen des Johannes auf Pathmos. Das Motiv der dichterischen Eingebung geht in die Antike zurück. Ich habe 1968 einige Belege diskutiert, die auch für einen anderen Auftraggeber maßgeblich sind: Maximilian I. In seiner Vorstellungswelt wirkt burgundisches Erbgut weiter. Der Kaiser tritt als Weisskunig in die Werkstatt Burgkmairs ein (Abb. 129). Der Text erkärt: Weisskunig sagt, was zu malen ist («in angebung des gemelds»), das dank seines Einwirkens überhaupt erst entsteht, mittels seines «ingeni die pesserung» erfährt, sich aus zusammenhangslosen Chiffren auf dem Staffeleibild zu etwas Erkennbarem und Einheitlichem fügen und formen wird. Diese Wandlung vom nichts zum etwas, dieser allentscheidende Schritt vom Chaos zur Form, geschieht in der Verbildlichung mittels des uralten und offensichtlich noch stets verstandenen Inspirationsgestus. Der Kaiser ist unbemerkt an den Maler herangetreten und legt ihm seine Hand auf die Schulter, wie dies unzählige Male vorher Musen bei Dichtern und Engel bei Matthäus getan haben.148
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Der schreibende David mit geflügelter Muse hinter sich: Utrecht-Psalter, fol. 1verso. – Jan Gossaert benutzt den Gestus, um 1525 in seinem Bild mit Lukas, die Madonna malend (Wien) himmlische Hilfe ins Bild umzusetzen: Der Engel legt seine Linke auf die Schulter des Malers und führt mit der Rechten seinen Zeichenstift.
72 – Strukturen und Träger der Gestik Kraftakte. Gewaltakte mit eindeutigen Gesten finden sich in Darstellungen von Kain und Abel, David und Goliath sowie in Kampfhandlungen und Turnieren. Auffällig sind in Passionsszenen, vor allem in Bildern der Verspottung und Geißelung Christi, die teils gesuchten und verrenkten, ja verstauchten Stellungen der Schergen, die zuschlagen oder in gebückten Posituren, vom Betrachter abgewendet, Ruten bündeln. Sie sind daher oft, apostrophiert als Nicht-Menschen, “gesichtslos” gezeigt. Zum Thema gehört als Begleiterscheinung das dem Lesenden direkt zugewandte Aufreißen des Mundes149 und das Kreuzen der Finger (Mellinkoff 1993, II, Abb. X.9. – Conta II, S. 358–359: Multscher-Museum in Sterzing). Eindrücklich ist im Pisaner Camposanto die Figur des Schlagenden, der dem gekreuzigten Schächer die Beine bricht, um 1330 bis 1335 (Abb. 84). Die Inszenierung beherrschen und bestimmen die ausgreifenden Arme sowie eine starke Körperdrehung. Zum Kraftakt gehört meistens ein entsprechendes Attribut, wie das Schwert oder der Stock des zum Schlag ausholenden Schergen.150 Herr Hawart auf der Bärenjagd im Codex Manesse (fol. 313recto) durchbohrt das auf die Hinterbeine gegangene und sich gereizt wehrende Tier mit aller Kraft. Das Motiv findet sich – statt Bär hier Löwe – so in Villard de Honnecourts Bauhüttenbuch (Hahnloser, Tafel 53; Scheller, Abb. 44). Sportliche Kurzweil und Spiel. In der Manessischen Liederhandschrift lernt man zwei Sportarten kennen, falls sie mehr sind als gehobene Amüsements und geselliger Zeitvertreib (RDK II, Sp. 1503, Abb. 53): Steinstoßen (Abb. 59) und ein bocciaähnliches Kugelspiel (Abb. 58). Ob Wurfweite oder Zielgenauigkeit im Vordergrund stehen, ist nicht auszumachen. «Alle Forscher legen den Nachdruck auf den uninteressierten Charakter des Spiels. Dieses Etwas, das nicht das ‘gewöhnliche’ Leben ist, steht außerhalb des Prozesses der unmittelbaren Befriedigung von Notwendigkeiten und Begierden, ja es unterbricht diesen Prozeß. Es schiebt sich zwischen ihn als eine zeitweilige Handlung ein. Diese läuft in sich selbst ab und wird um der Befriedigung willen verrichtet, die in der Verrichtung selbst liegt» (Huizinga, Homo ludens, S. 14).151 Der Burggraf von Lienz, in kundiger Haltung auf einem Hügelchen zum Abwurf bereit, vernimmt von seinen Begleitern, bis zu welcher Marke er mindestens zu stoßen hat, um als Gewinner ausgerufen zu werden (Abb. 59). Entscheidend bei dem sich Bückenden ist der Blick aus dem Bild. Er tritt mit dem Betrachter in Augenkontakt, als ob er sich die von ihm erreichte Wurfweite bestätigen lassen wollte. Das Steinstoßen gehörte zur höfischen Erziehung; das Motiv taucht um 1230 in einer illustrierten oberrheinischen Tristan-Handschrift auf.152 Die Miniatur zeigt den
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Baum, Abb. 29, 32, 34, 44, 50, 60. Weiteres Beispiel bei Boockmann, Abb. 253. Enzo Carli et al., Pisa – Museo delle Sinopie del Camposanto Monumentale. Opera della Primaziale Pisana. Pisa 1979; für die Gesamtkomposition der Kreuzigung: Abb. S. 48; für die Sinopie: S. 53. 151 Bumke 1986 stellt mittelalterliche Sportarten zusammen (S. 304). 152 Für ein antikes Beispiel (ebenfalls mit einem längs ovalen Stein): Schale des Panaitios-Malers, um 495, in Boston (Buschor 1940, Abb. 171). 150
Formen der Gestik und Regie der Schauplätze – 73 jungen Helden, wie er Stein- und Speerwurf übt und sich mit Musik – er spielt auf einer Rotte (Zither) – und Latein auseinandersetzt: er lernt den Psalter lesen.153 Die manessische Boccia-Partie (Abb. 58) ist dem ersten Nachtragmeister um 1310 zuzuschreiben. Seine Leistung fällt hier eher bescheiden aus. Im Gegensatz zum Steinstoß, der eine innerbildliche Zielmarke enthält, läuft das Kugelspiel aus dem Rahmen. Der Maler sucht mit dem Mundschenken, der Geflügel auf den Tisch brachte und jetzt mit großer Geste Wein einschenkt, eine Gegenbewegung aufzubauen; er strengt sich an, seine gescheiterte Komposition zu vertuschen und das Gleichgewicht mit dem Blütenbaum abzufangen, was jedoch nicht befriedigend gelingt. Diebold Schilling zeigt einige Sportarten der Landsknechte, die auf ihren Sold warten und sich die Zeit mit Weitsprung, Steinstoßen, Schwingen und Wettlaufen verkürzen (Schilling, S. 427). Kühne und einmalige Bewegungen. Myrons Diskuswerfer (Diskobol) überlebt in Kopien. Er «ist in dem Moment wiedergegeben, in dem sich ausschwingende Bewegung und einsetzende Gegenbewegung gegenseitig aufzuheben scheinen. Bewegung und Tiefe der Figur sind von einem Blickpunkt aus zu erfassen» (Pauly III, Sp. 1523). Plinius (Naturkunde 34, 57) rühmte das Werk, und Quintilian äußerte sich wie folgt: «Gibt es etwas so Verrenktes [distortum] und Angespanntes [elaboratum] wie den berühmten Diskuswerfer des Myron? Wenn indessen jemand dies Werk als nicht aufrecht genug tadeln wollte, zeigte er da nicht nur, wie fern er ist von dem Verständnis für diese Kunst, in der doch gerade darin das Neue und Schwierige liegt, das besonders zu loben ist?»154
Mittelalterliche exempla finden sich in der Manessischen Liederhandschrift. Der “wilde Alexander” (Abb. 50) galoppiert «im roten Spielmannsgewand und mit gestutztem Haar» (Hartung, S. 64) und dreht sich theatralisch kühn zurück, um mit erhobener Linker die Zuschauerinnen auf der Zinne zu grüßen.155 Oder Heinrich von Sax (fol. 59verso), der auf der Zinne der Stadtmauer tänzelnd in anmutiger Pose vorbeihuscht – zwei rätselhafte Szenen, die nicht nur Engpässe, sondern Barrikaden im Verständnis bilden, und die wir heute nicht mehr zu deuten vermögen. Den Zeitgenossen waren sie wohl entschlüsselbar, verständlich und lösten entsprechende Reaktionen aus. Unter “einmaliger Bewegung” verstehen wir überdies Gesten, die ein einmaliges Ereignis bedingt. Belege lassen sich bis in die Moderne verfolgen. Immer wieder werden Haltungsregeln in Werken, die als solitär gelten, außer Kraft gesetzt. Erinnert sei an den Spinario (Abb. 106), die Sandalenbinderin von Schadow (1813), die Eva von
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Gottfried von Straßburg, Tristan und Isolde. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 51, fol. 15verso. Quintilian II 13, 10. – Die Literatur zu Myron zusammengestellt in: Künstlerlexikon der Antike, S. 538–539. 155 Diese Rückwendung des Reiters läßt sich als Bewegungsmotiv bis zu Dürers Großem Postreiter um 1494/95 (Meder 78; Dürer Druckgraphik, S. 1922) weiterverfolgen. Vgl. auch die frühe Zeichnung in: Dürer Handzeichnungen, S. 27. – Für Proben des Dichters: Minnesang, S. 30–39. 154
74 – Strukturen und Träger der Gestik Rodin (um 1881), die Gestürzten von Lehmbruck und Henry Moore (Falling Warrior, 1956/57) oder die Reiter (Miracoli) von Marino Marini. Pathos beschreibt Argan ausführlich bei Giotto. «I contorni esprimono così il crescere del pathos fino all’orizzonte del reale» (Argan II, S. 16). Und: «Una delle più patetiche figurazioni di Padova è il compianto su Cristo morto. Il vertice del pathos è nelle teste accostate della Madonna e di Cristo: ed è posto in basso, ad un estremo, in modo che su di esso gravitino, con progressivo declinare, le masse delle figure a destra e, con improvviso appiombo, quelle di sinistra» (ibid., S. 17). Auch hier stellt die ausführliche Beschreibung den Rahmen zur Verfügung, um die Dramatik einzufangen, die in den erhobenen Armen des Johannes ihren Höhepunkt findet. Darin liegt insgesamt ein übergreifender Gedanke: «Ma ad un livello più profondo, il duplice senso di caduta e di ascesa del ritmo esprime, in valori puramente visivi, un più vasto concetto: il dolore che tocca il fondo della disperazione umana si eleva nella moralità più alta della rassegnazione e della speranza» (ibid.). Unkontrollierte und schreckhafte Gestik. Emotionale Ausnahmesituationen. Es ist nochmals auf Darstellungen des Jüngsten Gerichts zurückzukommen. «La grande épopée du XIIIe siècle, c’est le Jugement Dernier» (Focillon, S. 217). Focillon kommt verschiedentlich auf das Jüngste Gericht in Rampillon zu sprechen (Focillon, Tafel XL nach S. 220). « La scène de la résurrection des corps […] n’a rien de tragique ou de funèbre. Ces nus légers, cette svelte adolescente de la chair, c’est la promesse des béatitudes dans la beauté d’une forme qui ne doit plus périr» (Focillon, S. 217).
In Extremlagen ergeben sich für die Auferstehenden Bewegungsabläufe – etwa für die erlittenen Qualen in der Hölle – sowie Stellungen, die, soweit nach den vorhandenen Denkmälern zu schließen gestattet ist, ausschließlich hier anzutreffen sind. Die Mimik der Leidenden ist entsprechend maskenhaft verzerrt und versteift. Um 1325 bis 1330 entstand das Kölner Diptychon mit der Marter der zehntausend Christen (Köln 1974, S. 72). Die Märtyrer werden auf Bäume mit dornenartig spitzen Ästen gespießt und mit Hämmern festgeschlagen. Die außerordentlich differenziert kreisende und wirbelnde Gestik fügt sich zu einer Welle des Grauens, die als gekonnte Dramaturgie zu dem damaligen Zeitpunkt jede Kakophonie des Schmerzes und der Pein in den Schatten stellte. Bedenkenswert sind die ängstlichen Reaktionen Mariens im Rahmen der Verkündigung, etwa bei Guido da Siena, 1250/85 (The Art Museum, Princeton University; Oertel, Abb. 38) und bei Simone Martini 1333 (Florenz, Uffizien): Instinkthandlungen im Augenblick der Überraschung. Unkontrollierte weltliche Gestik findet sich in Frauenraub-Szenen.156 Diejenige in der Manessischen Liederhandschrift (Abb. 69), wo Herr Friedrich der Knecht mit 156
Dazu: Frenzel, Motive, S. 171–173.
Formen der Gestik und Regie der Schauplätze – 75 seiner Geliebten im Galopp den Nachstellenden zu entkommen sucht, paßt jedoch nicht in das zukünftige – etwa bei Rubens – turbulente Bewegungsrepertoire des Themas. Die Dame scheint sich nicht zu wehren. Vielmehr legt sie ihren linken Arm über die Schulter des Reiters, der, die Beute fest im Griff, mit gezücktem Schwert, sich der bewaffneten Verfolger zu entledigen sucht. Billigt die Geraubte das kühne Vorgehen? Mit erhobener Rechter, nach außen geöffnet, deutet sie eher Einverständnis an und scheint um Abstand zu bitten.157 Allegorische und Theatergestik. Amors Wunden. Amor (Eros, Sohn der Venus), oft als Cupido, bisweilen von Himeros und Pothos (Verlangen und Sehnsucht) eskortiert, schießt Pfeile, die ihr Ziel nicht verfehlen. Ein gefeiertes Bild des bogenspannenden Liebesstifters ist um 300 vor Christus aus der Schule des Lysipp in vielen Kopien tradiert. Das Pfeilmotiv lebt in Mittelalter und Renaissance weiter. Amor tritt als Diener von “Frau Minne” auf und versteckt sich in Bäumen, aus deren Kronen er die darunter ruhenden Paare in Leib und Seele trifft. Er bedient sich, wie in den Metamorphosen beschrieben, gleich zweier Pfeile, die beide Beteiligten verwunden und glückliche oder unglückliche Liebe entzünden.158 Die Geschosse sind unberechenbar und können peinvoll sein. Über die Blessuren der Liebe heißt es im Iwein Hartmanns von Aue (ich folge der Übersetzung von Manfred Stange; der Verletzte ist der Titelheld): «Diese Wunden schlug die Hand der Minne, / Denn diese sind so beschaffen, / daß sie länger schmerzen / als die von Schwert oder Speer. / Wird nämlich einer durch Waffen verletzt, / gesundet er schnell / unter ärztlicher Pflege. / Die Verwundung durch die Minne aber – sagt man – / sei gerade in Gegenwart des Arztes tödlich / und verschlimmere sich immerzu» (Iwein, 1547–1556).
Spätestens seit Ovids Metamorphosen kennt man noch folgende Einzelheiten: «Aus dem Köcher, der die Pfeile barg, nahm er [Amor] zwei Geschosse von entgegengesetzter Wirkung: Das eine vertreibt, das andere reizt zu Liebe. Der Pfeil, der Liebe erregt, ist vergoldet und hat eine blinkende, scharfe Spitze; der sie verscheucht, ist stumpf und trägt Blei unter dem Schaft» (I, 468–471).
«Seit Venus ihr [Dido] den Pfeil in das Herz geschossen hatte, litt sie großen Schmerz» (Heinrich von Veldeke, Eneasroman 38, 860–862). Über Amors Pfeile un-
157 Beispiele in Dürers Werk enthalten die Eisenradierung Entführung auf dem Einhorn von 1516 (Dürer Druckgraphik, S. 1955) und den Frauenraub in der Federzeichnung der Morgan Library in New York (Dürer Handzeichnungen, S. 743). Beide Inszenierungen stehen Rubens’ Raub der Töchter des Leukippos (1619/20) in München näher als der mittelalterlichen Tradition. – Vgl. auch die Frauenraubszene in Paris, École des Beaux-Arts, Bibliothek (Dürer Handzeichnungen, S. 187). 158 So auf einem französischen Elfenbeinkästchen aus dem frühen 14. Jh. in Köln (St. Ursula): RDK I, Sp. 642. Siehe dazu den Text Sp. 641–651 von Lothar Freund. – Die zwei Pfeile werden auch von Veldeke im Eneasroman erläutert (S. 555); der eine ist aus Gold, der andere aus Blei.
76 – Strukturen und Träger der Gestik terrichten ausführlich die Carmina Burana. Ich zitiere die Übersetzung von Josef Eberle: «Amor, der lockere Bube, ist köcherbewehrt und beflügelt. / Seine Jugend besagt, daß Verstand und Weisheit ihm mangeln. / Wankelmut deuten die Flügel an, Lust am Verwunden der Köcher. Nackt wird er deshalb gestaltet, weil nichts an ihm ist, ihn zu halten. / Flatterhaft, unüberlegt, auf Blut aus, verschießt er ins Blaue / seine fünffach gezackten Pfeile von sirrender Sehne. / Fünffach ist ja die Art, auf welche die Liebe uns fesselt: / durch das Gesicht, durch Rede, Berührung, den Nektar der Lippen, / die, wenn innig vereint, dem Ziele so förderlich dienen: / nämlich dem fünften Akt, den Venus heimlich im Bett spielt – in lecto quintum tacite Venus exprimit actum» (Psalterium profanum, S. 457).
Eine allegorische Geste zeigt ein Bildbeleg in der Manessischen Liederhandschrift (Abb. 78). Herr Engelhart von Adelnburg ist vor der thronenden Dame in die Knie gesunken und zeigt ihr, wie wuchtig und tief der Liebespfeil in sein Herz gedrungen und hier steckengeblieben ist. Er reißt das Kleid auf und enthüllt mit beiden Händen die blutende Verletzung, ein Wundmal der Liebe. Die Dame scheint unschuldig überrascht. Das Thema ist in der Illustration des Herrn Wachsmut von Mühlhausen (fol. 183verso) nochmals aufgenommen; Absender des Pfeils ist hier jedoch die Dame selbst; der Geliebte harrt, mit übereinandergelegten Händen im Demutsgestus, der Dinge. ❧ Was hier an Gesten aufgelistet ist, hat bereits in früheren Generationen, und vor allem in der “öffentlichen” Skulptur der Kirchen und Kathedralen, zweifellos etwas mit dem mittelalterlichen Theaterbetrieb zu tun. Hier kann man dieselben Ausdrucksformen, wohl gestisch hochgespielt, beheimaten. Gerhard Schmidt vermutete, «daß eine spezifisch vom Schauspiel geprägte Art der Kunstrezeption spätestens ab der Mitte des 13. Jahrhunderts und zumindest bei den Bewohnern der Städte vorausgesetzt werden konnte; das unverkennbar ‘theatralische’ Verhalten der Figuren des Reimser Josefsmeisters etwa bezeugt, daß sie für ein Publikum geschaffen wurden, welches die Botschaft ausdrucksvoller Gesten und eines differenzierten Mienenspiels zu deuten verstand» (Schmidt 1984, S. 13). Dies trifft genauso auf die im Ansatz theatralischen Szenen zu, die man bei triumphalen Einzügen eines Herrschers spielte (Heers 1971, S. 18–31); diese joyeuses entrées gab es in den Niederlanden seit dem frühen 14. Jahrhundert. Aus der hier vorrangig behandelten Epoche fehlen Regieanweisungen. Man kann sich bei der Lektüre mittelalterlicher Bühnenstücke jedoch ausmalen, wie die Darsteller agiert und reagiert haben mögen.159 Die Schauspieler geben sich gegenseitig 159
Schmitt 1990: Les drames liturgiques (S. 273–288). – Ob der russische Reisende 1438 im Lübecker
Formen der Gestik und Regie der Schauplätze – 77 das Wort weiter: «Dic nobis Maria, quid vidisti in via?» So in einem spanischen Osterspiel (Victimae paschalis laudes) eines anonymen Autors. Die formale Verarbeitung eines Theaterstücks gewinnt im ersten datierbaren Beispiel eines in Akte gegliederten deutschen Dramas, Die Parabel vom verlorenen Sohn des Fabeldichters Burkhard Waldis (1527), greifbare Umrisse.160 Ein Modellfall: Theophilus Presbyter. Mögliche Fühlungnahmen mit der Theatralik der Zeit bieten kirchliche Spiele, wie etwa Rutebeufs Le miracle de Théophile, ein Drama, das der Pariser trouvère um die Mitte des 13. Jahrhunderts verfaßt hat.161 Es geht um den Presbyter Theophilus, der seine Seele dem Teufel preisgibt und von der Muttergottes (Notre Dame) errettet wird. Der Kernpunkt des Wunders will besagen, daß selbst hartgesottene Sünder bei Gott kraft der Vermittlung der Jungfrau auf Verzeihung hoffen und Gnade finden dürfen. Mâle bezeichnete das Theophilus-Wunder als «une première esquisse de la légende de Faust» (Mâle, XIIIe siècle, S. 262). Im Ingeborgpsalter wird die Legende in vier Miniaturen geschildert (Abb. 22 a und b). Der dreimal gezeigte Vertragstext mit dem Diabolus lautet: Ego sum homo tuus. Rutebeuf hilft dem Theophilus-Darsteller auf der Bühne gleich mit den ersten an Gott gerichteten Worten, die Szene in Besitz zu nehmen und weiterhin zu beherrschen: «Hélas! hélas! Dieu, roi de gloire […]».162 Die hier abverlangte Gestik braucht nicht erläutert zu werden. Beim ersten Auftritt der Begleitfigur, Salatin (des jüdischen Zauberers und Mittelmanns), «qui parlait au diable quand il voulait», beginnt dieser den Dialog mit der Frage: «Qu’y a-t-il? Qu’avez-vous, Théophile?», wobei die Gesten des neugierig Fragenden leicht verständlich sind. Ausrufe oder Frageformen leiten vor allem Monologe in die Wege, welche die dazu passenden Gebärden bestimmen oder provozieren. Einzelne Momente bedingt die literarische Vorlage, wenn der Teufel Theophilus befiehlt: «Alors, joins tes mains et deviens ainsi mon féal.» Dieser Moment ist in der ersten Theophilus-Miniatur des Psalters ins Bild transponiert. Im nächsten Auftritt schickt der Bischof einen Helfer, Pinceguerre, um Theophilus zu suchen: «Allons, vite! Lève-toi, Pinceguerre […].» Bei Dialogen werden eingangs die Namen des Angesprochenen zur Identifikation genannt – eine Verständigungshilfe für das Publikum. Auf die schnellen Wortwechsel folgt der Monolog des Sünders, dessen Dankbarkeit in ein langes Gebet einmündet. Zum Schluß wird jedermann – wohl auch die Zuschauer – aufgefordert, sich zu erheben und gemeinsam das Te Deum anzustimmen.
Franziskanerkloster ein Theaterstück, eine Pantomime der Geburt Christi sah oder nichts anderes als eine mechanische Weihnachtskrippe ist auf Grund der Beschreibung nicht klar: Stökl, S. 156–157 und Anm. 46. 160 Für die Schweiz siehe: Richard Weiss, S. 202–203. Das Osterspiel von Muri mit deutschen (und nicht lateinischen) Texten (frühes 13. Jh.) gehört zu den wertvollsten Zeugen geistlicher Spiele im deutschen Sprachraum. 161 Als literarische Parallele führte ich 1967 die Miracles von Gautier de Coincy an (S. 68). 162 Ich zitiere nach Roger Dubuis, Rutebeuf. Le miracle de Théophile. Paris 1978. Vgl. ferner Lagarde / Michard, S. 156–159. Zur Wirkung der Buße vgl. Robert le Diable (2. Hälfte 13. Jh.). Siehe Frenzel, Stoffe, S. 540–542. – Eine weitere Version bei Klapper, S. 116–117 und ibid. in der Anm. S. 319–320.
78 – Strukturen und Träger der Gestik Es sei hier noch auf einen kirchlichen Theaterfund von Michèle Tourne hingewiesen, den Jacques Heers mitteilt: In Laval (Mayenne) rief ein Franziskaner im 15. Jahrhundert Laien in die Kirche, um seine Predigt zu “illustrieren”: «Il avait habillé divers compaignons de la ville afin qu’il puisse montrer ‘figurativement et ses sermons et [son] preschement de la Passion par personnages’; la scène, sur laquelle se groupaient les différents acteurs en costumes, était cachée à l’assistance par des rideaux de velours; lorsque le frère prédicateur criait à haute voix le mot ‘ostendatis’, on tirait les rideaux et les fidèles pouvaient admirer une nouvelle scène de la Passion; on montre ainsi jusqu’à 40 tableaux vivants, tous différents. De ces tableaux, d’abord inanimés, sont nés les mystères» (Heers 1982, S. 66–76; Zitat S. 66–67).
Erst in nachmittelalterlicher Zeit verfeinert sich die Gebärdensprache.163 Dem Schauspieler bleibt von all den bewirkten Gemütsbewegungen nichts anhaften. Wie Diderot sagt: Er wechselt sein Hemd und geht schlafen. Die dargestellten Gefühle bleiben jedoch dem Gedächtnis des Zuschauers verhaftet: «C’est vous qui remportez toutes ces impressions» (Diderot, S. 46). Man erinnert sich an Augustinus’ Äußerungen (Bekenntnisse, S. 70) über falsches und echtes Mitleid im Theater. Die mittelalterliche Bühne beherrscht ebenfalls Nuancen dieser Art. Nachrichten und Hinweise sind zwar spärlich, doch haben, insbesondere bei moralisierenden Inhalten, Gefühlsempfindungen und expressive Schwankungen mitgespielt.164 ❧ Ungeklärte Gesten und Irrtümer. «Ubi unus clericus et Ælfgyva» steht erklärend über einer schwer zu deutenden Szene in der Stickerei von Bayeux, um 1067 bis 1070 (Abb. 120). Gibbs-Smith faßt zusammen: «The meaning of the mysterious scene […] is now completely lost: it must have been well known to contemporaries. Aelfgyva is confronted by the tonsured and violently gesturing clerk – a clergyman – a probable reference to some scandal of the time. There have been a number of theories advanced – including the startling idea that William wanted to marry her off to Harold – but none of them is convincing.»165 163 Diderot spricht diesbezüglich über den Schauspieler: «Les cris de sa douleur sont notés dans son oreille. Les gestes de son désespoir sont de mémoire, et ont été préparés devant une glace. Il sait le moment précis où il tirera son mouchoir et où les larmes couleront; attendez-les à ce mot, à cette syllabe, ni plus tôt ni plus tard. Ce tremblement de la voix, ces mots suspendus, ces sons étouffés ou traînés, ce frémissement des membres, ce vacillement des genoux, ces évanouissements, ces fureurs, pure imitation, leçon recordée [= mise en mémoire] d’avance, grimace pathétique, singerie sublime dont l’acteur garde le souvenir longtemps après l’avoir étudiée, dont il avait la conscience présente au moment où il l’exécutait, qui lui laisse, heureusement pour le poète, pour le spectateur et pour lui, toute la liberté de son esprit, et qui ne lui ôte, ainsi que les autres exercices, que la force du corps» (Diderot, S. 45–46). 164 Unterer-Budschowsky 1980. – Pächt 1963. – Zum burgundischen Theater siehe Doutrepont, S. 345–365. 165 Gibbs-Smith, Abb. 12 und 21. – J. Bard McNulty, The Lady Aelfgyva in the Bayeux Tapestry. In: Speculum 55, Oktober 1980, Nr. 4, S. 662–668.
Formen der Gestik und Regie der Schauplätze – 79 Was Fehlleistungen anbetrifft, erwähne ich zwei Belege: 1: in der Kreuzabnahme des Psalters lat. 1186, fol. 24recto (Paris, Arsenal-Bibliothek), wo der Illuminator um 1230 irrtümlich ein Motiv der Kreuznagelung einfügt, nämlich den Hammer, der hier fehl am Platze ist.166 2. in den Œuvres von Guillaume de Machaut, um 1370: Der Dichter und Komponist empfängt die Personifikation der Nature. Im Hintergrund wird eine Herde mit ihrem Hirten gezeigt. Letzteren zeichnet die erstaunt erhobene Armstellung aus, die Schäfer üblicherweise bei der Verkündigung an die Hirten zeigen. Der Maler hat, ohne entsprechende Anpassung, eine solche Figurenvorlage übernommen, die in dieser Miniatur allerdings keinen Sinn mehr macht (Paris 1955, Nr. 119; Tafel XVII; Deuchler Gotik, Abb. 197). Im mittelalterlichen Hausbuch, nach dem ein unbekannter Zeichner benannt wird, gibt es auf der Doppelseite fol. 22verso bis 23recto (Hirschhetzjagd) ein ungeklärtes Detail: die sich bückende Figur, die sich das Hemd über den Kopf zieht. Röhrich denkt an eine Illustration des Sprichworts “Einen bis aufs Hemd ausziehen”. Dies beträfe den geschädigten Bauer, wenn Ritter rücksichtslos über seine angebauten Felder reiten.167 Ist es jedoch wirklich ein Bauer? Bevor er sich soeben entkleidet, läßt er Mütze, Gürtel mit Dolch und Peitsche hinter sich auf dem Boden. Unterschiedliche Zeitpunkte innerhalb der Erzählung. Die bis jetzt erwähnten Bildbelege zeigen jeweils menschliche Aktivitäten punktuell, im Singular oder in der Gruppe, so vor allem in den Trientiner Fresken. Unerwähnt blieb bis jetzt jedoch eine weitere Möglichkeit der Bildregie: die Darstellung ein und derselben Geschichte in zwei oder mehreren Akten auf der gleichen, doch jeweils differenzierten Bühne. Ein Beleg aus dem 15. Jahrhundert zeigt den Vorgang. Es handelt sich um die Anfänge vom Leben des Moses (Abb. 112). Der Text lautet in 2. Moses, 1–14: «Und es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm eine Tochter Levi. 2: das Weib ward schwanger und gebar einen Sohn. Und da sie sah, daß es ein feines Kind war, verbarg sie ihn drei Monate. 3: Und da sie ihn nicht länger verbergen konnte, machte sie ein Kästlein von Rohr und verklebte es mit Erdharz und Pech und legte das Kind darein und legte ihn in das Schilf am Ufer des Wassers. 4: Aber seine Schwester stand von ferne, daß sie erfahren wollte, wie es ihm gehen würde. 5: Und die Tochter Pharaos ging hernieder und wollte baden im Wasser; und ihre Jungfrauen gingen an den Rand des Wassers; Und da sie das Kästlein im Schilf sah, sandte sie ihre Magd hin und ließ es holen. 6: Und da sie es auftat, sah sie das Kind; und siehe, das Knäblein weinte. Da jammerte sie, und sprach: Es ist der hebräischen Kindlein eins. 7: Da sprach seine Schwester zu der Tochter Pharaos: Soll ich hingehen und der hebräischen Weiber eine rufen, die da säugt, daß sie dir das Kindlein säuge? 8: Die Tochter Pharaos sprach zu ihr: Gehe hin. Die Jungfrau ging hin und rief des Kindes Mutter […].»
166
Zur Handschrift: Paris 1955, Nr. 2. Röhrich II, S. 697. So auch die Deutung des sogennanten Hausbuchmeisters von Graf WaldburgWolfegg, S. 20. 167
80 – Strukturen und Träger der Gestik Folgenreich sind für das Verständnis der Miniatur ferner die Verse 11–13: «Zu den Zeiten, da Moses war groß geworden, ging er aus zu seinen Brüdern und sah ihre Last und ward gewahr, daß ein Ägypter schlug einen seiner Brüder, der Hebräischen. 12: Und er wandte sich hin und her, und da er sah, daß kein Mensch da war, erschlug er den Ägypter und scharrte ihn in den Sand. 13: Auf einen anderen Tag ging er aus und sah zwei hebräische Männer sich miteinander zanken und sprach zu dem Ungerechten: Warum schlägst du deinen Nächsten? 14: Er aber sprach: Wer hat dich zum Obersten oder Richter über uns gesetzt? Willst du mich auch erwürgen, wie du den Ägypter erwürgt hast? Da fürchtete sich Mose und sprach: Wie ist das laut geworden?»
Im Bild beginnt die Geschichte mit A) dem Verlassen der Stadt: Der Säugling wird an den Fluß getragen und B) an dessen Ufer in einem Körbchen ausgesetzt. C) Im ummauerten Garten der Tochter Pharaos findet eine Jungfrau im Schilf den vorbeitreibenden Moses. Die Auffindung wird von einer Drittperson beobachtet. Der weitere Bericht nimmt wiederum in der Stadt ihren Ausgang: D) Moses sieht, wie ein Ägypter einen Juden schlägt. Moses tötet den Ägypter und E) vergräbt ihn oben am rechten Bildrand. F) Darunter folgt die Zänkerei der Feldarbeiter. Der Illuminator vermag somit, auf gedrängtem Raum, sechs Szenen in “Einsträngigkeit” aus der Jugend Moses in ein und dasselbe Bild zu bringen.168 Nach Wickhoff wäre dies, in anderen Worten, ein Exempel für die “kontinuierende Erzählweise” (Wickhoff, S. 14).
Einzel- und Gruppendynamik Der Monolog. Was die darstellerischen und sprachlichen Herausforderungen an den Akteur betrifft, so ist das “Mit-sich-allein-Reden”, das Selbstgespräch (sermo intimus), der absolute, ja ultimative Prüfstein für mimisches und gestisches Können eines Künstlers. Er spricht gleichsam mit sich selbst. Er fasziniert nicht nur mit dem Inhalt seines Vortrags, sondern unterbaut, betont, illustriert das Gesagte mit dem ganzen Körper; Gesten sind die einzigen ihm zur Verfügung stehenden Helfershelfer. Monologe betonen Höhepunkte oder entscheidende Wenden in Dramen. Zu unterscheiden ist 1. der Situationen beschreibende oder Handlungen der Vergangenheit erzählende epische Monolog; 2. der lyrische Stimmungsmonolog; 3. der reflektierende Gedankenmonolog; zu guter Letzt 4. der Konfliktmonolog, der dem Publikum dramatische Schwingungen, gar Widerstände im Innern des Helden enthüllt.169 168 Für die identische Erzählweise vgl. die Geschichte von Susanna und den Alten in Fleur des Histoires, Brüssel, Ms. 9231, fol. 79recto (Gaspar / Lyna, Tafel VI oder: Brüssel 1959, Nr. 58). – Den Ausdruck “Einsträngigkeit” im Gegensatz zur “Mehrgliedrigkeit” (z. B. in der Märchenerzählung) übernehme ich von Max Lüthi 1960, S. 34. – Zur Theorie des Narrativen: Bal 1980 und 1985. 169 Ich beziehe mich hier für die lexikalischen Grundbegriffe auf den Großen Brockhaus. Leipzig 1932, XII, S. 701. – Das Wort an sich ist griechischen, doch nicht antiken Ursprungs.
Einzel- und Gruppendynamik – 81 Der reflektierende Gedankenmonolog liegt in der Manesse-Handschrift einigen Dichterporträts zugrunde (Walther von der Vogelweide, Abb. 44). Im mittelalterlichen Schriftgut gibt es bedeutende Monologe, die als solche gekennzeichnet sind. Weniges sei hier genannt, etwa Heinrich von Veldekes Eneasroman mit dem Minnemonolog der Lavinia – «sprach das liebliche Mädchen kläglich zu sich selbst». So hat sie «die ganze Nacht hindurch mit der Minnequal gerungen» (268, 10–279, 8). Der zweite und wesentlich kürzere Monolog (284, 35–286, 2) endet im Entschluß der Gequälten, Eneas einen Brief zu schreiben. Eneas’ Minnemonolog (292, 33–300, 8) ergänzt Lavinias Auftritte. Sie zeigen Veldekes Gefühlsvokabular, das dazu dient, “Minne” und ihre Folgen an einem “historischen” Beispiel nachzuempfinden. Auch das Herrscherbild der Zeit zeigt sich, in antikischer Tradition, oft im schweigsamen Monolog, streng frontal und unnahbar repräsentativ, wie König Wenzel von Böhmen in der Manessischen Liederhandschrift (Abb. 43). Potentaten zeigen sich meist verjüngt, “im zeitlosen Alter der Ewigkeit” (Buschor 1960, S. 156). Hierzu gehören einsame Gelehrte in ihren studioli, wie etwa der in seine Lektüre versunkene heilige Augustinus des Meisters von Großgmain (1498).170 Dialog der Liebespaare «dû bist beslozzen in mînem herzen: verloren ist daz slüzzelîn: dû muost immer drinne sîn.»171
Das “Wohnen im Herzen” findet in der bildenden Kunst inhärenten Ausdruck in Darstellungen von liebenden Paaren, die schweigen oder in liebestrunkener Rede und zögernder Gegenrede dialogisieren. Anmut und Genuß bieten laut Quintilian solche “Redefiguren”, «ob sie nun im Sinne oder im Klang der Worte erscheinen» («quam quidem gratiam et delectationem adferunt figurae, quaeque in sensibus quaeque in verbis sunt»: II 13, 11). «Das hochstilisierte adelige Liebesspiel durchdringt mit seiner Süße, Eleganz und Geziertheit alle bildlichen Äußerungen der Zeit. […] Nicht daß man die Qualen und Wonnen der Liebe erst hätte entdecken müssen; das Neue ist, daß man wagt, offen dazu zu stehen und beides auszusprechen» (Peter Meyer 1947, S. 255). Ein Liebesdialog kommt ebensogut ohne Worte aus; Blicke übernehmen die tragende Handlung. Handgesten – Zutrauen und Verläßlichkeit signalisierend – setzen Worte außer Kraft oder machen sie entbehrlich.
170 Wien. Baldass, Abb. 114. – Vincent de Beauvais mit Helfern, die Bücher bringen (nach 1320): Magdeburg 2009, S. 449. 171 Friedrich Ohly, Cor amantis non angustum. Vom Wohnen im Herzen. In: Ohly 1977, S. 128–155. – Allgemein: Fritz Saxl, Der Dialog als Thema der christlichen Kunst. In: JB für Kunstgeschichte II (16), Wien 1923, S. 64 ff. – W. Artelt, Die Quellen der mittelalterlichen Dialogdarstellung. Berlin 1934.
82 – Strukturen und Träger der Gestik Tristan und Isolde hatten neben anderen berühmten Liebespaaren der Vergangenheit eine dominante Bedeutung. Sie fachten Texte und Bildphantasien an. Es geht dabei um den facettenreichen Zwiespalt der Frau, die zwischen zwei Männern steht – in vielen Varianten gespielt bis zum ersten deutschen Prosaroman des Tristan von 1484. Die aus keltischer Sage erwachsene französische Dichtung (Estoire), um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Versen niedergeschrieben, findet dank Gottfrieds von Straßburg Fassung die klassische, die höfische Form – im Gegensatz zur spielmannsmäßigen Version (Béroul; Eilhart von Oberg). Sie erzählt von der ehebrecherischen Liebe Tristans und Isoldes von Irland, der Gattin König Markes von Cornwall. Hauptmotive sind der Kampf Tristans mit Morold, Brautwerbung, Drachenkampf, Liebestrank, Liebeslisten – das belauschte Stelldichein –, Waldleben, Verehelichung, Liebesnöte und Liebestod.172 Abélard und Héloïse sind im kollektiven Gedächtnis der Franzosen das prominenteste Liebespaar des Mittelalters – eine “wahre” und wirklich gelebte Liebesgeschichte, die empathisch bis zu den Vies de quelques hommes illustres von Alphonse de Lamartine (1863) in der Literatur nachzuklingen vermag. Pierre Abélard (1079–1142), Philosoph und Theologe der Frühscholastik, führte ein Wanderleben zwischen Kirche und Welt. Er blieb dank seiner Liebe zu Héloïse (1101–1164) lebendig.173 Héloïse schreibt dem Geliebten aus der Abtei Le Paraclet (bei Nogent-sur-Seine, von Abélard 1129 gegründet, heute zerstört), deren erste Äbissin sie war: «Les plaisirs amoureux qu’ensemble nous avons goûtés ont pour moi tant de douceur que je ne parviens pas à les détester, ni même à les chasser de mon souvenir. Où que je me tourne, ils se présentent à mes yeux et éveillent mes désirs. Leur illusion n’épargne pas mon sommeil. Au cours même des solennités de la messe, où la prière devrait être plus pure encore, des images obscènes assaillent ma pauvre âme et l’occupent bien plus que l’office. Loin de gémir des fautes que j’ai commises, je pense en soupirant à celles que je ne peux plus commettre. – Nos gestes ne sont pas seuls restés gravés profondément, avec ton image, dans mon souvenir; mais les lieux, les heures qui en furent témoins, au point que je m’y retrouve avec toi, répétant ces gestes, et ne trouve pas même de repos dans mon lit. Parfois, les mouvements de mon corps trahissent les pensées de mon âme, des mots révélateurs m’échappent » (Zumthor, S. 157–158).
Traum und Vision. Seit den Oneirocritica (Traumdeutungen) des Artemidoros aus Ephesos (ausgehendes 2. / frühes 3. Jahrhundert), einer Kompilation griechischer
172
Frenzel, Stoffe, S. 630–636. – Ricklefs 1963. Seit 1817 gemeinsam auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise beigesetzt. – Paul Zumthor, Abélard et Héloïse. Correspondance. Texte traduit et présenté par Paul Zumthor. Paris 1979. Zumthors Text fußt auf Victor Cousin, Petri Abaelardi Opera, 2 Bde. Paris 1849 und 1859. – Jean-Pierre Letort-Trégaro, Pierre Abélard. Paris 1981. – Zusammenfassung in: Frenzel, Stoffe, S. 1–2. – Zum Theologen Abélard vgl. Heer 1949, Weltmacht Abälard, S. 236–289. – Seine Autobiographie vgl. Historia calamitatum. 173
Einzel- und Gruppendynamik – 83 und römischer Inkuben und Fiktionen, gehören überlieferte Träume auch zu den Materialien, mit denen sich Historiker befassen.174 Hier einige mittelalterliche Belege. Als die allegorisierte Philosophie bei Boethius, 524 zum Tode verurteilt, im Kerker den Kreis der assistierenden Dichtermusen betrat, die sein Lager umstanden (und die Philosophia als Dirnen verjagte), beschreibt er die Erscheinung der Trostspenderin im Traum wie folgt: «[Es schien mir,] als ob zu meinen Häupten ein Weib hinträte von höchst ehrwürdigem Antlitz, mit funkelnden und über das gewöhnliche Vermögen durchdringenden Augen von frischer Farbe und unerschöpflicher Jugendkraft, obwohl sie so bejahrt war, daß sie in keiner Weise unserem Zeitalter anzugehören schien. Ihr Wuchs war von wechselnder Größe; denn bald zog sie sich zum gewöhnlichen Maß der Menschen zusammen, bald schien sie mit dem Scheitel den Himmel zu berühren; und als sie noch höher ihr Haupt emporhob, ragte sie über den Himmel selbst hinaus und entzog sich so dem Blick der Menschen. Ihr Gewand war von feinstem Gespinst und mit peinlicher Kunstfertigkeit aus unzerstörbarem Stoff gefertigt; sie hatte es, wie ich später aus ihrem eigenen Munde erfuhr, mit eigener Hand gewebt. Seinen Glanz hatte wie bei rauchgeschwärzten Bildern ein trüber Anflug von Vernachlässigung und Alter überzogen. An seinem unteren Rand las man eingewebt ein griechisches ∏ , an seinem obersten aber ein Ω . Und zwischen beiden Buchstaben schienen wie an einer Leiter etliche Stufen eingezeichnet, die von dem unteren zum oberen Schriftzug emporstiegen. Doch hatten dieses selbe Kleid die Hände einiger Gewalttätiger zerfetzt, und jeder hatte die Stückchen, die er gerade fassen konnte, an sich gerissen. Ihre Rechte endlich trug Bücher, ihre Linke aber ein Zepter» (Boethius, S. 5).
Max Wehrli machte in seinem Sammelwerk Deutsche Lyrik des Mittelalters eine Feststellung, die von der Kunstgeschichte nicht gesehen worden ist. Bei den Werkbeispielen des Heinrich von Morungen bildet er eingangs die Mohrungen-Seite aus der Manessischen Liederhandschrift (fol. 76verso) ab (S. 140) und vermerkt in seinem Kommentar (S. 576): «Im Bild der Schläfer und die Traumdeutung von Lied Nr. 58, Str. 2.» Das Traummotiv (MF 138, 17) lautet in Wehrlis Übertragung: «Liebe, die der Menschen Freude mehrt, seht, die brachte meine Herrin her nach Traumes Art [in troumes wîs], wo ich im Schlafe lag und in meiner höchsten Freude Anblick mich verlor. Da sah ich ihren edlen Wert, ihren hellen Glanz, schön und über alle Frauen erhöht. Nur daß ein klein wenig versehrt war ihr so freudenreicher, roter, kleiner Mund» (S. 147).175
Walther von der Vogelweide war ebenfalls “im Traume reich”:
174 Siehe neuerdings die Artemidoros-Ausgabe von Daniel E. Harris-McCoy, Artemidorus’ Oneirocritica. Text, Translation, and Commentary. Oxford 2012. Dazu auch die höchst lesenswerte Besprechung von Peter Thonemann in: TLS, 8. März 2013, S. 3–4. – Vgl. Pauly V, Sp. 929–931. 175 Für die ikonographische Tradition vgl. z. B.: Heriberts Vision der Maria auf dem Schrein des Heiligen in Sankt Heribert, Köln-Deutz (Schnitzler 1962, S. 33).
84 – Strukturen und Träger der Gestik «Mir schien, daß mir nie so wohl gewesen, wie mir da zumute war. Die Blüten fielen fort und fort vom Baume bei uns nieder in das Gras. Seht, da mußte ich vor Freude lachen. Als ich so herrlich im Traume reich war, ward es Tag und ich erwachte» (Wehrli, S. 245).
Boccaccio erzählt den grausigen Traum von Talano di Molese, der sich in der Folge bewahrheiten wird (Boccaccio II, S. 725–727). Annäherungen, Umarmung und Kuß. Als Fühlungsnahme sei auf die bereits erwähnte Berührung des Kinns oder den unmißverständlichen Griff unter den Frauenrock wie in einem Relief der Kathedrale in Fidenza (Frugoni, Abb. 34) erinnert. In der Manessischen Liederhandschrift kann Rost, Kirchherr zu Sarnen und seit 1316 Chorherr in Zürich, der Versuchung nicht widerstehen. Er zwingt die Magd zur Gegenwehr. Diese schlägt mit dem Webschwert zurück (Abb. 77). Der Kuß, in Szenen der Begrüßung oder der Verabschiedung, bedeutet Zuneigung und Verehrung (Handkuß) beziehungsweise Unterwerfung (Fußkuß). Tristan und Isolde küssen sich bei der Übergabe des Hundes Husdent «en gage mutuel de possession» (Béroul, S. 80). David und Jonathan umarmen sich als Personifizierung der Freundschaft (RDK X, Sp. 797–798). Küsse des Landesherrn bei Belehnung der Vasallen, das heißt in der Öffentlichkeit, sowie das Küssen heiliger Gegenstände bei Vertragsabschlüssen besaßen im Mittelalter Rechtskraft. Zur hommage gehörte der Kuß auf den Mund als Zeichen inniger Verbundenheit und gegenseitiger Loyalität (Viollet-le-Duc I, S. 345). Bereits im Alten Testament findet sich der Spruch: «Ein Kuß auf die Lippen ist eine aufrichtige Antwort» (Sprüche 24, 26); Luthers Übersetzung lautet: «Eine richtige Antwort ist wie ein lieblicher Kuß.» Béroul läßt Tristan und Dinas mehr als sieben Küsse wechseln (S. 85), denn die Bitte war besonders wichtig. Der Judaskuß andererseits ist die Vokabel für Verrat. Er ist bereits in Wolframs Parzival belegt (321, 10).176 Oswald von Wolkenstein schreibt: «In Lieb und Treue bin ich ihr Gefangener, eingeschlossen in der Fessel ihrer zarten Arme» (S. 5).177 Zur körperlichen Annäherung gehört das liebevolle Umfassen. Der Gestus ist im christlichen Bereich in der Umarmung von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte, von Petrus und Paulus 176
Siehe Röhrich II, S. 913–914. – HDA V, Sp. 841–863. – Zu Parzival: Frenzel, Stoffe, S. 502–505. Der hohe (jedoch selten eingehaltene) Anspruch auf Treue wird deutlich im Lai du Cor von Robert Biket: Als Artus aus dem geschenkten Trinkhorn, das Treue und Untreue entlarvt, trank und sich der Gewürzwein fatal über ihn ergoß, erzürnte der König und er wollte die Königin töten. «‘Herr’, mahnte Yvain, ‘begeht keine solche Niedrigkeit! Es lebt doch keine Frau, die niemals etwas Unerlaubtes gedacht hätte, wenn sie auch verheiratet ist; daher ist es nicht erstaunlich, wenn das Horn seinen Inhalt verschüttet hat’.» Als sich diese Eigenschaft des Horns herumsprach, gab es keine Dame, die nicht den Blick zu Boden gesenkt hätte. «Selbst die Königin hielt darum den Kopf geneigt und alle Herren ringsum, die Frauen hatten, deren Fehler sie kannten» (Lange / Langosch, S. 302). Laut Walther von der Vogelweide behaupten die Ritter, man müsse den Frauen die Schuld geben, daß die Gesellschaft so heruntergekommen sei. «Sie schauen nicht mehr fröhlich auf wie früher, sondern blicken immerfort zu Boden» (um 1205; Vogelweide / Stapf, S. 363). Zum Text siehe: Fredrik Amadeus Wulff, Le lai du cor. Restitution critique. Lund 1888. 177
Einzel- und Gruppendynamik – 85 (Tuscania, San Pietro; Oertel, Abb. 10 a) oder in der Heimsuchung vorgegeben (Ingeborgpsalter, Abb. 14). In der Manessischen Liederhandschrift spielt er aus verständlichen Gründen eine allgegenwärtige Rolle: die Umarmung stehend (bei Albrecht von Johansdorf und Burchard von Wengen, Abb. 67); die Umarmung sitzend bei Hugo von Werbenwag (auf der Lagerkante); zu Pferde wie Wernher von Teufen. Die Motive reitender und kosender Paare stammen aus dem Bildrepertoire der französischen elfenbeinernen Spiegelrückseiten (Abb. 32, 33). Eine inhaltlich aus dem Rahmen fallende Bildseite in der Manessischen Liederhandschrift bietet möglicherweise eine aufschlußreiche Verbindung zu einer älteren literarischen Vorlage. Die Angebetete von Meister Heinrich Teschler liegt mit entblößtem Oberkörper in ihrem Bett (Abb. 68), überdacht von einem zeltartig an Haken hängendem Baldachin, was so viel wie “Innenraum” oder “Zelt” meint. Die Darstellung erinnert an eine Stelle im Lai de Lanval von Marie de France, eine unglückliche Liebesintrige aus dem 12. Jahrhundert, die in einem Zelt beginnt und wie ein Märchen endet: «In diesem Zelt wartete das Fräulein; an Schönheit übertraf sie selbst die Blüte der Lilie und die junge Rose, wenn sie im Sommer erblüht. Sie lag auf einem prächtigen Ruhebett […], nur mit einem Hemd bekleidet; ihr Leib war von vollendeter Ebenmäßigkeit und Schönheit. In der Hitze hatte sie nur einen kostbaren Mantel von weißem Hermelin übergeworfen […]. Die Seite, Gesicht, Hals und Brust hatte sie ganz entblößt; ihre Haut war heller als die Blüten des Weißdorns. Der Ritter [Lanval] trat auf sie zu, und das Fräulein rief ihn heran; vor dem Bett setzte er sich hin» (Lange / Langosch, S. 286–287).
Das Motiv des unter einem blühenden Baum in den Armen der Geliebten Ruhenden findet sich unter anderem in der Manessischen Liederhandschrift (Konrad von Altstetten «Gibt es ein Paradies, Geliebte? / Wer einschläft in den Armen der Geliebten, / Der hat das Paradies gefunden» (13. Jh.; Gennrich, S. 83). Der “wilde Alexander” dichtet: «swâ brust kumt ze brüste, / dâ zünt von gelüste daz fiur […]» («Wo immer Brust an Brust sich drückt, da entzündet sich vor Verlangen das Feuer […]»; MF, S. 37). Marguerite d’Angoulème (1492–1549), Königin von Navarra, dichtet in ihrem Heptaméron die Zeilen: «Qui vit d’amour a bien le cœur joyeux, / Qui tient l’amour ne peut désirer mieux, / Qui sait l’amour n’ignore nul savoir, / Qui voit l’amour a toujours rians yeux, / […] Qui aime amour accomplit son devoir, / […] Qui peut amour embrasser, prendre et voir, / Il est rempli de grâce souveraine.»178
178 Zit. nach Lucien Febvre, Le Problème de l’incroyance au XVIe Siècle. Paris 1942, S. 244. – Simone Glasson, L’Heptaméron. Paris 1982.
86 – Strukturen und Träger der Gestik Belehrende und verführerische Gespräche. In der Manessischen Liederhandschrift klärt König Tyro von Schottland im Zwiegespräch seinen Sohn Fridebrant auf (fol. 8recto) mit der dafür charakteristischen Haltung und Gestikulation der Hände; so ebenfalls Windsbeke (Abb. 48 b) und seine Gattin (Abb. 49). Zärtlichkeiten zwischen Liebenden – wie Hugo von Werbenwag und seine Dame – werden eng umschlungen auf der Bettkante sitzend ausgetauscht (fol. 252recto). Bemerkenswert ist eine Stelle bei Neidhart: «Schön war ihre Frisur und ihr rosenrotes Mündchen. Da bat ich die Schöne, sich neben mich zu setzen. Sie aber sprach: ‘Ich getrau mich nicht. Man hat mir verboten, mit euch zu flüstern und mich zu euch zu setzen’» (Neidhart, S. 31).179 Solche Ratschläge gab vielleicht die besorgte Mutter Winsbekin ihrer Tochter, auf die ich die soeben hingewiesen habe.180 Eine stets wiederkehrende Dialogform ist die Frage und ihre Beantwortung. Eine Person weist, oft in einer Standardsituation, prägnant mit ausgestrecktem Zeigefinger auf eine andere, auf einen Gegenstand oder eine Handlung hin, die sie nicht versteht (Christus und die Ehebrecherin, Abb. 18). Sie wendet sich einem Partner zu, oft in einer Rückwärtswendung. Dieser antwortet und legt dem Fragenden die Rechte auf Schulter oder Oberarm (Baum, Farbtafel I, Abb. 20, 28): Marx Reichlich stellt hier das Motiv des Fragens in den Vordergrund seines Tempelgangs Mariens, um 1505 bis 1510. Der Angesprochene wendet der Hauptszene den Rücken zu. Sein Gesichtsausdruck vermittelt Gleichgültigkeit gegenüber dem Vorgang. Dabei bedeutet die erhobene und meist offene Hand Ergebung in das Schicksal – so bisweilen die Geste Marias in der Verkündigung. Gemeinsame Bäder und Betten sind in der vordürerschen Bilderwelt beliebte Themen.181 Das Bad hatte, wie schon bei den Griechen und Römern, im häuslichen und öffentlichen Volksleben des Mittelalters und der frühen Neuzeit hohe Bedeutung. «Es war die erste Pflicht des Hausherrn, dem Gaste […] ein Bad bereiten zu lassen» (vgl. Wolframs Parzival 166, 21 ff., um 1210).182 In der Breslauer Handschrift des Valerius Maximus De dictis et factis Romanorum, für Anton von Burgund, befindet sich die Darstellung eines Badehauses, in welchem, von Musik begleitet, zu zweit gebadet, gespeist und geliebt wird (Schuster 1992). Wenn hier auch römische Sitten vorgeschoben werden, so reflektiert die Miniatur des 15. Jahrhunderts doch damals geläufige und vergnügliche Begegnungsorte (Abb. 103). 179
Zum Flüstern und “Ins-Ohr-Sprechen” siehe: HDA VI, Sp. 1205. Für die Handbewegungen vgl. fol. 28verso mit dem Streit zwischen Sara und Hagar in der Weltchronik des Rudolf von Ems, um 1350, Zürich, Zentralbibliothek (Abb.: Zürich 1991, S. 246). 181 San Gimignano, Palazzo del Popolo, Museo Civico, Camera del Podesà: Nicolò di Segna (zugeschrieben): Badeszene und Bettszene, um 1340. – Elfenbeinkästchen: Wixom, S. 111 und 113. 182 Für die Zurichtung öffentlicher Bäder sorgten die in Zünften zusammengeschlossenen Bader. München verfügte schon im 15. Jh. über mindestens vier öffentliche Bäder, Ulm 1489 bereits über 168 Badestuben. «Die Handwerksburschen waren verpflichtet, allwöchentlich zu baden; die Gesellen erhielten dazu rechtzeitig Feierabend und ein Badegeld» (Röhrich I, S. 129 und 130, mit Lit. S. 133). – RDK I, Sp. 1422 (Badehaus mit Balkon, um 1475). Ein Entwurf zu einem Badehaus mit Frauen- und Männerabteil findet sich in Konrad Keysers 1405 vollendeten Bellifortis in Göttingen (Boockmann, Abb. 141). RDK I, Sp. 1377–1378 (mittelalterliche öffentliche Badeanlagen). 180
Einzel- und Gruppendynamik – 87 Im Tristan lernen wir, daß im Bett «die Frau […] sich dem geliebten Mann doch stets in seine Arme und an die Seite schmiegen [soll]» (Tristan, 1722).183 Je nach Stand der Dinge finden sich auf den Betten ein (so bei Meister Heinrich Teschler) oder zwei Kopfkissen (so bei Herr Hugo von Werbenwag). Die Motive von Bad und Bett sind in San Gimignano in zwei benachbarten Darstellungen vereint (Abb. 101). Ehepaar- und Familienbild. Der badische Edelfreie von Wissenloh erscheint in der Manessischen Liederhandschrift mit Gattin und Kind (Abb. 118 a, vgl. Abb. 118 b). Noch bis ins 14. Jahrhundert hinein werden dabei Kinder als kleine Erwachsene dargestellt. Miniaturisiert erscheinen aber auch, einem anderen Größenkanon angehörig, Figuren in Nebenhandlungen.184 René König erinnert daran, daß man verschiedene Kleidungsformen in den verschiedenen Altersklassen findet. «Wie eine Gesellschaft über Kinder denkt, kann man genauestens an den Kinderkleidern ablesen. Wo das Kind als ‘kleiner Erwachsener’ betrachtet wird, ist die Kleidung für alle gleich; in diesem Falle werden nur die Geschlechtsunterschiede beachtet» (König, S. 58). Auffällig reiche oder wertvolle Säuglings- und Kinderkleider weisen Findlinge in Märchen und Sagen auf als Zeichen, daß sie von hoher Herkunft stammen (Merlin, S. 215). In Familienbildern wendet sich das Kind meist der Mutter zu: es wird dabei nicht eine Abhängigkeit signalisiert, sondern ein Liebesverhältnis, das Ur- sowie Vorbild aller anderen Liebesverhältnisse. «Am Anfang aller Liebe war Mutterliebe; die ärgste Verlassenheit heißt ‘mutterseelenallein’» (HDA VI, Sp. 694–695). Spielszenen. Das Spiegelraub-Spiel, in dessen Verlauf die Herren nach den im Ausschnitt der Damen verborgenen Spiegeln greifen und deren Röcke hochschieben, gehörte wohl eher zu den derberen Gesellschaftsspielen der Zeit um 1400. Ein Beleg aus Wien bildet Boockmann ab (Abb. 466); ob Boockmanns Deutung richtig ist, bleibe dahingestellt. Züchtiger dürfte es beim Kugel- (HDA V, Sp. 754–766) oder beim Blindekuhspiel (le jeu de colin-maillard) zugegangen sein (Röhrich I, S. 217). Ein Bildnachweis findet sich im Chansonnier de Paris, um 1280 bis 1315, in Montpellier (Paris 1955, Nr. 26; Tafel V). Neidhart erwähnt einmal das Schaukeln auf dem Seil (Lieder, S. 45). Le jeu de la quintaine (Stechpuppe für Reiterspiele) wie in Robert de Borron, Histoire du Graal (Paris 1955, Nr. 57; Tafel X), gehört in den Bereich der Turniere. Schach erfreute sich traditionell großer Beliebtheit; die Bildbelege sind zahlreich. Berühmt ist der Schach spielende Tristan (Tristan, 2220 ff., 2270). In der Manessischen Liederhandschrift hat das wetteifernde Paar, Markgraf und Markgräfin von Brandenburg, wohl den Moment der Entscheidung erreicht (Abb. 60). Beide Partner halten eine Figur in ihrer linken Hand (Springer und Turm);185 ähnlich die Konversa183
2010. 184
Diane Wolfthal, In and out the Marital Bed. Seeing Sex in Renaissance Europe. Yale University Press
So auf fol. 14verso der Jagdhelfer in der Reiherbeize Heinrichs von Meißen. Er deutet, sozusagen im perspektivischen Hintergrund, auf den Falken hin, der eine Beute zu Boden drückt. Mit den “schwebenden” Pferden gehört die Miniatur zu den schwächsten des Codex. 185 Dem Illustrator ist aber ein Fehler unterlaufen: beide Spieler halten eine Figur der gleichen Farbe in
88 – Strukturen und Träger der Gestik tion der Tricktrack-Spieler; offensichtlich schätzen auch sie die Lage unterschiedlich ein (Abb. 61). Solche Zeitvertreibe galten moralisch als hochgefährlich, ja verwerflich, und Spieler fanden sich in der Hölle wieder (um 1480; Boockmann, Abb. 336). Etwa gleichzeitig entstanden ist das Bild des auf einem Platz predigenden Johannes von Capestrano, zu dessen Füßen modischer Tand sowie ein Spielbrett verbrannt werden (ibid., Abb. 367). Massen und Getümmel. Das polyphone Thema reicht vom volksreichen Kalvarienberg bis zum Schlachtengetümmel (Abb. 111) und zu Ansammlungen bei Hexenverbrennungen. Figurenreiches Gedränge bei Prozessionen bildet sich an Pilgerstätten oder auf Richtplätzen. Geballter Volkszorn ist ein weiteres Thema (Blöcker 1984). Künstlerische Wiedergaben von Menschenmengen werden bis ins 18. Jahrhundert empfohlen: «Mais si une foule d’hommes attroupés dans la rue par quelque catastrophe viennent à déployer subitement, et chacun à sa manière, leur sensibilité naturelle, sans s’être concertés, ils créeront un spectacle merveilleux, mille modèles précieux pour la sculpture, la peinture, la musique et la poésie» (Diderot, S. 52).
Gesellschaftliches Gehabe und soziale Dynamik Der urbane Mann. Dem “Höfischen” entspricht bei Quintilian das “Urbane”, wo ebenfalls die Beherrschung der Gestik genannt wird.186 Denn laut seiner Meinung handelt es sich dann um urbanitas, wenn «nichts Mißtönendes, nichts Bäurisches, nichts Unordentliches, nichts Fremdklingendes sich im Sinn, in den Worten oder in der Aussprache oder Gebärde fassen läßt» (Quintilian VI 3, 107). Er zitiert Cato: «Urban ist für uns ein Mensch dann, wenn er viele treffende Bemerkungen und Antworten liefert und wenn er in Unterhaltungen, Gesellschaften und festlichen Gelagen, ebenso in öffentlichen Versammlungen, kurz an jedem Platz Lachen erregen und gefällig reden kann» (Quintilian VI 3, 105).
den Händen; der Maler (Malerin?) war offensichtlich kein Schachspieler. Auf den lapsus hat mich Afonso Solms hingewiesen. Außerdem ist das Schachbrett falsch wiedergeben (7 × 6 statt 8 × 8 Felder. Vgl. Abb. 234) – Für Brettspiele siehe: William L. Tronzo, Moral Hieroglyphs. Chess and Dice at San Savino in Piacenza. In: Gesta XVI/2, 1977, S. 15–26. – Röhrich I, S. 488. – Das bekannteste Schach-Lehrbuch war dasjenige von Jacobus de Cessolis aus der Mitte des 13. Jh., Liber de Moribus Hominum et Officiis Nobilium, auch als Solacium Ludi Scacorum bekannt. Bildmaterial und weitere Literatur bei Tronzo, Anm. 19 ff., S. 25–26. – Vgl. auch Bumke, S. 304–305. – Es ist laut Ovid (ars amatoria) eine Schande, wenn ein Mädchen sich nicht aufs Spielen versteht. Durch das Spiel gewinnt man oft Liebe. 186 Urbanus ist nach Quintilian – er bezieht sich auf Appius Claudius Pulcher (Konsul 54 v. Chr.) – damals eine neuere Wortschöpfung («ut nunc loquimur»; Institutio VIII 3, 35).
Gesellschaftliches Gehabe und soziale Dynamik – 89 Ausgelassenheit kennzeichne bäuerliche Kreise, das Heitere würde sich jedoch für alle schicken (Quintilian VI 3, 28). So wird der cantus gestualis, wie oben erwähnt, den niederen Volksschichten zugeordnet. Balderich von Bourgueil (1046–1130) dichtet in der Epistel an eine Nonne: «Keinerlei Blumen wirst du in meinem Gedichte entdecken, / Blumen, mein ich, der Kunst städtisch verfeinerten Stils; / ländlich ist mein Gedicht [rustica dicta], ich bin ein Bewohner des Landes, / meine Heimat ist Meun(g), aber mein Wohnort Bourgueil. Dieses Bourgueil ist ein Ort fern ciceronischem Wesen [Burgulius locus est procul a Cicerone remotus]; Zwiebeln behagen ihm mehr als Pergamente und Rohr [stilus et tabulae]» (Psalterium profanum, S. 106 und 107).
Das ideale Bild der Frau versuchten Dichter schon immer in Worte zu fassen: In Ovids Metamorphosen sind manche Beispiele versteckt. Ich erinnere an den Text über Daphne, für die Apollo in Liebe entbrannte: «Er sieht, wie das schmucklose Haar bis zum Hals herabhängt. ‘Ei’, sagt er, ‘wenn es erst noch frisiert würde!’ Er sieht die sternengleichen Augen Funken sprühen; er schaut das Mündchen an und will sich mit dem bloßen Anschauen nicht begnügen; er lobt die Finger, die Hände, die Arme und die Oberarme, die bis über die Mitte entblößt sind; und was verborgen ist, stellt er sich noch schöner vor» (I, 497–502). Hartmann von Aue denkt im Gregorius wohl eher an die inneren Werte: «[…] da gab es viele adlige Herren nah und fern, die sie zur Frau begehrten. An Herkunft [gebürte] und äußerer Statur, an Reichtum [rîcheit] und Jugend, an Schönheit und Anstand, an Erziehung [zuht] und Hochherzigkeit [güete]und ihrer ganzen Gesinnung [gemüete] nach war sie wohl eines hochgestellten Mannes würdig […]» (S. 55, 861–869).
Was in diesem Zusammenhang das Lachen anbetrifft, so hat die Frau, wie es im Roman de la Rose heißt, den Mund geschlossen zu halten («femme doit rire à bouche close»). Dies paßt in das höfische Frauenbild, das allerdings eher eine Erfindung der Dichter war, denn «die Vorstellung, daß die adeligen Herren zu den Frauen verehrungsvoll aufblickten, weil sie ihnen ihre ritterlichen Fähigkeiten und damit ihr gesellschaftliches Ansehen verdankten, verkehrte das Verhältnis der Geschlechter, wie es in Wirklichkeit bestand, ins Gegenteil» (Bumke II, S. 453).187 Benoît de SainteMaure beschreibt in seinem Roman de Troie Andromacha, die Frau Hectors, wie folgt: «Gente dame de haut parage, / Franche e cortese e proz e sage. / Moult ert leial vers son signor / E mout l’ama de grant amor.»188 «Das Frauenbild der höfischen Dichter wirkt wie ein Gegenentwurf zu der übermächtigen Tradition christlicher Frauenfeindlichkeit, die in der weltverneinenden und 187
Zum Frauenbild allg.: HDA II, Sp. 1732–1774. – Die wichtigste Literatur bei Bumke II, S. 832–835. Zit. nach Barbara Nelson Sargent, S. 36. Sie übersetzt: «A fine lady of high birth, noble, courteous, worthy, and wise. She was very true to her lord and loved him greatly (S. 46, Anm. 11). – Zur Unterscheidung zwischen “Frau” und “Dame”: Vogelweide / Stapf, S. 369. 188
90 – Strukturen und Träger der Gestik weltverachtenden, körper- und sinnenfeindlichen Grundeinstellung des Christentums ihre Wurzeln hat. Nur im Habitus unberührter Jungfräulichkeit war die Frau, im Schmuck ihrer Keuschheit und Reinheit, für die Christen ein Gegenstand der Verehrung. Als Geschlechtswesen dagegen verdächtigte man sie, den als sündhaft eingestuften Begierden des Fleisches leichter nachzugeben als der Mann. Den Beweis dafür fand man in den heiligen Schriften der Bibel, vor allem in den Lehrbüchern des Alten Testaments. ‘Alle Bosheit ist gering gegen die Bosheit der Frau. Schaue nicht auf die schöne Gestalt der Frau und begehre nicht die Frau beim Anblicken. Groß ist der Zorn der Frau und ihr Ungehorsam und ihr Vergehen. Von der Frau hat die Sünde ihren Ursprung genommen’.»189 Dieser Satz steht im Liber Ecclesiasticus (25, 26–33); er allein hätte genügt, um den Kirchenvater Hieronymus für folgendes Urteil zu rechtfertigen: «Alles Böse kommt von den Frauen» («Adversus Jovinianum», Sp. 291). Petrarca gefällt bei einer liebreichen Dame, «wenn sie sich stolz und hochmütig gibt, nicht überheblich und abweisend: Amor regiert sein Reich ohne Schwert» (Canzoniere 105, 8–11). Höfische Minne. Spielarten des Adels. Gottfried von Straßburg sagt im Tristan: «Die Blindheit der Liebe macht außen und innen blind. Sie verblendet Augen und Verstand. Was sie genau sehen, wollen sie nicht sehen. So war es auch mit Marke. Er wußte todsicher und sah genau, daß Isolde, seine Frau, mit Leib und Seele in der Liebe zu Tristan völlig aufging. Und doch wollte er es nicht wahrhaben» (Tristan, 17741–17751).190 In der Liebe aufgehen: Heinrich von Veldeke beschreibt dies wie folgt: «Eneas und Dido erblickten einen dichten, schönen Baum, auf den sie sogleich zuritten. Der stattliche Held half der Dame absteigen. Da geschah nun, was lange schon ersehnt worden war: Herr Eneas nahm die Dame unter seinen Mantel. Er entdeckte ihre Schönheit. Mit den Armen umschlang er sie. Da belebte sich all sein Fleisch und Blut. Er war ein Mann, und so blieb er siegreich; er nahm die Dame in Besitz. Niemand war in ihrer Nähe, sie beide waren allein. Der Ort war schön. Liebevoll bat er sie, daß sie ihm gewährte, was sie selber ersehnt hatte – dennoch wehrte sie sich –, und er legte sie auf den Boden, wie Venus befahl. Sie konnte sich nicht wehren. Er machte mit ihr, was er wollte, so daß er ihre Liebe tapfer behielt. Ihr versteht schon, was das war» (Eneasroman 63, 1827–1856).
Eine von Geburt Adelige – und dementsprechend erzogen und manipuliert – bewegt sich erwartungsgemäß anders als eine Bürgerliche oder eine Bäuerin. Das Repertoire an Bewegungen ist weitgehend angelernt und vorbestimmt: «Adel mit seinen Vorrechten erschien wie alles Recht von Gott gewollt und gegeben – obgleich doch in der ganzen Bibel kein Adelsstand zu finden ist, sogar das Wort nobilitas in 189
Bumke II, S. 454–455. Über höfische Liebe: Bumke II, S. 503–582 mit Literaturangaben, S. 835–838. Vgl. auch HDA V, Sp. 1273–1276. –Im Iwein steht als Lobpreisung der Geliebten der Vergleich mit dem Freudenfest Ostern (8120); sie sei «min ôsterlîcher tac» findet sich bei Reinmar dem Alten (MF 170.19). 190
Gesellschaftliches Gehabe und soziale Dynamik – 91 der Vulgata nur einmal vorkommt, im zweiten Makkabäerbuch (6, 23), und da nicht als Standesbezeichnung.»191 Eine ideale Gemeinschaft: Artus’ Tafelrunde. Wace formulierte in seinem Roman de Brut (um 1155/60) die “Wahrheit” um die Artus-Geschichten wie folgt: «Aus Liebe zu seinem freigebigen Wesen und aus furchtsamer Verehrung seiner Tapferkeit wurden in dieser Friedenszeit wundersame Dinge als wahr verbreitet und die Abenteuer erdichtet, die man von Artus so oft erzählt hat, daß sie bis ins Fabelhafte übersteigert sind – ich weiß nicht, ob ihr davon gehört habt. Das alles ist nicht ganz gelogen und nicht ganz die Wahrheit, nicht alles Unsinn, aber auch nicht alles mit Sicherheit verbürgt. Die Erzähler haben so viel erzählt und die Fabulisten so viel gefabelt, um ihre Geschichten damit auszuschmücken, daß sich jetzt alles wie eine erfundene Fabel ausnimmt» (Lange / Langosch, S. 95–96).
Die Geschichte Artus’ wird bei Giovanni Boccaccio folgendermaßen lauten: «Als er Länder und Ruhm genug zu haben glaubte, beendete er den Krieg und wollte in Ruhe leben. Auf den Rat des berühmten Sehers Merlin ließ er eine Tafel errichten – die Engländer nennen sie die runde Tafel –, zu der er die Besten seines Volkes berief. Es gab unter ihnen ein Gesetz, daß keiner die Waffen ablegen durfte. So bildeten sie die Tafelrunde. Sie mußten Gerechtigkeit üben, Beleidigungen wehren, nicht feindlich und unwillig gegeneinander sein, für ihren Freund streiten, Treu und Glauben pflegen, ihr Wort nicht brechen, den Gottesdienst einhalten und gastfrei sein. Alles, was geschah, sollte in Büchern aufgezeichnet werden. Da sie es so hielten und ausführten, kam der König zu so hohem Glanz und Ruhm, daß weder die wütende Fortuna noch die lange Zeit es vermochten, diesen Namen auszutilgen, und er bis in unsere Zeit berühmt und geachtet blieb.»192
Berühmte Helden, Heilige, Männer und Frauen. Phantasiebilder sind keine Erinnerungsbilder. Bevor die Kirche Heilige in den Rang von Vorbildern erhob, waren es die Neun Helden (Neuf Preux), die Phantasien in Gang brachten: neben Alexander vor allem Hector, David, Josuah, Judas Maccabeus, Julius Cäsar, Artus, Karl der Große und Godefroy de Bouillon, oft nach verschiedenen moralischen Kriterien ausgewählt.193 Doch handelt es sich in der klassischen Formation um drei antike, drei jüdische und drei christliche Helden. Beliebtheit erlangten sie vor allem um 1310 mit Jacques de Longuyons Schrift Vœux du Paon. 1336 fand in Arras ein Schauspiel der Neuf 191 Herbert Grundmann, Über die Welt des Mittelalters. In: Golo Mann / Alfred Heuss (Hrsg.), Propyläen Weltgeschichte XI, 2. Frankfurt am Main et al. 1976, S. 401. – Vgl. Angenendts Kapitel Die adelige Geburt und die edlere Heiligkeit (S. 99–101). 192 Boccaccio I, S. 213. Vgl. Frenzel, Stoffe, S. 56–60. – Zu Merlin siehe ibid., S. 428–432. – Otto Demus, in: RDK I, Sp. 1127–1132. 193 Dazu: Robert L. Wyss, Die Neun Helden. Eine ikonographische Studie. In: ZAK 17, 1957, S. 73–106. – Die Nine Heroes Tapestries in New York stammen aus dem Besitz des Herzogs von Berry.
92 – Strukturen und Träger der Gestik Preux statt. Um 1390/1400 trifft man sie in den Triaden-Fresken von Schloß Runkelstein bei Bolzano (Kühebacher, Abb. S. 282–288), hier unter anderem in Gesellschaft mit den drei Riesen, den drei Riesenweibern sowie den drei reitenden Zwergen.194 Berühmte Männer sind in der Literatur auch große Heilige, die im 13. Jahrhundert in Hartmanns von Aue Gregorius oder Der gute Sünder sogar im höfischen Kontext erscheinen.195 Parallel dazu verlaufen die Überlieferungen im volkstümlichen Verbund. Alain Boureau unterscheidet die narration cléricale und die narration populaire (Schmitt 1983, S. 41–64). An der Schnittstelle der beiden Kategorien stehen Heiligenlegenden, zwar schon lange im Umlauf, die um 1270 nochmals der Predigermönch Jacobus de Voragine in einem vielgelesenen und oft übersetzten Kompendium, der Legenda aurea, zusammengefaßt hat. Die bis 1500 erschienenen Drucke sind zahllos; alle Stände lasen sie. Sie erfreuen sich bis heute großer Beachtung, da sie Einzelheiten enthalten, die sich in der bildillustrativen Kunst wiederfinden und nach denen man in der Bibel, selbst in den Apokryphen, vergeblich sucht.196 Es versteht sich von selbst, daß diese Heiligen auch Märtyrer waren und ihren Glauben mit ihrem Leben aufwogen.197 Weltliche und antike Stoffe. Tristan und Isolde saßen in der Minnegrotte und erzählten sich von sehnsüchtiger Liebe derer, die vor ihrer Zeit aus Liebe gestorben waren: «[…] sie trauerten und klagten über das, was Phyllis von Thrakien und was der armen Kanake und was ihnen im Namen der Liebe geschah; wie das Herz der Byblis brach aus Liebe zu ihrem Bruder; wie es der Königin von Tyrus und Sidon, der liebeskranken Dido wegen ihrer Sehnsucht so schlimm erging. Mit solchen Geschichten waren sie stets beschäftigt» (Tristan, 17188–17199).
Liebestragödien fanden vor allem im italienischen Schriftgut einen bevorzugten Platz. Sie sind in das nationale Gedächtnis eingegangen, denn Petrarca und Boccaccio hinterließen einflußreiche Schriften über unheilige, in grausame Geschichten verstrickte Persönlichkeiten der (meist) antiken Vergangenheit.198 Großer Popularität erfreute sich das tragische Ende von Pyramus und der schönen Babylonierin Thisbe. Ovid erzählt in den Metamorphosen ihre Geschichte (IV, 36–166). Pyramus, getäuscht von dem blutbefleckten Schleier seiner geliebten This194 Über Beziehungen der Wandmalereien mit “Heldenbüchern”, vor allem mit Maximilians Theuerdank, hat Elaine C. Tennant die einschlägigen Materialien erläutert (1989, S. 231–232, vor allem Anm. 349). 195 Dazu: Curtius, S. 35–37. 196 Ein Legendarium in der Reihenfolge der Heiligenfeste ist seit dem 7. Jh. bekannt; die Acta Sanctorum entstanden erst zwischen 1643 und 1794. – Jacobus de Voragine: Italienische Übersetzung von Cecilia Lisi, Florenz 1952. Deutsch von Richard Benz (Jena 1925 und später). Zur Legenda aurea neuerdings: Le Goff 2011. 197 Frenzel, Motive, S. 486–491. 198 Die Berühmten Frauen bei Boccaccio ausführlich in: RDK X, Sp. 641–656. Frenzel, Stoffe, nennt u. a. folgende Frauen: Dido: S. 126–128. – Caesar / Kleopatra: S. 361–364. – Semiramis: S. 577–579. – Nausikaa / Odysseus: S. 458–460. – Hero / Leander: das kleine Epos des Musaios, S. 266–268. – Troilus / Cressida: S. 636– 638. – In Dantes Divina Commedia (1307–1320) gehören Semiramis, Dido und Kleopatra zu jenen Frauen, die wegen Wollust in der Hölle endeten.
Gesellschaftliches Gehabe und soziale Dynamik – 93 be, stürzte sich in sein Schwert, denn er glaubte, sie sei von einem Löwen zerrissen worden. Als dann Thisbe zurückkehrte, öffnete der sterbende Pyramus noch einmal die Augen: Thisbe gab sich ebenfalls den Tod. Deshalb trägt der Maulbeerbaum erst rote, danach schwarze Farbe (Frenzel, Stoffe, S. 531–533). Eine französische Fassung der Tragödie (um 1160) war Chrétien de Troyes bekannt. Sie klingt möglicherweise im Yvain an.199 Benachbarte Themen sind herkunftsbedingte Liebeskonflikte (Frenzel, Motive, S. 468–471). Am bekanntesten war die französische Chantefable Aucassin et Nicolette (um 1200)200 sowie die perennierende Geschichte von Romeo und Julia, die in der Literatur bereits in Masuccios Novellino 1476 auftaucht (ibid., S. 471). Die MelusinenFabel verdankt man Jean d’Arras (Frenzel, Stoffe, S. 424–426). Die von Ovid in den Metamorphosen (X, 243–297) erzählte Geschichte des Bildhauers Pygmalion, der sich in eine von ihm geschaffene Frauenfigur aus Elfenbein verliebt, von Venus mit Leben versehen, erhielt einen neuen Anstoß durch John Gowers Erzählung in der Confessio amantis (1386/90). 1473 erschien in erster deutscher Übersetzung Heinrich Steinhöwels BoccaccioAusgabe De claris mulieribus: Von den synnrychen erlúchten wyben, verlegt beim Drucker Johann Zainer in Ulm (RDK X, Sp. 645). Die Frauen sind hier meist mit weiblichen Tätigkeiten beschäftigt: Weben, Spinnen, Hecheln, wobei ihre jeweilige Beschäftigung die Gestik bedingt und festlegt. ❧ Gegenwelten: Landleute, Bürger, Bettler, Pilger, Einsiedler und Zigeuner. Plinius schreibt von einem Landmann: «vir rusticitati propior quam deliciis.» Roderich König übersetzt deliciis mit “feinerem Geschmack” (Plinius, S. 28 und 29). Quintilian unterscheidet zwischen urbanitas und agreste. Im Hausbau trennte man villa urbana von villa rustica. Neben den höfischen Varianten entfaltet sich die gegensätzliche Welt zwischen den “ehrbaren Geschlechtern” und dem Landwirt, dem Arbeiter und Handwerker. Apoll ruft Daphne hinterher: «Kein Bergbewohner, kein Hirte bin ich, kein struppiger Wächter von Zug- und Herdentieren. Du weißt nicht, Unbesonnene, du weißt nicht, vor wem du fliehst» (Ovid, Metamorphosen I, 512–515). Bei Calderón erklärt sich das ungehobelte Benehmen eines Mannes mit der Bemerkung, er sei eben “in den Bergen geboren” («como en montes nacido», 1365). Die Carmina Burana umschreiben das Schicksal der Landleute wie folgt: «Arbeit ist das Los der Bauern. Feldarbeit mag recht und löblich sein, aber bitter wird sie durch Hunger, Durst, Kälte und verregnete Sommer – für das Elend der Bauern gibt es nicht Worte genug» (Psalterium profanum, S. 521 und 523). «Der Alltag [blieb] geprägt von dem, was die 199 Vgl. Franz Schmitt-von Mühlenfels, Pyramus und Thisbe. Rezeptionstypen eines ovidischen Stoffes in Literatur, Kunst und Musik. Heidelberg 1972. 200 Lagarde / Michard, S. 74–76.
94 – Strukturen und Träger der Gestik Natur bot. Ernte oder Mißernte hingen von Sonne, Wind und Wetter ab, und was an Fertigkeiten zu erlernen war, reichte eine Generation der nächsten weiter. Technische Neuerungen, die es auch gab, setzten sich so langsam durch, daß sie keinen lebensverändernden Einbruch erzielten. Man konnte sich ihnen anpassen, ohne daß der bisherige Erfahrungshaushalt in Unordnung geraten wäre.»201 Abdecker, Fahrende, Spielleute (meist exotisch bunt gekleidet), Bader, Müller, Leineweber, Schäfer, Scharfrichter und Schergen gehören zu den Leuten mit niedriger Herkunft und somit implizit zur Kategorie der Unehrlichen.202 Sie bilden eine abfällig beäugte Kleptokratie. Im Yvain findet man den sprichwörtlich gewordenen Satz «Car mieux vaut, à mon avis, un homme courtois et mort qu’un rustre vivant» (Chrétien de Troyes, S. 36). Sogar Glieder der Hofgesellschaft werden als “schlechte” Menschen geschildert: «Das war ein junger Höfling, der als ein Mensch von geringer Abkunft eher zu allem Schlechten als zu etwas Gutem bereit war.» So Bandello in seiner Seltsamen Liebesgeschichte aus Messina (Keller, S. 96). Sie werden entsprechend als abstoßende Menschen geschildert: Man nimmt Teil an der Erfindung der moralischen Häßlichkeit auf Grund der dem gelebten Leben abgeschauten Figuren und deren Sprache. Chaucer beschreibt unter den nach Canterbury ziehenden Pilgern einen ungehobelten Müller: «The Miller was a chap of sixteen stone, / A great stout yellow big in brawn and bone. […] Broad, knotty and short-shouldered, he would boast / He could heave any door off hinge and post, / Or take a run and break it with his head. / His beard, like any sow or fox, was red / And broad as well, as though it were a spade; / And, at its very tip, his nose displayed / A wart on which there stood a tuft of hair / Red as the bristles in an old sow’s ear. / His nostrils were as black as they were wide. / He had a sword and buckler at his side, / His mighty mouth was like a fornace door» (Chaucer, S. 36).203
Solche Beschreibungen sind Teil der Entstehungsgeschichte eines neuen Menschenbildes, ohne dass die Renaissance des frühen Quattrocento nicht in so kurzer Zeit hätte Fuß fassen können. Diese Ahnenreihe geht «über Masaccio und Giotto […] bis auf die Bilder des ‘auferstandenen Lebens’ an der ‘klassischen’ gotischen Kathedrale des 13. Jahrhunderts zurück»; so hat es Sedlmayr gesehen (1955, S. 174). Man könnte präzisieren: Die genauen literarischen Beschreibungen der Gestik und die Wandlungen der einzelnen Gebärden – zumindest was die übernommenen Anregungen aus dem 14. und frühen 15. Jahrhundert anbetrifft –, laden unter diesen 201 Koselleck 1967, S. 49. – Ausgezeichnete Zusammenfassung bei White, Medieval Technology 1962: The Agricultural Revolution of the Early Middle Ages, S. 39 ff. mit Kapiteln zum Pflug (S. 41–57) und zur Pferdekraft (S. 57–69). – Bildmaterial in: J. W. Y. Higgs, English Rural Life in the Middle Ages. Bodleian Picture Book Nr. 14. Oxford 1965: Abb. 11 a und b. – Auch Strabo (um 825) sagt, er würde nicht säumen, den Schollen mit Saturns gezahntem Werkzeug anzugreifen, das starrende Erdreich aufzubrechen, die verfilzten Wurzeln zu zerreißen (De cultura hortorum II, 1–52; ich paraphrasiere die Übersetzung von Otto Schönberger). – Zur antiken Ernte siehe Pauly II, Sp. 360–361. 202 Koselleck 1967, S. 49. – Fahrendes Volk: HDA II, Sp. 1124–1149. Siehe auch Dienstboten: HDA II, Sp. 254–291. Abdecker: siehe Nowosadtko 1994. Zu den Spielleuten vgl. Hartung. 203 Stone: eine heute noch in England gebräuchliche Gewichtsangabe (1 stone = 14 pounds).
Gesellschaftliches Gehabe und soziale Dynamik – 95 Gesichtspunkten dazu ein, den Aufgang der Renaissance und die Anfänge der weltlichen Poetik des norditalienischen Humanismus präziser zu überdenken.204 Einblicke in das bäuerliche und ländliche Leben vermitteln die Lieder des Neidhart von Reuental, die um 1210 bis um 1240 entstanden sein dürften. «Im Gegensatz zu den Werken der eigentlichen Minnesänger haben sich seine Lieder das ganze Mittelalter hindurch außerordentlicher Beliebtheit erfreut» (Lomnitzer in: Neidhart, S. 122). Entgegen aller höfischen Traditionen und Versuchungen entschied er sich für Bilder aus dem bäuerlichen Leben, stellte seine festlichen Szenen jedoch mit den Mitteln und den stilistischen Möglichkeiten der Minnedichtung dar und erreichte dadurch grotesk-satirische Wirkungen.205 Dabei spielt, neben anderen Themen, der vermeintliche soziale Aufstieg vom Bettler zum Herrn eine nicht geringe Rolle. Hinz und Kunz – der Ausdruck ist schon um 1300 formelhaft belegt206 – versuchen, es den Notablen gleichzutun und ein “Leben wie ein Fürst” anzustreben, dem verführerischen Traum des vivre comme un prince nachzuhängen.207 Bauern wirken dann eben über die Maßen lächerlich, wenn sie adeliges Gehabe imitieren. Im Rahmen eines Bauerntanzes fällt ein Teilnehmer auf: «Er ist beim Reigen stets der erste. Einen neuen Gurt, zwei Hände breit, hat sein Schwert. Überaus vornehm dünkt er sich wegen seines neuen Wamses», das aber aus Flicken genäht ist (Neidhart, S. 43). Den Bauernnarren verrät sein ganzer Putz. Bettler. «Bei der Untersuchung des Bettler-Motivs in der Literatur befremdet zunächst, daß man mit ihm eine ausgesprochen heitere Zone betritt. Der Bettler war in der älteren Literatur vorwiegend eine komische Figur» (Frenzel, Motive, S. 50–51). «Die Bettler-Lieder preisen Freiheit und Unabhängigkeit, das lustige, unbeschwerte Leben im Walde und auf den Landstraßen» (ibid., S. 53). Mit Bettlermasken tarnten sich auch schon griechische Götter und überirdische Wesen, um unerkannt Menschen auf die Probe zu stellen oder ihnen ihren Willen kundzutun.208 In der absurden Fabel Estula aus dem 13. Jahrhundert (es geht um einen angeblich sprechenden Hund) wird von zwei elternlosen Brüdern berichtet, «sans conseil de père et de mère, et sans autre compagnie. Pauvreté fut bien leur amie, car elle fut souvent leur compagne. C’est la chose qui tracasse le plus ceux qu’elle assiège: il n’est pire maladie» (Lagarde / Michard, S. 101–103; Zitat S. 101). Pauperis est numerare pecus: Nur arme Leute zählen ihr Vieh, wie Ovid sagte (Metamorphosen XIII, 824).209
204 205 206 207
260).
208
Dazu grundlegend die Untersuchungen von Witt 2000 und 2012. Sogenannte dörperliche Dichtung (mittelhochdeutsch dörper = Bauer). Hinz = Heinrich und Kunz = Konrad sind geläufige mittelalterliche Vornamen (Röhrich II, S. 721). Siehe zum Thema Boccaccios Geschichte vom Schicksal der Philippa Catanensis (De casibus, S. 256–
Frenzel, Motive, führt auf S. 64–65 weitere Literatur an. Die Belege beginnen allerdings erst im 16. und 17. Jh. zu fließen. 209 Zur Armut siehe: Mollat (1978) und die 1979 von Ovidio Capitani zusammengestellte Anthologie (mit Beiträgen von Mollat, Devisse, Graus, Bosl, Manselli, Violante, Miccoli und Werner).
96 – Strukturen und Träger der Gestik Pilger gehörten zu den täglichen Erscheinungen im mittelalterlichen Straßenbild. So konnte sich Meister Johannes Hadloub in der Manessischen Liederhandschrift unerkannt an seine Dame heranpirschen (Abb. 75), denn er mimte einen auf der Durchreise befindlichen Wallfahrer. Tristan begegnet zwei alten Pilgern: «Die sahen fromm aus, / alt und hochbetagt, mit langem Bart und Haar / so wie die echten Gotteskinder / und Pilger es oft haben. / Diese Pilger / trugen / Leinenkutten und solche Kleidung, / die Wallfahrern angemessen ist, / und außen an ihren Gewändern / waren Meermuscheln angenäht / und viele fremdartige Zeichen. / jeder von ihnen trug / einen Pilgerstab in der Hand. / Ihre Hüte und Beinkleider / waren ihrem Stand angemessen» (Tristan I, 2624–2639). Einsiedler und Eremiten sind Vertreter größter Armut und Entbehrung, die in den westlichen Literaturen namentlich Begegnungsfiguren sind, weit ab in Höhlen oder Hütten lebend. Wo der Einsiedler als Repräsentant eines höheren Willens gedacht ist, gerät eine solche Begegnung zu einem Höhepunkt der Handlung, «so in Bérols früher Fassung des Tristan-Stoffes (um 1180), wenn der Einsiedler Ogrin die beiden Liebenden an den Weg der Reue erinnert und sogar Isoldes Rückkehr an den Hof vermittelt, indem er sie mit entsprechender Kleidung versorgt» (Frenzel, Motive, S. 128–149; Zitat S. 132).210 Eremiten wirkten oft hingebungsvoll als Heiler. Hoch war der Lohn für die Pflege eines Aussätzigen. In der Sterbestunde sprach des Asketen Seele: «Ich danke […] euch Augen, daß ihr die Eitelkeiten der Welt nicht zu schauen begehrtet; euch, Ohren, daß ihr nicht ihre Nichtigkeiten hören wolltet; euch, Hände, daß ihr nicht nach sinnlichen Vergnügen langtet; euch, Füße, daß ihr nicht zu Eitelkeiten eiltet; dir, Nase, daß du Wohlgerüche verschmähtest; dir, Mund, daß du den Wohlgeschmack verachtetest. Daher sei auch du, mein Körper, froher Erwartung» (Klapper, S. 37).
Zigeuner erwähnen Chronisten in Europa zum ersten Mal im 14. Jahrhundert. 1322 werden sie auf Kreta erwähnt, 1347 auf Korfu, 1417 in Ungarn und Deutschland, 1422 in Bologna. 1427 erscheinen sie vor Paris. Um 1500 erreichen sie England. Das Parlament von Orléans beschloß 1561, Zigeuner mit Feuer und Schwert auszurotten. Sie standen im Ruf zu hexen. Feen und Geister flößen ihnen Angst ein, und sie fürchten die Nacht. Im spätmittelalterlichen Personalbestand des vorhandenen Bildmaterials können, soweit ich sehe, keine Zigeuner ausgemacht werden. Sie haben eher im volkstümlichen Theater Spuren hinterlassen. Hier folgten auf die inzwischen etwas abgegriffenen Ritterthemen nun Räuber-, Zigeuner- oder Tirolerstücke wie in Graubünden etwa Henkerssohn und Zigeunerkind (Richard Weiss, S. 206); Spielleute und Musikanten sind erst seit dem 16. Jahrhundert überliefert. 210 Auf erstere Szene könnte sich das Elfenbein in Darmstadt beziehen (1. H. 15. Jh., Abb.: Theo Jülich, Nr. 55).
Gesellschaftliches Gehabe und soziale Dynamik – 97 ❧ Glaube, Aberglaube, Wunder und Leiden. Beschäftigt man sich mit der Dekodierung der Körpersprache und mit Menschen, die sich nicht nur bewegen, sondern denken, trauern und feiern, leiden, sich kleiden, jagen, schmücken, lieben und musizieren, so liegt es nahe, auch nach den damit verbundenen Symbolen, nach dem innewohnenden Glauben und Aberglauben zu fragen. Sie lassen sich in lebendigen Redewendungen fassen. Was ist dabei Alltäglichkeit, was ist Rollenspiel, was nur ephemeres Theater, Pomp oder geistreiche, doch vergängliche Rabulistik? Darüber haben bereits mittelalterliche Dichter nachgedacht: Traum oder Wirklichkeit – und welche Wirklichkeit? Spiel oder Ernst, göttlicher oder schicksalhafter Auftrag, gar Scherz des Augenblicks? Sind es fiktive Rollenbilder? (Siehe Köhler 1956.) Hier befinden sich zahllose Anregungen für phantastische Geschichten, die in den Grenzbereich des Aberglaubens gehören. So die Vorstellung, daß Löwen keine Könige anfallen und fressen. Darauf beruft sich Chrétien de Troyes im Yvain ou le Chevalier au Lion. Der König der Tiere symbolisiert im religiösen Bereich Christus in Gestalt des Löwen von Judäa. In den Bereich des Aberglaubens und an die Peripherie der von Monstern heimgesuchten Welt gehören die “wilden Leute”, die, wie die Zwerge, überall sind, die jedoch noch keiner gesehen hat.211 Historia calamitatum. Als Beobachter dieses sich stets in Bewegung befindlichen theatrum humanum, das eben auch Leiden, Kriege, Seuchen, Hungersnöte, Krisen, Naturkatastrophen und Pest einschließt,212 verfaßten phantasiebegabte Schreiber in Echtzeit oder im Wunschtraum ihre Heldenepik (chansons de geste), Versromane nach antiken Stoffen (romans antiques), ihre höfischen Romane (romans courtois), Liebeslieder, Sprüche, ihre Historia calamitatum, ihre planctus. Ich nenne hier die französischen Bezeichnungen, da in den deutschsprachigen Gebieten Europas nicht allein die höfische Epik, sondern ebenso die Lyrik vorerst vor allem aus Frankreich rezipiert und übersetzt worden ist (Doutrepont; Bumke I, S. 25–26). «Es entstehen die innigsten Liebesgedichte und daneben eine Flut von Leerlauf, wie immer, wenn die Äußerung eines Gefühls zur gesellschaftlichen Konvention wird» (Peter Meyer 1947, S. 255). Seelisch gelitten hatte offensichtlich schon Walther von der Vogelweide, wenn er bereits in einer Jugenddichtung (um 1198) seine Zweifel formulierte: «Was frommt 211
Siehe Anm. 131. Die grauenvollen Seiten der Zeitspanne und die Schreckenswellen, die Europa seit dem frühen 14. Jh. erschütterten und von denen in der Kunst so wenig zu verspüren ist, hat Hagen Schulze, S. 43–45 zusammengefaßt. – Vgl. Élisabeth Carpentier, Autour de la peste noire. Famines et épidémies dans l’histoire du XIVe. In: Annales 17, 1962, S. 1062–1092. 1401 spielte man in Nantes, en salle royale, Theater «en ceste desplaisant et contraire pestilence de épidémie présentement courant en ce très crestien royaume, que pour passer partie du tempz plus gracieusement et affin de trouver esveil de nouvelle joye […]» (Doutrepont, S. 366–367). – Charles Sterling formulierte: «Unfähig, die Probleme des praktischen Lebens zu lösen, die sich in der damaligen Zeit stellten, wirtschaftliche, soziale, politische, ja selbst militärische Probleme, flüchtete das europäische Rittertum sich in den Traum» (Wien 1962, S. 77). 212
98 – Strukturen und Träger der Gestik die süße Rede? Was das Singen? Was frommt Frauenschönheit, was Reichtum? Seitdem sich niemand mehr um der Seele Heiterkeit müht, man ohne Scheu Böses tut und Treue, Großmut, Anstand und Ehrgefühl nicht mehr pflegt, seither kann mancher an der Möglichkeit verzweifeln, sein Glück zu finden» (Vogelweide / Stapf, S. 285). Walter von Châtillon schrieb in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in seinen moralischsatirischen Gedichten: «Die Menschen machen sich allerlei Sorgen, und so liegen die von Sorgen entstellten redlichen Tugenden verschmählt darnieder. Wir sind pfadlos irrende Wanderer, die sich um den Weg nicht sorgen, wir streben dem Verbotenen nach und begehren immer das Versagte. / Wir heutigen treten nicht in die Fußstapfen der Alten, die Ewigkeit des Himmelreichs zieht uns nicht an, sondern wir beeilen uns auf dem Weg zum Höllenfeuer, obgleich der Abstieg zum Avernus sowieso leicht ist» (Munari, S. 53 und 55).213
Ein unbekannter, wohl weltlicher Dichter des 14. Jahrhunderts weist darauf hin, daß die Grafen, die Herren der Erde, «beständig unter Waffen sind, was schwer auszuhalten ist, beständig sind sie unterwegs und in Kriege verwickelt – von solchem Elend zu berichten ist bitter» (Psalterium profanum, S. 523). Dies sind freilich nur Konturen eines intellektuell-profanen Hintergrunds, den einst eine resistente religiöse Folie überdeckte und sicherstellte. Das Christentum hielt und entwickelte sich nicht dank der Kraft der Erlösung, sondern auf Grund der Angst vor Schmerzen und der angedrohten Hölle; Rom forderte somit zur compassio auf und stellte die Leidensgeschichte Christi in den Vordergrund. Doch gleichzeitig mehrten sich Marien- und Heiligen-Wunder (Abb. 113) und bestimmten die Leidensfähigkeit des Menschen. Askese steigerte sich zur Leidensbereitschaft. Je weiter man jedoch zeitlich im 14. Jahrhundert emporsteigt, um so mehr fällt auf, daß das zentrale Thema christlicher Ikonographie, die Kreuzigung als Abschluß der Passion, im Bereich der dargestellten Qualen gemildert wird. Die Pathetik schwindet in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Sie wird zur pluralistischen Schaustellung. Die zahlreichen Anwesenden auf Golgatha finden sich in ihr Schicksal. Die heiligen Frauen werden zu einer Gruppe anonymer Klageweiber. Während Magdalena das Kreuz umarmt, schmähen die Juden den Toten, diskutieren und würfeln um seine Kleider. Das erzählerische Detail beginnt auch hier zu überwiegen. Der volkreiche Kalvarienberg überbordet, wird zum Spektakel, zum Theater, zur Schautafel.214 Zahlensymbolik. Nach Pythagoras ist bekanntlich “alles nach Zahlen geordnet”, oder: «Die Zahl ist das Wesen aller Dinge.» Im Christentum handelt es sich um die geheimnisvoll-religiöse Deutung der Zahl über ihren wirklichen Rechenwert hin-
213
In dieser und den 15 weiteren Strophen wird der letzte Vers der einzelnen Strophe, die sogenannte auctoritas, die ein Klassikerzitat bildet; im hier zitierten Fall nach Ovids Amores III 4, 17 (Munari, S. 58). 214 Kalvarienberg der Familie Wasservass (Köln; um 1420–1430) sowie in den Kalvarienbergen in Warendorf und Darup (Westfalen): Köln 1974, S. 42 und 44. – Zur Theorie des Narrativen: Bal 1980 und 1985.
Garderoben für Kleidung und Travestie – 99 aus. «Die Zahlensymbolik ist der gegebene Maßstab von Raum und Zeit und hat so Anteil an deren mystisch-religiösen Bedeutung, ja ist geradezu deren Ausdruck.»215 In den hier verwendeten Bildbelegen findet sich keine aus dem Üblichen fallende diesbezügliche Symbolik. Bemerkenswert ist, daß die von den Schriften vorgegebenen Zahlen genau eingehalten werden, so im Ingeborgpsalter in der Darstellung Moses, der die Gesetzestafeln zerstört (Abb. 13): Die assistierende Figurengruppe besteht aus zwölf Figuren; es ist die Volksgemeinschaft der zwölf Stämme Israels. Im Marientod sind elf Apostel zugegen (Deuchler 1967, Tafel XXX), eine Zahl, die (aus Unachtsamkeit) nicht immer eingehalten wird. Zwölf ist auch die Anzahl von Riwalins Gefährten: «er bedorfte dô dekeines me / er haete her hie mite genuoc» (Tristan, 471–473).
Garderoben für Kleidung und Travestie Kleidung und Kostümierung. Eingangs wurde anhand einer Szene aus der Vie de saint Omer, um 1080, auf das Fehlen einer standbietenden Bühne hingewiesen (Abb. 2). Manche Künstler umgingen das Problem insofern, als sie bei sitzenden Figuren nur deren Zehenspitzen malen, auf die Wiedergabe ganzer Füße verzichten, mit langen Gewändern überdecken oder verhüllen, sie gleichsam verkleiden. Die Körper verschwinden auf Knöchelhöhe hinter rahmenden Lettern, denn es handelt sich oft um Initialenornamentik: So gestalten das Problem etwa der erfindungsreiche Miniator Neri da Rimini und seine Werkstatt im frühen 14. Jahrhundert.216 Erst mit der allmählichen Beherrschung der Perspektive löst sich das Dilemma schrittweise auf. Dies hat Konsequenzen für die gesamte Bilddramaturgie. Eine in die Tiefe führende Standfläche, die zu einem suggerierten Innenraum oder einem begrenzten Außenraum gehört, zwingt den Maler, seine Figuren auf diesen Boden zu beziehen und sie zu befestigen; die Bekleidung kann zu schwingen beginnen und setzt neue rhythmische Bewegungen frei.217 Primäre Aussagen vermitteln zeitgenössische Texte, wie etwa Gottfried von Straßburgs Beschreibung Tristans: «Alles an ihm war herrlich, was einem Ritter zum Lobe gereicht. Sein Körper und seine Kleider entsprachen einander wunderbar – beide gemeinsam bildeten sie einen einzigen vollendeten Ritter» (Tristan, 11096–11101). 215 Josef Hasenfuß, Zahlensymbolik. In: LTHK X, Sp. 1303–1305. – Zur Zahlensymbolik im Märchen: Lüthi 1960, S. 33. Vgl. auch: Ernst Bindel, Die geistigen Grundlagen der Zahlen. Eine lebendige Einführung in die Kulturgeschichte der Zahl (1958). Köln 2011. 216 Vgl. Ausstellungskatalog Neri da Rimini. Il Trecento riminese tra pittura e scrittura. Mailand 1995. – Gudrun Dauner, Neri da Rimini und die Rimineser Miniaturmalerei des frühen Trecento. München 1998. 217 Ich gehe hier nicht auf die Bekleidung und Kostümierung im antiken und byzantinischen Herrscherzeremoniell ein. Für Byzanz aufschlußreich Konstantin Porphyrogenetos’ Zeremoniebuch: Albert Vogt, Constantin VII Porphyrogénète: Le Livre des Cérémonies, 3 Bde. Paris 1935–1939. – Neue allgemeine Grundlagen zur Beschäftigung mit dem Thema bietet Anne H. van Buren (1927–2008) in ihrer postum erschienenen Publikation Illuminating Fashion, begleitet 2011 von einer Ausstellung in der Morgan Library & Museum, New York. Allein auf Grund des stupenden Bildmaterials wird dieser Katalog hilfreich bleiben.
100 – Strukturen und Träger der Gestik Kleidung kann zur Verkleidung werden und Mitmenschen täuschen – seit Odysseus’ Heimkehr. Sigmund übergibt den toten Sinfiötli dem als Fährmann verkleideten Odin, der ihn übers Meer bringt. Verkleidungen als fahrende Händler und als Pilger fanden früher schon Erwähnung. Saladin wird, als zyprischer Kaufmann verkleidet, von Herrn Torello geehrt und bewirtet: so im Decamerone Boccaccios (II, S. 814). Kleidung deutet auf die geographische Herkunft der Träger hin. Der Hirte, der in Euripides’ Iphigenie als erster Orestes und Pylades erspäht hatte und dies nun Iphigenie berichtet, wird von ihr gefragt: «Woher sind sie? Welch Volk verrät ihr Kleid?» (256). Der Hirt antwortet: «Hellenen sind’s. Das weiß ich und sonst nichts» (257).218 Im Lai du Cor von Robert Biket heißt es: der Bote «erkannte die zehn Könige an ihrer prächtigen Kleidung» (Lange / Langosch, S. 299). Isidor von Sevilla widmete in seinen Etymologiae ein ganzes Kapitel «de proprio quarundam gentium habitu» (XIX, 23). Es werden unter anderem aufgezählt die Parther, Gallier, Germanen, Sarden, wobei auf völkische Benennungen der Kleidungsstücke und deren Sonderheiten eingegangen wird. Im Kapitel XIX, 28 behandelt der Verfasser die Farben: «de coloribus vestium». Dann kommt er auf den Kleiderschmuck (XIX, 30) und den Kopfputz der Frauen zu sprechen: «de ornamentis capitis feminarum» (XIX, 31); es kommen noch Ringe und Gürtel zur Sprache. «Aus dieser Lebens- und Erlebnisnähe versteht sich die Wichtigkeit und Eindrücklichkeit der Symbolik des Kleides» (Lunin, S. 10), denn das Kleid reflektiert den sozialen Stand des Trägers. Es ist Kennzeichnung einer bestimmten Stufe in der persönlichen Entwicklung oder eines Verhältnisses innerhalb des Sozialen. Lunin nennt Initiation, Hochzeit, Investitur, Ordination. Verkleidung. Der verkleidete Mensch gibt sich selbst auf. Das von ihm getragene Kleid bestimmt ihn (bis in den Maskenball); so auch im Alltag. «Das Kleid, der soziale Rang und die Konvention berauben ihn seiner Freiheit» (ibid., S. 2). Wenn er sich kostümiert, spielt er eine ihm nicht zustehende Rolle. Verkleidung liegt vor, wenn fremdländische Kleider getragen werden. Dies geißelte bereits im 7. Jahrhundert vor Christus der Prophet Zephanjas: «Die Großen kleiden sich nach fremder Mode und üben fremde Sitten […]» (1, 8–9).219 Aus den Prozeßakten der Jeanne d’Arc (1456) geht hervor, warum die später heiliggesprochene Märtyrerin Männerkleidung trug und eine historische Hosenrolle spielte. Robert de Baudricourt verschaffte Jeanne, auf ihr Ansinnen hin, «Mannskleider, Schwert und Begleiter» (Schirmer-Imhoff, S. 83). Sie trug somit «unanständige Klei218 Ich zitiere nach der Übersetzung von Georg Finsler, Euripides. Iphigenie bei den Tauern, hrsg. von Bernhard Zimmermann. Stuttgart 1998 (= DRAMA, Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption, Bd. 6). 219 Zit. nach Curt Kuhl, Israels Propheten. Bern 1956, S. 81. – Für Importstoffe aus dem “Welschland” siehe S. 115. – 1337 verbot Edward III. in England allen Untertanen (außer dem Hofstaat), importierte Textilien zu tragen (Frieder Waugh, S. 15). – Zu Kleidung und Verkleidung: Borst 1979, S. 191–203. – Was den Hang zum Ausländischen (und zum Geld verschleudern) anbetrifft, erinnert man sich der Entrüstung des Marcus Cato über fremdländischen Luxus in Rom, worüber Polybios (XXXI 24) berichtet.
Garderoben für Kleidung und Travestie – 101 der». Ihre Haare nach Männerart zu schneiden, verstieß ebenso gegen «alle Schicklichkeit des weiblichen Geschlechtes»; sie hatte auch eine Rüstung (ibid., S. 88); sie trat vor ihre Richter und erklärte, daß sie dieses Kostüm freiwillig trage: «Es war schicklicher, da ich in der Umgebung von Männern bin» (ibid., S. 90).220 Kaiser Maximilian I. als Herkules und heiliger Georg. Am Ende des Mittelalters tritt die Verkleidung mit antikisierenden und christlichen Zügen nochmals und besonders deutlich im symbolträchtigen Gehabe Maximilians I. an den Tag. Der Kaiser unterstreicht seine moralischen Ansprüche und fördert damit seine Vorbildhaftigkeit; er ist Geschichte. «Der Kern der literarischen Werke, die Maximilian in Auftrag gibt […] ist [insofern] ‘historisch’ […], als die Darstellung von ‘Geschichte’ ihr Ziel ist, genauer: der historischen Persönlichkeit, die allein ‘Geschichte’ macht» (Müller 1982, S. 80). Ein Flugblatt aus dem späten 15. Jahrhundert stellt Maximilian als Hercules Germanicus vor. Der Einblattholzschnitt zeigt im oberen Bildfeld den Herrscher als antiken Helden. Im unteren Teil des Blattes reitet Maximilian mit zwei Begleitern, als populares bezeichnet, von denen der eine die Fahne von Burgund trägt. Zu Füßen ist sein Wappen mit dem Goldenen Vlies dargestellt.221 Als Georg erscheint Maximilian mehrfach, vielleicht eine burgundische Tradition. Bereits sein Schwiegervater, Karl der Kühne, ließ sich auf Fahnen als heiligen Georg darstellen (Deuchler 1963). Für Maximilian sind die Holzschnitte Hans Burgkmairs und das Flachrelief von Hans Daucher in Wien (Kunsthistorisches Museum, Abb.: Deuchler 1983, S. 140 und 141) die bekanntesten. Weitere Notate zur Travestie. Der Verkleidete nimmt im Rollenspiel Haltungen (habitus) ein, die nicht oder noch nicht die seinen, das heißt wesensverbundenen sind. Assoziierung und Identifizierung des Souveräns mit antiken Helden – als untadelige Menschenideale gleichgestellt mit Heiligen oder Weisen – besitzen eine Vorgeschichte. Im Altertum wird unter allen Göttern und Heroen Herkules am häufigsten als Vorbild herangezogen – bei den Römern bis zu Commodus. Der genuesische Admiral und Doge Andrea Doria ließ sich um 1533 von Agnolo Bronzino als Neptun malen (Mailand, Brera).222 Karl I. und Gattin feierten sich als Apoll und Diana (Gerard van Honthorst, Hampton Court: Keller 1970, Abb. 25). Elisabeth I. trat als Astraia (Yates 1947) sowie als Diana und Minerva auf (Strong, S. 109 und 112 [E. 14] und S. 138 und 140 [Med. 23]), Ludwig XIV. als Apoll oder Endymion, die Frauen seines Hofes als Juno, Thetis, Hebe, Ariadne oder als Najaden. Als der Marquis van der Veren, in dessen Diensten der Maler Mabuse stand, für Kaiser Karl V. einen triumphalen Empfang (in Oudenaarde?) vorzubereiten hatte, 220
[…].» 221
Dies stand auch im Widerspruch zu Moses 5, 22, 5: «Ein Weib soll nicht Mannesgewand tragen
Für die thematische Aufschlüsselung siehe: Deuchler 1983, S. 136–137. Keller 1970, Abb. 19 b. Kommentar: S. 124–125. Dazu: George L. Gorse, Committenza e ambiente alla “corte” die Andrea Doria a Genova. In: Esch / Frommel, S. 255–271 und Abb. 52. Zu Doria als Reinkarnation eines neuen Neptuns vor allem S. 258–261. – Doria / Neptun von Baccio Bandinelli, 1537/38, als Statue auf dem Domplatz von Carrara: ibid., Abb. 49 und 50, und von Leone Leoni 1541/42: Abb. 55. 222
102 – Strukturen und Träger der Gestik kleidete der Gastgeber seine Dienerschaft in weißseidenen Damast. Carel van Mander schreibt (ich kürze ab): «Mabuse, der oftmals Mittel und Wege suchte, um Geld für seine verschwenderische Lebensweise zu bekommen, erreichte es, daß man ihm – in der Meinung, er würde sich ein Gewand auf seine Weise eigenartig machen lassen – den Damast vor der Verarbeitung auslieferte, worauf er den Stoff verkaufte und das Geld durchbrachte. Was aber nun? Als der Tag des festlichen Empfangs herannahte, ging er dran, nahm schönes weißes Papier, und ließ sich einen Rock daraus machen, den er mit Damastblumen und hübschen Ornamenten verzierte.»
Als dann der Festzug an dem Fenster des Kaisers vorbeikam, fragte der Marquis den Kaiser, welchen Damast er am schönsten finde, «worauf der Kaiser diesen des Malers bezeichnete, welcher durch seine reine weiße Farbe und seine schöne Blumenmusterung alle andern an Pracht des Anblicks übertraf.»
Beim anschließenden Mahl betastete der Kaiser das Gewand: er fühlte nur das Papier. «Als ihm darauf der Handel erzählt wurde, hatte er großen Spaß daran und mußte herzlich lachen» (S. 203 und 205).
Anders gelagert sind die Probleme des Kryptoporträts. Es handelt sich um Bilder von Heiligen oder Assistenzfiguren in religiösen Darstellungen, «denen die Gesichtszüge lebender Personen verliehen worden sind, wodurch sie in einer Art von ‘öffentlichem Geheimnis’ zu Bildnissen werden».223 Schminke als Verkleidung. Die Geschichte von Pontia, die sich verhängnisvoll bis zur Unkenntlichkeit schminkte, ist eine mittelalterliche Erzählung: «Einst lebte ein Weib, das immer gegen den Willen ihres Mannes ihr Gesicht schminkte [depingebat faciem suam]. Als sie das wieder einmal an einem Festtage getan hatte und ganz anders aussah [quasi altera appareret], fragte sie ihr Mann, wo denn sein Weib Pontia sei. Sie entgegnete ihm: ‘Bekreuzige dich und empfiehl dich Gott! Ich bin doch dein Weib Pontia!’ Er aber erwidert: ‘Du bist es nicht. Mein Weib ist brünett [fusca et bruna], du aber bist blond [tu uero es alba], mein Weib hat ein blasses Gesicht [pallida], und du bist rot [rubea].’ Da spricht sie: ‘Bei Gott, ich bin dein Weib Pontia.’ Darauf erwiderte er: ‘Wenn du es bist, dann werde ich mal versuchen, ob ich die Farbe, die ich in deinem Gesichte sehe, wegbekommen kann.’ Und er machte sich einen Strohwisch und packte sie bei den Haaren – denn Hörner hatte sie nicht –, und begann ihre Wangen zu reiben, bis das Blut kam. Unterdessen rief sie unaufhörlich: ‘Ich bin 223 So Gerhart Ladner, Die Anfänge des Kryptoporträts. In: Deuchler et al. (Hrsg.),Von Angesicht zu Angesicht, S. 78–97; Zitat S. 78.
Garderoben für Kleidung und Travestie – 103 dein Weib Pontia.’ Und als er sie genügend gescheuert hatte [qua bene fricta], sprach er: ‘Nun seh ich endlich, du bist Pontia, mein geliebtes Weib.’»224
❧ Lachen, Humor und Spott. Nach Cicero (De oratore II, 235) ergeben sich für den Redner, was das Lachen anbetrifft, fünf Fragen. Sie gelten gleichfalls für den bildenden Künstler: einmal, was es ist; zum andern, woher es kommt; drittens, ob der Redner den Wunsch haben soll, Heiterkeit zu erregen; viertens, wie weit er gehen soll; fünftens, welche Arten des Lächerlichen es gibt (quae sint genera ridiculi). Das Lachen ergreift den Körper, den Mund, die Adern, die Augen, die Miene. Das Lächerliche (ibid., 236) ist im wesentlichen bestimmt von einer gewissen Häßlichkeit (turpitudo) und Mißgestalt (deformitas). Der Stoff des Absurden liegt in den Fehlern, die im Leben der Menschen vorkommen (ibid., 238). Dabei verbietet sich nicht nur eine geschmacklose Äußerung, vielmehr muß man als Redner bei einer besonders komischen Gelegenheit zweierlei vermeiden, nämlich, daß der Witz possenhaft oder übertrieben wirkt. Rabelais meint eingangs im Gargantua (Aux lecteurs): «Rire est le propre de l’homme.» In den von uns herangezogenen Denkmälern wird nicht “gelacht”. Die Gesichter bleiben, wie mehrfach notiert, ernst und verschlossen. Das berühmte und meist falsch interpretierte sourire de Reims ist nicht ein Lachen im heutigen Sinn, selbst kein Lächeln, sondern sublimer Ausdruck eines état d’âme (motus animae). Quintilian formulierte zum Thema: «Denn ich glaube nicht, daß jemand befriedigend erklären könnte – so viele es auch versucht haben mögen –, woher der Lachreiz kommt, den nicht allein eine Handlung oder Bemerkung, sondern zuweilen auch eine Körperbewegung auslöst. Außerdem hat das, was zum Lachen bringt, keinen einheitlichen Grund; denn man lacht nicht nur über treffende und amüsante, sondern auch über törichte, zornige und ängstliche Bemerkungen und Handlungen, und deshalb läßt sich kein klarer Grund angeben, weil es vom Lachen zum Auslachen nicht weit ist: quod a derisu non procul abest risus» (Quintilian VI 3, 7).225
Im Roman de Renard, um 1200, prägen satirische Züge den Inhalt. Das Laientum in Gestalt des Fuchses siegt über die Unwissenheit und Gier der Kleriker. Die provenzalische Poesie entfaltete eine eigene Gattung von Trotz- und Hohnliedern. Gervais du Bus, Le Roman de Fauvel (1310–1314), ist eine Schrift, welche die korrumpierte Gesellschaft zur Zeit von Philippe le Bel geißelt. Darstellungen der Verspottung Christi enthalten 224
Klapper, S. 151–152. Lateinischer Text: S. 350–351. Der Text stammt wohl aus den Jahren um 1300. Zum Lachen: Quintilian VI 3, 1–112. – Röhrich II, S. 917–918 (mit Lit.). – HDA V, Sp. 868–884. – Ménrad 1969. – Charles Lalo, Esthétique du rire (Paris, 1949). 225
104 – Strukturen und Träger der Gestik unzählige Gesten, die wohl zum täglichen Gebärdenrepertoire gezählt haben dürften und zum Teil bis heute in Anwendung geblieben sind. So etwa das Maulaufreißen mit den beiden Zeigefingern: das “Gähnmaul” (Röhrich I, S. 497–498 mit Belegen).226 Gerhard Schmidt weist, was die Kategorie des Humors anbetrifft, auf ein Beispiel im Weltgerichtstympanon in Schwäbisch-Gmünd hin (um 1355): «Hier stößt man inmitten des turbulenten Auferstehungsvorganges auf Einzelszenen, die ebenso von konkreter Vorstellungskraft wie von Humor zeugen: etwa auf den Konflikt zwischen einem bärtigen Alten, der seinen Sargdeckel aufklappen möchte, und einer jungen Frau, die sich – von anderen Auferstehenden auch ihrerseits behindert – auf ebendiesen Sargdeckel stützt und ihn dabei niederdrückt. Das lautlose Geschrei des empörten Alten und die Geistesabwesenheit des Mädchens stellen Mimik und Gesten der beiden Figuren so präzise dar, daß man einer Szene aus einer Stummfilmkomödie beizuwohnen glaubt. Ein Betrachter, der sich hier – ungeachtet des eschatologischen Themas – das Lächeln nicht verkneifen konnte, tat dem Meister gewiß nicht unrecht: Die erheiternde Wirkung war in diesem Fall zweifellos genauso beabsichtigt wie bei den possenhaften Intermezzi der Mysterienspiele» (Schmidt 1984, S. 14).227 Lug und Trug. Odysseus erkannte man in Ithaka nicht. Tristan kam als Schiffbrüchiger unter falschem Namen in Dublin an. Als Tantris stellte er sich der Königin Isolde vor: «‘spilman, sag an, wie heizestuo?’ / ‘vrouwe, ich heize Tantris’» (Tristan, 7786– 7787). Die beiden Silben Tris und Tan werden einfach ausgetauscht. Die Voraussetzung fingierter Namen ist einerseits Betrug, andererseits Wunsch, das Wirkliche dem Imaginären zu unterwerfen und incognito seine Haut zu retten oder, als Pilger oder Händler verkleidet, sich seiner Geliebten anzubiedern wie in der Manessischen Liederhandschrift (Abb. 75, 76).228 Wortwitz und Bildwitz: Vom Sprichwort zur Bildmetapher. Althochdeutsch wizzi und mittelhochdeutsch witze (weiblich) meinen Wissen, praktischen Verstand und geistreiche Klugheit. Im älteren Sprachgebrauch verwendete man das Wort Witz (männlich) für rasche Auffassungs- und schlagfertige Beurteilungsgabe; ein Rest der Bedeutung stect noch in dem Ausdruck “Mutterwitz”.229 Geoffroy de Vinsauf schreibt 226
Siehe hierzu Röhrich I, S. 554–555. Weitere Beispiele bei Herkommer / Schüle: Abb. S. 75, 100 und 117: Maulaufreißerin als Denotatum der Bosheit; S. 123: Frosch als Maulaufreißer. – Das Bizarre der Drôlerie und das Fratzenhafte hat «als den Hintergrund, von dem es sich abhebt» (Peter Meyer 1947, S. 261), den Normalfall zur Voraussetzung. 227 Eine “komische” Figur in mittelalterlichen Spielen ist beispielsweise Joseph, der in Intermezzi das Publikum zum Lachen bringt, da er sich, durch die Ereignisse in Bethlehem überfordert, bloßstellt und den geschäftigen Alten spielt. 228 Das klassische Nachschlagewerk ist Emil Weller, Lexicon Pseudonymorum. Wörterbuch der Pseudonymen aller Zeiten und Völker oder Verzeichnis jener Autoren, die sich falscher Namen bedienen. 11858; 21886; Reprint Hildesheim 1963. – Im späten Mittelalter ist die Latinisierung (oder Gräzisierung) des Namens geläufig: Georg Bauer = Georgius Agricola; Albert Graf von Bollstädt = Albertus Magnus; Konrad Bickel = Celtis; Philip Schwartzerd = Melanchthon; oder der Mathematiker und Astronom Johann Müller (1436–1476) aus Königsberg in Bayern = Regiomontanus. 229 Allgemein zum Thema “Text und Bild” siehe die Literaturangaben bei Bumke II, S. 843–844.
Garderoben für Kleidung und Travestie – 105 in seiner Poetria nova (um 1216) im Kapitel Documentum de modo et arte dictandi et versificandi (§ 163–169) im § 167: «Um einen Witz herauszuarbeiten, muß man zwei rhetorische Figuren an geeigneter Stelle benutzen, nämlich die occupatio und die praecisio. Um eine occupatio handelt es sich, wenn wir sagen, wir wollten nicht sagen, was wir sagen. Dies geschieht auf zweierlei Arten; entweder so: Was soll ich über deine Statur sagen, von welch auffallend schönem Äußeren du bist, wie dein Wuchs dem eines Zwerges, dein Bauch dem eines Ochsen gleicht? – Oder so: Jener Lotterdiener (will sagen Gottesdiener); diese Rechtsbrecher (will sagen Rechtsprecher); diejenigen, welche in dem Verbotenen lesen (will sagen in den Geboten lesen, aber die Zunge ist feucht und gleitet daher leicht aus).»230
Eine bestimmte Wortwahl und Satzverbindung verknüpfen Vorstellungen und trennen sie sogleich wieder, wobei jedoch der über den bloßen Klangwitz hinausgehende Sachwitz eine Beziehung zur wirklichen Zusammengehörigkeit der Dinge sucht. Indem Worte Bedeutungen erhalten, die ihnen im Grunde nicht zukommen, wird doch irgendein scheinbarer Sinn ganz plötzlich enthüllt; je unmittelbarer dieser Übergang erfolgt, desto schlagender ist der Witz. Das Verkehrte einer wirklichen Sachlage wird bloßgelegt. Der Haupterfolg eines inhaltsreichen Witzes liegt in der Befreiung aus der gleichmäßigen Ordnung der Wirklichkeit und im doppeldeutigen Hinweis auf irgendwelche nicht tatsächlichen, aber denkbaren, doch meist unlogischen Verknüpfungen.231 Wir vermuten in der Manessischen Liederhandschrift zwei für den damaligen Benutzer sogleich erkennbare, wohl mit Spott unterlegte Bildwitze. Johannes Hadloub nähert sich als Pilger verkleidet – mit drei Jakobsmuscheln am Hut ausgezeichnet – seiner Dame (fol. 371recto) (Abb. 75). Die Miniatur folgt dem Text: «[…] Ich beobachtete sie, im Gewand eines Pilgers, so heimlich ich konnte, als sie aus der Mette kam. Da hatte ich voller Liebesklagen einen Brief, dran ein Angel war, den hängte ich ihr an, das war vor Tag, daß sie es nicht merkte» (Wehrli, S. 301–302). Er steckt ihr heimlich ein Brieflein zu. Aber in der Miniatur bemerkt sie es. Der Glöckner hängt die mißlungene Tändelei “an die Glocke“.232 In den Carmina Burana findet sich die Strophe: «Fama laetata novis hymenaeis, irrevocata ruit in plateis» («Es freut sich Fama neuer Liebesaffären, und unaufhaltsam geht sie auf allen Plätzen»; Psalterium profanum, S. 441). Der zu Pferde unverborgen überbrachte Liebesbrief (fol. 201recto und 261recto) ist ritterlicher. Ebenfalls in der Manesse-Handschrift läßt sich Herr Kristan von Hamle in einem faßähnlichen Bottich zu seinem Ziele hieven (Abb. 64). Daß der Liebhaber ausge230
Suchomski, S. 37 in dessen Übersetzung; Erläuterungen ibid., S. 237–238. Henri Bergson, Le rire (1900). Paris 1989. – Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (4. Auflage), Wien 1925. – Lutz Röhrich, Der Witz. Figuren, Formen, Funktionen (1977). München 1980. 232 Für das Glockenläuten: HDA V, Sp. 938–949 und Grimm VIII, Sp. 154. 231
106 – Strukturen und Träger der Gestik rechnet in einem kufenartigen Faß hochgezogen wird, läßt vermuten, daß assoziativ auch Zweideutigkeiten wie in Redensarten mitklingen: Das Faß, dessen ‘Boden bricht’; das ‘schlägt dem Faß den Boden aus’ (Materialien bei Röhrich I, S. 417–419). Seine Dame bedient, unter sichtlichem Kraftaufwand, die sternförmige Seilwinde. Das wirkt hochtechnisiert im Vergleich zu anderen Darstellungen, wie etwa dem Virgil im Korb auf dem gleichzeitigen Maltererteppich der Weiberlisten (um 1310/20) in Freiburg im Breisgau.233 Möglicherweise geht es in der Miniatur des Burchard von Wengen (Manessische Liederhandschrift) ebenfalls um eine List – jedoch eine ganz anderer Art (Abb. 67). Der Sänger tritt im gleichen Kleid zweimal auf. Rechts findet die innige Umarmung mit der Dame statt; dahinter steht er nochmals, erstaunt, mit hochgehobenen Unterarmen. Es heißt in der Fachliteratur, er sehe als vorausahnender Zeuge das bevorstehende Treffen wunschvoll voraus. Das Problem liegt jedoch in der unmittelbaren Gegenwart. Ein in flagranti ertappter Rivale, als Doppelgänger getarnt und identisch gekleidet, hat sich an seine Geliebte herangemacht. Der Zufall will es, daß der richtige Liebhaber soeben seines Weges kommt. Die Begleiterin außen rechts – ein seltener Beleg für ein “stummes Spiel”234 – scheint sich des Betrugs in diesem Augenblick bewußt zu werden. Daß hier ein zeitlich verschobener, doch synoptisch dargestellter Handlungsablauf vorliegt, scheint mir fraglich.235 Vermitteln diese Bildbelege tatsächlich mit Spott instrumentalisierte Bildwitze, so muß an Jacob Burckhardts Bemerkungen in Die Kultur der Renaissance in Italien erinnert werden: «Das Korrektiv nicht nur des Ruhmes und der modernen Ruhmbegier, sondern des höher entwickelten Individualismus überhaupt ist der moderne Spott und Witz, womöglich in der siegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürsten und Große einander mit symbolischem Hohn auf das Äußerste reizen, oder wie der unterlegene Teil mit höchster symbolischer Schmach beladen wird […]. […] Der Witz [beginnt] eine Waffe zu werden, und die provenzalische Poesie 233 Abb.: Röhrich II, S. 873. Die Bildtradition geht bis zu Wilhelm Buschs Das gestörte Rendezvous (Abb.: ibid., S. 872). Der Schwank von Virgil, «den die Tochter des Kaisers dem öffentlichen Spott preisgibt, indem sie ihn unter Vorspiegelung eines Liebesabenteuers in einem Korb sitzend zu sich heraufziehen will, ihn jedoch auf halber Höhe bis zum Morgen hängen läßt», findet sich etwa auch in der Satire Geuchmatt von Thomas Murner, bei Röhrich abgedruckt (II, S. 872–874). – Es handelt sich um Virgil den Zauberer, Gestalt der mittelalterlichen Volkssage. Diese hat den Dichter Virgil mit zauberischen Kräften ausgestattet und auf ihn zahlreiche orientalische und antike Wundergeschichten übertragen. Die Sage entstand wohl erst im 12. Jh. – Mit welchen Werkzeugen und Tricks man Türme erklimmen kann, schildert kenntnisreich der Hausbuchmeister (Waldburg-Wolfegg, Abb. 42). 234 Die Formel: Ein Darsteller begleitet die Aktion (oder die Rede) der Mitspieler, um seine gefühlsmäßige Beteiligung zum Ausdruck zu bringen. 235 Man muß sich allerdings ebenso die Frage stellen, ob es eine wohl einzigartige Darstellung des Doppel-Ichs sein könnte. Es gibt Fälle, in denen das Doppelbewußtsein – die Spaltung des Ichs in Sein und Erscheinen – einen schroffen Wechsel des Vorstellungsbesitzes vollzieht. Auf Grund von Gefühlen, Stimmungen und Idealen entstehen zwei verschiedene Charaktere in einem Menschen. Ein solcher Umschlag kann durch seelische Erschütterungen eintreten, wenn man, angesichts der erstaunt erhobenen Hände, der Darstellung diese Erklärung zu unterlegen geneigt ist. Siehe: Max Dessoir, Das Doppel-Ich. Berlin 1896.
Requisiten der Zeitdarstellung – 107 entwickelt eine eigene Gattung von Trotz und Hohnliedern; auch den Minnesängern fehlt gelegentlich dieser Ton nicht, wie ihre politischen Gedichte zeigen.» In der Anmerkung führt Burckhardt weiter aus: «Das Mittelalter ist außerdem reich an sogenannten satirischen Gedichten, allein es ist noch nicht individuelle [Hervorhebungen Fl. D.], sondern fast lauter allgemeine, auf Stände, Kategorien, Bevölkerungen usw. gemünzte Satire, welche denn auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Niederschlag dieser ganzen Richtung ist vorzüglich die Fabel von Reineke Fuchs in all ihren Redaktionen bei den verschiedensten Völkern des Abendlandes» (S. 144–145).
Was Burckhardts Beobachtung anbetrifft, so hätte man bereits hier in der Manessischen Liederhandschrift einige aufschlußreiche und eben ad personam bezogene zeitliche Vorläufer von Spott-Darstellungen. Ein weiteres Beispiel sei angefügt: Hartmann von Starkenberg als Vulkan; seine Dame sorgt für Trank und Stärkung (Abb. 74; vgl. Abb. 108). Er schmiedet nicht eine Rüstung, so mehrfach irrtümlich interpretiert, sondern er bearbeitet – ohne Esse – das Kinnreff seines Helms, das zum Schutz des Unterkiefers dient. Mit einer Zange bringt er das – vielleicht im Turnier angeschlagene Objekt – in eine Kipplage, um den Schaden besser aushämmern zu können. Möglicherweise ist er hier, wie der Volksmund sagt, als “Schmied seines Glücks” am Werk; er nimmt “sein Schicksal selbst in die Hand” (Röhrich III, S. 1375).236
Requisiten der Zeitdarstellung Der Augenblick. Die Momentaufnahme. Leonardo da Vinci war 1508 überzeugt: «Der Augenblick ist zeitlos. Zeit entsteht in der Bewegung des Augenblicks, und die Augenblicke sind Endpunkte der Zeit. Der Punkt hat keine Ausdehnung. Die Linie ist der Durchgang des Punktes; und die Punkte sind Ende der Linie.»237 Augenblick und Schnappschuß gehören zur Schilderung rasch vollzogener Handlungen: Sturz der Schlachtpferde in der Stickerei von Bayeux (Abb. 119), Hinrichtungen mit durch die Luft fliegenden Köpfen der Opfer (Ferdinando Bologna, Tafel 30); der Engel, der Abraham in den Dolch fällt; Kindermordszenen; ausgegossenes Wasser, Figuren im freien Fall – wie in einer Wunderszene des Beato Agostino von Simone Martini (Siena, um 1328; Frugoni, S. 66). Der einfallsreiche Bildhauer am Regensburger Dom (Westportal im Südturm) läßt um 1340/45 im Tympanonrelief das Gefängnis Petri einstürzen, um dem Engel den Befreiungsakt zu ermöglichen (Apostelgeschichte 12, 6–11). Der Wunsch nach einer perfekten Anpassung an den undankbar spitzbogi-
236 Vgl. fol. 381recto, wo auch der Dichter Regenbogen als Schmied vorgestellt wird. Thema und Bildschema gehen bei Hartmann von Starkenberg auf den Besuch von Venus in der Esse Vulkans zurück (Abb. 108). 237 London, British Library, Codex Arundel. Hier zit. nach Holländer, S. 182, der sich für Zitat und Übersetzung seinerseits auf Leonardo da Vincis Philosophische Tagebücher, hrsg. von Giuseppe Zamboni, Hamburg 1958, bezieht.
108 – Strukturen und Träger der Gestik gen Rahmen des Bildträgers hat den Steinmetzen dazu inspiriert; eine bemerkenswerte Leistung (Abb. 87).238 In Bildern dargestellte Körpermotorik verharrt immer im Schnappschuß, im instantané einer virtuellen Bewegung, die ihren Ursprung hat und ein Ziel verfolgt. Gestik im Bild ist nonverbale Zeichensprache, die sich in erster Linie an den Beschauer wendet und dann, wenn man weiter“liest”, zu einem innerbildlichen Handlungsvorgang gehört. In der Vorstellungskraft des Betrachters setzen sich diese erstarrten Momente in Bewegung um. Minimale mensurae temporis erlauben Handlungsansätze. Man erinnere sich an Moses im Ingeborgpsalter, der die Gesetzestafeln zerstört (Abb. 13). In Worte umgesetzt lautet die Abfolge schrittweise: Moses empfing die Tafeln am Berge Sinai; er kehrt zurück ins Lager und sieht sein Volk das goldene Kalb anbeten. Er vernichtet die Gesetzestafeln. Moses «ergrimmte mit Zorn» (2. Moses 32, 19). Dies nahm der Buchmaler ernst: wie stellt man “Zorn” dar? Die Lösung lautet: mit einer ausgefallenen Gebärde. Moses hätte die Tafeln einfach wegwerfen können. Die Schrift sagt lediglich: «er zerbrach sie unten am Berge» (ibid.). Das ist nicht mehr die Abfolge kapitelweise, sondern die Abfolge Wort für Wort: geballter Zorn, ausgedrückt in einer im Psalter einmaligen Körperdrehung. Die Tafeln sind in die Höhe gehoben; sie werden in wenigen Augenblicken in Trümmern auf dem Boden liegen. Unmittelbare Zukunft ist ins Bild miteinbezogen. Der Zufall. Boethius schreibt im fünften Teil seiner Schrift Trost der Philosophie: «So oft etwas […] um irgend einer Sache willen ausgeführt wird und aus irgendwelchen Ursachen etwas anders eintrifft als beabsichtigt war, wird dies Zufall genannt; wenn jemand den Erdboden durchgräbt, um den Acker zu bebauen, und eine Last vergrabenen Goldes findet, dann glaubt man, das sei irgendwie von ungefähr geschehen. In Wahrheit ist dies nicht grundlos so, sondern hat seine eigenen Ursachen; doch das unvorhergesehene, unerwartete Zusammentreffen von Ursachen erscheint als Zufall. Denn wenn der Bauer den Acker nicht umgegraben und wenn der Eigentümer nicht an diesem Orte seinen Schatz vergraben hätte, so wäre das Gold nicht gefunden worden. Hier also liegt die Ursache des zufälligen Gewinns darin, daß er aus Ursachen, die sich begegneten und zusammentrafen, und nicht aus einer gewollten Handlung herrühren. Denn weder, wer das Gold vergrub, noch derjenige, der den Acker bearbeitete, beabsichtigte, daß jenes Geld gefunden werden sollte; aber es traf, wie ich gesagt habe, überein und zusammen, daß wo jener eingrub, dieser ausgrub. So darf also bestimmt werden: Zufall ist das unerwartete Ergebnis eines Zusammentreffens von Ursachen in dem, was zu irgendeinem Zweck unternommen wurde. Daß aber die Ursachen so zusammentreffen und zusammenfließen, bewirkt jene Ordnung, die aus unvermeidlicher Verknüpfung hervorgeht und die, aus der Quelle der Vorsehung fließend, alles an seinen Ort und seine Zeit stellt» (V, 40–60).239 238 Die Inszenierung lautet wie eine Verkürzung der Darstellung in einem Reichenauer Perikopenbuch, um 1000 (Wolfenbüttel). Beiden Versionen ist gemeinsam, daß das Gefängnis als turmartige Architektur konzipiert ist. Abb. in: Lothar Schreyer, Die Botschaft der Buchmalerei aus dem ersten Jahrtausend christlicher Kunst. Hamburg 1956, Tafel XVI. 239 Ich zitiere die Übersetzung von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon, S. 231 und 233.
Requisiten der Zeitdarstellung – 109 Ein Bild des Zufalls, eines casus, liegt, wie soeben schon beschrieben, vermutlich in einer der Miniaturen der Manesse-Handschrift vor (Abb. 67). Es ist wahrlich ein Begebnis der besonderen Art, wenn der Liebhaber auf einen Doppelgänger trifft, der sich überdies an seine Dame heranmacht.240 Die Illustrationen der Liederhandschrift leben geradezu von – wie die Franzosen sagen – instantanés aus dem Leben der Dargestellten. Es sind ja keine fortlaufenden Handlungen wie in einer Chronik, sondern monographisch zugespitzte Momente, die sich auf einen glücklichen oder fatalen Augenblick im Leben des Individuums beziehen. Ein instantané erstens Ranges ist das Zersplittern der Lanze im Zweikampf (Abb. 52). «Keiner von beiden fehlte, beide trafen sie gut, so daß die Schäfte zerbrachen und die Splitter hochflogen»: so Heinrich von Veldeke, um 1160, über den Zweikampf zwischen Turnus und Pallas (Eneasroman, 201, 10–13). Zwischen Fiktion und Realität. Man sucht oft vergebens in der mittelalterlichen Malerei nach der Trennlinie zwischen Wirklichkeit und Täuschung. Es geht dabei keineswegs um die öfters erwähnten Anachronismen. Gefühle und Gedanken sind wandelbar; das Bildwissen gerät in Wallung. Das Problem – das heißt ihre Geschichte und Deutung – stellt sich namentlich in der vertrauten profanen Bilderwelt; Bibelzitate sind von solchen Überlegungen weniger berührt; Empathie-Bereitschaft ist auf Grund literarischer Vorlagen im voraus geregelt und gewollt. Mit einem Rückblick auf die Manessische Liederhandschrift geht es vor allem um die Findung der oft seltsam anmutenden Themen. Wie ernst wird der in die Illustration umgesetzte Stoff tatsächlich genommen? Werden verschlüsselte Gefühle angeboten? Wie weit handelt es sich um ein kryptisches Idiom der Liebe? Es geht ja eben nicht um Lebensläufe, sondern vielmehr um narrative Wagnisse, biographische Momente, die in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Es ergeben sich Neuheiten in der Bildthematik, zu der eine Sensationssteigerung des Augenblicks gehört. Der artifex verfügt hier über Hilfsmittel (adiumenta) sowie zusätzliche Ingredienzen. Wir beginnen mit dem Naheliegendsten, mit dem, was den Körper hautnah verhüllt und betont : mit Mode und Moden.
240
Zum Thema: Frenzel, Motive, S. 94–114. Für unseren Zeitraum in erster Linie S. 96.
Das dekorative Beiwerk Mode und Moden
Im Vordergrund steht das Bemühen, einerseits mit knappen Mitteln ein hohes Bildverständnis sicher zu stellen; es erreicht im Codex Manesse einen Höhepunkt. Andererseits ist zu bemerken, wie beiläufig zusätzliche Motive Einzug in die Bildgestaltung halten, die im ikonographischen Kanon keinen überlieferten Platz beanspruchen. Sie vermögen jedoch die Bildbedeutung und deren Stimmung zu beeinflussen. Gleichzeitig beginnen Frauen wie Männer, sich vielteiliger und bunter auszustatten; entsprechend verändert sich ihre Gestik. Sie unterstreichen das persönliches Profil und markieren optisch ihre zur Schau gestellten gesellschaftlichen Ambitionen. In diesem Kapitel geht es somit um zwei miteinander verbundene Aspekte: die Schmucksucht einerseits und andererseits des Menschen Lust und Freude am Schönen, selbst am Kunstvollen; wir haben eingangs darauf hingewiesen. Hier kann nun dem Gesagten eine weitere Bedeutungsschicht unterlegt werden. Henri Focillon stellte für die Pariser Elfenbeine fest, daß sich daran die Neigung der Besitzer, etwas künstlerisch Kostbares in den Händen oder auf dem Körper zu tragen, ablesen läßt: «Le goût apparaît, – le goût, cet élément moderne, cette expression des préférences d’une élite cultivée, cette combinaison d’un agrément supérieur et d’une mesure réfléchie, notion profondément étrangère à l’art épique des maîtres romans comme au génie monumental du premier art gothique et du grand XIIIe siècle. Les régions où se meuvent les visionnaires sont par delà le goût, et l’harmonie architecturale, iconographique et plastique des cathédrales réclame une définition plus haute. Le goût, au XIVe siècle, est déjà une forme du tact, de la sociabilité» (Focillon, S. 230).
Den unausweichlichen und gegenwartsbezogenen Gegenpol spielen übertriebene Süchte wie Angeberei, Imponiergehabe und Redundanz. «Statt mit Binsen oder Röhricht unser Haus zu bauen – obwohl uns das genügen würde – bauen wir uns Häuser aus gutem Material.» So Boccaccio. Und weiter: «Inwendig zieren wir sie mit Gold, Marmor, Elfenbein und köstlichen Gemälden. Unseren Leib, für den grobe Wolle und grobes Tuch gegen Regen und Wind genügen würden, bekleiden wir kostbar mit Samt, Seide, Purpurfasern, Gold und Edelsteinen. Beim Essen und Trinken, das die Natur so vollkommen für uns erschaffen hat, bemühen wir uns noch mehr um Ausschmückung und Verzierung der Tafel und der Gefäße. Wieviel Dinge tun wir täglich, um dem Ansehen unseres schändlichen und elenden Leibes zu dienen!» (Boccaccio I, S. 158).
112 – Das dekorative Beiwerk Boccaccios Text scheint nicht unberührt zu sein von Senecas Schrift De tranquillitate animi, hier in der Übersetzung von Bernhard Zimmermann: «Ich habe einen ausgesprägten Hang zur Sparsamkeit, das gebe ich gerne zu; ich brauche kein prunkvoll ausgestattetes Schlafzimmer, kein Gewand, das man in einer Truhe aufbewahren muß und an das schwere Verzierungen und tausenderlei Marterinstrumente, die Glanz verleihen sollen, angebracht sind; mir genügt ein einfaches Hauskleid, das man, ohne darum groß in Sorge zu sein, aufbewahren und anziehen kann. Ich brauche keine Mahlzeit, die eine ganze Sklavenschar vorbereiten muß, um danach zuzusehen, wie ich esse. Sie muß nicht viele Tage vorher in Auftrag gegeben sein und nicht von vielen Händen serviert werden; vielmehr muß sie leicht zu bekommen und herzustellen sein, nichts Versnobtes und Kostspieliges, sondern etwas, was man sich überall in der Welt beschaffen kann, keine schwere Kost – weder für das Vermögen noch für den Magen – und keine, die wieder hinaus will, wo sie hineinkam. […] Mir gefällt das schwere Silbergeschirr meines Vaters, eines Mannes vom Lande, das nicht mit dem Namen eines Künstlers aufwarten kann, und ein Tisch, der nicht durch reiche Maserung ins Auge sticht und nicht stadtbekannt ist, […] sondern der bloß zur Benutzung dasteht, kein Kunstgegenstand, der die Aufmerksamkeit eines Gastes fesseln, aber in ihm auch keine Neidgefühle erwecken kann» (Seneca / Zimmermann, S. 9–11). «Gewöhnen wir uns daran, dem Luxus aus dem Weg zu gehen und den Nutzen der Dinge nicht nach ihrem äußeren Glanz zu bewerten. Nahrung soll den Hunger stillen, Getränke den Durst, dem Geschlechtstrieb soll man nur da nachgeben, wo es nötig ist. Lernen wir, mit unseren eigenen Gliedmaßen auszukommen und in Kleidung und Lebensweise uns nicht nach der neuesten Mode zu richten, sondern wie es die Tradition nahelegt» (ibi., S. 50).241
Seit dem späten Mittelalter äußert sich in der Dekoration der Innenräume diese Lust (die Seneca verpönte) – vor allem in aufwendigen Wandbehängen. In einem rondeau von Charles d’Orléans heißt es: «Les fourriers d’Esté sont venus / Pour appareiller son logis, / Et ont fait tendre ses tappis / De fleurs et verdure tissus.»242 Zum Schmuck der kahlen Mauern dienten Tapisserien, die, wie Teppiche, von Residenz zu Residenz im Gepäck mitgeführt werden konnten.243 Darstellungen im textilen Bereich steigern sich zu immer üppigeren Bildern. Die bereichernden Realismen haben, wie in der Malerei, mit dem Grundgedanken der faktisch-bezogenen Bildaussage oft nur noch wenig zu tun. Das nebensächlich Gezeigte füllt anekdotenhaft die zur Verfügung stehenden Flächen. Bilderfindungen sind darauf bedacht, alltägliche und somit urmenschliche Seiten des Geschehens einzubeziehen. Sie werden in der frühen niederländischen Buch- und Tafelmalerei Triumphe feiern (Stundenbuch der Katharina von Kleve). Kleinste Zugaben, dem wirklichen Leben abgeschaut, auf den ersten Blick oft kaum zu erkennen, ergänzen die dem Auge dargebotenen, meist historisch verstandenen Inszenierungen, die trotz Zeitgenössischem eine Vergangenheit meinen, gleichzeitig aber als “lebendes Bild” 241
Vgl. Goethes “Zugabe” Von der Physiognomie im Januar 1775 (Goethe I.2, S. 458). Robert Bossuat, La Poésie lyrique au Moyen Âge. Paris 1936, S. 96. – Die «fourriers d’Esté» vermag ich nicht zu entschlüsseln. 243 Und selbst auf Kriegszüge mitgeführt und zur Beute wurden; siehe Deuchler 1963. 242
Mode und Moden – 113 derzeitige Gegenwart und Alltag implizieren; sie werden zum eigenen, das heißt persönlichen “Erfahrungsraum” (Koselleck). Des Künstlers Logik und Phantasie können nachempfunden und verstanden werden, wenn sich den Königen auf dem Zug nach Bethlehem beispielsweise ein viertes Pferd mit Knappen zugesellt, um die Geschenke zu transportieren (New York 1940, Tafel 8b); später werden es ganze triumphale Züge sein. Kritik am Schmuck. Was nun das auf dem Körper getragene Beiwerk anbelangt, welches den Bekleideten zusätzlich ziert und bisweilen überbordend zu profilieren sucht, so hat bereits 808 Karl der Große eine Kleiderordnung zur Mäßigung erlassen. Die Vielzahl gleichlautender oder ähnlicher Regelungen aus Kanzleien späterer Obrigkeiten lassen allerdings erahnen, daß sich offensichtlich niemand daran gebunden fühlte; jedermann suchte sich regulierten und gleichmacherischen Normierungen der Mode zu entziehen.244 Dabei waren vor allem Frauen im Visier, die, wie schon im Alten Testament bezeugt, zu Übertreibungen neigen: «Weil die Töchter Zions hoffärtig sind und im Gehen den Kopf hoch tragen und mit den Augen nach der Seite blinzeln, weil sie trippelnd einhergehen und mit ihren Fußspangen klirren, wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions kahl machen und der Herr wird ihre Schläfe entblößen. An jenem Tag wird der Herr die ganze Pracht wegnehmen: die Fußspangen, die Stirnreife und Möndchen, die Ohrgehänge, die Armketten und die Schleier, die Hauben und die Fußkettchen, die Gürtel, die Riechfläschchen und die Amulette, die Fingerringe und die Nasenringe, die Feierkleider und die Mäntel, die Umschlagtücher und die Beutel, die Spiegel, die feinen Zeuge und die Hemden, die Turbane und die Überwürfe. Und statt des Balsamduftes wird Moder sein und statt des Gürtels ein loses Band, statt des Haargekräusels eine Glatze, statt des weiten Mantels der enge Sack, all dies statt Schönheit» (Jesaia 3, 16–24).
Veldeke schreibt anläßlich eines Festes, daß man selten verblichene (also abgetragene) Seidenstoffe, anderes billiges Zeug oder gar ausgetragene Kleider zu Gesichte bekam. Man sehe so viele neue Sachen, daß man die alten vergesse, denn das Neue sei schicklicher (Veldeke, S. 723). Die Menschen gehen, wie gesagt, nicht in die Öffentlichkeit, um zu sehen, sondern um gesehen zu werden, oder: «Schauen und Sich-beschauen-Lassen» (König, S. 46).245 In der Manessischen Liederhandschrift tritt Dietmar von Aist in der Verklei244 Siehe: Gertraud Hampel-Kallbrunner, Beiträge zur Geschichte der Kleiderordnungen mit besonderer Berücksichtigung Österreichs. Wien 1962. – Liselotte Constanze Eisenbart, Kleiderordnungen der deutschen Städte zwischen 1350 und 1700. Göttingen 1962. – Für Italien: Dora Liscia Bemporad, Gerarchie, privilegi e lusso nelle leggi suntuarie fiorentine. In: Florenz 2011/2012, S. 81–91. – Nürnberger Polizeiordnung (13. Jh.): Wentzlaff-Eggeberg I, S. 255–256. Siehe auch: Nürnberg 1976, S. XVIII–XXII: Inge Hebecker über Reichskleiderordnungen und ihre Folgen zur Zeit von Hans Sachs. 245 Literatur zu Kleidern, einzelnen Kleidungsstücken und Kleiderbeschreibungen und Stoffen: Bumke II, S. 821–823. – Frühe Zeugnisse bei Isidor von Sevilla: De lanis (über die Wolle), De coloribus vestium (über die Farben der Kleider). In Etymologiae XIX, 27 und 28. – “Kleider machen Leute”: Klapper Nr. 146 (Sicud homo ab extra videtur, sic iudicatur).
114 – Das dekorative Beiwerk dung eines fahrenden Händlers auf. Wohl unerkannt preist er seiner Dame verführerischen modischen Tand an: Beutel, Täschchen und Gürtel (Abb. 76). Haartracht und Bart. Im Dictionnaire raisonné du Mobilier français widmet Violletle-Duc der Coiffure einen seiner ausführlichsten Einträge (III, S. 178–253).246 Die Haartracht vermag das Kopfvolumen optisch zu vergrößern und zu verändern. Sie dient außerdem dazu, mentale Vorgänge visuell zu extrapolieren, vor allem, wenn die Haare zu Berge stehen oder zerzaust sind; haarsträubenden Männern geht man besser aus dem Wege (Abb. 50); so vielleicht auch die Verhaftung des Heinrich von Tettingen, im Codex Manesse, fol. 361recto. Ovid beschreibt, in der Übersetzung von Peter Brockmeier, weibliche Frisuren; sie gehören zu den Waffen der Frau: «Das Haar der einen möge auf beide Schultern herabwallen […]; eine andere möge ihr Haar zurückbinden nach der Art der hochgeschürzten Diana, wie sie es zu tun pflegt, wenn sie ängstliches Wild jagt. Dieser wiederum steht es, wenn das Haar etwas aufgebauscht und locker liegt, bei jener muß das Haar straff gebunden werden. […] Vielen steht auch eine nachlässige Haartracht. Oft möchte man meinen, es sei noch die Frisur von gestern; dabei ist sie eben erst nachgekämmt. Die Kunst ähnelt dem Zufall [ars casu similis]» (Ars amatoria 3, 141 ff.).
Rotes Haar ist nachgerade eine Strafe, in früheren Zeiten jedoch eine Auszeichnung (HDA VII, Sp. 802–803). Trau keinem Rotkopf, heißt es später: «Non tibi sit rufus umquam specialis amicus» (Ruodlieb, um das Jahr 1000; HDA III, Sp. 1250). Ruth Mellinkoff sammelte 1982 und 1984 Materialien zum rothaarigen Juden (Judas). Rote, blonde (wie oft in Volksliedern) und goldene Haare (in Märchen geläufig) zählen, als sekundäre Geschlechtsmerkmale, zu den bestrickendsten Attributen. Und die Männner? Neidhart von Reuental stößt sich an der Erscheinung eines gewissen Hildemar: «Habt ihr seine langen Ringellocken nicht gesehen, die da bis ans Kinn herunterhängen? Nachts sind sie in der Haube eingezwängt und sind ebenso blond wie Krämerseide. Durch das Schnüren in der Haube ist das Haar lockig. Eine ganze Hand breit aber steht es ab, sobald es nicht mehr gepflegt wird» (Neidhart, S. 71).247 Darstellungen bärtiger Männer gehen in die Antike zurück und haben somit in der christlichen Ikonographie Spuren hinterlassen. Ich erwähne nur einen Beleg: das Gesicht des heiligen Paulus, der, wie Erkinger Schwarzenberg aufgezeigt hat, ohne die in Sokrates-Bildnissen gegebenen Porträtelemente – samt Bart – undenkbar ist (Schwarzenberg 1996). Den Exegeten der Stickerei von Bayeux fiel die häßliche Haartracht der Normannen auf, so etwa Charles H. Gibbs-Smith: «One of the most conspicuous features of 246 Barttracht: Zusammenhängend dargestellt von Paul Post und Hans Wentzel in: RDK I, Sp. 1469– 1478 (mit Abb.). – Zum Haar: HDA III, Sp. 1239–1288. 247 Über das Haar konnte ein modisches Netz gelegt werden. Ein solches ist aus dem frühen 14. Jh. im Kunstmuseum Düsseldorf erhalten (Zürich 1991, S. 274). Eine Dame mit Haarnetz findet sich in dem CM, fol. 39verso.
Mode und Moden – 115 the Tapestry is the ugly hair-style adopted by many of the Normans, where the head is shaved bald at the back and almost to the crown» (S. 8). Schnurrbärte sind häufig. «It is interesting to note that though not all the English have moustaches, none of the Normans has one» (S. 9). Bemerkenswert sind die vier bärtigen Musiker in der Manessischen Liederhandschrift auf der Meister Heinrich Frauenlob gewidmeten Seite (Abb. 80).248 In der ikonographischen Tradition meinen Bärte hohes Alter (Weisheit oder Verantwortung) der Träger; so oftmals im Ingeborgpsalter (Abraham, Moses, Joseph). Bärte stehen bisweilen für den ganzen Mann, «sei es als Zeichen der Manneswürde bei Beteuerung und Schwur, in Beziehung zum Sprechen und Essen, als empfindliche Stelle beim handgreiflichen Streit, bei Liebkosungen und Schmeicheleien, als Zeichen der Trauer oder schließlich als Bild des Alten, Überlebten und Rückständigen» (Röhrich I, S. 151, mit weiteren Belegen). Kultur- und sozialgeschichtlich nicht minder aussagekräftig sind die «Funktionen der Kopfbedeckung und die Bedeutungen, die man ihr beimißt, sowie die Werte und Glaubensvorstellungen, die sich mit ihr verbinden. Mit der Kopfbedeckung kann manches ausgedrückt werden: die soziale Stellung, das Amt, das Alter, das Geschlecht, die Religionszugehörigkeit, ja sogar die Gefühle von Freude und Schmerz» (Röhrich II, S. 771, mit Literatur). Kopfbedeckungen. Die häufigste Kopfbedeckung der (üblicherweise verheirateten) Frau war das Gebende. Witwen trugen im Mittelalter vielerorts weiße oder helle Haubentücher. Bei Männern galten als kostbar der Schmuck mit Pfauenfedern sowie als Würdezeichen der mit Pelz besetzte Hut. Neidhart von Reuental ärgert sich ferner, um das obige Zitat fortzusetzen, über Hildemars Kopfputz: «Der trägt eine Mütze (hûben), die hat innen Schnüre und außen sind kleine Vögel aus Seide draufgestickt. Dafür hat manches Frauenhändchen seine Finger gerührt, ehe sie ausstaffiert war. Das wird jeder zugeben. Der aber muß sich meinen Fluch gefallen lassen, der sie ausgedacht hat und der die Seide und den Stoff aus dem Welschland einführte» (Neidhart, S. 71).
Behutet bewegt sich das Haupt anders als der Kopf eines Barhäuptigen. Kopfbedeckungen verändern im Rahmen einer geschickten Ins-Bild-Setzung die Silhouetten der Akteure. Den Hut ziehen heißt, eine ausladende Bewegung der Begrüßung in die Wege zu leiten. Damit verbunden ist meist eine dem Bückling angenäherte Neigung des Oberkörpers, bevor man, falls es sich um Damen handelt, zum Handkuß schreitet. Ein Hut paßt allerdings nur dann, wenn der Träger schön ist: Rual, Tristans Ziehvater, wurde ein Hut aufgesetzt: «Keinen anderen Mann kleidete er besser, denn sein Gesicht war schön» (Tristan, 4070–4071). Träger und Beiwerk hatten ästhetisch zu korrespondieren. So vermag das erhobene Haupt den visuellen Brennpunkt zu erobern und Beachtung zu gewinnen. Juden tragen nach Vorschrift einen spitzen 248
Für die Deutung der Darstellung siehe S. 149.
116 – Das dekorative Beiwerk Judenhut, so wie Süßkind von Trimberg, der einzige jüdische Minnesänger, in der Manessischen Liederhandschrift. Spitzhüte zeichneten sie als signum viventis aus.249 Schmuck, Ringe, Kränze und Bänder. In Ovids Metamorphosen erfährt man, wie Pygmalion seine von ihm aus Elfenbein geschaffene Geliebte – in der Phantasie des Dichters – schmückte: Der Bildhauer bringt ihr Gaben dar, «wie sie ein Mädchenherz erfreuen: Muscheln, geschliffene Steinchen, kleine Vögel, Blumen in tausenderlei Farben, Lilien, bunte Bälle und Bernstein, vom Baum getropfte Tränen der Sonnentöchter. Er schmückt ihr die Glieder mit Gewändern, die Finger mit Edelsteinen, den Hals mit langen Ketten. Am Ohr hängt eine zierliche Perle, an der Brust ein Geschmeide. Alles steht ihr, aber auch nackt erscheint sie nicht weniger schön. Er legt sie auf Decken, die mit sidonischem Purpur gefärbt sind […]» (Metamorphosen X, 260–267).250
Allen Ständen gemeinsam ist das Tragen von Ringen. Schon die Römer kannten den Verlobungsring. Ob sie allerdings so viele anelli trugen, daß sich nach der Schlacht von Cannae das Einsammeln von goldenen Fingerringen der toten Römer durch Hannibals Truppen wirklich lohnte (Abb. 111), bleibe dahingestellt. Mit diesem Detail mag zusätzlich auf die ungeheuren römischen Verluste an Elitetruppen angespielt werden – denn nur “Ritter” durften Goldringe tragen. Auch bei geballter Faust bleibt der Ring sichtbar.251 Der modische Wettbewerb beschränkt sich dabei im wesentlichen auf die sozialen Gruppen, «womit auch entschieden ist, daß dabei zumeist ein außerordentlicher Reichtum prunkend dargeboten wird» (König, S. 87). Walther von der Vogelweide erklärt: «Ich hab dich lieb, und dein Glasringlein ist mir wertvoller als der Goldreif einer Königin» («[…] und nim dîn glesîn vingerlîn für einer küneginne golt»; Vogelweide / Stapf, S. 333). Kränze im profanen Bereich sind Insignien mit antiker Vergangenheit. «Süße Minne, reine Minne, mach mir ein Kränzlein! Das soll ein stolzer Mann tragen, der Frauen wohl zu dienen versteht» (Carmina Burana; Wehrli, S. 35). Oswald von Wolkenstein singt: «Laß uns einen schönen Kranz machen, schimmernd von honigfarbnen, braunen, blauen, grauen, gelben, roten, weißen, veilchenfarbenen Blümlein» (Lieder, S. 11).252 Im Mittelalter übernehmen somit Kranz und Kranzspende neue symbolische Botschaften: die eingestandene Liebe zwischen Mann und Frau.253 «‘Nehmt Herrin, diesen Kranz!’, so sage ich zu einem schönen Mägdelein. ‘Dann seid Ihr mit diesen herrlichen Blumen, die Ihr auf dem Kopfe tragt, eine Zierde des Tanzes. Besäße ich 249 Frugoni, S. 135–136. – Bernard Blumencranz, Il cappello a punta. In: Carla Frugoni (Hrsg.), L’ebreo medievale nello specchio dell’arte cristiana. Rom / Bari 2003. 250 Übersetzung von Michael von Albrecht. – Annegret Dinter, Der Pygmalion-Stoff in der europäischen Literatur. Rezeptionsgeschichte einer Ovid-Fabel. Heidelberg 1979. 251 Ring in: HDA VII, Sp. 702–724. Ringfinger: HDA II, Sp. 1494–1495. 252 Kranz in: HDA V, Sp. 381–428. 253 Schmuck in: HDA VII, Sp. 1255–1264. Übergabe eines Kranzes in der Randdekoration von Joinville, Vie de saint Louis, um 1360 (Paris 1955, Nr. 114; Tafel XV). – Kranz in: Röhrich II, S. 881–883 (mit Lit.).
Textilien und Lederwerk – 117 die schönsten Edelsteine, sie gehörten – Ihr glaubt mirs doch – auf Euer Haupt’» (Vogelweide / Stapf, S. 339). Solche Äußerungen «haben etwas bezaubernd Junges, strahlenhaft Maienhaftes, sie sind zugleich süß und stark» (Peter Meyer 1947, S. 255). Die Illustrationen der Manessischen Liederhandschrift zeigen eine Reihe von Kranzübergaben: Herzog Heinrich von Breslau, dem als Turniersieger ein Kranz gereicht wird, Ulrich von Singenberg, Truchseß von Sankt Gallen, der vor seiner Dame in die Knie geht (fol. 151recto), der im Badezuber von Mädchen verwöhnte Jakob von Warte (Abb. 102) und der vom Pferde gestiegene Rudolf von Rotenburg (fol. 54recto). Das Band als Symbol der Zuneigung erwähnen öfters literarische Zeugnisse. Vor allem in der Minnedichtung begegnet es in den provenzalischen Liedern des Peire Vidal wie auch bei Arnaut de Caracasse. Hier erhält der höfische Ritter von der Dame seines Herzens außer einem Ring auch ein golddurchwirktes Band, als Zeichen der Freundschaft und Liebe sowie zum Schutz und als Glücksbringer. In der deutschen Dichtung erscheint um 1215 das Band bei Herbort von Fritzlar in seinem Liet von Troye: «durch der frouwen minne / truc er daz golt an siner hant / und ein guldin harbant / in den selben stunden / um sin houbet gebunden.» Daß die Vergabe von Bändern als Pfand verbreitet Brauch war, ist durch Geiler von Kaysersberg (1445–1510) bestätigt, der mit Belegstellen aus der mittelalterlichen Liebeslyrik an diesem Beweis von Bindung harsche Kritik übte (Röhrich I, S. 139). Brillen erscheinen in den Fresken des Tommaso da Modena im Kapitelsaal von San Nicolò in Treviso; das früheste bekannte Zeugnis. Er porträtierte 1352 Albertus Magnus als Träger einer Nietbrille. In deutschen Denkmälern erscheinen Brillen 1404 im Wildunger Altar von Konrad von Soest (RDK I, Sp. 1247, Abb. 1), «um den Schilderungen einen realistischeren Zug zu geben und einzelne Personen durch dieses Attribut in besonderer Weise zu charakterisieren» (ibid., Sp. 1248 mit weiteren Beispielen). 1535 fand in Nürnberg die Gründung der ersten Brillenmacherzunft statt. Der “Brillenmacher” erscheint zwar schon 1518 in Hans Sachs’ Eygentlichen Beschreibung Aller Stände: «Ich mach gut Brillen klar und liecht / Auff mancherley Alter gericht […].»
Textilien und Lederwerk Stoffe und Kleidung bezwecken in erster Linie den Schutz vor Wind und Wetter.254 Doch: «In Wahrheit ist die Mode ein universales kulturelles Gestaltungsprinzip, das nicht nur den Körper des Menschen im ganzen, sondern auch seine sämtlichen Äußerungsweisen zu ergreifen und umzugestalten vermag. Aus diesem Grund darf ihre kulturschöpferische Kraft nicht unterschätzt werden, wenn sie auch darum weder mit der Kultur im ganzen noch mit jener besonderen Erscheinung identisch ist, die 254 Schon Gott ist nach dem Sündenfall ein Kleidermacher (Genesis 3, 21): «fecit […] Adae et uxori tunicas pelliceas.»
118 – Das dekorative Beiwerk wir als ‘Stil’ bezeichnen» (König, S. 17). Und: «Viele Gebilde der Kultur entspringen zwar der Mode, zahlreiche vermeintliche Stile haben sich bei späterer Betrachtung als bloße Moden erwiesen. Darüber hinaus liegt aber gleichwohl in der Kultur wie im Stil ein Element der Dauer und der Beharrlichkeit über größere geschichtliche Räume, das der Mode im wesentlichen abgeht. Bei ihr überwiegt dagegen das Dynamische, so daß ihre Bedeutung für die Kultur meist dann besonders hervortritt, wenn plötzliche Bewegungsstöße ein althergebrachtes System umzuformen beginnen» (ibid., S. 17–18). Le Goff behandelt kurz die «signification sociale du vêtement» (S. 329–330). Fragen nach der Gestik und Fragen, ob die Kleidung die Gestik mitbestimmte, werden nicht gestellt. Viollet-le-Duc beschreibt in seinem Dictionnaire unter dem Stichwort Étoffes (III, S. 356–374) die verschiedenen tissus pour vêtements mit Quellen für die Herstellungsorte der Seidenstoffe, Zindeltaft (cendale), Purpur, Samtstoffe, Goldstickereien, Wollstoffe, Mischstoffe und so weiter. Bei einem königlichen Treffen sind diejenigen, die «des habits de laine» tragen, auffallend in der Minderzahl: «la plupart sont vêtus de soie. Que dire des vêtements? Il y en a en laine mais de couleur rouge; ce drap de laine est de l’écarlate. Les gens bien habillés sont nombreux. Personne n’a jamais vu deux cours plus riches: on ne peut rien souhaiter qui ne soit là» (Béroul, S. 110).
Für teure und kostbare Stoffe oder Gegenstände wird die Herkunft als zusätzliches Markenzeichen angegeben und so der entsprechende materielle Wert angedeutet, etwa bei Béroul: Beau drap gris de Ratisbonne (Regensburg) und toile de Reims (S. 102); le drap acheté à Nicée (S. 111); ein Kelch nach englischer Art («in engeloyser wîse»: Tristan, 8760). «Perlen aus dem fernen Morgenland» (Keller, Novellen, S. 120), Seide aus Alexandria (Hartmann von Aue, Gregorius, S. 67, 1052–1053).255 Mäntel gelten in erster Linie als Herrschaftssymbole, woraus sich ihre Bedeutung als Schutzmantel erklärt. Da der Mantel im imperialen Kontext unbegrenzte Macht symbolisiert, steigt er zum Weltenmantel auf, zum kosmischen Sternenzelt. Der vornehme, auch von Frauen getragene Mantel läßt sich über die Schultern werfen. Bereits vor 1000 bestand die Vorschrift, daß Frauen beim Kirchgang den Mantel über den Kopf zu legen hatten.256 Die Frau sollte dem Gottesdienst mit verhülltem Haupt beiwohnen, weil ihre Schuld die Sünde in die Welt brachte; Ersatz bot der Schleier. Ein Band, der Tasselriemen257, hält den Schultermantel fest. Eine höfische Geste ist das Festhalten des Tasselbandes mit dem Daumen, so der Herr von Kürenberg in der Manessischen Liederhandschrift (fol. 63recto) – ein Motiv, das sich bereits im Ingeborgpsalter (Abb. 16) und bei Villard de Honnecourt (Abb. 27 a), beim Bamberger 255 Ähnliche Herkunftsangaben bereits bei Ovid: Standbild «aus parischem Marmor» (Metamorphosen III, 419). 256 Er ist gefüttert, meist aus Fehfell. Sog. Fehwammen (grau-weiß-graues Bauchfell). Feh = sibirisches Eichhorn. Fehtafeln spielen auch als Wandbehänge und in der Heraldik eine Rolle. 257 Tassel = Schmuckschließe, scheibenförmige Befestigung des Riemens am Mantel (Tasselband).
Textilien und Lederwerk – 119 Reiter, um 1235/37 und, kurz nach 1280, auf der Grabplatte des Freiherrn Ulrich von Regensberg aus dem ehemaligen Zürcher Barfüßerkloster (Zürich, Landesmuseum) findet. Des Tasselbandes bedienen sich gelegentlich Damen, so in der Manessischen Liederhandschrift, wo die Angebetene von Engelhart von Adelnburg im fehgefütterten Mantel thront.258 Der Mantel steigert und profiliert mittels seiner zunehmenden Fülle den darunter befindlichen Körper. Er nimmt an Volumen zu und dient der Umrißvereinfachung und Steigerung des menschlichen Wuchses. Eindrückliche Momente finden sich bei Giotto und in Masaccios Carmine-Fresken. Durch ausgreifende Armgesten können mit geringen dramaturgischen Mitteln Monumentalisierungen der Figuren erreicht werden. Gürtel. Im religiösen Bereich dient der Gürtel, der die Kleider zusammenhält, als Symbol für Reinheit (Gürtel in: HDA III, Sp. 1210–1230). Er verbindet Vorstellungen von Binden und Lösen. Frauen erkennen darin Hinweise auf Liebe und Keuschheit. Marias Gürtelspende an Thomas ist Zeichen ihrer unberührten Liebe. Männer hingegen erkennen im Gürtel ein Symbol für Kraft und Herrschaft, so bereits im Gilgamesch-Epos («zu den Männern, herrlich mit Gürteln angetan»; Erste Tafel, V, 7). Nicht aus Anlaß moderner Theorien, sondern auf Grund uralter Erfahrungen und Überlieferungen besitzt die “Gürtellinie” eine nicht scharf trennende, jedoch eine abgrenzende Funktion. Unter ihr befinden sich die niederen Energien. Über ihr schlummern die verantwortungsvollen energetischen Kräfte, so vor allem der Arme (Gruß, Umarmung; Abwehr). Zum Gürtel mit der an ihm befestigten Habe gehört die sichernde Schnalle. Chaucer beschreibt in den Canterbury Tales einen gewissen Franklin – freier, doch nicht adeliger Landbesitzer – und seinen Gürtel: «A dagger and a little purse of silk / Hung at his girdle, white as morning milk» (Chaucer, S. 32). Bemerkenswert ist in der Manessischen Liederhandschrift Dietmar von Aist (Abb. 76), der verkappte Verkäufer von Gürteln und Beuteln.259 Schuhwerk ist insofern bemerkenswert, als es des Menschen Gangweise nicht nur mitbestimmt, sondern geradezu prägt. Es diktiert die Motorik des ganzen Körpers – bis in Wirbelsäule und Fingerspitzen, wenn es darum geht, das Gleichgewicht zu finden oder zu halten. Mit dem Schuhwerk hängt die Redewendung Vivre sur un grand pied, auf großem Fuß leben, zusammen. Sie ist in Frankreich entstanden und geht zurück auf Geoffrey Plantagenet, Graf von Anjou (1129–1151), der sich Schuhe mit überlängten Spitzen machen ließ, um eine Geschwulst zu verbergen. Da Geoffrey allgemein als Vorbild für modische Eleganz galt, wollte jedermann ähnlich große Schuhe tragen. Man sprach von chaussures à la poulaine, von Galions- oder Schnabelschuhen.
258
Mantel: HDA V, Sp. 1578–1591. – Die Anzahl der Knöpfe ist bedeutungsvoll (HDA V, Sp. 14–16). Ilse Fingerlin, Gürtel des hohen und späten Mittelalters. München / Berlin 1971. – Als häufiges modisches Beiwerk wird von den Damen am Gürtel ein Beutel getragen (Zürich 1991, S. 271–272). – Vgl. Neidharts Bemerkung über einen neuen Gürtel («zweier hende breit», S. 42/43). 259
120 – Das dekorative Beiwerk Über vergleichbares weibliches Schuhwerk hatte sich schon Sulzer gewundert: «Schuhe mit ellenlang hervorstehenden Spitzen, wie vornehme Frauen sie in dem XIII. und XIV. Jahrhundert trugen, sind doch eine absolute Ungereimtheit» (Sulzer III, S. 33; Kleidung). Im 14. Jahrhundert galt die Größe des Schuhwerks als Meßlatte für Ansehen und Macht eines Menschen. Maßeinheit war natürlich der Fuß. Schuhe eines Fürsten waren zweieinhalb Fuß, die eines hohen Barons zwei Fuß, die eines Ritters eineinhalb Fuß und die eines einfachen Bürgers einen Fuß lang. Auch die Absätze der Noblen waren leicht erhöht – im Gegensatz zu denen des einfachen Bürgers, der flache Schuhe trug – und zu tragen hatte. Unter Karl V. erlosch die Mode der genähten Schnabelschuhe.260 Als der Herrscher, Spanier der Abstammung und der Erziehung nach, die deutsche Kaiserkrone trug, «fanden manche spanische Sitten, Moden, Glaubenssatzungen, die den Deutschen bis anhin unerhört waren, in Deutschland Eingang. Damals kam die Redensart [Das kommt mir spanisch vor] auf, bezeichnend für ein, wenn auch geringes, doch bewußtes Fühlen der eigenen Art gegenüber aufgedrängtem fremdem Brauch. […] Bei Grimmelshausen heißt es im Simplicissimus: ‘Bey diesem Herrn kam mir alles widerwertig und fast Spanisch vor’.»261 Im erotischen Formenvokabular können Schuhe überraschende Bedeutungen gewinnen. Die Darstellung der Genitalien tritt einerseits zurück, die «Schamsperre wird immer intensiver». Sie «wird aber begleitet von einer ganzen Inflation symbolischer Darstellungen der Geschlechtsmerkmale, etwa in Form von Ringen und Spitzen. So ist etwa die Empörung, welche die übermäßig verlängerten Schnabelschuhe vom Ende des Mittelalters, oft mit extra angesetzten Spitzen, erzeugten, ganz einwandfrei auf ihre allgemein bekannte sexuelle Symbolik zurückzuführen. Manchmal war auch die Darstellung gar nicht symbolisch, sondern ganz naturalistisch, indem man dem Schuh einfach einen Phallus aufsetzte» (König, S. 54).262 Spiegel und Kästchen. Die erhaltenen mittelalterlichen Elfenbeinspiegel – die zu den Luxusgütern der Zeit gehören – sind noch nicht katalogisiert, doch bei Koechlin (1924) zum Teil abgebildet. Kohlhaußen (1928) stellte seinerseits die Kästchen zusammen. Ein klassisches coffret-Programm lautet etwa: 1. Ein “wilder Mann” und ein Ritter knien werbend um die Gunst einer Dame, die den “wilden Mann” widerwillig zurückweist. 2. Der “wilde Mann” entführt die Dame zu Pferde. Der Ritter folgt dem Paar in den Wald. 3. Der Ritter besteht den Zweikampf mit dem Rivalen und führt zu Roß die Dame heim. 4. Die Dame setzt dem Ritter einen Kranz auf.
260 Der mittelalterliche Schuh war nicht genagelt, sondern genäht (suere = nähen: sutor = Schuster; siehe auch Hans Sachs, Der Schuhmacher). – Kniestiefel konnten bemalt sein: «ir schuoch unz ûf daz knie ergât gemâl» (Neidhart, S. 84/85). – Zum antiken Kothurn: Pauly III, Sp. 318–319. 261 Röhrich III, S. 1494 mit weiteren Belegen. Ausführlicher: Grimm XVI, Sp. 1885–1888 (Spanisch, vor allem Sp. 1888, mit der Bedeutung fremd, wunderlich, unverständlich). 262 Zum Thema “Kleid und Scham” siehe Lunin, S. 10–12. – Vgl. Schuh in: HDA VII, Sp. 1292–1353.
Textilien und Lederwerk – 121 Beischriften klären den Zweck eines geschenkten Kästchens, wie auf demjenigen aus Wil (Sankt Gallen) in Basel.263 Schatullen sorgten vornehmlich der heimlichen Aufbewahrung von Schmuck; sie waren meist abschließbar. ❧ Turnier- und Kriegsrüstung. Auf die hier anfallenden Gestik-Probleme gehe ich nicht ein, da die Fachliteratur in Ausführlichkeit auflistet, was für einen Zweikampf (Tjost) oder für ein Massenturnier (Buhurt) an Rüstungen und Waffen notwendig war.264 Die Bewegungen der Ritter im Wettkampf folgen genauen Regeln, arten dann aber in der Hitze des Kampfes aus, wie in der Manessischen Liederhandschrift (Abb. 51). Als pars pro toto sei an die Ausrüstung des jungen Tristan erinnert. Gottfried von Straßburg bietet ein Inventar der einzelnen Teile, so wie er sie aus eigener Anschauung kannte, und welche die Ausrüstung des frühen 13. Jahrhunderts wiedergeben: «Tristan […] begann, sich mit einem Ringpanzer alsbald zu rüsten, so gut er konnte. Körper und Beine schützte er sorgfältig und in einem Stück. Darüber legte er eine feine Rüstung, zwei Beinlinge und einen Brustpanzer, die waren hell und leuchtend, weil der Meister seinen ganzen Eifer und sein ganzes Können hineinverarbeitet hatte. Zwei kräftige, vornehme Sporen schnallten ihm sein Freund Marke und sein getreuer Helfer mit weinendem Herzen um. Seine Waffenriemen band er sich alle eigenhändig um. Ein Waffenrock wurde gebracht, der war, wie ich hörte, mit Sticknadeln im Webrahmen an den Kanten und Falten überall von Damen mit fremdartiger Pracht entworfen und noch prächtiger ausgeführt worden. […] Darüber gürtete ihm Marke ein Schwert. […] Das paßte gut zu ihm und steckte an seinem Platz, so angemessen, daß es sich weder auf noch ab bewegte, sondern nur dorthin, wo es hingehörte. Ein Helm wurde ihm gebracht, der war hell wie ein Kristall, rein und fest, der prächtigste und beste, den je ein Ritter hatte. Ich glaube, ein so guter Helm kam noch nie nach Cornwall. An seiner Spitze war ein Pfeil, Symbol der Liebe, das sich danach mit Liebe an ihm ganz erfülllte, wenn es auch noch lange dauerte. […] Ein Schild wurde auch gebracht. Auf den hatte eine geschickte Hand all ihren Eifer verwendet. Er war ganz silberweiß, damit er passend zu Helm und Rüstung sei. Er war auf Hochglanz poliert [gebrûnieret] und mit einem leuchtenden Schimmer versehen, ganz wie ein neues Spiegelglas. Darauf war ein Eber geschnitten, meisterhaft und ganz aus kohlschwarzem Zobel» (Tristan, 6535–6616).
Partner im Kampf und Wettkampf war das Roß. Der “Ritter” geht nicht zu Fuß, sondern reitet, selbst für geringe Wegstrecken, das gesattelte Tier; negative Bedeu263
Kohlhaußen, Nr. 42. – Hamburg 1963, Nr. 52. Zur Geschichte der Turniere und zu ihrer Darstellung in der höfischen Dichtung hat Bumke II, S. 827–828 die maßgebliche Literatur zusammengestellt. Ich weise hier bloß auf die entscheidende Bedeutung der Steigbügel hin: Lynn White, The Origin and Diffusion of the Stirrup. In: White, Medieval Technology 1962, S. 14–28. – Zur Rolle der Pferde: Klaus DeuchlerII). – Matthias Senn, “Der turnay macht gesellen gut”: Turnier und Bewaffnung. In: Zürich 1991, S. 163–171, gibt einen Überblick. – Zu den burgundischen Turnieren: Cartellieri, S. 127–142. 264
122 – Das dekorative Beiwerk tungen sind selten: «Seid nicht wie die Rosse und Maultiere, die nicht verständig sind, welchen man Zaum und Gebiß muß ins Maul legen, wenn sie nicht zu dir wollen» (Psalm 32, 9). Im soeben zitierten Text Gottfrieds folgt die Beschreibung von Tristans Pferd, «weder in Spanien noch anderswo wurde je ein herrlicheres gezüchtet» (Tristan, 6660). Die Vertrautheit des Ritters mit seinem Roß läßt, wie früher angedeutet, Zweifel an den anatomischen Kenntnissen des/der Grundstockmeisters/in in der Manessischen Liederhandschrift aufkommen.
Requisiten der Bildbühne und Architekturkulissen Bühnenartige Bildelemente, als Hintergrundausstattung verstanden, finden sich in Theateraufführungen. Man wüßte gerne, wie die älteste erwähnte gemalte Bühnenwand ausgesehen hat, die Sophokles 468 vor Christus erstmals in Athen eingeführt hatte.265 Kulissen geben allgemein Informationen über die Handlungsorte. Die mansiones mittelalterlicher Bühnen präzisieren und definieren mit Architekturen oder Innenräumen, gar Landschaften – wenn oft nur mit einem baumähnlichen Zeichen angedeutet –, die zur dramaturgischen Temperatur und somit zur Stimmung und Aussagekraft notwendigen Requisiten. Wie in der Malerei: Kulissen sind auf entscheidende und aussagekräftige Bauelemente reduziert, um erkennbar zu machen, was als Kirche, was als Schloß oder Burg zu verstehen ist. Einfachste Architektursignale finden sich in der Manessischen Liederhandschrift; Anspielungen genügen. Arkadenförmige Bogenreihen meinen Innenräume. Zinnen weisen auf befestigte Burgen oder dienen bei Turnieren als Zuschauertribühnen. Der Glöckner im Turm und das Kreuz auf der Dachspitze besagen, daß die Architektur als Kirche gelesen und verstanden werden soll (Abb. 75). Ein an der Bildleiste einwärts aufgehängtes Schwert vermag einen Innenraum als Handlungsort anzudeuten. Ansätze zu diesen Erweiterungen und Differenzierungen der Architekturphantasie können schon in der frühen Dichtung geortet werden, wenn Marie de France (Lai de Lanval) sagt: «Die Königin stand aufgestützt an einem Fenster, dessen Rahmen mit in Stein gehauenen Bildern verziert war» (Lange / Langosch, S. 289). Zierstoffe, Teppiche, Tapisserien. Die Hochgotik des 14. und frühen 15. Jahrhunderts ist ein textilbesessenes Zeitalter – nicht nur in der modischen Kleidung, sondern auch in der Ausstattung der Innen- und Außenräume, kirchlich und profan; Tapisserien waren leicht transportierbar. Bei einem Treffen wurde vor Artus’ Zelt ein Teppich ausgelegt: 265 Darüber und über die gleichzeitigen dramaturgischen Veränderungen in der attischen Tragödie (u. a. zwei, dann drei Hauptdarsteller, die Dialoge über den Chor hinaus mit Einzelpersonen gestatteten) siehe Franz Stoessl in seiner Einführung zu Aischylos. Die Tragödien und Fragmente. Zürich 1952, S. 7–42.
Requisiten der Bildbühne und Architekturkulissen – 123 «Un tapis de soie et de brocart gris fut placé devant la tente du roi. Il était finement brodé de figurines d’animaux. On l’étendit sur l’herbe verte. Le drap avait été acheté à Nicée [Nicaea].»
Darauf breitete man alle erreichbaren Reliquien und ihre Behälter aus: «Il n’existait pas de reliques en Cornouailles, dans les trésors ou des phylactères, dans des armoiries ou dans des coffres, dans des reliquaires, des écrins ou des châsses, dans des croix d’or, d’argent ou dans une masse, qui ne furent placées sur le brocart, rangées et disposées dans l’ordre» (Béroul, S. 111).
Es wird dabei ein Bezirk, einem asylon oder temenos ähnlich, aus der nichtartikulierten (heidnischen) Umwelt ausgegrenzt und in die Sphäre geistlicher oder imperialer Symbolik gehoben. Ähnlich ist der Vorgang in Veldekes Eneasroman: König Latinus läßt einen Kreis abstecken und einen Teppich auf das Gras der Wiese breiten. «Darauf wurde eine kostbare und prächtige Seidendecke gelegt. Aufs höchste rühmten sie alle, die sie erblickten. Darauf lagen seine Götterbilder, auf die sie schwören sollten, die dort [im Zweikampf] gegeneinander antreten wollten, Eneas und Turnus» (Veldeke, S. 651). Bei Festbeschreibungen gehören auserlesene Textilien topisch zur Erzählung. Auf den Teppichen lagen Decken aus Samt, Seide und Dimit (ibid., S. 723). Im Burggebäude selbst waren die Wohnräume ausstaffiert mit seidenen, breiten, langen und kostbaren Wandteppichen (ibid.). Das Neue und Neuartige findet Betonung. Motive aus der Natur machen Innenräume zu Außenräumen; so bis in die italienische Renaissance hinein, wo “gotische” Vorbilder bewährte und langlebige Strahlkräfte zu entfalten vermochten. Unter den Innenraumbildern nehmen zwei Typologien Sonderstellungen ein: Schlafgemächer als persönliche Audienzorte, in denen empfangen oder Handschriften sowie Geschenke den Auftraggebern überrreicht werden konnten,266 und Studierzimmer (studioli) der Gelehrten; hierüber einige ergänzende Notate. Bibliotheken und Bücher als Attribute des Gelehrten. Es geht hier um Schauplätze und ihren Symbolcharakter. Noch heute lassen sich Intellektuelle gerne vor einer Bücherwand ablichten: im Hintergrund stehen aufgereiht ihre Werkzeuge, die in ihrem Leben und in ihrer Arbeit eine Rolle spielen oder gespielt haben; denen sie sich, wie Handwerker ihrem täglichen Rüstzeug, verpflichtet fühlen. Entsprechende, weit zurückreichende Bildtraditionen umfassen Darstellungen antiker Schriftsteller mit ihren rotuli, Evangelisten und Kirchenväter mit ihren codices.267 266 Van Buren, Tafel 29, F.72, S. 119. – Paris 2004II, S. 120–123. – Pierre de Salmon, des Königs Sekretär, schreibt in seinen Demandes et réponses au roi Charles VI von dem kränkelnden Herrscher: «allongé sur son lit dans l’attitude coudée du malade ou du mélancolique» (S. 122). 267 Doch gibt es auch die Banausen, von denen Seneca bereits spricht, die ihre Bücher nicht aus wissenschaftlichen Zwecken aufstellen, «sondern für die Zurschaustellung», wie es die meisten Ignoranten tun, «die ihre Nase kaum jemals in ein Elementarbuch gesteckt haben, Bücher nicht Hilfsmittel der Wissen-
124 – Das dekorative Beiwerk Ich denke hier also nicht an allgemein zugängliche Bibliotheken. Gemeint ist das private studiolo, in dem sich Wissen und neue Gedanken häufen. Es handelt sich ebensowenig um einzelne Buchattribute (Christus; die lesende Maria; Betende mit Breviaren; das Buch bei höfischen Widmungen), sondern um die indirekt ins Bild gesetzte geistige Arbeit des Gelehrten, der lesen und selbst schreiben kann. Herr Reinmar von Zweter in der Manessischen Liederhandschrift diktiert seine Eingebungen – die Kopfhaltung deutet darauf hin – zwei assistierenden Skribenten – auch einer Frau! –, die das Gesagte auf ein Wachstäfelchen ritzen sowie auf einer Banderole festhalten (Abb. 45). Was die hier verwendete Gestik anbetrifft, so geht es meist um intensives Schreiben. Tommaso da Modena malte 1352 Albertus Magnus in seinem studiolo (Treviso, Kapitelsaal von San Nicolò; Oertel, Abb. 122). Er zeigt sich allerdings nicht bei der Schreibarbeit, sondern lesend, in nachdenklicher Pose, den Zuschauer ins Auge fassend.268
Die Wahl der Farbe Farben sind für die Bildinszenierung – und nicht nur im Mittelalter – wesentliche Komparsen; so auch für die Gestik, die sie maßgeblich zu modulieren verstehen. Der Begriff der Farbe (color) beinhaltet seit dem 14. bis ins 17. Jahrhundert hinein mehrere Bedeutungen.269 Vor allem hat man zwischen color in der Malerei und color in der Musik zu unterscheiden. Ersterer stimmt weitgehend mit dem modernen Begriff überein. Color in der Musik besagt jedoch etwas anderes: die farbige Hervorhebung einzelner Noten mit Farbe, das heißt die Färbung.270 Rote Noten können den Wert einer Note um die Hälfte ihres Wertes verlängern. Auch die Dichter erweisen sich als dankbare Farbenbeschreiber: «Wie schön der Heide ihre bunte Farbe steht» («manicvalter varwe»; Vogelweide, S. 437); «Die Welt erstrahlte gelb, rot und blau, grün im Walde und auch anderswo» (Vogelweide, S. 355). Signalfarben. Farben in Kleidung und Mode haben vor allem eine Wiedererkennungsfunktion.271 Darunter fallen, da heraldisch so gewollt, die Pferdedecken der Ritter: schaft, sondern Dekorationen für ihre Speisesäle sind […]. ‘Es ist doch moralisch vertretbarer’, erwiderst du, ‘sein Geld für Bücher als für korinthische Gefäße und Gemälde zu verschwenden’» (Seneca / Zimmermann, S. 53). 268 Zum Thema: Andrea Hülsen-Esch, Gelehrte im Bild. Repräsentation, Darstellung und Wahrnehmung einer sozialen Gruppe im Mittelalter. Göttingen 2006. – Buch als Attribut: RDK II, Sp. 1339–1343 (mit Lit.). – Zur Brille: siehe oben S. 117. – Im Kapitelsaal handelt es sich um 40 Bildnisse berühmter Dominikaner. 269 Für die Frühzeit siehe Isidor / Etymologiae: de coloribus (XIX, 17). – Zu den mittelalterlichen Farbenlehren zusammenfassend vgl. RDK VII, Sp. 166–182. Hier auch Materialien zur Frage nach den Beziehungen zwischen Farbe und Temperament (Sp. 182). 270 Erläuterungen in: Musiklexikon I, S. 559–560. – Mit Lit.: Gilbert Reaney, Color. In: MGG II, Sp. 1566– 1578. 271 Allgemein: Farbe in: HDA II, Sp. 1189–1215. Zur Farbensymbolik: ibid., Sp. 1197–1203. – Zu den liturgischen Farben und deren Symbolik: LCI II, Sp. 7–14; Michel Pastoureau, Bleu. Histoire d’une couleur. Paris 2006, S. 34–37 und 89–90 (siehe Anm. 276). – Zur Gesichtsfarbe: Röhrich I, S. 414.
Die Wahl der Farbe – 125 «Manege decke snêwîse, gel, brûn, rôt, grëne unde blâ» («Manche Decken waren schneeweiß, gelb, violett, rot, grün und blau»; Tristan, 666–667). Das gilt ebenso für Personen, individuell wie kollektiv: «Die Mitglieder ein und derselben Gruppe vermögen es, sich an ihrer einigermaßen ähnlichen äußeren Erscheinung wiederzuerkennen. Als Extreme finden wir hier die Uniform und überhaupt das uniforme Verhalten, das in bestimmten Gruppen eine wichtige Rolle zu spielen berufen ist» (König, S. 57).272 Während der Reformation äußerten sich vielfach die Prediger zu den Farben, die man unter moralischen Gesichtspunkten für Christen entweder als würdelos oder als erhaben befand – und dies nicht nur innerhalb der Kirche, sondern für alle guten Bürger im Alltag. Schwarz, Grau, Weiß und Blau gehören zu letzterem Personenkreis. Rot, Grün, Gelb sind verwerflich. Calvin hatte eine Vorliebe für Blau, Luther für Schwarz. Im Mittelalter konnte sich ein Mann ganz in Gelb kleiden; seit dem 16. Jahrhundert war dies so gut wie ausgeschlossen.273 Unzählig sind Farben in Beschreibungen von Menschen: die “Frische” der Haut, das “goldfarbene Haar” bei Boccaccio, oder die Blondinen, die sich als besonders züchtig und sittsam profilieren möchten. Für Kleidungsstücke, deren Schnitt und Formen ebenfalls auf Tugende und Laster hinweisen, werden oft Farbangaben hinzugefügt.274 Die essentiellen Grundfarben275 und Mischungen sind, alphabetisch geordnet, die folgenden: Blau zählt im Mittelalter zu den warmen Farben. Es ist auch die «Farbe der Täuschung, Verstellung und Lüge. In bildlichen Darstellungen von Redensarten (so in Brueghels Redensartenbild und bei anderen flämischen Malern und Graphikern) steht im Mittelpunkt der alternde Mann, der von einer jungen Frau ‘einen blauen Mantel umgehängt’ bekommt, d. h. von ihr betrogen wird» (Röhrich I, S. 209; mit Beleg aus Brueghels genanntem Bild von 1559 in Wien). Das kostspieligste Blau war Lapislazuli, genannt azur d’outremer. In den Inventaren der Herzogs von Berry sind «deux sacs de cuir où il y a dedans de l’azur» genannt: offensichtlich als Vorrat für die Maler, die das kostbare Gut selbst nicht hätten bezahlen können.276 Grau- und Blauschimmel werden nach Fugger (Ritterliche Reuterkunst, Frankfurt am Main 1584) mit der Luft verglichen und als sanguinisch, fröhlich, geschickt und von mittelmäßiger Bewegung beschrieben. 272 Diese Feststellung trifft auf das Militär zu wie auch auf religiöse Männer- und Frauen-Orden. Uniformierung und damit verbundener Drill und Zucht unterbinden oder eliminieren weitgehend individuelle Gestik. – Die Berner Truppe war uniformartig mit dem Bilde eines Bären auf Brust und Rücken erkennbar gemacht; so in Diebold Schillings Berner Chronik (Wolfram, Abb. 24). 273 Siehe: Pastoureau 2006, S. 77–82 für die couleurs prescrites et couleurs interdites. 274 Frieder Waugh 2000, Appendix E: Forms of Dress as Indicators of Virtue and Vice in the Moralized Bible, S. 303–341. Für die einzelnen liturgischen Farben der katholischen Kirche: RDK VII, Sp. 93–105. 275 Für die Farben: RDK VI, Sp. 1461–1492 (Heinz Roosen-Runge); für Farbmittel und Pigmente: RDK VII, Sp. 1–54 (Hermann Kühn). 276 Pastoureau 2006. – Für die Anfänge des bleu royal: ibid., S. 51–53. – Rörich I, S. 209–210. – Plinius weist auf teure Farben hin. Der (reiche) Auftraggeber hatte sie dem (armen) Maler zur Verfügung zu stellen (Plinius, S. 30 und 31).
126 – Das dekorative Beiwerk Blond meint in den meisten Fällen gelblich. Es ist die Farbtönung der Tugendhaften, und sie tritt neben goldfarbenem Haar auf, so im Tristan: Isolde ist blond. In den Carmina Burana finden sich die Strophen: «[…] in ihre Haare habe ich mich verliebt, weil sie blond gewesen» («quoniam fuere flavi»; Psalterium profanum, S. 437). In der mittelalterlichen Literatur sind Damen der Oberschicht immer blond. Wenn Chrétien de Troyes im Yvain die demoiselle Lunette als «brunette» ausgibt, so macht er dies aus Gründen des Reims in den Zeilen 2417–2418 (so Philippe Walter in seiner Übertragung des Yvain, S. 104, Anm. 1). Braun findet man mit Schwarz für die Beschreibung von Mädchenaugen. Nach Plinius malte man den Körper der Frau in Weiß, denjenigen des Mannes in Braunrot: so noch bei Cennino Cennini: «L’uomo bello vuole essere bruno, e la femmina bianca» (S. 83). Braune Pferde werden als fuchsbraun geschildert. – Braune Pigmente haben vor dem 16. Jahrhundert eine geringe Bedeutung. (Siehe: RDK VII, Sp. 39–41.) Gelb ist wie Rot die Farbe des Feuers und des Lichts. Sie ist unter den Signalfarben die auffallendste und dementsprechend in der Kleidermode bevorzugt für Dirnen benutzt (HDA III, Sp. 581). Die Farbkombination benutzt noch Ernst Ludwig Kirchner, um Prostituierte aus der Menschenmenge herauszuheben (Straßenszene, Madrid, Thyssen). Gelb ist insofern auch die Farbe der Ächtung. Gold ist für Alchimisten des Mittelalters erstarrtes Licht. Es findet sich zwar nicht in der genormten Farbskala, findet jedoch vielfach Verwendung für Hintergründe (Blattgold) oder als Hilfe, einzelne wertvolle Gegenstände zu betonen sowie Faltenkonstellationen in Kleidungsstücken Gottvaters, Christi und seiner Heiligen hervorzuheben. Gold findet sich in Aureolen und Heiligenscheinen.277 Im König Rother tragen an Konstantins Pfingstfest blondhaarige Mädchen rotgoldene Armringe (Zeile 1824, S. 153) und seidene, von Gold durchwirkte Kleider (ibid., 1835–1836). Preisungen von Frauen loben deren Haare «aus reinem Gold und Silber» (Petrarca, Canzoniere 12, 5); «goldenes Haar in blonden Flechten gewunden» (ibid., 29, 3). So ähnlich schon Isolde in Gottfrieds Tristan (10935–10985). Grau. Aschgrau (berrettino) ist nach Ripas Iconologia der Februar: «Si veste di berrettino, perche in questo mese regnano molto le pioggie onde per il più il Cielo è coperto di nuvoli, li quali rappresentano il detto colore» (S. 281). Grisaille-Darstellungen sind vergleichsweise selten und vor allem im ausgehenden Mittelalter zu beobachten. Im Zobel Isoldes treten dunkle Töne auf: «Schwarz und Grau waren da so miteinander vermischt, daß keines hervorstach» (Tristan, 10928– 10930).278 277 Vgl. meinen Beitrag Duccio. Zum Gold als Farbe. In: Von Farbe und Farben. Albert Knoepfli zum 70. Geburtstag. Zürich 1980, S. 303–307. 278 Zusammenfassend der ausgezeichnete Katalog Jan van Eyck. Grisallas. Museo Thyssen-Bornemisza.
Die Wahl der Farbe – 127 Grün. Ein Seidenstoff «grüner als Maiengras» findet sich im Tristan (2549). Grün waren die Kleider der Jäger. So in der Manessischen Liederhandschrift König Konrad der Junge auf der Falkenbeize (fol. 7recto). «Dans le Livre de chasse de Gaston Phoebus, tous les valets des chiens sont complètement vêtus de vert, sauf les houseaux [hohe Gamaschen], qui sont faits de cuir fauve» (Viollet-le-Duc III, S. 356, Anm. 1). «Die kräftige grüne Farbe des Klees wurde in Vergleichen hervorgehoben, z. B. rühmt Neidhart (36, 7) an einer Frauentracht aus Barchent deren Farbe: ‘Diu ist von barkane / grüene also der kle’» – grüner als Klee (Röhrich II, S. 852).279 Der Monat April kommt in Ripas Iconologia grün gekleidet daher: «Si veste di color verde, perche in questo mese la terra si veste di questo bel colore» (S. 275). Rot ist die Farbe des Feuers und des Lichts, des Morgenrots (morgenrôt; Wehrli, S. 10). Es gilt als die schöne Farbe.280 Purpurrot erwähnt Plinius unter den Farben, die wegen der Höhe des Preises von den Auftraggebern zur Verfügung gestellt werden (Plinius, S. 41). Bei Walther von der Vogelweide denkt ein Liebhaber wie folgt an seine Geliebte: «Sie hat ein Kissen, das ist rot. Könnte ich es an meinen Mund drücken, ich würde von aller Pein genesen und wäre für immer gesund» (S. 343 und 345). Eine Farbsteigerung ist das Scharlachrot (écarlate). Rot ist die Farbe des Gewinners: Vergil läßt einen Sieger im Wettrudern mit der Purpurbinde auszeichnen (Aeneis 5, 268 ff.). Im Eneasroman Heinrichs von Veldeke ist das Futter eines Pelzmantels strahlend rot (der samît was gût rôt; 36, 779). Rosenrot sind die Lippen eines Mädchens; Tristans Mund war «von vollem Rosenrot» (rôsenrôt; Tristan, 3335). Das Gefieder der Falken ist ganz rotgolden (alrôt guldin; Wehrli, S. 43). «Ich sah Boten des Sommers: das waren Blumen so rot» dichtete Meinloh von Söflingen (Wehrli, S. 53). Yvain erhält «une robe d’écarlate fourrée de vair [Scharlachrot mit grauweißem Pelz gefüttert] sur laquelle on devine encore des traces de craie». Jungfrauen werden vor Scham im Gesicht «purpurrot» (Boccaccio II, S. 789). Weißrote Farbkontraste waren bereits in der Antike beliebt, zumal in erotischen Zusammenhängen (Korzeniewski, S. 121 mit weiteren Belegen). Schwarz. Für Plinius gehört Schwarz zu den künstlichen Farben (Plinius, S. 39). Thisbes Maulbeerbaum ist erst rot, dann schwarz. Mädchenaugen sind oft als schwarz umschrieben. Bei Ovid können Wälder schwarz sein (silvis atris; Metamorphosen V, 541). «[…] von swarzem zobel alsam ein kol» – ein kohlschwarzer Zobel findet sich bei Gottfried (Tristan, 6616). Der Vergleich mit Kohle hat sich bis heute gehalten. Im Mittelalter findet ein institutioneller und symbolischer Krieg zwischen Schwarz und Weiß statt, geführt von den (schwarz gekleideten) Benediktinern und den (weiß gekleideten) Zisterziensern. Sie warfen sich gegenseitig vor, die “falsche” Farbe zu tragen. Für die einen galt Schwarz als diejenige, die Schlechtes ahnen ließ Madrid 2009. Hier der Beitrag von Till-Holger Borchert, Color lapidum: una aproximación a las representaciones en grisalla en la baja edad media, S. 13–49; englische Übersetzung ibid., S. 239–253. 279 Grün in: HDA III, Sp. 1180–1186; Röhrich I, S. 589–590. 280 HDA VII, Sp. 792–834. Für die vielen Nuancen von Rot: ibid., Sp. 793.
128 – Das dekorative Beiwerk und dem Teufel zuzuordnen war. Weiß schien – den anderen – unbescheiden und unberechtigt auf sich selbst bezogen: eine Anspielung auf Christus und seinen Glanz im Licht. Die Franzosen sagen: Noir de colère; so schon Béroul (S. 43). Anne de Bretagne, Gattin von Charles VIII. und Louis XII., bestimmte Schwarz als Trauerfarbe für Königinnen. Schwarz setzte sich dann als Farbe der Vornehmen und der höfischen Festlichkeiten durch, denn Schwarzfärben von Textilien war ein aufwendiger und somit kostspieliger Prozeß, mit anderen Worten: Schwarz wurde ein Statussymbol. Juliette Gréco gab zu Protokoll: «Le noir me permet d’aller très loin dans ce que j’ai à dire.»281 Weiß bedeutet Licht und ist Lichterscheinungen wie Nymphen und Engeln zugeordnet. Der Stoff, aus dem Pygmalion seine Schöne fertigte, war «schneeweißes Elfenbein (niveum ebur: Ovid, Metamorphosen X, 248–249). Die Füße der Nymphen sind marmorweiß. Die Schönheit des menschlichen und besonders des weiblichen Körpers charakterisiert häufig das Epitheton “marmorn” (Nachweise bei Korzeniewski, S. 118). In der Verklärung leuchet Christi Antlitz wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht (Matthäus 17, 2), so weiß wie Schnee, daß sie kein Färber auf Erden so weiß machen kann (Markus 9, 3). Schneeweiß wie Hermelin sind Tristans Hände. Weiß besagt Unschuld.282 Chaucer vergleicht Weiß mit Morgenmilch. Bei den Minnesängern gehören für Mädchen weiße Haut und weiße Zähne ins topische Vokabular. Christine de Pisan erinnert sich ihres weißen Brautkleids: «Mantel de soie blanc sans tache […]» (Pernoud, S. 47). Cesare Ripa kleidet die Libertà in Weiß: «Donna vestita di bianco» (Iconologia, S. 252 und 253). Mabuses Festkleid, aus Papier geschnitten, war blendend weiß (siehe oben, S. 101–102). Die Sängerin Juliette Gréco gestand: «Je serais incapable de chanter en blanc.» Licht, Schatten und Farbe. Geringe Bedeutung haben in unseren Referenzwerken Licht und Schatten inne, obwohl sie seit der Antike als Darstellungsmöglichkeiten anscheinend bekannt waren. In der griechischen Malerei entwickelte Zeuxis die Schattenmalerei, was einer Revolution gleichkam.283 Alle von uns besprochenen Szenen ereignen sich am hellichten Tag. So findet auch keine Entdeckung der Nacht statt. Mit anbrechender Dunkelheit endet die Arbeit für die meisten Menschen. Ruhe und Schlaf bestimmen die Stunden bis zum 281 Michel Pastoureau, Noir. Histoire d’une couleur. Paris 2008. Vgl. das Interview von Bernard Géniès mit Michel Pastoureau Noir c’est noir. In: Le nouvel Observateur, Nr. 2300, 4.–10. Dezember 2008, S. 131–134. Hier auch die confidences von Juliette Gréco, S. 134. – Röhrich III, S. 1434–1437 mit Literatur. 282 HDA IX, Sp. 337–358. 283 «Zeuxis gab den Gliedern des Körpers größere Fülle, da er das für würdiger und erhabener hielt, und wobei er, wie man glaubt, dem Homer gefolgt ist, dem ja die kräftigsten Körperformen sogar bei Frauen gefallen» (Quintilian, Institutio XII 10, 5). – Ulrike Koch-Brinkmann in: Künstlerlexikon der Antike, hrsg. von Rainer Vollkommer. München / Leipzig 2004, S. 970–971.
Die Wahl der Farbe – 129 Sonnenaufgang. Über künstliche Lichtquellen erfährt man wenig. Bisweilen ist von Lampen die Rede, von Kerzen. Allerdings lesen wir bereits im Tristan, «daß die Augen für das Spielen des Lichts empfänglich waren» (Hauttmann 1924, S. 77). Hauttmann weist (ibid.) auf die Stelle hin, wo in der Minnegrotte der Sonnenstrahl Wange, Kinn und Mund der schlafenden Isolde berührt: zwei Lichter strahlten dort gemeinsam – die eine und die andere Sonne (Tristan, 17580–17590). Doch die Nacht verkündet die Herrlichkeit des Schöpfers. Der Mensch erfährt Gottes Stimme nachts und in Träumen (LTHK VII, Sp. 771–772, mit Belegen). Ein griechisches Sprichwort besagt, daß die Nacht den Weisen guten Rat gewährt.
Die Natur als Schauplatz und Handlungsort
Die Rolle der Natur. Gestaltete Landschaft. Fundus wie Terminologie der Wohltaten von Flora und Ceres wurzeln in der Antike. Sie werden, teils mit neuen, noch unbenutzten Bedeutungen und Gleichnissen in die frühe christliche, dann in die weltliche Literatur übernommen. Einige Belege sind weiter unten angeführt. Sie offenbaren Anzeichen eines aufkeimenden, bereits “humanistisch” anmutenden Wandels, der gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts nicht mehr zu ignorieren ist. Mit der Wiederentdeckung der Beweglichkeit und der Anmut des menschlichen Körpers geht in der Dichtung wie in den bildenden Künsten eine bemerkenswerte Zuwendung zur Natur einher; in Frankreich und Italien, dann in Deutschland. Was Italien anbetrifft, so öffnen sich im Zeitalter Petrarcas die Zugänge zur Landschaft.284 Gartenbilder mit Szenen aus dem Landleben in der Tour de la Garderobe des Papstpalastes in Avignon gewinnen Vorbildfunktionen und wirken letztlich bis in die Wandmalereien in Trient nach. Die Reize und der sinnliche Genuß der Außenwelt und ihre ins Bild-Setzung vervielfachen sich in den Künsten. Die Renaissance wird dies zu nutzen wissen. Auch hier eilen die Poeten den Malern voraus.285 Landschaften sind nicht mehr statisch schweigende Kulisse, sondern entwickeln sich zu bewegenden Spiegeln der Aktion. Die Inszenierung der Handlung definieren die Mitspieler als Teilhaber, als Nachhall, als Echo, im Einklang mit der neu gesehenen und gestalteten Umgebung. In religiösen wie in profanen Zusammenhängen birgt die Natur, insbesondere der Garten als vom Menschen geformte Landschaft, vielfältige und bereits seit Jahrhunderten lebendig gebliebene Bedeutungen.286 Beide Bereiche stellen Geheimnisse und Überraschungen bereit; sie sind austauschbar. Wenn hier davon die Rede ist, so aus der Gegebenheit heraus, daß Menschen – und in Bildern entsprechend die Darstellenden – sich unter freiem Himmel anders gebaren als in vertrauten Innenräumen, seien dies Wohnhäuser, Burgen oder Kirchen. Die mannigfaltige, oft auch als unbekannte, ja unheimliche, gar feindlich gesinnte Natur verlangt nach anderen
284 Am 26. April 1336 bestieg Petrarca den Mont Ventoux mit seinem Bruder und zwei Begleitern: Ein Ereignis, das nicht nur auf die Mitwelt, sondern noch für Jahrhunderte seine Wirkung hatte; siehe: Petrarca, Die Besteigung des Mont Ventoux. 285 Siehe z. B. das Kapitel Nature, lux et artifice in: Paris 2004II, S. 229–235. Ibid., S. 51: «La terre de France est comme le Paradis de Dieu» (Le Songe du Verger, Paris 1378). Vgl. Borst 1979, S. 203–213. 286 Zur Landschaftsgestaltung: Jirina Sokolova, Le paysage dans la miniature française à l’époque gothique (1250–1415). Prag 1937.
132 – Die Natur als Schauplatz und Handlungsort Gesten: Gesten der Vorsicht, der Aufmerksamkeit, der Abwehr, aber genauso der bewundernden Hingabe, die heimische vier Wände sprengen würden. Gärten. Sorgfältig umzäunte Grundstücke rahmen, seit den Darstellungen des die Phantasien beflügelnden Gartens Eden, als Spielbühnen unglaubliche oder gar märchenhafte Geschehnisse. So begibt sich etwa Garel (laut dem Pleier) mit seinem Gefährten Gîlân zur Burg des Fürsten Eskilabon, der einen hortulus besitzt. Wer dort verbotene Blumen bricht, hat mit dem Eigentümer zu kämpfen; auf diese Weise geriet bereits eine Vielzahl edler Fürsten in Gefangenschaft (Pütz 1979, S. 218). Der Liebesgarten kann auch, wie in der Geschichte von Simona und Pasquino, zur Todesfalle werden (Boccaccio II, S. 359–363). Oft ist mit Nachdruck von “Baumgärten” die Rede, was Schatten verspricht und sicherstellt (Marie de France, Lai de Lanval: Lange / Langosch, S. 289). Das Mittelalter legt Gartenanlagen formal selten fest. Im Sankt Galler Plan findet man die praktische Rechteckform. Jean de Meun erwähnt das Quadrat und nennt den Kreis als dem Paradies vorbehalten. Regeln, wie ein Lustgarten anzulegen sei, formulierte Albertus Magnus: es handelt sich um eine Kräuterwiese ohne Wege unter Bäumen. Ein Brunnen definiert die Mitte. «Symmetrie ist nicht ausdrücklich gefordert. Regelmäßigkeit verlangt Crescenzi, wenn er die antike Quincunxpflanzung wieder anwendet» (Wimmer, S. 458). Ewig blühende und duftende Gärten mit kühlenden Wassern, lauen Winden, Bäumen und Blumen gehören zum Grundstock der Vorstellungskraft, wenn Christen, wie Isidor von Sevilla, sich das Paradies ausmalen: «Paradisus est locus in orienti partibus constitutus, cuius vocabulum ex Graeco in Latinum vertitur hortus: porro Hebraice Eden dicitur, quod in nostra lingua deliciae interpretatur. Quod utrumque iunctum facit hortum deliciarum; est enim omni genere ligni et pomiferarum arborum consitusa, habens etiam et lignum vitae: non ibi frigus, non aestus, sed perpetua aeris temperies» (Isidor, Etymologiae XIV, 3, 2).287
Den “Garten des Herrn”, in dem die Paradiesströme – Phison, Geon, Tigris und Euphrat – aus gemeinsamer Quelle entspringen, sieht Augustinus bevölkert mit Rosen der Märtyrer, Lilien der Jungfrauen, Immergrün der Verheirateten und Violen der Witwen (Angenendt, S. 119).288 Grotten sind Teile des wiederkehrenden narrativen Bestandes in Ovids Metamorphosen. Im Abschnitt über Actaeon und Diana liest man beispielsweise:
287 Zur Ideallandschaft: Curtius, S. 191–209. – Siehe die Gartenbeschreibungen im Rosenroman von Guillaume de Lorris und Jean de Meun in: Wimmer, S. 15–20. – Zu Albert Graf von Bollstädt (Albertus Magnus) und seinen sieben Büchern De Vegetabilibus: ibid., S. 20–24. – Zu Pietro de’ Crescenzi: ibid., S. 24–30. – Zu Leon Battista Alberti: ibid., S. 30–33. – Zur Hypnerotomachia Poliphili (Venedig 1499): ibid., S. 34–47. – Boccaccio beschreibt einen gezauberten Mai-Garten im Monat Januar (Boccaccio II, S. 772). 288 Augustinus, Sermo 304, 3 (PL 38, Sp. 1396).
Die Natur als Schauplatz und Handlungsort – 133 «Dort war ein Tal, dicht bewachsen mit Kiefern und spitzen Zypressen; es hieß Gargaphie und war der hochgeschürzten Diana heilig. In seinem hintersten Winkel liegt, von Wald umgeben, eine Grotte [antrum], die nicht künstlich [arte laboratum nulla] ausgestattet ist. Die Natur hatte in freier Schöpferlaune ein Kunstwerk vorgetäuscht, denn aus lebendem Bimsstein und leichtem Tuff hatte sie einen gewachsenen Bogen gespannt. Rechts plätschert ein Quell, dessen seichtes Wasser durchsichtig ist. Ein grasbewachsenes Ufer umsäumt sein breites Becken. Hier pflegte die Göttin der Wälder, vom Jagen ermattet, ihre jungfräulichen Glieder mit klarem Tau zu übergießen» (III, 155–164).
In Grotten wohnten auch Nymphen, und in ihrer Obhut wuchsen göttliche Kinder heran, wie etwa Iuppiter. Nymphen fanden Verehrung als Geburtsgöttinnen.289 Jahreszeiten. Ovid berichtet, ebenfalls in den Metamorphosen, über deren Entstehung und deren Neuordnung unter Iuppiter; auch Mensch und Tier ordnete er neue Bewegungsmotive zu: «[Er] verkürzte die Dauer des ehemaligen Frühlings, und durch Winter, sommerliche Gluten, ungleichmäßige Herbstzeiten und kurzen Lenz gliederte er das Jahr in vier Zeiträume. Damals erglühte zum ersten Mal die Luft von dörrender Hitze und im Winde erstarrt hingen Eiszapfen. Damals suchte man zum ersten Mal Unterschlupf in Häusern; […]. Damals versenkte man zum ersten Mal Samen der Ceres in langen Furchen, und die Pflugtiere stöhnten unter der Last des Joches» (Metamorphosen I, 116–124).
Im Ersten Clemensbrief wird die Harmonie und Eintracht des Kosmos im Gang der Zeiten beschrieben: «Frühling, Sommer, Herbst, Winter wechseln miteinander in Frieden ab. Die Ordnungen der Winde vollenden ihren Dienst zu ihrer Zeit tadellos. Immer fließende Quellen, zur Erquickung geschaffen, gewähren unaufhörlich den Menschen ihre Brüste zum Leben. Auch die kleinsten der Lebewesen vereinigen sich in Eintracht und Frieden» (Schneider, S. 462).
Der erdgebundene Mensch nimmt den Jahreszeiten-Rhythmus in sich auf und lebt so im Einklang mit Feld und Wald oder im Kampf gegen die Natur, die ihm die Voraussetzungen zum Überleben schafft oder sie ihm vorenthält. Für Walahfrid Strabo ist (um 825) der Winter nicht nur Hausgenosse des Alters, sondern auch grimmiger Verzehrer der reichen Früchte getaner Arbeit. Die Ankunft des Frühlings vertreibt hiems in die tiefsten Gründe der Erde. Walther von der Vogelweide sieht jedoch auch Vorzüge:
289
Siehe Muthmann 1975, S. 478 (Nymphen, Kultstätten).
134 – Die Natur als Schauplatz und Handlungsort «Wo immer frei von Sorgen Lieb bei Liebe liegt, kommt diesen beiden, so meine ich, die Winterzeit zustatten. Winter und Sommer haben beide so viele Vorzüge, daß ich sie gleichermaßen preisen will» (Vogelweide / Stapf, S. 281). «Die Feindschaft zwischen Sommer und Winter kann niemand auf Erden schlichten. Der Winter ist wieder mit seinen Freunden gekommnen, er ist hier mit einem grimmigen Heer. Er hat dem Walde kein einziges Blatt gelassen und die Heide ihrer Blumen und ihres bunten Leuchtens beraubt. Seine Unannehmlichkeiten stehen bereit, um uns zu schaden. Seid auf der Hut! Er hat uns allen Fehde angesagt» (1. H. 13. Jh.; Neidhart, S. 85).
In Salomos Canticum Canticorum (Hohelied) heißt es: «Meine Schöne, komm heraus. / Sieh der Winter ist vergangen, / der Regen ist vorüber. / Die Blumen sind an der Erde erschienen, / die Zeit des Gesangs ist gekommen, / und die Stimme der Turteltaube / gurrt über dem Land» (Hohelied 2, 10–12). Chaucer sagt vom Sohn des Ritters: «Singing he was, or fluting all the day; / He was as fresh as is the month of May» (Chaucer, S. 23). Eine nicht stattgefundene, ja gleichsam übersprungene Jahreszeit – und sei es auch nur der abscheuliche Winter – ist denkwürdig, folgenschwer und bemerkenswert. In der Schweizer Bilderchronik des Luzerners Diebold Schilling 1513 erhält der warme und schneefreie Winter 1506 eine ganze Landschaftsdarstellung, welche die andauernde Vorfrühlingsstimmung festzuhalten versucht (Abb. 133). Ein nachfolgendes Erdbeben fand außerdem statt, worauf in der Miniatur die entwurzelten Bäume hindeuten.290 Solch ausgefallene Phänomene schienen, neben den erheblicheren Langzeitfolgen der Burgunderkriege, dem Luzerner Chronisten eines eigenen Bildes würdig gewesen zu sein. Sinnbilder des Gartens. Locus amoenus. Dieter Hennebo (1962, S. 41–60) zählt für das hohe Mittelalter fünf Symbolfunktionen des hortus auf: Der Garten ist 1. Sinnbild für die Frau, 2. die Erotik / Unkeuschheit, 3. die Mutter Gottes, 4. die Kirche und 5. das Paradies. «Irdische und himmlische Liebe fließen ineinander über und bedienen sich der gleichen Sinnbilder» (S. 57). Neben die rauhen Seiten tritt die in ihrer Schönheit erkannte und bewunderte Natur. Eine reiche Metaphorik reflektiert sie verschwenderisch. Der anmutige Garten als locus amoenus, entweder mit der Geliebten in Verbindung gebracht oder von Poeten als Handlungsort heimlicher Treffen beschrieben, findet sich in Dichtung und darstellender Kunst während Jahrhunderten. Ob man dies einen Topos nennen kann, wird seit Ernst Robert Curtius und Dagmar Thoss diskutiert. Wie man ihn immer definieren mag, eine Tatsache ist, daß am Ursprung der dichterischen Überlieferung hier das Hohelied steht:
290 Alfred A. Schmid (Hrsg.), Die Schweizer Bilderchronik des Luzerners Diebold Schilling 1513. Luzern 1981, S. 342.
Die Natur als Schauplatz und Handlungsort – 135 «Ein verschlossener Garten bist du, / meine geliebte Braut, ein verriegelter Garten, / eine versiegelte Quelle. / Ein Lustgarten bist du, ein lieblicher Garten, / Granatbäume wachsen darin mit köstlichen Früchten, / […] / Eine Gartenquelle bist du, / ein Brunnen mit frischem Wasser» (Hohelied 4, 12–13; 15).291
Im Lexikon des Papias, um 1050, heißt es: «amena loca dicta: quod amorem praestant, iucunda, viridia» (Curtius, S. 204) – weil sie sich vortrefflich für die Liebe eignen. Neben den Blumen paßt vor allem der grüne Klee ins Bild als «Inbegriff des Frischen und Lebensvollen und des kräftig Gedeihenden» (Röhrich II, S. 852). Klee hatte die Bedeutung von frühlingshafter Freude – man lobt sprichwörtlich “über den grünen Klee”. Quellen. Zur profanen Idylle, und diesbezüglich zum locus amoenus, gehört, wie mehrfach in den soeben genannten Texten deutlich geworden, das Plätschern des Wassers; nicht nur in den oben erwähnten Grotten. Der reine Quell, in dem sich Narcissus widerspiegelt, ist silberglänzend, «den keine Hirten berührt hatten, keine Ziegen, die auf Bergen weiden, und sonst kein Vieh. Kein Vogel, kein wildes Tier hatte ihn getrübt, nicht einmal ein Ast, der vom Baume gefallen war» (Ovid, Metamorphosen III, 408–410). Mit anderer Akzentsetzung lautet die Beschreibung des Pergus-Sees bei Henna (Enna) in Sizilien: «Wald umkränzt das Gewässer rings von allen Seiten und hält mit seinem Laub wie mit einem Sonnensegel die Strahlen des Phoebus fern. Kühle spenden die Zweige, der feuchte Boden purpurrote Blumen; ewiger Frühling herrscht. Während Proserpina in diesem Hain spielte, Veilchen oder weiße Lilien pflückte, mit mädchenhaftem Eifer Körbchen und Kleid damit anfüllte und die gleichaltrigen Gespielinnen im Sammeln zu übertreffen suchte, sah, begehrte und raubte sie Pluto» (Ovid, Metamorphosen V, 385–401). Das Gewässer, in dem Alpheus haust, ist «ohne Wirbel, ohne Murmeln […], durchsichtig bis auf den Grund, so daß man in der Tiefe jedes Steinchen zählen konnte» (V, 587–590); hier badete Arethusa, erschrak und floh vor dem Flußgott – «sicut eram, fugio sine vestibus»; die Kleider lagen am anderen Ufer. Die Quelle, die Pegasus mit seinen Hufen schuf, «sieht sich ringsum die Haine mit ihren altehrwürdigen Bäumen an, die Höhlen und die Kräuter, zwischen denen unzählige Blumen blühen […]» (V, 264–265). «Die kühle Quelle empfing sie [Tristan und Isolde], die vor ihren Augen lieblich entsprang und noch lieblicher in ihren Ohren klang. Murmelnd floß sie ihnen 291 Dieser Text erlaubt u. a. den Bogen zur Marienminne zu schlagen. Vgl. das Frankfurter Paradiesgärtlein als hortus conclusus. Zum Bezug mit der fin amour: Morbach, S. 103–104. – Zum verger, dem Baumgarten, auch Thoss 1972, S. 4–5. – Curtius, S. 202–206. – Für die Quellen und Bächlein im Rosenroman: Zitate bei Wimmer, S. 18–19. – Muthmann 1975, Kapitel X, S. 365–413. – Zu fons hortorum als marianische Metapher siehe: RDK X, Sp. 133–140. – Zu erinnern ist an die Propheten des Alten Testaments: Jesaja 58, 11 («[…] und du wirst sein ‘wie ein gewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, welcher es nimmer an Wasser fehlt’») und Jeremia 31, 12 («[…] daß ihre Seele wird sein wie ein ‘wasserreicher Garten’ und sie nicht mehr bekümmert sein sollen»; Übersetzung nach Luther).
136 – Die Natur als Schauplatz und Handlungsort geradewegs entgegen und empfing sie mit ihrem Murmeln. Sie plätscherte lieblich [er rûnete suoze] den Verliebten zum Gruß» (Tristan, 17374–17380). Ferner ist an Kalogrenants und Iweins Quellenabenteuer zu erinnern (Iwein, 396 ff. und 945 ff.). Hier findet sich folgende bemerkenswerte Beschreibung (nach der Übersetzung von Manfred Stange): «Höre noch etwas über die Eigenart der Quelle. / Eine Kapelle steht in der Nähe; / die ist schön aber klein. / Kalt und sehr rein / ist die Quelle. / Weder Regen noch Sonne kommen an sie, / noch berühren die Winde sie. / Davor bewahrt sie eine Linde / von nie gesehener Schönheit. / Sie ist ihr Schatten und zugleich Dach. / Sie ist breit, hoch und so dicht, / daß weder Regen noch Sonnenschein / sie durchdringen. / Der Winter schadet nicht im geringsten / ihrer Schönheit; / das ganze Jahr über steht sie in Laub» (Iwein, 565–580).
Quellen fing man mit Sorgfalt in kleinen Becken auf (Abb. 109). Bei Konrad von Fußesbrunnen findet man (um 1190) folgende Zeilen: «Ein Brunnen durch den Garten rann / lauter und reine. / Kiesel und andere Steine / lagen so viel in der Furt, / daß der Brunnen dadurch / nur mit Nöten drang, / so daß es wie ein Glöckchen klang» (Gollwitzer, S. 30). Sauberes Wasser meldet sogar ein Chronist, der üblicherweise mit der Beschreibung heikler politischer Ränkespiele beschäftigt war, Froissart, in seiner Erwähnung der Stadt Tarbes: «[…] la belle rivière de Lisse, qui court tout parmi Tharbes, et qui le sépare; et est la rivière aussi claire comme fontaine» (Historiens, S. 487). Petrarca lobt «helle, frische und süße» Wasser (Canzoniere 126, 1). Blumen. Von Blumen war schon mehrfach die Rede. Im locus amoenus blühen selbst die Bäume: «der boume flôrîe» (Tristan, 17385); in der Manesse-Handschrift sind es vor allem blühende Rosenbäume, denn unter den ungezählten Blumen ist die Rose besonders aussagekräftig; so schon bei Walahfrid Strabo (De cultura hortorum, um 825) die “Blume der Blumen” («[…] ut merito florum flos esse feratur», XXVI, 401). Er nennt sie mit der Lilie, und er fügt gleich einen Kommentar zu ihrer christlichen Symbolik bei: es sind Sinnbilder höchster Ruhmestitel der Kirche, die im Blut des Martyriums die Gabe der Rosen pflückt und die Lilien als leuchtendes Sinnbild strahlenden Glaubens trägt (Strabo, S. 39–41). Das schönste Rosengedicht hat vor Rainer Maria Rilke, gegen Ende des 12. Jahrhunderts, Alanus ab Insulis (Alain von Lille) verfaßt. Ich erinnere an eine Strophe in der Übertragung von Josef Eberle: «Todeshauch im Lebensatem, / irres Blühen im Verblassen, / werdend will sie schon vergehn, / jung und alt am gleichen Tage, / Greisin, Kind zur selben Stunde, welkt die Rose im Erblühn» (Psalterium profanum, S. 126–129; Zitat S. 127).
Alle diese Fragmente belegen die Wünsche, nicht nur eine unbeschädigte Welt zu ersinnen, sondern auch – als Zufluchtsort in bedrängenden Zeiten der Not – zu verwirklichen, eine Bühne für die Anmut zu schaffen, neue Formen der Liebe und
Die Natur als Schauplatz und Handlungsort – 137 der Zuneigung zu finden und lebenswert zu gestalten. Es geht um Gefühle, um Darstellungen des Wesens, um die “inneren Werte” des Einzelnen, deren subtile Sichtbarmachung bereits Plinius als beachtenswert hervorhob.292 Bäume und Wald. Für den Baumreichtum der Natur begeisterte sich Ovid in der Orpheus-Erzählung. An einem Ort, wo kein Wuchs zu verzeichnen war und umbra entsprechend fehlte, veränderte sich der Hügel: «Doch als der von Göttern erzeugte Sänger sich dort niedergelassen hatte und die klingenden Saiten schlug, kam der Schatten herbei» (Metamorphosen X, 88–90). Des Dichters Baumkatalog nennt die Eiche, den Pappelhain, die Wintereiche, die Linde, die Buche, Lorbeer, Haselstauden, die Esche, die Tanne, die Steineiche, die Platane, Ahorn, Salweiden, Lotos, den Buchsbaum, Tamarisken, Myrthen, Schneeball, Efeu, Ulmen, Bergeschen, Föhren, den Hagapfelbaum, die Palmen, die Pinie und die Zypresse (X, 91–106). «Solch einen Hain hatte der Sänger herbeigezogen und saß inmitten der versammelten Tier- und Vogelschar» (X, 143), um seinen Gesang zu beginnen. Die Natur zeigt nach antiker Vorstellung Mitempfinden beim Tode des Daphnis; sie trauert mit.293 Unermeßliche, oft lichtlose und daher dunkle, somit gruselige Forste dienen andererseits als nicht geheuere Hintergrundkulissen für entsprechend trübe, melancholische Stimmungen. Als schwer zugängliche Schauplätze werden sie ohne Ende und Ausgang beschrieben; Wälder sind Orte der Orientierungslosigkeit. Andererseits ist eine ambivalente, ja gegensätzliche Beurteilung des Gehölzes zu notieren: Liebespaare, so Tristan und Isolde, ziehen sich in deren schützende Schatten zurück. Im Märchen spielt der Wald eine stimmungsfördernde Rolle. Hänsel und Gretel fanden sich in einem Dickicht ausgesetzt; die Urfassung geht auf das 12. Jahrhundert zurück (vgl. von der Leyen II, S. 240). Bereits im Gilgamesch-Epos heißt es: «Auf zehntausend Doppelstunden dehnt sich der Wald aus» (Gilgamesch, Zweite Tafel, IV, 107). Waldungen waren beklemmend, weil sich da ganze Heere den feindlichen Augen entziehen konnten. In der Göttlichen Komödie verirrte sich Dante inmitten eines dunklen Waldes, so daß er den rechten Weg nicht wiederzufinden vermochte: «Wie war der wilde Wald so dicht und dornig, oh weh, daß ich es nicht erzählen mag, und die Erinnerung daran mich schreckt» («mi ritrovai per una selva oscura, / chè la diritta via era smarrita»).294 Bei Boccaccio ist das “In-die-Wälder-gejagd-Werden” eine ahnungsvolle Präambel für Irrungen, unheimliche Begegnungen, ja selbst für Mord (Boccaccio I, S. 233). Man hat sich zu vergegenwärtigen, daß weitflächige Waldrodungen in Siedlungsnähe zur Weiden- und Ackerlandgewinnung erst im späten Mittelalter einsetzten; überspitzt: das romanische sowie gotische Europa glich einem riesigen unüber292 Zeuxis malte eine Penelope, «in der er ihr Wesen gemalt zu haben scheint» (Plinius, S. 55), und Timanthes schuf einen Helden, «ein Werk höchster Vollendung, wobei er die Kunst, Männer darzustellen, in ihrem Wesen erfaßte» (ibid., S. 61). 293 Nachweise bei Korzeniewski, S. 115. – Vgl. Isidor / Etymologiae: de propriis nominibus arborum (II; XVII, 7), ein Text, der zum Teil auf Plinius beruht. 294 Dante: A. Chiari / G. Robuschi, S. 25; Vossler, S. 25.
138 – Die Natur als Schauplatz und Handlungsort sichtlichen Urwald. Das langsam heranwachsende Netz der Fernstraßen – als Folge aufblühenden Handels – hat ihn allmählich parzelliert und zumindest tangential zugänglich gemacht. “Das Feld hat Augen – der Wald hat Ohren” lautet ein altes Sprichwort.295 Ovid sagt von Callisto, Wald und Hain seien ihr als Mitwisser verhaßt: «huic odio nemus est et conscia silva» (Metamorphosen II, 438); vgl. ibid., III, 443, wo von «latebra opportuna», von willkommenen Schlupfwinkeln die Rede ist. Bei Petrarca oder Boccaccio finden sich ebenfalls beschauliche Urteile: «Auf hohen Bergen und in rauhen Wäldern finde ich etwas Ruhe: Jeder bewohnte Ort ist ein Todfeind für meine Augen» (Petrarca, Canzoniere 129, 14–16). «So sucht der Poet seine Lust an schönen Wäldern und Bergen und ihrer Einsamkeit und wohnt dort gern. […] Der Poet hat Lust und Freude, wenn seine Verse hurtig tanzen. […] Ich habe allein an Büchern Lust. […] Doch soll niemand glauben, daß die Poeten die Einsamkeit, die Berge, die schattigen Wälder, die rauschenden Bäche, die stillen Felder deshalb so gesucht haben, um dem Leibe zu dienen oder Wollust zu genießen; das sei [mir] ferne» (Boccaccio I, S. 100). Lob der Linde «Under der linde an der heide, dâ unser zweier bette was, dâ mugt ir vinden schône beide gebrochen bluomen und gras, vor dem walde in einem tal […].» Walther von der Vogelweide / Stapf, S. 350/351, Tanzlied
Als Iuppiter und Hermes, auf der Suche nach Unterkunft, Speis und Trank, Philemon und Baucis dank ihrer Gastfreundschaft als ewige Tempelwächter in zwei eng ineinanderverschlungene Bäume verwandelten, wurde Philemon zur Eiche und Baucis zur Linde (Ovid, Metamorphosen VIII, 611–724).296 Die Linde symbolisiert die Weiblichkeit, und sie behält diese Sinnbildung, vor allem als Zeichen ewiger Liebe, für Jahrhunderte bei. Die Eiche steht mit ihrem harten Holz und den nahrhaften Eicheln für väterliche Fürsorge; König Artus vereinte seine Ritter um einen runden Eichentisch.
295 So schon Ovid (Metamorphosen II, 438): Diana «aber sind Wald und Hain als Mitwisser verhaßt». – In einer Zeichnung hat Hieronymus Bosch um 1500/05 das Sprichwort illustriert (Berliner Kupferstichkabinett; Abb. in: Röhrich III, S. 1691 oder in: Büttner, S. 67). 296 Die Bäume erwähnt ibid., VIII, 620: tiliae contermina quercus und bezeichnend (wie ein Hinweis auf zukünftige Liebesgärten und den hortus conclusus): medio circumdatum muro (ibid., 621).
Die Natur als Schauplatz und Handlungsort – 139 Dem Lindenmotiv sind wir bereits an Iweins Quelle begegnet (oben S. 136). Unter den vielen Bäumen, die Zeitgenossen ausdrücklich nennen, steht die Linde (tilia) an oberster Stelle. Im Volksglauben besitzt sie apotropäische Eigenschaften. Laut Sagen können Linden, bis zu tausend Jahre alt, ambivalent der Hexen Sammelplätze sein sowie ebenfalls Sicherheit bieten und böse Geister verjagen. Als lebende Denkmale pflanzte man Linden bei besonderen Anlässen ein. Linden verstehen sich meist als Anspielungen auf eine bevorstehende Liebesnacht: «Und siehst du dort die Linde vor der Burg stehn? Heiß dort darunter deinen Herrn spät abends gehn. Als der edle Ritter da unter die Linde kam, was fand er unter der Linde? Eine Jungfrau wohlbeschaffen. Er nahm seinen Mantel ab, er warf ihn ins Gras, da lagen die zwei die lange Nacht bis an den hellen Tag.» So in einer Handschrift von 1454, doch auf Kürenberg (12. Jahrhundert) zurückgehend (Wehrli, S. 45 und 47; S. 569). Das Motiv des Sitzens unter der Linde kommt im Tristan vor: Tristan und Isolde saßen auf der Ruhebank unter der Linde: «Dort saßen sie aneinandergeschmiegt, / die treuen Liebenden, / und erzählten sich von sehnsüchtiger Liebe / derer, die vor ihrer Zeit / aus Liebe gestorben waren» (Tristan, 17182–17186). Linden fördern die Erinnerung und laden zur Erzählung in der Erzählung ein. Schon Ovid bedient sich dieser Technik, wenn etwa in die Geschichte von Venus und Adonis diejenige aus der Vergangenheit von Hippomenes und Atalanta eingeflochten wird (Metamorphosen X, 560–680). Auch andere Bäume sind zweckdienlich: «‘Hier lädt uns im rechten Augenblick eine Pappel in ihren Schatten ein297, und der Rasen schenkt uns ein weiches Lager; hier möchte ich mit dir rasten’, und sie [Venus] rastete auf dem Boden, schmiegte sich ins Gras und an Adonis, lehnte sich zurück, bettete den Nacken an seiner Brust und sprach, indem sie Küsse unter die Worte mischte […].» Es folgt die Geschichte von Hippomenes und Atalanta. ❧ Die Dorflinde definiert den Mittelpunkt einer Siedlung, und sie dient als Beschützerin einer ganzen Gemeinde. Oft lobt man des Baumes breite Krone und den wohltuenden Schatten, den er wirft (Grimm XII: Linde). Der Prophet Hosea nennt sie gemeinsam mit Eichen und Buchen: «denn sie haben feine Schatten» (4, 13) und Konrad von Megenberg schreibt um 1349/50 in seinem Buch der Natur (350, 5): «Der paum ist gar bekant pei uns und ist gar lüftiger Art», und er nennt «des paums schat» als Schutz und Schirm. Unter der Linde finden Feste, Hochzeiten und Vertragsabschlüsse statt. Unter ihr wird Gericht gehalten; in der Schweizer Bilderchronik von Schilling finden sich dazu mehrere Belege: Unter der Dorflinde von Schüpfheim tafelt Peter Amstalden mit seinen Gesellen und erzählt von aufrührerischen Plänen gegen 297 Ein überraschendes Detail: denn die Pappel, nach Plinius, Naturalis historiae, 17, 90, wirft keinen Schatten.
140 – Die Natur als Schauplatz und Handlungsort die Stadt Luzern (Schilling, fol. 127verso, S. 197 und Farbtafel). Unter der ummauerten Gerichtslinde vor der Stadt verbünden sich 1506 die Bürger von Mülhausen mit jenen der Stadt Basel (ibid., fol. 213recto, S. 325). Die Dorflinde von Beckenried ist Beratungsort der Vertreter der vier Waldstätte, die Sonderverträge mit dem französischen und dem deutschen König planen (ibid., fol. 263recto, S. 403). Auf der Landmatte von Schwyz gehen unter der Linde Belustigungen mit Musik und Schreittanz vonstatten (ibid., fol. 259recto, S. 397). «An der Quelle stand ein Baum; dort träumte mir. Ich war aus der Sonne zum Quell hin geflüchtet, damit die liebe Linde mir kühlen Schatten spendete. An der Quelle ließ ich mich nieder, vergaß meine Sorgen und schlief schnell ein» (Vogelweide / Stapf, S. 347). «‘Schläfst du, mein schöner Liebster? Bald wird man uns leider wecken. Ein Vögelchen, ein wohlgestaltes, ist auf der Linde Zweig gekommen’» (Dietmar von Eist; Wehrli, S. 63).
So wie das Lied der Vögel ein trauriges Ende hat, so vergehen der Linde Lieblichkeit und Zartheit («dar zuo der linde süeze und linde», mit dem Wortspiel linde – linde) (Vogelweide / Stapf, S. 459). Im Wiedergutmachungsverfahren für Jeanne d’Arc (1456) ist erstaunlicherweise ein Baum – es muß eine Linde sein – zentraler Gegenstand in der Anhörung der Zeugen (Schirmer-Imhoff, S. 131 ff.). In ihrer Heimat, Domrémy, lautete eine der Rückfragen: «Der Baum der Feen. Gingen die jungen Mädchen dorthin zum Tanzen? Die Quelle oberhalb. Ging Jeanne mit den anderen Kindern dorthin, und bei welcher Gelegenheit?» (ibid., S. 131). Hier kommt nochmals der alte Topos von “Linde und Quelle” vor.298 ❧ Tiere spielen vor allem in literarischen Werken eine Rolle. Sie werden seit dem Hohelied zu Vergleichen mit Menschen und deren Eigen- und Sonderheiten herangezogen: «Deine Blicke sind Tauben […], Dein Haar ist eine Ziegenherde […], Deine Brüste [sind] wie zwei Kitzen, Zwillinge einer Gazelle.» Im Gipfel der Erwähnungen nisten die Vögel, und das ornithologische Vokabular ist reich wie die zahlreichen Tierdarstellungen. Tierdarstellungen. Es sei hier auf Villard de Honnecourt zurückgekommen. Sein didaktischer Spaß an zoologischen Skizzen und sein offensichtliches Interesse an der Kreatur und ihren vielfältigen Formen ist bemerkenswert. Auch hier forscht er nach rassischen Gemeinsamkeiten. Seine Triangulationsstudien beziehen sich ebensogut 298
Zur Linde im Aberglauben siehe: HDA V, 1306–1309, mit weiterer Literatur.
Die Natur als Schauplatz und Handlungsort – 141 auf Pferde, Pferdeköpfe, Hunde, Adler, Schafe und Straußen (Hahnloser, Tafel 36). Immer wieder erscheinen zwischen seinen Figuren- und Architekturstudien einzelne Tiere (ibid., Tafel 1 [Elster und Schleiereule], 3 [Schnecke], 7 [Bär und Schwan], 14 [Fliege und Mücke, Krebs und Heuschrecke], 37, 47, 48, 52 [Löwen]). Tierstudien in Musterbüchern haben Tradition.299 Praktische Anwendung finden sie vor allem in Bestiarien. Sie belegen, daß in der zeitlichen Abfolge der Tierwelt und ihrer Vielfalt vor der genauen Wiedergabe des menschlichen Körpers Aufmerksamkeit geschenkt und zoologisches Wissen gefördert worden ist. Gesang der Vögel. Der Gesang der Nachtigall ist bereits in der Antike sprichwörtlich. Man hielt sich gezähmte Nachtigallen und zahlte für sie mehr als für Sklaven.300 Die gute Stimmung verbreitende Thematik – wie der Morgenruf des Hahns – findet sich auch in der christlichen Antike wieder. Es sei hier beispielsweise an die Morgenlieder im Cathemerinon des aus Spanien gebürtigen Aurelius Prudentius erinnert (um 405): «Der Hahn, des Tages Künder, / Verkündet schon das nahe Licht / Der aber, der die Geister weckt, / Christus, uns schon zum Leben ruft. / Tragt weg, ruft er, das Ruhebett, / Das faul und träg und müde macht. / […] Der Vögel morgendlicher Ruf / Erschallt bevor der Tag anbricht. Das ist das Bild des Kommenden, / Der einst uns alle richten wird» (Schneider, S. 462).
Oder Synesios, Bischof von Kyrene, der um Schweigen in der Natur bittet: «Die Erde schweige / Bei deinen Hymnen, / Bei deinen Gebeten. / Voll Ehrfurcht schweige. / Alles, was Kosmos ist, / Deine Werke, o Vater. / Schweigen soll / Das Wehen der Winde, / Das Rauschen der Bäume, / Der Sang der Vögel; / Still soll der Äther, / Still soll die Luft / Lauschen dem Sang. / Das Rauschen der Wasser / Stehe schweigend still / Unter Erde […].»301
Aus der Linde an der Quelle im Iwein drangen Vogelstimmen (in der Übersetzung von Manfred Stange: «Man wird nie mehr / – wie lange die Welt auch bestehe – / einen so herrlichen Vogelsang hören, / wie ich ihn bei der Linde vernahm, / als ich herzuritt. / Wäre jemand / todtraurig gewesen, / dann hätte ihn sein Herz erfreut. / Die Linde war mit Vögeln so übersät, / daß ich die Äste nicht sah / und auch wenig vom Laub erblickte. / Nicht zwei der Vögel ähnelten sich. / Ihr Gesang war so farbig / und in allen Tonlagen. / Der Wald gab ihnen / die Stimmen mit gleichem Klang zurück. / Wie Sang im Gesang erklang!» (Iwein, 604–620).
299
Scheller, Katalog 1, 4, 5, 9, 13, 16, 18, 20, 21, 23, 24, 26 (Pisanello), 28. – Zu den Tierdarstellungen bei Villard: Hahnloser, S. 268–272. 300 Belege bei Korzeniewski, S. 119–120. 301 Joachim Gruber / Hans Strohm (Hrsg.), Synesios von Kyrene: Hymnen. Heidelberg 1991.
142 – Die Natur als Schauplatz und Handlungsort Im späten Mittelalter sind Vögel weit mehr als nur fliegendes Beiwerk und symbolträchtige Botschafter: sie singen auch. Zu kaum einer anderen Zeit ist diese köstliche akustische Bereicherung im Tagesverlauf so dankbar vernommen, vermerkt und ausgekostet worden. «Lerche und Nachtigall begannen zu singen und ihre Freunde [Tristan und Isolde] zu begrüßen. […]. Die wilden Waldvögelchen hießen sie willkommen höchst lieblich in ihrem Latein. […]. Sie alle gaben beglückende Melodien in vielen Variationen. Viele anmutige Zungen gab es da, die sangen mehrstimmig ihre Lieder und Refraingesänge zur Freude der beiden Liebenden» (Tristan, 17353–17373).
«Wer einen Vogel besitzt, der das ganze Jahr über mit Gesang seine Wünsche erfüllt, sollte doch ab und zu nach dem Käfig sehen und dem Vogel gutes Futter geben! Dann sänge er seinem Betreuer mit Freude liebliche Weisen» (Neidhart, S. 79).302 Die Amsel läßt öfters von sich hören (vgl. Dante, La Divina Commedia, Purgatorio XIII, 123), da sie dann und wann zu früh dem Frühling traut, unwissend, daß schöne Sonnentage oft zu täuschen vermögen. Vögel sind Traumdeuter und Träger für (Wunsch)-Gedanken (Wenn ich ein Vöglein wär’ …).Vor allem in der Buchmalerei bevölkern sie Marginalillustrationen, in der Regel mit überraschend genauen ornithologischen Kenntnissen und scharfen Beobachtungen naturgetreu ins Bild gesetzt.303 Sie können wissenschaftlich bestimmt werden. Oftmals sind sie Träger christlicher Symbolik.304 Der Falke. Auf der Stickerei von Bayeux reitet Harold nach Bosham mit einem Falken auf seiner linken Hand (Gibbs-Smith, Tafel 1). Im deutschen Mittelalter wird der Held oder insbesondere der Geliebte mit einem Falken verglichen, so im Nibelungenlied. «Frauen und Falken (wip unde vederspil), die lassen sich leicht zähmen: wer sie richtig lockt – kommen sie dem Mann entgegen. So hat ein schöner Ritter um eine edle Dame geworben. Denk ich daran, bin ich wohl hohen Mutes» (Wehrli, S. 43). In der Manessischen Liederhandschrift erscheint der Falke im Grundbuch männlicher Attribute und Werte fest verankert, teils auf der Hand getragen, teils an einer Jagd beteiligt. Welche zentrale Stelle die Falkenjagd in höfischen Kreisen innehatte, belegt das einzigartige De arte venandi cum avibus von Kaiser Friedrich II.305 Eine 302
Die Stimmen der Nachtigall sind im übertragenen Sinn auch die Stimmen der Minnesänger: Bumke II, S. 712. – Héloise hat in ihrem ersten Brief an Abélard geschrieben: «Zwei Gaben waren dir, das weiß ich, in Sonderheit gegeben, durch die du die Zuneigung aller Frauen im Nu gewinnen konntest: die Gabe des Dichtens und die Gabe des Gesangs» (ibid., S. 713). 303 Beispielsweise im Stundenbuch der Bonne de Luxembourg. 304 Zur Symbolik der Vögel siehe: Charles Vaurie, Birds in the Prayer Book of Bonne de Luxembourg. In: Bulletin of The Metropolitan Museum of Art, Februar 1971, S. 279–281. – Für Vogeldarstellungen in frühmittelalterlichen Handschriften und ihre Herkunft siehe: Albert Boeckler, Die Kanonbogen der Adagruppe und ihre Vorlagen. In: Münchner JB der bildenden Kunst, dritte Folge, Bd. V, 1954, S. 7–22. – Siehe für allegorische Bedeutungen beispielsweise den Finken (Buch- und Distelfink): RDK VIII, Sp. 1309–1337, mit weiterführender Lit. und Abb. 305 Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Ms. Pal. Lat. 1071. Ich benutze die Ausgabe von Carl Arnold Willemsen, Das Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. Nach der Prachthandschrift in der Vatikanischen Bibliothek. Harenberg: Die bibliophilen Taschenbücher Nr. 152. Dortmund 21982. – Für den historischen
Die Natur als Schauplatz und Handlungsort – 143 antike Tradition der Beizjagd geht auf die von Aristoteles und Plinius genannten Thraker zurück. In den meisten Darstellungen der Manessischen Liederhandschrift sitzt der Falke auf des Jägers Hand, “er reitet bei” (Abb. 55), wie das Sich-auf-der-Faust-Niederlassen in der Jägersprache heißt. Der Falke dient aber gleichermaßen als Gleichnis für Freiheit: «Es stand eine Frau allein und spähte über die Heide und spähte nach ihrem Geliebten, da sah sie die Falken fliegen. ‘Wohl dir, Falke, daß du bist! Du fliegst, wohin dir lieb ist: du wählst dir im Walde einen Baum, der dir gefällt. So habe auch ich getan: ich wählte mir selbst einen Freund. Den haben meine Augen erkoren’» (Dietmar von Eist; Wehrli, S. 65. – Minnesang, S. 14).
Schoßhündchen und andere Hunde. Was dem standesbewußten Mann der Falke, ist der vornehmen Dame das Schoßhündchen (bichon). Hunde sind im allgemeinen Hinweise auf Treue, und so werden diese Zwerghunde in der Fachliteratur meist auch erklärt. Das ist, vor allem in der Grabplastik, moralisch einwandfrei, doch vermutet man, daß hier womöglich sogar erotische Aspekte mitschwingen.306 In Bérouls Tristan et Iseut tritt Tristans Jagdhund Husdent auf. Isolde bittet den Scheidenden, ihr das Tier zu überlassen: «Tristan, écoutez-moi un peu. Laissez-moi Husdent, votre braque. Jamais un chien de chasse ne sera gardé avec autant d’égards que celui-ci. Quand je le verrai, il me semble, je me souviendrai souvent de vous. Si triste que soit mon cœur, sa vue me réjouira. Jamais depuis que la loi divine a été proclamée, une bête n’aura été si bien hébergée ni couchée dans un lit aussi somptueux» (S. 79).
Im Eneasroman hielt sich Dido einen gut abgerichteten Jagdhund an der Leine, «den ließ sie von keinem Menschen streicheln oder auch nur anfassen; sie ganz allein wollte ihn führen. Das hätte sie nicht tun müssen. Er hatte ein rotes Ohr und ein schwarzes und eine schwarze Schnauze. Es war ein edler Hund, weiß wie ein Hermelin. Sie schlang die Leine um den Arm, so locker, daß sie nicht einschnitt. Sie war fest, lang und aus Seide geflochten. Sie konnte weder in den Arm noch in die Hand einschneiden, noch ihr Gewand in Unordnung bringen. Das Halsband war ein Riemen, der dazu gehörte, nicht zu lang und nicht zu weit. Er war mit Samt gefüttert» (Veldeke, Eneasroman, 61, 1767–1787). Zusammenhang siehe: Ernst Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite. Hauptband. Düsseldorf / München 1963, S. 332–337. – Siehe auch HDA II, Sp. 1155–1158. – Ein ebenso einsichtsreiches Werk ist Gaston Phébus, Le Livre de la chasse (um 1408; vgl. Paris 2004II, S. 231, 233 und 234). – Übersicht (Falke, Falkenjagd, Falkner und Falkenbuch) in: RDK VI, Sp. 1251–1366 mit Bildbeispielen. 306 Schoßhündchen dienten zur Stillung sexueller Gelüste. Dies verdeutlicht, was unter “Schoß” vulgariter zu verstehen ist. Diese “Luxushunde” (so in Lexika) bedeuten, daß die Zeichen für ein Liebesabenteuer günstig stehen.
144 – Die Natur als Schauplatz und Handlungsort Die weniger erquicklichen Seiten eines Hundes schildert der heilige Paphnutius in einer Vision (Klapper, S. 187): der Hund hat drei Eigenschaften, die gleichnishaft dem Verleumder eigen sind: 1. Treulosigkeit (perfidia), 2. Habsucht (avaritia; er rauft sich unter dem Tische um einen Knochen ebensogut mit seiner Mutter wie mit einem fremden Hund), 3. Böswilligkeit und Frechheit (nequitia und audacia, da ein Hund leicht einen anderen jagt und ihn durch Gebell und Bisse plagt). Der Sachsenspiegel mahnt den Schutz der Tiere an, denn «als Gott den Menschen erschuf, da gab er ihm Gewalt über Fische, Vögel und alle wilden [= wild lebenden] Tiere. Damit haben wir von Gott den Beweis dafür, daß niemand sein Leben oder seine Gesundheit an diesen verwirken kann». Schutzgebiete waren in Sachsen die Bannforste: «Wer durch den Bannforst reitet, dessen Bogen und Armbrust sollen ungespannt, sein Köcher bedeckt, seine Windund Jagdhunde festgehalten und seine Hunde angekoppelt sein» (Sachsenspiegel / Schott, Landrecht III, 61/1; 61/3). «Einen Hund, den man ins Feld mitnimmt, soll man an der Leine führen. Damit er keinen Schaden anrichtet. Richtet er aber Schaden an, so muß ihn derjenige bezahlen, der dem Hund ins Feld folgt. Oder dessen Herr, wenn er es nicht bezahlen kann» (ibid., Landrecht III, 49).
Musik und Tanz
Zwischen Ars Antiqua und Ars Nova
«[…] sine musica nulla disciplina potest esse perfecta, nihil enim sine illa. Nam et ipse mundus quadam harmonia sonorum fertur esse conpositus, et caelum ipsud sub harmoniae modulatione revolvi. Musica movet affectus, provocat in diversum habitum sensus.» Isidor von Sevilla, Etymologiae III, 17, 1.
Musik hat von allen Künsten die größte Einwirkung auf die Gestik. Musik allein bringt den Körper in rhythmische Schwingung. Musik kann im Lied gesungen oder mit Blas- oder Zupfinstrumenten, vom Solo bis zum kleinen Orchester, aufgeführt werden. Was über die körperlich statische Schwingung hinausgeht, das heißt, wenn der von Musik Betroffene sich schrittweise in dem ihm zur Verfügung stehenden Umraum zu bewegen beginnt, kommt der Tanz ins Spiel. Quintilian widmet der Musik in der Institutio oratoria ein eigenes Kapitel (I 10, 9–33). «Denn wer weiß nicht, daß die Musik […] schon in jenen alten Zeiten nicht nur Pflege, sondern gar solche Verehrung genoß, daß man – um andere beiseite zu lassen – in einem Orpheus und Linus zugleich den Musiker, Seher und Weisen erkannte: beide, heißt es, seien von göttlicher Abkunft.» In Malerei und Musik werden oft gleichzeitig sinnverwandte Entscheidungen getroffen. Trotz der prekären allgemeinen Überlieferung begegnet man gerade in der Zeit von 1200 bis ins frühe 15. Jahrhundert einer Reihe bedeutender, profilierbarer Komponistenpersölichkeiten, die, vor allem um und seit 1300 mit Johannes de Grocheo, tragfähige Ausgangslagen für die Zukunft ihrer Kunst geschaffen haben. Dies erinnert, was die allgemeine geistige Situation anbetrifft, an ihre malenden Zeitgenossen. In einigen Bestrebungen glaubt man – namentlich im Kunstwollen – von engen Parallelen sprechen zu können. Es dürfte beispielsweise schwerlich Zufall sein, daß die Entdeckung der Lieblichkeit in der Malerei gleichzeitig mit den Schritten in die wohlklingende Polyphonie stattfand. Das Hauptgewicht der nachfolgenden Notate liegt auf dem 14. und frühen 15. Jahrhundert. Einen zuverlässigen Führer, in dem die wesentlichen Aspekte verständlich erläutert werden, bietet Bernhard Morbach. Ich beschränke mich auf einige in Bildbelegen dargestellte Instrumente,307 da diese als “Werkzeuge” mit den damit verbundenen oder 307 Für einige (und in den Bildbelegen erschließbare) Instrumente: siehe Sachwortverzeichnis unter Musikinstrumente.
146 – Musik und Tanz durch sie bedingten Gebärden zusammenhängen. Auf Ausführungen über Notationen mittelalterlicher Musik wird verzichtet.308 Die Musik war, nach mittelalterlichem Verständnis, mit Arithmetik, Geometrie und Astronomie dem quadrivium zugeordnet, das mit dem trivium zusammen – Dialektik, Grammatik und Rhetorik – zu den sieben artes liberales gehörte. Letztere definierten den mittelalterlichen Wissenschaftsbetrieb. Boethius unterteilte auf dem Fundus pythagoreischen und platonischen Gedankengutes die Musik nochmals in Musica mundana, Musica humana (mit Vorrangstellung) und Musica instrumentalis.309 Was dabei als “alte” und “neue” Musik gilt, bezeichnet den Übergang von der Pariser Notre-Dame-Epoche (um 1160/80 bis um 1230/40) und der Ars antiqua (um 1230 bis um 1310/20) zur zeitlich anschließenden Ars nova (bis um 1377, dem Todesjahr des Komponisten Guillaume de Machaut). Mit Dufay und den Nachfolgern ist in der Musikgeschichte eine personalisierte Epochenbezeichnung möglich geworden: Dufay 1400–1460 – Ockeghem 1460–1500 – Josquin 1500–1530 Begreiflicherweise schwanken die Periodengrenzen in der wissenschaftlichen Diskussion. Was chronologisch auf Machaut folgt, ist nach der Terminologie von Heinrich Besseler die “französische Spätzeit”, auch als Ars subtilior bezeichnet, namentlich auf die Musik von Guillaume Dufay zutreffend. «Dufays Musik, im Unterschied zu allem Vorhergegangenen, [ist] das erste europäische Zeugnis echter ‘Mehrstimmigkeit’ im uns vertrauten Sinne. Hier entstand die Voraussetzung, ohne welche die Mehrstimmigkeit Palestrinas und diejenige J. S. Bachs nicht denkbar ist.»310 Die Ars nova eröffnet eine neue Epoche in der Geschichte der mehrstimmigen Musik. Hugo Riemann (1905) stellte sie selbständig zwischen “Das zentrale Mittelalter” und “Das Zeitalter der Renaissance bis 1600”, dann 1907 in “Die Musik des Renaissance-Zeitalters” (1300–1600). Die Epochen-Bildung diskutiert ausführlich Werner Braun. Der Begriff Ars nova scheint auf Schöpfungen und Aussagen von Philippe de Vitry (um 1291–1361) zurückzugehen. Seit 1350 war der Freund Petrarcas Bischof von Meaux. Philippes neue Dichtung erreicht im Werk des Komponisten Guillaume de Machaut (um 1300–um 1377) eine Scheitelwelle. Für die Verbreitung seines Gedan308 Über Notationen, die gaphisch erhaltenen Zeugen von Musik, unterrichtet für das europäische Mittelalter MGG IX, Sp. 1611–1667 (einstimmige Musik; mehrstimmige Musik; instrumentale Musik). Kürzer gefaßt: Manfred Kelkel und Emil Platen, Noten, Notenschrift, in: Musiklexikon III, S. 463–480. – Leo Schrade, Die Darstellung der Töne an den Kapitellen der Abteikirche zu Cluny. In: DVJS 7, 1929, S. 229–266. – Morbach passim. 309 Siehe Philippe Verdier, L’iconographie des Arts Libéraux dans l’art du Moyen Âge jusqu’à la fin du quinzième siècle. In: Actes du quatrième Congrès international de philosophie médiévale (1967). Montréal / Paris 1969, S. 305–355. 310 Rudolf Bockholdt in: Musiklexikon I, S. 745. – Helmut Hucke, Palestrina als Klassiker. In: Hermann Danuser, Gattungen der Musik und ihre Klassiker, Laaber 1988, S. 19–34. – Im Überblick: Kurt von Fischer, Die Musik des Trecento. In: Das Trecento. Italien im 14. Jahrhundert. Zürich / Stuttgart 1960, S. 183–214; Glied einer Ringvorlesung der Universität Zürich: vgl. Peter Meyer für das Gesamtprogramm der Beiträge.
Zwischen Ars Antiqua und Ars Nova – 147 kenguts ist bedeutungsvoll, daß er annähernd dreißig Jahre im Dienste des Königs von Böhmen stand. Er folgte ihm nach Prag, Polen und Rußland. «In der Literatur vertritt er den neuen Typus des höfischen Dichters, der wissenschaftliche Bildung und künstlerische Begabung verbindet und zunächst Künstler der Form und des Ausdrucks ist. Seine Liebeslyrik zeigt ihn als den ‘grand rhétorique de nouvelle forme’, wie das folgende Jahrhundert ihn nannte, doch geht es auch ihm, was die Inhalte anbetrifft, wie bei Dante und Petrarca, um sinnendes, reflektierendes Erfassen der Liebe; er selbst, sein eigenes Denken und Fühlen stehen im Mittelpunkt.»311 Kirchenmusik. Als tiefste Zäsur in der abendländischen Musikgeschichte gilt diejenige zwischen Altertum und Kirchenmusik. Die Kirchenmusik des Mittelalters, der gregorianische Gesang, läutet den Beginn eines neuen Zeitrasters, neuer Sinnstrukturen sowie neuer Sachzusammenhänge ein. Doch der gregorianische Gesang «war weder ein Stilideal noch ein definiertes Repertoire. Er war auch nicht die ‘einstimmige’ Kirchenmusik; die mehrstimmige Musik des Abendlandes hat sich aus der mehrstimmigen Vortragsweise des gregorianischen Gesangs entwickelt».312 Im St. Trudperter Hohelied heißt es: «Werde laut, helle Stimme, daß dich die Unruhigen hören, geh hervor, süßer Ton [suozer tôn], daß die Hörenden dich loben. Erhebe dich, herrlicher Klang, daß du zum Schweigen bringst den Lärm der unseligen Welt. Erhebt euch denn, heilige Noten der herrlichen Musik [der wunneclîken mûsicê] […]. Geh durch den Sinn des gehörlosen Toren, komm durch den Mund des sprachlosen Stummen, komm durch den Nebel des finstern Elends, daß dir Lob daraus werde, daß das unverschlossene Lied gehe durch den verschlossenen Mund, daß ich Lob sage dem höchsten Bräutigam und der heiligsten Braut» (Wehrli, S. 7).313
Bewegung in der Musik ist das Fortschreiten einer Melodie oder einer Einzelstimme. Motus rectus ist die Parallelbewegung der Stimmen, motus contrarius die Gegenbewegung, eine Bipolarität, die gelegentlich in bildlichen Darstellungen vorliegt (Abb. 48 a und b, 82). Schmidt-Görg (S. 14–15) zitiert eine Stelle aus dem Speculum Charitatis des Zisterzienser Abtes Ælred von Rievaulx314 (2. Buch, 23. Kapitel mit der Überschrift De vana aurium voluptate [“Von eitler Ohrenergötzung”]): 311 Schmidt-Görg, Musik der Gotik, Bonn 1946, S. 25–26. – Spindler 2009. – Diesem Abschnitt liegen außerdem paraphrasierte Formulierungen und Definitionen zugrunde, die im Metzlerschen Musiklexikon unter Ars antiqua, Ars nova, Ars subtilior und Guillaume Dufay zu finden sind. 312 Hucke (wie Anm. 310), S. 19. 313 St. Trudperter Hohelied, das älteste Buch deutscher Mystik des 12. Jh., aus St. Trudpert im Schwarzwald. – Über die Anfänge des geistlichen Singens und des Gesangs vor Guido von Arezzo siehe: Christopher Page 2010. 314 Ælred lebte von 1109 bis 1167. Das Kloster Rievaulx (Yorkshire) war nach Waverley (1128) die zweite zisterziensische Niederlassung in England (1131). Vgl. Donald Attwater, The Penguin Dictionary of Saints. Harmondsworth 1965, S. 32–33. – L’art cistercien hors de France. Zodiaque, l’Abbaye de la Pierre qui vire, 1971, S. 29–30.
148 – Musik und Tanz «[…] woher in der Kirche soviele Orgeln, soviele Glockenspiele? Wozu, frage ich, jenes schreckliche Pfauchen der Blasebälge, die mehr das Krachen des Donners als die Süßigkeit der Stimme ausdrücken? Wozu jenes Zusammenziehen und Zerhacken der Stimme? […] mit Gauklergebärden wird der ganze Körper bewegt, werden die Lippen verdreht, die Schultern verrenkt, die Finger nach den einzelnen Noten verbogen. Und diese lächerliche Zerfahrenheit nennt man Gottesdienst, und wo solches häufiger getrieben wird, dort, so schreien sie, würde Gott ehrenvoller gedient. Inzwischen steht das Volk und bestaunt zitternd und erschreckt das Geräusch der Bälge, den Lärm der Glockenspiele, die Harmonie der Orgelpfeifen; aber die lasziven Gebärden der Sänger, die dirnenhaften Verdrehungen und Zerhackungen der Stimmen vernimmt es mit Hüsteln und Gelächter, sodaß man glauben möchte, es wäre nicht zum Gotteshaus, sondern zum Schauspiel gekommen.»315
Joseph Klapper schließt in sein Korpus den Text Scribit dyabolus peccata hominum in ecclesia (S. 258) ein, den er deutsch titelt mit Der Teufel mit der Kuhhaut (S. 49–50): «Man liest, daß der heilige Gregor einst während der Messe um die Zeit der Wandlung auflachte. Darüber wunderte sich sein Diakon Petrus und fragte ihn, warum er während der Feier der heiligen Messe in Lachen ausgebrochen sei. Der Heilige aber antwortet ihm: ‘Ich sah einen fürchterlichen Teufel auf einer Stange sitzen, der eine mächtige Kuhhaut trug; und darauf schrieb er alle Worte, die die Menschen zueinander im Verlaufe der Messe redeten. Aber die Leute schwätzten soviel miteinander, daß es nicht auf der gewaltigen Kuhhaut Platz hatte. Da wollte der Teufel die Haut dehnen und zerrte an ihr mit den Zähnen; und als er allzu stark daran zog, da zerriß sie, und der Teufel fiel von der Stange. Darüber mußte ich lachen.’»316
Weltliche Sänger, Musikanten und ihre Instrumente. «Thronerhebung und Hochzeit, Ritterschlag, Heimkehr von Reise und Kriegszug, das waren allesamt gesellschaftliche Höhepunkte im höfischen Leben. Die Schwertleite und die mit dem Ritterschlag verbundenen Ritualien, Festlichkeiten und Kampfspiele – Turnier und Buhurt – boten alle Möglichkeiten für den Auftritt von Spielleuten und deren großzügige Entlohnung» (Hartung, S. 188). Seit dem 11. Jahrhundert stellte sich in den höheren Bildungsschichten eine weltliche Liedkunst neben den kirchlichen Gesang: die Musik der provenzalischen Trou-
315
Siehe den im ausgehenden 15. Jh. entstandenen Einblattdruck mit der Polemik gegen die Kirche als “öffentlichen Ort”, den Boockmann abbildet (Nr. 314) und kommentiert (S. 202). – Das Problem findet sich noch in den Verhandlungen des Konzils von Trient. Am 17. September 1562 wird dort folgendes Dekret verabschiedet: «Aus den Kirchen soll alle Musik (musicae), bei der in Orgelspiel oder Gesang irgend etwas Laszives oder Unreines vorkommt, verbannt sein, ebenso wie alles weltliche Tun, eitle oder profane Gespräche, Herumgehen und Lärmen, damit das Haus Gottes wirklich als ein Haus des Gebetes erscheine» (zit. nach Helmut Hucke [wie in Anm. 310] in: Danuser, Gattungen der Musik…, S. 23). – Tanzen in der Kirche: Schmitt 1990, S. 90–92. – Über die “Kirchen als Tanzpaläste” vgl. Hartung, S. 217–221. 316 Siehe die Anmerkung von Klapper, S. 258 für Literatur und Parallelen.
Zwischen Ars Antiqua und Ars Nova – 149 badours und der nordfranzösischen Trouvères. «Dichtung und Musik verschmolzen in ihr zu einer untrennbaren Einheit.»317 Ihrer Wesensart nach entstand diese Musik aus dem volkstümlichen Musikwesen der fahrenden Sänger und Spielleute, der Nachfolger der spätantiken Mimen und Schauspieler. Wolfgang Hartung hat 2003 das wesentliche Material zum Thema der Spielleute, Gaukler, Dichter und Musikanten zusammengestellt und kommentiert. Die musikalischen Geltungsbereiche sind genau definiert. Neben der nichtwahrnehmbaren Musica mundana (außerirdische Musik) handelt es sich um Musica humana (menschliche Musik) und Musica instrumentalis (instrumentale Musik). Nach diesen Kategorien vermag man zu gliedern, wobei die Musica mundana als die unhörbare Musik in den Bewegungen der Himmelskörper liegt: in der Harmonie der Sphären.318 Glaubwürdige Einblicke in den weltlichen Musikbetrieb des frühen 14. Jahrhunderts bietet die Manessische Liederhandschrift. Aufschlußreich ist in erster Linie die Darstellung Heinrich Frauenlobs und seiner Musiker (Abb. 80). Der 1318 verstorbene Meister gründete die Singakademie in Mainz. In der Miniatur thront er als berühmter Zeitgenosse – «in Spielmannskönigtracht» (Naumann, S. 45) – und gibt mit Taktstock und Fingerzeig dem rechts stehenden Fidler zu verstehen, mit der Musik auszusetzen, was dieser mit erhobenem Bogen zur Kenntnis nimmt und schwungvoll bestätigt. In diesem Augenblick setzt das Orchester aus: Es beginnt der Vortrag des ergrauten und daher wohl auch geübten und erfahrenen Fidelspielers.319 Er steht auf einem bühnenartig unter ihm ausgebreiteten Fell, das auf einer grünen Wiese liegt. Dieses Detail muß als besondere Ehrung verstanden werden. Bei höfischen Festlichkeiten wiesen Dichter und Chronisten mehrmals auf dieses Ausbreiten von Decken. In der unteren rechten Ecke steht ein Spieler mit Sackpfeife. Den Balg
317 Alfred Einstein, Geschichte der Musik. Leiden 1934, S. 17. – Gustave Chailley, La Musique médiévale. Paris 1951. Maßgebend sind in Joachim Bumkes Höfischer Kultur die Texte über den mittelalterlichen Musikbetrieb, über Musiker und ihre Instrumente. Ich verweise vor allem auf folgende wichtige Stellen auf den Seiten 257, 291–293, 296, 307, 309, 438 und 476. – Zur Literatur über weltliche Festmusik und die dabei verwendeten Instrumente: Bumke II, S. 825–826. – Emanuel Winternitz, Musical Instruments and their Symbolism in Western Art. London 1967. – Aus ad hoc zusammengestellten Musikanten haben sich zu Ende des Mittelalters die Hofkapellen entwickelt: Reinhard Strohm, Hofkapellen. Die Institutionalisierung der Musikpflege im Zusammenwirken von Hof und Kirche. In: Institutionalisierung als Prozeß – Organisationsformen musikalischer Eliten im Europa des 15. und 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Birgit Lodes und Laurenz Lütteken. Laaber 2009, S. 79–102 (= Analecta Musicologica 43). – Die beste Darstellung der Tätigkeiten von Gauklern, Dichtern und Musikanten und ihrer gesellschaftlichen Stellung jetzt bei Wolfgang Hartung 2003. – Vgl. Gülke 1998. 318 So Goethe im Faust, Anfang des Prologs im Himmel: «Die Sonne tönt, nach alter Weise, / In Brudersphären Wettgesang» (Goethe, 6.1, S. 541). 319 Die drei- oder viersaitige Fidel (so in der Miniatur; Farbabb. in: Magdeburg 2009, S. 287) spielte im Mittelalter eine beachtliche Rolle. Vermutlich kam sie aus dem Orient über Spanien (fidula) nach Mitteleuropa. Im Gegensatz zur modernen Geige liefen die Saiten über einen flachen Steg, was neben der Melodieführung eine gleichzeitige Bordunbegleitung mit durchgehenden Haltetönen erlaubte. Das Instrument wurde nicht unter das Kinn geklemmt, sondern gegen die Brust gehalten, seltener in Kniehaltung gespielt, wodurch gleichzeitiges Singen möglich war. Vgl. Walther von der Vogelweide: «wol ûf, swer tanzen welle nâch der gîgen» («Auf denn, wer zur Geige tanzen will», Vogelweide / Stapf, S. 102 und 103).
150 – Musik und Tanz klemmt er unter seinen linken Arm, um die aus einem Fell bestehende “Bühne” für den Fidler soeben auszubreiten; ein weiterer Sackpfeifer findet sich auf fol. 13recto. Die restlichen Musikanten halten Blasinstrumente in den Händen. Links ist ein Psalterium zu erkennen, ein harfenartiges Instrument.320 Die Traversflöte, so auf fol. 423verso gezeigt, spielt sich ähnlich einer Querflöte. Der Helfer links trägt eine kleine Trommel um den Hals. Drei der Musiker scheinen mit ihren gesenkten Händen den Takt zu schlagen. Auf Grund der Text- und Bildbelege glaubt man gerne, daß Musik, solistisch vorgetragen, als Begleitung einer Singstimme oder als gemeinsames Musizieren bei improvisierten Tänzen im ganzen Mittelalter bevorzugte Stellungen eingenommen hat. Isidor von Sevilla war sich sicher, wie oben zitiert, daß nichts ohne Musik vollkommen sein könne; nichts existiere ohne sie. Man würde sogar sagen, daß selbst die Welt aus einer Harmonie von Tönen zusammengesetzt sei und der Himmel sich im Klang der Harmonie drehe. Die Musik bewege das Gemüt und errege die Sinne auf verschiedene Weise.321 Das Bespielen eines Instruments verändert die Körperhaltung und die Gebärden des Musikers. Ob er mit beiden Händen trommelt oder Glocken schlägt oder fidelt: hier haben die Bogenhand und ihr Arm die Möglichkeit, weit auszuholen, während der linken Hand auf dem Griffbrett beschränkte, doch oft virtuosere und schnellere Bewegungen abverlangt werden. Fidelspieler zeigen in den Illustrationen ein enges körperliches Zusammengehen mit dem Instrument. Der ganze Körper beginnt, wie zum externen Resonanzkasten geworden, zu “schwingen.” Auch so kann der Zuhörer an der Musik teilnehmen. Im Tristan wundert sich Marke, daß Gandin eine kleine “Rotte” auf dem Rükken trug, «die mit Gold und Edelsteinen geschmückt und verziert und vortrefflich besaitet war» (Tristan, 13118–13122). Später trug er dem Hofe einen Leich vor; der Held tritt mit einer Harfe auf. Aus dem Tristan erfährt man ebenso, daß es zum Wesen der Musik gehört, «daß man sie nicht lange betreiben kann, wenn man nicht in Stimmung ist» (Tristan, 7530–7532). Das Instrument muß demnach mit dem Seelenzustand des Spielers übereinstimmen, es ist ein Teil des Ichs, so wie die Harmonie zwischen Kleidung und Körper eine Symbiose zu bilden hat. «Viele anmutige Zungen gab es da, die sangen mehrstimmig ihre Lieder und Refraingesänge [diu dâ schantoit und discantoit ir schanzune und ir refloit] zur Freude der beiden Liebenden [Tristan und Isolde]» (Tristan, 17370–17373). Carel van Mander war offensichtlich nicht nur ein guter Musikhörer, sondern auch ein scharfer Beobachter. Er schreibt, vom Genter Altar der Brüder van Eyck beeindruckt: «Zu Seiten dieses Marienbildes gewahrt man Engel, die nach Noten 320 Hierzu: Diatonik in: Musiklexikon I, S. 685–686. – «Zu jener Zeit [2. H. 12. Jh.] konnte ein jeder die Harfe gut spielen. Je vornehmer er war, umso besser verstand er sich darauf» (zit. nach Bumke II, S. 753). – Der “e Alexander” reitet an einer Harfenspielerin vorbei (Abb. 50), wobei zu bemerken ist, daß sie mit beiden Händen auf der linken Hälfte des Instruments zupft. Dazu auch: Roslyn Rensch Erbes, The Development of the Medieval Harp. A Re-examination of the Evidence of the Utrecht Psalter and its Progeny. In: Gesta XI/2, 1973, S. 27–36. 321 Das Thema im Überblick: Hartmut Braun, Musik, Musikinstrumente. In: LCI IV (Nachtrag), Sp. 597–611 (mit ausgewählter Lit.).
Zwischen Ars Antiqua und Ars Nova – 151 singen und so kunstreich und gut gemalt sind, daß man an ihren Bewegungen leicht erkennen kann, wer die Dominante, die Altstimme, den Tenor und den Baß singt» (I, S. 31). Feste und Gelage.322 In der Manessischen Liederhandschrift nimmt der Betrachter an einem festlichen Mal unter Männern teil. Es lädt Herr Steinmar zum Gelage ein (fol. 308verso, farbige Abb.: Wehrli, S. 378). Freudige Bewegungen begrüßen Weinkanne und das auf einer Schüssel herangetragene Huhn. Das Lied Steinmars ist allerdings weitaus großzügiger und üppiger: «Wirt, du sollst uns Fische geben / mehr als zehnerlei, / Gänse, Hühner, Vögel, Schweine, / Würste, Pfauen seien da, / Wein von welschem Lande. / Davon gib uns viel und laß uns Schüsseln / türmen: / Becher und Schüsseln werden von mir bis / zum Grund geleert. / Wirt, laß deine Sorgen sein: / Auf! Kann doch Wein ein traurig Herze trösten. Was du uns gibst, das würz uns wohl, /mehr als man mit Maß tun soll, / daß in uns eine Hitze werde, / daß dem Trunk ein Dunst entgegenschlage / wie Rauch von einer Feuersbrunst, / und daß man in Schweiß gerate, / daß man meine, mit dem Wedel sich zu schlagen. / Mach, daß unser Mund wie eine Apotheke / rieche. / Verstumme ich von des Weines Kraft, / auf! So schütte in mich hinein, Wirt, / bei unsrer Freundschaft!» (Wehrli, S. 381 und 383).
Nicht allein großzügiger, sondern geradezu ein Hohelied auf die Völlerei – und dies lange vor Rabelais. Vor der Wucht der ins Maßlose gerückten Leidenschaften hätte wohl jeder Illustrator die Segel gestrichen. Tanz und Tänze. Tanz ist die periodische Wiederkehr bestimmt geformter, verschieden betonter, in ihrem Verlauf sich steigernder und abwechselnder Gestik des gesamten Körpers. Der Tanz beruht auf dem Trieb, sich rhythmisch gemeinsam als Gruppe oder mit einem Partner zu bewegen: dazu ist die musikalische (gesungene oder instrumentale) Begleitung als Stütze unabdingbar. Zuschauer schlagen den Takt mit ihren Händen oder wiegen sich als “Kette” im Rhythmus (Abb. 79, 81, 82). Tanz kommt als ritterliches Wort vom französischen dance. «Die Geschichte des Tanzes im Abendland ist in erster Linie eine Geschichte der Tänze» (Fritz Feldmann in: MGG XIII, Sp. 95). Für das Mittelalter fehlen Beschreibungen über die Ausführung der Tänze als rhythmisch geregelte und meist in Gruppen vollzogene Körperbewegungen. Die besten frühen Hinweise datieren erst aus dem späten 16. Jahrhundert. Man verdankt sie Kanonikus Thoinot Arbeau aus Langres und seiner Orchésographie (1588).323 Von Tanz und Tänzern war schon mehrfach die Rede. Die Tatsache, daß sich praktisch jede Kreatur bewegt, hat von jeher Menschen dazu veranlaßt, Bewegung 322
Musiklexikon IV, S. 478–480. Zusammenfassende Darstellung bei Hartung, S. 189–204. – Für das Festbankett Philipps des Guten zu Lille 1453: Alewyn / Sälzle, S. 76–81. – Die klassischen Festbeschreibungen bei Cartellieri, S. 143–178; für die von Cartellieri benutzte Literatur: ibid., S. 288–297. 323 Reprint Hildesheim 1989. Über seine teils widersprüchlichen Angaben: Bie, S. 141.
152 – Musik und Tanz als eine mit dem Leben zusammenhängende Erscheinung aufzufassen und im rhythmisierten Tanz eine sublimierte Form menschlicher Bewegungsabläufe zu erkennen. Nach Clemens von Alexandria tanzen im Himmel die Seligen mit den Engeln. Dante spricht von einem Tanz der Sonne und der Sterne, den die Liebe bewegt. König David tanzte beim Einholen der Bundeslade (Schmitt 1990, S. 86–90). Quintilian stellte fest, daß die auf Zahlen gegründete Ordnung der Musik in zwei Formen gegenwärtig sei: in der Stimme und der Körperbewegung (Institutio I 10, 22). Für ihn gehören sie als rythmos und melos aufs engste zusammen («in vocibus et in corpore»). Die passende und geschmackvolle Körperbewegung, die eurythmia, gehört selbst für einen Redner zur unentbehrlichen Grundausbildung: «corporis quoque aptus et decens motus» (ibid., I 10, 22 und 26). Noch Cesare Ripas Iconologia illustriert den Artikel Allegrezza mit einer Tanzenden. Tanzvergnügen ergänzten Siegesfeiern und kultische Handlungen; doch gibt es seit dem 15. Jahrhundert zusätzlich den Totentanz.324 Im Alten Testament tanzte der Psalmist David eines Königs so unwürdig wild, daß seine Gattin, Tochter des Königs Saul, sich von ihm verachtungsvoll abwandte (Dante erwähnt die Episode in der Divina Commedia im Purgatorio X, 64). Das Christentum lähmte anfänglich die Tanzfreudigkeit, im Mittelalter erstand sie wieder auf im Bauern- und im Zunfttanz der Handwerker und später im Geschlechtertanz des Bürgertums. Doch gibt es auch sakrale Tänze, auf die Jacques Heers hinweist: «Certaines cérémonies solennelles, et de caractère plutôt local, engageaient les clercs en de véritables danses rituelles, complexes, fort longues, pratiquées souvent hors de l’église, que l’assistance attendait comme un rite, certes, mais aussi comme l’un des spectacles de la fête du jour. A Besançon, les chanoines dansaient la ‘Bergerette’ que l’on connaît un peu, car elle fut condamnée par le concile de Vienne en 1311» (Heers 1982, S. 48–52; Zitat S. 51). Vom höfischen Tanz, der sich seit dem 13. Jahrhundert entwickelte, ist das Gegensatzpaar Reigen als Schreittanz und Springtanz sowie die musikalische Struktur der französisch-ritterlichen Ballade und Estampie bekannt. Der zum Schreittanz gehörige Springtanz hieß in Deutschland Hupfauf (Abb. 132), Nachtanz, Proportz, in Spanien alta danza, in Italien saltarello, in Frankreich pas de breban – Bezeichnungen, die zusätzlich etwas über die Tanzmotorik aussagen. Der bäurische Tanz wird “gesprungen”, wie in einer Bibel aus dem 13. Jahrhundert (Bodleian Library; Higgs, Abb. 1 a) und wie bei Pieter Brueghel d. Ä. in dessen Bauernhochzeit (Wien, um 1568) dokumentiert. Der höfische Tanz wird “getreten”. Mit der Scheidung zwischen Volkstanz und aristokratischem Gesellschaftsreigen, seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar, entstand eine Vielfalt von Paartänzen (Pavane [Bie, S. 144], Gaillarde [Bie, S. 147], Passamezzo, die Allemande [der deutsche Tanz, 324 Der älteste bekannte monumentale Totentanz befand sich im Friedhof der Innocents in Paris, um 1424/25. Bereits im 17. Jh. einer Straßenerweiterung zum Opfer gefallen, wird er in illustrierenden Holzschnitten der Danse macabre von Guyot Marchant (Paris 1486) reflektiert. – Für den deutschsprachigen Raum: Kassel 1998. – Zum Basler Totentanz aus dem Umkreis von Konrad Witz: Basel 2011, S. 202–211. – Allgemein: Wolfgang Stammler, Die Totentänze des Mittelalters. München 1922. Siehe auch Wehrens 2012.
Zwischen Ars Antiqua und Ars Nova – 153 seit dem 16. Jahrhundert], die französische Courante, die spanische Sarabande [Bie, S. 144–145]). Beliebter Tanz war der französische branle (MGG II, Sp. 219–223), noch unter den ersten Medici praktiziert (Bie, S. 150–151). Die gesellschaftliche Veranstaltung, Ball genannt, kommt unter Ludwig XIV. auf. Auch der Walzer (in der heutigen Form seit etwa 1750 belegt) geht in seinen Urformen jedoch auf die beim Volk beliebten Drehtänze des 14. Jahrhunderts zurück. Die literarischen Belege sind zahlreich. «Megenwart hat eine große Stube. Wenn’s euch allen wohl gefällt, wollen wir den Sonntagtanz dorthin verlegen. Seine Tochter wünscht es, daß wir uns da treffen. Einer soll’s dem andern sagen. Einen Tanz rund um den Tisch bereitet Engelmar vor» (Neidhart, S. 35). «Horch, ich höre in der Stube tanzen. / Ihr jungen Männer, / macht euch auf. / Da ist von Bauernweibern ein großes Rudel. / Da erblickte man ein großes Ridewanzen, / Zweie spielten Geige: / als sie schwiegen, / war das lustiger Burschen Wonne; / seht, da ward zum Zechen vorgesungen. / Durch die Fenster ging der Lärm. / Adelham / tanzt immer nur zwischen zwei Jungfern» (Wehrli, S. 343). «Räumt die Schemel und Stühle aus! Laß die Tische forttragen! Heute wollen wir zum Umfallen tanzen. Reißt die Türen auf, dann ist es luftig, so daß der Wind den Mädchen kühlend durch ihre Mieder wehen kann. Wenn die Vortänzer dann zu Ende sind, seid ihr alle aufgefordert, mit uns zu treten wieder ein höfisches Tänzchen nach der Geige» (Neidhart, S. 41).
Klapper erinnert an die Geschichte einer Jungfrau, die aus Liebe zu Maria auf den Tanz verzichtete: «Eine Jungfrau, die aus ritterlichem Geschlechte und äußerst schön war, war dem Tanze leidenschaftlich ergeben.» Auf Grund der gestrengen Mahnungen eines Bruders aus dem Predigerorden verzichtete sie dann auf diese Vergnügungen (Klapper, S. 64–65; lat. Text S. 271–273). In der Manessischen Liederhandschrift fallen die ranke Zartheit sowie die grazilen Arm- und Handbewegungen der Tanzenden auf (Abb. 79). Heinrich von Stretlingen (Abb. 82) wiegt sich anmutig-geziert vor seiner Dame, die mit den Fingern den Takt schnalzt. Bei Tanzenden lösen sich die Arme und Hände aus der Körpersilhouette, was Leichtigkeit und Eleganz der Figuren und den Einsatz des ganzen Körpers erst ermöglicht. Sie sind von jeder zweckgebundenen Arbeitsleistung und deren motorischen Zwängen (wie beispielsweise beim Dreschen) befreit.
Exkurs zum “Bildwissen”
Vom Umgang mit Vorbildern. Eine Zusammenfassung
Fragen zum Bildwissen sind in der Fachliteratur ins Hintertreffen geraten. Sie scheinen jedoch gerade am Rande der oben behandelten Probleme in der Lage, Rechte einzufordern, um Beachtung in den vorderen Rängen der Forschung zu gewinnen. Zur Veranschaulichung: Diese Aspekte sind 2013 von den Kuratoren der in Florenz und Paris gezeigten Ausstellung La Primavera del Rinascimento erneut verpaßt worden. Das gotische Erbe, das vor allem in der Gestik weiterlebt, rückt nicht etwa nur hinter die antiken Anregungen, sondern wird umgangen.325 Zweifellos spielen antike Sarkophage eine inspirierende Rolle, doch die in Kunstwerken dargestellten Figuren bewegen sich nicht ausschließlich all’antica, sondern vor allem auch alla gotica (und internazionale) – nämlich mit den Errungenschaften des “Weichen Stils” um 1400. ❧ Unter Bildwissen326 sind hier ikonische Kenntnisse der Künstler sowie deren Anwendung verstanden. Wie verhalten sie sich gegenüber dem ihnen zugänglichen und von ihnen erworbenen ikonographischen Bilderschatz? Letzteren hat sich vor allem ein Maler des Mittelalters, wie eingangs beschrieben, namentlich zu Beginn seiner Tätigkeit anzueignen; das Hinzulernen dauert dann freilich ein Leben lang. Es geht also um den Zeitraum vor der Entstehung und Etablierung von Akademien und Kunstschulen, das heißt um den Bildungsbetrieb in Klöstern, Kathedralschulen und in weltlichen Werkstätten. Ich beschränke mich in den folgenden Überlegungen auf Malerei. Der Leitgedanke lautet nochmals: Wie vermochten Anfänger ihr Wissen, ihr formales Bilder- und Formeln-ABC, aufzubauen, um ihr Handwerk – das angelernt werden kann –, das heißt: unter Beherrschung der Arbeitsgänge, zeitgemäß und sinnfällig in künstlerische Taten umzusetzen? Wie kommt man dem faber und artifex während seiner 325
Vgl. im Florentiner Katalog 2013 den Beitrag von Élisabeth Antoine / Pierre-Yves Le Pogam, Opus francigenum? Sic et non. L’influenza dell’arte francese in Toscana e nell’Italia centrale in epoca gotica, S. 45–53. – Für die irrtümliche Verwendung des Begriffs opus francigenum (der sich nur auf die Bauweise, nicht auf den Stil bezieht), siehe oben Anm. 16. 326 Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei betont, daß der hier benutzte Begriff Bildwissen (iconic knowledge) nichts mit den Forschungen zur Bildwissenschaft oder mit dem iconic turn (Hubert Burda) zu tun hat. Im Brennpunkt unserer Überlegungen stehen die visuellen Quellen als Voraussetzungen für eine Bildentwicklung, die im ausgehenden Mittelalter einsetzt und an deren augenblicklichem Ende der iconic turn stehen mag.
156 – Exkurs zum “Bildwissen” ersten Gehversuche näher? – Schon Schiller meinte einmal, daß es ja «nicht auf das Gemachte, sondern den Macher» ankomme (zit. nach Frey 1976, S. 66). Man hat sich dabei abermals zu vergegenwärtigen, daß sich die wenigsten mittelalterlichen Artefakte mit ihren tatsächlichen Autoren in Verbindung bringen lassen. Die Folge ist, daß Zuschreibungen seltsame Knospen treiben. Kunst ist Gottesdienst und somit inkognito, auch für den außenstehenden damaligen Zeitgenossen; daher die wenigen bekannten Familien- und die entsprechend häufigen Notnamen.327 Kunst bleibt, was die Identifizierung ihres Herstellers anbelangt, meist in der Anonymität.328 Künstliche Nennungen überwiegen – meist von hervorragenden Werken abgeleitet, die man gerne einem fiktiven, doch meist entblätterten Stammbaum einordnen möchte (Hausbuchmeister). Diskurse zum Thema bleiben, selbst wenn Beobachtungen und Erwägungen vertraulicher an Autoren einzelner Werke heranzurücken in der Lage sind, vorderhand Theorie – und, eingestandenermaßen, womöglich Wunschdenken pur. Wissen und Erinnerung. Der Haupttext versuchte, die Bedingungen für Einstiege in die Ausübung der Malerei zu skizzieren. Die Notate gingen dabei von der Annahme aus, daß es sich um jugendliche Initianden handelt, die als Lehrlinge und Gesellen in einem klösterlichen scriptorium oder einer weltlich geführten bottega sich erst einmal mit handwerklichen Vorbedingungen zu konfrontieren hatten; heute hieße das Materialienkunde. Neugierige Novizen, die zunächst Formen und Farben zu erkennen und wiederzugeben haben, werden, am Beginn ihrer Laufbahn, dank erster Erkenntnisse, aufschlußreiche Zugänge zu den im täglichen statu nascendi befindlichen und vollendeten Werkstattprodukten finden. Sie eignen sich diese Fakten aus dem Gedächtnis auch als Wissenszuwachs an. Bildwissen als ikonischer Bildungsschatz sowie die der Erfahrung genetischschwesterlich verbundene Erinnerung sind, dank der Gedächtniskraft – neben technisch-manuellen Aspekten – Ergebnisse einer erbrachten mentalen Leistung: «Das Hauptkennzeichen für die Begabung ist bei den Kleinen [= den Jugendlichen] das Gedächtnis329, das zweierlei zu leisten hat: leicht aufzunehmen und getreulich zu behalten [facile percipere et fideliter continere]. Das nächste sodann ist der Nachahmungstrieb [imitatio]; denn auch er ist Kennzeichen einer guten Lernveranlagung» (Quintilian, Institutio I 3, 1).
327
Siehe im Personenregister unter Meister. Allgemein zum Problem siehe: Collingwood 1958: The Artist and the Community, S. 300–324. 329 Dem Gedächtnis (memoria) widmet Quintilian einen Abschnitt: XI 2, 1–51. Der Einleitungssatz lautet: «Das Gedächtnis haben manche nur für ein Geschenk der Natur gehalten, und zweifellos hat diese daran auch den größten Anteil, jedoch läßt sich seine Kraft wie alles andere durch Ausbildung steigern. […] Denn jedes Lehrfach beruht auf dem Gedächtnis, und alles Lehren ist vergeblich, wenn alles, was wir hören, an uns vorbeifließt, und ferner ist es ebendiese Kraft des Gedächtnisses, die uns von Beispielen […] und schließlich von allen Worten und Taten gleichsam eine Fülle an Vorräten bereitstellt, woran der Redner immer einen Überfluß haben muß [in promptu semper habere], auf den er jederzeit zurückgreifen kann […].» – Siehe memoria. 328
Vom Umgang mit Vorbildern. Eine Zusammenfassung – 157 Beim Maler vermitteln die Augen, beim Musiker die Ohren die bestimmenden Eindrücke. Dem bildenden Künstler ist die optische Erinnerungsfähigkeit prinzipiell die eigentlich tragende Stütze. Ihr Umfang kann jedoch, je nach angeborenem Wissensdrang und der bereits vorhandenen visuell memorisierten Abrufbarkeit, beträchtlich schwanken: vom bescheiden geschnürten Bündel provinzieller, formelorientierter Dekorationsmaler bis zum Wissensschatz und der Beschlagenheit hochbegabter und inspirierender Werkstattinhaber. Ihre doctrina ist kommunizierbar, kann weitergegeben werden und sich bis zu einem persönlichen Lehrer-Schüler-Verhältnis öffnen – ja gar zum Quidproquo: Das Glück des jungen Raffael bestand darin, seine Bildnisse (ritratti) mit solchen des Lehrers Perugino verwechselt zu sehen – eine eher mittelalterlich anmutende als eine Renaissance-Reaktion. In Giorgio Vasaris würdigenden Worten lautet dies: «È cosa notabilissima, che studiando Raffaello la maniera di Pietro [Perugino], la imitò così a punto e in tutte le cose, che i suo’ ritratti non si conoscevano dagli originali del maestro, e fra le cose sue e di Pietro non si sapeva certo discernere» (Vasari / Milanesi IV, S. 317).
Je bodenständiger und solider der zusammengetragene und verarbeitete Wissensumfang sich darbietet, desto größer sind die Aussichten, daß der artifex in seinen Anstrengungen, sich selbst zu erkennen zu geben, eine individuelle, ihm angemessene Auswahl an Anregungen sucht. Selektives Vorgehen erlaubt ihm, ein eigenständiges, persönliches Profil zu schaffen; unverwechselbares Format, Anerkennung und Geltung gewinnt er gewissermaßen durch innere Schälung, um sich vom Unwesentlichen und bereits Verbrauchten zu befreien. Alles Erkennen, samt der Selbsterkenntnis (cognitio sui), «ist ein Ordnen der Wahrnehmungseindrücke und ihrer Erinnerungsbilder» (Frey 1976, S. 236). Dieses Gerüst gestattet, eigene Ideen einzubringen, persönliche Gestaltungen eigenständig zu formulieren; nur den zudringlichen Eigenheiten eines jeweiligen “Zeitstils” vermag es als Muster nicht zu entrinnen. Leitbilder des Wissens. Das Bildwissen des mittelalterlichen Malers und Bildhauers setzt primär mit der Suche nach der jeweils als korrekt verstandenen und verständlichen Wiedergabe der menschlichen Figur ein. “Anatomie” und deren Verstehen ist jedenfalls die anspruchvollste Aufgabe im Werdegang eines Wissensaufbaus. Es geht um die semantische Eroberung der im Bildwerk aufgerufenen Handlungsträger.330 Skizzen in den wenigen erhaltenen Musterbüchern, so vor allem im Bauhüttenbuch des Villard de Honnecourt, zeigen, wie bedeutsam dem Gestalter Definitionen kor-
330 Man lernt dabei, daß es gewisse standardisierte Figurenstellungen gibt, die allerdings nur in einer bestimmten Szene sinnvoll sind. Ich erinnere hier an denjenigen unter den drei Königen – in Anbetungsbildern –, der mit erhobener Rechter auf den Stern deutet, obgleich dieser gar nicht mehr dargestellt ist. Solche Irrtümer zeigen, wie präsent die Vorlage war, die sich auch (ohne Stern) bei Villard de Honnecourt findet (Hahnloser, Tafel 24).
158 – Exkurs zum “Bildwissen” rekter Proportionen des menschlichen Körpers waren. Offensichtlich arbeitete man noch lange nach Vorlagen und nicht mit lebenden Modellen. Villard de Honnecourts Figuren, bekleidet (Hahnloser, Tafel 2), nackt (ibid., Tafel 43) oder als geometrisch-abstrakte Lehr- und Lernmaterialien (ibid., Tafeln 37 und 42) belegen dieses Ringen um Wohlgeformtheit, Ebenmaß und Proportion (Abb. 25). Was das Menschenbild anbetrifft, so handelt es sich im Pariser Bauhüttenbuch nicht allein um einfache Posituren von Stehenden und Sitzenden, sondern die Skizzen holen zu weit komplizierteren, subtileren Bewegungsabläufen aus wie des In-den-Sattel-Steigens oder des Sturzes vom Pferd (ibid., Tafeln 6 und 46). Wißbegierige Zeitgenossen vermochten hier exempla für die nachvollziehbare Lage eines Schlafenden (ibid., Tafel 33) oder selbst modelli für Kampfgriffe der Ringer finden (ibid., Tafeln 28 und 37). Was die geometrisch-abstrakten Menschen- und Tierdiagramme anbelangt, so wirken diese wie Illustrationen – ad oculos – zu Diskussionen mit lernbegierigen Gesprächspartnern oder als Veranschaulichungen extrapolierter monologisch geführter Selbstgespräche des Architekten. Honnecourts Muldenfalten- und Schlaufenregeln waren leicht erlernbar. Sie galten, da zweckmäßige Normen bietend, noch bis zur Jahrhundertmitte als Rezepturen. Dies mag weiter als Hinweis darauf dienen, daß solche Regeln, auf Grund ihrer syntaktischen Einfachheit, einmal erlernt, kaum dem Gedächtnis, aber ebensowenig der sich wiederholenden Routine zu entrinnen vermochten. Zur Beherrschung der Körperstellung, ihrer Definition und Funktion gehören die einzelnen Glieder, Arme und Beine. Sie generieren Bewegung, Handlung, Dramatik oder Zärtlichkeit; dies muß erlernt, erinnert und “gewußt” werden.331 “Gefühlt” im Sinn von emotionalen Empfindungen wird allerdings erst im 14. Jahrhundert. Hahnlosers Vergleichsmaterialien (ibid., Abb. 1–174) zeigen überdies, daß es einerseits in vielen Fällen um geläufige und andererseits um standardisierte Motive geht – noch oft mit byzantinischen oder byzantinisierenden Wurzeln. Sie betreffen formal erlerntes, so gewußtes und verinnerlichtes Allgemeingut, das sich in den unterschiedlichsten Medien immer wieder findet332, sich in der zweiten Jahrhunderthälfte jedoch allmählich verliert und neuen Dramaturgien weicht; in der Manessischen Handschrift ist nichts davon übriggeblieben; doch die im 13. Jahrhundert entdeckte Eleganz der Figuren hat bis hierher überlebt. Und sie findet eine neue Steigerung. Buchwissen. Wissen bedeutet, über einen Bestand von abrufbaren Erfahrungen und Einsichten, im Gedächtnis gespeichert, zu verfügen, aus dem sich Urteile und Schlüsse filtern und folgern lassen. Schriftgewandte Zeitgenossen haben die wissenswerten Materialien fachgemäß zusammengestellt. Es handelt sich um Spezialkenntnisse, die, 331 Es geht um ein “explizites Wissen”, also um Wissensinhalte, über die der Künstler bewußt verfügt. Hierzu beispielsweise Michael Polanyi, The Tacit Dimension. Garden City 1966; im Gegensatz dazu Polanyis Implizites Wissen. Frankfurt am Main 1985. – Zu den modelli und deren Verarbeitung siehe auch die Überlegungen von Maria Laura Cristiani Testi, 1977. 332 Zu Villards portraiture: Hahnloser, S. 272–279.
Vom Umgang mit Vorbildern. Eine Zusammenfassung – 159 in theoretischen Traktaten von Kennern und Könnern dargelegt, wiederholbar konsultiert werden konnten (Theophilus, Cennini). Sie verbreiteten sich und gehörten zum Wissensbesitz eines Ateliers, einer Gruppe oder einer ganzen Generation. “Wissen” ist in diesem Sinne bereits mittelhochdeutsch bei Heinrich Seuse belegt: «des hein alle wolgelert meister ein wüssen.»333 Über das Buchwissen hat sich, neben der Lektüre der jeweiligen Zeitgenossen, auch die Kenntnis antiker Autoren verbreitet. Unter den vielen oben zitierten Texten erinnere ich hier nur, da zweifelsfrei überliefert, an die Schriften Ovids, Plinius’ und Quintilians. Die Vertrautheit mit ihren Werken als Inspirationsquellen ist nie zum Erliegen gekommen. Die Gegenwart Ovids erreichte bereits im 11. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt; Ludwig Traube (1861–1907) sprach geradezu von einer damaligen aetas Ovidiana. Die Metamorphosen bewahrheiteten sich, weit über das Mittelalter hinaus, als unerschöpflich sprudelnde Quelle. Die 37 Bücher der Naturalis historiae von Plinius dienten während des ganzen Mittelalters als erstrangige enzyklopädische Nachschlage- und Bildungswerke, deren Verbreitung über 200 erhaltene Handschriften und hohe sowie häufige frühe Druckauflagen belegen. Die Tradierung von Quintilians Institutio oratoria scheint weniger gesichert zu sein, da erst im Jahre 1416 Gianfrancesco Poggio Bracciolini eine vollständige Handschrift in Sankt Gallen entdeckte. Während des früheren Mittelalters handelte es sich wahrscheinlich um Exzerpte der als gültig verstandenen moralischen, ethischen und didaktischen Stellen über Erziehung im allgemeinen. Spuren oder Spiegelungen der Institutio oratoria? So wie bedeutende, doch verlorengegangene Bilder auf Grund von vorbereitenden Zeichnungen oder von späteren Kopien rekonstruiert werden können, so hinterlassen Zitate, Randglossen oder Anspielungen in jüngeren – selbst in kontaminierten – Handschriften oft genügend Spuren, die auf Hochschätzung älterer Texte hinweisen. Liest man Quintilians Meisterwerk334 vor dem Hintergrund dieser Vermutung, so fallen, wenn man sich auf Grundregeln und Prinzipien des Redners konzentriert und die technischen Passagen über Rhetorik335 in unserem Zusammenhang unbeachtet läßt, besonders jene Textstellen auf, die auch in mittelalterlichen Schreibstuben oder einem Maleratelier nützlich waren, Gehör fanden und zumindest als beispielgebender Leitfaden dienen konnten:
333 Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, hrsg. von Karl Bihlmeyer. Stuttgart 1907. Nachdruck Frankfurt am Main 1961, 162, 17. 334 Zu Quintilian siehe: Textüberlieferung I, S. 408–409. – John F. Leddy, Tradition and Change in Quintilian. In: Phoenix 7, 1953, S. 47–56. «Quintilians Werk gehört nicht zur Gattung der seit Jahrhunderten in Griechenland und Rom üblichen Handbücher. Es ist ein anziehend geschriebener Traktat über Menschenbildung. Der Idealmensch kann für Quintilian nur der Redner sein» (Curtius, S. 75). 335 Rhetorik ist «artificiosa eloquentia» nach der Definition Ciceros (de inventione I, 5, 6).
160 – Exkurs zum “Bildwissen” «Eines möchte ich indessen gleich zu Beginn nachdrücklich hervorheben: alle Vorschriften und Leitfäden [praecepta atque artes] haben keinen Wert, wenn die Natur nicht mithilft. Deshalb bedeutet die folgende Schrift für jemanden, dem die Begabung [ingenium] fehlt, nicht mehr als eine Schrift über den Ackerbau für unfruchtbare Ländereien. Es gibt auch noch andere Hilfsmittel, die einem jeden angeboren sind [alia ingenita adiumenta]: Stimme, Lungenkraft, beständige Gesundheit, Ausdauer [constantia] und Anmut [decor]. Sind diese Voraussetzungen in bescheidenem Maße vorhanden, kann man sie systematisch entwickeln. Doch manchmal fehlen sie so völlig, daß sie auch die Vorzüge der Begabung und des Fleißes zunichte machen» (Quintilian, ibid., Prooemium I, 26–27).
Es geht somit um Erziehungs- und Verhaltensnormen, von denen man annehmen darf, daß sie in Klöstern, Kathedralschulen und ihren Scriptorien weitergelebt haben und zum pädagogischen Grundstock gehörten. Erwähnenswert ist die Bemerkung über den Sinn älterer Vorlagen und deren Verwendung. Quintilian denkt an die Sprache, in unserem Zusammenhang denkt man freilich an ältere Bildmuster: «Wörter aus früheren Zeiten, wenn man sie wieder aufgreift […], verleihen der Rede einen Eindruck von Würde und einen besonderen Reiz.» «Verba a vetustate repetita […] adferunt orationi maiestatem aliquam non sine delectatione: nam et auctoritatem antiquitatis habent et, quia intermissa sunt, gratiam novitati similem parant» (I 6, 39) – doch nehme man sie nicht gerade aus den frühesten, schon vergessenen Zeiten [«ab ultimis et iam oblitteratis repetita temporibus»] (I 6, 40).
Zur Definition von Quintilians Kunstverständnis ist folgende Feststellung nicht unerheblich: «Hätte Praxiteles es versucht, aus einem Mühlstein eine Statue zu meißeln, so wäre mir ein unbehauener Block aus parischem Marmor lieber; wenn aber ebendiesen Marmor derselbe Künstler bearbeitet hätte, so hätten seine Hände dabei mehr bedeutet als der Marmor. Schließlich ist ja die Natur der Stoff für die Ausbildung: sie gestaltet, der Stoff wird gestaltet. Nichts ist die Kunst ohne Stoff, Stoff ohne Kunst hat auch so einen Wert: die höchste Kunst aber ist besser als der beste Stoff» (II 20, 3): «[…] haec fingit, illa fingitur. Nihil ars sine materia, materiae etiam sine arte pretium est, ars summa materia optima melior.»
Nur unzureichend informiert sind angehende Künstler, «wenn sie ein Lehrbüchlein [artis libellum] von der Art, wie sie meist in kurzen Abrissen umlaufen, auswendig gelernt haben und nun sich gleichsam durch die Beschlüsse der Fachkenner geborgen fühlen [et velut decretis technicorum tutos putent]» (II 13, 15) – und somit Irrtümer begehen: «Auch in der Gebärde [in gestu] sogar, meinen einige, könne derselbe Fehler stecken, wenn man etwas mit der Stimme, etwas anderes aber mit Kopfnicken oder Handgebärde [aliud nutu vel manu] bezeichnet» (I 5, 36), womit Quintilian auch darauf hinweist, daß häufige Nachahmung auf die Sitten abfärbe: «nam frequens imitatio transit in mores» (I 11, 2).
Vom Umgang mit Vorbildern. Eine Zusammenfassung – 161 Insofern ist es ebensowenig empfehlenswert, Gebärdenspiel und Körperbewegungen nur aus der Komödie zu imitieren: «ne gestus quidem omnis ac motus a comoedis petendus est» (I 11, 2).336 Mündlich weitergegebenes Wissen. Mittelalterliches Künstlerwissen beruht auf einem optisch erkundeten, angeeigneten und gleichsam gesiebten Erfahrungsschatz. Die Grundkenntnisse spezialisierten sich insofern, als ein Bildwirker (textor) sich zusätzlich um die Überwindung anderer technischer Stolpersteine mühte als ein Glas- oder Buchmaler. Allen gemeinsam ist jedoch das Bildwissen als kollektiv zugänglicher Bestandteil ihrer Berufsbildung. Neben die technische Beherrschung der Aufgabe tritt eine mentale, schöpferische und instinktiv-intuitive Fähigkeit hinzu; sie vermag das handwerkliche Können zu steigern, gar auf den Weg zum “Meisterwerk” zu bringen. Erkenntnis wird, sobald die Linien des allgemeinen Grundwissens überschritten sind, in zunehmendem Maß Ausdruck für abrufbare geistige Präsenz und Intelligenz. Letztere ermöglicht ihrerseits schöpferische Kombinationsgaben. Es ist angewandtes Wissen, das, wie gesagt, oft auf allgemeinen Erinnerungen beruht, möglicherweise aber auch in den Bereich der fabrica mit ihren Werkstattgeheimnissen und zu den oralen Informationen “unter vier Augen” gehört. Bei Techniken, die eine exklusive handwerkliche Schulung abverlangen, dürfte man daher vor allem mit mündlich weitergegebenen Instruktionen rechnen; hier spielt wechselseitiges Vertrauen eine hervorragende Rolle. Parallel dazu verläuft das persönliche Erfahrungswissen, das, im Gedächtnis abgespeichert, sich aus dem täglichen Umgang mit den Werkmaterialien ergibt – als ein Wissen a posteriori. Bilderschatz–Wortschatz. Der dem einzelnen Künstler zugängliche Bilderfundus ist dem Wortschatz ähnlich. Die Aneignung erfolgt doch unterschiedlich; in der Folge erweist sich der Aufbau anders konstruiert. Das Wortgut umfaßt die Gesamtheit, das vollständige Inventar an Bezeichnungselementen einer Sprache. Das Bildgut bleibt prioritär auf Themenkreise beschränkt. Doch Bild- und Wortschatz haben gemein, daß sie offene Systeme darstellen. Sie geben einem Wandel nach und sind jederzeit, dank individueller Entwicklung oder unter dem Druck einer neuen Generation, erweiterungsfähig. Ein solcher Wandel kündet sich im Schatten der weichenden Scholastik in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an. Er ist Ausdruck neuer Empfindungen, die als vorhumanistisch bezeichnet werden können – oder zumindest vorhumanistisch anmutendes Gedankengut referieren, ja gar zu bündeln suchen. Wir haben Spuren davon in mehreren Notaten genannt. Es geht dabei um kleine, doch nicht mehr zögerliche Schritte; es geht um das Konzept der Darstellbarkeit eines neuen Menschenbildes, einer neuen Güte, Lieblichkeit; um Freundlichkeit, um Mitgefühl für die Schwächen der Menschen – und vor allem für die Schwächen des Mitmenschen. Hier sind Quellgebiete zu erkennen, die bis in unser Zeitalter durchdringen, das heißt: bis an den Rand der neuesten iconic turns führen. 336
Weitere Textzitate Quintilians sind im Personenregister unter Quintilian aufgelistet.
162 – Exkurs zum “Bildwissen” Museales Bildwissen. Das Museum ist theoretisch die sichere öffentliche Deponie zur Aufbewahrung kultureller Güter (doch auch Museen können bestohlen und geplündert werden); die verwerflichste Hortung von Kunst ist ihr Wegsperren in Banksafes. Museen gehören heute zum kollektiven geistigen Haushalt und Inventar eines jeden Landes. Sie schießen allerorten Pilzen gleich aus dem Boden. Museum und Archiv (doch seit Köln [Einsturz des lokalen Stadtarchivs, am 3. März 2009] auch nicht mehr verbürgt) sind und bleiben Referenzstellen, an denen der Historiker Geschichte zu entziffern vermag. Wenn man von den ausdrücklich und ausschließlich für das Museum geschaffenen und in Bildergalerien zur Schau gestellten Werken absieht, also von Malerei, die sich durch Großformate auszeichnet und mittels meist belehrender Tendenzen sowie moralisierender Absichten sich nicht nur an das Individuum, sondern an die bürgerliche Gemeinschaft richtet, wenn man von diesem Kunstzweig absieht, so muß jede andere kulturgeschichtliche Leistung im Museum fehl am Platze wirken – gleichgültig, ob Artefakte den privaten Hausgebrauch widerspiegeln oder für Kirchen oder Rathäuser offiziell bestellt und geschaffen worden sind. Jedes von Menschenhand produzierte Objekt wird im Museum säkularisiert, isoliert, strapaziert oder präpariert für eine nicht unbedingt angestrebte Ewigkeit. Lassen sich profane Inhalte und Zeitzeugen in weltlichen Museen noch einigermaßen eingliedern (Inszenierungsschliche helfen da), so vermag ein kirchliches Werk, religiösen Gelübden, Stiftungen, Ansprüchen, Wünschen und Forderungen entsprungen, im auf Sachkultur orientierten Museum nie richtig heimisch zu werden. Ein Altarwerk ist in einem Museum immer ein Irrläufer, auch wenn es vorgeburtlich einst in der profanen Umwelt eines Maler- oder Schnitzerateliers entstanden ist. Erst wenn der Autor den Altar der Kirche übergibt, erhält dieser die Konsekration zu einem liturgischen Gegenstand mit entsprechender Aussagekraft. Mittelalterliche Texte schildern, wie diese Metamorphose, bezeichnenderweise unter Anteilnahme der ganzen Bevölkerung von Stadt und Land, vor sich ging. Das Retabel wird im Festzug zum Dom begleitet, am Hauptportal von Priester oder Bischof feierlich mit Musik empfangen, geweiht und an dem für ihn vorgesehenen Platz mit einer Messe und Gebeten in seine neuen Funktionen eingeführt; letztere haben programmatisch an einer das ganze Gotteshaus durchwirkenden Symbolik teil. Der Maler selbst tritt, meist namenlos, in die Anonymität zurück; er leistete mit seinem Werk privilegierten Gottesdienst. Der dargestellte Bildinhalt als heilsgeschichtliche Aussage kann im Laufe der Zeit übernatürliche, wunderbare Funktionen gewinnen; ja, er kann “von Engelhand” gemalt worden sein, außerhalb von Raum und Zeit. Im belebenden Lichtspiel der Kerzen beginnen Bilder, sich mitzuteilen, zu sprechen, sie vermögen Zweifler in die Knie zu zwingen. Eines Tages, aus welchen Gründen auch immer, gelangt dann unser Altarschrein ins Museum. Eine weitere, tiefgreifende Metamorphose des Werkes setzt in diesem Augenblick ein; eine damnatio: die Rückverwandlung in ein weltliches Objekt. Aus liturgischen Zusammenhängen herausgelöst, verliert der Altar seine durch Generationen gespeicherte geistige Aussagekraft. Unter starren Lampen oder “Oberlicht”
Vom Umgang mit Vorbildern. Eine Zusammenfassung – 163 (in Kirchen eher selten) wird diese verpflanzte religiöse Bilderwelt vielfach stumm bleiben; sie verliert ihre Seele. Zudem: Altarbild prallt auf Altarbild – und man erinnert sich des Textes von Paul Valéry über das generelle “Problem der Museen”.337 Im Museum bewundert der Besucher einstige Kunsttechnik. Wesentlich ist jetzt weltlich verstandene Farbraffinesse (liturgisch bedingte Farbwerte haben ohnehin keine Aussagekraft mehr) sowie Fingerfertigkeit, im Herstellungsprozeß noch eine Selbstverständlichkeit; sie treten in das unheilige Licht des Spektakulären und so auf die Bühne der Spekulationen; sie werden zu Objekten der Kunstgeschichte. Unser Retabel entpuppt sich entweder als bahnbrechendes Meisterwerk, oder er wird in einen Umkreis oder gar an die Peripherie einer Landschaft geschoben; er verschwindet daher möglicherweise im Depot; so lange mundtot und vergessen, bis ihm einfallsreiche Zuschreibungen vielleicht zu neuer und wieder oberirdischer Aktualität und Galeriewürde verhelfen. Es ist keine Nebensächlichkeit, sich dieser Metamorphosen bewußt zu bleiben – selbst wenn man sich mit so weltlichen Dingen wie höfischer Gestik und Liebesgebärden beschäftigt. Im musealen Bereich befinden wir uns, in Handschriftenabteilungen und Gemäldegalerien, am Rande einer komplexen Überlagerung von Schichten und Sedimenten, die den Zugang zum Original nicht nur trüben, sondern verfälschen. Insofern sind die Wandmalereien in Trient ein Beispiel dafür, daß selbst eine Ruine, jedoch eben unverrückbar in situ, außergewöhnliche Materialien zu kunsttopographischen Disputen bietet.
337 Paul Valéry, Le problème des musées. In: Pièces sur l’art. Paris 1934, S. 93–99. – Zum Nebeneinander von Meisterwerken auf kleinem Raum: «L’oreille ne supporterait pas d’entendre dix orchestres à la fois. […] Mais l’œil, dans l’ouverture de son angle mobile et dans l’instant de sa perception se trouve obligé, d’admettre un portrait et une marine, une cuisine et un triomphe, des personnages dans les états et les dimensions les plus différents; et davantage, il doit accueillir dans le même regard des harmonies et des manières de peindre incomparables entre elles» (S. 95–96); das museion wird als kultureller Schüttelbecher angeprangert.
Bibliographie Abkürzungen, abgekürzt zitierte Spezialuntersuchungen, catalogues raisonnés, Gesamtausgaben, Lexika und Tageszeitungen AT = Altes Testament CM = Codex Manesse (in den Anmerkungen) col. = colonne (Spalte) Dürer Handzeichnungen = Hütt, Wolfgang (Hrsg.), Albrecht Dürer 1471–1528. I: Das gesamte graphische Werk. Handzeichnungen. München 41971 Dürer Druckgraphik = Hütt, Wolfgang (Hrsg.), Albrecht Dürer 1471–1528. II: Das gesamte graphische Werk. Druckgraphik. München 41971 DVJS = Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte ed. = editor, herausgegeben von, in englischen und amerikanischen Sammelwerken FAZ = Frankfurter Allgemeine Zeitung Gotische Malerei 2011 = Malerei der Gotik in Italien / Italian Gothic Painting. Bildband Scala. Bagno a Ripoli 2011 Grimm = Grimm, Jacob und Wilhelm, Deutsches Wörterbuch. München 1984 HDK = Handbuch der Kunstwissenschaft HZ = Historische Zeitschrift JB = Jahrbuch JWCI = Journal of the Warburg and Courtauld Institutes HDA = Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. 10 Bde. Berlin / Leipzig 1927–1942 Kunst in der Schweiz = Die Schweiz im Spiegel der Landesausstellung 1939. III: Kunst in der Schweiz. Zürich 1940. – Bildauswahl von Martin Hürlimann. Künstlerlexikon der Antike = Rainer Vollkommer, Künstlerlexikon der Antike. München / Leipzig 2004 Laborde = Léon de Laborde, Les Ducs de Bourgogne. Études sur les lettres, les art et l’industrie pendant le XVe siècle et plus particulièrement dans les Pays-Bas et le duché de Bourgogne: Preuves I–III. Paris 1849–1852 LCI = Lexikon der christlichen Ikonographie. Freiburg im Breisgau 1968 ff. Le Siècle de Saint Louis = Sammelband von Beiträgen zum 700. Todestag des Königs. Librairie Hachette. Paris 1970 LTHK = Lexikon für Theologie und Kirche. Sonderausgabe in 14 Bänden. Freiburg im Breisgau 1962 Mander = Mander, Carel van, Das Leben der niederländischen und deutschen Maler. Het Leven der Doorluchtighe Nederlandtsche en Hooghduytsche Schilders. Textabdruck nach der Ausgabe von 1617. Übersetzung und Anmerkungen von Hanns Floerke, 2 Bde. München / Leipzig 1906 Meder = Meder, Joseph, Dürer-Katalog. Ein Handbuch über Albrecht Dürers Stiche, Radierungen, Holzschnitte, deren Zustände, Ausgaben und Wasserzeichen. Wien 1932 MF = Des Minnesangs Frühling. Nach K. Lachmann, M. Haupt und F. Vogt, neu bearbeitet von Carl von Kraus. Leipzig 1940 MGG = Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Kassel / Basel 1949–1968 (alte Ausgabe) Musiklexikon = Musiklexikon in vier Bänden (J. B. Metzler) Stuttgart / Weimar 2005 NZZ = Neue Zürcher Zeitung
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Ausstellungskataloge und -publikationen – 167 Florenz 2013 Forlì 2011 Frankfurt am Main 2008 Hamburg 1963 Hamburg 1969 Hamburg 1999 Hamburg 2011 Ithaca 1968
Kassel 1998 Köln 1974 London 1975 Los Angeles 2010 Madrid 2001
Madrid 2007 Madrid 2009 Magdeburg 2009 Naumburg 2011 New York 1940 New York 1970
La Primavera del Rinascimento. La scultura e arti a Firenze 1400–1460. Hrsg. von Beatrice Paolozzi Strozzi und Marc Bormand. Palazzo Strozzi. Florenz 2013 Melozzo da Forlì. L’umana bellezza tra Piero della Francesca e Raffaello. Musei San Domenico, Forlì. Cinisello Balsamo, Mailand 2011 Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden. Städel Museum, Frankfurt am Main, und Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin. Ostfildern 2008 Die wilden Leute des Mittelalters. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Hamburg 1963 Meister Francke und die Kunst um 1400. Hamburger Kunsthalle. Hamburg 1969 Rhetorik der Leidenschaft. Zur Bildersprache der Kunst im Abendland. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg und National Museum of Western Art, Tokio. Hamburg 1999 Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel in Hamburg. Hamburger Kunsthalle. Hamburg 2011 (anschließend in Köln 2012) Robert G. Calkins, A Medieval Treasury. An Exhibition of Medieval Art from the Third to the Sixteenth Century. Andrew Dickson White Museum of Art, Cornell University, Ithaca. New York 1968 (anschließend in Utica, New York) Tanz der Toten – Todestanz. Der monumentale Totentanz im deutschsprachigen Raum. Museum für Sepulkralkultur Kassel. Dettelbach 1998 Vor Stefan Lochner. Die Kölner Maler von 1300 bis 1430. WallrafRichartz-Museum. Köln 1974 Giovanni Boccaccio. Catalogue of an exhibition held in the Reference Division of the British Library. London 1975 Imaging the Past in France. History in Manuscript Painting 1250–1500. The J. Paul Getty Museum. Los Angeles 2010 El Renacimiento Mediterráneo. Viajes d’artistas y itinerarios de obras entre Italia, Francia y España en el siglo XV. Museo ThyssenBornemisza, Madrid, und Museo de Bellas Artes, Valencia. Madrid 2001 Durero y Cranach. Arte y Humanismo en la Alemania del Renacimiento. Museo Thyssen-Bornemisza. Madrid 2007 Jan van Eyck. Grisallas. Museo Thyssen-Bornemisza. Madrid 2009 Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit. Landesausstellung Sachsen-Anhalt aus Anlass des 800. Domjubiläums. Bd. I: Essays. Bd. II: Katalog. Mainz 2009 Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen, 2 Bde. Petersberg 2011 The Animal Kingdom. Illustrated Catalogue of an Exhibition of Manuscript Illuminations, Book Illustrations, Drawings, Cylinder Seals, and Bindings. The Pierpont Morgan Library. New York 1940 The Year 1200. A Centennial Exhibition at The Metropolitan Museum of Art. New York 1970
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Museen und Handschriftenabteilungen – 169
Museen und Handschriftenabteilungen (in Standortangaben) Cloisters = The Metropolitan Museum, New York, The Cloisters Collection Frankfurt = Städel Museum Köln = Wallraf-Richartz-Museum London BL = British Library London NG = National Gallery London V&A = Victoria and Albert Museum Madrid = Prado Madrid, Thyssen = Museum Thyssen-Bornemisza MMA = The Metropolitan Museum of Art, New York München BN = Bayerisches Nationalmuseum München AP = Alte Pinakothek Neapel = Archäologisches Nationalmuseum Paris Cluny = Musée de Cluny. Musée National du Moyen Âge Paris Louvre = Musée du Louvre PML = New York, The Pierpont Morgan Library and Museum Paris BNF = Bibiothèque Nationale de France (Département des manuscrits) Wien = Kunsthistorisches Museum Zürich = Schweizerisches Landesmuseum
170 – Bibliographie
Zitierte antike, frühchristliche und byzantinische Texte Augustinus/Thimme = Aurelius Augustinus, Bekenntnisse. Eingel. u. übertragen von Wilhelm Thimme. Zürich 1950 Boethius = Boethius, Trost der Philosophie (De consolatione philosophiae). Hrsg. von Olof Gigon, übers. von Ernst Gegenschatz u. Olof Gigon. München 1981 Cicero, De oratore = Marcus Tullius Cicero, De oratore / Über den Redner. Lateinisch / Deutsch. 2 Bde. Übers. u. hrsg. von Harald Merklin. Stuttgart 2006 (bibliographisch ergänzte Ausgabe) Cicero, De officiis = Marcus Tullius Cicero, De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lateinisch / Deutsch. Übers., komment. u. hrsg. von Heinz Gunermann. Stuttgart 1976 Herodot = Herodot, Geschichten. Neun Bücher griechischer Geschichte. Köln 1960 Horaz = Horaz, De arte poetica. In: Horaz, Briefe. Von der Dichtkunst. Übers. von Gerd Herrmann. Düsseldorf / Zürich 2003 (= Tusculum Studienausgabe), S. 115–143 Sevilla / Etymologiae = San Isidoro de Sevilla, Etimologías. Edición bilingüe preparada par José Oroz Reta, 2 Bde. Madrid 1982 (= Biblioteca de Autores Cristianos 433, 434) (auch als Enzyklopädie zit.) Ovid = P. Ovidius Naso, Metamorphosen in fünfzehn Büchern. Lateinisch / Deutsch. Übers. u. hrsg. von Michael von Albrecht. Ditzingen 1997 Plinius = C. Plinius d. Ä., Naturkunde. Lateinisch / Deutsch. Buch XXXV: Farben,
Malerei, Plastik. Hrsg. u. übers. von Roderich König in Zusammenarbeit m. Gerhard Winkler. München 1978 (Zitate mit Seitenzahlen dieser Ausgabe) Polybios = Polybios, Geschichte. Gesamtausgabe in 2 Bdn., eingel. u. übertragen von Hans Drexler. Zürich / Stuttgart 1963 Quintilian = Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. (M. Fabii Quintiliani Institutionis oratoriae libri XII), 2 Bde. Hrsg. u. übers. von Helmut Rahn. Darmstadt 1995 Seneca = L. Annaeus Seneca, Philosophische Schriften, 5 Bde. Hrsg. von Manfred Rosenbach. Darmstadt 1989 (einzelne Zitate auch nach Bernhard Zimmermann: Seneca, Von der Gelassenheit. München 32012) Textüberlieferung I und II = Versch. Autoren, Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur. Bd. I: Überlieferungsgeschichte der antiken Literatur. Bd. II: Überlieferungsgeschichte der mittelalterlichen Literatur. Zürich 1961 Vergil = Publius Vergilius Maro, Sämtliche Werke. Hrsg. u. übers. von Johannes und Maria Götte. München 1972. Aeneis, S. 113–389 Vitruv = Vitruvii de architectura libri decem / Vitruv, Zehn Bücher über Architektur. Übers. u. m. Anm. versehen von Curt Fensterbusch. Darmstadt 1976
Zitierte mittelalterliche und Renaissance-Texte – 171
Zitierte mittelalterliche und Renaissance-Texte 1. Sammelwerke und Übersichtsdarstellungen Bossuat = Robert Bossuat, La Poésie lyrique au Moyen Age. Paris 1936 Carmina Burana > Psalterium profanum Dufournet = Dufournet, Jean, Anthologie de la poésie lyrique francaise des XIIe et XIIIe siècles. Edition bilingue. Paris 1989 Frisch = Theresa G. Frisch, Gothic Art 1140– c. 1450. Sources and Documents. Englewood Cliffs, New Jersey 1971 (Sources & Documents in the History of Art Series, hrsg. von H. W. Janson) Fromm = Hans Fromm (Hrsg.), Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung. Darmstadt 1966 Historiens = Pauphilet, Albert / Edmond Pognon (Hrsg.), Historiens et Chroniqueurs du Moyen Âge. Robert de Clari, Villehardouin, Joinville, Froissart, Commynes. Paris 1952 (Bibliothèque de la Pléiade) Keller = Walter Keller (Hrsg.), Die schönsten Novellen der italienischen Renaissance. Stuttgart 1958 Klapper = Joseph Klapper (Hrsg.), Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und lateinischem Urtext (1914). Darmstadt 1984, S. 350–351: lateinischer Text Korzeniewski = Dietmar Korzeniewski (Hrsg. u. Übers.), Hirtengedichte aus spätrömischer und karolingischer Zeit. Darmstadt 1976 (Texte zur Forschung 26) Lagarde / Michard = André Lagarde / Laurent Michard, Moyen Âge. Les grands auteurs français. Paris 1957
Minnesang = Minnesang. Mittelhochdeutsche Liebeslieder. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hrsg., übers. u. komment. von Dorothea Klein. Stuttgart 2010 Nagel = Bert Nagel, Staufische Klassik. Deutsche Dichtung um 1200. Heidelberg 1977 Petrarca, Canzoniere = Francesco Petrarca, Canzoniere. 50 Gedichte mit Kommentar. Italienisch / Deutsch. Übers. u. hrsg. von Peter Brockmeier. Stuttgart 2006 Petrarca, Francesco, Die Besteigung des Mont Ventoux. Lateinisch / Deutsch. Übers. u. hrsg. von Kurt Steinmann. Stuttgart 1995. Der Text ebenfalls in: Petrarca. Dichtungen, Briefe, Schriften. Ausgewählt u. eingel. von Hanns Eppelsheimer. Frankfurt am Main 1956, S. 80–89 Psalterium profanum = Psalterium profanum. Weltliche Gedichte des lateinischen Mittelalters. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. u. übers. von Josef Eberle. Zürich 1962, S. 383–503: Carmina Burana (Lieder aus Benediktbeuren) Suchomski = Joachim Suchomski / Michael Willumat, Lateinische Comediae des 12. Jahrhunderts. Darmstadt 1979 Wehrli = Max Wehrli (Hrsg. u. Übers.), Deutsche Lyrik des Mittelalters. Zürich 1955 Wentzlaff I–III = Friedrich W. u. Erika Wentzlaff-Eggeberg, Deutsche Literatur im späten Mittelalter. 3 Bde. Reinbek bei Hamburg 1971
172 – Bibliographie
2. Einzeln zitierte Autoren und Werke (Mittelalter und Frührenaissance) In den meisten Fällen sind Übersetzungen zitiert, da es um Inhalte und weniger um sprachliche Nuancen geht. Wo der originale Wortlaut indessen von Bedeutung ist, sind entsprechende Stellen auch im Urtext vermerkt. Dante = Dante Alighieri, Die Göttliche KomöAlberti = Leon Battista Alberti, Della Pittudie. Übers. von Karl Vossler. Berlin 1942 ra. Zit. n. d. Ausgabe von John R. Spencer, (italienische Ausgabe: G. Robuschi, DiviLeon Battista Alberti, On Painting (1956). na Commedia. Mailand 1965) New Haven / London 61976 Erec = Chrétien de Troyes, Erec und Enide. In: Alciati = Andrea Alciati, Emblematum libellus Lange / Langosch, S. 162–284 (1542). Darmstadt 1980 Froissart = Jean Froissart, Les Chroniques Aue, Hartmann von > Hartmann > Historiens, S. 377–948 Béroul = Béroul, Tristan et Iseut. Eingel., Gottfried, Tristan = Gottfried von Straßburg, übers. u. m. Anm. von Philippe Walter. Tristan. Nach dem Text von Friedrich Dossiervon Corina Stanesco. Paris 2000 Ranke neu hrsg., ins Neuhochdeutsche Biket = Robert Biket, Lai du Cor. In: Lange / übers., m. einem Stellenkommentar u. Langosch, S. 298–306 einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Boccaccio I = Giovanni Boccaccio, De casibus 2 Bde. Stuttgart 1980. Bd. III: Stellenkomvirorum illustrium libri novem / Die neun mentar, Nachwort und Register. Stuttgart 8 Bücher vom Glück und vom Unglück be2008 (zit. mit Zeilen- und/oder Seitenrühmter Männer und Frauen. Übers., erzahl dieser Ausgaben) läutert u. hrsg. von Werner Pleister. Mün- Gregorius > Hartmann, Gregorius chen 1965 (dtv-Ausgabe München 1968) Guillaume de Lorris > Lorris > Jean de Meun Boccaccio II = Giovanni Boccaccio, Das De- Guillaume von Blois, Alda. In: Suchomski, kameron. Übers. von Karl Witte, durchgeS. 137–165 sehen von Helmut Bode. Mannheim 2012 Hartmann, Iwein = Hartmann von Aue, Iwein. Cennini = Cennino Cennini, Il libro dell’arte. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hrsg. von Franco Brunello (1982). VicenÜbers., m. Anm. u. einem Nachwort von za 1993 Manfred Stange. Wiesbaden 22012 Calderón = Pedro Calderón de la Barca, Hartmann, Gregorius = Hartmann von Aue, La vida es sueño / Das Leben ist Traum. Gregorius. Mittelhochdeutsch / NeuhochÜbers. u. komment. von Hartmut Köhler. deutsch. Nach dem Text von Friedrich M. einem Beitrag von Burkhard Vogel. Neumann neu hrsg., übers. u. komment. Stuttgart 2009 von Waltraud Fritsch-Rößler. Stuttgart Chaucer = Nevill Coghill, Geoffrey Chaucer, 2011 The Canterbury Tales. An illustrated selec- Heinrich von Morungen, Lieder. Mittelhochtion rendered into modern English (1951). deutsch / Neuhochdeutsch. Text, Übers., London 1981 Kommentar von Helmut Tervooren. Chrétien de Troyes = Chrétien de Troyes, Stuttgart 32003 Yvain ou le Chevalier au Lion. Vorwort, Iwein > Hartmann, Iwein Übers. u. Anm. von Philippe Walter. Paris Jean de Meun = Jean de Meun(g), Le Roman de la Rose, adapté en français moderne. Paris 2000 (die Übersetzung entspricht derjeni1976 > Lorris gen der Pléiade-Ausgabe, Paris 1994) Commynes = Philippe de Commynes, Mémoires > Historiens, S. 951–1450
Zitierte Mittelalterliche und Renaissance-Texte – 173 Johannes von Tepl, Der Ackermann. Frühneuhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hrsg., übers. u. komment. von Christian Kiening. Durchgesehene, verbesserte Ausgabe. Stuttgart 2002 Joinville = Joinville, Histoire de Saint Louis > Historiens, S. 207–372 Langland = William Langland, Piers the Ploughman. Tranlated into modern English with an introduction by J. F. Goodridge (1966). Harmondsworth 1977 Lanzelot = Lanzelot und Ginevra. In: Lange / Langosch, S. 357–564 Legenda aurea / Benz = Jacobus de Voragine, Die Legenda aurea. Aus dem Lateinischen übers. von Richard Benz. Heidelberg o. J. (Lambert Schneider). Zuerst erschienen bei Eugen Diederichs in Jena 1917 und 1921; als Volksausgabe daselbst 1925 Lorris = Guillaume de Lorris / Jean de Meun, Le Roman de la Rose. Hrsg. von Félix Lecoy, 2 Bde. (1973). Paris 2009. – Französisch / Deutsch von Karl August Ott, München 1976 > Jean de Meun Maître Pathelin = Anonymus (um 1464–69), La farce de Maître Pathelin. Paris 1969 (Les classiques illustrés Hatier) Marie de France = Marie de France, Lai de Lanval. In: Lange / Langosch, S. 285–297 Merlin = Merlin le Prophète ou le livre du Graal. Roman du XIIIe siècle mis en français moderne par Emmanuèle Baumgartner. Préface de Paul Zumthor. Postface d’Emmanuèle Baumgartner. Paris 1980 Minnesang = Minnesang. Mittelhochdeutsche Liebeslieder. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hrsg., übers. u. komment. von Dorothea Klein. Stuttgart 2010 Monmouth = Geoffrey von Monmouth, Die Geschichte der Könige von Britannien. In: Lange / Langosch, S. 5–71 Morungen, Heinrich von > Heinrich von Morungen Neidhart = Neidhart von Reuental, Lieder. Auswahl mit den Melodien zu neuen Liedern. Mittelhochdeutsch u. übers. von Helmut Lomnitzer. Stuttgart 1966
Oswald von Wolkenstein > Wolkenstein Parzival = Zitate nach Chrétien de Troyes (1180/90) und Wolfram von Eschenbach (1200/10) sind ad locum nachgewiesen. Pisan = Zitate nach Christine de Pisan sind ad locum nachgewiesen. Die vollständige Ausgabe ihres dichterischen Werks von Maurice Roy in 3 Bdn., Paris 1886–1896 (= Société des anciens textes français), war mir nicht zugänglich. Ripa = Cesare Ripa, Iconologia (1603). Hrsg. von Piero Buscaroli, Vorwort von Mario Praz. Mailand 1992 Robert de Clari, La Conquête de Constantinople > Historiens, S. 17–91 Roman de la Rose > Lorris > Jean de Meun Rother = König Rother. Mittelhochdeutscher Text u. neuhochdeutsche Übers. von Peter K. Stein. Hrsg. von Ingrid Bennewitz et al. Stuttgart 2000 Rutebeuf = Rutebeuf, Le Miracle de Théophile. Übers. von Roger Dubuis. Paris 1978 Sachs = Hans Sachs, Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden / Hoher vnd Nidriger / Geistlicher vnd Weltlicher / Aller Künsten / Handwercken vnd Händeln […] durch den weitberümpten Hans Sachsen (1568). Nachdruck Leipzig 2005 Sachsenspiegel / Schott = Clausdieter Schott (Hrsg.), Eike von Repgow. Der Sachsenspiegel. Zürich 1984 Schilling = Die Schweizer Bilderchronik des Luzerners Diebold Schilling 1513. Hrsg. von Alfred A. Schmid et al. Luzern 1981 (Sonderausgabe des Kommentarbandes zum Faksimile der Handschrift S. 23 f. in der Zentralbibliothek Luzern) Strabo = Walahfrid Strabo, De cultura hortorum. Über den Gartenbau. Übers. u. hrsg. von Otto Schönberger. Stuttgart 2002 Tristan > Gottfried, Tristan
174 – Bibliographie Veldeke = Heinrich von Veldeke, Eneasroman. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller übers., mit Stellenkommentar u. Nachwort von Dieter Kartschoke. Stuttgart 2007 Villehardouin = Villehardouin, La Conquête de Constantinople > Historiens, S. 97–202 Vogelweide / Spruchlyrik = Walther von der Vogelweide, Werke. Bd. I: Spruchlyrik. Hrsg., übers. u. komment. von Günther Schweikle. Stuttgart 2009 (= Dritte, verbesserte und erweiterte Auflage, hrsg. von Ricarda Bauschke-Hartung) Vogelweide / Liedlyrik = Walther von der Vogelweide, Werke. Bd. II: Liedlyrik. Hrsg., übers. u. komment. von Günther Schweikle. Stuttgart 2006
Vogelweide / Stapf = Walther von der Vogelweide, Sprüche, Lieder, Der Leich. Urtext, Prosaübertragung. Hrsg. und übers. von Paul Stapf. Wiesbaden o. J. Vogelweide / Wapnewski = Walther von der Vogelweide, Gedichte. Mittelhochdeutscher Text u. Übertragung. Ausgewählt u. übers. von Peter Wapnewski. Frankfurt am Main 1962 Wace = Wace, Le roman de Brut. In: Lange / Langosch, S. 72–161 Wigalois = Wirnt von Grafenberg, Wigalois. In: Lange / Langosch, S. 307–356 > Fasbender, Christoph Wolkenstein = Oswald von Wolkenstein, Lieder. Hrsg., übers. u. erläutert von Burghart Wachinger. Stuttgart 1977
Neuere sowie weiterführende Forschungsliteratur – 175
Neuere sowie weiterführende Forschungsliteratur Siehe ebenfalls die Bibliographien in Borst 1979 (S. 679–722), sowie die Literaturangaben in Schmitt 1990 (S. 411–420) und in Frugoni 2010 (S. 305–318). Weitere Hinweise finden sich in den Anmerkungen sowie in den Notaten zu den Abbildungen. A
Anzelewsky, Fedja, Miniaturen aus der Toggenburg-Chronik aus dem Jahre 1411. Baden-Baden 1960 Apollinaire, Guillaume, Œuvres en prose complètes II. Paris 1991 (Bibliothèque de la Pléiade) Argan, Giulio Carlo, Storia dell’arte italiana (1968). Bd. I–IV. Florenz 1975 Assunto, Rosario, Die Theorie des Schönen im Mittelalter. Köln 1987 Auerbach, Erich, Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter. Bern 1958 Auerbach, Erich, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Bern 31964 Avril, François, Trois manuscrits napolitains des collections de Charles V et de Jean de Berry. In: Bibliothèque de l’École des chartes CXXVII, 1969, S. 293–328 Avril, François, A quand remontent les premiers ateliers d’enlumineurs laïques à Paris? In: Les dossiers de l’archéologie 16, Mai/Juni 1976, S. 36–44 Avril, François, L’atelier du Psautier d’Ingeburge: problèmes de localisation et de datation. In: Hommage à Hubert Landais. Paris 1987, S. 16–21 Avril, Fançois / Nicole Reynaud / Dominique Cordellier, Les enluminures du Louvre. Moyen Âge et Renaissance. Catalogue raisonné. Paris 2011
Aarburg, Ursula, Melodien zum frühen deutschen Minnesang. Eine kritische Bestandsaufnahme. In: Fromm 1966, S. 378–423 Abrahams, Phyllis, Les œuvres poétiques de Baudri de Bourgueil (1046–1130). Paris 1926 Adler, Alfred, Militia et amor in the Roman de Troie. In: Romanische Forschungen 72, 1960, S. 14–29 Adler, Guido, Der Stil in der Musik I. Prinzipien und Arten des musikalischen Stils. Leipzig 1911 Alewyn, Richard, Das Problem der Generation in der Geschichte. In: Z für Deutsche Bildung V, 1929, S. 519–527 Alewyn, Richard / Karl Sälzle, Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument und Deutung. Hamburg 1959 Alverny > D’Alverny, Marie-Thérèse Amrosini, Marco / Michael Posch, Einführung in die mittelalterliche Musik. Vorwort von René Clemencic. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage mit zahlreichen Notenbeispielen. Reichelsheim 52006 Andersen, Flemming G. et al. (Hrsg.), Medieval Iconography and Narrative. A Symposium. Proceedings of the Fourth International Symposium organized by the Centre for the Study of Vernacular Literature in the Middle Ages. Held at Odense University on 19–20 November 1979. Odense University B Press 1980 André, Jacques, Études sur les termes de cou- Badel, Pierre-Yves, Introduction à la vie littéleur dans la langue Latine. Paris 1949 raire du Moyen Âge. Paris 1969 Angenendt, Arnold, Heilige und Reliquien. Badel, Pierre-Yves, Le Roman de la Rose au XIVe siècle. Étude de la réception d’une Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. 2. überarœuvre. Genf 1980 beitete Auflage. Hamburg 2007
176 – Bibliographie Bähr, Ingeborg, Bilderfindungen der frühen niederländischen Malerei im Spiegel der Tafeln des Meisters von Sopetrán. In: Pantheon LV, 1997, S. 46–56 Baehr, Rudolf (Hrsg.), Der provenzalische Minnesang. Ein Querschnitt durch die neuere Forschungsdiskussion. Darmstadt 1967 Bal, Mieke, Narratology. Introduction to the Theory of Narrative. Toronto 1985 (ursprünglich als De theorie van vertellen en verhalen, Amsterdam 1980) Baldass, Ludwig von, Conrad Laib und die beiden Rueland Frueauf. Wien 1946 Baldwin, John W., Les Langages de l’amour dans la France de Philippe Auguste (1994). Paris 1997 Bandmann, Günter, Zur Deutung des Mainzer Kopfes mit der Binde. In: ZKW 10, 1956, S. 153–174 > Einem, Herbert von (1955) Bandmann, Günter, Melancholie und Musik. Ikonographische Studien. Köln / Opladen 1960 (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 12) Bandmann, Günter, Das Kunstwerk als Gegenstand der Universalgeschichte. In: JB für Ästhetik VII, 1962/63, S. 146–166 Barasch, Moshe, Gestures of Despair in Medieval and Early Renaissance Art. New York 1976 Barasch, Moshe, Giotto and the Language of Gesture. Cambridge 1987 Barnard, Malcolm, Fashion as Communication (1996). Reprint Oxford / New York 2008 Baron, Hans, The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny. Revised one-volume edition with an epilogue (1955). Princeton 1966 Baron, Hans, Politische Einheit und Mannigfaltigkeit in der italienischen Renaissance und in der Geschichte der Neuzeit. In: Zu Begriff und Problem der Renaissance. Hrsg. von August Buck. Darmstadt 1969 (Wege der Forschung CCIV), S. 180– 221 (Originaltext in: Annual Report of the American Historical Association for 1942. Bd. III, S. 123–138)
Bartra, Roger, Wild Man in the Looking Glass. The Mythical Origins of European Otherness. Ann Arbor / Michigan 1994 Baudrillart, Henri, Histoire du Luxe privé et pubic (1878), 4 Bde., Paris 21881 Baum, Julius, Die Malerei und Plastik des Mittelalters. Bd. II: Deutschland, Frankreich und Britannien. Wildpark-Potsdam 1930 (HDK) Baumstark, Reinhold (Hrsg.) Das Goldene Rössl. Ein Meisterwerk der Pariser Hofkunst um 1400. München 1995 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums, München 1995) Baxandall, Michael, Giotto and the Orators. Humanist observers of painting in Italy and the discovery of pictorial composition 1350–1450. Oxford 1971 Beaulieu, Michèle / Jeanne Baylé, Le costume en Bourgogne de Philippe le Hardi à la mort de Charles le Téméraire 1364–1477. Paris 1956 Beck, Marcel, Finsteres oder romantisches Mittelalter? Aspekte der modernen Mediävistik. Zürich 1950 Benson, Robert G., Medieval Body Language. A Study of the Use of Gesture in Chaucer’s Poetry. Kopenhagen 1980 (Anglistica XXI) Benton, John, Der Hof von Champagne als literarisches Zentrum. In: Bumke 1982, S. 168–231 (Originaltext in: Speculum. A Journal of Mediaeval Studies 36, 1961, S. 551–591) Bernheimer, Richard, Wild Man in the Middle Ages. A Study in Art, Sentiment, and Demonology (1952). New York 1970 Bertelli, Carlo, Domenico Lenzi, Il Biadaiolo. Lo Specchio umano. Mailand 1981 Bertelli, Carlo (Hrsg.), Il millennio ambrosiano. La città del vescovo dai Carolingi al Barbarossa. Mailand 1988 Berve, Maurus, Die Armenbibel. Herkunft, Gestalt, Typologie. Dargestellt anhand von Miniaturen aus der Handschrift Cpg 148 der Universitätsbibliothek Heidelberg. Beuron 1969
Neuere sowie weiterführende Forschungsliteratur – 177 Beuckers, Klaus Gereon / Christoph Jobs / Stefanie Westphal (Hrsg.), Buchschätze des Mittelalters – Forschungsperspektiven. Beiträge zum Kolloquium des Kunsthistorischen Instituts der Christian-Albrechts–Universität zu Kiel vom 24. bis zum 26. April 2009. Regensburg 2011 Bezzola, Reto R., Les Origines et la formation de la littérature courtoise en Occident (500–1200), 2 Bde. Bd. I: La Tradition impériale de la fin de l’antiquité au XIe siècle. Bd. II: La Société féodale et la transformation de la littérature de cour. Paris 1944, 1960 (Bibliothèque de l’École des Hautes Études 284, 313) Bezzola, Reto R., Liebe und Abenteuer im höfischen Roman (Chrétien de Troyes). Reinbek bei Hamburg 1961 Bianchini, Janna, The Queen’s Hand. Power and Authority in the Reign of Berenguela of Castile. University of Pennsylvania Press 2012 Białostocki, Jan, Spätmittelalter und beginnende Neuzeit. Berlin 1972 (Propyläen Kunstgeschichte 7) Białostocki, Jan, Stil und Ikonographie. Studien zur Kunstwissenschaft. Köln 1981, S. 12– 42: Das Modusproblem in den bildenden Künsten (1961) Bie, Oskar, Der Tanz. Berlin 21919 Blanckenhagen, Peter H. von, Narration in Hellenistic and Roman Art. In: American Journal of Archaelogy 61, 1957, S. 78–83 Blöcker, Monica, Volkszorn im frühen Mittelalter. Ein begrenzter Versuch. In: NZZ, 3./4. März 1984, Nr. 53, S. 68 Blumenberg, Hans, Lesbarkeit der Welt. Frankfurt am Main 1981 Böhme, Franz, Geschichte des Tanzes in Deutschland, 2 Bde. Leipzig 1886 Böhmer, Roland, Bogenschütze, Bauerntanz und Falkenjagd. Zur Ikonographie der Wandmalereien im Haus ‘Zum Brunnenhof ’ in Zürich. In: Lutz 2002, S. 329–364 Bologna, Ferdinando, Die Anfänge der italienischen Malerei. Dresden 1964 Boockmann, Hartmut, Die Stadt im späten Mittelalter. München 1986
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Neuere sowie weiterführende Forschungsliteratur – 193 Spencer, John R., Leon Battista Alberti, On Painting > Alberti Spindler, Wolfgang, Musik der Gotik. Ein Wunder des christlichen Mittelalters im Erbe der heidnischen Antike. In: Magdeburg 2009, Essays, S. 277–289 Spranger, Eduard, Die Kulturzyklentheorie und das Problem des Kulturverfalls. Berlin 1926 Stahl, Harvey, Le Bestiaire de Douai. In: Revue de l’Art 8, 1970, S. 6–16 Stange, Alfred, Deutsche Malerei der Gotik. Berlin 1934 ff. Stein, Wilhelm, Die drei Florentiner. In: Robert Boehringer, eine Freundesgabe. Tübingen 1957, S. 635–653 Steingräber, Erich > Müller, Theodor Sterling, Charles, Die Malerei in Europa um 1400. In: Wien 1962, S. 66–78 Sterling, Charles, Paoul Grymbault, éminent peintre français du XVe siècle. In: Revue de l’Art 8, 1970, S. 17–32 Stökl, Günther, Reisebericht eines unbekannten Russen (1437–1440) In: Europa im XV. Jahrhundert von Byzantinern gesehen. Graz 1954, S. 149–189 (Byzantinische Geschichtsschreiber II, hrsg. von Endre Ivánka) Stones, Alison, Images of Temptation, Seduction and Discovery in the Prose Lancelot. A Preliminary Note. In: Wiener JB für Kunstgeschichte 46/47, 1993/94, S. 725– 735 Strobel, Richard, Wasserspeier. Bestand und Bedeutung am Beispiel des Heiligkreuzmünsters in Schwäbisch Gmünd. Stuttgart 2009 (Forschungen und Berichte der Bau- und Kunstdenkmalpflege in BadenWürttemberg 14) Stroh, Wilfried, Ovid im Urteil der Nachwelt. Eine Testimoniensammlung. Darmstadt 1969 Strong, Roy C., Portraits of Queen Elizabeth I. Oxford 1963 Stylianou, Andreas / Judith A., The Painted Churches of Cyprus, o. O. 1964
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194 – Bibliographie Turner, Derek H., Manuscript Illumination. Watson, Paul F., The Garden of Love in Tuscan In: Deuchler 1200, S. 133–168 (über die Art of the Early Renaissance. Philadelphia Situation um 1200) 1979 Webster, J. C., The Labors of the Months. V Princeton 1938 (Princeton Monographs in Art and Archaeology XXI) Van Buren > Buren, Anne H. van Wechssler, Eduard, Das Kulturproblem des Verdier, Philippe, L’iconographie des Arts Minnesangs. Studien zur Vorgeschichte der Libéraux dans l’art du Moyen Âge jusqu’à Renaissance. Bd. I: Minnesang und Christenla fin du quinzième siècle. In: Actes du tum (1909). Nachdruck Osnabrück 1966 quatrième congrès international de philo- Wehrens, Hans Georg, Der Totentanz im alesophie médiévale. Université de Montréal mannischen Sprachraum. «Muos ich doch 1967. Montréal / Paris 1969, S. 305–355 dran – und weis nit wan». Regensburg Verdon, Jean, Le plaisir au Moyen Âge. Paris 2012 1996 Wehrli, Max, Die höfische Literatur des Viollet-le-Duc, Eugène, Dictionnaire raisonAbendlandes. Zum Werk Reto R. Bezzolas. né du Mobilier français de l’époque carloIn: NZZ, 26. März 1961, Nr. 1120 (33), vingienne à la Renaissance, tome troisièBl. 5, 6 > Bezzola, Reto R. me et tome quatrième. Paris 1873, 1874 Weingartner, Josef, Gotische Wandmalerei in (septième partie: vêtements, bijoux de Südtirol. Wien 1948 corps, objets de toilette) Weisbach, Werner, Ausdrucksgestaltung in Vöge, Wilhelm, Die Anfänge des Monumenmittelalterlicher Kunst. Einsiedeln / Zütalen Stiles im Mittelalter. Eine Untersurich 1948 chung über die erste Blütezeit französischer Weiss, Richard, Volkskunde der Schweiz. ErPlastik. Straßburg 1894 lenbach / Zürich 1946 Vöge, Wilhelm, Bildhauer des Mittelalters. Wentzel, Hans, Die Christus-Johannnes-GrupGesammelte Studien. Vorwort v. Erwin pen des XIV. Jahrhunderts. Stuttgart 1960 Panofsky. Berlin 1958 Wescher, Herta, Moden und Textilien am Hofe Volbach, Wolfgang Fritz, Frühchristliche von Burgund. In: Ciba-Rundschau 63, Kunst. Die Kunst der Spätantike in WestBasel 1944, S. 2296–2334 (S. 2307–2314: und Ostrom. Aufnahmen v. Max Hirmer. Mode und Eleganz am Hofe von Burgund; München 1958 S. 2316–2322: Stoff und Farbe im ZeremoVon der Leyen, Friedrich, Die Welt der Märniell des burgundischen Hofes) chen, 2 Bde. Düsseldorf 1954 Wetzel, René, Runkelsteiner Kaiserreihe und Runkelsteiner ‘Weltchronik’-Handschrift W im Trialog von Bild, Text und Kontext. In: Lutz 2002, S. 405–433 Waldburg-Wolfegg, Johannes Graf, Das mit- White, John, The Birth and Rebirth of Pictorial telalterliche Hausbuch. Betrachtungen vor Space (1957). London 21967 Wickhoff, Franz, Römische Kunst (Die Wiener einer Bilderhandschrift. München 1957 Genesis). Berlin 1912 (Die Schriften Franz Walther, Ingo F. (Hrsg.), Codex Manesse. Die Wickhoffs III, hrsg. von Max Dvorak) Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift. Frankfurt am Main 1988 White, Lynn Jr., Medieval Technology and Social Change (1962). Oxford 1965 (deutWapnewski, Peter, Deutsche Literatur des Mitsche Ausgabe: Die mittelalterliche Technik telalters. Ein Abriß. Göttingen 1960 (Kleiund der Wandel der Gesellschaft. Münne Vandenhoeck-Reihe 96/97) chen 1968)
Neuere sowie weiterführende Forschungsliteratur – 195 Wiese, Benno von, Zur Kritik des geistesgeschichtlichen Epochenbegriffes. In: DVJS XI, 1933, S. 130–144 Wilhelmy, Winfried (Hrsg.), Seliges Lächeln, höllisches Gelächter. Das Lachen in Kunst und Kultur des Mittelalters. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Diözesanmuseum Mainz. Regensburg 2012 Wimmer, Clemens Alexander, Geschichte der Gartentheorie. Darmstadt 1989 Winkler, Friedrich, Die Flämische Buchmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts. Künstler und Werke von den Brüdern van Eyck bis zu Simon Bening. Leipzig 1925 Winter, Patrick de, La bibliothèque de Philippe le Hardi, duc de Bourgogne (1363–1404). Étude sur les manuscrits à peintures d’une collection princière à l’époque du “style gothique international” (CNRS). Paris 1985 Wirth, Jean, L’Image médiévale. Naissance et développements (VIe–XVe siècle). Paris 1989 Witt, Ronald G., In the Footsteps of the Ancients. The Origins of Humanism from Lovato to Bruni. Leiden 2000 (Studies in Medieval and Reformation Thought LXXIV) Witt, Ronald G., The Two Latin Cultures and the Foundation of Renaissance Humanism in Medieval Italy. Cambridge University Press 2012 Witthoft, Brucia, The Tacuinum Sanitatis: A Lombard Panorama. In: Gesta XVII/1, 1978, S. 49–60 Wixom, William D., The Greatness of the So-called Minor Arts. In: Deuchler 1200, S. 93–132 (über die Situation um 1200) Wixom, William D., Eleven Additions to the Medieval Collection. In: The Bulletin of The Cleveland Museum of Art LXVI/3, März/April 1979. Elfenbeine aus dem 14. Jh.: S. 110–126 Wolfram, Richard, Studien zur älteren Schweizer Volkskultur. Mythos, Sozialordnung, Brauchbewußtsein. Wien 1980 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte 362) Wormald, Francis, English Drawings of the Tenth and Eleventh Centuries. London 1952
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Register
Personenregister
Antike Götter und Helden sowie biblische Namen sind nur ausnahmsweise erfaßt. > = siehe auch. – CM = Codex Manesse A Abélard, Pierre (1079–1142), französischer Geistlicher, 82, Anm. 173, 302 > Héloise Abraham, alttestamentarische Gestalt (Abb. 10, 11), 22, 24, 39, 57, 66, 107, 115, 273, 274 Adam und Eva (Abb. 115, 117), 43, 56, Anm. 110 Adam de la Halle, französischer Dichter aus Arras (um 1237/40–86/88), französischer trouvère (Jeu de Robin et Marion) Ælfgyva (Stickerei von Bayeux) (Abb. 120), 55, 78 Ælred (1110–67), Abt von Rievaulx (Yorkshire), 147–148, Anm. 314 Alain von Lille (Alanus ab Insulis) (um 1128– 1202), französischer Dichter, 136 Albertanus von Brescia (um 1195–um 1251), Jurist und Verfasser vielgelesener Schriften und Traktate (De doctrina dicendi et tacendi, 1245) Alberti, Leon Battista (1404–72), italienischer Architekt und Theoretiker (De Pictura, 1435/36), 40 Albertus Magnus (Albert Graf von Bollstädt) (1193?–1280), Dominikaner, Bischof, Philosoph und Naturforscher (De vegetabilibus, liber septimus de mutatione plantae ex silvestritate in domesticationem), 45 (m. Zit.), 117, 124, 132, Anm. 228 Albrecht von Brandenburg (1490–1545), Kardinal, Anm. 38 Albrecht Marschall von Rapperswil, Minnesänger, im CM vertreten (fol. 192verso) (Abb. 52), 277 Alciati, Andrea (um 1492–um 1550), italienischer Jurist, Humanist und Schriftsteller, veröffentlichte das erste Emblembuch (Emblematum libellus, Paris 1542), 58, 69
Alexander der Große (356–323 v. Chr. in Babylon), von 336 bis zu seinem Tod König von Makedonien Alexander, der “wilde”(2. H. 13. Jh.) , bedeutender fahrender allemannischer Meistersinger bürgerlicher Herkunft. “Wild” bedeutet “fahrend”, “schweifend”, worauf die Miniatur im CM anspielt (fol. 12recto) (Abb. 50), 73, 85, Anm. 320 Alfons der Weise (el Sabio) (1221–84), seit 1252 König von Kastilien und León, bedeutender Auftraggeber der Wissenschaften und Künste (> Cantigas de Santa Maria) Altdorfer, Albrecht (um 1480–1538), deutscher Maler, Anm. 113 Anhalt, Graf Heinrich I. von (um 1170–1252; regierte 1212–42), Schwiegersohn Hermanns von Thüringen, im CM in ein Turnier verwickelt (fol. 17recto) (Abb. 53), 59 Anne de Bretagne (1477–1514), Herzogin der Bretagne und Königin von Frankreich, 128 Antelami, Benedetto (um 1150–um 1230), italienischer Bildhauer (> Moritz Woelk, Benedetto Antelami. Die Werke in Parma und Fidenza. Münster 1995) (Abb. 4 b), 20 Apelles (um 373/370–Ende 4. Jh. v. Chr.), griechischer Maler, 64, Anm. 85 Apuleius (um 123–nach 170), römischer Schriftsteller, Redner und Philosoph, 54 Argan, Giulio Carlo (1909–92), italienischer Kunsthistoriker, Zitate: 20, 73–74 Aristoteles (384–322 v. Chr.), griechischer Philosoph, 45, 52, 65, 143 Arbeau, Thoinot (1519–95), Kanonikus in Langres, Verfasser einer Schrift über die Tänze seiner Zeit, 151
198 – Register Arnaut de Caracasse (Carcassès) (13. Jh.), provenzalischer Dichter (Las Nòvas del Papagai), 117 Artemidoros (um 100 v. Chr.) Geograph in Ephesos, 82 Arthur > Artus Artus, halblegendärer König der britischen Kelten (um 500 n. Chr.), hist. bezeugt in der Historia Britonum (um 800) von Nennius und in den Annales Cambriae (10. Jh.); im Versroman Brut (1155) erscheint er bereits als sagenhafte Gestalt (> Demus in: RDK I, Sp. 1127–1132); ob Artus ein historisches Vorbild hatte, ist unsicher (> Jürgen Wolff, Auf der Suche nach König Arthus. Mythos und Wahrheit. Darmstadt 2009), 91, 122, 138, Anm. 6, 177 Äsop (620–560 v. Chr.), griechischer Fabeldichter (> RDK I, Sp. 1124–1145) Aue, von > Hartmann von Aue Audomarus, Heiliger (Abb. 2), 20–21 Augustinus, Aurelius (354–430), Kirchenvater, 78, 81, 132, Anm. 288, Zitate: 42, 55 Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.), römischer Kaiser, Anm. 71 Aurelius Prudentius > Prudentius Auvergne, Martial d’ > Martial d’Auvergne Ayala, Pero López de > Pedro I., der Grausame B Bach, Johann Sebastian (1685–1750), Komponist und Musiker, 146, Anm. 79 Balderich von Bourgueil > Baudri de Bourgueil Bandello, Matteo (1485–vor 1573), italienischer Novellendichter, 47–48 (m. Zit.), 94 Bandinelli, Baccio (1488–vor 1560), italienischer Bildhauer, Anm. 222 Bandmann, Günter (1917–75), deutscher Kunsthistoriker, 283, Zitate: 1–2, 4, 52, 67 Baerze, Jacques de > Jacques de Baerze Barna da Siena (um 1300–um 1350), Sieneser Maler, 52 Basó (Baço) > Jacomart, Jaime Baço Baudouin de Condé (tätig um 1240–80), trouvère am Hof der Margarethe II. von Flandern
Baudri de Bourgueil (1046–1130), französischer Dichter, Abt des Klosters Bourgueil, später Erzbischof von Dol in der Bretagne (> Abrahams 1926; Migne, PL CLXV, Historiae Francorum Scriptores; Curtius, S. 125 u. 570, s. v. Baudri de Bourgueil), 88–89 (m. Zit.) Beaumetz, Jean de (um 1335–96), burgundischer Maler Benoît de Sainte-Maure (gest. 1173.), anglonormannischer trouvère, Sainte-Maure (Touraine) war damals Lehen des englischen Königshauses der Plantagenets (Verfasser des ersten und erfolgreichsten “antiken” Romans: Le Roman de Troie, um 1165/70; Chronique des ducs de Normandie im Auftrag von Henry IV.; unvollendet), 89 (m. Zit.) Berenguela (1180–1246), Königin von Kastilien, Schwester der Bianca von Kastilien, Königin von Frankreich (> Bianchini 2012), Anm. 27 Bergson, Henri (1859–1941), französischer Philosoph, Anm. 231 Berlinghieri, Berlinghiero (nachweisbar in Lucca 1228–42), aus Mailand zugewandert, Vater des Bonaventura Berlinghieri Berlinghieri, Bonaventura (nachweisbar 1228–74), Maler in Lucca, FranziskusTafel in Pescia, San Francesco, um 1235 Bernward von Hildesheim (um 950/60– 1022), Bischof seit 993, Auftraggeber bedeutender Kunstwerke Béroul, Berol (um 1200), franz. Dichter aus der Bretagne (ein Tristan und Iseut nur bruchstückhaft überliefert, um 1190), 81, Anm. 6, Zitate: 50, 61, 84, 118, 123, 128, 143 Berry, Jean de > Jean, duc de Berry Berta, Mutter Karls des Großen, Anm. 94 Bie, Oskar (1864–1938), deutscher Musikund Kunsthistoriker, 153 (m. Zit.), Anm. 323 Biket, Robert > Robert Biket Bloy, Léon (1846–1917), französischer Sprachphilosoph und Schriftsteller, 12 (m. Zit.)
Personenregister – 199 Boccaccio, Giovanni (1313–75), italienischer Dichter, Werke: Il Decamerone (1349–53); franz. Übersetzung von Laurent de Premierfait 1400; Corbaccio (1354–55); De claris mulieribus; seit 1401 in franz. Übersetzung (> Paris 1975, S. 53); De casibus virorum; franz. Übersetzung 1414 von Laurent de Premierfait (zur späteren populären Verbreitung der Boccaccio-Stoffe in Frankreich > Paris 1975, S. 86–89), 65, 83, 92, 93, 100, 125, 127, 132, 137, Anm. 198, 207, 287, Zitate: 47, 54, 57, 91, 111–112, 138, Anm. 5 Boethius, Anicius Manlius Severinus (475/80–524/526), spätantiker Philosoph (> RDK II, Sp. 970–976, Abb. 2: Boethius im Kerker. München, Cml. 2599, fol. 106recto, Anf. 13. Jh.), 2, 146, Zitate: 82–83, 108 Bonaventura (Giovanni di Fidenza) (1221– 74), Franziskaner, studierte ab 1235 in Paris und lehrte als doctor seraficus an der Sorbonne (De reductione artium ad theologiam, 1254/55) Boileau, Étienne (um 1200–70), hoher Pariser Beamter, verfaßte auf Bitte Ludwigs des Heiligen 1268 Le Livre des métiers (Statuten der Pariser Zünfte) (> Bernard Mahieu in: Le Siècle de Saint Louis, S. 64–74), Anm. 35 Bondol, Jean de (um 1340–um 1400), auch als Jean de Bruges bekannt, Maler und Buchmaler in Brügge, Entwerfer der Apokalypse von Angers, Auftrag frühestens 1373 Bonne de Luxembourg (1315–49 als Opfer der Pest), geb. als Jutta vom Luxemburg, in Frankreich als Bonne Gemahlin von Jean II., der erst ein Jahr nach ihrem Tod König Frankreichs wurde; sie war u. a. die Mutter von Jean de Berry (1340–1418) und Philippe II. le Hardi von Burgund (1342–1404); förderte u. a. den Guillaume de Machaut Borron (auch: Boron), Robert de > Robert de Borron Bosch, Hieronymus (um 1450–1516), niederländischer Maler, Anm. 295
Brant, Sebastian (1457/58–1521), Straßburger Humanist und Dichter (Narrenschiff 1494), 68 (m. Zit.) Breu, Jörg (um 1475/80–1536), deutscher Maler und Holzschnittzeichner (illustrierte das Emblematum libellus von Andrea Alciati 1531), 58 Broederlam, Melchior (nachweisbar 1381– 1409), niederländischer Maler in Dijon (Abb. 109) Brueghel, Pieter, der Ältere (um 1525/30– 1569), niederländischer Maler, 125, 152 Bruges, Jean de > Bondol, Jean de Bruno II. von Hornberg (1275–1310 bezeugt), «Mîner frouwen minnestricke [...]» (1. Lied) wird in CM (fol. 251recto) bildlich umgesetzt (Abb. 83), 278 Burchard von Hall (letztes Drittel 13. Jh.), deutscher Chronist, Autor des Begriffs opus francigenum Bumke, Joachim (1929–2011), deutscher Germanist und Mediävist, passim Burckhardt, Jacob (1818–97), Schweizer Kulturhistoriker, 106–107 (m. Zit.) Burgkmair, Hans (1471–1531), deutscher Maler (Abb. 129), 71, 101 Burkhart von Hohenfels (1212–42 bezeugt), Ministeriale, Dichter, am Hof Friedrichs II., Heinrichs VII. und des Bischofs von Konstanz, im CM vertreten (fol. 110recto) Busch, Wilhelm (1832–1908), deutscher Dichter, Zeichner und Maler, Anm. 233 C Cäcilia von Homberg (erwähnt 1286–1338), Priorin des Dominikanerinnenklosters Oetenbach (Zürich); ihr Bruder > Wernher stiftete um 1320 die Liebfrauenkapelle des Oetenbachklosters Calderón de la Barca, Pedro (1600–81), spanischer Dichter, 93 Calvin, Jean (1509–64), Reformator, 125 Campe, Joachim Heinrich (1746–1818), deutscher Sprachforscher, Anm. 31
200 – Register Capella, Martianus (1. H. 5. Jh. n. Chr.), lateinischer Schriftsteller in Karthago, verfaßte eine Enzyklopädie der sieben freien Künste (> Notker Labeo) Capestrano, Johannnes von > Johannes von Capestrano Caxton, William (1415–92), erster englischer Buchdrucker, auch Verleger und Übersetzer (> Jacobus de Cessolis) Cellarius, Christoph (eigentlich Keller) (1638–1707), deutscher Historiker Cennini, Cennino (um 1370–um 1440), italienischer Maler und Theoretiker (Il Libro dell’Arte, 1437), 40, 159, Anm. 15, Zitate: 3, 4, 6, 47, 126, Anm. 5, 88 Cessolis > Jacobus de Cessolis Chapman, George (um 1559–1634), englischer Dramatiker und erster englischer Homer-Übersetzer (Hero and Leander, 1598, die Fassung von Christopher Marlow fortsetzend) Charles VIII. (1470–98), französischer König, 128 Charles d’Orléans (1394–1465), französischer Herzog, Dichter, 112 Charon, Fährmann, der die Toten an das Tor des Hades führt; für die Etrusker besonders häßlich, rotäugig; für Vergil (Aeneis 6, 298 ff.) struppig, unsauber, mürrisch, mit starrem Blick, 63 Chaucer, Geoffrey (um 1340–1400), englischer Schriftsteller, 68, 128, Zitate: 48, 94, 119, 134 Chrétien de Troyes (um 1135–um 1183/90), französischer Dichter, 4, 63, 93, 94 (m. Zit.), 97, 126 (m. Zit.), Anm. 132 Christian (Kristan) von Hamle (frühes 13. Jh.), Liederdichter; im CM vertreten (fol. 71verso) (Abb. 64) Christine de Pisan (1365–1429/30), französische Dichterin, 128 Cicero, Marcus Tullius (106–43 v. Chr.), römischer Staatsmann, Schriftsteller und Redner (> Textüberlieferung I, S. 381–384), 2, 55, 69 (m. Zit.), 89, 103, Anm. 78, 335 Clark, Kenneth (1903–83), englischer Kunsthistoriker, 31, 43–44 (m. Zit.), 56 (m. Zit.), Anm. 59
Colart de Laon (gest. vor Mai 1417), Hofmaler von Louis de Valois, duc d’Orléans (seit 1391), 283, Anm. 34 Colonna, Francesco (1433/34–1527), italienischer Schriftsteller (Hypnerotomachia Poliphili, Venedig 1499) Commynes, Philippe de (um 1447–1511), französischer Diplomat und Chronist; die Mémoires (1490–98 abgefaßt) behandeln die Jahre 1464–98, Erstdruck 1524 Coster, Laurens Janszoon (um 1405–84), niederländischer Drucker in Haarlem; ihm soll schon um 1435 der Guß von Einzeltypen gelungen sein Crescenzi, Pietro de’ (1233–1321), Bologneser Gelehrter und Autor (Liber cultus ruris oder De agricultura, vielfach übersetzt) (> Cartellieri, S. 107–112; beste Einführung: Pernoud 1982), 132 D Dante Alighieri (1265–1321), italienischer Dichter, 47 (m. Zit.), 55, 68, 142, 137 (m. Zit.), 147, 152, Anm. 198 Darwin, Charles (1809–82), englischer Naturforscher > Darwin in Bibliographie Daphne, Geliebte Apollons (> Pauly I, Sp. 1382–1383), 89, 93, Anm .89 David, alttestamentarischer König (Abb. 24), 91, 152, 274 Desprez, Josquin > Josquin des Prés Dessoir, Max (1867–1947) deutscher Philosoph, Psychologe und Kunsthistoriker, Anm. 235 Diderot, Denis (1713–84), französischer Schriftsteller und Gelehrter, Zitate: 78, 88, Anm. 163 Dietmar von Ast (Aist, Eist) (vor 1140–nach 1171), Minnesänger, im CM vertreten (fol. 64recto) (Abb. 76), 113–114, 119, 140 (m. Zit.), 143 (m. Zit.) Doria, Andrea (1466–1560), genuesischer Admiral, als Neptun, 101, Anm. 222 Duccio di Buoninsegna (um 1255–1319), Maler in Siena, 6, 7, Anm. 277 Dufay, Guillaume (1397–1474), belgischer Komponist, 146
Personenregister – 201 Dunstable (um 1380/90–1453), englischer F Komponist (“canonicus, musicus”) Durandus, Guillaume (1230–96), Bischof von Fazio, Bartolomeo (um 1400–57), italieniMende, Autor (Rationale divinorum ofscher Biograph (De viris illustribus, 1456, davon: De Pictoribus > Baxandall, S. 163– ficiorum, vor 1286) 167; besprochen werden: Gentilis FabriDürer, Albrecht (1471–1528), deutscher Maler, Zeichner und Theoretiker (Abb. 126 b, anensis, Iohannes Gallicus [Ian van Eyck], Pisanus Veronensis und Rogerius Gallicus 128, 130–132), 44, 56, 58, 60, 65–66, Anm. 85, 155, 157 [Roger van der Weyden] Ferdinand I. von Habsburg (1503–64), römisch-deutscher Kaiser E Fibonacci, Leonardo > Leonardo da Pisa Eike von Repgow (um 1180–nach 1233), Fiore, Jacobello del (gest. 1429), venezianischer Maler, Anm. 68 Edelfreier, wohl in Rechtskunde ausgebildeter Sachse, Schöffe und Richter; seine Fleck, Konrad (um 1220), deutscher Dichter und Übersetzer, tätig im Elsaß und/oder soziale Stellung ist ungeklärt; schrieb um in Basel, 48 1224–31 den Sachsenspiegel, der niederdeutschen Fassung geht eine lateinische Focillon, Henri (1881–1943), französischer Kunsthistoriker. Zitate: 17, 36, 44–45, 64, voraus (um 1220). Zitate: 28–29, 144 74, 111 Eilhart von Oberg (1189–1207 urkundlich bekannt), deutscher Dichter (Verfassser Fouquet, Jean (um 1425–um 1480), französischer Maler und Buchmaler, 35 der ältesten mittelhochdeutschen Fassung Fournival, Richard de > Richard de Fournival von Tristan und Isolde), 82 Éluard, Paul (1895–1952), französischer Francesca, Piero della (um 1415–92), italienischer Maler, 64 Dichter, 7 (m. Zit.) Endelechius, Severus Sanctus (2. H. 4. Jh.), Frauenlob, Heinrich > Heinrich von Meißen Friedrich von Hausen (Hûsen) (urkundlich christlicher Rhetor und Dichter (> Pest) seit 1171 bezeugt, 1190 als Kreuzfahrer Engelhart von Adelnburg (zwischen 1174– gefallen); im CM vertreten (fol. 116verso), 1230 urkundlich erwähnt, wohl Vater und starb bei Philomelion (Phrygien), MinSohn umfassend), Minnesänger, im CM nesänger in diplomatischen Dienvertreten (fol. 181verso) (Abb. 78), 76, 119 sten Friedrichs I. und Heinrichs VI. Ensinger, Matthäus (1390–1463), deutscher (> Traum) Baumeister, Anm. 18 Erasmus von Rotterdam, Desiderius (1469– Friedrich II. (1212–50), Kaiser, 142, Anm. 305 1536), niederländischer Denker und Friedrich von Leiningen (1201–37 bezeugt), Schriftsteller rheinisch-pfälzischer Graf, im CM vertreten (fol. 26recto) Étienne de Bourbon (Stephani de Borbone) (um 1180–1261), französischer Domini- Friedrich der Knecht (1. H. 13. Jh.), Dichkaner und Inquisitor ter und Minnesänger, im CM vertreten Eumares (um 550–um 520), griechischer Ma(fol. 316verso) (Abb. 69), 74–75 ler in Athen, 44 Froissart, Jean (1337–nach 1404), französiEuripides (vor 486–406), griechischer Dichscher Chronist, 136 (m. Zit.) ter, 100, Anm. 218 Frueauf, Rueland d. Ä. (um 1440/45–1507), Eyck, Hubert van (um 1380/90–1426) und deutscher Maler, 59 Jan (um 1390–1441), niederländische Frueauf, Rueland d. J. (1465/70–nach 1545), Maler, 43, 64, 150, Anm. 278 deutscher Maler Fugger, Ulrich (1526–84), 125 Furtmeyr, Berthold (1470–1502 in Regensburg nachweisbar), deutscher Maler und Buchmaler, 56, 62
202 – Register G Gaston Phébus III (gest. 1391), Graf von Foix und Béarn, redigierte zwischen 1387–89 ein Livre de la chasse (Philippe le Hardi gewidmet), 127, Anm. 305 Gautier de Coincy (1177–1236), französischer Dichter (um 1214 entstanden in Vic-sur-Aisne die Miracles), Anm. 161 Geiler von Kaysersberg, Johannes (1445– 1510), deutscher Dichter, 117 Geoffrey of Monmouth (Galfridus Monemutensis) (um 1100–55), Historiker (Historia regum Britanniae, 1130–36), 59 Geoffrey Plantagenet (1129–51), Graf von Anjou, 119 Geoffroy de Vinsauf (um 1205–69), normannischer Ritter und Dichter, 105 (m. Zit.) Georg von Liechtenstein > Liechtenstein, Georg von Gerhaert, Nicolaus (um 1430–73), deutscher Bildhauer, 52 Gerson, Jean Charlier de (1363–1429), Kanzler der Pariser Universität (Opera Gersonis, gedruckt bei Martin Flach, Straßburg 1502, mit Titelholzschnitt Dürers), 58 Gervais du Bus (Anfang 14. Jh.), französischer Satiriker und Schriftsteller (Roman de Fauvel, um 1310/14), 103 Gilgamesch (3. Jt. v. Chr.), König von Uruk (Pauly II, Sp. 800–801), Epos: 119, 137 > Gilgamesch-Epos Giotto di Bondone (um 1266–1337), italienischer Maler und Architekt, 3, 4, 7, 9, 10, 35, 49–50, 52, 60, 69, 74, 94, 119 Giovannetti, Matteo (um 1300–68/69), italienischer Maler, seit etwa 1343–49 in Avignon, 1353 in La Chaise-Dieu, dann wieder in Avignon, 1367/68 in Rom (> Castelnuovo 1966), 37 Girard d’Orléans (Mitte 14. Jh.), französischer Maler, 64 Giraudoux, Jean (1882–1944), französischer Diplomat und Schriftsteller, 49 (m. Zit.) Gislebertus (um 1120–35 in Autun tätig), französischer Bildhauer (Abb. 4 a) Godefroy de Bouillon (um 1160–1100), Heerführer während des 1. Kreuzzugs, 91 Goeli (von Baden), Minnesänger, vertreten im CM (fol. 262verso) (Abb. 61)
Goes, Hugo van der (um 1440–82), niederländischer Maler, 43, 56 Goethe, Johann Wolfgang von (1749–1832), 285, Anm. 31, 81, 241, 318 Gogol, Nikolaj Wassiljewitsch (1809–52), russischer Dichter, 54 Görtschacher, Urban (um 1485–um 1530), Kärntner Maler, Anm. 123 Gossaert, Jan (Jan Mabuse) (1478–1536), niederländischer Maler, 101–102, 128, Anm. 148 Gottfried von Neifen, Minnedichter, im CM vertreten (fol. 32verso) Gottfried von Straßburg (um 1210), Dichter, im CM vertreten (fol. 364recto) (Abb. 46), 82, 126, 127, 276, Anm. 155, Zitate: 15, 45–46, 61, 90, 99, 121–122 Gowers, John (um 1330–1408), englischer Dichter, Freund Chaucers, 93 Gréco, Juliette, Sängerin, 128 (m. Zit.), Anm. 281 Grien, Hans Baldung, gen. (1484/85–1545), deutscher Maler, 65, Anm. 113 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (um 1622–76), deutscher Schriftsteller, 120 (m. Zit.) Grocheo > Johannes de Grocheo Grünewald, Matthias (zwischen 1445/55– 1528), deutscher Maler und Zeichner, 16, Anm. 38 Guido da Colonna (13. Jh.), italienischer Historiker (Historia destructionis Troiae, 1287) Guido da Siena (um 1250–85), italienischer Maler, 74 Guido von Arezzo (um 992–1050), Benediktiner und Musiktheoretiker, Anm. 313 Guillaume de Lorris (um 1200–um 1240), biographisch nicht faßbar, Dichter (erster Teil des Roman de la Rose, 1236 entstandenen, einer Art ars amandi nach Ovids Vorbild) (> Meun, Jean de), 62, Anm. 287 Guillaume de Machaut > Machaut, Guillaume de Gutenberg, Johannes Gensfleisch zum (um 1397–1468), Buchdrucker in Mainz, 1444/45 in Mainz die erste Druckoffizin, die 42-zeilige Bibel entstand 1452–55 (> Coster, Laurens Janszoon)
Personenregister – 203 H Hadloub > Johannes Hadloub Hagen, Friedrich Heinrich von der (1780– 1856), deutscher Philologe und Germanist, früher Sammler der deutschen Minnedichter in vier Bänden, 1838 Halle, Adam de la > Adam de la Halle Hannibal (246–182 v. Chr.), punischer Feldherr und Staatsmann (Abb. 111), 116 Hartmann von Aue (Schaffenszeit seit um 1180–um 1200), Epiker und Minnesänger, Verfasser des frühesten deutschen Artusromans Iwein, im CM vertreten (fol. 184verso), 92, 118, Zitate: 44, 53, 54, 58, 75, 89 Hartmann von Starkenberg (2. H. 13. Jh.), Minnesänger, im CM vertreten (fol. 256verso) (Abb. 74), 107, Anm. 236 Heinrich Hetzbold von Weißensee (bezeugt 1310/12–45), Minnesänger, im CM vertreten (fol. 228recto) (Abb. 56) Heinrich VI. (1165–97), König 1169, Kaiser 1191, im CM vertreten (fol. 6recto) (Textproben in: Minnesang, S. 199–201) Heinrich von Frauenberg (1284–1305 bezeugt), Freiherr aus Graubünden (Illanz), im CM vertreten (fol. 61verso), 28 Heinrich von der Mure (13. Jh.), Liederdichter, Eintritt in den geistlichen Stand, im CM vertreten (fol. 75verso) Heinrich von Klingenberg (urkundlich erstmals erwähnt 1254–1306), Minnesänger Heinrich III. von Meißen (1218–88), Markgraf unter Friedrich II., im CM vertreten (fol. 14verso: Reiherjagd), Anm. 184 Heinrich von Meißen (Heinrich Frauenlob) (um 1250–1318), Meistersinger, Spruchdichter, im CM vertreten (fol. 399recto) (Abb. 80), 115, 149–150 Heinrich von Morungen (um 1213–21 in Leipzig als miles emeritus bezeugt), Minnesänger aus ritterlichem Geschlecht, im CM vertreten (fol. 76verso) (Textproben in: Minnesang, S. 42–43, 77–78, 156–162, 204–206) (Abb. 121), 83, Zitate: 44, 51 Heinrich von Mügeln (um 1320–70), «halb Meistersinger, halb Humanist» (Wehrli, S. 592), kam als Berater kurz vor 1346 an den Hof Karls IV. in Prag
Heinrich von Rugge (zwischen 1175–78 urkundlich nachgewiesen), Minnesänger aus schwäbischem Ministerialengeschlecht Heinrich II. von Sax (1235–89 bezeugt), Minnesänger, im CM vertreten (fol. 59verso, ungedeutete Szene), 73 Heinrich II. (oder III.) von Stretlingen (1249– 71 oder 1258–94), Minnesänger, Stammburg am Thuner See, im CM vertreten (fol. 70verso) (Abb. 82), 153 Heinrich Teschler (1250–1301 in Zürich urkundlich nachweisbar), 1275 als Chorherr erwähnt, im CM vertreten (fol. 281verso) (Abb. 68), 56, 85, 87 Heinrich von Veldeke (vor 1150–1190/1200), Epiker und Minnesänger ritterlicher Herkunft, Eneasroman (Eneïde) zwischen 1170–80 entstanden: Beginn der hohen ritterlichen Dichtung nach Stoff und Form (weitere Textproben in: Minnesang, S. 40–41. 63, 80, 90, 108, 113, 143) (> Abb. 108), 63, 75, 109, 113, 123, 127, 276, 280, Zitate: 81, 90, 143 Héloïse, 82 (> Abélard, Pierre) Herbort von Fritzlar (um 1200), Geistlicher (Liet von Troye), 117 (m. Zit.) Herkules (Herakles), antike Sagengestalt (Abb. 105), 101 Hero und Leander, antikes Liebespaar, von Ovid überliefert (> Pauly II, Sp. 1089), Anfang 14. Jh.: mittelhochdeutsche Gedichtfassung; mittelniederländische von Dirk (> Potter van der Loo); zum Thema: Petrarca, Canzoniere, S. 321–323 (Kommentar von Peter Brockmeier), Anm. 198 Herodes Antipas, Tetrarch von Galiläa und Peräa (bis 39 n. Chr.) (über die verschiedenen Träger dieses Namens > Le Goff 2011, S. 101–102) (Abb. 16), 22, 55, 62 Hieronymus, Sophronius Eusebius (347– 420), Kirchenvater, 90 Homberg > Wernher Graf von Homberg, > Cäcilia von Homberg Hugo Graf von Montfort (1357–1423), Vorarlberger Liebhaberdichter Hugo von St. Victor (um 1097–1141), Theologe, Abt von Saint-Victor bei Paris, 43 (m. Zit.) Huizinga, Johan (1872–1945), holländischer Historiker, Zitate: 3, 72
204 – Register Huon de Bordeaux, Vasall Karls des Großen Jacobus von Lüttich (um 1260–nach 1330), flä(> Frenzel, Stoffe, S. 284–285), 17 mischer Musiktheoretiker, Verfasser eines Huy, Jean Pépin de (dokumentiert 1311–29), 7-bändigen Speculum musicae (1321–25), Bildhauer aus der Moselgegend, 56 gegen die Ars nova gerichtet (> Morbach, S. 139) I Jacomart, Jaime Baço (Basó) (um 1411–61), Maler in Valencia, Anm. 73 Ines de Castro (1320 oder 1325–55), katalani- Jacopone da Todi (um 1230–1306), italienische Adlige, Gemahlin des späteren porscher Dichter tugiesischen Königs Peter I., als Hexe hin- Jacques de Baerze, 280 gerichtet (> Frenzel, Stoffe, S. 288–291) Jacques de Longuyon, französischer SchriftIngeborg von Dänemark (1175–1236), Gatsteller (1. H. 14. Jh), Dichter der Neuf tin des französischen Königs PhilippePreux; 1312/13 entstand für Thibaut de Auguste, 19 Bar, Bischof von Lüttich, Vœux du Paon Ingold, Meister (um 1380–1440/50), Domi(> Catherine Gaullier-Bougassa [Hrsg.], nikaner in Straßburg («ich, ain priester Les Vœux du Paon de Jacques de Lonprediger ordens, mayster Ingold»; Erstguyon: originalité et rayonnement. Paris druck von Guldin Spil, um 1472/73) (vgl. 2011), 91–92 Abb. 126 b) Jacques de Vitry (um 1160/70–1240), AuguIsaac, Heinrich (um 1450–1517), flämischer stinerchorherr, Chronist Komponist, um 1480 Organist in Florenz, Jacques de Voragine > Jacobus de Voragine seit 1497 Hofkomponist Maximilians I., Jakob von Vitry > Jacques de Vitry seit 1514 wieder in Florenz; Messen, Mo- Jakob von Warte (1269–1331 bezeugt), tetten, Lieder, Instrumentalsätze Schweizer Minnedichter, im CM vertreIsabella I., die Katholische (1451–1504), Köten (fol. 46verso) (Abb. 102), 28, 117 nigin von Kastilien und León, heiratete Jean d’Arras, Autor der Histoire de Lusignan, 1469 Ferdinand II. von Aragón 1387/94 (Melusinen-Fabel), im Auftrag Isidor von Sevilla (um 560/70–636), letzter des Herzogs von Berry niedergeschrieben (> Frenzel, Stoffe, S. 424–426), 93 abendländischer Kirchenvater, Erzbischof von Sevilla (> Pauly II, Sp. 1461–1462), Jean, duc de Berry (Jean de Valois) (1340– 1416), Herzog von Berry und Auvergne, 100, 150, Anm. 245, 265, 293, Zitate aus als Förderer der Künste, 14, 30, 35, 56, Etymologiae: 12, 132, 145 125, Anm. 193 Jean II. le Bon (1319–64), König von FrankJ reich 1350–64, 64 (Porträt) Jacobus de Cessolis (1250–1322 urkundlich Jean de Meun(g) > Meun(g), Jean de erwähnt), lombardischer Dominikaner, Jean sans Peur (1371–1419), Herzog von Burgund schrieb das erste Buch über das Schachspiel in italienischer Sprache, in über 100 Jeanne d’Arc (1412–31), französische Heilige, Prozeß in Rouen, Tod auf dem ScheiterHandschriften erhalten; das Schachspiel haufen; 1456 rehabilitiert; 1909 selig- und ist für ihn Allegorie der Gesellschaft und 1920 heiliggesprochen, 100–101, 140 ihrer Stände (erste gedruckte Ausgabe: Utrecht 1473 in der Übersetzung von Wil- Jeanne d’Evreux (um 1310–71), Gemahlin König Karls IV. von Frankreich; das Stunliam Caxton) (für die Florentiner Ausgadenbuch in The Cloisters entstand zw. be von 1493/94 > Abb. 62), Anm. 185 1324–28, die silbervergoldete Madonna Jacobus de Voragine (um 1228–98), Domini(Louvre) schenkte die Königin 1339 der kaner, Erzbischof von Genua, Autor der Abtei von Saint Denis, 26, Anm. 29 > Legenda aurea (> Le Goff 2011), 45, 92, Anm. 87 (m. Zit.)
Personenregister – 205 Johann (Jan) von Brabant (um 1254–94), starb an den Folgen einer Turnierverletzung, im CM vertreten (fol. 18recto: Schlachtszene) Johannes III. Dukas Vatatzes von Nicäa (1193–1254), Kaiser 1222 Johannes de Grocheo (um 1300), in Paris tätiger Musiktheoretiker (> Morbach, S. 106–115), 145 Johannes Hadloub (2. H. 13. / Anfang 14. Jh.), Liederdichter aus Zürich (Textproben in: Minnesang, S. 219–221, 309–315), im CM vertreten (fol. 371recto) (Abb. 75), 96, 105 Johannes von Capestrano (1386–1456), italienischer Mönch, seit 1454 Kreuzzugsprediger gegen die Türken; die Rettung Belgrads gilt als seine Leistung, 88 Joinville, Jean de (um 1225–1317), französischer Historiker, Anm. 253 Josquin des Prés (Desprez) (um 1440–1521), franko-flämischer Komponist, als Sänger 1459–74 in Mailand, 1486–99 in der päpstlichen Kapelle, 1501–05 am Hof von Ferrrara; Messen, Motetten und französische Chansons, 146 Juan de Flandes, Anm. 73 Judas Maccabeus, Befreier Jerusalems, seit dem 14. Jh. unter den Neun Helden eingereiht, 91 Judith (und Holofernes), alttestamentarische Gestalten (> Frenzel, Stoffe, S. 326–328)
Kimon aus Kleonai (um 500 v. Chr. tätig), griechischer Maler, 49 Kirchner, Ernst Ludwig (1880–1938), deutscher Maler, 126 Kleopatra (51–30 v. Chr.), ägyptische Königin (> Frenzel, Stoffe, S. 361–364) Konrad (Konradin) (1252–68), Sohn König Konrads IV. (1228–54), im CM vertreten (fol. 7recto: Falkenbeize) (Abb. 55), 127, Anm. 198 Konrad von Altstetten (1320–27 erwähnt), Minnesänger, im CM vertreten (fol. 249verso), 85 Konrad von Fußesbrunnen (um 1160–frühes 13. Jh.; um 1182 bezeugt), österreichischer Dichter (Die Kindheit Jesu), 136 Konrad II. von Kirchberg (1275–1326 bezeugt), schwäbischer Minnedichter, im CM vertreten (fol. 24recto: Übergabe der Liebeserklärung) Konrad von Megenberg > Megenberg, Konrad von Konrad der Pfaffe (Mitte 12. Jh.), Regensburger geistlicher Verfasser des Rolandsliedes, der ersten deutschen Übersetzung des altfranzösischen Nationalepos (> Castelberg) Konrad von Soest (nachweisbar um 1370– 1425), deutscher Maler, 117 Konrad von Würzburg (um 1225–87), mittelhochdeutscher Epiker in Basel und Straßburg Kristan > Christian von Hamle K Kürenberg, der von (2. H. 12. Jh.), Dichter, im CM vertreten (fol. 63recto); als sprechendes Karl der Große (768–814), König der FranWappen hat er den Mühlstein (= mhd. ken, römischer Kaiser, 113, Anm. 91, 94 kürn) im Schild und als Helmzier (Abb. Karl V. (Charles V) (1337–80), von 1364–80 in: Wehrli, S. 38), 118, 139 König von Frankreich, 45, 120 Karl der Kühne (1433–77), Herzog von Bur- L gund, 101 Karl V. (1500–58), deutscher Kaiser von Lalo, Charles (1877–1953), seit 1933 Professor 1519–56, 101 für Ästhetik an der Sorbonne, Anm. 225 Kaschauer, Jakob (gest. vor 1463), als Bild- Lamartine, Alphonse de (1790–1869), franzöhauer seit 1429 an der Wiener Dombausischer Dichter, 82 hütte, Anm. 29 Lanval, Ritter am Hofe von König Artus (> Marie de France) Kassandra, Tochter des Trojanerkönigs Priamos (> Frenzel, Stoffe, S. 356–358) Lanzelot, eine der Hauptfiguren in der ArtusEpik (> Frenzel, Stoffe, S. 375–376)
206 – Register Laura, Geliebte Petrarcas, starb im Pestjahr 1348 (> Wilhelm Pötters, Wer war Laura? Versuch einer Identifizierung der namentlich überlieferten Unbekannten in Petrarcas Liebesdichtung. In: Zimmermann 1984, S. 377–406), IX, 46, 62 Lavater, Johann Caspar (1741–1801), reformierter Pfarrer in Zürich, Philosoph und Schriftsteller (Physiognomische Fragmente, 4 Bde. 1775–78), 55 La Rue, Pierre de (um 1460–1518), burgundischer Komponist, Messen und Motetten; 1492–1516 Kapellsänger des burgundischen Hofes, 1501 Kanonikus in Kortrijk; neben Desprez und Isaac bedeutendster Komponist seiner Zeit Leonardo da Pisa (Leonardo Fibonacci) (1175/80–1250), italienischer Mathematiker, führte den Gebrauch der arabischen Ziffern für Zahlen ein (Liber Abaci, 1202, um 1228 umgearbeitet) Leonardo da Vinci (1452–1519), italienischer Maler und Erfinder, 55, 107, Anm. 237 Leoni, Leone (1509–90), italienischer Bildhauer, Goldschmied und Medailleur, Anm. 222 Lessing, Gotthold Ephraim (1720–81), deutscher Dichter, 55 (m. Zit.) Liechtenstein, Georg von (geb. um 1360, 1390–1419 Bischof in Trient), 30–31, 33 Lienz, Burggraf von (1. H. 13. Jh.), Minnesänger , im CM vertreten (fol. 115recto) (Abb. 59), 72 Limburg, Brüder Pol, Herman und Jean, Buchmaler (> Paris 2004II, S. 292–301 m. Lit.), 14 Lippi, Filippo Fra (1406–69), italienischer Maler, 65 Lochner, Stephan (1442–51), deutscher Maler in Köln, 36 Lorenzetti, Pietro (um 1280–1348?), italienischer Maler Lorenzetti, Ambrogio (1290?–1348?), italienischer Maler, 34, 70 Lorenzo Monaco (um 1370–um 1425), italienischer Maler, Anm. 68 Lorris, Guillaume de > Guillaume de Lorris Louis XI. (1423–83), König Frankreichs
Louis XII. (1462–1515), König Frankreichs, 128 Louis I. d’Anjou (gest. 1384), Herzog Louis de Valois, duc d’Orléans (1372–1407), Herzog, Bruder von Charles VI.; ermordet auf der Brücke von Montereau, 13, Anm. 34 Lovato dei Lovati (1240/41–1309), Notar, Richter und frühhumanistischer Dichter in Padua Lukas, Evangelist, 64 Luther, Martin (1483–1546), Reformator, XII, 84, 125, Anm. 291 M Mabuse, Jan > Gossaert, Jan Machaut, Guillaume de (um 1300–77), Dichter und Musiker, 79, 146–147 Machiavelli, Niccolò (1469–1527), italienischer Philosoph (Principe, 1512–14) Malouel, Jean (um 1365–1415), burgundischer Hofmaler (> Paris 2004II, S. 292 f.), 283, Anm. 34 Malraux, André (1901–78), französischer Schriftsteller, Zitate: 20, 60 Mander, Carel van (1548–1606), niederländischer Maler und Künstlerbiograph, 64–65, Zitate: 102, 150–151 Manesse, Zürcher Geschlecht (zum “Manesse-Kreis” > Zürich 1991, S. 24–29), Ritter Rüdiger Manesse (gest. 1304), Vater von Johannnes Manesse, Kustos des Schatzes am Großmünster; sie waren wohl die Sammler des Grundstocks der Lieder und Auftraggeber der Illustratoren, 25 Margaritone von Arezzo (um 1300), italienischer Maler, 8, 9, Anm. 24 Marguerite d’Angoulême (1492–1549), Königin von Navarra. Schwester von François I., 85 Marie de France, erste französische Dichterin (2. H. 12. Jh.), schrieb in anglonormannischem Dialekt, lebte in England (> Burgess 1987), 132, Zitate: 85, 122 Marini, Marino (1901–80), italienischer Bildhauer, Zeichner und Maler, 74 Martial (um 40–102 n. Chr.), Epigrammendichter in Rom, 54
Personenregister – 207 Martial d’Auvergne (um 1430–1508), französischer Rechtsgelehrter, Politiker, Dichter Martini, Simone (1284–1344), italienischer Maler, seit 1339 am päpstlichen Hof in Avignon, 74, 107 Marzal de Sas (dokumentiert 1393–1407), Maler, tätig in Valencia, wohl deutscher Herkunft, 36 Masaccio (1401–28), italienischer Maler, Brancacci-Kapelle 1427/28, seit 1424 Zusammenarbeit mit Masolino, 94, 119 Masolino da Panicale (1383–vor 1447), italienischer Maler (Abb. 117), 43, 94, Anm. 73 Masuccio (Salernitano) (um 1400–75), italienischer Dichter (Novellino), 93 Matteo Giovannetti > Giovannetti, Matteo Maurer, Emil (1917–2011), Schweizer Kunsthistoriker, IX–XI (m. Zit.), 283 Maximilian I. (1459–1519), deutscher König und römischer Kaiser (1493–1519) (Abb. 128, 129), 55, 71, 101 Mechthild von Magdeburg (um 1207–um 1282), bedeutende Vertreterin der deutschen Frauenmystik Megenberg, Konrad von (um 1309–74), Autor lateinischer Werke sowie des deutsch verfaßten Buchs der Natur, 54, 61, Zitate: 50, 139 Meinloh von Söflingen (bei Ulm) (Meinloh von Sevelingen) (12. Jh.), Minnesänger, seine Lieder bezeichnen den Übergang zur Minne als Teil des höfischen Dienstes, Zitate: 61, 127 Meissner, der Junge (13. Jh.), Minnedichter, im CM vertreten (fol. 339recto) (Abb. 58) Meister Ingold > Ingold, Meister MEISTER (Notnamen) “Master of the Gothic Majesty”, 20 Meister des Anton von Burgund (tätig zwischen 1460–90), flämischer Buchmaler, (Abb. 103), 280 Meister von Cesi (15. Jh.), 52 Meister von Flémalle, Anm. 23 Meister der heiligen Veronika (tätig in Köln, 1395–1415), genannt nach dem Bild der hl. Veronika in München, AP (> Frank Günter Zehnder, Der Meister der Heiligen Veronika. In: Köln 1974, S. 36–39), 36, 68
Meister des Frankfurter Paradiesgärtleins (tätig um 1410/20), oberrheinischer Maler, genannt nach dem Bild in Frankfurt, Städel, Anm. 291 Meister des Hausbuchs (Hausbuchmeister) (um 1465–90), 79, 156, Anm. 167, 233 Meister Matteo (13. Jh.), spanischer Bildhauer, 20 Meister MZ, 65 Meister des Trivulziokandelabers (um 1200), 20 Meister von Großgmain (Ende 15. Jh.), Maler im Raum Salzburg, 81 Meister von Sutri (Abb. 123 a), Anm. 46 Meister Venzeslav / Wenczla / Venclas, 31 Meit, Konrad (um 1480–1550/51), deutscher Bildhauer, 43, Anm. 113 Melanchthon, Anm. 85, 228 Melozzo da Forlì (1438–94), italienischer Maler Memling, Hans (um 1433–94), niederländischer Maler, 56, Anm. 113 Merlin, bretonischer Zauberer, Weissager Königs Artus’, erstmals genannt von Geoffrey of Monmouth (Historia regum Britanniae, um 1135), 91, Anm. 192 Meun(g), Jean de (um 1240–um 1304/05), französischer Dichter und Übersetzer, schrieb den Rosenroman von Lorris weiter, 62, 132, Anm. 287 Meyer, Peter (1894–1984), Schweizer Kunstund Architekturhistoriker, Anm. 310, Zitate: IX, 10, 81, 97, 117, Anm. 226 Miretto, Giovanni (um 1420), Maler in Padua, Anm. 69 Monmouth > Geoffrey of Monmouth Monaco, Lorenzo > Lorenzo Monaco Montaigne, Michel de (1533–92), französischer Philosoph und Schriftsteller, 41 (m. Zit.), Anm. 80 Moore, Henry (1898–1986), englischer Bildhauer, 74 Morungen, Heinrich von > Heinrich von Morungen Moses, alttestamentarische Gestalt (Abb. 12, 13, 112), 22, 24, 27, 67, 79–80, 99, 108, 115
208 – Register Mülner, Götz I. (erwähnt 1291–1336), Chorherr am Großmünster in Zürich, Großgrundbesitzer, Glied eines über Generationen verfolgbaren Zürcher Rittergeschlechts Multscher, Hans (um 1400–67), deutscher Maler und Bildhauer, 72 Murner, Thomas (1475–1537), Franziskanerpater, Moralist und satirischer Schriftsteller, Anm. 233 Musaios (um 500 v. Chr.), griechischer Dichter, bearbeitete die Sage von Hero und Leander (Quelle für Grillparzers Drama Des Meeres und der Liebe Wellen.) (> Frenzel, Stoffe, S. 266–268), Anm. 198 Mussato, Albertino (1261–1329), italienischer Frühhumanist, Dichter und Historiker Myron (tätig um 460–430), griechischer Bildhauer (> Pauly III, Sp. 1523), 73, Anm. 154 N Nanni di Banco (um 1373–1421), Florentiner Bildhauer (> von Einem 1962) Narcissus, nach Ovid in eine Narzisse verwandelt (Metamorphosen III, 345–510) (> Frederick Goldin, The Mirror of Narcissus in the Courtly Love Lyric. Ithaca / New York 1967), 135 Neidhart von Reuent(h)al (um 1180/90–vor 1246), bayrischer Ritter und Liederdichter, Begründer der Dörperdichtung, im CM feiern ihn fröhliche Bauern (fol. 273recto), 127, Zitate: 51, 86, 95, 114, 115, 134, 142, 153, Anm. 259, 260 Nemesianus, Marcus Aurelius Olympus (ausgehendes 3. Jh. n. Chr.), dichtete Bucolica vel Eclogae (> Singen) Neri da Rimini (1300–28 erwähnt), italienischer Maler und Buchmaler unter den Malatesta, 99, Anm. 216 Nicolas de Verdun > Nikolaus von Verdun Nicolás Francés (nachgewiesen in Tordesillas 1435–68), Maler in Spanien (Léon), die französische Herkunft ist nicht gesichert (Abb. 99), 279, Anm. 73 Nicolas Florentino (1413–70), italienischer Maler, in Spanien tätig (Salamanca), Anm. 73
Niccolò di Segna (di Bonaventura) (nachweisbar 1331–45), Sienese, tätig in San Gimignano (Abb. 101), 181, 280, Anm. 181 Nikolaus von Verdun (um 1130 in Verdun– nach 1205 in Tournai), Goldschmied, Marienschrein in Tournai (1205), Verduner Altar in Klosterneuburg (1181) (Abb. 5–8), 20 Notker Labeo (um 950–1022), “der Großlippige”, Benediktiner in Sankt Gallen, 10 O Ockeghem, Johannes (um 1425–97), niederländischer Komponist des polyphonen Stils, 146 Odysseus, 100, 104 Oswald von Wolkenstein (1377–1445), Tiroler Minnesänger, Schloß Wolkenstein, Val Gardena, Liedersammlung im Grundbestand 1432 abgeschlossen, Zitate: 46, 53, 84, 116 Otto IV. von Brandenburg (1266–1309), im CM vertreten (fol. 13recto) (Abb. 60), 277 Otto vom Turne (um 1300), deutscher Minnesänger, im CM vertreten (fol. 194recto) (Abb. 70), 67 Ovid (Publius Ovidius Naso) (43 v. Chr.– 17 n. Chr.), römischer Schriftsteller (Ovid im Mittelalter > Munari 1960, > Textüberlieferung I, S. 401–404, > Stroh 1969; Ovid und die höfische Liebe: John Crosland, Ovid’s Contribution to the Conception of Love Known as “L’amour courtois”. In: Modern Language Review 42, 1947, S. 199–206), 50, 92–93, 95, 138, 139, 159, Anm. 104, 108, 185, 213, 255, Zitate: 46, 49, 57, 75, 89, 93, 114, 116, 127, 128, 132– 133, 135, 137, 138, Anm. 89, 93, 295 P Pächt, Otto (1902–88), österreichischer Kunsthistoriker, 12, 284, Zitate: 30, 33, 34, Anm. 63 Palestrina, Giovanni da (um 1525–94), italienischer Komponist, 146 Paphnutius (gest. um 360), ägyptischer Abt und Bischof der oberen Thebais, 144
Personenregister – 209 Papias (um 1050), Verfasser eines Lexikons, 135 Paracelsus (1493 oder 1494–1541), deutscher Arzt, Naturforscher und Philosoph, 52, 55 Parler, Peter (um 1330–99), deutscher Baumeister, 52 Pedro I., der Grausame (1334–69), König von Kastilien, literarisch überliefert in der Crónica des Pero López de Ayala (1332– 1407) (> Frenzel, Stoffe, S. 507–509) Peire Vidal (um 1175–1215), provenzalischer Troubadour aus Toulouse, 117 Pépin de Huy, Jean > Huy, Jean Pépin de Perugino, Pietro Vannucci (1445–1523), italienischer Maler, 157 Petrarca, Francesco (1304–74), italienischer Dichter und Humanist, Gast am päpstlichen Hof in Avignon (wo er 1327 erstmals Laura begegnet); bestieg 1336 den Mont Ventoux (mons ventosus) und beschrieb das Erlebnis in einem Brief an Francesco Dionigi von Borgo San Sepolcro (De tabulis pictis, Dial. XL > Baxandall, S. 140– 141), IX, 15, 33, 46, 68, 92, 126, 131, 146, 147, Anm. 284, Zitate: 37, 53, 61, 62, 90, 136, 138, Anm. 104 Pfaffe Konrad > Konrad der Pfaffe Phidias (5. Jh. v. Chr.), griechischer Bildhauer, 65 Philipp II. Augustus (Philippe-Auguste) (1165–1223), französischer König seit 1180, 12, 19 Philipp IV. der Schöne (le Bel) (1268–1314), französischer König seit 1285, 103 Philipp II. der Kühne von Burgund (le Hardi) (1342–1404), 280 Philippe de Vitry (1291–1361), französischer Komponist und Musiktheoretiker, Freundschaft mit Petrarca, dessen Briefe von 1349 und 1351 Vitrys literarische und philosophische Fähigkeiten sowie seine Reiselust bezeugen, 147 Pierre de Salmon, Sekretär von Charles VI., (Anm. 266) Pisan, Christine de > Christine de Pisan Pisanello (Antonio di Bartolomeo Pisano) (1395?–1455/56), italienischer Maler (Bartolomeo Fazio: Pisanus Veronensis) (> Baxandall, S. 166–167) (Abb. 127), 32, 36, 282, Anm. 56, 282
Plantagenet > Geoffrey Plantagenet Platon (429–347), griechischer Philosoph, platonisches Gedankengut, 12, 146 Pleier, der (13. Jh.), deutscher Dichter (Garel von dem blüenden tal), 132 Plinius secundus (der Ältere) (23–79, bei Vesuvausbruch), römischer Dichter (für die Naturgeschichte > Textüberlieferung I, S. 406–407), 35, 126, 127, 137, 143, 159, Anm. 12, 51, 85, 125, 135, 276, 293, 297, Zitate: 44, 49, 59–60, 73, 93, Anm. 11, 32, 71, 292 Plutarch (um 46–nach 12 n. Chr.), griechscher Philosoph und Historiker, 65 Poggio Bracciolini (1380–1459), italienischer Gelehrter und päpstlicher Sekretär am Konzil von Konstanz, Entdecker antiker Texte in nordeuropäischen Klosterbibliotheken (u. a. Quintilian in St. Gallen), 159 Pollaiuolo, Antonio del (um 1433–98), italienischer Maler und Bildhauer Polygnotos (um 480–um 440 v. Chr.), griechischer Maler der Frühklassik, 49 Pontius Pilatus, Prokurator von Judäa 26–36 n. Chr. Potter van der Loo, Dirk (um 1370–1428), 1412 geadelt, niederländischer Dichter, Sekretär der Grafen von Holland, als deren Gesandter u. a. in Rom 1411/12 (Hauptwerk: Versdichtung Der Minne Loop, moralisierend über die Liebe) Praxiteles (um 390–um 330), griechischer Bildhauer, 160 Presles, Raoul de (1316–82), französischer Dichter und Übersetzer, 45 Prudentius, Aurelius Clemens (um 348/50– nach 405), der bekannteste christliche Dichter des Altertums (Psychomachia, Kampf der Tugenden und Laster um die Seele, das erste allegorische Lehrgedicht der lateinischen Literatur), 141 (m. Zit.) Pucelle, Jean (tätig etwa 1320–34), Buchmaler in Paris, mit bedeutendem Atelier, das über seinen Tod maßgeblich bleibt, 35 Pygmalion (> Pauly IV, Sp. 1246), 93, 116, 128, Anm. 250 Pyramus und Thisbe, 57, 92–93, Anm. 199 Pythagoras (um 570–nach 510), griechischer Philosoph und Mathematiker, 98
210 – Register Q Quintilianus, Marcus Fabius (um 35 in Calaguris/Spanien–um 96), römischer Orator und Schriftsteller (> Pauly IV, Sp. 1308– 1311; für die Überlieferung der Institutio oratoria > Textüberlieferung I, S. 408–409, > Curtius, S. 435–437), XI, 2, 89, 93, 152, Anm. 5, 79, 186, 225, 334, 336, Zitate: 15, 40, 55, 64, 73, 81, 88, 103, 145, 156, 159– 161, Anm. 283, 329 R Rabelais, François (1494–1553), französischer Schriftsteller (Gargantua, père de Pantagruel, 1535 erschienen), 103, 151 Raffael (Raffaello Santi) (1483–1520), italienischer Maler, Schüler Peruginos, 10, 157 Raponde, Jacques (um 1400), Geschäftsmann und Händler in Paris, aus Lucca stammend (Rapondi) (> Léon Mirot, Études lucquoises, Paris 1930, für weitere Auswanderer aus Lucca nach Paris) Reichlich, Marx (in Salzburg tätig zwischen 1494–1508), österreichischer Maler, 86 Reinmar der Fidler, Minnesänger, im CM vertreten (fol. 312recto) (Abb. 79), 278 Reinmar von Zweter (um 1200–vor 1260), österreichisch-böhmischer Minnesänger und Dichter (Textproben in: Minnesang, S. 69–76, 215–218, 305–306), im CM vertreten (fol. 323recto), in einer anderen Handschrift Reimarus caecus (der Blinde) genannt, was wohl in der Miniatur des CM die geschlossenen Augen andeuteten (Abb. 45), 62, 124 René I. d’Anjou (le Bon) (1409–80), u. a. Herzog von Anjou, Dichter und Mäzen (> Aix-en-Provence 1981) Repgow, Eike von > Eike von Repgow Reuent(h)al, Neidhart von > Neidhart von Reuent(h)al Richard de Fournival (1201–59/60), Kanonikus, Arzt und Schriftsteller in Amiens (über seine Vorstellungen von weltlicher Liebe > Bumke, S. 532)
Riemenschneider, Tilman (1483–1531), deutscher Bildhauer, 6, Anm. 12 Ripa, Cesare (um 1560–vor 1625), Autor einer Iconologia (1603), 32–33, 62, 152, Zitate: 53, 58, 60, 126–128 Robert Biket (Bliker) (um 1150–1200), anglonormannischer Dichter, 100 (m. Zit.), Anm. 6, 177 Robert de Blois (2. Drittel 13. Jh.), französischer Dichter, Anm. 114 (m. Zit.) Robert de Borron (gest. um 1212), französischer Dichter (Estoire dou Graal, Geschichte des Graals) (> Burdach, S. 450– 502), 87 Robert de Clari (um 1200), französischer Chronist (Conquête de Constantinople) Rodin, Auguste (1840–1917), französischer Bildhauer, 74 Roland (778 im Tal von Roncevalle gefallen), Graf der Bretagne, Vasall Karls des Großen, Chanson de Roland (um 1100) (zur literarischen Überlieferung > Frenzel, Stoffe, S. 551–554) Rost von Sarnen (um 1313–29, in Zürich nachweisbar), Kirchherrr und Dichter, im CM vertreten (fol. 285recto) (Abb. 77), 84 Rotterdam, Erasmus von > Erasmus von Rotterdam Rubens, Peter Paul (1577–1640), flämischer Maler, 75, Anm. 157 Rudolf von Ems, (um 1200–vor 1254 in Italien), deutscher Epiker und Historiograph, Verfasser der Nacherzählung des Alten Testaments, als Anfang einer Weltchronik gedacht, Anm. 180 Rugge > Heinrich von Rugge Rutebeuf (gest. um 1280), Pariser Trouvère (> Germaine Lafeuille, Rutebeuf. In: Le Siècle de Saint Louis, S. 199–207), 77 S Sacchetti, Franco (1335–1400), Florentiner Dichter (Trecento novelle) Sachs, Hans (1494–1576), deutscher Dichter, 117, Anm. 146 (m. Zit.), 260 Salmon, Pierre de > Pierre de Salmon
Personenregister – 211 Schadow, Rudolph (1786–1822), deutscher Bildhauer, 73 Schapiro, Meyer (1904–96), amerikanischer Kunsthistoriker, 2, 50, 61, 284, Anm. 135 Schäufelein, Hans (1480/85–1538/40), deutscher Maler und Zeichner, 65 Schedel, Hartmann (1440–1514), Arzt und Historiker in Nürnberg (Weltchronik, 1493) Schiller, Friedrich von (1759–1805), deutscher Dichter, 55 (m. Zit.), 156 Schilling, Diebold (um 1460–1515), Luzerner Chronist (Die Schweizer Bilderchronik des Luzerners Diebold Schilling 1513 entstand 1507–13, sie beginnt mit der Gründung der Stadt Luzern und reicht bis 1509) (Abb. 133), 63, 73, 134, 139–140, 282, Anm. 272 Schmidt, Gerhard (1924–2010), österreichischer Kunsthistoriker, 4, 35, 284, Zitate: 42, 54, 55, 76, 104 Schnitzler, Hermann (1905–76), deutscher Kunsthistoriker, 17 (m. Zit.) Schostakowitsch, Dimitri (1906–75), russischer Komponist, 54 Schwan, Eduard (1858–93), deutscher Romanist in Jena (> unter Liederhandschriften, altfranzösische) Sedlmayr, Hans (1896–1984), österreichischer Kunsthistoriker, Zitate: 7, 94 Seneca, L. Annaeus S. (um 4 v. Chr.–65 n. Chr.), römischer Politiker, Philosoph und Dichter (> Pauly V, Sp. 110–116), 2, 112 (mit Zit.), 123, Anm. 267 (m. Zit.) Seuse, Heinrich (1295/97–1366), süddeutscher Mystiker und Theologe, 159 (m. Zit.), Anm. 333 Sirach, Jesus (Anf. 2. Jh. v. Chr.), Verfasser eines Weisheitsbuches in Jerusalem mit Sprüchen und Lehrgedichten (kath. Teil des AT, prot. Teil der Apokryphen), XI Sluter, Claus (um 1340–14005), niederländischer Bildhauer in Dijon (Abb. 30), 14, 35, 275 Soest, Konrad von > Konrad von Soest Solinus, C. Iulius (3. Jh. oder um 350), römischer Schriftsteller und Philologe (De mirabilibus mundi. – Collectanea rerum memorabilium), 63
Sophokles (496–406 v. Chr.), griechicher Dichter, 122 Sorbon, Robert de (1201–74), Beichtvater Ludwigs des Heiligen, Gründer der > Sorbonne Spervogel (um 1170/1200), namentlich nicht bekannter Dichter, im CM vertreten, 49 (m. Zit.) Spurius Tadius, römischer Wandmaler in augusteischer Zeit, von Plinius gelobt, Anm. 71 Starnina, Gherardo (um 1360–1413), italienischer Maler (Abb. 86), 69, Anm. 73 Stefano da Verona (da Zevio) (1374–1438 letzte Erwähnung), italienischer Maler, Anm. 63 Steinhöwel, Heinrich (1412–82 oder 83), frühhumanistischer Arzt, Schriftsteller und Übersetzer in Ulm, 93 Steinmar, Herr (2. H. 13. Jh.), Minnesänger, im CM vertreten (fol. 308verso)(Abb. illustriert einen Teil des Textes: die üppige Mahlzeit > Wehrli, S. 381) (Abb. 57), 151 (m. Zit.) Stethaimer, Hans (Hans von Burghausen) (seit 1389 erwähnt–1432), deutscher Architekt und Steinmetz, 52 Strabo, Walahfrid > Walahfrid Strabo Suger, Abt von Saint-Denis, 7, Anm. 15 Sulzer, Johann Georg (1720–79), Schweizer Theologe, Philosoph und Schriftsteller, Anm. 1, 81, Zitate: 40, 50, 120, 283 Sunegge, Liederdichter, im CM verteten (fol. 202verso) (Abb. 54) Synesios von Kyrene (um 370–412/13), Bischof, spätantiker christlicher Dichter (Hymnen) (> Joseph Vogt, Begegnung mit Synesios, dem Philosophen, Priester und Feldherrn. Darmstadt 1985), 141 (m. Zit.) T Tannhäuser (tätig zwischen 1228–65), Minnesänger (> Frenzel, Stoffe, S. 612–614; «Herkunft und Stand […] sind hinter seiner Legende versunken», Wehrli, S. 596; Textproben in: Minnesang, S. 297–304)
212 – Register Venceslao (frühes 15. Jh.), Maler, in Trient tätig (?), 31 Venturi, Lionello (1885–1961), italienischer Kunsthistoriker, 7 (m. Zit.) Vidal > Peire Vidal Vergil (Vergilius P. Maro) (70–19 v. Chr.), römischer Dichter (> Textüberlieferung I, S. 392–394), 127 Villani, Giovanni (vor 1276–1348 als Opfer der Pest), Geschichtsschreiber (> Franca Ragone, Giovanni Villani e i suoi continuatori. La scrittura delle cronache a Firenze nel Trecento. Rom 1998) Villani, Filippo (1325–1407), Florentiner Jurist und Chronist (seine Cronica umfaßt die Jahrzehnte von 1308–64), 4 Villard de Honnecourt (13. Jh.), französischer Architekt (Abb. 25–27), 5, 19, 20, 60, 61, 70, 72, 118, 140, 157, 158, Anm. 143, 330 Villehardouin, Geoffroy de (um 1160–1212), einer der Führer des 4. Kreuzzugs und Chronist, schrieb eine Chronik über die Eroberung Konstantinopels (1204) in seiner Muttersprache Villon, François (1431–nach 1463), Dichter (Balladen) und Vagant (Testament, 1461) Viollet-le-Duc, Eugène (1814–79), französischer Architekt und Denkmalpfleger, 84, 114, 118, 127 (m. Zit.) Vitruv (Ende 1. Jh. v. Chr.), römischer Baumeister unter Cäsar und Augustus, 6, 10, 45, Anm. 10, 37 Vitry, Philippe de > Philippe de Vitry U Volvinus (1. H. 9. Jh.), Mönch (Reichenau?) und Goldschmied, 65 Ulrich I. von Regensberg (gest. um 1280), Vogelweide, Walther von der > Walther von Freiherr, 119 der Vogelweide Voragine, Jacobus de > Jacobus de Voragine V Vulkan (an der Esse) (Abb. 108), 280, Anm. 236 Valéry, Paul (1871–1945), französischer Lyriker und Essayist, 163, Anm. 337 Valla, Lorenzo (1405 oder 1407–57), italieni- W scher Humanist und Kanoniker, Anm. 90 Vasari, Giorgio (1511–74), italienischer Maler Wace (um 1100–nach 1183), anglonormannischer Dichter (Roman de Brut, 1155), 91 und Künstlerbiograph (Vite, 1. Fassung (m. Zit.) 1550, 2. Fassung 1568) XI, 7, 35, Anm. 37, Walahfrid Strabo (um 808–849), Mönch auf 73, Zitate: 3, 8, 9, 49–50, 71, 157 der Reichenau, 133, 136, Anm. 201 Veldeke > Heinrich von Veldeke
Terentius, Publius Afer (um 190/195– 159 v. Chr.), römischer Dichter, galt im Mittelalter als literarisches Vorbild Theophilus Presbyter (12. Jh.), Mönch (Verfasser des Traktats De diversis artibus, um 1125), 40, 77, 159 Theophilus, der sich dem Teufel verkauft (zur Theophilus-Legende > Frenzel, Stoffe, S. 617–620) (Abb. 22 a und b), 77 Thibaut de Champagne (1201–53), bedeutendster franz. Lyriker seiner Zeit Timanthes (um 400 v. Chr.), griechischer Maler, Anm. 292 Tinctoris, Johannes (um 1435–1511), niederländischer Musiktheoretiker, Kapellmeister in Neapel, dann an den Höfen von Burgund und Frankreich; gab um 1473 das älteste bekannte Musiklexikon (Terminorum musicae diffinitorium) heraus Toggenburg, Graf Kraft von (13. und frühes 14. Jh.), der Name des Ostschweizer Dynastengeschlechts mehrfach überliefert, im CM vertreten (fol. 22verso) (Abb. 63) Tommaso da Modena (um 1325–79), italienischer Maler, 117, 124 Traino, Franceso di (Franceso Traini) (in Pisa und Bologna dokumentiert 1321–65) (Abb. 84) Tristan (und Isolde) (Abb. 42 b), 45, 58, 61, 62, 82, 84, 90, 92, 96, 99, 104, 115, 121, 122, 126–128, 135, 137, 139, 142, 143, 150
Personenregister – 213 Waldis, Burkhard (um 1490–1556), deutscher Dichter, 77 Walter (Gautier) von Châtillon (um 1135–um 1190), Autor der Alexandreis (um 1184), 98 (m. Zit.) Walther von Klingen (1240–86 bezeugt), Thurgauer Minnedichter, im CM vertreten (fol. 52recto) (Abb. 51), 59 Walther von der Vogelweide (um 1170– um 1230), deutscher Minnesänger und Dichter, im CM verteten (fol. 124recto) (Abb. 44), 33, 61, 66, 81, 276, Anm. 128, 188, Zitate: 37, 44, 51–53, 83–84, 98–99, 116–117, 124, 127, 133–134, 138, 140, Anm. 66, 177, 319 Wasservass (15. Jh.), Familie in Köln, Auftraggeber an den unbekannten Maler des sog. Wasservass’schen Kalvarienbergs (um 1420/30, Köln), Anm. 214 Wehrli, Max (1909–98), Schweizer Literaturwissenschaftler und Germanist Wenzel II. von Böhmen (1271–1305), König und Minnesänger, im CM verteten (fol. 10recto) (Abb. 43), 81 Wenzlaus von Riffian (um 1400 in Südtirol), Maler, 34, Anm. 60 Wernher Graf von Homberg (Hohenberg) (1284–1320), Schweizer Minnesänger, Kriegshauptmann im Dienste Kaiser Heinrichs VII.; mehrfach in Italien; Bruder der Priorin des Dominikanerinnenkloster Oetenbach (> Cäcilia von Homberg), im CM vertreten, 53 Wernher der Gärtner (13. Jh.), deutscher Dichter (Verserzählung Meier Helmbrecht, um 1250/80 > Frenzel, Stoffe, S. 423–424) Wernher von Teufen (1219 und 1223 in Urkunden), Minnedichter aus Teufen am Irchel, im CM vertreten (fol. 69recto) (Abb. 33), 85 Wickhoff, Franz (1853–1909), österreichischer Kunsthistoriker, 1–2 (m. Zit.), 80 Wiligelmo da Modena (tätig zwischen 1099– 1120), italienischer Bildhauer, 43 Winckelmann, Johann Joachim (1717–68), deutscher Archäologe und Kunsthistoriker, Anm. 21
Winsbeke und Winsbekin, Paar zweier althochdeutscher Lehrgedichte eines unbekannten Autors, im CM vertreten (fol. 213recto und 217recto) (Abb. 48 b und 49), 86, 276 Witz, Konrad (um 1400–46), Maler in Basel und Genf tätig, 35, Anm. 324 Wolfram von Eschenbach (um 1170–um 1220), Dichter (Parzival, um 1200/10 und Willehalm), im CM vertreten (fol. 149verso), 84, 86 (m. Zit.), Anm. 120 Wolkenstein, Oswald von > Oswald von Wolkenstein Wolvinus > Volvinus Wormald, Francis (1904–72), englischer Historiker, 284 X Xanthippe, Frau des Sokrates., Urbild der zanksüchtigen Ehegattin Xenophon von Ephesos (wohl um 200 n. Chr.), Verfasser der griechischen Liebesgeschichte von Antheia und Habrokomes (Ephesiaka) (> Bernhard Kytzler, Abrokomos und Anthia. Die Liebenden von Ephesos. Leipzig 1986, Inhalt: Reise, Schiffbruch, Trennung, vermeintlicher Treuebruch) Z Zainer, Johann (bis 1523 nachweisbar), erster Buchdrucker in Ulm, 93 Zeuxis (um 430–um 390 v. Chr.), Maler, griechischer, wohl unteritalischer Herkunft, 128, Anm. 85, 283, 292 Zilsel, Edgar (1891–1944), österreichischer Historiker und Philosoph, Anm. 140
Sachregister, Worterklärungen, Definitionen Begriffe und Völker. Worterklärungen sowie Titel öfters zitierter literarischer Texte. Rufnamen von Werken der bildenden Künste und Musik (Antike und Mittelalter). > = siehe auch. A Aberglaube, 51, 97, Anm. 298 Abschied (> Herkommer 2008), 39, 84 Abwehrhaltung (Abb. 66), 22, 119, 132 Adel, adelig, 90, Anm. 191 Adler (> RDK I, Sp. 172–179 mit Erklärung der Symbolik) Adlernase, 55 Agraffe (> RDK I, Sp. 216–220) aidoia (Geschlechtsteile), Anm. 88 Akrobatik (Abb. 9, 63, 64) Aktmodell, -malerei, 44, 56, 87, 158, Anm. 85 Almosentasche (> RDK I, Sp. 393–401) Altersstil, -swerk, 2, 32, 36 Amor, -s Wunden (> RDK I, Sp. 641–651) (Abb. 78), 75–76 Amsel, 142 Anachronismus (> Cormier 1974), 109 Anatomiekenntnisse in Körperdarstellungen (Abb. 114–117), 56, 157, 281 Antikenrezeption, 8 Antlitz Christi (> RDK I, Sp. 732–742)(Abb. 1, 16, 21, 123 a), 128 Apokalypse-Handschriften > Cloisters-Apokalypse Architekt (Definition), Anm. 8, 10 Architektursignal, -hinweis, 27–28, 122 Arm, 60-61, Anm. 127 Armband (> RDK I, Sp. 1052–1055 für das Mitttelalter) Ärmel (manicae) (> RDK I, Sp. 1063–1068 für das Mittelalter) Armenbibel (> RDK I, Sp. 1072–1084) Armlänge (“Elle”) = cubitus, bei den Römern 1 ½ Fuß = 444 mm > Fuß als Längenmaß (pes) Armreifen = armillae bei den Römern; als Auszeichnung paarweise verliehen an milites bis zum Rang des centurio Armut (paupertas), 62, 96, Anm. 209 Ars antiqua (Musik), 145 ff., Anm. 311
Ars moriendi, Literaturgattung seit Ende 14. Jh. nach den großen Seuchen; Handschriften, Blockbücher und Drucke: 65 Ausgaben bis 1500; verschiedene Verfasser (u. a. Jean Gerson, Geiler von Kaysersberg) (> Rudolf 1957 und RDK I, Sp. 1121–1127) Ars nova (Musik), 145 ff., Anm. 311 Ars subtilior (Musik), 146, Anm. 311 Arte povera (im Mittelalter), 9 Artes liberales (> Pauly I, Sp. 626), 146, Anm. 309 Artifex, artifices, schon in der Antike Künstler, Dichter, Sänger, Schauspieler auch Handwerker umfassend (> Pauly I, Sp. 627– 628), 3–5, 7, 14, 32, 35, 109, 155–156, 157 Artushöfe (> RDK I, Sp. 1132–1134 mit Lit.) Asylon, abgegrenzter heiliger Ort, «der es auf Grund seiner Unverletzlichkeit verbietet, Personen oder Sachen mit Gewalt von ihm zu entfernen» (Pauly I, Sp. 670), 123 Ateliergemeinschaft im Familienclan, 5, Anm. 10, 13 Atelierorganisation, Anm. 13 Aubade (aube = Morgengrauen), franz. Form des Tageliedes, Liedgattung der provenzalischen Troubadours Aucassin et Nicolette, Chantefable eines unbekannten Dichters (1. H. 13. Jh.), 93 Auctoritas (Strophenbildung), Anm. 213 Auferstehung der Toten (Abb. 8, 21 = Jüngstes Gericht, 85) Auftraggeber, Vorfinanzierung durch Mäzene, 7, 127, Anm. 276 Auge, 22–23, 47–48, 51–52, 54, 55, 60, 66, 89 Augen-Blick (umfassend zum Thema Augenblick: Antoinette Roesler-Friedenthal / Johannes Nathan [Hrsg.], The Enduring Instant. Time and the Spectator in the Visual Arts/Der bleibende Augenblick. Betrachterzeit in den Bildkünsten. Berlin 2003), 51–52, 66
216 – Register Augenbraue, 45, 52, 55 Ausbildung des Künstlers, 3–4, 6, 14, 152, Anm. 10, 329 Auswahl (> Auswahl des Stoffes nach Horaz, in De arte poetica: «Dichter, wählt euren Stoff nach den Kräften, die euch verliehen, und erwäget von Grund auf, was euren Schultern zu schwer ist, was sie zu tragen imstand sind. Wenn das Gewählte vertraut ist, dem wird nicht mangeln Gewandtheit der Rede und Klarheit im Aufbau», v. 38–40; Perfektion nur in Teilbereichen genügt nicht), 157 Automatismus in der Gestik, spontan funktionierender, oft bereits rhythmisierter Bewegungsvorgang; läuft unbeeinflußt von Bewußtsein oder Willen ab, steht indessen auch bereits an der Linie, die zur erlernten Handlungsweise führt; Vorform der korporellen Fließbandarbeit B Babel, der Turmbau zu Babel und seine zum Teil phantastischen bildlichen Darstellungen erlauben zumindest, sich ein Bild über mittelalterliche Bautechniken zu machen; sie ergänzen die schriftlichen Aufzeichnungen, wie etwas das Kapitel De instrumentis aedificiorum in Isidors Etymologiae (XIX, 18), 70 Badestube, -haus und öffentliches Bad (> Bumke, S. 160–161) (Abb. 100, 103), 44, 86–87, Anm. 96, 182 Badeszene (Abb. 102–104) Band, Zierbändchen, 117 Bart (> Pauly I, Sp. 827–828, für die Antike), 66, 114 Bauernstand in der Antike (> Pauly I, Sp. 845– 847) Bauerntanz (> Böhmer) (Abb. 132), 95, 152 Baumgarten (Abb. 126 a), 132, Anm. 291 Baumkatalog Ovids, 137 Bayeux-Stickerei (Abb. 42 a, 119, 120), 55, 78, 107, 114, 142, Anm. 165 Becken > Musikinstrumente Begabung, künstlerische (ingenium) > memoria
Bein, 39, 45, 60–62, 158, schöne Männerbeine, 61 Beizjagd, Jagd mit Vögeln (Abb. 55), 143 Belehrung, Handgesten (Abb. 48 a und b, 49), 22, 86 Benediktiner (im Streit mit den Zisterziensern), 127 Bergerette, französischer Tanz, 152 Bestiaire d’Amour > Richard de Fournival Bestiaire de Douai (> Stahl 1970) Bett, Liege, 27, 44, 83, 86–87 Bettler, Bettlermaske, 93, 95 Beutel > Almosentasche Bewegung als Erkennungsmerkmal, 46 Biadaiolo, Il, der Getreidehändler, Florentiner Handschrift um 1335–36/47 Bibliothek (zur Geschichte: Textüberlierung I, S. 61–71), 123–124 Bildgeometrie, 10 Bildhauerbildnis (> RDK II, Sp. 614–622) Bildhauerkunst, meisterliche (Abb. 4 a und b, 29, 30, 31) Bildhauerkunst (Personifizierung) (> RDK II, Sp. 622–625) Bildhauerzeichnung (> RDK II, Sp. 625–639) Bildirrtum, 78–79 Bildnis (> RDK II, Sp. 639–680) Bildwissen, 3, 5, 21, 32, 35, 109, 154 ff., 157, 161, 162 Bildwitz (Abb. 56, 63, 64, 67, 75, 77), 104–107 Blick aus dem Bild (Abb. 59), 72, Anm. 101 Blick, der böse, dämonische, 51 Blume (Symbolik), 135, 136 Bootsfahrt (Liebespaar in Schiff) > Manessische Liederhandschrift (fol. 319recto), vgl. Abb. 39 Bordun, konstant bleibender Grundton der Sackpfeife, Anm. 319 Bosheit der Frau, 90 Boustrophedon in narrativen Zyklen (> Deuchler 1981) Brancacci-Kapelle (Santa Maria del Carmine, Florenz) (Abb. 117), IX Brettspiel (> RDK II, Sp. 1149–1167; Pauly I, Sp. 943 und II, Sp. 176) (Abb. 41, 60–62, 124–126 a), 87–88, 277, Anm. 185 (> Schach) Brille, 65, 117
Sachregister, Worterklärungen, Definitionen – 217 Brudermord (Kain und Abel) (> RDK I, Color in der musikalischen Notation, rote Noten Sp. 17–27), 72 (notae rubeae) stehen an Stelle der schwarBrunnen (Abb. 6, 109), 132, 136, 273 zen; seit etwa 1450 verdrängt die schwarze Brüste, Busen (Abb. 28, 68, 101, 104 a und b, Notation die nicht ausgefüllten weißen No117), 44, 47–48, 53, 56–57, 85, 133, 140 ten (notae vacuae), durch Kolorierung erBuch, Bücher (als Attribut), 123, als Dekorafahren die Noten eine Änderung der Dauer; tion, Anm. 267 dieses Verfahren einer erstmals praktikabBuchhandel, seit der Antike wesentlich für len Notation findet sich um 1320 im Traktat die Verbreitung von Texten und die TraArs nova des Philippe de Vitry erwähnt. Die dierung von Schriften ins Mittelalter früheste Kolorierung liegt im Tenor zweier (> Textüberlieferung I, S. 59–61) Motetten des Roman de Fauvel (1316) vor Buhurt, Massenturnier (Abb. 53), 121, 148 (man sprach von der pulchritudo soni), 124, Anm. 270 C Compositio nach Alberti: «Est autem compositio ea pingendi ratio qua partes in opus Canterbury Tales (1387–1400) > Chaucer, picture componuntur. […] Historie parGeoffrey tes corpora, corporis pars membrum est» Canticum Canticorum > Hohelied (Baxandall, S. 130, mit Übersetzung) Cantigas de Santa Maria, unter Alfons X., Conditio loci (Vitruv), Anm. 37 dem Weisen (el Sabio) zusammengetrage- Corpus humanum als strukturelle Einheit, ne Loblieder an Maria und deren Wun45 ff. dertaten, um 1250–84; bedeutende Bildquelle für Musikinstrumente des 13. Jh. D Carmina Burana (Kloster Beuron) (Abb. 125), Zitate: 76, 93, 105, 116, 126 Damast, 102 Chansons de geste, altfranzösische Heldenlie- Damnatio memoriae (> Pauly I, Sp. 1374), 13 der (> Rychner 1955), 97 Daumen, 23, 59–60, 118 Châtelaine de Vergi, La (> Beate Schmolke- Decamerone, Il, Novellensammlung BoccacHasselmann, ‘La Chastelaine de Vergi’ auf cios, 1348–53 entstanden > Boccaccio, Pariser Elfenbeinkästchen des 14. JahrGiovanni hunderts. Zum Problem der Interpretation Dengler, der eine Sense schärft (Abb. 93) literarischer Texte anhand von Bildzeug- Dialog, 12, 22 ff., 27, 40, 66, 67, 77, 81 ff., nissen. In: Romanistisches JB 27, 1976, Anm. 171 S. 52–76; Laila Gross, ‘La Chastelaine de Dichter (> Isidor, Etymologiae VIII, 7: De poeVergi’ Carved in Ivory. In: Viator 10, 1979, tis) S. 311–321), 17, Anm. 40 Dichtung und bildende Künste, 1–2 Château d’Amour = Liebesburg (Abb. 38, 39) Dimit, nicht näher zu identifizierender textiChristus-Darstellung (Abb. 1, 20, 21, 28–31, ler Stoff, 123 71, 72, 114, 116, 118 b, 123 a) Dirne, 83, 126 Christus-Johannes-Gruppe, 71 Diskuswerfer (Myron), 73 Cloisters-Apokalypse (Abb. 71–73), 26, 67, Dominikaner, -in, 25, Anm. 268 Anm. 53 Doppel-Ich, Anm. 235 Codex Manesse (Abb. 33, 102, 118 a, 121, Ta- Dornauszieher, lo Spinario (Abb. 106), 73, 280 feln 9–14), 24–28, Anm. 48 und passim Color, 124 > Farbe
218 – Register Dörperdichtung, dörperlich = bäurisch, tölpelhaft; unhöfisches Vokabular, unhöfische Formen; dörfliche Thematik; tanzen, lachen und singen «âne dörperheit» (Vogelweide / Stapf, S. 272), 95, Anm. 205 Drehleier > Musikinstrumente Dreschen, Drescher (> Pauly I, Sp. 162–163; wie wichtig diese Tätigkeit bereits in der Antike war, belegt Pauly II, Sp. 162–163), 70, 153 Drôlerie, Drolerie, 4, Anm. 226 Druckgraphik, Medium der (Abb. 104 a und b, 128– 132), 5 E Eiche (Eigenschaften) (> Pauly II, Sp. 207– 208), 137–139 Einhandflöte > Musikinstrumente Einhorn (> Pauly II, Sp. 213) Einsiedler, Eremit (Abb. 104 c), 33, 93, 96 Elfenbein, den “Rohstoff ” Elfenbein führte man vor allem aus Westafrika ein; er gehörte zu den teuren Handelswaren, da sie nur dank kostspieliger Ferntransporte das europäische Festland erreichten (> Reinhard 1991, S. 118), 16–17, 93 Elfenbeinarbeiten («[…] edelem helfenbeine ergraben wol meisterlîche», Tristan 2226– 2227; für die Antike: Pauly II, Sp. 190 [eborarii] und Sp. 247–248) (Abb. 3, 32, 126 a, Tafel 7, 8), 16–17, 26, 55, 67, 69, 93, 111, 116, 120, 128, 275, Anm. 29, 48, 158, 181, 210 Empathie, die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, 109 Ellenbogen, 6, Anm. 127 Engel (Abb. 4 a, 5, 8, 10, 11, 14, 15, 20, 21, 87), 22, 23, 37, 39, 43, 50, 57, 66, 67, 71, 274, Anm. 82, 148 Epidemie, Anm. 212 Epochenbegriff (> Wiese 1965) Epochenbegrenzung, Anm. 30 Epochengliederung in der Musik, 146 Erdbeben (Abb. 133), 11, 134, 282 Erinnerung (memoria), 156–157
Ernte, Mißernte, 29, 33, 70, 94, 279, Anm. 201 Erotik, erotische Motive, 57, 120, 127, 134, 143, Anm. 306 Erscheinung (Abb. 5, 19, 72), 61, 63, 83, 128 Erster Clemensbrief, 133 Erzählung, 36, 79 (> narratio) Erzählweisen (nach Wickhoff), 80 distinguierende Erzählweise kontinuierende Erzählweise komplettierende Erzählweise F Fabelwesen (> RDK VI, Sp. 739–816), 63 Faber (im Sinn von Handwerker), 3, 5, 155 Falke, -njagd (> Böhmer) (Abb. 27 a, 32, 33, 55, 93, 95), 127, 142–143, 279, Anm. 184, 305 Falkner (Abb. 93) Falten, -stil (Abb. 2, 4 a und b, 20, 27 b, 29, 30, 31, 70, 82), 2, 5, 19, 20, 26, 49, 126, 158, 275, 276 Familienbild (Abb. 118 a), 87 Familienclan, Anm. 5, 10, 13 Farbe in der musikalischen Notation (> Morbach, S. 137) > Color Farbe, Farbangabe, -symbolik, 6, 44, 53, 93, 100, 102, 116, 124–129, 156, 277, Anm. 245 Farbpreis (vom Auftraggeber bezahlt), 125, Anm. 276 Färben, Färberei (in der Antike) (> Pauly II, Sp. 506–507; André 1949), 128 Farce de Maître Pathelin, französische Komödie, um 1464, aufgeführt vor 1469 (> Frenzel, Stoffe, S. 402–403) Fehfell, Anm. 256 Feigenblatt, Anm. 88 Feldarbeit (Abb. 90, 92, 94–96), 28, 29, 69, 70–71, 80, 93, Anm. 69 Fidel > Musikinstrumente Finger, -stellung, -zeichen, -berührung (Abb. 4 a, 15, 20, 34, 48 a und b, 49, 51, 52, 60, 79, 82, 123 a und b), 22, 23, 34, 40–41, 47, 57–60, 67, 72, 86, 89, 104, 115, 116, 148, 149, 153, 276, 277, 278, Anm. 46, 126 (> Morraspiel)
Sachregister, Worterklärungen, Definitionen – 219 Fingerring (> Isidor, Etymologiae XIX, 32: De anulis), 113, 116, 281, Anm. 62, als Beutegut (Abb. 111) Fingerzahl, Anm. 126 Flöte, Blasinstrument; in der Antike: aulos (> Pauly I, Sp. 755–760) Flugblatt, 63 Formositas im Vgl. zur pulchritudo, Anm. 90 Fortuna, «Wie wunderlich teilte die Glücksgöttin [frô SÆLDE] ihre Gaben aus […]» (Vogelweide / Stapf, S. 277) (Abb. 26), 91 Französisch als “Hochsprache” der Elite, 46, 68 Frau, Mädchen, idealisiert, 46–47 Frauenbild, das höfische, 89–90, Anm. 91 Frauenraub (Abb. 39, 40, 69), 74, Anm. 157 Fresken im Adlerturm von Trient (Abb. 88– 98) Frisur, 2, 86, 114 Fuß als Längenmaß (pes) (für kleinere Maße > Pauly I, Sp. 1363: daktylos), 120 Fuß (Abb. 106), 22, 27, 40, 43, 44, 47, 51, 62, 63, 84, 88, 96, 99, 101, 113, 128, 273, 277, 278, 280 G Garel von dem blüenden tal, höfischer Roman aus dem Artussagenkreis (> Pleier), 132 Garten 55, 80, 131, 132, 134–135, 136, Anm. 71, Liebesgarten (Symbolik), 132, 134 Gartenbau in der Antike (> Pauly II, Sp. 698– 700), berühmte Gärten (horti) in Rom (> Pauly II, Sp. 1231) Gebände, Gebende, Kopftracht der verheirateten Frau im 13. Jh. (Abb. 49), 115, 276 Gebärde, bezeichnet den Gedanken-, Sachoder Gefühlszusammenhang; Mimik unterstützt sie. Eine Frau ist von schöner Gebärde (mittelhochdeutsch: schoener gebaerde > Morungen, Lieder I, 1, S. 21); gebaerde; bedeutet auch ‘Benehmen’, so bei Heinrich v. Morungen (ibid., S. 51: ir gúot gebaerde) (> Pfeifer, S. 404; für die Antike > Pauly II, Sp. 707–708 mit Lit.) Gebärde, durch Text vorgegeben, 23–24 Gebärdensprache, 42, 50, 69, 71, 78 (> Gebärde; > Gestikulation; > Hand- und Fingergeste; > Körpersprache)
Gebende > Gebände Gedächtnis (memoria), für ein antikes Lob auf die memoria – «diese einzig sichere Schatzkammer, welche der Mensch für seine Lebensgüter besitzt» – siehe Plutarch (Marius, 46), Anm. 329 Geige > Musikinstrumente: Fidel Gelehrter in bildlicher Darstellung, 66, 81, 123–124, Anm. 268 Generationenfolge, -lehre, Generationsproblem, “Generation” ist «der kleinste von der Natur selbst vorgezeichnete Geschichtsabschnitt» (Lorenz, S. 26) (> Alewyn; Mannheim; Pinder), 1, 3, 5, 7, 8, 11, 94, 159, 161, 162, Anm. 14 Geniebegriff, Anm. 140 Genitalien > Geschlechtsmerkmale Genius loci, 14–15, 36, Anm. 37 Gesang (Kirche), 147–148 Gesang (weltlich), 137, 148–151, Anm. 302 Geschlechtsmerkmal, 44, 61, 114, 120, männlich (Abb. 120), Anm. 88 Geste, Gestik (Zusammenspiel der Gebärden), 39 ff., 71 (> Gebärde; > Gebärdensprache; > Gestikulation; > Hand- und Fingergeste; > Körpersprache) Gestikulation, lebhafte Gebärden; Ausdrucksvolle Körperbewegungen bei Gauklern und Spaßmachern (> Pfeifer, S. 441), 86 Gilgamesch-Epos (Zwölftafel-Fassung um 1250 v. Chr.), 119, 137 Gladiatorenkampf, 60 Glaube, 64, 91, 92, 97, 115, 136, 139 Gliederpuppe, 44 Glockenspiel > Musikinstrumente Glykophilousa (Marientyp), 12 “gothisch”, Sulzer II, S. 279–280: «[…] In der Mahlerey nennt man die Art zu zeichnen gothisch, die in Figuren herrschte, ehe die Kunst durch das Studium der Natur und des Antiken am Ende des XV. Jahrhunderts wieder hergestellt. […] Ueber die natürlichen Verhältnisse verlängerte Glieder, mit steifen, oder sehr gezierten, Stellungen und Bewegungen, von denen man in der Natur nichts ähnliches sieht, sind charakteristische Züge der gothischen Zeichnung.» Goût, 12, 111 Gregorianischer Gesang, 147 Griffel (stilus) in der Antike > Pauly II, Sp. 877
220 – Register Grimasse, 42, 53 Grisaille, 126, Anm. 82, 278 Griseldis, letzte Novelle in Boccaccios > Decamerone Großer Wagen (Sternzeichen), 53, Anm. 104 Großväter, Rolle der, 5 Grotte, 92, 129, 132–133, 135 Gruppendynamik, 80 ff. Gruppenporträt (Abb. 7, 19, 42 a, 46, 57, 80) Grylloi (> Pauly II, Sp. 880), Anm. 12 (> Karikatur) Gürtel (> Isidor, Etymologiae XIX, 33: De cingulis) (Abb. 76), 79, 100, 113, 114, 119, 278, Anm. 259 Gürtel (zone) in der Antike > Pauly V, 1553/I “Gürtellinie”, 119 H
Heiterkeit (> Schmidt 1984, S. 14–16 mit Zitaten von Adorno, Spencer, Lipps und Freud), 54, 98, 103 Held (Begriff: helt, degen, wîgant, recke, guoter kneht), 91–92 (> Neun Helden) Heldenbuch, Anm. 194 Helm, als Teil der Rüstung (Abb. 47, 53, 70, 74), 107, 121, 275, 277 Herkunftsangabe bei Textilien und Schmuck, 118, Anm. 255 Herrscherbild (Abb. 43), 64, 81 Hexe, Hexenprozeß, -verbrennung, 88, 139 Hinz und Kunz, 95, Anm. 206 Historia calamitatum, Abélards Autobiographie, 97–98 Hohelied (als literarische Quelle), 53, 62, 134– 135, 140 Hortus > Garten Hortus conclusus, Anm. 291, 296 Hosenrolle (Jeanne d’Arc), 100 (> Jeanne d’Arc) Houppelande, seit dem späten 14. bis ins frühe 15. Jh. getragener langer, gegürteter Überrock mit Schleppe Humanismus, humanistische Tendenzen, 95, 131, Anm. 1 Hund (in der Antike > Pauly II, Sp. 1245– 1249), 84, 95, 143–144 Hundertjähriger Krieg (1337–1453), es ging dabei «nicht nur um dynastische Ansprüche, sondern auch um soziale und wirtschaftliche Gegensätze der beiden Königreiche [Frankreich und England], um Absatzmärkte, Schutzzölle sowie um ständische Revolten und soziale Erhebungen in Frankreich in unterschiedlichen Kombinationen und Bündnissen» (Hartmann, S. 18–19) Hungersnot, 97 Hut (Abb. 46, 59, 60, 61, 75, 128), 105, 115, 278 (> Kopfbedeckung)
Haar, -tracht (Haartracht und -schmuck in der Antike > Pauly II, S. 897–899 mit Lit.) (Abb. 42 a), 2, 30, 46, 52, 53, 73, 89, 96, 101, 102, 113, 114–115, 125, 126, 140 Haarnetz, Anm. 247 Hackbrett > Musikinstrumente Hand- und Fingergeste (Abb. 48 a und b, 49, 61, 65, 82), 21–24, 34, 50, 57–60, 67, 68, 71, 76, 81, 86, 276, 277, 278, 282, Anm. 117 (> Finger) Händedruck (> Pauly IV, Sp. 1524–1525: salutatio) (Abb. 65), 55, 58 Hände, gebunden (Abb. 83), 24, 278 Hände, verhüllt (Abb. 15), 22, 23, 60 Hände, sprechende (Abb. 4 b,18, 49, 59, 60, 67, 78, 129), 20–21, Anm. 121 Handglied als Längenmaß (> Pauly III, Sp. 447) Handlungsrichtung, 42–43 Handreichung, -schlag (hantslac: Iwein 7894) (Abb. 22 a, 65), 58, 278 Handwerker (Definition) (Abb. 3), Anm. 11, 17 Harfe > Musikinstrumente Heiligenfest, Anm. 196 I Heiligenlegende, 9, 92 (> Jacobus de Voragine) Ideal und Wirklichkeit (> Köhler 1956) Heiligenschein (Abb. 99), 48, 126 Imago ficta (in der Malerei, laut Isidor, Etymologiae), 12 Indigo, blauer Farbstoff (> Pauly II, Sp. 1398)
Sachregister, Worterklärungen, Definitionen – 221 Ingeborgpsalter (Tafel 3, 4, Abb. 114, 123 b), 19–24, 27, 39, 61, 66, 77, 85, 99, 108, 115, 118, Anm. 41, 144 Innenraum (Abb. 49, 62, 68, 79, 81, 103, 104 c), 28, 85, 99, 122, 123, Anm. 57 Insignia, Merkmal zur Unterscheidung von Personen (> Pauly II, Sp. 1415) Inspirationsgestus (Abb. 129), 71, 282 Instantané > Momentaufnahme Instinkthandlung (Abb. 67, 69, 77), 74 J Jagdhornbläser (Abb. 97) Jagdhund (Abb. 55, 56, 97), 143, 144 Jahreszeit, Darstellung (Abb. 133, 88–98), 29–30, 133–134, 282 Jahrmarkt, 16 Jenaer Liederhandschrift, 1. Drittel 14. Jh., Sammlung mhd. Sangspruchdichtung, Jena, Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. El. f. 101 Jude, 29, 54, 80, 98, 114, 115 Judenhut, 116, Anm. 249 Jungfräulichkeit, 90, Anm. 91 Jüngstes Gericht, Darstellung (Abb. 21, 85, 86), 43, 44, 45, 56, 69, 74 K Kalender (> Rüpke 2006) (Abb. 104 b), 21, 70, Anm. 69 Kalenderlandschaft, 30, 33 Kalvarienberg, 53, 88, 89, Anm. 214 Kammermusik (die Motette als deren Keimzelle > Morbach, S. 104) Kaplane als Vertrauensleute, Anm. 6 Karikatur in der Antike (> Pauly III, Sp. 121) > grylloi Karren (> Isidor, Etymologiae XX, 12: De vehiculis) Kästchen > Minnekästchen Katastrophe (Abb. 133), 11, 97, Anm. 212 Kauderwelsch, Anm. 39 Kinderbild in der Antike (> Pauly III, Sp. 214– 215) Kinderdarstellung, -kleider (Abb. 14, 16, 17, 28–31, 71–73, 118 a und b), 12, 22, 36, 59, 67, 68, 87, 274, Anm. 46
Kindermord-Szene (Abb. 17) 23, 60, 62, 69, 107, 274, Anm. 144 Kinderspiel > Spiel Kinn (in Liebkosung) (Abb. 34, 35) Kirchenmusik, 147–148 Klee (Symbolik), 127, 135 Kleiderfarbe (> Isidor, Etymologiae XIX, 28: De coloribus vestium), Anm. 245 (> Farbe) “Kleider machen Leute”, Anm. 245 Kleiderordnung, 113, Anm. 244 Kleidung einzelner Völker (> Isidor, Etymologiae XIX, 23: De proprio quarundam gentium habitu), durchsichtige Kleidung, 49 Kleptokratie, 94 Knopf am Mantel, Anm. 258 Komik, 54, 95, 103, Anm. 227 (> Bildwitz) König Rother, 126 Kommunikation (nonverbal), 40, 49, 108 Konzil (Trient), Anm. 315 Kopf im Profil (Abb. 3, 10, 12, 18, 19, 22 a, 32, 42 a, 105), 27, 51, 55, 64, 275, Anm. 135 Kopf und Hals als Einheit, 49 Kopfbedeckung, Mann (Abb. 45, 48 a, 54, 56, 61, 66, 75, 76, 100, 128), 115–116 (> Hut) Kopfbedeckung, -schmuck, Frau (> Isidor, Etymologiae XIX, 31: De ornamentis capitis feminarum), 100, 115, 116, 118 (> Gebände) Kopffüßler, 63 Koralle, Anm. 75 Körperhaltung, 23, 27, 39, 150 Körpersprache, der ganze Körper “spricht”; antike Redner standen daher immer frei, nicht hinter einem Rednerpult, 40, 42, 97 (> Gebärde, > Gebärdensprache, > Gestikulation, > Hand- und Fingergeste) Kostümierung, 99 ff., Anm. 217 (> Verkleidung) Kraftakt (Abb. 6, 13, 23, 59, 77, 84, 87, 105), 72 Kranz, als Schmuck und Auszeichnung (> Isidor, Etymologiae XIX, 30: De ornamentis; für die römische corona und ihre Konnotationen > Pauly I, Sp. 1322–1323; für den griechischen stephanos Pauly III, Sp. 324–325) (Abb. 63, 64, 102), 116, 117, 120, Anm. 252, 253 Kreuzzug, -fahrer, 5, 66, Anm. 73
222 – Register Krieg (Abb. 111), 11, 16, 91, 97, 98, 127, 134, 148, 281, Anm. 28, 243 (> Religionskrieg) Krone, die Fiktion der corona versinnbildlicht die göttliche Herkunft der Autorität. Herrschergewalt ist berechtigt und gerecht (Abb. 4 a, 24, 43, 48 a, 73), 67, 120 Kryptoporträt, 102, Anm. 223 Kudrun (anonymer Autor), Zitate: 46, 58 Kulisse (Theater), 122 Kunst und Künstler, Voraussetzung, Vollkommenheit > memoria Künstlerwanderung, 7–8, 37, 82, Anm. 73 Kunstlandschaft, -topographie (> Haussherr 1968), Anm. 37, 63 Kuß, küssen (in der Antike > Pauly III, Sp. 381) (Abb. 32), 84, 115, 139
Liebkosung (Abb. 32–35), 55, 71, 85, 115 Liederhandschrift > Codex Manesse; > Jenaer Liederhandschrift; > Weingartner Liederhandschrift (> Altfranzösische Liederhandschriften: Eduard Schwan, Die altfranzösischen Liedersammlungen. Ihr Verhältnis, ihre Entstehung und Bestimmung. Eine litterarische Untersuchung. Berlin 1886) Linde (Baum) (> Pauly III, Sp. 669), 136, 137, 138–140, 141, Anm. 298 Linkshänder, Anm. 125 Lippe > Mund Litteratura ersetzt bei Quintilian (II 1, 4) den Begriff grammatice. «Das Wort litteratura bedeutet also zunächst nicht Literatur in unserm Sinne; der litteratus ist ein KenL ner der Grammatik und der Poesie (wie noch der lettré in Frankreich), aber nicht Lachen, Lächeln (> Schmidt 1984), 51, 53, notwendigerweise Schriftsteller» (Curti54, 55, 67, 84, 88, 89, 102, 103–104, 148, us, S. 52); über «a linguistic component Anm. 225, 227, 233 in visual taste»: Baxandall 1971, Vorwort Lanze, -nbruch (Abb. 51, 52), 23, 109, 277 Locus amoenus, 134–135, 136 Laokoon, Marmorgruppe der rhodischen Löwenbefreiung, -dankbarkeit > Iwein 3828 ff. Künstler Agesander, Polydoros und Athenodoros, um 50 v. Chr., 1506 aufgefunden M im Bereich von Neros Goldenem Haus, heute im Vatikan, Belvedere (> Leopold Madonnentypen, byzantinische: Eleusa D. Ettlinger 1961; Daltrop 1987), 5 = wehmütig die kommende Passion Lapislazuli (> Pauly III, Sp. 490), 125 vorausahnend.; Galaktotrophusa = die Laute > Musikinstrumente Stillende; Glykophilusa = die Zärtliche Legenda aurea, um 1260–97, 49 gedruckte (Abb. 29); Hodegetria = Wegführerin, Ausgaben zwischen 1470 und 1500 (für stehend, Kind segnend; Kyriotissa = stedie frühen Übersetzungen > Le Goff hend, das Kind an sich drückend; Niko2011, S. 7) > Jacobus de Voragine poia = auf Thron sitzend mit Kind auf Leier > Musikinstrumente dem Schoße Leiter (Abb. 38, 63, 113), 70, 83, 281 Makro- und Mikrosomie (Groß- und ZwergLiebe, höfische, 90, Anm. 190 wuchs), Anm. 132 (> Zwerg) Liebe, symbolische Darstellung der (Abb. 78, Manessische Liederhandschrift > Codex Ma83) nesse Liebesbrief (Abb. 75), 105 Maniera (Manierismus, manieristische StilLiebesgarten > Garten Tendenzen; «Manierismus ist stets ein Liebeslyrik, 14, 25, 97, 117, 147 Nebenzweig, kein Hauptzweig einer stiliLiebespaar (> Abélard und Héloïse, > Adam stischen Entwicklung», Federhofer 1973, und Eva, Orpheus und Eurydike, Orestes S. 219), 9, 13 und Electra, Paris und Helena, > Tristan Männerkleidung, von Frauen getragen, 101, und Isolde) (Abb. 91, 93), 29, 33, 65, 67, Anm. 220 81, 82, 93, 137 Mansio = budenartige Bühnenkonstruktion Liebestragödie, -konflikt, 92–93 (bei Passions-, Osterinszenierungen und anderen Spielen), 122
Sachregister, Worterklärungen, Definitionen – 223 Märchen (> HDA V, Sp. 1597–1632 für die ältere Lit.; zum griechisch-römischen Märchen > Pauly III, Sp. 866–868), 85, 87, 114, 132, 137, Anm. 168, 215 Maria lactans (Abb. 28), 56, Anm. 110 Marienminne, Anm. 291 Massenszene (Abb. 111), 88 Maulaufreißen, 104, Anm. 226 Mehrstimmigkeit (Conductus, Motette, Choralbearbeitung) 146 Melancholie (> Bandmann 1960), 52 Melusinen-Fabel, 93 memoria unter den Voraussetzungen für Kunst: ingenium, artes, praecepta, ingenium, memoria, ars (> Baxandall, S. 71) Mensuralsystem (in der Ars nova) (> Morbach, S. 135–136) Messe (Gottesdienst) (für deren Struktur > Morbach, S. 49) (Abb. 130), 82, 148, 162 Mimik, Mienenspiel, abzugrenzen gegen alle physiognomischen Eigenarten des Gesichts, die in der Architektur des Knochenbaus und der Gewebe usw. begründet sind, 42, 55, 74, 104 (> Grimasse; > Gebärde) Minne, höfische (hohe Minne: Verhältnis zu einer sozial höhergestellten Frau; niedere Minne: Liebe eines Ritters mit einem Mädchen aus dem Volk > Definition von Vogelweide / Stapf, S. 393), 90–91 Minnegarten (> Lutz, Minnegarten) Minnekästchen (> Kohlhaußen 1928), als Bezeichnung in keiner mittelalterlichen Quelle nachweisbar (Dürst, S. 143) und wohl eine romantische Wortschöpfung; in Mode vor allem zwischen 1320 und 1400. 16, 120–121 Minnesang > MF (Des Minnesangs Frühling) Mittelalter (als Epochenbegriff), -forschung, das “finstere Mittelalter”, 12–13, Anm. 31 Mode, Moden, 12, 100, 104, 111 ff., 124 Modello (Muster), 158, Anm. 331, 158 Momentaufnahme (instantané), 108, 109 Monatsbild (Zyklus) (Abb. 88–98), 28 ff., 30, 70–71, 127, Anm. 147 Monolog, -form, 77, 80–81, 158 Monumentalisierung der Figuren, 119 Monster, 63–64, 97, Anm. 131
Morraspiel, zwei Spieler strecken eine beliebige Zahl Finger aus und erraten gleichzeitig die Summe der ausgestreckten Finger; von den Römern auch zum Losen benutzt Muldenfalten (Stil) (Abb. 20), 5, 19, 20, 158, 275 Mund, Lippe, 43, 47, 48, 49, 53–54, 55, 65, 66–67, 72, 76, 83, 84, 89, 96, 103, 127, 129, 147, 148, 151, Anm. 105 Museum, 16, 162–163, Anm. 337 Muse (> Pauly III, Sp. 1475–1479), 71 Musica Iberica, 1150–1350 (> Morbach, S. 176– 189) Musica mundana, humana, instrumentalis (verbildlicht > Morbach, S. 32), 146, 149 Musik (> Isidor, Etymologiae III, 18,1: «Musicae partes sunt tres, id est, harmonica, rythmica, metrica.»), 51, 73, 86, 124, 140, 145 ff. Musikinstrumente: Becken (> Morbach, S. 124) Busine (Trompete), laut klingendes Heroldinstrument bei Feldzügen und Festen (Abb. 60, CM fol. 13recto), 277 Drehleier, vollmechanisches Streichinstrument (> Morbach, S. 120) Einhandflöte (> Morbach, S. 119), mit nur drei Grifflöchern, mit der linken Hand gespielt; erlaubt das gleichzeitige Trommelspiel mit der rechten Hand Fidel, Nachfahre des Rebec; das wichtigste Streichinstrument des Mittelalters; der Resonanzkörper gespannt und diatonisch gestimmt, d. h. nach Art der Tonleiter fortschreitend; wird ein- oder beidhändig gezupft, mit oder ohne Federkielplektrum, oder mit dem Bogen gestrichen (> Morbach, S. 123) (Abb. 43, CM fol. 10recto; fol. 146recto. Beim Tanz: Abb. 79, fol. 312recto; Abb. 80, fol. 399recto; fol. 413verso), 149, 150, 278, Anm. 319 Gitter, Vorläufer der Gitarre (> Morbach, S. 123) Glockenspiel (> Morbach, S. 124), 150 Hackbrett (> Morbach, S. 121) Harfe, schon in der Antike weitverbreitet, im Codex Manesse der einzige Beleg (> Morbach, S. 121) (Abb. 9; 50, CM fol. 412recto), 58, 150, 276, Anm. 320
224 – Register Klanghölzer (> Morbach, S. 117) Klappern (> Morbach, S. 117) Laute, aus dem arabischen Raum stammend (> Morbach, S. 122) Orgel, das Portativ ist die kleinste Ausführung, 148, Anm. 315 Platerspiel, Blasenpfeife (> Morbach, S. 118) Portativ (> Morbach, S. 1199 Psalterium (> Morbach, S. 121) (Abb. 80, CM fol. 399recto; fol. 271recto; fol. 410recto), 50 Querflöte (> Morbach, S. 118) (CM, fol. 413verso; fol. 423verso, die Flöte hier im Duett mit der Fidel), 150 Rebec, wahrscheinlich das erste in Europa bekannte Streichinstrument (> Morbach, S. 123) Rotte, Rotta, Vorgängerin der Zither, wie eine Harfe gehalten; die meist 7–12 Saiten (bis 30 sind überliefert), über den Schallkasten gespannt, werden meist ohne Plektrum gezupft, 73, 150 Sackpfeife (“Dudelsack”) (> Morbach, S. 117) (Abb. 60, CM, fol. 13rect), 149 Schalmei: (> Morbach, S. 117) (Abb. 43, CM fol. 10recto; Abb. 80, fol. 399recto) Sechslochflöte (> Morbach, S. 118) Tibiae (meist Plural), Rohrflöte (> Isidor, Etymologiae III, 21, 4) Trommel (> Morbach, S. 119) (Abb. 60, CM fol. 13recto; Abb. 52, fol. 192verso; fol. 399recto), 150, 277 Tuba (Posaune) (> Isidor, Etymologiae III, 21, 3: «Adhibebatur autem non solum in proeliis, sed in omnibus festis diebus propter laudis vel gaudii claritatem» – nicht nur in der Schlacht, sondern auch bei Festen, mit Anspielung auf Psalm 81, 4) (Abb. 52, CM fol. 192verso; Abb. 92) Tympanon, Handpauke, Trommel (> Isidor, Etymologiae III, 22, 10) Musikpflege, Anm. 317 Musizieren, Musikant (Abb. 9, 43, 50, 60, 80, 81, 92 103), 96, 97, 148–151, 277, 317 Musterbuch, 5, 141, 157
N Nacht, 44, 81,96, 114, 128–129, 139, Anm. 104 Nachtigall, 141, 142, Anm. 302 Narratio (Narrativität, Akt der Erzählung) > Erzählung Nacktheit (> Pauly III, Sp. 1556–1557), 40, 43–45, 46, 76, 116, 158, Anm. 85, 88 Nasenform (griechische Nase: der Nasenrücken setzt die Stirnlinie fort, ohne den sonst üblichen Sattel an der Nasenwurzel), 54–55 Nasenring, 113 Natur (> Curtius, Das Buch der Natur, S. 323– 329), 4, 29, 32, 34, 79, 94, 123, 131 ff., 279 Naturkatastrophe > Katastrophe Neid, 48, 51, 112, Anm. 93 Neptun, 101, Anm. 222 Neun Helden (Neuf Preux) (> Obrist), 91–92, Anm. 193 (> Held) Nibelungen (> Frenzel, Stoffe, S. 464–471), 142 Normanne (Abb. 42 a), 114–115 Notarii, scriptores, Anm. 7 Notation mittelalterlicher Musik, französische und italienische Notation (> Ambrosini, S. 30–34), 146, Anm. 308 Notname (Meister von ...), 156 O Ohr, 43, 51, 52, 96, 113, 116, 135, 138, 143, 147, 157, Anm. 179 Opus anglicanum (> Kay Staniland, Medieval Craftsmen: Embroiderers. London 1991), 3 Opus francigenum, 7, Anm. 16, 325 Orden > Ritterorden Ostern, das Osterfest als Metapher höchster Liebe, Anm. 190 Osterspiel, 76, dasjenige von Muri, Anm. 160 P Pappel, 137, 139, Anm. 297 Paradies, 56, 85, 132, 124, Anm. 88, Frankreich als, Anm. 285 Paradiesstrom, 132 Paradiesvorstellung, 56, 132
Sachregister, Worterklärungen, Definitionen – 225 Pathosformel, Anm. 9 Periodisierung in der Kunstgeschichte, Anm. 30 Perle, 48, 53, 116, 118 Perle in der Antike (> Pauly III, Sp. 1020– 1021: margaritai) Periodisierung in der Musikgeschichte, 146 Pest, Seuche (> Boccaccio II, S. 13–22 für eine zeitgenössische Darstellung. Zur Ohnmacht medizinischer Kunst gegenüber der Pest schon in der Antike u. a.: Thukydides 2, 47; 2, 51; Ovid, Metamorphosen VII, 527: exitium superabat opem, quae victa iacebat. Vgl. auch das Rindersterben [de mortibus boum] von Severus Sanctus Endelechius: Korzeniewski 1976, S. 57– 71), 11, 63, 97, Anm. 212 Petri Befreiung (Abb. 87), 107 Pfeile Amors, meist deren zwei «[…] diversorum operum: fugat hoc, facit illum amorem; / quod facit, auratum est et cuspide fulget acuta, / quod fugat, obtusum est et habet sub harundine plumbum» (Ovid, Metamorphosen I, 469–471), 75–76, Anm. 159 Pferd 25, 26, 61, 85, 105, 107, 113, 117, 120, 122, 124, 126, 141, 158, 275, 276, 277, 279, Anm. 184, 201, 264 Pflug, pflügen (> Isidor, Etymologiae XX, 14: De instrumentis rusticis; > ibid. XX, 13; zum antiken Pflug > Pauly IV, Sp. 686) (Abb. 90), 29, 133, 279, Anm. 201 Phallus-Anspielung, phallische Symbolik, 44, 120, 127, Anm. 84 (> Schuh) Piktographie (Symbolschrift), 4 Pilger (Abb. 19, 75), 15, 23, 67, 88, 93–94, 96, 100, 104, 105 Plektrum, Federkiel, um Saiten eines Zupfinstruments anzureißen (Mandoline), Schlagring (Zither) Planet (> HDA VII, Sp. 36–292) Poesie: «Ein geläufiges Wort für Poesie hat das römische Altertum und auch das lateinische Mittelalter nicht besessen» (Curtius, S. 436, Anm. 1), 2, 103, 106 Polarstern, Anm. 104 Portativ > Musikinstrumente Porträt, Selbst-, 34, 52, 64–66, 81, 102, 114, 117 (> Gruppenporträt, > Kryptoporträt) von Gelehrten und Autoren, Anm. 268 in der Antike > Pauly IV, Sp. 1072–1073 mit Lit.
Poseidon > Neptun Profilkopf > Kopf im Profil Prospettiva, 10 Psalterium (harfenähnliches Musikinstrument) > Musikinstrumente Pseudonym, Anm. 228 Q Quadrivium (Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie), 146 (> Trivium, > artes liberales) Quelle (Wassersymbolik), in der Antike Arethusa genannt, 29, 54, 132, 133, 135–136, 139, 140, 141, 280, Anm. 291 Quincunxanordnung, versetzte Baumreihen, Wechselständigkeit, 132 Quintaine: «Poteau fiché en terre, contre lequel on s’exerçait à courir avec la lance» (Le Robert V, S. 593) R Rebec > Musikinstrumente Redefigur (> Quintilian II 13, 11), 81 Reisen, Reise, Buß-, Pilger-, Bildungs- (> Jandesek 1991), 6, 16, 25, 96, 148, Anm. 71 Religionskrieg, 11 Reliquienraub, 16, Anm. 38 Renaissance, XI, 5, 7, 8, 10, 11, 59, 75, 94, 95, 106, 123, 131, 146, 157, Anm. 26 Renart, Roman de > Roman de Renart (> Frenzel, Stoffe, S. 536–538: Reineke Fuchs) Restaurieren, Restaurator, XI, 13, 279, Anm. 32 Rhetorik, 9, 146, 159, Anm. 335 Riese, Riesenweib (Riesen, gigantes, im Altertum > Pauly II, Sp. 797–798), 63, 91, Anm. 131, 132 Ring (> Pauly IV, Sp. 1434–1436) > Fingerring Ritter (Begriff > Bumke 1964: Ab etwa 1170 ersetzt er die alten Heldenwörter), 25, 39, 46, 79, 85, 96, 99, 116, 117, 120, 121, 122, 124, 134, 138, 139, 142, 148, 276, 277, 280, Anm. 120, 177, 212 Ritterbeschreibung mit Ausrüstung Tristans, 121 Ritterorden (> Heers 1971, S. 36–43) Rock Christi (Abb. 4 b) Rolandslied, um 1100, wohl das älteste Chanson de geste (> Lejeune / Stiennon)
226 – Register Rolandslied des Pfaffen Konrad, um 1170, am Braunschweiger Hof Heinrichs des Löwen entstanden (> Castelberg) Rollenklischee, -spiel, 97, 100, 101 Roman de Renart (Renard), um 1170 in Nordfrankreich entstanden und bis um 1250 in Episoden fortgeschrieben; maßgeblich für alle späteren Fuchsdichtungen (bis Goethes Reineke Fuchs, 1794); in 20 Handschriften überliefert Rose (Symbolik), 136 Rosengedicht von Alain von Lille, 136 Rosenroman (Roman de la Rose), um 1240 entstanden, um 1280 vollendet, 62, 89, Anm. 287, 291 (> Guillaume de Lorris) Rot, Purpur-, Scharlach-, Braun-, 24, 44, 48, 53, 73, 83, 86, 93, 102, 114, 116, 124, 125, 126, 127, 135, 143, 274, 277, Anm. 280 Rother > König Rother Rotte (harfenartiges Saiteninstrument) > Musikinstrumente Rückenfigur (Abb. 100, 107), 48–49, 273 Runzel (im Gesicht), 49, 50 Rüstung (Abb. 51–53), 101, 107, 121–122, 280 Ruodlieb, Versroman, um 1000 in Tegernsee entstanden, 114 S Sachsenspiegel, ältestes und einflußreiches Rechtsbuch des deutschen Mittelalters (Land-/Lehenrecht); Verfasser ist > Eike von Repgow, Zitate: 28–29, 144 Sackpfeife > Musikinstrumente Sagen > Märchen Sämann (Abb. 90) St. Trudperter Hohelied, 147, Anm. 313 Sauhatz (Abb. 56) Schach (Abb. 60, 62, 124–126 a), 87, 277, Anm. 185 Schachspiel, Schâchzabel (Tristan, 2220 ff.) (vgl. Katalog Art du Jeu. Jeu dans l’art de Babylone à l’Occident médiéval. Musée de Cluny. Paris 2012) > Jacobus de Cessolis Schalmei > Musikinstrumente Scharfrichter, 94 Schatten, 74, 128–129, 132, 136, 137, 139, 140, 161, 272, 281 Schatulle, 121 (> Minnekästchen)
Schauspieler, Schauspiel (in der römischen Antike, histrio > Pauly II, Sp. 1194), 45, 55, 69, 76, 78, 91, 148, 149, Anm. 163 Scherge (Abb. 2, 84), 20, 22, 57, 72, 94 Schließe, Spange > Agraffe Schmerz, -darstellung, 69, 74, 75, 98, 115, Anm. 144 Schmerzensmann-Darstellungen, 62, Anm. 129 Schmied, Schmiede (Abb. 74, 108), 107, Anm. 236 Schmiedezange (antike, forceps > Pauly II, Sp. 593) Schminke, 102–103 Schmuck, 36, 48, 62, 100, 111–114, 115, 116–117, 121, Anm. 253, 257 (> Kranz, > Kopfbedeckung) Schnabelschuh, 119, 120 Schnappschuß (Abb. 52), 20, 107, 108 (> Momentaufnahme) Schneeballschlacht (Abb. 88), 29, 33 Schönheit, weibliche (mittelalterliche Definitionen, pulchrum, formosum > Curtius, S. 189–190), 46, 85, 89, 90, 98, 113, 128, Anm. 85, 90 männliche Schönheit, 46, 62, Anm. 62 Schönheit der Gottesmutter, 47, 64 Schönheit der Natur, 134, 136 Schöpfungsgeschichte Ovids, 49 Schoßhund, 143, Anm. 306 Schreiber (> Pauly V, Sp. 52–53: scriba), 24, 97, 276 Schreiner (Abb. 3), 69 Schreittanz, 140, 152 Schriftsteller, Rolle der mittelalterlichen, 4, Darstellung antiker -, 123 Schuh, -werk (in der Antike > Pauly V, Sp. 37– 38), 10, 62, 73, 119–120, Anm. 260 Schuhe mit erotischen und sexuellen Konnotationen, 120 Schuster (> Pauly V, Sp. 39–40), Anm. 260 Schwarz, 47, 48, 93, 121, 125, 126, 127–128, 143 Schwertleite, 148 Sechslochflöte > Musikinstrumente Sedes sapientiae, 12 Seele, seelische Regung, 11, 14, 40, 41, 50, 55, 75, 77, 90, 96, 98, 150, 163, Anm. 83, 235, 291
Sachregister, Worterklärungen, Definitionen – 227 Seide (in der Antike > Pauly V, Sp. 77–78), 48, 102, 111, 113, 115, 118, 123, 126, 127, 143 Seitenverkehrt (beim Kopieren) > spiegelverkehrte Vorlage Seitensymbolik (links, rechts), Anm. 115 Selbstmord (in der Antike > Pauly V, Sp. 81– 82), Anm. 113 Selbstporträt > Porträt Seuche, 11, 63, 97 Sichel, gehört zu den ältesten landwirtschaftlichen Werkzeugen (> Pauly V, Sp. 162– 163) Sieben freie Künste > Trivium, > Quadrivium, zusammen die sieben > artes liberales Signalfarbe, 124–125, 126 Singen, «cantet, amat quod quisque: levant et carmina curas» (Singe einjeder, der liebt; es lindern auch Lieder den Kummer!), 4 Ekloge des Nemesianus (in: Korzeniewski, S. 51), 37, 54, 98, 142, 151, Anm. 120, 313, 319 (> Gesang) Sinopie (Sinopia), umrißhafte Vorzeichnung auf dem Wandverputz für ein darüberliegendes Fresko “Sondergotik”, 8, 11 Sorbonne (Paris), ursprünglich ein 1253/55 vom Kanonikus Robert de > Sorbon gegründetes theologisches Studienkolleg mit Internat für mittellose Studenten Sorge, 98, 112, 134, 140, 151 Spezialist (in den Künsten), 6, 14 Spiegelverkehrte Vorlage, Anm. 82 Spielbein > Standbein Spiel, höfisches, Glücks-, Würfel-, Ball-, Boccia-, ([Kinder-]Spiele in der Antike > Pauly V, Sp. 310–313), 27, 42, 51, 69, 72–73, 87–88, 277, Anm. 185 (> Schach, > Brettspiel, > Morraspiel) Spielleute, 94, 96, 148, 149, 277, Anm. 202 Spielmann, der höfische (Definition in: Tristan, 7560–7568: Sprechen und Schweigen, Leier und Geige, Harfe und Rotte, Scherzen und Spaßen), 73, 82, 149 Spinario, lo > Dornauszieher Spitzhut, 116 Spitzname (in der Antike > Pauly V, Sp. 317– 319) Sportart, 72–73, Anm. 151 Spott, 4, 59, 66, 72, 103–104, 105, 106–107
Sprache ([Kenntnis von Fremd-]Sprache, vremeder zungen: Tristan, 3696), 9, 39, 42, 54, 68, 70, 94, 143, 160, 161, Anm. 31, 39 (> Gebärdensprache) Sprichwort, Sprichwörtliches, sprichwörtliche Redewendung, «Quis, quid, cui dicas, cur, quomodo, quando requiras» (Thorndike, S. 377), 11, 60, 79, 94, 104 ff., 129, 135, 138, 141, Anm. 295 Springtanz, 152 Stab, Hirten-, Pilger- (Abb. 15, 19, 80), 96 Stand- und Spielbein (Abb. 27 b, 29, 30, 70), 61, 275 Steigbügel, 277, Anm. 264 Stellung des menschlichen Körpers, außergewöhnlich (Abb. 2, 6, 9, 50, 56, 84, 105, 106, 119) Sterbebüchlein > Ars moriendi Sternbild, 53, Anm. 104 Sterndeutung (> HDA IX, Sp. 689–762) Sternenmantel, 118 Sticker und Stickerin > opus anglicanum Stickerei (Abb. 42 a und b, 119, 120), 15, 28, 55, 78, 107, 14, 142 Stil (Definition), 2–3, 8 ff., Anm. 19–21 (Getriebener Becher nach englischer Art; in engeloyser wîse: Tristan, 8760) Stil (Wortgeschichte), Anm. 21 “Stil 1200”, 20 Stilus humilis, 68 Stirnfalte, 55 Straße, Handels- (> Jean Hubert, Les routes du Moyen Âge. In: Les routes de France depuis les origines jusqu’à nos jours. Paris 1959, S. 25–56), 29, 34, 71, 95, 96, 126, 138, 280 Structura, 39, Anm. 77 Studiolo, Studierzimmer, 81, 123, 124 Stundenbuch der Katharina von Kleve (um 1430), 112 Suizid > Selbstmord Sturz in die Tiefe (Abb. 6, 85, 113), 158, 273 T Tacuinum Sanitatis (> Witthoft 1978), 33 Tafelrunde Artus’, 91 Tätigkeit, weibliche, 93
228 – Register Tagelied, Gattung des mehrstrophigen Minneliedes (tageliet, morgensanc; alba, aube), schildert Trennung und Abschied der Liebenden am Morgen, den der warnende Weckruf des Wächters vom Turme verkündet; wohl durch provenzalische Vorbilder geprägt, 44 (> aubade) Talent («Die Entdeckung des Talents als mythologisches Motiv» > Kris / Kurz, S. 52– 63), 3, 6, 67 Tanz (Tanz und -kunst in der Antike > Pauly V, Sp. 513–514 (Abb. 79, 82, 132), 29, 71, 95, 116, 138, 140, 145 ff. Tanzverbot (> Hartung, S. 221–223) Tapisserie, 15, 31, 112, 122–123 Tappert, Mantelrock der männlichen Tracht, Ende 14. u. 15. Jh.; wechselnde Länge und Armbildung, oft nur mit Armschlitzen; gegürtet und ungegürtet getragen; im 16. Jh. von der Schaube abgelöst Tasseband, -riemen, hält den Mantel über den Schultern zusammen (Abb. 16, 27 a), 22, 24, 118–119, , Anm. 257 Technologie (mittelalterliche), Anm. 201 Temenos, heiliger Bezirk, 123 Teppich, 106, 112, 122–123, 276 Teufel (Abb. 22 a und b, 113, 130, 131), 45, 70, 77, 128, 148, 281 Textilie (Kleidung), 117 ff. Textilie (als Ausstattungsmittel), 122–123 (> Herkunftsangabe von Textilien) Thema > Auswahl Tierdarstellung, 140–141 Tierkreis, «Tierkreis, Sonne und Mond gehören im Volksglauben aller astrologisierenden Zeiten zu den Grundpfeilern der Zukunftsprognose» (HDA IX, Sp. 596) Tischmanieren (> Bumke, S. 267 ff.; mittelalterliche Löffel- und Messerformen > RDK II, Sp. 355 ff.) Tituli (Abb. 11, 22), 10 Tjost = Zweikampf (Abb. 51, 52), 121, 277 Totenmaske, Anm. 138 Totentanz, 152, Anm. 324 Traum, -bild, -deutung (Friedrich von Hausen: «In mînem troume ich sach […].»), (Abb. 4 a, 121), 82–84, 142, Anm. 174 Traversflöte (Abb. 81)
Travestie, 99, 101–102 (> Verkleidung) Tricktrack (für die Antike > Duodecim scripta in: Pauly II, Sp. 176 und I, Sp. 943) (Abb. 61), 67, 88 Trinkgeschirr (Abb. 57, 58, 74, 102, 104 a) Trinkhorn, Anm. 6, 177 Tristan-Darstellung (Abb. 42 b) Trivium (Dialektik, Grammatik und Rhetorik), 146 (> Quadrivium, > artes liberales) Trivulziokandelaber (Mailand, Duomo), 20 Troubadour (Provence), 148–149 Trouvère (Nordfrankreich), 149 Tugend, Bildung und Anstand (lêre und gebâre), 98 Turm zu Babel > Babel Turnier (Abb. 37–39, 51, 52), 59, 121, 148, Anm. 264 U Überlieferungslücke, 13, 36, Anm. 33 Ungeheuer, 63–64 Ungleiche Liebespaare, 65 Uniform, Uniformierung, 125, Anm. 272 Unschuldsmiene, 55 Urbanitas, urbanus, 88, 93, Anm. 186 Utrecht-Psalter, 3, Anm. 4, 148, 320 V Valets de chambre (Künstler als), 14 Vater, Rolle, 5–6 Verkehrswege in Frankreich (z. Zt. Ludwigs des Heiligen) (Abb. 75, 76) (> Jean Hubert, Routes et circuits commerciaux. In: Le Siècle de Saint Louis, S. 75–82) Verkleidung, 65, 66, 99–102, 104, 105, 113, 278, Anm. 219 (> Kostümierung, > Travestie) Verkürzung (katágrapha), 49 Versuchungsszene (Abb. 32, 33, 66, 115, 117, 131) Villa rustica, villa urbana, 93 Vision, 45, 62, 82–83, 144 Vogel, 29, 115, 116, 135, 137, 140, 144, 151, Anm. 71, Allegorie, 141–142, Anm. 304 (> Falke, > Beizjagd) Vogelgesang, 134, 141–142
Sachregister, Worterklärungen, Definitionen – 229 Vogelhändler (?), Vogelsteller (Abb. 93) Volkslied, 114 Volkskunst, 9 Volkszorn, 88
Wunder, -tat, -szene, 44, 51, 77, 97–98, 107, Anm. 233
W
Zahl (in der Musik > Isidor, Etymologiae III, 23), 152 Zahlenmystik (in der Antike > Pauly , Sp. 1447– 1449) Zahlensymbolik, 98–99, Anm. 215 Zärtlichkeit, 11, 12, 55, 68, 71, 86, 158 Zauberei, Zauberer (in der Antike > Pauly V, Sp. 1460–1472), 77, Anm. 233 Zeichensprache, 4, 50, 277, juristisch, unter Mönchen, 58, Anm. 118 Zeigefinger, -gestus (Abb. 20, 51, 59, 60, 61, 118 a und b), 22, 59, 86, 104 Zelt als Innenraum (Abb. 41, 46, 68, 101), 85 Zigeuner, 93, 96 Zinne (Abb. 50, 53), 59, 73, 122, 276, 277, 278, Anm. 120 Zisterzienser, 127, 147, Anm. 314 Zodiakos (> Pauly V, Sp. 1541–1548) Zufall (Definition), 108–109 Zunge herausstrecken, Anm. 107 Zwerg, -wuchs (Zwerge und Mißgestalten zur Belustigung der Römer > Pauly I, Sp. 1441: deliciae, delicia; Pauly V, Sp. 1566–1567: nani), 63, 92, 97, 103, 277, Anm. 132 (> Makro- und Mikrosomie)
Wald 33, 34, 82, 95, 120, 124, 133, 134, 135, 141, 142, 143, 278, Anm. 66, Symbolik, 137–138 Wandel (Definition), 10 Warze auf dem Kopf, 55 Wasser (Symbolik; das “lebende Wasser” der Bibel), 29, 62, 79, 107, 132, 133, 135, 136, 141, Anm. 291 (> Quelle, > Tarbes, HautesPyrénées) Webschwert (Abb. 77), 84 “Weicher Stil”, 11, 155 Weinberg, Arbeiten im (Abb. 96), 29 Weingartner Liederhandschrift (auch Stuttgarter Handschrift genannt), Minnelyrik, um 1310–20 in Konstanz angefertigt, später im Kloster Weingarten (Stuttgart, Württemberg. Landesbibliothek, HB XIII 1), Anm. 141 Weiß (Farbe), 44, 46, 47, 48, 50, 53, 57, 58, 67, 85, 102, 115, 116, 121, 125, 126, 127, 128, 135, 143, Anm. 92, 114, 256 “Welschland” (= Frankreich), 115, Anm. 219 Weltenmantel, 118 Wende (Definition), -zeiten, 10, Anm. 25 Werkzeug (in der Antike > Pauly V, Sp. 1367– 1370), 58, 62, 69, 70, 123, Anm. 201, 233 Wiedehopf (> Pauly V, Sp. 1374), 64 “Wilde Leute”, “-r Mann”, 63, 97, 121, Anm. 97 Wildschweinjagd (Abb. 56), 277 Wilton-Diptychon (London), Anm. 72 Winter, -darstellung, «Könnte ich den Winter nur verschlafen!» (Vogelweide / Stapf, S. 279) (Abb. 88), 30, 70, 136, Winter als Freude und Last, 133–134 Wissen (implizites und explizites Wissen) > Bildwissen Witwe, 115, 132 Witz, Wort- (> Röhrich 1980), 4, 49, 54, 66, 103, 104–107, Anm. 231, 233, 234 (> Bildwitz, > Komik) Wolle, 111, Anm. 245
Z
Topographisches und geographisches Register Auswahl; > = siehe auch A Arezzo, 8 Arras (Pas-de-Calais), 91 Asien, (mittelalterliche) -kenntnisse (> Jandesek 1991) Assisi (San Francesco), Elfenbeinmadonna 67, Anm. 29 Autun (Saône-et-Loire), 43 (> Gislebertus) Auxonne (Côte-d’Or), Madonna (Abb. 31) Avignon (Vaucluse), 35, 37, Papstpalast, 131
Domrémy-la-Pucelle (Vosges), 140 Dublin, 104 Dura Europos (Syrien), 57 F Florenz, 63, 74, 155, Anm. 40 Fontenay (Côte-d’Or), Abtei, 276, Anm. 29 Frankfurt am Main, 16, 48, 125 Freiburg im Breisgau, 106 Freising, Dom, Anm. 29
B
G
Bamberg (Dom), 45, 52, 118 Bayeux (Calvados) > Bayeux-Stickerei Besançon (Doubs), 152 Bern (Münster), Anm. 18 Blaubeuren, Anm. 29 Bologna, 96 Bourges (Cher), Kathedrale, 43, 56 Bourgueil (Indre-et-Loire), 89 Byzanz, 23, Anm. 217
Genua, 101 Graubünden, 96, Anm. 39 Großgmain > Meister von Großgmain
C
K
Canterbury > Chaucer, Geoffrey Carrara, Anm. 222 Castelroncolo (Runkelstein), Fresken (> Wetzel, > Gottdang) (Abb. 100), 92, 280, Anm. 96, 132 Castelseprio, 8, Anm. 17 Champmol (bei Dijon), Karthause, 280 (> Broederlam, Melchior, > Sluter, Claus) Chiaravalle Milanese (Abb. 1), XI, 8, 273, Anm. 2 Chur, Anm. 39
Kappel am Albis (Schweiz), 26 Kappenberg, 52 Kastilien, Anm. 27 Katharinental (Thurgau), 26 Köln > Wasservass Königsfelden (Aargau), 26, 283, Anm. 52 Konstanz > Codex Manesse Korfu, 96 Kreta, 96 Krumau, Anm. 29
D Darup (Westfalen), 53, Anm. 214 Dijon (Côte-d’Or), 14 (> Champmol)
H Hautecombe (Savoie), Abtei, 62 Helikon, Gebirgszug in Griechenland, galt im Altertum als Sitz der Musen, 15
L Lagoudera (Zypern), Anm. 46 Laon (Aisne) (Abb. 122), 276, 283 (> Colart de Laon)
232 – Register
Laval (Mayenne), 78 León, Anm. 27, 73 Lincoln, 8 Loire, Fluß, im Mittelalter für den Ost-WestHandel mehr befahren als die > Seine, 16 Lübeck, Anm. 159 Luzern > Schilling, Diebold M Maderuelo, Anm. 111 Mainz, 16, 149, Anm. 38 Memmingen (Antoniter-Kirche), 62 Mittelmeer (Handelsbeziehungen: über Handels- und Wasserwege im Mittelmeergebiet > Sergio Tognetti, Organizzazione dei trasporti e delle communicazioni commerciali a Firenze tra XIV e XV secolo. In: Florenz 2011/2012, S. 69–79) Mont Ventoux > Ventoux Morcote (Tessin), 45, Anm. 86 Moulins (Allier), Marienaltar, Anm. 82 Muri (Aargau), 52, Anm. 160 N Naumburg, 53 Nowgorod, 16 Nürnberg > Dürer, Albrecht O Orléans (Loiret), bis um 1200 eigentliche Hauptstadt Frankreichs mit, längs Loire u. Nebenflüssen, über 200 Zollstationen, 96 Oetenbach (Ötenbach, Zürich), nicht mehr existierendes Klosterareal in Zürich mit bedeutender Dominikanerinnen-Niederlassung; die Schwestern erwarben das Grundstück von den Kaufleuten Rüdiger Manesse und Götz Mülner. Zur Diözese Konstanz gehöriges Kloster seit 1285, 1525 aufgehoben, 1902/03 abgebrochen (> Stadtplan von Murer 1576: größte Klosteranlage der Stadt), 25, 28, Anm. 51
P Paderborn, 7 Padua > Giotto di Bondone Paraclet, Le (bei Nogent-sur-Seine), Abtei, 82 Paris, 16, 17, 36, 68, 77, 79, 87, 96, 111, 146, 155, 158, 285, Anm. 34, 48, 61, 85, 157, 173, 324 Pisa (Abb. 84), 33, 34, 36, 72, 281 Prag, 52, 147 Provins (Seine-et-Marne), 16 R Rampillon (Seine-et-Marne), 44–45, 74 Regensburg (Dom) (Abb. 87), 107 Reims (Marne), 12, 35, 76, 103, 118 Reval, Anm. 136 Rievaulx (Yorkshire), 147, Anm. 314 Riffian (Rifiano, nördlich von Meran), in der Marienkapelle Fresken: Magister Venclaus 1415 jar ille pictura fachtum, 34, Anm. 60 Rimini > Neri da Rimini Rottweil, 63 Runkelstein, Schloß > Castelroncolo S Saint-Denis (bei Paris), 7, Anm. 15, 29, 64 Salamanca, Anm. 73 San Gimignano, 52, 87, Anm. 181 San Martin de Sescorts, Anm. 111 Sankt Gallen, 117, 121, 159, Klosterplan, 132 St. Trudpert (Schwarzwald), 147, Anm. 313 Sant’Angelo in Formis, 63, Anm. 111 Schwäbisch-Gmünd, 103 Seine (Fluß) (> Jean Favier, Le commerce fluvial dans la région Parisienne au XVe siècle. Paris 1975) > Loire Sidon, Hafenstadt südlich von Beirut, 92, Glas- und Purpurindustrie, 116 Siena, 34, 35, 107 (> Duccio di Buoninsegna) Sigena (Katalonien), Anm. 111 Sterzing (Vipiteno), 72 Straubing, Anm. 29 Sutri (Viterbo), Dom, Christustafel (Abb. 123 a), Anm. 46
Topographisches und geographisches Register – 233
T Tahull, Anm. 116 Tarbes (Hautes-Pyrénées), 136 Toledo, Anm. 73 Tordesillas (León), Anm. 73, Altar in Santa Clara, 49 Touraine, Anm. 73 Tramin (Termeno), 63 Treviso, San Nicolò, 117, 124 Trient (Trento) (Wandmalereien im Adlerturm/Torre Aquila, Castello del Buonconsiglio) (Abb. 88–98), XI, 13, 19, 28– 35, 70, 79, 131, 163, Anm. 58, 60, Konzil von Trient, Anm. 315 U Utrecht > Utrechtpsalter V Valencia, 36, Anm. 73 Venedig, San Marco, 20 Ventoux, Mont, 15, Anm. 284 Vézelay (Yonne), 63 Vich, Anm. 111 Vipiteno > Sterzing W Warendorf (Westfalen), 53, Anm. 214 “Welschland” (= Frankreich), 115, Anm. 219 Wien, 56, 59, 87, 101, 125, 152, Anm. 29, 113, 148, St. Stephan, 61 Wimpfen im Tal, 7 Winchester, 3, 20 Z Zürich, 25, 26, 28, 67, 84, 119 (> Oetenbach) Zypern, Anm. 46
Zeittafel 1096–1545
«Genaue Chronologie ist unser Rückhalt, nicht unser Leitfaden» (Ernst Robert Curtius, S. 37). 1096 bis 1190 1096 1098 um 1100 um 1127 1129 1130–1136 1132/33 1138–1254 um 1140 1147 1155–1160 um 1170
1177–1181 1176 um / nach 1180 1189 nach 1190
Erster Kreuzzug (bis 1099); Eroberung Jerusalems Anfänge der Zisterzienser Chanson de Roland (Rolandslied; erste Aufzeichnung?) Kritik Bernhards von Clairvaux am Kirchenbau von Cluny Héloïse Äbtissin des Klosters Le Paraclet Geoffrey of Monmouth: Historia regum Britanniae Abélard, Historia calamitatum Zeitalter der Staufer Poema de mio Cid Zweiter Kreuzzug (bis 1149); endet in einer Katastrophe Wace: Le roman de Brut. Früheste Erwähnung der Table Ronde Robert Biket: Lai du Cor Marie de France: Sammlung der Lais Chrétien de Troyes: Erec Der Pfaffe Konrad übersetzt das Rolandslied (älteste erhaltene Abschrift um 1170 in Heidelberg, Universitätsbibliothek) Chrétien de Troyes verfaßt seinen Roman Yvain ou le Chevalier au Lion Heinrich Veldeke übersetzt den Roman d’Eneas, als Eneid 1185 abgeschlossen Hungersnot in Mittelfrankreich Hartmann von Aue: Erec Dritter Kreuzzug (bis 1192) Béroul, Tristan et Iseut 1200 bis 1300
um 1200 1202 1209 1210–1215 1224 1228–1229
Wolfram von Eschenbach: Parzival. – Roman de Renart Das deutsche Nibelungenlied. > Frenzel, Stoffe, S. 464–467 Vierter Kreuzzug (bis 1204); Eroberung Konstantinopels; Errichtung des Lateinischen Kaiserreichs (bis 1261) Anfänge der Franziskaner unter Franz von Assisi Wirnt von Grafenberg: Wigalois Gottfried von Straßburg: Tristan Gründung der Universität Neapel unter Friedrich II. Fünfter Kreuzzug. Friedrich II. krönt sich in Jerusalem, das 1244 den Christen für immer verlorengeht
236 – Zeittafel 1096–1545 um 1230 um 1230–1240 um 1235/36 1248–1254 um 1250 1257 1260/80 1265 1270 1273–1254 um 1275/80 vor 1288
Lanzelot und Ginevra (Prosa-Lanzelot) Le Roman de Merlin (Livre du Graal) Guillaume de Lorris, erster Teil des Roman de la Rose Sechster Kreuzzug unter Ludwig IX. von Frankreich, begleitet von Joinville Aufzeichnung der Carmina Burana Gründung eines Kollegs in Paris durch Robert de Sorbon Jacobus de Voragine, Legenda aurea Dante Alighieri geboren Siebter Kreuzzug. Ludwig XI. von Frankreich in Ägypten und Tunis Rudolf I. von Habsburg König Jean de Meun, zweiter Teil des Roman de la Rose mit Einbeziehung der Historia calamitatum (1132/33) vom Abélard La Châtelaine de Vergi Marco Polo, Livre des merveilles 1300 bis 1400
um 1300–1310 1303–1305 1304 1305–1309 1308–1311 1309 um 1310 1310/14 1310/20 1313 um 1320 1321 1325/30 1328–1330 1333 1337–1453 1338–1358 1341 1343 1347 1348/50 1348–1352 1351 1355–1360 1360/62 1374 1375 1376/77
Codex Manesse. Grundstockmeister der Bilder Giotto malt die Capella Scrovegni in Padua aus Francesco Petrarca in Arezzo geboren Jean de Joinville, Histoire de Saint Louis Duccio malt die Maestà in Siena Avignon wird zum Exil der Päpste (bis 1377) Codex Manesse. Erster Nachtragmeister der Bilder Gervais du Bus, Le Roman de Fauvel Dante, Divina Commedia Giovanni Boccaccio geboren Codex Manesse. Zweiter Nachtragmeister der Bilder Hungersnot in Südfrankreich Codex Manesse. Dritter Nachtragmeister der Bilder Hungersnot in Florenz Jean Froissart geboren Hundertjähriger Krieg (mit Unterbrechungen) zwischen England und Frankreich Petrarca, De viris illustribus Petrarca in Rom zum Dichter gekrönt Hungersnot in Süddeutschland Einnahme von Calais durch die Engländer (“Les Bourgeois de Calais”) Boccaccio, Il Decamerone Schwarze Pest (“Morte nera”) in Europa Konrad von Megenberg, Buch der Natur Boccaccio, De viris illustribus Französischer Bauernaufstand (Jacquerie) Boccaccio, De claris mulieribus Petrarca gestorben Boccaccio gestorben Ende des babylonischen Exils der Päpste in Avignon
Zeittafel – 237 1378 1381/82 1386 um 1387 1394 1398 1399 1400 um 1400 1405 1409 1410 1414 1415 1416 1419 1420 1431 1432 1438 1440 1444 um 1450 1453 1455 1461 1461–1483 1464 1466 1469 1472 1477 1478 1485 1492 1493 1494
Kirchenspaltung, bis 1417 (Papstschisma) Bauernaufstände in England und Frankreich Sieg der Eidgenossen über das habsburgische Ritterheer bei Sempach Chaucer, The Canterbury Tales Christine de Pisan beginnt, Gedichte zu schreiben Broederlam vollendet die Flügel des Triptychons für Champmol (Dijon) Richard II. wird von seinem Vetter Lancaster gefangen genommen 1400 bis 1500 Chaucer gestorben Fresken im Adlerturm, Trient (oder um 1420) Froissart gestorben Das Jahr der drei Päpste Das Jahr der drei deutschen Könige Konzil von Konstanz (bis 1418) Schlacht bei Azincourt. Sieg der Engländer über die Franzosen Herzog Jean de Berry gestorben. Brüder Limburg unterbrechen ihre Arbeit. Philipp III. der Gute, Herzog von Burgund (gest. 1467) Die Engländer besetzen Paris Hinrichtung der Jeanne d’Arc Konzil von Basel (bis 1449) Genter Altar der Brüder Jan und Hubert van Eyck Unionskonzil von Ferrara und Florenz (bis 1439) Erfindung des Buchdrucks (Gutenberg) Genfer Altar von Konrad Witz Erfindung der Buchdruckkunst durch Gutenberg Ende des Hundertjährigen Kriegs Fall von Konstantinopel; Ende des byzantinischen Reiches Beginn der Rosenkriege in England (York gegen Lancaster) Testament Villons Louis XI. König von Frankreich Commynes im Dienste Karls des Kühnen von Burgund (bis 1472) Erasmus von Rotterdam geboren Niccolò Machiavelli in Florenz geboren Erstdruck der Divina Commedia Karl der Kühne von Burgund fällt vor Nancy nach den Niederlagen bei Grandson und Murten (1476) Thomas Morus geboren Ende der Rosenkriege in England Entdeckung Amerikas durch Columbus Hartmann Schedels Weltchronik Sebastian Brant, Narrenschiff
238 – Zeittafel 1096–1545 1500 bis 1545 1513 1516 1517 1519 1522 1525 1527 1531 1535 1536 1545
Niccolò Machiavelli: Il Principe; erst 1532 gedruckt Thomas Morus: Utopia Thesenanschlag Luthers zu Wittenberg Maximilian I. gestorben; Kaiser seit 1493 Pest in Florenz Deutscher Bauernkrieg Niccolò Machiavelli gestorben Letzte deutsche Kaiserkrönung in Aachen (Ferdinand I., Bruder Karls V.) Thomas Morus gestorben Erasmus von Rotterdam gestorben Konzil von Trient (bis 1563)
Bildtafeln
241
Tafel 1
1
4a
2
3
4b
1 (und Frontispiz) Christus vor Pilatus. Kopf der 1988 entdeckten Fresken in der Abtei Chiaravalle Milanese. Um 1460. – 2 Szene aus dem Leben des hl. Audomarus, um 1080. Saint-Omer, Bibliothèque municipale, ms. 698. 3 Gott befiehlt Noah den Bau der Arche. Elfenbein, um 1100, Ausschnitt. Salerno, Museo Diocesano. – 4 a Gislebertus, Der Traum der drei Könige, Autun, um 1130/35. – 4 b Benedetto Antelami, Kreuzabnahme Christi (Ausschnitt). Soldaten würfeln um den Rock Christi. 1178 dat. Parma, Duomo.
242
Tafel 2
5
8
6
7
9
5 Nikolaus von Verdun, Klosterneuburger Altar, 1181. Die Frauen am Grabe (nicht benutzte Vorgravierung). – 6 Nikolaus von Verdun, Klosterneuburger Altar, 1181. Joseph wird von seinen Brüdern in die Zisterne geworfen (ioseph in lacu) (Genesis 37, 18–24). – 7 Himmelfahrt Christi (Ascensio D[omi]ni). – 8 Auferstehung der Toten (mortui resurgun[t]). – 9 Harfenspieler auf Hocker und Jongleur. Plakette in champlevé-Email. Limoges, um 1200. Kopenhagen, Nationalmuseum. 10 Abraham und die Engel (fol. 10verso). “Älterer” Maler. – 11 Abraham und Isaak (fol. 11recto). “Älterer” Maler. – 12 Moses vor dem Dornbusch; Moses empfängt das Gesetz (fol. 12verso). – 13 Anbetung des goldenen Kalbes; Moses zerschmettert die Gesetzestafeln (fol. 13recto). – 14 Verkündigung; Heimsuchung; Geburt Christi (fol. 15recto). – 15 Verkündigung an die Hirten; Darstellung im Tempel (fol. 16 verso). – 16 Die Könige vor Herodes; Anbetung (fol. 17recto). – 17 Kindermord; Flucht (fol. 18verso). “Älterer” Maler. – 18 Die Ehebrecherin (fol. 21recto).
243
Tafel 3
Ingeborgpsalter
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16
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Tafel 4
Ingeborgpsalter
19
22 a
20
21
22 b
19 Emmauspilger (oben); Maria Magdalena (unten) berichtet den Jüngern, daß sie Christus gesehen hat (Vidi dominum) (fol. 30verso). – 20 Pfingsten (fol. 32verso). “Jüngerer” Maler. – 21 Jüngstes Gericht (fol. 33recto). “Jüngerer” Maler. – 22 a und b Theophilus-Legende (fol. 35verso und 36recto). “Älterer” Maler.
245
Tafel 5
Villard de Honnecourt
23
24
25
26
27 a
27 b
23 Marter des heiligen Georg. Glasfensterfragment, französisch, um 1200. Princeton University Art Museum. – 24 Krönung Davids. Englischer Psalter, um 1225. New York, PML, Glazier Ms. 25 (fol. 4recto). – 25 Villard de Honnecourt, Bauhüttenbuch, um 1235. Geometrisierte Figuren- und Tierentwürfe. – 26 Villard de Honnecourt, Stilisiertes Glücksrad, von der Fortuna angetrieben. – 27 a und b Villard de Honnecourt, a Liebespaar, b Apostel und Prophet.
246
Tafel 6
Mariendarstelllungen
30 28
29
32
31
33
28 Maria lactans. Mittelteil des Barnabas Altarpiece, England (Canterbury?), um 1260. Fort Worth (Texas), Kimbell Art Museum. – 29 Madonna mit Kind, um 1290/1300. Abteikirche Fontenay bei Montbard (Côte-d’Or). – 30 Claus Sluter, Muttergottes. Portal der Abtei von Champmol, 1391. – 31 Marienstatue mit Kind und Weintraube, um 1440. Auxonne (Côte-d’Or), Kirche. – 32 Liebespaar zu Pferd. Elfenbeinspiegel (Rückseite), Paris, um 1310/20. London V&A. – 33 Wernher von Teufen mit seiner Geliebten zu Pferd. Codex Manesse (fol. 69verso). Grundstockmeister.
247
Tafel 7 Elfenbeine
34
35
36
37
38
39
34 Liebespaar zu Pferd, mit Begleitern. Elfenbeinspiegel (Rückseite), Paris, um 1320. London V&A. – 35 Liebespaar zu Pferd. Elfenbeindeckel eines Schreibtäfelchens. Oberrhein (?), um 1340. London V&A. – 36 Minneszenen. Elfenbeindeckel. Paris, um 1310/20. Köln, St. Ursula . – 37 Turnierszene und Helmübergabe. Deckel eines Elfenbeinkästchens, Paris, um 1310. Hannover, Kestner-Museum. – 38 Turnierszene und Eroberung einer Liebesburg. Kästchendeckel. Pariser Arbeit, um 1320. London V&A. – 39 Turnierszene, Frauenraub und Kampf um Liebesburg. Rheinland (?), um 1320. Cleveland Museum of Art.
248
Tafel 8
Elfenbeine und Textilien
40
41
42 a
42 b
40 Frauenraub. Elfenbeinspiegel (Rückseite). Paris, um 1325/30. Liverpool, Museum. – 41 Brettspiel im Zelt. Elfenbeinspiegel (Rückseite). Frankreich, um 1330. Paris, Louvre. – 42 a und b Stickereien, a Normannengruppe. Stickerei von Bayeux, b Morolds Tod und Tristans Rückreise nach Cornwall. Aus einem gestickten Tristan-und-Isolde-Behang, um 1310. Wienhausen, Kloster. 43 Wenzel von Böhmen (fol. 10recto). Erster Nachtragmeister. – 44 Walther von der Vogelweide (fol. 124recto). Grundstockmeister. – 45 Herr Reinmar von Zweter beim Diktat (fol. 323recto). Grundstockmeister. – 46 Meister Gottfried von Straßburg (fol. 364recto). Grundstockmeister. – 47 Der Schenk von Limburg empfängt den Helm (fol. 82verso). Grundstockmeister. – 48 a König Tyro von Schotten (fol. 8recto). – 48 b Der Winsbeke (fol. 213recto). Grundstockmeister. – 49 Die Winsbekin belehrt ihre Tochter (fol. 217recto). Grundstockmeister.
249
Tafel 9
Codex Manesse
43
44
45
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48 a
48 b
49
250
Tafel 10
Codex Manesse
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Tafel 11
Codex Manesse
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62
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50 Der “wilde Alexander” (fol. 12recto). Grundstockmeister. – 51 Walther von Klingen im Turnier (fol. 52recto). Grundstockmeister. – 52 Albrecht Marschall von Rapperswil im Turnier (fol. 192verso). Erster Nachtragmeister. – 53 Herzog von Anhalt im Gruppen-Turnier (Buhurt) mit Schwertern (fol. 17recto). Grundstockmeister. – 54 Von Sunegge; Hirschjagd am Berghang (fol. 202verso). Grundstockmeister. – 55 König Chunrad der Junge auf der Falkenjagd mit Begleiter (fol. 7recto). Grundstockmeister. – 56 Herr Heinrich Hetzbold von Weißensee erlegt einen Keiler (fol. 228recto). Erster Nachtragmeister. 57 Steinmar lädt zum Mahl (fol. 308verso). Grundstockmeister. – 58 Der junge Meissner beim Bocciaspiel (fol. 339recto). Erster Nachtragmeister. – 59 Der Burggraf von Lienz Steine stoßend (fol. 115recto). Grundstockmeister. – 60 Otto von Brandenburg beim Schachspiel (fol. 13recto). Erster Nachtragmeister. – 61 Herr Goeli beim Tricktrack (fol. 262verso). Grundstockmeister. – 62 Schachpartie. Frontispiz zu Jacobus de Cessolis Libro di Giuoco di Scacchi. Florenz 1493/94.
252
Tafel 12
Codex Manesse
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253
Tafel 13
Codex Manesse
70
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73
74
63 Herr von Toggenburg erklimmt den Söller, um den Kranz zu empfangen (fol. 22verso). Grundstockmeister. – 64 Herr Kristan von Hamle auf dem waghalsigen Weg zu seiner Geliebten (fol. 71verso). Grundstockmeister. – 65 Herr Bergner von Horheim. Das Paar trägt den Kranz der noch Ledigen (fol. 178recto). Grundstockmeister. – 66 Rubin von Rüdeger als Verführer am Waldrand (fol. 395recto). Zweiter Nachtragmeister. – 67 Von Wengen umarmt (als Doppelgänger verkleidet) seine Geliebte (fol. 300recto). Grundstockmeister. – 68 Meister Heinrich Teschler am Bett seiner Geliebten (fol. 281verso). Erster Nachtragmeister. – 69 Friedrich der Knecht beim Frauenraub (fol. 316verso). Grundstockmeister. 70 Otto vom Turne erhält den Helm (fol. 194recto). Dritter Nachtragmeister. – 71–73 Drei Seiten vom gleichen Maler (wie in Abb. 70), um 1320. – 71 Stifterpaar mit Schutzheiligen. – 72 Geburt Christi. – 73 Anbetung der Könige; Darstellung im Tempel. – 74 Hartmann von Starkenberg erhält Stärkung in der Schmiede (fol. 256verso). Grundstockmeister.
254
Tafel 14
Codex Manesse
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76
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Tafel 15
14. und 15. Jahrhundert
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75 Meister Johannes Hadloub als Pilger verkleidet; ungedeutete Szene oben (fol. 371recto). Grundstockmeister. – 76 Herr Dietmar von Ast als Kurzwarenhändler verkleidet (fol. 64recto). Grundstockmeister. – 77 Kirchherr Rost von Sarnen vergreift sich nicht ungestraft an der Weberin (fol. 285recto). Erster Nachtragmeister. 78 Engelhart von Adelnburg zeigt seiner Dame das verwundete Herz (fol. 181verso). Grundstockmeister. – 79 Herr Reinmar der Fidler mit Gattin und Tochter (fol. 312recto). Grundstockmeister. – 80 Meister Heinrich von Meißen, Frauenlob mit Musikanten (fol. 399recto). Zweiter Nachtragmeister. – 81 Der Kanzler (fol. 423verso). – 82 Herr Heinrich von Stretlingen tanzend (fol. 70verso). Grundstockmeister. – 83 Herr Bruno von Hornberg mit gebundenen Händen (fol. 251recto). Grundstockmeister. 84 Francesco di Traino, Kreuzigung Christi. Scherge bricht die Beine des bösen Schächers (Ausschnitt), 1330/35. Pisa, Camposanto.– 85 Altarfragment aus Graubünden, 2. H. 15. Jh. Zürich, Landesmuseum. – 86 Gherardo Starnina, Auferstehung der Toten, um 1400. München AP (Detail) – 87 Befreiung Petri aus dem Gefängnis, um 1340/45. Regensburg, Domkirche, Tympanon des rechten Portals der Westseite.
256
Tafeln 16 bis 26 Adlerturm Trient
Monatsfresken im Adlerturm des Schlosses in Trient, Abb. 88–98. Für die Beschreibung, den narrativen Inhalt sowie die kompositionellen Fragen der einzelnen Bildfelder siehe oben: Text, S. 28–35, sowie die anschließenden Notate zu den Abbildungen. 88 Januar. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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89 Februar. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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90 April. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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91 Mai. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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92 Juni. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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93 Juli. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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94 a August. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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94 b August (Ausschnitt). Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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95 September. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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96 Oktober. Trient, Castello del Buonconsiglio. © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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97 November. Trient, Castello del Buonconsiglio. ©2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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98 Dezember. Trient, Castello del Buonconsiglio. ©2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali.
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Tafel 27
Weitere Vergleichsmaterialien I
99
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101
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103
104 a
104 b
104 c
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Tafel 28
Weitere Vergleichsmaterialien II
105
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109
110
99 Himmelfahrt Christi. Real Monasterio de Santa Clara in Tordesillas (Valladolid). – 100 Rückenfigur in der Badestube. Castelroncolo (Stua da bagno), um 1390. – 101 Liebespaar im Bett. Wandmalerei, wohl um die Mitte oder 2. H. 14. Jh. San Gimignano, Museo Civico. – 102 Damen erfreuen Jakob von Warte im Bad. Codex Manesse (fol. 46verso). Erster Nachtragmeister. – 103 Badestube in einer Valerius MaximusHandschrift, um 1470. – 104 a–d Vier Badefreuden, a und b Johann Schönsperger, Mann und Frau in Badezuber. Holzschnitte aus dem Deutschen Kalender, Augsburg, 1490, c Eine Schultheißenfrau schickt einen liebesdurstigen Einsiedler zur Abkühlung ins eiskalte Bad, 1493, d Erfrischung im Bad. Urs Graf, 1584. 105 Herakles erwürgt den Löwen. Silber-Stater von Herakleia (Unteritalien), um 400 v. Chr. Privatbesitz. – 106 Dornauszieher (Lo Spinario). Bronzestatue eines sitzenden Jünglings, der seine linke Fußsohle von einem Dorn befreit. H. 73 cm. Rom, Konservatorenpalast. – 107 Leda und der Schwan. Mosaik, 3. Jh. n. Chr., aus Palaipaphos. Nikosia, Archäologisches Museum. – 108 Venus in der Schmiede Vulkans (Ausschnitt). Heinrich von Veldeke, Eneasroman, um 1200. Berlin, Staatsbibliothek. – 109 Melchior Broederlam, Flucht nach Ägypten, 1394–99. Bemalter Altarflügel (Ausschnitt). Dijon, Museum. – 110 Holzfäller und Straßenbauer (Ausschnitt), um 1446/48. Jacques de Guise, Les Chroniques du Hainaut. Brüssel, Bibliothèque Royale, cod. 9242/43.
270
Tafel 29
Buchillustrationen
111
112
113
111 Hannibals Alpenüberquerung und Schlacht bei Cannae, vor 1465. Tours, Bibliothèque muniscipale, Ms. 984 (fol. 121recto) (Titus Livius). – 112 Die Kindheit Moses. Jean Mansel, La Fleur des histoires, Bd. I. Brüssel, Bibliothèque Royale, ms. 9231 (fol. 24recto). – 113 Maria rettet einen Maler vor dem Sturz. Miracoli della gloriosa Vergine Maria. Florenz 1500 (fol. 10verso).
271
Tafel 30
Anatomische Vergleiche
114
115
116
117
118 a
118 b
114 Kreuzabnahme (Ausschnitt). Ingeborgpsalter (fol. 5verso). – 115 Adam und Eva. Detail der Holzdecke von Sankt Michael in Hildesheim, um 1220. – 116 Christus am Kreuz. Gesticktes Königsfelder Antependium, Wien (?), um 1340/50. Bern, Bernisches Historisches Museum. – 117 Masolino, Adam und Eva, um 1428. Florenz, Santa Maria del Carmine, Cappella Brancacci. – 118 a Von Wissenloh mit Gattin und Sohn. Codex Manesse (fol. 299recto). – 118 b Christus als Kind zwischen Maria und Joseph.
272
Tafel 31
119
120 121
122
123 a
123 b
119 Reiterschlacht (Ausschnitt). Stickerei von Bayeux, England, um 1067–70. Bayeux, Musée de la Reine Mathilde. – 120 Ælfgyva und der Kleriker (VBI : VNVS : CLERICUS : ET : ÆLFGYVA) (Ausschnitt). Stickerei von Bayeux, England, um 1067–70. Bayeux, Musée de la Reine Mathilde. – 121 Heinrich von Morungen sieht seine Geliebte im Traum. Codex Manesse (fol. 76verso). – 122 Flucht nach Ägypten. Laon, Kathedrale, Fenster im Chor, kurz vor 1200. – 123 a Segnender Christus. Malerei auf Holztafel, Anfang 13. Jh. Sutri (Viterbo), Dom. – 123 b Verkündigung an die Hirten. Ingeborgpsalter (wie Abb. 15).
273
Tafel 32 Spiele
125
124
126 a
126 b
127
124 Schachspiel. Fragment eines Fußbodenmosaiks in San Savino, Piacenza, Kathedrale, letztes Drittel 12. Jh. – 125 Schachspiel. Carmina Burana. Aus Kloster Benediktbeuren, um 1225. München, Staatsbibliothek, clm 4660 (fol. 91verso). – 126 a und b Höfisches und bürgerliches Spielvergnügen, a Schachpartie im Baumgarten. Elfenbein (wie Abb. 36), b Albrecht Dürer, Kartenspieler. Augsburg, 1472. Aus: Wie der Würffel auff ist kumen. Nürnberg 1489. – 127 Pisanello, Skizzenblatt mit gewundenen Säulen. Louvre, Vallardi 2425 (fol. 216).
274
Tafel 33
Albrecht Dürer
128
130
129
131 133
132
128 Albrecht Dürer, Maximilian I. Holzschnitt, Nürnberg, um 1519. – 129 Maximilian I. als Weisskunig inspiriert Hans Burgkmair an der Staffelei. Holzschnitt, Augsburg 1514/16. – 130 Albrecht Dürer, Frauen, die während der Messe schwatzen, werden vom bösen Geist befallen. Aus: Der Ritter vom Turn. Von den Exempeln der Gotsfurcht und Erberkeit. Basel 1493 – 131 Albrecht Dürer, Teufel verführt Ritter zum Würfelspiel und Streit beim Spiel (Ausschnitt). Aus: Wie der Würfel auff ist kumen. Nürnberg 1489. – 132 Albrecht Dürer, Bauerntanz, Kupferstich, 1514. – 133 Diebold Schilling, Die nicht stattgefundene Jahreszeit, 1513.
Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise 1 GemischteTempera (a secco-) und Freskotechnik. Auftraggeber und Maler sind unbekannt. – > Carlo Bertelli, Non sarà Bosch, ma è un capolavoro. In: Corriere della Sera, Donnerstag, 1. Dezember 1988, S. 3. – Farbige Abb. des heutigen Zustands in: Maria Teresa Donati / Thea Tibiletti, L’abbazia di Chiaravalle (Guide Skira). Mailand 2010, S. 24, 33. Beschreibung der Handlung: S. 20–21. – Pressefoto 1988. 2 und 3 Archiv Fl. D. 4 a und b Die beiden Belege zeigen, dank der bravourösen Stoffbehandlung, wie sich im 12. Jahrhundert nicht vorwiegend in den Figuren, sondern in den begleitenden Details eine Sensibilisierung durchzusetzen beginnt und die Freude am Stofflichen offenbart. – Zur Deutung der Inschrift in Parma und die Bezeichnung antelami für Bauleute aus dem Valle d’Intelvi: > Cesare Gnudi in: Simson 1972, S. 343. – Fotos Walter Dräyer, Zürich. 5 Rückseite von Röhrich III/17. – >Röhrich III, S. 88–89, wo auch auf die Seltenheit verworfener Emailtafeln hingewiesen wird. Vgl. Swarzenski, Abb. 441 für einen Beleg, um 1160. Nach Röhrich III. 6 Ausschnitt; Röhrich III, S. 78; Abb. 32. – Dramatische Handlungen verlangen nach dramatischen Details: das rechte Bein Josephs verdreht sich, so daß die Fußsohle sichtbar wird. Der Zeigegestus des Bruders rechts in die Brunnentiefe beschleunigt den Sturz. – Archiv Fl. D. 7 Ausschnitt; Röhrich III, S. 83–84; Abb. 42. – Aus dem Kreis der zwölf (!) Apostel und Maria entschwindet Christus in den Wolken. Die Rückenfigur in der Bildachse – Petrus (mit Schlüssel) – wirft den Kopf so heftig zurück zurück, daß Stirn und Nase in Aufsicht von hinten erkennbar werden. – Archiv Fl. D. 8 Ausschnitt; Röhrich III, S. 87; Abb. 49. – Die zum Himmel gehobenen Arme versinnbildlichen das resurgere. Grabdeckel der horizontal dargestellten Gräber bersten in allen Richtungen und suggerieren durch Überschneidungen ein wirres und aperspektivisches Raumgefühl. – Archiv Fl. D. 9 Durchmesser 7,3 cm. Wahrscheinlich von einem weltlichen Kästchen. > New York 1970, Nr. 155 (mit Abb. eines verwandten Medaillons). – Foto MMA, Archiv Fl. D. 10 Textvorlage 1. Moses 18, 1–9. – Der Maler berücksichtigt folgende Einzelheiten: Abraham sieht die “Männer” und läuft ihnen «von der Tür seiner Hütte» entgegen. Er bückt sich jedoch nicht, sondern begrüßt sie im Demutsgestus mit vorgestreckten Händen. Der Titulus besagt: ... uit trois angeles et un aora. Der Baum spendet Schatten, «da der Tag am heißesten war». Abraham holt ein Kalb, das zubereitet zur Tafel getragen wird. Sara bringt Brote, denn er hatte sie gebeten: «Eile und menge drei Maß Semmelmehl, knete und backe
276 – Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise Kuchen.» Sie fragen, wo sein Weib Sara sei. Und er antwortet: «Drinnen in der Hütte.» Der sitzende Engel links stammt offensichtlich aus einer Grabesdarstellung: die auf den Tisch zeigende Rechte deutete in der Vorlage auf das leere Grab Christi.– Foto Fl. D. 11 Der Weg zur Opferstätte beginnt anzusteigen. Isaak schaut zum Vater auf und fragt: «pater ecce ignis et ligna. Ubi est uictima holocausti?» Die Anwort: «fili, deus prouidebit.» So lautet der in roter Farbe auf den Goldgrund geschriebene Wortwechsel. Abraham tauscht das Schwert mit einem Dolch aus. – Zur Ikonographie: RDK I, Sp. 84–88. Das X-förmige Holzbündel erinnert an die Kreuztragung Christi: so auch in der Bible Moralisée (z. B.: Oxford, Bodleian Library, ms. 270 b, fol. 15verso; Schapiro 1973, Abb. 2). – Für eine bescheidenere Inszenierung im gleichen Atelier: New York, PLM, Psalter, MS. 338, fol. 200verso. – Foto Fl. D. 12–15 Fotos Fl. D. 16 Der kniende Magier lüftet den Deckel seiner Gabendose, um dem Kind deren Inhalt zu zeigen (nach Matthäus 2, 11: «[...] taten ihre Schätze auf [...].»). – Foto Fl. D. 17 Das Massaker der Kinder ist die einzige tragische Darstellung im Psalter. Die Mütter weinen nicht. Die Dramatik kommt in den Akten der Soldaten zum Ausdruck: Durchstechen der Kinderkörper; Mutter mit dem Kopf ihres Sohnes; der Krieger, der zum Schlag ausholt. Trauer und Verzweiflung darzustellen, dies gelang auch in der Kreuzigungsdarstellung nicht: Johannes verdeckt sich die Augen (Deuchler 1967, Tafel XXIII). – Für die FluchtDarstellung > Vergleichsmaterial in: Deuchler 1967, Tafel LVI und hier Abb. 122. Die dritte dargestellte Person in Laon ist möglicherweise Salome, in der apokryphen Historia Josephi, c. 8 als Begleiterin genannt. – > Frugoni, S. 49–67 (Il linguaggio del dolore). – Foto Fl. D. 18 Foto Fl. D. 19 Bei der Magdalena-Episode handelt es sich um eine selten dargestellte Szene. Daher ist das Schriftband zur Kenntnisnahme und Erläuterung notwendig. Die Darstellung gehört zum Typus der Botenszene, der bis in die Antike zurückreicht (> Pauly I, Sp. 935–936 mit den klassischen Beispielen): Die Handlung findet nicht im gleichen Bühnenrahmen, jedoch zur selben Zeit statt. – Foto Fl. D. 20–21 Fotos Fl. D. 22 a und b «Teofilo sta compiendo i gesti essenziali del rito dell’omaggio» (Frugoni, S. 94 und Farbabb. 86). Vgl. die entsprechenden Darstellungen in den Glasfenstern von Laon: Deuchler 1967, Tafel LXII, Abb. 241/242. – Archiv Fl. D. 23 Archiv Fl. D. 24 David mit aufgelegtem linken Bein: «The protagonist in a situation of exaltation and glory» (Wormald). > John Plummer, The Glazier Collection of Illuminated Manuscripts. New York 1968, S. 22. – Francis Wormald, A Note on the Glazier Psalter. In: JWCI XXIII, Nr. 3–4, 1960, S. 307–308, Abb. 21 für den inhaltlichen Zusammenhang der Miniaturen. Farbige Abb.: Frugoni, Abb. 5. – Archiv Fl. D.
Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise – 277 25 Verdeutlicht vor allem die didaktischen Aspekte des Bauhüttenbuchs. Neben Skizzen und Einträgen für den persönlichen mnemotechnischen Bedarf geht es hier um die visualisierte Begleitung möglicher Gespräche mit Kollegen oder Schülern. Gedanke nach Gedanke wird iometri (Hahnloser, S. 256) als Methode vom gezeichneten Figurendiagramm begleitet. Anderswo sagt Villard: «Totes ces figures sunt estraites de geometrie» (ibid.).Wenn Hahnloser (S. 93) vermutet, es spiegelten sich hier «unsichere Versuche» wider, so dürfte man eher annehmen, daß es sich um ein rasch festgehaltenes Protokoll von diskutierten Körperstellungen handelt. Nach Hahnloser, Tafel 37. 26 «Ves ci desos les figures de la ruee d[e] fortune, totes les VII. Imagenes», konstruiert nach den schematischen Dreieckmustern, denen Villard unter dem Titel «li ars de iometrie» (Hahnloser, S. 11 und 92) ein Kapitel widmet (ibid., Tafeln 36–38). Nach Hahnloser, Tafel 42 (Ausschnitt). 27 a und b Nach Deuchler 1970, S. 54 und 116. – a wohl aus kompositionellen Gründen sitzt der Adler auf dem rechten Arm des Angesprochenen. 28 Das Beispiel belegt eine frühe, “eckige” Reaktion auf den Muldenfaltenstil. Zu vergleichen der Cuerden Psalter, fol. 10verso (PML, M. 756.) Abb. in: Ottawa 1972 II, S. 54. – Archiv Fl. D. 29 Anspielung auf Stand- und Spielbein. Christus greift nach dem Schleier der Mutter. Der Mantel beginnt den Körper zu überschichten. – Foto Walter Dräyer, Zürich. 30 Foto Walter Dräyer, Zürich. 31 Werk eines Nachfolgers von Claus Sluter. Die naturgegebenen Früchte der Landschaft dienen als Attribute heiliger Gestalten, denen man auf diese Weise für die Fülle an regionalem Überfluß dankt (> Frugoni, Abb. 189). Der Körper der Stehenden verschwindet völlig unter den üppigen Draperien (vgl. Abb. 30). – Foto Walter Dräyer, Zürich. 32 Liebespaar zu Pferd mit Begleitfigur. Nach Natanson, Nr. 43. 33 Bemerkenswert sind die Köpfe der Reittiere, die sich aus dem sonst üblichen Profil ( > Elfenbeine, Abb. 32) dem Betrachter frontal zuwenden (vgl. Abb. 83). Die Illustration gehört zu den zweifigurigen dialogisierenden Darstellungen mit begleitenden Tieren. – Nach Faksimile. 34 Für das Liebesmotiv der gegenseitigen Berührung am Kinn > Relief mit Liebesszene in den Schlußsteinen der Kathedrale in Lyon, 1. Drittel 14. Jh.: Karlinger 1927, Abb. 382. Das Elfenbein nach Natanson, Nr. 45. 35 Archiv Fl. D. 36 Nach Karlinger, S. 467. 37 Das Fragment ist nicht nur für die Inszenierung des Turniers von Interesse, sondern auch der Seitenszenen wegen. Hier sind Damen dargestellt, die ihren Reitern Helme reichen. So in der Manessischen Liederhandschrift (Schenk von Limburg, fol. 82verso. Ausschnitt in: Zürich 1991, S. 153). – Vgl. Abb. 47 und 70. – Nach Natanson, Nr. 46.
278 – Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise 38 Archiv Fl. D. 39 Archiv Fl. D. 40 Nach Natanson, Nr. 46. 41 Archiv Fl. D. 42 a Foto Fl. D. – b Nach Wieke Weiß, Bildmappe des Tristan-Teppichs, Walsrode o. J., nicht paginiert. Die sperrige Technik verhindert subtile Einzelheiten. 43 Erster Nachtragmeister. Schema der höfischen Herrscherinszenierung. Begleitpersonen in verschiedenen Bedeutungsgrößen. 43–70, 74–83, 102, 118 a, 121 Nach Faksimile. 45 Schema: Hauptperson mit dienenden Nebenpersonen. Der blinde Dichter diktiert einer Gehilfin (mit Banderole) und einem Schreiber (mit Wachstäfelchen in Form eines Diptychons). – Thematisch nicht zu verwechseln mit “Schreiber-Stuben”, wie auf fol. 362recto (Rudolf der Schreiber). 46 Gruppenschema. Das Fehlen eines Wappens deutet auf bürgerliche Herkunft .«In der lebhaften Anteilnahme der Hörer, ihrem Staunen, ja ihrer Bewunderung spiegelt sich des Malers Kenntnis von dem Ruhm» des Dargestellten wider (Naumann, S. 45), denn er ist “Meister” und daher hochgebildet. «Möglich, daß es sich um die fünf von Gottfried mit Namen angegebenen zeitgenössischen Dichter handelt (Hartmann, Bliker, Veldeke, Reinmar, Walther), mit denen er sich in seinem Tristan stilkritisch auseinandersetzt» (ibid.). 47 Grundstockmeister. Paar-Formel mit Attribut (Pferd). Thema ist die Übergbe des Helms als Liebesgabe. Die hier wiedergegebene Frauengestalt zeigt das Können des Malers, der seine Figur nach französischen Vorbildern formt. Vergleiche liegen in den Mantelwürfen von Mariendarstellungen (Fontenay, Abb. 29). Nach westlichem Muster finden sich in der biegsam geschwungenen Achse der ungegürtete Rock mit großen Schüsselfalten und seitlichen Rahmenfalten. > Deuchler 1970, Abb. 89, 98 (um 1290/1300), 100, 110 (um 1325). 48 a und b Zweifigurenschemata mit Hauptperson und untergeordnetem Gesprächspartner. Der Autor, in Gestalt eines weisen Ritters, belehrt seinen Sohn vielleicht über höfische Zucht und Sitte. In der Miniatur hört der Jüngling in ruhender Stellung der Aufzählung der Tugenden zu, die der Vater an den Fingern abzählt. 49 Das weibliche Gegenstück zum Lehrgedicht des Winsbeken. «Die Manessische Liederhandschrift enthält nicht nur Minnelieder, sondern auch zwei ritterliche Lehrgedichte zum Nutzen der Jugend. Die Mutter mit dem Gebende thront wie eine Königin und erteilt ihrer Tochter gutgemeinte Ratschläge Aus den lebhaften Handbewegungen geht hervor, daß die beiden nicht gleicher Meinung sind» (Klaus DeuchlerI, S. 12). 50 Eine der seltenen Einfigurendarstellungen mit Nebendarstellern. Bemerkenswert ist die Harfenspielerin auf der Zinne. Die Harfe erscheint im CM nur hier.
Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise – 279 51 und 52 Die Dynamik des Zusammenpralls der Ritter unterstreicht der Lanzenbruch. Zu beachten ist die Fingersprache der assistierenden Damen, die zwischen Schrecken, Trauer sowie anerkennender Freude das übliche Bewegungsrepertoire der Händesprache in Anspruch nehmen. In der Tjost-Darstellung des Albrecht Marschall von Rapperswil (fol. 192verso) zersplittert die Lanze in mehrere Stücke (Abb. 52). 52 Der Zusammenprall der beiden Reiter war so heftig, daß jener rechts mit dem Fuß aus dem Steigbügel gleitet und den Helm verloren hat; die Lanze des Siegers bricht und wirbelt durch die Luft. Der Sinn der beiden zwerghaft wirkenden und gestikulierenden Figuren unten links konnte nicht überzeugend gedeutet werden. Fünf Damen, teils musizierend, begleiten und deuten den Kampf. 53 Die Handstellungen der vier Damen auf der Zinne reflektieren das Geschehen pantomimisch in Zeichensprache. – Farbige Abb. in: Magdeburg 2009, Essays, S. 272. 54 Einfigurenschema mit stark verkleinerter Begleitperson. 55 Die Pferde weisen an den Hinterbeinen besonders deutlich die auf S. 25 besprochenen Anomalien des zusätzlichen Gelenkes auf. 56 Das Wildschwein wird mit einem Dolch niedergestochen. Den zweckmäßigeren Sauspieß trägt der auf eine Eiche geflüchtete Jagdhelfer mit sich. Dramatik pur, die jedoch unter dem Druck künstlerischer Beschränkungen nicht durchbricht und bilderbuchhaft wirkt. 57 Gruppenschema mit hervorgehobener, stehender Hauptperson. 58 Dreipersonenschema. Es handelt sich vielleicht auch um ein Wurf- oder Kegelspiel. 59 Auffallend sind die ovalen Steine, die offenbar gut auf Stoßhand, Arm und Schulter aufliegen; man begegnet ihnen bereits in der Antike (Schale des Panaitios in Boston, um 495: Buschor 1940, S. 153). 60 Der Markgraf (1266–1309) beim Schachspiel mit seiner Dame. – Zur Farbe der Schachfiguren und der irrtümlichen Größe des Bretts siehe Anm. 185. – Wie in Abb. 43 weisen die Musiker mit Businen, Trommel und Dudelsack auf Gönnerschaft und Schutz hin, die Otto den Spielleuten gegenüber gewährte. Die wie verdreht wirkenden Füße der Businenbläser besagen, daß sie sich mit dem Körper hin und her schwingen. 61 Die Handbewegungen deuten auf Meinungsverschiedenheiten hin. Auf architektonische Kulissen wird verzichtet. 63 Fol. 22verso. Die Turmtür ist fest verschlossen. Beschläge für die Angeln fehlen (vgl. fol. 261recto). Außerdem ist sie tiefrot. Die Farbe hat hier Signalwirkung: kein Zulaß. 64 Die ausgefallene Weise, den Söller der Dame in einem von ihr hochgehievten Faß (Zuber) zu erreichen, läßt vermuten, daß es sich um eine Anspielung auf ein (mißlungenes?) Abenteuer im Leben des Dargestellten handelt. > Zürich 1991, S. 68–70.
280 – Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise 65 Übereinstimmung wird durch Handschlag signalisiert. 67 Seltenes Vierfigurenschema. 68 Farbige Abb. in: Zürich 1991, S. 98. 71 Vermutlich ist der Maler, mit andersgearteten Vorlagen, auch für den umfangreichen Apokalypse-Zyklus verantwortlich. – Foto Fl. D. 72 Foto Fl. D. 73 The Cloisters-Apocalypse, Coutance (?), um 1320. New York, The Cloisters. – Foto Fl. D. 74 Für die Bildtradition: > Abb. 108. 75 Einziger Beleg für eine Seite mit zwei übereinanderangeordneten Szenen. Die obere entzieht sich einer Erklärung. Unten nähert sich Meister Johannes als Compostela-Pilger (die Muscheln am Hut deuten darauf) seiner Dame. 76 Die Dame ist vor die Schloßtür getreten und prüft die angebotene Ware des als Händler verkleideten Liebhabers. Ihr Interesse gilt den Gürteln. 78 Farbige Abb.: Zürich 1991, S. 132. – Die Schilderung der Liebesleiden geht in der Dichtung bis auf den Hellenismus zurück. Das literarische Aufdecken der Wunden geht oft topisch zusammen mit Waldeinsamkeit und Irren im Walde. 79 Reinmar spielt auf einer mit vier Saiten bespannten Fidel zum Tanz auf. Das junge Mädchen bewegt sich, bis in die Fingerspitzen der Musik folgend, im Beisein einer Dame, von der man vermuten könnte, daß sie die Bewegungen kommentiert oder mit ihrer Linken den Takt angibt. > Zürich 1991, S. 284. – Die Architekturkulisse ist, wie auch in Abb. 81, auf drei gotisierende Spitzbogen reduziert. 80 Kombination von Hauptperson und Gruppe. 81 Die einzige der Musik gewidmete Miniatur des Grundstockmeisters. Das effeminiert wirkende Männertrio übernimmt Motive aus der Zuschauerzinne der Meister RumslantSeite (fol. 413verso). In beiden Miniaturen verbindet die Darstellenden rhythmisch der gemeinsame Taktschlag, der zu tänzerisch anmutenden Bewegungen auffordert. 82 Der Minnesänger, aus dem Gebiet des Thunersees stammend, tanzt mit seiner Dame; musikalische Unterstützung fehlt. Die schwingende Bewegung ist subtil im Rock des Mannes wiedergegeben. Heinrich stellt sich auf die Fußspitzen, um sich besser drehen zu können. Mit den schnippenden Fingern versucht das Paar, im Gleichtakt zu bleiben. – Auf Kulissen wird ganz verzichtet. 83 Die Miniatur gehört zu den wenigen Beispielen, die sich unmittelbar auf einen Text beziehen. Bruno von Hornberg dichtete: «Mîner frouwen minnestricke / hant gebunden mir den lîp.» Der Maler setzt das Motiv ins Bild um und zeigt den von der Liebe Gefangenen, wie
Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise – 281 er sich von seiner Dame zu Pferd widerstandslos die Hände binden läßt, ja geradezu um diese Fessel bittet. 84 Ganzes Fresko (nach der Restaurierung) abgebildet in Antonio Caleca / Gaetano Nencini / Giovanna Piancastelli, Pisa – Museo delle Sinopie del Camposanto Monumentale. Pisa 1979, S. 48, 53. – Foto vor der Zerstörung. 85 Foto Martin Hürlimann. 86 Foto Fl. D. 87 Foto Fl. D. 88–98 © 2013. Foto Scala, Firenze – su concessione Ministero Beni e Attività Culturali. 88 Januar. Im Hintergrund ist «mit minutiöser Liebe zum Detail Castel Stenico wiedergegeben» (Wundram, S. 482), das den Erzbischöfen von Trient gehörte. Zwei Jäger, einer mit erbeutetem Hasen. 89 Februar. Szene durch das Fenster stark beschnitten. Unten Schweineschlachten, oben Turnierszene. 90 April. Fast ausschließlich dem Beginn der Feldarbeiten vorbehalten (Pflügen, Aussaat). Der Frühling schenkt eine Fülle von Blüten und Pflanzen. 91 Mai. Das ganze Bildfeld gehört prioritär höfischen Vergnügungen. Mehrere Paare unterhalten sich sitzend, kniend sowie schreitend in der sprießenden Natur. Einge der Damen tragen Krönchen, was zur Vermutung führt, es könnte sich um Dialogspiele handeln, die historische Liebespaare heraufbeschwören. Die Leuchtkraft der Blumen nimmt noch zu. 92 Juni. Ländliche Spaziergänge höfischer Paare, begleitet von fünf Musikern. Im Hintergrund Bauern mit der Heuernte, Weide- und Viehwirtschaft beschäftigt. Falkner. 93 Juli. Rechte Schmalwand, Bauern bei der Arbeit: Fischfang, Jagd und Heuernte. Falkner. 94 August. Damen und Herren ziehen zur Falkenjagd aus, Erntearbeiten im Hintergrund. 95 September. Eingangsseite. Ausritt zur Falkenjagd – Feldarbeiten. 96 Oktober. Traubenernte. 97 November. Bärenjagd. Die Stadtansicht greift auf das Dezemberfeld über. 98 Dezember. Landbevölkerung bringt Brennholz in die Stadt. Der gotische Charakter der Architektur könnte die Annahme nördlicher Einflüsse begünstigen. 99 Atelier des Malers Nicolás Francés, um 1450, Detail (Innenseite) des Retabels der Capilla del Contador Saldaña. Nach Sanchez Canton 1964, Tafel 31. – Vgl. Gaspar / Lyna, Tafel XVI.
282 – Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise 100 Nach Nicolò Rasmo, Castelroncolo. Bozen 1975, Abb. 18. 101 Stark beschädigt, von der Lokalforschung irrtümlich Niccolò di Segna zugeschrieben. Malerei in situ, zur Ausstattung des Palazzo gehörend (ehemalige Schlafkammer). – Foto Fl. D. 102 Wohl Anspielung auf das lindernde “Maibad” (Zürich 1991, S. 67–68; farbige Abb.: ibid, S. 88). 103 Sogenannter Meister Antons von Burgund (tätig zwischen 1460 und 1490). Für Anton von Burgund bestimmt. Nach Winkler 1925, Tafel 45. 104 c Aus dem Ritter vom Turn, Basel, bei Michael Furter, 1493. – Archiv Fl. D. 105 Der Vergleich mit dem Glasfensterfragment in Princeton (Abb. 23) erinnert an eine Rahmenform, die seit der Antike eine kompositionelle Herausforderung für den Gestalter bedeutet: das kreisrunde Medaillon. Sie zwingt, wenn als Aufgabe aktiviert, zu keinem durch Abgrenzungen erforderten oben oder unten, sondern bekommt erst auf Grund des Inhaltes eine fixierte Stellung; das Kaleidoskop hält inne. Der Autor der Münze zeichnet eine Standlinie ein – so oft auch in der Vasenmalerei als Behelf verwendet – und benutzt nicht den gerundeten Rand. Sie verleiht dem Helden Standfestigkeit; die zurückwirkende Stellung wird durch das Kreisrund erfordert. – Archiv Fl. D. 106 Römische Kopie nach einer älteren, wahrscheinlich hellenistischen Skulptur, 1. Jh. v. Chr. Seit dem Mittelalter bekannt. > Grabplatte Erzbischofs Friedrich Graf von Wettin, um 1152 im Magdeburger Dom (vielleicht als Symbol für das Heidentum: Farbabb. in: Magdeburg 2009, S. 341). > Werner Fuchs, Der Dornauszieher. Bremen 1958 (= Opus nobile 8). Die Bronzestatue des sitzenden Jünglings, der seine linke Fußsohle von einem Dorn befreit (Höhe 73 cm. Rom, Konservatorenpalast.). – Archiv Fl. D. 107 Foto Fl. D. 108 Heinrich von Veldeke, Eneasroman. Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 282, fol. 39recto. In der oberen Bildhälfte betrügt Venus ihren Mann Vulkanus mit Mars. Im unteren Ausschnitt wird die Rüstung für Eneas gefertigt. Das weich fallende Kettenhemd illustriert wohl die Zeilen in Veldeke 5680–5681: daß sich der Träger in dieser Rüstung bewegen konnte wie in Leinen gehüllt (als in [einem] lînînem gewant). – Ganze Seite farbig in: Naumburg 2011 I, S. 255. – Archiv Fl. D. 109 Aus dem Schnitzaltar des Jacques de Baerze, 1390 von Philipp dem Kühnen für die Kartause in Champmol bestellt. Motivisch bemerkenswert: die gefaßte Quelle, Joseph, der seinen Durst stillt. Weitere Literatur zu Champmol: Cartellieri, S. 23–36. – > Dijon 2004, S. 165–236. – Foto Walter Dräyer, Zürich. 110 Straßennetze anlegen und ausbauen gehört noch stets zu den Prioritäten eines Landesherrn. Seit den Römern hatte die cura viarum Priorität. Hier geht es um den Hennegau, durch den die Waren aus den Seehäfen ins Binnenland transportiert werden. – Archiv Fl. D.
Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise – 283 111 Vorne links im Bild werden den gefallenen Römern die Fingerringe abgestreift und als Beute in Fässern gesammelt. Die Niederlage im Zweiten Punischen Krieg bei Cannae 216 war die schwerste der römischen Geschichte. Jeder der unzähligen Ringe steht für einen überwältigten Gegner. Die literarische Quelle ist mir nicht bekannt (Valerius Maximus?). – Archiv Fl. D. 112 Ganze Folioseite in: Brüssel 1959, Tafel 24. – Ähnlich angelegt ist die Geschichte von Susanna und den Alten (ibid. I, fol. 79recto. Abb: Gaspar / Lyna, Tafel VI). – Archiv Fl. D. 113 Das Thema des vom Teufel bedrohten Malers, der im Begriff ist, ein Marienbild zu vollenden und von diesem auf wunderbare Weise vor dem diabolisch provozierten Fall errettet wird, ist mehrfach überliefert. «[Als der Maler] einst in großer Höhe auf dem Gerüste stand und die selige Jungfrau in aller Pracht malte, erschien der Teufel an seiner Seite und stellte ihn zur Rede und befahl ihm, er solle ihn nicht mehr derartig verhöhnen. Der Maler jedoch weigerte sich. Da riß der Teufel das Gerüst, auf dem er hoch oben stand, um, denn er wollte, daß der Maler herabstürzte und zerschmetterte. Dieser aber rief in jenem Augenblicke unsere himmlische Herrin an, und das Bild, das er gemalt hatte, streckte seine Hand aus und hielt ihn so lange, bis man Leitern gebracht hatte und er unverletzt herabsteigen konnte» (Klapper 1914, S. 66). – Archiv Fl. D. 114 Ganze Seite: Deuchler 1967, Abb. 5. Auch hier ist die Brustpartie graphisch deutlich vom Unterleib abgesetzt. Die Bauchmuskulatur oberhalb des Nabels geben ein vertikaler Schatten und drei astartig sich verzweigende Kreissegmente wieder. Die Darstellung der Arm- und Beinmuskulatur folgt den gleichen Schemata. – Foto Fl. D. 115 Archiv Fl. D. 116 Auffallend im Vergleich mit den hier zusammengestellten Bildbelegen ist die Herausarbeitung des Brustkorbs sowie der gebogenen Rippen, die dem Körper ansatzweise ein Volumen sichern. Ursprünglich für den Hochaltar des Klosters Königsfelden bestimmt. Für die Lokalisierung des Ateliers und den zeitlichen Ansatz: Maurer 1954, S. 279 und abwägend S. 290–295. – Nach Maurer ibid., S. 291. 117 Dem Maler gelingt, was die Wiedergabe des Körperbaus der beiden Figuren anbetrifft, insofern ein Schritt in Richtung Natürlichkeit, als die muskulöse, ja athletisch wirkende Anatomie Adams sich deutlich von der weicheren und rundlicheren Evas unterscheidet. – Foto Fl. D. 118 b Detail aus einem Gebetbuch. Köln um 1330. Hannover, Kestner-Museum, Inv.Nr. WM. Ü 22. – Archiv Fl. D. 119 Archiv Fl. D. 120 Die Szene ist nicht gedeutet; > S. 78 und Anm. 165. Nach Gibbs-Smith, Tafel 12. 122 Flucht nach Ägypten. Glasfenster im Chor, Laon, Kathedrale, kurz vor 1200. Vgl. die Fassung im Ingeborgpsalter (Abb. 17). – Foto Fl. D.
284 – Notate zu den Abbildungen und Bildnachweise 123 a Das prekär erhaltene Werk ganz abgebildet in: Oertel, Abb. 13. – > Hellmut Hager, Die Anfänge des italienischen Altarbildes. Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des toskanischen Hochaltarretabels. München 1962, S. 35. Siehe unsere Anm. 46 für die Verbreitung des Handgestus. – Archiv Fl. D. 123b Ausschnitt aus Abb. 15. Auf eine spezielle Vorlage deutet auch die seltsame Kleidung des Hirten: kurzer Rock, Kapuzenmantel, um die Hüfte geschlungenes Tuch – eine Kombination, die im Psalteratelier nur hier in Erscheinung tritt. – Foto Fl. D. 124 Nach William L. Tronzo, Moral Hieroglyphs: Chess and Dice at San Savino in Piacenza. In: Gesta XVI/2, 1977, S. 15–26. 125 Die eingeschriebene Titelzeile lautet: Qui vult egregiu(m) scachor(um) nosce(re) ludu(m). – Aus Kloster Benediktbeuren (Oberbayern). – Archiv Fl. D. 126 b Aus Meister Ingolds Guldin spiel. Gedruckt bei Günther Zainer in Augsburg 1472/73. – Archiv Fl. D. 127 Nach George F. Hill, Drawings by Pisanello. New York 1965, Tafel XLVII, Nr. 53. 128–132, 134, 135 Archiv Fl. D. 129 Der Text erklärt: Weisskunig sagt, was zu malen ist («in angebung des gemelds»). Der Kaiser ist unbemerkt von hinten an den Maler herangetreten und legt ihm die Hand auf die Schulter: ein auf die Antike zurückgehender Inspirationsgestus. > Deuchler 1983, S. 147. – Archiv Fl. D. 131 Holzschnitt. Gedruckt bei Max Ayrer in Nürnberg 1489. – Archiv Fl. D. 133 Die Schweizer Bilderchronik des Luzerners Diebold Schilling 1513 (1507–1513). Die nicht stattgefundene Jahreszeit und die Folgen des Erdbebens. – Nach Faksimile. N. B. Da es sich bei den Bildvorlagen um teils alte Fotografien handelt, war es nicht überall möglich, allfällige Rechteinhaber ausfindig zu machen. Berechtigte Ansprüche werden im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.
Nachwort und Dank
Auf der Suche nach einem Darstellungsmodus, der den behandelten Materialien eine Chance einräumt, verstanden zu werden, habe ich mich keiner “Fachsprache” bedient und, wie Johann Georg Sulzer es ausdrückte, keine Kunstwörter verwendet. Denn «[...] ein schlimmer Mißbrauch der Kunstsprache wird von denen gemacht, die in Schriften, die nicht für Liebhaber und Kenner der Kunst, sondern für alle Leser überhaupt geschrieben sind, in der Kunstsprache reden, und dadurch unverständlich werden» (Sulzer III, S. 89); und: alle Leser im Blick zu haben war auch im vorliegenden Fall die gewünschte Optik. So erklären sich die ausführlichen Register. Mehrfach habe ich auf das aufklärerische Urteil des Winterthurers zeitlich vorgegriffen, da seine Formulierungen zu den Kernthemen dieses Buches bisweilen außerordentlich modern wirken, auch wenn er mit der Gotik nicht viel anzufangen vermochte,1 – obgleich er mitten in der «period of the turn toward Gothic» (Frankl 1960, S. 415–488) stand, zu dem ja Goethes Aufsatz von 1772 über das Straßburger Münster gehört. ❧ Trotz der oft beklagten materiellen Verluste, die ein Gesamtbild verhindern, zumindest beeinträchtigen, sollen doch zu guter Letzt noch Werke genannt werden, die unsere Zeitspanne betreffen und in den letzten Jahren als beachtliche Entdeckungen neu dazu gekommen sind. Ich nenne, neben den bereits erwähnten Bildern des Colart de Laon (Madrid, Prado) und dem “neuen” Malouel (Paris, Louvre), vor allem die bedeutende, doch in Vergessenheit geratene Schutzmantelmadonna in Puy-enVelay (Musée Crozatier), die von Hélène Millet und Claudia Rabel erneut in die Literatur eingeführt worden ist.2 ❧ Bestimmend für meine ikonischen Neigungen waren bereits in den frühen Schweizer Jahren die Impulse, Gespräche, Seminare und Vorlesungen von Erwin Gradmann, Peter Meyer, Arnold von Salis und Emil Maurer in Zürich, dann von Andreas
Siehe zu Sulzers Ästhetik vor allem Dobai, 1978, für die Zusammenhänge siehe Frankl, 1960, S. 417 ff. 2 Millet / Rabel 2011. 1
286 – Nachwort und Dank Alföldi, Otto Homburger, Wilhelm Stein, Fritz Strich, Michael Stettler und Eduard Hüttinger in Bern. In der Bibliographie erwähne ich jene Schriften, die mich begleitet haben und denen ich mich anvertraute. Es sind oft Veröffentlichungen aus der Generation meiner Lehrer und Mentore. Ich nenne Ernst Robert Curtius, dem ich als Student noch in Rom begegnet bin; Herbert von Einem, meinen Doktorvater; Günter Bandmann; Louis Grodecki, Marcel Durliat, Otto Pächt und Francis Wormald, die mich in Frankreich und England freundschaftlich förderten. In Rom waren es vor allem Wolfgang Lotz, Richard Krautheimer, Carlo Bertelli und Gerhart B. Ladner; in Wien Gerhard Schmidt. In New York nenne ich Richard Ettinghausen, Carl Nordenfalk, John Plummer, Meyer Schapiro, Walter Horn (Berkeley) und Hanns Swarzensky (Boston), denen ich mich verbunden fühle. Unter den Altersgenossen nenne ich mit Dank vor allem Charlotte Lacaze (Paris), die das Manuskript einer nochmaligen kritischen Lektüre unterzog und mir entgangene Literatur beschaffte; Mechthild Flury-Lemberg (Bern), Klaus Lemberg (Hamburg) und Erkinger Schwarzenberg (San Casciano in Val di Pesa). Charles Daudon (Paris) überprüfte die französischen Zitate. Dagmar von Erffa (München) transportierte nicht nur Bücher, sondern auch Ideen von Deutschland nach Italien. Beatrix Bürklin (Madrid), Katja Richter (München) und Johannes Nathan (Berlin) lasen oder hörten Teile der Manuskripte, signalisierten Literatur, erleichterten Kontakte und stellten Fragen. Mein Bruder, der Zoologe Klaus Deuchler (Kilchberg / Zürich), trug bedenkenswerte Anregungen zur Manessischen Liederhandschrift bei. Meiner Schwester Martina Deuchler, der Koreanistin (London / Zürich), verdanke ich entscheidende methodische Gedanken zur Gestaltung eines vielschichtigen Textes. Meine Frau, Karin Deuchler-Gernsheim, hielt mir, laut bewährter Formel, den sogenannten Rücken frei. Flavia Deuchler (Mailand) half bei der Erstellung der Abbildungen. Rufus Deuchler (Impruneta), zusammen mit Livia Solms-Deuchler (Impruneta), nahmen die väterlichen Computer unter ihre Fittiche. Rufus Deuchler ist ebenso für die sensible Gestaltung des Bandes verantwortlich; im Kollektiv haben sie mitgeholfen, ausgetretene Treppen zu meiden. Ihnen allen, Musen, Helfern und Fachkollegen, gilt der Dank, denn, wie man an dieser Stelle üblicherweise ebenfalls zu schreiben pflegt: Ohne ihre zuvorkommende Hilfe wäre dieses Buch nicht zustande gekommen; in der vorliegenden Veröffentlichung stimmt die Floskel sogar. San Lorenzo a Colline, Impruneta (Florenz) Florens Deuchler
Der Autor, 1931 in Zürich geboren, studierte Klassische Archäologie, Alte Geschichte, Musikwissenschaft sowie Kunstgeschichte in Bern, Zürich und Paris, in der französischen Provinz, London und Bonn (Doktorat 1956; Dissertation über Die Glasfenster der Kathedrale von Laon). Musikalische Schulung (Klavier, Cembalo, Bratsche) an den Konservatorien in Zürich, Bern und privat in Amsterdam. Assistent in Bonn (Herbert von Einem) und Rom (Bibliotheca Hertziana, Wolfgang Lotz), Habilitation in Zürich bei Gotthard Jedlicka (Die Burgunderbeute). – Berufung zum Chairman, Medieval Department and The Cloisters, The Metropolitan Museum, New York (Der Ingeborgpsalter; The Year 1200). Professur am Institute of Fine Arts, New York University, dann Ruf als Ordinarius für mittelalterliche Kunstgeschichte nach Genf (Herausgabe der Ars Helvetica; Konrad Witz; Gründungspräsident der Vereinigung Schweizer Kunsthistoriker; jetzt Vereinigung der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in der Schweiz). – Direktor des Istituto Svizzero in Rom. – Gastvorlesungen in Frankreich (Toulouse), England (Norwich), Italien (Pisa, Salerno) sowie in der Schweiz (Basel, Zürich und Lausanne), in den USA (Princeton, Berkeley) und Kanada (Toronto). – Schwerpunkte der Veröffentlichungen: französisches Mittelalter (Glas- und Buchmalerei), burgundische Hofkunst (Tausendblumenteppich), Trecento in Siena (Duccio), klassische Moderne (u. a. Feininger; Dix; Stichjahr 1912; zum “alten Stil” in der Musik des 20. Jahrhunderts) und malende Zeitgenossen (u. a. Jean Tinguely, Fritz Baumgartner, Yan Pei-Ming) sowie Picasso-Graphik. – Seit 1966 immer wieder Aufenthalte sowie sabbatical leaves auf dem schwiegerelterlichen Gut in Italien; 1996 dauerhafte Übersiedlung nach San Lorenzo a Colline, Impruneta.