241 103 6MB
German Pages 642 [661] Year 2014
Spätmittelalter, Humanismus, Reformation Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation herausgegeben von Volker Leppin (Tübingen) in Verbindung mit Amy Nelson Burnett (Lincoln, NE), Johannes Helmrath (Berlin) Matthias Pohlig (Münster), Eva Schlotheuber (Düsseldorf)
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Ueli Zahnd
Wirksame Zeichen? Sakramentenlehre und Semiotik in der Scholastik des ausgehenden Mittelalters
Mohr Siebeck
Ueli Zahnd, geboren 1979; Studium der Ev. Theologie und Philosophie in Bern, Paris und Genf; 2012/13 Promotion in Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau; derzeit Assistenzprofessur für Geschichte der mittelalterlichen Philosophie an der Universität Basel.
Zugl.: Dissertation, Universität Freiburg i. B., 2012/13. ISBN 978-3-16-153116-3 / eISBN 978-3-16-158618-7 unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISSN 1865-2840 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und V erarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 von der Philosophischen Fakult¨at der Albert-Ludwigs-Universit¨at Freiburg im Breisgau unter ihrem jetzigen Titel als Dissertation angenommen und im Herbst 2013 mit dem Wetzsteinpreis f¨ur Philosophie ausgezeichnet. F¨ur die Drucklegung ist das Manuskript nur geringf¨ugig u¨ berarbeitet worden. Die Anf¨ange meiner Besch¨aftigung mit den wirksamen Zeichen“ liegen ” mehr als zehn Jahre zur¨uck, als ich mich anl¨asslich eines Studienjahrs in Paris f¨ur Paul Ricoeurs Umgang mit der parole performative“ zu interessieren ” begann und zugleich durch Alain de Libera angeregt wurde, nach historischen Vorl¨aufern zeitgen¨ossischer Theorien zu fragen. Daraus erwuchs mein Interesse an Vorformen der modernen Sprechakttheorie; Ende 2007 wurde ich mit einem Projekt zur Denkbarkeit performativen Sprechens in ausgehendem Mit” telalter und Fr¨uher Neuzeit“ ins Promotionskolleg Lern- und Lebensr¨aume“ ” der Internationalen Graduiertenakademie der Albert-Ludwigs-Universit¨at Freiburg aufgenommen. Aus dem urspr¨unglichen Großprojekt, die performativen Modelle von Magiediskursen bis zu Rhetoriktheorien im Zeitraum von 1370 bis 1620 nachzuzeichnen, kristallisierte sich nach und nach die scholastische Diskussion um die Sakramentalzeichen als vielversprechendstes und zugleich bew¨altigbares Themenfeld heraus. In f¨unf intensiven und bewegten Jahren ist so das vorliegende Buch mit seinem sp¨atmittelalterlichen Fokus entstanden. Dieses Buch w¨are nie geworden, was es ist, ohne die Betreuung und bisweilen aufopfernde Unterst¨utzung einer Vielzahl von Personen. Es ist mir daher viel mehr Freude als Pflicht, all jenen zu danken, die zum Gelingen des Buchs beigetragen haben. Mein Dank gilt zuallererst Herrn Prof. Dr. Maarten J.F.M. Hoenen, der sich bereits im Vorfeld meiner Bewerbung in Freiburg bereit erkl¨arte, das Projekt im Rahmen der Philosophiegeschichte zu begleiten, und der sich dann weit u¨ ber die Pflichten eines Doktorvaters hinaus als bereitwilliger Gespr¨achspartner, kritischer Leser, geschickter Vermittler und verst¨andnisvoller Betreuer erwies. Mein Dank gilt ebenso meinem Zweitbetreuer, Herrn Prof. Dr. Burkhard Hasebrink, der die Arbeit nicht nur von Anbeginn an mit großem Interesse begleitete, sondern mich immer wieder (und hoffentlich mit einigem Erfolg) auch dazu anregte, den Blick von den einzelnen Handschriften zu l¨osen
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Vorwort
und auf die gr¨oßeren Zusammenh¨ange zu richten. Mein aufrichtiger Dank gilt zudem Frau Prof. Dr. Irena Backus (Genf), die urspr¨unglich als externe Betreuerin vorgesehen war, wegen institutioneller Barrieren schon fr¨uh davon absehen musste, dennoch aber die ganze Zeit u¨ ber mit fundierten Ratschl¨agen und stets gewinnbringenden Hinweisen dem Projekt zugetan blieb. Danken m¨ochte ich schließlich Herrn Prof. Dr. Peter Walter, der in k¨urzester Zeit ein ebenso wohlwollendes wie fundiertes Drittgutachten zur vorliegenden Arbeit erstellt hat. Zahlreiche weitere Menschen und Institutionen haben die Durchf¨uhrung dieses Projekts und die Entstehung des vorliegenden Buchs erm¨oglicht. Mein Dank gilt insbesondere der Graduiertenf¨orderung des Landes Baden-W¨urttemberg, deren Stipendium mir w¨ahrend vier Jahren erlaubt hat, mich auf die vorliegende Arbeit zu konzentrieren; danken m¨ochte ich aber auch Herrn Prof. Dr. Michel Grandjean, der mir im ersten Jahr meiner Genfer Assistentenzeit den Freiraum gelassen hat, die Arbeit zu Ende zu f¨uhren. Zu großem Dank bin ich den Herausgebern der Reihe Sp¨atmittelalter, Humanismus, Reformation verpflichtet; Prof. Dr. Volker Leppin und Prof. Dr. Johannes Helmrath haben mit wohlwollenden Gutachten eine Aufnahme erm¨oglicht. Mein Dank gilt aber auch dem Verlagshaus Mohr Siebeck und Herrn Dr. Henning Ziebritzki sowie Frau Jana Trispel, die in unkomplizierter und speditiver Art die Erstellung des Drucksatzes begleitet hat. Dem Stifter des Wetzsteinpreises f¨ur Philosophie, Herrn Thomas Bader (†), verdanke ich schließlich eine nicht unbetr¨achtliche Entlastung der Druckkosten. Kaum in Worte fassen l¨asst sich mein Dank meiner Familie gegen¨uber, zuerst meinem Vater, Prof. Dr. Urs Zahnd, der das Projekt von Anfang an mit Leidenschaft verfolgte, stets helfend einzuspringen bereit war, immer ein offenes Ohr f¨ur inhaltliche Diskussionen hatte und dank seiner akribischen Lekt¨ure des Manuskripts manchen Schreibfehler und manche ungl¨uckliche Formulierung zu vermeiden half. Mein tiefer Dank gilt schließlich meiner Frau Bettina, die die ganze Zeit hindurch w¨ahrend meiner vielen geographischen und mehr noch gedanklichen Abwesenheiten stets f¨ur mich da war, mich tatkr¨aftig unterst¨utzte und mir auch immer wieder den R¨ucken freihielt und damit entscheidend dazu beitrug, dass trotz laufendem Projekt Familie das vorliegende Projekt ein Ende gefunden hat. Meiner Familie widme ich dieses Buch. Bern, am 1. April 2014
Ueli Zahnd
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Verzeichnis der Schemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI Verzeichnis der Abk¨urzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Verzeichnis textkritischer Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII
Kapitel 1: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Die Verstrickung zweier Disziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Die historische Stellung der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Die systematische Reichweite der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Der Stand der bisherigen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Zum Vorgehen der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Teil I
Zwischen Traditionalismus und Reform: Abgrenzungen des 15. vom 14. Jahrhundert Kapitel 2: Hinf¨uhrung: Das Pro¨omium zur Melker Lectura des Nikolaus von Dinkelsb¨uhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Kapitel 3: Jean Gerson und die vermutete Herkunft eines schlechten Stils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.1 3.2
Gersons De duplici logica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Das Pariser Artistenstatut vom 29. Dezember 1340 . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 4: Subtilitates anglicanae und die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.1 4.2 4.3 4.4
Die Pariser Sentenzentradition nach 1340 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Englische Vorl¨aufer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pariser Vorl¨aufer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Traditionalismus des Thomas von Straßburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 59 61 63
Kapitel 5: Doctores signorum und die Zeichenlehren des 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5.1 5.2 5.3
Das 1340er Statut und die materia subiecta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Das Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Die Polemik des John Wyclif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Kapitel 6: Sophisten und Phantasten: die zwei Seiten von Gersons Polemik . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.1 6.2
Gersons Contra curiositatem studentium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Gersons De modi significandi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Kapitel 7: Das Gespenst des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 7.1 7.2
Versuch einer Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Eine nominalistische Krise des Sp¨atmittelalters? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Kapitel 8: Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 8.1 8.2
Conclusiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzeichen f¨ur eine Neuausrichtung der scholastischen Lehre . . . . . . 8.2.1 scientia inflat caritas vero aedificat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Traditionalismus, Fideismus und Schulstreitigkeiten . . . . . . .
104 106 107 112
Inhaltsverzeichnis
XI
Teil II
Auctoritas versus ratio: Die Sakramentenfrage als Autorit¨atenproblematik Kapitel 9: Hinf¨uhrung: die traditionellen auctoritates . . . . . . . . 121 9.1 9.2
Die Rezeption von Augustins Sakraments-Definitionen . . . . . . . . . . . . 121 Die dicta sanctorum in der Diskussion des sp¨aten 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Kapitel 10: Rationale Kritik an den auctoritates: Richard Fishacre und Bonaventura . . . . . . . . . . . . . . . . 132 10.1 Richard Fishacre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Pakte als willensbasierte Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Causae sine quibus non . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Uneigentliche Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Bonaventura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Der Kommentar zur ersten Distinktion von Buch IV . . . . . . . 10.2.2 Das Dubium am Ende von Buch III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132 135 137 138 140 141 145
Kapitel 11: Rationalisierung der auctoritates: Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 11.1 Zuspitzung der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 11.2 Instrumente, entia incompleta und der modus intentionis . . . . . . . . . . 157 11.3 Die Entwicklung hin zur Summa theologiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Kapitel 12: Autorisierung der rationes: Duns Scotus . . . . . . . . . . 167 12.1 Sakramente als wirksame Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 ¨ 12.2 Metaphysik und Okonomieprinzip: Scotus’ Kritik an Thomas . . . . . . 177 12.3 Sakramente als dispositio und die potentia Dei ordinata . . . . . . . . . . . 184
XII
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 13: Delegitimierung der traditionellen auctoritatesInterpretation: Durandus und Petrus Aureoli . . . . . . 192 13.1 Durandus von St. Pourc¸ain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Petrus Aureoli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Sch¨opferische Gesch¨opfe und Brandstifter . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Sakramente als causae per se . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 202 204 212
Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 14.1 Conclusiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Sieg der ratio: das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell des Jakob von Eltville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.1 Zur Quellenfrage in Jakobs Behandlung der Wirksamkeitsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Jakobs Ausformulierung des Mitwirkungs-Modells . . . . . . . .
223 224 225 231
Teil III
Delegitimierung der rationes: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl, sein Wiener Umfeld und die dicta sanctorum Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta . 250 15.1 Der geometrische Stil des Pariser Quaestionenkommentars . . . . . . . . 15.2 Die Prager Lectura textualis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Eine Lectura secundum Thomam? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 15.2.2 Die Ubernahmen aus Scotus’ Reportata . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3 Heinrichs Responsio secundum Hugonem de St. Victore . . . . 15.2.4 Die Eigenart der Wirksamkeitsdiskussion in der Prager Lectura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Ein kurzer Vergleich von Prager Lectura und Pariser Quaestiones . .
251 262 265 270 273 278 280
Inhaltsverzeichnis
XIII
Kapitel 16: Langensteins Lectura Eberbachi als Relecture Jakobs von Eltville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 17.1 Dinkelsb¨uhls Quaestiones communes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Die Definition der Sakramente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.2 Traditionalistische Z¨uge in der Darstellung der Wirksamkeitsfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.3 Ein Dubium secundum Henricum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.4 Zur Eigenart von Nikolaus’ Darstellungsweise . . . . . . . . . . . . 17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales 17.2.1 Arnold von Seehusen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.1.1 Vorbemerkung zur Text¨uberlieferung . . . . . . . . . . . 17.2.1.2 Anzeichen f¨ur einen Gruppenkommentar? . . . . . . 17.2.1.3 Anmerkungen zur Wirksamkeitsproblematik . . . . 17.2.2 Konrad von Rothenburg und die Handschrift Klosterneuburg 315 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.3 Die sogenannten Quaestiones magistrales . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
291 294 301 305 308 310 311 311 314 319 325 335 346
Kapitel 18: Der Umschwung in Dinkelsb¨uhls Lectura mellicensis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 18.1 Die Restrukturierung des behandelten Materials . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 18.2 Verschiebungen in der allgemeinen Bestimmung der Sakramente . . . 357 18.3 Die fehlende communis opinio und der erneute Vorrang der auctoritates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 19.1 Conclusiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2 Nachwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.1 Die Abbreviationes von Nikolaus Auer, Johannes Harrer und Johannes Schlitpacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.2 Ein Quervergleich: Dionysius der Kart¨auser . . . . . . . . . . . . . .
374 378 379 383
XIV
Inhaltsverzeichnis
Teil IV
Geb¨andigte ratio: Die Verteidigung der beiden Wege Kapitel 20: Die Verteidigung des alten Wegs I: Rationale Gr¨unde f¨ur Thomas’ Mitwirkungslehre 397 20.1 Aegidius Carlerii und Johannes Capreolus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.1.1 Die Wirksamkeitsproblematik bei Aegidius Carlerii . . . . . . . 20.1.2 Johannes Capreolus’ Verteidigung von Thomas von Aquin . 20.2 Die bleibende Aktualit¨at von Thomas’ Sentenzenkommentar. . . . . . . 20.3 Die Wirksamkeitsproblematik in Summenkommentaren des ausgehenden Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3.1 Vom Sentenzen- zum Summenkommentar: Heinrich von Gorkum und Hieronymus Dungersheim . . . . . . 20.3.2 Der Summenkommentar des Thomas de Vio Cajetanus . . . .
397 399 403 414 422 422 428
Kapitel 21: Albertistische Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
Kapitel 22: Die Verteidigung des alten Wegs II: Scotistische Versionen des Pakt-Modells . . . . . . . . . . 449 22.1 Scotistische Hilfsliteratur und die Wirksamkeitsdebatte . . . . . . . . . . . . 22.2 Das Pakt-Modell in scotistischen Sentenzenkommentaren . . . . . . . . . 22.2.1 Scotistische Kompendien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.1.1 Wilhelm von Vaurouillon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.1.2 Nicolaus de Orbellis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.2 Polemische Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.2.1 Stephan Brulefer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.2.2 Guido Briansonis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.3 Der Kommentar zum Kommentar: Petrus Tartaretus . . . . . . . 22.3 Abl¨osungen vom konventionellen Sentenzenkommentar . . . . . . . . . . . 22.3.1 Nicolas Denyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.3.2 Pelbartus Temeswar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
450 456 456 456 461 464 466 472 480 483 484 487
Inhaltsverzeichnis
XV
Kapitel 23: Rationalisierung des neuen Wegs? Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren . . . . . . . . . . . 492 23.1 Diskussionen des sp¨aten 14. Jahrhunderts: Das Pakt-Modell und die Ursachenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.1.1 Hinf¨uhrung: Ockham und die causae per accidens . . . . . . . . 23.1.2 Pierre d’Ailly und die causae secundae . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.1.3 Der zur¨uckhaltende Beitrag des Marsilius von Inghen . . . . . 23.2 Moderne Vielfalt: Die Sentenzenkommentare Gabriel Biels und John Mairs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.1 Gabriel Biel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.1.1 Biels Sakramenten-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.1.2 Das Fehlen eigentlicher Ursachen . . . . . . . . . . . . . . 23.2.1.3 Die Entbehrlichkeit des sakramentalen Pakts . . . . 23.2.2 John Mair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.2.1 Sakramente als signa sensibilia . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.2.2 Das Logik freiere Pakt-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.2.3 Ein erfahrungs-basierter Ursachenbegriff . . . . . . .
492 493 496 503 512 512 516 520 528 534 539 542 546
Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 24.1 24.2 24.3 24.4
Petrus Hispanus und die signa ad placitum significantia . . . . . . . . . . . Das Problem der Selbstreferenzialit¨at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Macht des Zeichen-Einsetzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirksame Zeichen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
553 556 569 574
Kapitel 25: Ergebnisse des vierten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579
Kapitel 26: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
593 601 629 631 636
Verzeichnis der Schemata 1 JAKOB
VON
2 H EINRICH
E LTVILLE, Aufbau von In sententias IV q 1 . . . . . . . . . . . . 233
VON
OYTA, Aufbau von Quaestiones parisienses q 13 . . . . 254
¨ , 3 N IKOLAUS VON D INKELSB UHL Aufbau von Quaestiones communes IV d 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 4 A RNOLD
VON
S EEHUSEN, Aubau von In sententias IV q 1 . . . . . . . . . . 316
5 Klosterneuburg 315, Grobstruktur von In sententias IV d 1 . . . . . . . . . . . 329 ¨ 6 Vergleich von Klosterneuburg 315, IV d 1, und D INKELSB UHLS Quaestiones communes, IV d 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 ¨ 7 Vergleich von In Sent. IV, d 1, q 1, gem¨ass ONB 4820 und Klosterneuburg 315 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 ¨ 8 Vergleich von D INKELSB UHLS Lectura mellicensis, d 1, q 1–4, und ¨ ONB 4820 ad IV d 1, q 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Verzeichnis der Abk¨urzungen AA
JACQUELINE H AMESSE: Les auctoritates aristotelis, un floril`ege ´ m´edi´eval. Etude historique et e´ dition critique, Paris / Louvain 1974
AL
Aristoteles Latinus, editioni curandae praesidet C ARLOS S TEEL et. al., Turnhout: Brepols, 1961-2011, bisher 27 Bde.
CUP
H ENRY D ENIFLE: Chartularium universitatis Parisiensis sub auspiciis consilii generalis facultatum Parisiensium ex diversis bibliothecis tabulariisque, Paris 1889-1897, 4 Bde.
GW
Gesamtkatalog der Wiegendrucke. Online unter http://gesamtkatalogderwiegendrucke.de/docs/@.htm abrufbar, wobei der Platzhalter ‘@’ mit der jeweils im Text erw¨ahnten ID zu ersetzen ist.
RAG
Repertorium Academicum Germanicum. Online abrufbar unter rag-online.org/gelehrter/id/@, wobei der Platzhalter ‘@’ mit der jeweils im Text erw¨ahnten ID zu ersetzen ist.
RS
¨ F RIEDRICH S TEGM ULLER : Repertorium commentariorum in sententias Petri Lombardi Bd. 1, W¨urzburg 1947
RS.Douc V ICTORIN D OUCET: Commentaires sur les sentences. Suppl´ement au r´epertoire de Fr´ed´eric Stegmueller, Florenz 1954
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Kapitel 1
Einleitung Als J OHANNES C APREOLUS um 1430 im s¨udfranz¨osischen Rodez den vierten Teil seiner monumentalen Verteidigung von T HOMAS VON AQUIN in Angriff nahm, widmete er sich, der zugrunde gelegten Struktur der Sentenzen des P E TRUS L OMBARDUS entsprechend, zuerst einmal einigen allgemeinen Problemen der Sakramentenlehre.1 Im Unterschied zu seinem großen Vorbild T HO MAS verteilte C APREOLUS diese Probleme allerdings nicht auf eine Vielzahl von Quaestiunculae, sondern b¨undelte sie in drei Leitfragen,2 deren zwei erste er programmatisch auf die Frage nach der Wirkweise der Sakramente ausrichtete. Allgemeine Definition und grundlegendes Wesen eines Sakraments wurden so nur als Prolegomena zur Frage abgehandelt, ob in den neutestamentlichen Sakramenten eine Kraft sei, welche die Gnade verursache,3 und auch der Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten sowie die Beschneidung als wichtigstes alttestamentliches Sakrament kamen nur als Teilaspekte der u¨ bergeordneten Frage zur Sprache, ob die alttestamentlichen Sakramente 1
Gem¨aß C APREOLUS’ eigenen Angaben vollendete er den dritten Teil seiner Defensiones am 7. November 1428, vgl. den Epilog zu Buch III – hier wie im weiteren auch wird die Edition von Ceslaus PABAN und Thomas P E` GUES verwendet (7 Bde, Tours 1900–1908; hier Bd. 5 S. 445b), welche weitgehend auf der editio princeps beruht (Venedig 1483–1484; vgl. dazu B EDOUELLE , G UY: Les e´ ditions ‘humanistes’ de Capreolus, in: B EDOUELLE/C ESSARIO/ W HITE: Jean Capreolus (1997), S. 195–207). Zu dem wenigen, was zu C APREOLUS’ Biographie bekannt ist, vgl. neben den beiden klassischen Beitr¨agen von P EGUES , T HOMAS: La biographie de Jean Capr´eolus, in: Revue Thomiste 7 (1899), S. 317–334 und G RABMANN , M AR TIN : Johannes Capreolus, O.P. Der ‘Princeps Thomistarum’ (+1444), und seine Stellung in der Geschichte der Thomistenschule, in: G RABMANN: Mittelalterliches Geistesleben III (1956), S. 370–410; nun auch ROSEMANN , P HILIPP W.: The Story of a Great Medieval Book. Peter Lombard’s Sentences, Peterborough: broadview press, 2007 (Rethinking the Middle Ages 2), S. 139–148. 2 Dieses Zusammenfassen von unterschiedlichen Problemen in eine einzige Quaestio setzte sich innerhalb der Sentenzentradition im Verlauf des 14. Jahrhunderts mehr und mehr durch, vgl. BAKKER , PAUL J.J.M./S CHABEL , C HRISTOPHER: Sentences Commentaries of the Later Fourteenth Century, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 425–464, hier S. 426–431. 3 J OHANNES C APREOLUS: Defensiones IV d 1–3, q 1, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 1a: Utrum in sacramentis novae legis sit aliqua virtus gratiae causativa.
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Kapitel 1: Einleitung
die Gnade verursachten.4 Die Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit erhob C APREOLUS damit zu seiner zentralen Problematik. Obwohl C APREOLUS mit dieser Fokussierung das Wirksamkeitsproblem die Frage, ob den Sakramenten im Gnadengeschehen des Sakramentenvollzugs eine eigene Urs¨achlichkeit zukomme, zum Leitthema seiner allgemeinen Sakramentenlehre machte, sprach er allerdings dort, wo er diese Leitfrage denn tats¨achlich aufgriff, bei weitem nicht nur von den Sakramenten selbst. In Zur¨uckweisung seiner Lieblingsgegner D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN, J O HANNES D UNS S COTUS und P ETRUS AUREOLI er¨ orterte er vielmehr naturphilosophische Fragen zur Ursachenlehre oder zum Instrumentenbegriff und ging vor allem auf eine Reihe von grunds¨atzlichen zeichen- und sprachtheoretischen Problemen ein. Insbesondere lag ihm daran festzuhalten, dass Sprachzeichen als Informationstr¨agern eine gewisse Kraft innewohne: Auf welche Weise auch immer eine Rede einen H¨orer bewegt, muss immerhin zugestanden werden, dass sie – sei es mittelbar, sei es unmittelbar – irgendeine urs¨achliche Kraft in sich hat hinsichtlich eines Begriffs oder sich selbst, hinsichtlich der Sache, die sie bezeichnet, oder im Hinblick auf alles zugleich; denn anders k¨onnte ein Mensch nicht der Lehrer eines anderen genannt werden.5
Als Teil seiner Sakramententheologie betrieb C APREOLUS Zeichentheorie. Es ist diese Verstrickung von Zeichen- und Sakramentenlehre, der die vorliegende Untersuchung anhand von C APREOLUS’ zentraler Frage, jener nach der sakramentalen Wirksamkeit, nachgehen m¨ochte.
4 Ebd. q 2, S. 53b: Utrum sacramenta veteris legis causent gratiam. Diese Ausrichtung auf die sakramentale Wirkweise l¨asst sich, wenn auch weniger offensichtlich, selbst in der dritten Quaestio feststellen, wo es um die Frage geht utrum sacramenta veteris legis possint post passionem Christi sine peccato mortali observari (ebd. S. 64b). Im Hintergrund steht die Frage, inwiefern ein Sakrament seine Wirkung verlieren k¨onne. Zudem behandelt C APREOLUS als letzte Conclusio dieser dritten Quaestio, und damit gewissermaßen als Abschluss der gesamten ersten Distinctio, die These quod sacramenta novae legis conferunt gratiam alterius rationis quam sit gratia donorum et virtutum. 5 Defensiones IV d 1–3, q 1, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 50b: Qualitercumque sermo excitet audientem, tamen oportet concedere quod habet in se aliquam vim causativam, mediate vel immediate, alicuius conceptus, sive sui, sive rei quam significat, sive utriusque, cum quodam ordine et collatione; aliter unus homo non posset dici doctor alterius.
1.1 Die Verstrickung zweier Disziplinen
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1.1 Die Verstrickung zweier Disziplinen Dass C APREOLUS in seiner Sakramentenlehre Semiotik6 betreibt, hat einen sachlichen Hintergrund. Als Ritualhandlung macht es seit jeher den Vollzug eines Sakraments aus, dass ihm u¨ ber das aktuelle Geschehen hinaus eine Bedeutung zukommt, dass sein Sinn tiefer ist als das, was auf einer reinen Ereignisebene beobachtet werden kann. Insofern weisen Sakramente ebenso wie Zeichen u¨ ber sich selbst hinaus: Sakramentale Riten sind Zeichenhandlungen.7 Ein Blick in die Begriffsgeschichte unterstreicht dies: W¨ahrend etwa die Beschneidung in der Genesis sogar explizit als signum foederis bezeichnet wird,8 ist der Zeichencharakter in den Schriften des Neuen Testaments – etwa im Erinnerungsbefehl der Einsetzungsworte – zwar bereits angelegt, doch fasst erst die fr¨uhchristliche Tradition sakramentale Vollz¨uge unter einem Begriff zusammen, der diese verweisende Dimension enth¨alt, n¨amlich jenem des Mysteriums.9 Dieser Begriff umfasst allerdings – ebenso wie sein lateinisches Pendant ¨ Im folgenden wird ‘Semiotik’ als u¨ bergeordneter Begriff f¨ur zeichentheoretische Uberlegungen verwendet. Auch wenn dieser Begriff als disziplin¨are Bezeichnung f¨ur den modernen Leser vor allem von C HARLES S ANDERS P EIRCE her gepr¨agt sein mag, geht ebenso der Begriff auf wesentlich fr¨uhere Autoren zur¨uck, wie auch die Abgrenzung einer eigenen zeichentheoretischen Disziplin seine Wurzeln in genau der Epoche hat, die hier interessieren wird, vgl. M EIER -O ESER , S TEPHAN: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der fr¨uhen Neuzeit, Berlin: de Gruyter, 1997 (Quellen und Studien zur Philosophie 44), S. 396. Wie gleich deutlich werden soll, gehen zudem schon die mittelalterlichen Autoren von einer grundlegend triadischen Struktur eines jeden Zeichens aus, was dann ja auch Hauptmerkmal der Peirce’schen Semiotik ist (dazu vgl. M EIER -O ESER , S TEPHAN: Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie von der Renaissance bis zum fr¨uhen 19. Jahrhundert, in: P OSNER/ROBERING/S EBEOK: Semiotik II (1998), S. 1199–1232, hier S. 1200). 7 So gehen auch moderne Einf¨uhrungen in die Sakramentenlehre (protestantischer wie katholischer Ausrichtung) von diesem Zeichenbezug aus, wenn auch auf protestantischer Seite die Zeichendimension weniger betont wird, vgl. etwa W ENZ , G UNTER: Einf¨uhrung in die evangelische Sakramentenlehre, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988, bes. S. ¨ 229–236. F¨ur katholische Ans¨atze vgl. V ERWEYEN , H ANSJ URGEN : Warum Sakramente? Regensburg: Pustet, 2001, bes. S. 17–25, oder nun aus systematischer Perspektive auch S TOSCH , K LAUS VON: Einf¨uhrung in die Systematische Theologie, Paderborn: Sch¨oningh, 2 2009, bes. S. 252–270; bzw. aus praktologischem Blickwinkel KOHLER -S PIEGEL , H ELGA: Zu Handlung gewordener ‘Glaube’. Sakramente als Symbole und Symbolhandlungen, in: Theologie und Glaube 101 (2011), S. 76–91. Die Konsequenzen moderner zeichentheoretischer Ans¨atze in den Blick nimmt V ETTER , M ARTIN: Zeichen deuten auf Gott. Der zeichentheoretische Beitrag von Charles S. Peirce zur Theologie der Sakramente, Marburg: Elwert, 1999 (Marburger theologische Studien 52). 8 Gen 17,11; vgl. R¨om 4,11. 9 ¨ Vgl. die grundlegende Materialsichtung von B ORNKAMM , G UNTHER : µυστ ηριoν, in: Theologisches W¨orterbuch zum Neuen Testament, Band 4, 1942, S. 809–834. Eine ausf¨uhrliche¨ re Ubersicht zum biblischen und fr¨uhchristlichen Verst¨andnis bietet unter den g¨angigen Lexika vor allem W ENZ , G UNTER: Sakramente I und II, in: Theologische Realenzyklop¨adie, Band 29, 6
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Kapitel 1: Einleitung
sacramentum10 – weit mehr als das, was sp¨ater in einem spezifischen Sinn als Sakrament bezeichnet wird: Das eigentliche mit μυστήριον gemeinte Geheimnis ist das g¨ottliche Heilsgeschehen in Christus, sei es, wie es in den alttestamentlichen Schriften typologisch verheißen, sei es, wie es in den neutestamentlichen offenbart worden ist.11 Gerade in dieser typologischen Reichweite stehen μυστήριον und sacramentum nun aber nicht nur f¨ur das eigentliche Geheimnis selbst, sondern auch f¨ur die Zeichen, die auf dieses Geheimnis verwiesen, was nicht nur die verweisende Dimension der Begriffe unterstreicht, sondern in ihnen eine eigent¨umliche Selbstreferentialit¨at anlegt.12 Die Sakramente bieten daher sowohl sachlich – als u¨ ber sich hinausweisende Ritualhandlungen – als auch begrifflich konkrete Ankn¨upfungspunkte f¨ur eine semiotische Betrachtung. Der erste, der diese semiotische Dimension der Sakramente konsequent aufgreift und ins Zentrum seines Sakramentenverst¨andnisses r¨uckt, ist AUGUSTIN, und sein Verst¨andnis sollte f¨ur die nachfolgenden Jahrhunderte pr¨agend bleiben.13 Sacramentum definiert AUGUSTIN schlicht als sacrum signum,14 so dass die Sakramente bei ihm zu einer Unterkategorie von Zeichen werden. Weil nun das fr¨uhe Mittelalter AUGUSTINS Subsummierung der sacramenta unter die signa mit einigen Erg¨anzungen und Erweiterungen u¨ bernimmt,15 ist das 1998, S. 663–695; vgl. aber auch P ETERS , A.: Sakrament, in: Historisches W¨orterbuch der Philosophie, Band 8, 1992, S. 1128–1132, mit einer Reihe von bei W ENZ nicht besprochenen patristischen Belegen. F¨ur eine Aufarbeitung des patristischen Materials vgl. zudem F INKEN ZELLER , J OSEF : Die Lehre von den Sakramenten im allgemeinen. Von der Schrift bis zur Scholastik, Freiburg im Breisgau: Herder, 1980 (Handbuch der Dogmengeschichte IV/1a), S. 5–37. 10 Zum Aufkommen des lateinischen sacramentum anstelle des griechischen Lehnworts mysterium vgl. KOLPING , A DOLF: Sacramentum Tertullianeum 1. Untersuchung u¨ ber die Anf¨ange des christlichen Gebrauches der Vokabel sacramentum, M¨unster, 1948, besonders S. 59–64, und M AYER , C ORNELIUS P.: Die Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie des jungen Augustinus, W¨urzburg: Augustinus-Verlag, 1969 (Cassiciacum 24), Bd. 1, S. 287–302. 11 Vgl. etwa R¨om 16,25 oder Eph 5,32 in Auslegung von Gen 2,24. 12 Schon der neutestamentliche Sprachgebrauch ist diesbez¨uglich zweideutig, vgl. B ORN KAMM: Art. “µυστ ηριoν” (1942), S. 827: Der terminologische Befund zeigt, dass die ” Verk¨undigung nicht nur Kunde gibt von der geschehenen Offenbarung des μυστήριον Gottes [...], sondern selbst zum Ereignis des μυστήριον und zum Geschehen der Offenbarung geh¨ort“, vgl. auch ebd. S. 828f. mit Anm. 154. 13 Zu Augustins Sakramentenverst¨andnis vgl. j¨ungst C ARY, P HILIP: Outward Signs. The Powerlessness of External Things in Augustine’s Thought, Oxford: Oxford University Press, ¨ 2008 (v.a. S. 155–191). Weiterhin einen guten allgemeinen Uberblick bietet auch M AYER , C ORNELIUS P.: Philosophische Voraussetzungen und Implikationen in Augustins Lehre von den Sacramenta, in: Augustiniana 22 (1972), S. 53–79. Im Hinblick auf die Sakramentenlehre etwas gar knapp ausgefallen ist der Beitrag von B RIGHT, PAMELA: Ekklesiologie und Sakramentenlehre, in: D RECOLL: Augustin Handbuch (2007), S. 506–518. 14 AUGUSTIN: De civitate dei, CCSL 47 (1955), S. 277, l. 15f. 15 W¨ahrend das fr¨uhe Mittelalter sich eher an ein Sakramenten-Verst¨andnis hielt, das den Geheimnis-Charakter unterstrich (so tradiert bei I SIDOR VON S EVILLA: Etymologiae VI,19,40,
1.1 Die Verstrickung zweier Disziplinen
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Verst¨andnis der Sakramente als Zeichen schließlich so verbreitet und anerkannt, dass P ETRUS L OMBARDUS das vierte Buch seiner Sentenzensammlung, das weitgehend den Sakramenten gewidmet ist, schlicht de doctrina signorum betiteln kann.16 Der Erfolg von P ETRUS ’ Sentenzen im Rahmen der theologischen ¨ Ausbildung tut schließlich das Ubrige, um in der scholastischen Perspektive des Mittelalters Sakramentenlehre und Semiotik zu verwandten Disziplinen werden zu lassen. So selbstverst¨andlich es f¨ur das lateinische Abendland damit auch ist, Sakramente als Zeichen zu verstehen, so bleibt die Konfrontation der beiden Disziplinen doch eine st¨andige Herausforderung. Die eigent¨umliche Oszillation schon des neutestamentlichen μυστήριον-Begriffs zwischen ‘Glaubensgeheimnis’ und ‘Zeichen eines Glaubensgeheimnisses’, zwischen Signifikand und Signifikat also, ist auch bei AUGUSTIN anzutreffen, der einerseits jedes Zeichen als etwas versteht, das sich selbst und u¨ ber sich hinaus etwas anderes dem Verstand aufzeigt.17 W¨ahrend er damit zwischen Signifikand und Signifikat klar trennt, kann ed. Lindsay (1911): Quae ob id sacramenta dicuntur, quia sub tegumento corporalium rerum virtus divina secretius salutem eorundem sacramentorum operatur; unde et a secretis virtutibus vel a sacris sacramenta dicuntur), wurde seit den Auseinandersetzungen um B ERENGAR ` NE: La VON T OURS der Zeichencharakter wieder st¨arker betont, vgl. ROSIER -C ATACH , I R E parole efficace. Signe, rituel, sacr´e, Paris: Seuil, 2004, hier S. 39 und 41. Zu einigen weiteren fr¨uhmittelalterlichen Erweiterungen des augustinischen Sakramentenverst¨andnisses vgl. ¨ , L UDWIG: Sacramentum et res – Zeichen und Bezeichnetes. Eine begriffsgeschichtliche H ODL Arbeit zum fr¨uhscholastischen Eucharistietraktat, in: Scholastik 38 (1963), S. 161–182. 16 P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV, ed. Grottaferrata (1981) S. 232. Ebenso nennt beispielsweise auch J OHN W YCLIF in seinem Trialogus, ed. Lechler (1869), den vierten Teil zu den Sakramenten De signis (vgl. dazu P ENN , S TEPHEN: Wyclif and the Sacraments, in: L EVY, JAN C HRISTOPHER (Hrsg.): A Companion to John Wyclif. Late Medieval Theologian, Leiden: Brill, 2006 (Brill’s companions to the Christian tradition 4), S. 241–291, hier S. 246f.). Zur Pr¨agung von P ETRUS ’ L OMBARDUS Sakramenten-Verst¨andnis durch AUGUSTIN vgl. C O LISH , M ARCIA L.: Peter Lombard, Leiden: Brill, 1994 (Brill’s Studies in Intellectual History 41), S. 528–532. Obwohl P ETRUS ’ augustinische Grundlagen in der Sakramentenlehre a¨ ußerst deutlich sind, bleibt deren Rezeption unerw¨ahnt bei R IEGER , R EINHOLD: Sentenzenwerk des Petrus Lombardus, in: D RECOLL: Augustin Handbuch (2007), S. 587–592. 17 AUGUSTIN: De dialectica V, ed. Pinborg (1975): signum est quod et se ipsum sensui, et praeter se aliquid animo ostendit. Vgl. auch die Definition aus De doctrina christiana II 1,1, CCSL 32 (1962), S. 32, welche ebenso zu einer der grundlegenden Zeichendefinitionen der abendl¨andischen Semiotik werden sollte: Signum est enim res, praeter speciem quam ingerit sensibus, aliud aliquid ex se faciens in cogitationem venire. Die Literatur zu AUGUSTINS Semiotik ist immens: Grundlegend bleibt neben M AYER: Zeichen in der geistigen Entwicklung (1969) weiterhin der Aufsatz von S IMONE , R AFFAELE: Semiologia Agostiniana, in: La Cul¨ tura 7 (1969), S. 88–117 (deutsch S IMONE , R AFFAELE: Die Semiotik Augustins. Ubers. von Nino Dazzi und Luigi Ferrara degli Uberti, in: VOLP, R AINER (Hrsg.): Zeichen. Semiotik in Theologie und Gottesdienst, M¨unchen, 1982, S. 79–113). Spezifisch zum Zeichenbegriff in De ¨ dialectica vgl. B ORSCHE , T ILMAN: Zeichentheorie im Ubergang von den Stoikern zu Augustin, in: Allgemeine Zeitschrift f¨ur Philosophie 19.2 (1994), S. 41–52; zu jenem von De doctrina christiana M ARKUS , ROBERT A.: Signs, Communication and Communities in Augustine’s De
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Kapitel 1: Einleitung
er andererseits in Hinblick auf das Abendmahl erkl¨aren, es sei der Leib Christi das Sakrament des Leibs Christi, womit er Signifikand und Signifikat in eins setzt.18 Diese Unsch¨arfe zwischen Fremd- und Selbstreferenzialit¨at bleibt typisch f¨ur das mittelalterliche Sakramentenverst¨andnis: Als Gnadenzeichen verweisen die Sakramente nicht nur auf die Gnade, sondern sind selbst in die Gnadenvermittlung involviert und werden damit zu einem Teil des Heilsereignisses, das sie bedeuten.19 So wundert sich denn bereits AUGUSTIN, woher einem Sakrament eine so große Kraft zukomme, dass es den K¨orper ber¨uhrt, aber das ” Herz reinw¨ascht.“20 Aus semiotischer Perspektive ist dies allerdings nur schwer zu erkl¨aren. Denn wie sollte es angehen, dass die Sache, auf die ein Zeichen verweist, in diesem Verweisen u¨ berhaupt erst hervorgebracht wird? Hier setzen die eingangs erw¨ahnten Ausf¨uhrungen von C APREOLUS an, und C APREOLUS versucht der Herausforderung zu begegnen, indem er darauf besteht, dass jedem Zeichen, sofern es als Zeichen erkannt wird, eine gewisse wirkende Kraft innewohne. Insofern sei auch verst¨andlich, wie ein Sakrament eine Kraft enthalten k¨onne, so dass es urs¨achlich an dieser Gnadenvermittlung beteiligt sei.21 Wer allerdings diesen semiotischen Grundsatz nicht teilte, dass n¨amlich den Zeichen selbst eine wirkende Kraft zukomme, f¨ur den blieb auch nicht nachvollziehbar, dass Sadoctrina christiana, in: A RNOLD , D IANE W.H. (Hrsg.): De doctrina christiana. A Classic of Western Culture, Notre Dame, 1995, S. 97–108. F¨ur eine aktuelle Bibliographie zu AUGUSTINS Semiotik vgl. C ARY: Outward Signs (2008), S. 327–333. 18 Sacramentum corporis Christi corpus Christi: Epistolae XCVIII 9, CCSL 31A (2005), S. 531; vgl. daselbst die Fortsetzung: sacramentum sanguinis Christi sanguis Christi est. Es d¨urfte sich in dieser Differenz auch eine Entwicklung in Augustins Zeichen- und Sakramentenverst¨andnis abzeichnen, vgl. M AYER: Zeichen in der geistigen Entwicklung (1969), Bd. 2, S. 399f. 19 Letztlich ist ja auch die Transsubstantiationslehre nichts anderes als der Versuch, die Gleichzeitigkeit von Zeichen und Bezeichnetem im Abendmahl aufrecht zu erhalten. Ein entscheidender Schritt im Verst¨andnis der Sakramente als Zeichen und Bezeichnetem zugleich wurde in der zweiten H¨alfte des 11. Jahrhunderts in den Auseinandersetzungen um B EREN GAR VON T OURS vollzogen, vgl. M ONTCLOS , J EAN : Lanfranc et B´erenger. La controverse eucharistique du XIe si`ecle, Leuven, 1971, und nun auch R ADDING , C HARLES M./N EWTON , F RANCIS: Theology, Rhetoric and Politics in the Eucharistic Controversy, 1078–1079. Alberic of Monte Cassino Against Berengar of Tours, New York: Columbia University Press, 2003. Zu den AUGUSTINISCHEN Quellen der Kontroverse vgl. G IOANNI , S T E´ PHANE: Un floril`ege augustinien sur la connaissance sacramentelle. Une source de B´erenger de Tours et d’Yves de ´ Chartres? in: G OULLET, M ONIQUE (Hrsg.): Parva pro magnis mundera. Etudes de litt´erature tardo-antique et m´edi´evale offertes a` Franc¸ois Dolbeau par ses e´ l`eves, Turnhout: Brepols, 2009 (Instrumenta patristica et mediaevalia 51), S. 699–723. 20 AUGUSTIN: In Iohannis evangelium Tract. 80, n 3, CCSL 36 (1954), S. 529: Unde ista tanta virtus aquae, ut corpus tangat et cor abluat, nisi faciente verbo, non quia dicitur, sed quia creditur? 21 C APREOLUS’ L¨osungsansatz wird unten, in Kap. 20.1.2 im vierten Teil der vorliegenden Untersuchung noch ausf¨uhrlich er¨ortert.
1.2 Die historische Stellung der Problematik
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kramente selbst an der durch sie vollzogenen Gnadenvermittlung beteiligt sein sollten. Entsprechend gibt es im sp¨aten Mittelalter zwei konkurrierende Modelle der sakramentalen Wirksamkeit: ein Mitwirkungs-Modell, das die Sakramente urs¨achlich an der Gnadenvermittlung beteiligt sieht, und eines, das ihnen jegliche Urs¨achlichkeit abspricht und die sakramentale Wirkung auf Gott allein zur¨uckf¨uhrt.22 So selbstverst¨andlich f¨ur sp¨atmittelalterliche Autoren die Feststellung ist, Sakramente seien Zeichen, so umstritten bleiben ihre Erkl¨arungen, wie die Sakramente als Zeichen wirkten.
1.2 Die historische Stellung der Problematik F¨ur den heutigen Betrachter, der sich f¨ur die Problematik der Wirksamkeit von Zeichen interessiert, ist es methodisch nicht unbedeutend, dass damit ein Themenkreis angesprochen wird, der schon in den historischen Quellen als eigene Problematik angesehen und f¨ur diskussionsw¨urdig gehalten worden ist. Diese Debatte u¨ ber die Wirksamkeitsfrage hat in der Scholastik des ausgehenden Mittelalters nun aber nicht nur stattgefunden, sondern es ist ihr eine durchaus zentrale Rolle zugesprochen worden: Dass C APREOLUS in seiner Verteidigung von T HOMAS nicht einfach dessen Vorgehen imitiert und die Frage nach der Wirkweise der Sakramente als eine Frage neben vielen anderen behandelt, sondern (wie eingangs beschrieben) das allgemeine sakramententheologische Material seiner Vorlage reorganisiert und weitgehend unter dieser einen Problematik zusammenfasst, verdeutlicht nachdr¨ucklich, welchen Stellenwert er selbst der Frage beigemessen hat. C APREOLUS’ Defensiones geh¨oren in die Tradition der Kommentare zu den Sentenzen von P ETRUS L OMBARDUS, dieser ber¨uhmten Sammlung von V¨aterzitaten aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, die seit dem 13. Jahrhundert mehr und mehr in den theologischen Unterricht eingebaut wird und deren Kommentierung schließlich als fester Bestandteil im theologischen Curriculum erscheint: Wer nach 1250 den Grad eines theologischen Magisters erreichen wollte, musste in den letzten Jahren seines Bakkalareats eine Auslegung dieser Sentenzen erarbeiten.23 Innerhalb der reichen Sentenzentradition, die daraus ent22
Die beiden Modelle werden noch eingehend vorgestellt und diskutiert; f¨ur einen grund¨ legenden Uberblick vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 99f. 23 ¨ Vgl. den knappen Uberblick von I MBACH , RUEDI/R ICKLIN , T HOMAS: Sentenzenkommentare, in: Lexikon des Mittelalters, Band 7, 2002, S. 1767–1769. Unumgehbarer Einstiegs¨ punkt in die Sentenzentradition bleibt S TEGM ULLER , F RIEDRICH: Repertorium commentariorum in sententias Petri Lombardi, W¨urzburg: Sch¨oningh, 1947 (vgl. die wichtigen Nachtr¨age von D OUCET, V ICTORIN: Commentaires sur les sentences. Suppl´ement au r´epertoire de Fr´ed´eric Stegmueller, in: Archivum Franciscanum Historicum 47 (1954), S. 88–170, 400–427; einige vor allem bibliographische Erg¨anzungen bietet DYK , J OHN VAN: Thirty years since
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Kapitel 1: Einleitung
standen ist und die sich bis ins 16. Jahrhundert hinein fortsetzt, zeichnet sich im Verlaufe des 14. Jahrhunderts eine Tendenz ab, die Frage nach der sakramentalen Wirkweise ins Zentrum der allgemeinen Sakramentenlehre am Beginn des vierten Sentenzenbuchs zu stellen. Zwar erh¨alt diese Frage nicht das Gewicht, das den Diskussionen um die eucharistische Wandlung beigemessen worden ist, so dass die Wirksamkeitsfrage in Kommentaren g¨anzlich wegfallen kann, die – wie es im Verlauf des 14. Jahrhunderts u¨ blich geworden ist – bloß noch selektiv einzelne Themen aus den Sentenzen herausgreifen.24 Die Mehrheit jener Autoren jedoch, die sich im sp¨ateren 14. Jahrhundert zur allgemeinen Sakramentenlehre a¨ ußert, b¨undelt diese allgemeinen Fragen unter eine Quaestio zur sakramentalen Wirkweise – dies gilt f¨ur selektiv kommentierende Autoren wie J OHANNES VON M IRECOURT und H UGOLINO VON O RVIETO zur Jahrhundertmitte25 oder P IERRE D ’A ILLY26 in der zweiten Jahrhunderth¨alfte ebenso wie f¨ur Autoren, die den Sentenzentext umfassend auslegen wie etwa M I Stegm¨uller. A bibliographical guide to the study of medieval sentence commentaries since the publication of Stegm¨uller’s Repertorium commentariorum in sententias Petri Lombardi (1947), ¨ in: Franciscan Studies 39 (1979), S. 255–315). Zur Kommentartradition vgl. den Uberblick von ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), sowie die Einzelstudien bei E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), und ROSEMANN , P HILIPP W. (Hrsg.): Mediaeval Commentaries on the Sentences of Peter Lombard 2, Leiden: Brill, 2010. 24 F¨ur das 14. Jahrhundert grundlegend aufgearbeitet hat die Diskussionen um die eucharistische Wandlung BAKKER , PAUL J.J.M.: La raison et le miracle : les doctrines eucharistiques (c.1250–c.1400). Contribution a` l’´etude des rapports entre philosophie et th´eologie, Diss. Nijmegen, 1999. Autoren, die in ihren Kommentaren zu Buch IV bloß die Transsubstantiation diskutieren, sind etwa H EINRICH VON L ANGENSTEIN (so in der 1375 gehaltenen Lectura Parisiensi, ed. Damerau (1979/80), hier S. 156–208) oder P ETRUS DE C ANDIA (1378–1380 in Paris; eine provisorische Edition von W ILLIAM D UBA und anderen ist verf¨ugbar auf http://www2.ucy.ac.cy/isa/Candia/texts.htm, Stand 28. M¨arz 2014). 25 M IRECOURTS Kommentar (gelesen 1344/45 in Paris) ist noch nicht ediert, eine provisorische Edition zu Buch I stellt M ASSIMO PARODI auf http://filosofia.dipafilo.unimi.it/ ∼mparodi/mirecourt/testi/gestione/frame quest.htm zur Verf¨ugung (Stand 28. M¨arz 2014). Die vorliegende Untersuchung st¨utzt sich auf die Handschrift Paris, BNF lat. 15883; ein Quaestionenverzeichnis findet sich bei B IRKENMAJER , A LEXANDER: Vermischte Untersuchungen zur Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, M¨unster: Aschendorff, 1922 (Beitr¨age zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 20,5), S. 104–108. Ediert ist hingegen der Kommentar des H UGOLINO VON O RVIETO: Commentarius in quattuor libros sententiarum, ed. Eckermann/Marcolino Bd. IV (1988), hier S. 169–178. Bei P ETER C EFFONS, einem Zeitgenossen von M IRECOURT und H UGOLINO, besch¨aftigt sich erst die dritte von insgesamt f¨unf Quaestionen zu Buch IV mit der Wirksamkeitsfrage (erhalten in der Handschrift Troyes, BM 62, fol. 213va–215rb). 26 Bei P IERRE D ’A ILLY (1376/77 sententiarius in Paris, s.u., Teil IV, Kap. 23.1.2) taucht die Wirksamkeitsfrage zwar nicht im Rahmen der Fragestellung seiner ersten Quaestio auf (Utrum ex lege Christi recepta sit summa perfectio sacramentorum: Quaestiones super sententiarum, ed. Paris 1515, fol. 224rb); schon die Argumente quod non, nach denen auch die einzelnen Artikel der Quaestio aufgebaut sind, zeigen aber, dass die Frage nach der sakramentalen Wirkweise im Hintergrund seiner Problematik steht.
1.2 Die historische Stellung der Problematik
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A IGUANI27 , KONRAD VON S OLTAU oder M ARSILIUS VON I NGHEN.28 Im 15. Jahrhundert verfestigt sich diese Tendenz, wie zu zeigen sein wird, zur Norm, so dass die Frage nach der sakramentalen Wirkweise zum zentralen Diskussionspunkt dieser einleitenden Darlegungen des jeweils vierten Buchs eines Sentenzenkommentars geworden ist. Illustrieren l¨asst sich die Bedeutung des Themas auch an einer anderen Gattung von theologischen Texten: den Disputationen. Disputationen pr¨agten den universit¨aren Alltag in allen Fakult¨aten und auf allen Stufen, und sie wurden sowohl gehalten, um die argumentative Kompetenz der Scholaren zu f¨ordern, als auch, um diese Kompetenz zu pr¨ufen.29 Weil daher eine Unmenge solcher Disputationen gehalten, diese zugleich aber – gleichsam als Gelegenheitsprodukte betrachtet – meist nicht u¨ berliefert worden sind, ist es grunds¨atzlich schwierig, allgemeine Aussagen u¨ ber die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Disputationen zu machen. Aus zuf¨allig erhalten gebliebenen Bemerkungen von Studierenden ist es immerhin m¨oglich, punktuelle Einblicke in das Disputationswesen einer bestimmten Fakult¨at zu erhalten, und so wissen wir etwa dank eines Notizbuchs des K¨olner Studenten S ERVATIUS FANCKEL u¨ ber das Disputationswesen an der dortigen theologischen Fakult¨at in den 1470er und 1480er Jahren ziemCHAEL
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M ICHAEL A IGUANI, der 1362 in Paris die Sentenzen liest (zu Person und Werk vgl. X I BARTHOLOMAEUS M ARIA: De scriptoribus scholasticis saeculi XIV ex ordine Carmelitarum, Louvain: Bureaux de la revue d’histoire eccl´esiastique, 1931 (Biblioth`eque de la revue d’histoire eccl´esiastique 6), S. 324–393), greift die Wirksamkeitsfrage allerdings nicht im Rahmen der ersten, sondern erst in der zweiten Distinktion auf, vgl. dessen In quatuor libros sententiarum IV d 2, q un., ed. Venedig 1622, S. 343b–347a. Die einzige mir bekannte Ausnahme ist J OHANNES H ILTALINGEN, der die Sentenzen wohl 1365 in Paris liest: Zumindest im Rahmen seiner allgemeinen Sakramentenlehre spielt die Wirksamkeitsfrage keine Rolle (Clm 26711, fol. 328ra–329rb; zur Person vgl. C OURTENAY, W ILLIAM J.: Adam Wodeham. An Introduction to His Life and Writings, Leiden: Brill, 1978 (Studies in Medieval and Reformation Thought 21), S. 141 mit Anm. 70, und BAKKER: Raison et Miracle (1999), S. 49 mit Anm. 1). 28 In der erhaltenen Form stammen die Kommentare KONRADS VON S OLTAU und M AR SILIUS ’ VON I NGHEN aus deren Heidelberger Zeit (um 1392). K ONRADS Kommentar ist nur handschriftlich u¨ berliefert (f¨ur eine Edition von Buch I einzig auf Grundlage der Warschauer Handschriften vgl. Questiones super sententiarum, ed. Obszynski/Swierkosz (1989); f¨ur Buch IV st¨utzt sich die vorliegende Arbeit auf die Manuskripte Clm 14259 und Prag, Nat. I.D.23). Die kritische Edition von M ARSILIUS’ Kommentar ist im Gange (bisher Distinktionen 1–21 des ersten Buchs ediert), zudem existiert ein fr¨uhneuzeitlicher Druck (Super quattuor libros sententiarum, ed. Strassburg 1501). 29 ¨ F¨ur einen allgemeinen Uberblick u¨ ber das mittelalterliche Disputationswesen vgl. weiter` , B ERNARDO C./F RANSEN , G./W IPPEL , J OHN F. (Hrsg.): Les questions disput´ees hin BAZ AN et les questions quodlib´etiques dans les Facult´es de th´eologie, de droit et de m´edicine, (Typologie des sources du moyen aˆ ge occidental 44/45) Turnhout: Brepols, 1985; spezifischer im Hinblick auf die Artistenfakult¨at nun W EIJERS , O LGA: La ‘disputatio’ dans les facult´es des arts au moyen aˆ ge, Turnhout: Brepols, 2002 (Studia Artistarum 10). BERTA ,
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Kapitel 1: Einleitung
lich gut Bescheid.30 FANCKELS Notizen zeigen nun, dass von den rund zehn disputationes vacanciales, die j¨ahrlich den Sommer hindurch stattgefunden haben, jeweils zwei – meistens die beiden letzten – zu sakramententheologischen Themen gehalten worden sind, wobei sich die zweite meist mit Fragen zum Abendmahl, die erste aber mit den Sakramenten im Allgemeinen befasst hat. Die Zeichenhaftigkeit der Sakramente und deren Wirkweise ist dabei immer wieder problematisiert worden, so dass deutlich wird, dass die Thematik auch im universit¨aren Alltag, und nicht nur als von Alters her festgelegtes Kommentarst¨uck f¨ur wichtig gehalten worden ist. Den Stellenwert dieser Diskussion unterstreichen nicht zuletzt auch die ersten Kontroversen im Rahmen der beginnenden Reformation. Als M ARTIN L UTHER im Jahre 1520 den endg¨ultigen Bruch mit der Papstkirche vollzieht, ver¨offentlicht er sein De captivitate babylonica ecclesiae, das sich in erster Linie mit der tradierten Sakramentenlehre auseinandersetzt.31 Damit unterstreicht er nicht nur den grunds¨atzlichen Stellenwert, den die Sakramentenlehre f¨ur die Kirchenspaltung erhalten sollte, sondern bezeugt auch, wie zentral die Zeichenprolematik im scholastischen Sakramentenverst¨andnis gewesen ist. Denn neben seiner Kritik an der Siebenzahl und am katholischen Verst¨andnis der je einzelnen Sakramente rechnet Luther in dieser Schrift auch mit der scholastischen Theologie ab: Hier siehst du, was und wie viel die Sentenzentheologen in dieser Sache geleistet haben. Zun¨achst einmal, was das Allerwichtigste und die Hauptsache ist, n¨amlich das Testament und das Wort der Verheißung, damit gibt sich keiner von ihnen ab; und damit haben sie den Glauben und die ganze Bedeutung der Messe aus unserem Ged¨achtnis 30
¨ , G ABRIEL M.: Die theoBeschrieben und auszugsweise ediert hat das Notizbuch L OHR logischen Disputationen und Promotionen an der Universit¨at K¨oln im ausgehenden 15. Jahrhundert. Nach den Angaben des P. Servatius Fanckel O. P. Leipzig: Harassowitz, 1926 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens 21); vgl. nun auch H OENEN , M AAR TEN J.F.M.: Nominalism in Cologne : the Student Notebook of the Dominican Servatius Fanckel. With an edition of a ‘disputatio vacantialis’ held on July 14, 1480 ‘Utrum in deo uno simplicissimo sit trium personarum realis distinctio’, in: YOUNG , S PENCER E. (Hrsg.): Crossing Boundaries at Medieval Universities, Leiden: Brill, 2011 (Education and society in the Middle Ages and Renaissance 36), S. 85–144. F¨ur ein weiteres K¨olner Beispiel solch punktueller Einblicke in das theologische Disputationswesen vgl. V ENNEBUSCH , J OACHIM: Theologische Disputationen an der Universit¨at K¨oln (1421–1428), in: Recherches de th´eologie ancienne et m´edi´evale 43 (1976), S. 237–248. 31 Vgl. L OHSE , B ERNHARD: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, G¨ottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1995, S. 152–154. F¨ur die Entstehungsumst¨ande der Schrift vgl. P ETTI , U RMAS: Martin Luthers Schrift ‘De captivitate babylonica ecclesiae praeludium’ (1520). Historischer Ort, literarische Konzeption, reformatorischer Ansatz, Tartu: Tartu University Press, 2006; eine theologiegeschichtliche Einordnung bietet S IMON , W OLFGANG: Die Messopfertheologie Martin Luthers. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption, T¨ubingen: Mohr Siebeck, 2003 (Sp¨atmittelalter und Reformation. Neue Reihe 22), S. 320f.
1.2 Die historische Stellung der Problematik
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gel¨oscht. Allein den zweiten Teil, n¨amlich das Zeichen bzw. das Sakrament, behandeln sie.32
Das grunds¨atzliche Problem der scholatischen Sakramentenlehre ortet L UTHER gerade darin, dass diese sich viel zu sehr auf den Zeichencharakter der Sakramente konzentriert und dar¨uber die Verheißung, deren Zeichen die Sakramente seien, vergessen habe.33 Doch je mehr L UTHER damit von den Zeichen auf die eigentlich Verheißung kommen will und daher auch explizit zur¨uckweist, dass den Sakramenten selbst eine Wirkkraft zukomme,34 umso mehr reduziert er die Sakramente gerade auf ihre Zeichenhaftigkeit und h¨alt damit am grundlegenden Verst¨andnis der Sakramente als Zeichen fest.35 Insofern bezeugt L UTHER nicht nur den Stellenwert der Diskussion um den Zeichencharakter der Sakramente, sondern er steuert selbst einen gewichtigen Beitrag zu dieser Debatte bei. Gegen¨uber den bloß punktuell und zuf¨allig u¨ berlieferten Disputationen und den polemisch ausgerichteten Traktaten der Reformationszeit haben nun aber die Sentenzenkommentare den entscheidenden Vorteil, dass sie das Interesse an der Wirksamkeitsfrage nicht nur bezeugen, sondern die jeweiligen Ausf¨uhrungen zur Problematik auch in einer literarischen Form bieten, die eine grunds¨atzliche Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Texten gew¨ahrleistet. Da diese Sentenzenliteratur stets aus einem a¨ hnlichen Umfeld stammt und mit der gleichbleibenden Forderung an die Bakkalearen, einen Sentenzenkommentar abzuliefern, eine Kontinuit¨at in der Diskussion gew¨ahrleistet ist, eignet sich diese Textgattung besonders gut, um die Behandlung einer Problematik u¨ ber mehrere Generationen hinweg zu verfolgen, wie das in der vorliegenden Untersuchung geschehen soll. Wenn sich daher die vorliegende Arbeit den Diskussionen widmet, die sich aus dem Verst¨andnis der Sakramente als Zeichen ergeben haben, und wenn sie dies mit Blick auf die Sentenzenkommentare tut, so verschafft sie sich den methodischen Vorteil, dass eine Vielzahl von Quellentexten beigezogen werden kann, die unter vergleichbaren Umst¨anden und tats¨achlich im Hinblick auf die vorliegende Frage verfasst worden sind. 32 De captivitate Babylonica, ed. et trad. Preul/Preul (2009), S. 228f.: Hic vides, quid et quantum Theologi sententiarii in hac re praestiterint. Primum, id quod summum et capitale est, nempe, testamentum et verbum promissionis, nullus eorum tractat, atque ita fidem et totam missae virtutem nobis obliterarunt. Deinde, alteram eius partem, scilicet signum seu sacramentum, solum versant. 33 Vgl. auch ebd., S. 270: Vides, quam nihil sacramenta intellecta sunt sententionariis Theologis, quod nec fidei nec promissionis ullam in sacramentis rationem habuerint, tantum in signo et usu signi haerentes. 34 Ebd., S. 268: Ita nec verum esse potest, sacramentis inesse vim efficacem iustificationis, seu esse ea signa efficacia gratiae. 35 W¨ahrend L UTHER zu Beginn der Schrift (pro tempore, ebd., S. 184) die Buße noch zu den Sakramenten z¨ahlt, schließt er sie am Ende (si rigide loqui volumus, ebd., S. 370) gerade auch deswegen aus, weil ihr ein sichtbares Zeichen fehle: Nam, poenitentiae sacramentum, quod ego his duobus accensui, signo visibili et divinitus instituto caret.
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Kapitel 1: Einleitung
Durch diese Ausrichtung auf die Gattung der Sentenzenkommentare ist die Vergleichbarkeit der untersuchten Texte ebenso gew¨ahrleistet, wie die Gefahr eingeschr¨ankt wird, dass mit Fragen an diese Texte herangetreten wird, welche weder von ihren Autoren gestellt worden sind, noch in der Reichweite der Antworten liegen, welche die Texte zu geben im Stande sind. Allerdings birgt bekanntlich der Fokus ausschließlich auf Fragestellungen, wie sie in untersuchten Texten selbst explizit gestellt werden, ebenso gewisse Schwierigkeiten, weil sich die Texte damit einer verallgemeinernden Beurteilung zu entziehen drohen. Um zwischen Eigenanspruch der Texte und Forschungsinteresse eine sinnvolle Balance zu finden, gilt es daher, sich auch zu vergegenw¨artigen, mit welchen systematischen Schnittstellen die Zeichenhaftigkeit der Sakramente verkn¨upft ist und auf welche Fragen daher u¨ berhaupt Antworten erwartet werden k¨onnen.
1.3 Die systematische Reichweite der Problematik Dass den Debatten um die Zeichenhaftigkeit der Sakramente eine so zentrale Rolle zugekommen ist, h¨angt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Sakramentenlehre an einem systematischen Knotenpunkt steht, an dem Probleme unterschiedlichster Herkunft aufeinandertreffen. Aus den oben angef¨uhrten Beispielen ist bereits deutlich geworden, in welchem Ausmaß das Verst¨andnis der Sakramente als Zeichen zu einer Verstrickung von Sakramentenlehre und Semiotik gef¨uhrt hat, so dass die Problematik als Modellfall f¨ur das Verh¨altnis von Theologie und Logik gelten kann.36 Solch gegenseitige Bedingung von theologischer Problematik und Fragestellungen einer anderen Disziplin l¨asst sich im Rahmen der Wirksamkeitsfrage nun aber auch in weiteren Bereichen feststellen. Denn ist die Verkn¨upfbarkeit von Semiotik und Sakramentenlehre einmal gegeben, so ergeben sich daraus eine Reihe zus¨atzlicher systematischer Schnittstellen. ¨ Uber die Semiotik, aber mehr noch u¨ ber die festgelegte verbale Form der Sakramente, sind dies zuerst einmal Verbindungen zu sprachphilosophischen Themen. Weil die gesamte hier interessierende Epoche AUGUSTINS Sprachverst¨andnis teilt und mit ihm Begriffe – ebenso wie die Sakramente – unter die Oberklasse der Zeichen subsumiert,37 ist ein grunds¨atzlich sprachphilosophi36 Vgl. dazu neben BAKKER: Raison et Miracle (1999) vor allem auch BAKKER , PAUL J.J.M.: Inh´erence, univocit´e et s´eparabilit´e des accidents eucharistiques. Observations sur les rapports entre m´etaphysique et th´eologie au XIVe si`ecle, in: K ALUZA/S OL E` RE: Servante et consolatrice (2002), S. 193–214. 37 Vgl. den grundlegenden Aufsatz von M AIER U` , A LFONSO: Signum dans la culture m´edi´evale, in: B ECKMANN: Sprache und Erkenntnis im Mittelalter (1981), S. 51–72. Zu AU GUSTIN vgl. auch K AHNERT, K LAUS : Entmachtung der Zeichen? Augustin u ¨ ber Sprache, Amsterdam, 1999 und nun v.a. C ARY: Outward Signs (2008), S. 65–86.
1.3 Die systematische Reichweite der Problematik
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scher Blick auf die Sakramente m¨oglich, ein Blick, der auch durch offenkundi¨ ge strukturelle Ahnlichkeiten zwischen Begriffen und Sakramenten beg¨unstigt wird: Ausgehend von der biblischen Vorstellung, dass W¨orter ihre Bedeutung dadurch erhalten haben, dass Adam im Paradies den Lebewesen Namen gegeben hat,38 werden Sprachzeichen als Laute verstanden, die einst zum Bezeichnen eingesetzt worden sind. Diesen Einsetzungsakt nun, die impositio, teilen die W¨orter mit den Sakramenten, die ja ebenfalls erst dadurch zu Sakramenten geworden sind, dass Christus sie hierf¨ur eingesetzt hat. Damit entsteht eine strukturelle Parallele, die sich etwa darin a¨ ußert, dass W¨orter und Sakramente einer gemeinsamen Unterklassen von Zeichen zugeordnet werden k¨onnen, n¨amlich jener der signa ad placitum significantia.39 Im Gegensatz zu den signa naturaliter significantia, die ihre Bedeutung aus einer nat¨urlichen Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem haben – das klassische Beispiel ist hier der Rauch als Zeichen des Feuers –,40 beruht die Tatsache, dass genau dieser Laut ein bestimmtes Objekt bezeichnen und genau dieser Vollzug ein Sakrament sein soll, auf Willk¨ur. Damit erhalten aber sprachphilosophische Diskussionen etwa dar¨uber, auf wessen Willensentscheid die Beziehung zwischen Laut und Objekt beruhe, eine sakramententheologische Relevanz; umgekehrt kann ein bestimmtes sakramententheologisches Verst¨andnis nicht mehr mit jeder beliebigen Sprachtheorie zusammen vertreten werden. So f¨uhrt die strukturelle Parallele zwischen Sakramenten und Begriffen dazu, dass das Instrumentarium, das zur Analyse von Sprache entwickelt worden ist, auch im Hinblick auf die Sakramente und deren verbale Formeln zur Anwendung kommen kann. Verbindungen entstehen nicht nur zur Logik, sondern auch zur Grammatik, mit deren Methoden vor allem in der Scholastik vom 11. bis zum fr¨uhen 13. Jahrhundert die sakramentalen Formeln untersucht worden sind.41 Verbindungen entstehen dadurch zur Frage nach den Wahrheitsbedin38 Nach Gen 2,19f.; vgl. DAHAN , G ILBERT: Nommer les eˆ tres. Ex´eg`ese et th´eories du langage dans les commentaires m´edi´evaux de Gen`ese 2,19–20, in: E BBESEN: Sprachtheorien (1995), S. 55–74, sowie die Beitr¨age von L UDGER K ACZMAREK und C HRISTOPH H U BIG in G ESSINGER , J OACHIM/R AHDEN , W OLFERT VAN (Hrsg.): Theorien vom Ursprung der Sprache, Berlin, 1989. Die Vorstellung vom adamitischen Ursprung der Sprache bleibt auch ¨ in der fr¨uhen Neuzeit pr¨agend, vgl. T RABANT, J URGEN : Sign conceptions in the philosophy of language from the Renaissance to the early 19th century, in: P OSNER/ROBERING/S EBEOK: Semiotik II (1998), S. 1270–1280, hier S. 1277. 39 In Anlehnung an die semiotischen Ausf¨uhrungen aus AUGUSTINS De doctrina christiana II,1 (s.o., Anm. 9) erkl¨art schon P ETRUS L OMBARDUS den Unterschied zwischen Zeichen und Sakramenten unter R¨uckgriff auf diese Unterscheidung: ‘Signorum vero alia sunt naturalia, ut fumus significans ignem; alia data’. Et eorum quae data sunt, quaedam sunt sacramenta, quaedam non. Omne enim sacramentum est signum, sed non e converso (Sententiae IV d 1, c 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 233). 40 Vgl. auch dazu bereits AUGUSTIN De doctrina christiana II,1, CCSL 32 (1962), S. 32. 41 Vgl. H OLOPAINEN , T OIVO J.: Dialectic and Theology in the Eleventh Century, Leiden: Brill, 1996 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 54), bes. S. 77–118, und
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Kapitel 1: Einleitung
gungen einer Aussage: Ebenso, wie es zum Gelingen einer Aussage geh¨ort, dass sie wahr ist, wird von den sakramentalen Formeln erwartet, dass sie bei gelingendem Vollzug wahr sind, was zu den bekannten Diskussionen u¨ ber die Bedeutung des hoc in der Konsekrationsformel, aber auch etwa u¨ ber den Referenzwert des ego in der Taufformel gef¨uhrt hat.42 Verkn¨upfungen bestehen schließlich mit einem grundlegenden Verst¨andnis u¨ ber das Funktionieren von Sprache, wie dies bei C APREOLUS bereits deutlich geworden ist: Diskussionen u¨ ber die vis significativa von Sprache werden zum Modell f¨ur die gnadenspendende Wirkung der Sakramente. Es ist nun vor allem dieser letztegenannte Themenkreis, jener der Wirksamkeit der Sakramente, der das Spektrum der betroffenen Disziplinen noch einmal erweitert. Als wirksame Zeichen, als Zeichen, die in ihrer Anwendung u¨ berhaupt erst hervorbringen, worauf sie verweisen, sind die Sakramente auch in der heutigen Diskussion noch Modellfall eines performativen Sprachgeschehens.43 Doch w¨ahrend es in der heutigen Diskussion selbstverst¨andlich ist, per¨ formative Außerungen unter einem sprachphilosophischen Gesichtspunkt zu betrachten, haben sich hierf¨ur dem Betrachter an der mittelalterlichen Universit¨at grunds¨atzliche Schwierigkeiten gestellt. Neben AUGUSTINS Subsummierung der Begriffe unter die Zeichen ist f¨ur das scholastische Sprachverst¨andnis vor allem B OETHIUS’ Wiedergabe der einleitenden S¨atze von A RISTOTELES’ Peri hermeneias pr¨agend, es seien diejenigen, die in einem [sprachlichen] Laut ” sind, Kennzeichen von den Affektionen, welche in der Seele sind.“44 Begriffe, das unterstreicht auch die Idee einer Namensgebung durch Adam, sind imROSIER , I R E` NE: La parole comme acte. Sur la grammaire et la s´emantique au XIIIe si`ecle, Paris: Vrin, 1994. 42 F¨ur die hochscholastischen Diskussionen vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004) S. 191–198 und S. 353–448; f¨ur das ausgehende Mittelalter BAKKER , PAUL J.J.M.: Hoc est corpus meum. L’analyse de la formule de cons´ecration chez des th´eologiens du XIVe et du XVe si`ecles, in: M ARMO: Vestigia, imagines, verba (1997), S. 427–451. 43 So schon AUSTIN , J OHN L ANGSHAW: How to Do Things With Words. The William James Lectures Delivered at Harvard University in 1955, Oxford: Clarendon, 1962. Vgl. auch D UFFY, M ERVYN: How Language, Ritual and Sacraments Work. According to John Austin, J¨urgen Habermas and Louis-Marie Chauvet, Rom: Editione Pontificia Universit`a Gregoriana, 2005; sowie M ASO , A LBERTO DAL: L’ efficacia dei sacramenti e la performance rituale. Ripensare l’ex opere operato a partire dall’antropologia culturale, Padua: Messaggero, 1999. 44 In peri hermeneias I 1, ed. Meiser (1880), S. 3 = AL II 1–2, S. 5 = AA 32.1, S 304: Sunt ergo ea quae sunt in voce earum quae sunt in anima passionum notae. vgl. dazu P INBORG , JAN: Die Entwicklung der Sprachtheorie im Mittelalter, M¨unster: Aschendorff, 1985 (Beitr¨age zur ¨ Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 42,2), S. 36, sowie G RUBM ULLER , K LAUS: Etymologie als Schl¨ussel zur Welt? Bemerkungen zur Sprachtheorie des Mittelalters, in: F ROMM , H ANS/H ARMS , W OLFGANG/RUBERG , U WE (Hrsg.): Verbum et Signum. Beitr¨age zur medi¨avistischen Bedeutungsforschung, M¨unchen: Fink, 1975, S. I,209–230, hier S. 213–215. Der Text wird unten, Kap. 5.2 des ersten Teils der vorliegenden Arbeit noch eingehender besprochen.
1.3 Die systematische Reichweite der Problematik
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mer bloß Abbild einer bereits zuvor existierenden Realit¨at, sie entstehen erst in der Reaktion auf schon Bestehendes. Die Vorstellung einer realit¨atsschaffenden Rede steht dem diametral entgegen und l¨asst sich in ein solch aristotelisch gepr¨agtes Verst¨andnis von Sprache schlicht nicht einordnen.45 Wo daher, wie bei den Sakramenten, die Performativit¨at eines Zeichenbezugs gegeben ist, m¨ussen Antworten aus anderen Disziplinen als der Sprachphilosophie gesucht werden. Zwar entwickelt die mittelalterliche Scholastik zur sprachphilosophischen Einordnung der Sakramente die spezifische Rede vom signum efficax, doch ist dies kaum mehr als ein Platzhalter f¨ur einen Zeichentyp, dessen Eigenheiten nicht in semiotischen, sondern in naturphilosophischen und metaphysischen Diskussionen umschrieben werden.46 Neben eine logisch-semitoische Betrachtungsweise tritt damit eine naturphilosophisch-metaphysische. Wenn es, um mit den naturphilosophischen Schnittstellen zu beginnen, die Sakramente als signa efficacia auszeichnet, dass sie etwas bewirken, so muss sich dies – wie jede Wirkung – in einer Ver¨anderung a¨ ußern, womit die Sakramente im Rahmen der Bewegungslehre betrachtbar und fassbar werden.47 Wenn die Sakramente wirksame Zeichen sind, so l¨asst sich zudem diskutieren, 45 Anders d¨urfte es aussehen, wenn man den hier interessierenden scholastisch-universit¨aren Kontext verlassen und neben seelsorgerlicher oder mystischer Literatur auch etwa Bildzeugnisse beiziehen w¨urde; vgl. mit Blick gerade auf das Verh¨altnis von Semiotik und Sakramentenlehre L ENTES , T HOMAS: Auf der Suche nach dem Ort des Ged¨achtnisses. Thesen zur Umwertung symbolischer Formen in Abendmahlslehre, Bildtheorie und Bildandacht des 14.–16. Jahrhun¨ derts, in: K R UGER , K LAUS/N OVA , A LESSANDRO (Hrsg.): Imagination und Wirklichkeit. Zum Verh¨altnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der fr¨uhen Neuzeit, Mainz, 2001, S. 21–46. Wie schwierig hingegen f¨ur mittelalterliche Scholastiker die Handhabung klassischer performativer Verben war, zeigen etwa die Probleme, die sich aus der Analyse des Objekts von promittere ergaben, vgl. B IARD , J O E¨ L: Le cheval de Buridan. Logique et philosophie du langage dans l’analyse d’un verbe intentionnel, in: P LUTA: Die Philosophie im 14. und 15. Jh. (1988), S. 119–137, sowie A SHWORTH , E ARLINE J.: ‘I Promise You a Horse’ – A Second Problem of Meaning and Reference in Late Fifteenth and Early Sixteenth Century Logic, in: Vivarium 14 (1976), S. 62–79. 46 In etwas gar anachronistischer Perspektive spricht E DWARD S CHILLEBEECKX deshalb von einem Kategorienfehler, der innerhalb des mittelalterlichen Denkrahmens wegen man” gelnder ph¨anomenologischer und semiotischer Erkenntnisse beinahe unvermeidlich“ gewesen sei (S CHILLEBEECKX , E DWARD: Hin zu einer Wiederentdeckung der christlichen Sakramente, in: H OLDREGGER , A./W ILS , J.-P. (Hrsg.): Interdisziplin¨are Ethik. Festschrift f¨ur Dietmar Mieth, Freiburg im Breisgau, 2002, S. 309–339, hier S. 330f.). 47 Beim Franziskanertheologen F RANCISCUS DE M ARCHIA geht dies so weit, dass er anl¨asslich der Frage nach der sakramentalen Wirkweise eine allgemeine Theorie zu entwickeln versucht, wie eine Kraft an einem sich in Bewegung befindlichen Objekt als Bewegungsursache h¨angen bleiben k¨onne, vgl. j¨ungst S CHABEL , C HRISTOPHER: Francis of Marchia’s Virtus derelicta and the Context of Its Development, in: Vivarium 44 (2006), S. 41–59, mit einer Edition der Redaktion B der ersten Quaestio von Buch IV aus M ARCHIAS Sentenzenkommentar; zu den unterschiedlichen Redaktion dieses Kommentars vgl. S CHABEL , C HRISTOPHER/F RIEDMAN , RUSSEL L.: Francis of Marchia’s Commentary on the Sentences. Question List and State of Research, in: Mediaeval Studies 63 (2001), S. 23–106, hier S. 57f.
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Kapitel 1: Einleitung
inwiefern sie als Ursache ihrer Wirkung gelten k¨onnen, so dass sich eine direkte Verbindung zwischen Sakramententheologie und Ursachenlehre auftut, wie sie normalerweise im Rahmen von Physikkommentaren betrieben wird.48 Da zumindest einige Sakramente schließlich ihre Wirkung entfalten, ohne dass es zwischen Spender und Empf¨anger des Sakraments zu einer Ber¨uhrung kommt, trifft die allgemeine Sakramentenlehre auf die Frage, inwiefern physikalisch gesehen eine Fernwirkung, eine actio in distans, u¨ berhaupt m¨oglich sei.49 Auch hier wird deutlich, dass Entscheidungen dar¨uber, was zu den Grundbedingungen einer Bewegung geh¨ore, was eine wahre Ursache ausmache oder wie eine actio in distans allenfalls denkbar sei, unmittelbare Auswirkungen auf das jeweilige Sakramentenverst¨andnis haben, wie ebenso eine bestimmte sakramententheologische Position nicht mehr mit jedem beliebigen naturphilosophischen Ansatz zusammengehen kann. Die metaphysischen Schnittstellen der Sakramentendiskussion ergeben sich vor allem daraus, dass die g¨ottliche Gnade, welche die Sakramente vermitteln, ¨ als etwas Ubernat¨ urliches verstanden wird. Zum einen werden damit die Diskussionen um das signum efficax ausgeweitet auf Fragen zur Weltordnung, zur ordo, die das Verh¨altnis von spiritualis und corporalis, von supra- und sublunar bestimmt. Unterschiedliche Ansichten u¨ ber die Scheidung dieser Ebenen von ¨ Nat¨urlichem und Ubernat¨ urlichem entscheiden insofern auch dar¨uber, inwiefern Sakramente als irdisch-k¨orperliche Entit¨aten Tr¨ager einer solch u¨ bernat¨urlichen Kraft wie der Gnade sein k¨onnen.50 Weil zum anderen die Gnade als 48
So beispielsweise O CKHAM: Reportatio in quartum sententiarum IV q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 8f. Dazu ausf¨uhrlicher unten, Teil IV, Kap. 23.1.1. 49 Bekanntlich legt A RISTOTELES in Phys VII,2 (243 a 4) fest, dass jede Bewegung, die keine Selbstbewegung ist, von einer Ber¨uhrung ausgehen muss, dazu D ECAEN , C HRISTO PHER A.: The Impossibility of Action at a Distance, in: K WASNIEWSKY, P ETER A. (Hrsg.): Wisdom’s Apprentice. Thomistic Essays in Honor of Lawrence Dewan, O.P. Washington, 2007, S. 173–200, hier S. 180f. An j¨ungeren Beitr¨agen zu dieser Problematik zu erw¨ahnen sind zudem D ELAURENTI , B E´ ATRICE: La fascination et l’action a` distance: questions m´edievales (1230–1370), in: M´edi´evales 50 (2006), S. 137–154, und PANTIN , I SABELLE: Fracastoro’s ‘De contagione’ and Medieval Reflection on ‘Action at a Distance’. Old and New Trends in Renaissance Discourse on Contagion, in: C ARLIN , C LAIRE L. (Hrsg.): Imagining Contagion in Early Modern Europe, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2005, S. 3–15). Die theologische Dimension dieses physikalischen Grundsatzes wird zwar mehr noch im Bereich der Gotteslehre gesehen (vgl. etwa T HOMAS VON AQUIN, Summa theologiae I q 8, a 1, ad 3, ed. Caramello (1952), S. 36b), im Rahmen der Sakramentenlehre aber dennoch zumindest auch gestreift, vgl. etwa R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, arg 6, ed. prov. Goering (i.E.), S. 42. Vgl. in einem weiteren Sinne auch neben der eben erw¨ahnten Frage nach der Kraft¨ubertragung in Wurfgeschossen bei F RANCISCUS DE M ARCHIA (s. oben, Anm. 8) das Magnetismus-Beispiel bei A DAM W ODEHAM (Paris, Univ. 193, fol. 212ra). 50 Zutiefst von dieser Problematik gepr¨agt sind vor allem B ONAVENTURAS Ausf¨uhrungen: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 19f.; dazu ausf¨uhrlicher unten im zweiten Teil, Kap. 10.2.
1.3 Die systematische Reichweite der Problematik
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spirituelle Entit¨at nicht aus den k¨orperlichen Gegebenheiten des empfangenden Menschen gebildet sein kann und folglich voraussetzungslos entstanden ist, muss sie als geschaffen, der Vermittlungsakt damit als Sch¨opfung gelten. Parallel zu den Diskussionen um die Beseelung des Menschen mit seiner intellektiven Seele51 wird f¨ur die Sakramentenlehre daher die Frage virulent, ob es Gesch¨opfen m¨oglich sei, selbst etwas zu erschaffen. Die Problematik, die als Philosophenstreit zwischen A RISTOTELES und AVICENNA noch um 1300 vor allem im Rahmen von Quaestiones quodlibetales behandelt wird,52 hat schon P ETRUS L OMBARDUS im Rahmen der f¨unften Distinktion von Buch IV eher beil¨aufig gestreift und damit ihre implizite sakramententheologische Relevanz deutlich gemacht.53 Gerade weil P ETRUS allerdings die M¨oglichkeit in Betracht zieht, dass Gesch¨opfe etwas erschaffen k¨onnen, und sich damit aus aristotelischer Sicht nicht nur philosophische Schwierigkeiten einhandelt, sondern auch theologisch eine heikle Schr¨aglage ins Verh¨altnis von Sch¨opfer und Gesch¨opf zu bringen droht,54 ist sie von Autoren vor allem des fr¨uhen 14. Jahrhunderts f¨ur so zentral angesehen worden, dass sie immer wieder prominent im Rahmen des Pro¨omiums zu Buch IV auftaucht.55 Beantwortet wird die Frage al51 Vgl. etwa S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 1, q un., n 150, ed. Vaticana (2008), S. 54; eine weitere Verbindungen zwischen Psychologie und Sakramentenlehre ergibt sich aus Frage, ob mit den sensibilia nicht auch etwas K¨orperliches auf die geistige Seele einwirke (so etwa Ockham: Reportatio in quartum sententiarum IV q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 12. 52 Aus dem Zeitraum von 1260 bis 1315 sind mindestens neun solche quodlibetale Quaestiones zur Frage erhalten utrum creatura possit creare, vgl. den analytischen Index von C ROSS , R ICHARD: Appendix. Natural Philosophy: An Analytic Index, in: S CHABEL: Theological quodlibeta 2 (2007), S. 701–758, hier S. 713. Allgemein zur Gattung quodlibetaler Quaestionen vgl. den Beitrag von H AMESSE , JACQUELINE: Theological Quaestiones Quodlibetales, in: S CHABEL: Theological quodlibeta 2 (2007), S. 17–48; zur Ausgangslage zwischen A RISTOTE LES und AVICENNA vgl. M C C ORD A DAMS , M ARILYN : Can Creatures Create? in: Philosophia 34 (2006), S. 101–128. 53 P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 5, c 3, ed. Grottaferrata (1981), S. 266–268; zur Vorgeschichte der Problematik in der Fr¨uhscholastik vgl. L ANDGRAF, A RTUR M ICHAEL: Dogmengeschichte der Fr¨uhscholastik III,1. Die Lehre von den Sakramenten, Regensburg: Pustet, 1954, S. 172f. 54 Der Abschnitt bei P ETRUS L OMBARDUS wurde f¨ur so problematisch gehalten, dass er in die Liste der Artikel aufgenommen wurde, in welchen seiner Lehre gemeinhin nicht gefolgt werde (vgl. die Edition N IKOLAUS K ESSLERS: Textus Sententiarum cum conclusionibus ac titulis quaestionum sancti Thome Articulisque Parisiensis et in quibus magister communiter non tenetur, Basel 1489, fol. S4r: Septimo quod deus potuit dare potentiam creaturae creandi et interius abluendi, id est peccatas dimittendi: distinctione quinta capitulo ultimo ≪Hic queritur quae sit≫. Vel sic quod Deus poterat dare potestatem aliis baptizandi interius, et quod creatura potuerit suscipere, et similiter quod Deus poterat potestatem creandi creaturae communicare et creare per creaturam tamquam per ministrum. Entsprechend f¨uhrten fr¨uhneuzeitliche Drucke an dieser Stelle die Marginalie hic magister non tenetur (ebd. fol. H5vb), was selbst die Edition von 1916 noch als Fußnote anmerkt. 55 Prominentestes Beispiel ist sicherlich P ETRUS AUREOLI: Commentaria super sententiarum, ed. Rom 1605, S. 2a–9a (die Textgestalt des Drucks ist nicht u¨ ber alle Zweifel erhaben,
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Kapitel 1: Einleitung
lerdings meist negativ,56 so dass auch diese Diskussion noch einmal deutlich macht, wie schwierig es f¨ur mittelalterliche Scholastiker gewesen ist, performative Sprechakte als eine Form von realit¨atsschaffender Rede anzusehen. Realit¨atsschaffende Rede gibt es sehr wohl im mittelalterlichen Denken, aber es ist solches Reden allein Gott vorbehalten, so dass es geradezu zum spezifischen Unterschied zwischen g¨ottlicher und menschlicher Rede werden kann, dass diese erschafft, jene aber bloß bezeichnet.57 Mit der Frage, inwiefern die Sakramente selbst ins Gnadengeschehen involviert seien, wird schließlich auch ein dritte metaphysische Problematik angeschnitten: die Frage n¨amlich nach der Allmacht und Freiheit Gottes. Diese Frage ist lange als zentrale Scheidefrage des ausgehenden Mittelalters betrachtet worden;58 und in den Debatten um eine tats¨achliche Wirksamkeit der Sakramente geht es nicht zuletzt um genau diese Freiheits-Problematik: Sind die Sakramente n¨amlich an der Gnadenvermittlung beteiligt, so muss gekl¨art wer-
vgl. zur vorliegenden Stelle N IELSEN , L AUGE O LAF: Signification, Likeness, and Causality. The Sacraments as Signs by Divine imposition in John Duns Scotus, Durand of St. Pourc¸ain, and Peter Auriol, in: M ARMO: Vestigia, imagines, verba (1997), S. 223–253, hier S. 237 mit Anm. 45). Hier wird die quaestio prohemialis zu Buch IV schlicht de creatione betitelt, und in Anlehnung an das Vokabular aus der f¨unften Distinctio des Sentenzentexts fragt AUREO LI utrum sacramentis seu sacramentorum ministris communicari potuit aliqua virtus creativa respectu sacramentalis effectus. Was dann folgt, ist allerdings ein kleiner, von der Sakramentenfrage losgel¨oster Traktat. 56 Eine der wenigen Ausnahmen findet sich in der zweiten Redaktion von D URANDUS’ Sen¨ , L UDWIG: Die Grundfragen der Sakramentenlehre nach Herveus tenzenkommentar, vgl. H ODL Natalis O.P. (+1323), M¨unchen: Karl Zink, 1956 (M¨unchener Theologische Studien), S. 169; zu den unterschiedlichen Redaktionen von D URANDUS’ Kommentar s.u., S. 193. 57 Zu Versuchen, diese Differenz im Rahmen der Mystik zumindest ansatzweise zu u¨ berwinden vgl. H ASEBRINK , B URKHARD: mitew¨urker gotes. Zur Performativit¨at der Umdeutung in den deutschen Schriften Meister Eckharts, in: S TROHSCHNEIDER , P ETER (Hrsg.): Literarische und religi¨ose Kommunikation in Mittelalter und fr¨uher Neuzeit, Stuttgart, 2009, S. 62–88. 58 Die Unterscheidung zwischen der potentia Dei absoluta und der potentia Dei ordinata wurde lange als key nominalist distinction“ gehandelt (so noch ROSEMANN: Great Me” dieval Book (2007), S. 157) und mit der bekannten negativen Sicht auf ‘den Nominalismus’ verbunden, so BANNACH , K LAUS: Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung, Wiesbaden: Franz Steiner, 1975; vgl. nun auch KOBUSCH , T HEO: Analogie im Reich der Freiheit? Ein Skandal der sp¨atscholastischen Philosophie und die kritische Antwort der Neuzeit, in: A ERTSEN/P ICKAV E´ : ‘Herbst des Mittelalters’? (2004), S. 251–264. Revidiert wurde diese Sicht bereits durch C OUR TENAY, W ILLIAM J.: Capacity and Volition. A History of the Distinction of Absolute and Ordained Power, Bergamo, 1990 und M OONAN , L AWRENCE: Divine Power. The Medieval Power Distinction up to its Adoption by Albert, Bonaventure, and Aquinas, Oxford: Clarendon, 1994; vgl. dazu OAKLEY, F RANCIS: The Absolute and Ordained Power of God in Sixteenth- and Seventeenth-Century Theology, in: Journal of the History of Ideas 59 (1998), S. 437–461, hier S. 438–440.
1.3 Die systematische Reichweite der Problematik
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den, inwiefern dies nicht das Konzept der g¨ottlichen Allmacht in Frage stellt.59 Die zwei grunds¨atzlichen Positionen, die das sp¨ate Mittelalter als Modelle f¨ur die sakramentale Wirkweise kennt, jene des Paktgeschehens und jene der instrumentalen Miturs¨achlichkeit, lassen sich entsprechend auch analog zu den Antworten zur Allmachtsfrage einordnen: W¨ahrend die Mitwirkungs-Variante kein Problem hat, dem sakramentalen Geschehen eine gewisse Notwendigkeit zuzusprechen, sieht das Gegenmodell genau darin eine ungeb¨uhrliche Einschr¨ankung der g¨ottlichen Freiheit, so dass es die sakramentale Wirkung v¨ollig unabh¨angig von den konkreten Sakramenten allein in der potentia Dei ordinata begr¨undet.60 Diese Reihe von logischen, grammatischen, semiotischen, physikalischen, metaphysischen und theologischen Problemen ließe sich noch einmal massiv erweitern und auf praktische, ethische und juristische Fragen ausdehnen, wenn der Fokus nicht auf die Wirksamkeitsfrage beschr¨ankt bliebe, sondern auf die einzelnen Sakramente erweitert w¨urde.61 Nun ist allerdings eine solche Vermengung der Disziplinen im Wissensbetrieb der mittelalterlichen Universit¨aten auch selbst Gegenstand akademischer Er¨orterung geworden. Es zeichnet insbesondere das ausgehende Mittelalter aus, dass das Verh¨altnis der Disziplinen zueinander und insbesondere der Einbezug der Philosophie in die Theologie problematisiert worden sind: Bereits J OHANNES BURIDAN unterscheidet in der Mitte des 14. Jahrhunderts im Pro¨omium seines Ethik-Kommentars eine theoretische, ‘spekulative’ Logik von einer praktischen, ‘moralischen’,62 was J EAN G ERSON am Beginn des 15. Jahrhunderts zu seiner ber¨uhmten Rede von den zwei unterschiedlichen Logiken von Theologie und Metaphysik ausarbei-
59 So diskutiert etwa M ICHAEL A IGUANI in seiner einleitenden quaestio zu Buch IV (utrum absque sacramentorum gratia viator possit ad meritum proficere ex voluntate sua libera) ausf¨uhrlich, dass die Sakramente stante lege Dei data zwar heilsnotwendig seien, dass aber secundum Dei absolutum posse viator sine gratia potest ad meritum proficere (In quatuor libros sententiarum, ed. Venedig 1622, S. 337a und 339b–342a). 60 Vgl. bereits C OURTENAY, W ILLIAM J.: Covenant and Causality in Pierre d’Ailly, in: Speculum 46 (1971), S. 94–119 und H AMM , B ERNDT: Promissio, pactum, ordinatio. Freiheit und Selbstbindung Gottes in der scholastischen Gnadenlehre, T¨ubingen: J.C.B. Mohr, 1977 (Beitr¨age zur historischen Theologie 54), S. 479–489. 61 So kommen juristische Fragen vor allem beim Ehesakrament ins Spiel (vgl. die nun auch Deutsch zug¨angliche Studie von W ITTE , J OHN: Vom Sakrament zum Vertrag. Ehe, Religion und ¨ Recht in der abendl¨andischen Tradition, G¨utersloh: G¨utersloher Verlagshaus, 2008 (Offentliche Theologie 15); urspr¨unglich Louisville 1997); einen weiten Raum f¨ur ethische und praktische Fragen er¨offnet auch die Bußthematik. 62 Vgl. J OHANNES B URIDAN: Super decem libros ethicorum Pro¨om., ed. Paris 1513, fol. 2rb: Duplici logica seu dialectica indigemus. Una quidemque simpliciter docet modum inveniendi dubiam veritatem, et illam vocamus logicam simpliciter vel dialecticam, et alia contracta quae docet modum quo simul et dubium et verum invenitur [...], et haec vocatur dialectica moralis.
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Kapitel 1: Einleitung
ten wird;63 die Pariser Statuten von 1366 fordern eine Beschr¨ankung des Einbezugs von logischen und philosophischen Fragen in der Auslegung der Sentenzen;64 und P IERRE D ’A ILLY stuft vor der Wende zum 15. Jahrhundert die Autorit¨at von T HOMAS VON AQUIN deswegen zur¨uck, weil er sich in theologi¨ schen Fragen zu sehr auf philosophische Uberlegungen gest¨utzt habe.65 So sehr daher in der Wirksamkeitsfrage semiotische, physikalische und metaphysische ¨ Uberlegungen zusammenkommen, scheinen sich sp¨atmittelalterliche Theologen, wenn sie sich an systematischen Schnittstellen wie der vorliegenden bewegen, stets auch u¨ berlegen zu m¨ussen, inwiefern ein R¨uckgriff auf Probleme der angrenzenden Disziplinen u¨ berhaupt angebracht ist. Hinzu kommt ein Weiteres: Es ist bereits angedeutet worden, dass AUGU STINS Aussagen zur sakramentalen Wirksamkeit nicht eindeutig sind, dass er sich aber sehr wohl etwa zu einer ‘Kraft’ im Taufwasser a¨ ußert.66 F¨ur das 13. Jahrhundert ist die Ausgangslage damit klar: Die auctoritates, die zur Wirksamkeitsfrage zusammengetragen werden, scheinen eine sakramentale Urs¨achlichkeit so offensichtlich zu belegen, dass T HOMAS VON AQUIN behaupten kann, es seien alle gezwungen, davon auszugehen, dass die Sakramente selbst Ursache der Gnade seien.67 Die Wirksamkeitsproblematik sieht sich daher von Autorit¨atenaussagen vorbestimmt; letztlich sind es sogar diese auctoritates, die die sp¨atmittelalterliche Debatte u¨ berhaupt initiieren: Denn g¨abe es sie nicht, dann ließe sich den Sakramenten schlechthin jegliche Wirksamkeit absprechen und die ganzen semiotischen, physikalischen und metaphysischen Folgeprobleme er¨ubrigten sich. So aber, in diesem Zusammenspiel von sakramentalem Zeichencharakter und auctoritates, die deren Wirksamkeit behaupten, wirft die Frage nach der Wirkweise der Sakramente nicht nur eine ganze Reihe philosophischer Folgeprobleme auf, sondern sie ber¨uhrt damit auch die grunds¨atzlichen 63
J EAN G ERSON: De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963); dazu ausf¨uhrlich unten, Teil I, Kap. 3.1. Zu G ERSONS Anlehnung an J OHANNES B URIDAN vgl. K ALUZA , Z ENON: Le chancelier Gerson et J´erˆome de Prague, in: Archives d’histoire doctrinale et litt´eraire du moyen aˆ ge 51 (1984), S. 81–115, hier S. 108f. 64 CUP III Nr. 1319, S. 143f.; vgl. A SZTALOS , M ONIKA: Die theologische Fakult¨at, in: ¨ R UEGG : Geschichte der Universit¨at I (1993), S. 359–385, hier S. 379f. 65 So in der Auseinandersetzung mit J OHANNES DE M ONTESONO, vgl. P IERRE D ’A ILLY: Tractatus contra fratrem Johannem de Montesono III 3.1, ed. du Plessis d’Argentr´e (1728), ¨ S. 117b. Zu diesem Streit vgl. M ULLER , S IGRID: Pierre d’Ailly und die ‘richtige’ ThomasInterpretation. Theologisch-Hermeneutische Prinzipien als Grundlage des Wegestreits, in: Traditio 60 (2005), S. 339–368, und nun auch H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Categories of Medieval Doxography. Reflections on the Use of ‘Doctrina’ and ‘Via’ in 14th and 15th Century ¨ Philosophical and Theological Sources, in: B UTTGEN : Vera doctrina (2009), S. 63–84, hiers S. 75–78. 66 S.o., Anm. 20. 67 Vgl. T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31: Omnes coguntur ponere, sacramenta novae legis aliquo modo causas gratiae esse. Dazu ausf¨uhrlich unten, in Kap. 11.1 im zweiten Teil.
1.4 Der Stand der bisherigen Forschung
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Fragen zum Verh¨altnis von auctoritas und ratio und zum Verh¨altnis der Disziplinen zueinander. Es ist dieser komplexen Schnittstelle von unterschiedlichsten Problembereichen, es ist diesem s¨atmittelalterlichen Spannungsfeld von Autorit¨atenfragen, rationalen Anspr¨uchen und einer Sensibilit¨at f¨ur das Trennende zwischen den akademischen Disziplinen, kurz: es ist der Behandlung der Frage nach der sakramentalen Wirkweise, der sich die vorliegende Untersuchung zuwenden will.
1.4 Der Stand der bisherigen Forschung Die Wirksamkeitsfrage hat in der bisherigen Forschung keine große Beachtung gefunden. Unter den scholastischen Autoren hat einzig T HOMAS VON AQUIN mit seinen diversen Ausf¨uhrungen zur Thematik ein gr¨oßeres Interesse erregt,68 so dass denn auch eine der wenigen monographischen Studien, die bisher zur Wirksamkeitsfrage erschienen ist, vollumf¨anglich auf T HOMAS ausgerichtet ist: Es handelt sich um J OHN F. G ALLAGHER ’ S Significando causant – a Study of Sacramental Efficiency, die 1965 in Fribourg erschienen ist.69 Zwar widmet sich nur rund ein Viertel der Ausf¨uhrungen von G ALLAGHER dem Aquinaten selbst,70 doch sind die vorangehenden Kapitel seiner Untersuchung ebenso wie die abschließenden Teile bloß als Hinf¨uhrungen zu T HOMAS und als Beschreibung seiner Nachwirkungen konzipiert.71 Die Verwurzelung G ALLAGHERS in der thomistischen Tradition dringt in seiner Darstellung denn auch deutlich durch, und die Studie hat weniger einen historischen, als einen systematischen Anspruch, weil G ALLAGHER in Anlehnung an T HOMAS VON AQUIN das Problem der sakramentalen Wirksamkeit selbst zu kl¨aren versucht.72 68 Umso bedauerlicher ist es, dass N ISSING , H ANNS -G REGOR: Sprache als Akt bei Thomas von Aquin, Leiden: Brill, 2006 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 87), S. 463f., zwar erkennt, dass die Sakramente in T HOMAS’ Sprachverst¨andnis einer der wenigen F¨alle sind, die mit der modernen Sprechakttheorie als ‘Performativa’ zu beschreiben w¨aren“, ” ¨ es bei einem knappen Hinweis auf solche ins Feld der Theologie f¨uhrende Uberlegungen“ al” lerdings bleiben l¨asst. F¨ur bibliographische Informationen zu T HOMAS ’ Behandlung der Wirksamkeitsproblematik s.u., S. 150, Anm. 2. 69 G ALLAGHER , J.F.: Significando Causant. A Study of Sacramental Efficiency, Fribourg (Schweiz): St. Paul’s Press, 1965 (Studia Friburgensia. Nouvelle s´erie 40), 264 Seiten. 70 Ebd., S. 82–134, Kap. 3: Saint Thomas: the evolution of his thought“. ” 71 Der Titel des zweiten Kapitels lautet entsprechend: First efforts to penetrate the mystery: ” the scholastics before St. Thomas“ (ebd. S. 55–81); der Titel des vierten lautet: After Thomas: ” further development of thought“ (ebd. S. 135–188). 72 Vgl. bereits ebd. S. 2: We shall be led to the conclusion that among the various expla” nantions thus far proposed, that of Saint Thomas Aquinas best acccounts for the mystery as it has been revealed by God.“ So geht das f¨unfte Kapitel seiner Studie von rein systematischen ¨ Uberlegungen aus, um von deren Ergebnissen her eine Relecture von T HOMAS zu bieten.
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Kapitel 1: Einleitung
Obwohl einschl¨agiges Quellenmaterial bereits in den 1930er Jahren zug¨anglich gemacht worden ist,73 hat erst 2004 I R E` NE ROSIER -C ATACH eine vertiefte historische Studie zur Wirksamkeitsproblematik vorgelegt.74 Ihr Werk (La parole efficace – singe, rituel, sacr´e) bietet eine akribische Untersuchung vor allem der genannten sprachphilosophischen Verflechtungen,75 geht bei weitem nicht nur die allgemeine Sakramentenlehre, sondern auch auf die Sprechakte von Taufe, Abendmahl und Ehe ein, widmet sich Fragen zur Intentionalit¨at von Sakramentsspender und Sakramentsempf¨anger76 und illustriert die Wirksamkeitsfrage mit Anleihen bei verwandten Problemen wie jenem der Magie oder der Schw¨ure.77 Vor allem aber vermag ROSIER die beiden genannten Modelle sakramentaler Wirksamkeit genau zu profilieren, indem sie nachzeichnet, wie sich die zwei Varianten in der Diskussion des fr¨uhen 13. Jahrhunderts langsam ausbilden und noch vor der Jahrhundertmitte bereits unvers¨ohnlich gegen¨uber stehen: Auf der einen Seite finden sich Vertreter des Mitwirkungs-Modells, das den Sakramenten eine eigene, physikalische Urs¨achlichkeit zuspricht – sei es als causa disponens, indem die Sakramente die Seele f¨ur den Gnadenempfang vorbereiten, sei es als causa instrumentalis, indem sie zu Instrumenten des g¨ottlichen Wirkens werden.78 Auf der anderen Seite stehen Autoren, die eine sakramentale Mitwirkung ausschliessen und die Gnadenspendung im sakramentalen Vollzug vielmehr mit dem Konzept eines Pakts begr¨unden: Gott habe sich mit der Einsetzung der Sakramente verpflichtet, jedesmal selbst sch¨opferisch einzugreifen, wenn eine Sakramentshandlung korrekt ausgef¨uhrt werde.79 73 F¨ur Texte franziskanischer Autoren vgl. L AMPEN , W ILLIBRORD: De causalitate sacramentorum iuxta scholam Franciscanam, 1931 (Florilegium Patristicum XXVI); einschl¨agige dominikanische Texte sind gesammelt worden von S IMONIN , H.D./M EERSSEMAN , G.: De Sacramentorum efficientia apud theologos ordinis praedicatorum, Rom: Angelicum, 1936. Ein ordens-unabh¨angiges Florilegium bietet G IERENS , M.: De causalitate sacramentorum seu de modo explicandi efficientiam sacramentorum novae legis. Textus scholasticorum principaliorum, Rom, 1935 (Pontificia Universitas Gregoriana. Textus et documenta. Series theologica 16). 74 ROSIER -C ATACH , I R E` NE: La parole efficace. Signe, rituel, sacr´e, Paris: Seuil, 2004, 780 Seiten. Vgl. die Rezension von C OURTENAY, W ILLIAM J.: Review of ‘Ir`ene Rosier Catach: La parole efficace (Paris 2004)’, in: Speculum 81 (2006), S. 909–911. 75 So im ersten ( Le sacrement, signe et cause“) und im dritten Teil ( Les formules sacra” ” mentelles“), S. 35–91 und 185–256. 76 Ebd. Teil 4 ( L’intention“), S. 263–345. ” 77 Ebd. Teil 2, Kap. 2.3f. (S. 112–124) und Teil 4, Kap. 4 (S. 295–323). Zur Eides- und Schwurproblematik vgl. bereits ROSIER -C ATACH , I R E` NE: Le serment et les th´eories linguistiques m´edi´evales, in: Memini. Travaux et documents 2 (1998), S. 3–28; zur Magie vgl. nun auch D ELAURENTI , B E´ ATRICE: La puissance des mots – virtus verborum. D´ebats doctrinaux sur le ˆ pouvoir des incantations au Moyen Age, Paris: CERF, 2007. 78 ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), Teil 2, Kap. 1 ( La th´eorie de la causalit´e ” physique mat´erielle et dispositive“), S. 100–102; vgl. auch ebd. S. 125 und Kap. 4 ( Thomas ” d’Aquin et la causalit´e physique instrumentale“), S. 135–139. 79 Ebd. Teil 2, Kap. 2, S. 103–123.
1.4 Der Stand der bisherigen Forschung
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So sehr es nun das große Verdienst von I R E` NE ROSIER -C ATACH ist, die Wirksamkeitsfrage zum ersten Mal in historisch fundierter Weise aufgearbeitet zu haben, werden doch insbesondere zwei Leerstellen deutlich, die im Hinblick auf das vorliegende Projekt von Belang sind: Erstens bleibt der Autorit¨aten-Aspekt bei ROSIER ausgeblendet.80 Das ist bei einer Studie, die andere Gesichtspunkte der Problematik in so detaillierter Weise aufgreift, durchaus verzeihlich – es macht aber deutlich, wo die Wirksamkeitsfrage noch weiter ¨ aufzuarbeiten ist. Zweitens geht ROSIER in ihrem Uberblick nicht u¨ ber D UNS 81 S COTUS hinaus. Auch dies ist bei einem Werk, das fast 800 Seiten umfasst, verst¨andlich; allerdings bleiben damit die Debatten der zwei folgenden Jahrhunderte des sp¨atmittelalterlichen scholastischen Betriebs im Dunkeln. Der einzige, der sich ansatzweise diesen sp¨atmittelalterlichen Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsfrage gewidmet hat, ist der spanische Jesuit DANIEL I TUR RIOZ, der 1951 eine Studie zu den Trienter Beschl¨ ussen zur WirksamkeitsProblematik vorgelegt und darin auch kurz die Vorgeschichte der Problematik gestreift hat.82 Naheliegenderweise interessiert sich I TURRIOZ vor allem f¨ur jene Aspekte der Wirksamkeitsfrage, die auch am Trienter Konzil eine Rolle gespielt haben. Dennoch begn¨ugt er sich in dieser Vorgeschichte nicht einfach mit einem knappen Referat der u¨ blichen großen Namen. Stattdessen f¨uhrt er eine Reihe kaum je beachteter Theologen des 15. Jahrhunderts an;83 und auch wenn sich seine Darstellungen oft auf einige wenige Zeilen beschr¨anken, kommt ihm damit doch das Verdienst zu, zumindest darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass die Wirksamkeitsfrage im ausgehenden Mittelalter weiterhin bearbeitet worden ist. Dass das ausgehende Mittelalter und das 15. Jahrhundert im Besonderen in der modernen Forschung noch kaum Beachtung gefunden haben, ist be80
Das h¨angt mit ROSIERS Ansatz zusammen: La pr´esente e´ tude se situe [...] d’abord dans ” une perspective d’histoire des conceptions linguistiques et s´emiotiques, le point de d´epart de notre parcours n’´etant pas l’histoire ou la th´eologie mais la linguistique ou, plus pr´ecis´ement, l’histoire des id´ees linguistiques“ (ebd. S. 25). 81 Vgl. ebd. S. 30, sowie C OURTENAY: Review of ‘La parole efficace’ (2006), S. 911. Einer der wenigen sp¨ateren Autoren, der zumindest in den Fußnoten regelm¨aßig auftaucht, ist G ABRIEL B IEL. Naheliegendere Autoren, die sich viel unmittelbarer mit S COTUS auseinandergesetzt haben, wie etwa J OHANNES DE BASSOLIS, D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN oder P ETRUS AUREOLI fehlen allerdings komplett. 82 I TURRIOZ , DANIEL: La definicion del concilio de Trento sobre la causalidad de los sacramentos, Madrid: Editiones FAX, 1951 (Estudios Onienses. Serie III 3), 378 Seiten. 83 Vor allem bei den franziskanischen Autoren f¨allt auf, dass I TURRIOZ von B ONAVENTU RA und S COTUS direkt zu unbekannten Autoren des 15. Jahrhunderts wie N ICOLAUS DE O R BELLIS , S TEPHAN B RULEFER, N ICOLAS D ENYSE , P ELBARTUS T EMESWAR und P ETRUS TARTARETUS u¨ bergeht (ebd. S. 57–65). An weiteren Autoren des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts werden J OHANNES C APREOLUS, G IROLAMO S AVONAROLA, D IEGO DE D EZA und C AJETAN (ebd. S. 72–85), sowie G ABRIEL B IEL, J OHANNES A LTENSTEIG, J OHN M AIR und JACQUES A LMAIN untersucht (ebd. S. 98–107).
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Kapitel 1: Einleitung
kanntlich keine Eigenheit der Wirksamkeitsproblematik, sondern ein generelles Kennzeichen der Philosophie- und Theologiegeschichte. Im Vergleich zu den vorangehenden Jahrhunderten ist diese Sp¨atphase der mittelalterlichen Scholastik von der modernen Forschung kaum beachtet worden: Gesamtdarstellungen der mittelalterlichen Philosophie beschr¨anken sich meist auf einige wenige Seiten zum 15. Jahrhundert,84 Sammelb¨ande zur Philosophiegeschichte des ausgehenden Mittelalters bleiben schwerpunktm¨aßig auf das 14. Jahrhundert beschr¨ankt,85 und die wenigen u¨ berblicksm¨aßigen Entw¨urfe, die bisher zum 15. Jahrhundert vorgelegt worden sind, sind so knapp angelegt, dass sie sich auf einige wenige Schlaglichter konzentrieren.86 Wo thematische Studien u¨ ber das Interesse an Einzelpersonen hinaus einen allgemeineren Blick auf das 15. Jahrhundert pr¨asentieren, liegt dieser auf Aspekten der Fr¨ommigkeitsgeschichte,87 84
Selbst F LASCH , K URT: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, Stuttgart: Reclam, 2 2000, der S. 563 explizit festh¨alt, dass es unhistorisch gedacht“ ” sei, das 15. Jahrhundert aus einer Darstellung der mittelalterlichen Philosophie auszuklammern, beschr¨ankt sich auf einige Exponenten der Renaissance und N IKOLAUS VON K UES; bloß einen knappen Abschnitt zum K USANER bieten auch etwa PAPROTNY, T HORSTEN: Kurze Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, Freiburg im Breisgau: Herder, 2007 (Herder-Spektrum 5777), S. 174–180, oder D ECORTE , J OS: Eine kurze Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, Paderborn: Sch¨oningh, 2006 (Uni-Taschenb¨ucher 2439). Eine der j¨ungsten Philosophiegeschichten des Mittelalters, welche das 15. Jahrhundert generell ausklammert, ist M ARENBON , J OHN: Medieval Philosophy. An Historical and Philosophical Introduction, London: Routledge, 2007 (vgl. den Epilog auf S. 349–351). 85 Vgl. etwa P LUTA: Die Philosophie im 14. und 15. Jh. (1988). Auch die etwas erweiterte Perspektive des von M ARSILIUS VON I NGHEN ausgehenden Sammelbandes von H OE NEN , M AARTEN J.F.M./BAKKER , PAUL J.J.M. (Hrsg.): Philosophie und Theologie des ausgehenden Mittelalters. Marsilius von Inghen und das Denken seiner Zeit, Leiden: Brill, 2000 bleibt weitgehend auf das sp¨ate 14. Jahrhundert beschr¨ankt. Ausf¨uhrlicher mit einbezogen werden Aspekte des 15. Jahrhunderts immerhin in A ERTSEN/P ICKAV E´ : ‘Herbst des Mittelalters’? (2004). 86 Vgl. v.a. K ALUZA , Z ENON: Late Medieval Philosophy, 1350–1500, in: M ARENBON: Medieval Philosophy (1998), S. 426–451. Den allgemeinen Fokus aufs 14. Jahrhundert unterstreicht auch K ALUZA , Z ENON: Bulletin d’Histoire des doctrines m´edi´evales. Les XIVe et XVe si`ecles, in: Revue des Sciences Philosophiques et Th´eologiques 80 (1996), S. 317–349. Zumindest umfangsm¨aßig eine Ausnahme bildet das aus sechs B¨anden bestehende polnische Werk von S TEFAN S WIE Z˙ AWSKI (Dzieje filozofii europejskiej w XV wieku, Warschau 1974 bis ¨ 1983), das in gek¨urzter Form auch in franz¨osischer Ubersetzung vorliegt (S WIE Z˙ AWSKI , S TE FAN : Histoire de la philosophie europ´eenne au XVe si`ecle. Adapt´ee par Mariusz Prokopowicz; traduit du polonais par Henry Rollet et Mariusz Prokopowicz, Paris: Beauchesne, 1990), das allerdings das 15. Jahrhundert so sehr von den vorangehenden und insbesondere von T HOMAS VON AQUIN her bewertet, dass kaum ein eigenst¨andiges Bild dieser letzten Phase der Scholastik entsteht; vgl. dazu auch B OLLIGER , DANIEL: Infiniti Contemplatio. Grundz¨uge der Scotusund Scotismusrezeption im Werk Huldrych Zwinglis, Leiden: Brill, 2003 (Studies in the History of Christian Thought 107), S. 52–56. 87 Bevorzugte Themen sind die Devotio moderna (vgl. D ERWICH , M AREK/S TAUB , M. (Hrsg.): Die ‘neue Fr¨ommigkeit’ in Europa im Sp¨atmittelalter, (Ver¨offentlichungen des Max-Planck-Instituts f¨ur Geschichte 205) G¨ottingen, 2004) oder die Mystik (vgl. M ASUR -
1.4 Der Stand der bisherigen Forschung
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auf spezifischen Problemen zum Wegestreit88 oder steht g¨anzlich im Zeichen von Renaissance oder Reformation.89 Abgesehen von einigen allgemeinen Hinweisen auf den Richtungsstreit zwischen den unterschiedlichen philosophischen Schulen ist ein eigenst¨andiges Bild der universit¨aren Philosophie und Theologie, wie sie im 15. Jahrhundert betrieben worden sind, bisher noch nicht gezeichnet worden, so dass sich auch etwa das Klischee von nominalistisch bedingten Zerfallserscheinungen des Sp¨atmittelalters weiterhin halten kann.90 ¨ Das Fehlen eines fundierten Uberblicks wird nicht zuletzt auch hinsichtlich der Textgattung deutlich, die hier ins Zentrum des Interesses ger¨uckt werden soll: Die Sentenzenliteratur des 15. Jahrhunderts ist weitgehend unerforscht. ¨ Abgesehen von einigen punktuellen Studien91 fehlen bisher Uberblicke, in welchen die Entwicklung der Kommentargattung im ausgehenden Mittelalter nachM ATUSEVICH , Y ELENA: Le si`ecle d’or de la mystique franc¸aise: un autre regard. Etude de la ´ litt´erature spirituelle de Jean Gerson (1363–1429) a` Jacques Lef`evre d’Etaples (1450?–1537), Paris: Arch`e, 2004 (Collection Fides Nostra 2)). Zur Fr¨ommigkeitsgeschichte vgl. auch B YNUM , C AROLINE WALKER: Wonderfull Blood. Theology and Practice in Late medieval Northern Germany and Beyond, Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2007. 88 ¨ -R UDIGER ¨ Besondere Erw¨ahnung verdient hier T EWES , G OTZ : Die Bursen der K¨olner Artisten-Fakult¨at bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, K¨oln: B¨ohlau, 1993, der den Wegestreit weit u¨ ber institutionengeschichtliche Aspekte und auch die K¨olner Universit¨at hinaus untersucht. F¨ur die j¨ungste Forschung zum Wegestreit vgl. neben H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Via Antiqua and Via Moderna in the Fifteenth Century. Doctrinal, Institutional, and Church Political Factors in the Wegestreit, in: F RIEDMAN/N IELSEN: The Medieval Heritage (2003), S. 9–26 auch H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Philosophie und Theologie im 15. Jahrhundert. Die Universit¨at Freiburg und der Wegestreit, in: M ERTENS , D IETER/S MOLINSKY, H ERIBERT (Hrsg.): 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universit¨at, Freiburg im Breisgau, 2007, S. 67–91. 89 Im Hinblick auf die Reformation gilt dies insbesondere f¨ur H EIKO A. O BERMAN und seine Sch¨uler (vgl. stellvertretend und mit ausf¨uhrlicher Bibliographie: BAST, ROBERT J./G OW, A NDREW C. (Hrsg.): Continuity and Change. The Harvest of Late Medieval and Reformation History, Leiden, 2000), sowie f¨ur B ERNDT H AMM (vgl. die Aufsatzsammlung H AMM , B ERNDT (Hrsg.): The reformation of faith in the context of late medieval theology and piety, Leiden: Brill, 2004). Im Hinblick auf die Renaissance vgl. etwa NAUTA , L ODI (Hrsg.): Language and Cultural Change. Aspects of the Study and Use of Language in the Later Middle Ages and the Renaissance, (Groningen Studies in Cultural Change 24) Leuven: Peeters, 2006. 90 So bei D ECORTE: Geschichte (2006), S. 304–306; vgl. auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007). Etwas vorsichtiger bleibt M EUTHEN , E RICH: Das 15. Jahrhundert, M¨unchen: Oldenburg, 4 2006 (Oldenburg Grundriss der Geschichte 9), S. 92f. 91 ¨ Einen knappen Uberblick versucht DYK , J OHN VAN: The Sentence Commentary. A Vehicle in the Intellectual Transition of the Fifteenth Century, in: Fifteenth-Century Studies 8 (1983), S. 227–238. An punktuellen Studien sei auf die oben, Anm. 1, erw¨ahnte Literatur zu J OHANNES C APREOLUS verwiesen. Eingehendere Beachtung hat im Anschluss an O BERMAN , H EIKO A.: The Harvest of Medieval Theology. Gabriel Biel and Late Medieval Nominalism, Cambridge MA: Harvard University Press, 1963, auch G ABRIEL B IELS Sentenzenkommentar gefunden (vgl. etwa B URKARD , F RANZ J OSEPH: Philosophische Lehrgehalte in Gabriel Biels Sentenzenkommentar. Unter besonderer Ber¨ucksichtigung seiner Erkenntnislehre, Meisenheim, 1974). Zu nennen ist schließlich die Studie von E CKERMANN , W ILLIGIS: Gottschalk Hollen OESA († 1481). Leben, Werke und Sakramentenlehre, W¨urzburg, 1967 (Cassiciacum 22).
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Kapitel 1: Einleitung
gezeichnet worden w¨are,92 so dass denn k¨urzlich sogar ein weitgehendes Verschwinden der Sentenzenliteratur zu Beginn des 15. Jahrhunderts hat behauptet werden k¨onnen.93 Wenn die vorliegende Untersuchung daher die Diskussionen zur Wirksamkeitsproblematik im ausgehenden Mittelalter aufgreift, dann bewegt sie sich nicht nur von ihrer inhaltlichen Ausrichtung her, sondern auch hinsichtlich des Zeitraums, der hier interessiert, und der Quellengattung, die im Fokus stehen soll, weitgehend in Neuland. Immerhin kann sie, was die Grundlagen der Debatte angeht, auf die magistrale Arbeit von ROSIER -C ATACH zur¨uckgreifen, und was zumindest einige der Autoren des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts betrifft, erweisen sich die knappen Ausf¨uhrungen von I TURRIOZ als durchaus n¨utzliche Vorarbeit.
1.5 Zum Vorgehen der vorliegenden Untersuchung Angesichts der Tatsache, dass die Geschichte der akademischen Philosophie und Theologie des 15. Jahrhundert noch nicht geschrieben worden ist, scheint es angebracht zu sein, zur historischen Einbettung dessen, was die vorliegende Untersuchung an Erkenntnissen und Ergebnissen zu pr¨asentieren hofft, in einem ersten Teil einige allgemeine Bemerkungen zu den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen des ausgehenden Mittelalters zusammenzutragen. Dabei wird es sich nicht um eine vertiefte Darstellung handeln k¨onnen, was Rahmen, M¨oglichkeiten und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit sprengen w¨urde; sinnvoll scheint es vielmehr, einige Grundtendenzen zu umschreiben, welche auch Entwicklung und Vertretung der hier interessierenden sakramententheologischen Modelle gepr¨agt haben. Ausgehend von einigen Zeugnissen des fr¨uhen 15. Jahrhunderts, in denen insbesondere eine Abgrenzung gegen¨uber dem sp¨ateren 14. Jahrhundert deutlich wird, widmet sich der erste Teil der vorliegenden Untersuchung der Frage, woher diese Abgrenzungshaltung kommt, wogegen sie sich richtet und was sie u¨ ber die geistesgeschichtliche Ausgangslage des ausgehenden Mittelalters und insbesondere u¨ ber das hartn¨ackig kolportierte Klischee einer nominalistischen Krise verraten kann. 92 Bezeichnend ist auch, dass in den zwei Sammelb¨anden, die bisher in der Reihe der Mediaeval Commentaries on the Sentences of Peter Lombard herausgekommen sind, sich kein einziger Beitrag mit einem Autor des 15. Jahrhunderts besch¨aftigt. Einzig einige Wiener Autoren ¨ des fr¨uhen 15. Jahrhunderts werden am Schluss des Uberblicks zum sp¨ateren 14. Jahrhundert von BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), hier S. 462f., gestreift. 93 So H OBBINS , DANIEL: The Schoolman as Public Intellectual. Jean Gerson and the Late Medieval Tract, in: The American Historical Review 108 (2003), S. 1308–1337, hier S. 1317f.; und identisch nun auch H OBBINS , DANIEL: Authorship and publicity before print. Jean Gerson and the transformation of late medieval learning, Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2009, S. 133–135.
1.5 Zum Vorgehen der vorliegenden Untersuchung
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Ein zweiter Teil wird in die inhaltliche Problematik der vorliegenden Untersuchung einsteigen und im Spannungsfeld von auctoritas und ratio die scholastischen Urspr¨unge der Wirksamkeitsfrage aufarbeiten. Weil die Autorit¨atenfrage ein zentraler Aspekt der Wirksamkeitsproblematik ist, der in den Ausf¨uhrungen von ROSIER -C ATACH ausgeblendet bleibt, wird dieser Teil noch einmal auf einige pr¨agende Positionen des 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts eingehen. Das hat zugleich den Vorteil, dass jene Autoren, auf welche sich auch die Gelehrten des ausgehenden Mittelalters beziehen werden, ausf¨uhrlich zur Sprache kommen. Es wird sich zeigen, dass die Autorit¨atenproblematik bis ins fr¨uhe 14. Jahrhundert hinein die pr¨agende Thematik der Wirksamkeitsdebatte bleibt, bis D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN und P ETRUS AUREOLI Interpretationen der entscheidenden auctoritates vorlegen, die deren eindeutige Stoßrichtung kritisch u¨ berpr¨ufen und die Spannung von auctoritas und ratio damit f¨urs erste entsch¨arfen. Ein dritter Teil widmet sich einer Reihe von Sentenzenkommentaren aus den ersten Dekaden des 15. Jahrhunderts, die im Umfeld der Wiener Universit¨at entstanden sind. Dieser Fokus auf die Wiener Universit¨at erfolgt vor allem aus ¨ zwei Gr¨unden: Zum einen ist die Uberlieferungssituation bei den erhaltenen Wiener Sentenzenkommentaren nicht ganz so schlecht wie in anderen universit¨aren Kontexten derselben Zeit; und es zeigen diese Kommentare ein spannendes Gemenge innertextueller Bez¨uge, das bisher noch der Entschl¨usselung harrt. Zum anderen ist an der Wiener Universit¨at des fr¨uhen 15. Jahrhunderts ¨ mit N IKOLAUS VON D INKELSB UHL eine h¨ochst interessante Figur t¨atig, die sich in verschiedenen Sentenzenlesungen mehrfach zur Wirksamkeitsproblematik ge¨außert hat und dabei eine Entwicklung durchl¨auft, in der der Autorit¨atenfrage wieder mehr und mehr Gewicht verliehen wird. Dieser Teil wird daher vor allem detaillierte Textstudien bieten, die es erm¨oglichen werden, die Entwicklungen in Darstellung und Diskussion der Wirksamkeitsfrage im ¨ Ubergang vom sp¨aten 14. ins 15. Jahrhundert Schritt f¨ur Schritt nachzuverfolgen. Der ausf¨uhrlichste vierte Teil schließlich befasst sich mit der Wirksamkeitsproblematik in der weiteren Sentenzenliteratur des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts. Die Darstelllung orientiert sich zwecks Anordnung des vielf¨altigen Materials an den großen Richtungen der bekannten philosophischen Schulen;94 doch wird sich zeigen lassen, dass die Wirksamkeitsdebatte innerhalb dieser Schulen zwar tats¨achlich ein je eigenes Gesicht annimmt, dass aber dennoch verbreitete Einteilungen wie etwa jene in Nominalisten und Realisten in der vorliegen94 Insbesondere dieser vierte Teil greift damit eine st¨arker problem- als chronologieorientierte Herangehensweise auf, was sich aber neben der reinen Notwendigkeit einer Anordnung des vielf¨altigen Materials auch deswegen nahelegt, weil – wie zu zeigen sein wird – zwischen den Schulen kaum ein direkter intellektueller Austausch und damit keine sich zeitlich fortentwickelnde Debatte stattgefunden hat.
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Kapitel 1: Einleitung
den Frage nichts taugen. Der semiotische Charakter der Sakramente ist Ankn¨upfungspunkt daf¨ur, dass zur Abrundung dieses vierten Teils ein abschließendes Kapitel einige logische Kommentare zum bereits erw¨ahnten P ETRUS H ISPANUS einbezieht, um zu kl¨aren, inwiefern sich die Vernetzung der Wirksamkeitsfrage mit semiotischen Problemen auch in anderen Disziplinen zeigt und ob die Frage nach der Wirksamkeit von Zeichen in logischen Handb¨uchern a¨ hnlich beantwortet wird wie in theologischen. Mit diesem Durchgang durch die Sentenzenliteratur des ausgehenden Mittelalters und mit diesem Ausblick in einige logische Kommentare hofft die vorliegende Untersuchung, die systematischen Verflechtungen der Wirksamkeitsfrage aufzuarbeiten, eine bislang wenig beachtete Thematik in der Geschichte der sp¨atmittelalterlichen Scholastik auszuleuchten und an dieser exemplarischen Frage auch einen Einblick zu gewinnen in die Dynamik von schola¨ stischen Debatten am Ende des Mittelalters. Uber eine bloße Darstellung der Wirksamkeitsproblematik erhofft sich die vorliegende Studie daher, Einblicke zu er¨offenen in die reiche Ausgestaltung und die Vielfalt der Sentenzentradition des ausgehenden Mittelalters und damit beizutragen zur philosophiehistorischen Kartographie einer Epoche, die bisher nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die sie verdient.
Teil I
Zwischen Traditionalismus und Reform: Abgrenzungen des 15. vom 14. Jahrhundert
Kapitel 2
Hinf¨uhrung: Das Pro¨omium zur Melker Lectura ¨ des N IKOLAUS VON D INKELSB UHL ¨ , der in den knapp 50 Jahren von Der Theologe N IKOLAUS VON D INKELSB UHL seiner Immatrikulation 1385 bis zu seinem Tode 1433 an der Wiener Universit¨at wirkte, geh¨orte zu jenen Scholastikern, welche im Verlaufe ihrer Karriere mehrmals u¨ ber P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen lasen. Noch in den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts erarbeitete er, wie es zur Erlangung der theologischen Magisterw¨urde erforderlich war, einen Zyklus an Vorlesungen, welche als Quaestiones communes u¨ berliefert werden sollten.1 M¨oglicherweise u¨ berarbeitete er diesen Kommentar, nachdem ihm 1409 seine Magisterw¨urde verliehen worden war, in eine etwas umfangreichere und ausgereiftere Sentenzenlesung, die in der Literatur als sogenannte Quaestiones magistrales bekannt werden sollte, die sich von den Quaestiones communes aber nicht grunds¨atzlich unterschied.2 Die1 RS 561, gelesen 1398–1402, vgl. M ADRE , A LOIS: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl, Leben und Schriften. Ein Beitrag zur theologischen Literaturgeschichte, M¨unster: Aschendorff, 1965 (Beitr¨age zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 40.4), S. 78. Neben den Erg¨anzungen bei M ADRE , A LOIS: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl, in: Verfasserlexikon, Band 6, 1987, S. 1048–1059 vgl. auch F RENKEN , A NSGAR: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 6, 1993, S. 879–882. 2 ¨ RS 564–567; die klassische These mehrerer Redaktionen durch D INKELSB UHL findet sich ausformuliert bei M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 96. Neuste, bislang aber noch nicht publizierte Forschungen von C HRIS S CHABEL, M ONICA C ALMA und B ILL C OURTENAY haben allerdings ergeben, dass kaum davon auszugehen ist, dass die ¨ ¨ sp¨ateren Uberarbeitungsstufen der Quaestiones communes von D INKELSB UHL selbst stammen (C ALMA , M ONICA/S CHABEL , C HRISTOPHER: The Past, Present, and Future of Late-Medieval Theology. The Commentary on the Sentences of Nicholas of Dinkelsb¨uhl, Vienna, ca. 1400, in: ROSEMANN: Commentaries on the Sentences 3 (erscheint 2014)). Wie unten noch ausf¨uhrlich zu zeigen sein wird, arbeiteten eine ganze Reihe von Theologen an diesen Quaestiones communes weiter; und weil am Beginn des 15. Jahrhunderts f¨ur die meisten akademischen Jahre Namen von Theologen belegt sind, welche im Rahmen ihres theologischen curriculum u¨ ber die Sentenzen gelesen haben, nirgendwo aber ein Hinweis darauf auftaucht, dass ein bereits promovierter Theologe diese Lesung noch einmal vorgenommen h¨atte, ist es unwahrschein¨ lich, dass D INKELSB UHL diesem Usus entgegen im universit¨aren Rahmen die Sentenzen noch einmal selbst kommentiert hat (so B ILL C OURTENAY, ,,From Dinkelsb¨uhl’s Questiones communes to the Vienna Group Commentary. The Vienna ‘School’, 1415-1425“, am 14. Oktober 2013 gehaltener Vortrag am Institut de Recherche et d’Histoire des Textes, Paris).
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Kapitel 2: Das Pro¨omium zur Melker Lectura des Nikolaus von Dinkelsb¨uhl
ses Kommentarwerk ber¨ucksichtigte Probleme aus s¨amtlichen vier B¨uchern der ¨ Sentenzen, doch blieb der Bezug zu dieser Vorlage eher lose: D INKELSB UHL pflegte einen selektiven Stil, bearbeitete nur ausgew¨ahlte Themen, die ihm besonders diskussionsw¨urdig schienen, und reihte diese weitgehend ohne Bezug zur Distinktionenstruktur der Sentenzen aneinander.3 Auch u¨ bernahm er, wie es schon im 14. Jahrhundert u¨ blich war, ganze Passagen aus Kommentaren von seinen Vorg¨angern w¨ortlich,4 so dass sich dieses Sentenzenwerk nahtlos in die Tradition einf¨ugt, wie sie im Verlaufe des 14. Jahrhunderts im Rahmen der Sentenzenkommentierung ausgebildet worden ist.5 ¨ Nachdem D INKELSB UHL von 1414 bis 1418 als Vertreter des Habsburger Herzogs A LBRECHT V. das Konstanzer Konzil nicht nur miterlebt, sondern an entscheidenden Punkten auch mitgepr¨agt hatte,6 konzentrierte er sich nach seiner R¨uckkehr in Wien darauf, die Bestrebungen des Konzils vor allem im Hin-
3 So finden sich jeweils am Ende der Quaestionen zu einem Buch meist noch eine Reihe von Nachtr¨agen, die zum Teil nicht nur fr¨uhere Themen erneut aufgreifen, sondern auch auf Probleme aus anderen B¨uchern vorgreifen, vgl. M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 86. 4 ¨ Ubernommen wurden weitgehend Passagen aus den Sentenzenkommentaren der beiden pr¨agenden ersten Theologen der Wiener Universit¨at, H EINRICH VON L ANGENSTEIN und ¨ H EINRICH T OTTING VON OYTA, vgl. M ULLER , S IGRID: Theology, Language and Reality in Fifteenth-Century Via Moderna, in: NAUTA: Language and Cultural Change (2006), S. 1–21. BAKKER , PAUL J.J.M./S CHABEL , C HRISTOPHER: Sentences Commentaries of the Later Fourteenth Century, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 425–464 gehen so weit, von einem collective Senteces commentary“ der Wiener Theologen um 1400 ” zu sprechen (hier S. 462). F¨ur ein bezeichnendes Beispiel, wie die Autoren von einander abgeschrieben haben, vgl. auch S HANK , M ICHAEL H.: ‘Unless You Believe, You Shall Not Understand’. Logic, University, and Society in Late Medieval Vienna, Princeton: Princeton University Press, 1988, S. 119f. Im Hinblick auf die Wirksamkeitsproblematik wird die Quellenlage unten im dritten Teil, Kap. 17.1, noch ausf¨uhrlich diskutiert werden. 5 Zur Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts vgl. neben BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002) nun auch Z AHND , U ELI: Zwischen Verteidigung, Vermittlung und Adaption. Sentenzenkommentare des ausgehenden Mittelalters und die Frage nach der Wirksam¨ ´ /R ABUS , ACHIM (Hrsg.): Vermitteln – Ubersetzen keit der Sakramente, in: N EMESCH , BAL AZS – Begegnen. Transferph¨anomene im europ¨aischen Mittelalter und der Fr¨uhen Neuzeit. Interdisziplin¨are Ann¨aherungen, G¨ottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011 (Nova Mediaevalia 8), S. 33–86. 6 ¨ Vgl. etwa B RANDM ULLER , WALTER: Das Konzil von Konstanz 1414–1418. Band II: Bis zum Konzilsende, Paderborn: Sch¨oningh, 1997 (Konziliengeschichte. Reihe A: Darstellungen), S. 144–148; zudem M ADRE , A LOIS: Ein Brief des Nikolaus von Dinkelsb¨uhl aus Konstanz (11. ¨ Mai 1415), in: F RANZEN , AUGUST/M ULLER , W OLFGANG (Hrsg.): Das Konzil von Konstanz. Beitr¨age zu seiner Geschichte und Theologie, Freiburg im Breisgau: Herder, 1964, S. 282–291, hier S. 283. Allgemeiner zu den Beziehungen zwischen Wiener Universit¨at und Konstanzer Konzil vgl. S HANK , M ICHAEL H.: University and Church in Late Medieval Vienna. Modi dicendi et operandi, 1388–1421, in: H OENEN/S CHNEIDER/W IELAND: Philosophy and Learning (1995), S. 43–59, hier S. 49–54 mit weiterf¨uhrender Literatur.
Kapitel 2: Das Pro¨omium zur Melker Lectura des Nikolaus von Dinkelsb¨uhl
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blick auf eine Klosterreform weiterzuf¨uhren und umzusetzen.7 Ausgehen sollte diese Reform von der Benediktinerabtei in Melk, und in Melk war es auch, wo ¨ D INKELSB UHL ab 1421 in Absprache mit den dortigen Klosteroberen ein weiteres Mal P ETRUS ’ Sentenzen kommentierte.8 Diese Sentenzenlesung unterscheidet sich nun allerdings grundlegend vom vorangehenden Sentenzenwerk. W¨ahrend der Wiener Kommentar aus allen vier B¨uchern einzelne Probleme auf¨ greift, konzentriert sich D INKELSB UHL in dieser Lectura mellicensis auf Fragen zu Buch IV. Innerhalb dieses vierten Buchs h¨alt er sich aber eng an seine Vorlage, ber¨ucksichtigt den gr¨oßten Teil der Distinktionen des Sentenzentexts9 und stellt zu den meisten von ihnen jeweils mehrere Quaestionen; den knapp 40 ¨ Quaestionen, die D INKELSB UHL noch in der ersten Lesung zu Buch IV gestellt hat, stehen nun ganze 230 Quaestionen gegen¨uber.10 ¨ F¨ur seine Beschr¨ankung auf Buch IV nennt D INKELSB UHL im Pro¨omium der Lectura mellicensis zwei Gr¨unde:11 Erstens erscheine dies angebracht propter utilitatem materiarum, welche im vierten Buch behandelt w¨urden, und zwei7
¨ Dies ganz im Sinne A LBRECHTS, dessen Beichtvater D INKELSB UHL 1425 wurde, vgl. dazu N IEDERKORN -B RUCK , M ETA: Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen, Wi¨ en: Oldenburg, 1994 (Mitteilungen des Instituts f¨ur Osterreichische Geschichtsforschung. Erg¨anzungsband 30), S. 22f. 8 RS 569. Im Pro¨omium schreibt Dinkelsb¨uhl: Cum desiderarem vestris caritatibus in aliquo deservire, et id exposuissem venerabilibus patribus domino [abbati nostro Clm 2940] et domino priori, visum est eis expedire ut legam quartum sententiarum (Clm 2940, fol. 1ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 1ra; zu den in der vorliegenden Untersuchung zugrundegelegten Handschriften s.u., Anm. 10). Der erw¨ahnte Abt ist N IKOLAUS S EYRINGER VON ¨ M ATZEN, ein enger Studienfreund D INKELSB UHLS (vgl. B INDER , K ARL: Eine Anthologie ¨ W IEN , K ATHOLISCH aus Schriften mittelalterlicher Wiener Theologen, in: U NIVERSIT AT ¨ (Hrsg.): Dienst an der Lehre. Studien zur heutigen Philosophie THEOLOGISCHE FAKULT AT und Theologie, Wien: Herder, 1965 (Wiener Beitr¨age zur Theologie 10), S. 201–261, hier S. 207). 9 Unbehandelt bleiben, wohl mit R¨ucksicht auf das monastische Publikum, die meisten Distinktionen zur Ehe (Distinktionen 26–42), mit Ausnahme von der grundlegenden d. 26 und von d. 38 zu Eid und Schwur. 10 Eine Quaestionenliste findet sich auch f¨ur die Lectura mellicensis bei M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 99–114. Die vorliegende Untersuchung st¨utzt sich auf zwei Handschriften: Zum einen auf Clm 2940 der Bayerischen Staatsbibliothek M¨unchen (auf fol. 495ra nennt sich deren Schreiber E RHARDUS W ISSMULLER DE T ROCHTELFINGEN, von dessen Hand auch etwa Cgm 479 geschrieben worden ist, welcher auf das zweite Viertel des 15. Jahrhunderts datiert werden kann, vgl. S CHNEIDER , K ARIN: Die datierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek M¨unchen. Teil 1: die Deutschen Handschriften bis 1450, Stuttgart: Anton Hiersemann, 1994 (Datierte Handschriften in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland 4.1), S. 30 und Abb. 250); zum anderen auf Alba Julia, National Library of Romania, Ms II 48. 11 Das Pro¨omium ist ediert bei B INDER: Wiener Theologen (1965), hier S. 212–214; das bei M ADRE: Art. “Nikolaus von Dinkelsb¨uhl” (1987), S. 1057 angef¨uhrte Zitat stammt nicht aus dem Pro¨omium zur Lectura mellicensis, sondern aus dem Prolog zu einer 1422 ebenfalls in Melk entstandenen Predigtreihe Dinkelsb¨uhls.
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Kapitel 2: Das Pro¨omium zur Melker Lectura des Nikolaus von Dinkelsb¨uhl
tens propter facilitatem earundem materiarum – zumindest im Vergleich zu den Themen, welche die drei vorderen B¨ucher enthielten.12 Beide, N¨utzlichkeit und Einfachheit, sind aber nicht nur ausschlaggebend als Kriterien f¨ur die Konzen¨ tration auf Buch IV, sondern sie sollten, wie D INKELSB UHL gleich deutlich macht, gewissermaßen zum hermeneutischen Prinzip der gesamten lectura werden: Denn als Leits¨atze f¨ur seine Kommentararbeit dienen ihm zum einen ein Zitat aus dem Didascalicon des H UGO VON S T. V IKTOR, es solle f¨ur jeden christlichen Philosophen das Studium mehr Ermunterung sein als ausf¨ullende Besch¨aftigung, und seine sinnvollen Anliegen nicht abt¨oten, sondern n¨ahren.13 Zum anderen f¨uhrt er den – hier AUGUSTIN zugeordneten – Gemeinplatz an, ¨ , es sei die Rede eines Lehrers den F¨ahigkeiten und, so erg¨anzt D INKELSB UHL auch den Bed¨urfnissen der H¨orer anzupassen.14 Daraus leitete er nun folgendes Programm ab: Ich habe mir daher vorgenommen, im folgenden abzusehen von Metaphysischem und Philosophischem, von subtilen, aber sterilen Themen, von Fragen, die bloß aus Neugierde gestellt werden, aber keinen Nutzen bringen, sowie von u¨ berfl¨ussigen Unterscheidungen und a¨ hnlichem, was den Ungebildeteren Schwierigkeiten bereiten und ihr Gem¨ut eher ablenken als aufbauen k¨onnte. Und ich will den einfacheren Weg w¨ahlen, wo mir dies m¨oglich sein wird und wo dies die Materie zul¨asst, welche nach und nach zu behandeln sein wird.15
W¨ahrend das erste Kommentarwerk des Wiener Theologen unbek¨ummert all jene Themen aufgreift, welche traditionsgem¨aß f¨ur diskussionsw¨urdig gehalten 12
Saltem respectu eorum quae in libris praecedentibus continentur: Clm 2940, fol. 1ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 1ra. 13 Vgl. H UGO VON S T. V IKTOR: Didascalicon, ed. Offergeld (1997), S. 340: Christiano philosopho lectio exhortatio debet esse, non occupatio, et bona desideria pascere, non necare. 14 Secundum Augustinum super Johannem sermo doctoris moderandus sit secundum capacitatem et exigentiam auditorum: Clm 2940, fol. 1rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 1rb. Der im Rahmen von Predigtlehren oft zu findende Gemeinplatz ist bei AUGUSTIN allerdings nicht u¨ berliefert, vielmehr d¨urfte er auf die Regula pastoralis (bzw. einen identischen Abschnitt der Moralia) G REGORS DES G ROSSEN zur¨uckgehen, welchen er auch in mittelalterlichen und fr¨uhneuzeitlichen Quellen meistens zugeordnet wird (Regula pastoralis III Prol., SC 382, S. 258, Z. 13, ebenso Moralia XXX 3/12, CCSL 143B, S. 1499, Z. 97f.: Pro qualitate igitur audientium formari debet sermo doctorum; vgl. auch ibid. XVII 26/36, CCSL 143A, S. 871). Eine etwas anders formulierte prominente Vorlage findet sich im Decretum Gratiani II c 8, q 1, can 12, ed. Leipzig (1879), Sp. 594: Pro ingenio discentium doctor moderetur verba doctrinae, mit einem Zitat aus dem 1. Clemensbrief: Oportet eum, qui docet et instruit animas rudes, esse talem, ut pro ingenio discentium semet ipsum possit aptare, et verbi ordinem pro audientis capacitate dirigere. 15 Clm 2940, fol. 1rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 1rb: Cogitavi in processu rescindere methaphysicalia et philosophicalia et materias subtiles, sed steriles, et quaestiones magis curiosas quam fructuosas et etiam superfluas divisiones et huiusmodi quae difficultatem facere possent simplicioribus et magis eorum animam occupare quam aedificare. Et volo procedere modo faciliori quo potero et prout materia admittit quae fuerit pro tempore pertractanda.
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und entsprechend in den meisten Sentenzenkommentaren des ausgehenden 14. Jahrhunderts behandelt worden sind, verspricht die Lectura mellicensis ein fast schon seelsorgerliches Bem¨uhen in Auswahl und Ausarbeitung der aufzugreifenden Quaestiones. So sehr nun diese Beschr¨ankung und Selbstbescheidung sicher auch dem ¨ kl¨osterlichen Umfeld geschuldet sind, in dessen Rahmen D INKELSB UHL seine letzte Sentenzenlesung gehalten hat, d¨urfen sie doch nicht bloß als ein Zugest¨andnis an F¨ahigkeiten und Interessen seiner direkten Zuh¨orer verstanden werden. Denn der Wiener Theologe konzipierte die Lectura mellicensis f¨ur ein breiteres Publikum als die Melker M¨onche und durchaus mit einem akademischen Anspruch.16 So erstellte er bereits 1420 eine erste Version, eine Lehrschrift u¨ ber die Sakramente, f¨ur eine Salzburger Reformsynode in offiziellem Auftrag der Universit¨at und in Zusammenarbeit mit seinem Magister-Kollegen C HRISTANNUS DE S USATO.17 Auch wenn der genaue Umfang dieses Traktats De sacramentis heute nicht mehr eindeutig bestimmt werden kann, wird damit ¨ doch deutlich, dass D INKELSB UHL seinen hermeneutischen Prinzipien nicht nur im Hinblick auf die Melker M¨onche, sondern f¨ur jegliche Form von theologischer Bildung und damit f¨ur jede H¨orerschaft eine grundlegende Bedeutung beigemessen hat.18 Die Gefahr, dass allzu spekulative Fragen und allzu subtile Unterscheidungen unbedarfte H¨orer in Schwierigkeiten brachten, lauerte an der Universit¨at nicht weniger als in einem Kloster, das hatten die Konstanzer Auseinandersetzungen um JAN H US und H IERONYMUS VON P RAG nur allzu deutlich vor Augen gef¨uhrt. Mit seiner Melker Sentenzenlesung pr¨asentiert ¨ D INKELSB UHL daher zugleich einen Ansatz, wie auch in der akademischen Lehre vorgegangen werden sollte, um zu verhindern, dass aus komplizierten Subtilit¨aten und unn¨utzen Spekulationen H¨aresien entst¨unden. 16 Bezeichnenderweise h¨alt auch M ADRE: Art. “Nikolaus von Dinkelsb¨uhl” (1987), hier S. 1051, die Lectura mellicensis f¨ur den H¨ohepunkt seines Schaffens als akademischer Lehrer“. ” Zum Verh¨altnis von Wiener theologischer Fakult¨at und dem Stift Melk vgl. B INDER: Wie¨ ner Theologen (1965), S. 207, sowie K RAUME , H ERBERT: Die Gerson-Ubersetzungen Geilers von Kaysersberg. Studien zur deutschsprachigen Gerson-Rezeption, Z¨urich: Artemis, 1980 (M¨unchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 71), S. 41, und nun auch G LASSNER , C HRISTINE: Stift Melk und die Melker Reform im 15. Jahrhundert, in: T HURNER , M ARTIN/B ISCHOF, F RANZ X AVER (Hrsg.): Die benediktinische Klosterreform im 15. Jahrhundert, Berlin: Akademie-Verlag, 2013 (Ver¨offentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der Mittelalterlichen Theologie und Philosophie, neue Folge 56), S. 75–91, bes. S. 82–84. 17 RS 580, vgl. M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 97f., sowie M ADRE: Art. “Nikolaus von Dinkelsb¨uhl” (1987), Sp. 1051. 18 Vgl. etwa die Einordnung des Didascalicon-Zitats: maxime hoc videtur pertinere ad religiosos (Clm 2940, fol. 1ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 1ra), was in seiner Grunds¨atzlichkeit ¨ auch dadurch unterstrichen wird, dass es bei D INKELSB UHL nicht nur christiano philosopho sondern omni christiano philosopho heißt.
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Mit diesem Ansatz, mit der Beschr¨ankung auf N¨utzliches und Einfaches, motiviert von dem Ansinnen, die einfacheren Gem¨uter nicht in Schwierigkei¨ ten zu bringen, stand D INKELSB UHL nun aber nicht allein. Mit der ver¨anderten Ausrichtung seiner lectura mellicensis repr¨asentiert er vielmehr eine Geisteshaltung, die f¨ur das 15. Jahrhundert bezeichnend wird. Wie sehr er mit der ihr den Nerv seiner Zeit getroffen hat, bezeugen nicht nur der unz¨ahligen Abschriften seines Werks weit u¨ ber das Einzugsgebiet der Melker Reformkl¨oster und der Wiener Universit¨at hinaus,19 sondern es belegen dies auch eine ganze Reihe von Abbreviationen, welche im Verlauf des 15. Jahrhunderts von dieser dritten Sentenzenlesung gemacht worden sind20 – selbst die Beschr¨ankung auf Buch IV sollte an der Wiener Universit¨at ihre Nachahmer finden.21 Die Neuausrich¨ tung von D INKELSB UHLS letzter Sentenzenlesung steht damit beispielhaft f¨ur eine Tendenz, die sich in a¨ hnlicher Weise etwa auch schon in den Reformbestrebungen jenes anderen großen Theologen finden l¨asst, der das Konstanzer Konzil entscheidend mitgepr¨agt hat: in den Bem¨uhungen des Pariser Universit¨atskanzlers J EAN G ERSON um eine Studienreform.22 Und es ist dieselbe Sorge, die Sorge, dass ein unvorsichtiger Umgang mit spekulativem Wissen und eine ungeb¨uhrliche Verwendung subtiler Unterscheidungen im Rahmen grundle19 ¨ Die Lecutra mellicensis war wohl das weitest verbreitete Werk D INKELSB UHLS (so auch M ADRE: Art. “Nikolaus von Dinkelsb¨uhl” (1987), S. 1051). Ein im Vergleich zum RS komplettiertes Handschriftenverzeichnis findet sich bei bei M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 115–120; was mit Verfasserlexikon 11 (2004), S. 1052 zu erg¨anzen ist. Zum Einzugsgebiet der Melker Reformkl¨oster vgl. den Anhang V. bei N IEDERKORN -B RUCK: Melker Reform (1994), S. 178–213. 20 Vgl. RS 471, 496, 498, 558, und 572–585. Drei Beispiele werden unten am Ende von Teil III, Kap. 19.2.1, noch vorgestellt. 21 So etwa bei P ETRUS R EICHER DE P IRCHENWART, Sch¨uler und Freund von N IKOLAUS ¨ VON D INKELSB UHL (RS 686–688). 22 So forderte G ERSON in einem Brief an Pierre d’Ailly, ed. Glorieux II, Nr. 3 (1960), S. 28, im Hinblick auf die Sentenzen quod materiae secundi, tertii et quarti sententiarum magis tractarentur, quia vix legitur nisi primus, was – wie auch sonst oft bei G ERSONS Reformans¨atzen – eine versteckte Referenz auf ein Pariser Universit¨ats-Statut war (vgl. CUP II.1 n. 1189, S. 700; zu diesen statuarischen Ankl¨angen s.u., S. 43). Dazu ausf¨uhrlich B URGER , C HRISTOPH: Aedificatio, Fructus, Utilitas. Johannes Gerson als Professor der Theologie und Kanzler der Universit¨at Paris, T¨ubingen: J.C.B. Mohr, 1986 (Beitr¨age zur historischen Theologie 70), S. 46. Zu den Reformbem¨uhungen G ERSONS vgl. auch O BERMAN , H EIKO A.: Contra vanam curiositatem. Ein Kapitel der Theologie zwischen Seelenwinkel und Weltall, Z¨urich: Theologischer Verlag, 1974 (Theologische Studien 113), sowie S MOLINSKY, H ERIBERT: Johannes Gerson (1363–1429), Kanzler der Universit¨at Paris, und seine Vorschl¨age zur Reform der theologischen Studien, in: S MOLINSKY, H ERIBERT (Hrsg.): Im Zeichen von Kirchenreform und Reformation. Gesammelte Studien zur Kirchengeschichte in Sp¨atmittelalter und Fr¨uher Neuzeit, M¨unster: Aschendorff, 2005 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Suppl. 5), S. 337–362. F¨ur den sp¨aten G ERSON vgl. B URROWS , M ARK S TEPHEN: Jean Gerson and De Consolatione Theologiae (1418). The Consolation of a Biblical and Reforming Theology for a Disordered Age, T¨ubingen: J.C.B. Mohr, 1991 (Beitr¨age zur historischen Theologie 78).
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gender Einleitungsfragen zu gef¨ahrlichen Schlussfolgerungen f¨uhren k¨onnten, welche zeitgleich mit dem Konstanzer Konzil an der Universit¨at K¨oln zu den ersten Auseinandersetzungen im Rahmen des sp¨atmittelalterlichen Wegestreits gef¨uhrt hat.23 Wenn nun die vorliegende Untersuchung einer Thematik nachgeht, welche in ihrer semiotischen Ausrichtung ebenso diese grundlegenden Einleitungsfragen ber¨uhrt, wie sie in ihrer sakramententheologischen Ausrichtung das von D IN ¨ KELSB UHL so hoch gesch¨atzte Buch IV der Sentenzen von P ETRUS L OMBAR DUS betrifft, wird es zu deren Einbettung in das geistesgeschichtliche Milieu des 15. Jahrhunderts sinnvoll sein, genauer zu kl¨aren, wovon sich die genannten Reformbem¨uhungen abzugrenzen versucht haben. Im eben zitierten Programm, ¨ das D INKELSB UHL so prominent an den Beginn seiner Lectura mellicensis stellt, gibt der Wiener Theologe nun allerdings kaum positive Hinweise, wie er in seinem Kommentar vorzugehen gedenkt. Vielmehr formuliert er vor allem, was er alles nicht unternehmen will; sein Programm ist in erster Linie eine Abgrenzung.24 So knapp nun auch diese Abgrenzung ausf¨allt und so sehr D IN ¨ KELSB UHL nur einige allgemeine Hinweise zusammenzutragen scheint, wovon er sich fernhalten will, l¨asst sich darin doch ein klare Absicht erkennen. Drei Bereiche sind es n¨amlich, von denen sich Dinkelsb¨uhl abgrenzt: Es sind dies erstens fremde Fachrichtungen, n¨amlich die metaphysicalia et philosophicalia, welche in diesem theologischen Unternehmen nichts verloren haben sollen; es ist dies zweitens ein bestimmter Typ von Themen und Fragestellungen, der die materias subtiles, sed steriles und die quaestiones magis curiosas quam fructuosas zu sehr in der Vordergrund r¨ucke; und es ist dies drittens die Abgrenzung von einer Vorgehensweise, die eine Problematik oder einen Begriff u¨ ber das Notwendige hinaus ausdifferenziere und superfluas divisiones einf¨uhre, statt sich modo faciliori an der materia pertractanda auszurichten.25 23 ¨ -R UDIGER ¨ Vgl. den sog. ‘Terministen-Beschluss’ von 1414/16, dazu T EWES , G OTZ : Die Bursen der K¨olner Artisten-Fakult¨at bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, K¨oln: B¨ohlau, 1993, S. 285–293. Zentrales Dokument f¨ur die Verbindung des K¨olner Wegestreits mit dem Konstanzer Konzil ist das Schreiben der Kurf¨ursten an die Stadt K¨oln (als Patronin der Universit¨at) von 1425 (dazu ebd. S. 367–375), dessen deutscher Text bei E HRLE , F RANZ: Der Sentenzenkommentar Peters von Candia des Pisaner Papstes Alexanders V. Ein Beitrag zur Scheidung der Schulen in der Scholastik des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte des Wegesteites, M¨unster: Aschendorff, 1925 (Franziskanische Studien. Beihefte 9), S. 356–358, ediert worden ist (zum Konflikt zwischen Kurf¨ursten und Universit¨at vgl. ebd. S. 146–157). 24 ¨ ´ Als Uberblick zu mittelalterlichen Prologen vgl. DALARUN , JACQUES: Epilogue, in: H A MESSE , JACQUELINE (Hrsg.): Les prologues m´edi´evaux. Actes du Colloque international orga´ nis´e par l’Academia Belgica et l’Ecole franc¸aise de Rome, Turnhout: Brepols, 2000 (Textes et ˆ 15), S. 639–661. Spezifischer f¨ur Sentenzenkommentare vgl. weiterhin e´ tudes du Moyen Age G RABMANN , M ARTIN: Romanus de Roma O.P. (+ 1273) und der Prolog seines Sentenzenkommentars. Ein Beitrag zur Geschichte der scholastischen prologi und principia, in: G RABMANN: Mittelalterliches Geistesleben III (1956), S. 280–305. 25 CClm 2940, fol. 1rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 1rb; vgl. oben S. 34.
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Diese klare fachliche, inhaltliche und methodische Abgrenzung zeigt, dass ¨ D INKELSB UHL sehr genau gewusst hat, wogegen er sich wendet. Und tats¨achlich l¨asst sich sein Programm als ein spezifischer Gegenentwurf gegen gewisse Entwicklungen verstehen, wie sie sich im Verlauf des 14. Jahrhunderts in der universit¨aren Theologie und in einem weiteren Sinne auch in der Logik vollzogen haben. Es scheint sich hier um eine zeitgen¨ossische Reaktion auf jene Entwicklungen zu handeln, welche auch moderne Interpreten dazu veranlasst haben und weiterhin veranlassen, das sp¨atere 14. Jahrhundert als Zeitalter der scholastischen Dekadenz zu sehen,26 und welche immer wieder als Folge eines wie auch immer gearteten Ockhamismus oder Nominalismus dargestellt worden sind:27 In den 1340er Jahren h¨atten sich – so das alte historiographische Schema – O CKHAMS Lehren auch an der Pariser Universit¨at ausgebreitet, h¨atten einen grunds¨atzlichen Konflikt zwischen antiqui und moderni, den Parteien des Wegestreits, provoziert und schließlich einem Skeptizismus Vorschub geleistet, der zu den bekannten Zerfallserscheinungen der Sp¨atscholastik gef¨uhrt habe.28 Die Unzul¨anglichkeit dieses Schemas hat die j¨ungere Forschung 26 So beschrieb bereits P RANTL , C ARL: Geschichte der Logik im Abendlande. Band 4, Leipzig: Hirzel, 1870 die Zeit nach O CKHAM als eine zum Erschrecken reichhaltige Literatur” Periode, deren Formalismus und Abstrusit¨at, ja [...] deren Sinnlosigkeit fast alle Vorstellung u¨ bersteigt“ (Band IV, S. 1). Das sp¨atere 14. Jahrhundert wird aber auch heute noch als ein Zeitalter der Dekadenz dargestellt, vgl. erst neulich ROSEMANN , P HILIPP W.: The Story of a Great Medieval Book. Peter Lombard’s Sentences, Peterborough: broadview press, 2007 (Rethinking the Middle Ages 2), besonders S. 124–126. 27 Die skandal¨osen“ und ruin¨osen“ Auswirkung der nominalistischen Moralphilosophie, ” ” mit welcher man im tiefsten Winter der Philosophie, am Tiefstpunkt, in der Talsohle, im eher” nen Zeitalter der Philosophie“ angelangt sei, sind erst k¨urzlich angeprangert worden von KO BUSCH , T HEO : Analogie im Reich der Freiheit? Ein Skandal der sp¨atscholastischen Philosophie und die kritische Antwort der Neuzeit, in: A ERTSEN/P ICKAV E´ : ‘Herbst des Mittelalters’? (2004), S. 251–264. Auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), so sehr er sich bem¨uht, positive Seiten des Nominalismus hervorzukehren (mehr dazu unten, Anm. 26, S. 49), sieht die ganze geistesgeschichtliche Entwicklung des 14. Jahrhunderts in dessen Abh¨angigkeit. 28 Grundlegend gepr¨agt haben das historiographische Schema P RANTL: Geschichte IV (1870), R ITTER , G ERHARD: Via antiqua und Via Moderna auf den deutschen Universit¨aten des XV. Jahrhunderts, Heidelberg: Winter, 1922 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse 7), E HRLE: Peter von Candia (1925) und KONSTANTY M ICHALSKI (vgl. etwa die von K URT F LASCH herausgegebene Aufsatzsammlunge M ICHALSKI , KONSTANTY: La philosophie au XIVe si`ecle. Six e´ tudes, Frankfurt aM: Minerva, 1969 (Opuscula philosophica 1). F¨ur weitere Literatur zu Entstehen und Fortbestehen des Schemas vgl. C OURTENAY, W ILLIAM J.: John of Mirecourt and Gregory of Rimini on Whether God Can Undo the Past. First Part, in: Recherches de th´eologie ancienne et m´edi´evale ¨ 39 (1972), S. 224–256, hier S. 231f.; einen forschungsgeschichtlichen Uberblick bieten C OUR TENAY, W ILLIAM J.: Ockham and Ockhamism. Studies in the Dissemination and Impact of his Thought, Leiden: Brill, 2008 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 99), S. 1–19 (auf einen Aufsatz von 1991 zur¨uckgehend), sowie B OLLIGER , DANIEL: Infiniti Contemplatio. Grundz¨uge der Scotus- und Scotismusrezeption im Werk Huldrych Zwinglis, Leiden: Brill, 2003 (Studies in the History of Christian Thought 107), S. 3–59.
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l¨angst aufgezeigt;29 insbesondere die Gleichsetzung der Pariser Streitigkeiten um 1340 mit den Auseinandersetzungen des Wegestreits wird heute so einhellig zur¨uckgewiesen, dass der Wegestreit nur noch als ein Ph¨anomen des 15. Jahrhunderts, die Pariser Krise der 1340er Jahre aber als ein davon unabh¨angiges Ereignis zu betrachten ist.30 Dennoch schwelt – gerade auch in reformationsgeschichtlichen R¨uckblicken auf das Sp¨atmittelalter31 – die Grundidee weiter, O CKHAMS Nominalismus habe zu sp¨atscholastischen Zerfallserscheinun¨ gen gef¨uhrt, und zumindest dieses Gef¨uhl des Zerfalls scheint D INKELSB UHLS Pro¨omium f¨ur eine zentrale Gattung sp¨atscholastischer Literatur zu best¨atigen.
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Die Bewertung bleibt weiterhin grundlegend mit der Wegestreit-Problematik verbunden, auch wenn sich diese inzwischen als Problematik des 15., und nicht des 14. Jahrhunderts herausgestellt hat (dazu v.a. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Marsilius von Inghen in der Geistesgeschichte des ausgehenden Mitelalters, in: H OENEN/BAKKER: Philosophie und Theologie (2000), S. 21–45, hier S. 21f.)). Spezifisch f¨ur die zweite H¨alfte des 14. Jahrhunderts hat vor allem W ILLIAM C OURTENAY Revisionsarbeit geleistet, wozu die wichtigsten Beitr¨age nun in einem eigenen Sammelband zusammengebracht worden sind: C OURTENAY: Ockham and Ockhamism (2008). Wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, schießen aber auch einige von C OURTENAYS Thesen u¨ ber ihr Ziel hinaus (s.u., S. 47). 30 Von antiqui und moderni, bzw. einer via antiqua und einer via moderna in den 1340er Jahren sprechen etwa noch L EFF , G ORDON: Gregory of Rimini. Tradition and Innovation in Fourteenth Century Thought, Manchester: Manchester University Press, 1961, S. 14, oder PAQU E´ , RUPRECHT: Das Pariser Nominalistenstatut. Zur Entstehung des Realit¨atsbegriffs der neuzeitlichen Naturwissenschaft, Berlin: de Gruyter, 1970 (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie 14), S. 263f. Unverzeihlich ist dies bei D ECORTE , J OS: Eine kurze Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, Paderborn: Sch¨oningh, 2006 (Uni-Taschenb¨ucher 2439), S. 275ff. Dass die Bezeichnungen einer Perspektive des 15., aber nicht des 14. Jahrhunderts selbst entsprechen, ist ausf¨uhrlich dargelegt worden von G ILBERT, N EAL WARD: Ockham, Wyclif, and the ‘Via moderna’, in: Z IMMERMANN: Antiqui und Moderni (1974), S. 85–125; vgl. zeitgleich, aber wesentlich knapper auch C OURTENAY, W ILLIAM J.: Nominalism and Late Medieval Religion, in: O BERMAN , H EIKO A./T RINKAUS , C HARLES (Hrsg.): The Pursuit of Holiness in Late Medieval and Renaissance Religion. Papers from the University of Michigan Conference, Leiden: Brill, 1974 (Studies in Medieval and Reformation Thought 10), S. 26–59, hier S. 53. Dazu, dass die Begrifflichkeiten aber selbst im fr¨uhen 16. Jahrhundert nicht eindeutig waren, vgl. S EIFERT, A RNO: Logik zwischen Scholastik und Humanismus. Das Kommentarwerk Johann Ecks, M¨unchen: Fink, 1978 (Humanistische Bibliothek 1.31), S. 58–61. 31 Bezeichnend ist etwa, dass bei S IMON , W OLFGANG: Die Messopfertheologie Martin Luthers. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption, T¨ubingen: Mohr Siebeck, 2003 (Sp¨atmittelalter und Reformation. Neue Reihe 22) die Registereintr¨age zu O CKHAM auf Stellen verweisen, in denen es um Nominalismus geht. Immerhin mahnt nun L EPPIN , VOLKER: Universit¨atswissenschaft, in: B EUTEL , A LBRECHT (Hrsg.): Luther Handbuch, T¨ubingen: Mohr Siebeck, 2010 (Uni-Taschenb¨ucher 3416), S. 62–67, hier S. 62f. zur Vorsicht bei der Zuordnung dieser sp¨atmittelalterlichen Label. Knapp an einer historischen Verzeichnung vorbei schrammt R IEGER , R EINHOLD: Universalienstreit des Mittelalters, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Ungek¨urzte Studienausgabe, Band 8, 2011, S. 768–773, hier Sp. 771f.; v¨ollig dem alten Schema verpflichtet ist K REUZER , J OHANN: Nominalismus, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Ungek¨urzte Studienausgabe, Band 6, 2008, S. 356–359, hier Sp. 358f.
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¨ Nun ist allerdings D INKELSB UHL selbst gemeinhin der nominalistischen Seite zugeordnet worden, was unmittelbar deutlich macht, dass nur ein differenziertes Bild dieser sp¨atmittelalterlichen Entwicklungen helfen kann, die geistesgeschichtliche Ausgangslage f¨ur die Autoren des fr¨uhen 15. Jahrhunderts zu verstehen.32 Wenn die folgenden Ausf¨uhrungen zeigen wollen, wovon sich die Autoren des fr¨uhen 15. Jahrhunderts abzuwenden versucht haben, dann wird es im Sinne dieser Differenzierung und in der Perspektive der vorliegenden Arbeit darum gehen, auch die Ergebnisse der j¨ungeren Forschung zum sp¨ateren ¨ 14. Jahrhundert kritisch zu sichten. Als Leitfaden seien D INKELSB UHLS drei Abgrenzungsbereiche – der fachliche, der thematische und der methodische – genommen, um schlaglichtartig einige der Entwicklungen des 14. Jahrhunderts auszuleuchten, welche der Wiener Theologe und seine Zeitgenossen mit ihrer Kritik im Auge gehabt haben d¨urften. Anhand der fachlichen Abgrenzungen ist in einem ersten Schritt zu kl¨aren, wo der Ursprung dieser reformbed¨urftigen Entwicklungen gesehen worden ist (Kapitel 3). Ein zweiter Schritt wird die thematischen Abgrenzungen aufgreifen und untersuchen, wie diese Entwicklungen sich im Rahmen der Sentenzentradition ge¨außert haben (Kapitel 4), bevor in einem dritten Schritt anhand der methodischen Abgrenzungen aufzuzeigen ist, was der semiotische Hintergrund dieser Entwicklungen gewesen sein d¨urfte (Kapitel 5). Damit sollte klarer bestimmt werden k¨onnen, wer nun genau im Fokus dieser Abgrenzungen gestanden hat (Kapitel 6), so dass sich schließlich wird absch¨atzen lassen, inwiefern dies einerseits mit modernen Interpretationen insbesondere des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus u¨ bereinstimmt (Kapitel 7) und was dies andererseits f¨ur einige g¨angige Beurteilungen von Philosophie und Theologie des 15. Jahrhunderts bedeutet (Kapitel 8).
32 ¨ Zur Zuordnung D INKELSB UHLS zu einem gem¨aßigten Nominalismus“ vgl. erst k¨urzlich ” H AMM , B ERNDT: Religiosit¨at im sp¨aten Mittelalter. Spannungspole, Neuaufbr¨uche, Normierungen, T¨ubingen: Mohr Siebeck, 2011 (Sp¨atmittelalter, Humanismus, Reformation / Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation 54), S. 267; zu dieser Unterscheidung unterschiedlich starker Nominalismen s.u. S. 97.
Kapitel 3
J EAN G ERSON und die vermutete Herkunft eines schlechten Stils ¨ Wenn sich D INKELSB UHL erstens gegen eine Behandlung von metaphysischen und philosophischen Problemen im Rahmen seines theologischen Unternehmens ausspricht, so greift er damit ein Anliegen auf, das auch von anderen Zeitgenossen an bisweilen prominenter Stelle vorgebracht worden ist. Der bereits mehrfach erw¨ahnte Kanzler der ]Pariser Universit¨at J EAN G ERSON hatte sich seit der Jahrhundertwende in Briefen und Predigten vehement f¨ur eine klare Trennung der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen eingesetzt.1 G ERSON monierte allerdings nicht nur, dass jede Wissenschaft suas scholas, sua loca, aetates et tempora habe und einhalten solle,2 sondern er meinte auch zu wissen, wo die Missachtung solch fachlicher Grenzen ihren Ursprung habe. Es lohnt sich daher, den Pariser Kanzler etwas ausf¨uhrlicher zu Wort kommen zu lassen und einen Blick auf eine Reformrede zu werfen, in welcher G ERSON nicht nur die Trennung von Philosophie und Theologie fordert, sondern gar zwischen einer philosophischen und einer theologischen Logik zu unterscheiden beginnt.3
1
Eine umfassende biographische Studie zu G ERSON hat k¨urzlich M C G UIRE , B RIAN PA Jean Gerson and the Last Medieval Reformation, University Park: Pennsylvania State University Press, 2005 vorgelegt, vgl. auch M C G UIRE , B RIAN PATRICK (Hrsg.): A Companion to Jean Gerson, (Brill’s companions to the Christian tradition 3) Leiden: Brill, 2006. F¨ur G ER SONS Stellung im geistesgeschichtlichen Umfeld des sp¨aten 14. und fr¨ uhen 15. Jahrhunderts vgl. H OBBINS , DANIEL: Authorship and publicity before print. Jean Gerson and the transformation of late medieval learning, Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2009. 2 Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 240; die Schrift wird weiter unten, S. 83–88, noch ausf¨uhrlicher behandelt. Zur vorliegenden Stelle vgl. K ALUZA , Z ENON: Les querelles doctrinales a` Paris. Nominalistes et realistes aux confins du XIVe et du XVe si`ecles, Bergamo: Pierluigi Lubrina, 1988 (Quodlibet. Ricerce e strumenti di filosofia medievale 2), S. 44f.; allgemeiner zu den beiden Reden vgl. O BERMAN: Contra vanam curiositatem (1974). 3 ¨ Dazu M ULLER , S IGRID: ‘Bonum est mel cum favo’. Gerson und die Notwendigkeit der Logik f¨ur die Theologie, in: P ERLER , D OMINIK (Hrsg.): Logik und Theologie. Das Organon im arabischen und lateinischen Mittelalter, Leiden: Brill, 2005 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 84), S. 469–497. Die These einer zweifachen Logik hat G ERSON h¨ochstwahrscheinlich B URIDANS Ethik-Kommentar entnommen (vgl. den oben in der Einleitung, Anm. 62 zitierten Text); vgl. dazu den Appendix in K ALUZA , Z ENON: Le chancelier TRICK :
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Kapitel 3: Jean Gerson und die vermutete Herkunft eines schlechten Stils
3.1 G ERSONS De duplici logica In einem Traktat De duplici logica, den J EAN G ERSON 1401 als Teil einer Reihe zu den ersten Kapiteln des Markusevangeliums verfasst hat, nimmt der Pariser Kanzler die hyperbolische Rede von Mk 1,5 – dass ganz Jerusalem und die ganze Region Jud¨aa zu Johannes dem T¨aufer in die W¨uste gezogen seien – als Anlass um aufzuzeigen, dass der biblische Text nicht nach einer strengen, nur auf die strikte Bedeutung der Worte achtenden Logik gelesen werden k¨onne.4 Vielmehr sei hier eine andere Logik anzuwenden, n¨amlich jene der Rhetorik, welche mit Metaphern und Ausschm¨uckungen operieren d¨urfe und ihren Sinn nicht aus der bloßen virtus sermonis, der w¨ortlichen Bedeutung eines Satzgef¨uges, sondern auch aus der Intention des Sprechers erhalte.5 Wenn nun aber einer diese beiden Logiken vermischen wollte, so dass er die rhetori” sche in den spekulativen und die erste [strikte] in den praktischen Wissenschaften einforderte, so w¨urde er unter den absurdesten und unpassendsten Irrt¨umern v¨ollig zusammenbrechen.“6 G ERSON h¨alt es f¨ur notwendig, zwischen den beiden Logiken klar zu scheiden; in seinem Reformbestreben liegt ihm allerdings nicht einfach daran, den Unterschied zwischen den beiden Logiken theoretisch auszuleuchten, sondern es geht im vielmehr darum, im weiteren Verlauf seiner Rede aufzuzeigen, was angesichts dieser zwei unterschiedlichen Logiken f¨ur den theologischen Alltag zu bedenken sei. Insbesondere das dritte solche Bedenken verdient genauere Beachtung. G ERSON wendet sich darin gegen jene, die in moralischen Reden ” verf¨angliche Redeweisen anwenden, welche, angewandt im Sinne der ersten [strikten] Logik, zwar wahr sind, in welchen aber dennoch eine offenkundige oder skandal¨ose Falschheit liegt, wenn sie den gebr¨auchlichen Redeweisen und einer Rhetorik gem¨aß verstanden werden, wie sie in einer solchen Thematik [normalerweise] zur Anwendung kommt“.7 Anst¨oßig ist die Vermischung Gerson et J´erˆome de Prague, in: Archives d’histoire doctrinale et litt´eraire du moyen aˆ ge 51 (1984), S. 81–115, hier S. 108–115. 4 De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 57f.: Ad hoc verbum stupet logica et logicae tractatores vel scandalizantur vel inculpant locutionis huius formam. Neque enim aestimandum | est puerulos, imbecillantes aut infantes in cunis, immo nec Jerosolymitas omnes adultos ad Joannem egressos fuisse; quanto minus omnem Judeae regionem. Igitur logicae virtus et sermonis proprietas videntur falsitatis arguere evangelistam Marcum qui hoc universali sermone usus est. 5 In talibus [...] attenditur sensus non quem verba faciunt sed pro quo fiunt: J EAN G ERSON: De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 60; zur rhetorischen Logik vgl. ebd. S. 58. 6 De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 59: Et quisquis istas logicas duas vellet confundere ita ut rhetoricam in speculativis et logicam priorem in practicis scientiis exigeret, ille in absurdissimos ineptissimosque errores totus corrueret. 7 Tertiam addo considerationem contra illos qui in locutionibus moralibus ponunt captiosos loquendi modos, in logica priori servatos licet veros, in quibus tamen est falsitas aperta aut
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der beiden Logiken also vor allem da, wo statt einer erwartbaren rhetorischen Sprechweise nach den Regeln der strikten Logik argumentiert wird. Dass G ER SON dies allerdings sehr weit fasst, zeigen die weiteren Ausf¨ uhrungen zu diesem dritten Bedenken. Denn seine Kritik an einer derartigen Vermischung untermauert er mit dem Hinweis, dass v¨ollig zu recht schon S¨atze verurteilt worden seien, obwohl in ihnen de vi vocis Wahrheit sei, und f¨uhrt als Beispiel unter anderem den Satz an Deus et creatura nihil sunt.8 Dieser Satz nun ist nichts weniger ist als ein Zitat aus jenem ber¨uhmten, aber nach heutigem Wissenstand nur noch mit Vorbehalten als anti-ockhamistisch zu bezeichnenden Pariser Universit¨ats-Statut von 1340, einem Statut, das f¨ur die Artisten-Fakult¨at erlassen worden ist und damit f¨ur genau jenen Bereich G¨ultigkeit beansprucht, in welchem eine strikte Logik nach G ERSON am ehesten noch ihren Platz gehabt h¨atte.9
3.2 Das Pariser Artistenstatut vom 29. Dezember 1340 Wenn sich G ERSON in seinem De duplici logica direkt auf ein Statut bezieht, das f¨ur die Pariser Artistenfakult¨at erlassen worden ist, so geht es ihm offensichtlich l¨angst nicht mehr nur um ein Reinhalten der Sprache der Theologie, sondern viel grunds¨atzlicher um Angemessenheit und Grenzen jeglicher Form scandalosa juxta locutiones usitatas et secundum rhetoricam in materia tali servandam: De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 61 (mit leicht modifizierter Interpunktion). 8 Ebd.: Propterea non imprudenter condemnatae sunt aliquando propositiones tamquam articuli erronei aut revocandi in quibus tamen erat veritas de vi vocis et logicae prioris ut ista: Ecclesia manens Ecclesia potest errare; Deus et creatura nihil sunt, et similes multae. Zum ersten Beispiel Ecclesia manens Ecclesia potest errare konnte allerdings keine direkte Vorlage gefunden werden. Dass die Frage nach der Fehlbarkeit der Kirche angesichts des abendl¨andischen Schismas von großer Brisanz war, zeigt aber etwa der Sentenzenkommentar des P ETRUS P LAOUL, einer der seltenen erhaltenen Pariser Kommentare aus der Zeit um 1400 (RS 681, gelesen 1392/93; etwa in n. 29 der vierten Lectio des Prologs, vgl. die vorl¨aufige Edition von J EFFREY W ITT: http://jeffreycwitt.com/plaoul, Stand 28. M¨arz 2014). 9 CUP II.1 n. 1042, S. 506f.: Quod nullus asserat absque distinctione vel expositione, quod Socrates et Plato, vel Deus et creatura nihil sunt, quoniam illa verba prima facie mal sonant, et quia talis | propositio sensum unum habet falsum, videlicet si negatio in hac dictione ‘nihil’ implicita intelligeretur cadere non solum super ens singulariter, sed et supra entia pluraliter. ¨ Eine deutsche Ubersetzung findet sich bei PAQU E´ : Nominalistenstatut (1970), S. 15f.; f¨ur eine ¨ englische Ubersetzung vgl. C OURTENAY: Ockham and Ockhamism (2008), S. 167f. Der verurteilte Satz d¨urfte auf ein Sophisma zur¨uckgehen, das N IKOLAUS VON AUTRECOURT diskutiert hat, vgl. R IJK , L AMBERTUS M. DE: Nicholas of Autrecourt. His Correspondence with Master Giles and Bernard of Arezzo, Leiden: Brill, 1994 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 42), S. 182. Dies heißt aber nicht, dass die Artikelliste gegen AUTRECOURT gerichtet war, wie dies etwa M OODY, E.A.: Ockham, Buridan, and Nicholas of Autrecourt. The Parisian Statutes of 1339 and 1340, in: Franciscan Studies 7 (1947), S. 113–146 zu belegen versucht hat; vgl. K ALUZA , Z ENON: Nicolas d‘Autrecourt. Ami de la v´erit´e, Paris, 1995 (Histoire litt´eraire de la France 42.1), S. 80–93.
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von wissenschaftlichem Sprechen. Drei Dinge seien daher an diesem R¨uckgriff auf das Pariser Artisten-Statut besonders hervorgehoben, weil sie bezeichnend sind f¨ur den scholastischen Diskurs am Beginn dieses 15. Jahrhunderts: Erstens bindet G ERSON mit diesem R¨uckgriff auf ein universit¨ares Statut sein Anliegen an geltendes Recht und bringt damit eine juristische Dimension ins Spiel, die durchaus als Warnung verstanden werden darf: Zur¨uckhaltung in der Verwendung einer strikten Logik wird nicht als eine Frage des philosophischen oder theologischen Ermessens pr¨asentiert; vielmehr hat es ja bereits seinen statuarischen Niederschlag gefunden, dass ein Einsetzen der falschen Logik am falschen Ort zu Irrt¨umern f¨uhrt und daher zu verurteilen ist. In einer etwas sp¨ateren Rede desselben Zyklus’ wird G ERSON explizit festhalten, dass unsere V¨ater [...] feierlich festgelegt haben (sancte statuerunt), dass we” der bei den Artisten rein theologische Themen, noch bei den Theologen rein logische oder philosophische Themen behandelt werden d¨urfen“.10 In letzter Konsequenz wird damit die Frage nach einer angemessenen Logik zu einem Problem von Orthodoxie und Heterodoxie; und es werden diese juristischen Differenzierungen sein, welche die verschiedenen Parteien des Wegestreits immer wieder gegeneinander ins Feld f¨uhren.11 Wenn G ERSON zweitens mit diesem R¨uckgriff betont, dass man Aussagen zu recht verurteilt habe, selbst wenn sie in einem bestimmten Sinn wahr seien, so l¨asst er damit ein Prinzip zum Zuge kommen, das Positionen vor allem von den Konsequenzen her beurteilt, die aus ihnen gezogen werden k¨onnen. Als stylus theologicus seu modus procedendi in condemnandis erroribus sollte dieses Prinzip in den Konstanzer Prozessen gegen JAN H US und H IERONYMUS VON P RAG in aller H¨arte zur Anwendung kommen,12 doch darf dies schon hier erneut auch als Warnung verstanden werden, dass, wer vor Publikum spricht, Verantwortung tr¨agt nicht nur f¨ur das, was er effektiv sagt und zu sagen meint, 10 Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 239: Patres nostri curiositatis venenum tollere volentes, sancte statuerunt ut neque apud artistas materiae pure theologicae, neque apud theologos materiae pure logicales, aut philosophicae tractarentur. Vgl. dazu K A LUZA : Querelles doctrinales (1988), S. 44f. 11 Zu dieser juristischen Dimension des Wegestreits vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Via Antiqua and Via Moderna in the Fifteenth Century. Doctrinal, Institutional, and Church Political Factors in the Wegestreit, in: F RIEDMAN/N IELSEN: The Medieval Heritage (2003), S. 9–26, S. 25–28, sowie H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Jean Wyclif et les Universalia Realia. Le d´ebat sur la notion de virtus sermonis au moyen aˆ ge tardif et les rapports entre la th´eologie et la philosophie, in: K ALUZA/S OL E` RE: Servante et consolatrice (2002), S. 173–192. 12 Vgl. G ERSONS Octo regulae, ed. Glorieux X, Nr. 526 (1973), S. 257; dazu K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), 22: Gerson a son propre style (stylus theologicus) de proc´eder ” avec les th`eses qui lui paraissent suspectes: il les prend, en tire les cons´equence th´eologiques pour les attribuer ensuite a` l’auteur de la th`ese.“ Ausf¨uhrlicher zu diesem stylus theologicus und G ERSONS Strategien gegen H IERONYMUS VON P RAG vgl. K ALUZA: Gerson et J´erˆome (1984), S. 89f. mit Anm. 14.
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sondern auch f¨ur das, was aus seinen Aussagen geschlossen werden kann. Im Anschluss an das Statuten-Zitat mahnt denn G ERSON ausdr¨ucklich, dass das vorliegende Bedenken am allermeisten dort zutrifft, wo die Zuh¨orer nicht be” schlagen und ge¨ubt sind, solche Redeweisen zu h¨oren oder zuzulassen“, wo also vor Menschen gesprochen wird, die keinen Umgang mit solchen Redeweisen kennen und daher die falschen Schl¨usse ziehen k¨onnten.13 G ERSON hat dabei nicht nur ungebildete Leute im Auge, sondern auch puri morales wie Juristen und Kanoniker, welche in den Finessen theologischer Spekulation nicht ge¨ubt sind. Daher handeln diejenigen v¨ollig unvorsichtig – um nicht zu sagen un” versch¨amt, welche vor solchen Leuten in o¨ ffentlichen Handlungen reine Logik oder Philosophie oder Metaphysik einbringen [...]. Denn jener Satz G REGORS muss beachtet werden: ‘Gem¨aß den Sitten der Zuh¨orer soll die Rede der Doktoren geformt werden’.“14 ¨ Die Parallelen zum Prolog von D INKELSB UHLS Lectura mellicensis sind offenkundig: Ungebildete Ohren sollen gesch¨utzt, auf Philosophie und Metaphysik soll verzichtet werden, als Wahlspruch dient beiden der angef¨uhrte Gemeinplatz aus den Moralia G REGORS DES G ROSSEN.15 Dass die puri morales bei ¨ G ERSON Juristen, die simpliciores bei D INKELSB UHL aber M¨onche sind, und ¨ dass G ERSON eher Logiker, D INKELSB UHL aber die Theologen im Blick hat, unterstreicht zudem, welch grunds¨atzlicher und allgemeiner Stellenwert diesem Prinzip offensichtlich beigemessen worden ist. Wer als akademisch gebildeter Mensch vor anderen Leuten spricht, so mahnt es G ERSON an und so nimmt es ¨ sich D INKELSB UHL in seiner dritten Sentenzenlesung vor, der muss mit bedenken, welche Wirkung seine Aussagen haben k¨onnen. Bis zu einem gewissen Grad zumindest ist das Vorgehen vieler Theologen, die in den nachfolgenden Kapiteln vorgestellt werden und die ihre Kommentare und Schriften ad mentem eines anerkannten Scholastikers aus der ‘goldenen Zeit’ des sp¨aten 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts angelehnt haben, als Reaktion auf genau dieses Bedenken zu verstehen: In der Anlehnung an bew¨ahrte und bereits umfassend rezipierte Autoren verringert sich die Gefahr, dass Thesen formuliert werden, die zu unbedachten Folgerungen f¨uhren k¨onnten.
13 De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 61: Et maxime consideratio haec locum habet ubi audientes non sunt triti vel usitati tales locutiones audire vel admittere; sed vulgares sunt aut puri morales, legistae scilicet vel canonistae. 14 De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 61f.: Et sane imprudenter agunt, ne dicam impudenter, qui coram talibus in actibus publicis logicam puram aut philosophiam adducunt seu metaphy|sicam, praesertim ubi materia talis quae nihilominus mores respicit est apud eos scandalum. Observandum est enim illud Gregorii: juxta mores auditorum formetur sermo doctorum. 15 ¨ Moralia XXX 3/12, ed. Adriaen (1979-1985), S. 1499, Z. 97f.; zu D INKELSB UHL vgl. oben, Anm. 8, S. 33.
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Drittens, um ein letztes Mal auf das Zitat aus dem Pariser Statut zur¨uckzukommen, ist hervorzuheben, dass G ERSON mit diesem R¨uckgriff signalisiert, wo er den Ursprung eines unachtsamen Umgangs mit den beiden Logiken vermutet. Denn das Statut wird in der Rubrik, also gewissermaßen im Titel zu diesem Aktenst¨uck, als eine reprobatio quorundam errorum ockanicorum dargestellt.16 Weil die fr¨uhesten erhaltenen Abschriften des Statuts allerdings erst aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammen und die Rubrik daher eine sp¨atere, interpretierende Erg¨anzung sein k¨onnte, ist die genaue Einordnung des Pariser Statuts in der modernen Forschung lange umstritten geblieben: Gegen die traditionelle Interpretation, es sei dieses Statut direkt gegen O CKHAMS Lehren gerichtet,17 sind seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gute Gr¨unde ins Feld gef¨uhrt worden, da das Statut nicht eigentlich doktrin¨ar ist oder sich gegen spezifische Aussagen oder Personen wendet, sondern eher disziplin¨ar:18 Es sucht das Vorgehen einiger Artisten zu unterbinden, die, indem sie mehr wissen wollen, als ” angebracht ist, danach trachten, Ungenauigkeiten zu streuen, aus welchen sich k¨unftig nicht nur f¨ur die Philosophie, sondern auch f¨ur die Heilige Schrift untragbare Irrt¨umer ergeben k¨onnen.“19 Verboten werden daher nicht bestimmte Inhalte, sondern Argumentationsformen und Methoden wie etwa jene, einen Satz simpliciter f¨ur falsch oder f¨ur falsch de virtute sermonis zu erkl¨aren, wenn 16
CUP II.1, n. 1042, S. 505. So etwa E HRLE: Peter von Candia (1925), S. 115; ausf¨uhrlich dann M ICHALSKI , KON STANTY : Le probl`eme de la volont´e a` Oxford et a Paris au XIVe si`ecle, in: Studia Philosophica. Commentarii Societatis Philosophicae Polonorum 2 (1937), S. 233–365, bes. S. 255–261. F¨ur ¨ einen Uberblick u¨ ber die Diskussionen der letzten 60 Jahre vgl. weiterhin K ALUZA , Z ENON: Les sciences et leurs langages. Note sur le statut du 29 d´ecembre 1340 et le pr´etendu statut perdu contre Ockham, in: B IANCHI , L UCA (Hrsg.): Filosofia e Teologia nel trecento. Studi in ´ ricordo di Eugenio Randi, Louvain-la-Neuve: F´ed´eration Internationale des Instituts d’Etudes ˆ 1), S. 197–258. M´edi´evales, 1994 (Textes et e´ tudes du Moyen Age 18 Die Kritik zur Jahrhundertmitte hat vor allem aufgezeigt, dass den Artikeln gar keine Lehren von O CKHAM entsprechen und er damit nicht Ziel der Verurteilung sein konnte: so vor allem B OEHNER , P HILOTHEUS: Ockham’s Theory of Supposition and the Notion of Truth, in: Franciscan Studies 6 (1946), S. 261–292, und M OODY: Parisian Statutes (1947). Dies wird heute vor allem wegen des Charakters des Statuts (disziplin¨ar statt doktrin¨ar) auch kaum mehr ernsthaft in Frage gestellt, obwohl vereinzelt noch das Gegenteil zu belegen versucht worden ist, so noch P RETI , G ULIO: Studi sulla logica formale nel Medioevo, in: Rivista critica di storia della filosofia 8 (1953), S. 346–373 und 680f. (hier S. 361–368), ausf¨uhrlich dann PAQU E´ : Nominalistenstatut (1970); fast gleichzeitig, aber unabh¨angig von Paqu´e auch S COTT, T. K ERMIT: Nicholas of Autrecourt, Buridan, and Ockhamism, in: Journal of the History of Philosophy 9 (1971), S. 15–41. Eine eher fl¨uchtige Zusammenfassung dieser a¨ lteren Diskussion findet sich bei B IARD , J O E¨ L: Logique et th´eorie du signe au XIVe si`ecle, Paris, 1989, S. 162–166. 19 CUP II.1, n. 1042, S. 506: Verum quia ad nostram noviter pervenerit notitiam, quod nonnulli in nostra artium facultate quorundam astutiis perniciosis adhaerentes, fundati non supra firmam petram, cupientes plus sapere quam oporteat, quaedam minus sana nituntur seminare, ex quibus errores intolerabiles nedum circa philosophiam, sed et circa divinam scripturam, possent contingere in futurum. 17
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man zugleich glaubt, dass der urspr¨ungliche Autor des Satzes etwas Wahres gemeint hat – habuerit verum intellectum.20 G ERSONS R¨uckgriff auf dieses Dokument ist daher a¨ ußerst passend, da das Statut ebenso wie sein de duplici logica die Auslegung biblischer Redeweisen vor Augen hat; beide setzen sich daf¨ur ein, eine Aussage nicht von ihrem w¨ortlichen Sinn, sondern von der intentio auctoris her zu verstehen; beide wehren sich gegen einen unbedachten Einsatz eines bestimmten Typs von Logik. Insbesondere dieser letzte Punkt unterstreicht nun allerdings, wie wenig sinnvoll es sein kann, angesichts dieser Ausrichtung auf bestimmte Praktiken das Statut als doktrin¨ares Verbot ockha¨ mistischer Lehren zu deuten.21 Uber die Herkunft der verurteilten Praktiken ist damit jedoch noch nicht entschieden. In ihrem Bestreben, das Statut vom 29. Dezember 1340 so weit wie m¨oglich von O CKHAM fernzuhalten, sind B ILL C OURTENAY und K ATHRINE TACH AU sogar so weit gegangen, die Existenz eines weiteren, heute verschollenen Statuts aus den ersten Monaten des Jahres 1341 vorauszusetzen, das sich seinerseits direkt gegen O CKHAM und seine Lehren gerichtet habe und auf das s¨amtliche Hinweise auf ein anti-ockhamistisches Statut aus den fr¨uhen 1340er Jahren zu beziehen seien.22 Das Statut vom 29. Dezember 1340 allerdings sei ohne any particular relation to Ockham’s works or Ockhamism“ zu sehen, son” dern h¨ochstens im weiteren Kontext der allgemeinen Krise, welche die Artistenfakult¨at in der Auseinandersetzung mit O CKHAM um 1340 besch¨aftigt und ihren viel deutlicheren Niederschlag nicht nur in diesem supponierten zus¨atz20
So der erste Artikel des Statuts: Nulli magistri, baccalarii vel scolares in artium facultate legentes Parisius audeant aliquam propositionem famosam illius actoris cuius librum legunt, dicere simpliciter esse falsam, vel esse falsam de virtute sermonis, si crediderint quod actor ponendo illam habuerit verum intellectum; sed vel concedant eam, vel sensum verum dividant a sensu falso, quia pari ratione propositiones Bibliae absoluto sermone essent negandae, quod est periculosum: CUP II.1, n. 1042, S. 506. 21 Was auch der Hauptgrund daf¨ur ist, dass das Statut nicht gelesen werden kann, als ob es gegen N IKOLAUS VON AUTRECOURT gerichtet sei, obwohl gerade der von G ERSON zitierte Abschnitt auf ein Sophisma von AUTRECOURT zur¨uckgehen d¨urfte, vgl. oben, Anm. 3, S. 41. 22 C OURTENAY, W ILLIAM J./TACHAU , K ATHERINE H.: Ockham, Ockhamists, and the English-German Nation at Paris, 1339–1341, in: History of Universities 2 (1982), S. 53–96; erneut abgedruckt als Kapitel 9 in C OURTENAY: Ockham and Ockhamism (2008). Die weitere Debatte um dieses behauptete verlorene Dokument drehte sich vor allem um die Frage nach dem Zeitpunkt, an welchem das Statut vom 29. Dezember 1340 gesiegelt worden sei und ob dieser Akt insofern mit einer Siegelung, welche im Januar oder Februar 1341 stattgefunden haben muss, identisch sein k¨onne, so T HIJSSEN , J.M.M.H.: Once again the Ockhamist Statutes of 1339 and 1340, in: Vivarium 28 (1990), S. 136–167. Offen f¨ur diese M¨oglichkeit zeigte sich bereits C OURTENAY, W ILLIAM J.: The Registers of the University of Paris and the Statutes against the Scientia Occamica, in: Vivarium 29 (1991), S. 13–49 [abgedruckt als Kapitel 11 in C OURTENAY: Ockham and Ockhamism (2008)] und noch deutlicher dann im unten, Anm. 24 ¨ zitierten Beitrag. F¨ur einen Uberblick auch u¨ ber diesen Teil der Debatte vgl. K ALUZA: Les sciences (1994).
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lichen Statut von 1341, sondern auch etwas fr¨uher schon in einem bekannten – und unumstrittenen – Statut von 1339 gefunden habe.23 C OURTENAY und TACHAU d¨urften mit dieser Annahme eines zus¨atzlichen, heute verschollenen Statuts zu weit gegangen sein multiplicantes, um es scholastisch auszudr¨ucken, entia sine necessitate.24 Doch macht selbst ihre radikale Interpretation deutlich, dass erstens um 1340 eine Krise um O CKHAMS Rezeption tats¨achlich die Pariser Artistenfakult¨at bewegt hat – die Annahme eines zus¨atzlichen und offensichtlich doktrin¨aren Statuts unterstreicht nur die Existenz der Krise – und dass zweitens selbst das Statut vom 29. Dezember 1340 mitten in diese Krise f¨allt und daher – in welcher Art auch immer – in diesem Kontext zu sehen ist.25 Insbesondere C OURTENAYS Versuch, die These einer anti-ockhamistischen Reaktion zu entkr¨aften, indem eine ihrer Hauptquellen f¨ur irrelevant erkl¨art wird, ist daher h¨ochstens insofern aufgegangen, als wir nun schlimmstenfalls nicht mehr wissen k¨onnen, was genau in diesem zweiten anti-ockhamistischen Statut gestanden hat. Dass es mindestens ein solches Statut gegeben hat und dass es daher f¨ur die Existenz einer Pariser anti-ockhamistischen Reaktion zeugt, wird allerdings mit C OURTENAYS Hypothese in aller Form unterstrichen. Die Intention der Rubrik, welche sp¨atestens in der Mitte des 15. Jahrhunderts hinzugef¨ugt worden ist, ist daher auch in der Interpretation ihrer sch¨arfsten Kritiker nur insofern falsch, als ein Dokument dieser Zeit als Beleg f¨ur eine Krise herangezogen worden ist, das nicht selbst als direktes Resultat dieser Krise zu deuten ist, in dessen unmittelbarem Umfeld der Konflikt aber in aller Sch¨arfe ausgetragen worden ist. Geht man von der naheliegenderen und – wie nach aktuellem Wissensstand wohl behauptet werden darf – plausibleren Erkl¨arung aus, die ohne Annahme eines zus¨atzlichen verschollenen Statuts auskommt, so entspricht das ockanicorum der Rubrik zumindest dann unserem heutigen Bild der damaligen Ereignisse, wenn es nicht als Bezeichnung f¨ur O CKHAMS Lehren selbst, sondern f¨ur Praktiken verstanden wird, die offenbar vorwiegend von 23 C OURTENAY/TACHAU: Ockhamists (1982), S. 79; zum Statut von 1339 vgl. nun auch K ALUZA , Z ENON: Le Statut du 25 septembre 1339 et l’Ordonnance du 2 septembre 1276, in: P LUTA: Die Philosophie im 14. und 15. Jh. (1988), S. 343–351. 24 In einem urspr¨unglich 1995 erschienen Aufsatz gesteht C OURTENAY denn auch offen zu, that there is no longer sufficient reason for categorically denying that the statute of Decembre ” 1340 is identical with the statute sealed and promulgated a month later“ (C OURTENAY, W IL LIAM J.: Was there an Ockhamist School? in: H OENEN /S CHNEIDER/W IELAND : Philosophy and Learning (1995), S. 263–292, hier S. 275, vgl. ebd. S 281; erneut abgedruckt als Kapitel 18 in C OURTENAY: Ockham and Ockhamism (2008), hier S. 383, vgl. ebd. S. 389). 25 C OURTENAY unterstreicht dies bereits in einem etwas sp¨ateren Aufsatz von 1984, der als Kapitel 10 in seinen Ockham-Sammelband eingegangen ist: The 1340 statute [...] did appear ” in the midst of a crisis over the degree to which Ockham’s writings and views should be used in the schools“ (C OURTENAY, W ILLIAM J.: Force of Words an Figures of Speech. The Crisis over virtus sermonis in the fourteenth century, in: Franciscan Studies 44 (1984), S. 107–128, hier S. 188 [210]).
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Leuten angewandt worden sind, welche sich in Paris als Gefolgsleute von O CK HAM verstanden haben.26 Interessanterweise ist nun dieser Blickwinkel, um zur eigentlichen Thematik zur¨uckzukehren, auch der Blickwinkel bereits von J EAN G ERSON. G ERSON weiß ganz offensichtlich um diese Wirren, welche kurz vor der Mitte des 14. Jahrhunderts die Pariser Universit¨at bewegt haben, und er bringt – wie es nach heutigem Ermessen die historisch einleuchtendste Interpretation ist – seine Anlehnung an das Statut von 1340 mit englischen Entwicklungen in Verbindung: Wo er eben noch G REGOR DEN G ROSSEN zitiert hat mit dessen Ermahnung, sich angemessen an die H¨orerschaft auszudr¨ucken, f¨uhrt der Pariser Kanzler nun aus, dass das Gegenteil davon, das Gegenteil also von einer R¨ucksichtnahme auf das Verm¨ogen der Zuh¨orer, am h¨aufigsten in ” England gemacht worden ist – creberrime fieri dicitur in Anglia, und es wird, proh dolor, wenn keine Vorkehrungen getroffen werden, in Frankreich Einzug halten“.27 Es ließe sich dar¨uber diskutieren, inwiefern dieser doch relativ zeitnahe Blick G ERSONS auf die Ereignisse um 1340 nicht auch als Best¨atigung dieser umstrittenen englischen Einfl¨usse gew¨urdigt werden m¨usste; in eine ausf¨uhrliche Beurteilung dieses polemischen Hiebs gegen England m¨ussten allerdings nicht nur die politischen Umst¨ande des 100 j¨ahrigen Krieges, sondern auch die Rivalit¨at zwischen den Universit¨aten Paris und Oxford bei der L¨osung des PapstSchismas mit einbzeogen werden.28 F¨ur den vorliegenden Zusammenhang mag es gen¨ugen festzuhalten, dass gut zwei Generationen nach den Pariser Ereignissen der 1340er Jahre die Meinung hat vertreten werden k¨onnen, es habe an dieser Universit¨at um die Mitte des 14. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung um ‘englische’ Einfl¨usse gegeben und es seien diese Einfl¨usse f¨ur die weiteren 26 Mit K ALUZA: Les sciences (1994), S. 212f. und 221; so nun u¨ brigens auch C OURTENAY: Was there an Ockhamist School? (1995), S. 375f. und S. 283. 27 Huius oppositum creberrime fieri dicitur in Anglia et, proh dolor, nisi provideatur, invalescet in Francia (De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 62). Zu dieser Stelle vgl. K ALUZA: Les sciences (1994), S. 247. F¨ur weitere Beispiele von G ERSONS Polemik gegen die custodia angelorum vgl. K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), Anm. 8 auf S. 27, und dann v.a. S. 43–45. 28 H¨ochst interessant sind hierbei Randbemerkungen G ERSONS von 1396 zu einem Oxforder Schreiben zur L¨osung des Schismas: Die Oxforder brachten darin Argumente gegen die von Paris favorisierte via cessionis vor, welche G ERSON nun seinerseits in seinen Glossen widerlegte. Zu deren drittem Argument schrieb er: Verbalis tantum est haec reprobatio, quia non capit intellectum clarum viae cessionis, sed eam crude et nude capit, ut sophista. Oxforder Schreiben und G ERSONS Glossen sind ediert in O UY, G ILBERT: Gerson et l’Angleterre. A propos d’un texte pol´emique retrouv´e du Chancelier de Paris contre l’Universit´e d’Oxford, in: L EVI , A NTHONY (Hrsg.): Humanism in France at the end of the Middle Ages and in the early Renaissance. Symposium held by the School of French of the Univ. of Warwick at Warwick in April 1969, Manchester: Manchester University Press, 1970, S. 43–81, hier S. 73 mit Anm. 8; vgl. auch Anm. 11–12 (reprobatio puerilis et verbalis tantum) und 21 (puerilis est haec reprobatio et non ad rem, sed solum ad nomen), ebd. S. 74f.
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Kapitel 3: Jean Gerson und die vermutete Herkunft eines schlechten Stils
Entwicklungen des akademischen Tuns bestimmend gewesen. Denn dass dieser englische Stil doch auch in Paris bereits Verbreitung gefunden hat, best¨atigt G ERSON, so sehr er auch seiner Hoffnung Ausdruck gibt, dass mit den richtigen Vorkehrungen der Einzug der verkehrten englischen Vorgehensweisen verhindert werden k¨onne. Im Anschluss an seine Schuldzuweisung an die englische Scholastik fragt G ERSON n¨amlich: Warum denn sonst werden die Theologen unserer Zeit Sophisten und Wortklauber, ja, sogar auch Phantasten genannt, wenn nicht deswegen, weil sie vom N¨utzlichen und dem, was f¨ur das Verm¨ogen der Zuh¨orer verst¨andlich ist, abgelassen haben und sich der nackten Logik, der Metaphysik oder auch der Mathematik hingegeben haben, wo und wann es sich nicht geh¨ort?29
Die ‘Sophisten’ und ‘Phantasten’ haben in Paris bereits Einzug gehalten: Ganz offensichtlich ist eine ungeb¨uhrliche Vermischung der Disziplinen auch von den Pariser Theologen in G ERSONS Pariser Umfeld gepflegt worden, und es ist ganz offensichtlich diese Vermischung, welche der Pariser Kanzler als Grundproblem des beklagten schlechten Stils sieht. Erneut sind die Parallelen zu D IN ¨ KELSB UHL augenf¨allig: In der Kritik steht ein theologischer Stil, der auch zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch gepflegt worden ist; wo der eine utilitas und facilitas vermisst, erhebt sie der andere zu seinen hermeneutischen Prinzipen; wo der eine den Einfluss von Logik, Metaphysik und Mathematik beklagt, will der andere die metaphysicalia et philosophicalia aus seiner Theologie verbannen. Hier, in der Missachtung der disziplin¨aren Grenzen liegt f¨ur beide denn auch das zentrale Problem des Stils, von welchem sie sich abwenden wollen; und dank G ERSON wissen wir auch, wo um 1400 die Herkunft dieses Stils hat vermutet werden k¨onnen und wann er Eingang in die kontinentale Tradition gefunden hat. Die ungeb¨uhrliche Vermischung der Disziplinen geht demnach auf englische Einfl¨usse zur¨uck, welche um 1340 in Paris rezipiert und imitiert worden sind. G ERSONS Perspektive scheint damit die traditionelle Sichtwiese zur Herkunft nominalistischer Tendenzen in der kontinentalen Scholastik zu best¨atigen. Dennoch werden durch seine Darstellung eine Reihe von Fragen aufgeworfen. Denn wer sind diese Sophisten und Phantasten? Handelt es sich tats¨achlich um eine spezifische Gruppierung, oder handelt es sich gar um zwei unterschiedliche Str¨omungen? Wie verh¨alt es sich zudem zur traditionellen ‘Nominalismus¨ Legende’, dass D INKELSB UHL und G ERSON das Grundproblem in einer Vermischung der Disziplinen und keineswegs in einem universalien-theoretischen Standpunkt oder in einem grunds¨atzlichen Skeptizismus sehen? Und wie ist 29 Denique cur ob aliud appellantur theologi nostri temporis sophistae et verbosi, immo et phantastici, nisi quia relictis utilibus et intelligibilibus pro auditorum qualitate transferunt se ad nudam logicam vel metaphysicam aut etiam mathematicam, ubi et quando non oportet? (De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 62).
3.2 Das Pariser Artistenstatut vom 29. Dezember 1340
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schließlich mit der bereits angesprochenen Tatsache umzugehen, dass G ER ¨ SON selbst – nicht weniger als D INKELSB UHL – gemeinhin einer nominalistischen Richtung zugerechnet wird?30 Trifft denn ihre Sichtweise auf das 14. Jahrhundert u¨ berhaupt zu, und was bedeutet dies f¨ur ihre eigene Positionierung ¨ in der philosophischen Landschaft des Sp¨atmittelalters? Laut D INKELSB UHL geht nun ja die Missachtung der disziplin¨aren Grenzen einher zum einen mit einer thematischen, zum anderen mit einer methodischen Fehlausrichtung, was G ERSON im u¨ brigen nicht anders sieht.31 Den thematischen Abgrenzungen entlang sei daher in einem n¨achsten Schritt untersucht, worin die behaupteten Fehltritte des sp¨ateren 14. Jahrhunderts tats¨achlich bestanden haben. Im Hinblick auf die u¨ bergeordnete Thematik der vorliegenden Studie soll dies eingehend anhand der Kommentartradition zum vierten Buch von P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen beleuchtet werden. Ein weiterer Abschnitt wird dann die methodische Dimension aufgreifen und sich eingehender einigen logischen und semiotischen Aspekten widmen.
30 So heißt es schon in einer nominalistischen Verteidigungsschrift des sp¨aten 15. Jahrhunderts suscitavit Deus doctores catholicos: Petrum de Allyaco, Johannem de Gersonno, et alios quamplures doctissimos viros nominales (zitiert nach der Dokumentensammlung von E HR ¨ LE : Peter von Candia (1925), hier S. 324). F¨ ur moderne Ubernahmen dieser Zuordnung vgl. bereits P RANTL: Geschichte IV (1870), S. 141; einflussreich war dann insbesondere O BER MAN , H EIKO A.: The Harvest of Medieval Theology. Gabriel Biel and Late Medieval Nominalism, Cambridge MA: Harvard University Press, 1963, S. 331–339, sowie O BERMAN , H EI KO A.: Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf, T¨ ubingen: Mohr Siebeck, 3 1989 (Sp¨atscholastik und Reformation 2), S. 29f. Unhinterfragt u¨ bernahmen die Zuordnung etwa C OURTENAY, W ILLIAM J.: Terminism, in: Dictionary of the Middle Ages, Band 11, 1988, S. 686–687 oder B URGER: Johannes Gerson (1986), S. 1. Zur¨uckhaltend war erst noch B URROWS: De Consolatione Theologiae (1991), S. 2f.; vgl. dann allerdings B UR ROWS , M ARK S TEPHEN : Gerson, Jean, in: Routledge Encyclopedia of Philosophy, Band 4, 1998, S. 45–47. Kritisch ist weiterhin etwa PATAR , B ENOˆI T: Dictionnaire des philosophes m´edi´evaux, Qu´ebec: Fides, 2006, S. 251f. 31 Vgl. den unmittelbaren Fortgang des oben angef¨uhrten l¨angeren Zitats: Nunc de intensione formarum, nunc de visione continui, nunc detegentes sophismata theologicis terminis obumbrata, nunc prioritates quasdam in divinis, mensuras, durationes, instantia, signa naturae et similia in medium adducentes quae et si vera atque solida essent, sicut non sunt, ad subrisionem tamen magis audientium vel irrisionem quam rectam fidei aedificationem saepe proficiunt: De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 62.
Kapitel 4
Subtilitates anglicanae und die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts ¨ Wenn sich D INKELSB UHL im Pro¨omium seiner lectura mellicensis gegen einen bestimmten Typus von Themen und Fragestellungen stellt, wenn er die materias subtiles, sed steriles und die quaestiones magis curiosas quam fructuosas ablehnt, so spielt er damit auf eine Tendenz in der Sentenzenauslegung an, die in entscheidendem Maß jenes Bild eines dekadenten sp¨aten 14. Jahrhunderts gepr¨agt haben d¨urfte, welches bisweilen auch in der neusten Literatur noch gezeichnet wird.1 Vergleicht man nun Sentenzenkommentare des mittleren und ausgehenden 14. Jahrhunderts mit solchen aus dem sp¨aten 13. oder dem ganz fr¨uhen 14. Jahrhundert, so zeigen sich tats¨achlich signifikante Unterschiede. Wie gleich noch ausf¨uhrlicher zu zeigen sein wird, sind die sp¨ateren Kommentare in ihrer Struktur weitgehend losgel¨ost vom Grundtext des P ETRUS L OM BARDUS; sie untersuchen anstelle vieler kurzer, nach festem Schema ablaufender Quaestionen ausschweifende, mehrere Themen vereinende Fragen, fokussieren in der Wahl dieser Themen auf wenige ausgew¨ahlte Probleme und greifen in deren Behandlung auch auf Methoden und Vorgehensweisen zur¨uck, welche urspr¨unglich in den Disziplinen der Artistenfakult¨at entwickelt und angewendet worden sind.2 Das Bild, das sich damit abzeichnet, scheint nun aber nicht 1 S.o., S. 38. ROSEMANN: Great Medieval Book (2007) ist zwar bem¨uht, die Entwicklungen des sp¨ateren 14. Jahrhunderts als an interplay of light and shadow“ darzustellen, denn ” all progress is inseparably connected with an element of decline“ (S. 138), doch gelingt es ” ihm kaum aufzuzeigen, wo seiner Meinung nach die progressiven Elemente dieser period of ” decline“ (S. 124) zu finden seien. Stattdessen u¨ berwiegen negative Beurteilungen bei weitem ( tiredness with the genre“ S. 126; disillusionment“ S. 127; crisis of theological certainty“ ” ” ” und distrust in philosophical and logico-semantic arguments“ S. 131). 2” Die einzige ausf¨uhrliche Studie zur Sentenzentradition des sp¨ateren 14. Jahrhunderts ist BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002); vgl. zudem den Ausblick in Z AHND: Sentenzenkommentare (2011), S. 73–77. ROSEMANN: Great Medieval Book (2007) hingegen beschr¨ankt sich f¨ur das sp¨atere 14. Jahrhundert auf M ARSILIUS VON I NGHEN, der mit seinen Reformbem¨uhungen allerdings schon auf eine n¨achste Generation von Sentenzenkommentaren verweist, s. u., Teil IV, Kap. 23.1.3, und H OENEN , M AARTEN J.F.M.: The Commentary on the Sentences of Marsilius of Inghen, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 464–506, hier S. 494.
Kapitel 4: Die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts
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¨ nur D INKELSB UHLS und G ERSONS Kritik an einer Vermischung der Disziplinen zu best¨atigen, sondern es l¨asst sich auch zeigen, dass die eben beschriebenen Charakterz¨uge in noch wesentlich st¨arkerem Ausmaß im Sentenzenstil zu finden sind, wie er ab den 1320er Jahren an der Oxforder Universit¨at und an anderen englischen Schulen gepflegt worden ist.3 Eine Best¨atigung von G ER SONS These zur Herkunft dieses ‘schlechten’ Stiles scheint damit gegeben zu sein, h¨atte denn nicht das vermehrte Interesse der j¨ungsten Forschung an Pariser Scholastikern wie D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN, P ETRUS AUREOLI oder F RANCISCUS DE M ARCHIA gezeigt, dass sich ebendiese ‘englischen’ Charakterz¨uge – in zugegebenermaßen weniger ausgepr¨agter Form – auch schon in Pariser Kommentaren des fr¨uhen 14. Jahrhunderts finden lassen.4 Das Problem, das sich damit stellt, ist ein doppeltes: Einerseits bleibt damit die Frage nach der Herkunft der genannten Charakteristika in der Sentenzentradition des sp¨aten 14. Jahrhunderts ungekl¨art; andererseits bleibt undeutlich, weshalb G ERSON u¨ ber deren Herkunft ein so eindeutiges Urteil hat f¨allen k¨onnen. F¨ur das vorliegende Unternehmen sind diese beiden Fragen aus mehreren Gr¨unden interessant: Erstens l¨asst sich an ihnen aufzeigen, was in der strukturellen Ausrichtung und in der Themenwahl typisch f¨ur einen Sentenzenkommentar des sp¨aten 14. Jahrhunderts gewesen ist, womit sich also noch einmal st¨arker konturieren l¨asst, wovon sich das 15. Jahrhundert abzugrenzen versucht hat. Zweitens k¨onnen damit einige grundlegende Texte vorgestellt werden, deren Rezeption durch Autoren des 15. Jahrhunderts im weiteren Verlauf dieser Untersuchung von Bedeutung sein wird. Wenn in diesem Sinne der Fokus der nachstehenden Ausf¨uhrungen prim¨ar auf das hier interessierende vierte Buch von P ETRUS ’ Sentenzen gelegt wird, so erm¨oglicht dies drittens einen kritischen Blick auf die bisherige Erforschung der Sentenzentradition dieser Epoche, weil diese sich bisher weitgehend auf Fragen und Themen des ersten Sentenzenbuches konzentriert hat.5 Die folgenden Anmerkungen beschr¨anken sich auf vier Punkte.
3 Zum Wissenschaftsstil dieser Epoche vgl. C OURTENAY, W ILLIAM J.: The Role of English Thought in the Transformation of University Education in the Late Middle Ages, in: K ITTELSON , JAMES M. (Hrsg.): Rebirth, Reform and Resilence. Universities in Transition 1300–1700, Columbus: Ohio State University Press, 1984, S. 103–162, hier S. 105–115, sowie S CHABEL , C HRISTOPHER: Oxford Franciscans after Ockham. Walter Chatton and Adam Wodeham, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 359–377. 4 Vgl. vor allem S CHABEL , C HRISTOPHER: Theology at Paris, 1316–1345. Peter Auriol and the Problem of Divine Foreknowledge and Future Contingents, Aldershot: Ashgate, 2000 (Ashgate Studies in Medieval Philosophy), sowie die unten, Anm. 29 auf S. 60 genannten Studien zu F RANCISCUS DE M ARCHIA. 5 Dieses Defizit der modernen Forschung benennen auch BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), S. 427. Zum folgenden vgl. Z AHND: Sentenzenkommentare (2011).
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Kapitel 4: Die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts
4.1 Die Pariser Sentenzentradition nach 1340 Ein erster Punkt betrifft die Sentenzentradition nach 1340. Der Sentenzenkommentar G REGORS VON R IMINI, der in der erhaltenen Form auf seine Pariser Lesung in den Jahren 1343/44 zur¨uckgeht,6 hat in der modernen Forschung insbesondere auch deswegen Beachtung gefunden, weil G REGOR als erster Theologe im Pariser Umfeld englische Autoren der vorangegangenen zwei Jahrzehnte rezipiert.7 Hat in den 1320er und 1330er Jahren kaum ein Austausch zwischen Paris und Oxford stattgefunden, so dass die theologischen Entw¨urfe eines O CKHAM, eines WODEHAM oder eines H OLKOT auf dem Kontinent v¨ollig unbeachtet bleiben, so ist deren Rezeption bei G REGOR VON R IMINI umso umfassender, wie ein Blick in das Register der kritischen Edition belegt.8 Mit dieser Rezeption englischer Theologie einher geht bei G REGOR eine thematische Fokussierung auf Fragen zum Unendlichen oder zu Bewegungsproblemen, sowie eine Bevorzugung von Themen, die eine logische Herausforderung darstellen und daher mit den analytischen Hilfsmitteln der Artisten zu l¨osen sind.9 Damit geht schließlich eine strukturelle und thematische Freiheit gegen¨uber dem Sentenzentext einher, was sich am deutlichsten in der Tatsache a¨ ußert, dass G REGORS Kommentar nur zu den ersten beiden Sentenzenb¨uchern erhalten geblieben und wohl auch nur zu diesen beiden B¨uchern ausgearbeitet worden ist.10 Ganz offensichtlich geht es G REGOR in seinem Kommentar nicht mehr um eine Auslegung und Erkl¨arung von P ETRUS ’ L OMBARDUS Werk. 6
G REGORS Kommentar geht sicherlich auf fr¨uhere Entw¨urfe zur¨uck, welche er in den norditalienischen Studia seines Ordens gelesen hat, vgl. neben ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 112f. und C OURTENAY: Role of English Thought (1984), S. 126, auch B ERMON , PASCAL: La lectura sur les deux premier livres des sentences de Gr´egoire de Rimini O.E.S.A. (1300–1385), in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 267–285. 7 O CKHAMS logische und physikalische Schriften fanden den Weg auf den Kontinent schon fr¨uher, vgl. C OURTENAY, W ILLIAM J.: The Reception of Ockham’s Thought at the University of Paris, in: K ALUZA , Z ENON/V IGNAUX , PAUL (Hrsg.): Logique, ontologie et th´eologie au XIVe si`ecle. Preuve et raisons a` l’Universit´e de Paris, Paris: Vrin, 1984 (Etudes de philosophie m´edi´evale hors s´erie), S. 43–64 (erneut abgedruckt als Kapitel 8 in C OURTENAY: Ockham and Ockhamism (2008)). Zum Verh¨altnis zwischen Paris und Oxford in den 1320er und 1330er Jahren vgl. S CHABEL , C HRISTOPHER: Paris and Oxford between Aureoli and Rimini, in: M A RENBON : Medieval Philosophy (1998), S. 386–401. 8 Der Kommentar ist in einer kritischen Edition zug¨anglich: G REGOR VON R IMINI: Lectura super primum et secundum, ed. Trapp et.al. (1979-1987); der siebte und letzte Band enth¨alt die Register. 9 Vgl. C OURTENAY: Role of English Thought (1984), S. 128f. 10 Einige interne Verweise deuten darauf hin, dass G REGOR zumindest im Rahmen seiner Lesungen in den norditalienischen Studia auch B¨ucher drei und vier ber¨ucksichtigt hat (vgl. dazu ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 113, und das unten, S. 168, Anm. 4, genannte Beispiel). Doch auch die unmittelbare Rezeption von G REGORS Sentenzenkommentar bei seinen Zeitgenossen beschr¨ankt sich auf die ersten beiden B¨ucher.
4.1 Die Pariser Sentenzentradition nach 1340
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Was G REGORS Werk damit auszeichnet, sollte f¨ur die nachfolgenden Generationen von Sentenzenkommentaren typisch werden. In einer der wenigen Studien zur Sentenzentradition des sp¨ateren 14. Jahrhunderts haben PAUL BAK KER und C HRIS S CHABEL eine Reihe von Charakterisitka zusammengetragen und diskutiert, welche sich weitgehend mit diesen Z¨ugen von G REGORS Kommentar decken: Es sind dies strukturelle Merkmale, die eine weitgehende Losl¨osung von P ETRUS ’ Grundtext bezeugen, und es sind dies Merkmale im Umgang mit den verwendeten und zitierten Autoren, wozu auch jene verbreitetere Rezeption englischer Theologen geh¨ort.11 Tats¨achlich lassen sich diese Merkmale auch im Hinblick auf Buch IV weitgehend best¨atigen. Am offenkundigsten sind sicherlich die strukturellen Merkmale, die im Vergleich zu den anderen drei B¨uchern bei Buch IV sogar besonders deutlich ausgepr¨agt sind: Verschiedene Autoren lassen Buch IV g¨anzlich aus,12 bei den u¨ brigen ist es u¨ blich, dass sie sich auf einige wenige Quaestionen zu ausgew¨ahlten Problemen dieses vierten Buches beschr¨anken. In dieser Selektion werden zudem die erw¨ahnten thematischen Interessen deutlich: J OHANNES VON M IRECOURT, eine der umstrittensten Pariser Pers¨onlichkeiten der 1340er Jahre, formuliert gerade mal zwei Quaestionen zu Buch IV. Eine erste behandelt die Frage nach der sakramentalen Wirkweise, deren Verstrickung mit physikalischen und logischen Problemen in der Einleitung der vorliegenden Arbeit ausf¨uhrlich dargelegt worden ist; die zweite fokussiert auf das Problem der eucharistischen Wandlung und damit auf jene Thematik innerhalb von Buch IV, in der noch ausgepr¨agter als bei der Wirksamkeitsfrage kategoriale, logische und physikalische Probleme mit einer theologischen Problematik verbunden sind.13 Dies l¨asst sich auch im 11
BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), S. 426. Die strukturellen Merkmale betreffen eine Konzentration auf Buch eins sowie eine neue Quaestionenform; die weiteren Merkmale im Umgang mit den Quellen betreffen zum einen a greater frequency of explicit ” and detailed citations of other scholastics“ (ebd.) sowie das Ph¨anomen der lectura secundum alium, welches von T RAPP, DAMASUS: Augustinian Theology of the 14th Century. Notes on Editions, Marginalia, Opinions and Book-Lore, in: Augustiniana 6 (1956), S. 146–274, hier S. 250–255, beschrieben worden ist. 12 So neben G REGOR auch A LFONSUS VARGAS T OLETANUS, der 1344/45 die Sentenzen gelesen und nur Buch I kommentiert hat (RS 66), sowie J OHANNES DE R IPA (sententiarius nach 1353, RS 485–487). 13 Konsultiert wurde hier die Handschrift Paris, BNF lat. 15883; eine online Edition bisher nur zu Buch eins bereitet M ASSIMO PARODI vor auf http://filosofia.dipafilo.unimi.it/~mparodi/ mirecourt/testi/gestione/frame quest.htm (Stand 28. M¨arz 2014). Ausf¨uhrlich zur Frage der eucharistischen Wandlung im ausgehenden Mittelalter gearbeitet hat BAKKER , PAUL J.J.M.: La raison et le miracle : les doctrines eucharistiques (c.1250–c.1400). Contribution a` l’´etude des rapports entre philosophie et th´eologie, Diss. Nijmegen, 1999; vgl. auch DAMERAU , RUDOLF: Die Abendmahlslehre des Nominalismus. Insbesondere die des Gabriel Biel, Gießen: Schmitz, 1963 (Studien zu den Grundlagen der Reformation 1), sowie BAKKER , PAUL J.J.M.: Hoc est corpus meum. L’analyse de la formule de cons´ecration chez des th´eologiens du XIVe et du XVe si`ecles, in: M ARMO: Vestigia, imagines, verba (1997), S. 427–451.
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Kapitel 4: Die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts
weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts feststellen: Wie in der Einleitung bereits erw¨ahnt, konzentrieren sich die Pariser Kommentare etwa eines P ETRUS DE C ANDIA, eines H EINRICH TOTTING VON OYTA oder eines H EINRICH VON L ANGENSTEIN im Rahmen von Buch IV ausschließlich auf diese Frage nach der eucharistischen Wandlung. Immerhin sechs Quaestionen behandelt P IERRE D ’A ILLY zu Buch IV, der die Sentenzen 1376/77 in Paris gelesen hat.14 Allerdings behandelt er darin weit mehr als sechs Themen, wie sich auch die eben erw¨ahnten Autoren nicht bloß auf das Problem der eucharistischen Wandlung oder die Wirksamkeitsfrage beschr¨anken. Vielmehr werden in der Beantwortung der Fragen auch n¨aher oder ferner liegende Anschluss-Problematiken aufgegriffen und diskutiert, was der bisweilen etwas ausufernden Vorgehensweise den Namen ‘Essay’-Stil eingebracht hat.15 Bei P IERRE D ’A ILLYS erster Quaestio zum Unterschied von alt- und neutestamentlichen Sakramenten kommen so auch auf den ersten Blick unerwartete Themen zur Sprache, die erneut das Interesse an physikalischen und metaphysischen Problemen belegen, wie etwa seine Diskussion zu unterschiedlichen Formen von Ursachen oder zur F¨ahigkeit von Gesch¨opfen, selbst etwas zu erschaffen.16 Anders als bei gewissen englischen Kommentaren werden diese unterschiedlichen Themen aber nicht einfach assoziativ aneinandergereiht, sondern in ein explizit gemachtes strukturelles Ger¨ust von Notanda, Conclusiones und Correlaria eingeschrieben, das bisweilen einem starren, gewissermaßen geometrischen Zahlenschema von stets gleich vielen Conclusiones mit der gleichen Anzahl an Correlaria folgt. Weil diese einzelnen Teile zudem logisch aufeinander bezogen werden, ist bei diesen Pariser Kommentaren weniger von einem ‘Essay’-Stil, als vielmehr von einem geometrischen Vorgehen zu sprechen.17 So 14 Die nachfolgenden Ausf¨uhrungen berufen sich auf P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum, ed. Strassburg 1490; zu seinem Sentenzenkommentar (RS 649–651) vgl. C AL MA , M ONICA : Pierre d’Ailly. Le commentaire sur les Sentences de Pierre Lombard, in: Bulletin de philosophie m´edi´evale 49 (2007), S. 139–194. S.u., Kap. 23.1.2. 15 Vgl. T RAPP: Augustinian Theology (1956), S. 231; C OURTENAY, W ILLIAM J.: Adam Wodeham. An Introduction to His Life and Writings, Leiden: Brill, 1978 (Studies in Medieval and Reformation Thought 21), S. 178, und nun auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 116. 16 Quaestiones super sententiarum, ed. Paris 1515, fol. 226r und fol. 226va–231ra. Bereits S COTUS diskutierte die Problematik im Rahmen der ersten Distinktion von Buch IV, P ETRUS AUREOLI widmete ihr das ganze Pro¨omium zum vierten Buch, s.u. S. 62. 17 T RAPP: Augustinian Theology (1956), S. 242, bezieht das more geometrico vor allem auf die fixe Anzahl an Conclusiones und Correlaria. ‘Geometrisch’ im Sinne einer EUKLID ’ SCHEN Methodik ist aber bisweilen der ganze Aufbau einer Quaestio, da in den Notanda die Definitionen gekl¨art werden, die Conclusiones gleichsam die Postulate und Axiome bieten und die Correlaria schließlich weitere Konsequenzen kl¨aren, die aus den Conclusiones gezogen werden k¨onnen, um zu neuen Theoremen zu f¨uhren. Ausf¨uhrlichere Beispiele solcher struktureller Ger¨uste werden unten, am Ende von Teil II (JAKOB VON E LTVILLE, Kap. 14.2.2) und am Beginn von Teil III (H EINRICH VON OYTA, S. 251ff.) besprochen. Zur Herkunft dieser
4.1 Die Pariser Sentenzentradition nach 1340
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ausufernd etwa P IERRE D ’A ILLYS Quaestio nun aber selbst in solch geometrischem Vorgehen noch konzipiert ist und so offenkundig seine thematischen Anleihen bei nicht-theologischen Problemen sind, sind die L¨osungen, die er schließlich pr¨asentiert, doch sehr konventionell. In der Wirksamkeitsfrage etwa bleibt er sehr nahe bei einem grunds¨atzlich scotistischen Ansatz.18 Selbst im Hinblick auf M IRECOURT und dessen Behandlung der Frage nach der sa¨ kramentalen Wirkweise ist anzumerken, dass auch er zwar Uberlegungen zum Infiniten oder zur Selbstbewegung anstellt und auf Methoden aus der Artistenfakult¨at zur¨uckgreift,19 dass dies aber in relativ bescheidenem Rahmen geschieht und ihn keineswegs zu einer ungewohnten L¨osung der Problematik f¨uhrt. Vielmehr lehnt sich M IRECOURT weitgehend an T HOMAS VON AQUIN an, was im 14. Jahrhundert sonst fast nur bei Dominikaner-Theologen anzutreffen ist.20 Was nun allerdings den Quellenbezug dieser Autoren betrifft, so sind im Hinblick auf Buch IV einige Besonderheiten festzuhalten. Zwar werden auch im Rahmen von Kommentaren zum vierten Buch Scholastiker explizit zitiert, darunter spielen die englischen Autoren aber eine untergeordnete Rolle.21 Dies geometrischen Methode vgl. D REYER , M ECHTHILD: More mathematicorum. Rezeption und Transformation der antiken Gestalten wissenschaftlichen Wissens im 12. Jahrhundert, M¨unster: Aschendorff, 1996 (Beitr¨age zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge 47). 18 P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum, ed. Strassburg 1490, fol. z1vb; ausf¨uhrlicher dazu unten im vierten Teil, Kap. 23.1.2. 19 Vgl. Paris, BNF lat. 15883, fol. 133va und fol. 134ra, wo M IRECOURT auf die Verwendung von Variablen zur¨uckgreift, wie sie sonst vor allem in Physik-Kommentaren zur Anwendung kommt. 20 Ebd. Fol. 136vb: Ad argumentum in principio quaestionis [...] dico quod sacramenta legis novae sunt causa dispositiva gratiae; vgl. auch bereits fol. 133rb: Sexta conclusio est quod saramenta a Deo instituta sunt causa dispositiva gratiae. Festgestellt hatte dies bereits C OUR TENAY, W ILLIAM J.: John of Mirecourt and Gregory of Rimini on Whether God Can Undo the Past. Second Part, in: Recherches de th´eologie ancienne et m´edi´evale 40 (1973), S. 147–174, S. 168; ebenso C OURTENAY: Nominalism (1974), S. 56 (die in beiden Artikeln angek¨undigte ausf¨uhrlichere Studie dazu ist leider nie erschienen). Vgl. nun auch Z AHND: Sentenzenkommentare (2011), S. 69. Die Dominikaner folgen allerdings keineswegs geschlossen T HOMAS’ L¨osung: so schloss sich D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN weitgehend S COTUS an (s.u. bei Anm. 31); J OHANNES VON S TERNGASSEN wiederum u¨ bernahm die ansonsten nicht einmal mehr in die Diskussion mit einbezogene L¨osung des H EINRICH VON G HENT (vgl. S ENNER , WALTER: Johannes von Sterngassen OP und sein Sentenzenkommentar, Berlin: AkademieVerlag, 1995 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. Neue Folge 4), Bd. 2, S. 316). Unkonventionell blieb auch ROBERT H OLKOT, der im n¨achsten Abschnitt gleich noch etwas ausf¨uhrlicher diskutiert wird. 21 Nat¨urlich gibt es vereinzelte Zitate, die allerdings nie das Ausmaß der Rezeption im Rahmen von Buch I erreichen: JAKOB VON E LTVILLE greift unter anderen auch auf ROBERT H OL KOT , A DAM W ODEHAM und O SBERT P ICKINGHAM zur¨ uck (vgl. die ausf¨uhrlichen Synopsen bei BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), S. 444–452, sowie unten, S. 231). P ETRUS DE C ANDIA f¨uhrt in seiner einzigen Quaestio zu Buch IV neben J OHANNES DE R I PA , P ETRUS AUREOLI und D UNS S COTUS auch O CKHAM an (so vor allem im zweiten Arti-
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Kapitel 4: Die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts
d¨urfte insbesondere damit zusammenh¨angen, dass eine ganze Reihe von englischen Autoren Buch IV gar nicht kommentiert haben und daher als Vorlage nicht in Frage kommen,22 was aber nicht weniger auch f¨ur die innerkontinentale Rezeption von Autoren gilt, welche ihre Kommentare nach 1344 verfasst haben. Denn auch hier sind, wie eben gezeigt, viele Kommentare sehr rudiment¨ar oder sie lassen Buch IV g¨anzlich aus, so dass die Bez¨uge zwischen den einzelnen Kommentaren andere sein m¨ussen als beispielsweise im Hinblick auf Buch I. Bemerkenswert ist dies vor allem f¨ur jenes Ph¨anomen der lecturae secundum alium, welches DAMASUS T RAPP in der Mitte des letzten Jahrhunderts als typisches Charakteristikum der Sentenzentradition des sp¨ateren 14. Jahrhunderts beschrieben hat und das den Umstand bezeichnet, dass Autoren zum Teil u¨ ber Seiten hinweg die Kommentare ihrer Vorg¨anger w¨ortlich u¨ bernehmen, ohne dies unbedingt zu deklarieren.23 J¨ungere Studien, die T RAPPS Charakterisierung durchaus kritisch aufnehmen,24 haben denn auch keinen Engl¨ander oder kel, vgl. die Paragraphen 90 und 158 der Quaestiones in sententias, ed. Schabel et.al. (2009)). M ARSILIUS VON I NGHEN und P IERRE D ’A ILLY rezipieren ebenfalls auch A DAM W ODE HAM (M ARSILIUS etwa im ad oppositum zum dritten Artikel der ersten Quaestio von Buch IV, Super quattuor libros sententiarum, ed. Strassburg 1501, fol. 475va; zu M ARSILIUS’ Quellen vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Marsilius of Inghen. Divine Knowledge in Late Medieval Thought, Leiden: Brill, 1993 (Studies in the History of Christian Thought 50), S. 20f., sowie S ANTOS N OYA , M ANUEL: Die Auctoritates Theologicae im Sentenzenkommentar des Marsilius von Inghen, in: H OENEN/BAKKER: Philosophie und Theologie (2000), S. 197–210. F¨ur P IERRE D ’A ILLY vgl. etwa Quaestiones super sententiarum IV q 1, ed. Strassburg 1490, fol. z3vb). 22 So auch bereits BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), S. 431. 23 T RAPP: Augustinian Theology (1956), S. 250–255. Allerdings d¨urfte es eine verk¨urzte Perspektive sein, hier die Kategorie des Plagiats bem¨uhen zu wollen (vgl. bereits ebd. S. 254), wie dies etwa in aller H¨arte im Hinblick auf J OHANNES VON M IRECOURT geschehen ist (vgl. V IGNAUX , PAUL/G ENEST, J EAN -F RANC¸ OIS: La biblioth`eque anglaise de Jean de Mirecourt. subtilitas ou plagiat? in: P LUTA: Die Philosophie im 14. und 15. Jh. (1988), S. 275–301, oder auch K ALUZA , Z ENON: Late Medieval Philosophy, 1350–1500, in: M ARENBON: Medieval Philosophy (1998), S. 426–451, S. 438). Differenzierter ist da sicher ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 127. 24 So wird zum einen bem¨angelt, dass es sich bei dem Begriff um keine Terminologie aus dem 14. Jahrhundert selbst handle; zum anderen tritt das Ph¨anomen in mannigfaltigeren Formen auf, als dieser eine Gattungsbegriff suggerieren kann, vgl. neben BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002). S. 438f. auch S CHABEL , C HRISTOPHER: Aufredo Gonteri Brito secundum Henry of Harclay on divine Foreknowledge and Future Contigents, in: P OSTER , C AROL (Hrsg.): Constructions of Time in the Late Middle Ages, Evanston IL: Northwestern University Press, 1997 (Disputatio 2), S. 159–171, hier S. 159f., und nun vor allem S CHA BEL , C HRISTOPHER: Haec Ille. Citation, Quotation, and Plagiarism in 14th-Century Scholasticism, in: TAIFACOS , I OANNIS (Hrsg.): The Origins of European Scholarship. The Cyprus Millennium International Conference, Stuttgart: Franz Steiner, 2006, S. 164–176. J¨ungst hat ¨ nun C ALMA , M ONICA: Plagium, in: ATUCHA/C ALMA/K ONIG -P RALONG: Mots m´edi´evaux (2011), S. 503–512, hier S. 504, vorgeschlagen, von einer bricolage textuel“ zu sprechen. Ob ” sich dieser Begriff allerdings durchsetzen kann, wird sich erst noch erweisen m¨ussen.
4.2 Englische Vorl¨aufer?
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G REGOR VON R IMINI als wichtigste Vorlage f¨ur die Kommentare zu Buch IV ausgemacht, sondern T HOMAS VON S TRASSBURG, einen Augustiner Eremiten, der 1334/35 in Paris die Sentenzen gelesen hat und auf den gleich noch ausf¨uhrlicher eingegangen wird. Zuerst einmal sei aber festgehalten, dass im sp¨ateren 14. Jahrhundert in der Kommentartradition auch zum vierten Buch von P ETRUS ’ Sentenzen tats¨achlich jene Z¨uge festgestellt werden k¨onnen, welche zu Beginn des 15. Jahrhun¨ derts von G ERSON und D INKELSB UHL kritisiert worden sind. D¨urfte daher bereits deutlicher geworden sein, wovon sich diese Autoren des fr¨uhen 15. Jahrhunderts haben abgrenzen wollen, so bleibt im Rahmen des vorliegenden Abschnittes zu kl¨aren, wo diese Kommentartrends herkommen und wie G ERSONS Zuordnung auf englische Einfl¨usse zu verstehen ist. Hierzu sei in einem zweiten Schritt etwas genauer auf die englischen Entwicklungen vor der Mitte des 14. Jahrhunderts eingegangen.
4.2 Englische Vorl¨aufer? Die Charakteristika, die soeben f¨ur einige Pariser Kommentare des sp¨ateren 14. Jahrhunderts zusammengetragen worden sind, finden sich alle bereits im Kommentarstil, der zwischen 1320 und 1350 an der Oxforder Universit¨at und an weiteren englischen Schulen gepflegt worden ist.25 Schon O CKHAM l¨ost sich, insbesondere in Buch IV, von P ETRUS ’ Vorlage: Die Quaestionenzahl ist reduziert, ein Bezug zur Distinktionenstruktur wird kaum mehr hergestellt, daf¨ur vereint O CKHAM unter einer ausgedehnten Frage mehrere unterschied¨ liche Themen.26 Ahnliches tritt bei seinen Nachfolgern in noch ausgepr¨agterer Weise auf, was zu Extremformen wie etwa dem Kommentar eines T HOMAS BUCKINGHAM f¨uhrt, dessen gesamter Sentenzenkommentar aus gerade noch sechs Quaestionen besteht, die sich in einem fr¨uhneuzeitlichen Druck aber u¨ ber 124 Folios erstrecken.27 Auch thematisch findet sich selbst in Buch IV eine deutliche Konzentration auf Probleme, die anhand von Methoden aus der Arti25
Neben der oben, S. 49, Anm. 28, angef¨uhrten Literatur vgl. zu Oxford G ELBER , H E G OODENOUGH: It Could Have Been Otherwise. Contingency and Necessity in Dominican Theology at Oxford, 1300–1350, Leiden: Brill, 2004 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 81); zu den englischen Schulen C OURTENAY, W ILLIAM J.: Schools and Scholars in Fourteenth-Century England, Princeton: Princeton University Press, 1987. 26 Zu Buch IV, das bei P ETRUS L OMBARDUS in 50 Distinktionen unterteilt ist, formuliert O CKHAM noch 16 Quaestionen; deren erste utrum sacramenta novae legis sint causae effectivae gratiae schließt aber beispielsweise auch ein sciendum quid sit sacramentum mit ein, was in fr¨uheren Kommentaren oft eine eigene Quaestio ausgemacht hat: W ILHELM VON O CKHAM: Reportatio in quartum sententiarum, ed. Wood/Gal (1984), S. 4f. 27 B UCKINGHAMS Kommentar wurde 1505 in Paris von D ENIS ROCE herausgegeben. Zu seiner Person vgl. C OURTENAY: Adam Wodeham (1978), S. 121–123. STER
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Kapitel 4: Die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts
stenfakult¨at gel¨ost werden k¨onnen. In der Diskussion zur sakramentalen Wirksamkeit etwa r¨aumt O CKHAM der Ursachenfrage viel Platz ein; sein Sch¨uler A DAM WODEHAM versucht der Problematik u¨ ber Argumente zum Unendlichen beizukommen, wof¨ur er auch mit der Funktionsweise von Magneten argumentiert;28 der Dominikaner ROBERT H OLKOT schließlich formuliert ganze Abschnitte seiner Quaestionen im Obligationenstil, einer der klassischen Argumentationsformen der Artisten.29 Entsprechend kommen diese Autoren bisweilen auch zu unkonventionellen L¨osungsvorschl¨agen: Wo T HOMAS VON AQUIN und D UNS S COTUS noch bem¨uht sind darzulegen, dass die Sakramente gem¨aß ihren Modellen als wahre Ursachen der Gnadenvermittlung zu verstehen seien, sind sie f¨ur O CKHAM bloß noch in einem weiteren Sinn, n¨amlich als causae sine quibus non urs¨achlich involviert.30 H OLKOT schließlich greift auf ein sprachlogisches Instrumentarium zur¨uck: Sakramente k¨onnen f¨ur ihn h¨ochstens metaphorice loquendi als Ursache bezeichnet werden.31 Weil sich nun, wie insbesondere das Beispiel A DAM WODEHAMS belegt, auch die Tendenz findet, Zeitgenossen in aller Genauigkeit zu zitieren, sind hier die Charakteristika der sp¨ateren Kommentartradition tats¨achlich schon vorhanden und zum Teil noch wesentlich st¨arker ausgepr¨agt.32 Weil zudem, wie oben 28 Am einfachsten zug¨anglich ist W ODEHAMS Sentenzenkommentar in einer Abbreviatio, welche H EINRICH T OTTING VON OYTA um 1370 erstellt und welche J OHN M AIR 1512 bei J EAN G RANJON in Druck gegeben hat. Sie basiert auf W ODEHAMS Ordinatio, k¨urzt den Text aber nicht nur, sondern stellt ihn teilweise auch um, vgl. etwa das Beispiel bei Z AHND: Sentenzenkommentare (2011), S. 55. Zur Kontrolle st¨utzt sich die vorliegende Untersuchung daher auch auf Paris, Univ. 193. Die erw¨ahnte Magnetstelle findet sich hier auf fol. 212ra, vgl. in der Ordinatio Oxoniensis, abbreviata per Henricum de Oyta, ed. Paris 1512, fol. 139ra. Die unterschiedlichen Kommentare W ODEHAMS hat C OURTENAY: Adam Wodeham (1978) beschrieben, vgl. zudem die Erg¨anzungen von W OOD , R EGA: Introduction, in: A DAM W ODEHAM : Lectura secunda in librum primum sententiarum. ed. by Rega Wood, St. Bonaventure NY: St. Bonaventure University, 1990 (Medieval and Renaissance texts and studies), S. 5*–49*, hier S. 30*–38*. 29 Die vorliegende Untersuchung st¨utzt sich auf ROBERT H OLKOT: Super quatuor libros sententiarum, ed. Lyon 1510; zum Obligationenstil vgl. ebd. fol. [i6]vb, sowie G ELBER: Contingency and Necessity (2004), S. 139–190. 30 Vgl. T HOMAS VON AQUIN: In sententias d 1, q 1, a 4, ed. Moos (1947), und J OHANNES D UNS S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, ed. Vaticana (2008), S. 110–114; mehr dazu unten im Teil II, Kap. 11, und Kap. 12.3. Zur sine qua non-Kausalit¨at bei O CKHAM vgl. dessen Reportatio in quartum sententiarum, ed. Wood/Gal (1984), S. 14, wo O CKHAM allerdings explizit ausschließt, dass es in naturalibus eine solche Kausalit¨at geben k¨onne, vgl. dazu C OURTENAY: Nominalism (1974), S. 45, und unten, Kap. 23.1.1. 31 Super quatuor libros sententiarum IV d 1, ed. Lyon 1510 fol. o1vb: Quando quaeritur an [sc. baptismus] efficit aliquid in anima vel nihil, potest dici quod proprie loquendo nihil efficit in anima sed metaphorice. Zu solch sprachlogischen Analysemethoden dieses englischen Stils vgl. C OURTENAY: Ockham and Ockhamism (2008), S. 139. 32 Zu W ODEHAMS Referenzen auf seine Zeitgenossen vgl. C OURTENAY: Adam Wodeham (1978), S. 39, und nun auch Z AHND: Sentenzenkommentare (2011), S. 56f.
4.3 Pariser Vorl¨aufer?
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bereits erw¨ahnt worden ist, seit G REGOR VON R IMINI eine starke inhaltliche Rezeption dieser englischen Theologen zu belegen ist, scheint es naheliegend ¨ zu sein, G ERSONS Ansatz zu folgen und auch die stilistischen Ubereinstimmungen auf englische Einfl¨usse zur¨uckzuf¨uhren. Ein Blick auf die Pariser Kommentartradition der 1310er und 1320er Jahre st¨utzt diese These allerdings nicht.
4.3 Pariser Vorl¨aufer? Ein dritter Punkt betrifft daher den Kommentarstil, wie er von Autoren wie P ETRUS AUREOLI, F RANCISCUS DE M ARCHIA oder auch bereits D URAN DUS VON S T. P OURC ¸ AIN gepflegt worden ist. Denn auch hier lassen sich – in unterschiedlichem Ausmaß – bereits jene Z¨uge finden, welche in so ausgepr¨agter Weise in den englischen Kommentaren der nachfolgenden Jahre anzutreffen sein sollen.33 Eine Losl¨osung von P ETRUS ’ Struktur l¨asst sich sowohl im Aufbau dieser Kommentare als auch in ihrer thematischen Ausrichtung feststellen. L¨angst wird nicht mehr das ganze thematische Spektrum kommentiert, das die Vorlage ausbreitet; stattdessen werden ganze Distinktionen u¨ bersprungen und grunds¨atzlich weniger, aber ausf¨uhrlichere Quaestionen gestellt. Der thematische Fokus liegt weniger auf Fragen zum Grundtext selbst als auf der Diskussion zu unterschiedlichen L¨osungsans¨atzen, die in vorangehenden Kommentaren pr¨asentiert worden sind; entsprechend finden immer h¨aufiger auch Probleme Beachtung, welche ihren Ursprung nicht in der Theologie, sondern in angrenzenden Fachgebieten haben.34 Ber¨uhmt ist etwa das Principium des F RANCISCUS DE M ARCHIA zu Buch IV, das eingehend die rein physikalische Problematik der Kr¨aftewirkung in geworfenen Gegenst¨anden bespricht und deswegen in der Geschichtsschreibung der Physik einige Beachtung gefunden hat.35 Diese Impetus-Problematik ist nicht ohne jeden Bezug zur Sakramen33 Grundlegend zu dieser Kommentarphase vgl. S CHABEL , C HRISTOPHER: Parisian Commentaries from Peter Auriol to Gregory of Rimini, and the Problem of Predestination, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 221–265. 34 ¨ In der Literatur wird dies als Ubergang von einem Argumenten-zentrierten zu einem Positionen-zentrierten Kommentarstil beschrieben, vgl. F RIEDMAN , RUSSEL L.: The Sentences Commentary, 1250–1320. General Trends, the Impact of the Religious Orders, and the Test Case of Predestination, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 41–128, hier S. 87 und S. 93f. 35 So bereits bei M AIER , A NNELIESE: Die Impetustheorie der Scholastik, Wien: Schroll, 1940 (Ver¨offentlichungen des Kaiser-Wilhelm-Instituts f¨ur Kulturwissenschaft, Rom), mit einer Teiledition der Quaestio ebd. S. 166–180. Eine Neuedition pr¨asentiert S CHABEL , C HRI STOPHER: Francis of Marchia’s Virtus derelicta and the Context of Its Development, in: Vivarium 44 (2006), S. 41–59, S. 60–80. Grunds¨atzlich zu M ARCHIAS Sentenzenkommentar vgl. S CHABEL , C HRISTOPHER/F RIEDMAN , RUSSEL L.: Francis of Marchia’s Commentary on the Sentences. Question List and State of Research, in: Mediaeval Studies 63 (2001), S. 23–106.
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Kapitel 4: Die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts
tenthematik oder zumindest zum L¨osungsansatz, den T HOMAS VON AQUIN f¨ur die Wirksamkeitsfrage pr¨asentiert hat. Denn F RANCISCUS nimmt T HOMAS’ L¨osungsansatz, es gebe in den Sakramenten eine virtus supernaturalis, zum Anlass, grunds¨atzlich u¨ ber die Funktionsweise solcher virtutes nachzudenken und eine allgemeine Theorie zu den Kr¨aften zu formulieren, welche eine Bewegung initiieren. Wie weit er sich damit aber von P ETRUS L OMBARDUS entfernt hat, ist augenf¨allig. ¨ Ahnliches gilt f¨ur P ETRUS AUREOLI, der sein ganzes Pro¨omium zu Buch IV der Frage widmet, inwiefern es Gesch¨opfen m¨oglich sei, etwas zu erschaf¨ fen und der seine Position gerne mit Uberlegungen zum Unendlichen abst¨utzt oder sich eingehend der Ursachenfrage widmet.36 Selbst ein strukturell sehr traditionell vorgehender Kommentator wie D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN zeigt dieses Interesse f¨ur die Ursachenfrage, in welcher er, wie sp¨ater auch O CKHAM, zum Schluss kommt, es seien die Sakramente h¨ochstens causae sine quibus non.37 Es ist daher offenkundig, dass die Charakteristika der englischen Tradition nichts grunds¨atzlich Anderes sind, als was vorher auch schon in Paris anzutreffen ist. Auch wenn die Auspr¨agung dieser Tendenzen in Oxford st¨arker sein mag als in Paris, auch wenn dort in umfassenderer Weise der Grundtext der Sentenzen verlassen wird und physikalische und logische Methoden und Themen weit h¨aufiger begegnen, wird doch nichts fundamental Neues getan und findet doch kein Bruch mit der Pariser Tradition statt. Die englischen Entwicklungen erscheinen vielmehr als verst¨arkte Fortf¨uhrung einer Tendenz, welche sich in geringerem Maße auch schon in Paris finden l¨asst. Damit wird auch deutlich, dass die Pariser Entwicklungen nach 1340 nicht einfach auf eine Rezeption englischer Kommentarformen zur¨uckgef¨uhrt werden k¨onnen, sondern Tendenzen aufnehmen, welche zwanzig Jahre fr¨uher auch in Paris bereits anzutreffen gewesen sind. Deutlich wird dies etwa an der Distinktionenstruktur, anhand der seit A LEXANDER VON H ALES P ETRUS ’ L OM BARDUS Text eingeteilt worden ist.38 W¨ahrend die englischen Kommentatoren eine Anbindung ihrer Quaestionen an spezifische Distinktionen mehr und mehr fallen lassen, findet sich diese Anlehnung bei Pariser Kommentaren der Jahr36 Vgl. P ETRUS AUREOLI: Commentaria super sententiarum, ed. Rom 1605, S. 2–8 (ob Gesch¨opfe etwas erschaffen k¨onnen, darin S. 5aC–7aF zum Unendlichen) und S. 17aFf. (Ursachenfrage), dazu unten, Kap. 13.2. Selbst H OLKOTS unkonventionelle L¨osung, die Sakramente seien bloß in einem metaphorischen Sinn Ursache der Gnade, findet sich bereits bei AUREOLI angedacht – allerdings weist er dies zur¨uck (vgl. ebd. S. 8bE). 37 Vgl. D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN: In sententias, Red. C IV.1 q 4, n 19 und 24f., ed. Venedig 1571, fol. 290rb und 290va (dazu ausf¨uhrlich unten, Teil II, Kap. 13.1. Zu O CKHAM s.o. S. 60 mit Anm. 30). 38 Vgl. F RIEDMAN , RUSSEL L.: Conclusion, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 507–527, hier S. 509, sowie grundlegend B RADY, I GNATIUS C.: The Distinctions of Lombard’s Book of Sentences and Alexander of Hales, in: Franciscan Studies 25 (1965), S. 90–116.
4.4 Der Traditionalismus des Thomas von Straßburg
63
hundertmitte weiterhin genau so wie bei jenen des fr¨uhen 14. Jahrhunderts. Der Sentenzenstil des sp¨ateren 14. Jarhhunderts ist also h¨ochstens als eine Verschmelzung von englischen und kontinentalen Elementen zu betrachten,39 wobei allerdings der englische Einfluss nur Tendenzen verst¨arkt, welche auf dem Kontinent bereits fr¨uher anzutreffen sind. Woher kommt dann aber G ERSONS Einsch¨atzung, welche bis in die moderne Forschung hinein geteilt worden ist?40
4.4 Der Traditionalismus des Thomas von Straßburg Zur Kl¨arung beitragen d¨urfte ein vierter Aspekt, der die Phase der Pariser Sentenzenkommentierung in den 1330er Jahren betrifft. Im Vergleich zu den vorderen Dekaden sind aus dieser Zeit praktisch keine Kommentare u¨ berliefert – allerdings gibt es zwei großen Ausnahmen: die Kommentaren des P ETRUS DE AQUILA und des T HOMAS VON S TRASSBURG.41 Diese beiden Kommentare zeichnen sich nun gerade dadurch aus, dass sie einen h¨ochst konservativen Umgang mit der Vorlage von P ETRUS L OMBARDUS pflegen. Der Kommentar des P ETRUS DE AQUILA ist, zumindest was die hier interessierenden Abschnitte zu Buch IV betrifft, weitgehend eine Abbreviatio der Ordinatio von D UNS S CO TUS; entsprechend nahe bleibt der Text, wie jener seines Vorbildes auch, sowohl strukturell als auch thematisch auf den Sentenzentext ausgerichtet.42 Bei T HO 39 So im Hinblick auf G REGOR VON R IMINI auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 116. 40 Vgl. etwa C OURTENAY: Role of English Thought (1984), S. 128, der zwar bereits erkennt, dass die logischen und physikalischen Interessen G REGORS VON R IMINI were shared ” by earlier Parisian theologians (e.g., Marchia, Massa, Odonis)“, sie aber dennoch vor allem durch die englischen Autoren inspiriert sieht. 41 T HOMAS VON S TRASSBURG hat die Sentenzen 1334–1335 gelesen; etwas unklarer ist die Situation bei P ETRUS DE AQUILA, der die Sentenzen mehrmals und an unterschiedlichen ¨ Orten gelesen hat. Uberholt sein d¨urfte eine Fr¨uhdatierung auf 1307–1310, welche etwa noch M EIER -O ESER , S TEPHAN: Petrus de Aquila, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 7, 1994, S. 333–334 vertritt. Heute wird eher von 1337–1338 ausgegangen (so auch S CHABEL: Parisian Commentaries (2002), S. 259), zu den Argumenten hierf¨ur vgl. K ALUZA , Z ENON: Serbi un sasso il nome. Une inscription de San Gimignano et la rencontre entre Bernard d’Arezzo et Nicolas d’Autrecourt, in: M OJSISCH , B URKHARD/P LUTA , O LAF (Hrsg.): Historia Philosophiae Medii Aevi. Studien zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Amsterdam: Gr¨uner, 1991, S. 437–466, hier S. 446. In Frage kommt allenfalls noch M ICHAEL VON M AS SA , dessen Sentenzenkommentar T RAPP : Augustinian Theology (1956), S. 163–175, zwar auf 1326 datiert hat, laut C OURTENAY, W ILLIAM J.: The Quaestiones in Sententias of Michael de Massa, OESA. A Redating, in: Augustiniana 45 (1995), S. 191–207 aber zumindest in einer elaborierteren Version auch in den 1330er Jahren gelesen worden sein d¨urfte. 42 Die vorliegende Untersuchung st¨utzt sich auf die (unkritische) Edition von P ETRUS DE ¨ AQUILA: Quaestiones in sententiarum, ed. Paolini (1907-1909); zur Uberpr¨ ufung wurde auch ¨ die Ausgabe Speyer 1480 (Peter Drach der Altere) beigezogen.
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Kapitel 4: Die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts
MAS VON S TRASSBURG zeigt sich dieser konservative Stil besonders deutlich im Kommentar zu Buch IV. T HOMAS bleibt so nahe am Text, dass er nicht nur die Distinktionenbez¨uge immer wieder herstellt, sondern auch divisiones textus einschiebt, kleine Kurzauslegungen des Basistextes, welche dessen logisches Ger¨ust heraussch¨alen und den Abschnitt in den u¨ bergeordneten Kontext des behandelten Werks stellen.43 Als Kind seiner Zeit zeigt er sich nur insofern, als auch er tendenziell wenige große anstelle vieler kleiner Quaestionen formuliert und stattdessen in Unterartikeln mehrfach Themen behandelt, welche von der Leitfrage nicht unbedingt angeschnitten worden sind.44 Selbst bei diesen Unterthemen konzentriert er sich aber auf jene theologischen Probleme, welche sich aus den Sentenzen oder h¨ochstens noch aus der theologischen Kommentartradition ergeben; Einsch¨ube von Diskussionen aus fremden Disziplinen vermeidet er. Im Hinblick auf Kommentare wie jene von P ETRUS AUREOLI oder von F RANCISCUS DE M ARCHIA entsteht daher der Eindruck, dass T HOMAS VON S TRASSBURG in seinem Kommentar versucht habe, genau jenen Trends entgegenzuwirken, genau jene Stilformen r¨uckg¨angig zu machen, welche sich in der Generation vor ihm verbreitet haben und welche zeitgleich in Oxford auf die Spitze getrieben worden sind. W¨aren diese beiden Kommentare nun nicht nur zwei konservative Extrem¨ f¨alle, welche uns die historische Uberlieferungen als einzige zuf¨alligerweise erhalten hat, sondern entspr¨achen sie grunds¨atzlich dem damals in Paris gepflegten Stil und w¨aren damit repr¨asentativ f¨ur eine Kommentarform, wie sie eine ganze Generation gepflegt hat, dann w¨urde auch verst¨andlich, warum in den 1340er Jahren eine so klare Differenz zwischen englischer und kontinentaler Tradition empfunden worden ist. Die Tendenzen in der Sentenzentradition, welche sich im fr¨uhen 14. Jahrhundert auszubilden begonnen haben, w¨aren in Oxford dann verst¨arkt worden, w¨ahrend die Pariser Autoren der 1330er Jahre versucht h¨atten, sie wieder r¨uckg¨angig zu machen. Die Differenz w¨are das Resultat zweier entgegengesetzter Entwicklungen der 1330er Jahre. Angesichts fehlender Vergleichsm¨oglichkeiten mit weiteren Pariser Kom¨ mentaren aus dieser Epoche m¨ussen solche Uberlegungen allerdings Spekulation bleiben. Klar sein d¨urfte hingegen Folgendes: Gerade im Hinblick auf Buch IV, das haben die obigen Ausf¨uhrungen gezeigt, wird die Differenz zwischen dem Kommentar eines T HOMAS VON S TRASSBURG und jenem englischer Autoren derselben Epoche besonders augenf¨allig. Nun ist ja T HOMAS’ Kommen43
Zur divisio textus vgl. P UNTA , F RANCESCO DEL: The Genre of Commentaries in the Middle Ages and its Relation to the Nature and Originality of Medieval Thought, in: S PEER/ A ERTSEN: Was ist Philosophie des Mittelalters (1998), S. 138–151, hier S. 148. 44 So etwa in der ersten Quaestio zur zweiten Distinktion von Buch IV, wo eigentlich nach einer den neutestamentlichen Sakramenten innewohnenden Kraft gefragt wird, in Unterartikeln dann aber auch Fragen zu ihrer Einsetzung und zu ihrer Anzahl behandelt werden: T HOMAS VON S TRASSBURG : Commentaria IV d 2, q 1, ed. Venedig 1564, fol. 63ra–66ra.
4.4 Der Traditionalismus des Thomas von Straßburg
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tar zu Buch IV f¨ur die Kommentare des sp¨ateren 14. Jahrhunderts zur wichtigsten Vorlage u¨ berhaupt geworden, was gerade damit zusammenh¨angen mag, dass er einer der wenigen gewesen ist, der Buch IV u¨ berhaupt kommentiert hat und deshalb als Vorlage hat verwendet werden k¨onnen.45 Wenn daher zu Beginn des 15. Jahrhunderts eine Generation aktiv wird, die ein erh¨ohtes Interesse an diesem Buch IV zeigt, und wenn diese Generation zugleich ihr Wissen u¨ ber dieses vierte Buch insbesondere aus der Rezeption des Kommentars von T HO MAS VON S TRASSBURG erhalten hat, dann wird verst¨andlich, warum sie die Ver¨anderungen in der Kommentartradition zur Jahrhundertmitte als Neuerung und insofern als ein Einbruch englischer Einfl¨usse verstanden hat. G ERSONS Einsch¨atzung l¨asst sich aus diesen Eigenheiten der Sentenzentradition erkl¨aren, sie ist deswegen aber noch lange nicht historisch repr¨asentativ. Die Ziele des vorliegenden Abschnittes sind damit erreicht: Anhand einer Reihe von Autoren, die zu einem großen Teil auch f¨ur das 15. Jahrhundert von Bedeutung sind, ist jener Kommentarstil in der Sentenzentradition beschrieben worden, von welchem sich Autoren wie J EAN G ERSON oder N IKOLAUS VON ¨ D INKELSB UHL abzugrenzen versuchen. Gerade auch im Hinblick auf Buch IV hat sich das grundlegende Problem einer Vermischung der Disziplinen in jener strukturellen und thematischen Losl¨osung vom Sentenzentext nachzeichnen lassen, die etwa darin ihren Ausdruck findet, dass von den Autoren, welche sich u¨ berhaupt noch f¨ur Buch IV interessieren, eine ganze Reihe bloß noch die Transsubstantiation behandelt. Insofern haben sich die Ergebnisse der j¨ungeren Forschung best¨atigen, aber auch erg¨anzen lassen: So unterliegt Buch IV denselben Trends, wie sie im Hinblick vor allem auf Buch I bereits herausgearbeitet worden sind, und auch in Buch IV lassen sich diese Trends nicht nur bei englischen, sondern auch bereits bei Pariser Autoren des fr¨uhen 14. Jahrhunderts feststellen. In struktureller Hinsicht sind sie beim vierten Buch aber oft noch st¨arker ausgepr¨agt als bei den anderen, was nun seinerseits verdeutlicht hat, weshalb ein Autor wie G ERSON, entgegen den tats¨achlichen Entwicklungen, den Stil des sp¨ateren 14. Jahrhunderts als Bruch mit der fr¨uheren Tradition empfindet und auf englische Einfl¨usse zur¨uckf¨uhrt. Wenn es sich bei der vermuteten Herkunft dieses schlechten Stils aber bereits in zeitgen¨ossischen Perspektiven um ein historisches Konstrukt handelt, so stellt sich die Frage nur umso dr¨angender, wer denn u¨ berhaupt im Fokus die¨ ser Abgrenzungen steht, die D INKELSB UHL und G ERSON am Beginn des 15. 45
T HOMAS VON S TRASSBURGS Werke genossen im sp¨ateren 14. Jahrhundert grunds¨atzlich einen hohen Stellenwert: Bei KONRAD VON S OLTAU oder M ARSILIUS VON I NGHEN kam ihm auch in den u¨ brigen B¨uchern ihres Sentenzenkommentars eine wichtige Rolle als Vorlage und Diskussionspartner zu. Zu M ARSILIUS’ viertem Sentenzenbuch vgl. H OENEN , M AAR TEN J.F.M.: Der Sentenzenkommentar des Marsilius von Inghen (+ 1396). Aus dem Handschriftenbestand des T¨ubinger Wilhelmsstifts, in: Theologische Quartalsschrift 171 (1991), S. 114–129, hier S. 125–129.
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Kapitel 4: Die Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts
Jahrhunderts so pointiert formulieren. In einem n¨achsten Abschnitt sei dieser Frage nachgegangen, indem inhaltlich die zweite große Thematik der vorliegenden Untersuchung aufgegriffen wird, jene n¨amlich der sp¨atmittelalterlichen Zeichenlehre. Ausgangspunkt soll der letzte Bereich bilden, zu welchem D IN ¨ KELSB UHL in seinem Pro¨omium Abgrenzungsabsichten formuliert hat: jener der angemessenen Methoden.
Kapitel 5
Doctores signorum und die Zeichenlehren des 14. Jahrhunderts ¨ Wenn N IKOLAUS VON D INKELSB UHL im Pro¨omium zu seiner Melker Lectura ausf¨uhrt, er wolle sich von u¨ berfl¨ussigen divisiones fernhalten und stattdessen den einfacheren Weg w¨ahlen, wo dies die materia zulasse, so d¨urfte es sich auch hierbei um pointiertere Formulierungen handeln, als ein erster Blick vermuten ¨ l¨asst.1 Bleiben wir vorerst bei D INKELSB UHLS zweiter Angabe zu seinem Vorgehen, die sich zuerst einmal als bloße Einschr¨ankung des modus facilior liest, da bestimmte Themen – wie im Buch IV etwa jenes der Transsubstantiation – einen gewissen Komplexit¨atsgrad auch in der Behandlungsweise voraussetzen. Vor dem Hintergrund der eben skizzierten Tendenzen im 14. Jahrhundert d¨urfte solch konsequente Ausrichtung an der materia aber erneut auch einen programmatischen Charakter haben. Denn interessanterweise findet sich auch im bereits erw¨ahnten Pariser Statut von 1340 mehrfach die Forderung, Textauslegungen m¨ussten sich an der behandelten Materie, an der materia subiecta orientieren.2 Was steckt dahinter? Werfen wir, um den Hintergrund dieser Bemerkung auszuleuchten, noch einmal einen Blick auf das Artisten-Statut.
5.1 Das 1340er Statut und die materia subiecta Wie weiter oben bereits dargelegt worden ist, d¨urfte sich das Statut vom 29. Dezember 1340 nicht gegen eine bestimmte Person und ihre Lehren, sondern gegen Methoden und Stil einer Gruppe von Pariser Artisten gerichtet haben, die sich als Nachfolger O CKHAMS verstanden.3 Dies erschwert den Umgang mit dem Statut und seinem Kontext insofern, als mangels u¨ berlieferter Quel1
F¨ur den gesamten Text des Pro¨omiums s.o., S. 33. So heißt es im ersten Artikel: Et quia sermo non habet virtutem, nisi ex impositione et usu communi actorum vel aliorum, ideo talis est virtus sermonis, qualiter eo actores communiter utuntur et qualem exigit materia, cum sermones sint recipiendi penes materiam subiectam (CUP II.1, n. 1042, S. 506). Im vierten Artikel heißt es: Magis igitur oportet in affirmando vel negando sermones ad materiam subiectam attendere, quam ad proprietatem sermonis (ebd.). 3 S.o. S. 49. 2
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len, welche sich dieser Pariser Gruppe zuordnen ließen, fast nur aus dem Statut selbst erschlossen werden kann, worin die Eigenheiten dieser Gruppe bestanden haben. Hier¨uber vermittelt das Statut aber ein erstaunlich koh¨arentes Bild. In einer seiner Analysen des Statuten-Texts hebt Z E´ NON K ALUZA hervor, dass bloß der f¨unfte Artikel aus dem groupe coh´erent“ der u¨ brigen (insgesamt sechs) Ar” tikel herausfalle, aus denen das Statut besteht:4 Wo sich die u¨ brigen f¨unf Artikel um Fragen zum Sinn von Begriffen, zur Supposition oder zur Wahrheit von Aussagen drehten, handle dieser vom eigentlichen Gegenstand des Wissens. Er lautet: Keiner soll sagen, es gebe keine Wissenschaft von Dingen, welche nicht Zeichen sind, das heißt: welche nicht Begriffe (termini) oder Begriffskomplexe (orationes) sind, nur weil wir in den Wissenschaften Begriffe f¨ur die Dinge verwenden, welche wir nicht zu den Diskussionen hintragen k¨onnen.5 Vielmehr haben wir durchaus eine Wissenschaft von den Dingen – wenn auch vermittelt durch Begriffe oder Begriffskomplexe.6
Anders als die u¨ brigen Artikel greift dieser f¨unfte nicht methodische Aspekte auf, sondern widersetzt sich einem bestimmten Wissenschaftsverst¨andnis, einem Verst¨andnis, das jegliche Wissenschaft auf das Wissen von Zeichen festlegen will. Gegen die im Statut verteidigte Vorstellung, dass es Wissenschaft auch von den Dingen selbst geben k¨onne (wenn auch vermittelt durch Zeichen), scheint sich hier die Auffassung breit gemacht zu haben, dass Begriffe und Aussagen das einzige seien, was sich wissenschaftlich behandeln lasse. Ein solch eindimensionales Wissenschaftsverst¨andnis, wie es in diesem f¨unften Artikel verurteilt wird, scheint nun aber auch im Hintergrund der u¨ brigen Artikel zu stehen, die im Statut verurteilt werden. Denn, wie Z E´ NON K ALUZA schreibt, l`a, o`u l’object du savoir est limit´e aux termes et propositions, il ne ” peut exister qu’une distinction des supposition[s], alors que le statut lui pr´ef`ere la distinction selon la mati`ere“.7 Auch wenn es sich beim zitierten Artikel bloß um den f¨unften von sechs Artikeln handelt, so dass ihm von seiner Stellung innerhalb des Schriftst¨ucks her keine besondere Rolle zuzukommen scheint, erweist er sich inhaltlich doch als Grundlage der anderen Artikel, die ihrerseits bloß einige Folgen der hier verurteilten Pr¨amisse zur¨uckweisen: Wird der Ge4
K ALUZA: Les sciences (1994), S. 228; eine knappere Analyse des Statuts bietet K ALUZA , Z ENON: Les e´ tapes d’une controverse. Les nominalistes et les R´ealistes parisiens de 1339 a` 1482, in: B OULLUEC , A LAIN LE (Hrsg.): La controverse religieuse et ses formes, Paris, 1995, S. 297–317, S. 301–305. 5 Vgl. A RISTOTELES: Sophistici elenchi, ed. Bekker (1958) 165a 6–8; dazu K ALUZA: Les sciences (1994), S. 228 mit Anm. 65. 6 CUP II.1, n. 1042, S. 506: Item, quod nullus dicat scientiam nullam esse de rebus quae non sunt signa, id est, quae non sunt termini vel orationes, quoniam in scientiis utimur terminis pro rebus, quas portare non possumus ad disputationes. Ideo scientiam habemus de rebus, licet mediantibus terminis vel orationibus. 7 K ALUZA: Les sciences (1994), S. 228f.
5.1 Das 1340er Statut und die materia subiecta
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genstand des Wissens in einer Weise auf die signa und termini reduziert, dass jeder Zugriff auf die signifizierte res wegf¨allt, so bleibt als einziges Kriterium f¨ur die Richtigkeit einer wissenschaftlichen Aussage das korrekte Zusammenspiel eindeutig definierter termini innerhalb des mit ihnen ausgedr¨uckten propositionalen Gef¨uges.8 Ein Begriff kann dann nur noch bedeuten, was ihm gem¨aß der virtus sermonis zukommt, nicht aber, was ein Autor allenfalls in u¨ bertragenem Sinn mit ihm intendiert haben k¨onnte. Dagegen setzen sich die ersten beiden Artikel zur Wehr und betonen stattdessen den Wert der materia subiecta f¨ur die ¨ Bedeutung eines Begriffs – jener materia also, auf die auch D INKELSB UHL seine Darstellung ausrichten will.9 Artikel drei und vier machen dasselbe auf der Ebene von Begriffskomplexen deutlich und weisen entsprechend die allzu propositional gedachten Folgerungen zur¨uck, es k¨onne eine Aussage nicht unterschiedliche Bedeutungen haben und es ließe sich u¨ ber Wahrheit und Falschheit einer Aussage nur gem¨aß ihrem w¨ortlichen Sinn entscheiden.10 Artikel sechs schließlich f¨uhrt dies am bereits erw¨ahnten und diskutierten Beispiel durch, dass n¨amlich Socrates et Plato, vel Deus et creatura nihil sunt, was prima facie falsch klingt, auch wenn es de virtute sermonis wahr w¨are und damit der Vorgehensweise entsprechen w¨urde, welche das Statut zu unterbinden versucht.11 Eingebettet zwischen die ersten vier Artikel zu unzul¨assigen Vorgehensweisen und einen sechsten, der diese Vorgehensweisen exemplifiziert, nimmt Artikel f¨unf damit die Grundtendenz des Statuts auf und verurteilt, indem er auf einzelne Termini – wie die ersten beiden Artikel – ebenso wie auf Begriffskomplexe – so die Artikel drei und vier – fokussiert, gewissermaßen die Pr¨amisse, die in ihrer Konsequenz erst zu den u¨ brigen S¨atzen f¨uhrt: dass n¨amlich ein allzu konsequenter Fokus auf die Zeichen den Bezug zu den Dingen verloren gehen l¨asst und damit verunm¨oglicht, andere als propositions-immanente Kriterien zur Beurteilung der Wahrheit einer Aussage zuzulassen. Als Gegengewicht dazu betont das Statut aber eine Ausrichtung auf die materia subiecta, so dass ¨ sich auch D INKELSB UHLS programmatische Erkl¨arung, er wolle seine Vorgehensweise der materia pertractanda anpassen, erneut wie ein Bekenntnis liest, 8
Was O CKHAM bespielsweise als sophistisches Verst¨andnis von ‘wahr’ zur¨uckweisen w¨urden, vgl. P ERLER , D OMINIK: Der propositionale Wahrheitsbegriff im 14. Jahrhundert, Berlin, 1992, S. 36. 9 Der entscheidende Ausschnitt aus Artikel eins wurde oben, Anm. 14, S. 45, bereits zitiert; Artikel zwei schreibt vor, quod nullus dicat simpliciter vel de virtute sermonis omnem propositionem esse falsam, quae esset falsa secundum suppositionem personalem terminorum (CUP II.1, n. 1042, S. 506). Zur materia sujecta vgl. neben Artikel eins auch Artikel vier. Wie K A LUZA : Les sciences (1994), S. 238f. im Anschluss an B URIDAN ’ SCHES Vokabular darlegt, ist darunter der ‘Gegenstand’ einer Wissenschaft zu verstehen. 10 Nullus dicat quod nulla propositio sit distinguenda und nullus dicat propositionem nullam esse concedendam, si non sit vera in eius sensu proprio (CUP II.1, n. 1042, S. 506). 11 S.o. S. 43. Einige andere, zum Teil eher weit hergeholte Interpretationsm¨oglichkeiten des Beispiels diskutiert PAQU E´ : Nominalistenstatut (1970), S. 196–240.
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sich von einer ganz bestimmten Vorgehensweise des 14. Jahrhunderts fernzuhalten. Im Hintergrund dieser Bemerkung scheint, so verdeutlicht das Statut, ein ganz spezifisches Wissenschaftsverst¨andnis zu stehen. Doch woher kommt dieser behauptete Fokus auf die Zeichen, woher kommt dieses rein propositionale Verst¨andnis von Wissen? Im Hinblick auch auf die sp¨ateren semiotischen Ausf¨uhrungen der vorliegenden Untersuchung lohnt es sich, kurz auszuholen.
5.2 Das Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen Dass im 14. Jahrhundert ein Wissenschafts-Verst¨andnis seine Vertreter gefunden hat, das allein noch Aussagen u¨ ber Zeichen einen wissenschaftlichen Wert zugesteht, d¨urfte auf Entwicklungen zur¨uckgehen, die weiter zur¨uckreichen. Im Hintergrund d¨urfte ein Wechsel im Verst¨andnis dessen stehen, was ein mentales Konzept ist, ein Wechsel, der bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts einsetzt und der f¨ur die vorliegenden semiotischen Fragen von grundlegender Bedeutung ist: Es handelt sich um einen Wechsel im Verst¨andnis von Konzepten als ¨ Ahnlichkeiten der Dinge (similitudines rerum) hin zu ihrer Subsumierung unter den Begriff des Zeichens. A RISTOTELES hatte sich in seinem Peri hermeneias, ¨ das in der kommentierten Ubersetzung von B OETHIUS zum Basistext der mit” telalterlichen Signifikationstheorie“ geworden ist,12 einleitende Gedanken zum Verh¨altnis zwischen Dingen, Worten, Schriftformen und den passiones animae gemacht, den Konzepten, welche diese Dinge im menschlichen Geist hervorrufen konnten. A RISTOTELES bestimmt dabei bekanntlich die Schriftzeichen als σύμβολα, als ‘Marken’ von Worten, welche er wiederum als σημεῖα, als Zeichen ¨ der Konzepte versteht, um letztere schließlich als ὁμοιώματα, als Ahnlichkeiten 13 der Dinge zu pr¨asentieren. B OETHIUS verk¨urzt dies in seiner kommentierten 12 So M EIER -O ESER , S TEPHAN: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der fr¨uhen Neuzeit, Berlin: de Gruyter, 1997 (Quellen und Studien zur Philosophie 44), S. 80. Vgl. B RAAKHUIS , H ENRICUS A./K NEEPKENS , C.H. (Hrsg.): Aristotle’s Peri Hermeneias in the Latin Middle Ages. Essays on the commentary tradition, (Artistarum Supplementa 10) Groningen: Ingenium, 2003, sowie bereits I SAAC , J EAN: Le Peri Hermeneias en occident de Bo`ece a` Saint Thomas. Histoire litt´eraire d’un trait´e d’Aristote, Paris, 1953 (Biblioth`eque thomiste 19). 13 A RISTOTELES: Perihermeneias I,1, ed. Minio-Paluello (1949) 16a 3ff.: ῎Εστι μὲν οὖν τὰ ἐν τῇ φωνῇ τῶν ἐν τῇ ψυχῇ παθημάτων σύμβολα, καὶ τὰ γραφόμενα τῶν ἐν τῇ φωνῇ. καὶ ὥσπερ οὐδὲ γράμματα πᾶσι τὰ αὐτά, οὐδὲ φωναὶ αἱ αὐταί, ὧν μέντοι ταῦτα σημεῖα πρώτων, ταὐτὰ πᾶσι παθήματα τῆς ψυχῆς, καὶ ὧν ταῦτα ὁμοιώματα πράγματα ἤδη ταὐτά. F¨ur eine genaue Analyse der Bedeutung von σύμβολον und σημεῖον an der vorliegenden Stelle vgl. S UTO , TAKI: Boethius on Mind, Grammar and Logic. A Study of Boethius’ Commentaries on Peri hermeneias, Leiden: Brill, 2012 (Philosophia Antiqua 127), S. 45–52; zu Varianten im griechischen Text vgl. M AGEE , J OHN: Boethius on signification and mind, Leiden, 1989 (Philosophia Antiqua 52), S. 7–32.
5.2 Das Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen
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¨ Ubersetzung, indem er terminologisch bloß noch zwischen Sprach- und Schriftzeichen als notae einerseits und den passiones animae als similitudines der Dinge andererseits unterscheidet.14 Was darunter zu verstehen ist, erl¨auterte er in seinem Kommentar folgendermaßen: Weil es nun diese vier gibt, Ding, Verstand, Stimme, Buchstaben, empf¨angt das Ding der Verstand, das Verstandene aber bezeichnen die Worte, die Worte selbst aber bezeichnen die Buchstaben. Der Verstand aber ist eine gewisse Leidenschaft der Seele. ¨ Denn wenn durch die Vernunft der Seele nicht irgendeine Ahnlichkeit der Sache erlitten wird, welche einer versteht, dann gibt es kein Verstandenes.15
¨ Die Ahnlichkeit der Konzepte mit den Dingen war erkenntnistheoretischer Natur: Sie ging auf den Wahrnehmungsprozess zur¨uck und war die Grundlage daf¨ur, dass ein Verstehen u¨ berhaupt zustande kommen konnte. Bei Buchstaben und Worten unterstrich B OETHIUS hingegen auch deren semiotische Dimensi¨ on: Auch wenn sich mit seiner Ubersetzung als notae, dem Partizip von noscere, eine erkenntnistheoretische Perspektive er¨offnete, legte er im vorliegenden Kommentar ihre Funktion doch explizit auf das Bezeichnen, das significare, fest, wie es im lateinischen Begriff der nota auch enthalten und in der Terminologie der aristotelischen Vorlage sogar st¨arker noch impliziert ist.16 Umgekehrt ¨ blieb die Funktion des Intellekts aber auf das Erleiden einer Ahnlichkeit beschr¨ankt – von einer semiotischen Dimension der passiones animae war an der vorliegenden Stelle keine Rede.17 Konzepte blieben damit auch in der nachfolgenden lateinischen Tradition, die sich selbst nach der Neu¨ubersetzung des Peri hermeneias durch W ILHELM VON M OERBECKE weiterhin an B OETHIUS’ Text orientierte, auf ihren Sta-
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B OETHIUS: In peri hermeneias I 1, ed. Meiser (1880), S. 3 = AL II 1–2, S. 5: Sunt ergo ea quae sunt in voce earum quae sunt in anima passionum notae, et ea quae scribuntur eorum quae sunt in voce. Et quemadmodum nec litterae omnibus eaedem, sic nec eaedem voces; quorum autem hae primorum notae, eaedem omnibus passiones animae sunt, et quorum hae similitudines, res etiam eaedem. 15 B OETHIUS: In peri hermeneias ed. prim. ad I 1, ed. Meiser (1880), S. 37.: Cum igitur haec sint quattuor: res, intellectus, vox, littera, rem concipit intellectus, intellectum vero voces designant, ipsa vero voces litterae significant. Intellectus vero animae quaedam passio est. Nisi enim quandam similitudinem rei quam quis intellegit in animae ratione patiatur, nullus est intellectus. 16 Zur erkenntnistheoretischen Dimension der notae (von noscere) vgl. M AGEE: Boethius (1989), S. 56f., und nun auch S UTO: Boethius on Mind (2012), S. 65f. 17 An anderen, weniger einflussreichen Stellen mag B OETHIUS eine solche Dimension auch f¨ur Konzepte angedacht haben, vgl. etwa B OETHIUS: In peri hermeneias ed. sec. ad I 4, ed. Meiser (1880), S. 24, wo er aber klar u¨ ber den ARISTOTELISCHEN Text hinausgeht; dazu M EIER O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 38 und 78. Umgekehrt hat bereits B OETHIUS auch die similitudo als Funktionsweise von Worten und Schriftzeichen betrachtet, vgl. S UTO: Boethius on Mind (2012), S. 70–72.
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Kapitel 5: Doctores signorum und die Zeichenlehren des 14. Jahrhunderts
¨ tus als Ahnlichkeiten der Dinge festgelegt.18 In seinem Kommentar zum Peri hermeneias hebt noch T HOMAS VON AQUIN als entscheidenden Unterschied zwischen Buchstaben und Worten auf der einen und Konzepten auf der anderen Seite hervor, dass erstere – wie T HOMAS B OETHIUS’ notae auslegt – signa seien, w¨ahrend es sich bei letzteren um similitudines der Dinge handle.19 Was Worte und Buchstaben betrifft, unterstreicht T HOMAS den Zeichenaspekt sogar noch dahingehend, dass er deren Stellung in der ordo orandi, die in A RISTOTE LES’ Reihung der vier Elemente Schrift, Wort, Konzept und Ding bereits angelegt ist, auf eine fixe ordo significationum festlegt: Unmittelbares Signifikat der Worte seien die Konzepte, sodass Worte nur mittels der Konzepte auf die Dinge verweisen k¨onnten; noch ein Stufe mehr ben¨otigten die Schriftzeichen, deren unmittelbares Signifikat die entsprechenden Worte seien.20 Was allerdings die Konzepte betraf, so liegt es ihm in gut BOETHIANISCHER Tradition fern, diesen semiotischen ordo auch auf das unmittelbare Verh¨altnis zwischen den passiones animae und den Dingen auszuweiten.21 In der Mitte des 13. Jahrhunderts begannen nun vorwiegend englische Logiker, auch Konzepte nicht mehr bloß als similitudines, sondern als signa, als Zeichen der Dinge, zu verstehen: Die Vereinheitlichung, die B OETHIUS bereits zwischen der Funktion von Buchstaben und jener von Worten vorgenommen hatte, wurde auch auf die passiones animae ausgedehnt.22 Wenn S COTUS gegen 18 ¨ M OERBECKE, der die Ubersetzung 1268 fertigstellt, latinisiert das griechische ‘symbolum’ anstelle von B OETHIUS’ nota, differenziert aber ebenso wenig zwischen σύμβολον und σημεῖον: Sunt quidem igitur quae in voce earum quae in anima passionum symbola et quae scribuntur eorum quae in voce. Et sicut neque litterae omnibus eaedem, sic neque voces eaedem; quorum tamen haec signa primum, eaedem omnibus passiones animae, et quarum hae similitudines, res iam eaedem (AL II, 1–2, S. 41). 19 Ubi attendendum est quod litteras dixit esse notas, id est signa vocum, et voces passionum animae similiter; passiones autem animae dicit esse | similitudines rerum (T HOMAS VON AQUIN: Peryermenias l 2, ed. retr. Leonina 1,1 (1989), Sp. 12a–b). 20 Non enim potest esse quod [voces] significent immediate ipsas res, ut ex ipso modo significandi apparet [...]; ideo necesse fuit Aristoteli dicere quod voces significant intellectus conceptiones immediate et eis mediantibus res (Peryermenias l 2, ed. retr. Leonina 1,1 (1989), Sp. 11a). 21 An einer einzigen Stelle in diesen einleitenden drei Lectiones u¨ ber A RISTOTELES’ Peri hermeneias greift T HOMAS eine Terminologie auf, in der sich ein semiotisches Verst¨andnis der Konzepte bereits abzuzeichnen scheint: Dass bei Worten und Schriftzeichen keine similitudo zu suchen sei, begr¨undet er damit, dass sie keine nat¨urlichen Zeichen seien. Daher kann er umgekehrt sagen: In passionibus autem animae oportet attendi rationem similitudinis ad exprimendas res, quia naturaliter eas designant, non ex institutione (Peryermenias l 2, ed. retr. Leonina 1,1 (1989), Sp. 12b). Mit designare w¨ahlt er aber einen viel allgemeineren Ausdruck als mit dem technischen significare, das er umgekehrt f¨ur die Bezeichnungsweise von Worten und Schriftzeichen konsequent verwendet. 22 Betont hat diese N¨ahe zum BOETHIANISCHEN Ansatz vor allem P INBORG , JAN: Roger Bacon on Signs. A newly recovered part of the Opus Maius, in: B ECKMANN: Sprache und Erkenntnis im Mittelalter (1981), S. 403–412, hier S. 407. Vgl. auch A SHWORTH , E ARLINE J.:
5.2 Das Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen
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1300 seine Vorlesungen u¨ ber A RISTOTELES’ Peri hermeneias hielt, so konnte er bereits in aller Selbstverst¨andlichkeit davon ausgehen, dass es sich bei diesen passiones animae um signa handle, deren vorrangige Funktion es sei, die ¨ Dinge zu bezeichnen.23 Auch wenn er den Ahnlichkeitsaspekt weiter mit in Betracht zog, erm¨oglichte ihm dies doch einen neuen Blick etwa auf die ordo orandi, in der nun auch die Worte (als Zeichen von Konzepten) als Zeichen von Zeichen auftraten, so dass er die fixe ordo significationis, die T HOMAS VON ¨ AQUIN noch aufgestellt hatte, aufbrechen und – in Ubertragung des Signifikats 24 – Worte als Zeichen der Dinge verstehen konnte. Sp¨atestens mit S COTUS war dieses neue Verst¨andis der Konzepte daher auch auf dem Kontinent angelangt und wurde bald schon zu einem allgemeinen Merkmal der Semiotik des 14. Jahrhunderts. ¨ S TEFAN M EIER -O ESER hat diesen Ubergang ausf¨uhrlich nachgezeichnet und eine ganze Reihe von Konsequenzen ausgemacht, die sich aus diesem vera¨ nderten Verst¨andnis der Konzepte f¨ur das Sp¨atmittelalter ergeben haben.25 Neben einigen Ver¨anderungen im Begriff des Zeichens ging eine der wohl bekanntesten philosophischen Neuerungen des 14. Jahrhunderts auf diesen Umschwung zur¨uck, die nominalistische Position n¨amlich im Universalienstreit: Denn erst die Gleichsetzung von Konzepten und Zeichen erm¨oglichte O CK HAMS Definition einer Universalie als signum praedicabile de pluribus, da Allgemeinbegriffe erst dann als signa gedeutet werden konnten, wenn die grundThe Doctrine of Signs in some Early Sixteenth-Century Spanish Logicians, in: A NGELELLI , I GNACIO/O RS , A NGEL D ’ (Hrsg.): Estudios de historia de la logica. Actas del II simposio de historia de la logica, Universidad de Navarra, Pamplona, 25–27 de mayo de 1987, Pamplona: Ediciones Eunate, 1990 (Acta philosophica), S. 13–38, hier S. 24, und M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 77. 23 So etwa hinsichtlich der Unterscheidung, dass die passiones animae bei allen dieselben, Schriftzeichen und Worte aber verschiedene seien (A RISTOTELES, Peri hermeneias, 16a 7–8): Dicendum est quod differentia est conveniens. Quia passiones in quantum sunt signa rerum in anima apud quoscumque concipientes repraesentant eandem rem. Quia eadem similitudo in anima est semper repraesentativa eiusdem [...]. Ex hoc patet res et passiones esse signa naturaliter, quia apud omnes uniformiter significant et significantur (In primum Perihermeneias Q 4, Op.phil. II (2004), S. 68). 24 In der zweiten der Quaestiones in primum librum Perihermeneias widmet sich S COTUS der Problematik eingehend, um zu schließen, dass es secundum auctoritates zwar wahrscheinlicher sei, die species intelligibilis f¨ur das Signifikat eines nomen zu halten, dass secundum rationem aber ein nomen die Dinge bezeichnen m¨usse (In primum Perihermeneias Q 2, Op.phil. II (2004), S. 59). Vgl. dazu B IARD: Logique et th´eorie du signe (1989), S. 48. 25 M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 77–113, vgl. auch M EIER -O ESER , S TEPHAN: Zeichenkonzeptionen in der Philosophie des lateinischen Mittelalters, in: P OS NER , ROLAND /ROBERING , K LAUS /S EBEOK , T HOMAS A. (Hrsg.): Semiotik – Semiotics I. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur – A Handbook on the Sign-Theoretic Foundations of Nature and Culture, Berlin: de Gruyter, 1997 (Handb¨ucher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 13.1), S. 984–1022. S. 1001f.
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Kapitel 5: Doctores signorum und die Zeichenlehren des 14. Jahrhunderts
legende Zeichenhaftigkeit von Konzepten vorausgesetzt war.26 F¨ur den vorliegenden Zusammenhang erweist sich aber eine andere Konsequenz als bedeutend: Denn unter Voraussetzung ihrer Zeichenhaftigkeit konnten Konzepte nunmehr analog zu Sprach- und Schriftzeichen behandelt werden, so dass sich erkenntnistheoretische Fragen nun unmittelbar,27 mittelbar aber auch jedes beliebige andere Problem, welches in irgendeiner Weise von Konzepten ausging, sprachphilosophisch untersuchen ließen.28 Damit er¨offneten sich v¨ollig neue M¨oglichkeiten. So wenig n¨amlich dieses neue Zeichenverst¨andnis auf semiotische Fragen reduziert blieb, so wenig musste die sprachphilosophische Problemanalyse auf die Sprachlogik beschr¨ankt bleiben. Vielmehr ließ sich ein propositionaler Ansatz beispielsweise auf theologische Probleme u¨ bertragen – und damit schimmern die oben beschriebenen Ver¨anderungen in der Sentenzentradition wieder durch, wo sich mehr und mehr eine auf logische Probleme fokussierende Vorgehensweise hat feststellen lassen.29 Vor allem aber ließ sich 26 W ILHELM VON O CKHAM: Summa logica I 14, ed. Boehner (1957), S. 49; vgl. neben M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 111, vor allem PANACCIO , C LAUDE: Ockham on Concepts, Aldershot, 2004, S. 45: That concepts should be signs, therefore, is a crucial ” requirement of Ockham’s nominalism.“ 27 Vgl. P ERLER , D OMINIK: Theorien der Intentionalit¨at im Mittelalter, Frankfurt aM, 2 2004, S. 363 und 374ff. 28 Als Oberbegriff f¨ur die drei Zeichenklassen der konzeptionellen, sprachlichen und schriftlichen Zeichen diente bereits im 14. Jahrhundert der terminus-Begriff, vgl. etwa A L BERT VON S ACHSEN , Logica perutilis, ed. et trad. Berger (2010), S. 6–8: Unde sciendum, quod quidam est terminus, qui est signum naturale illius cuius est signum. Alius est terminus, qui est signum alicuius ad placitum institutum. Terminus, qui est naturale signum, vocatur terminus mentalis seu terminus, qui est in anima. [..|..] Terminus autem, qui est signum ad placitum institutum, est talis terminus, qui hoc significat ex impositione voluntaria, quod aliquis terminus, qui est terminus mentalis seu qui est signum naturale, significat naturaliter, ut est terminus vocalis vel scriptus (dazu K ANN , C HRISTOPH: Die Eigenschaften der Termini. Eine Untersuchung zur Perutilis logica Alberts von Sachsen, Leiden: Brill, 1994 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 37)). Diese Einteilung der termini ist nat¨urlich auch bei O CKHAM in den einleitenden Abschnitten der Summa logicae vorhanden (dazu B IARD , J O E¨ L: Nominalism in the Later Middle Ages, in: PASNAU , ROBERT (Hrsg.): The Cambridge History of Medieval Philosophy, Cambridge: Cambridge University Press, 2010, S. 661–673, S. 663f.). 29 S.o., S. 54. Ber¨uhmt sind a¨ hnliche Vorgehensweisen aber auch etwa im Bereich der sp¨atmittelalterlichen Naturphilosophie, dazu grunds¨atzlich B IARD: Nominalism (2010), S. 663. Vgl. neben M URDOCH , J OHN E MERY: From Social to Intellectual Factors. An Aspect of the Unitary Character of Late Medieval Learning, in: M URDOCH , J OHN E MERY/S YLLA , E DITH D UDLEY (Hrsg.): The Cultural Context of Medieval Learning. Proceedeings of the First International Colloquium on Philosophy, Science, and Theology in the Middle Ages – September 1973, Dordrecht: Reidel, 1975 (Boston Studies in the Philosophy of Science 26), S. 271–339 auch L IBERA , A LAIN DE: Le d´eveloppement de nouveaux instruments conceptuels et leur utilisation dans la philosophie de la nature au XIVe xi`ecle, in: M URDOCH , J OHN E ME RY /A SZTALOS , M ONIKA /N IINILUOTO , I LKKA (Hrsg.): Knowledge and the Sciences in Medieval Philosophy. Proceedings of the Eighth International Congress of Medieval Philosophy (S.I.E.P.M.) Vol. I, Helsinki, 1990 (Acta Philosophica Fennica 48), S. 158–197.
5.2 Das Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen
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erst vor dem Hintergrund dieser Gleichsetzung von Konzepten und Zeichen ein eindimensionales Wissenschafts-Verst¨andnis propagieren, wie es das Statut von 1340 zu unterbinden suchte: Erst wo Konzepte als Zeichen betrachtet werden, l¨asst sich behaupten, Wissen sei grunds¨atzlich nicht ein Wissen von den Dingen selbst, sondern bloß ein Wissen von Zeichen, die auf die Dinge verwiesen. Wenn das Artisten-Statut von 1340 diesem Zeichenfokus gegen¨uber die materia subiecta betont, dann schiebt es damit dem Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen nicht grunds¨atzlich einen Riegel vor – dieses Verst¨andnis war 1340 l¨angst scholastisches Allgemeingut und wurde auch von den mutmaßlichen Verfassern des Statuts geteilt.30 Als problematisch betrachtet das Statut vielmehr den spezifischen Wissenschaftsbegriff, der sich aus dem neuen KonzeptVerst¨andnis ergeben kann, und dies, wie deutlich geworden ist, aus zwei Gr¨unden: Problematisch war dieses Wissenschaftsverst¨andnis ja nicht nur, weil es in allzu starkem Fokus auf die Zeichenhaftigkeit der Konzepte den Bezug zu den Dingen zu verlieren drohte; problematisch war an diesem Wissenschaftsverst¨andis auch, dass es wegen der Begriffsgebundenheit allen Wissens von seinen Vertretern offensichtlich zum einzigen wissenschaftlichen Paradigma erkl¨art wurde und daher ebenso zur L¨osung eines Sophisma wie zur Erkl¨arung einer schwierigen Bibelstelle dienen sollte.31 Im Statut hat dieser R¨uckgriff auf die materia subiecta daher eine doppelte Funktion: Nicht nur soll er garantieren, dass keine sophistische Scheinrede losgel¨ost von tats¨achlichen wissenschaftlichen Objekten gef¨uhrt wird, sondern er er¨offnet auch die M¨oglichkeit, dass in unterschiedlichen Disziplinen mit verschiedenen wissenschaftlichen Ans¨atzen gearbeitet wird: Wo es in der Logik durchaus angebracht sein mag, allein unter Ber¨ucksichtigung der suppositio personalis und streng gem¨aß der virtus sermonis u¨ ber Wahrheit und Falschheit einer Aussage zu entscheiden, muss in der Auslegung eines Bibelverses gem¨aß der materia subiecta und unter Ber¨ucksichtigung der intentio auctoris nach der Wahrheit einer Aussage gesucht werden – G ERSON sollte genau dies am einleitend erw¨ahnten Vers aus Mk 1,5 exemplifizieren. Dem eindimensionalen Wissenschaftsverst¨andnis der anvisierten Gegner gegen¨uber propagiert das Statut eine Methodenvielfalt, die ein Nebeneinander unterschiedlicher wissenschaftlicher Ans¨atze in unterschiedlichen Disziplinen erm¨oglichen soll. Im Umgang mit den anvisierten Gegnern war dies allerdings nicht die einzig m¨ogliche L¨osung. 30 Vgl. etwa die Gleichstellung von conceptus und termini mentales (in Parallele zu den termini vocales vel scripti) bei J OHANNES B URIDAN, Questiones longe super Perihermeneias I 3, ed. van der Lecq (1983), S. 16. Zu den Verbindungslinien zwischen der sogenannten ‘Buridanschule’ und den Verfassern des 1340er Statuts vgl. K ALUZA: Les sciences (1994), S. 242–244. 31 Neben der Vorrede greifen auch erster und vierter Artikel des Statuts die Problematik der Bibelauslegung explizit auf (CUP II.1, n. 1042, S. 506). Vgl. dazu H OENEN: Jean Wyclif (2002), hier S. 178.
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Kapitel 5: Doctores signorum und die Zeichenlehren des 14. Jahrhunderts
5.3 Die Polemik des J OHN W YCLIF Einen anderen L¨osungsansatz sollte einer der schillerndsten Polemiker des sp¨ateren 14. Jahrhunderts erarbeiten. J OHN W YCLIF war bekannt f¨ur seine Kritik an den doctores signorum, wie er sie bezeichnenderweise nannte;32 und es ist mehrfach hervorgehoben worden, W YCLIF habe mit dieser Kritik den Stil und die Vorgehensweise seiner Gegner ganz grunds¨atzlich im Auge gehabt, auch wenn er seine Einw¨ande im Kontext der Universaliendebatte am sch¨arfsten formuliere.33 Weil, wie W YCLIF in seinem Tractatus de universalibus ausf¨uhrt, die doctores signorum keine real existierenden Universalien ann¨ahmen, sondern bloß menschliche Konzepte f¨ur allgemeine Zeichen hielten,34 bez¨ogen sich ihre Aussagen u¨ ber Allgemeines bloß auf diese Zeichen, nicht aber auf die Dinge selbst. Aufgeh¨angt an der Universalien-Frage setzt sich W YCLIF gegen dasselbe Wissenschaftsverst¨andnis zur Wehr, das auch das 1340er Statut zur¨uckzubinden versucht: Weil im mittelalterlichen Verst¨andnis bekanntlich jede Wissenschaft qua Wissenschaft von Allgemeinem, von universalia handelte, konnten sich diese doctores ganz grunds¨atzlich statt mit der Wirklichkeit bloß noch mit den signa besch¨aftigen.35 Ihm, W YCLIF, aber schien es, wie er an an32
¨ Die Bezeichnung wurde bereits von Zeitgenossen als abwertend empfunden, vgl. H UBE ¨ W OLFGANG: Wyclifs Kritik an den Doctores signorum, in: S CH ONBERGER , ROLF/ VOSSENKUHL , W. (Hrsg.): Die Gegenwart Ockhams, Weinheim, 1990, S. 128–146, S. 135; insofern d¨urfte es sich bei der Bezeichnung auch um mehr als ein bloßes rhetorical device“ ” handeln, wie C OURTENAY: Was there an Ockhamist School? (1995), S. 271, suggeriert. Am grundlegendsten ausformuliert ist die Kritik sicherlich im De universalibus, ed. M¨uller (1985) (so etwa im Zitat unten, Anm. 28); vgl. aber auch W YCLIFS De benedicta incarnatione Kap. X, ed. Harris (1886), S. 170, Z. 26. 33 ¨ K ALUZA: Late Medieval Philosophy (1998), S. 430; ausf¨uhrlicher neben H UBENER : Wyclifs Kritik (1990) auch G ELLRICH , J ESSE M.: Discourse and Dominion in the Fourteenth Century. Oral Contexts of Writing in Philosophy, Politics, and Poetry, Princeton: Princeton University Press, 1995, S. 81–83. Es d¨urfte im Kontext der vorliegenden Arbeit nicht unbedeutend sein, dass diese Polemik von W YCLIF insbesondere mit seinen Diskussionen zur Transsubstantiationslehre verbunden ist und von da aus auch ein bestimmtes Sakramentenverst¨andnis im Auge hat: So werden etwa in einer Confessio W YCLIFS aus den Fasciculi Zizaniorum die doctores signorum zu cultores signorum (T HOMAS N ETTER VON WALDEN: Fasciculi zizaniorum, ed. Shirley (1858), S. 117; vgl. ebd., S. 125, wo die secta signorum mit der secta cultorum accidentium gleichgesetzt wird). 34 W YCLIF: De universalibus c 1, ed. M¨uller (1985), S. 44: Patet per quam vanas ambages circumeunt, qui – solum signa attendentes – dicunt quod genus est terminus vel conceptus, qui – vel secum convertibilis – est per se praedicabilis in recto et in quid de multis terminis significantibus res distinctas specifice. Vgl. auch ebd., S. 65: Universalitas vel veritas metaphysica non dependet ab intellectu creato, cum praecedit ipsum, sed dependet ab intellectu increato. [...] Et ignorantia huius sensu fecit Ockham et multos alios doctores signorum ex infirmitate intellectus declinare ab universali reali. 35 Vgl. W YCLIF: De universalibus c 7, ed. M¨uller (1985), S. 146–149. Erhoben wird dieser Vorwurf einige Jahre sp¨ater dann auch von J OHANNES DE N OVA D OMO: De universali reali, NER ,
5.3 Die Polemik des John Wyclif
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derer Stelle ausf¨uhrte, dass sich die Sch¨arfe des Verstandes ad significata, und nicht an deren signa auszurichten habe.36 W YCLIF charakterisiert damit das kritisierte Wissenschaftsverst¨andnis als direkte Folge des nominalistischen Standpunkts in der Universalienfrage. Indem diese ein Verst¨andnis der Universalien als bloße Zeichen erm¨ogliche, verleite eine Subsumierung der Konzepte unter die Zeichen offensichtlich dazu, bloß noch diese signa zu untersuchen und dar¨uber – so zumindest W YCLIFS Vorwurf – den Bezug zu den Dingen, die von ihnen eigentlich bezeichnet werden sollten, zu verlieren. Problematisch war auch f¨ur W YCLIF offensichtlich die Frage nach dem Realit¨atsbezug von Konzepten. Tats¨achlich wurde dieser Bezug mit dem Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen geschw¨acht: Denn solange Konzepte noch similitudines der Dinge waren, war die Realit¨at durch diesen ¨ Ahnlichkeitsbezug im Denken stets mit drin. Wurden Konzepte allerdings als Zeichen betrachtet, so kam, weil Signifikationszusammenh¨ange zumindest die M¨oglichkeit in sich trugen, willk¨urlich hergestellt zu werden, in das Verh¨altnis von Konzepten und Dingen ein Moment von Beliebigkeit hinein, welches deren Realit¨atsbezug zu kappen drohte.37 F¨ur W YCLIFS Lieblingsgegnger W IL HELM VON O CKHAM stellte sich dieses Problem zwar nicht explizit, da er Konzepte als nat¨urliche Zeichen der Dinge verstand und insofern den Bezug zwischen Mentalterminus und Realit¨at gegeben sah.38 Dennoch bezog auch er ed. Weiler (1968), hier S. 137: Si enim esset universale dumtaxat quid abstractum in anima, sicut quidam conceptus in anima et tenuis similitudo singularium, ut dicunt moderni, sequitur primo falsitas istius dicti Philosophi Primo Posteriorum dicentis, quod scientia est universalium per se inhaerentium [...]. Nulla enim scientia sic esset realis, sed omnis sermocinalis. (da¨ zu M ULLER , S IGRID: Sprache, Wirklichkeit und Allmacht Gottes. Das Bild der moderni bei Johannes Capreolus (1380–1444) und seine Bedeutung im Kontext der Schulbildung des 15. Jahrhunderts, in: A ERTSEN/P ICKAV E´ : ‘Herbst des Mittelalters’? (2004), S. 157–172, S. 159; ausf¨uhrlich zu dieser Schrift K ALUZA , Z ENON: Le ‘De universali reali’ de Jean de Maisonneuve et les epicuri litterales, in: Freiburger Zeitschrift f¨ur Philosophie und Theologie 33 (1986), S. 469–516). 36 W YCLIF: De ente librorum duorum, ed. Dziewicki (1909), S. 87: videtur mihi quod re¨ ferenda sit acies mentis ad significata, et non ad signa eorum; dazu H UBENER : Wyclifs Kritik (1990), S. 136. 37 Vgl. die tenuis similitudo, welche J OHANNES DE N OVA D OMO im oben, Anm. 35 zitierten Text beklagt. 38 W ILHELM VON O CKHAM: Summa logica I 1, ed. Boehner (1957), S. 8: conceptus seu passio animae naturaliter significat quidquid significat, terminus autem prolatus vel scriptus nihil significat nisi secundum voluntariam institutionem. Ex quo sequitur alia differentia, videlicet quod terminus prolatus vel scriptus ad placitum potest mutare suum significatum, terminus autem conceptus non mutat suum significatum ad placitum cuiuscumque. Vgl. auch den oben, S. 72, in Anm. 20 zitierten Abschnitt aus A LBERT VON S ACHSEN: Logica perutilis, ed. et trad. Berger (2010). Allgemein f¨ur O CKHAM’s Wissenschaftsverst¨andnis vgl. M IRALBELL G EUR´I N , I GNACIO: Rational science and real science in William of Ockham. An introduction ¨ to Ockham’s philosophy of science, in: T Y ORINOJA : Knowledge and the Sciences III (1990), S. 134–143, der auch die vorliegende These best¨atigt: The thesis that science is always know”
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die M¨oglichkeit mit ein, dass ein solches Konzept – trotz der Nat¨urlichkeit seines Zeichenbezugs zum bezeichneten Ding – sein Signifikat a¨ ndern k¨onne,39 und offensichtlich war es genau diese Losl¨osung von einem gesicherten Realit¨atsbezug, welche W YCLIF zu seiner Polemik anstachelte. Anders als die Verfasser des 1340er Statuts bem¨uht W YCLIF als Gegenentwurf nun allerdings nicht die materia subiecta: W¨ahrend dort der Verweis auf den jeweiligen Kontext und die Absicht der Autoren helfen soll, u¨ ber die unmittelbare Bedeutung eines Texts hinaus die intendierte Realit¨at mit einzubeziehen, so dass das Statut ein Nebeneinander von unterschiedlichen wissenschaftlichen Ans¨atzen propagiert, postuliert W YCLIF als das eine wissenschaftliche Gegenmodell zum Ansatz der doctores signorum seinen Universalien-Realismus.40 Jedem Wesen k¨amen n¨amlich unterschiedliche Arten des Seins zu: Von seinem esse ideale, wie ein Wesen in Gott gedacht ist, bis zu seinem aktuellen tats¨achlichen Sosein bestimmt W YCLIF eine Reihe von Abstufungen, die alle in diesem einen Wesen zusammenfallen, ohne aufeinander reduzierbar zu sein:41 Denn die Bestimmung des Menschseins von ‘Petrus’ gehe der Bestimmung seines Soseins logisch voraus (die Unterscheidung ist daher nicht einfach bloß eine rein gedachte, eine distinctio rationis), und dennoch handle es sich beide Male um dieses eine Wesen ‘Petrus’ (die Unterscheidung liegt daher nicht in der Sache selbst und beruht auf keiner distinctio realis). Die verschiedenen Wesensformen unterscheiden sich laut W YCLIF vielmehr formaliter.42
ledge of propositions is simply a consequence of the general thesis of Ockham’s theory of human knowledge, which claims that concepts are signs“ (ebd. S. 142). 39 W ILHELM VON O CKHAM: Summa logica I 1, ed. Boehner (1957), S. 8; dazu P ER LER: der propositionale Wahrheitsbegriff (1992), S. 181f. Im Hinblick auf den fr¨ uhen O CK HAM vgl. auch L ENZ , M ARTIN : Mentale S¨ atze. Wilhelm von Ockhams Thesen zur Sprachlichkeit des Denkens, Stuttgart, 2003, S. 108–110. Explizite Erw¨ahnung findet die M¨oglichkeit willk¨urlich eingesetzter mentaler Termini auch etwa beim Universalienrealisten R ICHARD B RINKLEY: Summa logicae I 11, ed. Cesalli/Lonfat (1360): terminus in anima aliquis significat rem ex impositione et aliquis non ex impositione sed naturaliter. Terminus qui significat rem ex impositione in anima est signum rei sed non similitudo. Terminus qui significat rem naturaliter est similitudo et signum rei (mit herzlichem Dank an L AURENT C ESALLI und J O E¨ L L ONFAT, die mich auf die Stelle hingewiesen und mir ihre vorl¨aufige Transkription zur Verf¨ugung gestellt haben). 40 Vgl. H OENEN: Jean Wyclif (2002), S. 184. Zur Universalien-Lehre W YCLIFS vgl. L IBE RA , A LAIN DE : La querelle des universaux. De Platon a ` la fin du Moyen Age, Paris: Seuil, 1996, S. 407–409; zu deren logischen Voraussetzungen vgl. C ONTI , A LESSANDRO D.: Analogy and Formal Distinction. On the Logical Basis of Wyclif’s Metaphysics, in: Medieval Philosophy and Theology 6 (1997), S. 133–165. 41 Vgl. W YCLIF: De universalibus c 7, ed. M¨uller (1985), S. 126–128; dazu C ONTI: Analogy and Formal Distinction (1997), S. 145f. 42 De universalibus c 7, ed. M¨uller (1985), S. 128–130; dazu C ONTI: Analogy and Formal Distinction (1997), S. 149, und H OENEN: Jean Wyclif (2002), S. 184f.
5.3 Die Polemik des John Wyclif
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S COTUS hatte bekanntlich im Rahmen der Gotteslehre zur Unterscheidung der g¨ottlichen Eigenschaften diese Formal-Distinktion eingef¨uhrt, welche von seinen Nachfolgern – und insbesondere von F RANCISCUS DE M AYRONIS – ausgebaut und auch in anderen Bereichen eingesetzt wurde, um erkl¨aren zu k¨onnen, warum unser Denken in einem singul¨aren Ding wie Gott dennoch unterschiedliche Eigenschaften wie G¨ute, Weisheit oder Einheit auszumachen verm¨oge.43 So, wie W YCLIF sp¨ater die Seinsweisen auseinanderhalten sollte, handelte es sich f¨ur die Scotisten bereits bei diesen trinitarischen Unterschieden n¨amlich weder um eine rein denkerische Unterscheidung, da solche Eigenschaften nicht aufeinander reduzierbar waren, noch um eine Realdistinktion, da das bezeichnete Ding ja ein einziges, singul¨ares war. Die Unterscheidung musste daher zwar von außerhalb des Denkens, ex parte rei, kommen, ohne direkt in der Sache selbst, in re, zu liegen, wof¨ur die distinctio formalis als geeignete L¨osung erschien.44 In einem logischen Abstraktionsprozess ließen sich daher, wenn er bis zu nicht aufeinander reduzierbaren Eigenschaften durchgef¨uhrt wurde, solche Formalunterschiede bestimmen. Mit diesem R¨uckgriff auf die scotistische Formaldistinktion kann W YCLIF daher erkl¨aren, wie die formal verschiedenen Seinsweisen eines Wesens realiter zusammenfallen, wie also beispielsweise die Allgemeinbestimmung einer Sache in ihrer konkreten Erscheinungsweise realisiert wird. Dieses Zusammenfallen nun von Universalie und konkretem Ding erm¨oglicht wiederum, das Wissenschafts-Verst¨andnis der doctores signorum zur¨uckzuweisen: Weil die Allgemeinbestimmung einer Sache und ihr Sosein nur formaliter verschieden sind, betrifft jede Aussage u¨ ber diese Allgemeinbestimmung stets auch die Sache selbst und ist nicht bloß Wissenschaft von irgendwelchen Zeichen dieser Sache. Der Universalien-Realismus garantiert damit in W YCLIFS System, dass Wissenschaften einen realen Gegenstand haben. Im Vergleich zum L¨osungsansatz des 1340er Statuts fallen nun allerdings zwei Dinge an W YCLIFS Realismus auf: Zum einen pr¨asentiert er damit einen Ansatz, der unabh¨angig vom behandelten Gegenstand, unabh¨angig also von der matiera subiecta, Geltung beansprucht.45 Nicht weniger pr¨atenti¨os als die an43
F¨ur einen der j¨ungsten Beitr¨age zu S COTUS’ Formaldistinktion und deren Rezeption vgl. N OONE , T IMOTHY B.: Ascoli, Wylton, and Alnwick on Scotus’s Formal Distinction. Taxonomy, Refinement, and Interaction, in: KOBUSCH/B ROWN/D EWENDER: Philosophical Debates (2009), S. 127–150. Vgl. auch H OENEN: Marsilius of Inghen (1993), S. 42–45. Zu G ERSONS Diskussion der Problematik vgl. K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 50–62, sowie den Appendix B.5, S. 138–143; f¨ur die Formaldistinktion bei G ERSONS sp¨aterem Gegner H IE RONYMUS VON P RAG vgl. K ALUZA : Gerson et J´erˆ ome (1984), S. 101–103. 44 Insbesondere diese Lokalisierung der Distinktion ex parte rei geh¨ort zu den Erweiterungen, welche F RANCISCUS DE M AYRONIS hinzugef¨ugt hat, vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: ‘Modus loquendi platonicorum’. Johannes Gerson und seine Kritik an Platon und den Platonisten, in: H OENEN , M AARTEN J.F.M./G ERSH , S TEPHEN E. (Hrsg.): The Platonic Tradition in the Middle Ages. A Doxographic Approach, Berlin: de Gruyter, 2002, S. 325–343, hier S. 333. 45 Vgl. dazu H OENEN: Jean Wyclif (2002), S. 190f.
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Kapitel 5: Doctores signorum und die Zeichenlehren des 14. Jahrhunderts
visierten Gegner des Status geht W YCLIF von einer einheitlichen Sicht auf die Dinge aus, die nicht unterscheidet, ob der untersuchte Gegenstand nun theologischer oder philosophischer Natur ist. Anders als f¨ur die Verfasser des 1340er Statuts – und anders als es sp¨ater f¨ur G ERSON der Fall ist – kommt f¨ur W YCLIF eine Separierung der Wissenschaften und eine Zuordnung von unterschiedlichen Logiken nicht in Frage. Zum anderen erweist sich W YCLIF nicht weniger radikal als die anvisierten Gegner in der Frage nach dem Status von Konzepten.46 Wo diese die similitudo so sehr in Richtung eines arbitr¨aren Zeichens zu verstehen tendieren, dass jeder konkrete Bezug zwischen Konzepten und realen Dingen verloren zu gehen droht, liest sich W YCLIFS Verst¨andnis von Konzep¨ ten als Uberbetonung der similitudo – denn bei W YCLIF handelt es sich nicht ¨ mehr um eine Ahnlichkeitsrelation zwischen Konzepten und Dingen, sondern um eine bloß formaliter unterschiedene Identit¨at.47 Damit tat sich ein Meinungsspektrum auf, das letztlich das Verh¨altnis von Denken und Sein betraf: An dessen einem Ende standen die doctores signorum und die anvisierten Gegner des 1340er Statuts, die keinen gesicherten Bezug zwischen Denken und Sein herstellen konnten und jede wissenschaftliche Aussage daher bloß als Aussage u¨ ber andere wissenschaftliche Aussagen verstanden. Am anderen Ende stand W YCLIF mit seinem formalistischen Universalienrealismus, der jedes Nachdenken u¨ ber die Dinge in direkter Verbindung zu diesen verstand und daher nichts Geringeres als eine Isomorphie zwischen Denken und Sein behauptete.48 Beiden Extremen war gemein, dass ihr Ansatz Exklusivit¨at beanspruchte: Beide sahen keinen Anlass, ein Nebeneinander von unterschiedlichen wissenschaftlichen Ans¨atzen oder gar die Existenz von unterschiedlichen Logiken zu akzeptieren. Bei den einen, die auschließlich auf das Denken fokussierten, waren es dessen Regeln, die abschließend und umfassend bestimmten, was Wissenschaft sein konnte. Bei W YCLIF auf der anderen Seite fielen Denken und Sein zusammen, so dass ebenso wenig Raum blieb, sich diesem Sein noch in einer anderen Weise als der seinen wissenschaftlich zu n¨ahern. Eine Trennung der Disziplinen gab es auch f¨ur W YCLIF nicht, und so geh¨orte er nicht weniger als die beklagten Sentenzenautoren zu jenen, die philosophicalia und metaphysicalia auch auf theologische Fragen anwendeten. ¨ Wenn nun N IKOLAUS VON D INKELSB UHL im Pro¨omium zu seiner Lectura mellicensis eine Ausrichtung an der materia pertractanda propagiert, so scheint 46
Vgl. C ONTI: Analogy and Formal Distinction (1997), S. 163f. Non intelligamus per ‘intentionem’ conceptum animae humanae vel similitudinem ab ea fictam, sed effectum creabilem quem principaliter intendit natura (De universalibus c 2, ed. M¨uller (1985), S. 67). Vgl. auch ebd. c 4, S. 93–96, und dazu H OENEN: Jean Wyclif (2002), S. 186f., sowie DE L IBERA: Querelle des universaux (1996), S. 407. 48 C ONTI: Analogy and Formal Distinction (1997), S. 164: The nucleus of his metaphysics ” lies in his trust in the scheme object-label as the genereal interpretative key of every logicoepistemological problem.“ 47
5.3 Die Polemik des John Wyclif
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dies zuerst einmal gegen jene Extremposition gerichtet zu sein, die von den anvisierten Gegnern des 1340er Statuts vertreten worden ist. Allerdings zeigt sich auch W YCLIFS Position unbeeindruckt von einer allf¨alligen materia subiecta. Dar¨uber hinaus vertritt W YCLIFS Ansatz eine Isomorphie zwischen Denken ¨ und Sein, eine Ubereinstimmung, die es ihm erlaubt, formale Unterschiede, die sich im Denken ergeben, auf formale Unterschiede im Sein zur¨uckzuf¨uhren. ¨ Ist das nun aber nicht gerade jener Ansatz, gegen den sich D INKELSB UHL mit seiner zweiten methodischen Einschr¨ankung zu verwahren sucht, indem er sich h¨uten will, u¨ berfl¨ussige divisiones einzuf¨uhren? Es scheint sich abzu¨ zeichnen, dass D INKELSB UHL am Beginn des 15. Jahrhunderts nicht einfach zu einer einzigen bestimmten Str¨omung, sondern zu unterschiedlichen Extrempositionen auf Distanz gegangen ist. Es scheint sich abzuzeichnen, dass der Gegenentwurf, den er im Pro¨omium zu seiner Lectura mellicensis umschreibt, nicht einfach die g¨angige Vorstellung einer Auseinandersetzung mit ‘nominalistischen’ Ansichten st¨utzt, sondern als eine via media konzipiert worden ist, als ein Mittelweg zwischen zwei Positionen, deren eine zwar ins klassische Muster des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus passt, deren andere aber von einem der pr¨agnantesten Universalien-Realisten des Sp¨atmittelalters vertreten worden ist. Darin, dass es mehrere Extreme gebe, zwischen denen ein gangbarer Weg zu ¨ suchen sei, trifft sich D INKELSB UHL nun allerdings erneut mit J EAN G ERSON. Um das vorliegende Bild zu den Abgrenzungsbem¨uhungen am Beginn des 15. Jahrhunderts fertig zu zeichnen, lohnt es sich daher, auch bei G ERSON noch einmal etwas genauer hinzuschauen.
Kapitel 6
Sophisten und Phantasten: die zwei Seiten von Gersons Polemik Dass sich J EAN G ERSON in seiner Funktion als Kanzler der Pariser Universit¨at nicht nur mit einer Gruppierung, sondern mit unterschiedlichen Str¨omungen auseinandersetzt, ist am Ende des zweiten Kapitels des vorliegenden Teils bereits in Betracht gezogen worden.1 Als Kanzler setzte er sich mit solchen Gruppierungen nun grunds¨atzlich nicht im Rahmen der Lehre auseinander, so dass aus klassischen scholastischen Kommentaren aus seiner Feder eruiert werden k¨onnte, wo er sich welchen Richtungen anschloss und wo er sich von wem abgrenzte. Sein Mittel war vielmehr der polemische Traktat,2 und in diesen Traktaten befasste sich G ERSON interessanterweise in sehr kritischer Weise mit Parteistreitigkeiten: Bereits in einer der erw¨ahnten Reden zu den Anfangskapiteln des Markus-Evangeliums warnt er seine H¨orer davor, sich um die Meinungen einzelner Doktoren zu streiten. Es handelt sich um den ber¨uhmten Text ‘wider die Neugierde der Studierenden’.
6.1 G ERSONS Contra curiositatem studentium In der f¨unften Consideratio contra curiositatem studentium empfiehlt G ERSON seinen H¨orern, statt sich an der Anfechtung von Doktoren oder an der Ver” teidigung eines einzelnen F¨ahigen“ g¨utlich zu tun, sich vielmehr darum zu ” 1
S.o., S. 51. Zum eigenst¨andigen Charakter von G ERSONS Schriften vgl. neben K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 64, grunds¨atzlich auch H OBBINS: Authorship (2009), dessen Behauptung eines R¨uckgangs traditioneller literarischer Gattungen der Hochscholastik allerdings zu weit greift (ebd. S. 133–135; vgl. auch schon H OBBINS , DANIEL: The Schoolman as Public Intellectual. Jean Gerson and the Late Medieval Tract, in: The American Historical Review 108 (2003), S. 1308–1337): Wie die vorliegende Untersuchung zeigt, blieben die Quaestio ebenso wie Sentenzen- und Logikkommentare ein bevorzugtes Unterrichtsmedium auch des 15. Jahrhunderts. Auch in G ERSONS Traktaten selbst lassen sich die traditionellen scholastischen Wurzeln nachweisen: So steht etwa das gleich noch zu diskutierende De modis significandi in großer N¨ahe zu Kommentaren zu P ETRUS H ISPANUS (vgl. bereits K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 72 mit Anm. 34 und allgemeiner S. 103). 2
6.1 Gersons Contra curiositatem studentium
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bem¨uhen, deren Aussagen in Einklang zu bringen.“3 Vordergr¨undig scheint es G ERSON hier vor allem darum zu gehen, seine H¨orer davon abzuhalten, Meinungen von gestandenen Leuten vorschnell zu verurteilen, und so greift er denn auch auf ein Prinzip zur¨uck, das im oben besprochenen De duplici logica schon zur Geltung gekommen ist und das sich bereits auch im 1340er Statut findet: Es sei n¨amlich jegliche Ansicht f¨ur sich in sorgf¨altiger Weise zu untersuchen, in” dem nicht nur aufgel¨ost wird, welche W¨orter verwendet werden, sondern auch, welcher Sinn mit den Worte intendiert worden ist oder h¨atte intendiert werden m¨ussen.“4 Erneut taucht hier die intentio auctoris als hermeneutisches Prinzip auf, und wie schon in De duplici logica erscheint sie als Korrektiv f¨ur ein Vorgehen, das bloß auf die verwendeten W¨orter selbst achtet. Ein Unterschied ergibt sich allerdings zu diesem De duplici logica: W¨ahrend es dort noch ganz allgemein um eine unangebrachte Vorgehensweise und Vermengung zweier Logiken geht, tauchen hinter der vorliegenden Betonung der intentio auctoris Anzeichen f¨ur klar geschiedene, im Streit liegende Parteien auf.5 Interessanterweise greift G ERSON im Anschluss an die Erw¨ahnung dieses 3 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 240: Signum curiositatis et singularitatis poenitentiam atque credulitatem impedientis apud scholasticos est gaudere potius in impugnatione doctorum aut in defensione unius pertinaci quam ad eorum dicta concordanda operam dare. Vgl. bereits auch die dritte Consideratio wider die indebita doctorum et doctrinarum approbatio, wo Gerson noch deutlicher gegen Parteibildungen zielt: Quorsum tendit haec animosa contentio apud diversos status et ordines christianorum, quod iste plus quam ille doctor ab istis et non illis defenditur, colitur, antefertur? (ebd. S. 239); dazu B URGER: Johannes Gerson (1986), S. 120f., und M C G UIRE: The Last Medieval Reformation (2005), S. 134. 4 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 241: Propterea examinetur diligenter quaelibet positio seorsum, resolvendo non solum qualibus verbis utitur, sed qualem in verbis sententiam intenderit aut intendere debuerit. 5 C OMBES , A NDR E´ : Jean Gerson, commentateur dionysien. Les Notulae super quaedam verba Dionysii de Caelesti Hierarchia. Texte in´edit, d´emonstration de son authenticit´e, appendices historiques pour l’histoire des courants doctrinaux a` l’Universit´e de Paris a` la fin du XIVe si`ecle, Paris: Vrin, 1940 (Etudes de philosophie m´edi´evale 30), S. 576f., war noch der Meinung, dass es sich um einen Parteienstreit unter G ERSONS Zeitgenossen handeln m¨usse. Dagegen hat sich K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 45 dezidiert gewendet: Il me ” semble erronn´e de parler d’une e´ cole des formalizantes et de ses luttes contre les nominalistes au d´ebut mˆeme du XVe si`ecle. Cette e´ cole et ces luttes, si elles existaient r´eellement, il faudrait les situer au XIVe si`ecle dans les ann´ees des e´ tudes de Gerson, et, avec plus de probabilit´e, pendant les e´ tudes de ses professeurs, c’est-`a-dire entre 1360–1380.“ Da K ALUZA aber an anderer Stelle gerne bereit ist, den Autoren des fr¨uhen 15. Jahrhunderts einen starken Traditionalismus und Schulbezug zu unterstellen (ebd. S. 124, vgl. dazu unten, S. 113), ist mir nicht ersichtlich, warum dies nicht auch in der vorliegenden Frage der Fall gewesen sein soll. Anzeichen hierf¨ur gibt es: Dem sp¨ateren 15. Jahrhundert ist etwa P ETRUS DE N OGENTO, der kurz nach 1400 in Paris studiert hat, als imitator Scoti in Erinnerung geblieben (BAUDRY, L E´ ON: La querelle des futurs contingents (Louvain 1465–1475). Textes in´edits, Paris: Vrin, 1950 (Etudes de philosophie m´edi´evale 38), S. 228, vgl. ebd. S. 138 und 204; zu P ETRUS DE N OGENTO vgl. K ALUZA , Z ENON: Les d´ebuts de l’albertisme tardif (Paris et Cologne), in: H OENEN/DE L I -
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Kapitel 6: Sophisten und Phantasten: die zwei Seiten von Gersons Polemik
Prinzips nicht etwa jene Partei an, welche vor dem Hintergrund von De duplici logica und dem 1340er Statut am ehesten als Adressat dieser Kritik h¨atten erwartet werden k¨onnen – jene der Nominalisten n¨amlich –, sondern er zieht erstaunlicherweise gegen eos quos Scoti[s]tas appellamus ins Feld.6 Denn diese w¨urden, statt eine vers¨ohnliche, von allen Doktoren getragene Lehre zu suchen, ein eigenes Vokabular verwenden und neue Begriffe einf¨uhren in der Absicht, die quidditates rerum noch sch¨arfer zu erfassen.7 Grunds¨atzlich sei nun gar nichts daran auszusetzen, wenn mit Hilfe der Logik von den Einzeldingen abstrahiert werde, um sich das eigentliche Wesen der Dinge vor Augen zu f¨uhren – allerdings k¨onne nicht alles auf Logik allein zur¨uckgef¨uhrt werden, denn auch die Metaphysik habe ihre eigenen Vorgehensweisen. Die Scotisten w¨urden aber longior necessario an der Logik festhalten.8 BERA : Albertus Magnus und der Albertismus (1995), S. 207–302, hier S. 248); eine genauere Untersuchung seines Sentenzenkommentars m¨usste dies allerdings noch u¨ berpr¨ufen (RS.Douc ˜ : Cat´alogo de los manuscritos teol´ogicos de la catedral 676b; vgl. G AZTAMBIDE , J OS E´ G O NI de Pamplona, in: Principe de Viana 71.251 (2010), S. 841–942, hier S. 891f.) Dass um 1400 in Paris durchaus schulm¨aßige Differenzen bestanden haben und Diskussionen aus G ERSONS eigener Studienzeit weiterhin pr¨asent gewesen sind, belegen auch laufende Untersuchungen etwa zu P ETRUS P LAOUL (vgl. etwa das zweite Correlarium zur Lectio 14 seines Sentenzenprologs, online zug¨anglich unter http://jeffreycwitt.com/plaoul, Stand 28. M¨arz 2014) oder zum Pariser L AMBERTUS DE M ONTE (vgl. M ELIAD O` , M ARIO/N EGRI , S ILVIA: Neues zum Pariser Albertismus (15. Jh). Der Magister Lambertus de Monte und die Handschrift Br¨ussel, Koninklijke Bibliotheek, ms. 760, in: Bulletin de philosophie m´edi´evale 53 (2011), S. 349–384). 6 So die etwas sp¨atere Formulierung in G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 243. Im direkten Anschluss an das diskutierte Prinzip spricht Gerson von den formalizantes, ebd. S. 241. Zu diesem Begriff vgl. grundlegend K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 50f., und auch H OENEN: Modus loquendi platonicorum (2002), hier S. 333. 7 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 241: Afferunt itaque formalizantes multam et sonoram novis auribus vocabulorum varietatem, intendentes, ut aestimo, sublimius erigere aciem intellectus ad rerum quidditates intuendas, et nolentes animam apud se cum conceptibus suis iugiter negotiari. Etwas sp¨ater (ebd. S. 243) kritisiert Gerson diese eigene Terminologie als novos loquendi modos; zudem ist die ganze sechste consideratio der Schrift gegen die adinventores terminorum gerichtet, weshalb auch etwa die Lehre des R AIMUNDUS L ULLUS nicht approbiert worden sei, vgl. ebd. S. 245: Ex hac consideratione maxime moti sunt magistri nostri et ego ne doctrina illa Raymundi Lulli publicetur; habet enim terminos a nullo doctore usitatos. Zu dieser Zur¨uckweisung von R AIMUNDUS L ULLUS vgl. CUP IV, 1749. Sp¨ater (1423) wird sich Gerson in einer eigenen Schrift mit ihm auseinandersetzen, vgl. sein Super doctrinam Raymundi Lulle, ed. Glorieux X, Nr. 504 (1973). 8 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 241: Conantur praeterea intellectum subducere cum consuetudine cognoscendi res solum materiales et grossas; denudare praeterea quidditates rerum a confusione accidentium [...]; quatenus abstractis omnibus his velut extrinseca veste, remaneat nuda quidditas rei, et talem se mentis oculo repraesentet. Hanc vero intentionem si dixero me reprobare, mentiar. [...] Nihilominus fateor nequaquam omnia ad logicam solam debere referri; habet metaphysica suas considerationes. Eine a¨ hnlich positive Beurteilung erhielt die Abstraktionsmethode der Scotisten auch schon in De mystica theologia, ed. Combes (1958), S. 23; vgl. dazu K ALUZA: Gerson et J´erˆome (1984), S. 96, und H OENEN: Modus loquendi platonicorum (2002), S. 330f.
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Wie schon in De duplici logica scheint es auch hier um den Geltungsbereich einer bestimmten Logik zu gehen und um die ungeb¨uhrliche Vermischung der Disziplinen: Ich weiß“, sagt daher G ERSON, dass beides ein Fehler ist: so” ” wohl Metaphysik anzuwenden, wo die Logik zu verwenden gepflegt wird, als auch nach der Logik allein zu fragen, wo Metaphysik zu betreiben ist.“9 Doch was in De duplici logica noch als Fehlverhalten jener von englischen Traditionen beeinflussten Denker dargestellt wird, erscheint hier nun pl¨otzlich als Fehler jener anderen Gruppe – was keineswegs heißt, dass G ERSON diese Scotistas, oder, wie er sie weit h¨aufiger nennt und wie es gleich noch zu erl¨autern sein wird, diese formalizantes mit den englisch beeinflussten Logikern identifiziert. Vielmehr wird aus seiner Kritik deutlich, dass offensichtlich zwei Gruppen bestanden haben: W¨urden sich doch diese formalizantes n¨orglerisch u¨ ber die Logiker beklagen und all jene, welche mit ihnen nicht u¨ bereinstimmten, terministae nennen, obwohl eigentlich gerade sie sich einer Vermehrung der Termini schuldig machten.10 Zwei Dinge werden hier deutlich: Erstens wird G ERSON in den Augen der kritisierten Partei, mit der er ja ganz offensichtlich nicht u¨ bereinstimmt, zu den Terministen gez¨ahlt.11 Zweitens scheint die Differenz zwischen diesen terministae und den formalizantes mit der Ausbildung und Verwendung von abstrakten Begriffen zusammenzuh¨angen. Das unterstreicht nicht nur der vorliegende Zusammenhang, sondern auch G ERSONS Bezeichnung dieser Partei als formalizantes. Offensichtlich geht es, wie bereits auch bei W YCLIF, um die Problematik der Formaldistinktion, welche schon bei S COTUS dazu gedient hat, die trinitarischen Unterscheidungen in Gott als Mittelform zwischen einem rein gedachten Unterschied und realiter getrennten Dingen zu erfassen.12 F¨ur G ER SON allerdings f¨ uhrt diese Unterscheidungsweise viel zu weit, denn sowohl der Glaube als auch jede Metaphysik w¨urden lehren, dass Gott simplicissimus in supremo simplicitatis sei.
9 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 241: Scio utrobique vitium esse, et metaphysicae ubi logica uti consuevit, et logicam solam quaerere ubi metaphysica tractanda est. 10 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 242: Ita quidem contentiosi dum logicos culpant, vocantes eos qui secum non sentiunt, terministas, ipsi longe grandiorem terminorum congeriem multiplicare compelluntur. Vgl. ganz a¨ hnlich G ERSONS De modis significandi, ed. Glorieux IX, Nr. 466 (1973), S. 629 (unten, Anm. 34 zitiert). 11 Diesen Schluss zieht bereits BAUER , M ARTIN: Die Erkenntnislehre und der Conceptus entis nach vier Sp¨atschriften des Johannes Gerson, Meisenheim: Anton Hain, 1973 (Monographien zur philosophischen Forschung 117), S. 143 mit Anm. 3. Dass diese Bezeichnung abwertend gemeint war, belegt G ERSON selbst: Super doctrinam Raymundi Lulle, ed. Glorieux X, Nr. 504 (1973), S. 125: ab aliquibus philosophantibus logici vocentur terministae et rudes; dazu auch K ALUZA: Le ‘De universali reali’ (1986), S. 494. 12 S.o., S. 79.
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Was bringt es daher“, so fragt er rhetorisch, die geeinteste Essenz selbst durch meta” ” physische Formen, durch Wesenheiten, durch ideelle Schemata oder durch eine andere von tausend erdenklichen Weisen aufzuteilen, zu trennen, auszubauen, zu zerreißen, und zwar ex parte rei, wie sie sagen, und nicht von den sie betreffenden Handlungen des Intellekts her? Mein Gott, wie viele Erstheiten, wie manches Momentum, wie viele Zeichen, wie viele Artungen, wie viele Schemata unterscheiden einige u¨ ber Scotus hinaus;13 schon sind tausend Codices mit solchem gef¨ullt, so dass eine lange Lebensdauer der Menschen kaum ausreicht, sie zu lesen – geschweige denn sie zu verstehen.“14
In G ERSONS Augen geht es deshalb um mehr als bloß um die Verwendung neuer Begriffe: In ihrer ungeb¨uhrlichen Anwendung logischer Abstrahierungen bis in den Bereich der Metaphysik hinein verfielen die Scotisten vielmehr dem Fehlschluss, dass die im Denken gefundenen Unterschiede schon ex parte rei angelegt seinen. Von der Struktur des Denkens schl¨ossen sie auf die Struktur des Seins und f¨uhrten jene superfluas divisiones ein, die sp¨ater auch N IKOLAUS ¨ VON D INKELSB UHL beklagen wird. Dem genannten Fehlschluss ist nun allerdings bereits Jahrhunderte fr¨uher ein anderer erlegen, der den sp¨atscholastischen Denkern durch A RISTOTELES’ Kritik bestens bekannte P LATO n¨amlich, dessen Ideenlehre A RISTOTELES im ersten Buch seiner Metaphysik ausf¨uhrlich widerlegt.15 Als G ERSON daher in der 7. Consideratio der vorliegenden Schrift auch noch vor dem Einfluss heidnischer Philosophie in der Theologie zu warnen beginnt, kritisiert er denn auch P LATO – wenn es denn stimme, was man ihm zuschreibe:16 Denn weil er die ” Wesenheiten von der Bewegung und von der Materie und der Zeit und dem ¨ Raum und den u¨ brigen Außerlichkeiten abstrahieren wollte, ging er von ewigen Ideen der Dinge wie der abgetrennten Idee des Menschen aus, welche die Wesenheit aller Menschen ist, und nahm eine Idee des Guten und ewige, reale Universalien (universalia realia) außerhalb der Seele und außerhalb von Gott 13
G ERSON wendet sich daher, wie mehrfach bemerkt worden ist, nicht direkt gegen S CO der immerhin doctor approbatus der Pariser Universit¨at ist, sondern gegen seine Nachfolger (dazu K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 64). 14 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 242: Fides saluberrima et omnis metaphysica tradit nobis quod Deus est simplicissimus in supremo simplicitatis, super quam imaginari sufficimus. Hoc dato, quid opus est ipsam unitissimam essentiam per formas metaphysicales vel quidditates, vel rationes ideales, vel alias mille imaginandi vias secernere, dividere, constituere, praescindere ex parte rei ut dicunt, et non ex intellectus negotiatione circa eam[?] Deus sancte, quot ibi prioritates, quot instantia, quot signa, quot modeitates, quot rationes aliqui ultra Scotum condistingunt; iam mille codices talibus impleti sunt, adeo ut longa aetas hominum eos vix sufficit legere ne dicam intelligere. 15 A RISTOTELES: Metaphysik I, ed. Bekker (1978), 990a–993a; vgl. insbesondere das 26. Argument ebd. 992b, 18–24. 16 Si verum sit quod ei imponitur: G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 246. G ERSON hatte offensichtlich noch keine direkte Kenntnis von P LATO, sondern bezog sein Wissen h¨ochstwahrscheinlich von T HOMAS VON AQUIN, vgl. dazu H OENEN: Modus loquendi platonicorum (2002), S. 335–338. TUS ,
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an.“17 Viel mehr noch als diese Kritik an P LATO interessierte G ERSON aber erneut, was seine Zeitgenossen nun damit machten: Einige der unsrigen, die solche Abstraktionen verwenden wollen, verfallen in diesen Irrtum, der nicht nur der peripathetischen, sondern auch der katholischen Schule zuwider l¨auft. Sie nehmen daher ewige Wesenheiten der Dinge außerhalb der Seele an, welche weder Gott sind, noch von Gott hervorgebracht sind, noch u¨ berhaupt von Gott hervorgebracht oder auch zerst¨ort werden k¨onnen; und dies gegen den Pariser Artikel aus der Zeit des W ILHELM VON PARIS [...].18 Denn sonst, so sagen sie, w¨are unser spekulativer und wesenhafter Begriff fiktiv, wenn nicht ein solches Etwas, wie er es begreift, ihm in der Sache entspr¨ache.19
Vier Punkte seien zu diesen Ausf¨uhrungen G ERSONS angemerkt: Erstens wird mit dem Problem der g¨ottlichen Einheit die tief theologische Dimension der Debatte deutlich, die sich vordergr¨undig als methodische Auseinandersetzung u¨ ber den Umgang mit Positionen scholastischer und antiker Denker gibt. Dies d¨urfte auch f¨ur den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit und deren Verst¨andnis der Parteistreitigkeiten von Bedeutung sein: So sehr es sich vordergr¨undig oft nur um methodische Auseinandersetzungen handelt, so sehr d¨urften damit jeweils spezifisch theologische Probleme verbunden sein, die sich aus der konsequenten Anwendung einer der umstrittenen Methoden ergeben k¨onnen.20 Daher treffen wir zweitens im vorliegenden Text auch zwei Argumentationsstrategien wieder an, welche Gerson bereits in De duplici logica verwendet:21 Zum einen beurteilt er eine Denkweise von den Konsequenzen her, die er aus ihr ziehen zu k¨onnen meint, und konfrontiert dies zum anderen mit geltenden universit¨aren oder kirchlichen Verurteilungen. Dass dies auch das Vorgehen bei der Verurteilung von JAN H US und von H IERONYMUS VON P RAG werden sollte, 17
G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 246: Plato volens abstrahere quidditates a motu et a materia et tempore et loco et ceteris extrinsecis, posuit ideas rerum aeternas sicut ideam hominis separatam quae erat quidditas omnium hominum, ideam boni et universalia realia extra animam et Deum aeterna. 18 Gem¨aß Fußnote der G LORIEUX-Edition (ebd. S. 246) bezieht sich G ERSON hier auf einen 1241 verurteilten Artikel, welchen B ONAVENTURA in seinem Sentenzenkommentar zitiert; die betreffenden Stellen sind angef¨uhrt bei K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 54 und S. 81, Anm. 71. 19 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 246: Quidam ex nostris volentes talibus abstractiones uti, corruunt in hunc errorem non solum peripatheticae sed catholicae scholae contrarium. Ponunt itaque quidditates rerum aeternas, extra animam, quae nec sunt Deus, nec productae a Deo, nec producibiles, aut annihilabiles a Deo contra Articulum Parisiensem tempore Guillelmi Parisiensis et Bonaventurae, sicut recitat. 23. dist. secundi. Alioquin fictus esset, inquiunt, noster conceptus speculativus et quidditativus, si non tale aliquid sibi in re corresponderet quale concipit. Dazu auch K ALUZA: Gerson et J´erˆome (1984), S. 96f. 20 Vgl. H OENEN: Jean Wyclif (2002), S. 189. 21 Vgl. oben, S. 44.
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ist bereits erw¨ahnt worden; der vorliegende Zusammenhang steht jenem Konstanzer Geschehen deshalb schon etwas n¨aher als der Kontext von De duplici logica, weil die aktuelle Auseinandersetzung, wie G ERSONS Referat von P LA TOS Ideenlehre verr¨at, bereits auch die Problematik der universalia realia im Blick hat.22 Drittens l¨auft, wie eben bereits angedeutet, die vorliegende Kritik an P LATO und an den formalizantes darauf hinaus, dass diese von Abstraktionsprozessen aufs Sein schließen und insofern von einer Isomorphie zwischen Denken und Wirklichkeit ausgehen. In Frage steht offenkundig erneut die Beziehung zwischen der vorgestellten und der tats¨achlichen Welt, und so treffen wir hier einmal mehr auf jene Problematik, die sich unter wechselnden Vorzeichen eben noch als problematische Konsequenz im Ansatz der doctores signorum und in W YCLIFS Universalien-Realismus hat nachweisen lassen: Droht dort bei einer allzu beliebigen Zeichenbeziehung zwischen Konzepten und bezeichneten Dingen der Realit¨atsbezug des Denkens verloren zu gehen,23 so drohen hier – gewissermaßen im Beharren auf der similitudo zwischen Konzepten und Dingen – Gegebenheiten f¨ur real genommen zu werden, die bloß Produkte unseres Denkens sind. Zumindest legt G ERSON den Scotisten in den Mund, sie behaupteten, dass ein spekulatives und wesenhaftes Konzept fiktiv w¨are, w¨urde ihm in den Dingen non tale aliquid entsprechen, quale concipit.24 Damit d¨urfte sich viertens nun auch aus der Kritik an diesen formalizantes best¨atigen, was oben in der Kritik an den doctores signorum bereits festgestellt worden ist, dass n¨amlich die Frage nach dem Verh¨altnis zwischen Konzepten und Dingen, danach, ob es sich eher um eine Zeichen- oder um eine ¨ Ahnlichkeitsrelation handle, von grundlegender Bedeutung im Konflikt zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen ist. Auf der einen Seite, das hat sich oben bereits in der Polemik von J OHN W YCLIF gezeigt, droht die Behauptung einer Isomorphie von Denken und Sein, welche zu theologisch heiklen Aussagen f¨uhrt; auf der anderen Seite droht ein rein sophistisches Wissenschaftsverst¨andnis, das es verunm¨oglicht, u¨ berhaupt noch gesicherte Aussagen u¨ ber die Wirklichkeit zu machen.25 F¨ur G ERSON wird es daher fast schon zu 22 Zu den Verbindungen von Ideenlehre und Universaliendebatte in G ERSONS Kritik an JAN H US und H IERONYMUS VON P RAG vgl. K ALUZA: Gerson et J´erˆome (1984), S. 97, und nun ¨ auch M ULLER : Notwendigkeit der Logik (2005), S. 488f. 23 Vgl. oben, S. 77. 24 G ERSON: Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 246, der Text ist oben, Anm. 13 zitiert. 25 Vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Being and Thinking in the ‘Correctorium fratris Thomae’ and the ‘Corruptorium corruptorii Quare’. Schools of Thought and Philosophical Methodology, in: S PEER , A NDREAS/A ERTSEN , JAN A./E MERY, K ENT J R . (Hrsg.): Nach der Verurteilung von 1277. Philosophie und Theologie an der Universit¨at von Paris im Letzten Viertel des 13. Jahrunderts. Studien und Texte, Berlin: de Gruyter, 2001 (Miscellanea mediaevalia 28), S. 417–435, hier S. 434.
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einer stehenden Wendung, von den formalizantes et terministae als den zwei Gruppen zu sprechen, die es in je eigener Hinsicht zur M¨aßigung zu bewegen gelte.26 So sehr daher die formalizantes G ERSON ganz offensichtlich den terministae zuordneten und so sehr ein Großteil der Polemik, welche G ERSON in diesen ersten Jahren des 15. Jahrhunderts formulierte, gegen diese Scotisten gerichtet war und deren Zuordnung damit zu best¨atigen schien, ging seine Kritik dennoch in zwei Richtungen: So, wie bereits in De duplici logica die Auseinandersetzung mit einer Denkweise deutlich wird, welche am ehesten bei diesen terministae vermutet werden kann, kritisert er auch in anderen Schriften nicht nur die formalizantes, sondern auch diese terministae immer wieder. An einer sp¨aten Schrift von G ERSON l¨asst sich aus dieser Kritik denn auch eruieren, worin er selbst den gangbaren Weg, die via media zwischen diesen beiden Extrempositionen gesehen hat.27
6.2 G ERSONS De modi significandi In seiner Schrift De modis significandi von 1426 f¨uhrt G ERSON an zwei Stellen aus, worin die ruditas terministarum, bzw. der lapsus logicorum bestehe: Sie w¨urden n¨amlich nicht zugestehen, dass es mehr als bloß einen modus significandi materialiter gebe, dass Begriffe also auch im Sinne einer suppositio personalis f¨ur mehr als f¨ur sich selbst stehen k¨onnten. Sie seien daher zurecht von den Metaphysikern kritisiert worden.28 Der Vorwurf ist bekannt und trifft sich mit W YCLIFS Kritik an den doctores signorum ebenso wie mit dem 5. Artikel des Statuts von 1340: Wer nur eine suppositio materialis akzeptiert, dessen Wissenschaft kann sich nur auf Zeichen, nicht aber auf das Bezeichnete beziehen. Ausmaß und Tonfall der Kritik sind bei G ERSON allerdings wesentlich gem¨aßigter. Nicht nur bel¨asst er es bei diesen zwei Bemerkungen im Gegensatz zu einer ganzen Reihe von wesentlich polemischer gehaltenen Vorw¨urfen 26
In einem der fr¨uhesten Zeugnisse f¨ur die Kontroverse spricht G ERSON noch von den rudes und phantastici (Brief an Pierre d’Ailly, ed. Glorieux II, Nr. 3 (1960), S. 27); vgl. zur im Text zitierten Wendung etwa De conceptibus n 97, ed. Glorieux IX, Nr. 458 (1973), S. 517, oder Super doctrinam Raymundi Lulle, ed. Glorieux X, Nr. 504 (1973), S. 127. 27 Eine ausf¨uhrlichere Untersuchung von G ERSONS Logik-Kritik der 1420er Jahre bietet ¨ M ULLER: Notwendigkeit der Logik (2005). 28 G ERSON: De modis significandi II.21, ed. Glorieux IX, Nr. 466 (1973), S. 635: Ruditas autem terminstarum, si consistere velint in significatis seu modis significandi solum materialiter; inde provenit vel consurgit quod a metaphysicis rationabiliter contemnuntur; und ebd. II.27, S. 637: hic est lapsus grammaticorum vel logicorum qui non accipiunt distinctionem istam de esse duplici creaturae sed defendunt se per ampliationes et connotationes et modos ¨ significandi quasi materialiter. Vgl. hierzu M ULLER : Notwendigkeit der Logik (2005), S. 489; zur suppositio materialis vgl. ebd. II.12, S. 634.
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erneut gegen die formalizantes,29 sondern er geht auch davon aus, die Terministen seien faciliter30 mit seinem eigenen Ansatz in Einklang zu bringen, wof¨ur er auf zwei Unterschiedungen zur¨uckgreift: So wie G ERSON in de duplici logica bereits zwischen zwei Logiken unterscheidet, k¨onnten n¨amlich erstens auch mehrere grunds¨atzlich verschiedene modi significandi, verschiedene Weisen, mit Aussagen etwas zu bezeichnen, ¨ eruiert werden. Uber jene logische und rhetorische Bezeichnunsgweisen hinaus, welchen die zwei Logiken der fr¨uheren Schrift entsprechen, gebe es auch eine significatio metaphysicalis, die in erster Linie auf einem Seienden oder ” einem Ding basiert.“31 Dieser Bezug zu den Dingen sei gegeben, weil der metaphysische modus significandi – im Gegensatz zu den anderen Bezeichnungsweisen – auf nat¨urliche Weise, naturaliter, benenne, denn ein geistiger Begriff ” (verbum mentis) wird von nichts anderem als der Betrachtung oder der Erfah32 rung der Dinge erfasst oder abstrahiert.“ W¨ahrend sich deshalb die sermozinalen Bezeichnungsweisen – G ERSON nennt neben logischer und rhetorischer auch noch eine grammatische – tats¨achlich auf die materiale Supposition beschr¨ankten, sei dank dem nat¨urlichen Bezug der significatio metaphysicalis in diesem Bezeichnungsmodus eine personale Supposition und damit Realwissenschaft m¨oglich.33 Zweitens sei auch zwischen zwei Seinsweisen der Dinge zu unterscheiden, einer, wie sie tats¨achlich seien, und einer, wie sie im Hinblick auf den Intellekt ein esse obiectale seu repraesentativum h¨atten.34 Diese beiden Seinsweisen ließen sich auch in der Beziehung der Dinge zu Gott erkennen, in dem sie in ihrem objektalen Sein seit Ewigkeit bestanden h¨atten und von welchem sie in ihrem tats¨achlichen Sein erschaffen worden seien.35 Der Fehler der terministae liege nun darin, dass sie diese Unterscheidung der Seinsweisen nicht akzeptierten und daher auch nicht sehen k¨onnten, dass die Annahme eines ewigen objektalen 29 So kritisiert er den lapsus volentium formalizare (II.4, S. 633) oder den lapsus logicam ignorantium (II.23, S. 636) und h¨alt ausdr¨ucklich fest: Universalia realia extra animam ponere alibi vel aliter quam in Deo est haeresis expresse damnata (II.29, S. 637; hierzu ausf¨uhrlich K ALUZA: Gerson et J´erˆome (1984), S. 91–94). 30 Ebd. II,27, S. 637 (in Anm. 30 ausf¨uhrlicher zitiert); vgl auch schon II.25, S. 636: Et ita poterit a subtilibus nec protervis faciliter concordia fieri. 31 G ERSON: De modis significandi I.18, ed. Glorieux IX, Nr. 466 (1973), S. 627 32 Ebd. I.23, S. 628. 33 So bereits ebd. I,17, S. 627: Significatio metaphysicalis multum distinguitur a significatione grammaticae vel logicae vel rhetoricae quae sunt partes philosophiae sermocinalis. Ratio est quia significatio metaphysicalis consistit in solo intellectu vel ratione et generatur a primis impressionibus naturae quae sunt transcendentes, sicut est impressio prima notitia entis qua nulla prior et sine qua non habetur altera. Zur materialen und personalen Supposition vgl. ebd. II.12–14, S. 634; zu Sermozinal- und Realwissenschaft vgl. ebd. II.17, S. 634f. 34 Ebd. II.1, S. 632. Dieses esse obiectale umschreibt G ERSON auch in De causa finali, ed. Glorieux IX, Nr. 456 (1973), S. 621f.; vgl. auch K ALUZA: Gerson et J´erˆome (1984), S. 91f. 35 G ERSON: De modis significandi II.25f., ed. Glorieux IX, Nr. 466 (1973), S. 636.
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Seins der Dinge nicht auch gleich zur Annahme eines ewigen Bestehens dieser Dinge f¨uhre. Doch selbst wenn die nomina dieses objektale Sein ad placitum bezeichneten – was in den Augen der formalizantes ja einen Realit¨atsbezug verunm¨oglichte –, selbst dann sei es leicht einzusehen, dass die begriffliche Definition eines solchen objektalen Seins mit der Art und Weise, wie wir es konzipierten und bezeichneten, u¨ bereinstimme.36 Akzeptierten die terministae diese Unterscheidungen, so w¨urde ihnen auch nicht mehr unterstellt werden k¨onnen, dass sie zu keiner wahren Aussage u¨ ber die Wirklichkeit f¨ahig seien. G ERSON pr¨asentiert damit ein Modell, das in der Unterscheidung zweier Seinsweisen der Dinge die M¨oglichkeit eines sprachlichen Realit¨atsbezugs ebenso garantiert, wie es in der Unterscheidung mehrerer modi significandi den vorschnellen Schluss von sprachlichen Gegebenheiten auf die Wirklichkeit unterbindet. Logik und Metaphysik schließen sich daher nicht gegenseitig aus, sondern erg¨anzen sich vielmehr.37 Drei Punkte sind f¨ur den vorliegenden Zusammenhang an dieser Pr¨asentation besonders interessant. Erstens belegt G ER SON mit diesem De modi significandi nun auch noch im Hinblick auf die terministae, dass die Frage nach der Beziehung zwischen Konzeptzeichen und bezeichneter Wirklichkeit von grundlegender Bedeutung f¨ur den Streit zwischen den unterschiedlichen Gruppen gewesen ist. Die Unterscheidung von verschiedenen modi significandi wird hier als geeignetes Instrument vorgestellt, um das Problem der terministae – den ungesicherten Realit¨atsbezug – zu l¨osen, ohne dem Irrtum der formalizantes zu verfallen und direkt vom Denken aufs Sein zu schließen. Zu l¨osen versucht G ERSON daher prim¨ar das Problem der terministae, und so liest sich die ganze Schrift als eine einzige Auseinandersetzung mit der Frage nach der M¨oglichkeit von Realwissenschaft. Damit wird zweitens deutlich, dass sich G ERSON auch in den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts eher noch diesen terministae als den formalizantes verbunden gef¨uhlt und aus ihrem Blickwinkel heraus gedacht hat. Ist schon in den Schriften um 1400 deutlich geworden, dass ihn die formalizantes selbst dem Lager der terministae zugeordnet haben, so belegt die vorliegende Schrift, dass 36 Ebd. II.27, S. 637: Sed cum nomina sint ad beneplacitum debebunt faciliter induci ad acceptandum quid nominis huius quod est esse obiectale cum esse intelligibili vel modo significandi. 37 Vgl. die abschließende Zusammenfassung in G ERSON: De modis significandi II.49, ed. Glorieux IX, Nr. 466 (1973), S. 642: Concordia metaphysica cum logica et suis auctoribus fiet ex consideratione praemissorum per distinctiones aliquas: una est de duplici modo essendi rei, in re scilicet et intellectu; altera distinctio de ratione obiectali et de modo significandi si ratio obiectalis restringatur ad modum essendi rei in intellectu sic quod ratio obiectalis respicit duo, scilicet intellectum et rem ipsam ad extra ut res est, vel natura quaedam in se. Modus autem significandi respicit rem non ut res est in se, sed ut signum est vel significatum, sive sit extra animam sive ad intra, sicut voces et scripta sunt res significativae et maxime ipsi conceptus animae, qui tamen sunt res quaedam in se.
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Kapitel 6: Sophisten und Phantasten: die zwei Seiten von Gersons Polemik
G ERSON in seinen Sympathien keine grunds¨atzliche Wendung vollzogen hat.38 Das zeigt sich auch darin, dass er ausgehend allein von einer genauen Bestimmung der Begriffe zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis der Dinge kommen will;39 und trotz seinen Ausf¨uhrungen zu den unterschiedlichen modi significandi bleibt er dem Grundsatz treu, dass sich eine Wissenschaft nie direkt mit den Dingen, sondern im besten Falle mit deren esse obiectale befassen k¨onne.40 Dass G ERSON sich dennoch nicht einfach als Parteig¨anger der terministae verstanden, sondern auch dieser Partei gegen¨uber durchaus eine kritische Distanz gewahrt hat, soll nun drittens f¨ur den weiteren Verlauf dieser Arbeit als Warnung verstanden werden, wie wenig die Str¨omungen und Parteiungen des 15. Jahrhunderts als einheitliche, homogene Gebilde zu verstehen sind. Dies mag auf den ersten Blick eine triviale Erkenntnis sein – sie droht aber in der Anwendung von Labeln, ohne die ein Projekt wie das vorliegende nicht auskommen kann, nur zu schnell vergessen zu werden. Mit der Zuordnung von -ismen steigt die Versuchung, sich an konstruierten Idealtypen statt an der Vielfalt tats¨achlicher Denkweisen zu orientieren, so dass pl¨otzlich Anspr¨uche von Reinheit entstehen, die den historischen Gegebenheiten nicht mehr gerecht zu werden drohen.41 Wenn daher in G ERSONS Ansatz Parallelen zur Abstrakti38 Gegen B URROWS: De Consolatione Theologiae (1991), S. 272f. Zu den formalizantes, die G ERSON offensichtlich den terministae zugeordnet haben, vgl. oben, Anm. 4; zu G ERSONS N¨ahe zu den terministae vgl. auch BAUER: Conceptus entis (1973), S. 315. 39 De modis significandi I.33, ed. Glorieux IX, Nr. 466 (1973), S. 629: Conquisitores veritatis ad invicem debent in primis convenire in modis significandi terminorum seu dictionum secundum quos et quas versatur inquisitio; nam sicut logica tradit, praesupponi debet quid nominis in omni quaestione (vgl. auch die Warnung ebd. I.34: stabilitas scientiarum multum de¨ pendet a quid nominis terminorum; dazu M ULLER : Notwendigkeit der Logik (2005), S. 479). Entsprechend bestehen die Abschnitte I.1–24 des vorliegenden Traktats bloß aus Bestimmungen dazu, was unter significatio, signum und den unterschiedlichen modi significandi zu verstehen sei; a¨ hnlich finden sich im zweiten Teil Bestimmungen zum ens (II.1–4), zu significatio und suppositio (II.9–12) und den unterschiedlichen Sermozinal-Wissenschaften (II.17–20). 40 So v.a. G ERSON: De modis significandi II.3, ed. Glorieux IX, Nr. 466 (1973), S. 633: Ens reale non pote[s]t constituere scientiam aliquam si non consideretur in suo esse obiectali relato ad ipsum ens reale sicut ad primarium et principale obiectum suum. Ratio: quia scientia vel sapientia quaelibet est habitus intellectus, quamvis intellectus respiciat res et ipsas accipiat quasi materiam vel obiectum vel substractum suae considerationis per rationes obiectales seu formales quae se tenent ex parte intellectus. Secundum hanc considerationem dici possunt formae rerum non reales sed intentionales, conceptibiles vel intelligibiles. Ebenso beschwert sich G ERSON u¨ ber die formalizantes, welche die repugnantes eis vocant rudes et terministas nec reales in metaphysica, quasi sine terminis loqui possint (ebd. I.35, S. 629) – ebenso im fast gleichzeitigen Super doctrinam Raymundi Lulle, ed. Glorieux X, Nr. 504 (1973), S. 125: Ab aliquibus philosophantibus logici vocentur terministae et rudes. Sed veritas qualis est in rebus verbaliter non potest exemplificari sine verbis et terminis per quos ad res ipsas devenimus non confictas, sed veraciter apprehensas et in re distinctas. 41 So sehr Idealtypen im Weberschen Sinne daraufhin angelegt sein k¨onnen, eine Vielfalt von Gesichtspunkten zu b¨undeln, verleiten sie doch dazu in jedem einzelnen Falle festzustel” len, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht“ (W EBER , M AX: Die ‘Ob-
6.2 Gersons De modi significandi
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onslehre des T HOMAS VON AQUIN oder zu einer Gnadenlehre festgestellt werden k¨onnen, wie sie insbesondere im sp¨atmittelalterlichen Scotismus vertreten worden ist,42 so ist das noch lange kein Argument f¨ur oder gegen seine grunds¨atzliche Zugeh¨origkeit zu einer bestimmten Denkrichtung, sondern zeugt f¨ur die vielf¨altigen Einfl¨usse, von denen die Denkweise eines einzelnen Menschen zu Beginn des 15. Jahrhunderts hat beeinflusst sein k¨onnen.43 ¨ Wenn nun aber nicht nur die anvisierten Gegner von D INKELSB UHL und G ERSON keiner einheitlichen Richtung zuzuordnen, sonder auch in G ERSONS Denken selbst unterschiedliche Str¨omungen nachzuweisen sind, wenn also das 14. Jahrhundert wesentlich vielf¨altiger geendet hat, als es die traditionelle Sichtweise vermuten l¨asst, was heißt das dann f¨ur dieses traditionelle Verst¨andnis, was heißt das f¨ur die klassische These zum sp¨atmittelalterlichen Nominalismus? Angesichts der Tatsache, dass dieses historiographische Schema weiterhin in die Beurteilungen des sp¨aten 14. und des 15. Jahrhunderts hineinspielt, scheint es angebracht, vor dem Hintergrund der hier erarbeiteten Befunde ein paar Anmerkungen zu diesem sp¨atmittelalterlichen Nominalismus zu notieren. Um Missverst¨andnissen in der Interpretation der vorliegenden Analyse vorzubeugen, ist kurz zu kl¨aren, inwiefern u¨ berhaupt von einem sp¨atmittelalterlichen Nominalismus gesprochen werden kann, um dann zu sehen, was dieser Nominalismus allenfalls mit den hier erarbeiteten Punkten zu tun hat.
jektivit¨at’ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. 1904, in: W EBER , M AX/ W INCKELMANN , J OHANNES (Hrsg.): Gesammelte Aufs¨atze zur Wissenschaftslehre, T¨ubingen: J.C.B. Mohr, 1968, S. 146–214, hier S. 191). Sie verleiten daher immer schon zur Beurteilung, statt erst einmal der Feststellung eines historischen Faktums zu dienen. 42 Zur thomistischen Abstraktionslehre bei G ERSON vgl. bereits P RANTL: Geschichte IV (1870); die scotistischen Tendenzen in G ERSONS Gnadenlehre hat B URROWS: De Consolatione Theologiae (1991) zum Anlass genommen, dessen Nominalismus grunds¨atzlich in Frage zu stellen. Dazu auch oben, Anm. 32. 43 So betont auch K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 122, G ERSONS opposition ” a` la tradition logico-th´eologique n’est donc pas de nature doctrinale; elle est li´ee a` la fonction didactique de professeur de foi, elle est litt´eraire et peut-ˆetre esth´etique, elle est enfin th´eologique l`a o`u Gerson soul`eve la question du sensus litteralis de l’Ecriture.“ Am ehesten noch ist die gem¨aßigte Haltung von G ERSON als Teil eines Traditionsstrangs gesehen worden, der auf J OHANNES B URIDAN zur¨uckgeht: Schon die Kernthesen von G ERSONS De duplici logica speisen sich bekanntlich aus B URIDANS Ethik-Kommentar (dazu oben, S. 19, Anm. 62, sowie f¨ur ein weiteres Beispiel S. 69, Anm. 3). Dieser Traditionsstrang ist durchaus bedeutend: Schon die bereits angesprochene Antwort der K¨olner Universit¨at an die Kurf¨ursten von 1425 nennt die vorangehende Epoche schlicht ein saeculum Buridani (ediert in E HRLE: Peter von Candia (1925), S. 282–285, hier S. 284), und wenn auch verschiedentlich argumentiert worden ist, dieses saeculum sei um 1400 zu Ende gegangen (so K ALUZA: Etapes (1995), S. 305–307, zur¨uckhaltender bereits M ICHAEL , B ERND: Johannes Buridan. Studien zu seinem Leben, seinen Werken und zur Rezeption seiner Theorien im Europa des sp¨aten Mittelalters, Berlin, 1985, S. 328f.), l¨asst er sich doch, wie noch zu zeigen sein wird, selbst in Paris bis ins fr¨uhe 16. Jahrhundert hinein weiter nachverfolgen (so auch bereits B IARD: Nominalism (2010), S. 663).
Kapitel 7
Das Gespenst des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus Der sp¨atmittelalterliche Nominalismus wird, wie schon aus der Bezeichnung selbst ersichtlich ist, traditionellerweise auf eine bestimmte Position zum ontologischen Status der Universalien zur¨uckgef¨uhrt:1 Im Gegensatz zu den Realisten, welche von einer realen Existenz von Allgemeinbegriffen ausgehen, verstehen die Nominalisten Universalien bloß als partikul¨are begriffliche Zeichen, welche von mehreren Dingen zugleich pr¨adiziert werden k¨onnen. Grundlagen und Verlauf dieses Universalienstreits sind hinl¨anglich bekannt – bekannt ist insbesondere, dass der Streit wesentlich a¨ lter ist als jene Str¨omung, welche im Sp¨atmittelalter von O CKHAM ihren Ausgang genommen haben soll.2 So sehr O CKHAM eine Individualontologie vertreten haben mag, so wenig ist daher ersichtlich, wie eine nicht ungew¨ohnliche Stellungnahme in dieser spezifischen Frage zu all den Zerfallserscheinungen und Errungenschaften gef¨uhrt haben soll, welche in der Forschung der letzten 150 Jahre dem sp¨atmittelalterlichen Nominalismus zugeschrieben worden sind.3 Offensichtlich ist unter ‘Nominalismus’ wesentlich mehr verstanden worden, als was mit diesem Begriff im Sinne einer bestimmten Position im Universalienstreit gemeint sein kann – eine kurze Begriffsauslegung ist daher notwenig. 1 Vgl. M ICHON , C YRILLE: Nominalisme. La th´eorie de la signification d’Occam, Paris: Vrin, 1994 (Sic et non), S. 14. 2 Siehe vor allem Kapitel 3 zum 12. Jahrhundert in DE L IBERA: Querelle des universaux (1996), S. 125–175. 3 ¨ ¨ Vgl. H UBENER , W OLFGANG: Die Nominalismus-Legende. Uber das Missverh¨altnis zwischen Dichtung und Wahrheit in der Deutung der Wirkungsgeschichte des Ockhamismus, in: ¨ H UBENER , W OLFGANG/B OLZ , N ORBERT W. (Hrsg.): Spiegel und Gleichnis. Festschrift f¨ur Jacob Taubes, W¨urzburg: K¨onigshausen und Neumann, 1983, S. 87–111, hier insbesondere S. 105: Eine spezifische N¨ahe des namengebenden Kernkomplexes der nominalistischen Theo” rie – n¨amlich der Universalienlehre – zu fr¨uhb¨urgerlichen sozialrevolution¨aren Bestrebungen sowie zu einem exzessiven theologischen Voluntarismus halte ich solange f¨ur unerwiesen, als nicht der Vermutung wirksam begegnet wird, dass sie sich ebensowohl mit einer anderen Universalienlehre h¨atten verbinden k¨onnen.“ Zum Bedeutungsspektrum der historiographischen Verwendung von ‘Nominalismus’ vgl. die begriffsgeschichtlichen Ausf¨uhrungen bei P ERLER , D OMINIK: Einleitung, in: P ERLER , D OMINIK (Hrsg.): Satztheorien. Texte zur Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie im 14. Jahrhundert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990 (Texte zur Forschung 57), S. 1–59, hier S. 18–27.
7.1 Versuch einer Begriffsbestimmung
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7.1 Versuch einer Begriffsbestimmung Der Begriff nominales als Umschreibung einiger Autoren des 14. Jahrhunderts wird u¨ berhaupt erst im 15. Jahrhundert verwendet; dem 14. Jahrhundert selbst ist die Bezeichnung fremd.4 Wer daher von Nominalismus im 14. Jahrhundert ¨ spricht – und D INKELSB UHL und G ERSON geh¨oren in dieser Hinsicht noch zum 14. Jahrhundert –, der sieht sich mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert: Zum einen bleibt das Verh¨altnis der damit benannten universalientheoretischen Lehrmeinung zu all den anderen Aspekten unklar, welche unter dem Begriff im¨ mer auch noch mitgemeint sein k¨onnen; zum anderen schwingt in Ubernahme einer Begrifflichkeit des 15. Jahrhunderts immer gleich auch der Blickwinkel dieses 15. Jahrhunderts mit und verleitet dazu, angesichts der dortigen Schulstreitigkeiten eine nominalistische Schule ins 14. Jahrhundert zu projizieren, welche es in der gedachten Form, wie die bisherigen Ausf¨ufhrungen gezeigt haben, gar nicht gegeben hat. Neuere Ans¨atze versuchen daher, die Eigenheiten dieses sp¨ateren 14. Jahrhunderts unter Umgehung des Begriffs ‘Nominalismus’ zu fassen5 . So spricht etwa D OMINIK P ERLER im Hinblick auf bestimmte Vorgehensweisen, die bisher gerne als ‘nominalistisch’ bezeichnet worden sind, nunmehr von ‘Propositionalismus’.6 Die begriffliche Problematik droht damit allerdings bloß verlagert und ein altes Label durch ein neues ersetzt zu werden. P ERLER will dem entgehen, indem er genau umreißt, was er mit Propositionalismus meint – und greift hierf¨ur auf das Selbstverst¨andnis der Pariser Nominalisten des sp¨aten 15. Jahrhunderts zur¨uck.7 Insofern ist sein Begriff nicht besser vor einer historischen Projektion gefeit als die traditionelle Bezeichnung; zudem fragt es sich, 4 ¨ M ULLER , S IGRID: Nominalismus in der sp¨atmittelalterlichen Theologie, in: H OENEN/ BAKKER: Philosophie und Theologie (2000), S. 47–65, hier S. 47f.; vgl. auch K ALUZA: Etapes (1995), hier S. 309f. Im 12. Jahrhundert war die Bezeichnung allerdings gel¨aufig, vgl. C OURTENAY, W ILLIAM J.: Nominales and Nominalism in the Twelfth Century, in: L IBERA , A LAIN DE/J OLIVET, J EAN/K ALUZA , Z ENON (Hrsg.): Lectionum varietates. Hommage a` Paul Vignaux (1904–1987), Paris: Vrin, 1991 (Etudes de philosophie m´edi´evale 65), S. 11–48 (erneut abgedruckt als Kapitel 4 in C OURTENAY: Ockham and Ockhamism (2008)). 5 So etwa S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. XIII. 6 P ERLER: Einleitung [zu: Satztheorien] (1990), S. 30–35; vgl. auch P ERLER: der propositionale Wahrheitsbegriff (1992), S. 11. In a¨ hnlicher Weise definierte bereits M URDOCH , J OHN E MERY: Philosophy and the Enterprise of Science in the Later Middle Ages, in: E LKA NA , Y EHUDA (Hrsg.): The Interaction between Science and Philosophy, Atlantic Highlands, NJ: Humanities Press, 1974, S. 51–74, hier S. 70, die tools of the logica moderna“ als Schl¨ussel ” f¨ur die Umw¨alzungen im 14. Jahrhundert. Beider Ansatz teilt nun auch etwa D EWENDER , T HOMAS: Das Problem des Unendlichen im ausgehenden 14. Jahrhundert. Eine Studie mit Textedition zum Physikkommentar des Lorenz von Lindores, Amsterdam: Gr¨uner, 2002 (Bochumer Studien zur Philosophie 36), besonders S. 16. 7 P ERLER: Einleitung [zu: Satztheorien] (1990), S. 28–30; das Nominalisten-Manifest von 1474 als Ausgangstext w¨ahlt nun auch B IARD: Nominalism (2010), hier S. 662.
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Kapitel 7: Das Gespenst des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus
ob er damit nicht ein so verbreitetes Ph¨anomen, eine so umfassend anerkannte Vorgehensweise beschreibt, dass sich mit dem Propositionalismus-Begriff gar keine spezifische Str¨omung oder Gruppierung von anderen abgrenzen l¨asst.8 Im Hinblick auf die Verbreitung und Etablierung der traditionellen Bezeichnung ‘Nominalismus’ scheint eine Beibehaltung und allenfalls spezifizierende Kl¨arung der Begrifflichkeit daher die weniger schlechte Alternative zu sein – auch wenn solche Kl¨arungen einer traditionellen Begrifflichkeit Gefahr laufen, dass pl¨otzlich mehrere a¨ quivoke Begriffe nebeneinander stehen.9 Sieht man von den u¨ berkommenen ideologischen Einsch¨atzungen einmal ab, so sind es vor allem vier Charakteristika, die immer wieder f¨ur typisch nominalistisch gehalten worden sind: erstens ein individualontologischer Standpunkt in der Universalienfrage, zweitens eine konsequente Berufung auf das g¨ottliche ¨ Allmachtprinzip, drittens eine konsequente Anwendung des Okonomieprinzips, sowie viertens eine sprachphilosophische Problemanalyse.10 P ERLER hat zurecht darauf hingewiesen, dass keines dieser Typika allein dem Ph¨anomen des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus hinreichend gerecht wird, vor allem wenn sie als die jeweils charakteristische Lehre des Nominalismus verstanden werden. Dies gilt im besonderen f¨ur die prinzipielle Unterscheidung zwischen der 8 So bezieht P ERLER selbst in seine Textsammlung zum Propositionalismus so unterschiedliche Autoren wie WALTER C HATTON, A DAM W ODEHAM oder H UGOLINO VON O RVIETO mit ein; vgl. auch die Vielfalt an Autoren in seiner Studie zum propositionalen Wahrheitsbegriff (s.o., Anm. 6). 9 Darauf hat bereits C OURTENAY: Nominalism (1974), S. 34, hingewiesen: The term ‘no” minalism’ loses its specific, traditional content, and runs the risk of being redefined with every new study.“ Umgekehrt haben aber auch etwa die Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Graden von Nominalismus oder zwischen Nominalismus, Terminismus und Konzeptualismus die gew¨unschte Kl¨arung nicht gebracht; und werden neue Bezeichnungen eingef¨uhrt, ¨ so besteht nicht weniger die Gefahr, dass die Ubersicht u¨ ber mehrere, genauso nebeneinander stehende a¨ hnliche Begriffe verloren geht. Dem Leser kaum entgegen kommt insofern die Rede von den moderni-nominales-terministae“, wie sie TAVUZZI , M ICHAEL: Moderni, No” minales and Terministæ in the Compendium Logicae Isagogicum of Chrysostomus Javelli O.P. (1470–1538), in: L OBATO , A. (Hrsg.): Littera sensus sententia. Studi in onore de Clemente J. Vansteenkiste O.P. Mailand, 1991 (Studia Universitatis S. Thomae in Urbe 33), S. 537–592 in Beschr¨ankung auf die Terminologie von C HRYSOSTOMOS JAVELLI anwendet. 10 Vgl. P ERLER: Einleitung [zu: Satztheorien] (1990), S. 23; ausf¨uhrlich auch L ALLA , S E BASTIAN : secundum viam modernam. Ontologischer Nominalismus bei Bartholom¨ aus Arnoldi von Usingen, W¨urzburg: K¨onigshausen und Neumann, 2003 (Epistemata 353), S. 273–353. Das g¨ottliche Allmachtsprinzip als nominalistisches Charakteristikum hat vor allem H EIKO O BER MAN stark gemacht, vgl. dazu auch C OURTENAY : Ockham and Ockhamism (2008), S. 14. Zur Individualontologie vgl. etwa L IBERA , A LAIN DE: Universaux, in: Dictionnaire du Moyen Age, 2004, S. 1417b–1419b, hier S. 1419b: Au XIVe s[i`ecle], on peut qualifier de ‘nominali” ste’ toute th´eorie qui n’admet dans son ontologie que des individus concrets et limite au mondes des signes l’universalit´e et l’abstraction.“ Eine Zusammenstellung a¨ lterer Kriterien dazu, was Nominalismus ausmache, findet sich bei C OURTENAY: Nominalism (1974), hier S. 27. Zum ¨ Okonomieprinzip s.u., S. 182 mit Anm. 55.
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potentia Dei absoluta und der potentia Dei ordinata, welche H EIKO O BER MAN ausgehend von G ABRIEL B IEL als grundlegendes Kennzeichen des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus bestimmt hat und welche hartn¨ackig auch in der neuesten Literatur noch als das herausragende nominalistische Charakteristikum gehandelt wird.11 Sp¨atestens seit B ILL C OURTENAYS Studie Capacity and Volition d¨urfte aber deutlich sein, dass sich die Unterscheidung selbst im sp¨aten Mittelalter bei Thomisten und Scotisten nicht weniger finden l¨asst als bei klassischen Nominalisten.12 Das heißt nun noch nicht, dass diese Unterscheidung von nominalistischen Tendenzen v¨ollig abzukoppeln w¨are – auch C OURTENAY hebt hervor, dass sie vor allem bei Ockham, Vargas, d’Ailly, and ” Biel [...] a distinguishing feature of their mode of scholastic analysis“ gewesen sei;13 es bedeutet aber, dass der R¨uckgriff auf die Unterscheidung als Alleinstellungsmerkmal nicht taugt. Die Berufung auf das Allmachtsprinzip steht damit symptomatisch f¨ur alle anderen Versuche, einem Ph¨anomen ‘Nominalismus’ unter Berufung auf eine einzelne auszeichnende Idee oder eine spezifische Methodik beizukommen: Weil sich eine Idee stets auch von Denkern vertreten und eine Methode stets auch in Gruppen verwendet findet, welche dem erhofften Muster nicht entsprechen, schlagen all diese Versuche notgedrungen fehl. Das ist allerdings noch kein Grund, den Nominalismus-Begriff endg¨ultig fallen zu lassen. Denn wird damit auch deutlich, dass es ins Leere f¨uhrt, einen spezifischen, an einer alles bestimmenden Kernidee orientierten Idealtypen auszubilden, bleibt doch die M¨oglichkeit, die verschiedenen Charakteristika zu sammeln und im Sinne eher eines Programms als eines Idealtyps14 als ein dy11 O BERMAN , H EIKO A.: Some Notes on the Theology of Nominalism. With Attention to its Relation to the Renaissance, in: Harvard Theological Review 53 (1960), S. 47–76, v.a. S. 56–60; vgl. aber bereits S. 51: the dialectics of God’s potentia absoluta is the ruling principle.“ ” Ausf¨uhrlicher dann O BERMAN: Harvest (1963), S. 30–56; und in klarer Abh¨angigkeit davon K ENNEDY, L EONARD A.: Peter of Ailly and the Harvest of Fourteenth-Century Philosophy, Lewiston NY, 1986. Weiterhin wie ein Alleinstellungsmerkmal behandelt die Unterscheidung KOBUSCH: Analogie im Reich der Freiheit? (2004), oder auch ROSEMANN: Great Medieval ¨ Book (2007), etwa S. 157. F¨ur eine kurze kritische W¨urdigung vgl. M ULLER : Sprache, Wirklichkeit und Allmacht Gottes (2004), S. 157. 12 C OURTENAY, W ILLIAM J.: Capacity and Volition. A History of the Distinction of Absolute and Ordained Power, Bergamo, 1990. F¨ur die Verbreitung der Unterscheidung in der Theologie des 13. Jahrhunderts vgl. die ausf¨uhrliche Studie von M OONAN , L AWRENCE: Divine Power. The Medieval Power Distinction up to its Adoption by Albert, Bonaventure, and Aquinas, Oxford: Clarendon, 1994. 13 Ebd. S. 181. Der von C OURTENAY erw¨ahnte A LFONSUS VARGAS T OLETANUS geh¨ort nicht zu jenen Autoren des 14. Jahrhunderts, die typischerweise dem Nominalismus zugerechnet werden, vgl. aber K ENNEDY, L EONARD A.: Two Augustinians and Nominalism, in: Augustiniana 38 (1988), S. 118–128, hier S. 124–127, der allerdings A LFONSUS’ ‘Nominalismus’ einzig an der Allmachts-Unterscheidung aufh¨angt. 14 L AKATOS , I MRE: The Methodology of Scientific Research Programmes, Cambridge: Cambridge University Press, 1978 (Philosophical Papers 1), entwirft ein Modell wissenschaft-
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Kapitel 7: Das Gespenst des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus
namisches Set von doktrin¨aren und methodischen Eigenheiten zu b¨undeln.15 Versteht man die angef¨uhrten Charakteristika – vom universalientheoretischen ¨ Standpunkt u¨ ber Allmachts- und Okonomieprinzip bis hin zur sprachlogischen Methodik – als ein solch spezifisches Set von Grundannahmen und Vorgehensweisen, so erlaubt dies, die genannten Probleme zu umgehen: Auch wenn sich eines der Charakteristika bei einem Denker ausgepr¨agt findet, der sonst nicht in das gew¨ahlte Muster passt, so stellt dies den ‘Nominalismus’-Begriff noch nicht grunds¨atzlich in Frage, da er ja auch noch auf anderen Charakteristika beruht.16 Ebenso lassen sich mit einem solchen Begriff ganz unterschiedlich ausgepr¨agte Denkweisen zusammenfassen, ohne dass gleich idealtypische Abstufungen wie streng“, strikt“, gem¨aßigt“ und verw¨assert“ oder politisch anmutende links” ” ” ” rechts Einteilungen eingef¨uhrt werden m¨ussen.17 Umgekehrt zwingt ein solcher Begriff, eine Denkweise umfassend auszuleuchten: Die Pr¨asenz eines einzelnen Charakterstikums gen¨ugt ebenso wenig, um jemanden als Nominalisten zu bezeichnen, wie ein Fehlen oder eine bloß schwache Ausbildung eines Charakteristikums nicht die Distanz eines Denkers zu der Denkstr¨omung belegt. Ein solch licher Forschungsprogramme, welches nicht von bloßen Ideen-Systemen ausgeht, sondern Denkstr¨omungen als ein Zusammenspiel eines durchaus doktrin¨aren ‘hard core’ mit einem verhandelbaren ‘protective belt’ mit Zusatzhypothesen und mit einer zugeh¨origen ‘problemsolving machinery’ versteht (ebd. S. 4). Dieses Modell l¨asst sich zwar nicht direkt auf als ‘nominalistisch’ bezeichnete Str¨omungen des sp¨aten 14. Jahrhunderts anwenden, weil hier noch institutionelle Strukturen wie jene der via moderna-Lehrst¨uhle des 15. Jahrhunderts fehlen, die als Tr¨ager eines solchen Forschungsprogramms in Frage kommen k¨onnten. In seiner Grundidee, eine Geistesrichtung als dynamisches Zusammenspiel einiger Kernansichten mit spezifischen Vorgehensweisen zu verstehen, d¨urfte das Modell f¨ur den Nominalismus-Begriff aber insofern gewinnbringend sein, als damit die Problematik umgangen werden kann, dass sich bisher kein einziges Kennzeichen hat finden lassen, das als Alleinstellungsmerkmal eines wie auch immer gearteten sp¨atmittelalterlichen Nominalismus gelten k¨onnte. 15 ¨ Vgl. etwa S CH ONBERGER , ROLF: Das gleichzeitige Auftreten von Nominalismus und Mystik, in: S PEER , A NDREAS (Hrsg.): Die Bibliotheca Amploniana. Ihre Bedeutung im Spannungsfeld von Aristotelismus, Nominalismus und Humanismus, Berlin: de Gruyter, 1995 (Miscellanea mediaevalia 23), S. 409–433, hier S. 409f.: Die Autoren, die man einmal unter ” diesem Sammelbegriff [des Nominalismus] zusammengefasst hatte, bilden doxographisch betrachtet keine relevante Einheit. Der Aspekt der sog. ‘Lehrmeinung’ bildet jedoch nicht den einzig m¨oglichen Gesichtspunkt. Es scheint doch daneben so etwas wie eine verwandte Umgangsweise mit Problemenen zu geben.“ Ebenso nun auch B IARD: Nominalism (2010), S. 671: In fact, the nominalism of the later Middle Ages is not exhausted by a set of theses, let alone by ” a list of authors; it is characterized rather by a common apporach, a way of doing philosophy.“ 16 So entscheidet beispielsweise die propositionale Vorgehensweise noch nichts u¨ ber den verteidigten universalientheoretischen Standpunkt; vgl. das oben, S. 78, Anm. 33 angef¨uhrte Beispiel R ICHARD B RINKLEYS. Weitere Beispiele bei C ESALLI , L AURENT: Le r´ealisme propositionnel. S´emantique et ontologie des propositions chez Jean Duns Scot, Gauthier Burley, Richard Brinkley et Jean Wyclif, Paris: Vrin, 2007 (Sic et non). 17 So f¨uhrte etwa O BERMAN: Theology of Nominalism (1960), hier S. 54f., die Unterscheidung in einen ‘left-wing’, einen ‘right-wing’, einen synkretistischen und einen gem¨aßigten Nominalismus ein; dazu auch C OURTENAY: Nominalism (1974), S. 34f.
7.2 Eine nominalistische Krise des Sp¨atmittelalters?
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dynamischer Nominalismus-Begriff erlaubt es, mit den Charakteristika gleichsam zu jonglieren, und zwingt gleichzeitig, Vorgehensweisen ebenso wie Grundannahmen eines Autoren umfassend im Blick zu behalten. Damit allerdings d¨urfte dieser Begriff ein Instrument zur Einordnung sp¨atmittelalterlicher Autoren bieten, welches der Vielfalt historischer Gegebenheiten am ehesten noch gerecht zu werden vermag.
7.2 Eine nominalistische Krise des Sp¨atmittelalters? Inwiefern l¨asst sich ein solcher Begriff nun aber mit jenen Abgrenzungen und Problemen in Verbindung bringen, die in den vorangehenden Kapiteln beschrieben worden sind? Die Antwort sei an dieser Stelle gleich vorweg genommen: Eine Verbindung l¨asst sich kaum herstellen, und auch ein dynamischer Nominalismus-Begriff erlaubt nicht, vor dem Hintergrund der skizzierten Abgrenzungen von einer nominalistischen Krise des Sp¨atmittelalters zu sprechen. Am ehesten w¨are noch zu erwarten, dass sich die klassischen Nominalisten hinter den Sophisten und terministae verbergen, welche G ERSON und die Verfasser des 1340er Statuts in den Blick genommen haben. Doch haben die obigen Ausf¨uhrungen gezeigt, dass sich die Kritik an diesen terministae nicht gegen ein nominalistisches Charakterisitkum wendet, sondern ein spezifisches Wissenschaftsverst¨andnis anvisiert, das selbst wiederum auch nicht auf eines der genannten vier Merkmale, sondern auf einen allzu starken Fokus auf die Zeichendimension von Konzepten zur¨uckgeht. Was aber w¨are, wenn dieser dynamische Nominalismus-Begriff erweitert w¨urde und ein konsequentes Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen, a¨ hnlich ¨ wie eine strenge Beachtung des Okonomieprinzips oder der R¨uckgriff auf die Allmachtsunterscheidung, zu den Charakteristika des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus hinzugez¨ahlt w¨urde? Immerhin lassen sich, wie oben gezeigt worden ist, die beiden verbleibenden Charakteristika, der universalientheoretische Standpunkt und der sprachphilosophische Zugang, auf diesen Zeichenfokus zur¨uckf¨uhren,18 so dass er in das doktrin¨are Set zu geh¨oren scheint, das den 18 S.o., S. 72f. Von Vertretern einer nominalistischen Richtung in der Universalienfrage wurden Universalien denn auch als termini etikettiert, vgl. beispielsweise A LBERT VON S ACH SEN : Logica perutilis, ed. et trad. Berger (2010), S. 76: Nunc videndum est de universalibus, quae sunt inferiora ad istum terminum terminus secundae intentionis vel impositionis. [...] Unde talis terminus universalis seu terminus communis sive universale est, qui significative acceptus naturaliter vel secundum modum suae unicae impositionis est aptus natus praedicari de pluribus vel plura significare vel supponere pro pluribus indifferenter, quorum unum nec est nec fuit nec erit pars alterius. Entsprechend wurde ihnen von der realistischen Gegenseite auch vorgeworfen, die Universalien auf terminos vel conceptus zu reduzieren, so etwa W YCLIF in seinem Trialogus II.3, ed. Lechler (1869), S. 85.
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Kapitel 7: Das Gespenst des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus
sp¨atmittelalterlichen Nominalismus ausmacht – selbst wenn, wie eben erkl¨art, auch andere, mit Sicherheit nicht nominalistische Autoren die Konzepte ebenfalls als Zeichen verstanden haben. In einer solch semiotischen Blickrichtung ließe sich auch mit einbeziehen, dass in modernen Interpretationen W ILHELM VON O CKHAM f¨ ur den sp¨atmittelalterlichen Nominalismus eine so entscheidende Rolle zugesprochen worden ist:19 Denn auch wenn das Verst¨andnis der Konzepte als Zeichen bereits im 13. Jahrhundert begegnet, ist es doch O CK HAM, der, wie immer wieder betont worden ist,20 diesen Zeichenbegriff als erster konsequent umsetzt. Tats¨achlich scheint G ERSON mit seiner Rede von den terministae eine Kontinuit¨at aufzuzeigen zu den sp¨ateren Vertretern der via moderna, die das 15. Jahrhundert hindurch nicht nur moderni oder nominales, sondern eben auch weiterhin terministae genannt werden.21 Von A LBERT VON S ACHSEN u¨ ber PAULUS V ENETUS bis hin zu J OHN M AIR oder D OMINGO DE S OTO ist ein Interesse am terminus-Begriff zu belegen, das, ausgehend von einem semiotischen Konzeptverst¨andnis, die termini als Oberklasse der schriftlichen, sprachlichen und konzeptuellen Zeichen betrachte, weshalb diese Autoren als Einstieg in ihre logischen Schriften und Kommentare kurze zeichentheoretische Abhandlungen u¨ ber die termini einf¨ugen.22 Charakteristisch sind auch ausf¨uhrliche termino19 Vgl. dazu die ironische Bezeichnung O CKHAMS als t´elos oblig´e de toute histoire du ” nominalisme“ in L IBERA , A LAIN DE: Nominalisme, in: Dictionnaire du Moyen Age, 2004, S. 992a–996b, hier S. 994b. Die moderni des 15. Jahrhunderts sahen sich aber eher als Nachfolger von B URIDAN oder von M ARSILIUS, erst relativ sp¨at nennen etwa J ODOCUS T RUT¨ FETTER: Summule totius logice, ed. Erfurt 1501, Ockham nostri dogmatis autor, dazu H UBE NER: Wyclifs Kritik (1990), S. 129; a¨ hnlich sp¨ater auch XXXJ OHANNES E CK . Bereits C A PREOLUS nannte O CKHAM aber den pater terministarum, vgl. C APREOLUS : Defensiones, ed. ¨ Paban/P`egues (1899-1908), S. 55b oder 190a; dazu M ULLER : Sprache, Wirklichkeit und Allmacht Gottes (2004), S. 164. 20 V.a. B IARD: Logique et th´eorie du signe (1989), S. 125f.; vgl. auch M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 112. Zur zunehmenden Betonung des linguistischen Aspekts in O CKHAMS Werk vgl. K AUFMANN , M ATTHIAS: The Discussion on the nature of the Concept in Ockham’s Perihermeneias Commentary, in: B RAAKHUIS/K NEEPKENS: Aristotle’s Peri Hermeneias (2003), S. 119–133. 21 F¨ur Belege bei G ERSON vgl. die oben, Anm. 5 und 34 angef¨uhrten Texte. Anders als noch in der a¨ lteren Literatur h¨aufig behauptet wird, ist dieses terminista eine Bezeichnung des 15., und nicht schon des 14. oder gar des 13. Jahrhunderts. Vgl. neben G ILBERT: Via moderna (1974) und C OURTENAY: Nominalism (1974), S. 52, auch K ALUZA: Le ‘De universali reali’ (1986), hier S. 494f. mit Anm. 57. Zu den Begriffen in der Perspektive des 15. Jahrhunderts vgl. ¨ M ULLER : Sprache, Wirklichkeit und Allmacht Gottes (2004), in jener des 16. Jahrhunderts vgl. TAVUZZI: Moderni, Nominales and Terministae (1991). 22 Schlicht de terminis handeln der jeweils erste Traktat von A LBERT VON S ACHSEN, Logica perutilis, ed. et trad. Berger (2010), S. 4–244, von PAULUS V ENETUS, Logica magna, ed. Kretzmann (1979) (vgl. PAULUS V ENETUS: Logica parva, ed. Perreiah (2002), S. 1–3) und von D OMINGO DE S OTO, Summulae, ed. Salamanca 1559. Gar als eigenst¨andiges Werk publiziert wurden J OHN M AIRS Termini magni, ed. Paris 1502 (vgl. die k¨urzere Version die-
7.2 Eine nominalistische Krise des Sp¨atmittelalters?
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logische Kl¨arungen, sogenannte clarificationes oder definitiones terminorum, weil sich da, wo Schrift-, Sprach- und Mentalzeichen analog behandelt werden, der Untersuchungsgegenstand immer auch dadurch eingrenzen l¨asst, dass bestimmt wird, wovon genau zu sprechen ist.23 Es ist allerdings gerade nicht ein derartiger terminologischer Zugang, den G ERSON im Blick hat, wenn er gegen die terministae argumentiert, und es ist auch kein terminologischer Zugang, der den Verfassern des 1340er Statuts ein Dorn im Auge gewesen w¨are. In beiden F¨allen wird, wie gezeigt worden ist, die Problematik auf einer viel grunds¨atzlicheren Ebene, in der ungeb¨uhrlichen Vermengung der Disziplinen, gesehen – was keineswegs nur bei allf¨alligen terministae diagnostiziert worden ist. Ohnehin haben die vorliegenden Ausf¨uhrungen zum Nominalismus-Begriff gezeigt, dass es nicht gen¨ugen kann, unter Ber¨ucksichtigung eines einzigen Aspekts Verbindungslinien herstellen zu wollen: Auch eine Betonung des semiotischen Konzeptverst¨andnisses und der damit verbunden Fokus auf die termini sind Charakteristika, die sich nicht nur bei Autoren und Texten finden lassen, die mit einiger Berechtigung noch als ‘nominalistisch’ zu bezeichnen w¨aren.24 Eine kontinuierliche, ‘nominalistische’ Linie l¨asst sich daher zwischen den anvisierten Gegnern des 1340er Statuts und den Vertretern der via moderna im 15. Jahrhundert ebensowenig ziehen, wie sich G ERSONS terministae mit den sp¨ateren moderni nicht gleichsetzen lassen. Es mag daher zwar sinnvoll sein, ein konsequentes Verst¨andnis der Konzepte als Zeichen als weiteres Charakteristikum in diesen dynamischen Nominalismus-Begriff hineinzunehmen; auch mit einem so erweiterten Begriff lassen sich aber jene Entwicklungen des sp¨aten 14. Jahrhunderts, von denen sich Autoren des fr¨uhen 15. abzugrenzen versucht haben, nicht auf nominalistische Tendenzen zur¨uckf¨uhren. Weil die vorangehenden Ausf¨uhrungen gezeigt haben, ser Termini, ed. Paris 1502). Weil diese Abhandlungen u¨ ber die termini noch unabh¨angig von einer allenfalls kommentierten Vorlage waren und insofern einen genuinen Beitrag dieser Traditionslinie zur sp¨atmittelalterlichen Logik darstellten, geh¨orten sie denn auch zum ersten, was von Renaissance-Logikern als ‘¨uberfl¨ussigem Ballast’ wieder weggelassen wurde, vgl. M EIER O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 171f. 23 Dies h¨angt nat¨urlich auch mit der Verbreitung des sprachphilosophischen Ansatzes zusammen, s.o., S. 72. Ausf¨uhrliche clarificationes terminorum bietet auch etwa G ERSON in seinem De modis significandi, dazu oben, Anm. 33, S. 90. 24 Als Proprium jener Gruppe von Autoren nicht nur der sp¨aten, sondern der gesamten mittelalterlichen Scholastik, welche in der modernen Forschung als ‘Terministen’ bezeichnet werden, wird deren Konzentration auf bestimmte logische Traktate zu den sogenannten proprietates terminorum hervorgehoben. Dies ist verwirrend, weil einerseits die Bezeichnung terministae erst im fr¨uhen 15. Jahrhundert aufkommt (vgl. C OURTENAY: Art. “Terminism” (1988), sowie oben, Anm. 15.), und weil andererseits im 15. Jahrhundert diese Traktate an via antiqua-Lehrst¨uhlen nicht weniger kommentiert werden als an solchen der via moderna, vgl. H OE NEN , M AARTEN J.F.M.: Parva logicalia. Towards the History of a Puzzling Literary Genre, in: ¨ ATUCHA/C ALMA/K ONIG -P RALONG: Mots m´edi´evaux (2011), S. 517–526.
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Kapitel 7: Das Gespenst des sp¨atmittelalterlichen Nominalismus
dass der behauptete Ursprung dieser beklagten Entwicklungen in einem englischen Milieu nichts anderes als ein historisches Konstrukt bereits des fr¨uhen 15. Jahrhunderts ist, weil sich zudem erwiesen hat, dass die beklagten stilistischen Ver¨anderungen etwa der Sentenzentradition kein Kennzeichen einer spezifischen Gruppe gewesen sind, sondern dem allgemeinen Stil des sp¨ateren 14. Jahrhunderts von so unterschiedlichen Autoren wie JAKOB VON E LTVILLE, P ETRUS DE C ANDIA oder M ARSILIUS VON I NGHEN entsprechen, und weil schließlich deutlich geworden ist, dass der eigentliche Kern der Problematik, die Frage nach dem Verh¨altnis der Disziplinen zueinander, erneut nicht einfach das Problem eines bestimmten Ansatzes gewesen ist, sind die Abgrenzungsbem¨uhungen des 15. vom 14. Jahrhundert nicht als Ausdruck einer wie auch immer gearteten nominalistischen Krise zu verstehen. Wie wenig die Abgrenzungsbem¨uhungen eines N IKOLAUS VON D INKELS ¨ B UHL oder eines J EAN G ERSON von einer Auseinandersetzung mit sp¨atmittelalterlichen Nominalisten zeugen, zeigt sich am augenf¨alligsten sicher im dritten der genannten Punkte, in der Frage nach dem Verh¨altnis der Disziplinen zueinander. Deutlicher als irgendwelche terministae oder die behaupteten Ockhamisten des 1340er Statuts, deren Existenz sich bloß indirekt wegen des Statuts oder wegen G ERSONS Polemik vermuten l¨asst, wendet ein realer Autor wie J OHN W YCLIF mit seinem formalistischen Universlienrealismus philosophicalia und metaphysicalia auch auf theologische Fragen an, mischt damit die Disziplinen, behauptet die G¨ultigkeit eines einzigen wissenschaftlichen Ansatzes und f¨uhrt unter Anwendung der Formaldistinktion jene superfluas divi¨ siones ein, die D INKELSB UHL nicht weniger als G ERSON beklagt. W YCLIF, der Anti-Nominalist, erweist sich als passendste Zielscheibe der Kritik, wie sie ¨ D INKELSB UHL und G ERSON am Beginn des 15. Jahrhunderts ge¨außert haben. ¨ Damit aber sind wir zur¨uck beim Prolog von D INKELSB UHLS lectura mellicensis, dessen inhaltliche Parallelen zu G ERSONS polemischen Traktaten inzwischen deutlich geworden sind. Diese N¨ahe braucht auch gar nicht weiter zu erstaunen, denn die Wege der beiden Theologen haben sich am Konstanzer Konzil nicht einfach bloß gekreuzt: Als G ERSON kurz nach Konzilsende wegen der burgundischen Besetzung von Paris nicht dahin zur¨uckkehren konnte, zog er vielmehr den in Konstanz gekn¨upften Beziehungen folgend u¨ ber Rattenburg ¨ in D INKELSB UHLS Heimat und machte zuerst in Melk und wenig sp¨ater dann in Wien Halt, von wo aus er erst im Herbst 1419 nach Frankreich zur¨uckkehrte ¨ und in Lyon seine endg¨ultige Bleibe fand.25 D INKELSB UHLS Wandlung im Stil 25 Zu den biographischen Daten vgl. M C G UIRE: The Last Medieval Reformation (2005), S. 286–288. Zu G ERSONS Reaktion auf die Besetzung von Paris und auf das anschließende Massaker durch die Burgunder vgl. O UY, G ILBERT: Gerson et la guerre civile a` Paris. La deploratio super civitatem, in: Archives d’histoire doctrinale et litt´eraire du moyen aˆ ge 71 (2004), S. 255–286. Melk sollte entsprechend eines der Zentren der deutschsprachigen G ER ¨ SON -Rezeption werden, vgl. K RAUME : Gerson-Ubersetzungen (1980), S. 35–39.
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seiner dritten Sentenzenlesung l¨asst sich angesichts dieser engen Bekanntschaft als eine Rezeption von G ERSONS Reformprogramm verstehen: Offensichtlich ¨ hat D INKELSB UHL umzusetzen versucht, was er aus seinen Begegnungen mit dem Pariser Kanzler von diesem gelernt hat. Damit ist die lectura mellicensis auch ein fr¨uher Beleg f¨ur den Erfolg, den G ERSONS Kritik an den Vorgehensweisen des 14. Jahrhunderts gehabt hat, und es wird zu pr¨ufen sein, inwiefern sich an diesen Erfolg weitere anschließen sollten. Vorerst scheint es aber angebracht, ein erstes kurzes Fazit zu ziehen, nicht nur um die Ergebnisse dieses ersten Blicks auf die geistesgeschichtliche Ausgangslage des 15. Jahrhunderts festzuhalten, sondern auch um einen Blick auf einige Charakteristika zu werfen, die dieses 15. Jahrhundert gepr¨agt haben.
Kapitel 8
Ergebnisse und Ausblick 8.1 Conclusiones Weil aus dem Prolog zur dritten Sentenzenlesung von N IKOLAUS VON D IN ¨ KELSB UHL deutlich wird, dass ein entscheidendes Motiv f¨ur Gestaltung und Themenwahl seines Kommentars in der Abgrenzung von fr¨uheren Praktiken besteht, ist im vorliegenden Teil aufgezeigt worden, wogegen sich diese Abgrenzungen richten. Ausgehend von einigen Schlagworten aus N IKOLAUS’ Prolog ist verdeutlicht worden, dass ein Stil in der Kritik steht, der fachspezifische Vorgehensweisen außer Acht l¨asst und insbesondere in die Theologie in einer als ungeb¨uhrlich empfundenen Weise logische Themen, Fragestellungen und Methoden einf¨uhrt. Anhand einiger Schriften des Pariser Universit¨ats-Kanzlers J EAN G ERSON ist dieser Stil genauer umschrieben worden, den G ERSON interessanterweise auf englische Einfl¨usse zur¨uckf¨uhrt. Damit scheint sich auf einen ersten Blick ein traditionelles Bild der sp¨atmittelalterlichen Philosophie und Theologie zu best¨atigen, wonach sich die Scholastik von der Mitte des 14. Jahrhunderts an nur noch mit den Zerfallserscheinungen besch¨aftigt habe, welche sich als Folge von O CKHAMS Nominalismus ergeben h¨atten. Ein Blick auf die zentrale Quellengattung der Sentenzenkommentare hilft nun allerdings, dieses Bild zu differenzieren und Ans¨atze zu einem logischen Stil, der sich in englischen Kommentaren der 1330er Jahre tats¨achlich in ausgepr¨agter Form finden l¨asst, bereits in Pariser Kommentaren des fr¨uhen 14. Jahrhunderts festzustellen. Der Eindruck, dieser ‘englische’ Stil sei sp¨ater von den Pariser Kommentaren u¨ bernommen worden, ist wohl dadurch entstanden, dass die rezipierten und u¨ berlieferten Kommentare der Pariser Zeit kurz vor 1340 sehr konservativ geblieben sind und versucht haben, jene stilistischen Tendenzen, welche in fr¨uheren Pariser Kommentaren bereits vorhanden gewesen sind, zu vermeiden oder gar r¨uckg¨angig zu machen. Eine einseitige R¨uckf¨uhrung des beklagten Stils auf englische Einfl¨usse und insbesondere auf das Wirken W ILHELMS VON O CKHAM ist deshalb unhaltbar. Wie aus weiteren Schriften G ERSONS schließlich deutlich wird, richtet sich seine Kritik auch gar nicht nur gegen eine Gruppe von terministae, welche wir heute am ehesten mit dem sp¨atmittelalterlichen Nominalismus in Verbindung bringen, sondern viel mehr
8.1 Conclusiones
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gegen die Scotisten seiner Zeit, die in ungeb¨uhrlicher Weise aus logischen ¨ Uberlegungen metaphysische Schl¨usse gezogen und daraus theologische Behauptungen abgeleitet haben. Die Abgrenzungen beziehen sich daher bei weitem nicht nur auf irgendwelche nominalistische Zerfallserscheinungen, sondern gegen eine grundlegende Tendenz, die ganz offensichtlich bei Autoren jeglicher philosophischer Ausrichtung anzutreffen gewesen ist.1 Die vorliegenden Ausf¨uhrungen helfen damit auch, einige Ergebnisse der j¨ungeren Forschung zu u¨ berpr¨ufen. So treffen sich die hier vorgefundenen vielseitigen Abh¨angigkeiten und Abgrenzungen mit all jenen Ans¨atzen, die seit nun rund 60 Jahren das u¨ berkommene historiographische ‘Nominalismus’-Schema hinterfragen und ein differenzierteres Bild der sp¨atmittelalterlichen Scholastik zu zeichnen versuchen. Eine allzu radikale Zur¨uckweisung ockhamistischer Einfl¨usse, wie sie etwa B ILL C OURTENAY im Hinblick auf das Pariser Artisten-Statut vom Dezember 1340 vorgebracht hat, ist allerdings ebenso zur¨uckzuweisen; stattdessen ist versucht worden, in einem dynamischen NominalismusBegriff die unterschiedlichen Eigenheiten zu b¨undeln, welche in der j¨ungeren Forschung mit dem sp¨atmittelalterlichen Nominalismus in Verbindung gebracht werden, ohne dabei der Gefahr allzu einseitiger und eindimensionaler Gewichtungen zu erliegen, wie es sich etwa aus H EIKO O BERMANS Betonung der ¨ Allmachts-Thematik ergibt. So l¨asst sich Nominalismus als ein Set von Uberzeugungen und Methoden beschreiben, die allerdings nicht u¨ berall gleich stark ausgepr¨agt, verteidigt oder mit derselben Konsequenz eingesetzt werden, was schließlich auch zu kl¨aren vermag, warum die kritischen Abgrenzungen ei¨ nes J EAN G ERSON oder auch eines N IKOLAUS VON D INKELSB UHL durchaus auch gegen nominalistische Vorgehensweisen gerichtet sein k¨onnen, obschon die beiden selbst dem sp¨atmittelalterlichen Nominalismus zugerechnet werden. Als ein zentrales und f¨ur den vorliegenden Zusammenhang besonders interessantes Problem erweist sich f¨ur dieses Nominalismus-Verst¨andnis die Frage nach der Zeichenhaftigkeit von Konzepten, worauf sich eine ganze Reihe der erw¨ahnten nominalistischen Charakteristika haben zur¨uckf¨uhren lassen. Zudem d¨urfte das Verst¨andnis von Konzepten als Zeichen nicht nur von O CK HAM zum ersten Mal konsequent angewendet werden und auch im Hintergrund dessen stehen, was das Statut von 1340 anvisiert, sondern es lassen sich auch die Streitigkeiten, wie sie in G ERSONS Schriften deutlich werden, auf diese Frage zur¨uckf¨uhren: Wo den terministae vorgeworfen wird, sich – gewisser1
So argumentierte in vergleichbarer Weise P IERRE D ’A ILLY auch gegen den Thomisten J OHANNES DE M ONTESONO, es k¨onne T HOMAS VON AQUIN nicht als uneingeschr¨ankte Autorit¨at gelten, weil er sich in seiner Theologie viel zu weitgehend auf A RISTOTELES be¨ rufen habe. Dazu M ULLER , S IGRID: Pierre d’Ailly und die ‘richtige’ Thomas-Interpretation. Theologisch-Hermeneutische Prinzipien als Grundlage des Wegestreits, in: Traditio 60 (2005), S. 339–368, S. 349f., vgl. auch bereits H OENEN: Geistesgeschichte (2000), S. 41f., und K A LUZA : Les sciences (1994), S. 230 und 243.
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Kapitel 8: Ergebnisse und Ausblick
maßen in u¨ bertriebener Betonung der Zeichenhaftigkeit von Konzepten – auf Aussagen u¨ ber Zeichen zu beschr¨anken und, ohne einen Bezug zur Wirklichkeit, bloß noch sophistisch zu argumentieren, wird den formalizantes vorgehalten, sie schl¨ossen – gewissermaßen in u¨ bertriebener Betonung der similitudo – vom Denken aufs Sein und phantasierten damit Unterscheidungen auch in der Wirklichkeit zusammen, die bloß im Denken produziert w¨urden. Die Herausforderung f¨ur die Autoren des 15. Jahrhunderts besteht vor diesem Hintergrund darin, zwischen Sophisterei und Phantastentum einen gangbaren Weg zu finden. Im Zentrum steht daher die Frage nach einer brauchbaren via.2
8.2 Anzeichen f¨ur eine Neuausrichtung der scholastischen Lehre Die bisherigen Ausf¨uhrungen haben sich weitgehend darauf beschr¨ankt aufzuzeigen, wovon sich Autoren des fr¨uhen 15. Jahrhunderts abzugrenzen versucht haben. Dies scheint durchaus einer Grundhaltung dieser Zeit zu entspre¨ chen: D INKELSB UHL beschreibt im Prolog zu seiner lectura mellicensis sein Programm vor allem in Negationen, ebenso wie etwa auch G ERSONS Contra vanam curiositatem bereits im Titel eine grunds¨atzlich abgrenzende Haltung verr¨at. Wie aber formulieren diese Autoren ihr Programm positiv? Worin sehen sie gangbare M¨oglichkeiten, wenn die bisherigen Vorgehensweisen entweder zu Phantastereien oder zu bloß sophistischen Wortklaubereien zu f¨uhren drohen? Auf welcher Grundlage l¨asst sich noch Theologie und Metaphysik betreiben, wenn hier nicht mehr nach den Regeln einer strikten Logik vorgegangen werden kann, wenn Philosophie und Theologie zu scheiden sind? Es mag verfr¨uht sein, diese Fragen hier zu stellen, denn erst aus den semiotischen und sakramententheologischen Texten, welche in den nachfolgenden Kapiteln besprochen werden, wird sich ein fundierter Einblick dazu gewinnen lassen, welche Antworten im ausgehenden Mittelalter auf diese Fragen gegeben worden sind. Dennoch scheint es sinnvoll, bereits an dieser Stelle einigen positiv formulierten Hinweisen nachzugehen, welche sich aus den bisherigen Ausf¨uhrungen ergeben und Ans¨atze zu einer Beantwortung der eben gestellten Fragen nach gangbaren Wegen aufzeigen k¨onnen. Solches Ankn¨upfen an bereits gefundene Hinweise wird nicht nur helfen, f¨ur zentrale Themen und Problemstellungen weiter zu sensibilisieren und ein Ger¨ust aufzubauen, um die noch kommenden Einblicke einzuordnen; es d¨urfte vielmehr auch dazu dienen, den zeitgen¨ossischen Blick auf die zu untersuchenden Texte besser zu verste2 Zum via-Begriff vgl. neben H OENEN: Factors in the Wegestreit (2003), S. 13f. nun v.a. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Categories of Medieval Doxography. Reflections on the Use of ‘Doctrina’ and ‘Via’ in 14th and 15th Century Philosophical and Theological Sources, in: ¨ B UTTGEN : Vera doctrina (2009), S. 63–84, hier S. 67–70.
8.2 Anzeichen f¨ur eine Neuausrichtung der scholastischen Lehre
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hen, auf dieser Grundlage die Textinhalte in ihrem Kontext zu beurteilen und nicht im Vornherein mit fremden, den Texten wenig angemessenen Kriterien an sie heranzutreten. Wie sich noch zeigen wird, ist letzteres in der modernen Philosophiegeschichte und in ihrer Sicht auf das 15. Jahrhundert wohl bisweilen vergessen worden. Im Sinne eines ersten Ausblicks sei daher zusammengetragen, was aus den bisher besprochenen Texten an positiven Prinzipien f¨ur einen gangbaren Weg deutlich geworden ist; aus dem Blickwinkel dieser Prinzipien seien dann einige Charakteristika angesprochen, welche die moderne Forschung auf das 15. Jahrhundert angewendet und sehr unterschiedlich beurteilt hat. 8.2.1 scientia inflat caritas vero aedificat ¨ Haben sich die bisherigen Ausf¨uhrungen zum Prolog von D INKELSB UHLS lectura mellicensis weitgehend darauf konzentriert, genauer zu erl¨autern, was der Hintergrund seiner Abgrenzungen gewesen ist, so sind doch auch insbesondere zwei positiv formulierte Prinzipien an zentraler Stelle aufgetaucht: jenes der fa¨ cilitas und jenes der utilitas. Beide Prinzipien bringt D INKELSB UHL nicht nur im Rahmen seiner zwei Leitzitate vor, sondern er strukturiert auch sein knapp umrissenes Programm nach ihnen.3 Zudem finden sich beide Prinzipien – eben¨ so wie die abgrenzenden Bemerkungen aus D INKELSB UHLS Prolog – auch bereits beim Pariser Kanzler J EAN G ERSON als zentrale Anliegen.4 Bei beiden, ¨ bei D INKELSB UHL und G ERSON, erscheinen sie schließlich als Gegenentwurf zu den Tendenzen, von welchen sie sich abzugrenzen versucht haben, so dass die beiden Prinzipien gewissermaßen den Kern dessen beschreiben, was von den beiden Theologen als gangbarer Weg gesehen worden ist. So diffus und allgemein diese Umschreibung auf einen ersten Blick nun auch sein mag, d¨urfte sich aus den bisherigen Ausf¨uhrungen doch ansatzweise gezeigt haben, in welche Richtung die beiden Kriterien zu konkretisieren sind. Was zum einen die utilitas betrifft, so ist sie ein g¨angiges Motiv, das dem ganzen Mittelalter in der augustinischen Unterscheidung von uti und frui pr¨asent geblieben ist:5 Zu den n¨utzlichen Dingen, so f¨uhrte AUGUSTIN bekanntlich in 3
S.o. S. 33f. S.o. S. 45; dazu grunds¨atzlich neben B URGER: Johannes Gerson (1986) auch bereits ¨ H UBENER , W OLFGANG: Der theologisch-philosophische Konservativismus des J. Gerson, in: Z IMMERMANN: Antiqui und Moderni (1974), S. 193–196, sowie PASCOE , L OUIS B.: Jean Gerson. Principles of Church Reform, Leiden: Brill, 1973 (Studies in Medieval and Reformation Thought 7), S. 99–109. 5 Zur augustinischen Unterscheidung vgl. den kurzen Beitrag von C ANNING , R AYMOND: Uti/frui, in: F ITZGERALD , A LLAN D. (Hrsg.): Augustine through the Ages. An Encyclopedia, Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1999, S. 859–861. Einer der prominentesten Orte mittelalterlicher Rezeption der Unterscheidung waren erneut P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen, da der Pariser Bischof sein erstes Buch mit nichts anderem als der uti/frui-Unterscheidung er¨offnete, 4
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Kapitel 8: Ergebnisse und Ausblick
De doctrina christiana aus, z¨ahlten all jene, welche nicht um ihrer selbst willen erstrebenswert seien, sondern als Mittel zum Erreichen einer anderen, in sich selbst erstrebenswerten Sache dienten.6 Utilitas l¨asst sich insofern stets nur teleologisch bestimmen; als telos aber werden in den vorliegenden Tex¨ ten – das hat sich im kurzen Prolog D INKELSB UHLS nicht weniger gezeigt als in G ERSONS Traktaten – vor allem zwei Begriffe ins Spiel gebracht, n¨amlich jener des fructus und mehr noch jener der aedificatio.7 Damit aber wird das N¨utzlichkeits-Prinzip in ein ganz bestimmtes Licht gestellt: Denn wenn G ER SON bereits in einer seiner fr¨ uhesten Skizzen f¨ur eine Studienreform anmahnt, es d¨urften nicht mehr in so verbreiteter Weise unn¨utze Lehren ohne Frucht und Best¨andigkeit – doctrinae inutiles sine fructu et soliditate – behandelt werden, so tut er dies nicht, weil solche Lehren an sich schlecht w¨aren, sondern weil sie, wie er explizit ausf¨uhrt, das zum Heil notwendige und insofern n¨utzliche Wissen zu verdr¨angen drohten.8 Die Beschr¨ankung auf Fruchtbringendes und Erbauliches begr¨undet sich damit in einer Sorge um das Heil, und zwar um das Heil derer, die unterrichtet werden: Es a¨ ußert sich in diesem N¨utzlichkeitsPrinzip ein pastorales Anliegen. Dass dieses pastorale Anliegen in akademischen Kontexten am Beginn des 15. Jahrhunderts verst¨arkt begegnet und im Nachgang des Konstanzer Konzils noch einmal an Brisanz zu gewinnen scheint, d¨urfte nach dem bisher gesagten nun allerdings nicht mehr als Reaktion auf eine wie auch immer geartete nominalistische Krise zu deuten sein, sondern scheint schlicht mit einem sich ver¨andernden universit¨aren Umfeld zusammenzuh¨angen: Ebenso wie die Zahl der Universit¨aten nahm im ausgehenden Mittelalter auch jene der Studierenden trotz generellem Bev¨olkerungsr¨uckgang stetig zu,9 so dass akademisches Wissen insbesondere im st¨adtischen Umfeld einer immer breiteren Bev¨olkerungsschicht zug¨anglich wurde. Zugleich weitete sich auch die volkssprachliche Schriftlichkeit aus, so dass das Publikum, das sich nunmehr mit vgl. P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae, ed. Grottaferrata (1971), S. 56–58 und dazu C OLISH , M ARCIA L.: Peter Lombard, Leiden: Brill, 1994 (Brill’s Studies in Intellectual History 41), S. 78f. 6 AUGUSTIN: De doctrina christiana I 4, CCSL 32 (1962), S. 3f. 7 ¨ S.o. S. 50f. und Anm. 31, sowie D INKELSB UHLS Prolog, oben 34, Anm. 15. 8 Brief an Pierre d’Ailly, ed. Glorieux II, Nr. 3 (1960), S. 26: Primo ne tractentur ita communiter doctrinae inutiles sine fructu et soliditate, quoniam per eas doctrinae ad salutem necessariae et utiles deseruntur. Nesciunt necessaria quia supervacua didicerunt, inquit Seneca. Vgl. auch Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 248: S ENECA wird hier frei ¨ paraphrasiert in Anlehnung an dessen Epistulae morales (88,37), dazu H UBENER : Konservativismus (1974), S. 172, und PASCOE: Church Reform (1973), S. 100. 9 ¨ Vgl. S CHWINGES , R AINER C.: Die Zulassung zur Universit¨at, in: R UEGG : Geschichte der Universit¨at I (1993), S. 161–180, hier S. 175, und H ELMRATH , J OHANNES: ‘Humanismus und Scholastik’ und die deutschen Universit¨aten um 1500. Bemerkungen zu einigen Forschungsproblemen, in: Zeitschrift f¨ur Historische Forschung 15 (1988), S. 187–203, hier S. 191.
8.2 Anzeichen f¨ur eine Neuausrichtung der scholastischen Lehre
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gelehrtem Wissen konfrontiert sah, nicht mehr ein rein akademisches war. Subtile Differenzierungen und ausgekl¨ugelte Abstraktionen, die in einem inneruniversit¨aren Kontext durchaus auch als bloßer Selbstzweck sinnvoll h¨atten sein k¨onnen, drohten in einem solch erweiterten Umfeld den Blick auf die eigentlich wichtigen Themen zu verstellen.10 In aller Deutlichkeit zeigt sich diese pastorale Sorge in einer Wendung, die G ERSON durch sein gesamtes Oeuvre hindurch immer wieder anf¨uhrt und ganz offenkundig an 1. Kor 8,1 anlehnt, aber entscheidend modifiziert: Heißt es im ersten Korintherbrief, dass Wissenschaft aufbl¨ahe und nur die Liebe erbaue (scientia inflat caritas vero aedificat), so betont auch G ERSON immer wieder, Ziel von Wissen, Unterricht oder Theologie m¨usse es sein, die N¨achstenliebe aufzubauen – caritatem aedificare.11 Wo im Korintherbrief die caritas aber das Subjekt der Erbauung bildet, wird sie bei G ERSON zum Objekt, zu dem, was aufgebaut werden soll. Wer im wissenschaftlichen Unterricht t¨atig ist, so macht G ERSON damit deutlich, tr¨agt Verantwortung f¨ur das, was er unterrichtet, und muss daher Sorge tragen, dass er die caritas der Unterrichteten aufbaut und ¨ nicht unn¨otig davon ablenkt.12 Genauso schreibt auch D INKELSB UHL in seinem Prolog, er wolle sich lossagen von Themen, welche das Gem¨ut mehr zerstreuten als erbauten;13 und eben dieses pastorale Bem¨uhen ist es schließlich auch, welches sich aus den oben beschriebenen Abgrenzungen herauslesen l¨asst: Der fructus erscheint insofern als Gegenst¨uck zur immer wieder gescholtenen curiositas,14 die aedificatio caritatis steht als Gegenpol zu einer Wissenschaftsform, 10 Dies ist bekanntlich auch einer der zentralen Ansatzpunkte der humanistischen Kritik an der Scholastik, vgl. RUMMEL , E RIKA: The Humanist-Scholastic Debate in the Renaissance and Reformation, Cambridge: Harvard University Press, 1995 und spezifisch mit Blick auf L ORENZO VALLA NAUTA , L ODI: In Defense of Common Sense. Lorenzo Valla’s Humanist Critique of Scholastic Philosophy, Cambridge MA: Harvard University Press, 2009. 11 Offenkundig ist die Anlehnung an 1 Kor 8,1 im Brief an Barth´elemy Chantier, ed. Glorieux II, Nr. 13 (1960), S. 61 oder in De mystica theologia, ed. Combes (1958), S. 83; vgl. auch die Umformung in Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), S. 243: Poenitentes et credentes evangelio magis attendunt scientiam, quae aedificat, quam quae inflat (dazu auch B URGER: Johannes Gerson (1986), S. 119). Zur bloßen Wendung caritatem aedificare vgl. etwa G ERSONS Brief an die Mitglieder des Coll`ege de Navarre, ed. Glorieux II, Nr. 5 (1960), S. 33 und 35 oder Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962), passim. 12 Vgl. insbesondere das Ende aus dem Brief an die Mitglieder des Coll`ege de Navarre, ed. Glorieux II, Nr. 5 (1960), S. 35: Brevi verbo, quidquid audientium caritatem aedificare non habet, fugiendum reiiciendumque est. In De potestate ecclesiastica, ed. Glorieux VI, Nr. 282 (1965) bestimmt G ERSON die aedificatio sogar als Ziel jeglicher klerikaler Macht: Denique causa finalis concluditur ad aedificationem Ecclesiae militantis pro consecutione felicitatis aeternae (S. 211, dazu B URGER: Johannes Gerson (1986), S. 55). 13 Clm 2940 fol. 1rb / Alba Julia II 48 fol. 1rb: Rescindere [...] quae difficultatem facere possent simplicioribus et magis eorum animam occupare quam aedificare. 14 ¨ Ein dritter, der sich hier neben G ERSON und D INKELSB UHL anf¨uhren ließe, ist M AR SILIUS VON I NGHEN , in dessen Sentenzenkommentar mehrfach die Begr¨ undung auftaucht, er wolle eine Thematik nicht aufgreifen, weil sie magis curiosa quam fructuosa sei, vgl. etwa
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Kapitel 8: Ergebnisse und Ausblick
welche sich mit u¨ bertriebenen Subtilit¨aten aufbl¨aht und darin ihr eigentliches Ziel, wof¨ur sie n¨utzlich sein sollte, aus den Augen verliert.15 Was nun das zweite Prinzip, die facilitas betrifft, so d¨urfte hier die pastorale Sorge um die zu Unterrichtenden noch augenf¨alliger sein als bei der utilitas. Auch die facilitas ist ein dem ganzen Mittelalter vertrautes pastorales Prinzip – ¨ sowohl D INKELSB UHL als auch G ERSON f¨uhren sie auf jenes verbreitete G RE GOR-Zitat zur¨ uck, das schon in den artes praedicandi des Hochmittelalters von zentraler Bedeutung gewesen ist: Pro qualitate igitur audientium formari debet sermo doctorum.16 Allerdings scheint es beiden um mehr zu gehen als bloß darum, sich dank einer den H¨orern angemessenen Sprache verst¨andlich zu machen: ¨ Wenn D INKELSB UHL bef¨urchtet, unn¨otig komplexe Themen k¨onnten den simplicioribus Schwierigkeiten bereiten, und wenn G ERSON anmahnt, es handle imprudenter, wer vor unge¨ubten H¨orern reine Logik oder Metaphysik betreibe,17 so wird darin auch die Sorge deutlich, dass aus dem vermittelten Wissen, wo es zu komplex bleibt, falsche und allenfalls gef¨ahrliche Schl¨usse gezogen werden k¨onnten. Im zunehmend st¨adtischen Umfeld der Universit¨aten traf dieses Wissen noch einmal mehr auf unge¨ubte, ‘einfache’ Ohren, die missverstehen konnten, was innerhalb der Universit¨at allenfalls schnell h¨atte gekl¨art werden k¨onnen. Insofern sollte das facilitas-Prinzip die Studenten und ihr Umfeld vor allem davor sch¨utzen, auf einen falschen Weg zu geraten und sich zu verspekulieren.18 Quaestio 24 zum ersten Buch (Super quattuor libros sententiarum I q 24, ed. Strassburg 1501, fol. 100va) oder Quaestio 13 zum zweiten Buch (ebd. fol. 258rb). Das Begriffspaar utilitas / curiositas spielt insbesondere auch in der monastischen Auseinandersetzung mit Wissen eine zen¨ trale Rolle, vgl. mit Blick auf die hier interessierende Epoche M ULLER , H ARALD: Habit und Habitus. M¨onche und Humanisten im Dialog, T¨ubingen: Mohr Siebeck, 2006 (Sp¨atmittelalter und Reformation. Neue Reihe 32), bes. S. 106–117. 15 Auch hier l¨asst sich auf M ARSILIUS und sein Verst¨andnis von Theologie als Wissenschaft verweisen: Non est enim scientia sacra scienta praesumptionis vel logicalis superstitionis, sed pietatis, quae non destruere debet simplices, sed aedificare (Super quattuor libros sententiarum, ed. Strassburg 1501, fol. 191vb, dazu H OENEN: Geistesgeschichte (2000), S. 44, und nun auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 130). 16 S.o. Anm. 14 und S. 45; zur Rezeption von G REGORS Leitsatz in den artes praedicandi ¨ : Zwischen Heiligkeit und H¨aresie. Religiosit¨at und sozialer Aufstieg vgl. etwa O BERSTE , J ORG in der Stadt des hohen Mittelalters, K¨oln: B¨ohlau, 2003 (Norm und Struktur 17), S. 119–141, und K HAN , S ARAH: Ave Eva – Views of Women. Social and Gendered Instruction in Medieval and Early Modern European Preaching, in: The Medieval History Journal 7 (2004), S. 109–135, hier bes. S. 113–115. 17 G ERSON: De duplici logica, ed. Glorieux III, Nr. 91 (1963), S. 61. Vgl. daselbst die Aussage, dass umgekehrt die Artistenfakult¨at eben gerade non imprudenter gehandelt habe, wenn ¨ sie den unangemessenen Einsatz der Logik verurteile (s.o. Anm. 8, S. 43). Zu D INKELSB UHL s. o. S. 34f. 18 Zu diesem Anliegen der Diskurssicherung vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Nominalismus als universit¨are Spekulationskontrolle, in: Recherches de th´eologie et philosophie m´edi´evales 73 (2006), S. 349–374, hier S. 369f.
8.2 Anzeichen f¨ur eine Neuausrichtung der scholastischen Lehre
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Das facilitas-Prinzip ist damit erneut ein Appell an die Verantwortung des Lehrenden, und wiederum werden hier Z¨uge deutlich, die bereits oben im Rahmen der Abgrenzungen sichtbar geworden sind: Wenn die Sorge besteht, dass unge¨ubte H¨orer aus allzu komplexen Fragestellungen die falschen Schl¨usse ziehen, so steckt dahinter nat¨urlich die Angst vor Irrlehren und H¨aresien. Hat G ER SON mit seinen Zitaten aus den Universit¨ats-Statuten bereits eine juristische Dimension ins Spiel gebracht, so sind die vorliegenden Prinzipien vollends im Kontext des Ringens um Orthodoxie und des Verhinderns von Heterodoxien zu sehen.19 In der Verantwortung der Lehrenden liegt es, eine Lehre und eine Methodik zu vermitteln, die den Lernenden einen Weg aufweist, der gefahrlos zu begehen ist – ob es sich bei den Lernenden nun um M¨onche des Melker Reformklosters, um Studierende der Pariser Universit¨at oder um das sp¨atere Umfeld der immer zahlreicheren Universit¨atsabg¨anger handelt. Dies l¨asst sich nun drittens als positive Auspr¨agung jenes stylus theologicus verstehen, der mehrfach in den oben besprochenen Schriften G ERSONS anzutreffen ist20 und der, wie im Konstanzer Prozess gegen JAN H US und H IE RONYMUS VON P RAG , Lehren nicht einfach nur anhand ihrer konkreten Thesen, sondern auch anhand ihrer Konsequenzen beurteilt.21 Entscheidend f¨ur die Richtigkeit einer Lehre ist damit nicht mehr nur deren Inhalt und die logische Konsistenz, mit welcher sie hergeleitet wird. Entscheidend sind nunmehr auch die Folgerungen, die aus ihr abgeleitet werden k¨onnen, und entscheidend ist schließlich die Rechtm¨aßigkeit dieser Folgerungen. Daraus aber, aus diesem Fokus auf die m¨oglichen Konsequenzen einer Lehre, entsteht ein ganz spezifischer Anspruch an Wissenschaft und Unterricht; und weil die Konstanzer Verurteilungen dramatisch vor Augen gef¨uhrt haben, wie notwendig dieser Fokus ist und wohin es f¨uhren kann, wenn er vernachl¨assigt wird,22 d¨urfte davon aus19
Zu G ERSONS Verweisen auf Universit¨ats-Statuten s.o. S. 43f. Entsprechend sollte es zwischen den Schulen des 15. Jahrhunderts zu einem g¨angigen Muster werden, der gegnerischen Position H¨aresie-N¨ahe zu unterstellen (vgl. K ALUZA: Etapes (1995), S. 316). Dies diente nicht nur der Diskreditierung, sondern er¨offnete u¨ berhaupt erst die M¨oglichkeit, auch weltliche Gewalten als H¨uter der Orthodoxie in den Streit mit einzubeziehen, wie dies etwa in der Pariser Krise der 1470er Jahre geschah (dazu K ALUZA , Z ENON: La crise des ann´ees 1474–1482. L’interdiction du nominalisme par Louis XI, in: H OENEN/S CHNEIDER/W IELAND: Philosophy and Learning (1995), S. 293–327, hier S. 315). 20 S.o. S. 44 mit Anm. 12, sowie H OENEN: Modus loquendi platonicorum (2002), S. 340f. 21 Vgl. erneut auch bereits M ARSILIUS: Super quattuor libros sententiarum, ed. Strassburg 1501, fol. 191vb: In talibus maxime cavendum est ne propter argumentum quod concludit conclusionem veram: si conclusio posset dare occasionem ruinae simplicibus, non concedatur nisi cum debito moderamine, ut veritas elucescat et ruina praecaveatur (vgl. dazu die oben, Anm. 15 zitierte Literatur). 22 Zur Auswirkung der Konstanzer Verurteilungen auf den Universit¨atsunterricht vgl. beispielsweise die Anf¨ange des K¨olner Wegestreits, wie sie aus einem Schreiben der Universit¨at von 1425 deutlich werden (ediert bei E HRLE: Peter von Candia (1925), S. 282–285; zum Kontext vgl. vor allem T EWES: K¨olner Artisten-Fakult¨at (1993), S. 367–376, sowie etwas knapper
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Kapitel 8: Ergebnisse und Ausblick
zugehen sein, dass er zu einem entscheidenden Kennzeichen der Scholastik des 15. Jahrhunderts geworden ist. Vor dem Hintergrund dieser pastoralen Verantwortung ist es daher auch, dass die einschl¨agigen Charakteristika der Scholastik dieses Jahrhunderts zu w¨urdigen sind. 8.2.2 Traditionalismus, Fideismus und Schulstreitigkeiten In der modernen Forschung wird der Scholastik des ausgehenden Mittelalters nur zu oft ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Deren Autoren gelten als uninspiriert, unoriginell und – im Vergleich zu den großen Scholastikern des 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts – als m¨ude Nachahmer, die kaum noch wagen, selbst zu denken, und bloß repetieren, was in glorreicheren Zeiten an scholastischem Wissen produziert worden ist.23 In solcher Orientierung an ihren Vorg¨angern h¨atten sich die Scholastiker des 15. Jahrhunderts in sinnlose Schulstreitigkeiten verloren,24 weshalb v¨ollig zurecht seit nun gut 100 Jahren von einem ‘Herbst des Mittelalters’ gesprochen werde: Ließen sich schon im Verlauf des 14. Jahrhunderts erste Anzeichen einer Dekadenz feststellen, so scheint die scholastische Bl¨ute im 15. endg¨ultig zu verwelken.25
auch K ALUZA: Les sciences (1994), 253f., und nun vor allem H OENEN: Modus loquendi platonicorum (2002), S. 341f.). 23 Deutlich Worte hat D ECORTE: Geschichte (2006), S. 303f., gefunden: Mit Ausnahme ” des Denkens des Cusanus k¨onnen die philosophischen Diskussionen des 15. Jahrhunderts nicht sehr originell genannt werden. Die kreative Denkarbeit ist vornehmlich w¨ahrend der zwei vorigen Jahrhunderte geleistet worden, und das 15. Jahrhundert versucht, diese zu ‘verdauen’. Das verlief nicht allzu gut, denn unaufh¨orlich drohte die Gefahr, einer u¨ blen Verdauungsst¨orung zu unterliegen. [...] Immense doktrinelle Verwirrung war die unvermeidliche Folge.“ Vgl. auch bereits T RAPP: Augustinian Theology (1956), S. 215, der den Autoren des 15. Jahrhunderts gar intellektuelle Bequemlichkeit unterstellt: The 15th-century theologians were content to ” ‘return to the great masters’, an attitude hailed by the ‘orthodox’ because they mistrusted the freedom-loving theologians of the 14th century, hailed also by easy-going scholars because it was so much more convenient to study one author than ten or twenty.“ Vgl. dazu nun Z AHND , U ELI: Easy-Going Scholars Lecturing secundum alium? Notes on some French Franciscan Sentences Commentaries of the 15th Century, in: ROSEMANN: Commentaries on the Sentences 3 (erscheint 2014). 24 So spricht etwa noch M OELLER , B ERND: Geschichte des Christentums in Grundz¨ugen, G¨ottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008 (Uni-Taschenb¨ucher 905), S. 213 vom bloßen em” sigen Sch¨ulergeist“, mit welchem man sich im ausgehenden Mittelalter lebhaft und mit Aus” dauer“ gestritten habe, einzig um das Andenken der vergangenen Meister“ zu pflegen. ” 25 Die Rede vom Herbst des Mittelalters geht bekanntlich auf Johan Huizingas Studie von 1919 zur¨uck (H UIZINGA , J OHAN: Herbst des Mittelalters. Studien u¨ ber Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart: K¨orner, 12 2006). Zu dieser pessimistischen Lesart und mit Blick auf die hier interessierenden Sentenzenliteratur vgl. DYK , J OHN VAN: The Sentence Commentary. A Vehicle in the Intellectual Transition of the Fifteenth Century, in: Fifteenth-Century Studies 8 (1983), S. 227–238; zur ‘Dekadenz’ im sp¨ateren 14. Jahrundert s.o. S. 54.
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Diese pessimistische Sicht auf das ausgehende Mittelalter ist bekanntlich nicht unbestritten geblieben. Insbesondere H EIKO O BERMAN hat sich bem¨uht, die Rede vom Herbst des Mittelalters umzudeuten und das 15. Jahrhundert als Erntezeit zu begreifen, in welcher die reichen Fr¨uchte fr¨uherer Jahrhunderte gepfl¨uckt, deren Ertr¨age ausgebreitet werden.26 Es w¨are nun allerdings verfr¨uht, an dieser Stelle bereits in eine Diskussion u¨ ber den Stellenwert der Scholastik des ausgehenden Mittelalters einzutreten – sofern dies u¨ berhaupt im Rahmen der vorliegenden Studie getan werden kann, sind zumindest die Ergebnisse der nachfolgenden Kapitel erst noch abzuwarten. Vorl¨aufig d¨urfte aber immerhin schon eines deutlich geworden sein: Weil die Scholastiker des ausgehenden Mittelalters ganz offensichtlich von anderen Pr¨amissen und Prinzipien ausgegangen sind als ihre Vorg¨anger des 13. und 14. Jahrhunderts, ist es fraglich, ob die abwertenden modernen Beurteilungen, die sich weitgehend an Maßst¨aben einer ‘Bl¨utezeit’ der Scholastik orientieren, jenem ‘Herbst’ des Mittelalters gerecht werden. Vielmehr d¨urften sich vor dem Hintergrund der eben skizzierten Rahmenbedingungen und Voraussetzungen des 15. Jahrhunderts eine Reihe g¨angiger Charakteristika in einem ver¨anderten Licht zeigen. Im Sinne des vorliegenden Ausblicks sei dies an vier Punkten kurz angedeutet: am Traditionalismus dieser Phase der Scholastik, an der Frage nach deren Originalit¨at, an deren polemischer Ausrichtung und schließlich an deren fideistischer Grundhaltung.27 1. Was erstens die traditionalistischen Tendenzen von scholastischen Autoren des 15. Jahrhunderts betrifft, so d¨urfte es sich dabei nicht einfach nur um eine m¨ude Anlehnung an vergangene goldene Zeiten handeln. Vielmehr wird in dieser Anlehnung gerade jener gangbare Weg zwischen Sophisterei und Phantastentum gesehen, welcher der so stark betonten pastoralen Verantwortung gerecht zu werden vermag: So garantiert die Orientierung an approbierten Autorit¨aten den Phantasten gegen¨uber, dass keine Lehren ersonnen werden, deren 26 Vgl. insbesondere O BERMAN: Harvest (1963), S. 5: We see spread out before us, not the ” barren wastelands of sterile debates which we had been led to expect by traditional late medieval scholarship, but a richness of deep pastoral and searching theological concern. [...] Deeply indebted as we are to Johan Huizinga’s The Waning of the Middle Ages, the image of ‘harvest’ ¨ in our title is intentionally opposed to the connotation of ‘decline’.“ F¨ur einen Uberblick u¨ ber die breit gef¨uhrte Diskussion zum Stellenwert des Sp¨atmittelalters vgl. A ERTSEN/P ICKAV E´ : ‘Herbst des Mittelalters’? (2004); und darin insbesondere den Beitrag von W ILLIAM J. C OUR TENAY : Huizinga’s Heirs: Interpreting the Late Middle Ages, S. 25–36. 27 Die nachfolgenden Ausf¨uhrungen orientieren sich lose an den vier Charakteristika, welche K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 124, provisorisch f¨ur die Scholastik des 15. Jahrhunderts umrissen hat: A en juger par les textes que nous connaissons d´ej`a, on peut la ” d´ecrire comme traditionnaliste, parce qu’elle se d´efinit toujours par rapport a` une tradition; comme apolog´etique, parce qu’elle s’emploie beaucoup a` la d´efense d’une tradition ou d’une e´ cole; comme pol´emique, parce que, formul´ee en termes de fid´elit´e a` une tradition, elle agresse toutes les autres; et enfin comme fid´eiste dans ce sens qu’elle laisse volontiers intervenir la foi religieuse dans la philosophie et subordonne celle-ci a` celle-l`a.“
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Kapitel 8: Ergebnisse und Ausblick
Konsequenzen im Ungewissen liegen, weil sie noch zu wenig u¨ berdacht worden sind. Vielmehr ist bei Lehren, die eine langj¨ahrige Rezeption und Erprobung durchgemacht und u¨ berstanden haben, kaum mehr mit ungeahnten Folgerungen zu rechnen, so dass sie einigermaßen gefahrlos auch an unbedarfte Studenten weitergegeben werden k¨onnen.28 Den Sophisten gegen¨uber garantiert die Verwendung eines traditionellen, etablierten Vokabulars hingegen, dass die Beliebigkeit sprachlicher Zeichenbez¨uge nicht in beliebige Aussagen u¨ ber die behandelte Materie ausartet. Vielmehr erlaubt eine erprobte und bew¨ahrte Begrifflichkeit, den Bezug zwischen Zeichen und Bezeichnetem aufrecht zu erhalten, so dass auch unge¨ubte Studenten nachvollziehen k¨onnen, was unter einem bestimmten Begriff zu verstehen ist.29 Die Orientierung an Lehren und Konzepten scholastischer Autorit¨aten des 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts ist daher nicht einfach als Zeichen von Unverm¨ogen oder intellektueller Bequemlichkeit zu werten. Angesichts des gesch¨arften Bewusstseins f¨ur die Wirkungen von Wissensvermittlung, angesichts der gewachsenen Anspr¨uche an die Verantwortung der Lehrenden, angesichts des problematisierten Verh¨altnisses von Philosophie und Theologie ist sie vielmehr ein Zeichen von intellektueller Sorgfalt. 2. Dass daher zweitens scholastische Texte des 15. Jahrhunderts modernen Originalit¨atsanspr¨uchen nicht gerecht werden, braucht nicht weiter zu erstaunen.30 Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Prinzipien und Voraussetzungen ist allerdings zu betonen, dass Originalit¨at offensichtlich nicht nur nicht angestrebt, sondern als Untugend bewusst vermieden worden ist. Das wird nicht nur aus G ERSONS Abgrenzungen contra curiositatem deutlich, sondern es zeigt sich dies auch im eben beschriebenen Verzicht auf neue Begriffe: Denn mit Neuem, mit Unerprobtem die Studenten zu konfrontieren, w¨are schlicht ver28 Hierzu H OENEN: ‘Doctrina’ and ‘Via’ (2009), S. 67, sowie H OENEN: Spekulationskontrolle (2006), S. 370f. G ERSON sprach unmissverst¨andlich vom tritum iter, dem er folgen wolle und der commodius plane et ab errorum scandalorumque discrimine remotius sei als die pomposa super insolitis arrogantia (Brief an die Mitglieder des Coll`ege de Navarre, ed. Glorieux II, Nr. 5 (1960), S. 32. Dazu bereits K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 14f. Vgl. nun aber vor allem K ALUZA , Z ENON/ROBIGLIO , A NDREA A.: Appunti sulla ‘strada battuta‘, in: Archivum latinitatis medii aevi 63 (2005), S. 251–268, hier S. 263–265.) 29 ¨ Vgl. zu diesem Aspekt M ULLER : Notwendigkeit der Logik (2005), 486f. und 491. Das AUGUSTIN-Zitat nobis ad certam regulam loqui fas est (De civitate dei, X 23) sollte bei G ER ¨ SON gewissermaßen das hermeneutischen Zentrum seiner Reformpl¨ane werden, so H UBENER : Konservativismus (1974). Dazu auch K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 51 und Anm. 61 auf S. 78. Vgl. schließlich H OENEN: ‘Doctrina’ and ‘Via’ (2009), S. 77: The criterion for ” the acceptance of a doctrine, and for whether or not it could be taught in the schools was its conformity with tradition.“ 30 Erstaunlich ist vielmehr, dass sich ein Originalit¨atsanspruch in der Erforschung der Scholastik weiterhin zu halten vermag (vgl. die oben, Anm. 23 angef¨uhrten Beispiele). In Kunst- und Literaturwissenschaft scheint man sich davon l¨angst verabschiedet zu haben, vgl. etwa H ORN , ´ : Grundlagen der Literatur¨asthetik, W¨urzburg: K¨onigshausen und Neumann, 1993, S. A NDR AS 287–294.
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antwortungslos.31 Wenn sich daher in den scholastischen Debatten des ausgehenden Mittelalters kaum mehr Argumentationen ausmachen lassen, die nicht entweder a¨ lteren Autoren Schritt f¨ur Schritt folgen oder aus einem Set von traditionellen Argumenten unterschiedlicher Herkunft zusammengestellt sind,32 so ist dies erneut kein Zeichen von intellektueller Unzul¨anglichkeit, sondern hat ganz offensichtlich Methode: Unerh¨ortes Vokabular und originelle Zugehensweisen passen nicht in einen Unterricht, dessen prim¨ares Ziel ganz offensichtlich die Vermittlung von traditionellem, die Studenten nicht gef¨ahrdendem Wissen ist.33 Insofern scheint es verfehlt, u¨ berhaupt mit Originalit¨ats-Anspr¨uchen an diese Autoren heranzutreten, die sich so explizit gegen die Verwendung von Originellem und Neuartigem entschieden haben. 3. Dass nun drittens die Vermittlung dieses traditionellen Wissens in zunehmend polemischem Ton geschieht, ist nicht einfach als Ausdruck einer sterilen Streitsucht und Rechthaberei zu verstehen, sondern als eine Folge des Zusammentreffens von Traditionalismus und pastoraler Sorge, wie sie eben umschrieben worden sind: Hat die Frage nach der M¨oglichkeit einer Einbindung phi¨ losophischer Argumentationsweisen in theologische Uberlegungen, die Frage also nach dem Verh¨altnis von Philosophie und Theologie, zu einer grundlegend traditionalistischen Haltung gef¨uhrt,34 so zeigt sich bald einmal, dass bei einigen der traditionell etablierten Autoren – insbesondere bei T HOMAS VON AQUIN – der Einbezug von Logik in metaphysische und theologische Fragestellungen gar nie ein Problem darstellt. Vielmehr lassen sich in Anlehnung an deren ‘alte’ Vorgehensweise – secundum viam antiquam – Philosophie und Logik weiterhin als sicherndes Fundament f¨ur die Theologie verwenden, w¨ahrend die moderni es f¨ur sicherer halten, die Disziplinen und deren Einflussbereiche zu trennen.35 So sehr daher der Wegestreit im Verlaufe des 15. Jahrhunderts eine Eigendynamik entwickelt und zu durchaus ‘sterilen’ Ausw¨uchsen gef¨uhrt 31 Vgl. vor allem die zweite consideratio des Contra curiositatem, ed. Glorieux III, Nr. 99 (1962) S. 238: Signum curiosae singularitatis est fastidire doctrinas resolutas et plene discussas, et ad ignotas vel non examinatas velle converti. [...] Haec similis non ratio sed furia, multos olim ad haereses seminandas rapuit. 32 So der Befund bei S CHABEL , C HRISTOPHER: Divine Foreknowledge and Human Freedom. Auriol, Pomponazzi, and Luther on ‘Scholastic Subtleties’, in: F RIEDMAN/N IELSEN: The Medieval Heritage (2003), S. 165–180, hier S. 172. Vgl. auch schon VAN DYK: The Sentence Commentary (1983), S. 230, und in Hinblick bereits auf M ARSILIUS VON I NGHEN H OENEN: Geistesgeschichte (2000), S. 45: Charakterisiert man diesen Aspekt [des R¨uckgriffs auf a¨ ltere ” theologische Traditionen] als Eklektizismus, so hat man zwar die Erscheinungsform benannt, den Hintergrund aber verkannt.“ 33 Zum Vermittlungsaspekt vgl. H OENEN: Modus loquendi platonicorum (2002), S. 326. 34 Zu diesem Traditionalismus vgl. vor allem H OENEN: Factors in the Wegestreit (2003), S. 19, H OENEN: Modus loquendi platonicorum (2002), S. 327, und H OENEN: Geistesgeschichte (2000), S. 26; allgemeiner auch VAN DYK: The Sentence Commentary (1983), S. 230. 35 Dazu ausf¨uhrlich H OENEN: Spekulationskontrolle (2006).
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haben mag, steht an seinem Anfang doch zuerst einmal diese letztlich pastorale Frage nach dem sichereren Weg, nach jenem Einstieg ins Studium, der den besten Schutz vor einem m¨oglichen Abgleiten in H¨aresien bietet. Dass aus dieser Sorge schließlich auch ein Streit u¨ ber die richtige Tradition, u¨ ber Autorit¨aten und w¨urdige Quellen erwachsen ist, passt durchaus auch in den weiteren Kontext des 15. Jahrhunderts – vollzieht sich doch der R¨uckbezug auf die Bl¨utezeit der Scholastik zeitgleich mit dem humanistischen R¨uckbezug auf die Bl¨utezeit der klassischen Antike.36 Nicht zuf¨allig hatte bereits G ERSON, dessen Bedeutung f¨ur den franz¨osischen Humanismus unbestritten ist, die zerstrittenen Pariser Richtungen mit antiken philosophischen Schulen in Verbindung gebracht;37 in Prag ist es um 1400 u¨ blich, eine der ausgereiftesten Formen des akademischen Streits, die quodlibetale Disputation, ad mentem eines Philosophen der klassischen Antike zu f¨uhren;38 und J OHN M AIR wird noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Existenz mehrerer scholastischer Richtungen mit der Vielzahl an antiken philosophischen Schulen in Parallele setzen und entschuldigen.39 Beides, pastorale Sorge ebenso wie dieser Quellenbezug, sind als Motive mit einzubeziehen, wenn es darum geht, diesen Streit um die richtige via zu beurteilen. 4. Dass schließlich die philosophische Haltung, die aus der Anwendung der skizzierten Prinzipien erwachsen ist, zutiefst fideistische Z¨uge tragen soll, ist grunds¨atzlich nicht von der Hand zu weisen.40 Zum einen wird mit Prinzipien wie jenen von utilitas und facilitas auch der philosophische Betrieb nach theologischen Kriterien ausgerichtet und der Theologie untergeordnet, und in der pr¨agenden Angst vor m¨oglichen H¨aresien sind es letztlich dogmatische Richtlinien, welche u¨ ber Richtigkeit und Falschheit auch von philosophischen Vorgehensweisen und Lehren entscheiden. Zum anderen zeigt zumindest der Ansatz der via moderna in der Trennung von Philosophie und Theologie eine grundle36 Vgl. VAN DYK: The Sentence Commentary (1983), S. 230; im Hinblick auf das sp¨ate 14. Jahrhundert hatte dies auch schon T RAPP: Augustinian Theology (1956), S. 157 angemerkt. 37 Vgl. K ALUZA: Querelles doctrinales (1988), S. 13–34; dazu knapp auch H OBBINS: Authorship (2009), S. 57, und H OENEN: Modus loquendi platonicorum (2002), S. 326f. G ERSONS Humanismus hat vor allem G ILBERT O UY eingehend untersucht hat; stellvertretend sei hier verwiesen auf O UY, G ILBERT: Humanism and Nationalism in France at the Turn of the Fifteenth Century, in: M C G UIRE , B RIAN PATRICK (Hrsg.): The Birth of Identities. Denmark and Europe in the Middle Ages, Kopenhagen: Reitzel, 1996, S. 107–125. 38 Ersichtlich wird dies aus den erhaltenen Mitschriften von JAN H US: Quodlibeta, ed. Ryba (1948). 39 Vgl. bereits in der ersten Fassung, den Summulae, ed. Paris 1502, fol. a2ra, sowie die etwas ausf¨uhrlichere Argumentation in den Summulae, ed. Paris 1516, fol. 9rb (contra conclusionem). Dazu ausf¨uhrlicher unten im vierten Teil, S. 535. 40 Mehr noch als auf das 15. Jahrhundert ist die Fideismus-Bezeichnung als Teil des oben beschriebenen Nominalismus-Schemas bereits auf Autoren des sp¨ateren 14. Jahrhunderts angewendet worden, vgl. dazu F RIEDMAN , RUSSEL L.: Medieval Trinitarian Thought from Aquinas to Ockham, Cambridge: Cambridge University Press, 2010, S. 133–137 und 164–170.
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gende Skepsis gegen¨uber den M¨oglichkeiten der nat¨urlichen Vernunft, an deren Stelle – ganz fideistisch eben – Autorit¨at und Dogma als Garant f¨ur die Wahrheit theologischer Aussagen treten. Doch so sehr der Fideismus-Begriff daher auf Aspekte der philosophischen Grundhaltung des 15. Jahrhunderts auch zutrifft, so muss angesichts der oben beschriebenen Prinzipien und Voraussetzungen doch fraglich bleiben, inwiefern diese Bezeichnung der Scholastik des ausgehenden Mittelalters gerecht wird. ‘Fideismus’ bleibt ein negativ vorbelasteter Begriff, der nicht nur beschreibt, sondern zugleich wertet41 und damit die gesamte Scholastik des 15. Jarhunderts vorschnell als skeptizistisch und vernunftfeindlich zu verurteilen droht. Dass nun allerdings dogmatische Richtlinien den Rahmen auch des philosophischen Denkens abstecken, ist bei weitem keine Eigenheit des 15. Jahrhunderts, ist doch die Rede von der Philosophie als ancilla theologiae so alt wie die Scholastik selbst.42 Wenn das ausgehende Mittelalter in diesem Sinne fideistisch gewesen sein soll, dann gilt das f¨ur die mittelalterliche Scholastik insgesamt. Eine Eigenheit gegen¨uber der Scholastik zumindest des 13. Jahrhunderts mag indes jener Ansatz der via moderna sein, der Philosophie nur noch sehr begrenzt zuzutrauen, den vom Glauben vorgegebenen Rahmen begr¨unden zu k¨onnen. Wenn allerdings dies mit Fideismus gemeint ist, dann haben die bisherigen Ausf¨uhrungen erstens gezeigt, dass die via moderna keineswegs aus vernunft-feindlichen Motiven heraus entstanden ist: Der R¨uckgriff auf Autorit¨aten und Dogmen ist nicht das Resultat einer Denkverweigerung, sondern die Konsequenz aus einer durchaus rationalen Einsicht in Verm¨ogen und Grenzen von Logik und Vernunft. Wenn G ERSON die Verwendung zweier unterschiedlicher Logiken einfordert, so setzt er der Vernunft nicht willk¨urlich Grenzen, sondern er akzeptiert rational erkannte Grenzen der Vernunft.43 Ist zweitens mit Fideismus nur dieser nominalisitsche Vorbehalt gegen die Vereinbarkeit von Philosophie und Theologie gemeint, so wird mit der Verwendung des Begriffs implizit Partei f¨ur die via antiqua genommen. Die Fideisten sind dann eben bloß die moderni, was einem unvoreingenommenen Blick auf die Entwicklungen des 15. Jahrhunderts nicht gerade f¨orderlich ist. Als deskriptive Kategorie wird der Begriff damit unbrauchbar.
41 Vgl. A MESBURY, R ICHARD: Fideism, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, Winter 2012 edition, S. http://plato.stanford.edu/archives/win2012/entries/fideism. 42 Die Formulierung geht bekanntlich auf P ETRUS DAMIANI zur¨uck und ist bis in die Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts hinein pr¨agend geblieben, vgl. S ECKLER , M AX: ‘Philosophia ¨ ancilla theologiae’. Uber die Urspr¨unge und den Sinn einer anst¨oßig gewordenen Formel, in: ¨ Theologische Quartalsschrift 171 (1991), S. 161–187, und B ODEKER , H ANS E RICH: Von der ‘Magd der Theologie’ zur ‘Leitwissenschaft’. Vor¨uberlegungen zu einer Geschichte der Philosophie des 18. Jahrhunderts, in: Das Achtzehnte Jahrhundert 14 (1990), S. 19–57. 43 Dazu auch bereits O BERMAN: Contra vanam curiositatem (1974), S. 33 – im 14. Jahrhundert war dies u¨ brigens nicht anders, vgl. F RIEDMAN: Trinitarian Thought (2010), S. 168.
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Kapitel 8: Ergebnisse und Ausblick
Akademische Philosophie und Theologie des 15. Jahrhunderts stehen damit im Spannungsfeld zwischen einer scholastischen Tradition, deren Methoden und Anspr¨uchen sie sich weiterhin verpflichtet sehen, einem gesteigerten Bewusstsein f¨ur die Gefahr von H¨aresien, das den Blick auf die allf¨alligen Konsequenzen wissenschaftlicher Arbeit sch¨arft und damit traditionelle Lehrs¨atze in ein v¨ollig neues Licht stellen kann, und schließlich einem verst¨arkt pastoralen Anliegen. Die Suche nach einem gangbaren Weg zwischen diesen Polen zeigt sich in dem Bestreben, mit intellektueller Sorgfalt, Redlichkeit und Bescheidenheit unter ver¨anderten Rahmenbedingungen den unterschiedlichen und teils sogar entgegengesetzten Anspr¨uchen gerecht zu werden. Wie auch immer daher das Urteil u¨ ber diese Herbstzeit des Mittelalters ausfallen mag, d¨urfte eines damit schon deutlich sein: Eine – durchaus intellektuelle – Herausforderung war diese Suche auf jeden Fall. Wie sich Autoren des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts im Hinblick auf die Sakramentalzeichen dieser Herausforderung gestellt haben, sei auf den nachstehenden Seiten untersucht.
Teil II
Auctoritas versus ratio: Die Sakramentenfrage als Autorit¨atenproblematik
Kapitel 9
Hinf¨uhrung: die traditionellen auctoritates 9.1 Die Rezeption von AUGUSTINS Sakraments-Definitionen P ETRUS L OMBARDUS schenkte der Frage nach der sakramentalen Wirkweise noch keine spezifische Beachtung oder widmete ihr gar ein eigenes Kapitel seiner Sentenzensammlung. Dennoch finden sich in seiner Zusammenstellung von V¨aterzitaten zu den Sakramenten eine Reihe von Aussagen insbesondere von AUGUSTIN, welche in der sp¨ateren Diskussion u¨ ber deren Wirksamkeit nicht nur hervorgehoben werden, sondern diese Diskussion u¨ berhaupt erst verursachen und dann weitgehend bestimmen. Dass nun eine scholastische Quaestio ihren Ausgang bei einigen kl¨arungsbed¨urftigen auctoritates nahm, war nat¨urlich nichts außergew¨ohnliches, sondern fester Bestandteil der scholastischen Methode.1 Als besonders brisant sollte sich allerdings erweisen, dass sich in der vorliegenden Frage aucoritates und rationes nicht nur unvers¨ohnlich gegen¨uberstanden, sondern dass einige dieser auctoritates als Definitionen betrachtet wurden, als Bestimmungen also, die nicht nur einen Aspekt des jeweiligen Sakramentenverst¨andnisses umschrieben, sondern darauf abzielten, das Wesentliche der Sakramente zu erfassen.2 Es handelte sich bei diesen auctori¨ tates um besonders gewichtige Ausserungen; und weil das 15. Jahrhundert (wie oben ausgef¨uhrt) f¨ur Autorit¨aten-Fragen sensibel gewesen ist, beginnt das vor1 Zur mittelalterlichen Quaestio vgl. neben W EIJERS , O LGA: Le maniment du savoir. Pratiques intellectuelles a` l’´epoque des premi`eres universit´es (XIIIe–XIVe si`ecles), Turnhout: Brepols, 1996 (Studia Artistarum 3) und W EIJERS , O LGA: La structure des commentaires philosophiques a` la Facult´e des arts. Quelques observations, in: L EONARDI , C LAUDIO/F IORAVANTI , G IANFRANCO/P ERFETTI , S TEFANO (Hrsg.): Il commento filosofico nell’occidente latino (secoli XIII–XV). The Philosophical Commentary in the Latin West (13–15th centuries), Turnhout: Brepols, 2002 (Rencontres de Philosophie M´edi´evale 10), S. 17–41, auch L IBERA , A LAIN DE: Die mittelalterliche Philosophie, M¨unchen: Fink, 2005 (Uni-Taschenb¨ucher 2637), S. 34–37. 2 Die ARISTOTELISCHEN Grundlagen, welche immer wieder im Hintergrund der Diskussion stehen, finden sich in dessen Topik und in den B¨uchern VI und IX der Metaphysik; von Bedeutung sind auch P ORPHYRIUS’ Isagoge mitsamt den Kommentaren von B OETHIUS. Diese Texte spielten in der Sakramentenfrage nicht nur im Rahmen der Wirksamkeitsproblematik eine Rolle, sondern auch bei der grunds¨atzlichen Frage, inwiefern sich die unterschiedlichen neutestamentlichen Sakramente u¨ berhaupt in einer einzigen Definition erfassen ließen; vgl. dazu unten, S. 170.
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Kapitel 9: Hinf¨uhrung: die traditionellen auctoritates
liegende Kapitel mit einem kurzen Blick auf P ETRUS ’ L OMBARDUS Rezeption der einflussreichsten Sakraments-Definitionen insbesondere von AUGUSTIN. In der Frage, was denn u¨ berhaupt ein Sakrament sei, f¨uhrt P ETRUS L OM BARDUS in seinen Sentenzen jene zwei Definitionen an, die schon Generationen vor P ETRUS – und dank ihrer Aufnahme in seine Sentenzenb¨ucher in der gesamten nachfolgenden Diskussion – auf AUGUSTIN zur¨uckgef¨uhrt werden und Ausgangspunkt jeder scholastischen Sakramentenlehre bilden:3 Die eine Definition ist an AUGUSTINS Rede von den sacra signa in De civitate dei X.5 angelehnt und bestimmt ein Sakrament als Zeichen einer heiligen Sache“;4 die ” andere ist den Quaestiones in Heptateuchum entnommen und definiert die Sakramente als sichtbare Form der unsichtbaren Gnade“.5 Wesentliches Kenn” zeichen gem¨aß der ersten Definition ist daher der Status der Sakramente als Zeichen; wesentliches Merkmal laut der zweiten Definition ist das sichtbar Machen von etwas Unsichtbarem, was umgehend mit einer dritten augustinischen auctoritas verbunden wird, dass n¨amlich die Sakramente nur dann im eigent¨ lichen Sinne Sakramente zu nennen seien, wenn sie eine gewisse Ahnlichkeit ” mit den Dingen haben, deren Sakramente sie sind“, wenn also die Sakramente dem Effekt der vermittelten Gnade glichen.6 Klassisches Beispiel hierf¨ur ist 3 P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae, ed. Grottaferrata (1981), S. 232, In die scholastische Diskussion eingf¨uhrt hat diese AUGUSTINISCHEN Definitionen B ERENGAR VON T OURS, vgl. dazu E YNDE , DAMIEN VAN DEN: Les d´efinitions des sacrements pendant la premi`ere p´eriode de la th´eologie scolastique (1050–1240), Rom: Antonianum, 1950, S. 4–16. Vgl. zudem P ETER A BAELARD: Sic et non q 117, ss 106 und 109, ed. Boyer/McKeon (1977), S. 406f.; sowie den unten, S. 124f. diskutierten H UGO VON S T. V IKTOR und den Autoren der Summa sententiarum. 4 Vgl. De civitate dei Buch 10, c. 5, CCSL 47 (1955), S. 277, l. 15f., (dazu auch oben in der Einleitung, S. 4). Diese Bestimmung wurde seit dem fr¨uhen zw¨olften Jahrhundert in der Form sacramentum est sacrae rei signum rezipiert und sp¨ater auch als sacrae rei sacrum signum u¨ berliefert (vgl. VAN DEN E YNDE: Les d´efinitions des Sacrements (1950), S. 18f. und S. 63–68; so auch etwa noch H UGO VON S T. C HER: Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ed. Stegm¨uller (1953), S. 65; vgl. unten, S. 132 mit Anm. 2). 5 Die Defintion stammt wohl aus In Heptateuchum III, q. 84 ad Lev 21,15, CCSL 33 (1958), S. 227f., l. 1880–1887: Advertendum est quotiens dicit: ego Dominus qui sanctifico eum, loquens de sacerdote, cum hoc etiam Moysi dixerit: et sanctificabis eum. Quomodo ergo et Moyses sanctificat et Dominus? Non enim Moyses pro Domino, sed Moyses visibilibus sacramentis per ministerium suum, Dominus autem invisibili gratia per Spiritum Sanctum, ubi est totus fructus etiam visibilium sacramentorum. Nam sine ista sanctificatione invisibilis gratiae visibilia sacramenta quid prosunt? Inspiriert sein k¨onnte sie aber auch von Brief 105: Si autem [minister] malus est, operatur per illum Deus visibilem sacramenti formam, ipse autem donat invisibilem gratiam (AUGUSTIN: Epistolae c 3, n 12, CCSL 31B (2009), S. 57, l. 232–234); vgl. den Apparat zu P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae, ed. Grottaferrata (1981), S. 232f. 6 AUGUSTIN: Epistolae n 9, CCSL 31A (2005), S. 233, l. 199–201: Si enim sacramenta quandam similitudinem rerum earum, quarum sacramenta sunt, non haberent, omnino sacramenta non essent; angef¨uhrt in Sententiae, ed. Grottaferrata (1981), S. 233. Auch diese auctoritas findet sich schon bei B ERENGAR, dazu VAN DEN E YNDE: Les d´efinitions des Sacrements (1950), S. 6; vgl. auch A BAELARD: Sic et non q 117, s 105, ed. Boyer/McKeon (1977), S. 406.
9.1 Die Rezeption von Augustins Sakraments-Definitionen
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das Taufwasser, das den K¨orper w¨ascht, wie die vermittelte Gnade die Seele von den S¨unden reinwaschen soll.7 Damit sind zwei wesentliche Merkmale der Sakramente festgehalten: Zei¨ chenhaftigkeit und Ahnlichkeit. Zwei Dinge fallen allerdings auf: So sehr diese auctoritates seit B ERENGAR VON TOURS einhellig als AUGUSTINISCHE Definitionen rezipiert werden,8 sind sie in ihrem Wortlaut doch nur an AUGUSTIN angelehnt und sind von ihrer Form her erst in der Tradition zu eigentlichen Bestimmungen dessen geworden, was ein Sakrament ausmacht. Was zweitens in diesen Definitionen nicht explizit auftaucht, ist ein Verweis auf die Wirksamkeit der Sakramente: In diesen auctoritates setzt AUGUSTIN Sakramente und vermittelte Gnade nicht in ein kausales Verh¨altnis, sondern bestimmt das ¨ Verh¨altnis zwischen ihnen bloss als Zeichen- und Ahnlichkeitsrelation. Andere Aussagen des nordafrikanischen Bischofs sind, was die Wirksamkeit der Sakramente betrifft, wesentlich deutlicher, und diese Aussagen erfahren keine geringere Rezeption als die gerade erw¨ahnten Bestimmungen. Noch in der ersten Distinctio zu den Sakramenten im Allgemeinen f¨uhrt P ETRUS L OM BARDUS ein Zitat aus AUGUSTINS Psalmenkommentar an, laut welchem der Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten darin bestehe, dass jene das Heil nur versprochen und bezeichnet h¨atten, diese es aber geben w¨urden – haec autem dant salutem –,9 was kaum Zweifel u¨ ber deren Mitwirkung in der Gnadenvermittlung l¨asst. F¨ur die Diskussion fast noch wichtiger wird ein weiteres AUGUSTIN-Zitat, das P ETRUS L OMBARDUS allerdings erst in der dritten Distinctio zur Taufe anf¨uhrt und das dem Taufwasser explizit eine virtus zuspricht: In seinem Johanneskommentar h¨alt AUGUSTIN zu Joh 15,3 fest, dass jene so große Kraft des Wassers, dass sie den K¨orper ber¨uhrt, aber ” das Herz reinw¨ascht“, nur aus dem Taufwort kommen k¨onne: Denn in diesem ” Wort ist eines verg¨anglicher Klang, ein anderes aber bleibende Kraft.“10 7 Das Beispiel ist ebenfalls bereits bei AUGUSTIN zu finden, vgl. dessen In Heptateuchum IV, q. 33, n 11, CCSL 33 (1958), S. 260, l. 959–962: proinde qui sacramento baptismi recte abluitur, quod illa aspersionis aqua figurabatur, mundatur et spiritualiter, id est invisibiliter et in carne et in anima, ut sit mundus et corpore et spiritu. 8 Vgl. dessen Rescriptum contra Lanfrannum, CCCM 81 (1988), S. 94 und 145f. 9 Eorum autem differentiam breviter Augustinus assignat dicens, ‘quia illa promittebant tantum et significabant, haec autem dant salutem’ (P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d.1, c.6, ed. Grottaferrata (1981), S. 236; vgl. bereits ebd., III d 40, c 3.2, S. 229: illa tantum significabant, haec autem conferunt gratiam). Die Dimension des Bezeichnens fehlt im AUGUSTI NISCHEN Original allerdings noch, vgl. AUGUSTIN : Enarrationes in Psalmos Psalm 73, n. 2, CCSL 39 (1990), S. 1006, l. 18–21: Sacramenta non eadem, quia alia sunt sacramenta dantia salutem, alia promittentia salvatorem. Sacramenta novi testamenti dant salutem; sacramenta veteris testamenti promiserunt salvatorem. 10 AUGUSTIN: In Iohannis evangelium Tractatus 80, n. 3, CCSL 36 (1954), S. 529, l. 9–12: Unde ista tanta virtus aquae, ut corpus tangat et cor abluat, nisi faciente verbo, non quia dicitur, sed quia creditur? Nam et in ipso verbo, aliud est sonus transiens, aliud virtus manens.
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Auch wenn es AUGUSTIN in seinen Sakramenten-Bestimmungen nicht explizit erw¨ahnt, schienen diese Zitate doch unmissverst¨andlich zu bedeuten, dass die Sakramente seiner Meinung nach mit ihrer Kraft selbst in das Gnadengeschehen involviert sind. Dies veranlasste schon in der Generation vor P ETRUS L OMBARDUS einige Autoren, den Aspekt der Gnadenvermittlung in ihre Definition der Sakramente mit aufzunehmen: H UGO VON S T. V IKTOR, dessen De sacramentis nicht nur im vierten Buch von P ETRUS ’ Sentenzen, sondern in der gesamten nachfolgenden Diskussion pr¨asent ist, definiert auf AUGUSTIN aufbauend ein Sakrament als k¨orperliches oder stoffliches Element [...], das eine ” ¨ unsichtbare und geistige Gnade durch Ahnlichkeit darstellt, durch Einsetzung bezeichnet und durch Heiligung enth¨alt.“11 Mit diesem letzten Zusatz kommt zu significatio und similitudo die sanctificatio hinzu, und zwar nicht nur in einem passiven Sinne, dass die Sakramente geheiligt seien, sondern auch in einem aktiven – weil die Sakramente dank dieser Heiligung Gnade enthielten, seien sie nun selbst an der vermittelten Heiligung beteiligt: ex sanctificatione sanctificantia.12 H UGO pr¨agt hierf¨ur das Bild der vasa medicinalia:13 Wie das Gef¨aß, das eine Medizin enth¨alt, zwar nicht selbst heilt, aber dennoch als Beh¨alter die heilende Medizin sichtbar macht, so seien auch die Sakramente als Gef¨aße der Gnade zu verstehen, welche zwar nicht aus sich selbst heilten, als deren sichtbare Beh¨alter aber die Gnade vermittelten.14 Auch der weiterhin ungesicherte Verfasser der Summa sententiarum, einer Schrift, die in den wenigen Jahren zwischen H UGOS De sacramentis und P E TRUS ’ Sentenzen entstanden ist,15 erg¨anzt die AUGUSTINISCHEN Bestimmun11 H UGO VON S T. V IKTOR: De sacramentis I, p 9, c 2, ed. Berndt (2008), S. 209f.: Sacramentum est corporale vel materiale elementum foris sensibiliter propositum ex similitudine repraesentans, et [exstinctione ed. Berndt] significans, et ex sanctificatione continens aliquam invisibilem et spiritualem gratiam; vgl. ebd. 318C: inveniuntur haec tria in uno: repraesentatio ex similitudine, significatio ex institutione, virtus ex sanctificatione. 12 H UGO VON S T. V IKTOR: De sacramentis I, p 11, c 2, ed. Berndt (2008), S. 243: Sacramenta gratiae, primum per benedictionem virtutem in se sanctificationis suscipiunt, ac deinde quam continent in se sanctificationem conferunt, ut sint ex sanctificatione sanctificantia. 13 H UGO VON S T. V IKTOR: De sacramentis I, p 9, c 3, ed. Berndt (2008), S. 212: Dona enim gratiae spiritualia quasi quaedam invisibilia antidota sunt, quae dum in sacramentis visibilibus quasi quibusdam vasculis homini porriguntur, quid aliud quam ex patenti specie virtus occulta ostenditur? Aeger enim medicamentum videre non potest, sed vas in quo medicamentum datur, videre potest. Et propter hoc in ipsa vasis specie virtus exprimitur medicinae, ut agnoscat quid accipit, et per ipsam agnitionem proficiat ad dilectionem. 14 H UGO VON S T. V IKTOR: De sacramentis I, p 9, c 4, ed. Berndt (2008), S. 216: Si ergo vasa sunt spiritalis gratiae sacramenta, non ex suo sanant, quia vasa aegrotum non curant, sed medicina. Non ergo ad hoc instituta sunt sacramenta ut ex eis esset quod in eis esset; sed ut peritiam suam medicus ostenderet in illo remedium praeparavit, a quo languidus occasionem morbi accepit. 15 Zur Summa sententiarum vgl. A NDRESEN , C ARL/R ITTER , A DOLF M ARTIN/W ESSEL , K LAUS: Die christlichen Lehrentwicklungen bis zum Ende des Sp¨atmittelalters, G¨ottingen: Van-
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¨ ¨ gen der Ahnlichkeitsund der Zeichen-Relation. Denn Ahnlichkeit mit der die S¨unden abwaschenden Gnade komme nicht nur dem sakramentalen Taufwasser, sondern jeglichem Wasser zu, weshalb ein Sakrament spezifischer als sichtbare ” Form der in ihr enthaltenen unsichtbaren Gnade“ verstanden werden m¨usse.16 Wie schon H UGO mit seinem Bild der vasa medicinalia die Vorstellung eines Gnadenbeh¨alters vertreten hat, unterstreicht nun auch der Autor der Summa sententiarum, dass die Gnade in den Sakramenten enthalten sei. Zudem, so heißt es in der Summa sententiarum weiter, seien die Sakramente nicht einfach von einer heiligen Sache Zeichen, sondern auch efficacia, Wirksamkeit. Dies sei es n¨amlich, was ein Zeichen von einem Sakrament unterscheide: Denn daf¨ur, dass ” etwas ein Zeichen ist, braucht es nichts weiteres, als dass es jenes bezeichnet, was das Zeichen darbietet, nicht aber dass es dieses [Bezeichnete] auch hervorbringt. Ein Sakrament aber bezeichnet nicht nur, sondern bringt auch hervor, wovon es Zeichen oder Bezeichnung ist.“17 Wo H UGO daher die AUGUSTINI SCHEN Bestimmungen um den Aspekt der sanctificatio erweitert hat, erg¨anzt sie der Autor der Summa sententiarum um jenen der efficacia, so dass sie beide den Sakramenten schon in deren Definition eine aktive Rolle in der Gnadenvermittlung zusprechen. Damit ist die Richtung vorgegeben, in welche auch P ETRUS L OMBARDUS sein Verst¨andnis der Sakramente entwickelt. Zwar bleibt er zur¨uckhaltender als seine beiden Vorg¨anger, was die Sakramente als Beh¨alter der Gnade betrifft, und er u¨ bernimmt insbesondere H UGOS Einschr¨ankung, dass nicht von den Sakramenten selbst, sondern nur per illa a Deo das Heil gestiftet werde.18 denhoeck & Ruprecht, 2011 (Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte 1), S. 592–599. Zur Autorfrage vgl. ROSIER -C ATACH , I R E` NE: La parole efficace. Signe, rituel, sacr´e, Paris: Seuil, 2004, S. 40. mit Anm. 33. Ohne weiter in die Diskussion um deren Autoren einzusteigen, ordnet sie S OUTHERN , R. W.: Scholastic Humanism and the Unification of Europe. Volume II: The Heroic Age, Oxford: Blackwell, 2001, S. 139–142 O DO VON L UCCA zu. Sicher u¨ berholt ist deren Zuordnung zu H UGO VON S T. V IKTOR, wie sie M IGNE in seiner Ausgabe der Patrologia Latina vorgenommen hat und wie sie erst neulich etwa noch kommentarlos u¨ bernommen worden ist von R IEGER , R EINHOLD: Contradictio. Theorien und Bewertungen des Widerspruchs in der Theologie des Mittelalters, T¨ubingen: Mohr Siebeck, 2005 (Beitr¨age zur historischen Theologie 133), S. 330f. 16 Summa sententiarum IV.1, PL 176 (1854), Sp. 117: Damit die AUGUSTINISCHE Bestimmung aus den Quaestiones in Heptateuchum (s.o., Anm. 5) solis sacramentis competat, sic intelligendum est: sacramentum est visibilis forma invisibilis gratiae in eo collatae, quam scilicet confert ipsum sacramentum. Vgl. dazu sowie zur n¨achsten Anmerkung auch ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 40. 17 Summa sententiarum IV.1, PL 176 (1854), Sp. 117: Non enim est solummodo sacrae rei signum, sed etiam efficacia. Et hoc est quod distat inter signum et sacramentum; quia ad hoc ut sit signum non aliud exigit nisi ut illud significet cuius perhibetur signum, non ut conferat. Sacramentum vero non solum significat, sed etiam confert illud cuius est signum vel significatio. 18 P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 1, c 5.2, ed. Grottaferrata (1981), S. 235; zu H U GO vgl. oben, Anm. 14. Das Konzept etwa des conferre gratiam, das in der Summa sententiarum
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Auch P ETRUS erweitert aber seine eigene allgemeine Definition der Sakramente, welche er erneut weitgehend an AUGUSTIN anlehnt, um einen entscheidenden Punkt: So h¨alt P ETRUS nun fest, im eigentlichen Sinne werde Sakrament genannt, was solchermaßen Zeichen der Gnade Gottes und Form der unsichtbaren Gnade sei, dass es deren Bild hervorrufe und als deren Ursache existiere – ut causa existat.19 Wo AUGUSTINS Definitionen von H UGO um die sanctificatio, und vom Autor der Summa sententiarum um die efficacia erweitert worden ist, f¨ugt P ETRUS L OMBARDUS nun den Begriff der causa hinzu. Die Wirksamkeit der Sakramente wird damit endg¨ultig von einigen verstreuten Bemerkungen bei AUGUSTIN zu einer entscheidenden Komponente in deren Definition; u¨ ber deren Mitwirkung in der Heilsvermittlung scheint es keine Zweifel mehr zu geben – weder aus Sicht der angef¨uhrten AUGUSTIN-Sentenzen, noch aus der Sicht von H UGO, dem Autoren der Summa sententiarum oder von deren Kompilator P ETRUS L OMBARDUS. Um dieses Wirksamkeitsverh¨altnis zusam¨ men mit der Zeichen- und Ahnlichkeits-Relation zwischen Sakramenten und vermittelter Gnade zu umschreiben, wird deshalb die Formel gel¨aufig, dass die Sakramente efficiunt quod figurant – sie bewirkten, was sie darstellten.20 Als nun P ETRUS ’ L OMBARDUS Kommentatoren mit der Einf¨uhrung der Quaestionenform im Verlauf des 13. Jahrhunderts begannen, der Wirksamkeitsfrage im Rahmen der ersten Distinktion von Buch IV ein spezielles Augenmerk zu geben, tauchten diese Zitate entsprechend prominent unter den einleitenden auctoritates quod sic / quod non auf.21 Die Stoßrichtung dieser auctoritates war so prominent hervorgehoben worden ist (vgl. die beiden vorangehenden Anmerkungen), ist in P ETRUS ’ Sakramentendiskussion bloß noch in abgeschw¨achter Form vorhanden (vgl. Sententiae IV d 1, c 9.5, ed. Grottaferrata (1981), S. 238: ... in baptismo, ubi non modo abolentur peccata, sed etiam gratia adiutrix conferetur, et virtutes augentur; st¨arker noch Sententiae I d 1, c 1.1, ed. Grottaferrata (1971), S. 55: conferunt quod intus adiuvet, sowie Sententiae III d 40, c 3.1, ed. Grottaferrata (1981), S. 229: conferunt gratiam). Die Idee einer den Sakramenten innewohnenden Kraft findet sich in P ETRUS ’ allgemeiner Bestimmung der Sakramente nur recht beil¨aufig in der Bestimmung des erbaulichen Charakters der Sakramente (Sententiae IV d 1, c 5.2, ed. Grottaferrata (1981), S. 235: ad invisibilem virtutem quae intus est agnoscendam mens erudiatur) – in jener Bestimmung also, welche H UGO noch veranlasst hatte, sein Bild der Sakramente als vasa medicinalia auszuarbeiten (s.o. Anm. 13). 19 Sacramentum enim proprie dicitur quod ita signum est gratiae Dei et invisibilis gratiae forma, ut ipsius imaginem gerat et causa existat (P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 1, c 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 233. 20 Obwohl P ETRUS L OMBARDUS selbst die Formel erst in Distinctio 22 des vierten Buchs benutzt (Sententiae IV d 22, c 2.3f., ed. Grottaferrata (1981), S. 389; vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 74), wird sie sehr rasch zu einer der verbreitetsten Umschreibungen (vgl. VAN DEN E YNDE: Les d´efinitions des Sacrements (1950)) und daher auch als Kurzform von P ETRUS ’ Definition gehandelt, so etwa H UGO VON S T. C HER: Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ed. Stegm¨uller (1953), S. 65. 21 So auch schon in anderen scholastischen Traktaten, in denen auf die Quaestionenform zur¨uckgegriffen wird: vgl. etwa W ILHELM VON M ILITONA: De sacramentis q 26, ed. G´al (1961), S. 71f., oder die Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 2, ed. Lyon 1516, fol. 48rb.
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bei den Sentenzen-Kommentatoren des 13. Jahrhunderts so offensichtlich, dass es u¨ blich war festzuhalten, an der heilsvermittelnden Wirkung der Sakramente best¨unden keine Zweifel. Doch waren die auctoritates damit nicht einfach best¨atigt. Denn die große Frage blieb, wie diese Heilsvermittlung durch die Sakramente konkret zu erkl¨aren sei.22 Das Mitwirkungs- und das Pakt-Modell lagen in der Mitte des 13. Jahrhunderts, obwohl sie in der sp¨ateren Tradition vor allem mit den Namen von T HOMAS VON AQUIN und von D UNS S CO TUS in Verbindung gebracht wurden, bereits als die duae famosae opiniones et celebres in Grundz¨ugen vor;23 und es zeigte sich, dass nicht beide Modelle gleich gut mit diesen auctoritates in Einklang zu bringen waren. Denn das PaktModell, das den Sakramenten eine intrinsische Wirksamkeit absprach, schien einem entscheidenden Aspekt im Sakramentenverst¨andnis der angef¨uhrten Autorit¨aten gerade entgegenzustehen und damit einen gewichtigen Teil der Glaubenstradition auszublenden. B ONAVENTURA, der zumindest in seinem Sentenzenkommentar die Alternativen noch beide als probabiles opiniones nebeneinander stehen ließ,24 aber schon dort, wie sp¨ater auch explizit in seinem Breviloquium, tendenziell die Pakt-Variante favorisierte,25 gestand denn auch offen zu, dass ihm das Pakt-Modell zwar vern¨unftiger, die Mitwirkungs-Variante aber satis pius erscheine.26 P ETRUS DE TARANTASIA, der sp¨atere Papst I NNOZENZ 22 Vgl. ROBERT K ILWARDBY: Quaestiones in sententiarum q 39, ed. Schenk (1993), S. 192: Ex his videtur, quod sacramenta novae legis iustificant. [...] Sed tunc quaeritur quomodo. 23 So ROBERT K ILWARDBY: Quaestiones in sententiarum d 1, q 39, resp., ed. Schenk (1993), S. 196; vgl. B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum III, d 40, dub. 3, ed. Quaracchi IV (1889), S. 893b: quod duplex est circa quaestionem istam opinio celebris et famosa, oder P ETRUS DE TARANTASIA: In libros sententiarum d 1, q un., a 6, ed. Toulouse 1651, S. 10a: duplex est celebris opinio. Zur Entstehungsgeschichte dieser zwei Modelle vgl. v.a. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 99–102, aber auch bereits G ALLAGHER , J.F.: Significando Causant. A Study of Sacramental Efficiency, Fribourg (Schweiz): St. Paul’s Press, 1965 (Studia Friburgensia. Nouvelle s´erie 40), S. 55–81. 24 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV, d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 24b: Utraque harum positionum satis videtur probabilis, haec tamen mihi videtur ad sustinendum facilior, nescio tamen, quae sit verior, quia cum loquimur de his quae sunt miraculi, non multum adhaerendum est rationi (vgl. auch den unten, Anm. 36, S. 142, zitierten Text). Eine Rechtfertigung daf¨ur gibt B ONAVENTURA in Buch III, d 40, dub. 3, S. 896b: In his quaestionibus dubiis et difficilibus, in quibus non potui deprehendere, quae esset via communis, quia sapientes opinantur contrarie sapientibus, sic unam partem tanquam magis probabilem sustinerem, ut tamen aliam minime improbarem. 25 Breviloquium VI.1, ed. Quaracchi V (1891) S. 265: Sacramenta dicuntur gratiae vasa et causa, non quia gratia in eis substantialiter contineatur nec causaliter efficiatur [...]; sed quia in illis et per illa gratiam curationis a summo medico Christo ex divino decreto oporteat hauriri; vgl. H AMM , B ERNDT: Promissio, pactum, ordinatio. Freiheit und Selbstbindung Gottes in der scholastischen Gnadenlehre, T¨ubingen: J.C.B. Mohr, 1977 (Beitr¨age zur historischen Theologie 54), S. 479–482. 26 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum III, d 40, dub. 3, ed. Quaracchi IV (1889), S. 896b: primus [modus] satis pius est, secundus vero satis sobrius est.
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Kapitel 9: Hinf¨uhrung: die traditionellen auctoritates
V., der sich umgekehrt im Gefolge von T HOMAS f¨ur die Mitwirkungs-Variante entschied, aber dennoch auch f¨ur die Vertreter des Pakt-Modells Argumente und Gegenargumente bereitstellte,27 hielt fest, ihm scheine die MitwirkungsVariante sicherer (securior) einmal wegen der besonderen reverentia, die damit den neutestamentlichen Sakramenten verliehen werde, sodann aber vor allem wegen der consonantia auctoritatum.28 Schon in der Mitte des 13. Jahrhunderts schienen damit Vor- und Nachteile der beiden haupts¨achlich vertretenen Positionen klar zu sein: Wo das Pakt-Modell einer vern¨unftigen Erkl¨arung besser standzuhalten vermochte, ließen sich letztlich nur durch die MitwirkungsVariante die auctoritates vollumf¨anglich best¨atigen. Angesichts der eindeutigen Stoßrichtung dieser auctoritates w¨are daher zu erwarten, dass im fr¨uhen 15. Jahrhundert vor dem Hintergrund der im ersten Kapitel beschriebenen Rahmenbedingungen vor allem die Mitwirkungs-Variante ihre Anh¨anger gefunden habe. Tats¨achlich entscheidet sich N IKOLAUS VON ¨ D INKELSB UHL in seiner sp¨aten Lectura mellicensis f¨ur T HOMAS’ Modell, und dies mit der ausdr¨ucklichen Begr¨undung, dass das andere Modell die intentiones sanctorum nicht befriedige, deren Aussagen im vorliegenden Fall mehr Gewicht zukomme als Argumenten und Begr¨undungen.29 Dies ist umso bezeich¨ nender, als D INKELSB UHL in seiner ersten Sentenzenlesung, den Quaestiones communes, noch explizit Stellung f¨ur die andere, die Pakt-Variante bezogen hat.30 Tats¨achlich finden sich auch weitere Autoren, welche wegen dieser auctoritates die Mitwirkungs-Variante favorisieren. Erstaunlich ist aber, dass auch im 15. Jahrhundert das Pakt-Modell weit verbreitet ist – gegen Ende des Jahrhunderts behauptet S TEPHAN B RULEFER, ein vor allem in Nordfrankreich t¨atiger Franziskaner, das Pakt-Modell sei bald nach S COTUS, der es stark erweitert habe, communiter ab omnibus doctoribus vertreten worden.31 Ganz so zwin27
P ETRUS DE TARANTASIA: In libros sententiarum d 1, q un., a 6, ed. Toulouse 1651, S. 10b: Si quis tamen primam opinionem velit sustinere, respondere potest sic ad obiecta. 28 In libros sententiarum d 1, q un., a 6, ed. Toulouse 1651, S. 10b: Haec opinio ultima videtur securior duplici ratione. Una est consonantia auctoritatum: nam opinio haec fidei est, in iis autem quae fidei sunt magis oportet sequi auctoritatem quam rationem; sancti vero dicunt sacramenta habere vim sanctificandi, et huiusmodi. Alia est reverentia sacramentorum. 29 Videtur quod ista secunda opinio non satisfaciat intentiones sanctorum, quorum dictis in tali materia plus standum est quam rationibus et argumentis: Clm 2940, fol. 12rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 11ra. 30 Vgl. unten, Teil III, Kapitel 17.1. 31 S TEPHAN B RULEFER: Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum, ed. Basel 1501, fol. 359vb: Resolutio quaestionis stat in duabus opinionibus. Prima est doctoris sancti Thomae. Secunda fuit primo disputata a magistro Guilhelmo Parisiensi, et approbavit eam Alexander de Hales. Et Scotus multum eam ampliavit et modo tenetur communiter ab omnibus doctoribus (s.u., S. 469). Die Aussage ist nicht nur maßlos u¨ bertrieben, sondern auch inhaltlich falsch: A LEXANDER VON H ALES vertrat gerade eine Version des Mitwirkungs-, und nicht des Pakt-Modells (vgl. A LEXANDER VON H ALES: Glossa in libros sententiarum I.7, ed. Quaracchi (1957), S. 14f., was dann auch in der Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 1, ed. Lyon
9.2 Die dicta sanctorum im sp¨aten 13. und fr¨uhen 14. Jahrhundert
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gend war die Auslegung dieser auctoritates offensichtlich doch nicht. So sehr sich B ONAVENTURA, P ETRUS DE TARANTASIA und N IKOLAUS VON D IN ¨ KELSB UHL u¨ ber die consonantia auctoritatum einig gewesen sind, scheinen doch auch Vertreter der Pakt-Variante einen Weg gefunden zu haben, mit diesen auctoritates umzugehen. Im Hinblick auf die Abh¨angigkeit der sp¨ateren Diskussionen von diesen fr¨uheren Weichenstellungen widmet sich der vorliegende Teil daher einer Untersuchung der Diskussion um die dicta sanctorum im sp¨aten 13. und fr¨uhen 14. Jahrhundert.
9.2 Die dicta sanctorum in der Diskussion des sp¨aten 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts Jede scholastische Quaestio nahm ihren Ausgang bei einigen auctoritates, die widerspr¨uchlich oder mit der ratio nicht vereinbar erschienen und daher gekl¨art werden mussten. Dass sich zur Behauptung einer tats¨achlichen Wirksamkeit der Sakramente V¨aterzitate anf¨uhren ließen, machte die Sakramentenproblematik noch zu keinem Sonderfall. Die besondere Brisanz in der Frage nach der sakramentalen Wirkweise lag offensichtlich in der Alternative, dass entweder den rationes oder den auctoritates Folge geleistet werden konnte, dass ¨ aber auctoritas und ratio nicht in Ubereinstimmung zu bringen waren. Zwar fanden auch die Vertreter des Pakt-Modells bald schon einige auctoritates, die sie zur Unterst¨utzung ihrer Position heranziehen konnten: So lassen sich erneut auch bei AUGUSTIN Stellen finden, die belegen, dass etwas weniger Edles nicht Tr¨ager oder Ursache von Edlerem sein k¨onne,32 dass also, auf die Sakramente 1516, fol. 48ra u¨ bernommen worden ist; dazu ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 101, und unten, S. 140). Inspiriert ist die Aussage allerdings von einer Bemerkung bei B O NAVENTURA , W ILHELM VON AUVERGNE habe istum modum dicendi coram fratre Alexandro approbiert (B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum III d 40, dub 3, ed. Qua¨ racchi IV (1889), S. 895bf.; s.u., S. 148). Zudem steht B RULEFER mit seiner Ubertreibung in guter Tradition, da kein geringerer als T HOMAS VON S TRASSBURG bereits behauptet hat, omnis potestas et causalitas sacramentorum respectu divina gratiae est ex divina institutione et ex pacto, quod pepigit Deus cum ecclesia, ut dicunt omnes doctores tam moderni quam antiqui (T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria, ed. Venedig 1564, fol. 64va, dazu H AMM: Promissio, pactum, ordinatio (1977), S. 485). Was sich bei T HOMAS VON S TRASSBURG wie eine Best¨atigung der allgemeinen Akzeptanz des Paktmodells liest, d¨urfte allerdings mit Blick auf einen ganz spezifischen Abschnitt bei P ETRUS AUREOLI verfasst worden sein, es m¨usse auch die Mitwirkungs-Variante von einem mindestens vierfachen Pakt ausgehen, dazu unten, S. 213. 32 Vgl. etwa ROBERT K ILWARDBY: Quaestiones in sententiarum d 1, q 39, ed. Schenk (1993), S. 194: Is est ordo naturae, ut per spiritualia agat et disponat corporalia et non e contrario, ut docet Augustinus, lib. III de Trinitate, cap. 6, et lib. VIII super Genesin, cap. 19 et quattuor sequentibus. Ergo non per corporalia sacramenta agit et disponit spiritum rationalem. Die angef¨uhrten Stellen beziehen sich auf AUGUSTIN: De trinitate III 6, CCSL 50 (1968), S.
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Kapitel 9: Hinf¨uhrung: die traditionellen auctoritates
u¨ bertragen, ein irdisch-dingliches Sakrament kaum Auswirkungen auf die geistige Gnade habe. Zudem l¨asst sich mit B ERNHARD VON C LAIRVAUX ein Zeitgenosse von H UGO VON S T. V IKTOR und P ETRUS L OMBARDUS anf¨uhren, der offensichtlich deren Mitwirkungs-Modell nicht geteilt hat. Denn B ERNHARD illustriert in einem Sermo de coena domini die Zeichenhaftigkeit der Sakramente anhand anderer Zeichenakte, von denen sich keiner als Ursache f¨ur den im Akt bezeichneten Effekt verstehen l¨asst: So werde der Kanoniker durch ein Buch eingesetzt, ein Abt durch den Stab und ein Bischof durch einen Stab und einen Ring zugleich33 – doch k¨onnen weder Buch, noch Stab oder Ring als Grund f¨ur die Tatsache genommen werden, dass jemand nun Abt, Bischof oder Kanoniker sei. Auch wenn dies nicht direkt als positives Argument f¨ur das PaktModell zu verstehen war, so ließ es sich doch zumindest als Argument gegen die Mitwirkungs-Variante anf¨uhren. So sehr diese neuen auctoritates nun allerdings wider die alten ins Feld gef¨uhrt werden konnten, hatten sie jenen gegen¨uber doch einen großen Nachteil: Nicht nur unterst¨utzten sie das Pakt-Modell nicht affirmativ und ließen sich daher nur als Gegenargumente einsetzten; sondern es handelte sich auch um verstreute Feststellungen, die zum Teil nicht einmal einer Besch¨aftigung mit den Sakramenten entstammten,34 w¨ahrend – und das z¨ahlte im scholasti138, und dens.: De Genesi ad litteram VIII 20f., CSEL 28 (1894), S. 258–261. Das ebenfalls regelm¨aßig vorgebrachte (vgl. die Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 1, ed. Lyon 1516, fol. 48ra, oder R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, arg 3, ed. prov. Goering (i.E.), S. 42.) und auf AUGUSTINS De musica VI 11, ed. Hentschel (2002), S. 92 zur¨uckgef¨uhrte Zitat ignobilius non agit in nobilius l¨asst sich dort allerdings nur sinngem¨aß finden. 33 B ERNHARD VON C LAIRVAUX: Sermo de coena domini, ed. Leclercq/Rochais (Opera omnia 5) (1968), S. 68f.: investitur canonicus per librum, abbas per baculum, episcopus per baculum et anulum simul; dazu C OURTENAY, W ILLIAM J.: Sacrament, Symbol, and Causality in Bernard of Clairvaux, in: P ENNINGTON , BASIL M. (Hrsg.): Bernard of Clairvaux. Studies presented to Dom Jean Leclercq, Washington: Cistercian Publications, 1973 (Cistercian Studies Series 23), S. 111–122; sowie nun auch ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 121–124. Vgl. auch G ELBER , H ESTER G OODENOUGH: It Could Have Been Otherwise. Contingency and Necessity in Dominican Theology at Oxford, 1300–1350, Leiden: Brill, 2004 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 81), S. 193f. mit H UGH OF L AWTON als ¨ einem Beispiel f¨ur die Rezeption dieser Stelle im fr¨uhen 14. Jahrhundert – die Ahnlichkeit in der Wortwahl zwischen T HOMAS VON AQUIN und H UGH scheint aber weniger auf eine com” mon source“ der beiden zur¨uckzugehen (so G ELBER in Anm. 8), als vielmehr zu belegen, dass der Dominikaner H UGH beim Dominikaner T HOMAS abgeschrieben hat. 34 Das gilt f¨ur alle oben, Anm. 32 angef¨uhrten AUGUSTIN-Referenzen. Auch B ERNHARD VON C LAIRVAUX hat mit seiner Aussage zwar immerhin die Sakramente im Blick, versteht sie aber nicht als Beitrag zur Wirksamkeitsfrage, sondern als Illustration f¨ur die Tatsache, dass die verschiedenen Sakramente einen unterschiedlichen Effekt haben: Sicut enim in exterioribus sunt diversa signa et [...] variae sunt investiturae secundum ea de quibus investimur, [...] sic et divisiones gratiarum diversis traditae sunt sacramentis (Sermo de coena domini, ed. Leclercq/Rochais (Opera omnia 5) (1968), S. 68f. Vgl. dazu neben C OURTENAY: Sacrament, Symbol, and Causality (1973), S. 114, auch C OURTENAY, W ILLIAM J.: The King and the Leaden Coin.
9.2 Die dicta sanctorum im sp¨aten 13. und fr¨uhen 14. Jahrhundert
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schen Kontext wesentlich mehr – die auctoritates der Mitwirkungs-Variante f¨ur Sakraments-Definitionen gehalten wurden. Definitionen f¨uhrten zum Wesen einer Sache,35 und wenn sich eine Autorit¨at bem¨ußigt sah, in einer Definition einen bestimmten Aspekt explizit zu erw¨ahnen, so ließ sich kaum mehr argumentieren, dass im Verst¨andnis der Autorit¨at der in die Definition einbezogene Aspekt die definierte Sache nicht essentiell ausmache. Vor diesem Hintergrund ergab sich die besondere Brisanz der vorliegenden Autorit¨aten-Problematik daraus, dass diesen definierenden auctoritates mit a¨ hnlich gewichtigen Autorit¨aten nicht beizukommen war. Im Umgang mit dieser Autorit¨aten-Problematik haben die Kommentatoren von P ETRUS ’ Sentenzen L¨osungsans¨atze entwickelt, die sich auf f¨unf Typen reduzieren lassen. Ein erster, der schon bei R ICHARD F ISHACRE und B ONA VENTURA auftaucht, beugt sich den rationes und nimmt in Kauf, dass die auctoritates nicht vollumf¨anglich zu befriedigen sind (Kapitel 10). Ein zweiter, der Ansatz von T HOMAS VON AQUIN, setzt auf die Vereinbarkeit von rationes und auctoritates, nimmt dabei die auctoritates als gegeben an und sucht auf Seite der ratio nach neuen Argumenten, um diese auctoritates zu best¨atigen (Kapitel 11). Ein dritter, der Ansatz von S COTUS, setzt ebenfalls auf Vereinbarkeit von auctoritas und ratio, denkt aber von den rationes her und sucht auf Seiten der auctoritates nach Interpretationsspielraum (Kapitel 12). Die beiden letzten Ans¨atze bilden die Extrem-Positionen: Der vierte hinterfragt das auctoritatesVerst¨andnis grunds¨atzlich und konzentriert sich vielmehr auf die rationes, wie dies bei D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN und P ETRUS AUREOLI anzutreffen ist (Kapitel 13). Der f¨unfte schließlich spricht umgekehrt den rationes jegliche Legitimit¨at ab und l¨asst nur die auctoritates gelten. Es ist dieser f¨unfte Ansatz, der uns oben schon in der Lectura mellicensis des N IKOLAUS VON ¨ D INKELSB UHL kurz begegnet ist und der daher erst in einem n¨achsten Teil untersucht werden soll. Die u¨ brigen vier seien nachfolgend skizziert.
The Economic Background of ‘sine qua non’ causality, in: Traditio 28 (1972), S. 185–209, hier S. 207f. 35 Vgl. A RISTOTELES, Topik I.5, 102a 3.
Kapitel 10
Rationale Kritik an den auctoritates: Richard Fishacre und Bonaventura 10.1 Richard Fishacre Der Dominikaner R ICHARD F ISHACRE, der zwischen 1241 und 1245 in Oxford u¨ ber P ETRUS ’ Sentenzen las,1 sah sich veranlasst, zur Kl¨arung des Unterschieds zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten die Problematik der sakramentalen Wirkweise genauer zu untersuchen. Interessiert war R I CHARD vor allem an jener Unterscheidung, welche auch P ETRUS L OMBARDUS im Rahmen der ersten Distinktion vorgebracht habe, dass n¨amlich die alttestamentlichen Sakramente bloß bezeichneten, die neutestamentlichen aber efficiunt quod figurant.2 R ICHARD stellt diese Unterscheidung in zweierlei Hin1
Zu R ICHARD F ISHACRE vgl. L ONG , JAMES R./O’C ARROLL , M AURA: The Life and Works of Richard Fishacre OP. Prolegomena to the Edition of his Commentary on the Sentences, M¨unchen: C.H. Beck, 1999 (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Ver¨offentlichungen der Kommission f¨ur die Herausgabe ungedruckter Texte aus der mittelalterlichen Geisteswelt 21), S. 15–30. Zu seinem Sentenzenkommentar vgl. ebd. S. 39–48, sowie L ONG , JAMES R.: The Beginning of a Tradition. The Sentences Commentary of Richard Fishacre, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 345–357. Eine kritische Edition von Buch IV bereitet J OSEPH G OERING vor; er hat mir freundlicherweise Ausz¨uge aus seiner vorl¨aufigen Edition zur Verf¨ugung gestellt, wof¨ur ihm herzlich gedankt sei! 2 R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, ed. prov. Goering (i.E.), S. 41: Differentia sacramentorum novi et veteris [...] quam hic assignat Magister, scilicet quod sacramenta veteris tantum significant, sed sacramenta novi efficiunt quod figurant. W¨ortlich findet sich die Formel bei P ETRUS L OMBARDUS nicht in Distinctio 1, sondern erst in Distinctio 22, s.o., S. 126, Anm. 20. Eine zweite Unterscheidung, mit der sich R ICHARD nicht weiter besch¨aftigt quia eam non tangit Magister, geht vom AUGUSTINISCHEN Verst¨andnis der Sakramente als sacra signa aus: novi sunt sacra signa sacrae rei, et veteris sunt signa sacrae rei sed non sacra; caro enim agni paschalis non fuit sanctior carne alterius agni (ebd.; zu AUGUSTIN siehe oben, S. 122). In teilweise identischem Wortlaut f¨uhrt diese beiden Unterscheidungen bereits H UGO VON S T. C HER an (Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ed. Stegm¨uller (1953), S. 64f.: Ponitur communiter duplex differentia [inter legalia et evangelica sacramenta]. Prima est, quia | sacramenta novae legis efficiunt quod figurant, sacramenta veteris legis non. Alia est, quia sacramentum novae legis est sacrae rei sacrum signum; sacramentum vero veteris legis non est sacrum signum, sed tantum sacrae rei signum; unde caro vituli immolati non erat sanctior qualibet alia carne (zum Einfluss H UGOS auf R ICHARD s.u., Anm. 26).
10.1 Richard Fishacre
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sicht in Frage: Die Unterscheidung scheine entweder falsch, weil auch die alttestamentlichen Sakramente Gnade vermittelten, oder aber sie sei falsch, weil auch die neutestamentlichen Sakramente keine Gnade vermitteln k¨onnten.3 Es ist vor allem diese zweite Problematisierung, welche im vorliegenden Kontext interessant ist.4 Multis rationibus lasse sich n¨amlich zeigen, so R I CHARD , dass auch die neutestamentlichen Sakramente nicht heiligten oder die Gnade vermittelten. Von den elf Argumenten, die er hierzu anf¨uhrt, betreffen sechs die Ordnung der Dinge und monieren die Tatsache, Sakramente k¨onnten als Teil der niederen, geschaffenen und k¨orperlichen Welt nicht Tr¨ager und Ursache einer h¨oheren spirituellen Kraft, eines spirituellen Effekts sein.5 Drei f¨uhren an, dass sich nicht sinnvoll erkl¨aren lasse, wie die Sakramente als ganze in ihrer Zusammensetzung aus stofflichen Elementen und (jeweils mehreren) Worten jene eine Handlung der Gnadenvermittlung bewirkten.6 Zwei schließlich betreffen Aussagen, dass im Sakramentengeschehen allein Gott am Werk sei.7 Dem, so R ICHARD, scheine selbst P ETRUS L OMBARDUS beizupflichten, wenn er sage, dass man das Heil nicht ab illis, sed per illa a Deo suche, was aber der vorliegenden Unterscheidung haec autem dant salutem widerspreche.8 Von den rationes her war die Ausgangslage f¨ur R ICHARD daher klar; problematisch blieb allerdings die Tatsache, dass nicht nur P ETRUS L OMBARDUS, sondern auch andere vor und nach ihm mit dieser Unterscheidung daran festhielten, dass die Sakramente tats¨achlich bewirkten, was sie bezeichneten. Sein Erstaunen hier¨uber gibt R ICHARD offen zu:
3 R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, ed. prov. Goering (i.E.), S. 41: Videtur quod dicat falsum duplici de causa: primo, quia sacramenta veteris sanctificant sicut et novi. Secundo, quia nec novi sanctificare possunt. 4 Mit der ersten besch¨aftigt sich R ICHARD schon im ersten, glossierenden Teil seines Kommentars zur ersten Distinktion ganz kurz (R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, 4.4, ed. prov. Goering (i.E.), S. 17, worauf sich auch die knappe Solutio ebd. S. 43 bezieht). An der vorliegenden Stelle erg¨anzt er dies nur durch ein Argument, das sich erneut bereits bei H U GO VON S T. C HER: Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ed. Stegm¨ uller (1953), S. 65, findet. 5 Argumente 1–3 und 9–11, In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, ed. prov. Goering (i.E.), S. 42f. 6 Ebd., Argumente 6–8. 7 Argumente 4 und 5, ebd., S. 42. Das erste Argument bezieht sich auf P ETRUS L OMBAR DUS : Sententiae II d 27, c 1, n 1, ed. Grottaferrata (1971), S. 480; das zweite auf Jes 43,25 und Joh 1,33 samt Glossa ordinaria in Ioan. 1,30, S. 226a. H UGO VON S T. C HER: Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ed. Stegm¨uller (1953), S. 66, hat sich ebenfalls bereits auf Jes 43,25 bezogen und interessanterweise zu dieser Stelle die Glossa ordinaria beigezogen, ein Beispiel daf¨ur, wie R ICHARD F ISHACRE von H UGO nicht nur abgeschrieben, sondern auch seine Argumentationsstrategien u¨ bernommen hat. 8 Ebd., S. 43; vgl. P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 1, c 5.2, ed. Grottaferrata (1981), S. 235, dazu oben, S. 125 mit Anm. 18.
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Kapitel 10: Rationale Kritik an den auctoritates
Entweder verstehe ich die Magister nicht, oder aber es halten die meisten von ihnen an etwas Falschem fest. Einige9 meinen, in der Taufe bestehe etwas Einheitliches aus Wort und Wasser, und das Wort sei die Form und das Wasser die Materie, und dieses Zusammengef¨ugte sei tats¨achlich unmittelbarer Wirkgrund hinsichtlich der Rechtfertigung in der Seele, Gott aber handle mittelbar. Ebenso andere10 , welche dies nicht vom Wort behaupten, sondern vielmehr sagen, dass durch das Wort etwas G¨ottliches im Wasser entstehe, und dass dies die Form sei, und dass durch beide gemeinsam die Heiligung geschehe. Wie dies Bestand haben soll (sei es dieses, sei es jenes), sehe ich nicht – sowohl wegen der oben angef¨uhrten Gr¨unde, als auch wegen vieler anderer.11
Eine u¨ berzeugende Erkl¨arung daf¨ur, dass die Sakramente tats¨achlich etwas bewirkten, sieht R ICHARD nirgends – und dennoch z¨ogert er, den Sakramenten jegliche Wirksamkeit abzusprechen. Zwar scheine es ihm, dass die ganze und ” unmittelbare Wirkursache“ der sakramentalen Gnadenvermittlung der dreieine Gott sei, doch wage er dies wegen so zahlreicher contradictores nicht zu behaupten.12 Wegen des ber¨uhmten Ausspruchs, dass die neutestamentlichen Sakramente efficiunt quod figurant, m¨usse den u¨ berzeugenden rationes zum Trotz vielmehr gekl¨art werden, wie dieses efficere zu verstehen sei.13 9 So etwa H UGO VON S T. C HER; vgl. zur Herkunft der Zuordnung von Form und Materie auf sakramentale verba und elementa die dreiteilige Studie von E YNDE , DAMIEN VAN DEN: The Theory of the Composition of the Sacraments in Early Scholasticism (1125–1240), in: Franciscan Studies 11,1 (1951), S. 1–20, E YNDE , DAMIEN VAN DEN: The Theory of the Composition of the Sacraments in Early Scholasticism (1100–1240) II. Transitional Period (1160–1225), in: Franciscan Studies 11,1 (1951), S. 117–144 und E YNDE , DAMIEN VAN DEN: The Theory of the Composition of the Sacraments in Early Scholasticism (1125–1240) III. Attempted Solutions, in: Franciscan Studies 12,1 (1952), S. 1–26, wo sich auf S. 13 auch der Beleg f¨ur H UGO findet. 10 So kurz nach R ICHARD F ISHACRE etwa auch W ILHELM VON M ILITONA: De sacramentis I p 3, q 18, ed. G´al (1961), S. 84 (vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 88). 11 R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, ed. prov. Goering (i.E.), S. 44: Aut magistros non intelligo, aut plures falsum hic habent in manibus, aestimantes aliqui unum aliquid esse ex verbo et aqua in baptismo, et verbum esse formam et aquam materiam, et hoc coniunctum vere habere rationem efficientis immediati respectu iustificationis in anima, Deum vero agentem mediatum. Et alii, qui non hoc de verbo, sed potius dicunt aliquid divinum a verbo vocali fieri in aqua, et hoc esse formam, et similiter unum efficere cum aqua, et communiter ab utroque esse sanctificationem. Quod quomodo stare possit, vel hoc vel illud non video, et propter praemissas rationes et multa alia. 12 Ebd.: Videtur enim mihi – quod tamen propter tam multos contradictores non audeo asserere – quod iustificationis factae in anima tota causa et immediata efficiens est Deus Trinitas. Cum enim solus Deus mentibus illabatur humanis, quis intimum mentis, ubi est peccatum et originale et actuale, mundare potest nisi Deus, cum nec verbum nec aqua animam ingrediatur? (Interpunktion im Gegensatz zur provisorischen Edition leicht modifiziert). Zur Zur¨uckhaltung im Behaupten seiner Meinung vgl. auch unten, Anm. 14. 13 R ICHARD F ISHACRE sieht sich sogar veranlasst, zwei Dinge zu kl¨aren: Propterea mihi videtur rationibus superioribus cedendum esse, et propter illum tam celebrem sermonem qui dicitur, ‘sacramenta novae legis efficiunt quod figurant, non similiter veteris’, duo mihi sunt
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Trotz der eindeutigen Stoßrichtung der rationes, dass die Sakramente selbst gar nichts zur Gnadenvermittlung beitragen, sieht sich R ICHARD gen¨otigt, wegen der prominenten Bef¨urworter einer sakramentalen Mitwirkung die Wirkweise der Sakramente genauer zu erkl¨aren. Ein Blick auf diese Erkl¨arung zeigt aber, dass er sich nicht eigentlich seinen contradictores beugt, sondern vielmehr deren Rede von der sakramentalen Mitwirkung so verflacht, dass sie seinen rationes nichts mehr entgegenzusetzen hat. R ICHARD greift hierf¨ur auf drei Mittel zur¨uck: Er definiert die Wirksamkeit der Sakramente als sine qua non-Kausalit¨at, versteht die affirmativen Aussagen zum Mitwirkungs-Modell als uneigentliche Rede und bestimmt die Eigenheit der Sakramente gegen¨uber gew¨ohnlichen Dinge in der bloßen Tatsache, dass sie durch einen g¨ottlichen Pakt in eine spezielle, auf einem reinen Willensakt basierende Relation gesetzt worden sind. Diese drei Punkte seien nachfolgend kurz erl¨autert. 10.1.1 Pakte als willensbasierte Relationen Was, um mit dem letzten zu beginnen, das Taufwasser betreffe, das offensichtlich nach der Weihe mehr bewirken k¨onne als gew¨ohnliches Wasser, so erl¨autert R ICHARD, sei nicht zu fragen, quid amplius in diesem Wasser sei, denn dieses Wasser sei vielmehr ad aliquid amplius.14 Es handle sich um eine Relation, in welche das Wasser gesetzt werde, und zwar um eine Relation, die auf einem Willensakt basiere. Es sei daher unn¨otig, nach deren kategorialer Grundlage zu fragen: Diese Relation basiere auf nichts, was aus der Natur der in ihr verbundenen Dinge komme, sondern gr¨unde allein im Willen, wie auch eine M¨unze zu einem Wert werde, ohne dass sich in ihr eine Ver¨anderung vollziehe oder etwas anderes hinzugef¨ugt werde als die Relation.15 Dieses Beispiel der M¨unze stammt urspr¨unglich von AUGUSTIN, der damit in v¨ollig anderem Kontext illustriert, dass die Ver¨anderlichkeit der g¨ottlichen explicanda. Primo, cum sacramentum non sit efficiens proprie, ut dictum est, quare dicatur efficere. Secundo, quare magis novae quam veteris legis (In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, ed. prov. Goering (i.E.)). F¨ur den vorliegenden Zusammenhang gen¨ugt es aber, seine Erkl¨arungen zur ersten Problematik zu untersuchen. 14 Ebd., S. 45, l. 1023–1025. Im Hintergrund steht ganz offensichtlich die Frage nach der virtus aquae aus AUGUSTINS Johanneskommentar (s.o., S. 123 mit Anm. 10), auch wenn diese auctoritas bei R ICHARD nicht eigens angef¨uhrt wird. Interessant ist, dass er sich erneut sehr vorsichtig ausdr¨uckt: Videtur mihi, non tamen assero, respondendum non quid amplius, sed potius ad aliquid amplius. 15 Ebd., l. 1026–1032: Est enim iam relatio aliqua huius aquae et habitudo quae prius non infuit, nec est in alia aqua, cuius relationis principium est voluntas, non natura. Et ideo non quaeras super rem cuius praedicamenti fundetur illa relatio [...]. Est enim haec relatio non a natura aliqua – in natura autem est – sed a voluntate, ut denarius fit pretium, nulla in eo facta mutatione vel superadditione alterius quam relationis. Vgl. zu dieser relatio a voluntate instituentis auch F ISHACRES Diskussion in der dritten Distinktion zur Taufe, zitiert bei ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 106.
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Kapitel 10: Rationale Kritik an den auctoritates
Attribute ebenso wenig als Beeintr¨achtigung der unver¨anderlichen Substanz Gottes gelten m¨usse, wie auch ganz allt¨aglichen Dingen – wie eben beispielsweise einer M¨unze – eine Eigenschaft neu zukommen k¨onne, ohne dass sie sich dadurch substantiell ver¨anderte.16 Im vorliegenden Zusammenhang allerdings verschiebt sich der Fokus des Beispiels von der Ver¨anderlichkeit von Eigenschaften hin zur Wirkm¨achtigkeit dieser Eigenschaften; und so verdeutlicht das Beispiel nun die These, dass einer Sache eine durchaus wirkm¨achtige Eigenschaft zugesprochen werden kann, ohne dass dies die Sache selbst zu ver¨andern braucht. Ein zweites Beispiel, das F ISHACRE etwas sp¨ater anf¨uhrt, zielt in genau dieselbe Richtung: Es handelt vom Diener eines K¨onigs, der an Bed¨urftige ein metallenes Emblem verteilt, das sie, wenn sie eine Arbeit verrichtet haben, am n¨achsten Tag zum Essen beim K¨onig zul¨asst. Auch wenn dieses Beispiel bei R ICHARD prim¨ar daraufhin angelegt ist, den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten zu beschreiben,17 unterstreicht es doch noch einmal (und st¨arker als das Beispiel der M¨unze), dass einem beliebigen Gegenstand eine wirkm¨achtige Eigenschaft zugeordnet werden kann, ohne dass damit etwas Zus¨atzliches im Gegenstand angenommen werden muss: Die Wirksamkeit kommt nicht aus einer substantiellen Ver¨anderung im attributierten Gegen¨ stand, sondern ist die Folge einer Ubereinkunft, eines Vertrags. Und so beendet R ICHARD seine Erkl¨arung zur Wirkweise der neutestamentlichen Sakramente denn auch mit den Worten: Ein Bund ist also in den Sakramenten, der zwi” schen Gott und den Menschen geschlossen worden ist. Aufgrund einer solchen Relation ist daher Heiligkeit ‘in’ diesen Zeichen und wird ihnen als Eigenschaft zugerechnet, was [eigentlich] von Gott ist.“18 Dieses Verst¨andnis der Sakramente als Pakt, als in einem Willensakt begr¨undete Relation erm¨oglicht es R ICHARD, Aussagen u¨ ber besondere Eigen16 AUGUSTIN: De trinitate V 16.17, CCSL 50 (1968), S. 226, l. 43–46; in seiner Diskussion der g¨ottlichen Attribute hat bereits P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae I d 30, c 1.4, ed. Grottaferrata (1971), S. 221, diese AUGUSTIN-Stelle rezipiert. Vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 108–112. 17 R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, Explicatio 2, ed. prov. Goering (i.E.), S. 46, l. 1057–1067. Das Beispiel dient R ICHARD in erster Linie dazu, den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten zu illustrieren, denn am n¨achsten Tag geht der Diener noch einmal aus und verteilt Embleme, die nun aber umgehend zum Essen zulassen. Obwohl alle Embleme denselben Effekt haben, k¨onnen die sp¨ater verteilten als wirkm¨achtiger angesehen werden, da ihr Effekt umgehend erfolgt. Dazu ausf¨uhrlich C OUR TENAY : Leaden Coin (1972), S. 193; vgl. auch C OURTENAY, W ILLIAM J.: Token Coinage and the Administration of Poor Relief during the Late Middle Ages, in: Journal of Interdisciplinary History 3 (1972), S. 275–295 = Kapitel 3 von C OURTENAY, W ILLIAM J. (Hrsg.): Covenant and Causality in Medieval Thought, London: Variorum Reprints, 1984), hier S. 279. 18 In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, Explicatio 1, ed. prov. Goering (i.E.), S. 45, l. 1032–1034: Foedus ergo, quod pactum est inter Deum et homines, in sacramentis est. Unde ratione talis relationis est in signis illis sanctitas, et eis quod Dei est attribuitur .
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schaften in den Sakramenten nicht mehr auf eine reale, naturaliter vorhandene Eigenheit der sakramentalen res zu beziehen, sondern bloß auf diese besondere Relation, in welche die Sakramente durch Gottes Entschluss gesetzt worden sind. Mit dem Bundesgedanken wird die sakramentale Wirkweise nicht mehr auf einer nat¨urlichen, sondern auf einer Ebene außerhalb des kategorialen Seins verortet, so dass Aussagen u¨ ber die sakramentale Wirkweise auch nicht mehr als Beschreibungen eines dinglichen Sachverhalts zu verstehen sind. R ICHARD er¨offnet damit die M¨oglichkeit, die einschl¨agigen auctoritates bloß in einem u¨ bertragenen Sinn zu verstehen. 10.1.2 Causae sine quibus non R ICHARD unternimmt diesen Schritt auf die Ebene der uneigentlichen Rede, wenn er sich dazu a¨ ußert, um welchen Ursachentyp es sich bei den Sakramenten handle. Erneut steigt er mit einem Beispiel ein: Wenn Gott dir eines Tages folgendes sagen w¨urde: ‘Schicke dich an, [in Wasser] einzutauchen, und bei Aussprache gewisser Worte werde ich dich von deiner Krankheit heilen’, und du w¨urdest dies tun, so w¨urdest du daraufhin geheilt werden. Nun kannst du sowohl sagen, dass du durch das Wasser und die gewissen Worte geheilt worden seist, als auch durch Gott. Eigentlicher Wirkgrund der Heilung w¨are aber Gott, w¨ahrend Wasser und Wort nur sind, sine quibus non fecit – ohne welche er es nicht getan h¨atte.19
Dieses Argumentieren mit einer sine qua non-Kausalit¨at war in der scholastischen Diskussion schon seit l¨angerem verbreitet. P ETRUS L OMBARDUS hat auf diesen Ursachentyp im Rahmen seiner Diskussion der futura contingentia zur¨uckgegriffen, um g¨ottliches Allwissen und menschliche Handlungsfreiheit unter einen Hut bringen zu k¨onnen:20 Auch wenn nichts geschieht, ohne dass Gott zum Voraus bereits weiß, dass es geschehen wird, geschieht es doch nicht, weil Gott es bereits weiß. Die Geschehnisse haben ihre je eigenen Ursachen; Gottes Vorwissen geht ihnen nur unumg¨anglich voraus.21 ¨ Mit seiner Ubertragung der sine qua non-Kausalit¨at auf die Sakramente verschiebt R ICHARD nun allerdings den Fokus dieses Ursachentyps leicht: Ist Gottes Vorwissen in der Diskussion der futura contingentia noch eine unumg¨angliche und insofern notwendige Begleiterscheinung aller Geschehnisse, so werden 19
Ebd., S. 46, l. 1004–1008: Si diceret tibi Deus quacumque die sic: ‘Te permiseris immergi, et cum tali verborum prolatione sanabo te ab infirmate tua’, si hoc faciens, deinde curareris, et dicere posses te curatum per aquam et verba talia, et per Deum, et proprie efficiens sanitatis fuisset Deus, sed aqua et verbum sunt sine quibus non fecit. 20 P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae I d 38, c 1.8, ed. Grottaferrata (1971), S. 277f. 21 Dazu S CHABEL , C HRISTOPHER: Theology at Paris, 1316–1345. Peter Auriol and the Problem of Divine Foreknowledge and Future Contingents, Aldershot: Ashgate, 2000 (Ashgate Studies in Medieval Philosophy), S. 29f.; zum Zusammenhang von kontingentem Weltverlauf und sine qua non-Kausalit¨at vgl. auch G ELBER: Contingency and Necessity (2004), S. 186f.
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die Sakramente – im Sinne einer Vertragsklausel – als causae sine quibus non nun notwendige Voraussetzung im Sinne einer einzuhaltenden Bedingung, damit die Sakramente den gew¨unschten Effekt u¨ berhaupt haben k¨onnen. Die Pointe in der Anf¨uhrung dieses Ursachentyps bleibt aber dieselbe: Ob g¨ottliches Vorwissen oder sakramentaler Ritus – als causae sine quibus non bilden sie eine Form von uneigentlicher Kausalit¨at, sie sind keine Ursachen im strikten Sinne.22 R ICHARD erw¨ahnt dies ausdr¨ucklich: Eine Handlung wird manchmal per se einem Handelnden zugerechnet, und dann geschieht dies im eigentlichen Sinne; manchmal aber wird sie jenem zugeordnet, ohne welches der Handelnde nicht handeln w¨urde, und dies geschieht nur per quandam consuetam extensionem sermonis – im Sinne einer gewohnheitsm¨aßigen Erweiterung der Rede.23
Wo daher auctoritates einen urs¨achlichen Zusammenhang zwischen Sakramenten und vermittelter Gnade zu behaupten scheinen, l¨asst sich dies mit R ICHARD als Verweis auf die causae sine quibus non auf eine uneigentliche Form von Ursachen verstehen, die nur in einem zwar gel¨aufigen, aber bloß weiteren Sinn unter die Ursachen gerechnet werden k¨onnen. 10.1.3 Uneigentliche Rede Einen derart erweiterten Redesinn unterstellt R ICHARD nun aber nicht nur der spezifischen Rede von den Sakramenten als Ursachen, sondern auch anderen Umschreibungen, welche auf einer Handlungszuweisung beruhen: Wenn, gem¨aß 2. K¨on 5, der Aram¨aer Naaman auf Geheiß des Propheten Elisa sieben Mal in den Jordan eintauche und von der Lepra geheilt werde, so k¨onne vom Wasser ebenso wie vom Propheten gesagt werden, dass sie ihn geheilt h¨atten. Am wahrsten aber sei, dass Gott dies auf das Wort des Propheten hin durch das Wasser gemacht habe. So ist es im striktesten Sinne Gott, der tauft, aber ” auch das durchs Wort geheiligte Wasser und der Priester rechtfertigen per extensionem sermonis.“24 Auch sanatio und iustificatio ließen sich daher in ei22
Konzeptionell ist diese Vorstellung der Sakramente als uneigentlicher oder zweitrangiger Ursache bereits fr¨uher in der Diskussion des 13. Jahrhunderts vorhanden, sie wird aber anders benannt, vgl. die Beispiele bei VAN DEN E YNDE: Les d´efinitions des Sacrements (1950), S. 110–113. 23 R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, Explicatio 2, ed. prov. Goering (i.E.), S. 44, l. 1008–1010: Actio aliquando attribuitur per se agenti, et hoc proprie; aliquando autem ei sine quo non egit agens, et hoc per quandam consuetam extensionem sermonis. 24 Ebd., l. 1015f.: Sic propriissime Deus baptizat et iustificat, per extensionem sermonis, aqua sanctificata verbo et sacerdos. Prominente Beachtung findet diese Stelle bereits im Introitus bei A LEXANDER VON H ALES: Glossa in libros sententiarum, ed. Quaracchi (1957), S. 1–8, der allerdings das Mitwirkungsmodell vertreten hat (vgl. ebd. S. 5, die Rede von den Sakramenten als vasa gratiae und unten, S. 140).
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nem eigentlichen und in einem erweiterten Sinn verstehen – je nach dem, wer als Subjekt der Handlung angef¨uhrt wird. Dieses Argumentieren mit uneigentlicher Rede war im scholastischen Umgang mit auctoritates nichts Neues. So hat bereits auch H UGO VON S T. C HER angemerkt, die Bestimmung, wonach die Sakramente efficiunt quod figurant, sei eine tropica locutio: Es bedeutet: ” Durch jene Kraft, welche er dem Sakrament gibt, bewirkt Gott, was das Sakrament bedeutet.“25 W¨ahrend dies f¨ur H UGO allerdings noch keinen Grund darstellt, die Wirksamkeit der Sakramente grunds¨atzlich in Frage zu stellen, so dass er weiterhin sagen kann, die Sakramente rechtfertigten re vera,26 dient die uneigentliche Rede bei R ICHARD dazu, die grunds¨atzliche Ablehnung einer sakramentalen Wirksamkeit mit dem u¨ berlieferten Sprachgebrauch in Einklang zu bringen. Wegen der rationes sieht sich R ICHARD veranlasst, den u¨ berlieferten Sprachgebrauch wenn auch nicht als falsch hinzustellen, so doch bloß noch in einem u¨ bertragenen Sinn zu verstehen. Wie sehr er damit auch der Intention einer ganzen Reihe von auctoritates widerspricht, ist R ICHARD offenbar sehr wohl bewusst, denn mehrfach merkt er an, dass er das, was ihm plausibel scheine, nicht exklusiv behaupten wolle;27 und so beendet er denn auch seine Ausf¨uhrungen zum Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten, zum Ausgangspunkt also seiner ganzen Erkl¨arungen, mit einer nochmaligen Relativie25 H UGO VON S T. C HER: Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ad 3, ed. Stegm¨uller (1953), S. 67: Et quod obicitur, quod creatura iustificat, sciendum, quod huiusmodi locutio tropica est: sacramentum sive vis sacramenti iustificat, sive efficit quod figurat, id est: Deus per illam vim, quam dat sacramento, efficit, quod sacramentum figurat. Auch S TE PHEN L ANGTON , der H UGO als Vorlage dient, unterscheidet in der vorliegenden Frage bereits zwischen einer propria und einer impropria locutio, vgl. E YNDE , DAMIEN VAN DEN: Stephen Langton and Hugh of St. Cher on the Causality of the Sacraments, in: Franciscan Studies (1952)11,3–4, S. 141–155, hier S. 143, l. 31–39 und S. 144, l. 60–64. 26 H UGO VON S T. C HER: Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, solutio, ed. Stegm¨uller (1953), S. 66: Re vera sacramenta novae legis efficiunt quod figurant, et iustificant, quantum in se est. W¨ahrend K LAUS RODLER im Hinblick auf Buch III noch zur¨uckhaltend bleibt, was den direkten Einfluss von H UGO VON S T. C HER auf R ICHARD F ISHACRE betrifft (so in der Einleitung zu R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum, ed. Rodler (2003), S. 41*), spricht JAMES L ONG in seiner Edition von Buch II von einer especially extensive“ ” Anlehnung (In IV libros sententiarum, ed. Long (2008), S. 19*), was sich mit den vorliegenden Anmerkungen auch f¨ur die vorliegende Quaestio aus Buch IV best¨atigt (s.o., Anm. 2, 4, 7 und 9; vgl. auch S OLOMON , DAVID: The Sentence Commentary of Richard Fishacre and the Apocalypse Commentary of Hugh of St. Cher, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 46 (1976), S. 367–377). 27 Videtur mihi, non tamen assero in In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, Explicatio 1, ed. prov. Goering (i.E.), S. 45, l. 1025, und non audeo asserere ebd., S. 44, l. 994 (zum jeweiligen Kontext s.o., Anm. 12 und 14). Asserere hat hier einen technischen Sinn und meint die Best¨atigung einer Alternative in der Art, dass zugleich alle anderen Alternativen ausgeschlossen werden, vgl. den Gegensatz zu opinari etwa bei W ILHELM VON AUXERRE: Summa aurea Tr. VII, c 3, ed. Ribaillier (1980), S. 119f.
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rung dessen, was er erkl¨art hat: Allein, auch wenn ich eine andere M¨oglichkeit ” nicht sehe, negiere ich dennoch nicht, dass es sich anders verh¨alt. Wenn es denn etwas Zus¨atzliches gibt,28 so u¨ berlasse ich es vielmehr anderen, die scharfsinniger sind als ich.“ 29
10.2 Bonaventura Einer, der sich nur wenige Jahre nach R ICHARD F ISHACRE der Problematik der sakramentalen Wirksamkeit mit Scharfsinn gestellt hat, ist der Franziskaner B ONAVENTURA. B ONAVENTURA studierte in den sp¨aten 1240er Jahren in Paris Theologie und gab seine Sentenzenlesung zwischen 1250 und 125230 – in jenen Jahren also, als die Pariser Franziskaner damit besch¨aftigt waren, ¨ die unter der Agide A LEXANDERS VON H ALES begonnene Summa Halensis in dessen Sinn zu vollenden.31 Dies ist f¨ur die vorliegende Fragestellung von einiger Bedeutung, weil A LEXANDER sich sowohl in seinem GlossenKommentar als auch in einer eigenst¨andigen kleineren Quaestio als klarer Verfechter des Mitwirkungs-Modells ge¨außert hat, w¨ahrend B ONAVENTURA, wie bereits erw¨ahnt, das Pakt-Modell f¨ur satis sobrius h¨alt.32 B ONAVENTURA hatte sich daher nicht nur mit den u¨ blichen auctoritates, sondern auch noch mit der 28 Gemeint ist: etwas Zus¨atzliches in den Sakramenten, auf das sich der Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten begr¨unden l¨asst. 29 R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, Explicatio 2, ed. prov. Goering (i.E.), S. 46, l. 1067f.: Verumtamen, licet aliud non videam, tamen aliud esse non nego, sed aliis subtilioribus, si quid amplius est, relinquo. 30 Zu B ONAVENTURAS Leben und Werk vgl. S CHLOSSER , M ARIANNE: Bonaventura. ¨ , U LRICH (Hrsg.): Theolo‘Der Weg zur Weisheit ist die Liebe zum Gekreuzigten’, in: K OPF gen des Mittelalters. Eine Einf¨uhrung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002, S. 113–128; grundlegend bleibt weiterhin P ELSTER , F RANZ: Literargeschichtliche Probleme im Anschluss an die Bonaventuraausgabe von Quaracchi, in: Zeitschrift f¨ur katholische Theologie 48 (1924), S. 500–532, hier v.a. S. 516–532. 31 A LEXANDER war 1245 verstorben. Zur Entstehungsgeschichte der Summa Halensis vgl. die als eigener Faszikel erschienenen Prolegomena zur Quarachi-Edition (D OUCET, V ICTO RIN : Prolegomena in librum III necnon in libros I et II ‘Summae fratris Alexandri’, Quaracchi: Collegium S. Bonaventurae, 1948 (Alexandri de Hales Summa Theologica IV.1); dazu auch B RADY, I GNATIUS C.: The ‘Summa Theologica’ of Alexander of Hales (1924–1948), in: Archivum Franciscanum Historicum 70 (1977), S. 437–447, sowie G EYER , B ERNHARD: Der IV. Band der Summa des Alexander von Hales, in: Franziskanische Studien 31 (1949), S. 1–13). ¨ Einen guten Uberblick zur Entstehungsfrage bietet nun auch W EBER , H UBERT P HILIPP: S¨unde und Gnade bei Alexander von Hales. Ein Beitrag zur Entwicklung der theologischen Anthropologie im Mittelalter, Innsbruck: Tyrolia, 2003 (Innsbrucker theologische Studien 63), S. 39. 32 A LEXANDER VON H ALES: Glossa in libros sententiarum I.7, ed. Quaracchi (1957), S. 14f.; ders.: Quaestiones antequam q 48, ed. Quaracchi (1960), t. II, S. 843–862, hier bes. S. 847 (die Quaestio handelt de sacramentis in genere; vgl. auch deren zweite Redaktion ebd. t. III, S. 1441–1449). Zu B ONAVENTURA s.o., S. 127, Anm. 26.
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Autorit¨at der u¨ berragenden Figur der Pariser Franziskanerschule auseinanderzusetzen, was ihm sp¨atestens dann bewusst werden musste, als sein Kommentar zu Buch I der Sentenzen von P ETRUS L OMBARDUS an genau jenen Stellen vehement kritisiert wurde, wo er gegen A LEXANDER Position bezog.33 Dies mag mit ein Grund daf¨ur sein, dass B ONAVENTURA, der P ETRUS ’ Vorlage umstellt und Buch IV im direkten Anschluss an Buch I kommentiert, eine sehr ausgewogene Darstellung der Wirksamkeitsproblematik w¨ahlt und das MitwirkungsModell, obwohl es ihm sichtlich Schwierigkeiten bereitet, nicht wie R ICHARD F ISHACRE offen zur¨uckweist.34 10.2.1 Der Kommentar zur ersten Distinktion von Buch IV In seiner Diskussion der Wirksamkeitsproblematik im Rahmen der ersten Distinktion von Buch IV bem¨uht sich B ONAVENTURA, beiden Modellen sakramentaler Wirkweise gerecht zu werden. F¨ur beide Modelle sammelt er ausgiebig auctoritates und rationes, und dies nicht nur in seiner Hauptfrage, ob die Sakramente die Gnade bewirkten, sondern auch in zwei Unterfragen, deren eine auf den Aspekt der Urs¨achlichkeit fokussiert, w¨ahrend die andere die Problematik einer in den Sakramenten enthaltenen Kraft in den Blick nimmt.35 In der eigentlichen Diskussion dieser Quaestiones l¨asst er zudem zuerst die Vertreter des Mitwirkungs-Modells zu Wort kommen, nicht ohne dem vorher noch eine Con33 Vgl. ROSEMANN , P HILIPP W.: The Story of a Great Medieval Book. Peter Lombard’s Sentences, Peterborough: broadview press, 2007 (Rethinking the Middle Ages 2), S. 71f. 34 Zur Reihenfolge, in welcher B ONAVENTURA die Sentenzen gelesen hat, vgl. B RADY, I GNATIUS C.: The edition of the Opera omnia of Saint Bonaventure (1882–1902), in: Archivum Franciscanum Historicum 70 (1977), S. 352–376. Der Wirksamkeitsproblematik bei B ONA VENTURA gewidmet hat sich k¨ urzlich auch R EYNOLDS , P HILIP LYNDON: Efficient causality and instrumentality in Thomas Aquina’s theology of the sacraments, in: G INTHER , JAMES R./ S TEEL , C ARLOS (Hrsg.): Essays in Medieval Philosophy and Theology in Memory of Walter H. Principe, CSB, Aldershot: Ashgate, 2005, S. 67–84, hier S. 71–73, dem allerdings einige Ungenauigkeiten unterlaufen sind (Datierung von B ONAVENTURAS Sentenzenkommentar S. 71; vgl. zudem unten, Anm. 62, S. 149). In der neueren Literatur (wie etwa bei Reynolds, S. 71) findet sich zudem oft die Behauptung, B ONAVENTURA habe eine okkasionalistische Wirkweise der Sakramente vertreten (zur¨uckgehen d¨urfte dies auf L EEMING , B ERNARD: Principles of Sacramental Theology, London: Longmans, 1957, S. 290–292), was sachlich nicht v¨ollig falsch ist, terminologisch aber verwirrt: B ONAVENTURA spricht von occasionaliter generare im Rahmen der Mitwirkungs-, und gerade nicht der Pakt-Variante, vgl. B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 22a. Als ein Vertreter der Mitwirkungs-Variante benutzte H UGO VON S T. C HER den Terminus, um die untergeordnete Urs¨achlichkeit der alttestamentlichen Sakramente gegen¨uber jener der neutestamentlichen abzugrenzen (H UGO VON S T. C HER: Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ad 4, ed. Stegm¨uller (1953), S. 67. 35 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 19–24; die Quaestiones lauten: utrum sacramenta sint gratiae effectiva (ebd. S. 19a); utrum sacramentum sit causa disponens ad gratiam (ebd. S. 20a); und utrum in Sacramentis sit aliqua virtus, per quam influant in ipsam animam (ebd. S. 20b).
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clusio voranzusetzen, dass beide opiniones probabiles seien.36 Entsprechend findet sich in seiner Darstellung des Mitwirkungs-Modells auch keine Kritik an dieser Variante; vielmehr verzichtet B ONAVENTURA darauf, bereits an dieser Stelle Schwierigkeiten in deren Erkl¨arung anzumerken und geht stattdessen die bekannten Gegenargumente im Sinne des Mitwirkungs-Modells durch. Im ¨ Ubergang zu seiner Darlegung der Pakt-Variante betont er zudem, dass dieses Mitwirkungs-Modell der Meinung großer Lehrer entspreche; allerdings gebe es hierzu von anderen großen Lehrern auch eine (andere) Meinung.37 Zwar stellt B ONAVENTURA damit die Mitwirkungs-Variante a¨ ußerst wohlwollend dar; sein Ausf¨uhrungen zum Pakt-Modell heben aber dessen Vorz¨uge noch deutlicher hervor. Gem¨aß diesem Modell n¨amlich gebe es in den Sakramenten weder Urs¨achlichkeit noch eine Kraft im Sinne einer absoluten Eigenschaft oder Qualit¨at, sondern sie h¨atten ihre Wirkung per quandam assistentiam – aufgrund von g¨ottlicher Mithilfe.38 Dieser Assistenz-Begriff wird zusammen mit der Vertrags-Terminologie zu einem charakteristischen Label f¨ur die Pakt-Variante,39 und anhand dieses Assistenz-Begriffs beginnt B ONAVEN TURA , auf ein Mittel zur¨ uckzugreifen, das bereits R ICHARD F ISHACRE als Erkl¨arungshilfe beigezogen hat: B ONAVENTURA erweitert den Sinn u¨ berlieferter Redeweisen. Denn f¨ur die Vertreter des Pakt-Modells liege es an dieser Assistenz der g¨ottlichen Kraft, dass dem u¨ blichen Sprachgebrauch gem¨aß gesagt werden k¨onne, die Sakramente h¨atten eine Kraft und seien Ursache und w¨urden etwas bewirken.40 Doch verstehe sich dies alles extenso nomine, in einem erweiterten Sinn der Begriffe: So meine im Pakt-Modell virtus nicht, was das Wort im eigentlichen Sinne bedeute, also eine absolute Qualit¨at, Natur oder Essenz, welche zum Sakrament hinzukomme. Vielmehr werde der Begriff der Kraft ad aliquam ordinationem, zu einer gewissen Anordnung hin erweitert, so dass die Kraft im Sakramentalzeichen nichts Absolutes, sondern ad aliquid sei.41 Auch 36 Ebd., S. 21b: Probabilis est opinio, cum suis rationibus primo posita, quod sacramenta respectu gratiae gratum facientis sint causa sine qua non, respectu vero characteris et ornatus sint causa efficiens, respectu denique efficaciae gratiae et sanationis potentiarum sint causa disponens. Probabilis etiam est alia opinio, quae negat, ipsis Sacramentis datam esse virtutem efficientem per modum qualitatis absolutae, non relativae. 37 Ebd.: Haec opinio est magnorum. Est etiam aliorum magnorum circa hoc opinio. 38 Ebd., S. 23a: Est etiam aliorum magnorum circa hoc opinio dicentium, quod in sacramentis non sit causalitas neque virtus aliqua, nec effectiva nec dispositiva ad gratiam, quae sit qualitas vel proprietas aliqua absoluta, sed per quandam assistentiam. 39 B ONAVENTURA d¨urfte diesen Assistenz-Begriff von W ILHELM VON AUVERGNE haben, vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 119f. 40 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 23b: Dicunt ergo, quod sacramenta dicuntur habere virtutem et dicuntur causa et dicuntur efficere secundum communem modum loquendi propter assistentiam divinae virtutis. 41 Ebd., S. 23b: Si enim virtus dicat aliquam qualitatem vel naturam sive essentiam advenientem sacramento, sicut virtus proprie dicitur, sic secundum eos non est dicendum, quod
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Bonaventura versteht Aussagen u¨ ber die sakramentale Kraft als Bezeichnungen f¨ur die Relation, in welche die Sakramente auf g¨ottliche Anordnung hin gesetzt worden sind.42 Damit lehnt sich B ONAVENTURA mehr als nur terminologisch an R ICHARD F ISHACRE an,43 und mit R ICHARD teilt B ONAVENTURA auch die Beispiele, welche er als St¨utze der Pakt-Variante anf¨uhrt. Erneut erscheint Naaman, der sich auf Geheiß Elisas im Jordan badet, es werden, in etwas modifizierter Form, die vom K¨onig verteilten Embleme erw¨ahnt, und es taucht die AU GUSTINISCHE M¨ unze auf, die ohne substantielle Ver¨anderung zu einem Wert werden kann.44 Das einzige, was B ONAVENTURA bei seiner Darstellung des Pakt-Modells nicht affirmativ von R ICHARD u¨ bernimmt, ist dessen Rede von den Sakramenten als causae sine quibus non. Aus den einleitenden Argumenten gegen das Pakt-Modell wird aber deutlich, dass B ONAVENTURA genau diese Kausalit¨ats-Form f¨ur eine Voraussetzung des vorliegenden modus dicendi h¨alt.45 Am n¨utzlichsten scheint B ONAVENTURA aber R ICHARDS Mittel der exhabeat virtutem; sed extenditur nomen virtutis ad aliquam ordinationem. [...] Si ergo quaeras, quid sit illa virtus in illo signo; dicetur, quod non est aliquid absolutum, sed ad aliquid. 42 Vgl. ebd., S. 24b: Et si tu quaeras, super quid fundatur relatio, et quomodo advenit sine donatione proprietatis? Dicendum, quod in institutionibus signorum; ut quando nummus fit arrha nihil datur de novo ipsi nummo. 43 Vgl. zu den beiden vorangehenden Anmerkungen R ICHARD F ISHACRE: In IV libros sententiarum d 1, ad 6, q 2, Explicatio 1, ed. prov. Goering (i.E.), S. 45, l. 1024f.: Si quaeris quid amplius, videtur mihi [...] respondendum non quid amlius, sed potius ad aliquid amplius. Est enim relatio [...]. Et ideo non quaeras super rem cuius praedicamenti fundetur illa relatio [...]. Est enim haec relatio non a natura aliqua – in natura autem est – sed a voluntate, ut denarius fit pretium, nulla in eo facta mutatione. S.o. S. 135, Anm. 14 und 15. Zum Einfluss von R ICHARD F ISHACRE auf B ONAVENTURA vgl. C ALLUS , D. A.: Introduction of Aristotelian Learning to Oxford, in: Proceedings of the British Academy 29 (1943), S. 229–281, hier S. 259, sowie knapp C ALLUS , D. A.: Richard Fishacre, in: New Catholic Encyclopedia, Band 12, 1967, S. 479 und nun auch L ONG: Beginning of a Tradition (2002), S. 351. 44 Dienen bei R ICHARD die an die Armen verteilten Metall-Embleme noch als Beispiel f¨ur den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten, so illustrieren bei B O NAVENTURA die von einem K¨ onig bestimmten Zeichen bloß noch, in welch erweitertem Sinn gesagt werden k¨onne, dass mit einer Anordnung verbundene Zeichen eine Kraft h¨atten: Rex statuit ut qui habent tale signum, habeant centum libras. Post istam institutionem signum illud non habet aliquam proprietatem absolutam, quam non haberet prius (B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 23b; vgl. dazu C OURTENAY: Leaden Coin (1972), S. 201f.). Das Naaman-Beispiel findet sich bei B O NAVENTURA an derselben Stelle; das M¨ unzen-Beispiel ebd. S. 24b. 45 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ql 1, ed. Quaracchi IV (1889), S. 20a: Si sacramenta novae legis essent solum causa sine qua non, tunc ergo in ratione causandi non differrent a Sacramentis legis veteris et essent in onus; sed hoc est inconveniens. B ONAVENTURA f¨uhrt dies als Argument daf¨ur an, dass – wie im MitwirkungsModell angenommen wird – die Sakramente causa disponens seien, was insofern bedeutend ist, als insbesondere in der a¨ lteren Literatur bisweilen sine qua non-Kausalit¨at und causa disponens gleichgesetzt worden sind (vgl. etwa VAN DEN E YNDE: Stephen Lanthon and Hugh of St.
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tensio sermonis zu sein, denn er wendet es in seiner weiteren Darstellung nicht nur auf den Kraft-Begriff, sondern auch auf jenen der causa und auf die Bedeutung von efficere an.46 Und weil er nun an den erw¨ahnten Beispielen illustrieren kann, dass die Verwendung solch erweiterter Bedeutungen nichts Un¨ubliches ist, kann B ONAVENTURA sogar schließen, dass gem¨aß diesem u¨ blichen Wortgebrauch auch die sanctorum auctoritates gesprochen h¨atten.47 Damit wird f¨ur B ONAVENTURA deutlich, dass das Pakt-Modell weder mit der pietas fidei noch mit der ratio in Konflikt ger¨at, was sich – zumindest im Hinblick auf die ratio – f¨ur das Mitwirkungs-Modell nicht behaupten l¨asst. Erst an dieser Stelle verweist B ONAVENTURA ganz knapp auf eine Reihe von Schwierigkeiten, welche das Mitwirkungs-Modell mit sich bringe, doch h¨alt er in seiner abschließenden Stellungnahme dessen Vertretern weiterhin eine T¨ur offen: Jede dieser beiden Positionen erscheint zur Gen¨uge wahrscheinlich, diese [Pakt-Variante] allerdings scheint mir leichter zu halten. Dennoch weiß ich nicht, welche wahrer ist, denn da wir von Dingen sprechen, die zum Wundersamen z¨ahlen, ist der Vernunft nicht allzu sehr anzuh¨angen. Wir gestehen daher zu, dass die neutestamentlichen Sakramente Ursache sind und etwas bewirken und zu etwas disponieren – in einem erweiterten Sinn allerdings, wie es erkl¨art worden ist. Sagt man dies, bleibt man auf der sicheren Seite; ob die Sakramente allerdings etwas mehr haben, das will ich weder bejahen noch verneinen.48
In seiner Darstellung des Pakt-Modells lehnt sich B ONAVENTURA damit deutlich an R ICHARD F ISHACRE an und favorisiert dessen Modell, da es ihm mit ratio und auctoritas vers¨ohnbar scheint.49 Seinem Umfeld am Pariser FranzisCher (1952), S. 141; so auch k¨urzlich noch R EYNOLDS: Efficient Causality (2005), S. 71; vgl. D ONDAINE , H.F.: A propos d’Avicenne et de saint Thomas. De la causalit´e dispositive a` la causalit´e instrumentale, in: Revue Thomiste 51 (1951), S. 441–453). 46 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 24a: Et sicut extenditur nomen virtutis, ita verbum efficiendi, vel disponendi, quia nec efficit nec disponit influendo, sed efficaciter ordinando. Et sicut haec extenduntur, ita et nomen causae, quia non dicitur causa, secundum quod est principium operandi, sed secundum quod est ratio ordinandi. 47 Ebd., S. 24b: Et sic loquuntur sanctorum auctoritates secundum communem usum. 48 Ebd.: Utraque harum positionum satis videtur probabilis, haec tamen mihi videtur ad sustinendum facilior; nescio tamen, quae sit verior, quia cum loquimur de his quae sunt miraculi, non multum adhaerendum est rationi. Concedimus igitur, quod sacramenta novae legis sunt causa et efficiunt et disponunt, extenso nomine, ut dictum est, et hoc securum est dicere; utrum autem plus habeant, nec volo affirmare nec negare. 49 Als weiteres Beispiel einer klaren Parallele vgl. zum letzten Satz der vorangehenden Anmerkung (der Schluss von B ONAVENTURAS zweiter Diskussion der Wirksamkeitsproblematik) den Schluss von R ICHARDS Diskussion der Wirksamkeitsfrage, oben, S. 140 und Anm. 29. Zwischen den beiden Zentren Paris und Oxford u¨ bernahm letzteres in der Mitte des 13. Jahrhunderts daher keineswegs einfach die Rolle des Rezipienten, wie P ETER R AEDTS aus dem Beispiel R ICHARD RUFUS ’ VON C ORNWALL geschlossen hatte (R AEDTS , P ETER: Richard
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kaner-Konvent entsprechend gesteht er zwar zu, dass auch die MitwirkungsVariante eine probabilis opinio sei, was R ICHARD bekanntlich f¨ur unsinnig gehalten hat. Auch ist B ONAVENTURA wesentlich mehr bem¨uht, rationes und auctoritates miteinander in Einklang zu bringen. Doch w¨ahlt er hierzu eine Vorgehensweise, welche er erneut schon bei R ICHARD angetroffen hat, und vollzieht diese Vers¨ohnung auf Kosten der w¨ortlichen Bedeutung der auctoritates, indem er den Kernbegriffen virtus, causa und efficere einen erweiterten Sinn unterstellt. Wie schon R ICHARD sah sich daher auch B ONAVENTURA veranlasst, aufgrund der rationes die auctoritates umzudeuten. 10.2.2 Das Dubium am Ende von Buch III So sehr B ONAVENTURA sich nun aber bem¨uht gezeigt hatte, auch die Vertreter des Mitwirkungs-Modells zu ihrem Recht kommen zu lassen, schienen seine Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsproblematik am Beginn von Buch IV doch auf heftige Kritik gestoßen zu sein. Denn als B ONAVENTURA im Anschluss an seinen Kommentar zu Buch IV auch u¨ ber Buch II und III von P ETRUS ’ Sentenzen las, hielt er es f¨ur n¨otig, ganz am Ende von Buch III, wo P ETRUS L OMBARDUS die distantia zwischen Altem und Neuem Testament bereits auch anhand der unterschiedlichen Sakramente illustriert hatte,50 die Wirksamkeitsproblematik noch einmal aufzugreifen. In einem Dubium, das die Unterscheidung von altund neutestamentlichen Sakramenten anhand von deren Wirksamkeit in Frage stellt, versucht B ONAVENTURA die Kritik auszur¨aumen, die ganz offensichtlich an seiner ersten Darstellung der Wirksamkeitsproblematik laut geworden ist. Entsprechend defensiv ist dieses Dubium gehalten. Erneut steigt B ONAVENTURA mit einer Darstellung des Mitwirkungs-Modells ein und h¨alt sich – gewissermaßen als Reverenz an A LEXANDER VON H ALES und dessen Sch¨uler – nicht zur¨uck zu betonen, dass dieses Modell von erfahrenen und glaubw¨urdigen Menschen vertreten werde.51 Doch f¨uhrt er diesmal keinen einzigen rationalen Grund f¨ur diesen modus dicendi an, sonRufus of Cornwall and the Tradition of Oxford Theology, Oxford: Clarendon, 1987, hier S. 63). Schleierhaft ist zudem, wie L EINSLE , U LRICH G.: Res et signum. Das Verst¨andnis zeichenhafter Wirklichkeit in der Theologie Bonaventuras, M¨unchen: Sch¨oningh, 1976, S. 231, behaupten kann, gem¨ass B ONAVENTURA sei die Kausalit¨at der Sakramente eine causalitas ” instrumentalis dipositiva intentionalis“ – nur gerade der Begriff einer causa disponens taucht bei Boanventura u¨ berhaupt auf, geh¨ort aber zu seiner Pr¨asentation des Mitwirkungs-Modells (vgl. Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, qc 1, ed. Quaracchi IV (1889), S. 20a). 50 P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae III d 40, c 3.1, ed. Grottaferrata (1981), S. 229: Distat autem evangelii littera a legis littera: quia [...] diversa etiam sacramenta, quia illa tantum significabant, haec conferunt gratiam. 51 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum III d 40, dub 3, ed. Quaracchi IV (1889), S. 894a: Hunc modum dicendi sustinent viri periti et fide digni.
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dern erw¨ahnt nur einige der u¨ blichen auctoritates und breitet dann eingehend die Schwierigkeiten aus, welche dieses Modell nach sich ziehe. Wie schon R ICHARD F ISHACRE sieht auch B ONAVENTURA diese Schwierigkeiten zum einen in der Ordnung zwischen k¨orperlichen und geistigen, sowie zwischen nat¨urlichen und u¨ bernat¨urlichen Dingen angelegt, welche durch ein sakramentales Wirken durchbrochen werde; zum anderen verortet er sie im heterogenen, aus mehreren Worten und Elementen zusammengesetzten Wesen der Sakramente, das es unm¨oglich mache zu sagen, in welchem Teil wirksame Kraft oder Gnade enthalten seien.52 Dennoch f¨ugt er – noch bevor er u¨ berhaupt auf das Pakt-Modell zu sprechen kommt – eine ausf¨uhrliche reservatio ein: Dies alles und vieles weitere [am Mitwirkungs-Modell] ist schwer zu verstehen und zu erkl¨aren. Das sage ich aber nicht deswegen, weil ich glaube, dass es unl¨osbar ist oder dass ich damit diese Position umstoße. Vielmehr will ich zeigen, dass ich sie nicht vollst¨andig verstehe und daher weder best¨atigen noch zur¨uckweisen will. Denn auch wenn ich sie nicht klar verstehe, weiß und verstehe ich doch dieses, dass Gott mehr machen kann und in den Sakramenten selbst macht, als wir verstehen k¨onnen. Wenn wir daher bei der wundersamen Macht Gottes Zuflucht suchen, so l¨asst sich dies alles ganz leicht darlegen.53
Aber offensichtlich will sich B ONAVENTURA mit einer Hinwendung ad mirabilem Dei potentiam nicht zufrieden geben, und so pr¨asentiert er denn erneut auch das Pakt-Modell. Auch diese Darlegung bleibt aber von einem defensiven Tonfall gepr¨agt. Hat B ONAVENTURA in seinem Kommentar zu Buch IV den Wortgebrauch von virtus erweitert, um den Sakramenten nur extenso nomine eine solche zuzusprechen, so gleicht er sich hier wieder st¨arker dem u¨ blichen Sprachgebrauch an und gesteht den Sakramenten eine vierfache virtus zu: eine einfliessende, eine verdienstliche, eine disponierende und eine wirksam anordnende.54 Mehr als eine sprachliche Ann¨aherung ist dies allerdings nicht, denn keine dieser Kr¨afte kommt im Verst¨andnis von B ONAVENTURA den Sakramenten wirklich selbst zu. Dies gilt insbesondere f¨ur die virtus efficaciter ordinans, welche den Sakramenten aufgrund eines g¨ottlichen eingesetzten Pakts eigen sei: Denn Gott habe 52
Ebd., S. 894a–895a; zu R ICHARD F ISHACRE s.o., S. 133. B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum III d 40, dub 3, ed. Quaracchi IV (1889), S. 895a: Haec omnia et multa alia circa hoc valde difficile est intelligere et explicare. Quae non idcirco narro, quia credam esse insolubilia, vel ut per ipsa istam improbem positionem, sed ut ostendam, me ipsam non intelligere, et ideo nec affirmare nec negare velle; quia, etsi ipsam non clare intelligam, hoc tamen scio et intelligo, quod plura potest Deus facere et etiam in ipsis sacramentis facit, quam nos possumus intelligere. Unde confugiendo ad mirabilem Dei potentiam, omnia ista possumus facile declinare. 54 Ebd.: Supposito quod in sacramentis novae legis ‘divina virtus secretius operatur’, quia hoc est ipsius fidei et sententiae communis: dixerunt aliqui, sacramenta novae legis habere respectu iustificationis virtutem influentem, promerentem, disponentem et efficaciter ordinantem. 53
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es so eingerichtet, dass bei Ausspruch bestimmter Worte und Empfang eines Sakraments Heilung und Rechtfertigung des Empf¨angers vollzogen werde, und in diesem Sinne gelte, dass die Sakramente eine Kraft h¨atten.55 R ICHARD F ISHACRES Verst¨andnis von konventionellen Aussagen in einem u¨ bertragenen Sinn ist daher in dieser erneuten Darstellung der Wirksamkeitsproblematik ebenso pr¨asent wie dessen Rekurs auf ein Pakt-Geschehen. Doch bem¨uht sich B ONAVENTURA im Gegensatz zu seinem englischen Vorl¨aufer erneut, die Unterschiede zum Mitwirkungs-Modell klein zu halten. Denn das Pakt-Modell lasse sich auf zwei Arten verstehen: Entweder ausschließlich, so dass die beschriebene virtus auf keine andere als der beschriebenen Weise in einem Sakrament sein k¨onne, oder aber inklusiv, so dass die M¨oglichkeit einer weiteren, dar¨uber hinausgehenden Kr¨afte-Wirkung offen gelassen werde.56 Die zweite Art, welcher B ONAVENTURA sich anschließt, widersetze sich dem Mitwirkungs-Modell daher gar nicht, vielmehr w¨urde auch jemand, der das Mitwirkungs-Modell vertrete, einem so verstandenen Pakt-Modell nicht widersprechen, sondern dieses erg¨anzen.57 Mit einem so verstandenen Pakt-Modell blieb daher auch die Autorit¨at eines A LEXANDER VON H ALES unangetastet, das Modell st¨utzte vielmehr mit ihm zusammen die communis opinio.58 Obschon B ONAVENTURA das Pakt-Modell daher nicht im Konflikt mit der favorisierten Position seines großen Lehrers sieht, versucht er trotzdem, sich 55 Ebd., S. 895b: Die neutestamentlichen Sakramente h¨atten eine virtutem denique efficaciter ordinantem ratione divinae pactionis institutentis. Sic enim instituit Dominus, ut ad talis verbi prolationem et sacramenti susceptionem mirabilis in suscipientibus fieret operatio et suscipientium sanatio et iustificatio; et pro tanto dicuntur sacramenta novae legis habere virtutem. 56 Ebd., S. 896a: Et istum modum dicendi dupliciter potest quis sustinere et intelligere: vel ita, quod omnino affirmet, nullo alio modo esse virtutem in sacramentis novae legis quam modis praedictis; vel quod hoc modo affirmet, virtutem in eis esse, ita tamen, quod non neget, alium modum praeter hos existendi virtutem in sacramentis esse possibilem. Et primus modus repugnat priori modo dicendi; secundus autem modus dicendi priori opinioni non repugnat, quia nihil dicit, quod illa non dicat. 57 Ebd.: Nihil dicit, quod communis opinio non teneat – nullus enim recte sentiens negat, quin omnibus dictis modis sacramenta novae legis virtutem habeant – sed si quis plus dicit, huic positioni non contradicit, sed addit. 58 So rechtfertigt B ONAVENTURA sein nochmaliges Aufgreifen der Wirksamkeitsproblematik am Ende des dritten Buchs mit den Worten: Idcirco hic repetii, non propter hoc, ut nova superadderentur, sed ut ostenderetur, quod a communi positione non dissonat (ebd., S. 896b). Vgl. auch die vorangehende Anmerkung und oben, S. 127, Anm. 26. Wie sehr ihm an der communis opinio lag, betonte B ONAVENTURA bereits in der ber¨uhmten Praelocutio zu Buch II (bzw. in der Epistola apologetica zu Buch I, wie S YNAN , E DWARD A LOYSIUS: A Bonaventurian enigma: ‘praelocutio’ or ‘epilogus’? A third hypothesis, in: B LANCO , C HAVERO (Hrsg.): Bonaventuriana. Miscellanea in onore di Jacques Guy Bougerol OFM, Rom, 1988 (Bibliotheca Pontificii Athenaei Antoniani 27–28), S. 493–505, hier S. 502, vorgeschlagen hat; vgl. B ONA VENTURA : Commentaria in libros sententiarum II Praelocutio, ed. Quaracchi IV (1889), S. 1–3).
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weiter abzusichern, so etwa im Hinblick auf die pietas der Modelle: Auch wenn er dem Mitwirkungs-Modell zugestehe, satis pius zu sein, lasse sich doch auch argumentieren, dass das Pakt-Modell, weil es ohne zus¨atzliche Kr¨afte auskomme, in seiner Schlichtheit der humilitas fidei fast noch mehr entspreche als die Mitwirkungs-Variante.59 Und auch wenn das Mitwirkungs-Modell in A LEX ANDER VON H ALES einen prominenten zeitgen¨ ossischen Vertreter fand, kannte B ONAVENTURA auch ‘wohlverst¨andige’ Vertreter des Pakt-Modells: Kein geringerer als W ILHELM VON AUVERGNE, seines Zeichens Bischof von Paris, habe als Lektor bei den Franziskanern diesem modus dicendi zugestimmt – und dies coram fratre Alexandro.60 A LEXANDER selbst hatte das Pakt-Modell damit gewissermaßen abgesegnet. Wesentlich st¨arker noch als R ICHARD F ISHACRE nahm B ONAVENTURA damit R¨ucksicht auf traditionelle und zeitgen¨ossische Autorit¨aten; und so ist denn diese zweite Darstellung der Wirksamkeitsproblematik noch einmal st¨arker vom Bem¨uhen gepr¨agt, den Konflikt zwischen auctoritas und ratio m¨oglichst klein zu halten. Allerdings hielt das B ONAVENTURA weiterhin nicht davon ab, wegen der rationalen Gr¨unde, die f¨ur das Pakt- und gegen das Mitwirkungs-Modell sprachen, an der Pakt-Variante festzuhalten. Wie schon R ICHARD F ISHACRE und wie schon in seiner ersten Darstellung bleibt B ONAVENTURA auch an der vorliegenden Stelle dabei, Abstriche nicht auf Seiten der ratio, sondern beim Wortsinn der auctoritates zu machen.61 So sehr ihn dies in Konflikt mit seinen 59
B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum III d 40, dub 3, ed. Quaracchi IV (1889), S. 895b: Humilitas fidei non tantum debet refugere diminutionem, verum etiam superfluitatem, et laudabilius quodam modo videtur diminute dicere quam ampliare. Es handelt sich m¨oglicherweise um eine Anspielung an den Prolog von W ILHELM VON AUXERRE: Summa aurea, ed. Ribaillier (1980), S. 15: Rationes naturales in fidelibus augmentant fidem et confirmant. Vgl. auch A MBROSIASTER: In eipistula Paulinas Ad 1 Tim 1,16, CSEL 81,3 (1969), S. 256: Humilitas enim ista non ad diminutionem eius proficit, sed ad gloriam. Sinngem¨aß f¨uhrte B ONAVENTURA dieses Argument bereits in seinem Kommentar zu Buch IV an: Cavendum est enim, ne, dum nimis damus corporalibus signis ad laudem, subtrahemus honorem gratiae curanti et animae suscipienti (B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 24). 60 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum III d 40, dub 3, ed. Quaracchi IV (1889), S. 895bf.: Hunc modum dicendi et huius quaestionis determinationem plures sustinent bene intelligentes. Et dominus Gulielmus, Parisiensi episcopus, in determinando in scholis Fratrum Minorum approbavit | istum modum dicendi coram fratre Alexandro bonae memoriae. S.o., S. 128 mit Anm. 31, und u., S. 469. Zu W ILHELM VON AUVERGNE vgl. ROSIER C ATACH: La parole efficace (2004), S. 115–124. 61 Vgl. neben dem oben, S. 147 angef¨uhrten Beispiel auch B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum III d 40, dub 3, ed. Quaracchi IV (1889), S. 896a, wo die Einheit von Geist, Wasser und Blut gem¨aß Joh 5,8 als Einheit nicht per essentiam, sondern per ordinem begriffen wird. Die defensive Haltung der Darstellung im vorliegenden Dubium erscheint zudem eher als Zur¨ucknahme gegen¨uber der ersten Darstellung am Beginn von Buch IV, denn als more energic support“ des Pakt-Modells, wie dies C OURTENAY: Leaden Coin (1972), S. 201, ” Anm. 55, schreibt.
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Mitbr¨udern zu bringen schien, war es f¨ur B ONAVENTURA doch die ratio, deren kritischen Anfragen sich die auctoritates zu beugen hatten. In einer dritten, a¨ ußerst knappen Darstellung der Wirksamkeitsproblematik in seinem Breviloquium sollte er sich daher mit der Feststellung begn¨ugen, dass die neutestamentlichen Sakramente Gef¨aße der Gnade und Ursache genannt w¨urden, nicht weil ” die Gnade in ihnen substantiell enthalten w¨are oder durch sie urs¨achlich bewirkt wird, sondern weil aufgrund eines g¨ottlichen Erlasses in ihnen und durch sie vom gr¨oßten Arzt Christus die Gnade zur Heilung empfangen werden soll.“62
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Breviloquium VI.1, ed. Quaracchi V (1891) S. 265: Huiusmodi sacramenta dicuntur gratiae vasa et causa, non quia gratia in eis substantialiter contineatur nec causaliter efficiatur, cum in sola anima habeat collocari et a solo Deo habeat infundi; sed quia in illis et per illa gratiam curationes a summo medico Christo ex divino decreto oporteat hauriri, ‘licet Deus non alligaverit suam potentiam Sacramentis’. Mit C OURTENAY: Leaden Coin (1972), S. 201, Anm. 55, und H AMM: Promissio, pactum, ordinatio (1977), S 479, scheint mir dies deutlich zu machen, dass B ONAVENTURA hier nur noch die Pakt-Variante vertritt, und sich nicht, wie R EYNOLDS: Efficient Causality (2005), S. 73 vertritt, in a primitive, unexplicated account“ ” verliert.
Kapitel 11
Rationalisierung der auctoritates: Thomas von Aquin Dass sich die Wirksamkeitsproblematik nur l¨osen l¨asst, wenn die u¨ berlieferten Bestimmungen in einem erweiterten Sinn verstanden werden, dass also rationes und auctoritates nur dank Abstrichen auf Seiten der auctoritas zu vers¨ohnen ¨ sind, ist f¨ur T HOMAS VON AQUIN undenkbar. Die Uberzeugung, dass sich die christlichen Lehren – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – in ihrer u¨ berlieferten Auspr¨agung rational durchdringen und erschließen lassen, pr¨agt nicht nur seine spekulativen Schriften grundlegend, sondern ist auch Ausgangspunkt und Ziel manch einer seiner Polemiken.1 Entsprechend ist denn auch seine Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik vom Anspruch gepr¨agt, eine rational stringente L¨osung zu finden, die aber den auctoritates in deren Wortsinn gerecht wird.2 1
Dies ist ja ganz grunds¨atzlich das Anliegen der Summa contra gentiles, pr¨agt aber beispielsweise auch die Polemik um die Individualit¨at menschlicher Seelen des De unitate intellectu, vgl. dazu Z AHND , U ELI: Averro¨es perversor. Eine Untersuchung zu Thomas von Aquins Auslegungskritik an Ibn Rushds langem Anima-Kommentar, in: G RAF, M ICHAEL/M ATHWIG , F RANK/Z EINDLER , M ATTHIAS (Hrsg.): ‘Was ist der Mensch?’. Theologische Anthropologie im interdisziplin¨aren Kontext, Stuttgart: Kohlhammer, 2004, S. 115–136. 2 Bei keinem anderen scholastischen Autoren ist in der modernen Literatur die Wirksamkeitsproblematik so ausf¨uhrlich dargestellt und diskutiert worden wie bei T HOMAS VON AQUIN. F¨ur eine Bibliographie der a¨ lteren Literatur vgl. L EEMING: Sacramental Theology (1957), S. 654–659, und F INKENZELLER , J OSEF: Die Lehre von den Sakramenten im allgemeinen. Von der Schrift bis zur Scholastik, Freiburg im Breisgau: Herder, 1980 (Handbuch der Dogmengeschichte IV/1a), S. 205. An dieser Stelle sei neben ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 135–139, und R EYNOLDS: Efficient Causality (2005) bloß auf folgende neuere ¨ Beitr¨age hingewiesen: R OHRIG , H.J.: ‘Realisierendes Zeichen’ oder ‘Zeichen einer heiligen Sache’. Das Sakramentsvers¨andnis des Thomas von Aquin als Anfrage an gegenw¨artige Sakramententheologie, in: Lebendiges Zeugnis 58 (2003), S. 101–116; H EDWIG , K LAUS: ´Efficiunt quod figurant´. Die Sakramente im Kontext von Natur, Zeichen und Heil (S.th. III, qq. 60–65 und q. 75), in: S PEER , A NDREAS (Hrsg.): Thomas von Aquin: die summa theologiae, de Gruyter, 2005, S. 401–425; B LANKENHORN , B ERNHARD: The Instrumental Causality of the Sacraments. Thomas Aquinas and Louis-Marie Chauvet, in: Nova et Vetera. English Edition 4.2 (2006), S. 255–294, sowie M C C ORD A DAMS , M ARILYN: Powerless Causes. The Case of Sacramental Causality, in: M ACHAMER , P ETER/W OLTERS , G EREON (Hrsg.): Thinking about Causes. From Greek Philosophy to Modern Physics, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 2007, S. 47–76, hier S. 49–55.
11.1 Zuspitzung der Problematik
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11.1 Zuspitzung der Problematik Wie die meisten theologischen Probleme griff T HOMAS auch die Frage nach der sakramentalen Wirkweise mehrfach in seinen zahlreichen Schriften auf. Eingehende Beachtung fand sie neben dem Sentenzenkommentar (vor 1256) auch in der 27. Quaestio De veritate (nach 1256) und in Quaestio 62 der Tertia pars seiner Summa theologiae (1272/73).3 Bereits einige sp¨atmittelalterliche Interpreten von T HOMAS stellten fest, dass dessen L¨osung der Wirksamkeitsproblematik sich dabei ver¨anderte: Zwar ließ sich Thomas durchgehend als ein Verfechter des Mitwirkungs-Modells einordnen, doch wo er im Sentenzenkommentar den eigentlichen Effekt der Sakramente noch auf deren Bereitstellung einer bestimmten Disposition, einer Veranlagung der Seele zum Gnadenempfang beschr¨ankt hatte, betrachtete er die Sakramente in der Summa theologiae als Instrumente auch der Gnadenvermittlung selbst.4 In der modernen Literatur wird diese Entwicklung vielfach nachgezeichnet und mit einer zweiten in Verbindung gebracht, dass n¨amlich T HOMAS in seiner Sakramentendefinition den Fokus von den Sakramenten als Ursachen auf die Sakramente als Zeichen verschiebe.5 Weil T HOMAS die Schwierigkeiten eingesehen habe, die mit der Wirksamkeitsproblematik verbunden seien, habe er, so geht ein Interpretationsansatz, diesen Urs¨achlichkeits-Aspekt bewusst zur¨uckgenommen, und so sei denn seine sp¨ate Rede von den Sakramenten als Instrumenten nur noch eine 3 Zu den Daten vgl. T ORRELL , J EAN -P IERRE: Initiation a` Saint Thomas d’Aquin. Sa personne et son oeuvre, Paris: CERF, 1993 (Vestigia 13). Bloß gestreift wird die Wirksamkeitsproblematik in der Summa contra gentiles IV 56, ed. W¨orner (2001), S 382; vgl. dazu T URRI NI , M AURO : L’anthropologie sacramentelle de S. Thomas d’Aquin dans summa theol. III qq. 60–65, Paris: Septentrion, 1996, S. 94–99. 4 Solche Entwicklungen in T HOMAS ’ Denken wurden bekanntlich bereits seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert in zahlreich u¨ berlieferten Listen gesammelt, vgl. G AUTHIER , R.-A.: Les ‘Articuli in quibus frater Thomas melius in Summa quam in Scriptis’, in: Recherches de th´eologie ancienne et m´edi´evale 19 (1952), S. 271–326. In bloß einer einzigen, um 1300 entstandenen Handschrift (Paris, Maz. 830, fol. 214r), die im fr¨uhen 15. Jahrhundert aber nachweislich in Verwendung war (vgl. G AUTHIER: Articuli (1952), S. 280), findet sich nun auch die Entwicklung in der Wirksamkeitsfrage festgehalten: Item, in quarto, vult quod sacramenta novae legis causant gratiam, sed non attingendo ipsam, sed characterem vel aliquid loco eius. Ultima parte, vult quod attingunt ipsam gratiam (ebd. S. 319). Ausf¨uhrlich diskutiert die Entwicklung dann T HOMAS DE V IO C AJETANUS: Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, Bd. III, S. 279a (s.u., Teil IV, Kap. 20.3.2). 5 So grundlegend D ONDAINE: A propos d’Avicenne (1951); vgl. neben ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 135–139, und H EDWIG: Efficiunt quod figurant (2005), S. 403f., auch T ORRELL , J EAN -P IERRE: La causalit´e salvifique de la r´esurrection du Christ selon saint Thomas, in: Revue Thomiste 96 (1996), S. 179–208. T URRINI: L’anthropologie sacramentelle (1996), S. 118, unterstreicht diese Verschiebung hin zur Semiotik, sieht eine noch grundlegendere Neuerung des Ansatzes der Summa aber in einer neu mitgedachten “dimension cultuelle” (ebd. S. 124).
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Kapitel 11: Rationalisierung der auctoritates: Thomas von Aquin
Benennung, nicht aber mehr eine wirkliche Erkl¨arung der sakramentalen Wirkweise.6 Darauf ist gleich noch zur¨uckzukommen. Im vorliegenden Zusammenhang ist erst einmal bedeutsam, dass f¨ur T HO MAS vom Sentenzenkommentar bis zur Summa theologiae eines nicht nur feststeht, sondern stets den Ausgangspunkt seiner Beurteilung der sakramentalen Wirkweise bildet: die notwendige Aussage n¨amlich, dass die neutestamentlichen Sakramente auf irgendeine Weise Ursache der Gnade seien.7 Daran gibt es f¨ur Thomas zeit seines Lebens nichts zu r¨utteln – vielmehr f¨uhrt er im Verlaufe seiner Karriere immer st¨arkere Gr¨unde f¨ur diese Notwendigkeit an: Wo es im Sentenzenkommentar noch die auctoritates sind, die dies expresse sagen und darum zu befolgen sind,8 macht T HOMAS in De veritate Sinn und Stellenwert der neutestamentlichen Sakramente an sich von deren Urs¨achlichkeit abh¨angig und bem¨uht hierf¨ur die apostolica doctrina: W¨urde n¨amlich im neuen Bund die Gnade nicht vermittelt, so t¨otete das neue Testament in Anlehnung an 2. Kor 3,6 und Gal 3,19 nicht anders als das alte Gesetz und vergr¨oßerte die 9 ¨ Ubertretungen. W¨ahrend daher das alte Gesetz nur belehrt und dessen Sakramente bloß Zeichen der Gnade gewesen seien, belehre und rechtfertige das neue Gesetz, dessen Sakramente folglich sowohl als Zeichen als auch als Ursache der Gnade anzusehen seien – eius sacramenta sunt gratiae et signum et causa.10 In 6 Vgl. bereits D ONDAINE , H.F.: La d´efinition des sacrements dans la ‘Somme th´eologique’, in: Revue des Sciences Philosophiques et Th´eologiques 31 (1947), S. 213–228, S. 226: L’efficacit´e des sacrements paraˆıt donc davantage trait´ee en myst`ere, a` recevoir directement ” de la Parole de Dieu.“ So nun vor allem auch R EYNOLDS: Efficient Causality (2005), S. 80: Thomas goes to some lengths to explain in general how instrumental causes work, but he does ” not try to explain how the sacraments work“, was allerdings auf der doch eher gewagten Behauptung fußt, dass one should not assume that when Thomas characterizes a sacrament as an ” instrumental cause and compares it to an adz, he is placing adzes and sacraments in the same genus of cause“ (ebd. S. 77) – was sonst w¨are der Sinn dieses Vergleichs? 7 T HOMAS VON AQUIN: In sententias d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31: Respondeo dicendum, ad primam quaestionem, quod omnes coguntur ponere, sacramenta novae legis aliquo modo causas gratiae esse. Ebenso De veritate q 27, a 4, resp., ed. Spiazzi (1953) S. 521b: Respondeo. Dicendum, quod sacramenta novae legis esse aliqualiter causam gratiae necesse est poni. Und schließlich Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 348b: Respondeo dicendum quod necesse est dicere sacramenta novae legis per aliquem modum gratiam causare. 8 In sententias d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31: propter auctoritates quae hoc expresse dicunt; vgl. auch ebd. einige Zeilen sp¨ater zur causalitas: sancti multum curassent de ea dicere. 9 De veritate q 27, a 4, resp., ed. Spiazzi (1953) S. 521b: Propter hoc enim lex occidere dicebatur et transgressionem augere, quia cognitionem peccati faciebat, gratiam vero adiutricem contra peccatum non conferebat. Si ergo nova lex gratiam non conferret, similiter occidere diceretur, et transgressionem augere; cuius contrarium apostolica doctrina profitetur. 10 Ebd.: Sic ergo, quia vetus lex tantum instruebat, eius sacramenta erant gratiae solum signa; quia vero nova lex et instruit et iustificat, eius sacramenta sunt gratiae et signum et causa.
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der Summa theologiae schließlich ist es erneut die apostolische Autorit¨at von Gal 3, mit der die sakramentale Urs¨achlichkeit nun aber grunds¨atzlich mit der M¨oglichkeit einer Teilhabe an Christus verkn¨upft wird: Gem¨aß Gal 3,25 sei es offenkundig, dass ein Mensch durch die neutestamentlichen Sakramente Christus einverleibt werde; ein Glied Christi werde man aber nur durch die Gnade.11 Spricht man es daher, so die implizierte Konsequenz dieser Pr¨amissen, den neutestamentlichen Sakramenten ab, Ursache der Gnade zu sein, so kann durch sie auch keine Teilhabe am Leib Christi erm¨oglicht werden. Von den auctoritates sanctorum u¨ ber den Stellenwert des neuen Bundes bis hin zur grunds¨atzlichen M¨oglichkeit einer Teilhabe an Christus wird damit die theologische Reichweite der Ursachenfrage u¨ ber die Jahre hinweg immer grunds¨atzlicher12 – entgegen der Lesart einiger moderner Interpreten erh¨alt die Urs¨achlichkeit der Sakramente f¨ur T HOMAS offensichtlich eine immer gr¨oßere Bedeutung. Das Problem ist nur, dass in T HOMAS Augen das Pakt-Modell diesen Anspr¨uchen nicht gerecht zu werden vermag. Zwar leuchtet ihm die Kritik ein, die von Vertretern der Pakt-Variante an herk¨ommlichen Formulierungen des Mitwirkungs-Modells ge¨außert wird: In De veritate sammelt er nicht weniger als 19 Argumente gegen eine Kausalit¨at der Sakramente – Argumente, die vorwiegend auf den Ordo-Aspekt abzielen und eine niederere Sache nicht als Tr¨ager oder Ursache eines h¨oheren Dings akzeptieren.13 Doch hilft alles Argumentieren nichts gegen die Tatsache, dass die Erkl¨arungen, welche von den Vertretern des Pakt-Modells angef¨uhrt werden, nicht gen¨ugen, um die dicta sanctorum zu best¨atigen. So schreibt T HOMAS schon ein seinem Sentenzenkommentar:
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Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 348b: Manifestum est enim quod per sacramenta novae legis homo Christo incorporatur, sicut de baptismo dicit apostolus, Galat. III, quotquot in Christo baptizati estis, Christum induistis. Non autem efficitur homo membrum Christi nisi per gratiam. Zur Leibes-Metapher vgl. auch T ORRELL: Causalit´e salvifique (1996), S. 189. 12 Was nicht heißt, dass die fr¨uheren Bedeutungszusammenh¨ange abgel¨ost, sondern vielmehr erweitert werden – noch in der Summa hebt T HOMAS den Stellenwert der neutestamentlichen Sakramente mit Verweis auf die auctoritates hervor: cum tamen ex multis sanctorum auctoritatibus habeatur quod sacramenta novae legis non solum significant, sed causant gratiam (Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 349a). 13 De veritate q 27, a 4, args., ed. Spiazzi (1953) S. 520a–521a. T HOMAS d¨urfte der erste sein, der die oben, S. 130, angef¨uhrte Stelle aus B ERNHARD VON C LAIRVAUX als Argument f¨ur die Pakt-Variante einf¨uhrt (arg. 1 ebd. in De veritate, so auch schon In sententias d 1, q 1, a 4, qc 1, arg 1, ed. Moos (1947), S. 26; vgl. Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 349a). Als Zwischenstufe zwischen B ERNHARD und T HOMAS kommt aber neben dem von ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 124 angef¨uhrten W ILHELM VON AU VERGNE auch P ETRUS DE BAR in Betracht, vgl. D ONDAINE : A propos d’Avicenne (1951), S. 445, Anm. 3.
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Wenn eine causa sine qua non u¨ berhaupt nichts – weder disponierend noch verbessernd – dazu beitr¨agt, eine Wirkung hervorzubringen, so u¨ bertrifft sie als Wirkgrund rein akzidentielle Ursachen in keiner Weise, so wie etwa ‘weiß’ Ursache eines Hauses ist, wenn dessen Erbauer weiß ist. So aber w¨aren die Sakramente bloße akzidentielle Ursachen der Heiligung. Denn jene Anordnung oder jener Pakt, wovon sie sprechen, f¨ugt ihnen nichts Urs¨achliches, sondern nur etwas Zeichenhaftes hinzu, wie auch ein Blei-Denar nur ein Zeichen ist, das angibt, wer etwas empfangen soll. Was allerdings nur akzidentiell ist, wird in einer Definition nicht angegeben; in der Definition eines Sakraments w¨urde daher die genannte Urs¨achlichkeit nicht erw¨ahnt und auch die Heiligen w¨urden sich nicht so sehr darum bem¨uhen, von ihr zu sprechen.14
Was T HOMAS nicht akzeptieren kann, ist die Zuordnung der Sakramente zu einer uneigentlichen Form von Kausalit¨at, denn im eigentlichen Sinne w¨aren sie damit nichts weiteres als Zeichen.15 Das widerspricht nicht nur den auctoritates und Definitionen, sondern hebt auch den Unterschied zwischen altund neutestamentlichen Sakramenten auf, wo es doch – wie T HOMAS auch in der Summa theologiae noch festh¨alt – aus vielen auctoritates von Heiligen ” ersichtlich ist, dass neutestamentliche Sakramente die Gnade nicht nur bezeich16 nen, sondern auch verursachen.“ Die Urs¨achlichkeit geh¨ort als differentia propria zur Bestimmung der neutestamentlichen Sakramente und l¨asst sich nicht wegrationalisieren; an dieser Problemlage a¨ ndert sich f¨ur T HOMAS von sei14
In sententias d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31: Causa enim sine qua non, si nihil omnino faciat ad inducendum effectum vel disponendo vel meliorando, quantum ad rationem causandi, nihil habebit supra causas per accidens; sicut album est causa domus, si aedificator sit albus; et secundum hoc sacramenta essent causae per accidens tantum sanctificationis. Illa enim ordinatio quam dicunt, sive pactio, nihil dat eis de ratione causae, sed solum de ratione signi; sicut etiam denarius plumbeus est solum signum indicans quis debet accipere. Quod autem est per accidens, omittitur ab arte, nec ponitur in definitione; unde in definitione sacramenti non poneretur causalitas praedicta, nec sancti multum curassent de ea dicere. Vgl. dazu B OETHIUS: Dialogi in Porphyrium I 4, PL 64 (1891), Sp. 13: Accidentium vero in definitionibus nullus usus est; sowie A RISTOTELES, Metaphysik VI 1026b 37–1027a 8. 15 So auch noch De veritate q 27, a 4, resp., ed. Spiazzi (1953) S. 522a: Si enim recte consideretur exemplum ab eis propositum, et alia similia, non invenitur quod id quod causam dicunt sine qua non, se habeat ad effectum nisi sicut signum; sowie Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 349a: Secundum hoc igitur sacramenta novae legis nihil plus essent quam signa gratiae. 16 Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 349a: Cum tamen ex multis sanctorum auctoritatibus habeatur quod sacramenta novae legis non solum significant, sed causant gratiam. Vgl. bereits In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31: Nec iterum sacramenta noave legis, quae differunt a sacramentis veteris legis secundum ordinationem praedictam, differrent ab eis secundum rationem causae, sed solum quantum ad modum significandi, inquantum haec significant gratiam ut statim dandam, illa vero non. Ebenso De veritate q 27, a 4, resp., ed. Spiazzi (1953) S. 522a: Si sic se habent sacramenta novae legis ad gratiam, sequitur quod sint solum signa gratiae, et ita nihil habebunt prae sacramentis veteris legis.
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nem Sentenzenkommentar u¨ ber De veritate bis zur Summa theologiae nichts.17 Denn darin besteht f¨ur T HOMAS in allen Phasen seines Schaffens u¨ berhaupt erst der Grund, nach einer alternativen Erkl¨arung ihrer Wirkweise zu suchen und auf das Mitwirkungs-Modell zur¨uckzugreifen: Da dieses von einer Mitwirkung ausgeht, scheint es wesentlich besser den Theologen und den Aussagen ” der Heiligen zu entsprechen“.18 Damit benennt T HOMAS die entscheidenden Argumente gegen das PaktModell, wie sie auch im 14. Jahrhundert von seinen Nachfolgern immer wieder aufgegriffen werden. H ERVAEUS NATALIS etwa, der kurz nach 1300 die Sentenzen von P ETRUS L OMBARDUS kommentiert und sich dezidiert f¨ur das Mitwirkungs-Modell einsetzt, unterstellt den Vertretern des Pakt-Modells, bloß von einer causa sine qua non ausgehen zu k¨onnen und damit die Bestimmungen der sancti zu verletzen, welche nicht in die Definition eines Sakraments aufgenommen worden w¨aren, wenn es sich nicht um echte, tats¨achlich etwas bewirkende Ursachen handelte.19 Deutlich werde dies insbesondere am Beispiel jenes k¨oniglichen Gutscheins oder auch sonst eines schriftlichen Vertrags: Denn in der Definition eines Vertrags wird nicht erw¨ahnt, dass er Ursache sei, um ein Haus oder einen Acker zu besitzen; vielmehr wird gesagt, er sei ein bestimmtes Schriftst¨uck, das verfertigt worden ist, um einen solchen Pakt oder Vertrag zu bezeichnen. In der Definition eines neutestamentlichen Sakraments wird aber angegeben, dass es Ursache der Gnade sei [...]. Daher sind die neutestamentlichen Sakramente auch nicht einfach Ursachen sine qua non, sondern propter quam sic.20 17
Inwiefern die Urs¨achlichkeit der neutestamentlichen Sakramente deren differentia propria nicht nur in den Definitionen des Sentenzenkommentars ist, wo T HOMAS sie explizit so auszeichnet (In sententias IV prol., ed. Moos (1947), S. 4: Hic venatur differentias: et primo unam differentiam communem omnibus sacramentis, quae est ut imaginem gerat; secundo aliam quae est propria sacramentorum novae legis, in quibus est perfecta ratio sacramenti, scilicet ut causa existat), sondern auch noch in der Sakramenten-Definition der Summa theologiae, ist unten, S. 165 genauer zu kl¨aren. 18 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 32: Hoc videtur magis theologis et dictis sanctorum conveniens. 19 H ERVAEUS NATALIS: In quatuor libros sententiarum IV d 1, q 1, ed. Paris 1647, S. 304bC: Secundum sanctos, sacramenta novae legis dantur causa gratiae. Und ebd.: Secundum sanctos, et omnes doctores sacramenta novae legis differunt a sacraments veteris legis sicut causa a non causa. H ERVAEUS hat die Sentenzen nach 1302 gelesen und h¨atte damit schon die M¨oglichkeit gehabt, S COTUS’ Pakt-Modell zu kennen, das gerade nicht von einer causa sine qua non ausgeht (dazu unten, Kap. I5.3 ab S. 184). Die Gegner von H ERVAEUS d¨urften an dieser Stelle aber eher unter den Dominikanern zu suchen sein, auch wenn hier die Auseinandersetzung mit D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN erst noch aussteht, vgl. dazu ¨ , L UDWIG: Die Grundfragen der Sakramentenlehre nach Herveus Natalis immer noch H ODL O.P. (+1323), M¨unchen: Karl Zink, 1956 (M¨unchener Theologische Studien), und unten, Kap. 13.1. 20 Ebd., S. 304bD: Illud quod improprie et metaphorice dicitur de aliquo, non debet poni in eius diffinitione: quod patet de ipsa carta: quia in diffinitione cartae non diceretur causa
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Auch P ETRUS DE PALUDE, der ebenfalls noch im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts die Sentenzen liest, argumentiert gegen eine Sicht der Sakramente als causae sine quibus non anhand der definitorischen Bestimmungen neutestamentlicher Sakramente im Gegensatz zu den alttestamentlichen – Bestimmungen, wie auch er sie durch die auctoritates sanctorum gegeben sieht. Zwar beginnt er in seine Zur¨uckweisung der Pakt-Variante mit einem ungewohnten Argument: Es sei n¨amlich absurd anzunehmen, Gott handle in den Sakramenten zur Rechtfertigung der Menschen nicht anders als der Teufel in Zauberspr¨uchen zu deren Verfluchung, das heißt: aufgrund eines Pakts.21 Doch f¨uhrt auch er daraufhin die bekannten Argumente an, um die Unhaltbarkeit des PaktModells aufzuzeigen: So gen¨uge es insbesondere nicht zu behaupten, da, wo die auctoritates sanctorum und die Definitionen die Sakramente als Ursachen bestimmten, sei dies in Wahrheit als Verweis auf die causae sine quibus non zu verstehen.22 Denn damit w¨are deren Definition nicht nur unangemessen, sondern falsch: Eine causa sine qua non sei ebensowenig Ursache, wie eine toter Mensch ein Mensch sei; ebenso, wie es aber eine schlechte Definition des toten Sokrates w¨are zu bestimmen: Sokrates ist ein Mensch“, ebenso w¨are es (w¨aren ” die Sakramente causae sine quibus non) keine brauchbare Definition zu sagen, die Sakramente seien Ursache der Gnade.23 Das aber ist es gerade, was die dicta habendi domum vel agrum: sed diceretur quaedam scriptura facta ad significandum talem pactionem, vel contractum. Sed in diffinitione sacramenti novae legis ponitur quod si causa gratiae. Quia dicitur ut imaginem eius generat, et causa existat. Ergo sacramenta novae legis nec sunt solum causa gratiae sine qua non, sed propter quam si. Die Unterscheidung einer causa sine qua non und einer causa propter quam sic war vor allem in Willenstheorien verbrei¨ ¨ : Willensschw¨ache im Voluntarismus? Das Beispiel Heinrichs tet, vgl. zuletzt M ULLER , J ORN von Gent, in: Archiv f¨ur Geschichte der Philosophie 89 (2007), S. 1–29, hier S. 9. 21 P ETRUS DE PALUDE: In quartum sententiarum d 1, q 1, ed. Venedig 1493, fol. 2rb: Videtur absurdum quod Deus non aliter agat in sacramentis ad iustificandum quam diabolus in sortilegiis ad maleficiandum, scilicet ex pactione, herba vel charta posita sub lecto vel limine, et nihil penitus agente. Aut quod verba sacramentalia nihil plus faciant, nec minister quam verba incantatoris, aut ipse incantator, scilicet sicut illis dictis ex pactione daemon agit in serpente trahendo vel venenum mortificando, vel aliquid huiusmodi, sic in proposito. In der fr¨uheren Diskussion werden die Parallelen zur Magie eher auf Seiten der Mitwirkungs-Variante gesehen – so bezieht sich etwa H UGO VON S T. C HER explizit auf die vis quae est in herbis et lapidibus zur Illustration der vis sacramentalis (Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ad 3, ed. Stegm¨uller (1953), S. 67; vgl. grunds¨atzlich zum Verh¨altnis von Magie und sakramentaler Wirksamkeit ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 112–124). 22 P ETRUS DE PALUDE: In quartum sententiarum, ed. Venedig 1493, fol. 2rb: Nec valet solutio quam isti dant ad diffinitionem et ad auctoritates sanctorum de sacramentis, dicentes quod quando dicunt quod sunt causa, verum est intelligendo de causa sine qua non. 23 In quartum sententiarum, ed. Venedig 1493, fol. 2rb: In nulla descriptione vera dicitur, quod illud sit causa diffiniti (vel econverso) quod non est causa [...]. Alioquin diffinitio esset falsa et non vera, et non solum non propria. In diffinitione autem sive descriptione sacramenti dicitur quod causa existit gratiae, et non solum quod est cum gratia, vel aliquid huiusmodi. Causa autem sine qua non non est causa (sicut nec homo mortus est homo), si nihil faciat ad
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sanctorum verlangen; die Sakramente m¨ussen also, so hat auch schon T HOMAS gefolgert, mehr als causae sine quibus non sein.24 Hat daher T HOMAS mit seiner Darstellung das Argumentarium geliefert, um der Pakt-Variante die Legitimit¨at zu entziehen, so ist damit doch erst ein Teilziel erreicht: Denn seine Herausforderung besteht ja darin, das Pakt-Modell nicht einfach nur zu entkr¨aften, sondern vielmehr die Mitwirkungs-Variante nun auch rationaliter plausibel zu machen. Und hierf¨ur greift er nun auf eine ganze spezifische Urs¨achlichkeitsform zur¨uck, jene n¨amlich der causa instrumentalis.
11.2 Instrumente, entia incompleta und der modus intentionis In seinem Sentenzenkommentar stellt T HOMAS das Mitwirkungs-Modell so dar, dass aus der Spende der Sakramente zwei Dinge folgten: Eines sei der character oder ein gewisser Schmuck der Seele, ein anderes sei die Gnade selbst. Ersteres bereite die Seele zum Gnadenempfang nur vor – disponiere sie –, w¨ahrend die Gnade an sich erst als zweiter Effekt vermittelt werde.25 Mit dieser grunds¨atzlichen Aufteilung des sakramentalen Geschehens in einen dipsonierenden und einen perfektionierenden Teil greift T HOMAS einen L¨osungsansatz auf, wie ihn auch etwa schon sein Lehrer A LBERT DER G ROSSE vertreten hat. Zwar besch¨aftigt sich A LBERT im Gegensatz zu F ISHACRE , K ILWARDBY, B O NAVENTURA oder nun auch T HOMAS kaum mit der Wirksamkeitsproblematik, dennoch wird aus den paar Anmerkungen, die er in seinem Sentenzenkommentar anf¨uhrt, deutlich, dass auch f¨ur ihn eine g¨ottliche Kraft in den Sakramenten effective wirkt, w¨ahrend die Sakramente in Form einer causalitas dispositionis zum sakramentalen Geschehen beitragen.26 causalitatem. Unde si diceretur Sortes est homo, verum est mortus, non esset bona expositio. [...] Sic nec sacramentum bene diffinitur per hoc quod dicitur causa gratiae si non et aliter causa quam per accidens, et sine qua non. 24 T HOMAS ist der einzige namentlich erw¨ahnte Scholastiker in P ETRUS’ Darstellung von insgesamt vier unterschiedlichen Ans¨atzen zur L¨osung der Wirksamkeitsproblematik (In quartum sententiarum, ed. Venedig 1493, fol. 2va: secunda opinio est Thomae). Neben Paktund Mitwirkungs-Variante diskutiert P ETRUS DE PALUDE auch den Ansatz H EINRICHS VON G HENT, sowie eine vierte opinio [quae] posset imaginari (ebd. fol. 5rb), die von den Sakramenten als rein exemplarischen Ursachen ausgeht. 25 T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31: Ex sacramentis duo consequuntur in anima. Unum quod est sacramentum et res, sicut character, vel aliquis ornatus animae in sacramentis in quibus non imprimitur character, aliud quod est res tantum, sicut gratia. 26 A LBERT DER G ROSSE: Super libros sententiarum IV d 1, B, a 5, qc 3, ad 2, Opera omnia 29, ed. Borgnet (1894) S. 17b: Divina virtus in sacramentis effective operatur: et ideo non tollitur quin in sacramento remaneat causalitas dispositionis. Vgl. bereits ebd. qc 2, ad 1, S. 17a: Causa est sacramentum ut disponens in subiecto.
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Diesen zwei Effekten gem¨aß teilt nun auch T HOMAS die Urs¨achlichkeit der Sakramente auf, doch erg¨anzt er dies durch eine weitere Aufteilung, eine Aufteilung n¨amlich der causa efficiens in einen haupts¨achlichen und einen instrumentalen Akteur:27 Denn die causa efficiens l¨asst sich auf zwei Arten unterscheiden: Einmal ex parte effectus in jene disponierende Ursache, welche die Empf¨anglichkeit zu einer neuen Form verursacht, und in eine perfektionierende, welche diese neue Form herbeif¨uhrt. Zudem l¨asst sich die causa efficiens aber auch ex parte ipsius causae aufteilen in einen haupts¨achlichen und einen instrumentalen Akteur: Der haupts¨achliche Akteur ist der, der zuerst die Bewegung ausf¨uhrt, der instrumentale aber ist jener, der als so bewegter die Bewegung weiterf¨uhrt.28
Diese zwei Aufteilungen der causa efficiens sind nun T HOMAS’ Schl¨ussel, um erkl¨aren zu k¨onnen, wie die neutestamentlichen Sakramente in rational begr¨undeter Weise als echte Ursachen anzusehen sind. Ex parte effectus zeichnen die Sakramente mit dem Taufmal oder einem anderen ‘Schmuck’ die notwendige Vorbedingung zur Gnadenvermittlung, doch schaffen sie, ex parte causae, auch diese dispositio nur als Instrumente Gottes. F¨ur die Gnadenvermittlung selbst ist damit allein Gott zust¨andig, der als haupts¨achlicher Akteur auch die dispositio erschafft; dennoch sind die Sakramente, weil sie die von Gott gew¨ahlten Instrumente zum Hervorbringen dieser dispositio sind, in die Gnadenvermittlung urs¨achlich miteinbezogen:29 Auch eine Axt tr¨agt, so T HOMAS’ Beispiel, nur instrumentaliter zur Form einer Sitz27
Zu den Vorl¨aufern des Mitwirkungs-Modells und der (zumindest in den angef¨uhrten Beispielen) bereits vorhandenen Rede von den Sakramenten als dispositiven und instrumentalen Ursachen vgl. C OURTENAY: Leaden Coin (1972), S. 190f., sowie bereits auch VAN DEN E YN DE : Stephen Lanthon and Hugh of St. Cher (1952). 28 T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 32: Ad cuius evidentiam sciendum est, quod causa efficiens dupliciter potest dividi. Uno modo ex parte effectus; scilicet in disponenetem, quae causat dispositionem ad formam ultimam; et perficientem, quae inducit ultimam perfectionem. Alio modo ex parte ipsius causae in agens principale, et instrumentale. Agens enim principale est primum movens, agens autem instrumentale est movens motum. Die erste Aufteilung geht bekanntlich auf AVICENNA zur¨uck, die zweite auf A RISTOTELES und AVERROES, vgl. D ONDAINE: A propos d’Avicenne (1951), S. 441f., und nun auch B LANKENHORN: Instrumental Causality (2006), S. 260–263. 29 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 32: Dicendum est ergo, quod principale agens respectu iustificationis Deus est, nec indiget ad hoc aliquibus instrumentis ex parte sua; sed propter congruitatem [...] utitur sacramentis quasi quibusdam instrumentis iustificationis. Huiusmodi autem materialibus instrumentis competit aliqua actio ex natura propria, sicut aquae abluere [...]; sed ulterius, inquantum sunt instrumenta divinae misericordiae iustificantis, pertingunt instrumentaliter ad aliquem effectum in ipsa anima, quod primo correspondet sacramentis, sicut est character, vel aliquid huiusmodi. Ad ultimum autem effectum, quod est gratia, non pertingunt etiam instrumentaliter, nisi dispositive, inquantum hoc ad quod instrumentaliter effective pertingunt, est dispositio, quae est necessitas, quantum in se est, ad gratiae susceptionem.
11.2 Instrumente, entia incompleta und der modus intentionis
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bank bei; Hauptursache bleibt der Handwerker, der die Form der Bank konzipiert.30 Damit entsprechen die Sakramente als echte Ursachen nicht nur den Anforderungen der auctoritates, sondern es lassen sich auch die rationes entkr¨aften, die am Mitwirkungs-Modell beanstanden, dass der ordo zwischen k¨orperlichen und geistigen Dingen nicht eingehalten werde: Denn weil der haupts¨achliche Akteur Gott bleibt und die Sakramente nur dessen Instrumente sind, bleibt auch die Ordnung zwischen Ursachen und Wirkungen gewahrt. Neben der Ursachen-Frage l¨asst sich am Instrumenten-Begriff aber auch erkl¨aren, wie die Sakramente als Tr¨ager einer geistigen Kraft in Frage kommen und als ‘Gef¨aße’ der Gnade gelten k¨onnen.31 Denn die Kraft zu handeln, so T HOMAS’ Grundsatz, sei jeweils dem Handelnden angepasst, weshalb bei einem Hauptakteur von einer anderen Kraftform auszugehen sei als bei einem Instrument.32 Ein Hauptakteur handle seiner Form gem¨aß, so dass die aktive Kraft in ihm eine Form oder Qualit¨at sei, welche ein vollst¨andiges Sein, ein esse completum habe. Ein Instrument aber handle als ein von einem anderen Bewegtes, und so komme ihm eine der Bewegung entsprechende Kraft zu. Ei” ne Bewegung aber ist kein vollst¨andiges Sein, sondern ein Weg zum Seienden, gleichsam etwas Mittleres zwischen purer Potenz und purem Akt.“33 Entsprechend besitze ein Instrument f¨ur den Effekt, wozu es instrumental verwendet werde, auch keine Kraft im Sinne von etwas Vollst¨andigem mit einem festen Sein, sondern es sei diese Kraft quoddam ens incompletum, etwas unvollst¨andig Seiendes.34 Auf die Wirksamkeitsproblematik u¨ bertragen sei die geistige Kraft daher in den Sakramenten qua Instrumenten der Gnadenvermittlung nicht wie etwas Festes, sondern wie ein solches ens incompletum.35
30 Ebd., S. 32f.: Omne instrumentum agendo actionem naturalem, quae competit sibi inquantum est res quaedam, pertingit ad effectum qui competit sibi inquantum est instrumentum, sicut | dolabrum dividendo suo acumine pertingit instrumentaliter ad formam scanni. Dass mit diesem Beispiel eher eine perfektive als eine dispositive Ursache illustriert wird, hebt ROSIER C ATACH: La parole efficace (2004), S. 136 hervor. 31 Auch hier sieht sich T HOMAS wegen der auctoritates im Zugzwang: Propter auctoritates inductas necesse est ponere aliquam virtutem supernaturalem in sacramentis (Ebd., S. 34). 32 Ebd.: Virtus agendi proportionatur agenti. Unde alio modo oportet ponere virtutem agendi in agente principali; alio modo in agente instrumentali. 33 Ebd., S. 34: Agens enim principale agit secundum exigentiam suae formae; et ideo virtus activa in ipso est aliqua forma vel qualitas habens completum esse in natura. Instrumentum autem agit ut motum ab alio; et ideo competit sibi virtus proportionata motui: motus autem non est ens completum sed est via in ens quasi medium quid inter potentiam puram et actum purum. Vgl. Physik III 1, 201a 10. 34 Ebd., S. 34: Virtus instrumenti inquantum huiusmodi, secundum quod agit ad effectum ultra id quod competit sibi secundum suam naturam, non est ens completum habens esse fixum in natura, sed quoddam ens incompletum. 35 Ebd., S. 35: Et quia sacramenta non faciunt effectum spiritualem nisi inquantum sunt instrumenta; ideo virtus spiritualis est in eis non quasi ens fixum, sed sicut ens incompletum.
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Die Schwierigkeiten mit den k¨orperlichen Sakramenten als Tr¨agern einer geistigen Kraft hilft dieser R¨uckgriff auf die entia incompleta zu l¨osen, weil diese Wesensform außerhalb der gew¨ohnlichen Beschreibungskategorien von ¨ Seiendem steht: Ahnlich wie die Intentionen, die entia in anima, welche gem¨aß Metaphysik VI zwar zum Seienden geh¨orten, aber nicht kategorial erfassbar seien,36 st¨unden auch die entia incompleta f¨ur sich betrachtet außerhalb des kategorial Erfassbaren. Insofern ist es nur logisch, und nicht etwa ein Argument gegen deren geistige Kraft, dass sich nicht angeben l¨asst, welcher Kategorie diese geistige Kraft im Sakrament zuzuordnen sei.37 Und so sehr es zutreffen m¨oge, dass in einer k¨orperlichen Sache keine geistige Kraft sein k¨onne, gelte diese Beschr¨ankung doch nur gem¨aß deren esse completum. In der Art einer Intention – per modum intentionis – allerdings k¨onne sie darin sehr wohl enthalten sein: Auf diese Weise sei etwa auch in den Instrumenten, welche der K¨unstler bewege, die Kraft der Kunst, und auch eine h¨orbare Rede enthalte gewissermaßen als Ursache eines Lernprozesses die intentiones animae.38 Wo R ICHARD F ISHACRE und B ONAVENTURA in der Zeichen-Relation eine schlichte Erkl¨arung gefunden haben, wie die Sakramente in die Gnadenvermittlung eingebunden seien, daf¨ur aber deren Status als eigentliche Ursachen und echte Tr¨ager einer Wirkkraft aufgeben m¨ussen, scheint T HOMAS mit dem modus intentionis seiner entia incompleta einen Weg gefunden zu haben, der nicht weniger rationale Plausibilit¨at beanspruchen kann, dar¨uber hinaus aber die Sakramente weiterhin als echte Ursachen und tats¨achliche Tr¨ager einer geistlichen Kraft bestehen l¨asst. Dieser Modus erm¨oglicht es sogar zu erkl¨aren, wie die Gnade selbst in den Sakramenten enthalten ist und wie sich in ihnen Nat¨urliches ¨ und Ubernat¨ urliches zusammendenken lassen: Weil nun ein instrumentaler Akteur seine Handlungskraft nicht zu etwas Vollst¨andigem hat, sondern bloß im Modus der Intention, wie erkl¨art worden ist, ist auch die Form, die [durch das Instrument] herbeigef¨uhrt wird, im Modus der Intention in ihm, so wie die Abbilder der Farben in der Luft sind, ohne dass die Luft farbig genannt wird. Auf
36 Ebd., S. 35: Huiusmodi entia consueverunt intentiones nominari, et habent aliquid simile cum ente, quod est in anima quod est ens diminutum, ut dicitur in 6. Metaph. Vgl. Met VI 3, 1027 b 30 – 1028 a 3, und T HOMAS VON AQUIN: In metaphysicam VI lectio 4, 1241–1244, ed. Spiazzi (1964), S. 311b–312b. Dazu L EE , S ANG -S UP: Wirklichsein und Gedachtsein. Die Theorie vom Sein des Gedachten bei Thomas von Aquin unter besonderer Ber¨ucksichtigung seiner Verbum-Lehre, W¨urzburg: K¨onigshausen und Neumann, 2006 (Epistemata 390), S. 222f. 37 T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, ad 1, ed. Moos (1947), S. 35. 38 Ebd., S. 35f.: In re corporali non potest esse virtus spiritualis secundum esse completum; potest tamen ibi esse per modum intentionis, sicut in instrumentis motis ab artifice est virtus artis, et sermo audibilis existens causa disciplinae, ut dicitur in Lib. de sensu et sensato | continet intentiones animae quodammodo. Vgl. A RISTOTELES: De sensu et sensato I, 437 a 12 = AA VII 5, S. 196.
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diese Weise ist auch die Gnade in den Sakramenten wie in einem Instrument: nicht vollst¨andig, sondern unvollst¨andig.39
Wie schon sein Modell einer instrumentalen Ursache erm¨oglicht auch die Rede von den entia incompleta und dem modus intentionis, k¨orperliche und geistige, nat¨urliche und u¨ bernat¨urliche Anspr¨uche an die Sakramente zu vereinen: Wo die Sakramente als Tr¨ager einer geistigen Kraft und als Gef¨aße der u¨ bernat¨urlichen Gnade betrachtet werden, l¨asst sich best¨atigen, dass diese per modum intentionis tats¨achlich in den Sakramenten enthalten sind; Argumente mit Fokus auf die K¨orperlichkeit der Sakramente lassen sich aber mit dem bloß unvollst¨andigen Sein der geistigen Kraft und der Gnade entkr¨aften.
11.3 Die Entwicklung hin zur Summa theologiae In den inhaltlichen Verschiebungen, die sich in T HOMAS’ Diskussion der Wirksamkeitsproblematik u¨ ber De veritate hin zur Summa theologiae abzeichnen, a¨ ndert sich diese Argumentationsstrategie nicht grunds¨atzlich. Zwar r¨uckt T HO MAS schon in De veritate von einer doppelten Aufteilung der causa efficiens ab, blendet die dispositiven Ursachen als Gegenst¨uck zu den perfektiven zunehmend aus und h¨alt nur noch an der Unterscheidung zwischen haupts¨achlichen und instrumentalen Ursachen fest.40 Zudem spricht er in De veritate bloß noch ein einziges Mal und in den betreffenden Abschnitten der Summa u¨ berhaupt nicht mehr vom modus intentionis.41 Dies h¨angt, wie immer wieder festgestellt worden ist, mit mit einem Neudenken des Zusammenwirkens von g¨ottlicher und 39
In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 4, resp., ed. Moos (1947), S. 37: Quia agens instrumentale non habet virtutem agendi ad aliquod ens completum, sed per modum intentionis, ut dictum est, et forma introducta continetur in eo per modum intentionis, sicut sunt species colorum in aere, a quibus aer non denominatur coloratus; etiam hoc modo gratia est in sacramentis sicut in instrumento, non complete, sed incomplete. 40 Die AVICENNISCHE Aufteilung (dazu oben, Anm. 28) in dispositive und perfektive Ursachen taucht in T HOMAS’ De veritate noch unter den Argumenten auf (De veritate q 27, a 4, arg 3, ed. Spiazzi (1953) S. 520a); in der responsio allerdings bringt T HOMAS nur noch die Aufteilung in ein per se und ein instrumentaliter agens (ebd. S. 522a). Dennoch l¨asst er hier von der Terminologie noch nicht vollst¨andig ab, sondern verbindet sie mit seinem Instrumentenbegriff, vgl. De veritate q 27, a 4, ad 3, ed. Spiazzi (1953) S. 523a: Sacramenta dicuntur esse causa gratiae per modum instrumentorum disponentium; sowie De veritate q 27, a 4, ad 9, ed. Spiazzi (1953) S. 523b: Potest tamen esse aliquod medium agens instrumentaliter et dispositive. Ebenso sagt er auch noch in De potentia q 3, a 5, ad 8, ed. Pession (1949), S. 48a, es w¨urden die Sakramente instrumentaliter et dispositive rechtfertigen. In der Summa findet sich nur noch die ARISTOTELISCH - AVERROISCHE Unterteilung in haupts¨achliche und instrumentale Ursachen (Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 349a); der Begriff der dispositio taucht bloß bei der dortigen Behandlung des character wieder auf (Summa theologiae III, q 63, a 4, ed. Caramello (1956), S. 357). 41 Vgl. De veritate q 27, a 4, ad 4, ed. Spiazzi (1953) S. 523a.
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Kapitel 11: Rationalisierung der auctoritates: Thomas von Aquin
menschlicher Natur in Christus zusammen, was seinerseits bedingt ist durch einen Umschwung in T HOMAS’ Beurteilung der Gnade nicht mehr als einer creatio ex nihilo, sondern als einer recreatio.42 W¨ahrend eine creatio ex nihilo definitionsgem¨aß voraussetzungslos erfolgt und damit allein Gott zugeschrieben werden kann, geht einer recreatio zumindest die zu re-kreierende Sache voraus, so dass es ihr auch nicht von vornherein widersprechen muss, dass sich Gott weiterer Hilfsmittel bedient, um die recreatio auszuf¨uhren.43 L¨asst sich damit erkl¨aren, wie Christi menschliche Natur als Instrument seiner g¨ottlichen Natur Wunder wie die Heilung des Lepr¨osen (Lk 5,12f. / Mt 8,2f.) bewirken kann,44 so ist damit auch eine Denkm¨oglichkeit geschaffen, wie die Sakramente – gewissermaßen als Stellvertreter und in der Eucharistie sogar als tats¨achlich pr¨asente menschliche Natur Christi – instrumental in die Vermittlung der heilenden Gnade involviert sein k¨onnen. Entsprechend eng ist die argumentative Verbindung zwischen Zweinaturenlehre und Sakramentenlehre denn auch in T HOMAS’ sp¨ateren Schriften;45 pr¨asent ist zudem, diesem Vermittlungsschema gem¨aß, ein neues Quellenkorpus, auf welches T HOMAS sich mehrfach beruft, jenes n¨amlich der PSEUDO - DIONYSISCHEN hierarchischen Schriften.46 Damit vollzieht T HOMAS allerdings keineswegs eine Wende hin zu einer Mystifizierung des sakramentalen Geschehens, das er letztlich unerkl¨art lassen 42 Diese Erkl¨arung bot bereits C AJETAN: Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, Bd. III, S. 279a. Kritisch dazu L EEMING: Sacramental Theology (1957), S. 328, und in seinem Gefolge nun auch R EYNOLDS: Efficient Causality (2005), S. 74. Zum Zusammenhang mit der Zweinaturenlehre vgl. bereits D ONDAINE: A propos d’Avicenne (1951), S. 451f.; ausf¨uhrlich dann T ORRELL: Causalit´e salvifique (1996); vgl. im Hinblick auf die Sakramente vor allem auch B LANKENHORN: Instrumental Causality (2006), S. 269–275, und knapper R EYNOLDS: Efficient Causality (2005), S. 67. 43 Vgl. T HOMAS VON AQUIN: De veritate q 27, a 4, ad 15, ed. Spiazzi (1953) S. 524a: Creatio nihil praesupponit circa quod posset fieri instrumentalis agentis actio; recreatio vero praesupponit; et ideo non est simile. 44 Im Rahmen der Sakramentendiskussion taucht die Heilung des Lepr¨osen in De veritate q 27, a 4, resp., ed. Spiazzi (1953) S. 522b, als Beispiel auf; vgl. B LANKENHORN: Instrumental Causality (2006), S. 272. 45 Ein Anklang an die Zweinaturenlehre findet sich bereits im In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 3, arg 1, ed. Moos (1947), S. 29. Deutlicher ist der Bezug dann in De veritate q 27, a 4, resp., ed. Spiazzi (1953) S. 522b; in der Summa theologiae III, q 62, a 5, resp., ed. Caramello (1956), S. 352a, schliesslich setzt T HOMAS menschliche Natur Christi und neutestamentliche Sakramente als die zwei m¨oglichen Arten von Instrumenten der g¨ottlichen Gnade zu einander in Beziehung: Est autem duplex instrumentum, unum quidem separatum, ut baculus; aliud autem coniunctum, ut manus. Per instrumentum autem coniunctum movetur instrumentum separatum, sicut baculus per manum. Principalis autem causa efficiens gratiae est ipse Deus, ad quem comparatur humanitas Christi sicut instrumentum coniunctum, sacramentum autem sicut instrumentum separatum. 46 So in De veritate q 27, a 4, resp., ed. Spiazzi (1953), S. 522b, und ebd., ad 8, S. 523b; sowie in der Summa theologiae III, q 63, a 2, arg 2 und a 6, resp., ed. Caramello (1956), S. 355a und 359b.
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will – vielmehr spricht er in seinen ausf¨uhrlichen Erkl¨arungen der Summa theologiae den Sakramenten eine wesentlich gr¨oßere Rolle bei der Gnadenvermittlung zu als urspr¨unglich im Sentenzenkommentar.47 Weil mit dem Verst¨andnis der Gnadenspendung als einer recreatio die H¨urde zwischen nat¨urlicher und u¨ bernat¨urlicher Ordnung f¨allt, lassen sich die Sakramente nun als instrumentale Ursachen der Gnadenvermittlung selbst verstehen, und nicht mehr nur als instrumentaliter disponierende Ursachen von character und ornatus.48 Und w¨ahrend im Sentenzenkommentar der modus intentionis noch dazu gedient hat, die u¨ bernat¨urliche Gnade in den nat¨urlichen Sakramenten zu denken, l¨asst sich die Problematik in der Summa nun auf den Konflikt zwischen k¨orperlicher und geistiger Ordnung reduzieren und mit jenen argumentativen Mitteln l¨osen, die f¨ur diesen Konflikt im Sentenzenkommentar bereits erarbeitet worden sind: Die ” Gnade ist in einem neutestamentlichen Sakrament als gewisse instrumentale Kraft, welche etwas Fließendes und seiner Natur nach Unvollst¨andiges ist.“49 Weiterhin argumentiert Thomas daher mit dem Instrumenten-Begriff und den entia incompleta;50 die sakramentale virtus bleibt ein der Bewegung entsprechendes esse transiens ex uno in aliud, das sich kategorial nicht erfassen l¨asst;51 und auch die Beispiele, welche T HOMAS in der Summa theologiae 47 Angesichts der Ausf¨uhrungen und Beispiele in der 63. Quaestio ist es nicht nachvollziehbar, wie R EYNOLDS: Efficient Causality (2005), S. 79, behaupten kann, Thomas proceeds ” formaliter, demonstrating the order between the causes without attempting to explain how they achieve their effect“ (Hervorhebung im Original); vgl. ebd. S. 80: He goes to some lengths to ” explain in general how instrumental causes work, but he does not try to explain how the sacraments work.“ Auch D ONDAINE: La d´efinition des sacrements (1947). S. 226, glaubte feststellen zu k¨onnen, l’efficacit´e des sacrements paraˆıt donc davantage trait´ee en myst`ere, a` recevoir di” rectement de la Parole de Dieu.“ Bei D ONDAINE d¨urfte dies allerdings mit der Zweideutigkeit der Sakraments-Definition der Summa zusammenh¨angen, dazu gleich unten, S. 164. 48 Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 349a: Hoc modo sacramenta novae legis gratiam causant, adhibentur enim ex divina ordinatione ad gratiam in eis causandam. 49 Ebd., a 3, resp., S. 350b: Nam, sicut dictum est, sacramentum novae legis est instrumentalis gratiae causa. Unde gratia est in sacramento novae legis [...] secundum quandam instrumentalem virtutem, quae est fluens et incompleta in esse naturae. Eine Vorstufe dazu bildet De veritate q 27, a 7, resp., ed. Spiazzi (1953), S. 529b–530a. Erneut argumentiert daher R EYNOLDS: Efficient Causality (2005), S. 71, am Text vorbei, wenn er verallgemeinernd festh¨alt: The problem, as Thomas construes it, is not that a natural agent cannot cause a super” natural effect, but that a corporeal agent cannot cause a spiritual effect“ – im In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, arg 5, ed. Moos (1947), S. 27, hielt T HOMAS noch sehr wohl fest, Sakramente als Ursache der Gnade seien undenkbar quia gratia non est in potentia naturali materiae; vgl. zudem De veritate q 27, a 4, arg 11, ed. Spiazzi (1953), S. 520b. 50 Zum Instrumenten-Begriff vgl. auch den oben, Anm. 45, zitierten Text; zum esse fluens et incompletum vgl. auch etwa Summa theologiae III, q 62, a 3, ad 3, ed. Caramello (1956), S. 351a. 51 Zum esse transiens vgl. Summa theologiae III, q 62, a 4, resp., ed. Caramello (1956), S. 351b: Virtus principalis agentis habet permanens et completum esse in natura, virtus autem
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Kapitel 11: Rationalisierung der auctoritates: Thomas von Aquin
anf¨uhrt, sind schon im Sentenzenkommentar verwendet worden: so vor allem jenes des Handwerkers, der mit seinen Werkzeugen eine Wirkung erreicht, zu der die Werkzeuge allein nie in der Lage w¨aren; aber auch erneut jenes einer vernehmbaren und insofern sinnlichen Rede, in welcher sich dennoch eine gewisse geistige Kraft zur Anregung des menschlichen Intellekts finden muss, weil sie diesen ja zur Ausbildung des entsprechenden mentalen Konzepts veranlassen kann.52 Die Summe bietet daher kein grunds¨atzlich neues Verst¨andnis von sakramentaler Wirksamkeit, sondern erweitert jenen Urs¨achlichkeitsmodus, durch welchen die Sakramente im Sentenzenkommentar nur gerade zum Empfang von character und ornatus disponiert haben, auf das ganze Gnadengeschehen und erhebt die Sakramente damit zu instrumentalen Ursachen auch der Gnadenvermittlung selbst. So wie T HOMAS der Wirksamkeitsproblematik schon in der Problemstellung vom Sentenzenkommentar bis hin zur Summa eine immer weiter reichende theologische Bedeutung beimisst, spielen die Sakramente als Wirkursachen auch in der Probleml¨osung eine immer bedeutendere Rolle. In der Entwicklung vom Sentenzenkommentar u¨ ber De veritate hin zur Summa theologiae wird damit der Urs¨achlichkeits-Aspekt in T HOMAS’ Sakramentenverst¨andnis ganz offensichtlich immer st¨arker gewichtet. Wenn in der modernen Literatur dennoch immer wieder zu lesen ist, dass der Urs¨achlichkeits-Aspekt in der Summa gegen¨uber dem Sentenzenkommentar zur¨uckgetreten sei,53 so liegt dies – neben bisweilen apologetischen Motiven – vor allem an einer Unterbestimmung in der Sakramenten-Definition, wie sie Quaestio 60 der Tertia pars der Summa bietet. W¨ahrend T HOMAS im Sentenzenkommentar anhand von vier traditionellen Definitionen den Urs¨achlichkeitsAspekt noch unmissverst¨andlich in sein Sakraments-Verst¨andnis aufgenimmt, definiert er ein Sakrament in der Summa nun als signum rei sacrae inquantum est sanctificans homines – als Zeichen eines heiligen Dings, insofern es instrumentalis habet esse transiens ex uno in aliud, et incompletum; sicut et motus est actus imperfectus ab agente in patiens; zum extra-pr¨adikamentalen Sein vgl. ebd. ad 2. 52 Ebd., ad 1, S. 351b: Nihil tamen prohibet in corpore esse virtutem spiritualem instrumentalem, inquantum scilicet corpus potest moveri ab aliqua substantia spirituali ad aliquem effectum spiritualem inducendum; sicut etiam in ipsa voce sensibili est quaedam vis spiritualis ad excitandum intellectum hominis, inquantum procedit a conceptione mentis. Et hoc modo vis spiritualis est in sacramentis, inquantum ordinantur a Deo ad effectum spiritualem. Wie schon im Sentenzenkommentar (s.o., S. 160 bei Anm. 38) will dieses Beispiel auch hier bloß belegen, wie eine geistige Kraft in einem k¨orperlichen Ding gedacht werden kann, es belegt damit keineswegs, dass f¨ur Thomas die Sakramente symbolisch oder zeichenhaft ( by signifying“) ” statt physikalisch die Gnade verursachen, wie R EYNOLDS: Efficient Causality (2005), S. 78, behauptet. Zum Handwerker-Beispiel vgl. T HOMAS VON AQUIN: Summa theologiae III, q 62, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 349a. 53 So bereits etwa P EGUES , T HOMAS: Commentaire Franc¸ais litt´eral de la Somme th´eologique de Saint Thomas d’Aquin, Toulouse, 1927, S. 11f.; ausf¨uhrlich dann D ONDAINE: La d´efinition des sacrements (1947). Urs¨achlichkeits- und Zeichen-Aspekt zusammen betont H EDWIG: Efficiunt quod figurant (2005), S. 405.
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die Menschen heilige.54 Ob es nun allerdings das signum oder die res sacra sei, welche die Menschen heilige, ob das sanctifcans also auf das Zeichen oder auf die heilige Sache zu beziehen sei, bleibt damit offen. Dem grunds¨atzlich Anliegen der Quaestio 60 gem¨aß – n¨amlich das Zeichenhafte der Sakramente hervorzuheben – ist immer wieder die res sacra als Subjekt der sanctificatio betrachtet und von daher dann eine grunds¨atzliche Verschiebung in T HOMAS’ Sakramenten-Verst¨andnis behauptet worden.55 Angesichts der hier beschriebenen zunehmenden Gewichtung der Urs¨achlichkeits-Problematik nicht nur in der immer nachdr¨ucklicher hervorgehobenen theologischen Notwendigkeit, die sakramentale Wirksamkeit zu begr¨unden, sondern auch in der immer gr¨oßeren Rolle, die T HOMAS den Sakramenten selbst zuspricht, scheint es allerdings wesentlich schl¨ussiger zu sein, auch in der Sakramenten-Definition der Summa die sakramentalen signa als Subjekte der sanctificatio anzusehen.56 Sp¨atestens in Quaestio 62 gibt T HOMAS grammatikalisch unzweideutig an, was f¨ur ihn perfecte die ratio sacramenti ausmache: n¨amlich auf etwas nicht nur in der Weise eines Zeichens, sondern auch in der Weise einer Ursache hingeordnet zu sein.57 Eine Entwicklung hat es damit in T HOMAS’ Sakramentenverst¨andnis sehr wohl gegeben, doch ist sie f¨ur die Wirksamkeitsfrage ohne fundamentale Umbr¨uche vollzogen worden:58 T HOMAS bleibt ein klarer Vertreter des Mitwir54 Summa theologiae III, q 60, a 2, resp., ed. Caramello (1956), S. 338b: Respondeo dicendum quod signa [om. ed. Leonina] dantur hominibus, quorum est per nota ad ignota pervenire. Et ideo proprie dicitur sacramentum quod est signum alicuius rei sacrae ad homines pertinentis, ut scilicet proprie dicatur sacramentum, secundum quod nunc de sacramentis loquimur, quod est signum rei sacrae inquantum est sanctificans homines (Textkorrektur gem¨ass T URRINI , M AURO: Etablissement critique du texte du ‘De sacramentis in communi’ de Thomas d’Aquin. ‘Tertia Pars’, qq. 60–65, in: Studi Medievali 39 (1998), S. 911–952, S. 927. 55 ¨ So findet sich diese Zuordnung auch etwa in den g¨angigen Summen-Ubersetzungen, vgl. die Summa theologiae, trad. Winzen et.al. (1950), S. 8: dass wir demnach nur das im ei” gentlichen Sinne Sakrament nennen [...], was Zeichen einer heiligen Sache ist, sofern sie die Menschen heilig macht.“ Ebenso Summa theologiae, trad. Bourke (1975), S. 8f. mit Anm. a. D ONDAINE: La d´efinition des sacrements (1947), S. 223 formuliert die Definition sogar um zu signum – rei sacrae sanctificantis homines“ (Hervorhebung im Original); a¨ hnlich deutlich ” ¨ auch etwa R OHRIG : Sakramentsverst¨andnis (2003). Zur Verschiebung vgl. auch etwa ROSIER C ATACH: La parole efficace (2004), S. 77f. 56 Kritisch zu der behaupteten Verschiebung a¨ ußert sich auch G Y, P IERRE -M ARIE: Avanc´ees du trait´e de l’Eucharistie de S. Thomas dans la Somme par rapport aux Sentences, in: Revue des Sciences Philosophiques et Th´eologiques 77 (1993), S. 219–228, S. 223. 57 Summa theologiae III, q 62, a 1, ad 1, ed. Caramello (1956), S. 349a: Sacramenta novae legis simul sunt causa et signa. Et inde est quod, sicut communiter dicitur, efficiunt quod figurant. Ex quo etiam patet quod habent perfecte rationem sacramenti, inquantum ordinantur ad aliquid sacrum non solum per modum signi, sed etiam per modum causae. 58 Dies d¨urfte auch ein Grund sein, weshalb T HOMAS auf diese Entwicklung nicht eigens hinweist (was er bei anderen Verschiebungen in seiner Lehre tut, vgl. im vorliegenden Kontext etwa Summa theologiae III, q 62, a 6, ad 3, ed. Caramello (1956), S. 354a). Es ist das Fehlen eines solchen Hinweises aus T HOMAS eigener Hand aber kaum ein Argument gegen diese doch
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kungs-Modells, sein Ausgangspunkt ist die autoritative Vorgabe, dass die Sakramente urs¨achlich ins Gnadengeschehen involviert seien, und sein Anliegen bleibt es, dies mit rationalen Gr¨unden zu untermauern. Hierf¨ur greift er vom Sentenzenkommentar bis zur Summa theologiae auf dieselbe Argumentationsstrategie zur¨uck: Der Instrumenten-Begriff und das esse fluens der entia incompleta erlauben es ihm, stets von zwei Seiten her zu argumentieren und damit eine Br¨ucke zwischen k¨orperlicher und geistiger – und im Sentenzenkommentar auch noch zwischen nat¨urlicher und u¨ bernat¨urlicher – Ordnung zu schlagen. Interessanterweise liegt dieser R¨uckgriff insbesondere auf die entia incompleta sehr nahe bei dem, was auch bereits R ICHARD F ISHACRE und B ONAVENTURA als L¨osung vorgeschlagen haben: Wo deren Pakt auf einer extrapr¨adikamentalen Relation beruht, bleibt auch die sakramentale Wirkkraft, wie T HOMAS sie in den Sakramenten behauptet, kategorial nicht erfassbar. Und wo R ICHARD und B ONAVENTURA die Grenze zwischen eigentlichem und uneigentlichem Sein offen u¨ berschreiten, lotet auch Thomas mit seinem Modell Seins-Formen aus, die von gew¨ohnlichen Erscheinungsweisen und vertrauten Kategorien weit entfernt sind.59 Allerdings gelingt es ihm, diese Seins-Formen so zu erkl¨aren und mit Beispielen zu illustrieren, dass er sich zu jenem letzten Schritt, den seine beiden Vorg¨anger unternommen haben, nicht veranlasst sieht – f¨ur T HOMAS bleiben die Sakramente tats¨achliche Ursachen und eigentliche Tr¨ager der vermittelten Gnade. F¨ur ihn lassen sich daher die auctoritates vollumf¨anglich und vor allem rationaliter best¨atigen.
sehr augenf¨allige und an den unterschiedlichen Texten direkt nachvollziehbare Entwicklung, wie dies etwa noch bei F INKENZELLER: Von der Schrift bis zur Scholastik (1980), S. 207, behauptet. 59 Augenf¨allig wird dies etwa, wenn T HOMAS bereits im Sentenzenkommentar das Sein der Gnade in den Sakramenten als vierfach unvollst¨andig darstellt, und f¨ur die dritte Art dieses unvollst¨andig Seins, dem modus intentionis, noch einmal einen zweifachen fluxus behauptet, einmal n¨amlich zwischen Potenz und Akt, und einmal zwischen Handelndem und Erleidendem (In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 4, resp., ed. Moos (1947), S. 37). Vgl. auch etwa De veritate q 27, a 4, ad 5, ed. Spiazzi (1953), S. 523a: Virtus illa neque potest dici corporea neque incorporea, proprie loquendo: corporeum enim et incorporeum sunt differentiae entis completi.
Kapitel 12
Autorisierung der rationes: Johannes Duns Scotus ¨ Uberzeugen konnte T HOMAS allerdings l¨angst nicht jedermann mit seinem Modell einer instrumentalen Mitwirkung. Ausf¨uhrlich besch¨aftigte sich mit ihm J OHANNES D UNS S COTUS, der zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Paris und Oxford mehrfach P ETRUS ’ Sentenzen kommentierte und dabei in direkter Auseinandersetzung mit T HOMAS’ Sentenzenkommentar das Pakt-Modell neu verteidigte.1 Dass sich S COTUS nur auf T HOMAS’ Sentenzenkommentar und nicht auf dessen sp¨atere Darstellungen bezog, war nun allerdings kaum Absicht, sondern entsprach der Wirkungsgeschichte von T HOMAS’ Werk – auch Autoren wie H ERVAEUS NATALIS oder P ETRUS DE PALUDE, welche in expliziter Anlehnung an T HOMAS die Mitwirkungs-Variante weiter stark zu machen versuchten, bezogen sich (zumindest in ihren Sentenzenkommentaren) nur auf dessen fr¨uhe Darstellung des Scriptum super sententiis.2 1 Zu den unterschiedlichen Sentenzenkommentaren vgl. W ILLIAMS , T HOMAS: Introduction, in: W ILLIAMS , T HOMAS (Hrsg.): The Cambridge Companion to Duns Scotus, Cambridge: Cambridge University Press, 2003, S. 1–14, hier S. 9–11. Die Herausgeber der noch laufenden Vaticana-Edition haben es leider auf den letzten, noch ausstehenden Band verschoben, das Verh¨altnis der verschiedenen Sentenzenlesungen anhand der Erkenntnisse aus Buch IV neu zu bestimmen (ed. Vaticana, S. XII). Die inhaltlichen Verschiebungen sind in der vorliegenden Frage allerdings zu klein, als dass ihr einmal den Reportata gem¨aß und einmal der Ordinatio entsprechend nachgegangen werden m¨usste, vgl. dazu auch ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 141 und 154f. Grunds¨atzlich zur Wirksamkeitsproblematik bei S COTUS vgl. auch die grundlegende Studie von O’N EILL , A LBERT: La causalit´e sacramentelle d’apr`es le Docteur Subtil, in: Etudes franciscaines 30 (1913), S. 141–155, und N IELSEN , L AUGE O LAF: Signification, Likeness, and Causality. The Sacraments as Signs by Divine imposition in John Duns Scotus, Durand of St. Pourc¸ain, and Peter Auriol, in: M ARMO: Vestigia, imagines, verba (1997), S. 223–253, S. 225–232. 2 Vgl. H ERVAEUS NATALIS: In quatuor libros sententiarum IV d 1, q 1, ed. Paris 1647, S. 305b–306a, wo noch von den zwei Unterteilungen der causa efficiens ausgegangen wird gem¨aß T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), s.o., S. 158. Bei P ETRUS DE PALUDE wird die Anlehnung an T HOMAS’ Sentenzenkommentar bereits aus dessen kurzer Zusammenfassung von T HOMAS’ Position deutlich: Secunda est opinio Thomae et habet tres conclusiones. Quarum prima est quod non sunt sic causa gratiae quod attingant ad ipsam essentiam gratiae producendam. Secunda quod attingunt ad dispositionem quae est character vel ornatus. Tertia quod per virtutem inhaerentem (P ETRUS DE PALUDE: In quartum sententiarum IV d 1, q 1, ed. Venedig 1493, fol. 2va).
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Kapitel 12: Autorisierung der rationes: Johannes Duns Scotus
Wie schon seine Vorl¨aufer R ICHARD F ISHACRE und B ONAVENTURA h¨alt nun allerdings auch S COTUS das Mitwirkungs-Modell rationaliter f¨ur problematisch; allerdings nimmt er T HOMAS’ Kritik, es w¨urde das Pakt-Modell den dicta sanctorum nicht gerecht, a¨ ußerst ernst und so ist sein L¨osungsansatz denn gezeichnet vom Bem¨uhen, das Pakt-Modell mit dem Wortsinn der auctoritates in Einklang zu bringen. Hierf¨ur fasst er die beiden Fragen, zum einen nach den Sakramenten als Ursachen und zum anderen nach den Sakramenten als Tr¨agern einer speziellen Kraft, wieder zusammen: W¨ahrend B ONAVENTURA und in seinem Gefolge auch T HOMAS begonnen haben, die zwei Probleme getrennt zu untersuchen, formuliert S COTUS f¨ur die beiden Aspekte zwar je noch eine eigene Quaestio mit jeweils drei Argumenten quod sic/quod non und sed contra, beantwortet diese dann aber in einer einzigen, gemeinsamen Responsio.3 Zudem stellt S COTUS nicht nur seiner Behandlung der Wirksamkeitsproblematik, sondern der Sakramentenlehre insgesamt eine neue Frage voran, ob n¨amlich Gesch¨opfe in einem Sch¨opfungsakt t¨atig sein k¨onnten.4 Thematisch geh¨ort diese Frage eigentlich ins zweite Buch der Sentenzen von P ETRUS L OM BARDUS, doch hat P ETRUS selbst im Rahmen der f¨ unften Distinktion von Buch IV dieses Prolem noch einmal kurz angeschnitten, indem er in Anlehnung an AUGUSTIN die M¨oglichkeit in Betracht zieht, dass Christus seinen J¨ungern die Kraft h¨atte u¨ bertragen k¨onnen, zu taufen und damit S¨unden zu vergeben – Christus h¨atte damit die gesch¨opflichen J¨unger aktiv einbezogen in die recreatio, welche mit der Taufe vollzogen wird.5 Der Bezug dieser Sch¨opfungsfrage zur 3 In den Reportata Parisiensia, ed. Wadding XI 1639, handelt es sich um die Quaestiones drei und vier, die im Rahmen der ersten Distinctio zu Buch IV gemeinsam beantwortet werden; in der Ordinatio sind es, nach Z¨ahlung der neuen kritischen Edition, die zwei Quaestiones zur tertia pars von Distinctio eins (Ordinatio, ed. Vaticana (2008)); nach der alten WADDINGAusgabe Quaestiones vier und f¨unf (Ordinatio, ed. Wadding VIII 1639). Im nachfolgenden wird die Ordinatio nur noch nach der Vaticana-Edition zitiert. Zu B ONAVENTURA s.o., S. 141; zu T HOMAS S. 151. 4 Utrum creatura possit habere aliquam actionem respectu termini creationis (so in der Ordinatio IV d 1, p 1, q un, ed. Vaticana (2008), S. 5; in den Reportata Parisiensia IV d 1, q 1, ed. Wadding XI 1639, S. 557a, lautet die Quaestio: Utrum possibile sit aliquam creaturam habere aliquam causalitatem effectivam, respectu alicuius effectus producendi per creationem). 5 P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 5, c 3, ed. Grottaferrata (1981), S. 266–268; vgl. AUGUSTIN: In Iohannis evangelium V.7, CCSL 36 (1954), S. 44. Dass eine Thematik aus Buch II hier noch einmal aufgegriffen wird, ist den scholastischen Autoren durchaus bewusst: So verweist etwa R ICHARDUS DE M EDIAVILLA im Rahmen der f¨unften Distinktion von Buch IV auf Buch II zur¨uck ut repetitio inutilis evitetur (Commentum super quarto IV d 5, a 1, q 4, ed. Venedig 1489, fol. c1va). Zum Hintergrund dieser f¨unften Distinktion s.o., S. 17. Auch wenn es bei der zunehmenden Betonung der Wirksamkeitsfrage u¨ blich wird, die Sch¨opfungsproblematik am Beginn von Buch IV aufzugreifen, verweist etwa T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria IV d 1, q 1, a 2, ed. Venedig 1564, fol. 58vb, causa brevitatis auf seinen Kommentar zu Buch II zur¨uck. Umgekehrt verweist von Buch II aus G REGOR VON R IMINI: Lectura super primum et secundum II d 12, q 1, ed. Trapp et.al. (1979-1987), S. 263, auf die sp¨atere Diskussion in Buch IV, die bekanntlich nicht u¨ berliefert ist: Non sic [ut voluit Petrus Aureolus] acceperunt
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Sakramentenproblematik liegt daher auf der Hand: Schon bei T HOMAS wird ja die Unterscheidung zwischen recreatio und creatio zu einem entscheidenden Punkt in der Argumentation f¨ur das Mitwirkungs-Modell, und auch B ONA VENTURA verweist als Argument gegen das Mitwirkungs-Modell bereits auf die Unm¨oglichkeit, dass Gesch¨opfe an einem Sch¨opfungsakt beteiligt seien.6 Wenn S COTUS nun aber die Problematik in einer eigenst¨andigen Quaestio und gar als Einstieg ins vierte Buch seiner Sentenzenkommentare einf¨uhrt, so erh¨alt sie damit einen ganz anderen Stellenwert als bei seinen Vorg¨angern,7 was sowohl die allgemeine Sakramentenlehre als auch die Wirksamkeitsfrage in ein neues Licht stellt. Denn mit ihrer prominenten Stellung zu Beginn von Buch IV erhebt diese Frage nach den sch¨opferischen M¨oglichkeiten von Gesch¨opfen nun ihrerseits die Wirksamkeitsfrage zu der Problematik der allgemeinen Sakramentenlehre schlechthin, an die sich andere grunds¨atzliche Fragen wie etwa jene nach einer allgemeinen Definition der Sakramente bloß noch anschließen.8 Nachdem schon T HOMAS der sakramentalen Wirksamkeit ein ‘creari’ sancti et philosophi, cum negaverunt aliquid posse a creatura ‘creari’. Qualiter autem intellexerunt, patebit in quarto libro. 6 B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 20a: Gratia ex nihilo et subito creatur. Ein Modell f¨ur S COTUS k¨onnte allenfalls H EINRICH VON G HENT: Quodlibeta IV q 37, ed. Paris 1518, gewesen sein, der ebd., fol. 149v, ebenso die Wirksamkeitsfrage als Problematik communiter omnium sacramentorum von der Sch¨opfungs-Thematik her in Angriff nimmt (so auch ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 140). Eine direkte Auseinandersetzung mit der Wirksamkeitsdiskussion von H EIN RICHS Quodlibeta l¨asst sich bei S COTUS allerdings erst in der Ordinatio feststellen, w¨ahrend er schon in den Reportata die Sch¨opfungs-Thematik der allgemeinen Sakramentenlehre vorangestellt hat. 7 Nach T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 5, a 3, qc 3, ed. Moos (1947), S. 204 – 211, greifen auch andere Autoren des sp¨aten 13. Jahrhunderts die Frage noch im Rahmen der f¨unften Distinktion von Buch IV auf, so etwa A EGIDIUS ROMANUS: Reportatio super libros sententiarum, ed. Luna (2003), S. 453f. (zwar handelt es sich hierbei bloß um ein Fragment, doch wird aus dem letzten Abschnitt bei Zeile 44 deutlich, dass A EGIDIUS der Problematik im Rahmen der Tauf-Distinktion nachgegangen ist). Selbst im fr¨uhen 14. Jahrhundert kommt etwa noch J OHANNES VON S TERNGASSEN auf die Frage im Rahmen der f¨unften Distinktion zu sprechen (S TERNGASSENS Kommentar ist nur auszugsweise ediert im Quellenband zu S ENNER , WAL TER: Johannes von Sterngassen OP und sein Sentenzenkommentar, Berlin: Akademie-Verlag, 1995 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. Neue Folge 4); f¨ur den hier angef¨uhrten Ausschnitt vgl. das Ms. Madrid, Real Academia de Historia 73, fol. 86vb – 87rb). 8 S COTUS’ Kommentar zur ersten Distinktion von Buch IV ist entsprechend in 4 Hauptteile gegliedert (was allerdings erst die Vaticana-Edition wieder deutlich macht, in dem sie mit der Quaestiones-Z¨ahlung in jedem Teil neu beginnt; fr¨uhere Editionen haben die Quaestiones noch von 1–7 durchgez¨ahlt). Teil I mit einer einzigen Quaestio behandelt die erw¨ahnte Sch¨opfungsproblematik; Teil 2 mit zwei Quaestiones die Definierbarkeit der Sakramente und den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten; Teil 3 widmet sich mit zwei (gemeinsam behandelten) Quaestiones der Wirksamkeitsproblematik; Teil 4 schließlich widmet sich erneut mit zwei Quaestiones der Beschneidung.
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immer gr¨oßeres Gewicht verliehen hat, betont S COTUS mit dieser Anordnung der Fragen die Bedeutung der Wirksamkeitsproblematik noch deutlicher. Zudem streicht er mit dieser prominenten Behandlung der M¨oglichkeiten und Grenzen von Gesch¨opfen einen ganz spezifischen Aspekt der Wirksamkeitsproblematik hervor: Wo seit R ICHARD F ISHACRE der ordo-Aspekt von unterschiedlichsten Seiten ausgeleuchtet, aber vor allem im Hinblick auf das Gef¨alle zwischen geistigen und k¨orperlichen Dingen durchdiskutiert worden ist, fokussiert S COTUS nun g¨anzlich auf die Hierarchie zwischen nat¨urlicher und u¨ bernat¨urlicher Ordnung und macht damit die Sakramentenproblematik zu einer Grenzfrage zwischen Physik und Metaphysik.9
12.1 Sakramente als wirksame Zeichen Wie zentral die Wirksamkeitsfrage f¨ur S COTUS ist, zeigt sich bereits auch an dessen Sakramentendefinition: Der Wirksamkeitsaspekt wird hier zum zentralen Kriterium. Im zweiten Teil seines Kommentars zur ersten Distinktion von Buch IV untersucht S COTUS, wie das an dieser Stelle schon vor ihm u¨ blich gewesen ist,10 die propria ratio sacramenti, doch interessiert sich S COTUS nicht bloß f¨ur eine passende Definition, sondern stellt eine Reihe von grunds¨atzlichen ¨ Uberlegungen an, welche Bedingungen erf¨ullt sein m¨ussten, damit sich ein Sache u¨ berhaupt definieren lasse.11 F¨unf Kriterien sind es, die S COTUS in Anlehnung an A RISTOTELES’ Topik und Metaphysik zusammentr¨agt und die erf¨ullt sein m¨ussen, damit sich definieren l¨asst, was das Sein einer Sache ist“:12 Er” stens m¨usse es sich um ein Seiendes handeln, da es widerspr¨uchlich w¨are, von einem Nicht-Seienden das Sein bestimmen zu wollen. Zweitens m¨usse es sich 9
F¨ur eine parallele Entwicklung vgl. B ERCEVILLE , G ILLES: Du miracle au surnaturel. De Thomas d’Aquin a` Duns Scot : un changement de probl´ematique, in: B OULNOIS , O LIVIER/ K ARGER , E LIZABETH/S OL E` RE , J EAN -L UC (Hrsg.): Duns Scot a` Paris, 1302–2002. Actes du colloque de Paris, 2–4 septembre 2002, Turnhout: Brepols, 2004 (Textes et e´ tudes du Moyen ˆ 26), S. 563–579. Age 10 So etwa R ICHARDUS DE M EDIAVILLA: Commentum super quarto IV d 1, a 1, q 2, ed. Venedig 1489, fol. A3ra; bei T HOMAS: In sententias IV d 1, q 1, a 1, ed. Moos (1947) handelt es sich weniger um die Frage der M¨oglichkeit einer Definition der Sakramente, als vielmehr um Auslegungsfragen zu traditionellen Definitionen. 11 S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 180, ed. Vaticana (2008), S. 62f.: Hic primo videndum est cuius possit esse definitio et cuius non; | secundo, ex hoc, si sacramenti possit esse aliqua definitio. 12 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 181, ed. Vaticana (2008), S. 63: Definitio proprie dicta non est nisi oratio verum significans quid-est-esse rei (I Topicorum, ubi dicitur: ‘Est autem terminus – id est definitio – oratio quid-est-esse significans’, id est definiti). Et ideo non est quaecumque ratio nominis, sed ratio per quam distincte indicatur verum quid-est-esse rei. Vgl. Topik I 5, 101b 39; die Metaphysik-Verweise stammen aus den B¨uchern IV–VIII, vgl. die folgenden Anmerkungen.
12.1 Sakramente als wirksame Zeichen
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um ein per se unum handeln, um eine einzige, einheitliche Sache.13 Drittens d¨urfe es sich nicht um eine reine Vorstellungssache handeln, ein ens rationis, da gem¨aß A RISTOTELES nur von dinglichem Sein, dem ens reale, im eigentlichen Sinne ein ‘was’ bestimmt werden k¨onne.14 Viertens d¨urfe es sich um keine schlechthin einfache Sache handeln, da diese selbst-evident seien und gar keiner Definition bed¨urften; f¨unftens schließlich betr¨afen Definitionen nicht Einzeldinge, sondern stets deren Allgemein-Bestimmungen.15 Problematisch f¨ur den Sakramentenbegriff sind von diesen f¨unf Kriterien vor allem die ersten drei. Denn weil die Sakramente auf die Gnade verweisen, die im sakramentalen Vollzug u¨ berhaupt erst vermittelt wird, verweisen sie vorerst auf etwas noch nicht Seiendes und insofern auf ein non ens. Zweitens geh¨oren zu den Sakramenten unterschiedliche Worte ebenso wie dingliche Elemente, so dass sie aus Verschiedenem zusammengesetzt und kein per se unum sind – ihre Einheit l¨asst sich h¨ochstens denken, wodurch das Einheitliche der Sakramente aber unter die entia rationis f¨allt. Was nun das erste betrifft, will S COTUS anhand einer Reihe von conclusiones zeigen, dass es der Definierbarkeit der Sakramente nicht wirklich im Wege stehe: A) sei es m¨oglich, dass Gott eine unsichtbare Wirkung verursache, welche das Heil des diesseitigen Menschen betreffe. Dies brauche nicht weiter begr¨undet zu werden, da es einem Theologen wegen der g¨ottlichen Allmacht klar sei.16 B) sei es m¨oglich, dass Gott ein Zeichen festlege, um diese unsichtbare Wirkung zu bezeichnen. Auch wir k¨onnten n¨amlich ein beliebiges Zeichen festsetzen, um zu bezeichnen, was auch immer wir uns ausd¨achten. Nun gebe es aber rememorative, pr¨asentische und prognostische Zeichen – Zeichen von vergangenen, von gegenw¨artigen und von k¨unftigen Dingen; und so wie auch wir ein Zeichen einsetzten k¨onnten, um uns u¨ ber etwas Vergangenes oder Gegenw¨artiges zu vergewissern, oder aber um einen k¨unftigen Effekt zu bezeichnen – so etwa unsere von Zeichen begleiteten 13 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 182 und 183, ed. Vaticana (2008), S. 63f.; vgl. auch ebd. n 175 sowie Meta VII 12, 1037b 25f. 14 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 184, ed. Vaticana (2008), S. 64; vgl. Meta V 7–8, 1017a 22 – 1017b 26 sowie Meta VI 2, 1026a 33–35. S COTUS schr¨ankt noch weiter ein, um welche Form von entia rationis es nicht gehen k¨onne: Von obiective oder subiective im Intellekt vorhandenen entia, von Universalien also und gedachten Gegenst¨anden k¨onne es sehr wohl eine Definition geben; ausgeschlossen seien bloß entia ‘in anima tamquam secundo consideratum’, also Gedanken u¨ ber Gedanken, oder sog. zweite Intentionen, denn diese best¨unden bloß aufgrund einer relatio rationis, quia nihil habet praecise esse in considerato ut considerato, nisi comparatio qua consideratum comparatur ad aliud per actum considerantis (Ordinatio, ed. Vaticana (2008), ebd.). 15 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 185 und n 186, ed. Vaticana (2008), S. 64f. Zum vierten Punkt vgl. Meta VIII 3, 1043b 25f. 16 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 181, ed. Vaticana (2008), S. 63: Possibile est Deum aliquem effectum invisibilem causare, pertinentem ad salutem hominis viatoris. Hanc non oportet probare, quia theologo est manifesta ex omnipotentia divina.
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Schw¨ure oder Versprechen –, so k¨onne auch Gott, um seine Wirkungen zu bezeichnen, ein beliebiges Zeichen einsetzen.17 S COTUS rekurriert damit auf die allt¨agliche Erfahrung und den verbreiteten Gebrauch von signa obligatoria, von verpflichtenden Zeichen, bei denen das, was sie bezeichneten, als Inhalt der zu erf¨ullenden Verpflichtung oder der einzuhaltenden Abmachung in der Zukunft liegt und insofern noch gar nicht besteht. Dennoch geh¨ort dieses noch nicht Seiende zur Bestimmung eines solchen prognostischen Zeichens hinzu – das erste Kriterium f¨ur die Definierbarkeit einer Sache muss diesbez¨uglich modifiziert werden. Genauso verh¨alt es sich nun aber auch mit den Sakramenten als Zeichen der verheißenen Gnade, so dass ein so modifiziertes erstes Kriterium auch einer Sakramenten-Definition nicht mehr widerspricht. S COTUS h¨alt hier allerdings nicht inne, sondern erg¨anzt seine zwei bisherigen conclusiones noch durch eine dritte, welche erneut deutlich macht, wie wichtig ihm der Wirksamkeits-Aspekt ist: C) sei es n¨amlich m¨oglich, dass Gott sich entschließt, mit einem von ihm ” eingesetzten Zeichen zu kooperieren und den bezeichneten Effekt zu verursachen, sofern sich denn bei dem, auf den das Zeichen angewendet wird, kein Hinderungsgrund findet.“18 Auch hier gen¨ugt S COTUS zur Plausibilisierung der conclusio ein Verweis auf die allt¨agliche Erfahrung, wo etwa ein Handschlag den Frieden bezeichnen k¨onne, der erst noch einzuhalten sei und der vom einen eingehalten werde, sofern auch der andere sich daran halte:19 Ein solches Zeichen aber, bei dem sich der Einsetzende bereit erkl¨art, mit der bezeichneten Wirkung stets zu kooperieren, ein solches Zeichen kann man ‘wahrhaft’ (verax) oder ‘sicher’ (certum) nennen im Unterschied zum unsicheren oder mehrdeutigen Zeichen [...]. Im eigentlichen Sinne allerdings ist dies ein wirksames Zeichen, ein signum efficax, zu nennen, wenn der nat¨urlichen Ordnung gem¨aß bei Anwendung des Zei17
Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 191, ed. Vaticana (2008), S. 65f.: Possibile est Deum imponere aliquod signum ad significandum istum effectum invisibilem. – Hoc patet, quia nos possumus ponere signa ad significandum quodcumque intelligibile a nobis; cum autem signum dividatur in rememorativum (quod est praeteriti) et prognosticum (quod est futuri) et demon|strativum (quod est praesentis), possibile est Deum instituere quodcumque istorum signorum ad significandum effectus suos. Probatur etiam, quia nos possumus qualecumque istorum signorum instituere ad signifiandum nostros effectus: sic enim instituta sunt a nobis iuramenta, promissiones et signa huiusmodi obligatoria, ad significandum effectum nostrum futurum, – vel assertoria ad significandum nostrum effectum praeteritum vel praesentem. 18 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 192, ed. Vaticana (2008), S. 66: Possibile est Deum determinare se et disponere quod cooperetur ad aliquod signum – ab eo institutum – ad causandum effectum significatum nisi impediat indispositio cui adhibetur. 19 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 192, ed. Vaticana (2008), S. 66: Patet, quia sic esset possibile in nobis quod aliquis, instituens signum effectus sui, disponeret se semper cooperari huiusmodi signo nisi impediret ille cui adhiberetur (ut si aliquis instituat pro signo pacis vel benevolentiae tactum manus vel digiti elevationem vel huiusmodi, posset – instituendo tale signum – determinare se ad semper cooperandum ad effectum significatum, nisi indispositio eius, cui adhiberetur signum, impediret).
12.1 Sakramente als wirksame Zeichen
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chens das Bezeichnete erst folgt und nicht umgekehrt [das Bezeichnete dem Zeichen vorausgeht]. Denn wenn ein Zeichen seinem Bezeichneten erst folgen w¨urde, so w¨are es, auch wenn es ein sicheres Zeichen w¨are, weil das ihm vorausgehende Bezeichnete nie fehlen w¨urde, doch keinesfalls wirksam, da seine Anwendung in keiner Weise eine Wirkung h¨atte hinsichtlich des Bezeichneten, sondern umgekehrt [das Bezeichnete wirksam w¨are hinsichtlich des Zeichens].20
Zwei Bestimmungen sind es also, welche ein signum efficax, ein wirksames Zeichen ausmachen: Die erste betrifft seine Wahrhaftigkeit, dass n¨amlich das vom Zeichen Bezeichnete mit Sicherheit eintrifft, dass also die Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem mit Sicherheit hergestellt wird und sich der Zeichengehalt somit bewahrheitet. Doch w¨ahrend es bei den angef¨uhrten Beispielen aus dem menschlichen Alltag allenfalls fraglich ist, inwiefern eine solche Sicherheit garantiert werden kann, ist dies bei g¨ottlich eingesetzten Zeichen, um die es im vorliegenden Fall ja geht, nicht zu bezweifeln.21 Die zweite Bestimmung betrifft die nat¨urliche Ordnung zwischen Zeichen und Bezeichnetem: Damit ein Zeichen ein signum efficax genannt werden kann, muss es dem von ihm Bezeichneten – wie jede Ursache ihrer Wirkung – vorausgehen: Die gew¨ohnliche Ordnung, dass zur Bezeichnung von etwas Bestehendem ein Zeichen eingesetzt wird, wird im signum efficax gerade umgedreht.22 Damit l¨asst sich gewissermaßen als conclusio dieser conclusiones festhalten, dass es f¨ur Gott m¨oglich sei, ein Zeichen einzusetzen, um eine Wirkung certitudinaliter et efficaciter zu bezeichnen – und sei es, wie S COTUS im Hinblick auf das zweite Definitions-Kriterium an dieser Stelle bereits anf¨ugt, dass er dieses Zeichen unter Verwendung von mehreren wahrnehmbaren Dingen ein20
Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 192, ed. Vaticana (2008), S. 66f.: Tale autem signum, cui instituens disponit regulariter cooperari, potest dici signum ‘verax’ vel ‘certum’, ad distinctionem signi incerti vel aequivoci, quod aequaliter habet secum significatum cooperans vel oppositum. Proprie tamen dicitur signum ‘efficax’, si – adhibito signo – sequitur significatum ordine naturae et non e converso, quia si signum sequeretur significatum suum ordine naturae, etsi posset esse | signum certum si nunquam careret illo significato praecedente, tamen non esset efficax, quia nullo modo eius positio efficaciam haberet respectu significati, sed e converso. 21 Worin denn auch der Unterschied zwischen einem bloßen signum practicum und einem signum efficax liegt, wie S COTUS erst anl¨asslich der n¨achsten Quaestio zur Notwendigkeit der Sakramente genauer ausf¨uhrt, vgl. Ordinatio IV d 1, p 2, q 2, n 228, ed. Vaticana (2008), S. 79: Nec adhuc signum practicum dubium vel aequivocum seu incertum, quia etsi per tale signum duceretur homo in cognitionem ‘fieri’ huiusmodi effectus, non tamen appeteret illud signum sibi adhiberi propter incertitudinem signi respectu ‘fieri’ significati; ergo talem effectum significari per signum practicum certum et efficax, fuit congruum, ut et homo ex tali signo effectum cognoscat et in tali signo effectum ardenter quaerat. Dazu auch N IELSEN: Signification (1997), S. 229. 22 Vgl. auch etwas sp¨ater im Hinblick auf die Sakramenten-Definition von P ETRUS L OM BARDUS : Per hoc quod addit ‘et causa existat’, nihil aliud intelligit nisi quod est signum ‘efficax’, per quod intendit quod sit practicum et certum et verum, et praevium naturaliter ad suum significatum (Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 327, ed. Vaticana (2008), S. 116).
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setzt:23 Dies sei m¨oglich, selbst wenn unterschiedliche Sinne davon betroffen w¨aren. Denn so, wie der aus mehreren h¨orbaren Silben bestehende Signifikations-Komplex Gott ist unendlich perfekt“ die essentia simplicissima Gottes ” bezeichne, k¨onne auch ein Signifikations-Komplex aus h¨or- und sichtbaren Elementen festgelegt werden, um als ganzes eine einzige, einheitliche Sache zu bezeichnen.24 Der Definierbarkeit der Sakramente aber steht hinsichtlich des ersten Kriteriums nichts mehr entgegen: Als signum efficax, als Zeichen, das seinem Bezeichneten vorausgeht, es aber dennoch certitudinaliter bezeichnet, ist ein Sakrament kein reines non-ens. Und so k¨onne man sagen, ein Sakrament sei ein Zeichen, das Gottes Gnade oder seine Gnadenwirkung aufgrund ” g¨ottlicher Einsetzung wirksam bezeichnet, und zwar eine Wirkung, welche auf das Heil des diesseitigen Menschen hingeordnet ist.25“ Was das zweite Kriterium betrifft, hat S COTUS damit schon Vorarbeit geleistet. Nat¨urlich lasse sich sagen, dass ein Sakrament im eigentlichen Sinne nicht definierbar sei, weil es sich dabei um kein ‘per se unum’ handle. Allerdings betrifft die Vielheit, die tats¨achlich in den Sakramenten zu finden ist, gerade nicht jene Aspekte, welche laut der eben gegebenen Bestimmung ein Sakrament ausmachen: Auch ein Akzidens l¨asst sich in den unterschiedlichsten und vielf¨altigsten Substraten finden und dennoch definitorisch bestimmen, weil diese Substrate gerade nicht entscheidend, sondern reine additamenta sind f¨ur das, was das Akzidens f¨ur sich genommen ausmacht.26 Die generische Bestimmung aber der Sakramente als Zeichen mit ihren eingrenzenden Zus¨atzen der Einsetzung und der Wirksamkeit weisen auf jenen spezifischen Aspekt der Sakramente hin, der bei allen Sakramenten ein und derselbe ist: Im Intellekt ist die 23
Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 193, ed. Vaticana (2008), S. 67: Ultimo dico quod est possibile Deo, ad significandum effectum praedictum et modo praedicto, scilicet certitudinaliter et efficaciter, instituere signum aliquod sensibile. – Hoc apparet, quia et nos possumus aliquod signum sensibile instituere ad significandum effectum nostrum cum illis condicionibus praedictis. 24 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 193, ed. Vaticana (2008), S. 67: Nec solum potest institui aliquod solum signum sensibile, sed etiam sensibile plura sensibilia includens in se, et hoc vel eiusdem sensus vel diversorum sensuum: sicut enim ad significandum perfectionem divinam, quae est essentia simplicissima, possumus instituere istam orationem ‘Deus est infinitus perfecte’, quae constituitur ex multis syllabis audibilibus, ita possumus instituere quod aliqua audibilia et aliqua visibilia simul significarent conceptum nostrum (puta quod actum benevolentiae significarent aliqua verba certa, cum aliquo actu manus et osculo). 25 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 194, ed. Vaticana (2008), S. 67: Signum sensibile gratiam Dei vel eius effectum gratuitum ex institutione divina efficaciter significans, effectum – inquam – ordinatum ad salutem viatoris hominis. In fast identischem Wortlaut findet sich diese Definition noch einmal ebd. n 207, S. 73 (s.u., S. 176 mit Anm. 36). 26 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 197f., ed. Vaticana (2008), S. 69: Dicitur quod sacramentum proprie non habet unitatem, ideo non est definibile proprie [...]. Sed contra hoc: licet enim unum accidens esset in multis subiectis, nihilominus esset definibile proprie sicut aliud accidens, quia illa plura non pertinent per se ad rationem accidentis, sed tamquam additamenta.
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Bestimmung ‘signum ad placitum et efficax’ ebenso etwas Eines wie etwa auch der Begriff der Vaterschaft, der sich ja auch definieren und dennoch auf die unterschiedlichsten Subjekte anwenden l¨asst.27 Damit allerdings wird das dritte Kriterium umso relevanter: Denn wenn sich das Eine, worauf sich die Sakramenten-Bestimmung bezieht, im Intellekt befindet, dann handelt es sich um ein ens rationis und nicht um ein realiter definierbares ens reale. Das gesteht S COTUS auch offen zu28 und setzt gleich noch nach: Die Zeichen-Beziehung, auf welche die Sakramentalzeichen in ihrer Einsetzung durch Christus festgelegt worden sind, basiert nicht auf einer Grundlage, welche in der Natur der sakramentalen Elemente bereits vorhanden ist, auch wenn diese Elemente grunds¨atzlich die F¨ahigkeit haben, eine solche Zeichenfunktion zu u¨ bernehmen: Der tats¨achliche Zeichenstatus kommt ihnen bloß wegen des einmal erfolgten Einsetzungsaktes zu.29 Auch die Zeichen-Beziehung, in welche die Sakramente gesetzt worden sind, geh¨ort damit in den Bereich des Gedachten, es handelt sich um eine relatio rationis. Beschr¨ankt man nun alles Definierbare auf ein ‘Etwas’, das außerhalb der Seele vorkommt, so kann es von den Sakramenten tats¨achlich keine Definition geben in der Art, wie sich die Bestimmung eines außerhalb der Seele existierenden ens completum angeben l¨asst.30 Die Frage ist allerdings, ob eine solche Beschr¨ankung der Definierbarkeit auf die entia realia sinnvoll sei. Denn auch vom Begriff einer Sache, so schiebt S COTUS nach, lasse sich ja durchaus eine Definition angeben, und zwar unabh¨angig davon, ob eine Sache außerhalb der Seele existiere oder nicht.31 Ein genus proximum und eine differentia specifica, welche eine klassische Defini27
Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 199, ed. Vaticana (2008), S. 70: Dico igitur quod cum in ratione praedicta, formale intelligatur esse ‘signum’, et etiam illa quae per se determinant rationem signi, cuiusmodi sunt ‘ex institutione’ et ‘efficaciter’ [...], pluralitas autem quaecumque [...] non prohibet relationem esse definibilem simpliciter, – ergo non excluditur a sacramento habere definitionem propter non-unitatem. Ita enim est iste conceptus ‘per se unus apud intellectum’ signum ad placitum et efficax, sicut est conceptus paternitatis; et sicut paternitas posset definiri proprie (non obstante non unitate per se) si paternitas esset in duobus subiectis, et illa ponerentur ut additamenta, poneretur etiam correlativum paternitatis ut additamentum, – ita et in proposito. 28 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 200, ed. Vaticana (2008), S. 70: In ratione nominis praedicta includitur aliquid quod dicit ens rationis, scilicet hoc quod est signum ‘ex institutione’. 29 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 200, ed. Vaticana (2008), S. 70: Ista relatio non consequitur fundamentum ex natura rei, quia etsi in re sit aptitudo ad significandum effectum significatum, tamen actualis significatio non convenit sibi nisi per actum imponentis. 30 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 200, ed. Vaticana (2008), S. 70: Restringendo ergo definitionem ad ‘quid’ proprie dictum extra animam, ista definitio non exprimit ‘quid’ sacramenti; ergo non potest esse definitio eo modo quo definitio est ratio entis completi extra animam. 31 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 200, ed. Vaticana (2008), S. 70f.: Eo modo quo definitio exprimit ‘unum | conceptum per se in intellectu’, sive ille conceptus sit rei extra sive rei rationis, bene potest definiri.
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tion ausmachten, ließen sich ebenso wie ein proprium auch bei einem reinen ens rationis eruieren;32 wo es bei einem solchen ens unm¨oglich ist, das quid extra animam zu bestimmen, l¨asst sich daher in der Art einer solchen KonzeptBestimmung selbst f¨ur die entia rationis eine Definition angeben – und dies ist nichts Außergew¨ohnliches: Denn genau auf diese und keine andere Wei” se werden s¨amtliche logischen Begriffe definiert. Denn diese bezeichnen keine Wesenheiten außerhalb der Seele, sondern bloß f¨ur sich je einzelne Konzepte in der Seele. Und eine solche Definition zu haben gen¨ugt f¨ur eine Wissenschaft im eigentlichen Sinne – ansonsten w¨are n¨amlich die Logik keine Wissenschaft.“33 Auch die Begriffe zweiter Intention, mit denen der Logiker operiert, werden auf diese Weise definiert; es spricht daher nichts dagegen, auch die Bestimmung der Sakramente in dieser Art anzugeben und dies eine Definition zu nennen. Die Definierbarkeit der Sakramente ist damit gew¨ahrleistet.34 S COTUS kann daher seine Bestimmung, welche er bereits am Ende seiner Diskussion des ersten Kriteriums entwickelt hat, nunmehr als vollg¨ultige Definition eines (neutestamentlichen)35 Sakraments anf¨uhren: Dies ist seine Definition: ‘Ein wahrnehmbares Zeichen, das Gottes Gnade oder den Gnadeneffekt Gottes aufgrund g¨ottlicher Einsetzung wirksam bezeichnet und auf das Heil des diesseitigen Menschen hingeordnet ist’. Im Begriff ‘wirksam’ ist aber ebenso ‘mit Sicherheit’, wie auch ‘prognostisch’ mit-intendiert.36 32 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 201, ed. Vaticana (2008), S. 71: In talibus etiam definitionibus invenitur genus et differentia et proprium, eo modo quo logicus loquitur de genere, differentia et proprio, quia invenitur ibi praedicamentum in ‘quid’ et in ‘quale’ essentiale, et in ‘quale’ accidentale, convertibile. Der Grundlagentext f¨ur diese drei Pr¨adikabilien als Teil einer Begriffsbestimmung ist erneut Topik I 5, 102a–b. 33 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 201, ed. Vaticana (2008), S. 71: Et hoc modo tantum, et non aliter, definiuntur omnes intentiones logicales: non enim significant quiditates extra animam, sed tantummodo conceptus in anima per se unos; et sic habere definitionem sufficit ad scientiam proprie dictam, alioquin logica non esset scientia. 34 Was das vierte und f¨unfte Kriterium betrifft, ist die Sachlage klar: Weder handelt es sich bei einem Sakrament um eine schlechthin einfache Sache, noch um einen Einzelbegriff: De quarta et quinta conditione non oportet immorari: patet enim quod sacramentum, secundum rationem nominis dicti supra positam non habet conceptum simpliciter simplicem, nec conceptum singularem sed universalem. Ex his praedictis patet secundus articulus, quod sacramentum [...] potest simpliciter et per se definiri, eo modo quo intentiones secundae sunt per se definibiles, et quod absolute nihil repugnat | quin verissime et absolute definiatur vel magis proprie dicatur, nisi quia secundum suum proprium formale est ens rationis, et nisi quia includit aliquid quod est ens rationis (Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 203 und 204, ed. Vaticana (2008), S. 71f.). 35 Der Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten liegt f¨ur S COTUS gerade darin, dass jene bloße signa, die neutestamentlichen aber signa efficacia seien, vgl. Ordinatio IV d 1, p 2, q 2, ed. Vaticana (2008), S. 85. 36 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 207, ed. Vaticana (2008), S. 73: Haec est eius definitio, scilicet: ‘Signum sensibile, gratiam Dei vel effectum Dei gratuitum ex institutione divina efficaciter significans, ordinatum ad salutem hominis viatoris’. Et in hoc ‘efficaciter’ includitur tam ‘certitudinaliter’ quam ‘prognostice’. Zur ersten Definition s.o., S. 174.
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Als signa efficacia der heilsamen Gnade Gottes sind die Sakramente damit definiert; als Differenz-Bestimmung dieser Definition aber fungiert an entscheidender Stelle der Wirksamkeits-Aspekt. Diese Wirksamkeit beschr¨ankt sich allerdings gem¨aß dem bisher Gesagten auf zwei Punkte: dass n¨amlich das Zeichen erstens dem Bezeichneten vorausgeht, und dass das Bezeichnete zweitens dem Zeichen mit Sicherheit folgt. Von Verursachung des Bezeichneten, von einem Hervorbringen oder Vermitteln der Gnade ist bisher keine Rede gewesen. Vielmehr bleibt gem¨aß dieser Bestimmung der Zusammenhang zwischen Sakrament und Gnadenvermittlung beschr¨ankt auf eine rein semiotische Beziehung, auf die Relation also zwischen einem Zeichen und seinem Bezeichneten. Im Hinblick auf die Sakramente hat S COTUS daher von einer reinen relatio rationis, von einer Beziehung ohne reales Fundament in den sakramentalen Elementen gesprochen – und dies scheint f¨ur ihn ein grundlegender Aspekt nicht nur der Sakramente, sondern (zumindest bei eingesetzten Zeichen) f¨ur Zeichenbeziehungen an sich zu sein: Schon im Rahmen seiner Diskussion des ersten Definierbarkeits-Kriteriums u¨ berlegt sich S COTUS, ob nicht nur die Definierbarkeit der Sakramente begr¨undet werden k¨onne, sondern ob sich auch die Relation zwischen der Definition des Begriffs ‘Sakrament’ und dem Wort ‘sacramentum’ begr¨unden lasse. Dies aber scheint ihm unsinnig; vielmehr m¨usse dies einfach ex usu loquentium, aus dem Sprachgebrauch der Sprachgemeinschaft angenommen werden. Ebenso m¨ussten ja auch die Bedeutungen aller anderen Worte dem Sprachgebrauch entnommen werden.37 Die Gemeinschaft der Sprechenden ist es daher, die durch ihren t¨aglichen Gebrauch der Sprache die Bedeutung eines bestimmten Worts festlegt. Eine festere, intrinsische Beziehung zwischen Wortzeichen und bezeichneter Bedeutung gibt es f¨ur S CO TUS nicht: Der Effekt eines Wortgebrauchs – die Herstellung von Bedeutung – ¨ scheint von nichts anderem abzuh¨angen als von der Ubereinkunft der Sprachgemeinschaft, ein Wort so und nicht anders zu verwenden. Mit der sakramentalen Wirksamkeit verh¨alt es sich in S COTUS’ Augen nicht anders.
¨ 12.2 Metaphysik und Okonomieprinzip: S COTUS’ Kritik an T HOMAS S COTUS behandelt die Wirksamkeitsproblematik im drittem Teil seines Kommentars zu Distinctio 1. So wie bereits in der Definitions-Frage das besondere Gewicht deutlich geworden ist, das S COTUS der Wirksamkeitsproblematik beimisst, indem er in die erste Distinktion mit der erw¨ahnten Sch¨opfungspro37 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 195, ed. Vaticana (2008), S. 68: Quod autem ista ratio sit huius nominis ‘sacramentum’, probari non potest, sed oportet supponere ex usu loquentium de sacramento, sicut oportet supponere significata vocabulorum ex usu. Vgl. dazu unten, S. 573
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blematik einsteigt, dominiert hier nun der leicht verschobene, nunmehr metaphysische Fokus, den diese Sch¨opfungsthematik impliziert: Im Korpus der Responsio zeichnet S COTUS zuerst einmal T HOMAS’ L¨osung nach, wie er sie aus dessen Sentenzenkommentar kennt, zeigt dann auf, wo er deren Schwachstellen sieht, um erst im Anschluss daran sein eigenes Modell zu pr¨asentieren.38 Seine Darstellung von T HOMAS’ Ansatz h¨alt sich nun zwar sehr eng an die Argumentation des Sentenzenkommentars; doch w¨ahrend T HOMAS gerade an einer einzigen Stelle die Kraft, welche er in den Sakramenten wirksam sieht, eine virtus supernaturalis nennt und sonst von einer virtus spiritualis spricht,39 argumentiert S COTUS nun konsequent gegen die M¨oglichkeit einer u¨ bernat¨urlichen Kraft in den Sakramenten: Wenn es in den Sakramenten eine u¨ bernat¨urliche ” Kraft g¨abe, so w¨are diese schlechthin edler als jede nat¨urliche Qualit¨at. In den sakramentalen Worten eines Sakraments g¨abe es daher irgendein absolutes Akzidens, das schlechthin vollkommener w¨are als jede Vollkommenheit selbst eines intellektuellen Gesch¨opfs, was unzutreffend ist.“40 Mit dieser Sensibilisierung f¨ur die nat¨urlichen und u¨ bernat¨urlichen Aspekte der Gnadenvermittlung mag auch ein weitere Verschiebung in S COTUS’ Behandlung der Problematik zusammenh¨angen: W¨ahrend T HOMAS vor allem Argumente gegen die Seinsordnung insbesondere zwischen k¨orperlichen und gei38 In der Ordinatio diskutiert S COTUS nach T HOMAS’ L¨osungsvorschlag auch noch das Modell H EINRICHS VON G HENT, das hier aber ausgeblendet werden kann, weil es kaum nachgewirkt hat (eine Ausnahme ist etwa J OHANNES VON S TERNGASSEN, vgl. den bei S ENNER: Johannes von Sterngassen (1995), II S. 316, edierten Ausschnitt aus dessen Sentenzenkommentar). Zu Heinrichs Behandlung der Wirksamkeitsproblematik vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 144. Diese Orientierung an gegnerischen Modellen veranlasst N IELSEN: Signification (1997), S. 226, S COTUS’ Problemaufriss ‘dialektisch’ zu nennen, womit allerdings angesichts des Vorgehens bereits von R ICHARD F ISHACRE oder B ONAVENTURA keine SCO TISTISCHE Besonderheit benannt ist. 39 Virtus supernaturalis nur in T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, resp., ed. Moos (1947), S. 35, was als Einleitung zur Responsio nat¨urlich eine prominente Stelle ist; ansonsten spricht T HOMAS aber auch in dieser Quaestiuncula 2 von einer virtus spiritualis (vgl. insbesondere das vierte Argument). Schon hier im Sentenzenkommentar nennt T HOMAS zudem auch die Gnade eine res spiritualis (ebd., qc 4, arg 4, S. 30). Von einer virtus spiritualis spricht S COTUS etwa in Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 296, ed. Vaticana (2008), S. 105, l. 306, was sich allerdings auf eine allgemeine Aussage zu nicht-k¨orperlichen Kr¨aften bezieht (s.u., Anm. 47, S. 180). 40 S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 275, ed. Vaticana (2008), S. 92, mit leicht korrigierter Interpunktion: Omne accidens reale supernaturale est simpliciter perfectius quocumque accidente naturali (quod probatur, quia in illud non potest causa naturalis, in istud potest; et ista impotentia non videtur esse nisi propter eminentiam effectus[).] Si igitur in sacramentis esset aliqua virtus supernaturalis, illa esset simpliciter nobilior omni qualitate naturali[...]; ergo in verbis sacramentalibus alicuius sacramenti esset aliquod ‘accidens absolutum’ simpliciter perfectius omni perfectione intellectualis creaturae, – quod est inconveniens. So auch schon ebd.. n 268, S. 90: nobilius autem aliquid vel eminentius gratia non potest esse in re sensibili ut in subiecto.
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stigen Dingen aus dem Weg zu r¨aumen versucht, nimmt S COTUS wieder mehr die nat¨urliche Beschaffenheit der Sakramente in den Blick. Und so bringt er denn gegen die Mitwirkungs-Variante einen Argumentationstyp ins Spiel, der auch bei R ICHARD F ISHACRE und B ONAVENTURA bereits aufgetaucht, bei T HOMAS aber in den Hintergrund getreten ist:41 F¨ur ein und dasselbe Sa” krament kommen manchmal unterschiedliche wahrnehmbare Dinge zusammen [...], doch kann ein und dasselbe absolute und reale Akzidens nicht in unterschiedlichen Subjekten sein. Daher kann es auch keine eine Kraft geben, welche eine reale absolute Form in so einem Sakrament w¨are.“42 Beide Argumente treffen aber T HOMAS’ Modell der Mitwirkungs-Variante noch nicht im Kern, denn f¨ur T HOMAS ist die in den Sakramenten enthaltene virtus gerade kein absolutes und in diesem Sinne reales Akzidens, sondern eben ein ens incompletum.43 S COTUS ist sich dessen sehr wohl bewusst, und so f¨uhrt er denn als improbatio von T HOMAS’ Position noch einmal eine Reihe weiterer Gegenargumente an. In diesen geht er erneut vor allem von den Sakramenten als physischen Dingen mit einer r¨aumlichen und einer zeitlichen Ausdehnung aus: Jene dispositio n¨amlich, welche laut T HOMAS’ Sentenzenkommentar die Sakramente instrumentaliter hervorzubringen imstande seien, m¨usse in Kongruenz sowohl zur Gnade, zu deren Empfang sie disponiere, als auch zu Gott, dem eigentlichen Akteur des Vermittlungsgeschehens, instantan hervorgebracht werden, weil sich weder ein zeitlich ausgedehnter Vermittlungsakt der Gnade denken lasse, noch unterstellt werden k¨onne, dass Gott f¨ur seine Handlungen Zeit ben¨otigte.44 Instantan mitzuwirken, ist aber umgekehrt bei Sakramenten als 41 Das heisst nicht, dass sich T HOMAS darum u¨ berhaupt nicht gek¨ummert h¨atte, vgl. etwa In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, arg 5 und allenfalls auch bereits arg 2, ed. Moos (1947), S. 34. Diese knappen Anspielungen stehen aber in keinem Verh¨altnis zu der Vielzahl von Argumenten zur ordo-Problematik. Zu R ICHARD F ISHACRE s.o., S. 133; zu B ONAVENTURA S. 146. 42 S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 274, ed. Vaticana (2008), S. 92: Ad idem sacramentum quandoque concurrunt diversa sensibilia, ut infra patebit in multis sacramentis novae legis; sed idem accidens reale absolutum non potest esse in diversis subiectis; ergo non potest esse aliqua una virtus, quae sit forma absoluta realis in tali sacramento. Unius autem sacramenti una est virtus; ergo etc. 43 So argumentiert denn T HOMAS auch an dieser einen Stelle, wo er die Zusammensetzung der Sakramente aus mehreren Dingen in den Blick nimmt, mit der Unterscheidung von vollst¨andigem und unvollst¨andigem Sein: sicut virtus absoluta non est complete in quolibet congregatorum ad unam actionem quam nullus per se perficere potest [...]; ita etiam est de instrumentis, quando unum non sufficit; et sic etiam est in aliis multis quae exiguntur ad sacramentum: quia in omnibus est illa virtus simul acceptis complete, in singulis autem incomplete (In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, ad 5, ed. Moos (1947), S. 36). 44 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 286, ed. Vaticana (2008), S. 99: Si instrumentum potest agere in tempore ad istam dispositionem, sequitur quod Deus aget in tempore vel successive ad eandem. Consequens videtur inconveniens: tum propter infinitam potentiam agentis, tum propter summam capacitatem suscipientis non habentis contrarium. Zur Unm¨oglichkeit, dass die Gnade in zeitlicher Ausdehnung vermittelt wird, vgl. ebd. l. 183–191.
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aus mehrerem zusammengesetzten Dingen undenkbar45 – um den gew¨unschten Effekt zu haben, kann diese dispositio also nichts anderes sein als selbst ein terminus creationis, zu deren Hervorbringung geschaffene Dinge aber auch gem¨aß T HOMAS nicht f¨ahig sind. Die Zwischenstufe einer dispositio, an welcher die Sakramente mitwirken, l¨ost daher die grunds¨atzlichen Probleme nicht.46 Dasselbe gilt auch f¨ur die Sakramente als Tr¨agern einer u¨ bernat¨urlichen Kraft: Das Modell der entia incompleta vermag laut S COTUS auch hier nicht schl¨ussig zu erkl¨aren, wie ein r¨aumlich und zeitlich ausgedehntes Sakrament eine solche virtus enth¨alt. Diese virtus m¨usste n¨amlich dennoch auf die einzelnen Sakraments-Teile aufgegliedert werden k¨onnen, was dem Wesen einer u¨ bernat¨urlichen Kraft widerspricht.47 Und selbst wenn man behauptet, dass sich diese eine Kraft auf die einzelnen Teile des Sakraments verteile und nur in der Zusammensetzung aller Sakramentsteile wirksam werde,48 l¨asst sich doch nicht sagen, welche dieser Teilkr¨afte das Zusammenwirken dann initiierten; im Hinblick auf die dispositio hat sich zudem gezeigt, dass ein solches Aufspalten von Effekt-Teilen nur dann zu einer gemeinsamen Wirkung f¨uhren kann, wenn jedes Teilchen f¨ur sich bereits einen kleinen Effekt hat.49 Mit seiner Rede von 45 Was insbesondere f¨ur die Eucharistie mit ihrem zweifachen Effekt einmal der Wandlung und dann der Gnadenvermittlung zutrifft, vgl. das zweite und dritte Gegenargument Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 291–293, ed. Vaticana (2008), S. 101–103. Zum vorliegenden allgemeinen Argument vgl. ebd. n 288, S. 100: Sacramenta autem communiter non possunt habere actionem suam in instanti, – probatio, quia in sacramentis communiter requiruntur verba et alia multa (ut patebit inferius), illa autem non possunt habere ‘esse’ in instanti, ergo in tempore. S COTUS ist daraufhin sogar bereit, das Hervorbringen einer dispositio versuchsweise einer einzigen Silbe – und damit fast einem einzigen Augenblick – zuzusprechen, doch gen¨ugte dann diese eine Silbe und die ganzen sakramentalen Formeln w¨urden u¨ berfl¨ussig, vgl. ebd. n 289, S. 101. 46 Hier wird besonders deutlich, dass S COTUS die Summa nicht kennt. Allerdings tr¨afen die Argumente, die er hier gegen das Hervorbringen einer dispositio anf¨uhrt, auch gegen den direkten instrumentalen Einbezug der Sakramente gem¨aß der Summa zu: Denn auch hier bleiben es die aus Mehrerem zusammengesetzten Sakramente, von welchen behauptet wird, dass ein instantan handelnder Gott f¨ur die instantan zu vermittelnde Gnade auf sie zur¨uckgreife. 47 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 296, ed. Vaticana (2008), S. 105: Illa virtus supernaturalis, si sit in sacramento, aut est ibi indivisibiliter aut divisibiliter, id est aut tota in toto et in qualibet parte, aut tota in toto et pars in parte. Non primo modo, quia inter omnes formas perficientes materiam, sola intellectiva ponitur talis; non secundo modo, quia tunc extenderetur per accidens in subiecto, – quod est contra rationem virtutis spiritualis. 48 Si dicas quod habet aliquam virtutem unam aggregatam ex | multis virtutibus multarum partium: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 298, ed. Vaticana (2008), S. 105f. S COTUS f¨uhrt hierzu das ARISTOTELISCHE Beispiel des letzten Tropfens an, der den Stein h¨ohlt (angef¨uhrt bereits ebd. n 290, S. 101, vgl. Phys VIII.3, 253b 14–21); bei T HOMAS dient hierzu das Beispiel des Ziehens eines Schiffs, das nur im Verbund m¨oglich ist (In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, ad 5, ed. Moos (1947), S. 36). 49 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 290, ed. Vaticana (2008), S. 101: Numquam enim in talibus ultimum completive causat effectum in virtute praecedentium nisi quia [praccedentia ed. Vaticana] dereliquerunt aliquam dispositionem praeviam ad istum terminum.
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den entia incompleta hat T HOMAS daher die Probleme nicht gel¨ost, sondern h¨ochstens verlagert. Das gilt auch f¨ur die Beispiele, welche T HOMAS angef¨uhrt hat: Sie passen entweder nicht zur Sakramenten-Problematik, weil etwa in einer S¨age nicht bei jeder Anwendung eine geistige Form verursacht wird, die nach der Anwendung wieder verschwindet – die instrumentale Wirksamkeit der Sakramente aber beschr¨ankt sich auf den Moment der Anwendung.50 Oder aber T HOMAS geht grunds¨atzlich von falschen Voraussetzungen aus, wie insbesondere im Hinblick auf das Beispiel von der h¨orbaren Rede, wo T HOMAS unterstellt, dass sie die intentiones animae enthalte, weil sie nur so den H¨orer veranlassen k¨onne, das Geh¨orte zu konzeptualisieren.51 Tr¨afe dies aber zu, so handelte es sich um eine solche intrinsische Beziehung zwischen Wortzeichen und Bezeichnetem, wie sie S COTUS anl¨asslich seiner Definitions-Diskussion ausgeschlossen und stattdessen auf den Sprachgebrauch der Sprecher-Gemeinschaft zur¨uckgef¨uhrt hat.52 Dass in einer h¨orbaren Rede die intentio animae formal enthalten sei, scheint S COTUS denn auch unsinnig: Denn es gebe Redeformen, die nichts bedeuteten und insofern auch keine solche Form bes¨aßen. Dar¨uber hinaus m¨usste, wenn eine h¨orbare Rede ein Konzept verursachen k¨onnte, ein lateinisches Wort auch bei einem Griechen das zugeh¨orige Konzept hervorrufen, und so g¨abe es keine unverst¨andlichen Sprachen.53 F¨ur T HOMAS’ Modell gibt es daher laut S COTUS auch keine plausiblen Beispiele, die veranschaulichen k¨onnten, dass die behaupteten speziellen Seinsformen auch an andern Orten anzutreffen seien und die sakramentale Wirkweise von daher zu illustrieren w¨are. T HOMAS’ Modell l¨ost daher f¨ur S COTUS nicht nur die Schwierigkeiten nicht, sondern greift auch auf Seinsformen zur¨uck, die sich sonst nirgendwo veranschaulichen lassen; doch ist damit erst eine problematische Seite dieses Modells benannt. Eine andere, f¨ur S COTUS fast noch problematischere Seite be50 Exemplum de instrumento artificis non concludit: valde enim improbabile videtur quod aliqua forma spiritualis toties causaretur in serra quoties moveretur ab artifice, et toties desinat esse quoties serra desinit actu moveri: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 304, ed. Vaticana (2008), S. 108, f¨ur den Bezug zu Thomas vgl. die n¨achste Anmerkung. 51 T HOMAS VON AQUIN:In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, ad 4, ed. Moos (1947), S. 35, s.o., S. 160. 52 S.o., S. 177. 53 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 302, ed. Vaticana (2008), S. 107: [Exemplum] de sensibili sermone accipit manifeste falsum, nam sermo audibilis non habet in se formaliter aliquam intentionem animae. Quod probatur, quia sermo non impositus ad significandum, nullam talem formam habet in se (patet hoc omnibus). [...] Hoc etiam probatur aliter, quia eodem existente agente principali et instrumento sufficiente, sequitur eadem actio; sed si latinus proferat verba latina graeco, idem est agens principale (et instrumentum, quod esset, si loqueretur alii latino), tamen non sequitur effectus, quia nullus conceptus causatur in graeco audiente; ergo ille sermo non erat instrumentum ex se ad causandum conceptum animae in audiente. Dieses zweite Argument hat S COTUS von P ETRUS J OHANNES O LIVI, vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 158.
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steht darin, dass sich T HOMAS zur Verteidigung der Mitwirkungs-Variante ganz grunds¨atzlich veranlasst sieht, eine Reihe von zum Teil sehr komplexen Zusatzannahmen aufzustellen. Wo schon B ONAVENTURA angemerkt hat, dass die Schlichtheit der Pakt-Variante eher der humilitas fidei entspreche,54 argumentiert S COTUS gegen die Vertreter der Mitwirkungs-Variante nun offen mit ¨ dem Okonomieprinzip: Sowohl im Hinblick auf den Ursachen- als auch auf den Tr¨ager-Aspekt h¨alt er fest, dass hier eine pluralitas sine necessitate gesetzt werde. Bei der Urs¨achlichkeitsfrage ist es die zus¨atzliche Zwischenstufe der dispositio, deren Notwendigkeit S COTUS nicht einleuchtet: Diese Meinung nimmt ohne Notwendigkeit eine Vielheit an. Dass dies gegen die Lehre der Philosophen ist, wird aus Physik I bei der Meinung des M ELISSUS gegen A NA XAGORAS deutlich und auch aus De anima III und Physik VIII, weil ‘die Natur nichts vergeblich macht’:55 stets n¨amlich ist Wenigkeit, wenn sie gen¨ugt, um die Erscheinungen zu erkl¨aren, als vern¨unftiger anzunehmen. Dass nun aber eine solche dispositio bei den Sakramenten entstehen soll, scheint v¨ollig u¨ berfl¨ussig, und es scheint f¨ur diese Vielheit keine Notwendigkeit zu geben.56
Offenkundig ist dies f¨ur Scotus im Hinblick auf die Eucharistie, wo sich u¨ berhaupt nicht sagen l¨asst, was genau zu welchem Zeitpunkt disponiert wird.57 Aber auch bei den anderen Sakramenten, die keinen character einpr¨agen, lassen sich f¨ur den behaupteten ornatus keine notwendigen Gr¨unde anf¨uhren – vielmehr wird er einfach aus Analogiegr¨unden zu den ‘charakterisierenden’ Sakramenten gesetzt. W¨ahrend nun aber dank des character etwa die Taufe eines eigentlich nicht bereiten Empf¨angers nicht wiederholt werden muss, sobald dieser Empf¨anger die Vorbedingungen erf¨ullt, muss beispielsweise das Bußsakrament bei einem, der seine Reue bloß vorgespielt hat, aufs Neue gespendet werden, 54
S.o., S. 148 mit Anm. 59. Vgl. Phys I.1, 184b 15f. und I.4, 187a 21 – 187b 7; De anima III.4, 429a 18–20, und III.9, 432a 21–23 (AA VI 168, S. 188); sowie Phys VIII.1, 250b 24–25, wobei sich das Prinzip natura nihil facit frustra in der angef¨uhrten Form eher in Pol I.2, 1253a 9–10 findet (AA XV 4, S. 252; vgl. auch Pol I.8, 1256b. 56 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 294, ed. Vaticana (2008), S. 103f.: Ista opinio ponit pluralitatem sine necessitate, – quod est contra doctrinam philosophorum, patet I Physicorum | de opinione Melissi contra Anaxagoram, et etiam III De anima et VIII Physicorum, quia ‘natura nihil facit frustra’: semper enim paucitas, quando sufficit ad salvandum apparentia, magis rationabiliter est ponenda. Sed talem dispositionem fieri in sacramentis omnino videtur su¨ perfluum; nec huius pluralitas videtur esse aliqua necessitas. Dass das Okonomieprinzip keine ‘Erfindung’ O CKHAMS gewesen ist, d¨urfte inzwischen allgemein anerkannt sein, vgl. dennoch B ECKMANN , JAN P ETER: Wilhelm von Ockham, M¨unchen: C.H. Beck, 1995 (Beck’sche Reihe Denker 533), S. 42–47. 57 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 294, ed. Vaticana (2008), S. 104: Ut manifeste patet in eucharistia, quia purissima fictio videtur esse ponere ibi aliquam dispositionem praeviam, vel inter species panis (quae sunt sacramentum) et inter exsistentiam corporis Christi (quae est res significata) ponere aliquam dispositionem mediam. 55
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um einen Effekt zu haben.58 Offensichtlich haben die nicht-charakterisierenden Sakramente keine den charakterisierenden vergleichbare Wirkung, der ornatus als dispositio ist damit u¨ berfl¨ussig. L¨asst sich daher bei den Sakramenten, die einen character einpr¨agen, allenfalls noch u¨ ber eine dispositio diskutieren, so kann diese doch keineswegs als grundlegendes Element jeglichen sakramentalen Wirkens angesehen werden – als spezifischer Effekt, den die Sakramente instrumentaliter hervorbringen, entf¨allt sie daher und mit ihr ein grundlegendes Element von T HOMAS’ Erkl¨arung des Mitwirkungs-Modells. Aber auch die Annahme einer Kraft, welche laut T HOMAS in den Sakramenten enthalten sei, ist f¨ur S COTUS eine pluralitas sine necessitate: Denn es wird keine Notwendigkeit f¨ur eine solche Kraft sichtbar, welche im Sakrament gedacht wird: weder laut der nat¨urlichen Vernunft (was offensichtlich ist), noch laut dem Glauben. Denn wie gem¨aß der nat¨urlichen Vernunft nicht von mehr auszugehen ist, außer von dem, was sich die nat¨urliche Vernunft erschließt, so ist auch gem¨aß dem Glauben nicht mehr anzunehmen, als was die Wahrheit des Glaubens verlangt. Die Wahrheit des Glaubens aber verlangt nicht, dass eine solche u¨ bernat¨urliche Kraft im Wasser oder in den Worten angenommen wird (wie weiter unten klar werden wird), und es zwingt auch kein Vernunftgrund zu solcher Vielheit.59
Tats¨achlich hat sich ja schon T HOMAS nur propter auctoritates veranlasst gesehen, u¨ berhaupt eine derartige Kraft anzunehmen und plausibel zu machen;60 58
Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 295, ed. Vaticana (2008), S. 104f.: In illis quae non imprimunt characterem, nulla necessitas videtur ponendi illam dispositionem quae dicitur ab illis ‘ornatus’, immo hoc videtur esse contra communem doctrinam theologorum: in quibuscumque enim sacramentis imprimitur dispositio ad effectum principalem, si propter obicem in suscipiente non causatur tunc effectus finalis, cessante obice sufficit dispositio ad illum effectum principalem (hoc apparet in sacramentis imprimentibus characterem, quae propter | hoc non sunt iterabilia); sed in ficte poenitente, cessante finctione nihil est quod sufficiat ad effectum verae poenitentiae, alioquin non oporteret talem ficte confessum de eisdem peccatis confiteri alias; ergo in tali sacramento nulla imprimitur dispositio quasi necessitans ad effectum sacramenti. 59 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 300, ed. Vaticana (2008), S. 107f.: Arguitur, sicut prius, quod hic ponitur pluritas sine necessitate: non enim patet aliqua necessitas talis virtutis, quae fingitur in sacramento, neque secundum rationem naturalem (manifestum est), neque secundum fidem, quia sicut sequenti rationem naturalem non sunt ponenda plura nisi quae ratio naturalis conclu|dit, ita sequenti fidem non sunt ponenda plura quam veritas fidei requirat. Veritas autem fidei non requirit ponere talem virtutem supernaturalem in aqua vel in verbis (patebit hoc inferius), nec aliqua ratio cogit ad istam pluralitatem; ergo etc. Anders als die Editoren der Vaticana (ebd. Anm. 302) angeben, d¨urfte das ut patebit inferius nicht auf die Behandlung der einzelnen Sakramente verweisen, sondern auf die gleich folgende Darstellung von S COTUS’ ¨ Erkl¨arung der Wirksamkeitsproblematik und deren Ubereinstimmung mit den dicta sanctorum (n 310f. und 324). 60 Dicendum, quod propter auctoritates inductas necesse est ponere aliquam virtutem supernaturalem in sacramentis: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, resp., ed. Moos (1947), S. 34; s.o., S. 159.
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Kapitel 12: Autorisierung der rationes: Johannes Duns Scotus
dass sie rein secundum rationem naturalem u¨ berfl¨ussig sei, h¨atte auch er zugestehen k¨onnen. Rationaliter ist T HOMAS’ Ansatz damit f¨ur S COTUS unhaltbar. Die Debatte aber l¨auft erneut auf die entscheidende Frage hinaus, was die auctoritates, oder in der vorliegenden Terminologie: die veritas fidei verlangten.
12.3 Sakramente als dispositio und die potentia Dei ordinata S COTUS greift zur Darlegung seines eigenen L¨osungsansatzes noch einmal auf ¨ das Okonomieprinzip zur¨uck: Die Notwendigkeit jener Dinge, die auf einen Zweck ausgerichtet seien, ergebe sich aus diesem Zweck; hinsichtlich der Sakramente seien sich aber alle einig, dass deren Zweck die Gnade oder sonst eine unsichtbare Wirkung Gottes sei, welche die Menschen zum Heil disponierten.61 Nun k¨onne dieser Zweck aber zur Gen¨uge erreicht werden, ohne dass den Sakramenten irgend eine eigene T¨atigkeit hinsichtlich der Gnade oder hinsichtlich einer u¨ bernat¨urlichen dispositio zugesprochen werden m¨usse, woraus folge, dass eine solche T¨atigkeit nicht angenommen werden d¨urfe, weil diese zus¨atzliche T¨atigkeit weder notwendig noch aus offensichtlichen Gr¨unden anzunehmen sei.62 Zwei Punkte bleiben daher zu kl¨aren: erstens, wie sich dieser Zweck ohne eigene T¨atigkeit der Sakramente erreichen l¨asst, und zweitens, wie dies mit den dicta sanctorum in Einklang zu bringen ist. Was das erste betrifft, so haben R I CHARD F ISHACRE , B ONAVENTURA und andere ja bereits einen L¨ osungsweg aufgezeigt. Von deren Modell u¨ bernimmt S COTUS einen Großteil der Bestandteile, lehnt sich an die Pakt-Terminologie an,63 spricht davon, dass die Sakramente Gott assistierten64 und zur vermittelten Gnade in einer relatio rationis 61
Mit letzterem ist der character gemeint, der ja auch gem¨aß T HOMAS’ Sentenzenkommentar von Gott hervorgebracht wird, wozu die Sakramente bloß instrumentaliter disponieren. 62 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 309, ed. Vaticana (2008), S. 110: Dico quod cum necessitas eorum quae sunt ad finem sumatur a fine, et secundum omnes loquentes de sacramentis finis sacramenti est gratia vel aliquis effectus Dei invisibilis, disponens hominem ad salutem, et iste finis possit sufficienter haberi eo modo quo habetur per sacramenta, absque hoc quod dicatur sacramentum habere aliquam actionem propriam sive respectu gratiae (quam non potest attingere, cum illa creetur) sive respectu supernaturalis dispositionis praeviae (quia illa crearetur), – sequitur quod non sit ponenda talis actio, cum nec ista plura sint necessaria nec manifeste ponenda. 63 So bereits in der hier nicht weiter diskutierten Auseinandersetzung mit H EINRICH VON G HENT (s.o., Anm. 38), in Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 308, ed. Vaticana (2008), S. 110: Haec autem dispositio, manifestata ecclesiae, dicitur ‘promissio’ vel ‘pactio’. Igitur nihil aliud dicit ista opinio [Henrici] quam illud de alia opinione, scilicet de pactione. Ausf¨uhrlicher zur eigenen Ansicht dann in Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 323, ed. Vaticana (2008), S. 115. 64 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 315, ed. Vaticana (2008), S. 112: Est igitur modus iste, quod susceptio sacramenti est dispositio necessitans ad effectum significatum per sacramentum, non quidem per aliquam formam intrinsecam [...], sed tantum per assistentiam Dei.
12.3 Sakramente als dispositio und die potentia Dei ordinata
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st¨unden, und greift auf die bekannten Beispiele zur¨uck.65 Was er st¨arker noch als seine Vorg¨anger betont, ist die g¨ottliche ordinatio, der gem¨aß die Sakramente bei der Gnadenvermittlung assistierten. Hierzu greift er erneut die Ursachendiskussion auf. Denn es gebe f¨ur bestimmte Wirkungen sehr wohl notwendige Voraussetzungen oder auch Dispositionen, die wegen ihrer Notwendigkeit in gewissem Sinne causa activa oder causa instrumentalis genannt werden k¨onnten.66 W¨ahrend allerdings solche Dispositionen normalerweise in einem absoluten Sinne zum Erreichen des gew¨unschten Effekts notwendig seien, weil sie durch ihre eigene Form die notwendigen Voraussetzungen bereitstellten, seien die Sakramente notwendig respiciente potentiam ordinatam: Denn Gott hat ” es allgemeing¨ultig veranlagt und dies der Kirche zugesichert, dass er selbst dem Empf¨anger eines solchen Sakraments den bezeichneten Effekt vermitteln werde.“67 Als solche ‘ordinierte’ Voraussetzungen sind die Sakramente nun allerdings nicht weniger notwendig als eine in einem absoluten Sinn notwendige Disposition,68 so dass sich denn auch der zweite Punkt kl¨aren l¨asst, jener n¨amlich der dicta sanctorum. W¨ahrend T HOMAS, um den auctoritates gerecht zu werden, jene zus¨atzliche dispositio eingef¨uhrt hat, kann S COTUS anhand seines Modells einer g¨ottlichen Anordnung die Sakramente selbst als notwendige dispositio zur Gnadenvermittlung betrachten.69 Was T HOMAS daher in seinem 65 Vgl. bereits Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 302, ed. Vaticana (2008), S. 107; dann v.a. Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 334, ed. Vaticana (2008), S. 118: Relatio rationis potest esse nova in aliquo absque novitate absoluti in ipso: sufficit enim nova comparatio absoluti ad alterum per actum intellectus. Hoc modo potest Deus dici ‘dominus’ de novo sine novo absoluto in ipso. Vel magis ad propositum potest nummus dici pretium de novo: esse enim ‘pretium’ non dicit nisi relationem rationis. Zu diesen Beispielen aus dem Bereich der g¨ottlichen Attribute s.o., S. 136. 66 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 311, ed. Vaticana (2008), S. 110: Omnis dispositio necessitans ad formam, quae non est ratio receptivi, potest dici quodammodo causa activa sive causa instrumentalis respectu formae. 67 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 315, ed. Vaticana (2008), S. 112: Susceptio sacramenti est dipositio necessitans ad effectum significatum per sacramentum, non quidem per aliquam formam intrinsecam, per quam necessario causet terminum, vel aliquam dispositionem praeviam, sed per assistentiam Dei, causantis illum effectum non necessario absolute, sed necessitate respiciente potentiam ordinatam: disposuit enim universaliter, et de hoc ecclesiam certificavit, quod – suscipienti sacramentum tale – ipse conferret effectum significatum. 68 Vgl. die Adnotatio Duns Scoti zum in der nachfolgenden Anmerkung zitierten Text, Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, Anm. g, ed. Vaticana (2008), S. 110: Haec propositio, id est ‘omnis dispositio’ etc., conceditur quando ex natura sua vel aliquo intrinseco vel ordine naturali alicuius agentis superioris necessitat ad formam. Non sic est hic, sed tantum [tamen?] necessitat ex ordine voluntatis agentis Dei. 69 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 311, ed. Vaticana (2008), S. 110f.: Omnis dispositio necessitans ad formam, quae non est ratio receptivi, potest dici quodammodo causa activa sive causa instrumentalis respectu formae; ipsum autem sacramentum | sive susceptio sacramenti est talis dispositio immediata, non causans aliam mediam inter se et gratiam; ergo ipsa potest
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Sentenzenkommentar dieser dispositio zugesprochen hat, l¨asst sich in S CO TUS’ Modell direkt auf die Sakramente beziehen. Auch f¨ ur S COTUS sind die Sakramente daher instrumentale Ursachen, allerdings ohne einen eigenen, absoluten Effekt zur Gnadenvermittlung beizusteuern – als dispositio sind sie in die Gnadenvermittlung instrumentaliter involviert, weil Gott angeordnet hat, dass es notwendig so sein muss.70 Illustrieren lasse sich dies am Beispiel einer verdienstlichen Tat, die ja auch eine bloß instrumentale Ursache der verdienten Belohnung genannt werden k¨onne, weil sie auf die Auszahlung des Lohns selbst keine direkte Einwirkung hat.71 Gegen T HOMAS pl¨adiert S COTUS daher f¨ur einen erweiterten InstrumentenBegriff, der nicht voraussetzt, dass ein Instrument selbst aktiv in ein Wirkgeschehen einbezogen ist – S COTUS argumentiert, dass auch die Werkzeuge eines Handwerkers keine eigene Aktivit¨at h¨atten, sondern bloß vom Handwerker jenen Effekt erhielten, der auf das Erreichen der letztlich intendierten Wirkung hingeordnet sei.72 Eine S¨age mag scharf und hart sein, selbst aktiv wird sie beim S¨agevorgang aber dennoch nicht.73 In diesem Sinne ist es auch kein Problem, dici aliquo modo causa activa vel instrumentalis respectu gratiae. Vgl. auch ebd., n 329, S. 117: Sicut poneret [Thomas] illud causatum a sacramento esse per se dispositionem ad gratiam, ita dico quod sacramentum vel eius susceptio est dispositio proxima ad gratiam. Insofern sind die Sakramente auch mehr als occasionelle Ursachen, so bereits O’N EILL: La causalit´e sacrementelle (1913), S. 153. 70 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 317, ed. Vaticana (2008), S. 114: Sacramentum potest dici instrumentum licet non habeat virtutem activam proprie respectu termini, sed sit quidam prior effectus ordinatus ad gratiam. Die Ausbreitung des Instrumenten-Begriffs fiel in der vorliegenden Diskussion (ab Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 317, ed. Vaticana (2008), S. 113, bis zum eben zitierten Abschnitt) eher knapp aus; ausf¨uhrlicher widmet sich S COTUS den Instrumenten bereits ebd., p 1, q un., n 119–122, S. 43–45; noch einmal darauf zur¨uckkommen sollte er ebd., d 6, p 3, q 1, n 115–126, S. 330–333; vgl. dazu ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 142. 71 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 312, ed. Vaticana (2008), S. 111: Absolute conceditur quod merita sunt causa instrumentalis respectu praemii, et quod per merita acquirit aliquis praemium; et tamen meritum non causat active praemium nec in se, nec aliquam dispositionem intermediam, sed solummodo ipsummet est dispositio praevia ad praemium, sicut ratio receptivi. 72 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 321, ed. Vaticana (2008), S. 114: Instrumenta artificialia non sunt formaliter activa, sed tantum receptiva cuiusdam effectus prioris ordinati ad effectum ultimum. Dazu N IELSEN: Signification (1997), S. 231; f¨ur eine weitere Einschr¨ankung gegen¨uber dem Instrumenten-Begriff, dass n¨amlich nicht jedes Instrument durch seine Verwendung automatisch eine Disposition verursache, vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 144. 73 Dass nicht einmal die H¨arte der S¨age eine aktive Qualit¨at sei, verdeutlicht S COTUS anhand eines interessanten R¨uckgriffs auf Gottes potentia absoluta: Si autem ponatur quod durities sit qualitas activa, – hoc nihil est, quia si Deus de potentia absoluta aliquod ‘quantum’ molle conservaret in eadem quantitate et figura, movendo ipsum localiter, aeque divideret corpus aliquod sicut modo instrumentum durum dividit; ergo durities, quae est qualitas, non est principium formale agendi (Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 318, ed. Vaticana (2008), S. 113).
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dass den Sakramenten selbst keine eigene Aktivit¨at in der Gnadenvermittlung zugesprochen werden kann: Als notwendige Voraussetzungen bleiben sie weiterhin instrumentale – und damit echte – Ursachen: Die auctoritates best¨atigen auch das Pakt-Modell. Analog l¨asst sich im Hinblick auf jene u¨ bernat¨urliche Kraft argumentieren. Denn selbst wenn man sie im sakramentalen Geschehen voraussetzt, muss sie irgendwann entstehen und wieder vergehen, da sie nicht einfach grunds¨atzlich mit den sakramentalen Elementen verbunden ist. Dies aber kann allein Gott veranlassen; doch wenn er dies bei jeder Sakramentenspendung tut, so ist dies ¨ nichts anderes als die Umsetzung einer Ubereinkunft mit der Kirche – auch die Mitwirkungs-Variante setzt damit einen g¨ottlichen Pakt voraus. Wenn aber die Annahme einer u¨ bernat¨urlichen Kraft selbst nur unter Annahme eines PaktGeschehens zu erkl¨aren ist, so ist es wesentlich schl¨ussiger, einfach nur von ei¨ nem Pakt auszugehen.74 Ahnlich, wie schon B ONAVENTURA die MitwirkungsVariante bloß als Erg¨anzung des Pakt-Modells verstanden hat, sieht auch S CO TUS im Mitwirkungs-Modell ein wesentliches Element der Pakt-Variante ent¨ halten – seinem Okonomieprinzip gem¨aß h¨alt er aber die Annahme einer virtus supernaturalis einmal mehr f¨ur u¨ berfl¨ussig. Was schließlich die Rede der auctoritates von einer Kraft in den Sakramenten betrifft, argumentiert S COTUS wie schon beim Instrumenten-Begriff terminologisch. So lasse sich in ARISTOTELISCHEM Sinne der Begriff ‘Kraft’ als das ¨ ¨ ultimum de potentia verstehen, als das ‘Außerste an Potenz’:75 Das Außerste ” an Potenz aber eines praktischen Zeichens ist, dass es wirksam bezeichnet, das heißt zum Voraus und mit Sicherheit“, was genau S COTUS’ Definition der Sakramente als wirksamen Zeichen entspricht.76 Die Kraft im Sakrament ist daher die Wirksamkeit des Zeichens im Hinblick auf sein Bezeichnetes“ – eine ” 74
Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 323, ed. Vaticana (2008), S. 115: Nec manifeste possibile nec aliquo modo necessarium est ponere illam virtutem quae sit forma realis in sacramento. Ut quid enim toties generaretur et toties corrumperetur? Nec per illam, si poneretur, aliquid causaretur in anima, nec etiam ipsa causaretur regulariter nisi ex pactione divina cum ecclesia. Et sic, sine tot superfluis in aqua et anima intermediis, potest salvari quod pactio divina sit immediata respectu effectus conferendi recipienti sacramenta. Tats¨achlich spricht ja auch T HOMAS etwa von der virtus quae ordinatur ad gratiam inducendam (In sententias d 1, q 1, a 4, qc 2, arg 4, ed. Moos (1947), S. 34) oder von der gratia sacramentalis ad quam directe sacramenta ordinantur (In sententias d 1, q 1, a 4, qc 5, resp., ed. Moos (1947), S. 38). 75 S COTUS bezieht sich auf De caelo I.11, 281a 10–12, in einer bei seinen Zeitgenossen ziemlich verbreiteten Form virtus est ultimum de potentia, vgl. etwa T HOMAS VON AQUIN: De virtutibus q 1, a 1, arg 6, ed. Odetto (1949), S. 707b; oder B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum I d 32 , a 2, q 2 und d 34, dub 7, ed. Quaracchi I (1882), S. 564b und 596b. 76 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 324, ed. Vaticana (2008), S. 115: Si autem fiat altercatio – propter auctoritates – de isto vocabulo ‘virtus’, potest dici quod virtus uno modo est ‘ultimum de potentia’, I Caeli et mundi; ultimum autem potentiae signi practici est quod significet efficaciter, hoc est praevie et certitudinaliter, nam non posset signo – in quantum practicum est – competere maior potentia.
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Wirksamkeit, die in den Sakramenten nicht als reale, absolute Form vorhanden ist, sondern als Wahrheit eines praktischen Zeichens, welche dem Bezeichneten vorausgeht.77 Doch weil diese a¨ ußerste Potenz tats¨achlich in den Sakramenten ist, best¨atigen auch in diesem Punkt die auctoritates das Pakt-Modell. Wie schon seine Vorg¨anger R ICHARD F ISHACRE und B ONAVENTURA ist auch S COTUS nicht bereit, die rationes, welche der Mitwirkungs-Variante entgegenstehen, auszublenden oder anhand von Zusatzannahmen zu entkr¨aften. Weil T HOMAS VON AQUIN aber den Wortsinn der auctoritates erneut prominent ins Spiel gebracht hat, misst ihnen S COTUS ein gr¨oßeres Gewicht bei als seine vorangehenden Vertreter des Pakt-Modells und sucht nach einer L¨osung, welche auch den dicta sanctorum gerecht wird. Dennoch geht sein Ansatz prim¨ar von den rationes aus: Dass er wie T HOMAS die Sakramente als Instrumente zu verstehen beginnt und deren virtus auf ihre Definition als signa efficacia zur¨uckf¨uhrt, best¨atigt die auctoritates nicht einfach grunds¨atzlich, sondern nur in einem ganz bestimmten Sinne – wenn n¨amlich die Sakramente als nicht selbst formal aktive Instrumente und die Kraft genau im Sinne von A RISTO TELES’ De coelo I verstanden wird. W¨ahrend T HOMAS von den dicta sanctorum ausgehend nach einer allgemein g¨ultigen Erkl¨arung f¨ur eine tats¨achliche sakramentale Wirksamkeit gesucht und damit die auctoritates gewissermaßen rationalisiert hat, autorisiert S COTUS nun umgekehrt die rationes. So wie allerdings bereits S COTUS T HOMAS kritisert, weil der AQUINATE die Sakramente f¨ur instrumentale Ursachen einer dispositio h¨alt, ebenso wird S CO TUS selbst auch kritisiert, dass er am Instrumenten- und am dispositio-Begriff festh¨alt. Sein Sch¨uler J OHANNES DE BASSOLIS, ein Franziskaner, der 1313 in Paris die Sentenzen liest, nennt S COTUS’ opinio zwar probabilis et subtilis,78 h¨alt ihr aber entgegen, sie behaupte gleichzeitig zwei widerspr¨uchliche Dinge: dass n¨amlich die Sakramente einerseits causa activa der Gnade seien, ohne andererseits aktiv auf die Sakramente einzuwirken.79 Dem zieht BASSOLIS 77 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 331, ed. Vaticana (2008), S. 118: Virtus illa est efficacia signi respectu significati, quae efficacia non est forma realis, maxime absoluta, sed est veritas signi practici virtualiter praecedentis significatum. 78 J OHANNES DE BASSOLIS: Opera in quatuor sententiarum libros IV d 1, q 1, a 1, ed. Paris 1517, fol. 9ra: Tertia opinio est probabilis et subtilis quod sacramenta sunt per se causa effectiva gratiae. Bei der ersten und der zweiten opinio handelt es sich um die Positionen von T HOMAS VON AQUIN und von H EINRICH VON G HENT. Zu J OHANNES DE BASSOLIS († 1333/1347) vgl. die grundlegende Studie von PASIECZNIK , M ARCEOLUS: John de Bassolis, O.F.M. (I), in: Franciscan Studies 13 (1953), S. 59–77, sowie ebd. 14 (1954), S. 49–80. Von seinem Sentenzenkommentar (RS 406) scheinen keine Handschriften zu existieren; neben dem bekannten Pariser Druck von 1517, auf den sich die vorliegende Arbeit bezieht, existiert von BASSOLIS Kommentar zu Buch IV auch ein Druck aus Angers von ungef¨ahr 1480 (GW 03722). 79 Opera in quatuor sententiarum libros IV d 1, q 1, a 1, ed. Paris 1517, fol. 9va: Stant ergo ista duo simul: quod scilicet aliquid sit per se causa effectiva alicuius, et tamen nullam habeat actionem elicitam [respectum] illius nec sit etiam actio productiva eius vel
12.3 Sakramente als dispositio und die potentia Dei ordinata
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die Pakt-Variante vor, wie sie B ONAVENTURA formuliert hat: als Modell, das den Sakramenten schlechthin jegliche Aktivit¨at und Kausalit¨at hinsichtlich der Gnadenvermittlung abspricht, daf¨ur aber unterstellen muss, dass die Sakramente bloß improprie et large loquendo Ursachen und Tr¨ager einer Kraft genannt werden k¨onnen.80 BASSOLIS erweist sich nun aber nicht nur deswegen als interessante Figur, weil er so deutlich zwischen S COTUS’ und B ONAVENTURAS Ansatz unterscheidet. Vielmehr erw¨ahnt er noch eine weitere Position, die er f¨ur probabilis h¨alt und die sich als eine zus¨atzliche Variante des Pakt-Modells erweist: dass n¨amlich die Sakramente per modum meriti, als moralische Ursache, das Gnadengeschehen beeinflussten.81 W¨ahrend S COTUS verdienstliche Taten und verursachte Belohnungen noch als Beispiel f¨ur sein Modell einer nicht-aktiven Aktivit¨at der Sakramente angef¨uhrt hat, formuliert BASSOLIS einen weiteren, eigenst¨andigen Ansatz: Denn anders als bei S COTUS’ nicht-aktiver Aktivit¨at hat eine verdienstliche Tat keine direkte Aktivit¨at hinsichtlich der Belohnung. Analog zu diesem Beispiel lassen sich die Sakramente daher h¨ochstens als Instrumente verstehen, die das meritum der Passion Christi auf die Sakramentenempf¨anger u¨ bertragen und Gott daher veranlassen, den Empf¨angern die Gnade zu vermitteln.82 Auch davon ist BASSOLIS allerdings nicht u¨ berzeugt, denn genauso wie sich beim Mitwirkungs-Modell nicht bestimmen l¨asst, wann genau die geistige Kraft auf die Sakramente u¨ bertragen wird, ebenso l¨asst sich auch hier nicht angeben, wann – und von wem – dieser Verdienst erworben worden etiam passio. Beide Aussagen finden sich bei S COTUS, vgl. Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 309–311, ed. Vaticana (2008), S. 110f.: finis sacramenti est gratia [...] et iste finis possit sufficienter haberi [...] absque hoc quod dicatur sacramentum habere aliquam actionem propriam. [...] Sacramentum | sive susceptio sacramenti est [...] dispositio immediata, non causans aliam mediam inter se et gratiam; ergo ipsa potest dici aliquo modo causa activa vel instrumentalis respectu gratiae. Am Ende des 15. Jahrhunderts wird diese Kritik an S COTUS wieder aufgegriffen, s.u., Teil IV, S. 475 und S. 486. 80 Opera in quatuor sententiarum libros IV d 1, q 1, a 3, ed. Paris 1517, fol. 11vb: Dico primo, quod sacramentum non est causa per se effectiva gratiae nec alicuius dispositionis ad ipsam. [...] Secundo dico, quod adhibito sacramento vel recepto habetur gratia, nisi sit obex vel impedimentum in suscipiente, et hoc ex ordinatione divina et volitione efficaci divinae voluntatis quod sic fiat, et ex pacto suo. [...] Tertio dico quod nullam oportet ponere virtutem in sacramentis per quam sint causae gratiae vel dispositionis ad gratiam. [...] Quarto dico quod improprie et large loquendo de causa et modo populari vel vulgari sacramenta possunt dici causa gratiae, et ita virtutem aliquam habere. 81 Opera in quatuor sententiarum libros IV d 1, q 1, a 1, ed. Paris 1517, fol. 9va–b: Quarta opinio est etiam probabilis, quod sacramentum est causa gratiae per modum meriti de condigno et operis acceptati a Deo ad salutem suscipientis et gratiam sibi conferendam. 82 Ebd.: Tum quia non aliter videtur esse sacramentum causa gratiae quam passio Christi, a qua habet sacramentum suam efficaciam. Unde et ipsa passio Christi vel Christus passus est principale agens re|spectu gratiae nostrae sacramentalis, sacramentum vero quasi instrumentum habens virtutem et efficaciam ex passione Christi, sed passio Christi est causa meritoria gratiae sacramentalis ut patet, ergo et sacramentum.
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Kapitel 12: Autorisierung der rationes: Johannes Duns Scotus
ist.83 Ist zudem dieses meritum keine aktive Ursache der Gnade, dann l¨asst sich ¨ Gottes Gnadenverursachung erneut bloß im Sinne einer Ubereinkunft verstehen – die Annahme eines meritum wird ein ebenso u¨ berfl¨ussiger Zusatz wie die Annahme einer Kraft im Sakrament.84 Die Argumentationsstruktur gleicht damit jener, die S COTUS selbst gegen die Vertreter der Mitwirkungs-Variante ins Feld gef¨uhrt hat; und tats¨achlich zeigt sich, dass BASSOLIS bei aller kritischen Distanz zu S COTUS schließlich Punkt f¨ur Punkt dem doctor subtilis folgt, wo es darum geht, T HOMAS’ Mitwirkungs-Variante zu widerlegen. Als Kritiker des T HOMAS ist S COTUS offensichtlich auch bei seinem eigenen Kritiker BASSO LIS eine gern genutzte Vorlage. Mit seiner eingehenden Kritik an T HOMAS’ Modell, sowie mit seinem R¨uck¨ griff auf das Okonomieprinzip einerseits, und die potentia Dei ordinata andererseits hat S COTUS daher die Pakt-Variante um Argumente bereichert, die im weiteren Verlauf der Debatte immer wieder aufgenommen und erweitert werden. Insbesondere T HOMAS VON S TRASSBURG zeichnet sich durch eine nochmalige Radikalisierung des Allmacht-Arguments aus: Dem Einwand, was nur auf einer willentlichen Anordnung beruhe, habe keinen eigenen Effekt und k¨onne daher nicht als echte, sondern bloß als akzidentielle Ursache gelten, spricht er schlicht die G¨ultigkeit ab85 – insbesondere wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um eine unver¨anderliche und unfehlbare Anordnung eines schlechthin allm¨achtigen Akteurs handle. Denn so, wie dem nat¨urlichen Verlauf gem¨aß das Feuer eine echte Ursache der Verbrennung eines brennbaren Gegenstands sei, ebenso k¨onne aus einer g¨ottlichen Anordnung heraus Wasser zu einer echten Ursache einer Verbrennung werden, wie aus biblischen Beispielen hinl¨anglich bekannt sei.86 Wo S COTUS bereits auch Gottes Macht als Garant f¨ur Zuverl¨assigkeit und Wahrheit der sakramentalen Zeichen angef¨uhrt hat, kombiniert sie T HOMAS VON S TRASSBURG nun in einer Weise mit dem ordinatio-Gedanken, die es ihm erlaubt, g¨ottliche Anordnungen als Schaffung einer neuen Faktenlage zu verstehen, welche der nat¨urlichen Ordnung in nichts 83
Opera in quatuor sententiarum libros IV d 1, q 1, a 2, ed. Paris 1517, fol. 11va. Ebd.: Non das plus de causalitate sacramentis quam alii qui ponunt divinam assistentiam ibi, et Deum causare gratiam, non autem ipsa sacramenta. Et tunc niteris frustra. 85 Den Einwand formuliert T HOMAS VON S TRASSBURG folgendermaßen: Causa, quae nullam habet efficaciam respectu alicuius effectus, nisi ex sola ordinatione institutentis, illa non videtur esse causa per se, sed per accidens, sicut patet de denario plumbeo, qui ex institutione regis est causa, ut qui eum repraesentat, recipiat centum marcas (Commentaria IV d 2, q 1, ed. Venedig 1564, fol. 64va). 86 Commentaria IV d 2, q 1, ed. Venedig 1564, fol. 64vb: Dicendum, quod maior non est vera, maxime quando huiusmodi ordinatio est immutabilis, et infallibilis, procedens ab instituente simpliciter omnipotente, sicut est in proposito. Sicut enim, secundum naturalem cursum, ignis est per se causa incendii in corpore combustibili sibi approximato, sic ex divina ordinatione aqua posset esse per se causa huiusmodi incendii. Es erfolgen Verweise auf 2 Makk 1 und 1 K¨on 18. 84
12.3 Sakramente als dispositio und die potentia Dei ordinata
191
nachsteht. Was auch immer daher Gott als allerh¨ochste Ursache unver¨anderlich festlegt, das kommt den Dingen nicht mehr nur akzidentiell, sondern im eigentlichen Sinne zu: Auch wenn es nicht in ihrer eigentlichen Natur liegt, sind die Sakramente daher f¨ur T HOMAS VON S TRASSBURG keine uneigentlichen Ursachen der Gnade, sondern causae per se.87 Eine unmittelbare Nachwirkung hat S COTUS’ Ansatz aber noch auf einer anderen Ebene: Indem sein Ansatz die rationes gleichsam autorisiert, untergr¨abt er zugleich auch die Eindeutigkeit in der Stoßrichtung der dicta sanctorum: Offensichtlich sprechen die auctoritates auch ihrem w¨ortlichen Sinn gem¨aß gar nicht so eindeutig f¨ur die Mitwirkungs-Variante, wie es in T HOMAS’ Darstellung noch den Anschein gemacht hat. Offensichtlich besteht ein Interpretationsspielraum auch auf Seiten der auctoritates.
87
T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria IV d 2, q 1, ed. Venedig 1564, fol. 64vb: Quicquid est immutabiliter institutum ex ordinatione Dei, qui est suprema omnium causarum, hoc non convenit rebus per accidens, sed per se. Et per consequens sacramenta sut per se causa gratiae; non ex natura propria, sed ex immutabili ordinatione divina.. Diese Argumentation wird sp¨ater dem Sinn nach, aber in anderer Terminologie von P IERRE D ’A ILLY aufgegriffen (s.u., S. 499) und von G ABRIEL B IEL (s.u., S. 521) und J OHN M AIR (s.u., S. 546) eingehend diskutiert.
Kapitel 13
Delegitimierung der traditionellen auctoritates-Interpretation: D URANDUS und P ETRUS AUREOLI Bereits die theologische Einbettung der Wirksamkeitsfrage bei T HOMAS und der strukturelle Aufbau der allgemeinen Sakramentenlehre bei S COTUS verliehen der Wirksamkeitsproblematik zusehends mehr Gewicht, was sich als Trend in der Kommentartradition des fr¨uhen 14. Jahrhunderts weiter verst¨arkte. Autoren wie H ERVAEUS NATALIS und P ETRUS DE PALUDE er¨offneten ihre allgemeine Sakramentenlehre direkt mit einer Frage zur Wirkweise der Sakramente, Fragen zu deren Definition oder Notwendigkeit folgten erst nach: Die Wirksamkeitsproblematik wurde endg¨ultig zur zentralen Frage der allgemeinen Sakramentenlehre.1 Das mag auch mit S COTUS’ ‘Autorisierung’ der Pakt-Variante zusammenh¨angen, welche die Diskussion gewissermaßen neu lanciert und Interpretationsspielraum aufgezeigt hat. Diesen Spielraum nutzen nun zwei bekannte Gestalten des fr¨uhen 14. Jahrhunderts: der Dominikaner D URANDUS VON S T. P OURC ¸ AIN im Hinblick auf die Frage nach der Usr¨achlichkeit der Sakramente, und der Franziskaner P ETRUS AUREOLI im Hinblick auf eine ihnen innewohnende Kraft.
1
Bei H ERVAEUS lautet die Frage schlicht utrum sacramenta sint causa gratiae (In quatuor libros sententiarum IV d 1, q 1, ed. Paris 1647, S. 303a); bei P ETRUS DE PALUDE etwas verschlungener utrum sacramenta novae legis causent gratiam dispositive per virtutem inhaerentem (In quartum sententiarum d 1, q 1, ed. Venedig 1493, fol. 2ra). Auffallend ist bei beiden auch, dass diese einleitenden Quaestiones wesentlich ausf¨uhrlicher behandelt werden als die ¨ u¨ brigen zur allgemeinen Sakramentenlehre. F¨ur einen Uberblick zu dieser Entwicklung vgl. Z AHND , U ELI: Zwischen Verteidigung, Vermittlung und Adaption. Sentenzenkommentare des ausgehenden Mittelalters und die Frage nach der Wirksamkeit der Sakramente, in: N EMESCH , ¨ ´ /R ABUS , ACHIM (Hrsg.): Vermitteln – Ubersetzen BAL AZS – Begegnen. Transferph¨anomene im europ¨aischen Mittelalter und der Fr¨uhen Neuzeit. Interdisziplin¨are Ann¨aherungen, G¨ottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011 (Nova Mediaevalia 8), S. 33–86.
13.1 Durandus von St. Pourc¸ain
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13.1 Durandus von St. Pourc¸ain Die Auseinandersetzung mit seinen Ordensgenossen u¨ ber den Stellenwert der Lehren von T HOMAS VON AQUIN veranlasste D URANDUS VON S T. P OUR C ¸ AIN bekanntlich, seinen Sentenzenkommentar mehrfach zu redigieren.2 Diese Kontroversen interessieren allerdings im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter; es gen¨ugt an dieser Stelle, D URANDUS’ Behandlung der Wirksamkeitsproblematik in seinem dritten und von ihm autorisierten Sentenzenkommentar darzustellen, wo er sich auch eingehend mit der Autorit¨atenfrage besch¨aftigt.3 Auch D URANDUS setzt sich dabei mit der Mitwirkungs-Variante auseinander, wie er sie in T HOMAS’ Sentenzenkommentar, und nicht etwa in seinen sp¨ateren Schriften vorfindet, um im Gegenzug seine eigene Version der Pakt-Variante zu erarbeiten. Seine Orientierung an T HOMAS ist dabei so stark, dass er sich sogar exakt an die Struktur von dessen Behandlung der allgemeinen Sakramentenlehre h¨alt: Was T HOMAS’ Sentenzenkommentar im Rahmen der ersten Quaestio zu Distinktion 1 thematisch auf insgesamt f¨unf Artikel verteilt, bildet bei D U RANDUS Gegenstand von f¨ unf ersten, je eigenst¨andigen Quaestionen.4 T HO MAS’ Struktur entsprechend findet sich seine Behandlung der Wirksamkeits2 Zu den verschiedenen Redaktionen von D URANDUS’ Sentenzenkommentar vgl. weiterhin die grundlegende Studie von KOCH , J OSEPH: Durandus de S. Porciano O.P. Forschungen zum Streit um Thomas von Aquin zu Beginn des 14. Jahrhunderts, M¨unster: Aschendorff, 1927 (Beitr¨age zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 26); an neuerer Literatur nun auch I RIBARREN , I SABELLE: Durandus of St. Pourc¸ain. A Dominican Theologian in the Shadow of Aquinas, Oxford: Oxford University Press, 2005, bes. S. 182. Zu den Auseinandersetzungen um das Erbe von Thomas vgl. ROBIGLIO , A NDREA A.: La sopravvivenza e la gloria. Appunti sulla formazione della prima scuola tomista (sec. XIV), Bologna: Edizioni Studio Domenicano, 2008, S. 39–47, sowie nun auch H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Thomas von Aquin und der Dominikanerorden. Lehrtraditionen bei den Mendikanten des sp¨aten Mittelalters, in: Freiburger Zeitschrift f¨ur Philosophie und Theologie 57 (2010), S. 260–285. 3 Vgl. die ber¨uhmte Autorisierungs-Formel in der conclusio operis: Hoc opus solum quod per omnes libros incipit ‘Est Deus in coelo revelans, etc.’ tanquam per me editum et correctum approbo (In sententias, Red. C, ed. Venedig 1571, fol. 423rb). Die Wirksamkeitsproblematik ¨ : Grundfragen (1956); f¨ur die Darstellung gem¨aß den ersten beiden Redaktionen streift H ODL in der dritten Redaktion vgl. N IELSEN: Signification (1997), S. 232–236. 4 Dies ist kein generelles Merkmal von D URANDUS’ Sentenzenkommentar: Noch im zweiten Teil seines Kommentars zu Distinctio 1, wo die Beschneidung thematisiert wird, l¨ost er sich wieder von T HOMAS’ Vorlage und untersucht, wo T HOMAS seine Darstellung auf sechs Artikel verteilt, bloß vier Quaestionen mit einer teils v¨ollig anderen thematischen Ausrichtung. Was allerdings den ersten Teil seines Kommentars zu Distinctio 1 von Buch IV betrifft, geh¨ort D URANDUS wegen jener Anlehnung an T HOMAS’ Struktur zu den wenigen Autoren des fr¨uhen 14. Jahrhunderts, welche die Wirksamkeitsproblematik nicht gleich zu Beginn ihres Kommentars zu Buch IV behandeln. Bei ihm wird deren besondere Bedeutung aus dem Umfang der Bearbeitung ersichtlich: Die vorliegende Frage beansprucht in der zitierten Edition fast sieben Spalten, w¨ahrend sich die u¨ brigen vier zur allgemeinen Sakramentenlehre auf jeweils zwei bis drei Spalten erstrecken.
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problematik damit in Quaestio 4, wo er – die Orientierung an T HOMAS’ Sentenzenkommentar dringt erneut durch – nicht einfach nach einer Kraft in den Sakramenten zur Verursachung der Gnade, sondern nach deren Urs¨achlichkeit im Hinblick auch auf character, ornatus oder auf sonst eine dispositio fragt.5 D URANDUS f¨uhrt nicht weniger als acht Gr¨unde f¨ur eine Mitwirkung der Sakramente an, darunter einige der bekannten Autorit¨aten oder etwa auch das Argument seines Ordensbruders P ETRUS DE PALUDE, laut welchem sich Gott zur Rechtfertigung der Menschen nicht derselben Mittel bediene, welche auch D¨amonen zu deren Verf¨uhrung einsetzten.6 In seinen Argumenten contra allerdings scheint bei D URANDUS neben den Argumenten seiner dominikanischen Gespr¨achspartner auch S COTUS’ Behandlung der Wirksamkeitsproblematik durch: So wie schon S COTUS gegen eine Mitwirkung der Sakramente angef¨uhrt hat, dass es insbesondere in der Eucharistie undenkbar sei, auf welche Weise eine solche Urs¨achlichkeit m¨oglich sein k¨onne, verweist nun auch D URANDUS darauf hin, dass keine gesch¨opfliche Kraft etwas zur Transsubstantiation beitragen k¨onne und damit auch in den u¨ brigen Sakramenten keine solche Kraft anzunehmen sei.7 Diese Anlehnung an S COTUS wird auch im Hauptteil von D URANDUS’ Quaestio zur Wirksamkeitsproblematik deutlich: So wie schon S COTUS die zeitliche und physische Ausdehnung des einzelnen Sakramentenvollzugs in prominenter Weise gegen die Sakramente als Tr¨ager einer einheitlichen virtus ins Spiel gebracht hat, argumentiert nun auch D URANDUS, es k¨onne unm¨oglich eine einzige Kraft in einer ganzen Redeabfolge stecken, weil diese eine quantitas 5 D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN: In sententias, Red. C IV d 1, q 4, ed. Venedig 1571, fol. 289rb: Utrum in sacramentis novae legis sit aliqua virtus inhaerens causativa gratiae, characteris, ornatus, vel cuiuscumque alterius dispositionis. T HOMAS hatte die Problematik noch schlichter aufgestellt: videtur quod sacramenta novae legis non sint causa gratiae (In sententias d 1, q 1, a 4, titulus, ed. Moos (1947), S. 26). 6 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 1–8, ed. Venedig 1571, fol. 289rb–289va. Zu P ETRUS DE PALUDE s.o., S. 156. Ein weiteres interessantes Argument, das D URANDUS aufgreift, ist der Verweis auf das Fegefeuer, das als Teil der k¨orperlichen Welt ja auch eine Wirkung auf die Seelen haben kann (ebd. n 4). Als Argument im Rahmen der Wirksamkeitsproblematik tauchte dies bereits in der Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 1, ed. Lyon 1516, fol. 48ra; vgl. grunds¨atzlich zur Problematik F LASCH , K URT: Die Seele im Feuer. Aristotelische Seelenlehre und augustinisch-gregorianische Eschatologie bei Albert von K¨oln, Thomas von Aquino, Siger von Brabant und Dietrich von Freiberg, in: H OENEN/DE L IBERA: Albertus Magnus und der Albertismus (1995), S. 107–131. 7 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 9, ed. Venedig 1571, fol. 289va: In sacramento altaris transsubstantiatur panis in corpus Christi, sed ad hoc nihil videtur posse facere quaecunque virtus creata, ergo in illis sacramentis non est aliqua virtus creata inhaerens verbis sacramentalibus, et per eandem rationem, nec in aliis sacramentis, ut videtur. Zu S COTUS vgl. Argumente zwei und drei der improbatio von T HOMAS’ Position, Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 291–293, ed. Vaticana (2008), S. 101–103, dazu oben, S. 180 Anm. 45. Das zweite Argument contra entspricht T HOMAS’ In sententias d 1, q 1, a 4, qc 1, arg 3, ed. Moos (1947), S. 27.
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discreta, eine aus unterschiedlichen Teilen bestehende Menge sei.8 Wie S CO TUS wirft auch er einen kritischen Blick auf T HOMAS’ Instrumentenbegriff und spricht den Instrumenten die F¨ahigkeit ab, bei ihrer Anwendung aus einer eigenen Aktivit¨at heraus etwas zur beabsichtigten Wirkung beizutragen.9 Doch gibt es in D URANDUS’ Kritik an T HOMAS’ Modell auch einige interessante Verschiebungen gegen¨uber S COTUS: Weil sich D URANDUS enger an die Vorlage von T HOMAS’ Sentenzenkommentar h¨alt und damit nur gegen dispositio und virtus, nicht aber grunds¨atzlich gegen eine direkte Gnadenbewirkung argumentieren will, welche ja auch T HOMAS nicht angenommen hat,10 teilt er auch nicht den metaphysischen Ansatz des doctor subtilis und ordnet die Wirksamkeitsfrage weiterhin als Problematik zwischen k¨orperlicher und geistiger, und nicht zwischen nat¨urlicher und u¨ bernat¨urlicher Ordnung ein.11 Doch auch auf dieser Ebene scheint ihm die Mitwirkungs-Variante weiterhin unvern¨unftig: Statt sich groß auf eine Diskussion von T HOMAS’ entia incompleta oder dem modus intentionis einzulassen, h¨alt D URANDUS fest, dass nicht jedes beliebige Akzidens in jeder beliebigen Substanz sein k¨onne, was insbesondere zwischen k¨orperlichen und geistigen Dingen gelte: Eine k¨orperliche Sache wie ein Sakrament k¨onne ebensowenig eine geistige Kraft enthalten, wie auch einer geistigen Sache kein k¨orperliches Akzidens zukomme. Alles andere sei mit der ratio unvereinbar.12 Immerhin argumentiert er, a¨ hnlich wie vor 8 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 15, ed. Venedig 1571, fol. 289vb–290ra: Nec in ipsis verbis videtur [esset] talis virtus, quia cum oratio sit quantitas discreta, impossibile est unam virtutem numero esse in tota una oratione. Zu S COTUS s.o., S. 179. 9 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 18, ed. Venedig 1571, fol. 290r. D URANDUS unterscheidet zwei Instrumenten-Begriffe, einen spezifischen f¨ur alles, was bloß eine T¨atigkeit hat, wenn es von etwas anderem localiter bewegt wird, und einen weniger spezifischen f¨ur jegliche Form von sekund¨aren Akteuren. W¨ahrend Instrumenten im spezifischen Sinne keine T¨atigkeit zukommt nisi motum, k¨onnen Instrumente im erweiterten Sinne zwar selbst aktiv sein, aber aufgrund einer Aktivit¨at, welche ihnen grunds¨atzlich als sekund¨are Akteure zukommt, und nicht nur im Anwendungsfall auf sie u¨ bertragen wird: Instrumentum autem separatum quod est secundarium agens recipit a principali agente formam et virtutem operandi. Non opertet tamen quando de novo agit, quod recipiat novam virtutem, sed agit per virtutem primo receptam secundum cursum naturae (ebd.). 10 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 12, ed. Venedig 1571, fol. 289va: Ponit enim haec opinio tria. Primo quod ad essentiam gratiae producendam solus Deus pertingit immediate, et non sacramenta etiam instrumentaliter. Secundo quod praeter gratiam sit in anima character vel alia dispositio seu ornatus. Tertio quod in sacramentis est quaedam virtus spiritualis causativa talis characteris, ornatus vel dispositionis. Primum conceditur, secundum et tertium non videntur esse vera. 11 So spricht D URANDUS durchgehend von einer virtus spiritualis (vgl. In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 12, n 13 und n32, ed. Venedig 1571, fol. 289v und 290vb); der Begriff supernaturalis taucht in seiner Diskussion der allgemeinen Sakramentenlehre nicht auf. 12 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 13, ed. Venedig 1571, fol. 289vb: Quod in rebus pure corporalibus, quales sunt res sacramentales possit esse virtus seu qualitas spritualis non videtur rationi consonum: non enim quodlibet accidens natum est esse in quolibet subiecto,
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ihm S COTUS, dass eine solche Kraft, wenn man sie dennoch annehme, auf die verschiedenen sakramentalen Elemente verteilt sein m¨usste, dass also, den unterschiedlichen Tr¨agern gem¨aß, von mehreren Teilkr¨aften auszugehen w¨are und damit die wirkenden Kr¨afte unn¨otig vervielf¨altigt w¨urden.13 ¨ Klingt damit hinsichtlich dieser virtus erneut das Okonomieprinzip an, so f¨uhrt nun D URANDUS dieses Prinzip – wie bereits S COTUS, aber in modifizierter Form – vor allem gegen eine Verursachung der dispositio und eines ornatus an. Beides scheint D URANDUS n¨amlich ein v¨ollig u¨ berfl¨ussiger Zusatz zu sein: Eine dispositio oder einen ornatus anzunehmen, scheint eine reine Erfindung ” zu sein, um sch¨onreden zu k¨onnen, dass die Sakramente etwas in der Seele verursachen.“14 Diese Aussage ist allerdings mehr als die bloße Zur¨uckweisung einer u¨ berfl¨ussigen Annahme: Statt das Prinzip einer zu vermeidenden pluralitas sine necessitate einfach als Gegenargument anzuf¨uhren, erhebt D U RANDUS angesichts dieser zus¨atzlichen Annahmen vielmehr einen Vorwurf an seine Gegner und unterstellt ihnen, diese Annahmen zur Verschleierung der Unzul¨anglichkeit ihres Ansatzes absichtlich eingef¨uhrt zu haben. D URANDUS schl¨agt damit, was angesichts der Reaktionen auf seine erste Sentenzenlesung nicht weiter erstaunlich ist, einen a¨ ußerst polemischen Ton an,15 und diese polemische Ausrichtung verhilft ihm denn auch zu einem unerwarteten Blick auf die grunds¨atzliche Entwicklung der Wirksamkeitsproblematik: Nicht einfach nur diese Zusatzannahmen betrachtet D URANDUS als mutwillige Erfindung, vielmehr sei das Pakt-Modell grunds¨atzlich die a¨ ltere Erkl¨arungsvariante, gegen die per quendam solemnem doctorem die Mitwirkungs-Variante u¨ berhaupt erst sed determinatum in determinato. Actus enim activorum sunt in patiente dispositio, subiectum autem receptivum virtutis spiritualis non est res corporalis sicut subiectum susceptivum accidentalis corporalis non est res spiritualis. Unde sicut angelus non potest esse subiectum quantitatis corporalis, vel coloris, sic res corporales sicut sunt res sacramentales, non sunt susceptivae accidentis, seu virtutis spiritualis. 13 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 12, ed. Venedig 1571, fol. 289va: Item qua ratione esset aliqua virtus in verbis, eadem ratione esset in aliis rebus sacramentalibus, et in ministro. Quia haec omnia sunt de necessitate sacramenti. Sed hoc non potest esse, quia si in quolibet praedictorum sit aliqua virtus, tunc multiplicabuntur virtutes secundum multiplicationem eorum, hoc autem est incoveniens. Zur verwandten Argumentationsweise bei S COTUS s.o., S. 180. 14 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 12, ed. Venedig 1571, fol. 289va: Constat enim quod sine dispositione vel ornatu quam isti ponunt potest haberi gratia, ut in illis qui sanctificantur in utero [...]. Ponere ergo talem dispositionem vel ornatum videtur esse pura adinventio ad palliandum quod sacramenta aliquid causant in anima, de nullo enim alio servit praedicta ¨ dispositio vel ornatus, vel dicas de quo? Et non erit facile fingere. Zum Okonomieprinzip vgl. auch ebd. n 18, fol. 290rb: Non est tamen negandum, quin Deus potest eis aliquam virtutem influere, sed illam duntaxat cuius sunt capaces, sed nulla necessitas vel congruitas apparet quod iste sit de facto. 15 Vgl. auch das Ende seiner Darstellung der Mitwirkungs-Variante: Ad hoc autem dantur quaedam evasiones adeo fictae et frivolae, quod non sunt dignae recitatione.
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erfunden worden sei.16 T HOMAS, der hier ganz eindeutig angesprochen wird,17 h¨atte also die Mitwirkungs-Variante nicht einfach nur mit neuen Argumenten untermauert, sondern u¨ berhaupt erst in die Diskussion eingef¨uhrt. Diese Darstellungsweise wirft ein v¨ollig neues Licht auf die Debatte. Zwar hat schon B ONAVENTURA angemerkt, W ILHELM VON AUVERGNE sei coram fratre Alexandro (DE H ALES) f¨ur das Pakt-Modell eingestanden, um damit gleichzeitig Alter und W¨urde von Vertretern dieses Modells herauszustreichen.18 Ebenso haben auch aus dem dominikanischen Umfeld in der Generation nach T HOMAS etwa JAKOB VON M ETZ, einer der Lehrer von D URANDUS, darauf verwiesen, dass die Pakt-Variante die a¨ ltere sei, was auch P ETRUS DE PALUDE fraglos in seinem Sentenzenkommentar u¨ bernommen hat.19 Mit seiner pointierten und polemischen Ausschlachtung dieser – historisch durchaus fragw¨urdigen – Sichtweise20 verfolgt D URANDUS nun aber ein ganz spezifisches Ziel: Denn mit seiner Sichtweise hat das Pakt-Modell nicht nur Schlichtheit und Rationalit¨at auf seiner Seite, sondern auch ein h¨oheres Alter, w¨ahrend der Mitwirkungs-Variante, und das ist D URANDUS’ Pointe, der Ruch der innovatio, der mutwillig eingef¨uhrten Neuerung anhaftet. Wenn sich oben im Kapitel zu den Rahmenbedingungen des 15. Jahrhunderts herauskristallisiert hat, welcher Stellenwert dem Einklang mit der Tradition in dieser Zeit zugekommen ist, so hat D URANDUS mit dieser Darstellung der Wirksamkeitspro16 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 12, ed. Venedig 1571, fol. 289va: Hic autem modus adinventus per quendam solemnem doctorem contra antiquam opinionem. Vgl. auch den Einstieg in die Darstellung des Pakt-Modells: Alia opinio est antiqua, et sine calumnia (ebd. n 19, fol. 290rb). 17 Dass mit doctor solemnis normalerweise H EINRICH VON G HENT bezeichnet worden ist, braucht hier nicht weiter zu verwirren: Die Formulierung lautet ja nicht per solemnem doctorem, sondern per quendam solemnem doctorem, womit das solemnis nicht als Epithet, sondern als gew¨ohnliches Adjektiv zu verstehen ist. Aus der gleich anschließenden Beschreibung der Position dieses doctor wird dann ohnehin deutlich, dass es sich um den T HOMAS des Sentenzenkommentars handeln muss. 18 S.o., S. 148. 19 P ETRUS DE PALUDE: In quartum sententiarum IV d 1, q 1, ed. Venedig 1493, fol. 2a. Zu JAKOB VON M ETZ vgl. KOCH , J OSEPH: Jakob von Metz, O.P., der Lehrer des Durandus de S. Porciano, O.P. in: Archives d’histoire doctrinale et litt´eraire du moyen aˆ ge 4 (1929), S. 169–232, hier S. 224, dazu nun auch Z AHND: Sentenzenkommentare (2011), S. 40. 20 Zwar ist immer wieder betont worden, dass die Autoren des 12. Jahrhunderts H UGOS Rede von den Sakramenten als vasa medicinalia dahingehend verstanden h¨atten, es k¨onnten solche Gnadenbeh¨alter keine eigene Wirkung haben (vgl. VAN DEN E YNDE: Stephen Lanthon and Hugh of St. Cher (1952), S. 141). Allerdings wird die Wirksamkeitsfrage kaum wirklich thematisiert und daher problemlos von der Wirksamkeit der Sakramente selbst gesprochen, was auch eher dem Verst¨andnis von P ETRUS L OMBARDUS oder des Autors der Summa sententiarum entspricht (s.o., S. 124). Grunds¨atzlich scheint daher im 12. Jahrhundert, sofern eine Einordnung u¨ berhaupt m¨oglich ist, eher eine Mitwirkungs-Variante vertreten worden zu sein, wof¨ur auch spricht, dass erst R ICHARD F ISHACRE, und nicht etwa die fr¨uhen Vertreter einer dispositiven Kausalit¨at, sich im Bruch zu seinen Vorg¨angern gesehen hat (s.o., S. 134).
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blematik ein entscheidendes Argument zur Rehabilitierung der Pakt-Variante auch jenen Autoren geliefert, welche sich in dieser Frage mehr an die auctoritas als an die ratio halten wollen. Tats¨achlich werden eine ganze Reihe solcher Autoren des ausgehenden Mittelalters in genau diesem Punkt auf D URANDUS zur¨uckgreifen. Vorerst lohnt es sich aber, einen letzten, entscheidenden Punkt herauszustreichen, in welchem sich D URANDUS von S COTUS unterscheidet: Bei D URAN DUS fehlt die Betonung der g¨ ottlichen ordinatio in jenem Umfang, wie sich dies bei S COTUS finden l¨asst. Zwar nimmt D URANDUS die Terminologie auf, doch verkn¨upft er sie nicht mit einem Begriff der Notwendigkeit, wie ihn S COTUS aus der potentia Dei ordinata hergeleitet hat.21 Nun ist es bei S COTUS aber genau dieser Rekurs auf Gottes potentia ordinata gewesen, der es ihm erlaubt hat darzulegen, dass die Sakramente als g¨ottlich festgelegte Voraussetzungen nicht weniger notwendig ins Sakramentengeschehen eingebunden seien als es irgendeine nat¨urliche und in diesem Sinne absolute Vorbedingung sein k¨onnte. S CO TUS kann dank dem Rekurs auf diese ordinierte Notwendigkeit die Sakramente weiterhin als echte Ursachen der Gnade pr¨asentieren.22 Weil D URANDUS diese Betonung der g¨ottlichen ordinatio nicht u¨ bernimmt, fehlt ihm ein entscheidendes Argument, um als Vertreter der Pakt-Variante die Sakramente dennoch als echte Ursachen der Gnade darstellen zu k¨onnen, und tats¨achlich gesteht er in seiner Pr¨asentation des Pakt-Modells denn auch offen zu, was S COTUS noch ausdr¨ucklich zu umgehen versucht hat: F¨ur D URANDUS n¨amlich sind die Sakramente keine echten Ursachen, sondern causae sine quibus non!23 F¨allt D URANDUS damit nicht hinter T HOMAS und S COTUS zur¨uck und handelt sich wieder genau jenes Problem ein, das die beiden doch gerade zu l¨osen versucht haben – dass n¨amlich mit einer causa sine qua non den auctoritates nicht entsprochen werden kann? Interessanterweise sieht das D URANDUS offensichtlich gerade umgekehrt, wie er schon beim Einstieg in seine Darstellung der Pakt-Variante deklariert: 21 In v¨ollig neutralem Sinne spricht D URANDUS in der Darstellung seines Instrumentenbegriffs, dass die T¨atigkeiten sekund¨arer Akteure ordinantur sub actione principalis (In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 18, ed. Venedig 1571, fol. 290rb). Deutlicher klingt der ordinatio-Gedanke in D URANDUS’ Darstellung des Pakt-Modells ebd. 19 an (s.u., Anm. 24). Auch ebd. n 21 wird die Idee einer g¨ottlichen ordinatio terminologisch aufgegriffen, wenn D URAN DUS ausf¨ uhrt, die res sacramentales non sunt signa gratiae, nisi ex pactione ordinationis, seu institutione divina. Diese Ankl¨ange erhalten aber nie die entscheidende argumentatorische Verbindung mit dem Notwendigkeits-Begriff oder der potentia Dei ordinata – dies selbst im gleich noch zu besprechenden Argument ebd. n 26 nicht, dazu s.u., bei Anm. 30. 22 S.o., Kap. 12.3 und bes. S. 185. 23 Vgl. u¨ ber die im nachfolgenden diskutierten Text hinaus auch In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 34, ed. Venedig 1571, fol. 290vb, zum Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten: Omnia sacramenta novae legis efficiunt quod figurant tanquam causa sine qua non, sed hoc non faciebant omnia sacramenta veteris legis.
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Die andere Meinung ist alt und ohne Widrigkeiten, und sie entspricht, wie mir scheint, den Aussagen der Heiligen mehr. Sie geht davon aus, dass in den Sakramenten keine Kraft ist, welche die Gnade, den character oder sonst irgendeine dispositio oder einen ornatus verursacht, welcher in der Seele existieren soll. Vielmehr sind sie eine causa sine qua non, eine Ursache, ohne die die Gnade nicht u¨ bertragen wird, weil es aufgrund eines g¨ottlichen Pakts oder einer Anordnung so geschieht, dass, wer ein Sakrament empf¨angt, auch die Gnade empf¨angt (sofern von ihm kein Hinderungsgrund ausgeht), und zwar nicht durch das Sakrament, sondern durch Gott, der allein den character, die Gnade oder irgendeinen ornatus (wenn es denn einen gibt in der Seele) erreichen kann.24
Alleinige Ursache des sakramentalen Gnadengeschehens ist f¨ur D URANDUS daher Gott; das Pakt-Modell aber steht f¨ur ihn, selbst wenn man die Sakramente als causae sine quibus non betrachtet, mit den dicta sanctorum nicht im Konflikt, sondern entspricht ihnen sogar besser als die Mitwirkungs-Variante. Die Begr¨undung f¨ur diese einleitende Behauptung liefert D URANDUS einige Abschnitte sp¨ater. Dass er mit seiner Rede von den causae sine quibus non Angriffsfl¨ache bietet, ist ihm sehr wohl bewusst, und zwar sowohl wegen der viel bem¨uhten auctoritates, als auch wegen der Tatsache, dass gem¨aß Metaphysik VI etwas Nebens¨achliches wie eine causa sine qua non in einer Definition nicht anzugeben sei.25 Was das letztere betrifft, weiß sich D URANDUS nun aber mit einer Unterscheidung zu helfen, die insbesondere in P ORPHYRS Isagoge und damit in einem weiteren Grundlagentext der mittelalterlichen Definitionstheorie diskutiert wird.26 Es m¨usse n¨amlich zwischen zwei Arten von Akzdienzien 24 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 19, ed. Venedig 1571, fol. 290rb: Alia opinio est antiqua, et sine calumnia, et magis, ut mihi videtur, consonat dictis sanctorum, videlicet quod in sacramentis non est aliqua virtus causativa gratiae, characteris, vel cuiuscumque dispositionis, seu ornatus existentis in anima, sed sunt causa sine qua non confertur gratia, quia ex divina pactione vel ordinatione sic fit quod recipiens sacramentum recipit gratiam nisi ponat obicem, et recipit gratiam non a sacramento, sed a Deo, qui solum pertingit ad characterem, gratiam, vel quemcumque ornatum si quis sit in anima. 25 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 24, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Huic autem positione videtur obviare unum in quo praecipue fundant se illi qui tenent contrarium, quia causa sine qua non si nihil faciat ad effectum inducendo, disponendo, vel meliorando quantum ad rationem causandi nihil habet super causas per accidens, sicut albedo domificatoris non est causa domus nisi per accidens; nec pactio dat aliquid de ratione causae, sed solum de ratione signi, ut patet in exemplo de denario plumbeo. Quod autem est per accidens omittitur ab arte, nec ponitur in diffinitione, ut dicitur 6 Metaph. nu. 14. Unde dicunt quod si sacramenta non essent nisi causa sine qua non, in diffinitione sacramenti non poneretur ista causalitas, nec sancti fuissent ita soliciti ponere istam causalitatem in diffinitione sacramenti. Die letzten Zeilen sind ein fast w¨ortliches Zitat aus T HOMAS VON AQUIN: In sententias d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31 (Text oben, S. 154 zitiert). Der Verweis auf A RISTOTELES’ Metaphysik bezieht sich auf Metaphysik VI, 1027a 19–24, vgl. AA I.7 184, S. 130. 26 Vgl. P ORPHYR. Isagoge, ed. Minio-Paluello, AL I.6 (1966), S. 19; zu D URANDUS’ Rezeption dieser Stelle vgl. auch N IELSEN: Signification (1997), S. 236.
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unterschieden werden: Auf der einen Seite gebe es Akzidenzien schlicht per accidens, die tats¨achlich (wie die weiße Haut eines Baumeisters) zur Funktionsweise oder zur Erkenntnis einer Sache (beispielsweise eines vom Baumeister erbauten Hauses) nichts beitr¨ugen.27 Aber es gebe auf der anderen Seite auch einer Sache eigent¨umliche Akzidenzien, sogenannte propria, wie etwa die Lachf¨ahigkeit eines Menschen, die als Alleinstellungsmerkmale die Bestimmung einer Sache sehr wohl ausmachen k¨onnten.28 Im vorliegenden Zusammenhang ist diese Unterscheidung zwischen accidens und proprium bedeutend, weil – das hat schon B OETHIUS in seinem Isagogen-Kommentar zugestanden – ein proprium im Gegensatz zu einem Akzidens in die Bestimmung einer Sache aufgenommen werden kann.29 Und weil D URANDUS nun davon ausgeht, dass es propria nicht nur ex natura rei gebe wie die Lachf¨ahigkeit, sondern auch ex ordinatione humana (wie beim schon oft bem¨uhten Blei-Denar) oder aber ex ordinatione divina wie eben bei den Sakramenten, ist es f¨ur ihn auch plausibel, dass die Urs¨achlichkeit als proprium der Sakramente in deren Bestimmung aufgenommen wird, selbst wenn es sich bloß um eine akzidentielle Form von Urs¨achlichkeit handelt.30 D URANDUS gewichtet damit die ordinatio divina nicht ebenso stark wie S COTUS und leitet aus ihr keine Notwendigkeit ab, welche die Sakramente zu tats¨achlichen Ursachen erhoben h¨atte; sein Verst¨andnis der g¨ottlichen ordinatio ist aber doch so stark, dass er ein durch g¨ottliche Anordnung hinzugef¨ugtes Akzidens nunmehr als proprium einer Sache sehen kann. Dass solche propria zur Erkenntnis einer Sache viel beitr¨ugen und insofern sehr wohl in deren Beschreibung aufgenommen werden m¨ussten, so schließt D URANDUS, gelte nun aber insbesondere f¨ur Begriffsdefinitionen, f¨ur Definitionen quid nominis, worum es 27 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 26, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Dicendum est quod duplex est accidens. Unum est accidens per accidens, quod est separabile et nihil penitus facit, nec ad operationem rei, nec ad eius notificationem, sicut est de albedine respectu aedificatoris, de quo accidente procedit argumentum. Das Baumeister-Beispiel stammt ebenfalls aus A RISTOTELES’ Metaphysik, IV 1026b 34–1027a 8. 28 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 26, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Aliud est accidens proprium [...], sicut risibile est proprium homini. Die Lachf¨ahigkeit als Proprium des Menschen geht grunds¨atzlich auf A RISTOTELES zur¨uck (De partibus animalium III.10, 673a 9), ist aber erst von seinen Sch¨ulern zum exemplarischen menschlichen proprium erhoben worden, als das es auch in P ORPHYRS Isagoge, ed. Minio-Paluello, AL I.6 (1966), S. 7, erscheint (vgl. A DOLF, H ELEN: On Mediaeval Laughter, in: Speculum 22 (1947), S. 251–253). 29 B OETHIUS: Dialogi in Porphyrium I 4, PL 64 (1891), Sp. 13: Fit ergo huiusmodi hominis definitio. Homo est animal, id est genus, homo vero species; rationale, quod differentia est; risus capax, quod proprium est; accidentium vero in definitionibus nullus usus est. 30 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 26, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Est accidens proprium vel ex natura rei, sicut risibile est proprium homini, vel ex ordinatione humana, sicut denarius plumbeus accipit rationem signi et causae sine qua non respectu eleemosynae regis, vel ex ordinatione divina, sicut res naturales accipiunt rationem signi et causae sine qua non respectu gratiae.
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sich – ein letztes Mal wird S COTUS’ Einfluss deutlich – bei der Sakramenten¨ Definition ja handle.31 Aus definitorischen Uberlegungen spreche daher nichts gegen die Bestimmung der Sakramente als causae sine quibus non. Als alles entscheidendes Problem bleibt damit ein weiteres Mal die Frage nach den dicta sanctorum. D URANDUS allerdings l¨asst in dieser Frage ein Problem gar nicht erst aufkommen. Hat er als Einleitung zu seiner Darstellung des Pakt-Modells bereits festgehalten, dass diesem die dicta sanctorum besser entspr¨achen, so f¨ugt er dem im Hinblick auf die Ursachenfrage an: Hier ist zu sagen, dass kein einziger Heiliger in einer Sakramenten-Definition behauptet hat, dass [ein Sakrament] Ursache der Gnade sei. Vielmehr ist es allein P ETRUS L OM BARDUS, der von AUGUSTIN aus dem 2. Buch De doctrina christiana u ¨ bernommen hat, dass ‘ein Sakrament sichtbare Form der unsichtbaren Gnade’ sei. Dann aber hat er von sich aus hinzugef¨ugt, was folgt, dass es n¨amlich ‘deren Bild hervorrufe und als deren Ursache fungiere’.32
Historisch diesmal unzweifelhaft verweist D URANDUS auf die Tatsache, dass der Urs¨achlichkeits-Aspekt in den klassischen AUGUSTINISCHEN Bestimmungen tats¨achlich noch nicht enthalten ist und in prominenter Weise erst durch P E TRUS L OMBARDUS in die Definition der neutestamentlichen Sakramente eingef¨uhrt wird.33 Die Angst davor, mit der Annahme einer causa sine qua non die Sakramenten-Definition einer auctoritas zu verletzen, ist daher unbegr¨undet. Zudem werde, so doppelt D URANDUS nach, nicht einmal die Bestimmung von P ETRUS L OMBARDUS verletzt: Niemand k¨onne n¨amlich den Magister besser auslegen als er sich selbst – er aber kommentiere sich an der vorliegenden Stelle tats¨achlich selbst, indem er sage, dass der Mensch das Heil nicht in den Sakramenten suche, sondern per illa a Deo.34 Auch P ETRUS L OMBARDUS h¨alt daher 31
In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 26, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Tale accidens multum facit ad notificandum rei, et ideo debet poni in descriptione notificante rem praecipue quantum ad quid nominis, sicut est descriptio sacramenti. Zu S COTUS’ Sakramenten-Definition als Definition quid nominis und nicht quid rei s.o., S. 175. Wie oben erw¨ahnt, bem¨uht S COTUS auch den usus loquentium, um die Angemessenheit des Worts sacramentum zu begr¨unden – ein Gedanke, von dem D URANDUS’ Bestimmung des Sakramenten-Begriffs getr¨ankt ist, vgl. In sententias, Red. C IV d 1, q 1, n 8, ed. Venedig 1571, fol. 287va: Sciendum est quod significatum cuiuslibet nominis potissime convincitur ex usu communi, quia cum nomina significent ab humana institutione quam usus approbat et confirmat, et sine quo non valet institutio, ideo potissimus modus convincendi quid importatur per nomen, debet sumi ex usu communi. 32 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 25, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Ad quod dicendum quod nullus sanctus posuit in diffinitione sacramenti quod esset causa gratiae. Sed solum magister sententiarum qui accepit ab Augustinus ex libro 2 De doctrina christiana quod ‘sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma’. Et additur de suo quod sequitur, videlicet ‘ut imaginem gerat et causa existat’. 33 S.o., S. 125. 34 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 25, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Nullus autem potest melius exponere magistrum quam ipse seipsum. Ipse autem exponit seipsum in littera
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in D URANDUS’ Verst¨andnis, wie aus der Pr¨asposition per deutlich werde, die Sakramente f¨ur causae sine quibus non.35 D URANDUS gen¨ugt dies, um die Wirksamkeitsproblematik im Sinne des Pakt-Modells f¨ur gel¨ost zu halten – und zwar einschließlich der Annahme, dass die Sakramente keine echten Ursachen der Gnade seien. Erst in den abschließenden Antworten auf die einleitenden Argumenta quod sic greift er auch das oft bem¨uhte AUGUSTIN-Zitat zur Kraft im Wasser auf, das als eine der wichtigsten auctoritates der Mitwirkungs-Variante die bisherige Diskussion bestimmt hat. D URANDUS verweist nur knapp auf den Kontext dieses Zitats und h¨alt fest, dass es sich aus dieser Perspektive bloß um eine geglaubte, nicht aber um eine tats¨achliche Kraft im Sakrament handeln k¨onne.36 Seine Argumentation bleibt dabei nicht immer bis ins letzte Detail ausgereift: Angesichts des polemischen Hintergrunds seines Kommentars scheint ihm offensichtlich eine klare Behauptung bisweilen das besser Mittel zu sein als eine ausf¨uhrliche Begr¨undung. So l¨asst er sich schon bei der Widerlegung von T HOMAS’ Position auf dessen entia incompleta und den modus intentionis gar nicht erst ein; seine Darstellung der Pakt-Variante als des a¨ lteren Modells bleibt historisch zumindest sehr eigenwillig; und dass er bei seiner u¨ berraschenden Aussage, kein einziger Heiliger sehe die Sakramente als Ursachen, nur gerade das eine AUGUSTINZitat ausf¨uhrlicher diskutiert, auf welches sich P ETRUS L OMBARDUS in seiner Sakramenten-Definition bezogen hat, l¨asst die Problematik bei einer Reihe weiterer, in der Diskussion sonst immer wieder angef¨uhrter auctoritates in der Schwebe. F¨ur die weitere Debatte allerdings erarbeitet D URANDUS schon mit diesen knappen Argumenten erste Eckpunkte eines neuen Ansatzes: Wo bereits S COTUS die auctoritates auch f¨ur die Pakt-Variante in Anspruch genommen und damit suggeriert hat, dass es in deren Verst¨andnis durchaus Spielraum geben k¨onne, nutzt D URANDUS diesen Spielraum nun aus und erprobt eine neue M¨oglichkeit, den rationes volle Geltung zu verschaffen: den kritischen Blick auf bisher kaum hinterfragte auctoritates.
dicens, quod ‘homo non quaerit salutem in sacramentis quasi ab eis, sed per illa a Deo’. Schon R ICHARD F ISHACRE hat diese Stelle f¨ur das Pakt-Modell in Anspruch genommen, s.o., S. 133. 35 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 25, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Nec videtur valere illud quod aliqui dicunt quod in illis verbis magistri haec praepositio ‘a’ denotat principale agens, sed haec praepositio ‘per’ denotat causam instrumentalem; quia talis causa instrumentalis accipienda est de causa sine qua non. 36 In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 27, ed. Venedig 1571, fol. 290va: Verba eius sunt ista: ‘Unde est haec tanta vis aquae, ut corpus tangat et cor abluat? nisi faciente verbo, non quia dicitur, sed quia creditur.’ Ecce quod non dicit aliquam virtutem esse in aqua nisi quam facit fides verbi quo baptismus confertur [...], et sic virtus dicitur esse in aqua per verbum, quia vere credimus quod virtus Patris et Filii et Spiritus sancti invocata per verbum sactificabat baptizatum in aqua, nec oportet ibi ponere aliquam virtutem inhaerentem, nec unquam hoc intellexit Augustinus.
13.2 Petrus Aureoli
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13.2 Petrus Aureoli Einer, der diese M¨oglichkeit eingehend nutzte, nicht um wie D URANDUS die Urs¨achlichkeit der Sakramente zu hinterfragen, sondern um der Rede von einer besonderen Kraft in den Sakramenten die autoritative Grundlage zu entziehen, war P ETRUS AUREOLI. Wie kaum ein zweiter bem¨uhte sich AUREOLI, der Wirksamkeitsproblematik in all ihren Facetten gerecht zu werden. Das beginnt in seinem Sentenzenkommentar zu Buch IV bereits mit einer ausf¨uhrlichen Quaestio prooemialis, die ein inzwischen bekanntes Thema aufgreift: die Frage n¨amlich, ob es Gesch¨opfen m¨oglich sei, an einem Sch¨opfungsakt mitzuwirken.37 Dass diese Problematik f¨ur die Kl¨arung der allgemeinen Sakramentenlehre relevant sei, verdeutlicht AUREOLI dadurch, dass er sie als Pro¨omium an den Beginn des gesamten vierten Buchs stellt.38 Doch das gen¨ugt ihm noch nicht. Auch den Kommentar zur ersten Distinktion dieses Buches beginnt AU REOLI mit einer eingehend behandelten Frage zur Urs¨achlichkeit der Sakramente, bevor er sich deren Definition und dem Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten zuwendet.39 So sehr sich AUREOLI daher der Bedeutung der Wirksamkeitsfrage bewusst ist, so sehr weiß er nun aber auch um die Autorit¨aten-Problematik, die mit dieser Frage verbunden ist. Nicht von ungef¨ahr legt AUREOLI Wert darauf, an den entscheidenden Stellen in der Bearbeitung dieser Fragen fast bekenntnishaft seinen Gehorsam gegen¨uber den auctoritates hervorzuheben: Das beginnt schon im Pro¨omium, wo AUREOLI nach l¨angeren Ausf¨uhrungen grunds¨atzlich zur Denkbarkeit einer creatio ex nihilo schließlich zum eigentlichen Knackpunkt vorst¨oßt, ob die potentia creandi Gesch¨opfen zukommen k¨onne. AU REOLI stellt fest, dass alle sancti das Gegenteil bezeugten, so dass der Fall f¨ ur ihn klar sei:40 Weil nun die Heiligen so ausdr¨ucklich gesprochen haben, werde ” 37 P ETRUS AUREOLI: Commentaria super sententiarum, ed. Rom 1605, S. 2aA: Utrum sacramentis seu sacramentorum ministris communicari potuit aliqua virtus creativa respectu sacramentalis effectus. Zu dieser Problematik siehe f¨ur S COTUS oben, S. 168; allgemeiner vgl. die Einleitung, S. 17. Aus dieser Behandlung der Sch¨opfungsproblematik ergibt sich zudem, dass AUREOLI Buch IV vor Buch II kommentiert hat (dazu N IELSEN: Signification (1997), S. 236). 38 Commentaria super sententiarum Prooemium, ed. Rom 1605, S. 2aA: Ad evidentiam sacramentorum in generali quaero istam quaestionem. 39 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, ed. Rom 1605, S. 9aA, ist im hier verwendeten Druck schlicht mit De causalitate sacramentorum u¨ berschrieben. An einigen Stellen ist beim Text dieses Drucks allerdings im Vergleich zu den u¨ berlieferten Handschriften Vorsicht geboten, vgl. N IELSEN: Signification (1997), S. 237 mit Anm. 45. Die Quaestio selbst ist in vier Articuli unterteilt, auf deren Ebene erst die Struktur einer klassischen Quaestio aufgenommen wird. 40 Commentaria super sententiarum Prooemium a 3, ed. Rom 1605, S. 7bC: Sancti omnino sunt ad oppositum.
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ich daher nicht behaupten, dass eine sch¨opferische Kraft auf die Gesch¨opfe u¨ bertragen werden k¨onne.“41 Das ist um so bedeutsamer, als AUREOLI die Unm¨oglichkeit eines sch¨opferischen Mitwirkens von Gesch¨opfen nicht ganz so leichthin zugesteht wie andere Scholastiker vor ihm. Es lohnt sich daher, zuerst einmal kurz zu umreißen, inwiefern AUREOLI eine creatio grunds¨atzlich f¨ur m¨oglich h¨alt und inwiefern ihm dieses Verm¨ogen, etwas zu erschaffen, nicht auf Gesch¨opfe u¨ bertragbar zu sein scheint, bevor seine L¨osung der sakramentalen Wirksamkeitsproblematik untersucht wird. 13.2.1 Sch¨opferische Gesch¨opfe und Brandstifter Um der Sch¨opfungsproblematik auf den Grund zu gehen, leitet AUREOLI seine Ausf¨uhrungen mit einer grundlegenden Unterscheidung zwischen zwei Formen von Unm¨oglichkeit ein: eine, welche auf das Unverm¨ogen eines Handelnden zur¨uckzuf¨uhren sei (so wie ein Blinder unm¨oglich sehen k¨onne), und eine andere, welche auf eine Widerspr¨uchlichkeit in einer Sache selbst zur¨uckzuf¨uhren sei (so wie ein Ganzes unm¨oglich kleiner als einer seiner Teile sei).42 Das Problem der bisherigen Diskussion der Sch¨opfungsproblematik sieht AUREOLI nun darin, dass die Scholastiker die grunds¨atzliche M¨oglichkeit einer creatio ex nihilo gegen die Philosophen verteidigten, indem sie auf Gottes Verm¨ogen zur Sch¨opfung verwiesen,43 wo doch, wie sich AUREOLI ausf¨uhrlich zu belegen bem¨uht, die Philosophen von einer Unm¨oglichkeit der zweiten Art, von einer sachlichen Selbstwiderspr¨uchlichkeit im Sch¨opfungsbegriff ausgegangen seien.44 Weil nun aber – hier erfolgt der Verweis nicht auf etwelche auctoritates, sondern auf die Glaubenswahrheit schlechthin – die M¨oglichkeit einer creatio ex nihilo festen Glaubens zuzugestehen sei, m¨usse sie auch im Hinblick auf ei41
Commentaria super sententiarum Prooemium a 3, ed. Rom 1605, S. 7bD: Quia ergo sancti sic expresse loquuntur, ideo non teneo, quod virtus creativa sit communicabilis creaturae. 42 Commentaria super sententiarum Prooemium a 1, ed. Rom 1605, S. 2bE: Sciendum quod impossibilitas duplex est: Una quae reducitur ad impotentiam, et diminutionem agentis, ut caecum videre. Alia quae reducitur ad repugnantiam rei in se, et provenit ex repugnantia terminorum, ut quod totum non sit maius sua parte. Dies erg¨anzt AUREOLI mit einer zweiten, f¨ur den vorliegenden Zusammenhang etwas weniger wichtigen Unterscheidung von zwei Formen von propositiones ex se notae, n¨amlich einer erfahrungsbasierten und einer begriffsbasierten: Similiter propositio per se nota accipitur dupliciter, vel quia habetur per experientiam corporum, et sensuum, ut quod nix est alba, vel quae habetur ex terminis, ut quod omne totum est maius sua parte. 43 Commentaria super sententiarum Prooemium a 1, ed. Rom 1605, S. 2bF: Putant ergo aliqui, quod Arist[oteles] et Commentator reputaverunt creationem impossibilem propter impotentiam agentis, et non propter impossibilitatem rei in se. 44 Die Diskussion einiger entscheidender Texte von A RISTOTELES und AVERROES findet sich in Commentaria super sententiarum Prooemium a 1, ed. Rom 1605, S. 3bA–D, welche AUREOLI mit den Worten abschließt: Ergo creatio apud Arist[otelem] et Commentatorem fuit impossibilis ex terminis, et claudens contradictionem, quod ex nihilo aliquid fiat.
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ne Unm¨oglichkeit in diesem zweiten Sinne verteidigt und bewiesen werden.45 Darin sieht AUREOLI seine Aufgabe, und er stellt hierf¨ur drei conclusiones auf, deren erste etwas n¨ahere Betrachtung verdient: Gem¨aß dem, woran wir aus Glauben festhalten, besteht die Unendlichkeit der g¨ottlichen Kraft nicht nur darin, vieles tun zu k¨onnen, wozu ein nat¨urliches Verm¨ogen nicht f¨ahig w¨are. Denn vielmehr kann sie auch Dinge machen, die in sich in irgendeiner Weise einen formalen Widerspruch enthalten [...], so dass er nicht nur machen kann, was naturaliter unm¨oglich ist wegen der Unvollkommenheit der [nat¨urlichen] Akteure, sondern auch, was irgendwie in sich selbst unm¨oglich ist wegen eines formalen Widerspruchs.46
Dem Glaubenszeugnis gem¨aß kann Gott, so AUREOLI, auch Dinge geschehen machen und entstehen lassen, die sich eigentlich selbst widersprechen. Herausragendes Beispiel ist f¨ur AUREOLI hierzu die Transsubstantiation, wo die wesentlich gr¨oßere Quantit¨at des Leibs Christi in der kleinen Gestalt des Brots erscheint; verdeutlichen l¨asst es sich aber auch etwa an den Leibern der Gl¨uckseligen, welche aller Schwere entledigt sind, obwohl Schwere doch eigentlich eine spezifische Eigenschaft von Leiblichkeit ist.47 Mit diesen Beispielen wird zugleich aber deutlich, dass AUREOLI durchaus auch Grenzen dieses g¨ottlichen Erm¨oglichens von Unm¨oglichem sieht; diese 45 Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 5aC: Circa secundum articulum considerand[u]m est, quod firma fide tenendum est creationem esse possibilem, et productionem ex nihilo virtuti infinitae. Dass AUREOLI nicht einfach fideistisch an der tats¨achlichen M¨oglichkeit einer creatio ex nihilo festh¨alt, sondern sie auch rationaliter f¨ur begr¨undbar h¨alt, zeichnete sich schon im ersten Artikel dieser Quaestio prooemialis ab, wo er sein Erstaunen dar¨uber a¨ ußert, dass die Philosophen eine solche Sch¨opfung f¨ur selbstwiderspr¨uchlich hielten cum [tamen] significata sint communia eis et nobis (ebd. Prooemium a 1, S. 3aE). AUREOLI sieht sich daher im zweiten Teil dieses Artikels zur Kl¨arung veranlasst quomodo illis de quibus constat, quod habuerunt ingenia praeclarissima, talis repugnantia apparebat (ebd.). 46 Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 5bD: Infinitas divinae virtutis, secundum ea quae fide tenemus non solum consistit in posse facere multa, ad quae non attingit potentia naturalis; immo quia potest facere aliqua quae aliquo modo in se formalem repugnantiam includunt in secundo modo dicendi per se, ut non solum possit facere, quae sunt impossibilia naturaliter propter imperfectionem agentium, immo et quae sunt impossibilia aliqualiter in seipisi, propter aliquem modum repugnantiae formalis. Zum im Fließtext ausgelassenen Nebensatz in secundo modo dicendi per se vgl. die nachfolgend beschriebene aristotelische Unterscheidung aus den Analytica posteriora I 4. 47 Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 6aB–E: Probo istam conclusionem, scilicet, quod infinitas virtutis divinae secundum ea, quae tenemus ex fide, extendit se ad multa, quae includunt repugnantiam formalem in secundo modo dicendi per se [...] [ut] fit in sacramento eucharistiae secundum fidei veritatem, ubi tota quantitas corporis Christi existit sub speciebus panis, nec tamen commensuratur, immo cum sit incomparabiliter maior, non extenditur ultra dimensiones hostiae. [...] Et confirmatur: quoniam ita videtur proprium corporis mixti, in quo dominatur terra, gravitas, sicut hominis risibilitas, et tamen Dominus separat in sacramento eucharistiae gravitatem a gravi et in corpore post resurrectionem rationem corporis mixti a gravitate, quia corpora beatorum non sunt gravia, ergo.
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Grenze liegt im Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs.48 In den vorliegenden Beispielen wird dieses Prinzip nicht verletzt, weil der Besitz einer bestimmten Quantit¨at nicht essentiell zum Brot geh¨ort, so wie es auch keine wesentliche Bestimmung, sondern bloß eine spezifische Eigenschaft von Leiblichkeit ist, Schwere zu besitzen.49 AUREOLI greift hier auf eine gel¨aufige Differenzierung aus A RISTOTELES’ Analytica posteriora zur¨uck, wo zwischen mehreren Formen von per-se-Pr¨adikationen unterschieden wird, unter anderem zwischen einer essentiellen Form und einer akzidentiellen:50 W¨ahrend bei der ersten Form ein Subjekt durch sein Pr¨adikat bestimmt wird, so dass dieses Pr¨adikat nicht entfernt werden kann, ohne dass nicht auch das Subjekt verschwindet,51 wird in der zweiten Form umgekehrt ein Pr¨adikat durch sein Subjekt bestimmt, wie es insbesondere bei den propria der Fall ist: Als dem Alleinstellungsmerkmal des Menschen ist es formal ausgeschlossen, dass ‘lachf¨ahig’ die Eigenschaft eines Pferdes pr¨adiziert. Doch wenn es in diesem zweiten Modus auch der formalen Bestimmung eines Pr¨adikats widerspricht, einem anderen Subjekt zugeordnet zu werden, ist eine solche Umordnung dennoch keine Unm¨oglichkeit in einem absoluten Sinne, da durch den dabei entstehenden Widerspruch kein Subjekt an sich verunm¨oglicht wird.52 Eine Umordnung im ersten Modus allerdings ist so unm¨oglich, dass sie auch durch kein g¨ottliches Verm¨ogen hervorgebracht werden kann, weil dadurch umgehend die Grundbestimmung einer Sache zerst¨ort w¨urde: Wird eine solche Hypothese angenommen, so h¨orte jede Wissenschaft ” und alles Disputieren auf.“53 48 Vgl. die etwas sp¨ater angef¨uhrte Beschreibung der unendlichen g¨ottlichen virtus, quae est incomprehensibilis intellectui, et cuius actioni nulla formalis repugnantia resistit, nisi illa contra quam agere esset non agere (Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 7aB). 49 Ebenso verh¨alt es sich auch bei den weiteren Beispielen, auf welche AUREOLI verweist: Sicut est repugnantia formalis albedinis et nigredinis in eodem subiecto, sic videtur esse repugnantia duarum dimensionum in eodem situ, unde dimensio videtur, quod determinet sibi situm tanquam propriam passionem, et duae dimensiones esse simul, sicut patuit in partu virginis, et in egressu Christi de sepulchro, et in translatione corporum gloriosorum in coelo (Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 6aE–F). 50 Analytica posteriora I 4, 73a 37–b 11; AA XXXV 38–41, S. 314. 51 AUREOLI f¨uhrt das Beispiel der Bestimmung des Menschen als animal rationale an: Es kann keinen nicht-rationalen Menschen geben, weil dieses Wesen definitionsgem¨aß kein Mensch w¨are. Der Widerspruch in ‘homo non rationalis’ liegt, wie AUREOLI es nennt, in einer impossibilitas quidditativa (Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 5bE). 52 Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 5bE: Secundus vero modus non est impossibilitatis quidditativae, quia nihil tollit de quidditate hominis dicendo hominem non quantum, cum quantitas non sit de essentia hominis. 53 Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 5bF–6aA: Prima ergo necessitas est tanta, quod non potest per aliquam potentiam immutari, quia statim destrueretur primum principium, et posita tali hypothesi cessat omnis scien|tia et omnis disputatio, propter quod in nulla scientia potest talis hypotesis supponi.
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Damit ist der Weg bereitet, um die M¨oglichkeit einer creatio ex nihilo zu beweisen, wozu AUREOLI seine beiden verbleibenden conclusiones anf¨uhrt: So sei es Gott aufgrund seiner unendlichen Kraft m¨oglich, Dinge zusammenzuf¨uhren und zu trennen, die der Intellekt stets getrennt oder verbunden denken m¨usse.54 Dazu geh¨ore auch die Tatsache, dass f¨ur den Intellekt die Entstehung einer Sache stets zwischen einem terminus a quo und einem terminus ad quem stattfinde und auf etwas der Sache zugrunde Liegendem basiere. Doch beides, terminus und subiectum, sind keine essentiellen, sondern bloß akzidentielle Pr¨adikate einer Sache, deren Fehlen daher zwar einen formalen, aber keinen absoluten Widerspruch darstellt. AUREOLI kann damit als letzte conclusio festhalten: Eine creatio muss man sich vorstellen als eine einfache Emanation ” einer Sache ins Sein, ohne dass etwas der Sache zugrunde Liegendes oder ein terminus a quo vorhanden ist.“55 Weil dadurch kein Widerspruch im ersten Sinn einer per-se-Pr¨adikation entsteht, ist eine creatio ex nihilo auch philosophisch gesehen nicht unm¨oglich. Es bleibt die Frage, ob sich die potentia creandi auch auf die Menschen u¨ bertragen l¨asst. Denn grunds¨atzlich ist ‘nichts-erschaffen-k¨onnen’ auch kein essentielles Pr¨adikat des Menschen, so dass Gott dessen Gegenteil ‘etwas erschaffen k¨onnen’ im beschriebenen Sinne einem Menschen h¨atte vermitteln k¨onnen. An dieser Stelle beruft sich AUREOLI, wie eingangs erw¨ahnt, auf die ¨ auctoritates und lehnt ihretwegen die M¨oglichkeit einer solchen Ubertragung 56 ab. Allerdings f¨ugt AUREOLI gleich an, dass sich dies auch beweisen lasse: Weil f¨ur den menschlichen Intellekt ja auch die akzidentiellen Widerspr¨uche echte Widerspr¨uche und als solche unverst¨andlich seien, k¨onne das Verm¨ogen, solch unverst¨andliche Widerspr¨uche hervorzubringen, einem endlichen und verst¨andlichen Verm¨ogen nicht u¨ bertragen werden. Immerhin sei die virtus intellectiva einer virtus executiva u¨ bergeordnet, und es sei daher undenkbar, dass ein Mensch etwas auszuf¨uhren imstande sei, das er denkerisch nicht zu erfassen verm¨oge.57 54 Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 6aF: Secunda conclusio est quod Deus virtute sua infinita potest aliqua componere, quae intellectus non potest componere; et multa separare, quae intellectus non potest separare, loquendo de intellectu directo, quamvis non de actu arguitivo. Actu arguitivo f¨uhrt AUREOLI im Anschluss auch aus, wie es im Falle der creatio doch denkbar sei, dass eine f¨ur den Intellekt zusammengeh¨orende Subjekt-Pr¨adikat-Struktur aufgebrochen werde. 55 Commentaria super sententiarum Prooemium a 2, ed. Rom 1605, S. 6bB: Tertia conclusio est quod creatio debet concipi ut quaedam simplex emanatio rei in esse absque omni subiecto et absque omni termino, et per consequens talis productio includit repugnantiam in secundo modo et non in primo. Zu den termini a quo und ad quem vgl. ebd. a 1, S. 3aF; zum subiectum vgl. ebd. S. 4aD. 56 S.o., S. 204. 57 Commentaria super sententiarum Prooemium a 3, ed. Rom 1605, S. 7bE–F: Illud namque, quod includit repugnantiam ex terminis in secundo modo, in tantum quod resistit intellec-
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Die Stringenz dieser Argumentation kann in Frage gestellt werden, da ein Bruch in der Ordnung zwischen virtus intellectiva und virtus executiva ja erneut nur einen formalen, aber keinen absoluten Widerspruch darstellt – wird dadurch doch weder eine Wesensbestimmung noch das Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs verletzt.58 AUREOLI allerdings ist ohnehin nicht bereit, die M¨oglichkeit einer Mitwirkung der Gesch¨opfe an einem sch¨opferischen Akt g¨anzlich zu verabschieden. V¨ollig unm¨oglich scheint ihm – und da weiß er selbst AVICENNA hinter sich, der ja als einziger Philosoph eine gesch¨opfliche Mitwirkung an der Sch¨opfung in Betracht gezogen hat,59 – dass einem Gesch¨opf das Verm¨ogen, etwas zu erschaffen, in der Weise u¨ bertragen werden kann, wie die Sch¨opfung unmittelbar aus Gott herausfließt.60 In einer mittelbaren Weise allerdings scheint ihm dies nicht v¨ollig unm¨oglich zu sein, was AUREOLI anhand der inzwischen bekannten Unterscheidung zwischen einem agens principale und einem agens instrumentale zu erkl¨aren versucht: So bestehe nicht nur die theoretische M¨oglichkeit, den Sakramenten und den Priestern eine Kraft zu u¨ bertragen, um an der Erschaffung der Gnade mitzuwirken, vielmehr werde ihnen diese Kraft auch tats¨achlich u¨ bertragen, indem sie instrumental etwas tui, ne possit id negare, illud non potest subesse alicui virtuti comprehensibili et finitae. [...] Hoc autem idem patet, quoniam intellectiva potentia cum sit nobilior potentia executiva videtur quod possit attingere quemcumque effectum quem potest exequi aliqua virtus finita. Sed probatum est supra, quod intellectus non potest in entia, quae sunt connexa in secundo modo dicendi per se, et quod aliquid fieri ex nihilo est impossibile concipi, et quod tenet ex terminis. Ergo hoc non subest alicui virtuti creatae. Die Begr¨undung wird im unten, Anm. 60 zitierten Text noch einmal wiederholt. 58 Zu AUREOLIS Verteidigung k¨onnte so, wie er weiter oben schon mit den Bedingung der M¨oglichkeit einer Wissenschaft argumentiert hat, wohl auch an dieser Stelle angef¨uhrt werden, dass die Annahme eines solch unverst¨andlichen Verm¨ogens in einem geschaffenen Wesen die Grenzen einer rationalen Wissenschaft sprengen w¨urde. Aureoli meint denn auch lakonisch: Non est [...] mirum, quod virtus creandi non possit communicari creaturae, cum hoc teneat ex terminis; sed est potius mirum quod aliqua virtus possit hoc facere quantumcumque immensa, sicut est de aliis mirabilibus quae tenemus per fidei veritatem (Commentaria super sententiarum Prooemium a 3, ed. Rom 1605, S. 8aB). 59 Vgl. bereits Commentaria super sententiarum Prooemium a 3, ed. Rom 1605, S. 7aF–bA: Aliquibus visum fuit potentiam creandi possibilem esse communicari creaturae, non quidem potentia quae agat nullo agente praesupposito; | et haec est imaginatio Avicennae. Zu AVICENNA vgl. auch oben, S. 17. 60 Commentaria super sententiarum Prooemium a 3 [a 4], ed. Rom 1605, S. 8aC–D: Nec communicata est, nec communicari potuit sacramentis aut illorum ministris virtus cooperandi ad creationem, sic quod creatio proflueret a Deo [...]; et hoc patet quia talis operatio est contra intellectum, et est contra naturam rei et contra propositiones per se secundo modo, ut nec etiam intellectus possit operari, vel intelligere, ex quo effectus positus est in actu. Ergo nec aliqua virtus creata potest cooperari, cum omnis talis virtus sit inferior virtute intellectiva. Der Text von S. 8aB–9aA stellt eigentlich den vierten Artikel des Pro¨omiums dar, wie er ebd. S. 2bB angek¨undigt worden ist. Aus dem Layout der zitierten Edition wird dies allerdings nicht ersichtlich.
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Aktives auf etwas Passives anwendeten – instrumentaliter applicando activa passivis.61 Was er damit meint, verdeutlicht AUREOLI am Beispiel eines Brandstifters. Auch der Brandstifter brennt ein Haus nicht nieder, indem er das Feuer aus sich selbst herausfließen l¨asst, sondern indem er etwas Aktives – einen glimmenden Span etwa – auf etwas Passives – das brennbare Haus – anwendet. Er selbst bedient sich bloß des Feuers und dessen Aktivit¨at;62 und ebenso stellt es sich AUREOLI auch bei den Sakramenten vor: Aus diesen fließe die vermittelte Gnade nicht selbst heraus, sondern sie wendeten bloß die aktive g¨ottliche Kraft auf den passiven, zum Gnadenempfang bereiten Menschen an, so dass sie vere et proprie instrumentale Akteure genannt werden k¨onnten.63 Damit benutzt AU REOLI allerdings einen ungewohnten Instrumenten-Begriff: Instrumentale Akteure sind f¨ur ihn in diesem Verst¨andnis nicht die benutzten Instrumente wie das Feuer, sondern deren Anwender.64 Die herk¨ommliche Terminologie aufgreifend dreht AUREOLI den Ansatz sowohl von T HOMAS als auch von S COTUS um: W¨ahrend bei diesen die Sakramente instrumentale Ursache der Gnade gewesen sind, weil sich Gott ihrer zur Vermittlung der Gnade bedient, ist f¨ur AUREOLI letztlich die g¨ottliche Kraft das Instrument, dessen sich der Priester oder die Sakramente bedienten und insofern instrumentaliter handelten.65 Das Beispiel des Brandstifters ist sehr gezielt gew¨ahlt, um diese Doppelschichtigkeit zu illustrieren: Denn anders als beim Beispiel der S¨age oder der Axt besitzt Feuer ja wirklich eine eigene Aktivit¨at, die der Brandstifter eben nur appliziert. Er arrangiert bloß, dass Feuer und Haus aufeinandertreffen, und kann sich danach zur¨uckziehen – seine eigene Aktivit¨at verbrennt das Haus nicht. 61
Commentaria super sententiarum Prooemium a 3 [a 4], ed. Rom 1605, S. 8aD–E: Communicata est, et potuit communicari virtus cooperandi ad creationem sacramentis, et eorum ministris, instrumentaliter applicando activa passivis. 62 Commentaria super sententiarum Prooemium a 3 [a 4], ed. Rom 1605, S. 8aF: Incendarius dicitur vere comburere, quamvis ab eo combustio non profluat; sed ex hoc solo, quod applicat ignem domui. 63 Ebd. S. 8aE. S COTUS’ Hauptkritik an T HOMAS’ Instrumenten-Begriff l¨auft ja darauf hinaus (s.o., S. 186), dass er bestreitet, es seien die Instrumente im Anwendungsfall selbst aktiv. AUREOLI geht nun einen Schritt weiter und untersucht F¨alle, in welchen die Instrumente unbestritten eine eigene Aktivit¨at besitzen und gegen S COTUS’ Kritik daher immun sind. 64 Die konventionellere Vorstellung eines instrumentalen Akteurs kennt AUREOLI nat¨urlich auch – an der vorliegenden Stelle differenziert er sogar explizit zwischen den beiden Verst¨andnissen: Dicitur enim agens aliquod instrumentale, quod disponit materiam, et dicitur aliquod agens instrumentale, quod ministrat et applicat materiam agenti, sicut apponens stuppam igni, sicut incendiarius dicitur comburere domum applicando ignem (Commentaria super sententiarum Prooemium a 3 [a 4], ed. Rom 1605, S. 8aC). 65 F¨ur T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria IV d 2, q 1, a 1, ed. Venedig 1564, fol. 64va, ist dies denn auch der Hauptgrund, AUREOLIS Ansatz zur¨uckzuweisen: Si sic esset, tunc sacramenta essent causa principalis, et virtus divina causa instrumentalis respectu ipsius gratiae. Hoc autem est impossibile.
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Kapitel 13: Delegitimierung der traditionellen auctoritates-Interpretation
Diese fließende Grenze zwischen haupts¨achlichem und instrumentalem Akteur im Beispiel der Brandstiftung erm¨oglicht AUREOLI, noch einmal zu betonen, was auch T HOMAS und S COTUS schon ein Anliegen gewesen ist: Als instrumentale Akteure sind die Sakramente echte Ursachen der Gnade. In dem Sinne, wie auch der Brandstifter ein Haus tats¨achlich niederbrennt, indem er Feuer legt, sind auch die Sakramente tats¨achliche Ursachen der Gnadenvermittlung, weil sie die entsprechenden Umst¨ande schaffen. Umgekehrt bleibt dank dieser fließenden Grenze dennoch die g¨ottliche Souver¨anit¨at unangetastet. Denn im Sinne eines haupts¨achlichen Akteurs k¨onnte nur dann vere et proprie gesagt werden, die Sakramente w¨urden die Gnade erschaffen und heiligen, wenn Gott notwendigerweise bei ihrer Anwendung aktiv werden m¨usste. Das ist allerdings auch in AUREOLIS Augen nicht der Fall. Vielmehr habe Gott nur ex institutione und modo voluntario festgelegt, bei der Austeilung der Sakramente aktiv werden zu wollen – in diesem Sinne k¨onnen die Sakramente daher bloß als instrumentale Ursachen gelten.66 ¨ Ahnlich wie es T HOMAS bereits mit dem Instrumenten-Begriff, aber mehr noch mit dem modus intentionis und den entia incompleta gelungen ist, das Sakramentengeschehen mit Seinsformen in Verbindung zu bringen, die sich von zwei Seiten her betrachten lassen und je nach Betrachtungsweise unterschiedliche Antworten auf an sie herangetragene Fragen geben, hat auch AUREOLI mit dem Brandstifter ein schillerndes Beispiel gefunden, mit dem er illustrieren kann, wie ein Akteur je nach Betrachtungsweise echter Handlungstr¨ager oder aber bloß Anwender einer fremden Aktivit¨at ist.67 Anders als T HOMAS’ Instrumenten-Begriff und dessen Rede von den entia incompleta entzieht sich 66
Commentaria super sententiarum Prooemium a 3 [a 4], ed. Rom 1605, S. 8aE: Si sacramenta et eorum exhibitio per ministros necessitarent virtutem divinam ad agere, vere et proprie dicerentur creare et sanctificare: ergo dato quod non necessitarent aut violentarent simpliciter, sed tantum applicarent ex institutione Dei et modo voluntario, adhuc vere et proprie dicerentur instrumentaliter agere, sanctificare et creare. Zur willentlichen Einsetzung vgl. auch Anm. 70 sowie den syllogismus practicus gegen Ende von AUREOLIS Diskussion der Wirksamkeitsproblematik: Tunc ergo Deus habet apud se istam praemissam quiescentem: Volo dare gratiam ei cui fuerit adhibitum tale signum sensibile. Adhibito ergo isti particulari homini hoc signo sensibili, Deus apud se format hunc syllogismum practicum, dicendo: Volo dare gratiam cuicumque digne suscipienti hoc sacramentum sive signum sensibile; sed Petrus nun recipit hoc signum sensibilie; ergo Petrus volo dare nunc gratiam. [..|..] Ergo sacramentum non applicat Deum ad causandum gratiam, nisi in virtute praemissae illius, quam Deus libere determinat, hinc est quod non necessitat Deum in aliquo ad agendum (Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 17bF–18aA). 67 Im Rahmen seiner Diskussion der Wirksamkeitsproblematik verweist AUREOLI interessanterweise auf die Alchimisten, die ebenfalls unter geschickter Ausnutzung von Aktivit¨aten, welche den Dingen selbst zukommen, den gew¨unschten Effekt zu erreichen wissen: Si enim [alchimistae] per diversas transmutationes inducit formam auri, hoc non est per se proprie et directe, sed pro quanto applicat debita passiva debitis activis (Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 3, ed. Rom 1605, S. 15aF).
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AUREOLIS Modell aber der Kritik eines S COTUS und D URANDUS: Indem AU letztlich nicht die Sakramente, sondern die g¨ottliche Kraft als Instrument betrachtet, das im Sakramentenvollzug bloß zur Anwendung gebracht wird, er¨ubrigen sich die ganzen Fragen, wie ein r¨aumlich und zeitlich ausgedehntes Geschehen eine solche Wirkung enthalten oder verursachen k¨onne. Es ist unn¨otig, nach einem Tr¨ager dieser Kraft zu fragen,68 da Gott ja selbst direkt involviert bleibt. In Anlehnung an dieses Brandstifter-Beispiel f¨uhrt AUREOLI eine neue Bezeichnung ein, um diese schillernde Form von Urs¨achlichkeit zu beschreiben: jene des causare applicative. Wo bei herk¨ommlichen instrumentalen Ursachen die Instrumente – das hat S COTUS deutlich gemacht – passiv bleiben und bloß angewandt werden, bringt eine applikative Ursache ein Instrument so zur Anwendung, dass es seine echte, eigene Aktivit¨at entfalten kann. Umso mehr handelt es sich daher auch bei den applikativen Ursachen um echte Ursachen, was AUREOLI anhand von Verdienst-Beispielen illustriert, die im weitesten Sinne wohl erneut von R ICHARD F ISHACRES k¨oniglichen Emblemen inspiriert sind:69 Sehe sich ein freier Akteur durch den Verdienst eines anderen veranlasst, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, so sei jener Verdienst sehr wohl Ursache dieses Verhaltens. So sei es bei den Wundern, welche die Heiligen bewirkten, oder bei der Passion Christi, welche uns erl¨ose. Verdienst der Heiligen und Verdienst Christi seien echte Ursachen dieser Geschehnisse – wenn auch eben nur applicative, indem sie die erforderlichen Umst¨ande herbeif¨uhrten, welche Gott veranlassten, aktiv zu werden.70 Dass es sich auch bei den Sakramenten um echte Ursachen handelt, steht f¨ur AUREOLI deshalb fest: Weil Gott ja tats¨achlich festgelegt hat, er wolle REOLI
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Ein Problem, das AUREOLI dennoch ausf¨uhrlich aufgreift, vgl. das n¨achste Unterkapitel. S.o., S. 136: Damit diese Essens-Bons eingel¨ost werden konnten, mussten deren Empf¨anger ja erst eine bestimmte Arbeit verrichten, sich den Erl¨os also zuerst einmal verdienen. Etwas abstrakter formuliert auch bereits S COTUS ein Verdienst-Beispiel (Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 312, ed. Vaticana (2008), S. 111); vgl. zudem auch das a¨ hnliche Beispiel Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 18aA–B: Qui impetrat alteri praebendam, vere et proprie se dicitur esse causa illius praebendae, per hoc solum quod applicavit dantem praebendam ei cui impetravit eam. Wie sehr auch AUREOLI damit dem Pakt-Modell verpflichtet ist, wird gleich noch deutlicher werden. 70 Commentaria super sententiarum Prooemium a 3 [a 4], ed. Rom 1605, S. 8aF–8bA: Tum quia agens liberum dicitur applicari ad agere, vel precibus vel multis aliis iis, et in omnibus verum est dicere quod illud applicans vere agit, unde | sancti dicuntur facere mirabilia, applicando virtutem divinam precibus suis ad agere illa mirabilia. Similiter Christus inquantum homo dicitur nos redemisse per passionem suam tanquam per precium. Confirmatur, quia ad interrogationem factam per quare? Respondetur, causa. Sed cum quaeritur, quare hoc fecit? Respondetur, quod precibus. Ergo preces vere habent ibi rationem causae, et tamen nonnisi applicative. Zu den wunderwirkenden Heiligen vgl. auch ebd., d 1, q 1, a 4, S. 18bA: Non aliter sancti dicuntur facere miracula, nisi per hoc, quod applicant divinam voluntatem ad agere, et tamen vere et per se sancti dicuntur agere mirabilia. 69
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beim Vollzug eines Sakraments die Gnade vermitteln und die Heiligung vollziehen, l¨asst sich auch von den Sakramenten sagen, indem sie die erforderlichen Umst¨ande herbeif¨uhren, sie heiligten im eigentlichen Sinne, w¨urden die Gnade erschaffen und das Brot in den Leib Christi transsubstantiieren – wenn auch nicht unter Beihilfe eines nat¨urlichen Akteurs wie beim Brandstifter und seinem Feuer, sondern mithilfe eines agens voluntarium:71 Daher verstehe ich es so, dass die Sakramente wahre Ursache der Gnade, und nicht nur des character sind. Und sie verursachen und waschen rein und heiligen und bewirken, was sie darstellen, und dies alles nicht nur akzidentiell, und auch nicht nur als causa sine qua non, sondern wie eine echte Ursache, eine causa per se, und eine Ursache cum qua sit – allerdings nicht durch irgendeine ihnen innewohnende Kraft, sondern allein durch die g¨ottliche Kraft, so dass jegliche Aktivit¨at, welche von der g¨ottlichen Kraft ausfließt, wahrhaftig und im eigentlichen Sinne den Sakramenten zuzurechnen ist, weil sie die intentio ad agere, die g¨ottliche Absicht, so zu handeln, zur Anwendung bringen. Und diese Anwendung oder Wirksamkeit ist ebenso wenig metaphorisch, wie auch der Brandstifter ein Haus nicht metaphorisch verbrennt, auch wenn er es nur dadurch verbrennt, dass er etwas Aktives auf etwas Passives anwendet.72
13.2.2 Sakramente als causae per se Indem P ETRUS AUREOLI die Sakramente als per-se-Ursachen der Gnade darstellt, betont er zwar noch st¨arker als T HOMAS, dass die Sakramente tats¨achlich ins Gnadengeschehen einbezogen seien, inhaltlich bleibt er aber auf der Seite des Pakt-Modells: Dass sich im Sakramentengeschehen die g¨ottliche Kraft auf den Empf¨anger anwenden l¨asst, funktioniert ja nicht aus einer dinglichen Notwendigkeit heraus wie beim Feuer des Brandstifters, sondern nur deshalb, weil Gott sich verpflichtet hat, bei Anwendung der Sakramente selbst tats¨achlich aktiv zu werden. Klingt bereits damit S COTUS’ Betonung der potentia ordinata an, so u¨ bernimmt AUREOLI, sobald er sich am Beginn seines Kommentars 71 Commentaria super sententiarum Prooemium a 3 [a 4], ed. Rom 1605, S. 8bA–B: Cum ergo Deus sic statuerit quod exhibitio sacramentorum inducat ipsum, et quod applicet et determinet ad effectum sanctificationis, quia ex hoc quod sacramenta et ministri ea exhibentes dicuntur proprie sanctificare, gratiam creare et panem in corpus Christi transsubstantiare, non quidem per accidens, immo proprie et veraciter sicut incendiarius dicitur incendere, non quod ibi est agens naturale, sed tantum voluntarium. 72 Commentaria super sententiarum Prooemium a 3 [a 4], ed. Rom 1605, S. 8bD–E: Sic ergo intelligo, quod sacramenta sunt vere causa gratiae, non solum characteris, et causant et abluunt et sanctificant et efficiunt quod figurant, non tantum per accidens nec ut causa sine qua non, immo sicut causa per se et cum qua sit, non per virtutem aliquam inhaerentem, sed per solam virtutem divinam; ut omnis actio fluens a virtute divina attribuatur sacramentis vere et proprie applicantibus intentionem ad agere. Nec ista applicatio vel efficientia est metaphorica, sicut ne incendiarius comburit domum metaphorice, licet tantum comburat per hoc quod applicat activa passivis.
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zur ersten Distinktion der Wirksamkeitsproblematik selbst zuwendet, auch entscheidende Aspekte der SCOTISCHEN Kritik am Mitwirkungs-Modell.73 Wie schon in der Frage nach den sch¨opferischen M¨oglichkeiten der Gesch¨opfe erweist sich AUREOLI allerdings auch bei der Wirksamkeitsfrage als kreativer Denker, der die vorhandenen Argumente weiterzuf¨uhren weiß. Dies zeigt sich insbesondere an einer Stelle, wo AUREOLI das von S COTUS ¨ stark gemachte Okonmieprinzip mit der ebenfalls bei S COTUS zu findenden Beobachtung in Verbindung bringt, dass ja auch die Vertreter der Mitwirkungsvariante von einem g¨ottlichen Pakt ausgehen m¨ussen: So h¨alt AUREOLI gegen die Vertreter der Mitwirkungs-Variante fest, es sei jenes Modell schlechter, das, um die Wirksamkeit der Sakramente erkl¨aren zu k¨onnen, von einer gr¨oßeren Anzahl an Pakten ausgehen m¨usse.74 Wer aber annehme, dass die Sakramente durch eine besondere Kraft eine Disposition zum Empfang der Gnade bewirkten, unterstelle damit die Existenz von mindestens vier Pakten: Erstens werde unterstellt, dass Gott den Sakramenten diese Kraft jedes Mal einpflanze – dies stellt bereits S COTUS fest. Zweitens werde aber dar¨uberhinaus auch angenommen, dass Gott sich bereit erkl¨art habe, die Absicht des Priesters zu unterst¨utzen – denn wenn ein Priester drei Hostien vor sich habe, aber nur eine zu konsekrieren beabsichtige, erfolge die Transsubstantiation auch nur in dieser einen.75 Drittens unterstelle dieses Modell, dass Gott sich verpflichtet habe abzuwarten, bis entweder die Ritual-Handlung abgeschlossen oder die rituelle Formel gesprochen worden sei – denn niemand gehe davon aus, dass beides in demselben Moment beendet werden m¨usse, obgleich beides zur Gnadenvermittlung notwendig sei. Als viertes komme gem¨aß diesem Modell schließlich hinzu, dass Gott die Gnade demjenigen gebe, der den character habe – dass Gott also 73 Vgl. etwa die Diskussion um die Silben, auf welche die Kraft verteilt sein m¨usste (Commentaria super sententiarum d 1, q 1 a 2, ed. Rom 1605, S. 13bE, dazu oben, S. 180 mit Anm. 45). So, wie bereits D URANDUS im Gefolge von S COTUS vor allem an der Transsubstantiation die Unhaltbarkeit der Mitwirkungsvariante darzulegen versucht (s.o., S. 194), zielt auch AUREOLI zuerst einmal auf die Problematik in sacramento dignissimo (ebd., d 1, q 1, a 1, S. 10bE–12aB). Zu AUREOLIS Anlehnung an S COTUS im Rahmen der Sch¨opfungsproblematik vgl. N IELSEN: Signification (1997), S. 237. 74 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 2, ed. Rom 1605, S. 13aA: Ille modus qui salvat efficaciam sacramentorum cum pluribus pactis et inconvenientibus non salvat aeque bene efficaciam sacramentorum sicut ille modus qui salvat efficaciam eorum cum paucioribus pactis et nullis inconvenientibus. Zu S COTUS’ These, dass auch die Vertreter des MitwirkungsModells von einem Pakt ausgehen m¨ussten, s.o., S. 187. 75 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 2, ed. Rom 1605, S. 13bB–C: Ponentes quod Sacramenta per virtutem infusam agunt ad dispositionem gratiae ponunt plura et superflua pacta. Probo, nam ad minus oportet quod ponant quatuor pacta. Et primum quidem pactum est de infusione illius virtutis, puta quod Deus accedente verbo ad elementum pepigerit infundere huiusmodi virtutem. Et secundum pactum est in electione; nam si sacerdos habeat tres hostias coram se et proferat verba sacramentalia, dirigendo intentionem suam ad unam tantum, illa quidem tantum et praecise convertitur per virtutem verborum in corpus Christi.
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gewissermaßen die in der Mitwirkungs-Variante vorausgesetzte Zwischenstufe der dispositio akzeptiere.76 Noch deutlicher als bereits bei S COTUS erweist sich das Pakt-Modell damit als die wesentlich schlichtere Variante, der schon allein deswegen vor dem Mitwirkungs-Modell der Vorzug zu geben w¨are. Dennoch unterscheidet sich AUREOLIS Erkl¨arungsweg, wie aus seiner L¨osung der Sch¨opfungsproblematik bereits deutlich geworden ist, in entscheidenden Punkten von demjenigen seines franziskanischen Vorg¨angers. Wo S CO TUS T HOMAS’ Instrumenten-Begriff zwar kritisiert,77 aber grunds¨atzlich mit ihm einig ist, dass sich dieser Terminus auf zur Anwendung gebrachte Dinge bezieht, schließt AUREOLI bei Dingen, die eine eigene Aktivit¨at besitzen, die Anwender dieser Dinge unter den Begriff der instrumentalen Ursache mit ein: Indem er das Feuer anlegt, ist f¨ur AUREOLI ein Brandstifter instrumentale Ursache des niedergebrannten Hauses. Es ist ihm durchaus bewusst, dass er damit einen Instrumenten-Begriff vorschl¨agt, der dem usus communis nicht entspricht;78 doch ist das f¨ur ihn insofern nicht weiter problematisch, als er die Sakramente ja ohnehin nicht nur f¨ur instrumentale Ursachen der Gnade h¨alt, sondern f¨ur causae per se. Diese Gedanken hat er zwar bereits in seinen Ausf¨uhrungen zur Sch¨opfungsproblematik dargelegt, greift sie aber im Rahmen der Frage nach der sakramentalen Wirkweise noch einmal auf, um nunmehr ein grunds¨atzlich radikalisiertes Verst¨andnis von Ursachen zu pr¨asentieren. Ausgehend von der Frage, ob im Pakt-Modell die Sakramente bloß causae sine quibus non oder causae per accidens seien,79 stellt AUREOLI einleitend klar, dass die Rede von causae sine quibus non unsinnig sei, weil es definitionsgem¨aß zum Wesen einer Ursache
76 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 2, ed. Rom 1605, S. 13bC–D: Tertium pactum est in expectatione, nam in sacramento baptismi, quod integratur ex ablutione et verbo, non enim oportet quod in eodem instanti indivisibili sit finis ablutionis et verborum; ergo si prius finiantur verba quam ablutio, oportet quod Deus pepigerit et quod expectabit quousque sit finita ablutio, vel e converso [...]. Quartum vero pactum est, quia pepigit Deus quod habenti characterem dabit gratiam, quod est pactum aliud a praedictis. 77 S.o., S. 186; AUREOLI teilt S COTUS’ Kritik an T HOMAS, vgl. Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 3, ed. Rom 1605, S. 14bC: Ego autem de istis opinionibus eligo et adhaereo opinioni secundae [arctificato] termino uno verbo; non enim video quod in instrumento artis sit virtus aliqua nisi tantum motus localis. 78 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 3, ed. Rom 1605, S. 17aC–E: Sacramenta non agunt instrumentaliter ad gratiam eo modo quo dictum est quod agunt instrumenta artis [...]. Nec agunt instrumentaliter, sicut agentia instrumentalia in naturalibus [...]. Quomodo ergo? Dico, quod agunt vere sicut agit agens applicans activa passivis, ut dictum est in praecedentibus, et ideo non proprie agunt instrumentaliter ut in communi usu accipimus instrumentum. 79 So die Fragestellung zum vierten und letzten Artikel der ersten Quaestio zu Distinktion 1: Utrum sacramenta sint causa gratiae per accidens, vel causa sine qua non (Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 17aF).
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geh¨ore, dass ohne sie eine Wirkung nicht eintreffe.80 Daher sei zwischen einer causa per se und einer causa sine qua non gar nicht zu unterschieden, wie AUREOLI mit einem k¨uhnen Verweis auf A RISTOTELES’ Analytica posteriora zu belegen sucht: Wenn die Negation eines Dings Ursache der Negation eines anderen sei, so sei die Affirmation dieses ersten Dings auch Ursache der Affirmation des zweiten – jede causa sine qua non sei stets auch causa cum qua sic.81 A RISTOTELES allerdings warnt ausdr¨ucklich vor solchen Schl¨ussen: Dass eine Mauer nicht atme, so sein Beispiel, lasse sich zwar damit begr¨unden, dass sie kein Lebewesen sei, weil alles, was atme, auch lebe. Das heißt aber noch nicht, das alles, was nicht atmet, deswegen kein Lebewesen ist, weil es durchaus nicht-atmende Lebensformen gibt.82 Tats¨achlich machte es ja eine causa sine qua non gerade aus, dass ihr Fehlen zwar notwendigerweise dazu f¨uhrt, dass kein Effekt eintrifft, so dass der fehlende Effekt mit dem Fehlen der causa sine qua non begr¨undet werden kann. Deren Anwesenheit sagt aber noch nichts dar¨uber aus, ob eine Wirkung tats¨achlich eintreffe: Zur¨uckgezogene Vorh¨ange sind causae sine quibus non, um Sonnenlicht in einen Raum zu lassen; so sehr sie aber nachts zur¨uckgezogen werden, bleibt es im Raum doch dunkel.83 80 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 17aF: Esse enim sine quo non circuit omnes causas, nam omnes causae sunt causae sine qua non. Hoc probo per Aristotelem, quod causa est universaliter per cuius negationem negatur effectus. Ergo omnis causa est causa sine qua non. Vgl. B OETHIUS: De differentiis topicis, PL 64 (1891), S. 1189D: Ubi materia deest, et quod ex materia efficitur, desit (dazu G OURON , A NDR E´ : cessante causa ` la naissance de l’adage, in: Comptes-rendus des s´eances de l’Acad´emie des cessat effectus. A Inscriptions et Belles-Lettres 143 (1999), S. 299–309, hier S. 305). 81 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 17aF–bA: Nec oportet distinguere causam sine qua non a causa per se, quod probo sic: cuius enim negatio est causa negationis, eius affirmatio est causa affirmationis, ex 1 Posteriorum. Ergo si aliquid sit causa sine qua non, cum eius negatio sit causa negationis effectus; er|go positio est causa positionis effectus; [go] quod est causa sine qua non, est causa cum qua sic. Vgl. Anal. post I 13, 78b 17f. (AL IV.1, S. 31): Si negatio causa est ipsius non esse, affirmatio est esse. 82 Vgl. Analytica posteriora I 13, 78b 21–31 (AL IV.1, S. 31): Similiter autem est si affirmatio ipsius esse, negatio est non esse. In his autem sic demonstratis non contingit quod dictum est; non enim omne respirat animal. Sillogismus autem fit huiusmodi causae in media figura. Ut sit a animal, in quo b respirare, in quo c paries. B quidem igitur omni est a (omne enim respirans animal est), in c autem nullo, quare neque b in c nullo est; non igitur respirat paries. Comparantur autem huiusmodi causarum secundum excellentiam dictis; hoc autem est plurimum distantem medium dicere, sicut est illud quod Anacharsidos, quod in Scytis non sunt sibilatores, neque enim vites. 83 Damit wird auch deutlich, worin in aussagenlogischer Terminologie AUREOLIS Fehlschluss liegt: Eine Implikation (a → b) l¨asst sich bekanntlich nur in die Form (¬ b → ¬ a) transformieren (Kontraposition), nicht aber in (¬ a → ¬ b). Die Implikation wenn kein Sakra” ment gespendet wird, dann findet auch keine Gnadenvermittlung statt“ (¬ s → ¬ g) ist daher nicht a¨ quivalent mit der Aussage wenn ein Sakrament gespendet wird, dann findet auch eine ” Gnadenvermittlung statt“ (s → g), sondern nur mit wenn eine Gnadenvermittlung stattfindet, ” dann ist auch ein Sakrament gespendet worden“ (g → s).
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Dass sich AUREOLI um diese Ungenauigkeit nicht weiter k¨ummert, h¨angt wohl damit zusammen, dass ihm immerhin noch die Unterscheidung zwischen causae per accidens und causae per se bleibt, auf welche sich zur¨uckf¨uhren l¨asst, was u¨ blicherweise mit der Abgrenzung der causae sine quibus non von den causae per se unterschieden wird.84 Doch ist auch diese Unterscheidung nicht unproblematisch, weil AUREOLI zu den causae per se nicht nur z¨ahlt, was eine Wirkung direkt und notwendig hervorbringt, oder, um es in AUREO LIS Terminologie zu sagen, woraus eine Wirkung herausfließt, sondern er z¨ahlt zu den per-se-Ursachen alles, durch dessen Anwendung ein Ding in ein an” deres Verh¨altnis zu Urs¨achlichkeit und deren Modus gesetzt ist, als es sonst w¨are.“85 Diese umst¨andliche Formulierung ist notwendig, damit AUREOLI seinen Grundgedanken aufrecht erhalten kann, dass n¨amlich auch die Sakramente causae per se der Gnade seien, obwohl die Gnadenwirkung nicht aus ihnen selbst direkt herausfließe. Anders als die reinen causae per accidens wie etwa ein Eigenname oder eine bestimmte Hautfarbe, welche mit dem Priester verbunden sind, ohne etwas zum Sakramentengeschehen beizutragen,86 und anders auch als die nicht verschlossene Kirchent¨ure, welche es dem Priester u¨ berhaupt erst erm¨oglicht, zum Altar zu gelangen,87 sind Sakramente und Priester tats¨achliche Akteure in der Gnadenvermittlung, weil sie durch die Anwendung der g¨ottlichen Kraft das Verh¨altnis von Ursachen und Wirkungen ver¨andern, welche im Sakramentenempf¨anger aktiv sind. Per-se-Ursachen bestehen daher nicht nur aus Ursachen, aus welchen ein Effekt selbst herausfließt, sondern auch aus solchen, welche mit einer anderen Ursache etwas machen, so dass aus dieser der Effekt fließen kann:88 84
So lehnt sich das eben gebrachte Beispiel des Vorhangs an ein Beispiel an, das AUREOLI selbst erst im Rahmen dessen anf¨uhrt, was er f¨ur eine reine causa per accidens h¨alt: Aperiens fenestram, certum est quod est causa illuminationis per accidens (Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 18aC). 85 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 18aC: Illud, per cuius applicationem aliquid se habet aliter ad causalitatem et modum causalitatis, quam alias se haberet, illud est causa per se. 86 AUREOLI verweist als Beispiel auf Poliklet, der causa per accidens domificationis sei, womit er die ARISTOTELISCHEN Beispiele des Bildhauers Poliklet aus Physik II 3, 195a, dessen Eigenname nur causa per accidens der Statue ist, und dasjenige des Baumeisters aus A RI STOTELES ’ Metaphysik (s.o., Anm. 27) vermischt, dessen weiße Haut nur causa per accidens des Hausbaus ist. 87 Das Beispiel stammt nicht von AUREOLI, doch verweist er in Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 18aC, auf Physik VIII 4, 255b, wo Hinderungsgr¨unde und das Entfernen von Hinderungsgr¨unden als causae per accidens ausgewiesen werden. 88 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 17bA: Non enim omnis causa est illa, a qua profluit effectus, nam [est etiam illa] a sine non profluit effectus. Quapropter ratio causae per se non est accipienda penes hoc, quod ab ipsa profluit effectus, vel causa quae facit aliquid circa causam, quo facto ab ipsa profluit effectus; sicut illud quod per se facit aliquid circa ens, quo facto effectus effluit ab illo efficiente, illud dicitur causa per se.
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Von daher ist zur vorliegenden Problematik zu sagen, dass die Sakramente per-se-Ursachen der Gnade sind – allerdings nicht so, dass ihre Urs¨achlichkeit per se w¨are und vorrangig in der Wirkung der Gnade (denn einzig die g¨ottliche Urs¨achlichkeit f¨uhrt per se und vorrangig zur Gnade). Aber sie sind per-se-Ursache der Gnade, weil sie etwas im Hinblick auf die Ursache tun, aus der der Effekt ausfließt: Sie applizieren n¨amlich die g¨ottliche Kraft zum Handeln, welche sonst nicht handeln w¨urde, wenn sie nicht so appliziert worden w¨are.89
Zeigt AUREOLI mit dieser spezifischen Ursachentheorie auf, wie im Rahmen der Pakt-Variante die Sakramente als Ursachen der Gnade gelten k¨onnen, ohne dass er wie S COTUS auf einen ganz spezifischen Instrumentenbegriff zur¨uckgreifen muss und ohne dass er – wie bereits R ICHARD F ISHACRE und ausgepr¨agter noch D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN – die Sakramente zu bloßen causae sine quibus non degradieren muss, bleibt ihm doch noch ein Problem: So sehr n¨amlich der Brandstifter als per-se-Ursache des Hausbrandes gelten mag, ist es doch v¨ollig klar und geradezu eine Grundlage dieses Modells applikativer Ursachen, dass die Kraft, welche das Haus niederbrennt, nicht im Brandstifter selbst, sondern im Feuer liegt – auch die Sakramente wirkten daher, wie AUREOLI mehrfach betont, nicht aus einer in ihnen liegenden Kraft an der Gnadenvermittlung mit.90 Und an dieser Stelle droht nun auch AUREOLI mit den dicta sanctorum in Konflikt zu geraten – bereits T HOMAS sieht sich ja nur propter auctoritates veranlasst, u¨ berhaupt von einer solchen virtus auszugehen.91 AUREOLI allerdings sieht keinen unmittelbaren sachlichen Anlass, sich mit der Frage einer sakramentalen Wirkkraft zu befassen. Vielmehr greife er, so gesteht er offen, die Problematik nur wegen einer gewissen Meinung“ auf: Diese ” Meinung besage, dass einige auctoritates andeuteten, es enthielten die Sakramente eine solche Kraft, sodass aus Ehrerbietung diesen Heiligen gegen¨uber nun anzunehmen sei, es befinde sich u¨ ber die g¨ottliche Kraft hinaus in den Sakramenten eine aktive Qualit¨at, welche ihnen formaliter anh¨ange und mittels derer Gott wie mit einem Instrument die Gnade ausfließen lasse.92 Ausgangs89
Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom 1605, S. 17bD–E: Tunc ad propositum, sacramenta sunt causa gratiae per se, non quod eorum causalitas sit per se et primo in effectum gratiae (sola enim causalitas divina attingit per se et primo ipsam gratiam). Sed sunt causa gratiae per se, quia aliquid faciunt circa causam, a qua profluit effectus: applicant enim virtutem divinam ad agere, quae alias non ageret, nisi sic applicata. 90 S.o., S. 212, in der ersten H¨alfte des im Kleindruck zitierten Textes, sowie die beiden propositiones Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 9bB und 10bD. 91 S.o., S. 159, sowie dieselbe Konstellation bei S COTUS, oben, S. 183. 92 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 9bC: Hoc dico propter quandam opinionem, quae dicit quod propter reverentiam exhibendam sanctis, quorum auctoritates sonant virtutem aliquam infundi sacramentis, oportet ponere quod praeter virtutem divinam sit in ipsis sacramentis qualitas aliqua acitva formaliter inhaerens quae mediante, sicut instrumento, Deus infundat gratiam suam.
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Kapitel 13: Delegitimierung der traditionellen auctoritates-Interpretation
punkt der Annahme einer Wirkkraft in den Sakramenten blieben – darin ist auch S COTUS mit T HOMAS einig gewesen – einige dicta sanctorum. So wie aber bereits D URANDUS im Hinblick auf die Ursachen-Frage festgestellt hat, dass er gar keine auctoritas kenne, welche eine solche Urs¨achlichkeit behauptet habe, h¨alt nun mit Blick auf die Rede von einer inneren Kraft auch AUREOLI programmatisch fest: Ich, ich habe bisher keine einzige auctoritas irgendeines Heiligen gesehen, welche die Schlussfolgerung dieser Position eher auszudr¨ucken scheint als deren Gegenteil, weshalb ich an [dieser] Meinung nicht festhalte, welche ich mit Bestimmtheit u¨ bern¨ahme, wenn ich auch nur die kleinste auctoritas hierzu f¨ande. Diese Meinung aber, die ich (wie eben gesagt) nicht teile, war [die Meinung] des alten Magisters Alexander.93
Neben einer kurzen Berichtigung an die Adresse von D URANDUS, dass mit A LEXANDER VON H ALES durchaus ein antiquus schon Jahre vor T HOMAS die Mitwirkungs-Variante vertreten habe, u¨ bertr¨agt AUREOLI dessen kritische Auslegungsweise der auctoritates nunmehr auf die Kraft-Problematik. Den fast schon historisch-kritischen Sinn, den AUREOLI mit dieser kleinen Korrektur an D URANDUS beweist, benutzt er nun auch im Hinblick auf die fraglichen auctoritates, indem er sie in ihrem jeweiligen Kontext zu lesen versucht.94 Beachte man allerdings deren circumstantia, so doppelt AUREOLI nach, dann gebe es keine auctoritas irgendeines Heiligen – und insbesondere keine unter jenen, welche zur St¨utzung der Mitwirkungs-Variante angef¨uhrt w¨urden, – die so klinge, als ob den Sakramenten selbst eine solche Kraft inne sei.95 Das gilt schon f¨ur jenes ber¨uhmte AUGUSTIN-Zitat, das explizit nach jener so großen Kraft des Taufwassers fragt, dass sie den K¨orper ber¨uhren und dabei das Herz reinwaschen kann.96 Obwohl AUGUSTIN hier von der sakramentalen 93
Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 9bC: Ego autem non vidi adhuc auctoritatem aliquam alicuius sancti quae magis videatur exprimere conclusionem istius positionis quam eius oppositum, propter quod opinionem non teneo, quam tenerem utique si ad hoc auctoritatem minimam reperirem. Fuit enim haec opinio Magistri Alexandri antiqui, quam (ut dixi) non teneo. 94 AUREOLI spricht von der verborum expressa circumstantia. Es deutet aber nichts darauf hin, dass AUREOLI hier eine eingehende Lekt¨ure der patristischen Schriften unternommen h¨atte, aus welchen die auctoritates stammen: Drei der vier diskutierten Zitate entnimmt er explizit dem Decretum Gratiani, bei der vierten spielt der Kontext-Bezug keine Rolle. 95 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 9bE: Nulla auctoritas est alicuius sancti, specialiter nulla de illis quas opinio pro se adducit, quae sonet in Sacramentis esse aliquam talem virtutem infusam inhaerentem. F¨ur eine direkte Rezeption dieser Autorit¨aten-Interpretation vgl. T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria IV d 2, q 1, ed. Venedig 1564, fol. 65va. 96 AUGUSTIN: In Iohannis evangelium Tractatus 80, n. 3, CCSL 36 (1954), S. 529, l. 9–12: Unde ista tanta virtus aquae, ut corpus tangat et cor abluat, nisi faciente verbo, non quia dicitur, sed quia creditur? Nam et in ipso verbo, aliud est sonus transiens, aliud virtus manens. S.o., S. 123, und vgl. Decretum Gratiani II, c 1, q 1, can 54, ed. Leipzig (1879), Sp. 379.
13.2 Petrus Aureoli
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Kraft der Taufworte spricht, erkl¨art er doch im unmittelbaren Anschluss, dass eines verg¨anglicher Klang und ein anderes bleibende Kraft sei: aliud est sonus transiens, aliud virtus manens. Damit aber kann er, so AUREOLI, nur die g¨ottliche Kraft gemeint haben, welche den Sakramenten assistiere, denn manens k¨onne unm¨oglich auf eine Kraft bezogen werden, die bloß in fieri und in fluxu in einem Sakrament sei, welchem ohnehin nur eine beschr¨ankte Dauer zukomme.97 T HOMAS’ Modell eines esse fluens widerspreche daher der AUGU STINISCHEN auctoritas, welche explizit ein Verbleiben dieser Kraft behauptet, was umgekehrt mit AUREOLIS Variante, gem¨aß welcher im Sakramentenvollzug die g¨ottliche Kraft selbst appliziert werde, problemlos vereinbar ist. Ebenso verh¨alt es sich auch mit einem Zitat aus AUGUSTINS Contra Faustum, das T HOMAS in seiner Summa theologiae angef¨uhrt hat: Auch dort halte AUGU STIN explizit fest, dass die Kraft, welche durch die sakramentalen Worte wirke, fortw¨ahrend verbleibe, was mit T HOMAS’ esse fluens aus den genannten Gr¨unden nicht vereinbar sei.98 AUREOLI untersucht noch zwei weitere Zitate: Eines von A MBROSIUS, das die Kraft des g¨ottlichen Wortes r¨uhmt und sich daher, so AUREOLI, gar nicht auf die Sakramente beziehen l¨asst, die sich ja aus dinglichen Elementen und menschlichen Worten zusammensetzten.99 Eine letzte auctoritas schließlich ist 97 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 10aA–B: Hoc quod dicit manens, est contra opinionem dupliciter. Primo, quia opinio ponit qualitatem illam et virtutem esse in sacramentis tantum in fluxu et in fieri. Sed auctoritas dicit virtus manens. Secundo, quia isti ponunt virtutem illam formaliter inhaerere sacramentis. Ergo oportet quod transeat transeunte sacramento. Sed auctoritas dicit quod transeunte sono remanet virtus manens. 98 AUGUSTIN: Contra Faustum XIX 16, CSEL 25 (1891), S. 513: Deus enim aeternus est, nec tamen aqua et omnis illa actio corporalis, quae agitur cum baptizamus, et fit, et transit, aeterna est [...]. Haec omnia fiunt et transeunt, sonant et transeunt: virtus tamen quae per ista operatur, iugiter manet, et donum spiritale quod per ista insinuatur, aeternum est. Vgl. T HOMAS VON AQUIN: Summa theologiae q 62, a 1, resp, ed. Caramello (1956), S. 349a, der die Stelle allerdings nicht anders als AUREOLI versteht: Haec omnia, scilicet sacramentalia, fiunt et transeunt, virtus tamen, scilicet Dei, quae per ista operatur, iugiter manet. Allerdings diskutiert T HOMAS hier nicht die Frage nach einer Kraft in den Sakramenten, sondern jene der sakramentalen Urs¨achlichkeit. Dennoch f¨uhrt AUREOLI aus: Si per virtutem operantem in sacramentis vis intelligere inhaerentem, ecce quod auctoritas ex alia parte expresse sonat oppositum (Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 10aD). 99 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 10aD: Ex hac auctoritate volunt illi de praefata opinione habere intentum suum, nam sermonem Christi, quo sacerdos utitur, dicit esse operativum et potestativum, licet non potestate alia quam sibi infusa. Sed circumstantiae aliae horum verborum ostendunt auctoritatem ipsam magis esse ad oppoistum, nam exponens se, statim subdit: Quis sermo Christi, hic nempe quo facta sunt omnia, iussit et facta sunt caelum, terra et mare [...]. Sed manifestum est quod tale verbum non est verbum creatum, sed increatum; ergo nec virtus operativa talis verbi est creata, sed increata; non ergo virtus infusa. Zur Diskussion steht ein Abschnitt aus A MBROSIUS: De mysteriis c 9, n 52, ed. Faller, CSEL 73 (1955), S. 112, der bereits im Decretum Gratiani III d 2, can 55, ed. Leipzig (1879), Sp. 1334f., angef¨uhrt worden ist.
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Kapitel 13: Delegitimierung der traditionellen auctoritates-Interpretation
deshalb interessant, weil insbesondere T HOMAS sie mehrfach AUGUSTIN zugeordnet hat, obwohl sie in dessen Schriften, wie AUREOLI betont, nicht zu finden ist. Vielmehr, so AUREOLI, stamme sie von G REGOR DEM G ROSSEN,100 was ihre Autorit¨at nat¨urlich nicht schm¨alert, aber doch unterstreicht, wie wenig sich AUREOLIS Gegner offensichtlich um die circumstantiae ihrer auctoritates gek¨ummert haben. Auch AUREOLI hat sich allerdings nicht selbst bei G REGOR kundig gemacht, sondern vertraut auf die Zuweisung der auctoritas im Decretum Gratiani – was sich in diesem Fall als Fehlinformation erweist, weil der Ausspruch auch nicht von G REGOR DEM G ROSSEN, sondern urspr¨unglich von I SIDOR VON S EVILLA stammt.101 Selbst diese Zuordnung h¨atte an ihrer Autorit¨at keine Abstriche gemacht – AUREOLI allerdings zielt ohnehin nicht darauf ab, die Autorit¨at der auctoritas zu hinterfragen, sondern es liegt ihm daran zu zeigen, dass sie inhaltlich nicht so gedeutet werden kann, wie seine Gegner sie offensichtlich verstanden haben. Inhaltlich besagt I SIDORS Ausspruch, dass der Name ‘Sakrament’ daher komme, weil unter dem Deckmantel k¨orperlicher Dinge eine g¨ottliche Kraft im Verborgenen das Heil dieser Sakramente bewirke.102 In der Summa Halensis ist dieses Zitat noch gegen eine Kraft in den Sakramenten angef¨uhrt worden, weil damit ja ganz offensichtlich best¨atigt werde, dass nicht die Sakramente selbst etwas bewirkten.103 Seit T HOMAS wollen die Vertreter der MitwirkungsVariante aus dem Zitat nun aber ableiten, dass tats¨achlich in den Sakramenten eine Kraft anzunehmen sei, weil nur so gesagt werden k¨onne, dass sie in sich 100
Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 10aF: Quarta auctoritas est Gregorii, sicet quidam dicant quod est Augustini, quoniam in libris Augustini inveni nunquam. F¨ur T HOMAS’ Zuweisung der auctoritas zu AUGUSTIN vgl. In sententias prol., ed. Moos (1947), S. 2; ebd., d 1, q 1, a 1, qc 4, arg 1, S. 10f.; oder De articulis fidei pars 2, ed. Verardo (1954), S. 147. Vgl. aber auch die n¨achste Anmerkung. 101 Damit ist auch dieser Fall noch kein Beleg daf¨ur, dass sich AUREOLI tats¨achlich eingehender mit AUGUSTINS Schriften auseinandersgesetzt hat. Vgl. I SIDOR VON S EVILLA: Etymologiae VI 19, n 40, ed. Lindsay (1911), sowie Decretum Gratiani II, c 1, q 1, can 84, ed. Leipzig (1879), Sp. 387f., auf welches sich AUREOLI erneut explizit bezieht und das schon P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 13, c 3, ed. Grottaferrata (1981), S. 311f. ausf¨uhrlich exzerpiert hat. Auch T HOMAS f¨uhrt das Zitat in seiner Summa theologiae III q. 84 a. 1 arg. 1, ed. Caramello (1956), S. 530a, schließlich auf G REGOR zur¨uck. 102 Quae ob id sacramenta dicuntur, quia sub tegumento corporalium rerum virtus divina secretius salutem eorundem sacramentorum operatur; unde et a secretis virtutibus vel a sacris sacramenta dicuntur. Quae ideo fructuose penes ecclesiam fiunt, quia Sanctus in ea manens Spiritus eundem sacramentorum latenter operatur effectum (I SIDOR VON S EVILLA: Etymologiae VI 19, n 40f., ed. Lindsay (1911)). AUREOLI f¨uhrt das Zitat in verk¨urzter und f¨ur seine Belange schon leicht modifizierter Version an: Sacramentum est, sub cuius tegumento virtus divina operatur sola et intra effectum sacramentorum, virtus Spiritus Sancti latens in eis operatur (Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 10aF). 103 Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 2, ed. Lyon 1516, fol. 48va: Igitur ut videtur Dominus operatur per sacramenta, non autem sacramenta ipsa nisi sicut organa.
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etwas verbergen w¨urden. AUREOLI allerdings stellt fest, dass aus dem Kontext der auctoritas erneut das Gegenteil geschlossen werden muss, denn im Folgenden werde da ausdr¨ucklich gesagt, dass jene Kraft allein eine g¨ottliche, und nicht eine menschliche sei.104 Tats¨achlich findet sich im Decretum im Anschluss an das erw¨ahnte I SIDOR-Zitat eine entsprechende Aussage, die ebenfalls unter dem Namen G REGORS DES G ROSSEN u¨ berliefert wird und die in den Sakramenten wirkende Kraft als solummodo divina bezeichnet.105 F¨ur AUREOLI ist damit klar, dass die Vertreter der Mitwirkungs-Variante auch dieser letzten auctoritas nicht gerecht werden, weil sie neben Gottes Gnadenwirken f¨ur den eigenen Effekt der Sakramente eine eigene, zus¨atzliche Kraft annehmen. Sein Modell aber, laut welchem im Sakramentenvollzug allein die g¨ottliche Kraft zur Wirkung gebracht wird, steht, so ist AUREOLI u¨ berzeugt, widerspruchslos auch mit dieser auctoritas im Einklang. P ETRUS AUREOLI hat damit dargelegt, wie seine eigene Lesart der PaktVariante nicht nur rationaliter alle Vorz¨uge auf sich vereinen kann, sondern bei genauer Lekt¨ure und kritischer Begutachtung auch die traditionellen auctoritates auf seiner Seite weiß. Sein Umgang mit den traditionellen dicta sanctorum ebenso wie seine Diskussion der herk¨ommlichen Modelle der Wirksamkeitsdebatte zeugen von einem unvoreingenommenen Blick, der ihm bisweilen zu ungewohnten Ans¨atzen verhilft: So f¨uhrt er ein Ursachen-Verst¨andnis ein, das die causae sine quibus non nicht mehr den causae per accidens, sondern den causae per se zuordnet; er pr¨asentiert einen Instrumenten-Begriff, der nicht nur die Werkzeuge selbst, sondern auch die Anwender eines eigenaktiven Werkzeugs unter die instrumentalen Ursachen z¨ahlt; in diesem instrumentalen Sinn h¨alt er es f¨ur m¨oglich, dass Gesch¨opfe in ein Sch¨opfungsgeschehen mit eingebunden sind; und so ist es im Sakramentengeschehen denn auch nicht Gott, der sich zur Gnadenvermittlung der Sakramente bedient, sondern die Priester sind es, die anhand der Sakramente die g¨ottliche Kraft auf den Empf¨anger applizieren.106 104 Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 10aD: Ex hac auctoritate volunt habere illi de opinione alia, quod sit virtus aliqua infusa sacramentis, | dicit enim, quod sub tegumento, et similiter latens in eis. Sed manifestum est, quod alia circumstantia istam auctoritatem trahit ad oppositum, nam sequitur: divina enim virtus est sola haec, non humana; ergo intentio sua est, quod in sacramentis non sit virtus alia quam virtus increata. 105 Decretum Gratiani II, c 1, q 1, can 84, ed. Leipzig (1879), Sp. 388: Hoc de corpore et sanguine Domini nostri Iesu Christi, hoc etiam de baptismate et chrismate sentiendum est et tenendum, quia virtus divina secretius operatur in eis, et divina solummodo haec est virtus sive potestas, non humanae efficaciae. Die Herkunft dieses Einschubs im Decretum ist unbekannt: Er stammt weder aus I SIDOR, wie der vorangehende Text, noch aus H IERONYMUS’ MalachiKommentar, woraus der direkt nachfolgende Text exzerpiert ist. 106 Augenf¨allig wird diese Umkehrung in der Gegen¨uberstellung eines Zitats aus T HOMAS’ Summa theologiae III q. 62 a. 1 resp., ed. Caramello (1956), S. 349a: Hoc modo sacramenta novae legis gratiam causant: adhibentur enim ex divina ordinatione ad gratiam in eis causandam, mit einem Zitat aus AUREOLI, Commentaria super sententiarum d 1, q 1, a 4, ed. Rom
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Kapitel 13: Delegitimierung der traditionellen auctoritates-Interpretation
Trotz dieser teils quer zu den herk¨ommlichen Meinungen stehenden Ansichten erweist sich AUREOLI aber als klarer Verfechter des Pakt-Modells: Denn Gott hat sich, so AUREOLIS Ansatz, in einer freien Entscheidung bereit erkl¨art, seine Kraft bei korrekter Anwendung der Sakramente applizieren zu lassen. Auch wenn er kaum deren Vokabular und Beispiele aufgreift, steht AUREOLI daher in einer Tradition mit S COTUS und D URANDUS: Dar¨uber hinaus verbindet ihn mit S COTUS nicht nur die eingehende Beachtung der Sch¨opfungsproblematik, sondern er teilt auch große Teile von dessen Kritik an T HOMAS; mit D URANDUS schließlich verbindet ihn jener kritische Blick auf die auctoritates, der es ihm u¨ berhaupt erst erm¨oglicht, die Legitimit¨at der traditionellen Auslegung dieser auctoritates grundlegend zu hinterfragen.107
1605, S. 17bE: Sacramenta sunt causa gratiae per se [...]: applicant enim virtutem divinam ad agere. 107 Es ließe sich grunds¨atzlich fragen, ob wirklich AUREOLI von D URANDUS, und nicht vielmehr D URANDUS von AUREOLI inspiriert gewesen sei, die auctoritates so grundlegend zu hinterfragen: Zumindest die dritte Redaktion von Buch IV seines Sentenzenkommentars verfasst D URANDUS bekanntlich erst zwischen 1324 und 1327, also nach AUREOLIS Tod (vgl. KOCH: Durandus (1927), S. 84). Um dies zu kl¨aren, m¨usste aber eine eingehendere Pr¨ufung der unterschiedlichen Redaktionen von D URANDUS’ Kommentar erfolgen, als im vorliegenden Kontext geboten werden kann. Die konventionelle Interpretation, dass AUREOLI auf D URAN DUS reagiere, bietet etwa N IELSEN : Signification (1997), S. 236f.
Kapitel 14
Ergebnisse und Ausblick 14.1 Conclusiones Von T HOMAS u¨ ber S COTUS zu D URANDUS und P ETRUS AUREOLI ver¨anderten sich die Rahmenbedingungen der Diskussion um die sakramentale Wirksamkeit grundlegend: In der Mitte des 13. Jahrhunderts stand noch so eindeutig fest, was die Meinung der sancti zur Wirksamkeitsfrage sei, dass R ICHARD F ISHACRE und B ONAVENTURA sich gezwungen sahen, eine letztlich metaphorische Auslegung der auctoritates zu propagieren. Dies veranlasste T HO MAS, deren Pakt-Modell abzulehnen und nach rationalen Begr¨ undungen auch der Mitwirkungs-Variante zu suchen. Mit S COTUS begann sich der Blick auf die auctoritates allerdings zu ver¨andern: Zwar verstand auch er die dicta sanctorum weiterhin in einem sehr traditionellen Sinn, doch schienen ihm deren Aussagen der Pakt-Variante nicht zu widersprechen, sondern diese vielmehr zu autorisieren. Damit o¨ ffnete sich im Verst¨andnis der auctoritates ein Interpretationsspielraum, der es der nachfolgenden Generation erm¨oglichte, mit einem unerwartet kritischen Blick an die dicta sanctorum heranzutreten: D URANDUS stellte im Hinblick auf die Ursachenfrage fest, dass gar keine auctoritas die Sakramente tats¨achliche Ursachen nenne; und AUREOLI kam schließlich im Hinblick auf eine den Sakramenten innewohnende Kraft zu demselben Ergebnis. So sehr diese auctoritates-Auslegungen vom jeweiligen Verst¨andnis der sakramentalen Wirksamkeit abhingen, war damit doch die einstige Eindeutigkeit einer gewissen Beliebigkeit gewichen: Denn schon allein die M¨oglichkeit, dass sich die auctoritates allenfalls f¨ur beide Modelle verwenden ließen, schm¨alerte ihren Wert als Argumente f¨ur die eine oder andere Position. Bezeichnenderweise spielte die Autorit¨atenfrage daher bei den Kommentatoren des weiteren 14. Jahrhunderts kaum mehr eine Rolle,1 so dass auch die Position bedenkenlos vertreten werden konnte, es seien die Sakramente bloß in uneigentlichem 1 So h¨alt T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria IV d 2, q 1, ed. Venedig 1564, fol. 64rb, im Hinblick auf die Ursachenfrage in knappen Worten fest: Auctoritates etiam, quas iste doctor [sc. Thomas] inducit pro se, non sunt contra me, ut patebit in sequenti conclusione. Im Hinblick auf eine den Sakramenten innewohnende Kraft wird er etwas ausf¨uhrlicher (ebd. fol. 65va), h¨alt sich aber weitgehend an AUREOLIS Darstellung.
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Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
Sinne selbst in die Gnadenvermittlung involviert.2 Zwar wurde bisweilen noch erw¨ahnt, dass T HOMAS’ Darlegungen ihren Ausgangspunkt bei einem ganz spezifischen Autorit¨aten-Verst¨andnis genommen habe, doch veranlasste auch ¨ dies nicht mehr dazu, eingehendere Uberlegungen zur Auslegung dieser auc3 toritates anzustellen. Vielmehr fanden sich im Rahmen von Leit-Argumenten quod sic / quod non der jeweiligen Quaestionen zur Wirksamkeitsproblematik immer o¨ fter weder die traditionellen, noch irgendwelche neuen Autorit¨aten, sondern bloß noch rationale Argumente.4 Die ratio schien u¨ ber die auctoritas den Sieg davonzutragen.
14.2 Sieg der ratio: Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell des JAKOB VON E LTVILLE Mit diesem – vorl¨aufigen – Sieg der ratio l¨autete auch das Pakt-Modell seinen Siegeszug ein. Im Gegensatz zur Mitwirkungs-Variante stand dessen Rationalit¨at nie zur Diskussion, und so schloss sich ein Großteil der Autoren des
2
Dass die Sakramente causae sine quibus non seien, vertritt insbesondere auch W ILHELM O CKHAM: Reportatio in quartum sententiarum q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 14 (dazu unten, Kap. 23.1.1). Gar eine rein metaphorische Redeweise bei der Bezeichnung der Sakramente als Ursachen der Gnade unterstellt, wie bereits erw¨ahnt, ROBERT H OLKOT: Super quatuor libros sententiarum IV d 1, ed. Lyon 1510, fol. o1vb (s.o., S. 60). Auch M ICHAEL A IGUANI: In quatuor libros sententiarum IV d 2, q un., c 1, ed. Venedig 1622, h¨alt fest quod novae legis sacramenta gratiae, quam conferunt, non proprie sunt effectiva causa (S. 344aB), wozu er ein Argument als Best¨atigung anf¨uhrt, das T HOMAS noch umgekehrt dazu gedient hat, die Unhaltbarkeit dieser Position zu belegen: Wie n¨amlich die von B ERNHARD VON C LAIRVAUX angef¨uhrten Beispiele zeigten (dazu oben, S. 130), handle es sich bei Bundeszeichen um reine Zeichen, und nicht um Ursachen (ebd. D: sunt signa, et non causae; vgl. dagegen T HOMAS VON AQUIN : In sententias d 1, q 1, a 4, qc 1, ad 1, ed. Moos (1947), S. 33: Anulus est signum et baculus, et similiter sacramenta; sed sacramenta ulterius sunt causae). 3 So f¨uhrt P ETRUS DE AQUILA: Quaestiones in sententiarum IV d 1, q 3, ed. Paolini (19071909), S. 11f. vier auctoritates zur St¨utzung von T HOMAS’ Position an, widerlegt die Position dann aber bloß rationaliter unter weitgehender Anlehnung an S COTUS, ohne weiter auf die ¨ auctoritates einzugehen (dazu Z AHND: Sentenzenkommentare (2011), S. 63f.). Ahnlich verh¨alt es sich auch etwa bei P IERRE D ’A ILLY Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Paris 1515, fol. 224va–225vb (dazu unten, Kap. 23.1.2). 4 So bereits F RANCISCUS DE M ARCHIA: Principium in quartum, ed. Schabel (2006), S. 60. Sehr a¨ hnlich dann T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria IV d 2, q 1, ed. Venedig 1564, fol. 63rb; und in dessen Gefolge KONRAD VON S OLTAU: Clm 14259 IV d 1, q 3, fol. 145rb. Auch J OHANNES VON M IRECOURT, einer der wenigen Vertreter der Mitwirkungs-Variante des 14. Jahrhunderts, greift in den Argumenta nicht auf die dicta sanctorum zur¨uck (Paris, BNF lat. 15883 IV princ., fol. 133rb). Immerhin spielt M ICHAEL A IGUANI: In quatuor libros sententiarum IV d 2, q un., c 1, ed. Venedig 1622, S. 343f., im Rahmen der Frage, ob Gesch¨opfe etwas erschaffen k¨onnen, zwei Zitate aus P ETRUS ’ Sentenzen gegeneinander aus. VON
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
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14. Jahrhunderts der Argumentation insbesondere von S COTUS an.5 Allerdings beugten sich auch die wenigen Vertreter der Mitwirkungs-Variante dem Diktat der Zeit und argumentierten zu Gunsten ihrer Position, ohne dabei noch groß ¨ auf auctoritates zur¨uckzugreifen. Gleichsam zur Uberpr¨ ufung der geschilderten Entwicklung sei dies an einem Kommentar aufgezeigt, der aus der zweiten H¨alfte des 14. Jahrhunderts stammt und der f¨ur den weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung noch von Bedeutung sein wird. Es handelt sich um den Sentenzenkommentar JAKOBS VON E LTVILLE. Der Zisterzienser JAKOB VON E LTVILLE (gestorben 1393) kommentierte P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen in Paris im akademischen Jahr 1369/1370.6 Der Wirksamkeitsproblematik widmet er sich im Rahmen einer ersten von insgesamt sechs Quaestionen seines Kommentars zu Buch IV. Diese geringe Quaestionen-Zahl zeigt, dass JAKOBS Auslegung ein typisches Produkt des sp¨ateren 14. Jahrhunderts ist und damit jene Entwicklungen aufnimmt, welche oben in Kapitel 4 des ersten Teils beschrieben worden sind. Dies gilt insbesondere auch f¨ur jene Gewohnheit der Autoren des sp¨ateren 14. Jahrhunderts, ganze Passagen ihrer Kommentare direkt aus den Werken a¨ lterer Scholastiker abzuschreiben. Dem Ph¨anomen dieser sogenannten Lecturae secundum alios wird sich der n¨achste Teil der vorliegenden Arbeit am Beispiel etwas sp¨aterer Autoren noch ausf¨uhrlich widmen, doch l¨asst sich kaum u¨ ber JAKOB VON E LTVILLE sprechen, ohne die Quellenfrage nicht zumindest angeschnitten zu haben. Weil nun JAKOB in den hier interessierenden Stellen weitgehend selbst¨andig zu formulieren scheint, seien die Quellen der vorliegenden Quaestio nur an einem Beispiel etwas eingehender aufgeschl¨usselt; dar¨uber hinaus sollen als Best¨atigung und Erg¨anzung bisheriger Untersuchungen bloß einige Beobachtungen angemerkt werden.
5
Vgl. dazu oben, S. 128 mit Anm. 31. RS 384. Zu JAKOB VON E LTVILLE vgl. neben BAKKER , PAUL J.J.M.: La raison et le miracle : les doctrines eucharistiques (c.1250–c.1400). Contribution a` l’´etude des rapports entre philosophie et th´eologie, Diss. Nijmegen, 1999, II, S. 49–83, und BAKKER , PAUL J.J.M./ S CHABEL , C HRISTOPHER: Sentences Commentaries of the Later Fourteenth Century, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 425–464, 443–461, nun v.a. C ALMA , M ONICA: La d´efinition du Viator dans les Commentaires des Sentences au XIVe si`ecle, in: W EIJERS , O LGA (Hrsg.): Les innovations du vocabulaire latin a` la fin du moyen aˆ ge. Autour du glossaire du latin philosophique (actes de la journ´ee d’´etude du 15 mai 2008), Turnhout: Brepols, 2010, S. 45–59. Die vorliegende Untersuchung basiert auf den Manuskripten Br¨ugge, Bib.ville 181 (im folgenden auch ‘B’) und Clm 11591 (im folgenden auch ‘E’). Das M¨unchner Manuskript galt lange als Zeuge eines Kommentars des H EINRICH VON L ANGEN STEIN , dazu ausf¨ uhrlich unten, S. 284. 6
226
Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
14.2.1 Zur Quellenfrage in Jakobs Behandlung der Wirksamkeitsproblematik ¨ DAMASUS T RAPP behauptete wegen Ubernahmen aus dem Werk des J OHAN NES H ILTALINGEN VON BASEL, beim Kommentar JAKOBS VON E LTVILLE handle es sich um eine Lectura secundum Johannem de Basilea. In j¨ungeren Studien allerdings hat sich diese These als unhaltbar erwiesen, weil in eingehenden Textvergleichen eine ganze Reihe weiterer Vorlagen ausgemacht worden ist.7 Diese weiteren Vorlagen stammen sowohl aus Pariser Kommentaren (T HOMAS VON S TRASSBURG, A LFONSUS VARGAS TOLETANUS, G REGOR VON R IMINI ), als auch aus dem Oxforder Umfeld (ROBERT H OLKOT, O SBERT P ICKINGHAM ). Dabei zeigt sich, dass JAKOB die englischen Kommentare vor allem dazu benutzt, um seine eigenen Thesen im Rahmen von Obiectiones in Frage zu stellen, w¨ahrend er die Pariser Kommentare und insbesondere jenen von T HOMAS VON S TRASSBURG auch beizieht, um in Correlaria Konsequenzen aus seinen Thesen aufzuzeigen oder um die Thesen selbst zu begr¨unden.8 In der vorliegenden Quaestio best¨atigt sich dieses Schema grunds¨atzlich: T HOMAS VON S TRASSBURG dient schon in einem einleitenden Notandum zur Definition der Sakramente als ausf¨uhrlich benutzte, noch ungenannte Vorlage; sp¨ater im Text findet er etwa im Rahmen einer Obiectio auch namentlich Erw¨ahnung.9 Im Rahmen des Notandum stellt JAKOB seine Vorlage zudem sehr großz¨ugig um, so dass aus Versatzst¨ucken aus dem Kommentar des S TRASS BURGERS bei JAKOB ein Text mit einer eigenen Struktur und Logik entsteht. Dies sei kurz aufgeschl¨usselt: Im Rahmen eines ersten Artikels (ad IV d 1, q 2), in welchem nicht nur die Definition, sondern auch die Definierbarkeit der Sakramente gekl¨art wurden,10 hatte T HOMAS VON S TRASSBURG zuerst selbst 7
T RAPP, DAMASUS: Augustinian Theology of the 14th Century. Notes on Editions, Marginalia, Opinions and Book-Lore, in: Augustiniana 6 (1956), S. 146–274, S. 252, zu den j¨ungeren Studien vgl. neben den in der vorangehenden Anmerkung erw¨ahnten Titeln auch den ausstehenden Tagungsband zum SIEPM Kolloquium von 2009 in Nijmegen (hg. v. Paul BAKKER, voraussichtlich bei Brepols, Turnhout), in welchem sich die Beitr¨age von B ILL C OURTENAY (James of Eltville, O.Cist. his fellow sententiarii in 1369–70, and his influence on contemporaries) und von M ONICA C ALMA (Res extra animam selon Jacque d’Eltville. Etude doctrinale et e´ dition de la 1. q de son prologue aux Sentences) auch mit Quellenfragen besch¨aftigen. 8 So v.a. BAKKER: Raison et Miracle (1999), vgl. die Zusammenfassung in Bd. II, S. 82f. 9 Das Notandum findet sich in Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198va–199ra = Clm 11591, fol. 319ra–319vb. Namentliche Erw¨ahnung findet T HOMAS VON S TRASSBURG im zweiten Correlarium zur zweiten Conclusio Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200vb = Clm 11591, fol. 322ra (vgl. dessen Commentaria, ed. Venedig 1564, fol. 61va–b), das auch u¨ ber die Stelle der direkten Nennung hinaus textlich vom S TRASSBURGER abh¨angig ist. F¨ur weitere Parallelen vgl. etwa JAKOBS Ausf¨uhrungen zur ersten Conclusio (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199ra–vb = Clm 11591, fol. 319vb–320va), mit dem zweiten Artikel von T HOMAS’ zweiter Quaestio zur ersten Distinktion (Commentaria, ed. Venedig 1564, fol. 59vb–60va). Zum Notandum und seiner eigenen Rezeption vgl. auch unten, S. 294 10 T HOMAS VON S TRASSBURG schließt sich hier sehr eng an S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, ed. Vaticana (2008), S. 62f., an, von dem er nicht nur den Aufbau des Artikels, sondern
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
227
ein Notandum dazu angef¨uhrt, welche Arten von Definitionen es gebe, bevor er in drei Conclusiones festhielt, gem¨aß welcher dieser Arten sich ein Sakrament definieren lasse. Danach zeigte er auf, gem¨aß welcher Art es nicht definierbar sei, um schließlich die Sakramenten-Definition selbst auszulegen, wie sie sich in P ETRUS ’ Sentenzen fand. Jede dieser Conclusiones pr¨ufte er zudem mit einer Reihe von Obiectiones.11 JAKOB hingegen steigt direkt mit der SakramentenDefinitionen ein: JAKOB
VON
E LTVILLE, Quaestiones12
Circa questionem istam ad|vertendum primo quid sit sacramentum.
Unde sacramentum diffinitur primo a Magistro sacramentun est sacrae rei signum. Et ista est diffinitio proprie dicta scilicet est distincta expressio illius quod per hoc nomen ‘sacramentum’ exprimitur confuse et indistincte.
Unde ista diffinitio potest dici ethymologia magis quam diffinitio, quia sacramentum dicitur sacrae rei signum vel sacrum mentis secretum.
T HOMAS V.S TR ., Commentaria13 Quantum ad primum [articulum] est advertendum, quod diffinitione possumus loqui tripliciter. Uno modo largissime. Alio modo propriissime. Tertio medio modo, puta, nec nimis large, nec etiam nimis stricte. Primo modo omne, quod est nominabile, seu aliquo nomine significabile, est diffinibile, quia, ut sic, diffinitio non est aliud, quam distincta expressio illius, quod per nomen fuit expressum confuse, et indistincte. [...] Haec14 igitur ad propositum applicando pono tres conclusiones. Prima est, quod sacramentum est diffinibile primo modo, quia omne, quod est etymologizabile, isto modo est diffinibile; sed sacramentum est etymologizabile. Maior patet quia etymologia exprimit aliquo modo distincte, quod nomen indicat indistincte. Minor etiam patet quia, ut sic, | sacramentum dicitur quasi sacrum mentis secretum, vel sicut dicit Magistera in litera, sacramentum est sacrae rei singum.
Die Ausf¨uhrungen des T HOMAS VON S TRASSBURG zu den unterschiedlichen Typen von Definitionen wendet JAKOB damit direkt auf die Thematik der Sakramente an, indem er unterschiedliche Abschnitte aus seiner Vorlage miteinander kombiniert. Dasselbe Vorgehen w¨ahlt er auch im weiteren Verlauf: ¨ immer auch wieder ganze Formulierungen u¨ bernimmt. Der Ubersichtlichkeit halber sei dies hier aber nicht auch noch aufgeschl¨usselt. 11 T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria, ed. Venedig 1564, fol. 59rb–59vb. 12 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198va = Clm 11591, IV q 1, not., fol. 319rb. 13 Commentaria IV d 1, q 2, a 1, not., ed. Venedig 1564, fol. 59ra. 14 Commentaria IV d 1, q 2, a 1, c 1, ed. Venedig 1564, fol. 59ra–b. a
Magisterer ed. Venedig
228 JAKOB
Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
VON
E LTVILLE, Quaestiones15
Aliter etiam diffinitur non tamen diffinitione strictissime sumpta, quae b est solumb specierum de genere substantiae constans ex essentialibus intrinsecis, sed diffinitio quae est sufficiens notificatio et explicatio alicuiusc diffiniti constans tamen ex illis quae concurrunt ad integri|tatem rei signatae sive sint intrinsica, sive extrinsica, sicut accidentia diffiniuntur. Et vocatur diffinitio per additamentum. d Unde licetd sint multae huiusmodi diffinitiones ipsius sacramenti quae colliguntur ex Augustino et Hugone et ponuntur ine De consecratione distinctione quarta, et etiam hic in litera, formaf est tamen perfectior g quae ponitur a magistrog in littera, scilicet quodh sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma. Aliter etiam alii diffiniunt sacramentum dicentes sacramentum est signum i practicum designansi efficienter aliquod Dei donum invisibile intrinsece gratificans animam viatoris, et in idem reddit.
T HOMAS V.S TR ., Commentaria16 Secundo modo, nihil ponitur in diffinitione, nisi sit intrinsecum rei diffinitae, et spectet ad essentiam eius. Et sic sola substantia diffinitur. Tertio modo, quamvis res diffiniatur per ea, quae sunt sibi intrinseca, puta, per genus et differentiam, tamen quia dependet ab aliquo extrinseco in tantum, quod sine eo perfecte notificari non potest, ideo talis diffinitio datur per additamenta, et non solum per ea quae sunt essentialia ipsi diffinitio. Et sic diffiniuntur accidentia. [...] Tertia17 conclusio est, quod tertio modo accipiendo diffinitionem: tunc sacramentum formaliter sumptum diffinitur a beato Augustino hic in littera, cum dicitur quod sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma.
Noch einmal kehrt JAKOB auf T HOMAS’ einleitende Anmerkung zu den unterschiedlichen Definitions-Arten zur¨uck, um ihm schließlich darin zu folgen, dass die dritte Definitionsweise f¨ur eine formale Bestimmung der Sakramente zu verwenden sei, welcher auch die traditionell AUGUSTINISCH-L OMBARD ’ SCHE Sakramenten-Definition entspreche. An dieser Stelle allerdings erg¨anzt er seinen Vorlagentext zum ersten Mal, um auf eine Reihe weiterer, einerseits traditioneller Definitionen aus dem Decretum Gratiani zu verweisen, und um andererseits eine Definition von deutlich scotischem Gepr¨age anzuf¨uhren.18 15
Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198va–b = Clm 11591, IV q 1, not., fol. 319rb. Commentaria IV d 1, q 2, a 1, not., ed. Venedig 1564, fol. 59ra. 17 Commentaria IV d 1, q 2, a 1, c 3, ed. Venedig 1564, fol. 59rb. 18 Bei G RATIAN finden sich diese Definitionen im Decretum Gratiani III d 2, c 32f., ed. Leipzig (1879), Sp. 1324; vgl. H UGO VON S T. V IKTOR: De sacramentis I p 9, c 2, ed. Berndt (2008), S. 209f. Darauf, dass es noch weitere Definitionen gebe, die vorliegende von P ETRUS L OMBARDUS aber die passendste sei, verweist auch T HOMAS VON S TRASSBURG, und zwar am Ende des n¨achsten synoptisch zitierten Texts. 16
b
solum est Clm 11591 c add termini Clm 11591 d Licet tamen Clm 11591 e add capitulo Clm 11591 f om BV 181 g quam venatur magister Clm 11591 h om Clm 11591 i mysticum significans Clm 11591
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
229
Ohne allerdings auf diese weiteren Definitionen genauer einzugehen, schließt sich JAKOB wieder seiner Vorlage an, indem er anmerkt, er halte die AUGUSTI NISCH -L OMBARD ’ SCHE Definition deswegen f¨ ur besser, weil sei verbreiteter – communior – sei: JAKOB
VON
E LTVILLE, Quaestiones19
T HOMAS V.S TR ., Commentaria20
Sed quia prima diffinitio est communior, igitur j illam reputoj meliorem, scilicet quod sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma ut eius imaginem gerat et causa existat. – Et ponitur hic ‘forma’ pro signo quod est genus sacramenti, quasi diceret sacramentum quasik sacrae rei signum, et illal res sacra cuius est signum intelligitur illud quod facit formaliter sacramentum vel sacrum quod recipitur gratia quae est participatio vel affiliatio divini esse per cuius conformitatem sanctificamur. – Et recipitur ‘visibile’ communiter pro quolibet sensibili ut scilicet sit signum subiacensm alicui quorumque sensuum uni vel pluribus. – Et intelligitur quod sit signum non quoad esse rei sed quoad fieri seu conferri, ut scilicet collatio gratiae significetur et per hoc distinguitur a multis signis non sacramentalibus.
[...] et addit Magister, ita ut eius similitudinem gerat et causa existat. In qua diffinitione forma accipitur pro signo, quod est genus propinquum ipsius sacramenti formaliter sumpti,
visibile sumitur pro fundamento iam dicti signi, invisibilis gratia accipitur pro termino terminante dependentiam huius signi, causa accipitur pro efficacia attributa tali signo a Deo instituto, et ponitur pro differentia. Sed cum additur, ut eius similitudinem gerat, hoc ponitur ad declarandum conditionem fundamenti.
So sehr die literarischen Bez¨uge deutlich machen, dass sich JAKOB weiterhin an T HOMAS VON S TRASSBURG orientiert, folgt er seiner Vorlage doch nicht sklavisch. Vielmehr verr¨at eine seiner Erg¨anzungen zum Begriff ‘forma’ aus P ETRUS ’ Definition, dass JAKOB offensichtlich zum Mitwirkungs-Modell tendiert, denn er spricht hier vom Sakrament, das die Gnade erhalten solle und damit als Tr¨ager der Gnade in Frage komme. Umgekehrt l¨asst er T HOMAS’ Ausf¨uhrungen zum Begriff ‘causa’ aus, wo die Wirksamkeit bloß als Zuordnung eines von Gott eingesetzten Zeichens beschrieben wird, was seinerseits dem Vorstellungshorizont der Pakt-Variante entspricht. Wenn JAKOB im weiteren Verlauf dieses Notandum nun auch einige Obiectiones zu diskutieren beginnt, h¨alt er sich weiterhin an seine Vorlage und ¨ stellt zumindest zwei von drei kritischen Uberpr¨ ufungen aus jenen Obiectio19 20 j
Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198vb = Clm 11591, IV q 1, not., fol. 319rb. Commentaria IV d 1, q 2, a 1, not., ed. Venedig 1564, fol. 59ra.
reputo illam Clm 11591
k
est Clm 11591
l
ista Clm 11591
m
subiciens Clm 11591
230
Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
nes zusammen, die T HOMAS VON S TRASSBURG gegen seine drei Conclusiones vorgebracht hat.21 Im einzelnen muss dies an der vorliegenden Stelle nicht weiter aufgeschl¨usselt zu werden, denn JAKOBS Vorgehensweise d¨urfte bereits deutlich geworden sein: So sehr er sich an seine Vorlage anlehnt, dominiert diese doch seine Ausf¨uhrungen nicht. Vielmehr benutzt er sie, um daraus einen eigenst¨andigen Argumentationsgang zusammenzustellen, seine eigene Auslegung von P ETRUS ’ L OMBARDUS Sakramenten-Definition zu bieten und damit den Anspruch seines Notandum zu erf¨ullen und anzugeben, was ein Sakrament sei. Die Frage der Definierbarkeit hingegen, die bei T HOMAS VON S TRASS BURG im Zentum gestanden hat, dringt bei JAKOB nicht mehr durch. Diese Eigenst¨andigkeit trotz literarischer Anleihen wird auch an den anderen Quellen deutlich, welche von der bisherigen Forschung als Vorlagen von JAKOB genannt worden sind. Was die weiteren Pariser Kommentare betrifft, gibt die vorliegende Quaestio allerdings nicht mehr allzu viel her: J OHANNES H ILTALINGEN VON BASEL scheint an der vorliegenden Stelle u¨ berhaupt nicht verwendet worden zu sein,22 was auch f¨ur A LFONSUS VARGAS und G RE GOR VON R IMINI gilt, von denen aber ohnehin keine Kommentare zu Buch IV u¨ berliefert sind.23 Hingegen scheint JAKOB einige Argumente direkt den Kommentaren von S COTUS und von T HOMAS VON AQUIN entnommen zu haben.24 Dennoch ist auch die Tatsache interessant, dass gewisse Vorlagen offenichtlich nicht mehr genutzt worden sind, denn es spricht dies – gleichsam ex 21
Die ersten beiden (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198vb–199ra = Clm 11591, fol. 319rb–va) entsprechen samt Responsiones den zwei ersten Obiectiones zur ersten Conclusio des vorliegenden Artikels bei T HOMAS VON S TRASSBURG (Commentaria, ed. Venedig 1564, fol. 59rb). F¨ur die dritte Obiectio JAKOBS ließ sich bisher keine Vorlage finden. 22 Abgeglichen wurde allerdings nur der Text von H ILTALINGENS erster Quaestio zu Buch IV zur allgemeinen Sakramentenlehre (Clm 26711, fol. 328ra–329rb; an dieser Stelle sei Frau Dr. C AROLIN O SER -G ROTE von der Bibliotheca Augustana, W¨urzburg, herzlich gedankt, die mir Kopien einer maschinenschriftlichen Transkription von DAMASUS T RAPP zur Verf¨ugung gestellt hat). 23 Im Ms M¨unchen, UB Fol. Cod. 105 das auch A LFONSUS’ Kommentar zum ersten Sentenzenbuch ent¨alt, findet sich gleich anschließend daran auf den fol. 262ra–297va ein Kommentar zu Buch IV, der im RS (Nr. 66) daher als Kommentar von A LFONSUS angef¨uhrt wird. Es handelt sich allerdings um zwei zusammengebundene Handschriften mit unterschiedlicher Entstehungsgeschichte, so dass diese Zuordnung h¨ochst unwahrscheinlich ist (vgl. Z UMKELLER , A DOLAR: Manuskripte von Werken der Autoren des Augustiner-Eremitenordens in mitteleurop¨aischen Bibliotheken, W¨urzburg: Augustinus-Verlag, 1966 (Cassiciacum 20), S. 52f.). 24 Es handelt sich um die Obiectiones gegen die dritte Conclusio, Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 203rb–va = Clm 11591, fol. 325rb–vb; vgl. dazu S COTUS: Reportata Parisiensia, ed. Wadding XI 1639, S. 568b und T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, arg 4, ed. Moos (1947), S. 27. Es ist nat¨urlich nie auszuschließen, dass JAKOB diese Texte nur durch die Vermittlung eines dazwischen liegenden Kommentars kennen gelernt hat – so nimmt etwa auch M ICHAEL A IGUANI: In quatuor libros sententiarum, ed. Venedig 1622, S. 344a, die bei T HOMAS gefundene Obiectio in vergleichbarem Wortlaut auf. Auf ein Beispiel, in dem eine solche Vermittlung augenf¨allig ist, wird unten, S. 291, noch zur¨uckzukommen sein.
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
231
negativo – erneut f¨ur die Eigenst¨andigkeit, mit der JAKOB seine Quellen benutzt hat. Dies best¨atigen auch die Anleihen bei englischen Autoren. Zwar hat P ICKINGHAMS Kommentar leider nicht eingesehen werden k¨onnen; ROBERT H OLKOT, der in Buch IV die allgemeine Sakramentenlehre ohnehin nur im Rahmen seiner ersten Quaestio zur Taufe streift, spielt im vorliegenden Text aber keine Rolle. Neu dabei ist hingegen A DAM WODEHAM, auf dessen Kommentar JAKOB zur Formulierung einer Obiectio samt zugeh¨origer Responsio in aller Ausf¨uhrlichkeit zur¨uckgreift, was er im Rahmen der Responsio auch offen zugesteht.25 Weil seine Verwendung von WODEHAM allerdings auf diese eine Obiectio beschr¨ankt bleibt, best¨atigt sich auch das grunds¨atzliche Schema, dass JAKOB die englischen Autoren vor allem benutzt, um seine eigenen Thesen zu u¨ berpr¨ufen. So sehr daher JAKOB auch die vorliegenden Quaestio in Anlehnung an Vorlagen-Texte verfasst haben mag, wird eines doch deutlich: Die Zusammenstellung erfolgt aus so unterschiedlichen und offensichtlich gezielt gew¨ahlten Texten und Textabschnitten, dass ein eigenst¨andiges Produkt entsteht. Zudem gehen die Conclusiones als Kernst¨ucke seiner Quaestio auch im vorliegenden Fall nicht auf direkte Vorlagen zur¨uck, sondern sind von JAKOB selbst formuliert. Immerhin steht er ja, wie gleich noch eingehender zu zeigen sein wird, im Gegensatz zu den meisten Autoren seiner Vorlagen f¨ur das Mitwirkungs- und nicht f¨ur das Pakt-Modell ein, so dass er auch gar nicht allzu ausf¨uhrlich von seinen Vorlagen abschreiben kann. Was diese beiden Modelle betrifft, so sei hinsichtlich der Quellen noch ein letztes erw¨ahnt: Es f¨allt auf, dass JAKOB weder Namen nennt, noch allgemeine Pronomen verwendet, um die eine oder andere Richtung zu illustrieren.26 Die beiden Nennungen von T HOMAS VON S TRASS BURG und von A DAM W ODEHAM geschehen beil¨aufig und dienen h¨ ochstens der Positionierung von JAKOB selbst. Anders als noch D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN, P ETRUS AUREOLI oder auch T HOMAS VON S TRASSBURG zeigt JAKOB VON E LTVILLE kein Interesse mehr, die Diskussion als eine Debatte zwischen zwei getrennten und sich gegenseitig ausschließenden Positionen darzustellen. 25
Vgl. Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 202rb = Clm 11591, fol. 323vb–324ra: Dico hic cum Adam | secunda distinctione quarti in solutione primi articuli principalis quod casus est impossibilis. Es handelt sich dabei um eine Argumentation W ODEHAMS zur Frage, ob die Sonne das Licht im Medium erschaffen k¨onne oder nicht, welche er als Argumentum quod non zur zweiten Quaestio seiner Ordinatio zu Buch IV aufgreift und im Rahmen des zweiten Artikels dieser Quaestio in Form eines Dubiums ausf¨uhrlich diskutiert (vgl. Paris, Univ. 193, fol. 162va–b und 163rb–va). 26 Einzig in der Darstellung der dritten Conclusio merkt JAKOB an, dass multi moderni gegen eine Kraft in den Sakramenten argumentierten (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200va = Clm 11591, fol. 321vb). Auch dies dient aber erneut vor allem der eigenen Positionierung JAKOBS seinen Zeitgenossen gegen¨uber (wie hier das moderni zu verstehen ist).
232
Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
14.2.2 Jakobs Ausformulierung des Mitwirkungs-Modells Diese Losl¨osung vom sogenannt positions-zentrierten Ansatz ist nun ein weiteres Merkmal daf¨ur, wie sehr sich JAKOB in die Kommentartradition des sp¨ateren 14. Jahrhunderts einordnet. Kommen wir damit zu einigen inhaltlichen und strukturellen Anmerkungen: Diese Losl¨osung geh¨ort ebenso wie die Vereinigung unterschiedlicher Themen unter eine einzige Quaestio zum Stil der damaligen Zeit, dem, wie bereits beschrieben, immer wieder unterstellt worden ist, ausufernd und un¨ubersichtlich zu sein.27 F¨ur die vorliegende Quaestio JAKOBS VON E LTVILLE l¨asst sich dies allerdings nicht best¨atigen: JAKOB geht darin ‘geometrisch’ vor und strukturiert sie sehr klar in vier Teile.28 Auf die Quaestio selbst, drei einleitende Argumenta quod non und eines in oppositum als erstem Teil folgt als zweiter das erw¨ahnte Notandum zur Sakramenten-Definition von P ETRUS L OMBARDUS, die JAKOB auslegt und mit einigen Obiectiones u¨ berpr¨uft.29 Im dritten Teil, dem Hauptteil der Quaestio, diskutiert er sodann drei Conclusiones, die sich je auf eines der einleitenden Argumenta quod non beziehen und ebenfalls sehr gleichm¨aßig durchstrukturiert sind: Zuerst einmal beweist JAKOB die jeweilige Conclusio in all ihren Teilen, zieht dann in Correlaria eine Reihe von Konsequenzen und geht schließlich auf mehrere Obiectiones ein. Ein einziger Satz als Solutio beendet die jeweilige Diskussion und dient zugleich als Responsio zum zugeh¨origen Argumentum quod non. Mit der Solutio zur dritten Conclusio allerdings schließt JAKOB seine Quaestio noch nicht ab, sondern h¨angt ihr einen vierten Teil an, in dem propter temporis brevitatem, wie JAKOB entschuldigend anf¨ugt, in neun losen Quaestiunculae einige weitere Probleme der allgemeinen Sakramentenlehre abgehandelt werden wie Aufbau, Notwendigkeit, Wirkung, Wiederholbarkeit und W¨urde der Sakramente.30 27 Grunds¨atzlich zu ‘Essay’-Stil und geometrischem Vorgehen s.o., S. 56 mit Anm. 15; ein ausf¨uhrliches Beispiel eines stilistisch a¨ hnlichen Kommentars wird auch im n¨achsten Teil gleich noch zu besprechen sein, s.u., S. 251. 28 Eine knappe Auseinandersetzung mit dieser Quaestio findet sich bereits in DAMERAU , RUDOLF: Die Abendmahlslehre des Nominalismus. Insbesondere die des Gabriel Biel, Gießen: Schmitz, 1963 (Studien zu den Grundlagen der Reformation 1), S. 63–66. Einmal abgesehen davon, dass DAMERAU meint, es mit dem Kommentar des H EINRICH VON A LTENDORF zu tun zu haben (s.u., S. 285 mit Anm. 8), ist die Darstellung aber a¨ ußerst verk¨urzt und fl¨uchtig (so entgeht ihm die grundlegende Struktur der Quaestio, da er keine der drei Conclusiones anf¨uhrt, daf¨ur aber zeilenweise aus den Correlaria und Obiectiones zitiert, die bisweilen gerade nicht E LTVILLES Meinung repr¨asentieren). Zudem sind die Transkriptionen in den Fußnoten oft fehlerhaft (perceptorum statt praeceptorum, ebd. Anm. 5, quidditata, quidditari und quantitative statt communicata, communicari und creative in Anm. 16, in mente statt immediate, in Anm. 17, um nur einige Beispiele zu nennen). 29 Circa quaestionem istam est ad|vertendum primo quid sit sacramentum: Clm 11591, fol. 319ra–319vb. Wegen der teilweisen Unlesbarkeit von Br¨ugge, Bib.ville 181 an der vorliegenden Stelle (fol. 198va–199ra) wird hier bloß der Text von Clm 11591 wiedergegeben. 30 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 204ra = Clm 11591, fol. 326va: Sed quia multa sunt praeambula ad sacramenta de quibus tractaturum sumus quae omnia locis suis propriis tangi non
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
I
II
III.1
III.2
III.3
IV
Quaestio Argumenta quod non 1–3 In oppositum Notandum de definitione sacramenti Obiectiones 1–3 Responsiones 1–3 Prima conclusio ad primum argumentum quod non Probationes Correlaria 1–5 Obiectiones 1–5 contra conclusionem Responsiones 1–5 Solutio ad primum argumentum quod non Secunda conclusio ad secundum argumentum quod non Probationes Correlaria 1–3 Obiectiones 1–11 contra conclusionem et correlaria Responsiones 1–11 Solutio ad secundum argumentum quod non Tertia conclusio ad tertium argumentum quod non Probationes Correlaria 1–3 Obiectiones 1–5 contra conclusionem et correlaria Responsiones 1–5 Solutio ad tertium argumentum quod non Quaestiunculae 1–9 Schema 1: JAKOB
VON
233
Br¨ugge, BV 181
Clm 11591
198va 198va
319ra 319ra
198va 198va
319ra 319ra
198vb
319rb
198vb 199ra
319va 319vb
199ra
319vb
199va 199vb
320rb 320va
199vb 200va
320vb 321va
200va
321va
200va 200va
321va 321vb
201ra
322rb
201va 202vb
322vb 324vb
202vb 202vb
324vb 324vb
203rb
325rb
203rb 203va
325rb 325vb
204ra
326va
204ra
326va
E LTVILLE, Aufbau von In sententias IV q 1
Damit untersucht JAKOB im Rahmen einer einzigen Quaestio tats¨achlich sehr unterschiedliche Themen, doch ist dies kein assoziatives Ausufern von einer Problematik in die n¨achste, sondern eine klar abgegrenzte Abfolge von gr¨oßtenteils auch logisch aufeinander bezogenen Problemstellungen. Die innere Koh¨arenz vor allem des Hauptteils wird durch den Bezug der drei Conclusiones auf die einleitenden Argumente gew¨ahrleistet, und deren thematische Gliederung zeichnet sich nun auch schon in der Fragestellung selbst ab. Die Quaestio lautet, ob die neutestamentlichen, die Gnade verursachenden Sakramente irgendeine geistige Kraft bes¨aßen, welche ihnen formal zukomme und durch welche sie auf die Seele einwirken k¨onnten.31 Diese Frage scheint nun ganz bepossunt [om Clm 11591], ideo illa sub brevibus quaestionibus volo [ponere Clm 11591] et breviter [eas solvere Clm 11591]. 31 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198va = Clm 11591, fol. 319ra: Utrum novae legis sacramenta [creative Clm 11591] gratiae [aliqualem Clm 11591] spiritualem virtutem ipsis formaliter inhaerentem habeant qua in [animam Clm 11591] possint agere.
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Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
wusst so formuliert zu sein, dass sie die Urs¨achlichkeit der Sakramente bereits voraussetzt, denn dies erm¨oglicht es JAKOB, in den Argumenta zuerst einmal die Voraussetzungen seiner Quaestio anzugreifen, bevor er auf die eigentliche Fragestellung eingeht.32 Ein erstes Argumentum quod non behauptet denn auch ganz grunds¨atzlich, dass es u¨ berhaupt keine Sakramente gebe und die Quaestio daher falsch sei.33 Ein zweites zielt auf die vorausgesetzte Urs¨achlichkeit und argumentiert, dass Gnade nur durch eine creatio entstehen und daher nicht durch die Sakramente verursacht werden k¨onne.34 Erst das dritte greift schließlich die Kraft-Problematik auf, die im Fokus der Quaestio steht, und argumentiert, dass es keinen vern¨unftigen Weg gebe, der erlaubte, eine solche Kraft in den Sakramenten anzunehmen.35 Aus den teilweise in der Fragestellung selbst explizit gemachten Voraussetzungen der Quaestio l¨asst sich daher bereits absch¨atzen, worauf die Argumenta abzielen und was daher Thema der einzelnen Conclusiones sein soll. Wer dieses System kennt, kann sich damit relativ schnell in JAKOBS Quaestio zurechtfinden. Was zudem als allgemeine Tendenz im vorliegenden Teil beschrieben worden ist, best¨atigt sich im Kommentar JAKOBS VON E LTVILLE: Kein einziges seiner Argumenta quod non greift auf eine auctoritas zur¨uck. Das gilt auch f¨ur sein Oppositum. JAKOB argumentiert, dass alles, was Ursache einer geisti32 So formulierte bereits auch J OHANNES H ILTALINGEN seine erste Quaestio zu Buch IV mit entsprechenden Vorbedingungen, um dann in den Argumenta die Quaestio als falsch ausweisen zu k¨onnen (Clm 26711, fol. 328ra;). In etwas modifizierter Weise wird dieses Vorgehen JAKOBS Sch¨uler M ARSILIUS VON I NGHEN u¨ bernehmen, s.u., Teil IV, Kap. 23.1.3. Vgl. auch T RAPP: Augustinian Theology (1956), S. 250, f¨ur den a¨ hnlich strukturierten Kommentar des S IMON VON C REMONA. 33 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198va = Clm 11591, fol. 319ra: Nulla sunt sacramenta novae legis ergo quaestio falsa. Consequentia tenet. Antecedens [probatur Clm 11591] quia frustra fit per plura quod potest fieri per pauciora. Sed per solam fidem et operationem praeceptorum potest salvari homo. Antecedens: Tot sacramentorum institutio videtur esse frustra [add sed deus et natura nihil faciunt frustra Clm 11591], igitur videtur quod non instituit aliqua sacramenta. 34 Ebd.: Sacramenta non sunt causativa gratiae, igitur quaestio falsa. Consequentia tenet. Antecedens [probatur Clm 11591] quia cui repugnat virtus creativa non potest esse gratiae creativa. Sed sacramentis repugnat virtus creativa cum sunt creaturae mere, ergo. Maior [apparet Clm 11591], quia gratia non recipit esse nisi per creationem. 35 Ebd.: Nulla virtus spiritualis formaliter in hiis sacramentis est ponenda, ergo quaestio falsa. [om Clm 11591]. Antecedens probo, quia vel talis virtus esset eiusdem rationis in uno sacramento sicut in alio vel non. Si primum, igitur superfluum esset tot numero ponere cum unum sufficeret. Si secundum, hoc non videtur quia effectus principalis, scilicet gratia, est eiusdem rationis [in omnibus add Clm 11591]. Confirmatur quia vel illa virtus de potentia subiecti educitur, vel creatur a Deo in sacramento. Si primum, igitur subiectum fuit in potentia naturali ad [istam Clm 11591] virtutem et non esset virtus supernaturalis. Si non educitur sed creatur, hoc non videtur rationale, quod scilicet [causet Clm 11591] rem [add sic Clm 11591] subito annihilando tantum facta [scilicet Clm 11591] actione, igitur.
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gen Wirkung sei, selbst entweder geistig sein oder eine geistige Kraft enthalten m¨usse, weil sonst etwas Niedrigeres auf etwas H¨oheres einwirkte. Da aber die Sakramente nichts Geistiges seien, bleibe nur u¨ brig, dass sie keine geistige Kraft enthielten.36 Das Oppositum setzt damit – wie bereits die Quaestio – voraus, dass die Sakramente Ursache der Gnade seien. T HOMAS VON AQUIN hat dies bekanntlich auch zu einer Vorbedingung gemacht, von der alle ausgehen m¨ussten – nur haben bei ihm noch die einschl¨agigen auctoritates den Grund zu dieser Annahme gebildet.37 Bei JAKOB fehlen sie. Nun fehlt dieser Autorit¨aten-Bezug in JAKOBS Behandlung der Wirksamkeitsproblematik nicht nur in den Argumenta, sondern auch in der eigentlichen Diskussion der Quaestio. Angesichts der Argumenta ist zu erwarten, dass vor allem in den Ausf¨uhrungen zu zweitem und drittem Argument – im Rahmen von zweiter und dritter Conclusio also – die Wirksamkeitsfrage aufgegriffen wird. Tats¨achlich dreht sich die erste Conclusio um Notwendigkeit und Verschiedenheit der Sakramente in unterschiedlichen Abschnitten der Heilsgeschichte und geht damit auf die grundlegende Problematik ein, ob und wie viele Sakramente f¨ur das Heil der Menschen notwendig seien.38 Von der Wirksamkeitsfrage ist dies alles ziemlich weit entfernt – abgesehen von JAKOBS Ankn¨upfungspunkt, dass ohne Sakramente nat¨urlich auch die Frage nach deren Wirksamkeit obsolet wird. Immerhin entspricht dieses Vorgehen aber dem Aufbau der Quaestio, wie er sich in den Argumenta abgezeichnet hat; und so wirkt es denn auch nicht als ein bloßes Ausschweifen, wenn JAKOB im Rahmen einer Quaestio zu der geistigen Kraft in den Sakramenten zu diskutieren beginnt, inwiefern die eheliche Zweisamkeit von Adam und Eva im Paradies bereits als sakramentale Ehe gelten k¨onne.39 In der zweiten Conclusio allerdings wird JAKOB konkret. Sie lautet: Die neutestamentlichen Sakramente verursachen realiter und in wirksamer Weise das Heil, indem sie zwar nicht unmittelbar den Effekt der Gnade herbeif¨uhren, aber in 36 Ebd.: In oppositum arguo sic: Illud quod est causa spiritualis effectus vel secundum se est spiritualis vel habet in se virtutem spiritualem. Sed sacramenta novae legis sunt causa spiritualis effectus et non sunt spiritus secundum se, igitur. Maior patet, quia da oppositum tunc effectus esset praestantior sua causa, quod est inconveniens. Minor etc. patet [quantum Clm 11591] ad primam partem [nam cuius BV 181] sunt sacramenta est res spiritualis. Quoad secundam partem patet quia sacramenta sunt res corporales, igitur. 37 Vgl. T HOMAS VON AQUIN: In sententias d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31: Respondeo dicendum ad primam quaestionem quod omnes coguntur ponere sacramenta novae legis aliquo modo causas gratiae esse. Ausf¨uhrlich dazu oben, S. 152. 38 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199ra = Clm 11591, fol. 319vb: Quamvis necessarium fuit pro certis et differentibus mensuris condicione et numero differentia Deum instituere remedia, pro aliquo tamen statu [et Clm 11591] statibus non oportuit aliqua habere sacramenta. 39 So das vierte Correlarium zu dieser ersten Conclusio (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199va–b = Clm 11591, fol. 320va).
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disponierender Weise, weil sie n¨amlich die Substanz vorbereiten oder an der Substanz etwas machen, worauf – wenn dies einmal angelegt ist – unfehlbar die Gnade folgt, wenn denn im Empf¨anger kein Hinderungsgrund vorliegt.40
JAKOB VON E LTVILLE entpuppt sich damit als Vertreter des MitwirkungsModells. Schon die Conclusio selbst macht deutlich, dass er eine klassische Variante vertritt, wie sie auch T HOMAS VON AQUIN propagiert hat und welche die Sakramente nicht direkt ins Gnadengeschehen einbezieht, sondern bloß als Verursacher einer dispositio pr¨asentiert. Interessant ist allerdings JAKOBS Zusatz, dass posito dispositione die Gnade infallibiliter folge. Denn eine solche Terminologie geh¨ort eigentlich eher zum Pakt-Modell, dessen Vertreter die Verbindung zwischen Vertragsbedingungen und Vertragserf¨ullung unter R¨uckgriff auf die unfehlbare g¨ottliche Allmacht gleichsam als Selbstl¨aufer darzustellen versuchen, um eine Urs¨achlichkeit der Sakramente behaupten zu k¨onnen.41 JA KOB u ¨ bertr¨agt den Gedanken auf die Mitwirkungs-Variante, indem er die disponierende Wirkung der Sakramente zu einer notwendigen Vorbedingung der Gnaden¨ubertragung macht. Dass er damit allerdings mehr als eine versteckte Pakt-Variante mit einem disponierenden Zwischenschritt vertreten will, macht JAKOB VON E LTVILLE in den kl¨arenden Ausf¨uhrungen zu seiner Conclusio klar. In einem ersten, als Beweis der Conclusio gedachten Teil f¨uhrt er an, die Sakramente seien Medizin der Seele und Instrumente Gottes – beides lasse sich aber nicht sinnvoll behaupten, wenn ihnen keine eigene Aktivit¨at zugesprochen werde.42 Interessanterweise taucht hier auch pl¨otzlich ein Verweis auf multae auctoritates sanctorum auf, die, so JAKOB, alle sagten, dass die neutestamentlichen Sakramente die Gnade nicht nur bezeichneten, sondern sie virtualiter enthielten und verursachten. Anders lasse sich ja auch zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten
40 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200va = Clm 11591, fol. 321va: Secunda conclusio sit ista: sacramenta novae legis realiter et effective sunt casativa salutis non immediate attingendo effectum gratiae, sed dispositive, scilicet substantiam disponendo vel circa substantiam aliquod [om BV 181] quo posito infallibiliter consequitur gratia si non sit obex in recipiente. 41 So in gewissem Sinne schon S COTUS und dann vor allem T HOMAS VON S TRASSBURG, s.o., S. 190. 42 Ebd.: Omnis medicina sanativa habet aliquam activitatem respectu sanitatis inducendae. Sed sacramenta sunt vere quaedam medicinae animae et sanitas animae, et formaliter per gratiam. Igitur sacramenta habent se active ad creationem gratiae. [...] Quodlibet instrumentum habet aliquam activitatem respectu effectus. Sed sacramenta sunt instrumenta operationis divine: dicitur enim quod Deus per sacramenta salutem nostram operatur, igitur. JAKOB u¨ bernimmt damit auch T HOMAS’ Instrumentenbegriff, der von einer eigenen Aktivit¨at der Instrumente ausgeht (s.o., S. 158). Die massive Kritik, die in der Zwischenzeit gegen diesen Instrumentenbegriff ins Feld gef¨uhrt worden ist (s.o., S. 186), scheint JAKOB allerdings zu ignorieren.
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
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nicht unterscheiden, was contra doctores sei.43 Allein, damit hat es sich schon. Keine dieser auctoritates wird namentlich erw¨ahnt oder zitiert, keine wird in den weiteren Ausf¨uhrungen zu dieser zweiten Conclusio diskutiert. Mehr als eine schwache Erinnerung daran, dass an dieser Stelle einmal um die Bedeutung von Autorit¨aten gefeilscht worden ist, bildet dieser Hinweis nicht: Echtes argumentatives Kapital l¨asst sich aus den auctoritates ganz offensichtlich nicht mehr schlagen. Wie sehr ihm nun an dieser eigenen Aktivit¨at der Sakramente liegt und wie sehr er sich daher gegen die Pakt-Variante stellt, unterstreicht JAKOB auch in den weiteren Ausf¨uhrungen zu seiner Conclusio. In den Correlaria, in welchen er einige Schlussfolgerungen aus der Conclusio zieht, stellt er sich zuerst einmal dagegen, dass die Sakramente bloß causa sine qua non seien: Denn viele Moderne behaupten, dass es so ist wegen eines g¨ottlichen Pakts: Wann immer die Sakramente a¨ ußerlich korrekt angewendet werden, verursache Gott innerlich die Gnade. Und so sind sie causa sine qua non der Gnade, wie ein Bleidenar oder eine Bulle Ursache daf¨ur ist, dass mir hundert Pfund oder ein Bischofssitz gegeben werden.44
Die verk¨urzte Erw¨ahnung der klassischen Beispiele zeigt, wie gel¨aufig die Diskussion offensichtlich ist. Interessant ist nun zu sehen, wie JAKOB gegen eine causa sine qua non argumentiert, denn in der bisherigen Diskussion ist diese von Vertretern des Mitwirkungs-Modells ja zur¨uckgewiesen worden, weil sie als uneigentliche Ursachenform den dicta sanctorum nicht gen¨uge. Davon ist bei JAKOB allerdings keine Rede mehr. Vielmehr weiß er nur zu erweitern, was er zur Begr¨undung der Conclusio bereits ins Spiel gebracht hat: Weil sie Medizin gegen geistige Krankheiten seien, k¨onnten die Sakramente nicht weniger wirksam sein als eine Medizin gegen ein k¨orperliches Gebrechen.45 43 Ebd.: Prima pars probari potest multis auctoritatibus sanctorum dicentibus quod sacramenta novae legis non solum significant, sed etiam continent virtualiter ac causant gratiam. Alias non differrent a sacramentis veteris legis quod est contra doctores. 44 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200va = Clm 11591, fol. 321vb: Ex ista conclusione infero primo quod sacramenta [novae legis Clm 11591] non solum sunt causa sine qua non infusae gratiae. Unde multi moderni [quod sic dicunt ex pactione esse divina Clm 11591], quia quandocumque sacramenta extrinsece debite applicantur, tunc Deus intrinsece causat gratiam. Et sic sunt causa sine qua non gratiae, sicut denarius plumbeus vel bulla est causa quare [meremur Clm 11591] centum [om Clm 11591] vel episcopatus. 45 Dem Anschein nach f¨uhrt JAKOB noch eine weitere Begr¨undung an, indem er auf das Correlarium selbst verweist, das sich aus der Conclusio ergebe: Sed contra hoc est corellarium quod sacramenta novae legis non solum sunt causa sine qua non infusae gratiae. Patet ex conclusione, quia sunt causae nostri salutis sive gratiae realiter et effective, igitur. Et probatur | ex alio quia sacramenta sunt medicinae contra morbos spirituales qui non sunt minus efficaces quam corporales (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200va–b = Clm 11591, fol. 321vb).
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Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
Ein weiteres Correlarium schließt, dass den alttestamentlichen Sakramenten diese Urs¨achlichkeit noch nicht zugekommen sei, um damit den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten herauszustreichen, der bekanntlich im Pakt-Modell zu verschwinden droht; eine drittes Correlarium schließlich f¨uhrt an, dass weder den alt- noch den neutestamentlichen Sakramenten eine sch¨opferische Kraft u¨ bermittelt worden sei oder u¨ bermittelt werden k¨onne.46 In beiden Correlaria greift JAKOB nun zwar auf auctoritates zur¨uck – allerdings in Zusammenh¨angen, die sich nicht direkt um die Wirksamkeitsproblematik drehen: Im ersten Fall geht es um die Frage, ob die Beschneidung bloß die Erbs¨unde gel¨oscht oder auch Gnade vermittelt habe; im zweiten ging es einmal mehr um die grunds¨atzliche Frage nach den sch¨opferischen M¨oglichkeiten von Gesch¨opfen.47 Der beschriebenen Losl¨osung der Wirksamkeitsdiskussion von auctoritates steht dies daher keineswegs entgegen, vielmehr best¨atigt JAKOBS Vorgehen, dass es sich bei dieser Losl¨osung um kein generelles Kennzeichen der Theologie des sp¨ateren 14. Jahrhunderts handelt, sondern um ein Spezifikum der Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit. Im Rahmen der Obiectiones schließlich verteidigt JAKOB seine Conclusio ebenso wie seine Correlaria gegen eine Reihe von Einw¨anden, die erneut alle rein rationaler Natur sind. Den weitaus gr¨oßten Teil nimmt hier jener Einwand zur Sch¨opfungsproblematik ein, den JAKOB aus A DAM WODEHAM u¨ bernommen hat. Auch hier macht JAKOB seine Zugeh¨origkeit zum MitwirkungsModell deutlich, indem er in seinen Antworten auf die Einw¨ande und zur Kl¨arung der sakramentalen Urs¨achlichkeit erkenntnistheoretische Parallelen bem¨uht und nun auch offenlegt, worin seiner Meinung nach die genannte dispositio bestehe – im character n¨amlich oder in einem ornatus.48 Damit fasst er f¨ur die Frage nach der sakramentalen Urs¨achlichkeit die entscheidenden Elemente der Mitwirkungs-Variante zusammen und benennt die wunden Punkte des PaktModells (die causa sine qua non und den fehlenden Unterschied zwischen altund neutestamentlichen Sakramenten), ohne je argumentativ auf auctoritates zur¨uckzugreifen. 46 Secundo infero [quod Clm 11591] omnes de stirpe Abrahae usque ad legem evangelicam circumcisionem rite suscipientes ab originali [absolvantur Clm 11591] culpa, tamen nec circumcisio nec alia legis observantia sunt realiter et effective gratiae [causativa Clm 11591]. [..|..] Tertio infero quod nec veteris nec novae legis salutantibus sacramentis communicata [om BV 181] [aut Clm 11591] communicari potest efficacia creativae virtutis (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200vb = Clm 11591, fol. 321vb–322ra). 47 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200vb–201ra = Clm 11591, fol. 322ra–b. 48 So f¨uhrt JAKOB zwar nicht mehr w¨ortlich den sermo audibilis an, auf den T HOMAS VON AQUIN verweisen hat (s.o., S. 160), aber in analoger Weise die phantasmata, welche als Abdr¨ucke k¨orperlicher Dinge im Intellekt etwas hervorzurufen im Stande seien (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 201va–b = Clm 11591, fol. 323ra–b; ebd. auch zur dispositio).
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
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Den zweiten Pfeiler des Mitwirkungs-Modells, die Annahme einer sakramentalen Wirkkraft, propagiert JAKOB im Rahmen seiner dritten Conclusio. Sie lautet: Gott assistiert den Sakramenten nicht nur mit Hilfe einer ungeschaffenen Kraft durch geistigen Einfluss, sondern auch mit Hilfe einer geschaffenen, welche er ihnen selbst u¨ bertr¨agt oder in sie eingießt.49
Den ersten Teil seiner Conclusio zum concursus divinus h¨alt JAKOB f¨ur unbestritten, bestreitbar ist f¨ur ihn nur deren zweiter Teil. Das ließe sich angesichts der oben angetroffenen Modelle zur Pakt-Variante hinterfragen, da die Assistenz Gottes nie im Sinne eines concursus, sondern stets als unmittelbares Eingreifen Gottes pr¨asentiert worden ist.50 Recht hat JAKOB aber sicherlich mit seiner Annahme, dass seine Behauptung einer geschaffenen, den Sakramenten inh¨arenten Kraft umstritten sei. Entsprechend eingehend versucht er, diesen zweiten Teil nicht einfach nur zu beweisen, sondern ihn erst einmal plausibilisierend darzulegen. Einige antiqui doctores, denen er hier folge, wollten n¨amlich, so JAKOB, dass es in den Sakramenten bei deren Anwendung eine Kraft gebe, welche aus Gott als eigentlichem Akteur entspringe und der kein festes Sein, sondern ein intentionales, fließendes Sein zukomme.51 Damit sind weitere Elemente des Mitwirkungs-Modells benannt; interessant ist aber vor allem, dass JAKOB hierf¨ur das Alter von deren Vertreter bem¨uht. Der Wind hat ganz offensichtlich gedreht: W¨ahrend B ONA VENTURA und D URANDUS das Alter der Doktoren noch ins Spiel gebracht haben, um sich Geh¨or f¨ur die Pakt-Variante zu verschaffen, muss sich JAKOB 49 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 202vb = Clm 11591, fol. 324vb: Tertia conclusio [est Clm 11591] ista: quod Deus non solum per virtutem increatam spirituali influentia sacramentis assistit, sed etiam per virtutem creatam quam ipsis confert seu infundat. 50 So wie JAKOB diesen concursus darstellt, erweiterte Gott durch sein Eingreifen gleichsam das nat¨urliche Handlungsfeld der Sakramente: Est enim influentia Dei generalis quando Deus concurrit cum rebus ad explendas earum operationes naturales secundum formas ipsis inditas. Sed specialis quando | concurrit cum eis ad operationes ad quas non habent inclinationem naturalem sicut quod ex ligno subito fiat animal unum. Et sic est in proposito. Nam Deus concurrit cum rebus naturalibus et exterioribus ad productionem effectus supernaturalis in anima et [igitur Clm 11591] est [om Clm 11591] influentia spiritualis (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 202vb–203ra = Clm 11591, fol. 324vb). Genau dies verneinen aber die Vertreter des Pakt-Modells, weil dies die M¨oglichkeiten eines k¨orperlichen Instruments u¨ bersteige. 51 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 203ra = Clm 11591, fol. 324vb: Secundam partem quae magis dubia est declarabo priusquam probetur. Unde aliqui antiqui doctores quos pro nunc sequor volunt quod in sacramentis dum sunt in actuali exercitio et applicatione habent in se [quandam virtutem Clm 11591] a Deo ipsis derivata. Sicut a principali agente confertur [om virtus B, virtus instrumentalis Clm 11591] quae non est fixa et firma seu permanens, sed intentionalis et [diminuta Clm 11591] [om BV 181] quodam fieri seu fluxu, [om BV 181], per quam virtutem sacramentum attingit animam, aliquid operando circa ipsam.
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Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
nun pl¨otzlich als Vertreter des Mitwirkungs-Modells auf die antiquitas berufen.52 Leider f¨uhrt er dies allerdings nicht weiter aus, so dass unklar bleibt, ob er damit konkrete Namen im Blick hat, oder ob er nur dank einer vermittelnden Quelle weiß, dass insbesondere D URANDUS’ Behauptung des Alters der Pakt-Variante auf wackligen F¨ußen steht.53 Was JAKOB allerdings bietet, ist eine ganze Reihe von Beispielen, die nahelegen sollen, wie auch in anderen Bereichen Geistiges und K¨orperliches problemlos zusammenwirken k¨onnten und warum daher das Mitwirkungs-Modell nicht irrational sei: Erstens bewegten auch die Intelligenzien die Himmelssph¨aren; zweitens habe Adam im Garten Eden die Kraft gehabt, mit seiner Namensgebung aus den Tieren zu machen, was er wollte; drittens k¨onne jeder mit seinem Willen seinen K¨orper bewegen; und viertens habe Christus seine menschliche Natur als vergleichbares Instrument benutzt, so dass auch plausibel sei, dass er eine solche Kraft den Sakramenten u¨ bertragen habe.54 Genau besehen passt allerdings nur das letzte Beispiel zur vorliegenden Problematik – es ist auch das traditionellste, das schon T HOMAS VON AQUIN mehrfach in seiner Diskussion bem¨uht hat.55 Die anderen drei Beispiele allerdings gehen an einer allf¨alligen Kritik der Vertreter der Pakt-Variante vorbei, denn es nie bestritten worden, dass eine geistige Kraft auf etwas K¨orperliches wirken k¨onne. Fraglich ist vielmehr, wie etwas K¨orperliches Tr¨ager und Benutzer einer geistigen Kraft sein kann, was keines der drei Beispiele illustriert. Interessant sind sie dennoch. Vielsagend ist insbesondere jenes zu Adam, der im Paradies die Tiere benennt. Denn offensichtlich stellt sich dies JAKOB nicht einfach so vor, dass Adam den Tieren einen Namen zuweist, vielmehr scheint in seiner Vorstellung diese Zuweisung mit den Tieren auch etwas zu machen und damit eine Art sch¨opferischer Akt zu sein.56 Die urspr¨ungliche Einsetzung eines Namens, dessen institutio oder impositio ist f¨ur JAKOB offensichtlich mehr als die Herstellung einer bloß semiotischen Beziehung, da mit ihr das Benannte erst darauf festgelegt wird, das zu sein, was es ist. Darauf wird ganz am Ende der vorliegenen Untersuchung, beim Vergleich von sakramentalen und semiotischen Theorien, zur¨uckzukommen sein.57 Erst im Anschluss an diese plausibilisierenden Beispiele f¨uhrt JAKOB nun auch drei Beweise daf¨ur an, dass es in den Sakramenten bei deren Anwendung eine geistige Kraft gebe. Ein erster Beweis geht erneut vom Instrumentenbe52
Zu B ONAVENTURA s.o., S. 148; zu D URANDUS oben, S. 197. S.o., S. 218. 54 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 203ra = Clm 11591, fol. 324vb–325ra. 55 S.o., S. 162. 56 Im genauen Wortlaut heißt das Beispiel: Secundo quia Adam in statu innocentiae habuit virtutem talem | super omnia animalia compellendi, connotandi et faciendi de eis quae vellet (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 203ra = Clm 11591, fol. 324vb–325ra). 57 S.u., Teil IV, Kap. 24.3. 53
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
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griff des T HOMAS VON AQUIN aus und argumentiert, dass jedes Instrument eine dem Benutzer und Effekt angemessene Kraft erhalte, wenn es in Gebrauch sei, was im vorliegenden Fall nur eine geistige Kraft sein k¨onne.58 Ein zweiter Beweis argumentiert damit, dass die Sakramente ihre Wirksamkeit und Kraft ja aus der Passion Christi h¨atten. Doch sei die aus Christi Passion erwachsene Kraft eine rein geistige, weshalb auch die sakramentale Kraft geistig sein m¨usse.59 Als dritten Beweis f¨uhrt JAKOB an, dass auch das Fegefeuer die Seele l¨autern k¨onne – wenn daher Gott als Strafender auf die Seele mit k¨orperlichen Mitteln einwirken k¨onne, dann umso mehr als Erbarmender.60 Erneut treffen aber auch diese Beweise den Kern der Problematik nicht wirklich. Beim ersten und dritten handelt es sich genau gesehen bloß um weitere Beispiele, deren erstes ebenso wie die verbleibende Begr¨undung verteidigt, dass es sich bei dieser Kraft um eine geistige handeln m¨usse. Allerdings dreht sich die traditionelle Diskussion weniger um die Frage, ob die sakramentale Kraft geistig oder k¨orperlich sei, als vielmehr, ob u¨ berhaupt eine Kraft in den Sakramenten anzunehmen sei. Es bleibt daher bei der Analogie zum Fegefeuer, die JAKOB allerdings nicht weiter ausf¨uhrt,61 so dass er den konkreten Beweis letztlich schuldig bleibt, wie die Sakramente mit Hilfe einer geistigen Kraft an der Gnadenvermittlung mitwirken. Immerhin bietet JAKOB im Anschluss an diesen beweisenden Teil – und damit erst an dritter Stelle in der Erkl¨arung dieser Conclusio – einen knappen Einblick in die Welt der Autorit¨aten. Denn zur vorliegenden Thematik, so JA 58 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 203ra = Clm 11591, fol. 325ra: Quod hoc [sit verum Clm 11591] scilicet quod sacramenta habeant aliquam virtutem spiritualem, dum actu suscipiuntur, per quam in animam agunt, probatur persuasive sic: quia semper instrumentum in actione recipit aliquam virtutem proportionatam agenti et subiecto in quod agit. Sed sacramenta sunt instrumenta actionis Dei in animam, igitur etc. Sed [ista virtus Clm 11591] non potest esse nisi spiritualis, alias non esset proportionata, igitur. 59 Ebd.: Secundo quia sacramenta habent virtutem et efficaciam ex passione Christi, quae virtus non est corporea, quia nec forma nec materia nec accidentia aliqua vel aliquid talium. Igitur est spiritualis. Et patet hoc per glossa ad Romanos 5 in similitudinem praevaricationis etc. dicitur quod ex latere Christi dormientis fluxerunt sacramenta novae legis et non quoad aliquod esse corporale, ut patet, sed quoad esse spirituale. Die Glosse wird bereits bei T HO MAS VON AQUIN : In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 3, sc 2, ed. Moos (1947), S. 29, angef¨ uhrt, wo sie belegen soll, dass die Sakramente ihre Wirksamkeit tats¨achlich aus der Passion Christi haben. Es handelt sich daher auch hierbei um keine auctoritas f¨ur die Wirksamkeitsfrage. 60 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 203ra–b = Clm 11591, fol. 325ra: Tertio nam ignis inferni potest immediate attingere animam ipsam [supernaturaliter Clm 11591] puniendo. Igitur et sacramentum aliquid in ipsam ad praeparationem | gratiae agendo. Antecedens [in B unklar] per doctores communiter et articulos parisiis [om Clm 11591] quia non plus potest ignis ille ex iustitia Dei punientis quam possunt sacramenta ex bonitate Dei miserientis. 61 Bereits die Summa Halensis hat diese Analogie stark gemacht; aufgegriffen hat sie auch P ETRUS DE PALUDE (s.o., S. 194), darauf zur¨uckkommen wird L AMBERTUS DE M ONTE (s.u., S. 441).
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Kapitel 14: Ergebnisse und Ausblick
ließen sich einige auctoritates communes anf¨uhren,62 was JAKOB dieses Mal auch explizit tut, indem er erst die bekannte Stelle aus AUGUSTINS Johanneskommentar zur Kraft im Wasser zitiert und dann auch noch ein verbreitetes Zitat aus einer Homilie von B EDA V ENERABILIS anf¨uhrt.63 Damit allerdings hat es sich erneut. Weder erl¨autert JAKOB, inwiefern diese Autorit¨aten sein Modell unterst¨utzten oder die Pakt-Variante in Frage stellten, noch kommt er im weiteren Verlauf seiner Diskussion erneut auf sie zur¨uck. Wie schon bei der vorderen Conclusio verweist er auf sie, ohne aus ihnen Profit zu schlagen und ohne sie u¨ berhaupt weiter in seine Argumentation einzubauen. Damit erh¨alt seine ganze Darstellung eine eigent¨umliche Zahnlosigkeit. Mit seinen Beweisen ebenso wie mit seinen Beispielen verfehlt es JAKOB, seine Darstellung des Mitwirkungs-Modells so zu begr¨unden, dass sie gegen die traditionellen Anfragen der Pakt-Variante abgesichert w¨are. Wesentlich mehr als die wiederholte Behauptung, dass es in den Sakramenten eine geistige Kraft geben m¨usse, bietet er daher nicht. Weil er aber offensichtlich auch die auctoritates nicht mehr so in seine Argumentation einbauen kann, dass aus ihnen die Notwendigkeit des Mitwirkungs-Modells deutlich w¨urde, bleibt er eine Antwort auf die grunds¨atzliche Frage, warum die Sakramente als echte Ursachen zu betrachten seien und wozu in ihnen eine geistige Kraft anzunehmen sei, schuldig. Das a¨ ndert sich auch mit den Correlaria und den Obiectiones nicht, die JAKOB im Anschluss an die Beweisf¨uhrung zu seiner dritten Conclusio noch anf¨uhrt. Auch sie wiederholen vor allem in unterschiedlichen Affirmationen, dass die Sakramente eine geistige Kraft enthielten, ohne weiter auszuf¨uhren, warum dem so sei und so sein m¨usse. Selbst wenn man daher zugestehen wollte, JAKOB habe die Urs¨achlichkeit der Sakramente und die Existenz einer geistigen Kraft plausibel nachgewiesen, bleibt damit eine grundlegende Problematik bestehen: Weil er die Frage nicht mehr als Konflikt zwischen auctoritas und ratio aufzieht, kann auch nicht mehr deutlich werden, welche Vorz¨uge die Mitwirkungs-Variante dem Pakt-Modell gegen¨uber allenfalls aufweist und warum die Zusatzhypothesen einer Dispositio und einer geistigen Kraft in den ¨ Sakramenten dem Okonomieprinzip zum Trotz anzunehmen w¨aren.64 JAKOB KOB,
62 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 203rb = Clm 11591, fol. 325ra: Ad hoc etiam possunt adduci auctoritates communes. 63 Zu AUGUSTIN s.o., S. 123. Das B EDA-Zitat ist einer Homilie u¨ ber Lk 3,21 nachempfunden (PL 92, Sp. 358); bereits T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, sc 1, ed. Moos (1947), S. 28, hat es in der vorliegenden Form zusammen mit dem AUGUSTIN-Zitat angef¨uhrt. 64 ¨ JAKOB greift selbst auf das Okonomieprinzip zur¨uck – wenn auch nicht in einer Argumentation, in der es direkt um die Wirksamkeitsproblematik geht: So bereits im ersten Argumentum quod non (s.o., S. 234 mit Anm. 33). Vgl. aber auch ewa Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200vb = Clm 11591, fol. 321vb: Secundum doctrinam sanctorum circumcisio illo tempore fuit medicina contra originalem peccatum, sed vana et inutilis est medicina ex cuius praeceptione [non tollitur morbus Clm 11591]. Igitur cum Deus nihil faciat frustra
14.2 Das Autorit¨aten freie Mitwirkungs-Modell Jakobs von Eltville
243
bezeugt daher auch als Vertreter der Mitwirkungs-Variante den Sieg der ratio – mit diesem Sieg der ratio scheint sich allerdings auch das Mitwirkungs-Modell erledigt zu haben.
aut institu[er]it, sequitur quod [omnes Clm 11591] ex divino praecepto hoc [recitarent Clm 11591 a manu posteriore].
Teil III
Delegitimierung der rationes: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl, sein Wiener Umfeld und die dicta sanctorum
Als im Zuge der zweiten Gr¨undung der Universit¨at Wien in den 1380er Jahren auch eine theologische Fakult¨at errichtet wurde, pr¨agten den einsetzenden Unterricht zwei Gestalten, die in ihrem Stil, die Sentenzen zu kommentieren, zu den typischen Vertretern der Sentenzentradition des sp¨aten 14. Jahrhunderts z¨ahlten.65 H EINRICH TOTTING VON OYTA (gestorben 1396) und H EINRICH VON L ANGENSTEIN (gestorben 1397) brachten aus ihrer Pariser Studien- und Lehrzeit Kommentare mit, welche alle die im ersten Teil in Kapitel 4.1 umrissenen Merkmale der Kommentartradition des sp¨ateren 14. Jahrhunderts aufwiesen: Der Sentenzen-Struktur folgten sie nur noch lose; sie stellten einige wenige, aber daf¨ur sehr ausf¨uhrlich behandelte Quaestiones zu Problemen, die sich vorzugsweise mit einem sprachlogischen und naturphilosophischen Instrumentarium bearbeiten ließen; und sie bezogen sich explizit und streckenweise w¨ortlich auf Kommentare von Vorg¨angern. Es ist daher anzunehmen, dass diese Vorgehensweise auch von den ersten Studenten, die in Wien ihren theologischen Magister erworben haben, aufgenommen worden ist.66 Dies best¨atigt nicht zuletzt das Beispiel des N IKOLAUS ¨ : Wie eingangs bereits beschrieben, lehnt er sich f¨ur seiVON D INKELSB UHL ne eigene Sentenzenkommentierung diesem Stil zuerst einmal an und vollzieht erst mit der Lectura mellicensis den bereits andiskutierten Wechsel zu einem einfach gehaltenen Vollkommentar zum vierten Sentenzenbuch. Die moderne Forschung hat sogar aufzeigen k¨onnen, dass N IKOLAUS’ erste Sentenzenlesungen nicht nur stilistisch und inhaltlich, sondern u¨ ber weite Strecken hinweg auch literarisch von den Kommentaren seiner beiden großen Lehrer abh¨angen und zudem in so enger Verbindung zu Kommentaren anderer Wiener Bakkalearen der Zeit um 1400 stehen, dass nicht mehr von eigenst¨andigen literarischen Produkten, sondern von einem Gemeinschaftskommentar dieser Wiener Gruppe gesprochen wird.67 65 Zur Sentenzentradition des sp¨aten 14. Jahrhunderts vgl. BAKKER , PAUL J.J.M./ S CHABEL , C HRISTOPHER: Sentences Commentaries of the Later Fourteenth Century, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 425–464, sowie Z AHND , U ELI: Zwischen Verteidigung, Vermittlung und Adaption. Sentenzenkommentare des ausgehenden ´ / Mittelalters und die Frage nach der Wirksamkeit der Sakramente, in: N EMESCH , BAL AZS ¨ R ABUS , ACHIM (Hrsg.): Vermitteln – Ubersetzen – Begegnen. Transferph¨anomene im europ¨aischen Mittelalter und der Fr¨uhen Neuzeit. Interdisziplin¨are Ann¨aherungen, G¨ottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011 (Nova Mediaevalia 8), S. 33–86. 66 S HANK , M ICHAEL H.: ‘Unless You Believe, You Shall Not Understand’. Logic, University, and Society in Late Medieval Vienna, Princeton: Princeton University Press, 1988, S. 111f., unterscheidet eine erste Generation, welche die Artes noch an anderen Universit¨aten studiert hat und nur f¨ur das theologische Studium nach Wien gekommen ist, und einer zweiten ‘indigenen’, die ihre ganzen Studien an der Wiener Universit¨at durchgef¨uhrt hat. Weil von der ersten Generation kaum Werke und insbesondere keine Sentenzenkommentare erhalten sind, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die zweite Generation. 67 Neben den knappen Anmerkungen bei BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), S. 462f., vgl. vor allem S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 117–122, mit ent-
248
Teil III: Hinf¨uhrung
Im vorliegenden Zusammenhang kann dieser Befund allerdings nicht ungepr¨uft u¨ bernommen werden, denn er ist fast ausschließlich auf der Grundlage von Studien zum ersten Sentenzenbuch entstanden. Hinzu kommt, dass sowohl H EINRICH VON OYTA als auch H EINRICH VON L ANGENSTEIN mit noch je einem weiteren Sentenzenkommentar in Verbindung gebracht werden: OYTA hat noch vor seiner Pariser Lehrzeit in Prag bereits einmal die Sentenzen gelesen und dabei einen Kommentar verfasst, der den magistralen Pariser Quaestiones zwar stilistisch und inhaltlich deutlich nachsteht, aber dennoch seinen Weg nach Wien gefunden hat, wie insbesondere ein Blick auf die Verteilung der erhaltenen Handschriften nahelegt.68 H EINRICH VON L ANGENSTEIN hingegen hat sich – nach seiner Pariser Lehrzeit und bevor er nach Wien gekommen ist – im Rheingau unter anderem im Kloster Eberbach aufgehalten, wo er eine Relecture des Sentenzenkommentars JAKOB VON E LTVILLE verfertigt hat, der dort inzwischen Abt geworden war.69 Der vorliegende dritte Teil der Untersuchung fokussiert auf die Sentenzen¨ kommentare dieser fr¨uhen Wiener Jahre – nicht nur, weil hier die Uberlieferungslage verh¨altnism¨aßig gut ist und einige interessante Probleme bietet (wie den genannten ‘Gruppen-Kommentar’), sondern vor allem auch, weil mit N I ¨ KOLAUS VON D INKELSB UHL eine Figur in Wien am Wirken ist, die mit ih¨ ren unterschiedlichen Sentenzenlesungen den Ubergang vom 14. zum 15. Jahrhundert eindr¨ucklich dokumentiert. Zur Situierung dieser fr¨uhen Wiener Kommentare und zur Einordnung der Art und Weise, wie darin die Wirksamkeitsproblematik dargestellt wird, muss allerdings zuerst einmal deren Behandlung bei jenen Autoren umrissen werden, die dieses Wiener Umfeld entscheidend gepr¨agt haben. Ein erstes Kapitel besch¨aftigt sich daher mit H EINRICH VON OYTA, ein zweites mit H EINRICH VON L ANGENSTEIN. Erst dann k¨onnen die scheidenden Berichtigungen zur grundlegenden Erarbeitung der literarischen Bez¨uge innerhalb dieser Wiener Gruppe durch AUER , J OHANN: Die aristotelische Logik in der Trinit¨atslehre der Sp¨atscholastik. Bemerkungen zu einer Quaestio des Johannes Wuel de Pruck Wien 1422, in: AUER , J OHANN (Hrsg.): Theologie in Geschichte und Gegenwart. Michael Schmaus zum sechzigsten Geburtstag dargebracht von seinen Freunden und Sch¨ulern, M¨unchen: Karl Zink, 1957, S. 457–496. Ganz knapp auch S HANK , M ICHAEL H.: University and Church in Late Medieval Vienna. Modi dicendi et operandi, 1388–1421, in: H OENEN/S CHNEIDER/W IELAND: Philosophy and Learning (1995), S. 43–59, S. 48. 68 Zu dieser Prager Lectura textualis s.u., Kap. 15.2, S. 262. Noch heute liegen zehn der 24 im RS (Nr. 334) verzeichneten Handschriften in Wien; weitere acht befinden sich in Klosterbibliotheken im Einzugsgebiet der Wiener Universit¨at. H EINRICHS Lectura textualis scheint sich daher vor allem in diesem s¨udostdeutschen Raum großer Beliebtheit erfreut zu haben. 69 Zur Biographie H EINRICHS VON L ANGENSTEIN vgl. K REUZER , G EORG: Heinrich von Langenstein. Studien zur Biographie und den Schismatraktaten unter besonderer Ber¨ucksichtigung der Epistola pacis und der Epistola concilii pacis, Paderborn: Sch¨oningh, 1987 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte. Neue Folge 6), hier S. 63–79 zu seinem Aufenthalt im Rheingau. Zur Autorfrage der sogenannten Lectura Eberbachi s.u., S. 284.
Teil III: Hinf¨uhrung
249
Einfl¨usse auf N IKOLAUS’ fr¨uheste Quaestiones communes und andere Kommentare seiner Zeitgenossen untersucht und in den Wiener Kontext eingebettet werden, was in einem dritten Kapitel geschieht, damit sich in einem vierten Kapitel schließlich der Umschwung in N IKOLAUS’ Lectura mellicensis angemessen einordnen l¨asst.
Kapitel 15
Die Kommentare von H EINRICH T OTTING VON OYTA Gerade was die Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit betrift, haben H EIN RICH VON L ANGENSTEIN und H EINRICH TOTTING VON OYTA in Paris Kommentare verfasst, die zutiefst von den genannten stilistischen Merkmalen gepr¨agt sind:1 Die thematische und strukturelle Freiheit f¨uhrt bei H EINRICH VON L ANGENSTEIN dazu, dass er als Kommentar zu Buch IV bloß noch eine einzige Quaestio zur Transsubstantiation formuliert und auf die Wirksamkeitsproblematik gar nicht erst eingeht.2 Auch H EINRICH VON OYTA untersucht in Buch IV nur noch eine einzige Quaestio, die ebenfalls auf das Problem der eucharistischen Wandlung fokussiert. Allerdings w¨ahlt er eine etwas umst¨andlichere Zugehensweise und fragt nicht direkt nach der M¨oglichkeit einer Transsubstantiation, sondern untersucht, ob durch jeden beliebigen Priester, der den richtigen Ritus vollzieht, Brot und Wein wahrhaftig in Leib und Blut Christi verwandelt werden.3 Neben der Wandlung selbst sind damit bereits innerhalb der Frage1
F¨ur die Biographie H EINRICHS VON OYTA vgl. weiterhin grundlegend L ANG , A LBERT: Heinrich Totting von Oyta. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der ersten deutschen Universit¨aten und zur Problemgeschichte der Sp¨atscholastik, M¨unster: Aschendorff, 1937 (Beitr¨age zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 33.4/5), hier bes. S. 209f. zur Wirksamkeitsfrage. 2 In Paris hat H EINRICH VON L ANGENSTEIN die Sentenzen kurz vor 1375 gelesen (K REUZER: Heinrich von Langenstein (1987), S. 51). Von seinem Kommentar sind bloß zwei ¨ Abschriften bekannt, die auf Uberarbeitungen seiner Wiener Zeit zur¨uckgehen d¨urften: Alenc¸on ¨ ¨ 144 und Wien, ONB 4319 (zu den Gr¨unden f¨ur eine Wiener Uberarbeitung vgl. S HANK: Late Medieval Vienna (1988), 127–129). Letztere enth¨alt bloß Quastionen zu den B¨uchern II bis IV; der Wiener Theologe M ICHAEL S UCHENSCHATZ hat sie 1411 aus Notizen aus H EINRICHS Nachlass zusammengestellt (vgl. L ANG , J USTIN: Die Christologie bei Heinrich von Langenstein. Eine dogmenhistorische Untersuchung, Freiburg im Breisgau: Herder, 1966 (Freiburger theologische Studien 85), hier S. 65f.) Dennoch hat RUDOLF DAMERAU eine Edition leider nur auf der Grundlage dieser weniger vollst¨andigen Handschrift verfertigt (Lectura Parisiensi, ed. Damerau (1979/80)). 3 Die vorliegende Untersuchung st¨utzt sich auf die Handschrift Prag, Nat. V.B.23, hier fol. 265rb, welche mit Clm 8867, hier fol. 258va, vergeglichen worden ist. Die M¨unchner Handschrift (M) wird im weiteren allerdings nur bei Differenzen zur Prager Handschrift (P) angef¨uhrt. Die Quaestio lautet: Utrum [om M] quolibet sacerdote verba consecrationis eu-
15.1 Der geometrische Stil des Pariser Quaestionenkommentars
251
stellung auch der notwendige Ritus, sowie die Qualit¨at und – f¨ur die vorliegenden Belange vor allem interessant – das Verm¨ogen des Priesters angesprochen. Tats¨achlich schiebt H EINRICH im Rahmen eines ersten von drei Artikeln der Quaestio einige allgemeine sakramententheologische Diskussionen ein und greift dabei auch die Wirksamkeitsproblematik auf.
15.1 Der geometrische Stil des Pariser Quaestionenkommentars Dass H EINRICH die Wirksamkeitsfrage im Rahmen einer Quaestio zur eucharistischen Wandlung aufgreift, ist nun typisch f¨ur den Kommentarstil, der im sp¨ateren 14. Jahrhundert die Sentenzentradition pr¨agt und sich dadurch auszeichnet, dass in verh¨altnism¨aßig wenigen Quaestionen die unterschiedlichsten Themen an bisweilen unerwarteter Stelle behandelt werden k¨onnen.4 Diese Vorgehensweise l¨asst den Autoren eine große Freiheit in der Behandlung ihrer Themen, doch hat sie den Nachteil, dass die oft ausufernden Quaestionen eines gew¨ohnlichen Kommentars des sp¨ateren 14. Jahrhunderts es kaum mehr erm¨oglichen, die Behandlung einer spezifischen Thematik aufzufinden oder gar durch mehrere Kommentare hindurch nachzuverfolgen. Wenn nun H EINRICH VON OYTA diesen Stil ganz offensichtlich aufnimmt, scheint er sich dieses Nachteils allerdings bewusst zu sein. Denn seine umst¨andliche, verschachtelte Fragestellung liest sich wie ein Versuch, bereits von Anfang an zu signalisieren, welche Themen im Rahmen der Quaestio aufgegriffen werden. Dass ein solches Bem¨uhen um Erh¨ohung der Lesbarkeit vorhanden ist, zeigt sich auch in einigen weiteren strukturellen Merkmalen: Hinter die einleitenden Argumente quod non und in oppositum schiebt H EINRICH eine kurze Diviso ¨ quaestionis, einen Uberblick u¨ ber den Aufbau der nachfolgenden Ausf¨uhrungen ein, worin er bereits auch die Themen der jeweiligen Artikel anf¨uhrt.5 Zudem schließt H EINRICH wie auch bereits JAKOB VON E LTVILLE die drei Artikel seiner Quaestio thematisch an die drei einleitenden Argumente quod non an. Wer diese Argumente daher aufmerksam liest, kann sich bereits ein Bild dacharistiae secundum morem ecclesiae proferente panis in corpus Christi et vinum in sanguinem vere convertatur. Bei H EINRICH VON L ANGENSTEIN lautete die Quaestio schn¨orkellos utrum consecratione eucharistiae sub speciebus panis et vini fiat realiter corpus Christi (Lectura Parisiensi IV q un., ed. Damerau (1979/80)). 4 F¨ur Literatur zu diesem Stil s.o., S. 56 mit Anm. 15. 5 Prag, Nat. V.B.23, fol. 266ra = Clm 8867, fol. 259ra: Hic iuxta tres difficultates tactas in argumentibus ante oppositum tres erunt articuli: primus de consecrativa sacerdotum potestate, secundus de partium corporis Christi [de P] sacramento quoad substantiam et quoad ordinem earum inter se habitudine. Tertius de eiusdem secundum talem modum existendi naturali actione tam ab intra quam ab extra, ac etiam passione. Vgl. BAKKER , PAUL J.J.M.: La raison et le miracle : les doctrines eucharistiques (c.1250–c.1400). Contribution a` l’´etude des rapports entre philosophie et th´eologie, Diss. Nijmegen, 1999, S. 112.
252
Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
von machen, welche Themen in welchem Artikel der nachfolgenden Responsio behandelt werden.6 Es gen¨ugt daher, sich Fragestellung und Argumente dieser Quaestio durchzusehen, um einen Eindruck zu erhalten, wie die nachfolgenden Ausf¨uhrungen thematisch aufgebaut sind. Vermittelt daher schon der grundlegende Aufbau der Quaestio einen ‘geometrischen’ Eindruck, weil die einzelnen Teile logisch aufeinander bezogen sind, so wird dies im Rahmen der einzelnen Artikel noch verst¨arkt. Das erste argumentum quod non handelt von der fehlenden Macht h¨aretischer Priester, die Wandlung zu vollziehen,7 und entsprechend ist zu erwarten, dass im ersten Artikel untersucht wird, inwiefern Qualit¨at und Verm¨ogen des Priesters f¨ur die Wirksamkeit eines Sakraments u¨ berhaupt eine Rolle spielen. Diesem erste Artikel stellt nun H EINRICH erneut eine knappe divisio articuli voran, laut der zwei Schwierigkeiten zu behandeln seien: Zum einen gehe es um die Macht, die durch das Weihsakrament den Priestern u¨ bertragen worden sei und sie damit als einzige bef¨ahige, die eucharistische Wandlung zu vollziehen; zum anderen stehe grunds¨atzlicher die Frage an, inwiefern eine solche Kraft auf Gesch¨opfe u¨ bertragbar sei.8 Diesen beiden Schwierigkeiten entsprechend ist der Artikel zweigeteilt, doch w¨ahrend die zweite Schwierigkeit bloß auf etwas mehr als einer halben Manuskript-Spalte abgehandelt wird, zieht sich die Behandlung der ersten Schwierigkeit u¨ ber fast vier Folios hin (vgl. Schema 2 auf Seite 254).9 Seinen L¨osungsansatz zu den Schwierigkeiten pr¨asentiert H EINRICH – das geometrische Schema aufnehmend – in Form von Conclusiones, welche er beweist und im Rahmen von Correlaria weiter ausf¨uhrt.10 Bei der ersten Schwie6
Dieses Vorgehen scheint in Paris um 1370 verbreitet gewesen zu sein. Vgl. neben JAKOB E LTVILLE, dessen Stil oben, S. 232, bereits beschrieben worden ist, auch etwa P ETRUS DE C ANDIA, der zu Buch IV ebenfalls nur eine einzige Quaestio mit Fokus auf die eucharistische Wandlung formuliert und nach den Argumenta wie auch H EINRICH eine divisio quaestionis einf¨ugt (§ 6 in der vorl¨aufigen online Edition unter http://www2.ucy.ac.cy/isa/Candia/SentIV1-1a.htm, Quaestiones in sententias IV q un, ed. Schabel et.al. (2009), Stand 28. M¨arz 2014). 7 Prag, Nat. V.B.23, fol. 265va = Clm 8867, fol. 258va: Sacerdos haereticus vel excommunicatus vel scismaticus non habet potestatem consecrandi, ergo ipso proferente verba consecrationis etc. non fit conversio panis in corpus Christi, nec [vinum P] in sanguinem quare per consequens quaestio falsa. 8 Prag, Nat. V.B.23, fol. 266ra = Clm 8867, fol. 259ra: Primus [articulus] habet duas difficultates: Una est de potestate consecrativa de sacramento communicata; secunda de potestate consecrativa quatenus creaturae communicabile. 9 Die Behandlung der ersten Schwierigkeit (Prag, Nat. V.B.23, fol. 266ra–269vb = Clm 8867, fol. 259ra–262rb) wird nicht explizit als solche ausgewiesen, vielmehr setzt der Text nach Ank¨undigung der beiden Difficultates umgehend mit der ersten Suppositio f¨ur die erste Schwierigkeit ein. Die Behandlung der zweiten Difficultas ebd. fol. 269vb/262rb beginnt dann aber mit den Worten quoad secundam difficultatem huius articuli. 10 Zur ersten Difficultas stellte H EINRICH drei Conclusiones auf: Quantitas culpae vel malitiae ministri non violat veritatem sacramenti eucharistiae (Prag, Nat. V.B.23, fol. 267rb = Clm 8867, fol. 260ra); zweitens nec haeresis nec excommunicatio nec degradatio aufert characterem seu insignationem sacerdotalem (fol. 267vb/260va); sowie drittens als Conclusio reVON
15.1 Der geometrische Stil des Pariser Quaestionenkommentars
253
rigkeit folgen auf die Conclusiones zudem eine Reihe von Gegenargumenten, die H EINRICH eingehend diskutiert.11 Vor allem aber stellt er den Conclusiones drei Suppositiones voran – drei Annahmen, auf welchen die nachfolgenden Conclusiones fußen und die H EINRICH daher ebenso ausf¨uhrlich beweist und mit Correlaria weiter illustriert wie die Conclusiones selbst: Eine erste Suppositio besagt, dass die Priester nicht in produktiver Weise zu den Wirkungen der Sakramente mit beitr¨ugen; eine zweite h¨alt fest, dass die neutestamentlichen Sakramente – zumindest was sie selbst betrifft – bloß kraft des vollzogenen Sakraments (vi operis operati) und nicht durch die Qualit¨at des Priesters (merito ministri) bewirkten, was sie bezeichneten; die dritte schließlich merkt an, dass einige Sakramente nur von Personen ausgef¨uhrt werden k¨onnten, welche selbst Empf¨anger bestimmter anderer Sakramente seien.12 Im Rahmen der ersten beiden Suppositiones kommt H EINRICH VON OYTA damit auch auf die Frage nach der sakramentalen Wirkweise zu sprechen. Schon aus den Suppositiones selbst wird nun deutlich, dass die Problematik f¨ur ihn dem Pakt-Modell gem¨aß zu l¨osen ist: Eine eigene Wirkkraft der Priester schließt H EINRICH bereits auf dieser Ebene explizit aus, zudem f¨uhrt er in den Correlaria aus, dass dies auch f¨ur die Sakramente selbst gelte. Weder seien sie aus sich heraus urs¨achlich – so die Correlaria zur ersten Suppositio – ins sakramentale Geschehen involviert,13 noch m¨usse in ihnen – wie in den Corresponsiva: Quolibet sacerdote verba consecrationis eucharistiae super debitam materiam cum intentione consecrandi et secundum morem ecclesiae proferente panis in coprus et vinum in sanguinem convertitur domini nostri Iesu Christi (fol. 268va/261rb). Die einzige Conclusio zur zweiten Difficultas lautete: Potestas cooperandi Deo in conversione panis in corpus suum et similiter in effectibus aliorum sacramentorum [om M] est creaturae communicabilis (fol. 269vb/262rb). 11 Die insgesamt sechs Argumente, die vorwiegend gegen die dritte Conclusio formuliert waren (so beginnt dieser Teil mit den Worten contra dicta arguitur et praecipue contra conclusionem responsalem), finden sich auf den fol. 268vb–269ra/261va–b; deren Widerlegungen auf den fol. 269ra–269vb/261vb–262rb. 12 Ministri sacramentorum non cooperantur Deo productive in effectibus qui sunt res eorundem (Prag, Nat. V.B.23, fol. 266ra = Clm 8867, fol. 259ra); sacramenta novae legis vi operis operati non merito ministri operantis saltem de per se efficiunt suo modo quod figurant (hier gem¨aß Clm 8867, fol. 259va; im von zweiter Hand korrigierten Text des Prager Manuskripts [hier fol. 266vb] steht: sacramenta novae legis virtute operis operati, non virtute minstri causaliter operantur saltem de per se effective suo modo quod figurant); potestas ministerialis quantum ad aliqua sacramenta requirit ritam consecrativam insignationem vel characterisationem in ministro; et in aliquibus sacramentis hoc non requiritur ad veritatem sacramenti (P 267rb = M 260ra). 13 Prag, Nat. V.B.23, fol. 266rb–va = Clm 8867, fol. 259rb–va: Ex quo sequitur quod sacramenta novae legis non efficiunt ea [om M] figurant per virtutem elementis vel verbis vel intentione vel signis vel omnibus istis simul intrinsecam. [...] Ex quo ulterius sequitur quod sacramenta non secundum naturam suam nec instrumentaliter pertingunt ad aliquem effectum in anima productive ad infusionem gratiae requisitum. [..|..] Tertio sequitur quod sacramenta [divinae M] legis sunt gratiae divinae seu effectus sacramentalis causa instrumenta-
254
I II
III IV
V VI VII
Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
Quaestio Argumenta Quod non 1–3 In oppositum Divisio quaestionis Primus articulus ad primum argumentum quod non 1 Prima difficultas 1.1a Prima suppositio Probationes Correlaria 1–3 1.1b Secunda suppositio Probationes Correlaria 1–2 1.1c Tertia suppositio 1.2a Prima conclusio Probationes Correlaria 1–2 1.2b Secunda conclusio Probationes Correlaria 1–5 1.2c Tertia conclusio 1.3 Obiectiones 1–6 1.4 Responsiones 1–6 2 Secunda difficultas 2.1 Conclusio 2.2 Correlaria 1–2 Secundus articulus ad secundum argumentum quod non Tertius articulus ad tertium argumentum quod non Ad rationes principales Schema 2: H EINRICH
VON
Prag, Univ. V.B.25 265rb
Clm 8867 258va
265va 265va
258va 258va
265vb
258vb
266ra 266ra
259ra 259ra
266ra
259ra
266ra 266ra
259ra 259ra
266rb 266vb
259rb 259va
266vb
259va
267ra 267rb
259vb 260ra
267rb
260ra
267rb 267va
260rb 260rb
267vb 267vb
260va 260va
268ra
261ra
268va 268vb
261rb 261va
269ra
261vb
269vb 269vb
262rb 262rb
269vb 269vb
262rb 262va
275va
267vb
285vb
277va
OYTA, Aufbau von Quaestiones parisienses q 13, a 1
laria zur zweiten Suppositio festgehalten wird – eine spezielle Kraft angenommen werden.14 Entsprechend tauchen in diesen Correlaria die Schlagworte der g¨ottlichen Anordnung, des Pakts und der g¨ottlichen Assistenz auf, ja, die zweite Suppositio ist in ihrem Wortlaut direkt an einen Abschnitt aus den Reportationes von S COTUS’ Pariser Sentenzenlesung angelehnt, der zwar nicht direkt aus S COTUS’ Behandlung der Wirksamkeitsproblematik, aber doch aus dessen Kommentar zur ersten Distinktion von Buch IV stammt.15 Im Wissen um die lis dispositiva dispositione extrinseca, | habilitante subiectum ad recipiendum gratiam non ex natura rei, sed ex ordinatione et pacto Dei. 14 Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra–b = Clm 8867, fol. 259vb–260ra: Consecratio non est actus personalis sacerdotis sed actus Dei secretius in verbis seu prolatione verborum consecrationis operantis. [...] Aliquomodo concedi potest quod in sacramentis est virtus respectu gratiae vel effectus sacramentalis, [..|..] sed ex praedictis patet quod non oportet talem virtutem in sacramentis poni. 15 Die Stelle stammt aus der auf die Wirksamkeitsfrage folgenden Behandlung der alttesta-
15.1 Der geometrische Stil des Pariser Quaestionenkommentars
255
Tradition, in welcher er mit dieser Darstellungsweise steht, verweist H EINRICH denn sogar namentlich auf S COTUS und auf T HOMAS VON S TRASSBURG und orientiert sich auch in der Begr¨undung seiner zwei Thesen u¨ ber weite Strecken w¨ortlich an ihnen, ohne neue Argumente in die Diskussion einzuf¨uhren.16 Wie weiter oben bereits erw¨ahnt, ist es in der j¨ungeren Forschung u¨ blich geworden, ein solches Vorgehen eine Lectura secundum alium zu nennen. So ungl¨ucklich der Begriff auch gew¨ahlt sein mag, hat er sich in den letzten Jahren doch etabliert, um genau solche Kommentarformen zu bezeichnen, die in w¨ortlicher Anlehnung an mehrere oder auch bloß einen anderen Kommentar entstanden sind.17 Allerdings hat sich auch gezeigt, dass trotz solcher Anlehnungen die jeweilige Kommentararbeit nicht einfach zu einem bloßen Wie¨ derk¨auen verkommen ist, sondern dass sich in den Zitaten und Ubernahmen sehr wohl eine je individuelle Kommentarstrategie und ein Gestaltungswille erkennen lassen, die auch einer Lectura secundum alium ein eigenst¨andiges Gepr¨age verleihen k¨onnen.18 An den Begr¨undungen seiner beiden Suppositiones zur Wirksamkeitsproblematik sei daher untersucht, inwiefern sich die vorliegende Diskussion aus H EINRICHS Quaestionen-Kommentar u¨ berhaupt als Lectura secundum alium verstehen l¨asst und was allenfalls der eigenst¨andige Charakter seiner Darstellung ausmacht. Die Begr¨undungen zu H EINRICHS zwei ersten Suppositiones sind beide identisch aufgebaut: Auf die Suppositio selbst folgen erst eine Reihe von Beweisen, bevor H EINRICH einige Folgerungen aufzeigt, die sich aus der Suppositio und den angef¨uhrten Beweisen ergeben. Interessanterweise unterscheiden sich nun diese beiden Teile jeweils nicht nur in ihrer logischen Funktion, sondern auch in den Quellen und Vorlagen, auf die sich H EINRICH st¨utzt. In den beweisenden Teilen greift er vorwiegend auf die Sentenzen von P ETRUS L OMBARDUS selbst zur¨uck, die er geschickt einzusetzen weiß: So lehnt er sich bei weitem nicht nur an die paar traditionellen Stellen aus der ersten Distinktion des vierten Buches an, die f¨ur gew¨ohnlich die Wirksamkeitsfrage pr¨agen, sondern nimmt auch Pasmentlichen Sakramente (Reportata Parisiensia IV, d 1, q 5, s 3, ed. Wadding XI 1639, S. 573b): Talia enim non conferebant gratiam virtute propria, scilicet virtute operis operati; sed virtute motus interioris, scilicet per modum meriti. 16 Beide werden zweimal auf fol. 266v im Rahmen der Correlaria zur ersten Suppositio genannt, S COTUS zudem noch einmal auf fol. 267ra im zweiten Correlarium zur zweiten Suppositio. Zu H EINRICHS L¨osung im Sinne des Pakt-Modells vgl. auch ganz knapp L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 209f. 17 Zu Herkunft und Kritik des Begriffs der lectura secundum alium s.o., S. 58 mit Anm. 23 und 24. Die Vorlagen des zweiten und dritten Artikels der vorliegenden Quaestio sind eingehend untersucht worden von BAKKER: Raison et Miracle (1999), S. 112–136. 18 Vgl. das oben bereits diskutiert Beispiel JAKOBS VON E LTVILLE. So letztlich bereits T RAPP, DAMASUS: Augustinian Theology of the 14th Century. Notes on Editions, Marginalia, Opinions and Book-Lore, in: Augustiniana 6 (1956), S. 146–274, S. 255; vgl. auch BAKKER/ S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), 440.
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
sagen aus der 2., 5., 13. und 19. Distinctio auf.19 In den meisten F¨allen verweist H EINRICH explizit und mit genauer Kapitel-Angabe auf seine Vorlage; nur an einer Stelle u¨ bernimmt er aus den Sentenzen ein l¨angeres Zitat der Quaestiones veteris et novi testamenti des A MBROSIASTER, ohne seine eigentliche Vorlage, P ETRUS ’ Sentenzen, anzugeben.20 Offensichtlich versucht H EINRICH, mit solchem R¨uckgriff auf den eigentlichen Grundtext seines Werks seine Quaestio zumindest ansatzweise auch als Kommentar zu gestalten und die eigenen Annahmen mit den Aussagen seiner Vorlage zu fundieren. Sobald H EINRICH allerdings zu den Folgerungen kommt, die sich aus den Suppositiones ergeben, wechseln auch seine Vorlagen. Erst hier greift er auf die genannten Scholastiker S COTUS und T HOMAS VON S TRASSBURG zur¨uck. In die Folgerungen zur ersten Suppositio steigt er mit einer erst noch lockeren und unausgewiesenen Paraphrase zum Kommentar von T HOMAS ein, nennt dann aber pl¨otzlich seine Vorlage und lehnt sich nunmehr fast w¨ortlich an diese an: H EINRICH
VON
OYTA, Quaestiones21
Ex quo sequitur quod sacramenta novae legis non efficiunt ea quaen figurant per virtutem elementis vel verbis vel intentionis vel signis vel omnibus istis simul intrinsecam. Patet quia ea quae figurant sacramenta sola virtus divina sine cooperatione quoad istao immediate operatur ut satis patet ex dictisp doctorum finaliter praeallegatis, igitur. Ex quo ulterius sequitur quod sacramentaq non secundum naturam suam nec instrumentaliter pertingunt ad aliquem effectum in anima productive ad infusionemr gratiae requisitum. Patet quia nullus talis effectus requiritur ad infusionem gratiae ultra debitam applicationem sacramentorum ut | ex dictis patet, ergo.
T HOMAS V.S TR ., Commentaria22 [...] Ad quartum dicendum, quod sacramenta novae legis dicuntur efficere gratiam, eo quod ipsis per rite perceptis virtus divina immediate et concomitanter causat gratiam in anima percipientis.
Conclusio tertia est, quod sacramenta novae legis non sunt causa dispositiva gratiae, sic quod talem effectum immediate causent in anima, qui ex sui natura ita sufficienter disponat animam ad susceptionem gratiae, quod necessario ipsi animae infundatur gratia, si non ponit obicem voluntarie. [...]
19
F¨ur die traditionell wichtigen Stellen aus der ersten Distinktion s.o., S. 123. Das Zitat stammt aus Quaestiones veteris et novi testamenti q 11, ed. Souter (1908), S. 36. H EINRICH hielt die Schrift gem¨ass P ETRUS L OMBARDUS f¨ur ein Werk von AUGUSTIN, vgl. Prag, Nat. V.B.23, fol. 266ra, und Sententiae IV d 19, c 2, ed. Grottaferrata (1981), S. 367f. 21 q 13, a 1: Prag, Nat. V.B.23, fol. 266rb–va = Clm 8867, fol. 259rb. 22 Commentaria IV d 1, q 2, a 1, ed. Venedig 1564, fol. 64ra. 20
n
om M
o
illa M
p
add et M
q
sacramentum P
r
invisionem M
15.1 Der geometrische Stil des Pariser Quaestionenkommentars
Item arguit Thomas de Argentina distinctione secunda talis effectus maxime videtur esse character aliquis
vel aliquis spiritualis ornatus animae ad quem sacramenta effective attingunt tamquam instrumenta divinae misericordiae prout unus venerabilis doctor dicit. Falsitas probatur quia talis s character vel ornatus est formas supernaturalis et per consequens non est terminus alicuius actionis nisi creationis, et per consequens sacramenta non possunt ad eam pertingere productive.
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Sed oppositum istius conslusionis ponit quidam venerabilis doctor dicens quod sacramenta attingunt actione sua inquantum sunt instrumenta Dei: effective characterem quantum ad illa sacramenta, quorum susceptione imprimitur character; vel aliquem spiritualem ornatum animae quoad illa sacramenta, quorum susceptione non imprimitur character. Gratiam vero non attingunt immediate effective. [...] Sed ista dicta non videntur posse stare. 1. Quia character et huiusmodi ornatus, cum sint formae supernaturales, oportet, quod sint terminus creationis divinae, et per consequens actio sacramenti non potest ad talia productive terminari.
Diese Anlehnung zieht H EINRICH auch in seiner dritten Folgerung durch, welche nunmehr im Wortlaut einer vierten Conclusio aus T HOMAS’ Kommentar entspricht, was H EINRICH erneut mit einem expliziten Verweis auf seine Vorlage belegt.23 Seine Vorlage k¨urzt H EINRICH dabei massiv zusammen; interessiert ist er vor allem an T HOMAS’ Conclusiones und an einigen ausgew¨ahlten, zentralen Begr¨undungen. Die ausf¨uhrlichen Diskussionen von Gegenmeinungen und weiteren Begr¨undungsm¨oglichkeiten, die T HOMAS VON S TRASSBURG zwischen seine Conclusiones eingeschoben hat, u¨ bergeht H EINRICH hingegen großz¨ugig und bringt damit eine eindeutige Stoßrichtung in seine Darstellung, die bei seiner Vorlage noch gefehlt hat. Im eben zitierten Text wird dies an jener Stelle deutlich, wo T HOMAS VON S TRASSBURG anf¨uhrt, dass quidam venerabilis doctor das Gegenteil zu seiner Conclusio vertreten habe. H EINRICH seinerseits pr¨asentiert dies nicht als alternative Meinung, sondern als Argumentation des S TRASSBURGERS selbst und verweits bloß am Schluss beil¨aufig darauf, dass unus venerabilis doctor solches tats¨achlich behauptet habe. Offensichtlich liegt H EINRICH daran, in seiner Darstellung nicht ein ganzes Heer von Meinungen, sondern bloß einige ausgew¨ahlte Scholastiker zu Wort kommen zu lassen – eine Gl¨attung, die sich auch darin a¨ ußert, dass H EINRICH das quidam von T HOMAS VON S TRASSBURG in ein unus ab¨andert: Obwohl es sich immerhin um die Position von T HOMAS VON AQUIN handelt, die da angeschnitten wird, streift sie H EINRICH nicht nur bloß am Rande, sondern hakt sie auch umgehend als Einzelfall ab. Darauf wird gleich noch zur¨uckzukommen sein. 23 s
Prag, Nat. V.B.23, fol. 266va: Istud etiam tenet Thomas de Argentina ubi supra.
character vel forma sit M
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
Vorerst sei aber noch auf H EINRICHS Umgang mit dem zweiten Scholastiker verwiesen, den er explizit zu Wort kommen l¨asst: Gleich im Anschluss an seine Bemerkung, seine dritte Folgerung habe schon T HOMAS VON S TRASSBURG vertreten, f¨uhrt H EINRICH aus, dass auch S COTUS damit u¨ bereinstimme. Ganz offensichtlich hat H EINRICH erneut die Reportationes von dessen Pariser Vorlesung vor Augen, denn was folgt, ist eine weitgehend w¨ortliche, nur stellenweise ¨ etwas gek¨urzte Ubernahme des vierten Scholium aus diesem Kommentar: H EINRICH
VON
OYTA, Quaestiones24
Item Scotus circa distinctionem primam quarti concordat et dicit quod sacramentum non agit ad creationem gratiae nec principaliter nec instrumentaliter nec dispositive saltem per aliquam actionem supernaturalem secundum quam virtute alicuius alterius agat ad gratiam. t Habet tament sacramentum quandam actionem naturalem ut aqua in sacramento baptismi habet abluereu corpus. Et ista actio scilicet ablutiov debite facta accedentibus verbis | dici potestw instrumentalis respectu gratiae quam significat, scilicet ablutionem interiorem animae ad quam etiamx ex divina pactione est ordinatum.
S COTUS, Reportatio25 Respondeo ergo ad quaestionem primam et dico quod nullum sacramentum ullo modo agit ad creationem gratiae, nec principaliter, nec instrumentaliter, nec dispositive per aliquam actionem supernaturalem virtute alicuius alterius ad gratiam. Habet tamen sacramentum quandam actionem naturalem, ut aqua cum verbis in sacramento baptismi abluere habet corpus, quae potest dici actio instrumentalis respectu gratiae, quia significat ablutionem animae interiorem per gratiam. [...] Susceptio sacramenti est quaedam dispositio necessitans ad gratiam ex pactione divina, qua Deus pepigit assistere sacramentis, ut conferrent quod signant.
¨ Diese Ubernahmen aus den Reportata ziehen sich noch u¨ ber einige Abschnitt hinweg, und nicht weniger explizit lehnt sich H EINRICH auch in den Folgerun¨ gen zu seiner zweiten Suppositio an S COTUS an.26 Anders als bei den Ubernahmen aus T HOMAS VON S TRASSBURG halten sich diese Anlehnungen an S COTUS trotz einiger K¨urzungen ziemlich eng an ihre Vorlage, was sich allerdings aus dem unterschiedlichen Aufbau des jeweiligen Grundtexts erkl¨aren d¨urfte: W¨ahrend sich H EINRICH bei T HOMAS VON S TRASSBURG vorwiegend auf dessen Conclusiones st¨utzt, zwischen die der S TRASSBURGER seine ganzen Diskussionen eingeschaltet hat, konzentriert er sich bei S COTUS auf dessen zusammenh¨angende Responsio; die eingehende Darstellung und Kritik der Mitwirkuns-Variante hat S COTUS dieser Responsio bereits vorangestellt, und 24 25 26 t
q 13, a 1: Prag, Nat. V.B.23, fol. 266va–b = Clm 8867, fol. 259va. Reportata Parisiensia IV d 1, q 3–4, s 4, ed. Wadding XI 1639, S. 569a. Patet sicut arguit Scotus (Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra).
sed P
u
habile M
v
de ablutione P
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x
om P
15.1 Der geometrische Stil des Pariser Quaestionenkommentars
259
diesen Teil der Reportata l¨asst H EINRICH ebenfalls v¨ollig unbeachtet. Auch in H EINRICHS Umgang mit S COTUS zeigt sich damit jene Tendenz, keine Meinungsvielfalt darzustellen, sondern bloß jene Scholastiker zu Wort kommen zu lassen, die seine eigene Position unterst¨utzen. Zwei Dinge sind es, die an diesen expliziten Verweisen auf eine fr¨uhere Generation eine besondere Beachtung verdienen: Erstens zeigt sich darin ein gewisser Traditionalismus, weil H EINRICH sich nicht – wie es bei seinen stilistischen Vorbildern durchaus u¨ blich gewesen ist – mit Zeitgenossen und ihren Lehren auseinandersetzt, sondern auf die Ans¨atze bereits verstorbener Autoren zur¨uckgreift, diese damit aktuell h¨alt und ihnen ganz offensichtlich ein autoritatives Gewicht beimisst.27 Interessanterweise lehnen sich seine Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsfrage aber nicht an deren Problemsituation des sp¨aten 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts an, sondern tragen auch inhaltlich das Gepr¨age eines Kommentars des sp¨aten 14. Jahrhunderts: Von einem Autorit¨atenkonflikt kann keine Rede sein, vielmehr geht es um einige rein rational zu begr¨undende Thesen. Und selbst wenn H EINRICH an einer Stelle darauf hinweist, dass es f¨ur die Pakt-Variante (und nicht etwa f¨ur das Mitwirkungs-Modell!) plures expresse auctoritates sanctorum gebe, ist es doch bezeichnend, dass er sich nicht bem¨ußigt f¨uhlt, diese auctoritates konkret zu benennen oder w¨ortlich anzuf¨uhren – geschweige denn, sie zu diskutieren.28 Indem H EINRICH VON OYTA bloß auf S COTUS und T HOMAS VON S TRASS BURG zur¨ uckgreift, wird zweitens aus seinem Kommentar nicht einmal mehr ersichtlich, dass es einst zwei gegens¨atzliche Positionen gegeben hat. Denn das Mitwirkungs-Modell stellt H EINRICH ja gar nicht erst dar und Gegenargumente gegen die Pakt-Variante bleiben ebenso aus wie eine namentliche Erw¨ahnung von T HOMAS VON AQUIN. Neben dem bereits angef¨uhrten beil¨aufigen Verweis auf jenen unus venerabilis doctor wird H EINRICH im Rahmen seiner Diskussion der Wirksamkeitsproblematik bloß an einer einzigen Stelle etwas ausf¨uhrlicher und merkt an, dass unus doctor – wie H EINRICH erneut sagt – die Kraft in den Sakramenten f¨ur kein ens fixum gehalten, sondern sie, wie idem doctor es nenne, unter die Seinsform der intentiones gerechnet habe. Auch an dieser Stelle greift er w¨ortlich auf einen Vorlagentext zur¨uck:
27
Neben den genannten Verweisen auf S COTUS und T HOMAS VON S TRASSBURG werden auch sonst in diesem ersten Artikel nur ‘traditionelle’ Scholastiker genannt, so noch ein weiteres Mal T HOMAS VON S TRASSBURG auf fol. 269rb; T HOMAS VON AQUIN erscheint dreimal auf den fol. 269ra–va; und mit H EINRICH VON S USA (als Hostiensis) findet auf den fol. 267va und 268ra auch ein Kanoniker des 13. Jahrhunderts je einmal explizite Erw¨ahnung. 28 Prag, Nat. V.B.23, fol. 266rb = Clm 8867, fol. 259rb: Pro dicta suppositione sunt plures expresse auctoritates sanctorum quas allegat magister hic in quarto distinctione quinta et tredecima, quae volunt quod minister solum exhibet [ministerium P] operando circa visibilia sacramenta.
260
Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
H EINRICH
VON
OYTA, Quaestiones29
Ex hoc patet intellectus illius quod dicit Augustinus super Johannem: tanta est virtus aquae ut corpus tangaty et cor abluat. Hoc enim non est intelligendum de aliqua virtute supernaturali existente in aqua, et eodemmodo de | aliis sacramentis. Quae quidem virtus non est ens fixum ut unus doctor dixerit, eo quod non est forma habens completum esse in natura vel aliqua talis qualitas competens enti secundum exigentiam naturae vel formae suae agenti, sedz est sicut ens incompletum a competens alicuia ut est instrumentum motum ab alio. Et talia entia intentionesb solent nominari, ut dicit idem doctor.
T HOMAS VON AQUIN, Scriptum30
Et ideo virtus instrumenti inquantum huiusmodi, secundum quod agit ad effectum ultra id quod competit sibi secundum suam naturam, non est ens completum habens esse fixum in natura,
sed quoddam ens incompletum, sicut est virtus immu|tandi visum in aere, inquantum est instrumentum motum ab exteriori visibili; et huiusmodi entia consueverunt intentiones nominari.
W¨ahrend H EINRICH bei S COTUS und T HOMAS VON S TRASSBURG in aller Offenheit auf seine Vorlagen verweist, h¨alt er sich an der vorliegenden Stelle bezeichnenderweise zur¨uck: Dass H EINRICH T HOMAS VON AQUIN nicht nur nicht namentlich nennt, sondern diese rudiment¨ar angesprochene Meinung auf bloß einen einzigen Doktor zur¨uckf¨uhrt, zeigt, dass er die MitwirkungsVariante ganz offensichtlich so weit wie m¨oglich aus seiner Diskussion heraushalten will. ¨ Mehr als einige Uberbleibsel der einst ausgiebigen Debatte bilden diese knappen Anmerkungen daher nicht – w¨aren die Wiener Studenten nur auf Grund dieses Pariser Kommentars H EINRICHS VON OYTA mit der Wirksamkeitsproblematik in Ber¨uhrung gekommen, so h¨atten sie wohl bloß das Pakt-Modell kennen gelernt. Diese verk¨urzte Darstellungsweise h¨angt nat¨urlich auch mit der Struktur zusammen, innerhalb der H EINRICH u¨ berhaupt auf die Thematik zu sprechen kommt: Weil er die Wirksamkeitsfrage nicht als eigenst¨andige Problematik aufgreif, er¨ubrigt es sich auch, dass er sie in aller Ausf¨uhrlichkeit behandelt. Vielmehr erlaubt ihm sein geometrisches Vorgehen nicht nur, uninteressante Themen g¨anzlich auszulassen, sondern auch die aufgegriffenen Probleme auf einige zentrale Punkte zu verdichten und ausf¨uhrliche Diskussionen zu umgehen, wo ihm diese f¨ur den logischen Aufbau der Argumentation u¨ berfl¨ussig scheinen. Damit d¨urfte paradoxerweise das Auslassen einer expliziten Nennung von T HOMAS VON AQUIN zugleich auch ein Hinweis auf die 29 30 y
q 13, a 1: Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra–b = Clm 8867, fol. 260ra. In sententias IV d 1, a 4, qc 2, resp., ed. Moos (1947), S. 34f.
add aquae P
z
scilicet P
a
om P
b
intensiones P
15.1 Der geometrische Stil des Pariser Quaestionenkommentars
261
Autorit¨at sein, die H EINRICH in ihm gesehen hat: Denn h¨atte er ihn namentlich genannt, so w¨are es ihm kaum m¨oglich gewesen, das Mitwirkungs-Modell bloß so beil¨aufig abzuhandeln – sich gegen T HOMAS VON AQUIN zu stellen, h¨atte nach einer vertieften Auseinandersetzung verlangt. In seinem Pariser Quaestionen-Kommentar schwankt H EINRICHS Darstellung der Wirksamkeitsproblematik daher zwischen modernen und traditionellen Z¨ugen hin und her: W¨ahrend sein R¨uckgriff auf Scholastiker des 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts einen traditionellen Ansatz verr¨at, unterstreichen die strukturellen Merkmale und H EINRICHS knappe, gewissermaßen pragmatische Behandlung der Wirksamkeitsfrage, wie sehr er in der Tradition des sp¨aten 14. Jahrhunderts verwurzelt ist. Die weitgehend w¨ortlichen Anlehnungen an die Argumentationsweise von S COTUS und T HOMAS VON S TRASSBURG sind damit auch nicht einfach Zeichen eines unoriginellen Traditionalismus, sondern entsprechen erneut vor allem der Pragmatik des geometrischen Vorgehens: Weil H EINRICH die Wirksamkeitsfrage nicht als eigenst¨andige Problematik aufgreift, sondern bloß im Rahmen einer untergeordneten Pr¨amisse in den Prolegomena zu seiner eigentlichen Fragestellung streift, scheint es ausreichend, auf den durchdachten Ausf¨uhrungen seiner Vorg¨anger aufzubauen, um selbst z¨ugig zur eigentlich interessierenden Frage zu gelangen. Es w¨are nun allerdings verkehrt, daraus zu schließen, dass sich H EINRICH VON OYTA seine Sache einfach gemacht h¨atte.31 Die ganze Quaestio ist derart durchkomponiert, die ‘geometrische’ Struktur hinter der F¨ulle behandelter Themen derart durchdacht, dass davon ausgegangen werden muss, H EINRICH habe jedes einzelne Argument gezielt gew¨ahlt und eingesetzt. Obwohl die w¨ortlichen Anlehnung an S COTUS und an T HOMAS VON S TRASSBURG einen nicht unbedeutenden Teil seiner Diskussion ausmachen, pr¨agen sie doch nicht die ganzen Ausf¨uhrungen zu seinen Suppositiones, deren eigentliche Begr¨undung H EIN RICH vielmehr an P ETRUS L OMBARDUS selbst festmacht. Zudem achtet H EIN ¨ RICH bei seinen w¨ ortlichen Ubernahmen aus den beiden sp¨ateren Scholastikern sehr genau darauf, welche Stellen er exzerpiert, so dass aus der Argumentationsund Meinungsvielfalt, welche die Vorlagen noch gepr¨agt hat, eine stark gegl¨attete, bloß auf das Pakt-Modell hinauslaufende Darstellung wird. Dieser souver¨ane, gezielte Einsatz von Vorlagen l¨asst sich daher kaum als Lectura secundum alios verstehen. Dass H EINRICH sehr bewusst mit diesen Quellen umgeht und den geometrischen Stil sehr wohl als gezieltes Gestaltungsmittel einsetzt, ist auch aus einem anderen Grund naheliegend: H EINRICH konnte auch anders. Einige Jahre 31 Vgl. etwa das Verdickt von T RAPP: Augustinian Theology (1956), S. 215, zu solcher R¨uckkehr zu den ‘großen Meistern’: An attitude hailed by the ‘orthodox’ because they mistru” sted the freedom-loving theologians of the 14th century, hailed also by easy-going scholars because it was so much more convenient to study one author than ten or twenty.“ Dazu s.o., S. 112 mit Anm. 23.
262
Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
bevor er nach Paris kam und seine dreizehn Quaestionen formulierte, kommentierte er, wie bereits erw¨ahnt, bereits an der Prager Universit¨at P ETRUS ’ Sentenzen; und in dieser ersten Lesung hielt er sich so eng an diese Vorlage, die er nicht nur in Quaestionen kommentierte, sondern auch ausf¨uhrlich paraphrasierte, dass die Lesung in der modernen Forschung als Lectura textualis bekannt werden sollte.32 Angesichts dieser Anlehnung an eine Kommentarform, die ihren H¨ohepunkt im sp¨aten 12. und fr¨uhen 13. Jahrhundert erlebt hat, ist diese Lectura nun nicht nur stilistisch und strukturell ganz anders aufgebaut als der Pariser Quaestionen-Kommentar; vielmehr zeigt sie dar¨uber hinaus auch einen anderen Umgang mit Quellen und Vorlagen. F¨ur den Pariser Quaestionen-Kommentar bedeutet dies, dass H EINRICHS Vorgehensweise und seine Beschr¨ankung auf einige zentrale Themen durchaus Ausdruck seines Gestaltungswillens gewesen sind. F¨ur das vorliegende Vorhaben heißt es nun aber, dass auch ein Blick auf diese Lectura textualis und deren Behandlung der Wirksamkeitsproblematik zu werfen ist.
15.2 Die Prager Lectura textualis Die moderne Forschung mit ihrem Fokus auf des erste Buch von P ETRUS ’ Sentenzen kennt die Prager Lectura textualis des H EINRICH VON OYTA vor allem als Glossen a¨ hnliche Expositio, die kaum Probleme er¨ortert, welche u¨ ber die eigentliche Texterkl¨arung hinausgehen, und in der Vorlage gestellte Fragen h¨ochstens als knappe, formlos gehaltene Dubia kl¨art.33 Allerdings hat bereits A LBERT L ANG in seiner 1937 erschienenen grundlegenden Studie zu H EIN RICHS Leben und Werk darauf hingewiesen, dass insbesondere in der Lectura zum vierten Buch auf die w¨ortliche Auslegung jeweils eine Reihe von Quaestionen folgt, die die klassische scholastische Form aufnehmen und sich bisweilen u¨ ber mehrere Folios hin erstrecken.34 Im Hinblick auf H EINRICHS Kommentar 32 RS 334, gehalten um 1370. Vgl. L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 45–54, der ebd. 51f. mit Anm. 15, bereits festgestellt hat, dass sich H EINRICH insbesondere im Rahmen seines Kommentars zu Buch IV auch schon in der Lectura textualis von seiner Vorlage l¨ost und mehrere Unterfragen aneinanderreiht. F¨ur den Abschnitt zur ersten Distinctio wird dies im Nachfolgenden best¨atigt. 33 Vgl. BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), S. 429 mit Anm. 8, in Anlehnung an L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 49; etwas zur¨uckhaltender BAKKER: Raison et Miracle (1999), Bd. II, S. 86. Buch I der Lectura textualis beigezogen hat etwa H OE NEN , M AARTEN J.F.M.: Marsilius of Inghen. Divine Knowledge in Late Medieval Thought, Leiden: Brill, 1993 (Studies in the History of Christian Thought 50), S. 112f. 34 L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 50f., vgl. insbesondere Anm. 15. Wie noch zu zeigen sein wird, finden sich nicht nur solch formal streng gehaltene Quaestionen in H EIN RICHS Lectura, sondern innerhalb solcher Quaestionen auch einzelne Dubia, die nach einem strengen Quaestionen-Schema gestaltet sind (s.u., S. 264).
15.2 Die Prager Lectura textualis
263
zur ersten Distinctio dieses vierten Buchs, der im vorliegenden Zusammenhang interessiert, kann L ANGS Befund nur best¨atigt werden: Auf eine knappe Divisio textus folgt eine eingehende Expositio des Vorlagen-Texts, der jeweils mit den ersten Stichworten eines Abschnitts angesprochen und dann eingehend er¨ortert wird.35 Diese textnahen Auslegungen erg¨anzt H EINRICH mit vier Quaestionen, deren Behandlung fast dreimal mehr Raum einnimmt als die vorangehende Expositio.36 Zudem greifen diese Quaestiones Probleme auf, die sich nicht einfach bloß aus dem Vorlagentext selbst ergeben, sondern erst durch die Kommentartradition zu Fragen geworden sind, die im Rahmen der ersten Distinctio von Buch IV gekl¨art werden. Was daher H EINRICHS Kommentar zu dieser ersten Distinctio betrifft, handelt es sich um deutlich mehr als um eine bloße Expositio.37 Dass sich H EINRICH mit der Kommentartradition vertraut gemacht hat, zeigt sich nun nicht nur darin, dass er deren Problemstellungen in seinen Quaestionen aufnimmt. Vielmehr erweist sich die Lectura zu dieser ersten Distinctio von Buch IV als ein direktes Zeugnis f¨ur H EINRICHS Auseinandersetzung mit den wichtigsten Vertretern dieser Tradition, denn bei genauerem Hinsehen ergeben ¨ sich auff¨allige Ubereinstimmungen insbesondere mit dem Sentenzenkommentar des T HOMAS VON AQUIN. So ist schon ein ganzer Abschnitt der einleitenden Divisio textus wortw¨ortlich aus T HOMAS’ Kommentar u¨ bernommen;38 aber auch die vier Quaestionen, die sich an die Expositio anschließen, sind in offenkundiger Anlehnung an T HOMAS formuliert: Sie entsprechen der jeweils 35 ¨ Die vorliegenden Ausf¨uhrungen st¨utzen sich auf die Handschrift Wien, ONB 4004, die nur Buch IV und die Principia zu s¨amtlichen B¨uchern enth¨alt (vgl. die Beschreibung bei L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 47, Nr. 10). Die Divisio textus zur ersten Distinctio findet ¨ sich auf fol. 1r, die Expositio erstreckt sich u¨ ber die fol. 1r–4r. Der Ubergang von der Divisio textus in die Expositio erfolgt dabei fließend: ...prima in duas: primo proponit materiam de qua agendum est. Secundo ostendit quod de ea primo dicendum sit ibi: DE QUIBUS QUATUOR. – Primo intendit hanc conclusionem quod sacramenta sunt remedia contra originalis peccati... 36 ¨ Wien, ONB 4004, fol. 4r–12v (also knapp 18 Folios, w¨ahrend sich die Expositio u¨ ber deren sechs erstreckt). 37 Ein genaueres Studium des gesamten Kommentars zu Buch IV m¨usste zeigen, inwiefern diese Beobachtungen zur ersten Distinctio verallgemeinert werden k¨onnen. Aus einer Anmerkungen bei L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 51f., Anm. 15, wird deutlich, dass H EINRICH auch zur zweiten Distinctio eine ganze Reihe von (allerdings k¨urzeren) Quaestionen stellt; bei BAKKER: Raison et Miracle (1999), Bd. II, S. 93f. sind die Quaestionen zu den Distinktionen 10–12 zusammengetragen. Die Ausf¨uhrlichkeit der Quaestiones im Rahmen der ersten Distinktion d¨urfte sich schon allein deshalb nicht durch den gesamten Kommentar zu Buch IV hindurchziehen, weil allein der Kommentar zu dieser ersten Distinctio fast 10% des Gesamtumfangs von Buch IV mit seinen insgesamt 50 Distinktionen ausmacht. 38 ¨ Wien, ONB 4004, fol. 1r: Et dividitur iste liber in duas partes: in prima determinat... bis ...de ea primo dicendum sit ibi: DE QUIBUS QUATUOR. Vgl. In sententias Prol., ed. Moos (1947), S. 3. F¨ur ein ausf¨uhrlicheres Beispiel von H EINRICHS Anlehnungen an T HOMAS im Rahmen dieser Divisiones textus und den nachfolgenden Expositiones vgl. BAKKER: Raison et Miracle (1999), Bd. II, S. 87–93.
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
ersten Quaestiuncula des ersten, zweiten, vierten und f¨unften Artikels zur ersten Quaestio von T HOMAS’ Sentenzenkommentar zu Buch IV.39 Bei der zweiten Quaestio H EINRICHS ist diese formale Anlehnung sogar noch ausgepr¨agter, denn im Anschluss an die Quaestio formuliert er vier Dubia, die den restlichen vier Quaestiunculae von T HOMAS’ zweitem Artikel entsprechen.40 Es ist daher nicht weiter erstaunlich, dass sich auch in diesen Quaestiones und Dubia findet, was bereits in der Diviso textus anzutreffen ist: Sie sind u¨ ber weite Strecken hinweg in w¨ortlicher Anlehnung an T HOMAS’ Scriptum verfasst worden.41 Angesichts der Zur¨uckhaltung, mit der H EINRICH in seinem QuaestionenKommentar T HOMAS im Rahmen der Mitwirkungs-Problematik behandelt, erstaunt diese Anlehnung. Denn im Gegensatz zum Quaestionen-Kommentar, der eine eigenst¨andige Struktur aufweist und nur an ausgew¨ahlten Stellen w¨ortlich auf Materialien von Vorlagen zur¨uckgreift, scheint H EINRICH hier strukturell ebenso wie inhaltlich auf T HOMAS aufzubauen und sich damit an T HOMAS nicht nur anzulehnen, sondern eine regelrechte Lectura secundum Thomam zu bieten. Dennoch kann er seinen Kommentar nicht schlechthin aus T HOMAS’ Scriptum u¨ bernommen haben, wie schon die Unterteilung von H EINRICHS Lectura zu Buch IV in jeweils einen Auslegungs- und einen Quaestionen-Teil zeigt. 39 Dies ist allerdings kein durchgehendes Strukturmerkmal: Die bei L ANG und BAKKER (s.o., Anm. 37) aufgelisteten Quaestiones lassen sich nur teilweise noch auf T HOMAS’ Scriptum zur¨uckf¨uhren. Es sei immerhin erw¨ahnt, dass sich bereits D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN auch nur im Rahmen der ersten Distinctio von Buch IV strukturell an T HOMAS gehalten hat (s.o., S. 193). Die vorliegenden Untersuchungen haben jedoch keine Anhaltspunkte geliefert, dass es sich dabei um mehr als eine Koinzidenz handelt. 40 Mit Ausnahme des dritten befolgen u¨ brigens auch diese Dubia ein strenges QuaestionenSchema und sind keineswegs so formlos gehalten, wie bisweilen behauptet wird (s.o., Anm. 33, S. 262). Im einzelnen lauten die Quaestiones: Primo quaeritur de diffinitione sacramenti qua dicitur ‘sacramentum est sacrae rei signum’ an sit bona (fol. 4r, vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 1, qc 1, ed. Moos (1947), S. 9). Secundo quaeritur utrum institutio sacramentorum post lapsum humani generis fuerit conveniens (fol. 5r, vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 2, qc 1, ed. Moos (1947), S. 16). Tertio quaeritur utrum sacramenta novae legis sint causa gratiae (fol. 8r, vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, ed. Moos (1947), S. 26). Quaeritur utrum sacramenta veteris legis conferebant gratiam (fol. 11r, vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 5, qc 1, ed. Moos (1947), S. 39). Die Dubia im Anschluss an H EINRICHS zweite Quaestio lauten: Adhuc dubitatur an homo ante peccatum indiguerit sacramentis (fol. 5v, vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 2, qc 2, ed. Moos (1947), S. 17). Adhuc dubitatur an in statu legis naturae debuerunt esse sacramenta (fol. 6r, vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 2, qc 3, ed. Moos (1947), S. 18). Adhuc dubitatur quod videtur quod sacramentis legis naturae non debebant addi alia in lege moysi quia illa erant perfectiora ut patet de oblatione Melchisedech (fol. 6v, vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 2, qc 4, ed. Moos (1947), S. 19). Adhuc dubitatur utrum aliqua sacramenta veteris legis debebant remanere nova lege superveniente (ebd., vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 2, qc 5, ed. Moos (1947), S. 19). 41 Diese starke Anlehnung an T HOMAS VON AQUIN ist kennzeichnend vor allem f¨ur H EIN RICHS Kommentar zu Buch IV, w¨ahrend er in jenem zu den ersten beiden B¨ uchern nur selten auf den AQUINATEN zur¨uckgegriffen hat, vgl. L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 145.
15.2 Die Prager Lectura textualis
265
Auch in diesem fr¨uheren Kommentar d¨urfte sich daher aufgrund eines genaueren Blicks ein differenzierteres Bild ergeben. Weil sich nun die dritte dieser Quaestionen erneut um die Problematik der sakramentalen Wirksamkeit dreht und damit ohnehin f¨ur den vorliegenden Zusammenhang einer genaueren Untersuchung bedarf, seien an ihr diese Anlehnungen etwas genauer untersucht, damit sich – neben dem Einblick in H EINRICHS fr¨uhen Umgang mit der Problematik – auch herausstellen kann, worin die Eigenart und allenfalls der spezifische Beitrag dieser Lectura textualis als m¨ogliche Lectura secundum Thomam liegen k¨onnte. 15.2.1 Eine Lectura secundum Thomam? Wie schon in der Fragestellung selbst – ob die neutestamentlichen Sakramente Ursache der Gnade seien – lehnt sich H EINRICH auch in den Argumenta erst einmal an T HOMAS an: Wie bei T HOMAS sind es auch bei H EINRICH Argumenta quod non, und H EINRICH u¨ bernimmt in zum Teil leicht gek¨urzter Form die ersten drei der sechs Argumente von T HOMAS im Wortlaut. Entsprechend tauchen damit bei H EINRICH auch wieder auctoritates in der Problemstellung auf: T HOMAS hat im ersten Argument jenes Zitat aus dem Sermo de coena domini B ERNHARDS VON C LAIRVAUX eingef¨uhrt, das die Sakramente mit den (wirkungslosen) Riten bei verschiedenen Amts-Einsetzungen vergleicht; im dritten f¨uhrt er unter Berufung auf AUGUSTIN und A RISTOTELES aus, dass Aktives edler als Passives und die Ursache nobler als die Wirkung sein m¨usse:42 H EINRICH
VON
OYTA, Lectura43
Tertio quaeritur utrum sacramenta novae legis sint causa gratiae. Videtur quod non. Dicit enim Bernhardus in sermone c De coena dominic : sicut investitur canonicus per librum, abbas per baculum, episcopus per anulum; sic divisiones gratiarum sunt diversis tradita sacramentis. Sed liber non est causa canonicatus, nec anulus episcopatus. Ergo nec sacramenta gratiae.
T HOMAS
VON
AQUIN, Scriptum44
Videtur quod sacramenta novae legis non sint causa gratiae. Dicit enim Bernardus: sicut investitur canonicus per librum, abbas per baculum, episcopus per anulum; sic divisiones gratiarum diversis sunt tradita sacramentis. Sed liber non est causa canonicatus, nec anulus episcopatus. Ergo nec sacramenta gratiae.
42 Zu B ERNHARD VON C LAIRVAUX s.o., S. 130; vgl. zudem A RISTOTELES, De anima III 5, 430a 18f.; sowie AUGUSTIN: De Genesi ad litteram VIII 20f., CSEL 28 (1894), S. 258–261 (s.o., S. 129). 43 ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol. 8r 44 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, ed. Moos (1947), S. 26f. c
additur in margine
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
Secundo, si sunt causa gratiae, oportet quod sint secundum aliquod genus causae. Sed
nullo modo potest dari, igitur etc. Tertio agens est nobilius patiente secundum Augustinum 12 super Gen. et secundum philosophum 3o de anima; et similiter causa dignior est effectu. Sed tam anima rationalis quam gratia praevalent sensibilibus elementis. Igitur etc.
Praeterea, si sunt causae gratiae, oportet quod sint secundum aliquod genus causae. Sed constat quod non sunt materiales nec formales, cum sint extra essentiam gratiae; nec iterum sunt causae finales, quia magis sacramenta propter gratiam habendam quaeruntur quam e converso; nec iterum causae efficientes, quia solus Deus efficit gratiam, adeo quod nec | angelis, qui sunt nobiliores sensibilibus creaturis, hoc communicatur. Ergo nullo modo sacramenta sunt causa gratiae. Praeterea, nobilius est agens patiente, secundum Augustinum in 12 super Gen.; et secundum philosophum, in 3 de anima; et iterum causa dignior est effectu. Sed tam anima rationalis quam gratia praevalent sensibilibus elementis. Ergo sacramentum, quod est materiale elementum, ut prius dictum est, non potest agere in animam ad causandum gratiam in ipsa.
Diese auctoritates st¨utzen nun bekanntlich nicht affirmativ das Pakt-Modell, sondern dienen in erster Linie der Kritik an der Mitwirkungs-Variante. Dass H EINRICH sie aufgreift, spricht dennoch f¨ur ein gewisses Interesse, diese Kritik autoritativ abzust¨utzen. Denn H EINRICH trifft ja durchaus eine Auswahl: T HOMAS’ restliche vier Argumente, von denen H EINRICH drei ausl¨asst, widersprechen einer tats¨achlichen Urs¨achlichkeit der Sakramente rationaliter – H EINRICH h¨atte in nicht weniger direkter Anlehnung an T HOMAS die Diskussion daher auch als rein rationale Problematik angehen k¨onnen.45 Dass H EINRICH den auctoritas-Aspekt in der Problemstellung betonen will, daf¨ur spricht nun auch das eine Argument, das er in oppositum anf¨uhrt: T HO MAS verweist hier zum einen in sehr verk¨ urzter Form auf jenes AUGUSTINI SCHE Diktum zur Kraft des Taufwassers, das er erst im Rahmen der zweiten Quaestiuncula ausf¨uhrlich aufnehmen wird, wo nicht mehr die Urs¨achlichkeit, sondern die Kraft der Sakramente zur Diskussion steht.46 Zum anderen aber 45
Zwei dieser drei rationalen Argumente bei T HOMAS funktionierten wie das eine, das H EINRICH u¨ bernommen hat, in der Form eines tertium (bzw. quintum) non datur, bzw. ex sufficienti divisione: Weder lasse sich eine sakramentale Urs¨achlichkeit einer der bekannten Ursachenarten zuordnen (so das vorliegende zweite und auch T HOMAS’ viertes Argument), noch k¨onne es einer der m¨oglichen Hervorbringungsweisen einer Sache gem¨aß die Gnade verursachen (so T HOMAS’ f¨unftes Argument). Das sechste drehte sich um den Sonderfall der Transsubstantiation (vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, ed. Moos (1947), S. 26f.). 46 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, sc 2 und qc 2, sc 1, ed. Moos (1947), S. 27f., mit Verweis auf In Iohannis evangelium Tractatus 80, n. 3, CCSL 36 (1954), S. 529; s.o., S. 123.
15.2 Die Prager Lectura textualis
267
bringt T HOMAS den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten ins Spiel, welcher gemeinhin darin gesehen werde, dass die neu-, nicht aber die alttestamentlichen Sakramente efficiunt quod figurant.47 Auch H EIN RICH w¨ahlt jenen Zugang u ¨ ber den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten, doch gen¨ugt es ihm nicht, dessen Begr¨undung auf einem commune dictum fußen zu lassen. Vielmehr l¨ost er sich von seiner Vorlage und bringt stattdessen das ber¨uhmte AUGUSTIN-Zitat, das bereits P ETRUS L OMBARDUS in seine Sentenzen aufgenommen hat, um die neutestamentlichen Sakramente von den alttestamentlichen abzugrenzen, weil diese das Heil bloß versprochen h¨atten, jene es aber g¨aben.48 So sehr H EINRICH VON OYTA die Problemlage aus Autorit¨aten-Zitaten heraus konstruiert, l¨asst er damit doch nicht jenen Autorit¨atenkonflikt aufleben, von dem die Debatte zwischen 1240 und 1320 gepr¨agt gewesen ist. Denn dort ging es ja um die Frage, ob die auctoritates mit den rationes in Einklang zu bringen seien.49 Bei H EINRICH aber pr¨asentiert sich die Problemlage als Konflikt nicht zwischen auctoritas und ratio, sondern zwischen widerspr¨uchlichen auctoritates selbst. Wie sich schon seine glossierende Expositio an einen Kommentarstil des 12. und fr¨uhen 13. Jahrhunderts anlehnt, nimmt auch seine Problematisierung der Wirksamkeitsfrage eine Vorgehensweise auf, die an fr¨uhere ‘Autorit¨atskrisen’ im Stile des A BAELARD ’ SCHEN Sic et non erinnert.50 Damit zeigte sich eine traditionalistische Ausrichtung in H EINRICHS Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik, die noch hinter seine Vorlage aus dem 13. Jahrhundert, hinter T HOMAS’ Sentenzenkommentar also, zur¨uckgeht. Dies wird gleich noch zu erg¨anzen sein durch eine außergew¨ohnliche inhaltliche Anlehnung von H EINRICH an einen Autor sogar des fr¨uhen 12. Jahrhunderts. 47 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, sc 1, ed. Moos (1947), S. 27; zur Herkunft des Gemeinplatzes efficiunt quod figurant s.o., S. 126. 48 ¨ Wien, ONB 4004, fol. 8r: In oppositum est Augustinus super psalmum 73 dicens quod sacramenta novae legis et veteris in hoc differunt quia illa sive veteris promittebant tantum et significabant, haec autem dant salutem. Vgl. Enarrationes in Psalmos Psalm 73, n. 2, CCSL 39 (1990), S. 1006, l. 18–21; aufgenommen bei Sententiae IV d 1, c 6, ed. Grottaferrata (1981), S. 236 (ausf¨uhrlicher dazu oben, S. 123). H EINRICH VON OYTA u¨ bernimmt das Zitat in der Formulierung von P ETRUS L OMBARDUS, welche den AUGUSTINISCHEN Ausspruch um das et significabant erg¨anzt. 49 Wie dies insbesondere in T HOMAS’ Aufstellung der Problematik deutlich geworden ist, s.o., Teil II, Kap. 11.1. 50 Zum Begriff ‘Autorit¨atskrise’ vgl. L IBERA , A LAIN DE: Die mittelalterliche Philosophie, M¨unchen: Fink, 2005 (Uni-Taschenb¨ucher 2637), S. 34. Zur Entwicklung der Quaestio vgl. ne` , B ERNARDO C./F RANSEN , G./W IPPEL , J OHN F. ben dem grundlegenden Werk von BAZ AN (Hrsg.): Les questions disput´ees et les questions quodlib´etiques dans les Facult´es de th´eologie, de droit et de m´edicine, (Typologie des sources du moyen aˆ ge occidental 44/45) Turnhout: Bre¨ pols, 1985 auch den knapperen Uberblick von H OYE , W ILLIAM J.: Die mittelalterliche Methode der Quaestio, in: H EROLD , N ORBERT/K ENSMANN , B ODO/M ISCHER , S IBILLE (Hrsg.): Philosophie. Studium, Text und Argument, M¨unster, 1997, S. 155–178.
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
Vorerst sei aber festgehalten, dass sich diese Zur¨uckhaltung gegen¨uber dem klassischen Konflikt zwischen auctoritas und ratio auch im Korpus der Quaestio deutlich niedergeschlagen hat. Weiterhin lehnt sich H EINRICH eng an T HO MAS’ Sentenzenkommentar an. Doch da, wo T HOMAS die Beantwortung seiner Quaestiuncula mit den Worten einleitet, dass wegen der auctoritates alle gezwungen seien, eine Kausalit¨at der Sakramente anzunehmen, und erst im Anschluss an diese Feststellung den L¨osungsansatz des Pakt-Modells vorstellt, u¨ berspringt H EINRICH VON OYTA T HOMAS’ einleitende Bemerkung und setzt direkt mit dessen Referat der Pakt-Variante ein:51 Offensichtlich will H EINRICH die vorentscheidende Stoßrichtung, die mit T HOMAS’ einleitender Feststellung verbunden ist, aus seiner eigenen Darstellung heraushalten. Das wird auch etwas sp¨ater deutlich, sobald H EINRICH in seinem Referat zu jenem Abschnitt kommt, in dem T HOMAS ausf¨uhrt, woran in seinen Augen das Pakt-Modell scheitere: Zwar kopiert hier H EINRICH von T HOMAS noch die einleitende Behauptung, es scheine dieses Modell den dicta sanctorum nicht zu gen¨ugen; wo T HOMAS dann aber konkret ausf¨uhrt, die causae sine quibus non seien nur akzidentielle Ursachen und geh¨orten daher weder in eine Definition, noch w¨aren sie von den sancti so betont worden, streift H EINRICH bloß noch den Definitions-Aspekt und u¨ berspringt den Verweis auf die Heiligen g¨anzlich: H EINRICH
VON
OYTA, Lectura52
Talis ordinatio sive pactio, quam dicunt, nihil dat eis de ratione causae, sed solum de ratione signi, sicut est de denario de quo ipsi exemplificant. Sed causa per accidens relinquitur ab arte nec est ponendum in diffinitione.
d Per consequensd
sacramenta novae legis non different ae sacramentis veteris legis secundum rationem causae, sed solum secundum rationem signi, | inquantum haec significant gratiam ut statim dandam, illa vero non. Quae positio non placet sancti Thome.
T HOMAS
VON
AQUIN, Scriptum53
Illa enim ordinatio quam dicunt, sive pactio, nihil dat eis de ratione causae, sed solum de ratione signi; sicut etiam denarius plumbeus est solum signum indicans quis debet accipere. Quod autem est per accidens, omittitur ab arte, nec ponitur in definitione; unde in definitione sacramenti non poneretur causalitas praedicta, nec sancti multum curassent de ea dicere. Nec iterum sacramenta novae legis, quae differunt a sacramentis veteris legis secundum ordinationem praedictam, differrent ab eis secundum rationem causae, sed solum quantum ad modum significandi, inquantum haec significant gratiam ut statim dandam, illa vero non.
¨ Vgl. Wien, ONB 4004, fol. 8r, mit T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31. 52 ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol. 8r–v. 53 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31. 51
d
unlesbar
e
es folgt eine unlesbare Streichung
269
15.2 Die Prager Lectura textualis
Obwohl sich H EINRICH eng an T HOMAS h¨alt, zieht er in seiner Darstellung die auctoritates keineswegs mehr so eindeutig f¨ur die Mitwirkungs-Variante heran, wie dies bei T HOMAS der Fall gewesen ist. Weil er auch die Definitionsproblematik kaum mehr ausf¨uhrt und der eine Satz, dass akzidentielle Bestimmungen nicht in eine Definition aufzunehmen seien, in H EINRICHS Fassung sogar ziemlich zusammenhanglos dasteht, verlagert sich zudem der Fokus der Problematik: Wo T HOMAS noch den Urs¨achlichkeits-Aspekt in der Bestimmung der neutestamentlichen Sakramente problematisiert, fokussiert H EINRICH durch seine K¨urzungen – wie bereits beim Argumentum in oppositum – auf die Bestimmung des Unterschieds zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten. Damit beginnt sich eine Tendenz abzuzeichnen: Offensichtlich entsch¨arft H EINRICH die Darstellung von T HOMAS, um mit dessen urspr¨unglicher Stoßrichtung nicht bereits ein Pr¨ajudiz f¨ur die L¨osung der Wirksamkeitsproblematik zu f¨allen. Tats¨achlich werden Sympathien H EINRICHS f¨ur das Pakt-Modell nach und nach deutlich – so eng er sich strukturell und in diesen ersten Abschnitten auch literarisch an T HOMAS h¨alt, teilt er ganz offensichtlich dessen L¨osung der Problematik nicht. Vielmehr u¨ bernimmt er zwar noch dessen Darstellung der Mitwirkungs-Variante, indem er sich bei den Ausf¨uhrungen zur instrumentalen Urs¨achlichkeit weitgehend w¨ortlich an seine Vorlage h¨alt: H EINRICH
VON
OYTA, Lectura54
Alii dicunt et ista est opinio sancti [Thomae] quod ex sacramentis novae legis duo consequuntur in anima. Unum quod est sacramentum et res, sicut character vel aliquis ornatus animae in sacramentis in quibus non imprimitur character, aliud quod est res tantum sicut gratia. Respectu ergo primi effectus sacramenta sunt aliquomodo causae efficientes. Sed respectu secundi sunt causae disponentes tali dispositione quae est neccessitas, nisi sit impedimentum ex parte recipientis; tunc dicit quod hoc videtur magis theologis et dictis sanctorum conveniens.
T HOMAS
VON
AQUIN, Scriptum55
Et ideo alii dicunt, quod ex sacramentis duo consequuntur in anima. Unum quod est sacramentum et res, sicut character, vel aliquis ornatus animae in sacramentis in quibus non imprimitur character, aliud quod est res tantum, sicut gratia. Respectu ergo primi effectus sunt sacramenta causae aliquo modo efficientes; sed respectu secundi sunt causae disponentes | tali dispositione quae est necessitas, nisi sit impedimentum ex parte recipientis; et hoc videtur magis theologis et dictis sanctorum conveniens.
H EINRICHS Erg¨anzung in der drittletzten Zeile best¨atigt erneut die bereits festgestellte Tendenz: Den Theologen und den dicta sanctorum scheint T HOMAS’ Erkl¨arungsweise nicht wirklich besser zu entsprechen; laut H EINRICHS Darstellung ist diese Entsprechung bloß T HOMAS’ Behauptung. Ebenso schw¨acht 54 55
¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol. 8v. In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31f.
270
Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
H EINRICH am Ende von T HOMAS’ Ausf¨uhrungen zur Urs¨achlichkeit dessen R¨uckbezug auf das in oppositum angef¨uhrte AUGUSTIN-Zitat ab: Wo T HOMAS festh¨alt, dass genau dies es sei, was AUGUSTIN sage, meint H EINRICH bloß noch, das scheine auch AUGUSTIN anzuerkennen.56 Im Folgenden l¨ost sich H EINRICH zudem immer st¨arker von seiner Vorlage: Mehr und mehr k¨urzt er T HOMAS’ Darlegungen zu den weiteren Quaestiunculae dieses zugrunde gelegten vierten Artikels und reiht nur noch in einzelnen S¨atzen aneinander, was T HOMAS alles zur Wirksamkeitsproblematik gesagt habe.57 Zwar handelt es sich an den meisten Stellen um K¨urzungen und nicht um Paraphrasen, so dass weiterhin die meisten Formulierungen w¨ortlich aus T HOMAS stammen.58 Doch fallen die K¨urzungen gegen Ende der Darstellung so massiv aus, dass kaum mehr Tendenzen aus den Auslassungen und ¨ Ubernahmen deutlich werden: Das einzige Ziel, das H EINRICH noch zu ver¨ folgen scheint, ist eine knappe Ubersicht u¨ ber die weiteren Thesen, die T HO MAS’ Mitwirkungs-Modell ausmachen. Was sich daher in den kleinen Modifikationen am Beginn seines T HOMAS-Referats bereits inhaltlich abzeichnet und was sich mit der vermehrten L¨osung vom Vorlagentext nun auch strukturell andeutet, bricht im Anschluss an diese Zusammenstellung von T HOMAS’ Thesen vollends durch: H EINRICH l¨ost sich von T HOMAS und wechselt seine Vorlage. ¨ 15.2.2 Die Ubernahmen aus Scotus’ Reportata Wie sp¨ater auch im Pariser Quaestionen-Kommentar greift H EINRICH bereits in der Prager Lectura auf die Reportata zu S COTUS’ Pariser Sentenzenlesung zur¨uck – hier allerdings nicht nur, um S COTUS’ Darlegung der Pakt-Variante zu rezipieren, sondern zuerst einmal, um dessen Kritik an T HOMAS’ MitwirkungsModell nachzuzeichnen. An diese Vorlage h¨alt sich H EINRICH zuerst wieder enger, gl¨attet sie zwar oft und k¨urzt sie leicht, l¨asst aber nur an drei Stellen gr¨oßere Abschnitte aus: Bei zwei dieser Stellen handelt es sich um S COTUS’ Reaktion auf die Argumenta, die S COTUS eigene Quaestio eingeleitet haben und die daher bei H EINRICH gar nicht auftauchen;59 nur in der dritten fallen tats¨achlich einige inhaltliche Argumente weg, die aber den Spezialfall der 56
Bei T HOMAS heißt es: Et hoc est quod Augustinus dicit (In sententias IV d 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 33). H EINRICH sagt bloß noch: Et hoc videtur innuere Augustinus ¨ (Wien, ONB 4004, fol. 8v). 57 Entsprechend beginnt auf der ersten H¨alfte von fol. 9r fast jeder Satz mit einer Wendung wie et consequenter dicit oder etiam dicit. T HOMAS’ Ausf¨uhrung zur dritten Quaestiuncula utrum haec virtus sit in sacramentis a passione Christi u¨ berspringt H EINRICH sogar g¨anzlich. 58 Paraphrasierend geht H EINRICH nur in einem Satz auf fol. 9r vor, der sich auf In sententias IV d 1, a 4, qc 2, ad 5, ed. Moos (1947), S. 36, bezieht: Etiam dicit, quod ista viruts est similiter in rebus et verbis, in quibus et ex quibus constat sacramentum. 59 Reportata Parisiensia IV d 1, q 3–4, s 4, n 10 und s 5, n 12, ed. Wadding XI 1639, S. 569b und 570a.
15.2 Die Prager Lectura textualis
271
Eucharistie betreffen oder in a¨ hnlicher Weise vorher schon von S COTUS angef¨uhrt und von H EINRICH u¨ bernommen worden sind.60 Die kurzen Auslassungen hingegen betreffen vor allem inhaltliche Doppelungen und Stellen, an denen S COTUS direkt mit T HOMAS ins Gespr¨ach tritt und auf dessen Argumentation verweist.61 Wie sp¨ater im Pariser Quaestionen-Kommentar zeigt sich damit schon in der Prager Lectura eine Tendenz, die Darstellung m¨oglichst schlicht zu halten und sich auf die Argumentationsweise gerade jenes Scholastikers zu konzentrieren, dessen Meinung H EINRICH aktuell wiedergibt: Denn obwohl H EINRICH S COTUS’ Argumente explizit als Kritik an T HOMAS’ Darstellung u¨ bernimmt, bleibt seine Fassung dieser Argumente insofern ‘sachlicher’ als seine Vorlage, als H EINRICH von den sechs direkten Bez¨ugen, die S COTUS in den vorliegenden Abschnitten zu seinem Gegner herstellt, bloß die zwei unscheinbarsten u¨ bernimmt.62 An einer Stelle erweitert H EINRICH zudem S COTUS’ Argumentation: H EINRICH
VON
OYTA, Lectura63
Et si dicitur quod in instanti, aut igitur causatur in anima in primo instanti prolationis verborum, vel in ultimo, vel in aliquo medio. Si in primo, ergo sacramentum secundum illud totum quod sequitur primum instans prolationis verborum superfluit, et ita si post primam prolationem nihil diceretur de verbis non minus consequeretur anima illam dispositionem et gratiam et totum effectum sacramenti. Eodemmodo arguitur si datur aliquod | instans intermedium. Si dicas quod in ultimo instanti cum tunc nihil sit de verbis [...]. 60
S COTUS, Reportata64 Ista dispositio ad gratiam, aut inducitur et causatur in anima virtute sacramenti in primo instanti prolationis verborum, aut in ultimo instanti. Si in primo instanti, ergo sacramentumf secundum totum id, quod sequitur primum instans prolationis verborum, superfluit, et per consequens, si nihil diceretur de verbis post primam prolationem, nihilominus consequitur anima effectum sacramenti illam dispositionem ad gratiam, quod absurdum est. Si dicas quod in ultimo instanti prolationis verborum causetur dispositio ista virtute sacramenti, cum in ultimo instanti nihil sit de verbis [...].
Reportata Parisiensia IV d 1, q 3–4, s 3, n 6.5 bis s 4, n 7.1, ed. Wadding XI 1639, S.
568. 61
Sei es bei kurzen Ausdr¨ucken wie propter summam simplicitatem et perfectionem agentis, was H EINRICH zu propter summam simplicitatem agentis k¨urzt, oder bei der Aufreihung von dispositio, character vel ornatus, was H EINRICH auf eines der drei k¨urzt; f¨ur weitere Beispiele vgl. den n¨achsten synoptisch zitierten Text. 62 Einmal ut dicit und einmal ut ipsi ponunt. Nicht mitgez¨ahlt sind hier zwei Abschnitte, die mit den Worten si dicas beginnen und sich sowohl bei S COTUS als auch bei H EINRICH finden. Obwohl sich S COTUS damit auf Argumente von T HOMAS bezieht, ist die Formulierung zu allgemein, um als explizite Bezugnahme gelten zu k¨onnen. 63 ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol. 9r. 64 Reportata Parisiensia IV d 1, q 3–4, s 2, ed. Wadding XI 1639, S. 567b–568a. f
sacratum ed. Wadding
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
Bekanntlich hat S COTUS den zeitlichen Aspekt hinterfragt, innerhalb dessen jene von T HOMAS behauptete dispositio erschaffen werde,65 und hat angemerkt, dass dies weder im ersten noch im letzten Augenblick des Sakramentenvollzugs geschehen k¨onne. H EINRICH erg¨anzt dies nun minim f¨uhrt der Vollst¨andigkeit halber an, warum die Bewirkung dieser dispositio auch in einem instans medium nicht geschehen k¨onne – eine echte Erweiterung von S COTUS oder gar ein neues Argument ist dies nat¨urlich nicht. H EINRICH benutzt nun S COTUS’ Reportata nicht nur, um T HOMAS’ Position zu kritisieren. Vielmehr rezitiert er im Anschluss auch S COTUS’ eigene Responsio zur Wirksamkeitsproblematik – jenes Textst¨uck also, auf das er sp¨ater auch in seiner 13. Pariser Quaestio zur¨uckgreifen wird. Erneut h¨alt er sich dabei ziemlich eng an seine Vorlage, deren knappe Modifikationen die bereits bekannten Z¨uge tragen: Zum einen gl¨attet er die direkten Bezugnahmen auf T HOMAS;66 zum anderen formuliert er eine Stelle um, die allenfalls als S CO TUS’ Zugest¨andnis verstanden werden k¨ onnte, dass wegen der auctoritates eine sakramentale Wirkkraft anzunehmen sei: H EINRICH
VON
OYTA, Lectura67
Ex hoc ulterius infert quod in sacramento non est ponenda aliqua virtus absoluta alia nisi quod ipsum sit signum institutum a Deo efficaciter repraesentans suum significatum, ita scilicet ut quicumque illud signum sine fictione recipit, tunc sic Deus assistit ut talis gratiam recipiat. Et per consequens efficiatur illud quod sacramentum designat et per hoc ulterius concedit
quod cum virtus sit ultimum potentiae ut patet primo Coeli, et cum ultimum de potentia signi sit quod semper habeat secum significatum, concedi potest quod tali modo in sacramento est virtus respectu gratiae.
65
S COTUS, Reportata68 Ad secundam quaestionem dico quod non est ibi ponenda aliqua virtus absoluta in sacramento, sed solum signum ordinatum, et institutum a Deo, efficaciter repraesentans formam principalem et suum signatum. Et quicumque id signum recipiat sine fictione, fiat amicus Dei et acceptetur a Deo per gratiam. Et quandocumque id fit in aliquo, illi assistit Deus, ut insit, quod designat. Si tamen contendas omnino quod oportet ponere virtutem in sacramento respectu gratiae, respondeo et dico quod virtus uno modo est ultimum de potentia 2 De coelo, textus 116. Ultimum autem de potentia signi, vel sacramenti est, quod semper habeat secum suum signatum, quantum est ex parte sui; sic autem est in proposito.
Dazu ausf¨uhrlicher oben, S. 180. So wandelt H EINRICH einmal ein sicut tu ponis in ein sicut ponitur um, ein zweites Mal l¨asst er dieselbe Formulierung samt Kontex aus. 67 ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol.10r. 68 Reportata Parisiensia IV d 1, q 3–4, s 2, ed. Wadding XI 1639, S. 570a. 66
15.2 Die Prager Lectura textualis
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Was bei S COTUS noch als Bedingung formuliert ist, wird bei H EINRICH zu einem vorbehaltlosen Zugest¨andnis. Zudem schließt er aus S COTUS’ Argumentation, dass mit diesem Modell auch die Bestimmung g¨ultig bleibe, es w¨urden die Sakramente efficere quod figurant – eine Folgerung, die sich bei S COTUS nicht findet, die aber T HOMAS (wie auch das im Hintergrund stehende AU GUSTIN -Zitat zur Kraft in den Sakramenten) in seine Argumenta in oppositum aufgenommen hat.69 Obwohl H EINRICH ein anderes In oppositum gew¨ahlt hat als seine strukturelle Vorlage, T HOMAS’ Scriptum, wird damit noch einmal verdeutlicht, wie sehr er sich auch dann noch an diesem Text orientiert, wenn er ihn als direkte Vorlage aufgibt, um das Pakt-Modell gem¨aß S COTUS’ Darstellung zu Wort kommen zu lassen. Deutlich wird aus diesem zweiten Abschnitt zudem, dass H EINRICH nunmehr einen anderen Ton anschl¨agt als dies bei seiner Darstellung von T HOMAS’ Modell noch der Fall gewesen ist: W¨ahrend er dessen AUGUSTIN-Interpretation noch mit einem videtur relativiert hat,70 liegt f¨ur H EINRICH der Sinn dieser auctoritas gem¨aß S COTUS’ Ansatz auf der Hand (patet) und muss nicht weiter erkl¨art werden, sondern ist modo iam dicto zu verstehen. Wie sp¨ater auch in den Pariser Quaestiones leuchtet H EINRICH dieser SCOTISCHE Modus offensichtlich schon in der Lectura besser ein, so dass er ihn der Mitwirkungs-Variante vorzieht, die T HOMAS als H EINRICHS haupts¨achliche Vorlage vertreten hat. Die starke strukturelle Anlehnung bedeutete damit keineswegs auch eine in¨ haltliche Ubereinstimmung. Interessant ist nun, dass H EINRICH auch das PaktModell bloß als Responsio von S COTUS und nicht als seine eigene Antwort einf¨uhrt. Vielmehr setzt er nach Abschluss dieser mit respondit eingeleiteten ¨ Ubernahme noch einmal an und bietet als seine eigene Antwort (credo tamen), dass sich die Frage viel besser l¨osen lasse, wenn genau beachtet werde, was H UGO VON S T. V IKTOR in De sacramentis gesagt habe.71 15.2.3 Heinrichs Responsio secundum Hugonem de St. Victore Indem H EINRICH in seiner Lectura textualis pl¨otzlich auf H UGO VON S T. V IK TOR zur¨ uckgreift, gibt er nicht nur vor, unabh¨angig von den beiden verbreiteten Modellen einen weiteren L¨osungs-Ansatz zu pr¨asentieren, sondern er nimmt damit auch einen Text wieder in die Diskussion auf, der seit dem fr¨uhen 13. Jahrhundert f¨ur die Wirksamkeitsdebatte nur noch in einzelnen knappen Zitaten eine Rolle gespielt hat. So wie sich bereits auf einer strukturellen Ebene 69
S.o., S. 267. S.o., S. 270. 71 ¨ Wien, ONB 4004, fol. 10r: Credo tamen quod dicta quaestio planius solvi possit si bene respiciatur dictum Hugonis libro primo De sacramentis parte 9 capitulo 2. Das tamen liest sich zudem als weiterer Hinweis daf¨ur, dass H EINRICH von den beiden Modellen die Pakt-Variante favorisiert hat. 70
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
Elemente einer konservativen Ausrichtung deutlich gemacht haben, die noch weiter zur¨uckweisen als auf die Sentenzentradition des sp¨ateren 13. Jahrhunderts, beginnt sich H EINRICH nun auch inhaltlich an einem Autor des 12. Jahrhunderts zu orientieren.72 Sein Umgang mit H UGO unterscheidet sich dabei kaum von jenem mit T HOMAS und S COTUS: H EINRICH lehnt sich weitgehend w¨ortlich an seine Vorlage an, die er aber immer wieder k¨urzt und stellenweise etwas gl¨attet.73 Inhaltlich handelt es sich um eine Passage, in der H UGO die Bestimmung dessen erarbeitet, was ein Sakrament ausmache, dabei zuerst auf die allgemeine AUGUSTINISCHE Definition der Sakramente als ‘heilige Zeichen’ eingeht, und dann als seine eigene, konkretere Bestimmung drei entscheidende Eigen¨ schaften zusammentr¨agt: Ahnlichkeit, Einsetzung und Heiligung.74 H EINRICH u¨ bernimmt dies von H UGO ebenso wie dessen weitere Ausf¨uhrungen anhand ¨ des Beispiels der Taufe: Die Ahnlichkeit beruhe auf den nat¨urlichen Eigenschaften des sakramentalen Elements, da jedes Wasser aus nat¨urlicher Be” ¨ schaffenheit eine gewisse Ahnlichkeit mit der Gnade des Heiligen Geistes“ ha75 be. Die Einsetzung habe Christus vollzogen und damit eine zus¨atzliche Ebene hinzugef¨ugt, um die geistliche Gnade nicht nur darzustellen, sondern auch zu bezeichnen; die Heiligung schließlich werde dadurch vollzogen, dass ein heiligendes Wort zum Element hinzutrete.76 Eine kleine, entscheidende Modifikation bietet H EINRICHS Text allerdings: 72 Vgl. oben, S. 267. Eine eingehendere Studie dieses Kommentars m¨usste zeigen, welche Rolle H EINRICH an anderen Stellen H UGO VON S T. V IKTOR und a¨ hnlichen ‘alten’ Autoren zugesprochen hat. In den hier untersuchten Ausf¨uhrungen zur ersten Distinktion von Buch IV taucht eine a¨ hnliche Orientierung an H UGO jedenfalls immer wieder auf, so im Rahmen der zweiten Quaestio ein ausf¨uhrliches Zitat aus dem f¨unften Kapitel des neunten Teils von Buch ¨ eins De sacramentis (in der hier verwendeten Handschrift Wien, ONB 4004, fol. 5v, als Glosse am oberen Rand zitiert und nach Zeile 11 einzuf¨ugen); oder im Rahmen des dritten und vierten Dubiums zu eben dieser Quaestio Ausz¨uge aus dem vierten Kapitel des zw¨olften Teils dieses Buchs (ebd. fol. 6v und fol. 7r). 73 Vor allem in der Mitte des ersten ausf¨uhrlichen Zitats vereinfacht H EINRICH die Darstellung H UGOS, die sich schon dort auf similitudo, institutio und sanctificatio bezieht, und tr¨agt bloß zusammen, was die similitudo betrifft. 74 H UGO VON S T. V IKTOR: De sacramentis I p 9, c 2, ed. Berndt (2008), S. 209f.: Si quis autem plenius et perfectius quid sit sacramentum diffinire voluerit, potest dicere quia sacramentum est corporale. vel materiale elementum, foris | sensibiliter propositum ex similitudine repraesentans. Et [exstinctione ed. Berndt] significans, et ex sanctificatione continens aliquam invisibilem et spiritalem gratiam. Haec diffinitio ita propria ac perfecta cognoscitur ut omni sacramento solique convenire inveniatur. Vgl. H EINRICH VON OYTA: Wien, ¨ ONB 4004, fol. 10r. 75 Hier zitiert gem¨aß De sacramentis, trad. Knauer (2010), S. 239; zum lateinischen Text vgl. das n¨achste synoptisch angef¨uhrte Textbeispiel. 76 Letzteres nat¨urlich in Anlehnung an das ber¨uhmte AUGUSTIN-Zitat aus dessen In Iohannis evangelium 80,3, CCSL 36 (1954), S. 529, l. 5f.
15.2 Die Prager Lectura textualis
H EINRICH
VON
OYTA, Lectura77
Elementum aquae [...] ex naturali qualitate similitudinem quandam habet cum gratia Spiritus Sancti. Quia sicut aqua mundat sordes corporum, ita illa inquinamenta animarum. Hanc autem similitudinem repraesentationis aqua habuit antequam fuit sacramentum. Immo talis repraesentatio non sufficit ut sit sacramentum. Venit autem salvator et instituit ablutionem corporum visibilem quae fit per aquam ad significandum spiritualem emundationem animarum per invisibilem gratiam. Et ita iam aqua non ex sola naturali similitudine, sed etiam ex superaddita institutione significat gratiam spiritualem. Et quia haec duo ad perfectionem non sufficiunt, accedit verbum sanctificationis ad elementum et fit sacramentum.
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H UGO, De sacramentis78 Habet autem omnis aqua ex naturalig qualitate similitudinem quandam cum gratia Sancti Spiritus, quia sicut haec abluit sordes corporum, ita illa mundat inquinamenta animarum. Et ex hac quidem ingenita qualitate omnis aqua spiritalem gratiam repraesentare habuit, priusquam etiam illam ex superaddita institutione significavit. Venit autem saluator et instituit visibilem per aquam ablutionem corporum ad significandam invisibilem per spiritualem gratiam emundationem animarum et ex eo iam aqua non ex sola naturali similitudine repraesentat, sed ex superaddita etiam institutione significat gratiam spiritualem. Sed quia haec dua ut diximus nondum adhuc ad perfectum sufficiunt, accedit | verbum significans ad elementum et fit sacramentum.
W¨ahrend bei H UGO durch geistliche Gnade eine unsichtbare Reinigung der Seelen vollzogen wird, ist es bei H EINRICH eine geistliche Reinigung durch unsichtbare Gnade. Damit konkretisiert H EINRICH u¨ ber H UGO hinaus, wer Akteur dieser Reinigung ist: W¨ahrend H UGO noch so neutral formuliert, dass auch die Sakramente als Verursacher gelten k¨onnen, legt H EINRICHS Rede von einer spiritualis emundatio nahe, dass der Heilige Geist – und damit keineswegs die Sakramente selbst – diese Reinigung bewirke.79 Bezeichnenderweise l¨ost sich H EINRICH im Anschluss an das Zitat von seiner Vorlage und formuliert zum ersten Mal in dieser Quaestio einen ganzen Abschnitt mit eigenen Worten: Aus dem gesagten scheint es offenkundig, dass ein Sakrament in seiner Bezeichnung ¨ das sichtbare Element enth¨alt, das aus seiner Natur gem¨aß einer gewissen Ahnlichkeit die geistliche Gnade repr¨asentiert, welche es wegen der Einsetzung auch darstellt und damit den heiligen Geist, der beim Hinzukommen des Worts die Seele heiligt, indem er die Gnade einfließen l¨asst.80 ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol.10r. De sacramentis I p 9, c 2, ed. Berndt (2008), S. 210f. 79 Vgl. bereits L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 147, der daraus allerdings genau das umgekehrte folgert, dass n¨amlich H EINRICH der physischen Wirksamkeit zuzuneigen“ ” scheine. Allerdings w¨urde damit die Rolle des Heiligen Geistes gerade u¨ berfl¨ussig. 80 ¨ Wien, ONB 4004, fol. 10v: Ex quibus dictis videtur manifestum quod sacramentum obclaudat in sua significatione elementum visibilem, quod ex sui natura secundum quandam si77
78
g
naterali ed. Berndt
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
Den Zeichen-Aspekt eines Sakraments, den H UGO noch auf ein Darstellen und Bezeichnen bloß der Gnade festgelegt hat, erweitert H EINRICH in zwei Richtungen: Zum einen auf das sakramentale Element selbst, so dass er gewissermaßen die significatio vom Zeichentr¨ager losgel¨ost betrachtet und damit den Zeichentr¨ager selbst auch als Signifikat behandeln kann.81 Zum anderen – und f¨ur den vorliegenden Zusammenhang entscheidend – bezeichnet f¨ur H EINRICH ein Sakrament nun auch den heiligen Geist, der es nunmehr explizit ist, der im Sakramentengeschehen die Gnade vermittelt. Diese Rolle des heiligen Geists als Gnadenvermittler steht nun nicht gegen H UGOS Text, der sich durchaus auch in eine a¨ hnliche Richtung a¨ ußert.82 ¨ Bloß sind diese Außerungen nie so eindeutig wie bei H EINRICH und stehen zudem neben Formulierungen, die eine Gnadenvermittlung eher den Sakramenten ¨ selbst zuzuschreiben scheinen – und die H EINRICH in seinen Ubernahmen aus H UGOS De sacramentis bezeichnenderweise wegk¨urzt.83 Stattdessen doppelt er in jenem einen Abschnitt, den er v¨ollig frei formuliert, noch einmal nach, indem er sich auch auf die vorangehenden Diskussionen bezieht, die er bei T HOMAS und S COTUS gefunden hat: So ist auch v¨ollig offenkundig, dass schlechthin zuzugestehen ist, was die Gelehrten sagen, n¨amlich dass ‘die neutestamentlichen Sakramente bewirken, was sie darstellen’, und dass ‘die neutestamentlichen Sakramente das Heil geben’. Denn was die Bedeutung eines Sakraments angeht, bezeichnet es das Element und die Worte und den Heiligen Geist, der, sobald die Worte zum Element hinzukommen, dem ordentlichen ¨ Empf¨anger die Gnade u¨ bertr¨agt, welche aus Ahnlichkeit darstellt und wegen der Einsetzung bezeichnet.84 militudinem gratiam spiritualem repraesentat, quam etiam ex institutione figurat et cum hoc spiritum sanctum qui accedente verbo animam sanctificat gratiam infundendo. 81 Zum semiotischen Hintergrund der Selbst-Repr¨asentation s.u., Teil IV, Kap. 24.2. 82 Dass es sich bei der sakramentalen Gnade um jene des heiligen Geists handle, macht H U GO bereits am Anfang des eben synoptisch zitierten Abschnitts deutlich. In dieselbe Richtung zielt auch das folgende Zitat: Repraesentatio ex similitudine, significatio ex institutione, virtus ex sanctificatione, et ipsa similitudo ex creatione est. Ipsa institutio ex dispensatione, ipsa sanctificatio ex benedictione. Prima indita per creatorem, secunda adiuncta per salvatorem, tertia ministrata per dispensatorem (De sacramentis I p 9, c 2, ed. Berndt (2008) S. 210). 83 Vgl. H UGO VON S T. V IKTOR: De sacramentis, ed. Berndt (2008): Omne enim quod haec tria habet sacramentum est. Et omne quod his tribus caret sacramentum proprie dici non potest. Debet enim omne sacramentum similitudinem quandam habere ad ipsam rem cuius sacramentum est, secundum quam habile sit ad eandem rem suam repraesentandam. Institutionem quoque per quam ordinatum sit ad illam significandam. Postremo sanctificationem per quam illam contineat et efficax sit ad eandem sanctificandis conferendam. Bei H EINRICH VON OYTA heißt es bloß: Omne enim sacramentum haec tria habet, scilicet similitudinem quandam ad ipsam rem cuius est sacramentum, secundum quam [habilis Wien, Nat. 4004] sit ¨ ad repraesentandum eandem rem. (Wien, ONB 4004, fol. 10r). 84 ¨ Wien, ONB 4004, fol. 10v: Et sic plane patet quod simpliciter est concedendum id quod doctores dicunt, scilicet ‘sacramenta novae legis efficiunt quod figurant’ et ‘sacramenta novae
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Erneut orientiert sich H EINRICH nicht nur an den Argumenten, die er selbst am Beginn seiner Quaestio zusammengestellt hat, sondern auch an jenen in oppositum aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar. Noch einmal best¨atigt H EINRICH zudem explizit, dass der heilige Geist es sei, der die sakramentale Gnade spende. Von T HOMAS’ Ansatz hebt sich H EINRICHS L¨osung damit deutlich ab. Die Unterschiede zu S COTUS allerdings halten sich in Grenzen: Zwar spricht sich S COTUS in den Reportata ausdr¨ucklich dagegen aus, dass die neutestamentlichen Sakramente die Gnade g¨aben.85 Zudem findet sich bei ihm die Beto¨ nung des Heiligen Geists als Ubermittler der Gnade nicht, und auch jene drei Bedeutungsebenen eines Sakraments – Wort und Element, heiligende Gnade, Heiliger Geist – stimmen mit S COTUS’ Modell eines signum efficax et certum nicht u¨ berein.86 Grunds¨atzlich allerdings bewegt sich H EINRICH im Rahmen von S COTUS’ Pakt-Modell, selbst wenn er dessen konventionelle Terminologie nicht aufgreift: Wo dort ein Pakt mit der Kirche das g¨ottliche Eingreifen beim Sakramenten-Vollzug garantiert, sind es hier Einsetzung und Heiligung der sakramentalen Zeichen, mit denen zugleich auch das Eingreifen des Heiligen Geistes festgelegt wird. Dies verdeutlicht H EINRICH, wenn er schließlich auch noch einen letzten Aspekt der Problematik aufgreift, ob die Sakramente die Gnade selbst enthielten: Auf diese Weise ist auch zuzugestehen, dass ein Sakrament die unsichtbare oder geistliche Gnade enth¨alt. Denn es geh¨ort zur Echtheit eines Sakraments, dass ihm der Heilige Geist solchermaßen assistiert, dass er dem ordentlichen Empf¨anger die unsichtbare Gnade u¨ bertr¨agt. Und dadurch werden auch die Einw¨ande einfach gel¨ost.87
Auch wenn sich H EINRICH damit vorwiegend an H UGO anlehnt, der im vorliegenden Abschnitt selbst mehrfach davon gesprochen hat, dass die Sakramente die Gnade enthielten,88 n¨ahert er sich in seiner Begr¨undung doch noch einmal legis dant salutem’, quia sacramentum quantum est de vi vocabuli significat elementum et verba, et Spiritum Sanctum qui verbis accedentibus ad elementum rite suscipienti confert gratiam quam elementum ex similitudine repraesentat et ex institutione significat. 85 Vgl. Reportata Parisiensia IV d 1, q 3–4, s 4, ed. Wadding XI 1639, S. 569b: Sacramenta dicuntur continere gratiam, ut signa effectiva et vera demonstrativa in signato, non quia dant gratiam, vel quia ab eis sit gratia, sed a Deo per ipsa, sicut dicit Magister (dazu P ETRUS L OMBARDUS Sententiae IV d 1, c 5.2, ed. Grottaferrata (1981), S. 235). 86 Anstelle des spiritus sanctus ist es bei S COTUS stets Deus, der die sakramentale Gnade spendet. Zum Signifikat des signum efficax et certum s.o., S. 173. 87 ¨ Wien, ONB 4004, fol. 10v: Et hoc modo etiam concedendum est quod sacramentum continet gratiam invisibilem seu spiritualem quia de integritate sacramenti est ut taliter assistat Spiritus Sanctus quod gratiam invisibilem conferat rite suscipienti. Et per hoc faciliter solvuntur obiectiones. 88 Im vorliegenden Abschnitt (De sacramentis I p 9, c 2, ed. Berndt (2008), S. 210f.) h¨alt H UGO dreimal fest, dass die Sakramente die geistliche Gnade enthalten; die erste Formulierung ex sanctificatione continens aliquam invisibilem et spiritalem gratiam d¨urfte die Vorlage f¨ur
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
st¨arker dem L¨osungsansatz von S COTUS an: Schon bei S COTUS beruht es auf der significatio des wirksamen Sakramentalzeichens, dass gesagt werden kann, ein Sakrament enthalte die Gnade;89 Grund f¨ur diesen Zusammenhang ist schon bei S COTUS auch die Notwendigkeit, mit der das Signifikat dem wirksamen Zeichen folgt; und mit dem Begriff der Assistenz schließlich nimmt H EINRICH selbst eine zentrale Beschreibungskategorie des Pakt-Modells auf.90 15.2.4 Die Eigenart der Wirksamkeitsdiskussion in der Prager Lectura Mit seiner scotistisch gepr¨agten Interpretation von H UGO pr¨asentiert H EIN RICH eine eigenst¨andige, im Vergleich zur vorangehenden Diskussion auch unkonventionelle Ausformulierung einer dennoch traditionellen Position. Diese Eigenst¨andigkeit ist umso bemerkenswerter, als er den gr¨oßten Teil seiner Ausf¨uhrungen in direkter, weitgehend w¨ortlicher Anlehnung an seine drei Vorlagentexte aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar, S COTUS’ Reportata parisiensa und H UGOS De sacramentis verfasst hat. Was daher rein a¨ ußerlich den Anschein einer uninspirierten Zusammenstellung erweckt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als durchaus selbst¨andiger Beitrag zur Wirksamkeits-Debatte: Neben den unkonventionellen Formulierungen sind es vor allem die Betonung der Rolle des Heiligen Geists und die Aktualisierung des in der vorliegenden Diskussion kaum mehr beachteten De sacramentis von H UGO VON S T. V IK TOR, die H EINRICHS Ansatz auszeichnen. Dass H EINRICH so massiv auf Vorlagentexte zur¨uckgegriffen hat, ist daher wohl weniger seinem Unverm¨ogen zuzuschreiben, als vielmehr auf seine Lernund Lehrt¨atigkeit an der Prager Universit¨at zur¨uckzuf¨uhren: So zeugen die eingehenden Anlehnungen von seiner direkten Auseinandersetzung mit herausragenden Exponenten der scholastischen Tradition, anhand derer sich H EINRICH seine eigene Position zur Wirksamkeitsfrage u¨ berhaupt erst erarbeitet hat. Zu¨ gleich dienen diese weitgehenden Ubernahmen aber auch der Vermittlung dieser Positionen: So zeichnet es H EINRICHS Umgang mit seinen Vorlagen aus, dass er sie jeweils explizit benennt. Die Formulierungen legen zudem nahe, dass er nicht einfach nur die unterschiedlichen Modelle zur L¨osung der Wirksamkeitsfrage an den Texten der bekanntesten Namen festmacht, sondern dass es ihm wichtig ist darzustellen, was T HOMAS, was S COTUS, und was H UGO zu H EINRICHS Formulierung gewesen sein. Dass H EINRICH das ex sanctificatione ausl¨asst, ist bemerkenswert, da die sanctificatio nicht nur bei H UGO an jeder der drei genannten Stellen als Grund f¨ur das sakramentale Enthalten der Gnade genannt wird, vielmehr stellt auch T HOMAS diesen Zusammenhang immer wieder her (vgl. etwa In sententias IV d 1, q 1, a 3, resp., ed. Moos (1947), S. 25, vgl. auch ebd. a 4, qc 2, ad 2, S. 35). Schon in dieser Auslassung zeigt sich damit H EINRICHS N¨ahe zu S COTUS. 89 Vgl. den oben, Anm. 85 zitierten Text. 90 Zur Notwendigkeit vgl. oben, S. 185; zum Assistenz-Begriff bereits bei B ONAVENTURA s.o., S. 142.
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dieser Frage gesagt haben.91 Im Vordergrund stehen weniger die unterschiedlichen Positionen und Modelle als vielmehr die Meinungen bestimmter Personen. Was daher auch in den sp¨ateren Pariser Quaestiones deutlich wird, zeichnet sich bereits in H EINRICHS Lectura ab: Aus der vielf¨altigen Kommentartradition zu P ETRUS ’ Sentenzen haben sich einzelne Namen – hier die von T HO MAS und S COTUS – herauskristallisiert, die mehr und mehr als Autorit¨aten gehandelt werden. In H EINRICHS Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik bedeutet dies vorerst nur, dass die beiden eine besondere Aufmerksamkeit erhalten und eingehend untersucht werden. Wie H EINRICH umgehend deutlich macht, verbindet sich damit keine Absicht, einem der beiden auch inhaltlich zu folgen: Wenn es bei ihm ein erkl¨artes inhaltliches Vorbild gibt, dann ist es H UGO VON S T. V IKTOR, dem er allerdings erneut nicht einfach blind folgt, sondern den er anf¨uhrt, weil sich – wie H EINRICH es ausdr¨ucklich formuliert – aufgrund von dessen Ansatz die Wirksamkeitsfrage besser l¨osen lasse.92 Dieser Wertsch¨atzung von H UGO gibt H EINRICH denn auch noch einmal Raum, indem er als ein Sciendum im Anschluss an seine eigenst¨andig formulierten Ausf¨uhrungen und als Abschluss der gesamten Quaestio ein weiteres l¨angeres Zitat aus dessen De sacramentis anf¨uhrt, das die sakramentale Heiligung, die Wirkung der Sakramente f¨ur den gesamten Menschen, umschreibt.93 H EINRICHS Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik in seiner Prager Lectura ist damit keineswegs eine Lectura secundum Thomam: Zwar bildet in struktureller Hinsicht der Sentenzenkommentar des AQUINATEN tats¨achlich H EINRICHS pr¨agendste Vorlage, sein erkl¨artes inhaltliches Vorbild ist aber H U GO VON S T. V IKTOR, dem er wiederum in systematischer Hinsicht ein scotistisches Gepr¨age aufdr¨uckt. So sehr sich H EINRICH in dieser fr¨uhen Lectura daher an Vorlagentexten anlehnt und diese weitgehend kopiert, beweist er dennoch, dass trotz einer traditionalistischen Ausrichtung und trotz einer Orientierung an neuen Autorit¨aten durchaus originielle Ans¨atze haben entstehen k¨onnen.
¨ So steigt H EINRICH schon in seine Ubernahmen aus T HOMAS mit den Worten ein: Sanc¨ tus Thomas recitat primo opinionem dicentem quod... (Wien, ONB 4004, fol. 8r, vgl. auch ebd. das sed contra hoc arguit sanctus Thomas und die oben, Anm. 57 angef¨uhrten Beispiele). Den ¨ Einstieg in seine Ubernahmen aus S COTUS bilden die Worte sed contra hoc arguit Scotus pri¨ mo sic. Zu H EINRICHS Ubernahmen aus H UGOS De sacramentis vgl. unten, Anmerkungen 92 und 93. 92 ¨ Vgl. Wien, ONB 4004, fol. 10r: Respondeo tamen quod ista quaestio planius solvi possit si bene respiciatur dictum Hugonis. 93 Es handelt sich um einen Abschnitt aus dem sechsten Kapitel, den H EINRICH mit den ¨ Worten einleitet: Sciendum est quod Hugo ubi supra capitulo sexto dicit quod... (Wien, ONB 4004, fol. 10v, vgl. De sacramentis I p 9, c 6, ed. Berndt (2008), S. 220f.). 91
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
15.3 Ein kurzer Vergleich von Prager Lectura und Pariser Quaestiones Vergleicht man nun die Ausf¨uhrungen der Prager Lectura mit jenen der Pariser Quaestiones, so springt unmittelbar ins Auge, dass in letzteren H UGO VON S T. V IKTOR keine Rolle mehr spielt. Was in der Prager Lectura noch am ehesten den eigenst¨andigen Charakter von H EINRICHS Ansatz ausmacht, f¨allt damit aus der Pariser Behandlung der Wirksamkeitsproblematik heraus. Ebenso tritt auch T HOMAS VON AQUIN, der in der Prager Bearbeitung noch f¨ur Fragestellung, Argumente und Einstieg in die Diskussion als Vorlage gedient hat, in den Pariser Quaestiones weitgehend zur¨uck und findet nur noch eine beil¨aufige, anonymisierte Nennung. Umgekehrt taucht in der Pariser Bearbeitung mit T HO MAS VON S TRASSBURG ein Scholastiker auf, der in der Diskussion der Prager Lectura noch nicht beachtet worden ist, und es geht diese sp¨atere Diskussion, indem sie P ETRUS L OMBARDUS nicht einfach als Kommentarvorlage, sondern als Lieferant von Argumenten benutzt, in einer souver¨anen Weise mit dem eigentlichen Basistext der Sentenzenkommentare um, die der Prager Lectura noch fern liegt. Dass es sich bei den Pariser Quaestiones dennoch um keine v¨ollig neue Er¨ arbeitung der Materie handelt, zeigen allerdings die Ubernahmen aus S COTUS’ ¨ Reportata: Denn aus den K¨urzungen, die H EINRICH bei seinen Ubernahmen aus dieser zweiten Vorlage vornimmt, wird klar, dass er f¨ur seine 13. Pariser Quaestio S COTUS nicht noch einmal neu gelesen, sondern auf seine eigene Lectura zur¨uckgegriffen hat: H EINRICH, Quaestiones94
H EINRICH, Lectura95
S COTUS, Reportata96
Aliquomodo concedi potest quod in sacramentis est virtus respectu gratiae vel effectus sacramentalis. Patet sicut arguit Scotus: Virtus est ultimum potentiae ut patet primo Coeli. Sed ultimum de potentia signi esth quod semper i habeat secumi suum | significatum.
Per hoc ulterius concedit quod cum virtus sit ultimum potentiae ut patet primo Coeli, et cum ultimum de potentia signi sit quod semper habeat secum significatum.
Respondeo et dico quod virtus uno modo est ultimum de potentia 2 de Coelo, textus 116. Ultimum autem de potentia signi vel sacramenti est quod semper habeat secum suum signatum.
94 95 96 h
q 13, a 1: Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra–b = Clm 8867, fol. 259vb–260ra. ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol.10r. Reportata Parisiensia IV d 1, q 3–4, s 5, ed. Wadding XI 1639, S. 570a.
add omnium P
i
secum habeat P
15.3 Ein kurzer Vergleich von Prager Lectura und Pariser Quaestiones
281
Einzig in dem kleinen W¨ortchen suum stimmt der Text der Quaestio mit S CO TUS’ Reportata besser u ¨ berein als jener der Lectura, ansonsten sind die Auslassungen der Quaestio identisch oder gr¨oßer als jene der Lectura.97 Die Ausf¨uhrungen der Pariser Quaestio d¨urften daher nicht auf S COTUS’ Reportata als einer gemeinsamen, erneut konsultierten Vorlage beruhen, sondern aus einer ¨ direkten Uberarbeitung der Prager Lectura entstanden sein. Interessant ist, dass dies f¨ur T HOMAS VON AQUIN, dem in der Pariser Fassung eine so beil¨aufige Rolle zukommt, nicht zutrifft. Das eine knappe Zitat, das die 13. Pariser Quaestio aus T HOMAS’ Diskussion der Wirksamkeitsproblematik anf¨uhrt, ist ausf¨uhrlicher, als das, was H EINRICH aus dem entsprechenden Text im Rahmen seiner Prager Lectura zitiert hat: H EINRICH, Quaestiones98
H EINRICH, Lectura99
Et ideo virtus instrumenti inquantum hujusmodi, secundum quod agit ad effectum ultra id quod competit sibi secundum suam naturam, non est ens completum
Quae quidem virtus
non est ens fixum ut unus doctor dixerit, eo quod non est forma habens completum esse in natura vel aliqua talis qualitas competens enti secundum exigentiam naturae vel formae suae agenti, sed est sicut ens incompletum competens alicui ut est instrumentum motum ab alio. Et talia entia intentiones solent nominari, ut dicit idem doctor.
T HOMAS, Scriptum100
habens esse fixum in natura,
Sed est tanquam ens incompletum, sicut est virtus immutandi visum quae est in aere, et est tamquam instrumentum ipsius visibilis.
sed quoddam ens incompletum, sicut est virtus immu|tandi visum in aere, inquantum est instrumentum motum ab exteriori visibili; et huiusmodi entia consueverunt intentiones nominari.
Die zitierte Anlehnung ist zu knapp, als dass sie R¨uckschl¨usse dar¨uber zuließe, ob sich H EINRICH f¨ur seine Pariser Quaestio aufs Neue mit T HOMAS auseinandergesetzt oder ob er das Zitat bloß einer anderen vermittelnden Quellen entnommen hat – andere Stellen des Pariser Kommentars legen aber nahe, 97
Das gilt nat¨urlich auch f¨ur die hier nicht explizit zitierten Abschnitte. q 13, a 1: Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra–b = Clm 8867, fol. 259vb–260ra. F¨ur die textkritischen Anmerkungen s.o., S. 259. 99 ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol.10r. 100 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, ed. Moos (1947), S. 26f. 98
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Kapitel 15: Die Kommentare von Heinrich Totting von Oyta
dass H EINRICH den Sentenzenkommentar von T HOMAS noch einmal eingehend studiert hat.101 Was die Wirksamkeitsproblematik betrifft, so handelt es sich damit beim ersten Artikel der Pariser Quaestio offensichtlich um eine ein¨ gehende Uberarbeitung der betreffenden Quaestio aus der Prager Lectura, die H EINRICH einerseits k¨urzt, indem er seine Responsio gem¨aß H UGO komplett wegl¨asst und bei S COTUS nur noch auf dessen Responsio eingeht, andererseit aber auch erg¨anzt, indem er sich st¨arker auf den Sentenzen-Text bezieht und T HOMAS VON S TRASSBURG neu in die Diskussion aufnimmt. Wie sehr hinter dem ersten Artikel der Pariser Quaestio eine Quaestio aus der Prager Lectura steckt, wird schließlich auch aus den abschließenden Ausf¨uhrungen dieses ersten Artikels deutlich, welche das eben angef¨uhrte T HO MAS-Zitat umrahmen: H EINRICH
VON
OYTA, Quaestiones102
Ex hoc patet intellectus illius quod dicit Augustinus super Johannem: tanta est virtus aquae ut corpus tangatj et cor abluat. Hoc enim non est intelligendum de aliqua virtute supernaturali existente in aqua. [...]104 Sed intelligendum est dictum Augustini modo iam dicto in correlario scilicet dum aqua etc. sic applicatur ut dominus instituit, virtus divina sacramentis assistens effectum operatur.
H EINRICH
VON
OYTA, Lectura103
Et ex hoc patet intellectus illius quod dicit Augustinus super Joh. tanta est virtus aquae ut corpus tangat et cor abluat. Hoc enim intelligatur
modo iam dicto.
H EINRICH zitiert sich als Abschluss seiner Pariser Behandlung der Wirksamkeitsproblematik selbst – doch bezeichnenderweise greift er aus seiner Lectura auch hier auf einen Abschnitt zur¨uck, mit dem er damals sein Referat der Responsio von S COTUS abgerundet hat und der nicht etwa aus seiner anschließenden ‘hugonischen’ Antwort stammt. Obwohl H EINRICH auf sich selbst aufbaut, ist er nunmehr S COTUS, und nicht mehr H UGO verpflichtet. Systematisch betrachtet spielt dieser Wechsel keine allzu große Rolle, da H EINRICH schon in seiner Prager Lectura eine scotistische Interpretation von H UGO geliefert hat und damit dem Pakt-Modell treu bleibt. Historisch betrachtet ist dieser Wechsel aber dennoch interessant. Auch wenn es unm¨oglich sein d¨urfte, die genauen Motive f¨ur diesen Umschwung zu eruieren, scheint sich damit doch vor allem eine Anpassung an Pariser Konventionen abzuzeichnen. 101
Vgl. BAKKER: Raison et Miracle (1999), Bd. II, S. 137. q 13, a 1: Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra–b = Clm 8867, fol. 259vb–260ra. 103 ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol.10r. 104 Die Auslassung betrifft den eben angef¨uhrten Abschnitt, in welchem H EINRICH T HO MAS zitiert. 102
j
add aquae P
15.3 Ein kurzer Vergleich von Prager Lectura und Pariser Quaestiones
283
Konventioneller war es sicher, das Pakt-Modell anhand von S COTUS und T HO MAS VON S TRASSBURG darzustellen als anhand von H UGO , der bei H EIN RICHS Pariser Zeitgenossen zwar durchaus als Autorit¨at galt, aber eben auch wie eine solche behandelt wurde: in einzelnen, knappen Zitaten n¨amlich, und nicht in seitenweisen Ausz¨ugen.105 In eine a¨ hnliche Richtung deuten H EIN ¨ RICHS terminologische Anpassungen: Uber den Assistenz-Begriff der Prager Lectura hinaus finden sich in der 13. Pariser Quaestio nun auch die u¨ brigen zentralen – konventionellen – Begriffe der Pakt-Variante.106 Konventioneller als in der Lectura ist, dass H EINRICH den Heiligen Geist aus seiner Erkl¨arung herausnimmt und die Vermittlung der Gnade nunmehr Gott zuschreibt. Konventionell ist schließlich, wie weiter oben bereits ausf¨uhrlich dargelegt, auch H EINRICHS Stil: So sehr sich eine traditionalistische Grundhaltung auch in der Pariser Quaestio bemerkbar macht, gleicht sich H EINRICH formal doch an den geometrischen Pariser Kommentarstil des sp¨aten 14. Jahrhunderts an und gibt seine Anlehnungen an das sp¨ate 12. Jahrhundert auf. Auf Einladung H EINRICHS VON L ANGENSTEIN kam H EINRICH VON OYTA nun 1384 als Professor an die neu gegr¨ undete Wiener theologische Fakult¨at. Hier d¨urfte er im Rahmen seines Unterrichts nicht noch einmal von neuem u¨ ber P ETRUS ’ Sentenzen gelesen haben – aber er hat, wie gleich noch deutlich werden wird, sowohl seine Prager Lectura als auch seine Pariser Quaestiones mit nach Wien gebracht.107 Auch sein Kollege H EINRICH VON L ANGENSTEIN hatte wohl mehrere Kommentare im Gep¨ack: In seinem eigenen Sentenzenkommentar schenkt er zwar, wie bereits ausgef¨uhrt worden ist, der Wirksamkeitsproblematik keine Beachtung, so dass er hier nicht weiter interessiert. Allerdings hielt er sich, bevor er nach Wien kam, in den Jahren 1382–83 im Kloster Eberbach auf, wo sein fr¨uherer Lehrer JAKOB VON E LTVILLE inzwischen als Abt wirkte.108 Dort war H EINRICH h¨ochstwahrscheinlich in den Unterricht eingebunden und trug den M¨onchen gleichsam als Relecture den oben bereits vorgestellten Kommentar seines Lehrers und ihres Abtes JAKOB vor. Das hat in der Forschung f¨ur einige Verwirrung in der Frage der Autorschaft dieser Lectura Eberbachi gesorgt, weshalb die Problematik kurz aufgegriffen sei. 105
Vg. etwa die knappen Verweise im Sentenzenkommentar des P ETRUS DE C ANDIA, dessen online-Version sich problemlos durchsuchen l¨asst (Quaestiones in sententias, ed. Schabel et.al. (2009)). 106 S.o., S. 254. 107 Zumindest f¨ur seine Pariser Quaestiones l¨asst sich aus der handschriftlichen ¨ Uberlieferung belegen, dass sie in Wien erneut gelesen worden sind, vgl. S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 112. 108 Zu diesem Aufenthalt im Rheingau vgl. K REUZER: Heinrich von Langenstein (1987), S. 63–79, der als haupts¨achlichen Aufenthaltsort in dieser Phase Worms und nicht das Kloster Eberbach angibt, ohne aber auszuschließen, dass H EINRICH zwischen den beiden nahe gelegenen Orten hin und her gependelt ist.
Kapitel 16
L ANGENSTEINS Lectura Eberbachi als Relecture JAKOBS VON E LTVILLE Die a¨ ltere Forschung zu H EINRICH VON L ANGENSTEIN – oder, wie er auch genannt wird, zu H EINRICH DE H ASSIA – ist davon ausgegangen, dass dieser neben seinem Quaestionen-Kommentar (um 1375)1 in Eberbach einen zweiten Kommentar verfasst habe, die sogenannte Lectura Eberbachi.2 Anlass zu dieser ¨ Annahme gab vor allem die Uberschrift einer Erfurter Handschrift, welche den ersten darin enthaltenen Text auswies als quaestiones Hassonis super libris 4or sententiarum, quas Hasso collegit et conscripsit pro lectura Eberbacensium.3 Da mindestens drei weitere, denselben Text bietende Handschriften einen Verweis auf den Namen H EINRICHS VON H ESSEN tragen,4 liegt es nahe, sie als Kopien eines weiteren, eigenst¨andigen Kommentars des H EINRICH VON L AN GENSTEIN zu verstehen. Die inhaltlichen Differenzen zwischen dieser Lectura 1 Auch diese Zuordnung ist nicht unumstritten. Eine Sp¨atdatierung auf H EINRICHS Wiener Zeit (um 1385, so L ANG: Heinrich Totting von Oyta (1937), S. 112) scheint aber ebenso u¨ berholt wie die Datierung von L ANG: Christologie (1966), S. 64f., auf die Pariser Jahre zwischen 1375 und 1381, welche den Stil der damaligen Kommentare (etwa auch eines P ETRUS DE C ANDIA oder eines H EINRICH VON OYTA ) verkennt. F¨ ur eine Datierung kurz vor 1375 hat sich daher auch K REUZER: Heinrich von Langenstein (1987), S. 51 und 101 ausgesprochen. 2 So sp¨atestens seit H EILIG , KONRAD J OSEF: Kritische Studien zum Schrifttum der beiden Heinriche von Hessen, in: R¨omische Quartalsschrift f¨ur christliche Altertumskunde 40 (1932), ¨ S. 104–176, hier S. 163–166, was dann auch S TEGM ULLER ins RS u¨ bernommen hat (Nr. 331). Noch a¨ ltere Studien unterscheiden zwischen den beiden Kommentaren nicht (so etwa noch ROTH , F RIEDRICH W ILHELM E MIL: Zur Bibliographie des Henricus Hembuche de Hassia dictus de Langenstein, Leipzig, 1888 (Zentralblatt f¨ur Bibliothekswesen. Beiheft 2) mit einigen Korrekturen zur grundlegenden Studie von H ARTWIG , OTTO: Henricus de Langenstein dictus de Hassia. Zwei Untersuchungen u¨ ber das Leben und die Schriften Heinrichs von Langenstein, Marburg, 1857). 3 Erfurt, CA 2◦ 118, fol. 1r. 4 So steht in der im Folgenden verwendeten Handschrift Clm 11591 u¨ ber einem allerdings von sp¨aterer Hand hinzugef¨ugten Quaestionenverzeichnis auf fol. 381v Magistri Henrici de Hassia. Die Handschrift Leipzig, Univ. 593 tr¨agt auf fol. 1r den ebenfalls von sp¨aterer Hand hinzugef¨ugten Titel questiones super primo sententiarum magistri Henrici de Hassia; und gem¨aß L ANG: Christologie (1966), S. 59, Anm. 177, tr¨agt die Handschrift Mailand, Ambros. A 106 inf. den Titel Magistri Henrici de Hassia ordinis eremitorum S. Augustini conclusiones quatuor librorum Sententiarum.
Kapitel 16: Langensteins Lectura Eberbachi als Relecture Jakobs von Eltville
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Eberbacensis, dem Pariser Kommentar und weiteren Schriften L ANGENSTEINS f¨uhrten zu teils k¨uhnen Datierungsversuchen und gaben Anlass zur Annahme, H EINRICH habe kurz nach Abfassung seiner Eberbacher Lectura, in welcher sich zum letzten Male der Kritizist und Rationalist“ offenbart habe,5 im Rhein” gau eine innere Kehrtwende vollzogen hin zu einer st¨arker mystisch ausgerichteten Theologie.6 Bereits 1956 hat T RAPP in seiner materialreichen Studie zur AugustinerTheologie des 14. Jahrhunderts nun aber angemerkt, dass diese Lectura eberbachi in den von ihm untersuchten Partien zum 2. Sentenzen-Buch identisch sei mit dem Kommentar JAKOBS VON E LTVILLE, den, wie bereits erw¨ahnt, H EINRICH VON L ANGENSTEIN noch aus seiner Pariser Studienzeit gekannt hat und der inzwischen Abt des Eberbacher Klosters geworden ist. H EINRICH habe daher, so T RAPP, als guest-lecturer“ den Eberbacher M¨onchen den Kom” mentar gelesen, den JAKOB VON E LTVILLE einst 1369/70 in Paris verfasst ha7 be. T RAPPS beil¨aufig erw¨ahnte Entdeckung ben¨otigte einige Zeit, bis sie von der Forschung aufgenommen wurde. Noch 1980 trat RUDOLF DAMERAU wegen der inhaltlichen Unterschiede zwischen den beiden Kommentaren daf¨ur ein, dass die Lectura eberbachi nicht vom Langensteiner H EINRICH VON H ES SEN , sondern von einem Altendorfer H EINRICH VON H ESSEN stamme, einem Theologen, der um 1410 in Heidelberg die Sentenzen kommentierte, dessen Kommentar aber nicht erhalten blieb.8 5
H EILIG: Kritische Studien (1932), S. 165. Auch hierf¨ur findet H EILIG markige Worte: So habe der rheinische Aufenthalt f¨ur die ” ¨ Entwicklung des großen Theologen etwas Ahnliches zu bedeuten [...] wie f¨ur einen Athanasius die nitrische W¨uste, f¨ur einen Augustinus Cassiciacum, f¨ur einen Bernhard von Clairvaux der Unterricht bei seinen B¨aumen“ (ebd. S. 127; vgl. K REUZER: Heinrich von Langenstein (1987), S. 66f.). 7 T RAPP: Augustinian Theology (1956), S. 252 mit Anm. 93. Dass JAKOB das (inzwischen verschollene) Autograph seines Kommentars nach Eberbach mitgebracht hat, belegt noch im fr¨uhen 17. Jahrhundert die Eberbacher Abtschronik; vgl. PALMER , N IGEL F.: Zisterzienser und ihre B¨ucher. Die mittelalterliche Bibliotheksgeschichte von Kloster Eberbach im Rheingau, Regensburg: Schnell und Steiner, 1998, S. 126. 8 DAMERAU , RUDOLF: Aus dem Leben des Heinrich Heynbuche, alias von Langenstein (oder von Hessen), in: DAMERAU , RUDOLF (Hrsg.): Der Sentenzenkommentar des Heinrich von Langenstein. Buch II. Lateinische textkritische Ausgabe, Marburg, 1980 (Studien zu den Grundlagen der Reformation 15), S. XX–XXXVII, hier S. XXXIII–XXXVII. So bereits schon DAMERAU , RUDOLF: Die Abendmahlslehre des Nominalismus. Insbesondere die des Gabriel Biel, Gießen: Schmitz, 1963 (Studien zu den Grundlagen der Reformation 1), S. 33f., worauf L ANG: Christologie (1966), S. 61f. noch einmal die Verfasserschaft des H EINRICH VON L ANGENSTEIN verteidigt hat. Wie auch in seiner ‘kritischen’ Edition des Pariser Kommentars von L ANGENSTEIN (dazu oben, Anm. 2) beruft sich DAMERAU allerdings allein auf die Handschrift Clm 11591 und u¨ bersieht damit, dass die Erfurter Handschrift CA 2◦ 118 schon um 1400 entstanden ist, deshalb bestimmt keinen Kommentar des Altendorfer H EINRICH enthalten kann und zudem explizit auf Eberbach als Herkunftsort verweist. Zu H EINRICH VON A LTENDORF vgl. H EILIG: Kritische Studien (1932) und RS 314. 6
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Kapitel 16: Langensteins Lectura Eberbachi als Relecture Jakobs von Eltville
Inzwischen ist T RAPPS These weitgehend akzeptiert,9 selbst wenn seither kaum Text-Studien zu E LTVILLES Kommentar erschienen sind, die auch Manuskripte aus der ‘Eberbach’-Tradition mit einbeziehen.10 Die vorliegende Untersuchung, die sich auf die Manuskripte Br¨ugge, Biblioth`eque de la ville 181, aus der ‘Eltville’-Tradition und auf M¨unchen, Clm 11591, aus der ‘Eberbach’Tradition st¨utzt, kann T RAPPS Befund f¨ur die erste Quaestio zu Buch IV, welche oben dargestellt worden ist, vollumf¨anglich best¨atigen: Die Abweichungen zwischen den beiden Handschriften sind nicht gr¨oßer, als was u¨ blicherweise zwischen mittelalterlichen Handschriften einer einzigen Texttradition auftritt. Auff¨allige K¨urzungen bietet die M¨unchner Handschrift gegen¨uber der Br¨ugger keine, und die wenigen Erweiterungen lassen sich fast ausnahmslos als aberrationes oculorum des Schreibers der Br¨ugger Handschrift erkl¨aren.11 Die Abweichungen sind auch zu gering, als dass sich irgendwelche Tendenzen aufdecken ließen:12 Zwar bietet die Br¨ugger Handschrift beispielsweise in den drei ein9 Vgl. etwa S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 216f., und darauf aufbauend auch S CHABEL , C HRISTOPHER: Aufredo Gonteri Brito secundum Henry of Harclay on divine Foreknowledge and Future Contigents, in: P OSTER , C AROL (Hrsg.): Constructions of Time in the Late Middle Ages, Evanston IL: Northwestern University Press, 1997 (Disputatio 2), S. 159–171, S. 160. Worauf C OURTENAY, W ILLIAM J.: Parisian Theology, 1362–1377, in: H OENEN/BAKKER: Philosophie und Theologie (2000), S. 3–19 hier S. 17, Anm. 40, allerdings seine Behauptung fußt, dass die Lectura Eberbachi nicht einfach eine Relecture, sondern a ” slight reworking of Eltville’s Parisian lectures“ sei, ist mir unbekannt. 10 Eine Ausnahme ist S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 217. Im noch ausstehenden Tagungsband zum SIEPM Kolloquium von 2009 (in Nijmegen) werden sich der Beitrag von B ILL C OURTENAY (James of Eltville, O.Cist. his fellow sententiarii in 1369–70, and his influence on contemporaries) und jener von M ONICA C ALMA (Res extra animam selon Jacque d’Eltville. Etude doctrinale et e´ dition de la 1. q de son prologue aux Sentences) eingehend mit JAKOB VON E LTVILLE besch¨aftigen. Vgl. vorerst auch C ALMA , M ONICA: La d´efinition du Viator dans les Commentaires des Sentences au XIVe si`ecle, in: W EIJERS , O LGA (Hrsg.): Les innovations du vocabulaire latin a` la fin du moyen aˆ ge. Autour du glossaire du latin philosophique (actes de la journ´ee d’´etude du 15 mai 2008), Turnhout: Brepols, 2010, S. 45–59, hier S. 53. 11 Vgl. etwa Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 201ra: Sed per quantacumque potestatem non potest angelo communicari virtus creandi. Et si angelo non, nec alicui creaturae inferiori. In Clm 11591, fol. 322rb steht: Sed per quantamcumque potestatem non potest angelo communicari actionem creandi sui ipsius, igitur sibi non potest communicari virtus creandi. Et si angelo non, nec alicui creaturae inferiori. Ebenso auch Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 202rb–va: Aliud est producere aliquid de materia, et aliud est producere a|liquid in materia in aliquo instanti. In Clm 11591, fol. 324ra steht: Aliud est producere aliquid de materia, et aliud est producere aliquid in materia. Potest produci aliquid in materia in aliquo instanti. Umgekehrt heißt es in Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 202rb: Ponatur quod Deus suppleat actionem solis in una parte medii, puta a, ita quod non agat nisi scilicet substantiae supplendo actionem solis, dico hic..., was Clm 11591, fol. 324ra, verk¨urzt zu: Ponatur quod Deus suppleat actionem solis, dico hic... (dabei handelt es sich um ein W ODEHAM-Zitat, vgl. dazu oben, S. 231). 12 Daf¨ur m¨usste selbstverst¨andlich auch mehr als bloß je ein Manuskript untersucht werden, weil in der vorliegenden Situation nat¨urlich nie gesagt werden kann, ob eine Differenz nun ein
Kapitel 16: Langensteins Lectura Eberbachi als Relecture Jakobs von Eltville
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leitenden Argumenta quod non jeweils ein antecedens probo in der ersten Person, w¨ahrend es in der M¨unchner Handschrift stets antecedens probatur heißt, doch u¨ bernimmt dann die M¨unchner Handschrift im weiteren Verlauf der Quaestio s¨amtliche a¨ hnlichen Formulierungen in der ersten Person,13 so dass diese anf¨anglichen Differenzen eher auf eine Abk¨urzungs-Gewohnheit des jeweiligen Abschreibers zur¨uckzuf¨uhren sind als auf eine bewusste Zur¨ucknahme L AN GENSTEINS als Lektor eines fremden Kommentars.14 Auch f¨ur den in der vorliegenden Untersuchung interessierenden Teil der Lectura Eberbachi kann daher JAKOB VON E LTVILLE als einziger Autor angenommen werden. Doch bleibt noch die Frage, welche Rolle H EINRICH VON ¨ L ANGENSTEIN bei der Uberlieferung dieses Texts gespielt hat. G EORG K REU ZER, der die Problematik bisher wohl am eingehendsten aufgearbeitet hat und die Autorschaft JAKOBS VON E LTVILLE anerkennt, ohne allerdings Textstudien zu pr¨asentieren, hat T RAPPS These eines Gast-Lektorats durch L ANGEN ¨ STEIN in Frage gestellt, da aus der Uberschrift der Erfurter Handschrift nicht zwingend geschlossen werden m¨usse, dass H EINRICH den Kommentar selbst ¨ vorgetragen habe.15 Tats¨achlich heißt es in der Uberschrift bloß collegit et conscripsit, was nur die Zusammenstellung des Texts durch H EINRICH, nicht aber ¨ dessen pers¨onlichen Vortrag bezeugt. Allerdings spricht dieselbe Uberschrift doch auch explizit von einer Eberbacher lectura, die demnach wohl stattgefunden hat und die dann allenfalls ein dritter auf der Grundlage des von L ANGEN STEIN zusammengstellten Texts gehalten haben m¨ usste. Diese grunds¨atzlich m¨ogliche Zusatzhypothese erschwert es dann allerdings auch zu erkl¨aren, warum neben der Erfurter Handschrift noch mindestens drei weitere Manuskripte die Eberbacher Lectura explizit H EINRICH VON L ANGENSTEIN zuordnen. Wesentlich plausibler ist es daher, wie T RAPP davon auszugehen, dass H EINRICH tats¨achlich als Gast in Eberbach eine Relecture von E LTVILLES Kommentar geboten hat. Dass der Text in enger Verbindung zu H EINRICH VON L ANGENSTEIN steht und daher wirklich anzunehmen ist, dass dieser ihn anl¨asslich seines Aufenthalts im Kloster Eberbach den dortigen M¨onchen gelesen hat, legt nun aber nicht nur die mehrfach belegte namentliche Zuweisung des Kommentars an einen H ENRICUS DE H ASSIA nahe. Vielmehr hatte E LTVILLES Kommentar an Spezifikum f¨ur die ‘Eltivlle’- oder die ‘Eberbach’-Tradition oder bloß eine Eigenheit eines der beiden Manuskripte ist. Da die Differenzen aber so minim sind, scheint ein solch ausgedehnter Vergleich auch gar nicht n¨otig. 13 Wovon es nicht wenige gibt: Ein Großteil der Correlaria wird mit infero eingeleitet; die Obiectiones werden mit arguo eingeleitet und mit ad illud dico widerlegt; und auch einige Ausf¨uhrungen zum weiteren Vorgehen innerhalb der Quaestio sind in der ersten Person Singular verfasst. 14 In der M¨unchner Handschrift steht konsequent a¯nsz , in der Br¨ugger a¯ns p¸bo. 15 K REUZER: Heinrich von Langenstein (1987), S. 67.
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Kapitel 16: Langensteins Lectura Eberbachi als Relecture Jakobs von Eltville
der Wiener Universit¨at einen unglaublichen Erfolg, was sich erneut am schl¨ussigsten durch die Vermittlung H EINRICHS VON L ANGENSTEIN erkl¨aren l¨asst, der diesen Kommentar an die neu er¨offnete Wiener theologische Fakult¨at mitgebracht haben d¨urfte. Wenden wir uns damit der zweiten Generation von Wiener Theologen zu und widmen uns insbesondere den Kommentaren des N IKOLAUS ¨ , um nachzuzeichnen, von welchem Wandel die WirksamVON D INKELSB UHL keitsdiskussion an der Wende zum 15. Jahrhundert gepr¨agt worden ist.
Kapitel 17
Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts Unter den Sentenzenwerken, die im Rahmen der theologischen Ausbildung an der Wiener Universit¨at entstanden sind, d¨urften die Quaestiones communes des ¨ , die zwischen 1398 und 1402 entstanden sind, N IKOLAUS VON D INKELSB UHL der fr¨uheste Kommentar sein, der auch erhalten geblieben ist.1 Aus den Jahren unmittelbar nach 1400 sind allerdings einige weitere Kommentare u¨ berliefert, namentlich die Kommentare des P ETER VON P ULKAU, des J OHANNES B ER WARD VON V ILLINGEN und des A RNOLD VON S EEHUSEN .2 Das Manuskript 1 Vgl. M ADRE , A LOIS: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl, Leben und Schriften. Ein Beitrag zur theologischen Literaturgeschichte, M¨unster: Aschendorff, 1965 (Beitr¨age zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 40.4), S. 17–19. Von einigen fr¨uheren Sentenzenlesungen wohl des akademischen Jahrs 1388/89 sind zumindest die Prinzipia erhalten geblieben, vgl. S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 34 und 207. 2 L ICKTEIG , F RANZ -B ERNARD: The German Carmelites at the Medieval Universities, Rom: Institutum Carmelitanum, 1981, S. 190, liegt allerdings falsch, wenn er behauptet, die drei h¨atten als socii im Jahr 1402 ihre Sentenzenlesung begonnen: Bloß A RNOLD VON S EEHU SEN und J OHANNES B ERWARD wurden bereits 1402 zu Sentenzenlesung zugelassen, w¨ahrend P ETER VON P ULKAU zusammen mit dem Zisterzienser J OHANNES L ANGHEIM erst 1403 deren Kommentierung begann (vgl. die Akten der Theologischen Fakult¨at der Universit¨at Wien (1396–1508), ed. PAUL U IBLEIN, Wien 1978, S. 6–8; sowie U IBLEIN , PAUL: Zur Lebensgeschichte einiger Wiener Theologen des Mittelalters, in: Mitteilungen des Instituts f¨ur o¨ sterreichische Geschichtsforschung 74 (1966), S. 95–107, hier S. 106). – Ausf¨uhrlicher zu P ETER VON P ULKAU vgl. bereits A SCHBACH , J OSEPH: Geschichte der Universit¨at Wien im ersten Jahrhunderte ihres Bestehens, Wien: Verlag der K.K. Universit¨at, 1865, S. 425; zudem S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 118, und nun v.a. G IRGENSOHN , D IETER: Peter Z¨ach von Pulkau, in: Neue Deutsche Biographie, Band 20, 2001, S. 230 mit weiterer Literatur. – Zu J OHANNES B ERWARD VON V ILLINGEN steht im RS unter 407, er sei bereits 1389 baccalaureus theologicus gewesen, eine Information, die nicht stimmen kann (auch RS 586 z¨ahlt ¨ J OHANNES unter die Sch¨uler D INKELSB UHLS ). Vielmehr wurde J OHANNES in den Universit¨atsakten erst ab 1401 als magister in artibus et baccalaureus sacrae theologiae angef¨uhrt (vgl. K ELLER , K ARL H EINZ: Die mittelalterlichen Handschriften der Universit¨atsbibliothek Eichst¨att III. Aus Cod. st 471–Cod. st 699, Wiesbaden: Harassowitz, 2004 (Kataloge der Universit¨atsbibliothek 1.3), S. 97 ad Cod. st 490). – Der Karmelite A RNOLD VON S EEHUSEN schließlich kam 1401 nach Wien und promovierte bereits 1405 zum magister theologiae, vgl. neben dem RAG (unter der ID 2147111325) und L ICKTEIG: German Carmenlites (1981), S. 189–191, auch X IBERTA , BARTHOLOMAEUS M ARIA: De scriptoribus scholasticis saeculi XIV
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
Klosterneuburg 315 enth¨alt zudem Teile eines Sentenzenkommentars, der im Kolophon KONRAD VON ROTHENBURG zugeschrieben wird, einem Gelehrten, der ebenfalls kurz nach 1400 an der Wiener Universit¨at t¨atig gewesen ist.3 In der modernen Forschung ist nun festgestellt worden, dass in diesen Kommentaren die Praxis der lectura secundum alios, der auszugsweisen Text¨ubernahme aus anderen Kommentaren, sich nicht einfach mehr nur auf Ausz¨uge aus a¨ lteren Kommentare erstrecke, sondern weitgehend auf die zeitgen¨ossischen Sentenzenlesungen an der Wiener Fakult¨at beschr¨ankt bleibe – und dies in einem solchen Ausmaß, dass nicht mehr von je eigenst¨andigen Kommentaren, sondern von einem Gemeinschaftskommentar der ‘Wiener Gruppe’ gesprochen werden m¨usse. Ausgangspunkt dieses Gruppen-Kommentars bildeten N IKOLAUS’ Quaestiones communes; doch geh¨ore N IKOLAUS neben den genannten Sententiaren auch selbst zu dieser Gruppe von Wiederverwertern, da er nach Erlangen des theologischen Magisters und noch vor seiner Abreise ans Konstanzer Konzil mit den Quaestiones magistrales einen weiteren Sentenzenkommentar ver¨ fasst habe, der genau so von Ubernahmen aus zeitgen¨ossischen Kommentaren gepr¨agt sei.4 F¨ur die vorliegende Untersuchung sind diese Verstrickungen insofern interessant, als sie einen konkreten Einblick erlauben in die Arbeitsweise der damaligen Kommentatoren und damit auch nachzuzeichnen helfen, wie ganz offensichtlich mehr und mehr traditionalistische Z¨uge und eine Ausrichtung auf alte und neue Autorit¨aten ihren Weg zur¨uck in die Wirksamkeitsdebatte gefunden haben. Ein genaueres Studium einiger der Schriften dieser Wiener Gruppe liegt im vorliegenden Zusammenhang nun aber auch deswegen nahe, weil die bisex ordine Carmelitarum, Louvain: Bureaux de la revue d’histoire eccl´esiastique, 1931 (Biblioth`eque de la revue d’histoire eccl´esiastique 6), S. 465–476; sowie VOOGHT, PAUL: Les sources de la doctrine chr´etienne. D’apr`es les th´eologiens du XIVe si`ecle et du d´ebut du XVe avec le texte int´egral des XII premi`eres questions de la Summa in´edite de G´erard de Bologne (+ 1317), Br¨ugge: Descl´ee, 1954, S. 250–253. Laut einer zeitgen¨ossischen Auskunft (s.u., Anm. 83) hat er 1404 u¨ ber das vierte Sentenzenbuch gelesen. 3 Explicit lectura illustris magistri Chunradi de Ratenburkch super tertio et quarto sententiarum, pronuntiata ad universitatem Wiennensem, comparata per dominum Stephanum, canonicum Newnburgensem (fol. 458r, hier zitiert nach M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), Anm. 14, S. 95). Vgl. RS 172; wie das Kolophon besagt, enth¨alt das Manuskript einen Kommentar zum dritten und vierten Sentenzenbuch. Zur Biographie KONRADS vgl. A SCHBACH: Geschichte I (1865), S. 418f. 4 ¨ Noch bloß auf Ubernahmen aus a¨ lteren Autoren verwiesen hat X IBERTA: Scriptoribus (1931), S. 472f. Aufgearbeitet hat die zeitgen¨ossischen Parallelen ein erstes Mal AUER: aristotelische Logik (1957), was von S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 117–122, einige entscheidende Berichtigungen erfahren hat. Vgl. auch ganz knapp BAKKER/S CHABEL: Sentences Commentaries (2002), S. 462f., mit Verweis auf die unver¨offentlichte Dissertation von S CHABEL , C HRISTOPHER: The Quarrel with Aureol. Peter Aureol’s Role in the Late-Medieval Debate over Divine Foreknowledge and Future Contingents, 1315–1475, University of Iowa, 1994, die f¨ur die vorliegende Untersuchung leider nicht zur Verf¨ugung gestanden hat.
17.1 Dinkelsb¨uhls Quaestiones communes
291
herigen Erkenntnisse zu diesem ‘Gemeinschaftswerk’ ausschließlich aufgrund von Studien zu Themen des ersten Sentenzenbuchs vorgelegt worden sind.5 Mit Fokus auf die Wirksamkeitsdebatte pr¨asentiert das vorliegende Kapitel daher ¨ zuerst einmal D INKELSB UHLS Quaestiones communes und geht dann auf einige erhaltene Kommentare von weiteren Mitgliedern dieser Wiener Gruppe ¨ und insbesondere auf die erneut D INKELSB UHL zugeschriebenen Quaestiones magistrales ein.
¨ 17.1 D INKELSB UHLS Quaestiones communes In der Fr¨uhform der Quaestiones communes wird die Problematik der sakramentalen Wirksamkeit in keiner eigenst¨andigen Quaestio aufgegriffen, sondern bloß im Rahmen eines Dubium, welches der ersten Quaestio zu Buch IV, ob es in jeder Phase der Heilsgeschichte Sakramente gegeben habe, angeh¨angt ist.6 F¨ur Fragestellung und Argumente dieser u¨ bergeordneten Quaestio lehnt sich ¨ D INKELSB UHL an eine Quaestio aus S COTUS’ Ordinatio an,7 doch scheint er von Aufbau und Inhalt her eher den Stil seiner Vorg¨anger des sp¨ateren 14. Jahrhunderts aufzunehmen: Neben dem Dubium zur Wirksamkeitsfrage untersucht er (ebenfalls am Ende dieser ersten Quaestio) zwei weitere Dubia zu Anzahl und Einsetzung der Sakramente; der eigentlichen Behandlung seiner Quaestio stellt er zudem vier Notanda voran, welche die Definition der Sakramente, die Abgrenzung des sacramentum von der res sacramenti, sowie die Zeichenhaf5
S.o., S. 247. Die nachfolgenden Ausf¨uhrungen basieren auf der Handschrift Clm 8455. In D IN ¨ KELSB UHLS Autograph (Wien, Schotten 269 (274), dazu M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 72f.) ist das Dubium zumindest im Umfeld des Beginns von Buch IV nicht erhalten geblieben – angesichts der zahlreichen Einlagebl¨atter, welche die Handschrift charakterisieren, k¨onnte es aber an anderer Stelle eingeschoben oder als solcher Einschub verloren gegangen sein. In anderen fr¨uhen Abschriften ist es teils vorhanden (so Klosterneuburg 41 und Michaelbeuren, Carm. 9), teils nicht vorhanden (so Salzburg, St. Peter, b XII 2 und Wien, Schotten 201 (170)), geh¨ort aber mit der im n¨achsten Abschnitt besprochenen Umformung der Quaestio¨ nes communes zum festen Textbestand dazu. Insofern scheint die Autorschaft D INKELSB UHLS plausibel. In der M¨unchner Handschrift finden sich die Quaestiones communes zudem auf den fol. 1ra–263ra und beginnen nicht erst, wie M ADRE ebd. S. 78 festh¨alt, auf fol. 113. Die erste Quaestio zu Buch IV utrum pro omni hominum statu fuerint aliqua sacramenta beginnt dort auf fol. 1ra und erstreckt sich bis fol. 8rb, das Dubium zur Wirksamkeitsproblematik findet sich auf den fol. 6ra–8rb. 7 Ordinatio IV d 1, p 2, q 2, n 217–222, ed. Vaticana (2008), S. 77f. Bei S COTUS lautet die Quaestio utrum pro tempore cuiuscumque legis a Deo datae debuerit institui aliquod sacramentum. Von S COTUS’ vier Argumenta quod non u¨ bernimmt N IKOLAUS nur das erste samt einer Confirmatio durch G REGORS Moralia, was N IKOLAUS in zwei einzelne Argumente verwandelt. Durch Auslassung der drei weiteren, rein rationalen Argumente verwandelt er die vorliegende Problematik – wie sp¨ater auch die Wirksamkeitsfrage – in einen Autorit¨atenkonflikt. 6
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
tigkeit der Sakramente kl¨aren.8 Der Korpus der Quaestio selbst setzt sich aus sechs zum Teil ausf¨uhrlich begr¨undeten Conclusiones und aus der Widerlegung dreier Gegenargumente zusammen, welche aber erneut nicht alle direkt mit der eigentlichen Fragestellung in Verbindung stehen: Die vierte Conclusio behandelt den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten, die f¨unfte und sechste Conclusio drehen sich um Christus als deren causa meritoria.9 ¨ , Schema 3: N IKOLAUS VON D INKELSB UHL Aufbau von Quaestiones communes IV d 1 Clm 8455
A
B
Quaestio Argumenta Notanda 1–4 Conclusiones 1–6 Obiectiones 1–3 Responsiones 1–3 Dubia 1–2 Ad argumenta principalia
1ra
Dubium Argumenta Opinio Thomae Opinio Scoti Contra Thomam
6ra
1ra 1ra 2ra 4ra 4ra 4vb 5vb
6ra 6ra 6va 7vb
¨ So sehr sich D INKELSB UHL an Pariser Gepflogenheiten anlehnt, m¨oglichst viel unter einer einzigen Quaestio verpackt und dieses Material eifrig anhand von Notanda, Conclusiones und Correlaria strukturiert, entbehrt seine Darstellung nun aber einer inneren logischen Struktur, welche die einzelnen Teile in ein argumentatives Gesamtgef¨uge stellte und der Quaestio damit jenen typischen ‘geometrischen’ Charakter verleihen w¨urde. Weder zeigt er in einer Diviso quaestionis auf, wie die einzelnen Teile zusammenh¨angen, noch stehen die Conclusiones in direkter inhaltlicher Verbindung zu den Argumenta quod non, 8
Die Quaestio ist damit in f¨unf Teile untergliedert: Die Quaestio selbst, die Argumente quod non / in oppositum (beides Clm 8455 fol. 1ra), die vier Notanda (fol. 1ra–2ra), die sechs Conclusiones (fol. 2ra–4ra) mit Gegenargumenten und Responsiones (fol. 4ra–4vb), sowie die drei Dubia (fol. 4vb–8rb). 9 Entsprechend drehen sich auch die drei Gegenargumente nicht um die Hauptfrage, ob es stets Sakramente gegeben habe, sondern um die Passion Christi als m¨oglicher causa meritoria der Sakramente, um die Thematik also der f¨unften und sechsten Conclusio: Passio Christi non est in actu, igitur nec aliquis effectus est in actu per eam et per consequens sacramenta nullam habent ex ea efficaciam. [...] Item respectu gratiae nulla est causa meritoria, et cum illa sit effectus sacramentorum sequitur quod passio Christi non sit meritoria causa respectu effectuum sacramentorum. [...] Item si habent efficaciam a passione Christi hoc maxime esset a vulnere laterali Christi [...]. Falsitas conclusionis probatur quia illud vulnus fuit inflictum corpori iam mortuo (Clm 8455 fol. 4ra).
17.1 Dinkelsb¨uhls Quaestiones communes
293
wie dies bei JAKOB VON E LTVILLE und H EINRICH VON OYTA der Fall gewe¨ sen ist. D INKELSB UHLS Vorgehensweise orientiert sich in erster Linie an den Inhalten, die traditionellerweise im Rahmen dieser ersten Questio aufgegriffen werden, so dass er in vergleichsweise assoziativer Form nicht nur einen großen Teil jener Themen behandelt, welche P ETRUS L OMBARDUS im Rahmen der allgemeinen Sakramentenlehre aufgegriffen hat, sondern auch auf Diskussionen eingeht, welche sich erst in der nachfolgenden Kommentartradition ergeben haben. Seine Verbundenheit mit dieser Kommentartradition a¨ ußert sich schließlich neben der thematischen Aufnahme fr¨uherer Diskussionen auch in der expliziten Erw¨ahnung zahlreicher Vorg¨anger: Allein in dieser ersten Quaestio zu Buch IV ¨ verweist D INKELSB UHL dreizehn Mal explizit auf S COTUS, an dem er sich von seiner Fragestellung her ja auch orientiert; dar¨uber hinaus finden aber auch viermal T HOMAS VON AQUIN, zweimal T HOMAS VON S TRASSBURG und je einmal B ONAVENTURA, R ICHARDUS DE M EDIAVILLA und P ETRUS AUREOLI namentliche Erw¨ahnung.10 Wie eben schon bei H EINRICH VON OYTA ist dies ¨ nun aber erneut eine ziemlich konservative Auswahl: So sehr D INKELSB UHL damit die Gewohnheit von Sentenzenkommentaren des sp¨aten 14. Jahrhunderts aufnimmt, Diskussionspartner namentlich zu nennen, handelt es sich doch bei den namentlich erw¨ahnten Scholastikern keineswegs um Zeitgenossen. Es wird sich sogar herausstellen, dass der ‘modernste’ Verweis – jener auf T HOMAS VON S TRASSBURG – aus einer w¨ ortlich bei H EINRICH VON OYTA abgeschriebenen Passage stammt.11 Schon dieser kurze Blick auf Struktur und Stil einer einzelnen Quaestio ¨ aus D INKELSB UHLS Quaestiones communes zeigt, dass die charakteristischen Merkmale der Kommentartradition des sp¨aten 14. Jahrhunderts zwar weiterhin pr¨asent sind, dass sich aber die traditionalistischen Elemente, die sich insbesondere in den Kommentaren H EINRICHS VON OYTA bereits abzuzeichnen begonnen haben, auch hier in Erscheinung treten. Inwiefern sich dies nun auch inhaltlich festmachen l¨asst, sei exemplarisch an zwei Ausschnitten untersucht: Zum einen an N IKOLAUS’ einleitenden Anmerkungen zur Definition der Sakramente, zum anderen anhand des genannten Dubium zur Wirksamkeitsproblematik. Dabei gilt es, die beiden Abschnitte nicht nur darzustellen, sondern vor allem 10
S COTUS: fol. 1rb, 1va, 4ra, 4rb (2x, einmal namentlich, einmal idem), 4va (2x), 5vb (2x), 6va, 7rb, 7va, 7vb; T HOMAS VON AQUIN: fol. 6ra (sanctus Thomas), 7vb (2x, einmal sanctus Thomas, einmal idem doctor), 8rb (beatus Thomas); T HOMAS VON S TRASSBURG: fol. 7ra, 7rb; R ICHARDUS DE M EDIAVILLA: fol. 2va; B ONAVENTURA: fol. 3ra; P ETRUS AUREOLI: fol. 4vb. Dem gegen¨uber stehen bloß vier anonyme Verweise auf aliqui, bzw. alii: fol. 2vb (2x), 5ra, 5rb. Dar¨uber hinaus sind nat¨urlich die u¨ blichen Verweise auf AUGUSTIN, G REGOR DEN G ROSSEN und H UGO VON S T. V IKTOR vorhanden, ebenso wie Bibelzitate und Verweise auf A RISTOTELES. 11 S.u., S. 306.
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die Frage nach ihren Vorlagen zu kl¨aren, um feststellen zu k¨onnen, worin die ¨ Eigenart von D INKELSB UHLS Ausf¨uhrungen und allenfalls auch sein eigener Beitrag zur Diskussion um die Wirksamkeitsproblematik besteht. 17.1.1 Die Definition der Sakramente ¨ Wie bereits erw¨ahnt, kl¨art N IKOLAUS VON D INKELSB UHL die Definition der Sakramente im Rahmen von einigen Notanda, die er den eigentlichen Ausf¨uhrungen zu seiner Quaestio, ob es stets Sakramente gegeben habe, voranstellt. Das erinnert unmittelbar an die Vorgehensweise JAKOBS VON E LTVILLE, der in seine erste Quaestio zu Buch IV nicht nur ebenfalls mit einem Notandum zur Definition der Sakramente eingestiegen ist, sondern im Rahmen einer ersten Conclusio als Voraussetzung der sp¨ater behandelten Wirksamkeitsproblematik auch untersucht hat, was N IKOLAUS’ Fragestellung in dessen u¨ bergeordneter Quaestio ist: ob n¨amlich die Menschheit in jeder Phase der Heilsgeschichte Sakramente ben¨otigt habe.12 Die Fragestellung aus S COTUS’ Ordinatio scheint N IKOLAUS gem¨aß JAKOBS Vorgehenweise zu untersuchen, und tats¨achlich sind seine Ausf¨uhrungen von JAKOBS Kommentar nicht nur inspiriert, sondern auch literarisch von diesem abh¨angig. Dies droht insofern zu einer etwas verworrenen Textgestalt zu f¨uhren, als JAKOBS Notandum zur Sakramenten-Definition ja seinerseits in literarischer Abh¨angigkeit vom Kommentar des T HOMAS VON S TRASSBURG steht, der wiederum schon auf Material aus S COTUS’ Ordinatio zur¨uckgegriffen hat.13 ¨ Nun hatte JAKOB in seiner Uberarbeitung der Ausf¨uhrungen von T HOMAS ¨ VON S TRASSBURG vor allem zwei Anderungen vorgenommen: Zum einen blendete er die Frage nach der Definierbarkeit der Sakramente aus, die sowohl bei T HOMAS VON S TRASSBURG als auch in S COTUS’ Ordinatio im Vordergrund gestanden war.14 So drang bei JAKOB zwar noch durch, dass es unterschiedliche Definitionstypen gebe, es stand aber nicht mehr zur Debatte, inwiefern sich diese auf eine Bestimmung der Sakramente anwenden liessen. Zum anderen erg¨anzte JAKOB, dass es neben der Definition des P ETRUS L OMBAR DUS, die S COTUS und T HOMAS VON S TRASSBURG vor allem interessierte, auch noch andere Sakramenten-Definitionen gebe, deren eine mit scotistischer 12 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199ra = Clm 11591, fol. 319vb: Quamvis necessarium fuit pro certis et differentibus mensuris condicione et numero differentia Deum instituere remedia, pro aliquo tamen statu [et Clm 11591] statibus non oportuit aliqua habere sacramenta. Vgl. oben, S. 235. 13 S.o., S. 226. 14 In seiner Quaestio zur Sakramenten-Definition geht S COTUS zwar vom Wortlaut der Sentenzen aus, macht aber bereits in den Argumenta quod non deutlich, dass es weniger um dessen ¨ Auslegung als vielmehr um grunds¨atzliche Uberlegungen zu den Bedingungen einer g¨ultigen Definition geht (s.o., Teil II, Kap. 12.1). Bei T HOMAS VON S TRASSBURG lautete die Quaestio schlicht an sacramentum possit diffiniri (Commentaria IV d 1, q 2, ed. Venedig 1564, fol. 59ra).
17.1 Dinkelsb¨uhls Quaestiones communes
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Pr¨agung er auch explizit anf¨uhrte.15 Beide Vorgehensweisen zeichnen nun auch ¨ die Ausf¨uhrungen von N IKOLAUS VON D INKELSB UHL aus: Von der Definitionsproblematik kommt er so weit weg, dass bei ihm nicht einmal mehr die unterschiedlichen Definitionstypen eine Erw¨ahnung finden; stattdessen geht er ¨ von der Bedeutung des Begriffs sacramentum aus16 Mit seiner Ubernahme des ‘etymologischen’ Definitionstyps des T HOMAS VON S TRASSBURG hat JAKOB ¨ VON E LTVILLE diesen Ubergang von einem eher definitions-theoretischen zu einem tendenziell begriffs-geschichtlichen Ansatz bereits vorbereitet,17 doch vollzieht erst N IKOLAUS einen grunds¨atzlicheren Wandel, indem er die defini¨ tiorischen Uberlegungen g¨anzlich weg l¨asst. Denn darin a¨ ußert sich ein letztlich ¨ traditionalistischer Zug: Ganz offensichtlich interessiert D INKELSB UHL weniger eine Analyse der Brauchbarkeit bestehender Definitionen, als vielmehr was gemeinhin unter dem Begriff ‘Sakrament’ verstanden wird und verstan¨ den worden ist. An die Stelle der rationalen Uberpr¨ ufung von Sakramenten¨ Verst¨andnissen tritt damit ein Bem¨uhen um deren Uberlieferung. W¨ahrend daher JAKOB (und T HOMAS VON S TRASSBURG) die beiden Bestimmungen sacrae rei signum und sacrum secretum noch in der einen Kategorie der etymologischen Definitionen zusammengefasst haben,18 teilt sie N I KOLAUS entsprechend diesem neuen Bem¨ uhen auf, weil sie zur Bezeichnung von unterschiedlichen Dingen verwendet werden: die eine steht f¨ur die heilige Sache selbst, die andere aber bloß f¨ur deren Zeichen.19 Erst bei einer dritten Verwendungsweise, die nun nicht nur die heilige Sache selbst oder ganz 15 S.o., S. 230. Die Existenz weiterer Sakramenten-Definitionen streift T HOMAS VON S TRASSBURG nur beil¨aufig am Ende seiner Ausf¨uhrungen zur Hauptdefinition der Sentenzen: Inter caeteras diffinitiones seu descriptiones quas ponit Magister ipsius sacramenti, ista iam dicta magis videtur accedere ad proprietatem diffinitionis Commentaria IV d 1, q 2, a 1, c 3, ed. Venedig 1564, fol. 59va. 16 ¨ : Quaestiones communes IV d 1, q 1, n 1, Clm 8455, fol. N IKOLAUS VON D INKELSB UHL 1ra: Pro quaestione est primo notandum quod ‘sacramentum’ capitur unomodo pro re ipsa qua fit sacratio. Et sic dicitur quasi sacrum secretum. Et sic determinatum est de primo et tertio libris.. Zum Text von JAKOB s.o., S. 227. 17 Vgl. I SIDOR VON S EVILLA: Etymologiae I 29, n 2, ed. Lindsay (1911): dum vide¨ ris unde ortum est nomen, citius vim eius intelligis (dazu G RUBM ULLER , K LAUS: Etymologie als Schl¨ussel zur Welt? Bemerkungen zur Sprachtheorie des Mittelalters, in: F ROMM , H ANS/H ARMS , W OLFGANG/RUBERG , U WE (Hrsg.): Verbum et Signum. Beitr¨age zur medi¨avistischen Bedeutungsforschung, M¨unchen: Fink, 1975, S. I,209–230, hier S. 229). 18 Vgl. die Textsynopse oben, S. 226. 19 Secundomodo capitur sacramentum adhuc generaliter prout est sacrae rei signum. Sic intelligendo illud quod sacramentum est res sensibilis ex Dei sensibili institutione significans rem sacram sanctificantem homines. Et haec diffinitio etiam convenit sacramentis [novae Clm 8455] legis vel etiam legis naturae quae significabant Christi passionem vel etiam sacramenta nostra. Et illo secundo modo debet accipi sacramentum in quaestione proposita (Clm 8455, fol. 1ra). Diese Ambiguit¨at im Sakramenten-Begriff machte schon P ETRUS L OMBAR DUS selbst deutlich (Sententiae IV d 1, c 2, ed. Grottaferrata (1981), S. 232: ut sacramentum sit sacrum signans et sacrum signatum); s.o., S. 5.
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grunds¨atzlich deren Zeichen, sondern in einem spezifischen Sinne die neutestamentlichen Sakramente betrifft, lehnt sich N IKOLAUS wieder an JAKOBS Vorgehensweise an, indem er nun auch dessen zweites Anliegen aufnimmt und u¨ ber die Sakramenten-Bestimmung von P ETRUS L OMBARDUS hinaus auf eine Reihe weiterer Definitionen zu sprechen kommt.20 W¨ahrend JAKOB aber auf die Existenz weiterer Definitionen bloss hingewiesen hat, f¨uhlt sich N IKO LAUS nun bem¨ ußigt, diese zu zitieren.21 Es handelt sich um traditionelle und entsprechend verbreitete Definitionen; bemerkenswert ist dennoch, dass N I KOLAUS eine von ihnen G REGOR DEM G ROSSEN zuweist. Zwar findet sich diese Sakramenten-Bestimmung im Decretum Gratiani tats¨achlich unter G RE GORS Namen angef¨ uhrt, doch ist sie sp¨atestens mit dem Sentenzenkommentar des T HOMAS VON AQUIN viel h¨aufiger als eine Aussage AUGUSTINS rezipiert worden22 – wie dies im vorliegenden Fall wohl auch JAKOBS knapper Verweis belegt. Dessen Quellenangabe aufnehmend, scheint N IKOLAUS nun aber im Decretum zu verifizieren, wie die Definition genau lautet und woher sie stammt, um seine Vorlage von da her zu korrigieren. Ein solches Bem¨uhen um ein ad¨aquates Zitieren zeigt sich auch bei den beiden letzten Definitionen, die JAKOB im Wortlaut anf¨uhrt: Beschr¨ankt sich JA KOB bei P ETRUS ’ L OMBARDUS Definition auf jenen Teil, der von AUGUSTIN stammt, so f¨uhrt N IKOLAUS die vollst¨andige Definition des M AGISTERS an; und wo JAKOB mit einem unspezifischen Verweis auf alii eine weitere Bestimmung nennt, die inhaltlich zwar offenkundig scotistisch ist, sich in S COTUS’ Schriften aber nicht findet, da zitiert N IKOLAUS nun jene Definition, welche S COTUS in seiner Ordinatio als passende und alle definitorischen Bedingungen erf¨ullende Bestimmung der Sakramente erarbeitet hat.23 20 Tertiomodo accipitur sacramentum | proprie prout convenit sacramentis novae legis et forte circumcisioni conveniebat. Sic de hoc videbitur postea, et sic capiendo diversae ponunt ipsius diffinitiones. – Prima est Gregorii in Registro: sacramentum est quod sub tegumento rerum sensibilium virtus divina operatur secretius salutem aliorum. – Secunda est Hugonis De sacramentis: sacramentum est elementum oculis foris suppositum ex divina institutione significans benedictione gratiam conferendam. – Tertia est magistri in littera: sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma ut eius similitudinem gerat et causa existat. – Quarta est doctoris subtilis: sacramentum est signum sensibile effectum gratuitum ex institutione divina significans efficaciter ordinatum ad salutem hominis viatoris (Clm 8455, fol. 1ra–b). F¨ur die parallelen Stellen bei JAKOB s.o., S. 227. 21 Die Definition H UGOS stammt aus De sacramentis I p 9, c 2, ed. Berndt (2008), S. 209f., die N IKOLAUS nicht in der Form zitiert, wie sie H EINRICH VON OYTA in seiner Lectura textualis u¨ bernommen hat (s.o., S. 274). 22 Vgl. T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 1, qc 4, ed. Moos (1947), S. 10f. Auf diese Fehlzuweisung hat bekanntlich bereits P ETRUS AUREOLI hingewiesen und G REGOR als Autor ins Spiel gebracht (s.o., S. 220), obwohl die Bestimmung urspr¨unglich auf I SIDOR VON S EVILLA zur¨ uckgehen d¨urfte (s. ebd., Anm. 100). 23 Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 207, ed. Vaticana (2008), S. 73: Haec est eius definitio, scilicet: ‘signum sensibile, gratiam Dei vel effectum Dei gratuitum ex institutione divina effica-
17.1 Dinkelsb¨uhls Quaestiones communes
N IKOLAUS, Quaestiones communes24 Tertia est magistri in littera: Sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma ut eius similitudinem gerat et causa existat. Quarta est doctoris subtilis: Sacramentum est signum sensibile effectum gratuitum ex institutione divina significans efficaciter ordinatum ad salutem hominis viatoris.
JAKOB
VON
297
E LTVILLE, Quaestiones25
Forma est tamen perfectior quae ponitur a magistro in littera, scilicet quod sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma. Aliter etiam alii diffiniunt sacramentum dicentes ‘Sacramentum est signum practicum designans efficienter aliquod Dei donum invisibile intrinsece gratificans animam viatoris.’
Auch hierin zeigt sich ein konservativer Zug: Es geht N IKOLAUS nicht einfach mehr nur darum, auf weitere Sakramenten-Definitionen hinzuweisen, sondern es liegt ihm ganz offensichtlich daran, diese Definitionen in ihrem Wortlaut zu bewahren. Denn mehr als sie anzuf¨uhren, macht N IKOLAUS mit diesen Definitionen nicht. Vielmehr schließt er sich erneut der Vorgehensweise von JAKOB an und konzentriert sich unter Verweis auf die verbreitete Anerkennung der Definition des P ETRUS L OMBARDUS auf deren Auslegung, die er in einem zweiten Notandum pr¨asentiert. Hier benutzt N IKOLAUS JAKOBS Kommentar nun nicht mehr nur als Leitfaden, wie die Bestimmung der Sakramente zu erarbeiten sei, vielmehr beginnt er, sich auch w¨ortlich an seine Vorlage anzulehnen. N IKOLAUS, Quaestiones communes26 Est ergo secundum notandum quod in diffinitione magistri ly ‘forma’ quod hic tantum valet sicut signum, ponitur pro genere. Omne enim sacramentum est signum.
Et ‘visibile’ ponitur pro sensibile ut scilicet sacramentum sit signum subiacens alicui sensui vel pluribus ut plus patebit in particulari agendo de sacramentis
JAKOB, Quaestiones27 Et ponitur hic ‘forma’ pro signo quod est genus sacramenti, quasi diceret sacramentum quasik sacrae rei signum, et illal res sacra cuius est signum intelligitur illud quod facit formaliter sacramentum vel sacrum quod recipitur gratia quae est participatio vel affiliatio divini esse per cuius conformitatem sanctificamur. Et recipitur ‘visibile’ communiter pro quolibet sensibili ut scilicet sit signum subiacensm alicui quorumque sensuum uni vel pluribus
citer significans, ordinatum ad salutem hominis viatoris’. Et in hoc ‘efficaciter’ includitur tam ‘certitudinaliter’ quam ‘prognostice’. 24 IV d 1, q 1, n 1: Clm 8455, fol. 1rb. 25 IV q 1, n 1: Br¨ugge, Bib.ville 181, fol.198vb = Clm 11591, fol. 319rb. 26 IV d 1, q 1, n 1: Clm 8455, fol. 1rb. 27 IV q 1, n 1: Br¨ugge, Bib.ville 181, fol 198vb = Clm 11591, fol. 319rb. k
est Clm 11591
l
ista Clm 11591
m
subiciens Clm 11591
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Dennoch bewahrt er sich eine kritische Distanz: N IKOLAUS’ Auslassung zum Stichwort ‘forma’ betrifft gegen¨uber seinem Vorlagentext genau jene Erg¨anzung, die JAKOB seiner eigenen Vorlage T HOMAS VON S TRASSBURG hinzugef¨ugt hat und die ihn in die N¨ahe des Mitwirkungs-Modells von T HOMAS VON AQUIN ger¨ uckt hat.28 Dass N IKOLAUS dies wieder wegstreicht, deutet daher darauf hin, dass er selbst eher der Pakt-Variante zuneigt. Dies best¨atigt sich im unmittelbaren Anschluss an den eben zitierten Text. Denn wie JAKOB seine eigene Vorlage bereits in der vorliegenden Diskussion zur Definition der Sakramente mit Aussagen erg¨anzt hat, welche in Richtung der Mitwirkungs-Variante tendieren, erweitert auch N IKOLAUS seine Vorlage: Einen Großteil seiner weiteren Auslegung der Sakrementen-Definition von P ETRUS L OMBARDUS stellt er nunmehr aus einigen Conclusiones aus S COTUS’ Ordinatio zusammen, was er nur einmal kurz unterbricht, um den letzten noch verbleibenden Satz aus JAKOBS Diskussion der Sakramenten-Definition aufzunehmen.29 Bereits in seiner Auslegung von P ETRUS ’ Sakramenten-Definition macht ¨ N IKOLAUS VON D INKELSB UHL damit deutlich, dass er in der Wirksamkeitsfrage einem Pakt-Modell von scotischem Zuschnitt anh¨angt: W¨ahrend JAKOB in seiner Erg¨anzung noch dargelegt hat, das Sakrament sei Zeichen der Gnade, die es selbst (im Sinne der H UGO ’ SCHEN vasa medicinalia) empfange, u¨ bernimmt N IKOLAUS von S COTUS nun die gegenteilige Ansicht, dass ein Sakrament – mit Ausnahme des Abendmahls – Zeichen der in der Seele liegenden Gnade sei.30 Mit S COTUS teilt er die Vorstellung eines unfehlbaren g¨ottlichen signum efficax;31 sogar explizit von S COTUS u¨ bernimmt er auch das Beispiel des Friedenszeichens.32 Offenbar ist es N IKOLAUS’ volle Absicht, mit diesen Einsch¨uben aus S COTUS’ Ordinatio eine Vorentscheidung in der Wirksamkeitsfrage zu treffen. Denn im unmittelbaren Anschluss an diese Zitate und immer ¨ S.o., S. 229. Die Ubereinstimmungen mit JAKOB machen dennoch deutlich, dass N IKO auf ihn, und keineswegs direkt auf T HOMAS VON S TRASSBURG zur¨uckgreift. 29 Clm 8455, fol. 1va: [sacramenta] significant quidem non quoad esse, sed quoad fieri vel conferri per quod differunt a multis signis non sacramentalibus; vgl. JAKOB VON E LTVILLE: Et intelligitur quod sit signum non quoad esse rei sed quoad fieri seu conferri, ut scilicet collatio gratiae significetur et per hoc distinguitur a multis signis non sacramentalibus (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198vb = Clm 11591, fol. 319rb). 30 Per ‘invisibilem gratiam’ intelligit vel gratia subsistens ut in sacramento | altaris vel inhaerens animae ut in aliis sacramentis (Clm 8455, fol. 1rb–va; vgl. S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 212, ed. Vaticana (2008), S. 75). 31 Possibile est Deum se determinare ad hoc quod cooperetur infallibiliter ad signum ab eo institutum causandum effectum significatum nisi impediat dispositio illius cui illud adhibetur (Clm 8455, fol. 1va; vgl. S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 192, ed. Vaticana (2008), S. 65). 32 Sic enim facere potest homo ut declaret Scotus in exemplo de illo qui instituit pro signo pacis tactum manus vel elevationem digiti vel huiusmodi, determinans se quod semper cooperetur ad effectum significatum nisi indispositio eius cui adhibetur impediat (Clm 8455, fol. 1va; vgl. S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 192, ed. Vaticana (2008), S. 66); dazu oben, S. 172. 28
LAUS
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noch als Auslegung der Definition von P ETRUS L OMBARDUS f¨uhrt N IKOLAUS aus: So aber hat es Gott bei den neutestamentlichen Sakramenten eingerichtet, dass er ihnen stets urs¨achlich assistiert, [so] dass – wann auch immer ein Mensch sie ordnungsgem¨aß empf¨angt und keinen Hinderungsgrund darstellt – Gott dann innerlich die unsichtbare Wirkung verursacht, welche das Sakrament bezeichnet. Und um dies zu best¨atigen sagt der Magister in der Definition ‘dass [das Sakrament] als deren Ursache – das heißt der unsichtbaren Gnade – existiere’ – zwar nicht als wirksam hervorbringende Ursache, sondern bloß als dienende Ursache, als causa ministerialis, so dass aus einer Anordnung Gottes und einem Pakt heraus Gott bei einer rechtm¨aßigen Anwendung des Sakraments dem Menschen, der keinen Hinderungsgrund darstellt, stets die Gnade u¨ bertr¨agt.33
Interessant an diesen Ausf¨uhrungen ist vor allem der Begriff der causa ministerialis. Dass die Priester durch ihren Dienst – ihr ministerium – an der sakramentalen Gnadenvermittlung mitwirken, ist schon im fr¨uhen 13. Jahrhundert im Rahmen der Wirksamkeitsdiskussion thematisiert worden.34 Von einer causa ministerialis hat dann aber vor allem T HOMAS VON AQUIN im Hinblick auf das Zusammenwirken von g¨ottlicher und menschlicher Natur in Christus gesprochen, eine Thematik, die ja sp¨atestens in der Summa theologiae zum Modell f¨ur die sakramentale Wirksamkeit werden sollte.35 Dabei bleibt die ministeriale Ursache ein Pendant zur instrumentalen, eine Gleichsetzung, die sich auch bei S COTUS finden l¨asst.36 ¨ Dass N IKOLAUS VON D INKELSB UHL nun allerdings diese Bezeichnung im Hinblick auf die Sakramente aufgreift und nicht etwa f¨ur die ausf¨uhrenden Priester verwendet, d¨urfte der Perspektive eines viel j¨ungeren Scholastikers ge33
Clm 8455, fol. 1va–b: Sic autem Deus disposuit de sacramentis novae legis quod eis semper assistit causaliter quod quandocumque viatori rite appli|cantur non ponenti obicem tunc Deus interius causat effectum invisibilem quod sacramentum significat. Et ad hoc innuendum dicitur in diffinitione magistri ‘ut eius – scilicet gratiae invisibilis – causa existat’. Non quidem causa effective productiva sed tantum causa ministerialis ita quod ex Dei ordinatione et pacto semper Deus confert gratiam ad sacramenti ritam applicationem viatori non ponenti obicem. Eine Vorlage f¨ur diesen Teil hat nicht gefunden werden k¨onnen; einige Formulierungen ¨ liegen n¨aher bei T HOMAS’ Darstellung des Pakt-Modells, wie es in D INKELSB UHLS Vorfeld H EINRICH VON OYTA rezipiert (vgl. die oben, S. 268 zitierte Parallel-Stelle), als bei S COTUS selbst. 34 Vgl. etwa H UGO VON S T. C HER: Commentarius in libros Sententiarum IV d 1, q 3, ad 4, ed. Stegm¨uller (1953), S. 67: Ad id quo obicitur postea, scilicet quod solus Deus iustificat: Verum est auctoritate, sacerdos autem ministerio, sacramentum vero causaliter. 35 S.o., Teil II, Kap. 11.3; zur causa ministerialis bei T HOMAS vgl. T ORRELL , J EAN P IERRE: La causalit´e salvifique de la r´esurrection du Christ selon saint Thomas, in: Revue Thomiste 96 (1996), S. 179–208, S. 186 und 189. 36 So etwa im vorliegenden Kontext, wenn S COTUS im Rahmen der Sch¨opfungsproblematik T HOMAS’ Argumente rezipiert, vgl. Ordinatio IV d 1, p 1, q 1, n 18, ed. Vaticana (2008), S. 10.
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schuldet sein: H EINRICH VON OYTA hat ja in seinen Pariser Quaestiones die ganze Wirksamkeitsproblematik unter dem Aspekt des Verm¨ogens der Priester aufgerollt, wobei er nicht von sacerdotes, sondern von ministri gesprochen hat.37 Dabei geht es ihm zwar nie explizit um eine causa ministerialis, da ihm daran gelegen ist, die Priester und ihr Verm¨ogen und Unverm¨ogen soweit wie m¨oglich aus dem Sakramentengeschehen herauszuhalten. Gerade dadurch verst¨arkt sich aber der reine, ‘unpers¨onliche’ Dienst-Aspekt des gesamten Sakramentenvollzugs, so dass N IKOLAUS’ Anwendung einer causa ministerialis auf die Sakramente als konsequente Weiterf¨uhrung dieses Ansatzes von H EIN RICH VON OYTA erscheint.38 Zugleich erm¨ oglicht dies N IKOLAUS, sich noch einmal mehr vom Mitwirkungs-Modell zu distanzieren. Denn indem S COTUS noch am Instrumenten-Begriff festgehalten hat und entsprechend auch H EIN RICH VON OYTA sagen kann, die Sakramente seien disponierende instrumentale Ursachen,39 droht eine Verwechslung mit dem Mitwirkungs-Modell, was die Rede von einer causa ministerialis nicht nur terminologisch ausschließt. Vielmehr hat es der Dienst-Begriff dem Instrumenten-Begriff voraus, dass die Eigenschaften des Dienenden keine Rolle spielen, w¨ahrend bei einem Instrument die Vorstellung doch nahe liegt, es seien dessen spezifische Eigenschaften, die erlaubten, dass es sich in einer bestimmten Weise verwenden lasse. Dass umgekehrt nun allerdings der Dienst-Begriff ein Handeln des Dienenden impliziert und daher – ganz im Sinne des Feuers von AUREOLIS Brandstifter – als causa ministerialis eigentlich nur in Frage kommt, was eine eigene Aktivit¨at besitzt und insofern an einer Handlung mitwirkt, das scheint N IKOLAUS nicht zu st¨oren. In einem dritten Notandum, in welchem er zuerst noch P ETRUS ’ L OMBARDUS Unterscheidung zwischen sacramentum und res sacramenti aufgreift,40 verdichtet N IKOLAUS vielmehr seine bisherigen Ausf¨uhrungen zu einer eigenen Sakramenten-Definition:
37
Abgesehen von einem l¨angeren Zitat aus A MBROSIASTER (s.o., S. 256) verwendet H EIN nur noch an einer einzigen Stelle den Begriff sacerdos, wo es um die eigentliche priesterliche Aufgabe geht – die Konsekration des Abendmahls (Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra: consecratio non est actus personalis sacerdotis, sed actus Dei secretius in verbis seu prolatione verborum consecrationis operantis). 38 Wie sehr N IKOLAUS’ Ausf¨uhrungen von jenen von H EINRICH VON OYTA abh¨angen, wird im n¨achsten Abschnitt ausf¨uhrlicher darzulegen sein, s.u., S. 305. 39 So H EINRICH in seiner eigenen Sakramenten-Definition: sacramenta novae legis sunt gratiae divinae seu effectus sacramentalis causa instrumentalis dispositiva dispositione extrinseca habilitante subiectum ad recipiendum gratiam non ex natura rei, sed ex ordinatione et pacto Dei (Prag, Nat. V.B.23, fol. 266va). F¨ur S COTUS s.o., S. 185. 40 Vgl. P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 8, c 7, ed. Grottaferrata (1981), S. 285. P ETRUS hatte die Unterscheidung noch allein im Hinblick auf die Eucharistie vorgebracht, sie wurde allerdings schon fr¨uh auch auf die weiteren Sakramente bezogen (dazu ROSIER C ATACH , I R E` NE: La parole efficace. Signe, rituel, sacr´e, Paris: Seuil, 2004, S. 42f.). RICH
17.1 Dinkelsb¨uhls Quaestiones communes
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Aus dem Gesagten l¨asst sich die Definition eines Sakraments folgendermaßen angeben: Es ist ein wahrnehmbares Zeichen, das die nicht wahrnehmbare Gnade wegen einer speziellen Einsetzung Gottes bezeichnet und stets ministerialiter das verursacht, was es bezeichnet.41
Noch bevor er die Wirksamkeitsproblematik u¨ berhaupt richtig aufgegriffen hat, macht N IKOLAUS damit schon deutlich, in welche Richtung er sie zu l¨osen beabsichtigt. Es ist ganz offensichtlich die Richtung von S COTUS, was sich schon darin auch abgezeichnet hat, dass dieser im vorliegenden Kontext der am h¨aufigsten explizit genannte Autor ist und nicht nur die Fragestellung, sondern auch die einleitenden Argumenta der Quaestio liefert.42 Nun st¨utzt sich N IKOLAUS ja auch auf den Kommentar des JAKOB VON E LTVILLE, der in der Wirksamkeitsfrage gerade die Gegenseite vertreten hat. Damit wird deutlich, dass der junge Wiener Bakkalear zwar erneut weite Teile seines Kommentars aus a¨ lteren Werken u¨ bernimmt, dass er daraus aber durchaus ein eigenes Werk mit einer eigenen Pr¨agung zusammenstellt, ohne seinen Vorlagen sklavisch zu folgen. Neben aller strukturellen und inhaltlichen Orientierung an den zwei doch recht unterschiedlichen Kommentaren von S COTUS und JAKOB arbeitet N IKOLAUS auch seine eigene Interpretation in den Text ein, indem er, der Vorgehensweise von JAKOB folgend, S COTUS’ Ausf¨uhrungen zur Sakramenten-Definition zum Modell einer causa ministerialis verdichtet. Inhaltlich mag dies aus den genannten Gr¨unden problematisch und wenig geeignet sein, das Pakt-Modell von der Mitwirkungs-Variante abzugrenzen – literarisch ist es dennoch bemerkenswert, da diese Ursachen-Form sich in keiner der Vorlagen findet, aus denen N IKOLAUS hier w¨ortlich zitiert. Dass solche Eigenst¨andigkeit selbst dann m¨oglich ist, wenn praktisch jedes einzelne Wort aus Vorlagentexten u¨ bernommen wird, zeigt die Behandlung der Wirksamkeitsproblematik, wie sie sich im letzten der drei Dubia am Ende der Quaestio findet. 17.1.2 Traditionalistische Z¨uge in der Darstellung der Wirksamkeitsfrage Von den u¨ brigen beiden Dubia am Ende der ersten Quaestio zu Buch IV ist jenes zur Wirksamkeitsproblematik schon dadurch abgehoben, dass es im Unterschied zu den beiden anderen erst nach der Aufl¨osung der einleitenden Argumenta quod non behandelt wird.43 Zudem unterscheidet es sich auch durch 41 Clm 8455, fol. 1vb: Et potest diffinitio sacramenti ex dictis sic poni: est signum sensibile insensibilem gratiam ex Dei [sensibili Clm 8455] institutione significans, causans semper ministerialiter illud quod significat. 42 N IKOLAUS zitiert allerdings nicht nur aus dieser Rahmen-gebenden, sondern auch aus der vorangehenden Quaestio aus S COTUS’ Ordinatio (IV d 1, p 2, q 1, ed. Vaticana (2008)), deren Inhalt N IKOLAUS in die vorliegende Diskussion einarbeitet. 43 Dennoch ist das Dubium keine eigentliche Quaestio, wie die Angaben des RS unter der Nummer 561 ad Clm 8455 suggerieren: Der Abschnitt wird nicht nur explizit als Dubium aus-
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seine Ausdehnung: W¨ahrend die ersten beiden Dubia knapp zwei, bzw. gut drei Manuskript-Spalten einnehmen, zieht sich das vorliegende dritte u¨ ber neun Spalten hinweg. Aber auch formal ist dieses letzte Dubium genauer ausgearbeitet als die beiden vorangehenden: W¨ahrend diese zwar durch eine Quaestio eingeleitet, daraufhin aber umgehend in einer Responsio diskutiert werden,44 findet sich zwischen Problemanzeige und Behandlung des dritten Dubium dem strengeren Quaestionen-Stil folgend je ein Argumentum quod non und in oppositum: Offensichtlich scheint hier die Wirksamkeitsproblematik so interessant, dass sie auch als eigenst¨andige Quaestio h¨atte formulieren werden k¨onnen. Bezeichnenderweise liegt einer der wenigen strukturellen Unterschiede, welche bisher im Kommentar zu Buch IV zwischen den fr¨uhen Questiones communes und sp¨ateren Fassungen festgestellt worden sind, genau darin, dass in letzteren die Wirksamkeitsproblematik in einer eigenst¨andigen Frage abgehandelt ¨ wird.45 So sehr sich D INKELSB UHL daher an den strukturellen Stilformen seiner Vorg¨anger orientiert, dringt damit doch auch das a¨ ltere Vorgehen wieder durch, eigenst¨andige, gr¨oßere Probleme f¨ur sich in je abgegrenzten Quaestionen zu behandeln. Interessanterweise sind diese zwei Vorgehensweisen – alles unter eine große, bzw. in mehrere kleine Quaestiones zu verpacken – genau jene, welche H EINRICH VON OYTA einmal in seiner Prager Lectura und einmal in ¨ seinen Pariser Quaestiones gew¨ahlt hat. D INKELSB UHLS erste Quaestioscheint daher auf einer strukturellen Ebene die beiden Ans¨atze zu vereinen. Dass es sich dabei um mehr als ein formales Schwanken zwischen zwei stilistischen Vorbildern handelt, zeigt sich bereits beim Einstieg in das vorliegende Dubium: Das Argument quod non ebenso wie jenes in oppositum stammt direkt aus der Prager Lectura H EINRICHS VON OYTA: Quaestiones communes46 Dubium: utrum sacramenta novae legis sint causativa gratiae quam significant. – Quod non.
H EINRICH
VON
OYTA, Lectura47
Tertio quaeritur utrum sacramenta novae legis sint causa gratiae. – Videtur quod non. Dicit enim Bernhardus in sermone De coena domini [...].
gewiesen, sondern es wird am Ende des Dubium die formale Struktur einer Quaestio auch nicht mehr eingehalten und das einleitende Argumentum quod non nicht aufgel¨ost. Es k¨onnte sich allenfalls aber um einen sp¨ater hinzugef¨ugten Abschnitt handeln, s.o., Anm. 6. 44 ¨ Beim ersten Dubium schließt D INKELSB UHL direkt mit einem respondetur an die Problemanzeige an (Clm 8455, fol. 4vb), beim zweiten f¨uhrte er erst zwei (hier anonym gehaltene) Meinungen an, bevor er sich der letzteren anschließt. 45 Vgl. M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 92 – die Vorlage, an welcher sich diese sp¨atere Quaestio orientiert, ist aber nicht H EINRICH VON L ANGENSTEIN, wie ebd. behauptet wird, sondern JAKOB VON E LTVILLE. Dazu gleich noch ausf¨uhrlicher unten, Kap. 17.2.3. 46 IV d 1, q 1, d 3: Clm 8455, fol. 6ra. 47 ¨ IV d 1, q 3: Wien, ONB 4004, fol. 8r.
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Quia agens est nobilius patiente secundum Augustinum 12 super Gen. et causa dignior est effectu. Sed tam anima rationalis quam gratia praevalent sensibilibus elementis. Igitur etc. Oppositum patet per Augustinum super psalmum ‘Confitebitur’ dicentem: Sacramenta novae legis in hoc differunt quia ista sive veteris promittebant tantum et significabant, haec autem dant salutem.
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Secundo, si sunt causa gratiae, oportet quod sint secundum aliquod genus causae. [...]. – Tertio agens est nobilius patiente secundum Augustinum 12 super Gen. et secundum philosophum 3o De anima; et similiter causa dignior est effectu. Sed tam anima rationalis quam gratia praevalent sensibilibus elementis. Igitur etc. In oppositum est Augustinus super psalmum 73 dicens quod sacramenta novae legis et veteris in hoc differunt quia illa sive veteris promittebant tantum et significabant, haec autem dant salutem.
Was H EINRICH VON OYTA aus T HOMAS VON AQUIN und direkt aus dem Sentenzentext als Argumenta aufgenommen hat,48 entlehnt N IKOLAUS VON D IN ¨ KELSB UHL nun seinerseits aus H EINRICHS Prager Lectura. Doch handelt es ¨ sich um mehr als um eine bloße Ubernahme. Vielmehr k¨urzt N IKOLAUS seine Vorlage und verst¨arkt damit zwei Tendenzen, die sich bereits bei H EINRICH abgezeichnet haben: Erstens entf¨allt bei N IKOLAUS das einzige rationale Argument, das H EINRICH noch aus T HOMAS u¨ bernommen hat. Wie schon bei H EINRICH zeichnet sich damit eine Verdr¨angung der ratio aus den einleitenden Argumenten ab, was bei N IKOLAUS noch dadurch verst¨arkt wird, dass er aus seinem einzigen Argument quod non auch A RISTOTELES herausstreicht und AUGUSTIN als einzigen Gew¨ahrsmann beibeh¨alt. Indem N IKOLAUS zweitens die auctoritas des B ERNHARD VON C LAIR VAUX wegk¨ urzt, verst¨arkt er die schon bei H EINRICH vorhandene Tendenz, die Wirksamkeitsproblematik als klassischen Autorit¨atenkonflikt darzustellen: Bei N IKOLAUS steht jetzt nur noch AUGUSTIN gegen AUGUSTIN. Allerdings ¨ bedeutet auch bei N IKOLAUS VON D INKELSB UHL dieser Einstieg mit klassischen auctoritates keineswegs, dass er die Beantwortung des Dubium wieder im Stil des sp¨aten 13. Jahrhunderts aufrollt – vielmehr treten die auctoritates in seiner weiteren Darstellung so sehr zur¨uck, dass er es sogar vers¨aumt, auf die einleitenden Argumenta am Schluss seines Dubium noch einmal einzugehen. Doch schon allein die Tatsache, dass sich N IKOLAUS wieder v¨ollig auf die auctoritates konzentriert, hebt ihn von der Vorgehensweise etwa eines JAKOB VON E LTVILLE ab und deutet auf eine verst¨arkte Anlehnung an Vorgehensweisen, die vor der Mitte des 14. Jahrhunderts gepflegt worden sind. Diese Orientierung an a¨ lteren Vorgehensweisen zeigt sich schließlich auch in der inhaltlichen Strukturierung der eigentlichen Responsio zum Dubium: Wo in 48 S.o., S. 265. Die kursiv gesetzten Abschnitte im Text von H EINRICH markieren die ¨ w¨ortlichen Ubereinstimmungen mit T HOMAS’ Sentenzenkommentar, bzw. mit P ETRUS L OM BARDUS .
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den Ausf¨uhrungen JAKOBS VON E LTVILLE ebenso wie aus dem QuaestionenKommentar H EINRICHS VON OYTA kaum mehr deutlich geworden ist, dass die Wirksamkeits-Debatte einst von zwei entgegengesetzten Modellen gepr¨agt ¨ gewesen ist, unterscheidet D INKELSB UHL in Anlehnung an H EINRICHS Prager Lectura wieder klar zwischen zwei Positionen, deren eine er T HOMAS VON AQUIN und deren andere er D UNS S COTUS zuschreibt.49 Tats¨achlich gleicht sein Vorgehen damit st¨arker noch als H EINRICHS’ Prager Lectura einem positions-zentrierten Ansatz, wie er bereits im fr¨uhen 14. Jahrhundert verbreitet gewesen ist: Nicht nur in der vorliegenden Frage, sondern ganz grunds¨atzlich wird es ja zu einem Kennzeichen der Pariser Kommentartradition nach 1300, dass nicht mehr einzelne Argumente diskutiert, sondern ganze Positionen als Argumentations-Komplexe reflektiert und der Kritik unterzogen werden.50 Zwar hat der eher problem-orientierte Kommentarstil der Jahrhundertmitte diesen positions-zentrierten Ansatz mehr und mehr verdr¨angt; demgegen¨uber stellt ¨ D INKELSB UHLS R¨uckgriff auf diese Vorgehensweise kurz vor 1400 einen weiteren Hinweis auf seine R¨uckbesinnung auf a¨ ltere Traditionen dar. Die namentliche Anbindung der beiden Positionen an T HOMAS und S CO TUS unterstreicht diese traditionalistische Ausrichtung aber noch in einer anderen Weise: Denn anders als in der sp¨ateren Kommentarform der Jahrhundertmitte war es im positions-zentrierten Vorgehen des fr¨uhen 14. Jahrhunderts noch un¨ublich, Meinungen mit konkreten Namen zu verbinden: Zwar wurden bisweilen auch damals schon u¨ ber das anonyme aliqui ponunt hinaus Vertreter eines Ansatzes namentlich genannt, doch geschah dies h¨ochstens als beil¨aufige Zusatz-Information, die f¨ur das Bestehen der Position selbst ohne weitere Bedeutung war:51 Als Argumentations-Komplexe beanspruchten Po49 Schon in der vorliegenden Quaestio findet sich diese strukturelle Orientierung an unterschiedlichen Positionen auch an weiteren Stellen, so etwa im zweiten Dubium (dicunt aliqui Clm 8455, fol. 5ra und iam aliis videtur dicendum fol 5rb) oder im Rahmen der dritten Conclusio (modo ad propositum dicunt aliqui und alii autem dicunt, beides ebd. fol. 2vb). 50 So wird in der vorliegenden Frage ja bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts von den duae opiniones celebres gesprochen (s.o., S. 127 mit Anm. 23). Zu einem generellen StrukturMerkmal der Kommentartradition wurd der positions-zentrierte Ansatz allerdings erst um 1300, vgl. dazu F RIEDMAN , RUSSEL L.: The Sentences Commentary, 1250–1320. General Trends, the Impact of the Religious Orders, and the Test Case of Predestination, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 41–128, S. 87 und 93f. 51 Am ehesten noch ist eine autorisierende Erw¨ahnung des T HOMAS VON AQUIN im Fr¨uhthomismus um 1300 zu erwarten: Bei den vier m¨oglichen Positionen, die P ETRUS DE PA LUDE zur Wirksamkeitsproblematik anf¨ uhrt, wird tats¨achlich einzig T HOMAS als Vertreter des Mitwirkungs-Modells namentlich genannt. Bezeichnend ist dies, weil umgekehrt H EINRICH VON G HENT , der am ehesten noch mit seiner ganz spezifischen Position als deren Urheber und praktisch einziger Vertreter ‘pers¨onlich’ verkn¨upft ist, ungenannt bleibt. Doch auch T HOMAS’ Erw¨ahnung ist bloß eine Zusatz-Information, im Zentrum steht die Position selbst: secunda opinio est Thomae et habet tres conclusiones (P ETRUS DE PALUDE: In quartum sententiarum d 1, q 1, ed. Venedig 1493 fol. 2va, vgl. auch fol. 5ra f¨ur H EINRICH VON G HENT).
17.1 Dinkelsb¨uhls Quaestiones communes
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sitionen ihre G¨ultigkeit unabh¨angig davon, wer sie vertrat. N IKOLAUS VON ¨ D INKELSB UHL beginnt seine Darstellung nun aber mit den Worten ad illud dubium sanctus Thomas dicit, so dass pl¨otzlich nicht mehr die Position selbst von Interesse ist, sondern die pers¨onliche Meinung des T HOMAS VON AQUIN.52 ¨ Genauso verh¨alt es sich auch bei der Uberleitung zur zweiten Position, wo ¨ D INKELSB UHL festh¨alt sed oppositum tenet Scotus: Erw¨ahnenswert ist offensichtlich weniger, dass die Problematik auch anders gel¨ost werden k¨onnte, als vielmehr, dass S COTUS in der vorliegenden Frage eine andere Meinung hat.53 So sehr sich N IKOLAUS daher strukturell an den problem-zentrierten Ansatz anlehnt, nutzt er ihn inhaltlich doch f¨ur etwas Neues: f¨ur die Darstellung der pers¨onlichen Meinung zweier l¨angst verstorbener Scholastiker, die damit ganz offensichtlich als Autorit¨aten fungieren. 17.1.3 Ein Dubium secundum Henricum Was nun allerdings den Inhalt dieser Darstellung betrifft, so u¨ bernimmt ihn ¨ D INKELSB UHL g¨anzlich aus den Kommentaren H EINRICHS VON OYTA – ohne u¨ brigens seine Vorlage je zu benennen. Sein Referat von T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell ist g¨anzlich der Prager Lectura entnommen, die sich ja ihrerseits w¨ortlich auf T HOMAS’ Sentenzenkommentar bezogen hat. Obwohl N I KOLAUS’ Kommentar damit den urspr¨ unglichen T HOMAS-Text bietet, stimmen seine Auslassungen und Umformulierungen so eindeutig mit jenen aus H EIN RICHS Prager Lectura u ¨ berein, dass auszuschließen ist, dass sich N IKOLAUS an dieser Stelle direkt mit T HOMAS auseinandergesetzt hat.54 Dennoch u¨ bernimmt er H EINRICHS Darstellung nicht einfach wortw¨ortlich, sondern beschr¨ankt sich auf jene Abschnitte, in denen T HOMAS seine Version der Mitwirkungs-Variante pr¨asentiert. Damit u¨ bergeht N IKOLAUS T HOMAS’ gesamte einleitende Auseinandersetzung mit dem Pakt-Modell, womit nicht nur eine Reihe von Gegenargumenten gegen die Pakt-Variante entfallen, sondern auch die ganze Diskussion dar¨uber, inwiefern eine L¨osung der Wirksamkeitsproblematik mit gewissen auctoritates konform sein m¨usse. Versucht schon H EINRICH in seinem T HOMAS-Referat, die eindeutige Stoßrichtung aufzuheben, die der AQUINATE mit seinem auctoritates-Verst¨andnis der ganzen Debatte gegeben hat, so blendet nun N IKOLAUS mit seiner gek¨urzten Darstellungsweise diese urspr¨ungliche Problemlage vollst¨andig aus.55 Das ist umso bedeutender, als N IKOLAUS, anders als etwa noch JAKOB VON E LT52
Clm 8455, fol. 6ra. Clm 8455, fol. 6va. 54 ¨ An keiner einzigen Stelle bietet N IKOLAUS’ Text eine Ubereinstimmung mit T HOMAS’ Sentenzenkommentar, die sich nicht in H EINRICHS Lectura befindet. 55 Es entf¨allt damit der ganze erste Teil von T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31. 53
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VILLE, in seine einleitenden Argumente ja durchaus wieder auctoritates aufnimmt – offensichtlich geht es ihm nicht darum, die Autorit¨atenfrage aus der Diskussion herauszuhalten; vielmehr ist ihm daran gelegen, das Pakt-Modell nicht zu gef¨ahrden. Das zeigt sich auch in jenen Passagen, die N IKOLAUS aus seiner vermittelnden Quelle u¨ bernimmt: Da auch T HOMAS’ Darstellung seines Mitwirkungs-Modells von Verweisen auf die Autorit¨aten-Frage nicht v¨ollig frei ist, hat schon H EINRICH VON OYTA versucht, T HOMAS’ Wortlaut zu re¨ lativieren. N IKOLAUS VON D INKELSB UHL streicht nun einen dieser Verweise aus seinem Referat schlicht heraus,56 einen anderen relativiert er zus¨atzlich, indem er einen AUGUSTIN-Bezug mit ut ipse dicitur als bloße Behauptung von T HOMAS abschw¨acht.57 Auch aus N IKOLAUS’ Darstellung der MitwirkungsVariante wird daher nicht mehr ersichtlich, dass T HOMAS einst sein Modell durch eine Reihe von Autorit¨aten abgesichert hat. In der anschließenden Darstellung von S COTUS’ Modell wechselt N IKO LAUS nun aber seine Vorlage und greift nunmehr auf die letzte von H EINRICHS Pariser Quaestiones zur¨uck, aus deren erstem Artikel er Text und Erl¨auterungen zu den zwei ersten Suppositiones fast vollst¨andig u¨ bernimmt.58 Das ist deshalb ein interessanter Umgang mit einer Vorlage, weil N IKOLAUS den referierten Text explizit als opinio Scoti einf¨uhrt und dadurch aus H EINRICHS Suppositiones SCOTISCHE Propositiones macht.59 H EINRICH allerdings hat seine Suppositiones durchaus selbst formuliert und in deren Begr¨undungen l¨angst nicht nur auf S COTUS, sondern auch auf T HOMAS VON S TRASSBURG und insbesondere auf den Sentenzen-Text zur¨uckgegriffen. Entsprechend taucht auch in N IKO LAUS’ Darstellung von S COTUS’ Meinung pl¨ otzlich ein expliziter Verweis auf T HOMAS VON S TRASSBURG auf, was den Wiener Bakkalearen aber nicht weiter zu st¨oren scheint:60 W¨ahrend der Verweis auf T HOMAS VON S TRASSBURG in H EINRICHS Quaestio den Anschein erweckt, H EINRICH berufe sich nach eigenen Ausf¨uhrungen nun auch auf einige Vorg¨anger,61 sieht es bei N IKOLAUS 56 So Clm 8455, fol. 6ra, das hoc videtur magis theologis et dictis sanctorum conveniens (T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 32), das ¨ H EINRICH bereits zu einem et tunc dicit quod hoc videtur... abgeschw¨acht hatte (Wien, ONB 4004, fol. 8v); s.o. S. 269. 57 So Clm 8455, fol. 6rb; s.o., S. 270, Anm. 56. 58 Zum Aufbau dieser Pariser Quaestio s.o., S. 252. Einzig das erste Correlarium zur zweiten Suppositio l¨asst N IKOLAUS aus (Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra), wohl weil es zu sehr auf die Rolle der Priester bezogen ist, die ja den Aufh¨angepunkt f¨ur H EINRICHS Diskussion der Wirksamkeitsproblemtik bildet, in N IKOLAUS’ Diskussion aber keine Rolle spielt. 59 Sed oppositum tenet Scotus. Et ideo pro sua opinione fundanda sit prima propositio ista: ministri sacramentorum non cooperantur Deo productive in effectibus qui sunt res eorundem (Clm 8455, fol. 6va). Zur entsprechenden Suppositio in H EINRICHS Pariser Quaestiones s.o., S. 253 mit Anm. 12. 60 Clm 8455, fol. 7ra; s.o., S. 256, f¨ur die Verweise auf T HOMAS VON S TRASSBURG. 61 Tats¨achlich parapharsiert H EINRICH schon vorher den S TRASSBURGER, vgl. ebd.
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lediglich nach einem kleinen Einschub aus, um neben S COTUS auch T HOMAS VON S TRASSBURG kurz zu Wort kommen zu lassen. Wenn daher H EINRICH im direkten Anschluss an seine Ausf¨uhrungen zu T HOMAS VON S TRASSBURG mit item Scotus nun u¨ berhaupt zum ersten Mal auf S COTUS eingeht, liest sich diese Passage bei N IKOLAUS, als ob er nach dem kleinen Exkurs zum S TRASS BURGER nun wieder auf die eigentlich zentrale Figur S COTUS zur¨ uckkomme.62 Was bereits ein Blick auf die grobe Struktur des vorliegenden Dubium ver¨ muten l¨asst, best¨atigen somit auch diese Ubernahmen aus H EINRICHS Schriften: Im Fokus von N IKOLAUS’ Interesse steht eine Darstellung der Meinungen von T HOMAS VON AQUIN und von S COTUS, die N IKOLAUS nur punktuell f¨ur Verweise auf weitere Positionen unterbrechen will. Deutlich wird dies auch an den zwei Stellen, in denen H EINRICH eine anonyme Kritik an T HOMAS ge¨außert hat: N IKOLAUS l¨asst in seiner Fassung an der einen Stelle H EIN RICHS Verweis auf unus venerabilis doctor fallen.63 Sie befindet sich mitten im ‘Exkurs’ zu T HOMAS VON S TRASSBURG, wo sich N IKOLAUS offensichtlich nicht noch weiter in Argumente und Gegenargumente verstricken will, um die eigentlich im Fokus stehende Darstellung des scotistischen Pakt-Modells nicht aus den Augen zu verlieren. An der anderen Stelle hingegen formuliert er H EINRICHS ut unus doctor dixerit zu ut dicit sanctus Thomas um, bezieht also H EINRICHS anonym gelassenen Verweis explizit auf T HOMAS VON AQUIN.64 Das mag damit zusammenh¨angen, dass H EINRICHS Pariser Quaestio hier auf einen Text aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar Bezug nimmt, den N IKOLAUS in seiner Anlehnung an H EINRICHS Prager Lectura bereits zitiert hat und der ihm und seinen H¨orern damit als Meinung von T HOMAS bereits bekannt ist.65 Zugleich vermeidet er damit aber auch den Eindruck, hier werde noch einmal eine weitere Position aufgegriffen – vielmehr sind mit T HOMAS VON AQUIN, D UNS S COTUS und T HOMAS VON S TRASSBURG die zentralen Gestalten benannt. Dennoch beschr¨ankt sich N IKOLAUS nicht einfach nur darauf, aus seinen Vorlagen jene Passagen auszuw¨ahlen, die es ihm erlauben, die Positionen dieser ganz offensichtlich als Autorit¨aten betrachteten Figuren unkritisch nachzuzeichnen. Im Gegensatz zu T HOMAS’ Kritik an der Pakt-Variante, die N I KOLAUS nicht u ¨ bernommen hat, blendet er die Kritik am Mitwirkungs-Modell nicht aus. Da sich allerdings in H EINRICHS Pariser Quaestio keine Auseinandersetzung mit der Mitwirkungs-Variante findet, greift N IKOLAUS im Anschluss an sein Referat von deren zwei ersten Suppositiones wieder auf H EIN 62 Prag, Nat. V.B.23, fol. 266va = Clm 8867, fol. 259va (H EINRICH), und Clm 8455, fol. 7rb (N IKOLAUS). 63 Clm 8455, fol. 7ra; vgl. Prag, Nat. V.B.23, fol. 266va = Clm 8867, fol. 259rb. 64 Clm 8455, fol. 7vb; vgl. Prag, Nat. V.B.23, fol. 267rb = Clm 8867, fol. 260ra. 65 Vgl. Clm 8455, fol. 6rb–va; es handelt sich um T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, a 4, qc 2, resp., ed. Moos (1947), S. 34f.
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
RICHS Prager Lectura zur¨ uck und rezitiert, was er dort an Mitwirkungs-kritischen Exzerpten aus S COTUS’ Reportata findet.66 Erneut h¨alt sich N IKOLAUS eng an seine Vorlage, die er nur an wenigen Stellen k¨urzt.67 Auch hier ersetzt er zudem einen anonymen Verweis auf die Vertreter der Mitwirkungs-Variante mit einer expliziten Nennung von T HOMAS.68 Nun kritisiert die Prager Lectura, dem Aufbau von S COTUS’ Reportata folgend, die Mitwirkungs-Variante allerdings, bevor dort als Alternative dazu das Pakt-Modell dargestellt wird, ¨ w¨ahrend N IKOLAUS mit seinen Ubernahmen aus H EINRICHS Pariser Quaestio die Pakt-Variante bereits beschrieben hat. Sobald N IKOLAUS in seiner Anlehnung an die Prager Lectura daher zu jener Stelle gelangt, an der die Darstellung der Pakt-Variante beginnt, bricht er sein Referat ab und erkl¨art mit Verweis auf ¨ seine Ubernahmen aus H EINRICHS Pariser Quaestio bloß noch, S COTUS sage, was in den beiden Correlaria bereits gesagt worden sei.69 Damit endet N IKO LAUS’ Dubium zur Wirksamkeitsproblematik. Mit diesem abrupten Schluss erspart sich N IKOLAUS ein eigenes Urteil u¨ ber die beiden Positionen. Dennoch wird deutlich, dass er S COTUS’ Position ganz offensichtlich favorisiert: Nicht nur beh¨alt dessen Meinung das letzte Wort und werden die im Mitwirkungs-Modell angezeigten Probleme mit Verweis auf die Correlaria aus der Darstellung der Pakt-Variante gel¨ost, sondern S COTUS’ Kritik dient, dem klassischen Aufbau einer Quaestio gem¨aß, gleichsam als Ersatz f¨ur die fehlende L¨osung des einleitenden Argumentum quod non, indem durch sie die Grundlagen von T HOMAS’ Position zerlegt werden. Mit dem Verzicht auf eine selbst¨andig formulierte Stellungnahme zur Wirksamkeitsproblematik bleibt N IKOLAUS zudem g¨anzlich den Textvorlagen seines Lehrers H EINRICH VON OYTA verpflichtet: Außer einigen knappen redaktionellen Eingriffen findet sich im ganzen Dubium kein Satz, der nicht der Prager Lectura oder der letzten Pariser Quaestio entnommen worden w¨are. Formal gesehen ist damit das gesamte Dubium secundum Henricum gestaltet. Doch gilt dies auch inhaltlich?
17.1.4 Zur Eigenart von Nikolaus’ Darstellungsweise Wie sich schon H EINRICH VON OYTA in seiner Prager Lectura strukturell zwar stark an T HOMAS orientiert, aber dennoch nicht einfach reproduziert, was der AQUINATE zur Wirksamkeitsproblematik gesagt hat, lehnt sich nun auch N I 66 Clm 8455, fol. 7vb–8rb (item contra istam virtutem in sacramentis posita arguit Scotus...) ¨ unter R¨uckgriff auf Wien, ONB 4004, fol. 9r–v (sed contra hoc arguit Scotus...). 67 ¨ Die Ubereinstimmungen mit H EINRICHS Text sind S COTUS’ Original gegen¨uber erneut so offensichtlich, dass ausgeschlossen werden kann, dass sich N IKOLAUS selbst¨andig mit den Reportata Parisiensa auseinandergesetzt habe. 68 Ut ipsi dicunt in den Reportata Parisiensia IV d 1, q 3–4, s 3, ed. Wadding XI 1639, S. ¨ 568b, und in Wien, ONB 4004, fol. 9v; ut dicit sanctus Thomas in Clm 8455, fol. 8rb. 69 Clm 8455, fol. 7rb: Dicit ergo ut est dictum in corellariis primo et secundo etc.
17.1 Dinkelsb¨uhls Quaestiones communes
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¨ KOLAUS VON D INKELSB UHL zwar w¨ortlich an seinen Lehrer H EINRICH an, ¨ stellt aus seinen Ubernahmen aber einen Text zusammen, der weder dessen Pariser Quaestiones noch der Prager Lectura entspricht. Wo H EINRICH in seiner fr¨uhen Prager Lectura zwar auch die Positionen von T HOMAS und S COTUS dargestellt hat, im Anschluss daran aber den a¨ lteren Ansatz H UGOS VON S T. V IKTOR favorisiert, konzentriert sich N IKOLAUS auf die Meinung der beiden großen Kommentatoren von P ETRUS ’ Sentenzen und l¨asst die eigentliche Pointe aus H EINRICHS erster Sentenzenlesung fallen. Mit seiner Konzentration auf die zwei Meinungen pr¨asentiert N IKOLAUS aber auch etwas v¨ollig anderes als H EINRICHS Pariser Quaestio, die ja kaum mehr erkennen l¨asst, dass sich in der Wirksamkeitsfrage zwei Modelle gegen¨uberstehen, weil H EINRICH nur an der Pakt-Variante interessiert gewesen ist. Auch wenn N IKOLAUS mit seinem Vorgehen keinen eigentlichen Bruch mit seinen Textvorlagen vollzieht, gelingt es doch auch ihm, einen Text mit einem eigenst¨andigen Charakter zu produzieren und in einer Weise auf die Meinungen insbesondere der beiden großen Scholastiker T HOMAS und S COTUS zu fokussieren, wie es in den bisherigen Bearbeitungen der Wirksamkeitsdiskussion nicht geschehen ist. Dass N IKOLAUS seine unmittelbare Vorlage H EINRICH mit keinem Wort erw¨ahnt, ist zwar nichts Außergew¨ohnliches, es passt aber zu diesem Fokus auf einige ausgew¨ahlte Exponenten der scholastischen Tradition. Wie sehr es N IKOLAUS nur noch darum geht, die Meinungen einiger großer Scholastiker darzustellen, zeigt sich schließlich auch darin, dass an der vorliegenden Stelle der Kommentar des JAKOB VON E LTVILLE keine Rolle spielt. Hat N IKOLAUS in anderen Abschnitten der u¨ bergeordneten Quaestio sogar noch großz¨ugiger aus JAKOBS erster Quaestio zu Buch IV zitiert als in den einleitenden Ausf¨uhrungen zur Definition der Sakramente,70 so blendet er diesen Kommentar f¨ur das Dubium selbst v¨ollig aus – und dies, obwohl JAKOB eine durchaus diskutable und mit T HOMAS verwandte Version des MitwirkungsModells bietet.71 W¨are es N IKOLAUS um eine argumentative Auseinandersetzung mit der Wirksamkeitsproblematik oder um das Abw¨agen von zwei Positionen gegangen, so h¨atte er diesen Text, den er ganz offensichtlich gekannt und benutzt hat, in seine Darstellung mit einbezogen, weil sich darin doch einige unkonventionelle Argumente finden und T HOMAS’ Position als Reaktion auf 70
So sind die Begr¨undungen f¨ur die ersten beiden Conclusiones aus N IKOLAUS’ Quaestio (Clm 8455, fol. 2ra–va) zumindest teilweise den Begr¨undungen zur ersten Conclusio von JA KOBS erster Quaestio zu Buch IV entnommen (Br¨ ugge, Bib.ville 181, fol. 199ra und va = Clm 11591, fol. 319vb und 320rb). N IKOLAUS’ vierte Conclusio samt erster Begr¨undung (Clm 8455, fol. 3ra–b) entspricht zudem JAKOBS erstem Correlarium zu seiner ersten Conclusio (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199va = Clm 11591, fol. 320rb). 71 So hat sich etwa M ARSILIUS VON I NGHEN, wie noch zu zeigen sein wird, eingehender mit JAKOBS Ansatz auseinandergesetzt als mit dem von T HOMAS VON AQUIN, s.u., Teil IV, Kap. 23.1.3, S. 509.
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S COTUS’ Kritik an einigen Stellen modifiziert wird.72 So aber bleibt es bei einem bloßen Nachzeichnen der Meinung von T HOMAS VON AQUIN einerseits, und jener von S COTUS andererseits, der sich, wie N IKOLAUS’ kleiner ‘Exkurs’ verdeutlicht, auch T HOMAS VON S TRASSBURG angeschlossen hat. Zwei Dinge sind daran bemerkenswert: Erstens best¨atigt sich, wie wenig u¨ ber den Charakter eines Textes gesagt ist, wenn lediglich festgestellt wird, er sei vollst¨andig aus anderen Texten u¨ bernommen worden. So sehr N IKO LAUS dieses Dubium auf einer literarischen Ebene secundum Henricum verfasst hat, so wenig gleicht das Resultat von der Darstellungs-Intention und der Kommentar-Strategie her einer der beiden Vorlagen. Wenn dies nun bereits aus diesem kurzen Ausschnitt aus N IKOLAUS’ erster Sentenzenlesung deutlich wird, so d¨urfte es umso mehr f¨ur den Kommentar insgesamt gelten, in dem N I KOLAUS neben H EINRICH VON OYTA und dem erw¨ahnten JAKOB VON E LTVILLE auch H EINRICH VON L ANGENSTEIN ausgiebig exzerpiert und durch deren Vermittlung von B ONAVENTURA, T HOMAS VON AQUIN und R ICHARDUS DE M EDIAVILLA u ¨ ber S COTUS und P ETRUS AUREOLI bis zu den erw¨ahnten englischen Autoren und G REGOR VON R IMINI die ganze Kommentartradition mittr¨agt. Zweitens zeigt sich, dass sich aus dieser Kommentartradition einige Namen herausgesch¨alt haben, denen mehr und mehr ein besonderer Status zuerkannt wird. Wo schon bei H EINRICH VON OYTA insbesondere T HOMAS VON AQUIN als Autorit¨at behandelt wird, interessiert sich N IKOLAUS VON D IN ¨ KELSB UHL nun in einer Weise f¨ur die Meinungen von S COTUS und von T HO MAS VON S TRASSBURG , die auch ihnen einen Autorit¨ats-Status zuspricht. Mit N IKOLAUS’ Quaestiones communes sind die auctoritates daher nicht nur im Rahmen der einleitenden Argumenta zur¨uck, sondern es zeigt sich auch eine neue Form von Autorit¨at: jene von gewissen Exponenten der scholastischen Tradition selbst.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales Wie bereits mehrfach erw¨ahnt, sind aus dem ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts eine Reihe von Sentenzenkommentaren aus dem Umfeld der Wiener Universit¨at u¨ berliefert, die literarisch so eng aufeinander bezogen sind, dass es in der modernen Forschung u¨ blich geworden ist, von einem ‘Wiener Gruppenkommentar’ zu sprechen. Dieses Ergebnis der bisherigen Forschung beruht allerdings ausschließlich auf Studien zum ersten Sentenzenbuch, wie dies auch bereits kurz erw¨ahnt worden ist.73 Dass sich diese Erkenntnisse nicht unbese72 73
S.o., Teil II, Kap. 14.2.2 S.o., S. 247.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
311
hen auch auf die Kommentare zu Buch IV u¨ bertragen lassen, zeigt sich schon allein dadurch, dass von zwei der drei Wiener Magister, die bisher neben D IN ¨ KELSB UHL auch zur Wiener Gruppe gez¨ahlt worden sind, n¨amlich von P ETER VON P ULKAU und von J OHANNES B ERWARD VON V ILLINGEN , u ¨ berhaupt keine Kommentare zu Buch IV identifiziert worden sind.74 Einzig von A RNOLD VON S EEHUSEN sind bekannte Quaestionen auch zum vierten Sentenzenbuch erhalten. Umgekehrt bietet ein mit KONRAD VON ROTHENBURG in Verbindung gebrachter Kommentar nichts zu den ersten beiden Sentenzenb¨uchern, weshalb er in die bisherige Forschung nicht mit einbezogen worden ist; mit Buch IV besch¨aftigt er sich aber sehr wohl. Der vorliegende Abschnitt widmet sich daher zuerst der allgemeinen Sakramentenlehre des A RNOLD VON S EEHUSEN aus der ‘klassischen’ Wiener Gruppe, geht sodann auf das KON RAD VON ROTHENBURG zugeordnete Manuskript Klosterneuburg 315 ein und bettet schließlich die Wirksamkeitsdebatte aus den sogenannten Quaestiones ¨ magistrales, wie sie in der Handschrift Wien, ONB 4820 u¨ berliefert und einer ¨ zweiten Sentenzenlesung D INKELSB UHLS zugeordnet worden sind, in ihren Wiener Kontext ein.75 17.2.1 A RNOLD
VON
S EEHUSEN
17.2.1.1 Vorbemerkung zur Text¨uberlieferung Von A RNOLD VON S EEHUSEN ist nun zwar ein Kommentar zum vierten Sentenzen-Buch samt Ausf¨uhrungen zur allgemeinen Sakramentenlehre u¨ berliefert, die Text¨uberlieferung ist aber komplex.76 Erstens scheint es bei den einleitenden Quaestionen, die auch die allgemeine Sakramentenlehre enthalten, zwei Traditionsstr¨ange zu geben. Der eine ist in der M¨unchner Handschrift Clm 3546 u¨ berliefert, die bereits 1405 von einem Ordensbruder A RNOLDS in Wien geschrieben worden ist; die einleitende Quaestio zu Buch IV lautet dort utrum novae legis sacramenta causativa gratiae aliquam spiritualem virtu74 Vgl. RS 407 und 684 (zu Peter von Pulkau vgl. auch die Erg¨anzungen bei U IBLEIN: Wiener Theologen (1966), S. 105). Kein Kommentar zu Buch IV u¨ berliefert ist auch vom eine Generation j¨ungeren J OHANNES W UEL DE P RUCK (RS 508), auf den v.a. AUER: aristotelische Logik (1957), eingegangen ist. 75 Zu dieser Zuordnung vgl. M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 96. Sie wird insbesondere im noch ungedruckten Artikel von C ALMA , M ONICA/S CHABEL , C HRISTOPHER: The Past, Present, and Future of Late-Medieval Theology. The Commentary on the Sentences of Nicholas of Dinkelsb¨uhl, Vienna, ca. 1400, in: ROSEMANN: Commentaries on the Sentences 3 (erscheint 2014) in Frage gestellt, denen f¨ur die Einsicht ins Manuskript an dieser Stelle herzlich gedankt sei! Deren Kritik best¨atigt nun auch B ILL C OURTENAY, s.o., S. 31, mit Anm. 2. Der Konvention halber wird hier an der Bezeichnung Quaestiones magistrales festgehalten, ¨ auch wenn damit nicht gesagt sein soll, dass N IKOLAUS VON D INKELSB UHL deren Autor sei. Mehr dazu unten, S. 327f. und Kap. 17.2.3. 76 Zu A RNOLD VON S EEHUSEN (fl. 1405) s.o., Anm. 2, S. 289.
312
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
tem ipsius formaliter inhaerentem habeant qua in animam possint agere, was dem Wortlaut der ersten Quaestio zu Buch IV im Kommentar JAKOBS VON ¨ E LTVILLE entspricht.77 Den anderen Uberlieferungsstrang enthalten die Bamberger Handschrift Cod. Theol. 76 und die M¨unchner Handschrift Clm 3548; hier lautet die einleitende Quaestio zu Buch IV utrum novae legis sacramenta viatori ad salutem necessaria, sint spiritualis gratiae effective productiva.78 Wegen ihrer unmittelbaren zeitlichen N¨ahe zur tats¨achlichen Kommentierung der Sentenzen durch A RNOLD ist die erste Handschrift Clm 3546 mit dem ¨ ersten Uberlieferungsstrang bisher gerne als repr¨asentativer Textzeuge beige¨ zogen worden: Schon BARTHOLOM AUS X IBERTA hat eine Quaestionen-Liste zumindest der ersten beiden B¨ucher auf der Grundlage dieser Handschrift er¨ stellt;79 F RIEDRICH S TEGM ULLER ist ihr f¨ur das Repertorium auch in den B¨uchern III und IV gefolgt und hat entsprechend die zweite Texttradition aus Clm 3548 mit einem Fragezeichen versehen;80 PAUL DE VOOGHT schließlich hat einen Ausschnitt des Prologs unter R¨uckgriff allein auf diese erste Handschrift ediert.81 ¨ Tats¨achlich ist Clm 3546 mit dem ersten Uberlieferungsstrang ein grunds¨atzlich verl¨asslicher Textzeuge – so verl¨asslich, dass man sich getrost auf die Angaben st¨utzen kann, die ihr Schreiber PAULUS W EISCHENFELDER an zwei Stellen in die Handschrift eingef¨ugt hat: Mitten im Kommentar zu Buch IV auf fol. 232rb schreibt er n¨amlich in Rubrik, man solle beachten, dass die bisherigen Quaestionen des vierten Buches von JAKOB VON E LTVILLE stammten, die weiteren hier folgenden Quaestionen bis zum Ende von Buch IV hingegen seien de lectura Ar.82 Und am Ende der letzten Quaestio zu Buch IV 77
Clm 3546, fol. 200. Der Schreiber PAULUS W EISCHENFELDER nennt sich mehrfach explizit, vgl. R AUNER , E RWIN: Die Handschriften aus Augsburger Bibliotheken I. Stadtbibliothek Clm 3501–3661, Wiesbaden: Harassowitz, 2007 (Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek M¨unchen 3) S. 156. 78 Bamberg, Theol. 76, fol. 121ra = Clm 3548, fol. 2ra. F¨ur die M¨unchner Handschrift vgl. R AUNER: Lateinische Handschriften BSM III.3 (2007), S. 161–166. 79 X IBERTA: Scriptoribus (1931), S. 467f. Warum er f¨ur die Quastionen-Liste der B¨ucher III und IV auf die Bamberger Handschrift Bamberg, Theol. 76 umsteigt (geschrieben 1407), welche f¨ur Buch IV die zweite Texttradition enth¨alt, erkl¨art er leider nicht. 80 ¨ RS 78 und 79; allerdings f¨ugt S TEGM ULLER jenen Handschriften in RS 78 (erster ¨ Uberlieferungsstrang), die Buch IV enthalten, durchgehend die Bemerkung an, darin seien sie ¨ identisch mit Clm 3548 aus RS 79 mit dem zweiten Uberlieferungsstrang. Es ist daher erstaun¨ lich, dass S TEGM ULLER nicht direkt Clm 3548 als Vorlage f¨ur die Quaestionen-Liste zu Buch IV genommen hat. 81 VOOGHT: Sources (1954), S. 251f. 82 Nota quaestiones a principio quarti libri sunt quaestiones Iacobi de Alta Villa et quaestiones nunc sequentes sunt de lectura Ar. usque ad finem quarti libri (Clm 3546, fol. 232rb, vgl. R AUNER: Lateinische Handschriften BSM III.3 (2007), S. 158). Aufgeschl¨usselt wird das Ar. u.a. auf fol. 287ra, wo zwei weitere Quaestionen zu Buch IV nachgeschoben werden: Nota hic quod quaestio sequens debet sequi immediate post duas primas quaestiones de poeniten-
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
313
merkt er an, es seien diese Quaestionen oder zumindest einige davon 1404 in Wien gelesen worden.83 Der Schreiber der Handschrift bietet damit gleich selbst eine Erkl¨arung daf¨ur, warum die ersten Quaestiones des Kommentars zu Buch IV aus Clm 3546 nicht mit den in den beiden anderen Handschriften u¨ berlieferten Quaestionen A RNOLDS VON S EEHUSEN u¨ bereinstimmen: Offensichtlich hat er – ob versehentlich oder nicht – anstelle der ersten sechs Quaestionen von A RNOLD die ersten vier Quaestionen aus dem Kommentar des JA KOB VON E LTVILLE abgeschrieben. Dies l¨asst sich verifizieren, und tats¨achlich untermauern nicht nur die Tituli der Quaestionen die Behauptung des Schreibers von Clm 3546,84 vielmehr best¨atigen dies auch jene Abschnitte, die f¨ur die vorliegende Untersuchung aus dem Kommentar JAKOBS VON E LTVILLE beigezogen worden sind: Abgesehen von den zu erwartenden Varianten zwischen mittelalterlichen Handschriften sind die Texte identisch.85 Die allgemeine Sakramentenlehre A RNOLDS (ebenso wie h¨ochstwahrscheinlich auch seine Ausf¨uhrungen zu Taufe und Abendmahl) findet sich daher nicht in Clm 3546, sondern im Bamberger Cod. Theol. 76 und in Clm 3548 mit dem ‘zweiten’ 86 ¨ Uberlieferungsstrang. Hier allerdings zeigt sich eine zweite Schwierigkeit: Denn beide Handschriften mit dem ‘echten’ Kommentar A RNOLDS VON S EEHUSEN bieten nur eine unvollst¨andige Version der ersten Quaestio zu Buch IV: Beide brechen sie an derselben Stelle ab. Die Bamberger Handschrift kommentiert dies in Rutia [...] et est de lectura Arnoldi sicut et cetera quaestiones usque ad finem quarti libri (vgl. X IBERTA: Scriptoribus (1931), S. 466). 83 Clm 3546, fol. 286va: Hae quaestiones saltem aliquae lectae sunt in universitate Wiennensi anno domini M◦ CCCC◦ IIII◦ . 84 Weil M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 96 mit Anm. 14, noch davon ausgegangen ist, bei der Lectura Eberbachi handle es sich um einen eigenst¨andigen Kommentar H EINRICHS VON L ANGENSTEIN, korrigiert er den Schreibervermerk und gibt statt JAKOB VON E LTVILLE f¨alschlicherweise H EINRICH VON H ESSEN als Vorlage an. F¨ur eine QuaestionenListe zum Kommentar des JAKOB VON E LTVILLE vgl. L ANG: Christologie (1966), S. 62–64, der allerdings ebenfalls noch davon ausgeht, dass er die Quaestionen-Liste der Lectura eberachi des H EINRICH VON L ANGENSTEIN abbilde. F¨ur die Quaestionen A RNOLDS s.o., Anm. 2; die Tituli samt Dubia von Clm 3546 sind am Ende auf den fol. 308v–311r zusammengestellt. 85 Die einzige gr¨oßere Auslassung, die sich hier hat ausmachen lassen, d¨urfte auf eine Aberratio occulorum zur¨uckgehen: Das zweite Correlarium zur ersten Conclusio lautet bei JAKOB VON E LTVILLE : Secundo infero quod pro omni statu post lapsum congruum fuit aliqoud esse filiorum Dei ab aliis sufficiens distinctum. Patet ex conclusione quia pro omni tempore post lapsum congruum fuit adhibere sacralem remedium. Sic illud est cultorum Dei ab aliis sufficiens distinctum. Igitur corellarium verum (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199va = Clm 11591, fol. 320rb). In Clm 3546, fol. 201rb, heißt es bloß: Secundo infero quod pro omni statu post lapsum congruum fuit aliqoud esse filiorum Dei ab aliis sufficiens distinctum. Igitur corellarium verum. 86 ¨ ¨ Ob auch Wien, ONB 3679 zu diesem Uberlieferungsstrang zu z¨ahlen ist (vgl. RS 78,1), m¨usste in genaueren Textvergleichen untersucht werden, als die vorliegende Studie bieten kann. Ein sehr hypothetischer Erkl¨arungsversuch f¨ur die Einf¨ugung von JAKOBS ersten Quaestionen am Beginn von A RNOLDS Kommentar zu Buch IV wird unten, Anm. 202, auf S. 347, geboten.
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
brik mit dem Hinweis, dass hier fast vier Folios der Quaestio fehlten; doch setzt bereits in der n¨achsten Spalte die zweite Quaestio zu Buch IV ein.87 In der M¨unchner Handschrift fehlt ein Hinweis auf die Ausdehnung des fehlenden Texts; in dieser Abschrift wird allerdings eine ganze Spalte frei gelassen, bevor der Text der zweiten Quaestio beginnt.88 Schenkt man nun der Rubrik der Bamberger Handschrift Glauben, so fehlt rund die H¨alfte von A RNOLDS Ausf¨uhrungen zu dieser ersten Quaestio. Tats¨achlich bleibt inhaltlich Entscheidendes im Ungewissen. Auch wenn A RNOLD keine divisio quaestionis anf¨uhrt, aus der klar w¨urde, was er in der Quaestio alles abhandeln will, zeigt sich der Umfang der L¨ucke doch darin, dass A RNOLD in der vierten Conclusio, in der der Text abbricht, noch immer nichts zur Wirksamkeitsproblematik gesagt hat, auf welche die Quaestio von ihrer Fragestellung her ja eigentlich hinzielt. F¨ur die vorliegende Untersuchung verliert der Text damit nat¨urlich auch an inhalt¨ licher Relevanz. F¨ur die Problematik dieses Abschnitts und seine Uberpr¨ ufung der These eines Wiener Gemeinschaftskommentars lassen sich aber auch aus den u¨ berlieferten Abschnitten dieser ersten Quaestio wertvolle Informationen ziehen, weshalb sie im Folgenden kurz dargestellt seien. 17.2.1.2 Anzeichen f¨ur einen Gruppenkommentar? Schon was die Fragestellung dieser ersten Quaestio zu Buch IV von A RNOLDS Sentenzenkommentar betrifft, ob n¨amlich die neutestamentlichen Sakramente, die dem Menschen zum Heil notwendig seien, die geistige Gnade wirksam hervorbr¨achten, zeigt sich, dass er nicht von ungef¨ahr in die N¨ahe des Kommentars JAKOBS VON E LTVILLE ger¨uckt worden ist. Nicht nur stilistisch greift A RNOLD JAKOBS Vorgehensweise auf, in die Quaestio selbst schon Zusatzbestimmungen einzubauen, welche dann als Pr¨amissen der eigentlichen Fragestellung im Korpus der Quaestio zu kl¨aren sind. Vielmehr u¨ bernimmt er auch inhaltlich die Ausrichtung von JAKOBS erster Quaestio zu Buch IV, welcher in einem ersten Artikel und als Pr¨amisse zu seiner eigentlichen Fragestellung ebenfalls gekl¨art hat, ob es notwendigerweise schon immer Sakramente gegeben habe.89 Diesem geometrischen Ansatz entsprechend formuliert A RNOLD zwei Argumenta quod non, ein erstes, das die Notwendigkeit der Sakramente bestreitet, und ein zweites, das verneint, dass die Sakramente die Gnade hervorbr¨achten.90 Ja, er f¨uhrt sogar zwei Argumente In oppositum an, eines quoad 87 Bamberg, Theol. 76, fol. 124va: ...ad illa respondendum est et pro materia primi articuli incidit hic difficultas HIC QUAESTIO DEFICIT QUASI IN QUATUOR FOLIIS. Die zweite Quaestio beginnt auf fol. 124vb. 88 Clm 3548, fol. 7ra: ...ad illa respondendum est et pro materia primi articuli incidit hic difficultas. Die zweite Quaestio beginnt auf fol. 7va. 89 S.o., S. 233. 90 Bamberg, Theol. 76, fol. 121ra = Clm 3548, fol. 2ra: Arguitur primo quod non: sacramenta novae legis non sunt viatori ad salutem neccessaria, igitur suppositum quaestionis falsum.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
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suppositum und ein zweites quoad quaesitum.91 In den Argumenta nicht weiter ausgef¨uhrt bleibt allerdings die Tatsache, dass die Quaestio eigentlich dreistufig ist: Indem sie n¨amlich nach einem effective producere fragt, ließe sich die Problematik weiter unterteilen zum einen in die Frage, ob die Sakramente grunds¨atzlich die Gnade produzierten, und – falls ja – ob sie dies zum anderen tats¨achlich effective t¨aten. Auch wenn dieser letzte Schritt fehlt, suggeriert A RNOLDS Fragestellung daher, dass es f¨ur ihn offensichtlich unterschiedliche Formen von producere gibt; r¨uckblickend auf die bisherige Tradition ist zu vermuten, dass er neben einem effective producere auch etwa ein instrumentaliter producere angedacht hat. Befolgt nun A RNOLD damit die geometrische Vorgehensweise schon in den Argumenta nicht konsequent, so l¨asst er sie auch f¨ur den Aufbau seiner Responsio fallen. Zwar unterteilt auch er seine Quaestio zuerst in eine Reihe von Notanda und danach in einige Conclusiones, die er je in Correlaria erweitert und mit Obiectiones u¨ berpr¨uft, doch stehen diese einzelnen Abschnitte in keiner logischen Beziehung zueinander, sondern sind – wie auch schon bei den ¨ Quaestiones communes des N IKOLAUS VON D INKELSB UHL – assoziativ aneinandergereiht. Daher greift A RNOLD auch Themen auf, die weit u¨ ber den Fokus der Quaestio und ihrer einleitenden Argumenta hinaus reichen: In den vier vorgeschobenen Notanda untersucht er erst die significatio des Begriffs ‘sacramentum’, danach die ratio sacramenti und schließlich die unterschiedlichen Einsetzungsweisen der neutestamentlichen Sakramente; ins zweite Notandum schiebt er zudem ein Dubium zur Einsetzung der Sakramente durch Christus ein, das selbst durch ein weiteres Notandum erl¨autert wird, und h¨angt daran eine lange Er¨orterung der Sakramenten-Definition von P ETRUS L OMBARDUS an. Von den vier erhaltenen Conclusiones im zweiten Teil der Quaestio greifen nur zwei eine Thematik der Fragestellung auf und drehen sich um die Notwendigkeit der Sakramente;92 die beiden weiteren Conclusiones hingegen besch¨aftigen sich mit den alttestamentlichen Sakramenten.93 [...] Secundo arguitur sic: sacramenta novae legis non sunt gratiae productiva, igitur quaestio falsa. 91 Bamberg, Theol. 76, fol. 121ra = Clm 3548, fol. 2rb. 92 Die beiden ersten Conclusiones lauten: sicut sacramenta novae legis a solo Deo habent efficaciam tamquam a causa principali principaliter causante, a Christo autem homine [add ex Clm 3548] eius passione efficaciam tamquam a causa meritoria, ita ipsa ante Christi passionem non fuerint ad salutem necessaria, licet aliqua [antea Clm 3548] fuerint instituta (Bamberg, Theol. 76, fol. 122ra = Clm 3548, fol. 3va); und quamvis absolute loquendo institutionibus sacramentorum non possit assignari aliqua causa necessaria, probari tamen potest quod ipsa institutio fuit utilis et congrua (ebd. fol. 122va / fol. 4rb). 93 Dritte und vierte Conclusio lauten: Sacramenta legalia iustificare poterant quoad opus operans per modum meriti, non quoad opus operatum per modum sacramenti (ebd. fol. 124ra / fol. 6ra); und sicut pro aliquo tempore gratiae legalia quis licite observare potuit, sic circumcisio culpam originalem delevit (ebd. fol. 124va / fol. 6vb).
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I II III
IV
V
VI
VII
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
Quaestio Argumenta Notanda 1. De significatione nominis ‘sacramentum’ 2. De ratione sacramenti Dubium de institutione sacramentorum Notandum de numero sacramentorum Responsio ad dubium Correlarium Notandum de similitudine sacramentorum De definitione sacramenti 3. De institutione sacramentorum Prima conclusio: De causa meritoria sacramentorum 1. Probationes 2. Dubia 1–2 3. Obiectiones 1–3 4. Responsiones ad 1–3 Secunda conclusio: De neccessitate sacramentorum 1. Probationes 2. Correlaria 1–2 3. Obiectiones 1–3 4. Responsiones 1–3 cum propositiones Tertia conclusio: De modo iustificationis 1. Probationes 2. Correlaria 1–3 3. Contra primam partem 1–3 4. Responsiones ad 1–3 5. Contra secundam partem 1–2 6. Responsiones ad 1–2 Quarta conclusio: De efficacia circumcisionis 1. Probationes 2. Correlarium 3. Obiectiones 1–5 4. Responsio ad 1 Schema 4: A RNOLD
VON
Bamberg, Theol. 76
Clm 3548
121ra
2ra
121ra 121ra
2ra 2rb
121ra
2rb
121rb 121rb
2va 2va
121rb 121va
2va 2vb
121vb
3ra
121vb 121vb
3ra 3ra
122ra
3va
122ra 122ra
3va 3va
122rb 122rb
3vb 4ra
122rb
4ra
122va 122va
4rb 4rb
123ra
4vb
123ra 123ra
5ra 5ra
124ra 124ra
6ra 6ra
124ra
6rb
124ra 124ra
6rb 6rb
124rb
6va
124rb 124va
6va 6vb
124va 124va
6vb 6vb
124va
6vb
124va
7ra
S EEHUSEN, In sententias IV 1
¨ Schon dieser knappe thematische Uberblick gen¨ugt, um Folgendes festzuhalten: So sehr A RNOLD einen Stil verwendet, der demjenigen der Quaestiones ¨ communes des N IKOLAUS VON D INKELSB UHL verwandt ist, w¨ahlt er in den erhaltenen Teilen doch eine v¨ollig andere Struktur und setzt seine eigenen inhaltlichen Schwerpunkte. Von einem ‘Gemeinschaftskommentar’ kann an dieser Stelle nicht gesprochen werden. Zwar lassen sich in einigen Abschnitten textliche Parallelen mit den Quaestinoes communes ausmachen, die weniger ¨ auf eine gemeinsam genutzte Vorlage als vielmehr auf direkte Ubernahmen aus N IKOLAUS’ Kommentar zur¨uckzuf¨uhren sind; eine dieser Stellen wird gleich
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
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noch etwas ausf¨uhrlicher zu besprechen sein.94 Umgekehrt greift A RNOLD in mehreren Abschnitten Fragen und Themen auf, die zwar in den Quaestiones communes pr¨asent sind, die er aber in einer Weise diskutiert, die jeden lite¨ rarischen Bezug zu D INKELSB UHLS erster Sentenzenlesung vermissen l¨asst. Augenf¨allig ist dies etwa bei einem l¨angeren Dubium, das A RNOLD in sein zweites einleitendes Notandum einschiebt: Inhaltlich verschr¨ankt er darin zwar ¨ die beiden Themen, die D INKELSB UHL am Ende seiner Quaestio ebenfalls als Dubia aufgegriffen hat (es geht um die Siebenzahl der Sakramente und um die Frage, ob sie alle von Christus selbst eingesetzt worden seien), doch h¨alt sich A RNOLD nicht einmal in der Auflistung der biblischen Belegstellen f¨ur die Ein¨ setzung der Sakramente durch Christus an D INKELSB UHLS Text.95 Dass A RNOLD die Quaestiones communes h¨ochstens als eine unter anderen Vorlagen benutzt und gerne selbst¨andig formuliert hat, zeigt sich auch an den meisten u¨ brigen Stellen der vorliegenden Quaestio zur Gen¨uge. So etwa an jener Stelle im zweiten Notandum, an welcher er die Sakramenten-Definition von P ETRUS L OMBARDUS er¨ortert: St¨arker noch als N IKOLAUS lehnt sich A RNOLD hier an JAKOB VON E LTVILLE an und zitiert dessen (aus T HOMAS VON S TRASSBURG u ¨ bernommene) Einw¨ande gegen die Definition w¨ortlich.96 Auch die Responsio JAKOBS, die dieser erneut T HOMAS VON S TRASSBURG entlehnt hat, f¨uhrt A RNOLD an, zeichnet sie nun aber explizit als Antwort JA KOBS VON E LTVILLE aus.97 Dies erm¨ oglicht ihm, im Anschluss selber contra 94
¨ S.u., S. 322. H¨ochstwahrscheinlich auf D INKELSB UHLS Kommentar gehen auch drei Obiectiones samt Responsiones zu A RNOLDS erster Conclusio (Bamberg, Theol. 76, fol. 122rb–va = Clm 3548, fol. 4ra–b) zur¨uck, f¨ur die A RNOLD in einer Weise auf die Argumenta aus S COTUS’ Ordinatio IV d 2, q 1, n 5–8, ed. Vaticana (2008), S. 144f., zur¨uckgreift, die fast wortw¨ortlich demselben R¨uckgriff bei N IKOLAUS in Clm 8455, fol. 4ra, entspricht. Material aus den Quaestiones communes hat A RNOLD wohl auch in der ersten Propositio im Rahmen der zweiten Conclusio u¨ bernommen (Bamberg, Theol. 76, fol. 123rb = Clm 3548, fol. 5ra; vgl. Clm 8455, fol. 2rb), sowie in einem Notandum zur dritten Conclusio (Bamberg, Theol. 76, fol. 124ra = Clm 3548, fol. 6ra, vgl. Clm 8455, fol. 3rb). 95 Bamberg, Theol. 76, fol. 121rb–vb = Clm 3548, fol. 2va–3ra (vgl. Clm 8455, fol. 4vb–5vb). Weitere Stellen, in denen A RNOLD dieselben Themen behandelt, ohne D IN ¨ KELSB UHLS Text beizuziehen, sind seine zweite Conlusio samt Begr¨undung (Bamberg, Theol. 76, fol. 122va–123ra = Clm 3548, fol. 4rb–vb; vgl. Clm 8455, fol. 2ra), sowie die f¨unfte Propositio dieser zweiten Conclusio (Bamberg, Theol. 76, fol. 123rb = Clm 3548, fol. 5rb; vgl. Clm 8455, fol. 2ra). Unklar ist die Situation ebenda im Rahmen der siebten Propositio (Bamberg, Theol. 76, fol. 123va = Clm 3548, fol. 5va; vgl. Clm 8455, fol. 2rb–va). 96 Der eine Einwand greift die Aufteilung der Zeichen in rememorative, demonstrative und prognostische Zeichen auf und behauptet, die Sakramente ließen sich keinem dieser drei Zeichentypen zuordnen; der zweite h¨alt dasselbe f¨ur die Aufteilung der Zeichen in nat¨urliche und eingesetzte fest (T HOMAS VON S TRASSBURG: Commentaria IV d 1, q 2, a 1, ed. Venedig 1564, fol. 59rb; u¨ bernommen bei JAKOB VON E LTVILLE, Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 198vb = Clm 11591, fol. 319va. Vgl. auch oben, S. 172 mit Anm. 17). 97 Ad primum respondet quidam doctor, scilicet Jacobus de Alta Villa, quod sacramentum est signum demonstrativum quia quicumque suscipit sacramentum concomitanter cum sacra-
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
illam solutionem in den Text einzugreifen, JAKOBS Antwort zu widerlegen98 und schließlich eine mit ego nego ausgezeichnete eigene Antwort auf das diskutierte Gegenargument zu geben.99 Das ego muss nat¨urlich noch nicht bedeuten, A RNOLD habe nicht auch diese ‘eigene’ Antwort bei jemandem abgeschrieben – eine direkte Vorlage hat in der vorliegenden Untersuchung allerdings nicht ausgemacht werden k¨onnen. Die erhaltenen zeitgen¨ossischen Quellen unterstreichen vielmehr die Eigenst¨andigkeit dieser Auseinandersetzung, denn in ¨ D INKELSB UHLS Quaestiones communes haben die hier diskutierten Gegenargumente ebensowenig eine Rolle gespielt,100 wie sie auch keinen Eingang in sp¨atere Versionen der Quaestiones magistrales oder in den gleich noch zu besprechenden Kommentar des KONRAD VON ROTHENBURG gefunden haben. Die Auseinandersetzung findet bei A RNOLD daher nicht nur mit zeitgen¨ossischen Kommentaren, sondern auch mit jenen Vorlagen statt, auf die be¨ reits auch N IKOLAUS VON D INKELSB UHL zur¨uckgegriffen hat. Deutlich wird A RNOLDS Eigenst¨andigkeit gegen¨uber N IKOLAUS’ erstem Kommentar auch im Hinblick auf jene Scholastiker, die er explizit anf¨uhrt. W¨ahrend N IKOLAUS weitaus am h¨aufigsten auf S COTUS verwiesen hat, nennt mento suscipit gratiam, nisi per suam malitiam [om Clm 3548] ponat obicem gratiae Dei. [..|..] Ad secundum argumentum respondet idem doctor quod sacramenta sunt signa voluntaria [quia Clm 3548] significant ex institutione divina. [om Theol. 76] ‘ergo sunt mutabilia’, negat consequentiam | quia impositio significationis ipsorum dependet a voluntate divina quae est immutabilis (Bamberg, Theol. 76, fol. 121vb–122ra = Clm 3548, fol. 3rb–va). 98 Sed contra illam solutionem arguitur sic: omne signum demonstrativum est rei praesentis, sed non omne sacramentum est signum rei iam praesentis, ergo etc. (Bamberg, Theol. 76, fol. 121vb = Clm 3548, fol. 3rb). Sed contra hoc [secundum argumentum] arguitur: si illa responsio esset bona, sequeretur quod quidquid dependeret a voluntate divina, hoc esset immutabile (ebd. fol. 122ra / fol. 3va). 99 [propter Clm 3548] hoc respondetur ad argumentum cum sic arguitur quod omne signum aut est demonstrativum, aut prognosticativum vel memorativum: hoc ego nego, saltem si | per signum demonstrativum intelligitur [signum quod solum Clm 3548] repraesentat rem praesentem, et ceteris. Unde aliquod est signum quod repraesentat rem quae nec est, nec fuit, nec erit, sed potest esse (Bamberg, Theol. 76, fol. 121vb–122ra = Clm 3548, fol. 3rb). Ideo aliter [sequitur concedo Bamb. 76] quod sacramenta absolute loquendo [add. quod Bamb. 76] sunt mutabilia, et hoc probat bene argumentum. Sed non stat legem Dei communem manere quae dicit sacramenta istomodo significare quo Deus instituit et efficaciter vult illa signa manere in illa significatione, licet absolute sit possibile ipsam mutari (ebd. fol. 122ra / fol. 3va). 100 ¨ N IKOLAUS VON D INKELSB UHL nimmt die Thematik der in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft weisenden Sakramentalzeichen im vierten Notandum seiner ersten Quaestio zu Buch IV zwar auf (vgl. Clm 8455, fol. 1vb–2ra), doch handelt es sich dabei in keiner Art um eine Kritik an der Sakramenten-Definition im Sinne JAKOBS VON E LTVILLE – ¨ vielmehr ist dieses vierte Notandum eine weitere direkte Ubernahme aus der Lectura textualis ¨ des H EINRICH VON OYTA (vgl. Wien, ONB 4004 IV d 1, q 1, dub. 1, fol. 4v), der sich darin seinerseits an den Sentenzenkommentar des T HOMAS VON AQUIN anlehnt (In sententias IV d 1, q 1, a 1, qc 1, ad 4, ed. Moos (1947), S. 13).
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
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A RNOLD T HOMAS VON AQUIN praktisch ebenso oft wie S COTUS.101 Eine wesentlichere Rolle spielt bei ihm auch B ONAVENTURA, den er viermal anf¨uhrt,102 w¨ahrend er neben dem genannten Verweis auf JAKOB VON E LTVILLE j¨ungere Scholastiker wie P ETRUS AUREOLI oder T HOMAS VON S TRASSBURG v¨ollig ausl¨asst. Selbst wenn inzwischen deutlich geworden ist, dass diese namentlichen Verweise keineswegs belegen, dass A RNOLD sich direkt mit diesen Autoren auseinandergesetzt hat, wird doch noch einmal deutlich, dass er offensichtlich andere Pr¨aferenzen und einen anderen Fokus hat als sein Wiener Zeit¨ . Interessant w¨are es zu wissen, ingenosse N IKOLAUS VON D INKELSB UHL wiefern sich dieser eigenst¨andige Fokus auch auf A RNOLDS Ausarbeitung der ¨ Wirksamkeitsproblematik ausgewirkt hat. Der l¨uckenhaften Uberlieferung seines Kommentars zum Trotz lassen sich hierzu zumindest einige Andeutungen zusammentragen. 17.2.1.3 Anmerkungen zur Wirksamkeitsproblematik Auch wenn A RNOLDS eigentliche Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsproblematik in den erhaltenen Handschriften fehlen, scheint sich in den u¨ berlieferten Abschnitten doch bereits eine Tendenz abzuzeichnen, welche Position er favorisiert haben d¨urfte: Weil A RNOLD die Problematik in der Fragestellung seiner Quaestio selbst aufgreift, folgt bereits in den einleitenden Argumenta eine kurze Auseinandersetzung mit der M¨oglichkeit eines effective producere. Es handelt sich sogar um eine ganze Argumentationskette, die A RNOLD hier ins Feld f¨uhrt: Die Frage, ob Sakramente die geistige Gnade effective, in wirksamer Weise, hervorbr¨achten, sei deswegen falsch, weil Sakramente die Gnade u¨ berhaupt nicht hervorbr¨achten – daher, so muss man erg¨anzen, konsequenterweise auch nicht effective.103 Dass nun Sakramente die Gnade nicht hervorbringen, ergebe sich daraus, dass sie die Gnade nicht erzeugten, was seinerseits eine Folge der Tatsache sei, dass die Gnade in der menschlichen Seele durch einen Sch¨opfungsakt hervorgebracht werde, ein Gesch¨opf aber an keinem Sch¨opfungsakt mitwirken k¨onne.104 101 S COTUS wird neunmal, T HOMAS VON AQUIN achtmal namentlich erw¨ahnt; zudem verweist A RNOLD auf beide je einmal mit idem doctor. Zu N IKOLAUS’ Referenzen s.o., S. 293. 102 S¨amtliche Verweise auf B ONAVENTURA finden sich in den Ausf¨uhrungen zur zweiten Conclusio, Bamberg, Theol. 76, fol. 122vb–123vb = Clm 3548, fol. 4vb–5vb. 103 Bamberg, Theol. 76, fol. 121ra = Clm 3548, fol. 2ra: Secundo arguitur sic: sacramenta novae legis non sunt gratiae productiva, igitur quaestio falsa. Vgl. bereits oben, Anm. 90. 104 Ebd.: Tenet consequentia, et antecedens probatur quia sacramenta non sunt causativa gratiae, ergo non sunt productiva gratiae. Tenet consequentia, quia gratia in anima viatoris producitur per creationem. Antecedens probatur, quia nulla creatura creat vel creare potest de lege communi. [secundum quod Clm 3548] de hoc dictum est circa principium secundi libri circa distinctionem primam ubi magister [om Clm 3548] hoc idem dicit. Et Hugo in libro De sacramentis idem vult, ergo etc.
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
Die Argumentation folgt damit einem klassischen Muster und reiht die Wirksamkeitsproblematik in den gr¨oßeren Kontext der Sch¨opfungsproblematik ein – ein Kontext, den bekanntlich S COTUS hervorgehoben hat, den aber etwa auch JAKOB VON E LTVILLE mit seinem R¨uckgriff auf A DAM WODEHAM bem¨uht.105 Dass sich A RNOLD dabei auf eine rein rationale Argumentation beschr¨ankt, ist nun allerdings nicht nur deswegen bemerkenswert, weil H EIN ¨ RICH VON OYTA und N IKOLAUS VON D INKELSB UHL in ihre Argumenta gegen die M¨oglichkeit einer sakramentalen Wirkweise bereits wieder auctoritates aufnehmen, sondern auch, weil A RNOLD selbst In oppositum statt eines rationalen Gegenarguments auf den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten verweist, wie es P ETRUS L OMBARDUS – bekanntlich unter R¨uckgriff auf AUGUSTIN – getan hat.106 Wo es um die Bef¨urwortung einer sakramentalen Wirksamkeit geht, ist A RNOLD offensichtlich wieder gewillt, auctoritates anzuf¨uhren, und bezeichnenderweise greift er genau jene auctoritas auf, welche bereits H EINRICH VON OYTA in seiner Prager Lectura und ¨ N IKOLAUS VON D INKELSB UHL im Wirksamkeits-Dubium seiner Quaestiones communes als Oppositum angef¨uhrt haben. Wenn denn hinter dieser selektiven Anlehnung eine Absicht steckt, so ist es am ehesten jene, nur die Bef¨urwortung einer sakramentalen Wirkweise wieder mit Autorit¨aten zu untermauern. Lassen daher schon A RNOLDS Argumenta vermuten, er geh¨ore wohl eher zu den Bef¨urwortern einer sakramentalen Wirkweise, so deuten einige weitere Stellen aus den erhaltenen Abschnitten in eine a¨ hnliche Richtung. Zwar verwendet er durchaus Formulierungen, die eher ins Vokabular der Vertreter des Pakt-Modells passen, wenn er etwa von den Sakramenten als signa practica et certa spricht oder auch den Pakt-Begriff anf¨uhrt107 – doch handelt es sich bei ¨ diesen Stellen um w¨ortliche Ubernahmen aus S COTUS und B ONAVENTURA, die nicht die Wirkweise der Sakramente illustrieren sollen, sondern deren Notwendigkeit.108 Die Formulierungen sind daher vor allem dem f¨ur S COTUS und B ONAVENTURA typischen Sprachgebrauch geschuldet, ohne deswegen schon eine Positionsnahme A RNOLDS f¨ur die Wirksamkeitsfrage zu belegen. Wenn aber A RNOLD die Fragestellung seiner Quaestio bereits so ausrichtet, dass dem Leser suggeriert wird, es gebe neben einem effective producere auch andere Weisen, um sich an der Produktion einer Sache zu beteiligen, so 105
Zu S COTUS s.o., S. 168; zu JAKOB VON E LTVILLE S. 238. Bamberg, Theol. 76, fol. 121ra = Clm 3548, fol. 2rb: In oppositum quoad quaesitum est magister qui dicit quod in hoc differunt sacramenta novae legis a sacramentis veteris legis quia sacramenta novae legis conferunt gratiam, sed sacramenta veteris legis non, ergo etc. 107 So v.a. in den Ausf¨uhrungen zur zweiten Conclusio, vgl. Bamberg, Theol. 76, fol. 122vb–123ra = Clm 3548, fol. 4va–b. 108 Vgl. die in der letzten Anmerkung zitierten Stellen mit S COTUS’ Ordinatio IV d 1, p 2, q 2, n 226–229, ed. Vaticana (2008), S. 79f., und B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 1, ed. Quaracchi IV (1889), S. 12a. 106
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
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ist das im vorliegenden Kontext und vor dem Hintergrund der bisherigen Debatten nur als bewusste Reminiszenz an die instrumentale Mitwirkung im Modell des T HOMAS VON AQUIN zu verstehen.109 Reminiszenzen an die Vertreter der Mitwirkungs-Variante finden sich auch etwa in A RNOLDS Bestimmung des Sakramentenbegriffs, den er in Analogie zum Medikamenten-Begriff herleitet.110 Denn scheinen hier gewisse Formulierungen w¨ortlich aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar entnommen zu sein,111 so ist es doch vor allem JAKOB VON E LTVILLE, der in Parallele zur Wirksamkeit von Medikamenten auch eine Wirksamkeit der Sakramente hat beweisen wollen.112 Dass A RNOLD dies bereits in seiner einleitenden Diskussion zum Sakramentenbegriff anf¨uhrt und nicht, wie noch JAKOB VON E LTVILLE, vom AUGUSTINISCHEN Zeichenbegriff ausgeht, den S COTUS betont hat, l¨asst vermuten, deren eigene Wirksamkeit geh¨ore grundlegend zu A RNOLDS Sakramenten-Verst¨andnis hinzu. In diese Richtung weisen schließlich auch seine Ausf¨uhrungen zu einer Anmerkung, laut welcher die Gegenleistung f¨ur den Verdienst der sakramentalen Gnade durch Christi Passion vollbracht worden sei, dass also Christi Passion deren causa meritoria sei. Hier lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen, weil nicht nur mit dem Begriff der causa ein zentraler Terminus der Wirksamkeitsdiskussion aufgegriffen wird, sondern weil A RNOLDS Ausf¨uhrungen auch star¨ ke Parallelen zu D INKELSB UHLS Quaestiones communes aufweisen und daher f¨ur die Frage nach einem Gemeinschaftskommentar noch einmal genauere Einblicke erlauben. Mit der Rede von Christi Passion als causa meritoria der sakramentalen Gnade wird aus einer etwas ver¨anderten, eher theologischen Perspektive ebenso die Ursachenfrage angeschnitten wie aus der rein physikalischen Perspektive der bisher diskutierten Wirksamkeitsproblematik. Geht es bei der Letzteren allerdings um die Wirkzusammenh¨ange in der aktuellen sakramentalen Gnadenvermittlung, so geht es bei der Erstgenannten gleichsam um den moralischen Grund, warum Gott u¨ berhaupt bereit ist, den Menschen diese Gnade zukommen zu lassen.113 Dieser moralische Grund, Christi Passion, ist nun theologisch 109
Es muss allerdings betont werden, dass der Instrumentenbegriff in den erhaltenen Abschnitten nicht auftaucht. 110 Bamberg, Theol. 76, fol. 121ra–b = Clm 3548, fol. 2rb: Significatum huius nominis sacramentum convenienter possumus habere [om Clm 3548] ex usu communi [a simili Clm 3548], quia sicut medicamentum dicitur a medicando, est enim medicamentum quo aliquis medicatur et curatur, et ornamentum quo aliquis | ornatur, sic sacramentum dicitur a sacrando. Est autem sacramentum quo aliquis sacratur vel sanctificatur. 111 Vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 1, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 11f.: sacramentum secundum proprietatem vocabuli | videtur importare sanctitatem active, ut dicatur sacramentum quo aliquid sacratur, sicut ornamentum quo aliquid ornatur. 112 S.o., S. 238. 113 Entsprechend behandelt etwa S COTUS, wie gleich noch etwas ausf¨uhrlicher zu sehen sein wird, diese Ursachenform erst im Rahmen der zweiten Distinktion zu Buch IV. Die Rede
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
unbestreitbar, und so sehen sich auch klare Verfechter des Pakt-Modells wie be¨ reits S COTUS oder nun eben auch N IKOLAUS VON D INKELSB UHL veranlasst, diese weitere Ursache sakramentaler Gnadenvermittlung zuzugestehen, obwohl sie in der ‘physikalischen’ Diskussion der Wirkweisen im aktuellen Sakramentenvollzug an Gott als alleiniger Ursache festhalten. Sowohl N IKOLAUS VON ¨ D INKELSB UHL als auch A RNOLD VON S EEHUSEN lehnen sich an dieser Stelle direkt an S COTUS an: A RNOLD, In sent.114
N IKOLAUS, QQ com.115
S COTUS, Ordinatio116
Sit prima conclusio ista: Sicut sacramenta novae legis a solo Deo habent efficaciam, tamquam a causa principali principaliter causante, a Christo autem homine patienten eius passione habent efficaciam tamquam a causa meritoria, ita ipsa ante Christi passionem non fuerint ad salutem necessaria, licet aliqua antea fuerint instituta.
Quinta conclusio: Sicut sacramenta novae legis habent efficaciam a solo Deo sicut a causa efficienti principali, | sic a Christo patiente vel ab eius passione habent efficaciam ut a causa meritoria.
Et secundum hoc dico quod sacramenta novae legis a solo Deo habent efficaciam tamquam a causa principali; a Christo autem patiente – sive a passione Christi – habent efficaciam tamquam a causa meritoria.
Zwei Dinge sind an diesen kurzen Textausschnitten bemerkenswert: Erstens wird deutlich, dass sich A RNOLD an der vorliegenden Stelle formal zwar an N IKOLAUS orientiert, indem er wie dieser eine Schlussfolgerung von S COTUS von Christus als causa meritoria war in der mittelalterlichen Scholastik auch in anderen Zusammenh¨angen wie etwa jenem der Pr¨adestination g¨angig (vgl. etwa B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum I d 41, ed. Quaracchi I (1882), S. 727ff.; dazu AUER , J OHANN: Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus im Mittelalter, in: W ILPERT, PAUL (Hrsg.): Universalismus und Partikularismus im Mittelalter, Berlin: de Gruyter, 1968 (Miscellanea mediaevalia 5), S. 1–19, S. 14). Auch wenn diese Ursachenform in der protestantischen Scholastik des 17. Jahrhunderts verbreitete Verwendung finden sollte, konnte sie daher kei¨ neswegs als Erfindung J OHANN G ERHARDS betrachtet werden (so S CHR ODER , R ICHARD: Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik, T¨ubingen: J.C.B. Mohr, 1983 (Beitr¨age zur historischen Theologie 67), S. 80. F¨ur Diskussionen der causa meritoria in der katholischen Scholastik des 17. Jahrhunderts vgl. R AMELOW, T ILMAN: Gott, Freiheit, Weltenwahl. Der Ursprung des Begriffes der besten aller m¨oglichen Welten in der Metaphysik der Willensfreiheit zwischen Antonio Perez S.J. (1599–1649) und G. W. Leibniz (1646–1716), Leiden: Brill, 1997 (Brill’s Studies in Intellectual History 72), S. 410–417). 114 IV d 1, q 1, c 1, Bamberg, Theol. 76, fol. 122ra = Clm 3548, fol. 3va. 115 IV d 1, q 4, c 5 Clm 8455, fol. 3rb–va. 116 Ordinatio IV d 2, q 1, n 29f., ed. Vaticana (2008), S 151. n
add ex Clm 3548
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
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nicht nur als Conclusio anf¨uhrt, sondern in Form einer Analogie pr¨asentiert. ¨ Allerdings weist A RNOLD Ubereinstimmungen mit dem Original von S COTUS auf, die bei N IKOLAUS fehlen – offensichtlich hat er sich von N IKOLAUS zwar anregen lassen, den zugrunde liegenden Text aber doch auch selbst konsultiert. Auch dass er dar¨uber hinaus aus der Analogie einen weiterf¨uhrenden AnalogieSchluss macht und daraus Konsequenzen f¨ur die Zeit vor Christi Passion zieht, zeigt, wie eigentst¨andig er trotz aller Anlehnung an Vorlagen mit seinem Material umgeht. Zweitens ist bemerkenswert, dass A RNOLD und N IKOLAUS beide die Bestimmung von S COTUS erweitern, es h¨atten die Sakramente ihre Wirksamkeit von Gott wie von einer causa principalis. W¨ahrend N IKOLAUS erg¨anzt, dass es sich bei dieser causa principalis zugleich um die causa efficiens handle, schr¨ankt A RNOLD ein, diese causa principalis sei jene, welche principaliter am Verursachen sei.117 Damit ist nun aber weniger der moralische Kontext der l¨angst vergangenen Passion Christi angesprochen als vielmehr die aktuelle Verursachung der sich jeweils vollziehenden Gnadenvermittlung – in den theologischen Kontext schleichen sich Elemente aus der physikalischen Debatte ein. Im Hintergrund der vorliegenden Erweiterungen d¨urfte daher jene These von T HOMAS VON AQUIN stehen, es lasse sich die causa efficiens auch der Sakramente in ein agens prinicipale und ein agens instrumentale aufteilen.118 W¨ahrend N IKOLAUS mit seiner Bestimmung von Gott als causa efficiens eine weitere Unterteilung dieser Ursachenart bereits von vornherein unterbindet, suggeriert A RNOLDS Formulierung erneut, dass es offensichtlich noch andere Formen auch dieser je aktuellen Verursachung gebe. Diese entgegengesetzten Tendenzen in der Modifikation von S COTUS’ Vorlage werden auch in den nachfolgenden Begr¨undungen der Conclusio deutlich: A RNOLD, In sent.119
N IKOLAUS, QQ com.120
Prima pars scilicet quod ‘sacramenta novae legis habent efficaciam a solo Deo tanquam a causa principali causante’ probatur:
Prima pars probatur, quia sacramentum habere efficaciam est ipsum habere regulariter effectum signatumo concomitantem,
117
S COTUS, Ordinatio121 Primum istorum
probatur ex
Die Formulierung einer causa principalis principaliter causante hatte S COTUS etwas fr¨uher selbst verwendet, dies aber auf den theologisch-moralischen Kontext bezogen, vgl. dessen Ordinatio IV d 2, q 1, n 28, ed. Vaticana (2008), S. 150. 118 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 32: sciendum est, quod causa efficiens [...] potest dividi [...] ex parte ipsius causae in agens principale, et instrumentale. Vgl. dazu oben, S. 158. 119 IV d 1, q 1, c 1, Bamberg, Theol. 76, fol. 122ra = Clm 3548, fol. 3va. 120 IV d 1, q 4, c 5 Clm 8455, fol. 3va. 121 Ordinatio IV d 2, q 1, n 29f., ed. Vaticana (2008), S. 151.
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quia sacramenta novae legis solus Deus instituit, sed efficacia sacramenti non potest esse principaliter ab aliqua causa inferiori prima causa instituente, ergo etc.
et ergo ab illo habet efficaciam sicut a causa agente principali a quo principaliter producitur effectus et a quo habet tamquam a causa princpiali quod effectus regulariter concomitatur, sed a solo Deo habet hoc.
secunda conclusione praehabita. Solus enim Deus instituit haec sacramenta, et efficacia sacramenti non potest esse ab alia causa inferiore eam instituente.
Erneut ist A RNOLD wesentlich n¨aher an der Textvorlage als N IKOLAUS; erneut erg¨anzt er aber S COTUS’ Begr¨undung um ein entscheidendes principaliter: W¨ahrend S COTUS als Vertreter des Pakt-Modells grunds¨atzlich ausschließt, dass die Wirkung der Sakramente von einer Ursache stammen k¨onne, welche in der Seinsordnung tiefer stehe als Gott, der Einsetzer der Sakramente, schr¨ankt A RNOLD mit seinem principaliter die Aussage dahingehend ein, dass die Wirkung der Sakramente nicht zur Hauptsache von einer tieferen Ursache stammen k¨onne. Erneut bleibt bei A RNOLD damit die M¨oglichkeit einer instrumentalen Mitwirkung der Sakramente gewahrt. N IKOLAUS hingegen greift vor auf eine Bestimmung der Wirksamkeit der Sakramente, wie sie S COTUS selbst zwei S¨atze sp¨ater anf¨uhrt. Dem Pakt-Modell entsprechend wird diese Wirksamkeit auf die regul¨aren Begleit-Erscheinungen des Sakramentenvollzugs festgelegt, was implizit ausschließt, dass diese Erscheinungen dessen Folgen sind und damit urs¨achlich vom Sakramentenvollzug abh¨angen. Um diesen Anklang ans Pakt-Modell zu unterstreichen, erg¨anzt N I KOLAUS die Bestimmung denn auch um den Zeichen-Aspekt, auf den allein ja bei S COTUS die Rede von einer sakramentalen Wirksamkeit zu beziehen ist:122 A RNOLD, In sent.123
N IKOLAUS, QQ com.124
Item
Minor probatur, quia
effectus significati per sacramenta sunt soli Deo proprii. Sed constat quod Deus non potest determinari ab aliqua causa secunda ad agendum
effectus signati per sacramenta sunt proprii solo Deo. Sed constat quod Deus non potest determinari ab alia causa ad agendum
122 123 124 125 o
S COTUS, Ordinatio125 Solus Deus determinat se ad effectum causandum sibi proprium; si enim posset ab alio determinari ad agendum, iam esset causa secunda respectu eius; effectus autem significati per sacramenta sunt proprii soli Deo;
S.o., S. 173 und 298. IV d 1, q 1, c 1, Bamberg, Theol. 76, fol. 122ra = Clm 3548, fol. 3va. IV d 1, q 4, c 5 Clm 8455, fol. 3va. Ordinatio IV d 2, q 1, n 29f., ed. Vaticana (2008), S 151.
signantum Clm 8455
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
effectus sibi proprios. Ergo solus Deus potest p determinare sep ad causandum effectus sacramentorum regulariter concomitantes sacramenta.
concomitantes sacramenta.
Ergo a sola voluntate divina sacramenta determinateq habent efficaciam tamquam a causa principali.
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ergo solus Deus potest determinare se ad causandum effectus sacramentorum, regulariter concomitantes sacramenta. Hoc est autem sacramenta habere efficaciam, scilicet habere effectus regulariter concomitantes; ergo a sola voluntate divina habent determinate sacramenta efficaciam, tamquam a causa principali.
¨ A RNOLD allerdings, der hier zwischen w¨ortlichen Ubernahmen aus D INKELS Quaestiones communes und S COTUS’ Ordinatio hin und her wechselt, u¨ berspringt diese SCOTISCHE Bestimmung der sakramentalen Wirkung g¨anzlich; die Vermutung dr¨angt sich auf, dass sie ihm zu verwandt mit dem Pakt-Modell und daher zu weit entfernt von seinen eigenen Vorstellung gewesen ist. Was daher die inhaltliche Frage nach A RNOLDS Position in der Wirksamkeitsdebatte betrifft, ist es trotz fehlender expliziter Aussagen und Ausf¨uhrungen plausibler, ihn f¨ur einen Vertreter des Mitwirkungs-Modells zu halten. Daf¨ur sprechen seine Formulierungen, die stets die M¨oglichkeit offen lassen, eine instrumentale Urs¨achlichkeit einzuf¨uhren, und damit ein sp¨ateres Einstehen f¨ur die Mitwirkungs-Variante vorbereiten d¨urften; daf¨ur spricht, dass er sich schon in den erhaltenen Abschnitten wesentlich h¨aufiger an T HOMAS ¨ VON AQUIN orientiert als dies etwa N IKOLAUS VON D INKELSB UHL tut; daf¨ur spricht schließlich auch seine N¨ahe zu JAKOB VON E LTVILLE. Einmal mehr unterstreicht dies die Eigenst¨andigkeit, mit der A RNOLD trotz offenkundiger Anlehnungen an die Quaestiones communes des N IKOLAUS VON D INKELS ¨ B UHL vorgegangen ist. Was daher die Frage nach einem Wiener Gruppen-Kommentar betrifft, d¨urfte deutlich geworden sein, dass A RNOLD zumindest an dieser Stelle an keinem Gemeinschaftswerk mit seinem Wiener Vorl¨aufer gearbeitet hat, sondern, ausgehend von diesem, einen eigenen Entwurf mit einer eigenen Stoßrichtung, mit eigenen thematischen Pr¨aferenzen und mit eigenen inhaltlichen Schlussfolgerungen vorgelegt hat. ¨ B UHLS
p
se determinare Clm 8455
q
determinatem Clm 8455
326
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
17.2.2 KONRAD
VON
ROTHENBURG und die Handschrift Klosterneuburg 315
Etwas weniger eindeutig ist die Sachlage bei der allgemeinen Sakramentenlehre, wie sie in einem Sentenzenkommentar dargestellt wird, der in der Handschrift Klosterneuburg 315 u¨ berliefert ist. Die Papierhandschrift enth¨alt Quaestionen und Principia zum dritten und vierten Sentenzenbuch, den Wasserzeichen gem¨aß d¨urfte sie zwischen 1415 und 1420 entstanden sein.126 Im Explicit der Handschrift steht nun, es handle sich hierbei um die Sentenzenlesung des ¨ KONRAD VON ROTHENBURG, weshalb S TEGM ULLER den Kommentar auch unter dessen Namen in sein Repertorium aufgenommen hat.127 Alois M ADRE ¨ stellt in seinem grundlegenden Werk zu N IKOLAUS VON D INKELSB UHL allerdings fest, dass das Quaestionenverzeichnis zumindest des dritten Buches ebenso wie Incipit und Explicit von dessen erster und letzter Quaestio mit den Quaestiones magistrales u¨ bereinstimmten, weshalb er die Handschrift f¨ur eine Ab¨ schrift von D INKELSB UHLS Kommentar h¨alt.128 Die Zuordnung zu KONRAD VON ROTHENBURG , der nach M ADRES Auskunft nie Magister der Theologie ¨ gewesen sei, stamme m¨oglicherweise daher, dass KONRAD D INKELSB UHLS Lesung gewissermaßen als sein Stellvertreter w¨ahrend dessen Aufenthalt am Konzil vorgetragen habe.129 Nun ist tats¨achlich nicht belegt, dass KONRAD zum Magister der Theologie promoviert worden ist – Theologie studiert hat er aber sehr wohl: Im September 1407 erscheint er als Sententiar; zumindest baccalaureus formatus wird er vor 1411.130 Als Autor eines Sentenzen-Kommentars kommt er daher durchaus in Frage; die zeitliche N¨ahe der Abschrift zu KONRADS tats¨achlicher Sentenzenlesung gibt dem Zeugnis des Schreibers zudem eine gewisse Glaubw¨urdigkeit, die sich kaum durch M ADRES ‘Stellvertreter’-These entkr¨aften l¨asst: KON 126
Eine Beschreibung der Handschrift im Rahmen des Katalogs der Handschriften des Augustiner Chorherrenstiftes Klosterneuburg steht noch aus; f¨ur die Datierung gem¨aß den Wasser¨ zeichen vgl. S TIEGLECKER , M ARIA: Verschiedene Kl¨oster – identische Papiere, in: R UCKERT , P ETER (Hrsg.): Wasserzeichen des Mittelalters. Ochsenkopf und Meerjungfrau, Stuttgart, 2007, S. 21–24. 127 Klosterneuburg 315, fol. 458r: Explicit lectura illustris magistri Chunradi de Ratenburkch super tertio et quarto Sententiarum, pronuntiata ad universitatem Wiennensem, comparata per dominum Stephanum, canonicum Newnburgensem; vgl. RS 172. 128 M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 95 mit Anm. 14: Durch sorgf¨altigen ” Vergleich der Quaestionen und des Inhalts konnte die irrige Zuteilung wenigstens von III Sent., wahrscheinlich auch von IV Sent. an Konrad von Rottenburg [...] und die Autorschaft des Nikolaus festgestellt werden.“ 129 Ebd. 130 Akten der Theologischen Fakult¨at der Universit¨at Wien, ed. Uiblein (1978), Bd. 1, S. 12 und 20; vgl. das RAG unter der ID 2147105078. F¨ur einen kurzen Hinweis zu KONRADS Zulassung als Sententiar vgl. auch U IBLEIN , PAUL: Die Universit¨at Wien im Mittelalter. Beitr¨age und Forschungen, Wien: WUV-Universit¨atsverlag, 1999 (Schriftenreihe des Universit¨atsarchivs / Universit¨at Wien 11), S. 222 mit Anm. 71.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
327
¨ RAD war nicht irgendein Bakkalar, der eben mal f¨ ur D INKELSB UHL eingesprungen w¨are, sondern fungierte mehrmals als Dekan der Artisten-Fakult¨at; sp¨atestens seit 1413 war er Kanoniker am St.Stephans-Dom.131 Naheliegender ¨ scheint es, f¨ur die Ubereinstimmungen die Hypothese der Wiener-Gruppe zu bem¨uhen, von der M ADRE noch keine Kenntnis gehabt hat. Tats¨achlich finden sich vergleichbare Probleme auch in anderen Handschriften dieser Zeit: Auch die Handschrift Klosterneuburg 302 enth¨alt einen Kommentar zum vierten Sentenzenbuch, der zumindest in der ersten Quaestio identisch ist mit dem in Klosterneuburg 315 enthaltenen Text. Auch dieser Kommentar ist als Textzeuge ¨ der Quaestiones magistrales gehandelt und von S TEGM ULLER entsprechend katalogisiert worden, was nun allerdings M ADRE wiederum in Frage gestellt hat, weil das Explicit dieser Handschrift Klosterneuburg 302 besser zu einem ¨ Kommentar des P ETRUS R EICHER DE P IRCHENWART als zu D INKELSB UHLS Quaestiones magistrales passe.132 Dieser Vorschlag M ADRES ist allerdings unhaltbar, denn ein Schreibervermerk auf fol. 252va datiert die Handschrift auf den 10. Dezember 1415; P ETRUS R EICHER wird aber erst im Juli 1417 Sententiar.133 Die Situation wird noch un¨ubersichtlicher, wenn eine dritte Handschrift, Klosterneuburg 301, beigezogen wird, die in der ersten Quaestio zu Buch IV erneut denselben Text wie die beiden anderen Handschriften zu bieten scheint,134 in einem Schreibervermerk aber explizit als Kommentar von N IKO ¨ LAUS VON D INKELSB UHL ausgewiesen wird.135 Entsprechend galt sie bisher ¨ als fester Zeuge der D INKELSB UHL zugeschriebenen Quaestiones magistrales. Vergleicht man die Quaestionen-Verzeichnisse dieser drei Handschriften, so zeigt sich, dass sie zwar sehr a¨ hnlich sind, aber bereits auf dieser Ebene einige signifikante Unterschiede aufweisen: Von Klosterneuburg 315, dem mutmaßlichen Kommentar von KONRAD VON ROTHENBURG, dessen Quaestio131
Ebd.; vgl. bereits A SCHBACH: Geschichte I (1865), S. 419, und knapp zu KON ¨ akademischer Karriere nun auch L ORENZ , S ONKE : Welcher Hugo? Spurensuche in sp¨atmittelalterlichen Logik-Handschriften, in: AUGE , O LIVER (Hrsg.): Universitas. Die mittelalterliche und fr¨uhneuzeitliche Universit¨at im Schnittpunkt wissenschaftlicher Disziplinen, T¨ubingen: Francke, 2007, S. 91–116, hier S. 112. 132 M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 94; vgl. RS 565. 133 Klosterneuburg 302, fol. 252va: Anno domini millesimo quadringentesimo quintodecimo feria tertia proxima post festum sancti Nicolay hora prima finitus est liber iste quaestionum sententiarum libri quarti per Fridricum Johannis de Fridburg. Zur Handschrift vgl. http://manuscripta.at/?ID=449 (Stand 28. M¨arz 2014); zu P ETRUS R EICHER DE P IRCHEN WART vgl. das RAG (ID 2147105320). 134 Leider konnte in der vorliegenden Arbeit nur auf fol. 142v–143v mit dem Beginn dieser ersten Quaestio zur¨uckgegriffen werden, welche unter http://manuscripta.at/?ID=448 als Teildigitalisate vorliegen (Stand 28. M¨arz 2014). 135 Klosterneuburg 301, fol. 335ra: Explicit lectura pronuntiata per illustrem magistrum magistrum [sic!] Nicolaum de Dynkchelspuchel professum sacrae paginis ad universitatem Wyennensem. Et comparatam per dominum Stephanum canonicum Newnburgensis ecclesiae. Et scriptam per me Wolfhardum S. de Weytra. RADS
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
¨ nes noch weitgehend mit jenen von D INKELSB UHLS Quaestiones communes u¨ bereinstimmen, u¨ ber Klosterneuburg 302 zu Klosterneuburg 301 finden sich zunehmend weitere Quaestiones und, wie sich aus der jeweiligen Foliierung extrapolieren l¨asst, auch Textzus¨atze, die schließlich weitgehend in die Quaestiones magistrales Eingang gefunden haben.136 Wenn daher aus dem zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts Abschriften einer Reihe von a¨ ußerst a¨ hnlichen Sentenzenkommentaren zum vierten Buch verfertigt worden sind, welche aber die zeitgen¨ossischen Abschreiber selbst unterschiedlichen Scholastikern zugeordnet haben, muss dies noch nicht heißen, dass die Zeitgenossen sich geirrt haben und s¨amtliche Textzeugen auf unterschiedliche Redaktionen des Kom¨ mentars eines einzigen Autors – am ehesten N IKOLAUS VON D INKELSB UHL – zur¨uckgehen. Es k¨onnte sich n¨amlich herausstellen, dass etwa KONRAD VON ROTHENBURG seine Sentenzenlesung st¨arker als A RNOLD VON S EEHUSEN im genannten Sinne eines ‘Gruppenkommentars’ verfasst hat und in engster Anlehnung an die Quaestiones communes vorgegangen ist, so wie auch die anderen Handschriften Ausarbeitungen weiterer Autoren dieses Gemeinschaftskommentars sein k¨onnten. Die bisherigen Erkenntnisse zum ‘Gruppenkommentar’ im Rahmen von Buch I lassen diese M¨oglichkeit zumindest plausibel erscheinen. F¨ur den in Klosterneuburg 315 erhaltenen Kommentar sei daher im Sinne eines Plausibilit¨ats-Urteils an der Autorschaft KONRADS festgehalten; an dessen Ausf¨uhrungen zur Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit sei exemplarisch untersucht, in welchem Verh¨altnis er vor allem zu den anderen, ihm vorausgehenden Wiener Kommentaren, aber auch zu den sp¨ateren Quaestiones magistrales steht, und was sich daraus allenfalls f¨ur die Autorfrage ergibt. ¨ Gegen¨uber D INKELSB UHLS Quaestiones communes erscheinen KONRADS Ausf¨uhrungen zur ersten Distinctio von Buch IV vorerst als eine unabh¨angige Schrift. Die Fragestellung ist ebenso eine andere wie auch der grundlegende Aufbau der Quaestio. W¨ahrend N IKOLAUS Notanda, Conclusiones, Obiectiones und Dubia in der beschriebenen, eher assoziativen Weise aneinanderreiht, 136 Aus den Angaben bei M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 76–78 sowie den unter http://manuscripta.at verzeichneten Quaestionen (Stand 28. M¨arz 2014) lassen sich folgende Unterschiede ausmachen: Klosterneuburg 315, der KONRAD VON ROTHENBURG zuge¨ schriebene Text, a¨ ndert im Vergleich zu D INKELSB UHLS Quaestiones communes die 1., 14., 17. und 24. Quaestio und f¨ugt nach der 7. eine, nach der 9. zwei und am Schluss drei weitere Quae¨ stionen hinzu. Klosterneuburg 302 u¨ bernimmt diese Anderungen und Zus¨atze und f¨ugt dar¨uber hinaus nach der 24. und der 32. Quaestio je eine sowie am Schluss zwei zus¨atzliche Quaestio¨ nen hinzu. Klosterneuburg 301 schließlich u¨ bernimmt s¨amtliche bisherigen Anderungen und Zus¨atze und f¨ugt selbst nach dem Zusatz zur 32. noch einmal eine weitere Quaestio hinzu und schiebt vor die zus¨atzlichen Quaestionen am Schluss eine weitere Quaestio ein. Klosterneuburg ¨ 315 und 302 scheinen daher Zwischenstufen zwischen D INKELSB UHLS Quaestiones communes und dem in Klosterneuburg 301 enthaltenen Kommentar zu sein, der selbst im Vergleich zu ¨ den Quaestiones magistrales, wie sie in Wien, ONB 4820 enthalten sind, einen leicht verk¨urzten Text bietet.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
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unterteilt KONRAD seine Quaestio in drei Artikel, was er nach den einleitenden Argumenta in einer kurzen Divisio quaestionis auch kurz erl¨autert.137 Eine Abh¨angigkeit besteht vielmehr ein weiteres Mal gegen¨uber JAKOB VON E LTVILLE, da KONRAD dessen Fragestellung nicht nur w¨ ortlich u¨ bernimmt, sondern sich auch in den einleitenden Argumenta quod non weitgehend an ihn anlehnt.138 Im Argumentum in oppositum allerdings f¨uhrt auch KONRAD jene Unterscheidung zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten an, die P E TRUS L OMBARDUS aus AUGUSTIN u ¨ bernommen hat und die von H EINRICHS Prager Lectura u¨ ber das Wirksamkeits-Dubium der Quaestiones communes bis zu A RNOLDS Kommentar als Oppositum zur Wirksamkeitsfrage dient.139 I II III IV.1 IV.2 IV.3 V
Quaestio Argumenta Divisio quaestionis De diffinitione sacramenti De efficacia sacramentorum De causis efficaciae Dubia
Schema 5: KONRAD
VON
1r 1r 1r 1r–5r 5r–7v 8r–9r 9r–10v
ROTHENBURG, Klosterneuburg 315 IV d 1
Die bisherige Wiener Tradition ist daher in KONRADS einleitender Problematisierung der Wirksamkeitsfrage sehr wohl pr¨asent. Verbl¨uffend ist nun, was ein etwas genauerer Blick auf die jeweiligen Darlegungen zu seinen drei Artikeln enth¨ullt: Obwohl die strukturelle Einteilung der behandelten Themen eine unabh¨angige ist, werden die einzelnen Ausf¨uhrungen zu großen Teilen ¨ w¨ortlich aus den Quaestiones communes des N IKOLAUS VON D INKELSB UHL ¨ u¨ bernommen. Ein tabellarischer Uberblick soll dies zu verdeutlichen helfen (Schema 6, S. 330). Abgesehen vom Quaestio-Rahmen, von der Fragestellung selbst also, von den Argumenta dazu und von deren abschließender Widerlegung, abgesehen zudem von den Argumenta zum Wirksamkeits-Dubium u¨ ber¨ nimmt KONRAD damit den gesamten Text aus D INKELSB UHLS erster Quaestio 137 Klosterneuburg 315, fol. 1r: In illa quaestione videndum est de tribus: primo de diffinitione sacramenti et sacramentorum institutione, in secundo de quaesito, et in tertio de efficacia sacramentorum a quo scilicet eam habeant. Et cum hoc movebuntur aliqua dubia. 138 Ebd.: Circa distinctionem primam quarti sententiarum moveo illam quaestionem utrum novae legis sacramenta causativa gratiae habeant aliquam spiritualem virtutem ipsis formaliter inhaerentem qua in animam [sic!] possint agere. Von JAKOBS Fragestellung unterscheidet sich dies einzig in der Position des habeant und im Akkusativ des animam, den aber bereits Clm 11591 (mit der Lectura eberbachi) als Text-Variante bietet, vgl. oben, S. 233, Anm. 31. 139 Ebd.: Oppositum patet [probat?] Augustinus Super psalmum 73 dicens sacramenta novae legis et veteris in hoc differunt quia illa, scilicet veteris, promittebant tantum et significabant, haec autem dant salutem. Sed non apparet quomodo darent salutem nisi essent causativa gratiae quam sine spirituali virtute causare non possunt, igitur etc.
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
KONRAD VON ROTHENBURG, In sententias IV d 1, q 1 I II
Quaestio Argumenta quod non In oppositum III Divisio quaestionis IV Primus articulus 1. Notanda 1–4 2. Prima conclusio Correlaria 1–2 Secunda conclusio Correlaria 1–2 Tertium correlarium 3. Obiectiones 1–5 4. Responsiones 1–5 V Secundus articulus 1. Opinio Thomae 2. Contra opinionem Thomae Alia argumenta 3. Opinio Scoti 4. Ad argumenta Thomae VI Tertius articulus Conclusiones 1–2 Obiectiones 1–3 Responsiones 1–3 VII Primum dubium Secundum dubium Tertium dubium
¨ , D INKELSB UHL QQ communes IV d 1, q 1 I II
Quaestio Argumenta quod non In oppositum III Notanda 1–4 IV Prima conclusio Secunda conclusio Conclusiones 3–4 Conclusiones 5–6 V Obiectiones 1–3 Responsiones 1–3 VI Primum dubium Secundum dubium VII Ad argumenta VIII Dubium principale 1. Argumenta quod non In oppositum 2. Opinio Thomae 3. Opinio Scoti 4. Contra Thomam
¨ Schema 6: Vergleich von Klosterneuburg 315, IV d 1, und D INKELSB UHLS Quaestiones communes, IV d 1
zu Buch IV in seinen eigenen Kommentar.140 Dem Wortlaut der Quaestiones communes folgt KONRAD dabei sehr treu – ein Großteil der inhaltlich durchgehend belanglosen Varianten k¨onnten ebenso auf Ungenauigkeiten der jeweiligen Schreiber zur¨uckgehen wie auf KONRADS eigene Lesung. Seine Eingriffe 140 Zwei etwas ausf¨uhrlichere Auslassungen d¨urften auch an dieser Stelle auf eine aberratio occulorum des Schreibers zur¨uckgehen. Beide finden sich auf fol. 3v: [Id] quod dicit Gregorius quod parvulis suffecit fides sola intelligunt quod fides parentum, ita quod non requirebatur ultra professio per sensibile signum. [...] Illa tamen adhuc tunc fuissent sacramenta ut dictum fuit. Vgl. dazu [id] quod dicit Gregorius quod pro parvulis suffecit fides sola intelligunt quod fides parentum ita quod non requirebatur fides propria parvulorum, sicut in adultis. Sed requirebatur ultra professio per signum spirituale; und ebd. 3ra: illa tamen adhuc [add circa inter lineas Clm 8455 ] sacramenta, quia significabant sacramenta ut dictum fuit ibi. Die erw¨ahnte G REGOR-Stelle findet sich in dessen Moralia Prol. 3, ed. Adriaen (1979-1985), CCSL 143, S. 160, und hat Eingang gefunden ins Decretum Gratiani III d 4, c 5, ed. Leipzig (1879), Sp. 1362.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
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in den Text bestehen neben den Erg¨anzungen, auf die gleich zu kommen sein wird, vor allem in einer Umorganisation des urspr¨unglichen Materials, indem er das nachgeschobene Wirksamkeits-Dubium als zweiten Artikel ins Zentrum seiner Quaestio stellt, die ja in Anlehnung an JAKOB VON E LTVILLE auch direkt nach der sakramentalen Wirksamkeit fragt. Einen strukturellen Eingriff ¨ nimmt er zudem dadurch vor, dass er D INKELSB UHLS dritte und vierte Conclusio zu Correlaria der zweiten Conclusio umwandelt. Interessant sind vor allem die Erg¨anzungen, die KONRADS Text gegen¨uber den Quaestiones communes aufweist. Augenf¨allig sind sie im Bereich des ersten Artikels, wo die Conclusiones mit zus¨atzlichen Correlaria versehen und zudem durch neue Obiectiones u¨ berpr¨uft werden. Aber auch im zweiten Artikel schiebt KONRAD in die Widerlegung von T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell einen l¨angeren zus¨atzlichen Abschnitt ein, der sich in den Quaestiones communes noch nicht findet; den Artikel rundet er zudem mit einigen Bemerkungen zu T HOMAS’ Argumenten ab. Ans Ende der Quaestio schließlich stellt er noch ein weiteres kurzes Dubium. S¨amtliche Einsch¨ube finden sich damit an Stellen, an denen nicht eigentlich Thesen entwickelt, sondern bestehende Thesen auf ihre Stichhaltigkeit u¨ berpr¨uft (Obiectiones und Dubia) oder als Anlass genommen werden, daraus weitere Folgerungen abzuleiten (Correlaria). Damit wird ein Vorgehen deutlich, das sich ansatzweise bereits in den besprochenen Abschnitten der Quaestiones communes selbst und dann vor allem auch bei A RNOLD VON S EEHUSEN belegen l¨asst:141 Die eigentliche Arbeit des Kommentators besteht vorwiegend darin, u¨ bernommene Darstellungen zu u¨ berpr¨ufen und gegen m¨ogliche Einw¨ande zu verteidigen.142 Im vorliegenden Fall heißt das aber nicht, dass diese Erg¨anzungen und Differenzierungen aus KONRADS eigener Feder stammen. Von den f¨unf Obiectiones, die KONRAD gegen die Conclusiones seines ersten Artikels anbringt, finden sich drei bereits auch direkt hintereinander in A RNOLDS’ Kommentar, der sie allerdings auch nicht selbst ersonnen, sondern einerseits aus S COTUS’ Ordinatio,143 andererseits aus dem Sentenzenkommentar des JAKOB VON E LTVILLE zusammengetragen hat. In jedem der drei F¨alle jedoch geht A RNOLD mit der urspr¨unglichen Vorlage viel freier um als KONRAD, was am Beispiel der letzten Obiectio illustriert sei: 141
S.o., S. 305 f¨ur N IKOLAUS, und 317 f¨ur A RNOLD. Auch im Beispiel, das S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 119–127, aus den Prologen einiger Wiener Magister aufgreift, wird die Diskussion prim¨ar im Rahmen von Dubia und Obiectiones gef¨uhrt, 143 Es handelt sich um das erste Argumentum quod non aus Ordinatio IV d 1, p 1, q 2, n 218, ed. Vaticana (2008), S. 77, das neben dem Argumentum auch eine Confirmatio anf¨uhrt (was A RNOLD von der Struktur her, textlich aber bloß paraphrasierend u¨ bernimmt, vgl. Bamberg, Theol. 76, fol. 123ra = Clm 3548, fol. 5ra). KONRAD hingegen macht aus Aurgumentum und Confirmatio gleich zwei Obiectiones, vgl. Klosterneuburg 315, fol. 4r (Obiectiones 2 und 3). 142
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
KONRAD, In sent.144
A RNOLD, In sent.145
JAKOB, In sent.146
Sacramenta sunt idolatrandi occasio, ideo nulla lege debuerint institui. Consequentia tenet quia talis occasio semper fugienda est et tollenda. Antecedens probatur ex hoc quod quia spiritualis gratia dicitur contineri sub corporalibus sacramentis, potest aliquis credere quod in rebus corporalibus sitr aliquid numinis aut deitatis, et hoc fuit semper hominibus occasio idolatrandi.
Tertio arguitur sic: Deus non est causa nec directe dat occasionem errandi. Sed facere homines credere in sensibilibus esse salutem est directes dare occasionem errandi, scilicet credendi in sensibilibus esse aliquid numinis et per consequens idolatrandi. Ergo Deus non instituit aliquod sensibile ut in eo et per illud esset aliqua salus concedenda.
Sacramenta sunt occasiot idolatrandi, igitur in nulla lege debuerint institui. Consequentia tenet, quia occasio talis semper est fugienda et tollenda. Antecedens probou , quia ex hoc quod spiritualis gratia dicitur contineri sub corporalibusv sacramentis potest aliquis credere quod in rebus corporalibus sit aliquid numinis vel deitatisw , x et hoc semper fuit hominibus occasio idolatrandix .
A RNOLD paraphrasiert das Argument aus JAKOBS Kommentar und formuliert es f¨ur seine eigenen Bed¨urfnisse um, w¨ahrend KONRAD das Argument wortw¨ortlich u¨ bernimmt. Dass nun KONRAD dieses und die beiden anderen Argumente aus S COTUS’ Ordinatio ebenso zusammenstellt wie bereits kurz vor ihm A RNOLD VON S EEHUSEN, spricht f¨ur eine Abh¨angigkeit KONRADS von A RNOLD. Die Textgestalt selbst zeigt allerdings, dass KONRAD sich dennoch die M¨uhe genommen hat, die Originaltexte selbst zu konsultieren. So stammen denn auch die meisten u¨ brigen Zus¨atze, die KONRAD in den umstrukturierten Text der Quaestiones communes einschiebt, w¨ortlich aus a¨ lteren Vorlagen – im vorliegenden Fall sogar weiterhin entweder aus dem Kommentar JAKOBS VON E LTVILLE147 oder aus der Ordinatio von S COTUS. Von S COTUS u¨ bernimmt er insbesondere die weiteren Argumente, die er im zweiten Artikel gegen T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell hinzuf¨ugt, was insofern zu einer ¨ etwas eigenartigen Textgestalt f¨uhrt, als ja N IKOLAUS VON D INKELSB UHL unter R¨uckgriff auf H EINRICH VON OYTA mit S COTUS’ Reportata Parisiensa 144
IV d 1, q 1, a 1, ob 5, Klosterneuburg 315, fol. 4v. IV d 1, q 1, c 1, Bamberg, Theol. 76, fol. 123ra = Clm 3548, fol. 5ra. 146 IV d 1, q 1, c 1, Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199vb = Clm 11591, fol. 320vb. 147 So an der vorliegenden Stelle auch noch die erste und die vierte Obiectio samt zugeh¨origer Responsio (es handelt sich um die f¨unfte und die erste Obiectio, die JAKOB gegen seine erste Conclusio anf¨uhrt, vgl. Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199vb = Clm 11591, fol. 320va–b); so auch die beiden Correlaria KONRADS zu seiner ersten Conclusio sowie das dritte Correlarium zur zweiten Conclusio (es handelt sich um die Correlaria 3–5 zu JAKOBS erster Conclusio, Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 199va–b = Clm 11591, fol. 320va); und so schließlich auch das dritte Dubium am Ende der Quaestio (welches auch den Abschluss von Jakobs Quaestio gebildet hat, vgl. Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 204va = Clm 11591, fol. 327ra). 145
r
add aliquis K’neuburg 315 s add est Bamberg, Theol. 76 t causa Clm 11591 u probatur Clm 11591 v corruptibilis Clm 11591 w add hoc Br¨ugge, BV 181 x om Clm 11591
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
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gegen T HOMAS argumentiert hat.148 Vermittelt durch die verschiedenen Stadien der Rezeption dieser Texte finden sich in KONRADS Kommentar daher ein nicht immer mehr klar abzugrenzendes Gemisch von Zitaten aus den beiden bekanntesten Versionen von S COTUS’ Sentenzenkommentar. In diesem zweiten Artikel zur Wirksamkeitsproblematik greift KONRAD zudem an einigen wenigen Stellen auch selbst in den Text ein. Schon durch die ¨ Umstellung von D INKELSB UHLS Aufbau ver¨andert er die Struktur des Textes: Indem er S COTUS’ Widerlegung von T HOMAS’ Ansicht direkt auf deren Darstellung folgen l¨asst, zeigt er, inwiefern S COTUS’ eigene Postion, welche erst als drittes pr¨asentiert wird, die mit T HOMAS’ Ansatz verbundenen Probleme l¨ost. Noch st¨arker als die Quaestiones communes richtet sich KONRAD damit nach den Meinungen von T HOMAS und S COTUS, so dass der Eindruck verst¨arkt wird, es gehe nicht mehr um eine Darstellung logisch m¨oglicher Antworten auf die Wirksamkeitsfrage, sondern um ein Nachzeichnen der pers¨onlichen Meinungen dieser beiden großen Scholastiker. Dass sie es sind, um die es geht und von deren jeweiliger Meinung KONRAD die gesamte Wirksamkeitsdebatte abh¨angen sieht, zeigt sich in einem interessanten kleinen Detail: Als Einstieg in die Pr¨asentation des Mitwirkungs-Modells spricht KONRAD nicht einfach nur davon, was T HOMAS sage, sondern davon, was er und seine Nachfolger, sui sequaces, meinten – in KONRADS Augen geht es nicht einfach um das Mitwirkungs-Modell, das auch schon T HOMAS vertreten hat, sondern um T HO MAS’ Meinung, die ganz offensichtlich Schule gemacht hat.149 Dass KONRAD die beiden Scholastiker als Autorit¨aten behandelt, zeigt sich schließlich auch darin, dass er nicht mehr so einfach bereit ist, einen der beiden zu verwerfen. Sobald es darum geht, nach S COTUS’ Einw¨anden gegen das Mitwirkungs-Modell nun dessen eigene Position zu pr¨asentieren, erg¨anzt KON RAD den Text der Quaestiones communes um folgende Erkl¨arung: Aus diesen Gr¨unden und anderen mehr h¨alt S COTUS am Gegenteil fest. Und obgleich diese Begr¨undungen von S COTUS und von anderen gel¨ost werden k¨onnen (oder ihnen vielmehr in einleuchtender Weise ausgewichen werden kann), erscheint S COTUS’ Meinung doch viel wahrscheinlicher. Daher hat auch B ONAVENTURA gesagt, dass W IL HELM , der Bischof von Paris, beim Unterricht in der Franziskanerschule im Angesicht von A LEXANDER die Redeweise gutgeheißen habe, wonach keine solche Kraft im Sakrament anzunehmen sei.150 148 ¨ Klosterneuburg 315, fol. 6r, mit Ubernahmen aus Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 291, ed. Vaticana (2008), S. 101f. und ebd., n 294 und 300, S. 103f. und 106f. 149 Klosterneuburg 315, fol. 5r: Quantum ad secundum articulum in quo respondendum est ad quaesitum sciendum est quod sanctus Thomas dicit et sui sequaces quod ex sacramentis... Vgl. die Quaestiones communes, Clm 8455, fol. 6ra: Ad illud dubium sanctus Thomas dicit quod ex sacramentis... (dazu oben, S. 305). 150 Propter illa motiva et alia plura Scotus tenet oppositum. Et quamvis illa motiva Scoti sicut et aliorum solvi possint seu potius apparenter evadi, tamen oppinio Scoti apparet mul-
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Auch wenn es sich KONRAD erspart aufzuzeigen, wie denn genau S COTUS’ Einw¨ande gegen die Mitwirkungs-Variante umgangen werden k¨onnen, favorisierte er S COTUS’ Pakt-Variante bloß noch wegen deren gr¨oßerer Wahrscheinlichkeit – eine Wahrscheinlichkeit, die weniger auf plausiblen Argumenten, als vielmehr auf deren Approbation durch Gr¨oßen wie B ONAVENTURA, W IL HELM VON AUVERGNE und A LEXANDER VON H ALES gr¨ undet. Entsprechend zur¨uckhaltend bleibt KONRAD denn auch am Ende seiner Darstellung. Noch einmal greift er selbst in den Text ein und erkl¨art als Abschluss der Darstellung von S COTUS’ Pakt-Modell: Aus dem Gesagten wird eine Antwort auf [jene] Begr¨undungen des heiligen T HOMAS und der anderen, die in den Sakramenten eine geistige Kraft annehmen, leicht ersichtlich, von denen gesagt worden ist, inwiefern sie nicht greifen. Wer dennoch die Meinung des heiligen T HOMAS unterst¨utzt haben m¨ochte, l¨ose die Einw¨ande, die zu einem großen Teil angef¨uhrt worden sind, soweit es ihm hilfreich zu sein scheint. So viel zum zweiten Artikel.151
Eine Pr¨aferenz f¨ur S COTUS’ Meinung zeigt sich bei KONRAD ebenso wie schon in seiner unmittelbaren textlichen Vorlage, den Quaestiones communes. Dennoch scheint es ihm offensichtlich plausibel zu sein, dass jemand das Gegenmodell vertreten will, und er zeigt auch gleich, wie ein allf¨alliger Vertreter der Mitwirkungs-Variante vorzugehen h¨atte. Obschon KONRAD vom Text der Quaestiones communes abh¨angig ist, gelangt er zu einer wesentlich gem¨aßigteren Darstellung als seine Textvorlage. Was heißt das nun f¨ur die Autor-Frage von Klosterneuburg 315? Best¨atigt dies KONRADS Autorschaft? Grunds¨atzlich muss betont werden, dass die hier vorgefundenen Modifikationen nur mit Vorbehalten dem Verfasser des in der Handschrift Klosterneuburg 315 vorliegenden Texts zugewiesen werden k¨onnen, egal um wen es sich dabei handelt. Wenn das Vorgehen, von dem diese Handschrift zeugt, im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts an der Universit¨at Wien verbreitet gewesen ist, so ist es gut m¨oglich, dass zwischen D IN ¨ KELSB UHLS Quaestiones communes und dem vorliegenden Text noch andere Kommentare gestanden haben, die einige der hier festgestellten Modifikationen bereits vorgenommen haben. In diese Richtung weisen etwa die f¨unf zus¨atzlichen Gegenargumente gegen die ersten beiden Conclusiones, von detum verisimilior. Unde et Bonaventura dicit quodi dominus Wilhelmus parisiensis episcopus in determinando in scolis fratrum minorum coram fratrem Alexandro approbavit modum dicendi quod non esset talis virtus ponenda in sacramento (Klosterneuburg 315, fol. 6v). Zum B ONAVENTURA-Zitat s.o., S. 148. 151 Ex his dictis patet faciliter responsio ad motiva sancti Thomae et aliorum ponentium in sacramentis virtutem spiritualem de qua dictum est quomodo scilicet non concludunt. Qui tamen voluerit opinionem sancti Thomae sustinere solvat motiva ad maiorem partem adducta prout sibi videbitur expedire. Et haec de secundo articulo (Klosterneuburg 315, fol. 7v).
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
335
nen sich drei in der vorliegenden Zusammenstellung auch bereits in A RNOLDS Kommentar finden. In diese Richtung weisen auch die beiden eingangs erw¨ahnten Handschriften Klosterneuburg 301 und 302, die beide in der vorliegenden Quaestio weitgehend dieselbe Textgestalt bieten, im weiteren Verlauf von Buch IV aber durch die Aufnahme zus¨atzlicher Quaestionen vom vorliegenden Kommentar abweichen.152 Klosterneuburg 315 bietet damit eine bestimmte in einer ganzen Serie von Ausarbeitungsstufen der Quaestiones communes, und angesichts der Abh¨angigkeit nicht nur von den Quaestiones communes, sondern auch von A RNOLD VON S EEHUSEN, ist es durchaus plausibel, dass KONRAD VON ROTHENBURG f¨ ur die vorliegende Ausarbeitungsstufe verantwortlich gewesen ist.153 Eine Frage ist damit aber noch nicht aus dem Weg ger¨aumt – die Frage ¨ n¨amlich, ob diese weitestgehenden Anlehnungen an D INKELSB UHLS fr¨uheste Sentenzenlesung nicht doch davon zeugten, dass dieser selbst der Autor des in der vorliegenden Handschrift vertretenen Texts sei, der seinen eigenen, ersten Kommentar u¨ berarbeitet habe und in der Wirksamkeitsfrage zu einer offeneren, gem¨aßigteren Haltung gekommen sei. Beinhaltet die Handschrift Klosterneu¨ burg 315 nicht doch einen Text von D INKELSB UHL selbst? Kl¨aren l¨asst sich die Frage mit einem eingehenderen Blick auf die Quaestiones magistrales, je¨ ner sp¨ateren Sentenzenlesung, die ebenfalls N IKOLAUS VON D INKELSB UHL zugeschrieben worden ist. 17.2.3 Die sogenannten Quaestiones magistrales ¨ M ADRE geht in seiner Studie zu N IKOLAUS VON D INKELSB UHL davon aus, dass von den Quaestiones magistrales, die zwischen 1409 und 1413 verfasst worden seien, zwei Versionen, eine Reportatio A und eine Reportatio B existierten.154 F¨ur Buch IV hat er das Verh¨altnis dieser beiden Reportationes zueinander allerdings nicht genauer erforscht; die beiden Abschriften seien sich so a¨ hnlich und st¨unden zudem dem vierten Buch der Quaestiones communes so nahe, dass er darauf verzichtet hat, eine eigene Quaestionenliste von Buch IV dieser sp¨ateren Sentenzenlesung zu publizieren.155 Auf eine augenf¨allige Differenz weist er allerdings hin: W¨ahrend die sogenannte Reportatio B zu Buch IV dasselbe Incipit aufweise wie die Quaestiones communes, finde sich in der sogenannten Reportatio A eine neue (und dennoch altbekannte) Quaestio – wortw¨ortlich n¨amlich jene erste Quaestio, welche JAKOB VON E LTVILLE sei-
152
S.o., Anm. 136. Siehe dazu noch einmal unten, S. 339. 154 M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 79–97. Zur Reportatio A vgl. RS 565, f¨ur die Reportatio B RS 567. 155 Dazu demn¨achst C ALMA/S CHABEL: Nicholas of Dinkelsb¨uhl (erscheint 2014). 153
336
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
nem Kommentar zu Buch IV vorangestellt hat.156 Mit ebendieser Quaestio ist ja nun auch Klosterneuburg 315 eingestiegen, wo jene Version der Quaestiones communes u¨ berarbeitet worden ist, von der auch die sogennante Reportatio B noch st¨arker abzuh¨angen scheint. Weil nun im vorliegenden Kontext vor allem die Weiterentwicklungen des Wiener ‘Gruppenkommentars’ interessieren, soll hier das Augenmerk der sogenannten Reportatio A mit ihrer sp¨ateren Text¨ gestalt gelten, wie sie insbesondere in Wien, ONB 4820 enthalten ist.157 Erst wenn der hier interessierende Ausschnitt inhaltlich untersucht ist, sei in einem abschliessenden Fazit dann auch die Autorfrage aufgegriffen. Zwischen der ersten Quaestio dieser Reportatio A und der Handschrift Klosterneuburg 315 zeigen sich nun tats¨achlich grosse Parallelen. Nicht nur Fragestellung und Argumenta sind praktisch identisch, sondern auch Aufbau und Strukturierung des behandelten Materials stimmen weitgehend u¨ berein. Inso¨ fern scheint es nebens¨achlich zu sein, dass Wien, ONB 4820 am Ende dieser ersten Quaestio, wo sich ja bereits KONRAD an JAKOB VON E LTVILLE angelehnt hat, ein etwas anderes Explizit aufweist als Klosterneuburg 315: ¨ ONB 4820 IV d 1, q 1, dub 3158
Klosterneuburg 315 IV d 1, q 1, dub 3159
JAKOB, In sententias IV q 1, a 4, qc 9160
Matrimonium excedit ratione significationis, quia significat quaedam maxima, scilicet unionem Christi et ecclesiae, unionem naturae divinae et naturae humanae. Rationes a principio quaestionis factae transeunt secundum dicta. Et tantum de quaestione.
Matrimonium excedit ratione significationis, quia significat quaedam maxima, scilicet unionem Christi et ecclesiae, naturae divinae et humanae naturae. Manet in effectum baptismus, corpus in esse, coniugium signo, maiori chrisma ministro. Et sufficiant de illa quaestione.
Matrimonium excedit ratione significationis, quia significat quaedam maxima, scilicet unionem Christi et ecclesiae, naturae divinae et humanae. Undey versus: maiorz in effectum baptismus, corpus in esse, coniugium signo, maiori chrisma ministro. Et a hoc sufficit dea tota quaestioneb .
156
So bereits M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 92, der allerdings noch H EIN als Vorlage nennt. Die Quaestio lautet hier utrum novae legis sacramenta causativa gratiae habeant aliquam spiritualem virtutem ipsis formaliter inhaerentem qua in animam [sic!] ¨ possint agere. Wien, ONB 4820, fol. 146r. Wie in Klosterneuburg 315 unterscheidet sie sich daher von JAKOBS Quaestio durch die Stellung des habeant (s.o., S. 329). 157 Zur Handschrift vgl. M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 79f. 158 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 153r. 159 Klosterneuburg 315, fol. 10v. 160 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 204va = Clm 11591, fol. 327ra. RICH
y b
om Clm 11591 z manet Br¨ugge, StB 181 | maius Clm 11591 quaestio Clm 11591
a
sic patet Clm 11591
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
337
¨ KONRADS Text folgt fast w¨ortlich der Vorlage, w¨ahrend ONB 4820 den Merkvers dazu, worin sich die einzelnen Sakramente auszeichneten, ausl¨asst161 und stattdessen kurz auf die einleitenden Argumenta verweist. Mag dies auch eine Nuance sein, so erh¨alt sie zus¨atzliches Gewicht, sobald die Textgestalt der beiden Quaestiones genauer verglichen wird. Zwar findet sich der Text aus Klo¨ sterneuburg 315 fast durchgehend in ONB 4820 wieder, doch enth¨alt die Wiener Handschrift eine Reihe von Zus¨atzen, die in Klosterneuburg 315 noch nicht vorhanden sind (vgl. Schema 7, S. 338). Wie bereits bei den Erweiterungen, die in Klosterneuburg 315 gegen¨uber den Quaestiones communes angebracht worden sind (s.o., Schema 6, S. 330), finden sich auch die vorliegenden Erg¨anzungen mehrheitlich in Form von zus¨atzlichen Correlaria, so dass erneut keine neuen Thesen geboten, sondern bestehende Thesen weiterdiskutiert werden. Au¨ genf¨allig sind zudem die Uberarbeitungen im Bereich des zweiten Artikels, wo nun auch T HOMAS’ Meinung parallel zu S COTUS’ Position in der Form von Conclusiones und Correlaria dargestellt wird. In diesem zweiten Artikel findet ¨ sich auch die einzige gr¨oßere Auslassung von ONB 4820 gegen¨uber dem Text aus Klosterneuburg 315 – interessanterweise handelt es sich um genau jene Abschnitte aus S COTUS’ Ordinatio, welche in Klosterneuburg 315 als Erg¨anzung zum Text der Quaestiones communes neu hinzugekommen sind.162 Grunds¨atzlich wird damit deutlich, dass Klosterneuburg 315 in der vorliegenden Quaestio eine Zwischenstufe zwischen dem Text der Quaestiones com¨ munes und jenem von ONB 4820 darstellt. Dass Klosterneuburg 315 in den erw¨ahnten Abschnitten, zum Teil aber auch in kleineren Formulierungen Eigenheiten sowohl gegen¨uber den Quaestiones communes, als auch gegen¨uber ¨ ONB 4820 aufweist, kann nun nat¨urlich ein Hinweis darauf sein, dass zwischen den Quaestiones communes und der Textgestalt von Klosterneuburg 315 noch eine weitere Zwischenstufe existiert hat, welche f¨ur Klosterneuburg 315 einer¨ seits, und f¨ur ONB 4820 andererseits als Vorlage gedient hat. In der Komple¨ xit¨at der vorliegenden Uberlieferungssituation kann es aber ebenso gut sein, dass gewisse Modifikationen, die von einem Autor an den Quaestiones communes vorgenommen worden sind, von einem anderen wieder r¨uckg¨angig gemacht worden sind und sich unterschiedliche Bearbeitungsstufen gegenseitig kontaminiert haben.163 Wie dem auch immer sei, d¨urften bereits diese struktu161
Zum Vers vgl. WALTHER , H ANS: Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris Latinorum. Alphabetisches Verzeichnis der Versanf¨ange mittellateinischer Dichtungen, G¨ottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1969 (Carmina medii aevi posterioris Latina 1), S. 541, Nr. 10625. Zum Kontext vgl. auch H UGO VON S T. C HER: Postilla tom. VII, ad 1. Kor 11,25, ed. Venedig 1703, fol. 104va. 162 S.o., S. 333, Anm. 148. 163 ¨ Dies gilt umso mehr, als der Autor von ONB 4820 die in Klosterneuburg 315 aus S CO TUS ’ Ordinatio zus¨atzlich aufgenommenen Abschnitte nicht vollst¨andig ausl¨asst, sondern deren letztes St¨uck u¨ bernimmt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er unabh¨angig vom in Klosterneuburg
338
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts ¨ ONB 4820 In sent. IV, d 1, q 1
I II III IV
V
Quaestio Argumenta quod non In oppositum Divisio quaestionis Primus articulus 1. Notanda 1–2 Tertium notandum Correlarium Quartum notandum 2. Prima conclusio Correlaria 1–2 Correlaria 3–6 Secunda conclusio Correlaria 1–3 3. Obiectiones 1–5 4. Responsiones ad 1–5 Secundus articulus 1. Opinio Thomae Notandum Prima conclusio Correlarium Secunda conclusio 2. Contra opinionem Thomae
3. Opinio Scoti Prima conclusio Correlaria 1–4 Secunda conclusio Correlarium 4. Ad argumenta Thomae 5. Opinio Henrici de Oyta VI Tertius articulus 1. Notandum 2. Conclusiones 1–2 3. Correlaria 1–2 4. Obiectiones 1–3 5. Responsiones ad 1–3 VII Dubia 1–3
Klosterneuburg 315 In sent. IV, d 1, q 1 146r
I II III IV
146r
Quartum notandum 2. Prima conclusio Correlaria 1–2
146v
147v 148r 148v V 148v
149v
Secunda conclusio Correlaria 1–3 3. Obiectiones 1–5 4. Responsiones ad 1–5 Secundus articulus 1. Opinio Thomae
2. Contra opinionem Thomae Alia argumenta 3. Opinio Scoti Prima conclusio Correlaria 1–4 Secunda conclusio Correlarium 4. Ad argumenta Thomae
149v
150v 150v 151r
Quaestio Argumenta quod non In oppositum Divisio quaestionis Primus articulus 1. Notanda 1–2 Tertium notandum
VI
Tertius articulus 1. Conclusiones 1–2
152r
2. Obiectiones 1–3 3. Responsiones ad 1–3 VII Dubia 1–3
¨ Schema 7: Vergleich von In Sent. IV, d 1, q 1, gem¨ass ONB 4820 und Klosterneuburg 315
rellen Unterschiede – auf einige inhaltliche wird gleich noch einzugehen sein – ¨ zur Annahme berechtigen, N IKOLAUS VON D INKELSB UHL k¨onne in der vor315 vertretenen Text an der exakt gleichen Stelle den identischen Text aus S COTUS’ Ordinatio eingef¨ugt hat, ist wesentlich geringer als die Annahme, dass er jene Ausarbeitung gekannt und zusammengek¨urzt hat.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
339
liegenden Quaestio nicht der Autor sowohl von Klosterneuburg 315 als auch ¨ von ONB 4820 gewesen sein. Weil nun Klosterneuburg 315 explizit als Sentenzenlesung KONRADS VON ROTHENBURG ausgewiesen worden ist und weil KONRAD tats¨achlich zwischen der Abfassungszeit der Quaestiones communes ¨ und jener von ONB 4820 u¨ ber die Sentenzen gelesen hat, best¨atigt sich aus Sicht dieser einleitenden Quaestio zu Buch IV daher erneut, dass eine Zuordnung von Klosterneuburg 315 zu KONRAD VON ROTHENBURG durchaus plau¨ , wenn sibel ist.164 Umgekehrt liesse sich auch vermuten, dass D INKELSB UHL er denn tats¨achlich Autor sowohl der Quaestiones communes als auch des in ¨ ¨ ONB 4820 gebotenen Kommentars gewesen sein soll, einige der Anderungen, die dem Text inzwischen hinzugef¨ugt worden sind, wieder r¨uckg¨angig gemacht ¨ habe. Um eine solche Hypothese zu evaluieren, m¨ussen diese Anderungen aber inhaltlich genauer ausgeleuchtet werden. ¨ Was daher in ONB 4820 die Erg¨anzungen im ersten und im dritten Artikel betrifft, so stammen diese erneut insbesondere aus S COTUS’ Ordinatio;165 zumindest das neue dritte Correlarium zur ersten Conclusio des ersten Artikels d¨urfte zudem eine gek¨urzte und leicht u¨ berarbeitete Fassung der ersten Conclusio zu Buch IV, Quaestio 1, aus dem Kommentar A RNOLDS VON S EEHUSEN ¨ sein.166 ONB 4820 f¨uhrt damit weiter, was seit den Quaestiones communes auch bei A RNOLD VON S EEHUSEN und KONRAD VON ROTHENBURG zu beobachten ist: Den Grundstock dieser Kommentare bilden bereits erarbeitete Kommentare aus dem direkten Umfeld der jeweiligen Autoren; die Modifikationen konzentrieren sich weitgehend auf eine ausf¨uhrlichere Er¨orterung bestehender Thesen; wichtigste a¨ ltere Quelle f¨ur diese Erg¨anzungen ist – wenn denn der Kommentar JAKOBS VON E LTVILLE durch die Vermittlung des H EINRICH VON L ANGENSTEIN zu den Kommentaren aus dem unmittelbaren Umfeld gez¨ahlt wird – S COTUS’ Ordinatio. 164 Nat¨urlich m¨ussten eingehendere Studien der ganzen Handschriften vorgelegt werden, um die Autor-Frage weiter zu kl¨aren. Aus dem bisher gesagten d¨urfte aber deutlich geworden sein, dass es im Umfeld dieser Wiener Kommentare nicht gen¨ugt, bloß Fragestellungen sowie Incipit und Explicit einer Quaestio zu vergleichen. Im vorliegenden Fall von Klosterneuburg ¨ 315 sind diese nicht nur sehr nahe bei ONB 4820, sondern auch identisch mit der ersten Quaestio zu Buch IV aus dem Kommentar von JAKOB VON E LTVILLE! 165 Das Correlarium zum dritten Notandum geht zur¨uck auf Ordinatio IV d 1, p 2, q 2, n 239–242, ed. Vaticana (2008), S. 82f.; das einleitende Notandum des dritten Artikels auf ebd., IV d 2, q 1, n 31, S. 151 (vgl. dazu oben, S. 323); dessen erstes Correlarium schließlich auf ebd., IV d 2, q 1, n 37, S. 153f. 166 ¨ In ONB 4820 lautet das Correlarium: quamvis sacramentorum institutione nunquam fuerit absolute necessaria vel debita, tamen post peccatum fuit multipliciter utilis et congrua ¨ (Wien, ONB 4820, fol. 147r). Bei A RNOLD lautet die Conclusio: quamvis absolute loquendo institutionibus sacramentorum non possit assignari aliqua causa necessaria, probari tamen potest quod ipsa institutio fuit utilis et congrua (Bamberg, Theol. 76, fol. 122va = Clm 3548, fol. 4rb).
340
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
Im zweiten Artikel dieser einleitenden Quaestio zu Buch IV greift der Autor ¨ von ONB 4820 nun aber st¨arker in den Text ein. Die urspr¨ungliche Textgestalt der Quaestiones communes, wie sie mit einigen Umstellungen auch noch in Klosterneuburg 315 erscheinen, dringt zwar weiterhin durch, doch begegnen sowohl strukturell als auch inhaltlich einige Neuerungen. Drei Punkte seien hier herausgegriffen: Erstens ist bereits erw¨ahnt worden, dass der Abschnitt zu T HOMAS’ Position strukturell der Darstellung von S COTUS’ Position angepasst worden ist, so dass eine Gliederung zur Anwendung kommt, die urspr¨unglich auf die Pariser Quaestiones des H EINRICH VON OYTA, der eigentlichen Vorlage der Darstellung von S COTUS’ Position, zur¨uckgeht.167 Entsprechend erh¨alt nun auch T HOMAS zwei Conclusiones in den Mund gelegt, eine zur instrumentalen Urs¨achlichkeit der Sakramente und eine zweite zur geistigen Kraft in ihnen.168 Auf beide Conclusiones folgt eine eingehende Beweisf¨uhrung; die erste Conclusio wird zudem mit einem Correlarium versehen.169 In dieser neuen Struktur, die dem Aufbau gew¨ohnlicher Quaestiones dieser Wiener Kommentare wesentlich n¨aher kommt als die bisherige bloße Auflistung von Behauptungen zum Mitwirkungs-Modell, erscheint T HOMAS’ Position nun wesentlich stringenter und u¨ berzeugender als noch in Klosterneuburg 315 – es d¨urfte dieser Umbau daher durchaus als W¨urdigung dieser Position zu verstehen sein. Dieser Umbau kommt nun zweitens nicht ohne textliche Modifikationen und ¨ Erg¨anzungen aus. Dabei zeigt sich, dass in ONB 4820 nicht mehr mittels H EIN RICHS VON OYTA auf T HOMAS zur¨ uckgegriffen wird, sondern dieser direkt konsultiert und der Text entsprechend angepasst wird: ¨ ONB 4820170 Quandoque actio instrumenti pertingit usque ad ultimam perfectionem quam inducit agens princi167
H EINRICH, Lectura171 N IKOLAUS, QQ com.172 KONRAD, K’burg 315173 Agens instrumentale quandoque pertingit ad ultimam perfectionem quam agens principale inducit, sicut
T HOMAS, Scriptum174 Actio instrumenti quandoque pertingit ad ultimam perfectionem, quam principale agens inducit,
S.o., S. 253. Die erste Conclusio lautete: Tunc est conclusio beati Thomae prima: sacramenta novae legis sunt causae effectivae non principaliter, sed instrumentaliter et intrinsece dispositivae gratiae creatae; die zweite: secunda conclusio sancti Thomae est quod in sacramentis dum instrumentaliter ut sic efficiunt, est ponenda virtus spiritualis eis divinitus infusa (beides Wien, ¨ ONB 4820, fol. 149r) 169 Ebd.: sicut sacramentum corporale producit in animam humanam effectum spiritualem, sic ipsa anima est in potentia saltem oboedientiali ad eundem. 170 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 149r. 171 ¨ Wien, ONB 4004 IV d 1, q 3, fol. 8v. 172 Clm 8455 IV d 1, q 1, fol. 6rb. 173 Klosterneuburg 315 IV d 1, a 2, fol. 5r. 174 In sententias IV d 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 32. 168
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
pale,
quandoque autem non;
sed tamen pertingit ad aliquid ultra id quod sibi competit secundum naturam suam, sive hoc sit ultima forma, sive dispositio praevia. Alias enim non ageret ut instrumentum. Sicut qualitates elementares pertingunt instrumentaliter ad formas materiales eas de materia educendo, non autem ad productionem animae humanae quae est ab extrinseco.
qualitates elementorum instrumentaliter pertingunt ad formas de materia educendas. Quandoque autem instrumentum non pertingit ad talem formam ultimam, sicut in productione hominis. Patet ubi anima creatur. Pertingit tamen ad aliquid ultra id quod sibi competit secundum suam naturam, scilicet ad aliquam formam vel dispositionem ad quam non attingit ex sua natura, sed ut instrumentum.
341
aliquando autem non;
semper tamen pertingit ad aliquid ultra id quod competit sibi secundum suam naturam, sive illud sit ultima forma, sive dispositio, alias non ageret ut instrumentum: sic qualitates activae et passivae elementorum pertingunt instrumentaliter ad formas materiales educendas de materia, non autem ad productionem animae humanae, quae est ab extrinseco.
Ist das Material bisher einfach u¨ bernommen und reproduziert worden, so zeigt ¨ ONB 4820 ein Bem¨uhen, dem urspr¨unglichen Wortlaut von T HOMAS’ Kommentar gerecht zu werden – auch dies d¨urfte als ein Zeichen des Respekts T HO MAS VON AQUIN gegen¨ uber zu werten sein. ¨ Interessanterweise hat dieser direkte R¨uckgriff auf T HOMAS in ONB 4820 nicht nur einige textliche Korrekturen zur Folge: Ist schon bei KONRAD nicht mehr nur von T HOMAS, sondern von ihm et sui sequaces die Rede (eine For¨ mulierung, die ONB 4820 u¨ bernimmt),175 so wird hier nun auch auf Unterschiede zwischen T HOMAS und seinen Nachfolgern hingewiesen: Schon in der Beweisf¨uhrung zur ersten Conclusio folgt auf das Referat von T HOMAS’ Begr¨undung der Hinweis, dass alios dieselbe Conclusio damit begr¨undeten, einer Medizin komme eine heilende Aktivit¨at zu, die Sakramente aber seien Medizin der Seele. Ganz offensichtlich stehen hier JAKOB VON E LTVILLE und wohl auch A RNOLD VON S EEHUSEN im Hintergrund, die beide dem MedizinBegriff eine entscheidende Rolle f¨ur das Sakramenten-Verst¨andnis zugesprochen haben.176 Noch deutlicher wird dies im Correlarium, das die erste Conclusio erg¨anzt: Das Correlarium folgert, es komme der Seele eine potestas ob175 ¨ Sciendum est quod sanctus Thomas dicit et sui sequaces: Wien, ONB 4820, fol. 148v; s.o., Anm. 149, S. 333. 176 F¨ur JAKOB VON E LTVILLE s.o., S. 236, f¨ur A RNOLD VON S EEHUSEN S. 321.
342
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
oedientialis zur Verursachung eines geistigen Effekts zu, was exakt einer These JAKOBS VON E LTVILLE entspricht.177 Wortw¨ortlich wird dessen Kommentar erst gegen Ende des Correlariums zitiert178 – es ist aber denkbar, dass das Correlarium im nicht erhaltenen Teil der Wirksamkeits-Quaestio von A RNOLD VON S EEHUSEN ausgearbeitet und hier von ihm u ¨ bernommen worden ist. ¨ In der zweiten Conlusio begn¨ugt sich der Autor von ONB 4820 nicht mehr damit, bloß als Erg¨anzung jene alii anzuf¨uhren, die auch noch das MitwirkungsModell vertreten haben, vielmehr weist er nun offen auf Widerspr¨uche zwischen T HOMAS und seinen sequaces hin: Diese w¨urden n¨amlich im Gefolge von H UGO VON S T. V IKTOR behaupten, die Sakramente enthielten die Gnade in der jeweiligen priesterlichen Spendung ex sanctificatione, w¨ahrend den Sakramenten laut T HOMAS jene geistige Kraft schon seit ihrer Einsetzung inchoative zugekommen sei.179 Zudem habe T HOMAS gesagt, diese Kraft sei gleichermaßen in allen Bestandteilen eines Sakraments, w¨ahrend jene nun behaupteten, sie sei in den unterschiedlichen Bestandteilen je eine verschiedene.180 Tats¨achlich finden sich sowohl die zwei Thesen von T HOMAS in dessen Sentenzenkommentar181 wie auch die Gegenthesen im Kommentar JAKOBS VON E LTVILLE.182 Durch die erneute Lekt¨ure von T HOMAS’ Kommentar scheint 177 Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 201vb–202ra = Clm 11591, fol. 323va: cum quaeritur ‘an [dispositio per sacramentum inducitur] de potentia naturali vel oboedientiali’, dico quod de potentia oboedientiali quae tamen est | duplex: quaedam est sola potentia susceptionis, quaedam potentia eductionis. Modo anima non habet nisi potentiam oboedientialem primomodo respectu gratiae [om Clm 11591] et similiter corpus respectu animae rationalis, et ideo non possunt talia nisi immediate [om Br¨ugge, BV 181] Deo [causari Clm 11591]. [Et Br¨ugge, BV 181] anima habet potestatem oboedientialem secundomodo respectu talis ornatus, et ideo potest bene per causam secundam in virtute Dei agentem produci. 178 Sed dices tunc etiam gratia posset educi de potentia animae, cum anima sit ad eam in potentia oboedientiali. Respondetur quod duplex est potentia oboedientialis: quaedam solum susceptionis, et quaedam eductionis. Modo anima habet potestatem oboedientialem primo modo respectu gratiae. Similiter corpus respectu animae rationali. Et ideo non possunt talia nisi immediate a Deo creari. Sed anima habet potestatem oboedientialem secundomodo respectu ¨ talis ornatus, et ideo potest bene a causa secunda agente in virtute Dei produci (Wien, ONB 4820, fol. 149r). 179 Ebd. fol. 149v: unde imaginatur heac oppinio quod dum sacramenta sunt in actuali exercitio, tunc derivatur eis quaedam virtus non naturae permanentis, sed successivae, quae totiens reponitur in esse et cadit ab esse quotiens sacramentum ad usum applicatur. Et ergo dicit Hugo quod sacramenta continent gratiam ex sanctificatione, et sic intelligunt alii, licet sanctus Thomas dicat quod illa virtus datur inchoative dum instituitur sacramentum, sed completive dum ad usum applicatur, sicut serrae dispositio serrandi imprimitur dum carpentarius ea utitur. 180 Ebd.: Et licet dicat sanctus Thomas quod illa virtus simul sit in omnibus quae integrant sacramentum ut sunt res et verba et minister, tamen alii dicunt quod non est in omnibus illis una simpliciter, sed in aliis et aliis alia et alia quia idem actionis non est in differentis subiectis. 181 Vgl. In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, ad 2, ed. Moos (1947), S. 35, und ad 5, S. 36. 182 So in den Correlaria zur dritten Conclusio, Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 203rb = Clm 11591, fol. 325rb: Secundo infero quod virtus spiritualis collata a Deo sacramentis non praee-
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
343
¨ dem Autor von ONB 4820 ganz offensichtlich bewusst geworden zu sein, wie sehr dessen Lehre im Verlaufe der Zeit modifiziert worden ist. Weiteres Kapital schl¨agt er aus diesen Uneinigkeiten unter den Vertretern der MitwirkungsVariante allerdings nicht, so dass offen bleibt, ob er mit diesen Verweisen das Modell selbst schw¨achen will, oder ob es ihm nicht vielmehr darum geht, bei aller Sympathie f¨ur die Pakt-Variante T HOMAS’ Ausf¨uhrungen von sp¨ateren Ver¨anderungen abzugrenzen und rein zu halten. ¨ In ONB 4820 wird aber nicht nur die urspr¨ungliche Darstellung von T HO MAS’ Meinung erg¨anzt, sondern es werden im Vergleich zu Klosterneuburg 315 auch die Ausf¨uhrungen zu S COTUS’ Pakt-Modell modifiziert. Die erste, urspr¨unglich aus den Pariser Quaestiones des H EINRICH VON OYTA u¨ bernomme¨ ne Conclusio dieses Modells erweitert ONB 4820 zu einem Analogie-Schluss: ¨ ONB 4820 IV d 1, a 2183 Sicut sacramenta novae legis non concurrunt effective ad gratiam, sic nec ministri sacramentorum cooperantur Deo productive in effectibus eorundem.
H EINRICH, Quaestiones q 13, a 1184 D INKELSB ., Qq comm. IV d 1, q 1, d 3185 Klosterneuburg 315 IV d 1, a 2186 Ministri sacramentorum non cooperantur Deo productive in effectibus qui sunt res eorundem.
¨ Mit dieser Erg¨anzung vergr¨ossert ONB 4820 den Fokus der urpsr¨unglichen Conclusio, die gem¨aß der Intention von H EINRICHS Quaestio vor allem am Verm¨ogen der ausf¨uhrenden Priester interessiert gewesen ist,187 und bezieht nun das Verm¨ogen der Sakramente, das eigentliche Thema also der vorliegenden Quaestio, in die Conclusio mit ein. Entsprechend ben¨otigt dieser erste Teil der Conclusio nun aber eine eigene, zus¨atzliche Begr¨undung, die mit einem traditionellen Verweis auf den Sermo de coena domini des B ERNHARD VON C LAIRVAUX und Ausf¨uhrungen zum Exempel des Blei-Denars auch gleich geliefert wird. Das B ERNHARD-Zitat findet sich nun ja tats¨achlich sowohl in xistit usui sacramenti et applicationi per [ministerium Clm 11591]. Sed totiens [ponitur Clm 11951] ad esse et cadit [ab Clm 11591] esse quotiens sacramentum applicatur ad usum. [Atque Clm 11591] ex declaratione conclusionis quia virtus illa non [om Clm 11591] firma aut permanens. Tertio infero quod in illis quae concurrunt ad [om Clm 11591] sacramentum [add integrandum Clm 11591] non [tantum Clm 11591] semper est una et eadem virtus, sed alia et alia diversarum rationum. 183 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 149v–150r. 184 Prag, Nat. V.B.23, fol. 266ra = Clm 8867, fol. 259ra. 185 Clm 8455, fol. 6va; vgl. oben, S. 306. 186 Klosterneuburg 315, fol. 6v. 187 S.o., S. 253.
344
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
S COTUS’ Ordinatio als auch in den Reportationes Parisiensa – das Blei-DenarBeispiel hingegen greift S COTUS nicht auf.188 Eingef¨uhrt hat das Blei-DenarBeispiel aber bereits T HOMAS VON AQUIN in seinem Sentenzenkommentar – ¨ ONB 4820 ist daher allem Anschein nach auch an dieser Stelle nicht nur von S COTUS inspiriert: ¨ ONB 4820 IV d 1, a 2189
T HOM ., Scriptum IV d 1, q 1, a 4, qc 1190
Sicut in simili declaratur de illo qui recipit denarium plumbeum facta tali ordinatione ut quicumque receperit unum de illis denariis plumbeis habebit eleemosinam regis – non quod denarius sit causa eleemosinae, sed solus rex.
Et est simile de illo qui accipit denarium plumbeum facta tali ordinatione, ut qui habuerit unum de illis denariis, habeat centum libras a rege: qui quidem denarius non dat illas centum libras, sed solus rex accipienti ipsum.
Die Relecture von T HOMAS’ Sentenzenkommentar verhilft offensichtlich nicht nur zu einem klareren Blick auf die Urgestalt von T HOMAS’ MitwirkungsModell, sondern sie liefert auch neue Argumente f¨ur die Pakt-Variante! Die Erg¨anzungen und Modifikationen, die an diesem zweiten Artikel zur Wirksamkeits-Problematik begegnen, sind daher in grundlegender Weise von T HOMAS’ Sentenzenkommentar inspiriert – sei es, weil die Anlehnungen des JAKOB VON E LTVILLE und wohl auch des A RNOLD VON S EEHUSEN von T HOMAS her kritisiert werden, sei es, weil mit ihm das Pakt-Modell weiter begr¨undet wird. Eine neue Abh¨angigkeit von T HOMAS’ Kommentar zeigt sich drittens auch an einigen inhaltlichen Modifikationen, die am bestehenden Text und seiner Stoßrichtung vorgenommen werden. Wie schon die neue Begr¨undung f¨ur das Pakt-Modell zeigt, ist mit B ERNHARD VON C LAIRVAUX wieder eine auctoritas in der Diskussion – und auctoritates tauchen auch in der modifizierten Darstellung der Mitwirkungs-Variante wieder auf: zum einen die ber¨uhmte AUGU STIN -Passage zur Kraft im Taufwasser, zum anderen ein Zitat aus einer Homilie von B EDA V ENERABILIS.191 Beide auctoritates finden sich nicht nur bei T HO MAS, sondern sind auch von JAKOB VON E LTVILLE erw¨ahnt worden;192 im ¨ Gegensatz zu Letzterem entsteht in ONB 4820 mit dem Zitat B ERNHARDS VON C LAIRVAUX nun aber wieder ein Autorit¨atenkonflikt. Zwar werden auch hier diese auctoritates nicht eingehend diskutiert; jene f¨ur das Mitwirkungs-Modell 188
F¨ur das B ERNHARD-Zitat vgl. Ordinatio IV d 1, p 3, q 1, sc 1, n 266, ed. Vaticana (2008), ¨ S. 90; und Reportata Parisiensia IV d 1, q 3, sc 1, ed. Wadding XI 1639, S. 566b. ONB 4820 u¨ bernimmt das Zitat ganz eindeutig aus S COTUS’ Ordinatio, wie der Nachsatz constat autem quod illa sunt tantum signa et non causae verr¨at. Ein Anklang ans M¨unzen-Beispiel findet sich in der Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 334, ed. Vaticana (2008), S. 118, dazu oben, S. 185. 189 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 150r. 190 In sententias, ed. Moos (1947), S. 31. 191 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 149r–v. 192 S.o., S. 242.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
345
werden aber bezeichnenderweise mit den Worten eingef¨uhrt, dass hierf¨ur die auctoritates von AUGUSTIN und B EDA zu stehen schienen.193 Entsprechend fehlt gegen¨uber dem Text der Quaestiones communes T HOMAS’ Interpretation der AUGUSTIN-Stelle und findet sich bloß noch, wie S COTUS jenes Zitat verstanden hat. ¨ ONB 4820 IV d 1, a 2194 Ex hoc tunc patet intellectus illius quod dicit sanctus Augustinus super Johannem: tanta est virtus aquae baptismi ut corpus tangat et cor abluat. Hoc enim non est intelligendum de aliqua virtute supernaturali existente in aqua, et eodemmodo de aliis sacramentis.
Sed intelligendum est modo praedicto, scilicet dum aqua sic applicatur ut dominus instituit, virtus divina sacramentis assistens effectum operatur, sic quod aqua in baptismo est tamquam dispositio proxima et immediata ad gratiam eo modo quo dicitur quod meritum inducit beatitudinem. 193 194 195 196 197 c
H EINRICH, Quaestiones q 13, a 1195 D INKELSB ., Qq comm. IV d 1, q 1, d 3196 KONRAD, K’neuburg 315 IV d 1, a 2197 Ex hoc patet intellectus illius quod dicitc Augustinus super Johannem: tanta est virtus aquae ut corpus tangatd et cor abluat. Hoc enim e non est intelligendume de aliqua virtute supernaturali existente in aqua, et eodemmodo de | aliis sacramentis. Quae quidem virtus non est ens fixum ut f dicit sanctus Thomasf , eo quod non est forma habens completum esse in natura vel aliqua talis qualitas competens enti secundum exigentiam naturae vel formae suae agenti, sedg est sicuth ens incompletumi j competens alicuij ut est instrumentum motum ab alio. Et talia entia intentionesk solent nominari, ut dicit idem doctor. Sed ex praedictis patet quod non oportet talem virtutem in sacramentis poni. Sed intelligendum est dictum Augustini modo iam dicto in correlario scilicet dum aqua etc. sic applicatur ut dominus instituit, virtus divina sacramentis assistens effectum operaturl .
¨ Ad hoc videntur facere auctoritates Augustini et Bedae (Wien, ONB 4820, fol. 149r). ¨ Wien, ONB 4820, fol. 150v. Prag, Nat. V.B.23, fol. 267ra–b = Clm 8867, fol. 260ra. Clm 8455, fol. 6va. Klosterneuburg 315, fol. 7v.
add sanctus Clm 8455. d add aquae Prag, Univ. V.B.25. e intelligendum non est Clm 8455. f om sanctus Klosterneuburg 315; unus doctor dixerit H EINRICH VON OYTA, s.o., S. 259. g scilicet Prag, Univ. V.B.25. h om Clm 8455. i completum Clm 8455, Klosterneuburg 315. j om Prag, Univ. V.B.25. k intensiones Prag, Univ. V.B.25. l add etc. Clm 8867, Klosterneuburg 315.
346
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
¨ Damit wird deutlich, dass der Autor von ONB 4820 trotz seiner Begegnung mit den originalen Ausf¨uhrungen aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar ein klarer Verfechter von S COTUS’ Pakt-Modell bleibt. Das zeigt sich schließlich ¨ auch in seinem Umgang mit jenen Uberleitungen, in denen KONRAD einen vers¨ohnlichen Ton zwischen den beiden Modellen angeschlagen und auch dem Mitwirkungs-Modell eine gewisse Berechtigung zugesprochen hat. W¨ahrend KONRAD im Anschluss an seine Kritik an der Mitwirkungs-Variante schreibt, ¨ es k¨onnten diese Einw¨ande gel¨ost oder umgangen werden, ist in ONB 4820 nur 198 noch davon die Rede, dass sie sich umgehen ließen; KONRADS Abschluss des Artikels mit seinem Hinweis, wie man vorzugehen habe, wenn man dennoch T HOMAS’ Meinung vertreten wolle, f¨allt kurzerhand weg.199 Stattdessen wird in der Form eines nachgeschobenen Notandum angef¨ugt, dass quidam doctor die Problematik in Anlehnung an H UGO VON S T. V IKTOR zu l¨osen versucht habe.200 Offensichtlich wurde hier nicht nur T HOMAS’ Sentenzenkommentar neu gelesen, sondern auch die Prager Lectura des H EINRICH VON OYTA noch einmal studiert, der sich hinter dem anonymen doctor ver¨ birgt. Ausf¨uhrlich rezitiert ONB 4820 H EINRICHS Darstellung, die weitgehend aus Zitaten aus H UGOS De sacramentis besteht; doch folgt keine eigentliche ¨ Diskussion dieses Ansatzes. Vielmehr begn¨ugt sich der Autor von ONB 4820 zu best¨atigen, was auch die oben vorgenommene Analyse von H EINRICHS Text ergeben hat: Inhaltlich stimme dessen Antwort mit den Aussagen von S COTUS ¨ praktisch u¨ berein.201 S COTUS ist es denn auch laut ONB 4820, der die plausibelste L¨osung der Wirksamkeitsfrage bietet. Es ist daher auch aus inhaltlichen ¨ Gr¨unden wenig plausibel, von ein und demselben Autor f¨ur ONB 4820 und dem in Klosterneuburg 315 vertretenen Text auszugehen. 17.2.4 Fazit Das vorliegende Kapitel zu Wiener Kommentaren des ausgehenden 14. und fr¨uhen 15. Jahrhunderts hat einen Einblick gegeben in die Art und Weise, wie die spezifische Frage der sakramentalen Wirksamkeit angegangen und wie sie am Beginn des vierten Sentenzenbuches in den Kontext der allgemeinen Sa¨ kramentenlehre eingebettet worden ist. Obwohl die Uberlieferungs-Situation f¨ur Buch IV weniger gut ist als etwa f¨ur Kommentare zum ersten Buch, hat sich die These eines Gruppen-Kommentars insofern best¨atigen lassen, als in den erhaltenen Handschriften tats¨achlich nicht mehr nur a¨ ltere Kommentare, 198 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 149v: quamvis autem motiva Scoti et aliorum apparenter evadi possent, tamen oppinio Scoti apparet multum verisimilior; s.o., S. 333. 199 Ebd. fol. 150v. 200 Ebd.: est tamen notandum quod quidam doctor ex diffinitione sacramenti quam ponit Hugo... Vgl. ebd., fol. 151r: Ex his dictis elicit ille doctor secundo... 201 Ebd, fol. 151r: Illa responsio quasi concordat cum dictis Scoti.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
347
sondern auch Texte aus dem zeitgen¨ossischen Umfeld w¨ortlich u¨ bernommen und zur Grundlage der je eigenen Kommentare gemacht worden sind. Diese ¨ Ubernahmen lassen sich aber in einem sehr unterschiedlichen Ausmaß nachzeichnen: W¨ahrend A RNOLD VON S EEHUSEN in den erhaltenen Abschnitten ¨ zwar sehr wohl auch von D INKELSB UHLS Quaestiones communes abh¨angt, bietet er doch einen mehrheitlich eigenst¨andigen Umgang mit a¨ lteren Quellen und tritt auch in selbst formulierten Abschnitten in Erscheinung. So sehr hin¨ gegen bei KONRAD VON ROTHENBURG einige eigenst¨andigen Ubernahmen aus a¨ lteren Quellen zu belegen sind, lehnt er sich in der vorliegenden Frage ¨ doch fast durchgehend an D INKELSB UHLS Quaestiones communes an, deren Text er immerhin in einer massiv umgebauten Struktur pr¨asentiert. Es ist diese Struktur und Textgestalt, die sich auch in anderen Handschriften wie etwa Klosterneuburg 301 und 302 findet, und es ist schließlich diese Struktur, die in der ¨ Sentenzenlesung u¨ bernommen wird, wie sie in ONB 4820 erhalten ist. Trotz dieser textlichen Bez¨uge und Abh¨angigkeiten l¨asst sich daher zeigen, dass die einzelnen Textgestalten ihre je eigenen Auspr¨agungen besitzen. F¨ur den relativ unabh¨angigen, in der vorliegenden Frage allerdings nur fragmentarisch u¨ berlieferten Kommentar des A RNOLD VON S EEHUSEN ist anzunehmen, dass er im Gegensatz zu den anderen Wiener Kommentaren, die aus dieser Zeit erhalten sind, nicht die Pakt-Variante, sondern das Mitwirkungs-Modell vertreten hat.202 Die Textfassung von KONRADS Kommentar wiederum zeigt trotz einer klaren Favorisierung von S COTUS’ Pakt-Variante Verst¨andnis f¨ur die Ver¨ treter des Mitwirkungs-Modells. Der Autor von ONB 4820 allerdings bleibt wie jener des Dubium der Quaestiones communes ein klarer Verfechter der Paktund Gegner der Mitwirkungs-Variante. Auch wenn daher an der Wiener Univer¨ sit¨at des beginnenden 15. Jahrhunderts D INKELSB UHLS Quaestiones communes offensichtlicher Ausgangspunkt f¨ur jede weitere Besch¨aftigung wohl nicht nur mit der Wirksamkeitsproblematik, sondern generell mit P ETRUS ’ L OM BARDUS Sentenzen gewesen sind, zeigen diese Nuancen doch, dass sich unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen theologischen Ausrichtungen und Pr¨aferenzen mit der Sentenzentradition besch¨aftigt haben. Gerade weil diese Nuancen aber offensichtlich bloß an Details, an kleinen redaktionellen Eingriffen und allenfalls an zus¨atzlichen Obiectiones und Correlaria nachzuweisen sind, w¨ahrend ein Großteil der Textgestalt und insbesondere Fragestellungen, Incipits und Explicits der Quaestiones meist gleich bleiben, wird deutlich, dass nur ein detailliertes Studium der einzelnen Texte gr¨oßere Klarheit u¨ ber die intertextuellen Bez¨uge und die in Frage kommenden Autoren 202 Es stellt sich sogar die Frage, inwiefern das Fehlen ausgerechnet des Abschnitts zur Wirksamkeitsproblematik nicht mit dieser un¨ublichen Position zusammenh¨angt – dies weniger im Sinne einer Zensur als vielmehr so, dass A RNOLD vorhatte, diese Frage sp¨ater genauer auszuarbeiten und er deshalb seinen ersten Schreiber angehalten hat, vorerst den Text JAKOBS VON E LTVILLE zu u ¨ bernehmen.
348
Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
schaffen kann. Dies hat Konsequenzen f¨ur die verbreitete Praxis, Handschriften allein aufgrund von Incipits, Explicits und Quaestionen-Listen zuzuordnen. Die eingangs bereits erw¨ahnte Handschrift Klosterneuburg 301, um nur ein Beispiel aufzugreifen, enth¨alt einen Kommentar zum zweiten und vierten Sentenzenbuch; beide werden von ihrem Schreiber explizit als Lectura des N I ¨ KOLAUS VON D INKELSB UHL ausgewiesen.203 Dennoch hat die QuaestionenListe des Kommentars zu Buch II gezeigt, dass es sich dort vielmehr um den Kommentar des J OHANNES B ERWARD VON V ILLINGEN handeln d¨urfte, wes¨ halb S TEGM ULLER und M ADRE nur noch den Kommentar zu Buch IV als Text ¨ von D INKELSB UHL betrachtet haben.204 In der vorliegenden Quaestio allerdings ist Klosterneuburg 301 mit der Textgestalt von Klosterneuburg 315, dem m¨oglichen Kommentar KONRADS VON ROTHENBURG, identisch und weist da¨ her dieselben Unterschiede wie dieser zu ONB 4820 auf, das dennoch auch ¨ D INKELSB UHL zugeschrieben worden ist. Es stellt sich deshalb die Frage, ob nicht auch Buch IV von Klosterneuburg 301 eher J OHANNES B ERWARD zuzuordnen w¨are, von dessen Kommentaren zum ersten und zweiten Sentenzenbuch ¨ bekannt ist, dass sie als Zwischenstufe zwischen D INKELSB UHLS Quaestiones ¨ communes und ONB 4820 einzuordnen sind.205 Als weitere Konsequenz aus dieser Verflechtung von Kommentaren, die in engster Nachbarschaft entstanden sind, b¨ußt schließlich auch die These deutlich an Plausibilit¨at ein, es lasse sich bei den Quaestiones magistrales des N I ¨ KOLAUS VON D INKELSB UHL eine Reportatio A und eine Reportatio B ausmachen.206 Gehen die Differenzen nicht vielmehr auf unterschiedliche Redaktionsstufen und daher auf unterschiedliche Verfasser dieses Gemeinschaftskommentars zur¨uck? Was aber w¨aren dann die ‘echten’ Quaestiones magistrales? Es ist klar, dass diese zweite Frage angesichts eines Gruppenkommentars nur bedingt beantwortet werden kann, weil hier die Grenzen des je Eigenen und damit auch des ‘Echten’ ohnehin verwischt sind. Aus Sicht der vorliegenden Quae¨ stio l¨asst sich sagen, dass ONB 4820 eine Textform aufweist, die sicher sp¨ater ist als beispielsweise die KONRAD VON ROTHENBURG zugewiesene Textge¨ stalt. Auch inhaltlich stimmen die Modifikationen, die ONB 4820 dem ‘Gemeinschaftskommentar’ gegen¨uber aufweist, mit den Tendenzen u¨ berein, die ¨ ¨ aus D INKELSB UHLS Quaestiones communes bekannt sind. Weil in ONB 4820 203
Klosterneuburg 301, fol. 142rb: Finita est lectura solemnis magistri Nicolay Dynchelspuchel super 2◦ libro sententiarum; und fol. 335ra: Explicit lectura pronuntiata per illustrem magistrum magistrum (!) Nicolaum de Dynkchelspuchel. Zur Handschrift vgl. http://manuscripta.at/?ID=448 (Stand 28. M¨arz 2014). 204 Vgl. RS 407 und 565 sowie M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 94. 205 F¨ur Buch II l¨asst sich dies bereits aus der Quaestionen-Liste erahnen, f¨ur Buch I vgl. S CHABEL: Quarrel with Aureol (1994), Bd. I, S. 367–370. 206 So ebenso RS 565–567 wie M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 79–92, und in deren Gefolge dann auch etwa S HANK: Late Medieval Vienna (1988), S. 119.
17.2 Die ‘Wiener Gruppe’ und die sogenannten Quaestiones magistrales
349
¨ sogar einige Anderungen, die Klosterneuburg 315 am ‘Urtext’ der Quaestiones communes vorgenommen hat, wieder r¨uckg¨angig gemacht werden, ließe sich aus dem Blickwinkel der hier untersuchten Textst¨ucke selbst argumentieren, ¨ ¨ N IKOLAUS VON D INKELSB UHL sei der Autor von ONB 4820 und habe, als in einem der Jahrg¨ange der fr¨uhen 1410er Jahre kein Sententiar zur Verf¨ugung stand, die Sentenzen erneut gelesen.207 Unbestritten m¨usste ein fundierteres Urteil dazu, ebenso wie Antworten auf die Fragen nach der Zuordnung von weiteren Handschriften aus diesem Umfeld in einer ausf¨uhrlicheren Studie erarbeitet werden, als es der Fokus der vorliegenden Arbeit erlaubt.208 Was nun diesen Fokus betrifft, so haben die vorliegenden Untersuchungen zu Wiener Kommentaren des beginnenden 15. Jahrhunderts ein Letztes gezeigt: Die Wirksamkeits-Problematik wird wieder st¨arker von Autorit¨aten-Fragen gepr¨agt. Dies betrifft in einem gewissen Sinn bereits das Ph¨anomen des Gruppenkommentars selbst: Denn ein derart standartisiertes Vorgehen, das Variationen weitgehend auf zus¨atzliche Anleihen bei approbierten Autoren beschr¨ankt, f¨uhrt letztlich zu einer Art von Diskurssicherung, die dem variierten Text selber Autorit¨at zuspricht. Damit taucht nun aber auch eine neue Gruppe von Personen auf, die als Autorit¨aten betrachtet werden: Es sind insbesondere T HOMAS VON AQUIN und D UNS S COTUS, die als herausragende Scholastiker mit ihren Meinungen selbst zum Gegenstand der Darstellung werden, w¨ahrend das Interesse an einer rein argumentativen, und in diesem Sinne von pers¨onlichen Meinungen losgel¨oste Durchdringung der Problematik in den Hintergrund tritt. Aber auch die auctoritates selbst, welche die Diskussion des sp¨aten 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts gepr¨agt haben, erscheinen in diesen Wiener Kommen207
Laut dem noch unpublizierten Vortrag von B ILL C OURTENAY: ,,From Dinkelsb¨uhl’s Questiones communes to the Vienna Group Commentary. The Vienna ‘School’, 1415-1425“, gehalten am 14. Oktober 2013 am Institut de Recherche et d’Histoire des Textes, Paris, ist f¨ur mehrere Jahrg¨ange nicht klar, wer allenfalls als Sententiar eingechrieben worden sein soll. C OURTENAY h¨alt es mangels Pr¨azedenzf¨allen allerdings f¨ur unwahrscheinlich, dass ¨ D INKELSB UHL ein zweites Mal an derselben Universit¨at u¨ ber die Sentenzen gelesen habe. Tats¨achlich haben bekannte F¨alle wie T HOMAS VON AQUIN, S COTUS, D URANDUS, A DAM W ODEHAM oder H EINRICH VON OYTA ihre unterschiedlichen Sentenzenlesungen auch an unterschiedlichen Orten gehalten; doch ist zumindest aus dem fr¨uhen 16. Jahrhundert mit J OHN M AIR in Paris ein Autor t¨atig, der mehrfach an ein und derselben Universit¨at die Sentenzen kommentiert (s.u., Kap. 23.2.2). 208 Ein Urteil, das auch sp¨atere Handschriften wie etwa Lilienfeld 85, oder aber Derivate wie Leipzig, Univ. 591 mit einbeziehen m¨usste. Als Grundlegung f¨ur jede solche vertiefte Studie wird der Aufsatz von C ALMA/S CHABEL: Nicholas of Dinkelsb¨uhl (erscheint 2014) dienen, die einen Großteil der konventionellen Zuordnungen von Handschriften aus der Wiener Gruppe in Frage stellen. In meinem noch unpublizierten Beitrag ,,Plagiats individualis´es : les commentaires des Sentences de Vienne et leur strat´egies de se singulariser“, vorgetragen am 14. Oktober ¨ -Workshops am Institut de Recherche et d’Histoire des 2013 im Rahmen eines D INKELSB UHL Textes, Paris, nehme ich die Situation f¨ur Buch IV von Wiener Kommentaren zwischen 1400 und 1420 genauer unter die Lupe; eine Ver¨offentlichung der Tagungsakten ist geplant.
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Kapitel 17: Wiener Sentenzenkommentare am Beginn des 15. Jahrhunderts
¨ taren wieder: Zuerst in den Argumenta; in ONB 4820 dann auch wieder in den Darstellungen der beiden Modelle selbst. Es ist diese R¨uckkehr der auctori¨ tas, diese grundlegend traditionalistische Ausrichtung, die in D INKELSB UHLS letzter Sentenzenlesung, der Lectura mellicensis, zu einem entscheidenden Umschwung f¨uhrt.
Kapitel 18
¨ Der Umschwung in D INKELSB UHLS Lectura mellicensis ¨ Dass N IKOLAUS VON D INKELSB UHL mit seiner Lectura mellicensis einen methodischen Neuansatz zu pr¨asentieren versucht, dass er sich statt auf theologische Spekulationen auf erbauliche, seinen H¨orern angepasste Themen zu fokussieren vornimmt, ist oben im ersten Teil der vorliegenden Arbeit anhand seines Pro¨omiums bereits ausf¨uhrlich dargestellt worden. Wie aber hat sich dieser Neuansatz inhaltlich auf die konkrete Behandlung der theologischen Probleme ¨ des vierten Sentenzenbuchs ausgewirkt? Inwiefern setzt D INKELSB UHL seinen Ansatz tats¨achlich um, und welche Konsequenzen hat dies f¨ur die Positionen, die er vertritt? Erneut soll N IKOLAUS’ Behandlung der Wirksamkeitsproblematik als Modellfall dienen, um als Abschluss des dritten Teils exemplarisch aufzuzeigen, zu welchen auch inhaltlichen Ver¨anderungen diese Neukonzeption der theologischen Lehre zu Beginn des 15. Jahrhunderts gef¨uhrt hat.
18.1 Die Restrukturierung des behandelten Materials Auf einige grundlegende Differenzen zwischen der Lectura mellicensis und ¨ dem fr¨uheren Kommentarwerk von D INKELSB UHL ist bereits hingewiesen worden: So wird in der Lectura mellicensis bekanntlich nur Buch IV behandelt – doch w¨ahrend im Wiener Kommentarwerk noch gut 40 Quaestionen zu Buch IV gestellt werden, sind es im Melker Kommentar deren 230.1 Allein dieser ¨ Blick auf die Grobstruktur von D INKELSB UHLS Lectura mellicensis l¨asst daher vermuten, dass hier ein Kommentarstil erneut zum Tragen kommt, dessen Renaissance sich bereits in der Prager Lectura des H EINRICH VON OYTA angek¨undigt hat: die Tendenz n¨amlich, statt wenigen umfassenden Fragestellungen, unter die dann das unterschiedlichste Material eingeordnet wird, eine 1 F¨ur eine Quaestionen-Liste der Lectura mellicensis vgl. M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 99–114. Mit diesen 230 Quaestiones wird aber nicht das gesamte Buch IV in gleichm¨aßiger Weise abgedeckt: Im Rahmen der bei P ETRUS L OMBARDUS sehr ausf¨uhrlich behandelten Ehe (Distinctiones 26–42) bietet die Lectura mellicensis nur gerade zu den Distinctiones 26 und 38 insgesamt f¨unf Quaestiones.
352
Kapitel 18: Der Umschwung in Dinkelsb¨uhls Lectura mellicensis
gr¨oßere Anzahl an kleineren, pr¨azisen Fragen zu formulieren. Diesen Stil haben bekanntlich noch B ONAVENTURA mit seinen Dubia ad textum oder T HOMAS VON AQUIN mit den Quaestiunculae seines Sentenzenkommentars gepflegt, bevor an der Wende zum 14. Jahrhundert die Quaestionen immer ausf¨uhrlicher und schließlich ausufernd Essay-haft oder im genannten geometrischen Stil er¨ortert worden sind.2 Tats¨achlich zeigt ein etwas genauerer Blick auf den Melker Kommentar zur ¨ ersten Distinctio, dass einige der Themen, die in D INKELSB UHLS fr¨uherem Wiener Kommentarwerk noch unter der einen einleitenden Quaestio zusammengefasst worden sind, nun auf mehrere, eigenst¨andige Fragen verteilt werden. So setzt N IKOLAUS wie bereits in den Quaestiones communes mit einer ersten Frage ein, ob es in jedem Abschnitt der Heilsgeschichte Sakramente gegeben habe.3 Dann aber folgen zwei Fragen grunds¨atzlich zur Wirkweise erst der alt- und dann der neutestamentlichen Sakramente, ob diese n¨amlich ex opere operante – wegen des Ausf¨uhrenden – oder ex opere operato – wegen der Ausf¨uhrung – eine Wirkung h¨atten;4 bevor eine vierte Frage schließlich den Fokus des Wiener Gruppenkommentars aufnimmt und danach fragt, ob die neutestamentlichen Sakramente selbst eine bestimmte Kraft enthielten, dank ¨ der sie die Gnade wirksam hervorbr¨achten.5 Dabei greift D INKELSB UHL in allen vier Quaestiones immer wieder auf Material zur¨uck, das bereits im Wiener Kommentarwerk erarbeitet worden ist, weshalb sich diese vier ersten Quaestiones auch als Umorganisation des Materials aus der ersten Quaestio der Wiener Kommentare darstellen lassen (vgl. Schema 8, S. 353). Augenf¨allig ist aller¨ dings – und dies insbesondere im Vergleich zu den gegenseitigen Ubernahmen 2
Vgl. F RIEDMAN , RUSSEL L.: Peter Lombard and the Development of the Sentences in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, in: BASSO M EDIOEVO , ACADEMIA T UDERTINA C EN TRO I TALIANO DI S TUDI SUL (Hrsg.): Pietro Lombardo. Atti del XLIII Convegno storico internazionale, Todi, 8–10 ottobre 2006, Spoleto: Fondazione Centro italiano di studi sull’alto Medioevo, 2007 (Atti dei convegni del Centro italiano di studi sul basso Medioevo, Accademia Tudertina e del Centro di studi sulla spiritualit`a medievale. Nuova serie 20), S. 459–478. 3 Clm 2940, fol. 1rb–4va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 1rb–4ra: utrum in quolibet hominum statu fuerint aliqua sacramenta. 4 Die zweite Quaestio lautet utrum sacramenta veteris legis suo tempore contulerint gratiam ratione operis operati (Clm 2940, fol. 4va–7rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 4ra–6rb); die dritte lautet utrum sacramenta novae legis conferant gratiam ratione operis operati (Clm 2940, fol. 7rb–8va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 6rb–7va). Obwohl die Terminologie a¨ lter ist und auch etwa bei B ONAVENTURA aufgegriffen wird (Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, ¨ a un., q 5, ed. Quaracchi IV (1889), S. 25f.), lehnt sich D INKELSB UHL f¨ur die Unterscheidung zwischen ex opere operato und ex opere operante explizit an T HOMAS an (Clm 2940 d 1, p 1, q 2, n 1, fol. 4vb–5ra). Zum Unterschied bei T HOMAS vgl. H OMBERT, P IERRE -M ARIE: La formule ex opere operato chez Saint Thomas, in: M´elanges de science religieuse 49 (1992), S. 127–141. 5 Clm 2940, fol. 8va–13vb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 7va–12va: utrum sacramentis novae legis insit quaedam virtus ratione cuius causent et producant gratiam effective.
18.1 Die Restrukturierung des behandelten Materials
353
Lectura mellicensis d 1, q 1–4 I
II
III
IV
V
Quaestio 1 1. Argumenta 2. Notanda 1–2 Notandum 3 3. Conclusio 1 Conclusio 2 Probatio Notandum Conclusio 3 Notandum Probatio 4. Ad argumentum Quaestio 2 1. Argumenta 2. Notandum 1 Notandum 2 3. Conclusio 1 Conclusiones 2–3 4. Ad argumenta Quaestio 3 1. Argumenta 2. Notanda 1–3 Notandum 4 3. Conclusiones 1–2 4. Correlaria 1–2 Correlarium 3 Quaestio 4 1. Argumenta Opinio Thomae Rationes Exempla Ad argumenta Opinino Scoti Rationes Exempla Ad argumenta Responsio Notandum Correlarium Dubium Dubia 1–4 circa textum
¨ ONB 4820 ad IV d 1, q 1 I II III IV
V
VI
VII
Quaestio Argumenta Divisio quaestionis Primus articulus 1. Notandum 1 Notanda 2–3 Notandum 4 2. Prima conclusio Correlaria 1–2 Correlarium 3 Correlaria 4–6 Secunda conclusio Correlarium 1 Correlarium 2 Correlarium 3 3. Obiectiones 1–5 4. Responsiones ad 1–5 Secundus articulus 1. Opinio Thomae 2. Contra opinionem Thomae 3. Opinio Scoti 4. Ad argumenta Thomae 5. Opinio Henrici de Oyta Tertius articulus 1. Notandum 2. Conclusio 1 Conclusio 2 3. Correlarium 1 Correlarium 2 4. Obiectio 1 Obiectio 2 Obiectio 3 5. Responsio ad 1 Responsio ad 2 Responsio ad 3 Dubia 1–3
¨ ¨ Schema 8: Vergleich von D INKELSB UHLS Lectura mellicensis, d 1, q 1–4, und ONB 4820 ad IV d 1, q 1
354
Kapitel 18: Der Umschwung in Dinkelsb¨uhls Lectura mellicensis
¨ innerhalb der Wiener Gruppe –, wie eigenst¨andig D INKELSB UHL in der Lectura mellicensis schon allein von der gew¨ahlten Struktur her vorgeht. Er wandelt nicht etwa nur die einzelnen Artikel in eigenst¨andige Quaestiones um, sondern organisiert sein Material weitgehend neu. Entsprechend handelt es sich selbst bei jenen Passagen, die in Schema 8 ¨ miteinander verkn¨upft werden, nicht mehr um w¨ortliche Ubernahmen, sondern ¨ bloß noch um thematische Parallelen: D INKELSB UHL formuliert den gr¨oßten Teil der einzelnen S¨atze neu. An einem Beispiel, in dem die direkten textlichen Anlehnungen noch verh¨altnism¨aßig groß sind, sei dies verdeutlicht – es handelt sich um den Einstieg in das erste Notandum aus dem Wiener Gruppenkommentar, das als drittes Notandum in die erste Quaestio der Lectura mellicensis u¨ bernommen worden ist: Lectura mellicensis d 1, q 1, n 36 Tertio notandum quod sacramentum capitur in littera a Magistro tripliciter. Primomodo pro ipsa re sacra, scilicet qua fit hominis sacratio, et istomodo sacramentum secundum eum est sacrum secretum et sacrum significatum alios sacrans. Hoc modo dicimus sacramentum trinitatis, | sacramentum deitatis, sacramentum incarnationis. Quodlibet enim istorum est res sacra homines sacrans, et est significatum per aliqua signa a Deo ad hoc instituta. Istomodo non accipitur sacramentum in proposito. Sed de sacramento taliter accepto agitur in primo et in tertio libris.
Quaestiones communes IV q 1, n 17 m Quantum
ad primum sciendumm quod sacramentum capitur unomodo pro re ipsa qua fit sacratio. Et sic dicitur quasi sacrum secretum. Et sic n dicimus sacramentum trinitatis, incarnationis, passionis, et
hoc modo non capitur in proposito sed sic de sacramenton determinatum est in primo et tertio libris.
Dass hinter der Lectura mellicensis das fr¨uhere Wiener Kommentarwerk von ¨ D INKELSB UHL steht, l¨asst sich im vorliegenden Abschnitt noch rekonstruieren. Augenf¨allig sind aber die erl¨auternden Erg¨anzungen, mit denen er sein Notandum im Melker Kommentar erweitert; f¨ur die zweite Bedeutung des Sakramentenbegriffs, die hier nicht mehr abgedruckt ist, die sich in den Wiener Quaestionen aber in rund 60 Worten hat darstellen lassen, ben¨otigt N IKOLAUS in der Lectura mellicensis mehr als zwei Manuskriptspalten. Dennoch erg¨anzt er, wie bereits das vorliegende Beispiel zeigt, seine fr¨uheren Ausarbeitungen nicht nur, sondern ersetzt auch Ausdr¨ucke und Beispiele in den u¨ bernommenen 6 7 m
Clm 2940, fol. 2rb–va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 2ra ¨ Wien, ONB 4820, fol. 150r = Clm 8455, fol. 1ra.
Pro quaestione est primo notandum Clm 8455
n
om Clm 8455
18.1 Die Restrukturierung des behandelten Materials
355
Passagen. Auch wenn daher Formulierungen aus dem Wiener Kommentarwerk ¨ punktuell noch durchdringen, ist dessen Uberarbeitung im Melker Kommentar so tiefgreifend, dass – anders als bei den meisten der im vorliegenden Teil besprochenen Kommentare – bei der Lectura mellicensis ganz offensichtlich von einem eigenst¨andigen, neuen Werk gesprochen werden muss. Auf drei weitere Beobachtungen sei angesichts dieser Restrukturierung und Neubearbeitung des behandelten Materials hingewiesen, Beobachtungen, die sich bereits im Aufbau der ersten vier Quaestiones abzeichnen: So sehr erstens die Lectura mellicensis von ihrer Grobstruktur her den Anschein erweckt, auf einen traditionellen Quaestionenstil des 13. Jahrhunderts zur¨uckzugreifen, finden sich innerhalb der einzelnen Fragen doch weiterhin die Strukturmerkmale der geometrischen Vorgehensweise mit einleitenden Notanda, Pr¨asentation der Hauptthesen in der Form von Conclusiones, weiterf¨uhrenden Kl¨arungen in Correlaria und Hinterfragungen in Obiectiones. Stilistisch verschmelzen daher in N IKOLAUS’ Melker Sentenzenlesung die fokussierten, ‘monothematischen’ Quaestionen des 13. Jahrhunderts8 mit den strukturellen Elementen des sp¨aten 14. Jahrhunderts, was zu einem neuen, sehr u¨ berschaubaren Quaestionenstil f¨uhrt, der einige Freiheit in der Organisation des Materials l¨asst, ohne dass die zentrale Thematik der jeweiligen Quaestio aus dem Blick ger¨at. Es liegt auf der Hand, dass sich der Argumentation solch fokussierter Quaestiones, die dennoch logisch durchstrukturiert sind, einfacher folgen l¨asst als den u¨ berladenen Quaestiones des sp¨aten 14. Jahrhunderts – dieser Kompromiss zwischen thematischer Engf¨uhrung und struktureller Freiheit d¨urfte daher eine erste Konsequenz des erw¨ahnten p¨adagogischen Ansatzes der Lectura mellicensis sein. Eine weitere Konsequenz dieses Ansatzes zeigt sich zweitens in jenen Passa¨ gen aus dem Wiener Gruppenkommentar, die D INKELSB UHL in seinen Melker Kommentar nicht mehr aufnimmt. Es handelt sich fast durchgehend um Correlaria und Obiectiones, um jene Passagen also, mit denen durch die Wiener Gruppe der Basistext der Quaestiones communes erweitert worden ist und welche damit die eigentliche Arbeit des jeweiligen Kommentators ausgemacht haben: n¨amlich den gebotenen Text zu pr¨ufen, herauszufordern und auf m¨ogliche Folgerungen hin zu untersuchen.9 Diese analytische, ‘dialektische’ Durchdringung scheint nun allerdings gerade nicht mehr erw¨unscht zu sein, sondern zu jenen eitlen Frageformen und unn¨utzen Aufspaltungen zu z¨ahlen, von denen sich 8 Sehr nahe am Vorgehen des fr¨uhen 13. Jahrhunderts, wie es sich auch etwa noch bei ¨ B ONAVENTURA findet, sind die dubia circa textum, die D INKELSB UHL ans Ende seiner Behandlung der allgemeinen Sakramentenlehre stellt. In solchen Dubia hat sich urspr¨unglich die Losl¨osung von einer reinen Textauslegung zu ausf¨uhrlichen Quaestionen-Kommentaren u¨ berhaupt vollzogen, vgl. ROSEMANN , P HILIPP W.: The Story of a Great Medieval Book. Peter Lombard’s Sentences, Peterborough: broadview press, 2007 (Rethinking the Middle Ages 2), S. 55f. 9 S.o., S. 331.
356
Kapitel 18: Der Umschwung in Dinkelsb¨uhls Lectura mellicensis
N IKOLAUS in seinem Pro¨omium programmatisch abwendet. Auch wenn Correlaria und Obiectiones nicht vollst¨andig aus der Lectura mellicensis verschwinden, ist ihre viel geringere Zahl doch ein deutliches Zeichen daf¨ur, dass N IKO ¨ LAUS sein Programm auch inhaltlich umsetzen wird: Die kritische Uberpr¨ ufung von Thesen und Argumenten tritt hinter die schlichte Darstellung dieser Thesen zur¨uck. Trotz des Fehlens wichtiger Elemente der Wiener Kommentare und trotz der stilistischen Orientierung an pr¨azisen, monothematischen Fragestellungen f¨allt drittens aber auf, dass die Lectura mellicensis nicht etwa weniger Text bietet als die Vorg¨angerkommentare, sondern auch neue Themen aufgreift und damit insgesamt mehr Material enth¨alt.10 Anders als bei den Wiener Kommentaren l¨asst sich in der Lectura mellicensis allerdings nicht mehr so eindeutig bestimmen, woher N IKOLAUS dieses zus¨atzliche Material nimmt. Auch wenn es sich – wie gleich noch ausf¨uhrlicher zu zeigen sein wird – durchgehend um traditionelle Fragen und Antworten handelt, lassen sich doch nur in Einzelf¨allen direkte literarische Vorlagen nachweisen, aus denen N IKOLAUS w¨ortlich abschreibt.11 So, wie N IKOLAUS auch in den thematischen Anlehnungen an die fr¨uheren Wiener Kommentare nicht w¨ortlich zitiert, sondern weitgehend neu formuliert, pr¨asentiert er auch dieses traditionelle Material in einer eigenen, von ihm selbst konzipierten Version. Die Lectura mellicensis belegt daher nicht nur einen stilistischen Umschwung, sondern zeugt auch von einer grunds¨atzlich ver¨anderten Vorgehensweise und Rolle ihres Verfasser: Dieser tritt nicht mehr einfach nur als Abschreiber und Kompilator in Erscheinung, der sehr eng an ¨ seinen Vorlagen bleibt; vielmehr tritt N IKOLAUS VON D INKELSB UHL – auch wenn die vertretenen Thesen und Argumente durchaus traditionell sind – als eigenst¨andiger Autor auf. Eine genauere inhaltliche Analyse seiner Darstellung der Wirksamkeitsproblematik muss daher nicht mehr auf eine Suche der literarischen Vorlagen beschr¨ankt bleiben, wie dies bei den Wiener Kommentaren der Fall gewesen ist, sondern kann sich auf die inhaltlichen Schwerpunkte und Eigenheiten seiner Darstellung konzentrieren.
10 L¨angenvergleiche anhand von Folio-Angaben sind bei Handschriften nicht besonders aussagekr¨aftig, da die Schrifts¨atze von sehr unterschiedlicher Dichte sein k¨onnen. Anhand der Passagen, die f¨ur die vorliegende Studie transkribiert worden sind, l¨asst sich aber extrapolieren, dass eine vollst¨andige Abschrift der ersten vier Quaestiones der Lectura mellicensis rund 33 ¨ Seiten einnehmen w¨urde, bei ONB 4820 w¨aren es noch rund 23, bei den Quaestiones communes rund 17 Seiten. 11 F¨ur Beispiele, in denen sich N IKOLAUS an bisher nicht aufgenommene Texte aus T HO MAS ’ Sentenzenkommentar anlehnt, s.u., Anm. 19–23 sowie Anm. 67–71.
18.2 Verschiebungen in der allgemeinen Bestimmung der Sakramente
357
18.2 Verschiebungen in der allgemeinen Bestimmung der Sakramente Indem N IKOLAUS in der Melker Lectura drei der vier Quaestiones zur allgemeinen Sakramentenlehre auf die Wirksamkeitsproblematik ausrichtet, macht er deutlich, wie zentral ihm diese Frage weiterhin ist. Dass er die Problematik in seiner zweiten Quaestio allerdings von den alttestamentlichen Sakramenten her in Angriff nimmt, deutet einen Perspektivenwechsel an, der f¨ur seine gesamte Ausarbeitung der Wirksamkeitsproblematik pr¨agend wird. Die alttestamentlichen Sakramente sind es ja, die gem¨aß der AUGUSTINISCHEN Unterscheidung die Gnade bloß bezeichnen, ohne sie auch zu geben;12 und es ist dieser Unter¨ schied, den die Vertreter der Pakt-Variante, zu denen sich D INKELSB UHL im Wiener Kommentarwerk noch eindeutig gez¨ahlt hat, nur noch mit M¨uhe haben verteidigen k¨onnen. Wenn nun N IKOLAUS an dieser Stelle mit einer Frage nach der Wirksamkeit der alttestamentlichen Sakramente einsteigt, so f¨uhrt dies notgedrungen zu einer Betonung dieses Unterschieds und damit zu einer Betonung der tats¨achlichen Wirksamkeit der neutestamentlichen Sakramente, was von Vornherein eine g¨unstigere Situation f¨ur die Verteidigung des MitwirkungsModells schafft. Tats¨achlich sind diese einleitenden Quaestionen auch inhaltlich von der Argumentations- und Sichtweise der Mitwirkungs-Variante durchtr¨ankt. Wie bereits bei JAKOB VON E LTVILLE und bei A RNOLD VON S EEHUSEN spielt die Vorstellung von den Sakramenten als Medikamenten gegen die S¨unde von Anfang an eine zentrale Rolle:13 Seine einleitende Quaestio zur Notwendigkeit der Sakramente beginnt N IKOLAUS mit ein paar knappen Ausf¨uhrungen zu P ETRUS ’ L OMBARDUS unterschiedlichen Bestimmungen des Sakramentenbegriffs und insbesondere zu dessen Anmerkung, es seien die Sakramente als Zeichen einer heiligen Sache nicht nur zum Bezeichnen, sondern auch zum Heiligen eingesetzt.14 Hat N IKOLAUS dies in den Wiener Quaestiones noch so u¨ bernommen,15 erl¨autert er nun, es bezeichneten die Sakramente eine heilige Sache als eine heiligende und eine, die die Krankheiten der Seele heilt.“16 Der Fokus, ” 12
S.o., S. 123. F¨ur JAKOB VON E LTVILLE s.o., S. 236; f¨ur A RNOLD VON S EEHUSEN S. 321. 14 P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 1, c 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 233: non igitur significandi tantum gratia sacramenta instituta sunt, sed et sanctificandi. 15 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 146r = Clm 8455, fol. 1ra: sacramentum est res sensibilis ex Dei speciali institutione significans rem sacram [homines sanctificantem Clm 8455]. 16 Clm 2940, fol. 2va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 2ra–b: secundomodo accipit magister sacramentum generaliter, et si secundum eum sacramentum est sacrae rei | signum, sic tamen intelligendo quod sacramentum illo secundomodo acceptum est res sensibilis ex Dei speciali institutione significans rem sacram et ut sanctificantem et sanantem morbos animae. Dass das 13
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Kapitel 18: Der Umschwung in Dinkelsb¨uhls Lectura mellicensis
der innerhalb der sakramentalen Heiligung damit auf die Heilung gelegt wird, bestimmt nun auch die ganze Argumentation dieser ersten Quaestio: Weil es vor dem S¨undenfall keine infirmitas animae gegeben habe, habe es damals auch keine Medizin f¨ur die Seele und damit auch keine Sakramente gebraucht, wie N IKOLAUS’ erste Conclusio festh¨alt – aus demselben Grund seien die Sakramente aber, wie die zweite Conclusio schließt, seit dem S¨undenfall notwendig.17 Das ist nun eine eindeutige Versch¨arfung, denn in den Wiener Quaestionen hat N IKOLAUS lediglich festgehalten, eine Einsetzung der Sakramente nach dem S¨undenfall sei congruum, ‘angemessen’ gewesen.18 Hat ihn dort die drohende Einschr¨ankung der g¨ottlichen Freiheit noch zu dieser vorsichtigeren Formulierung veranlasst, so scheint ihm hier nun offensichtlich der Medizin-Aspekt so zentral, dass eine st¨arkere Ausdrucksweise gerechtfertigt ist. Dennoch h¨alt er die g¨ottliche Freiheit damit nicht f¨ur eingeschr¨ankt: Wie er in expliziter Anlehnung an T HOMAS VON AQUIN erkl¨art, handle es sich n¨amlich um keine necessitas absoluta, sondern um eine Notwendigkeit im Hinblick auf das zu erreichende Ziel.19 Sage man etwa, zum Reisen sei ein Pferd notwendig, so heiße das nicht, dass man nicht auch ohne Pferd reisen k¨onne, sondern bloß, dass man mit einem Pferd einfacher vorankomme.20 Weil N IKOLAUS das Ziel der Sakramente aber noch einmal in Heilung und Genesung der Seele von der S¨unde bestimmt, l¨asst sich in diesem Sinne tats¨achlich sagen, sie seien notwendig. Erhalten die Sakramente in N IKOLAUS’ Lectura mellicensis mit ihrer Bestimmung als Medizin der Seele von Anfang an schon eine aktivere Rolle zuHeiligen hier noch der bezeichneten Sache und nicht den Sakramenten selbst zugeschrieben wird, geschieht mit Blick auf die alttestamentlichen Sakramente. 17 Conclusio prima: Non fuerunt instituta aliqua sacramenta pro statu innocentiae, sicut nec sunt aut erunt aliqua in statu gloriae. [..|..] Conclusio secunda: In omni statu viae post lapsum necessarium fuit a Deo aliquod institui sacramentum (Clm 2940, fol. 3ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 2va–b). 18 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 146v–147r = Clm 8455, fol. 2ra: [om Clm 8455] non pro statu patriae vel innocentiae fuerit neccessarium [sed Clm 8455] pro omni [om Clm 8455] statu | viae post lapsum congruum fuit institui aliquod sacramentum. 19 Clm 2940, fol. 3rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 2vb: Sed [est hic Clm 2940] notandum secundum beatum Thomam quod cum dicitur quod pro omni statu viae post lapsum primorum parentium fuerunt sacramenta hominibus necessaria, hoc non debet intelligi de neccessitate absoluta, scilicet quod sunt sic necessaria sicut necessarium est Deum esse, cum ex sola divina bonitate et liberalitate sint instituta. Sed est intelligendum quod sunt necessaria ad consecutionem finis, scilicet sanationis et curationis animae a peccato. Bei T HOMAS finden sich diese Ausf¨uhrungen in In sententias IV d 1, q 1, a 2, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 20. 20 Item sicut dicimus quod equus necessarius est ad ambulandum non quod homo sine equo non possit ambulare, sed quia in equo homo facilius vadit, ita in proposito (Clm 2940, fol. 3rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 2vb). Auch dieses Beispiel findet sich bereits bei T HOMAS: per sacramenta magis congrue fit hominis reparatio, sicut equus dicitur necessarius ad iter, quia in equo facilius homo vadit (ebd.)
18.2 Verschiebungen in der allgemeinen Bestimmung der Sakramente
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gesprochen als in den Wiener Quaestiones, so verst¨arkt ihre Auszeichnung als notwendige Medizin noch einmal ihren exklusiven Charakter und unterstreicht damit ihre Funktion als Mittel zur Wiedererlangung des Heils. Das grundlegende Sakramentenverst¨andnis der Lectura mellicensis zeigt daher ebenso Sympathien f¨ur die Mitwirkungs-Variante wie auch der autoritative R¨uckhalt, den sich N IKOLAUS bei T HOMAS VON AQUIN holt. Beides, einschl¨agige Sakramentenbestimmung ebenso wie die Anlehnung an T HOMAS, zieht sich durch die weitere Behandlung der allgemeinen Sakramentenlehre hindurch. Eine schon fast notwendige Folge des Medizin-Begriffs besteht darin, dass sich die zweite Quaestio als Einstieg in die Wirksamkeitsproblematik der Frage widmen muss, wie dieses grundlegende Verst¨andnis der Sakramente als Medizin der Seele mit der Tatsache zusammengehen kann, dass die alttestamentlichen Sakramente nach g¨angiger Auffassung nicht ex opere operato wirken und damit die Gnade gerade nicht wie eine Medizin vermitteln.21 Wenn oben das Schema 8 (S. 353) deutlich gemacht hat, dass im Bereich dieser zweiten Quaestio die Parallelen zwischen Lectura mellicensis und fr¨uheren Wiener Quaestiones nur selten nachzuweisen sind, so ist nun auch klar, weshalb: Mit ihrem scotistisch gepr¨agten Sakramentenverst¨andnis hat sich in den Wiener Quaestiones die Problematik der Wirkweise der alttestamentlichen Sakramente noch gar nicht gestellt. In der Melker Lectura hingegen gehen zwei der drei einleitenden Argumente von diesem aktiv gepr¨agten Medizin-Verst¨andnis aus; bei¨ de Argumente l¨ost D INKELSB UHL schließlich erneut in expliziter Anlehnung an T HOMAS VON AQUIN22 und verteidigt so die konventionelle Meinung, dass mit Ausnahme der Beschneidung die alttestamentlichen Sakramente h¨ochstens ex opere operantis – wegen der moralischen Qualit¨at der Ausf¨uhrenden – eine heilsame Wirkung h¨atten.23 21
Utrum sacramenta veteris legis suo tempore contulerint gratiam ratione operis operati (Clm 2940, fol. 4va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 4ra). Bei T HOMAS lautet die Quaestio, an der N IKOLAUS sich hier orientiert, utrum sacramenta veteris legis gratiam conferebant (In sententias IV d 1, q 1, a 5, qc 1, ed. Moos (1947), S. 39). 22 Schon die beiden Argumente sind (ebenso wie auch das dritte und jenes in oppositum) praktisch w¨ortlich aus T HOMAS u¨ bernommen. Erst in seinen abschließenden Ausf¨uhrungen ad argumenta ante oppositum nennt N IKOLAUS seine Vorlage auch explizit: ad primum respondet sanctus Thomas... Ad tertium dicitur secundum sanctum Thomam... (Clm 2940, fol. 6vb–7ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 6ra–b, mit Anlehnungen an T HOMAS’ In sententias IV d 1, q 1, a 5, ¨ qc 1, ed. Moos (1947), S. 41f., wobei die Ubernahmen nicht nur aus dessen Widerlegungen der Argumenta, sondern auch aus dessen Responsio stammen). 23 Es mag gen¨ugen, hier einfach die drei Conclusiones anzuf¨uhren, die N IKOLAUS in dieser dritten Quaestio beweist: conclusio prima: excepta circumcisione | de qua posterius dicetur nullum aliud veteris legis sacramentum conferebat gratiam ratione operis operati (Clm 2940, fol. 5rb–va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 4vb). Secunda conclusio: usus sacramentorum veteris legis fuit meritorius vitae aeternae quando fiebat rite, ordinate et ex caritate, ita quod operans fuit in caritate et caritas eum movit ad sic rite utendum talibus sacramentis (5va / 5ra). Tertia conclusio: plura sacrificia veteris legis purgabant ab immundicis carnis etiam ratione operis
360
Kapitel 18: Der Umschwung in Dinkelsb¨uhls Lectura mellicensis
Das ver¨anderte Sakramentenverst¨andnis zeigt sich auch im Rahmen der dritten Quaestio deutlich, wo sich N IKOLAUS anschickt, eine spezifische Definition nunmehr der neutestamentlichen Sakramente zu geben. Hier greift er wieder ausf¨uhrlicher auf Material zur¨uck, das er bereits f¨ur sein Wiener Kommentarwerk erarbeitet hat; auch hier formuliert er aber weitgehend neu und f¨ugt einige entscheidende Modifikationen ein: Wie bereits in den Wiener Quaestiones nennt er in einem ersten Notandum einige g¨angige Sakramenten-Definitionen und er¨ortert dann erneut die Definition von P ETRUS L OMBARDUS im Detail. Den Katalog aus den Wiener Kommentaren mit den Definitionen von G RE GOR DEM G ROSSEN , H UGO VON S T. V IKTOR, P ETRUS L OMBARDUS und D UNS S COTUS k¨urzt er aber um die Definition von S COTUS; jene von G RE GOR schreibt er nun AUGUSTIN zu, wie dies T HOMAS in seinem Sentenzenkommentar auch schon getan hat.24 S COTUS tritt zugunsten von T HOMAS in den Hintergrund, was sich auch in der Auslegung von P ETRUS ’ L OMBARDUS Definition und insbesondere von deren letzter Bestimmung zeigt, dass die Sakramente als Ursache der Gnade fungieren: Haben die Wiener Kommentare hier noch betont, es sei dies bloß als causa ministerialis zu verstehen, unterstreicht die Lectura mellicensis nun, die Sakramente seien eben nicht nur Zeichen, sondern auch Ursache dessen, was sie bezeichneten: Lectura mellicensis d 1, q 3, n 225
Quaestiones communes IV q 1, n 226
Ultimo dicitur in diffinitione ‘et eius causa existat’, per quod innuituro quod ipsum sacramentum quod est sensibile signum non solum significat effectum gratuitum aut aliquod sacrum ut faciunt sacramenta veteris legis ut praedixi, sed effectum quem significat etiam causat aliquomodo ut patebit posterius.
Et ad hoc innuendo dicitur in diffinitione magistri ‘et eius – scilicet gratiae invisibilis – causa existat’. Non quidem causa effective productiva, sed tantum causa ministerialis p ut dicetur in articulo sequentip . Ita scilicetq quod ex divina ordinatione et pacto semper Deus confert gratiam ad sacramenti ritam applicationem viatorir s obicem non ponentis .
Entsprechend entf¨allt der Verweis auf die causa ministerialis auch, wenn N IKO LAUS erneut im Rahmen eines dritten Notandum seine eigene Definition dessen gibt, was ein Sakrament sei. Darin ersetzt er sogar die generische Bestimmung eines Sakraments als signum sensibile durch die allgemeinere, den scotistischen operati (6rb / 5vb). Die drei Conclusiones entsprechen den drei Quaestiunculae aus T HOMAS’ In sententias IV d 1, q 1, a 5, ed. Moos (1947). 24 Clm 2940, fol. 7rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 6va; zu T HOMAS’ Zuordnung des G RE GOR-Zitats zu AUGUSTIN s.o., S. 296. 25 Clm 2940, fol. 7va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 6vb. 26 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 146v = Clm 8455, fol. 1vb. o ¨ insinuitur Alba Julia II 48 p om Clm 8455 q om Clm 8455 r viatore ONB 4820 s non ponenti obicem Clm 8455
18.2 Verschiebungen in der allgemeinen Bestimmung der Sakramente
361
Blickwinkel weniger vorwegnehmende Bestimmung als einer res sensibilis; erweitert wird in der Lectura mellicensis die Terminologie aber dahingehend, dass sie mit der traditionellen, von T HOMAS betonten Umschreibung besser u¨ bereinstimmt, es w¨urden die Sakramente bewirken, was sie darstellten: Lectura mellicensis d 1, q 3, n 327
Quaestiones communes IV q 1, n 328
Et potest ex dictis diffinitio sic poni explicite: sacramentum novae legis quod est sacramentum tantum est res sensibilis insensibilem effectum gratuitum ex Dei speciali institutione significans et causans eundem effectum quem figurat, id est quem significat.
Et potest diffinitio sacramenti ex dictis sic poni: Est signum sensibile insensibilem gratiam ex Dei specialit institutione significans, causans – suple ministerialiter – illud quod figuratu . v Et potest addi illa dictio ‘efficaciter’ determinans ly ‘significans’ quae ponitur in diffinitione Scoti.v
¨ Es entf¨allt erneut der Verweis auf S COTUS, dem in ONB 4820 ein langes Zitat aus der Ordinatio gefolgt ist, um das Wesen eines signum efficax genauer zu bestimmen. Stattdessen bringt N IKOLAUS in der Melker Lectura eine beispielhafte Anwendung dieser Definition auf das Sakrament der Taufe. Genau dies hat bereits auch H UGO VON S T. V IKTOR mit seiner eigenen Sakramentendefinition gemacht;29 m¨oglicherweise hat sich N IKOLAUS von ihm zu diesem Schritt inspirieren lassen. Die inhaltliche Vorlage von N IKOLAUS ist aber nicht H UGO, sondern, wie von ihm explizit ausgef¨uhrt wird, erneut T HOMAS VON AQUIN.30 T HOMAS ist daher, noch bevor es zu einer eigentlichen Problematisierung der sakramentalen Wirkweise kommt, bereits die zentrale Referenz der Lectura mellicensis. Neben einer Reihe von Verweisen auf AUGUSTIN, H UGO VON S T. V IKTOR und P ETRUS L OMBARDUS selbst31 dominiert sein Name diese ersten vier Quaestionen in eindr¨ucklicher Weise: Ganze 17 Mal wird er ex27
Clm 2940, fol. 7vb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 6vb. ¨ Wien, ONB 4820, fol. 146v = Clm 8455, fol. 1vb. 29 Zu S COTUS s.o., S. 298; zu H UGO s.o., S. 274. 30 Clm 2940, fol. 7vb–8ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 6vb–7ra; vgl. H UGO VON S T. V IK TOR: De sacramentis I p 9, c 2, ed. Berndt (2008), S. 210, und T HOMAS ’ In sententias IV d 1, q 1, a 1, q 5, ad 4, ed. Moos (1947), S. 16. 31 Dem Anspruch einer Lectura gem¨aß findet P ETRUS L OMBARDUS am h¨aufigsten Erw¨ahnung (22 Mal, allerdings nie in Quaestio 4). AUGUSTIN wird 15 Mal angef¨uhrt, H U GO VON S T. V IKTOR immerhin noch 8 Mal. Zweimal Erw¨ahnung findet B EDA V ENERABILIS (Clm 2940, fol. 5vb und 9ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 5ra und 8ra); je einmal I SIDOR VON S EVILLA (fol. 2ra = 1vb), B ERNHARD VON C LAIRVAUX (fol. 9ra = 8ra) und J OHANNES DA MASCENUS (fol. 9vb = 8vb). 28
t
sensibili Clm 8455
u
signat Clm 8455
v
om Clm 8455
362
Kapitel 18: Der Umschwung in Dinkelsb¨uhls Lectura mellicensis
plizit genannt,32 w¨ahrend S COTUS, der in den Wiener Quaestiones noch am h¨aufigsten angef¨uhrt worden ist, gerade noch viermal und beschr¨ankt auf die vierte Quaestio Erw¨ahnung findet.33 Von den u¨ brigen Scholastikern wird allein noch P ETRUS DE TARANTASIA, der sp¨atere Papst I NNOZENZ V., einmal genannt:34 Hinter der großen Autorit¨at von T HOMAS VON AQUIN, an der ¨ sich D INKELSB UHL nunmehr ganz offensichtlich orientiert, treten die anderen Scholastiker v¨ollig zur¨uck. T HOMAS wird zu seinem steten Begleiter: In s¨amtlichen vier Quaestiones und Dubia und in den Notanda ebenso wie in den eigentlichen Responsiones zu seinen Problemstellungen greift er auf ihn zur¨uck, und unter dem Einfluss von T HOMAS tritt N IKOLAUS denn auch mit einem ver¨anderten Blickwinkel an die eigentliche Behandlung der Wirksamkeitsproblematik heran.
18.3 Die fehlende communis opinio und der erneute Vorrang der auctoritates Die vierte Quaestio, ob den neutestamentlichen Sakramenten eine Kraft inne sei, aufgrund derer sie die Gnade effektiv verursachten und hervorbr¨achten, ist die ausf¨uhrlichste dieser einleitenden Quaestionen zur allgemeinen Sakramentenlehre. Von der Fragestellung her k¨onnte der geometrisch geschulte Leser erwarten, dass diese Quaestio mindestens in zwei Schritten beantwortet w¨urde: in einem ersten, der die Urs¨achlichkeit als logischer Implikation einer allf¨alligen Kraft hinterfragte, worauf sich ein zweiter dieser Kraft selbst widmete. Dass N IKOLAUS aber alles andere als ein geometrisches Vorgehen beabsichtigt, zeigt sogleich der Katalog an Argumenta, die er gegen und f¨ur seine Fragestellung zusammentr¨agt. Statt der u¨ blichen zwei, drei Argumente quod sic / quod non und des einen in oppositum sammelt N IKOLAUS ganze sieben Argumente gegen die Annahme einer solchen Kraft und immerhin f¨unf, die f¨ur sie sprechen. Eine solche F¨ulle an Argumenten ist in der bisherigen Diskussion nur von der Sammlung in T HOMAS’ Quaestiones de veritate u¨ bertroffen worden.35 ¨ N IKOLAUS VON D INKELSB UHL bleibt in seinem Argumenten-Katalog aber literarisch unabh¨angig. Zwar bietet er inhaltlich keine neuen Argumente, son32
Davon 14 mal sanctus und dreimal beatus Thomas; einzig im Rahmen des ausf¨uhrlichen Dubium zur vierten Quaestio findet er kein einziges Mal Erw¨ahnung. 33 F¨ur eine Zusammenstellung der expliziten Referenzen in den Quaestiones communes s.o., S. 293. 34 Clm 2940, fol. 13va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 12rb. 35 Dort sind es sogar 19 Argumente pro und 7 Argumente contra, s.o., S. 153; vgl. zudem die 11 Argumente die R ICHARD F ISHACRE gegen eine tats¨achliche Wirksamkeit der Sakramente zusammengetragen hat – jedoch ohne dies mit Argumenten f¨ur das Mitwirkungs-Modell zu erg¨anzen (s.o., S. 133).
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dern tr¨agt zusammen, was bei T HOMAS und S COTUS bereits ins Feld gef¨uhrt ¨ worden ist; auff¨allige inhaltliche Ubereinstimmungen ergeben sich auch zu den Argumenten, die B ONAVENTURA in seinem Sentenzenkommentar diskutiert hat.36 F¨ur bestimmte Formulierungen lassen sich die wahrscheinlichen Vorlagen sogar rekonstruieren;37 kein einziges Argument ist aber direkt aus einer dieser großen Textvorlagen u¨ bernommen, kein einziges u¨ bernimmt N IKOLAUS zudem w¨ortlich aus einem der fr¨uheren Wiener Kommentare. Selbst im Rahmen dieser Argumenta, die traditionellerweise zu den wenigst variierten Elementen einer mittelalterlichen Quaestio geh¨oren, dringt daher die ver¨anderte Vor¨ gehensweise der Lectura mellicensis durch: D INKELSB UHL legt offensichtlich Wert darauf, f¨ur seinen aktuellen Kontext die genauen Formulierungen selbst zu finden, mit denen sich die Wirksamkeitsproblematik passend einf¨uhren l¨asst. F¨ur die Argumenta quod non w¨ahlt N IKOLAUS meist einen Zugang u¨ ber die rationes. Er greift zuerst einmal den ordo-Gedanken auf und bringt drei Argumente, die darauf abzielen, dass die Sakramente als raum-zeitlich ausgedehnte, k¨orperliche Dinge nicht Tr¨ager einer solchen Kraft sein k¨onnen, da diese Kraft geistig sein muss, so dass weder ein Zeitpunkt noch ein Substrat bestimmt werden k¨onnen, an welchem diese Kraft sich mit einem Sakrament verbindet.38 Ein ¨ viertes Argument bringt das von S COTUS hervorgehobene Okonomieprinzip 39 ins Spiel, ein f¨unftes argumentiert, wie dies ebenfalls bereits S COTUS getan hat, vom Sonderfall der Eucharistie her.40 Erst als sechstes f¨uhrt N IKOLAUS mit dem bekannten Zitat aus dem Abendmahls-Sermo des B ERNHARD VON C LAIRVAUX auch eine auctoritas an; als siebtes schließlich verweist er auf ei¨ ne opinio communis, die von allen geteilte Uberzeugung n¨amlich, dass Gnade nicht verursacht, sondern allein von Gott geschaffen werden k¨onne.41 N IKO LAUS bietet damit eine Art tour d’horizon zu allen Argumentationsbereichen, die in den 200 vorangehenden Jahren scholastischer Wirksamkeits-Diskussion 36
So lassen sich insbesondere s¨amtlich f¨unf Argumenta in oppositum auch bei B ONAVEN finden (verteilt auf Pro und Contra seiner beiden Quaestiones laterales zur Wirksamkeitsproblematik, Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 20f.); es handelt sich aber, wie gleich noch ausf¨uhrlicher gezeigt wird, durchweg um traditionelle auctoritates, so dass sich aus dieser inhaltlichen Parallele noch nicht schließen ¨ l¨asst, D INKELSB UHL habe sich direkt an B ONAVENTURA orientiert. 37 So sind etwa das vierte und f¨unfte Argumentum quod non aus Formulierungen aus S CO TUS ’ Ordinatio zusammengestellt – dies interessanterweise in einer Form, die eher an Kloster¨ neuburg 315, den mutmaßlichen Kommentar von KONRAD VON ROTHENBURG, als an ONB 4820 erinnert, s.o., S. 337. 38 Argumenta 1 – 3, Clm 2940, fol. 8va–b = Alba Julia, NLR II 48, fol. 7va–b. 39 ¨ Ebd.; zum Okonomieprinzip bei S COTUS s.o., S. 182. 40 Clm 2940, fol. 9ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 7vb–8ra; f¨ur S COTUS s.o., S. 180. 41 Septimo quia [om AJ II 48] sacramenta essent causa gratiae tunc maxime essent causae effectivae ipsius productivae. Sed hoc non potest esse cum gratia secundum omnes creetur a solo Deo, igitur etc. (Clm 2940, fol. 9ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 8ra). TURA
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vorgebracht worden sind. Im Vergleich zum geometrischen Ansatz, der die Argumente logisch auf die folgenden Artikel abstimmt, ist dies ebenso eine Neuerung wie gegen¨uber dem klassischen Autorit¨atenkonflikt, der in den Quaestiones communes wieder begegnet ist. Offensichtlich beabsichtigt er nicht mehr nur, m¨oglichst treffende Argumente zur Konstruktion einer zu l¨osenden Problematik zu finden, sondern es geht ihm um eine umfassende Darstellung aller bisher bem¨uhten Argumentationszusammenh¨ange. Das p¨adagogische Bem¨uhen, das N IKOLAUS im Pro¨omium zu seiner Lectura mellicensis in Aussicht stellt, a¨ ußert sich daher auch in diesem Argumenten-Katalog: Es geht ihm weniger darum, mit einem eigenen Beitrag in einer komplexen Debatte zu brillieren, als vielmehr um die Aufbereitung und Pr¨asentation bereits gef¨uhrter Diskussionen. Auff¨allig ist an dieser Sammlung von Argumenta quod non allerdings, dass ausgerechnet ein Bereich etwas gar wenig Beachtung findet – jener n¨amlich der auctoritates: Mit B ERNHARD VON C LAIRVAUX ist zwar noch eine prominente Autorit¨at erw¨ahnt, doch fehlen all jene weiteren Zitate insbesondere aus dem Werk von AUGUSTIN, welche die Diskussion seit ihren Anf¨angen mitgepr¨agt und noch in die Quaestiones communes zumindest punktuellen Eingang gefunden haben.42 Dies ist umso auff¨alliger, als nun umgekehrt die Argumenta in oppositum dieser vierten Quaestio ausschließlich aus auctoritates bestehen: Neben den beiden klassischen Zitaten aus AUGUSTINS Johanneskommentar und aus einer Homilie von B EDA, die (wenn auch nicht als Argumenta) beide auch schon in den Wiener Kommentaren aufgetaucht sind,43 beruft sich N IKOLAUS auf H UGO und dessen bereits rezipiertes Verst¨andnis der Sakramente als geistlicher Medizin, auf die ber¨uhmte AUGUSTINISCHE Unterscheidung zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten, die N IKOLAUS hier als commune dictum anf¨uhrt, und schließlich auf eine Glosse zu Gal 3, die bereits in T HO MAS’ Sentenzenkommentar zitiert worden ist und von der Gnade handelt, die in den Sakramenten enthalten sei.44 Nicht weniger als bei den Argumenta quod non hat diese Zusammenstellung einen umfassenden Anspruch, da sie nicht nur die entscheidenden Autorit¨aten, sondern auch die zentralen argumentativen Grundlagen anf¨uhrt, die vom Medizin-Begriff u¨ ber die Abgrenzung von den alttestamentlichen Sakramenten bis zum tats¨achlichen Enthalten der Gnade die Vorstellungen der Vertreter des Mitwirkungs-Modells der vorausgehenden Generationen gepr¨agt haben. Dass N IKOLAUS allerdings – anders als etwa noch JAKOB VON E LTVILLE, aber a¨ hnlich wie bereits A RNOLD VON S EEHUSEN45 – diese argumentativen Grundlagen ebenfalls mit auctoritates begr¨undet, l¨asst 42 Grunds¨atzlich zu auctoritates, welche die Pakt-Variante st¨utzen, s.o., S. 129; zu den Quaestiones communes und ihrem AUGUSTIN-Zitat s.o., S. 303. 43 S.o., S. 344. 44 Clm 2940, fol. 9ra = Alba Julia, NLR II 48, fol. 7vb–8ra; vgl. T HOMAS’ In sententias IV d 1, q 1, a 4, q 4, sc 1, ed. Moos (1947), S. 30, sowie oben, S. 152. 45 Zu JAKOB VON E LTVILLE s.o., S. 235; zu A RNOLD VON S EEHUSEN s.o., S. 320.
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den Unterschied zwischen Argumenta quod non und Argumenta in oppositum umso deutlicher hervortreten. So, wie in der Lectura mellicensis die Wirksamkeitsproblematik aufgegleist wird, scheinen f¨ur das Pakt-Modell vorwiegend rationale Gr¨unde, f¨ur die Mitwirkungs-Variante hingegen die traditionelle Kirchenlehre zu stehen. Die Ausgangslage ist damit wieder jene, von der aus auch T HOMAS VON AQUIN die Problematik in Angriff genommen hat. Die Auslegungen eines D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN und eines P ETRUS AUREO LI , die dem Autorit¨aten-Argument in ihren Ausf¨ uhrungen zur WirksamkeitsProblematik den Boden weggezogen haben, treten jedoch in den Hintergrund, und so stehen sich auctoritas und ratio wieder unvers¨ohnlich gegen¨uber. Vorerst allerdings l¨asst N IKOLAUS diesen Gegensatz nicht explizit aufbrechen. Seine Responsio orientiert sich strukturell am Aufbau der Wiener Kommentare, so dass er erst T HOMAS’ Position darstellt und erst danach ausgehend von S COTUS’ Kritik dessen Meinung wiedergibt. Diese beiden Opiniones allerdings pr¨asentiert er nicht mehr anhand von Conclusiones und Correlaria, sondern er unterteilt deren Darstellung – wie in Schema 8 bereits deutlich geworden ist – in je eine Reihe von Rationes, die er mit einer ganzen Serie von Exempla illustriert, und er entkr¨aftet schließlich aus der Optik der vorgestellten Opinio den kontr¨aren Block der einleitenden Argumenta. Bereits diese Struktur macht deutlich, dass die beiden Meinungen nunmehr gleichwertig nebeneinander stehen. W¨ahrend KONRAD VON ROTHENBURG im Wiener Gruppenkommentar noch bloss angemerkt hat, es m¨ochten die Argumente gegen das Mitwirkungs-Modell nach Belieben entkr¨aftet werden – eine Bemerkung, die ¨ ¨ in ONB 4820 wieder herausgestrichen worden ist –, bietet D INKELSB UHL in der Lectura mellicensis diese Entkr¨aftung nun selbst;46 und w¨ahrend es dort auch im Hinblick auf S COTUS noch den H¨orern u¨ berlassen geblieben ist, Ant¨ worten gegen die motiva sancti Thomae zu finden,47 geht D INKELSB UHL nun ausf¨uhrlich auf jedes einzelne Argument ein. In de Lectura mellicensis werden die beiden Opiniones damit als je eine eigenst¨andige, umfassende Antworten auf die einleitende Fragestellung dargestellt. Den Wiener Kommentaren gegen¨uber, die sich noch eindeutig mit S COTUS’ Argumenten gegen T HOMAS gestellt haben, ist diese eigenst¨andige W¨urdigung der opinio Thomae bereits eine markanter Umschwung. Erneut wird damit jene 46
Zu KONRAD s.o., S. 334. In der Melker Lectura betont N IKOLAUS allerdings, dass er hier bloß einige fl¨uchtige Hinweise gebe, wie diese Argumente zu entkr¨aften seien, ohne in der gebotenen K¨urze die ganze Position verteidigen zu k¨onnen: sciendum hanc positionem esse respondendum ad argumenta ante oppositum quae videntur contra eam militare. Et ergo brevissime movebo solum aliquas evasiones, sed | qui eam defendere voluerit cogitet particularius (Clm 2940, fol. 10rb–va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 9rb). Daher wiederholt er am Ende dieses Abschnitts noch einmal: Et hoc sit dictum de illa prima opinione, et sint illa tantum recitative dicta (ebd. fol. 10vb / 9va). 47 ¨ Wien, ONB 4820, fol. 150v; s.o., S. 346.
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Tendenz fassbar, einen eigenen Diskussionsbeitrag und die Pr¨asentation einer eigenen Position hinter die Darstellung und Vermittlung bereits existierender Diskussionen und Positionen zur¨uckzustellen. Diesen auf Vermittlung angelegten, p¨adagogischen Ansatz der Lectura mellicensis unterstreichen auch die Exempla, die N IKOLAUS zum besseren Verst¨andnis anf¨uhrt und f¨ur die er im Rahmen beider Opiniones mehr Platz einr¨aumt als f¨ur die Begr¨undung der jeweiligen Position.48 Auch bei diesen Exempla sammelt N IKOLAUS bloß, was er in der bisherigen Diskussion vorfindet, ohne sich selbst neue Beispiele auszuden¨ ken.49 Seine Ubernahmen formuliert er aber nicht nur neu, sondern formt die bisweilen recht knappen Hinweise gerade bei T HOMAS oder S COTUS zu fundierten Erkl¨arungen dazu aus, worin die jeweilige Analogie liege und warum daher ein Beispiel eine Position illustriere.50 Nicht nur die große Zahl von Beispielen, auf die N IKOLAUS zur¨uckgreift, sondern auch die Ausf¨uhrlichkeit, mit der er sie darstellt, unterstreichen daher den ver¨anderten p¨adagogischen Ansatz der Lectura mellicensis. Dass nun die opinio Thome in N IKOLAUS’ Melker Lectura besser wegkommt als in den Wiener Kommentaren, ist allerdings mehr als ein bloß methodisches Zugest¨andnis an eine ver¨anderte p¨adagogische Ausrichtung. Vielmehr ¨ wird hier deutlich, dass D INKELSB UHL ganz offensichtlich auch zwei theologische Prinzipien st¨arker gewichtet, die in den Wiener Quaestiones noch eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Ein erstes ist die Orientierung an der communis opinio, ein zweites ist die klare Nachordnung der ratio hinter die aucoritas. Was das erste betrifft, so hat N IKOLAUS bereits im Rahmen seiner einleitenden Argumenta diese communis opinio auf beiden Seiten einmal bem¨uht: auf Seiten des Pakt-Modells, weil sich alle einig seien, dass die Gnade allein und direkt von Gott geschaffen werde,51 auf Seiten der Mitwirkungs-Variante, weil gemeinhin der Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten in der tats¨achlichen Wirkung der neutestamentlichen gesehen werde. Genau darin, dass sich beide Seiten auf die communis opinio berufen k¨onnen, liegt f¨ur N I 48 F¨ur die Begr¨undung von T HOMAS’ Position wendet N IKOLAUS rund 230 W¨orter auf, f¨ur die zugeh¨origen Exempla rund 460; bei der Darstellung von S COTUS’ Position nehmen die Begr¨undungen rund 390, die Exempla rund 500 W¨orter in Anspruch. 49 Die Auswahl, die N IKOLAUS dabei trifft, ist zudem sehr konservativ: Die neuen Beispiele, die etwa JAKOB VON E LTVILLE in die Diskussion eingef¨uhrt hat (s.o., S. 240), greift er nicht auf. 50 So etwa besonders deutlich beim Beispiel des Handschlags als Friedenszeichen, auf das S COTUS in seiner Ordinatio als Illustration des Unterschieds zwischen einem signum practicum und einem signum verax zweimal kurz zur¨uckkommt (Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 192, und q 2, n 237, ed. Vaticana (2008), S. 66 und 82; vgl. dazu ROSIER -C ATACH: La parole efficace ¨ (2004), S. 150f.) – D INKELSB UHL u¨ bertr¨agt S COTUS’ Angaben direkt auf die Sakramente und schm¨uckt die Parallelen in aller Ausf¨uhrlichkeit aus (Clm 2940, fol. 11va–b = Alba Julia, NLR II 48, fol. 10rb). 51 S.o., Anm. 69, S. 372.
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KOLAUS nun aber das eigentliche Problem der Wirksamkeitsdebatte: Denn wo zwei entgegengesetzte Meinungen auf einem commune dictum fußen, scheint es ganz offensichtlich keine opinio communis zu geben. Entsprechend schiebt N IKOLAUS direkt nach seinem Argumenten-Katalog folgende Erkl¨arung ein:
Obwohl es bei allen als gesichert gilt und mit gr¨oßter Standhaftigkeit zu glauben ist, dass die neutestamentlichen Sakramente die Gnade u¨ berbringen und auf eine gewisse Weise verursachen, wie bereits gesagt worden ist, gibt es doch u¨ ber die Weise, wie sie die Gnade verursachen, und u¨ ber die Kraft, mittels derer sie verursachen, keine ¨ v¨ollige Ubereinstimmung unter den Gelehrten. Vielmehr bestehen dazu zwei ber¨uhmte Ansichten.52
¨ Angesichts der klaren Fronten in der Wirksamkeitsdebatte ist D INKELSB UHLS Ausdrucksweise, es gebe keine plena concordia, durchaus besch¨onigend – es zeugt dies aber vom Stellenwert, den die communis opinio in seiner Darstellung nunmehr einnimmt: Der von ihm erhoffte Idealfall w¨are es ganz offensichtlich, wenn er auch in der Wirksamkeitsfrage auf die einm¨utige Doktrin der großen Lehrer verweisen k¨onnte. Im Vergleich zur bisherigen Diskussion ist dies ein neues Kriterium:53 Hat sich die Debatte seit Mitte des 13. Jahrhunderts um einen Konflikt zwischen der ¨ Rationalit¨at eines Modells und seiner Ubereinstimmung mit klassischen Autorit¨aten gedreht und ist mit den Autorit¨aten-Auslegungen von D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN und von P ETRUS AUREOLI die Rationalit¨at zum einzigen Kriterium avanciert, so kommt mit der Suche nach einer communis opinio nicht nur der autoritative Aspekt wieder in die Debatte zur¨uck, sondern es erhalten diese vergangenen Auseinandersetzungen und die gemeinschaftlichen L¨osungen, 52
Clm 2940, fol. 9rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 8rb: quamvis apud omnes sit certum et firmissime sit credendum quod sacramenta novae legis gratiam conferant et aliquomodo causent ut prius dictum est, tamen de modo causandi eam et de virtute qua mediante causent non est inter doctores plena concordia, sed sunt de hoc duae famosae opiniones. 53 Einzig B ONAVENTURA hat sich im Rahmen der Wirksamkeitsproblematik und angesichts seiner spezifischen Situation bereits mit der communis opinio auseinandergesetzt (s.o., S. 147), ansonsten fehlt sie in der Diskussion – mit Ausnahme h¨ochstens des bisweilen auftretenden Verweises auf das gel¨aufige commune dictum von den Sakramenten, die efficiunt quod figurant. Grunds¨atzlich sind Verweise auf die communis opinio aber ein verbreitetes Argument in scholastischen Debatten, vgl. neben H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Zur¨uck zu Autorit¨at und Tradition. Geistesgeschichtliche Hintergr¨unde des Traditionalismus an den sp¨atmittelalterlichen Universit¨aten, in: A ERTSEN/P ICKAV E´ : ‘Herbst des Mittelalters’? (2004), S. 133–146, hier S. 135 mit Anm. 11, vor allem ROBIGLIO , A NDREA A.: Aspetti della nozione di ‘communis doctrina’ all’inizio del XIV secolo, Bern: Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, 2004 (Akademievortr¨age der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften 11). Wie im ersten Teil im Anschluss an J EAN G ERSON gezeigt worden ist, erhielt der Verweis auf die communis opinio an der Wende zum 15. Jahrhundert dann aber ¨ allgemein ein gr¨oßeres Gewicht, vgl. auch M ULLER , S IGRID: Pierre d’Ailly und die ‘richtige’ Thomas-Interpretation. Theologisch-Hermeneutische Prinzipien als Grundlage des Wegestreits, in: Traditio 60 (2005), S. 339–368.
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die dazu gefunden worden sind, ein eigenes autoritatives Gewicht. Jene neue Form von Autorit¨at, die sich bereits in den Wiener Kommentaren abzuzeichnen beginnt und die herausragende Scholastiker wie T HOMAS oder S COTUS als autoritative Gr¨oßen betrachtet, findet ihren gewichtigsten Ausdruck darin, dass jene Lehren, in welchen diese neuen Autorit¨aten u¨ bereinstimmen, zur Leitlinie f¨ur die eigene Darstellung theologischer Probleme erhoben wird. ¨ Dass nun D INKELSB UHL im Rahmen der Wirksamkeitsdebatte keine solche communis opinio feststellen kann, zeugt zugleich auch f¨ur die große Autorit¨at, die er inzwischen T HOMAS VON AQUIN beimisst. Denn der knappe Durchgang durch die Entwicklung der Diskussion im 14. Jahrhundert im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit hat gezeigt, dass es trotz einiger Ausnahmen wie J OHAN NES VON M IRECOURT, JAKOB VON E LTVILLE und allenfalls auch A RNOLD VON S EEHUSEN sehr wohl eine opinio communis gegeben hat – ist doch die u¨ berragende Mehrheit der Scholastiker als Vertreter des Pakt-Modells in Erscheinung getreten.54 Eine communis opinio herrscht daher im 14. Jahrhundert rein quantitativ gesehen sehr wohl vor – das Problem ist nur, dass T HOMAS VON AQUIN nicht unter ihre Vertreter gerechnet werden kann. W¨ahrend daher T HOMAS VON S TRASSBURG in der ersten H¨alfte des 14. Jahrhunderts noch großz¨ugig hat behaupten k¨onnen, omnes dotores tam moderni quam antiqui betrachteten die sakramentale Urs¨achlichkeit als Pakt-Geschehen,55 ist der Stel¨ lenwert des T HOMAS VON AQUIN f¨ur N IKOLAUS VON D INKELSB UHL nun offensichtlich so groß, dass ihm ohne dessen Einbindung eine opinio communis ¨ undenkbar erscheint. Damit misst D INKELSB UHL dem AQUINATEN eine Rolle bei, die schon kurz nach T HOMAS’ Tod Vertreter des Dominikanerordens f¨ur ihren Ordenslehrer gefordert haben, um ihn schlechthin als den doctor communis zu pr¨asentieren.56 In der Folge ist dieser Anspruch vor allem außerhalb des 54
W¨ahrend neben den drei genannten Namen die Liste der mir bekannten Vertreter des Mitwirkungs-Modells in der Zeit zwischen P ETRUS AUREOLI und dem Beginn des 15. Jahrhunderts einzig noch durch den K¨olner Dominikaner H ENRICUS DE C ERVO zu vervollst¨andigen w¨are, l¨asst sich jene f¨ur die Vertreter der Pakt-Variante fast beliebig erg¨anzen. F¨ur die vorliegende Arbeit u¨ berpr¨uft wurden neben den bisher vorgestellten Autoren die Kommentare von F RANCISCUS DE M ARCHIA, F RANCISCUS DE M AYRONIS, J OHN BACONTHOR PE , W ILHELM VON O CKHAM, WALTER C HATTON , A DAM W ODEHAM, ROBERT H OLKOT , P ETRUS DE AQUILA, H UGOLINO VON O RVIETO, P ETER C EFFONS, M ICHAEL A IGUANI, J O HANNES H ILTALINGEN , M ARSILIUS VON I NGHEN , P IERRE D ’A ILLY , P ETRUS DE C ANDIA und von KONRAD VON S OLTAU; vgl. auch Z AHND: Sentenzenkommentare (2011). 55 Omnis potestas et causalitas sacramentorum respectu divina gratiae est ex divina institutione et ex pacto, quod pepigit Deus cum ecclesia, ut dicunt omnes doctores tam moderni quam antiqui (Commentaria, ed. Venedig 1564, fol. 64va; s.o., S. 128 mit Anm. 31). 56 Ausf¨uhrlich zu dieser Entwicklung ROBIGLIO , A NDREA A.: La sopravvivenza e la gloria. Appunti sulla formazione della prima scuola tomista (sec. XIV), Bologna: Edizioni Studio Domenicano, 2008; vgl. auch die Angaben bei H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Thomas von Aquin und der Dominikanerorden. Lehrtraditionen bei den Mendikanten des sp¨aten Mittelalters, in: Freiburger Zeitschrift f¨ur Philosophie und Theologie 57 (2010), S. 260–285, S. 263f.
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Ordens immer wieder auf heftige Kritik gestoßen, weil doch auch T HOMAS ¨ Lehren vertreten habe, die nicht gemeinschaftsf¨ahig seien.57 D INKELSB UHLS Melker Lectura, in der nicht nur der sanctus oder beatus Thomas auf Schritt und Tritt erscheint, sondern nun offensichtlich auch seine Lehre als fundamentaler Bestandteil der communis opinio betrachtet wird, zeugt am Beginn des 15. Jahrhunderts von einer erfolgreichen nicht-dominikanischen Rezeption dieses Konzepts. ¨ D INKELSB UHL wird damit nicht einfach zum unkritischen Adepten oder gar zum reinen Verteidiger von T HOMAS. Vorerst zumindest stehen sich noch beide Modelle gleichberechtigt gegen¨uber, und wenn er einige Abschnitte sp¨ater angesichts der fehlenden plena concordia in der Wirksamkeitsfrage einige Punkte hervorhebt, in denen sich trotz der unterschiedlichen Modelle eine concordia ausmachen lasse, ist diese Darstellung nicht mehr von T HOMAS VON AQUIN, sondern von einem eher scotistischen Vokabular gepr¨agt.58 Auch im angeh¨angten Dubium dieser vierten Quaestio, das die Thematik des dritten Artikels von ¨ ONB 4820 aufgreift und untersucht, warum Gott u¨ berhaupt bereit sei, mit den Sakramenten Gnade zu spenden, ist N IKOLAUS sichtlich bem¨uht, auf die concordia unter den Scholastikern zu verweisen.59 Denn alle seien sich einig, dass die causa meritoria der sakramentalen Gnade Christi Passion sei. Das Vokabular, das N IKOLAUS allerdings verwendet, um diese Einigkeit zu beschreiben, tr¨agt erneut das deutliche Gepr¨age von S COTUS’ Ordinatio.60 Die communis ¨ opinio setzt D INKELSB UHL daher keineswegs mit den Ausf¨uhrungen und Ar57 Zum grunds¨atzlichen Verst¨andnis von der doctrina communis als einer Lehre, die auch die einfachen Gem¨uter auf dem rechten Weg h¨alt, vgl. ROBIGLIO , A NDREA A.: Christ as the ¨ Common Doctor and John Duns Scotus’s Place in the History of Hermeneutics, in: B UTTGEN : Vera doctrina (2009), S. 85–113, hier S. 109f. F¨ur Beispiele einer entsprechenden Kritik an T HOMAS vgl. die Hinweise bei H OENEN: Lehrtraditionen (2010), S. 268 mit Anm. 24; P IERRE D ’A ILLY wird unten, S. 502 als solcher Kritiker von T HOMAS VON AQUIN in Erscheinung treten. 58 Insbesondere auf zwei Gemeinsamkeiten weist er hin: Ex ambarum opinionum dictis sequitur quod sacramenta novae legis ex se et quantum est ex parte eorum sunt semper efficacia. [..|..]. Secundum ambas opiniones effectus principalis ad quem [add semper AJ II 48] signifcandum et causandum sacramenta instituta sunt et eorum usus institutus est, est gratia gratum faciens (Clm 2940, fol. 12rb–va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 11ra–b). Zur Beschreibung der ¨ ersten Gemeinsamkeit benutzt D INKELSB UHL S COTUS’ Begriff des concomitare (vgl. Ordinatio IV d 1, p 2, q 2, n 229 und n 243, ed. Vaticana (2008), S. 80 und 83); bei der zweiten greift er sogar auf dessen Pakt-Terminologie zur¨uck. 59 Clm 2940, fol. 12va–b = Alba Julia, NLR II 48, fol. 11rb: Sed manet dubium unde et a quo sacramenta habeant huiusmodi efficaciam. Respondent doctores concorditer et dicunt quod habent eam a Deo tamquam a causa principali et efficiente. [...] Secundo dicunt concorditer quod a Christo et eius passione habent sacramenta efficaciam suam ut a causa meritoria. Zur ¨ Behandlung der Thematik in ONB 4820 s.o., S. 339. Beide Aussagen waren auch Teil der ersten Conclusio zur allgemeinen Sakramentenlehre A RNOLDS VON S EEHUSEN, s.o., S. 321. 60 Erneut tauchen das Konzept einer concomitatio sowie die Pakt-Terminologie auf, s.o., Anm. 58.
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gumentationsweisen von T HOMAS gleich; T HOMAS Position erh¨alt in seiner Melker Darstellung der Wirksamkeitsdebatte aber insofern ein besonderes Gewicht, als es offenbar ohne sein Mittun keine opinio communis geben kann. Das zweite theologische Prinzip aber, die Nachordnung der ratio hinter die auctoritas, f¨uhrt nun selbst in der Wirksamkeitsfrage zu einer Bevorzugung von T HOMAS’ Position. Nachdem N IKOLAUS n¨amlich die beiden Opiniones pr¨asentiert und aus beider Perspektive die einleitenden Argumenta widerlegt hat, so dass es scheint, die duae famosae opiniones st¨unden gleichberechtigt nebeneinander, f¨ugt er in seine Darstellung ein kl¨arendes Notandum ein, das nun pl¨otzlich eine eindeutige Wertung enth¨alt: Es ist anzumerken, dass sich jene von der ersten Meinung [die Vertreter des Mitwirkungs-Modells] in erster Linie auf Autorit¨aten und die Redeweise der heiligen Doktoren st¨utzen, die den neutestamentlichen Sakramenten ziemlich offen eine Kraft und eine Urs¨achlichkeit im Hinblick auf die sakramentale Wirkung zusprechen. Dieser alleinige Pakt aber und die Anordnung Gottes u¨ ber eine Wirkung, die durch ihn selbst gegeben wird, schreibt den Sakramenten selbst nichts zu, was in den Bereich einer Ursache f¨allt, sondern nur, was in den Bereich eines Zeichens geh¨ort [...]. Zudem w¨urden sich die neutestamentlichen Sakramente, die sich, wie die zweite Meinung besagt, von den alttestamentlichen Sakramenten nur gem¨aß dieser Anordnung unterscheiden, von ihnen nicht durch etwas unterscheiden, das in den Bereich einer Ursache geh¨ort, sondern bloß gem¨aß der Bezeichnungsweise [...]. Und daher scheint es, dass diese zweite Meinung der Absicht der Heiligen nicht gen¨ugt, deren Aussagen in solchen Dingen mehr Gewicht beizumessen ist als Begr¨undungen und Argumenten.61
Zeichnet sich bereits in den einleitenden Argumenta zu dieser vierten Quaestio ab, dass die Autorit¨aten-Auslegung eines D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN oder eines P ETRUS AUREOLI keine Rolle mehr spielt und daher wieder die Situation des sp¨aten 13. Jahrhunderts aus Ausgangslage genommen wird, so ¨ zieht D INKELSB UHL nun an der vorliegenden Stelle die einzig m¨ogliche Konsequenz aus der so gew¨ahlten Problemstellung: Das Pakt-Modell ist nicht haltbar, weil es den auctoritates nicht gen¨ugt. Das ist nun fast w¨ortlich die Argumentation, die schon P ETRUS DE TARANTASIA, der einzige Scholastiker, 61 Clm 2940, fol. 12rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 11ra: notandum quod isti de prima opinione fundant se principaliter in auctoritatibus et modo loquendi doctorum sanctorum, qui valde aperte attribuunt sacramentis novae legis virtutem et causalitatem respectu effectuum sacramentalium. Pactio autem illa sola et ordinatio Dei de effectu per ipsum dando non tribuit ipsis sacramentis aliquid de ratione causae, sed solum de ratione signi, quia haberent se solum ut denarius plumbeus nihil dans, sed qui solum est signum inidicans [om AJ II 48] debeat accipere. Item sacramenta novae legis quae differunt a sacramentis veteris legis secundum istam ordinationem solum, ut dicit secunda opinio, non differerent ab eis secundum rationem causae, sed solum secundum modum significandi in quantum illa significant gratiam ut statim dandam, illa vero non ut statim. Et ergo videtur quod ista secunda opinio non satisfaciat intentioni sanctorum, quorum dictis in tali materia plus standum est quam rationibus et argumentis.
18.3 Die fehlende communis opinio und der erneute Vorrang der auctoritates
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¨ den D INKELSB UHL neben T HOMAS und S COTUS in der vorliegenden Quaestio namentlich nennt, formuliert hat:62 Auch P ETRUS DE TARANTASIA hat die Maxime des Vorrangs der auctoritates vor der ratio vertreten und sich deswegen T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell angeschlossen.63 Stein des Anstoßes ist ¨ daher bei D INKELSB UHL nicht weniger als bei T HOMAS und seinem sequax P ETRUS DE TARANTASIA die Tatsache, dass in diesem Modell die neutestamentlichen Sakramente als reine Zeichen betrachtet werden, so dass sie nicht als echte Ursachen gelten k¨onnen und sich dadurch nicht wirklich von den alttestamentlichen Sakramenten unterscheiden.64 So sehr N IKOLAUS im Rahmen der Darstellung der zweiten Opinio hervorgehoben hat, inwiefern auch f¨ur die Pakt-Variante dieser Unterschied bestehe,65 und so sehr er ad argumenta principalia aufzeigt, wie sich die auctoritates aus der Perspektive dieses Modells verstehen ließen,66 folgt er in seiner abschließenden Bewertung doch T HOMAS’ Darstellungsweise. Als ob sich die Scholastiker des 14. Jahrhunderts mit der Problematik nie besch¨aftigt h¨atten, l¨asst er sich von den auctoritates wieder zwingen, eine tats¨achliche Urs¨achlichkeit der Sakramente anzunehmen. In der Melker Lectura wertet N IKOLAUS damit nicht nur T HOMAS’ Position auf, sondern er spricht auch S COTUS’ Position, der Position, die im Wiener Kommentarwerk noch klar favorisiert worden ist, die grunds¨atzliche Geltung 62
S.o., S. 362. P ETRUS DE TARANTASIA: In libros sententiarum IV d 1, q un., a 6, qc 1, ed. Toulouse 1651, S. 10b: Haec opinio ultima videtur securior duplici ratione. Una est consonantia auctoritatum: nam opinio haec fidei est, in iis autem quae fidei sunt magis oportet sequi acutoritatem quam rationem. Sancti vero dicunt sacramenta habere vim sanctificandi et huiusmodi. Alia est reverentia sacramentorum, quia secundum opinionem aliam non plus habet virtutis aut sanctitatis, ut videtur, aqua baptismi, quam quaelibet aqua alia, nec sacramenta novae legis sunt causa gratiae, sed signa tantum. Vgl. dazu bereits oben, S. 127. 64 ¨ Dass hier der wunde Punkt liegt, ist D INKELSB UHL nat¨urlich schon in seinem Wiener Kommentarwerk bewusst gewesen, welche die von P ETRUS L OMBARDUS u¨ bernommene AU GUSTINISCHE Unterscheidung zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten je als einziges Argumentum in oppositum anf¨uhren, s.o., S. 303 und 329. Zur Situation am Ende des 13. Jahrhunderts s.o., S. 155. 65 Clm 2940, fol. 12ra–b = Alba Julia, NLR II 48, fol. 10vb–11ra: Ex [illis Clm 2940] dictis patet etiam differentia inter sacramenta novae legis et veteris legis secundum illam opinionem, quia sacramenta novae legis dicuntur | causare gratiam quam significant propter hoc quod talis pactio a Deo circa illa sacramenta est et ordinatio, quod in eorum rita applicatione semper velit causare | gratiam in digne suscipiente. Talis autem pactio non erat facta in sacramentis veteris legis, ut accedentes ad ipsa semper gratiam acciperent. Et ideo dicuntur gratiam non conferre, sed tantum promittebant pro futuro dandam per Christum. 66 Interessanterweise l¨asst er anders als noch im Wiener Kommentarwerk S COTUS’ Erkl¨arung aus, mit der ARISTOTELISCHEN Bestimmung einer virtus als ultimum de potentia k¨onne f¨ur die Sakramentalzeichen im Einklang mit AUGUSTIN behauptet werden, sie bes¨aßen eine virtus, da es das ultimum de potentia eines Zeichens sei, stets sein Bezeichnetes mit sich zu haben (s.o., S. 187). Ganz offensichtlich passt eine solche Argumentationsweise nicht zur ¨ Vorgehensweise, die sich D INKELSB UHL f¨ur die Melker Lectura vorgenommen hat. 63
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Kapitel 18: Der Umschwung in Dinkelsb¨uhls Lectura mellicensis
ab. Die Maxime, auf die er sich beruft, dass in solchen Fragen den Autorit¨aten eher zu folgen sei als Argumenten und Begr¨undungen,67 weist ihn dabei als noch konservativeren Autor als T HOMAS selbst aus. Denn T HOMAS war ja durchaus bem¨uht, rationale Begr¨undungen f¨ur das zu finden, was der Autorit¨aten wegen in seinen Augen alle zu vertreten gezwungen seien: T HOMAS’ Ziel in der Wirksamkeitsproblematik war es, ratio und auctoritas in Einklang ¨ zu bringen.68 D INKELSB UHL allerdings scheint an einer rationalen Begr¨undung der Mitwirkungs-Variante nicht mehr interessiert zu sein, das zeigt ja schon die Tatsache, dass er sich in den Argumenta f¨ur dieses Modell allein auf auctoritates st¨utzt. Obschon er in der Darstellung der Opinio auch einige rationes anf¨uhrt und obschon er gezwungen ist, ad argumenta principalia aus Sicht des Mitwirkungs-Modells die rationes der Pakt-Variante zu widerlegen, h¨alt er sich bei den rationalen Kniffen, die T HOMAS zur L¨osung der Wirksamkeitsproblematik eingef¨uhrt hat, doch erstaunlich zur¨uck: Weder erw¨ahnt er den modus intentionis, noch das esse fluens, auf die in den Wiener Quaestiones noch eingegangen worden ist,69 und die Lehre von den entia incompleta streift er nur ganz beil¨aufig.70 Sein Vorsatz aus dem Pro¨omium, keine u¨ berfl¨ussigen divisiones einzuf¨uhren und den einfacheren Weg zu w¨ahlen, wo dies m¨oglich sei, pr¨agt offensichtlich auch seine Darstellung selbst von T HOMAS VON AQUIN. Bei der eindeutigen Stoßrichtung, die er den auctoritates wieder zuspricht, ist es ja auch gar nicht notwendig, nach rationes zu suchen; es gen¨ugt, als Einstieg in das zitierte Notandum festzuhalten, dass sich die Vertreter des Mitwirkungs67 In etwas anderer Form als im vorliegenden Notandum taucht die Maxime bereits bei der Widerlegung der Argumenta principalia aus der Sicht von T HOMAS’ Position auf: Cum dicitur in illo argumento et in sequenti, scilicet in quarto, quod non sunt multiplicanda miracula sine necessitate, dico quod huiusmodi miracula non ponuntur ibi fieri sine necessitate et rationali causa, quia ponuntur ad salvandum dicta sanctorum quae alias non possunt, ut videtur, rationabiliter salvari. Quia in his quae pertinent ad materiam fidei magis oportet sequi auctoritatem | sacrae scripturae et dicta sanctorum quam rationes et argumenta quae saepe fallunt. Sancti autem expresse dicunt sacramenta novae legis habere virtutem et causare gratiam quam significant, quod sancti non dixissent nec tam diligenter prosecuti fuissent nisi ipsa sacra|menta aliquam talem virtutem et causalitatem crediderint habere (Clm 2940, fol. 10va–b = Alba Julia, NLR II 48, fol. 9rb–va). Auch B ONAVENTURA hat sich im Rahmen seiner Diskussion der Wirksamkeitsproblematik bereits einer a¨ hnlich formulierten Maxime bedient, ihr zum Trotz aber das Pakt-Modell favorisiert: cum loquimur de his quae sunt miraculi, non multum adhaerendum est rationi (Commentaria in libros sententiarum IV, d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 24b; dazu s.o. S. 144). 68 S.o., S. 165. Das heißt nat¨urlich nicht, dass T HOMAS selbst die Maxime nicht auch gekannt h¨atte, vgl. etwa Summa theologiae III, q 43, a 1, resp., ed. Caramello (1956), S. 240b. 69 ¨ So v.a. im Dubium der Quaestiones communes (Clm 8455, fol. 6va und 8ra–b); in ONB 4820 tauchen sie bereits nur noch unter den an T HOMAS kritisierten Punkten auf (fol. 149v). F¨ur deren Ausarbeitung bei T HOMAS selbst s.o., S. 161. 70 Virtus agendi instrumentaliter non datur instrumento saltem complete nisi quando movetur actualiter a principali agente: Clm 2940, fol. 10va = Alba Julia, NLR II 48, fol. 9rb. Zu den entia incompleta bei T HOMAS s.o., S. 159.
18.3 Die fehlende communis opinio und der erneute Vorrang der auctoritates
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Modells auf Autorit¨aten und die Redeweise der Heiligen st¨utzen k¨onnen.71 Was die Mitwirkungs-Variante betrifft, sind rationes daher u¨ berfl¨ussig, die bei T HOMAS noch so vordringliche Rationalisierung des Mitwirkungs-Modells tritt v¨ollig in den Hintergrund; im Hinblick auf das Pakt-Modell allerdings z¨ahlen ¨ alle Uberlegungen und Argumente angesichts der auctoritates nichts. Die Maxime, die den Autorit¨aten so klar den Vorzug vor der ratio gibt, l¨auft in der vorliegenden Situation auf nichts weniger als eine Delegitimierung der rationes hinaus.
71 Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht die einleitende Formulierung, in welcher die auctoritates und der modus loquendi doctorum sanctorum zusammengenommen werden: Im Gegensatz zu S COTUS oder auch zu B ONAVENTURA ist T HOMAS seit 1323 einer der sancti doctores. Damit trifft sich diese zweite Maxime mit dem ersten, oben erw¨ahnten Prinzip, jenem der communis opinio: Denn T HOMAS’ Kanonisation ist ein entscheidender Schritt in dessen Promulgation als doctor communis, vgl. H OENEN: Lehrtraditionen (2010), S. 264.
Kapitel 19
Ergebnisse und Ausblick Der dritte Teil der vorliegenden Untersuchung hat sich einer Reihe von Sentenzenkommentaren aus dem Umfeld der fr¨uhen Wiener Universit¨at gewidmet und mit Blick auf deren Behandlung der allgemeinen Sakramentenlehre einige Beobachtungen sowohl zu stilistischen Entwicklungen als auch zum weiteren Verlauf der Wirksamkeitsdebatte zusammengetragen. Dabei hat sich gezeigt, dass sich in struktureller Hinsicht ebenso wie in inhaltlicher traditionelle Elemente zusehends verst¨arkt haben, was in der Melker Lectura des N IKOLAUS ¨ ¨ VON D INKELSB UHL einen vorl¨aufigen H¨ohepunkt findet: D INKELSB UHL richtet seine Melker Sentenzenlesung so konservativ aus, dass er nicht nur in einem neuen Stil schreibt, sondern dem Wiener Kommentarwerk gegen¨uber auch eine Kehrtwende in der Behandlung der Wirksamkeitsproblematik vollzieht. Die einleitenden Quaestionen dieser Lectura mellicensis belegen damit beispielhaft, welche konkreten Folgen eine Neuausrichtung der scholastischen Lehre haben kann, wie sie im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung beschrieben worden ist. Wie bereits am Ende der beiden vorangehenden Teile seien die wichtigsten Ergebnisse dieses dritten Teils in einigen Punkten zusammengefasst und von da aus ein Ausblick auf die weiteren Entwicklungen skizziert.
19.1 Conclusiones ¨ Dass N IKOLAUS VON D INKELSB UHL in seiner Melker Lectura eine andere L¨osung der Wirksamkeitsproblematik pr¨asentiert, als im Wiener Kommentarwerk vertreten worden ist, zeugt von einem konservativen Ansatz, der hinter die Entwicklungen des 14. Jahrhunderts zur¨uckblickt. Der vorliegende Durchgang durch die Behandlung der Wirksamkeitsfrage in Sentenzenkommentaren zwischen dem fr¨uhen 13. und dem fr¨uhen 15. Jahrhundert macht damit eine pendelartige Bewegung sichtbar: W¨ahrend f¨ur Autoren wie B ONAVENTURA und T HOMAS VON AQUIN die dicta sanctorum noch unbestritten das MitwirkungsModell favorisieren, verlieren sie im fr¨uhen 14. Jahrhundert mit den Auslegungen von D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN und P ETRUS AUREOLI ihre eindeutige Stoßrichtung. F¨uhrt dies nun bei den nachfolgenden Generationen erst
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einmal zu einer ‘Rationalisierung’ der Debatte und schließt die Autorit¨aten aus den Argumenten und Begr¨undungen der beiden Wirksamkeits-Modelle aus, so ¨ schl¨agt bei D INKELSB UHL das Pendel wieder auf die andere Seite aus: Als ob D URANDUS und AUREOLI die auctoritates nie ausgelegt h¨atten, l¨asst sich N I KOLAUS in seiner Melker Lectura von einem Autorit¨atenverst¨andnis leiten, wie es urspr¨unglich die Wirksamkeitsdebatte des 13. Jahrhunderts gepr¨agt hat. ¨ Anders allerdings als im 13. Jahrhundert versucht D INKELSB UHL nicht, dieses alte Verst¨andnis der auctoritates mit einer rationalen Erkl¨arung in Einklang zu bringen; vielmehr nimmt er mit seiner Maxime, es sei in Glaubensfragen den dicta sanctorum eher Folge zu leisten als Vernunftgr¨unden, ein unvers¨ohntes Nebeneinander von auctoritas und ratio in Kauf. Dass ihn dies nicht weiter st¨ort, macht einen fundamentalen Unterschied zu den Ans¨atzen des 13. Jahrhunderts deutlich: Dort war das Bem¨uhen um einen Ausgleich zwischen Autorit¨aten und Vernunft noch so stark, dass R ICHARD F ISHACRE und B ONAVEN TURA sogar bereit waren, den Wortsinn der auctoritates in Frage zu stellen, w¨ahrend sich T HOMAS im Ringen um diesen Wortsinn u¨ berhaupt erst gezwungen sah, ein Mitwirkungs-Modell auszuarbeiten. In der Perspektive des 13. Jahrhunderts konnte es schlicht nicht sein, dass Vernunftgr¨unde zu einem anderen Schluss f¨uhrten als zu jenem, den die veritas fidei festhielt.1 Das gilt selbst f¨ur P ETRUS DE TARANTASIA, der zwar die wahrscheinliche Vorlage f¨ur D IN ¨ KELSB UHLS Maxime bildet, in seinen eigenen Ausf¨uhrungen aber dennoch auf rationalen Begr¨undungen nicht weniger aufbaut als auf auctoritates.2 Auch die Autorit¨aten-Auslegungen von D URANDUS und P ETRUS AUREOLI sind noch von dieser Perspektive gepr¨agt: Ihr exegetisches Bem¨uhen will ja gerade aufzeigen, dass zwischen auctoritas und ratio kein Konflikt bestehe, weil eben die auctoritates f¨ur die Mitwirkungs-Variante u¨ berhaupt nicht in Anspruch genom¨ men werden k¨onnten. Demgegen¨uber nimmt D INKELSB UHL das unvers¨ohnte Nebeneinander von auctoritas und ratio gar nicht mehr als Konflikt wahr, den es zu l¨osen gilt; vielmehr gen¨ugt es ihm, ohne weitere Begr¨undung den auctoritates zu folgen. Damit nimmt er eine bisher nicht vertretene Extremposition im Umgang mit den auctoritates ein: Am anderen Ende von dem, was F ISHACRE und B ONAVENTURA zu tun bereit gewesen sind, indem sie die auctoritates in ¨ einem uneigentlichen Sinn interpretiert haben, setzt D INKELSB UHL nun um1
So ist denn in j¨ungerer Zeit aufgezeigt worden, dass es – allen Mythen zum Trotz – in der zweiten H¨alfte des 13. Jahrhunderts keine Vertreter einer ‘doppelten Wahrheit’ gegeben hat, vgl. neben F LASCH , K URT: Aufkl¨arung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, Mainz: Dieterich, 1989 (excerpta classica 6), nun auch B IANCHI , L UCA: Pour une histoire de la ‘double v´erit´e’, Paris: Vrin, 2008. 2 Vgl. insbesondere die zweite Quaestiuncula von P ETRUS’ Bearbeitung der Wirksamkeitsproblemaitk, welche den Aspekt einer sakramentalen Kraft aufgreift: Hier ist von einem Vorrang der auctoritas vor der ratio keine Rede mehr (In libros sententiarum IV d 1, q un., a 6, qc 2, ed. Toulouse 1651, S. 11a–b).
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Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
gekehrt den Hebel bei den rationes an und ist bereit, in Glaubensdingen die Legitimit¨at der ratio in Frage zu stellen. ¨ Trotz des grundlegend skeptischen Ansatzes, den D INKELSB UHL damit verfolgt, werden aus seiner Melker Bearbeitung der Wirksamkeitsfrage nun aber ¨ zwei Dinge deutlich: Dass D INKELSB UHL den auctoritates folgt, ohne die dagegenstehenden rationes rational entkr¨aften zu m¨ussen, dass er insofern keinen Konflikt zwischen den beiden Begr¨undungsweisen zu erkennen scheint, verdeutlicht erstens, dass er kein Vertreter der These einer doppelten Wahrheit ist, wie sie im 13. Jahrhundert als einzig m¨ogliche Alternative zu einer Vers¨ohnung von acutoritas und ratio gesehen worden ist.3 Indem er grunds¨atzlich bereit ist, in Glaubensdingen die Legitimit¨at von rationes in Frage zu stellen, kann es gar nicht erst zu konfligierenden Wahrheiten kommen, weil er rationes in diesem Bereich nur bedingt f¨ur wahrheitsf¨ahig h¨alt. Dies zeigt sich gerade in seiner Darstellung von T HOMAS’ Modell, wo er auf die subtilen Argumentationsweisen des AQUINATEN verzichtet und sogar behauptet, es st¨utzten sich die Vertreter des Mitwirkungs-Modells vor allem auf die dicta sanctorum. Was einer massiven Verkennung des rationalen Anspruchs von T HOMAS’ L¨osungsversuch gleichkommt, nimmt methodisch einen Ansatz auf, der bereits im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung begegnet ist und der ebenso von unterschiedlichen – und damit außer Konkurrenz stehenden – Argumentationsweisen f¨ur theologische Begr¨undungen und f¨ur Begr¨undungen in anderen Disziplinen ausgegangen ist: Es ist dies der Ansatz von G ERSONS De duplici logica.4 ¨ So sehr D INKELSB UHLS sp¨ate Favorisierung der Mitwirkungs-Variante nun zweitens von einer Haltung motiviert ist, die fideistische Z¨uge tr¨agt, zeigt sein Vorgehen doch, dass er sich nicht einfach mit einer bloßen Auflistung von Glaubenswahrheiten begn¨ugt. Der Entscheid f¨ur das Mitwirkungs-Modell f¨allt erst ganz am Schluss seiner Darstellung, nachdem er sich u¨ ber Seiten hinweg mit den beiden Modellen auseinandergesetzt und darum gerungen hat, aus beiden Perspektiven eine plausible Antwort auf die Wirksamkeitsfrage zu bieten. Obwohl N IKOLAUS in Glaubensdingen den dicta sanctorum den Vorzug geben will und obgleich er sich bereits im Pro¨omium modo faciliori vorzugehen vorgenommen hat,5 macht er es sich selbst nicht leicht, sondern zielt auf eine umfassende Darstellung und Durchdringung seiner Problematik ab. Damit erh¨alt seine Lectura mellicensis ein Gepr¨age, das vor allem auf die Vermittlung und weniger auf die Produktion von Inhalten angelegt ist. Dieser grundlegend di3
Vgl. die ber¨uhmte Passage aus der Vorrede von S TEPHAN T EMPIER zurm Syllabus vom 7. M¨arz 1277: dicunt enim ea esse vera secundum philosophiam, sed non secundum fidem catholicam, quasi sint duae contrariae veritates, et quasi contra veritatem sacrae scripturae sit veritas in dictis gentilium damnatorum (zitiert nach F LASCH: Aufkl¨arung im Mittelalter? (1989), S. 89). 4 S.o., Teil I, Kap. 3.1. 5 So die Formulierung im Pro¨omium der Melker Lectura, s.o., S. 34.
19.1 Conclusiones
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daktische Ansatz zeigt sich auch etwa in N IKOLAUS’ ausf¨uhrlicher Verwendung von Exempla oder in der Art und Weise, wie er die Probleme der allgemeinen Sakramentenlehre auf mehrere kleinere, logisch durchstrukturierte Fragen verteilt. Sein Anspruch ist nicht, sich selbst als brillianten Scholastiker zu pr¨asentieren, sondern eine verst¨andliche und ausgewogene Darstellung bereits ausgearbeiteter scholastischer Lehren zu bieten.6 Wenn er als Abschluss seiner so pr¨asentierten Wirksamkeitsproblematik der fides den Vorzug gibt vor der ratio, so mag ihn dies pers¨onlich zwar als Fideisten ausweisen, es schm¨alert aber die Bedeutung seiner Darstellung nicht, da er sich ja gerade darum bem¨uht hat, als bloßer Wissens-Vermittler seine eigene Person herauszuhalten. Mit dieser konsequenten Ausrichtung auf die Vermittlung von Wissen, mit der Zur¨uckhaltung subtilen Argumentationsformen gegen¨uber oder mit der Portionierung seines Materials in kleinere, u¨ berschaubare Quaestionen setzt D IN ¨ KELSB UHL tats¨achlich um, was er sich im Pro¨omium der Lectura mellicensis vorgenommen hat. Dieser Umschwung in der Arbeits- und Denkweise l¨asst sich biographisch, wie im ersten Teil dieser Untersuchung gezeigt worden ist, auf N IKOLAUS’ Aufenthalt am Konstanzer Konzil und insbesondere auf seine Begegnung mit dem Pariser Kanzler J EAN G ERSON zur¨uckf¨uhren. Dennoch ist im vorliegenden dritten Teil deutlich geworden, dass diese Neuausrichtung ¨ der Melker Lectura auch im Hinblick auf D INKELSB UHLS Wiener Umfeld nicht aus dem Nichts heraus entstanden ist. G ERSON hat seine Ans¨atze vielmehr in einen gut vorbereiteten Boden pflanzen k¨onnen. Mit der Prager Lectura des H EINRICH VON OYTA steht in Wien von Anfang an ein Kommentar zur Verf¨ugung, der stilistisch weit hinter die Konventionen des 14. Jahrhunderts zur¨uckweist; und H EINRICHS Pariser Quaestionen zeigen ein Interesse insbesondere an S COTUS, das ihm als herausragendem Scholastiker bereits einen gewissen autoritativen Charakter zuspricht. Wo zudem das Ph¨anomen des Wiener Gruppenkommentars diesen Gruppentext selbst zu einer Art von Diskurs sichernder Autorit¨at werden l¨asst, l¨asst sich eine Wiederkehr der auctoritas schließlich auch durch dessen verschiedene Ausarbeitungen hindurch nachweisen – sei es, weil vermehrt wieder Autorit¨aten in den einleitenden Argumenta auftauchen, sei es, weil neue Autorit¨aten wie T HOMAS VON AQUIN und S CO TUS f¨ ur die einzelnen Darstellungen immer zentraler werden. In der Lectura mellicensis treten diese Tendenzen nicht nur in verst¨arkter und konzentrierter Form auf, sondern sie f¨uhren zu inhaltlichen Umbr¨uchen und stilistischen Neuerungen, die schließlich auch von einer ver¨anderten Rol6 Dies mag nun nat¨urlich auch damit zusammenh¨angen, dass die Melker Lectura nicht mehr als Vorstufe zur Erlangung des Magister-Grads gehalten worden ist, so dass darin auch nicht so sehr die scholastische Kompetenz des Kommentators hat bewiesen werden m¨ussen. Sollte ¨ D INKELSB UHL allerdings tats¨achlich ein zweites Mal in Wien u¨ ber die Sentenzen gelesen haben, so w¨are dies auch bei diesen Quaestiones magistrales bereits nicht mehr der Fall gewesen, wo ein Vermittlungs-Aspekt aber keine vergleichbare Rolle spielt.
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Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
¨ le des Kommentatoren selbst zeugen: W¨ahrend D INKELSB UHL in der Melker Lectura als zur¨uckhaltender Wissens-Vermittler in Erscheinung tritt, haben sich die Autoren der Wiener Kommentare noch als findige Dialektiker bet¨atigt, die in Correlaria und mit Obiectiones den gemeinsamen Grundtext zu hinterfragen suchen. Dient dieser kritische Blick in den Wiener Kommentaren dazu, dass die Bakkalearen einen eigenen Standpunkt herausarbeiten und ihre pers¨onliche ¨ theologische Kompetenz unter Beweis stellen, orientiert sich D INKELSB UHL nun in seiner Melker Lectura an der communis opinio, die er den Schriften seiner großen Vorg¨anger entnimmt. Interessanterweise f¨uhrt dies zu einem neuen Umgang mit diesen Schriften: So sehr es den Wiener Kommentatoren auch gelingt, durch die Auswahl ihrer Vorlagen und mit nuancierten redaktionellen Eingriffen ihren Ausarbeitungen der Wirksamkeitsproblematik ein je spezifisches Gepr¨age zu verleihen, so sind sie doch u¨ ber weite Strecken von ihren Vorlagen literarisch abh¨angig, weshalb ihre Kommentare unter die Lecturae secundum ¨ alium zu z¨ahlen sind. In D INKELSB UHLS Melker Lectura ist dies nicht mehr der Fall: Zwar orientiert er sich insbesondere an T HOMAS VON AQUIN und u¨ bernimmt auch einzelne Passagen w¨ortlich aus dessen Sentenzenkommentar, doch pr¨asentiert er das gesammelte Material weitgehend in eigenst¨andigen Formulierungen. Sein neues Ziel, die verst¨andliche und ausgewogene Vermittlung von theologischen Inhalten, bedarf einer Anpassung der Sprache, einer Sprache, die – wie es N IKOLAUS im Pro¨omium der Lectura mellicensis ausf¨uhrt – dem Verm¨ogen seiner Zuh¨orer, seiner Studenten und Sch¨uler angemessen ist. Auch wenn sich N IKOLAUS noch keiner Schule zuordnen l¨asst (wie sie sich zeitgleich mit seiner Melker Lectura im Rahmen des Wegestreits herauszubilden beginnen), ist mit ihm doch der Schul-Theologe des 15. Jahrhunderts geboren.
19.2 Nachwirkungen ¨ N IKOLAUS VON D INKELSB UHL ist im 15. Jahrhundert sicher einer der einflussreichsten Scholastiker im Einzugsgebiet nicht nur der Wiener Universit¨at, sondern auch der zahlreichen Benediktiner-Stifte, die mit Melk und der von dort ausgehenden Reformbewegung in Verbindung gestanden sind. Dass insbe¨ sondere D INKELSB UHLS Melker Lectura eine enorme Rezeption erfahren hat, zeigen nicht nur die fast 200 Handschriften, in denen das Werk verteilt u¨ ber die Bibliotheken ganz Zentraleuropas erhalten geblieben ist,7 sondern es best¨atigen 7 ¨ -Handschriften bietet M ADRE: NiEine Kartenskizze zur Verteilung von D INKELSB UHL ¨ kolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 340–341 (Einlage). Auch wenn es sich um eine Ubersicht u¨ ber s¨amtliche erhaltenen Handschriften handelt, ist die Verteilung doch auch f¨ur Handschriften der Melker Lectura repr¨asentativ. Zu den Handschriften vgl. ebd. S. 115–120, sowie RS 569 und demn¨achst auch C ALMA/S CHABEL: Nicholas of Dinkelsb¨uhl (erscheint 2014).
19.2 Nachwirkungen
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dies auch unz¨ahlige Abbreviationes, die im Verlauf des 15. Jahrhunderts von dieser Lectura entstanden sind.8 Belegen die unz¨ahligen Abschriften, dass der Ansatz des Melker Kommentars einer verst¨andlich und ausgewogen dargelegten Wissens-Vermittlung ganz offensichtlich von Erfolg gekr¨ont gewesen ist, so l¨asst sich in den Abbreviationes sogar nachvollziehen, inwiefern dieser Ansatz auch aktiv u¨ bernommen und allenfalls weitergef¨uhrt worden ist. Interessanterweise pr¨asentiert sich dabei ein erstaunlich buntes Bild, wie ein kurzer Blick auf die einschl¨agigen Stellen zur Wirksamkeitsproblematik in dreien dieser Abbreviationes best¨atigt. 19.2.1 Die Abbreviationes von Nikolaus Auer, Johannes Harrer und Johannes Schlitpacher Eine erste Abbreviatio, auf die hier kurz eingegangen sei, stammt von N IKO LAUS AUER DE S WINDACH , einem Benediktinerm¨ onch aus Tegernsee, der es sich zur Jahrhundertmitte vorgenommen hat, ex dictis sive quaestionibus Magistri Nicolai de Dincklsp¨uchl einiges zur Sakramentenlehre zusammenzutragen.9 Bei diesen dictis sive quaestionibus handelt es sich um nichts anderes als um die Lectura mellicensis, an der sich N IKOLAUS AUER sehr eng orientiert: Zwar greift er bisweilen strukturierend ein, indem er Textpassagen umstellt oder ¨ Conclusiones von D INKELSB UHL in Dubia umwandelt,10 und regelm¨aßig k¨urzt die einleitenden Argumenta sowie die abschließenden Antworten darauf weg. Bei der hier interessierenden vierten Quaestio zur Wirksamkeitsproblematik streicht er zudem auch s¨amtliche Exempla heraus, so dass zumindest ein Ele¨ ment wegf¨allt, das D INKELSB UHLS p¨adagogischen Ansatz ausgezeichnet hat. Ansonsten h¨alt sich N IKOLAUS AUER aber an den Wortlaut seiner Vorlage, ¨ greift s¨amtliche Begr¨undungen auf, die D INKELSB UHL f¨ur die beiden Positio¨ nen zusammengetragen hat, und zitiert auch D INKELSB UHLS abschließendes Notandum mit dessen Bevorzugung von T HOMAS’ Position in voller L¨ange.11 8 M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 122–125, geht auf f¨unf solche Kurzfassungen etwas genauer ein. Das RS listet u¨ ber 20 Abbreviationes auf (Nr. 572–585, sowie die bei Nr. 572 aufgez¨ahlten Querverweise); doch steht eine genauere Untersuchung noch aus, ob es sich dabei je um eigenst¨andige Kurzfassungen oder um voneinander abh¨angige Versionen handelt. 9 Cum animadverterem plures se casus offerre in quibus oportet sacerdotem tam sibi quam aliis consulere de sacramentis ecclesiae iuxta illud Malachiae ‘labia sacerdotis custodient scientiam et legem requirent ex ore eius quia angelus etc.’, porro cogitavi aliqua in unum aggregare de praefatis sacramentis ecclesiae ex dictis sive quaestionibus Magistri Nicolai de Dincklsp¨uchl (Clm 18895, fol. 4r). Gem¨aß M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 123, hat N IKOLAUS AUER seine Abbreviatio 1452 verfasst. 10 ¨ So etwa gleich in der ersten Quaestio, wo N IKOLAUS AUER D INKELSB UHLS erste und zweite Conclusio als Dubia zwischen die ersten beiden Notanda einschiebt und erst im An¨ schluss daran auch das dritte Notandum u¨ bernimmt, das D INKELSB UHL noch direkt nach den zwei ersten Notanda angebracht hat, vgl. Schema 8 auf S. 353. 11 Clm 18895, fol. 11r–v.
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Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
F¨ur eine Abbreviatio nicht u¨ berraschend konzentriert sich N IKOLAUS AUER daher auf jene Passagen, an denen sich das argumentative Fortschreiten seiner Vorlage nachzeichnen l¨asst. Weil neben den Exempla auch die Antworten ad argumenta principalia bei beiden Opiniones wegfallen, tritt die ausgleichende Darstellungsweise der Vorlage allerdings in den Hintergrund und die abschließende Bevorzugung des Mitwirkungs-Modells erh¨alt ein gr¨oßeres Gewicht. Anders verh¨alt es sich bei einer zweiten Abbreviatio, die fast zeitgleich mit jener N IKOLAUS AUERS von J OHANNES H ARRER VON H EILBRONN an der Universit¨at Wien verfasst worden ist. J OHANNES H ARRER wird 1451 Sententiar und verfasst einen Kommentar u¨ ber s¨amtliche vier Sentenzenb¨ucher, wobei ¨ er jenen zu Buch IV als Zusammenfassung von D INKELSB UHLS Melker Lectura konzipiert.12 Diese handschriftlich weit verbreitete Abbreviatio13 ist knapper gehalten als jene von N IKOLAUS AUER, und J OHANNES H ARRER folgt – zumindest in den untersuchten einleitenden Quaestionen zur allgemeinen Sakramentenlehre – dem Aufbau und der Struktur seiner Vorlage, ohne selbst in den Text einzugreifen.14 Auch bei ihm werden einleitende Argumenta und die zugeh¨origen abschließenden Antworten durchgehend weggek¨urzt; in der vierten Quaestio zur sakramentalen Wirksamkeit beschr¨ankt er seinen Text zudem auf die Begr¨undungen der beiden Positionen. Auch die Exempla entfallen zum ¨ gr¨oßten Teil15 – v¨ollig weggestrichen wird zudem D INKELSB UHLS abschließendes Notandum mit der Bevorzugung von T HOMAS’ Modell, so dass die beiden Opiniones unbewertet nebeneinander stehen bleiben. Der ausgleichen¨ de Charakter von D INKELSB UHLS Darstellung wird damit verst¨arkt; dessen Pointe, dass in Glaubensfragen den auctoritates mehr Gewicht zu geben sei als rationes, entf¨allt aber. Anders als seine Vorlage bezieht J OHANNES H ARRER keine Position, und es bleibt somit dem Leser u¨ berlassen zu entscheiden, welches der beiden Modelle ihm plausibler erscheint. 12 RS 452 und M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 124f.; zur akademischen Laufbahn von J OHANNES H ARRER, der erst 1467 das theologische Lizenziat erwirbt, vgl. das RAG (ID 2147108410). 13 Von den 34 im RS aufgelisteten Textzeugen enthalten 27 auch Buch IV, 17 davon enthalten ausschließlich den Text dieser Abbreviatio. Vgl. auch RS 453 und 453,1, wo ebenfalls nur Abschriften zu Buch IV u¨ berliefert sind. 14 Dass in der Handschrift Prag, Nat. I.C.15 die einzelnen Quaestiones als Dubia ausgewiesen werden, d¨urfte auf den Schreiber, und nicht auf J OHANNES H ARRER selbst zur¨uckgehen: In der anderen hier beigezogenen Handschrift Clm 14152 fehlen diese Umbezeichnungen; zudem ¨ sind im vorliegenden Abschnitt die ‘eigentlichen’ Dubia aus D INKELSB UHLS Vorlage durchgez¨ahlt, so dass in Prag, Nat. I.C.15 das strukturell sechste Dubium mit dubitatur secundo eingeleitet wird (ebd. fol. 8va). 15 Gegen Ende seiner Darstellung der Begr¨undungen zu S COTUS’ Modell greift J OHANNES H ARRER das Beispiel des Blei-Denars auf, merkt dann aber an: plura exempla vide in [q.m.n.d. Clm 14152] (Clm 14152, fol. 3va = Prag, Nat. I.C.15, fol. 8ra–b).
19.2 Nachwirkungen
381
Eine dritte Abbreviatio, die bereits etwas fr¨uher vom Melker Benediktiner J OHANNES S CHLITPACHER VON W EILHEIM verfasst wird und ebenfalls einige Verbreitung findet,16 w¨ahlt noch einmal einen anderen Weg: Auch diese Abbreviatio ist sehr kurz gehalten,17 und auch J OHANNES S CHLITPACHER verzichtet durchgehend auf einleitende Argumenta und deren zugeh¨orige abschließende Antworten. In der Wirksamkeitsfrage unterscheidet sich seine Arbeit nun aber von den beiden anderen hier besprochenen Abbreviationes in zwei Punkten: Erstens interessiert er sich auch f¨ur die Exempla und f¨uhrt f¨ur beide Opiniones eine gek¨urzte Auswahl aus seiner Vorlage an, so dass sich begr¨undender und illustrierender Teil in seiner Zusammenfassung der zwei Positionen ungef¨ahr die Waage halten. Zweitens greift er am Ende der jeweiligen Darstellung selbst in den Text ein: Nach den Ausf¨uhrungen zum Mitwirkungs-Modell, die wie auch in der Vorlage den Anfang machen, schiebt er bereits einen Satz aus ¨ D INKELSB UHLS abschließendem Notandum ein, und dies mit einer entscheidenden Modifikation: S CHLITPACHER, Abbreviatio18
¨ , Lectura19 D INKELSB UHL
Et illa opinio fundatw se principaliter in aucoritatibus et modo loquendi sanctorum doctorum quorum dictis in illa materia forte plus standum est quam rationibus et argumentisx .
Isti de prima opinione fundant se principaliter in auctoritatibus et modo loquendi doctorum sanctorum [...] quorum dictis in tali materia plus standum est quam rationibus et argumentis.
¨ W¨ahrend f¨ur D INKELSB UHL die dicta sanctorum noch unbestritten zu bevorzugen sind, ist dies f¨ur J OHANNES S CHLITPACHER nur noch vielleicht der Fall. 16 RS 496 und M ADRE: Nikolaus von Dinkelsb¨uhl (1965), S. 122f. Als Motivation f¨ur seine Abbreviatio erkl¨art J OHANNES S CHLITPACHER: Perlegere cupiens lecturam cuiusdam venerabilis doctoris super quarto sententiarum sensi meam quam valde habeo labilem memoriam, quare ne hunc perderem laborem cogitavi quaedam puncta principalia quasi quosdam flosculos excerpere suaviores, ut materias circa praefatum librum tractari solitas, summatim quoadmodum collectas, deinceps promptius valerem invenire (Clm 3564, fol. 14ra). Zu J OHANNES S CHLITPACHER vgl. T REUSCH , U LRIKE: Bernhard von Waging (+ 1472), ein Theologe der Melker Reformbewegung. Monastische Theologie im 15. Jahrhundert? T¨ubingen: Mohr Siebeck, 2011 (Beitr¨age zur historischen Theologie 158), S. 29, sowie W ORSTBROCK , F RANZ J O SEPH : Schlitpacher, Johannes, in: Verfasserlexikon, Band 8, 2010, S. 727–748. 17 Zu seinem Vorgehen erkl¨art J OHANNES S CHLITPACHER: Mihi autem curae fuit in praesenti opusculo potiores materias finaliter claudere quas praefatus magister [Nicolaus de Dincklsp¨uel] pertractat, licet inerter et minus docte egerim, aliquando etiam sed raro aliquid addidi prout legendo occurrit, nil tamen temere asserens, sed omnia correctioni subiciens orthodoxorum cultorum sanctae fidei. Si autem aliqua recte collecta reperta fuerint domino omnium bonorum largitori attribuatur (Clm 3564, fol. 137vb; vgl. R AUNER: Lateinische Handschriften BSM III.3 (2007), ad Clm 3564). 18 Clm 3564, fol. 16ra. 19 Clm 2940, fol. 12rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 11ra. w
fundit Clm 3564
x
articulis Clm 3564
382
Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
Entsprechend f¨ugt er auch am Ende seiner Zusammenfassung des Pakt-Modells einen kurzen Kommentar ein, in dem er diesmal auf eine Formulierung aus N I KOLAUS’ erster Begr¨ undung zu diesem Modell zur¨uckgreift: Es ist das Grundmotiv dieser [zweiten] Meinung, dass es u¨ berfl¨ussig erscheint, in den Sakramenten eine solche Kraft anzunehmen; auch d¨urfen ohne Notwendigkeit die Wunder nicht vervielfacht werden. Und sie erscheint h¨ochst wahrscheinlich (valde probabilis), auch wenn sie der Intention der Heiligen nicht ebenso ausdr¨ucklich entspricht wie die erste Meinung.20
Der Intention seiner Vorlage entgegen favorisiert S CHLITPACHER wieder das ¨ Pakt-Modell, indem er den Gegensatz herunterspielt, den D INKELSB UHL in der Lectura mellicensis zwischen auctoritas und ratio aufbaut. Damit wird es ihm m¨oglich, sich wieder auf die Rationalit¨at der Modelle zu konzentrieren: ¨ Wie bereits in ONB 4820, wo das Pakt-Modell ebenfalls f¨ur multum verisimilior gehalten haben,21 ist es auch f¨ur S CHLITPACHER wieder dessen gr¨oßere Wahrscheinlichkeit, die den Ausschlag f¨ur seine Bevorzugung von S COTUS’ Opinio gibt. In drei Abbreviationes desselben Texts wird damit dreimal ein anderer Umgang mit der Wirksamkeitsproblematik pr¨asentiert. In einem gewissen Sinn darf ¨ dies sogar als Erfolg von D INKELSB UHLS Ansatz in seiner Melker Lectura gewertet werden: Sein Vermittlungs-Ziel hat er offensichtlich so gut erreicht, dass seine Darstellung Verfechter f¨ur beide Seiten hat mobiliseren k¨onnen. Dass seine Maxime mit ihrer Vorortung der auctoritas vor der ratio bei J OHANNES H ARRER gar nicht mehr auftritt und bei J OHANNES S CHLITPACHER heruntergespielt wird, illustriert damit ein weiteres Mal ein Ph¨anomen, das sich im Verlaufe dieses dritten Teils der vorliegenden Untersuchung bereits mehrfach hat nachweisen lassen: Von der Rezeption des T HOMAS VON AQUIN in der Prager Lectura H EINRICHS VON OYTA oder der Rezeption JAKOBS VON E LT¨ VILLE in D INKELSB UHLS Quaestiones communes u¨ ber die nuancierten Ausarbeitungen der Wiener-Gruppe bis hin zu den vorliegenden Abbreviationes der Lectura mellicensis bewahren sich die Bearbeiter trotz engster Anlehnung an ihre Vorlagentexte einen eigenst¨andigen Zugang zu den dargestellten Inhalten ¨ und verleihen den Texten damit ihr je eigenes Gepr¨age.22 D INKELSB UHLS breite Rezeption im Umfeld der Wiener Universit¨at und der Melker Reformkl¨oster mag auch damit zusammenh¨angen, dass seine ausgewogene Darstellungsweise solch eigenst¨andige Zug¨ange erm¨oglicht und gef¨ordert hat. 20 Et est ratio illius oppinionis quia videtur superfluum ponere talem virtutem in sacramentis, nec oportet multiplicare mirabilia sine necessitate. Et videtur valde probabilis, licet non ita expresse consonet intentioni sanctorum ut prima opinio (Clm 3564, fol. 16va). 21 S.o., S. 346. 22 S.o., Kap. 15.2 (H EINRICH VON OYTA), Kap. 17.1 (Quaesiones communes), und Kap. 17.2.4 (Wiener-Gruppe).
19.2 Nachwirkungen
383
¨ Uber dieses Melker und Wiener Umfeld hinaus wird es allerdings schwierig, ¨ konkrete Nachwirkungen von D INKELSB UHLS Umschwung, wie er sich in seiner Melker Lectura pr¨asentiert, nachzuweisen.23 Die Situation in diesen ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts ist nicht mehr vergleichbar mit jener 100 Jahre fr¨uher, wo die Ausf¨uhrungen eines D URANDUS und eines AUREOLI noch die gesamte Wirksamkeitsdebatte beeinflusst haben. Mit dem großen Schisma und den universit¨aren Neugr¨undungen bilden sich um 1400 eigenst¨andige intellektuelle Zentren, die durchaus weiterhin in Kontakt stehen, aber nicht gezwungen sind, direkt auf die Wissens-Produktionen in den anderen Zentren zu reagieren.24 Es ist daher nicht mehr zu erwarten, dass europaweit eine ganze Debatte von den Ausf¨uhrungen einer einzigen Person gepr¨agt wird. Zu finden sind al¨ . lerdings a¨ hnlich gelagerte F¨alle wie jener von D INKELSB UHL 19.2.2 Ein Quervergleich: Dionysius der Kart¨auser Ein solcher Fall sei an dieser Stelle noch aufgegriffen: Es handelt sich um je¨ nen von D IONYSIUS DEM K ART AUSER , der im Vergleich zu den anderen hier behandelten Figuren ein Außenseiter gewesen ist. Nach einem kurzen ArtesStudium an der K¨olner Universit¨at tritt D IONYSIUS um 1424 in die Kartause von Roermond ein, die er Zeit seines Lebens nur noch zweimal verl¨asst.25 Dort setzt er aber schon bald zu einer literarischen Produktion an, die ihresgleichen sucht: Zwischen 1429 und seinem Todesjahr 1471 verfasst D IONYSIUS eine enzyklop¨adisch anmutende Sammlung von mindestens 184 Schriften; neben Gelegenheitstraktaten und asketischen und mystischen Werken legt er die ganze Bibel aus, verfasst Kommentare unter anderem zu D IONYSIUS A EROPA GITA und B OETHIUS, stellt eine Medulla zur Summa Theologiae von T HOMAS VON AQUIN zusammen und erarbeitet zwischen 1459 und 1464 auch einen 23 ¨ Eine unerwartete Anlehnung an D INKELSB UHL wird sich im vierten Teil bei P ELBARTUS T EMESWAR (bzw. seinem Sch¨uler O SWALD DE L ASKO) nachweisen lassen, s.u., S. 490. 24 ¨ Vgl. allgemein NARDI , PAOLO: Die Hochschultr¨ager, in: R UEGG : Geschichte der Universit¨at I (1993), S. 83–108, hier S. 102ff. Zur Mobilit¨at insbesondere auch der Studenten vgl. S CHWINGES , R AINER C.: Entre r´egionalit´e et mobilit´e. Les effectifs des universti´es dans l’Empire romain germanique aux XVe et XVIe si`ecles, in: B IDEAUX , M ICHEL/F RAGONARD , M ARIE -M ADELEINE (Hrsg.): Les e´ changes entre les universti´es europ´eennes a` la Renaissance. Actes du Colloque International Valence, 15–18 mai 2002, Genf: Droz, 2003, S. 359–373. 25 Einen kritischen Katalog der Gesamtwerke von D IONYSIUS bietet E MERY, K ENT J R .: Dionysii Cartusiensi opera selecta, Prolegomena. I A: Studia Bibliographica, Turnhout: Brepols, 1991 (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 121), S. 218–257. Zu D IONYSIUS’ Biographie vgl. WASSERMANN , D IRK: Dionysius der Kart¨auser. Einf¨uhrung in Werk und Gedankenwelt, Salzburg: Institut f¨ur Anglistik und Amerikanistik, 1996 (Analecta Cartusiana 133), S. 7–15, und nun auch BARTHOLD , C LAUDIA: Einleitung, in: D IONYSIUS C ARTHU SIANUS : ‘Messerkl¨ arung’ und ‘Dialog u¨ ber das Altarsakrament und die Messfeier’. Eingel., u¨ bers. und erl. von Claudia Barthold, M¨ulheim (Mosel): Carthusianus-Verlag, 2011, S. 13–87, hier S. 15–41.
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Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
ausf¨uhrlichen Kommentar zu P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen.26 Dieser Sentenzenkommentar ist es nun, der im Hinblick auf die Wirksamkeitsproblematik etwas genauer betrachtet werden soll. Wie auch die u¨ berwiegende Mehrheit seiner anderen Schriften verfasst D IO NYSIUS diesen Sentenzenkommentar als M¨ onch in seiner Roermonder Kar¨ tause. L¨asst sich daher schon D INKELSB UHLS Lectura mellicensis nicht mehr direkt dem Wiener universit¨aren Milieu zurechnen, so entsteht D IONYSIUS’ Kommentar nun v¨ollig losgel¨ost von den akademischen Institutionen seiner Zeit.27 Dennoch h¨alt sich der Kart¨auser an die formalen Gepflogenheiten eines sp¨atscholastischen Kommentars, setzt den einzelnen B¨uchern Pro¨omien u¨ ber einen Bibelvers voran, geht den Sentenzen-Text den Distinctiones folgend durch und organisiert seinen Kommentar dazu in der u¨ blichen Form von Quaestionen. Dass er die Quaestionen-Form beherrscht, mag auf sein Artes-Studium in K¨oln zur¨uckgehen; mit der u¨ blichen Form eines Sentenzenkommentars hat er sich aber durch eingehende Studien klassischer Kommentare vertraut gemacht, von denen sein eigenes Werk unmittelbar zeugt: Statt eigenst¨andiger Antworten auf die formulierten Quaestiones bietet D IONYSIUS im Rahmen der jeweiligen Responsio Exzerpte aus den wichtigsten scholastischen Schriften, die er konsultiert hat. Im Prolog zu seinem Sentenzenkommentar gibt D IONYSIUS denn auch an, es sei seine Absicht, im vorliegenden Werk aus den Kommentaren ” und Schriften der authentischeren, ber¨uhmteren und herausragenderen Doktoren einen gewissen Auszug und eine Sammlung zu machen und die Meinung dieser Doktoren in einen Band zusammenzubringen.“28 26 Vgl. E MERY: Prolegomena (1991), S. 228; zur Datierung vgl. S TOELEN , A NSELM: De Chronologie van de werken van Dionysius de Kartuizer. De eerste Werken en de Schriftuurkommentaren, in: Sacris erudiri 5 (1953), S. 361–401 und die erg¨anzenden Anmerkungen von E MERY, K ENT J R .: Theology as a Science. The Teaching of Denys of Ryckel (Dionysius Caru¨ siensis, 1402–1471), in: T Y ORINOJA : Knowledge and the Sciences III (1990), S. 376–388, hier S. 376. Eingehende Beachtung findet der Kommentar bei ROSEMANN: Great Medieval Book ¨ (2007), S. 148–161. F¨ur einen knappen Uberblick u¨ ber das Gesamtwerk des D IONYSIUS vgl. BARTHOLD: Einleitung (2011), S. 27–31. 27 ¨ Dass es sich bei D INKELSB UHLS Melker Lectura dennoch um eine akademische Schrift handelt, ist oben, S. 392 dargelegt worden. Auch D IONYSIUS’ Schrifttum ist nicht v¨ollig losgel¨ost vom universit¨aren Kontext zu sehen, wie WASSERMANN: Dionysius der Kart¨auser (1996), S. 2f. und S. 21–23 argumentiert. 28 Hinc intentio mea est in opere isto, ex commentariis et scriptis doctorum magis authenticorum, famosiorum et excellentiorum, quandam facere extractionem et collectionem, atque doctorum illorum mentem in unum volumen redigere (In IV libros sententiarum Prol., Opera omnia 19 (1902), S. 36). Im unmittelbaren Anschluss daran vergleicht D IONYSIUS sein Vorgehen explizit mit jenem von P ETRUS L OMBARDUS, vgl. dazu E MERY, K ENT J R .: Denys the Carthusian and the Doxography of Scholastic Theology, in: E MERY, K ENT J R ./J ORDAN , M ARK D. (Hrsg.): Ad Litteram. Authoritative Texts and their Medieval Readers, Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1992, S. 327–359 332f., und ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 150. Zum Begriff der Authentizit¨at im Zusammenhang mit der W¨urdigung
19.2 Nachwirkungen
385
Dieses Vorgehen entspricht dem enzyklop¨adischen Ansatz, den D IONYSIUS mit seinem Gesamtwerk verfolgt: Offensichtlich dienen ihm seine Kommentare als gewaltige Bibliothek, aus der er seine Gelegenheitsschriften und Predigten speisen kann.29 Eine imposante Auswahl an Autoren, die studiert zu haben er sich r¨uhmt, listet D IONYSIUS bereits in den 1440er Jahren anl¨asslich eines Protestschreibens gegen ein Schreibverbot auf, das ihm zeitweise auferlegt worden ist:30 Ad mortificationem sensualitatis et carnalium desideriorum“ dienten ” ihm, so erkl¨art er, neben einer Reihe von patristischen Autoren und von erstaunlich vielen arabischen Philosophen auch die Schriften von T HOMAS VON AQUIN, A LBERT DEM G ROSSEN, A LEXANDER VON H ALES, B ONAVENTU RA , P ETRUS DE TARANTASIA , A EGIDIUS ROMANUS, R ICHARDUS DE M E DIAVILLA , D URANDUS VON S T. P OURC ¸ AIN et aliorum“.31 Tats¨achlich sind ” damit auch weitgehend die scholastischen Autoren benannt, die er f¨ur seinen Sentenzenkommentar exzerpieren wird. Auff¨allig ist an dieser Liste vor allem die Konzentration auf Autoren des 13. Jahrhunderts, das weitgehende Fehlen von Scholastikern des 14. Jahrhunderts und das Vernachl¨assigen von S COTUS.32 Zwar wird S COTUS im Sentenzenkommentar verschiedentlich erw¨ahnt, zu den authentischeren Doktoren“ scheint er f¨ur D IONYSIUS aber nicht zu z¨ahlen. ” Der einzige j¨ungere Autor hingegen, der neben D URANDUS in der Protestatio – und bezeichnenderweise nicht unter den Scholastikern, sondern unter den Kirchenv¨atern – explizite Erw¨ahnung findet, ist niemand anderes als J EAN G ER SON .33 Auch f¨ur diese Bevorzugung des 13. Jahrhunderts bietet D IONYSIUS im Rahmen des Prologs zu seinem Sentenzenkommentar eine Erkl¨arung: von Scholastikern vgl. K ALUZA , Z ENON: Auteur et plagiaire: quelques remarques, in: S PEER/ A ERTSEN: Was ist Philosophie des Mittelalters (1998), S. 312–320, hier S. 313. 29 Vgl. zum internen Aufbau des Gesamtwerks E MERY: Prolegomena (1991), S. 22–25. 30 Die genaue Datierung dieser Protestatio ist weiterhin umstritten, vgl. die Angaben bei WASSERMANN: Dionysius der Kart¨auser (1996), S. 44, Anm. 1. 31 Protestatio, Opera omnia 42 (1890), Sp. 625bB–626aB: Multos legi auctores: scilicet super sententias Thomae, Alberti, Alexandri de Hales, Bonaventurae, Petri de Tarento, Aegidii, Richardi de Mediavilla, Durandi et aliorum. [..|..] Verum quo exercitium istud magis est spirituale, laboriosum, studio et negotio plenum, eo videtur mihi salubrius sive accomodatius ad mortificationem sensualitatis et carnalium desideriorum. Fecit etiam libentius me manere in solitudine. 32 Dass D URANDUS hingegen pr¨asent ist, zeigt, wie wenig sich diese Auswahl mit dem alten Nominalismus-Schema erkl¨aren l¨asst, das ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 157 und 159, erneut heranzieht: D URANDUS entspr¨ache noch viel st¨arker dem, was ROSEMAN unter Nominalismus versteht, als der bei D IONYSIUS nicht aufgef¨uhrte S COTUS. 33 Protestatio, Opera omnia 42 (1890), S. 625bB–626aA: Libros etiam sanctorum, Hieronymi super omnes | prophetas, et alia multa volumina eius, Augustini, Ambrosii, Gergorii, Dionysii Areopagitae doctoris mei electissimi, Origenis, Gregorii Nazianzeni, Cyrilli, Basilii, Chrysostomi, Damasceni, Boetii, Anselmi, Bernardi, Bedae, Hugonis, Gersonis, Guillelmi Parisiensis.
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Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
Es haben nun aber fast schon unz¨ahlbar viele u¨ ber dieses Buch der Sentenzen zu schreiben gewusst, und bis heute sind einige am Schreiben – und wohl mehr als n¨utzlich ist, indem durch die weniger klaren Schriften einiger Neuer die klareren Schriften der Alten weniger gehegt, gelesen und durchforscht werden.34
Seine Kompilation verfolgt daher auch ein strategisches Ziel: Gegen die weniger illustren, im Ruch des Unn¨utzen stehenden Kommentare der j¨ungeren Zeit soll den alten und ‘authentischeren’ Scholastikern wieder Raum gegeben und Geh¨or verschafft werden. Die Perspektive auf die zwei vorangehenden Jahrhunderte scholastischer Produktion, die D IONYSIUS damit w¨ahlt, ist bekannt: Es ist derselbe Blickwinkel, aus dem bereits G ERSON zu seinen Reformbem¨uhungen als Kanzler der Universit¨at Paris motiviert worden ist, und es ist die Perspek¨ tive, welche auch D INKELSB UHL in seiner Lectura mellicensis u¨ bernommen hat.35 Entsprechend ist auch das Vokabular, das D IONYSIUS verwendet, jenem ¨ von G ERSONS Reformtraktaten oder von D INKELSB UHLS Pro¨omium sehr nahe: Schon im Prolog spricht er vom erhofften Nutzen seines Werks;36 und wenn er etwas sp¨ater im Kommentar zur 17. Distinktion des ersten Buches S COTUS’ Ausf¨uhrungen zur caritas kritisiert, geschieht auch dies in einem sehr vertrauten Tonfall: S COTUS f¨uhrt hier schließlich viele Schwierigkeiten ein, die, wie ” es scheint, u¨ berfl¨ussig sind und der Neugierde dienen und bei denen zu verweilen eher einem Kopfzerbrechen und einer Verhinderung von Fr¨ommigkeit gleichkommt als einer fruchtbaren Besch¨aftigung.“37 34 Vero iam quasi innumerabiles super ipsum sententiarum librum scripsisse noscuntur, et adhuc quotidie aliqui scribunt, etiam plus forsitan quam expedit, dum per scripta quaedam novorum minus praeclara, scripta antiquorum praeclariora minus curantur, leguntur et exquiruntur (In IV libros sententiarum Prol., Opera omnia 19 (1902), S. 36). 35 Auf Parallelen zwischen G ERSON und D IONYSIUS verweist auch E MERY: Doxography (1992), S. 334. Dass D IONYSIUS zumindest eine gewisse direkte Kenntnis von G ERSON besessen hat, belegt das Beispiel bei E MERY, K ENT J R .: Twofold Wisdom and Contemplation in Deny of Ryckel (Dionysius Cartusiensis, 1402–1471), in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 18 (1988), S. 99–134, S. 102f. und 129f., auch wenn klar ist, dass D IONYSIUS nicht jeden Autoren tats¨achlich gelesen hat, den er anf¨uhrt (ausf¨uhrlich dargelegt hat dies WASSER MANN : Dionysius der Kart¨auser (1996), S. 48–51, was er – anders als ihm ROSEMANN : Great Medieval Book (2007), S. 234, Anm. 52, unterstellt – mit seiner Aufarbeitung des kart¨ausischen Kontexts im 15. Jahrhundert, ebd. S. 27–43, sehr wohl begr¨undet. Zu Verbindungen zwischen D IONYSIUS und dem Umfeld der Melker Reform, die weitgehend u¨ ber N IKOLAUS VON K UES und Tegernsee zustande kommen, vgl. E MERY: Twofold Wisdom (1988), 106. 36 Porro labor iste, ut spero, utilis erit ad clariorem et pleniorem intelligentiam veritatis, ac necessariorum ad salutem, atque scholasticarum materiarum in quibus sunt opiniones variae ac diversae (In IV libros sententiarum Prol., Opera omnia 19 (1902), S. 37). Zum modus simplicior vgl. WASSERMANN: Dionysius der Kart¨auser (1996), S. 18. 37 In IV libros sententiarum I d 17, q 1, Opera omnia 20 1902, S. 16a–b: Introducit demum Scotus circa quaestionem hanc multas difficultates (ut apparet) supervacuas, curiosas, quibus immorari magis videtur fractio capitis et impedimentum devotionis, quam occupatio fructuosa. Auf den Abschnitt verweist bereits ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 157.
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Statt selbst solch u¨ berfl¨ussige, der Erbauung hinderliche Schwierigkeiten einzuf¨uhren, h¨alt sich D IONYSIUS daher an die Autorit¨aten des 13. Jahrhunderts und nimmt sich f¨ur seine Quaestiones vor, zuerst jeweils die Antworten der illustren Doktoren und allen voran jene von T HOMAS VON AQUIN aufzuf¨uhren, sodann die herausragendsten sequaces insbesondere von T HOMAS zu zitieren, die mit dem AQUINATEN allerdings nicht immer u¨ bereinstimmen, und schließlich noch auf einige gr¨oßere Doktoren einzugehen, die eine gegenteilige Position eingenommen haben.38 Zwei bekannte Z¨uge zeigen sich damit in D IONYSIUS’ Vorgehensweise: Bemerkenswert ist erstens der hohe Rang von T HOMAS VON AQUIN, des weitaus wichtigsten Scholastikers in D IONYSIUS’ Sentenzenkommentar, der nicht nur mit seinem Scriptum, sondern auch mit Zitaten aus der Summa theologiae und der Summa contra gentiles pr¨asent ist.39 Daran schließt sich ein Zweites aber unmittelbar an: D IONYSIUS folgt nicht einfach T HOMAS, sondern sieht T HOMAS als herausragendsten unter den großen Scholastikern des 13. Jahrhunderts, die er ganz offensichtlich als Einheit versteht. Wie die Unterteilung seiner Referenzen in drei Gruppen deutlich macht, ist auch D IONYSIUS auf der Suche nach der opinio communis, wof¨ur er sich in erster Linie an T HOMAS orientiert.40 Die Parallelen zwischen dem Ansatz von D IONYSIUS’ Sentenzenkommen¨ tar und von D INKELSB UHLS Melker Lectura liegen damit auf der Hand: Beide w¨ahlen sie den Weg einer unpers¨onlichen Darstellung der Meinung großer Scholastiker, so dass sich bei beiden jene neue Form von Autorit¨at abzeichnet, die auch herausragenden Denkern des 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts ein fast schon verpflichtendes Gewicht beimisst. In diesem R¨uckblick auf eine Scholastik, wie sie Generationen fr¨uher betrieben worden ist, sind sie beide bem¨uht, die communis opinio nachzuzeichnen, und bei beiden kommt hierf¨ur dem Werk des T HOMAS VON AQUIN eine besondere Bedeutung zu. Beide w¨ahlen schließlich zur Darstellung dieser Lehren jeweils eine ganze Reihe von k¨urzeren, ‘monothematisch’ ausgerichteten Quaestionen. Ein augenf¨alliger methodischer Unterschied zwischen den beiden Autoren beruht aber auf der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Kommentare: W¨ahrend N IKOLAUS VON ¨ D INKELSB UHL ein konkretes Publikum vor Augen hat und daher in eigenen, 38 In IV libros sententiarum Prol., Opera omnia 19 (1902), S. 37; vgl. E MERY: Doxography (1992), S. 332f. 39 E MERY: Doxography (1992), S. 333. Wegen seines Studiums an der K¨olner Bursa montana wird D IONYSIUS immer wieder der via Thomae zugerechnet; dazu kritisch WASSERMANN: Dionysius der Kart¨auser (1996), S. 52–62. 40 Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass D IONYSIUS seinen Kommentar als ‘Vereinung’, als adunitio oder reductio in unum versteht, vgl. Vgl. E MERY: Doxography (1992), S. 333, und in Anlehnung daran auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 151. Ein Beispiel, in dem sich D IONYSIUS in seinem Sentenzenkommentar explizit an die communis opinio h¨alt, wird ebd., S. 160 besprochen.
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Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
angepassten Worten die aufgefundenen Meinungen nachzeichnet, erstellt D IO NYSIUS mit seinem Sentenzenkommentar in erster Linie f¨ ur sich selbst eine geordnete Sammlung von Ausz¨ugen aus den Werken großer Scholastiker, weshalb er diese u¨ ber weite Strecken auch w¨ortlich zitiert.41 Was aber bedeutet dies nun f¨ur D IONYSIUS’ Ausarbeitung der Wirksamkeitsproblematik? D IONYSIUS geht der Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit als vierter von zw¨olf Quaestionen zur ersten Distinctio des vierten Sentenzenbuchs nach. Seine Fragestellung lautet, ob die neutestamentlichen Sakramente sich darin von den alttestamentlichen unterschieden, dass die neutestamentlichen die Gnade enthielten und verursachten, w¨ahrend jene sie bloß bezeichneten.42 Schon der Blickwinkel der Fragestellung verr¨at, dass D IONYSIUS ein potentieller Verfechter der Mitwirkungs-Variante ist: Wer derart den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten ins Zentrum stellt, kann mit dem Pakt-Modell kaum zu einer befriedigenden L¨osung kommen. Vorerst bringt D IONYSIUS aber zwei Argumenta quod non: eines, das die Gnadenwirksamkeit der Beschneidung hervorhebt und damit seitens der alttestamentlichen Sakramente den Unterschied zu den neutestamentlichen in Frage stellt, und eines, das mit dem ordo-Gedanken im Hintergrund auf die Unm¨oglichkeit verweist, dass Sakramente als sensibilia quaedam inanimata das Gnadengeschehen beeinflussen.43 Statt einiger Argumenta in oppositum und damit f¨ur einen tats¨aschlichen Unterschied und f¨ur eine tats¨achliche Wirksamkeit der Sakramente, merkt D IONYSIUS dann aber an, es ließen sich f¨ur beide Seiten viele Argumente anbringen, doch sei nun der Erl¨auterung der Wahrheit nachzueifern: Dies n¨amlich ist eine der herausragendsten Schwierigkeiten, u¨ ber die sich ver” schiedene [Scholastiker] verschiedene Meinungen gebildet haben.“44 Zur Darstellung dieser unterschiedlichen Meinungen steigt er nicht etwa mit T HOMAS, sondern mit B ONAVENTURA ein, der an der entsprechenden Stelle zum vierten Buch seines Sentenzenkommentars45 noch um eine ausgleichende 41 Vgl. E MERY: Doxography (1992), S. 331, und ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 155. 42 An sacramenta evangelicae legis differunt a sacramentis veteris testamenti per hoc quod sacramenta evangelicae legis continent et causant gratiam, illa vero solum significabant (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 52bD). 43 Sacramenta novae legis sunt sensibilia quaedam inanimata, quae non sunt gratiae susceptiva, nec aliqua virtus gratiae causativa videtur posse esse in eis. Quod enim est in aliquo, est in illo secundum modum et dispositionem ipsius. Ea ergo quae soli rationali et intellectuali naturae insunt, inhaerent et competunt, in rebus inanimatis esse non queunt nisi omnino aequivoce, figuraliter seu tropice (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 53aA–B). 44 De isto possent multa argumenta pro utraque parte formari, sed verititatis declarationi studendum est. Haec namque de praecipuis difficultatibus una est, de qua diversi diversimode opinati sunt (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 53aA–B). 45 Dazu ausf¨uhrlich oben, Teil II, Kap. 10.2.
19.2 Nachwirkungen
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Darstellung zwischen den beiden Positionen gerungen hat. D IONYSIUS kennt aber auch die anderen Ausf¨uhrungen von B ONAVENTURA, rezitiert dessen Dubium am Ende des dritten Sentenzenbuches und verweist auch kurz auf das Breviloquium. Nach der einleitenden ausgewogenen Darstellung hat damit ein klarer Verfechter der Pakt-Variante den Reigen der verschiedenen Meinungen er¨offnet. Im direkten Anschluss folgt nun aber T HOMAS, der u¨ ber diese Din” ge anders denk“, und zwar mit einem detaillierten Auszug aus dessen Sentenzenkommentar: D IONYSIUS zitiert die Responsiones zur ersten und zweiten Quaestiuncula des entsprechenden Artikels vollst¨andig, erg¨anzt sie jeweils mit Ausz¨ugen aus T HOMAS’ Entgegenungen auf die einleitenden Argumenta und vervollst¨andigt dies mit Textst¨ucken aus der vierten Quaestiuncula.46 Die entscheidenden Argumente von T HOMAS mit all ihren rationalen Kniffen sind damit ebenso aufgef¨uhrt wie auch dessen wiederholten Feststellung, dass die Pakt-Variante den dicta sanctorum nicht gerecht werde. F¨ur D IONYSIUS reicht dies vorerst als Darstellung der großen Meinungen; und da seiner Ansicht nach T HOMAS’ Sentenzenkommentar bereits zur gen¨uge enth¨alt, was dieser dann auch in der Summa theologiae dargelegt habe, verzichtet er an der vorliegenden Stelle sogar auf ein Referat von T HOMAS’ theologischer Summe.47 Auch einer eigenen Stellungnahme enth¨alt er sich vorerst; stattdessen wendet er sich den Textzeugen der zweiten Gruppe zu, jener der sequaces, wo er erneut die gesamte Meinungspalette ausbreitet, indem er auf P ETRUS DE TARANTASIA, R ICHARDUS DE M EDIAVILLA, T HOMAS VON S TRASSBURG und D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN eingeht. Bei P ETRUS DE TARANTASIA als Repr¨asentanten von T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell konzen¨ triert er sich auf jene entscheidende Passage, an die sich auch D INKELSB UHL angelehnt hat und in der die Mitwirkungs-Variante deswegen als sicherer“ be” zeichnet wird, weil sie den Autorit¨aten besser entspreche und den neutestamentlichen Sakramenten im Vergleich zu den alttestamentlichen eine gr¨oßere W¨urde zuweise.48 Vorerst ist P ETRUS DE TARANTASIA f¨ur D IONYSIUS allerdings 46 Praeterea, de his S. Thomas aliter sentiens, ait in Scripto (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 57aA–59aC). 47 Haec Thomas in Scripto. In quibus satis contineri videntur quae de his scribit in tertia parte, quaestione sexagesima secunda (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 59aC). 48 In his Petrus sequitur Thomam, et secundum istam opinionem dicit esse securiorem duplici ratione. Prima est, quia plus consonat auctoritatibus patrum sanctorum. In his autem quae fidei sunt, magis oportet sequi auctoritatem quam rationem. Sancti autem affirmant sacramenta habere vim sanctificandi. Alia est, reverentia et dignitas sacramentorum evangelicae legis. Nempe secundum aliam opinionem, aqua baptismi non videtur plus virtutis et sanctitatis habere quam quaelibet alia aqua; et sacramenta novae legis viderentur non causae gratiae, sed signa tantum, sicque parum aut nihil legis veteris transcenderent sacramenta (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 59aC–D). Der entsprechende Text aus dem Kommentar des P ETRUS DE TARANTASIA, den D IONYSIUS hier entweder paraphrasiert oder
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Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
bloß einer unter vielen: R ICHARDUS DE M EDIAVILLA f¨uhrt er an als Vertreter einer ausgewogenen Darstellungsweise, wie sie in der ersten Darstellung von B ONAVENTURA noch zu finden ist;49 und T HOMAS VON S TRASSBURG wird schließlich als Nachfolger des sp¨ateren B ONAVENTURA und als Verteidiger des Pakt-Modells angef¨uhrt.50 Mit T HOMAS VON S TRASSBURG greift D IONY SIUS zudem jene Thematik auf, die in den a¨ lteren Kommentaren noch im Rahmen des zweitens Sentenzenbuchs gekl¨art und sp¨atestens mit S COTUS an den Beginn von Buch IV in die Behandlung der Wirksamkeitsproblematik verlagert worden ist, die Frage n¨amlich nach den sch¨opferischen M¨oglichkeiten von Gesch¨opfen. D IONYSIUS beeilt sich anzumerken, dass T HOMAS VON S TRASS BURG in diesem Punkt die Position des AQUINATEN teile,51 und wendet sich mit Blick auf diese Sch¨opfungsthematik schließlich auch D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN zu: W¨ahrend D URANDUS in der u¨ bergeordneten Wirksamkeitsproblematik zwar mit T HOMAS u¨ bereinstimme, erkl¨are er zum Sch¨opfungs-Aspekt nun aber, dass den Gesch¨opfen eine sch¨opferische Kraft u¨ bertragen werden k¨onne, was T HOMAS nie behauptet habe.52 Die Bandbreite der sequaces ist damit abgesteckt und deren Beziehungen zu den illustren Doktoren aufgezeigt – mit einer erstaunlichen Wendung: Mit D URANDUS’ Position, wie sie im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung erarbeitet worden ist, hat D IONYSIUS’ Darstellung nichts gemein, ist hier doch D URANDUS gerade in der Wirksamkeitsproblematik als klarer Gegner von T HOMAS und als Neuinterpret der auctoritates in Erscheinung getreten.53 Diese Differenz l¨asst sich nun mit den unterschiedlichen Redaktionen erkl¨aren, die D URANDUS von seinem Sentenzenkommentar erstellt hat: Offensichtlich bezieht sich D IONYSIUS auf die zweite, im Hinblick auf T HOMAS gem¨aßigte Fassung von D URANDUS’ Sentenzenkommentar, statt auf die approbierte dritte, in der D URANDUS wieder offen geaber in einer anderen Texttradition u¨ bernimmt als der Druck von 1651, ist oben, S. 128, Anm. 28, zitiert worden. 49 In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 59bA, wo ein kurzer Ausschnitt aus R ICHARDUS’ Kommentar aufgenommen wird, der auf die Rationalit¨at beider Modelle verweist (Commentum super quarto IV d 1, a 4, q 2, ed. Venedig 1489, fol. 14vb). 50 De primis duobus praeinductas narrat opiniones, et in utroque sequitur Bonaventura (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 59bD). 51 Sequitur tamen in hac re positionem S. Thomae (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 59bC). Dass T HOMAS VON S TRASSBURG in diesem Punkt nicht von T HOMAS VON AQUIN, sondern von den Diskussionen bei S COTUS und bei P ETRUS AUREOLI abh¨angt (s.o., S. 168 und 209), scheint D IONYSIUS nicht bewusst zu sein. 52 Porro Durandus in his quantum ad principale consentit S. Thomae. Addit tamen, quod potentia creativa formae accidentalis possit communicari causae creatae, et dicit hoc Thomam concedere [...]. Verumtamen istud non videtur de mente Thomae, qui absolute multoties negat potentiam creativam seu actum creationis, posse causae creatae communicari (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 60aC). 53 S.o., Teil II, Kap. 13.1.
19.2 Nachwirkungen
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gen T HOMAS ins Feld zieht.54 Weil D IONYSIUS an anderer Stelle sehr wohl auf die dritte Fassung von D URANDUS’ Kommentar zur¨uckgreift,55 k¨onnte die vorliegende Anlehnung an dessen zweite, mit T HOMAS st¨arker u¨ bereinstimmende Fassung ein harmonisierender L¨osungsversuch sein; steckt allerdings keine Absicht hinter diesem Vorlagenwechsel, dann hat D IONYSIUS offensichtlich D U RANDUS’ Neuinterpretation der auctoritates gar nicht gekannt. Vorerst bleibt D IONYSIUS ohnehin bei der Sch¨opfungsproblematik. Denn aus diesem Blickwinkel geht er nun noch auf den einzigen Vertreter der dritten Gruppe – jener der oponentes – ein: S COTUS erscheint hier als einziger und zudem bloß als Bearbeiter dieser Sch¨opfungsfrage; mit keinem einzigen Wort erw¨ahnt D IONYSIUS, dass S COTUS ein Nachfolger von B ONAVENTURA ist und dessen Position weitergef¨uhrt hat. Stattdessen beschr¨ankt er sich nach einigen Zitaten aus der Quaestio principalis des vierten Buchs von S COTUS’ Ordinatio auf die Bemerkung, dass S COTUS prolixe so weiterfahre und dass nicht leicht ersichtlich werde, was er selbst eigentlich gemeint habe.56 Auch wenn diese Formulierung gem¨aßigt ist, dringt damit auch an der vorliegenden Stelle, wo S COTUS eigentlich im Einklang mit D IONYSIUS’ illustren Doktoren steht, dessen Abneigung gegen S COTUS durch, der u¨ berfl¨ussig ausschweifend sein Material diskutiere und sich dabei in unfruchtbaren Subtilit¨aten verliere. Damit hat D IONYSIUS seine drei Gruppen vorgestellt.57 Erst jetzt h¨alt er es f¨ur angebracht, nun auch selbst Stellung zu beziehen: Nachdem er sich am Anfang seiner Quaestio vorgenommen hat, der declaratio veritatis nachzueifern, und dazu eine breite Auslegung der unterschiedlichen Meinungen nicht nur unter den illustren Doktoren, sondern auch unter deren sequaces rezitiert hat, f¨uhrt 54
Zu den unterschiedlichen Redaktionen und zu D URANDUS’ Behandlung der allgemeinen Sakramentenlehre in der zweiten Version seines Kommentars s.o., S. 193. Genauere Studien m¨ussten untersuchen, inwiefern diese Bezugnahme auf D URANDUS’ zweite Redaktion in D IONYSIUS’ Kommentar verbreitet ist; an anderer Stelle zumindest beruft er sich auf die dritte Redaktion, vgl. den Verweis in der n¨achsten Anmerkung. 55 Vgl. E MERY: Theology as a Science (1990), S. 379–382. 56 Istam disputationem Scotus prolixe prosequitur, recitando consequenter opinionem Avicennae dicentis unam intelligentiam creatam esse ab alia, cum suis motivis, et contra ea obiciendo. Verum (ut dixi) haec materia super secundum discussa est, nec facile patet quid ipsemet finaliter sentiat Scotus (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 60bD). 57 D IONYSIUS schiebt allerdings noch einen Nachtrag ein: H EINRICH VON G HENT n¨amlich habe in der Wirksamkeitsfrage eine eigene Meinung vertreten, die sich vom Pakt-Modell zwar kaum zu unterscheiden scheine, die bei genauerem Hinsehen aber aus Elementen bestehe, die sich auf die Mitwirkungs-Variante zur¨uckf¨uhren ließen: Cuius [scil. Henrici] opinio parum aut nihil differre videtur ab opinione dicentium, quod sacramenta haec causa sunt gratiae ex assistentia divinae potentiae. In hoc autem quod dicit, alia sacramenta esse causas gratiae in quantum participant aliquid virtutis sacramenti altaris, videtur fateri virtutem esse in sacramentis causaliter concurrentem ad gratiae productionem. Et ita sacramenta illa non solum operarentur ut instrumenta deitatis exsistentis in eis ad sacramentales effectus (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 61aC–D).
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Kapitel 19: Ergebnisse und Ausblick
er nun endlich selbst auch aus, was ihm wahrer scheint. Es gen¨ugen ihm wenige Worte: Hier scheint die Position wahrer zu sein, der T HOMAS folgt, und dies ” wegen der Beweggr¨unde, die P ETRUS aufgreift.“58 Dass sich D IONYSIUS dem Mitwirkungs-Modell anschließen w¨urde, ist zu erwarten gewesen – bemerkenswert bleibt, dass er dies aufgrund der motiva tut, die P ETRUS DE TARANTASIA angef¨uhrt hat. Offensichtlich sind es auch f¨ur D IONYSIUS weniger T HOMAS’ rationes, die ihn am Mitwirkungs-Modell u¨ berzeugen, als vielmehr die Tatsache, dass dieses Modell den Autorit¨aten besser zu entsprechen scheint. So unscheinbar das Zitat aus dem Kommentar von P ETRUS DE TARANTASIA unter den anderen sequaces daherkommt, ist dessen explizit u¨ bernommener Leitsatz, es sei in Glaubensdingen den auctoritates mehr zu folgen als den rationes, auch bei D IONYSIUS am Ende ausschlaggebend f¨ur seine Behandlung der Wirksam¨ keitsproblematik. Wie schon bei D INKELSB UHL f¨uhrt auch D IONYSIUS’ Weg damit von einer breiten Auslegung aller Positionen und Argumente zu einer ¨ Reduktion der ganzen Debatte auf die eine Frage nach der Ubereinstimmung ¨ mit den auctoritates; wie schon bei D INKELSB UHL spielen die rationes letztlich keine Rolle mehr. Wie wenig es D IONYSIUS noch um Argumentationen und Beweise geht, zeigt sich schließlich in seiner Elementatio theologica, einer etwas sp¨ater verfassten Schrift, in der er die wichtigsten theologischen Thesen seines Sentenzenkommentars in eigenen Worten zusammenfasst. Als Bestimmung der Sakramente f¨uhrt er dort aus: Jener geistige, himmlische, allm¨achtige, u¨ berwissende Arzt, den im angenommenen sterblichen Fleisch nichts verborgen hat, er setzte, als er unter den Menschen weilte, sieben Sakramente ein als medizinische Gef¨aße und heilsamste Salben, geeignet zur Heilung und Pflege aller Makel, in denen die Kraft und Gnade nicht nur fig¨urlich (wie in den alttestamentlichen Sakramenten) bezeichnet wird, sondern in wundersamer, kaum verst¨andlicher oder aussprechbarer Weise auch wirksam und urs¨achlich enthalten ist.59
¨ Es ist h¨ochst unwahrscheinlich, dass D IONYSIUS von D INKELSB UHL beeinflusst gewesen ist. Vielmehr zeigt D IONYSIUS’ Beispiel, dass die Denkweise, ¨ die D INKELSB UHL in seiner Melker Lectura zum Ausdruck gebracht hat, keine Ausnahmeerscheinung gewesen ist, sondern im 15. Jahrhundert auch von anderen Autoren geteilt wird. Es sind die akademischen Autoren des 15. Jahrhunderts, denen sich ein vierter Teil der vorliegenden Untersuchung nun zuwendet. 58 Hinc verior videtur positio quam sequitur Thomas, et hoc propter motiva quae tangit Petrus (In IV libros sententiarum IV d 1, q 4, Opera omnia 24 (1904), S. 61aD). 59 Medicus ille spiritualis, coelestis, omnipotens, supersapiens, quem nil latet in carne mortali assumpta, inter homines conversans ante suam passionem instituit septem sacramenta, tamquam medicinalia | vasa saluberrimaque unguenta ad omnium vitiorum medelam et curam idonea, in quibus virtus et gratia non solum figuraliter, ut in sacramentis veteris testamenti, designatur, verum etiam efficaciter atque causaliter, modo admirabili, vix comprehensibili et effabili, continetur (Elementatio theologica, Opera omnia 34 (1898), S. 208aD–bB).
Teil IV
Geb¨andigte ratio: Die Verteidigung der beiden Wege
Wo Sakramente im Anschluss an AUGUSTIN als Zeichen verstanden werden, hat die Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit immer auch eine semiotische Tragweite. T HOMAS VON AQUIN diskutiert in seinem Sentenzenkommentar eingehend die AUGUSTINISCHE Definition eines Zeichens, wie sie bereits P ETRUS L OMBARDUS in die Sentenzen aufgenommen hat, und S CO TUS’ Behandlung der Wirksamkeitsproblematik ist zutiefst gepr¨agt von seinen Ausf¨uhrungen zum signum efficax.60 Der Umschwung, der sich im vorangehen¨ den Teil an D INKELSB UHLS Lectura mellicensis hat nachzeichnen lassen, ist ¨ nun aber auch ein Umschwung in der Bedeutung semiotischer Uberlegungen f¨ur das Verst¨andnis der sakramentalen Wirksamkeit: W¨ahrend sich die Wie¨ ¨ ner Uberarbeitungen von D INKELSB UHLS Quaestiones communes noch dadurch auszeichnen, dass die Correlaria insbesondere mit Ausz¨ugen aus S CO TUS’ Darstellung des signum efficax erg¨anzt worden sind,61 fallen semiotische ¨ Uberlegungen aus der Melker Lectura ebenso heraus, wie sie auch etwa von D IONYSIUS nicht aufgenommen werden.62 Der Grund daf¨ur liegt auf der Hand: Eine Abkehr von der ratio in Glaubensfragen hat zur Folge, dass semiotische ¨ Uberlegungen nicht mehr relevant sind. Nun ist aber bekanntlich das Wissenschaftsmodell, das G ERSON vertritt und ¨ das D INKELSB UHL und in den beschriebenen Ans¨atzen auch D IONYSIUS aufgreift, nicht zum allgemein anerkannten Ansatz im 15. Jahrhundert geworden. Schon bald zeigte sich n¨amlich ein gewisser Widerspruch in dieser Auftrennung der Disziplinen, welche f¨ur theologische Fragen eine Orientierung an der communis opinio und dem traditionell anerkannten Weg der Kirche statt an der ratio erwartete. Denn die traditions-bestimmenden Scholastiker, welche die communis opinio begr¨undeten und an denen man sich daher orientieren sollte, waren ¨ selbst sehr wohl von einer Ubereinstimmung von Glaube und Vernunft ausgegangen: Von B ONAVENTURA und T HOMAS VON AQUIN bis hin zu S COTUS und D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN zeugen sie alle von einer Vorgehensweise, welche die ratio auch in der Theologie als brauchbares Mittel betrachtet. Und es handelte sich bei diesen Scholastikern nicht einfach nur um eine 60
Vgl. T HOMAS VON AQUIN, In sententias IV d 1, q 1, a 1, qc 2, ed. Moos (1947), S. 9f.; sowie S COTUS, Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, ed. Vaticana (2008), S. 66f. (dazu oben, S. 173). Zu AUGUSTINS Zeichendefinition s.o., S. 5. 61 ¨ F¨ur die KONRAD VON ROTHENBURG zugeschriebenen Uberarbeitung in Klosterneuburg ¨ 315 s.o., S. 331), f¨ur die als Quaestiones magistrales bekannte Handschrift ONB 4820 s.o., S. 339. 62 So findet bei D IONYSIUS etwa die oben, S. 395, Anm. 60, genannte Quaestiuncula keine Beachtung, obwohl er die umliegenden Quaestiunculae aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar im Rahmen seiner eigenen ersten Quaestio zu Buch IV sehr wohl beachtet (In IV libros sententiarum, Opera omnia 24 (1904), S. 40a–42a). Bloß ganz am Ende des ersten Teils im Rahmen ¨ des ersten Dubium circa textum diskutiert D INKELSB UHL die Frage utrum omne sacramentum sit signum, die er aber v¨ollig losgel¨ost von der Wirksamkeitsproblematik behandelt (Clm 2940, fol. 13vb–14rb = Alba Julia, NLR II 48, fol. 12va–13ra).
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Teil IV: Hinf¨uhrung
Reihe von breit akzeptierten Autoren: T HOMAS VON AQUIN, der wie kaum ein zweiter Glaubensfragen rational zu durchdringen versucht hatte, war 1323 heilig gesprochen worden und geh¨orte zusammen mit A EGIDIUS ROMANUS, B ONAVENTURA und S COTUS zu den approbierten Lehrern der Pariser und anderer Universit¨aten.63 Ihr Vorgehen konnte daher nicht grunds¨atzlich falsch sein. Warum also sollten Scholastiker des 15. Jahrhunderts zwischen zwei Logiken unterscheiden, warum sollte in Glaubensfragen die Geltung der ratio beschr¨ankt sein? Es ist diese Frage nach dem Verh¨altnis letztlich von Theologie und Philosophie, die im 15. Jahrhundert zu der bekannten Scheidung der Wege f¨uhrt: zu einer via antiqua auf der einen Seite, die sich an den Vorgehensweisen eines A LBERTS DES G ROSSEN, eines T HOMAS VON AQUIN oder auch eines D UNS S COTUS orientiert und an der M¨oglichkeit einer Synthese zwischen Theologie und Philosophie festh¨alt, und einer via moderna auf der anderen, die – inspiriert von den Ans¨atzen eines J OHANNES BURIDAN oder eines M ARSILIUS VON I NGHEN – f¨ur eine Trennung der Disziplinen steht. Der letzte Teil der vorliegenden Untersuchung widmet sich der Entwicklung der Wirksamkeits-Debatte unter den Vorzeichen dieses Wegestreits. Weil die grunds¨atzliche Problematik des Verh¨altnisses der Disziplinen zueinander nicht bloß die Theologie betrifft und weil zu erwarten ist, dass mit der Wiederkehr der ratio im Rahmen der via antiqua auch semiotische Fragen wieder in die Diskussion aufgenommen werden, beschr¨ankt sich der vorliegende Teil nicht mehr bloß auf sakramententheologische Texte (hier wird der Schwerpunkt weiterhin auf Sentenzenkommentaren liegen), sondern bezieht auch zeichentheoretische Ausf¨uhrungen mit ein, wie sie insbesondere in den einleitenden Kapiteln von Kommentaren zu den Summulae logicales des P ETRUS H ISPANUS pr¨asentiert werden. Die drei ersten Kapitel widmen sich der Sakramentenlehre von Vertretern der via antiqua, ein viertes jener von Vertretern der via moderna. Ein f¨unftes Kapitel geht auf die semiotischen Ans¨atze der unterschiedlichen viae ein, damit in einem sechsten schließlich ein zusammenfassender Vergleich zwischen den unterschiedlichen Positionen gezogen werden kann.
63
Schon G ERSON z¨ogerte daher, sich in seiner Kritik der formalizantes gegen S COTUS selbst zu wenden, s.o., S. 86. In Louvain beispielsweise wurde an A EGIDIUS ROMANUS, A L BERT DEM G ROSSEN , T HOMAS VON AQUIN und – wo er dem Glauben nicht widerspreche – AVERROES als doctores approbati festgehalten (vgl. BAUDRY, L E´ ON: La querelle des futurs contingents (Louvain 1465–1475). Textes in´edits, Paris: Vrin, 1950 (Etudes de philosophie m´edi´evale 38), S. 23f. und S. 68). F¨ur Beispiele zum Stellenwert dieser doctores approbati vgl. H AMM , B ERNDT: Fr¨ommigkeitstheologie am Anfang des 16. Jahrhunderts. Studien zu Johannes von Paltz und seinem Umkreis, T¨ubingen: J.C.B. Mohr, 1982 (Beitr¨age zur historischen Theologie 65), hier S. 182–190.
Kapitel 20
Die Verteidigung des alten Wegs I: Rationale Gr¨unde f¨ur Thomas’ Mitwirkungslehre Bereits im unmittelbaren Umfeld von G ERSON treten an der Pariser Universit¨at eine Reihe von Autoren in Erscheinung, die sich – den Mahnungen ihres Kanzlers zum Trotz1 – der Verteidigung herausragender Scholastiker wie T HO MAS VON AQUIN , A LBERT DEM G ROSSEN oder D UNS S COTUS widmen. Die Quellenlage f¨ur die Pariser Universit¨at in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts ist verh¨altnism¨aßig schlecht,2 dennoch zeichnet sich ab, dass Autoren wie P ETRUS DE N OGENTO, J OHANNES C APREOLUS, A EGIDIUS C ARLERII oder sp¨ater auch L AMBERTUS DE M ONTE und W ILHELM VON VAUROUIL LON in ihren akademischen Schriften eine Ausrichtung auf Denker des 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts pflegen, die von konkurrierenden, klar geschiedenen Lehrtraditionen zeugt.3 Zwar handelt es sich dabei noch nicht um institutionalisierte viae wie etwas sp¨ater etwa an der K¨olner Universit¨at, doch lassen sich in den Sentenzenkommentaren dieser Zeit, die im vorliegenden Abschnitt vor allem interessieren, bereits die großen Richtungen erkennen, welche gemeinhin zur via antiqua gez¨ahlt werden: eine thomistische, eine albertistische und eine scotistische. Ausgehend von diesen Pariser Kommentaren sei daher nachgezeichnet, wie die Wirksamkeitsdebatte im Rahmen solcher Orientierung am ‘alten Weg’ aufgegriffen und weitergef¨uhrt worden ist.
1
Vgl. etwa die oben, S. 83, Anm. 3 zitierten Texte. Vgl. K ALUZA , Z ENON: Les d´ebuts de l’albertisme tardif (Paris et Cologne), in: H OENEN/ DE L IBERA : Albertus Magnus und der Albertismus (1995), S. 207–302, bes. S. 214, und I M BACH , RUEDI: Le contexte intellectuel de l’oeuvre de Capreolus, in: B EDOUELLE /C ESSARIO / W HITE: Jean Capreolus (1997), S. 13–22. 3 Bekanntlich hat Z ENON K ALUZA verschiedentlich dagegen argumentiert, im Pariser Kontext um 1400 von Schulen auszugehen – sei es, weil sich die entsprechenden Indizien bei G ER SON nicht auf zeitgen¨ ossische Debatten beziehen w¨urden (so K ALUZA , Z ENON: Les querelles doctrinales a` Paris. Nominalistes et realistes aux confins du XIVe et du XVe si`ecles, Bergamo: Pierluigi Lubrina, 1988 (Quodlibet. Ricerce e strumenti di filosofia medievale 2), S. 45), sei es, weil er den unbestreitbaren Albertismus eines J OHANNES DE N OVA D OMO f¨ur einen Einzelfall h¨alt (so K ALUZA: albertisme tardif (1995), S. 212f. und 219). Beide Thesen erweisen sich in neusten Forschungen als unhaltbar, wie oben, S. 83 mit Anm. 5, bereits ausgef¨uhrt worden ist. 2
398
Kapitel 20: Rationale Gr¨unde f¨ur Thomas’ Mitwirkungslehre
20.1 A EGIDIUS C ARLERII und J OHANNES C APREOLUS Von den Pariser Autoren, die sich in diesen ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts der Verteidigung von T HOMAS VON AQUIN gewidmet haben, interessieren an der vorliegenden Stelle vor allem zwei: J OHANNES C APREOLUS und A EGIDIUS C ARLERII (G ILLES C HARLIER). Der erste ist als Princeps thomistarum allgemein bekannt und bis weit ins 16. Jahrhundert hinein rezipiert worden; seine Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis, die er als Sentenzenkommentar konzipiert und deren ersten Band er 1409 in Paris abschließt, werden bereits 1483 ein erstes Mal gedruckt.4 Der zweite ist vor allem als Mitstreiter des Basler Konzils zu einigem Ruhm gelangt; auch er hat einen allerdings kaum bekannten Sentenzenkommentar verfasst, den er 1417 abschließt und der ebenso von einer klaren Pr¨aferenz des AQUINATEN zeugt.5 Mit diesen beiden Autoren steigt der vorliegende Abschnitt ein, um von da aus auf einige weitere Verteidigungen von T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell im weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts einzugehen. Obwohl nun allerdings J OHANNES C APREOLUS fast zehn Jahre vor A EGI DIUS in Paris als sententiarius gewirkt hat, schließt er seinen Kommentar zu den B¨uchern II bis IV erst zwischen 1426 und 1432 in Rodez, im S¨udwesten Frankreichs ab.6 Es ist unklar, inwiefern dieser sp¨atere Teil auf allf¨allige Pariser Notizen zur¨uckgeht – und ob daher A EGIDIUS’ Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsproblematik allenfalls von C APREOLUS inspiriert sind. Klar ist, dass die Vorgehensweise, die C APREOLUS w¨ahlt, in allen vier B¨anden dieselbe ist: Statt P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen in der u¨ blichen Weise zu kommentieren, nimmt sich C APREOLUS vor, nichts Eigenes einfließen zu lassen, sondern ” bloß die Meinungen zu rezitieren, die mir dem Sinn des heiligen T HOMAS zu 4
Bei O CTAVIANUS S COTUS in Venedig. Es folgen drei weitere Auflagen im Verlauf des 16. Jahrhunderts und eine Neuauflage am Ende des 19.: Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis, ed. C ESLAUS PABAN und T HOMAS P E` GUES, Tours 1899–1908. Zu C APREOLUS’ Biographie und zur Abfassungszeit der Defensiones vgl. die oben in der Einleitung, Anm. 1 angef¨uhrte Literatur. 5 RS 42. Zur Biographie von A EGIDIUS vgl. S ULLIVAN , T HOMAS: Parisian Licentiates in Theology, A.D. 1373–1500 : a Biographical Register. Vol. 2: the Secular Clergy, Leiden: Brill, 2011 (Education and society in the Middle Ages and Renaissance 37), S. 134–137; f¨ur a¨ ltere Literatur vgl. K ALUZA , Z ENON: Mat´eriaux et remarques sur le catalogue des oeuvres de Gilles Charlier, in: Archives d’histoire doctrinale et litt´eraire du moyen aˆ ge 44 (1969), S. 169–187, hier bes. S. 171f. zur Datierung der Sentenzenlesung, und K ALUZA , Z ENON: Nouvelles remarques sur les oeuvres de Gilles Charlier, in: Archives d’histoire doctrinale et litt´eraire du moyen aˆ ge 46 (1971), S. 149–191. Zum Sentenzenkommentar vgl. auch S WIE Z˙ AWSKI , S TE FAN : Note sur le commentaire des Sentences de Gilles Charlier, in: Mediaevalia Philosophica Polonorum 10 (1961), S. 77–86; zur Ausrichtung auf T HOMAS VON AQUIN vgl. schließlich K ALUZA: albertisme tardif (1995), S. 214. 6 Die Daten finden sich im Explicit des jeweiligen Buches, vgl. P EGUES , T HOMAS: La biographie de Jean Capr´eolus, in: Revue Thomiste 7 (1899), S. 317–334.
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entsprechen scheinen.“7 Es bleibt allerdings nicht bei einer bloßen Rezitation. Vielmehr greift C APREOLUS aus den Schriften von Autoren wie S COTUS, D U RANDUS VON S T. P OURC ¸ AIN oder P ETRUS AUREOLI Argumente auf, welche diese gegen T HOMAS’ Positionen ins Feld gef¨uhrt haben, um dann mit Hilfe von Ausz¨ugen aus T HOMAS’ Werk diese sp¨ateren Argumente zu widerlegen. C APREOLUS macht sich mit Hilfe von T HOMAS zum Advokaten f¨ur T HO MAS.8 Interessanterweise ist dies – zumindest im Rahmen der Wirksamkeitsproblematik – nun auch die Vorgehensweise, die A EGIDIUS C ARLERII w¨ahlt: Auch er verteidigt T HOMAS insbesondere gegen D URANDUS anhand von Zitaten aus T HOMAS. Selbst wenn es unklar bleiben muss, ob sich A EGIDIUS in der vorliegenden Frage von C APREOLUS hat inspirieren lassen, scheint ihm diese Vorgehensweise zumindest vom ersten Band von C APREOLUS’ Defensiones her bekannt gewesen zu sein. Angesichts der Tatsache, dass A EGIDIUS seine Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik aber deutlich vor C APREOLUS abgeschlossen hat, ist es dennoch sinnvoll, mit A EGIDIUS einzusteigen. 20.1.1 Die Wirksamkeitsproblematik bei Aegidius Carlerii A EGIDIUS widmet sich der Wirksamkeitsproblematik im Rahmen der einzigen Quaestio, die er am Beginn zu Buch IV zur allgemeinen Sakramentenlehre stellt und welche direkt danach fragt, ob die neutestamentlichen Sakramen” te Ursache der Gnade sind.“9 Allerdings dringt hier noch der Stil des sp¨aten 7 Defensiones I prol, q 1, ed. Paban/P`egues (1899-1908), S. 1: Sed antequam ad conclusiones veniam, praemitto unum quod per totam lecturam haberi volo pro supposito, et est quod nihil de proprio intendo influere, sed solum opiniones quae mihi videntur de mente S. Thomae fuisse recitare, nec aliquas probationes ad conclusiones adducere praeter verba sua nisi raro. Vgl. dazu I MBACH: Contexte intellectuel (1997), S. 20, und ROSEMANN , P HILIPP W.: The Story of a Great Medieval Book. Peter Lombard’s Sentences, Peterborough: broadview press, 2007 (Rethinking the Middle Ages 2), S. 141. 8 Zu diesem Vorgehen vgl. grundlegend G RABMANN , M ARTIN: Johannes Capreolus, O.P. Der ‘Princeps Thomistarum’ (+1444), und seine Stellung in der Geschichte der Thomistenschule, in: G RABMANN: Mittelalterliches Geistesleben III (1956), S. 370–410; zur Art und Weise, wie C APREOLUS seine Gegner zitiert, vgl. BAKKER , PAUL J.J.M./S CHABEL , C HRISTOPHER: Sentences Commentaries of the Later Fourteenth Century, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 425–464, S. 463. Im Anschluss an die in der vorangehenden Anmerkung zitierten Stelle nennt er jene Scholastiker namentlich, gegen die er vorwiegend antreten will: Obiectiones vero Aureoli, Scoti, Durandi, Joannis de Ripa, Henrici, Guidonis de Carmelo, Garronis, Adae et aliorum sanctum Thomam impugnantum propono locis suis adducere et solvere per dicta sancti Thomae (Defensiones I prol, q 1, ed. Paban/P`egues (1899-1908), S. 1). 9 Die nachfolgenden Ausf¨uhrungen st¨utzen sich auf die Handschrift Paris, Maz. 959, hier fol. 100ra: Accedendo ad quartum sententiarum circa primam distinctionem in qua magister agendo de causa institutionis sacramentorum ponit differentiam inter sacramenta veteris legis et novae in hoc quod sacramenta novae legis efficiunt quod figurant et non sacramenta veteris legis, quaeritur utrum sacramenta novae legis sint causa gratiae. F¨ur eine Handschriftenbe-
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14. Jahrhunderts durch, da sich A EGIDIUS l¨angst nicht nur auf die Wirksamkeitsfrage beschr¨ankt, sondern einleitend – und ausgehend von semiotischen 10 ¨ Uberlegungen – auch einige Definitionen der Sakramente diskutiert und in einem abgegrenzten zweiten Teil im Rahmen von Dubia einigen Fragen zur Beschneidung und auch bereits zur Taufe nachgeht.11 In diesen unterschiedlichen Teilen greift er aber nicht einmal mehr terminologisch einen geometrischen Ansatz auf, indem er Articuli, Notanda, Conclusiones und Correlaria scheiden w¨urde, sondern h¨angt sie assoziativ aneinander; und ebenso entbehrt auch die Behandlung der Wirksamkeitsfrage selbst einer klar hervorgehobenen Struktur. Allzu geschickt geht A EGIDIUS in der Organisation seines Materials nicht vor. In die eigentliche Behandlung der Wirksamkeitsproblematik steigt er mit der Bemerkung ein, dass es in dieser Frage zwei nicht weniger alte als ber¨uhmte ” Meinungen“ gebe,12 was bereits eine deutliche Spitze gegen D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN ist, der in seiner eigenen Darstellung ja das h¨ohere Alter des Pakt-Modells hervorgehoben hat.13 D URANDUS ist es denn auch, der im weiteren Verlauf eine entscheidende Rolle erh¨alt: Nach einer knappen Darstellung des Pakt-Modells und einer etwas ausf¨uhrlicheren der Mitwirkungs-Variante zeichnet sich eine Favorisierung dieser Mitwirkungs-Variante zwar insofern ab, als A EGIDIUS sie f¨ur geeigneter h¨alt, den Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten darzulegen14 – eine Entscheidung bleibt vorerst allerdings aus. Im Anschluss an diese Darstellung z¨ahlt A EGIDIUS nun aber eischreibung vgl. D OUCET, V ICTORIN: Magister Aegidius Carlerii eiusque quaestio de Immaculata Conceptione, in: Antonianum 5 (1930), S. 405–422, S. 413. 10 Paris, Maz. 959, fol. 100rb: Primo investigendum est quod dicitur per nomen scaramenti. Est enim quid nominis principium doctrinae. Significationem autem nominis ex usu communi emulari convenit, cum nomina significent ex institutione voluntaria. Diese starke Betonung der Willk¨ur in der Einsetzung von Begriffsbedeutungen ist f¨ur Vertreter der Mitwirkungsvariante eher untypisch (s.u., Kap. 24.3, S. 569) und daher wohl auf den tendenziell eklektischen Ansatz von A EGIDIUS zur¨uckzuf¨uhren (dazu K ALUZA: albertisme tardif (1995), S. 214). 11 Vgl. die knappe Divisio quaestionis ebd. fol. 100rb: Hic erunt duo puncta. In primo erit responsio ad quaestium, et in secundo erunt dubia. Dieser zweite ‘Punkt’ beginnt auf fol. 102vb (Quantum ad secundum...). 12 Paris, Maz. 959, fol. 101ra: Sic ergo ad quaesitum veniendo considerandum quod in hac materia sunt duae non minus antiquae quam famosae sententiae. Una est quam Thomas insequitur. Alia ad quam declina[n]t magis Bonaventura, Durandus et Scotus eiusque sequaces. Primo exequar secundam demum primam – womit sich erneut die etwas chaotische Vorgehensweise von A EGIDIUS zeigt. 13 S.o., S. 197. 14 So heißt es in seiner Darstellung des Pakt-Modells zur reverentia der neutestamentlichen Sakramente: quamvis sacramenta in se divinae virtutis nihil habeant insistentis, sed assistentis, tamen cum honore et reverentia sustinendi sunt quia sunt a Deo instituta (Paris, Maz. 959, fol. 101rb). Bei der Mitwirkungs-Variante heißt es dann aber: nisi in sacramentis novae legis ponatur virtus divina, non videtur quod sufficienter dignificentur ultra sacramenta veteris legis (ebd., fol. 101va).
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ne Reihe von Argumenten auf, die D URANDUS gegen das Mitwirkungs-Modell vorgebracht hat.15 S¨amtliche Argumente stammen aus der dritten Redaktion von D URANDUS’ Sentenzenkommentar, und auf s¨amtliche Argumente geht A EGI DIUS ein, indem er entweder im Sinne von T HOMAS reagiert oder aber explizit Zitate aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar, aus seinen Quaestiones de veritate und an einer Stelle auch aus seinem Kommentar zur Metaphysik anf¨uhrt.16 Diese Widerlegungen gen¨ugen ihm, um – erneut ganz im Sinne von T HOMAS – zu schließen, dass die Sakramente per modum disponentis Ursache der Gnade, im Hinblick auf character und ornatus aber die causa efficiens seien:17 Die Auseinandersetzung mit D URANDUS dient A EGIDIUS zu einer fundierteren Verteidigung des Mitwirkungs-Modells. Es sind drei Punkte, die an diesem Vorgehen hervorzuheben sind: Was erstens den Stellenwert von T HOMAS VON AQUIN betrifft, wird deutlich, dass dessen Autorit¨at noch einmal dadurch zugenommen hat, dass er nun nicht mehr einfach nur als herausragender Scholastiker wahrgenommen wird, sondern dass sein Werk einen gleichsam kanonischen Status erh¨alt, weil mit Hilfe dieses Werkes Angriffe widerlegt werden, die erst sp¨ater gegen gewisse Positionen von T HOMAS erhoben worden sind.18 Diesen besonderen Status unterstreicht 15 Paris, Maz. 959, fol. 101va–102ra. Bereits in der einleitenden Kl¨arung der Definition eines Sakraments ist es D URANDUS, den A EGIDIUS mit einem Gegenargument anf¨uhrt – dort allerdings gegen die Definition des H UGO VON S T. V IKTOR mit ihrer Anbindung der Sakramente an ein materiales Element (ebd. fol. 100vb, s.o., S. 274). Interessanterweise nimmt er dort die Argumentation von D URANDUS auf, nicht zuletzt wohl auch, weil er sich weiterhin im Einklang mit T HOMAS weiß, auf den er sich implizit bezieht: Melius tamen mihi videtur dictum quod requiritur sanctificatio, hoc est causatio sanctitatis propter argumentum eiusdem Durandi de sacramento matrimonii ubi materia non santificatur in se aut suo simili (vgl. T HO MAS , In sententias IV d 1, q 1, a 1, qc 5, resp., ed. Moos (1947), S. 15: Definitio Hugonis de sancto Victore eadem est cum definitione quam magister in littera ponit, hoc excepto quod addit causam significationis, quae est institutio, et causam efficientiae, quae est sanctificatio). 16 Was D URANDUS’ Obiectiones betrifft, pr¨asentiert A EGIDIUS einen fast vollst¨andigen Katalog, n¨amlich sieben der neun Argumente, die sich bei D URANDUS, In sententias, Red. C IV d 1, q 4, ed. Venedig 1571, fol. 289va–290ra finden. Die Zitate aus T HOMAS stammen weitgehend aus den oben, S. 160 bis 163 diskutierten Passagen. So offen A EGIDIUS allerdings aus T HOMAS zitiert, behauptet er zuerst doch, er wolle seine eigene Meinung bieten – so heißt ¨ es im Ubergang zwischen Darstellung und Widerlegung von D URANDUS’ Argumenten: Haec pro certo rationes sunt apparentes, sub quorum etiam solutione viri sapientes possent difficultatem sustinere. Verum ut sentio dico ad eas (Paris, Maz. 959, fol. 102ra). 17 Paris, Maz. 959, fol. 102vb: Patet igitur quid dicendum ad quaesitum quomodo sacramenta novae legis sunt causa gratiae per modum disponentis. Secundo sunt causa efficiens characteris aut ornatus. Zu den entsprechenden Ausf¨uhrungen bei T HOMAS s.o., S. 163. 18 Zu diesem Prinzip der Selbstauslegung, das seinen Ursprung in der antiken H OMERRezeption hat, aber dann nat¨urlich vor allem in der Bibel-Exegese zur Anwendung gekommen ist, vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Thomas von Aquin und der Dominikanerorden. Lehrtraditionen bei den Mendikanten des sp¨aten Mittelalters, in: Freiburger Zeitschrift f¨ur Philosophie und Theologie 57 (2010), S. 260–285, S. 272f.
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A EGIDIUS am Ende seines Sentenzenkommentars, wo er in einem Lob auf seinen Thomas“ dessen g¨ottliche Tugend und Wissenschaft r¨uhmt – und da” bei als das herausragendste Verdienst des AQUINATEN hervorhebt, dass er den Horizont der Philosophen und jenen der Theologen zu einem einzigen gemacht habe.19 Damit wird umgehend ein zweiter Punkt deutlich: Von einer Trennung zwischen philosophischem und theologischem Ansatz kann bei A EGIDIUS keine Rede sein. So sehr er sich auch an der auctoritas des T HOMAS VON AQUIN ausrichtet, bleibt sein Diskurs doch ein rationaler, indem er, sinngem¨aße oder w¨ortliche Zitate aus T HOMAS’ Werk aufgreifend, f¨ur dessen Position argumen¨ tiert.20 Anders als es G ERSON postuliert hat und anders als es D INKELSB UHL umsetzen wird, scheidet A EGIDIUS weder zwei Logiken, noch spricht er der ratio ihre Legitimit¨at in Glaubensfragen ab: Wie bei seinem großen Vorbild ist die ratio f¨ur ihn vielmehr ein geeignetes Mittel, um die Wirksamkeitsproblematik zu l¨osen. Diese rationale Ausrichtung ist nun aber drittens so stark, dass bei A EGI DIUS die urspr¨ unglichen auctoritates f¨ur den Entscheid zwischen den beiden Modellen gar keine Rolle mehr spielen. Zwar bestehen die einleitenden Argumenta quod sic und in oppositum fast ausschließlich aus Autorit¨aten-Zitaten; im Korpus der Quaestio werden sie aber ebenso wenig aufgegriffen, wie T HOMAS’ Ausgangsthese keine Erw¨ahnung findet, dass jedermann wegen gewisser auctoritates gezwungen sei, von einer sakramentalen Urs¨achlichkeit auszugehen.21 19
Das Lob findet sich im Rahmen einer ausf¨uhrlichen Rechtfertigung des A EGIDIUS u¨ ber den Gebrauch seiner Quellen (dazu K ALUZA , Z ENON: Auteur et plagiaire: quelques remarques, in: S PEER/A ERTSEN: Was ist Philosophie des Mittelalters (1998), S. 312–320, S. 318): Post hoc mihi sermo est de meo Thoma, cuius doctrinae utinam comprehensor essem ut amator [...]. Si virtutes eius consideras, non humanum aliquid, sed Dei virtutem videbis; si litteras miraberis, naturae potentiam ita, ut sit ille quem natura servaverit, in quo omnium vires explicaret, invenies simul et sapientiam Dei, ut sic probatum sit in eo Dei donum naturam perficere, non corrumpere. Hic horizon philosophorum theologorumque fecit utraque unum (Paris, Maz. 959, fol. 199rb). Genau dies war es, was er umgekehrt als einzigen Vorwurf gegen A LBERT DEN G ROSSEN zu erheben wusste: Hoc unum differentiae a Thoma sortitus est, humanas a divinis locis et operibus seiunxit artes (ebd. fol. 199va; vgl. dazu K ALUZA: albertisme tardif (1995), S. 218 und 236f.). 20 So werden die jeweiligen Widerlegungen von D URANDUS’ Einw¨anden mit klassischen Formulierungen wie ‘nego consequentiam’ oder ‘concedo antecedentem’ eingef¨uhrt; zu einer ‘Autorit¨atenexegese’ kommt es nur im Rahmen der letzten Obiectio, wo A EGIDIUS D URAN DUS unterstellt, T HOMAS falsch verstanden zu haben: dico quod non assumitur principium Thomae (Paris, Maz. 959, fol. 102va). 21 S.o., S. 152. Abgel¨ost von A EGIDIUS’ eigentlicher Argumentation und bloß noch zu deren Best¨atigung wird am Ende der Widerlegung von D URANDUS’ Einw¨anden einzig das AUGUSTIN-Zitat aus dessen Johanneskommentar zusammen mit einem Zitat von Heb 4,12 angef¨uhrt: Propterea sermo et verba sacramentalia ‘viva sunt et penetrabiliora omni | gladio ancipiti pertingentia etiam usque ad divisionem animae et spiritus compagum quoque et medullarum’ ut vult Apostulus ad Hebraeos quarto. Et Augustinus super Johannem ‘aqua baptismi dum corpus tangit cor abluit.’ Sic patet quid ad hoc dicendum (Paris, Maz. 959, fol. 102va–b).
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Damit ergibt sich im Vergleich zu T HOMAS’ Problemaufstellung eine Verschiebung – eine Verschiebung, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf A EGIDIUS’ eingehendes Studium von D URANDUS’ Sentenzenkommentar zur¨uckgeht: Dessen Autorit¨aten-Auslegungen und dessen Argument, dass kein Heiliger behauptet habe, die Sakramente seien Ursache der Gnade,22 veranlassen ihn offensichtlich dazu, diesen Autorit¨aten-Aspekt v¨ollig auszublenden und stattdessen jenen zweiten Punkt zu betonen, den die Mitwirkungs-Variante dem Pakt-Modell voraus hat: die Erkl¨arung des Unterschieds zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten. 20.1.2 Johannes Capreolus’ Verteidigung von Thomas von Aquin Weniger beeindruckt von D URANDUS’ Ausf¨uhrungen zeigt sich J OHANNES C APREOLUS. In der ersten Questio seiner Defensiones zum vierten Sentenzenbuch – einer Quaestio, die Distinctiones 1 bis 3 abdeckt, – greift auch C APREO LUS die Wirksamkeitsproblematik explizit auf und fragt danach, ob in den neutestamentlichen Sakramenten irgendeine Kraft sei, welche die Gnade verursache.23 Wie bereits der weite Blickwinkel auf drei Distinctiones vermuten l¨asst, geht es in der Quaestio aber um mehr als bloß um die Wirksamkeitsproblematik. Anders allerdings als A EGIDIUS strukturiert sie C APREOLUS in einer Weise, die noch an das geometrische Vorgehen der Pariser Kommentare des sp¨aten 14. Jahrhunderts erinnert.24 Zwar l¨asst sich nicht mehr direkt von den einleitenden Argumenta auf die jeweiligen Artikel schließen, doch bietet der erste Artikel vier Conclusiones, deren erste drei die logischen Voraussetzungen kl¨aren, welche sich aus Fragestellung und Argumentum quod non ergeben, damit in der vierten schließlich eine Bestimmung ad quaesitum umrissen werden kann: Das einleitende Argumentum quod non besagt, dass ein und dieselbe Sache nicht in mehreren Dingen zugleich sein k¨onne, ein Sakrament aber aus mehrerem bestehe (aus Worten n¨amlich und aus Dingen). Entsprechend k¨onne es in einem Sakramente nicht eine Kraft geben.25 Davon ausgehend bestimmt C APREOLUS nun in einer ersten Conclusio, was u¨ berhaupt die Definition eines Sakraments sei, um anschließend festzuhalten, dass sie tats¨achlich aus Worten und Dingen best¨unden (dass also das Argumentum quod non zutreffe); eine dritte Conclusio h¨alt fest, dass sie tats¨achlich Ursache der Gnade seien (die Quae22
Nullus sanctus posuit in diffinitione sacramenti quod esset causa gratiae: D URANDUS, In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 25, ed. Venedig 1571, fol. 290va (s.o., S. 201). 23 Utrum in sacramentis novae legis sit aliqua virtus gratiae causativa (Defensiones IV d 1–3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 1a). 24 Dazu s.o., S. 251. 25 Arguitur quod non. Quia idem non potest esse in diversis. Sed ad sacramenta concurrunt diversa, scilicet res et verba. Unius autem sacramenti non potest esse nisi una virtus. Ergo videtur quod in sacramento nulla sit virtus (Defensiones IV d 1–3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 1a).
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stio fragt ja nach einer virtus causativa gratiae), damit die vierte schließlich bestimmen kann, dass den Sakramenten f¨ur diese Verursachung eine besondere Kraft zukomme.26 Die zwei weiteren Artikel, die noch folgen, greifen ihrerseits die Struktur dieses ersten Artikels auf: Der zweite Artikel sammelt Gegenargumente, die in den Generationen nach T HOMAS VON AQUIN gegen dessen Thesen erhoben worden sind; ein dritter Artikel schließlich widerlegt diese Argumente – wie bereits erw¨ahnt – weitgehend unter R¨uckgriff auf Ausz¨uge aus T HOMAS’ eigenen Schriften.27 Erneut sind es bloß drei Punkte, die an dieser Vorgehensweise hervorgehoben werden sollen. Ein erster betrifft C APREOLUS’ Umgang mit T HOMAS VON AQUIN , wie er bereits im ersten Artikel im Rahmen der Begr¨ undungen der vier Conclusiones fassbar wird: Wie es sich C APREOLUS vorgenommen hat, stellt er diese Begr¨undungen tats¨achlich weitgehend aus T HOMAS-Zitaten zusammen, die nun allerdings erneut nicht nur aus dessen Sentenzenkommentar, sondern auch aus den Quaestiones de veritate und der Summa theologiae stammen. Anders, als es in den Diskussionen des 14. Jahrhunderts weitgehend der Fall gewesen ist, erweitert C APREOLUS damit – wie sich dies auch bereits bei A EGIDIUS und beim sp¨ater wirkenden D IONYSIUS gezeigt hat – das Textkorpus der interessierenden T HOMAS-Schriften.28 C APREOLUS ist unter den hier untersuchten Autoren der erste, der dabei auch bemerkt, dass sich in der vorliegenden Frage von T HOMAS’ Sentenzenkommentar zur Summa theologiae hin Verschiebungen in der Beurteilung der sakramentalen Wirkweise feststellen lassen: W¨ahrend im Sentenzenkommentar die Sakramente noch als causae disponentes behandelt werden, verschwindet diese dispositio aus den Erkl¨arungen der Summa und die Sakramente werden selbst zu instrumentalen Ursachen der Gnade.29 26
Die erste Conlusio lautet: diffinitio sacramenti quam ponit magister [...] est bene assignata, et competens sacramentis novae legis (Defensiones IV d 1–3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 1b). Die zweite lautet schlicht: sacramenta novae legis consistunt in rebus et verbis (ebd. S. 2a). In der dritten heißt es: sacramenta novae legis sunt causa gratiae, non solum per modum causae sine qua non, immo per modum causae per quam (ebd. S. 3a). Die vierte lautet schließlich: in sacramentis novae legis est aliqua virtus gratiae causativa (ebd. S. 4a). 27 Vgl. die einleitende divisio quaestionis: In hac quaestione erunt tres articuli. In primo ponentur conclusiones. In secundo, obiectiones. In tertio, solutiones (Defensiones IV d 1–3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 1a). Sein Vorgehen weicht damit in diesen sp¨ater fertig gestellten Kommentaren zu B¨uchern II–IV von jenem ab, das C APREOLUS f¨ur den (noch in Paris fertiggestellten) Kommentar zu Buch I angewendet hat und das ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 142–145 beschreibt: Dort unterteilt C APREOLUS bloß in zwei Artikel (Conclusiones und Dubia), w¨ahrend er ab dem zweiten Band konsequent drei Artikel (Conclusiones, Obiectiones, Responsiones/Solutiones) unterscheidet. 28 F¨ur einen Katalog aller T HOMAS-Schriften, auf die C APREOLUS in seinen Defensiones zur¨uckgreift, vgl. G RABMANN: Johannes Capreolus (1956), S. 377. 29 S.o., S. 161; vgl. Capreolus, Defensiones IV d 1–3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 4a: Similem sententiam ponit, [in Summa theologiae] 3 p., q. 62, art. 1, et De veritate, q.
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Interessant ist nun, dass C APREOLUS trotz der festgestellten Differenzen im weiteren Verlauf der vorliegenden Frage die Position von T HOMAS’ Sentenzenkommentar, und nicht etwa jene der Summa verteidigt. Im Rahmen der dritten Conclusio, in der die unterschiedlichen Ans¨atze offenkundig werden, verzichtet er sogar darauf, neben T HOMAS’ Sentenzenkommentar auch die jeweiligen Passagen aus De veritate und aus der Summa zu zitieren; stattdessen gen¨ugt ihm eine kurze Bemerkung, um im Anschluss an P ETRUS DE PALUDE einen Ausgleich zwischen den beiden Ans¨atzen zu behaupten: effective w¨urden die Sakramente nur die gratia sacramentalis verursachen, d.h. die jedem einzelnen Sakrament spezifische Gnadenwirkung; die gratia gratum faciens, die allgemein rechtfertigende Gnade verursachten sie aber bloß dispositive.30 Wenn D URANDUS in der ersten Obiectio gegen diese Conclusio die dispositio f¨ur u¨ berfl¨ussig erkl¨art, argumentiert C APREOLUS denn auch nicht, T HOMAS selbst sei in seinen sp¨ateren Ausarbeitungen von dieser dispositio abger¨uckt, sondern er beweist die Notwendigkeit ihrer Annahme in aller Ausf¨uhrlichkeit.31 Anders als in der modernen Literatur zu lesen ist, favorisiert C APREOLUS in seinen Defensiones nicht einfach die Summa, sondern ist in der vorliegenden Frage um einen Ausgleich bem¨uht (die Differenzen zur Summa werden heruntergespielt), was eine klare Bevorzugung des Sentenzenkommentars zur Folge hat.32 Ein zweiter Punkt, der hier hervorgehoben werden soll, betrifft die Gegner, mit denen sich C APREOLUS auseinandersetzt. Es sind in der vorliegenden Frage drei, die ausf¨uhrlich zu Wort kommen: neben D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN 27, art. 4; nisi quod in praedictis locis videtur dicere quod sacramenta pertingunt effective instrumentaliter ad ipsam gratiam, non faciendo mentionem de dispositione. 30 Defensiones IV d 1–3, a 1, c 3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 4a: Intelligendum est quod pertingunt ad gratiam sacramentalem effective; ad gratiam vero gratum facientem, solum dispositive, ut exponit Petrus de Palude. Den Unterschied zwischen sakramentaler und rechtfertigender Gnade sieht P ETRUS DE PALUDE allerdings nicht so eindeutig gegeben wie C APREOLUS, vgl. P ETRUS DE PALUDE: In quartum sententiarum d 1, q 1, ed. Venedig 1493, fol. 3rb: Sacramenta attingunt ad productionem dispositionis ad gratiam quae est character vel ornatus, et pari ratione ad gratiam sacramentalem, si differat ab alia gratia. T HOMAS selbst a¨ ußert sich zum Unterschied zwischen den beiden Gnadenformen etwa in Summa theologiae III q 62, a 2, ed. Caramello (1956), S. 350a: Gratia sacramentalis addit super gratiam communiter dictam, et super virtutes et dona, quoddam divinum auxilium ad consequendum sacramenti finem (ebenso ebd. q 72, a 7, ad 3, S. 428a. 31 Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 19b: Patet quod ponere in anima dispositionem, aut praeparationem, aut ornatum praevium ad gratiam, non est fictio, sed pura veritas, consona rationi et dictis sacrae scripturae. Vgl. ebd. S. 20b: Apparet quod nec sanctificatis in utero, nec contritis ante sacramentalem absolutionem confertur gratia, nisi prius natura sint dispositi ad gratiae susceptionem, aliqua dispositione actuali vel habituali; et quod hoc non est fictio. 32 Zu C APREOLUS’ mutmaßlicher Bevorzugung der Summa theologiae vgl. ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 148; einen detaillierteren Kriterien-Katalog, wie C APREOLUS mit Differenzen zwischen T HOMAS’ Schriften umgehe, bietet bereits G RABMANN: Johannes Capreolus (1956), S. 378–380.
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auch D UNS S COTUS und P ETRUS AUREOLI. C APREOLUS analysiert die drei Autoren allerdings nicht mit derselben Akribie. D URANDUS findet sein gr¨oßtes Interesse: Ihn f¨uhrt er gegen alle vier Conclusiones an, mit ihm steigt er jeweils ein, wenn er die Argumente zusammentr¨agt, und bei ihm greift er nicht nur jene Argumente auf, die direkt gegen T HOMAS’ Position gerichtet sind, sondern er formuliert auch Begr¨undungen f¨ur D URANDUS’ eigene Position zu Argumenten gegen T HOMAS um.33 So findet sich denn u¨ ber die vier Conclusiones verteilt ein noch vollst¨andigerer Katalog an Argumenten – die u¨ brigens s¨amtliche aus D URANDUS’ dritter Sentenzenlesung stammen –, als dies bei A EGIDIUS der Fall ist. Erst an zweiter Stelle folgt S COTUS, der nur gegen die dritte und vierte Conclusio angef¨uhrt wird und bei dessen Argumenten – die s¨amtliche S COTUS’ Ordinatio entnommen sind – sich C APREOLUS mit einer Ausnahme auf direkte Gegenargumente zu T HOMAS’ Position beschr¨ankt.34 AUREOLI schließlich findet – gemessen am Umfang seiner Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik – nur kurze Beachtung: Im Rahmen der dritten Conclusio sind es drei, im Rahmen der vierten ist es noch eine Obiectio, die C APREOLUS als Argumente gegen T HOMAS’ Position zusammentr¨agt. Entsprechend fehlen Kernst¨ucke von AUREOLIS Ausf¨uhrungen wie etwa seine Parallele zwischen einem Sakrament und einem Brandstifter – f¨ur den vorliegenden Zusammenhang bedeutend sind es insbesondere auch AUREOLIS Autorit¨aten-Auslegungen, die bei C APREOLUS keine Beachtung finden.35 C APREOLUS pr¨asentiert damit einen durchaus selektiven Blick auf die Debatten, die T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell angeregt hat. Auch wenn die Ausf¨uhrungen im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung gezeigt haben, dass die Diskussion mit D URANDUS und AUREOLI insofern eine Wendung erf¨ahrt, als die Autorit¨atenproblematik in den Hintergrund tritt, geht doch die rationale Auseinandersetzung mit den Modellen im 14. Jahrhundert weiter, wie die erw¨ahnten Beispiele eines A DAM WODEHAM, eines T HOMAS VON S TRASS BURG oder eines JAKOB VON E LTVILLE belegen. Diese ‘rationale Wende’ spielt aber f¨ur C APREOLUS, wie seine AUREOLI-Rezeption deutlich macht und wie gleich noch ausf¨uhrlicher dargelegt wird, keine Rolle. Selbst wenn nun WODEHAM oder auch etwa G REGOR VON R IMINI an anderen Stellen 33
So die Argumente 6 bis 10 gegen die vierte Conclusio (Defensiones IV d 1–3, a 2, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 12b–14a); vgl. In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 21–28, ed. Venedig 1571, fol. 290rb–vb. 34 Bei der Ausnahme handelt es sich um das sechste und letzte Argument gegen die vierte Conclusio (Defensiones IV d 1–3, a 2, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 15a), das einem Dubium entnommen ist, welches S COTUS in die Darstellung seiner opinio propria einfließen l¨asst (Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 318, ed. Vaticana (2008), S. 113). 35 Die knappe Beachtung von AUREOLI im Rahmen der vierten Conclusio h¨angt sicher auch damit zusammen, dass C APREOLUS AUREOLIS Argumente gegen die dritte Conclusio et aliqualiter contra quartam gerichtet sieht (Defensiones IV d 1–3, a 2, ad c 3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 11a).
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der Defensiones Erw¨ahnung finden, zeigt dieser selektive Blick, dass sich die R¨uckbesinnung hinter das sp¨atere 14. Jahrhundert zur¨uck, wie sie im ersten Teil der vorliegenden Arbeit umrissen worden ist, nicht einfach nur auf Autoren beschr¨ankt, deren Ans¨atze verteidigt oder rezipiert werden; vielmehr erstreckt sie sich f¨ur C APREOLUS auch auf Autoren, die es bloß zur¨uckzuweisen gilt.36 Dass zudem D URANDUS eine so herausragende Rolle spielt, erstaunt insbesondere im Hinblick auf S COTUS: S COTUS hat sich nicht nur fr¨uher und ausf¨uhrlicher als D URANDUS mit T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell auseinandergesetzt, vielmehr sind D URANDUS’ eigene Ausf¨uhrungen37 wie die gesamte nachfolgende Debatte des 14. Jahrhunderts bis hin zu den beschriebenen Wiener Kommentaren direkt von S COTUS’ Argumenten beeinflusst. C APREOLUS scheint es allerdings nicht um eine historische Aufarbeitung der Debatte zu gehen. So sehr er sich bem¨uht, den angef¨uhrten Autoren gerecht zu werden, indem er sie w¨ortlich zitiert und vor allem bei T HOMAS selbst auch stets einen klaren Hinweis zur Herkunft des Zitats gibt,38 ist wohl in der Gewichtung und Organisation der Gegenargumente ein anderer Aspekt viel entscheidender gewesen als der historische: die Tatsache n¨amlich, dass D URANDUS selbst auch Dominikaner gewesen ist. W¨ahrend D URANDUS bei A EGIDIUS oder sp¨ater ebenso bei D IONYSIUS durchaus auch eine positive Rezeption erfahren kann,39 setzt C APREOLUS alles daran, seinen Ordensbruder bis ins letzte Detail zu widerlegen und damit allem voran die ‘interne’ Kritik zu beseitigen, die an T HOMAS’ Thesen erhoben worden ist. Ein dritter Punkt, der schließlich an C APREOLUS Vorgehensweise im Rahmen der Wirksamkeitsproblematik hervorgehoben werden soll, betrifft die Art und Weise, wie er in seinem dritten Artikel auf diese Gegenargumente reagiert. Seinem urspr¨unglichen Ansinnen entsprechend f¨uhrt er tats¨achlich gegen die einzelnen Obiectiones eine eindr¨uckliche Auswahl an T HOMAS-Zitaten an: Er beruft sich dazu bei weitem nicht nur auf die betreffenden Abschnitte aus dem Sentenzenkommentar, aus De veritate oder aus der Summa, sondern be¨ weist einen magistralen Uberblick u¨ ber diese Werke, der es ihm erlaubt, seine Verteidigungen ebenso aus den unterschiedlichsten Teilen dieser Schriften zusammenzustellen, wie er auch weitere Traktate von T HOMAS und insbesondere 36 Dass daher die Formel C APREOLUS vs. Nominalisten“ nicht aufgehen kann, zeigt be” ¨ reits auch M ULLER , S IGRID: The Ethics of John Capreolus and the ‘Nominales’, in: Verbum. Analecta neolatina 6 (2004), S. 301–314, hier S. 305f. 37 S.o., S. 194. 38 Was DYK , J OHN VAN: The Sentence Commentary. A Vehicle in the Intellectual Transition of the Fifteenth Century, in: Fifteenth-Century Studies 8 (1983), S. 227–238, S. 230, und in seinem Gefolge auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 148 veranlasst hat, von solchem spirit of ‘back-to-the-sources’“ eine direkte Verbindungslinie zum Humanismus zu ” ziehen, s.o., S. 116. 39 F¨ur D IONYSIUS s.o., S. 385; f¨ur A EGIDIUS vgl. das oben, Anm. 15 angef¨uhrte Beispiel.
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dessen De potentia Dei einzubeziehen weiß.40 Interessanterweise bleibt er aber ¨ an diesem Punkt nicht stehen: Uber T HOMAS hinaus greift er auch auf andere Autoren zur¨uck, so in erster Linie auf P ETRUS DE PALUDE, der bekanntlich in der ordensinternen Auseinandersetzung mit D URANDUS dessen Thesen zum vierten Sentenzenbuch durchleuchtet hat.41 Geh¨ort P ETRUS damit gleichsam in dieselbe Tradition wie auch C APREOLUS selbst, was seine Einbindung in den vorliegenden Kontext zu rechtfertigen vermag, erstaunt nun aber ein zweiter Name, der im Rahmen dieses verteidigenden dritten Artikels auftaucht: Immer wieder n¨amlich bezieht sich J OHANNES C APREOLUS auch auf A LBERT DEN G ROSSEN. Es ist weiter oben ausgef¨uhrt worden, dass sich A LBERT nur sehr beil¨aufig mit der Wirksamkeitsproblematik besch¨aftigt hat; entsprechend stammen die Zitate, die C APREOLUS in seinen Defensiones anf¨uhrt, denn auch nicht aus A LBERTS’ Sentenzenkommentar, sondern aus philosophischen Traktaten und A RISTOTELES-Kommentaren, mit deren Hilfe C APREOLUS angrenzende Probleme wie etwa die Wirkweise eines Instruments zu kl¨aren versucht.42 Dabei scheint es nun aber bei weitem nicht nur um Argumente zu gehen, f¨ur die C A PREOLUS aus T HOMAS selbst keine passende Widerlegung findet: An einer Stelle zitiert er A LBERTS Kommentar zu De coelo et mundo und merkt dann an, ¨ dass T HOMAS in seinem Kommentar u¨ ber dasselbe Werk ganz Ahnliches gesagt 43 habe – ein Zitat der betreffenden T HOMAS-Stelle bleibt aber aus. Offensichtlich spielt es f¨ur C APREOLUS keine Rolle, welchen von beiden er zitiert, offensichtlich stehen f¨ur ihn A LBERT DER G ROSSE und T HOMAS VON AQUIN im Einklang. C APREOLUS praktiziert damit bereits eine harmonisierende, ‘konkordistische’ Lesart von A LBERT DEM G ROSSEN, wie sie f¨ur Thomisten des 15. Jahrhunderts typisch und wie sie von den zeitgen¨ossischen Albertisten im40 Allein im vorliegenden dritten Artikel zitiert C APREOLUS T HOMAS’ Sentenzenkommentar zu zw¨olf unterschiedlichen Distinktionen von Buch IV, greift auf s¨amtliche Teile der Summa theologiae zur¨uck und f¨uhrt Textstellen aus f¨unf verschiedenen Quaestionen aus De veritate an. Neben De potentia Dei findet zudem auch T HOMAS’ De virtutibus Erw¨ahnung. 41 S.o., S. 193. C APREOLUS zitiert ihn nicht nur aus seinem Sentenzenkommentar, sondern f¨uhrt auch dessen Quodlibet an, vgl. Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 47f. 42 Dies sowohl in Auseinandersetzung mit D URANDUS, Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 39b–40 unter R¨uckgriff auf A LBERTS De intellectu et intelligibili, als auch in Auseinandersetzung mit S COTUS, so ebd. S. 51a unter R¨uckgriff ¨ auf A LBERTS Metaphysikkommentar. Ein tabellarischer Uberblick u¨ ber die Werke von A L BERT DEM G ROSSEN , die C APREOLUS in seinen Defensiones zitiert, findet sich bei B ONINO , S ERGE -T HOMAS: Albert le Grand dans les Defensiones de Jean Cabrol (+1444), in: Revue Thomiste 99 (1999), S. 369–425, S. 420–425. 43 Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 52b: Similia dicit beatus Thomas, super eodem textu. Es handelt sich um A RISTOTELES: De caelo et mundo IV 6, 313 a 14.
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mer wieder beanstandet werden sollte.44 Seine Verteidigung der MitwirkungsVariante liest sich aber nicht mehr nur als eine Verteidigung von T HOMAS VON AQUIN, sondern als die Verteidigung einer Dominikaner-Theologie, deren herausragendster Repr¨asentant T HOMAS VON AQUIN ist, f¨ur die aber auch A L BERT DER G ROSSE oder P ETRUS DE PALUDE angef¨ uhrt werden k¨onnen, um umgekehrt den abtr¨unnigen Dominikaner, D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN, in aller Form zu widerlegen. An diesem R¨uckgriff auf A LBERT DEN G ROSSEN wird zudem deutlich, dass C APREOLUS keine Skrupel hat, mit Ausz¨ugen aus philosophischen Texten theologische Probleme zu l¨osen: Von einer Trennung der Disziplinen kann auch bei C APREOLUS nicht die Rede sein. In aller Selbstverst¨andlichkeit tauchen daher in diesem dritten, verteidigenden Artikel noch zwei weitere Namen auf: A RISTOTELES selbst n¨amlich und sein Kommentator AVERROES.45 Beide sind mit w¨ortlichen Zitaten an mehreren Stellen pr¨asent, beide werden sie verwendet, um die spezifische Form von Bewegung und Ver¨anderung, welche sich laut dem Mitwirkungs-Modell im und durch das Sakrament vollzieht, physikalisch zu begr¨unden – jedes Mal steht daher eine Diskussion um den Instrumentenbegriff im Hintergrund.46 Das urspr¨ungliche Bestreben von T HOMAS, eine rationale Erkl¨arung f¨ur die tats¨achliche Wirksamkeit der Sakramente zu finden, ist bei C APREOLUS erneut da. Nun hat sich T HOMAS ja bekanntlich nur deswegen auf die MitwirkungsVariante eingelassen, weil er sich (und alle anderen) wegen der bekannten auctoritates dazu gen¨otigt gesehen hat, eine tats¨achliche Wirksamkeit der Sakramente anzunehmen, eine Notwendigkeit, die mit den Autorit¨aten-Auslegungen von D URANDUS und von AUREOLI allerdings ihren zwingenden Charakter verloren hat. Wie sieht dies C APREOLUS? Es ist bereits erw¨ahnt worden, dass C A PREOLUS auf AUREOLIS Autorit¨aten-Auslegungen nicht eingeht. Anders sieht es aber bei C APREOLUS’ Besch¨aftigung mit D URANDUS aus; und wie zu erwarten ist, teilt C APREOLUS dessen Autorit¨aten-Verst¨andnis in keiner Weise. In einem der wenigen Abschnitte, in denen er weitgehend selbst formuliert, f¨uhrt C APREOLUS gegen D URANDUS ein ganzes B¨undel von Autorit¨aten in er44 Vgl. die Conclusio bei B ONINO: Defensiones (1999), S. 417f.; zu thomistischer und albertistischer Sichtweise auf A LBERT DEN G ROSSEN vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Comment lire les grands maˆıtres? G´erard de Monte, Heymeric de Campo et la question de l’accord entre Albert le Grand et Thomas d’Aquin (1456), in: Revue Thomiste 108 (2008), S. 105–130. 45 Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 3, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 33b–34a (A RISTOTELES und AVERROES); ebd. ad c 4, S. 41b (AVERROES), und ebd. S. 52b (A RISTOTELES). 46 Die Zitate stammen denn auch aus A RISTOTELES’ naturphilosophischen Schriften, so aus der Physik und aus De caelo et mundo (s.o., Anm. 43) sowie aus AVERROES’ Physikkommentar. Bei der ersten der in der vorangehenden Anmerkung genannten Stellen geht es um die Widerlegung von AUREOLIS Kritik am Instrumentenbegriff, bei der zweiten um die Kritik von D URANDUS und bei der dritten um jene von S COTUS.
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ster Linie aus dem Decretum Gratiani an, um zu zeigen, dass nicht nur AUGU STIN , sondern auch C HRYSOSTOMUS und A MBROSIUS von einer tats¨achlichen Wirksamkeit und einer Kraft in den Sakramenten ausgegangen seien.47 Weil sich C APREOLUS allerdings weitgehend ans Decretum h¨alt, f¨uhrt er keine neuen Autorit¨aten ein, die in der bisherigen Diskussion nicht bekannt gewesen w¨aren; wenn seine auctoritates bisher eine untergeordnete Rolle gespielt haben, dann deswegen, weil sie bloß zur großen Zahl jener V¨ater-Zitate geh¨oren, die in anderem Kontext ge¨außert worden sind und sich daher nur indirekt auf die Sakramentenproblematik u¨ bertragen lassen. So eindr¨ucklich der Autorit¨atenKataolog von C APREOLUS auch daherkommt, finden sich darin doch zu wenige eindeutige Zitate, um auch einen skeptischen Leser wie D URANDUS zu widerlegen. Allerdings bleibt C APREOLUS nicht einfach bei einer reinen Auflistung stehen, sondern setzt sich im Anschluss an seinen Autorit¨aten-Katalog direkt auch mit den Auslegungen von D URANDUS auseinander, der mit Blick auf den jeweiligen Kontext einige zentrale auctoritates neu zu verstehen versucht.48 Auch davon l¨asst sich C APREOLUS nicht u¨ berzeugen: So viel D URANDUS auch zusammenfabuliere, lasse sich schlicht nicht wegdiskutieren, dass AUGUSTIN von einer Kraft im Wasser gesprochen habe, was er sicher nicht getan h¨atte, h¨atte er das Wasser bloß f¨ur eine causa sine qua non gehalten.49 Erneut ist es die AUGUSTIN-Stelle aus dessen Johannes-Kommentar, die damit das Z¨unglein an der Waage spielen soll,50 doch zeigen sich nun zwei unterschiedliche Auslegungsformen: Wo D URANDUS (und auch AUREOLI)51 mehr auf den Kontext der betreffenden Stelle geachtet haben, pocht C APREOLUS auf den Wortsinn des isoliert betrachteten Zitats. Es w¨are u¨ bertrieben, hier eine direkte Parallele zu den im ersten Teil erw¨ahnten Debatten um die materia subiecta zu ziehen – auff¨allig ist dennoch, dass C APREOLUS an der vorliegenden Stelle eine Weitsicht im Umgang mit Zitaten vermissen l¨asst, die er sonst und insbesondere im
47
Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 43b–46b. S.o., S. 201. 49 Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 45a–b: Dicitur primo, quod arguens false glossat Augustinum. Nam, quantumcumque garruletur, non potest evadere quin Augustinus dicat quod aqua baptismi cor abluit; quae ablutio non fit sine gratia. Item, Augustinus dicit quod est tanta vis in illa aqua; quod non diceret, si sentiret illam solum esse causam sine qua non et per accidens, et | nihil omnino efficere, sed significare; quia in signo et in causa per accidens et sine qua non, non oportet ponere vim nec virtutem ad abluendum aut efficiendum. 50 Zwar greift C APREOLUS auch das Zitat aus B EDAS Lukas-Homilie auf (s.o., S. 242), meint dazu aber bloß: Dicitur secundo quod false exponit Bedam et alios sanctos post quos Beda locutus est, ut patet ex praedictis (Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 45b). 51 S.o., S. 218. 48
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Hinblick auf T HOMAS wie kaum ein anderer unter Beweis stellt.52 Weil ihm allerdings im vorliegenden Zusammenhang eine isolierte Betrachtungsweise zu gen¨ugen scheint, kann C APREOLUS feststellen: Aus diesen allen und aus vielen weiteren Aussagen von Heiligen, die angef¨uhrt werden k¨onnten, liegt es offen auf der Hand, dass P ETRUS L OMBARDUS, wenn er zu AUGUS TINS Definition hinzuf¨ ugt, die Sakramente seien Ursache der Gnade, [dies] nicht aus sich selbst hinzuf¨ugt, sondern aus den Aussagen AUGUSTINS und anderer Heiliger und damit deren Sinn aufnimmt. Zudem wird deutlich, dass die Meinung von D URANDUS und der anderen, die sagen, dass die Sakramente nichts f¨ur die Rechtfertigung oder die Aufnahme der Gnade bewirkten und dass sie keine Kraft h¨atten, die ihnen zur solcher Wirkung eingegeben sei, weit weg steht und unvertr¨aglich ist mit dem Sinn der Heiligen, und dass sie dem neuen Testament und seinen Sakramenten abtr¨aglich ist, indem sie diese als schwach, kraftlos und ohne Aktivit¨at hinstellt, wie es die alttestamentlichen Sakramente gewesen sind.53
¨ Wie auch f¨ur den sp¨aten D INKELSB UHL wird die Ausgangslage der Wirksamkeitsdebatte damit durch die alte Problemstellung von Autorit¨aten-Zitaten definiert, die eine bestimmte Position in der Wirksamkeitsfrage erzwingen. An¨ ders allerdings als D INKELSB UHL nimmt C APREOLUS die auctoritates nicht einfach als gegeben hin, sondern diskutiert sie in Auseinandersetzung mit D U RANDUS und erg¨anzt sie, wie sich das bereits auch bei seinem R¨ uckgriff auf A LBERT DEN G ROSSEN gezeigt hat, mit unz¨ahligen rationes f¨ur das verteidigte Mitwirkungs-Modell. ¨ Wie sehr daher auch semiotische Uberlegungen f¨ur C APREOLUS Verteidigung von T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell eine Rolle spielen, zeigt sich schließlich in der Auseinandersetzung mit jenem Exempel, das ganz am Beginn in der Einleitung der vorliegenden Untersuchung bereits angef¨uhrt worden ist:54 T HO MAS hat bekanntlich den modus intentionis, in welchem die Sakramente eine Kraft enthalten, damit illustriert, dass er in einer knappen Bemerkung und in Anlehnung an A RISTOTELES’ De sensu et sensato erw¨ahnt, eine h¨orbare Rede enthalte als Ursache eines Lernprozesses ja auch die Konzepte.55 S COTUS 52
Vgl. die Auslegungs-Prinzipien, die G RABMANN: Johannes Capreolus (1956), S. 378–380, zusammengestellt hat (dazu nun auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 147f.) 53 Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 45a: Ex quibus omnibus, et multis alii sanctorum dictis, quae adduci possent, apparet manifeste quod, cum magister addit diffinitioni Augustini, sacramenta esse causam gratiae, non addit ex propriis, sed ex dictis Augustini et aliorum sanctorum, et quod in hoc sequitur mentem eorum. Item, apparet quod opinio Durandi et aliorum dicentium sacramenta nihil efficere ad iustificationem vel gratiae susceptionem, nec habere aliquam virtutem eis inditam ad hoc efficiendum, multum extranea et discors est suis sacramentis, ponendo ea infirma, egena, et nullius activitatis, sicut erant sacramenta veteris legis. 54 S.o., S. 2. 55 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, ad 4, ed. Moos (1947), S. 35f.; s.o., S. 160.
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greift dies auf und h¨alt dem in einer ausf¨uhrlich gehaltenen Begr¨undung entgegen, dass eine h¨orbare Rede die Konzepte nicht formal enthalten k¨onne, unter anderem weil sonst ein Grieche Latein und ein Lateiner Griechisch verstehen m¨usste.56 C APREOLUS seinerseits verteidigt nun auch in diesem Punkt seinen T HOMAS, und er nutzt dies, um weit u¨ ber T HOMAS’ knappe Bemerkung hin¨ ausgehend einige grundlegende semiotische Uberlegungen anzustellen. Zwar gesteht er S COTUS zu, dass einer h¨orbaren Rede keine forma absoluta zukomme, weil sonst tats¨achlich die Verbindung zwischen einem Wort und dem bezeichneten Konzept so eng w¨are, dass ein Grieche auch einen Lateiner verstehen w¨urde. Sprachzeichen k¨onnten durch ihre Einsetzung die Konzepte aber in Form eines esse intentionale fluens enthalten, dieser Seinsform zwischen purer Potenz und purem Akt, auf welche sich T HOMAS zur Begr¨undung der sakramentalen Wirkweise berufen hat: Sprachzeichen, so C APREOLUS, k¨onnten einen H¨orer daher nicht nur von einem potentiellen in einen aktuellen Wissensstand versetzen, sondern dessen Wissen auch perfektionieren.57 ¨ C APREOLUS u¨ bertr¨agt damit T HOMAS’ Uberlegungen zur sakramentalen Wirkweise auf das Sprachgeschehen. Die Einsetzung eines Sprachzeichens wird zum entscheidenden Akt f¨ur dessen Bedeutung: Hier erhalten die Sprachzeichen ihre forma habens esse intentionalem fluens, hier erhalten sie auch die Kraft, die sie notwendigerweise besitzen m¨ussen, um einen Wissensprozess u¨ berhaupt in Gang zu bringen.58 Denn wie auch immer eine Rede ihren H¨orer reize – so die in der Einleitung bereits zitierte Stelle –, m¨usse dennoch zugestanden werden, dass sie in sich eine gewisse verursachende Kraft habe, denn ” anders kann ein Mensch nicht der Lehrer eines anderen genannt werden.“59 56
Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 302, ed. Vaticana (2008), S. 107; s.o., S. 181. Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 49a: Sermo doctorum continet virtualiter conceptionem intelligibilem, ad quam excitat discipulum. Et cum dicit arguens quod impositio vocum vel scriptorum non potest dare voci aut scripto aliquam formam absolutam, etc.: – dicitur quod, licet non det voci aliquam formam absolutam, habentem esse completum, potest tamen dare sibi formam habentem esse intentionale fluens, scilicet virtutem excitandi audientem, ut reducat se de actu primo in secundum, et ut conceptionem quam habet habitu, consideret in actu. Zu diesem esse intentionale fluens s.o., S. 163. Auf die genannte Perfektionierung des Wissens kommt C APREOLUS etwas sp¨ater – unter R¨uckgriff auf die allt¨agliche Erfahrung – zu sprechen (ebd. S. 49b): Per vocem et sermonem doctoris auditor potest formare in seipso speciem aut conceptum perfectiorem et magis specialem et determinatum quam prius haberet, ut quilibet in seipso experiri potest. 58 Vgl. bereits Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 48b: Omne namque agens oportet agere per aliquam virtutem. Daraus schließt C APREOLUS dann an der vorliegenden Stelle: Apparet quomodo verba vel scripta habent excitare mentem discipuli ad reducendum se de potentia in actum, et ad formandum conceptiones et intentiones intelligibiles; et consequenter habent aliquam vim ad hoc, ut prius deductum est [...]; quia omne agens agit sibi simile, et aliquo modo continet formam sui effectus (ebd. S. 49b). 59 Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 48b: Qualitercumque sermo excitet audientem, tamen oportet concedere quod habet in se aliquam vim 57
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Funktionieren nun aber die Sprachzeichen auf diese Weise, bew¨ahrt sich also ¨ die Ubertragung eines sakramententheologischen Modells auf ein semiotisches, dann ist umgekehrt auch nachvollziehbar, wie den Sakramentalzeichen in ihrer Einsetzung durch Christus eine gewisse Form und Kraft hat verliehen werden k¨onnen, die im aktuellen Vollzug aktualisiert wird und auf geeignet disponierte Empf¨anger eine spezifische Wirkung hat. Auch bei den Sakramenten ist deren Einsetzung daher der entscheidende Moment, wie C APREOLUS schon in seiner Auseinandersetzung mit AUREOLI deutlich macht. Dort gesteht C APREOLUS n¨amlich zu, dass Gott so, wie er den eucharistischen Einsetzungsworten die Kraft u¨ bertragen habe, Brot und Wein in Leib und Blut Christi zu wandeln, bestimmten Worten auch die Kraft h¨atte u¨ bertragen k¨onnen, einen Stein in den Leib Christi zu verwandeln.60 Sprachliche Wirkung und Wirkung der Sakramente verlaufen analog, und entsprechend l¨asst sich sprachphilosophisch u¨ ber die sakramentale Wirkweise debattieren. Das semiotische Modell aber, auf das ¨ sich C APREOLUS beruft und das von sakramententheologischen Uberlegungen inspiriert zu sein scheint, spricht klar f¨ur die Mitwirkungs-Variante. ¨ Die Parallelen zwischen dem Ansatz von D INKELSB UHLS Melker Lectura und den Vorgehensweisen von C APREOLUS und A EGIDIUS liegen damit ebenso auf der Hand wie die Unterschiede: Alle drei beziehen sie sich auf jene neue Form von Autorit¨at, die sich seit dem sp¨aten 14. Jahrhundert mehr und mehr feststellen l¨asst und die Scholastikern des 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts einen autoritativen Status zuspricht. Mit Blick auf diese neue Form von Autorit¨at ist allen dreien nicht mehr daran gelegen, die eigene Kompetenz zur L¨osung theologischer Probleme unter Beweis zu stellen, vielmehr liegt ihr Schwerpunkt auf der Darstellung und Vermittlung bereits ausgearbeiteter L¨osungsans¨atze. Alle drei halten sich hierf¨ur sehr eng an die Sentenzenstruktur und entwickeln dabei einen neuen Quaestionenstil:61 Auch wenn sich bei allen noch Einfl¨usse der causativam, mediate vel immediate, alicuius conceptus, sive sui, sive rei quam significat, sive utriusque, cum quodam ordine et collatione; aliter unus homo non posset dici doctor alterius. 60 Defensiones IV d 1–3, a 3, ad c 4, ed. Paban/P`egues, Bd. VI (1906), S. 48b: Conceditur tamen quod Deus posset conferre virtutem conversivam lapidis in corpus Christi aliquibus verbis, sicut contulit verbis sacramentalibus virtutem conversivam panis et vini in corpus et sanguinem Christi. Von einer Beanspruchung der g¨ottlichen potentia absoluta ist C APREOLUS damit nicht weiter entfernt als sp¨ater etwa auch G ABRIEL B IEL, s.u., S. 522. 61 Dass sich C APREOLUS f¨ur seine Verteidigung von T HOMAS eines Sentenzenkommentars bedient und nicht etwa T HOMAS’ Summa kommentiert, ist damit zu erkl¨aren versucht worden, dass er sich der Form angepasst habe, in welcher auch T HOMAS’ Gegner ihre Obiectiones am h¨aufigsten ge¨außert h¨atten (so bereits G RABMANN: Johannes Capreolus (1956), S. 375f.). C APREOLUS’ Vorgehensweise erscheint aber nur aus der Retrospektive und dem sp¨ateren u¨ berragenden Stellenwert von T HOMAS’ Summa erkl¨arungsbed¨urftig; im fr¨uhen 15. Jahrhundert sind Sentenzenkommentare auch unter Dominikanern noch das bevorzugte Medium, um theologische Systematiken zu erarbeiten (so bereits VAN DYK: The Sentence Commentary (1983), S. 232; a¨ hnlich auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 141).
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Vorgehensweise des sp¨aten 14. Jahrhunderts erkennen lassen, grenzen sie sich doch dadurch vom Essay-Stil und vom geometrischen Ansatz ab, dass sie wieder bem¨uht sind, den ganzen Sentenzentext zu beachten62 und ihre Quaestiones auf jeweils ein zentrales Thema auszurichten. Bei allen dreien spielt schließlich T HOMAS VON AQUIN eine entscheidende Rolle; doch beginnen hier auch die Unterschiede deutlich zu werden: W¨ahrend ¨ T HOMAS bei D INKELSB UHL zum Hauptvertreter der communis opinio wird, gibt er bei A EGIDIUS und C APREOLUS die Richtlinie vor, die verteidigt werden muss. Diese Verteidigung, und das ist der erwartete Hauptunterschied zwischen ¨ D INKELSB UHL und den beiden Pariser Scholastikern, f¨uhren A EGIDIUS und C APREOLUS nun unter deutlichem R¨uckgriff auf rationale Argumente durch, ¨ w¨ahrend D INKELSB UHL die ratio in Glaubensdingen hinter die auctoritates zur¨ucktreten l¨asst. So best¨atigt sich denn bei C APREOLUS ebenso wie auch bei A EGIDIUS, was am Beginn des vorliegenden Teils als Vermutung aufgestellt ¨ ¨ worden ist: W¨ahrend D INKELSB UHL philosophische Uberlegungen aus seiner Melker Lectura verbannt, spielen f¨ur die beiden Pariser Scholastiker philoso¨ phische und insbesondere auch semiotische Uberlegungen wieder eine Rolle. In diesem Zusammenspiel von Autorit¨atenbezug und rationalem Diskurs bleibt die Reichweite der ratio, auf die sich A EGIDIUS und C APREOLUS berufen, allerdings beschr¨ankt: Beide argumentieren sie nicht mehr frei vor sich hin, sondern halten sich an Argumentationsstrategien und L¨osungen, welche sie bei T HOMAS vorfinden. Auch wenn insbesondere C APREOLUS zur Verteidigung ¨ ¨ seines großen Vorbilds eigene Uberlegungen anf¨uhrt und – wie in der Ubertragung des esse fluens auf semiotische Zusammenh¨ange – Argumente vorbringt, die sich bei T HOMAS nicht finden, bleibt er doch bem¨uht, sich im Rahmen dessen zu bewegen, was T HOMAS bereits angedacht hat. So sehr A EGIDIUS mit rationalen Argumenten an die Wirksamkeitsfrage herantritt und so sehr C A PREOLUS ohne Ber¨ uhrungs¨angste mit philosophischen Theorien seine theologische Verteidigung st¨utzt, bleibt ihr Einsatz der ratio doch an jenen Leitlinien ausgerichtet, welche ihnen die gew¨ahlte auctoritas vorgibt. In solch selbstbeschr¨ankender Orientierung an T HOMAS VON AQUIN ist ihre ratio geb¨andigt.
20.2 Die bleibende Aktualit¨at von Thomas’ Sentenzenkommentar W¨ahrend A EGIDIUS’ Sentenzenkommentar keine nennenswerte Rezeption erfahren hat, werden C APREOLUS’ Defensiones europaweit zu einem wichtigen Text des sp¨atmittelalterlichen und fr¨uhneuzeitlichen Thomismus. Neben den 62 ¨ Oder, wie im Falle von D INKELSB UHLS Melker Lectura, den gesamten gew¨ahlten Ausschnitt, s.o., S. 33.
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bereits erw¨ahnten diversen Drucken, die f¨ur seine Verbreitung zeugen, scheint um 1500 an der Universit¨at Leipzig ein Lehrstuhl bestanden zu haben, der C A PREOLUS’ Lehren gewidmet war; und noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts empfiehlt das Generalkapitel der Dominikaner, neben C AJETAN auch C APREO LUS u ¨ berall dort zu benutzen, wo Schwierigkeiten in der Interpretation von T HOMAS auftauchten.63 Seinen Stellenwert unterstreichen nicht zuletzt auch ¨ ein Reihe von Zusammenfassungen und Uberarbeitungen, die im Verlaufe des 15. und 16. Jahrhunderts von seinen Defensiones erstellt werden und deren Ansatz weiterf¨uhren. PAULUS BARBUS DE S ONCINO, ein norditalienischer Dominikaner, verfasst im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts eine Epitoma quaestionum in IV libros Sententiarum Iohannis Capreoli, und nur wenig sp¨ater, im April 1497, ver¨offentlicht S YLVESTRO M AZZOLINI DA P RIERIO ein Compendium cum additionibus quaestionum Iohannis Capreoli.64 Diese zwei gek¨urzten Versionen von C APREOLUS’ Defensiones weisen eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Zwar halten sie sich in der Grobstruktur sehr eng an ihre Vorlage, beide organisieren jedoch den inneren Aufbau der Quaestiones um: PAULUS BARBUS diskutiert nach jeder einzelnen Conclusio bereits gleich auch die Gegenargumente samt zugeh¨origen Widerlegungen, und auch S YLVESTRO M AZZOLINI, der die Conclusiones zwar noch en bloc an den Beginn einer Quaestio stellt, f¨uhrt danach die Gegenargumente nicht wie C APREOLUS getrennt von ihren Widerlegungen an, sondern fasst Obiectiones und zugeh¨orige Responsiones jeweils zusammen. Beide bieten hierzu 63
Zum Leipziger Lehrstuhl vgl. TAVUZZI , M ICHAEL: Prierias. The Life and Works of Silvestro Mazzolini da Prierio, 1456–1527, Durham: Duke University Press, 1997 (Duke Monographs in Medieval and Renaissance Studies 16), S. 31, sowie B ONINO , S ERGE -T HOMAS: La scuola tomista nel Secolo XV, in: B IFFI , I NOS/M ARABELLI , C. (Hrsg.): La teologia dal XV al XVII secolo. Metodi e prospettive, Mailand: Jaca Book, 2000, S. 57–70. Den Beschluss des Generalkapitels von 1551, das in Salamanca abgehalten worden ist, zitiert G UNTEN , A NDR E´ F. VON: Caj´etan et Capreolus, in: B EDOUELLE/C ESSARIO/W HITE: Jean Capreolus ¨ (1997), S. 213–238, hier Anm. 1, S. 231f.; vgl. auch den Hinweis bei M ULLER : Ethics of John Capreolus (2004), hier S. 302. 64 Die Epitoma des PAULUS BARBUS wird erstmals 1522 in Pavia gedruckt, weitere Drucke erfolgen in Lyon 1528 und 1580 (worauf sich die vorliegende Untersuchung bezieht), sowie in demselben Jahr auch in Salamanca. Zur Person vgl. neben L OHR , C HARLES H.: Medieval Latin Aristotle Commentaries. Authors N–R, in: Traditio 28 (1972), S. 281–396, hier S. 321, nun v.a. J INDR A´ Cˇ EK , E FREM: Paolo Barb`o da Soncino OP. La vita ed il pensiero di un tomista rinascimentale, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 78 (2008), S. 79–148, zur Epitoma bes. S. 122–124 mit vermutetem Entstehungsdatum 1493–1495. Der Herausgeber der Epitome, I SI DOR I SOLANI, scheint den Text an einigen Stellen vervollst¨andigt zu haben, vgl. B EDOUELLE , G UY: Les e´ ditions ‘humanistes’ de Capreolus, in: B EDOUELLE/C ESSARIO/W HITE: Jean Capreolus (1997), S. 195–207, S. 201f. Das Compendium des S YLVESTRO M AZZOLINI wird 1497 in Cremona gedruckt; zu ihm vgl. neben TAVUZZI: Prierias (1997) vor allem auch TAVUZZI , M ICHAEL: Capreolus dans les e´ crits de Silvestro da Prierio, o.p. (1456–1527), in: B EDOUEL LE /C ESSARIO /W HITE : Jean Capreolus (1997), S. 239–258.
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einen stark gek¨urzten Text: Insbesondere streichen sie alle w¨ortlichen Zitate, die den L¨owenanteil von C APREOLUS’ Defensiones ausmachen, und bringen stattdessen nur noch die jeweilige Stellenangabe; zudem begn¨ugen sie sich, wo C APREOLUS pro Gegenargument noch drei oder vier T HOMAS-Stellen anf¨uhrt, meistens auf eine einzige Referenz pro Argument.65 Schließlich u¨ bergehen beide auch vereinzelte Gegenargumente, die C APREOLUS noch ausf¨uhrlich diskutiert: In der vorliegenden Wirksamkeitsfrage entf¨allt bei beiden interessanterweise die Diskussion um D URANDUS’ Auslegung der auctoritates – bloß PAULUS BARBUS merkt gegen Ende seiner Darstellung kurz an, es werde auch aus einigen auctoritates deutlich, dass in den Sakramenten eine Kraft sei.66 Der rationale Anspruch, den C APREOLUS mit seiner Verteidigung von T HOMAS gestellt hat, setzt sich so sehr durch, dass die urspr¨unglichen Bem¨uhungen um eine Rechtfertigung der auctoritates nun v¨ollig dem Versuch gewichen sind, schlicht die Rationalit¨at des Mitwirkungs-Modells unter Beweis zu stellen. Interessanterweise finden sich unter den T HOMAS-Referenzen, die weggek¨urzt werden, vorwiegend solche aus der Summa, w¨ahrend vor allem die Verweise auf den Sentenzenkommentar beibehalten werden. In der Wirksamkeitsfrage zeugen damit die beiden Abbreviationes noch am Ende des 15. Jahrhunderts f¨ur eine Bevorzugung von T HOMAS’ Sentenzenkommentar, was sich auch darin a¨ ußert, dass sie weiterhin die Sakramente f¨ur instrumentale Ursachen der dispositio, und nicht der Gnade selbst halten. Die Differenz zwischen der Summa und T HOMAS’ Sentenzenkommentar wird deshalb auch weiterhin nicht problematisiert:67 PAULUS BARBUS wiederholt bloß, was C APREOLUS bereits im Anschluss an P ETRUS DE PALUDE sagt, dass sich n¨amlich die Ausf¨uhrungen der Summa auf die gratia sacramentalis, jene des Sentenzenkommentars aber 65
Unter den verschiedenen Scholastikern, die C APREOLUS ber¨ucksichtigt hat, bevorzugen die beiden naheliegenderweise die Zitate von T HOMAS. Bei beiden taucht in der vorliegenden Wirksamkeitsproblematik zwar auch P ETRUS DE PALUDE an mehreren Stellen auf; A LBERT DER G ROSSE hingegen findet bei PAULUS BARBUS gerade noch ein einziges Mal Erw¨ahnung (Epitomes quaestionum Capreoli IV d 1, q 1, ed. Lyon 1580, S. 85b), w¨ahrend er bei S YLVE STRO M AZZOLINI komplett herausf¨allt. 66 PAULUS BARBUS DE S ONCINO: Epitomes quaestionum Capreoli IV d 1, q 1, ed. Lyon 1580, S. 85a: Quod autem in sacramentis sit virtus: patet ex auctoritatibus quas Gratianus adducit [De cons.] 1 q 1 c ‘detrahe’. Et Io. 3 ‘nisi quis renatus fuerit ex aqua, etc.’, nam ly ‘ex’ non dicit tantum habitudinem causae sine qua [non], nisi valde abusive. 67 In diesen Kontext passen auch die Ausf¨uhrungen des P ETRUS DE B ERGAMO, eines der Lehrer von PAULUS BARBUS, der in den 1470er Jahren eine Liste von behaupteten Widerspr¨uchen in T HOMAS’ Werk zusammenstellt, um diese zu gl¨atten. In der vorliegenden Frage stellt auch er keinen Konflikt zwischen der Summa und T HOMAS’ Sentenzenkommentar fest. Der einzige mutmaßliche Widerspruch, der ihm im Rahmen der allgemeinen Sakramentenlehre auff¨allt, betrifft die Wirkung der Beschneidung (P ETRUS DE B ERGAMO: Concordantiae dub 139 und 140, ed. K¨oln 1480, fol. D4r–v; zu seiner Person vgl. J INDR A´ Cˇ EK: Paolo Barb`o da Soncino (2008), S. 91).
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auf die gratia gratum faciens beziehen w¨urden.68 S YLVESTRO M AZZOLINI l¨asst einen Hinweis auf den Unterschied sogar g¨anzlich weg; stattdessen zementiert seine einzige Additio, die er zu der vorliegenden Frage anzuf¨uhren weiß, den Ansatz von T HOMAS’ Sentenzenkommentar, indem er unter R¨uckgriff auf H ERVAEUS NATALIS darlegt, inwiefern die Sakramente einen character (als Modellfall der dispositio) verursachen k¨onnten, ohne dass dies gleich als creatio verstanden werden m¨usse.69 Im Anschluss an C APREOLUS’ Defensiones bleibt daher das WirksamkeitsModell, wie es T HOMAS in seinem Sentenzenkommentar dargestellt hat, bis ins 16. Jahrhundert hinein pr¨asent. Das zeigt sich auch in anderen Texten als ¨ in solchen, die eine direkte Uberarbeitung von C APREOLUS’ Defensiones sind. T HOMAS DE V IO C AJETANUS, der sp¨ater f¨ur einen Umbruch in der Beurteilung der vorliegenden Frage sorgen wird, h¨alt sich in seinem fr¨uhen Sentenzenkommentar (um 1493) noch eng an C APREOLUS, u¨ bernimmt im Rahmen der allgemeinen Sakramentenlehre am Beginn von Buch IV dessen erste Qaestio w¨ortlich und folgert entsprechend, die Sakramente seien instrumentale Ursache von ornatus vel character, dispositive Ursache aber der Gnade.70 Auch S YL VESTRO M AZZOLINI selbst zeugt in seiner pastoraltheologischen Summa summarum, die er 1514 ver¨offentlicht, noch ein weiteres Mal f¨ur die Best¨andigkeit des dispositio-Ansatzes: In einem Abschnitt zur allgemeinen Sakramentenlehre f¨uhrt er aus, die neutestamentlichen Sakramente w¨urden die Gnade dispositive u¨ berbringen, indem sie eine dispositio zur Gnade einpr¨agten.71 Und F RAN 68 PAULUS BARBUS: Epitomes quaestionum Capreoli IV d 1, q 1, ed. Lyon 1580, S. 81a: In his duobus locis [3. parte q. 62 et de veritate q. 27] non dicit sacramentum concurrere dispositive; sed tantum effective, quod declarans Petrus de Palude dicit quod sacramenta pertingunt ad gratiam sacramentalem effective; ad gratiam vero gratum facientem solum dispositive. Zu C APREOLUS und P ETRUS DE PALUDE s.o., S. 405 mit Anm. 30. 69 Schon in der Einleitung des Arguments fasst S YLVESTRO zusammen, es sei T HOMAS’ Meinung quod in sacramentis novae legis est virtus inhaerens et causalitas effectiva aliquorum et dispositiva ad gratiam: S YLVESTRO M AZZOLINI: Compendium et additiones in Capreolum Add. in IV d 1, c 4, ed. Cremona 1497, fol. 9va–b (bei der 9 handelt es sich um eine Lagenmarke und nicht um eine Foliennummer). Der weitere Text ist ziemlich korrumpiert, dennoch wird deutlich, dass sich S YLVESTRO auf H ERVAEUS NATALIS: In quatuor libros sententiarum IV d 1, q 1, ed. Paris 1647, S. 308aD–bB, bezieht. 70 Der Kommentar ist in Form einer Reportatio in einer Pariser Handschrift erhalten (BNF lat. 3076); die entscheidenden Stellen in der vorliegenden Frage sind transkribiert bei L AU RENT, M.H.: La causalit´e sacrementaire d’apr`es le commentaire de Cajetan sur les sentences, in: Revue des Sciences Philosophiques et Th´eologiques 20 (1931), S. 77–82, hier S. 81: Est autem sacramentum causa instrumentalis; effective quidem ornatus vel characteris, dispositive autem gratiae, quia scilicet attingit effectum disponentem in quantum in se est ad gratiam. 71 Conferunt gratiam dispositive imprimendo dispositionem ad gratiam, id est characterem, vel ornatum: S YLVESTRO M AZZOLINI: Summa summarum, ed. Antwerpen 1581, S. 326b. Das Werk hatte einen unglaublichen Erfolg und fand nach der Erstausgabe (Bologna 1514) europaweit noch rund dreißig weitere Auflagen, vgl. TAVUZZI: Prierias (1997), S. 134. Vgl. a¨ hnlich auch bereits G IROLAMO S AVONAROLA: De veritate fidei III c 14, ed. Florenz 1497, fol. i2r:
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CESCO S ILVESTRI , ein weiterer Dominikaner, der um 1516 einen Kommentar zu T HOMAS’ Summa contra gentiles ver¨offentlicht, f¨uhrt erneut in expliziter Anlehnung an C APREOLUS aus, die Sakramente w¨urden zum Gnadenempfang bloß disponieren, wozu er sich allerdings nicht nur auf T HOMAS’ Sentenzenkommentar, sondern auch auf dessen Summa glaubt berufen zu k¨onnen.72 Interessanterweise hat F RANCESCO S ILVESTRI offenbar bereits Kenntnis u¨ ber die Reaktualisierung des Ansatzes von T HOMAS’ Summa, wie sie C AJE TAN in seinem Summenkommentar vorstellt, h¨alt jedoch vehement am dispositio-Ansatz des Sentenzenkommentars fest: Da die Gnade aus dem nichts erschaffen werde, wozu kein Gesch¨opf beitragen k¨onne, glaube er nicht, dass T HOMAS gemeint habe, die Sakramente verursachten instrumentaliter direkt die Gnade statt jener Vorstufe der dispositio.73 Immerhin f¨uhrt ihn dies zu einer kritischen Betrachtung auch des Ausgleichs, den C APREOLUS im Anschluss an P ETRUS DE PALUDE vorgeschlagen hat und den F RANCESCO S ILVESTRI unter R¨uckgriff auf dieselbe Begr¨undung zur¨uckweist, mit der er auch C A JETANS L¨ osungansatz widerlegt: Weil die sakramentale Gnade eine Wirkung der gratia gratum faciens sei, letztere aber von den Sakramenten nicht verursacht werden k¨onne, k¨onnten die Sakramenta auch die gratia sacramentalis
Sacramenta nec per propriam virtutem elementi sensibus, nec per virtutem acceptam a principali agente, qui est Christus, usque ad esse gratiae inclusive attingunt: sed ad ultimam eius dispositionem quam characterem vel ornatum theologi vocant. 72 In der Summa contra gentiles selbst a¨ ußert sich T HOMAS nicht explizit zur Wirksamkeitsfrage (s.o., S. 151 mit Anm. 3). Vgl. F RANCESCO S ILVESTRI: Commentaria in summam contra gentiles IV super c 57, ed. Rom 1570, fol. 493vaG–K: Ad evidentiam [...] considerandum est ex doctrina sancti Thomae [STh] III q.62 et [Scriptum] IV d.1 et 2 quod sacramenta veteris legis [...] nullo modo gratiam conferebant ex aliqua virtute eis inhaerente [...]. Sacramenta autem novae legis iustificant effective, inquantum virtute eis inexistente a passione Christi [...] causant in nobis gratiam. [...] Sacramenta ergo dicuntur causa salutis et gratiae, non quia sua actione gratiam attingant, cum gratia a solo Deo creetur in anima, sed quia ad ipsam gratiam disponunt, causando aliquid in anima, inquantum sunt instrumenta divinae virtutis, puta characterem vel ornatum, quo anima ad suscipiendam gratiam sit disposita. Impugnatur autem a Scoto, et ab aliis hic modus ponendi sacramentum esse causam gratiae dispositive per characterem, vel ornatum quem in anima causat immediate. Sed horum impugnationes a Capreolo in libro quarto sufficientissime dissolvuntur. 73 F RANCESCO S ILVESTRI: Commentaria in summam contra gentiles IV super c 57, ed. Rom 1570, fol. 493vbH: Sunt autem qui teneant de mente Sancti Thomae esse quod gratia non creetur, sed instrumentaliter attingatur a sacramentis, tum quia in IIIa q. 62. art. 1. dicitur absolute, gratiam instrumentaliter a sacramento causari, nulla facta mentione de causatione dispositiva, tum quia cum gratia desinit esse, non annihilatur. Sed hoc ad mentem sancti Thomae esse non puto. Nam cum creari sit ex nihilo aliquid fieri, et manifeste appareat gratiam ex nihilo fieri, reliquitur quod creetur eo modo quo formae inhaerenti convenit creari, quia scilicet secundum ipsam aliquid creatur, secundum quem modum inquit sanctus Thomas Ia IIae q. 101, art. 2 ad 3. gratiam creari, quia secundum ipsam homines dicuntur creari, idest, in novo esse constitui. Vgl. I TURRIOZ , DANIEL: La definicion del concilio de Trento sobre la causalidad de los sacramentos, Madrid: Editiones FAX, 1951 (Estudios Onienses. Serie III 3), S. 80.
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nicht verursachen.74 Einen eigenen Vorschlag, wovon T HOMAS in seiner Summa denn spricht, wenn er die Sakramente instrumentale Ursachen der Gnade selbst nennt, bietet F RANCESCO allerdings nicht. ¨ Ahnliches gilt auch f¨ur einen weiteren Zeitgenossen von F RANCESCO S IL VESTRI und C AJETAN : Der Spanier D IEGO DE D EZA ver¨ offentlicht 1517 eine neue Verteidigung“ der Lehren von T HOMAS VON AQUIN, die sich im großen ” und ganzen aber sehr eng an C APREOLUS’ Defensiones h¨alt.75 Zwar stellt auch er seine Vorlage um und unterteilt seinen Text nunmehr in vier Artikel, indem er zwischen die Pr¨asentation der Obiectiones und deren Widerlegungen einen Artikel mit ausf¨uhrlichen Beweisen der eingangs dargestellten Conclusiones einschiebt, der auch einige weiterf¨uhrende Kl¨arungen enth¨alt, auf die er dann in den Widerlegungen zur¨uckgreifen kann. Was Conclusiones, Obiectiones und Responsiones selbst betrifft, h¨alt er sich aber eng an seine Vorlage, die er allenfalls etwas k¨urzt. Zudem beschr¨anken sich in der vorliegenden Wirksamkeitsfrage die ‘Neuerungen’ des eingeschobenen dritten Artikel auf etwas eingehendere Erl¨auterungen dessen, was bei C APREOLUS allenfalls zu knapp dargestellt worden ist: Es betrifft dies insbesondere C APREOLUS’ knappe Erkl¨arung, es sei die Differenz zwischen T HOMAS’ Sentenzenkommentar und seiner Summa im Sinne von P ETRUS DE PALUDE zu verstehen, was D IEGO mit ausf¨uhrlichen Erkl¨arungen zum Unterschied zwischen sakramentaler Gnade und anderen Gnaden-Typen zu best¨atigen und zu verdeutlichen versucht.76 Zudem greift er auch die Additio von S YLVESTRO M AZZOLINI auf und erg¨anzt dessen knappe Hinweise auf H ERVAEUS NATALIS mit ausf¨uhrlichen Zitaten und Paraphrasen aus dem Sentenzenkommentar des franz¨osischen Dominikaners.77 Es erstaunt daher nicht, dass auch D IEGO DE D EZA zum Schluss kommt, die Sakramente seien direkte Ursachen der sakramentalen Gnade, zum Empfang der gratia gratum faciens w¨urden sie aber bloß disponieren.78 74 Commentaria in summam contra gentiles IV super c 57, ed. Rom 1570, fol. 493vbH: Non approbo autem interpretationem Capreoli dicentis, quod intelligeret sanctus Thomas quod sacramenta causant gratiam sacramentalem effective, non autem gratiam gratum facientem. Nam cum gratia sacramentalis sit effectus gratiae gratum facientis, si illa a sacramentis non causatur effective, nec etiam ista causari potest. 75 Novarum Defensionum doctrinæ Angelici doctoris beati Thomæ de Aquino volumina IV, Sevilla 1517. Vgl. neben der grundlegenden Biographie von C OTARELO VALLEDOR , A RMAN DO : Fra Diego de Deza. Ensayo biogr´ afico, Madrid: Perales y Martinez, 1902, hier S. 327ff., auch S CHMUTZ , JACOB: Bellum scholasticum. Thomisme et antithomisme dans les d´ebats doctrinaux modernes, in: Revue Thomiste 108 (2008), S. 131–182, hier S. 140. 76 Unde non est repugnantia in dictis sancti Thomae cum dicit in primo opere in hac scilicet distinctione loco proxime allegato quod gratia quam sacramentum directe continet, differt a gratia quae est in virtutibus et donis: Novarum Defensionum IV d 1, q 1, a 3, n 3, ed. Sevilla 1517, fol. 8ra. 77 Ebd., n 4, fol. 8rb–vb; vgl. oben, Anm. 69. 78 Ebd. n 3, fol. 8ra: Huiuscemodi praeparatio non est ad receptionem gratiae inquantum est gratumfaciens absolute prout ordinatur ad actus meritorios vitae aeternae, sed specialiter et
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Kapitel 20: Rationale Gr¨unde f¨ur Thomas’ Mitwirkungslehre
All diesen Texten ist grunds¨atzlich gemein, dass sie weiterhin an einer rationalen Verteidigung der Mitwirkungs-Variante festhalten. So kann die Diskussion u¨ ber die richtige Auslegung der auctoritates, die C APREOLUS bereits auf D URANDUS eingeschr¨ankt hat, bei PAULUS S ONCINAS und S YLVESTRO M AZZOLINI g¨anzlich wegfallen; und F RANCESCO S ILVESTRI versucht ebenso wie D IEGO DE D EZA mit rationalen Argumenten zu erkl¨aren, warum T HOMAS ein Vertreter des dispositio-Ansatzes gewesen sein m¨usse. Dass T HOMAS’ theologische Positionen rational sind und sich entsprechend rationalistisch verteidigen lassen, scheint außer Zweifel zu stehen; von einer wie auch immer gearteten Trennung der wissenschaftlichen Ans¨atze kann hier keine Rede sein. Die rationale Begr¨undung theologischer Positionen und die rationale Verteidiung von T HOMAS VON AQUIN werden f¨ur diese thomistischen Autoren vielmehr zu einem einzigen Unternehmen, das damit f¨ur die unglaubliche Autorit¨at zeugt, die dem Aquinaten inzwischen beigemessen wird, zugleich aber erneut best¨atigt, dass der Gebrauch der ratio geb¨andigt ist durch den Gebrauch, den T HOMAS selbst davon gemacht hat. In den Bereich des M¨oglichen f¨allt f¨ur diese Autoren nur, was T HOMAS selbst an L¨osungsans¨atzen entwickelt hat. Ausgehend von C APREOLUS interpretieren sie alle nun allerdings den Ansatz der Summa mit einer gewissen Hartn¨ackigkeit weiterhin aus der Perspektive von T HOMAS’ Sentenzenkommentar. So sehr es im Allgemeinen daher zutreffen mag, dass im Verlaufe des 15. Jahrhunderts T HOMAS’ Summa theologiae mehr und mehr dessen Sentenzenkommentar als wichtigstes theologisches Werk abl¨ost,79 bleibt inhaltlich in der vorliegenden Frage und mutmaßlich aufgrund der Vermittlung von C APREOLUS der L¨osungsansatz des Sentenzenkommentars doch pr¨agend. Ganz anders wird dies am Ende des 16. Jahrhunderts aussehen: M ATTHI AS AQUARIUS, der 1589 die letzte fr¨ uhneuzeitliche Ausgabe von C APREO LUS’ Defensiones besorgt, ver¨ offentlicht zeitgleich auch Annotationes zu diesem Werk, in denen er die einzelnen Conclusiones von C APREOLUS aufgreift, ohne allerdings auch die gesammelten Obiectiones und Responsiones zu u¨ bernehmen.80 Stattdessen tr¨agt er zu jeder Conclusio in einer nota jeweils in wedirecte prout ordinatur ad causandum effectus quosdam sacramentales, ut sic forma recipiatur in subiecto ad ipsam specialiter disposito. Vgl. ebd., n 4, fol. 8vb, die direkt gezogene Parallele zur Entstehung der rationalen Seele: Anima rationalis forma est per creationem producta, et tamen virtus creata naturalis ad illam corpus disponit. Similter et gratia et gloria formae sunt per creationem a Deo productae, et tamen ad illas ens creatum disponit (dies wohl in Anlehnung an H ERVAEUS NATALIS: In quatuor libros sententiarum IV d 1, q 1, ed. Paris 1647, S. 309aD–bA) 79 Deutlich wird dies etwa an der (moraltheologischen) Summa theologiae des A NTONINUS F LORENTINUS († 1459), der sich weitgehend auf T HOMAS’ Summa bezieht. Zur Entstehung der Summenkommentare vgl. das n¨achste Unterkapitel. 80 Zudem l¨ost sich M ATTHIAS AQUARIUS († 1591) auch von C APREOLUS’ QuaestionenStruktur und f¨uhrt s¨amtliche Conclusiones, welche C APREOLUS im Rahmen unterschiedlicher Quaestiones zu einer Distinctio aufgestellt hat, in einem einzigen, durchnummerierten Block
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nigen knappen Worten die unterschiedlichen Positionen zusammen, die ihm zur angesprochenen Problematik bekannt sind, und gibt danach an, welche dieser Positionen zu favorisieren sei. Zur dritten Conclusio der vorliegenden Problematik, in welcher eine tats¨achliche sakramentale Urs¨achlichkeit behauptet wird, weiß M ATTHIAS nicht weniger als zehn verschiedene L¨osungsans¨atze anzuf¨uhren, die sich zum Teil nur in Nuancen unterscheiden, damit aber von einer unglaublich detaillierten Lekt¨ure des italienischen Scholastikers zeugen.81 So unterteilt M ATTHIAS die Vertreter des Pakt-Modells in drei Gruppen: eine, welche die Sakramente f¨ur causae sine quibus non halte (namentlich werden B ONAVENTURA, R ICHARDUS DE M EDIAVILLA, O CKHAM, M ARSILIUS VON I NGHEN, G ABRIEL B IEL und D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN genannt); eine, welche die Sakramente als causae ex pacto divino betrachte (genannt wird P IERRE D ’A ILLY); und eine schließlich, welche die Sakramente nicht wirklich f¨ur Ursachen, sondern eher f¨ur signa efficacia halte, wie dies bei S COTUS der Fall sei.82 Auch im Hinblick auf die Mitwirkungs-Variante weiß M ATTHIAS mehrere L¨osungen zu unterscheiden: Insbesondere trennt er, was T HOMAS im Sentenzenkommentar gemeinsam mit A LEXANDER VON H ALES, P ETRUS DE PALUDE, J OHANNES C APREOLUS und F RANCESCO S ILVESTRI vertreten habe, dass n¨amlich die Sakramente causae dispositivae der Gnade seien, von dem, was C AJETAN in seinem Summenkommentar ausf¨uhre, wo die Sakramente als causae instrumentales naturales gratiae dargestellt w¨urden.83 F¨ur M ATTHIAS AQUARIUS besteht nun allerdings kein Zweifel daran, dass der L¨osungsansatz von C AJETAN zu bevorzugen sei. Denn dieser, so begr¨undet er, sei zuerst einmal die ausdr¨uckliche Meinung von T HOMAS in dessen Suman. Zur Person vgl. B LUM , PAUL R ICHARD: Giordano Bruno, Matthias Aquarius und die eklektische Scholastik, in: Archiv f¨ur Geschichte der Philosophie 72 (1990), S. 275–300, hier S. 280–285; zu seiner C APREOLUS-Edition und seinen Additiones vgl. B EDOUELLE: Editions humanistes (1997), S. 199f. 81 Annotationes IV d 1, c 3, ed. Venedig 1589, S. 2a. 82 Ebd.: Nota quod sunt variae sententiae theologorum, quarum prima est, quam sequitur Bonaventura, Riccardus, Ocham, Marsilius, Gabriel, Durandus. Haec enim dicit, quod sacramenta sunt causa gratiae sine qua non, et per accidens, quia ad eorum positionem causatur gratia sicuti ad positionem ignis super stuppam causatur commixtio. [...] Tertia est sententia Petri de Aliaco dicentis sacramenta esse causas gratiae ex pacto divino, quia adhibitis sacramentis Deus operatur gratiam sicut canonicus investitur per librum, abbas per baculum, episcopus per anulum. Quarta est Scoti volentis quod sacramenta dici causa gratiae, sed vere non esse causas, sed potius dici signa efficacia, et se habere ut effectus priores destinati ad effectus posteriores, scilicet ad gratiam. 83 Ebd.: Quinta sententia est sancti Thomae in hoc libro, Alensis, Petri de Palude, Capreoli, Ferrariensis volentium sacramenta esse causa gratiae dispositive, quia aliqua eorum causant ornatum, aliqua vero characterem, quemadmodum dicimus quod homo generat hominem, non quia attingit animam rationalem, sed quia causat dispositionem ad illam. [...] Nona est Caietani cardinalis volentis sacramenta esse causas instrumentales naturales gratiae, sicut calamus est causa scripturae, et securis est causa lecti.
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ma, zudem werde er den sacris litteris gerecht, entspreche den Beschl¨ussen des Tridentinums und sei auch im Sinne von AUGUSTIN, A MBROSIUS, BASI LIUS und H IERONYMUS .84 Auch wenn M ATTHIAS diese Aussage nicht weiter begr¨undet, bezeugt damit doch auch er die unglaubliche Autorit¨at, welche dem AQUINATEN und seinem theologischen Sp¨atwerk inzwischen beigemessen wird. T HOMAS und seine Summa sind nunmehr die Richtschnur noch vor Bibel, Konzilsbeschl¨ussen und V¨aterzitaten, so dass sich in der Wirksamkeitsfrage der Ansatz der Summa nun selbst in einem Werk durchsetzt, das sich auf C APREOLUS, den mutmaßlichen Verl¨angerer des dispositio-Ansatzes, beruft. Entscheidend hierf¨ur scheint zu sein, so lassen M ATTHIAS’ Ausf¨uhrungen vermuten, was C AJETAN in seinem Summenkommentar erarbeitet hat: Offensichtlich ist dort mit Blick auf die Wirksamkeitsfrage die Eigenst¨andigkeit des Summa-Ansatzes gegen¨uber T HOMAS’ Sentenzenkommentar so deutlich herausgearbeitet worden, dass dieser schließlich unter den Vertretern des MitwirkungsModells den dispositio-Ansatz von T HOMAS’ Sentenzenkommentars verdr¨angt. Es lohnt sich daher, auch einen Blick auf die Behandlung der Wirksamkeitsproblematik insbesondere in C AJETANS Summenkommentar zu werfen.
20.3 Die Wirksamkeitsproblematik in Summenkommentaren des ausgehenden Mittelaters 20.3.1 Vom Sentenzen- zum Summenkommentar: Heinrich von Gorkum und Hieronymus Dungersheim Es ist in der modernen Forschung zum sp¨atmittelalterlichen Thomismus oft geschrieben worden, dass der Usus, T HOMAS’ Summa selbst zur Grundlage eines Kommentars zu machen, seinen Anfang an der K¨olner Universit¨at genommen habe.85 Begr¨undet hat diese These zweifelsohne M ARTIN G RABMANN mit seinem Aufsatz zum K¨olner Magister J OHANNES T INCTORIS, in welchem 84
M ATTHIAS AQUARIUS: Annotationes IV d 1, c 3, ed. Venedig 1589, S. 2a.: His omnibus relictis sequenda est opinio Caietani, quae est expressa sententia sancti Thomae tertia parte [Summae] et est conformis sacris litteris. Ait enim Apostolus ad Titum ‘per lavacrum regenerationis salvos nos fecit etc.’; est etiam haec sententia conformis Concilio Tridentino sess. 6. etiam sanctis patribus Augustino, Ambrosio, Basilio, Hieronymo. Die Trienter Beschl¨usse sind allerdings viel zur¨uckhaltender in der Wirksamkeitsfrage, als der vorliegende Text vermuten l¨asst, vgl. DH 1529 und 1605–1609, sowie I TURRIOZ: Causalidad (1951), S. 199f. 85 Anders noch M ICHELITSCH , A NTON: Kommentatoren zur Summa Theologiae des Hl. Thomas von Aquin, Graz: Styria, 1924, S. 2: Den Anfang d¨urfte der fr¨uhere Nominalist, sp¨atere ” Dominikaner und Realist Peter Crockart von Br¨ussel [...] gemacht haben, der 1509 die Summa [...] zu erkl¨aren begann.“ Dieses Urteil erstaunt umso mehr, als M ICHELITSCH eine ganze Reihe von Kommentaren aus dem 15. Jahrhundert zusammenzutragen weiß, vgl. die Tabelle ebd. S. 169f.
20.3 Die Wirksamkeitsproblematik in Summenkommentaren
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er die Ausbreitung der Summenkommentare innerhalb des deutsch-sprachigen Raums detailliert schildert und tats¨achlich u¨ berzeugend auf K¨oln und die beiden dortigen Magister H EINRICH VON G ORKUM und J OHANNES T INCTO RIS zur¨ uckf¨uhren kann.86 Im Hinblick auf andere europ¨aische Sprachregionen erkl¨art G RABMANN am Ende seiner Schilderung allerdings, es h¨atten dort f¨ormliche Vorlesungen u¨ ber die theologische Summa erst etwas sp¨ater einge” setzt.“87 Was G RABMANN mit seiner Rede von ‘f¨ormlichen Vorlesungen’ noch vorsichtig ausdr¨uckt, ist in der Folge zu einer fixen Formel von ‘K¨oln als dem Ort der ersten Kommentare zur Summa Theologiae’ herangewachsen88 – und dies, obwohl G RABMANN seine Daten aus einer spanischen Monographie zusammengetragen hat, in der auch von zeitgleichen italienischen Anf¨angen der Summenkommentierung die Rede ist.89 Tats¨achlich findet sich zumindest mit 86
G RABMANN , M ARTIN: Der belgische Thomist Johannes Tinctoris (+1469) und die Entstehung des Kommentars zur Summa Theologiae des heiligen Thomas von Aquin, in: G RAB MANN : Mittelalterliches Geistesleben III (1956), S. 411–432, hier S. 430–432. Besonders augenf¨allig ist das Beispiel von L EONHARD H UNTPICHLER, der sich nach einem Artes-Studium in Wien als Theologie-Student an der K¨olner Universit¨at immatrikuliert, f¨ur den StudienAbschluss und weitere Lehrt¨atigkeit aber wieder an die Donau zur¨uckkehrt, womit der Brauch der Summenkommentare noch vor der Mitte des 15. Jahrhunderts auch nach Wien gelangt (vgl. das RAG unter der ID 2147102944 f¨ur die akademischen Daten, f¨ur dessen SummenKommentar vgl. G ORIS , H ARM: Thomism in Fifteenth-Century Germany, in: G EEST, PAU LUS J. VAN /G ORIS , H ARM/L EGET, C. (Hrsg.): Aquinas as Authority, Louvain: Peeters, 2002 (Publications of the Thomas Instituut te Utrecht 7), S. 1–24, hier S. 21–23). 87 G RABMANN: Johnnes Tinctoris (1956), S. 432. 88 ¨ , E RICH: K¨oln als der Ort der ersten Kommentare zur ‘Summa So vor allem H OHN Theologiae’ des Thomas von Aquin, in: E CKERT, W ILLEHAD PAUL (Hrsg.): Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption, Mainz: Matthias-Gr¨unewald-Verlag, 1974 (Walderberger Studien. Philosophische Reihe 5), S. 641–655, hier bes. S. 655: Im Ausland begann die ” Thomas-Bl¨ute etwas sp¨ater. [...] Wenn auch die K¨olner Kommentare nicht mit denen eines Cajetan oder Joanne a S. Thoma konkurrieren k¨onnen, so bleibt doch K¨olner Thomisten, wie Johannes Tinctoris und Gerhard von Elten, der Ruhm, als erste die STh des Thomas ins Zen¨ trum des theologischen Unterrichtes gestellt und kommentiert zu haben.“ Ahnlich auch bereits W EILER , A NTON G.: Heinrich von Gorkum (+1431). Seine Stellung in der Philosophie und der Theologie des Sp¨atmittelalters, Hilversum: Paul Brand, 1962, S. 73–75. Vorsichtig bleibt M EUTHEN , E RICH: Die Artesfakult¨at der Alten K¨olner Universit¨at, in: Z IMMERMANN , A L BERT (Hrsg.): Die K¨ olner Universit¨at im Mittelalter. Geistige Wurzeln und soziale Wirklichkeit, Berlin: de Gruyter, 1989 (Miscellanea mediaevalia 20), S. 366–393, hier S. 387; unhinterfragt u¨ bernommen wird die These von L EINSLE , U LRICH G.: Einf¨uhrung in die scholastische Theologie, Paderborn: Sch¨oningh, 1995 (Uni-Taschenb¨ucher 1865), S. 174 (und davon abh¨angig nun auch B ERGER , DAVID: Thomismus. Große Leitmotive der thomistischen Synthese und ihre Aktualit¨at f¨ur die Gegenwart, K¨oln: Editiones Thomisticae, 2001 S. 80f.) 89 V ILLOSLADA , R ICARDO G.: La universidad de Paris durante los estudios de Francisco de Vitoria O.P. (1507–1522), Rom, 1938 (Analecta Gregoriana 14), S. 292–297, ein Abschnitt, den V ILLOSLADA (f¨ur seine Zeit durchaus verst¨andlich) mit einem wehm¨utigen, von der alten Nominalismus-These gepr¨agten Blick auf die Entwicklung des Sp¨atmittelalters hin zur Reformation beendet: En la segunda mitad del siglo XV no ser´ıa dif´ıcil encontrar todav´ıa algunos ” otros te´ologos alemanes, sobre todo de Colonia y Leipzig, que comentaron la Suma en sus
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L UDOVICUS L ONGO, dem sp¨ateren Bischof von Methone († 1475), ein Dominikaner, der als Zeitgenosse von J OHANNES T INCTORIS in Padua die prima pars von T HOMAS’ Summe kommentiert hat.90 Neben K¨oln und zeitgleich mit den dortigen Ans¨atzen ist daher von einem zweiten, norditalienischen Zentrum auszugehen, in dem T HOMAS’ Summe selbst zum Gegenstand einer Kommentararbeit geworden ist – was ja auch naheliegend ist, weil sonst kaum zu erkl¨aren w¨are, wie gleichsam aus dem Nichts heraus in Pavia am Ende des 15. Jahrhunderts der umfassende und h¨ochst erudierte Summenkommentar von C AJETAN h¨atte entstehen k¨onnen. Eines verbindet nun diese ersten Summenkommentare italienischer ebenso wie deutscher Herkunft: Mit Ausnahme der 1473 gedruckten Quaestiones in S. Thomam des H EINRICH VON G ORKUM, die noch keinen eigentlichen Summenkommentar, sondern eine Summenparaphrase darstellen, sind diese ersten Ans¨atze nur h¨ochst fragmentarisch u¨ berliefert.91 Aus den erhaltenen Hinweisen und Teilst¨ucken zeichnet sich zudem ab, dass vorzugsweise die Prima pars und allenfalls noch die Prima secundae kommentiert worden ist – zur Tertia pars mit den Ausf¨uhrungen zur Sakramentenlehre ist kein Kommentar erhalten geblieben.92 Erneut sind es offenbar einzig die Quaestiones von H EINRICH VON c´atedras de Teolog´ıa. Ante el sol de Aquino las nieblas ockam´ısticas se iban desvaneciendo, mas no antes, por desgracia, que el joven Martin Lutero viniese a sentarse en las aulas de la Universidad de Erfurt. De conocer el aut´entico tomismo ¿hubi´erase atrevido a lanzar contra la Escol´astica la acusaci´on de haber sofisticado la Teolog´ıa?“ 90 So bereits Q U E´ TIF, JACOBUS/E CHARD , JACOBUS: Scriptores Ordinis Praedicatorum recensiti, Paris: Ballard et Simart, 1719, Bd. I, S. 852f.; zu L ONGO vgl. L OHR , C HARLES H.: Medieval Latin Aristotle Commentaries. Authors JoK–M, in: Traditio 27 (1971), S. 251–351, S. 321. V ILLOSLADA f¨uhrt auch J OHANNES DE M ONTENIGRO an, von dem aber nichts u¨ ber einen Summenkommentar bekannt ist; unklar ist zudem beim dritten von ihm genannten Italiener, L EONARDO DE R AGUSA, ob er u¨ berhaupt im 15. (so Q U E´ TIF/E CHARD: Scriptores (1719), S. 857, und in dessen Gefolge auch M ICHELITSCH: Kommentatoren zur Summa Theologiae ´ (1924), S. 166), und nicht doch eher im 16. Jahrhundert gelebt hat (vgl. J UAN L OPEZ : Historia general de Santo Domingo ... IV, ed. Valladolid 1615, S. 161b). Zu erw¨ahnen ist schließlich auch JACOBUS A RIGONUS, der sp¨atere Bischof von Lodi, der ganz zu Beginn des 15. Jahrhunderts an der Universit¨at Bologna gewirkt hat – die Information, dass er einen Summenkommentar verfasst habe, k¨onnen allerdings nicht einmal die Quellen von Q U E´ TIF/E CHARD: Scriptores (1719), Bd. I, S. 784b, verifizieren (vgl. auch M ICHELITSCH: Kommentatoren zur Summa Theologiae (1924), S. 157, der ihn allerdings nur unter den Kommentaren zur tertia pars anf¨uhrt, w¨ahrend bei Qu´etif/Echard auch einer zur prima und zur prima secundae genannt werden). 91 Vgl. G ORIS: Thomism (2002), S. 17. 92 Vgl. die Tabelle M ICHELITSCH: Kommentatoren zur Summa Theologiae (1924), S. 169f. Bei den beiden einzigen sp¨atmittelalterlichen Kommentaren zur Tertia pars, die dort mitgez¨ahlt werden, handelt es sich um die mehr als fraglichen Werke von L EONARDO DE R AGUSA und JACOBUS A RIGONUS (s.o., Anm. 90). In Basel wird um 1484 zwar unter dem Titel Conclusiones formales super prima parte, super prima secundae et tertia parte ein Summenkommentar des C LEMENS DE T ERRA S ALSA gedruckt; bei n¨aherem Hinsehen erweist sich aber, dass sich
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G ORKUM, die bereits in der ersten H¨alfte des 15. Jahrhunderts auch diesen dritten Teil ber¨ucksichtigt haben, w¨ahrend erst mit dem Werk von C AJETAN auch ein echter Kommentar zur Sakramentenlehre der Summa erhalten ist.93 Im Hinblick auf die hier interessierenden Fragen sind deshalb lediglich sehr punktuelle Hinweise zu erwarten. H EINRICH VON G ORKUM ist f¨ur den vorliegenden Zusammenhang nun insofern eine interessante Figur, als aus seiner Feder auch ein Sentenzenkommen¨ tar stammt, so dass er in persona f¨ur den Ubergang des thomistischen Interesses von Sentenzenkommentaren zu Summenkommentaren zeugen kann.94 Diese Conclusiones in quatuor libros sententiarum sind nun allerdings a¨ ußerst knapp gehalten und auf eine reine Textauslegung von P ETRUS ’ Sentenzen ausgerichtet. H EINRICH stellt weder Quaestiones, noch formuliert er Dubia, so dass sich zumindest im Rahmen der allgemeinen Sakramentenlehre keine Meinungen belegen lassen, die ihn als Thomisten auszeichnen w¨urden. Die Wirksamkeitsproblematik, die erst mit der Kommentartradition in die Sentenzenauslegung Eingang gefunden hat, wird in H EINRICHS Conclusiones gar nicht angesprochen.95 Diese Zur¨uckhaltung in der Auslegung und die N¨ahe zum Grundtext d¨urften nun allerdings auch den Erfolg dieses Werks ausgemacht haben: Weil sich H EINRICHS Conclusiones auf eine strukturierende Vermittlung des Grundtextes beschr¨anken, sind sie in einer ganzen Reihe von sp¨atmittelalterlichen Editionen der Sentenzen mit abgedruckt worden.96 der gesamte Inhalt des Werks auf die Prima pars bezieht. So heißt es im Explizit des Drucks denn auch korrekt: Conclusiones formales per quam fecunde et utiles super prima parte angelici doctoris sancti Thomae de Aquino a venerabili fratre Clemente de Terra Salsa in unum collectae felici fine expliciunt (Conclusiones formales, ed. Basel um 1484, fol. r7v). Dass zudem bei M ICHELITSCH: Kommentatoren zur Summa Theologiae (1924), S. 163, L UDOVICUS L ONGO unter den Kommentatoren zur Tertia pars eingereiht wird, obwohl dort explizit seine Commentaria super primam partem notiert werden, scheint ein Versehen zu sein. 93 Das heißt nicht, dass die Tertia pars im 15. Jahrhundert nicht gelesen und benutzt worden w¨are – sie ist bloß noch nicht kommentiert worden. Von einer regen Benutzung zeugt etwa das bereits erw¨ahnte moraltheologische Werk des A NTONINUS F LORENTINUS, der mit Blick auf die alttestamentlichen Sakramente mehrfach auf die Tertia pars verweist (Summa theologica I t 14, c 5, ed. N¨urnberg 1477). 94 H EINRICH VON G ORKUM: Conclusiones, ed. Basel 1498. Zu H EINRICH VON G OR KUM (1378–1431) vgl. die grundlegende Studie von W EILER: Heinrich von Gorkum (1962); zu seinem Sentenzenkommentar vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Heymericus the Campo reads Peter Lombard. Late Medieval Abbreviations of the Libri Sententiarum, in: BAKKER , PAUL J.J.M. (Hrsg.): Philosophical Psychology in Late-Medieval Commentaries on Peter Lombard’s Sentences. Contributions to the XVIth SIEPM Annual Colloquium, 2014, im Erscheinen. 95 H EINRICH VON G ORKUM: Conclusiones IV d 1, ed. Basel 1498, fol. H3vb–H4ra. 96 So gem¨aß GW in den Basler Ausgaben von N IKOLAUS K ESSLER (1487, 1488, 1492 und 1498), in Venedig bei O CTAVIANUS S COTUS (1489), im Freiburger Druck von K ILIAN F ISCHER (um 1492) und in Lyon bei J EAN P IVARD (1499). H EINRICHS Conclusiones scheinen auch in einem Druck von T HOMAS’ Sentenzenkommentar u¨ bernommen worden zu sein (Straßburg 1489, GW M46358).
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Es ist nun diese zur¨uckhaltende Vermittlung, die auch das Summen-Kompendium des H EINRICH VON G ORKUM auszeichnet.97 Das Werk ist in erster ¨ Linie darauf angelegt, in verk¨urzter Form einen Uberblick u¨ ber die Lehren aus T HOMAS’ Summa zu bieten, so dass etwa in der hier interessierenden Frage die gesamte allgemeine Sakramentenlehre in einer einzigen Quaestio zusammengefasst wird. Das Material zur Wirksamkeitsproblematik wird dabei prominent im Rahmen einer ersten Propositio der Quaestio angef¨uhrt, wobei sich H EINRICH eher an T HOMAS’ L¨osungen als an seinen Problemstellungen interessiert zeigt:98 Einleitende Argumenta fehlen ebenso, wie auch T HOMAS’ Ausf¨uhrungen nicht u¨ bernommen sind, laut welchen aufgrund der auctoritates eine tats¨achliche Wirksamkeit der Sakramente angenommen werden m¨usse. Auch die inhaltliche Darstellung verk¨urzt H EINRICH, h¨alt sich im Wortlaut aber weitgehend an seine Vorlage.99 W¨ahrend die wichtigsten Differenzierungen etwa der causa efficiens oder des Instrumentenbegriffs vorhanden sind und auch die entscheidenden Schlagworte des esse transiens oder einer virtus fluens incompleta fallen, streicht er ausf¨uhrliche Begr¨undungen und Illustrationen aus diesen Zusammenh¨angen heraus. Es gen¨ugt H EINRICH ganz offensichtlich festzuhalten, was T HOMAS gelehrt hat, so dass auch eine Problematisierung des Ansatzes – und sei es nur durch eines von T HOMAS’ eigenen Argumenta in contrarium – bei H EINRICH nicht erscheint. Entsprechend liegt es auch v¨ollig außerhalb des Blickwinkels dieser Quaestiones, allf¨allige Unterschiede zu T HO MAS’ Sentenzenkommentar anzuf¨ uhren oder gar zu diskutieren. Von einer reinen Abbreviatio unterscheiden sich H EINRICHS Quaestiones in der vorliegenden Frage daher kaum.100 Die paar gl¨attenden Formulierungen, K¨urzungen und Umstellungen lassen aber erkennen, wie sehr es H EINRICH offensichtlich um eine didaktische Aufbereitung und Vermittlung des T HO MAS-Texts gegangen ist, womit er interessanterweise mit einem Grundzug von 97 ¨ : Quaestiones III q 12, ed. Esslingen 1473. Allgemein zu diesen Quaestiones vgl. H OHN Kommentare zur ‘Summa Theologiae’ (1974), S. 644–646, und M EUTHEN: Artesfakult¨at (1989), S. 388. 98 Die Propositio lautet: Sacramenta novae legis causant quandam gratiam quadam virtute quae ipsis instrumentaliter communicatur per Christi passione (Quaestiones III q 12, ed. Esslingen 1473). 99 Die Zitate stammen weitgehend aus T HOMAS’ Responsiones zu den sechs Artikeln der Quaestio 62; einzig die u¨ berleitenden Formulierungen, mit denen Material eines folgenden Artikels an den vorangehenden Text angeschlossen wird, entwirft H EINRICH selbst. 100 ¨ : Kommentare zur ‘Summa Theologiae’ (1974), S. 646, als entscheiSo stellt denn H OHN denden Unterschied dieses Werks zu fr¨uheren Abbreviationes fest, dass es [...] den Inhalt der ” STh in neuer Form bietet, was vom Autor forderte, mit Inhalt und Aufbau der STh vollkommen vertraut zu sein.“ Eigenst¨andiger formuliert H EINRICH in den nachgeschobenen Correlaria zur vorliegenden Propositio (vgl. dazu ebd. S. 645), die sich allerdings nicht mehr mit der Wirksamkeitsproblematik, sondern bereits mit dem character besch¨aftigen, wie er von T HOMAS in q. 63 behandelt wird.
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¨ ¨ D INKELSB UHLS Melker Lectura u¨ bereinstimmt: So wie D INKELSB UHL seinen Sentenzenkommentar darauf hin auslegt, einen auch einfachen Gem¨utern ¨ zug¨anglichen Uberblick u¨ ber die Kommentartradition zum vierten Buch zusammenzustellen, versucht auch H EINRICH mit seinen Conclusiones zu P ETRUS ’ Sentenzen ebenso wie mit diesen Quaestiones zu T HOMAS’ Summa, einen Zugang zu diesen Werken zu er¨offnen, der von philosophischen Spekulationen ¨ und weiterf¨uhrenden Diskussionen frei ist. Wie schon D INKELSB UHL mit seiner Lectura mellicensis a¨ ußert sich daher auch H EINRICH VON G ORKUM nicht als Magister, dem es darum geht, seine eigene spekulative Kompetenz unter Beweis zu stellen, sondern als Schultheologe.101 Ein entscheidender Unterschied besteht jedoch: So sehr H EINRICHS Kompendium auf eine reine Vermittlung von T HOMAS’ Ansatz ausgerichtet ist, wahrt es doch – unter Rekurs auf T HOMAS – den grunds¨atzlichen Anspruch, dass diese Positionen rational zu begr¨unden sind. Eine Trennung zwischen den Disziplinen kennt auch H EINRICH nicht, was sich auch darin zeigt, dass der gew¨ahlte Ansatz zu einer Zusammenstellung der wichtigsten Aussagen, die sogenannte Copulatio, zugleich der g¨angigen K¨olner Methode entspricht, um A RISTOTELES zu kommentieren.102 Es ist diese Form, die bis ins 16. Jahrhundert hinein pr¨agend bleiben, auf andere deutsche Universit¨aten ausstrahlen und etwa noch von H IERONYMUS D UNGERSHEIM aufgegriffen wird, der zwar vor allem in Leipzig t¨atig gewesen ist, einen Teil seines Studiums aber in K¨oln absolviert hat.103 Wie H EINRICH VON G ORKUM verfasst auch D UN GERSHEIM sowohl ein Werk zu P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen, als auch eines zu T HOMAS’ Summa. St¨arker noch als H EINRICH versucht er, die beiden Werke nicht nur f¨ur einfachere Gem¨uter aufzubereiten, sondern die argumentative Essenz aus dem jeweiligen Text herauszusch¨alen. W¨ahrend dies in seiner Sentenzen-Epitome in eine knappe Aneinanderreihung der jeweiligen Inhalte m¨undet,104 f¨uhrt es in seinen Conclusiones cum rationibus ad partes summe theologice zu einem streng syllogistischen Kommentar: Aus jedem einzelnen Artikel von T HOMAS’ Summa extrahiert H IERONYMUS eine Conclusio, die 101
So auch M EUTHEN: Artesfakult¨at (1989), S. 388: Es geht im wesentlichen also nicht ” ¨ um eine Textkommentierung, sondern um eine Textvermittlung.“ Zu D INKELSB UHL s.o., S. 378. 102 M EUTHEN: Artesfakult¨at (1989), S. 388f. 103 H IERONYMUS D UNGERSHEIM (1465–1540) studierte 1496–1497 in K¨oln Theologie, bevor er nach Leipzig zur¨uckkehrte, vgl. F REUDENBERGER , T HEOBALD: Hieronymus Dungersheim von Ochsenfurt am Main, 1465–1540, Theolgie-Professor in Leipzig. Leben und Schriften, M¨unster: Aschendorff, 1988 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 126). 104 Epithomata, ed. Leipzig 1514, es folgt 1516 eine zweite Auflage ebenfalls in Leipzig. Das Werk ist nicht anders als die Schriften von H EINRICH VON G ORKUM als Einleitungsschrift gedacht, wie sein vollst¨andiger Titel zeigt: Epithomata introductorium memoriale quatuor librorum sententiarum. Zum Werk vgl. F REUDENBERGER: Hieronymus Dungersheim (1988), S. 43–45, sowie H OENEN: Late Medieval Abbreviations.
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er anschließend auf einen oder auch zwei Syllogismen zur¨uckf¨uhrt, deren jeweilige Pr¨amissen er kurz begr¨undet.105 Naheliegenderweise findet auch H IE RONYMUS bei solch kondensierter Darstellungsweise keinen Raum, um weiterreichende Probleme anzudiskutieren oder gar auf Unterschiede zwischen T HO MAS’ Summa und seinem Sentenzenkommentar zu verweisen. Konsequent wird damit allerdings der Ansatz verfolgt, dass sich Themen, die in T HOMAS’ Summa angeschnitten werden, rational durchdringen lassen: In den Syllogismen zur Wirksamkeitsproblematik wird noch an einer einzigen Stelle eine auctoritas gestreift.106 20.3.2 Der Summenkommentar des Thomas de Vio Cajetanus Die rationale Aufarbeitung von T HOMAS’ Summa findet ihren bekannten H¨ohepunkt auch im Hinblick auf die Wirksamkeitsproblematik im Summenkommentar des T HOMAS DE V IO C AJETANUS. Die Abschnitte zur tertia pars d¨urften erst zwischen 1517 und 1522 entstanden sein, zu einer Zeit also, als C AJE TAN bereits als apostolischer Legat unterwegs war und unter anderem M AR TIN L UTHER in Augsburg verh¨ orte.107 Es ist vor allem in der a¨ lteren Literatur immer wieder angedeutet worden, dass die Sakramentenlehre dieses Summenkommentars bereits eine Reaktion auf die ‘protestantischen Irrt¨umer’ enthalte, was sich allerdings, zumindest im Hinblick auf die vorliegende Frage, nicht best¨atigen l¨asst:108 So sehr die Ablassfrage, die 1518 im Zentrum des Augsburger Verh¨ors steht, mit dem Bußsakrament verkn¨upft ist, pr¨asentiert L UTHER eine grunds¨atzliche Auseinandersetzung mit den Sakramenten doch erst im 105 Conclusiones ad partes summae theologicae, ed. Leipzig 1516, vgl. F REUDENBERGER: Hieronymus Dungersheim (1988), S. 50–53. 106 H IERONYMUS D UNGERSHEIM: Conclusiones ad partes summae theologicae III q 62, a 1, ed. Leipzig 1516, fol 213r: Per quodcumque Deus in homine gratiam operatur hoc recte dicitur eam instrumentaliter causare. Sed sacramenta sunt huiusmodi; ergo. Prima patet ex ratione instrumenti quod non agit per virtutem suae formis sed per motum principalis agentis. Secunda est Augustinus XIX contra Faustum. Auf diese AUGUSTIN-Stelle (Contra Faustum XIX 16, CSEL 25 (1891), S. 513) greift bereits auch T HOMAS zur¨uck, s.o., S. 219. 107 Zur Entstehungszeit von C AJETANS Summenkommentar vgl. bereits M ICHELITSCH: Kommentatoren zur Summa Theologiae (1924), S. 4, und nun auch N IEDEN , M ARCEL: Organum Deitatis. Die Christologie des Thomas de Vio Cajetan, Leiden: Brill, 1997 (Studies in Medieval and Reformation Thought 62), S. 8. Ausf¨uhrlich zu Motiven und Kommentarstrategien vgl. VON G UNTEN: Caj´etan et Capreolus (1997), S. 214–216. Zum Augsbruger Verh¨or vgl. L OHSE , B ERNHARD: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, G¨ottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1995, S. 125–131 mit weiterf¨uhrender Literatur. 108 Einen Einfluss zieht in der Frage der sakramentalen Wirksamkeit bereits L AURENT: La causalit´e sacrementaire (1931), S. 80, in Betracht, worin ihm auch etwa I TURRIOZ: Causalidad (1951), S. 81, folgt. Deutlich ist der Einfluss hingegen in der Ablassfrage, vgl. F ELMBERG , B ERNHARD A LFRED R.: Die Ablasstheologie Kardinal Cajetans (1469–1534), Leiden: Brill, 1998 (Studies in Medieval and Reformation Thought 66), S. 350–367.
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Herbst 1520 in seiner Schrift De captivitate babylonica ecclesiae, deren Kritik an der allgemeinen Sakramentenlehre der Scholastik – es sei viel zu stark auf das sakramentale Zeichen statt auf die bezeichnete Verheißung geachtet worden – von C AJETAN nicht aufgegriffen wird.109 Die Gegner, mit denen sich C AJE TAN an der vorliegenden Stelle auseinandersetzt, sind vielmehr die bekannten drei Scholastiker, deren Argumente bereits C APREOLUS zusammengetragen hat: D URANDUS, AUREOLI und hier nun vor allem auch D UNS S COTUS.110 Wie auch in den anderen Abschnitten seines Werks baut C AJETAN seinen Kommentar zur Wirksamkeitsproblematik in enger Anlehnung an T HOMAS’ Summa auf, indem er zu jedem Artikel zuerst eine Anmerkung zum jeweiligen Titel und danach eine strukturierte Paraphrase des jeweiligen Textkorpus bietet.111 Eingeschoben sind zudem an unterschiedlichen Stellen dieser Textauslegung knappe oder auch ausf¨uhrliche Advertenda, die weiterf¨uhrende Kommentare, Auseinandersetzungen mit Obiectiones, Querverweise oder auch bloße Begriffskl¨arungen enthalten. Mit einem solchen Advertendum steigt er denn auch in die Wirksamkeitsproblematik im Rahmen von q. 62 der Tertia pars ein und h¨alt programmatisch bereits in der Anmerkung zum Titulus des ersten Artikels fest, dass es sich bei der Gnade, nach deren Ursache hier gefragt werde, um die befreiende Gnade, und nicht etwa um den character als einem Spezialeffekt der Sakramente handle.112 Denn dieser character werde erst in einem n¨achsten Artikel und dort explizit als Zusatz zur gew¨ohnlichen Gnade behandelt:113 109
L UTHER: De captivitate Babylonica, ed. et trad. Preul/Preul (2009), S. 268–270: Ita nec verum esse potest, sacramentis inesse vim efficacem iustificationis, seu esse ea signa efficacia gratiae. [..|..] Nam, si dat gratiam mihi sacramentum, quia suscipio, iam vere ex opere meo, non ex fide gratiam obtineo, nec promissionem in sacramento apprehendo, sed solum signum institutum et praeceptum a Deo. Ita clare vides, quam nihil sacramenta intellecta sunt sententionariis Theologis, quod nec fidei nec promissionis ullam in sacramentis rationem habuerint, tantum in signo et usu signi haerentes, et ex fide in opus, ex verbo in signum nos rapientes, qua re (ut dixi) sacramenta non modo captivaverunt, sed penitus, quod in eis fuit, aboleverunt. Nos ergo aperientes oculum discamus magis verbum quam signum, magis fidem quam opus, seu usum signi observare. Vgl. L OHSE: Luthers Theologie (1995), S. 152f. 110 Vgl. bereits G RABMANN: Johannes Capreolus (1956), S. 150. An anderen Stellen beweist C AJETAN allerdings auch eine eigene, u¨ ber C APREOLUS hinausgehende Kenntnis von T HOMAS’ Gegnern, vgl. die Beispiele bei VON G UNTEN: Caj´etan et Capreolus (1997), S. 221, und N IEDEN: Christologie (1997), S. 9 mit Anm. 19. 111 Zu dieser Struktur vgl. ebd., S. 8; vgl. zudem I TURRIOZ: Causalidad (1951), S. 80–85. 112 Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 278a: Si principium non articuli huius, sed introductae quaestionis huius perspexeris (ubi haec quaestio 61 a quaestione sexagesima tertia distinguitur, dicendo: et primo de effectu eius principali, qui est gratia: secundo, de effectu secundario, qui est character) videbis quod sub gratia nomine hoc in loco non comprehenditur character, cum distinguatur contra characterem, sed communiter sumitur: prout a sanctis dicitur, quod sacramenta conferunt gratiam. 113 Ebd.: Hic enim de effectu principali sacramentorum, qui est gratia distincta contra characterem, tractando, quaeritur an sacramentum sit causa gratiae, et in sequenti articulo quid addat haec gratia supra gratiam gratum facientem discutitur.
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Dies behalte im Hinterkopf und erinnere dich daran, wenn nachher gesagt wird, die Sakramente w¨urden die Gnade instrumentaliter verursachen, damit du nicht auf den character zur¨uckgreifst, weil du umgehen willst, dass die Taufe die befreiende Gnade verursache, da Sch¨opfer und Gesch¨opf instrumentaliter nichts erschaffen k¨onnen.114
Von Vornherein schließt C AJETAN mit Blick auf den Kontext aus, dass sich die vorliegenden Ausf¨uhrungen der Summa bloß auf die sakramentale Gnade beziehen – ein Ausgleich zwischen T HOMAS’ Sentenzenkommentar und dem Ansatz der Summa, wie ihn C APREOLUS im Anschluss an P ETRUS DE PALUDE dem 15. Jahrhundert vermittelt hat, wird damit von Vornherein unm¨oglich. Nach dieser prinzipiellen Befreiung von der Sentenzenperspektive widmet sich C AJETAN dem Textkorpus, legt ihn kurz aus und geht dann erst einmal auf die bekannten Obiectiones ein, die S COTUS gegen eine instrumentale Wirksamkeit der Sakramente erhoben hat. Erst im Rahmen seiner Responsiones dazu kommt C AJETAN erneut auf den eigenst¨andigen Ansatz der Summa zu sprechen: S COTUS hat gegen T HOMAS bekanntlich eingewendet, gem¨aß dem Mitwirkungs-Modell m¨ussten die Sakramente entweder die Gnade selbst oder aber jene dispositio instrumental verursachen, was beides nicht m¨oglich sei, da auch die dispositio als forma supernaturalis ebenso wie die Gnade erschaffen werden m¨usse, wozu Gesch¨opfe nichts beitragen k¨onnten.115 Anders, als er es noch in seinem Sentenzenkommentar vertreten hat, h¨alt C AJETAN nun aber dagegen fest, dass die Sakramente tats¨achlich an der Hervorbringung der Gnade selbst instrumentaliter beteiligt seien, weshalb es unn¨otig sei, auf eine dispositio zur¨uckzugreifen: Sacramentum instrumentaliter attingit gratiam sacramentalem, et non oportet recurrere ad dispositionem praeviam ad gratiam.116 C AJETAN ist sich sehr wohl bewusst, dass er damit nicht nur die g¨angige Interpretation des Mitwirkungs-Modells in Frage stellt, sondern vor allem auch eine Differenz zwischen T HOMAS’ Sentenzenkommentar und dessen Summa feststellt und damit einem der großen Anliegen der thomistischen Literatur des 15. Jahrhunderts entgegentritt, die harmonische Konkordanz in T HOMAS’ Gesamtwerk herauszuarbeiten.117 Entsprechend erkl¨art er denn zuerst auch, was ihn zu dieser Behauptung veranlasse, bevor er die These selbst begr¨undet: 114
Ebd.: Hoc manda memoriae et reminiscere, cum postea dicetur, sacramenta causare instrumentaliter gratiam: ut non recurras ad characterem, volens fugere quod baptismus non causet gratiam gratum facientem, quia creator et creatura non potest etiam instrumentaliter creare. 115 S.o., S. 180. 116 Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 279a. Zu C AJE TANS Position im Sentenzenkommentar s.o., S. 417. 117 Auf P ETRUS DE B ERGAMO und seine Concordantiae conclusionum Thomae Aquinatis wurde oben, Anm. 67, bereits verwiesen. Ber¨uhmt sind auch die K¨olner Auseinandersetzungen zwischen G ERARDUS DE M ONTE und H EYMERICUS DE C AMPO, ob sich diese Konkordanz sogar auf A LBERT DEN G ROSSEN ausdehnen lasse, dazu H OENEN: Grands maˆıtres (2008).
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Denn was auch immer [Thomas] gem¨aß der Meinung von anderen im vierten Buch seines Sentenzenkommentars f¨ur wahrscheinlicher gehalten haben mag, betrachtet er an der vorliegenden Stelle gem¨aß seiner eigenen Meinung v¨ollig anders, indem er ausdr¨ucklich festh¨alt, dass die befreiende Gnade (jene also, durch die ein Mensch zu einem Glied Christi wird und durch die wir Teilhaber der g¨ottlichen Natur werden) durch Gott prinicpaliter und durch das Sakrament instrumentaliter bewirkt wird.118
T HOMAS halte in seiner Summa – longe altius als er noch im Sentenzenkommentar gedacht habe – die Sakramente f¨ur instrumentale Ursachen der gratia gratum faciens, was C AJETAN noch einmal mit derselben Erkl¨arung begr¨undet, die er schon zu Beginn seines Kommentars angef¨uhrt hat: Dass er hier von der befreienden Gnade selbst spreche, werde aus der Unterscheidung des vorliegenden und des n¨achsten Artikels deutlich, wo T HOMAS einmal schlicht von der Gnade und einmal von der sakramentalen Gnade spreche.119 Damit bleibt allerdings die grunds¨atzliche Problematik bestehen: Zur Erschaffung der Gnade ex nihilo kann eben nichts beigezogen werden, weshalb es bisher von Vertretern des Mitwirkungs-Modells ebenso wie von Bef¨urwortern der Pakt-Variante f¨ur unsinnig gehalten worden ist, Sakramente als instrumentale Ursachen der Gnade selbst anzusehen. Hier gesteht C AJETAN denn auch grunds¨atzlich zu, dass Gesch¨opfe zu einer Sch¨opfung nichts beitragen k¨onnen; der entscheidende Punkt ist f¨ur ihn jedoch, dass die Gnade im eigentlichen Sin¨ ne gar nicht erschaffen wird.120 Als Beweis hierzu f¨uhrt er eine kurze Uberlegung an, die sich in die folgende syllogistische Struktur bringen l¨asst: Zum einen ist es eine feste Glaubens¨uberzeugung, dass Gott nichts annihiliert. Zum anderen ist es unbestreitbar, dass ein Mensch das g¨ottliche Gnadengeschenk verlieren kann. H¨atte dieser Mensch die Gnade nun aber durch eine creatio ex nihilo erhalten, so m¨usste ihr Verlust eine annihilatio sein.121 F¨ur C AJETAN 118
Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 279a: Quidquid enim secundum aliorum opinionum ut probabiliorem dixerit autor in 4. sententiarum hoc in loco secundum propriam sententiam longe altius sensit, expresse ponens gratiam gratum facientem (qua scilicet homo fit membrum Christi, et qua sumus divinae naturae consortes) a Deo principaliter, et sacramento instrumentaliter effici. 119 Ebd.: Confirmatur clare hanc esse suam intentionem ex titulo quaestionis. Ubi distinguit hanc quaestionem a sequenti, per hoc quod nunc quaeritur de sacramenti effectu principali, qui est gratia. Tunc autem quaeretur de effectu secundario, qui est character. Vgl. T HOMAS: Summa theologiae III q 62, pr, ed. Caramello (1956), S. 348a: Deinde considerandum est de effectu sacramentorum. Et primo, de effectu eius principali, qui est gratia; secundo de effectu secundario, qui est character. 120 Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 279a: Ad obiectionem autem, quod nulla creatura potest etiam instrumentaliter creare, respondetur hoc concedendo: sed negando quod gratia proprie creatur. 121 Ebd.: Patet ex eo quod, cum desinit esse, non annihilatur: nam si crearetur (quia creatio est ex nihilo) cum desinit conservari, oporteret quod eius desitio esset annihilatio. Deum autem credimus nunqua[m] aliquid annihilare. Dazu, dass Gott nichts vernichten wolle, vgl. etwa T HOMAS’ De potentia q 5, a 3, ed. Pession (1949), S. 134–137.
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ist dieser logische Schluss ausreichend, um an der These einer instrumentalen Urs¨achlichkeit der Sakramente auch im Hinblick auf die Gnade selbst festzuhalten. Als Plausibilisierung dieses Ansatzes und pro reverentia communis dicti f¨uhrt er dennoch erg¨anzend aus, dass die Verursachung der Gnade auf zwei Arten aufgefasst werden k¨onne: einmal mit Blick auf die Seele, die von einer nicht begnadeten in eine begnadete verwandelt werde, wof¨ur die Sakramente sehr wohl instrumentaliter eingesetzt werden k¨onnten, und einmal mit Blick auf das Sch¨opferische, das diesem Akt beigemischt sei und das allein und unmittelbar durch Gottes Wirken geschehe.122 C AJETAN pr¨asentiert damit nicht nur eine unabh¨angige und eigenst¨andige Interpretation der Summa, sondern er nimmt auch jene Argumentationsstrategie auf, welche f¨ur T HOMAS’ Ansatz in der Wirksamkeitsfrage so typisch ist und die unter R¨uckgriff auf physikalische Grenzf¨alle ein Schwanken zwischen unterschiedlichen Perspektiven und dadurch ein Zusammendenken des nicht Vereinbaren erlaubt.123 Dass dies f¨ur C AJETAN im vorliegenden Fall allerdings nicht mehr als ein kurzes Zugest¨andnis an den Verst¨andnis-Horizont seiner H¨orer und Leser ist, zeigt sich in einer weiteren plausibiliserenden Begr¨undung, die er unmittelbar auf diese Unterscheidung der causa gratiae folgen l¨asst: Es steht außer Zweifel, dass Christus, das Haupt der Kirche, als Mensch (denn sonst h¨atte er eine andere Natur als seine Glieder) seinen Gliedern das Leben der befreienden Gnade einfließen l¨asst. Es steht ferner fest, dass Christi Menschennatur durch die [k¨orperliche] Ausdehnung von Gesch¨opfen begrenzt ist. Daher ist es nicht unpassend, dass Gott mithilfe der Menschennatur Christi als einem ihm verbundenen Instrument, und mithilfe eines Sakraments als einem gesonderten Instrument die befreiende Gnade im Menschen verursacht.124
Von einer Sch¨opfung der Gnade ist hier keine Rede mehr; vielmehr unterstreicht die Rede von Haupt und Gliedern des einen Leibs der Kirche, dass mit dem Haupt die Gnade schon da sei und dass es sich daher, wenn die Gnade auf 122 Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 279a: Et licet hoc sufficiat argumento: pro reverentia tamen communis dicti, sane intelligendi de creatione gratiae, distinguere potes, quod causa gratiae dupliciter sumi potest. Vel quatenus est mutatio animae de non grata in gratam Deo, et sic attingitur instrumentaliter a sacramento. Vel quatenus creatio ibi aliquomodo immiscetur: et sic fit gratia immediate a Deo. 123 S.o., S. 160. 124 Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 279a: Probatur autem convenienter sic dici, quia Christus caput ecclesiae ut homo (alioquin non esset eiusdem naturae cum membris) influit vitam procul dubio gratiae gratum facientis membris suis. Constat autem humanitatem Christi infra latitudinem contineri creaturarum. Non inconvenit ergo Deum per humanitatem Christi, ut instrumentum coniunctum, et per sacramentum ut instrumentum separatum, gratiam gratum facientem in homine causare. Zum Unterschied zwischen instrumenta coniuncta und separata vgl. Summa theologiae III q 62, a 5, resp., ed. Caramello (1956), S. 352a.
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die Glieder u¨ berstr¨ome, nicht um eine creatio, sondern bloß um eine mutatio handeln k¨onne. Damit ist bei C AJETAN auch drin, was oben als entscheidender Punkt im Ansatz von T HOMAS’ Summa herausgearbeitet worden ist: Der R¨uckgriff n¨amlich auf das Zusammenspiel von g¨ottlicher und menschlicher Natur in Christus.125 Nicht die Auseinandersetzung mit L UTHER, sondern eine unvoreingenommene und gr¨undliche Lekt¨ure der Summa, die auch in Kauf nimmt, auf Widerspr¨uche in T HOMAS’ Gesamtwerk zu stoßen, verhelfen C A JETAN damit zu einer Neubeurteilung der sakramentalen Wirksamkeit. Dass die Einw¨ande gegen die dispositio damit ebenso hinf¨allig werden wie der Vorwurf, das Mitwirkungs-Modell vermehre die Wesenheiten ohne Notwendigkeit, liegt auf der Hand; die auctoritates aber, das ziert sich C AJETAN nicht festzuhalten, bleiben vollumf¨anglich best¨atigt.126 Das ist allerdings noch nicht alles, was C AJETAN in seinem Summenkommentar an Neubeurteilungen der Wirskamkeitsproblematik erarbeitet. Im vierten Artikel der vorliegenden Quaestio 62 hat sich T HOMAS ja auch jener Kraft gewidmet, die als Verursacherin der Gnade in einem Sakrament angelegt sein m¨usse.127 Wie schon in der Ursachenfrage versucht nun C AJETAN auch an der vorliegenden Stelle, eine unabh¨angige Lekt¨ure der Summa zu bieten, die eine entscheidende Modifikation zu T HOMAS’ Sentenzenkommentar aufzeigt, und damit die Kritik, die gegen das Mitwirkungs-Modell des Sentenzenkommentars erhoben worden ist, zu entkr¨aften. Es zeige sich n¨amlich, was diese sakramentale Kraft betreffe, an der vorliegenden Stelle eine große Schwierigkeit: Sowohl T HOMAS’ Nachfolger als auch seine Gegner verst¨unden ihn n¨amlich, als ob den neutestamentlichen Sakramenten eine zus¨atzliche Kraft hinzugef¨ugt w¨urde, welche die Bewegung des haupts¨achlichen Akteurs erg¨anze, als solch bewegende, instrumentale Kraft aber bloß ein esse fluens et incompletum habe.128 Tats¨achlich ist dies die Terminologie nicht nur von T HOMAS’ Sentenzenkommentar, sondern auch von seiner Summa;129 dennoch glaubt C AJETAN, dass T HOMAS eigentlich etwas anderes gemeint habe:
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S.o., S. 162. Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 279b. 127 S.o., S. 163. 128 Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 281a: Adverte hic, maximam hoc in loco difficultatem inveniri: eo quod uno senso intellecta communiter videntur tam a sequacibus, quam ab adversariis verba autoris: cum tamen dupliciter possint intelligi. Primo ut sit sensus, quod in sacramentis novae legis est aliqua virtus superaddita, non solum propriae operationi sensibilis elementi, sed etiam superaddita motui, quo movetur a principali agente; et haec virtus est quaedam qualitas habens esse fluens per modum motus, et est spiritualis, immo est ipsa gratia secundum esse fluens et incompletum. 129 Vgl. Summa theologiae III q 62, a 3, co., ed. Caramello (1956), S. 350b: Gratia est in sacramento novae legis [...] secundum quandam instrumentalem virtutem, quae est fluens et incompleta in esse naturae (dazu oben, S. 163). 126
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Weil dieses Verst¨andnis aber weder Thomas’ Absicht entspricht, noch wahr ist (wie ich nun zu zeigen versuche), lasse ich die Argumente der Gegner stehen und komme zu einem zweiten Verst¨andnis, dass n¨amlich diese Kraft nichts anderes ist als die Bewegung, mit der das Instrument vom haupts¨achlichen Akteur bewegt wird, um die eigentliche Wirkung des haupts¨achlichen Akteurs herbeizuf¨uhren.130
Es ist, so C AJETAN, von keiner zus¨atzlichen Kraft im Sakrament auszugehen; T HOMAS’ Absicht – und der Wahrheit – entspreche es vielmehr, das Zusammenspiel von haupts¨achlichem Akteur und benutztem Instrument als eine einzige Bewegung zu betrachten, die auf einer einzigen Kraft beruhe. C AJETAN verwendet im Folgenden einige Energie auf den Nachweis, dass das, was er f¨ur den wahren Ansatz h¨alt, tats¨achlich auch die Meinung von T HOMAS sei. Es l¨asst sich jedoch kaum von der Hand weisen, dass T HO MAS zumindest im Sentenzenkommentar noch davon ausgegangen ist, dass einem Instrument, wenn es als Instrument verwendet wird, u¨ ber seine nat¨urliche M¨oglichkeit hinaus etwas zukomme,131 und auch in der Summa trennt T HOMAS zumindest terminologisch sehr klar zwischen einer virtus principalis agentis und einer virtus instrumentalis.132 Dennoch lassen sich aus der Summa auch Stellen anf¨uhren, die C AJETANS Interpretation st¨utzen: So sagt T HOMAS bereits im ersten Artikel zur Urs¨achlichkeits-Frage, eine instrumentale Ursache handle nicht Kraft ihrer eigenen Form, sondern allein durch die Bewegung, mit der sie der haupts¨achliche Akteur bewege;133 und in Widerlegung des Einwands, ein Sakrament bestehe aus mehreren Dingen und k¨onne daher keine eine Kraft enthalten, meint T HOMAS, dass dieselbe Kraft des haupts¨achlichen Akteurs instrumentaliter in allen Instrumenten gefunden werde, welche auf einen bestimmten Effekt hingeordnet seien.134 Beides liest sich tats¨achlich wie eine 130 Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 281a: Quoniam hic sensus non est intentus ab autore, nec verus (ut nunc conabor ostendere) ideo argumentationibus istorum omissis ad secundum venio sensum: ut scilicet virtus ista nihil aliud sit quam motus quo instrumentum a principali agente movetur ad proprium principalis agentis effectum inducendum. 131 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 32: Sciendum quod actio instrumenti quandoque pertingit ad ultimam perfectionem quam principale agens inducit, aliquando autem non; semper tamen pertingit ad aliquid ultra id quod competit sibi secundum suam naturam. 132 So etwa Summa theologiae III q 62, a 4, resp., ed. Caramello (1956), S. 351b: Virtus principalis agentis habet permanens et completum esse in natura, virtus autem instrumentalis habet esse transiens ex quo in aliud, et incompletum. 133 Ebd. a 1, resp., S. 349a: Causa vero instrumentalis non agit per virtutem suae formae, sed solum per motum quo movetur a principali agente. Zu dieser Stelle meint C AJETAN: Ubi dictio exclusiva manifestat, quod ab instrumento excludit autor omnem agendi rationem supra additam motui quo movetur a principali agente (Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 281a). 134 So etwa Summa theologiae III q 62, a 4, ad 4, ed. Caramello (1956), S. 351b: Sicut eadem vis principalis agentis instrumentaliter invenitur in omnibus instrumentis ordinatis ad effectum,
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Best¨atigung von C AJETANS zweitem Verst¨andnis, beides ließe sich aber auch im Sinne des ersten Verst¨andnisses interpretieren – C AJETAN hat bei T HOMAS eine Leerstelle ausgemacht, die er in eine eindeutige Richtung zu interpretieren weiß. Denn erneut erm¨oglicht ihm dies, den traditionellen Einw¨anden gegen eine derartige sakramentale Kraft den Wind aus den Segeln zu nehmen: Weil er nichts Zus¨atzliches in den Sakramenten annimmt, entf¨allt die ordoProblematik, eine k¨orperliche Sache als Tr¨ager einer solchen Kraft anzunehmen, und weil er von einer einzigen wirkenden Kraft ausgeht, entf¨allt erneut auch der Vorwurf, das Mitwirkungs-Modell vermehre unn¨otigerweise die Wesenheiten.135 Um aber auch an dieser Stelle dem Verst¨andnis seiner H¨orer und Leser entgegenzukommen, bietet C AJETAN als Abschluss seiner Darstellung eine Unterscheidung der Art und Weise an, wie man ein Instrument benutzen k¨onne: Es lasse sich n¨amlich ein motus simplex von einem motus virtuosus unterscheiden.136 Die erste Bewegungsform ben¨otige nichts außer der Bewegungsf¨ahigkeit des Benutzers und der nat¨urlichen Eigenschaft des Instruments; die zweite aber ben¨otige dar¨uber hinaus auf Seiten des Benutzers Kunstfertigkeit. Am Beispiel einer Laute illustriert C AJETAN diese zwei Bewegungsformen: Ein Beispiel beider Bewegungen findest du in der Laute, deren Saiten, wenn sie von jemand Unmusikalischem bewegt werden, dennoch ert¨onen werden. Wenn sie aber von einem Musiker bewegt werden, wird nicht nur ein Ton entstehen, sondern ein musikalischer Klang, der die eigentliche Wirkung der Musik ist. Damit wird deutlich, dass ein motus simplex der Lautensaiten bloß zur nat¨urlichen Wirkung eines Schlags auf sie f¨uhrt, w¨ahrend die Bewegung, die von der Kunst ausgeht, zur Wirkung der Kunst f¨uhrt, da sie die Kraft der Kunst in sich tr¨agt. Deswegen wird sie motus virtuosus genannt.137
Die Parallelen zum Sakramentengeschehen sind augenf¨allig: Wird jemand mit Wasser abgewaschen, ohne dass der festgelegte Rahmen einer Taufhandlung eingehalten wird, so erfolgt bloß der stumpfe Ton einer k¨orperlichen Reinigung prout sunt quodam ordine unum; ita etiam eadem vis sacramentalis invenitur in verbis et rebus, prout ex verbis et rebus perficitur unum sacramentum. 135 Commentarii in Summam theologiae ad III q 62, a 1, ed. Lyon 1581, S. 281b: Sic absque multiplicatione entium salvantur causalitates effectivae instrumentorum, et dicta autoris. 136 Ebd.: Quod ut melius intelligas, distingue motum, quo potest instrumentum moveri, in motum simplicem et motum virtuosum. Est siquidem instrumenti simplex motus ille, ad quem ex parte moventis sufficit potentia motiva; ex parte vero termini, naturalis effectus instrumenti. Motus autem virtuosus est ille qui ex parte moventis ultra potentiam motivam exigit artem seu aliquid proportionale arti; ex parte vero termini ducit ad effectum principalis agentis, puta artis, seu alicuius proportionaliter se habentis, sicut ars se habet ad instrumenta sua. 137 Ebd.: Exemplum utriusque motus perspice in cithara, cuius fides si moveantur a non musico, sonabunt tantum. Si vero moveantur a musico, efficient non solum sonum, sed sonum musicum, qui est effectus proprius artis musicae. Ubi patet quod simplex motus fidium citharae non ducit nisi ad naturalem effectum percussionis illarum; motus vero qui ab arte procedit, ad effectum artis ducit, utpote vim artis in se habens, et propterea motus virtuosus appellatur.
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– spielt aber der g¨ottliche K¨unstler mit, dann verm¨ogen die Sakramente auch eine geistige Reinigung erklingen zu lassen. Mit seiner gezielten Interpretation des Summa-Ansatzes gelingt es C AJE TAN , eine Version der Mitwirkungs-Variante zu entwerfen, die ebenso im Rahmen dessen bleibt, was T HOMAS in seiner Summa abgesteckt hat, wie sie zugleich auch die traditionellen Einw¨ande gegen das Mitwirkungs-Modell hinf¨allig macht. Die neue wie die alten auctoritates sind damit ebenso gewahrt, wie das Modell auch eine rationale Verteidigung der Mitwirkungs-Variante bietet. Damit behandelt auch C AJETAN die Wirksamkeitsproblemtaik in seinem Summenkommentar mit dem grunds¨atzlichen Anspruch, eine rationale Erkl¨arung selbst von diesen theologischen Inhalten zu bieten, und wie es in der Nachfolge von C APREOLUS u¨ blich geworden ist, verschmelzen auch bei ihm die Suche nach der theologischen Wahrheit, deren rationale Begr¨undung und die Anlehnung an T HOMAS VON AQUIN zu einem einzigen Unterfangen. Das Modell, das er pr¨asentiert, verst¨arkt nun allerdings einen Aspekt, den bereits AUREOLI den Vertretern des Mitwirkungs-Modells vorgehalten hat: Von einem Pakt-Modell sind C AJETANS Ausf¨uhrungen nicht mehr weit entfernt.138 Wenn Gott sich wie ein Musiker der Sakramente bedient, dann h¨angt die Tatsache, dass er dies im aktuellen Vollzug eines Sakraments auch wirklich tut, nur von seinem Willen ab; wenn er das aber regelm¨aßig tut, muss ein g¨ottlicher Pakt postuliert werden. Die nachfolgende Diskussion wird C AJETANS Modell zwar nicht direkt u¨ bernehmen, seine Trennung zwischen Summa-Ansatz und jenem von T HOMAS’ Sentenzenkommentar aber akzeptieren, so dass sich die Problematik im Anschluss an C AJETANS Ausf¨uhrungen denn auch auf die Frage verlagert, was Gott dazu bewege, beim sakramentalen Geschehen mitzutun. Wo die dispositio wegf¨allt, die Pakt-Terminologie aber allzu scotistisch gepr¨agt ist, m¨ussen andere L¨osungen gesucht werden, um die regelm¨aßige Wirkung der Sakramente zu erkl¨aren. F RANCISCO DE V ITORIA wird hierzu ein Konzept von moralischer Kausalit¨at entwickeln, das M ELCHIOR C ANO und J OS E´ A NGL E´ S aufgreifen,139 und D OMINGO DE S OTO wird die Sakramente als Vermittler zwi138
S.o., S. 213. Obwohl von V ITORIA kein Kommentar zur Tertia pars erhalten ist und die ‘Ausz¨uge’ aus V ITORIA in T HOMAS C HAVEZ’ Summa sacramentorum a 1, n 2–6, ed. Rom 1567, S. 5–8, bloß die Beschl¨usse des Trienter Konzils wiedergeben, l¨asst sich aus einigen Ausz¨ugen aus seinem Kommentar zur Ia IIae doch hinreichend erschließen, dass er die sakramentale Handlung als moralischen Akt f¨ur den entscheidenden Grund der Gnadenvermittlung h¨alt: Dico, quod sacramenta non sunt causa productiva gratiae, sicut calor est causa in aqua productiva ignis [?], sed solum sacramenta sunt causa, quod Deus det gratiam, sicut ego sum causa, quod Deus augeat in me gratiam (In Ia IIae ad q 112, ed. Stegm¨uller (1934), S. 444; vgl. I TUR RIOZ : Causalidad (1951), S. 86–88). F¨ ur M ELCHIOR C ANO (1509–1560) vgl. dessen Relectio de sacramentis in genere IV, ed. Alcal´a 1563, fol. 17va: Nos vero [...] pronuntiamus, nostra sacramenta et continere gratiam et eam suscipientibus digne conferre. Continere (inquam) non ut causa naturalis continet suum effectum, sed ut causa moralis. F¨ur J OS E´ A NGL E´ S schließlich 139
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schen Gott und Mensch betrachten, welche das Gnadengeschehen so zu verursachen in der Lage seien, wie jemand zwischen zwei Menschen Freundschaft stiften k¨onne.140 Dies aber sind Ausblicke in eine Epoche, die bereits jenseits des Fokus’ der vorliegenden Untersuchung steht. Im aktuellen Kapitel liegt der Schwerpunkt auf dem 15. und fr¨uhen 16. Jahrhundert, und nach diesem Streifzug durch die thomistischen Texte dieser Epoche sei als n¨achstes ein Blick in einige albertistische Kommentare geworfen.
vgl. dessen Flores theologicarum IV d 1, q 3, a 1, ed. Antwerpen 1584, S. 25: Sacramenta possunt quodam modo morales causae gratiae appellari, nam moralis causa est, quae movet efficientem mediante aliquo obsequio, et sacramenta movent quidem Deum Opt. Max. mediante Christi Iesu obsequio, ad conferendam nobis gratiam. 140 In quartum sententiarum IV q 3, a 1, ed. Br¨ussel 1601, S. 32a: Dicamus ergo in summa, ut hic tandem insinuat Caietanus, quod sacramentum est instrumentum Dei ad hoc immediate attingens ut faciat hominem gratum, quod est esse causam gratiae formaliter abstrahendo a qualitate, sicut inter homines, qui facit duos amicos, est causa amicitiae illorum, sed quia apud Deum non nectitur amicitia, nisi per eiusmodi qualitatem, idem sacramentum est consecutive causa mediata, quod Deus faciendo hominem gratum concreet illam. In handschriftlich u¨ berlieferten Kommentaren zur Tertia pars von T HOMAS’ Summa scheint S OTO den Aspekt einer eigentlichen Kausalit¨at allerdings wieder st¨arker zu unterstreichen, vgl. F ELIZIANI , A L FONSO F ERDINANDO : La causalit`a dei sacramenti in Domenico Soto, in: Angelicum 16 (1939), S. 50–58, 148–194.
Kapitel 21
Albertistische Varianten Es ist bereits mehrfach erw¨ahnt worden, dass sich A LBERT DER G ROSSE nicht im selben Ausmaß f¨ur die Wirksamkeitsproblematik interessiert hat wie seine scholastischen Zeitgenossen.1 Kurze Beachtung findet die Frage nach der sakramentalen Kausalit¨at in seinem Sentenzenkommentar im Rahmen eines Artikels zur Definition der Sakramente, wo er a¨ hnlich wie sp¨ater T HOMAS zwischen effektiver Ursache und dispositio unterscheidet, ohne allerdings dessen Rede von einer instrumentalen Ursache bereits vorwegzunehmen.2 Eine spezifisch albertistische Variante hat sich in den nachfolgenden Diskussionen denn auch nicht nachweisen lassen, und in der scholastischen Diskussion der Wirksamkeitspro¨ blematik bleibt sein Name unerw¨ahnt: Selbst D IONYSIUS DER K ART AUSER , der sich sonst sehr eingehend mit A LBERT auseinandersetzt, u¨ bergeht ihn in der vorliegenden Frage, und die paar erw¨ahnten Nennungen bei J OHANNES C APREOLUS f¨uhren A LBERT nicht als Gew¨ahrsmann zur Wirksamkeitsfrage, sondern als Ausleger von A RISTOTELES an.3 Es erstaunt daher auch nicht, dass bei albertistischen Autoren des 15. Jahrhunderts die Wirksamkeitsfrage bloß gestreift wird. H EYMERICUS DE C AMPO, einer der bekanntesten Albertisten des 15. Jahrhunderts, hat mindestens drei unterschiedliche Sentenzenkommentare verfasst,4 von denen allerdings nur zwei 1
S.o., S. 157. A LBERT DER G ROSSE: Super libros sententiarum IV d 1, B, a 5, qc 3, Opera omnia 29, ed. Borgnet (1894) S. 14a–17b. Keine Rolle spielt die Urs¨achlichkeitsfrage hingegen in A LBERTS De sacramentis, Opera omnia 26, ed. Ohlmeyer (1958). 3 S.o., S. 408. Zur A LBERT-Rezeption bei D IONYSIUS vgl. WASSERMANN , D IRK: Dionysius der Kart¨auser. Einf¨uhrung in Werk und Gedankenwelt, Salzburg: Institut f¨ur Anglistik und Amerikanistik, 1996 (Analecta Cartusiana 133), S. 48; zu D IONYSIUS’ Anleihen aus der albertistischen Tradition vgl. auch das Beispiel bei E MERY, K ENT J R .: Denys the Carthusian and the Doxography of Scholastic Theology, in: E MERY, K ENT J R ./J ORDAN , M ARK D. (Hrsg.): Ad Litteram. Authoritative Texts and their Medieval Readers, Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1992, S. 327–359, S. 339, sowie PALAZZO , A LESSANDRO: Ulrich of Strasbourg and Denys the Carthusian (II). Doctrinal Influence and Implicit Quotations, in: Bulletin de philosophie m´edi´evale 48 (2006), S. 163–208. 4 Zu H EYMERICUS DE C AMPO († 1460) vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Academics an Intellectual Life in the Low Countries. The University Career of Heymeric de Campo (+1460), in: Recherches de th´eologie ancienne et m´edi´evale 61 (1994), S. 173–209. Zu H EYMERICUS’ 2
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u¨ berliefert sind und die sich nun beide nicht weiter f¨ur die Wirksamkeitsproblematik interessieren. Der ausf¨uhrlichere der beiden erhaltenen Kommentare, eine Abbreviatio von P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen, welche im Codex Cusanus 24 u¨ berliefert ist,5 fasst deren Angaben zur allgemeinen Sakramentenlehre in einigen knappen S¨atzen zusammen und h¨alt dabei fest, dass die neutestamentlichen Sakramente u¨ ber ihre virtus significandi hinaus die Gnade auch verursachten, was H EYMERICUS vor allem im Hinblick auf die Abgrenzung der neutestamentlichen von den alttestamentlichen Sakramenten interessiert.6 H EYMERICUS scheint mit dieser Bemerkung an einer sakramentalen Kausalit¨at festzuhalten, die u¨ ber jene des scotistischen signum efficax hinausgeht; eine Problematisierung dieser Urs¨achlichkeit oder auch nur einen Hinweis darauf, welches Modell H EYMERICUS anstelle des scotistischen befolgt haben k¨onnte, sucht man allerdings vergeblich.7 Auch ein syllogistischer Kommentar von H EYME RICUS, der im Codex Cusanus 106 erhalten ist,8 sagt nichts u ¨ ber seine Vorstellungen aus, wie die sakramentale Gnade verursacht und vermittelt wird. Fest steht f¨ur H EYMERICUS bloß, dass die Sakramente die Gnade u¨ berbringen, wie aus der ersten Quaestio zu Buch IV und deren dritter Propositio deutlich wird.9 W¨ahrend sich H EYMERICUS wie sein großer Meister u¨ ber die genaueren Umst¨ande der Wirksamkeitsproblematik ausschweigt, haben andere versucht, unterschiedlichen Sentenzenkommentaren vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Academic Theology in the Fifteenth Century. The Sentences Commentary of Heymericus de Campo, in: BAK KER: Chemins de la pens´ee m´edi´evale (2002), S. 513–559, hier bes. S. 519f., was allerdings noch vor der Entdeckung des Super sententias im Cod.Cus. 24 geschrieben worden ist. Zu letzterem vgl. H OENEN: Late Medieval Abbreviations. 5 Zur Handschrift vgl. R EINHARDT, K LAUS: Werke des Heymericus de Campo (+1460) im Codex Cusanus 24, in: Traditio 50 (1995), S. 295–310, hier bes. S. 308f. zum vorliegenden Kommentar, den R EINHARDT allerdings noch nicht hat zuordnen k¨onnen. Zur Zuordnung zu H EYMERICUS vgl. H OENEN: Late Medieval Abbreviations. 6 Non naturale sed datum est sacrae rei signum quod ultra virtutem significandi in lege nova causat gratiam quam per similitudinem suae formae visibilis repraesentat: Cod.Cus. 24, fol. 72rb. 7 Das h¨angt nat¨urlich auch mit dem Charakter des erhaltenen Kommentars zusammen, der in erster Linie an P ETRUS ’ L OMBARDUS Text selbst und weder an dessen Vermittlung noch an der nachfolgenden Kommentartradition interessiert ist (dazu H OENEN: Late Medieval Abbreviations). Auch der Hinweis in Cod.Cus. 24, fol. 72va, dass die Sakramente ihre Wirksamkeit aus der Passion Christi h¨atten (efficaciam trahunt ex passione Christi), hilft daher nicht weiter, um H EYMERICUS’ Ansatz zu klassifizieren. 8 Eine ausf¨uhrliche Beschreibung von Handschrift, Autor und Entstehungszeit bietet samt einer Edition dieses Quadripartitus questionum sillogistice supra quatuor libros sententiarum H OENEN: Academic Theology (2002). 9 Die Quaestio lautet: Utrum sacramentalis novae legis septenarii multiplicis gratiae in lege veteri figuraliter promisse collativi baptismi, confirmationis et eucharistiae ternarius sit per causae, signi, rei differentias christiformiter subdistinctus (Quadripartitus IV q 1, ed. Hoenen (2002), S. 550). Als dritte Propositio des ersten Syllogismus h¨alt H EYMERICUS fest: Promittit lex vetus et confert lex nova gratiam salutarem (ebd.)
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die Wirksamkeitsproblematik mit Anleihen aus naheliegenden Quellen zu l¨osen. G ERARDUS DE Z UTPHANIA, der zwischen 1470 und 1513 an der albertistisch gepr¨agten K¨olner Bursa Cucana wirkt,10 ver¨offentlicht 1490 einen ebenfalls syllogistisch abgefassten Sentenzenkommentar, der inhaltlich zwar kaum u¨ ber die Abbreviatio von H EYMERICUS hinausgeht: Auch G ERARDUS h¨alt schlicht fest, dass die Sakramente die Gnade verursachten, ohne dies weiter zu problematisieren.11 Was ihn von H EYMERICUS unterscheidet, ist nun aber, dass aus seinen Formulierungen deutlich wird, welche Vorlage er vor Augen hat: Die Sakramente h¨atten ihre Kraft n¨amlich, so G ERARDUS, aufgrund der Einsetzung, der Passion Christi und des Glaubens der Kirche, was alles durchaus im Sinne von A LBERT DEM G ROSSEN ist.12 Niemand anderes als T HOMAS VON AQUIN hat jedoch in seinem Sentenzenkommentar dasselbe mit genau jenen Worten und Begriffen, die G ERARDUS verwendet, u¨ ber die Wirksamkeit der sakramentalen Instrumente geschrieben.13 G ERARDUS lehnt sich daher an der vorliegenden Stelle ganz offensichtlich an T HOMAS an – allerdings, und das d¨urfte der entscheidende Punkt sein, tut er dies, ohne den Instrumenten-Begriff selbst aufzunehmen. Der Instrumenten-Begriff ist es nun aber, der f¨ur T HO MAS’ Ansatz nicht nur zentral ist, sondern auch dessen entscheidende Erweiterung gegen¨uber dem rudiment¨aren dispositio-Ansatz von A LBERT darstellt.
10 Die Dunkelm¨annerbriefe f¨uhren ihn daher als Sotphi in bursa Kneck an, vgl. Episolae obscurorum virorum I 3, 5 und 19, ed. B¨omer (1978), S. 12, 15 und 36. Zu G ERARDUS DE Z UTPHANIA vgl. das RAG unter der ID 2147104740, das bisher allerdings nur die Daten seines Artes-Studiums erfasst hat. Zu seinem Wirken als Theologe vgl. K EUSSEN , H ERMANN: Die Matrikel der Universit¨at K¨oln II. 1476–1559, Bonn: Hanstein, 1919 (Publikationen der Gesellschaft f¨ur Rheinische Geschichtskunde 8), 396.135, S. 228. G ERARDUS DE Z UTPHA NIA ist nicht zu verwechseln mit seinem ber¨ uhmten Namensvetter G ERHARD Z ERBOLT VON Z UTPHEN (1367–1398), einer der pr¨agendsten Gestalten der devotio moderna. 11 Quaestiones disputabiles IV q 1, ed. K¨oln 1490, fol. aaa2v: Postquam lege naturae et scripta sanari non poterat convictus, sacramenta gratiam in sensibilibus signis causantia ei approprians instituit miserans samaritanus. 12 Ebd.: [Sacramenta] consistunt in rebus et verbis, vim suam ex institutione, passione Christi, et fide ecclesiae continuante contrahentibus. Zur institutio vgl. A LBERT DEN G ROSSEN: Super libros sententiarum IV d 2, E, a 6, Opera omnia 29, ed. Borgnet (1894), S. 51b; zu Christi Passion vgl. ebd., B, S. 44; zum Beitrag der Kirche schließlich ebd., d 1, D, a 14, S. 28b. 13 T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q1, a 4, qc 3, resp., ed. Moos (1947), S. 36: Efficacia instrumentorum, sive sacramentorum, vel virtus, est ex tribus: scilicet ex institutione divina sicut ex principali causa agente, ex passione Christi sicut ex causa prima meritoria, ex fide ecclesiae sicut ex continuante instrumentum principali agenti. Eine weitere Parallele ergibt sich aus dem unmittelbar folgenden Satz: Gratia gratum faciens in essentia animae virtutum et donorum est causa, quae ad perficiendum in actibus potentias finaliter sunt ordinata (G ERARDUS DE Z UTPHANIA: Quaestiones disputabiles IV q 1, ed. K¨oln 1490, fol. aaa2v); vgl. T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q1, a 4, qc 5, resp., ed. Moos (1947), S. 38: Gratia gratum faciens est una, et est in essentia animae sicut in subiecto, et ab ipsa fluunt virtutes et dona ad perficiendum potentias animae.
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Offensichtlich pr¨asentiert G ERARDUS an der vorliegenden Stelle eine albertistisch abgeschw¨achte Lesart von T HOMAS VON AQUIN.14 Auf eine andere Vorlage weicht auch ein h¨ochst interessanter albertistischer Sentenzenkommentar aus, der fr¨uher als die Schriften der beiden eben diskutierten Scholastiker in den 1420er Jahren in Paris entstanden ist. Es handelt sich um den Kommentar eines gewissen L AMBERTUS DE M ONTE, der nachweislich zwischen 1412 und 1423 in Paris studiert und sich anders als sein j¨ungerer und bekannterer thomistischer Namensvetter in diesen fr¨uhen Pariser Jahren bereits der Ausarbeitung einer albertistischen Theologie verschrieben hat.15 Der Kommentar ist in einer einzigen Br¨usseler Handschrift erhalten (Koninklijke Bibliotheek, ms. 760) und bietet auf den fol. 212–274 auch L AMBERTUS’ Quaestionen zum IV Sentenzenbuch.16 Deren erste Quaestio, die einzige zur allgemeinen Sakramentenlehre, widmet sich ausdr¨ucklich der Wirksamkeitsproblematik und fragt danach, ob die neutestamentlichen Sakramente bewirkten, was sie darstellten, das heißt: ob sie die Gnade u¨ berbringen, welche sie bezeichnen, ” und dies aufgrund des Sakramentenvollzugs.“17 Wie also l¨ost ein albertistischer Autor, der sich so explizit f¨ur diese Problematik interessiert, die Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit? Von ihrem grunds¨atzlichen Aufbau her unterscheidet sich L AMBERTUS’ Behandlung der Wirksamkeitsproblematik von jener etwa eines A EGIDIUS C AR LERII kaum: Nach f¨ unf Argumenta quod non und ebenso vielen In contrarium ¨ schiebt L AMBERTUS einige allgemeine Uberlegungen zum Sakramentenbegriff 14 Eine genauere Untersuchung des Kommentars m¨usste zeigen, ob dies ein grundlegender Zug der Quaestiones disputabiles ist oder bloß eine Eigenheit der vorliegenden Stelle. Interessant w¨are dies vor allem im Hinblick auf die Konkordanzfrage zwischen T HOMAS und A LBERT, die zwei Generationen vor G ERARDUS zum bekannten Streit zwischen H EYMERI CUS DE C AMPO und G ERARDUS DE M ONTE gef¨ uhrt hat (dazu H OENEN: Grands maˆıtres (2008)). Es bleibt nat¨urlich auch die M¨oglichkeit, dass G ERARDUS DE Z UTPHANIA trotz seiner Ansiedelung in der Bursa Cucana eher thomistisch ausgerichtet gewesen ist – so nennt ihn M EUTHEN: Artesfakult¨at (1989), S. 389, einen Thomisten. 15 RS 513. Sowohl zu diesem Kommentar als auch zu dem wenigen, was u¨ ber die Biographie des L AMBERTUS DE M ONTE in Erfahrung zu bringen ist, vgl. M ELIAD O` , M ARIO/N EGRI , S ILVIA: Neues zum Pariser Albertismus (15. Jh). Der Magister Lambertus de Monte und die Handschrift Br¨ussel, Koninklijke Bibliotheek, ms. 760, in: Bulletin de philosophie m´edi´evale 53 (2011), S. 349–384. Zum Thomisten L AMBERTUS DE M ONTE († 1499) s.u., S. 559. 16 Zur Handschriftenbeschreibung vgl. ebd., S. 374–376. Dass es sich trotz der mehrfachen Handwechsel um den Kommentar eines einzigen Autors handelt, wird aus den einleitenden Collationes und Principia zu den vier B¨uchern deutlich, die alle von Ps 67,16 (mons Dei mons pinguis) ausgehen, was neben der mehrfachen, expliziten Nennung von L AMBERTUS DE M ON ` /N EGRI: Pariser Albertismus (2011), S. 352, Anm. TE als Autor der Handschrift (vgl. M ELIAD O 14) dessen Autorschaft noch einmal bekr¨aftigt: War es doch u¨ blich, die einleitenden Collationes u¨ ber Bibelverse zu halten, die mit dem eigenen Namen in Verbindung standen . 17 Circa distinctionem primam quarti libri sententiarum quaeritur utrum sacramenta novae legis efficiant quod figurant, hoc est conferant gratiam quam significant, et hoc ratione operis operati (Br¨ussel, KB 760, fol. 220r).
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ein,18 bevor er sich der eigentlichen Problematik seiner Quaestio zuwendet. Deren Behandlung schließt er mit einer knappen Conclusio ab, ohne allerdings noch einmal auf die einleitenden Argumenta einzugehen.19 Diese Argumenta sind nun weitgehend konventionell; auff¨allig ist einzig, dass das oft AUGUSTIN zugeschriebene I SIDOR-Zitat aus dem Decretum, im Verborgenen bewirke unter dem Deckmantel der Sakramente eine g¨ottliche Kraft das Heil,20 bei L AM BERTUS nicht als Argument f¨ ur, sondern gegen eine Kraft in den Sakramenten verwendet wird. Denn, so L AMBERTUS, es scheine, dass der Herr anhand der ” Sakramente wirkt, nicht aber die Sakramente [selbst wirken].“21 Nun hat bekanntlich auch AUREOLI erkl¨art, dass diese auctoritas nicht f¨ur, sondern gegen das Mitwirkungs-Modell stehe; genau so aber, wie L AMBERTUS das Zitat hier auslegt, ist es, wie im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung erw¨ahnt, bereits auch in der Summa Halensis eingesetzt worden.22 Tats¨achlich findet sich nun nicht nur das vorliegende, sondern jedes einzelne seiner zehn Argumenta in meist identischem Wortlaut bereits in dieser Summa Halensis23 – offensichtlich geht L AMBERTUS bei der Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik von diesem Text aus der Mitte des 13. Jahrhunderts aus.
18 Ebd. fol. 220v: Pro intellectu huius materiae est notandum et supponendum quod ab omnibus conceditur de sacramentis novae legis, scilicet quod sunt medicinae spirituales contra morbum, scilicet vulnus spirituale. 19 Die Behandlung der Wirksamkeitsproblematik ergibt sich fließend aus den Vorbemerkungen, ebd. fol. 221r (sed de modo quomodo [unklar] gratiam diversi dicunt diversimodo) und erstreckt sich bis fol. 222r. Zum Inhalt der Conclusio s.u., S. 447. 20 Item Gregorius Papa: [..|..] sunt autem sacramenta: baptisma, chrisma, corpus et sanguis, quae ob id sacramenta dicuntur, quia sub tegumento corporalium rerum divina virtus secretius salutem eorundem sacramentorum operatur (Decretum Gratiani II, c 1, q 1, can 84, ed. Leipzig (1879), Sp. 387f., exzerpiert von P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 13, c 3, ed. Grottaferrata (1981), S. 311f.) 21 Item [ausradiert]: Sacramentum est per quod sub tegumentum rerum visibilium salutem divina virtus secretius operatur. Ergo ut videtur dominus operatur per sacramenta, non autem sacramenta [ipsa] (Br¨ussel, KB 760. fol. 220r). Dass G REGORS Name ausradiert worden ist, zeugt von der anhaltenden Unklarheit dar¨uber, wer nun genau Autor dieses Zitats gewesen sei, dazu s.o., S. 220 und S. 360. 22 Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 2, ed. Lyon 1516, fol. 48va: Igitur ut videtur Dominus operatur per sacramenta, non autem sacramenta ipsa nisi sicut organa. S.o., S. 220, wo auch AUREOLIS Auslegung besprochen wird. 23 L AMBERTUS tr¨agt eine Auswahl aus den Argumenta zur ersten und zweiten Quaestiuncula von q 8, a 5, der Summa Halensis zusammen und stellt sie in eine neue Reihenfolge. Am eigenst¨andigsten formuliert er sein erstes Argumentum quod non, das eine erweiterte Zusammenstellung ist aus dem jeweils ersten sed contra der genannten beiden Quaestiunculae: Omne quod confert gratiam influit in illam et sic agit in illam perficiendo eam. Sed Augustinus dicit sexto Musicae quod ignobilius non agit in nobilius. Corpus autem ignobilius est spirituali, ergo nullum corpus agit, id est, scilicet est causa alicuius spiritualiter, ergo non efficit gratiam in aliquo. Zum AUGUSTIN-Zitat s.o., S. 129.
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Diese Wahl ist nicht unpassend: Der vierte Teil der Summa Halensis entsteht in Paris, unmittelbar nachdem A LBERT dort die Sentenzen gelesen hat;24 und die Sch¨uler des A LEXANDER VON H ALES entwickeln ein MitwirkungsModell, das ebenso wie auch jenes von A LBERT eine effektive und eine dispositive Ursache in der Gnadenvermittlung unterscheidet.25 So wie A LBERTS Kommentar kann daher auch die Summa Halensis als Vorstufe zu T HOMAS’ Modell gelten, in der dessen entscheidender Aspekt, jener der instrumentalen Mitwirkung, noch nicht ausgearbeitet ist. So finden sich denn bei L AMBERTUS nicht nur in den Argumenta, sondern auch im Korpus seiner Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik weitreichende Anlehnungen an diese Summa: Aufgegriffen wird insbesondere deren Parallelisierung von Sakramentengeschehen und Fegefeuer, auf die sich bereits das dritte Argumentum in contrarium bezieht, weil es in beiden F¨allen eine direkte Wirkung einer k¨orperlichen Wesenheit auf die Seele sieht.26 Drei Dinge brauche es n¨amlich, so h¨alt die Summa Halensis fest, damit etwas K¨orperliches auf etwas Geistiges heilend wirken k¨onne: eine wundersam hinzugef¨ugte Kraft, einen Defekt in der Seele, damit sie u¨ berhaupt repariert werden m¨usse, und die Gnade des Glaubens.27 Die Notwendigkeit des letzten dieser drei Punkte erkl¨art die Summa Halensis damit, dass es die Wirkung dieser Glaubensgnade sei, dank der die S¨undenmakel mit k¨orperlichen Mitteln entfernt werden k¨onnten – entsprechend lasse sich auch der Unterschied zwischen der reinigenden Kraft des Fegefeuers und der bloß bestrafenden Kraft des H¨ollenfeuers beschreiben: Das Feuer sei dasselbe, die gratia fidei fehle aber jenen, die in der H¨olle schmorten, weshalb sie nicht gel¨autert werden k¨onnten.28 Die Notwendigkeit des zweiten der 24
Zur Entstehung der Summa Halensis s.o., S. 140. Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 2, ed. Lyon 1516, fol. 49ra: Sacramenta sunt causae per modum materialis disponentis vel efficientis large sumendo. Disponunt enim hominem et aptiorem reddunt ad gratiae susceptionem, et etiam gratiam infusam ad operandum expeditorem. Unde sunt causae gratiae non quantum ad esse, sed quantum ad inesse modo convenientiori sive conformiori, et quantum ad modum operandi expeditiorem. Reddunt enim ipsum susceptibile magis conforme gratiae et ipsam gratiam expeditiorem in operando. 26 Dieses dritte Argumentum in contrarium lautet: In operibus iustitiae [divina virtus corporeum KB 760] agit in spiritum ut ignis [purgatorii KB 760] vel inferni in animam. Eadem | ratione videtur quod in operibus misericordiae virtute [desuper data KB 760] possit aliquod corporale ut in sacramentis agere in animam (Br¨ussel, KB 760. fol. 220r–v = Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 1, ed. Lyon 1516, fol. 48ra). 27 Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 2, ed. Lyon 1516, fol. 48ra: Ad hoc quod corporale agat in spiritum, dico ad reparationem eius sive purgationem, tria requiruntur, scilicet virtus mirabiliter collata ipsi corporali agenti, defectus ex parte reparabilis sive purgabilis, et gratia fidei. 28 Ebd.: Nisi esset gratia, ignis ille non haberet potestatem purgandi, sed solum puniendi, sicut patet de igne inferni, qui licet sit ex omnibus conflagratis solum potest ad poenam non ad purgationem, quia gratia cum vitio facit quod vitium est delebile per corporale agens. 25
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genannten Punkte liegt auf der Hand; der erste aber scheint unbefriedigend: Wenn sich eine tats¨achliche k¨orperliche Mitwirkung nur unter R¨uckgriff auf eine mirabiliter hinzugef¨ugte Kraft erkl¨aren l¨asst, so haben die Vertreter der PaktVariante mit ihrem Vorwurf vollkommen recht, dass hier die Wunder unn¨otig vermehrt w¨urden. Was das Fegefeuer betrifft, ist die Summa Halensis zwar auch in diesem Punkt auf einer Linie mit A LBERT DEM G ROSSEN, der keine rational zug¨angliche L¨osung sieht, wie k¨orperliches Feuer auf die Seele einwirken soll.29 Was allerdings die sakramentale Mitwirkung betrifft, ist damit genau die Ausgangsproblematik beschrieben, von der aus T HOMAS sein Modell der instrumentalen Wirksamkeit entwickelt. Wie aber verh¨alt sich ein Autor, der fast 200 Jahre sp¨ater unter R¨uckgriff auf diese Summa Halensis eine albertistische L¨osung pr¨asentieren m¨ochte? L AMBERTUS zitiert die Ausf¨uhrungen der Summa Halensis zu großen Teilen; vorher allerdings skizziert er zuerst einmal die Problemlage, und es ist nicht uninteressant, sich diese albertistische Skizze der Wirksamkeitsdebatte etwas genauer anzuschauen. Es gebe n¨amlich, so L AMBERTUS, insbesondere zwei verbreitete Arten, zwei modi communes dicendi, auf die Frage nach der sakramentalen Wirkweise zu antworten. Zwar stimmten alle darin u¨ berein, dass die Gnade von Gott allein verursacht werde, da sie u¨ ber jeglicher nat¨urlichen Wirkung stehe. In einem uneigentlichen Sinn allerdings k¨onne auch ein Gesch¨opf Ursache der Gnade sein, und zwar ut adminiculans – als Beistand leistendes.30 Die Rede von den Gesch¨opfen als adminicula ist ebenso ungewohnt,31 wie die Behauptung sp¨atestens nach T HOMAS und S COTUS von Vertretern beider modi communes dicendi zur¨uckgewiesen worden w¨are, die Gesch¨opfe seien in uneigentlichem Sinne Ursache der Gnade. L AMBERTUS allerdings h¨alt an beidem fest, wenn er sich im Folgenden anschickt, die beiden opiniones zu skizzieren: 29
So Super libros sententiarum IV d 44, F, a 37, Opera omnia 30, ed. Borgnet (1894), S. 593b: cum caliditas forma sit corporalis, non potest intelligi, qualiter sit in substantia pure spirituali. Dazu F LASCH , K URT: Die Seele im Feuer. Aristotelische Seelenlehre und augustinischgregorianische Eschatologie bei Albert von K¨oln, Thomas von Aquino, Siger von Brabant und Dietrich von Freiberg, in: H OENEN/DE L IBERA: Albertus Magnus und der Albertismus (1995), S. 107–131, S. 114. 30 Praecipue sunt duo modi communes dicendi in hac materia. Omnes enim in hoc conveniunt quod proprie gratia causatur a solo Deo qui movet et operatur ad eam, quantum gratia est supra omnem effectum naturalem creaturae. Sed improprie tamen creatura potest esse aliquomodo causa gratiae ut a[d]miniculans (Br¨ussel, KB 760, fol. 221r). 31 Im Zusammenhang mit der Sakramentenlehre wird der Begriff einmal von B ONAVENTU RA aufgegriffen (Breviloquium VI c 4, ed. Quaracchi V (1891), S. 268b: Ratione vero summae virtutis sacramenta statuit adminiculantia). H¨aufiger ist die Verwendung des Begriffs in erkenntnistheoretischen oder auch medizinischen Zusammenh¨angen, f¨ur beides vgl. T HOMAS VON AQUIN : Quaestiones de anima q 4, ad 6, ed. Leonina 24,1 (1996), S. 36: Si autem loquamur de intellectu in actu docentis, manifestum est quod docens non causat scientiam in addiscente tamquam interius agens, set sicut exterius aminiculans: sicut etiam medicus sanat sicut exterius aminiculans, natura autem tamquam interius agens.
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Eine, die Pakt-Variante, besage, dass die Sakramente bloß einen a¨ ußerlichen Beistand im K¨orper leisteten, so dass kraft des Sakraments selbst nichts bewirkt werde.32 Die anderen meinten aber, dass die Sakramente als Instrumente der g¨ottlichen Barmherzigkeit auch ein innerliches adminiculum der Gnade bereitstellten, indem sie mit einer ihnen gegebenen Kraft eine Gnaden-dispositio einpr¨agten. Die Sakramente erzielten daher instrumentaliter eine Wirkung, die sie aus sich selbst heraus zu bewirken nicht imstande seien.33 Nachdem L AMBERTUS in etwas ungewohnter Terminologie und mit einem bereits leicht polemischen Blick auf die jeweilige Ursachenart die beiden Modelle skizziert hat, unterzieht er sie nun vor allem seiner Kritik: Die erste dieser beiden Meinungen rettet die dicta sanctorum nicht, wie H UGO und AUGUSTIN sie aufstellen, die ausdr¨ucklich sagen, dass die neutestamentlichen Sakramente ein rationales Gesch¨opf heiligen und dass sie die Seele abwaschen.34 Daher ist sie aufzugeben. Die zweite Meinung sagt darin Wahres, dass die Sakramente etwas in der Seele einpr¨agen, n¨amlich den character oder irgendeinen ornatus. Und von diesem ornatus sind die Sakramente wie die effektive Ursache, und sie machen dies kraft der Heiligung welche in ihnen ist. [...] Im Hinblick allerdings darauf, dass diese [zweite] Meinung sagt, es pr¨age [ein Sakrament] diesen Schmuck oder diese dispositio f¨ur die Gnade ein, scheint sie nicht wahr zu sein. Denn die Gnade disponiert ihr Subjekt und macht es, um in ihm sein zu k¨onnen, in einer Weise empf¨anglich, dass sie keine dispositio im Subjekt voraussetzt, [...] wie es auf der Hand liegt bei jenen, die durch die Blut- und Feuertaufe getauft werden.35 32 Br¨ussel, KB 760, fol. 221r: Una opinio est antiquorum et celebris quod sacramenta praebent adminiculum solum exterius in corpore. Dicit enim quod sacramentum est quoddam signum ad quod ex divina ordinatione consequitur in suscipiente gratiae infusio – non virtute ipsius sacramenti aliquid operante, sed sola divina virtute illi assistente. Exempla possunt esse multa. 33 Ebd.: Alia est opinio etiam solemnis dicentium quod sacramenta praebent adminiculum gratiae non tantum exterius in corpore, sed interius in anima virtute scilicet indita in anima, dispositionem aliquam ad gratiam imprimendo – non virtute sua sola, sed inquantum sunt instrumenta divinae misericordiae agentis per illa. Propter quod aliquem effectum attingunt inquantum instrumentaliter agunt quem per se non possunt attingere. Huius etiam sunt multa exempla. 34 H UGO, De sacramentis I 9, c 5, ed. Berndt (2008), S. 219; zu AUGUSTIN s.o., S. 123. 35 Br¨ussel, KB 760, fol. 221r: Prima harum opinionum non salvat dicta sanctorum ut [unklar] Hugo et Augustinus qui expresse dicunt quod sacramenta novae legis sanctificant creaturam rationalem et quod abluunt animam. Et ideo dimittenda est. Secunda opinio in hoc verum dicit quod sacramenta aliquid imprimunt in animam, scilicet characterem aut ornatum aliquem, et huius ornatus sacramenta sunt sicut causa efficiens, et hoc faciunt virtute sanctificationis quae est in eis secundum quod constituuntur ex materiali sensibili et verbo sanctificationis. Sed quantum ad id quod haec opinio dicit quod huiusmodi ornatum aut dispositionem imprimit ad gratiam, non videtur verum, quoniam gratia disponit subiectum suum et susceptibile facit ut inesse possit, ita ut non requirit aliqualiter dispositionem in subiecto ut subiectum capax gratiae fiat, sicut etiam manifestum est in his qui baptizantur baptismo sanguinis aut flammis.
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W¨ahrend L AMBERTUS im Hinblick auf das Pakt-Modell die alte Kritik akzeptiert, es w¨urden die dicta sanctorum nicht beachtet, h¨alt er gegen die Vertreter der Mitwirkungs-Variante fest, dass die Gnade keine dispositio voraussetze, wie es bei den M¨artyrern offenkundig sei. Gem¨aß beiden Modellen k¨onne daher nicht gesagt werden, dass die Sakramente die Gnade bewirkten.36 Diese Kritik an beiden Modellen ist nun vor allem im Hinblick auf die Pariser Situation der 1420er Jahre interessant: Es w¨are L AMBERTUS ein Leichtes gewesen, den konventionellen dispositio-Ansatz aufzugreifen, A LBERT DEN G ROSSEN allenfalls als Vorl¨aufer von T HOMAS darzustellen und a¨ hnlich wie G ERARDUS DE Z UTPHANIA eine gem¨aßigte Version der Mitwirkungs-Variante zu pr¨asentieren. Stattdessen geht L AMBERTUS auf Konfrontationskurs und verwirft nicht nur das Pakt-Modell, sondern legt sich auch mit all jenen an, die davon ausgehen, dass die Sakramente eine seelische dispositio zum Gnadenempfang verursachten. Damit aber kann er nur eines bezwecken: Es geht ihm darum, einen L¨osungsansatz zu pr¨asentieren, der unabh¨angig von der konventionellen Mitwirkungs-Variante ist, wie sie seit Generationen mit dem Namen von T HOMAS VON AQUIN verbunden ist. Offensichtlich geht es L AMBERTUS darum, weder scotistisch noch thomistisch zu argumentieren. Damit aber zeugt er f¨ur eine Streitkultur, die deutlich macht, dass an der Pariser Universit¨at der 1420er Jahre ein Schulstreit bereits in vollem Gange ist.37 Inhaltlich nimmt dieser dritte Weg, wie bereits gesagt, die Fegefeuer-Parallele der Summa Halensis auf, laut der das k¨orperliche Feuer deswegen auf die Seelen einwirken kann, weil die gratia fidei die S¨undenmakel f¨ur eine Reinigung mit k¨orperlichen Mitteln empf¨anglich macht. Nun ist diese gratia fidei ja auch bereits bei den Sakramentenempf¨angern vorhanden (zumindest bei den Gl¨aubigen unter ihnen), so dass auch die Sakramente a¨ hnlich wie das Fegefeuer als Mittel betrachtet werden k¨onnen, welche die S¨undenmakel aus der Seele zu entfernen helfen. Diesen Analogieschluss zieht bereits die Summa Halensis, w¨ahrend A LBERT DER G ROSSE auch die Rolle des Glaubens f¨ur die heilsame Wirkung der Sakramente bereits hervorgehoben hat.38 Und so ist es ¨ diese Uberlegung, die L AMBERTUS nun gegen den thomistischen und den scotistischen Ansatz hervorhebt: Die Sakramente vermitteln nicht eigentlich die
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Ebd. fol. 221r–v: Sacramenta | non possunt dici efficere gratiam nec secundum primam opinionem, nec etiam secundum secundam. 37 Dass sich dies in der neuesten Forschung mehr und mehr abzeichnet, ist oben, S. 83 mit Anm. 5, bereits ausgef¨uhrt worden. 38 Zum Analogieschluss vgl. Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 2, ed. Lyon 1516, fol. 48ra. Die Rolle des Glaubens betont A LBERT DER G ROSSE: Super libros sententiarum IV d 1, A, a 1, ad 4, Opera omnia 29, ed. Borgnet (1894), S. 5b: In sacramento enim non est visibile elementum tantum, sed sanctificatio coniuncta, cuius virtus per fidem pertingit in anima, et ideo alterat et sanat eam.
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Gnade, sondern sie heilen die von S¨unden erkrankte und verwundete Seele.39 Dass dies dennoch einen Einfluss auf die eigentliche Gnadenvermittlung habe, erl¨autert L AMBERTUS anhand eines Beispiels, das sich erneut bereits in der Summa Halensis findet: Der Herr u¨ bertr¨agt zweien je eine gleiche Gnade. Der eine bietet, was ihn selbst betrifft, wenige Hindernisse f¨ur die Gnade, das heißt [Umst¨ande], welche die Effektivit¨at der Gnade bei ihrem Wirken behindern; der verbleibende bietet viele solche Hindernisse. Es steht fest, dass die Gnade im einen effektiver wirkt als im anderen, denn im einen ist es die Wirkung der Gnade, die Schlechtigkeit zur¨uckzudr¨angen; im andern [so ist mit der Summa Halensis zu erg¨anzen] ihn zu f¨ordern und zum Guten zu befreien.40
Die Sakramente vermitteln nicht selbst die Gnade, aber sie machen f¨ur die Gnadengaben empf¨anglich. Sie disponieren die Seele – aber nicht daf¨ur, dass die Seele die Gnade aufnehmen kann, sondern daf¨ur, dass die Gnade in der Seele besser wirkt.41 Damit wird auch deutlich, was L AMBERTUS mit seiner einleitenden Rede von den Sakramenten als adminicula, als St¨utzen gemeint hat: Sie unterst¨utzen die Seele, damit sie in den Genuss der vollen Wirkung der Gnade kommt. Insofern sind sie auch Ursachen der Gnade und insofern l¨asst sich ad quaestium schließen, dass die Sakramente tats¨achlich bewirken, was sie bezeichnen: Es l¨asst sich daher schließen, dass Gott in haupts¨achlicher und effektiver Weise allein die Gnade in der Seele bewirkt, die Sakramente aber hinsichtlich der Effektivit¨at mitwirken, nicht aber hinsichtlich dessen, dass sie irgendwelche Instrumente w¨aren. Und dadurch werden die Aussagen der Heiligen und die Heiligung und die W¨urde der neutestamentlichen Sakramente gerettet, und der Unterschied zwischen neutestamentlichen und alttestamentlichen Sakramenten liegt auf der Hand.42 39
Br¨ussel, KB 760, fol. 221v: Ex quibus patet quod sacramenta virtute sanctificationis sanant a vitio corruptionis pestilentialis, hoc est a morbo sive vulnere de quo dictum est. 40 Br¨ussel, KB 760. fol. 221v = Summa Halensis IV q 8, a 5, qc 1, ed. Lyon 1516, fol. 48va: [conferat dominus KB 760] duobus gratiam aequalem, alter [om KB 760] ex parte sua [cum add Sum.Hal.] pauca habet impedimenta gratiae, id est quae impediant efficaciam gratiae ad operandum, [et add KB 760] reliquus [om KB 760] multa habet impedimenta. Constat quod efficacius [operatur gratia KB 760] in uno quam in alio, quia in uno est efficacia gratiae ad malitiam [om KB 760] reprimendam, [om KB 760]. 41 Br¨ussel, KB 760. fol. 221v–222r: Unde patet quod sacramenta efficiunt gratiam quantum ad huiusmodi efficaciam in operando, et propter hoc dicitur quod sacramenta efficiunt quod figurant, scilicet gratiam: disponendo non disponunt ad hoc quod fit vel | quod insit (ad hoc enim gratia ipsa disponit subiectum suum), sed ad hoc ut efficaciter operetur. 42 Br¨ussel, KB 760. fol. 222r: Concluditur ergo quod Deus operatur principaliter et effective solus gratiam in animam, sed sacramenta dispositive quantum ad efficaciam, non quantum ad hoc quod sint aliqua instrumenta. Et per ista salvantur dicta sanctorum et sanctificatio et reverentia sacramentorum novae legis. Unde patet differentia inter sacramenta novae legis et veteris. Der erste Satz dieser Conclusio liest sich wie eine direkte Anlehnung an eine der knap-
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Kapitel 21: Albertistische Varianten
L AMBERTUS hat damit seinen dritten Weg gegen¨uber der thomistischen Mitwirkungs-Variante und dem scotistischen Pakt-Modell beschrieben. Es ist klar, dass auch seine Vairante nicht s¨amtliche Probleme aus dem Weg r¨aumen kann, welche die Wirksamkeitsfrage aufwirft – so w¨urden insbesondere die Vertreter der Pakt-Variante bem¨angeln, dass jene Wirkung der gratia fidei, die S¨undenmakel k¨orperlich behebbar zu machen, dem kosmologischen ordo zwischen ¨ Geistigem und K¨orperlichem, Nat¨urlichem und Ubernat¨ urlichem Gewalt antue. Unbestritten zeigt sich aber, dass auch L AMBERTUS mit seinem Ansatz einen rationalen Anspruch verfolgt. Anders als der Summa Halensis liegt ihm nicht daran zu betonen, dass das Zusammenspiel von S¨undenmakel und gratia fidei wundersam sei und auf eine Kraft supra naturam zur¨uckgehe; ihm scheint es einleuchtend und vern¨unftig, dass die Sakramente im Zusammenspiel mit der Gnade in der Lage sind, die hemmenden Wirkungen der S¨unde einzud¨ammen. So sehr A LBERT DER G ROSSE nicht nur beim Fegefeuer, sondern auch in anderen Fragen die M¨oglichkeiten der ratio f¨ur beschr¨ankt gehalten hat, und so sehr sp¨ater auch etwa H EYMERICUS gegen die Thomisten diese Beschr¨anktheit der ratio hervorheben wird,43 geht es an der Pariser Universit¨at der fr¨uhen 1420er Jahre, an einer Universit¨at also, an welcher der Disziplinen trennende G ERSON zumindest formell immer noch Kanzler ist, dem Albertisten L AMBERTUS DE M ONTE nicht nur um den Entwurf einer albertistischen Theologie, sondern um den Entwurf einer rationalen albertistischen Theologie.44
pen Bemerkungen von A LBERT zur Wirksamkeitsfrage: Divina virtus in sacramentis effective operatur, et ideo non tollitur quin in sacramento remaneat causalitas dispositionis (A LBERT DER G ROSSE : Super libros sententiarum IV d 1, B, a 5, ad 2, Opera omnia 29, ed. Borgnet (1894), S. 17b). 43 Zu A LBERT DEM G ROSSEN vgl. K ALUZA: albertisme tardif (1995). S. 218, Anm. 30, mit weiterf¨uhrender Literatur; zu H EYMERICUS vgl. H OENEN: Grands maˆıtres (2008). 44 Selbstverst¨andlich m¨usste eine genauere Untersuchung des gesamten Kommentars noch erweisen, ob dies ein grunds¨atzlicher Zug oder bloß ein Charakteristikum von L AMBERTUS’ Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik ist. Eine Edition der vier Principia seines Kommentars ist unter der Leitung von S ILVIA N EGRI und M ARIO M ELIAD O` geplant.
Kapitel 22
Die Verteidigung des alten Wegs II: Scotistische Versionen des Pakt-Modells In jenem Milieu, in welchem sich ein J OHANNES C APREOLUS der Verteidigung des AQUINATEN verschreibt und in welchem es einem L AMBERTUS DE M ONTE darum geht, eine spezifisch albertistische Theologie auszuarbeiten, l¨asst sich auch eine dritte Gruppe von Philosophen und Theologen nachweisen, eine Gruppe, die sich nicht ganz so eindeutig der Verteidigung eines einzigen Scholastikers verschreibt wie die Thomisten, deren Vorgehensweisen und Lehren sich aber dennoch auf einen großen Namen zur¨uckf¨uhren lassen: auf jenen von D UNS S COTUS.1 Es sind, was nicht weiter erstaunt, in der ersten H¨alfte des 15. Jahrhunderts vor allem Franziskaner, die von dieser scotistischen Str¨omung zeugen.2 Bereits in den 1420er Jahren wirkt an der Pariser Universit¨at W IL HELM VON VAUROUILLON , der sp¨atere Minister der touraine’schen Franziskanerprovinz, in dessen erhaltenem Werk das eine Ziel deutlich wird, S COTUS’ Lehren aufzuarbeiten, zug¨anglich zu machen und zu verteidigen.3 Neben einem ¨ Einen knappen Uberblick u¨ ber diesen disparaten Scotismus des 15. Jahrhunderts bietet S CHMUTZ , JACOB: L’h´eritage des Subtils. Cartographie du scotisme du XVIIe si`ecle, in: Les ´ Etudes philosophiques 1 (2002), S. 51–81, hier S. 55–58. 2 Vgl. H ONNEFELDER , L UDGER: Scotus und der Scotismus. Ein Beitrag zur Bedeutung der Schulbildung in der Mittelalterlichen Philosophie, in: H OENEN/S CHNEIDER/W IELAND: Philosophy and Learning (1995), S. 249–262, der ebd. S. 250 darauf verweist, wie entscheidend die Bindung von Lehrst¨uhlen an bestimmte Orden f¨ur die Ausbildung von spezifischen Schultraditionen gewesen ist. Mit den K¨olner Bursen wird sich dies noch einmal verst¨arken, vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Via Antiqua and Via Moderna in the Fifteenth Century. Doctrinal, Institutional, and Church Political Factors in the Wegestreit, in: F RIEDMAN/N IELSEN: The Medieval Heritage (2003), S. 9–26. 3 Grunds¨atzlich zu W ILHELM VON VAUROUILLON (1390–1463) vgl. bereits W EGERICH , E RICH: Bio-Bibliographische Notizen u¨ ber Franziskanerlehrer des 15. Jahrhunderts, in: Franziskanische Studien 29 (1942), S. 150–197, hier S. 193–197. Den ausf¨uhrlichsten biographischen Beitrag bietet B RADY, I GNATIUS C.: William of Vaurouillon, O.Min. (+1463). A Biographical Essay, in: V ILLAPADIERNA , I SIDOR (Hrsg.): Miscellanea Melchor de Pobladura I. Studia franciscana historica P. Melchiori a Pobladura dedicata, Rom: Institutum Capuccinorum, 1964 (Bibliotheca Seraphico-Capuccina 23), S. 291–315; vgl. aber auch T OKARSKI , F RAN CISZEK : Guillaume de Vaurouillon et son commentaire sur les Sentences de Pierre Lombard, in: Mediaevalia Philosophica Polonorum 29 (1988), S. 49–119, hier S. 49–74, sowie demn¨achst 1
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
Liber de anima4 verfasst W ILHELM einen umfassenden Sentenzenkommentar und ein Vademecum non opinionum Scoti, ein kleines Kompendium, in dem s¨amtliche anonym angef¨uhrten opiniones aus S COTUS’ Ordinatio verzeichnet und, soweit m¨oglich, in den Werken ihrer Urheber nachgewiesen werden.5 Damit steht W ILHELMS Œuvre exemplarisch f¨ur zwei unterschiedliche Aufgaben, mit denen sich der schulm¨aßige Scotismus des 15. Jahrhunderts besch¨aftigt hat: Neben der inhaltlichen Aneignung von S COTUS’ Lehren, wie sie im Liber de anima oder in W ILHELMS’ Sentenzenkommentar vorliegen, ist ein nicht unbedeutender Teil der scotistischen Literatur dieser Epoche vorwiegend damit besch¨aftigt, sei es in der Form von solchen Kompendien, sei es in Form von Abbreviationes, Tabulae oder Nachschlagewerken Hilfsmittel bereitzustellen, um sich im monumentalen Werk des D UNS S COTUS zurechtzufinden.6 Bevor sich der vorliegende Abschnitt mit der inhaltlichen Verteidigung des Pakt-Modells besch¨aftigt, sei daher – stets mit der Wirksamkeitsdebatte im Hinterkopf – ein Blick in einige Beispiele dieser scotistischen Hilfsliteratur geworfen.
22.1 Scotistische Hilfsliteratur und die Wirksamkeitsdebatte Es ist nat¨urlich nicht zu erwarten, dass sich in dieser Hilfsliteratur fundamentale Beitr¨age zur Wirksamkeitsdebatte finden. W ILHELMS Vademecum ist erauch Z AHND , U ELI: Easy-Going Scholars Lecturing secundum alium? Notes on some French Franciscan Sentences Commentaries of the 15th Century, in: ROSEMANN: Commentaries on the Sentences 3 (erscheint 2014). 4 Bei dem es sich weniger um einen A RISTOTELES-Kommentar als vielmehr um eine Art Aktualisierung der Summa de anima des J OHANNES DE RUPELLA handelt, vgl. B RADY, I GNA TIUS C.: The Liber De Anima of William of Vaurouillon, O.F.M. (part one), in: Mediaeval Studies 10 (1948), S. 224–297, und ebd. 11 (1949), S. 247–307 (mit einer Edition des Werks); sowie T OKARSKI: Guillaume de Vaurouillon (1988), S. 79–81. 5 Vgl. T OKARSKI: Guillaume de Vaurouillon (1988), S. 77f.; zu den erhaltenen Handschriften und Drucken vgl. W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 196f. 6 Ein venezianischer Druck des scotistischen Sentenzenkompendiums von N ICOLAUS DE O RBELLIS (1507 bei L AZARUS S OARDUS, dazu unten, S. 461) f¨uhrt den vielsagenden Titel: Petri Lombardi quattuor sententiarum volumina cum doctissimis Nicolai de Orbellis theologi acutissimi interpretationibus in quibus Scoti dicta quae obscuriora vulgo videbantur faciliter enarrantur. Ex quorum cognitione brevi omnes in Scoti dogmatibus sunt peritissimi evasuri. Auch A NTONIO DE FANTIS, der im fr¨uhen 16. Jahrhundert eine Tabula zu S COTUS’ Gesamtwerk verfasst, verweist auf den Umfang von S COTUS’ Schriften und ver¨offentlicht seine Tabulae schlicht als Mare magnum Scoticae subtilitatis, ed. Venedig 1516. Wie die Kompendien des H EINRICH VON G ORKUM oder des H IERONYMUS D UNGERSHEIM gezeigt haben, finden sich solche Schriften nat¨urlich l¨angst nicht nur bei den Scotisten, sondern sind ein grundlegendes Charakteristikum der Schulliteratur des 15. Jahrhunderts. Der Eindruck l¨asst sich aber dennoch nicht von der Hand weisen, dass solche Behelfsliteratur in der S COTUS-Rezeption besonders h¨aufig anzutreffen ist und sich bis ins 17. Jahrhundert weiterziehen wird (vgl. S CHMUTZ: H´eritage des Subtiles (2002), S. 58).
22.1 Scotistische Hilfsliteratur und die Wirksamkeitsdebatte
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wartungsgem¨aß auch in Bezug auf die vorliegende Problematik nicht mehr, als was es sein will: ein Nachschlagewerk, das aufzeigt, mit wem sich S COTUS in den entsprechenden Quaestionen am Beginn des vierten Buchs seiner Ordinatio auseinandergesetzt hat.7 Immerhin blickt W ILHELM nicht nur zur¨uck, sondern bezieht auch die franziskanische Tradition nach S COTUS mit ein: Im Rahmen etwa von S COTUS’ einleitender Quaestio in Buch IV weist er darauf hin, dass sich im Kontext der Sch¨opfungsproblematik auch L ANDULPHUS C ARACCIO LO , ein Franziskaner aus der Generation nach S COTUS, mit P ETRUS AUREOLI auseinandergesetzt habe, ein Ausblick auf die folgende Tradition, der auch an anderen Stellen erscheint.8 Solche Hilfsschriften erheben keinen Anspruch, einen eigenen Beitrag zu den akademischen Problemen der Sp¨atscholastik zu leisten. Beim Scotus pauperum des G UILLERMO G ORRIZ etwa, der noch im 15. Jahrhundert bereits in Toulouse, Lyon und Speyer gedruckt worden ist, handelt es sich weitgehend um eine stark gek¨urzte Fassung von S COTUS’ Ordinatio, die damit zu einem B¨uchlein wird, das sich auch weniger Bemittelte leisten k¨onnen.9 G ORRIZ greift allerdings nicht durchgehend auf den Originaltext der Ordinatio zur¨uck: Im Rahmen der Sch¨opfungsproblematik am Beginn von Buch IV u¨ bernimmt 7 Interessant ist einzig, dass W ILHELM die Quodlibeta des H EINRICH VON G HENT f¨ur so schlecht zug¨anglich h¨alt, dass er auf dessen Wirksamkeits-Modell nicht nur verweist, sondern es eingehend zitiert. Der Schluss, den er danach zieht, ist allerdings erstaunlich: Differt haec opinio a prima ad minus verbaliter, quia prima dicit per assistentiam, haec vero per insistentiam (Vademecum non opinionum Scoti ad IV d 1, q 4–5, ed. Paris um 1483, fol. 38v). Die prima opinio, die W ILHELM vorher umrissen hat, ist nun aber jene von T HOMAS VON AQUIN, w¨ahrend der Assistenz-Begriff ein Schlagwort des Pakt-Modells ist. Da H EINRICHS Ansatz tats¨achlich gr¨oßere N¨ahen zum Pakt-Modell aufweist als zur Wirksamkeits-Variante (was auch ¨ etwa D IONYSIUS DER K ART AUSER festgestellt hat, s.o., S. 391), ist davon auszugehen, dass W ILHELM mit der prima opinio wohl eher S COTUS’ eigenen Ansatz meint. 8 Vademecum non opinionum Scoti ad IV d 1, q 1, ed. Paris um 1483, fol. 38r: Hinc sequitur in virtute Landulphus seu Radulphus ordinis minorum in quarto [...] respondendo quarto argumento Petri Aureoli. Zu L ANDULPHUS C ARACCIOLO († 1351) und seinem Sentenzenkommentar vgl. S CHABEL , C HRISTOPHER: The commentary on the Sentences by Landulphus Caracciolus, OFM, in: Bulletin de philosophie m´edi´evale 51 (2009), S. 144–219. Es ist daher fraglich, ob es sich bei einem Verweis auf G ERARDUS O DONIS im Rahmen von Buch III d. 38 wirklich um ein Versehen handelt (so B RADY, I GNATIUS C.: William of Vaurouillon, O.F.M. A Fifteenth-Century Scotist, in: RYAN , J OHN K. (Hrsg.): John Duns Scotus, 1265–1965, Washington: Catholic University of America, 1965 (Studies in Philosophy and the History of Philosophy 3), S. 291–310, hier S. 299, Anm. 27), oder nicht um einen ebensolchen Ausblick auf die weitere franziskanische Tradition. 9 Ein a¨ hnliches Ziel verfolgt auch der Parvus Scotus Lavallensis des M ATHURIN DU B RET ¨ (Angers 1529; vgl. S CHMUTZ: H´eritage des Subtiles (2002), S. 58). Uber G UILLERMO G OR RIZ († um 1520) sind nur einige wenige Daten bekannt: Selbst kein Franziskaner, lehrte er an der Universit¨at von Saragossa und erarbeitete dort seinen Scotus pauperum um 1473, vgl. D IAZ D IAZ , G ONZALO: Hombres y Documentos de la Filosofia Espa˜nola. E–G, Madrid, 1988, S. 589b. Zu den Drucken des Scotus pauperum vgl. den GW unter den Nummern 10959–10961.
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
G ORRIZ seine Beschreibung der Positionen, mit denen S COTUS sich auseinandersetzt, w¨ortlich aus dem eben erw¨ahnten Vademecum des W ILHELM VON VAUROUILLON.10 Die Darstellung der von S COTUS diskutierten Gegenpositionen ist es denn auch, worauf G ORRIZ vor allem fokussiert: Seinen K¨urzungen fallen insbesondere jene Passagen zum Opfer, in denen S COTUS seine eigene Position ausarbeitet. Obwohl G ORRIZ sich eng an seine Vorlage h¨alt und im Rahmen der allgemeinen Sakramentenlehre s¨amtliche sechs Quaestionen aufgreift, die S COTUS formuliert hat, beschr¨ankt sich seine Wiedergabe von S COTUS’ eigener Meinung auf thesenartige Zusammenfassungen, deren Begr¨undung sich indirekt aus den viel ausf¨uhrlicher referierten Auseinandersetzungen ergeben muss, die S COTUS mit den jeweiligen Gegenpositionen gef¨uhrt hat.11 Der Scotus pauperum scheint daher weniger daraufhin angelegt zu sein, ein grunds¨atzliches Wissen von S COTUS’ Positionen zu vermitteln, als vielmehr ein Argumentatorium zu bieten, wie sich aufgrund von S COTUS andere theologische Positionen widerlegen lassen.12 In die Kategorie dieser Hilfsmittel geh¨ort auch ein alphabetisches Kompen¨ dium, das einem J OHANNES VON K OLN zugeschrieben und 1472 ein erstes Mal in Venedig gedruckt wird: Es bietet 430 alphabetisch nach Themen sortierte Quaestionen, die mit Ausz¨ugen nicht nur aus S COTUS’ Ordinatio, sondern auch aus dessen Reportata Parisiensa, den quodlibetalen Quaestiones und aus dessen Metaphysik- und De anima-Kommentar beantwortet werden.13 Vor jeder 10
G UILLERMO G ORRIZ: Scotus pauperum IV d 1, ed. Speyer [1492], fol. r7rb–vb = W IL VAUROUILLON: Vademecum non opinionum Scoti ad IV d 1, q 1, ed. Paris um 1483, fol. 37r–38r. VAUROUILLONS Vademecum wurde auch f¨ur die fr¨uhen Ausgaben von S COTUS’ Ordinatio fleißig genutzt, vgl. B RADY: William of Vaurouillon (1965), S. 298f., und praktisch identisch T OKARSKI: Guillaume de Vaurouillon (1988), S. 77f. 11 W¨ahrend sich S COTUS’ Behandlung der allgemeinen Sakramentenlehre in der modernen Vaticana-Edition u¨ ber 137 Seiten erstreckt, f¨ullt sie in der Speyer-Edition des Scotus pauperum keine sechs Folia (Scotus pauperum IV d 1, ed. Speyer [1492], fol. r7rb–s4ra). 12 Wie sehr die Zusammenfassung darauf angelegt ist, zur Verteidigung von S COTUS’ Position zu schulen wird etwa im Rahmen der Wirksamkeitsproblematik ebd. q 4–5, fol. s2ra–b, deutlich, wo im direkten Anschluss an die Feststellung, dass die Sakramente nicht Ursache der Gnade seien, angemerkt wird: Sed aliquis diceret quomodo salvabimus dicta sanctorum asserentium quod sacramenta sunt causa gratiae. Ad hoc dicitur tripliciter. Uno modo quod sunt causa sine qua non. Sed contra, quia causa sine qua non non est causa nisi per accidens. Alio modo dicitur quod omnis dispositio immediate necessitans ad aliquam formam (posito quod non causaret aliquam dispositionem mediam) potest dici tam causa activa quam instrumentali. [...] Tertio dicitur quod sacramenta sunt causa gratiae secundum quandam assistentiam gratiae sa|cramento. 13 So lautet der volle Titel: Quaestiones magistri Johannis Scoti abbreviatae et ordinatae per alphabetum super quattuor libris sententiarum quodlibetisque metaphysicae et de anima. Am eingehendsten besch¨aftigt sich mit dem Werk erneut W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 166–169, der vor allem daf¨ur argumentiert, dass es sich nicht um eine Schrift des 14. Jahrhunderts handeln k¨onne. Von seiner Form her scheint es sich tats¨achlich am ehesten um ein Werk der zweiten H¨alfte des 15. Jahrhunderts zu handeln (so bereits L OHR , HELM VON
22.1 Scotistische Hilfsliteratur und die Wirksamkeitsdebatte
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Quaestio bietet das Werk in einer Art Vorspann eine genaue Angabe, wo sich die Frage bei S COTUS finde und aus welchen Ausschnitten aus den genannten Schriften von S COTUS sich der nachfolgende Text zusammensetze; bei einem nicht unbedeutenden Teil der Quaestionen wird zudem auch angef¨uhrt, mit welchen weiteren, vor allem franziskanischen Autoren S COTUS einig gehe und gegen wen er sich mit seinen Antworten richte.14 Von den sieben Quaestionen, die das Kompendium zum Stichwort sacramentum anf¨uhrt, widmen sich zwei denn auch explizit der Wirksamkeitsproblematik, und bei beiden merkt J OHANNES an, dass sie gegen T HOMAS und dessen Ausf¨uhrungen am Beginn des vierten Buchs seines Sentenzenkommentars gerichtet seien, w¨ahrend das Gesagte mit B ONAVENTURA u¨ bereinstimme.15 Was diesem Vorspann folgt, ist je eine stark gek¨urzte, aber eng am Text der Ordinatio orientierte Zusammenfassung von S COTUS’ Darstellung, die erneut ihr Augenmerk eher auf die Argumente gegen T HOMAS’ Position legt als auf die Argumente f¨ur S COTUS’ eigene PaktVariante.16 Auch in diesem Kompendium geht es daher nicht einfach bloß um eine strukturierte Zusammenfassung der wichtigsten Ansichten von S COTUS, sondern vor allem auch um eine Bereitstellung der notwendigen Argumente, um S COTUS und mit ihm die franziskanische Tradition in der akademischen Streitkultur des 15. Jahrhunderts, verteidigen zu k¨onnen.17 C HARLES H.: Medieval Latin Aristotle Commentaries. Authors Ja–Jo, in: Traditio 26 (1970), S. 135–216, S. 185, und nun auch B OLLIGER , DANIEL: Infiniti Contemplatio. Grundz¨uge der Scotus- und Scotismusrezeption im Werk Huldrych Zwinglis, Leiden: Brill, 2003 (Studies in the History of Christian Thought 107), S. 389 mit Anm. 68); vgl. die unten, ab S. 484 vorgestellten, ¨ strukturell a¨ hnlichen Werke. Uber den Autor ist allerdings nichts bekannt. 14 Am weitaus h¨aufigsten erscheint hier, wen wundert’s, T HOMAS VON AQUIN. Genannt werden auch etwa AVERROES, A LBERT DER G ROSSE oder H EINRICH VON G HENT; bisweilen tauchen auf der Seite von S COTUS, gewissermaßen zu dessen Unterst¨utzung, B ONAVENTURA, W ILHELM DE LA M ARE oder N ICOLAUS DE LYRA auf. 15 Die erste der beiden, Quaestio 357, widmet sich der Kraft-Problematik (utrum sacramentum habeat aliquam virtutem supernaturalem) und erkl¨art dazu im Vorspann: Trecentesima quinquagesima septima quaestio, quam Scotus ponit li. 4, di. 1, q. 5, et titulum quaestionis tenet negative contra sanctum Thomam in 4. scripto, di. 1, q. 1, in prima parte illius quaestionis (Quaestiones magistrales q 357, ed. Basel 1510, fol. 263rb). Die zweite, Quaestio 359, widmet sich der Ursachenfrage (utrum sacramentum efficiat gratiam). Der Vorspann dazu lautet: Trecentesima quinquagesima nona quaestio, quam Scotus ponit li. 4, di. 1, q. 4 et 5, quantum ad responsionem, et tenet partem negativam cum Bonaventura in 4, di. 1, ista quaestione contra Thomam, 4. scripto, di. 1, q. 1, in prima parte illius quaestionis (fol. 264rb). 16 So werden (mit K¨urzungen) in den beiden Quaestionen sechs der acht Paragraphen, in denen S COTUS T HOMAS’ Position beschreibt, u¨ bernommen – aber nur sieben der 17 Paragraphen referiert, in denen S COTUS seine eigene Meinung darstellt. 17 So greift J OHANNES in der allerletzten Frage denn auch eine Quaestio auf, die sich bei S COTUS selbst zwar gar nicht finde, die aber N ICOLAUS DE LYRA in seiner Postille ausf¨uhrlich gekl¨art habe: Die Quaestio lautet utrum Christum esse hominem et Deum possit probari per scripturas a Iudaeis receptas; und entsprechend erkl¨art J OHANNES im Vorspann zu dieser Quaestio: Quadringentesima tricesima quaestio quam Scotus non ponit in opere anglicano li-
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
So wenig diese Hilfsliteratur einen inhaltlichen Beitrag zur Wirksamkeitsdebatte leisten will, gibt sie doch einen Einblick in das universit¨are Klima, in welchem diese Schriften entstanden sind. Als Hilfsmittel ist ihr grunds¨atzlicher ¨ Anspruch ein schulischer; mit den Schwerpunkten, die J OHANNES VON K OLN und G UILLERMO G ORRIZ in ihren K¨urzungen setzen, zeugen sie aber von einer polemischen Tendenz, in deren Licht selbst das Vademecum von W ILHELM VON VAUROUILLON zu sehen ist: Bei den anonym angef¨ uhrten opiniones in S COTUS’ Ordinatio handelt es sich ja meist um jene Positionen, von denen sich S COTUS’ distanzieren wird, so dass das Vademecum vor allem auch zusammentr¨agt, gegen wen sich mit S COTUS’ Ordinatio argumentieren l¨asst. Auch wenn sich in dieser scotistischen Literatur kein Werk findet, das analog zu C APREO LUS die Defensio bereits im Titel tr¨agt,18 wird doch schon in dieser Hilfsliteratur deutlich, dass auch in scotistischen Kreisen mehr noch als die bloße Vermittlung von S COTUS’ Ansichten dessen Verteidigung im Vordergrund steht. Davon zeugt selbst auch eine Tabula, die ein gewisser A NTONIO DE FANTIS 1516 in Venedig ver¨offentlicht:19 Von den acht Tabulae, die A NTONIO zu S COTUS zusammenstellt, ist die allererste eine Tabula matarierum disputatarum, erst dann folgen Tabulae zu S COTUS’ Definitionen, zu den Theoremen, die seine Lehren begr¨unden, oder auch zu den auctoritates, auf die er sich bezieht. Zudem wird bereits in dieser Hilfsliteratur deutlich, dass es dieser ‘scotistischen’ Literatur l¨angst nicht nur um eine Verteidigung von S COTUS geht, sondern mehr noch um eine franziskanische Theologie, die S COTUS als einen ihrer ¨ herausragendsten Vertreter kennt. Ahnliches hat sich ansatzweise auch bei der oben vorgestellten thomistischen Literatur gezeigt;20 w¨ahrend dort aber T HO MAS der unbestrittene Kulminationspunkt aller theologischen Bem¨ uhungen ist, bleibt selbst im Vademecum des W ILHELM VON VAUROUILLON, das doch sehr direkt auf S COTUS’ Ordinatio ausgerichtet ist, dessen Einbettung in die breitere franziskanische Tradition ein nicht unbedeutendes Anliegen. Interessant ist cet in reportationibus parrhysiensis ad ista concernentia posuerit li. 1, q. 2, prologi, tamen magnam declarationem habes ex Nicolao de Lyra doctore plano in principio postillae, et in quaestione sua multum autentica de adventu domino nostri Iesu Christi, qui est benedictus in ¨ : Quaestiones magistrales q 430, ed. Basel saecula saeculorum. Amen (J OHANNES VON K OLN 1510, fol. 308va). 18 An der Wende zum 17. Jahrhundert wird sich dies a¨ ndern, vgl. etwa F ILIPPO FABRI: Philosophia naturalis Joannis Duns Scoti ... impugnationibus et defensionibus illustrata, ed. Venedig 1602 (zu Fabri vgl. S CHMITT, C HARLES B.: Filippo Fabri and Scepticism. A Forgotten Defense of Scotus, in: P OPPI , A NTONINO (Hrsg.): Storia e cultura al Santo di Padova fra il XIII e il XX secolo, Vicenza: Neri Pozza, 1976 (Fonti e Studi per la storia del Santo di Padova 3), S. 309–312). 19 Mare magnum Scoticae subtilitatis, ed. Venedig 1516 (s.o., Anm. 6). Die Tabula wird unter anderem auch 1530 in Lyon gedruckt. Zu A NTONIO DE FANTIS vgl. S EVERI , P IERO: de Fantis, Antonio, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Band 33, 1987, S. 674b–676a. 20 S.o., S. 409.
22.1 Scotistische Hilfsliteratur und die Wirksamkeitsdebatte
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in dieser Hinsicht der Thesaurus theologorum des Franziskaners J OHANNES P ICARDUS, ein nicht weiter kommentierter Katalog von Thesen aus rund dreißig Sentenzenkommentaren unterschiedlichster Provenienz, die P ICARDUS der Distinktionen-Struktur von P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen entlang auflistet und nach der Ordenszugeh¨origkeit der jeweiligen Autoren gruppiert.21 Was als ¨ unparteiisches Hilfsmittel f¨ur einen fundierten Uberblick u¨ ber die Sentenzentradition konzipiert zu sein scheint, gibt bei genauerem Hinsehen seine Herkunft aus der Tradition der Minoriten sehr deutlich zu erkennen: Nicht weniger als 17 franziskanischen Kommentaren, von denen immerhin drei aus dem 15. Jahrhundert stammen,22 stellt P ICARDUS je f¨unf Kommentare von Dominikanern und Augustiner-Eremiten sowie zwei Karmeliten gegen¨uber; und bei den drei S¨akularklerikern, die P ICARDUS zitiert, handelt es sich neben H EINRICH VON G HENT und P IERRE D ’A ILLY auch um G UILLERMO G ORRIZ, den Verfasser des eben besprochenen Scotus pauperum. Es scheint im Thesaurus daher we¨ ¨ niger um einen allgemeinen Uberblick als vielmehr um einen Uberblick u¨ ber die franziskanische Tradition im Vergleich zu den anderen Traditionen zu gehen. S COTUS allerdings, der zwar fast durchgehend und stets sehr ausf¨uhrlich rezipiert wird, nimmt insofern keine herausragende Stellung ein, als er jeweils erst nach B ONAVENTURA, P ETRUS DE AQUILA, R ICHARDUS DE M EDIAVIL LA , W ILHELM DE LA M ARE, W ILHELM VON VAUROUILLON und S TEPHAN B RULEFER erw¨ahnt wird.23 Wo diese Hilfsliteratur dennoch auf S COTUS fokussiert, wird schließlich ein letztes deutlich: Wenn die Tabula des A NTONIO DE FANTIS die Definitionen und Theoreme auflisten kann, auf welchen S COTUS’ Lehre aufbaut, und wenn ¨ J OHANNES VON K OLN sein alphabetisches Kompendium aus Ausz¨ugen aus S COTUS’ A RISTOTELES-Auslegungen ebenso wie aus dessen Sentenzenkommentaren zusammenstellt, dann zeugt dies von einem umfassenden Blick auf S COTUS’ Gesamtwerk, das als ein einheitliches und rational durchstrukturiertes System verstanden wird. Von einer Trennung der Disziplinen kann auch an dieser Stelle nicht die Rede sein, auch in theologischen Fragen werden zur Verteidigung von S COTUS’ Positionen rationale Argumente angef¨uhrt. Nicht anders als in der besprochenen thomistischen Literatur sind dieser ratio aller¨ dings klare Linien vorgegeben: Wenn J OHANNES VON K OLN und G UILLERMO 21
J OHANNES P ICARDUS: Thesaurus theologorum, ed. Mailand 1506. Zu Werk und Autor vgl. W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 178–180. 22 W EGERICH, ebd. S. 179, spricht zwar von 18 franziskanischen Kommentaren, z¨ahlt dann aber bloß 17 auf. Bei den drei Kommentaren aus dem 15. Jahrhundert handelt es sich um jene von W ILHELM VON VAUROUILLON, von N ICOLAUS DE O RBELLIS und von S TEPHAN B RULEFER. Auf alle drei wird das n¨achste Unterkapitel kurz zu sprechen kommen. 23 Im Thesaurus zum vierten Sentenzenbuch folgen in der Franziskaner-Gruppe auf S CO TUS jeweils noch N ICOLAUS DE O RBELLIS , L ANDULPHUS C ARACCIOLO , H UGO DE N OVO CASTRO , A LEXANDER VON H ALES und A DAM W ODEHAM.
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
G ORRIZ ihre gek¨urzten Textfassungen so ausrichten, dass ein Argumentorium wider die Gegenpositionen zu S COTUS entsteht, dann stecken sie damit – wenn nicht normativ, so doch h¨ochst suggestiv – auch gleich den Rahmen ab, innerhalb dessen zu argumentieren ist. Auch bei den Scotisten ist die ratio geb¨andigt. Was bedeutet das nun aber f¨ur jene Autoren, die sich auch in inhaltlicher Weise mit S COTUS und seinem Pakt-Modell auseinandergesetzt haben?
22.2 Das Pakt-Modell in scotistischen Sentenzenkommentaren Nicht anders als bei den thomistischen und albertistischen Autoren setzt sich die Auseinandersetzung mit der Wirksamkeitsproblematik auch bei scotistischen Autoren zuerst einmal im Rahmen von Sentenzenkommentaren und dort in den einleitenden Quaestiones zu Buch IV fort. Aus dem guten Dutzend an Kommentaren, das sich dem hier interessierenden franziskanisch-scotistischen Milieu zuordnen l¨asst und das eine Bearbeitung der Wirksamkeitsproblematik bietet, beschr¨ankt sich die vorliegende Untersuchung auf jene Titel, die nachweislich rezipiert worden sind – sei es, indem in sp¨ateren Werken auf sie Bezug genommen wird, sei es, weil sie gedruckt worden sind:24 Es handelt sich um die kompendienartigen Kommentare von W ILHELM VON VAUROUILLON und von N ICOLAUS DE O RBELLIS, um die eher polemisch ausgerichteten Kommentare von S TEPHAN B RULEFER und von G UIDO B RIANSONIS, und schließlich um die Reportatio einer Vorlesung des P ETRUS TARTARETUS, die kein eigentlicher Sentenzenkommentar mehr ist, sondern ein Kommentar zu S COTUS’ Ordinatio. 22.2.1 Scotistische Kompendien 22.2.1.1 Wilhelm von Vaurouillon W ILHELM VON VAUROUILLON, der Verfasser des Vademecum, liest Ende der 1420er Jahre in Paris die Sentenzen, verl¨asst die Stadt aber aus ungekl¨arten Gr¨unden, bevor er seine Kommentararbeit abgeschlossen hat, und kehrt erst 1447 zur¨uck, um seine Studien abzuschließen; im April 1448 erh¨alt er den Magistertitel.25 Die Form, in der sein Kommentar u¨ berliefert und gedruckt wor24
Damit fallen insbesondere die Sentenzenkommentare der Erfurter Franziskaner weg, die auch handschriftlich kaum Verbreitung gefunden haben, vgl. RS 346 (H ERMANNUS E TZEN), RS 410 (J OHANNES B REMER), RS 512 (K ILIANUS S TETZING), RS 531–532 (M ATTHIAS D OERING) und RS 587 (N IKOLAUS L AKMANN), sowie die Anonyma RS 1079, 1398 und 1399. Diesen Erfurter Kommentaren wird sich S EVERIN K ITANOV widmen in ROSEMANN: Commentaries on the Sentences 3 (erscheint 2014). Aus dem Umfeld der Pariser Universit¨at bleiben hier P ETRUS AD B OVES (RS 656) und P ETRUS R EGINALDETUS (RS 685) unbeachtet. 25 Vgl. B RADY: William of Vaurouillon (1964), S. 301, und in Anlehnung daran auch T O KARSKI: Guillaume de Vaurouillon (1988), S. 62. Entsprechend nennt Vaurouillon am Ende
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den ist, folgt einer a¨ ußerst konsequent durchgehaltenen Struktur, die (wie auch sein Vademecum) das schulische Milieu verr¨at, f¨ur das der Kommentar verfasst worden ist:26 Zum einen orientiert sich W ILHELM eng an der SentenzenVorlage, greift die Distinktionenstruktur auf, bietet am Beginn jeder Quaestio stets eine kurze Auslegungen des Sentenzentexts selbst und beendet jede Quaestio mit drei Conclusiones de mente magistri. W¨urde man nur diese Textteile u¨ bernehmen, so erg¨abe sich ein Literal-Kommentar, der den Conclusiones des H EINRICH VON G ORKUM in nichts nachst¨unde; wie bereits H EINRICH greift auch W ILHELM eine Auslegungsform auf, die prim¨ar der einleitenden Heranf¨uhrung an den Sentenzentext dient.27 Zwischen diese Expositiones und Conclusiones schiebt VAUROUILLON nun aber noch seine jeweilige Quaestio, die er stets gem¨aß einem strikten DreierSchema pr¨asentiert: Jede Quaestio wird mit drei einleitenden Argumenta eingef¨uhrt, die am Schluss widerlegt werden m¨ussen; jede Quaestio hat zudem drei Artikel, deren erster drei Begriffe kl¨art, deren zweiter drei Conclusiones ad quaesitum diskutiert und deren dritter drei Dubia untersucht. Trotz einem h¨ochst spielerischen Aspekt28 scheint diese starre Struktur f¨ur VAUROUILLON vor allem auch ein p¨adagogisches Mittel zu sein: Es bringt diese Struktur eine große Klarheit in seine Darstellung, die es ihm erlaubt, in verh¨altnism¨aßig knapseines Sermo gratiarum actionis collativus, der seinen Kommentar abschließt, zwei verschiedene Magister, unter denen er die Sentenzen gelesen habe: Maxime nostro reverendo magistro magistro Luce de Assisio, sub cuius sedentis pedibus primum, secundum et tertium feci principium. Consequenter nostro reverendo magistro magistro Girardo Suleti, nunc in scholis his regenti de Burgundiae provincia oriundo, cuius sub pedibus nunc meas continuo lectiones, et quartum sententiarum incoepi principium (Super quattuor libros sententiarum, ed. Basel 1510, fol. 460r). Dazu bald ausf¨uhrlich Z AHND: Easy-Going Scholars (erscheint 2014). 26 Zu den verschiedenen Ausgaben des Kommentars vgl. bereits W EGERICH: BioBibliographische Notizen (1942), S. 196. Zur einzig bekannten Handschrift des Kommentars vgl. B RADY, I GNATIUS C.: The ‘Declaratio seu Retractatio’ of William of Vaurouillon, in: Archivum Franciscanum Historicum 58 (1965), S. 394–416. 27 S.o., S. 425. 28 Dass VAUROUILLON mathematisch nicht ganz unbedarft gewesen ist, zeigt ein Blick auf die Grobstruktur seines Kommentars: Die jeweils dritte Distinctio jedes Sentenzenbuchs untersucht VAUROUILLON in drei statt bloß in einer Quaestio (was gewissermaßen die Zahlenfolge 3 – 3 festlegt), w¨ahrend die Dreiergruppen der Distinctiones 14–16, 23–25 und 38–40 in jeweils nur einer Quaestio behandelt werden. Die jeweils mittlere Zahl dieser drei Ternare, also 15, 24 und 39, sind nun schlicht aufeinanderfolgende Glieder einer auf 3 basierenden (d.h. mit der Zahlenfolge 3 – 3 einesetzenden) F IBONACCI-Folge! Die konsequente Umsetzung dieses Dreier-Schemas allerdings nimmt deswegen fast schon groteske Z¨uge an, weil VAUROUILLON umgekehrt F RANCISCUS DE M AYRONIS mehrfach vorwirft, sich allzu konsequent an einer streng durchgezogenen Vierer-Struktur orientiert zu haben: melius est habere bonum ternarium quam malum quaternarium (Super quattuor libros sententiarum IV d 14–16, a 2, c 1, ed. Basel ¨ : Franz 1510, fol. 371C), vgl. mit weiteren Beispielen solcher Kritik ROTH , BARTHOLOM AUS von Mayronis O.F.M. Sein Leben, seine Werke, seine Lehre vom Formalunterschied in Gott, Werl: Franziskus-Druckerei, 1936, S. 90f.
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
pem Rahmen eine große Menge an Material zu verarbeiten. Um die Lesbarkeit weiter zu erh¨ohen, finden sich zudem (und trotzt der immer gleichen Struktur) vor jedem ersten Artikel eine divisio quaestionis;29 am Beginn des ersten Artikels werden stets die zu erl¨auternden Termini und am Beginn des zweiten die zu begr¨undenden Conclusiones vorweggenomen; und am Ende des dritten Ar¨ tikels und als Uberleitung zur Widerlegung der einleitenden Argumenta wird die eigentliche Responsio zur Quaestio in Thesenform wiederholt. Der doctor brevis, wie VAUROUILLON betitelt werden sollte, stellt damit einen Kommentar ¨ zusammen, in dem es nicht m¨oglich ist, den Uberblick zu verlieren.30 W ILHELMS Sentenzenkommentar teilt damit mit seinem Vademecum eine grundlegend p¨adagogische Ausrichtung, die zum Ziel hat, den Zugang zur Sentenzenliteratur zu erleichtern. Anders als im Vademecum reproduziert VAU ROUILLON in seinem eigenen Kommentar nun aber nicht nur Meinungen, sondern argumentiert selbst auch inhaltlich und beweist dabei einen Blickwinkel, der u¨ ber S COTUS und die franziskanische Tradition hinausgeht: In einer Dankesrede, die seinen Kommentar beschließt, steigt VAUROUILLON von einem Gotteslob u¨ ber Maria und Paulus zu einem Lob der Kirchenv¨ater ab, bevor er zu den Schloastikern gelangt, denen er sich verpflichtet f¨uhlt; hier aber nennt er als ersten T HOMAS VON AQUIN, den decor philosophiae und das fastigium theologiae, und f¨uhrt erst danach mit B ONAVENTURA und schließlich auch mit S CO TUS zwei Franziskaner an.31 Dass S COTUS seine wichtigste Referenz ist, wird 29
In ihrer ausf¨uhrlichen Form lautet diese divisio: In ista quaestione pariformiter ad alias sunt tres articuli declarandi, quorum primus est terminorum declarativus, quorum secundus est quaestionis responsivus, quorum tertius est dubiorum motivus (so etwa Super quattuor libros sententiarum IV q 1, ed. Basel 1510, fol. 331F). Oft findet sich aber nur eine gek¨urzte Version dieses Textes, wobei offen bleiben muss, was auf die Drucker, und was auf VAUROUILLON selbst zur¨uckgeht. 30 Ausf¨uhrlich beschreibt diese Struktur auch T OKARSKI: Guillaume de Vaurouillon (1988), S. 98–102. Zum doctor brevis vgl. E HRLE , F RANZ: Die Ehrentitel der scholastischen Lehrer des Mittelalters, M¨unchen, 1919 (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Philologische und Historische Klasse 9). Die klare Struktur d¨urften ebenso wie die K¨urze zur Verbreitung des Kommentars beigetragen haben: Davon zeugt seine Verwendung im Ingolst¨adter Franziskaner-Studium, wo J OHANNES F INDLING († 1538) den Kommentar als Grundlage f¨ur seine eigene Sentenzenlesung von 1512–1514 nimmt, dessen brevitas aber durch ausf¨uhrliche Referate aus anderen Kommentaren aufhebt: Allein im Rahmen der ersten distinctio zu Buch IV referiert J OHANNES F INDLING Ausz¨uge aus T HOMAS, B ONAVENTURA, R ICHARDUS DE M EDIAVILLA, S COTUS, W ILHELM VON O CKHAM, P IER RE D ’A ILLY , G ABRIEL B IEL und G UIDO B RIANSONIS ; vgl. die Marginalien im Autograph M¨unchen, UB, 8° Cod. ms. 28, fol. 15r–22r (zu F INDLING vgl. B IHL , M ICHAEL: Der Katalog des P. Johannes Findling vom Jahre 1533, dessen Schriften und Leben, sowie der Katalog des P. Johannes Nasus vom Jahre 1564. Ein Beitrag zur Geschichte der Ingolst¨adter FranziskanerBibliothek, Ingolstadt: Ganhofer’sche Buchdruckerei, 1921 (Sammelblatt des historischen Vereins Ingolstadt 40), bes. S. 27–30 zum Autograph und S. 40–45 zu F INDLINGS Biographie). 31 Super quattuor libros sententiarum, ed. Basel 1510, fol. 459r–460r. In einer weiteren Dreiergruppe erweist W ILHELM schließlich auch F RANCISCUS DE M AYRONIS, H EIN -
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aus dem Inhalt des Lobs zwar deutlich: W¨ahrend er S COTUS r¨uhmt, trotz so vieler Subtilit¨aten nie einem Irrtum verfallen zu sein,32 merkt er B ONAVENTU RA gegen¨ uber an, dass er ihm gratia exercitii an einigen Stellen widersprochen 33 habe; gegen¨uber T HOMAS aber sieht er sich zu einer Entschuldigung gen¨otigt, weil er auf der Suche nach Wahrheit dessen Meinung immer wieder entgegengetreten sei.34 Dennoch beweist W ILHELM mit einem solchen Reverenz-Erweis eine Offenheit f¨ur Meinungen auch jenseits seiner eigenen Tradition, die man etwa bei seinem Zeitgenossen C APREOLUS vergeblich sucht. Diese Offenheit l¨asst sich nun auch inhaltlich nachweisen. In seiner ersten Quaestio zu Buch IV,35 in der VAUROUILLON auch die Wirksamkeitsfrage aufgreift, kl¨art er als ersten terminus den Sakramentenbegriff, wobei er von S CO TUS’ Definition ausgeht, dann aber auch die Definition H UGOS VON S T. V IK TOR anf¨ uhrt und dies durch einen Abschnitt aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar erg¨anzt.36 Dies mag auf den ersten Blick h¨ochst eklektisch erscheinen, es erkl¨art sich aber aus dem p¨adagogischen Ziel, das VAUROUILLON verfolgt: Sein Kompendium tr¨agt das wichtigste Material zu den jeweiligen Themen zusammen, und dieses Material ist auch einmal in T HOMAS’ Schriften zu finden. RICH VON G HENT und A EGIDIUS ROMANUS seine Reverenz, bleibt aber wesentlich zur¨uckhaltender mit seinem Lob als bei den drei erstgenannten Scholastikern: Sunt sequentes tres alii, quorum suffragiis multum saepe indigui, qui sequuntur: frater Franciscus de Maronis, doctoris subtilis validior imitator, qui multa praemissa ingeniositate super caeteros hoc obtinet, ut in omnibus quasi suis scriptis, quae magna sunt, numero vocatur quaternario arguendo, distinguendo, et caetera faciendo. Accedit doctor solemnis quem Henric[u]m de Gandavo intitulant in scripto, in quodlibetis; et in summo miro decoratus ingenio succedit Romanus Egidius, augustinorum radius, qui tam philosophicis quam theologicis rememoranda dimisit opuscula. 32 Ebd. fol. 460r: Mirum unum comperio, quod tot subtilia scribens in errore non es comprehensus, aut aliquo. Allerdings widerspricht W ILHELM gem¨aß eigenem Zeugnis dem doctor subtilis dreimal – ein Ternar liegt gerade noch drin – im Verlaufe seines gesamten Sentenzenkommentars: Einmal in Buch II d 17, a 2, c 1, zur Lokalisierung des Paradises (fol. 174E); einmal in Buch IV d 14–16, a 2, c 3, zur Todesstrafe (fol. 372A–B); und schließlich in Buch IV d 27, a 2, c 2, zur g¨ottlichen Einsetzung der Ehe (fol. 394C). An dieser letzten Stelle erkl¨art W ILHELM denn auch: Hic est tertius passus, in quo tantum gigantem nanus dimitto, forte quia non capio: primus est in 17. distinctione secundi [...]; secundus in isto quarti distinctione 14 [...]; nunc tertio ut sit completus ternarius, et amplius non excedat (vgl. bereits ROTH: Franz von Mayronis (1936), S. 89). 33 Super quattuor libros sententiarum, ed. Basel 1510, fol. 460r: Si quid boni, aut aliquid, aut modicum hoc in anno protulerim tuae saepius affuerunt manus adiutrices, sine quibus non potui, nec tibi alicubi obviavi, nisi gratia exercicii. 34 Ebd. fol. 459v: Parce mihi parce doctor sancte, si hoc in anno aliquibus in passibus tuae obviavi sententiae. Non quidem hoc feci contradicens, sed veritatem inquirens. Si enim in multis es locutus lingui angelicis, et humanis non haesito te fuisse locutum. 35 Die Quaestio lautet an caeremonia vel sacramentum circumcisio censeatur, womit auch gleich die drei Begriffe (sacramentum, caeremonia, circumcisio) benannt sind, die im Rahmen des ersten Artikels gekl¨art werden. 36 Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 1, t 1, ed. Basel 1510, fol. 331F–H.
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Dass VAUROUILLON einen durchaus kreativen Umgang mit diesem Material pflegt, zeigt sich gerade in seiner Behandlung der Wirksamkeitsproblematik. Seine erste Conclusio zur vorliegenden Quaestio lautet, es sei passend, dass die Sakramente so eingesetzt worden seien, dass sie keine geistige Kraft empfangen w¨urden, um die Gnade zu verursachen.37 Wie man dies noch von der geometrischen Vorgehensweise des sp¨aten 14. Jahrhunderts her kennt, begr¨undet er zuerst das Suppositum der Conclusio, dass es n¨amlich u¨ berhaupt passend gewesen sei, Sakramente einzusetzen, bevor er auf die Frage nach deren Kraft und Urs¨achlichkeit eingeht. In der Begr¨undung dieses Suppositums greift er nun aber auf ein unerwartetes Argument zur¨uck: Gottes Verwendung der Sakramente sei deswegen nicht u¨ berfl¨ussig und unpassend, weil es sich bei der sakramentalen Gnadenvermittlung nicht um eine creatio, sondern um eine recreatio handle, weshalb dies nicht ex nihilo geschehen m¨usse.38 Genau dieses Argument hat T HOMAS VON AQUIN bekanntlich seit seinem De veritate angef¨uhrt; allerdings greift T HOMAS nicht darauf zur¨uck, um die congruitas der Sakramente zu erkl¨aren, sondern um die M¨oglichkeit einer direkten, instrumen¨ talen Mitwirkung zu begr¨unden.39 Interessant ist VAUROUILLONS Ubernahme des Arguments nicht nur, weil er damit Eigenst¨andigkeit im Umgang mit den rezipierten Quellen beweist; interessant ist es vielmehr deshalb, weil er einen entscheidenden Punkt im gewandelten Mitwirkungs-Modell des sp¨aten T HO MAS aufgreift, auf den die Thomisten erst mit C AJETANS Summenkommentar aufmerksam werden sollten.40 So sehr sich VAUROUILLON damit als genauer Leser von T HOMAS erweist, distanziert er sich in der Begr¨undung zum zweiten Teil seiner Conclusio nun aber doch explizit von dessen Mitwirkungs-Modell. Die Gr¨unde daf¨ur sammelt ¨ er – ohne w¨ortliche Ubernahmen – sowohl aus B ONAVENTURAS Kommentar als auch aus S COTUS’ Ordinatio: Zuerst weist W ILHELM darauf hin, dass eine geistige Kraft in nichts K¨orperlichem enthalten sein k¨onne, sodann erkl¨art er, dass sie sich auch nicht in zeitlich ausgedehnten Worten denken lasse.41 Dies 37 Ebd. a 2, c 1, fol. 332rb: Sic sacramenta institui congruit, ut nullam in se spiritualem causandi virtutem subiective acciperent. 38 Ebd.: Si dicatur quod in creatione Deus nihil requisivit, ergo nec in recreatione, dicendum quod non extat simile. Creatio enim est simpliciter a nihilo in ens, ideo nihil praesupponit. Recreatio vero ab ente incipit, ideo de congruo praeexigit dispositionem, quae perficitur sacramentis, unde non debet Deus dici frustra id facere, licet posset potentia absoluta immediate sine praeviis sacramentis animam charitate informare. 39 T HOMAS VON AQUIN: De veritate q 27, a 4, ad 15, ed. Spiazzi (1953) S. 524a: Creatio nihil praesupponit circa quod posset fieri instrumentalis agentis actio; recreatio vero praesupponit; et ideo non est simile. S.o., S. 162. 40 S.o., S. 430. 41 W ILHELM VON VAUROUILLON: Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 1, c 1, ed. Basel 1510, fol. 332E–F: Si enim aliquam (super gratiam causandam vel effectum spiritualem animae) haberent causalitatem, quaero quae esset illa virtus [...]. Ceterum in sacramento duo
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gen¨ugt ihm, um den defectus sancti Thomae aufzuzeigen. Doch so sehr er sich dabei der Argumente von S COTUS bedient, bezieht er sich zuerst einmal nur auf B ONAVENTURA und f¨uhrt dessen bekannten Hinweis an, dass doch auch der Pariser Bischof W ILHELM VON AUVERGNE in Anwesenheit von A LEXANDER VON H ALES dieses Modell vertreten habe.42 Erst dann erw¨ahnt er im Rahmen einiger Beispiele f¨ur das Pakt-Modell auch explizit den doctor subtilis, womit er seine Behandlung der Wirksamkeitsproblematik denn auch gleich beendet. Die brevitas wird damit tats¨achlich zu einem Charakteristikum seiner Darstellung: Weder setzt sich VAUROUILLON eingehend mit der Gegenposition auseinander, noch hat er den Anspruch, die m¨oglichen Argumente f¨ur die Verteidigung des Pakt-Modells zusammenzutragen. Es gen¨ugt ihm, zwei zentrale Probleme zu benennen, seine Schl¨usse zu ziehen und die Frage zu entscheiden. Augenf¨allig ist aber erneut der weite Blickwinkel, unter dem W ILHELM die Problematik sieht: Selbst wenn sich VAUROUILLON als klarer Verfechter der Pakt-Variante erweist, wie sie von seinem großen Vorbild S COTUS vertreten worden ist, beh¨alt er sich auch in der vorliegenden Darstellung jene Offenheit vor, die weniger auf die Verteidigung eines einzelnen, als vielmehr auf die Aufarbeitung einer ganzen Tradition achtet und f¨ur die selbst Anleihen bei traditionsfremden Exponenten erlaubt sind. S COTUS hingegen erscheint in der vorliegenden Darstellung nur am Rande – der Scotismus des W ILHELM VON VAUROUILLON erweist sich daher als keine sklavische Verteidigung des großen Meisters. 22.2.1.2 Nicolaus de Orbellis Ein vergleichbarer Zugang zu S COTUS und zur franziskanischen Tradition findet sich auch in einem erneut sehr kompendienhaft gestalteten Sentenzenkommentar des N ICOLAUS DE O RBELLIS, eines Franziskaners auch aus der Touraine, der dieses Werk 1465 wohl in Poitiers vollendet, darin aber auf Material zur¨uckgreift, das er sich w¨ahrend seiner Pariser Studienzeit in den 1430er Jahren erarbeitet hat.43 In einem kurzen Prolog zu diesem Kompendium erkl¨art sunt, scilicet verbum et elementum: quaero in quo est ista virtus subiective. Vgl. Bonaventura: Commentaria in libros sententiarum III d 40, dub. 3, ed. Quaracchi III (1887), S. 894a–b; sowie Scotus: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 289f. und 293, ed. Vaticana (2008), S. 100–103. 42 W ILHELM VON VAUROUILLON: Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 1, c 1, ed. Basel 1510, fol. 332F–G: Doctor devotus [...] hoc idem tangit in dubiis litteralibus 40 distinctionis tertii, et addit ibi quod dominus Guillermus episcopus parisiensis praesente magnae viro memoriae Alexandro de Ales in scholis fratrum | minorum hanc se determinavit in parte. Zur urspr¨unglichen Aussage bei Bonaventura s.o., S. 148; zu deren Rezeption bei Konrad von Rothenburg s.o., S. 333; zu einer Modifikation durch S TEPHAN B RULEFER s.u., S. 469. 43 Zu N ICOLAUS DE O RBELLIS († vor 1475) und seinem Sentenzenkommentar vgl. W E GERICH : Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 174–178; zu seinem Pariser Aufenthalt vgl. W EIJERS , O LGA: Le travail intellectuel a` la facult´e des arts de Paris. Textes et maˆıtres (ca.
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N ICOLAUS, er wolle, nachdem er bereits Logik, Physik und Ethik gem¨aß der Meinung des doctor subtilis kompiliert habe, nun als Einf¨uhrung f¨ur die Jungen auch dessen Ansicht zu den Sentenzen behandeln, indem er einfließen lasse, was andere ausf¨uhrlicher behandelt h¨atten.44 Erneut zeigen sich eine Reihe bekannter Aspekte: Das Werk verfolgt ein rein p¨adagogisches Ziel, zu dessen Verwirklichung der Autor mit seinen eigenen Ansichten zur¨uckhalten, daf¨ur aber den Blick o¨ ffnen will f¨ur weitere Meinungen als bloß jene von S COTUS, auf dessen Positionen das ganze Kompendium ausgerichtet ist. Tats¨achlich h¨alt N ICOLAUS, was er sich vornimmt: P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzentext dient bloß als thematisches Ger¨ust, dessen Distinctiones entlang er seine Quaestiones stellen kann, die nicht durchgehend mit S COTUS’ Quaestiones u¨ bereinstimmen, aber doch immer auf Material zur¨uckgehen, das sich in dessen Ordinatio findet.45 Die Quaestiones selbst sind zum Teil sehr knapp gehalten, f¨uhren stets die wichtigsten Argumente an und verweisen, wo N ICO LAUS dies notwendig erscheint, auf die im Prolog angek¨ undigten Positionen anderer Scholastiker: Es handelt sich, so weit das f¨ur die vorliegende Untersuchung hat verifiziert werden k¨onnen, vorwiegend um Autoren, die vor S COTUS gewirkt haben, so dass der Verdacht groß ist, N ICOLAUS habe einen Großteil dieser Positionen mit Hilfe des Vademecum von VAUROUILLON zusammengetragen.46 Was nun die Wirksamkeitsproblematik betrifft, so streift sie N ICOLAUS bloß in einer ziemlich kurzen Quaestio am Beginn von Buch IV. Die Argumenta 1200–1500) VI : L–O, Turnhout: Brepols, 2005 (Studia Artistarum 13), S. 166–168. F¨ur einen ¨ Uberblick u¨ ber das wenige, was man zu ihm weiss, vgl. nun Z AHND: Easy-Going Scholars (erscheint 2014). 44 Das Werk ist zwischen 1488 und 1521 mindestens zw¨olfmal gedruckt worden; die vorliegende Untersuchung st¨utzt sich auf die Ausgabe Hagenau 1503: Post brevem compilationem logicae, physicae et ethicae secundum opinionem doctoris subtilis ad iuvenum intrudoctionem intentionis praesentis est ipsius mentem super librum sententiarum Christo duce compendiose lucideque tractare, morales materias ab aliis doctoribus diffusius tractatas inserendo (Compendium super sententias, ed. Hagenau 1503, fol. a2ra). 45 Die Tabula quaestionum zum ersten Buch findet sich ebd. fol. h3va–h4rb (83 Quaestiones auf 48 Distinctiones); jene zum zweiten ebd. fol m4rb–vb (78/48); jene zum dritten Buch findet sich ebd. fol. q6ra–vb (59/40). Zum vierten Buch wird keine Tabula quaestionum gedruckt (so auch nicht in den Pariser Ausgaben von 1511–1517); dort stellt N ICOLAUS 130 Quaestiones, die sich auf 50 Distinctiones verteilen. 46 In der f¨unften Quaestio zum Sentenzenprolog etwa f¨uhrt N ICOLAUS eine Reihe anonymer Meinungen an, die in den Marginalien aber auf H EINRICH VON G HENT, B ONAVEN TURA , A EGIDIUS ROMANUS , G OTTFRIED VON F ONTAINES und W ILHELM DE LA M ARE zur¨uckgef¨uhrt werden – und zwar mit genau den Angaben, die sich auch in VAUROUILLONS Vademecum non opinionum Scoti Prol. q 4, ed. Paris um 1483, fol. 3r, finden. Weil diese Marginalien nun nicht nur im hier verwendeten Hagenauer Druck von 1503 (hier fol. a7ra–va), sondern in identischer Form auch etwa in den Pariser Drucken von 1511, 1515 und 1517 erscheinen (jeweils fol. b2ra–vb), kann angenommen werden, dass sie auf N ICOLAUS selbst zur¨uckgehen.
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ebenso wie das Oppositum sind direkt aus S COTUS’ Ordinatio u¨ bernommen;47 und mit einem expliziten Verweis auf S COTUS steigt er auch in die Responsio ein: Gem¨aß S COTUS n¨amlich gebe es im eigentlichen Sinne keine aktive Kausalit¨at in den Sakramenten, weil sowohl die Gnade als auch eine allf¨allige dispositio erschaffen werden m¨ussten.48 Best¨atigt wird dies f¨ur N ICOLAUS durch das bekannte Zitat des B ERNHARD VON C LAIRVAUX, es seien so, wie ein Kanoniker durch ein Buch oder ein Bischof durch einen Ring eingesetzt werde, den Sakramenten verschiedene Gnaden u¨ bertragen.49 S COTUS selbst bringt diese auctoritas im Rahmen seiner Argumenta, doch eingef¨uhrt in die Diskussion hat sie T HOMAS VON AQUIN – und tats¨achlich zeigt es sich, dass N ICOLAUS an der vorliegenden Stelle von beiden zugleich abschreibt: N ICOL ., Compendium50
S COTUS, Ordinatio51
T HOMAS, Scriptum52
Unde Bernardus in sermone De coena domini: Sicut investitur canonicus per librum, abbas per baculum, episcopus per anulum, sic divisiones gratiarum diversis sunt sacramentis traditae. Patet autem quod illa de quibus exemplificat sunt tantum signa, et non causae. Liber enim non est causa efficiens praebendae quae confertur; nec anulus episcopatus.
Bernardus in sermone De coena domini: Sicut investitur canonicus per librum, abbas per baculum, episcopus per anulum, sic divisiones gratiarum diversae sunt traditae a sacramentis; patet quod illa, de quibus exemplificat, sunt tantum signa, et non causae.
Dicit enim Bernardus: Sicut investitur canonicus per librum, abbas per baculum, episcopus per anulum, sic divisiones gratiarum diversis sunt tradita sacramentis.
Sed liber non est causa canonicatus, nec anulus episcopatus.
Obwohl sich N ICOLAUS ganz offensichtlich auch mit T HOMAS besch¨aftigt, l¨asst sich keine tiefere Auseinandersetzung mit dessen Mitwirkungs-Modell finden. N ICOLAUS u¨ bernimmt S COTUS’ Pakt-Variante samt dessen Erkl¨arung, 47
Die Quaestio lautet: Utrum in sacramentis sit aliqua causalitas activa respectu gratiae (Compendium super sententias, ed. Hagenau 1503, fol. q7v). Die Kraft-Problematik bleibt daher ausgeblendet; entsprechend stammen die Argumenta, die N ICOLAUS aus S CO TUS u ¨ bernimmt, alle aus dessen erster Quaestio zur Wirksamkeitsproblematik (Ordinatio IV d 1, p 3, q 1, ed. Vaticana (2008), S. 89f.) 48 Compendium super sententias, ed. Hagenau 1503, fol. q7v: Hic dicit Scotus, quod in sacramentis non est aliqua causalitas activa proprie dicta respectu gratiae, quia illa a Deo immediate creatur. Nec respectu alicuius dispositionis praeviae puta characteris, quia etiam illa creatur. 49 Ausf¨uhrlicher dazu oben, S. 130. 50 Compendium super sententias IV d 1, q 2, ed. Hagenau 1503, fol. q7v. 51 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1, n 266, ed. Vaticana (2008), S. 90. 52 In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, arg 1, ed. Moos (1947), S. 26
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
dass der Sakramenten-Empfang selbst eine Art dispositio sei;53 doch geschieht dies, ohne dass je deutlich w¨urde, dass es neben S COTUS’ Modell auch noch ein anderes gibt und dass es daher vor einem ganz spezifischen Hintergrund zu sehen ist, dass S COTUS hier u¨ berhaupt den dispositio-Begriff aufnimmt.54 Es zeigt sich hier erneut, was sich eben auch schon im Kompendium des W ILHELM VON VAUROUILLON feststellen l¨asst: Zwar ist auch N IKOLAUS offen und u¨ bernimmt problemlos den einen oder anderen Satz aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar; an Argumenten f¨ur oder gegen diese Positionen ist er aber nicht interessiert. So entwirft denn diese Kompendien-Literatur ein ganz eigenes Licht auf die Wirksamkeits-Problematik: W¨ahrend C APREOLUS Dutzende von Seiten f¨ullt, um T HOMAS zu verteidigen, sehen weder N ICOLAUS DE O RBELLIS noch W ILHELM VON VAUROUILLON einen Anlass, auch nur einen einzigen Grund zu diskutieren, der allenfalls f¨ur das Mitwirkungs-Modell sprechen w¨urde – N ICOLAUS kann es sich sogar erlauben, die Existenz dieses Modells komplett zu verschweigen. Es mag dies ein Zug sein, der der Gattung dieser Kompendien geschuldet ist. Allerdings k¨onnte es sich aber auch um die Kehrseite jener Offenheit handeln, die in den vorliegenden Werken anzutreffen ist: Wo man B ONAVENTURA ebenso gut wie S COTUS anf¨uhren kann und zudem weiß, dass selbst A LEXANDER VON H ALES einer Pr¨asentation des Pakt-Modells beigewohnt hat, wo man sich also nicht nur einer einzigen Person verpflichtet, sondern in einer ganzen Tradition aufgehoben weiß, da kann die Meinung eines einzelnen auch einmal u¨ bergangen werden. So sehr diese Kompendien daher auf eine knappe Darstellungsweise ausgerichtet sind, k¨onnte in der vorliegenden Frage doch auch die Ignoranz jener, die sich in der Mehrheit wissen, eine Rolle gespielt haben. Es lohnt sich deshalb, einen Blick auch in zwei Sentenzenkommentare zu werfen, die sich nicht als Kompendien verstanden, sondern durchaus auch einen polemischen Ton angeschlagen haben. 22.2.2 Polemische Kommentare Es mag eine starke Wortwahl sein, wenn im Folgenden die Kommentare des S TEPHAN B RULEFER und des G UIDO B RIANSONIS, die beide um 1490 in die erhaltene Form gebracht worden sind, als polemische Kommentare eingestuft werden.55 Es ist dies vor allem dem Desinteresse geschuldet, das die 53
Compendium super sententias, ed. Hagenau 1503, fol. q7v: Est igitur susceptio sacramenti dispositio necessitans ad effectum signatum per sacramentum, non quidem per aliquam intrinsecam formam per quam necessario causet terminum vel aliquam dispositionem praeviam, sed tantum per assistentiam Dei causantis illum effectum non necessitate absoluta, sed necessitate potentiam respiciente ordinatam. 54 S.o., S. 186. 55 G UIDO schließt seinen Kommentar nach eigener Auskunft am 22. Januar 1488 ab (Collectarium super sententias IV q 17, ed. Paris 1512, fol. 274rb), was auch eines der wenigen bekannten Daten aus seinem Leben ist (vgl. bereits W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen
22.2 Das Pakt-Modell in scotistischen Sentenzenkommentaren
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eben beschriebenen Kompendien einer Vorgehensweise gegen¨uber zeigen, die nicht bloß darstellt, sondern sich mit den verteidigten und zur¨uckgewiesenen Positionen auch kritisch auseinandersetzt. Diese kritische Auseinandersetzung findet sich nun bei G UIDO B RIANSONIS und S TEPHAN B RULEFER, so dass es sie vor allem im Vergleich zu den Kompendien auszeichnet – gegen¨uber der gew¨ohnlichen Kommentarliteratur, die von kritischen Auseinandersetzungen durchtr¨ankt ist, handelt es sich jedoch um keine spezifische Eigenheit. Dennoch nimmt die Auseinandersetzung mit anderen Positionen in den vorliegenden Kommentaren eine besonderen Stellung ein: G UIDO, von dem bloß 17 Quaestiones zum vierten Sentenzenbuch u¨ berliefert sind, grenzt zus¨atzlich zu den Auseinandersetzungen, die er im u¨ blichen Rahmen der Begr¨undung von Conclusiones und von Correlaria f¨uhrt, immer wieder l¨angere Abschnitte ab, die er als Documenta bezeichnet und in denen er nun nichts anderes macht, als fremde Positionen zu dokumentieren und einer eingehenden Kritik zu unterziehen.56 B RULEFER hingegen l¨asst u¨ ber die grundlegend polemische Ausrichtung seines Kommentars von Anfang an keine Zweifel aufkommen: Noch in der ersten Quaestio seines Prologs, die eigentlich vom Gegenstand seines Werks handelt, greift er seinen Ordensbruder N ICOLAUS DE O RBELLIS f¨ur eine Aussage in dessen Physik-Kommentar an;57 vor allem aber geht er gegen die Thomisten auf Konfrontationskurs, steht f¨ur den scotistischen Formalunterschied ein und verwirft – unter Berufung auf die Pariser Verurteilung von 1277 – die thomistische Lehre von der Realdistinktion nicht nur, weil sie jegliche Form von Wissenschaft zerst¨ore, sondern weil sie auch der Denkweise Augustins und ” aller Doktoren“ entgegenstehe.58 (1942), S. 156f., und nun auch B REIL , R EINHOLD: Guido Briansonis, in: Lexikon f¨ur Theologie und Kirche, Band 4, 1995, S. 1096). S TEPHAN B RULEFER († um 1495), der oft als Sch¨uler des W ILHELM VON VAUROUILLON pr¨asentiert wird (so k¨urzlich noch T HANNER , TAN JA : Brulefer, Stephanus, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 33, 2012, S. 188–191), ihn aber kaum erlebt haben d¨urfte, verfasst seinen Kommentar in der erhaltenen Form zwischen 1490 und 1494, greift aber auf Sentenzenlesungen zur¨uck, die er rund 30 Jahre fr¨uher in Paris gehalten hat: Laut Explicit zu Buch eins hat er dieses 1490 in Mainz abgeschlossen (Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum, ed. Basel 1501, fol. 190vb), die weiteren dann in Metz (ebd. fol. 271rb, 355vb und 434vb). Zu B RULEFER vgl. erneut W EGE RICH : Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 157–163; M URPHY, J OHN C HRYSOSTOM: A History of the Franciscan Studium Generale at the University of Paris in the Fifteenth Century. A Dissertation, Notre Dame, 1965; ganz knapp B OLLIGER: Infiniti Contemplatio (2003); und nun auch Z AHND: Easy-Going Scholars (erscheint 2014). 56 Eines dieser Documenta wird unten, S. 474, ausf¨uhrlicher vorgestellt werden. 57 Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum Prol. q 1, ed. Basel 1501, fol. 4rb–va: Ex quibus sequitur error Nicolai de Orbelli in prologo super phisicam dicentis propriam passionem emanare vel ebulliri de suo subiecto. Vgl. N ICOLAUS DE O RBELLIS: Cursus librorum philosophie naturalis, ed. Basel 1503, fol. a2. 58 Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum Prol. q 1, ed. Basel 1501, fol. 4rb–va: Omne subiectum continet identica continentia suas proprias passiones. Probatur. Nam
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22.2.2.1 Stephan Brulefer Die erste und zugleich auch st¨arkste polemische Spitze B RULEFERS findet sich in einer Art Vorbemerkung zum Prolog seines Kommentars. B RULEFER, der seinen Kommentar als Auslegung von B ONAVENTURAS Sentenzenkommentar konzipiert, aber mindestens ebenso intensiv auch S COTUS rezipiert,59 merkt dort in Anlehnung an B ONAVENTURAS Pro¨omium zuerst einmal ganz harmlos an, dass es vier unterschiedliche Formen von Fragen gebe, denen sich B ONA VENTURA in vorbildlicher Weise gewidmet habe.60 Ziemlich unverhofft schiebt er dann aber eine kleine Anekdote ein: Ein Sch¨uler fragte den heiligen T HOMAS VON AQUIN, was die Vorgehensweise in der Theologie sei. Er antwortete, es gehe darum, sich einzu¨uben an einem erfahrenen und kundigen Lehrer. Der Sch¨uler fragte: ‘Wer ist ein solcher Lehrer?’, worauf jener [sagte]: ‘A LEXANDER VON H ALES.’ J EAN G ERSON allerdings, der doctor consolatorius, sagt in seinem Lob des heiligen B ONAVENTURA: ‘Ich aber, ich w¨ahle den heiligen B ONAVENTURA. Denn dieser Lehrer ist nicht nur ein cherubicus zu nennen (weil er den Intellekt erleuchtet), sondern zu recht wird er seraphicus gerufen, weil er auch die Affekte begeistert.’61 si essent quaedam qualitates distinctae re|aliter a subiecto (ut Thomistae dicunt) in secunda specie qualitatis, tunc unum posset separari ab alio. Patet, quia per divinam potentiam absque contradictione omne prius potest separari a posteriore. Per articulum parisiensem: quandocumque sunt duo entia absoluta realiter et essentialiter distincta quorum unum est prius alio, absque contradictione Deus potest facere unum sine alio. Ergo homo potest separari a risibili quo concesso omnis demonstratio et omnis scientia destruitur. [...] Essentia divina propter sui simplicitatem continet quidquid habet continentia unitiva. Probatur per regulam beati Augustini et omnium theologorum: Deus est quidquid habet. Quidquid enim est in Deo realiter est Deus. Sed sapientia est in Deo realiter, ergo etc. Beim angesprochenen Pariser Artikel d¨urfte es sich um den 116. Artikel der Verurteilung von 1277 handeln, der die Lehre verbietet, laut welcher die Seele nicht vom K¨orper getrennt werden k¨onne (vgl. F LASCH , K URT: Aufkl¨arung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, Mainz: Dieterich, 1989 (excerpta classica 6), S. 196). 59 Der vollst¨andige Titel lautet: Reportata clarissima in quattuor sancti Bonaventure doctoris seraphici sententiarum libros. Dieser Fokus auf B ONAVENTURA d¨urfte mit dessen Heiligsprechung im Jahr 1482 zusammenh¨angen, denn in den Pariser Jahren hat B RULEFER noch u¨ ber S COTUS gelesen, vgl. das Vorwort zur ersten Basler Ausgabe: Subtilissimi Scoti in sententias scripta luculentissima interpretatione in Parisiorum universitate elucidaverit. Quantaque charitate succensus, multo favore et amore in Moguntinorum gymnasio sancti Bonaventurae doctoris seraphici scripta resolvendo dilucide aperuerit (ebd. fol. a2r, f¨ur ein a¨ hnliches Zitat aus den Opuscula vgl. W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 158). 60 Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum Prol. q 1, ed. Basel 1501, fol. 4rb–va: Notandum quod quadruplices sunt quaestiones. Nam primo quaedam sunt subtiles et studiosae. Secundo quaedam sunt difficiles et curiosae. Tertio quaedam sunt civiles et contentiosae, vel politicae et litigosae. Quarto quaedam sunt utiles et virtuosae. Schon hier ließen sich allerdings Spitzen gegen G ERSON – der gleich noch erw¨ahnt wird – ausmachen, da B RU LEFER bestimmte Formen von quaestiones subtiles, difficiles und curiosae durchaus gutheißt. 61 Ebd. fol. 2rb: Quidam discipulus interrogavit sanctum Thomam de Aquino quis esset modus proficiendi in theologia. Respondit quod est exercere se in doctore perito et experto.
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Was nun auf einen ersten Blick nur danach aussieht, als ob sich B RULEFER den R¨uckhalt des ber¨uhmten Pariser Kanzlers f¨ur seine eigene Ausrichtung auf B ONAVENTURA sichern m¨ochte, erweist sich bei genauerem Hinsehen als ein geschicktes ideologisches Konstrukt, das den Vorrang der franziskanischen Tradition begr¨unden soll: Wo B RULEFER selbst mit seiner Verteidigung der scotistischen Formaldistinktion f¨ur S COTUS einsteht, votieren auch G ERSON, der große Gegner der formalizantes, der am Ende des 15. Jahrhunderts l¨angst unter die Nominalisten gerechnet wird,62 und T HOMAS, das Haupt der thomistischen Tradition, f¨ur einen der Großen der franziskanischen Schule. Es ist nur eine der Pointen dieses Texts, dass B RULEFER seine Anekdote aus einem Brief eben dieses G ERSONS abschreibt, ein Brief, in welchem G ER SON von S COTUS explizit hat ablenken wollen und ein weiteres Mal ziemlich deutliche Worte gegen die Vertreter der Formaldistinktion findet.63 Eine andere Pointe, und darin liegt die eigentliche polemische Spitze von B RULEFER, zeigt sich darin, dass er den Inhalt dieses Briefs nicht immer ganz ad¨aquat wiedergibt. G ERSON unterstreicht den Wahrheitsgehalt der T HOMAS-Anekdote mit dem Hinweis, dass sich dies in dessen Summa verifizieren lasse, was B RULE FER in leicht modifizierter Weise u ¨ bernimmt:
Discipulo quaerente ‘quis est talis?’ Cui ille: ‘Alexander de Ales.’ Sed doctor consolatorius Johannes Gerson de laudibus sancti Bonaventurae ait: ‘Ego vero eligo sanctum Bonaventuram. Nam doctor ille non tantum cherubicus (quia intellectum illuminat) vocari potest, sed recte seraphicus appellatur quia inflammat et affectum.’ B RULEFER bezieht sich hier auf J EAN G ERSON: Gerson a` un Fr`ere Mineur, ed. Glorieux II, Nr. 58 (1960), S. 280, wo sich allerdings nur ein Teil des ihm direkt in den Mund gelegten Zitats findet: Sint alii doctores qui dicantur cherubici; hic verissimo nomine seraphicus simul et cherubicus, quia inflammat affectum et erudit intellectum. 62 So insbesondere von den Pariser Nominalisten selbst in ihrer Verteidigungsschrift von 1474: Eo tempore Deus ita providit fidei ecclesiae, ut, cum apud Bohemiam regerentur studia secundum ritum Parisiensium, suscitavit Deus doctores catholicos Petrum de Allyaco, Johannem de Gersonno, et alios quamplures doctissimos viros nominales (zitiert nach E HRLE , F RANZ: Der Sentenzenkommentar Peters von Candia des Pisaner Papstes Alexanders V. Ein Beitrag zur Scheidung der Schulen in der Scholastik des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte des Wegesteites, M¨unster: Aschendorff, 1925 (Franziskanische Studien. Beihefte 9), S. 324, vgl. auch bereits ebd. 322). 63 Gerson a` un Fr`ere Mineur, ed. Glorieux II, Nr. 58 (1960), S. 277: Et ecce, proh pudor, doctores isti duo, Ales et Bonaventura videntur quasi sepulti cum illis quorum non est memoria amplius, praesertim in cordis amore. Extolluntur alii quidam quorum sint utinam nomina in libro vitae; non enim studiosis invidemus; sed multae aliquos ipsorum litterae fecerunt sub nomine subtilitatis insanire cum sequacibus ipsorum. Ebd., S. 279, wendet sich G ERSON dann erneut auch direkt gegen die Formaldistinktion: Unus articulus inter ceteros est quod aliquid sit Deus realiter quod non sit formaliter Deus: error.
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G ERSON, a` un fr`ere mineur64
B RULEFER, Reportata Prol. q 165
Testantur scripta eiusdem sancti Thomae maxime secunda secundae, quam intimum sibi fecerat et familiarem illum quem laudabat doctorem Alexandrum.
Primus in religionibus mendicantium fuit magister Alexander de Ales. A quo sanctus Thomas multa recepit. Unde fere quidquid scripsit in secunda secundae recepit ab Alexandro de Ales ut patet intuenti.
Wo f¨ur G ERSON die Secunda secundae von T HOMAS’ Summa noch daf¨ur zeugt, wie vertraut sich T HOMAS mit den Lehren des A LEXANDER VON H ALES gemacht hat, l¨asst sich f¨ur B RULEFER in diesem Teil der Summa kaum noch etwas finden, das T HOMAS nicht von A LEXANDER u¨ bernommen h¨atte. G ER SON und T HOMAS halten die Franziskaner daher nicht nur f¨ ur die besten Lehrer, vielmehr ist T HOMAS selbst bloß ein Imitator des primus in religionibus mendicantium. Thomisten und Nominalisten, so suggeriert dieser einleitende Abschnitt, sind daher bestenfalls als Abk¨ommlinge einer urspr¨unglichen Franziskanertheologie zu sehen. B RULEFER sieht sich nicht mehr nur als Vertreter der Mehrheit, sondern als Repr¨asentant einer letztlich von allen Richtungen gelobten Tradition. So trifft sich denn sein Blickwinkel mit der ‘Mehrheitsperspektive’ der oben besprochenen Kompendien: W¨ahrend dort angesichts des R¨uckhalts von A LEXANDER, B ONAVENTURA und S COTUS die anderen Meinungen großz¨ugig ignoriert worden sind, zeigt sich hier ein fast schon imperialistischer Blick auf diese anderen Meinungen; und es ist dieser Blick, mit dem B RULEFER nun auch die Wirksamkeitsproblematik betrachtet. Wie es von einem Kommentar zu B ONAVENTURA zu erwarten ist, gliedert B RULEFER seine allgemeine Sakramentenlehre den Quaestionen gem¨aß, die B ONAVENTURA selbst zu Beginn des Buchs IV gestellt hat.66 Dass allerdings neben B ONAVENTURA auch S COTUS eine entscheidende Figur ist, macht B RULEFER unmittelbar deutlich, indem er in B ONAVENTURAS erste Quaestio zur Notwendigkeit der Sakramente direkt mit S COTUS’ Sakramentendefinition einsteigt und diese auslegt.67 Auch in der weiteren Diskussion der allgemei64
Gerson a` un Fr`ere Mineur, ed. Glorieux II, Nr. 58 (1960), S. 278. Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum, ed. Basel 1501, fol. 2rb–va. 66 Die Quaestiones sind weitgehend identisch: Nur in der ersten Quaestiuncula zur vierten Quaestio fragt B RULEFER utrum sacramenta sint causa efficiens gratiae (Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum IV d 1, q 4, qc 2, ed. Basel 1501, fol. 359ra), wo B ONAVEN TURA nach einer causa disponens gefragt hat (Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, qc 1, ed. Quaracchi IV (1889), S. 20a); und f¨ur die f¨unfte, zu der B ONAVENTU RA gar keine eigentliche Quaestio formuliert (Quinto quaeritur de differentia sacramentorum novae legis et veteris; et assignat Magister hanc differentiam...,ebd. S. 24a), fragt B RULEFER utrum sacramenta veteris legis iustificabant (Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum IV d 1, q 4, qc 2, ed. Basel 1501, fol. 360va). 67 Ebd., fol. 356rb: Quaeritur primo utrum sacramenta debuerunt institui. Sacramentum secundum Scotum est signum sensibile gratiam vel effectum Dei gratuitum ex institutione di65
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nen Sakramentenlehre ist S COTUS pr¨asenter als B ONAVENTURA: Allein auf der Ebene der expliziten Nennungen taucht der doctor subtilis siebenmal, der doctor seraphicus aber nur zweimal auf, und sobald es darum geht, gegen die Mitwirkungs-Variante das favorisierte Pakt-Modell darzustellen, h¨alt sich B RU LEFER ausdr¨ ucklich an S COTUS.68 Auf B ONAVENTURA allerdings greift B RULEFER an mehreren Stellen zur¨uck, ohne ihn explizit zu nennen; es d¨urfte dies angesichts der im Prolog beobachteten Zitierweise von B RULEFER auch damit zusammenh¨angen, dass er es nicht immer allzu genau nimmt mit der Wiedergabe dessen, was er in seinen Vorlagen vorfindet. Augenf¨allig wird dies an jener ber¨uhmten Stelle, an der B O NAVENTURA zur Verteidigung seiner Parteinahme f¨ ur das Pakt-Modell darauf verweist, dass bei einer Pr¨asentation dieses Modells durch W ILHELM VON AU VERGNE doch auch A LEXANDER VON H ALES anwesend gewesen sei. Auch VAUROUILLON hat diese Stelle bekanntlich aufgegriffen, und B RULEFER f¨uhrt sie nun in einer Weise an, die ihr einen leicht ver¨anderten Sinn gibt: B ONAVENTURA, Comm.69
VAUROUILLON, In sent.70
B RULEFER, Reportata71
Hunc modum dicendi et huius quaestionis determinationem plures sustinent bene intelligentes. Et dominus Gulielmus, Parisiensi episcopus, in determinando in scholis fratrum minorum approbavit | istum modum dicendi coram fratre Alexandro bonae memoriae.
Doctor devotus [...] hoc idem tangit in dubiis litteralibus 40 distinctionis tertii, et addit ibi quod dominus Guillermus episcopus Parisiensis praesente magnae viro memoriae Alexandro de Ales in scholis fratrum | minorum hanc se determinavit in parte.
Resolutio quaestionis stat in duabus opinionibus. Prima est doctoris sancti Thomae. Secunda fuit primo disputata a magistro Guilhelmo Parisiensi, et approbavit eam Alexander de Hales. Et Scotus multum eam ampliavit et modo tenetur communiter ab omnibus doctoribus.
W¨ahrend es bei B ONAVENTURA (und entsprechend auch bei VAUROUILLON) W ILHELM VON AUVERGNE gewesen ist, der istum modum dicendi approbiert hat, ist es bei bei B RULEFER nun pl¨otzlich A LEXANDER VON H ALES selbst, was zwar eine v¨ollige Verzeichnung der Gegebenheiten ist,72 aber genau in B RULEFERS Sicht der einen, großen franziskanischen Tradition passt. In diese vina efficaciter significans vel repraesentans ordinatum ad salutem hominis viatoris. Zu dieser Definition s.o., S. 176. 68 Ebd., fol. 360ra: B RULEFER fasst S COTUS’ Ansatz in sex dictis et tribus exemplis zusammen. 69 Commentaria in libros sententiarum III d 40, d 3, ed. Quaracchi IV (1889), S. 893b–894a. 70 Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 1, ed. Basel 1510, fol. 332va–b; s.o., S. 461. 71 Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum IV d 1, q 4, ed. Basel 1501, fol. 359vb. 72 Zur Mitwirkungs-Variante bei A LEXANDER VON H ALES s.o., S. 140.
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Sichtweise passt es auch, dass B RULEFER ein kleines primo einf¨ugt und damit das Gewicht des h¨oheren Alters erneut der Pakt-Variante zuschiebt;73 und zu dieser Sichtweise passt schließlich, dass B RULEFER behauptet, das PaktModell werde inzwischen communiter ab omnibus doctoribus vertreten.74 Ein Interesse an der tats¨achlichen Faktenlage scheint hier nicht zu bestehen. Das Selbstbewusstsein, das in diesen großspurigen Behauptungen zum Ausdruck kommt, zeigt sich nun auch an anderer Stelle. In B RULEFERS Kommentar fehlen die einleitenden Argumenta zu den einzelnen Quaestiones durchgehend, stattdessen setzt er direkt nach der Fragestellung meist mit einer declaratio terminorum ein. Es d¨urfte dies darauf zur¨uckzuf¨uhren sein, dass sich B RULEFER nicht nur in Quaestiones, sondern auch in den entsprechenden Argumenta direkt auf B ONAVENTURAS Kommentar bezieht, so dass sich die studentische Mitschrift, in deren Form der Kommentar u¨ berliefert worden ist, die entsprechenden Abschriften erspart hat.75 Immerhin erkl¨art B RULEFER im Prolog seines Kommentars, dass jede wahrhaftig scholastische Quaestio mit einem caput aus Argumenten pro et contra eingeleitet werde, deren Stellenwert er allerdings umgehend relativiert: Diese Argumente seien n¨amlich nicht als auctoritates zu verstehen, denn manchmal gingen sie von falschen Voraussetzungen aus und w¨urden dennoch von denen f¨ur wahr gehalten, gegen die im Folgenden argumentiert werde.76 Auch jenen Aussagen und Begr¨undungen gegen¨uber, die gemeinhin als auctoritates an den Beginn einer Quaestio gestellt werden, bewahrt sich B RULEFER daher von Anfang an eine selbstbewusste Freiheit. Zum Einsatz kommt diese Freiheit in der vorliegenden Problematik, wenn B RULEFER im Anschluss an B ONAVENTURA diskutiert, ob die Sakramente die Gnade enthielten: F¨ur B RULEFER steht fest, dass es nicht einmal der g¨ottlichen 73
Wie dies bereits D URANDUS behauptet hat, s.o., S. 197. Zur m¨oglichen Vorlage dieser Behauptung bei T HOMAS VON S TRASSBURG s.o., S. 128 mit Anm. 31. 75 Vgl. Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum IV d 1, q 4, ed. Basel 1501, fol. 358vb: Quarta quaestio tres in se habet quaestiones et sunt argumenta pro et contra ad quamlibet quaestionem ut patet in textu. So finden sich denn im Text immer wieder Verweise auf die einleitenden Argumenta (so besonders deutlich etwa in der ersten Quaestio zu d 2, Buch I; vgl. aber auch im vorliegenden Kontext fol. 359vb–360ra: die argumenta sex, auf die hier Bezug genommen wird, sind die sechs Argumente von B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, sc, ed. Quaracchi IV (1889), S. 19b–20a). Dass es sich um eine direkte Mitschrift aus einer Unterrichtssituation handelt, wird an Formulierungen wie der folgenden deutlich: In primo [libro] igitur (quem prae manibus habemus) Sanctus Bonaventura pertractat quaestiones subtiles et studiosas ut patebit (ebd. fol. 2ra). 76 Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum Prol. q 1, ed. Basel 1501, fol. 5ra: Notandum quod omnis quaestio vere scolastica dividitur in tres partes, scilicet in caput et sunt argumenta pro et contra. Et illa non debent accipi pro auctoritate. Aliquando enim procedunt ex suppositione falsi quod tamen reputatur verum ab illo contra quem arguitur. Secunda pars est corpus quod continet quaestionis decisionem. Tertia pars sunt pedes qui sunt argumentorum solutiones. 74
22.2 Das Pakt-Modell in scotistischen Sentenzenkommentaren
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Allmacht m¨oglich sei, ein geistliches Akzidenz realiter einer k¨orperlichen Substanz zuzuf¨ugen. B RULEFER begr¨undet dies zwar nicht weiter, doch wird deutlich, dass er dies als eine Verletzung des Prinzips des ausgeschlossenen Widerspruchs betrachtet, dem selbst Gott unterworfen sei.77 Weil es sich dabei um eine rationale Einsicht handelt, sieht sich B RULEFER auch befugt, H UGO VON S T. V IKTOR zu kritisieren, eine auctoritas, welche B ONAVENTURA in seinen Argumenta quod sic erw¨ahnt: Zwar unterscheidet B RULEFER neben einer o¨ rtlichen und einer formalen Weise des Enthaltens auch eine fig¨urliche; was aber die ersten beiden betreffe, so h¨atten sich die antiqui doctores schlicht geirrt.78 Von dem Bem¨uhen des B ONAVENTURA, im Ringen mit den auctoritates eine Erkl¨arung zu finden, wie sich deren Aussagen allenfalls auch anders verstehen ließen, findet sich bei B RULEFER keine Spur. Das Selbstbewusstsein, mit dem B RULEFER die franziskanische Tradition und das Pakt-Modell verteidigt, hat nun aber auch seine Schw¨achen: Dass er so großz¨ugig u¨ ber historische Gegebenheiten hinwegsehen kann und den auctoritates Irrt¨umer unterstellt, ohne nach weiteren Verstehens-M¨oglichkeiten zu suchen, scheint ein Indiz daf¨ur zu sein, dass er sich mit den benutzten Positionen und den kritisierten Meinungen nur sehr fl¨uchtig besch¨aftigt hat. So sehr er auch im Gegensatz zu den Kompendien die gegnerischen Meinungen benennt, scheint er sich doch nicht wirklich mit ihnen auseinandergesetzt zu haben. Deutlich wird dies an seiner Darstellung des Mitwirkungs-Modells: Zwar f¨uhrt es B RULEFER als opinio sancti Thomae ein; was dann folgt, ist aber nichts anderes als eine Paraphrase von B ONAVENTURAS Darstellung der MitwirkungsVariante, eine Darstellung, die bekanntlich verfasst worden ist, bevor sich T HO MAS selbst zum ersten Mal mit der Wirskamkeitsproblematik auseinandergesetzt hat!79 Mit T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell hat das, was B RULEFER beschreibt und kritisiert, nichts zu tun, und es h¨atte wohl auch keinen Thomisten seiner Zeit in irgendeiner Weise beeindruckt oder u¨ berzeugt. Auch B RULEFER steht daher f¨ur die großz¨ugige Ignoranz, die sich in den beiden scotistischen Kompendien bereits hat feststellen lassen.
77
Ebd., IV d 1, q 3, fol. 358va: Notandum quod non est possibile etiam per potentiam divinam quod accidens mere spirituale insit alicui corporali inhaesive et realiter, sicut nec accidens corporale potest informare aliquid mere spirituale. Immo gratia non potest inhaerere sacramentis. In a¨ hnlicher Weise diskutierte bereits P ETRUS AUREOLI die Frage nach den sch¨opferischen M¨oglichkeiten von Gesch¨opfen, s.o., S. 206. 78 Ebd.: Erraverunt antiqui doctores qui dicebant sacramenta continere gratiam sicut vas vinum quod est falsum ut patebit. Vel etiam quod gratia formaliter inhaereret sacramentis et signis ipsis sicut albedo in pariete, et isti peius dixerunt. 79 Ebd., fol. 359vb–360ra, vgl. B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 4, ed. Quaracchi IV (1889), S. 21. F¨ur den a¨ hnlich gelagerten Fall des M ARSI LIUS VON I NGHEN s.u., S. 508.
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
22.2.2.2 Guido Briansonis G UIDO B RIANSONIS hingegen, Autor des zweiten ‘polemischen’ Kommentars, der hier von Interesse ist, kann weder vorgeworfen werden, dass er die Autoren nicht gelesen habe, auf die er sich bezieht, noch dass er allzu selbstbewusst an seine Materie herantrete. Das Werk ist durchtr¨ankt von einem sehr moderaten, bisweilen fast Gebets-¨ahnlichen Ton; und wenn G UIDO in einem kurzen Epilog ¨ tats¨achlich ein Gebet anstimmt, vergleicht er seine Arbeit darin mit der Ahren sammelnden Ruth: Denn so habe auch er ex dictis doctorum sein Werk zusammengetragen.80 Tats¨achlich spricht er denn bloß von einem Collectorium,81 doch pr¨asentiert er darin weit mehr als eine bloße Sammlung von Meinungen. G UIDO erweist sich vielmehr als eigenst¨andiger Denker, der nicht bloß einige ¨ Ahren aufliest, sondern – um von G UIDOS biblischem Vergleich zur ber¨uhmten Metapher O BERMANS u¨ berzugehen – der die reifen Fr¨uchte der Sp¨atscholastik zu ernten weiß.82 In der ersten Quaestio des erhaltenen Kommentars – der einzigen zur allgemeinen Sakramentenlehre – n¨ahert sich G UIDO der Wirksamkeitsfrage von der Sch¨opfungsproblematik her. Das Bild, das sich hier bietet, ist zuerst einmal ein fast schon allzu vertrautes: Von den Argumenta, die G UIDO f¨ur und wider ¨ die Ubertragbarkeit einer sch¨opferischen Kraft auf die Gesch¨opfe anf¨uhrt, finden sich nur zwei nicht auch schon in S COTUS’ Ordinatio, und auch seine erste ¨ Conclusio, dass eine solche Ubertragung nicht m¨oglich sei und daher die Sakramente auch das donum gratuitum nicht kreieren k¨onnten, begr¨undet er streckenweise in direkter Anlehnung an S COTUS.83 Der gr¨oßte Teil des restlichen Materials, das in diesen einleitenden Abschnitten nicht aus S COTUS kommt, stammt 80
Collectarium super sententias, ed. Paris 1512, fol. 274rb: Qui me servulum tuum indignissimum illuminare dignatus es ut principium, medium, et finem quarti libri sacrae scripturae collectarii valerem ex dictis doctorum colligere, tanquam altera Ruth post terga colligens spicas (vgl. Rt 2,3). Zu den wenigen bekannten biographischen Daten zu G UIDO s.o., Anm. 55. 81 Der vollst¨andige Titel des Pariser Drucks lautet: Eximii Parrhisiensi accademiae doctoris theologi Guidonis Briansonis ordinis fratrum minorum provinciae Aquitaniae conventus Aurelhaci in quartum sententiarum magistri Petri Lombardi aureum opus. In quo quasi sedula apis, et arbitrarius iudex Johannis Scoti ceterorumque doctorum mellifluos, et electos flores mira ingenii solertia velut in strophium distincte luculenterque compegit. Quod propterea collectarium congruo rei nomine voluit appellari. 82 Vgl. auch das Bild der fleißigen Biene und der honigfließenden Doktoren, das in der vorangehenden Anmerkung bem¨uht wird. Leider ist mir kein einziger Verweis auf G UIDO in ¨ einem der großen Werke von O BERMAN begegnet; O BERMAN h¨atte an dem Ahren lesenden Franziskaner sicher seine helle Freude gehabt. 83 Die Quaestio lautet: Utrum sacramentis possit communicari aliqua virtus creativa respectu termini creationis (Collectarium super sententias, ed. Paris 1512, fol. 1rb). G UIDOS erste Conclusio lautet: Virtus creativa alicui creaturae non potest communicari, ergo nulla creatura aliquo modo potest creare, ergo sacramenta non habent creare donum gratuitum (ebd., fol. 1va). Zu den Anleihen bei S COTUS vgl. dessen Ordinatio IV d 1, p 1, q un., ed. Vaticana (2008), S. 5–9.
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nun interessanterweise aus dem Sentenzenkommentar des P ETRUS AUREOLI.84 Das ist in der vorliegenden Frage insofern eine Neuheit, als sich die bisher betrachteten Scotisten auf die scholastischen Autoren bis und mit S COTUS konzentriert haben, wie sie VAUROUILLON in seinem Vademecum aufbereitet hat. W¨ahrend es bei den Thomisten in der Folge von C APREOLUS’ Defensiones u¨ blich geworden ist, auch die Argumente eines D URANDUS oder eben eines P ETRUS AUREOLI aufzugreifen, hat VAUROUILLONS Vademecum die scotistische Diskussion auf S COTUS und seine Vorl¨aufer beschr¨ankt. Wie wenig nun allerdings G UIDO von VAUROUILLONS Vademecum abh¨angt, zeigt sich in einem ersten ausf¨uhrlichen Documentum, das er seiner Conclusio anh¨angt: Zwar h¨alt er sich auch darin weitgehend w¨ortlich an S COTUS’ Ordinatio und u¨ bernimmt aus ihr Dokumentation und Kritik einiger bekannter Meinungen; diese Meinungen, die S COTUS anonym anf¨uhrt, ordnet G UIDO nun aber anderen Scholastikern zu als VAUROUILLON in seinem Vademecum.85 So eng G UI DO zudem S COTUS folgt, bleibt er doch seiner großen Vorlage gegen¨ uber ein kritischer Leser und nimmt sich etwa heraus, in einem Punkt T HOMAS’ Position in der Sch¨opfungsproblematik gegen S COTUS’ Kritik zu verteidigen.86 84 So das allererste Argumentum quod sic (vgl. P ETRUS AUREOLI: Commentaria super sententiarum IV Pro¨om., ed. Rom 1605, S. 2a), und das Notandum zur Begr¨undung der ersten Conclusio (ebd., a 1, S. 2b). Nur die Herkunft von G UIDOS zweitem Argumentum in oppositum ist mir nicht bekannt: Nulli rei respectu alicuius gratuiti doni potest intrinsece correspondere aliqua activitas causalis. Probatur: sit ‘a’ donum gratuitum... (Collectarium super sententias q 1, sc 2, ed. Paris 1512, fol. 1va). Als Vorlage in Frage k¨amen allenfalls die Kommentare des L ANDULPHUS C ARACCIOLO (s.o., S. 451) oder des F RANCISCUS VON P ERUGGIA (RS 236), auf die sich G UIDO, wie sich noch zeigen wird, bezieht, deren Handschriften allerdings f¨ur die vorliegende Untersuchung nicht zur Verf¨ugung gestanden haben. 85 Bei den ersten beiden Meinungen sind sich G UIDO und VAUROUILLON noch einig und ordnen sie T HOMAS und H EINRICH VON G HENT zu (Vademecum non opinionum Scoti IV ad d 1, q 1, ed. Paris um 1483, fol. 37r / Collectarium super sententias q 1, c 1, d 1, ed. Paris 1512, fol 1vb; bei der ersten Stellenangabe in G UIDOS Kommentar, die auf STh I q 41 statt q 45 verweist, d¨urfte es sich um einen Druckfehler handeln). Die dritte Position aber pr¨asentiert VAUROUILLON als Meinung von A EGIDIUS ROMANUS und R ICHARDUS DE M EDIAVILLA, w¨ahrend sie G UIDO auf P ETRUS DE TARANTASIA zur¨uckf¨uhrt (fol. 37r / fol. 2ra; bis heute haben die Editoren von S COTUS’ Ordinatio die genaue Vorlage dieser dritten Position nicht ausmachen k¨onnen, vgl. die Fontes in Ordinatio, ed. Vaticana (2008), S. 13f.). Die vierte Meinung schließlich finden beide bei A EGIDIUS ROMANUS vertreten – allerdings an unterschiedlichen Stellen seines Werks (VAUROUILLON verweist auf dessen erstes Quodlibet q 4, G UIDO auf dessen f¨unftes Quodlibet q 1). 86 G UIDO B RIANSONIS: Collectarium super sententias q 1, c 1, d 1, ed. Paris 1512, fol 2rb (ad S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 1, q un., n 37, ed. Vaticana (2008), S. 16): Posset tamen dici quod esse universale sicut ens, dicit esse distinctum a quolibet esse inferiori, sicut ens dicit [quidditatatem] distinctam ab omni quidditate inferiori. [...] Et sic prima opinio staret. Im Hintergrund steht die Frage, ob ‘Sein’ als effectus universalissimus von etwas anderem verursacht werden k¨onne als der causa universalissima, vgl. M C C ORD A DAMS , M ARILYN: Can Creatures Create? in: Philosophia 34 (2006), S. 101–128, hier S. 113f.
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Es ist diese Eigenst¨andigkeit, die sich nun in seiner zweiten Conclusio, in deren Rahmen er die Wirksamkeitsproblematik behandelt, noch viel deutlicher zeigt: Im Documentum zu dieser Conclusio tr¨agt G UIDO wieder mehrere Meinungen zusammen; dieses Mal allerdings u¨ bernimmt er deren Darstellung nicht mehr aus S COTUS’ Ordinatio, sondern zitiert direkt aus den Originaltexten. Neben T HOMAS’ Sentenzenkommentar, aus dem G UIDO den urspr¨unglichen Autorit¨atenkonflikt wieder aufnimmt, findet auch die Summa Halensis eingehende Beachtung;87 zudem erscheint S COTUS selbst als Vertreter einer Meinung.88 Dies ist insofern bemerkenswert, als G UIDO im Anschluss an die jeweilige Pr¨asentation nicht nur T HOMAS und A LEXANDER VON H ALES (den er als Verfasser der Summa Halensis betrachtet) einer eingehenden Kritik unterzieht, sondern auch S COTUS selbst – von einer Scheu den großen Franziskanerlehrern gegen¨uber kann daher keine Rede sein. G UIDO scheint sich hier vielmehr einer Gruppe von Scholastikern verpflichtet zu f¨uhlen, die er als doctores moderni einf¨uhrt, bei denen es sich nun aber nicht etwa um Vertreter der via moderna handelt, sondern um ‘moderne’ Scholastiker in dem Sinne, wie der Begriff auch bereits im 14. Jahrhundert verwendet worden ist: zur Bezeichnung n¨amlich von Scholastikern, die seit S COTUS oder nach S COTUS gewirkt haben.89 Auf diese moderni beruft sich G UIDO ein erstes Mal, wenn er mit der Kritik am Mitwirkungs-Modell einsetzt; und er verweist explizit auf R ICHARDUS DE M EDIAVILLA , D UNS S COTUS, P ETRUS AUREOLI und F RANCISCUS VON P ERUGGIA.90 Auch G UIDO bewegt sich damit im Rahmen der franziskanischen Tradition: Alle vier sind Minoriten, alle vier scheinen in der vorliegenden Frage aber etwas anderes vertreten zu haben als der alte Meister A LEXANDER VON H ALES.91 Entsprechend sch¨opft G UIDO denn insbesondere aus den Sentenzen87 G UIDO betont denn auch, die jeweilige opinio sei fideliter recitata (Collectarium super sententias q 1, c 2, d 1, ed. Paris 1512, fol 6rb und va). Bei T HOMAS handelt es sich um die u¨ blichen Abschnitte, wie sie oben im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung vorgestellt worden sind; aus der Summa Halensis sind es weitgehend die Abschnitte, die auch L AMBER TUS DE M ONTE u ¨ bernommen hat (s.o., S. 443). 88 Collectarium super sententias q 1, c 2, d 1, ed. Paris 1512, fol 8ra: Sequitur opinio doctoris subtilis. 89 Vgl. C OURTENAY, W ILLIAM J.: Antiqui and Moderni in Late Medeival Thought, in: Journal of the History of Ideas 48 (1987), S. 3–10, hier S. 5; und knapper auch H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Isti Moderni oder Modernes Denken im Mittelalter, in: K ANN , C HRISTOPH (Hrsg.): Isti Moderni. Erneuerungskonzepte und Erneuerungskonflikte in Mittelalter und Renaissance, D¨usseldorf: Droste, 2009 (Studia humaniora 43), S. 211–238, hier S. 219. 90 Collectarium super sententias q 1, c 2, d 1, ed. Paris 1512, fol 6va: Ista opinio multis doctoribus modernis non placet ut pote magistro Ricardo de Mediavilla, nec doctori subtili, nec domino Petro Aureoli, nec magistro Francisco de Perusio. Bei letzterem d¨urfte es sich um einen Sch¨uler von J OHANNES DE R IPA handeln (RS 236, fl. 1365) und nicht um den Kirchenpolitiker F RANCISCUS T OTI DE P ERUSIA († um 1350). 91 Wie bereits erw¨ahnt, haben die Handschriften mit dem Sentenzenkommentar des F RAN CISCUS VON P ERUGGIA nicht eingesehen werden k¨ onnen. Es d¨urfte zudem bezeichnend sein,
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kommentaren von AUREOLI und von S COTUS, f¨uhrt erst AUREOLIS Neuinterpretation der auctoritates an92 und geht, nachdem er so den Autorit¨atenkonflikt aus dem Weg ger¨aumt hat, zu S COTUS u¨ ber, um ihm folgend aufzuzeigen, dass das Mitwirkungs-Modell auf keinem allzu festen Fundament steht.93 Seine Kritik an S COTUS’ Position formuliert G UIDO dann aber unter R¨uckgriff auf einen Autor, den er oben nicht genannt hat: Obwohl es sich um kei¨ ne w¨ortlichen Ubernahmen handelt, wird deutlich, dass sich G UIDO ganz offensichtlich an J OHANNES DE BASSOLIS orientiert.94 Der Schwachpunkt von S COTUS’ Position, so erkl¨art G UIDO im Anschluss an BASSOLIS, scheine ihm darin zu liegen, dass S COTUS einerseits argumentiere, die Sakramente h¨atten keine eigene Aktivit¨at, dass er andererseits aber dennoch daran festhalte, dass sie causa activa vel instrumentalis der Gnade genannt werden k¨onnten.95 Bekanntlich finden sich beide Aussagen bei S COTUS;96 und S COTUS versucht diedass G UIDO an der vorliegenden Stelle nicht auch B ONAVENTURA erw¨ahnt: Obwohl sich B O NAVENTURA in der vorliegenden Frage auch bereits gegen A LEXANDER gestellt hat, geh¨ ort er noch eindeutig zu den antiqui; G UIDO aber ist es offensichtlich wichtig, im Einklang mit seinen moderni zu stehen. 92 Mit einer entscheidenden Erweiterung: Wo AUREOLI noch festhalten kann, nulla auctoritas est alicuius sancti (Commentaria super sententiarum IV d 1, q 1, a 1, ed. Rom 1605, S. 9b), muss G UIDO wegen der Heiligsprechung von T HOMAS im Jahr 1323 nun erg¨anzen: nulla est auctoritas alicuius sancti alterius a sancto Thoma (Collectarium super sententias q 1, c 2, d 1, ed. Paris 1512, fol 6va). 93 G UIDOS Wortwahl bleibt zur¨uckhaltend: Et sic opinio sancti Thomae est minus bene posita (ebd. fol. 8ra). Dies ist aber nichts Ungew¨ohnliches, denn das grunds¨atzliche Problem der Mitwirkungs-Variante ist ja nicht, dass sie irrational ist, sondern dass sie zu ihrer rationalen Begr¨undung die Wesenheiten u¨ ber das Notwendige hinaus vermehren muss, s.o., S. 190. Dass sich diese Kritik nicht nur gegen T HOMAS, sondern auch gegen die Summa Halensis richtet, macht G UIDO etwas sp¨ater deutlich: Verum [quia opinio] Alexandri quae supra posita est eo modo potest contra eam argui sicut argutum est contra opinionem sancti Thomae quia eadem opinio est (ebd. fol 8vb). Es folgt noch eine knappe Auseinandersetzung mit der Fegefeuer-Parallele. 94 S.o., S. 188. 95 Collectarium super sententias q 1, c 2, d 1, ed. Paris 1512, fol. 8va: Quantum ad opinionem doctoris subtilis videtur quod deficiat mihi in hoc quod dicit quod sacramenta nullam actionem habent et tamen in quantum sunt dispositio ad gratiam possunt dici causa activa vel instrumentalis respectu gratiae. Dass G UIDO hier ein Personalpronomen in der ersten Person verwendet (videtur quod deficiat mihi), heißt noch nicht, dass er selbst der Autor des vorliegenden Abschnitts ist: Auch AUREOLIS Aussagen in der ersten Person Singular u¨ bernimmt G UIDO, ohne dass er sie als Zitate ausweist (vgl. etwa ebd., fol. 6va), was u¨ brigens dazu f¨uhrt, dass J OHANNES F INDLING (zu ihm s.o., Anm. 30) eines dieser AUREOLI-Zitate als Aussage von G UIDO B RIANSONIS pr¨asentiert: Ulterius dicit Thomas ubi supra quod omnes coguntur propter reverentiam sanctorum et auctoritates [?] ponere sacramenta esse causam gratiae, licet Guido Briansonis in suo quarti q. 1, cor. 2, doc. 1 dicat: ‘Ego non vidi adhuc auctoritatem alicuius sancti quae magis videtur exprimere...’ (M¨unchen, UB, 8° Cod. ms. 28, fol. 18r; so eigentlich bereits AUREOLI im oben, S. 218, Anm. 93 zitierten Text). 96 S.o., Anm. 188.
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se Form von nicht-aktiver Aktivit¨at insbesondere am Beispiel von verdienstlichen Taten zu illustrieren, die ja auch instrumentale Ursachen der Belohnung seien, ohne direkt auf die Belohnung einzuwirken.97 G UIDO allerdings l¨asst sich davon nicht u¨ berzeugen, denn so sehr eine verdienstvolle Tat als dispositio der Belohnung in Frage komme, wirke sie doch eben nicht aktiv auf die Belohnung ein.98 Wenn aber keine der dokumentierten opiniones die Wirksamkeitsfrage zufriedenstellend zu l¨osen weiß, bliebt G UIDO nur, selbst zu schauen, ” was gem¨aß meiner eigenen Meinung zu sagen ist.“99 Seine eigene Meinung fasst G UIDO in einer These zusammen, die er an den Beginn eines ersten Correlariums stellt: Die Sakramente sind aktive Ursache ” eines Verdiensts, jedoch sind sie hinsichtlich der Gnade in keiner Weise eine aktive Ursache.“100 Beginnen wir mit dem Zweiten: Indem es G UIDO den Sakramenten abspricht, aktive Ursache der Gnade zu sein, stellt er sich nicht nur gegen die Vertreter der Mitwirkungs-Variante, sondern er stellt sich, wie sich eben gezeigt hat, auch gegen S COTUS’ Formulierung des Pakt-Modells. Dass er sich dennoch von S COTUS inspirieren l¨asst und damit dem Pakt-Modell grunds¨atzlich zugetan bleibt, macht hingegen im ersten Teil seiner These die Wahl des Verdienst-Begriffs deutlich, den er ganz offensichtlich aus dem eben besprochenen SCOTISCHEN Beispiel u¨ bernimmt. Aus diesem Fokus auf S CO TUS’ Verdienstbeispiel ist nun schon einmal argumentiert worden: Niemand anderes als der eben erw¨ahnte J OHANNES DE BASSOLIS hat in seiner Reaktion auf S COTUS diese verdienstliche Form der sakramentalen Wirkung als eine besondere Variante des Pakt-Modells pr¨asentiert.101 W¨ahrend BASSOLIS die Variante aber umgehend wieder verworfen hat, weil dieser Verdienst ein unn¨otiger Zusatz zum Pakt-Geschehen sei, ohne das die Variante ja doch nicht auskomme, versucht G UIDO, das Modell weiter zu begr¨unden, indem er zwei weitere, grunds¨atzliche Thesen aufstellt: Erstens h¨atten 97 Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 312, ed. Vaticana (2008), S. 111: absolute conceditur quod merita sunt causa instrumentalis respectu praemii, et quod per merita acquirit aliquis praemium; et tamen meritum non causat active praemium nec in se, nec aliquam dispositionem intermediam, sed solummodo ipsummet est dispositio praevia ad praemium, sicut ratio receptivi. Zur Rezeption dieses Beispiels bei AUREOLI s.o., S. 211. 98 Collectarium super sententias q 1, c 2, d 1, ed. Paris 1512, fol. 8va: Quamvis meritum sit dispositio ad praemium, tamen nullo modo meritum dicitur activum respectu praemii. Es geht G UIDO ganz offensichtlich nur um den Aktivit¨ats-Begriff, den S COTUS selbst ja nur zugestanden hat, um allenfalls den dicta sanctorum gerecht zu werden, vgl. Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 310, ed. Vaticana (2008), S. 110. 99 Collectarium super sententias q 1, c 2, d 1, ed. Paris 1512, fol 8va: His igitur visis opinionibus videndum erit quid dicendum secundum mentem meam. Ponam ergo secundum quod mihi inspirabitur almus spiritus primum correlarium. 100 Ebd., corr 1, fol. 8vb: Sacramenta sunt meriti causa activa quamvis nullo modo respectu gratiae sint causa effectiva. 101 J OHANNES DE BASSOLIS: Opera in quatuor sententiarum libros IV d 1, q 1, a 1, ed. Paris 1517, fol. 9va–b; s.o., S. 188.
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die Sakramente ihre Wirksamkeit aus den Verdiensten der Passion Christi,102 was scholastisches Gemeingut ist und von niemandem bestritten wird. Zwei¨ tens, und da wird es schon schwieriger mit einer allgemeinen Ubereinstimmung, habe Gott angeordnet, dass er durch die Sakramente seine Gnade einfließen lasse in jene, welche sie w¨urdig empfangen.103 Die Frage ist, wie diese ‘Anordnung’ verstanden werden muss: Gen¨ugt ein w¨urdiger Empfang der Sakramente, dann vertritt G UIDO das Pakt-Modell und setzt sich der Kritik von BASSOLIS aus. Soll das Verdienst-Modell plausibel sein, dann muss er folglich zeigen, was dieser Verdienst u¨ ber ein gew¨ohnliches Pakt-Geschehen hinaus leistet. G UIDO erkl¨art: Wie die doctores moderni sagen, haben die Sakramente im Hinblick auf die Gnade keine aktive Urs¨achlichkeit. Aber es wird durch sie das Verdienst gegeben, mittels dessen Gnade und Belohnung erhalten werden, und daher sage ich, dass die Sakramente sich aktiv verhalten, um das Verdienst zu verursachen, das eine aktive dispositio zur Gnade ist – allerdings, so sage ich, nicht aus sich selbst, sondern mittels der g¨ottlichen Einsetzung. Daher sind die Sakramente hinsichtlich der Gnade in der Art eines Verdiensts aktiv, das heißt, sie verhalten sich aktiv zum Verdienst, wegen dem die Gnade erhalten wird.104
Die Sakramente dienen dazu, das Verdienst der Passion Christi auf die Sakramenten-Empf¨anger zu u¨ bertragen und sie so teilhaftig werden zu lassen an der Belohnung, die mit diesem Verdienst verbunden ist. Die zus¨atzliche Leistung der Sakramente liegt darin, dass sie Gott einen Anlass geben, seine Gnade zu vermitteln. Sie sind insofern eine Art dispositio; dennoch beruht die Gnaden¨ubertragung allein auf einer Anordnung Gottes, der sich entschlossen hat, bei einer w¨urdigen Spendung der Sakramente seine Gnade als Belohnung auszuteilen.105 G UIDO wagt damit nichts Geringeres als den Spagat zwischen Mitwirkungs- und Pakt-Modell. 102 Ebd.: Deus benedictus praeordinavit ut mitteret filium suum [...] et pateretur pro salute generis humani, in qua passione, et specialiter in vulnere laterali fuerunt fundata sacramenta, ideo sacramenta habent efficaciam a meritis passionis Christi. 103 Ebd. Deus ordinavit illa sacramenta, ut per ipsa infunderet suam gratiam recipientibus digne illa. 104 Ebd.: Verum ut dicunt doctores moderni, respectu gratiae sacramenta nullam habent causalitatem activam. Sed per illa datur meritum mediante quo gratia habetur et praemium. Et ideo dico quod sacramenta se habent active ad causandum meritum, quod est dispositio ad gratiam activam, dico non de se, sed mediante institutione divina. Ideo sacramenta per modum meriti sunt activa respectu gratiae, hoc est active se habent ad meritum propter quod habetur gratia. 105 Ebd. fol. 9ra: Deus enim per suam voluntatem liberam [statuit] ut cuicumque adhibebitur signum hoc sensibile cum verbis formalibus ut puta cum istis verbis: baptiso te in nomine Patris etc. et sic de aliis sacramentis, quod talia sacramenta causent meritum per quod mereatur habere gratiam, et si sic facit habebit gratiam. Ergo ex mera et libera voluntate divina fuit.
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Es ist dieser Spagat nicht nur systematisch, sondern auch historisch h¨ochst interessant: Systematisch ist er interessant, weil G UIDO damit eine Synthese vorschl¨agt von zwei Positionen, die bisher als unvereinbar gegolten haben.106 Wenn allerdings das Pakt-Modell der Mitwirkungs-Variante vorwirft, sie verletze die nat¨urliche Ordnung und k¨onne dies h¨ochstens mit einer Vervielf¨altigung der Wunder u¨ berbr¨ucken, kann G UIDO entgegenhalten, zur Verursachung eines Verdiensts sei keine u¨ bernat¨urliche Kraft notwendig: So wie etwa geweihtes Wasser eine Kraft habe, um D¨amonen zu vertreiben – G UIDO betont, dass er ¨ und geweihtem mit eigenen Augen gesehen habe, wie aus Salbe, heiligem Ol Wasser multa mirabilia bewirkt worden seien –, ebenso brauche es auch nicht zu erstaunen, wenn den Sakramenten eine aktive Kraft u¨ bertragen werde zum Erreichen von Dingen, die ihrer Gesch¨opflichkeit nicht widerspr¨achen.107 Wenn umgekehrt die Mitwirkungs-Variante dem Pakt-Modell vorh¨alt, es w¨urde den dicta sanctorum nicht gerecht, kann G UIDO – soweit er nach seiner AUREO LI -Lekt¨ ure die auctoritates noch gelten l¨asst – seine Meinung auch autoritativ absichern, weil f¨ur ihn in den Sakramenten ja tats¨achlich die Kraft steckt, jenes Verdienst zu verursachen.108 Entsprechend kann sich G UIDO mit seinem Spagat denn sowohl bei T HOMAS als auch bei S COTUS anlehnen: Wenn n¨amlich T HOMAS diese dispositio, welche laut ihm die Sakramente in der Seele verursachen, als Verdienst verstehe, sei seine Meinung wahr;109 und wenn S COTUS das, was er dispositio nenne, nicht f¨ur eine Form halte, welche der Seele durch die Sakramente eingepr¨agt werde, sei auch diese Meinung wahr110 – davon ist 106 G ABRIEL B IEL, von dem unten noch ausf¨uhrlicher zu sprechen sein wird, h¨alt sie denn auch f¨ur zwei kontr¨are, sich gegenseitig ausschließende Positionen, s.u., S. 529. 107 Collectarium super sententias q 1, c 2, c 1, ed. Paris 1512, fol. 8vb: Sicut aqua benedicta virtute benedictionis habet vim terrendi daemones, et alias multas operationes, sic sacramenta virtute infusa in eis a passione Christi habent vim causandi meritum et alias magnas operationes. Vidi ego ex chrismate et oleo sancto et aqua benedicta facere multa mirabilia. Item simbala virtute baptismi, quamvis hic non fit sacramentum, recipiunt tamen virtutem ad effugandum daemones, et tempestates. Ideo non est mirum si sacramenta habeant vim activam respectu aliquorum non repugnantium creature. Anders verh¨alt es sich allerdings mit der Gnade selbst: Sed quia gratia est donum gratuitum, a solo Deo datum libere, ideo non est in potestate alicuius facere gratiam Dei, et ideo repugnat creaturae se habere active respectu gratiae, et ideo sacramenta non possunt esse activa respectu gratiae (ebd.) Zur Wirksamkeit des geweihten Wasser vgl. zudem den sehr verbreiteten Traktat des Thomisten J OHANNES DE T URRECREMATA: De efficacia aquae benedictae, ed. Augsburg 1475. 108 Dicta meae opinionis probo auctoritatibus sanctorum. Nam dicit Augustinus [...]. Multae aliae auctoritatibus possent adduci quas causa brevitatis omitto (Collectarium super sententias q 1, c 2, corr 1, ed. Paris 1512, fol. 9ra). 109 Ebd., fol. 8vb: Si autem sanctus Thomas intelligat illam dispositionem quam causant in anima esse meritum, quod causatur a sacramentis, eius opinio est vera. Si autem intelligat per illam dispositionem aliquam formam impressam in anima per sacramenta, utpote characterem vel ornatum, hoc est impossibile. 110 Ebd.: Si autem doctor subtilis intelligat quod sacramenta non causant aliquam dispositionem respectu gratiae, quae sit forma impressa utpote characterem in anima, vera est opinio
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G UIDO u¨ berzeugt: Und wenn er es so versteht, dann halte ich mich an seine ” Meinung.“111 Historisch ist dieser Spagat interessant, weil er sich mit einer Entwicklung trifft, die sich wenige Jahre sp¨ater auch in C AJETANS Summenkommentar feststellen l¨asst: So wenig C AJETAN zugestehen w¨urde, dass seine Interpretation von T HOMAS eine Ann¨aherung an S COTUS’ Modell sei, haben sich oben doch deutliche Parallelen zur Pakt-Variante feststellen lassen: Denn dass Gott, um C AJETANS Bild vom Lautenspieler aufzunehmen, daf¨ur sorgt, dass beim Sakramentenvollzug nicht nur Ger¨ausche entstehen, sondern Musik erklingt, l¨asst sich nur mit einem Pakt erkl¨aren.112 W¨ahrend nun dieser Perspektivenwechsel bei C AJETAN auf eine eigenst¨andige Lekt¨ure von T HOMAS’ Summa zur¨uckzuf¨uhren ist, beruht G UIDOS Sicht auf einer nicht minder eigenst¨andigen Lekt¨ure nicht nur von S COTUS’ Ordinatio, sondern auch von T HOMAS VON AQUIN, von A LEXANDER VON H ALES, von P ETRUS AUREOLI und von J O HANNES DE BASSOLIS . Auffallend ist, dass sich bei den Scotisten dar¨uber hinaus noch weitere Parallelen zu den Entwicklungen im Thomismus abzeichnen: In a¨ hnlicher Weise wie V ITORIA oder D OMINGO DE S OTO als Reaktion auf C AJETAN eine Art moralischer Kausalit¨at der Sakramente zu verteidigen beginnen, ist auch G UI DO – selbst wenn es sich beim Verdienst, das er beschriebt, noch prim¨ar um das Verdienst Christi handelt – von einer moralischen Kausalit¨at nicht mehr weit entfernt. Hier d¨urfte denn letztlich auch der Schl¨ussel liegen zur Frage, warum G UIDO sein Verdienst-Modell trotz der Kritik von BASSOLIS einer schlichten Pakt-Variante vorzieht: Denn anders als dieser vor langer Zeit mit der Kirche geschlossene Pakt erkl¨art G UIDOS Modell viel zeitnaher, warum Gott auch hier und heute bereit ist, jeden einzelnen Sakramentenempf¨anger mit seiner Gnade zu belohnen. Das Verdienst-Modell, wie es G UIDO vertritt, verringert ebenso wie das moralische Modell von V ITORIA oder das Freundschafts-Modell von D OMINGO DE S OTO die Distanz zwischen Sch¨opfer und Gesch¨opf.113 Eine letzte Parallele zwischen den thomistischen Entwicklungen und den Tendenzen, f¨ur die G UIDOS Kommentar steht, betrifft schließlich die Form, in der diese Debatte gef¨uhrt wird. Auch wenn G UIDO grunds¨atzlich noch einen eius, quia sacramenta met sunt dispositio mediante causatione meriti respectu gratiae et characteris. 111 Ebd.: Et sic credo quod intelligat doctor subtilis, et si sic intelligat teneo me cum sua opinione. 112 S.o., S. 436. 113 Zu den thomistischen Modellen s.o., S. 436. In solcher Verk¨urzung der Distanz zwischen Gott und Mensch f¨ugen sich diese Modelle in eine theologische Entwicklung des Sp¨atmittelalters ein, die B ERNDT H AMM mit dem Begriff der ‘nahen Gnade’ umschrieben hat, vgl. etwa H AMM , B ERNDT: Die ‘nahe Gnade’. Innovative Z¨uge der sp¨atmittelalterlichen Theologie und Fr¨ommigkeit, in: A ERTSEN/P ICKAV E´ : ‘Herbst des Mittelalters’? (2004), S. 541–557.
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
Sentenzenkommentar verfasst, ist die Struktur, die er w¨ahlt, doch eine ziemlich eigenwillige: W¨ahrend es in den meisten Sentenzenkommentaren des 15. Jahrhunderts wieder u¨ blich ist, Vollkommentare unter Ber¨ucksichtigung s¨amtlicher Distinktionen von P ETRUS ’ L OMBARDUS Text zu verfassen, behandelt G UI DO das gesamte Material des vierten Buchs in bloß 17 Quaestionen, die mit den Documenta zudem eine h¨ochst unkonventionelle Ordnungseinheit aufwei¨ sen. Ahnlich wie die Thomisten den traditionellen Sentenzenkommentar mehr und mehr durch Summenkommentare abl¨osen, scheint auch G UIDO dem klassischen Genre des Sentenzenkommentars mit einer gewissen Distanz gegenu¨ berzustehen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstehen denn auch scotistische Texte, die sich von den konventionellen Formen dieses Genres zu l¨osen versuchen. 22.2.3 Der Kommentar zum Kommentar: Petrus Tartaretus Eines dieser Werke wird noch im vorliegenden Abschnitt behandelt, weil seine Form immer noch der Struktur eines Sentenzenkommentars entspricht, obschon es inhaltlich ganz neue Ziele hat: Es handelt sich um die Reportata der Vorlesungen von P ETRUS TARTARETUS u¨ ber S COTUS’ Ordinatio.114 Ein Jahr vor seinem Pariser Kollegen P ETER C ROCKAERT, der 1507 an der rue SaintJacques als erster einen Summenkommentar vortr¨agt, pr¨asentiert TARTARETUS im Pariser Studienhaus der Franziskaner eine a¨ ußerst detaillierte Auslegung von S COTUS’ theologischem Hauptwerk, deren einziger Anspruch es ist, S COTUS’ Begriffe, Argumente und Positionenen zu plausibilisieren und verst¨andlich zu machen.115 Anders als S TEPHAN B RULEFER, der in der letzten Dekade des 15. Jahrhunderts seine Sentenzenlesung auch bereits an B ONAVENTURAS Kommentar ausgerichtet, wesentlich mehr als Quaestionen-Struktur und Argumenta aus seiner Vorlage aber nicht u¨ bernommen hat, h¨alt sich TARTARETUS a¨ ußerst eng an seinen S COTUS-Text. Was nicht unmittelbar f¨ur dessen Verst¨andnis relevant ist, interessiert ihn nicht, und entsprechend liegt ihm denn auch nicht daran, auf andere scholastische Texte zu verweisen oder seine eigene Meinung zu den jeweiligen Fragen darzulegen. S COTUS’ Kommentar ist f¨ur ihn nicht mehr 114
Zu P ETRUS TARTARETUS († 1522) vgl. neben W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 187–190, nun vor allem FARGE , JAMES K.: Pierre Tartaret, in: Contemporaries of Erasmus, Band 3, 1995, S. 310a–311a. 115 Vgl. das Explicit zum vierten Buch: Finiunt reportata d. Petri Tartareti in quatuor libris sententiarum scripti oxionensis Ioannis Duns Scoti, habita Parrisiis in scholis fratrum minorum, anno Domini 1506 (Reportata, ed. Venedig 1583, S. 490). Zu P ETER C ROCKAERT, der zwar unter J OHN M AIR studiert hat, mit seinem Eintritt in den Dominikanerorden aber thomistische Positionen zu favorisieren beginnt, vgl. BACKUS , I RENA: La th´eorie logique de Martin Bucer, in: BACKUS , I RENA/F RAENKEL , P IERRE (Hrsg.): Logique et th´eologie au XVIe si`ecle. Aux sources de l’argumentation de Martin Bucer, Genf: Revue de th´eologie et de philosophie, 1980 (Cahiers de la Revue de th´eologie et de philosophie 5), S. 27–39.
22.2 Das Pakt-Modell in scotistischen Sentenzenkommentaren
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einfach nur ein Modell, wie dies B ONAVENTURA f¨ur B RULEFER gewesen ist, sondern der eigentliche Gegenstand seiner Kommentararbeit. P ETRUS TARTARETUS befolgt eine klare Methode im Umgang mit seiner Vorlage: Zu Beginn einer jeden Quaestio aus S COTUS’ Ordinatio setzt TARTA RETUS mit einer clarificatio terminorum ein, in der er, sofern sie nicht fr¨ uher schon erl¨autert worden sind, fast alle Begriffe einschließlich Partikel und Hilfsverben analysiert, die S COTUS’ Formulierung der Fragestellung bietet.116 Danach geht er auf die einzelnen Argumenta ein, die S COTUS anf¨uhrt, und zeigt schließlich in einer divisio quaestionis die Grobstruktur des L¨osungswegs auf, den S COTUS einschlagen wird. Damit beginnt aber erst seine eigentliche Kommentararbeit: Die argumentativen Ausf¨uhrungen von S COTUS’ versucht TAR TARETUS nun minuti¨ os nachzuzeichnen und logisch zu strukturieren, indem er die einzelnen Aussagen von S COTUS in Propositiones und Correlaria umwandelt, die es dann zu begr¨unden und manchmal auch zu illustrieren gilt. Rhetorisch dringt dabei an allen Ecken und Enden die konkrete Unterrichtssituation durch: Um zu verdeutlichen, worum es gerade gehe, wechselt TARTA RETUS etwa in die direkte Rede und spricht T HOMAS, A EGIDIUS ROMANUS oder wer auch sonst gerade von S COTUS kritisiert wird, in der zweiten Person an;117 auf Beispiele, die in S COTUS’ Darstellung oft nur gestreift werden, geht er ausf¨uhrlich ein; und er scheut sich nicht vor Redundanzen, wo S COTUS nur mit knappen Worten auf bereits bearbeitete Fragen zur¨uckverweist. Das alles geschieht mit einer unglaublichen Raffinesse und f¨uhrt zu einer rationalen Durchdringung und Systematisierung der Vorlage, die sich in der scotistischen Hilfsliteratur des 15. Jahrhunderts ebensowenig finden l¨asst wie in den eben besprochenen eigenst¨andigen Sentenzenkommentaren. Es ist dennoch nicht weiter erstaunlich, dass sich zur Wirksamkeitsproblematik aus TARTARETUS’ Kommentar keine inhaltlichen Neuerungen ergeben. In der vorliegenden Frage hat es kaum Missverst¨andnisse u¨ ber S COTUS’ Position gegeben, und so kann denn TARTARETUS auch nicht – wie sp¨ater C AJETAN bei T HOMAS – eine v¨ollig neue Perspektive auf den doctor subtilis er¨offnen. Die einzige Stelle, an der in der vorliegenden Problematik die sp¨ateren Diskussionen kurz aufleuchten, betrifft erwartungsgem¨aß die Frage, ob sich S COTUS nicht selbst widerspreche, wenn er die Sakramente zwar nicht f¨ur Ursachen der
116 Von S COTUS’ erster Quaestio zur Wirksamkeitsproblematik utrum sit possibile aliquod sacramentum quantumcumque perfectum habere causalitatem activam respectu gratiae conferendae (Ordinatio IV d 1, p 3, q 1, ed. Vaticana (2008), S. 89) unterzieht TARTARETUS nur gerade die zwei Begriffe utrum und respectu keiner eingehenden Analyse: Reportata IV d 1, q 4, ed. Venedig 1583, S. 25a–b. 117 Vgl. etwa TARTARETUS’ Reportata IV d 1, q 4–5, ed. Venedig 1583, S. 26a: Si quis dicit: ‘dico quod illa sacramenta [sine] causa per accidens’, dicit Thomas: quod non; oder ebd., S. 26b: quaeritur a te domine Thoma: quomodo sacramenta sunt causa gratiae?.
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
Gnade halte, sie aber dennoch als Ursachen der Gnade pr¨asentiere.118 TARTA RETUS’ Antwort f¨allt entt¨auschend knapp aus – und streng scotistisch: Die Sa” kramente werden Ursache der Gnade genannt, nicht weil sie irgendeine Kraft hinsichtlich der Gnade haben, sondern weil sie notwendige dispositiones zur Gnade sind.“119 Weil sich all das, was T HOMAS der dispositio und dem ornatus zugeschrieben hat, auch direkt auf die Sakramente u¨ bertragen l¨asst, k¨onnen sie in deren Sinn Ursachen der Gnade genannt werden, ohne dass sie deswegen in einem physikalischen Sinne etwas verursachen w¨urden.120 Aus TARTARETUS’ Ausf¨uhrungen wird damit deutlich, dass in seinem Kommentar zum Kommentar – a¨ hnlich wie bei C AJETAN – eine ganze Reihe der Tendenzen kulminieren, die sich im bisherigen Durchgang durch die scholastische Tradition des 15. Jahrhunderts bemerkbar gemacht haben. So liegt der grundlegend p¨adagogische Ansatz, der hinter diesem Werk steht, auf der Hand. ¨ ¨ Ahnlich wie bereits D INKELSB UHL in seiner Melker Lectura nimmt sich TAR TARETUS mit seiner eigenen Meinung zur¨ uck und widmet sich voll der Aufgabe, einen Text, der f¨ur seine Subtilit¨at und Komplexit¨at bekannt ist, theologisch noch wenig geschulten Gem¨utern nahe zu bringen. W¨ahrend die KompendienLiteratur scotistischer ebenso wie thomistischer Herkunft einen vergleichbaren Anspruch zeigt, dazu aber den Weg einer verk¨urzenden und vereinfachenden Darstellung w¨ahlt, verbindet sich bei TARTARETUS das p¨adagogische Ziel mit dem Anspruch, dem originalen Text von S COTUS gerecht zu werden. Das mag auf den ersten Blick wirken, als ob TARTARETUS eine scholastische Rezeption des humanistischen ad fontes b¨ote, doch d¨urfte es viel eher Ausdruck einer kompromisslosen Anerkennung jener neuen Form von Autorit¨at sein, die sich seit dem sp¨aten 14. Jahrhundert in den hier behandelten Texten abzuzeichnen begonnen hat. In seiner Konzentration auf den originalen S COTUS geht es TAR TARETUS ausschließlich um Denken und Wirken dieser einen Person D UNS S COTUS. Im Vergleich zu B RULEFERS Umgang mit B ONAVENTURA, der seine Vorlage doch eher bloß als Ausgangspunkt genommen hat, um sich dann den theologischen Problemen selbst zu widmen, scheint daher TARTARETUS’ Umgang mit S COTUS von einem h¨ochst unselbst¨andigen, fast schon beschr¨ankten Zu118 Ebd., S. 31a: Videtur quod Scotus contradicat sibiipsi, quia dicit, quod sacramenta non dicuntur causa gratiae, et dicit quod reducuntur ad genus causae efficientis. Den Vorwurf hat bekanntlich J OHANNES DE BASSOLIS erhoben (s.o., S. 188); G UIDO B RIANSONIS hat ihn ebenso aufgegriffen (s.o., S. 475) wie auch N ICOLAS D ENYSE, von dem gleich noch zu sprechen sein wird (s.u., S. 486). 119 P ETRUS TARTARETUS: Reportata IV d 1, q 4–5, ed. Venedig 1583, S. 31a: Dico, quod sacramenta dicuntur esse causa, non quia habeant aliquam virtutem respectu gratiae; sed quia sunt dispositiones necessitantes ad gratiam. Et sic debent glossari omnes auctoritates dicentes quod sacramenta habent actionem ad gratiam, idest sunt dispositione necessitantes ad gratiam. 120 S.o., S. 185.
22.3 Abl¨osungen vom konventionellen Sentenzenkommentar
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gang zu den eigentlichen Problemen der Theologie zu zeugen. Das allerdings erstaunt. Denn die intellektuelle Finesse, mit der TARTARETUS die logische Struktur aus seiner Vorlage herausarbeitet, und das p¨adagogische Geschick, mit dem er S COTUS’ Subtilit¨aten seinen Studenten n¨aher bringt, passen in das Bild eines uninspirierten Nachbeters ebenso wenig wie die souver¨ane Eigenst¨andigkeit, mit der TARTARETUS eine Kommentarform entwirft, die in der gesamten bisherigen Sentenzentradition nicht zu finden ist. Vielmehr ist denn auch zu vermuten, dass f¨ur P ETRUS TARTARETUS die Unterscheidung zwischen eigentlichen theologischen Problemen und deren partikul¨arer Beantwortung durch eine bestimmte Person gar nicht relevant ist, sofern es sich bei dieser Person um S COTUS handelt. So wie seit dem 13. Jahrhundert A RISTOTELES f¨ur die mittelalterliche Scholastik nicht einfach nur ein Philosophe unter anderen ist, sondern die Verwirklichung dessen, was mit Hilfe der nat¨urlichen Vernunft u¨ ber das Universum gesagt werden kann,121 ebenso scheint TARTARETUS in S CO TUS sein Modell gefunden zu haben, um die theologischen Probleme rational zu durchdringen. So wie sich TARTARETUS auf diese neue Form von Autorit¨at bezieht, handelt es sich nicht um eine Denkverweigerung, sondern um ein Ringen um den h¨ochstm¨oglichen Grad von Rationalit¨at. Damit wird nun schließlich erneut der entscheidende Unterschied auch zwi¨ schen TARTARETUS’ Ansatz und jenem von D INKELSB UHL deutlich: Entlang der Leitplanken von S COTUS’ Ordinatio sind theologische Probleme auch f¨ur P ETRUS TARTARETUS rational l¨osbar. Auch wenn er sich auf S COTUS’ Ordinatio konzentriert und nicht noch dessen A RISTOTELES-Kommentare mit ein¨ bezieht, wie das bei J OHANNES VON K OLN der Fall ist,122 kennt auch TARTA RETUS eine Trennung zwischen den Disziplinen nicht. Seine logischen Durchstrukturierungen des Ordinatio-Texts, seine clarificationes terminorum und seine Aufgliederungen der einzelnen Argumente in Propositiones, Conclusiones und Correlaria zeigen vielmehr, dass auch TARTARETUS letztlich von einem Gesamtsystem ausgeht, das er in S COTUS’ Werk verwirklicht glaubt. Dass er sich daher nicht mehr direkt an P ETRUS L OMBARDUS selbst orientiert, liegt auf der Hand. Und er trifft sich darin mit einigen anderen scotistischen Theologen, ¨ die sich im Ubergang vom 15. zum 16. Jahrhundert einer solchen Gesamtschau anzun¨ahern versuchen und dabei noch st¨arker vom konventionellen Genre der Sentenzenkommentare abkommen.
121 Ber¨uhmt und oft rezipiert ist jene Stelle aus AVERROES’ langem De anima-Kommentar, in welcher er A RISTOTELES f¨ur ein Richtmaß und ein Modell“ h¨alt, das die Natur erfunden ” ” hat, um die in der Materie gr¨oßt-m¨ogliche menschliche Vollkommenheit zu zeigen“ (Commentarium magnum in De anima III c 14, ed. Crawford (1953), S. 433. 122 S.o., S. 452.
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22.3 Abl¨osungen vom konventionellen Sentenzenkommentar 22.3.1 Nicolas Denyse Es sind vor allem zwei Titel unter die scotistischen Werke zu rechnen, die um 1500 eine theologische Gesamtschau bieten, ohne P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen kommentieren wollen: die Resoultio theologorum des N ICOLAS D ENYSE zum einen, und das Aureum Rosarium des P ELBARTUS T EMESWAR zum anderen. N ICOLAS D ENYSE, ein Franziskaner, der vor allem durch sein Wirken als Prediger in Nordfrankreich Ber¨uhmtheit erlangt hat, verfasst wohl noch im 15. Jahrhundert ein Werk, das zwar weiterhin als Sentenzenkommentar verbreitet wird, von seiner Struktur her allerdings eine v¨ollig neue Gliederung aufweist:123 Seine Resolutio Theologorum konzipiert er als ein einziges Buch, das in ein Pro¨omium und sieben Traktate unterteilt ist, die ihrerseits stets drei Teile enthalten, welche er wiederum in eine unterschiedliche Zahl von Portiones unterteilt. Erst auf der Ebene dieser Portiones formuliert N ICOLAS eine Reihe von Quaestiones, die sich nun thematisch tats¨achlich sehr eng am inhaltlichen ¨ Aufbau von P ETRUS ’ Sentenzen orientieren.124 Uber diese inhaltliche Leitlinie hinaus fehlen allerdings Bez¨uge zum Sentenzen-Text: So wie sich N ICOLAS strukturell von der Einteilung in B¨ucher und Distinctiones trennt, bietet er auch keine Auslegung des Sentenzentexts oder auch nur Anspielungen auf Passagen daraus, wie dies in anderen Kommentaren des 15. Jahrhunderts u¨ blich ist. N ICOLAS’ Wahl dieses inhaltlichen Leitfadens d¨urfte denn auch st¨arker noch als von P ETRUS L OMBARDUS selbst durch die nachfolgende Kommentartradition bedingt sein, auf die sich N ICOLAS ausf¨uhrlich bezieht. In einer knappen Einleitung zu seinem Werk erkl¨art er: ¨ Weil die K¨urze der Uberlieferung die Geister der Studenten zu k¨odern und den Intellekt angenehmer in Kenntnis zu setzen und auch die Erinnerung fester zu machen pflegt, daher scheint es – angesichts der meist weitschweifigen und bisweilen auch zweideutigen Er¨orterungen der Theologen – ein Werk von nicht bloß mittelm¨aßigem Nutzen zu sein, das in einem kurzen Band zu streifen, was sich von den theologischen Lehren als vor allem notwendig f¨ur die neuen Studenten erweist.125 123
Zu N ICOLAS D ENYSE († 1509) und seinem Werk vgl. erneut W EGERICH: BioBibliographische Notizen (1942), hier S. 164–166. Der Titel der Erstausgabe (Rouen 1504) lautet: Opus super sententias valde egregium in disciplina theologiae cunctis proficere volentibus permaxime necessarium (quod resolutio theologorum merito dicitur), und auch eine der letzten Ausgaben (Venedig 1568) pr¨asentiert das Werk in erster Linie als Sentenzenkommentar: Nicolai de Niise ordinis minorum de observantia in quatuor libros sententiarum opus, cunctis in Theologia proficere volentibus, perquam necessarium, Resolutio Theologorum inscriptum. 124 So entspricht Traktat I dem ersten Buch, Traktate II und III entsprechen dem zweiten, Traktate IV und V dem dritten und die letzten beiden dem vierten Buch der Sentenzen. 125 N ICOLAS D ENYSE: Resolutio Theologorum, ed. Venedig 1568, fol. 1r: Cum soleat traditionis brevitas animos allicere studentium, et intellectus iucundius informare, necnon et me-
22.3 Abl¨osungen vom konventionellen Sentenzenkommentar
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Wo VAUROUILLON schon als doctor brevis ger¨uhmt worden ist und wo Kompendien scotistischer ebenso wie thomistischer Herkunft versucht haben, das behandelte Material in konzentrierter Version wiederzugeben, erhebt nun auch N ICOLAS D ENYSE die brevitas zur Tugend und schreibt ein Einleitungswerk, das nicht nur den Studienanf¨angern den Einstieg in die theologischen Lehren erleichtern, sondern die Studierenden mit solcher K¨urze u¨ berhaupt erst anlocken soll. Die Methode aber, die N ICOLAS sich vornimmt, ist eine eklektische: Aus der ausufernden Vielzahl von theologischen Meinungen und Debatten, die er vorfindet, w¨ahlt er jene aus, die ihm f¨ur die Studienanf¨anger am n¨utzlichsten erscheinen.126 Und weil er diese Versatzst¨ucke, wie am Beispiel der Wirksamkeitsproblematik gleich noch zu zeigen sein wird, vorwiegend in Kommentaren aus der Sentenzentradition zusammensucht, bleibt sein inhaltlicher Aufbau denn auch jenem von P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen treu. Wenn sich N ICOLAS nun aber vornimmt, aus den unz¨ahligen Meinungen die n¨utzlichen herauszupfl¨ucken, dann bedingt das, dass er selbst sich in seiner Materie auskennt. Tats¨achlich erweist sich N ICOLAS, was den Inhalt seiner Resolutio betrifft, denn auch als eigenst¨andiger Rezipient der sp¨atmittelalterlichen Sentenzentradition. Der erste Teil des sechsten Traktats von N ICOLAS’ Resolutio, der hier interessiert, besch¨aftigt sich mit der allgemeinen Sakramentenlehre, und N ICOLAS gliedert diese in drei Portiones mit einer Frage zur Definition, einer Frage zur Einsetzung und einer zur Wirksamkeit der Sakramente.127 In den Korpus jeder dieser Quaestiones steigt N ICOLAS mit einigen Notanda ein, die – a¨ hnlich wie die Documenta bei G UIDO B RIANSONIS – die ausgew¨ahlten Ansichten seiner scholastischen Vorlagen zusammentragen. Daraufhin formuliert er eine oder auch mehrere eigenst¨andige Conclusiones, die er dort ausf¨uhrlich begr¨undet, wo sich deren Sinn nicht aus den vorangehenden Notanda ergibt. F¨ur die ersten beiden Quaestiones orientiert sich N ICOLAS weitestgehend an S COTUS, der nicht nur in den Notanda, sondern auch in den Begr¨undungen der moriam reddere tenaciorem, idcirco consideratis prolixis plerumque et interdum ambiguis theologorum disputationibus, non mediocris utilitatis opus censendum est ea, quae de theologicis doctrinis magis necessaria videntur pro novellis studentibus uno brevi volumine perstringi. 126 In einem Vorwort, das offenbar nur der Erstausgabe (Rouen 1504) beigef¨ugt worden ist, heißt es zu dieser Methode: Eo modo doctoribus utitur, ut quemcumque eorum melius ac clarius de quacumque materia disputasse sensiit, huius dicti ad propositum adductis nimirum acquievit, quibus et sui ingenii lumen adiiciens nostris hoc intellectibus sine invidia communicavit (zitiert nach W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 165, Anm. 8). 127 Wie es auch sonst in seiner Resolutio u¨ blich ist, steigt N ICOLAS in diesen sechsten Traktat mit einer Inhaltsangabe ein: In hoc sexto tractatu determinanda sunt aliqua quaestiones de sacramentis, quibus infunditur gratia animabus dispositis. Et habet iste tractatus tres partes principales [...]. In prima igitur parte dicendum est de sacramentis in communi tam veteris quam novae legis. Ubi sunt tria consideranda. Primum est sacramenti diffinitio. Secundum est sacramenti institutio. Tertium est sacramenti efficax operatio (Resolutio Theologorum VI, ed. Venedig 1568, fol. 348ra).
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Conclusiones auf Schritt und Tritt erscheint.128 In diesen Anlehnungen u¨ bernimmt N ICOLAS seine Textvorlage oft w¨ortlich, manchmal verk¨urzt er sie aber auch stark oder paraphrasiert sie bloß. Am Ende dieser zwei Quaestiones steht außer Zweifel, dass N ICOLAS aus einer ungetr¨ubt scotistischen Perspektive sein allgemeines Verst¨andnis der Sakramente darlegt.129 Umso erstaunlicher ist es, dass er sich in der dritten Frage zur sakramentalen Wirksamkeit von S COTUS l¨ost: Zwar setzt er in seinem ersten Notandum wie auch S COTUS mit einer Darstellung von T HOMAS’ Position ein, die er umgehend und in expliziter Anlehnung an S COTUS kritisiert; doch strukturiert er hierf¨ur T HOMAS’ Position in ¨ drei dicta, die sich so bei S COTUS nicht finden.130 Ahnlich allerdings hat bereits J OHANNES DE BASSOLIS T HOMAS’ Position dargestellt; und tats¨achlich zeigt sich, dass auch N ICOLAS D ENYSE wie sein Zeitgenosse G UIDO B RIANSONIS f¨ur die Wirksamkeitsfrage die Bearbeitung des J OHANNES DE BASSOLIS jener von S COTUS vorzieht. So finden sich bei N ICOLAS s¨amtliche f¨unf Modelle zur Wirksamkeitsproblematik, die bereits BASSOLIS unterschieden hat, und es findet sich insbesondere auch BASSOLIS Kritik an S COTUS’ Position.131 Anders nun als G UIDO, der trotz seiner Vorlage das Modell einer moralischen Kausalit¨at f¨ur die beste L¨osung der Wirksamkeitsfrage gehalten hat, folgt N ICOLAS den Ausf¨uhrungen von J OHANNES DE BASSOLIS und h¨alt an einem BONAVENTURIANISCHEN Pakt-Modell fest, das den Sakramenten jegliche Form von eigentlicher Urs¨achlichkeit und tats¨achlich enthaltener Kraft abspricht: Unter Voraussetzung des Gesagten ist folgende Conclusio aufzustellen: Die Sakramente sind keine effektive Ursache der Gnade, und es h¨angt ihnen auch keine Kraft an, 128
Insgesamt nennt N ICOLAS den doctor subtilis im Rahmen dieser ersten beiden Quaestiones neunmal explizit; der einzige weitere Sentenzenautor, der hier noch Erw¨ahnung findet, ist B ONAVENTURA mit einem kurzen Abschnitt zur Einsetzung der Sakramente (Resolutio Theologorum VI p 1, port. 2, q un., n 2, ed. Venedig 1568, fol. 349va–b; vgl. B ONAVENTURA: Commentaria in libros sententiarum IV d 1, p 1, a un., q 1, ed. Quaracchi IV (1889), S. 12a, den N ICOLAS allerdings nicht w¨ortlich zitiert, sondern paraphrasiert). 129 Seine Conclusio zur ersten Quaestio kann noch als scholastisches Allgemeingut gewertet werden; sie lautet schlicht sacramentum est diffini|bile (Resolutio Theologorum VI p 1, port. 1, q un., ed. Venedig 1568, fol. 348vb–349ra). Unverkennbar von S COTUS inspiriert ist dann aber die erste der drei Clonclusiones zur zweiten Quaestio: Loquendo de sacramento proprie quod est signum quo mediante infallibiliter confertur gratia nisi ponatur obex, solus Deus potest instituere sacramentum (ebd. port. 2, q un., fol. 349vb). 130 Ebd. port. 3, q un., n 1, fol. 350va–b: Primo notandum quod opinio Thomae est quod omnes coguntur ponere sacramenta novae legis esse aliquomodo causa gratiae propter auctoritates Augustini et aliorum sanctorum. [...] Secundo dicit ista opinio quod sacramentum non potest esse causa principalis effectiva gratiae, sed instrumentalis. [..|..] Tertio dicit ista opinio quod oportet virtutem aliquam absolutam supernaturalem inesse sacramento. 131 Ebd. n 4, fol. 351vb: Sed contra hanc opinionem licet sit pulchra et subtilis, arguit Ioannes de Basso satis efficaciter ut videtur. Vgl. J OHANNES DE BASSOLIS: Opera in quatuor sententiarum libros IV d 1, q 1, a 2, ed. Paris 1517, fol. 11ra; dazu ausf¨uhrlicher oben, S. 188.
22.3 Abl¨osungen vom konventionellen Sentenzenkommentar
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wenn im eigentlichen Sinne von Ursache und Kraft gesprochen wird – sehr wohl aber, wenn in einem uneigentlichen und erweiterten Sinn gesprochen wird.132
Wie schon G UIDO B RIANSONIS weiß auch N ICOLAS D ENYSE aus den zahlreichen Quellen zu sch¨opfen, die um 1500 zur Verf¨ugung stehen; und wie bei seinem Ordensbruder sind es auch bei N ICOLAS bei weitem nicht einfach nur die ganz großen Namen, die rezipiert werden. Vielmehr bildet die u¨ berbordende F¨ulle des vorhandenen Materials geradezu den Ausgangspunkt von N ICOLAS’ Resolutio, und so dient sein Werk letztlich dazu, aus dem reich best¨uckten Garten der sp¨atmittlelalterlichen Sentenzenliteratur jene Fr¨uchte ans Licht zu bringen, die im Schatten der großen B¨aume vergessen zu gehen drohen. Dass nun in der vorliegenden Frage ausgerechnet J OHANNES DE BASSOLIS eine so prominente Beachtung erf¨ahrt, mag damit zusammenh¨angen, dass seine Darstellung der Wirksamkeitsproblematik mit ihrer Unterscheidung von f¨unf eigenst¨andigen Positionen so klar strukturiert und zugleich umfassend ist wie kein anderer Beitrag, der in der vorliegenden Untersuchung er¨ortert worden ist.133 Dies unterstreicht aber einmal mehr: Unter den Darstellungen von A LEX ANDER VON H ALES, B ONAVENTURA , T HOMAS VON AQUIN , H EINRICH VON G HENT, D UNS S COTUS, R ICHARDUS DE M EDIAVILLA, D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN und F RANCISCUS DE M AYRONIS – um nur die bekannteren der re¨ zipierten Scholastiker zu nennen134 – weiß N ICOLAS sehr wohl den Uberblick zu wahren und sich auf dieser Grundlage ein eigenst¨andiges Urteil zu bilden. 22.3.2 Pelbartus Temeswar Eine ganz andere Figur, die sich um 1500 vom konventionellen Sentenzenkommentar l¨ost, ist P ELBARTUS T EMESWAR. Ebenso wie N ICOLAS D ENYSE ist auch P ELBARTUS, ein ungarischer Franziskaner, der in Krakau studiert hat, vorwiegend als Homiletiker bekannt.135 Am Ende seines Lebens macht er sich 132 N ICOLAS D ENYSE: Resolutio Theologorum VI p 1, port. 1, q un., ed. Venedig 1568, fol. 352ra: His praemissis ponenda est talis conclusio. Sacramenta non sunt causa effectiva gratiae, nec virtutem aliquam habent [inhaerentiae] proprie loquendo de causa et virtute, bene improprie et large loquendo. 133 S.o., S. 188. Es w¨are zu untersuchen, inwiefern f¨ur BASSOLIS Rezeption auch die Tatsache eine Rolle spielt, dass seit 1480 der vierte Band seines Sentenzenkommentars in Druckform vorliegt (GW 03722). Allerdings kann ein solcher Druck nicht losgel¨ost von der Rezeption eines Werks gesehen werden – h¨atte es nicht vorher schon eine Rezeption gegeben, dann w¨are es wohl auch gar nicht erst gedruckt worden. 134 Vgl. dazu ganz knapp auch W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 165. 135 Zu P ELBARTUS T EMESWAR († 1504) vgl. neben W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 190–193, und KOSZTOLNYIK , Z OLTAN J.: Pelbartus of Temesvar. A Franciscan Preacher and Writer of the Late Middle Ages in Hungary, in: Vivarium 5 (1967), S. 100–110, v.a. auch KOSZTOLNYIK , Z OLTAN J.: Some Hungarian Theologians in the Late Renaissance, in: Church History 57 (1988), S. 5–18, hier S. 8–18.
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aber an die Zusammenstellung eines Aureum Rosarium, eines goldenen Rosengartens, der die Themen von P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen aufnimmt und in eine v¨ollig neue Struktur gießt: Zu jedem der vier B¨ucher der Sentenzen konzipiert P ELBARTUS eine Art Nachschlagewerk, in dem in alphabetischer Ordnung zu den wichtigsten Stichworten des jeweiligen Buchs stets eine ganze Reihe von Quaestionen zusammengestellt sind.136 Wie der Titel verr¨at, sieht sich auch P ELBARTUS vor allem als Sammler, und interessanterweise veranlasst auch ihn das Ideal der brevitas zu seiner Reorganisation des Sentenzenmaterials: Ich habe bewusst festgelegt, dass das Buch der vorliegenden Ausgabe Aureum Rosarium zu nennen ist. Denn wie n¨amlich das wertvolle Gold gesammelt wird, indem es rotschimmernd aus den verborgenen Adern der Erde durch das Feuer ausgelesen wird, so werden im vorliegenden Werk die quaestiones und subtilen rationes aus den entlegenen Tiefen der theologischen Weisheit von den heiligen Doktoren durch das Feuer der Liebe und den Eifer um das Seelenheil in erlesener und sehr sorgf¨altiger Weise gesammelt. Aber ich habe auch beschlossen, dass dieses Werk als Rosengarten zu bezeichnen sei, und zwar deswegen, weil ebenso, wie im Rosengarten aus vielen die erlesen bl¨uhenden Rosen gepfl¨uckt werden, auch hier die klareren und wirksameren und n¨utzlicheren rationes theologischer Wahrheit knapp zusammengetragen werden.137
Auch P ELBARTUS will in kurzen Ausz¨ugen die wertvollsten Begr¨undungen und ¨ Uberlegungen scholastischer Theologen zusammentragen,138 und auch P EL 136 So erkl¨art er in einer kurzen Vorrede: Statui autem si Deo propitio vita comes fuerit mihi, hoc totale opus in partiales libros subdividere. Singulos eorundem secundum ordinem alphabeticum per capitula ordinate prosequendo, quatenus requirentibus facilius occurrat et promptius materia de qua fuerit quaestio (Aureum Rosarium I ‘Ab auro’, ed. Hagenau 1503, fol. a2ra). Wie er es geahnt zu haben scheint, verfasst P ELBARTUS das vierte Buch nicht mehr selbst, vgl. das Explicit, Aureum Rosarium IV, ed. Hagenau 1508, fol. B7vb: Rosarii theologicae sapientiae aurei quartus liber, pro elucidatione Sententiarum libri quarti, per fratrem Osvaldum de Lasko, divi ordinis sancti Francisci de observantia, tunc provincie Hungariae vicarium (Fratre Pelbarto defuncto) consummatus. 137 Praesentis editionis librum bene Aureum Rosarium theologiae vocitandum sanxi, quia nimirum sicut aurum preciosum rutilans ex absconditis venis terrae exquisitum igne conflatur, sic opere isto quaestiones et rationes subtiles de profundissimis theologicae sapientiae abditis a sanctis doctoribus exquisite accuratius conflantur igne charitatis zelo salutis animarum. Sed et Rosarii nomine appellandum censui opus idipsum, pro eo quod quemadmodum in rosario e multis electae colliguntur reso vernantes, ita hic clariores et efficaciores ac perutiliores veritatis theologicae raiones breviter comportantur (Aureum Rosarium I ‘Ab auro’, ed. Hagenau 1503, fol. a2ra). 138 Bei seinem Lob auf die brevitas scheint P ELBARTUS allerdings einem Missverst¨andnis zu unterliegen, denn er f¨uhrt das Sprichtwort gaudent brevitate moderni an. Das l¨asst sich nun tats¨achlich verstehen, als ob sich die Modernen an der K¨urze erfreuen w¨urden; moderni kann aber auch ein Genitiv Singular sein, und dann heißt es sinngem¨aß: Sie freuen sich ” an der Kurzlebigkeit des Neuen.“ In diesem Sinne wird das Sprichwort zumindest in einer ausf¨uhrlicheren Version tradiert (Ut potatores gaudent bonitate Falerni, sic nunc doctores gau-
22.3 Abl¨osungen vom konventionellen Sentenzenkommentar
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BARTUS sieht sich hierzu vor allem p¨adagogisch motiviert: Denn auch wenn sich einwenden lasse, dass ein solches Unternehmen u¨ berfl¨ussig sei, weil doch die doctores selbst sich schon zur Gen¨uge ge¨außert h¨atten, hoffe er doch, dass es mei similibus minus doctis von einigem Nutzen sei – das Gold n¨amlich, das ¨ bei den Reichen im Uberfluss vorhanden sei, h¨atten die Armen n¨otig.139 Und so stellt er denn seine Quaestiones f¨ur diese weniger Gebildeten zusammen, ordnet sie unter seine Stichworte und beantwortet sie unter Berufung auf die rationes einer a¨ hnlichen Gruppe von Scholastikern, wie sie auch bereits bei N ICOLAS D ENYSE zu finden ist.140 Das vierte Buch allerdings, in dem sich erwartungsgem¨aß auch die Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsfrage finden, geht nun nicht mehr g¨anzlich auf P EL BARTUS zur¨ uck, da er noch vor dem Abschluss seines Projekts stirbt, dessen Vollendung sein Sch¨uler O SWALD DE L ASKO u¨ bernimmt.141 Dennoch unterscheidet sich die Vorgehensweise dieses vierten Bandes nicht grunds¨atzlich von jener der vorangehenden drei. In der Vorrede dieses letzten Bandes wird – in Reaktion auf die Vorrede zum ersten – das Ideal der brevitas nun zwar pl¨otzlich relativiert, doch entspricht das nicht minder schw¨ulstig skizzierte Vorgehen dennoch genau jenem der ersten drei B¨ande,142 und die Behandlung der einzelnen
dent brevitate moderni, vgl. L IVER , R ICARDA (Hrsg.): Thesaurus proverbiorum Medii Aevi. Bd. 12: tr¨ub–weinen, Berlin: de Gruyter, 2001, S. 439). Das Missverst¨andnis scheint aber verbreitet gewesen zu sein: So f¨uhren die Epistolae obscurorum virorum einen fast schon promovierten Mediziner an, der mit E RASMUS zu streiten versucht: Postquam ita dixissem et multa alia verba quae hic causa brevitatis omitto, quia ut scitis ex antiquo dicterio ‘gaudent brevitate moderni’, tunc risit Erasmus et nihil respondit, quia eum tam subtili argumentatione superavi (Episolae obscurorum virorum I 42, ed. B¨omer (1978), S. 73). 139 Aureum Rosarium I ‘Ab auro’, ed. Hagenau 1503, fol. a2ra: Quod si quis causetur superfluum hoc fore opus cum doctores theologi sufficienter scriptitaverint de omnibus huiusmodi quaestionibus et materiis, fateor revera quod et si eruditis maioribus videatur superfluum, tamen mei similibus minus doctis utique est satis necessarium. Quemadmodum aurum quod diviti est superfluum pauperi est necessarium. So wird das Werk ab dem zweiten Band in den Explicits denn jeweils auch eine elucidatio, eine ‘Erhellung’ genannt. 140 S.o., S. 487. Eine zus¨atzliche Gestalt erh¨alt bei P ELBARTUS zudem ein besonderes Gewicht: Zum st¨andigen Begleiter seiner Darstellungen wird W ILHELM VON VAUROUILLON, u¨ ber den er denn auch sagt: Ego iustum et rectius censeo me sequi (sicuti in aliis, ita in hoc semper a principio huius rosarii aurei iuxta Dei gratiam mihi concessam) excellentissimum hunc Guillermum Worlingium, tum quia est Scotista subtilissimus in suis dictis, ut patet per totum ubicumque allegatus est hoc libro, tum quia verius scripsit iuxta sententiam Scoti per omnia, tum quia opinionum diverticula magis exquisite et luculentius alia omnia necessaria explanavit brevius (Aureum Rosarium II ‘Gratia IV’, n 33, ed. Hagenau 1504, fol. q1rb; vgl. zu dieser Stelle bereits W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 192, Anm. 9). 141 S.o., Anm. 136. Zu O SWALD DE L ASKO, dessen Einfluss auch schon im dritten Band vermutet wird, vgl. KOSZTOLNYIK: Hungarian Theologians (1988), S. 9f. 142 Ad nonnullorum avisationem in scribendo inter prolixitatem et brevitatem studui medium tenere ut et minus exercitatis non esset difficilis, et etiam bene doctis usquequaque non foret despicabilis, dum sensus roseis floribus et aurea luce rutilantibus invenirentur pulchre
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Kapitel 22: Scotistische Versionen des Pakt-Modells
Quaestiones f¨allt nicht ausf¨uhrlicher oder knapper aus als vorher. Die Wirksamkeitsproblematik selbst wird als zehnte und elfte Quaestio zum Stichwort ‘Abel’ abgehandelt. Das ist nun nicht der naheliegendste Begriff zur Kl¨arung der allgemeinen Sakramentenlehre, hat aber den Vorteil, dass die grunds¨atzlichen Fragen gleich zu Beginn des Buchs behandelt werden k¨onnen.143 In diesem vierten Band des Aureum Rosarium erscheinen lediglich die zwei bekanntesten Modelle zur L¨osungs der Wirksamkeits-Problematik: ein Mitwirkungs-Modell, das T HOMAS nachempfunden ist, und ein Pakt-Modell, das sowohl auf B ONAVEN TURA als auch auf S COTUS zur¨ uckgef¨uhrt wird.144 Ein Text-Vergleich zeigt aber, dass die Darstellung des Pakt-Modells allein auf B ONAVENTURAS Kommentar zur¨uckgeht, der weitgehend w¨ortlich zitiert wird. Interessanter ist die Darstellung der Mitwirkungs-Variante: Denn wie schon S TEPHAN B RULEFER nicht mehr bei T HOMAS selbst, sondern bloß bei B ONAVENTURA zusammentr¨agt, was zum Mitwirkungs-Modell zu sagen sei, und wie auch N ICOLAS D E NYSE seine Darstellung des Mitwirkungs-Modells weitgehend an J OHANNES DE BASSOLIS orientiert, wird auch im Aureum Rosarium die MitwirkungsVariante aus einem fremden Text u¨ bernommen: Als Vorlage dient hier allerdings kein franziskanischer Kommentar, sondern nichts anderes als die Lectura ¨ . mellicensis des N IKOLAUS VON D INKELSB UHL ¨ , der in den bisher behandelDer Bezug auf N IKOLAUS VON D INKELSB UHL ten scotistischen Texten, die weitgehend in Frankreich entstanden sind, kaum denkbar ist, liegt beim vorliegenden Text angesichts der geographischen Ge¨ gebenheiten nahe: Denn D INKELSB UHLS Melker Lectura ist, wie oben beschrieben, vor allem in Zentral- und Osteuropa rezipiert worden.145 Der Text der Lectura erscheint im Aureum Rosarium zudem in stark gek¨urzter Weise, so ¨ dass es gut sein kann, dass hier nicht direkt aus D INKELSB UHLS Werk abgeschrieben worden ist, sondern aus einer der unz¨ahligen Abbreviationes, die, wie sich oben gezeigt hat, ganz unterschiedliche theologische Ausrichtungen haben annehmen k¨onnen.146 Unbeeindruckt von der ausgleichenden Darstellung der urspr¨unglichen Vorlage wird denn auch im Aureum Rosarium erkl¨art, dass B O NAVENTURAS L¨ osung v¨ollig zu recht jener von T HOMAS vorzuziehen sei.147 refecti tanquam flosculis novarum rerum conspicui, sanctorum videlicet doctorum Bonaventurae, Thomae ac Richardi potissime subtilitatibus Scoti lucubrati, necnon aliorum (Aureum Rosarium IV Prol., ed. Hagenau 1508, fol. a1rb). 143 Die Verbindung zur Sakramentenlehre wird dadurch hergestellt, dass Abels Ermordung durch Kain als sacramentalis sacrificium verstanden wird (ebd.). 144 Sed sunt de hoc duae famosae opiniones: una est beati Thomae et multorum secum concordantium. [..|..] Alia opinio est sancti Bonaventurae [...] et etiam Scoti et aliorum magnorum magistrorum (ebd. ‘Abel’ q 11, fol. a5rb–va). 145 S.o., S. 378. 146 S.o., S. 382. 147 Merito in hac distinctione quarti quaestione quarta praeponitur sanctus Bonaventura sancti Thome (Aureum Rosarium IV, ‘Abel’ q 11, ed. Hagenau 1508, fol. a5vb).
22.3 Abl¨osungen vom konventionellen Sentenzenkommentar
491
Wie andere scotistische Kompendien zeugt damit auch das Rosarium von jener F¨ulle, aus der Autoren am Ende des Mittelalters gesch¨opft haben. Zwar hat das Rosarium nicht die intellektuelle Finesse der Resolutio von N ICOLAS D ENYSE, und es h¨alt sich gerne und oft an einen der Großen. Seinem eigenen Anspruch wird es damit aber gerecht, und es erf¨ullt die Zielsetzungen, die P ELBARTUS T EMESWAR und O SWALD DE L ASKO umreißen. Wie die anderen Kompendien, Kommentare und Neuordnungen h¨alt sich zudem auch das Rosarium an vorgespurte L¨osungen, verzichtet aber deswegen nicht auf einen rationalen Anspruch: So sehr das Rosarium bloß sammelt, sind es doch explizit rationes, die gesammelt werden, und wenn B ONAVENTURA den Vorzug vor T HOMAS erh¨alt, dann geschieht dies, nachdem ausf¨uhrlich B ONAVENTURAS Gr¨unde zitiert worden sind.148 ¨ Dass nun ausgerechnet D INKELSB UHL in diesem Kontext wieder auftaucht, mag ein weiterer Beleg sein f¨ur den Erfolg von dessen ausgleichender Darstellungsweise. Damit schließt sich nun aber auch der Kreis und f¨uhrt zur¨uck an den Anfang des vorliegenden Teils und zu der Frage, warum in Glaubensfragen die Geltung der ratio beschr¨ankt sein soll, wenn sich doch auch die großen und approbierten Theologen des 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts der ratio bedient haben. Die Antwort in den hier besprochenen Texten f¨allt einhellig aus: In Anlehnung an die großen Meister und in Auslegung ihrer Positionen gibt es keinen Grund, den Gebrauch der ratio einzuschr¨anken, und zwar auch dann nicht, wenn komplexe und nicht immer abschließend beantwortbare Fragen wie die nach der sakramentalen Wirkweise zur Debatte stehen. Vom Albertisten L AMBERTUS DE M ONTE u¨ ber die zahlreichen Thomisten, die zuerst in Anlehnung an C APREOLUS und sp¨ater auch unter R¨uckgriff auf T HOMAS’ Summa dessen Lehre verteidigen, bis zu den scotistischen Kompendien, Kommentaren und Neuans¨atzen eint die hier untersuchten Vertreter der via antiqua diese ¨ grunds¨atzliche Uberzeugung einer Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft. Wie aber sah dies bei Vertretern der via moderna aus?
148 Was den Verfasser des Rosariums nicht hindert, wie unz¨ahlige seiner Vorg¨anger auch auf jene Stelle in B ONAVENTURAS Kommentar zu verweisen, laut der sich W ILHELM VON AUVERGNE in Anwesenheit von A LEXANDER VON H ALES f¨ur diese Variante entschieden habe (ebd.; s.o., S. 148). P ELBARTUS’ Verwendung philosophischer Argumente in theologischen Fragen best¨atigt auch KOSZTOLNYIK: Hungarian Theologians (1988), S. 15.
Kapitel 23
Rationalisierung des neuen Wegs? Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren ¨ Im kurzen Uberblick u¨ ber die Entwicklung der Sentenzentradition des 14. Jahrhunderts, der im ersten Teil dieser Untersuchung vorgelegt worden ist, hat sich bereits abgezeichnet, dass zu der großen Mehrheit der Vertreter des Pakt-Modells auch jene Autoren geh¨oren, die in der Optik des 15. Jahrhunderts als Vorl¨aufer der via moderna betrachtet worden sind.1 O CKHAM vertritt wie D U RANDUS die Meinung, die Sakramente seien causae sine quibus non, und W O DEHAM, der die Wirksamkeitsfrage bloß als ein Anh¨angsel zur Sch¨ opfungsproblematik sieht, macht deutlich, dass Gott bei einem angemessenen Sakra¨ mentenvollzug ex pacto cum ecclesia die Gnade spende.2 Wenn D INKELSB UHL sich daher in seiner Melker Lectura f¨ur das Mitwirkungs-Modell entscheidet, dann gibt er nicht nur den auctoritates vor der ratio den Vorzug, sondern er schl¨agt auch einen anderen Weg ein als jene mutmaßlichen Vorl¨aufer der via moderna. Allerdings zeichnet sich schon im sp¨aten 14. Jahrhundert ab, dass auch unter nominalistischen Autoren die Wahl des zutreffenden Modells sakramentaler Wirksamkeit l¨angst nicht mehr so eindeutig ausf¨allt wie noch im fr¨uhen 14. Jahrhundert. Bevor das vorliegende Kapitel daher mit G ABRIEL B I EL und J OHN M AIR auf zwei der bedeudendsten Repr¨asentanten einer nominalistischen Theologie des ausgehenden Mittelalters eingeht, seien erst noch zwei nicht minder bedeutende Theologen des sp¨aten 14. Jahrhunderts vorgestellt, die im 15. Jahrhundert ebenso wie O CKHAM und WODEHAM unter die Vorl¨aufer der via moderna gerechnet werden: Es handelt sich um P IERRE D ’A ILLY und M ARSILIUS VON I NGHEN.3 1
S.o, Teil I, Kap. 4. A DAM W ODEHAM: Paris, Univ. 193, fol. 211va: Augustinus non vult quod aqua abluens corpus elicitive sive productive attingit gratiam qua abluitur anima, sed quod ablutio sacramentalis est qua posita et non posito obice Deus dat gratiam [...] ex pacto cum ecclesia. Zu O CKHAM und D URANDUS s.o., S. 60 und S. 62. 3 Vgl. aus den Aktenst¨ucken zum Wegestreit, die E HRLE: Peter von Candia (1925) ediert hat, insbesondere die Ingolst¨adter Dokumente (um 1500), in denen sowohl aus nominalistischer als auch aus realistischer Sicht die genannten Autoren unter die Nominalisten gez¨ahlt werden: f¨ur die nominalistische Seite vgl. v.a. S. 329 (u.a. M ARSILIUS und O CKHAM) und S. 333 (G REGOR VON R IMINI, O CKHAM, J OHANNES B URIDAN, M ARSILIUS, J EAN G ERSON 2
23.1 Das Pakt-Modell und die Ursachenfrage
493
23.1 Diskussionen des sp¨aten 14. Jahrhunderts: Das Pakt-Modell und die Ursachenfrage 23.1.1 Hinf¨uhrung: Ockham und die causae per accidens Wenn O CKHAM in seinem Sentenzenkommentar zum Schluss kommt, dass die Sakramente bloß causae sine quibus non seien, dann scheint er – entgegen allen Argumenten nicht nur von T HOMAS, sondern auch von S COTUS – anzunehmen, dass die Sakramente nur in einem uneigentlichen Sinn Ursache der Gnade ¨ seien.4 O CKHAMS Uberlegungen widersetzen sich allerdings nicht einfach bloß einer m¨oglichen Kritik seiner Vorg¨anger: In den einleitenden Argumenta zu seiner Wirksamkeits-Quaestio zitiert er vielmehr die einzige a¨ ltere SakramentenDefinition, welche den Urs¨achlichkeits-Aspekt explizit mit einbezieht (n¨amlich die Sakramenten-Definition von P ETRUS L OMBARDUS);5 und er greift in seiner Darstellung von T HOMAS’ Mitwirkungs-Variante auch dessen Argument gegen das Pakt-Modell auf, dass eine causa sine qua non als bloß akzidentielle Form von Urs¨achlichkeit in einer Definition nichts verloren habe.6 O CKHAM fokussiert daher geradezu auf die Ursachenfrage; im Gegensatz zu T HOMAS (und letztlich auch zu S COTUS) erkl¨art er aber, eine causa sine qua non und eine causa per accidens seien keineswegs gleichzusetzen: Eine akzidentielle Ursache ist jene, bei der – wenn sie weggelassen wird – die Wirkung dennoch eintritt, so zum Beispiel die Weiße [der Haut eines Baumeisters], die eine akzidentielle Ursache hinsichtlich des Hausbaus ist. Werden nun aber die Sakramente weggelassen, so erfolgt nichts in der Seele, und auch die Gnade wird nicht vermittelt.7
¨ ); f¨ur die realistische Seite S. 335 (O CKHAM, J OHAN und N IKOLAUS VON D INKELSB UHL NES B URIDAN , P IERRE D ’A ILLY , M ARSILIUS , A DAM W ODEHAM, J OHANNES D ORP und A LBERT VON S ACHSEN). 4 Zu T HOMAS’ Argumenten gegen eine causa sine qua non s.o., S. 154; zu den Argumenten von S COTUS s.o., S. 186. 5 W ILHELM VON O CKHAM: Reportatio in quartum sententiarum q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 4: Magister in littera: ‘Sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma’ ita ‘ut eius similitudinem gerat et causa exsistat’. Sed in nullo genere causae nisi in genere causae efficientis, igitur etc. Zu dieser Definition und ihrer Erweiterung der zugrundeliegenden AUGUSTINISCHEN Definition s.o., S. 126. 6 Reportatio in quartum sententiarum q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 6: Causa sine qua non, si nihil faciat ad inducendum effectum, nec disponendo nec meliorando, nihil habebit supra causas per accidens, nec per consequens debet poni in definitione sacramenti. Vgl. T HOMAS VON AQUIN : In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 31. 7 Reportatio in quartum sententiarum q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 8f.: Causa per accidens est illa qua amota, nihilominus | ponitur effectus. Exemplum de albo quod est causa per accidens respectu actus aedificandi. Sed amotis sacramentis non sequitur aliquid in anima, nec confertur gratia, igitur etc. Zum Beispiel des Hausbaus, das aus A RISTOTELES’ Metaphysik stammt, s.o., S. 154.
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
Anders als D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN, der zwischen verschiedenen Arten von akzidentiellen Ursachen zu unterscheiden versucht hat,8 trennt O CK HAM die causae sine quibus non grunds¨atzlich von den causae per accidens: Weil die Sakramente tats¨achliche Voraussetzung f¨ur die Gnadenvermittlung seien, k¨onnten sie nicht einfach bloß akzidentielle Ursachen sein, und deswegen – so die unausgesprochene Folgerung – d¨urften sie auch in einer Definition erscheinen. Mit dem allerdings, was O CKHAM daraus explizit folgert, geht er noch einen Schritt weiter: Denn betrachte man, was eine Ursache sei, n¨amliche etwas, bei dessen Dasein etwas anderes folge, so ließen sich zwei Formen von Ursachen unterscheiden: eine, bei der dieses andere naturaliter folge, und eine, bei der es ex sola voluntate alterius, allein aufgrund des Willens eines dritten eintrete.9 W¨ahrend das erste dem allgemeinen Verst¨andnis physikalischer Ursachen entspricht, greift O CKHAM mit dem zweiten einen Grundgedanken des PaktModells auf. Seine Pointe besteht nun allerdings nicht einfach bloß darin, dass in diesem zweiten Sinne eine causa sine qua non als Ursache zu betrachten sei, was er am Beispiel einer verdienstlichen Tat durchaus illustriert.10 Vielmehr dreht er den Spieß um und erkl¨art, dass dem ersten Sinn gem¨aß die Sakramente deswegen nicht Ursache der Gnade sein k¨onnten, weil die sakramentalen Instrumente, derer Gott sich bediene, bloß akzidentiell in Bewegung seien: Gott h¨atte ebenso gut ein ruhendes St¨uck Holz statt dem bewegten Taufwasser zur Reinigung der Seele w¨ahlen k¨onnen, weshalb es nicht an einer instrumentalen Kraft und Urs¨achlichkeit liegen k¨onne, dass die Sakramente die Gnade verur-
8
S.o., S. 200. F¨ur einen Vergleich mit T HOMAS und S COTUS s. M C C ORD A DAMS , M ARILYN: Powerless Causes. The Case of Sacramental Causality, in: M ACHAMER , P ETER/ W OLTERS , G EREON (Hrsg.): Thinking about Causes. From Greek Philosophy to Modern Physics, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 2007, S. 47–76, hier S. 66f. 9 Reportatio in quartum sententiarum q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 12: Causa, cum sit illud ad cuius esse sequitur aliud, dupliciter potest accipi. Uno modo quando ex natura rei ad praesentiam et esse unius sequitur naturaliter esse alterius. Alio modo quando ad esse unius sequitur esse alterius ex sola voluntate alterius. Das Verst¨andnis einer Ursache als illud ad cuius esse sequitur aliud f¨uhrt O CKHAM bereits in den einleitenden Argumenta seiner Quaestio (vgl. ebd. S. 3) auf A RISTOTELES’ Metaphysik V zur¨uck, wo sie sich im Wortlaut allerdings nicht findet. Vgl. ROBERT, AUR E´ LIEN: L’explication causale selon Guillaume d’Ockham, in: Quaestio 2 (2002), S. 241–265, hier S. 249. 10 Reportatio in quartum sententiarum q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 12: Isto [secundo] modo dicimus quod actus meritorius dicitur causa respectu praemii ex sola voluntate divina. Et causa sine qua non dicitur secundo modo causa. Entsprechend kann O CKHAM im Hinblick auf P ETRUS ’ L OMBARDUS Sakramenten-Definition am Ende seiner Ausf¨uhrungen sagen: Dico quod sacramenta sunt causa qua posita Deus vult agere, et aliter non (ebd. S. 19). O CKHAM h¨alt damit an einer Differenz zwischen eigentlicher und sine qua non-Kausalit¨at fest, wie sie P ETRUS AUREOLI in Auseinandersetzung mit den causae per accidens aufzuheben versucht hat (s.o., Teil II, Kap. 13.2.2).
23.1 Das Pakt-Modell und die Ursachenfrage
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sachten.11 Aus der Perspektive seines Pakt-Modells baut daher, wer dennoch den Eigenschaften der Sakramente eine Mitwirkung zuspricht, selbst auf einer bloß akzidentiellen Ursache auf. ¨ O CKHAM l¨asst es weitgehend bei diesen Uberlegungen zur Ursachenproblematik bleiben. Angesichts all der anderen Problemfelder, die im Rahmen der Wirksamkeitsproblematik auch noch angesprochen werden k¨onnten, zeigt sich in seinem Ansatz daher eine eigent¨umliche Konzentration auf die Ursachenfrage, die sich in den bisher vorgestellten Texten nicht hat nachweisen lassen. ¨ Seine Uberlegungen zu den causae ragen nun aber nicht nur durch diesen spezifischen Fokus hervor: Auch inhaltlich wagt sich O CKHAM in Neuland vor, wenn er unterstellt, Gott h¨atte anstelle des Taufwassers auch ein unbewegtes St¨uck Holz als Sakrament einsetzen k¨onnen. Denn immerhin ist bisher ein entscheidender Aspekt des scholastischen Sakramenten-Verst¨andnisses gewesen, dass ein Sakrament, wie P ETRUS L OMBARDUS es ausdr¨uckt, imaginem gerat: versinnbildlicht, was in ihm vollzogen wird – denn nur so k¨onnten die Menschen nachvollziehen und dar¨uber belehrt werden, was in den Sakramenten vor sich gehe.12 Bei O CKHAM allerdings fehlt dieser innere Bezug. Vielmehr h¨alt er bereits in seiner Definition der Sakramente fest, ein Sakrament sei schlicht alles, was wirksam Gottes Gnadenwirkung bezeichne; und er h¨alt seine Definition ausdr¨ucklich so offen und bezieht nicht einmal mehr den sinnlichen Aspekt der Sakramente mit ein, weil es Gott auch offen gestanden h¨atte, geistige Dinge als Sakramente einzusetzen.13 O CKHAM ersetzt damit die bildliche Verbindung durch eine reine Zeichenrelation, und nicht von ungef¨ahr deutet sich hier, wie noch ausf¨uhrlicher zu zeigen sein wird, eine Parallele zu jener anderen similitudo an, jener zwischen Konzepten und konzipierten Dingen, die ebenfalls von keinem so konsequent durch eine Zeichenrelation ersetzt worden ist wie von 11 Ebd. S. 13: Quod aqua et huiusmodi sensibilia moventur, hoc est solum per accidens, quia Deus posset ordinari quod anima mundaretur quando corpus tangeret lignum quiescens sicut in ablutione aquae motae. 12 Bereits AUGUSTIN h¨alt ja fest, dass nur Sakrament genannt werden k¨onne, was eine ¨ Ahnlichkeit, eine similitudo mit den Dingen habe, deren Sakrament es sei (s.o., S. 122), so dass P ETRUS L OMBARDUS in Anlehnung an dieses Zitat erkl¨art: Sacramentum eius rei similitudinem gerit, cuius signum est (Sententiae IV d 1, c 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 233). Zum Belehrungsaspekt, den vor allem H UGO VON S T. V IKTOR hervorhebt, vgl. ebd., c 5, S. 235: Propter eruditionem etiam instituta sunt, ut per id quod foris in specie visibili cernitur, ad invisibilem virtutem quae intus est agnoscendam mens erudiatur. 13 Reportatio in quartum sententiarum q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 5: Oratio exprimens quid nominis [sacramenti] est ista: significare efficaciter effectum Dei gratuitum. Ista autem oratio non praedicatur modo de facto nisi de sensibilibus. Si tamen Deus institueret spiritualia ad sic significandum effectum Dei gratuitum, tunc ista ita competeret spiritualibus sicut modo sensibilibus. Noch deutlicher heißt es in einigen Codices an der vorliegenden Stelle: non autem appono ‘significare sensibiliter’, quia Deus posset instituere signa spiritualia, sicut de facto instituit sensibilia (vgl. ebd., Anm. 2).
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
O CKHAM.14 In den Texten, die f¨ur die vorliegende Arbeit untersucht worden sind, dauert es nun allerdings bis ins sp¨ate 14. Jahrhundert, bis sich im Rahmen der Wirksamkeitsdebatte eine Rezeption dieser Ausf¨uhrungen feststellen l¨asst.15 23.1.2 Pierre d’Ailly und die causae secundae P IERRE D ’A ILLY, der 1376/1377 in Paris die Sentenzen kommentiert, setzt sich im Rahmen seiner Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsfrage eingehend auch ¨ mit O CKHAMS Uberlegungen auseinander.16 Wie auch bei seinen Pariser Zeitgenossen H EINRICH VON OYTA, P ETRUS DE C ANDIA oder H EINRICH VON L ANGENSTEIN, sind die Quaestiones seines Kommentar in einer geometrischen Weise strukturiert, und obgleich seine einzige Quaestio zur allgemeinen Sakramentenlehre lediglich nach der Vollkommenheit der neutestamentlichen Sakramente fragt, wird aus den einleitenden Argumenta und einer zus¨atzlichen, knappen divisio quaestionis doch deutlich, dass er sich hier im Rahmen eines ersten Artikels auch der Wirksamkeitsproblematik widmen wird.17 Erst in einem dritten Artikel befasst er sich auch mit der Definition der Sakramente. Um das, was er zur Wirksamkeitsfrage ausf¨uhrt, besser einordnen zu k¨onnen, seien aber diese Ausf¨uhrungen zur Sakramenten-Definition als erstes vorgestellt. ¨ Nach einigen allgemeinen definitionstheoretischen Uberlegungen, die P IER RE D ’A ILLY weitgehend aus O CKHAMS Reportatio u ¨ bernimmt, f¨uhrt er vier 14
S.o., S. 74; ausf¨uhrlicher dazu dann auch unten, Kap. 24. W ODEHAM bezieht sich zwar bereits im Rahmen seiner Ausf¨uhrungen zur allgemeinen Sakramentenlehre explizit auf andere Passagen aus dem vierten Buch von O CKHAMS Reportatio (vgl. etwa Paris, Univ. 193, fol. 209vb: videtur aliquibus sicut Hocham super quartum), ¨ interessiert sich f¨ur die vorliegenden Uberlegungen aber nicht – mit seiner Ausrichtung auf die Sch¨opfungsproblematik haben sie auch wenig zu tun. 16 Zu P IERRE D ’A ILLY (1350–1420) und seinem Sentenzenkommentar vgl. neben G LO RIEUX , P IERRE : Les ann´ees d’´etudes de Pierre d’Ailly, in: Recherches de th´eologie ancienne et m´edi´evale 44 (1977), S. 127–149 nun v.a. C ALMA , M ONICA: Pierre d’Ailly. Le commentaire sur les Sentences de Pierre Lombard, in: Bulletin de philosophie m´edi´evale 49 (2007), S. 139–194. Seine Darstellung der Wirksamkeitsproblematik untersucht bereits C OURTENAY, W ILLIAM J.: Covenant and Causality in Pierre d’Ailly, in: Speculum 46 (1971), S. 94–119, hier S. 111–116. 17 In der Quaestio selbst werden allerdings nicht auch bereits die Pr¨amissen f¨ur das quaesitum mit einbezogen, die dann in den beiden ersten Artikeln begr¨undet werden m¨ussten (wie das bei der streng geometrischen Methode der Fall w¨are, s.o., S. 252). Sie lautet schlicht: utrum ex lege Christi recepta sit summa perfectio sacramentorum (Quaestiones super sententiarum IV q 1, ed. Strassburg 1490, fol. z1ra). In der divisio quaestionis heißt es: In ista quaestione sicut et in omnibus sequentibus erunt tres articuli ex quibus patebit quaestio. Primus erit iuxta materiam primi argumenti, utrum sacramenta legis novae habeant causalitatem effectivam respectu gratiae. Secundus erit iuxta materiam secundi argumenti utrum posse creare simpliciter repugnet creaturae. Tertius erit iuxta materiam tertii argumenti, utrum sacramenta legis novae sint perfectiora sacramentis legis antiquae (ebd.). 15
23.1 Das Pakt-Modell und die Ursachenfrage
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Bestimmungen dessen an, was ein Sakrament sei: Eine erste, die er als Definition des P ETRUS L OMBARDUS ausweist, die er um den Urs¨achlichkeits-Aspekt aber ebenso k¨urzt wie um den Aspekt der Versinnbildlichung;18 als zweites die AUGUSTINISCHE Bestimmung der Sakramente als sacrae rei signa; drittens die Sakramenten-Definition von S COTUS; und als viertes die eben zitierte Bestimmung von O CKHAM.19 Dass dabei seine Verk¨urzung von P ETRUS ’ Definition kein Versehen ist, wird im direkten Anschluss deutlich, denn P IERRE D ’A ILLY gibt eine knappe, an S COTUS angelehnte Auslegung von P ETRUS ’ Bestimmung, in der Kommentare zur Urs¨achlichkeit und zur Versinnbildlichung er¨ neut ausbleiben.20 Offensichtlich will P IERRE jegliche Ahnlichkeitsrelation aus seinem Sakramenten-Verst¨andnis heraushalten und stattdessen allein deren Zeichencharakter hervorheben. So erstaunt es denn auch nicht, dass P IERRE selbst O CKHAMS Verzicht auf den Sinnlichkeits-Aspekt gutheißt: Mit seiner allgemeineren Bestimmung, die sowohl f¨ur Sinnliches als auch f¨ur Geistiges gelten k¨onne, scheine ihm O CK HAM nicht nur richtig zu liegen – bene dicit ut mihi videtur –, sondern er harmoniere auch sehr“ mit dem AUGUSTINISCHEN Verst¨andnis der Sakramen” te als sacrae rei signa.21 O CKHAMS Ansicht leuchtet P IERRE D ’A ILLY daher nicht nur ein, sondern sie ist auch autoritativ verb¨urgt. Eines allerdings scheint ihm in O CKHAMS Bestimmung dennoch zu fehlen: Wie n¨amlich schon P E TRUS L OMBARDUS AUGUSTINS grunds¨atzliche Definition deswegen weiter spezifiziert habe, weil sonst jede Form von heiligen Zeichen unter die Sakramente zu z¨ahlen w¨are,22 m¨usse auch O CKHAMS Definition etwas enger gefasst werden. Und hier, so P IERRE, zeige sich der Vorteil von S COTUS’ Definition: 18
Ebd. fol. z5va: diffinit magister sacramentum quod est invisibilis gratiae visibilis forma; vgl. P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 1, c 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 233: Sacramentum enim proprie dicitur, quod ita signum est gratiae Dei et invisibilis gratiae forma, ut ipsius imaginem gerat et causa exsistat. In der Form, in der P IERRE D ’A ILLY die Definition anf¨uhrt, findet sie sich zwar auch bereits bei P ETRUS L OMBARDUS (ebd. c 2, S. 232), wird dort aber als Referat von AUGUSTIN ausgewiesen, s.o., S. 125. 19 P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 3, ed. Strassburg 1490, fol. z5va. 20 Ebd. fol. z5va, in Anlehnung an S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 211, ed. Vaticana (2008), S. 74f. Auch S COTUS bleibt u¨ brigens eine Auslegung des letzten Teils von P ETRUS ’ L OMBARDUS Definition schuldig; andere haben ihn dann aber diesbez¨uglich erg¨anzt (so etwa T HOMAS VON S TRASSBURG, s.o., S. 229). Zu P IERRE D ’A ILLYS Umgang mit Vorlagentexten ¨ vgl. C ALMA , M ONICA: Plagium, in: ATUCHA/C ALMA/K ONIG -P RALONG: Mots m´edi´evaux (2011), S. 503–512. 21 P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 3, ed. Strassburg 1490, fol. z5va: In illa diffinitione non ponitur sensibile ut possit esse communis tam sensibilibus quam spiritualibus quibus potest diffinitum competere. Et in hoc bene dicit ut mihi videtur, et valde concordat cum illa diffinitione Augustini: ‘sacramentum est sacrae rei signum’, intelligendo per rem sacram effectum Dei gratuitum. 22 Vgl. P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 1, c 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 233.
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
Denn diese sei vollst¨andiger und daher auch besser geeignet, die Sakramente von anderen Zeichen abzugrenzen.23 Auch wenn nun P IERRE D ’A ILLY darauf verzichtet, im Anschluss an diese Ausf¨uhrungen eine eigene Definition der Sakramente zu formulieren, wird doch zur Gen¨uge deutlich, welche Aspekte im Sakramenten-Verst¨andnis ihm wichtig sind: Es ist dies in erster Linie der Zeichenaspekt, den er mit O CKHAM losgel¨ost von jeglicher similitudo als Resultat einer willk¨urlichen g¨ottlichen Einsetzung versteht, so dass denn zur Abgrenzung von anderen heiligen Zeichen neben der Wirksamkeit des Zeichenbezugs, die bei O CKHAM nicht weniger behauptet wird als bei S COTUS,24 auch die divina institutio grunds¨atzlich zum Sakramenten-Verst¨andnis hinzugeh¨ort.25 Wenn P IERRE sich im ersten Artikel seiner Quaestio der Wirksamkeitsfrage widmet, erstaunt es angesichts dieses Sakramenten-Verst¨andnisses nicht, dass er sich als klarer Gegner jeglicher Form von sakramentaler Mitwirkung erweist, die zwischen Sakrament und vermittelter Gnade ja wesentlich mehr als eine bloße Zeichenrelation behaupten w¨urde. Im Rahmen von drei Conclusiones stellt er sich zuerst gegen T HOMAS, dessen opinio er kurz skizziert und dann als irrationabilis hinstellt,26 sodann wendet er sich gegen H EINRICH VON G HENT, den er in Anlehnung an S COTUS’ Ordinatio referiert und kritisiert,27 und h¨alt schließlich unter R¨uckgriff auf O CKHAMS Differenzierung zwischen nat¨urlichen und sine qua non-Ursachen fest, dass die Sakramente im zweiten, uneigentlichen Sinne effektive Ursachen der Gnade seien.28 Diese Conclusio23
P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 3, ed. Strassburg 1490, fol. z5va: Sed tamen diffinitio Scoti videtur completior et magis circumstantionata ad differentiam signorum quae non sunt sacramenta. 24 In der Form, in der P IERRE D ’A ILLY O CKHAMS Definition (s.o., Anm. 13) zitiert, fehlt allerdings das efficaciter, wie dies auch in zwei Handschriften der Fall ist, die der kritischen Edition von O CKHAM zugrunde gelegt worden sind; vgl. W ILHELM VON O CKHAM: Reportatio in quartum sententiarum q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 5 ad lineam 9. 25 P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 3, ed. Strassburg 1490, fol. z5va: Debet enim in dicta diffinitione [magistri] suppleri ‘ex institutione divina’ contra signum signans naturaliter, et ‘efficaciter’ contra signum aequivocum seu dubium et contra signum sequens naturaliter signatum. So bereits S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 211, ed. Vaticana (2008), S. 75. 26 P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Strassburg 1490, fol. z1rb: Nullum sacramentum debet propter hoc dici causa effectiva gratiae, quia in ipso sit aliqua virtus spiritualis quae sit ei principium agendi inquantum est instrumentum divinae misericordiae, et per quam ipsum sit causa characteris vel ornatus aut cuiuscumque alterius dispositionis in anima ad gratiam praevie. Ista conclusio est contra sanctum Thomam. 27 Ebd. fol. z1va: Nullum sacramentum debet propter hoc dici causa effectiva gratiae quia Deus in sacramento assistat per modum specialis praesentiae. Ista conclusio est contra Henricum de Gandavo. Vgl. S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 307f., ed. Vaticana (2008), S. 108f. 28 Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Strassburg 1490, fol. z1vb: Ista distinctione praemissa pono tertiam conclusionem quod sacramenta legis novae primo modo non sunt causae effectivae gratiae, sed bene secundo modo et improprie. Zu O CKHAMS Differenzierung
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nes erg¨anzt P IERRE mit zwei correlaria contra sanctum Thomam, deren eines noch einmal festh¨alt, dass jedes einzelne der neutestamentlichen Sakramente bloß causa sine qua non der Gnade sei, und deren anderes folgert, dass keines der neutestamentlichen Sakramente Ursache irgendeiner dispositio praevia sei – weder aus eigener, noch aus einer fremden Kraft.29 Es findet sich daher bei P IERRE D ’A ILLY eine a¨ hnliche Konzentration auf die Ursachen-Problematik wie bereits bei O CKHAM; und wie nun schon O CK HAM mit seiner Negierung einer similitudo zwischen Sakrament und Gnadenvermittlung eine gewisse Beliebigkeit in das Sakramentengeschehen gebracht hat, zeigt sich im Anschluss an diese Conclusiones und Correlaria auch P IERRE D ’A ILLY bereit, die traditionellen Bez¨ uge zwischen Zeichenhandlung und eintretendem Effekt aufzubrechen. In einem nachgeschobenen Dubium versucht er n¨amlich, gegen sich selbst zu argumentieren, und behauptet, dass die Sakramente doch eigentliche Ursachen der Gnade seien.30 Das lasse sich deswegen sagen, weil es nicht zum Wesen einer Ursache geh¨ore, dass aus ihr die Wirkung notwendig erfolge und ohne sie nicht eintreten k¨onne: Denn das Feuer ist eigentliche Ursache der W¨arme, und dennoch folgt nicht notwendig, sondern bloß in kontingenter Weise die W¨arme auf das Feuer, wie es augenf¨allig gewesen ist bei den drei Knaben im Feuerofen. Ebenso kann auch W¨arme bei Anwesenheit des Feuers hervorgebracht werden, indem das Feuer nichts verursacht. Das ist deutlich, wenn Gott ganz allein die W¨arme hervorbringt und die T¨atigkeit des anwesenden Feuers unterbindet.31 s.o., Anm. 9. O CKHAM selbst sagt hier nicht ausdr¨ucklich, die sine qua non-Kausalit¨at sei eine uneigentliche Form von Ursache. Etwas sp¨ater fragt er aber in einem Dubium, ob die Sakramente nicht einfach causa proprie dicta seien (Reportatio in quartum sententiarum IV q 1, d 3, ed. Wood/Gal (1984), S. 15), und seine verneinende Antwort macht deutlich, dass er – wie P IERRE D ’A ILLY expliziert – diese Ursachenart f¨ur eine uneigentliche Form h¨alt: de ratione causae est quod possit virtute propria ad eam sequi effectus ex natura rei et naturaliter. Sic non est in proposito, sed tantum ex voluntate divina (ebd. S. 17). 29 Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Strassburg 1490, fol. z1vb–z2ra: Sequuntur duo correlaria contra sanctum Thomam. Primum est quod quodlibet novae legis sacramentum solum est causa gratiae sine qua non. [..|..] Secundo sequitur quod nullum sacramentum legis novae sive per virtutem propriam, sive per virtutem ei collatam est proprie causa efficiens alicuius dispositionis in anima ad gratiam praevie. 30 Wie bereits C OURTENAY: Pierre d’Ailly (1971), S. 113, festgestellt hat, ist die Argumentationsweise dieses Dubium sehr nahe bei jener von N IKOLAUS VON AUTRECOURT, der in den 1340er Jahren f¨ur seine allzu radikalen Thesen u.a. zur Urs¨achlichkeitsfrage verurteilt worden ist; vgl. nun auch G RELLARD , N ICOLAS: Le statut de la causalit´e chez Nicolas d’Autrecourt, in: Quaestio 2 (2002), S. 267–289, hier S. 272f. 31 Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Strassburg 1490, fol. z2ra: Ignis est propria causa caloris, et tamen non necessario sed mere contingenter ad ignem sequitur calor, sicut patuit de igne trium puerorum in fornace. Similiter calor etiam igne praesente potest produci igne nihil causante, sicut patet si Deus se solo produceret calorem suspendendo actionem ignis praesentis. Igitur ad hoc quod aliquid sit proprie causa alterius sufficit quod ipso posito ponatur illud, et ipso non posito non ponatur.
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
Ein biblisches Beispiel und Gottes Allmacht gen¨ugen, um zu zeigen, dass die Relation zwischen Ursache und Wirkung keine notwendige ist. W¨ahrend andere die tats¨achliche Urs¨achlichkeit der Sakramente damit zu begr¨unden suchen, dass sie die sakramentale den echten Ursachen ann¨ahern, n¨ahert P IERRE D ’A ILLY nun umgekehrt die echten Ursachen der Wirkweise der Sakramente an. Und so hebt er nichts anderes als O CKHAMS Unterscheidung zwischen nat¨urlichen und allein auf Gottes willentlicher Mitwirkung beruhenden Ursachen auf, indem er auch die ‘nat¨urlichen’ Ursachen an Gottes Willen anbindet: Wie bei Anwesenheit der Sakramente die Gnade nur aufgrund des Willens eines anderen folgt, n¨amlich Gottes, der es so will, ebenso folgt auf die Anwesenheit des Feuers die W¨arme nur aufgrund des Willens von Gott – denn wenn er es so will, dann folgt die W¨arme, und wenn er nicht will, folgt sie nicht. Daher sind die Sakramente in ebenso eigentlichem Sinne Ursache der Gnade, wie das Feuer Ursache der W¨arme ist.32
So wie O CKHAM den Zeichenbezug zwischen Sakrament und Sakramentengeschehen allein auf Gottes Willk¨ur zur¨uckf¨uhrt, unterstellt auch P IERRE D ’A IL LY jeglichen Bezug zwischen Ursache und Wirkung dessen alleinigem Willen. Es ist zu betonen, dass P IERRE D ’A ILLY hier ein Dubium gegen seine eigene Meinung formuliert und daher die Thesen, die er aufstellt, nicht einfach gutheißt. Dennoch kann er sich, wenn er im folgenden eine L¨osung des Dubiums pr¨asentiert, der Stoßrichtung seiner angef¨uhrten Argumente nicht v¨ollig entziehen: Insgesamt acht Propositiones stellt P IERRE auf, um eine Unterscheidung zwischen nat¨urlichen und sine qua non-Ursachen aufrecht zu erhalten, und er greift hierf¨ur auf die klassische ARISTOTELISCHE Rede von den causae secundae, den Zweitursachen zur¨uck. Wann immer n¨amlich, so seine erste Propositio, Gott mittels einer Zweitursache etwas bewirke, dann bewirke er nicht nur diesen Effekt, sondern er bewirke auch, dass die Zweitursache Ursache dieses Effekts sei.33 P IERRE geht ganz offensichtlich (und o¨ konomisch) davon aus, dass sich Gott nicht der Zweitursachen bediente, wenn er nicht wollte, dass diese Zweitursachen selbst Ursachen seien – womit er einen eigenen Stellenwert der Zweitursachen zwar begr¨undet,34 die grunds¨atzliche Problematik aber nicht 32 Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Strassburg 1490, fol. z2ra: Sicut ad praesentiam sacramentorum sequitur gratia solum ex voluntate alterius, scilicet Dei sic volentis, ita ad praesentiam ignis sequitur calor solum ex voluntate Dei, quia ipso sic volente sequitur calor, et ipso sic non volente non sequitur. Igitur ita proprie sacramenta sunt causae gratiae sicut ignis est causa caloris. 33 Ebd.: Prima [propositio] est quod quantumcumque Deus facit aliquem effectum mediante causa secunda, ipse non solum facit illum effectum, sed etiam facit causam secundam esse causam illius effectus. Probatur quia Deus facit omne positivum, causam autem secundam causare effectum suum est quid positivum. 34 Vgl. die zweite und die dritte Propositio (ebd.): Secunda propositio sequens ex praedicta est quod Deus nihil facit fieri per aliud quando illud idem facit per seipsum. Immo prius natura et principalius facit illud. Tertia: Plus facit Deus faciendo aliquem effectum mediante causa
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l¨ost, da auch dieses Ursache-Sein der Zweitursachen weiterhin von Gottes Willen abh¨angt. Als vierte Propositio gesteht P IERRE denn auch zu: Keine Zweitursache ist in der Art eigentliche Ursache einer Wirkung und keine Wirkung folgt in der Art naturgem¨aß aus einer Zweitursache, dass die Ursache zwingend die Wirkung herbeif¨uhrt oder die Wirkung zwingend diese Ursache voraussetzt. Vielmehr folgt die Wirkung in rein kontingenter Weise aus der Zweit[ursache], und die Zweitursache geht in rein kontingenter Weise ihrer Wirkung voraus.35
Angesichts der g¨ottlichen Allmacht l¨asst sich die grunds¨atzliche Kontingenz allen Geschehens nicht von der Hand weisen; gewonnen ist daher noch nichts. In einem n¨achsten Anlauf, der f¨unften Propositio, wechselt P IERRE daher die Perspektive und argumentiert nicht mehr von Gott, sondern von den Ursachen her. Allem bisher gesagten zum Trotz sei eine Zweitursache in der Weise eine eigentliche Ursache, dass sie den Effekt durch eine eigene Kraft bewirke.36 Das ist nun kein Widerspruch zum bisher Gesagten: Denn wenn sich auch im Einzelfall nicht sagen l¨asst, ob ein Kausalgeschehen auf die beteiligten Zweitursachen oder auf Gott allein zur¨uckgeht, haben die Dinge doch gewisse Eigenschaften und Kr¨afte, die Gott, so er denn will, als Zweitursachen wirken lassen kann. Und so kann P IERRE als sechste Propositio festhalten: Etwas ist wirksame Zweitursache, wenn seiner Anwesenheit die Wirkung nicht nur aufgrund des g¨ottlichen Willens, sondern auch aus der Natur der Sache folgt. Und nur eine solche Zweitursache ist im eigentlichen Sinne eine Ursache.37
Damit hat P IERRE O CKHAMS urspr¨ungliche Unterscheidung wieder eingeholt, und so ist es ihm auch m¨oglich zu sagen, in diesem Sinne seien die Sakramente keine eigentlichen Ursachen: Bei den Sakramenten besteht keine eigene, nat¨urliche Kraft, die im gew¨ohnlichen Verlauf der Dinge (wenn Gott sich in der u¨ blichen Weise der Zweitursachen bedienen will) die Gnade bewirken k¨onnte.38 secunda quam si faceret eundem effectum se solo, quia in prima factione sunt plures termini divinae actionis quam in secunda factione, ut patet ex prima propositione. 35 Ebd., fol. z2ra–b: Quarta propositio est quod nulla causa secunda sic est proprie causa alicuius effectus, nec ali|quis effectus sic ex natura rei sequitur ex aliqua causa secunda, quod causa necessario inferat effectum, vel quod effectus necessario praesupponat illam causam. Immo effectus pure contingenter sequitur ex secunda, et secunda causa pure contingenter antecedit effectum suum. 36 Ebd., fol. z2rb: Quinta propositio [est] quod non obstantibus praedictis aliqua causa efficiens secunda sic est proprie causa quod ipsa agit effectum virtute propria. Dico autem virtute propria non quidem propria per exclusionem virtutis extraneae vel alienae, sed virtute propria, id est virtute quae est in ipsa vel quae est ipsamet, et non sibi aliena. 37 Ebd.: Sexta propositio est: aliqua est causa efficiens secunda ad cuius positionem sequitur effectus non solum ex voluntate Dei, sed ex natura rei. Et sola talis causa secunda est causa proprie dicta. 38 Ebd.: Requiritur et sufficit quod posita ipsa [causa secunda] ponatur effectus, scilicet ex virtute ipsius causae et non solum ex voluntate Dei. Sic autem non est de sacramentis.
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Damit ist das vordergr¨undige Ziel erreicht und den Sakramenten bleibt es weiterhin versagt, eigentliche Ursachen der Gnade zu sein; doch ist dies teuer erkauft: Denn der Unterschied zwischen gew¨ohnlichen Zweitursachen und Sakramenten als causae sine quibus non beschr¨ankt sich bloß noch auf folgende Nuance: W¨ahrend bei den Zweitursachen im Einzelfall unklar bleiben muss, ob sie eigentliche Ursachen sind oder nicht, ist bei den Sakramenten immer klar, dass sie keine eigentlichen Ursachen sind. Das ist herzlich wenig, und es hilft vor allem in keiner Art, die Beliebigkeit zwischen Sakramenten-Geschehen und sakramentalem Effekt einzuschr¨anken – vielmehr betont P IERRE als siebte und achte Propositio, dass auch mit Blick auf Kausalzusammenh¨ange im allgemeinen dann, wenn im Einzelfall die nat¨urliche Kraft einer Zweitursache tats¨achlich zum Einsatz komme, dies bloß von Gottes Wille abh¨ange, da es an ihm liege zu entscheiden, ob er auf eine Zweitursache zur¨uckgreifen wolle oder nicht.39 Was P IERRE D ’A ILLY damit pr¨asentiert, tendiert nun stark in die Richtung einer grunds¨atzlichen Bezweiflung der M¨oglichkeit von gesicherten Aussagen u¨ ber die Realit¨at, wie sie in den Auseinandersetzungen der 1340er Jahre, die im ersten Teil der vorliegenden Arbeit gestreift worden sind, jener diffusen Gruppe von mutmaßlichen O CKHAM-Nachfolgern vorgeworfen worden ist.40 Die Grundgedanken seines Dubium d¨urfte P IERRE D ’A ILLY, wie B ILL C OURTNEY aufgezeigt hat, denn auch nicht von O CKHAM selbst, sondern von N IKOLAUS VON AUTRECOURT u ¨ bernommen haben, der in diesen 1340er Jahren unter anderem auch seines Ursachenverst¨andnisses wegen verurteilt worden ist.41 Auch wenn P IERRE D ’A ILLY nun aber in der modernen Literatur oft in einem Atemzug mit G ERSON genannt wird, weil er gut zehn Jahre nach Abfassung seines Sentenzenkommentars in Auseinandersetzung mit J OHANNES DE M ONTESO NO f¨ ur eine Trennung von Philosophie und Theologie eingetreten ist,42 vertritt 39 Ebd., fol. z2rb–va: Concedo istam septimam propositionem quod – licet ad praesentiam causae secundae proprie dictae sequatur effectus non solum ex voluntate Dei, sed ex virtute ipsius causae et ex natura rei – tamen quod ad praesentiam alicuius causae secundae sequatur aliquis effectus virtute ipsius causae seu ex natura rei, solum est ex voluntate Dei. Nam hoc solum est quia Deus vult | talem causam assumere ad cooperandum sibi talem effectum, quem si vellet posset sine ea producere. Ex qua sequitur octava propositio quod licet omnis causa secunda proprie dicta causet effectum ex natura rei, tamen quod ipsa sit causa proprie dicta non est ex natura rei, quia solum ex voluntate Dei. 40 S.o., S. 67. 41 S.o., Anm. 30. C OURTENAY: Pierre d’Ailly (1971), S. 101f., betont denn auch die Eigenst¨andigkeit von AUTRECOURTS Thesen gegen¨uber jenen von O CKHAM: These conclusi” ons were neve made nor intended by Ockham or his followers.“ 42 ¨ Zu diesem Streit vgl. ausf¨uhrlich M ULLER , S IGRID: Pierre d’Ailly und die ‘richtige’ Thomas-Interpretation. Theologisch-Hermeneutische Prinzipien als Grundlage des Wegestreits, in: Traditio 60 (2005), S. 339–368, sowie nun auch H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Categories of Medieval Doxography. Reflections on the Use of ‘Doctrina’ and ‘Via’ in 14th and 15th Century ¨ Philosophical and Theological Sources, in: B UTTGEN : Vera doctrina (2009), S. 63–84, hier S.
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er in der vorliegenden Frage das Anliegen einer gem¨aßigten, die Disziplinen auseinander haltenden Theologie noch keineswegs. Seine Auseinandersetzung mit der Wirksamkeitsproblematik ist h¨ochst rationalistisch und zeigt noch keine Scheu davor, mit philosophischen Konzepten ein theologisches Problem zu l¨osen. Und wo G ERSON sp¨ater empfehlen wird, den ausgetretenen Pfad der approbierten Kirchenlehrer zu gehen, macht P IERRE D ’A ILLY mit niemand geringerem als dem heiligen T HOMAS noch kurzen Prozess: dessen Meinung n¨amlich sei, wie P IERRE zweimal betont, schlicht irrational.43 Beide, rationalistischer Ansatz und Kompromisslosigkeit auch großen Namen gegen¨uber, sind nun aber keine allgemeinen Merkmale des Ansatzes jener Theologen, die unter die Vorl¨aufer der via moderna gerechnet werden. Ein zweites Beispiel, das hier aufgegriffen werden soll, zeigt einen Ansatz und Stil, der die sp¨ateren Empfehlungen von G ERSON viel eher vorwegzunehmen scheint. Es handelt sich um M ARSILIUS VON I NGHEN. 23.1.3 Der zur¨uckhaltende Beitrag des Marsilius von Inghen Anders als bei P IERRE D ’A ILLY, der bereits mit gut 25 Jahren u¨ ber die Sentenzen gelesen hat, handelt es sich beim Sentenzenkommentar des M ARSILIUS VON I NGHEN um ein Sp¨atwerk.44 Zwar d¨ urfte M ARSILIUS darin durchaus auf Material zur¨uckgreifen, das er – fr¨uher als P IERRE D ’A ILLY – bereits in den sp¨aten 1360er und fr¨uhen 1370er Jahren in Paris erarbeitet hat; seine eigentliche Sentenzenlesung h¨alt er aber erst 1392–1394 an der Heidelberger Uni-
75–78. Auch in diesem Punkt wird sich P IERRE D ’A ILLY sp¨ater zur¨ucknehmen: Zwar wird er T HOMAS auch in seiner Auseinandersetzung mit J OHANNES DE M ONTESONO kritiseren, dies jedoch nicht mehr, weil er irrational sei, sondern weil er sich in theologischen Fragen zu sehr auf die ratio und die Philosophen verlassen habe, vgl. den Tractatus contra fratrem Johannem de Montesono III 3.1, ed. du Plessis d’Argentr´e (1728), S. 117b: cum auctoritas vel doctrina sancti Thomae in multis fundetur in ratione humana, saltem in illis non oportet, quod sit ita ¨ firma, quin possit esse in fide erronea (dazu M ULLER : Pierre d’Ailly (2005), S. 363). 43 Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Strassburg 1490, fol. z1va: Illa positio est irrationabilis, quae ponit pluralitatem sine necessitate. [...] Igitur praedicta opinio est irrationabilis. Dieses Verdickt ist ziemlich stark, wenn man bedenkt, dass P IERRE D ’A ILLY zeitgleich mit H EINRICH VON OYTA in Paris gelehrt hat, in dessen Pariser Quaestionen sich bereits die beschriebene ‘neue’ Form von Autorit¨at gezeigt hat, s.o, S. 261. 44 Zur Biographie von M ARSILIUS (um 1340–1396) vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Marsilius of Inghen. Divine Knowledge in Late Medieval Thought, Leiden: Brill, 1993 (Studies in the History of Christian Thought 50), S. 7–11; zu seinem Sentenzenkommentar vgl. H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Der Sentenzenkommentar des Marsilius von Inghen (+ 1396). Aus dem Handschriftenbestand des T¨ubinger Wilhelmsstifts, in: Theologische Quartalsschrift 171 (1991), S. 114–129, und H OENEN , M AARTEN J.F.M.: The Commentary on the Sentences of Marsilius of Inghen, in: E VANS: Mediaeval Commentaries on the Sentences (2002), S. 464–506, sowie nun auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 127–136.
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versit¨at, die zu gr¨unden er mitgeholfen hat.45 Es mag nun sein, dass eine gewisse Zur¨uckhaltung gegen¨uber allzu rationalistischen Argumentationsweisen, die in seinem Kommentar auf Schritt und Tritt begegnet, auch M ARSILIUS’ h¨oherem Alter geschuldet ist;46 fest steht, dass M ARSILIUS in seinem Sentenzenkommentar einen Ton anschl¨agt, der jenem der Sentenzenlesung von P IER RE D ’A ILLY diametral entgegensteht. Dieser zur¨ uckhaltende Ton von M ARSI LIUS, seine Skepsis gegen¨ uber einer theologischen Anwendung von logischen und philosophischen Argumenten und seine gem¨aßigte Haltung anderen theologischen Positionen gegen¨uber sind bereits mehrfach beschrieben worden;47 es mag an der vorliegenden Stelle gen¨ugen, diesen gem¨aßigten Ansatz lediglich seinen Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsfrage entlang kurz zu skizzieren.48 Wenn M ARSILIUS sich im Rahmen der ersten Quaestio von Buch IV seines Sentenzenkommentars der Wirksamkeitsproblematik zuwendet, so scheint auch in seinem Vorgehen noch der klassische geometrische Ansatz durch: M ARSI LIUS stellt die eher verschachtelte Frage, ob die Sakramente so, wie sie eine angemessene Medizin f¨ur jedes geistliche Leiden seien, auch in der Seele des Empf¨angers die Gnade produzierten.49 Die eigentliche Fragestellung setzt damit voraus, die Sakramente seien eine angemessene Medizin – M ARSILI 45 Dazu H OENEN: Commentary (2002), S. 479f. Zu den Pariser Jahren von M ARSILIUS vgl. C OURTENAY, W ILLIAM J.: Parisian Theology, 1362–1377, in: H OENEN/BAKKER: Philosophie und Theologie (2000), S. 3–19. 46 So zieht auch H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Marsilius von Inghen in der Geistesgeschichte des ausgehenden Mitelalters, in: H OENEN/BAKKER: Philosophie und Theologie (2000), S. 21–45, hier S. 43, in Betracht, dass sich aufgrund der großen zeitlichen Distanz zwischen M ARSILIUS’ Pariser Anf¨angen und seiner Heidelberger Zeit noch Stellen finden lassen, wo ” die Logik und die Philosophie ohne Bedenken angewendet werden“, weil M ARSILIUS erst ” ¨ sp¨ater zu der Uberzeugung gekommen“ sei, dass Philosophie und Theologie nicht vereinbar ¨ seien. Ahnlich ist ja auch P IERRE D ’A ILLY zehn Jahre nach seinem Sentenzenkommentar zu einem vorsichtigeren Urteil u¨ ber die Anwendbarkeit von Philosophie und Logik in theologischen Fragen gelangt, s.o., Anm. 42. 47 Vgl. neben der in Anm. 44 genannten Literatur vor allem auch H OENEN: Geistesgeschichte (2000). Auf einige Parallelen zu G ERSONS Reform-Entw¨urfen ist oben im ersten Teil, in den Anmerkungen 14 bis 21 auf Seite 109f. bereits verwiesen worden; vgl. zudem auch Z AHND , U ELI: Zwischen Verteidigung, Vermittlung und Adaption. Sentenzenkommentare des ausgehenden Mittelalters und die Frage nach der Wirksamkeit der Sakramente, in: N EMESCH , ¨ ´ /R ABUS , ACHIM (Hrsg.): Vermitteln – Ubersetzen BAL AZS – Begegnen. Transferph¨anomene im europ¨aischen Mittelalter und der Fr¨uhen Neuzeit. Interdisziplin¨are Ann¨aherungen, G¨ottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011 (Nova Mediaevalia 8), S. 33–86, hier S. 75f. 48 Die wichtigsten Punkte von M ARSILIUS’ Darstellung der Wirksamkeitsproblematik hat bereits auch H OENEN: Sentenzenkommentar (1991), S. 127–129, zusammengestellt. 49 M ARSILIUS VON I NGHEN: Super quattuor libros sententiarum IV q 1, ed. Strassburg 1501, fol. 473ra: Utrum sicut sacramenta sunt omnis languoris spiritualis congrua remedia, sic in anima recipientis sint gratiam producentia. Zur geometrischen Vorgehensweise bereits bei M ARSILIUS’ Lehrer JAKOB VON E LTVILLE s.o., S. 232; M ARSILIUS’ Struktur d¨urfte daher nicht ganz so neuartig sein, wie ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 132f., meint.
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US spricht explizit von einem suppositum – und entsprechend argumentiert M ARSILIUS zuerst gegen diese Voraussetzung, bevor er auch ein Argument gegen sein eigentliches Quaesitum, die Gnadenproduktion der Seele, anf¨uhrt. Diese Zweigleisigkeit zieht Marsilius ebenso bei den Argumenta in oppositum durch,50 und sie findet sich konsequenterweise auch ganz am Ende seiner Quaestio wieder, wenn er nach einer ausf¨uhrlichen Determinatio die einleitenden Argumente aufl¨ost.51 Anders als es einem streng geometrischen Vorgehen gem¨aß zu erwarten w¨are, unterteilt M ARSILIUS den Korpus seiner Quaestio nun aber nicht nur in zwei Artikel, einen zum Suppositum und einen zum Quaesitum, sondern er f¨ugt, wie aus einer divisio quaestionis deutlich wird, vor diese beiden Artikel noch einen grunds¨atzlichen zur Definition der Sakramente ein.52 Schon allein die Tatsache, dass M ARSILIUS auch nach der Angemessenheit, nach der congruitas der Sakramente fragt, verdeutlicht, dass er einen ganz anderen Zugang w¨ahlt als O CKHAM oder P IERRE D ’A ILLY. Wenn bei den Sakramenten Angemessenheit und Unangemessenheit eine Rolle spielen k¨onnen, dann sind sie ganz offensichtlich keine v¨ollig beliebigen Zeichen, sondern sind dank ihrer konkreten, partikul¨aren Eigenschaften, die sie bereits vor ihrer Einsetzung als Sakramente besessen haben, f¨ur ihre neue Aufgabe als Sakramente mehr oder weniger geeignet. So erstaunt es denn nicht, dass im ersten Artikel M ARSILIUS in seiner Defintion der Sakramente an der similitudo festh¨alt:53
Ein neutestamentliches Sakrament ist ein wahrnehmbares, von Gott eingesetztes Zeichen, das [erstens] die Gnade bezeichnet, welche Gott ihm [dann] eingießt, wenn es mit der Absicht vollzogen wird, das zu tun, wozu es eingesetzt worden ist, das [zweitens] ¨ von dieser Gnadenvermittlung in irgendeiner Weise eine Ahnlichkeit hervorruft, und das [drittens] in einer gewissen Weise Ursache dieser [Gnade] ist.54 50
Super quattuor libros sententiarum IV q 1, ed. Strassburg 1501, fol. 473rb; die Argumenta in oppositum sind allerdings nur in der Marginalie des Drucks als solche ausgezeichnet, im Text selbst beginnen sie einfach mit: sed pro supposito, bzw. sed pro quaesito. 51 Ebd. fol. 481va–482rb; im Druck beginnt M ARSILIUS’ Antwort ad rationes quae fiunt contra quaestium ganz unscheinbar auf der neunt-letzten Zeile von fol. 482ra; auf fol. 482rb reagiert M ARSILIUS zudem auch ad rationes post oppositum. 52 Ebd. fol. 473va: In hac quaestione erunt tres articuli. Primus videbit quid sit sacramentum. Secundus utrum collatio sacramentorum sit sufficiens contra aegritudines spirituales remedium. Tertius utrum sacramentum sit gratiae productivum. 53 So nennt M ARSILIUS in Auslegung von P ETRUS ’ L OMBARDUS Definition die similitudo eine Bedingung (conditio) daf¨ur, dass ein neutestamentliches Sakrament ein neutestamentliches Sakrament sei: Secunda [conditio est] quod illius gratiae gerat similitudinem aliquo modo ad extra, sicut in baptismo lotio corporis cum aqua cum expressione verborum similitudo est lotionis interioris, scilicet a macula culpae originalis, quam facit Deus per meritum passionis Christi (ebd., a 1, fol. 473va). 54 Ebd., fol. 473vb: Sacramentum novae legis est signum sensibile a Deo institutum signans gratiam quam Deus eo infundit cum fit intentione hoc faciendi ad quod institutum est, cuius gratiae collationis gerit aliquo modo similitudinem, et cuius est causa modo quodam.
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
M ARSILIUS h¨alt damit an s¨amtlichen Aspekten fest, welche schon P ETRUS L OMBARDUS in seiner Sakramenten-Definition hervorgehoben hat.55 Zudem bereitet er hier bereits vor, was er in den beiden folgenden Artikeln noch bearbeiten wird: Dass er sich hinsichtlich des Urs¨achlichkeits-Aspekts etwas gewundener ausdr¨uckt als P ETRUS L OMBARDUS, weist bereits darauf hin, dass er in der Wirksamkeitsfrage, dem Quaesitum seiner Quaestio, eine differenzierte Position einnehmen wird; und seine Betonung der similitudo weist bereits darauf hin, dass er die Sakramente in der vorliegenden Form und Zahl f¨ur passende Medikamente halten wird, wie es das Suppositum seiner Quaestio voraussetzt.56 So ist es denn auch die Angemessenheit der Sakramente in Verbindung mit der similitudo, die M ARSILIUS bereits an der vorliegenden Stelle hilft, gegen jene zu argumentieren, die ganz im Sinne von O CKHAM oder sp¨ater auch von P IERRE D ’A ILLY behaupten, dass die Sakramente ad placitum eingesetzt seien und daher nach Gottes Belieben ver¨andert werden k¨onnten: M ARSILIUS gesteht zwar grunds¨atzlich zu, dass Gott in der Lage w¨are, die Sakramente zu a¨ ndern. Er tue dies aber deswegen nicht, weil er sie optimal eingesetzt habe.57 Gott habe sich nicht einfach nur f¨ur diese und nicht f¨ur andere Zeichen entschieden, sondern er habe genau diese gew¨ahlt, weil durch die Wirkung ihrer nat¨urlichen, k¨orperlichen Eigenschaften ein a¨ hnlicher Effekt versinnbildlicht werde, den Gott in geistiger Weise in der Seele bewirke. Von beliebigen, willk¨urlichen Zeichen findet sich bei M ARSILIUS keine Spur.58 ¨ D.h. Zeichenhaftigkeit, sinnliche Wahrnehmbarkeit, Ahnlichkeit und Urs¨achlichkeit, s.o., S. 126. Dass M ARSILIUS dar¨uber hinaus auch die Einsetzung durch Gott betont, ist durchaus im Sinne von P ETRUS L OMBARDUS (vgl. Sententiae IV d 1, c 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 233; schon S COTUS hat diesen Aspekt daher auch in seine Definition aufgenommen, vgl. Or¨ dinatio IV p 2, q 1, n 211, ed. Vaticana (2008), S. 75). Uber P ETRUS hinaus zu gehen scheint hingegen die Erw¨ahnung der intentio des Sakramentenspenders. Ob M ARSILIUS damit allerdings nur auf den Aspekt verweisen will, dass der Sakramentenvollzug korrekt ablaufen muss, damit eine Gnadenvermittlung zustande kommt (was Allgemeingut w¨are), oder ob er tats¨achlich mit der intentio die Spender in eine besondere Verantwortung nehmen will (was immer schon umstritten gewesen ist, vgl. ROSIER -C ATACH , I R E` NE: La parole efficace. Signe, rituel, sacr´e, Paris: Seuil, 2004, S. 276–282), m¨usste eine genauere Untersuchung auch zu seiner u¨ brigen Sakramentenlehre aufzeigen. 56 Vgl. Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 2, ed. Strassburg 1501, fol. 474vb: Christi sacramentale regnum est omnis languoris vel in via vel in patria curativum in rite accedentibus et vitam finientibus in eodem. 57 So das dritte Dubium ebd,, fol. 473vb: Tertium [dubitatur] quale signum est? Utrum naturale, et hoc non, quia sic esset idem apud omnes homines, vel ad placitum, et sic sacramenta essent mutabilia, quia quae ad placitum significant, aliter significare possunt. [...] Ad tertium [respondetur] quod est signum ad placitum institutum per Deum ad significandam gratiam quam dat Deus credentibus. Et quando dicitur quod tunc posset mutari, hoc conceditur per Deum. Sed hoc non fiet, quia optime ea instituit, et ergo licet possit ea mutare non tamen mutabit. 58 Ebd.: [Sacramentum] per similitudinem proportionis est signum rei spiritualis, quia proportionabiliter ad effectum, qui est in materia corporali, significatur effectus, quem facit Deus 55
23.1 Das Pakt-Modell und die Ursachenfrage
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Wenn sich M ARSILIUS in seinem dritten Artikel schließlich der Wirksamkeitsproblematik zuwendet, spielt deshalb auch jene grunds¨atzliche Infragestellung aller Urs¨achlichkeit, mit der sich P IERRE D ’A ILLY abm¨uht, keine Rolle. Vielmehr greift er, wie bereits eine Vielzahl von Scholastikern des 14. Jahrhunderts vor ihm, die Problematik aus der Perspektive der Sch¨opfungsfrage auf59 ¨ und unterteilt seinen Artikel in drei Abschnitte, deren erster die Ubertragbarkeit einer sch¨opferischen Kraft auf die Gesch¨opfe untersucht, deren zweiter pr¨uft, ob die Gesch¨opfe an einem Sch¨opfungsakt zumindest mitwirken k¨onnten, und deren dritter schließlich die Frage der sakramentalen Wirksamkeit aufgreift.60 Aus der Perspektive dieser Sch¨opfungsproblematik, die er im Einklang mit der communis opinio theologorum l¨ost und den Gesch¨opfen auch eine Mitwirkung an einem Sch¨opfungsakt abspricht,61 konzentriert sich M ARSILIUS denn auch weniger auf die Ursachenfrage als vielmehr auf die Frage nach einer allf¨alligen virtus in den Sakramenten. Das Hervorbringen der Gnade durch die Sakramente ist es, was ihn interessiert, und so h¨alt er denn fest, dass solches producere sich in zweifacher Weise verstehen lasse: Zum einen [so], dass [die Sakramente] eine absolute, ihnen eingegebene Kraft haben, durch welche sie in denen, die sie korrekt empfangen, die Gnade hervorbringen – sei es in dispositiver, sei es in produktiver Weise. Zum anderen so, dass ihnen keine solche
in anima spiritualiter, ut sicut aqua baptismi lavatur corpus, ita et animam a peccatis ex merito effusionis sanguinis Christi lavat Deus. Zum Begriff der Proportion vgl. bereits T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 1, qc 5, ad 3, ed. Moos (1947), S. 16. 59 Von den zahlreichen Beitr¨agen scheinen f¨ur M ARSILIUS vor allem jene von T HOMAS VON S TRASSBURG und von JAKOB VON E LTVILLE bedeutend zu sein. Selbst wenn M ARSI LIUS neben T HOMAS VON AQUIN und S COTUS (mit denen sich T HOMAS VON S TRASSBURG eingehend auseinandersetzt, vgl. Commentaria IV q prol., ed. Venedig 1564, fol. 56f.) etwa auch A DAM W ODEHAM und O CKHAM namentlich nennt (Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 3, p 1, ed. Strassburg 1501, fol. 475va und 478vb), zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass der O CKHAM-Verweis aus einem Zitat von W ODEHAM stammt (Paris, Univ. 193, fol. 209vb), W ODEHAM an der vorliegenden Stelle aber durch die Vermittlung von E LTVILLE rezipiert sein d¨ urfte (s.o., S. 231; darauf verweist bereits C OURTENAY, W ILLIAM J.: Adam Wodeham. An Introduction to His Life and Writings, Leiden: Brill, 1978 (Studies in Medieval and Reformation Thought 21), S. 150). 60 Vgl. M ARSILIUS’ divisio articuli: Quantum ad tertium articulum videndum est de quaesito, scilicet utrum sacramentum sit gratiae productivum. Et quia productio gratiae fit saltem in prima sui infusione per creationem, et sacramenta sunt creaturae, primo videbitur utrum potentia creativa sit communicabilis creaturae. Secundo dato quod non, utrum creatura possit creatori coagere ad productionem creaturae. Tertio per hoc de quaesito (Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 2, ed. Strassburg 1501, fol. 475ra). Der erste Abschnitt erstreckt sich u¨ ber die fol. 475ra–479rb; der zweite u¨ ber fol. 479rb–480ra; und der dritte u¨ ber fol. 480ra–481va. 61 Vgl. v.a. die dritte Conclusio zum ersten Teil (potentia creativa non potest communicari creaturae, ebd., a 3, p 1, fol. 475vb) und die erste Conclusio zum zweiten Teil (nullo modo potest creatura coagere creatori ad productionem creaturae eius essentiam comproducendo, ebd. p 2, fol. 479va).
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absolute Kraft anh¨angt, sondern dass ihnen aus g¨ottlicher Einsetzung eine g¨ottliche Kraft assistiert, welche in denen, die sie korrekt empfangen, die Gnade erschafft.62
Die beiden prominentesten Wirksamkeits-Modelle sind damit knapp skizziert; und weil aus der abschließenden Bemerkung deutlich wird, dass auch f¨ur M AR SILIUS die tats¨achliche Gnadenvermittlung ein Sch¨ opfungsakt ist, k¨onnte man angesichts seiner L¨osung der Sch¨opfungsproblematik denken, dass damit auch gleich die Wirksamkeitsfrage beantwortet sei. M ARSILIUS allerdings bleibt zur¨uckhaltend. Es gebe hier, so h¨alt er fest, zwei wahrscheinliche Meinungen, duae opiniones probabiles, und da er eine von beiden f¨ur wahrscheinlicher halte als die andere, werde er versuchen, die Argumente der anderen, soweit ihm das m¨oglich sei, zu widerlegen.63 Eine eindeutige L¨osung hat der Leser nicht zu erwarten, stattdessen begegnet ihm eine a¨ hnlich vorsichtige Problemaufstellung, wie dies bereits bei B ONAVEN TURA der Fall gewesen ist. Tats¨achlich lehnt sich M ARSILIUS, wie M AARTEN H OENEN bereits aufgezeigt hat, erst einmal weitgehend an diesen B ONAVEN TURA an und pr¨asentiert nicht nur das Pakt-Modell in w¨ ortlichen Anlehnungen an dessen Sentenzenkommentar, sondern u¨ bernimmt aus ihm – wie das hundert Jahre sp¨ater auch S TEPHAN B RULEFER tun sollte – auch die Darstellung der Mitwirkungs-Variante.64 Auch M ARSILIUS ordnet das so pr¨asentierte Mitwirkungs-Modell nun aber T HOMAS VON AQUIN zu, und zwar nicht nur dem T HOMAS des Sentenzenkommentars, auf den das Modell trotz Fehlen des Instrumenten-Begriffs noch einigermaßen passen w¨urde, sondern auch explizit dem T HOMAS der Summa, der sich von einem dispositio-Begriff, wie ihn B ONAVENTURA vorstellt und kritisiert, l¨angst verabschiedet hat.65 Mit T HO MAS hat daher das, was M ARSILIUS darlegt, noch weniger zu tun als das, was S TEPHAN B RULEFER ein Jahrhundert sp¨ater kritisieren wird. Es ist deswegen nicht unn¨utz, diesen Punkt etwas ausf¨uhrlicher zu beleuchten, weil sich die Tatsache, dass M ARSILIUS das Mitwirkungs-Modell nicht einfach von Vornherein verwirft, am naheliegendsten mit der Autorit¨at von T HOMAS VON AQUIN erkl¨aren ließe: Wie an anderen Stellen seines Kom62 Ebd., a 3, p 3, n 3, fol. 480ra: Tertio est notandum quod sacramenta producere gratiam potest intelligi dupliciter: Uno modo quod habeant aliquam virtutem absolutam inditam ipsis qua in rite suscipientibus vel dispositive vel productive gratiam producant. Alio modo sic quod eis nulla talis virtus absoluta inhaereat, sed quod ex institutione divina ipsis divina virtus assistat quae in rite suscipientibus ea gratiam creat. 63 Ebd.: De hoc sunt duae opiniones probabiles. Quarum una ponit quod sacramenta de per se virtute divina sibi indita sunt productiva gratiae. Alia ponit contrarium. Ego recitando eam quam credo probabiliorem, solvam motiva opinionis oppositae prout potero. 64 Ebd., fol. 480ra–480va; vgl. H OENEN: Sentenzenkommentar (1991), S. 127f. 65 Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 3, p 3, ed. Strassburg 1501, fol. 480va: In contrario huius opinionis est alia opinio etiam probabilis, et est sacnti Thomae tertia parte Summae q. 62, a. 1, 3 et 4, et in Scripto d. 1.
23.1 Das Pakt-Modell und die Ursachenfrage
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mentars,66 erwiese sich M ARSILIUS auch in der Wirksamkeitsfrage als Zeuge dieser neuen Form von Autorit¨at, die im dritten Teil der vorliegenden Arbeit ausf¨uhrlich beschrieben worden ist. Erstaunlich w¨are dann nur, dass sich M AR SILIUS von T HOMAS zwar beeindruckt zeigt, es aber dennoch offensichtlicht nicht f¨ur n¨otig h¨alt, dessen Schriften zu konsultieren, deren eingehende Kenntnis er an anderen Stellen seines Kommentars durchaus unter Beweis stellt.67 Es bietet sich daher eine zweite Erkl¨arung an, die allerdings bloß auf einigen vagen Indizien beruht: Es k¨onnte sein, dass der vorliegende Abschnitt einen fr¨uhen Bearbeitungsstand von M ARSILIUS’ Sentenzenkommentar noch aus dessen Pariser Zeit repr¨asentiert, in der er sich mit T HOMAS’ Bearbeitung noch nicht eingehend auseinandergesetzt hat. Sein Hinweis darauf, dass das MitwirkungsModell auch T HOMAS in seinem Sentenzenkommentar und seiner Summa ver¨ treten habe, w¨are dann nicht mehr als eine Notiz f¨ur eine sp¨atere Uberarbeitung, zu der M ARSILIUS nicht mehr gekommen ist, weil er 1396 stirbt, ohne seine Ordinatio abschließen zu k¨onnen.68 Daf¨ur spricht nun folgendes: Nach seinem Referat von B ONAVENTURAS Darstellung des Mitwirkungs-Modells l¨ost sich M ARSILIUS sehr wohl von seiner Vorlage69 und setzt sich direkt mit einem Vertreter der Mitwirkungs-Variante auseinander – es ist dies kein geringerer als sein Pariser Lehrer JAKOB VON E LTVILLE. M ARSILIUS sammelt neben einigen auctoritates, die er gr¨oßtenteils erneut bei B ONAVENTURA findet, aus JAKOBS Sentenzenkommentar f¨unf rationes f¨ur die Mitwirkungs-Variante, die er ausdr¨ucklich seinem Lehrer zuweist und die er sp¨ater eine nach der anderen widerlegt.70 Es ist diese direkte Auseinandersetzung von M ARSILIUS mit seinem Pariser Lehrer nat¨urlich noch kein Grund zur Annahme, dass der Text deswegen schon in den Pariser Jahren entstanden sei; aber immerhin w¨urde es unabh¨angig von T HOMAS’ Autorit¨at zu kl¨aren helfen, warum M ARSILIUS so z¨ogert, das Mitwirkungs-Modell schlecht66 Vgl. S ANTOS N OYA , M ANUEL: Die Auctoritates Theologicae im Sentenzenkommentar des Marsilius von Inghen, in: H OENEN/BAKKER: Philosophie und Theologie (2000), S. 197–210, hier S. 203f., der auch feststellt, dass M ARSILIUS in der ersten H¨alfte seines Kommentars zu Buch I die zwischen der Lehre des Aquinaten und der eigenen Position durchaus ” bestehenden Divergenzen nicht thematisiert.“ Die vorliegende Stelle w¨are dem gegen¨uber also eine Ausnahme. 67 Vgl. das Beispiel, das H OENEN: Sentenzenkommentar (1991), S. 126f., diskutiert. 68 Zum unvollst¨andigen Zustand von M ARSILIUS’ Ordinatio vgl. H OENEN: Commentary (2002), S. 476f. 69 Was H OENEN: Sentenzenkommentar (1991), S. 129, entgangen ist, der f¨ur den ganzen Abschnitt bis fol. 481va nur von B ONAVENTURA als Vorlage spricht. 70 Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 3, p 3, ed. Strassburg 1501, fol. 480va: Ad istam opinionem arguit dominus abbas de Erbaco qui videtur hanc sequi quaestione prima quarti libri; und ebd., fol. 481ra: Ad rationes quas adducunt isti et praesertim dominus Abbas. Die Argumente stammen gr¨oßtenteils aus JAKOBS Begr¨undung zur zweiten Conclusio der genannten Quaestio, vgl. Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 200va = Clm 11591, fol. 321va–b.
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
hin zu verwerfen: M ARSILIUS will sich nicht direkt mit seinem Lehrer anlegen. Interessant ist zudem ein zweites: M ARSILIUS spricht seinen Lehrer an der vorliegenden Stelle als dominus Abbas de Erbaco an, als Abt von Eberbach.71 Dieser Abtei steht JAKOB VON E LTVILLE seit 1371 vor, obwohl er erst 1373 in Paris zum Doktor der Theologie promoviert wird; und er bleibt dort Abt bis zu seinem Tod im Jahre 1393.72 Im Gegensatz zu der vorliegenden Stelle nimmt M ARSILIUS an anderen Stellen beides, theologischen Magister-Titel ebenso wie das Hinscheiden JAKOBS auf, indem er ihn magister meus bonae memoriae magister Jacobus de Erbaco nennt.73 Liest sich daher das schlichte dominus Abbas der vorliegenden Stelle nicht wie ein Hinweis darauf, dass zum Abfassungszeitpunkt JAKOB zwar bereits Abt, aber noch nicht Magister gewesen ist? Es darf diese Titulierung sicher nicht u¨ berbewertet werden – wie gesagt, handelt es sich nur um schwache Indizien, die allenfalls f¨ur eine Fr¨uhdatierung des vorliegenden Abschnitts sprechen k¨onnten. Ohnehin spielt die Frage des Zeitpunkts, zu welchem diese Passage abgefasst worden ist, keine allzu große Rolle im Hinblick auf die Art und Weise, wie M ARSILIUS mit seinem Material umgeht: Denn so oder so zeigt M ARSILIUS einen h¨ochst zur¨uckhaltenden Umgang mit der Position, die er f¨ur die weniger wahrscheinliche h¨alt. Das wird nicht zuletzt auch in seiner Widerlegung der Argumente von JAKOB VON E LTVILLE deutlich: Nur zwei der f¨ unf Argumente werden explizit zur¨uckgewiesen, die restlichen drei heißt M ARSILIUS grunds¨atzlich gut und zeigt, wie sie sich auch im Sinne des Pakt-Modells verstehen ließen.74 M ARSILIUS verfolgt daher einen ganz anderen Ansatz als P IERRE D ’A ILLY. Sein Entscheid f¨ur das Pakt-Modell h¨angt nicht mit der Irrationalit¨at der Mitwirkungs-Variante zusammen, sondern es scheint ihm das Pakt-Modell, wie das bereits auch B ONAVENTURA festgehalten hat, besser verst¨andlich und zugleich 71
Vgl. die vorangehende Anmerkung. Zu den biographischen Daten vgl. die oben, Anm. 6, S. 225, genannte Literatur; einen ¨ knappen Uberblick bietet C ALMA , M ONICA: La d´efinition du Viator dans les Commentaires des Sentences au XIVe si`ecle, in: W EIJERS , O LGA (Hrsg.): Les innovations du vocabulaire latin a` la fin du moyen aˆ ge. Autour du glossaire du latin philosophique (actes de la journ´ee d’´etude du 15 mai 2008), Turnhout: Brepols, 2010, S. 45–59, S. 52 mit Anm. 18. 73 Man beachte die akribisch genaue Stellenangabe: Dicit magister meus bonae memoriae magister Jacobus de Erbaco quaestione prima quarti in solvendo rationes quas facit contra conclusionem suam secundam et eius correlaria praesertim solvendo rationem unam quam facit contra tertium correlarium illius conclusionis (Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 3, p 1, ed. Strassburg 1501, fol. 475va). Die zwei Stellen, auf die sich M ARSILIUS bezieht, sind jene, in denen sich E LTVILLE mit A DAM W ODEHAM auseinandersetzt (Br¨ugge, Bib.ville 181, fol. 201rb und 202rb = Clm 11591, fol. 322va–b und 323vb–324ra). 74 Super quattuor libros sententiarum IV q 1, a 3, p 3, ed. Strassburg 1501, fol. 481rb–va. Vgl. insbesondere M ARSILIUS’ Antwort auf das f¨unfte Argument: Ad quintam [respondetur] quod omnes hae sint verae ad bonum intellectum: sacramenta novae legis magnam habent virtutem, producunt gratiam, mundant animam, et consimiles (ebd. fol 481va). 72
23.1 Das Pakt-Modell und die Ursachenfrage
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im Einklang mit dem Glauben zu sein: M ARSILIUS glaubt daher, wie er ausdr¨ucklich sagt, dieser Position mehr als der anderen.75 Dass f¨ur diesen Ansatz auch die auctoritates eine gr¨oßere Rolle spielen als f¨ur P IERRE D ’A ILLY, erstaunt daher nicht. In eine bestimmte Richtung sieht er sich von diesen auctoritates aber nicht gedr¨angt – daf¨ur sind die Autorit¨aten-Auslegungen von D URANDUS und P ETRUS AUREOLIS offensichtlich noch zu pr¨asent: Zwar zitiert M ARSILIUS keinen von ihnen w¨ortlich, doch zeugt sein Umgang mit den auctoritates und insbesondere sein Einbezug des jeweiligen Kontexts von deren nachhaltiger Wirkung.76 Entsprechend sieht sich M ARSILIUS auch nicht gen¨otigt, mit B ONAVENTURA zu sagen, es m¨ussten die auctoritates in einem uneigentlichen Sinne verstanden werden. Was M ARSILIUS allerdings anf¨uhrt, ist ein Verweis auf den modus loquendi der heiligen Schrift: Es ist n¨amlich die Redensweise der heiligen Schrift und der Gelehrten, dann, wenn etwas oft und wiederholt mit etwas anderem geschieht, zu sagen, es mache das Vorausgehende das Folgende, obgleich Gott allein dies macht, indem er das Vorausgehende akzeptiert. So sagt der Prophet: ‘Wie das Wasser das Feuer, so tilgt ein Almosen die S¨unde’,77 obwohl dennoch offenkundig ist, dass die k¨orperlichen oder geistigen Taten der Barmherzigkeit keine Kraft haben, eine S¨unde auszul¨oschen. Vielmehr macht dies Gott wegen ihnen. Und so ist es auch im vorliegenden Fall.78
Wenn daher gesagt wird, die Sakramente enthielten oder verursachten die Gnade, dann handelt es sich um keine uneigentliche Rede, sondern um jenen modus loquendi, der diesen theologischen Fragen angemessen ist. Anders als P IERRE D ’A ILLY mit seinem rationalistischen Diskurs ordnet sich M ARSILIUS damit in jene Tradition ein, die vom 1340er-Statut zu G ERSONS zwei Logiken f¨uhren wird. Es ist daher an der Zeit zu untersuchen, wie die Rezipienten dieser Tradition mit der Wirksamkeitsfrage umgegangen sind.
75 Ebd., fol. 480rb: Haec opinio est intelligibilis, et satis videtur pia et catholice recipienda, et ergo huic magis credo. 76 Ebd. fol. 481ra; s.o., Teil II, Kap. 13. 77 Vgl. Sir 3,33. 78 fol. 481ra–b: Est enim modus loquendi sacrae scripturae et doctorum quod quando aliquid semper et frequenter fit cum alio, dicere praecedens facere sequens, quamvis solus Deus hoc faciat acceptando praecedens, ut dicit propheta, quod sicut aqua ignem, ita eleemosyna extinguit peccatum, cum tamen manifestum sit, quod opera corporalia misericordiae | vel spiritualia non habent virtutem extinguendi peccatum, sed Deus propter ea facit hoc. Et ita in proposito.
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
23.2 Moderne Vielfalt: Die Sentenzenkommentare G ABRIEL B IELS und J OHN M AIRS Die unterschiedlichen, zum Teil sogar gegens¨atzlichen Vorgehensweisen eines P IERRE D ’A ILLY und eines M ARSILIUS VON I NGHEN haben verdeutlicht, wie weit die Ans¨atze jener Scholastiker auseinanderliegen k¨onnen, die gemeinhin als Vorl¨aufer der via moderna des 15. Jahrhunderts gesehen werden. Auch aus dieser inhaltlichen Perspektive best¨atigt sich damit einmal mehr, dass von einer einheitlichen, allenfalls gar schulm¨aßigen nominalistischen Str¨omung in der zweiten H¨alfte des 14. Jahrhunderts keine Rede sein kann. Es ist dies nun aber eine Vielfalt, die sich durchaus auch im 15. Jahrhundert unter Theolo¨ gen der via moderna findet. Welch vielf¨altige Rezeption D INKELSB UHLS Mel79 ¨ ker Lectura erfahren hat, ist bereits gezeigt worden; und Ahnliches ist wohl auch f¨ur M ARSILIUS mit Blick auf Heidelberger Kommentare zu vermuten – doch scheint zu Buch IV aus diesem Umfeld nichts Nennenswertes u¨ berliefert zu sein.80 Ohnehin f¨allt auf, dass die Zahl der Sentenzenkommentare des 15. Jahrhunderts, die sich Theologen der via moderna zuordnen lassen, sehr beschr¨ankt ist – und Ausf¨uhrungen zum vierten Sentenzenbuch kaum u¨ berliefert sind.81 Der vorliegende Abschnitt konzentriert sich daher auf zwei dieser seltenen Kommentare, die aber eine umso gr¨oßere Rezeption erfahren haben: Es handelt sich um die Kommentare G ABRIEL B IELS und J OHN M AIRS.82 79
S.o., Teil III, Kap. 19.2.1. Sofern man denn nicht G ABRIEL B IEL statt Erfurt (oder T¨ubingen) Heidelberg zuordnet, ¨ s.u., Anm. 83. Nach einer eingehenden Sichtung von S TEGM ULLERS Repertorium scheint unter den wenigen Heidelberger Kommentaren bloß noch jener des R ADULFUS DE B RUXELLA (RS 705–709) Material zum vierten Buch zu enthalten; zudem ist von H EINRICH VON H ESSEN (zu ihm s.o., S. 285 mit Anm. 8.) das Principium zu Buch IV erhalten geblieben (RS 314). F¨ur weitere Heidelberger Kommentare und Fragmente vgl. RS 288,2; 399; 410,1 und 760. 81 So weiß auch DAMERAU , RUDOLF: Die Abendmahlslehre des Nominalismus. Insbesondere die des Gabriel Biel, Gießen: Schmitz, 1963 (Studien zu den Grundlagen der Reformation ¨ 1), zwischen D INKELSB UHL und G ABRIEL B IEL keinen einzigen Nominalisten anzuf¨uhren – seine Angaben zu H EINRICH VON A LTENDORF VON H ESSEN beziehen sich auf Clm 11591, das bekanntlich nicht den Kommentar des Heidelberger Theologen, sondern die Relecture von E LTVILLES Kommentar durch H EINRICH VON L ANGENSTEIN enth¨alt (s.o., Teil III, Kap. 16). Interessanterweise lassen sich denn meines Wissens auch keine Sentenzen-Kompendien ausmachen, wie sie sich oben unter den Thomisten und Scotisten haben finden lassen. Einen Grenzfall ¨ stellen allenfalls die Puncta seu notata Sententiarum dar, die S TEGM ULLER dem Erfurter Theologen H ERMANNUS DE G REVENSTEIN zuschreibt (RS 347) und die u¨ ber eine bloße Expositio hinaus auch kleine Quaestiones und kurze Dubia pr¨asentieren. Die Wirksamkeitsproblematik wird darin allerdings nicht aufgegriffen; vielmehr wird im Rahmen der allgemeinen Sakramentenlehre theologisch nicht ganz einwandfrei bloß festgehalten, dass non solum gratiam significandi sacramenta sunt instituta, sed etiam gratiam sanctificandi (Cod. Guelf. 384 Helmst., fol. 171rb), was aber auf einen Schreibfehler (gratiam statt gratia) zur¨uckgehen mag. 82 Zur Nachwirkung von G ABRIEL B IEL vgl. R EINHARDT, E LISABETH: Il recupero dell’equilibrio teologico in Gabriel Biel, in: B IFFI , I NOS (Hrsg.): Figure moderne della teologia 80
23.2 Die Sentenzenkommentare Gabriel Biels und John Mairs
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23.2.1 Gabriel Biel G ABRIEL B IEL ist einer der wenigen Scholastiker des 15. Jahrhunderts, der sich einer allgemeineren Bekanntheit erfreut.83 Das ist in erster Linie darauf zur¨uckzuf¨uhren, dass er auch das Interesse der Reformationsgeschichte gefunden hat, weil von keinem geringeren als M ARTIN L UTHER handschriftliche Annotationen zu B IELS Sentenzenkommentar erhalten sind.84 B IEL, der in Heidelberg zum magister artium promoviert wird und sp¨ater nach Erfurt wechselt, um dort Theologie zu studieren, ist aber auch als pr¨agende Gestalt der devotio moderna bekannt; wegen eines als Separatum gedruckten Ausschnitts aus seinem Sentenzenkommentar, der sich mit geldtheoretischen Fragen besch¨aftigt, wird er zudem von Wirtschaftshistorikern gerne beigezogen.85 Diesen Sentenzenkommentar verfasste nun G ABRIEL B IEL erst ganz am Ende seines Lebens, als er ab 1484 an der Universit¨at T¨ubingen einen der via moderna-Lehrst¨uhle nei secoli XV–XVII. Atti del convegno internazionale promosso dall’Istituto di Storia della Teologia di Lugano, Lugano, 30 settembre–1 ottobre 2005, Mailand: Jaca Book, 2007 (Gi`a e non ancora 439), S. 209–225, hier S. 221; zur Rezeption von J OHN M AIR vgl. B ROADIE , A LEX ANDER: The Circle of John Mair. Logic and Logicians in Pre-Reformation Scotland, Oxford: Clarendon, 1985, und die Zusammenstellung bei FARGE , JAMES K.: Biographical Register of Paris Doctors of Theology. 1500–1536, Toronto, 1980 (Subsidia Mediaevalia 10), S. 307. 83 Zur Biographie von G ABRIEL B IEL (um 1410 bis 1495) vgl. die weiterhin grundlegende Studie von O BERMAN , H EIKO A.: The Harvest of Medieval Theology. Gabriel Biel and Late Medieval Nominalism, Cambridge MA: Harvard University Press, 1963, bes. S. 9–21, mit den Erg¨anzungen bei C OURTENAY, W ILLIAM J.: Gabriel Biel as Cathedral Preacher at Mainz and His Supposed Sojourn at Marienthal, in: Research Studies of the Washington State University ¨ 33 (1965), S. 145–150; einen Uberblick bietet nun auch C RUSIUS , I RENE: Gabriel Biel. Eine ¨ , U LRICH/L ORENZ , S ONKE ¨ Karriere zwischen vita contemplativa und vita activa, in: K OPF / AUGE , O LIVER (Hrsg.): Gabriel Biel und die Br¨uder vom gemeinsamen Leben. Beitr¨age aus Anlass des 500. Todestages des T¨ubinger Theologen, Stuttgart: Franz Steiner, 1998 (Contubernium 47), S. 1–23. 84 M ARTIN L UTHER: Randbemerkungen zu Gabriel Biel, ed. Johannes Schilling, WA 59 (1983), S. 29–53. Vgl. bereits G RANE , L EIF: Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel Biel in der Disputatio contra Scholasticam Theologiam 1517, Gyldendal, 1962 (Acta Theologica Danica 4), und nun v.a. W IENEKE , J OSEF: Luther und Petrus Lombardus. Martin Luthers Notizen anl¨asslich seiner Vorlesung u¨ ber die Sentenzen des Petrus Lombardus Erfurt 1509/11, St. Ottilien: EOS-Verlag, 1995. 85 B IELS Tractatus de potestate et utilitate monetarum, ed. Oppenheim 1516, entspricht seinem Collectorium IV d 15, q 9, ed. Werbeck/Hoffmann IV.2 (1977), S. 175–189. Vgl. zuletzt ¨ M AKELER , H ENDRIK: Nicolas Oresme und Gabriel Biel. Zur Geldtheorie im sp¨aten Mittelalter, in: Scripta Mercaturae 37 (2003), S. 56–94. Zu B IEL als Vertreter der devotio moderna ¨ /L ORENZ/AUGE auch FAIX , vgl. neben dem oben, Anm. 83 genannten Sammelband von K OPF G ERHARD: Gabriel Biel und die Br¨uder vom Gemeinsamen Leben. Quellen und Untersuchungen zu Verfassung und Selbstverst¨andnis des Oberdeutschen Generalkapitels, T¨ubingen: Mohr Siebeck, 1999 (Sp¨atmittelalter und Reformation. Neue Reihe 11), sowie die zahlreichen Studien von PAULUS J. VAN G EEST (so j¨ungst G EEST, PAULUS J. VAN: Gabriel Biel: Brother of the Common Life and ‘alter Augustinus’? Aim and Meaning of his ‘Tractatus de communi vita clericorum’, in: Augustiniana 58 (2008), S. 305–357).
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
u¨ bernahm;86 gleichsam als theologisches Lehrbuch f¨ur die neu gegr¨undete Universit¨at erarbeitete er sein Collectorium, eine Zusammenstellung zu P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen, in der er sich nun allerdings prim¨ar an O CKHAM orientieren wollte.87 Es ist dieses Lehrbuch noch kein ‘Kommentar zum Kommentar’, so wie etwas sp¨ater P ETRUS TARTARETUS sich auf S COTUS’ Ordinatio konzentrieren wird. Noch lockerer als S TEPHAN B RULEFER mit seiner Orientierung an B ONAVENTURA88 nimmt sich G ABRIEL B IEL zwar vor, sein Werk auf O CK HAMS Sentenzenkommentar auszurichten, doch plant er von Anbeginn an dort, wo seine Vorlage allzu knapp ausf¨allt, die Meinungen anderer Scholastiker zusammenzuf¨uhren, die von den Prinzipien des genannten Lehrers nicht ab” weichen.“89 Dabei zeigt sich B IEL u¨ berraschend offen, was die Auswahl jener Scholastiker betrifft, die O CKHAMS Prinzipien treu zu bleiben scheinen 86 Buch IV allerdings scheint G ABRIEL B IEL erst zu verfassen, nachdem er sich um 1490 vom universit¨aren Lehrbetrieb zur¨uckgezogen hat (vgl. ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 162). Das Werk bleibt unvollendet. 87 Den schulbuchm¨aßigen Charakter seines Werks betont G ABRIEL B IEL im Prolog, indem er sich in Parallele zu P ETRUS L OMBARDUS inszeniert: Wie dieser als Schwimmhilfe f¨ur die theologischen Neulinge, die sich im Ozean der heiligen Schrift zurechtfinden m¨ussen, aus den Bienenst¨ocken der Kirchenv¨ater die wichtigsten Lehren zusammengef¨uhrt habe, wolle auch er, wo sein Vorbild sich zu wenig ausf¨uhrlich ge¨außert habe, aus den Bienenst¨ocken anderer Doktoren die Meinungen zusammenf¨uhren: Quoniam scriptura, qua ad cognoscendum Deum ducimur, latissima est, est denique dispensiosum, difficile et fere inutile incipientes praesertim et in sacra theologia primogenitos infantes in mare tam magnum quam spatiosum mittere. Eapropter [...] magister Petrus Lombardus [...] opus utile velut apis argumentosa ex sanctorum patrum alveariis edidit, libros scilicet Sententiarum, in quibus [...] theologica dogmata [...] in unum redegit. [..|..] Tentabimus [...] ubi praefatus Doctor [...] parum vel nihil scribit, aliorum doctorum sententias [...] ex clarissimorum virorum alveariis in unum comportare (G ABRIEL B IEL: Collectorium Prol., ed. Werbeck/Hoffmann I (1973), S. 6f.; der letzte Satz ist unten, Anm. 89, ausf¨uhrlicher zitiert). 88 S.o., S. 466. Eine eher zuf¨allige Parallele zu B RULEFER ergibt sich auch daraus, dass ebenso, wie zu B IEL Annotationen von L UTHER vorhanden sind, von Z WINGLI Annotationen zu B RULEFER existieren, vgl. B OLLIGER: Infiniti Contemplatio (2003). Zum ‘Kommentar zum Kommentar’ von P ETRUS TARTARETUS s.o., S. 480. 89 Cum ergo nostri propositi est dogmata et scripta venerabilis inceptoris Guilelmi Occam Anglici, veritatis indagatoris acerrimi, circa quattuor Sententiarum libros abbreviare, tentabimus divino aspirante ductu circa prologum et singulas distinctiones scholasticas movere quaestiones et, ubi praefatus doctor scribit diffusius, suam sententiam et verba accurtare [...], in aliis vero, ubi parum vel nihil scribit, aliorum doctorum sententias a dicti Doctoris principiis non deviantes, quantum potero, ex clarissimorum virorum alveariis in unum comportare. Hinc et laborem nostrum Collectorium pariter et Epitoma placuit nominare (G ABRIEL B IEL: Collectorium Prol., ed. Werbeck/Hoffmann I (1973), S. 7; dazu ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 164f.) Zur Generierung einer OCKHAM ’ SCHEN Autorit¨at in B IELS Prolog vgl. ¨ nun auch L EPPIN , VOLKER: In Ockhams Schule? Uberlegungen zum Verst¨andnis Gabriel Biels anhand seiner Begr¨undung des Wissenschaftscharakters der Theologie, in: M ENSCHING , ¨ G UNTHER (Hrsg.): De usu rationis. Vernunft und Offenbarung im Mittelalter, W¨urzburg, 2007 (Contradictio 9), S. 185–197, hier S. 188f.
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und sich daher zusammenf¨uhren, in unum comportare lassen: Engegen aller herk¨ommlicher Trennungen zwischen Nominalisten und Realisten, zwischen via antiqua und via moderna, folgen bei B IEL auf AUGUSTIN und O CKHAM bereits S COTUS und T HOMAS VON AQUIN als meist-rezipierte Autoren; und gerade was den T HOMAS betrifft, hat J OHN FARTHING gezeigt, dass B IEL in ¨ einem Großteil der F¨alle versucht, mit ihm einig zu gehen.90 Uber M ARSILIUS ¨ und D INKELSB UHL hinaus, die beide den AQUINATEN auch schon als Autorit¨at behandelt haben, bezeugt B IEL damit, dass er offenbar die Prinzipien selbst von O CKHAM f¨ur nicht ganz so unvereinbar mit jenen der Vertreter des alten Wegs h¨alt, wie das eine moderne Perspektive vorschnell voraussetzt.91 Nicht weniger als f¨ur M ARSILIUS ist nun allerdings auch f¨ur G ABRIEL B I EL die Wirksamkeitsproblematik eine der Fragen, in der er sich grunds¨atzlich gegen T HOMAS stellt. Seine allererste Quaestio zu Buch IV fokussiert gleich auf die sakramentale Wirksamkeit und fragt danach, ob die neutestamentlichen Sakramente effektive Ursachen der Gnade seien.92 Auch f¨ur G ABRIEL B IEL scheint damit der Urs¨achlichkeits-Aspekt im Vordergrund zu stehen, was in einem Kommentar, der sich grunds¨atzlich an O CKHAM orientiert, nicht weiter erstaunt. Wie immer in seinem Collectorium teilt B IEL die Quaestio in drei Artikel auf: einen ersten mit einigen Notanda zur clarificatio terminorum, einen zweiten mit seinen Conclusiones und deren Begr¨undungen, und einen dritten mit einigen Dubia, die sich aus seiner Darlegung der Conclusiones ergeben.93 Unter den einleitenden Begriffskl¨arungen leuchtet er nun aber nicht bloß die fraglichen termini wie jene des Sakraments und der Ursache aus, sondern er bie¨ tet auch bereits einen Uberblick u¨ ber die opiniones duae contrariae, die in der vorliegenden Frage begegnen w¨urden:94 Wie f¨ur seinen Zeitgenossen G UIDO B RIANSONIS mit den Documenta oder wie sp¨ater auch f¨ur N ICOLAS D ENYSE 90
Vgl. FARTHING , J OHN L.: Thomas Aquinas and Gabriel Biel. Interpretations of St. Thomas in German Nominalism on the Eve of Reformation, Durham, 1988, S. 191f.; dazu auch ROSEMANN: Great Medieval Book (2007), S. 166. 91 Vgl. R EINHARDT: Equilibro teologico (2007), S. 222–225. Zu M ARSILIUS vgl. S AN ¨ TOS N OYA : Auctoritates (2000) und oben, S. 509; zu D INKELSB UHL s.o., S. 362. 92 G ABRIEL B IEL: Collectorium IV d 1, p 1, q 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 4: Utrum sacramenta legis novae sint causae effectivae gratiae. Zur Wirksamkeitsfrage bei B IEL vgl. erneut I TURRIOZ: Causalidad (1951), S. 98–100, und auch DAMERAU: Abendmahlslehre des Nominalismus (1963), S. 111–121, dessen Darstellung allerdings auch an dieser Stelle fl¨uchtig und fehlerhaft ist. 93 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 4f.: Tribus articulis haec quaestio absolvetur: primus erit notabilium, secundus conclusionum, tertius dubiorum. Notabilia terminos declarabunt, conclusiones ad | quaestionem respondebunt, dubia replicarum difficultates vel materias cohaerentes terminabunt. Et ne idem saepius repetere oporteat, hunc ordinem per singulas quaestiones huic quarti Domino auctore tenebo, sicut et tenui in prioribus libris. 94 Ebd. a 1, n 2, S. 11: Secundo notandum quod de materia principali quaestionis, videlicet an et quomodo sacramenta sint causae gratiae, sunt opiniones duae contrariae apud doctores.
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
geh¨oren f¨ur B IEL die unterschiedlichen Meinungen, die zur Wirksamkeitsfrage existieren, ganz offensichtlich in den Bereich dessen, was vorab zu kl¨aren ist; der zweite Artikel mit den Conclusiones kann sich damit auf deren Darlegung und Begr¨undung beschr¨anken.95 Dies scheint auch die Absicht hinter B IELS Auslagerung der Dubia in einen dritten Artikel zu sein, denn auch dort kommt er noch einmal auf Probleme zur¨uck, die in den ersten beiden Artikeln bereits angesprochen worden sind.96 So sehr er damit versuchen mag, den zwei¨ ten Artikel schlicht und konzis zu halten, ist dies der Ubersichtlichkeit seiner Argumentation allerdings nicht immer f¨orderlich. Die vorliegende Darstellung wird sich daher erlauben, sich nicht strikt an B IELS eigene Abfolge der Argumente zu halten, sondern zwischen seinen einzelnen Abschnitten hin und her zu wechseln. Das vorhandene Material sei hierf¨ur in drei Punkten zusammengefasst: in einen ersten zu B IELS Sakramenten-Begriff, einen zweiten zu seinem Ursachen-Begriff und einen dritten zu seiner Position in der Wirksamkeitsfrage. 23.2.1.1 Biels Sakramenten-Begriff Was B IELS Sakramenten-Verst¨andnis betrifft, so l¨asst sich dieses nur andeutungsweise aus den diversen Sakramenten-Definitionen herauslesen, die er – wie das f¨ur ein Lehrbuch durchaus angemessen ist – nebeneinanderstellt. Neben einem Auszug aus T HOMAS’ Sentenzenkommentar und Verweisen auf D U RANDUS VON S T. P OURC ¸ AIN, A LEXANDER VON H ALES und P ETRUS DE PA LUDE erscheinen zum einen drei der klassischen Definitionen von AUGUSTIN , H UGO VON S T. V IKTOR und P ETRUS L OMBARDUS,97 und zum anderen die 95 Entsprechend erstreckt sich seine Darlegung der vier Notanda des ersten Artikels u¨ ber 15 Seiten der modernen kritischen Edition (Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 4–18), w¨ahrend seine Begr¨undung von sieben Conclusiones nur 9 Seiten ben¨otigt (ebd. a 2, S. 19–27). Zu G UIDO B RIANSONIS s.o., S. 465; zu N ICOLAS D ENYSE s.o., S. 485. 96 B IELS Vorgehensweise ist daher alles andere als geometrisch: Bloß eines der drei Dubia (das zweite) greift eine Problematik auf, die bisher nicht diskutiert worden ist, die sich allerdings weniger aus der Wirksamkeitsfrage ergibt, als vielmehr von dieser vorausgesetzt wird: die Frage n¨amlich nach den sch¨opferischen M¨oglichkeiten von Gesch¨opfen (utrum creare simpliciter repugnet creaturae: Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 3, d 2, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 29–31). Eine Voraussetzung statt einer Folgerung versucht auch das erste Dubium dieses dritten Artikels zu kl¨aren: Nachdem das erste Notandum des ersten Artikels die Definition der Sakramente untersucht hat, greift B IEL erst hier die Frage auf, ob sich Sakramente u¨ berhaupt definieren lassen (ebd. d 1, S. 28). Nachdem schließlich drittes und viertes Notandum des ersten Artikels beide (!) den Ursachenbegriff untersucht haben, widmet sich auch das dritte Dubium noch einmal dem Unterschied zwischen eigentlichen Ursachen und causae sine quibus non (ebd. S. 31–36). 97 Ebd. a 1, n 1, S. 5f., wo sich auch die w¨ortliche Anlehnung an T HOMAS findet (s.u., Anm. 99). Die klassischen Definitionen widersprechen sich f¨ur B IEL in keiner Weise: Si bene intelliguntur, variatis verbis eandem praeferunt sententiam, et quod una obscurius innuit, alia clarius exprimit (ebd. S. 6). Dabei handelt es sich um die oben, S. 126 (P ETRUS L OMBARDUS),
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Definitionen von S COTUS und O CKHAM.98 Es wird daher der MedikamentenBegriff nicht weniger prominent vorgebracht als jener des Zeichens, und es finden sich Ausf¨uhrungen zur similitudo ebenso wie zu Gottes Freiheit in der Einsetzung der Sakramente. Dennoch wird aus B IELS Umgang mit diesen Definitionen bereits deutlich, in welche Richtung er auch die Wirksamkeitsproblematik l¨osen wird: Obschon er mit einem T HOMAS-Zitat einsteigt, das die eigene Aktivit¨at der Sakramente unterstreicht,99 liest er doch schon aus den klassischen Definitionen heraus, dass ein Sakrament offensichtlich ein signum efficax et certum sein m¨usse.100 Entsprechend eingehend besch¨aftigt er sich denn auch mit S COTUS’ Sakramenten-Definition.101 Allerdings ist es auch nicht die Definition von S COTUS, die B IEL am meisten einleuchtet. Im direkten Anschluss an deren Auslegung erhebt er den inzwischen bekannten Einwand, dass S COTUS seine Definition unn¨otig auf sinnliche Zeichen beschr¨anke, wo Gott doch ebenso gut auch etwas rein Geistiges als Sakrament h¨atte einsetzen k¨onnen. Dieses OCKHAM ’ SCHE Argument, das auch P IERRE D ’A ILLY aufgegriffen hat, das hier aber vorerst anonym angef¨uhrt wird, erg¨anzt B IEL mit einem Verweis auf den verborgenen Christus im Abendmahl, dessen Anwesenheit ja auch ein wahres Sakrament zu nennen sei, ohne dass es sinnlich wahrnehmbar ist;102 und er entkr¨aftet mit einem Hinweis auf 218 (AUGUSTIN) und 274 (H UGO VON S T. V IKTOR) vorgestellten Definitionen, die G ABRIEL B IEL wohl aus der Summa Halensis IV q 8, m 1, a 1 (vgl. ed. Lyon 1516, fol. 41rb) kennt. 98 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 9: Sacramentum propriissime acceptum est ‘signum sensibilie gratiam Dei vel effectum [Dei] gratuitum ex institutione divina efficaciter significans, ordinatum ad salutem hominis viatoris (vgl. S CO TUS : Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 207, ed. Vaticana (2008), S. 73; dazu oben, S. 176); und ebd. S. 10: Sacramentum est signum significans ‘efficaciter effectum Dei gratuitum’ (vgl. O CKHAM: Reportatio in quartum sententiarum IV q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 5; dazu oben, S. 495). 99 Sacramentum est aliquid quo aliquis sacratur: Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 5; vgl. T HOMAS VON AQUIN: In sententias IV d 1, q 1, a 1, qc 1, resp., ed. Moos (1947), S. 12. 100 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 6: Requiritur [...] quod sit signum efficax et certum, ita quod semper habeat effectum suum quem signat infallibiliter, nisi sit impedimentum in suscipiente per positionem obicis gratiae repugnantis. Vgl. ebd., S. 10, in Auslegung von P ETRUS ’ L OMBARDUS ‘ut causa existat’: Non enim potest causa existere nisi ex divina institutione. Et si est causa, erit signum efficax et certum. 101 Ebd. S. 8f. Der große Vorteil von S COTUS’ Definition besteht in B IELS Augen darin, dass sie die klassischen Definitionen zusammenf¨uhrt: Has autem definitiones doctor subtilis reducit ad unam – was ja auch B IELS Bestreben entspricht, der sein eigenes Projekt als eine comportatio in unum betrachtet (s.o., S. 514). 102 Ebd. S. 9f.: De ratione sacramenti non est, quod sit signum sensibile. Nam si Deus institueret aliquod spirituale ad significandum efficaciter gratiam [...], talis actus interior esset vere sacramentum, et tamen non esset signum sensibile. Praeterea: Corpus Christi verum est sacramentum sub hostia, quia sacramen|tum et res secundum doctores et Magistrum dist. 8. Vgl. P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 8, c 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 282. Zur Argumentation bei O CKHAM und P IERRE D ’A ILLY s.o., S. 495f.
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
eine definitorische Grundregel den Einwand, dass alle existierenden Sakramente sinnlich seien und es daher unn¨otig sei, eine Definition zu bieten, die auch alle Eventualit¨aten einschließe: Eine Definition muss mit dem Definierten austauschbar sein103 und von ihm daher ausgesagt und grunds¨atzlich f¨ur jede beliebige Kopula und auf jeden m¨oglichen Fall angewendet werden k¨onnen. Nun aber wird im Fall des [vorliegenden] Arguments das Definierte von einem geistigen Zeichen ausgesagt, weil diesem die gesamte Bestimmung des Wesens eines Sakraments zukommt. Nichts anderes n¨amlich geh¨ort zur Bestimmung seines Wesens, als dass es ein Zeichen ist, das wirksam eine heilige Sache bezeichnet, das heißt den Gnadeneffekt, wie aus der Herleitung des Begriffs und seiner Auslegung deutlich wird, aus der seine Bedeutung angeeignet wird.104
Die Allgemeinheit einer Definition macht sie auch zu einer guten Definition; und erst im Anschluss an diese Ausf¨uhrungen zaubert B IEL nun O CKHAMS Definition gleichsam aus der Tasche und h¨alt fest: Diese Definition passt auf ” jedes Sakrament im eigentlichen Sinne.“105 O CKHAMS Definition scheint es denn auch tats¨achlich zu sein, der sich G ABRIEL B IEL anschließt. So allerdings, wie schon P IERRE D ’A ILLY im Anschluss an sein Referat von O CKHAMS Definition auch jener von S COTUS einige Berechtigung zugesprochen hat, zeigt nun auch G ABRIEL B IEL, wie S COTUS’ Definition und mit ihr die u¨ bliche Redeweise der Heiligen“ zu retten seien, die alle ja bloß so von ” den Sakramenten gesprochen h¨atten, wie sie tats¨achlich eingesetzt worden seien, und nicht wie sie h¨atten eingesetzt werden k¨onnen.106 Was das Argument von Christi Pr¨asenz im Abendmahl angehe, so handle es sich dabei ja nicht um ein wirksames Zeichen, weshalb es auch nicht um ein Sakrament im eigentlichen Sinne gehe.107 Was aber die Definitions-Problematik betreffe, so h¨ange 103
Definitio debet esse convertibilis cum definito: vgl. etwa O CKHAM: Summa logica III.2, c 31, ed. Boehner (1957), S. 562. 104 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 10: Si dicitur quod illae definitiones dantur de sacramentis secundum quod sunt instituta a Christo, non secundum quod possunt institui, contra: definitio debet esse convertibilis cum definito, ideo praedicabilis de Deo et subiicibilis universaliter respectu cuiuscumque copulae et in quocumque casu possibili. Nunc autem in casu argumenti definitum praedicaretur de signo spirituali, quia illi conveniret tota ratio nominis ‘sacramentum’. Nihil enim aliud est de ratione eius, nisi quod est signum efficaciter significans rem sacram, id est effectum gratuitum, ut patet ex nominis derivatione et interpretatione, ex quo colligitur eius significatio. 105 Ebd.: Ista definitio omni sacramento convenit proprie dicto. S.o., Anm. 98. 106 Ebd.: Cui placet salvare definitionem Scoti et communia dicta sanctorum (quae omnes loquuntur de sacramentis ut de facto instituta sunt), potest dicere... Zu P IERRE D ’A ILLY s.o., S. 498. 107 Ebd. S. 10f.: Nec corpus Christi nec character est sacramentum, non solum quia est signum non-sensibile, sed quia non est signum efficax sui signati. Non enim comitatur signatum, corpus scilicet Christi mysticum, corpus Christi verum, neque in suscipiente sacramentum neque in sacramento, tum etiam quia signatum non est effectus Dei gratuitus eo modo quo ac-
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das Argument davon ab, was man zur Bestimmung des Wesens eines Sakraments z¨ahle: Rechne man die sinnliche Wahrnehmbarkeit dazu – was bei einem ver¨anderbaren Begriff, der bloß ad placitum bezeichnet, durchaus m¨oglich ist – dann erledige sich die ganze Argumentation, weil ein allf¨alliges ‘geistiges, von Gott eingesetztes wirksames Zeichen einer heiligen Sache’ schlicht nicht ‘Sakrament’ genannt w¨urde: Zwar entspr¨ache der Begriff dann nicht mehr seiner urspr¨unglichen Herleitung, aber es liege im Verm¨ogen der Benutzer eines Begriffs, dessen Bedeutung umzuformen.108 Damit hat B IEL nun grunds¨atzlich recht und auch S COTUS’ Definition verteidigt, zugleich aber die Diskussion auf eine andere Ebene verlagert: Denn S COTUS’ Definition ist nicht mehr als besser oder schlechter als jene von O CKHAM zu bewerten, weil ja mit B IELS Argument jede beliebige Definition als passend angesehen werden m¨usste, wenn denn nur der Gehalt dessen, was definiert werden soll, entsprechend umgeformt w¨urde. Die ganze Problematik reduziert sich damit auf einen Streit nicht mehr u¨ ber Dinge, sondern um Worte. Es sind mehrere Elemente, die an B IELS Ausf¨uhrungen zum SakramentenBegriff daher hervorzuheben sind: Erstens h¨alt er sich argumentativ an O CK ¨ HAM. Dessen Uberlegungen u¨ berzeugen ihn, und so schließt er sich denn sachlich auch seiner Sakramenten-Bestimmung an. Dennoch ist es ihm zweitens ein Anliegen, eine breitere Tradition mit einzubeziehen und sich bei bekannten Autorit¨aten anzulehnen und abzusichern. Dabei blitzen nun pl¨otzlich Elemente auf, die weniger auf die Traditionslinie zur¨uckgehen, von der P IERRE D ’A ILLYS Kommentar zeugt, als vielmehr auf den Ansatz von M ARSILIUS , ¨ : Das zeigt sich bereits in seiner Rechtfertigung G ERSON und D INKELSB UHL der communia dicta sanctorum, es zeigt sich aber auch etwa in einem der nachgeschobenen Dubia, das die grunds¨atzliche Frage der Definierbarkeit der Sakramente aufgreift: B IEL erw¨ahnt, dass R ICHARDUS DE M EDIAVILLA und D UNS S COTUS diese Frage breit disputiert h¨atten, doch sei es eigentlich eine materia magis logicalis quam theologicalis, weshalb er die k¨urzeren Ausf¨uhrung von O CKHAM und P IERRE D ’A ILLY vorziehe.109 Damit zeigt sich nun aber dritcipitur in definitione, quia nec gratia gratum faciens nec gratia substantialis, tum quia ad hoc significandum | non sunt instituta a Deo. 108 Ebd. S. 10: Potest dicere quod signum spirituale, si institueretur a Deo ad significandum effectum gratuitum, non esset sacramentum, et consequenter, quod ratio sacramenti includit, quod sit signum sensibile. Et licet hoc non habeatur ex derivatione nominis et prima eius impositione, habetur tamen ex usu loquentium, qui habet vicem impositionis, maxime quia nomina sunt ad placitum. 109 Ebd., a 3, d 1, S. 28: Quamvis de materia huius dubii, an scilicet sacramentum sit definibile definitione proprie dicta, Scotus et Richardus late disputant – quia tamen illa materia magis est logicalis quam theologicalis [...], breviter et sufficienter absolvit se de hoc Occam et post eum Alliaco. Vgl. S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 189–206, ed. Vaticana (2008), S. 65–73; sowie R ICHARDUS DE M EDIAVILLA: Commentum super quarto IV d 1, a 1, q 2, ed. Venedig 1489, fol. a1vb–a2ra.
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tens, dass diese Anlehnungen oft nur auf einer verbalen Ebene geschehen: Wie er schon S COTUS’ Definition und die communia dicta sanctorum nur auf einer sprachlichen und keiner sachlichen Ebene best¨atigt, erweist sich auch sein Vorwurf an S COTUS und R ICHARDUS als rhetorisches Gepl¨ankel – denn aufgrund seiner Anlehnung an O CKHAM und P IERRE D ’A ILLY versucht G ABRIEL B IEL die Frage durchaus auch auf eine rein logische Weise zu l¨osen.110 23.2.1.2 Das Fehlen eigentlicher Ursachen ¨ Ahnliches l¨asst sich nun auch im Hinblick auf die zweite Thematik feststellen, die hier aufgegriffen werden soll: jene von G ABRIEL B IELS Ursachen-Begriff. Anders als beim Sakramenten-Begriff setzt sich B IEL bei dieser Thematik zwar fast ausschließlich mit O CKHAM und P IERRE D ’A ILLY auseinander:111 Von O CKHAM u¨ bernimmt er die an A RISTOTELES angelehnte Definition, dass eine Ursache etwas sei, bei dessen Dasein etwas anderes folgt“;112 und er erweitert ” diese Bestimmung umgehend im Sinne von P IERRE D ’A ILLY, dass eine Ursache etwas sei, bei dem (a), sobald es ins Sein gesetzt werde, etwas anderes ins Sein gesetzt werde und bei dem (b), wenn es nicht ins Sein gesetzt werde, das andere nicht auf die Weise ins Sein gesetzt werde, wie es (c) bei Anwesenheit des ersten ins Sein gesetzt w¨urde.113 Diese umst¨andlichere Formulierung, die nicht nur (a) die Anwesenheit einer Ursache ber¨ucksichtigt, wie dies schon bei O CKHAM der Fall ist, sondern auch (b) deren Abwesenheit, scheint ihm deswegen notwendig, weil sonst bei zwei beliebigen gleichzeitigen Ereignissen stets das eine als Ursache des anderen betrachtet werden m¨usste: Bei zwei gleichzeitig geborenen Kindern w¨are das eine Ursache des anderen, weil bei der Ins-Sein-Setzung des einen auch das andere ins Sein gesetzt wird.114 Zudem ber¨ucksichtigt er, dass (c) die Wirkung einer Ursache eintreten kann, ohne dass die Ursache vorhanden ist: Wasser kann von Feuer und Sonne zugleich, oder auch nur von einem der beiden gew¨armt werden. Wird das Wasser aber nur von einem gew¨armt, dann wird es nicht auf dieselbe Weise warm, wie wenn 110 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 3, d 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 28. Im zitierten Teil aus O CKHAMS Kommentar (Reportatio in quartum sententiarum IV q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 4f.) wird denn auch ganz offen mit A RISTOTELES’ Analytica posteriora argumentiert (II 10 und 13, 93b 29–32 und 96a 20 – 97b 39). 111 Die einzige Ausnahme ist P ETRUS DE PALUDE, auf dessen Argumente gegen eine Differenzierung zwischen causae per accidens und causae sine quibus non (In quartum sententiarum IV d 1, q 1, a 1, ed. Venedig 1493, fol. 2rb) B IEL kurz verweist (Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 3, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 16). 112 Ebd., S. 14; zu O CKHAM und A RISTOTELES s.o., S. 494. 113 Ebd.: Causa est res, qua posita in esse, aliqua alia res ponitur in esse. Addendum est: et qua non posita, aliud non ponitur eo modo quo ponitur. 114 Ebd.: Quod ideo additur, quia alias quaecumque duo simul tempore producerentur, unum esset causa alterius, et ita si duo infantes simul tempore generarentur ex diversis matribus, unus esset causa alterius.
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es von beiden gew¨armt wird – es dauert n¨amlich l¨anger.115 Und es gibt noch eine weitere Form, wie eine Wirkung ohne ihre Ursache eintreten kann: B IEL insistiert auf dem Modus seiner Formulierung in Teil (b) der Bestimmung, dass eine Wirkung nicht [ins Sein] gesetzt wird“ (non ponitur), wenn die Ursache ” fehlt. Absichtlich sage er nicht, dass bei Fehlen der Ursache eine Wirkung ” nicht [ins Sein] gesetzt werden kann“ (non potest poni effectus), denn nat¨urlich sei es Gott m¨oglich, eine beliebige Wirkung unmittelbar hervorzurufen.116 Aus diesen wenigen Erweiterungen der Ursachen-Definition wird bereits deutlich, dass f¨ur B IEL die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung letztlich eine willk¨urliche ist. Dass er O CKHAMS sequi (die Wirkung folgt der Ursache) fallen l¨asst und stattdessen wie P IERRE D ’A ILLY nur noch von Dingen spricht, die ‘ins Sein gesetzt’ werden, bereitet terminologisch vor, was sein Insistieren auf Gottes M¨oglichkeit, eine Wirkung unmittelbar hervorzurufen, dann auch inhaltlich verdeutlicht: Eine notwendige Beziehung zwischen Ursache und Wirkung gibt es nicht. Wie selbstverst¨andlich f¨ur B IEL das Fehlen einer solchen Notwendigkeit ist, wird dort deutlich, wo er sich explizit zu begr¨unden anschickt, warum hier von keiner Notwendigkeit ausgegangen werden k¨onne: W¨urde man ein ‘notwendiges Folgen’ in die Definition der Ursache aufnehmen, dann g¨abe es schlicht nichts, worauf sich die Definition beziehen k¨onnte, weil es nichts gebe, auf dessen Ins-Sein-Setzung etwas anderes notwendig folge.117 Eine Wirkung wird entsprechend auch nicht durch eine Ursache verursacht, und so kann B IEL seine Ausf¨uhrungen zum Ursachen-Begriff dahingehend zusammenfassen, dass ‘etwas verursachen’ nichts anderes sei, als dass bei Anwesenheit einer Sache eine andere hervorgerufen werde oder sei.118 115
Ebd., S. 14f.: Additur ‘eo modo quo ponitur’, quia si idem calor producitur simul ab igne et | sole, licet altero remoto adhuc produceretur calor, tamen non eo modo quo producitur ab utroque, quia non aeque intensus aut non tanto tempore; citius enim produceretur a duobus quam ab uno solo. 116 Ebd., S. 15: Non dicitur in definitione causae ‘qua non posita, non potest poni effectus’, sed ‘non ponitur’, ita quod negatur actus, non potentia. Nunc autem in casu remoto igne non produceretur calor, quia determinavit se Deus non producere regulariter calorem sine causa secunda praesente, et hoc est non suspendere ignem praesentem agere in praesentia ignis secundum ordinatam et regularem suae voluntatis determinationem, quae est non agere remota secunda causa. 117 Ebd., S. 14: Si dicis quod illi ablativi ‘qua posita’ ponuntur in designatione consequentiae, et per hoc important quandam necessitatem, ut sic intelligatur: ‘qua posita, aliud necesse sequitur’ [...] – contra: tunc nulla causa secunda esset causa, quia ad nullius positionem sequitur necessario effectus. Non enim ad positionem ignis sequitur necessario calor vel combustio, ut patet de pueris in camino ignis. Unde omnis effectus pure contingenter sequitur ex causa secunda, quia posita causa seucunda, potest non sequi, non concurrente Deo. 118 Ebd., S. 15: Ex quo patet quod unam rem causare aliam nihil aliud est nisi ad praesentiam unius rei aliam rem produci vel esse. Da es hier um die Handlung des Verursachens geht, ist es auch nicht notwendig, dass die erweiternden Bestimmungen (b) und (c) der UrsachenDefinition wiederholt werden.
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Es ist nun nicht weiter erstaunlich, dass B IEL vor diesem Hintergrund die Unterscheidung zwischen causae propriae und causae sine quibus non f¨ur hinf¨allig h¨alt. Zwar referiert er sie erst einmal im Wortlaut, greift dann aber schnell auf jene Art von Einw¨anden zur¨uck, wie er sie bei P IERRE D ’A ILLY vorfindet, und h¨alt folgendes fest: OCKHAM ’ SCHE
Dass das Feuer oder die W¨arme Ursache des Warm-Seins ist, kommt daher, dass Gott sich entschlossen hat, er wolle bei Anwesenheit von W¨arme die W¨arme in einem anderen Subjekt hervorbringen. Und so hat die W¨arme ihre Urs¨achlichkeit des Warm-Seins nicht durch irgendeine andere Kraft, die in ihr w¨are, sondern allein daher, dass Gott sich entschlossen hat, dass er bei ihrer Anwesenheit – und nicht ohne ihre Anwesenheit – regelm¨aßig W¨arme hervorbringen wolle. Und wenn er sich nicht so entschlossen h¨atte, dann w¨are dieselbe W¨arme, die nun ohne jegliche Ver¨anderung existieren w¨urde, zwar weiterhin W¨arme, aber sie w¨are nicht mehr Ursache der Warm-Seins [in etwas anderem].119
Dass gewissen Dingen andere Dinge folgen, beruht allein auf Gottes Beschluss, die zweiten Dinge nicht ohne die ersten hervorzubringen – die ersten sind dann aber, wie die Formulierung selbst deutlich macht, nichts anderes als causae sine quibus non, und so entf¨allt die Unterscheidung.120 B IEL mach das an einem weiteren Beispiel deutlich: Wenn Gott sich entschließen w¨urde, dass er es ab dem heutigen Tag regnen lassen wolle, sobald ein beliebiger Sprecher ein bestimmtes Wort aussagt, dann w¨are dieses ausgesprochene Wort in ebenso eigentlichem Sinne Ursache des Regens, der bei seiner Aussprache von Gott verursacht wird, wie die W¨arme Ursache des Warm-Seins ist. Und das scheint ganz grunds¨atzlich wahr zu sein. Denn nichts kommt einem Gesch¨opf zu, es sei denn aufgrund des reinen Willens Gottes, der es ihm frei und in kontingenter Weise gibt.121
Der Voluntarismus, der hier durchdringt, und die Verabsolutierung der g¨ottlichen Freiheit sind ber¨uchtigt.122 B IEL geht damit allerdings nicht nur u¨ ber 119 Ebd. S. 16: Quod ignis sive calor est causa caloris, ex eo est, quia determinavit se Deus, quod ad praesentiam caloris vult producere calorem in alio subiecto. Nec sic calor habet esse causam caloris per aliquam aliam virtutem sibi inexistentem, sed solum ex eo, quod Deus ita se determinavit, quod ad eius praesentiam – et non sine eius praesentia – regulariter vult producere calorem. Et si non sic determinasset, calor idem, qui nunc sine omni sua mutatione esset, esset calor et non esset causa caloris. 120 Ebd.: Distinctio causae in causam proprie et causam sine qua non non videtur subsistere. 121 S. 17: Si Deus determinavit se, quod ab hac die ad prolationem alicuius verbi a quocumque prolati velit dare pluviam, verbum illud iam prolatum ita proprie esset causa pluviae ad eius prolationem a Deo causatae sicut calor est causa caloris. Et hoc videtur omnino verum. Nihil enim habet creatura nisi ex mera voluntate Dei illud libere et contingenter sibi dante. 122 Und manch einem ein Greuel, vgl. KOBUSCH , T HEO: Analogie im Reich der Freiheit? Ein Skandal der sp¨atscholastischen Philosophie und die kritische Antwort der Neuzeit, in: A ERTSEN/P ICKAV E´ : ‘Herbst des Mittelalters’? (2004), S. 251–264.
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O CKHAM, sondern auch u¨ ber P IERRE D ’A ILLY hinaus. Wo dieser den OCK HAM ’ SCHEN Unterschied noch damit zu retten versucht hat, dass einer causa sine qua non die notwendigen Eigenschaften nicht zukommen, um im eigentlichen Sinne Ursache zu sein, den causae secundae aber schon, lenkt B IEL zwar zuerst einmal ein, um die verbreitete Redeweise von der differentia causarum aufrechterhalten zu k¨onnen.123 Es lasse sich n¨amlich unterscheiden zwischen Dingen, f¨ur deren Urs¨achlichkeit sich Gott schon bei der Sch¨opfung entschieden habe, und solchen, bei denen dieser Entscheid erst sp¨ater gefallen sei. Dann ließen sich die ersten als causae proprie, die zweiten aber als causae sine quibus non verstehen.124 Dieses Argument ist nun nat¨urlich nicht dasjenige, das P IERRE D ’A ILLY vorgebracht hat. Bei P IERRE D ’A ILLY haben die Dinge noch tats¨achliche nat¨urliche Eigenschaften, die ihre Wirkung entfalten k¨onnen, so Gott denn bereit ist, sich ihrer zu bedienen. Bei B IEL ist von solch eigentlichen nat¨urlichen Wirkungen keine Rede mehr: Deren Eigentlichkeit, die conditio suae naturae besteht h¨ochstens darin, dass Gott sich schon bei der Sch¨opfung entschieden hat, bei ihrer Anwesenheit jeweils etwas anderes hervorzurufen.125 W¨ahrend f¨ur P IERRE D ’A ILLY der Unterschied zwischen den causae secundae und den causae sine quibus non noch darin bestanden hat, dass sich Gott (so er will) nur bei den ersteren auch der nat¨urlichen Eigenschaften derselben bedienen kann, reduziert sich f¨ur B IEL dieser Unterschied auf eine Frage des Zeitpunkts, zu welchem sich Gott entschlossen hat, dass er, ganz allein, bei Anwesenheit eines Dings ein anderes hervorbringen will. Und so kann B IEL behaupten, es scheine ihm, dass das vorliegende Problem plus in terminis quam rebus, eher auf einer
123 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 3, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 17: Ad salvandum tamen illud dictum et differentiam causarum potest dici quod Deus in prima rerum conditione determinavit se ad producendum effectus regulariter ad aliquarum rerum et quorumcumque eiusdem speciei praesentiam et non sine eis. Et illis convenit esse causam ex sua natura, id est ex ea natura in qua constitutae sunt in earum creatione. Zu P IERRE D ’A ILLY s.o., S. 501. 124 Ebd.: Quandoque autem [Deus] non determinavit se ad producendum effectum ad praesentiam aliquarum rerum non ex creatione sive ab earum constitutione, sed pro certo tempore post creationem earum. Et illae non dicuntur causae proprie vel ex sua natura, quia non a conditione suae naturae erant causae, quin immo naturam propriam habuerunt priusquam instituerentur esse causae. 125 Vgl. das oben, Anm. 123 angef¨uhrte Zitat sowie dessen Fortsetzung (ebd., S. 17): Dicitur ‘regulariter’, quia Deus potentiam suam non alligavit creaturis, quoniam omnia, quae potest cum creatura in genere causae efficientis, potest se solo; tamen ut frequenter quaedam non agit sine creatura. B IEL versteht u¨ brigens auch P IERRE D ’A ILLY in diesem Sinn, und so legt er dessen achte Propositio, die oben, Anm. 39 (auf S. 502) zitiert worden ist, folgendermaßen aus: Quod non aliter intelligi potest nisi, quod causa secunda est causa rei, non habet ex aliqua naturali proprietate superaddita, sed ex voluntate divina se determinantis ad assistendum suae naturae ad productionem effectus (ebd. S. 18).
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begrifflichen als auf einer sachlichen Ebene liege:126 Denn was die Sache betrifft, sind sich ja alle Ursachen gleich. Weil es nun aber durchaus erlaubt ist, auf einer begrifflichen Ebene Unterscheidungen einzuf¨uhren, kann sich B IEL sogar der Unterscheidung secundum communiter loquentes anschließen, welche eine causa principalis und eine causa instrumentalis auseinander h¨alt, und er kann in Anlehnung an S COTUS vier verschiedene Weisen angeben, wie sich eine causa principalis und eine causa instrumentalis aussagen lassen.127 Diese Reduktion der Problematik auf eine bloß terminologische Differenzierung erlaubt es B IEL schließlich, wenn er im letzten Dubium seiner Quaestio noch einmal auf die Ursachenfrage zur¨uckkommt, eine L¨osung zu pr¨asentieren, ¨ die er dem Leser zwar nur zur Uberpr¨ ufung vorlegt, ohne ihre Wahrheit behaupten zu wollen, von der ihm aber scheint, dass sie sehr wahrscheinlich ist und ” dem Sinn nach mit den anderen Meinungen nicht uneins geht, auch wenn sie 128 begrifflich ein wenig abseits steht.“ Noch einmal setzt er sich mit der Unterscheidung zwischen causae secundae und causae sine quibus non auseinander und h¨alt noch einmal fest, dass die unterschiedlichen Zeitpunkte, an denen Gott entschieden habe, dass ein Ding Ursache eines anderen sein solle, zur Bestimmung des Wesens einer Ursache nichts beitrage: Wann auch immer Gott entschlossen habe, dass ein Ding w¨armen soll, sei die W¨arme, die es verursache, einfach W¨arme.129 B IEL greift aber noch zwei weitere Argumente gegen seine Reduktion der Ursachen-Unterscheidung auf: Es lasse sich auch nicht sagen – wie das P IERRE D ’A ILLY getan hat –, dass eine nat¨urlich Ursache, eine Ursache also, die bereits auf den Sch¨opfungsakt zur¨uckgehe, im Gegensatz zu den sine qua non-Ursachen eine nat¨urlich Kraft in sich habe, derer sich Gott bedienen k¨onne. Denn liege es an dieser Kraft, dass etwas verursacht werde, dann sei diese Kraft, und nicht das sie enthaltende Ding als Ursache zu betrachten, und so 126 Ebd.: Ita videtur quod illa difficultas consistit plus in terminis quam in rebus quantum ad differentiam causae proprie et causae sine qua non. 127 Ebd.: Consequenter notandum quod secundum communiter loquentes causa dividitur in instrumentalem et principalem. Dicitur tamen causa instrumentalis per oppositum ad principalem, et ita tot modis dicitur quot principalis. Causa principalis dicitur quattuor modis secundum Scotus. Vgl. Ordinatio IV d 1, p 1, q un., n 119 und p 3, q 1–2, n 317, ed. Vaticana (2008), S. 43 und 113; vgl. zudem unten, Anm. 165, S. 532. 128 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 3, d 3, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 33: Pono quendam modum, quem examinandum offero lectori, nihil asserendo, qui mihi videtur valde probabilis et in sententia non discordare a sententia aliorum, etsi parum in verbis distat. Zum Begriff asserere s.o., S. 139 mit Anm. 27. 129 Ebd., S. 32: Quidquid est causa, a Deo recepit quod est causa, id est quod ad eius esse sequitur aliud. Sed nihil refert ad rationem causae, utrum hoc recipiat a principio suae productionis, an postquam fuerit productum. Quia, si recipit post suam productionem, ita vere ad esse eius sequitur aliud post institutionem in esse causae, ac si recepisset in sua productione; quia ita vere est res calida, quae recipit calorem post suam productionem, sicut si calor esset sibi in principio comproductus.
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werde die Unterscheidung zwischen Ursache und enthaltener Kraft hinf¨allig.130 Es kann, anders formuliert, nicht an besonderen Eigenschaften der Dinge liegen, dass sie in anderer Weise Ursache w¨aren als die causae sine quibus non; denn l¨age es an besonderen Eigenschaften, dann w¨aren nicht die Dinge selbst, sondern diese spezifischen Eigenschaften die eigentlichen Ursachen. Ebensowenig, so B IEL, k¨onne aber gesagt werden, dass die Urs¨achlichkeit jener Dinge oder solcher Eigenschaften, die seit der Sch¨opfung als Ursachen fungierten, zum Wesen dieser Dinge selbst geh¨ore: Denn wenn unter ‘wesentlich’ verstanden werde, dass dieses Ding nicht ohne seine Wirkung sein k¨onne, dann gebe es kein solches Ding, dann gebe es keine causa secunda, wie B IEL weiter oben mit Verweis auf die g¨ottliche Allmacht bereits ausgef¨uhrt hat.131 Wenn aber unter ‘wesentlich’ nur verstanden werde, dass aufgrund g¨ottlicher Anordnung die Wirkung eintrete, dann habe man genau dasselbe wie auch bei den causae sine quibus non.132 Von einem mehr als terminologischen Unterschied zwischen causae secundae und causae sine quibus non kann daher nicht ausgegangen werden. B IEL stellt im Anschluss f¨unf Thesen auf, die noch einmal bei grunds¨atzlichen Be¨ stimmungen zur Ursachen-Frage beginnen und dann den Ubergang zur Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit machen: dass n¨amlich die Urs¨achlichkeit einer causa secunda dieser allein aus dem freien und sich in kontingenter Weise entscheidenden g¨ottlichen Willen zukomme; dass entsprechend jede causa secunda auch eine causa sine qua non sei;133 dass daher die Sakramente seit 130 Ebd.: Non omnis causa naturalis agit per virtutem sibi inexistentem a se realiter distinctam. Quod probo: signo unam (exempli causa) A calorem. Quaero, an A calefaciendo agat per se vel per virtutem superadditam. Si primum, habetur propositum, quod agens naturale non agit per virtutem sibi inexistentem. Si secundum, quaero de illa virtute, utrum agat per se vel per aliam. Et erit sic processus in infinitum rerum actu existentium, quod est impossibile, aut dabitur una virtus, quae seipsa, non per superadditam agit. Et illa erit propriissime causa. Ergo differentia nulla. 131 S.o., S. 521. Zum vorliegenden Argument vgl. ebd., S. 32f.: Dicitur quod causae naturali essentiale est causare etc., distinguitur: quia aut quod dicitur essentiale sic intelligitur quod impossibile sit rem illam esse, quin causet passo disposito etc.; vel, quia de facto quandocumque est, stante ordinatione divina et passo sufficienter disposito et approximato, causet. Si primo modo, tunc nullae causae secundae essentiale est causare, eo quod quamlibet talem possibile est esse et tamen non causare. Potest enim Deus quamli|bet causam secundam conservare in sua essentia absque hoc quod causet, suspendo solum suam coactionem, quae tamen non est de essentia creaturae. 132 Ebd., S. 33: Si secundo modo intelligitur, tunc ita est essentiale sacramentis causare effectum sacramentalem, saltem post institutionem, sicut calori causare calorem. 133 Ebd.: Primo dico quod omnis causalitas causae secundae convenit creaturae ex sola libera voluntate divina contingenter determinantis se ad praesentiam seu positionem creaturae producere aliam creaturam. Secundo quod, si causa sine qua non dicitur causa, ad cuius esse ex sola voluntate alterius sequitur aliud esse, omnis causa secunda est causa sine qua non, quia omnis causa secunda sic se habet, quod ad positionem eius ex sola voluntate divina se determinantis producere aliud ad illius causae positionem sequitur aliud.
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ihrer Einsetzung ebenso eigentliche Ursachen der Gnade seien, wie jede beliebige andere nat¨urliche Ursache auch eigentliche Ursache ihrer Wirkung sei; dass die Sakramente ebenso ihre Wirkung erreichten wie die W¨arme das WarmSein oder die Sonne den Glanz; und dass schließlich die Sakramente die Gnade dennoch nicht kreieren w¨urden.134 Auf diese letzte These, die sich nicht direkt an die vorangehenden anzuschließen scheint, ist gleich noch zur¨uckzukommen. Vorerst aber sei zitiert, was B IEL selbst von diesem Modell – B IEL spricht von einer imaginatio – h¨alt: Diese imaginatio preist die aktive Macht in Gott, weil sie festh¨alt, dass Gott allein jede tats¨achliche Wirkung [...] haupts¨achlich und im eigentlichen Sinne durch einen eigenen Akt seines freien Willens verursacht, w¨ahrend die Gesch¨opfe bloß aufgrund einer Entscheidung des g¨ottlichen Willens als causae sine quibus non in der genannten Weise mithelfen. Und dies stimmt zur Gen¨uge mit der Schrift und den Aussagen der Heiligen u¨ berein. Denn der Apostel sagt: ‘Nicht dass wir von uns aus t¨uchtig w¨aren, als k¨onnten wir uns selbst etwas zurechnen, vielmehr ist unsere T¨uchtigkeit aus Gott’ [...].135 Und dementsprechend verneinen die Doktoren communiter, dass die Gesch¨opfe zur Wirkung oder dem Ziel eines Sch¨opfungsakts etwas beitragen k¨onnen.136
B IEL h¨alt sein Modell nicht nur f¨ur theologisch einwandfrei, weil es der g¨ottlichen Allmacht voll entspricht, sondern er sieht sich auch im Einklang mit biblischen Aussagen und der communis opinio doctorum. Letzteres gilt genau gesehen nat¨urlich nur f¨ur den Sch¨opfungs-Aspekt, und es dr¨angt sich die Vermutung daher auf, dass die auff¨allige f¨unfte der oben erw¨ahnten Thesen nur deswegen in die imaginatio einbaut worden ist, weil sie die rhetorische M¨oglichkeit bietet, mit einem Verweis auf die communis opinio zu enden. Denn B IEL ist sich sehr wohl bewusst – das hat schon die vorsichtige einleitende Formulierung gezeigt –, dass seine imaginatio auf einem Ursachenbegriff ¨ aufbaut, der allem anderen als einer allgemeinen Uberzeugung entspricht. Und so krebst er denn am Ende seines Dubium nach und nach wieder zur¨uck. Unvermittelt weicht er auf das Problem der Entstehung der rationalen Seele aus, bei 134 Ebd.: Tertio quod ita proprie sacramenta post divinam institutionem sunt causae gratiae et effectus gratuiti, sicut quaecumque causa naturalis est causa sui effectus. [...] Quarto: quod sacramenta ita attingunt effectum sacramentalem effective sicut calor calorem et sol splendorem. [...] Quinto: licet sacramenta causent gratiam tamquam causae sine qua non, non tamen creant gratiam. 135 2 Kor 3,5; B IEL verweist auch noch auf 1 Kor 12,6: Gott bewirkt alles in allen.“ ” 136 Ebd., S. 34: Haec imaginatio magnificat potentiam activam in Deo, quia ponit solum Deum omnem effectum positivum secundum se et quolibet sui causare principaliter et proprie per actum proprium suae liberae voluntatis, creaturam vero tantum concurrere ex divinae voluntatis determinatione tamquam causam sine qua non modo supra exposito. Et hoc satis concordat scripturae et dictis sanctorum. Ait enim Apostolus: ‘Non quod sumus sufficientes cogitare aliquid ex nobis quasi ex nobis, sed sufficientia nostra ex Deo est’, 2 Cor. 3. Et 1 Cor. 13 (sic!): ‘Deus operatur omnia in omnibus.’ Et secundum hoc negant doctores communiter creaturam concurrere ad effectum seu terminum creationis, puta animae vel gratiae.
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dem auch zur Debatte steht, inwiefern hier Zeugungsakt und Embryo urs¨achlich beteiligt seien:137 Hier zeige sich, wie schwierig es sei, gesicherte Aussagen zu machen, so dass man sich nur an die auctoritates sanctorum halten k¨onne;138 und es zeige sich, wie wenig die termini, die hier verwendet w¨urden, einen gefestigten Sinn h¨atten, so dass es ein Leichtes sei, in Irrt¨umer abzugleiten.139 Und so erkl¨art sich B IEL am Schluss sogar bereit, zwischen causae secundae und causae sine quibus non zu differenzieren: Denn was er hier geschrieben habe, wolle er nicht als wahr hinstellen, vielmehr habe er es bloß angef¨uhrt, weil er Gelehrteren einen Anlass bieten wolle, ihn zu belehren – was er in der vorliegenden Frage w¨unsche und erwarte, solange aber a communi modo loquendi doctorum nicht abweichen wolle:140 Und dementsprechend antworte ich auf das Dubium: Gem¨aß dem Wortgebrauch der Gelehrten werden die nat¨urlichen Ursachen eigentliche Ursachen genannt, die Sakramente aber sine qua non-Ursachen der Gnade. [...] Denn wenn es auch, was die Sache selbst betrifft, nichts zur Bestimmung des Wesens einer Ursache beitr¨agt, ob die verursachende Kraft bei ihrer Erschaffung (in principio conditionis) oder nach Hervorbringung der Sache empfangen worden ist, betrifft es sie dennoch hinsichtlich der Art, wie [von ihr] gesprochen wird. Den Lehrern aber hat es gefallen, so zu sprechen, und aus dem Sprachgebrauch wird die Bedeutung eines Begriffs erhoben.141
Letztlich bleibt B IEL dabei: Sachlich betrachtet gibt es keinen Unterschied zwischen causae secundae und causae sine quibus non; wegen des verbreiteten Sprachgebrauchs ist er aber bereit, die Differenzierung auf einer terminologischen Ebene zu u¨ bernehmen. Wie bereits beim Sakramenten-Begriff folgt B IEL, was die Sach-Ebene betrifft, damit auch in der Ursachen-Frage einer Spur, die grunds¨atzlich von O CK HAM angeregt worden ist, die P IERRE D ’A ILLY aber in eine ganz bestimmte 137 Grunds¨atzlich zur Problematik vgl. DALES , R ICHARD C.: The Problem of the Rational Soul in the Thirteenth Century, Leiden: Brill, 1995 (Brill’s Studies in Intellectual History 65). 138 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 3, d 3, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 35: In hoc standum est auctoritatibus sanctorum, qui negant animam intellectivam et gratiam educi de potentia materiae vel subiecti. 139 Ebd.: Terminus ille ‘educi de potentia materiae’ est terminus obscurus et non multum apud originales doctores usitatus, et per hoc habere potest nescio quid latentis periculi, et est difficilis intellectu. 140 Ebd., S. 36: Haec non scribo quidquam asserendo, sed tantum recitando, occasionem dare cupiens doctioribus, quorum in his informationem peto et exspecto, interim non recedens a communi modo loquendi doctorum. 141 Ebd.: Et secundum hoc respondeo ad dubium quod causae naturales secundum usum doctorum dicuntur causae proprie, sed sacramenta causae gratiae sine qua non. [...] Etsi nihil refert ad rationem causae, sive virtus causandi recepta sit in principio conditionis sive post rem productam, quoad rem ipsam, refert tamen quantum ad modum loquendi, et quia magistris placuit sic loqui et ex loquendi usu trahitur significatio termini; sunt enim termini ad placitum utentium.
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Richtung ausarbeitet und B IEL selbst noch einmal stark zuspitzt. Wie bereits beim Sakramenten-Begriff verzichtet B IEL dennoch nicht darauf, sich erneut auch des R¨uckhalts der Tradition zu versichern und stellenweise einen Ton ¨ anzuschlagen, der ebenso gut aus D INKELSB UHLS Melker Lectura stammen k¨onnte. Nicht anders als beim Sakramenten-Begriff erfolgen diese Anlehnungen aber in einer letztlich oberfl¨achlichen Weise: Den communis modus loquendi doctorum holt B IEL nur insofern ein, als er von einer sachlichen auf eine terminologische Ebene ausweicht. 23.2.1.3 Die Entbehrlichkeit des sakramentalen Pakts Was nun schließlich die Wirksamkeitsfrage selbst betrifft, liegt B IELS L¨osung angesichts des bisher gesagten auf der Hand. Wie bereits kurz erw¨ahnt, stellt B IEL in einem der einleitenden Notanda zuerst die zwei großen Positionen dar und wendet sich danach im zweiten Artikel seiner eigenen Antwort in der Form von sieben Conclusiones zu. Die Darstellung der beiden Positionen, die sich ¨ noch jeglicher Beurteilung enth¨alt, birgt dabei kaum Uberraschungen: B IEL sucht von Anfang an den Anschluss an die Tradition, indem er ausdr¨ucklich erw¨ahnt, dass T HOMAS und B ONAVENTURA beide auch diese zwei Positionen anf¨uhren w¨urden; und in seiner Darstellung der Mitwirkungs-Variante h¨alt er sich eng an T HOMAS’ Sentenzenkommentar. Dessen Aussagen fasst er wie P I ERRE D ’A ILLY in vier Punkten zusammen, w¨ahrend er eine knappe Darstellung des Pakt-Modells weitgehend selbst formuliert.142 Bemerkenswerterweise z¨ahlt ¨ B IEL (wie auch schon D IONYSIUS DER K ART AUSER )143 D URANDUS zu den Vertretern des Mitwirkungs-Modells z¨ahlt; doch ist aus dem Text der vorliegenden Stelle nicht ersichtlich, ob er die zweite statt die dritten Redaktion von dessen Sentenzenkommentar vor Augen gehabt hat, oder ob er sich schlicht von der ausf¨uhrlichen Darstellung des Mitwirkungs-Modells in D URANDUS’ dritter Redaktion hat verwirren lassen.144 Bemerkenswert ist zweitens, dass B IEL unter den vier Punkten, die das Mitwirkungs-Modell ausmachen, nirgendwo erw¨ahnt, dass diese Variante wegen der dicta sanctorum eine tats¨achliche Urs¨achlichkeit der Sakramente annehme – bei O CKHAM ebenso wie bei P IERRE D ’A ILLY wurde dies noch festgehalten.145 Dass B IEL nicht darauf zu sprechen kommt, ist nun aber nicht den auc142
Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 3, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 11–14. Zu P IERRE D ’A ILLY s.o., S. 498. 143 S.o., S. 390. 144 Zu den unterschiedlichen Redaktionen von D URANDUS’ Kommentar s.o., S. 193 mit Anm. 2. Explizit ordnet B IEL dem Mitwirkungs-Modell zudem A LEXANDER VON H ALES und nat¨urlich T HOMAS VON AQUIN zu; als Vertreter der Pakt-Variante erw¨ahnt er B ONAVENTURA, R ICHARDUS DE M EDIAVILLA, S COTUS, O CKHAM und T HOMAS VON S TRASSBURG. 145 O CKHAM: Reportatio in quartum sententiarum IV q 1, ed. Wood/Gal (1984), S. 5; und P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Strassburg 1490, fol. z1vb.
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toritates-Auslegungen von AUREOLI und D URANDUS geschuldet, denn B IEL greift sp¨ater sehr wohl auch auf jene auctoritates zur¨uck, welche die beiden im fr¨uhen 14. Jahrhundert neu ausgelegt haben.146 Vielmehr d¨urfte es angesichts des Stellenwerts, den B IEL in der Definitions- und der Ursachen-Frage den dicta sanctorum beimisst, schlicht eine bewusste Auslassung sein, um dem Mitwirkungs-Modell kein zus¨atzliches Gewicht zu verleihen. Bemerkenswert ist drittens, dass B IEL die zwei opiniones f¨ur logisch kontr¨ar h¨alt.147 Anders als sein Zeitgenosse G UIDO B RIANSONIS, der f¨unf unterschiedliche Arten aufz¨ahlen kann, wie sich die Problematik l¨osen lasse, und anders ohnehin als im sp¨aten 16. Jahrhundert M ATTHIAS AQUARIUS, der sogar zehn L¨osungsans¨atze unterscheidet,148 geht B IEL davon aus, dass sich die Problematik in genau zwei, sich gegenseitig ausschließenden Weisen l¨osen lasse. Entsprechend merkt er denn auch an, dass der Beweis der einen gen¨uge, um die Unm¨oglichkeit der anderen f¨ur erwiesen zu halten,149 was weniger u¨ ber die logische Struktur der beiden Positionen aussagt, als vielmehr bereits verr¨at, welches Vorgehen B IEL w¨ahlen wird: In Rahmen seiner Conclusiones wird er sich damit begn¨ugen, die Unm¨oglichkeit der Mitwirkungs-Variante aufzuzeigen, was ihm als Beweis des Gegenmodells gen¨ugt. Diese sieben Conclusiones nehmen nun nach und nach auf, was sich B IEL vor allem mit seinen Ausf¨uhrungen zum Ursachen-Begriff erarbeitet hat. Als erstes h¨alt B IEL fest, dass die neutestamentlichen Sakramente den sakramentalen Effekt verursachten, den sie aufgrund einer g¨ottlichen Einsetzung untr¨uglich bezeichneten.150 Es klingt S COTUS’ Rede vom singum efficax et certum an, doch ist hervorzuheben, dass B IEL zwischen Bezeichnung und Wirkung kein kausales Verh¨altnis behauptet: Wo S COTUS seinem signum efficax durchaus eine Wirkung zuspricht, verursachen bei B IEL die Sakramente den Effekt, den sie bezeichnen, und nicht weil sie ihn bezeichnen.151 So wie schon bei O CK 146
S.u, Anm. 153; zu D URANDUS S. 201, zu AUREOLI s.o., S. 218. Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 3, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 11: Notandum quod de materia principali quaestionis [...] sunt opiniones duae contrariae apud doctores. 148 Zu G UIDO B RIANSONIS s.o., S. 474 (¨ahnlich, weil ebenfalls an J OHANNES DE BAS SOLIS angelehnt, auch N ICOLAS D ENYSE , s.o., S. 486); zu M ATTHIAS AQUARIUS s.o., S. 421. 149 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 1, n 3, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 14: Probatio unius opinionis est improbatio alterius. Ideo reservabitur ad probationem conclusionum in sequenti articulo ponendarum. 150 Ebd., a 2, c 1, S. 19: Sacramenta novae legis effectum sacramentalem causant, quem ex institutione divina certitudinaliter significant. 151 Zur Urs¨achlichkeit des signum efficax bei S COTUS vgl. Ordinatio IV d 1, p 2, q 1, n 192, ed. Vaticana (2008), S. 66f.: Proprie tamen dicitur signum ‘efficax’, si – adhibito signo – sequitur significatum ordine naturae et non e converso, quia si signum sequeretur significatum suum ordine naturae, etsi posset esse | signum certum [...], tamen non esset efficax, quia nullo modo eius positio efficaciam haberet respectu significati, sed e converso. Vgl. auch S TEPHAN 147
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HAM die similitudo im Sakramenten-Verst¨andnis zur¨ uckgetreten ist, scheint bei B IEL die Bedeutung der Sakramental-Zeichen f¨ur deren Wirkung keine Rolle mehr zu spielen.152 Weil ihre Urs¨achlichkeit daher von etwas anderem abh¨angt – allein von Gottes freier Entscheidung n¨amlich – erm¨oglicht ihm dies aber, an der vorliegenden Stelle eine ganze Reihe bekannter auctoritates anzuf¨uhren, die normalerweise bloß f¨ur das Mitwirkungs-Modell in Anspruch genommen worden sind, die nun aber auch B IELS erste Conclusio best¨atigen.153 Eine zweite Conclusio h¨alt fest, die neutestamentlichen Sakramente verursachten die Gnade nicht aufgrund ihrer eigenen Natur, die ihnen bei der urspr¨unglichen Einrichtung der Dinge zugeeignet worden sei.154 Es klingen die ganzen Ausf¨uhrungen an zur Unterscheidung von causae secundae und causae sine quibus non aufgrund des Zeitpunkts, an dem sie als Ursache eingesetzt worden sind. Die Conclusio l¨asst sich daher in zwei Richtungen lesen: eine unproblematische, die das Augenmerk auf den Passus ‘aufgrund ihrer eigenen Natur’ legt und die daher von allen geteilt werden kann, weil unbestritten ist, dass nicht jeglichem Wasser, sondern h¨ochstens dem im Taufsakrament eingesetzten Wasser ein sakramentaler Effekt zukommt.155 Es l¨asst sich die Conclusio aber auch unter Betonung der angeh¨angten Relativ-Klausel lesen, und dann verliert sie die allgemeine Zustimmung, weil die M¨oglichkeit offen gelassen wird, dass die Natur der Sakramente allenfalls auch nach dem Sch¨opfungsakt ver¨andert werden k¨onnte. B IEL versucht, das Augenmerk des Lesers auf die erste Lesart zu lenken und h¨alt lakonisch fest: In diesen zwei [ersten] Conclusiones stim” men alle u¨ berein.“156 Einen polemischeren Ton schl¨agt B IEL erst in seiner dritten und seiner vierten Conclusio an, die er ausdr¨ucklich gegen T HOMAS und P ETRUS DE PALUDE
B RULEFER: Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum IV d 1, p 1, q 3, ed. Basel 1501, fol. 358vb: [Sacramenta] dicuntur continere gratiam quia ipsam signant. 152 In seiner Messauslegung erkl¨art B IEL denn auch explizit, dass die Bedeutung der Einsetzungsworte in keinem Zusammenhang mit ihrer Wirkung st¨unden, sondern dass Christus ebenso gut auch sinnlose Laute h¨atte einsetzen k¨onnen: Verba sacramentalis formae non sortiuntur suam efficaciam ex significatione, qua significant id quod in sacramento efficitur ex ordine et serie verborum, sed ex institutione Christi. Potuisset autem Christus instituisse verba non significativa pro forma cuiuslibet sacramenti, sicut nonnulli dicunt haec verba: ‘hoc est corpus meum’, dum proferuntur in canone, accipi materialiter. Unde quaecumque verba Christus institueret pro forma, ex Christi institutione significarent id quod efficiunt (Gabriel Biel: Canonis missae expositio l 38 K, ed. Oberman/Courtenay (1965), S. 80; vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 380). 153 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 2, c 1, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 19f. 154 Ebd., c 2, S. 20: Novae legis sacramenta non sunt causa gratiae ex natura propria eis in prima rerum conditione tradita. 155 Ebd.: Ante institutionem sacramentorum a Christo fuerunt vel esse potuerunt res illae, quae modo sunt sacramenta, et tamen nullam habebant efficaciam seu causalitatem respectu effectus gratuiti, cum tamen tunc habebant eandem naturam quam nunc. 156 Ebd.: In his duabus conclusionibus omnes concordant.
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aufstellt: Die dritte h¨alt fest, dass die Sakramente keine vorausgehende dispositio verursachten, welche f¨ur den sakramentalen Effekt notwendig sei; und die vierte widmet sich dem Problem einer u¨ bernat¨urlichen Kraft, deren Annahme bestritten wird.157 Beide Conclusiones begr¨undet B IEL recht ausf¨uhrlich, indem er sich vor allem an S COTUS’ Zur¨uckweisung des Mitwirkungs-Modells h¨alt. Es mag an der vorliegenden Stelle gen¨ugen, zwei Punkte aus der Begr¨undung zur vierten Conclusio herauszugreifen: Erstens wird B IEL an einer Stelle ziemlich heftig. Es geht um die Frage, wo diese Kraft, da sie keine Substanz sein k¨onne, als Akzidens anzusiedeln sei:158 W¨urde sie nur dem sakramentalen Element anhaften oder bloß den Worten oder gar nur der Absicht des Ausf¨uhrenden, dann w¨are dieses Eine als einziges notwendig und die beiden anderen w¨aren u¨ berfl¨ussig. Ein Sakrament setzte sich nun aber einmal aus mehreren Dingen zusammen.159 Nehme man daher an, dass es in allen zugleich sei, dann ginge man davon aus, dass ein Akzidens in mehreren Substanzen gleichzeitig und als Akzidens in einem Akzidens sein k¨onne: Das aber ist absurd und ” liegt außerhalb der Philosophie von A RISTOTELES.“160 Es ist diese Abkanzlung vor allem aus einem Grund interessant: Offensichtlich ist es f¨ur B IEL keine Frage, dass eine L¨osung der Wirksamkeitsproblematik mit den Grundprinzipien von A RISTOTELES’ Philosophie u¨ bereinstimmen muss. So sehr sich B IEL zwischendurch einer Rhetorik bedient, die an M AR ¨ SILIUS, G ERSON und D INKELSB UHL erinnert, bricht hier durch, was sich aus seinen inhaltlichen Anlehnungen an P IERRE D ’A ILLY bereits abgezeichnet hat: Von einer Trennung der Disziplinen kann letztlich auch bei B IEL keine Rede sein. Es wird dies sp¨ater noch eingehender thematisiert werden m¨ussen, wenn es darum gehen wird, die vorliegende, punktuelle Skizze theologischer Ans¨atze des ausgehenden Mittelalters auszuwerten.161 Vorerst aber sei auf den zweiten hier interessierenden Punkt verwiesen, der in dieselbe Richtung zielt: B I ¨ EL f¨ uhrt auch S COTUS’ R¨uckgriff auf das Okonomieprinzip an, mit dem sich 157 Die dritte Conclusio lautet: Sacramenta novae legis non causant effective dispositionem praeviam ad sacramentalem effectum necessitantem (ebd, c 3, S. 20); die vierte lautet: In sacramentis novae legis non est ponenda virtus supernaturalis, per quam respectu sacramentalis effectus eis conveniat ratio causalis (ebd., c 4, S. 23). 158 So bereits das zweite Argumentum in oppositum bei S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 3, q 2, n 274, ed. Vaticana (2008), S. 92. 159 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 2, c 4, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 24: Cum enim illa virtus in uno sacramento sit una [...], aut erit subiective in elemento aut in verbis aut in intentione; ex his enim integratur sacramentum. Et in quocumque horum ponitur, ceteri superfluunt et non erunt de ratione sacramenti. 160 Ebd.: Nec potest dici quod sit ‘in omnibus simul’. Quia idem accidens esset in diversis subiectis genere, locis et situ distinctis; sequeretur similiter quod accidens esset in accidente. Quae sunt absurda et philosophiae Aristotelis extranea. Dass die Kraft in omnibus simul sei, behauptet T HOMAS: In sententias IV d 1, q 1, a 4, qc 2, ad 5, ed. Moos (1947), S. 36. 161 S.u., S. 581.
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die Entbehrlichkeit jener u¨ bernat¨urlichen Kraft erschließen l¨asst. Auch hier w¨ahlt er deutliche Worte, denn jede Meinung, die ohne Not von einer Vielheit ausgehe, sei zutiefst irrational und zur¨uckzuweisen“ – weil genau dies ” im Mitwirkungs-Modell aber gemacht werde, sei dieses irrational.162 Nicht anders als P IERRE D ’A ILLY streicht auch G ABRIEL B IEL die Irrationalit¨at der Mitwirkungs-Variante heraus, und er macht auch gleich deutlich, dass ihm dieser Rationalit¨ats-Anspruch an der vorliegenden Stelle nicht einfach aus Versehen in eine theologische Problematik hineinrutscht: Diese Begr¨undung stellt ” S COTUS auf, und Herr P IERRE D ’A ILLY gewichtet sie mehr als alle anderen. In Tat und Wahrheit aber ist sie wie ein nat¨urliches Prinzip der Philosophie und der Theologie zu gewichten.“163 Erneut im Anschluss an P IERRE D ’A ILLY, ¨ aber u¨ ber ihn hinausgehend, wird das Okonomieprinzip von B IEL gleichsam zum Naturgesetz erhoben; und auch hier scheut sich B IEL nicht, mit rationalen ¨ Prinzipien in die Theologie einzugreifen: Denn das Okonomieprinzip wird gleichermaßen f¨ur philosophische wie f¨ur theologische Fragen zum grundlegenden Gesetz erhoben.164 F¨unfte bis siebte Conclusio widmen sich schließlich dem Ursachen-Typus, dem die Sakramente zuzuordnen seien. Die f¨unfte erkl¨art, dass sie nicht prinzipielle, sondern allenfalls instrumentale Ursachen genannt werden k¨onnten, wenn denn dies in einem ganz bestimmten Sinn verstanden werde;165 die sech162
Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 2, c 4, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 26: Omnis opinio, quae ‘ponit pluralitatem sine necessitate’, est penitus irrationabilis et reprobanda; sed talis est haec opinio ponens ornatum et virtutem in sacramentis modo dicto, ergo est irrationabilis. 163 Ebd.: Hanc rationem ponit Scotus, et eam ponderat plus ceteris dominus Petrus de Alliaco. Quae etiam in veritate est ponderanda tamquam principium naturalis philosophiae et theologiae. Vgl. S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 294 und n 300, ed. Vaticana (2008), S. 103f. und 106f. (dazu oben, S. 182f.); und P IERRE D ’A ILLY: Quaestiones super sententiarum IV q 1, a 1, ed. Strassburg 1490, fol. z1va (dazu oben, S. 503). 164 Entsprechend nutzt B IEL die Gelegenheit denn auch, um in bekanntem Ton gegen die Formaldistinktion von S COTUS Stellung zu beziehen: Non parum miror, quomodo doctor Scotus, qui pro ingenii sui acumine ‘subtilis’ nominatur, in tam salubri scientia constitutus, tot res multiplicavit sine aliqua ratione efficaci in praedicamentis accidentium et maxime | in relationibus, ponens paene tot res novas quot nomina significativa, immo infinities plures, quasi eisdem rebus non possent imponi plura nomina non-synonyma (Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 2, c 4, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 26f.) 165 Ebd., c 5, S. 27: Sacramenta novae legis causae sunt gratiae non principales, sed primo et quarto modis instrumentales. Zu den unterschiedlichen modi von instrumentaler Kausalit¨at vgl. ebd., n 4, S. 18: Der erste modus betrachtet jede Ursache außer Gott als instrumentale Ursache, der vierte definiert eine instrumentale Ursache als eine quae non agit per propriam formam, sed tantum per motionem alterius moventis. Das ist also gerade nicht, was T HOMAS unter einer instrumentalen Ursache verstanden hat (dazu oben, S. 158), weshalb es an B IELS Intention vorbeigeht, wenn DAMERAU: Abendmahlslehre des Nominalismus (1963), S. 117f., B IELS instrumentale Urs¨achlichkeit am Beispiel einer Axt illustriert.
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ste h¨alt fest, dass die Sakramente keine causae per accidens seien;166 und die siebte behauptet schließlich, was mit B IELS Ursachen-Begriff von Anfang an zu erwarten gewesen ist: Die neutestamentlichen Sakramente sind sine qua ” non-Ursachen des sakramentalen Effekts.“167 Diese drei letzten Conclusiones werden im Gegensatz zu den beiden vorangehenden wieder nur ganz knapp begr¨undet; und damit ist f¨ur B IEL die einleitende Fragestellung seiner Quaestio denn auch gel¨ost. Betrachtet man diese L¨osung etwas genauer, so f¨allt vor allem eines auf: Von einem sakramentalen Pakt ist hier keine Rede mehr. Das d¨urfte zum einen mit der gew¨ahlten Vorgehensweise zusammenh¨angen: Weil sich B IEL mit einer improbatio der Mitwirkungs-Variante begn¨ugt, muss er nicht auch noch einmal positiv ausf¨uhren, inwiefern das logisch entgegengesetzte Modell richtig ist. Es d¨urfte das Fehlen eines sakramentalen Pakts zum andern aber auch einen inhaltlichen Grund haben: Weil – sachlich gesehen – jede Form von Urs¨achlichkeit bloß auf einer willentlichen g¨ottlichen Einrichtung beruht, weil insofern hinter jedem Ursachengeschehen eine g¨ottliche Anordnung steht, ist es kein besonderes Merkmal der Sakramente, dass sich Gott bei ihnen entschieden hat, in einer gewissen Weise zu wirken. Gottes willentlich geordnetes Walten in der Sch¨opfung ist ein Kennzeichen jeglicher Form von Kausalit¨at, und so muss denn auch kein Pakt-Gedanke bem¨uht werden, um irgendeine besondere Urs¨achlichkeit der Sakramente zu begr¨unden und zu beschreiben. So sehr B IEL unterstreicht, dass es nur zwei logisch kontr¨are Arten gebe, um die Wirksamkeitsproblematik zu l¨osen, und so sehr er sich selbst gegen die MitwirkungsVariante stellt, gelangt er damit doch zu einer Ausformulierung des engegengesetzten Modells, die keine Pakt-Variante mehr ist, weil ein konstitutives Element des Pakt-Modells, n¨amlich der Pakt-Gedanke selbst, f¨ur ihn hinf¨allig wird. B IEL pr¨asentiert damit einen L¨osungsansatz, der tats¨achlich vereint, was in der moderenen Literatur gerne f¨ur typisch nominalistisch gehalten wird: Er geht von O CKHAM aus (auch wenn O CKHAM in der Ursachenfrage ebenso wie beim Sakramentenverst¨andnis wesentlich traditioneller bleibt als B IEL), er l¨ost Probleme auf einer terminologischen statt einer sachlichen Ebene, er er¨ hebt das Okonomieprinzip zum grundlegenden Gesetzt von Philosophie und ¨ Theologie, und er versucht in seinen Uberlegungen, Gottes Allmacht, wo im168 mer m¨oglich, zu wahren. Insbesondere dieser letzte Punkt f¨uhrt tats¨achlich 166 Collectorium IV d 1, p 1, q 1, a 2, c 6, ed. Werbeck/Hoffmann IV.1 (1975), S. 27: Sacramenta novae legis non sunt causae per accidens effectus sacramentalis. Die Begr¨undung folgt weitgehend O CKHAM, s.o., S. 493. 167 Ebd., c 7: Sacramenta evangelicae legis sunt causae sine qua non effectus sacramentalis. 168 Zu diesen Charakteristika s.o., Teil I, Kap. 7.1, S. 96. Es ist zu betonen, dass B IEL im vorliegenden Kontext Gottes potentia absoluta nicht als hypothetische M¨oglichkeit versteht, wie Gott die Welt auch noch h¨atte einrichten k¨onnen, wenn er gewollt h¨atte, sondern als konkrete M¨oglichkeit, zu einem beliebigen Zeitpunkt nach dem Sch¨opfungsakt in einer Weise in
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Kapitel 23: Die Wirksamkeitsfrage bei nominalistischen Autoren
zu einer Weltsicht, in der gesicherte Aussagen u¨ ber die Realit¨at kaum noch m¨oglich sind, weil die Beziehungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem ebenso wie das Verh¨altnis zwischen Ursache und Wirkung einer v¨olligen Beliebigkeit unterworfen sind.169 Dass B IEL nun allerdings so gut in dieses traditionelle Nominalismus-Schema passt, h¨angt insbesondere damit zusammen, dass forschungsgeschichtlich das Schema ausgehend von B IEL erarbeitet worden ist.170 Wie sich in M ARSILIUS’ Kommentar abgezeichent hat und wie aus D IN ¨ KELSB UHLS Umschwung bereits deutlich geworden ist, gibt es auch einen anderen Traditionsstrang, der ebenso zur via moderna des 15. Jahrhunderts zu geh¨oren scheint und der bei B IEL selbst auch druchdringt, wenn er sich etwa bem¨uht, den Anschluss an die Tradition aufrecht zu erhalten oder sich gem¨aß den dicta communia doctorum et sanctorum auszudr¨ucken. Wesentlich st¨arker als B IEL ist von dieser gem¨aßigteren Tradition ein anderer Denker gepr¨agt, der hier nun noch untersucht werden soll: der schottische Scholastiker J OHN M AIR. 23.2.2 John Mair J OHANNES M AJOR aus Haddington, einer Ortschaft nicht weit von Duns, dem Geburtsort von S COTUS entfernt, wechselt im Verlauf seiner akademischen Karriere wie schon sein ber¨uhmter Landsmann mehrmals zwischen der Pariser und den britischen Universit¨aten hin und her.171 Nach ersten Jahren in Cambridge zieht er um 1491 nach Paris, wird nach erfolgreichem Artes-Studium auch zum magister theologiae promoviert und lehrt an beiden Fakult¨aten, kehrt 1517 nach Schottland zur¨uck und unterrichtet zuerst an der Universit¨at Glasgow, sp¨ater an jener von St. Andrews, lebt von 1526 bis 1531 noch einmal in Paris und wirkt danach bis zu seinem Tod im Jahre 1550 erneut in St. An-
die Sch¨opfung einzugreifen, die grundlegende Eigenschaften von Dingen – wie etwa ihre jeweilige Wirkung – ver¨andert (anders C OURTENAY, W ILLIAM J.: Capacity and Volition. A History of the Distinction of Absolute and Ordained Power, Bergamo, 1990, S. 180). 169 Vgl. das oben, Anm. 152, angef¨uhrt Beispiel, dass die Bedeutung der Einsetzungsworte beim Abendmahl keine Rolle spiele, sondern Christus f¨ur jedes Sakrament auch sinnlose Worte h¨atte einsetzen k¨onnen. 170 Vgl. bereits F ECKES , C ARL: Die Rechtfertigungslehre des Gabriel Biel und ihre Stellung innerhalb der nominalistischen Schule, M¨unster: Aschendorff, 1925 (M¨unsterische Beitr¨age zur Theologie 7) und dann v.a. O BERMAN: Harvest (1963). 171 Zur Biographie von J OHN M AIR (1467–1550) vgl. j¨ungst B ROADIE , A LEXAN DER: A History of Scottish Philosophy, Edinburgh: Edinburgh University Press, 2009, S. 47–61. Die vollst¨andigste Zusammenstellung der Werke von J OHN M AIR mit ihren diversen fr¨uhneuzeitlichen Editionen bietet FARGE: Biographical Register (1980), S. 308–311. F¨ur einige wichtige Korrekturen zu a¨ lteren Angaben zur Biographie M AIRS, die sich zum Teil aber weiterhin noch halten, vgl. B URNS , J.H.: New Light on John Major, in: The Innes Re¨ view 5 (1954), S. 83–100. Einen aktuellen Uberblick bietet Z AHND , U ELI: Mair, John, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 34, 2013, S. 874–882.
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drews.172 Der gr¨oßte Teil seiner (durchgehend in fr¨uhneuzeitlichen Drucken) erhaltenen Werke geht allerdings auf seine beiden Pariser Phasen zur¨uck;173 und in der ersten dieser Pariser Phasen entsteht auch das Werk, das hier vor allem interessiert: sein umfassender Kommentar zu P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen.174 Diese ersten Pariser Jahre scheinen gepr¨agt zu sein vom Richtungsstreit, der nicht nur zwischen den unterschiedlichen philosophischen Schulen, sondern auch zwischen einer scholastisch und einer humanistisch ausgerichteten Lehrform herrscht:175 Denn M AIR steigt nicht nur in sein gr¨oßtes logisches Einleitungswerk mit einer Problematisierung der unterschiedlichen vorherrschenden Ans¨atze ein,176 sondern er beginnt auch seinen Kommentar zum vierten Sentenzenbuch – offenbar das erste Buch, das er kommentiert und das auch als erstes gedruckt wird,177 – mit einem ausf¨uhrlichen Prolog zur Frage, was zu 172
Aus diesen letzten rund zwanzig Jahren sind fast keine Fakten u¨ berliefert. Zu den bekannten Daten vor allem aus M AIRS erster Pariser Phase vgl. FARGE , JAMES K.: Students and Teachers at the University of Paris: The Generation of 1500. A Critical Edition of Biblioth`eque de l’Universit´e de Paris (Sorbonne), Archives, Registres 89 and 90, Leiden, 2006 (Education and society in the Middle Ages and Renaissance 25). 173 So wird die u¨ berwiegende Mehrheit seiner Werke in Paris gedruckt, einigen Ausgaben erscheinen auch in Lyon und Ca¨en und eine in Venedig (vgl. FARGE: Biographical Register (1980), S. 308–311). Die Werke, die erst w¨ahrend seiner zweiten Pariser Phase zum ersten Mal im Druck erscheinen, gehen aber wohl auch auf M AIRS Unterricht in Glasgow und St. Andrews zur¨uck. 174 Der Kommentar erscheint in vier Einzelb¨anden zu den einzelnen Sentenzenb¨uchern ab 1509; alle vier B¨ande werden bis 1530 mehrfach aufgelegt (insgesamt 13 Ausgaben). Zu M AIRS Sentenzenwerk erscheint demn¨achst S LOTEMAKER , J OHN/W ITT, J EFFREY (Hrsg.): A Companion to the Theology of John Mair, (Brill’s companions to the Christian tradition) Leiden: Brill, i.E.; zum hier interessierenden Buch IV vgl. darin meine weiterf¨uhrenden Untersuchungen zum hier vorgestellten Material: Z AHND , U ELI: Terms, Signs, Sacraments. Correlation between Logic and Theology adn the Philosophical Context of Book IV. 175 Daf¨ur, dass allerdings die Grenze zwischen Humanisten und Scholastikern nicht exklusiv zu ziehen ist, steht M AIR selbst, der sein Interesse an klassischer antiker Literatur durchaus auch in seine scholastischen Werke einfliessen l¨asst, vgl. bereits M AC D ONALD , C OLIN M.: John Major and Humanism, in: Scottish Historical Review 13 (1916), S. 149–158. Allgemein und erhellend zum Verh¨altnis von Humanismus und Scholastik vgl. H ELMRATH , J OHANNES: ‘Humanismus und Scholastik’ und die deutschen Universit¨aten um 1500. Bemerkungen zu einigen Forschungsproblemen, in: Zeitschrift f¨ur Historische Forschung 15 (1988), S. 187–203; mit Blick auf J OHN M AIR vgl. nun auch RUMMEL , E RIKA: The Humanist-Scholastic Debate in the Renaissance and Reformation, Cambridge: Harvard University Press, 1995, S. 49–55. 176 So sein Einwand auf die Einleitungsfrage, ob die Logik eine n¨utzliche Wissenschaft sei: Logica est plena opinionibus et erroribus. Ergo est inutilis. Consequentia est apparens. Assumptum patet: aliqui sunt reales, aliqui nominales, et hi omnes acies contra se construunt, non modo realis contra nominalem, sed reales inter se, et sic de nominalibus (J OHN M AIR: Summulae Exordium, ed. Paris 1516, fol. 9rb). 177 In quartum sententiarum, ed. Paris 1509; Buch I und II erscheinen 1510 zum ersten Mal, Buch III erst 1517. Dass M AIR mit Buch IV begonnen hat, wird aus internen Verweisen
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tun sei, wenn es zu einem Problem eine Vielfalt an Meinungen gebe.178 So sehr nun M AIR Verst¨andnis zeigt f¨ur diese vorherrschende Meinungsvielfalt, die ihm nicht nur nichts Besonderes zu sein scheint, weil es immer schon unterschiedliche Meinungen gegeben habe,179 sondern in der er sogar eine notwendige Folge des S¨undenfalls und der dadurch beschr¨ankten menschlichen Erkenntnis sieht,180 bestehen u¨ ber seine eigene Position doch keine Zweifel: M AIR ist Nominalist, und er verfechtet nicht nur, wenn er als Logiker schreibt, die via moderna, sondern er versteht sich auch als nominalistischer Theologe.181 Aber was heißt das? Der erw¨ahnte Prolog zu seinem vierten Sentenzenbuch ist deswegen ein h¨ochst spannendes Dokument, weil M AIR darin als Voraussetzung zur Beantwortung der Frage, wie mit einer Vielfalt an Meinungen umzugehen sei, erst einmal die Problematik aufgreift, ob es dem Theologen erlaubt sei, sich nicht-theologischer Wissenschaften zu bedienen.182 M AIR stellt gleichsam die Gretchenfrage des Wegestreits; und so dauert es denn auch nur einige wenige Abschnitte, bis er keinen geringeren als J EAN G ERSON mit seinem De duplici logica und mit dem Brief ans Coll`ege de Navarre anf¨uhrt, in denen die Vermideutlich, vgl. dazu Z AHND , U ELI: Terms, Signs, Sacraments. Correlation between Logic and Theology and the Philosophical Context of Book IV, in: S LOTEMAKER/W ITT: Companion to John Mair. Interessant f¨ur den Stellenwert von Buch IV ist zudem eine Bemerkung in einem Begleitschreiben an J OHANNES E CK, das M AIR der letzten Edition seines In primum sententiarum, ed. Paris 1530, fol. a1v, voranstellt: Quando [...] quartum sententiarum profitebar, auditores ad me numerosi confluebant. Dum vero in primum Sententiarum scripta conterranei mei Ioannis Duns, aut Anglicani Guilhelmi Ockam, aut Gregorii Ariminensi praelegerem, mira erat antequam opus ipsum perlegerem, auscultatorum paucitas. 178 In quartum sententiarum Prol. q un., ed. Paris 1509, fol. 1ra: Quid in contrarietate opinionum (potissimum mores tangentium) faciendum est. Dass M AIR bei weitem nicht nur an ‘moralische’ Uneinigkeiten denkt, verdeutlichen die Beispiele des unten, S. 538, zitierten Texts. 179 So M AIRS Antwort auf den oben, Anm. 176, zitierten Einwand: Consequentia est nulla, et antecedens est verum capiendo notitias propositionum omnium quae traduntur in logica. Simile habes in grammatica, et rhetorica, et in qualibet scientia. Et non modo hoc est verum in hac tempestate, sed ita erat Athenis bonarum scientiarum famatissimo emporio: aliqui erant Achademici et Platonici, aliqui Peripatetici Aristotelis dogma insequentes, aliqui Stoici Xenocratem et Aristippum imitantes, aliqui Epicuraei eius doctrinam tenentes. Omnes hae opiniones habent principia logicalia, in quibus conveniunt et artificiose contra se dum exercitati fuerint disputant. Nonne vides inter postremos tuos rhetores Vallam, Perottum et Mancinellus in eloquentia contrarias opiniones? (J OHN M AIR: Summulae Exordium, ed. Paris 1516, fol. 9rb). 180 In quartum sententiarum Prol. q un., ed. Paris 1509, fol. 1ra: Propter hominum ignorantiam tanta introducta est opinionum pluralitas post peccatum primi parentis, quod nostrum scire nihil est ad nostrum ignorare. 181 Vgl. die unten, Anm. 202, S. 540, und Anm. 221, S. 545, zitierten Stellen. 182 Die beiden Ausgaben von 1516 und 1521 teilen den Prolog denn sogar in drei eigenst¨andige Quaestiones auf, deren erste lautet an liceat theologo tractanti theologiam artes non theologicas tractare (In quartum sententiarum Prol. q 3, ed. Paris 1521, fol. 1ra). Die Quaestio bietet aber einen Text, der in weiten Teilen den ersten beiden Conclusiones samt Obiectiones aus der umfassenden Quaestio der editio princeps entspricht.
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schung von Logik, Physik, Metaphysik und Theologie beklagt wird.183 M AIR z¨ogert allerdings, dem fr¨uheren Pariser Kanzler schlechthin recht zu geben, denn er stimme nicht mit der Meinung jener u¨ berein, die behaupteten, dass sich die Theologen allein auf die Autorit¨at der Bibel zu st¨utzen h¨atten.184 Das hat G ERSON selbst auch gar nicht verlangt, und es dauert noch einige Jahre, bis diese Forderung als eines der grunds¨atzlichen Anliegen der Reformation ein ganz anderes Gewicht erhalten wird; M AIR dient der Hinweis denn auch nur dazu, sich von dieser einen Extremposition abzugrenzen.185 Abgrenzen will er sich aber auch vom anderen Extrem, das unn¨utze Fragen aus den Artes in der Theologie aufwirft: Das habe G ERSON v¨ollig zurecht kritisiert.186 Den Mittelweg, ¨ den er einschlagen will, versucht M AIR daher wie folgt zu begr¨unden: Uber ein bloßes Repetieren autoritativer Aussagen hinaus sei es grunds¨atzlich n¨utzlich, wenn eine Problematik mit unterschiedlichen Mitteln angegangen werde, denn nur so gebe es einen wissenschaftlichen Fortschritt.187 Das naheliegendste Beispiel hierf¨ur findet J OHN M AIR interessanterweise in der zeitgen¨ossischen Seefahrt: Denn h¨atte A MERIGO V ESPUCCI nur wiederholt, was er bei den Alten vorgefunden hat, dann w¨are es ihm nicht gelungen, L¨ander zu entdecken, von ¨ , noch P LINIUS noch einer der anderen Kosmogradenen weder P TOLEM AUS 188 phen gewusst haben. Fremde Vorgehensweisen und neue Mittel in die Theologie einzuf¨uhren, sei daher nicht grunds¨atzlich falsch.189 183 J OHN M AIR: In quartum sententiarum Prol. q un., ed. Paris 1509, fol. 2rb: Johannes Gerson venerabilis cancellarius Parisiensis in secunda lectiones supra marcum circa medium deflet quia in arguendo logica, physica, vel metaphysica involvatur [...]. Et in prima epistola ad collegium Navarrae ferme similem sententiam introducit. Vgl. den oben, S. 50 zitierten Text. 184 In quartum sententiarum Prol. q un., ed. Paris 1509, fol. 2va: Ad illud de modo subtili Parisiensi non facile est respondere. In primis non approbo horum sententiam qui dicunt theologos auctoritatibus solum uti bibliae. 185 Die Begr¨undung, die er vorbringt, ist denn auch wenig u¨ berzeugend: Quia si sic, existens extra universitatem esset facile theologus (ebd.) Das mag eine unangenehme Feststellung sein, eine Widerlegung der Forderung ist es allerdings nicht. 186 Ebd.: Ex altera parte hos non approbo qui prolixe in theologia quaestiones inutiles [ex] artibus inferunt ad longum opiniones frivolas verborum prodigalitate impugnant, tantum aquae in vinum infundunt, ut totum aquaeum et insipidum gustui videatur. [...] Contra quos bene dicit Gerson. 187 Ebd.: Utile est plures a pluribus fieri diverso stylo, non diversa fide, etiam de quaestionibus eisdem, ut ad plurimos res ipsa perveniat ad alios sic, ad alios sic. Et videre meo scribentes in forma arguendi uti posteriores ita clare, immo enucleatius quam patres antiqui scripserunt, more naturae quae ab imperfecto ad perfectum, vel a perfecto ad magis perfectum procedit: sic scientiae succesu temporis incrementum acceperunt. 188 Ebd.: Nunquid in hac tempestate Americus Vespusius terras repperit Ptolomeo, Plinio et reliquis cosmographis ante haec saecula incognitas? Quare non potest ita contingere in aliis? Si nullus sciverit scribere lucidius antiquis, quomodo adiecta sunt tot commentaria in libris Aristotelis, beati Augustini in De civitate Dei, et in multis aliis? 189 Vgl. die erste Conclusio der vorliegenden Quaestio, ebd., fol. 1rb: Non obscoenum est introducere philosophiam et ceteras scientias sine quibus theologia non potest bene capi.
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Dennoch ist M AIR weit davon entfernt, f¨ur radikale Umbr¨uche in der Theologie zu werben: Ausgangspunkt bleiben die auctoritates und die Vorgehensweise, die sich bisher bew¨ahrt hat. Und so versucht M AIR f¨ur seinen Mittelweg genauer einzuschr¨anken, wann es erlaubt sei, der Theologie fremde Methoden anzuwenden: M AIR greift auf den altbekannten N¨utzlichkeits-Aspekt zur¨uck, den er allerdings nicht an einer moralischen aedificatio ausrichtet, sondern passend zu seinem Fortschrittsgedanken am Nutzen f¨ur die theologische Erkenntnis orientiert. In zwei Formen sei es den Theologen n¨amlich erlaubt, auf andere Wissenschaften zur¨uckzugreifen: zum einen in einer Weise, die diese Wissenschaften tats¨achlich benutze, wo sie notwendig seien, um die theologischen Anliegen u¨ berhaupt zu verstehen;190 zum anderen in einer Weise, die dazu diene, anderen, die diese Wissenschaften in ungeb¨uhrlicher Form benutzt h¨atten, die Ungeh¨origkeit dieses R¨uckgriffs zu erweisen.191 Wo die Theologie es also selbst erfordert, dass mit Hilfe anderer Wissenschaften zu ihrer Kl¨arung beigetragen wird, ist deren Benutzung legitim; der R¨uckgriff auf diese anderen Wissenschaften darf allerdings kein Selbstzweck sein.192 Und daher schließt M AIR seine Ausf¨uhrungen: Indem wir der Theologie fremden Streitigkeiten u¨ ber Universalien, zweite Intentionen, Begriffskomplexe, u¨ ber die Univozit¨at des Seienden, das Subjekt der Attribution und Praxis und Verm¨ogen der Seele bleiben lassen, ist gem¨aß der Weise von anderen die Theologie zu erhellen und nicht zu verdunkeln, damit wir das ewige Leben erlangen.193
M AIR geht insofern u¨ ber G ERSON hinaus, als er den Nutzen der anderen Wissenschaften in der M¨oglichkeit eines theologischen Erkenntnisgewinns sieht. In den Skrupeln, die er allerdings zeigt, grunds¨atzlich mit philosophischen und logischen Fragen in die Theologie einzugreifen, wird ebenso wie in seiner betonten Ausrichtung an den bew¨ahrten, u¨ berlieferten Vorgehensweisen deutlich, wie sehr er in G ERSONS Tradition steht. 190 Ebd., fol. 1ra–b: Stat doctorem theologum inserere philosophiam | vel scientias peregrinas duobus modis in theologia. Uno modo scientias necessarias ad intelligenda theologalia, ut puta in hoc quarto, quia beatus Augustinus et doctores passim hic petunt an creatura possit creare, [quomodo] diffinitur sacramentum et baptismus [...]. 191 Ebd., fol. 1rb: Aliqua sunt impertinentia cognitioni theologiae, interim contingit illa recensere prolixe vel succin[c]te impugnare, vel recitare opiniones de lana caprina, ut an beatitudo sit in essentia animea vel in eius potentiis, et ceteris id genus quaestionibus. 192 In diese Richtung weist auch die folgende Passage: Logica est ianitrix Sorbonae. Ergo non debet intrare scolam, sed sedere in porta, nisi per accidens ad quaerendum bacchalarium. Sic theologus per accidens utitur ianitrice et eam introducit cum negatur discursus evidens in schola, vel aliud logicale incidens in argumento. De per se non citat logicam in medium (ebd., fol. 2vb). 193 Ebd.: Relinquentes exteris theologis disceptationem de universalibus, de secundis intentionibus, complexe significabilibus, de univocatione entis, subiecto attributionis, praxi et potentiis animae, secundum modum aliquorum elucidanda est et non obfuscanda theologia, ut vitam aeternam promereamur.
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23.2.2.1 Sakramente als signa sensibilia Was nun M AIRS Behandlung der Wirksamkeitsproblematik betrifft, so greift er sie nicht gleich am Anfang auf, sondern im Rahmen der dritten Quaestio seiner Ausf¨uhrungen zur allgemeinen Sakramentenlehre. Vorher widmet er sich der Sch¨opfungs-Problematik und einer Quaestio zur Definition der Sakramente, welche beide vor allem im Hinblick auf M AIRS Vorgehensweise spannend sind: Was die Sch¨opfungsfrage betrifft, so hat M AIR schon im Rahmen seines Prologs erkl¨art, es sei dies eines jener Probleme, die schon bei AUGUSTIN aufbr¨achen und daher zum besseren Verst¨andnis der theologischen Problematik mit philosophischen Mitteln zu l¨osen versucht werden d¨urften.194 Zudem sei es eines dieser Probleme, bei denen sich eine ziemliche Vielfalt an Meinungen vorfinde: AVICENNA habe einige Wesen tats¨achlich f¨ur sch¨opferisch wirksam ¨ gehalten, P ETRUS L OMBARDUS habe die Ubertragung einer sch¨opferischen Kraft zumindest f¨ur m¨oglich gehalten, O CKHAM habe den Kreaturen immerhin noch die F¨ahigkeit zugesprochen, etwas zu annihilieren, w¨ahrend S CO TUS und andere jedes Mitwirken der Gesch¨ opfe an (positiven wie negativen) Sch¨opfungsakten ausgeschlossen h¨atten.195 M AIR z¨ogert nicht, sich der letztgenannten Mehrheitsmeinung anzuschließen propter auctoritates et communem opinionem doctorum, von der er nicht grundlos abweichen wolle.196 Allerdings stellt J OHN M AIR auch ein zweites klar: Es sei diese verbreitete Absage an eine sch¨opferische M¨oglichkeit der Gesch¨opfe noch lange kein Grund, den anderen einen Irrtum oder gar H¨aresie zu unterstellen. Das ist an der vorliegenden Stelle eine Verteidigung weniger von O CKHAM als vielmehr von P ETRUS L OMBARDUS, dessen Ansicht in dieser Sch¨opfungsfrage unter die articuli in quibus magister non tenetur gez¨ahlt wird.197 Um etwas als Irrtum 194
S.o., Anm. 190. In quartum sententiarum d 1, q 1, ed. Paris 1509, fol. 7ra: De proposita quaestione multae sunt opiniones. Avicenna dicebat creaturam posse creare, ut patet de cathena aurea nono suae methaphysicae. Theologi multi partem negativam tenent, et isti inter se digladiantur aliquibus dicentibus quod Deus potest potentiam creandi impartiri creature, sed creatura hoc non habet ex se. Huius opinionis visus est esse Magister sententiarum distinctione quinta huius quarti. Alii tenent quod nec principaliter nec instrumentaliter potest creare. [Alii quod potest annihilare, non autem creare] (dieser Satz findet sich erst in sp¨ateren Ausgaben). Zu AVI CENNA und P ETRUS L OMBARDUS s.o., S. 17; zu S COTUS s.o., S. 168. O CKHAM spricht im Rahmen der Transsubstantiation von einer annihilatio der Substanzen von Brot und Wein (Reportatio in quartum sententiarum IV q 8, dub 7, ed. Wood/Gal (1984), S. 143 und 148-150; vgl. BAKKER , PAUL J.J.M.: La raison et le miracle : les doctrines eucharistiques (c.1250–c.1400). Contribution a` l’´etude des rapports entre philosophie et th´eologie, Diss. Nijmegen, 1999). 196 In quartum sententiarum d 1, q 1, ed. Paris 1509, fol. 7va: Istis tamen non obstantibus teneo partem negativam quaestionis propter auctoritates et communem opinionem doctorum a qua gratis abeundum non arbitror. 197 Wie sie Druckausgaben der Sentenzen angeh¨angt worden sind (vgl. etwa die Basler Ausgabe von N IKOLAUS K ESSLER von 1489, die auch die Conclusiones des H EINRICH VON G OR 195
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hinstellen zu k¨onnen, m¨usse es unzweifelhaft falsch sein, was im vorliegenden Fall P ETRUS L OMBARDUS nicht schlechthin unterstellt werden k¨onne.198 M AIR nutzt dieses Beispiel, um ganz grunds¨atzlich ein Prinzip im Umgang mit verschiedenen Meinungen aufzustellen: Wer Irrt¨umer und H¨aresien sammeln wolle, m¨usse von Themen, bei denen die Meinungen nur so sprießen, die Finger lassen.199 Angesichts der Bereitwilligkeit, mit der schon G ERSON im Umgang mit den formalizantes et terministae, aber dann vor allem auch die Parteien des Wegestreits den Irrtums-Vorwurf erhoben haben, darf dies durchaus im Sinne von M AIRS einleitenden Ausgleichs-Bem¨uhungen verstanden werden, wegen der Beschr¨anktheit menschlicher Erkenntnis nicht vorschnell ein definitives Urteil zu f¨allen. In seinen Ausf¨uhrungen zur Sakramenten-Definition macht M AIR schließlich ein erstes Mal deutlich, was er darunter versteht, dass fremde Wissenschaften nur dort in theologische Fragen einzuf¨uhren seien, wo dies auch wirklich notwendig ist: In der Definitions-Frage w¨urden n¨amlich gemeinhin zwei termini gekl¨art, jener der Definition und jener des Sakraments; doch weil der Definitions-Begriff logische Materie sei, wolle er anders, als es die doctores communiter t¨aten, hier nicht weiter insistieren.200 Das hat G ABRIEL B IEL auch schon gesagt; im Gegensatz zu B IEL verzichtet M AIR nun aber tats¨achlich darauf, irgendwelche definitonstheretische Er¨orterungen anzuf¨uhren – obschon hier die doctores communiter so vorgegangen sind.201 Vielmehr wendet er sich direkt dem Sakramentenbegriff zu und wehrt sich auch dort gegen eine u¨ ber¨ m¨aßige Anwendung von logischen Uberlegungen. Interessant ist dies f¨ur den vorliegenden Kontext vor allem im Hinblick auf die Frage, ob ein Sakrament sinnlich wahrnehmbar sein m¨usse oder nicht:202 KUM enth¨alt und daher den ausf¨ uhrlichen Titel tr¨agt: Textus Sententiarum cum conclusionibus ac titulis quaestionum sancti Thome Articulisque Parisiensis et in quibus magister communiter non tenetur). Noch die Sentenzen-Ausgabe von 1916 f¨uhrt einen entsprechenden Hinweis in den Fussnoten zur vorliegenden Stelle (s.o., S. 17, Anm. 54). 198 J OHN M AIR: In quartum sententiarum d 1, q 1, ed. Paris 1509, fol. 8va: Si dicas: auctores colligendo errores Magistri sententiarum hoc colligunt pro errore quod creatura potest creare, respondetur: colligunt non colligenda. De ratione erroris colligendi debet esse indubitatum falsum quod in hoc non contingit. 199 Ebd.: Ad hoc quod homo haereses et errores colligat, debet considerare si in materia fluant opiniones. Quia si sic, nihil est colligendum sed vacuis manibus abeundum. 200 Ebd., q 2, fol. 8vb: Circa hanc quaestionem antequam ad eam respondeatur veniunt aliqui termini declarandi. Primo quid diffinitio, et postea quid sacramentum. Unde doctores communiter hic determinant de diffinitione, sed quia materia est logicalia, decorum non censui insistere. 201 Zu B IEL s.o., S. 520. 202 Zuerst setzt sich M AIR noch mit einer ‘realistischen’ Sakramenten-Bestimmung auseinander, deren Herkunft mir allerdings unbekannt ist: Secundum magistros realium sacramentum est relatio rationis causata per actum instituentis ipsius de signi sensibilis [...] quemadmodum est quaelibet secunda intentio per eos, et tunc communiter dicendum est quod non potest dif-
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Das sinnlich Wahrnehmbare [im Sakrament], das O CKHAM wegl¨asst, ist anzunehmen. Sein Grund ist, wie er sagt, dass die Sakramente jetzt zwar wohl sinnlich wahrnehmbar seien, dass sie aber dennoch nicht-wahrnehmbar sein k¨onnten. Eine Definition m¨usse aber mit dem Definierten mittels jeder beliebigen Kopula austauschbar sein. P IERRE D ’A ILLY hat diesen [Aspekt] noch ausgebaut, aber er taugt nichts.203
M AIR f¨uhrt O CKHAMS bekannte Kritik an den herk¨ommlichen SakramentenDefinitionen an; aufgegriffen hat er sie aber weder bei O CKHAM noch bei P I ERRE D ’A ILLY , denn erst G ABRIEL B IEL hat den definitions-theoretischen Aspekt, dass eine Definition mit dem Definierten austauschbar sein m¨usse, in die vorliegende Argumentation eingef¨uhrt.204 Und gegen B IEL, der in der vorliegenden Quaestio zwar noch ungenannt bleibt, zieht M AIR denn letztlich auch ins Feld, wenn er aufzeigt, warum diese Argumentation nichts tauge: Die inhaltliche Seite, die auch O CKHAM und P IERRE D ’A ILLY betrifft, erledigt M AIR mit dem knappen Hinweis, dass ohne Aufnahme eines Sinnlichkeits-Aspekts auch die contritio, der gnadenwirkende Akt der Reue, als Sakrament betrachtet werden m¨usste.205 Ausf¨uhrlicher setzt sich M AIR mit der definitorischen Regel auseinander, die B IEL hier anwendet. M AIR l¨asst es sich nicht nehmen, kurz aufzuweisen, dass die behauptete Konvertibilit¨at nur von den tats¨achlich existierenden Dingen und nicht von allen Eventualit¨aten auszugehen habe.206 Dann aber weist er vor allem den Logiker in die Schranken: Nichts sei in der Theologie n¨amlich l¨acherlicher, als sich in solchen Ranken die F¨uße zu verstricken; auf eine Definition aber, die ¨ von einer Ubereinkunft und dem Willen einzelner abh¨ange, Bedingungen der Metaphysik anzuwenden, sei schlicht falsch.207 B IEL, der weiterhin ungenannt bleibt, macht sich daher nicht nur l¨acherlich, weil er sich in einem theologifiniri diffinitione quid rei. Non placet mihi ille modus relationum: non pono res absolutas nec relativas nisi quia per terminos significatas eadem res – puta Sortes – significatur per terminum de praedicamento substantiae et relationis (In quartum sententiarum d 1, q 2, ed. Paris 1509, fol. 8vb). 203 Ebd.: Ponitur sensibile quod Okam relinquit. Et causa est, inquit, quia licet sacramenta sint nunc sensibilia, tamen possunt esse insensibilia, et diffinitio debet converti cum diffinito mediante quacumque copula. Hoc grandefacit Aliacensis, sed non valet. 204 S.o., S. 518. 205 Ebd.: Per eum contritio esset sacramentum nisi aliud superaddat. 206 Ebd.: In istis mutabilibus non requiritur convertibilitas nisi secundum quod nunc inter diffinitionem et diffinitum. Diffinitio universalis non convenit cuilibet, quod aliqui ex successione temporis universale vocant; et ita diffiniendo propositiones de modo loquendi consueto et in multis aliis. 207 Ebd., fol. 9ra: Nihil est magis ridiculum in theologia quam in illis labrustis figere pedem. Aliqui falso re[a]ntur conditiones diffinitionum methaphisicarum debere quadrare cum his quae a consuetudine vel voluntate dependent. In den sp¨ateren Versionen bringt M AIR dies in die Form ein Theorems: Ex definitionibus ad placitum dependentibus (quemadmodum sunt sacramenta respectu Dei) definitionum metaphysicarum proprietates non sunt petendae (In quartum sententiarum d 1, q 2, ed. Paris 1521, fol. 9ra).
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schen Kontext mit unpassenden logischen Problemen herumschl¨agt, sondern er erweist sich auch als schlechter Logiker. M AIR aber hat ein erstes Mal vorexerziert, was er mit seiner zweiten Weise eines R¨uckgriffs auf fremde Wissenschaften, jener des Erweises der Ungeb¨uhrlichkeit ihrer Verwendung, meint. Dennoch schließt er sich selbst nicht einfach der Sakramenten-Bestimmung von P ETRUS L OMBARDUS an, sondern erarbeitet eine eigene Definition: Ein Sakrament sei n¨amlich ein sinnliches Zeichen, bei dessen Empfang im ge” eigneten [Empf¨anger] kraft des ausgef¨uhrten Sakraments die Gnade von Gott u¨ bertragen wird.“208 Ausdr¨ucklich grenzt er sich dabei von P ETRUS ’ Erweiterung ab, dass ein Sakrament ein Bild der Gnade hervorruft und als dessen ” ¨ Ursache existiert“ – der Ahnlichkeits-Aspekt fehlt auch bei J OHN M AIR.209 Allerdings scheint es ihm weniger um eine allf¨allige similitudo als vielmehr bereits um die Wirksamkeits-Problematik zu gehen, denn M AIR begr¨undet seine Auslassung damit, dass diese Klausel viele habe glauben lassen, es k¨ame den Sakramenten eine Urs¨achlichkeit hinsichtlich des character oder eines ornatus zu.210 Die Klausel scheint ihm nicht falsch, sondern zu undeutlich zu sein, und damit wird bereits auch klar, in welche Richtung J OHN M AIR die Wirksamkeitsproblematik l¨osen wird. 23.2.2.2 Das Logik freiere Pakt-Modell Was M AIRS L¨osung der Wirksamkeitsproblemaitk betrifft, wird bereits aus seinem Einstieg in die Darstellung deutlich, dass er ganz offensichtlich von D U RANDUS VON S T. P OURC ¸ AIN inspiriert ist, denn er u¨ bernimmt dessen Sicht, wonach die Meinung derer, die den Sakramenten keine eigene Aktivit¨at zusprechen, a¨ lter sei.211 Die Gegenposition, als deren Vertreter A LEXANDER VON 208
In quartum sententiarum d 1, q 2, ed. Paris 1509, fol. 9rb: Ex omnibus patet quod sacramentum novae legis bene diffinitur per hoc complexum: sacramentum est signum sensibile ad cuius acceptione in disposito virtute operis operati a Deo confertur gratia. Wohl weil dieses ‘in disposito’ in einem thomistischen Sinn missverstanden werden k¨onnte, a¨ ndert M AIR die Definition in den sp¨ateren Ausgaben leicht ab: Sacramentum est signum sensibile, gratia cuius virtute operis operati confertur gratia si non ponatur obex (In quartum sententiarum d 1, q 2, ed. Paris 1521, fol. 9rb). 209 Zur Problematik bei O CKHAM s.o., S. 495 mit Anm. 12. 210 In quartum sententiarum d 1, q 2, ed. Paris 1509, fol. 9rb: Relinquo illam clausulam quam ponit magister ‘ut eius imaginem gerat et causa existat’. Ultima particula aliquos existimare fecit (ut ex subiecta materia elucescet) quod sacramenta causalitatem aliquam habent ad characterem et ad ornatum. 211 Ebd., q 3, fol. 9va: Pro solutione quaestionis notabis partitam esse positionem. Doctores antiqui ante Alexandrum de Hales tenuerunt sacramenta nullam activitatem habere, sed esse causas sine qua non. Alexander de Hales in quarta parte quaestione octava membro tertio articulo quinto quem sequitur beatus Thomas et eius schola tenent sacramenta habere causalitatem proprie dictam. D URANDUS hat allerdings erst T HOMAS als adinventor der Mitwirkungs-Variante hingestellt, s.o., S. 197.
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H ALES und T HOMAS et eius schola genannt werden, stellt M AIR erst einmal (erneut in w¨ortlicher Anlehnung an D URANDUS) dar, bevor er drei zwar traditionelle, aber eigenst¨andig formulierte Argumente gegen sie anf¨uhrt:212 Ein erstes fragt, ob die unterstellte g¨ottliche Kraft (M AIR spricht – wohl in Anlehnung an T HOMAS’ esse fluens – von einem influxus) k¨orperlich oder unk¨orperlich sei, was sich beides nicht wirklich vertreten lasse;213 ein zweites fragt, welcher Substanz der unterschiedlichen Teile, aus denen ein Sakrament bestehe, sie zugeordnet werde – wobei jeder L¨osungsversuch eines der von B IEL genannten Probleme mit sich bringt;214 und ein drittes verweist auf das Beispiel von Stummen oder entfernt voneinander Lebenden, die ohne tats¨achliche Aussprache von Worten dennoch verheiratet werden k¨onnten.215 So sehr einige der Schwierigkeiten, die mit dem Mitwirkungs-Modell verbunden sind, damit aufgedeckt werden, f¨allt doch auf, dass M AIR nicht die naheliegendsten Argumente aufgreift und insbesondere ein Verweis auf das ¨ Okonomieprinzip fehlt. Ohnehin gibt M AIR seinem Kommentar eine unerwartete Wendung: Ich glaube nicht, dass sich diese Einw¨ande voll und ganz aus dem Weg r¨aumen lassen. Angesichts der Tatsache, dass zwei ber¨uhmte Gelehrte samt ihren Sch¨ulern diese Position eingenommen haben, wollen wir aber dennoch versuchen, [im Sinne der] beiden zu antworten.216
Anders als P IERRE D ’A ILLY und G ABRIEL B IEL, die sich damit begn¨ugt haben, eine Irrationalit¨at der Mitwirkungs-Variante zu behaupten, sieht sich J OHN M AIR veranlasst, seine Argumente aus der Sicht eben dieses Modells zu widerlegen. Nicht einmal M ARSILIUS, der das Mitwirkungs-Modell doch immerhin f¨ur wahrscheinlich gehalten hat, ist so weit gegangen, w¨ahrend sich D IN 212
Ebd. Die textlichen Parallelen finden sich bei D URANDUS: In sententias, Red. C IV d 1, q 4, n 11, ed. Venedig 1571, fol. 289va. 213 In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 9vb: Vel iste influxus sacramento inhaerens est accidens corporeum vel incorporeum. Si secundum, non apparet quod potest inhaerere subiecto totaliter corporeo. Si primum, non apparet quomodo agit in animam characterem. 214 Ebd., fol. 9va–b: Vel iste influxus inhaeret verbis et sic accidentis est accidens [...]. Si inhaereat verbis et aquae in baptismo, hoc videtur extraneum quod unum accidens inhaereat duobus subiectis specie distin|ctis non facientibus aliquod unum. Der Begriff ‘extraneum’ taucht bereits bei B IEL auf, s.o., Anm. 160, S. 531. 215 Ebd., fol. 9vb: Cum Sortes contrahit cum Berta per verba [...], vel illa verba effective concurrunt ad ornatum matrimonii vel non. Si secundum, positio nulla. Si primum, ponatur nutus vel taciturnitas [...]. Ponatur matrimonium contractum inter Sortem in Britannia et Berta in Livonia. Livonia, heute Livland, ist eine Gegend im Baltikum. Zu den Beispielen vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 330–334. 216 In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 9vb: Non puto has rationes radicitus posse dissolvi. Esto quod duo sollempnes doctores hanc positionem posuerunt cum eorum sequacibus, utrumque tamen respondere conabimur.
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¨ , der eine a¨ hnliche Verteidigung auch der Mitwirkungs-Variante bieKELSB UHL tet, letztendlich ja auch f¨ur dieses Modell entscheidet. M AIR hingegen macht deutlich, dass ihm das Modell nicht zusagt, doch sei das allein noch kein Grund, die Meinung so großer Scholastiker wie A LEXANDER VON H ALES und T HO MAS VON AQUIN f¨ ur irrational zu halten. Die L¨osungen zu diesen Argumenten, die M AIR in der Folge pr¨asentiert, tragen nun aber ein eindeutiges Gepr¨age: Was das erste betreffe, so sei es nicht v¨ollig unpassend, dass ein unk¨orperliches und damit unteilbares Akzidens einem teilbaren Subjekt anhafte, denn ‘Vaterheit’ betreffe auch den ganzen Vater und nicht nur einen Teil von ihm.217 Was das zweite angehe, so k¨onne man die Zahl ja auch als formal verschieden von den gez¨ahlten Dingen betrachten; und wie nicht gesagt werden k¨onne, welchem der gez¨ahlten Dinge die Zahl selbst formal zukomme, k¨onne auch nicht gesagt werden, welchem sakramentalen Element die Kraft zuzuordnen sei.218 Beim dritten lasse sich schlicht sagen, dass es einem g¨ottlichen Instrument m¨oglich sei, auch u¨ ber weiteste Distanzen und losgel¨ost von konkreten Worten eine solche Beziehung herzustellen.219 Auf einen ersten Blick erstaunen diese L¨osungsans¨atze ebenso, wie auch schon die Wahl der Argumente selbst unkonventionell gewesen ist: Denn solche L¨osungen finden sich bei keinem der bisher untersuchten Vertreter des Mitwirkungs-Modells, w¨ahrend klassische Erkl¨arungsmuster wie der modus intentionis oder die instrumentale Wirkweise fehlen. Das h¨angt nun damit zusammen, dass M AIR letztlich etwas ganz anderes vorhat als eine Verteidigung der Mitwirkungs-Variante. M AIR macht n¨amlich nichts anderes, als dass er diese L¨osungen auf spezifische logische Positionen der Realisten zur¨uckf¨uhrt: Von einer eigenst¨andigen ‘Vaterheit’ spricht nur ein Universalienrealist, von einem Formalunterscheid zwischen Zahl und Gez¨ahltem spricht nur ein Scotist, und auch die Auftrennung zwischen einer Relation und ihrem Fundament, wie es die L¨osung des Heirats-Beispiels unterstellt, findet sich nur bei Vertretern der via antiqua.220 So sagt J OHN M AIR denn auch: 217 Ebd.: Et dico non inconvenire accidens impartibile inhaerere subiecto divisibili. Patet in relationibus intrinsecus advenientibus. Pariter et extrinsecus. Paternitas inhaeret toti patri et nulli parti eius, et pater est corporeus. Das Beispiel taucht bereits bei S COTUS, nicht aber bei T HOMAS auf, s.o., S. 175, Anm. 27. 218 Ebd.: Ad secundum dicitur quod iste influxus in baptismo inhaeret verbis et aquae copulatim. Et non est improbabile consequenter quod ministro, verbis et aque inhaereat, tenendo quod numerus formalis distinguitur a rebus numeratis. [...] Sicut non datur locus adaequatus in quo est numerus formalis, ita non datur locus adaequatus in quo est illud accidens. Sed copulatim est in multis eo modo quo ei competit esse in loco. 219 Ebd, fol. 9vb–10ra.: Ad aliud argumentum de matrimonio dicitur quod verba haec [...] causant ornatus quosdam in animabus coniugum, etsi fuerint nutus et non verba idem faciunt. [...] Hoc non inconvenit in | instrumento Dei. 220 Zum Formalunterschied s.o., S. 79; zur Relations-Problematik vgl. j¨ungst D EWENDER , T HOMAS: Der onotlogische Status der Relationen nach Durandus von St.-Pourc¸ain, Hervaeus
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F¨ur jene der realitischen Schule ist es einfacher als [f¨ur jene] der nominalistischen, ohne in Kauf genommene Unstimmigkeiten davonzukommen. Was mich betrifft, so halte ich manches, was ich in der L¨osung angef¨uhrt habe, f¨ur Erdichtungen, und ich glaube weder, dass eine bestimmte Menge von den gez¨ahlten Dingen zu unterscheiden ist, noch gehe ich von zweiten Intentionen aus, die von den Begriffen verschieden sind, noch von Relationen, die von ihrem Fundament unterschieden werden. Daher halte ich zusammen mit den anderen neoterici an der alten Meinung fest.221
Wo M AIR bloß seine Zugeh¨origkeit zum Nominalismus zu bekr¨aftigen scheint, wird nun aber ein zwar unausgesprochener, aber doch offensichtlicher Vorwurf deutlich: Das Mitwirkungs-Modell l¨asst sich, so suggeriert M AIRS Darstellung, n¨amlich nur verteidigen, wenn mit Vorgehensweisen, die der Theologie fremd sind, in die vorliegende Problematik eingegriffen wird. Wer das Mitwirkungs-Modell vertreten will, muss in ungeb¨uhrlicher Weise auf die Logik zur¨uckgreifen. Und so ist M AIRS vordergr¨undige Verteidigung der Mitwirkungs-Variante die reinst Polemik, auf die hin nicht nur die L¨osung der Gegenargumente, sondern ganz offensichtlich schon deren Auswahl ausgerichtet gewesen ist. Umso besser f¨ugt sich nun umgekehrt das Pakt-Modell in M AIRS theolo¨ gisches Projekt ein: Nicht nur ben¨otigt es solche logischen Ubergriffe nicht, sondern es widerspreche auch, wie M AIR unter Berufung auf B ONAVENTURA als erstes gleich erkl¨art, den Heiligen nicht.222 Vielmehr lasse sich f¨ur die vorliegende Position auch B ERNHARD VON C LAIRVAUX anf¨uhren, und so gehe auch er weder von einem solchen ornatus aus, noch nehme er an, dass sich die neutestamentlichen Sakramente durch ihre Urs¨achlichkeit von den alttestamentlichen unterschieden. Der Unterschied liege vielmehr in der gr¨oßeren Gnade, die sie vermittelten, da etwa die Taufe nicht nur die Erbs¨unde aufhebe, sondern auch die Pforten zum Himmelreich o¨ ffne.223 Im Hinblick auf Gnade und character sei die Taufe aber bloß causa sine qua non, und ebenso verh¨alt es sich bei den ” Natalis und Petrus Aureoli, in: KOBUSCH/B ROWN/D EWENDER: Philosophical Debates (2009), S. 287–307 mit weiterer Literatur. 221 In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 10ra: Ecce quomodo datur via evadendi, et facilius est eis de secta realium abire sine inconvenienti reputato quam nominalibus. Pro me multa quae dicebam solvendo puto commenta, nec opinor quantitatem discretam distingui a rebus numeratis, nec pono secundas intentiones distinctas a terminis, nec relationes distinctas a fundamentis. Propterea teneo antiquam opinionem cum aliis neot[e]ricis. 222 Ebd.: Nec hoc est contradicere sanctis. Doctor seraphicus utramque positionem [resistans] declinat in hanc quod sacramenta novae legis nullam causalitatem habent respectu characteris vel ornatus. Dicit eam favere pietati fidei et quadrare rationi. 223 Was die konventionelle Abgrenzung der Taufe von der Beschneidung ist, vgl. P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 1, c 7, ed. Grottaferrata (1981), S. 236. M AIRS Ausf¨uhrungen lauten: Non pono tales ornatus (virtutes et earum actus animam ornant). Nec per causalitatem sacramenta novae legis a sacramentis veteris distinguntur, sed per maiorem gratiam et apertionem ianuae (In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 10ra).
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anderen Sakramenten.“224 Wie schon f¨ur D URANDUS und nach ihm f¨ur O CK HAM, P IERRE D ’A ILLY und G ABRIEL B IEL sind auch f¨ ur J OHN M AIR die Sakramente nichts anderes als causae sine quibus non. Es bleibt als letztes zu pr¨ufen, inwiefern er auch die Begr¨undungsweise seiner Vorl¨aufer teilt. 23.2.2.3 Ein erfahrungs-basierter Ursachenbegriff Im Anschluss an seine knappe Darlegung der Pakt-Variante greift M AIR noch einige m¨ogliche Einw¨ande auf, die gegen dieses Modell erhoben werden k¨onnten. Dazu geh¨ort insbesondere der bekannte Einwand, den schon T HOMAS VON AQUIN formuliert hat, dass eine causa sine qua non als causa per accidens in einer Definition nichts verloren habe.225 Interessanterweise schließt sich M AIR nun aber nicht der Wiederlegung an, die O CKHAM erarbeitet und B I EL von diesem u ¨ bernommen hat,226 sondern er schließt sich erneut den a¨ lteren Ausf¨uhrungen von D URANDUS an, der unter R¨uckgriff auf die Propria aus P ORPHYRS Isagoge eine Klasse von Akzidenzien abgegrenzt hat, die sehr wohl zur Bestimmung einer Sache beitr¨ugen:227 Was n¨amlich, so M AIR, ein unspezifisches Akzidens sei – wie etwa die Tatsache, dass ein Hausbauer musikalisch ist, – d¨urfe tats¨achlich in eine Definition nicht aufgenommen werden; was aber gemeinhin oder immer zu einer Sache dazugeh¨ore, geh¨ore, auch wenn es sich bloß um eine akzidenzielle Eigenschaft handle, durchaus in eine Definition hinein.228 Aber M AIR lehnt sich noch weiter an D URANDUS an: Wie schon D URANDUS erw¨ahnt nun auch M AIR, dass sich vor P ETRUS L OMBARDUS gar niemand finde, der die Urs¨achlichkeit der Sakramente in deren Bestimmung aufgenommen habe; und auch P ETRUS L OMBARDUS selbst sage ja in seinen Sentenzen, dass der Mensch das Heil nicht in den Sakramenten suche, als ob er es von ihnen suchen w¨urde.229 Die wichtigsten Elemente aus D URANDUS’ Darstellung sind damit auch bei J OHN M AIR vorhanden: In einer ganz spezifischen 224 Ebd.: Baptismus est solum causa sine qua non characteris et gratiae, et ita in aliis sacramentis. 225 S.o., S. 154. 226 Dass n¨amlich eine akzidentielle Ursache wegfallen kann, ohne dass dies eine Auswirkung auf den Effekt hat, w¨ahrend eine sine qua non-Ursache sehr wohl Voraussetzung ist, damit ein Effekt eintritt, s.o., S. 493; f¨ur G ABRIEL B IEL s.o., S. 533. 227 S.o., S. 200. 228 In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 10rb: Illud quod est per accidens impertinens, relinquendum est ab arte, sicut musica respectu aedificatoris. Sed quod communiter vel semper ponitur, non est sic per accidens. 229 Ebd.: Secundo dico: Non reperitur hoc positum in diffinitione sacramenti ante magistrum, qui se exponens dicit in littera quod homo non quaerit salutem in sacramentis quasi ab eis. Die Stelle, auf die sich M AIR hier bezieht, lautet bei P ETRUS L OMBARDUS: Homo [...] salutem quaerit in inferioribus se, etsi non ab illis, sed per illa a Deo (Sententiae IV d 1, c 5, ed. Grottaferrata (1981), S. 235). Auch D URANDUS hat dies bereits als Argument gebracht, s.o., S. 201.
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Weise werden die causae sine quibus non weiterhin den causae per accidens zugerechnet; P ETRUS L OMBARDUS wird als einzige auctoritas angef¨uhrt, die den Urs¨achlichkeitsaspekt u¨ berhaupt in die Sakramenten-Definition aufgenommen hat; und dieser P ETRUS L OMBARDUS wird mit sich selbst dahingehend ausgelegt, dass er seiner Bestimmung zum Trotz eine tats¨achliche Urs¨achlichkeit gar nicht angenommen habe. Unterscheidet sich M AIR daher schon in seinem Umgang mit den causae per accidens von der Richtung, die von O CKHAM eingeschlagen und von P IERRE D ’A ILLY und G ABRIEL B IEL weiterverfolgt worden ist, so findet sich in einem zweiten Einwand, den M AIR gegen sein Pakt-Modell aufgreift, nun auch noch eine deutliche Abgrenzung von deren Argumentationsweise. Er greift n¨amlich das bekannte Argument auf, das P IERRE D ’A ILLY in die vorliegende Diskussion eingef¨uhrt hat, dass die Sakramente letztlich im eigentlichen Sinne Ursache der Gnade seien.230 Allerdings dauert es einen Moment, bis M AIR zum Kern der Problematik vordringt. Zuerst sieht er sich veranlasst, u¨ berhaupt ein Beispiel zu bieten, wie man sich eine solche Wirkung vorstellen soll,231 und er zeigt erneut ein geographisches Interesse, das von der zeitgen¨ossischen Seefahrt inspiriert zu sein scheint: Sicherlich habe n¨amlich auch A RISTOTELES die Sonne nur deswegen f¨ur eine Ursache dessen gehalten, was hier unten geschehe,232 weil sich feststellen lasse, dass je nach Sonnenstand ein trockenes oder ein feuchtes Klima vorherrsche, dass in den Tropen zweimal im Jahr ges¨at werden k¨onne und dass in gewissen Breiten die Schatten je nach Jahreszeit in unterschiedliche Richtungen wiesen. Solches sei nur m¨oglich, wenn man annehme, dass die Sonne eine gewisse Urs¨achlichkeit habe, und so sei es auch bei den Sakramenten.233 Die Parallele zwischen Sonne und Sakrament, die M AIR hier behauptet, 230 In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 10rb: Arguitur quod sacramenta proprie erant causae gratiae. 231 Es w¨are an anderen Stellen (etwa in seinem Kommentar zu den Octo libri physicorum, ed. Paris 1526) zu u¨ berpr¨ufen, inwiefern dieser Umweg auf die Tatsache zur¨uckzuf¨uhren ist, dass M AIR offensichtlich M¨uhe hat, sich eine actio in distans vorzustellen. So heißt es auch im oben erw¨ahnten Beispiel der Heiratswilligen in zwei unterschiedlichen L¨andern: Si fuerint in distantia mille leucarum, [eorum verba] idem faciunt [i.e. causant ornatus]. Non requiritur tactus proprie dictus ad talem actionem (In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 9vb). Heißt das aber nicht, dass ein tactus f¨ur andere Handlungen notwendig ist? 232 M AIR spielt auf eine Stelle aus A RISTOTELES’ De generatione et corruptione an (II.10 336a; AL IX.1, S. 74). 233 In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 10rb: Non aliter arguebat Aristoteles solem in obliquo circulo (secundo De generatione) esse causam in istis inferioribus, nisi videbat quando sol intravit arietem, terra in istis climatibus inferioribus pullulat, sole existente in capricorno, om[n]ia sunt arida. Non alias probatur duplex accessus solis in diameroe, et inter tropicum cancri et capricorni esse causam quare bis colligantur segetes, vel duas esse umbras in austrum et avilonem proiectas [...]. Ergo cum ad praesentiam solis sequitur iste effectus, et ad eius absentiam quocumque alio secluso non sequitur, oportet quod sol aliquid causalitatis habeat. Sed sic est in istis sacramentis.
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scheint damit auf den folgenden Punkt abzuzielen: Wie sich auch bei der Sonne feststellen l¨asst, dass je nach dem, ob und wie sie vorhanden ist, Effekte hervorgerufen werden, die nur auf die Sonne zur¨uckgef¨uhrt werden k¨onnen, wie die Sonne also zugleich eigentliche Ursache und causa sine qua non dieser Effekte ist, so sind auch die Wirkungen der Sakramente den Sakramenten selbst zuzuschreiben. Dagegen lasse sich einwenden, so M AIR, dass das eine in der Natur der Sache – n¨amlich der Sonne – liege, was beim anderen nicht der Fall sei, weil die Sakramente ihre Wirkung nicht seit Anbeginn der Welt h¨atten.234 Das Argument ist naheliegend, und erst hier zieht M AIR nun auch eine grunds¨atzliche Hinterfragung jeglicher Kausalit¨at im Sinne von P IERRE D ’A ILLY und G ABRIEL B IEL in Betracht: Das eben genannte Argument, mit dem ein Unterschied zwischen Sonnenwirkung und sakramentaler Wirkung begr¨undet wird, lasse sich widerlegen, weil es erstens auch nicht an der Natur des Feuers liege, dass es w¨arme; denn wie das Beispiel von den Knaben im Feuerofen zeige, k¨onne Gott die W¨arme unterbinden, doch wirke Gott nicht gegen die Natur der Dinge.235 Zweitens k¨onne man nie wissen, ob Gott oder das Feuer gerade am W¨armen sei, weshalb der Unterschied zwischen causae secundae und causae sine quibus non hinf¨allig werde.236 Die erste der beiden Widerlegungen findet sich in dieser Form weder bei P IERRE D ’A ILLY noch bei G ABRIEL B IEL und l¨asst sich relativ einfach zur¨uckweisen: Dass n¨amlich das Feuer im Feuerofen zu w¨armen aufgeh¨ort habe, liege, so M AIR, nicht an einer Gegenaktion Gottes, sondern bloß daran, dass er seinen concursus, sein sonst u¨ bliches Mitwirken an diesem Geschehen, eingestellt habe. Daher hat er auch nicht gegen die Natur des Feuers gehandelt.237 Die zweite Widerlegung allerdings stellt auch M AIR nicht anders als B IEL und P IERRE D ’A ILLY vor Probleme. Denn tats¨achlich m¨usse er selbst auch zugeben, dass er nie wissen k¨onne, ob nun das Feuer selbst oder Gott im Einzelfall 234 Ebd.: Forte dices: hoc non est ex natura rei quemadmodum est de sole. Si baptismus qui est realiter aqua, vel aqua, verba et intentio, causarent gratiam ex naturis rerum, a principio mundi causassent. Quod est falsum. 235 Ebd., fol. 10rb–va: Contra: nec est ex natura rei quod calor causat calorem. Patet in camino ignis Danielis tertio, ubi Deus impedivit calorem | ignis ne calefaceret. Sed Deus non potest agere contra naturas rerum, igitur. 236 Ebd., fol. 10va: Item non potest tibi constare quin Deus semper ad praesentiam ignis producit calorem. Et ita cum qualiter alia causa quam tu vocas secundam, ergo qualiter causa talis est causa sine qua non. 237 Ebd.: Respondetur negando quod calor non calefacit ex natura rei. Deus [...] non concurrebat cum igne ad producendum calorem in pueros, licet active conservabat entitatem ipsius ignis. Modo nulla causa potest agere qual[i]tercunque, nisi prima causa secum coagat. Zum concursus divinus vgl. j¨ungst H ELLER , JAKOB G.: Die Entwicklung der Lehre von der Mitwirkung Gottes bei Thomas von Aquin, in: Freiburger Zeitschrift f¨ur Philosophie und Theologie 58 (2011), S. 387–403 mit weiterer Literatur.
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die W¨arme produziere.238 Was M AIR allerdings festzustellen weiß, ist, dass er den Ansatz von G ABRIEL B IEL f¨ur nichtig h¨alt: Ein gewisser Mann unserer Zeit namens Gabriel sagt, dass er einen Modus aufstellen wolle, den er dem Leser in der ersten Quaestio seines vierten Sentenzenbuchs vorlegt, und er sagt, dass er zwar terminologisch von den anderen abstehe, in der Sache aber kaum. Dieser Modus ist nun, dass es keine causa secunda aufgrund der Natur der Sache gebe, sondern allein aufgrund von Gottes Wille. Daher kann Gott machen, dass die W¨arme k¨uhlt und die K¨alte w¨armt, und dies nicht durch eine Antiperistasis,239 sondern durch eine direkte Handlung. Nichtig ist, was er hier sagt.240
F¨ur nichtig h¨alt M AIR B IELS Ausf¨uhrungen aus zwei Gr¨unden: Wenn er erstens sinngem¨aß mit den anderen u¨ bereinstimme und sich bloß terminologisch unterscheide, dann arbeite er in eitler Weise.241 Wie auch G ERSON den formalizantes vorgehalten hat, sie seien mit ihren Erfindungen neuer Worte auf ihren eigenen Ruhm bedacht und w¨urden bloß f¨ur Verwirrung sorgen, so kritisiert M AIR nun auch an B IEL, dass er sich nicht an die traditionellen Ausdrucksweisen h¨alt. Die traditionelle Ausdrucksweise, und das ist M AIRS zweiter Punkt, stehe aber gegen B IEL: Denn gem¨aß dessen Ausf¨uhrungen scheine s¨amtliche Urs¨achlichkeit von den causae secundae weggenommen zu werden, die ihnen nach ” den Philosophen dennoch [auch] die Heiligen zugeschrieben haben.“242 Dieser Hinweis auf den Sprachgebrauch der Philosophen und der Heiligen bildet nun aber nicht nur das Hauptargument f¨ur eine grunds¨atzliche Zur¨uckweisung von B IELS Ansatz, sondern er bietet gem¨aß den Kriterien von M AIRS Prolog zugleich auch die Legitimation daf¨ur, dass M AIR selbst sich an der vorliegenden Stelle Gedanken zum Ursachen-Begriff machen darf. Und so h¨alt er denn inhaltlich gegen B IEL fest: Auch wenn es mir nicht evident ist, habe ich dennoch eine gen¨ugende Sicherheit [zur Annahme], dass die W¨arme durch ihre eigene Natur w¨armt, ein Sakrament aber die 238 In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 10va: De facto hoc est verum: non est mihi evidens. 239 Die Antiperistasis ist ein Prinzip der aristotelischen Physik (VIII 267a; AL 7.1, S. 338), das behauptet, dass sich physikalische Eigenschaften verst¨arken, wenn sie zu sehr von der ihnen entgegengesetzten Eigenschaft umgeben sind. Damit wird etwa erkl¨art, warum eine H¨ohle im Sommer k¨uhl und im Winter warm ist, und wie es in eiskalten Wolken zu Feuerblitzen kommen kann (mir ist dazu keine modernere Literatur begegnet als M EYER , K IRSTINE B.: Zur Geschichte der Antiperistasis, in: Ostwalds Annalen der Naturphilosophie 3 (1904), S. 413–441). 240 In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 10va: Homo huius aetatis quidam dictus Gabriel dicit quod vult ponere unum modum, quae lectori offert prima quaestione quarti, et dicit quod licet verbaliter ab aliis distat, parvum tamen in re. Modus est ille quod nulla est causa secunda ex natura rei, sed ex voluntate Dei. Ita Deus potest facere calorem frigefacere et frigus calefacere, non per antiperistasim, sed actione directa. Nihil hic loquitur. 241 Ebd.: Si in sententia cum aliis convenit et solo verbo differt, inaniter laborat. 242 Ebd., fol. 10vb: Concesso consequente negant omnem causalitatem a causis secundis, quam tamen sancti post philosophos eis tribuunt.
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Gnade nicht verursacht. Jede W¨arme verursacht stets W¨arme, wenn etwas Empf¨angliches angebracht wird. Wenn [das W¨armen] daher einmal oder ganz selten verhindert wird, muss dies einem Wunder zugeschrieben werden. So ist es aber nicht bei den Sakramenten: Denn nicht jedes Wasser gen¨ugt zur Annahme der Gnade, und nicht immer [erfolgt sie]. Und das muss mir gen¨ugen.243
Statt von B IELS metaphysischen Pr¨amissen her versucht M AIR die Problematik von der Alltags-Erfahrung aus anzugehen. Es ist nicht die Frage, was Gott alles kann und k¨onnte, die M AIR leitet, sondern es leitet ihn die Frage, was er, M AIR, aufgrund von Beobachtungen sinnvollerweise sagen kann. So gibt er denn auch unumwunden zu: Wenn Gott analog dazu, wie etwas Warmes W¨arme ausstrahlt, schon seit jeher auch bei der Anwesenheit von etwas Weißem Weiße produzieren w¨urde, und wenn es keinen Grund zur Annahme des Gegenteils g¨abe, dann w¨urde M AIR sagen, dass Weißes Weiße produziere.244 Der Unterschied zu B IEL ist nicht einmal so groß: Auch M AIR kann sich F¨alle ausdenken, in denen es ihm scheint, dass etwas Ursache von etwas anderem sei, ohne dass dies auf dessen nat¨urliche Eigenschaften zur¨uckgehe: Von sich aus str¨omt Weißes – anders als Warmes – keine Weiße auf die umliegenden Gegenst¨ande aus, selbst wenn Gott seit Anbeginn der Welt daf¨ur sorgen w¨urde, dass die umliegenden Gegenst¨ande jeweils auch weiß w¨urden. Anders als B IEL (und a¨ hnlich wie P IERRE D ’A ILLY) wirft er deswegen aber nicht die grunds¨atzliche Vorstellung von Urs¨achlichkeit u¨ ber Bord: Im genannten Fall vertraute er dem Anschein, w¨urde sagen, dass Weißes Weiße verstr¨ome, und n¨ahme damit in Kauf, dass er sich m¨oglicherweise t¨auschte. Im Normalfall allerdings trifft er damit auf Kausalzusammenh¨ange, in denen die Urs¨achlichkeit tats¨achlich von nat¨urlichen Eigenschaften der Dingen abh¨angt, und damit eine tats¨achliche Urs¨achlichkeit ist. Wie sehr sich M AIR mit diesen Ausf¨uhrungen an einem Erfahrungs-Paradigma orientiert, wird deutlich, wenn er noch einmal auf sein einleitendes Beispiel der Wirkung der Sonne zur¨uckkommt. Eine der bekanntesten Wirkungen, die A RISTOTELES der Sonne zugeschrieben hat, besteht ja darin, zusammen mit dem Menschen einen neuen Menschen hervorzubringen.245 Dagegen allerdings h¨alt M AIR – erneut mit geographischem Weitblick – fest:
243
Ebd., fol. 10va: Licet non sit mihi evidens, habeo tamen certitudinem sufficientem, quod calor suapte natura calefacit, et sacramentum non causat gratiam. Omnis calor et semper passo applicato causat calorem, ergo si semel vel raro sit impedimentum, oportet ascribere miraculo. Non est sic de sacramentis: Non quaelibet aqua sufficit ad [penitentiam] gratiae, et semper. Et hoc debet mihi sufficere. 244 Ebd.: Si Deus ab aeterno ad praesentiam albedinis produceret albedinem, et [nisi] non constaret de opposito, dicerem quod [alio] producit albedinem. Die Korrekturen entsprechen der Ausgabe von 1521, fol. 10rb. 245 Physik II.2 194b 13; AL VII.1, S. 55: Homo generat hominem et sol.
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Ich beweise, dass [das] nicht [so ist]: Ob die Sonne anwesend ist oder nicht, entsteht doch der Mensch nicht weniger. Bei Anwesenheit der Sonne sehen wir in unseren mittleren Breiten ebenso Menschen entstehen wie am Nordpol, bei den Bewohnern von Sri Lanka und [jenen] der malaiischen Halbinsel. Daher spielt die Anwesenheit der Sonne keine Rolle.246
Dieser Hinweis auf ‘Beobachtungen’ gen¨ugt, um A RISTOTELES zu widerlegen.247 M AIR versucht denn auch gar nicht erst, den Philosophen zu verteidigen, sondern h¨alt vielmehr fest, dass sich dessen Aussage im Hinblick auf Pflanzen und Gr¨aser nun aber durchaus halten lasse – was ihm erneut ein Blick in die entfernteren geographischen Zonen best¨atigt.248 Das Beispiel illustriert daher, wie etwas durch die Erfahrung sowohl als Ursache best¨atigt, als auch ausgeschlossen werden kann; und auch wenn M AIR betont, dass aus all dem auch deutlich werde, wie schwierig es letztlich sei, etwas als Ursache von etwas anderem zu bestimmen,249 gen¨ugt es ihm doch, um an einem eigentlichen Ursachen-Begriff festzuhalten: Wenn nun, nachdem eines gesetzt worden ist, ein anderes auch gesetzt wird, und das immer [der Fall ist], – das heißt, seit jeher, solange kein Hinderungsgrund vorliegt –; und wenn, nachdem dieses eine nicht gesetzt worden ist, das andere nicht gesetzt wird, was auch immer sonst gesetzt wird, dann gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum diesem eine Urs¨achlichkeit abgesprochen werden sollte.250
Weil nun aber die Sakramente nicht seit jeher ihren Gnadeneffekt besitzen, ist f¨ur M AIR auch klar, dass sie keine Gnaden-Ursachen im eigentlichen Sinn sind.251 Auch M AIR h¨alt damit an einem Unterschied zwischen eigentlichen 246
In quartum sententiarum d 1, q 3, ed. Paris 1509, fol. 10va: Probo quod non: Sive sol sit praesens sive non, non minus generatur homo. Videmus homines genitos sole existente in signis meridionalibus apud nos, sicut in septentrionalibus, apud taprobanenses et auream [thersaneum]. Ergo praesentia solis nihil facit. 247 Die ‘Beobachtungen’ sind nat¨urlich sehr allgemeiner Natur – es w¨are zu u¨ berpr¨ufen, ob M AIR etwa auf P IERRE D ’A ILLYS Ymago mundi, ed. Buron (1930), zur¨uckgreift. 248 Ebd.: Videtur mihi quod naturaliter bene possumus negare omnem causalitatem respectu animalium a sole, ut argumentum arguit. Sed non respectu herbarum quae producuntur ad eius praesentiam. Etiam nimia praesentia solis interdum impedit. Videmus quando sol est in thaure in septimo climate et in postclimatibus herbae multae generantur, quae non generantur sole existente in cancro cum est nobis vicinior [...]. Clarum est quod nimia eius approximatio ad terram generationem indisponit. Patet in Libya. 249 Ebd., fol. 11ra: Ex omnibus patet: perdifficile est concludere aliquid esse causam proprie dictam respectu alterius. Et signum est cum frequenter illud, quod vocatur causa proprie dicta apud alios, causa sine qua non vel dispositio vocatur ab aliis. 250 Ebd.: Potest tamen sic dicere: illo posito ponitur illud et hoc semper, hoc est aeternaliter, si non sit impedimentum; ipso non posito non ponitur illud quolibet alio posito, nec apparet ratio quare debeant negari causalitates ab hoc. 251 Ebd.: Dixi ‘aeternaliter’ ad excludenda sacramenta. Prius erat aqua et similia materialia, et non causabant gratiam.
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Ursachen und causae sine quibus non fest, einem Unterschied, der nicht nur terminologisch, sondern so sachlich begr¨undet ist, wie Sachlichkeit aufgrund von Erfahrungen m¨oglich ist. Auch J OHN M AIR zeugt mit diesen Ausf¨uhrungen von einer Konzentration auf die Ursachen-Frage, wie sie sich bei O CKHAM und P IERRE D ’A ILLY bereits abgezeichnet hat und wie sie auch von G ABRIEL B IEL u¨ bernommen worden ist. Aber M AIR denkt keineswegs in die Richtung weiter, die sich andeutungsweise schon bei O CKHAM gefunden und die G ABRIEL B IEL im Anschluss an P IERRE D ’A ILLY ins Extrem gef¨uhrt hat: Eine grunds¨atzliche Kritik am Ursachen-Begriff u¨ bernimmt M AIR nicht. Auch in weiteren Punkten wird deutlich, dass M AIR einer anderen Linie folgt: Seine inhaltliche Vorlage f¨ur die Darstellung der Wirksamkeitsproblematik ist D URANDUS; von der Ausrichtung seiner Argumentationen her nimmt er allerdings einen Ansatz auf, der sich auch ¨ bei M ARSILIUS, G ERSON und N IKOLAUS VON D INKELSB UHL hat feststellen lassen. Was sich daher bereits im sp¨aten 14. Jahrhundert bei jenen Theologen abzeichnet, die gemeinhin als Vorl¨aufer der nominalistischen Richtung des 15. Jahrhunderts betrachtet werden, best¨atigt sich auch f¨ur diese nominalistischen Theologen selbst: Es lassen sich zwei Str¨omungen auseinanderhalten, deren eine vom jungen P IERRE D ’A ILLY und vom sp¨aten G ABRIEL B IEL repr¨asentiert wird und deren andere mit M ARSILIUS VON I NGHEN, J EAN G ERSON, N I ¨ KOLAUS VON D INKELSB UHL und J OHN M AIR in Verbindung zu bringen ist. W¨ahrend in der einen theologische Prinzipien wie die g¨ottliche Allmacht oder ¨ das Okonomieprinzip tats¨achlich auch f¨ur die Wirksamkeitsfrage eine zentrale Rolle spielen und davon ausgehend in einer Weise argumentiert wird, die G ERSONS Phantombild der terministae tats¨achlich sehr nahe kommt, orientiert sich die andere an der Tradition, schr¨ankt den Gebrauch der ratio im Rahmen der Theologie ein und zeugt von einem zur¨uckhaltenden, auf die Konventionen achtenden Sprachgebrauch. Nicht weniger als bei den Realisten mit ihren unterschiedlichen Richtungen, Auspr¨agungen, Ans¨atzen und Anlehnungen zeigt sich daher auch unter den Nominalisten kein stures Schulgehabe, sondern eine lebendige Vielfalt.
Kapitel 24
Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich Das Problem der sakramentalen Wirksamkeit wirft die unterschiedlichsten Fragen auf. Weil in der sakramentalen Gnadenvermittlung Unvereinbares aufeinander trifft, weil K¨orperliches einen geistigen Effekt und Gesch¨opfliches eine Wirkung haben sollen, die nur durch eine Sch¨opfung hervorzubringen ist, steht die Ordnung der Welt auf dem Spiel; vom Ursachen-Begriff u¨ ber die g¨ottliche Einrichtung der Welt bis hin zu Gottes Allmacht werden fundamen¨ tale Uberzeugungen eines sp¨atmittelalterlichen Scholastikers in Frage gestellt. Inmitten dieses weitl¨aufigen Problemfelds stehen die Sakramente selbst als Zeichen der Gnade, die sie vermitteln; und es scheint zumindest diese Zeichenhaftigkeit ein Aspekt zu sein, an dem sich nicht grunds¨atzlich r¨utteln l¨asst: Zwar l¨asst sich kritisch fragen, ob diese Zeichen sinnlich wahrnehmbar sein m¨ussten, ¨ und es l¨asst sich bestreiten, dass diese Zeichen eine nat¨urliche Ahnlichkeit mit dem bezeichneten Gnadengeschehen h¨atten; dass sie grunds¨atzlich aber auf diese Gnade verweisen, bleibt der unangetastete Kern des scholastischen Sakramentenverst¨andnisses. Zu eindeutig sind AUGUSTINS Aussagen, die P ETRUS L OMBARDUS am Beginn seines vierten Sentenzenbuchs zusammentr¨agt, der nicht nur dessen Rede von den sacra signa anf¨uhrt, sondern auch gleich noch dessen Zeichendefinition samt grundlegender Zeicheneinteilung zitiert.1 Eine Untergruppe der signa data, der irgendwann eingesetzten und nicht von Natur aus bezeichnenden Zeichen sind die Sakramente in den ganzen Auseinandersetzungen der sp¨atscholastischen Theologie geblieben. Und so sei denn als Abrundung der vorliegenden Untersuchung ein Blick in einige Texte aus einem ganz anderen Umfeld geworfen, die sich unabh¨angig von aller Sakramententheologie mit dieser Zeichenklasse der signa data oder, wie es dort eher heißt, der signa ad placitum significantia besch¨aftigen. Es wird n¨amlich dieser Ausblick nicht nur erlauben, einiges von dem, was auf den vorangehenden 550 Seiten dargestellt worden ist, noch einmal revue passieren zu lassen, sondern es wird sich von daher auch die sp¨atmittelalterliche Debatte um die sakramentale Wirksamkeit noch einmal in einem anderen Licht zeigen. 1
P ETRUS L OMBARDUS: Sententiae IV d 1, c 3 und 4, ed. Grottaferrata (1981), S. 233.
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
24.1 P ETRUS H ISPANUS und die signa ad placitum significantia Bei den Texten, die f¨ur diese Abrundung aufgegriffen werden, handelt es sich fast durchgehend um Kommentare zu den Summulae logicales, einer logischen Einleitungsschrift, die P ETRUS H ISPANUS in der Mitte des 13. Jahrhunderts als ¨ Zusammenfassung der unterschiedlichen logischen Uberlieferungs-Traditionen 2 erstellt hat. Diese Summulae werden im sp¨atmittelalterlichen Logik-Unterricht jeglicher Ausrichtung zu einem viel genutzten und oft kommentierten Grundlagenwerk; und weil darin auch semiotische Fragen zur Sprache kommen, bietet es sich f¨ur die hier geplante Abrundung an, die semiotischen Ausf¨uhrungen einiger Summulae-Kommentare etwas genauer zu betrachten. Zuerst einmal aber sei ein Blick in die Summulae selbst geworfen. P ETRUS H ISPANUS steigt in den ersten Traktat dieser Summulae nach ei¨ nigen allgemeinen Uberlegungen zur Logik mit einer Paraphrase von A RI STOTELES’ Perihermeneias ein, das im ersten Teil der vorliegenden Arbeit bereits eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat, wo die Frage nach dem Zeichen-Charakter der Konzepte aufgebrochen ist.3 Auch P ETRUS H ISPANUS selbst kommt noch in den einleitenden Kapiteln seines Traktats auf semiotische Fragen zu sprechen, weil er die basale Einheit, mit der sich ein Logiker zu besch¨aftigen habe, in der vox significativa vorfindet, dem bedeutungstragenden Laut.4 Hierzu greift er folgende Unterscheidung auf: Unter den Lauten sind einige bedeutungstragend, andere sind nicht-bedeutungstragend. Ein bedeutungs-tragender Laut ist einer, der einem H¨orer etwas darstellt, wie ‘Mensch’, oder das St¨ohnen von Kranken. Ein nicht-bedeutungstragender Laut ist einer, der einem H¨orer nichts darstellt, wie ‘buba’.5 2 Weiterhin ist nicht gekl¨art, ob jener P ETRUS H ISPANUS (fl. 1245), der die hier interessierenden Summulae logicales verfasst hat, mit dem P ETRUS H ISPANUS identisch ist, der 1276 zum Papst Johannes XXI gew¨ahlt wird. Dagegen argumentiert hat zuletzt O RS , A NGEL D ’: Petrus Hispanus O.P., Auctor Summularum (III). ‘Petrus Alfonsi’ or ‘Petrus Ferrandi’? in: Vivarium 41 (2003), S. 249–303, mit weiterf¨uhrenden Literaturangaben. Zu den unterschied¨ lichen logischen Uberlieferungs-Traditionen (logica vetus, logica nova und logica moderna) ¨ vgl. A HO , T UOMO/Y RJ ONSUURI , M IKKO: Late Medieval Logic, in: H AAPARANTA , L EILA (Hrsg.): The Development of Modern Logic. A Philosophical and Historical Handbook, Oxford: Oxford University Press, 2009, S. 11–77, hier S. 13. 3 S.o., Teil I, Kap. 5.2. 4 ¨ ‘Wort’ ist als Ubersetzung von vox zu spezifisch, weil P ETRUS H ISPANUS auch Hundegebell oder das Gest¨ohne von Kranken unter die voces significativae z¨ahlt: Vox es sonus ab ore animalis prolatus, naturalibus instrumentis formatus (Summulae logicales I c 2, ed. de Rijk (1972), S. 1; zu den Beispielen vgl. den Text der n¨achsten Anmerkung). Umgekehrt grenzt er die vox vom sonus, vom reinen Ger¨ausch oder Klang ab (sonus non-vox est ille qui generatur ex collisione corporum inanimatorum, ut frangor arborum, strepitus pedum, ebd.) 5 Summulae logicales I c 3, ed. de Rijk (1972), S. 1f.: Vocum alia significativa, alia non significativa. Vox | significativa est illa quae auditui aliquid repraesentat, ut ‘homo’, vel gemitus infirmorum. Vox non-significativa est illa quae auditui nihil repraesentat, ut ‘buba’.
24.1 Petrus Hispanus und die signa ad placitum significantia
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Was die bezeichnenden von den nicht-bezeichnenden Lauten abgrenzt, ist nach P ETRUS H ISPANUS deren F¨ahigkeit, etwas darzustellen: aliquid repraesentare. Diesen Darstellungsbegriff f¨uhrt er nicht weiter aus, so dass offen bleibt, ob Darstellen selbst schon eine Form von Bezeichnen ist; und ebenso wenig bestimmt er genauer, was alles unter dieses aliquid fallen kann: Muss es, wie die AUGUSTINISCHE Zeichen-Bestimmung es fordert, etwas anderes sein als der bezeichnende Laut, oder k¨onnte es auch dieser selbst sein? P ETRUS interessiert sich nicht f¨ur diese weiterf¨uhrenden Fragen; was ihn interessiert, ist vielmehr eine Unterteilung auch der vox significativa selbst: Unter den bedeutungstragenden Lauten bezeichnen einige nach Belieben (ad placitum), andere in nat¨urlicher Weise (naturaliter). Ein naturaliter bezeichnender Laut ist einer, der bei allen dasselbe darstellt, wie das St¨ohnen von Kranken oder das Gebell von Hunden. Ein ad placitum bezeichnender Laut ist einer, der dem Willen des Einsetzers gem¨aß etwas darstellt, wie ‘Mensch’.6
Erneut ist die grunds¨atzliche Stoßrichtung von P ETRUS H ISPANUS klar, auch wenn einiges unterbestimmt bleibt: Die Unterscheidung von nat¨urlichen und eingesetzten Zeichen ist so alt wie die Sprachphilosophie selbst,7 und die Vorstellung, ein institutor habe einst bestimmt, was die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks sei, findet sich nicht nur bereits bei P LATON, sondern n¨ahrt sich im mittelalterlichen Kontext vor allem auch aus der Vorstellung von Adam, der durch den Garten Eden wandelt und den Lebewesen ihren Namen gibt.8 Dennoch zeigt sich genau hier die gr¨oßte Schwierigkeit des vorliegenden kleinen Text-St¨ucks: Denn w¨ahrend P ETRUS’ Rede vom Willen des Einsetzers zu verdeutlichen scheint, dass es sich um einen einmaligen Einsetzungakt handle, der von der Sprachgemeinschaft u¨ bernommen werde, klingt der Begriff des ad placitum viel beliebiger, als ob es von jedem einzelnen abhinge, welche Bedeutung ein bedeutungstragender Laut erh¨alt. Wer ist daher dieser Einsetzer? Meint P ETRUS H ISPANUS wirklich den ersten Einsetzer (er sagt das nicht 6 Ebd., S. 2: Vocum significativum alia significativa ad placitum, alia naturaliter. Vox significativa naturaliter est illa quae apud omnes idem repraesentat, ut gemitus infirmorum, latratus canum. Vox significativa ad placitum est illa quae ad voluntatem instituentis aliquid repraesentat, ut ‘homo’. 7 Eine erste ber¨uhmte Auseinandersetzung mit der Unterscheidung findet sich in P LA TONS Kratylos, wo sie unter dem Blickwinkel aufgegriffen wird, ob nicht auch alle Sprachzeichen letztlich eine nat¨urliche Verwandtschaft mit den bezeichneten Dingen h¨atten (383a–384e; vgl. C OSERIU , E UGENIO/M EISTERFELD , R EINHARD (Hrsg.): Der Physei-Thesei-Streit. Sechs Beitr¨age zur Geschichte der Sprachphilosophie, T¨ubingen: Gunter Narr, 2004, S. 121f.) 8 Gen 2,19f., vgl. dazu DAHAN , G ILBERT: Nommer les eˆ tres. Ex´eg`ese et th´eories du langage dans les commentaires m´edi´evaux de Gen`ese 2,19–20, in: E BBESEN: Sprachtheorien (1995), S. 55–74. Die Vorstellung blieb auch u¨ ber das Mittelalter hinaus noch lange pr¨agend, vgl. T RA ¨ BANT, J URGEN : Sign conceptions in the philosophy of language from the Renaissance to the early 19th century, in: P OSNER/ROBERING/S EBEOK: Semiotik II (1998), S. 1270–1280, hier S. 1277. Zu P LATON vgl. die in der vorangehenden Anmerkung zitierte Kratylos-Stelle.
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
explizit) – oder handelt es sich um jeden einzelnen, der einen bedeutungstragenden Laut in einem aktuellen Sprachvollzug zum Einsatz kommen l¨asst?9 Auch hier kl¨art P ETRUS seine Leser nicht weiter auf, sondern wendet sich unterschiedlichen Formen von signa ad placitum significantia zu, gelangt dar¨uber zu den eher grammatischen Themen rund um die partes orationis und kommt auf diese grundlegenden semiotischen Fragen nicht mehr zur¨uck. So wie a¨ hnliche Unterbestimmtheiten in P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen von den scholastischen Autoren nun aber als Anregung f¨ur die Ausbildung von Kommentaren aufgefasst worden sind, sehen sich auch die Kommentatoren der Summulae angespornt, die skizzierten Probleme kl¨arend aufzugreifen. Und wie es nicht anders zu erwarten ist, sind sie sich alles andere als einig geblieben. Die Diskussion beginnt dabei nicht erst bei den Problemen, die sich direkt aus P ETRUS’ Text ergeben, sondern sie f¨angt schon ganz grunds¨atzlich etwa bei der Frage an, wie eine solche vox significativa, wie letztlich ein sprachliches Zeichen zu definieren sei; und a¨ hnlich wie in P ETRUS ’ L OMBARDUS Sentenzen werden nach und nach auch Themen diskutiert, die bei P ETRUS H I SPANUS gar nicht angesprochen sind, sondern erst durch die Kommentartradition selbst in den vorliegenden Kontext eingeflossen sind. Dazu z¨ahlt insbesondere die Frage, die T HOMAS und S COTUS getrennt hat, ob Worte Zeichen der Dinge selbst seien oder bloß Zeichen der Konzepte, die ihrerseits erst auf die Dinge verwiesen.10 An der vorliegenden Stelle allerdings mag es gen¨ugen, auf zwei Problembereiche zu fokussieren: zum einen auf die genauere Bestimmung des aliquid in der Definition bedeutungstragenden Laute und zum anderen auf die Rolle des institutor. Es mag zudem gen¨ugen, diese Problembereiche in Kommentaren vorwiegend des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts zu untersuchen, was nicht nur der grunds¨atzlichen Ausrichtung der vorliegenden Untersuchung entspricht, sondern auch eines der Ziele dieser Abrundung aufgreift und erm¨oglichen wird, auf einige der Autoren, die oben schon als Kommentatoren der Sentenzen erw¨ahnt worden sind, in diesem logischen Kontext noch einmal zur¨uckzukommen.
24.2 Das Problem der Selbstreferenzialit¨at Die Suche nach einer genaueren Bestimmung des aliquid aus P ETRUS H ISPA NUS’ Defnition eines bedeutungstragenden Lauts, die Frage also, ob dieses Etwas, das ein solcher Laut dem Geh¨or darstellt, etwas anderes darstellen muss 9 Es ist klar, dass der Lateiner ein solches Einsetzen keine institutio, sondern einen usus ¨ nennen w¨urde – das deutsche Wortspiel sei dennoch erlaubt, weil es eine Uberlegung aufnimmt, die sich bei sp¨atscholastischen Autoren durchaus findet, s.u., S.572. 10 S.o., S. 72.
24.2 Das Problem der Selbstreferenzialit¨at
557
oder aber auch sich selbst darstellen kann, ist letztlich die Frage danach, ob ein Zeichen auch Zeichen seiner selbst sein kann.11 AUGUSTIN hat dies in seiner Zeichen-Definition explizit ausgeschlossen; bei P ETRUS H ISPANUS allerdings fehlt eine solche Einschr¨ankung, und es l¨asst sich h¨ochstens argumentieren, dass seine Unterscheidung zwischen bedeutungstragenden und nicht bedeutungstragenen Lauten hinf¨allig w¨urde, setzte man die Bestimmung, es m¨usse auf etwas anderes verwiesen werden, nicht voraus. Denn auch ein nicht bedeutungstragender Laut macht zumindest auf sich selbst und auf den, der ihn ausspricht, aufmerksam und ist daher in solch basalem Sinne signifikativ.12 N ICO LAUS DE O RBELLIS, der oben bereits als Verfasser eines scotistischen Sentenzenkompendiums vorgestellt worden ist und der auch einige logische scotistische Einf¨uhrungsschriften verfasst hat,13 erl¨autert daher in seinem Kommentar zu den Summulae: Ein nicht bedeutungstragender Laut ist jener, der unserem Geh¨or nichts darstellt, wie ‘bufbaf’. Zwar stellen solche Laute sich selbst dar, da ihr Klang vom Geh¨or wahrgenommen wird; dennoch sind sie von sich aus nicht dazu bestimmt, dem Intellekt durch das Geh¨or etwas darzustellen. Zwar k¨onnten solche Laute (oder auch jeder andere) aus der Art, wie sie vorgetragen werden, Spott bezeichnen, wenn sie etwa mit einem Augenzwinkern, einem Kopfnicken oder a¨ hnlichem vorgetragen werden, doch k¨ame dies nicht von ihnen selbst, sondern vom Sprecher.14
11
Zum Problem der Selbstreferentialit¨at in diesen sp¨atmittelalterlichen Texten vgl. M EIER O ESER , S TEPHAN: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der fr¨uhen Neuzeit, Berlin: de Gruyter, 1997 (Quellen und Studien zur Philosophie 44), S. 178f. 12 Insofern d¨urften die nachfolgenden Ausf¨uhrungen auch als Beleg einer bereits im Sp¨atmittelalter gef¨uhrten theoretischen Debatte interessant sein, die insbesondere in der zeitgen¨ossischen Literaturwissenschaft wieder aufgegriffen wird: jene n¨amlich u¨ ber das Verh¨altnis von Pr¨asenz und Repr¨asentation, wie sie etwa mit Blick auf performative Vollz¨uge wie das h¨ofische oder das geistliche Spiel gef¨uhrt wird, vgl. die gesammelten Beitr¨age bei F ISCHER -L ICHTE , E RIKA/K ASTEN , I NGRID (Hrsg.): Transformationen des Religi¨osen. Performativit¨at und Textualit¨at im geistlichen Spiel, (Trends in medieval philology 11) Berlin: de Gruyter, 2007 oder bei G EBERT, B ENT (Hrsg.): Zwischen Pr¨asenz und Repr¨asentation. Formen und Funktionen des Mythos in theoretischen und literarischen Diskursen, Berlin: de Gruyter, 2013. Zum Verh¨altnis von Pr¨asenz und Repr¨asentation in der sp¨atscholastischen Zeichentheorie vgl. bereits M EIER O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 86–103. 13 Zu diesen logischen Werken vgl. W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 178, sowie demn¨achste Z AHND: Easy-Going Scholars (erscheint 2014). 14 N ICOLAUS DE O RBELLIS: Summulae philosophiae rationalis I, ed. Basel 1494, fol. a6ra: Vox non significativa est illa quae auditui nostro nihil repraesentat ut bufbaf. Huiusmodi enim voces licet seipsas repraesentent auditui, cum sonus illarum ab auditui percipiatur, tamen de se nihil natae sunt repraesentare intellectui mediante auditu. Licet enim huiusmodi voces seu quaevis aliae possint [denegare] derisionem ex modo proferendi, utpote si proferentur cum nutu oculorum vel capitis ac huiusmodi, hoc tamen non esset ex parte sui, sed ex parte proferentis.
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
Damit ein Laut als bedeutungstragender Laut betrachtet werden kann, muss er nicht nur sich selbst dem Geh¨or darstellen, sondern auch dem Intellekt etwas weitergeben, und das, was er weitergibt, muss von diesem Laut selbst kommen, er muss es ex parte sui haben. W¨ahrend N ICOLAUS allerdings noch nicht explizit festh¨alt, dass dieses Etwas etwas anderes als der Laut selbst sein m¨usse, werden andere scotistische Autoren deutlicher. P ETRUS TARTARETUS, der als akribischer Ausleger von S COTUS’ Ordinatio ebenfalls bereits vorgestellt worden ist, hat auch zahlreiche logische Schriften verfasst.15 In seinem Kommentar zu den Summulae logicales pocht auch er darauf, dass eine reine Selbstpr¨asentation eines Lauts oder seines Sprechers von der Bedeutung dieses Lauts unterschieden werden m¨usse: Daf¨ur, dass ein Laut bedeutungstragend ist, ist es erforderlich, dass er etwas von sich Verschiedenes bezeichnet. Denn w¨are das nicht [erforderlich], dann w¨are jeder Laut bedeutungstragend, weil jeder Laut sich selbst bezeichnet. Es ist auch erforderlich, dass er etwas von seinem Sprecher Verschiedenes bedeutet, denn [wenn] nicht, so bezeichnete [jeder zumindest] seinen Sprecher – es sei denn nat¨urlich, dieser Laut w¨are eingesetzt worden, um seinen Sprecher zu bezeichnen.16
Sobald ein Laut nicht spezifisch daf¨ur eingesetzt ist, wie etwa bei dessen Eigennamen, einen Sprecher selbst zu bezeichnen, muss er, damit von ‘Bezeichnen’ gesprochen werden kann, zwingend auf ein aliud, etwas anderes als sich oder seinen Sprecher verweisen, weil sonst jegliche Differenzierung zwischen bezeichnenden und nicht-bezeichnenden Lauten hinf¨allig w¨urde.17
15
Zur Person s.o., S. 480; zu ihm als scotistischem Logiker vgl. K RIEGER , G ERHARD: ‘Homo supponit simpliciter pro natura’. Der Zusammenhang von Logik und Metaphysik im sp¨atmittelalterlichen Scotismus (Petrus Tartatretus), in: E BBESEN , S TEVE/K NUUTILA , S IMO/ ¨ T Y ORINOJA , R EIJO (Hrsg.): Knowledge and the Sciences in Medieval Philosophy. Proceedings of the Eighth International Congress of Medieval Philosophy (S.I.E.P.M.) Vol. II, Helsinki, 1990, S. 521–534, und nun auch H OENEN , M AARTEN J.F.M.: Philosophie und Theologie im 15. Jahrhundert. Die Universit¨at Freiburg und der Wegestreit, in: M ERTENS , D IETER/ S MOLINSKY, H ERIBERT (Hrsg.): 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universit¨at, Freiburg im Breisgau, 2007, S. 67–91, hier S. 80–85. 16 P ETRUS TARTARETUS: Expositio in summulas I, ed. Basel Basel, fol. 3va: Ad hoc quod vox sit significativa requiritur quod significat aliquid aliud a se, quia si non, tunc omnis vox esset significativa, cum omnis vox significet se. Requiritur etiam quod significet aliud a prolatore, quia non sic significat suum prolatorem, nisi supple illa vox esset imposita ad significandum suum prolatorem. 17 Dieses aliud wird denn auch von anderen Scotisten betont, vgl. etwa J OHANNES M A GISTRI: Summularum glosulae I, ed. Venedig 1490, fol aa5ra: Vox significativa est illa quae autidui nostro aliquid repraesentat, scilicet aliud a se et a suo prolatore cuius ipsa sit signum. Zu J OHANNES M AGISTRI vgl. W EIJERS , O LGA: Le travail intellectuel a` la facult´e des arts de Paris. Textes et maˆıtres (ca. 1200–1500) V : J, Turnhout: Brepols, 2003 (Studia Artistarum 11), hier S. 116, wo der vorliegende Druck (GW M19825) allerdings nicht erw¨ahnt wird.
24.2 Das Problem der Selbstreferenzialit¨at
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Weniger eindeutig sehen dies nun allerdings einige Thomisten. In einem Summulae-Kommentar, der dem K¨olner Thomisten L AMBERTUS DE M ONTE zugeschrieben wird (der nicht mit dem oben vorgestellten Pariser Albertisten desselben Namens zu verwechseln ist),18 wird zwar eine significatio in einem engeren Sinn, die ein solches aliud voraussetzt, von einer in einem weiteren Sinn abgegrenzt, die auch eine Selbstreferenz mit einbezieht – beides sind aber Formen des Bezeichnens, so dass das aliud nicht grunds¨atzlich zu jeder Form von Zeichen hinzugeh¨ort: ‘Bedeutungstragend’ wird in zweifacher Weise verstanden: einmal allgemein, so dass jeder Laut signifikativ ist, der sich selbst oder etwas von sich Verschiedenes bezeichnet, und so ist jeder Laut bedeutungstragend [...]. Sodann spezifisch, so dass ‘Bezeichnen’ ‘etwas von sich Verschiedenes Darstellen’ meint.19
Was P ETRUS TARTARETUS veranlasst hat, das aliud ausdr¨ucklich in die Grundbestimmung von ‘Bezeichnen’ mit aufzunehmen, die Folgerung n¨amlich, dass sonst jeder Laut bedeutungstragend w¨are, findet sich im L AMBERTUS zugeschriebenen Kommentar in fast identischem Wortlaut, doch zieht das thomistische Werk eine andere Konsequenz daraus: Statt auf das aliud zu pochen, werden hier zwei Weisen des Bezeichnens unterschieden. Das ist nun typisch auch f¨ur andere thomistische Autoren. J OHANNES V ER SOR, der in Paris gewirkt hat, aber vor allem auch in K¨ oln rezipiert worden ist,20 unterscheidet einen modus signi und einen modus rei des Bezeichnens, wobei ein Bezeichnen im modus rei nur den bedeutungstragenden Lauten zukomme: Ein nicht bedeutungstragender Laut stellt dem Geh¨or nichts dar, was verstanden wird, weil er im Modus des Zeichens nichts darstellt außer sich selbst. Zwar stellt er sich 18 S.o., S. 441. Zur Unterscheidung des Albertisten vom Thomisten vgl. M ELIAD O` /N EGRI: Pariser Albertismus (2011), S. 352; zum K¨olner Thomisten vgl. nun j¨ungst N EGRI , S ILVIA: La Quaestio ‘De salvatione Aristotelis’ del tomista Lamberto di Monte, in: PALAZZO , A LESSAN DRO (Hrsg.): L’antichit` a classica nel pensiero medievale. Atti del XIX convegno della socit`a Ialiana per lo studio del pensiero Medeivale (SISPM), Porto, 2011 (Textes et e´ tudes du Moyen ˆ 61), S. 413–440. Age 19 L AMBERTUS DE M ONTE: Copulata omnium tractatuum Petri Hispani I, ed. K¨oln 1490 fol. 14v: Dicendum quod significativum capitur dupliciter. Unomodo generaliter prout illa vox est significativa quae significat seipsam aut aliud a se, et sic omnis vox est significativa [...]. Aliomodo specialiter prout significare est aliud a se repraesentare, et sic non omnis vox est significativa. 20 Zu J OHANNES V ERSOR († nach 1482) vgl. W EIJERS: Travail intellectuel V (2003), S. 170–176. Obwohl V ERSOR in K¨oln v.a. von den Thomisten benutzt wird, ist seine eigene Zugeh¨origkeit zum Thomismus nicht ganz so eindeutig, vgl. neben B OS , E GBERT P.: John Versor’s Albertism in his Commentaries on Porphyry and the ‘Categories’, in: BAKKER: Chemins de la pens´ee m´edi´evale (2002), S. 47–78, nun auch RUTTEN , P EPIJN: ‘Secundum processum et mentem Versoris’. John Versor and His Relation to the Schools of Thought Reconsidered, in: Vivarium 43 (2005), S. 292–329. In der vorliegenden Frage spielen diese Differenzierungen allerdings keine Rolle.
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
selbst sehr wohl im Modus des Zeichens dar, er stellt sich aber nicht selbst im Modus der Sache dar, so wie ‘bu ba’: Diese Laute stellen nichts dar.21
Auch eine vox non significativa hat eine significatio per modum signi; sie wirkt gleichsam als potentielles Zeichen, das allerdings mit keiner Sache verbunden ist. Es l¨asst sich daher die Bedeutung des Zeichens als Zeichen (der modus signi) von der Bedeutung des Zeichens als dem Bezeichneten (dem modus rei) unterscheiden,22 so dass es f¨ur diese thomistischen Autoren keinen Widerspruch darstellt, ein Zeichen auch als Zeichen seiner selbst zu betrachten. Es erstaunt daher nicht, dass das AUGUSTINISCHE aliud bei diesen thomistischen Autoren nicht dieselbe Rolle spielt wie bei deren scotistischen Zeitgenossen. So findet sich denn auch bei keinem von ihnen die urspr¨ungliche AUGUSTINISCHE Definition des Zeichens, sondern es wird vielmehr eine Bestimmung vorgezogen, welche die Autoren auf C ICERO zur¨uckf¨uhren: Ein Zeichen sei, was sich den Sinnen pr¨asentiere und dabei etwas dem Intellekt u¨ berlasse23 – ob das nun bloß das Zeichen als Zeichen ist oder auch die bezeichnete Sache, spielt keine Rolle. 21 J OHANNES V ERSOR: Dicta super septem tractatus Summularum I, ed. N¨urnberg 1495, fol. a7r: Vox non significativa est quae auditui nihil repraesentat quid intelligitur, [quod] nihil repraesentat praeter seipsam per modum signi. Licet bene repraesentat seipsam per modum signi, non tamen bene repraesentat seipsam per modum rei, sicut bu ba, quae voces nihil repraesentant. 22 Vgl. a¨ hnlich auch den etwas sp¨ateren, in Leipzig wirkenden Thomisten M AGNUS H UNDT: Vox prolata dupliciter significat. Unomodo repraesentat suiipsius conceptionem vel seipsam imaginatam. Aliomodo significat conceptionem mentis respectu rei (Compendium totius logicae I, ed. Leipzig 1501, fol. D2v). Zu M AGNUS H UNDT (1449–1519) vgl. W ORSTB ROCK , F RANZ J OSEPH : Magnus Hundt, in: Deutscher Humanismus 1480–1520: Verfasserlexikon, Band 1, 2005, S. 1176–1185. 23 Signum autem ut dicit Tullius est quod offert se auditui aliquid relinquens intellectui, so J OHANNES V ERSOR: Dicta super septem tractatus Summularum I, ed. N¨urnberg 1495, fol. a6v; vgl. ohne explizite Zuweisung zu C ICERO auch M AGNUS H UNDT: Compendium totius logicae I, ed. Leipzig 1501, fol. D1v: Signum ut hic sumitur est quod offert se sensui aliquid derelinquens intellectui. Einzig L AMBERTUS DE M ONTE bringt eine erweiterte Fassung der Definition, die auch das aliud wieder aufgreift, bezieht sich damit allerdings bloß auf seinen spezifischen Zeichenbegriff (s.o., Anm. 19): Signum secundum Tullium est quod se primo offert sensui, aliquid aliud derelinquens intellectui (L AMBERTUS DE M ONTE: Copulata omnium tractatuum Petri Hispani I, ed. K¨oln 1490 fol. 16r). Bei C ICERO selbst findet sich die Definition in keiner der zitierten Formen (inhaltlich entspricht die Bestimmung am ehesten noch De inventione I 48, ed. N¨usslein (1998), S. 90: Signum est, quod sub sensum aliquem cadit et quiddam significat); allerdings kennt schon das 13. Jahrhundert eine Reihe a¨ hnlicher Definitionen, die mal unter dem Namen C ICEROS, mal unter jenem von A RISTOTELES oder von I SIDOR VON S EVILLA angef¨ uhrt werden, vgl. ROSIER -C ATACH: La parole efficace (2004), S. 50. Die Definition findet sich daher bei weitem nicht nur bei thomistischen Autoren: Auch der Scotist J OHANNES M AGISTRI, der oben in Anm. 17 bereits angef¨uhrt worden ist, begn¨ugt sich mit dieser ‘ciceronischen’ Definition, so sehr er sonst auf das aliud pocht (Summularum glosulae I, ed. Venedig 1490, fol aa5ra: Est autem signum secundum Tullium aliquid quod se offert sensui aliquid derelinquens intellectui).
24.2 Das Problem der Selbstreferenzialit¨at
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¨ Ahnlich sieht das auch ein Albertist wie G ERARDUS VAN H ARDERWIJK.24 Zwar u¨ bernimmt er in seinem Summulae-Kommentar aus A LBERT DEM G ROS SEN eine Zeichendefinition, die weitgehend von AUGUSTIN inspiriert ist und entsprechend das aliud mitf¨uhrt,25 l¨asst dieses aber in seiner eigenen Auslegung der Definition bereits fallen: Diese Definition muss folgendermaßen ausgelegt werden: Ein bedeutungstragender Laut ist einer, der unserem Geh¨or etwas darstellt (das heißt: dem Intellekt, der sich dem Geh¨or zuwendet), und zwar so, dass das Geh¨or vom Abbild eines Klangs sinnlich angeregt wird und der Intellekt vom Bild, das zu bezeichnen ist.26
Ob das Abbild, von welchem das Geh¨or angeregt wird, und das Bild, das im Intellekt u¨ bernommen wird, auf dasselbe verweisen oder nicht, l¨asst G ERARDUS offen. Zwar betont er im Anschluss daran noch einmal, dass aus dieser Definition deutlich werde, dass ein Zeichen im eigentlichen Sinne nicht sich selbst bezeichne, f¨ugt dem aber umgehend an: Ich sage aber ‘im eigentlichen Sinne’, ” weil es keinen Widerspruch darstellt [zu sagen], dass ein a¨ ußerlich vorgetragener Laut ein Zeichen seiner selbst in der Vorstellungskraft ist.“27 Auch f¨ur den Albertisten G ERARDUS VAN H ARDERWIJK ist es daher nicht grunds¨atzlich auszuschließen, dass ein Zeichen Zeichen seiner selbst sein kann. Differenzierter n¨ahern sich die Nominalisten der Problematik an. Wie schon der thomistische Kommentar, der L AMBERTUS DE M ONTE zugeschrieben worden ist, unterscheidet auch J OHN M AIR, mit dem das letzte Kapitel ausgeklungen ist, zwischen verschiedenen Zeichendefinitionen, doch weiß er nicht nur zwei, sondern vier Bestimmungen eines Zeichens zu unterscheiden:28 24
Zu G ERARDUS VAN H ARDERWIJK († 1503), der zeitlebens an der K¨olner Bursa Laurentiana t¨atig gewesen ist, vgl. das RAG unter der ID 1865020689, sowie TANS , J.A.G.: Gerhard van Harderwijek, in: Lexikon f¨ur Theologie und Kirche, Band 4, 1986, S. 721–722. 25 G ERARDUS VAN H ARDERWIJK: Commentaria in summulas Petri Hispani I, ed. K¨oln 1492, fol. b1ra: Vox secundum dominum Albertum in libro de homine est sonus figurans in signum aliud repraesentandi. Signum autem est quod praeter speciem, quam ingerit, aliud facit in notitiam venire; ergo vox significativa praeter speciem soni quam sensui auditus interit facit aliud venire in notitiam ipsius intellectus. In De homine, auf das G ERARDUS hier verweist, findet sich das Zitat zwar nicht, A LBERT greift aber an anderen Stellen mehrfach auf die AU GUSTINISCHE Defnition zur¨ uck (vgl. nur Super libros sententiarum d 1, a 4, 6 und 13, Opera omnia 29, ed. Borgnet (1894), S. 13, 17 und 26). 26 Commentaria in summulas Petri Hispani I, ed. K¨oln 1492, fol. b1ra: Unde sic debet exponi definitio: vox significativa est illa quae auditui nostro aliquid repraesentat, id est: intellectui ad auditum converso, ita quod auditus immutatur sensibiliter per speciem soni, et intellectus per imaginem significandi. 27 Ebd.: Ex ista definitione signi patet quod idem non potest esse signi suiipsius proprie. Dico autem proprie, quia non est inconveniens vocem exterius prolatam esse signum suiipsius in imgainatione. 28 In Gegensatz zu seinen theologischen Werken haben M AIRS logische Schriften in der j¨ungeren Literatur eine breitere Beachtung gefunden. Neben dem grundlegenden Werk von
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
In vierfacher Weise wird etwas ein Zeichen genannt (und in entsprechender Weise wird auch von ‘bezeichnen’ und ‘darstellen’ gesprochen): Erstens wird etwas ein Zeichen genannt, wenn es sich oder etwas von sich Verschiedenes und unabh¨angig davon, ob man es in einer Aussage verwenden kann oder nicht, darstellt. Auf diese Weise ist jedes beliebige Ding der Welt ein Zeichen.29
Das allgemeine Verst¨andnis von L AMBERTUS kennt auch J OHN M AIR, allerdings geht er mit dessen Allgemeinheit noch u¨ ber den Thomisten hinaus: Seine Bestimmung betrifft nicht nur lautsprachliche Zeichen, die Teil einer Aussage sein k¨onnten, sondern es geht ihm in dieser ersten Bestimmung darum, alles, was sich Zeichen nennen l¨asst, weil es etwas darstellt, aufzunehmen. Und weil nicht nur Laute, sondern jedes Ding in seiner Wahrnehmbarkeit den Sinnen etwas darstellt, ist in solch allgemeinem Sinn schlechthin jedes Ding als Zeichen zu betrachten.30 Spezifischer wird nun M AIRS zweite Bestimmung: In einer zweiten Weise l¨asst sich etwas ein Zeichen nennen, wenn es etwas von sich Verschiedenes darstellt – sei es, dass man es f¨ur dieses in einer Aussage verwenden kann, sei es, dass [dem] nicht [so ist]. Auf diese Weise wird ein Abbild von Herkules ein Zeichen genannt, und in dieser Weise versteht es AUGUSTIN am Beginn des zweiten Buchs von De doctrina christiana.31
B ROADIE: Circle of John Mair (1985), sei auf folgende neuste Literatur verwiesen: O RS , A N `, GEL D ’: Propositiones de modo loquendi inconsueto. De mixta suppositione, in: M AIER U A LFONSO/VALENTE , L UISA (Hrsg.): Medieval Theories of Assertive and Non-Assertive Language. Acts of the 14th European Symposion on Medieval Logic and Semantics (Rome, Jun 11–15, 2002), Florenz: Olschki, 2004 (Lessico intellettuale europeo 97), S. 537–567; M AR TIN , C HRISTOPHER J.: John Mair on Future Contingency, in: E BBESEN , S TEVE /F RIEDMAN , RUSSEL L. (Hrsg.): John Buridan and Beyond. Topics in the Language Sciences 1300–1700, Kopenhagen, 2004, S. 183–201; B IARD , J O E¨ L: Jean Mair et la th´eorie de la signification, in: Journal de la Renaissance 5 (2007), S. 267–280; und L AGERLUND , H ENRIK: John Mair on Concepts, in: B IARD , J O E¨ L (Hrsg.): Le langage mental du moyen aˆ ge a` l’ˆage classique, Louvain: Peeters, 2009 (Philosophes m´edi´evaux 50), S. 205–220. 29 J OHN M AIR: Summulae, ed. Paris 1516, fol. 2ra: Advertendum est quod aliquid dicitur esse signum quadrupliciter et proportionabiliter de significare et repraesentare dicatur: primo modo aliquid dicitur esse signum cum repraesentat se, sive aliud a se, sive potest poni in propositione, sive non. Et hoc modo quaelibet res mundi est signum. In identischer Weise findet sich dieser Abschnitt bereits in M AIRS Termini magni, ed. Paris 1502, fol. b5r; vgl. auch den bei M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 116, Anm. 6, zitierten Text. 30 Es ist zu betonen, dass es hier um eine rein logische Frage geht und nicht in einem AUGU STINISCHEN Sinn um den theologischen Sachverhalt, dass jedes Ding letztlich auf den Sch¨ opfer des Universums verweise und daher ein Zeichen sei; vgl. zu letzterem M AIER U` , A LFONSO: Signum dans la culture m´edi´evale, in: B ECKMANN: Sprache und Erkenntnis im Mittelalter (1981), S. 51–72, hier S. 56f. 31 Summulae, ed. Paris 1516, fol. 2ra: Secundo modo aliquid dicitur esse signum, cum repraesentat aliud a se, sive potest poni in propositione pro illo, sive non. Et hoc modo simulacrum Herculis dicitur esse signum, et istomodo capit beatus Augustinus in principio secundi De doctrina christiana.
24.2 Das Problem der Selbstreferenzialit¨at
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Sobald genauer umrissen werden soll, was ein Zeichen ausmacht, greift M AIR umgehend die Bestimmung auf, dass mit dem Zeichen etwas anderes als das Zeichen selbst bezeichnet werden m¨usse, und so kann er denn im Anschluss an seinen Hinweis auf AUGUSTIN dessen Definition auch im vollen Wortlaut zitieren. Noch einmal enger gefasst ist die dritte Bestimmung; die vierte schließlich greift eine ver¨anderte Perspektive auf: Drittens wird unter ‘Zeichen’ das verstanden, was etwas von sich Verschiedenes bezeichnet und f¨ur dieses in einer Aussage verwendet werden kann wie dieser Terminus ‘Mensch’. Viertens versteht man ‘Zeichen’ f¨ur das, was sich oder etwas von sich Verschiedenes bezeichnet, solange es nur in einer gew¨ohnlichen Aussage f¨ur dieses verwendet werden kann, wie etwa ‘buf’.32
Die dritte Bestimmung beschreibt den eigentlichen terminus, jene sprachliche Grundeinheit also, die sich in Aussagen einsetzen l¨asst und damit den kleinsten Baustein der Logik darstellt, wie ihn P ETRUS H ISPANUS mit seinen voces ad placitum significanta umschrieben hat.33 Quer dazu steht die vierte Bestimmung, weil sie nun auch selbst-referentielle Zeichen wieder zul¨asst. Es wird aus M AIRS Text nicht weiter ersichtlich, was es mit dieser vierten Bestimmung auf sich hat. Zwar sagt er im Anschluss an diese Stelle, dass diese vierte von den anderen drei Bestimmungen ausgeschlossen werde,34 aber er l¨asst sie dennoch neben diesen drei anderen stehen. Geht es ihm allenfalls nur um den allgemeinen Sprachgebrauch und hat er gesehen, dass andere wie seine thomistischen Kollegen in dieser vierten Art von den Zeichen sprechen? Es muss dies offen bleiben; fest steht allerdings, dass M AIR dort, wo er in sp¨ateren Zusammenh¨angen auf eine Selbst-Referentialit¨at der Zeichen zur¨uckkommt, diese stets im Sinne seiner ersten und nicht dieser vierten Bestimmung versteht. Denn es zeigt sich in dieser ersten Bestimmung eine Form von Selbst-Referentialit¨at, die M AIR noch ein weiteres Mal besch¨aftigt, wenn es um die genauere Bestimmung des nat¨urlichen Zeichens im Gegensatz zum eingesetzten Zeichen, zum signum ad placitum geht: Auf nat¨urliche Weise bezeichnen heißt, aufgrund der Natur einer Sache, frei von jeglicher Einsetzung [etwas] darstellen, und zwar nicht in dem Sinne, dass eine nat¨urliche 32 Ebd.: Tertio modo accipitur signum pro illo quod significat aliud a se et potest poni in propositione pro illo, ut iste terminus homo. Quarto modo capitur signum pro illo, quod significat se sive aliud a se, dummodo potest poni in propositione consueta pro illo. 33 Im Unterschied zu den voces ad placitum significantia des P ETRUS H ISPANUS k¨onnen M AIRS termini auch in einer mentalsprachlichen Aussage eingesetzt werden (vgl. bereits M AIRS Termini magni, ed. Paris 1502, fol. a4rb–va: Terminus mentalis est conceptus animae vel passio naturaliter significans, et vocatur nonnumquam actus intelligendi, notitia | rei apprehensiva, vitalis immutatio, effigies, simulacrum, cognitio). 34 Summulae, ed. Paris 1516, fol. 2ra: Sed signum quarto modo [ad] aliis acceptionibus excluditur (die Textkorrektur entspricht den Termini magni, ed. Paris 1502, fol. b5rb).
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
Bezeichnung eine [gleichzeitige beliebige] Einsetzung ausschließen w¨urde, wie es beim Terminus ‘seiend’ deutlich wird, sondern so, dass [die nat¨urliche Bezeichnung] auch dann, wenn die [beliebige] Einsetzung nicht w¨are, [etwas] darstellen w¨urde.35
Der Begriff ‘seiend’ hat eine bestimmte Bedeutung; aber selbst wenn er nie eingesetzt worden w¨are, um etwas, das ist, zu bezeichnen, w¨urde er doch auch als sinnlose Folge von Buchstaben diese sinnlose Folge von Buchstaben darstellen und damit f¨ur ein Seiendes stehen. Was hier ein Spezialfall ist, weil nat¨urliche und eingesetzte Bedeutung von ens zusammenfallen, gilt aber grunds¨atzlich auch f¨ur jede andere Sache: Wie die erste der genannten vier Bestimmungen verdeutlicht hat, stellt jede Sache sich selbst dar – jetzt wird aber klar gemacht, dass dieses sich-selbst-Darstellen mit dem naturaliter significare einer Sache zusammenf¨allt. Allerdings weiß M AIR auch an dieser Stelle zu differenzieren: So sehr solches sich-selbst-Darstellen jedem Ding zukommt, beschr¨ankt sich das Wesen der meisten Dinge doch nicht bloß auf diese Selbstrepr¨asentation, weshalb ihre Bezeichnungsweise nur einer allgemeinen Kategorie, jener des significare naturaliter communiter zuzuordnen ist.36 In einer eigenen Klasse sind hingegen jene Zeichen zusammenzufassen, die im eigentlichen Sinne nat¨urlich bezeichnen: Im eigentlichen Sinn nat¨urlich bezeichnen heißt, mittels sich selbst bezeichnen oder unmittelbar versinnbildlichen oder in formaler Weise darstellen, so wie die Kenntnis, die ich vom Weißen habe, das Weiße formal darstellt. Das heißt: [Diese Kenntnis] ist eine bestimmte Form, mittels der meine Seele das Weiße erkennt, so wie das Weiße eine bestimmt Form ist, mittels der eine Wand weiß ist.37
In nat¨urlicher Weise zu bezeichnen kommt im eigentlichen Sinn nichts anderem als den Konzepten zu. Denn das einzige, was Konzepte tun, ist, unmittelbar sich selbst darzustellen; und weil Konzepte, wie das im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung beschrieben worden ist, inzwischen unter die Zeichen gerechnet werden, bleibt M AIR nichts anderes u¨ brig, als sie als spezifische Form des nat¨urlichen Bezeichnens zu betrachten.38 Wo die Thomisten in allgemeiner 35
Summulae, ed. Paris 1516, fol. 2ra: Significare naturaliter est ex natura rei quacumque impositione semota repraesentare, non ad hunc sensum quod a significatione naturali semper impositio secludatur, ut patet de termino ‘ens’; sed sic, scilicet quod dato quod non esset impositio, non minus illud figuraret. 36 Summulae, ed. Paris 1516, fol. 2ra: Significare naturaliter communiter est cognitionem efficere vel obiective repraesentare, hoc est esse obiectum significationis, et hoc modo quaelibet res mundi se significat, quia est obiective diffusiva notitiae suiipsius. 37 Ebd.: Significare naturaliter proprie est significare mediante se, vel immediate figurare, vel formaliter repraesentare, ut notitia quam ego habeo de albedinem formaliter albedinem repraesentat, id est: est quaedam forma mediante qua anima mea cognoscit albedinem, quemadmodum albedo est quaedam forma mediante qua paries est albus. 38 Darin stimmt ihm denn auch P ETRUS TARTARETUS zu: Conceptus ultimatus non significat per alium conceptum, sed seipso significat (Expositio in summulas I, ed. Basel Basel, fol.
24.2 Das Problem der Selbstreferenzialit¨at
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Weise eine Selbst-Referentialit¨at der Zeichen zulassen, schr¨ankt sie M AIR auf die nat¨urlichen Zeichen und insbesondere auf die Konzepte ein. Wie J OHN M AIR sehen das auch andere nominalistische Autoren. Das aliud geh¨ort in die Zeichendefinitionen hinein, solange von den voces oder den signa ad placitum significantia gesprochen wird; wo es aber um die Konzepte geht, ist unbestritten, dass sie als unmittelbare nat¨urliche Zeichen sich selbst bezeichnen.39 Als wichtigste Vorlage dieser nominalistischen Ausf¨uhrungen des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts erweist sich ein kleiner Traktat u¨ ber Konzepte, den P IERRE D ’A ILLY, einer der mutmaßlichen Vorl¨aufer der via moderna, in der zweiten H¨alfte des 14. Jahrhunderts verfasst hat: W¨ahrend er allerdings die Selbst-Referentialit¨at der Konzepte bloß in knapper Weise streift,40 bietet er f¨ur die vox significativa ad placitum eine der umfassendsten, zugleich aber auch eine der umst¨andlichsten Definitionen:41 Ein nach Belieben bedeutungstragender Laut ist einer, der, wenn er vom Geh¨or wahrgenommen worden ist, aufgrund der Einsetzung, die er aktuell hat, bestimmt ist, dem kognitiven Verm¨ogen, indem er es in instrumentaler Weise lebendig anregt, etwas (oder ¨ mehrere oder auf eine Art), das [aber] von ihm und ihm Ahnlichem, von seinem Sprecher oder von seinen Teilen verschieden ist, darzustellen, wenn [dieser Laut] denn nicht eines von diesen aufgrund seiner Einsetzung bezeichnet.42 3va). Zu den unterschiedlichen Aufteilungen des nat¨urlichen Zeichens vgl. M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997). S. 138–146; zum Begriff des conceptus ultimatus vgl. L AGERLUND: Mair on Concepts (2009), S. 217. 39 Vgl. etwa F LORENTIUS D IEL: Exercitia librorum Perihermeneias Ad I.1, ed. Speyer 1490, fol. a4v: Significare naturaliter proprie est eandem rem apud omnes eiusdem rationis significare formaliter seipso, id est per seipsum absque aliquo superaddito. Et hoc convenit solis conceptibus animae in ordine ad eas res quarum ipsi sunt similitudines naturales, et a quibus sunt formati tales conceptus. Zu F LORENTIUS D IEL († nach 1518) vgl. K ACZMAREK , L UDGER: Sprach- und Zeichentheorien in der deutschen Sp¨atscholastik. Gabriel Biel, ‘Ultimus scholasticorum’, Florentius Diel, ‘Primus modernorum’, und die Grammatiker des 15. Jahrhunderts, in: E BBESEN: Sprachtheorien (1995), S. 207–236. 40 P IERRE D ’A ILLY: Conceptus, ed. Kazcmarek (1980), S. 88: Significare naturaliter proprie est aliquid se ipso et non mediante alio aliquid potentiae cognitivae eam vitaliter immutando repraesentare (es wird gleich noch ausf¨uhrlicher gekl¨art werden, was P IERRE D ’A ILLY unter einer vitalis immutatio versteht). Vgl. auch seine Zeichen-Definition, in der diese Selbstreferentialit¨at vorausgesetzt wird (ebd., S. 82f.): Dupliciter | aliqua res potest dici signum alicuius rei. Uno modo, quia ducit in notitiam illius rei cuius est signum. Alio modo, quia est ipsamet notitia rei. Secundo modo dicimus conceptum esse signum rei cuius talis conceptus est naturalis similitudo, non quod ducat in notitiam illius rei, sed quia est ipsamet notitia rei naturaliter proprie repraesentans rem. 41 Was auch der Grund ist, warum er erst hier nach den leichter zug¨anglichen Definitionen von J OHN M AIR Erw¨ahnung findet. 42 Conceptus, ed. Kazcmarek (1980), S. 93: Vox significativa ad placitum est qua apprehensa ab auditu ex impositione quam actu habet nata est potentiae cognitivae eam vitaliter immutando instrumentaliter aliquid vel aliqua vel aliqualiter repraesentare aliud a se et sibi simili a suo prolatore vel a suis partibus, nisi aliquid illorum significet ex impositione. Zu die-
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
Die unz¨ahligen Klauseln dieser Definition zielen alle darauf ab, s¨amtliche Eventualit¨aten ein- oder auszuschließen, welche die definierte vox significativa ad placitum in Frage stellen k¨onnten, und so finden sich denn im Anschluss an P IERRE D ’A ILLY unter nominalistischen Autoren von Paris43 u¨ ber Ingolstadt44 bis Erfurt45 a¨ hnlich verklausulierte Definitionen der vox significativa. Einige dieser Klauseln d¨urften aus dem bisher Gesagten bereits klar sein, andere sind selbstredend,46 und so mag es gen¨ugen, an der vorliegenden Stelle bloß auf einen Punkt genauer zu verweisen: jenen der ‘lebendigen Anregung’. ser Definition vgl. M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 120f., und auch bereits B IARD , J O E¨ L: Logique et th´eorie du signe au XIVe si`ecle, Paris, 1989, S. 265; eine a¨ hnlich strukturierte Definition von P IERRE D ’A ILLY diskutiert A SHWORTH , E ARLINE J.: The Doctrine of Signs in some Early Sixteenth-Century Spanish Logicians, in: A NGELELLI , I GNACIO/ O RS , A NGEL D ’ (Hrsg.): Estudios de historia de la logica. Actas del II simposio de historia de la logica, Universidad de Navarra, Pamplona, 25–27 de mayo de 1987, Pamplona: Ediciones Eunate, 1990 (Acta philosophica), S. 13–38, S. 15. 43 ¨ So etwa beim gleich noch vorzustellenden G EORG VON B R USSEL , s.u., Anm. 51. 44 Zumindest von Druckort und Auftraggeber her weist in Richtung Ingolstadt ein Summulae-Kommentar von unbekannter Hand, der zusammen mit einem Kommentar zu den Parva logicalia von M ARSILIUS VON I NGHEN auf Kosten des Augsburgers J OHANN RYNMANN 1503 bei H EINRICH G RAN in Hagenau gedruckt wird (in einigen Bibliothekskatalogen wird der Druck als Kommentar des Bologneser Rechtsgelehrten I PPOLITO M ARSILI ausgewiesen, was schlicht auf eine Namensverwechslung mit M ARSILIUS VON I NGHEN zur¨uckzuf¨uhren ist – logische Schriften sind von I PPOLITO M ARSILI (um 1450–1529) keine bekannt, vgl. PALLOTTI , L IA : Ippolito Marsili, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Band 70, 2008, S. 764–767; M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997) spricht vom ‘Hagenauer-Kommentar’ oder von einem ‘Pseudo-Marsilius von Inghen’). Auf fol. a6r dieses Drucks heißt es: Vox significativa est illa, id est: est vox quae auditui aliquid repraesentat, id est: quae quantum est ex se et ex suo modo significandi quem nunc habet nata est audienti aliquid vel aliqua vel aliqualiter repraesentare ultimate. 45 Vgl. etwa J ODOCUS T RUTFETTER: Explanatio I, ed. Erfurt 1501, fol. A5r: Vox significativa est illa, quae auditui nostro aliquid (subaudiatur vel aliqua vel aliqualiter, aliud vel alia a se, sibi similibus et suo prolatore, nisi alterum illorum significaverit ex impositione) repraesentat, id est, nata est repraesentare ex significatione quam actu habet. Zu T RUTFETTER (1460–1519) vgl. P ILVOUSEK , J OSEF: Jodocus Trutfetter (1460–1519) und der Erfurter Nominalismus, in: P FORDTEN , D IETMAR VON DER (Hrsg.): Große Denker Erfurts und der Erfurter Universit¨at, G¨ottingen: Wallstein, 2002, S. 96–117; spezifischer f¨ur dessen logischen Ansatz vgl. K NUUTILA , S IMO: Trutfetter, Usingen and Erfurtian Ockhamism, in: S PEER/A ERTSEN: Was ist Philosophie des Mittelalters (1998), S. 818–823, sowie die diversen Verweise bei L AL LA , S EBASTIAN : secundum viam modernam. Ontologischer Nominalismus bei Bartholom¨ aus Arnoldi von Usingen, W¨urzburg: K¨onigshausen und Neumann, 2003 (Epistemata 353). 46 Ein Satz zur Klausel ‘aliquid vel aliqua vel aliqualiter’: Wenn nur ‘etwas’ bezeichnet wird, dann sind erstens Begriffe nicht eingeschlossen, die mehrere Entit¨aten zusammenfassend bezeichnen (wie etwa populus – daher auch aliqua), zum anderen fallen synkathegorematische Begriffe wie ‘alles’ oder ‘vieles’ heraus, die nicht ‘etwas’, sondern die genauere Bestimmung von etwas anderem bezeichnen (daher auch aliqualiter; vgl. L IBERA , A LAIN DE: Aliquid, aliqua, aliqualiter. Signifiable complexement et th´eorie des tropes aux XIVe si`ecle, in: BAKKER: Chemins de la pens´ee m´edi´evale (2002), S. 27–45).
24.2 Das Problem der Selbstreferenzialit¨at
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Diese vitalis immutatio schließt P IERRE D ’A ILLY n¨amlich aus einem einzigen Grund mit ein: Es k¨onnte ja sein, dass Gott kraft seiner Allmacht ein Konzept in einen Stein implantierte, so dass gesagt werden m¨usste, der Stein denke. Wird aber vorausgesetzt, dass ein Denkakt eine lebendige Anregung ist, dass also die Aufnahme eines Konzepts ein Prozess ist, der Leben voraussetzt, wird es hinf¨allig, einem Stein Wissen zu unterstellen.47 Diese Klausel ist nicht wegen allf¨alliger semiotischer Konsequenzen interessant, die sie mit sich bringt, sondern wegen der Verwandtschaft der Problematik mit der oben diskutierten Ursachen-Frage: Auch hier greift P IERRE D ’A ILLY ein Argument auf, das bereit ist, ausgehend von der g¨ottlichen Allmacht die gesamte Ordnung der Dinge in Frage zu stellen (immerhin hat der Mensch als einziges Erdenwesen dank seiner Denkf¨ahigkeit teil an den Aktivit¨aten der oberen Himmelssph¨aren); und er versucht diesem Argument auch hier u¨ ber eine genauere Bestimmung dessen, was in Frage gestellt wird, beizukommen: So wie er dort den Begriff der causa secunda exakter definiert, erf¨ahrt hier die Definition des Bezeichnungs-Akts eine entscheidende Erweiterung.48 Wie schon in der Ursachen-Frage versucht P IERRE D ’A ILLY daher auch an der vorliegenden Stelle, der Intention des Gedankenspiels nicht folgen, sondern die vertraute Ordnung der Dinge zu wahren. Die Resonanz einer a¨ hnlichen Debatte findet sich im vorliegenden Zusam¨ menhang auch im Summulae-Kommentar des G EORG VON B R USSEL , eines Pariser Gelehrten, dessen Kommentare selbst Gegenstand weiterer Auslegungen geworden sind.49 Er n¨amlich bestimmt die vox significativa naturaliter folgendermaßen: Ein in nat¨urlicher Weise bedeutungstragender Laut ist ein Laut, der all das, was von [seiner Bedeutung] selbst verschieden ist und was er dem einen darstellt, auch jedem beliebigen anderen darzustellen bestimmt ist, sofern er denn nicht eingesetzt ist, um dieses ad placitum zu bezeichnen. Und diese letzte Klausel wird deswegen hinzugef¨ugt, weil auch dann, wenn jener Terminus ‘Mensch’ auf der ganzen Welt und auch f¨ur jeden einzelnen Menschen ‘Mensch’ bedeuten w¨urde, er dennoch kein nat¨urlich bedeutungs-
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Conceptus, ed. Kazcmarek (1980), S. 88: Si Deus in lapide produceret actu|alem notitiam de homine, hoc est illa qualitatem quae est actualis notitia hominis, non propter hoc diceretur lapis vitaliter immutari; nec illa qualitas esset vitalis immutatio lapidis, quia lapis non est vitaliter perceptivus talis notitiae nec ad eam concurrit effective. Vgl. dazu neben der oben, Anm. 42, genannten Literatur auch K ACZMAREK , L UDGER: Vitalis immutatio. Erkundungen zur erkenntnispsychologischen Terminologie der Sp¨atscholastik, in: H EINEKAMP, A./L ENZEN , W OLFGANG/S CHNEIDER , M. (Hrsg.): Mathesis rationis, M¨unster, 1990, S. 189–206. 48 Zu P IERRE D ’A ILLYS Sch¨arfung der Ursachen-Bestimmung s.o., S. 501. 49 So im vorliegenden Fall durch T HOMAS B RICOT, einen Pariser Gelehrten aus der zweiten H¨alfte des 15. Jahrhunderts (zu ihm vgl. A SHWORTH , E ARLINE J.: Thomas Bricot (d. 1516) and the Liar Paradox, in: Journal of the History of Philosophy 15 (1977), S. 267–280). Zu ¨ G EORG VON B R USSEL vgl. W EIJERS , O LGA: Le travail intellectuel a` la facult´e des arts de Paris. Textes et maˆıtres (ca. 1200–1500) III : G, Turnhout: Brepols, 1998 (Studia Artistarum 6).
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
tragender Laut w¨are, denn w¨are dieser Terminus ‘Mensch’ nicht eingesetzt worden, dann w¨urde er nicht auf der ganzen Welt so bezeichnen.50
Was wie die u¨ bliche, etwas umst¨andlich formulierte Definition des nat¨urlichen bedeutungstragenden Lauts beginnt, endet in einer Klausel, die ganz offensichtlich eine Reaktion auf einen m¨oglichen Einwand ist, den Einwand n¨amlich, dass der Unterschied zwischen naturaliter und ad placitum bezeichnenden Lauten u¨ berfl¨ussig sei, weil es ja sein k¨onnte, dass auch ein ad placitum eingesetzter Laut bei allen immer das gleiche bedeute. Auch diese Argumentationsweise klingt vertraut: Wie oben der Unterschied zwischen nat¨urlichen und sp¨ater eingesetzten, willensbasierten sine qua non-Ursachen in Frage gestellt worden ist, weil sich nicht sagen l¨asst, ob die Urs¨achlichkeit einer immer schon verursachenden Ursache tats¨achlich auf die nat¨urlichen Eigenschaften eines Dings zur¨uckgehe, l¨asst sich auch mit dem vorliegenden Beispiel nicht mehr entscheiden, ob die Bedeutung eines bei allen das gleiche bezeichnenden Lauts tats¨achlich auf dessen nat¨urliche Beschaffenheit zur¨uckzuf¨uhren ist. Auch G E ¨ ORG VON B R USSEL gibt dem Gedankenspiel nun aber nicht nach, sondern h¨alt an der herk¨ommlichen Unterscheidung fest, indem er auf die Einsetzung pocht, jenen Akt also, der zwischen einem beliebigen Laut und dem aliud, das er bezeichnet, u¨ berhaupt erst eine Verbindung herstellt.51 Es sind drei Dinge, die aus diesen unterschiedlichen Ausf¨uhrungen zum aliquid, das ein bedeutungstragender Laut darstellt, deutlich werden: Erstens zeichnet sich im Umgang mit den beiden erw¨ahnten ‘Gedankenspielen’ eine a¨ hnliche Zur¨uckhaltung ab, wie sie sich in den beschriebenen theologischen Auseinandersetzungen bei M ARSILIUS und J OHN M AIR auch bereits hat finden lassen.52 Es mag dies durchaus auf die Tatsache zur¨uckzuf¨uhren sein, dass es sich bei den vorliegenden Werken um Einleitungsschriften handelt, die den Studienanf¨angern vorgetragen worden sind, so dass diese Zur¨uckhaltung auch davon motiviert sein mag, dass diese Neulinge nicht in den ersten Lektionen bereits verwirrt werden sollten. Dennoch unterstreicht diese Zur¨uckhaltung noch 50 ¨ G EORG VON B R USSEL : Interpretatio in summulas Petri Hispani I, ed. Paris 1497, fol. a6ra: Vox significativa naturaliter est vox quae omne [illud] existens aliud ab ipsa quod uni repraesentat cuilibet alteri nata est repraesentare, ipsa non existente imposita ad significandum illud ad placitum. Et illa particula ultima additur propter hoc quod si ille terminus homo per totum mundum significaret hominem et etiam cuiuslibet homini, non tamen esset vox significativa naturaliter, quia si iste terminus homo non fuisset impositus, non significasset sic apud totum mundum. Die Text-Erg¨anzung folgt der Ausgabe Interpretatio in summulas Petri Hispani, ed. Lyon 1497, fol. 4vb. 51 ¨ Auch G EORG VON B R USSEL betont daher im Anschluss an P IERRE D ’A ILLY dieses aliud in all seinen Eventualit¨aten: Vox significativa est vox quae repraesentat vel nata est repraesentare potentiae cognitivae aliquid vel aliqua vel aliqualiter aliud vel alia a se et a sibi similibus et a suo prolatore, nisi alterorum illorum significaverit ex impositione, vitaliter immutando (Interpretatio in summulas Petri Hispani I, ed. Paris 1497, fol. a5rb). 52 S.o., S. 552.
24.3 Die Macht des Zeichen-Einsetzers
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einmal, dass ein nominalistischer Ansatz, wie G ABRIEL B IEL ihn vertreten hat, nicht einfach die verbreitete Regel gewesen ist.53 Zweitens wird aus diesen Ausf¨uhrungen deutlich, dass sich die Parallelen zwischen Sakramenten und ad placitum eingesetzten Zeichen nicht nur auf den Zeichen-Aspekt der Sakramente, sondern auch auf deren Urs¨achlichkeit erstrecken: So wie die Sakramente erst zu einem bestimmten Zeitpunkt eingesetzt worden sind, um (in welcher Art auch immer) im Gnadengeschehen mitzutun, so unterscheiden sich auch die eingesetzten Zeichen von den nat¨urlichen dadurch, dass sie erst seit dem Moment ihrer Einsetzung f¨ahig sind, in einem Rezipienten ihr Signifikat hervorzurufen. Drittens wird aus diesen Ausf¨uhrungen zur M¨oglichkeit einer Selbstreferentialit¨at von Zeichen deutlich, dass sich so, wie es in der Sakramentenfrage zwei große Modelle gegeben hat, offensichtlich auch im Hinblick auf die eingesetzten Zeichen zwei unterschiedliche Ans¨atze abzeichnen, und in beiden F¨allen stehen die Thomisten (mit albertistischen Spielarten) den Scotisten und Nominalisten gegen¨uber. Dass es sich dabei um mehr als bloß eine zuf¨allige Parallele in der Gruppierung der zerstrittenen Parteien handelt, wird deutlich, wenn nun noch der zweite Problembereich aufgegriffen wird, den die einleitenden Kapitel der Summulae von P ETRUS H ISPANUS ansprechen: jener der Rolle des institutor der beliebigen Zeichen.
24.3 Die Macht des Zeichen-Einsetzers Wenn P ETRUS H ISPANUS von der voluntas instituentis spricht, die bestimme, was das Signifikat eines ad placitum eingesetzten Sprachzeichens ausmache, l¨asst er offen, wer denn eigentlich die Funktion dieses institutor – oder, wie es in der sp¨atmittelalterlichen Terminologie auch heißt, des impositor – u¨ bernehmen k¨onne.54 Mit dem Bild von Adam im Hinterkopf, der im Garten Eden den Lebewesen ihren Namen zuweist, ist f¨ur thomistische Autoren nun allerdings klar, dass es sich nur um den allerersten Einsetzer handeln k¨onne, der bestimmt habe, was die Bedeutung eines sprachlichen Lauts sei.55 Konsequent sprechen die bereits angef¨uhrten thomistischen Autoren daher vom primus impositor,56 53 Zu B IELS Ansatz, der in einigen Punkten mit jenem der terministae u¨ bereinzustimmen scheint, gegen die sich G ERSON zur Wehr gesetzt hat, s.o., S. 533. 54 S.o., S. 556. Zur impositio und zeitweiligen Differenzierungen zwischen impositio und institutio vgl. M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 147–153. 55 Explizit ausgef¨uhrt wird die Vorstellung bei M AGNUS H UNDT (zu ihm s.o., Anm. 22), der Adam zudem in Parallele zu Gottes Sch¨opfungswirken sieht: Primus impositor rerum fuit Deus, vocum Adam (Compendium totius logicae I, ed. Leipzig 1501, fol. D2v; vgl. auch ebd. fol. D3r: Nota sicut res acquirit esse per generationem, ita vox acquirit significare per impositionem). 56 Vgl. J OHANNES V ERSOR: Dicta super septem tractatus Summularum I, ed. N¨urnberg 1495, fol. a7r, sowie den unten, Anm. 61 zitierten Text.
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
¨ und entsprechend finden sich in diesen Kommentaren Uberlegungen dazu, wer u¨ berhaupt gen¨ugend bef¨ahigt sei, um als solcher Ersteinsetzer zu wirken. So heißt es im K¨olner Summulae-Kommentar, der L AMBERTUS DE M ONTE zugeschrieben wird: Ein ad placitum bedeutungstragender Laut [...] wird durch den Willen eines ersten Einsetzers zum Bezeichnen eingesetzt, der die Autorit¨at f¨ur eine Lauteinsetzung besitzt, wie es bei den Patriarchen, den Propheten und den anderen Ersten gewesen ist, welchen Autorit¨at gegeben worden ist.57
Die F¨ahigkeit, einen Begriff einsetzen zu k¨onnen, ist eine Frage der Autorit¨at, die allerdings nicht zwingend aus dem besonderen Status eines Einsetzers gespiesen werden muss, sondern auch auf dessen besonderer Kenntnis der zu bezeichnenden Begriffe fußen kann, wie es auch etwa der Albertist G ERARDUS VAN H ARDERWIJK betont.58 Ergibt sich nun die Bedeutung eines Begriffs aus dem Verm¨ogen und der Autorit¨at seines ersten Einsetzers, dann entsteht ein tendenziell statisches SprachModell; und tats¨achlich zeigen sich die genannten Autoren denn auch bem¨uht, s¨amtliche Beliebigkeit und Wechselhaftigkeit aus dem sprachlichen Bezeichnungsgeschehen herauszuhalten.59 J OHANNES V ERSOR besch¨aftigt sich eingehend mit dem Problem, dass aus einem Laut, der nach Belieben bezeichnet, keine gesicherte Erkenntnis folgen k¨onne, weil dessen Bedeutung variabel sei: Es wird folgendermaßen argumentiert: Das, was ad placitum ist, ist unendlich variierbar oder wird variiert. W¨urde ein Laut daher ad placitum bezeichnen, dann w¨are seine Bedeutung unendlich variierbar. Es folgte, dass es keine gesicherte Erkenntnis von der Bedeutung eines bedeutungstragenden Lauts g¨abe, was aber nicht der Fall ist. Daher kann er nicht ad placitum oder ad voluntatem eines ersten Einsetzers eine Bedeutung tragen.60 57 L AMBERTUS DE M ONTE: Copulata omnium tractatuum Petri Hispani I, ed. K¨oln 1490 fol. 17r: Vox significativa ad placitum [...] imponitur ad significandum a voluntate primi instituentis et habentis autoritatem impositionis vocis, sicut fuerunt patriarchae, prophetae, et ceteri principes quibus est data autoritas. 58 G ERARDUS VAN H ARDERWIJK: Commentaria in summulas Petri Hispani I, ed. K¨oln 1492, fol. b1rb: Quanto nihilominus res melius et perfectius fuerit cognita, tanto melior est impositio et perfectior. Vgl. auch M AGNUS H UNDT: Compendium totius logicae I, ed. Leipzig 1501, fol. D3r: Unde graviter peccant qui – propterea ut videantur ornare sermonem – obscure loquuntur. 59 So hat ja bereits JAKOB VON E LTVILLE Adams Sprach-Einsetzung nicht bloß f¨ur die Herstellung einer Zeichenbeziehung gehalten, sondern f¨ur einen Akt, der aus den Dingen das macht, was sie sind, s.o., S. 240. 60 Dicta super septem tractatus Summularum I, ed. N¨urnberg 1495, fol. a8r: Arguitur [...] sic: illud quod sit ad placitum est variabile in infinitum seu varietur. Ergo si vox significaret ad placitum, sua significatio erit variabilis in infinitum. Et per consequens nulla est certa cognitio de significatione vocis significative, quod est inconveniens. Ergo ipsa non significat ad placitum vel ad voluntatem primi instituentis.
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Das Argument zielt grunds¨atzlich darauf ab, die Plausibilit¨at eines nach Belieben bedeutungstragenden Lauts in Frage zu stellen, weil es entgegen aller Beliebigkeit ganz offensichtlich m¨oglich ist, gesicherte Informationen auszutauschen. V ERSOR allerdings erkl¨art dies folgendermaßen: Das, was ad placitum eines jeden Beliebigen ist, wandelt sich [tats¨achlich] in unendlicher Weise – nicht aber das, was in spezifischer Weise ad placitum eines einzigen ist, wie es bei einem bedeutungstragenden Laut der Fall ist, der bloß ad placitum des ersten Einsetzers eine Bedeutung tr¨agt.61
Was der primus impositor festgelegt hat, das gilt und daran haben sich die nachfolgenden Sprachbenutzer zu richten. Ganz offensichtlich geht es hier darum, die Zuverl¨assigkeit und Brauchbarkeit des Sprachsystems zu garantieren, und so findet sich denn bei diesen Autoren die Tendenz, selbst die Willk¨ur des ersten Spracheinsetzers zu beschr¨anken und mit einem fast natursprachlichen Einschlag seine Zeichensetzungen zu stabilisieren. Dazu greifen sie auf eine Unterscheidung zur¨uck, die hier im Wortlaut der K¨olner L AMBERTUS-Summulae zitiert sei, die sich aber auch anderswo und insbesondere auch beim Albertisten G ERARDUS VAN H ARDERWIJK findet:62 Obwohl Wille und Gutd¨unken der Sache nach das gleiche sind, unterscheiden sie sich doch der Bestimmung ihres Wesens nach: Denn der Wille ist ein willentliches Ver¨ m¨ogen, dessen Handlung im Innern beginnt und auf etwas Außerliches hin endet – im ¨ Innern n¨amlich bei der erkannten Sache, auf etwas Außerliches hin aber beim gewollten Objekt, das gut ist. ‘Gutd¨unken’ hingegen bezeichnet einen willentlichen Akt, der bei ¨ etwas Außerlichem beginnt, und auf das Innere hin endet. Denn er beginnt [ebenfalls] bei der erkannten Sache, endet aber beim Willen. Und daher ist ein Laut ad placitum bedeutungstragend und nicht ad voluntatem, denn der Einsetzer wird von den Eigenschaften der Dinge bewegt, die außerhalb von ihm sind.63 61 Ebd.: Illud quod sit ad placitum cuiuslibet variatur in infinitum. Non tamen illud quod sit determinate ad placitum unius, sicut est vox significativa quae significat solum ad placitum primi instituentis. 62 G ERARDUS VAN H ARDERWIJK: Commentaria in summulas Petri Hispani I, ed. K¨oln 1492, fol. b1ra–b: Intellectus noster possibilis est potentia in ordine ad species intelligibiles, et ergo voluntas extendit eum ad actum significandi. Quia tamen huiusmodi volun|tas praesupponit apprehensionem intellectus, ideo motus eius incipit ab extra et terminatur ad intra. Differens in hoc a proprio motu eius qui incipit ab intra et terminatur ad extra. Primo modo dicitur voluntas beneplaciti, secundo modo dicitur voluntas liberi arbitrii. Ebenso argumentiert auch M AGNUS H UNDT: Compendium totius logicae I, ed. Leipzig 1501, fol. D2v: Dicitur vox significativa ad placitum et non vox significativa ad voluntatem, quia impositio vocis fit ab extra; J OHANNES V ERSOR schließlich spricht im Gegensatz zum Text von P ETRUS H ISPANUS nicht mehr von der voluntas des ersten Einsetzers, sondern von dessen placitum, vgl. die in Anm. 56 und 61 zitierten Texte. 63 Copulata omnium tractatuum Petri Hispani I, ed. K¨oln 1490 fol. 17r: Quamvis voluntas et placitum idem sunt re, different tamen ratione. Nam voluntas est potentia volitiva cuius
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
In betonter Abh¨angigkeit von den zu bezeichnenden Dingen setzt ein impositor seine Zeichen ein, als ob damit die Dinge selbst den Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem garantieren w¨urden, als ob es durch diesen Einsetzungsakt eine nicht bloß willk¨urliche, sondern eine innere Verbindung zwischen den Dingen und den bedeutungstragenden Wortlauten geben w¨urde. V¨ollig anders sehen das die Scotisten und Nominalisten. S TEPHAN B RU LEFER, der in seinem Sentenzenkommentar die Zeichen-Unterscheidung kurz aufgreift, spricht nicht mehr von einer significatio ad placitum, sondern von einer significatio voluntaria.64 Doch entlasten diese Autoren nicht nur den erster impositor von seiner Verpflichtung auf des Wesen der Dinge; vielmehr gehen sie ganz grunds¨atzlich von der Ansicht aus, dass die bleibende Bedeutung eines Sprachzeichens von jedem einzelnen abh¨angt, der es in einer spezifischen Weise einsetzt. In eine extreme Richtung tendiert in dieser Hinsicht ein anonymer Kommentar, der 1503 in Hagenau gedruckt wird und der als Text des P ETRUS L OMBARDUS eine Version zitiert, die f¨ur die beliebigen Zeichen explizit vom Willen des ersten Einsetzers spricht,65 dazu dann aber erkl¨art:66 Man muss wissen, dass unter dem ‘ersten Einsetzer’ im vorliegenden Fall jeder Beliebige verstanden wird, der einen Laut einsetzt, um etwas zu bezeichnen. Und so wird von [einem solchen] Sprachgebilde gesagt, es bezeichne ad placitum des ersten Einsetzers, welches aufgrund des aktuell vorgenommenen Einsatzes eine solche Bedeutung tr¨agt, wie der einsetzende will, dass es etwas bedeutet. Daraus wird deutlich, dass dieser Terminus ‘Esel’, wenn er jetzt aufs neue eingesetzt wird, um einen Esel zu bezeichnen, actus incipit ab intra et terminatur ad extra: ab intra scilicet a re cognita, ad extra scilicet ad obiectum volitum quod est bonum. Sed placitum econtrario nominat actum voluntatis qui incipit ab extra et terminatur ad intra. Incipit enim a re cognita et terminatur ad voluntatem. Et ergo vox est significativa ad placitum et non ad voluntatem, quia impositor movetur a proprietatibus rerum quae sunt extra ipsum. 64 Reportata in sancti Bonaventurae libros sententiarum IV d 1, q 2, ed. Basel 1501, fol. 357vb: Significatio est duplex, scilicet voluntaria et naturaliter. Voluntaria est quae attribuitur signo signanti ex institutione voluntaria, ut circulus ante tabernam significat vinum venale. Naturalis autem est illa quae attribuitur signo signati non ex institutione voluntaria, sed per naturam suam repraesentat illud quod significat. Direkt gegen den thomistischen Ansatz gerichtet zu sein scheint auch folgende Angabe bei J OHANNES M AGISTRI: Summularum glosulae I, ed. Venedig 1490, fol aa5va: Vox significativa ad placitum est illa quae ad placitum primi instituentis aliquid repraesentat ut ‘homo’, id est illa quae apta nata est repraesentare illud quod primus instituens voluit per eam significari. Et principium huius significationis fuit voluntas. 65 Commentarium secundum modernorum doctrinam I, ed. Hagenau 1503, fol. a7r: Vox significativa ad placitum est illa quae ad voluntatem primi instituentis aliquid significat. Der kritische Apparat der Summulae logicales, ed. de Rijk (1972), S. 2, kennt allerdings keine entsprechenden Varianten. 66 Dass es sich um einen nominalistischen Kommentar handelt, wird aus dem Titel deutlich: Commentarium secundum modernorum doctrinam in tractatus logices Petri Hispani primum et quartum, item commentarium in tractatus parvorum logicalium Marsilij. Zu den genaueren Umst¨anden und seiner wahrscheinlichen Verortung in Ingolstadt s.o., Anm. 44.
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von nun an einen Esel gem¨aß dem Willen des ersten Einsetzers bezeichnen wird. Und so ist jeder beliebige Einsetzende ein erster Einsetzer zu nennen.67
Jeder einzelne Sprecher ist, weil er im aktuellen Sprachvollzug Laute in einer bestimmten Bedeutung einsetzt, ein primus impositor, so dass es sich er¨ubrigt, sich u¨ ber die Autorit¨at und das Verm¨ogen eines zeitlich gesehen ersten Einsetzers Gedanken zu machen. Ganz so weit gehen andere nominalistische und auch die scotistischen Autoren nicht. Was allerdings der anonyme Kommentator hier versucht, n¨amlich zu begr¨unden, inwiefern jeder einzelne durch seinen Sprachgebrauch am Bedeutungserhalt und einer allf¨alligen Bedeutungsver¨anderung beteiligt sei, das findet sich auch in anderen Kommentaren: Sie sprechen etwa vom usus loquentium, der die Bedeutung eines Wortes ausmache,68 oder von der consuetudo, die eine Zeichenrelation begr¨unde.69 Die Vorstellung einer autoritativen Einsetzung entf¨allt zwar nicht vollst¨andig, doch wird sie bloß noch als eine M¨oglichkeit unter anderen behandelt. J OHN M AIR beispielsweise f¨uhrt dazu aus: Ad placitum eine Bedeutung tragen heißt, aufgrund einer formalen Einsetzung oder [etwas] Gleichwertigem etwas darstellen, wie damals, als Adam die Namen eingesetzt hat oder ein anderer, dem Autorit¨at u¨ ber eine Gemeinschaft zukommt oder dessen Einsetzung von der ganzen Gemeinschaft u¨ bernommen wird. Letzteres l¨asst sich aufteilen, denn entweder kommt jenem die Autorit¨at, [Worte] einzusetzen, von der ganzen Gemeinschaft stillschweigend zu, oder die ganze Gemeinschaft greift das Beispiel des 67 Commentarium secundum modernorum doctrinam I, ed. Hagenau 1503, fol. a7r: Ulterius est sciendum quod per primum instituentem in proposito intelligitur quilibet imponens vocem ad significandum. Et sic dictio dicitur significare ad placitum primi instituentis, quae significat ex impositione actu facta taliter, qualiter imponens voluit eam significare. Ex isto patet, quod ille terminus asinus, si iam de novo imponeretur ad significandum asinum, adhuc significaret asinum ad voluntatem primi instituentis. Et sic quilibet imponens dicitur primus impositor. 68 Das hat ja bereits S COTUS hinsichtlich des Sakramenten-Begriffs festgehalten, s.o., S. 177. Vgl. nun etwa F LORENTIUS D IEL: Exercitia librorum Perihermeneias Ad I.1, ed. Speyer 1490, fol. a4v: Significare ad placitum est significare aliquid ex voluntaria impositione instituentis vel voluntario usu aliquorum (zu D IEL s.o., Anm. 39). Ebenso P ETRUS TARTARETUS: Expositio in summulas I, ed. Basel Basel, fol. 3va: Significare ad placitum est ex impositione vel usu voluntario repraesentare suum significatum. 69 So auch im anonymen Hagenauer Kommentar: Vox significativa ad placitum est vox quae ad voluntatem primi instituentis, id est ex impositione actu facta, vel voluntario usu, vel consuetudine significat aliquid, scilicet vel aliqua vel aliqualiter (Commentarium secundum modernorum doctrinam I, ed. Hagenau 1503, fol. a7r). Beides findet sich auch in einer kurz gefassten Erstversion von M AIRS Termini, ed. Paris 1502, fol. b3rb: Significare ad placitum est ex impositione vel usu repraesentare. Aliqui termini ex sola consuetudine sua significata important. Allein von dieser consuetudo spricht M AIR in den Termini magni, ed. Paris 1502, fol. b5vb (Significare ad placitum est ex impositione vel consuetudine repraesentare). In der Logik des 17. Jahrhunderts wird die significatio ex consuetudine als eigene dritte Klasse neben der nat¨urlichen und der significatio ad placitum gef¨uhrt werden, vgl. M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 262–272.
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ersten auf [..|..]. In einer anderen Weise greift eine Gemeinschaft eine solche Einsetzung auf, ohne zur¨uckverfolgen zu k¨onnen, woher sie ihren Ursprung nimmt, sei es in einfließender Weise, sei es in einer anderen Weise, sobald sie von einer großen Zahl u¨ bernommen wird.70
Selbst bei Worten, die von einem einzelnen eingesetzt werden, ist es daher (wenn denn dieser einzelne nicht zugleich noch eine Autorit¨at ist) die Sprachgemeinschaft, die entscheidet, ob sie seine Einsetzung u¨ bernimmt.71 Ob einem sprachlichen Laut eine bestimmte Bedeutung zukommt oder nicht, ist daher in ¨ letzter Konsequenz eine Frage der Ubereinkunft. Gegen¨uber dem tendenziell statischen Einsetzungsmodell der Thomisten vertreten Scotisten und Nominalisten daher ein wesentlich dynamischeres Modell zur Herkunft einer Zeichen-Bedeutung, das weniger den Einsetzungsakt als vielmehr dessen konsensuale Rezeption in der Gemeinschaft der Sprechenden betont. Damit zeichnen sich nun erneut aber auch Parallelen zwischen den zwei unterschiedlichen Sprachmodellen und den zwei grunds¨atzlichen Modellen einer sakramentalen Wirksamkeit ab: So wie die Thomisten auf der einen Seite ein Sprachmodell vertreten, das die bleibende Bedeutung eines Zeichens auf einen einzigen, autoritativen Einsetzungsakt zur¨uckf¨uhrt, der seither seine Wirkung entfaltet, binden sie auch die sakramentale Wirkung an die Einsetzung der Sakramente durch Christus, bei der den sakramentalen Elementen Qualit¨aten zugeordnet worden sind, die seither ihre Wirkung entfalten k¨onnen. Die Nominalisten und Scotisten auf der anderen Seite, die den Einsetzungsakt der Sakramente nicht als eine Disponierung der sakramentalen Elemente, sondern als ¨ maßgebliche Begr¨undung einer globalen Ubereinkunft – des ber¨uhmten pactum cum ecclesiae – verstehen, halten auch das fortw¨ahrende Bestehen der semiotischen Beziehung zwischen Sprachzeichen und bezeichneter Realit¨at f¨ur das ¨ Resultat einer Ubereinkunft. 70 Summulae I, ed. Paris 1516, fol. 2rb–va: Significare ad placitum est ex impositione formali vel aequivalenter repraesentare, ut quando Adam voces imposuit, vel alius auctoritatem habens super communitatem vel impositio eius recipitur a tota communitate. Et hoc potest dividi, quia vel ille habet auctoritatem imponendi a tota communitate tacite, vel tota communitas suscipit exemplum primi, sicut nomina imponuntur in circumcisione in lege mosayca, vel in lege gratiae in baptismo [..|..]. Aliomodo communitas suscipit talem impositionem nec refert qua via habet initium, sive [irrisorie], sive aliter dummodo multitudo suscipiat, ut circulus ante tabernam significat vinum venale. Auf die Erw¨ahnung einer dritten Form der ¨ Einsetzung, die M AIR hier noch nennt, ist der Ubersichtlichkeit wegen im Fließtext verzichtet worden – es handelt sich um die Worteinsetzungen im Rahmen der Obligationes: Alia est impositio non autentica et particularis, quae utuntur disputantes et potissimum obligatores (ebd., zu den Obligationes s.o., S. 60). 71 ¨ Ahnlich unterteilt denn auch der Scotist J OHANNES M AGISTRI (zu ihm s.o., Anm. 17): Potest fieri impositio tribus modis. | Uno modo per aliquam communitatem. Secundo modo per aliquem habentem auctoritatem in communitate vel politio. Tertio modo potest fieri ex quadam consuetudine (Summularum glosulae I, ed. Venedig 1490, fol aa5rb–va).
24.4 Wirksame Zeichen?
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24.4 Wirksame Zeichen? Die entscheidende Differenz zwischen Vertretern der Mitwirkungs-Variante und Vertretern des Pakt-Modells liegt in der unterschiedlichen Beantwortung der Frage, ob den Sakramentalzeichen eine eigene Urs¨achlichkeit zukomme und ob sie daher eine spezifische Kraft bes¨aßen, mittels derer sie die sakramentale Wirkung verursachen k¨onnten. Es l¨asst sich diese Frage nun auch mit Blick auf die Sprachzeichen stellen, und es ist nicht weiter erstaunlich, dass auch hier die ¨ Meinungen geteilt sind. G EORG VON B R USSEL , einer der Gelehrten, der nach der Krise der 1470er Jahre die via moderna in Paris wieder zu st¨arken versucht, schreibt in seinem Kommentar zu den Summulae des P ETRUS H ISPANUS: Der erste Einsetzer, der einen Laut zum Bezeichnen einer Sache eingesetzt hat, verursacht nichts in der Sache selbst. Vielmehr verursacht er im Intellekt der Menschen ein solches Wissen, durch das sie erkennen, dass dieser Laut (und ihm a¨ hnliche) eine solche Sache bezeichnen, so dass wir, wann auch immer ein solcher Laut ausgesprochen wird, das Konzept einer solchen Sache ausbilden m¨ussen. Daraus wird deutlich, dass auch dann, wenn das Bedeuten in einem aktiven Sinn verstanden wird und dem Laut zugerechnet wird, es um nichts anderes geht als um den bedeutungstragenden Laut.72
Keine zus¨atzliche Kraft, keine zus¨atzliche formale Bestimmung ist es, die einem bedeutungstragenden Laut hinzugef¨ugt wird und die berechtigen w¨urde, dem Sprachzeichen eine eigene Aktivit¨at des Bedeutens zu unterstellen. Be¨ deutung wird f¨ur G EORG VON B R USSEL und mit ihm auch f¨ur andere nominalistische und scotistische Autoren nicht dadurch generiert, dass dem Bedeutungstr¨ager selbst etwas anhaftet, sondern dass im Intellekt des Rezipienten das Konzept des Bedeutungstr¨agers mit jenem des Bedeuteten verkn¨upft ist. Im Rahmen seiner Zur¨uckweisung einer sakramentalen Mitwirkung sprache bereits S COTUS daher von den Sprachzeichen als Erinnerungszeichen.73 Auf thomistischer und albertistischer Seite sieht das anders aus. G ERARDUS VAN H ARDERWIJK , der K¨ olner Albertist, setzt sich eingehend mit der Frage auseinander, wie die W¨orter, die wir t¨aglich benutzen, ihre Bedeutung dank dem Gutd¨unken des ersten Einsetzers verursachen k¨onnen, obschon dieser erste Einsetzer doch l¨angst verschieden ist:74 72 ¨ G EORG VON B R USSEL : Interpretatio in summulas Petri Hispani I, ed. Paris 1497, fol. a6ra: Primus impositor qui imposuit vocem ad significandum aliquam rem, non causat aliquid in ipsa voce, sed in intellctu hominum causat talem notitiam, qua cognoscunt quod haec vox (et sibi similis) significat talem rem, sic quod quotienscumque proponitur talis vox, debemus formare conceptum talis rei. Ex quo patet quod si significatio capiatur active ut attribuitur voci, non est aliud quam vox significativa. 73 S COTUS: Ordinatio IV d 1, p 3, q 1–2, n 303, ed. Vaticana (2008), S. 107: Sermo audibilis est signum rememorativum respectu conceptus. S.o., S. 181. 74 G ERARDUS VAN H ARDERWIJK: Commentaria in summulas Petri Hispani I, ed. K¨oln 1492, fol. b1va: Quomodo voces quotidie a nobis prolatae recipiunt actum significandi a bene-
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
Zum Bezeichnen wird ein Wort mit einer universalen Absicht eingesetzt, durch die jedes einzelne Wort derselben [Bedeutungs-]Art bestimmt ist, das darzustellen, was das Wort des ersten Einsetzers dargestellt hat. Denn die Bedeutung gelangt in ein Wort vom Intellekt her und gem¨aß der Kraft des Intellekts, der, weil er immateriell ist, auch etwas Allgemeines ist. Und weil einem allgemeinen Akt auch eine allgemeine Potenz entspricht, ist gem¨aß seinem allgemeinen und seinem spezifischen Sein ein Wort der Einsetzung des ersten Einsetzers unterzogen worden. Und weil nun die W¨orter, die fortw¨ahrend ausgesprochen werden, zu derselben Art geh¨oren wie die W¨orter, die vom ersten Einsetzer ausgesprochen worden sind, bleibt in ihnen dieselbe Kraft, etwas zu bezeichnen.75
Die virtus significandi, die Kraft, etwas zu bezeichnen, wird im Zusammenspiel von allgemeiner und spezifischer Bestimmung eines Worts u¨ ber die Generationen seiner Benutzer hinweg tradiert, weil der erste Einsetzer eines Worts diese Kraft nicht nur in das einzelne Wort, das er damals ausgesprochen hat, sondern in die Gattung all dieser artgleichen W¨orter gesteckt hat, die inzwischen ausgesprochen worden sind und noch ausgesprochen werden. Es ist diese Kraft daher etwas Zus¨atzliches, etwas zum einzelnen Wort Hinzukommendes, das es bef¨ahigt, auch heute noch in einem H¨orer seine Bedeutung zu verursachen. ¨ Ahnlich bestimmt a¨ ußert sich auch J OHANNES V ERSOR, der Pariser Gelehrte, der vor allem von den K¨olner Thomisten rezipiert worden ist, zur Frage nach einer virtus significandi. Laut ihm ben¨otigt es zwei Dinge, damit ein Laut ein bezeichnender Laut sein kann: Das erste ist das Materiale, das der Laut selbst ist. Das zweite ist etwas Formales, und es ist die Kraft selbst, seine Bedeutung tats¨achlich zu bezeichnen und darzustellen. Diese Kraft kommt ihm aus der Einsetzung und Anordnung zum Bezeichnen zu. Denn dadurch, dass er eingesetzt wird, um etwas zu bezeichnen, und dessen Zeichen bewirkt wird, empf¨angt er die Kraft, dieses Bezeichnete in formaler Weise darzustellen. Und diese Kraft wird manchmal eine ‘habituale Bedeutung’ genannt, weil der Laut selbst sie besitzt wie Materie eine Form [besitzt], und manchmal wird sie auch ‘Grund des Bezeichnens’ genannt, weil sie Grund und Ursache ist, weswegen der Laut bedeutungstragend ist. Und manchmal wird dem Laut [diese Kraft] durch die Einsetzung eines ersten Einsetzers gegeben, der den Laut auf ein Bezeichnetes hin anordnet und nicht
placito ipsius instituentis, cum primus instituens non sit, et quod non est, non habet causalitatem. 75 Ebd.: Vox imposita est ad significandum sub intentione universali per quam unaquaeque vox eiusdem speciei nata est idem repraesentare, quod vox primi instituentis repraesentavit. Unde significatio procedit in vocem ab intellectu secundum virtutem intellectus qui, cum sit immaterialis, est universalis. Et cum universali actui correspondet universalis potentia, ideo vox subiecta est impositioni primi imponentis secundum esse eius universale et specificum. Et quia voces quae continue proferuntur sunt eiusdem speciei cum vocibus prolatis a primo impositore, ideo manet in eis eadem virtus significandi.
24.4 Wirksame Zeichen?
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auf ein anderes, manchmal kommt sie ihm auch aus einer Anordnung zu, die einem nat¨urlichen Instinkt entspringt.76
Sofern ein Laut kein nat¨urliches Zeichen ist, sofern er auf sein Bezeichnetes nicht aufgrund eines nat¨urlichen Instinkts, sondern ad placitum hingeordnet ist, kommt die virtus significandi einem Wort durch seinen ersten Einsetzer zu. Er ist es, der einem Laut eine Form u¨ bertr¨agt, die diesen Laut in Zukunft bef¨ahigt, bei seinen H¨orern eine Bedeutung hervorzurufen. Auch J OHANNES V ERSOR f¨uhrt die F¨ahigkeit eines Sprachzeichens, etwas zu bedeuten, auf eine zus¨atzliche, innere Kraft dieses Zeichen zur¨uck, dank der es als Ursache der Bedeutungsvermittlung wirken kann. Das ist nun ziemlich genau das, was auch J OHANNES C APREOLUS in seiner Verteidigung von T HOMAS’ Mitwirkungs-Modell erkl¨art hat. Als Widerlegung von S COTUS’ Einwand, es k¨onne einem Sprachzeichen keine absolute Form zukommen, spricht C APREOLUS etwas vorsichtiger als V ERSOR von einer Form, der ein esse intentionale fluens zukomme;77 und so zeigt sich denn auch in diesem letzten Punkt die inzwischen offenkundige Parallele zwischen Sakramenten- und Zeichenproblematik: W¨ahrend f¨ur Scotisten und Nominalisten so, wie ein Zeichen bloß die Erinnerung an dessen Einsetzung weckt, auch die sakramentale Handlung nur auf den Pakt zur¨uckverweist, der einst von Christus mit der Kirche geschlossen worden ist, und diesen aktualisiert, sehen die Thomisten (und mit Spielarten auch die Albertisten) im sakramentalen Geschehen ebenso wie im Zeichengeschehen Kr¨afte wirken, die den Sakramenten und Zeichen selbst zukommen. Es wird damit auch deutlich, was es mit diesen langen Diskussionen um die Selbst-Referentialit¨at von Zeichen auf sich hat, die im ersten Abschnitt dieses Kapitels vorgestellt worden sind: Wenn Zeichen nur die Erinnerung an das wecken, was sie bezeichnen, ist auch deutlich, dass sie bloß etwas anderes (als sich selbst) hervorzurufen verm¨ogen; wenn Zeichen ihr Bezeichnetes aber formal in sich tragen, dann ist ihr Bezeichnetes in ihnen enthalten und dann sind sie immer auch schon Zeichen ihrer selbst – auch 76
J OHANNES V ERSOR: Dicta super septem tractatus Summularum I, ed. N¨urnberg 1495, fol. a6v: Vox significativa duo includit. Primum est materiale quod est ipsa vox. Secundum est formale quod est ipsa virtus significandi et repraesentandi actualiter suum significatum. Quae virtus sibi convenit per institutionem et ordinationem ad significandum. Per hoc enim quod ipsa imponitur ad aliquid significandum, et efficitur signum eius, accipit virtutem repraesentandi formaliter illud significatum. Et haec virtus quandoque vocatur significatio habitualis, qui habetur ab ipsa voce tamquam forma a materia, et quandoque ratio significandi quia est ratio et causa propter quam vox est significativa. Et datur ipsi voci quandoque per impositionem primi imponentis qui ordinat vocem ad unum significatum et non aliud; quandoque provenit per ordinationem quae fit ab instinctu naturae qui inclinat animalia ad formandum voces suas effectus repraesentantes. Zu dieser Stelle vgl. auch M EIER -O ESER: Die Spur des Zeichens (1997), S. 194. 77 S.o., S. 412.
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Kapitel 24: Sakramente und Zeichen: Ein abschließender Quervergleich
die Gnade ist f¨ur die Vertreter des Mitwirkungs-Modells ja im sakramentalen Zeichen selbst enthalten. Es zeigen sich daher hinter der Sakramentendebatte und hinter der Debatte um die ad placitum bedeutungstragenden Laute zwei grundverschiedene semiotische Modelle: Das eine vertraut auf die Kraft der Konvention und begn¨ugt ¨ sich damit, dass aufgrund von mehr oder weniger geregelten Ubereink¨ unften Bedeutung erwirkt, Kommunikation erm¨oglicht und das Heil gefunden werden kann. Das andere Modell versucht, jegliche Beliebigkeit aus den inner- und außerweltlichen Bez¨ugen herauszuhalten und ein stabiles System von Zusammenh¨angen aufzusp¨uren, die ein gesichertes Vorankommen in diesem allzu oft ¨ chaotisch wirkenden Kosmos garantieren. Als ob ihnen die Ahnlichkeit zwischen Konzepten und Dingen nicht genug w¨are, dehnen die einen mit ihrer Anbindung der Zeichenfindung bloß ans beneplacitum des Zeicheneinsetzers die ARISTOTELISCH-BOETHIANISCHE similitudo gleichsam auf das Verh¨altnis zwischen Worten und Konzepten aus, w¨ahrend die anderen von den Konzepten l¨angst nur noch als Zeichen sprechen. Die einen sehen das Verh¨altnis zwischen Worten, Konzepten und Dingen in einer klaren Ordnung, w¨ahrend die anderen selbst noch die Schriftzeichen als Zeichen direkt von den Dingen verstehen. Und w¨ahrend es den einen schließlich gen¨ugt, dass Gott versprochen hat, bei einer Spendung der Sakramente wirksam zu werden, kn¨upfen die anderen diese Wirksamkeit lieber auch noch an die Sakramente selbst. So sprechen die einen denn auch den Zeichen, dieser zentralen Einheit des mittelalterlichen Weltverst¨andnisses, jene eigene Wirksamkeit ab, die den anderen zufolge u¨ berhaupt erst ausmacht, dass ein Zeichen ein Zeichen ist.
Kapitel 25
Ergebnisse des vierten Teils Der vorliegende vierte Teil hat sich mit den Ausformulierungen der Wirksamkeitsdebatte im 15. und fr¨uhen 16. Jahrhundert besch¨aftigt und gleichsam als Abrundung der gesamten Untersuchung diese Ausformulierungen mit den semiotischen Modellen verglichen, wie sie im ausgehenden Mittelalter in Kommentaren zu den Summulae logicales des P ETRUS H ISPANUS vorliegen. Dabei sind Parallelen zwischen der L¨osung der sakramentalen Wirksamkeitsfrage und der Darstellung der Funktionsweise von lautsprachlichen Zeichen deutlich geworden, die auf zwei verschiedene, grundlegende semiotische Modelle hindeuten: ein eher statisches, das den Bezug eines Zeichens zu seinem Bezeichneten im Zeichen selbst angelegt sieht, und ein dynamisches, das diesen Bezug nur im Erinnerungsverm¨ogen der Zeichenbenutzer begr¨undet. W¨ahrend das eine daher bei Sprachzeichen ebenso wie bei den Sakramenten auf Kr¨afte baut, die in den Zeichen selbst angelegt seien, f¨uhrt das andere die Wirkung eines Zei¨ chengeschehens allein auf eine Ubereinkunft u¨ ber die Bedeutung des benutzten Zeichens zur¨uck – sei es, dass in einer Sprachgemeinschaft ein Konsens u¨ ber diese Bedeutung vorherrsche, sei es, dass Gott in einem Pakt mit der Kirche u¨ bereingekommen sei, den bezeichneten sakramentalen Effekt zu bewirken. Was nun die Ausf¨uhrungen zu dieser sakramentalen Wirkweise betrifft, so hat sich gezeigt, dass sie zu einem großen Teil in Werken erscheinen, die in erster Linie einen didaktischen Anspruch haben. Bei einem bedeutenden Teil der untersuchten Sentenzenliteratur geht es nicht mehr darum, die magistrale Kompetenz ihrer Verfassers unter Beweis zu stellen, sondern darum, eine theologische Einf¨uhrung in einer oft klar umrissenen Perspektive zu bieten: J OHANNES C APREOLUS, der Verteidiger von T HOMAS VON AQUIN, l¨asst seine Leser u¨ ber die Ziele seiner Defensiones ebenso wenig im Unklaren wie P ETRUS TARTA RETUS, der einen reinen Kommentar zu S COTUS’ Ordinatio bietet. Wie schon ¨ N IKOLAUS VON D INKELSB UHL seine Melker Lectura als gestandener Mann verfasst hat, sind denn auch eine ganze Reihe dieser Sentenzenwerke nicht mehr das direkte Resultat einer Lesung im Rahmen der magistralen Ausbildung eines Autors, sondern sp¨atere Um- und Neubearbeitungen des Sentenzenmaterials: Das gilt f¨ur die Kompendien von W ILHELM VON VAUROUILLON und von N ICOLAUS DE O RBELLIS ebenso wie f¨ur die Kommentare von S TEPHAN
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Kapitel 25: Ergebnisse des vierten Teils
B RULEFER und G ABRIEL B IEL oder den Summenkommentar von C AJETAN. Dass daher die Debatte oft nicht mehr weitergef¨uhrt, sondern bloß dargestellt wird, liegt in der Sache selbst und entspricht den Zielsetzungen, die sich die Autoren mit ihren Werken gestellt haben. Statt dem klassischen Quaestionen-Kommentar, der einem Autor vor allem die M¨oglichkeit gibt, seine eigene Meinung zu profilieren, finden sich denn auch zahlreiche andere Kommentarformen von reinen Abbreviationes anderer Kommentare u¨ ber knappe, syllogistisch organisierte Inhaltsangaben bis hin zu ausf¨uhrlichen Kompendien, die durchaus auch auf die Quaestionen-Form zur¨uckgreifen k¨onnen, damit aber ein anderes Ziel verfolgen als ein klassischer Quaestionen-Kommentar: Die dialektische Form einer Quaestio dient nunmehr dazu, statt den wunden Punkt zu pr¨asentieren, an dem ein Autor sich austoben will, den Kern einer Problematik verst¨andlich zu machen und davon ausgehend jene L¨osung darzulegen, die der gew¨ahlten Perspektive des jeweiligen Kommentars entspricht. Strukturell sind daher die Quaestionen, die hier behandelt werden, mit den ausufernden geometrischen Konstruktionen des sp¨ateren 14. Jahrhunderts nicht mehr zu vergleichen: Die logischen Einheiten der Conclusiones, Dubia, Correlaria und Obiectiones sind zwar weiterhin pr¨asent, doch f¨uhren sie nicht mehr von einer Thematik in die n¨achste, sondern dienen der didaktischen Aufbereitung einer Darstellung, die meist auf eine einzige Thematik fokussiert. Dennoch erhebt der weitaus gr¨oßte Teil der hier untersuchten Texte einen durchaus rationalen Anspruch. Das gilt in einem besonderen Maß f¨ur die vorgestellten Autoren aus dem Umfeld der via antiqua. So sehr eine ganze Reihe ihrer Texte mit Blick auf einen Scholastiker des sp¨aten 13. oder fr¨uhen 14. Jahrhunderts verfasst sein mag und so sehr die didaktischen Interessen an einer eing¨angigen Darstellungsweise u¨ berwiegen m¨ogen, geht es diesen Autoren doch darum, die Rationalit¨at des so gebotenen Materials aufzuzeigen. In Anlehnung an einen der großen scholastischen Vorg¨anger mag daher die ratio, die hier begegnet, eine geb¨andigte sein, die den gesicherten Pfad der bew¨ahrten Argumentationsweisen nicht verl¨asst; dennoch handelt es sich um ratio, und der intellektuelle Anspruch – vermittelnd zwischen traditionellen Fragen, schulspezifischen Antworten und kirchlichen Vorgaben – eine nicht nur plausible, sondern u¨ berzeugende L¨osung zu finden, sollte nicht vorschnell als zweitrangig abgetan werden.1 Es d¨urfte denn auch dieser rationale Anspruch sein, der zu einer erstaunlichen Vielfalt an vertretenen Positionen gef¨uhrt hat: Verteidigt werden nicht einfach nur T HOMAS und S COTUS, sondern es argumentieren in der vorliegenden Frage scotistische Autoren gegen S COTUS f¨ur B ONAVENTURA und 1
Um es unverbl¨umt auszudr¨ucken: Formal mag das Geplauder eines A EGIDIUS C ARLE einem Kommentar des fr¨uhen 14. Jahrhunderts viel eher entsprechen als die auf T HOMAS fixierten Defensiones des J OHANNES C APREOLUS, mit dessen intellektuellem Niveau A EGI DIUS aber unm¨ oglich mitzuhalten vermag. RII
Kapitel 25: Ergebnisse des vierten Teils
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J OHANNES DE BASSOLIS; der Pariser Albertist L AMBERTUS DE M ONTE reaktualisiert den alten Ansatz der Summa Halensis; und die Thomisten lernen zwischen dem Modell von T HOMAS’ Sentenzenkommentar und jenem seiner Summa zu differenzieren. ¨ Ahnliches gilt nun auch f¨ur jene beiden Vertreter der via moderna, die im vierten Kapitel des vorliegenden Teils zu Wort gekommen sind. Zwar grenzen sie sich vom Ansatz des alten Wegs ab, weil bei beiden eine gewisse Skepsis gegen¨uber einem allzu freien Gebrauch der ratio bemerkbar wird, dem sie mit einer betonten Anlehnung an den allgemeinen Sprachgebrauch und die tradierte Lehre der Kirche begegnen. W¨ahrend sich G ABRIEL B IELS Zugest¨andnisse an die Tradition in der vorliegenden Frage aber auf eine verbale Ebene beschr¨anken, so dass er im Anschluss an P IERRE D ’A ILLY durchaus behaupten kann, das Mitwirkungs-Modell sei irrational und mit der aristotelischen Philosophie nicht vereinbar, zieht J OHN M AIR aus seinem traditionalistischen An¨ satz auch inhaltliche Konsequenzen: Ahnlich wie M ARSILIUS VON I NGHEN ¨ und N IKOLAUS VON D INKELSB UHL weist er das Mitwirkungs-Modell, obwohl es auch ihm weniger einleuchtet, nicht mehr grunds¨atzlich zur¨uck, sondern zeigt auf, wie es sich l¨osen ließe. Auch unter den Nominalisten besteht daher durchaus eine Meinungsvielfalt; und interessanterweise wird gerade bei ihnen die Debatte nicht nur dargestellt, sondern weitergef¨uhrt: Daf¨ur, wie G A BRIEL B IEL und J OHN M AIR dem Ursachenproblem beizukommen versuchen, gibt es unter den fr¨uheren Ausf¨uhrungen zur Wirksamkeitsproblematik keine Vorlagen – bei ihnen wird auch f¨undig, wer unbedingt nach neuen und originellen Argumenten sucht. Von einem sturen Nachbeten einer wie auch immer ‘-istischen’ Schuldoktrin kann daher bei keiner dieser Denk-Traditionen die Rede sein. Vielmehr best¨atigt sich auch f¨ur das 15. und fr¨uhe 16. Jahrhundert, wie heikel es ist, mit allzu plakativen Etiketten zu arbeiten, was insbesondere auch f¨ur einen Befund gilt, der so selbstverst¨andlich ist, dass er vergessen zu gehen droht: Wie wenig n¨amlich – J OHN M AIRS Polemik zum Trotz – die Kategorien ‘Nominalismus’ und ‘Realismus’ in der vorliegenden Frage taugen, zeigt sich schon allein daran, dass die Realisten gespalten sind: Die realistischen Scotisten sind sich – gegen die realistischen Thomisten (und grunds¨atzlich auch gegen die realistischen Albertisten) – mit den Nominalisten in der Wirksamkeitsfrage ebenso einig wie in der Beurteilung der semiotischen Dimension sprachlicher Laute. Als weitaus lebendigste der diversen Schulen erweist sich zudem der Scotismus, w¨ahrend sich neben G ABRIEL B IEL und J OHN M AIR kein Theologe hat finden lassen, der in einer explizit nominalistischen Tradition seine Sakramentenlehre ausgebreitet h¨atte. Ist im ersten Teil dieser Arbeit bereits die Rede von einer nominalistischen Krise des Sp¨atmittelalters in Frage gestellt worden, so zeigt sich nun auch noch, dass das 15. Jahrhundert keineswegs als Zeitalter einer
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Kapitel 25: Ergebnisse des vierten Teils
Durchsetzung des Nominalismus verstanden werden kann: Wo sich u¨ berhaupt nominalistische Theologen im 15. Jahrhundert finden lassen, handelt es sich um einzelne Figuren in einem Heer von vielen anderen, in weitaus facettenreicheren Traditionen stehenden Theologen.2 Einmal mehr erweist sich damit auch H ANS B LUMENBERGS These der Geburt der Moderne als einer Reaktion auf den u¨ berm¨achtigen Nominalismus als historisch h¨ochst fragw¨urdig.3 Es ist vielmehr eine durchaus vielf¨altige Landschaft, die sich dem Betrachter dieser Diskussionen aus dem ausgehenden Mittelalter pr¨asentiert: vielf¨altig in den Meinungen, die vertreten werden, vielf¨altig ebenso auch in den literarischen Formen, auf die zur¨uckgegriffen wird. Vielf¨altig – und von beeindruckender Menge – sind nun nicht zuletzt aber auch die Quellen, aus denen die Autoren des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts sch¨opfen. Die Rede vom ausgehenden Mittelalter als einer Erntezeit mag das Resultat einer ganz spezifischen historischen Betrachtungsweise sein; sie scheint aber der unglaublichen F¨ulle an Material, das hier verarbeitet wird, nicht nur gerecht zu werden, sondern durchaus auch dem Selbstverst¨andnis dieser sp¨atmittelalterlichen Autoren zu entsprechen: Davon zeugt G ABRIEL B IEL, der den Honig aus den Bienenst¨ocken der großen Scholastiker zusammentragen will, davon zeugt G UIDO B RIANSONIS, der sich am Ende seines Sentenzenkommentars dem biblischen Beispiel gem¨aß ¨ als Ahren lesende Ruth inszeniert. Sich in dieser F¨ulle zurechtzufinden, in den reichen Ertr¨agen der scholastischen Tradition das beste zu w¨ahlen und brauchbar zu pr¨asentieren, wird denn auch zu einem zentralen Anspruch an die akademische Theologie: Von W ILHELM VON VAUROUILLON u¨ ber N ICOLAS D E NYSE bis zu P ELBARTUS T EMESWAR wird die brevitas pl¨ otzlich zur Tugend erhoben, und so findet sich in den vorgestellten Werken bis in die gew¨ahlte neue ¨ Struktur hinein das Anliegen, einen Uberblick zu geben und Ordnung zu schaffen in diesen reichen Ertr¨agen der sp¨atmittelalterlichen Scholastik. Die ratio ist nun durchaus auch ein Verm¨ogen, das strukturiert und ordnet. So sehr diese Autoren daher ernten, was andere ges¨at haben, so sehr sie auf den reich ausstaffierten Pfaden ihrer Vorg¨anger bleiben und damit ihre eigene ratio b¨andigen, ihr ordnendes Einbringen der Ernte, ihr kluges W¨ahlen der reifsten Fr¨uchte ist doch h¨ochst rational. 2
Siehe dazu ausf¨uhrlicher oben, S. 512, Anm. 81. Dies u¨ brigens nicht nur in B LUMENBERGS negativer Formulierung einer Abgrenzung der Moderne vom Allmachts-Paradigma, sondern auch in der positiven Version, wie sie etwa von ¨ G OLDSTEIN , J URGEN : Nominalismus und Moderne. Zur Konstitution neuzeitlicher Subjektivit¨at bei Hans Blumenberg und Wilhelm von Ockham, M¨unchen: Karl Alber, 1998 (Alber Reihe Philosophie) vorgelegt worden ist: Einmal abgesehen davon, dass das Allmachts-Paradigma gar nicht als Alleinstellungsmerkmal ‘des’ Nominalismus zu gelten vermag (s.o., S. 96f.), bleibt es auch G OLDSTEIN schuldig anzugeben, wer denn zwischen O CKHAM und der Neuzeit jene Kontinuit¨at nominalistischer Thesen gew¨ahrleistet haben soll, welche u¨ berhaupt erst die unterstellten neuzeitlichen Reaktionen hervorgerufen haben k¨onnte. 3
Kapitel 26
Schlussbetrachtung Die Frage nach der sakramentalen Wirksamkeit ist eine jener klassischen scholastischen Fragen, deren Reichweite sich auf die unterschiedlichsten Disziplinen erstreckt. So sehr sie grunds¨atzlich ein theologisches Problem anspricht und sich von einschl¨agigen altkirchlichen auctoritates geleitet sieht, greift sie im Spannungsfeld von Sch¨opfungsproblematik, Ursachenlehre und Semiotik auch metaphysische, physikalische und logische Probleme auf. Die vorliegende Studie hat sich den scholastischen Ausformulierungen dieser Wirksamkeitsfrage im ausgehenden Mittelalter gewidmet und damit den zeitlichen Schwerpunkt auf eine Epoche gelegt, die – in bisweilen expliziter Abgrenzung von fr¨uheren Phasen der Scholastik – eine besondere Sensibiblit¨at f¨ur das Zusammenspiel von theologischen und nicht-theologischen Disziplinen entwickelt hat. Eingesetzt hat die vorliegende Studie daher mit einigen allgemeinen Anmerkungen zu dieser Abgrenzungshaltung in der Scholastik des 15. Jahrhunderts insbesondere gegen¨uber dem sp¨ateren 14. Jahrhundert. Ausgehend von einigen Traktaten J EAN G ERSONS und in Anlehnung an das Pro¨omium zur Melker Lectura des ¨ N IKOLAUS VON D INKELSB UHL ist nicht nur untersucht worden, worin deren Kritik an der scholastischen Vorgehensweise des 14. Jahrhunderts bestanden hat, sondern es ist an der Sentenzentradition und an einigen Aspekten der Zeichenlehre dieses 14. Jahrhunderts auch u¨ berpr¨uft worden, inwiefern diese Kritik tats¨achlich zutrifft. Dabei hat sich gezeigt, dass das, was sich als zentrales Problem herausstellen l¨asst – ein allzu weitgehender Einbezug von philosophischen ¨ Uberlegungen in die Theologie –, einer Vorgehensweise entspricht, die an den terministae nicht weniger kritisiert wird als an den formalizantes. Im Einklang mit den Ergebnissen der j¨ungeren Forschung best¨atigt sich daher, dass die Probleme, mit denen sich die Scholastik zu Beginn des 15. Jahrhunderts konfrontiert sieht, nicht als Resultat einer ‘nominalistischen Krise’ betrachtet werden k¨onnen: So sehr das Verh¨altnis von Logik und Theologie zu einer der zentralen Fragen zu Beginn des 15. Jahrhunderts herangewachsen ist, wird damit doch eine Thematik angesprochen, welche die ‘Ockhamisten’, die das Pariser Universit¨ats-Statut von 1340 anvisiert hat, nicht weniger betrifft als den durch und durch realistischen J OHN W YCLIF.
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Kapitel 26: Schlussbetrachtung
Ein zweiter Teil hat die Wirksamkeitsproblematik daher unter dem Blickwinkel dieses Verh¨altnisses von Theologie und Logik aufgegriffen und nachgezeichnet, wie sich bereits im Vorfeld der Diskussionen des ausgehenden Mittelalters die Frage der sakramentalen Wirkweise im Spannungsfeld von auctoritas und ratio entwickelt. Dabei lassen sich unterschiedliche Typen des Umgangs mit dieser Spannung nachweisen, die nicht nur einer systematischen Unterscheidung, sondern auch einer historischen Entwicklung entsprechen: W¨ahrend R ICHARD F ISHACRE und B ONAVENTURA so sehr auf die ratio bauen, dass sie die auctoritates bloß noch in einem u¨ bertragenen Sinn verstehen, versuchen T HOMAS VON AQUIN und sp¨ater auch D UNS S COTUS L¨osungen zu pr¨asentieren, die zwar einen v¨ollig rationalen Ansatz vertreten, den auctoritates aber dennoch im Wortsinn entsprechen. Weil S COTUS nun allerdings das PaktModell vertritt und T HOMAS die Mitwirkungs-Variante verteidigt, obwohl sich beide auf dieselben auctoritates berufen, wird die grunds¨atzliche Stoßrichtung der auctoritates mehr und mehr in Frage gestellt: Zu Beginn des 14. Jahrhunderts interpretiert zuerst D URANDUS VON S T. P OURC¸ AIN die auctoritates dahingehend, dass eine tats¨achliche Urs¨achlichkeit der Sakramente gar nicht belegt werde; wenig sp¨ater folgt ihm P ETRUS AUREOLI und zeigt dasselbe im Hinblick auf die Annahme einer geistigen Kraft in den Sakramenten. Die auctoritates treten in der Wirksamkeitsdiskussion daher in den Hintergrund: In der Mitte des 14. Jahrhunderts verteidigen auch Vertreter des MitwirkungsModells, wie etwa JAKOB VON E LTVILLE, ihren Ansatz allein unter R¨uckgriff auf rationes. Am Beispiel von Kommentaren aus dem Umfeld der Wiener Universit¨at ist in einem dritten Teil aufgezeigt worden, wie die Autorit¨atenfrage im Umbruch zum 15. Jahrhundert wieder in die Diskussion Eingang findet – und zwar nicht nur in der bisherigen Form der altkirchlichen auctoritates, sondern auch in einer neuen Form von Autorit¨at, die großen Scholastikern wie T HOMAS und S COTUS mehr und mehr einen eigenen autoritativen Status zuspricht. Diese Wiener Kommentare beschr¨anken sich denn auch weitgehend auf eine oft wortw¨ortliche Reproduktion der Meinungen dieser Gr¨oßen, die sie durch die Vermittlung von H EINRICH VON OYTA und H EINRICH VON L ANGENSTEIN kennen; in detaillierten Textstudien lassen sich diese Bez¨uge aber nicht nur auf¨ zeigen, sondern es wird auch deutlich, dass die Autoren ihre Text-Ubernahmen ¨ gezielt zu nuancieren und ihren eigenen Uberzeugungen anzupassen wissen. Ein auch literarisch eigenst¨andigerer Ansatz findet sich schließlich in D IN ¨ KELSB UHLS Melker Lectura, die nun aber einen inhaltlich bedeutenden Umschwung vollzieht: W¨ahrend sich N IKOLAUS in seinem Wiener Kommentarwerk noch als klarer Verfechter von S COTUS’ Pakt-Modell a¨ ußert, zieht er in der Melker Lectura die Konsequenzen aus dem Wiedererstarken der auctoritates und entscheidet sich f¨ur T HOMAS’ Mitwirkungs-Variante.
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Der vierte Teil der vorliegenden Untersuchung hat sich schließlich der Wirksamkeitsproblematik gewidmet, wie sie in Sentenzenkommentaren und verwandten Schriften des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts bearbeitet wird, und hat dies – als Abrundung der Frage zum Verh¨altnis von auctoritas und ratio, von Logik und Theologie – mit semiotischen Modellen verglichen, wie sie in den Kommentaren zu den Summulae logicales des P ETRUS H ISPANUS auftauchen. Bereits aus den Darstellungen der Wirksamkeitsproblematik ist dabei deutlich geworden, dass jene Theologen, die im Einzugsbereich der via antiqua wirken, nicht z¨ogern, ihren großen Vorbildern gem¨aß die Wirksamkeitsfrage in durchwegs rationaler Weise anzugehen – auch wenn sich diese ratio als ‘geb¨andigte’ erweist: In Anlehnung an die großen Scholastiker des sp¨ateren 13. und fr¨uhen 14. Jahrhunderts bewegen sich die hier untersuchten Autoren nicht nur inhaltlich, sondern auch argumentativ auf den Pfaden, die ihre jeweiligen Vorbilder bereits vorgespurt haben. Zur¨uckhaltender im R¨uckgriff auf die ratio geben sich die beiden hier vorgestellten Nominalisten, die in ihren Ausf¨uhrungen dennoch nicht weniger rational vorgehen: Bei G ABRIEL B IEL erweist sich die behauptete Zur¨uckhaltung als reines Lippenbekenntnis; doch auch J OHN M AIR, der sich um Kriterien bem¨uht, wann es im Rahmen der Theologie erlaubt sei, auf andere Wissenschaften zur¨uckzugreifen, sieht in der Wirksamkeitsfrage die Voraussetzungen gegeben, rational zu argumentieren. Angesichts des zutiefst semiotischen Charakters, der unbestritten von allen Autoren den Sakramenten zugewiesen wird, erstaunt es daher nicht, dass ein letztes Kapitel Parallelen zwischen den unterschiedlichen semiotischen Ans¨atzen der viae und den jeweils vertretenen Wirksamkeits-Modellen aufzeigen kann. Dabei best¨atigt sich aber auch, was sich bei den jeweiligen Pr¨aferenzen f¨ur die L¨osung der Wirksamkeitsfrage bereits abgezeichnet hat: Die Trennung verl¨auft in der vorliegenden Frage nicht zwischen via antiqua und via moderna, sondern es sind sich Scotisten und Nominalisten auf der einen, und Thomisten und Albertisten auf der anderen Seite grunds¨atzlich einig. In der zeitlichen Spanne vom 13. bis zum fr¨uhen 16. Jahrhundert hat damit die vorliegende Untersuchung dargestellt, wie das Zusammenspiel von semio¨ tischen Uberlegungen und autoritativen Anforderungen die Debatte um die sakramentale Wirksamkeit bestimmt. Neben den eigentlichen Beobachtungen zur Entwicklung der Wirksamkeitsproblematik hat dieser Durchgang erm¨oglicht, einen Blick auch auf die Entwicklung der Quellengattung selbst zu werfen, aus der sich die vorliegende Untersuchung vorwiegend gespiesen hat: jene der Sentenzenkommentare. Dabei zeigt sich grunds¨atzlich, wie lebendig das Genre bis ins 16. Jahrhundert hinein bleibt und wie es in den unterschiedlichsten Formen, in denen sich Autoren des ausgehenden Mittelalters der Sentenzentradition zuwenden, weiterhin ausgiebig und weitgehend ausschließlich genutzt wird, um eine theologische Gesamtschau zu erarbeiten und zu vermitteln. Es stellt sich
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Kapitel 26: Schlussbetrachtung
insbesondere heraus, dass Anlehnungen an fr¨uhere Kommentare, auch wenn sie u¨ ber weite Strecken in Form von w¨ortlichen Zitaten erfolgen und von der modernen Forschung daher als lecturae secundum alios abgetan worden sind, der Lebendigkeit des Genres nicht abtr¨aglich sind. Selbst in den Wiener Kommentaren aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts, die sich streckenweise so a¨ hnlich sind, dass nur noch von einem Gruppen-Kommentar gesprochen werden kann, wird aus strukturierenden Eingriffen und redaktionellen Nuancen doch deutlich, dass unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen theologischen Pr¨aferenzen ¨ am Werk gewesen sind. Ahnliches gilt f¨ur die Abbreviationes, die zu D IN ¨ KELSB UHLS Melker Lectura untersucht worden sind, und es gilt dies ohnehin f¨ur die Kommentare des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts, die sich einem scotistischen Milieu zuordnen lassen: Die Vielfalt an pointierten Meinungen, die vertreten werden, ist enorm, und es zeigt sich, dass S COTUS’ eigene Ausformulierung der Pakt-Variante selbst unter diesen scotistischen Autoren bei weitem nicht die gr¨oßte Anerkennung findet. Hinsichtlich der stilistischen Entwicklung des Genres l¨asst sich nachweisen, dass in der zweiten H¨alfte des 14. Jahrhunderts aus einer Mischung der positions-zentrierten Pariser Kommentare und dem Essay-Stil der englischen Sentenzentradition ein geometrischer Quaestionen-Stil entsteht, der die Fragestellung selbst, die einleitenden Argumenta und die Artikel einer Quaestio logisch aufeinander hinordnet und einem EUKLID ’ SCHEN Vorgehen gem¨aß das Material in Supposita, Conclusiones und Correlaria unterteilt, die es in oft ausufernder Weise erm¨oglichen, unter einer einzigen Fragestellung die unterschiedlichsten Themen zu vereinen. Mit der st¨arker didaktischen Ausrichtung des 15. Jahrhunderts verschwinden diese monumentalen Quaestiones und es erscheinen wieder konzisere, auf ein einziges Thema ausgerichtete Fragestellungen, die sich der strukturierenden Unterteilungen des geometrischen Stils zwar weiterhin bedienen, dies aber st¨arker zu Darstellungs- als zu Begr¨undungszwecken tun. Neben diese Quaestionen-Form tritt nun aber eine Vielzahl von anderen Formen, von kompendienhaften reinen Texterkl¨arungen u¨ ber syllogistische Zusammenfassungen bis hin zu Neuorganisationen des gesamten Sentenzenmaterials; und es zeigt sich, dass auch diese neuen Formen oft mit einer grund¨ s¨atzlichen Anderung der Funktion dieser Sentenzenliteratur zusammenh¨angen: Ein bedeutender Teil der vorgestellten Werke verfolgt nicht mehr das Ziel, im Rahmen der theologischen Ausbildung eines Autoren dessen magistrale Kompetenz unter Beweis zu stellen, sondern es handelt sich um die Werke gestandener Theologen, die ein rein didaktisches Ziel verfolgen und angesichts der F¨ulle des vorhandenen Materials Orientierung bieten wollen. Diese Formenvielfalt illustriert daher ebenso wie die Vielfalt an Positionen und Meinungen, die im Durchgang durch das 15. und fr¨uhe 16. Jahrhundert beleuchtet worden sind, wie wenig man dieser Phase der Scholastik gerecht wird,
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wenn man sie auf das Ausfechten einiger uninspirierter Schulstreitigkeiten reduziert. Dass die Rede vom Wegestreit zwischen via antiqua und via moderna als u¨ bergeordnetes Interpretationsschema f¨ur diese Zeit zu kurz greift, zeigt sich schon allein an der gr¨oßeren Anzahl an unterscheidbaren Traditionen, die sich in der hier untersuchten Frage schlicht nicht auf diese herk¨ommliche Zweiteilung abbilden lassen. Vielmehr sind sich die realistischen Scotisten mit den Nominalisten weitgehend einig, und die Universalienfrage, die immer noch als zentraler Streitpunkt zwischen den Parteien dieser Epoche gilt, ist bloß bei einem der sp¨atesten der hier untersuchten Autoren, bei J OHN M AIR n¨amlich, u¨ berhaupt gestreift worden. Was die Denktraditionen zu scheiden scheint, sind weniger inhaltliche Bestimmungen des Wesens von Allgemeinbegriffen als die viel grundlegendere Frage, wie sich vor dem Hintergrund einer immer breitere gesellschaftliche Schichten erreichenden akademischen Ausstrahlung der Umgang mit Wissen absichern, wie sich der Gebrauch der ratio b¨andigen l¨asst. W¨ahrend Vertreter der via antiqua auf die bew¨ahrten Denk-Wege etablierter Scholastiker vertrauen und im abgesteckten Rahmen der Synthesen eines A L BERTS, eines T HOMAS oder eines S COTUS ein Zusammengehen von philosophischen und theologischen Ans¨atzen propagieren, stehen Vertreter der via moderna f¨ur eine st¨arkere Trennung der Disziplinen ein, um die Philosophie nicht mit metaphysischem Balast zu u¨ berladen und die theologische Lehrst¨ucke nicht durch philosophische Spekulation zu untergraben. Mit diesem Fokus auf Wissens-Sicherung und B¨andigung der ratio, ein Fokus, der durch die zunehmende volkssprachliche Gelehrsamkeit und die aufkommenden humanistischen Denk-Alternativen noch vers¨arkt worden ist, geht es einher, dass didaktische Ziele dominieren und Probleme daher o¨ fter dargestellt als debattiert werden; aber das heißt noch lange nicht, dass diese Darstellungen deswegen gleichf¨ormig oder steril w¨aren. Vielmehr zeigt sich, was den ‘Traditionalismus’ dieser Epoche betrifft, gerade an der Wirksamkeitsfrage, welch konstruktiven Umgang diese Autoren mit ihrer Tradition gepflegt haben: Es wird nicht einfach nachgebetet, was die Schulh¨aupter vertreten haben, sondern es wird weiterhin eine theologische Problematik aufgegriffen, die sich allenfalls im Sinne des Schulhaupts l¨osen l¨asst. Selbst dort, wo eine solche Anlehnung vorliegt, u¨ berwiegt aber das Bem¨uhen, den u¨ bernommen Ansatz rational zu durchdringen und zu plausibilisieren. Diesem Bem¨uhen um eine rationale Durchdringung d¨urfte es denn auch geschuldet sein, dass sich die Theologen des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts in der vorliegenden Frage nicht selten von großen Autorit¨aten abwenden: Das liegt bei all jenen Scotisten auf der Hand, die sich gegen S COTUS an B ONAVENTURA oder J OHANNES DE BASSOLIS anlehnen, das wird beim Pariser Albertisten L AMBERTUS DE M ONTE deutlich, der den Ansatz der Summa Halensis reaktualisiert, und das zeigt sich bei G ABRI EL B IEL, der sich in seinen Ausf¨ uhrungen zur Ursachen-Problematik gegen die
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Unterscheidung von eigentlichen und sine qua non-Ursachen stellt, die O CK HAM im Rahmen der Wirksamkeitsfrage erarbeitet hat. So sehr diese Autoren bereit sind, sich in die Tradition einzuf¨ugen und sich an andere, gr¨oßere Denker anzulehnen, so schalten sie doch ihr eigenes Denken nicht aus, sondern vertreten einen rationalen Anspruch, der deutlich macht, dass sie von fideistischen Ans¨atzen weit entfernt sind. Angesichts eines derart rationalen und souver¨anen Umgangs mit der Tradition ist es daher auch verk¨urzt, dieser Epoche eine apologetische Grundausrichtung zu unterstellen. F¨ur eine ganze Reihe von thomistischen Autoren im Gefolge von C APREOLUS mag dies zwar zutreffen, aber bereits der K¨olner Thomist H EINRICH VON G ORKUM stellt in seinen Kompendien in erster Linie dar, was T HOMAS’ (oder P ETRUS ’ L OMBARDUS) Meinung ist, ohne sich f¨ur allf¨allige Gegenargumente zu interessieren. Das gilt auch f¨ur die Mehrheit der untersuchten scotistischen Kompendien, und es gilt dies insbesondere auch f¨ur S TEPHAN B RULEFER, der unter Ausblendung nicht nur der historischen Fakten sondern auch der zeitgen¨ossischen thomistischen Diskussion behaupten kann, es w¨urde inzwischen ohnehin jedermann das Pakt-Modell vertreten. Entsprechend h¨alt sich denn auch der polemische Charakter der untersuchten Werke in Grenzen. Eine echte Auseinandersetzung mit den gegnerischen Positionen ist nur selten festzustellen: Mehrfach wird T HOMAS’ Mitwirkungs-Variante lediglich gem¨aß den a¨ lteren Ausf¨uhrungen B ONAVENTURAS dargestellt und T HO MAS’ Modell einer instrumentalen Mitwirkung deshalb gar nicht beschrieben; und C APREOLUS, der sich selbst mit keinem Autor nach 1350 auseinandersetzt, legt f¨ur die nachfolgenden Thomisten weitgehend fest, welches die Gegenargumente zu T HOMAS’ Position seien. Es f¨allt daher auf, dass ein Austausch zwischen den einzelnen theologischen Richtungen nicht stattgefunden zu haben scheint. So sehr W ILHELM VON VAUROUILLON unter den Scotisten eine breite Rezeption erf¨ahrt, so sehr C APREOLUS in der Wirksamkeitsfrage den Ansatz von T HOMAS’ Sentenzenkommentar bis zu C AJETAN hin zementiert und so sehr sich J OHN M AIR in sch¨arfster Polemik gegen G ABRIEL B IEL wendet, handelt es sich doch stets um Bez¨uge innerhalb der jeweiligen Tradition und nicht zwischen den Traditionen. Mit Blick auf die hier untersuchte Thematik fragt sich daher, inwiefern u¨ berhaupt von einem Streit zwischen den einzelnen Richtungen gesprochen werden kann. Wenn es vielmehr ein Kennzeichen gibt, das diese theologische Scholastik von fr¨uheren Epochen unterscheidet, dann scheint es am ehesten jenes einer gegenseitigen Ignoranz zu sein: W¨ahrend es f¨ur Autoren des 13. und zumindest der ersten zwei Drittel des 14. Jahrhunderts selbstverst¨andlich gewesen ist, auf Argumente ihrer Zeitgenossen umgehend zu reagieren, scheinen die hier untersuchten Autoren nicht wahrzunehmen, was in der Sentenzenliteratur der anderen theologischen Richtungen verhandelt wird.1 1
Dazu vgl. auch H OENEN: Philosophie und Theologie (2007), S. 89.
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Entsprechend unn¨otig ist es f¨ur sie deshalb, u¨ berhaupt große Polemiken vom Zaun zu brechen und ausf¨uhrliche Apologien vorzulegen – zumal das Material, das es aus der vorangehenden Zeit aufzuarbeiten gilt, einen unglaublichen Umfang angenommen hat. Die Leistung dieser Autoren des 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts liegt denn auch vor allem darin, dass sie sich in der F¨ulle der sp¨atmittelalterlichen Theologie zu bewegen wissen, Orientierung leisten und im Spannungsfeld von traditionellen Fragen, schulspezifischen Antworten und kirchlichen Vorgaben Synthesen pr¨asentieren, die weiterhin einem rationalen Anspruch gerecht zu werden suchen. Es ist diese synthetische Leistung, um derentwillen sie – aller humanistischen Polemik zum Trotz – weit u¨ ber den Beginn des 16. Jahrhunderts hinaus gesch¨atzt und genutzt worden sind. Davon zeugen die Neuauflagen ihrer Werke zum Teil bis ins 17. Jahrhundert hinein,2 davon zeugt, dass in fr¨uhneuzeitlichen Ausgaben von Sentenzenkommentaren des 13. oder 14. Jahrhunderts durchaus auch die Namen einer ganzen Reihe der hier untersuchten Autoren auftauchen, wenn die Herausgeber am Beginn einer neuen Quaestio angeben, wer sich alles sonst noch mit der vorliegenden Frage besch¨aftigt habe.3 Die Wirksamkeitsdebatte selbst klingt mit den universit¨aren Umstrukturierungen des fr¨uhen 16. Jahrhunderts und mit dem Ausbruch der Reformation nicht ab. Zwar macht sich das Ende des Wegestreits auch in den theologischen Werken insofern bemerkbar, als der ignorante Blickwinkel bloß auf die eigene Tradition verschwindet und auch die zeitgen¨ossischen Autoren wieder vermehrt rezipiert werden;4 zudem verlagern sich, wie das bereits kurz angedeutet worden ist, die vertretenen Modelle eher in Richtung einer moralischen Kausalit¨at. Weil nun auch das Trienter Konzil eine Formulierung w¨ahlt, die ein Verst¨andnis der Sakramente als bloße Zeichen nur gerade so weit zur¨uckweist, dass die Protestanten noch verurteilen werden k¨onnen, ein Festhalten an S COTUS’ signum 2 So wird insbesondere P ETRUS TARTARETUS in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts in Venedig noch einmal aufgelegt (vgl. W EGERICH: Bio-Bibliographische Notizen (1942), S. 189f.); nach 1570 erneut gedruckt werden C AJETAN, J OHANNES C APREOLUS, PAULUS BARBUS DE S ONCINO und S YLVESTRO M AZZOLINI, sowie N ICOLAS D ENYSE und P ELBARTUS T EMESWAR. 3 So tauchen im Rahmen der Quaestiones zur allgemeinen Sakramentenlehre in WADDINGS Ausgabe von S COTUS’ Reportationes auch G ABRIEL B IEL und J OHN M AIR auf; welche beide zusammen mit C APREOLUS auch etwa bei M ICHAEL A IGUANI: In quatuor libros sententiarum, ed. Venedig 1622 aufgef¨uhrt werden. 4 Das gilt bereits f¨ur J OHANNES F INDLING, der in ausdr¨ucklicher Anlehnung an VAU ROUILLON im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in Ingolstadt die Sentenzen kommentiert (s.o., S. 458, Anm. 30), dabei aber auch ausf¨uhrlich auf G ABRIEL B IEL eingeht, vgl. beispielsweise M¨unchen, UB, 8° Cod. ms. 28, fol. 16v–17r; f¨ur die parallele Entwicklung bei den Ingoldst¨adter Artisten um J OHANNES E CK vgl. S EIFERT, A RNO: Logik zwischen Scholastik und Humanismus. Das Kommentarwerk Johann Ecks, M¨unchen: Fink, 1978 (Humanistische Bibliothek 1.31). Deutlicher wird dies dann bei S OTO oder bei der oben, S. 421, Anm. 81 zitierten Meinungsvielfalt, die M ATTHIAS AQUARIUS anzuf¨uhren weiß.
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efficax aber weiterhin m¨oglich ist, bleibt die Wirksamkeitsfrage auch bis ins 17. Jahrhundert hinein weiterhin Gegenstand der scholastischen Diskussion.5 Eine unerwartete Fortsetzung findet die Debatte zudem auf protestantischer Seite: W¨ahrend die Lutheraner eine ex opere operato-Kausalit¨at der Sakramente zwar zur¨uckweisen, mit ihrer Lehre von der Realpr¨asenz Christi im Abendmahl aber dennoch an einem intrinsischen Geschehen im Sakramentenvollzug festhalten,6 sehen Zwinglianer und sp¨ater auch Calvinisten in den Sakramenten bloße Zeichen ohne jegliche Wirkung.7 In den konfessionellen Debatten, die im Rahmen der protestantischen Scholastik seit dem sp¨aten 16. Jahrhundert aufbrechen, steht daher unter etwas ver¨anderten Bedingungen erneut eine Mitwirkungs-Variante einem Modell gegen¨uber, das den Sakramenten jeglichen Effekt u¨ ber die bloß rememorative Funktion des Sakramentalzeichens hinaus abspricht. Interessanterweise bleibt diese Diskussion nicht auf die Theologie beschr¨ankt, sondern weitet sich in die protestantischen Logik-Handb¨ucher aus, wo sich in derselben Zuordnung zu den beiden konkurrierenden SakramentenModellen auch dieselben zwei semiotischen Modelle ausmachen lassen, die bereits in den sp¨atmittelalterlichen Kommentaren zu P ETRUS H ISPANUS ausgearbeitet worden sind.8 Sakramentenlehre und Semiotik bleiben daher auch u¨ ber den hier untersuchten Zeitraum hinaus zwei miteinander verflochtene Problemfelder. Der zeitliche Fokus der vorliegenden Untersuchung hat es erm¨oglicht, in einer kaum erforschten Epoche der Scholastik und aus den Schriften weitgehend unbekannter Autoren dieses Zusammenspiel nicht nur von semiotischer und theologischer, sondern auch von physikalischer und metaphysischer Problematik in einem Umfeld auszuleuchten, das f¨ur seine besondere Sensibilit¨at f¨ur das 5 Vgl. DH 1606: Si quis dixerit, sacramenta novae legis non continere gratiam, quam significant, aut gratiam ipsam non ponentibus obicem non conferre, quasi signa tantum externa sint acceptae per fidem gratiae vel iustitiae, et notae quaedam christianae professionis, quibus apud homines discemuntur fideles ab infidelibus: anathema sit. Vgl. I TURRIOZ: Causalidad (1951), S. 285f. 6 Vgl. den zehnten Artikel der Confessio Augustana, und st¨arker noch M ELANCHTHONS Apologia confessionis Augustanae X 4, ed. und trad. H.G. P¨ohlmann (1967), S. 130: ...dass ” wir die in der ganzen Kirche anerkannte Meinung verteidigen, dass im Abendmahl des Herrn der Leib und das Blut Christi wirklich und wesentlich gegenw¨artig sind.“ 7 Vgl. den Consensus Tigurinus 13, ed. Campi/Reich, trad. W¨alchli (2009), S. 231: Wie ” daher Paulus anmahnt, dass derjenige, der anpflanzt oder bew¨assert, nichts ist, sondern allein Gott, der das Wachstum gibt, ebenso gilt es von den Sakramenten zu sagen, dass sie nichts sind, weil sie nichts n¨utzen k¨onnten, wenn nicht Gott alles insgesamt bewirkt.“ 8 Vgl. M EIER -O ESER , S TEPHAN: Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie von der Renaissance bis zum fr¨uhen 19. Jahrhundert, in: P OSNER/ROBERING/S EBEOK: Semiotik II (1998), S. 1199–1232, S. 1207f., sowie RONCAGLIA , G INO: Hoc est corpus meum. Logic and Theology in German ‘Protestant Scholastics’, in: KOISTINEN , T IMO/L EHTONEN , T. (Hrsg.): Philosophical Studies in Religion, Metaphysics, and Ethics, Helsinki, 1997 (Schriften der Luther-Agricola Gesellschaft 38), S. 214–238.
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Verh¨altnis zwischen den Disziplinen bekannt ist. Dabei ist nun aber ein Reichtum und eine F¨ulle in der akademischen Kultur begegnet, die von einem h¨ochst souver¨anen und meist auch klugen Umgang mit der Wirksamkeitsproblematik zeugt. In lebendiger Auseinandersetzung mit der Tradition erbl¨uht im 15. und fr¨uhen 16. Jahrhunderts eine u¨ berraschende Vielfalt nicht nur an vertretenen Meinungen, sondern auch an verwendeten Formen; und so entfaltet denn das Nachdenken u¨ ber diese Zeichen, indem es solchen Reichtum und solche F¨ulle mitverursacht, seine ganz eigene Wirkung – unabh¨angig davon, ob den Zeichen eine eigene Wirksamkeit zugesprochen worden ist oder nicht.
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– Clm 3546: 311–313 – Clm 3548: 312–315, 317–324, 331, 332, 339 – Clm 3564: 381, 382 – Clm 8455: 291, 292, 295–299, 301, 304–309, 317, 318, 322–324, 333, 340, 343, 345, 354, 357, 358, 360, 361, 372 – Clm 8867: 250–254, 256, 258–260, 280–282, 307, 343, 345 – Clm 11591: 225–242, 284–286, 294, 297, 298, 309, 313, 317, 329, 332, 336, 342, 509, 510, 512 – Clm 14152: 380 – Clm 14259: 9, 224 – Clm 18895: 379 – Clm 26711: 9, 230, 234 – Universit¨atsbibliothek – Fol. Cod. 105: 230 – 8° Cod. 28: 458, 475, 589 Paris – Biblioth`eque Mazarine – 830: 151 – 959: 399–402 – Biblioth`eque Nationale – lat. 3076: 417 – lat. 15883: 8, 55, 57, 224 – Biblioth`eque de la Sorbonne 193: 16, 60, 231, 492, 496, 507 Prag, N´arodn´ı Knihovna – I.C.15: 380 – I.D.23: 9 – V.B.23: 250–254, 256–260, 280–282, 300, 306, 307, 343, 345 Salzburg, St. Peter, b XII 2: 291 Troyes, Biblioth`eque municipale 62: 8
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Handschriftenregister
Wien ¨ – Osterreichische Nationalbibliothek – Cod. 3679: 313 – Cod. 4004: 263, 265, 267–277, 279– 282, 306, 308, 318, 340 – Cod. 4319: 250 – Cod. 4820: 311, 328, 336–350, 353,
354, 356–358, 360, 361, 363, 365, 369, 372, 382, 395 – Schottenstift – 201 (170): 291 – 269 (274): 291 Wolfenb¨uttel, Herzog-August-Bibliothek – Cod. Guelf. 384 Helmst.: 512
Personenregister Adam Wodeham 16, 54, 57, 58, 60, 96, 231, 238, 286, 320, 349, 368, 399, 406, 455, 492, 493, 496, 507, 510 Aegidius Carlerii 397–404, 406, 407, 413, 414, 441, 580 Aegidius Romanus 169, 385, 396, 459, 462, 473, 481 Albert der Große 157, 385, 396, 397, 402, 408, 409, 411, 416, 430, 438, 440, 441, 443, 444, 446, 448, 453, 561, 587 Albert von Sachsen 74, 77, 99, 100, 493 Albrecht V., Herzog von Habsburg 32, 33 Alexander von Hales 62, 126, 128, 130, 138, 140, 141, 145, 147, 148, 197, 218, 333, 334, 385, 421, 443, 455, 461, 464, 466–469, 474, 475, 479, 487, 491, 516, 517, 528, 543, 544 Alfonsus Vargas Toletanus 55, 97, 226, 230 Ambrosiaster 148, 256, 300 Ambrosius 219, 410, 422 Amerigo Vespucci 537 Anaxagoras 182 Antoninus Florentinus 420, 425 Antonio de Fantis 450, 454, 455 Antonio Mancinelli 536 Aristipp 536 Aristoteles 14, 16, 17, 68, 70–73, 86, 105, 121, 131, 154, 158, 160, 161, 170, 171, 180, 187, 188, 199, 200, 204, 206, 215, 216, 265, 293, 303, 371, 408, 409, 411, 427, 438, 450, 455, 483, 493, 494, 500, 520, 531, 536, 547, 550, 551, 554, 560, 578 Arnold von Seehusen 289, 311–325, 328, 329, 331, 332, 335, 339, 341, 342, 344, 347, 357, 364, 368, 369 Augustin 4–6, 12–14, 20, 34, 107, 108, 114, 121–126, 129, 130, 132, 135, 136, 143, 168, 201, 202, 218–220, 228, 229,
242, 256, 265–267, 270, 273, 274, 293, 296, 303, 306, 320, 321, 329, 344, 345, 357, 360, 361, 364, 371, 395, 402, 410, 411, 422, 428, 442, 445, 478, 493, 495, 497, 515–517, 539, 553, 555, 557, 560– 563 Averroes 158, 161, 204, 396, 409, 453, 483 Avicenna 17, 158, 161, 208, 391, 539 Basilius von C¨asarea 422 Beda Venerabilis 242, 344, 345, 361, 364, 410 Berengar von Tours 5, 6, 122, 123 Bernhard von Clairvaux 130, 153, 224, 265, 303, 343, 344, 361, 363, 364, 463, 545 Boethius 14, 70–72, 121, 154, 200, 215, 383, 578 Bonaventura 16, 23, 87, 127, 129, 131, 140–149, 157, 160, 166, 168, 169, 178, 179, 182, 184, 187–189, 197, 223, 239, 240, 278, 293, 310, 319, 320, 322, 333, 334, 352, 355, 363, 367, 372–375, 385, 388–391, 395, 396, 421, 444, 453, 455, 458–462, 464, 466–471, 475, 480–482, 486, 487, 490, 491, 508–511, 514, 528, 545, 580, 584, 587, 588 Cajetan (Thomas de Vio) 23, 151, 162, 415, 417–419, 421, 422, 424, 425, 428–436, 460, 479, 481, 482, 580, 588, 589 Christannus de Susato 35 Chrysostomos Javelli 96 Chrysostomus 410 Cicero 560 Clemens de Terra Salsa 424 Denis Roce 59 Diego de Deza 23, 419, 420
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Personenregister
Dionysius Aeropagita 162, 383 Dionysius der Kart¨auser 383–392, 395, 404, 407, 438, 451, 528 Domingo de Soto 100, 436, 437, 479, 589 Durandus von St. Pourc¸ain 2, 18, 23, 27, 53, 57, 61, 62, 131, 155, 192–203, 211, 213, 217, 218, 222, 223, 231, 239, 240, 264, 349, 365, 367, 370, 374, 375, 383, 385, 389–391, 395, 399–403, 405–411, 416, 420, 421, 429, 470, 473, 487, 492, 494, 511, 516, 528, 529, 542, 543, 546, 552, 584 Epikur 536 Erasmus 489 Erhardus Wissmuller de Trochtelfingen 33 Euklid 56, 586 Filippo Fabri 454 Florentius Diel 565, 573 Franciscus de Marchia 15, 16, 53, 61, 62, 64, 224, 368 Franciscus de Mayronis 79, 368, 457, 458, 487 Franciscus von Peruggia 473, 474 Francesco Silvestri 418–421 Franciscus Toti de Perusia 474 Francisco de Vitoria 436, 479 Friedrich Johannes de Friedburg 327 Gabriel Biel 23, 25, 97, 191, 413, 421, 458, 478, 492, 512–534, 540, 541, 543, 546– 550, 552, 569, 580–582, 585, 587–589 Georg von Br¨ussel 566–568, 575 Gerardus van Harderwijk 561, 570, 571, 575 Gerardus de Monte 430, 441 Gerhardus Odonis 451 Girardus Fuleti de Salinis 457 Gerhard Zerbolt von Zutphen 440 Gerardus de Zutphania 440, 441, 446 Girolamo Savonarola 23, 417 Gottfried von Fontaines 462 Gratian 34, 218–221, 228, 296, 330, 410, 416, 442 Gregor der Große 34, 45, 49, 110, 220, 221, 291, 293, 296, 330, 360, 442 Gregor von Rimini 54, 55, 59, 61, 63, 168, 226, 230, 310, 406, 492 Guido Briansonis 456, 458, 464, 465, 472–
480, 482, 485–487, 515, 516, 529, 582 Guido Terreni 399 Guillermo Gorriz 451, 452, 454–456 Heinrich von Altendorf 232, 285, 512 Henricus de Cervo 368 Heinrich von Ghent 57, 157, 169, 178, 184, 188, 197, 304, 391, 399, 451, 453, 455, 459, 462, 473, 487, 498 Heinrich von Gorkum 423–427, 450, 457, 540, 588 Heinrich Gran 566 Heinrich von Langenstein 8, 32, 56, 225, 247, 248, 250, 251, 283–285, 287, 288, 302, 310, 313, 336, 339, 496, 512, 584 Heinrich von Oyta 32, 56, 60, 247, 248, 250–284, 293, 296, 299, 300, 302–310, 318, 320, 329, 332, 340, 343, 345, 346, 349, 351, 377, 382, 496, 503, 584 Heinrich von Susa 259 Hermannus Etzen 456 Hermannus de Grevenstein 512 Hervaeus Natalis 155, 167, 192, 417, 419, 420 Heymericus de Campo 430, 438–441, 448 Hieronymus 221, 422 Hieronymus Dungersheim 427, 428, 450 Hieronymus von Prag 35, 44, 79, 87, 88, 111 Homer 401 Hugh of Lawton 130 Hugo de Novocastro 455 Hugo von St. Cher 122, 126, 132–134, 139, 141, 156, 299, 337 Hugo von St. Viktor 34, 122, 124–126, 130, 197, 228, 273–280, 282, 283, 293, 296, 298, 309, 319, 342, 346, 360, 361, 364, 401, 445, 459, 471, 495, 516, 517 Hugolino von Orvieto 8, 96, 368 Ippolito Marsili 566 Isidor Isolani 415 Isidor von Sevilla 4, 220, 221, 295, 296, 361, 442, 560 Jacques Almain 23 Jacobus Arigonus 424 Jakob von Eltville 56, 57, 102, 224–242, 248, 251, 252, 255, 283–287, 293–298, 301–304, 306, 309, 310, 312–314, 317–
Personenregister
321, 325, 329, 331, 332, 335, 336, 339, 341, 342, 344, 347, 357, 364, 366, 368, 382, 406, 504, 507, 509, 510, 512, 570, 584 Jakob von Metz 197 Jodocus Trutfetter 100, 566 Johannes Altensteig 23 John Baconthorpe 368 Johannes de Bassolis 23, 188–190, 475– 477, 479, 482, 486, 487, 490, 529, 581, 587 Johannes Berward von Villingen 289, 311, 348 Johannes Bremer 456 Johannes Buridan 19, 20, 41, 69, 75, 93, 100, 396, 492, 493 Jean Calvin 590 Johannes Capreolus 1–3, 6, 7, 14, 23, 25, 100, 397–399, 403–422, 429, 430, 436, 438, 449, 454, 459, 464, 473, 491, 577, 579, 580, 588, 589 Johannes Damascenus 361 Johannes Dorp 493 Johannes Eck 100, 536, 589 Johannes Findling 458, 475, 589 Johann Gerhard 322 Jean Gerson 19, 20, 36, 41–47, 49–51, 53, 59, 61, 63, 65, 75, 79–93, 95, 99–111, 114, 116, 117, 367, 376, 377, 385, 386, 395–397, 402, 448, 466–468, 492, 502– 504, 511, 519, 531, 536–538, 540, 549, 552, 569, 583 Jean Granjon 60 Johannes Harrer von Heilbronn 380, 382 Johannes Hiltalingen 9, 226, 230, 234, 368 Jan Hus 35, 44, 87, 88, 111, 116 Johannes von K¨oln 452–455, 483 Johannes Langheim 289 Juan L´opez 424 Johannes Magistri 558, 560, 572, 574 John Mair 23, 60, 100, 116, 191, 349, 480, 492, 512, 513, 534–552, 561–565, 568, 573, 574, 581, 585, 587–589 Johannes von Mirecourt 8, 55, 57, 58, 224, 368 Johannes de Montenigro 424 Johannes de Montesono 20, 105, 502, 503 Johannes de Nova Domo 76, 77, 397 Johannes Picardus 455 Jean Pivard 425
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Johannes de Ripa 55, 57, 399, 474 Johannes de Rupella 450 Johann Rynmann 566 Johannes Schlitpacher 381, 382 Johannes von Sterngassen 57, 169, 178 Johannes Tinctoris 422–424 Johannes de Turrecremata 478 Johannes Versor 559, 560, 569–571, 576, 577 Johannes Wuel de Pruck 311 John Wyclif 5, 76–81, 85, 88, 89, 99, 102, 583 Jos´e Angl´es 436 Kilian Fischer 425 Kilianus Stetzing 456 Konrad von Rothenburg 290, 311, 318, 326–337, 339–341, 345–348, 363, 365, 395 Konrad von Soltau 9, 65, 224, 368 Lambertus de Monte (Alb.) 241, 397, 441– 449, 474, 491, 581, 587 Lambertus de Monte (Thom.) 84, 441, 559–562, 570, 571 Landulphus Caracciolo 451, 455, 473 Lazarus Soardus 450 Leonardo Fibonacci 457 Leonhard Huntpichler 423 Leonardo de Ragusa 424 Lorenzo Valla 109, 536 Lucas de Assisi 457 Lucas Wadding 168, 589 Ludovicus Longo 424, 425 Magnus Hundt 560, 569–571 Marsilius von Inghen 9, 24, 52, 58, 65, 100, 102, 109–111, 115, 234, 309, 368, 396, 421, 471, 492, 493, 503–512, 515, 519, 531, 534, 543, 552, 566, 568, 581 Martin Luther 10, 11, 428, 429, 433, 513, 514 Mathurin du Bret 451 Matthias Aquarius 420–422, 529, 589 Matthias Doering 456 Melchior Cano 436 Melissus 182 Michael Aiguani 9, 19, 224, 230, 368, 589 Michael von Massa 63 Michael Suchenschatz 250
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Personenregister
Nikolaus Auer 379, 380 Nikolaus von Autrecourt 43, 47, 499, 502 Nicolas Denyse 23, 482, 484–487, 489– 491, 515, 516, 529, 582, 589 Nikolaus von Dinkelsb¨uhl 27, 31–41, 45, 50–53, 59, 65–67, 69, 80, 81, 86, 93, 95, 102–110, 128, 129, 131, 247–249, 288– 311, 315–335, 338–340, 343, 345, 347– 372, 374–384, 386, 387, 389, 392, 395, 402, 411, 413, 414, 427, 464, 482, 483, 490–493, 512, 515, 519, 528, 531, 534, 544, 552, 579, 581, 583, 584, 586 Nikolaus Kessler 17, 425, 539 Nikolaus von Kues 24, 386 Nikolaus Lakmann 456 Nicolaus de Lyra 453, 454 Nicolaus de Orbellis 23, 450, 455, 456, 461–465, 557, 558, 579 Nicol`o Perotti 536 Nikolaus Seyringer von Matzen 33 Octavianus Scotus 398, 425 Odo von Lucca 125 Osbert Pickingham 57, 226, 231 Oswald de Lasko 383, 489, 491 Paulus Barbus de Soncino 415–417, 420, 589 Paulus Venetus 100 Paulus Weischenfelder 312 Pelbartus Temeswar 23, 383, 484, 487– 489, 491, 582, 589 Peter Abaelard 122, 267 Pierre d’Ailly 8, 20, 56–58, 105, 191, 224, 368, 369, 421, 455, 458, 467, 492, 493, 496–507, 510–512, 517–524, 527, 528, 531, 532, 541, 543, 546–548, 550–552, 565–568, 581 Petrus de Aquila 63, 224, 368, 455 Petrus Aureoli 2, 17, 18, 23, 27, 53, 56, 57, 61, 62, 64, 129, 131, 192, 203–223, 231, 293, 296, 300, 310, 319, 365, 367, 368, 370, 374, 375, 383, 390, 399, 406, 409, 410, 413, 429, 436, 442, 451, 471, 473– 476, 478, 479, 494, 511, 529, 584 Petrus de Bar 153 Petrus de Bergamo 416, 430 Petrus ad Boves 456 Petrus de Candia 8, 56, 57, 102, 252, 283, 284, 368, 496
Peter Ceffons 8, 368 Peter Crockaert 480 Petrus Damiani 117 Petrus Hispanus 28, 82, 396, 554–557, 563, 569, 571, 575, 579, 585, 590 Petrus Johannes Olivi 181 Petrus Lombardus 1, 5, 7, 13, 17, 31, 33, 37, 51–55, 59, 61–63, 107, 108, 121– 126, 130–133, 136, 137, 141, 145, 155, 167, 168, 173, 197, 201, 202, 220, 224, 225, 227–230, 232, 255, 256, 261, 262, 267, 277, 279, 280, 283, 293–300, 303, 309, 315, 317, 320, 329, 347, 351, 357, 360, 361, 371, 384, 395, 398, 411, 425, 427, 439, 442, 455, 462, 480, 483–485, 488, 493–495, 497, 505, 506, 514, 516, 517, 535, 539, 540, 542, 545–547, 553, 556, 572, 588 Petrus de Nogento 83, 397 Petrus de Palude 156, 157, 167, 192, 194, 197, 241, 304, 405, 408, 409, 416–419, 421, 430, 516, 520, 530 Petrus Plaoul 43, 84 Peter von Pulkau 289, 311 Petrus Reginaldetus 456 Petrus Reicher de Pirchenwart 36, 327 Petrus de Tarantasia 127–129, 362, 370, 371, 375, 385, 389, 392, 473 Petrus Tartaretus 23, 456, 480–483, 514, 558, 559, 564, 573, 579, 589 Philipp Melanchthon 590 Platon 86–88, 536, 555 Plinius 537 Porphyrius 121, 199, 200, 546 Ptolem¨aus 537 Radulfus de Bruxella 512 Raimundus Lullus 84 Richard Brinkley 78, 98 Richard Fishacre 16, 130–148, 157, 160, 166, 168, 170, 178, 179, 184, 188, 197, 202, 211, 217, 223, 362, 375, 584 Richardus de Mediavilla 168, 170, 293, 310, 385, 389, 390, 421, 455, 458, 473, 474, 487, 519, 520, 528 Richard Rufus von Cornwall 144 Robert Holkot 54, 57, 60, 62, 224, 226, 231, 368 Robert Kilwardby 127, 129, 157
Personenregister
Scotus 2, 17, 23, 56, 57, 60, 63, 72, 73, 79, 85, 86, 127, 128, 131, 155, 167–192, 194–196, 198, 200–203, 209–214, 217, 218, 222–226, 230, 236, 254–256, 258– 261, 270–274, 276–283, 291, 293, 294, 296, 298–301, 304–310, 317–325, 331– 334, 337–340, 343–347, 349, 360–363, 365, 366, 368, 369, 371, 373, 377, 380, 382, 385, 386, 390, 391, 395–397, 399, 406–409, 411, 412, 421, 429, 430, 444, 449–456, 458–464, 466–469, 472–476, 478–483, 485–487, 490, 493, 494, 497, 498, 506, 507, 514, 515, 517–520, 524, 528, 529, 531, 532, 534, 539, 544, 556, 558, 573, 575, 577, 579, 580, 584, 586, 587, 589 Seneca 108 Servatius Fanckel 9, 10 Simon von Cremona 234 Stephan (canonicus Neunburgensis) 326, 327 Stephan Brulefer 23, 128, 129, 455, 456, 461, 464–471, 480–482, 490, 508, 514, 530, 572, 580, 588 Stephen Langton 139 Stephan Tempier 376 Sylvestro Mazzolini 415–417, 419, 420, 589 Thomas von Aquin 1, 7, 16, 20, 21, 24, 57, 60, 62, 72, 73, 86, 93, 105, 115, 127, 128, 130, 131, 150–155, 157–170, 177– 188, 190–195, 197–199, 202, 209, 210, 212, 214, 217–224, 230, 235, 236, 238, 240–242, 257, 259–261, 263–274, 276– 282, 293, 296, 298, 299, 303–310, 318, 319, 321, 323, 325, 331–334, 337, 340– 346, 349, 352, 356, 358–366, 368–380, 382, 383, 385, 387–392, 395–399, 401–
635
409, 411–422, 424–438, 440, 441, 443, 444, 446, 449, 451, 453, 454, 458–460, 463, 464, 466–468, 471, 473–475, 478, 479, 481, 482, 486, 487, 490, 491, 493, 494, 498, 503, 507–509, 515–517, 528, 530–532, 542–544, 546, 556, 577, 579– 581, 584, 587, 588 Thomas Bricot 567 Thomas Buckingham 59 Thomas Chavez 436 Thomas Netter von Walden 76 Thomas von Straßburg 59, 63–65, 129, 168, 190, 191, 209, 218, 223, 224, 226– 231, 236, 255–261, 280, 282, 283, 293– 295, 298, 306, 307, 310, 317, 319, 368, 389, 390, 406, 470, 497, 507, 528 Walter Chatton 96, 368 Wilhelm von Auvergne 87, 129, 142, 148, 153, 197, 333, 334, 461, 469, 491 Wilhelm von Auxerre 139, 148 Wilhelm de la Mare 399, 453, 455, 462 Wilhelm von Militona 126, 134 Wilhelm von Moerbecke 71, 72 Wilhelm von Ockham 16, 38, 39, 43, 46– 49, 54, 57, 59, 60, 62, 67, 69, 73, 74, 77, 78, 94, 100, 104, 105, 182, 224, 368, 421, 458, 492–502, 505–507, 514, 515, 517–523, 527, 528, 530, 533, 539, 541, 542, 546, 547, 552, 582, 588 Wilhelm von Vaurouillon 397, 449–452, 454–462, 464, 465, 469, 473, 485, 489, 579, 582, 588, 589 Wolfhard de Weytra 327 Xenocrates 536 Zwingli 514
Orts- und Sachregister Abendmahl 6, 10, 14, 22, 162, 180, 182, 194, 205, 213, 252, 271, 298, 300, 313, 336, 363, 413, 442, 517, 518, 530, 534, 590 actio in distans 16, 547 ¨ Ahnlichkeit 70–73, 77, 80, 88, 122–126, 229, 274, 276, 297, 316, 493, 495, 497– 499, 505, 506, 517, 530, 542, 565, 578 Albertismus 84, 396, 397, 408, 438–449, 456, 491, 559–561, 569–572, 575–578, 581 Alchimie 210 Allmacht 18, 19, 96, 98, 99, 105, 171, 179, 190, 204, 236, 500, 501, 521, 523, 525, 533, 552, 582 – potentia absoluta 97, 186, 413, 460, 466, 471, 526, 533, 567 – potentia mirabilis 146 – potentia ordinata 19, 97, 184–191, 198, 200, 212, 254, 464, 477, 521–523, 525, 533 Altendorf 285 Amerika 537 annihilatio 87, 234, 431, 539 Antiperistasis 549 assistentia 142, 184, 190, 219, 239, 254, 258, 277, 280, 282, 299, 345, 391, 400, 445, 451, 452, 464, 498, 508, 523 Athen 536 auctoritas 20, 21, 23, 27, 73, 105, 121–131, 134, 135, 137–141, 144–146, 148–150, 152, 153, 159, 166, 168, 183, 185, 187, 188, 194, 198, 199, 201–204, 207, 217– 225, 234–238, 242, 259, 261, 265–269, 272, 279, 290, 291, 303, 305, 307, 310, 320, 333, 344, 349, 359, 362–368, 370– 378, 380, 382, 387, 389–392, 395, 402, 403, 405, 406, 409–411, 413, 414, 416, 420, 422, 426, 428, 433, 436, 442, 445–
447, 452, 463, 470, 474, 475, 478, 482, 483, 486, 492, 497, 503, 508, 509, 511, 515, 518, 519, 526–528, 530, 537–539, 545, 547, 549, 570, 573, 574, 584 – kontextuelle Auslegung 218, 220, 221, 407, 410, 511 – Selbstauslegung 201, 221, 401, 404 Augsburg 428, 566 Bamberg 312–314 Basel 398, 424, 425, 466 Beschneidung 1, 3, 193, 238, 242, 296, 315, 359, 388, 400, 416, 459, 545, 574 Bologna 424, 566 brevitas 168, 232, 365, 391, 458, 461, 478, 484, 488, 489, 516, 582 Br¨ugge 286 Br¨ussel 441 Bußsakrament 11, 19, 182, 428 Cambridge 534 character/ornatus 142, 157, 158, 161, 163, 164, 167, 182, 184, 194, 195, 199, 212– 214, 238, 253, 257, 269, 271, 401, 405, 417, 418, 421, 426, 429–431, 445, 463, 478, 482, 498, 518, 532, 542–545 communis opinio 128, 142, 144, 146, 147, 183, 201, 214, 229, 241, 267, 319, 362– 364, 366–370, 373, 378, 387, 395, 414, 432, 433, 444, 469, 470, 507, 518–520, 524, 526–528, 534, 539, 540, 552, 581 complexe significabile 174, 538, 542 concursus divinus 239, 343, 391, 507, 521, 526, 548 Cremona 415 curiositas 34, 52, 82–89, 109, 110, 114, 386, 466 Curriculum, theologisches 7, 31, 377, 580, 586
Orts- und Sachregister
Definition/Definitionstheorie 91, 121, 123, 131, 154–157, 170–172, 199, 200, 214, 226–230, 268, 269, 294, 486, 496, 518, 519, 540, 546 – siehe auch Sakrament → Definition; Zeichen → Definition devotio moderna 24, 440, 513 Disputation/Disputationswesen 9, 116, 206 Duns 534 Eberbach 248, 283–287, 510 Ehe 19, 22, 33, 235, 336, 351, 401, 459, 543, 544, 547 Eklektizismus 115, 400, 459, 485 England 49, 50, 53–61, 63–66, 85, 102, 104, 147, 231, 310, 534, 543 Erfahrung 90, 172, 204, 412, 550, 552 Erfurt 284, 285, 287, 424, 456, 512, 513, 566 Erkenntnistheorie 71, 74, 92, 160, 164, 181, 207, 238, 411, 412, 444, 536, 557, 564, 570, 575 Ethik/Moralphilosophie 19, 38, 42, 45, 321, 323, 359, 420, 436, 437, 462, 479, 486 Etymologie 227, 295 facilitas 34, 50, 67, 107, 110–112, 116, 372, 376, 386, 427 Fegefeuer 194, 241, 443, 444, 446, 448, 475 Fideismus 116, 117, 205, 376, 377, 588 figura/imago 122, 126, 132, 134, 139, 155, 198, 201, 212, 229, 253, 256, 267, 273, 276, 332, 361, 388, 392, 399, 441, 471, 495, 497, 506, 542, 562, 563 fluxus 141, 144, 146, 163, 166, 196, 208, 209, 212, 213, 216, 217, 219, 241, 442, 477, 543, 544 Formaldistinktion 78–81, 85, 102, 465, 467, 532, 544 Frankreich 49, 102, 128, 398, 484, 490 Freiburg 425 Freiheit 18, 358, 517, 522, 526, 530 futura contingentia 137 Glasgow 534 Gnade 16, 122–124, 126, 130, 133, 146, 153, 157, 161, 162, 177, 184, 188, 199, 208, 212, 217, 229, 274, 277, 303, 362,
637
366, 369, 371, 411, 417–419, 431, 432, 444, 445, 447, 463, 477–479, 512, 526, 527, 545, 578 – befreiende/freie 369, 405, 417–419, 429–432, 440 – der Tugenden und Gaben 2, 405, 419, 440 – des Glaubens 443, 446, 448 – sakramentale 2, 405, 416, 418, 430, 431 Grammatik 13, 89, 90, 536, 556 Haddington 534 Hagenau 566, 572, 573 Heidelberg 9, 285, 503, 512, 513 Herbst des Mittelalters 112, 113, 118, 423, 472, 487, 491, 514, 552, 582, 589 Humanismus/Renaissance 25, 116, 407, 535, 587, 589 Idealtyp 92, 97, 98, 581 impositio/institutio 13, 14, 64, 67, 74, 77, 172, 174–176, 190, 198, 210, 240, 264, 272, 274, 276, 277, 291, 301, 315, 317, 324, 329, 357, 369, 392, 399, 412, 413, 440, 460, 477, 485, 486, 498, 505, 506, 508, 517–519, 526, 529, 530, 555, 558, 564, 565, 568–577 Ingolstadt 458, 492, 566, 572, 589 Instrument siehe Ursache/Ursachenlehre → causa instrumentalis Intention 22, 42, 47, 75, 80, 83, 139, 160, 181, 212, 213, 253, 370, 382, 505, 531, 548 – modus intentionis 157–161, 163, 166, 195, 202, 210, 259, 281, 345, 372, 411, 544, 577 – zweite Intentionen 171, 176, 538, 540, 545 Italien 54, 415, 423 Jerusalem 42 K¨oln 9, 10, 25, 37, 93, 111, 368, 383, 384, 387, 397, 422–424, 427, 430, 440, 449, 559, 561, 570, 571, 575, 576, 588 Kommentarstil/Kommentarstruktur 32, 52–66, 126, 168, 178, 193, 203, 225, 247, 250, 256, 263, 291, 302, 333, 351, 355, 377, 387, 413, 439, 457, 462, 464, 483, 484, 516, 580
638
Orts- und Sachregister
– alphabetischer 452, 488 – dialektischer 355, 378, 580 – divisio quaestionis 251, 252, 292, 314, 329, 400, 404, 458, 481, 485, 496, 505, 507, 515 – divisio textus 64, 263 – Essay-Stil 56, 232, 233, 352, 414 – expositio textualis 262, 263, 425, 457, 512 – lectura secundum alium 32, 55, 58, 225– 231, 247, 255–261, 264–279, 290, 301, 305–310, 347, 355, 356, 378, 382, 586 – more geometrico 56, 232, 251–253, 260, 261, 283, 292, 314, 315, 352, 355, 362, 364, 400, 403, 414, 460, 496, 504, 505, 516, 580, 586 – Obligationenstil 60 – paraphrasierender 429 – polemischer 196, 452–454, 461, 464– 480, 545, 588 – positions-zentrierter 231, 232, 279, 304 – problem-zentrierter 304, 305 – syllogistischer 427, 439, 440, 580 – siehe auch Sentenzentradition Konstanz 32, 35–37, 44, 88, 102, 108, 111, 290, 326, 377 Kontingenz 137, 499, 501, 521, 522, 525 Konzept 70–75, 91, 99–101, 105, 106, 176, 181, 411, 412, 554, 560, 564, 565, 575, 578 Kraft 142, 145, 168, 187, 188, 253, 280, 371, 461 – im Instrument 159, 160, 163, 164, 186, 188, 189, 214, 241 – im Priester 253 – im Sakrament 1, 6, 20, 62, 64, 123, 139, 141, 142, 146, 147, 156, 159–161, 163, 168, 179, 180, 183, 190, 192, 194, 195, 199, 202, 203, 211–213, 217–223, 233, 234, 239, 242, 254, 272, 342, 352, 362, 370, 375, 382, 403, 404, 410, 411, 413, 416, 429, 433–435, 445, 453, 482, 486, 501, 507, 532, 544, 579 – im Zeichen 2, 6, 14, 143, 412, 413, 439, 575–579 – in Heilmitteln 156 – in Ursachen 524 – virtus creandi 203, 204, 286, 472 – virtus creata 194, 208, 239 – virtus divina 205–207, 209, 211, 212,
216, 217, 219–222, 256 – virtus finita 208 – virtus intellectiva 208 – virtus spiritualis 159, 160, 164, 178, 195, 196, 234, 235, 240–242, 312, 329, 334, 336, 340, 342, 363, 433, 460, 498 – virtus supernaturalis 178–181, 187, 234, 239, 260, 282, 345, 443, 448, 486, 531, 532 – siehe auch Rede → virtus sermonis Krakau 487 Leipzig 415, 423, 427, 560 Libyen 551 Livland 543 Lodi 424 Logik 12, 19, 38, 41–47, 50, 72, 74, 80, 83– 85, 89–92, 100, 101, 104, 106, 110, 115, 117, 176, 215, 376, 402, 432, 462, 483, 504, 511, 519, 520, 529, 535–538, 540, 541, 545, 554, 556–558, 563, 573, 590 Louvain 396 Lyon 102, 415, 451 Magie 22, 156, 194, 478 Magnetismus 16, 60 Mainz 465, 466 Malaysia 551 materia subiecta 67–70, 75, 78, 79, 81, 410 Melk 33, 35, 36, 102, 111, 351, 352, 354, 355, 361, 370, 371, 374, 377–379, 381, 382, 386, 414 Metaphysik 16, 34, 37, 41, 45, 50, 80, 84–86, 89–92, 102, 105, 106, 110, 170, 178–181, 195, 537, 541, 550, 587, 590 Methone 424 Metz 465 M¨unchen 225, 250, 286, 287, 291, 311, 312, 314 Mysterium 3–5, 152, 162, 259 Mystik 15, 18, 24, 285, 383 Nominalismus 18, 25, 27, 38–40, 50, 73, 77, 81, 84, 93–105, 385, 423, 467, 468, 492–552, 561–569, 572–575, 577, 581– 583 Nordpol 551 Notwendigkeit 19, 182–187, 198, 200, 210, 278, 464, 521 – siehe auch Sakrament → Notwendigkeit
Orts- und Sachregister
Okkasionalismus 141, 186 ¨ Okonomieprinzip 48, 96, 98, 99, 182–184, 187, 190, 196, 213, 234, 242, 363, 372, 382, 433, 435, 444, 445, 475, 478, 500, 503, 531, 533, 543, 552 Ordnung/ordo 16, 130, 133, 144, 146, 148, 153, 159–161, 163, 166, 170, 172, 178, 190, 195, 208, 235, 240, 265, 266, 286, 303, 324, 332, 363, 388, 435, 442–444, 448, 460, 478, 543, 567, 578 – ordo cognoscendi 565 – ordo orandi 72, 73 – ordo significandi 72, 73, 173, 413, 556 Originalit¨at/innovatio 112, 114, 115, 197, 279, 348, 581 Oxford 49, 53, 54, 59, 64, 144, 167, 226 P¨adagogische Ausrichtung/pastorale Sorge 108–110, 112, 113, 116, 118, 355, 364, 366, 377, 379, 426, 454, 457–459, 462, 482, 483, 489, 568, 580, 586, 587 Padua 424 Pakt siehe Wirksamkeit, sakramentale → Pakt-Modell Paris 8, 9, 36, 38, 39, 41–51, 54–59, 61–67, 82–84, 87, 93, 102, 104, 111, 116, 140, 141, 144, 148, 167, 188, 225, 226, 230, 247, 248, 250, 252, 254, 258, 260, 262, 270, 280–285, 292, 302, 304, 306–308, 377, 386, 396–398, 403, 414, 417, 441, 443, 446, 448, 449, 456, 461, 465–467, 480, 496, 503, 509, 534, 559, 566, 567, 575, 576, 583 Pavia 415, 424 Physik 15, 57, 61, 74, 170, 321, 323, 409, 432, 462, 465, 482, 494, 537, 550, 590 Poitiers 461 Pr¨adestination 322 Prag 248, 250, 262, 271, 278, 279, 281– 283, 302, 303, 307, 308, 346, 351, 377 Propositionalismus 95, 96, 98 Proprium 175, 176, 200, 201, 205, 206, 546 ratio 21, 73, 121, 128, 129, 131, 133–141, 144, 145, 148–150, 157, 159, 166, 168, 184, 188, 195, 198, 202, 205, 221, 223, 224, 238, 259, 266–268, 303, 320, 363, 365–367, 370–373, 375–378, 380, 382, 389, 390, 392, 395, 401, 402, 405, 406, 409, 411, 414, 416, 420, 427, 428, 436,
639
444, 448, 455, 456, 483, 488, 489, 491, 492, 503, 504, 509, 511, 531, 532, 543, 545, 552, 580–582, 584 – geb¨andigte 414, 420, 456, 580, 585 Rattenburg 102 Realismus 27, 78–81, 102, 492, 515, 535, 540, 544, 581 Rede 160, 164, 194, 412 – bedeutungslose 181, 555 – eigentliche/w¨ortliche 150, 152, 168, 375 – g¨ottliche vs. menschliche 18, 219 – metaphorische 42, 60, 62, 135, 137–140, 142, 144–146, 155, 189, 212, 224, 375, 388, 487, 511 – performative 6, 14, 15, 18, 21, 557, 570 – virtus sermonis/vis vocabuli 42, 43, 46, 67, 69, 75, 277, 321 Reform, universit¨are 36, 37, 41, 42, 589 Reformation 10, 25, 428, 537, 589, 590 Relation 135–137, 143, 160, 166, 173, 175, 177, 184, 498, 500, 521, 532, 534, 541, 544, 568, 572–575, 578, 579 Repr¨asentation 73, 84, 90, 124, 272, 274– 276, 318, 439, 469, 555, 557, 559–562, 564–569, 572, 574, 576, 577 Rhetorik 42, 43, 90, 520, 526, 531, 536 Ritual/Ritus 3, 213, 250, 251, 265 Rodez 1, 398 Roermond 383, 384 Sakrament 122, 125, 569 – als Medizin 236, 237, 242, 294, 321, 341, 357–359, 364, 442, 444, 504–506, 517 – als Ursache 2, 20, 126, 141, 142, 144, 149, 151, 164, 168, 192, 194–203, 210, 212, 217–219, 223, 234, 235, 242, 264, 265, 299, 343, 360, 367, 370, 371, 392, 399, 403, 411, 421, 429, 447, 453, 481, 493–503, 505, 515, 532, 542, 546–552 – als Zeichen 4, 5, 10, 11, 20, 122–126, 130, 132, 151, 152, 154, 164, 165, 170– 177, 229, 274, 276, 292, 297, 324, 357, 360, 370, 371, 395, 429, 497, 505, 506, 517, 530, 542, 553, 589 – Anzahl 10, 291, 316, 317 – Begriff 3, 295, 315, 321, 354, 357, 400, 515 – Definition 1, 4, 122, 125, 126, 131, 151, 154–157, 164, 165, 169–177, 192, 201,
640
Orts- und Sachregister
203, 226–230, 264, 274, 291, 294–301, 315, 318, 329, 360, 361, 400, 401, 403, 411, 438, 459, 468, 485, 493–498, 505, 506, 516–520, 539–542, 547, 573 – Heterogenit¨at 133, 134, 146, 171, 174, 175, 179, 180, 194, 213, 214, 342, 363, 403, 434, 531, 543 – Notwendigkeit 173, 192, 232, 235, 264, 291, 294, 312, 314, 315, 320, 322, 332, 339, 352, 358, 468 – Unterschied zwischen alt- und neutestamentlichen 1, 123, 128, 132–141, 143, 145, 152–154, 156, 169, 176, 198, 203, 235–238, 255, 264, 267, 268, 292, 320, 329, 357, 359, 364, 366, 370, 371, 388, 389, 392, 399, 400, 403, 411, 439, 447, 468, 496, 545 – siehe auch impositio/institutio Salamanca 415 Salzburg 35 Saragossa 451 Sch¨opfung 17, 62, 162, 168, 169, 178, 184, 203–209, 214, 222, 224, 231, 234, 236, 238, 240, 252, 253, 257, 276, 299, 319, 320, 363, 366, 390, 391, 417, 418, 430– 432, 444, 451, 460, 463, 471, 472, 492, 496, 507, 508, 516, 523, 526, 538, 539, 569 – recreatio 162, 163, 168, 169, 460 Schottland 534 Schwur 22, 33, 172 Scotismus 84–89, 93, 97, 105, 228, 278, 279, 282, 294, 307, 339, 359, 360, 369, 396, 397, 436, 439, 446, 448–491, 512, 557, 558, 560, 569, 572–575, 577, 581, 587 Seele 17, 70, 71, 91, 123, 149, 150, 175, 176, 196, 199, 236, 241, 266, 275, 303, 340, 341, 420, 421, 432, 440, 443, 444, 446, 450, 452, 526, 538 Sein/Wesen 94, 96, 170, 176, 181, 206– 208, 210, 215, 298, 318, 473, 525, 538, 564, 572 – ens completum 159, 175, 179, 260, 281, 345, 412, 434 – ens fixum 281, 345 – ens incompletum 157–161, 163, 166, 179–181, 195, 202, 210, 260, 281, 345, 372, 426, 433, 434 – ens rationis 171, 175, 176
– ens reale 171, 175 – esse fluens 163, 166, 219, 239, 259, 372, 412, 414, 433, 543, 577 – esse transiens 163, 219, 426, 434 – kategoriales 135, 137, 160 Semiotik 3, 12, 73, 151, 177, 240, 395, 396, 400, 411–414, 554, 578, 579, 585, 590 Sentenzentradition 7, 11, 25, 26, 74, 82, 104, 192, 225, 232, 247, 251, 261, 262, 274, 292, 293, 302, 303, 310, 333, 339, 347, 349, 352, 355, 374, 378, 387, 413, 480, 483–492, 512, 580 – Principia 263, 289, 326, 441, 448, 512 – Prologe 37, 84, 104, 331, 384, 385, 466, 470, 514, 535, 539 – siehe auch Kommentarstil Skepsis/Skeptizismus 38, 50, 376, 410 Speyer 451 Sri Lanka 551 St. Andrews 534 stylus theologicus 44, 45, 87, 111 Supposition 68, 75, 89, 90, 92 T¨ubingen 512, 513 Taufe 14, 20, 22, 123, 134, 135, 138, 153, 168, 182, 202, 214, 218, 219, 231, 258, 266, 274, 313, 336, 344, 345, 361, 371, 389, 400, 402, 410, 430, 442, 445, 477, 494, 495, 505, 507, 530, 538, 543–545, 548, 574 Tegernsee 379, 386 Teilhabe 153, 229, 391, 431, 477 terminus 68, 69, 74, 76, 78, 84, 85, 92, 99– 101, 170, 204, 207, 257, 435, 458, 501, 515, 523, 525, 527, 533, 540, 549, 563, 568 Thomismus 93, 97, 333, 341, 360–362, 368, 369, 387, 396–437, 441, 446, 448, 449, 454–456, 465–468, 471, 473, 479, 482, 485, 491, 508, 512, 515, 542, 559– 560, 563, 569–572, 574–578, 581, 588 Toulouse 451 Traditionalismus 63–66, 113, 114, 148, 259, 261, 267, 274, 279, 282, 283, 293, 295, 297, 303, 350, 356, 372, 374, 385, 528, 533, 534, 538, 549, 552, 581, 587 Transsubstantiation 6, 8, 55, 56, 65, 67, 76, 180, 194, 205, 212, 213, 250, 252, 266, 413 Trient 23, 422, 436, 589
Orts- und Sachregister
Universalie/Universalienstreit 76, 77, 79, 86, 88, 90, 94, 95, 99, 473, 538, 541, 576, 587 Ursache/Ursachenlehre 2, 16, 60, 145, 152, 165, 185, 214–217, 266, 494, 515, 520– 528, 581 – causa activa 185, 188, 190, 452, 463, 475–478, 481 – causa adminiculans 444 – causa applicativa 209–222 – causa cum qua sic 155, 212, 215, 404 – causa disponens 22, 141–146, 151, 154, 157–159, 161, 163, 164, 167, 179, 180, 182–185, 188, 194–199, 213, 214, 236, 238, 242, 254, 257, 258, 269, 271, 272, 300, 340–342, 345, 401, 404, 405, 416– 422, 430, 433, 436, 438, 440, 443, 445– 447, 452, 463, 464, 468, 475–478, 482, 493, 498, 499, 508, 525, 531, 542, 551 – causa efficiens 142, 157, 158, 161, 162, 167, 266, 269, 299, 312, 315, 319, 320, 322–324, 340, 343, 352, 362, 363, 369, 401, 405, 417, 426, 438, 443, 445, 447, 463, 468, 476, 482, 486, 493, 496, 498, 499, 515, 523 – causa finalis 266 – causa formalis 266 – causa instrumentalis 2, 22, 151, 157– 159, 161–163, 179, 181, 183–189, 195, 202, 208–211, 214, 217, 221, 236, 239, 240, 253, 254, 257, 258, 260, 269, 299, 300, 321, 323–325, 340, 341, 345, 372, 391, 404, 408, 409, 416–419, 421, 426, 430–438, 440, 443–445, 447, 452, 460, 475, 476, 486, 494, 498, 508, 524, 532, 544 – causa materialis 266 – causa meritoria 186, 189, 211, 253, 292, 315, 321, 322, 345, 369, 476, 477, 494, 505, 507 – causa ministerialis 299–301, 360, 361 – causa moralis 436, 479, 486, 589 – causa per accidens 154, 157, 190, 191, 199, 200, 212, 216, 221, 268, 410, 421, 452, 481, 493–496, 520, 533, 546, 547 – causa per se/causa propria 189–191, 198, 202, 210–212, 214–217, 221, 499– 502, 516, 522–524, 526, 527, 542, 547, 550, 552 – causa perficiens 157–159, 161
641
– causa principalis 158, 161, 162, 181, 195, 198, 202, 208, 209, 239, 258, 315, 322–324, 341, 369, 428, 431, 434, 447, 486, 524, 526, 532 – causa secunda 195, 325, 342, 500–502, 521, 523–528, 530, 548, 549, 567 – causa sine qua non 60, 62, 135, 137– 138, 142, 143, 154–156, 198–202, 212, 214–217, 221, 224, 237, 268, 404, 410, 416, 421, 452, 492–496, 498–502, 516, 520, 522–528, 530, 533, 542, 545, 547, 548, 551, 552, 568 – causa virtuosa 435 – siehe auch Sakrament → als Ursache usus loquentium 67, 177, 181, 201, 321, 400, 511, 519, 527, 541, 552, 555, 573, 581 utilitas 33, 50, 107–110, 116, 386, 466, 484, 489, 535, 537, 538 vasa gratiae 138, 149, 159, 161, 471 vasa medicinalia 124–126, 197, 298, 392 Venedig 425, 452, 454, 589 vitalis immutatio 563, 565–568 Voluntarismus 94, 522 W¨urzburg 230 Wahrheit 14, 68, 69, 75, 173, 188, 190, 388, 392, 434, 436, 459, 470, 488, 524, 527 – doppelte 375, 376 Wahrscheinlichkeit 334, 382, 508, 510, 524 Wegestreit 25, 37–39, 92, 95, 106, 115, 378, 396, 535, 536, 540, 587, 589 – gegenseitige Ignoranz 464, 468, 471, 588, 589 – juristische Dimension 44, 87, 111, 540 – via antiqua 101, 115, 117, 396, 397, 491, 515, 544, 580, 587 – via moderna 98, 100, 101, 116, 117, 396, 474, 491, 492, 503, 512, 513, 515, 534, 536, 565, 575, 581, 587 Weihe 252, 336, 442 Widerspruchsprinzip 204–209, 215, 466, 471, 478, 529 Wien 26, 27, 31, 32, 35, 36, 102, 247–250, 260, 283, 284, 288–291, 301, 306, 313, 319, 326, 329, 334, 337, 339, 340, 346, 347, 349, 351, 352, 356, 359, 360, 374, 377, 378, 380, 382, 384, 407, 423, 584 Wiener Gruppenkommentar 247–249, 290,
642
Orts- und Sachregister
291, 311, 314–319, 321, 325, 327–337, 339, 346–349, 352–356, 364, 365, 368, 371, 377, 378, 382, 586 Wille 135, 136, 185, 189, 210, 212, 240, 318, 325, 436, 477, 494, 499–502, 521, 522, 526, 541, 549, 555, 569–573 Wirksamkeit, sakramentale 1, 8, 55, 56, 123, 125, 126, 129, 134, 145, 169, 170, 174, 177, 192, 214, 223, 291, 319, 331, 346, 357, 380, 395, 433, 485, 528, 574, 578, 579 – ex opere operante 315, 352, 359 – ex opere operato 253, 255, 315, 352, 359, 441, 542, 590 – Mitwirkungs-Modell 7, 19, 22, 57, 127– 130, 138, 140–149, 151, 155, 157, 158, 166–170, 179, 182, 183, 187, 190, 193, 195–197, 213, 214, 220, 221, 223–225, 229, 231, 236, 238–240, 242, 258, 259, 261, 266, 269, 270, 273, 298, 300, 301, 305–307, 309, 320, 321, 325, 331–334, 342–344, 347, 357, 359, 362, 364–366, 368, 370–376, 381, 388–390, 392, 398, 400, 401, 403, 406, 407, 409, 411, 413, 416, 420–422, 430, 431, 433, 435, 436, 442, 443, 446, 448, 460, 463, 469, 471, 474–477, 490, 492, 493, 508, 510, 528– 533, 543, 544, 575, 577–579, 581 – Pakt-Modell 7, 19, 22, 127–130, 135– 137, 140–149, 153, 155–157, 168, 182, 184, 187–189, 192, 193, 196–199, 202, 211–214, 217, 221–224, 229, 231, 236– 240, 242, 253–255, 258, 259, 261, 266, 268, 270, 273, 277, 283, 298–301, 305– 307, 309, 320, 322, 324, 325, 334, 343, 344, 346, 347, 357, 360, 364–366, 368– 373, 382, 388–391, 400, 403, 421, 431, 436, 444–446, 448, 451, 453, 456–511, 528, 533, 545–547, 574, 575, 577–579
Wissen/Wissenschaft 68–70, 75–77, 108– 110, 176, 206, 208, 377, 378, 383, 412, 420, 444, 535–538, 564, 567, 575 Wunder 208, 211, 372, 382, 392, 443, 444, 448, 478, 550 Zeichen 67–81, 86, 89–92, 114, 125, 130, 154, 171, 224, 298, 463, 498, 506, 518, 579 – beliebiges/eingesetztes 13, 72, 74, 77, 91, 171, 317, 400, 506, 519, 527, 534, 541, 553–556, 563, 565, 567–574, 577, 578 – Definition 5, 395, 556–569 – nat¨urliches 13, 72, 74, 77, 78, 90, 317, 506, 555, 563–565, 567–569, 572, 573, 577 – selbstreferentielles 4, 6, 276, 295, 556– 569, 577, 578 – signum certum 172, 176, 187, 277, 297, 320, 366, 486, 517, 529, 530 – signum demonstrativum 171, 172, 317, 318 – signum efficax 15, 16, 170–177, 187, 272, 277, 297, 298, 361, 395, 421, 429, 439, 468, 495, 517, 518, 529, 530, 590 – signum obligatorium 172 – signum practicum 173, 187, 228, 320, 366 – signum prognosticum 171, 172, 176, 187, 297, 317, 318 – signum rememorativum 3, 171, 172, 317, 318, 575, 577, 579, 590 – signum voluntarium 318, 572, 573 – siehe auch impositio/institutio Zeit 179–181, 187, 189, 194, 213, 214, 219, 271, 272, 286, 323, 342, 460, 520, 523, 530, 541 Zweck 184, 358