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German Pages 410 Year 2005
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 164
Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union Von
Katalin Ligeti
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
KATALIN LIGETI
Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 164
Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union Von
Katalin Ligeti
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Michael Köhler, Hamburg Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-11663-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Diese Arbeit wurde im April 2004 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Sie entstand über den Zeitraum von 4 Jahren und führte mich zu den verschiedensten europäischen Forschungsstätten. Zu meinen Stationen zählen (in chronologischer Reihenfolge) das Max-Plank-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht in Freiburg i. Br., die Universität Helsinki, das Istituto Superiore Internazionale di Scienze Criminali in Syrakus, die Universität Aix-Marseilles in Aix en Provence, die Universität Stockholm und die Universität Cambridge. Die Hauptschwierigkeit der Arbeit lag in der Bestimmung des einschlägigen acquis communautaire, der während der Bearbeitungszeit einem ständigen Wandel und Fortentwicklung unterworfen war. Als ich das Thema im Jahre 1997 an der Universität Bristol zum Gegenstand meiner LL.M-Dissertation machte, war dessen Bekanntheit, geschweige denn Akzeptanz, noch äußerst gering. Dies hat sich dann in den folgenden Jahren grundlegend geändert. Heute, nach Amsterdam, Tampere, Laeken und am Vorabend einer Europäischen Verfassung, dürfte der Begriff „Europäisches Strafrecht“ niemanden mehr befremden. Die Arbeit verdankt ihre Fertigstellung in erster Linie der engagierten und stets verständnisvollen Unterstützung meines Doktorvaters, Herrn Professor Dr. Michael Köhler, der mich während meiner gesamten Forschungstätigkeit ermutigt und bestärkt hat. Von größter Bedeutung waren dabei die immer offen und nicht selten kontrovers geführten Fachgespräche, die mir neue, überraschende Aspekte der Materie eröffneten. Hinzu kommt, dass die erfolgreiche Durchführung einer rechtsvergleichenden Untersuchung in praktischer Hinsicht auf ganz erhebliche finanzielle Förderung angewiesen ist. Hier ist es allein der tatkräftigen Unterstützung von Herrn Professor Köhler zu verdanken, dass die dringend benötigten Sponsoren für dieses Projekt gewonnen werden konnten. Von Oktober 1999 bis Juli 2000 erhielt ich ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Zum 1. Juni 2001 wurde ich in die Hochbegabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung aufgenommen, der ich bis Ende Februar 2003 angehörte. Für die Zeit zwischen der Förderung durch den DAAD und dem Stipendium der Naumann-Stiftung half das Jean Monet Project der Europäischen Gemeinschaften mit einer einmaligen Zu-
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Vorwort
wendung. Für die freundliche Bezuschussung der Druckkosten danke ich wiederum der Friedrich-Naumann-Stiftung. Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich der Einsatz von Professor Dr. Imre A. Wiener (Eötvös Loránd Universität Budapest) und meines Mannes, Rechtsanwalt Dr. Hans-Martin Koopmann, die mich zu dieser Arbeit bewegten und während deren gesamten Verlauf wohlwollend begleitet haben. Herrn Professor Dr. Rainer Keller danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Die Arbeit versteht sich als Beitrag zur europäischen Integration, der sie auch gewidmet ist. Die Rechtsentwicklung konnte bis Juli 2004 berücksichtigt werden. Hamburg, am 1. August 2004
Katalin Ligeti
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 1 Vorab: Zur Legitimität des Europäischen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Formale und soziale Legitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratiedefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Legitimitätskrise aus strafrechtlicher Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsstaatskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Europäische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 30 31 36 41 46
Teil 1 Die strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union
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§ 2 Der institutionelle Rahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Europarat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Europäische Politische Zusammenarbeit und TREVI . . . . . . . . . . . . . . III. Schengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Dritte Pfeiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sonstige Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49 51 54 56 58 66
§ 3 Strafgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Jurisdiction to prescribe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Territorialitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personalitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aut dedere aut judicare Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Jurisdiction to enforce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strafgewaltkonflikte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erzielung einer einzigen Strafgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Corpus Juris: der europäische Territorialitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . .
68 69 71 72 75 76 77 78 79 80 84 89
§ 4 Die allgemeinen Voraussetzungen der strafrechtlichen Rechtshilfe . . . . . . 92 I. Die allgemeinen positiven Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Die allgemeinen negativen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Völkerrechtliche Verankerung des ne bis in idem-Grundsatzes. . . . . . . 97 2. Internationales ne bis in idem als Grundrecht in der EU . . . . . . . . . . . . 101
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Inhaltsverzeichnis 3. Art. 54 SDÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgeurteilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollsteckungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 5 Auslieferung – Übergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Die Entwicklung der Voraussetzungen der Auslieferung in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Der Europäische Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 § 6 Sonstige Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Voraussetzungen der sonstigen Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Moderne Rechtshilfehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auskunftsersuchen zu Bankkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ersuchen um Überwachung von Bankgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . c) Spontanauskunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Videokonferenz und Telefonüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die polizeiliche Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Voraussetzungen polizeilicher Zusammenarbeit . . . . . . . . 2. Spezielle polizeiliche Rechtshilfeleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die zollbehördliche Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Neue Züge der sonstigen Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 138 140 152 152 154 154 155 157 158 162 167 171
§ 7 Vollstreckungshilfe – gegenseitige Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Übertragung der Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollstreckung ausländischer Sicherstellungsentscheidungen . . . . . . . . . 2. Die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. . . . . 3. Die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Europäisches Strafregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 175 181 184 189
§ 8 Europäische Strafermittlungseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. OLAF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Einrichtungen polizeilicher Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . 1. Verbindungsbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europäische Einrichtungen justizieller Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zentrale Stellen und Verbindungsbeamte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Europäische Justizielle Netz (EJN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eurojust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Europäische Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 198 201 201 204 208 208 209 211 215
192 194
§ 9 Entwicklungstendenzen in der Europäischen Union im Bereich der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Inhaltsverzeichnis
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Teil 2 Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte
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§ 10 Maastricht – ein Wendepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 § 11 Rechtsgrundlagen der Strafrechtsharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Das Verhältnis zwischen Strafrecht und Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . 238 1. Gemeinschaftsrechtliche Sanktionskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Negative Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Positive Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Assimilierungsgebot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Anweisungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 c) Gemeinschaftskonforme Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 4. Blankettstrafgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II. Das Verhältnis zwischen Strafrecht und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Der Rahmenbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Die Harmonisierung des Sanktionsniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 § 12 Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Die Erscheinungsformen des Betrugs zu Lasten des EG-Haushalts . . . . 277 II. Systematik des Betrugsacquis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 III. Deliktstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. Tathandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 IV. Einige verfahrensrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 § 13 Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 I. Der Paradigmenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 II. Rechtsgüter und Systematik des Korruptionsacquis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 III. Amtsträgerkorruption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Der Begriff „Beamter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. Aktive und passive Handlungsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 3. Der Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 IV. Korruption im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 V. Trading in influence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 VI. Hauptzüge des Korruptionsacquis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 § 14 Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 I. Das Geldwäschephänomen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Systematik des Geldwäscheacquis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 III. Die Geldwäschestrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
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Inhaltsverzeichnis 2. Vortatenkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vortatbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sanktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Adressaten präventiver Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Identifizierungs- und Meldepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kundenidentifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Identifizierung der Begünstigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufbewahrungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pflicht zur Meldung des Geldwäscheverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anmeldepflicht im Zollwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Hauptzüge des Geldwäschestrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 15 Grundzüge der Strafrechtsharmonisierung in der Europäischen Union. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Schlussbetrachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Übersicht der verwendeten EU-Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
Abkürzungsverzeichnis ABl. a. F. AIDP Anm. Art. Aufl. BGH BKA BVerfGE CMLR CMLRev. Crim.L.R. DJT EAGV EG EGMR EGV EIB ELJ E.L.Rev. EMRK EPZ EU EuGH EuGRZ EuR EUV ETS EWR
Amtsgesetzblatt der Europäischen Union alte Fassung Association Internationale de Droit Pénal Anmerkung Artikel Auflage Bundesgerichtshof; Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Bundeskriminalamt Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Common Market Law Reports Common Market Law Review Criminal Law Review Deutscher Juristentag, Verhandlungen des Deutschen Juristentages Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.03.1957. Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.3.1957, BGBl. II S. 766. European Investment Bank European Law Journal European Law Review Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, BGBl. II S. 685. Europäische Politische Zusammenarbeit Europäische Union Europäische Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, BGBl. II S. 1253 European Treaty Series Europäische Wirtschaftsraum
12 EZB FATF Fn. GA HansOLG ICJ ICLQ IRG
Abkürzungsverzeichnis
Europäische Zentralbank Financial Action Task Force Fußnote Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Hanseatisches Oberlandesgericht (Hamburg) International Court of Justice International Comparative Quarterly Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. Dezember 1982, BGBl I 1982, 2071 JA Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jura Juristische Ausbildung JZ Juristenzeitung KOM Kommissionsdokument KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft LIEI Legal Issues of European Integration Maastrichter Vertrag Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, BGBl. II S. 1253 MJ Maastricht Journal MLR The Modern Law Review MTA Magyar Tudományos Akadémia (Ungarische Akademie der Wissenschaften) NJW Neue Juristische Wochenschrift NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht OAS Organisation of American states OECD Organisation for Economic Co-operation and Development OJLS Oxford Journal of Legal Studies ÖJZ Österreichische Juristenzeitung OLG Oberlandesgericht PJZ Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit Rdn. Randnummer Rs. Rechtssache Rev.dr.pén.crim. Revue de droit pénal et de criminologie Rev.sc.crim. Revue de science criminelle et droit penal compare S. Seite SDÜ Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 19.6.1990, BT-Drucks. 12/2453 SIS Schengener Informationssystem Slg. Sammlung StaFo Strafverteidigerforum StGB Strafgesetzbuch
Abkürzungsverzeichnis StIGH StV Übk. YEL z. B. ZfZ ZRP ZStW
Internationale Gerichtshof für Strafsachen Strafverteidiger Übereinkommen Yearbook of European Law zum Beispiel Zeitschrift für Zollrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
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Einführung Wir blicken heute auf 10 Jahre einer intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Europäischen Strafrecht zurück.1 Die Bezeichnung Europäisches Strafrecht umfasst die Harmonisierung und die teilweise Vereinheitlichung der mitgliedstaatlichen Strafrechte. Dieser Prozess wird von den Organen der Europäischen Union betrieben und dient der erfolgreichen Bekämpfung der anwachsenden grenzüberschreitenden Kriminalität in Europa. Die Anpassung der strafrechtlichen Auftritte der Mitgliedstaaten ist sehr vielschichtig. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Sicherstellung der lückenlosen Verfolgung der Straftäter durch Ausdehnung der innerstaatlichen Jurisdiktionsnormen, die Weiterentwicklung der internationalen strafrechtlichen Rechtshilfe, die einheitliche Regelung bestimmter Straftatbestände, die Durchsetzung von Maßnahmen der Abschöpfung der Bereicherung und die Begründung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen immer wichtiger. Geschichtlich fing dies mit der Arbeit des Europarates an, gilt aber heute insbesondere für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Annäherung der Strafrechte ist jedoch keine rein europäische Erscheinung, sondern vielmehr im Zusammenhang mit der Entwicklung des internationalen Strafrechts zu verstehen,2 die historisch auf der Erkenntnis der Nachkriegszeit aufbaut, bestimmten Werten einen globalen Schutz zuzusichern. Dementsprechend sieht das internationale Strafrecht die weltweite Ahndung so genannter Völkerstrafstaaten durch einen internationalen Straf1 Siehe aus den 90er Jahren unter anderen Zuleeg, Manfred: Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration, JZ 1992, S. 761–769; Tiedemann, Klaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, S. 23–31; Wilkitzki, Peter: Die Regionalisierung des internationalen Strafrechts, ZStW 1993, S. 821– 845; Schutte, Julian: The European Market of 1993: A Test for a Regional Model of Supranational Criminal Justice or of Inter-Regional Co-operation?, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 387–413; Sieber, Ulrich: Memorandum für ein Europäisches Strafgesetzbuch, JZ 1997, S. 369–381; Jescheck, Hans-Heinrich: Möglichkeiten und Grenzen eines Strafrechts zum Schutz der Europäischen Union, in: H.-H. Jescheck: Beiträge zum Strafrecht 1980–1990, Berlin 1998, S. 469–480. 2 Eingehend zum Völkerstrafrecht Cassese, Antonio: International Criminal Law, Oxford 2003; Schabas, William: An introduction to the International Criminal Court, Cambridge 2001.
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gerichtshof vor. Zwar erschien dieser Ansatz noch vor kurzem als zu ambitiös, jedoch führte die Aufstellung von ad hoc Kriegsverbrechenstribunalen für Ex-Jugoslawien und Ruanda zur Schaffung eines permanenten internationalen Strafgerichtshofes.3 Im Kontext dieser globalen Anstrengung, bestimmten universalen Rechtsgütern strafrechtlichen Schutz zu gewähren, zielt das europäische Strafrecht auf die Errichtung eines regionalen Institutionensystems.4 Diese intensive strafrechtliche Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union wurzelt in den ähnlichen sozioökonomischen Verhältnissen der Mitgliedstaaten. Je enger die sozioökonomische und politische Kooperation im Übrigen ist, desto mehr ist auch eine immer engere strafrechtliche Zusammenarbeit möglich und nötig. Ausgangspunkt jeder Entwicklung ist, dass das Strafrecht und dessen Durchsetzung traditionell als Prärogative staatlicher Souveränität betrachtet wird.5 Jeder Ansatz, die Zusammenarbeit in Strafsachen zu fördern und eine arbeitsteilige Strafverfolgung auszubauen, stieß auf den politischen und verfassungsrechtlichen Widerstand der Nationalstaaten. Nach McClean kann die traditionelle Haltung der Staaten als Nichtkooperation angesehen werden, in der kein Staat das Strafrecht eines anderen Staates umsetzt.6 In den letzten 50 Jahren ist jedoch eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Staaten in Strafsachen zu beobachten, die in der EU insbesondere zwei grundsätzliche Bemühungen beinhaltet: einmal die Entwicklung und Erleichterung der Rechtshilfe in Strafsachen, anderseits das Streben nach Harmonisierung und Vereinheitlichung von Strafnormen. Es ist wichtig hervorzuheben, dass die strafrechtliche Zusammenarbeit in jedem Fall das gegenseitige Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der Justiz des anderen Staates voraussetzt. Ohne dieses Vertrauen ist keine Kooperation möglich. Die Wichtigkeit der internationalen Zusammenarbeit wurde durch die steigende Anzahl von Sachverhalten begründet, die einen transnationalen 3
Rome Statute of the International Criminal Court, 12 July 1999 abgedruckt in: RIDP 2000, Band 71. Deutsche Übersetzung des Statuts im IStGH-Statutsgesetz, BGBl II 2000, 1393. 4 Schutte, Julian: Kommentare zum Thema IV, Die Regionalisierung des internationalen Strafrechts und der Schutz der Menschenrechte bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 1992, S. 725–734; Wilkitzki, Peter: Die Regionalisierung des internationalen Strafrechts, ZStW 1993, S. 823. 5 Zum Verhältnis vom Staat und Strafrecht grundlegend Kremnitzer, Mordechai: Constitutional Principles and Criminal Law, Israel Law Review 1993, S. 84 ff. 6 McClean, David: Mutual Assistance in Criminal Matters: The Commonwealth Scheme, ICLQ 1988, S. 178.
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Strafbezug aufweisen. Aus dem Gesichtspunkt des nationalen Strafrechts nennt etwa Schomburg7 drei theoretische Lösungsmethoden für Sachverhalte mit transnationalem Bezug: – ausschließlich durch das nationale Recht, – mit Hilfe der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit durch Rechtshilfevereinbarungen, – auf supranational-übergeordneter Ebene durch die Aufstellung internationaler Strafgerichtshöfe oder in unserem Fall Harmonisierung durch das EU-Recht. Die Reihenfolge der obigen Aufzählung entspricht auch der historischen Entwicklung. Ursprünglich baute jede Form der Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten auf einer intergouvernementalen Basis auf. Die älteste Form der Kooperation, die zwischenstaatliche Rechtshilfe, war lange Zeit eine weitgehend ungeregelte Materie.8 Sie beruhte auf einzelnen bilateralen Verträgen, überwiegend aber auf bloßer Gegenseitigkeit unter Beachtung der anerkannten Grundsätze des Völkerrechts. Bahnbrechend auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe waren die Arbeiten des Europarats, der eine Reihe von Übereinkommen ausarbeitete und zur Unterzeichnung vorlegte. Harmonisierung wurde (und wird) als eine Hilfe zur Rechtshilfe angesehen, da eine möglichst weitgehende Übereinstimmung nationaler Strafrechte die Zusammenarbeit erleichtert9 und die Bedeutung von Kompetenzkonflikten vermindert.10 Dem wird allerdings entgegengehalten, das materielle Strafrecht spiegele in besonders starkem Maße die vielfältigen, geschichtlichen, politischen und kulturellen Traditionen, Grundüberzeugungen und Eigenheiten eines Volkes wider und sei daher nur in beschränktem Ausmaß einer Harmonisierung zugänglich.11 Aus der Logik dieser Argu7 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 5. 8 Schwaighofer, Klaus/Ebensprenger, Stefan: Internationale Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten, Wien 2001, S. 2. 9 Sieber, Ulrich: Bekämpfung des EG-Betrugs und Perspektiven der europäischen Amts- und Rechtshilfe, ZRP 2000, S. 190. 10 Schomburg, Wolfgang: Kooperation bei der Kooperation in Europa: Eurojust neben Europol, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Kriminalitätsbekämpfung im zusammenwachsenden Europa, Neuwied 2000, S. 143. Dem Ziel einer Harmonisierung von Bestimmungen des materiellen Strafrechts wird bei den Bemühungen um die Schaffung internationalen Strafrechts von jeher zentrale Bedeutung beigemessen. Vgl. Wilkitzki, Peter: Die Regionalisierung des internationalen Strafrechts, ZStW 1993, S. 824. 11 Wilkitzki, Peter: Die Regionalisierung des internationalen Strafrechts, ZStW 1993, S. 824; Harding, Christopher/Swart, Bert: Intergovernmental co-operation in
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mentation geht eindeutig hervor, dass die Beurteilung der Harmonisierung der Strafrechte eine rechtspolitische und keine dogmatische Aussage ist. Weder unterstützt die Strafrechtsdogmatik alleine die Annahme einheitlicher Strafnormen, noch schließt sie diese aus. Es hängt vielmehr vom politischen Konsens ab, ob solche Normen geschaffen werden. Unabhängig davon, ob man eine Harmonisierung der materiellen Strafnormen rechtspolitisch12 für wünschenswert hält oder nicht, ist festzuhalten, dass in der europäischen Praxis der vergangenen Jahrzehnte immer deutlichere Ansätze einer Harmonisierung der materiellen Strafrechte verwirklicht werden konnten.13 Klip weist darauf hin, dass sich die Schwerpunkte der Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union in den vergangenen Jahren deutlich verschoben haben. Ging es anfangs um die Zusammenarbeit in Strafsachen, steht heute die Harmonisierung des Strafrechts im Mittelpunkt.14 Der Harmonisierungsdrang macht aber bei den materiellen Strafnormen keinen Halt, er betrifft notwendigerweise auch das Strafverfahrensrecht15 und das Strafvollzugsrecht16, da die Existenz identischer Strafrechtsnormen in kulturell unterschiedlichen Staaten noch keine identische Auslegung und Anwendung und dadurch schließlich keinen identischen Strafrechtsschutz gewährleisten kann. Die Bestrebungen nach Uniformität und Harmonisierung der Strafrechte in der Europäischen Union haben mit den Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages über einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Titel IV des EU-Vertrages) eine eindeutige Gestalt bekommen. Titel IV birgt zugleich auch den Keim einer Alternative, die das traditionelle Modell der horizontalen Zusammenarbeit langfristig in der Europäischen Union ersetzen soll. Die traditionelle justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen stützt the field of criminal law, in: P. Fennell/C. Harding/N. Jörg/B. Swart (Hrsg.): Criminal Justice in Europe, A Comparative Study, Oxford 1995, S. 87; Pradel, Jean/ Corstens Geert: Droit pénal européen, Paris 1999, S. 3 ff. 12 Zur Berechtigung dieser rechtspolitischer Zielsetzung vgl. Perron, Walter: Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren, ZStW 2000, S. 202. 13 Harding, Christopher: The International and European Control of Crime, in: C. Harding/C. L. Lim: Renegotiating Westphalia, Essays and Commentary on the European and Conceptual Foundations of Modern International Law, The Hague/ Boston/London 1999, S. 202–203. 14 Klip, H. André: Neuere Entwicklungen im europäischen Strafrecht und in der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.): 22. Strafverteidigertag, Köln 1999, S. 50. 15 Zuleeg, Manfred: Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration, JZ 1992, S. 767. 16 Vgl. Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM (2004) 334 endgültig.
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sich auf eine Reihe internationaler Rechtsakte, die überwiegend von dem Ersuchens-Prinzip, wie man es nennen könnte, ausgehen: Ein souveräner Staat stellt ein Ersuchen an einen anderen souveränen Staat, der daraufhin aufgrund seiner Rechtshilfebestimmungen entscheidet, ob er dem Ersuchen stattgibt. Da der ersuchende und der ersuchte Staat nebeneinander gestellt sind, gilt ihre Souveränität gleichermaßen. Daher nennt man dieses Modell horizontale Zusammenarbeit. Im Gegensatz dazu unterstützten die europäische Organe den schrittweisen Ausbau einer vertikalen Zusammenarbeit, die ihren Ausdruck in der Idee des einheitlichen europäischen Rechtsraumes findet. Das neue Modell beruht darauf, das Gesamtterritorium der EU-Mitgliedstaaten für die Zwecke der Strafjustiz als einen einheitlichen Rechtsraum anzusehen, in dem die herkömmlichen Formen der Rechtshilfe überflüssig sind; stattdessen gilt als Grundregel die direkte Durchsetzung von EU-Recht. Die Idee, einen gemeinsamen Rechtsraum zu schaffen, ist eine politische Idee französischer Herkunft.17 Der Ursprung des Konzepts geht zurück auf die 70er Jahre, als es der damalige französische Ministerpräsident Giscard d’Estaing im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit vortrug.18 Die Funktion des gemeinsamen Rechtsraums ist, sicherzustellen, dass die divergierenden nationalen Rechtsvorschriften keine Störung für den freien Verkehr von Personen, Gütern und Kapital darstellen. Ursprünglich hätte also der gemeinsame Rechtsraum das Funktionieren des Binnenmarkts ergänzen sollen. Dies erwies sich aber als nicht überzeugend genug für die Begrenzung mitgliedstaatlicher Souveränität und die Idee eines einheitlichen europäischen Rechtsraumes geriet schnell aus dem Interesse der politischen Diskussion. Das Konzept wurde von den Organen der Europäischen Union Anfang der 90er Jahre wiederbelebt, diesmal aber aus strafpolitischen Gründen. Die Strafpolitik der Europäischen Union ist zwar kein Rechtsbegriff, sie stimmt aber mit dem herkömmlichen Verständnis von Strafpolitik nicht überein. Im traditionellen Sinne ist Strafpolitik der freie Austausch oder Zusammenstoß unterschiedlicher Auffassungen über das Strafrecht. Die Strafpolitik in der Europäischen Union ist jedoch weder der Austausch unterschiedlicher Strafrechtsauffassungen, noch ist sie die gemeinsame Strafpolitik der Mitgliedstaaten. Die Strafpolitik der Europäischen Union ist ein neues, zwingendes Institutionensystem, das sich auf die Gesamtheit der 17
Siehe Nuttall, J. Simon: European Political Co-operation, Oxford 1992, S. 295. Nachweise bei Pradel, Jean: Wege zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Rechtsraums, in: K. Tiedemann (Hrsg.): Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, Freiburger-Symposium, Köln/Berlin/Bonn/München 2002, S. 55, Fn. 2. 18
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Bemühungen europäischer Organe erstreckt, die auf die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte und auf die Schaffung eines supranationalen Strafrechts abzielen. Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte ist kein Selbstzweck. Die Strafpolitik der Europäischen Union wurde durch praktische Bedürfnisse hervorgerufen.19 Der am häufigsten erwähnte Grund ist die Internationalisierung der Kriminalität, welche notwendigerweise eine internationale Antwort verlange.20 Ihrerseits sei die Kriminalität in Europa durch die Internationalisierung ihrer Ursachen geprägt, die auf nationaler Ebene gesellschaftlich und politisch immer weniger aufgefangen werde.21 Die Vollendung des Binnenmarktes hat die Entwicklung der Kriminalität auf zweierlei Weise beeinflusst: einerseits haben herkömmliche Straftaten eine internationale Dimension erlangt, anderseits sind neue Formen der Kriminalität entstanden.22 In einem Europa ohne Grenzen stieg das internationale Element der Straftaten sprunghaft an. Über den Umstand hinaus, dass heute jede beliebige Straftat ein internationales Element aufweisen kann, wird die Lage der Ermittlungsbehörden dadurch weiter erschwert, dass neue, komplexe Straftaten entstanden sind. Darunter fallen z. B. Geldwäsche, Menschenhandel, Drogenhandel und die organisierte Kriminalität. Die internationale Dimension des Problems und die von Regierungen empfundene Notwendigkeit, eine effektive Methode der Kontrolle zu finden,23 haben zur Annahme zahlreicher Übereinkommen geführt.24 Harding 19 So auch Perron, Walter: Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren, ZStW 2000, S. 204. 20 Eingehend dazu Müller-Rappard, Ekkehart: Inter-State Cooperation in Penal Matters Within the Council of Europe Framework, in: C. Bassiouni (Hrsg.): International Criminal Law, Band 2: Procedural and Enforcement Mechanisms, 2. Aufl., Ardsley/New York 1999, S. 335. Vgl. auch Vogler, Theo: Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 588; Labayle, Henri: L’application du titre VI du Traité sur l’Union européenne et la matière pénale, Rev.sc.crim. 1995, S. 35– 36; Ferola, Laura: Facing the emerging challenges of transnational crime: what role for the European Union? A legal analyses of its instruments, limits and perspectives, MJ 2000, S. 358. und die Entschließung zu dem Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. 1999 Nr. C 219/61 vom 30.7.1999. 21 Taylor, Ian: Crime, Market-Liberalism and the European Idea, in: V. Ruggiero/N. South/I. Taylor (Hrsg.): The European Criminology: crime and social order in Europe, London 1998, S. 24. 22 Sieber, Ulrich: Memorandum für ein Europäisches Strafgesetzbuch, JZ 1997, S. 370; Nilsson. Hans G.: The Council of Europe Laundering Convention: A Recent Example of a Developing International Criminal Law, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 457–458.
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beschreibt pointiert, dass es ein Einverständnis in der offiziellen und akademischen Diskussion über die Wichtigkeit des Problems der internationalen Kriminalität zu geben scheint. Letzteres rechtfertige immer weitergehende Bemühungen bei der Koordinierung öffentlicher Reaktionen im Rahmen der Kriminalitätskontrolle.25 Der zweite Grund, der für harmonisierte Strafnormen oft angeführt wird, bezieht sich auf die Ineffektivität traditioneller Rechtshilfe. Die klassische Rechtshilfe berücksichtigt weitgehend die nationale Souveränität der Staaten. Ersuchen werden auf einem förmlichen Dienstweg über die zuständigen Ministerien bearbeitet, was regelmäßig zu Verzögerungen führt.26 Ein weiterer Nachteil ist, dass die internationalen Rechtshilfevereinbarungen die Gewährleistung der Rechtshilfe an die Erfüllung sämtlicher Kriterien knüpfen, was ein schnelles und effektives Auftreten der Ermittlungsbehörden unmöglich macht.27 Dazu kommt noch der Mangel an Sprachkenntnissen bzw. der Kenntnis anderer Rechtssysteme.28 Diese Probleme leiten sich von dem der Rechtshilfe unterliegenden, traditionellen Verständnis des Nationalstaates und Souveränität ab, wonach Rechtshilfe die Zusammenarbeit zwischen zwei souveränen Staaten ist, deren Gewährung schlussendlich eine politische Entscheidung ist. Bernasconi beklagte schon Mitte der 90er Jahre, dass die Handlungen eines fremden Richters der Kontrolle durch den nationalen Richter schon immer unterworfen waren und sind. Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen funktioniere weiterhin nicht zufriedenstellend, da sie fortwirkend Grundsätze benutze, die hauptsächlich durch die nationale Souveränität inspiriert seien.29 23 Träskman, Per Ole: A good criminal policy is more than just new law, in: V. Heiskanen/K. Kulovesi (Hrsg.): Function and Future of European Law, Helsinki 1999, S. 207. 24 Harding, Christopher/Swart, Bert: Intergovernmental co-operation in the field of criminal law, in: P. Fennell/C. Harding/N. Jörg/B. Swart (Hrsg.): Criminal Justice in Europe, A Comparative Study, Oxford 1995, S. 88. 25 Harding, Christopher: The International and European Control of Crime, in: C. Harding/C. L. Lim: Renegotiating Westphalia, Essays and Commentary on the European and Conceptual Foundations of Modern International Law, The Hague/ Boston/London 1999, S. 190. 26 Sieber, Ulrich: Bekämpfung des EG-Betrugs und Perspektiven der europäischen Amts- und Rechtshilfe, ZRP 2000, S. 188. 27 Aus Sicht der deutschen Praxis Schübel, Eva: Wie gut funktioniert die Strafverfolgung innerhalb Europas?, NStZ 1997, S. 106–107. 28 Klip, H. André: Neuere Entwicklungen im europäischen Strafrecht und in der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.): 22. Strafverteidigertag, Köln 1999, S. 46. 29 Bernasconi, Paolo: Transborder Offences: Terrorism, Narcotics Trafficking, White-Collar Offences, in: M. Delmas-Marty (Hrsg.): What kind of Criminal Policy for Europe?, Paris 1993, S. 92–93.
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Darüber hinaus wird vorgetragen, dass die durch die wirtschaftliche Integration entstandenen neuen supranationalen Schutzinhalte (European public good)30 eines strafrechtlichen Schutzes bedürften.31 Die Bezeichnung supranationaler Schutzinhalt meint diejenigen schutzwürdigen Werte, die ausdrücklich der Europäischen Union zugehörig sind und die über die Interessen eines bestimmten Staates hinausgehen. Solche sind z. B. die finanziellen Interessen der Gemeinschaften oder die Gesetzmäßigkeit der gemeinschaftlichen Verwaltung. Im Einklang mit den einzelstaatlichen Traditionen schützten die innerstaatlichen Strafrechte die Interessen nur dieses einen Staates. Das innerstaatliche Recht schützt im Allgemeinen die Gesetzmäßigkeit der nationalen Verwaltung und Justiz, sowie die nationalen finanziellen Interessen, es lässt jedoch die einschlägigen Interessen fremder Staaten und internationaler Organisationen außer Betracht. Die Lage ist besonders schwerwiegend im Fall der Europäischen Union, da deren Interessen durch die nationalen Strafrechte ursprünglich nicht geschützt wurden. Ohne weitere Regelung bliebe der Missbrauch von Gemeinschaftsgeldern und Subventionen sowie die Bestechung von Gemeinschaftsangestellten straflos. Der Mangel an Zusammenarbeit und Rechtsharmonisierung sowie die Unterschiede der mitgliedstaatlichen Regelungen ermöglichen es, dass die Kriminellen ihre Straftaten in dem Mitgliedstaat begehen, wo die angedrohte Sanktion am mildesten und somit das Risiko am geringsten ist. Schließlich stellt das sog. forum shopping eine immer größere Bedrohung für die Menschenrechte und die Justizverwaltung dar.32 Forum shopping steht für den Vorgang, bei dem Kriminelle in Zusammenhang mit ihren grenzüberschreitenden Tätigkeiten für die Begehung der Taten, oder – im Fall bereits entdeckter Tat – für den Strafvollzug das Land aussuchen, wo die Chancen für eine Verfolgung und Bestrafung am geringsten sind (Gerichtsstand-Shopping) bzw. die faktische Ausgestaltung des Strafvollzugs insgesamt am günstigsten ist (Strafvollzugsstand-Shopping).33 Es ist ohne weiteres einsichtig, dass sich derjenige Mitgliedstaat als Standort für einschlägige Geschäfte anbietet, der hier hinter dem Recht der übrigen Mit30
Näheres zum Begriff „supranationaler Schutzinhalt“ in § 10. Naucke, Wolfgang: Strafrecht: eine Einführung, 7. neubearb. Aufl., Neuwied 1995, Rdnr. 139–140. Bestandsaufnahme bei Manacorda, Stefano: Le droit pénal et l’Union européene: esquisse d’un système, Rev.sc.crim. 2000, S. 95–121. 32 Van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 144. 33 Die Begriffe Gerichtsstand-Shopping und Strafvollzugsstand-Shopping wurden von Kühne eingeführt. Beispiele hierfür Kühne, Hans-Heiner: Die Bekämpfung von internationaler Kriminalität und Drogenabhängigkeit als gemeinsames Interesse der Unionsstaaten, in: P.-C. Müller-Graff (Hrsg.): Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, Baden-Baden 1996, S. 92–94. 31
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gliedstaaten zurückbleibt. Die Verschiedenheit mitgliedstaatlicher Rechtssysteme lässt sich aber nicht nur von den Kriminellen, sondern auch von den Ermittlungsbehörden bewusst ausnutzen. Durch die zunehmende Zahl von Straftaten mit transnationalem Strafbezug kommt es immer öfter zu positiven Kompetenzkonflikten der EU-Mitgliedstaaten bei den Strafermittlungen. Durch das Fehlen eindeutiger Regeln für die Lösung dieser positiven Kompetenzkonflikte bleibt die Entscheidung den Ermittlungsbehörden überlassen, wo der Fall verhandelt wird.34 Dabei kann die Entscheidung durch die Interessen der ermittelnde Behörde (z. B. ein niedrigerer Maßstab für die Zulassung von im Ausland erhobenen Beweisen, härtere Strafen, usw.) zum Nachteil von Justizinteressen (z. B. Rechte des Opfers, Resozialisierung des Täters, usw.) beeinflusst werden.35 Die Strafpolitik der Europäischen Union hat eine heftige Diskussion in der Strafrechtswissenschaft hervorgerufen, die die Adäquanz der aufgeführten Argumente in Frage stellte. Insbesondere hat das Argument bezüglich der Internationalisierung der Kriminalität und der Notwendigkeit effektiver Methoden der Kontrolle bei vielen Kriminologen und Juristen Widerstand ausgelöst. Harding lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass sowohl die Rhetorik der wissenschaftlichen und rechtspolitischen Auseinandersetzung als auch die entstehende rechtliche Regelung mehr auf dem angenommenen Ausmaß als auf der tatsächlichen Kenntnis des Problems basiert.36 Neben den ungenauen Hinweisen auf die Dimension des Problems, die wohl darauf abzielen, ein möglichst dunkles Bild der Gefahren der internationalen Kriminalität zu zeichnen, zeigt die Sprache der angenommenen bzw. entworfenen Rechtsakte oft eine gesteigerte Anwendung des Strafrechts.37 Stil und Begrifflichkeiten unionsrechtlicher Texte entsprechen eher der Kampfrhetorik der politischen Kontroverse als juristischer Argumentation.38 34 Vermeulen, Gert: A European Judicial Network linked to Europol? In Search of a Model for Structuring Trans-National Criminal Investigations in the EU, MJ 1997, S. 358–359. 35 Insbesondere über das Beweismittelshopping vgl. Kühne, Hans-Heiner: Strafprozessrecht, 5. Aufl., Heidelbrg 1999, S. 15. 36 Harding, Christopher: The International and European Control of Crime, in: C. Harding/C. L. Lim: Renegotiating Westphalia, Essays and Commentary on the European and Conceptual Foundations of Modern International Law, The Hague/ Boston/London 1999, S. 191. 37 Klip, H. André: Neuere Entwicklungen im europäischen Strafrecht und in der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.): 22. Strafverteidigertag, Köln 1999, S. 46; Weyembergh, Anne: La Coopération européenne en matiére de justice et d’affaires interieures: vers un rééquilibrage du couple liberté-securité?, Revue Belge de Droit International, 2000, S. 615. 38 Klip, H. André: Neuere Entwicklungen im europäischen Strafrecht und in der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Strafverteidigervereinigungen
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Diese repressive Strafrechtspolitik führt dazu, dass komplexe Bereiche der Gesellschaftspolitik auf eine einfache crime/policing-Argumentation39 reduziert werden, die wiederum durch eine funktionale Erweiterung von Polizeizuständigkeiten begleitet wird.40 Die Anerkennung des internationalen Charakters des Problems führt dazu, dass die internationale Strafverfolgung sowie polizeiliche Gegenmaßnahmen in den Vordergrund rücken.41 Zugleich bedeutet dies eine Instrumentalisierung des Strafrechts: Jedes Problem, das in einem Mitgliedstaat einige Zeit lang in der Öffentlichkeit diskutiert wird, führt irgendwann zu einer Maßnahme.42 Dies wirft das weitere Problem des Spannungsverhältnisses zwischen einer effektiven Verbrechensbekämpfung und der Beachtung der Grund- und Menschenrechte auf.43 Die strafrechtliche Zusammenarbeit setzt in jedem Fall einen Kompromiss zwischen den materiellrechtlichen und prozessualen Voraussetzungen der innerstaatlichen Rechtsordnung einerseits und anderseits der Notwendigkeit der Förderung einer effizienten Kooperation der Staaten für die Bekämpfung der internationalen Kriminalität voraus. Die Effektivität darf aber nicht auf Kosten der hart erkämpften Menschenrechte (Hrsg.): 22. Strafverteidigertag, Köln 1999, S. 47; Ebenso klagen Träskman und Prittwitz über die im Europäischen Strafrecht unterbrachten Strafverschärfungen. (Träskman, Per Ole: A good criminal policy is more than just new law, in: V. Heiskanen/K. Kulovesi (Hrsg.): Function and Future of European Law, Helsinki 1999, S. 214; Prittwitz, Cornelius: Nachgeholte Prolegomena zu einem künftigen Corpus Juris Criminalis für Europa, ZStW 2001, S. 781.). 39 Twomey, Patrick: Constructing a Secure Space: The Area of Freedom, Security and Justice, in: D. O’Keeffe/P. Twomey (Hrsg.): Legal Issues of the Amsterdam Treaty, Oxford Portland Oregon 1999, S. 363. 40 Nelles sieht sogar einen Zusammenhang zwischen Europäisierung und Verpolizeilichung des Strafverfahrens, die mit einer Tendenz zur Abkehr von rechtsstaatlichen Bindungen einhergehe. Nelles, Ursula: Europäisierung des Strafverfahrens – Strafprozessrecht für Europa, ZStW 1997, S. 731. 41 Taylor, Ian: Crime, Market-Liberalism and the European Idea, in: V. Ruggiero/N. South/I. Taylor (Hrsg.): The European Criminology: crime and social order in Europe, London 1998, S. 32. 42 Kritisch dazu Jung, Heike: „L’Etat et moi“: Some Reflections on the Relationship between the Criminal Law and the State, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 1998, S. 211–213. Ein Beispiel für die Instrumentalisierung des Strafrechts bietet die stückweise Erweiterung der Zuständigkeiten von Europol. Näher dazu in § 8 sowie bei Hecker, Jan: Europäisches Verwaltungskooperationsrecht am Beispiel der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit, EuR 2001, S. 829. 43 Vogler, Theo: Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 591; Blakesley, Christopher: Autumn of the Patriarch: The Pinochet Extradition Debacle and Beyond – Human Rights Clauses Compared to Traditional Derivative Protections Such as Double Criminality, The Journal of Criminal Law & Criminology, 2001, S. 2.
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verwirklicht werden.44 Die Intensivierung der strafrechtlichen Zusammenarbeit darf den Rechtsschutz der Betroffenen nicht beeinträchtigen.45 Um der drohenden Dominanz des Polizeibereichs entgegenzuwirken, fordern viele Wissenschaftler die Angleichung der Verfahrensordnungen im Bereich der Strafjustiz in Europa46 und die Schaffung eines europäischen Straf- und Strafverfahrensrechts. Die möglichen unerwünschten Konsequenzen einer Rechtsvereinheitlichung werden in der Rechtsliteratur breit diskutiert47, darunter eine mögliche Absenkung der Verfahrensgarantien48, wodurch die herkömmlichen Menschenrechte beeinträchtigt werden könnten. Als mögliche Gefahr wird auch hervorgehoben, dass durch eine repressiv angelegte Strafrechtsvereinheitlichung Maßnahmen, die im nationalen Kontext als unverhältnismäßig gelten, im supranationalen Bereich – insbesondere in Bezug auf organisierte Kriminalität – von der Öffentlichkeit als geeignet toleriert werden.49 Besondere Sorge haben die nordischen Staaten geäußert, die einen Verlust der Errungenschaften „des nordischen Modells“, d.h. Legitimität, Humanität und relativ milde Strafen, befürchten.50 44 Bassiouni, Cherif: Reflections on International Extradition, in: K. Schmoller (Hrsg.): Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag, Wien/New York 1996, S. 717; Delmas-Marty, Mireille: Toward a European Model of the Criminal Trial, in: M. Delmas-Marty: The Criminal Process and Human Rights, The Hague 1995, S. 195. 45 Insbesondere die Rechtslage des Opfers hat in letzter Zeit auf EU-Ebene sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Siehe Grünbuch – Entschädigung für Opfer von Straftaten, KOM (2001) 536 endg., 28.9.2001, sowie Rahmenbeschluss des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. 2001 Nr. L 82/1 vom 22.3.2001. 46 Intervention von Klaus Tiedemann auf der Arbeitssitzung der Fachgruppe Strafrechtsvergleichung bei der Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung am 23.9. 1999 in Freiburg, Diskussionsbericht von Susanne Walther, ZStW 2000, S. 229. 47 Umfassend Zieschang, Frank: Chancen und Risiken der Europäisierung des Strafrechts, ZStW 2001, S. 266–269. 48 Twomey, Patrick: Constructing a Secure Space: The Area of Freedom, Security and Justice, in: D. O’Keeffe/P. Twomey (Hrsg.): Legal Issues of the Amsterdam Treaty, Oxford Portland Oregon 1999, S. 357. Kühne fürchtet insbesondere eine Ausrichtung des Strafverfahrens an der polizeilichen Effektivität. Vgl. Kühne, HansHeiner: Strafprozessrecht, 5. Aufl., Heidelberg 1999, S. 34. 49 Twomey, Patrick: Constructing a Secure Space: The Area of Freedom, Security and Justice, in: D. O’Keeffe/P. Twomey (Hrsg.): Legal Issues of the Amsterdam Treaty, Oxford Portland Oregon 1999, S. 363. Klip weist darauf hin, dass nationale Parlamente von ihren Regierungen unter Druck gesetzt werden, nicht zu viele Schwierigkeiten zu machen, um die Verhandlungsposition der eigenen Regierung nicht zu schwächen. Vgl. Klip, H. André: Neuere Entwicklungen im europäischen Strafrecht und in der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.): 22. Strafverteidigertag, Köln 1999, S. 48.
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Auch ohne die weitreichenden Gefahren einer solchen Strafrechtsauffassung aufzuzählen, ist die Widersprüchlichkeit der derzeitigen Ausgestaltung des einheitlichen europäischen Rechtsraumes einfach zu erkennen. Dies erklärt den Widerstand sämtlicher Mitgliedstaaten gegenüber einem supranationalen Strafrecht, deren Lösungen sich derzeit erst im Entstehen befinden. Die gemischten Gefühle, die die europäische Strafrechtswissenschaft dieser Entwicklung entgegenbringt, wurden treffend durch die Schlussworte Perrons anlässlich der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung wiedergegeben: „Einerseits ist eine Vereinheitlichung unmöglich und nicht ohne gravierenden Qualitätsverlust zu haben; anderseits gibt es aber praktisch keine andere Wahl mehr [. . .] Das Rechtshilferecht ist für die Lösung dieser Aufgaben unzureichend.“51
Da es der Schaffung eines europäischen Strafrechts noch an Realität mangelt, nimmt das Rechtshilferecht (d.h. horizontale Zusammenarbeit) in der internationalen Zusammenarbeit immer noch eine zentrale Rolle ein.52 Diese Position ist durch die Ergebnisse der neusten Begutachtung des Rechthilfeverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bekräftigt worden.53 Aus der Studie geht eindeutig hervor, dass: „die vorgetragene Kritik, [die Rechtshilfe] sei langsam, uneffizient und wirkungslos, als überzogen gelten kann. Im Allgemeinen funktioniert die Rechtshilfe nicht so schlecht wie behauptet wird. [. . .] Zweitens hat die Begutachtung gezeigt, dass die meisten Rechtshilfeersuchen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gestellt und erledigt werden: der entsprechende Anteil liegt bei 75% bis 95%.“
Diese Untersuchung verdeutlicht, dass dem Rechtshilferecht weiterhin in der überwiegenden Zahl der Fälle mit einem internationalen Strafbezug 50 Lahti, Raimo: Towards an International and European Criminal Policy?, in: M. Tupamäki (Hrsg.): Liber amicorum Bengt Broms, Helsinki 1999, S. 238; Nuotio, Kimmo: Should Criminal Law be our Common European Concern?, in: V. Heiskanen/K. Kulovesi (Hrsg.): Function and Future of European Law, Helsinki 1999, S. 225–228; Träskman, Per Ole: A good criminal policy is more than just new law, in: V. Heiskanen/K. Kulovesi (Hrsg.): Function and Future of European Law, Helsinki 1999, S. 216–217; Greve, Vagn: The European Union and National Criminal Law, in: A. Snare (Hrsg.): Beware of Punishment – On the Utility and Futility of Criminal Law, Oslo 1995, S. 198. 51 Abschlussworte von Walther Perron auf der Arbeitssitzung der Fachgruppe Strafrechtsvergleichung bei der Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung am 23.9.1999 in Freiburg, Diskussionsbericht von Susanne Walther, ZStW 2000, S. 230. 52 So bereits Wilkitzki, Peter: Die Regionalisierung des internationalen Strafrechts, ZStW 1993, S. 827. und nun Pradel, Jean: Wege zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Rechtsraums, in: K. Tiedemann (Hrsg.): Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, Freiburger-Symposium, Köln/Berlin/Bonn/München 2002, S. 58. 53 Schlussbericht über die erste Begutachtungsrunde – Rechtshilfe in Strafsachen, ABl. 2001 Nr. C 216/14 vom 1.8.2001.
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eine hohe Priorität zukommt. Diese Behauptung entkräftet jedoch die Argumente für einen einheitlichen europäischen Rechtsraum nicht. Wyngaert weist darauf hin, dass die Ergebnisse der obigen Studie nur beschränkt gelten. Die Prämisse, dass die klassischen horizontalen Kooperationsmechanismen langsam und ineffektiv seien, mag für herkömmliche Straftaten falsch sein, sei aber im Fall von Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften zutreffend.54 Im Lichte des Obigen scheint die Behauptung von Lahti zuzutreffen, dass die Entwicklung des Strafrechts heute in Europa sowohl in die Richtung der Harmonisierung als auch in die der Vereinheitlichung geht.55 Dementsprechend wird in den folgenden Ausführungen zunächst die horizontale Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschrieben. Dabei wird zuerst auf die Grundsätze der Strafgewalt einzugehen sein. Als nächstes werden die allgemeinen positiven und negativen Voraussetzungen der strafrechtlichen Rechtshilfe ausgeführt, gefolgt von einer Darstellung des institutionellen Rahmens der Kooperation in der Europäischen Union. Sodann werden die einzelnen Formen der Rechtshilfe untersucht. Das letzte Kapitel des Ersten Teils fasst die Ergebnisse zusammen und ist den Entwicklungstendenzen im Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen gewidmet. Der Zweite Teil der Arbeit untersucht einzelne Bereiche des Strafrechts, um aufzuzeigen, wie das Europäische Strafrecht in concreto entsteht und welche Charakteristika es aufweist. Der acquis von Betrug, Korruption, und Geldwäsche wird im Einzelnen behandelt. Die Schlüsselfragen des Strafrechts werden durch einen horizontalen Vergleich der relevanten Instrumente besprochen. Schließlich werden die Lösungsansätze zusammengeführt und ausgewertet. Vorab jedoch muss die Frage der Legitimität gestellt werden: ist das Konzept des Europäischen Strafrechts im Kontext des heutigen Europarechts überhaupt tragfähig. Dabei geht es einerseits um die Fragenkreise der Kompetenz und Zuständigkeit zur Schaffung von Strafrecht, anderseits um die Beachtung rechtstaatlicher Grundwerte. Abschließend noch drei Bemerkungen zu den hier besprochenen Dokumenten: Die hier angeführten Instrumente äußern sich nur sporadisch zu den Rechten des Betroffenen (Verdächtigte bzw. Verurteilte). Das ist das Ergebnis der Zweckbestimmung dieser Vereinbarungen, die auf eine effektive Bekämpfung der transnationalen Kriminalität abzielen.56 Zugleich geht 54
Van den Wyngaert, Christine: The protection of the Financial Interests in the candidate countries, Final Report of 11 September 2001, Manuscript, S. 99. 55 Lahti, Raimo: Towards an International and European Criminal Policy?, in: M. Tupamäki (Hrsg.): Liber amicorum Bengt Broms, Helsinki 1999, S. 236.
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es hier um völkerrechtliche Abmachungen, die sowohl Rechte als auch Pflichten nur zwischen den Staaten begründen und dem Betroffenen keinen Partnerstatus gewähren. Da alle EU-Mitgliedstaaten die EMRK ratifiziert haben, sollte zwar theoretisch kein Problem auftreten, jedoch wird der Mangel an Achtung der Menschenrechte im Schrifttum oft kritisiert. Die thematische Begrenzung der vorliegenden Arbeit lässt eine nähere Untersuchung dieser Problematik nicht zu, es wird aber, wo notwendig, auf die Mängel hingewiesen.57 Anderseits ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Arbeit auf drei Formen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen konzentriert. Ausgelassen wird die Besprechung der Übertragung der Strafverfolgung. Letztere wurde vom Europarat in den 70er Jahren im Zuge der Bemühungen entwickelt, ein umfassendes modernes Netz von Kooperationsformen den europäischen Staaten anzubieten. Trotz seiner theoretischen Vorteile blieb die Übertragung der Strafverfolgung in der Praxis erfolglos. Durch die Arbeit von Eurojust wird diese Kooperationsform sogar völlig ersetzt.58 Demzufolge wird hier auf die Übertragung der Strafverfolgung nicht näher eingegangen, es wird aber, wo erforderlich, auf sie Bezug genommen. Vorweg soll noch klargestellt werden, dass der Begriff „Europäisches Strafrecht“59 in dieser Arbeit bewusst verwendet wird. Die vorliegende Arbeit unternimmt es zu zeigen, dass Europäisches Strafrecht ein Rechtsbegriff mit klarem Inhalt ist und kein bloßer Arbeitstitel zur Erfassung aller Tendenzen zur Europäisierung des Strafrechts, wie zum Teil im Schrifttum vertreten wird.60 Es bringt die rechtspolitische Überzeugung der Verfasserin zum Ausdruck, dass die langfristige Entwicklung in der Europäischen Union zur Teilvereinheitlichung der mitgliedstaatlichen Strafrechte führen wird. Zugleich wird auf der jetzigen Entwicklungsstufe – entsprechend den Tatsachen – stets von Harmonisierung gesprochen. 56 Renée Koering, Joulin: Judicial Assistance in Criminal Cases Within the European Union, in: M. Delmas-Marty (Hrsg.): What kind of Criminal Policy for Europe?, Paris 1993, S. 174. 57 Zur Bedeutung der Menschenrechte für das Europäische Strafrecht Pradel, Jean/Corstens Geert: Droit pénal européen, Paris 1999, S. 239 ff. 58 Näher dazu in § 8. 59 Jung betont, dass sowohl der Europarat als auch die Europäische Union zunehmend viele Bezüge zum Strafrecht aufweist, die in ihrer Gesamtheit durchaus die Bezeichnung „Europäisches Strafrecht“ verdienen. Jung, Heike: Literaturbericht, Europäisches Strafrecht (Teil I), ZStW 2000, S. 866. 60 Jüngst präsentierten Albrecht und Braum das Argument: „European criminal law is not a legal concept. European criminal law is, above all, a working title under which the European criminal law developments which affect national criminal law are gathered.“ Vgl. Albrecht, Peter Alexis/Braum, Stefan: Deficiencies in the Development of European Criminal Law, ELJ 1999, S. 297.
§ 1 Vorab: Zur Legitimität des Europäischen Strafrechts
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§ 1 Vorab: Zur Legitimität des Europäischen Strafrechts Prämisse des Europäischen Strafrechts ist, dass die europäischen Rechtsund Machtstrukturen Inhalt und Umfang mitgliedstaatlicher Strafgesetzgebung beeinflussen. Dabei stellen sich Legitimitätsprobleme, die einerseits ganz grundsätzlicher Natur sind und die Frage nach dem Zusammenhang von staatlicher Souveränität und Strafgesetzgebung betreffen, anderseits aber viele Detailfragen aufwerfen. Die gegen das Europäische Strafrecht erhobene Fundamentalkritik stützt sich einerseits auf das DemokratiedefizitArgument, anderseits bemängelt sie die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips. Es ist daher geboten, zunächst die Legitimitätsfrage zu erörtern. Die Notwendigkeit, Strafgesetzgebung auf ihre Legitimität hin zu untersuchen, ist in jedem Rechtsstaat von zentraler Bedeutung. Dies gilt auch uneingeschränkt für das hier zu untersuchende Europäische Strafrecht. In Punkto Legitimität wird das Europäische Strafrecht gleich zweimal herausgefordert. Die eine Herausforderung hängt mit der europäischen Qualität des Europäischen Strafrechts zusammen. Die allgemeine „Legitimitätskrise“ des Europarechts färbt zwangsläufig auch auf das Europäische Strafrecht ab. Es geht dabei um die fehlende demokratische Legitimation europäischer Rechtssetzung. Habermas weist zu Recht darauf hin, dass fehlende Legitimation sich immer aus einer Störung der demokratischen Genese des Rechts ergibt.61 Gerade hier knüpfen die Vertreter des Demokratiedefizit-Arguments an und bemängeln die unzureichende parlamentarische Legitimation europäischer Rechtssetzung. Das Demokratiedefizit betrifft das gesamte Europarecht, darunter auch das Europäische Strafrecht. Die zweite Legitimationsfrage gilt der Modernität des Europäischen Strafrechts. Das Europäische Strafrecht als modernes Strafrecht zeichnet sich durch die auch aus dem nationalen Strafrecht bekannten neuen und modernen Tendenzen aus. Diese waren jedoch aus rechtstaatlichen Erwägungen bereits in den Mitgliedstaaten zum Teil kritisch aufgenommen worden.62 Die Kritik moderner Strafgesetzgebung bezieht sich daher sowohl auf das nationale als auch auf das Europäische Strafrecht und fokussiert die Grundsatzfrage der Legitimation, Strafrechtsinhalte gegenüber den Bürgern (und den Staaten) mehr oder weniger weitgehend auszugestalten. Im Unterschied zum Demokratiedefizit, das eine rein europarechtliche Erscheinung ist, wurzelt die Rechtstaatskritik in seit längerem bekannten nationalen 61
Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung, 4. Aufl., Darmstadt 1994, S. 518. Grundlegend Stächelin, Gregor: Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat: normative und empirische materielle und prozedurale Aspekte der Legitimation unter Berücksichtigung neuerer Strafgesetzgebungspraxis, Berlin 1998. 62
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Problemen der Strafgesetzgebung, die nun auf europäischer Ebene reproduziert bzw. verstärkt werden. Um eine systematische Auseinandersetzung mit einzelnen Teilbereichen des Europäischen Strafrechts zu leisten, werden nachfolgend die genannten kritischen Ansatzpunkte der Legitimation vertieft. Dabei werden aus methodischen Gründen das Demokratiedefizit-Argument und die Rechtstaatskritik getrennt behandelt. Soweit der Parlamentsvorbehalt eine Ausprägung des Rechtstaatsprinzips im Strafrecht darstellt, sind die beiden Aspekte in der Wirklichkeit der Strafgesetzgebung nicht zu trennen. Ziel dieses Kapitels ist es, die notwendigen Fragen aufzuwerfen, freilich ohne dass in jedem Fall eine Antwort darauf gegeben werden könnte. Die hier besprochenen kritischen Ansatzpunkte werden dann in den folgenden Kapiteln in Bezug auf bestimmte Formen der Zusammenarbeit oder Harmonisierungsmaßnahmen neu aufgegriffen und konkret vertieft. Im Voraus ist jedoch noch hervorzuheben, dass sich das Europäische Strafrecht vor dem Hintergrund eines Machtkampfes entwickelt, der zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und der Europäischen Union stattfindet. In diesem Machtkampf geht es um europäische Zentralisierung versus nationalstaatliche Befugnisse, um die Grenzen mitgliedstaatlicher Souveränität bzw. um die Kompetenzbereiche europäischer Organe. Das Strafrecht ist nur ein Nebenschauplatz dieses Kampfes. Ein – voraussichtlich vorläufiger – Endpunkt wurde durch die Annahme der Verfassung der Europäischen Union erzielt.63 Die Rolle und der Platz des Strafrechts in der europäischen Integration werden zwar politisch durch die Europäische Verfassung festgelegt, dies erübrigt jedoch die Legitimationsfrage nicht. Legitimationsfragen lassen sich nicht gesetzespositivistisch stilllegen. I. Formale und soziale Legitimität Legitimität wird im Schrifttum sehr unterschiedlich verstanden.64 Für die nachstehenden Ausführungen ist es hilfreich, zwischen formalen und sozialen Aspekten der Legitimität zu unterscheiden.65 Formale Legitimität wird auch als Legalität bezeichnet, sie umschreibt das Erfordernis, dass das staatliche Handeln in Übereinstimmung mit dem positiven Recht erfolgt (for63 Zum Zeitpunkt der Niederschrift lag nur die vorläufige konsolidierte Fassung des Vertrages über eine Verfassung für Europa (Brüssel, 25.06.2004, CIG 86/04) vor. 64 Zu den unterschiedlichen Auffassungen Estella, Antonio: The EU Principle of Subsidiarity and its Critique, Oxford 2002, S. 37 ff. 65 Die Unterscheidung stammt von Weiler. Weiler, Joseph: The Constitution of Europe: „do the new cloth have an emperor?“ and other essays on European integration, Cambridge 1999, S. 77 – 86.
§ 1 Vorab: Zur Legitimität des Europäischen Strafrechts
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melle Gesetzmäßigkeit). Demgegenüber bedeutet soziale Legitimität die soziale Akzeptanz bestimmter Normen. Die beiden Aspekte der Legitimität sind nicht vollständig zu trennen und wirken aufeinander ein.66 1. Demokratiedefizit Mit der ständigen Erweiterung der Kompetenzen und Aufgaben der Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union gerieten die beiden Aspekte der Legitimität unausweichlich in ein Netz von Spannungen. Die formale Legitimität europäischer Rechtssetzung wurde durch das sog. Demokratiedefizit-Argument in Frage gestellt. Ausgangspunkt der Demokratiedefizit-Debatte ist das Erfordernis einer parlamentarisch legitimierten Gesetzgebung auf europäischer Ebene. Da die Mitglieder des Ministerrats von demokratisch legitimierten Regierungen bestimmt werden, ist die Rechtssetzung des Ministerrats mittelbar demokratisch legitimiert. Die These der mittelbaren Legitimation europäischer Rechtssetzung wurde weitgehend als ausreichend erachtet, solange Einstimmigkeit als Hauptregel europäischer Rechtssetzung galt. Der Zuwachs der Aufgaben und Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaften forderte jedoch die Ersetzung der Einstimmigkeit durch Mehrheitsbeschluss.67 Die Einführung oder – besser gesagt – Wiedereinführung des Mehrstimmigkeitsprinzips in das Europarecht brachte wiederum die These der mittelbaren Legitimation ins Wanken. Durch die Mehrheitsbestimmung kann auf europäischer Ebene ein Ratsmitglied überstimmt werden, wodurch die politische Kontrolle durch das nationale Parlament unterminiert wird. Eine Rückkoppelung europäischer Rechtssetzung zu den nationalen Gesetzgebern bestünde dann nicht immer.68 Die Vertreter des Demokratiedefizit-Arguments sahen ursprünglich einen hauptsächlich quantitativen Mangel der europäischen Rechtssetzung in dem Sinne, dass es noch nicht genug Demokratie gebe. Nach ihrer Argumentation verliert das mitgliedstaatliche Parlament Einfluss auf den politischen 66 Habermas, Jürgen: Legitimationsprobleme im modernen Staat, in: Graf Kielmansegg, P.: Legitimationsprobleme politischer Systeme, Tagung der deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft in Duisburg 1975, Opladen 1976, S. 39–61. 67 Estella weist auf die innere Verbindung zwischen der Erweiterung der Kompetenzen der Europäischen Union (oft nur aus dem Blickwinkel nationaler Souveränität behandelt) und dem Zuwachs der Kompetenzen europäischer Organe (meistens nur im Rahmen des institutionellen Gleichgewichts der Europäischen Union thematisiert). Estella, Antonio: The EU Principle of Subsidiarity and its Critique, Oxford 2002, S. 9 ff. 68 Gerade bei den Strafrechtsharmonisierungsmaßnahmen besteht diese Rückkoppelung jedoch weiterhin fort, da für die Rechtsakte des Dritten Pfeilers Einstimmigkeit erforderlich ist. Dazu noch in § 11.
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Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, wenn ein Mitgliedstaat einen Teil seiner Souveränität auf die Organe der Europäischen Union überträgt. Dieser Verlust werde durch eine maßgebliche Beteiligung des Europäischen Parlaments an der europäischen Rechtssetzung nicht hinreichend kompensiert. Schon die Bezeichnung „Demokratiedefizit“ suggeriere – so zu Recht Verhoeven69 –, dass man das Problem durch die Hinzufügung von mehr Demokratie in die Struktur der Gemeinschaften überwinden könne. Sollte das Europäische Parlament danach weitergehende Rechte im Gesetzgebungsverfahren erhalten, wäre das Demokratiedefizit eingeebnet. Diese Überzeugung liegt z. B. auch der Solange I-Entscheidung des BVerfGE zu Grunde.70 In diesem Sinne wurde in der früheren Literatur oft die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments, bzw. seine Miteinbeziehung in das Gesetzgebungsverfahren verlangt. Inzwischen sieht man das Demokratiedefizit jedoch differenzierter. Im Lichte der mitgliedstaatlichen Erfahrungen mit der eingeschränkten Rolle nationaler Parlamente und der Dominanz der Exekutive in den nationalen Gesetzgebungsverfahren erscheint die Einführung von parlamentarischen Garantien in die europäische Rechtssetzung alleine nicht mehr auszureichen, um das Demokratiedefizit auszugleichen. Im Vergleich zu den Anfängen sieht man heute das Demokratiedefizit in einer Reihe von Problemen verkörpert, die man unter den folgenden Stichwörtern zusammenfassen könnte: – Distanz. Die europäische Integration bedeutet die Übertragung einer Reihe von Kompetenzen von den Mitgliedstaaten auf die Europäische Union. Dabei werde die Bedeutung des einzelnen Bürgers vermindert (je größer die Gruppe, in welcher die Entscheidung getroffen wird, desto kleiner die Bedeutung des Individuums). „Eine zunehmende Zahl von supranational beschlossenen Maßnahmen betrifft immer mehr Bürger in immer weiteren Lebensbereichen. Da die Staatsbürgerkontrolle in effektiver Weise bisher nur nationalstaatlich institutionalisiert ist, haben aber die Bürger keine aussichtsreichen Möglichkeiten, europäische Entscheidungen zu thematisieren und zu beeinflussen.“71
– Dominanz der Exekutive. Die Kompetenzübertragung auf die Europäische Union habe die Bedeutung der mitgliedstaatlichen Exekutive erhöht. Die gewachsene Bedeutung der Regierungsmitglieder wirke sich auf das Gewicht nationaler Parlamente nachteilig aus und gefährde das Prinzip der Gewaltenteilung in den Mitgliedstaaten. 69 Verhoeven, Amaryllis: The European Union in Search of a Democratic and Constitutional Theory, The Hague/London/New York 2002, S. 57. 70 BVerfGE 37, 271 vom 29. Mai 1974. 71 Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung, 4. Aufl., Darmstadt 1994, S. 646.
§ 1 Vorab: Zur Legitimität des Europäischen Strafrechts
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– Umgehung demokratischer Mechanismen. Die Aufgaben werden in der Europäischen Union durch eine, inzwischen zum dichten administrativen Geflecht vernetzten Organisation erledigt (Komitologie). Sie seien zwar der Form nach an die Regierungen und Institutionen ihrer Herkunftsländer angebunden, tatsächlich jedoch ihren nationalen Kontexten schon entwachsen. Professionell arbeitende Beamte bildeten eine von demokratischen Prozessen losgelöste Bürokratie, Europa sei eine Technokratie und keine Demokratie. – Fehlende Übersichtlichkeit. Dieser Kritik kommt zweierlei Bedeutung zu. Einmal werden viele Entscheidungen auf europäischer Ebene unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen. Zum anderen könne man bereits von einer Überflutung mit europäischen Rechtsakten sprechen, die für den Bürger schwerlich oder oft gar nicht mehr nachvollziehbar sei. – Schwache gerichtliche Kontrolle. Durch die europäische Integration würden der Schutz der Menschenrechte und andere demokratische Garantien im Vergleich zu mitgliedstaatlichen Standards zurückgedrängt. – Fehlender Zweck. Die ursprünglichen Zwecke europäischer Integration (Förderung des Friedens, der Stabilität und des wirtschaftlichen Wachstums) seien bereits erfüllt. Es fehle an einer klaren public philosophy.72 – Marktdominanz. Das Niveau wirtschaftlicher Interdependenz benötige eine wachsende Koordination auch für Politikfelder, die ursprünglich im EG-Vertrag nicht vorgesehen waren. Die Regulierung dieser neuen Politikfelder erfolge jedoch primär unter wirtschaftlichen Rationalitätskriterien. Damit opfere die europäische Integration dem freien Markt bestimmte kulturelle und soziale Errungenschaften. Wie stark die Legitimität der Europäischen Union durch die oben angeführten Argumente in Frage gestellt wurde, zeigte sich der breiten Öffentlichkeit erstmals bei der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages. Insbesondere haben das dänische „Nej“ (die Dänen hatten den Maastrichter Vertrag in dem Referendum von 2. Juni 1992 zurückgewiesen), sowie die Maastricht-Entscheidung des BVerfGE die schwindende gesellschaftliche Akzeptanz der Integration verdeutlicht. Das gilt auch für das irische Referendum über den Vertrag von Nizza. Der große akademische und politische Aufmerksamkeit hervorrufenden Maastricht-Entscheidung des BVerfGE liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass die Forderung nach der parlamentarischen 72 Lenaerts, Koen/Desomer, Marlies: New Models of Constitution-Making in Europe: The Quest for Legitimacy, CMLRev. 2002, S. 1223–1225, und nun Nettesheim, Martin: Decision-Making in the EU: Identity, Efficiency, and Democratic Legitimacy – Preliminary Considerations, Revue Européen de Droit Public 2004, S. 197–220.
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Legitimation auf europäischer Ebene das nicht einlösen kann, was sie innerstaatlich vermittelt.73 „Demokratie, soll sie nicht lediglich formales Zurechnungsprinzip bleiben, ist vom Vorhandensein bestimmter vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig, wie einer ständigen freien Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln [. . .] und aus der heraus eine öffentliche Meinung den Willen vorformt.“ [Hervorhebung der Verfasserin]74
Betrachtet aus breiterer Perspektive stellt Habermas fest, dass die politische Öffentlichkeit in der Europäischen Union bis jetzt nationalstaatlich fragmentiert geblieben sei. „Hier äußert sich im vertikalen Gefälle zwischen einer systemischen Integration von Wirtschaft und Verwaltung, die auf supranationaler Ebene zustande kommt, und eine nur auf nationalstaatlicher Ebene vollzogenen politischen Integration.“75
Dieses Fazit hat vielerlei Konsequenzen, die hier jedoch nicht alle vertieft werden können.76 Eine oft betonte – und aus strafrechtlicher Sicht wichtige – Erkenntnis ist, dass sich das nationale Model der Demokratie nicht ohne weiteres auf die europäische Ebene übertragen lässt. Da es keinen europäischen demos im Sinne eines Bewusstseins „der Verpflichtung auf ein europäisches Gemeinwohl“ gebe, könne sinnvollerweise keine europäische Demokratie betrieben werden.77 Dieses Argument scheint mit Blick auf die vor kurzem erfolgte Erweiterung der Europäischen Union um weitere 10 Länder besonders schwerwiegend. Zugleich trifft aber das Argument auch den Kern der Europäischen Verfassung. In ihrer Erklärung von Laeken78 haben die Ratsmitglieder den Re73
Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 131. 74 BVerfGE 1989, 155, S. 185. 75 Nach Habermas ist das Fehlen einer europäischen öffentlichen Meinung kein vorübergehendes Ungleichgewicht, das durch die Parlamentarisierung der „Brüsseler Expertokratie“ beseitigt werden könne. Vielmehr zeichnete es eine Entwicklung ab, die auch innerhalb der Nationalstaaten vorhanden und Folge der Verselbständigung ökonomischer Imperative sei. Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung, 4. Aufl., Darmstadt 1994, S. 644. ff. 76 Eingehend dazu Verhoeven, Amaryllis: The European Union in Search of a Democratic and Constitutional Theory, The Hague/London/New York 2002, S. 57. 77 Die Relevanz dieser Erkenntniss wird im Beispiel von Schröder deutlich umschrieben: „Mit einer Verlagerung der Entscheidungsmacht auf das europäische Parlament könnten auf europäischer Ebene Strafnormen verabschiedet werden, die im deutschen Bundestag keine parlamentarische Mehrheit gefunden hätten.“ [Hervorhebung von Schröder] Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 130. 78 Die Zukunft der Europäischen Union – Erklärung von Laeken von 15.12.2001.
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formprozess eingeleitet, dessen Ziel es ist, die Legitimität und Verantwortung der Europäischen Union bzw. ihrer Organe zu stärken. Die Erklärung von Laeken machte damit die Überwindung der Legitimitätskrise zum höchsten politischen Ziel in der Europäischen Union. Der Europäische Konvent,79 der mit der Ausarbeitung eines Verfassungsvertrages beauftragt wurde, hat seine Arbeit abgeschlossen und den Entwurf einer Europäischen Verfassung in Juli 2003 vorgelegt.80 Die Verfassung konnte aber wegen des politischen Widerstands einiger Mitgliedstaaten erst im zweiten Anlauf während der irischen Präsidentschaft in Juni 2004 angenommen werden.81 Eine ausführliche Stellungnahme zur Verfassungsreform der Europäischen Union kann hier nicht geleistet werden.82 Wichtig ist jedoch, dass allein die Wahrung formal-demokratischer Strukturen den sozialen Aspekt der Legitimität nicht liefern kann. Dazu bedarf es einer weiter gehenden Identifikation mit der europäischen Rechtssetzung. Dies sollte aber nicht dahingehend gedeutet werden, dass eine unmittelbare demokratische Legitimation europäischer Rechtssetzung nicht gefordert oder gar als unwichtig erachtet würde. Im Gegenteil. Da die formalen und sozialen Aspekte der Legitimität auf einander einwirken, wird die Herstellung formaler Legitimität auch den heute noch zum größten Teil fehlenden sozialen Aspekt fördern. Je mehr die Bürger der Mitgliedstaaten die europäische Rechtssetzung als übersichtlich, gerichtlich überprüfbar, nicht distanziert und hinreichend offen erleben, desto mehr werden sie sich auch dafür interessieren. Mit anderen Worten: Sobald die Öffentlichkeit des Rechtsetzungsverfahrens in der Europäischen Union gegeben ist,83 die eine Diskussion und Einflussnahme und damit eine europäische Willensbildung ermöglicht, wird diese aus dem Blickwinkel der politischen Öffentlichkeiten der Mitgliedstaaten auch gebührend wahrgenommen. Aus diesem Kontext könnte dann ein gemeinsames politisches Selbstbewusst79 Zu Zusammensetzung, Mandat und Arbeitsmethode des Konvents vgl. Lenaerts, Koen/Desomer, Marlies: New Models of Constitution-Making in Europe: The Quest for Legitimacy, CMLRev. 2002, S. 1225–1250. 80 Konventsdok. CONV 850/03 v. 18. Juli 2003. 81 Ihr Inkraftreten ist jedoch noch mit gewissen Unsicherheiten versehen, da es der Ratifizierung durch die Parlamente aller 25 Mitgliedstaaten bedarf. In einigen Mitgliedstaaten steht derzeit zur Debatte, ob die Verfassung durch Referendum oder durch eine Abstimmung im Parlament erfolgen sollte. 82 Vgl. hierzu die Arbeiten der European Group of Public Law, Reunion vom 11.–15. September 2003 zum Thema „The EU-Constitution“, Revue Européen de Droit Public 2004/1. 83 Als Reaktion auf die vehemente Kritik an der Intransparenz europäischer Rechtssetzung wurde inzwischen der Zugang zur Ratsdokumenten rechtlich eröffnet. Verordnung 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten, ABl. 2001 Nr. L 145/43 vom 31.5.2001.
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sein erwachsen, dass zukünftig das Herzstück sozialer Legitimität bilden könnte. Hiergegen scheint zwar zunächst zu sprechen, dass sich zuvor die Hoffnung, die politische Integration würde sich als Nebeneffekt der wirtschaftlichen Integration gleichsam von selbst einstellen, nicht erfüllt hat. Diese Hoffnung wurde im Vorfeld der Entwicklungen zu Maastricht und Amsterdam unter dem Stichwort neofunktionalistische Integrationsthese gehegt. Danach führt die Integration bestimmter nichtkontroverser Bereiche naturgemäß zur Integration breiterer, politisch empfindlicherer Gebiete (spillover oder engrenage).84 Die zunehmende Enttäuschung darüber, dass diese Hoffnung sich nicht verwirklichte, fand ihren Ausdruck in den Regierungskonferenzen von Nizza und Laeken, die die weitere politische Integration bereits dezidiert über die Schaffung einer Europäischen Verfassung verfolgt wissen wollten. In der Tat ist die Bedeutung einer Europäischen Verfassung für die Überwindung der Legitimitätskrise überaus wichtig. Das Argument, es fehle an dem sozialen Aspekt der Legitimität, d.h., es fehle an einer Identifikation mit der europäischen Rechtssetzung, wird heute anhand nationalstaatlicher Erfahrungen teilweise relativiert. Das Gleichgewicht des Betroffenseins und der Teilnahme des (Staats-)Bürgers im politischen Prozess erscheint selbst in den Nationalstaaten als fraglich. Damit kommt den rechtlich institutionalisierten Verfahren als Hauptterrain der Meinungs- und Willensbildung besonderes Gewicht zu.85 Dies gilt in gleicher Weise für die Europäische Union. 2. Die Legitimitätskrise aus strafrechtlicher Sicht Nun soll der Versuch unternommen werden, diese Ergebnisse für das Strafrecht zu deuten. Die Schaffung europäischer Rechts- und Machtstrukturen erzeugte vielfältige Legitimitätsprobleme für die nationalstaatlichen Strafrechte. Diese sind einerseits ganz grundsätzlicher Natur und betreffen die Frage nach dem Zusammenhang von staatlicher Souveränität und Strafgesetzgebung an sich, anderseits aber berühren sie auch viele Detailfragen mitgliedstaatlicher Strafgesetzgebung. Als Erstes stellt sich die Frage nach dem inneren Zusammenhang von staatlicher Souveränität und dem ius puniendi. Seit der Aufklärung bildet 84
Zum Thema Neofunktionalismus vgl. Haas, Ernst B.: Beyond the NationState: functionalism and international organization, Stanford 1964. 85 Habermas fasst es dahingehend zusammen: „Das positive Recht kann seine Legitimität [. . .] nur noch einem Verfahren präsumptiv vernünftiger Meinungs- und Willensbildung entlehnen.“ Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung, 4. Aufl., Darmstadt 1994, S. 674.
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die Auffassung, wonach der Staat aufgrund des Gesellschaftsvertrages alleiniger Inhaber des Gewaltmonopols ist, einen unabdingbaren Bestandteil rechtstaatlichen Strafrechts. Mit Hilfe seines Gewaltmonopols soll der Staat die konsequente Bekämpfung von Verstößen gegen die Regeln, welche ein friedliches Zusammenleben garantieren, sowie die wirksame Ausschaltung von Privatjustiz durch effektive staatliche Gerichtsbarkeit gewährleisten.86 Gegründet in der rechtsphilosophischen Tradition der Aufklärung sah man den Staat bis in die jüngste Vergangenheit als den einzigen und eigentlichen Träger der Strafgewalt an. Representativ für diese rechtsphilosophische Ansicht sind die Ausführungen von Köhler, wonach „Strafrecht staatliches Gesetzesrecht im substantiell-allgemeinen Sinne [ist], und daher nach freiheitlichen Rechtsbegriffen zur unveräußerlichen gesetzlichen Selbstbestimmung (Souveränität) des im Rechtstaat verfassten Volkes [gehört].“87
Diese Auffassung wurde erstmals durch die Strafgewalt internationaler Tribunale relativiert. Historische Stationen solcher Völkerstrafgesetzgebung sind das Nürnberger Tribunal, das Tokyoter Tribunal und aus jüngerer Zeit die internationalen Kriegsverbrecher-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, sowie der Internationale Strafgerichtshof. Diese gründeten jedoch im Einklang mit den Prinzipien des Völkerrechts auf internationalen Übereinkommen bzw. auf einem Beschluss des UNO-Sicherheitsrates. In der Sache bezogen sie sich auf einen relativ engen Kreis von strafbewehrten Verhaltensweisen und stellten damit keine wesentliche Einbuße für die staatliche Strafgewalt dar. Im Zuge der europäischen Integration erwies sich jedoch die vertraute einzelstaatliche Wirksamkeit in vielen Lebensbereichen als überholt oder unzureichend. Die fortschreitende Integration griff damit die theoretischen Fundamente staatlicher Souveränität an, die auf bestimmte Entwicklungen keine Antworten mehr liefern konnte. Die zwischen der Integration und dem Souveränitätsdenken entstandene Spannung rief eine rechtstheoretische Debatte über die demokratischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen der Europäischen Union hervor, die noch in vollem Gange ist. MacCormick schildert die Problematik wie folgt: „the sovereignty of the Community’s member states has not been lost, but subjected to a process of division and combination internally, and hence in a way enhanced externally. But the process of division and combination has taken us beyond the sovereign state, indeed, well beyond it. Despite the rhetoric of politicians, it can86 Schmidt-Jorzig, Edzard: Grenzen der staatlichen Strafgewalt, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Tübingen 2001, S. 505. 87 Köhler, Michael: Form und Inhalt europäischer Strafrechtsangleichung. Beitrag zum Frankfurter Forum zur Wahrung rechtstaatlicher Grundlagen europäischen Strafrechts, KritV 2001, S. 305.
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not be credibly argued that any member state of the European Union remains politically or legally a sovereign state in the strict or traditional sense of these terms.“ [Hervorhebung von MacCormick]88
Es bedarf keiner Wiedergabe der Diskussion über die Ausgestaltung post-souveräner politischer und rechtlicher Konstellationen in Europa, um einzusehen, dass sich die Forderung nach dem Überdenken staatlicher Souveränität auf das Strafrecht unmittelbar auswirkt. Soweit man den souveränen Staat als für den einzig denkbaren Rahmen für Demokratie hält, kann das Demokratieprinzip und demzufolge die demokratischen Legitimation des (Straf-)Gesetzes nur durch den souveränen Staat, bzw. dessen Parlament, gewährleistet werden. „In der Strafjustiz tritt dem einzelnen die staatliche Gemeinschaft mit einem besonders hohen Anspruch entgegen, mit dem Anspruch, über Tat und Täter ein Unwerturteil zu fällen, an das sich schwerwiegende Rechtsfolgen knüpfen. An die Legitimation zu einem solchen Urteil sind darum besonders strenge Anforderungen zu stellen. Nur der Repräsentant des Trägers der Staatsgewalt selbst besitzt diese Legitimation; in unserer Staatsordnung heißt das: nur die Volksvertretung.“89
Hier schließt sich der Kreis zur Demokratiedefizit-Debatte, die ihren Ausdruck im Strafrecht im Erfordernis des „nullum crimen sine parlamentaria“-Satzes findet.90 Allerdings stellte zuletzt Schröder die Frage, ob diese Forderung „den eigentlichen Kern des Legitimationsproblems aus strafrechtlicher Sicht trifft.“91 Nach seiner Auffassung könne dem Grundsatz dadurch noch nicht Genüge getan werden, dass „das Europaparlament aufgrund einer Änderung des Primärrechts weitreichende Befugnisse [erhielte] und die generell entscheidende Instanz der Normgebung [sei].“92
Dabei würde außer Sicht bleiben, dass es sich bei der Legitimation strafrechtlicher Entscheidungen um ein sozial-psychologisches Faktum allerersten Ranges handle, das die Akzeptanz strafrechtlicher Tätigkeit trage.93 88 MacCormick, Neil: Questioning Sovereignty. Law, State and Nation in the European Commonwealth, Oxford 1999, S. 133. 89 Grünwald, ZStW 1976, S. 13. Zitiert nach Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 126. 90 Eingehend Moll, Dietmar: Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, Göttingen 1998, S. 84 ff., und nun auch Deutscher, Jörg: Die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften zur originären Strafgesetzgebung, Frankfurt am Main 2000, S. 317 ff. 91 Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 129. ff. 92 Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 133.
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Dies könne auch durch die Änderung der Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments nicht erreicht werden. Dieser Befund erweckt den Anschein, dass sich das Demokratiedefizit aus Sicht des Strafrechts in der Europäischen Union nicht beheben lässt. Doch anstatt ständig den verfassungsrechtlichen Kollisionsfall im Auge zu haben, sollten gemeinsame Wege des Miteinanders der Rechtsordnungen gefunden werden. Der Rahmen dazu kann nur in der Verwirklichung der Rechtstaatlichkeit in der Europäischen Union liegen. Dabei ist nicht auf den im deutschen Recht gängigen Begriff Rechtsstaat, oder auf den ähnlichen französischen l’Etat de droit oder die englische rule of law abzustellen, sondern sollte vielmehr der Begriff der Rechtstaatlichkeit auf europäischer Ebene autonom definiert werden.94 Als Ausgangpunkt könnte man die gängige Definition von Hayek nehmen, wonach Rechtsstaatlichkeit „[s]tripped of all technicalities [. . .] means that government in all its actions is bound by rules fixed and announced beforehand – rules which make it possible to foresee with fair certainty how the authority will use its coercive powers in given circumstances, and to plan one’s individual affairs on the basis of this knowledge.“95
Ohne alle Implikationen dieser Definition aufzuzählen,96 nennt Arnull als wichtigste Forderungen an europäische Rechtssetzung dass – das europäische Recht veröffentlicht, klar gefasst und nicht rückwirkend ist. Dabei ist aber festzuhalten, dass eine gewisse Unbestimmtheit rechtlicher Normen unausweichlich, in manchen Fällen sogar wünschenswert ist.97 – eine unabhängige und unparteiliche Gerichtsbarkeit besteht, deren Aufgabe in der Lösung von Streitigkeiten über die exakten Forderungen des Rechts (requirements of law) sowie in der Gewährleistung effektiver Rechtsmittel im Fall von Rechtsverstößen besteht. Die Gerichtsbarkeit muss jedem, der eine Verletzung seiner Rechte behauptet, offen stehen. Die Streitigkeiten sollen aufgrund rationaler und vorhersehbarer Prinzipien entschieden werden. Die Entscheidung und deren Begründung müs93 Schünemann, Bernd: Nulla poena sine lege? Rechtstheoretische und verfassungsrechtliche Implikationen der Rechtsgewinnung im Strafrecht, Berlin 1978, S. 11. 94 Arnull, Anthony: The Rule of Law in the European Union, in: Anthony Arnull/Daniel Wincott (Hrsg.): Accountability and Legitimacy in the European Union, Oxford 2002, S. 240. 95 Hayek, Friedrich August von: The Road to Serfdom, London 1944, S. 54. 96 Ausführlich Raz, Joseph: Authority, Oxford 1990. 97 Endicott, Timothy A. O.: The impossibility of the rule of law, OJLS 1999, S. 1, ders.: Vagueness in law, Oxford 2000.
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sen veröffentlicht werden, so dass sie das zukünftige Verhalten steuern und Gegenstand der Kritik werden können. Beschränkt auf das hier einschlägige Europäische Strafrecht weist die gegenwärtige europäische Rechtsetzung zahlreiche Mängel auf. Gemessen an den obigen Kriterien müsste z. B. gerichtlich nachprüfbar sein, ob ein Europäischer Haftbefehl dem diesbezüglichen Rahmenbeschluss entspricht bzw. ob der Rahmenbeschluss selbst gültig ist (dazu eingehend in Teil 2, § 11 II.). Die Prüfung der Gültigkeit eines Europäischen Haftbefehls obläge dann den nationalen Gerichten, die diese im Einklang mit den international anerkannten Menschenrechten vornehmen könnten. In Bezug auf die Gültigkeit des Rahmenbeschlusses selbst gibt es keine Möglichkeit für Einzelpersonen, sich an die Gericht der Europäischen Union zu wenden. Da Rahmenbeschlüsse an die Mitgliedstaaten adressiert und nur hinsichtlich ihres Ziels verbindlich sind, d.h., keine direkte Anwendung finden, ist das ausschließliche Recht der Mitgliedstaaten für die Erhebung einer Klage vor dem EuGH kein Problem. Viel problematischer ist jedoch, dass die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsersuchen betreffend Rahmenbeschlüsse eingeschränkt ist. Vorabentscheidungsersuchen können nur von Gerichten derjenigen Mitgliedstaaten gestellt werden, die eine entsprechende Erklärung abgegeben haben. Im Fall von Mitgliedstaaten, die eine diesbezügliche Erklärung nicht abgegeben haben, ist die richterliche Überprüfung der Gültigkeit eines Rahmenbeschlusses ungeklärt. Sollten in diesem Fall die Gerichte des fraglichen Mitgliedstaats über die Gültigkeit eines Rahmenbeschlusses befinden, wäre diese Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten nicht bindend. Die richterliche Überprüfung von Rahmenbeschlüssen ist jedoch nicht viel weniger problematisch in Mitgliedstaaten, die eine entsprechende Erklärung abgegeben haben. Die Erklärung kann nämlich eine fakultative Vorlage entweder durch jedes Gericht oder nur durch das letztinstanzliche vorsehen. Eine verpflichtende Vorlage durch ein letztinstanzliches Gericht, wie im Gemeinschaftsrecht, kennt der EUV nicht, allerdings verweist die Erklärung Nr. 10 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam auf das Recht der Mitgliedstaaten, im nationalen Recht eine solche vorzusehen. Sollte nun die diesbezügliche Erklärung eine Vorlage durch jedes Gericht vorsehen, bedeutete dies, dass ein Ersuchen, die Gültigkeit eines Rahmenbeschlusses zu prüfen, durch jedes Gericht des Mitgliedstaats vorgelegt werden kann. Sollte eine Vorlage aber nur durch das letztinstanzliche Gericht vorgesehen sein, ist es unklar, ob die Gültigkeit von Rahmenbeschlüssen auch vor den unteren Gerichten angefochten werden kann. Die richterliche Überprüfung der Gültigkeit eines Rahmenbeschlusses hängt damit großen Teils vom nationalen Recht ab. Diese Regelung entspricht den Erfordernissen der Rechtstaatlichkeit im obigen Sinne nicht.
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Das Beispiel führt deutlich vor Augen, dass der Ausbau von Rechtstaatlichkeit in der Europäischen Union unerlässlich ist. Die in der Literatur teilweise vertretene Meinung, dass das jetzige Demokratiedefizit dadurch de facto abgemildert sei, dass die Beschlüsse der Regierungsminister inhaltlich in der Sache häufig ausgewogener sind als der von in Parlamenten streitig durchgestimmten Parlamentsvorlagen,98 ist zurückzuweisen. Selbst wenn die Qualität europäischer Rechtssetzung solchermaßen gesteigert würde, wäre die Justiziabilität des EU-Rechts immer noch nicht gewährleistet. II. Rechtsstaatskritik Das Europäische Strafrecht ist modernes Strafrecht. Es weist neue und moderne Tendenzen bzw. Eigenschaften auf, die zwischen den Befürwortern und Gegnern der europäischen Integration heftige Grundsatzdebatten ausgelöst haben. Dabei blieb und bleibt aber übersehen, dass die am Europäischen Strafrecht geübte Kritik nicht neu ist. Sie wiederholt zum größten Teil Vorwürfe, die bereits seit langem aus dem mitgliedstaatlichen Bereich bekannt sind und sich nun auf europäischer Ebene fortsetzen. Damit gilt die so erhobene Fundamentalkritik99 nicht nur dem Europäischen Strafrecht, sondern den modernen Entwicklungen des Strafrechts insgesamt. Die in Bezug auf die europäische Integration erhobene Kritik berührt sämtliche Detailfragen, die vor allem das Nebenstrafrecht betreffen. Diese Detailfragen waren zum größten Teil bereits Gegenstand eingehender Untersuchungen, deren Ergebnisse hier nicht wiederholt werden sollen.100 Der Vollständigkeit halber werden die wichtigsten Detailaspekte angedeutet, um sie gedanklich zu erschließen. Sofern sie sich auch auf die in Teil II dieser Arbeit beschriebenen Harmonisierungsfelder beziehen, werden sie an den entsprechenden Stellen der Arbeit nochmals aufgegriffen und konkretisiert.
98 Vertreten von Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 130 ff. und nunmehr auch Vogel, Joachim: Harmonisierung des Strafrechts in der Europäischen Union, GA 2003, S. 332. 99 Jüngstes Beispiel für die fundamentalkritische Einstellung bei Schünemann, Bernd: Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 185–189. 100 Bestandaufnahmen bei Böse, Martin: Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Studien zum Internationalen Wirtschaftsrecht und Atomenergierecht, Köln 1996; Moll, Dietmar: Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, Göttingen 1998; Satzger, Helmut: Die Europäisierung des Strafrechts, Köln/Berlin/Bonn/München 2001; Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002.
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Rechtsgüterschutz Vor allem im deutschen Schrifttum wird vertreten, dass die durch die europäische Integration entstandenen neuen Interessen keine Rechtsgutsqualität aufweisen. Dieses Argument soll unter zwei Aspekten betrachtet werden: Erstens, da es bei einer wachsenden Anzahl von europäischen Harmonisierungsmaßnahmen um Schutzinhalte geht, die den mitgliedstaatlichen Strafrechten bereits bekannt sind (wie beim Schutz des menschlichen Lebens, dem Schutz der Jugend, des Wettbewerb oder der Umwelt), gibt dieses Argument mit Ausnahme der streng genommenen supranationalen Schutzinhalte (wie z. B. der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften) die in einigen mitgliedstaatlichen Strafrechten seit geraumer Zeit geführte Debatte über das Prinzip des Rechtgüterschutzes wieder. So geht eine Ansicht im deutschen Schrifttum dahin, dass sich der Rechtsgüterschutz auf die Rechtsgüter der Person beschränken müsse und nur diejenigen Rechtsgüter der Allgemeinheit unter strafrechtlichen Schutz stellen solle, die man präzise fassen könne und hinter denen sich personale Interessen noch wahrnehmen ließen. Die Auffassung wird aber von einem ebenso beachtlichen Teil der deutschen Lehre zurückgewiesen, die sowohl eine sozialethische Bewertung als auch eine Begründung für die praktische Notwendigkeit des Einsatzes von Strafrecht bei den einschlägigen Schutzinhalten begründet sieht. Ohne eine eigene Position zur Rechtsgutsdiskussion101 zu beziehen, wäre im Hinblick auf diese Teilung der Lehre die Diskreditierung Europäischen Strafrechts alleine wegen eines angeblich mangelnden Rechtsgutsbezugs unangemessen. Dazu kommt zum zweiten, dass der Rechtsgutbegriff nicht allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannt ist. Auf der Suche eines Miteinanders der mitgliedstaatlichen Rechtssysteme sollte man sich nicht auf Konzepte nationaler Provenienz stützen, die keine Entsprechung im Ausland finden, da dergleichen schon deswegen zum Scheitern verurteilt ist (dazu noch in § 10). Stattdessen sollte im Vordergrund stehen, Kompromisse zwischen den Konzepten der verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu finden. Prävention Eine Großzahl europäischer Strafrechtsharmonisierungsmaßnahmen (vor allen im Umweltstrafrecht, Drogenstrafrecht, Betrugsstrafrecht) ist von präventiven Interessen geleitet. Eingewendet wird, dass das präventive Interesse zum weiteren Gebrauch der Deliktsform der abstrakten Gefährdungs101 Ein Überblick der Diskussion findet sich in Hefendehl, Roland/Hirsch, Andrew von/Wohlers, Wolfgang (Hrsg.): Rechtsgutstheorie – Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?, Baden-Baden 2003.
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delikte, zu Strafrahmenerhöhungen und zur dramatischen Erweiterung von Zwangsmitteln im Ermittlungsverfahren führe. Hier gilt wiederholt der Satz, dass die Anwendung abstrakter Gefährdungsdelikte keine Eigenart des Europäischen Strafrechts ist, sondern vielmehr eine die mitgliedstaatlichen Strafrechte seit längerer Zeit beeinflussende Entwicklung.102 In diesem Sinne beobachtet auch Trechsel, dass die Tatsache, „dass der strafrechtliche Schutz in immer weiter vom Kern der Person entfernte Bereiche verlegt wird, um gewisse Gefahren schon gar nicht erst entstehen zu lassen, oder um Formen des Verbrechens beizukommen, von denen befürchtet wird, sie würden sich sonst jeglicher Kontrolle entziehen, [. . .] keineswegs spezifisch für das EU-Strafrecht [ist].“ 103
Damit reproduziert das Argument eine Diskussion auf der europäischen Ebene, die in den mitgliedstaatlichen Strafrechten noch im Gange ist. Aus rechtstaatlicher Sicht wird gegenüber abstrakten Gefährdungsdelikten eingewandt, dass diese die Anwendung des Strafrechts durch den Verzicht auf den Nachweis eines Schadens, und demzufolge der Kausalität, erleichtern.104 Dem ist entgegenzuhalten, dass sich das Strafrecht nicht prinzipiell von der Aufgabe zurückziehen darf, Gefahren zu bekämpfen, die für die Gesellschaft und den einzelnen bedrohlicher sind als die Erscheinungsformen der „klassischen“ Kriminalität. Zwar ist Roxin darin zuzustimmen, dass einige vom abstrakten Gefährdungsdelikt dominierte neue Rechtsgebiete dogmatisch nicht hinreichend durchdacht sind. Dem sollte jedoch nicht durch den Rückzug des Strafrechts aus diesen Gebieten, sondern durch deren „dogmatischen Urbarmachung“ begegnet werden.105 Ultima ratio Es wird dem Europäischen Strafrecht vorgeworfen, dass es in nahezu allen Bereichen zur weiteren Kriminalisierung und zur Schließung von Strafbarkeitslücken führe. Dabei sei von Alternativen zum Strafrecht kaum die Rede. Damit verwandle der Strafgesetzgeber das Strafrecht von der ultima ratio zur sola oder prima ratio. Eine nähere Betrachtung des Arguments zeigt, dass das Europäische Strafrecht in diesem Punkt wieder nur eine na102
Eingehend im deutschen Schrifttum Zieschang, Frank: Die Gefährdungsdelikte, Berlin 1998; Wohlers, Wolfgang: Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – Zur Dogmatik moderner Gefährdungsdelikte, Berlin 2000. 103 Trechsel, Stefan: Stellungnahme zu den Thesen des „Frankfurter Forum zur Entwicklung rechstaatlichen Grundlagen Europäischen Strafrechts“, KritV 2001, S. 300. 104 Hassemer, Winfried: Freiheitliches Strafrecht, Berlin 2001, S. 225. 105 Roxin, Claus: Kriminalpolitik und Strafrechtsdogmatik heute, in: Bernd Schünemann (Hrsg.): Strafsystem und Betrug, Herbolzheim, 2002, S. 47. ff.
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tionalrechtliche Erscheinung widerspiegelt. Die Neukriminalisierungen im Besonderen Teil des Strafrechts und im Nebenstrafrecht sind allgemeine Entwicklung in den mitgliedstaatlichen Strafrechten.106 Vogel weist zu Recht darauf hin, dass „niemand die Augen davor verschließen [sollte], dass die europäischen Gesellschaften nun einmal punitiver werden. Wenn die im Rat vereinigten Regierungen dann tun, was ihre Gesellschaften wollen, so muss das in Demokratien bis zur Grenze der Menschenrechts- und Rechtsstaatswidrigkeit anerkannt werden.“107
Diese Argumente verdeutlichen, dass sich hinter der ultima-ratio-Diskussion unterschiedliche Auffassungen über die Wirksamkeit und Leistungsfähigkeit des Strafrechts und der Strafrechtsdogmatik verbergen. Trotz unterschiedlicher Auffassungen darf das Bemühen nicht aufgegeben werden, bestimmten gesellschaftlich schädlichen Verhaltensweisen auch mit außerstrafrechtlichen Maßnahmen zu begegnen. Bei der Suche nach Alternativen zum Strafrecht sollte jedoch die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Alternativmaßnahmen stärker beachtet werden, so dass sie unter dem Vorwurf, sie seien wirtschaftlich unsinnig oder sogar wirklichkeitsfremd, nicht sofort hinfällig werden (dazu noch in §§ 12–14). Klarheit der Gesetze Die Überflutung des nationalen Strafrechts mit europäischen Vorgaben, die enorme Komplexität und Regelungsdichte einschlägiger Normen sind aus Sicht der Klarheit der Strafgesetze angreifbar. Die vorliegende Arbeit kann schlechthin als Beweis dafür gelten, wie zutreffend die erhobene Kritik ist. Die Findung einschlägiger Normen, die Ermittlung des Verhältnisses sich überschneidender Regelungen und schließlich die Feststellung der Rechtslage beanspruchen einen nicht zu unterschätzenden Zeitaufwand und Sachkenntnis. Dies wird wiederum dadurch erschwert, dass die Qualität europäischer Rechtssetzung oft zu wünschen übrig lässt. Die Nachteile und Schwächen europäischer Rechtssetzung, die sich teils aus der Vielsprachigkeit und teils aus den komplexen Kompromissfindungsprozessen ergeben, sind seit langem bekannt.108 Diese Nachteile betreffen zwar das gesamte Europarecht, nur ist das Gebot der Klarheit der Gesetze im Strafrecht nun 106 Bestandsaufnahme bei Kühne, Hans-Heiner: Der erstaunliche Bedeutungszuwachs des Strafrechts: Gibt es Wachstumsgrenzen?, in: Festschrift für Heinz-Müller Dietz zum 70. Geburtstag, München 2001, S. 419–422. 107 Vogel, Joachim: Harmonisierung des Strafrechts in der Europäischen Union, GA 2003, S. 333. 108 Vgl. dazu Entschließung zu einem Entwurf einer interinstitutionellen Vereinbarung über gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, ABl. 1999 Nr. C 98/496 vom 9.4.1999.
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einmal ein wesentliches Erfordernis des Rechtstaatsprinzips. Die gegenwärtige Lage ist für die Bürgerinnen und Bürger in einer Union, die die Verwirklichung des Rechtstaatsprinzips als Ziel setzt109 und die die demokratische Verfasstheit anstrebt, keineswegs zumutbar. Zwar ist in letzter Zeit eine gewisse Konsolidierung sich überschneidender Regelungen durch Rahmenbeschlüsse zu beobachten, dies gilt jedoch nur für einen Bruchteil des Europäischen Strafrechts (dazu noch in § 11 II 2). Dies genügt jedoch dem Bedürfnis nach einer umfassenden Reform keineswegs. Hinzu kommt, dass die rechtliche Qualität auch von Rahmenbeschlüssen oft nicht immer einwandfrei ist. Damit bleibt die Schaffung von Klarheit unter den (Straf-) Rechtsnormen eine Zukunftsaufgabe. Bestimmtheitsgrundsatz Aus dem Grundsatz des nullum crimen sine lege stricta wird sowohl das Erfordernis nach der Klarheit als auch nach der Bestimmtheit der Strafgesetze abgeleitet. Da das Strafrecht die tiefsten Eingriffe in die Freiheitssphäre des Bürgers ermöglicht, die die Rechtsordnung überhaupt kennt, müssen besondere Schutzvorkehrungen gegen seinen Missbrauch getroffen werden. Dazu gehört, dass die Ermessensfreiheit des Richters durch die möglichst genaue Bezeichnung der Voraussetzungen des Eingriffs eingeengt wird.110 Genau dieses Erfordernis sieht ein Teil des Schrifttums unter Verweis auf die „europäische Blankettstrafgesetzgebung“ als ausgehebelt an. In der Tat führt die mittelbare Beeinflussung des nationalen Strafrechts dazu, dass Straftatbestände so beschrieben werden, dass sie etwa in einer Zuwiderhandlung gegen bestimmte Produktionsweisen liegen, die wiederum in „technischen“ EG-Verordnungen geregelt sind. Beispiele bietet dafür vor allem das Lebensmittelstrafrecht. Durch die Technik der Blankettgesetzgebung kommt es dann dazu, dass die inhaltliche Reichweite der strafbewehrten Verhaltensnormen letztlich der EG-Verordnung überlassen wird (dazu noch in § 11 I 4). Ähnliche Probleme bestehen jedoch auch mit Blick auf nationale Blankettgesetze. Auch hier bleibt die Bestimmung des strafbewehrten Verhaltens den nationalen Verwaltungsnormen vorbehalten. Somit bildet die europäische Blankettgesetzgebung keine neue Herausforderung für das Strafrecht, sondern greift bereits bestehende Vorbehalte auf, dies freilich in einem neuen Kontext. 109
Der Begriff der Rechtstaatlichkeit wurde erstmals im Maastrichter Vertrag erwähnt. Vgl. ex-Art. J.1 Abs. 2 (Art. 11 Abs. 1 n. F.), sowie ex-Art 130 u Abs. 2 (Art. 177 Abs. 2 n. F.). Der Amsterdamer Vertrag zählt Rechtstaatlichkeit zu den Gründungsprinzipien der Union (vgl. Art. 6 Abs 1). 110 Jescheck, Hans-Heinrich/Weigend, Thomas: Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Berlin 1996, S. 26.
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Eine Gesamtschau der besprochenen Punkte der Rechtsstaatskritik verdeutlicht, dass diese überwiegend aus Motivationen der nationalen Strafrechtsentwicklungen geschöpft wurden und das Europäische Strafrecht nur sekundär oder zumindest nicht mehr als die mitgliedstaatlichen Strafgesetzgebungen betreffen. Gerade weil die angegriffenen Erscheinungen auch für die mitgliedstaatliche Strafrechte größtenteils charakteristisch sind, reichen sie für sich gesehen auch nicht aus, das Europäische Strafrecht als solches in Frage zu stellen. Keineswegs sollte dieser Befund aber den Anschein erwecken, dass die Beachtung der ultima-ratio, der Klarheit und der Bestimmtheit der Strafgesetze hier nicht gefordert wäre. Vielmehr geht es darum, aufzuzeigen, dass die jüngste Vergangenheit bestimmte Entwicklungstendenzen des Strafrechts hervorgebracht hat, deren Analyse und Bewertung noch nicht abgeschlossen ist. Eine sich auf diese Argumente stützende Fundamentalkritik wäre daher voreilig. III. Die Europäische Verfassung Die oben geschilderten Bedenken und Kritik an den europäischen Rechtsakten im Strafrechtsbereich unterstreichen, dass die Legitimität des Europäischen Strafrechts unvollkommen ist. In der Tat entspricht die gegenwärtige Ausgestaltung des Europäischen Strafrechts in vielen Einzelaspekten noch nicht den Anforderungen der Rechtstaatlichkeit. Es wäre aber voreilig, über das Europäische Strafrecht aufgrund der derzeitigen Rechtslage das Unwerturteil zu fällen. Die zukünftige Europäische Strafrechtsverfassung ist nun aufgestellt worden und der vorläufige konsolidierte Text des Verfassungsvertrages bereits zugänglich.111 Aufgrund des Verfassungsvertrages gehört zu den Zielen der Europäischen Union, ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen zu bieten.112 Um dieses Ziel zu verwirklichen, ordnet die Verfassung den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – und damit die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten – dem Bereich der geteilten Zuständigkeiten zu.113 In diesem Bereich haben sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten die Befugnis, gesetzgeberisch tätig zu werden und rechtlich bindende Rechtsakte zu erlassen. Allerdings nehmen die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit wahr, sofern die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt oder entschieden hat, diese nicht mehr auszuüben.114 111 112 113
Brüssel, 25.06.2004, CIG 86/04. Art. I-3 Abs. 2. Art. I-13 Abs. 2. lit. j.
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Die Kompetenz zum Erlass von Strafrechtsharmonisierungsmaßnahmen wird gemäß Art. 172 des Teils III der Verfassung zwischen den Mitgliedstaaten und den Europäischen Organen klar abgegrenzt: (1) Durch Europäische Rahmengesetze können Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festgelegt werden, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie von gemeinsamen Grundlagen ausgehend zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Derartige Kriminalitätsbereiche sind: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschungen von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Je nach den Entwicklungen der Kriminalität kann der Rat einen Europäischen Beschluss erlassen, in dem andere die Kriterien dieses Absatzes erfüllende Kriminalitätsbereiche bestimmt werden. Er beschließt einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. (2) Erweist sich die Angleichung strafrechtlicher Normen als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf einem Gebiet, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, so können durch Europäische Rahmengesetze Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf dem betreffenden Gebiet festgelegt werden.
Dementsprechend kann die EU nur im Bereich besonders schwerer Kriminalität tätig werden, die eine grenzüberschreitende Dimension aufweisen. Beispiele dafür befinden sich in einer nicht erschöpfenden Aufzählung von Straftaten, die durch Europäische Beschlüsse erweitert werden können. Dazu kommen die im Absatz 2 genannten Annexbereiche, in denen die Kompetenz der Europäischen Union zum Erlass von Strafrechtsangleichungsmaßnahmen durch die erfolgreiche Durchführung bestimmter Politikbereiche begründet wird. Unter Legitimitätsaspekten ist besonders wichtig, dass die Verfassung ein einheitliches Gesetzgebungsverfahren unter voller Beteiligung des Europäischen Parlaments vorsieht.115 Strafrechtsharmonisierungsmaßnahmen sollen zukünftig in Form von Europäischen Gesetzen und Rahmengesetzen erlassen werden. Das Europäische Gesetz ist ein Gesetzgebungsakt mit allgemeiner Geltung und entspricht der derzeitigen Verordnung. Es ist in allen seinen Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Demgegenüber entspricht das Europäische Rahmengesetz der derzeitigen Richtlinie. Das Europäische Rahmengesetz ist an den Mitgliedstaaten gerichtet und ist hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Es überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Europäische Ge114 115
Art. I-11 Abs. 2. Art. III-302.
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setze und Rahmengesetze werden nach den in Artikel III-302 festgelegten Einzelheiten des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens auf Vorschlag der Kommission vom Europäischen Parlament und vom Rat gemeinsam erlassen. Neben der Kommission verfügen aber auch die Mitgliedstaaten gemäß Artikel III-165 über ein Initiativrecht im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Damit behandelt die Verfassung sämtliche der hier angeführten Punkte der Legitimation, wenn sie auch nicht alle abschließend lösen kann. Fest steht jedoch, dass die Beantwortung der Frage der Legitimität von ihrem dogmatischen Kopf wieder auf die Füße der Faktizität gestellt wird. In diesem Sinne merkt Nettesheim an: „Like the constitutional theory of the nation state, so too is the theory of the legitimacy of supranational public power a result of the de facto processes of integration.“116
Damit ist ausgesagt, dass die Frage der Legitimität im Kraftfeld widerstreitender Interessen und nicht in Gemäßheit abstrakter Theorien gelöst werden wird.117 Praktische Politik versucht die Lösung von Interessenkonflikten ohne Bezugnahme auf abstrakte Theorien. Austragungsort dieses Widerstreits ist hier die Strafpolitik der Europäischen Union, die daher die mitgliedstaatlichen Strafrechte und Strafrechtswissenschaften künftig zunehmend prägen wird. Der Weg für das Europäische Strafrecht ist damit bereitet.
116
Nettesheim, Martin: Decision-Making in the EU: Identity, Efficiency, and Democratic Legitimacy – Preliminary Considerations, Revue Européen de Droit Public 2004, S. 197–220. 117 Im Anschluss an Jhering, Rudolf von: Der Kampf ums Recht, Wien 1872.
Teil 1
Die strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union § 2 Der institutionelle Rahmen Die derzeitigen und künftigen Entwicklungen der Strafpolitik der Europäischen Union sind nur bei Betrachtung der bisherigen Entwicklung in diesen Bereichen verständlich. So lassen sich verschiedene Ebenen der strafrechtlichen Zusammenarbeit unterscheiden, die sowohl internationale als auch Gemeinschaftsstrukturen beinhalten. Ziel der Ausführungen über den institutionellen Rahmen der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union ist, die einzelnen Kooperationsforen darzustellen und dadurch die historischen Hintergründe strafrechtlicher Zusammenarbeit zu erschließen. Die Arbeit ist thematisch auf den aqcuis communautaire des Dritten Pfeilers beschränkt, und versucht damit eine strukturierte Aufarbeitung des acquis auf dem Gebiet der internationalen strafrechtlichen Rechthilfe zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu leisten. Der Begriff „aqcuis communautaire“ wird in Artikeln 2, 3 und 43 des EU-Vertrages verwandt, ohne definiert zu werden. Im Allgemeinen versteht man darunter die Gesamtheit der Rechtsakte der Europäischen Organe, unabhängig davon, ob es sich um rechtlich verbindliche oder unverbindliche Rechtsakte handelt. Der Begriff „aqcuis communautaire“ wird nicht nur in Bezug auf Rechtsakte des Ersten Pfeilers angewendet, wie das Adjektiv „communautaire“ es andeutet. Vielmehr gilt er auch für Rechtsakte des Zweiten und des Dritten Pfeilers, sowie für die in den Verträgen festgeschriebenen gemeinsamen Ziele. Insbesondere mit Blick auf den Dritten Pfeiler erweist sich die Feststellung des Umfangs des „aqcuis communautaire“ als schwierig. Er beinhaltet viele Dokumente, die außerhalb des EU-Rahmens entstanden sind, so vor allem Dokumente des Europarats, der OECD und der UNO. Diese NichtEU-Dokumente werden durch die EU-Rechtsakte als unverzichtbar für die Verwirklichung der Ziele der Europäischen Union betrachtet und deswegen zum Teil des acquis erklärt. So beziehen sich in der Regel die im Dritten Pfeiler des EU-Vertrages angenommenen Übereinkommen und sonstige
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Teil 1: Die strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union
Rechtsakte auf vorherige Übereinkommen – vorwiegend, aber nicht ausschließlich, auf die Übereinkommen des Europarats –, die dann als so genannte Mutterkonventionen auch zum acquis gehören. Wegen der Einbeziehung von Nicht-EU-Dokumenten wird der acquis des Dritten Pfeilers als all-umfassend (hyper-exhaustive) bezeichnet.1 Zur Zeit geben zwei Quellen Aufschluss über den Umfang des acquis des Dritten Pfeilers. Einmal sind es die sog. acquis-Listen der Beitrittkandidaten, d.h. die Listen derjenigen Dokumente, deren Ratifizierung ein Beitrittskriterium für die zehn Kandidatenländer war. Da die Beitrittskandidaten verpflichtet waren, den acquis communautaire voll zu übernehmen, ist davon auszugehen, dass die unter dem Titel „Strafrechtliche und polizeiliche Zusammenarbeit“ genannten Dokumente die Gesamtheit des einschlägigen acquis darstellen. Gerade wegen der Unsicherheiten über den Umfang des acquis des Dritten Pfeilers, deren Erfassung wegen des ständigen Erlasses neuer Dokumente weiter erschwert wird, hat die Kommission auf ihre Homepage Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine Liste der einschlägigen Dokumente eingerichtet.2 Mit Hilfe dieser beiden Listen kann man nun den acquis comunautaire des Dritten Pfeilers eingrenzen. Das aufgrund des acquis und der darüber hinaus noch existierenden Übereinkommen praktizierte Rechtshilferecht zwischen den Mitgliedstaaten der EU zeigt ein wüstes Bild unterschiedlicher Kreise von Staaten, die in unterschiedlichem Maße und Intensität kooperieren. Das Vertragschaos – so treffend Schomburg – ist zunächst auf die graduelle Entstehung von neuen Kooperationsforen zurückzuführen, die die strafrechtliche Rechtshilfe anderweitig oder in Bezug auf eine andere Gruppe der Mitgliedstaaten regeln.3 Dazu kommt, dass sowohl die Übereinkommen des Europarats als auch diejenigen der Europäischen Union nicht mehr einzelne Formen der Rechtshilfe ausführlich regeln, sondern sich zunehmend mit einzelnen Delikten beschäftigen, wobei dann alle Formen der Rechtshilfe in Bezug auf dieses eine Delikt behandelt werden. Man spricht daher auch von deliktspezifischen Übereinkommen.4 Um eine Übersicht über den gegenwärtigen Stand 1
Delcourt, Christine: The acquis communautaire: Has the concept had its day?, CMLR 2001, S. 859. 2 Im Internet unter http://www.europa.eu.int/comm/justice_home/doc_centre/ intro. 3 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 2. 4 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 2. Diese Praxis ist aber in der Literatur nicht ohne Einwände. Kritisch dazu Klip, H. André: Neuere Entwicklungen im europäischen Strafrecht und in der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.): 22. Strafverteidigertag, Köln 1999, S. 45.
§ 2 Der institutionelle Rahmen
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des acquis zu erlangen, soll historisch zwischen den folgenden Kreisen der Kooperation unterschieden werden: dem Europarat, der Europäische Politische Zusammenarbeit, Trevi, Schengen, dem Dritten Pfeiler und den sonstigen Organisationen. I. Der Europarat Der Europarat hat seit den 50er Jahren ein Netz von Übereinkommen über die strafrechtliche Zusammenarbeit geknüpft, das in seiner Vollständigkeit und Aktualität weltweit einmalig ist.5 Unter dem Gesichtspunkt der strafrechtlichen Rechtshilfe zwischen den EU-Mitgliedstaaten lassen sich insbesondere zwei Merkmale des Europarats hervorheben: Einmal ist der Mitgliederkreis des Europarats größer als der der Europäischen Union. Der Europarat hat einerseits Mitglieder, die keine Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind (z. B. die Schweiz, oder bis Anfang der 90er Jahre Österreich, Finnland und Schweden), anderseits genießen einige nicht-europäische Staaten einen Beobachterstatus (z. B. die USA und Kanada). Die andere Charakteristik bezieht sich auf die Art der Zusammenarbeit im Europarat. Da der Europarat eine intergouvernementale Organisation ist, verfügt er über keine Gesetzgebungskompetenzen. Aus dem intergouvernementalen Charakter folgt, dass die vom Europarat verabschiedeten Übereinkommen nur dann in Kraft treten, wenn die Mitglieder sie ratifizieren und in ihr innerstaatliches Recht umsetzen. Das Völkerrecht erlaubt den Staaten, bei der Umsetzung internationaler Übereinkommen Vorbehalte vorzusehen. Durch den Vorbehalt kann ein Staat die im Übereinkommen enthaltene Verpflichtung für sich teilweise oder voll ausschließen. Daraus folgt, dass bei der Anwendung internationaler Übereinkommen stets zu prüfen ist, in wieweit die darin enthaltenen Verpflichtungen für den jeweiligen Staat gelten. Dass an die Stelle der bilateralen Verträge multilaterale Übereinkommen getreten sind, war und ist eine europäische Eigenheit.6 Die europäischen Staaten haben die multinationalen Übereinkommen deswegen angenommen, weil sie die Uneinheitlichkeit bilateraler Abmachungen nicht mehr für ausreichend hielten. Mit anderen Worten stellt das multilaterale Übereinkommen ein Harmonisierungsmechanismus dar.7 Wegen der zahlreichen Vorbehalte8 und dem niedrigen Ratifikationsstand einiger Übereinkommen 5 Wilkitzki, Peter: Die Regionalisierung des internationalen Strafrechts, ZStW 1993, S. 827. 6 Vogler, Theo: Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 588. 7 Bassiouni, Cherif: Reflections on International Extradition, in: K. Schmoller (Hrsg.): Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag, Wien/New York 1996, S. 724.
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haben nur die Auslieferungs-, Rechtshilfe- und Überstellungskonvention praktische Bedeutung erlangt.9 Trotz dieses Umstandes unterstreicht Tiedemann, dass [d]iese von Expertengremien vorbereiteten Empfehlungen als Ausdruck gemeinsamer Überzeugung der Kulturnationen verstanden [werden]. Dass in der Praxis der nationalen Kriminalpolitik nicht jede Empfehlung des Europarates umgesetzt und nicht jedes Europaratsabkommen transformiert und in Kraft getreten ist, tut der Sache eines wirkmächtigen Harmonisierungsschubes keinen Abbruch.10
Bei der Bewertung der Arbeiten des Europarats sollte beachtet werden, dass einige Staaten andere Präferenzen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit haben mögen und dass multilaterale Übereinkommen nur eine der Alternativen darstellen. Insbesondere mag die Benutzung bilateraler Abmachungen in der Praxis sowohl politisch als auch rechtlich einfacher sein.11 Darüber hinaus wurden auch systematisch weitreichende Kooperationsangebote gemacht, die dort, wo sie ratifiziert wurden, aus der täglichen Zusammenarbeit in Europa nicht hinwegzudenken sind, obwohl einige Konventionen schwer handhabbar oder ursprünglich wenig erfolgsversprechend waren.12 Die Arbeiten des Europarats verlangsamten sich Anfang der 90er Jahre. Ein Grund dafür war die Aufnahme der noch jungen Demokratien Mittelund Osteuropas. Die meisten der neuen Mitglieder verfügen nur über sehr begrenzte Erfahrungen in pluralistischer Demokratie, was in einigen EUMitgliedstaaten Skepsis darüber hervorgerufen hat, ob der Europarat weiter8 Harding bezeichnet Vorbehalte als altbekannten Trick (well known catch) der intergouvernementalen Zusammenarbeit. Um die Teilnahme an dem System attraktiver zu gestalten, werden Vorbehalte zugelassen, die im Endeffekt das reale Niveau der Teilnahme drücken. Harding, Christopher: The International and European Control of Crime, in: C. Harding/C. L. Lim: Renegotiating Westphalia, Essays and Commentary on the European and Conceptual Foundations of Modern International Law, The Hague/Boston/London 1999, S. 202. 9 Vogler, Theo: Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 592. 10 Tiedemann, Klaus: Die Europäisierung des Strafrechts, in: K. F. Kreuzer/D. H. Scheling/U. Sieber (Hrsg.): Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, Baden-Baden 1997, S. 139. 11 Traditionell präferieren die common law Staaten und die früheren Ostblock Staaten bilaterale Abmachungen statt multilaterale Übereinkommen. Näheres bei Harding, Christopher/Swart, Bert: Intergovernmental co-operation in the field of criminal law, in: P. Fennell/C. Harding/N. Jörg/B. Swart (Hrsg.): Criminal Justice in Europe, A Comparative Study, Oxford 1995, S. 92. Vgl. auch Wiener, A. Imre: Nemzetközi Bu˝nügyi Jogsegély, Budapest 1993, S. 72 ff. 12 Schomburg, Wolfgang: Kooperation bei der Kooperation in Europa: Eurojust neben Europol, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Kriminalitätsbekämpfung im zusammenwachsenden Europa, Neuwied 2000, S. 140., Vogler, Theo: Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 586–587.
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hin das am besten geeignete Forum für die Entwicklung von Instrumenten zur Förderung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bleibt.13 Weitere Bedenken gegenüber den Konventionen des Europarats stammen von der zunehmenden Anzahl von Übereinkommen, die im Rahmen des Dritten Pfeilers der EU angenommen werden. Zum Teil wird befürchtet, dass als Nebeneffekt der Produktion von Rechtsakten im Dritten Pfeiler die Aktivitäten des Europarats zum Erliegen kommen könnten.14 Diese und ähnliche Ängste können heute als unbegründet angesehen werden. Einerseits dienen die Übereinkommen des Europarates zum Teil für die im Dritten Pfeiler ausgearbeiteten Übereinkünfte als Mutterkonventionen, die nur mit Hilfe dieser Übereinkommen ausgelegt und angewendet werden können.15 Anderseits werden immer noch bahnbrechende Konventionen im Rahmen des Europarats ausgearbeitet, wie z. B. diejenige gegen Cyber crime16 oder gegen Korruption17. Darüber hinaus weist Schomburg auf das sog. kriminal-geographische Problem hin. Letzteres entsteht daraus, dass die EU nicht von vornherein auf strafrechtliche Kooperation zugeschnitten wurde. Daher decken die im Rahmen des Dritten Pfeilers ausgearbeiteten Übereinkommen einen Rechtsraum ab, der mit dem Raum real existierender Kriminalität in keiner Weise übereinstimmt.18 Eine Kooperation, die den Raum der Kriminalität abdeckt, kann nur der Europarat leisten. Genau aus diesem Grunde und im speziellen Zusammenhang mit der vor kurzem erfolgten historische Erweiterung der Europäischen Union um 10 Beitrittsländer aus Mittel- und Osteuropa hat der Europarat sogar neue Aufgaben erhalten. So wurde in 2001 im Europarat das Zweite Zusatzprotokoll zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen fertiggestellt,19 welches die13 So auch Vervaele, John/Klip André (Hrsg.): European Cooperation between Tax, Customs and Judicial Authorities, The Hague/London/New York 2002, S. 31. 14 Klip, H. André: Neuere Entwicklungen im europäischen Strafrecht und in der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.): 22. Strafverteidigertag, Köln 1999, S. 46. 15 Schomburg, Wolfgang: Are we on the Road to a European Law-Enforcement Area? International Cooperation in Criminal Maters. What Place for Justice?, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2000, S. 54. 16 Convention on Cybercrime, ETS No. 185. 17 Criminal Law Convention on Corruption, ETS No. 173. 18 Schomburg, Wolfgang: Kooperation bei der Kooperation in Europa: Eurojust neben Europol, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Kriminalitätsbekämpfung im zusammenwachsenden Europa, Neuwied 2000, S. 141. So auch zuletzt Pradel, Jean: Wege zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Rechtsraums, in: K. Tiedemann (Hrsg.): Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, Freiburger-Symposium, Köln/Berlin/Bonn/München 2002, S. 56. 19 Second Additional Protocol to the European Convention on Mutual Legal Assistance in Criminal Matters, ETS No. 182.
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ses mit dem Rechtshilfeübereinkommen der Europäischen Union bzw. mit den Bestimmungen des SDÜ in Einklang bringen soll. Durch das Zweite Zusatzprotokoll soll gewährleistet werden, dass die im Rahmen des Dritten Pfeilers erzielten Forstschritte im Rechtshilfebereich für alle europäische Staaten, insbesondere für die zukünftige Beitrittskandidaten, beigebracht werden.20 Auf dieser Weise gilt der Europarat hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen als Vorstufe zum Dritten Pfeiler. II. Die Europäische Politische Zusammenarbeit und TREVI Die Mitgliedstaaten der EG haben mit Blick auf ihre engeren ökonomischen und politischen Beziehungen im Vergleich zu den anderen Mitgliedern des Europarats schon in den 70er Jahren die Ausarbeitung einfacherer Formen der Zusammenarbeit in Strafsachen unterstützt.21 Den institutionellen Hintergrund dafür hat die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) geboten. Die EPZ wurde ursprünglich für die Koordinierung der Außenpolitik der damals 9 Mitgliedstaaten geschaffen. Sie war ein informelles Organ: zweimal im Jahr trafen sich die Außenminister der Mitgliedstaaten. Dies wurde Anfang der 70er Jahre mit der regelmäßigen Konsultation der Innen- und Justizminister erweitert. Die Bekämpfung des in den 70er Jahren verbreiteten Linksterrorismus machte eine Abstimmung der Bemühungen der EG-Mitgliedstaaten in der Strafverfolgung notwendig. Im Rahmen der EPZ wurden sämtliche Übereinkommen über die strafrechtliche Zusammenarbeit ausgearbeitet, die sich im Unterschied zu den Europarats-Übereinkommen nur für die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft verstanden. Hinter der Ausarbeitung dieser neuen Übereinkommen steckte der Optimismus, dass gerade die enge ökonomische und politische Bindung der EG-Mitgliedstaaten das Problem der Nichtratifizierung und der Vorbehalte lösen würde und somit wenigstens innerhalb der EG eine arbeitsteilige Strafverfolgung ausgebaut werden könne. Letztere würde sich immer mehr von der im Territorialitätsgrundsatz ausgedrückten nationalen Souveränität lösen und so mehr Raum für strafpolitische Entscheidungen lassen. So wurde z. B. ein Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen ausgearbeitet, das bezweckt, dass ein rechtskräftiges Strafurteil eines Mitgliedstaates in den anderen Mitgliedstaaten vollzogen werden kann. Die EPZ hat aber den an sie gerichteten Erwartungen schließlich 20 Dementsprechend hat Bulgarien das Zusatzprotokoll bereits ratifiziert, Rumänien hat es unterzeichnet. 21 Umfassend zu den Sondergremien zwischenstaatlicher Zusammenarbeit vgl. Akmann, Torsten: Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres als „3. Säule“ des Maastrichter Unionsvertrages, JA 1994, S. 50 ff.
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doch nicht entsprochen. Die Wirklichkeit blieb hinter den politischen Idealen zurück. Es hat sich herausgestellt, dass die Regierungen der EG-Mitgliedstaaten nicht einmal unter einander bereit sind, auf ihre strafrechtliche Souveränität zu verzichten und deswegen den neuen Übereinkommen genauso Vorbehalte hinzugefügt, bzw. diese erst gar nicht ratifiziert haben. Neben der EPZ wurde 1976 die so genannte TREVI-Kooperation22 ins Leben gerufen. Diese Kooperation zielte ursprünglich auf die Regelung der inneren Sicherheit, insbesondere mit Blick auf Terrorismus.23 Im Rahmen der TREVI-Kooperation wurden zunächst zwei Arbeitsgruppen eingesetzt, und zwar zur Terrorismusbekämpfung (TREVI I) und zur allgemeinen polizeilichen Zusammenarbeit (TREVI II). Nach Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahre 1986 wurde eine weitere Gruppe zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität, u. a. im Bereich des Drogenhandels (TREVI III), aufgestellt. Im Jahre 1991 folgte die Untergruppe Europol und 1992 eine Arbeitsgruppe Anti-Mafia.24 Die Brandbreite der TREVI-Kooperation war so vielfältig wie die polizeiliche Arbeit selbst. Da die Arbeiten geheim waren, entzogen sie sich weitgehend dem Einblick der Öffentlichkeit. Selbst die nationalen Parlamente wurden oft nur nachhinein und unvollständig informiert. Deswegen konnte eine vollständige Liste der angenommenen Texte nie zusammengestellt werden.25 Heute lässt sich mit relativ großer Sicherheit behaupten, dass die im Dritten Pfeiler angenommenen Vorschriften mehr oder weniger die durch TREVI geschaffene Situation kodifiziert und institutionalisiert haben.26
22 TREVI ist die Abkürzung aus dem französischem Terrorisme, Radicalisme, Extremisme et Violence Internationale. 23 Nuttall, J. Simon: European Political Co-operation, Oxford 1992, S. 294. 24 Löschnig-Gspandl, Marianne: Gibt es ein Europäisches Strafrecht?, in: Strafrechtlicher Probleme der Gegenwart, Referate des 25. von der Vereinigung österreichischer Richter veranstalteten Fortbildungsseminars aus Strafrecht und Kriminologie, Ottenstein 1997, S. 9; Jekewitz, Jürgen: Zur Konstitutionalisierung der nichtorganisierten Kriminalität durch den Vertrag von Amsterdam, GA 1999, S. 312–313; Nanz, Klaus-Peter: Der „3. Pfeiler der Europäischen Union“: Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik, Integration 1992, S. 128. 25 Ferola, Laura: Facing the emerging challenges of transnational crime: what role for the European Union? A legal analyses of its instruments, limits and perspectives, MJ 2000, S. 360., Fn. 2. 26 Harding, Christopher/Swart, Bert: Intergovernmental co-operation in the field of criminal law, in: P. Fennell/C. Harding/N. Jörg/B. Swart (Hrsg.): Criminal Justice in Europe, A Comparative Study, Oxford 1995, S. 96.
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III. Schengen Nach dem Scheitern der EPZ hat der Ausbau des Binnenmarkts der Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit neuen Schwung verliehen. Die Abschaffung der Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten hat den Weg nicht nur für den freien Verkehr der Güter und der Arbeitnehmer geöffnet, sondern sie hat auch die Möglichkeiten für Kriminelle wesentlich erweitert. Seit der Abschaffung der Binnengrenzen kann man im Schengen-Raum ohne Grenzkontrolle reisen. Das daraus resultierende Anwachsen der Kriminalität und der Verlust an Effektivität der Strafverfolgung hat einige Mitgliedstaaten dazu bewegt, Ausgleichsmaßnahmen zu schaffen.27 So wurden die Schengener Abkommen ursprünglich von 5 Mitgliedstaaten28 ausgearbeitet und ratifiziert. Das erste Abkommen wurde 1985 abgeschlossen,29 und später 1990 durch ein Durchsetzungsübereinkommen (SDÜ)30 ergänzt. Die Schengener Übereinkommen legen grundsätzlich Maßnahmen der inneren Sicherheit fest, darunter einheitliche Regelungen über Einwanderung, Asylrecht, Visum, Grenzkontrollen und polizeiliche Zusammenarbeit. Das SDÜ regelt unter anderem die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und für das erste Mal die internationale polizeiliche Zusammenarbeit. Die im SDÜ festgelegten Bestimmungen über die Rechtshilfe in Strafsachen bringen keine grundsätzliche Neuerung, sondern bezwecken lediglich einen einheitlichen Standard der Zusammenarbeit auf der Grundlage bereits existierender Übereinkommen des Europarates.31 Demgegenüber sind die Regelungen über die polizeiliche Zusammenarbeit innovativ. Mit Blick auf den Verzicht jeglicher Personenkontrollen an Binnengrenzen beabsichtigen die Übereinkommen, die Interessen der beteiligten Länder auf dem Gebiet der Strafverfolgung dadurch zu sichern, dass für die polizeiliche Zusammenarbeit das Recht der Fortsetzung einer Observierung Verdächtigter jenseits der eigenen Grenzen sowie das Recht der Nacheile im Falle der Verfolgung auf frischer Tat Betroffener vereinbart worden ist. Das Schengener Abkommen und das SDÜ sind keine Verträge, die automatisch auf alle EU-Mitgliedstaaten Anwendung finden. Sie sind vielmehr 27 Schübel, Eva: Wie gut funktioniert die Strafverfolgung innerhalb Europas?, NStZ 1997, S. 105 ff. 28 Frankreich, Deutschland und die Benelux Staaten. 29 Übereinkommen von Schengen vom 14.6.1985 (Schengen I), GMBL 1986, S. 79 ff. 30 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 19.6.1990 (SDÜ), BT-Drucks. 12/2453. 31 O’Keefe, David: The Schengen Convention: A suitable Model for European Integration, YEL 1991, S. 185–219.
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völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen einzelnen EG-Mitgliedstaaten, welche zunächst dem Beitritt von Drittstaaten offen standen. In dem Zeitraum zwischen 1985 und 1997 haben außer den ursprünglichen Vertragsstaaten weitere 4 EU-Mitgliedstaaten das SDÜ unterzeichnet. Darüber hinaus wurde ein Großteil der Regelungsbereiche von Schengen in späteren – zum Teil in früheren32 – EU-Instrumenten weiterbehandelt.33 Der Beitritt sämtlicher Mitgliedstaaten zum SDÜ, sowie die vielfältigen rechtlichen, funktionellen und institutionellen Überlappungen machten die Trennung zwischen der EG (bzw. EU) und dem Schengener Verbund künstlich.34 Die Einbeziehung von Schengen in das gemeinschaftsrechtliche System bereitete jedoch zweierlei Schwierigkeiten: einerseits wollten das Vereinigte Königreich und Irland, die keine Schengenstaaten waren, den Schengener Besitzstand durch die Hintertür der Vergemeinschaftung nicht akzeptieren; anderseits wollten die Schengener Vertragsstaaten die polizeiliche und strafrechtliche Aspekte ihrer Zusammenarbeit weiterhin auf dem Niveau der völkerrechtlichen Kooperation halten. Der Amsterdamer Vertrag hat schließlich die Schengener Verträge durch ein Protokoll in sich aufgenommen. Es war Aufgabe des Rates festzustellen, welche Bestimmungen und Beschlüsse der Schengener Verträge zum Ersten Pfeiler (hauptsächlich Bestimmungen über Visa und Einwanderung) und welche zum Dritten Pfeiler (Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit) gehören sollten. Diese Aufsplittung des Schengener Besitzstandes ist Ergebnis der Struktur des Amsterdamer Vertrages. Die Rechtslage wird jedoch dadurch weiter erschwert, dass das Vereinigte Königreich und Irland an den neu vergemeinschafteten Bereichen (Titel IV) nicht teilnehmen, wohl aber an der Rechtshilfe und der polizeilichen Zusammenarbeit (Titel VI) interessiert sind.35 Daher nehmen das 32 Siehe z. B. Convention for Determining State Responsibility for Examining Applications for Asylum Lodged in one of the Member States of the European Communities, Dublin, 15 June 1990. 33 den Boer, Monica: Travel Notes on a Bumpy Journey from Schengen via Maastricht to Amsterdam, in: M. den Boer (Hrsg.): The Implementation of Schengen: First the Widening, Now the Deepening, Maastricht 1997, S. 150. 34 den Boer, Monica: Travel Notes on a Bumpy Journey from Schengen via Maastricht to Amsterdam, in: M. den Boer (Hrsg.): The Implementation of Schengen: First the Widening, Now the Deepening, Maastricht 1997, S. 151. 35 Sowohl das Vereinigte Königreich als auch Irland haben eine echte Selektion im Schengener Besitzstand durchgeführt, was im Schrifttum oft als die Individualisierung des acquis bezeichnet wird. Die Selektion hatte aber unterschiedliche Ergebnisse in Bezug auf die beiden Staaten gebracht. Der acquis des Vereinigten Königreichs und der von Irland stimmen nicht überein. Irland übernahm im Unterschied zum Vereinigten Königreich die Bestimmungen über grenzüberschreitenden Observierung nicht, vgl. Delcourt, Christine: The acquis communautaire: Has the
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Vereinigte Königreich und Irland an den Artikeln 39 (Rechtshilfe, polizeilicher Informationsaustausch), 40 (grenzüberschreitende Überwachung), 44 (direkte Kommunikation), 46 (präventive Spontaninformationen), 47 (Verbindungsbeamte) und 73 (kontrollierte Lieferungen) teil. Diese Teilnahme an beschränkten Bereichen nennt man einen partiellen opt-in.36 Das gleiche gilt für Norwegen und Island, die keine EU-Mitgliedstaaten sind, aber zur Nordischen Union gehören und daher hinsichtlich der Durchsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengener acquis assoziiert wurden. Grund des assoziierten Status dieser beiden Drittländer liegt hauptsächlich darin, um es allen nordischen Staaten – sowohl den drei Mitgliedstaaten Dänemark, Schweden und Finnland als auch den beiden Drittstaaten Island und Norwegen – zu gestatten, dem SDÜ unter Beibehaltung der nordischen Passunion beizutreten.37 Dementsprechend nehmen Norwegen und Island auch an den Bestimmungen über polizeiliche Zusammenarbeit (Art. 39, 40, 44, 46, 47, 73 und Art. 126, 130) und Rechtshilfe, sowie an dem Schengener Informationssystem teil. Es ist bemerkenswert, dass die Teilnahme der beiden nordischen Staaten an dem Schengener Besitzstand weiter geht, als die des Vereinigten Königreichs. IV. Der Dritte Pfeiler Die so genannte Drei-Pfeiler-Struktur ist das Ergebnis des Maastrichter Vertrages, der den Inhalt der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten verändert concept had its day?, CMLR 2001, S. 865. Die Sonderstatus der beiden Länder soll auch nach der Europäischen Verfassung fortbestehen: das Vereinigte Königreich und Irland beteiligen sich nicht an dem Erlass von Maßnahmen betreffend die im Art. III-176 geregelten Bereichen (polizeiliche Zusammenarbeit). Vgl. Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich der Politik betreffend Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung sowie hinsichtlich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und der polizeilichen Zusammenarbeit, Brüssel, 28.06.2004 (vorläufige Fassung). 36 den Boer, Monica: Not Merely a Matter of Moving House: Police Cooperation from Schengen to the TEU, MJ 2000, S. 349. 37 Island und Norwegen unterzeichneten am 19.12.1996 ein Kooperationsabkommen mit dem Schengen-Verbund ohne Stimmrecht (veröffentlicht im niederländischen Tractatenblad 1997, Nr. 133). Um die Assoziierung zu verlängern wurde von der EU mit diesen Staaten am 18. Mai 1998 ein Übereinkommen abgeschlossen (Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenannten Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des SchengenBesitzstands – Schlußakte, ABl. 1999 Nr. L 176/36 vom 10.07.1999.). Näher dazu Cullen, David: Variable Geometry and Overlapping Circles: In Search of a Suitable Model for Justice and Home Affairs, in: R. Bieber/J. Monar (Hrsg.): Justice and Home Affairs in the European Union, Brussels 1994, S. 78–83.
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hat: die früher ausschließlich wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde um die justizielle und außenpolitische Zusammenarbeit ergänzt. Der Erste Pfeiler der auf diese Weise geschaffenen Union umfasst die drei ursprünglichen, supranational organisierten Gemeinschaften (EG, EAG und EGKS), während der Zweite Pfeiler die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und der Dritte Pfeiler (Titel VI) die Bestimmungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres betrifft.38 Entscheidend ist, dass sowohl der Zweite als auch der Dritte Pfeiler die Europäischen Gemeinschaften ergänzen, ohne in deren Supranationalität einbezogen zu sein. Das Adjektiv „supranational“ bezieht sich auf die Arbeitsweise der Gemeinschaftsorgane. In Bezug auf die Angelegenheiten des Ersten Pfeilers haben die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer Souveränität auf die Gemeinschaftsorgane übertragen, so dass diese für die Mitgliedstaaten und deren Bürger zwingende Normen erlassen können. Darüber hinaus verfügt die Gemeinschaft über einen eigenen Gerichtshof. Das Gemeinschaftsrecht ist Teil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und muss von den Gerichten der Mitgliedstaaten angewendet werden.39 In den Mitgliedstaaten gelten also das nationale Recht und das Gemeinschaftsrecht zugleich und im Fall eines Konfliktes geht das Gemeinschaftsrecht vor.40 Im Gegensatz dazu haben die Mitgliedstaaten in Fragen des Zweiten und Dritten Pfeilers ihre Souveränität nicht auf die Gemeinschaftsorgane übertragen, die deswegen auf diesen Feldern keine unmittelbar anwendbare Regelung treffen können.41 Zwischen dem Dritten und dem Ersten Pfeiler besteht aber insofern eine enge Verknüpfung, als die Organe des Dritten Pfeilers von dem Ersten Pfeiler geliehen sind. Da das Entscheidungsverfahren in dem Dritten Pfeiler durch das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat charakterisiert ist, wird der Dritte Pfeiler als Form der intergouvernementalen Zusammenarbeit angesehen. Das zentrale Organ des Dritten Pfeilers ist der Rat; das Europäische Parlament und die Kommission sind im Verhältnis zu ihren Funktionen im Rahmen des Ersten Pfeilers im Dritten Pfeiler in deutlich abgestufter Weise42 beteiligt. Ursprünglich hatte das Europäische Parlament gemäß Art. K.6 Anhörungs-, Beratungs- und Kontrollrechte, jedoch keine Mitent38 Zur Entstehungsgeschichte Vgl. Nanz, Klaus-Peter: Der „3. Pfeiler der Europäischen Union“: Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik, Integration 1992, S. 128. 39 Zuleeg, Manfred: Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, NJW 2000, S. 2847. 40 EuGH Urt. vom 1964, Rs. 6/64 Costa gegen E.N.E.L., Slg. 585. 41 Lasok, Karol/Lasok, Dominik: Law and Institutions of the European Union, 7. Aufl., London 2001, S. 41–44. 42 Löschnig-Gspandl, Marianne: Gibt es ein Europäisches Strafrecht?, in: Strafrechtlicher Probleme der Gegenwart, Referate des 25. von der Vereinigung österrei-
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scheidungsbefugnisse; die Kommission besaß nur ein Vorschlagsrecht. Der EuGH war vor allem Gerichtshof des Ersten Pfeilers, der zur Auslegung der im Dritten Pfeiler geschaffenen Übereinkommen und zur Entscheidung der diesbezüglichen Streitigkeiten nur dann befugt war, wenn das fragliche Übereinkommen eine entsprechende Sonderregelung enthielt. Die Aufnahme der Bestimmungen des Dritten Pfeilers in den Unionsvertrag markiert eine Entwicklung weg von den zuvor auf dem Gebiet der Zusammenarbeit in Strafsachen etablierten Strukturen, Initiativen und Rahmen.43 Sie hat nicht nur symbolische Bedeutung, sondern zeigt den gewachsenen politischen Konsens, neben Fragen der wirtschaftlichen Integration auch solche der justiziellen Integration auf supranationaler Ebene zu behandeln.44 Der Dritte Pfeiler bestimmt die Angelegenheiten, die zur Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres gehören, das sind die so genannten gemeinsamen Interessen. Solche gemeinsame Interessen waren ursprünglich die zivil- und strafrechtliche Zusammenarbeit sowie die zollund polizeiliche Zusammenarbeit. Der Maastrichter Vertrag wurde 1997 geändert, was sowohl den Inhalt als auch die Struktur des Vertrages betraf. Die neue einheitliche Fassung benannte man nach dem Ort der Gipfelkonferenz, auf der sie angenommen wurde: Amsterdam. Der Amsterdamer Vertrag hat den Inhalt des Dritten Pfeilers erheblich verändert. Die vertraglich definierten Aspekte der Asyl- und Einwanderungspolitik sowie die Grenzkontrolle und die zivilrechtliche Zusammenarbeit im Rahmen des neuen Titels IV EGV über einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wurden in den supranationalen Ersten Pfeiler überführt und haben damit einen Teil des Schengener Besitzstandes vergemeinschaftet. Demzufolge blieb nur noch die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen [PJZ] im Rahmen des intergouvernementalen Dritten Pfeilers, der dementsprechend umbenannt wurde. Das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen schließt die Erleichterung und Beschleunigung der Zusamchischer Richter veranstalteten Fortbildungsseminars aus Strafrecht und Kriminologie, Ottenstein 1997, S. 17. 43 Dorn, Nicolas/White, Simone: Beyond „Pillars“ and „Passerelle“ Debate: The European Union’s Emerging Crime Prevention Space, LIEI 1997, S. 87. 44 Nanz, Klaus-Peter: Der „3. Pfeiler der Europäischen Union“: Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik, Integration 1992, S. 139. Im gleichen Sinne sieht Labayle, dass der Grad erfolgter Integration „implique un intervention pénale au niveau européen et justifie l’inclusion de la matière pénale au cœur du processus de rapprochement des systèmes juridiques en présence.“ Labayle, Henri: L’application du titre VI du Traité sur l’Union européenne et la matière pénale, Rev.sc.crim. 1995, S. 48.
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menarbeit zwischen den zuständigen Ministerien und den Justizbehörden bei Gerichtsverfahren und der Vollstreckung von Entscheidungen, die Erleichterung der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten, die schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und Drogenhandel ein. Um die Verwirklichung der obigen Ziele zu ermöglichen, verfügt der Rat gemäß Art. 34 im Rahmen der PJZ über bestimmten Handlungsformen.45 Die wichtigste Handlungsform blieb zunächst das internationale Übereinkommen. Letzteres kann nur einstimmig angenommen werden. Der Maastrichter Vertrag hat für das In-Kraft-Treten der Übereinkommen verlangt, dass diese von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet und in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden. Diese ungewöhnliche strenge Voraussetzung – internationale Übereinkommen bestimmen in der Regel selber, wie viele Ratifikation für das In-Kraft-Treten erforderlich sind – hat zur Folge, dass bis heute nur zwei von den Übereinkommen des Dritten Pfeilers in Kraft getreten sind.46 Der Amsterdamer Vertrag löst dieses Problem dadurch, dass es in Zukunft ausreicht, wenn die Hälfte der Mitgliedstaaten das Übereinkommen ratifiziert. Es tritt dann für die unterzeichnenden Mitgliedstaaten in Kraft.47 Eine weitere Erleichterung bringt die Bestimmung, wonach die Mitgliedstaaten die noch nicht ratifizierten Übereinkommen durch einseitige Erklärung vorzeitig anwenden können. Zur Zeit funktioniert fast jedes Übereinkommen des Dritten Pfeilers im Wege der vorzeitigen Anwendung. Neben den internationalen Übereinkünften konnte der Rat aufgrund des Maastrichter Vertrages gemeinsame Maßnahmen annehmen, soweit sich die Ziele der Union aufgrund des Umfangs oder der Wirkungen einer geplanten Maßnahme durch gemeinsames Vorgehen besser verwirklichen lassen als durch Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten. Die Rechtswirkungen gemeinsamer Maßnahmen wurden im Maastrichter Vertrag nicht festgelegt, so dass mit Blick auf ihre Bindungswirkung in der Praxis Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedstaaten entstanden sind.48 Während Deutsch45 Die Aufzählung der Handlungsformen in Art. 34 ist jedoch nicht erschöpfend, der Rat kann darüber hinaus weitere Handlungsformen wählen. Dementsprechend findet man unter den Dokumenten des Dritten Pfeilers auch Entschließungen, Vorschläge, Aktionspläne, usw. 46 Das Europol-Übereinkommen (ABl. 1995 Nr. C 316/2 vom 27.11.1995.) ist am 1.10.1998, das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1995 Nr. C 316/49 vom 27.11.1995) am 17.10.2002 in Kraft getreten. 47 Diesen Prozess nennt man rolling ratification. Näher dazu den Boer, Monica: Justice and Home Affairs Cooperation in the Treaty on European Union: More Complexity Despite Communautarization, MJ 1997, S. 315.
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land, Frankreich und die Benelux-Staaten gemeinsame Maßnahmen als rechtlich verbindlich ansahen, bestritten das Vereinigte Königreich und Irland deren Verbindlichkeit. Um unterschiedlichen Ansichten vorzubeugen, hat der Amsterdamer Vertrag diese Handlungsform abgeschafft und stattdessen ein neues Rechtsetzungsinstrument, den Rahmenbeschluss, eingeführt.49 Der Rahmenbeschluss bindet die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels. Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung ihrer innerstaatlichen Rechtssysteme frei entscheiden, in welcher Form und mit welchen Mitteln sie das im Rahmenbeschluss vorgesehene Ziel umsetzen. Damit entspricht der Rahmenbeschluss der aus dem Ersten Pfeiler bekannten Richtlinie. Der Unterschied zwischen den beiden Maßnahmen besteht darin, dass die Annahme von Richtlinien keine Einstimmigkeit erfordert und dass die Richtlinie die für ihre Umsetzung bestehende Frist selber festlegt. Falls ein Mitgliedstaat die Richtlinie nicht innerhalb der vorgesehenen Frist in sein innerstaatliches Recht einbaut, haftet er für den daraus entstehenden Schaden.50 Ein solch strenges Haftungssystem gibt es bei Rahmenbeschlüssen nicht. Schließlich besteht die Möglichkeit, im Rahmen des Dritten Pfeilers gemeinsame Standpunkte und Beschlüsse zu erlassen. Bei gemeinsamen Standpunkten liegt keine strikte Rechtsbindung vor, sie dokumentieren nur einen gemeinsamen politischen Willen der Mitgliedstaaten, in der Sinne politisch gehandelt werden soll.51 Demgegenüber sind Beschlüsse für die Mitgliedstaaten bindend, allerdings in einem intergouvernemental-völkerrechtlichen Sinne.52 Infolge der Kritik an der undemokratischen Weise der Ausarbeitung einiger EU-Instrumente und dem Mangel an richterlicher Kontrolle wurden die Position des EuGH und die Rolle des Europäischen Parlaments im Dritten Pfeiler gestärkt. So soll zum Beispiel das Europäische Parlament konsultiert werden, wenn ein Instrument die Rechte Einzelner in den Mitgliedstaaten 48
O’Keeffe, David: Recasting the Third Pillar, CMLR 1995, S. 914. Eingehend dazu in § 11. 50 EuGH Urt. vom 19.11.1991, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 Andrea Francovich u. a. gegen Italienische Republik, Slg. 1991, I-5357. Vgl. dazu Curtin, Deirdre: State Liability under Private Law: A New Remedy for Private Parties, Industrial Law Journal 1992, S. 74–78. 51 Diese Handlungsform wurde vom Zweiten Pfeiler geliehen und bis jetzt nur insgesamt drei Mal benutzt. den Boer, Monica: An Area of Freedom, Security and Justice: Bogged Down by Compromise, in: D. O’Keeffe/P. Twomey (Hrsg.): Legal Issues of the Amsterdam Treaty, Oxford Portland Oregon 1999, S. 305. 52 Zu Recht stellt Oppermann fest, dass es sich „nur der Form, nicht dem Inhalt nach“ um eine wirkliche Gemeinschaftsaktion handelt. Oppermann, Thomas: Europarecht, 2. Aufl., München 1999, S. 219, Rn. 583. 49
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zu beeinträchtigen droht.53 Dies bedeutet, dass einige Vorschriften doppelter parlamentarischer Kontrolle unterworfen sind (der nationalen und der europäischen). Darüber hinaus wurde die Position des EuGH in bereits bestehenden Übereinkünften durch zusätzliche Protokolle verbessert.54 Zudem hat der Amsterdamer Vertrag die Jurisdiktion des EuGH auf die Rahmenbeschlüsse ausgedehnt.55 Die neue PJZ ist gekennzeichnet durch ein gewisses Maß an Vergemeinschaftung im Rahmen einer grundsätzlich intergouvernementalen Zusammenarbeit. Oppermann bezeichnet daher die neue PJZ nicht ohne Grund als eine „[h]albherzige Konstruktion. Die Mitgliedstaaten möchten vorläufig die polizeilich/justizielle Zusammenarbeit in ihren Händen behalten, sie gleichzeitig jedoch bis zu gewissen Vergemeinschaftungen vorantreiben.“56
Als Ergebnis bestätigt sich die schon im Europarat gewonnene Erfahrung über Schwierigkeiten bei der Ratifikation, sowie bei der Anwendung erschwerender Vorbehalte auch im Dritten Pfeiler. Mangels In-Kraft-Treten werden die meisten Konventionen des Dritten Pfeilers derzeit nur zwischen denjenigen Mitgliedstaaten vorzeitig angewendet,57 die eine derartige Erklärung abgegeben haben. Mit Blick auf das Fortbestehen der Schwierigkeiten intergouvernementaler Zusammenarbeit im Rahmen des neuen Dritten Pfeilers stellen einige Autoren die praktische Relevanz des Dritten Pfeilers kühn in Frage. Sie beziehen sich darauf, dass die entsprechenden Entscheidungsstrukturen und Mechanismen schon im Europarat vorhanden sind.58 53
ex-Art. K 11 EUV. Bezüglich Europol: Rechtsakt des Rates vom 23. Juli 1996 über die Ausarbeitung des Protokolls aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. 1996 Nr. C 299/1 vom 9.10.1996. Bezüglich des Übereinkommens zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften: Rechtsakt des Rates vom 29. November 1996 über die Ausarbeitung des Protokolls aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. 1997 Nr. C 151/2 vom 20.5.1997. 55 Eingehend dazu in §11, II. 1. 56 Oppermann, Thomas: Europarecht, 2. Aufl., München 1999, S. 662., Rn. 1579. Im gleichen Sinne den Boer, Monica: An Area of Freedom, Security and Justice: Bogged Down by Compromise, in: D. O’Keeffe/P. Twomey (Hrsg.): Legal Issues of the Amsterdam Treaty, Oxford Portland Oregon 1999, S. 312. 57 Schomburg, Wolfgang: Strafsachen in der Europäischen Union, NJW 1999, S. 540. 54
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Die Antwort auf die Frage der Relevanz ist mehrschichtig. Zunächst liegt die unterschiedliche geographische Einflusssphäre von Europarat und Europäischer Union auf der Hand. Darauf wurde bereits hingewiesen. Das Schlüsselkonzept des Dritten Pfeilers ist die Verbesserung der bereits erprobten Mechanismen der Rechtshilfe durch den Abbau verschiedener Hindernisse und Voraussetzungen und durch die Erleichterung des Rechtshilfeverfahrens.59 Diese Möglichkeit bot sich bislang nur einem engeren Staatenkreis, etwa der Europäischen Union. Darüber hinaus bietet der Dritte Pfeiler den Regierungen der Mitgliedstaaten vielfältigere Handlungsmöglichkeiten als der traditionelle Weg des multilateralen Übereinkommens. Dies erlaubt dem Rat, die Handlungsformen des Dritten Pfeilers an ihre Bedürfnisse anzupassen. Als zum Beispiel 1996 klar wurde, dass der Ratifikationsprozess des Europol-Abkommens sich vielleicht auf unbestimmte Zeit verzögern könnte, wurde die EDU (Europäische Drogenstelle) durch eine gemeinsame Maßnahme ins Leben gerufen.60 Die Vorwegnahme von Übereinkommen durch andere Handlungsformen ist mittlerweile ständige Praxis geworden. Inhaltsteile von noch nicht ratifizierten Übereinkommen werden zunehmend durch Rahmenbeschlüsse verwirklicht. Ein jüngeres Beispiel bietet dafür das Rechtshilfeübereinkommen der EU, dessen wesentliche Teile durch neuere Rahmenbeschlüsse umgesetzt wurden, so dass man heute noch fragt, ob das Rechtshilfeübereinkommen jemals zur Anwendung kommen wird.61 Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen dem Dritten Pfeiler und dem Europarat liegt in der Art der angestrebten Integration. Während der Europarat eine internationale Organisation ist, welche die nationale Souveränität seiner Mitglieder streng achtet und die Harmonisierung der Strafrechte durch internationale Übereinkommen zu fördern beabsichtigt, zeigt der Dritte Pfeiler die Richtung zukünftiger Entwicklungen auf, an deren Ende die Einführung einer gemeinsamen Justizpolitik stehen soll.62 Diese 58 Harding, Christopher/Swart, Bert: Intergovernmental co-operation in the field of criminal law, in: P. Fennell/C. Harding/N. Jörg/B. Swart (Hrsg.): Criminal Justice in Europe, A Comparative Study, Oxford 1995, S. 101. 59 van den Wyngaert, Christine: The protection of the Financial Interests in the candidate countries, Final Report of 11 September 2001, Manuscript, S. 104. 60 Näher dazu Bruggeman, Willi: Europol and the Europol Drug Unit: Their Problems and Potential for Development, in: R. Bieber/J. Monar (Hrsg.): Justice and Home Affairs in the European Union, Brussels 1994, S. 217–230. 61 Näher dazu in § 6, I. 62 Die derzeitige Form des Dritten Pfeilers könnte indes als eine Übergangsform zur gemeinsamen Justizpolitik gewertet werden. So auch De Zwaan, Jaap: The Future of the Third Pillar and the Fight against EU Fraud: Evaluation of the ICG and the Treaty of Amsterdam, in: J. Vervaele (Hrsg.): Transnational Enforcement of the Financial Interests of the European Union, Antwerpen/Groningen/Oxford 1999, S. 24.
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zukünftige Justizpolitik zielt auf die Ausgestaltung eines einheitlichen Rechtsraumes ab.63 Um diesem Ziel näher zu kommen, hat der Europäische Rat am 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere eine Sondersitzung zu Fragen der Justiz- und Innenpolitik abgehalten.64 Es war der erste EU-Sondergipfel zum Thema Innen- und Justizpolitik in der Geschichte der europäischen Integration.65 Die Agenda von Tampere konzentrierte sich auf drei Kernbereiche des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Asyl und Einwanderung, die Schaffung eines Europäischen Rechtsraumes und die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Insbesondere die damalige französische Justizministerin hatte sich im Vorfeld von Tampere nachdrücklich für die Schaffung eines europäischen Rechtsraumes und für eine zunehmende Angleichung und auf lange Sicht sogar eine Harmonisierung der nationalen Rechts- und Verfahrensvorschriften eingesetzt66. Der französische Standpunkt ließ sich aber wegen des Widerstands einiger Mitgliedstaaten nicht durchsetzen. Stattdessen beinhaltet die Tampere-Schlussfolgerung die Initiative der britischen Regierung, wonach das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nun zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen werden soll.67 Demnach sollen rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidungen eines Mitgliedstaats in den anderen Mitgliedstaaten automatisch gültig und durchsetzbar sein. Zwar scheint die gegenseitige Anerkennung richterlicher Verfahren und Entscheidungen auf 63 Einige vertreten die Meinung, dass es den Mitgliedstaaten in wichtigen Punkten an gegenseitigem Vertrauen fehle, das für eine gemeinsame Justizpolitik unentbehrlich sei. Daher trete die Europäische Union mit der Proklamation eines gemeinsamen Rechtsraumes die Flucht nach vorn an. Vgl. Klip, H. André: Neuere Entwicklungen im europäischen Strafrecht und in der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.): 22. Strafverteidigertag, Köln 1999, S. 43. 64 Nuotio, Kimmo: The Emerging European Dimension of Criminal Law, in: Flores juris et legum, Festskrift till Nils Jareborg, Uppsala 2002, S. 547–552. 65 Monar sieht dies als Beweis dafür an, dass sich die Entwicklungen im Bereich der Innen- und Justizpolitik nicht nur hinsichtlich des Umfangs, sondern auch der Intensität durchaus mit den Anfängen des Binnenmarktprogramms Mitte der 80er Jahre vergleichen lassen. Monar, Jörg: Die Entwicklung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Perspektiven nach dem Vertrag von Amsterdam und dem Europäischen Rat von Tampere, integration 2000, S. 19. 66 Siehe die sog. Avignon Erklärung, angenommen im Rahmen der Konferenz von Avignon zum Thema Europäischer Rechtsraum vom 16. Oktober 1998. Die Konferenz wurde von dem französischen Justizministerium in Zusammenarbeit mit dem British Home Secretary und dem Europäischen Parlament organisiert. 67 Zur Auswirkungen auf die zivilrechtliche Kooperation vgl. Rissanen, Kirsti: An Area of Justice and the European Union, Europarättslig Tidskrift 1999, S. 87– 101.
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den ersten Blick sehr reizvoll, doch ist auch diese Lösung nicht ohne Schwierigkeiten, worauf diese Arbeit in § 7 II noch eingehen wird. In Tampere wurden auch Fortschritte im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung erzielt: Unter dem Namen Eurojust wurde eine neue Stelle eingerichtet, die eine sachgerechte Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität erleichtert.68 Darüber hinaus wurde auch die Errichtung einer Europäischen Polizeiakademie zur Schulung hochrangiger Angehöriger der nationalen Strafverfolgungsbehörden beschlossen.69 Um die strafrechtliche Rechtshilfe zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu vereinfachen, wurde die Einführung des Eilauslieferungsverfahrens (fast track extradition) beschlossen.70 Die Schaffung einer gemeinsamen Justizpolitik liegt auch der Europäischen Verfassung zu grunde. Danach soll die Pfeilerstruktur der Union durch ein einheitliches Gesetzgebungsverfahren ersetzt werden.71 V. Sonstige Organisationen Über den bisher genannten institutionellen Rahmen hinaus gibt es noch weitere Quellen der strafrechtlichen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten. Diese sonstigen Quellen gehören aber nur selten zum acquis. Zunächst sind einige EU-Mitgliedstaaten sämtlichen globalen Konventionen beigetreten, darunter denjenigen der Vereinten Nationen oder der OECD. Von den UNO-Übereinkommen ist das Übereinkommen über die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels72 sowie dasjenige über die Transnationale Organisierte Kriminalität73 zu nennen, während von den OECDÜbereinkommen das Bestechungs-Übereinkommen74 hervorzuheben ist. Einige Mitgliedstaaten bekennen sich auf dem Gebiet der Zusammenarbeit traditionell zu einem engeren subregionalen System. Hierzu gehören 68
Näher dazu in § 8 III 3. Inzwischen wurde die Europäische Polizeiakademie aufgestellt. Vgl. Beschluss des Rates vom 22. Dezember 2000 über die Errichtung der Europäischen Polizeiakademie, ABl. 2000 Nr. L 336/1 vom 30.12.2000. 70 Eingehend dazu in § 5 I. 71 Dazu bereits in § 1 III. 72 UN Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances, Vienna 20 December 1988, abgedruckt in BGBl. II 1993 1136. 73 United Nations Convention against Transnational Organised Crime, 12 December 2000, Palermo. 74 Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997, abgedruckt in BT-Drucks. 13/10428. 69
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die Benelux-Kooperation75 und der Nordische Rat. Darüber hinaus gelten bilaterale Rechtshilfevereinbarungen weiterhin als bedeutend auf diesem Gebiet. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass der Amsterdamer Vertrag eine engere Kooperation im Bereich der strafrechtlichen und polizeilichen Zusammenarbeit ausdrücklich zulässt,76 dank derer mittlerweile eine große Anzahl bilateraler Polizei- und Rechtshilfeverträge zwischen den Mitgliedstaaten existiert.77 Mit ihnen rutscht das europäische Rechtshilferecht gewissermaßen auf die völkerrechtliche Ebene zurück. Schließlich bestimmen jedoch die nationalen Gesetze des jeweiligen Mitgliedstaates, nach welchem Verfahren und in welchem Umfang Zusammenarbeit geleistet wird.
75 Vervaele und Kilp berichten, dass, obwohl die Benelux-Kooperation für die Arbeiten des Europarates im Bereich der Auslieferung und sonstigen Rechtshilfe wegbreitend war, seit den 70er Jahren keine Initiative mehr im Rahmen der Benelux ergriffen wird. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die Benelux Staaten die zu der Zeit ausgearbeiteten Transferübereinkommen und Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen des Europarates ratifiziert haben, wodurch die Benelux-Übereinkommen an Relevanz verloren. Vervaele, John/Klip, André (Hrsg.): European Cooperation between Tax, Customs and Judicial Authorities, The Hague/ London/New York 2002, S. 29. 76 Art. 40 EUV. Eingehend dazu Weatherill, Stephen: „If I’d Wanted You to Understand I Would Have Explained it Better“: What is the Purpose of the Provisions on Closer Co-operation Introduced by the Treaty of Amsterdam?, in: D. O’Keeffe/ P. Twomey (Hrsg.): Legal Issues of the Amsterdam Treaty, Oxford Portland Oregon 1999, S. 21–40. 77 Zu bilateralen Polizeiverträgen vgl. Hecker, Jan: Europäisches Verwaltungskooperationsrecht am Beispiel der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit, EuR 2001, S. 830., Fn. 23.
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§ 3 Strafgewalt Für die strafrechtliche Zusammenarbeit in Europa ist seit der Nachkriegszeit entscheidend, dass die Staaten ihre Strafgewalt einseitig immer weiter auf extraterritoriale Sachverhalte ausdehnen. Die Vermeidung von Strafgewaltkonflikten in der Europäischen Union, die aus überlappenden Strafgewalten der Mitgliedstaaten entstehen, ist zentrales strafpolitisches Anliegen geworden. Im Abschnitt I der folgenden Ausführungen werden die internationalen Aspekte strafrechtlicher Zusammenarbeit behandelt, darunter insbesondere die Anknüpfungspunkte staatlicher Strafgewalt. Im Abschnitt II geht es um die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Strafverfolgung, während sich Abschnitt III auf die Lösung positiver Strafgewaltkonflikte konzentriert. Zugleich dient dieses Kapitel als Einführung für die nachfolgenden Themenkomplexe. Die Zusammenarbeit der Staaten in Strafsachen beruht auf der Idee souveräner Strafgewalten. Nach den im nationalstaatlichen Denken verankerten strafrechtlichen Ansätzen des letzten Jahrhunderts waren die Regeln der Strafrechtssetzung und dessen Anwendung ausschließlich innerstaatlicher Natur. Das Völkerrecht hätte der strafrechtlichen Souveränität eines Staates keine Schranken vorgeben können. Der Staat sei in keiner Weise begrenzt, seine Strafgewalt auf jede Tat zu erstrecken, die, gleichviel ob von einem In- oder Ausländer, auf seinem Gebiet oder außerhalb dessen begangen wurde. Daraus entstanden einander überlappende abstrakte nationale Strafgewalten, die bei der Strafverfolgung unvermeidlich zu Konflikten führen. Seit Abschaffung der Binnengrenzen innerhalb der Europäischen Union bereitet das Phänomen simultaner Strafgewalten zahlreiche Probleme. Die parallele Durchführung mehrerer Strafverfahren ist einerseits kostspielig, was unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten kaum zu vertreten sei.78 Anderseits wurde im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Verbrechensbekämpfung die Missachtung rechtstaatlicher Grundsätze in transnationalen Strafverfahren wiederholt kritisiert. Insbesondere wurde die unzureichende Berücksichtigung der Interessen von Opfer und Täter beklagt. Es genügt, an Stichworte wie Doppelbestrafungsverbot, Beschleunigungsgebot oder resozialisierungsfähiger Strafvollzug zu erinnern. Die Vermeidung von Strafgewaltkonflikten innerhalb der Europäischen Union ist zu einem zentralen strafpolitischen Anliegen geworden, das die nationale Strafrechtspflege grundlegend beeinflussen wird. Da die Europäische Union keine eigene Strafgewalt besitzt, versucht sie, Strafgewaltkon78 Grundlegend dazu Schermers, Henry G.: Non bis in idem, in: F. Capotorti (Hrsg.): Du droit international au droit de l’intégration, Baden-Baden 1987, S. 604.
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flikte einerseits durch die Regelung mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten zur Strafverfolgung, anderseits durch die Errichtung europäischer Strafverfolgungsinstanzen und durch die gegenseitige Anerkennung ausländischer Strafurteile zu lösen. Dies wiederum ändert die strafrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten fundamental. Im Folgenden sollen positive und negative Strafgewaltkonflikte und deren Lösungen unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, wie sie sich auf die strafrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und auf das rechtspolitische Ziel eines europäischen Rechtsraumes auswirken. I. Jurisdiction to prescribe Fragen nach der Strafgewalt ergeben sich aus der Tatsache, dass jeder Staat unabhängig von den anderen Staaten über eigene Strafgewalt verfügt, und dass die Landesgrenzen legal oder illegal immer leichter zu überqueren sind. Zunehmend tritt der Fall ein, dass mehrere Staaten hinsichtlich derselben Tat Strafgewalt für sich beanspruchen und den Täter strafrechtlich verfolgen wollen. In rein innerstaatlichen Fällen ohne jede Auslandsbezug stellt sich die Frage nach der Strafgewalt nicht. Hier wird das Verfahren wegen einer im Staatsgebiet durch eigene Staatsangehörige begangene Straftat eingeleitet, wobei der Beschuldigte sich im Lande aufhält. Hier ist nur ein einziger Staat betroffen, er kann seine Strafgewalt über den Fall entfalten. Die Lage ändert sich, sobald der Fall einen transnationalen Bezug aufweist. Solches ist z. B. der Fall, wenn der Tatort im Ausland liegt, der Täter sich im Ausland aufhält oder im Ausland verhaftet worden ist. Es kommt bei Fällen mit transnationalem Bezug oft dazu, dass mehrere Staaten jeweils ein Strafverfahren hinsichtlich desselben Falles durchführen wollen. Um das Problem von Strafgewaltkonflikten verstehen zu können, muss man grundsätzlich zwischen jurisdiction to prescribe und jurisdiction to enforce unterscheiden.79 Jurisdiction to prescribe steht für die Befugnis des 79 Diese Differenzierung wurde im anglo-amerikanischen Gedankenkreis entworfen: „There are three recognised forms of jurisdiction matching the three branches of government, legislative, judicial and executive. Legislative jurisdiction goes to the ability to prescribe the reach of national laws, judicial jurisdiction refers to the ability of courts to apply the fruits of legislative jurisdiction in individual cases and, finally, executive jurisdiction is the power to enforce decisions of the courts or legislature. [. . .] The American Law Institute’s Restatement describes the three types of jurisdiction as jurisdiction to prescribe, jurisdiction to adjudicate and jurisdiction to enforce.“ Gilbert, Geoff: Crimes sans frontières: jurisdictional problems in English Law, in: J. Dugard/C. van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, Dathmouth 1996, S. 102. Tiedemann schlägt vor, jursidiction to pre-
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Staates, eine Verhaltensweise als verboten anzusehen und Verstöße dagegen mit seinem nationalen Strafrecht zu ahnden. Demgegenüber regelt jurisdiction to enforce, unter welchen Umständen der Staat die Strafverfolgung tatsächlich einleiten darf. In den kontinentalen Strafgesetzbüchern findet man die Jurisdiktionsnormen unter den Vorschriften über den (räumlichen und personellen) Geltungsbereich des Strafgesetzes, sowie in den Regelungen der strafrechtlichen Rechtshilfe. Die Strafgewalt ist als völkerrechtlicher Begriff zu verstehen. Im Völkerrecht hat der StIGH in seiner Entscheidung im Lotus-Fall festgestellt, dass sich die Regelungsbefugnis der Staaten nicht auf die Grenzen ihrer Gebietshoheit beschränkt, sondern ihnen bei der Auslandserstreckung ihres Strafrechts als Ausfluss ihrer Souveränität ein weites Ermessen zukommt.80 Dies bedeutet die universelle Kompetenz der einzelnen Staaten zur Strafgewalterstreckung, ohne dass es noch einer besonderen völkerrechtlichen Ermächtigung bedürfte. Allerdings steht diese unter dem völkerrechtlichen Verbotsvorbehalt der Nichteinmischung in Angelegenheiten, für deren Regelung ein anderer Staat ausschließlich zuständig ist.81 Aus diesem Grund ist zwar anerkannt, dass für die Ausdehnung der Strafgewalt auf extraterritoriale Sachverhalte ein sinnvoller Anknüpfungspunkt erforderlich ist, es werden jedoch eine Reihe von Anknüpfungspunkten als völkerrechtlich zulässig angesehen. Beruht die Strafgewalterstreckung auf anerkannten Anknüpfungspunkten, wie dem Territorialitätsgrundsatz, dem Personalitätsgrundsatz, dem Schutzgrundsatz oder dem Weltrechtsprinzip, spricht man von originärer Strafgewalt. Davon unterscheidet das Völkerrecht die derivative Strafgewalt, wenn die Strafgewalt von einem Staat mit originärer Strafgewalt auf einen anderen Staat übertragen wird, der über keine originäre Strafscribe mit „Regelungshoheit“ und jurisdiction to enforce mit „Vollzugshoheit“ zu übersetzen. Vgl. Tiedemann, Klaus: Strafrechtliche Grundprobleme im Kartellrecht, NJW 1979, S. 1850. 80 Der Lotus-Fall gründete auf folgenden Sachverhalt. Ein türkisches und ein französisches Schiff stießen auf Hoher See zusammen, worauf das türkische Schiff sank. Die Besatzung des französischen Schiffs nahm die türkischen Schiffbrüchigen an Bord und setzte sie in einen türkischen Hafen ab. Dort verhafteten die türkischen Behörden die Offiziere des französischen Schiffs. Wegen des Zusammenstoßes wurden die Franzosen vor ein türkisches Gericht gestellt und verurteilt. Frankreich protestierte gegen das Urteil und wandte sich an den Internationalen Gerichtshof. Der Gerichtshof stellte fest, dass das Völkerrecht die nationale Strafgewalt nicht beschränkt, so dass der Staat seine Strafgewalt dann geltend machen kann, wenn er dazu tatsächlich in der Lage ist. Das Völkerrecht kenne keine Schranken gegenüber einer Ausübung der Strafgewalt nach anderen Grundsätzen als der Territorialitätsgrundsatz. Vgl. Permanent Court of International Justice, Collection of Judgements, Judgement Nr. 9. 81 Zur Doktrin der Nichteinmischung im Völkerrecht vgl. Ipsen, Knut: Völkerrecht, 4. Aufl., München 1999, § 29 Rdnr. 5.
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gewalt verfügt.82 Die derivative Strafgewalt baut entweder auf dem Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege oder auf dem Prinzip aut dedere aut judicare auf. Innerhalb der originären Anknüpfungspunkte differenziert man noch einmal zwischen territorialer und extraterritorialer Strafgewalt. Alle Anknüpfungspunkte außer dem Territorialitätsgrundsatz begründen extraterritoriale Strafgewalt, d.h. durch diese Prinzipien erstreckt der Staat seine Strafgewalt auf Sachverhalte, die außerhalb seines Staatsgebietes begangen wurden. 1. Territorialitätsgrundsatz Der Territorialitätsgrundsatz ist überall anerkannt. Er baut darauf auf, dass der Staat seine Souveränität über ein bestimmtes Gebiet ausübt und daher seine Strafgewalt auf die dort begangenen Taten erstreckt. Wegen seiner territorialen Souveränität übt jeder Staat gegenüber seinen Staatsangehörigen und deren Vermögen aufgrund des Völkergewohnheitsrechts unbeschränkte Strafgewalt aus. Gegenüber Ausländern, die sich vorübergehend oder dauerhaft auf seinem Gebiet aufhalten, übt der Staat jeweils seine territoriale Strafgewalt aus,83 diese war jedoch durch die international festgelegten Mindeststandards beschränkt, die den Interessen des Ausländers dienen. Heute erfüllen diese Funktion die anerkannten Menschenrechte, die gegenüber eigene Staatsangehörigen und Ausländer in gleicher Weise gelten. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt, dass strafrechtliche Folgen nur dann zur Anwendung kommen dürfen, wenn vom Täter rechtmäßiges Handeln erwartet werden konnte. Zwar braucht der Täter die Strafnorm des Urteilsstaates nicht zu kennen, doch muss er wissen, dass sein Verhalten nach dem Strafrecht dieses Staates beurteilt wird. Täter und Strafnorm werden durch den Territorialitätsgrundsatz am engsten zusammengebracht. Die in der Regel bestehende enge Verbundenheit des Täters mit den sozialen und rechtlichen Verhältnissen am Tatort bietet in materiell-rechtlicher Hinsicht und die unbeschränkbare Möglichkeit der Beweisaufnahmen am Tatort aus prozes82
Pappas, Claudia: Stellvertretende Strafrechtspflege, Freiburg im Breisgau 1996, S. 99. 83 Wyngaert weist darauf hin, dass, wenn eine Straftat von oder gegenüber einem Ausländer begangen wird, der Tatortstaat seine Strafgewalt durch die Beachtung der lex domicilii (das Recht des Aufenthaltstaates der Täter, bzw. der Opfer) oder der lex personae (das Recht des Staates, dessen Staatsangehörige der Täter, bzw. der Opfer ist) begrenzen könne. Es gibt jedoch keinen Staat, der eine solche Begrenzung seiner Strafgewalt vornimmt. Beispiele für unbegrenzte territoriale Strafgewalt gegenüber Ausländer bei van den Wyngaert, Christine: Double criminality as a requirement to jurisdiction, in: Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab, 1989, S. 44.
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sualer Sicht eine relativ sichere Basis für eine gerechte rechtliche Bewertung eines Verhaltens.84 Auch wenn einige Stimmen meinen, der Staatsangehörige befinde sich in einem engeren Verhältnis zu einer Strafnorm als der sich nur zufällig im Land aufhaltende Ausländer, wirkt der Territorialitätsgrundsatz im Ergebnis gegenüber beiden in gleicher Weise. In Bereichen, die außerhalb des Staatsgebietes liegen, wie etwa der Hohen See, dem darüber liegenden Luftraum oder den sich dort befindenden Schiffen und Luftfahrzeuge, gilt die quasi-territoriale Strafgewalt. Quasi-territoriale Strafgewalt bedeutet, dass der Staat, unter dessen Flagge das Schiff oder das Luftfahrzeug verkehrt, sein Strafrecht nicht nur auf seine eigenen Staatsangehörigen, sondern auch auf die sich an Bord befindenden Ausländer anwendet. Die quasi-territoriale Strafgewalt entspringt aus dem Bedürfnis der Staaten, für diese nicht ortsgebundenen Verkehrsmittel leicht fassliche Kriterien zu finden, die es einem Staat unabhängig von der häufig anzutreffen Staatsangehörigkeitenvielfalt der Passagiere und Besatzungsmitglieder erlauben, für Recht und Ordnung auf diesen Verkehrsmitteln zu sorgen. Der Territorialitätsgrundsatz gilt in den kontinentalen Rechtssystemen und im common law mit unterschiedlicher Akzentuierung. Im common law baut die Strafgewalt auf dem Territorialitätsgrundsatz auf, während der Personalitätsgrundsatz die Ausnahme bildet.85 Kontinentale Rechtssysteme basierten traditionell auf dem Personalitätsgrundsatz, wobei der Territorialitätsgrundsatz in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat. Das Zeitalter der Aufklärung, insbesondere die Idee eines Gesellschaftsvertrages nach Rousseau und der Begriff der Souveränität, für den das Staatsgebiet von entscheidender Bedeutung ist, hat dem kontinentaleuropäischen Strafrecht den Territorialitätsgrundsatz näher gebracht.86 2. Personalitätsgrundsatz In der völkerrechtlichen Entwicklung ist der Gedanke einer personalen Strafgewalt älter als der einer territorialen Strafgewalt. Ursprünglich blieb nämlich der Bürger unter der Kontrolle des Souveräns, unabhängig davon, wo er sich tatsächlich aufhielt. Im engen Zusammenhang damit wurden 84 Scholten, Hans-Josef: Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, Ein Beitrag zur identischen Norm im transnationalen Strafrecht, Freiburg im Breisgau 1995, S. 37. 85 Harris, Lorna/Murray, Christopher: Mutual Assistance in Criminal Matters, International Cooperation in the Investigation and Prosecution of Crime, London 2000, S. 5 ff. 86 Vgl. dazu van den Wyngaert, Christine: Double criminality as a requirement to jurisdiction, in: Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab, 1989, S. 45.
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Fremde entweder als rechtlose Personen betrachtet, oder aber der Staat wandte sein innerstaatliches Recht auf sie an. Während des Feudalismus baute die Strafgewalt auf die personellen Beziehungen auf, was Gehorsam und Schutz bedeutete. Daraus entstanden die aktiven und passiven Personalitätsgrundsätze. Der aktive Personalitätsgrundsatz setzt voraus, dass der Bürger der Gewalt seines Staates unabhängig davon unterworfen bleibt, wo er sich gerade aufhält. Nach dem aktiven Personalitätsgrundsatz sollten Auslandstaten der eigenen Staatsangehörigen dem inländischen Strafrecht unterworfen sein. Der Staatsangehörige schuldet danach den Gesetzen seines Staates auch im Ausland Treue. Im 19. Jahrhundert versuchte vor allem Frankreich, den aktiven Personalitätsgrundsatz mit weitreichenden, so genannten Loyalitätspflichten der Bürger zu erklären. Soweit der aktive Personalitätsgrundsatz heute noch in seiner uneingeschränkten Form angewendet wird, lässt dies einerseits auf das Interesse des Staates schließen, die Auslandaktivitäten eigener Staatsangehöriger zu überwachen, anderseits kann er aus der internationalen Solidarität der Staaten erklärt werden. Der Grund für die Ausdehnung der Strafgewalt liegt dann darin, dass der Staat sich für die Straftaten seines Bürgers im Ausland der Völkergemeinschaft gegenüber verantwortlich sieht. Der Staat, dessen Staatsangehöriger der Täter ist, arbeitet daher mit dem Tatortstaat bei der Vergeltung der Tat zusammen.87 Statt den Täter auszuliefern und dem Tatortstaat die Bestrafung ermöglichen, schafft der aktive Personalitätsgrundsatz die Möglichkeit, den Täter im Inland nach inländischem Recht zu bestrafen und dem Ausland damit zu demonstrieren, dass auch der Heimatstaat die Tat als Verbrechen verfolgt. Der aktive Personalitätsgrundsatz wird heute jedoch oft in eingeschränkter Form angewendet, so dass auch das Recht des Tatortstaats beachtet wird. Danach wendet man den aktiven Personalitätsgrundsatz dann an, wenn der Tatortstaat die Straftat entweder nicht verfolgt, oder nicht in der Lage ist, sie zu verfolgen. Heutzutage können zurückkehrende Staatsangehörige für im Ausland begangene Straftaten bestraft werden, soweit diese im Ausland noch nicht abgeurteilt wurden oder ein Urteil noch nicht vollstreckt wurde. Entscheidendes Kriterium ist, dass der Täter im Ausland noch nicht verurteilt wurde, obwohl die lex loci solches gestattet hätte. Die lex loci ist auch dann zu beachten, wenn sie im Einzelfall eine mildere Strafe vorsieht, es sei denn, der Täter hat das Ausland lediglich um der Begehung der fraglichen Tat willen aufgesucht.88 87
Ursprünglich steckte dahinter die Nichtauslieferung eigener Staatsangehörigen. Vgl. dazu van den Wyngaert, Christine: Double criminality as a requirement to jurisdiction, in: Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab, 1989, S. 49. 88 Wiener, A. Imre: Nemzetközi Bu ˝ nügyi Jogsegély, Budapest 1993, S. 43.
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Diese begrenzte Anwendung des aktiven Personalitätsgrundsatzes ist im Völkerrecht weitgehend anerkannt, da darin keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des fremden Staates gesehen werden kann. Die Stellung des Beschuldigten sollte durch das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit sichergestellt werden. Es gibt aber immer noch einige Mitgliedstaaten, die die Anwendung des aktiven Personalitätsgrundsatzes durch beiderseitige Strafbarkeit nicht begrenzen. Die Staaten können ihre Strafgewalt auf dem Gebiet eines fremden Staates auch aufgrund des passiven Personalitätsgrundsatzes ausüben. Der passive Personalitätsgrundsatz schützt die eigenen Staatsangehörigen im Ausland und wird damit begründet, dass der ausländische Staat für deren Schutz nicht immer genügend Achtung aufbringt. Der passive Personalitätsgrundsatz macht damit die Geltung des inländischen Strafrechts nicht von der Staatsangehörigkeit des Täters, sondern von der des Opfers abhängig.89 Die Staaten wenden den passiven Personalitätsgrundsatz insbesondere dann an, wenn sie ihren Staatsangehörigen vor internationalen Rechtsverstößen, die sie an ihrem Aufenthaltsort erleiden, schützen wollen. Dieser Grundsatz ist in jedem Falle von einem gewissen Misstrauen gegen das Ausland geprägt.90 Das bekannteste Beispiel der Anwendung des passiven Personalitätsgrundsatzes aus der näheren Vergangenheit war der Fall Pinochet. Spanien hat die Auslieferung von Pinochet aufgrund dieses Grundsatzes vom Vereinigten Königreich beantragt. Das Vereinigte Königreich hat die Rechtmäßigkeit des Ersuchens anerkannt, diesem jedoch mit Blick auf den schlechten Gesundheitszustand des Generals nicht stattgegeben.91 Manche Staaten wenden den passiven Personalitätsgrundsatz nur auf bestimmte Straftaten an, während andere ihn auch auf herkömmliche Straftaten anwenden. Bei herkömmlichen Straftaten soll die Anwendung des passiven Personalitätsprinzips von dem Kriterium abhängig gemacht werden, ob die Tat auch nach dem Recht des Tatortstaates strafbar ist. Die lex loci soll aus dem Grunde beachtet werden, dass die Tat und der Täter die engste Verbindung zu den Normen des Tatortstaates aufweisen. Ein jüngerer Trend sucht demgegenüber, die Strafgewalt aufgrund des passiven Personalitäts89 Scholten, Hans-Josef: Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, Ein Beitrag zur identischen Norm im transnationalen Strafrecht, Freiburg im Breisgau 1995, S. 39. 90 Oehler, Dietrich: Internationales Strafrecht, 2. neubearb. Aufl., Köln 1983, S. 418. 91 Blakesley, Christopher: Autumn of the Patriarch: The Pinochet Extradition Debacle and Beyond – Human Rights Clauses Compared to Traditional Derivative Protections Such as Double Criminality, The Journal of Criminal Law & Criminology, 2001, S. 19 ff.
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grundsatzes zu begründen. Ein Beispiel dafür bietet der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung.92 Falls der eigene Staatsangehörige eine Straftat gegen einen Landsmann im Ausland verübt, gilt eine Sonderkombination des aktiven und passiven Personalitätsgrundsatzes. 3. Schutzprinzip Das Schutzprinzip (oder auch Realprinzip) basiert auf dem Verhältnis zwischen den geschützten Rechtsgütern und dem gesetzgebenden Staat und bezieht sich auf Straftaten, die Ausländer im Ausland begangen haben, und die die innere oder äußere Sicherheit des Staates gefährden. Nach dem Schutzprinzip werden bestimmte Rechtgüter gegen im Ausland durch Ausländer begangene Angriffe dadurch geschützt, dass ihre Verletzung ohne Rücksicht auf das Tatortrecht zur Anwendung des inländischen Strafrechts führt.93 Das Schutzprinzip kann durch die moderne Auffassung erklärt werden, wonach der Anwendungsbereich des Strafgesetzes nach geschützten Rechtsgütern festgelegt wird. Dabei bleiben solche Straftaten ausgeschieden, die lediglich zum Nachteil anderer Staaten begangen wurden. Straftaten gegen die Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Finanzstraftaten oder Straftaten im Amt werden nur dann verfolgt, wenn auch eigene Rechtsgüter betroffen sind. Genau hier knüpft das Schutzprinzip an, wonach der Schutz solcher Rechtgüter dem fremden Staat nicht überlassen werden kann bzw. dass der fremde Staat zum Schutz dieser Rechtsgüter nicht in genügendem Maße verfolgend und strafend eintritt. Unklar ist jedoch, welche Rechtgüter unter das Schutzprinzip fallen. Manche Staaten wenden das Schutzprinzip nur für eine begrenzte Anzahl von Straftaten an – meistens Straftaten, die sich gegen sie selbst, ihre innere und äußere Sicherheit oder Organe richten –, andere benutzen es wiederum für den Schutz wesentlicher Interessen, was sehr weit verstanden wird.94 Auch der Schutz von Finanzmärkten sowie der von Wirtschaftsinteressen kann darunter fallen.95 92 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. 2002 Nr. L 164/3 vom 22.6.2002. 93 Jescheck, Hans-Heinrich/Weigend, Thomas: Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Berlin 1996, S. 169. 94 Council of Europe, Committee on Crime Problems, Extraterritorial criminal jurisdiction, Strasbourg, 1990, S. 14. 95 Boed, Roman: United States Legislative Approach to Extraterritorial Jurisdiction in Connection with Terrorism, in: C. Bassiouni (Hrsg.): International Criminal Law, Band 2 Procedural and Enforcement Mechanism, 2. Aufl., Ardsley/New York 1999, S. 145–176.
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Das Schutzprinzip stellt einen bedeutenden Anknüpfungspunkt dar, da bei seiner Anwendung die beiderseitige Strafbarkeit – und damit die Beachtung der lex loci delicti – wegfällt. 4. Weltrechtsprinzip Das Weltrechtsprinzip bringt die Solidarität der Staaten zum Ausdruck und erscheint in der Regel in Völkerrechtsvereinbarungen. Die Erfassung von Auslandstaten durch das Weltrechtsprinzip dient dem Schutz gemeinsamer, in allen Kulturstaaten anerkannten Rechtgüter. Aus diesem Gedanken folgt, dass es weder auf den Tatort noch auf die Staatsangehörigkeit der Täter oder Opfer ankommen kann. Umfasst sind Taten, welche als derart schädlich oder bedrohlich für die Menschheit angesehen werden, dass jedes Land zur Aburteilung berechtigt ist. Aufgrund des Weltrechtsprinzips können Kriegsverbrechen und Straftaten gegen die Menschlichkeit durch jeden Staat ohne Beachtung des Rechts des Tatortstaats verfolgt werden. Der StIGH hat im Barcelona Traction-Fall entschieden, dass die Staaten eine erga omnes Verpflichtung zur Verfolgung dieser Straftaten haben.96 Wenn alle Staaten ihr Strafrecht auf den Schutz derartiger Rechtgüter erstrecken, kann der Täter an jedem Ort der Welt festgenommen und nach dem Strafrecht des Ergreifungsstaates abgeurteilt werden. Umstritten ist jedoch, welche Straftaten dem Weltrechtsprinzip unterstellt sind.97 Man kann heute davon ausgehen, dass der im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs genannten Katalog von Straftaten jedenfalls „international crimes“98 enthält, die durch das Weltrechtsprinzip verfolgt werden können bzw. müssen. Mit Blick auf mögliche Strafgewaltkonflikte begrenzen einige Staaten ihre Strafgewalt aufgrund des Weltrechtsprinzips (z. B. die Niederlande), während andere Staaten die Politik eines weit verstandenen Weltrechtsprinzips verfolgen (z. B. Belgien99). 96
International Court of Justice, Judgement of 24 July 1964. Dieses Problem wurde am XIV Kongress der International Strafrechtsgesellschaft diskutiert (1.–7. Oktober 1989, Wien). 98 Zum Begriff „international crime“ vgl. Bassiouni, Cherif: Characteristics of International Criminal Law Conventions, in: C. Bassiouni (Hrsg.): International Criminal Law, Band 1: Crimes, 2. Aufl., Ardsley/New York 1999, S. 4 ff. 99 Belgien leitete aufgrund des so genannten Kriegsverbrecher-Gesetzes Verfahren gegen den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon und den ehemaligen Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte im Irak-Krieg, General Tommy Franks, ein. Die daraus entstandenen diplomatischen Streitigkeiten mit Israel und den Vereinigten Staaten führten jüngst zur Änderung des Gesetzes. Von nun an sind Klagen nur noch zulässig, wenn der Täter oder das Opfer die belgische Staatsbürgerschaft besitzt oder in Belgien wohnen. Außerdem muss der Täter aus einem Land stammen, in dem Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 97
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Das Weltrechtsprinzip durchlief in der jüngeren Vergangenheit wichtige Entwicklungen. Bis vor kurzem galt, dass eine Strafverfolgung aufgrund des Weltrechtsprinzips nur vom judex deprehensionis initiiert werden kann, also von dem Staat, auf dessen Gebiet sich der Beschuldigte aufhält. Damit hing die Anwendung des Weltrechtsprinzips vom forum deprehensionis ab.100 Dies muss jedoch im Lichte der Entscheidung des IStGH im KongoFall101 neu bewertet werden, ebenso wie die Frage des diplomatischen Schutzes. 5. Das Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege Im Unterschied zu den unter § 3 I, 1.–4. genannten Anknüpfungspunkten, die alle eine originäre Strafgewalt begründen, entsteht aufgrund des Prinzips stellvertretender Strafrechtspflege eine derivative Strafgewalt. Die Ratio der derivativen Strafgewalt besteht darin, dem Aufenthaltsstaat des Täters die Verfolgung der Straftat in solchen Fällen zu ermöglichen, da dieser zur eigenständigen Verfolgung nicht ermächtigt ist. Danach wird aufgrund des Prinzips stellvertretender Strafrechtspflege die Anwendung des nationalen Strafrechts für die Fälle vorgesehen, in denen der ausländische Völkermord entweder nicht verfolgt werden oder ein fairer Prozess nicht garantiert ist; vgl. FAZ vom 31. Juli 2003, S. 4. 100 Feller, Schneyer-Zalman: Theories and Jurisdiction, in: C. Bassiouni/P. Nanda (Hrsg.): A Treatise on International Criminal Law, Band 2: Jurisdiction and Cooperation, Springfield/Illinois 1973, S. 32–34. 101 Im Kongo-Fall hatte der belgische Untersuchungsrichter einen Haftbefehl gegen Abdulaye Yerodia Ndombesi, genannt Yerodia, den Außenminister der Republik Kongo für seine Auslieferung nach Belgien erlassen. Das Begehren der Auslieferung wurde mit dem schwerwiegenden Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht begründet. Yerodia hatte die genannten Straftaten als Staatsangehöriger des Kongo und auf dem Gebiet des Kongos verübt. Der Haftbefehl enthielt keinen Hinweis auf eine Verletzung der Sicherheit Belgiens oder belgischer Staatsangehöriger. Daraus ist eindeutig zu schließen, dass Belgien den Haftbefehl weder auf den passiven Personalitätsgrundsatz noch auf den Schutzgrundsatz gründete, sondern aufgrund des Weltrechtsprinzips vorgegangen ist. Die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls wurde vom IStGH untersucht. Der Gerichtshof stellte fest, dass der Fall sowohl zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung unter seine Strafgewalt fiel. Der Gerichthof hat insbesondere den Konflikt der Ausübung der Strafgewalt und der diplomatischen Immunität untersucht, äußerte sich aber nicht explizit zu der Frage, ob das Weltrechtsprinzip auch ohne das forum deprehensionis angewendet werden kann. Er hat jedoch darauf hingewiesen, dass die Entscheidung der Streitfrage das Vorliegen der Strafgewalt gemäß dem Völkerrecht voraussetzt. Damit hat der IStGH implizit die Ablösung der Anwendung des Weltrechtsprinzips vom forum deprehensionis anerkannt. Siehe International Court of Justice, 14 February 2002, General List No. 121. Vgl. Wiener, A. Imre: A bünteto˝ joghatóság és gyakorlása, kivált az Európai Unióban, Állam és Jogtudomány 2002/ 3–4., S. 187–188.
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Staat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an der Durchsetzung seines eigenen Strafanspruchs gehindert ist: der Täter befindet sich zum Beispiel in einem Staat mit originärer Strafgewalt, jedoch nicht im Tatortstaat. Dem Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege liegt der Subsidiaritätsgedanke zu Grunde. Das innerstaatliche Strafrecht tritt nur hilfsweise an die Stelle des Tatortrechts. Die Strafbarkeit im Ausland ist deshalb hier eine notwendige Voraussetzung für die Ausübung der inländischen Strafgewalt. Nach diesem Prinzip ist die Strafgewalt auch immer dann begründet, wenn hinsichtlich einer Auslandstat, die auch am Tatort unter Strafe steht, der eigentlich zuständige ausländische Staat nicht tätig wird oder nicht tätig werden kann. Die Strafgewalt des Staates ist hier nicht originär, sondern wird aus der originären Strafgewalt eines anderen Staates abgeleitet.102 Durch das Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege wird zu den originären Kompetenzen der Strafverfolgung eine neue Kompetenz hinzugefügt, die neben die bereits bestehenden Möglichkeiten der Begründung von Strafgewalt tritt. Ziel des Prinzips stellvertretender Strafrechtspflege ist die Verhinderung von Oasen der Straflosigkeit. Sollte z. B. ein Franzose eine Straftat in Frankreich begehen und danach nach England fliehen, hätte England keine originäre Strafgewalt, um den französischen Straftäter zu verfolgen. Hier kann die englische Strafgewalt aufgrund des Kompetenzverteilungsprinzips entweder durch ein Auslieferungsübereinkommen oder durch ein Übereinkommen über die Übernahme der Strafverfolgung begründet werden. Das Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege führt zu der Beachtung ausländischen Rechts, wobei ausländische Straftatbestände zwar nicht angewendet werden, wohl aber sonstige Normen, die z. B. Blankettnormen ausfüllen. Durch die Anwendung dieses Prinzips können auch ausländische Strafurteile vollzogen werden. 6. Aut dedere aut judicare-Prinzip Bei der Ausübung der Strafgewalt sollte das aut dedere aut judicare Prinzip angewendet werden. Das aut dedere aut judicare-Prinzip bezieht sich auf die alternative Verpflichtung des Staates, entweder selber gegen den Täter vorzugehen oder ihn auszuliefern.103 Diese Formulierung ist eine 102 Vgl. dazu Pappas, Claudia: Stellvertretende Strafrechtspflege, Freiburg im Breisgau 1996, S. 156 ff. 103 Grundlegend dazu Bassiouni, Cherif/Wise, Edward M: Aut Dedere Aut Jurdicare: The Duty to Extradite or Prosecute in International Law, Dordrecht/Boston/ London 1995.
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moderne Fassung der von Grotius benutzten Wendung aut dedere aut punire (entweder ausliefern oder bestrafen) und enthält eine zwingende Rechtshilfeverpflichtung. Grotius behauptete noch, der Staat habe ein Naturrecht zur Verfolgung des Täters in Bezug auf alle Straftaten, durch die er geschädigt worden sei.104 Das moderne aut dedere aut judicare-Prinzip gilt demgegenüber nur im Rahmen internationaler Übereinkünfte. Zwar wurde es im einschlägigen Völkervertragsrecht vielfach kodifiziert, doch hat es sich bislang in der Staatenpraxis als „emerging rule of customary international law“ nicht durchsetzen können.105 Insbesondere in den Übereinkommen des Europarats betreffend die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen wurde das aut dedere aut judicare Prinzip verankert, es galt jedoch nicht uneingeschränkt. So kann sowohl die Auslieferung als auch die Übernahme der Strafverfolgung beim Vorliegen bestimmter Hindernisse verweigert werden. (dazu in § 5 bzw. § 6) II. Jurisdiction to enforce Das von Grotius genannte aut dedere aut punire-Prinzip setzt die Verpflichtung der Staaten zur Durchsetzung ihrer Strafgewalt voraus. Das Prinzip aut dedere aut punire wurde jedoch kein ius cogens des Völkerrechts. Die Staaten können zur Durchsetzung ihrer Strafgewalt entweder durch internationale Übereinkommen oder durch zwischenstaatliche Gegenseitigkeit verpflichtet werden. In beiden Fällen unternimmt der Staat ausdrücklich die Verfolgung von Auslandstaten. Abgesehen von den Fällen völkerrechtlicher Verpflichtungen ist die Durchsetzung der Strafgewalt jedoch nur eine Möglichkeit, keine Verpflichtung. Dieser Möglichkeit sind aber sowohl durch das innerstaatliche Recht, als auch durch die internationalen Instrumente des Völkerrechts Schranken vorgegeben. So sind Mitglieder diplomatischer Missionen und konsularischer Vertretungen und ihnen gleichgestellte Personen der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit in der Regel nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen entzogen. Neben dem innerstaatlichen Recht wird die Durchsetzung der Strafgewalt auch durch die völkerrechtlich anerkannten Menschenrechte beeinflusst. So betreffen sämtliche Artikel des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte106 die Strafgewalt. 104 Nachweise bei Bassiouni, Cherif/Wise, Edward M: Aut Dedere Aut Jurdicare: The Duty to Extradite or Prosecute in International Law, Dordrecht/Boston/London 1995, S. 5. 105 Kritisch zu Recht Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 27.
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Darunter Artikel 6 (Todesstrafe), Artikel 7 (Folter und entwürdigende Bestrafung), Artikel 8 (Zwangsarbeit), Artikel 9 (Inhaftierung), Artikel 10 (Umgang mit Häftlingen), Artikel 14 (Garantien im Strafverfahren), Artikel 15 (nullum crimen, nulla poena sine lege), Artikel 19 (Meinungsfreiheit). Ähnliche Regeln enthält auch die EMRK. Der VIII. Internationale Strafrechtskongress schlug die Anwendung der lex loci für jede im Ausland begangene Straftat vor.107 Demnach sollte der Richter die Normen des Tatortstaates anwenden, abgesehen von Fällen, in denen die Straftat gegen den ordre public oder gegen das Rechtsstaatsprinzip des Urteilsstaates verstößt. Dies bringt jedoch die Schwierigkeit mit sich, dass nicht nur die Strafgesetze des Tatortstaats, sondern auch die dazu gehörige Rechtsprechung beachtet werden muss. Letztere kann aber durch die unterschiedliche Ausgestaltung des Strafverfahrens im englischen, amerikanischen und kontinentaleuropäischen System bedeutend von einander abweichen. Daher erwies sich die alleinige Anwendung der lex loci als nicht durchsetzbar. Jedenfalls sollte aber die mildere Strafandrohung beachtet werden. Demnach wenden einige Staaten für Auslandstaten die lex mitior an, wenn ein Unterschied in der Strafandrohung zwischen der lex loci delicti und der lex fori besteht.108 III. Strafgewaltkonflikte Die Vielfalt der Anknüpfungspunkte führte dazu, dass die Staaten ihre Strafgewalt auf extraterritoriale Sachverhalte einseitig immer weiter ausgedehnt haben. Diese Entwicklung beruhte nicht zuletzt auf dem Gedanken, ein möglichst dichtes Netz von Strafverfolgungsmöglichkeiten zu schaffen. Dadurch sollte verhindert werden, dass sich der Täter durch Flucht in ein anderes Land seiner Strafe entziehen kann.109 Es sollte keinen Staat mehr geben, in dem der Straftäter vor Strafverfolgung sicher sein kann. Zugleich bedeutete – so ein Ausdruck von Lagodny – dieser Netzgedanke jedoch, dass für die Verfolgung derselben Straftat häufig nicht nur ein Staat, sondern mehrere Staaten aufgrund ihres nationalen Strafrechts berechtigt oder verpflichtet sind.110 106
Näheres dazu Ipsen, Knut: Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 787 f. Entschließungen der IV. Sektion des VIII. internationalen Kongresses für Strafrecht in Lissabon, 1961, ZStW 1962, S. 47–49. 108 Wyngaert nennt als Beispiele Österreich und der Schweiz sowie das Europäische und das Benelux-Übereinkommen über die Übernahme der Strafverfolgung. (van den Wyngaert, Christine: Double criminality as a requirement to jurisdiction, in: Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab, 1989, S. 44.). 109 Vgl. nur Bos, Maarten: The extraterritorial jurisdiction of states, in: Institute of International Law, Yearbook 1993, S. 13–190. 107
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Wegen mangelnder Koordination der Strafverfolgung einzelner Staaten kann es zu positiven bzw. zu negativen Strafgewaltkonflikten kommen.111 Ein positiver Strafgewaltkonflikt bezeichnet den Umstand, dass die Gerichte von zwei oder mehr Staaten, denen Gerichtsbarkeit im konkreten Fall zukommt, die Zuständigkeit in derselben Sache zur gleichen Zeit in Anspruch nehmen und ein Strafverfahren tatsächlich einleiten oder zumindest ihre Absicht zu erkennen geben, ein Strafverfahren durchzuführen, ohne die Strafverfolgung des anderen Staates anzuerkennen.112 Demgegenüber werden negative Strafgewaltkonflikte auch vacuum iuris genannt. Ein negativer Strafgewaltkonflikt liegt dann vor, wenn kein Staat für ein bestimmtes Fall die Strafgewalt innehat und demzufolge kein Staat ein Strafverfahren einleitet. Während beim positiven Strafgewaltkonflikt die Mehrfachbestrafung des Täters zu fürchten ist, ist beim negativen Strafgewaltkonflikt eine mögliche Nichtbestrafung des Täters das Problem. Positive Strafgewaltkonflikte hinsichtlich einer Straftat mit transnationalem Bezug können sich in der Praxis wie gefolgt ergeben: a) Bereits aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes können sich konkurrierende Strafgewalten ergeben. So ist eine Konkurrenz bei mehraktigen Delikten denkbar, wenn die zum Tatbestand erforderlichen rechtswidrigen Teilakte in mehreren Staaten ausgeführt werden. Nach dem sog. Ubiquitätsprinzip gilt als Tatort sowohl der Ort, an dem der tatbestandliche Erfolg eintrat, als auch der Ort, an dem die tatbestandsmäßige Handlung vorgenommen wurde. b) Oft entstehen positive Strafgewaltkonflikte aus der gleichzeitigen Anwendung des Territorialitätsgrundsatzes durch den Tatortstaat und des aktiven Personalitätsgrundsatzes durch den Heimatstaat des Täters. c) Die gleichzeitige Anwendung des aktiven Personalitätsgrundsatzes durch den Heimatstaat des Täters und des passiven Personalitätsgrundsatzes durch den Heimatstaat des Opfers führt auch zu konkurrierenden Strafgewalten. d) Zur parallelen Strafverfolgung kann es bei der Anwendung des Weltrechtsprinzips durch mehrere Staaten kommen. 110 Lagodny, Otto: Empfiehlt es sich eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, 2001, http://www.sbg.ac.at/ssk/largo.pdf, S. 74. 111 Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 91. 112 Linke, Robert: Zwischenstaatliche Kompetenzkonflikte auf dem Gebiet des Strafrechts, in: Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts. Festschrift für Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag, Hamburg 1970, S. 85.
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Negative Strafgewaltkonflikte haben eine völlig andere Struktur als positive Strafgewaltkonflikte. Ein Beispiel für negative Strafgewaltkonflikte bot die Verfolgung von Insidergeschäften in den 80er Jahren. Damals waren Insidergeschäfte in den USA bereits strafbar, während die europäische Strafrechtsordnungen Insidergeschäfte strafrechtlich nicht verfolgten. Hatte nun ein Amerikaner in Europa Indergeschäfte vollzogen, war sein Verhalten im europäischen Tatortstaat keine Straftat. Zugleich konnte der Täter durch seinen Heimatstaat, die USA auch nicht verfolgt werden, weil sie ihre Strafgewalt aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes für Straftaten, die im Ausland begangen wurden, nicht ausübte. Sollten die USA die Auslieferung des Täters aufgrund des aktiven Personalitätsgrundsatzes begehren, stünde einer Auslieferung in Europa das Fehlen beiderseitiger Strafbarkeit entgegen. Im Endeffekt hatte kein Staat für diese Tat die Strafgewalt inne. Von diesem Beispiel ist der von Lagodny gebrachte Fall Öcalan zu unterscheiden.113 Öcalan wurde wegen Terrorstraftaten mit Haftbefehlen sowohl in der Türkei als auch in Deutschland gesucht. Er wurde 1999 in Italien verhaftet. Deutschland stellte trotz der Ausschreibung im Schengener Informationssystem kein Auslieferungsersuchen. Italien begründete trotz des von ihm unterzeichneten Abkommen zur Bekämpfung des Terrorismus keine eigene Strafgewalt, sondern ließ Öcalan wieder frei. Schließlich wurde Öcalan in die Türkei entführt und dort vor Gericht gestellt. Wäre es zur keiner Entführung gekommen – so Lagodny – wäre es bei einer Nichtbestrafung von Öcalan geblieben.114 Diese Schlussfolgerung Lagodnys mag hinsichtlich der politischen Lage zutreffen, jedoch ist aus den geschilderten Umständen klar, dass im Fall Öcalan sowohl Deutschland, als auch Italien zur Strafverfolgung Öcalans berechtigt waren. Es fehlte nicht an einem Anknüpfungspunkt. Deutschland hatte hinsichtlich der in Deutschland verübten Taten originäre Strafgewalt. Italien konnte aufgrund des Terrorismusübereinkommens stellvertretend für die Türkei ebenfalls Strafgewalt für die in der Türkei begangenen Straftaten begründen. Dass beide Länder auf die Verfolgung von Öcalan aus Sicherheitsüberlegungen verzichtet haben, bedeutet nicht, dass ein negativer Strafgewaltkonflikt vorlag. Im Gegenteil hatten hier sogar zwei Staaten die Strafgewalt inne, nur zogen sie es vor, keine Strafverfolgung einzuleiten. Theoretisch lassen sich Strafgewaltkonflikte auf zwei Wegen lösen: Eine Möglichkeit besteht in der Anerkennung ausländischer Strafentscheidungen 113 Ausführlich zum Fall Abdullah Öcalan vgl. Wassermann, Rudolf: Konflikt zwischen Politik und Recht – zur Affäre Öcalan, NJW 1999, S. 760 ff. 114 Vgl. dazu Lagodny, Otto: Empfiehlt es sich eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, 2001, http://www.sbg.ac.at/ssk/largo.pdf, S. 25.
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und in der internationalen Verwirklichung des ne bis in idem-Grundsatzes. Die Anerkennung ausländischer Strafentscheidungen hinterfragt den Netzgedanken nicht. Durch den Netzgedanken werden negative Strafgewaltkonflikte weitestgehend ausgeschlossen, während bei positiven Strafgewaltkonflikten die Stellung des Beschuldigten durch die internationale Verwirklichung des ne bis in idem-Grundsatzes gesichert ist. Grundlage dieser Lösung ist das Vertrauen in die ausländische Strafrechtspflege und die Bereitschaft, auf die eigene strafrechtliche Souveränität teilweise zu verzichten. Die Anerkennung ausländischer strafrechtlicher Entscheidungen und die Berücksichtigung der Position des Verfolgten bei transnationaler Kriminalität ist aber gerade wegen der Souveränität der Staaten nach wie vor ein schwieriges Thema. Deswegen neigt die Strafpolitik der Europäischen Union der zweiten theoretischen Möglichkeit zu, durch die Regelung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten zur Strafverfolgung schließlich zu einer nationalen Strafgewalt zu gelangen.115 Es sollte ein „Zuständigkeitslösungsmechanismus“116 aufgestellt werden, der den rechtlichen Rahmen dafür bietet, dass derjenige Staat die Strafverfolgung des Täters ausführt, der im Einzelfall für die Verfolgung der Straftat – unter Berücksichtigung der kriminalpolitischen Interessen – am besten geeignet ist. Dies soll anderseits mit der Begrenzung der Begründung nationaler Strafgewalt einhergehen, damit es gar nicht erst zur Doppelverfolgung kommen kann. Wie es die Studie „Finding the Best Place for Prosecution“, die im Auftrag der Europäischen Kommission erstellt wurde, programmatisch zusammenfasst, liegt das Ziel in der Vermeidung von abstrakten Strafgewaltkonflikten (evasion of abstract conflicts).117 Nach diesem Konzept sollte die Strafgewalt eines Mitgliedstaates durch den Zuständigkeitslösungsmechanismus festgelegt werden, was zugleich mit dem Verzicht aller anderen Mitgliedstaaten auf eigene Strafverfolgung einherginge. Dementsprechend erfordert der Zuständigkeitslösungsmechanismus auch einen gewissen Verzicht auf strafrechtliche Souveränität. Der Unterschied zur Anerkennung ausländischer Strafurteile und zur internationalen Verwirklichung des ne bis in idem-Grundsatzes 115 Diesen strafpolitischen Ansatz bekräftigt Art. 9 des vor kurzem angenommenen Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung. Daraus ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten müssen, um ihre Strafverfolgungen mit dem Ziel zu koordinieren, die Erhebung der Strafklage auf einen einzigen Mitgliedstaat zu konzentrieren. Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. 2002 Nr. L 164/3 vom 22.6.2002. 116 Lagodny, Otto: Empfiehlt es sich eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, 2001, http://www.sbg.ac.at/ssk/largo.pdf, S. 78. 117 Vander Beken, Tom/Vermeulen, Gert/Steverlynck, Soetekin/Thomaes. Stefan: Finding the Best Place for Prosecution, European Study on Jurisdiction Criteria, Antwerpen 2002, S. 21.
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besteht jedoch darin, dass diese einen generellen Verzicht auf Souveränität voraussetzen, während der Verzicht beim Zuständigkeitslösungsmechanismus von Fall zu Fall erfolgt und dadurch weniger einschneidend ist. 1. Erzielung einer einzigen Strafgewalt Für die Lösung von Strafgewaltkonflikten hatte der Europarat bereits im Jahre 1965 einen Konventionsentwurf118 erarbeitet. Der Kerngedanke des Entwurfs lag in der Aufstellung einer Hierarchie von Strafgewalten.119 Die Festlegung des für die Abwicklung des Strafverfahrens zuständigen Staates erfolgt analog der auch aus dem innerstaatlichen Strafrecht bekannten Festlegung zuständigen Gerichts. Die innerstaatlichen Strafprozessrechte enthalten Zuständigkeitsregeln für den Fall, dass in einem Fall die Zuständigkeit von mehr als einem Gericht begründet ist. In solchen Fällen bestimmt die Zuständigkeitsordnung, vor welchem Gericht der Fall verhandelt werden muss. Die Bestimmungen der Zuständigkeitsordnung beachten die Interessen der Justizverwaltung. Trotz gewisser Ähnlichkeiten hat die Festlegung des zuständigen Staats viel weitreichendere Konsequenzen, als die des zuständigen Gerichts. Die Auswahl des zuständigen Staates bestimmt nämlich zugleich das anzuwendende Recht. Nach dem Europaratsentwurf sollten sich die europäischen Staaten hinsichtlich der Begründung von Strafgewalt zunächst auf den Territorialitätsgrundsatz, den aktiven Personalitätsgrundsatz, das Schutzprinzip, sowie auf das Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege für den Ergreifungsstaat einigen.120 Der Entwurf stellt dann eine Hierarchie dieser Anknüpfungspunkte auf. Dem Tatortstaat wird gegenüber den anderen Strafgewaltstaaten ein eindeutiger Vorrang eingeräumt (lex loci).121 Davon gibt es eine Ausnahme 118 Draft European Convention on Conflicts of Jurisdiction in Criminal Matters (prepared by the Legal Committee of the Council of Europe), European Consultative Assembly, Doc. No. 1873. 119 Hinsichtlich der Vermeidung positiver Strafgewaltkonflikte haben erst die südamerikanischen Staaten ein Übereinkommen über die Begrenzung der Durchsetzung ihrer Strafgewalt abgeschlossen. Vgl. Treaty on International Penal Law, Montevideo, 23 January 1889 (abgedruckt in: Supplement to the American Journal of International Law 1935, S. 638–639.) verändert durch die Convention of Montevideo of 19 March 1940. 120 Aufgrund des passiven Personalitätsgrundsatzes ist die Begründung der Strafgewalt nicht vorgesehen. 121 Art. 3 Abs. 2 Draft European Convention on Conflicts of Jurisdiction in Criminal Matters (prepared by the Legal Committee of the Council of Europe), European Consultative Assembly, Doc. No. 1873.
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nur aufgrund des Schutzprinzips. Sollte sich die Tat gegen die äußere oder innere Sicherheit eines Staates richten, kann der bedrohte Staat seine Strafgewalt unbesehen von der Strafgewalt eines anderen Staates durchsetzten. Da die Tatorteigenschaft über das Ubiquitätsprinzip bestimmt wird, kann ein Strafgewaltkonflikt bereits aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes entstehen. Um dies zu umgehen, nimmt der Entwurf eine Differenzierung im Grad der Tatorteigenschaft vor: Primär ist derjenige Staat zur Durchsetzung der Strafgewalt befugt, auf dessen Gebiet der Täter oder Tatbeteiligte gehandelt hat, auf der nächsten Ebene der Staat, auf dessen Gebiet ein Beitrag zur Handlung geleistet wurde und schließlich der Staat, auf dessen Gebiet der Erfolg eingetreten ist. Sind mehrere Staaten auf gleicher Ebene zuständig, kann der Ergreifungsstaat die Strafverfolgung einleiten (forum deprehensionis). Die Strafgewalt aufgrund des aktiven Personalitätsgrundsatzes ist gegenüber der lex loci subsidiär.122 Sie muss jedoch auf Antrag des Tatortstaates dann ausgeübt werden, wenn eine Strafverfolgung seinerseits nicht durchgeführt werden kann, weil die Auslieferung des Täters verweigert wurde. Die Strafgewalt des Ergreifungsstaates kann nur dann durchgesetzt werden, wenn der Täter wegen einer im Ausland begangenen schwerwiegenden Straftat gegen Leib, Leben, Freiheit, Sittlichkeit oder das Eigentum verdächtigt wird und weder der Heimatstaat noch der Tatortstaat die Strafverfolgung vornehmen, von einem Auslieferungsersuchen absehen oder das Angebot der Auslieferung zurückweisen. Außer den Fällen, in denen die Strafgewalt aufgrund des Schutzprinzips durchgesetzt wurde, dürfen Verfahren vor den Gerichten der Vertragsparteien dann nicht mehr durchgeführt werden, wenn der Beschuldigte nachgewiesen hat, dass er in Bezug auf dieselbe Tat bereits freigesprochen wurde, die Strafe bereits verbüßt hat oder begnadigt worden ist. Der Entwurf wurde dem Unterausschuss des Europäischen Ausschusses für Kriminalprobleme für die weitere Ausarbeitung zugestellt, wo er schließlich scheiterte. Die Mitglieder des Unterausschusses waren bezüglich der Lösung von Strafgewaltkonflikten unterschiedlicher Ansicht. Sie hielten die Aufstellung einer Hierarchie von Strafgewalten für verfehlt, da sie ein starres Zuständigkeitssystem der Staaten untereinander schaffe. Vielmehr solle die Resozialisierung des Täters gewährleistet werden. Dies ließe eine generelle Regelung der Reihenfolge von Anknüpfungspunkten der Strafge122 Art. 4 Abs. 2 Draft European Convention on Conflicts of Jurisdiction in Criminal Matters (prepared by the Legal Committee of the Council of Europe), European Consultative Assembly, Doc. No. 1873.
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walt nicht zu, sondern fordere ein flexibles System, welches die Beachtung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles gestattete.123 Genau diese Argumente findet man in dem Erläutenden Bericht zum Europäischen Übereinkommen über die Übertragung von Strafverfahren [EuTransÜbk] wieder, einem modernen Instrument der strafrechtlichen Zusammenarbeit,124 das den Entwurf in relativ kurzer Zeit überholte. Durch das EuTransÜbk sollte gewährleistet werden, dass der Staat die Strafverfolgung übernehmen kann, der im Einzelfall – bei Beachtung kriminalpolitischer Interessen – für die Verfolgung der Straftat am besten geeignet ist.125 Anders als der Entwurf versucht das EuTransÜbk keine Prioritäten für die Ausübung der Strafgewalt festzuschreiben, sondern stellt auf die Verpflichtung der Vertragstaaten ab, sich in bestimmten Fallkonstellationen mit anderen Staaten über die Strafverfolgung des Täters abzustimmen. Das Übereinkommen begründet dann die Strafgewalt des Übernahmestaates aufgrund des Prinzips stellvertretender Strafrechtspflege. Obwohl die im EuTransÜbk vorgesehene Konsenslösung wiederholt als fortschrittlich begrüßt wurde126, fand das EuTransÜbk international nur wenig Beachtung, wie sich in der geringen Zahl der Ratifikationen zeigt.127 Die geringe Akzeptanz für das Rechtsinstitut der Übertragung des Strafverfahrens ist wohl dadurch zu erklären, dass die Entwicklung allgemein dahin tendiert, das Strafverfahren grundsätzlich in dem Tatortstaat durchzuführen. Eigene Staatsangehörige sollten zu diesem Zweck sogar an den Tatortstaat ausgeliefert werden.128 Aufbauend auf die Überlegungen des Europaratsentwurfs und des EuTransÜbk wurde es im Rahmen zweier unabhängig von einander durchgeführter rechtswissenschaftlicher Projekte unternommen, Sachkriterien für die Erzielung einer Strafgewalt auszuarbeiten.129 Das eine Projekt wurde 123 Die Verhandlungsprotokolle des Unterausschusses sind nicht mehr zugänglich. Nachweise bei Vander Beken, Tom/Vermeulen, Gert/Steverlynck, Soetekin/Thomaes, Stefan: Finding the Best Place for Prosecution, European Study on Jurisdiction Criteria, Antwerpen 2002, S. 22. 124 Eingehend dazu in § 7. 125 Wiener, A. Imre: Nemzetközi Bu ˝ nügyi Jogsegély, Budapest 1993, S. 120–123. 126 Müller-Rappard, Ekkehart: Inter-State Cooperation in Penal Matters Within the Council of Europe Framework, in: C. Bassiouni (Hrsg.): International Criminal Law, Band 2: Procedural and Enforcement Mechanisms, 2. Aufl., Ardsley/New York 1999, S. 338 ff. 127 Das EuTransÜbk wurde von 24 Staaten unterzeichnet, jedoch nur von 15 Staaten ratifiziert. Zum Ratifikationsstand vgl. http://www.conventions.coe.int. 128 Näher dazu in § 5. 129 Neben den europäischen Erkenntnissen wurde auch die angloamerikanische Praxis beachtet. Im angloamerikanischen Raum wird das Kriterium der reasonableness angewendet, die vom American Law Institute entwickelt wurde. Vgl. dazu American Law Institute, Restatement of the law third. Restatement of the foreign
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im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz fertiggestellt,130 während das andere Projekt im Rahmen des Grotius II-Projects von der Europäischen Kommission mitfinanziert und an der Universität Gent durchgeführt wurde.131 Sowohl der Europaratsentwurf als auch das EuTransÜbk gehen von einem zwischenstaatlichen Verhältnis aus, bei dem die Frage nach der Zuständigkeit zur Strafverfolgung ihre Lösung zwischen dem ersuchenden und dem ersuchten Staat findet. Die genannten wissenschaftlichen Projekte entwickeln die dort ausgearbeiteten Zuständigkeitsregeln weiter, um sie auf multilaterale Verhältnisse zu adaptieren. Im Rahmen des Gent-Projektes wurde ein Entwurf für ein Übereinkommen zur Prävention und Lösung von Strafgewaltkonflikten erarbeitet. Diese Lösung hat ausschließlich den Charakter einer lex desiderata, die ihren Eingang in die politische Debatte erst noch finden muss. Nach dem Projektentwurf132 sollte die Strafgewalt derjenige Mitgliedstaat ausüben: – auf dessen Gebiet die Tat begangen wurde, – in dem der Verfolgte seinen gewöhnlichen Wohnort hat, – dessen Staatsangehörigkeit oder Herkunft der Verfolgte hat, – in dem der Verfolgte eine Freiheitsstrafe verbüßt oder verbüßen wird, – in dem wegen derselben oder anderer Taten ein Ermittlungsverfahren gegen den Verfolgten schwebt, – in dem wichtigsten Beweismittel verfügbar sind, – in dem Resozialisierungsaussichten für den Verfolgten am günstigsten sind, relations of the United States, Minesota 1986, vol. I. Näher Vander Beken, Tom/ Vermeulen, Gert/Steverlynck, Soetekin/Thomaes, Stefan: Finding the Best Place for Prosecution, European Study on Jurisdiction Criteria, Antwerpen 2002, S. 28. 130 Lagodny, Otto: Empfiehlt es sich eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, 2001, http://www.sbg.ac.at/ssk/largo.pdf. 131 Vander Beken, Tom/Vermeulen, Gert/Steverlynck, Soetekin/Thomaes, Stefan: Finding the Best Place for Prosecution, European Study on Jurisdiction Criteria, Antwerpen 2002. Für einen Überblick über die Ergebnisse beider Studien Vander Beken, Tom/Vermeulen, Gert/Lagodny, Otto: Kriterien für die jeweils „beste“ Strafgewalt in Europa – Zur Lösung von Strafgewaltkonflikten jenseits eines transnationalen Ne-bis-in-idem, NStZ 2002, S. 624 ff. 132 Art. 9 des Draft Convention on the Prevention and Solution of Jurisdiction Conflicts ausgearbeitet von der Projektgruppe der Universität Gent. Dazu Tom Vander Beken, Tom/Vermeulen, Gert/Steverlynck, Soetekin/Thomaes, Stefan: Finding the Best Place for Prosecution, European Study on Jurisdiction Criteria, Antwerpen 2002, S. 51. Die Kriterien, die Lagodny entwickelt hat, decken sich inhaltlich mit denjenigen in Art. 9.
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– in dem Anwesenheit des Verfolgten bei der Verhandlung gewährleistet werden kann, – in dem zukünftige Strafe vollzogen werden kann, – in dem das Opfer seinen gewöhnlichen Wohnort hat, – dessen Staatsangehörigkeit oder Herkunft das Opfer hat, – in dem Schaden aus der Straftat eingetreten ist. Diese positiven Kriterien werden durch das negative Kriterium ergänzt, wonach es nicht entscheidend sein darf, in welchem Staat die härteste Strafe droht. Die obige Auflistung stellt keine Rangfolge dar, den Sachkriterien kommt gleiches Gewicht zu. Es entscheiden immer die individuellkonkreten Umstände des Einzelfalls, welches Sachkriterium angewendet wird.133 Die Anwendung beruht auf einer Abwägungsentscheidung, wobei die Tatsachen des Einzelfalles ermittelt und gewichtet werden müssen. Trotz seiner Vorteile blieb auch der Projektentwurf in der Intitiative der Hellenischen Republik134 unbeachtet, der erneut für eine Hierarchie der mitgliedstaatlichen Strafgewalten als Leitprinzip für die Lösung von Strafgewaltkonflikten eintritt. Nach der Intitiative sollte das Gericht desjenigen Mitgliedstaats vorrangig zuständig sein, – in dem Mitgliedstaat die strafbare Handlung begangen wurde, – dessen Staatsangehörigkeit der Täter besitzt oder in dem er seinen Wohnsitz hat, – aus dem das Opfer stammt, – in dem der Täter ergriffen wurde.135 Diese Reihenfolge gibt im Prinzip das Konzept des oben geschilderten Konventionsentwurfs des Europarats aus dem Jahre 1965 wieder, indes mit dem Unterschied, dass nun die Zuständigkeit des Staates, aus dem das Opfer stammt, die des Ergreifungsstaates vorgehen soll und dass innerhalb der 133 Vander Beken, Tom/Vermeulen, Gert/Lagodny, Otto: Kriterien für die jeweils „beste“ Strafgewalt in Europa – Zur Lösung von Strafgewaltkonflikten jenseits eines transnationalen Ne-bis-in-idem, NStZ 2002, S. 626 ff. 134 Inititiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips, ABl. 2003 Nr. C 100/24 vom 26.4.2003. Die Initiative verfolgt ein Doppelziel: auf der einen Seite versucht sie durch die Regelung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten zur Strafverfolgung die Entstehung von Strafgewaltkonflikten vorzubeugen, auf der anderen Seite gewährt sie dem Verfolgten einen Schutz gegen mehrfachigen Belangung für dieselbe Straftat (dazu noch in § 4 II). 135 Art. 3 lit. a der Inititiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-inidem“-Prinzips, ABl. 2003 Nr. C 100/24 vom 26.4.2003.
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Tatorteigenschaft keine hierarchischen Regeln vorgeschrieben werden. Sollten mehrere Mitgliedstaaten gleichzeitig zur Strafverfolgung zuständig sein, schlägt die Initiative ein Konsultationsverfahren der zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten vor.136 Der Erfolg der Initiative steht indes noch aus. Zum Zeitpunkt der Niederschrift wurde sie im Rat erörtert. 2. Corpus Juris: der europäische Territorialitätsgrundsatz Im Gegensatz zu den obigen Projektergebnissen, die eine einzelfallabhängige Behandlung nahe legen, bringt das Corpus Juris eine systematische Lösung positiver Strafgewaltkonflikte innerhalb der Europäischen Union. Das Corpus Juris ist allerdings auch ein strafpolitischer Entwurf, der keine Bindungswirkung besitzt. Es wurde im Auftrag der Kommission von einer Gruppe von Strafrechtsprofessoren137 zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft ausgearbeitet. Das Corpus Juris enthält materielle und prozessuale Strafrechtsvorschriften, darunter Regeln über die Auswahl des zur Einleitung von Strafermittlungen zuständigen Mitgliedstaats. Art. 26. Abs. 2 des Corpus Juris138 befasst sich mit der Frage des forum choice: „Jedes Verfahren wird in dem Mitgliedstaat abgeurteilt, dessen Gericht dafür im Interesse einer guten Rechtspflege am geeignetsten erscheint. Zuständigkeitsstreitigkeiten der Gerichte sind [. . .] zu lösen. Die wichtigsten Auswahlkriterien sind: (a) der Staat, in dem sich der größte Teil der Beweise befindet, (b) der Staat des Aufenthaltsortes oder der Staatsangehörigkeit des Beschuldigten (oder der Hauptbeschuldigten), (c) der Staat, in dem die wirtschaftlichen Auswirkungen der Tat am größten sind.“
Art. 26 Abs. 2 ist im Zusammenhang mit Art. 18 Abs. 1 zu lesen, der den Gedanken eines europäischen Territorialitätsgrundsatzes formuliert. Danach bildet das Gesamtterritorium der EU-Mitgliedstaaten für die Zwecke der Strafermittlung und Strafgerichtsbarkeit ein einheitliches Gebiet. 136 Art. 3 lit. b der Inititiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-inidem“-Prinzips, ABl. 2003 Nr. C 100/24 vom 26.4.2003. 137 Enrique Baciagalupo (Madrid), Mireille Delmas-Marty (Paris), Giovanni Grasso (Catania), Nils Jareborg (Uppsala) später ersetzt von Ari Matti Nuutila (Turku), Dyonisos Spinellis (Athen), Klaus Tiedemann (Freiburg), John Vervaele (Utrecht), Joachim Vogel (Tübingen) und Christine Van den Wyngaert (Antwerpen). 138 Die deutsche Übersetzung des französischen Originals wurde von Tonio Walter besorgt und ist erhältlich im Internet unter http://europa.eu.int/comm/anti_fraud/ green_paper/corpus/de.doc.
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Durch den europäischen Territorialitätsgrundsatz unterscheidet sich das Corpus Juris strukturell von bisherigen Lösungsvorschlägen. Es geht nicht mehr um die Koordination von 15 von einander unabhängigen Strafgewalten, sondern es wird eine gesamteuropäische Strafgewalt konzipiert. Dadurch werden Strafgewaltkonflikte in innerstaatliche Kompetenzkonflikte von verschiedenen Gerichten umgewandelt. Den somit „abgestuften“ Kompetenzkonflikten wird wiederum durch die Einrichtung einer europäischen Strafverfolgungsbehörde, der Europäischen Staatsanwaltschaft139, vorgebeugt. Letztere soll im Fall eines Kompetenzkonfliktes aufgrund der im Art. 26 Abs. 2 genannten Hauptkriterien entscheiden, in welchem Mitgliedstaat die Strafverfolgung abgewickelt werden soll. Dabei stehen die Hauptkriterien in keiner hierarchischen Rangfolge. Dies soll eine flexible Entscheidung der Europäischen Staatsanwaltschaft ermöglichen. Die Verfasser des Corpus Juris haben bereits erkannt, dass das Fehlen eindeutiger Regeln für die Entscheidung des Europäischen Staatsanwalts die Möglichkeit des forum shopping in sich trägt. Dabei könnte die Entscheidung des Europäischen Staatsanwalts darüber, wo der Fall verhandelt wird, durch die eigene Ermittlungsinteressen (z. B. niedrigere Maßstab für die Zulassung von im Ausland erhobenen Beweisen, härtere Strafen, usw.) zum Nachteil von Justizinteressen (z. B. Rechte des Opfers, Resozialisierung des Täters, usw.) beeinflusst werden. Um dem vorzubeugen und eine Kontrolle über die Entscheidung des Europäischen Staatsanwalts zu sichern, wurde von Van den Wyngaert die Aufstellung einer Vorkammer (pre-trial chamber) vorgeschlagen, die die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die forum choice überprüfen könnte. Allerdings fand diese Ergänzung von Van den Wyngaert über die Einrichtung einer Vorkammer keinen Eingang in das Corpus Juris.140 Damit bleibt die gegenwärtige Fassung von Art. 26 für Missbräuche offen. Das Corpus Juris zielt nicht auf eine europäische extraterritoriale Gerichtsbarkeit ab, wonach die Gerichte der Mitgliedstaaten ihre Gerichtsbarkeit auch in den Fällen ausüben könnten, da die Straftat von einem ihrer Staatsangehörigen außerhalb der Union begangen wurde. Eine Zuständigkeit aufgrund des europäischen Territorialitätsprinzips wäre in solchen Fällen auch dann nicht begründet, wenn die Straftat im Drittland von einem Staatsangehörigen dieses Landes begangen würde.141 139
Näher dazu in § 8 III 4. Näher dazu Van den Wyngaert, Christine: Corpus Juris, European Public Prosecution and National Trials for Eurocrimes: is there a need for a European PreTrial Chamber?, AGON 1999, S. 4–8. 141 Delmas-Marty, Mireille: Necessity, legitimacy and feasibility of the Corpus Juris, in: M. Delmas-Marty/J. Vervaele (Hrsg.), The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Antwerpen 2000, S. 38. 140
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Zwar ist der Corpus Juris-Vorschlag theoretisch den in § 3 III 1 vorgeführten Entwürfen vorzuziehen, da er eine systematische Lösung bietet, jedoch sind die in ihm aufgeführten Konzepte nicht vollständig durchdacht, wie es das Beispiel der Möglichkeit des forum shopping in Art. 26 verdeutlicht. Darüber hinaus wäre er ohne erheblichen Verzicht auf mitgliedstaatliche strafrechtliche Souveränität nicht zu verwirklichen. Die Verwirklichung des europäischen Territorialitätsgrundsatzes bedarf der grundlegenden Änderung der politischen Haltung der Mitgliedstaaten. Auf eine Aussage über die Machbarkeit des Corpus Juris soll hier verzichtet werden. Diese wurde und wird vielfach im Schrifttum kontrovers erörtert.142 Es genügt, hier herauszustellen, dass der europäische Territorialitätsgrundsatz ein modernes Konzept ist, das den strafpolitischen Interessen weitgehend Rechnung trägt. Solange jedoch die Legitimitätsfrage nicht geklärt ist, bleibt es notwendig, andere Lösungsmodelle zu erarbeiten und anzuwenden, etwa wie diejenigen, die in § 3 III 1 erörtert wurden.
142 Beiträge in Eser, Albin/Huber, Barbara (Hrsg.): Das Corpus Juris als Grundlage eines europäischen Strafrechts, Freiburg im Breisgau 2000; Braum, Stefan: Das Corpus Juris – Legitimität, Erforderlichkeit und Machbarkeit, JZ 2000, S. 493–500; Wettenberg, Andreas: Der Corpus Juris – Tauglicher Entwurf für ein einheitliches europäisches Straf- und Strafprozessrecht?, StV 2000, S. 95–103; Bell, Evan: A European DPP to Prosecute Euro-Fraud?, Crim.L.R. 2000, S. 154–169; Kaiafa-Gbandi, Maria: Das Corpus Juris und die Typisierung des Strafphänomens im Bereich der Europäischen Union, 1999, S. 162–180.
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§ 4 Die allgemeinen Voraussetzungen der strafrechtlichen Rechtshilfe Im Abschnitt I. werden die positiven Voraussetzungen, im Abschnitt II die negativen Voraussetzungen strafrechtlicher Zusammenarbeit beschrieben. Positive Voraussetzungen sind diejenigen Vorschriften, deren Erfüllung für das Begehren oder die Erledigung eines Ersuchens im Allgemeinen verlangt wird. Demgegenüber sind negative Voraussetzungen solche Umstände, die die strafrechtliche Rechtshilfe entweder ausschließen oder ausschließen können. Die strafrechtliche Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten wird durch Prinzipien geprägt, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt haben. Diese Prinzipien beruhen teilweise auf der zwischenstaatlichen Betrachtung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und dienen insoweit dem Schutz staatlicher Souveränitätsinteressen sowie der außenpolitischen Rücksichtsnahme, wie z. B. beim Gegenseitigkeitsprinzip. Zunehmend tragen sie aber auch dem Schutz der rechtlich anerkannten Individualinteressen des Verfolgten oder anderer von der Rechtshilfe betroffener Personen Rechnung (z. B. bei Auslieferung drohender Todesstrafe oder politische Verfolgung). Generell kann man zwischen positiven und negativen Voraussetzungen der strafrechtlichen Zusammenarbeit unterscheiden. Zu den positiven Voraussetzungen gehören unter anderem die Gegenseitigkeit, die beiderseitige Strafbarkeit, sowie die Beachtung der Spezialität. Zu den Rechtshilfehindernissen gehören beispielsweise die politische, militärische oder fiskalische Natur der Tat, die drohende Todesstrafe, sowie der ne bis in idem-Grundsatz. Es ist anzumerken, dass sowohl die negativen als auch die positiven Voraussetzungen vor allem für die Auslieferung gelten. Für die anderen Formen der strafrechtlichen Zusammenarbeit gelten sie nur begrenzt oder überhaupt nicht. Darüber hinaus findet im Rahmen der Europäischen Union mit Blick auf den Ausbau eines europäischen Rechtsraumes ein zunehmender Abbau der traditionellen positiven und negativen Voraussetzungen statt. Wegen seiner allgemeinen Bedeutung werden in den nachstehenden Ausführungen nur das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit sowie der Grundsatz ne bis in idem besprochen. Die sonstigen positiven und negativen Kriterien werden bei den einzelnen Zusammenarbeitsformen beschrieben.
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I. Die allgemeinen positiven Voraussetzungen Soweit das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit mit dem Souveränitätsgedanken eng verbunden ist, verliert es im Kontext der europäischen Integration allmählich seine Daseinsgrundlage. Die in §§ 5–7 besprochenen Formen der Zusammenarbeit zeigen, dass die EU-Mitgliedstaaten das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit als Voraussetzung ihrer strafrechtlichen Zusammenarbeit schrittweise aufgeben. Zum Zwecke der Verständlichkeit soll hier jedoch die beiderseitige Strafbarkeit kurz erörtert werden, um sie gedanklich zu erschließen. Das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit als Voraussetzung der strafrechtlichen Zusammenarbeit verlangt, dass das dem Ersuchen zu Grunde liegende Verhalten des Verfolgten sowohl nach dem Recht des ersuchendem als auch nach dem Recht des ersuchten Staates strafbar sein muss.143 Das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit kann sowohl mit der Ähnlichkeit als auch mit dem Unterschied der betroffenen Strafrechtssysteme erklärt werden. In geografisch naheliegenden Regionen kann sich durch die gemeinsame geschichtliche Tradition ein gemeinsamer strafpolitischer Ansatz herausbilden. Hier ist das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit als Ausdruck gemeinsamer Tradition zu verstehen. Im Fall von einander fernliegenden Kulturen erklärt sich das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit dadurch, dass diese Staaten in der Strafverfolgung nur dann zur Zusammenarbeit bereit sind, wenn ein ähnlicher strafpolitischer Ansatz vorliegt. Die genaue Ausgestaltung des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit fällt in den verschiedenen internationalen Vereinbarungen unterschiedlich aus. Teilweise wird eine abstrakte Betrachtungsweise für ausreichend erachtet, wonach beiderseitige Strafbarkeit dann erfüllt ist, wenn die dem Ersuchen zu Grunde liegende Verhaltensweise nach dem Strafrecht beider betroffenen Staaten strafbar ist, unabhängig davon, ob auch der konkret Verfolgte bestraft werden könnte. Demgegenüber müssen nach der konkreten Betrachtungsweise auch Rechtfertigungs-, Entschuldigungs-, Schuldausschließungs- und Schuldaufhebungsgründe beachtet werden. Nur wenn der Verfolgte für die Tat in concereto strafrechtlich belangt werden kann, ist das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit nach der konkreten Betrachtungsweise gegeben. Dabei wird wiederum unterschiedlich beurteilt, wieweit die sonstigen Verfahrenshindernisse mitbeachtet werden. So wird teilweise die beiderseitige Strafbarkeit nach der konkreten Betrachtungsweise auch bei Nichtvorliegen der Privatanklage als gegeben angesehen.144 Während bei der abstrakten Betrachtungsweise nur die Tatbestandsmäßigkeit der Tat 143 144
Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 74. Wiener, A. Imre: Nemzetközi Bu˝nügyi Jogsegély, Budapest 1993, S. 47.
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nach den Strafrechten der betroffenen Staaten verglichen wird, werden bei der Anwendung der konkreten Betrachtungsweise also auch die Entlastungsgründe geprüft. Somit ist die Anwendung der konkreten Betrachtungsweise für den Verfolgten günstiger. Das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit wurde vor allem im Bereich der Auslieferung herausgebildet. Demzufolge regelten die Auslieferungsübereinkommen, ob sie in abstracto oder in concreto verlangt wird. Allgemein gilt jedoch, dass weder die abstrakte noch die konkrete Betrachtungsweise eine inhaltliche Identität der Strafgesetze des ersuchenden und ersuchten Staates verlangt.145 Im Unterschied zum Auslieferungsrecht wird auf das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit im Bereich der sonstigen Rechtshilfe überwiegend verzichtet. Im Vergleich zur Auslieferung betrifft die sonstige Rechtshilfe nicht unbedingt die Individualrechte des Verfolgten. So stellen die nordischen Staaten dem Verfolgten eine Ladung vor Gericht auch ohne das Vorliegen beiderseitiger Strafbarkeit zu.146 Ähnlicherweise wird auf beiderseitige Strafbarkeit für die Beweiserhebung verzichtet. Eine Ausnahme bildet der Umstand, dass die Beweiserhebung Rechte Dritter betrifft, wie z. B. die Durchsuchung oder Beschlagnahme. Generell wird beiderseitige Strafbarkeit im Bereich der sonstigen Rechtshilfe dann verlangt, wenn die ersuchte Rechtshilfehandlung als eine gegen die Interessen des Verfolgten gerichtete strafrechtliche Maßnahme anzusehen ist. Die Vollstreckungshilfe beruhte grundsätzlich auf dem Vorliegen beiderseitiger Strafbarkeit, es bestand jedoch keine Einigkeit darüber, ob sie nach der abstrakten oder nach der konkreten Betrachtungsweise beurteilt werden sollte. Teilweise wurde im Rahmen des Exequaturverfahrens sogar geprüft, ob der Richter des Urteilstaates den Notstand beachtet hatte,147 während nach anderer Ansicht die beiderseitige Strafbarkeit in abstracto für die Übernahme der Strafvollstreckung ausreichte. In der jüngeren Vergangenheit wurde der Verzicht auf das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit im Bereich der Vollstreckungshilfe mit Nachdruck gefordert.148 Da beiderseitige Strafbarkeit die strafrechtliche Zusammenarbeit im Grunde einschränkt, kann die Resozialisierung des Verurteilten – die das Hauptanliegen der Vollstreckungshilfe bildet – nicht auf das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit aufgebaut werden. So verlangen z. B. die nordischen Staaten die beidersei145 146
Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 75. Asp, Petter: Nordic Judicial Cooperation in Criminal Matters, Uppsala 1998,
S. 24. 147 Plachta, Michaela: The Role of Double Criminality in International Cooperation in Penal Matters, in: Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab, 1989, S. 123. 148 Wiener, A. Imre: Nemzetközi Bu ˝ nügyi Jogsegély, Budapest 1993, S. 50.
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tige Strafbarkeit für die Übernahme der Strafvollstreckung nicht.149 Während die Auslieferung für die Zwecke der Strafvollstreckung den Interessen der Strafverfolgung dient, wird die Übernahme der Strafvollstreckung im Interesse des Verurteilten ersucht. Es ist geradezu paradox und sinnlos, die Übernahme der Strafvollstreckung aufgrund verschiedener Voraussetzungen, wie z. B. beiderseitiger Strafbarkeit zu verweigern, wenn die Zusammenarbeit eigentlich im Interesse des Verurteilten liegt (dazu näher in § 7).150 Das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit bedeutet im Auslieferungsund Rechtshilfeverfahren, dass der Richter des ersuchten Staates die Strafbarkeit der Tat gemäß dem Recht der lex fori prüfen muss.151 Der Richter stellt mit Blick auf das inländische Strafrecht fest, ob die Tat auch nach dem eigenen Strafrecht eine Straftat darstellt. Sollte die Tat nach dem Recht des ersuchten Staates keine Straftat verwirklichen, muss die Auslieferung bzw. die Rechtshilfe – soweit beiderseitige Strafbarkeit verlangt wird – verweigert werden. In der Europäischen Union wird das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit grundsätzlich zurückgedrängt. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit die strafrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten erheblich beschränken kann. Anderseits ist sie aber im Lichte der Beachtung der Menschenrechte von den Mitgliedstaaten für die Gewährleistung der Individualrechte des Verfolgten nicht notwendig. Vorsichtigere Stimmen weisen jedoch auf die Möglichkeit hin, dass die Strafbarkeit im ersuchenden Staat mit dem ordre public des ersuchten Staates oder mit Grund- und Menschenrechten nicht vereinbar sein könnte. Daher wird anstatt einer völligen Abschaffung des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit ihre Ersetzung durch einen ordre public- oder Menschenrechtsvorbehalt vorgeschlagen.152 II. Die allgemeinen negativen Voraussetzungen Im internationalen Strafrecht wird zwischen den positiven und negativen Wirkungen eines Strafurteils unterschieden. Unter positiver Wirkung wer149 Träskman, Per Ole: Should we take the Condition of Double Criminality Seriously?, in: Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab, 1989, S. 145. 150 Träskman, Per Ole: Should we take the Condition of Double Criminality Seriously?, in: Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab, 1989, S. 154. 151 Wyngaert betont, dass beiderseitige Strafbarkeit sowohl für die Strafgewalt als auch für die strafrechtlichen Zusammenarbeit Voraussetzung ist Vgl. dazu van den Wyngaert, Christine: Double criminality as a requirement to jurisdiction, in: Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab, 1989, S. 50. 152 Ausdrücklich in dieser Richtung Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 74.
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den diejenige Maßnahmen zusammengefasst, die die Behörden des einen Staates aufgrund des Strafurteils eines anderen Staates vornehmen müssen oder können. Eine solche Wirkung ist z. B. die das ausländische Strafurteil auf die im innerstaatlichen Urteil anzuwendende Einstufung ausübt. Die negative Wirkung bedeutet, dass das ausländische Strafurteil die Tätigkeit der innerstaatlichen Strafverfolgungsbehörden hindert. Das Prinzip ne bis in idem,153 wonach niemand zweimal wegen derselben Tat strafrechtlich verfolgt werden darf, ist innerstaatlich fast in allen Staaten Europas rechtlich verankert.154 Eine entsprechende allgemeine Regelung dieses Grundsatzes für den zwischenstaatlichen Bereich ist jedoch nicht so eindeutig. Bis in die nähere Vergangenheit haben viele nationale Strafgesetzgebungen die Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Strafentscheidungen und die Eingrenzung nationaler Strafverfolgungstätigkeit bewusst vermieden. Die wenigen Strafrechtskodizes, die versucht haben, den ne bis in idem Grundsatz zur internationalen Geltung zu verhelfen,155 taten dies ohne die vollständige Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Strafentscheidungen.156 Die internationale Anwendung des ne bis in idem-Prinzips erlangte erst in den 153 Die Entstehungsgeschichte des Grundsatzes geht bis in die Antike zurück. Ausführlich zur Geschichte Rüping, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 103 Abs. 3 Rnd. 1 ff. Im englischsprachigen Schrifttum findet man auch die Ausdrucksweise „non bis in idem“, was aber dasselbe bedeutet. 154 Zusammenfassend dazu Dannecker, Gerhard: Community Fines and NonMember States Sanctions, the Effect of the Principles „ne bis in idem“, in: A. Eser (Hrsg.): Neighbours in law. Are common law and civil law moving closer?; Papers in honour of Barbara Huber on her 65th birthday, Freiburg i. Breisgau, 2001, S. 157. Die Geltung des ne bis in idem-Prinzips ist sowohl für den anglo-amerikanischen als auch für die kontinentaleuropäischen Rechtssysteme eine rechtstaatliche Selbstverständlichkeit. Umfassend dazu Thomas, Herbert: Das Recht auf die Einmaligkeit der Strafverfolgung: vom nationalen zum internationalen ne bis in idem, BadenBaden 2002, S. 78–90. 155 Zur Zeit anerkennen nur die niederländische und die spanische Strafgesetzbücher ausländische Strafentscheidungen als Hindernis der innerstaatlichen Strafverfolgung. Nachweise bei Schermers, Henry G.: Non bis in idem, in: F. Capotorti (Hrsg.): Du droit international au droit de l’intégration, Baden-Baden 1987, S. 607. und Schlosser, Peter: Jurisdiction and international judicial and administrative cooperation, Recueil des Cours, The Hague 2000, S. 357–358. 156 So anerkennen Frankreich, Belgien, Luxemburg und Österreich die Rechtskraft ausländischer Strafentscheidungen, soweit die Tat nicht auf ihrem Staatsgebiet ausgeführt wurde und demzufolge der Territorialitätsgrundsatz eine Aburteilung aufgrund des nationalen Rechts nicht gestattet. Vgl. dazu Art 692 des französischen Code de Procédure Pénale und Art. 13 Abs. 1 der Einleitungsdirektiven des belgischen Code d’Instruction Criminelle, Art. 5 des luxemburgischen Code d’Instruction Criminelle, Art. 65 Abs. 4 öStGB. Eine ähnliche Regel wird auch in England angewendet, vgl. R v. Hutchinson [1677] 3 Keb. 785., zitiert in Report of the Legal Affairs Committee of the European Parlaiment, Human Rights Law Journal 1984, S. 392.
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letzten Jahren durch den Abschluss bi- und multilateraler Übereinkommen insbesondere innerhalb des Europarats Bedeutung. 1. Völkerrechtliche Verankerung des ne bis in idem-Grundsatzes Die internationale Regelung des ne bis in idem-Grundsatzes ist vor allem wegen der Ausdehnung der nationalen Strafgewalten notwendig.157 Falls die Strafgewalt mehrerer Staaten auf dieselbe Tat begründet ist, kann es dazu kommen, dass jemand wegen derselben Tat in mehreren Staaten strafrechtlich verfolgt und abgeurteilt wird. Die Forderung auch ausländische Strafrechtsentscheidungen anzuerkennen wurde erstmals vom Institut de Droit International im Jahre 1883 erhoben.158 Das Institut verlangte in seinem Beschluss die Anerkennung von ausländischen Verurteilungen, wenn die Strafe vollzogen worden war.159 Seither wurde die überstaatliche Wirkung des ne bis in idem-Grundsatzes auf zahlreichen internationalen Tagungen diskutiert. Zuletzt sprach sich der XVI. Kongress der Association International de Droit Pénal eindeutig für die Verwirklichung eines internationalen ne bis in idem-Grundsatzes aus.160 Die nachdrückliche Forderung nach einer transnationalen ne bis in idem-Regelung hängt mit moderner Kriminalpolitik zusammen. Bis Mitte des letzten Jahrhunderts stand das Strafverfolgungsinteresse der Staaten an erster Stelle, das die nachteiligen Konsequenzen von Strafgewaltkonflikten ausblenden ließ.161 Aus der traditionellen Einstellung der Staaten, die die Auslieferung eigener Staatsangehörigen und die Vollstreckung ausländischer Strafurteile verweigerte, folgte, dass dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch nur durch die Nichtanerkennung des ne bis indem Rechnung getragen werden konnte. Erst Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre konnte sich der Ansatz durchsetzen, der den Täter nicht mehr als bloßes Objekt zwischenstaatlicher Zusammenarbeit in Strafsachen betrachtet, son157 So auch Hecker, Bernd: Das Prinzip „ne bis in idem“ im Schengener Rechtsraum, StV 2001, S. 306. 158 Nachweise bei Oehler, Dietrich: Internationales Strafrecht, 2. neubearb. Aufl., Köln 1983, Rn. 950. 159 Abgedruckt in: Annuiaire de l’Institut de Droit International, VII. année, 1883 – 1885, S. 156 ff. Zitiert von Thomas, Herbert: Das Recht auf die Einmaligkeit der Strafverfolgung: vom nationalen zum internationalen ne bis in idem, Baden-Baden 2002, S. 90. 160 Resolution of Section IV of the XVIth International Congress on Penal Law, abgedruckt in: Wiener, A. Imre (Hrsg.): Congress Proceedings – Csemegi Emlékkönyv, Budapest 2000, S. 259. 161 Lagodny, Otto: Empfiehlt es sich eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, 2001, http://www.sbg.ac.at/ssk/largo.pdf, S. 24.
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dern vielmehr als Subjekt wahrnimmt, dem durch die simultane Strafverfolgung mehrerer Staaten nicht unerhebliche Nachteile zugefügt werden.162 Obwohl das Fehlen eines transnationalen ne bis in idem in den meisten Staaten aus individualrechtlicher Gründen ein Problem darstellt, wird – soweit die Frage überhaupt angesprochen wird – als Rechtfertigung für den beschränkten Anwendungsbereich des Grundrechts auf die Souveränität des nationalen Rechts verwiesen.163 Ursachen einer Strafverfolgung durch mehr als einen Staat sind auf das mangelnde Vertrauen in die objektive Gerechtigkeit ausländischer Entscheidungen, die mangelnde Bereitschaft zum Verzicht auf staatliche Souveränität bzw. den nationalen Strafanspruch zurückzuführen.164 Die internationalen Übereinkommen zu den Menschenrechten bieten auch keinen Schutz gegen eine Doppelverfolgung auf internationaler Ebene. Sowohl Art. 4 des Siebten Zusatzprotokolls zur EMRK165 als auch Art. 14 Abs. 7 des Internationalen Pakts über die bürgerlichen und politischen Rechte beziehen sich auf das innerstaatliche ne bis in idem.166 In den meisten nationalen Strafrechtssystemen ist wenigstens die Anrechnung einer im Ausland wegen derselben Tat verbüßten Strafe auf die im Inland verhängte Strafe gewährleistet.167 Auf diese Weise sollten zumindest die Sanktionsfolgen für den doppelt Verurteilten gemildert werden.
162 So bereits die Entschließungen der IV. Sektion des VIII. internationalen Kongresses für Strafrecht in Lissabon, 1961, ZStW 1962, S. 195 ff. 163 So die Feststellung von Jung, Heike: Zur Internationalisierung des Grundsatzes ne bis in idem, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag, Köln, 1993, S. 495. Das Bundesverfassungsgericht erblickt in der ausschließlich innerstaatlichen Anwendung des ne bis in idem-Grundsatzes keinen Verfassungsverstoß. BVerfGE 75, 1, 15 ff. 164 Grundlegend Schermers, Henry G.: Non bis in idem, in: F. Capotorti (Hrsg.): Du droit international au droit de l’intégration, Baden-Baden 1987, S. 605. Nun auch Ebensprenger, Stefan: Strafrechtliches „ne bis in idem“ in Österreich unter besonderer Berücksichtigung internationaler Übereinkommen, ÖJZ 1999, S. 171. 165 Das Siebte Zusatzprotokoll vom 22. November 1984 spricht in Art. 4. von „under the jurisdiction of the same state“. European Treaty Series No. 117. Das Siebte Zusatzprotokoll ist am 1.11.1988 in Kraft getreten. 166 Ausführlich dazu Morosin, Michele: Double Jeopardy and International Law: Obstacles to Formulating a General Principle, Nordic Journal of International Law 1995, S. 262 ff. 167 „Damit dem Täter jedoch durch wiederholte Verurteilung kein Unrecht geschieht, wird eine im Ausland wegen derselben Tat erkannte und vollstreckte Strafe oder sonstige Freiheitsentziehung auf die im Inland zu erkennende Strafe angerechnet.“ Vgl. dazu Jescheck, Hans-Heinrich/Weigend, Thomas: Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Berlin 1996, S. 176.
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Die ersten ausdrücklichen Anerkennungen eines internationalen ne bis in idem-Grundsatzes bieten die Rechtshilfevereinbarungen des Europarats, die allerdings nicht die generelle Anerkennung ausländischer Entscheidungen zum Gegenstand haben, sondern die zwischenstaatliche Rechtshilfe regeln. So bildet der Grundsatz ne bis in idem z. B. im Europäischen Auslieferungsübereinkommen ein tragendes Auslieferungshindernis. Danach wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn der Verfolgte wegen Handlungen, deretwegen Auslieferung ersucht wird, von den zuständigen Behörden des ersuchten Staates rechtskräftig abgeurteilt worden ist.168 Dieses Auslieferungshindernis wurde dann im Ersten Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen konkretisiert. Demnach wird die Auslieferung einer Person, gegen die in einem Drittstaat, der Vertragspartei des Übereinkommens ist, wegen der dem Ersuchen zu Grunde liegenden Handlung ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist, nicht bewilligt, wenn (a) das Urteil auf Freispruch lautet, (b) die verhängte Freiheitsstrafe oder andere Maßnahme ganz vollstreckt ist, oder, soweit sie nicht vollstreckt ist, Gegenstand einer Begnadigung oder einer Amnestie ist, (c) der Richter die Schuld des Täters feststellt, aber keine Sanktion verhängt hat. In den unter (a)–(c) genannten Fällen kann jedoch die Auslieferung bewilligt werden, wenn sich die dem Ersuchen zu Grunde liegende Handlung gegen eine Person richtet, die im ersuchenden Staat ein öffentliches Amt bekleidet. Entsprechendes gilt für Ersuchen gegen eine öffentliche Einrichtung in diesem Staat. Der Vorrang des Territorialitätsgrundsatzes beweist, dass ne bis in idem kein Auslieferungshindernis bildet, wenn die dem Urteil zu Grunde liegende Handlung ganz oder teilweise auf dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates begangen wurde.169 Insbesondere wurde ne bis in idem in Art. 53 des Europäischen Übereinkommens über die internationale Gültigkeit von Strafurteilen von 1970 verankert. Das Übereinkommen sieht die Möglichkeit der Übertragung der Strafvollstreckung von Strafurteilen gegenüber Ausländern an den Heimatstaat vor. Damit soll als Ausdruck des Resozialisierungsgedankens Ausländern der Strafvollzug in einem fremden Land erspart werden.170 Art. 53 sieht das Verbot der ne bis in idem zwischen den Vertragsstaaten sowohl für einen Freispruch als auch für die Verurteilung vor. Dieses Übereinkommen ist allerdings bislang nur von wenigen Staaten ratifiziert worden.171 168
Art. 9 European Convention on Extradition, 13 December 1957, ETS No. 24. Art. 2 Second Additional Protocol to the European Convention on Extradition, 17 March 1978, ETS No. 98. 170 Müller-Rappard, Ekkehart: Inter-State Cooperation in Penal Matters Within the Council of Europe Framework, in: C. Bassiouni (Hrsg.): International Criminal Law, Band 2: Procedural and Enforcement Mechanisms, 2. Aufl., Ardsley/New York 1999, S. 340. 169
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Das Europäische Übereinkommen über die Übertragung der Strafverfolgung enthält in den Artikeln 35–37 eine Regelung des ne bis in idem, die sich mit derjenigen im Europäischen Übereinkommen über die internationale Gültigkeit von Strafurteilen deckt.172 Ähnlicherweise gewährleistet das Europäische Überstellungsübereinkommen die Vollstreckung einer Sanktion nach erfolgter Überstellung auch den Grundsatz ne bis in idem, um zu verhindern, dass der Verurteilte wegen derselben Taten mehrfach strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird.173 Neben den Europaratsübereinkommen wurden auch in die deliktspezifischen Übereinkommen der Europäischen Union ne bis in idem-Bestimmungen aufgenommen. So verbietet Art. 7 Abs. 1 BetrugÜbk174 hinsichtlich rechtskräftiger ausländischer Gerichtsentscheidungen, die den Schutz der Finanzinteressen der EG betreffen, eine Doppelverfolgung. Es fehlen aber Regelungen zur Anrechnung bereits vollstreckter Strafen im Fall einer Doppelverurteilung und Vorschriften über Auskunftsverlangen im Fall einer drohenden Doppelbestrafung. Wichtig ist die Regelung im Art. 6 Abs. 2, wonach eine Doppelverfolgung in mehreren Mitgliedstaaten von Anfang an vermieden werden sollte. Diese Vorschrift sieht ein Koordinationsverfahren in dem Sinne vor, dass im Fall der Gerichtsbarkeit und Verfolgbarkeit in mehreren Mitgliedstaaten diese darüber entscheiden sollen, welche von ihnen den oder die Täter verfolgt, um die Strafverfolgung nach Möglichkeit in einem Staat zu konzentrieren. Art. 7 kommt zur Anwendung, wenn eine solche Koordinationsentscheidung nicht möglich war. Das BestechungÜbk175 enthält den ne bis in idem-Grundsatz in Art. 10. Dieser Artikel entspricht zunächst wortwörtlich Art. 7 des BetrugÜbk, enthält aber darüber hinaus in Abs. 3 noch das Anrechnungsprinzip. In Art. 9 Abs. 2 BestechungÜbk ist ein dem BetrugÜbk entsprechendes Koordinationsverfahren vorgesehen.
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Näher dazu in § 7. European Convention on the International Validity of Criminal Judgements, 28 May 1970, ETS No. 70. 173 Art. 8 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS no. 112. 174 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. C 316/49 vom 27.11.1995. 175 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrages über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind – Korruptionsübereinkommen, ABl. 1997 Nr. C 195/2 vom 25.6.1997. 172
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2. Internationales ne bis in idem als Grundrecht in der EU Auch ohne die ne bis in idem-Bestimmungen europäischer Rechthilfevereinbarungen weiter vorzustellen,176 dürfte seine weitgehende völkerrechtliche Bedeutung kaum bezweifelt werden.177 Trotzdem ist dieses Prinzip nach übereinstimmender Meinung von Lehre178 und Rechtssprechung179 kein Satz des Völkerrechts, weder als Gewohnheitsrecht noch als allgemeiner Rechtsgrundsatz. In Bezug auf die Europäische Union dürfte sich jedoch die Lage mit Blick auf Art. 50 der vor kurzem angenommenen Grundrechtecharta der Europäischen Union, die dem Grundsatz ne bis in idem einen quasi verfassungsrechtlichen Status verleiht, sowie im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des EuGH geändert haben (dazu sogleich). Art. 50 der Grundrechtecharta steht unter der Überschrift „Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden“ und lautet: „Niemand darf wegen einer Straftat, deretwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.“
Gegenwärtig entfaltet die Grundrechtecharta zwar keine Rechtsverbindlichkeit, ihre Wichtigkeit lässt sich jedoch bereits daran ablesen, dass sie weitgehend unverändert in die Europäische Verfassung übernommen wurde.180 Der EuGH hat sie bereits zur Grundlage seiner Rechtsprechung 176 Eine detailliierte Aufzählung aller einschlägigen Bestimmungen bei Lagodny, Otto: Empfiehlt es sich eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, 2001, http://www.sbg.ac.at/ssk/largo.pdf, S. 55–58. 177 So auch Rüping; in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 103 Abs. 3 Rnd. 88, 93 ff. 178 Auf diesem Standpunkt stehen u. a. Epp, Helmut: Der Grundsatz „ne bis in idem“ im internationalen Rechtsbereich, ÖJZ 1979, S. 36; Blakesley, Christopher/ Lagodny, Otto: Competing National Laws: Network or Jungle?, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 99; Jung, Heike: Zur Internationalisierung des Grundsatzes ne bis in idem, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag, Köln, 1993, S. 497; Thomas, Herbert: Das Recht auf die Einmaligkeit der Strafverfolgung: vom nationalen zum internationalen ne bis in idem, Baden-Baden 2002, S. 78–90. 179 Im Jahre 1963 stellte die Europäische Menschenrechtskommission fest, dass „[neither] Art. 6 [n]or any another article of the Convention guarantees either expressly or by implication the principle of non bis in idem“. Vgl. X against Austria, Application 1519/62 of 27 March 1963, Yearbook on the European Convention on Human Rights 1963, S. 348. 180 In diesem Sinne hat auch die Kommission verkündet, dass nach der Proklamation der Charta eine Nichtbeachtung der darin niederlegten Grundrechte durch die
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gemacht. Generalanwalt Dámaso Ruíz-Jarabo Colomer hat in seinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Gözütök und Brügge ausgeführt: „Das Ne-bis-in-idem-Prinzip ist [. . .] keine Verfahrensregel, sondern ein Grundrecht der Bürger in den Rechtssystemen, die [. . .] darauf beruhen, dass dem Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt eine Reihe von Rechten und Freiheiten zuerkannt wird.“181 [Hervorhebung der Verfasserin]
Diese ersten Ansätze könnten zur allgemeinen Anerkennung eines internationalen ne bis in idem innerhalb der Europäischen Union als Grundrecht von Verfassungsrang führen. 3. Art. 54 SDÜ In der Praxis hat bereits Art. 54 SDÜ für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen wesentlichen Fortschritt verwirklicht, der das Verbot der Doppelverfolgung enthält. Die Regelung in Art. 54 SDÜ entspricht nahezu wortwörtlich dem 1987 im Rahmen der EPZ geschaffenen Übereinkommen über das Verbot der doppelten Strafverfolgung182 [Ne-bis-in-idemEG]. Der Unterschied zwischen den beiden Übereinkommen besteht darin, dass, während das Ne-bis-in-idem-EG das ausschließliche Ziel verfolgte, ein Verbot der Doppelbestrafung im EG-Bereich zu schaffen, die Schengener Verträge auf die Einrichtung eines Wirtschaftsraumes ohne Binnengrenzen abzielen. Da dies die Durchsetzung eines freien Personen-, Warenund Dienstleistungsverkehrs bedeutete, musste gleichzeitig eine verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit ins Werk gesetzt werden, um der ansteigenden Kriminalität entgegentreten zu können. In diesem Zusammenhang schien die Einführung eines überstaatlichen ne bis in idem geboten, um mittels der Verstärkung der polizeilichen Zusammenarbeit auch die Fälle von Doppelbestrafungen nicht zu vervielfachen. Da sich die räumlichen Anwendungsbereiche der SDÜ und Ne-bis-in-idem-EG immer noch nicht decken, führt diese Doppelregelung in den zwei Übereinkommen trotz gleicher vertraglicher Regelung zu unbilligen Ergebnissen. Ein VerfolgungsEG-Organe nicht vorstellar sei (vgl. dazu Mitteilung der Kommission über die Charta der Grundrechte der Europäischen Union von 13 September 2000, KOM (2000) 559.) Hiermit stellte die Proklamation der Charta eine selbst auferlegte Verpflichtung der EG-Organe dar, die genannten Grundrechte im Gange ihrer Rechtssetzungstätigkeit zu beachten. 181 EuGH Urt. vom 11.2.2003 – verb Rs. C-187/01 und C-385/01, Anm. NJW 2003, S. 1173 ff. 182 Übereinkommen vom 25. Mai 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung. Dieses Übereinkommen wurde außerhalb der institutionellen Rahmen der EG abgeschlossen.
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hindernis besteht nämlich immer nur gegenüber den jeweiligen Vertragspartnern.183 Gemäß Art. 54 SDÜ gilt: „Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird, oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.“
Obwohl dessen Überschrift in der deutschen Fassung „Verbot der Doppelbestrafung“ lautet, enthält Art. 54 SDÜ eindeutig ein Doppelverfolgungsverbot.184 Art. 54 SDÜ ist daher kein (bloßes) Rechtshilfehindernis – wie in den völkerrechtlichen Übereinkommen des Europarats und des Dritten Pfeilers der EU –, sondern ein Verfahrenshindernis.185 Das Verbot gilt dann, wenn eine Person durch eine Vertragspartei wegen derselben Tat rechtskräftig abgeurteilt worden ist. Diese Formulierung wirft zwei weitere Fragen auf: erstens, was bedeutet „dieselbe Tat“, und zweitens, was gilt als „abgeurteilt“? a) Tatbegriff Obwohl die verbindlichen Fassungen von Art 54 SDÜ bezüglich des ersten Fragekreises eindeutig sind, hat das Kriterium der „derselben Tat“ heftige theoretische Diskussionen ausgelöst. Alle Fassungen des Art. 54 SDÜ sprechen von „derselben Tat“.186 Dies bedeutet, dass eine ausländische Aburteilung wegen derselben Tat im inländischen Strafverfahren auch dann als res judicata gilt, wenn die Tat nach ausländischem Strafrecht anders bewertet wurde als nach inländischem Strafrecht. 183 Beispiele bei Ebensprenger, Stefan: Strafrechtliches „ne bis in idem“ in Österreich unter besonderer Berücksichtigung internationaler Übereinkommen, ÖJZ 1999, S. 171. An diesem Punkt schafft auch die neuste griechische Initiative keine Abhilfe, da sie neben einem vergleichsweise eng gefassten Ne-bis-in-idem-Schutz die Anwendung weiter gehender innerstaatlicher Bestimmungen zulässt. Vgl. Art. 7 der Inititiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips, ABl. 2003 Nr. C 100/24 vom 26.4.2003. 184 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 966–967. 185 So auch Ebensprenger, Stefan: Strafrechtliches „ne bis in idem“ in Österreich unter besonderer Berücksichtigung internationaler Übereinkommen, ÖJZ 1999, S. 182. 186 In der niederländischen Fassung: „kann terzake niet meer worden vervolgd wegens dezelfde feiten“; in der französischen Fassung: „ne peut, pour les mêmes faits, être poursuivie“.
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Demgegenüber vertreten Wyngaert und Stessens die Meinung, dass „Without expressing an opinion as to the exact meaning of Art. 54 of the Schengen Convention, any general international non bis in idem provision should, in principle, bar only new prosecutions for the same offence, not for the same facts.“187 [Hervorhebung der Verfasserin]
Dahinter verbirgt sich die Debatte, ob man auf überstaatlicher Ebene einen ne bis in idem-Schutz nur abgängig von der gleichen Einstufung im inländischen und ausländischen Strafrecht gewähren soll. Der Ursprung des Problems liegt in den unterschiedlichen Tatbegriffen der kontinentaleuropäischen und angloamerikanischen Rechtskreise.188 Während die kontinentalen Rechtssysteme auf die Fakten abstellen, gehen die angloamerikanischen Rechtsordnungen von dem dem Urteil zu Grunde liegenden Delikt aus.189 Diese unterschiedlichen Interpretationen sind durch die Rolle, die der Staat im Strafverfahren einnimmt, geprägt. In angloamerikanischen Rechtssystemen kann die Staatsanwaltschaft unter den Tatsachen selektieren und nach ihrem Ermessen entscheiden, welche Delikte sie anklagt.190 Demgegenüber ist die Staatsanwaltschaft in den kontinentaleuropäischen Ländern verpflichtet, alle Delikte zu verfolgen, welche sich aus den zu Grunde liegenden Tatsachen ergeben. Daher ist sie an der weiteren Verfolgung von Delikten gehindert, unabhängig von der rechtlichen Beurteilung dieser Delikte. In angloamerikanischen Kreisen darf dagegen eine erneute Klage hinsichtlich der nicht zur Anklage gebrachten Delikte ergehen.191 Eine erneute Klage ist nur dann ausgeschlossen, wenn die der alten und neuen Klage zu Grunde liegenden Delikte die gleichen faktischen und rechtlichen Elemente aufweisen.192 187 van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: The International Non Bis In Idem Principle: Resolving Some of the Unanswered Questions, ICLQ 1999, S. 791. 188 Dazu kommt, dass einzelne nationale Tatbegriffe kontinentaleuropäischer Staaten nicht notwendigerweise übereinstimmen. Der in Deutschland verwendete Test des selben historischen Lebenssachverhalt muss mit dem belgischen Test der selben zu Grunde liegenden Tatsachen nicht übereinstimmen. Vgl. dazu van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: The International Non Bis In Idem Principle: Resolving Some of the Unanswered Questions, ICLQ 1999, S. 791. 189 Dementsprechend spricht die englische Übersetzung des Art. 54 SDÜ – wie im Übrigen auch das Ne-bis-in-idem-EG – von Delikten (offences). Die englische Fassung ist zwar keine authentische Vertragssprache des SDÜ, es verdeutlicht jedoch die unterschiedliche Auffassung angloamerikanischer Staaten. 190 Morosin, Michele: Double Jeopardy and International Law: Obstacles to Formulating a General Principle, Nordic Journal of International Law 1995, S. 262 ff. 191 Lopez, Dax Eric: Not Twice for the Same: How the dual Sovereignty Doctrine is Used to Circumvent Non Bis In Idem, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2000, S. 1282. 192 Wiener, A. Imre: A ne bis in idem elv érvényesítéséro ˝ l, Bünteto˝jogi Kodifikáció, 2003/1–2., S. 66.
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Diejenigen, die im Unterschied zum SDÜ eine Doppelverfolgung nur bei Aburteilungen wegen derselben Straftaten, nicht jedoch wegen derselben Taten als begründet sehen, wenden gegen einen staatenübergreifenden ne bis in idem-Schutz ein, ein solcher setze ein einheitliches Strafrecht in den betroffenen Staaten voraus. Da nationale Strafverfolgungsbehörden nur Straftaten nach eigenem Strafrecht und nicht solche nach dem Strafrecht anderer Mitgliedstaaten anklagen können, verhindert Art. 54 SDÜ, dass die Schengen-Staaten solche Straftaten verfolgen, die die rechtskräftig abgeurteilte Handlung nach ihren Strafrechten verwirklicht, die jedoch keine Straftat nach dem ausländischen Strafrecht darstellen. Darüber hinaus könne dem Schutzbedürfnis des in einem anderen Staat wegen derselben Sache erneut Verurteilten durch das Anrechnungsprinzip angemessen Rechnung getragen werden.193 In Anbetracht dieser Argumente schlagen Wyngaert und Stessens als Lösung vor, einem engen, die gleiche Einstufung verlangenden ne bis in idemSchutz ein weites, tatbezogenes Anrechnungsprinzip zur Seite zu stellen.194 Dieser Vorschlag ist aber von einem grundsätzlichen Misstrauen hinsichtlich der Strafrechtssysteme anderer Staaten geprägt. Jede Art von Zusammenarbeit auf strafrechtlichem Gebiet setzt das gegenseitige Vertrauen in das Funktionieren der Rechtssysteme anderer Mitgliedstaaten voraus. Ein solches Vertrauen ersetzt die Notwendigkeit uniformer Strafrechte. Das Fehlen dieses Vertrauens macht anderseits den Ausbau einer international arbeitsteiligen Strafverfolgung unmöglich. Mit Blick auf das von Wyngaert und Stessens beschriebene Problem wäre nach Meinung der Verfasserin der Ansatz am besten geeignet, welcher für die internationale Geltung des ne bis in idem-Grundsatzes die zum Gegenstand der Aburteilung gemachten Rechtsgüter beachten würde.195 Dieser Lösungsansatz würde zugleich der ähnlichen Beurteilung von Straftaten und den Ähnlichkeiten der mitgliedstaatlichen Rechtssystemen Rechnung tragen. Der italienische Verfassungsgerichthof hatte in einer Entscheidung aus dem Jahre 1967 festgestellt, dass ein ausländisches Strafurteil die inländische Strafverfolgung nur dann ausschließt, wenn die politische, gesellschaft193 In Deutschland § 51 StPO, in Österreich §§ 38, 66 (ö)StGB, in Belgien Art 13 der Einleitungsdirektiven des belgischen Code d’Instruction Criminelle. Gemäß Art. 56 SDÜ sind die Schengen-Staaten verpflichtet, für den Fall einer erneuten Strafverfolgung eine Freiheitsentziehung auf eine Sanktion, die wegen derselben Tat verhängt wird, anzurechnen, wenn das nationale Recht es zulässt. 194 van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: The International Non Bis In Idem Principle: Resolving Some of the Unanswered Questions, ICLQ 1999, S. 793– 794. 195 Ligeti, Katalin: Nemzetközi bu ˝ nügyi együttmu˝ködés az Európai Unióban, MTA Közlemények, Budapest 2001, S. 51–52.
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liche und rechtliche Beurteilung der Handlung in beiden Staaten gleich ist.196 Falls das Verbot der Doppelverfolgung aus der Sicht des geschützten Rechtsgutes angegangen wird, schließt eine rechtskräftige Aburteilung der Tat eine anschließende Verfolgung im Ausland nur dann aus, wenn der Verstoß gegen das Rechtsgut, auf das sich der Schutz des ausländischen Strafrechts richtet, bereits im ersten Urteil geahndet wurde. Wird etwa in das Konsultat des Staates A im Staat B eingebrochen, worauf Staat B den Täter wegen Diebstahls verurteilt, könnte Staat A den Täter erneut wegen Verletzung der Staatssicherheit verfolgen. Da das Urteil des Staates B sich nur auf die Verletzung von Vermögensrechten bezieht, schließt es eine erneute Verfolgung wegen Verstoßes gegen die Staatssicherheit nicht aus. Da die erneute Verfolgung der Verletzung eines anderen Rechtsguts gilt, verletzt sie die Menschenrechte des Täters nicht. Sollte jedoch Staat A auch wegen des Diebstahls vorgehen, würde dies gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen. Eine zu harte Bestrafung könnte durch das Anrechnungsprinzip vermieden werden. Die Anwendung des Anrechnungsprinzips zu Gunsten des Täters ist deswegen geboten, weil ein Gericht, das Gelegenheit zu einer umfassenden und abschließenden strafrechtlichen Würdigung der Tat gehabt hätte, zu einer Gesamtstrafe gelangt wäre. Diese Ansicht unterstützt auch die jüngste Rechtsprechung des EuGH. In den verbundenen Rechtssachen Gözütök und Brügge hatte der Gerichtshof zum ersten Mal die Gelegenheit, zum Art. 54 SDÜ zu befinden. In den Rechtssachen Gözütök und Brügge ging es darum, ob die Annahme eines von der niederländischen Staatsanwaltschaft angebotenen Vergleichs bzw. die Einstellung des Verfahrens durch die deutsche Staatsanwaltschaft die Strafklage in einem anderen Mitgliedstaat verbraucht. Generalanwalt Dámaso Ruíz-Jarabo Colomer hat in seinen Schlussanträgen ausgeführt: „Nach der klassischen Formulierung des Ne-bis-in-idem-Prinzips muss Identität in drei Punkten bestehen: derselbe Sachverhalt, ein einziger Täter und ein einziges geschütztes Rechtsgut – ein und derselbe Wert, der geschützt ist. Entscheidend ist nicht der Umstand, dass der Strafanspruch innerhalb desselben Rechtsystems oder in verschiedenen Rechtssystemen geltend gemacht wird, sondern dass [. . .] für die Entscheidung, ob eine Handlung mehrfach bestraft werden kann, geprüft werden muss, ob mit den verschiedenen Sanktionen dieselben Rechtsgüter geschützt werden sollen, oder ob es sich um unterschiedliche Rechtgüter handelt.“ [Hervorhebung der Verfasserin]197
Durch diese Stellungnahme verdeutlicht der Generalanwalt zugleich, dass wegen der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Tragweite des ne bis in idem-Grundsatzes jede Auslegung vermieden werden sollte, die auf die na196
Zitiert bei Wiener, A. Imre: Nemzetközi Bu˝nügyi Jogsegély, Budapest 1993,
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EuGH Urt. vom 11.2.2003 – verb. Rs. C-187/01 und C-385/01.
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tionalen Rechtsordnungen abstellt. Durch den oben bestätigten Maßstab des geschützten Rechtsguts erfolgt die Prüfung autonom.198 Die autonome, allein auf die in der Aburteilung geschützten Rechtgüter abstellende Anwendung des staatenübergreifenden ne bis in idem-Schutzes löst zugleich das spezifische Problem von Dauerdelikten. Wegen der Unterschiede der mitgliedstaatlichen Strafverfahren warf die Anwendung von Art. 54 SDÜ im Fall von Dauerdelikten, die in mehreren Schengenstaaten begangen wurden, eine Reihe praktischer Probleme auf. Ein Dauerdelikt ist eine Straftat, deren Tatbestand nicht nur in der Begründung eines rechtswidrigen Zustandes, sondern auch in dessen Aufrechterhaltung durch den Täter, besteht (z. B. Freiheitsberaubung oder Entführung). Aus der Sicht eines staatenübergreifenden ne bis in idem-Schutzes besteht ein Problem dann, wenn die einzelnen Taten, die ein Dauerdelikt formen, auf dem Hoheitsgebiet mehrerer Staaten stattfinden. Schomburg fragt zugespitzt: „Verbraucht die Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis die Strafklage wegen erst später entdeckter Tötungsdelikte während dieser einen Fahrt, die in einem Staat als Dauerdelikt abgeurteilt worden ist?“199
Diese von Schomburg gestellte, hypothetische Frage stellt sich insbesondere in Deutschland, wo das Strafverfahrensrecht den prozessualen Tatbegriff kennt. Gemäß der deutschen Rechtsanwendung erstreckt sich die Rechtskraft des Strafurteils auf alle Handlungen des Täters die bei natürlicher Anschauung eine einheitliche Tat bilden. Sollte das Fahren ohne Fahrerlaubnis auf der einen Seite und die Tötung auf der anderen Seite in unterschiedlichen Mitgliedstaaten verübt werden, stellt sich die Frage, ob eine Verurteilung durch eine der betroffenen Schengen-Staaten die Strafklage für andere betroffene Schengen-Staaten verbraucht? Art. 55 Abs. 1 lit. sieht eine Vorbehaltsmöglichkeit zu Art. 54 SDÜ vor, wenn die dem ausländischen Urteil zu Grunde liegende Tat ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde, abgesehen davon, dass die Tat teilweise auf dem Hoheitsgebiet des Urteilsstaats begangen wurde. [hervorgehoben von der Verfasserin] 198 Einen wesentlich restriktiveren Ansatz verkörpert die griechische Initiative zum Doppelverfolgungsverbot. Danach soll eine erneute Verfolgung nur wegen derselben strafbaren Handlung verboten werden, wobei „strafbare Handlung“ als Handlung ausgelegt wird, die nach dem innerstaatlichen Recht jedes Mitgliedstaats eine Straftat bzw. eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Letzteres jedoch nur dann, wenn die Möglichkeit besteht, die Sache vor ein Strafgericht zu bringen. Vgl. Art. 2 Initiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips, ABl. 2003 Nr. C 100/24 vom 26.4.2003. 199 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 967.
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Entsprechend einer Zusammenschau von Art. 55 Abs. 1 lit. und dem von der Verfasserin vorgeschlagenen Rechtsgutstest muss im Fall eines Dauerdelikts derjenige Schengen-Staat, auf dessen Staatsgebiet ein Teil dieses Delikts stattgefunden hat, die Aburteilung des anderen Schengen-Staates in Bezug auf alle Taten des Dauerdelikts als res judicata behandeln, soweit sich die Aburteilung auf das gleiche Rechtsgut bezieht. Richteten sich jedoch einzelne Taten des Dauerdelikts gegen ein Rechtsgut, das in der ausländischen Aburteilung rechtlich nicht bewertet wurde, stünde Art. 54 SDÜ einer zweiten Verfolgung nicht entgegen. Um die hypothetische Frage von Schomburg zu beantworten, wäre die Strafklage im Beispielfall nicht verbraucht. b) Abgeurteilt Der andere strittige Punkt in Art. 54 SDÜ bezieht sich auf den Begriff „abgeurteilt“. Es ist heute akzeptiert, dass neben einer Verurteilung auch ein Freispruch grundsätzlich eine erneute Verfolgung verhindert.200 Da kein erläuternder Bericht zum SDÜ existiert, war aber unklar, ob außer Urteilen noch weitere Rechtsakte unter „abgeurteilt“ fallen. Kann ein Einstellungsbeschluss oder eine verwaltungsrechtliche Entscheidung zu einem internationalen Strafklageverbrauch führen?201 Genau das war der Gegenstand der verbundenen Rechtssachen Gözütök und Brügge. Im Fall Gözütök betrieb der Beschuldigte ohne behördliche Erlaubnis einen coffee-shop in den Niederlanden. Als die niederländische Polizei bei ihm Durchsuchungen durchführte, beschlagnahmte sie bestimmte Mengen an Haschisch und Marihuana. Die aufgrund dessen eingeleiteten Strafermittlungen wurden in Juni 1996 beendet, nachdem der Beschuldigte die ihm von den niederländischen Staatsanwaltschaft angebotenen Vergleiche angenommen und den darin festgelegten Betrag gezahlt hatte. Unabhängig von der niederländischen Strafermittlung machte im Januar 1996 eine deutsche Bank, bei der der Beschuldigte ein Konto führte, die deutschen Strafverfol200
Dies ist insbesondere deswegen wichtig, weil manche nationale Rechtsordnungen nicht immer vorsehen, dass auch Freisprüche ne bis in idem-Wirkung haben. Zum Teil wird eine Unterscheidung gemacht zwischen Freisprüchen aus Mangel an Beweisen (hier wird ne bis in idem in der Regel akzeptiert) und solchen, bei denen die Tat im Staat, der die erste Entscheidung gefällt hat, nicht als Straftat angesehen wird (hier wird ne bis in idem oft nicht akzeptiert). 201 In der deutschen Praxis bereitete die Auslegung von Art. 54 SDÜ Schwierigkeiten insbesondere bezüglich der belgischen transactie (vgl. BGH NStZ 1998, S. 149 mit Anmerkung von Wyngaert und Lagodny), sowie die ordonnance de non lieu par des raisons de fait nach französischem Strafprozessrecht (ausführlich mit Anmerkung Kühne, Hans-Heiner: Ne bis in idem in den Schengener Vertragsstaaten, JZ 1998, S. 878 ff.).
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gungsbehörden auf die großen Geldsummen aufmerksam, die von dem Beschuldigten bewegt wurden. Daraufhin erhob die deutsche Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage, in den Niederlanden mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Das in der Sache zuständige Oberlandesgericht Köln legte die Frage dem EuGH zur Vorabendscheidung vor, ob für Deutschland nach Art. 54 SDÜ Strafklageverbrauch eintritt, wenn nach niederländischem Recht wegen desselben Sachverhalts national die Strafklage verbraucht ist. Im Fall Brügge hat der deutsche Staatsangehörige (Beschuldigte) seiner belgischen Frau vorsätzlich Verletzungen zugefügt. Die deutsche Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren gegen den Beschuldigten, nachdem er den ihm angebotenen Vergleich angenommen und bezahlt hatte, eingestellt. Der Beschuldigte wurde wegen derselben Tat noch mal vor einem belgischen Gericht angeklagt, wo das Opfer wegen der ihm durch die Tätlichkeit entstandenen immateriellen Schäden Schadenersatz forderte. Das belgische Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die belgische Staatsanwaltschaft einen deutschen Staatsangehörigen vor den belgischen Strafrichter laden und ihn verurteilen lassen dürfe, nachdem das Verfahren gegen diesen deutschen Staatsangehörigen von der deutschen Staatsanwaltschaft wegen derselben Handlung nach Zahlung eines Geldbetrages eingestellt worden ist. Bis zum Urteil in Gözütök und Brügge konnte über die Reichweite des Rechtsbegriffes „rechtskräftig abgeurteilt“ in der Rechtsprechung und Literatur keine Einigkeit erzielt werden.202 Schomburg argumentierte, dass im Hinblick auf den Schutz des Einzelnen vor erneuter Strafverfolgung und auf eine weitestgehende Toleranz und Akzeptanz anderer Rechtsordnungen innerhalb des Schengen-Raumes „abgeurteilt“ möglichst weit ausgelegt werden und zumindest jede Art gerichtlicher Verfahrensbeendigung umfassen sollte.203 Dem setzte aber Hecker entgegen, dass dies dazu führen könnte, dass „justizentlastende Erledigungsformen, die einen Verfahrensabschluss ohne gerichtliche Hauptverhandlung ermöglichen, schengenweit desavouiert würden.“
Wer, so Kühne, ließe sich denn noch auf eine vereinfachende Verfahrenserledigung ein, wenn er fürchten müsse, dass ihn diese nicht davor schützt, wenige Kilometer weiter in einem anderen Mitgliedstaat noch einmal verfolgt zu werden.204 Um solches zu vermeiden, schlug Hecker vor, dass jede 202
Hecker, Bernd: Das Prinzip „ne bis in idem“ im Schengener Rechtsraum, StV 2001, S. 307. Zu den widersprüchlichen Ergebnisse siehe Stange, Falk/Rilinger, Nadine: Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens – ne bis in idem?, StV 2001, S. 540–541. 203 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 969.
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verfahrensabschließende und rechtskraftbewirkende Entscheidung als „abgeurteilt“ verstanden werden sollte, die nach dem Recht des Erstverfolgerstaates zu einem Verbrauch der Strafklage führt.205 Diesen Standpunkt schien auch das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen206 zu unterstützen. Letzterer hat eine weitere Verstärkung des Grundsatzes des Verbots der doppelten Strafverfolgung zum Ziel, etwa durch Einschränkung der in Art. 55 SDÜ vorgesehenen Vorbehaltsmöglichkeiten und Anerkennung diversioneller Erledigungen. Nun hat also auch der EuGH in Rechtssachen Gözütök und Brügge das von Hecker vertretene Ergebnis bekräftigt. Nach einer eingehenden Untersuchung mitgliedstaatlicher Rechtssysteme stellte der Gerichtshof fest, dass: „Ein zum Strafklageverbrauch führendes Verfahren [. . .] ist ein Verfahren, in dem die nach der maßgeblichen nationalen Rechtsordnung hierzu befugte Staatsanwaltschaft beschließt, die Strafverfolgung gegen einen Beschuldigten zu beenden, nachdem dieser bestimmte Auflagen erfüllt hat und insbesondere einen bestimmten, von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrag errichtet hat.“207
Durch sein Urteil stellte der Gerichtshof klar, dass „rechtskräftig abgeurteilt“ nicht nur gerichtliche, sondern auch andere verfahrensabschließende Erledigungsformen, die die Strafklage im Entscheidungsstaat verbrauchen und Rechtskraft bewirken, mitumfasst. Hervorgehoben werden soll jedoch, dass es dem EuGH weniger um strafpolitische Erwägungen als um eine wirksame Anwendung des Verbots der Doppelbestrafung im Sinne des Schutzes der Freizügigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten geht. Die Argumentation des Gerichtshofes wird auf das von ihm entwickelten effet-utile-Prinzip gestützt.208 Wann immer eine Person aufgrund einer offiziellen Verfahrenserledigung in einem Mitgliedstaat davon ausgehen kann, dass sie in derselben Sache grundsätzlich209 nicht 204
Kühne, Hans-Heiner: Anmerkung zum EuGH Urteil v. 11.2.2003, JZ 2003, S. 306. 205 Hecker, Bernd: Das Prinzip „ne bis in idem“ im Schengener Rechtsraum, StV 2001, S. 309, anschließend Satzger, Helmut: Die Europäisierung des Strafrechts, Köln/Berlin/Bonn/München 2001, S. 691. 206 Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. 2001 Nr. C 12/10 vom 15.1.2001. 207 EuGH Urt. vom 11.2.2003 – verb. Rs. C-187/01 und C-385/01. 208 Eingehend Radtke, Henning/Busch, Dirk: Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europäischen Union, NJW 2003, S. 283. 209 Kühne weist darauf hin, dass es in jedem Rechtssystem Konstellationen gibt, die es trotz Verfahrensabschlusses möglich machen, gleichwohl noch einmal auf die Sache zurückzukommen. Selbst im Falle rechtskräftiger Urteile eröffnen Wiederauf-
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mehr verfolgt wird, muss sie diese Sicherheit auch in jedem anderen Mitgliedstaat genießen. Der Wechsel von einem Mitgliedstaat in einen anderen darf weder zu einer Veränderung noch gar zu einer Verschlechterung des erreichten strafverfahrensrechtlichen Zustandes führen.210 c) Vollsteckungselement Art. 54 SDÜ setzt ein Vollstreckungselement voraus. Letzteres ergibt sich aus der zweiten Wendung von Art. 54, wonach das Verbot der Doppelverfolgung nur dann gilt, falls „[. . .] die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird, oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.“
Diese Voraussetzung, die auf innerstaatlicher Ebene nicht überall vorgesehen ist, erscheint auf überstaatlicher Ebene angemessen. Jemand, der es schafft, der Justiz des Erstverfolgerstaates erfolgreich zu entfliehen, soll sich in dem anderen Schengen-Staat auf das Doppelverfolgungsverbot nicht berufen können. Ein weiteres Argument für das Vollstreckungselement bei einem Doppelverfolgungsverbot ist, dass in dem geschilderten Fall der zweite Staat oft nicht in der Lage ist, das Urteil des Erstverfolgerstaates zu vollstrecken (dazu in § 7). d) Vorbehalte Das Doppelverfolgungsverbot des SDÜ gilt nicht uneingeschränkt. Gemäß Art. 55 SDÜ können die Vertragstaaten in bestimmten abschließend aufgelisteten Fällen erklären, dass sie durch das Doppelverfolgungsverbot nicht gebunden sind. Dies ist möglich, wenn die dem ausländischen Urteil zu Grunde liegende Tat – ganz oder teilweise auf eigenem Hoheitsgebiet begangen wurde, es sei denn, dass die Tat teilweise auf dem Hoheitsgebiet des Urteilsstaats begangen wurde (Territorialitätsvorbehalt); – eine gegen die Sicherheit oder wesentliche Interessen des Staates gerichtete Straftat darstellt (Sicherheitsvorbehalt). In der Erklärung muss spezinahmeverfahren eine erneute Möglichkeit der Befassung. Kühne, Hans-Heiner: Anmerkung zum EuGH Urteil v. 11.2.2003, JZ 2003, S. 306. 210 Genau dies scheint die griechische Initiative zum Doppelverfolgungsverbot nicht zu berücksichtigen. Nach der Initiative soll sich der ne-bis-in-idem-Schutz nur auf Freispruch bzw. Verurteilung erstrecken; vgl. Art. 2 Inititiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips, ABl. 2003 Nr. C 100/24 vom 26.4.2003.
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fisch genannt werden, welche Straftaten nach dem nationalen Recht des jeweiligen Mitgliedstaats als solche gegen seine Sicherheit und andere wesentliche Interessen verstanden werden. Auf diese Weise kann auch der unbestimmte Rechtsbegriff der „gleichen wesentlichen Interessen“ konkretisiert werden.211 – von einem Bediensteten des Urteilsstaats unter Verletzung seiner Amtspflichten begangen wurde (Beamtenvorbehalt).212
211 Jung, Heike: Zur Internationalisierung des Grundsatzes ne bis in idem, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag, Köln, 1993, S. 500. 212 Der Sicherheitsvorbehalt und der Beamtenvorbehalt sollen auch nach der griechischen Initiative zur Doppelverfolgungsverbot beibehalten werden; vgl. Art. 4 Abs. 1 Inititiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips, ABl. 2003 Nr. C 100/24 vom 26.4.2003.
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§ 5 Auslieferung – Übergabe Der Europäische Haftbefehl hat die Auslieferung für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union abgeschafft und stattdessen die Übergabe geschaffen. Abschnitt I beschreibt die Entwicklung der Voraussetzungen der Auslieferung in der Europäischen Union. Vor diesem Hintergrund wird in Abschnitt II der Europäische Haftbefehl und das Institut der Übergabe erklärt. Der Europäische Haftbefehl213 gilt seit dem 1. Januar 2004 und löst alle bisherigen Instrumente der Auslieferung in den Beziehungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ab. Da für Auslieferungsersuchen, die vor dem 1. Januar 2004 gestellt wurden, noch die im Bereich der Auslieferung bestehenden Instrumente gelten,214 und weil die Regeln des neuen Übergabeverfahrens aus der Vereinfachung des Auslieferungsverfahrens erwachsen sind, werden zunächst die Voraussetzungen der Auslieferung anhand der noch wirksamen Instrumente erörtert. Die Auslieferung zwischen den EU-Mitgliedstaaten wird zur Zeit durch die folgenden Übereinkommen geregelt215: das Europäische Auslieferungsübereinkommen216 [EuAlÜbk] und seine beiden Zusatzprotokolle [1. ZPEuAlÜbk und 2. ZP-EuAlÜbk]217, das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus [EuTerrÜbk]218, das Schengener Durchführungsübereinkommen [SDÜ]219, das Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [AuslÜbk-EU]220 213 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 214 Art. 32 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. S. 12. 215 Der acquis des Auslieferungsrechts wurde im Kommissionsvorschlag zum europäischen Haftbefehl definiert. Siehe Rahmenbeschluss des Rates über den europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM (2001) 522 endg. 216 European Convention on Extradition, 13 December 1957, ETS No. 24. 217 Additional Protocol to the European Convention on Extradition, 15 Ocotber 1975, ETS No. 86; Second Additional Protocol to the European Convention on Extradition, 17 March 1978, ETS No. 98. 218 European Convention on the Supression of Terrorism, 27 January 1977, ETS No. 90. 219 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606.
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und das Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [VereinfAuslÜbkEU]221. Darüber hinaus enthalten auch die deliktspezifischen Übereinkommen des Dritten Pfeilers Bestimmungen über die Auslieferung und gehören damit zum acquis: das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften [BetrugÜbk-EU]222 und dessen Protokoll [P-BetrugÜbk-EU]223 sowie das Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind [BestechungÜbk-EU]224. Sowohl das AuslÜbk-EU als auch das VereinfAuslÜbk setzten für ihr InKraft-Treten die Ratifikation durch alle 15 Mitgliedstaaten voraus. Da dies noch nicht erfolgt ist, befinden sich beide Übereinkommen zur Zeit in vorläufiger Anwendung. Mit Blick auf den Europäischen Haftbefehl verliert jedoch deren Ratifikation ihre Bedeutung. Es ist wichtig, hervorzuheben, dass das AuslÜbk-EU die bereits geltenden Übereinkommen nicht ersetzt, sondern ergänzt und daher keine Auslieferungspflicht enthält. Diese Verpflichtung wird durch das Mutterübereinkommen, das EuAlÜbk begründet. Diese Methode der Regelung hat zur Folge, „[. . .] dass das europäische Auslieferungssystem [. . .] aus einem Geflecht verschiedener komplexer Vertragswerke – deren Bestimmungen nicht für alle Staaten gelten – besteht, das mit den nationalen Rechtsvorschriften verzahnt ist.“225 220 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 313/11 vom 23.10.1996. 221 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1995, C 78/2 vom 30.3.1995. 222 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. C 316/49 vom 27.11.1995. 223 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 313/11 vom 23.10.1996. 224 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrages über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind – Korruptionsübereinkommen, ABl. 1997 Nr. C 195/2 vom 25.6.1997. 225 Die Unübersichtlichkeit des gegenwärtigen acquis verdeutlichte jüngst der Beschluss des Rates, der das Verhältnis vom AuslÜbk-EU, vom VereinfAuslÜbk und vom SDÜ zueinander regelt. Vgl. Beschluss des Rates vom 27. Februar 2003 zur Feststellung der Bestimmungen im Übereinkommen von 1995 über das vereinfachte
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Diese komplexe Vertragslage ist zugleich durch die zunehmende Neubewertung der klassischen Sichtweise innerhalb der Europäischen Union geprägt, wobei sich nach Vogel drei Modernisierungstendenzen ausmachen lassen:226 die klassischen Auslieferungshindernisse werden zunehmend abgebaut, das Auslieferungsverfahren wird beschleunigt und vereinfacht und die Rechte des Auszuliefernden bekommen ein immer stärkeres Gewicht. Im Hintergrund dieser Tendenzen steht die Schaffung eines europäischen Strafrechtsraumes, in dem die Staaten uneingeschränkt gegenseitig auf das Funktionieren ihrer Strafgerichtsbarkeiten vertrauen und es keine Auslieferung mehr gibt, sondern nur noch eine Übergabe. In den folgenden Ausführungen sollen diese Tendenzen anhand des bestehenden acquis dargestellt werden. I. Die Entwicklung der Voraussetzungen der Auslieferung in der Europäischen Union Auslieferung ist die älteste Form der Zusammenarbeit in Strafsachen.227 Sie ist meistens nur für schwerwiegende Delikte vorgesehen, da sie wegen der für die physische Übergabe des Auszuliefernden notwendigen Garantien sehr kostspielig ist. Der Auszuliefernde ist entweder der Verdächtigte (wenn die Auslieferung der Strafermittlung gegenüber dieser Person dient) oder der Verurteilte (wenn die Auslieferung die Vollstreckung des Strafurteils bezweckt). Nach der klassischen Sichtweise kontinentaleuropäischer Staaten hat das Auslieferungsrecht die Regelung des Verhältnisses zwischen zwei oder mehreren Staaten zum Gegenstand, wobei der Ausgelieferte nur als Objekt dieser Beziehungen angesehen wird.228 Die Bewilligung der Auslieferung ist eine souveräne Entscheidung des ersuchten Staates, die nur bei Erfüllung strenger Voraussetzungen möglich ist. Diese Voraussetzungen Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Bestimmungen im Übereinkommen von 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands im Sinne des Übereinkommens über die Assoziierung der Republik Island und des Königreichs Norwegen bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands darstellen, ABl. 2003 Nr. L 67/25 vom 12.3.2003. 226 Vogel, Joachim: Abschaffung der Auslieferung?, JZ 2001, S. 938. 227 Bassiouni, Cherif: Reflections on International Extradition, in: K. Schmoller (Hrsg.): Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag, Wien/New York 1996, S. 718–719. 228 Blakesley, Christopher: Autumn of the Patriarch: The Pinochet Extradition Debacle and Beyond – Human Rights Clauses Compared to Traditional Derivative Protections Such as Double Criminality, The Journal of Criminal Law & Criminology, 2001, S. 4.
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sind zum Teil in den innerstaatlichen Gesetzen der Mitgliedstaaten geregelt, aber auch in den oben genannten Konventionen. Die Grundlage des Auslieferungsrechts zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist das EuAlÜbk. Es dient als Mutterkonvention für die sonstigen, den acquis bildenden Übereinkommen, und nimmt damit eine zentrale Rolle im heutigen Auslieferungsrecht zwischen den EU-Mitgliedstaaten ein. Das EuAlÜbk trat in seinem Konzept und System an die Stelle früherer bilateraler Auslieferungsvereinbarungen. Demzufolge hat es neben einer Auslieferungsverpflichtung auch die aus bilateralen Vereinbarungen bekannten Ablehnungsgründe (Auslieferungshindernisse) übernommen. Das EuAlÜbk begründet eine Auslieferungspflicht der Vertragstaaten nur dann, wenn das Kriterium der beiderseitigen Strafbarkeit erfüllt ist. Letztere bedeutet, dass bei der Auslieferung das materielle Strafrecht sowohl des ersuchenden als auch des ersuchten Staates beachtet werden muss. Die Auslieferung kann nur dann erfolgen, wenn das Verhalten des Verfolgten, das zum Gegenstand des Ersuchens gemacht wurde, sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates als auch dem des ersuchten Staates strafbar ist. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es unterschiedliche Meinungen über die Reichweite der beiderseitigen Strafbarkeit.229 Aus dem Erläutenden Bericht zum EuAlÜbk geht eindeutig hervor, dass die beiderseitige Strafbarkeit auch dann erfüllt ist, wenn die Bezeichnung der im Ersuchen beschriebenen Straftat als solche im Recht des ersuchten Staates nicht vorhanden ist oder anders benutzt wird, aber die zu Grunde liegende Handlung im ersuchten Staat strafbar ist. Heutzutage hat die beiderseitige Strafbarkeit an Bedeutung verloren. Dies beweist das AuslÜbk-EU, welches das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit zur Bekämpfung organisierter Kriminalität entfallen lässt, falls die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegende Handlung den Straftatbestand der Verabredung einer strafbaren Handlung oder die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung erfüllt.230 In diesen Fällen reicht eine Strafbarkeit im ersuchenden Staat aus. Vogel begrüßt diese Entwicklung und bezeichnet den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit als „Fremdkörper im System des Auslieferungsrechts. [. . .] Denn die Auslieferung ist gerade keine eigene Strafverfolgung des ersuchten Staates, sondern nur Hilfe zu fremder Strafverfolgung im ersuchenden Staat. Deshalb kann es nicht entschei229 Zusammengefasst bei Gully-Hart, Paul: Loss of Time through Formal and Procedural Requirements in International Co-operation, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 261–262. 230 Art. 3 Abs. 1 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 313/11 vom 23.10.1996.
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dend darauf ankommen, ob das dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Verhalten auch im ersuchten Staat strafbar ist.“231
Innerhalb der beiderseitigen Strafbarkeit bildet das Kriterium der Mindestschwere der Tat eine Einengung, welche bei der Auslieferung zum Zwecke der Strafermittlung das Strafmaß zum Merkmal erhebt. Bei der Auslieferung zum Zwecke des Strafvollzugs wird ein bestimmtes Minimum der verhängten Strafe verlangt. Das EuAlÜbk begründet eine Auslieferungspflicht nur bei Taten, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht sind. Im Fall einer Auslieferung wegen der Vollstreckung eines Strafurteils soll die verhängte Strafe mindestens 4 Monate betragen. Die Voraussetzung der Mindestschwere der Tat wurde in der letzten Zeit gelockert. Das 2. ZP-EuAlÜbk lässt die Auslieferung auch für solchen Taten zu, die mit einer Geldstrafe oder einer geldlichen Sanktion bedroht sind. Gemäß dem AuslÜbk-EU soll eine Auslieferungspflicht bereits dann bestehen, wenn die Handlung nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer der Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung im Höchstmaß von mindesten sechs Monaten bedroht ist.232 Diese Vereinfachung der Voraussetzungen der Auslieferung wurde durch die weitgehend übereinstimmenden Strafrechtspolitiken der Mitgliedstaaten und vor allem durch ihr gegenseitiges Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der nationalen Rechtssysteme ermöglicht.233 Das AuslÜbk-EU hat praktisch die Bestimmungen des BeneluxAuslieferungsübereinkommens übernommen.234 Begründet wird die Ausdehnung der Auslieferungspflichten mit dem Interesse an einer effizienteren Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus und der organisierten Kriminalität. Die Begründung und das tatsächlich erzielte Ergebnis stehen jedoch nicht miteinander im Einklang: „[Eine] Auslieferungspflicht für Delikte zu statuieren, die nach dem Recht des ersuchten Staates nur mit bis zur 6 Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind, ist damit 231
Vogel, Joachim: Abschaffung der Auslieferung?, JZ 2001, S. 942. Art. 2 Abs. 1 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 313/11 vom 23.10.1996. 233 Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1997 Nr. C 191/13 vom 23.06. 1997. 234 Der Benelux Treaty on Extradition and Mutual Assistance in Criminal Matters (1962) ermöglicht die Auslieferung für Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten im Fall von Verurteilten und 6 Monaten im Fall von Verdächtigten bedroht ist. 232
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kaum in Einklang zu bringen. Denn dadurch werden geradezu Bagatelldelikte in die Auslieferung einbezogen.“235
Das Entfallen des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit sowie die Senkung der Mindestschwere der Tat hängen mit dem schrittweisen Ausbau des europäischen Rechtsraumes zusammen. Durch ähnliche Ansätze mitgliedstaatlicher Strafpolitiken und durch die teilweise Harmonisierung der Strafrechte der EU-Mitgliedstaaten erlischt die Daseinsgrundlage dieser beiden Voraussetzungen. Stattdessen können strafpolitische Erwägungen größeren Raum gewinnen, die zugleich den Interessen einer effektiven Strafverfolgung sowie denjenigen der Resozialisierung des Täters Rechnung tragen. Unter Beachtung dieser beiden Aspekte können Straftaten mit einem internationalen Strafbezug am besten dadurch gelöst werden, dass das Strafverfahren im Tatortstaat abgewickelt wird bzw. ein Täter, der sich in einem anderen Staat aufhält, dem Tatortstaat übergeben wird. Neben diesen positiven Voraussetzungen wurden aber auch zahlreiche Auslieferungshindernisse geschaffen, deren Vorliegen die Bewilligung der Auslieferung obligatorisch oder fakultativ ausschließen. Ein solches Auslieferungshindernis bildet die Art des Delikts, wobei es um politisch, militärisch und fiskalisch strafbare Handlungen geht. Gemäß Art. 3. EuAlÜbk wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn die strafbare Handlung, um deretwillen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat als eine politische oder als eine mit einer solchen zusammenhängenden strafbaren Handlung angesehen wird.236 Der Begriff des politischen Delikts ist in jüngster Zeit wesentlichen Änderungen unterzogen worden, die durch die Ausbreitung von Terroranschlägen in den 70er Jahren beeinflusst wurden. Ursprünglich bezog sich die strafrechtliche Zusammenarbeit der Staaten auf politische Delikte.237 235 Schwaighofer, Klaus/Ebensprenger, Stefan: Internationale Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten, Wien 2001, S. 8. 236 Im Gegensatz zu unserer heutigen Praxis waren ursprünglich diejenigen, deren Auslieferung begehrt wurde, keine „Allgemeinstraftäter“, sondern das, was man heute als politische Straftäter bezeichnen würde. Die Souveräne und die Regierungen verfolgten bis zum XIX. Jahrhundert diejenigen, deren Handlungen sich gegen die politische Stabilität richteten. Näher dazu Bassiouni, Cherif: Reflections on International Extradition, in: K. Schmoller (Hrsg.): Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag, Wien/New York 1996, S. 718 ff. 237 Historische Beispiele sind etwa der Vertrag, den Heinrich II. von England mit König Wilhelm von Schottland im Jahre 1174 schloss oder der englisch-französische Vertrag aus dem Jahre 1303, die beide nur über die Auslieferung bei Hochverrat und Majestätsbeleidigung verfügten. Zur Entwicklung und Bedeutung dieses Begriffs vgl. Popp, Peter: Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2001, S. 92 ff.
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Die modernen Auslieferungsverträge, die sich auf die Auslieferung gewöhnlicher Straftäter beziehen, haben den Begriff des politischen Delikts nicht näher umschrieben; dieser ist auch kein Begriff des Strafrechts. Darunter fallen solche Handlungen, die sich gegen die Existenz, die innere und äußere Sicherheit, die Verfassungsordnung, territoriale Unversehrtheit eines Staates oder gegen dessen höchste Behörden und Institutionen richten. Der Begriff des politischen Delikts wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer restriktiver ausgelegt. Dies lässt sich einerseits durch die Entwicklung des Völkerstrafrechts erklären, die zu einer geänderten Beurteilung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit führte. Anderseits führte die bereits erwähnte Ausbreitung des Linksterrorismus dazu, immer weniger Handlungen als politische Delikte zu qualifizieren. Demzufolge zielt etwa das 1. ZP-EuAlÜbk darauf ab, das Auslieferungshindernis der politisch strafbaren Handlungen, insbesondere für Völkermord und Delikte durch Verletzung der Genfer Konventionen, zu beseitigen. Das EuTerrÜbk zählt die Straftaten auf, die nicht mehr als politische Delikte – und deswegen als Auslieferungshindernis – angesehen werden. Die in der Auslegung des Begriffs des politischen Delikts vollzogene Änderung kodifiziert das AuslÜbk-EU, das hinsichtlich politischer Delikte eine uneingeschränkte Auslieferungspflicht statuiert. Kein Mitgliedstaat soll die Auslieferung unter Hinweis auf den politischen Charakter eines Deliktes ablehnen können. Den Mitgliedstaaten wird ein Vorbehalt nur eingeschränkt zugestanden; die Auslieferungspflicht kann zumindest für die im EuTerrÜbk aufgezählten Delikte sowie für die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung bestehen bleiben. Trotz dieser Vorbehaltsmöglichkeit kann man für die Zukunft mit der völligen Beseitigung des politischen Delikts als Grund für die Verweigerung der Auslieferung innerhalb Europas rechnen. Im Lichte der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist es nicht länger haltbar, dass die Begehung eines politischen Delikts nur das politische Regime eines anderen Mitgliedstaates betrifft.238 Die weiterhin bestehende Möglichkeit der Verweigerung der Auslieferung, wenn die begründete Gefahr menschenunwürdiger Behandlung oder Verfolgung aus rassischen, religiösen, politischen, usw. Gründen besteht, wird als ausreichend angesehen. Ein weiteres Auslieferungshindernis bilden militärische Delikte. Es herrschen zwar unterschiedliche Auffassungen über diese Kategorie vor, doch fallen meistens solche Straftaten unter die militärischen Delikte, die das herkömmliche (zivile) Strafgesetzbuch nicht enthält und die die militärische Ordnung verletzen. Bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts sahen die meisten Vereinbarungen Desertion als ein Auslieferungsdelikt an, 238 So auch Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 84.
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während sich neuere Bestimmungen nur auf die eng verstandenen militärischen Delikte beschränken, die das zivile Strafgesetzbuch nicht kennt. So lässt das EuAlÜbk die Auslieferung wegen strafbarer militärischer Handlungen, die keine nach allgemeinem Recht strafbaren Handlungen darstellen, nicht zu.239 Auch die Fiskaldelikte bildeten ursprünglich ein Auslieferungshindernis. Aufgrund des EuAlÜbk wurde die Auslieferung wegen Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstraftaten nur dann bewilligt, wenn die Vertragsparteien dies für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art vereinbart hatten. Die gesteigerte wirtschaftliche Integration der letzten Jahrzehnte wertet die Relevanz und Begründetheit dieser Ausnahme ab. Dies spiegelt das 2. ZP-EuAlÜbk wider, das eine Auslieferungspflicht wegen Fiskaldelikten im Allgemeinen begründet. Mit Blick darauf, dass das 2. ZP-EuAlÜbk nur von wenigen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert wurde, erschien es notwendig, im SDÜ erneut festzulegen, dass die Auslieferung wegen Straftaten, soweit sie Verbrauchssteuern, die Mehrwertsteuer oder Zölle betreffen, nicht abgelehnt werden darf. Das SDÜ bedeutet somit nur gegenüber jenen Schengenstaaten eine Erweiterung der Auslieferungspflicht, die das 2. ZP-EuAlÜbk noch nicht ratifiziert hatten. Da das EuAlÜbk die Mutterkonvention des SDÜ ist, gelten die im EuAlÜbk bestimmten allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen auch für die im SDÜ festgelegten Verpflichtungen. Daher soll das dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegende Fiskaldelikt zumindest mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht sein. Es ist beachtlich, dass das SDÜ eine Auslieferungspflicht nur für Fälle von indirekten Steuern begründet und nicht nur für fiskalische Handlungen im Allgemeinen, wie das 2. ZP-EuAlÜbk.240 Trotz dieses Umstands bedeutet die Regelung im SDÜ einen Fortschritt im Vergleich zu dem früheren Zustand, da die Mitgliedstaaten im Gegensatz zum 2. ZP-EuAlÜbk zum SDÜ keinen Vorbehalt erklären dürfen. Das AuslÜbkEU vermindert weiter die Bedeutung von Fiskaldelikten als Auslieferungshindernisse und statuiert auch für diese eine Auslieferungspflicht. Im Fall fiskalisch strafbarer Handlungen räumt aber das AuslÜbk-EU dem ersuchten Staat bei der Beurteilung einen weiten Ermessensspielraum ein, ob nach seinem Recht das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit erfüllt ist. Die beiderseitige Strafbarkeit liegt allerdings schon dann vor, wenn die betroffene Tat nach dem Recht des ersuchten Staates als strafbare Handlung „derselben Art“ betrachtet wird.241 239
Art. 10 European Convention on Extradition, 13 December 1957, ETS No. 24. van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: Mutual Legal Assistance in criminal matters in the European Union, in: J. Dugard/C. van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, Dathmouth 1996, S. 306 ff. 240
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Insgesamt gilt für politische, militärische und fiskalische Straftaten, dass sich diese Auslieferungshindernisse „aus Erwägungen über den internationalen Schutzbereich der Strafgesetze und über unerwünschte außenpolitische Konsequenzen möglicher Auslieferungen [erklären]; derartige Erwägungen sind aber im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zueinander nicht mehr angebracht.“242
Eine der wichtigsten Änderungen im europäischen Auslieferungsrecht betrifft die Beurteilung der Auslieferung eigener Staatsangehöriger. Die Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger ist in der kontinentalrechtlichen Tradition verankert und galt bis in die jüngste Vergangenheit.243 Im Unterschied dazu engagierten sich die common law Länder schon seit dem 19. Jahrhundert für den Abschluss von Auslieferungsvereinbarungen, die die Auslieferung eigener Staatsangehöriger ermöglichten. Diese Einstellung der common law Länder erklärt sich mit Blick auf ihre Verfahrensregeln, die hauptsächlich auf mündliche Zeugenaussagen bauen und die den Grundsatz des forum delcti commissi folgen. Letzterer verlangt, dass die Aburteilung einer Straftat dort erfolgen sollte, wo die Straftat begangen wurde.244 Der Ansatz der common law Länder konnte sich jedoch wegen des Widerstands der europäischen Staaten in den multilateralen Vereinbarungen des 20. Jahrhunderts nicht durchsetzen. Dementsprechend ermöglichte das EuAlÜbk die Verweigerung der Auslieferung eigener Staatsangehöriger. Innerhalb wirtschaftlich und politisch eng verbundener Staatengruppen, wie z. B. die der nordischen Staaten, war die Auslieferung eigener Staatsangehöriger schon seit den 1960er Jahren möglich.245 Die politische und wirtschaftliche Integration innerhalb der Europäischen Union lässt die Aufrechterhaltung des Verbots der Auslieferung eigener 241 Damit wiederholt das AuslÜbk-EU die Bestimmungen bereits existierender, deliktspezifischer Übereinkommen des Dritten Pfeilers. Art. 5 Abs. 3 des BetrugÜbk-EU stellt nämlich sicher, dass die Auslieferung für Delikte, die die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften beeinträchtigen, nicht mit der bloßen Begründung abgelehnt werden können, dass dem Auslieferungsersuchen ein Abgaben- oder Zolldelikt zu Grunde gelegen habe. 242 Vogel, Joachim: Abschaffung der Auslieferung?, JZ 2001, S. 942. 243 Zu historischen Gründen Baier, Helmut: Die Auslieferung von Bürgern der Europäischen Union an Staaten innerhalb und außerhalb der EU, GA 2001, S. 434– 435. 244 Harding, Alan: Treaty-Making in the Field of International Co-operation: The United Kingdom Experience, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 236. 245 Das Nordic Extradition Act (Das Auslieferungsgesetz zwischen den Staaten des Nordischen Rates) von 1960 ermöglicht die Auslieferung eigener Staatsangehörige unter bestimmten Voraussetzungen. Näher dazu Asp, Petter: Nordic Judicial Cooperation in Criminal Matters, Uppsala 1998, S. 12–13.
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Staatsangehöriger unangemessen erscheinen. Den strafpolitischen Interessen ist dadurch am besten bedient, wenn der Beschuldigte unabhängig von seiner Nationalität in dem Mitgliedstaat vor Gericht gestellt wird, wo die Tat verübt wurde.246 Das Völkerrecht, inbegriffen die menschenrechtlichen Instrumente, verpflichtet die Staaten, den Rechtschutz des nationalen Rechts auf alle Personen auf ihrem Territorium gleichermaßen auszudehnen, und zwar unabhängig von deren Nationalität. Dies gilt insbesondere in der Europäischen Union, wo den Mitgliedstaaten die Fürsorge für Bürger aus anderen EU-Staaten durch Art. 20 EGV zur Pflicht gemacht wird. Diese Pflicht findet weiteren Ausdruck der im Maastrichter Vertrag geschaffenen Unionsbürgerschaft, die nun die nationale Staatsbürgerschaft ergänzt. Auf dieser rechtspolitischen Erwägung basiert die Bestimmung des AuslÜbk-EU, die die Mitgliedstaaten zur Auslieferung eigener Staatsangehörigen verpflichtet.247 Das AuslÜbk-EU sieht aber zugleich die Möglichkeit eines Vorbehaltes vor. Wie im Erläuternden Bericht steht, kann „[z]um Beispiel . . . ein Mitgliedstaat erklären, dass er seine Staatsangehörigen [. . .] zum Zwecke der Strafverfolgung nur unter der Voraussetzung ausliefert, dass die ausgelieferte Person im Falle einer Verurteilung zur Strafvollstreckung an ihn rücküberstellt wird (niederländisches Modell). Darüber hinaus kann ein Mitgliedstaat angeben, dass er bei der Auslieferung eigener Staatsangehöriger stets den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, den Grundsatz der Spezialität und das Verbot der Weiterlieferung an einen anderen Mitgliedstaat anwenden wird [. . .].“
Das im Erläuternden Bericht beschriebene Konzept der Vorbehalte gibt die moderne Auffassung wieder, wonach der beste Weg für den Staat, seine Staatsangehörigen zu schützen nicht durch die Begründung extraterritorialer Strafgewalt verwirklicht werden kann, sondern dadurch, dass die Staatsangehörigen ihre Strafen im Heimatland verbüßen. Im Zusammenhang mit der Übertragung der Strafvollstreckung fällt also ein weiteres Auslieferungshindernis fort (dazu noch in § 7). Der acquis der Auslieferung enthält weitere negative Voraussetzungen in Bezug auf die Natur der Strafe. Als solche werden die Todesstrafe und die peinigenden Strafen angesehen, deren Ausnahme im engen Zusammenhang zur Entwicklung der Menschenrechte steht. Nach dem EuAlÜbk kann jeder Staat, der die Todesstrafe abgeschafft hat, die Auslieferung wegen Taten verweigern, die im ersuchendem Staat mit Todesstrafe bedroht sind, es sei denn, der ersuchende Staat sichert die Nichtvollstreckung der Todesstrafe zu.248 246 So auch Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 81. 247 Art. 7 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 313/11 vom 23.10.1996.
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Ein weiteres tragendes Hindernis bildet der Grundsatz ne bis in idem, wonach die Auslieferung nicht bewilligt wird, wenn der Verfolgte wegen Handlungen, deretwegen die Auslieferung begehrt wird, von den zuständigen Behörden des ersuchten Staates bereits rechtskräftig abgeurteilt worden ist.249 Schließlich begründet der so genannte Spezialitätsgrundsatz ein Verfahrenshindernis.250 Dadurch soll sichergestellt werden, dass ein Ausgelieferter speziell nur wegen der Tat und unter den rechtlichen Voraussetzungen strafrechtlich verfolgt wird, deretwegen die Auslieferung bewilligt wurde. So verbietet der Spezialitätsgrundsatz es dem ersuchenden Staat, die ausgelieferte Person wegen einer strafbaren Handlung zu verfolgen, die vor der Übergabe begangen wurde und die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst ist. Dem entsprechend sieht das EuAlÜbk vor, dass der Ausgelieferte wegen einer vor der Übergabe begangenen Handlung, die dem Auslieferungsersuchen nicht zu Grunde lag, nur dann verfolgt, abgeurteilt oder zur Vollstreckung einer Strafe in Haft gehalten werden darf, wenn entweder der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt, oder wenn der Ausgelieferte das Hoheitsgebiet des Staates, an den er ausgeliefert worden ist, freiwillig nicht verlassen hat oder dorthin zurückgekehrt ist. Im Auslieferungsverkehr innerhalb der EU-Staaten macht das AuslÜbkEU in Zukunft nur in erheblich eingeschränktem Maße vom Spezialitätsschutz Gebrauch. Es erlaubt die Verfolgung und Aburteilung des Ausgelieferten für Taten, die zwar vor der Übergabe begangen wurden, aber nicht Gegenstand des Auslieferungsersuchens waren, auch ohne Zustimmung des ersuchten Staates, wenn die Handlung nicht mit einer Freiheitsstrafe bedroht ist oder wenn die ausgelieferte Person auf die Einhaltung der Spezialität ausdrücklich verzichtet hat.251 Da das EuAlÜbk die Mutterkonvention des AuslÜbk-EU ist, kann das Strafverfahren aufgrund des Voraussetzungssystems der beiden Konventionen für Handlungen, die vor der Übergabe begangen wurden aber nicht Gegenstand des Auslieferungsersuchens waren und die nach dem Recht des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe bedroht sind, abgewickelt werden, wenn auf die Einhaltung der Spezialität entweder der Ausgelieferte oder der ersuchte Staat vorher ausdrücklich verzichtet hat. Nach dieser Regelung des Spezialitätsgrundsatzes – so Schom248
Art. 11 European Convention on Extradition, 13 December 1957, ETS No. 24. Art. 9 European Convention on Extradition, 13 December 1957, ETS No. 24. Dazu bereits in § 4, II. 250 Art. 14 European Convention on Extradition, 13 December 1957, ETS No. 24. 251 Art. 10 Abs. 1 lit d Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 313/11 vom 23.10.1996. 249
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burg – ist nicht eindeutig, ob die Bestimmung eher die strafrechtliche Souveränität der Mitgliedstaaten oder die Interessen des Ausgelieferten schützt.252 Nach Meinung der Verfasserin wäre es wünschenswert, dem Ausgelieferten zumindest das subjektive Recht auf einen Rechtsbeistand einzuräumen. Neben der Erleichterung der Auslieferung zwischen den EU-Mitgliedstaaten hat der acquis auch die Beschleunigung des Verfahrens im Auge. Im diesen Lichte hat das VereinfAuslÜbk-EU die Verkürzung der meist lange dauernden Auslieferungsverfahren durch die Zustimmung der betroffenen Person zum Ziel.253 Nach dem VereinfAuslÜbk-EU „Liegen die Zustimmung der betroffenen Person und die Genehmigung der zuständigen Behörde des ersuchten Staates vor, so erfolgt die Übergabe der Person, ohne dass ein Auslieferungsersuchen gestellt werden muss und ohne dass das förmliche Auslieferungsverfahren zur Anwendung gelangt, da das Verfahren zwischen der zuständigen Behörde des ersuchten Staates und der Behörde des Staates, der um die Verhaftung ersucht hat, abgewickelt wird. Die Übergabe erfolgt spätestens 40 Tage nach dem Tag, der auf den Zeitpunkt der Zustimmung der betroffenen Person folgt.“254
Der persönliche Verzicht des Auszuliefernden auf unnötige Verfahrensprozeduren durch Prüfung aller Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse von Amts wegen kommen dem Betroffenen, wie der Strafverfolgung gleichermaßen zu Gute, da dadurch die Auslieferungshaft verkürzt wird und das Strafverfahren schneller beendet werden kann.255 Die bislang aufgeführten positiven und negativen Bedingungen spiegeln die Neubewertung der klassischen Sichtweise kontinentaleuropäischer Staaten wider, wonach das Auslieferungsrecht die Regelung des Verhältnisses zwischen zwei oder mehreren Staaten zum Gegenstand hatte und wobei der Ausgelieferte nur als Objekt dieser Beziehungen angesehen wurde. In neuerer Zeit rückt der durch die klassische Sichtsweise begründete Schutz staatlichen Souveränitätsinteressen zunehmend in den Hintergrund. Die Individualinteressen des Verfolgten (wie z. B. das Recht des Auszuliefernden auf die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung) wer252 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 789. 253 Es wurde bereits im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit im Jahre 1989 eine Konvention zum gleichen Thema ausgearbeitet, trat aber bis jetzt nicht in Kraft. Einige EG-Mitgliedstaaten wenden sie aber vorläufig an. 254 Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 375/4 vom 12.12.1996. 255 Schomburg, Wolfgang: Strafsachen in der Europäischen Union, NJW 1999, S. 541.
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den weitgehend anerkannt. Er kann sich sogar gegen seine Auslieferung hinsichtlich der Beachtung der Menschenrechte an den Europäischen Menschenrechtsgerichthof wenden. II. Der Europäische Haftbefehl Die wirtschaftliche und politische Integration der EU-Mitgliedstaaten, sowie der transnationale Charakter der Kriminalität fordern ein Überdenken der traditionellen Institution der Auslieferung. Vor dem Hintergrund eines unionsweiten Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wird immer nachdrücklicher verlangt, die Strafverfolgung des ersuchenden Staates mit derjenigen im ersuchten Staat gleichzustellen. In der Praxis bedeutet die Gleichstellung, dass die EU-Mitgliedstaaten die Strafverfolgung eines anderen EU-Mitgliedstaats unbedingt und ungeprüft anerkennen. Um dies zu erreichen soll die strafrechtliche Zusammenarbeit nicht an andere oder weitergehende Voraussetzungen als die innerstaatliche Strafverfolgung geknüpft sein.256 Dies verdeutlicht das Konzept des einheitlichen europäischen Rechtsraumes, welches auf den bereits besprochenen europäischen Territorialitätsgrundsatz gründet. Danach soll es gar keine Auslieferung mehr geben. Die Auslieferung wird durch eine Übergabe aufgrund des Europäischen Haftbefehls ersetzt. Die betroffene Person wird an dasjenige Gericht eines Mitgliedstaates der EU übergeben, welches den Haftbefehl ausgestellt hat. Die ersten Schritte der Verwirklichung wurden in Tampere gemacht. Die Tampere-Schlussfolgerungen sehen die Abschaffung des formalen Auslieferungsverfahrens zwischen den EU-Mitgliedstaaten bei Verurteilten vor, die sich dem Strafvollzug durch Flucht entzogen haben. Darüber hinaus werden die EU-Mitgliedstaaten aufgerufen, die Einführung eines Eilauslieferungsverfahrens (fast track extradition) in Erwägung zu ziehen.257 Einige Mitgliedstaaten hatten bereits vor dem Europäischen Haftbefehl erste Schritte in diese Richtung unternommen, entweder auf unilateraler Basis258 oder durch bilaterale Abmachungen.259 256
Schwaighofer, Klaus/Ebensprenger, Stefan: Internationale Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten, Wien 2001, S. 15. 257 Nr. 35 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Tampere) 15.–16. Oktober 1999, Press Release Information, Doc. 200/1/99. 258 Vgl. Home Office, The Law on Extradition: A Review, Arbeitspapier, März 2001, http://www.homeoffice.gov.uk/crimpol/oic/extradition. 259 Vgl. den Vertrag zwischen Spanien und Italien „zur Verfolgung schwerer Straftaten durch die Überwindung der Auslieferung in einem gemeinsamen Rechtsraum“, Traité entre le Royaume d’Espagne et la Republique Italienne pour la poursuite de crimes et délits graves en éviant l’extradition dans une espace commun de justice, Rome, 28. November 2000.
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Die Europäische Kommission bereitete zur Ersetzung des förmlichen Auslieferungsverfahrens einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vor.260 Der Vorschlag wurde der Sondersitzung der Innen- und Justizminister am 8. Dezember 2001 in Laeken unterbreitet. Wegen der Einwände Italiens konnten sich aber die EU-Justizminister nicht einigen.261 Am 14. Februar 2002 auf der Sondersitzung der EU-Justiz- und -Innenminister haben jedoch 7 Mitgliedstaaten262 eine Erklärung abgegeben, den Haftbefehl bereits ab Januar 2003 einzuführen.263 Inzwischen wurde der Vorschlag überarbeitet und der Rahmenbeschluss angenommen. Danach sollte der Europäische Haftbefehl ab 1. Januar 2004 eingeführt werden. Der Europäische Haftbefehl ist von entscheidender Bedeutung für das sich noch in der Ausgestaltungsphase befindende Europäische Strafrecht. Die Präambel des Rahmenbeschlusses sieht den Europäischen Haftbefehl sogar als erste konkrete Verwirklichung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung an.264 Die damit signalisierte große Bedeutung des Europäischen Haftbefehls wird nicht angezweifelt, obwohl der Text des Rahmenbeschlusses an vielen Stellen widersprüchlich oder nicht eindeutig ist.265 So nennt z. B. die Präambel als Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls das hohe Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten.266 Einige Absätze weiter wird jedoch erlaubt, die Ausführung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn er zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischer Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache, politischer Überzeugung oder sexueller Ausrichtung erlassen wurde,267 sowie dann, wenn die ernstliche Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen 260 Auslieferung, Arbeitspapier, Europäische Kommission, Generaldirektion Inneres und Justiz, 15. März 2001, JAI/B/3/TL D 2001. 261 EU schafft Rechtsrahmen zur Terrorismusbekämpfung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.12.2001, S. 6. 262 Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg, Spanien und Portugal. 263 Für den deutschen Standpunkt siehe die Erklärung der ehemaligen Bundesministerin der Justiz Däubler-Gmelin in: EU-Justizminister verständigen sich auf Grundsätze der Rechtshilfe, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.2.2002, S. 6. 264 Eingehend zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in § 7. 265 Kritisch zum Europäischen Haftbehl Schünemann, Bernd: Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 185–189. 266 Punkt 10 der Präambel, Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002, S. 2. 267 Punkt 12 der Präambel, Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002, S. 2.
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unmenschlichen Strafe oder Behandlung besteht.268 Mit Blick darauf, dass alle Mitgliedstaaten demokratische Rechtsstaaten sind, die Grund- und Menschenrechte allgemein und im Besonderen in Strafverfahren achten und an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden sind, erscheinen die genannten Ablehnungsgründe unangemessen. Zugleich zeugen sie von einem Misstrauen der Mitgliedstaaten unter einander, da sie mit einer Nichtbeachtung fundamentaler rechtstaatlicher Grundsätze rechnen.269 Bereits diese Punkte der Präambel deuten an, dass die Mitgliedstaaten zur Zeit noch nicht bereit sind, das Auslieferungsverfahren durch ein ipso facto verbindliches Instrument zu ersetzen, das auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der Strafverfolgung anderer EU-Mitgliedstaaten aufbaut. Dementsprechend wurde im endgültigen Text des Rahmenbeschlusses die ipso facto Wirkung des Haftbefehls, die der Entwurf noch vorsah, gestrichen.270 Der Rahmenbeschluss legt den Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls fest. Danach kann ein Europäischer Haftbefehl bei Straftaten erlassen werden, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens 12 Monaten bedroht sind, oder im Fall einer Verurteilung, bei der die Strafe mindestens 4 Monate beträgt. Hier verlangt der Rahmenbeschluss die Erfüllung beiderseitiger Strafbarkeit grundsätzlich nicht, erlaubt jedoch den Mitgliedstaaten, die Übergabe von der Erfüllung beiderseitiger Strafbarkeit abhängig zu machen.271 Im Vergleich mit dem AuslÜbk-EU, das eine Auslieferungspflicht bereits dann statuiert, wenn die Handlung nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung im Höchstmaß von mindesten 6 Monaten bedroht ist, stellt der Europäische Haftbefehl strengere Voraussetzungen. Die Erhöhung der Mindestschwere der Tat im Europäischen Haftbefehl wäre hinnehmbar, wenn auf das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit voll verzichtet würde. Dies ist jedoch nur für einen Katalog von 268
Punkt 13 der Präambel, Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, ABl. Nr. L 190/1 vom 18.7.2002, S. 2. 269 In den jüngst beigetretenen EU-Mitgliedstaaten werden diese Ablehnungsgründe teilweise so verstanden, dass sie eigentlich weniger einen Misstrauen der alten EU-Mitgliedstaaten untereinander, als einen Misstrauen der alten EU-Mitgliedstaaten gegenüber den neu beigetretenen Ländern signalisieren. Vgl. dazu Wiener, A. Imre: A bünteto˝ joghatóság és gyakorlása, kivált az Európai Unióban, Állam és Jogtudomány 2002/3–4., S. 215. 270 Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM (2001) 522 endg., S. 5. 271 Art. 2 Abs. 4 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002.
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Straftaten gewährleistet. Für Handlungen, die nach dem Recht des Ausstellungsstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens 3 Jahren (!) bedroht sind, wird das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit abgeschafft. Zu den Katalogstraftaten gehören etwa 30 Delikte, darunter Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, illegaler Drogenhandel, Korruption, Betrugsdelikte, Geldwäsche, Geldfälschung, Umweltkriminalität, aber auch Tötung und schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, Brandstiftung, Sabotage usw.272 Diese Liste kann vom Rat erweitert werden. Problematisch ist der Straftatenkatalog vor allem deswegen, weil er die Delikte zwar benennt, aber nicht definiert. Da es keinen einheitlichen europäischen Strafrechtskodex gibt, müssen die Mitgliedstaaten die Katalogstraftaten aufgrund ihrer Strafrechte auslegen. Abgesehen von den Unterschieden zwischen der Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Strafrechte, die unvermeidlich zu abweichenden Ergebnissen über den Inhalt einzelner Delikte führen, ist es durchaus vorstellbar, dass das Strafrecht einiger Mitgliedstaaten bestimmte, im Katalog aufgezählte Delikten gar nicht kennt. Der Rahmenbeschluss gibt keinen Aufschluss, wie die Katalogstraftaten auszulegen sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der in Art. 1 des Rahmenbeschlusses formulierte Grundsatz, dass ein Mitgliedstaat einen von einer Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vollstrecken soll. Daraus ist zu schließen, dass die vollstreckende Justizbehörde, die die Kontrolle über die Vollstreckung des Haftbefehls ausübt,273 die rechtliche Würdigung der Handlung nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats prüfen muss. Sollte der Ausstellungsmitgliedstaat die Handlung als Katalogstraftat qualifiziert und aufgrund dessen einen Europäischen Haftbefehl erlassen haben, bewirkte dann das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der Praxis, dass der Vollstreckungsstaat die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls nur noch nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats prüfen könnte und automatisch vollziehen müsste. Dieser europarechtsfreundlichen Auslegung liegt gemäß Art. 29 EUV der Rechtsgedanke zu Grunde, dass im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union grundsätzlich ein wechselseitiges Vertrauen in die jeweilige nationale Strafjustiz besteht.274 272 Art. 2 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 273 Punkt 8 der Präambel, Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 274 So auch Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 28.
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Zwar entspricht diese Auslegung voll dem Konzept eines europäischen Rechtsraumes, doch ist mit ihrer praktischen Umsetzung zur Zeit kaum zu rechnen. Gerade die in der Präambel geäußerten Misstrauensvorbehalte der Mitgliedstaaten implizieren, dass sie die Strafverfolgung anderer Mitgliedstaaten keineswegs automatisch anerkennen wollen. Theoretisch ist es vorstellbar, dass die Mitgliedstaaten die Katalogstraftaten in einem getrennten Instrument des Dritten Pfeilers (Übereinkommen oder Rahmenbeschluss) definieren und die Auslegungsfrage auf diese Weise angehen. Soweit keine Zwischenlösung gefunden wird, bleibt die Anwendung des Europäischen Haftbefehls mit Blick auf die Katalogstraftaten ungewiss. Die Verpflichtung, den Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vollstrecken, wird durch zwingende und fakultative Verweigerungsgründe durchbrochen. So muss die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verweigert werden, wenn die dem Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegende Straftat im Vollstreckungsstaat unter Amnestie fällt, wenn dieser Mitgliedstaat nach seinem Strafrecht für die Verfolgung der Handlung zuständig war. Da die Zuständigkeit für die Verfolgung von Straftaten nicht nur aus dem Territorialitätsgrundsatz, sondern auch aus sonstigen Anknüpfungspunkten der Strafgewalt folgen kann, ist diese Bestimmung anfällig für Missbräuche. Verübt beispielsweise ein Staatsangehöriger des Staats A eine Straftat im Staat B, kann Staat A gegen ihn aufgrund des aktiven Personalitätsgrundsatzes vorgehen und ihn durch Amnestie begnadigen. Auf diese Weise könnte eine Strafverfolgung im Staat B „verhindert“ werden. Derartige Missbräuche könnten den Europäischen Haftbefehl in der Praxis unwirksam machen und den Grundsatz der rechtmäßigen Verwaltung der Justiz unterminieren. Solches hätte man von vornherein dadurch vermeiden können, dass man die Amnestie als Verweigerungsgrund nur auf solche Fälle beschränkt hätte, in denen der Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes ermittelt hat. Bei der gegenwärtigen Formulierung des Rahmenbeschlusses ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass es bei der Berufung auf Amnestie zu Missbräuchen kommt Der ne bis in idem-Grundsatz stellt ein weiteres zwingendes Vollstreckungshindernis dar. Wenn die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, muss ihre Übergabe verweigert werden.275 Ähnlich Art. 54 SDÜ enthält auch der Europäische Haftbefehl das Vollstreckungselement, wonach ein Verweigerungsgrund nur dann besteht, wenn die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, 275 Art. 3 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002.
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gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Im Unterschied zum Art. 54 SDÜ stellt der Europäische Haftbefehl jedoch für das Doppelverfolgungsverbot nicht auf dieselbe Tat, sondern auf dieselbe Handlung ab. Letztere ist jedoch nicht weniger auslegungsbedürftig als die Bestimmung des Art. 54 SDÜ. Im Lichte der neusten Rechtsprechung des EuGH276 kann man davon ausgehen, dass für die Tragweite der ne bis in idem-Regel des Europäischen Haftbefehls das gleiche gilt, wie für Art. 54 SDÜ. Mit Hilfe der Rechtssprechung des EuGH könnten die Anwendungsprobleme der Praktiker bezüglich des ne bis in idem-Gebotes behoben werden. Es ist zu ergänzen, dass, falls die betreffende Entscheidung nicht von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats, sondern von einem Drittstaat getroffen wurde, das Doppelverfolgungsverbot nur als fakultativer Verweigerungsgrund gilt.277 Der dritte zwingende Verweigerungsgrund hängt mit dem Alter der gesuchten Person zusammen. Wenn sie nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund ihres Alters für die dem Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegende Handlung strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, muss seine Übergabe verweigert werden. Diese drei zwingenden Verweigerungsgründe werden durch weitere fakultative Ablehnungsgründe ergänzt. So kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden, wenn das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit nicht erfüllt wird. Dies gilt jedoch nicht für die oben genannten Katalogstraftaten, sowie für Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten. Insbesondere durch die Abschaffung der beiderseitigen Strafbarkeit im Bereich der fiskalischen Straftaten verwirklicht der Europäische Haftbefehl einen Durchbruch. Selbst das AuslÜbk-EU machte die Auslieferung wegen fiskalisch strafbarer Handlungen von der Erfüllung des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit abhängig. Der Europäische Haftbefehl stellt klar, dass die beiderseitige Strafbarkeit im Fall fiskalischer Straftaten als Voraussetzung der Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Integration in der Europäischen Union nicht mehr gerechtfertigt ist. Wird die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat wegen derselben Handlung, die dem Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegt, strafrechtlich verfolgt, kann dessen Vollstreckung abgelehnt werden.278 Ebenso 276
Dazu bereits in § 4 II. Art. 4 Abs. 5 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 278 Art. 4 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 277
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besteht die Möglichkeit, die Vollstreckung des Haftbefehls abzulehnen, wenn der Vollstreckungsmitgliedstaat wegen der zu Grunde liegenden Straftat beschlossen hat, kein Verfahren einzuleiten bzw. das Verfahren einzustellen279 oder wenn die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung wegen den im Haftbefehl genannten Handlungen nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt ist.280 Wurde der Europäischen Haftbefehl aufgrund einer Handlung erlassen, die nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats ganz oder zum Teil auf dessen Hoheitsgebiet begangen wurde, kann der Vollstreckungsmitgliedstaat die Übergabe verweigern. Dieser Ablehnungsgrund dient dem Ziel, zu verhindern, dass ein Staat einen Europäischen Haftbefehl aufgrund einer Straftat vollstrecken muss, die ausschließlich auf seinem eigenen Hoheitsgebiet verübt wurde und zu deren Strafverfolgung er aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes berechtigt gewesen wäre. Darüber hinaus kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden, wenn er zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde, wenn der Vollstreckungsmitgliedstaat sich verpflichtet, die Strafe selber zu vollziehen. Dazu hat er das Recht, wenn die gesuchte Person sich auf dessen Gebiet aufhält, dort seinen Wohnsitz hat oder dessen Staatsangehörige ist. Insgesamt künden diese Ablehnungsgründe davon, dass der Europäische Haftbefehl die strafrechtliche Souveränität des ersuchten Staates weitgehend beachtet. Von einer Gleichstellung der Strafverfolgung des ersuchenden Staates (d.h. Ausstellungsmitgliedstaats) mit der eigenen kann daher nicht die Rede sein. Im Gegensatz dazu hängen die genannten Ablehnungsgründe weitgehend von Beurteilung und Willen des Vollstreckungsmitgliedstaats ab und ermöglichen es, das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auszuspielen. Neben den zwingenden und fakultativen Verweigerungsgründen wird die Verbindlichkeit des Europäischen Haftbefehls durch Bedingungen, die der Ausstellungsmitgliedstaat in bestimmten Fällen zu erfüllen hat, weiter eingeschränkt. So kann die vollstreckende Justizbehörde die Übergabe einer Person zur Strafvollstreckung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, falls das dem zu Grunde liegende Urteil in Abwesendheit dieser Person verhängt wurde, an die Bedingung knüpfen, dass der Verfolgte im Aus279
Art. 4 Abs. 3 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 280 Art. 4 Abs. 4 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002.
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stellungsmitgliedstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann.281 Der Sinn dieser Bedingung liegt darin, den Verfolgten vor Nachteilen zu schützen, die sich aus den divergierenden strafprozessrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten bezüglich des Rechtsbehelfs in Fällen von Abwesenheitsurteilen entstehen können. Es ist durchaus denkbar, dass der Verfolgte von einem gegen ihn in einem anderen Mitgliedstaat geführten Strafverfahren und dem aufgrund dessen ergangenen Urteil keine Kenntnis hatte und sich dementsprechend in der Verhandlung nicht verteidigen konnte. In einigen Mitgliedstaaten gehört zum unverzichtbaren Verfassungsbestand, dass der Verfolgte nach Erlangung der Kenntnis über ein gegen ihn ergangenes Abwesenheitsurteil die Möglichkeit erhält, nachträglich rechtliches Gehör zu erhalten und sich wirksam verteidigen zu können.282 Um den Mitgliedstaaten, deren Verfassung ein entsprechendes Recht des Verfolgten kennt, Genüge zu tun, sowie wegen der Wahrung der Rechte der gesuchten Person, wurde diese Bedingung in den Rahmenbeschluss aufgenommen. Ähnlich wirkt sich auch die zweite Bedingung aus, die im Fall einer mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedrohten Straftat für die Übergabe der gesuchten Person verlangt, dass der Ausstellungsmitgliedstaat eine Überprüfung der Strafe oder Gnadenakte zulässt, die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder Maßregel führen können. Der Kerngedanke dieser Bedingung besteht darin, den Verfolgten zu schützen, der wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Strafverfahrensordnungen kein Nachteile hinnehmen müssen soll. Die dritte Bedingung dient der Resozialisierung des Verfolgten. Danach kann die vollstreckende Justizbehörde die Übergabe der gesuchten Person, falls diese Staatsangehörige des Vollstreckungsmitgliedstaats oder dort wohnhaft ist, an die Bedingung knüpfen, dass die betreffende Person zur Verbüßung der im Ausstellungsmitgliedstaat verhängten Freiheitsstrafe (oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung) an den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt wird. Diese Bedingung ist im Zusammenhang mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Auslieferung eigener Staatsangehörigen zu erklären. Bereits das AuslÜbk-EU, das eine solche Verpflichtung vorsah, erlaubte es den Mitgliedstaaten, einen Vorbehalt abzugeben, wonach eigene Staatsangehörige nur unter der Voraussetzung auszulie281 Art. 5 Abs. 1 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 282 Aus der jüngeren deutschen Auslieferungspraxis vgl. BGH Beschl. v. 16.10.2001 – 4 ARs 4/01 – OLG Franfurt a. M., StrafFo 2002, S. 12 ff.
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fern waren, dass die ausgelieferte Person im Falle einer Verurteilung zur Strafvollstreckung rücküberstellt würde. Es entspricht moderner Kriminalpolitik, dass die Ziele einer effektiven Strafverfolgung einerseits und der Schutz eigener Staatsangehörigen andererseits am besten so zu verwirklichen sind, dass eigene Staatsangehörige zwar zur Strafverfolgung an den ermittelnden ausländischen Mitgliedstaat übergeben werden, aber ihre Strafen im Heimatland verbüßen können.283 Bei den genannten Bedingungen geht es – anders als bei den Verweigerungsgründen – nicht um den Schutz der strafrechtlichen Souveränität des Vollstreckungsmitgliedstaats, sondern um die Wahrung der Rechte der betroffenen Person. Damit wird verdeutlicht, dass die Übergabe entsprechend den jüngeren Entwicklungstendenzen im Auslieferungsrecht nicht mehr als zwischenstaatlicher Akt gilt. Im Unterschied dazu ist sie durch das Gebot des Schutzes der Menschenrechte der Betroffenen strukturiert und zugleich begrenzt und verwirklicht damit ein dreidimensionales Modell. Letzteres ist dadurch gekennzeichnet, dass es neben den Interessen des ersuchten und ersuchenden Staates auch den Rechten des Betroffenen Rechnung trägt.284 Für den Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls ist von fundamentaler Bedeutung, dass der Rahmenbeschluss die Übergabe zum Zwecke der Strafermittlung und zum Zwecke der Strafvollstreckung zusammen behandelt und gemeinsame Vorschriften für sie festlegt. Danach soll der Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls mit dem der Auslieferung übereinstimmen. Bereits die Begründung des Entwurfs des Rahmenbeschlusses hatte darauf hingewiesen, dass die einschlägigen internationalen Vereinbarungen keinen Unterschied zwischen den Fällen machen, in denen in der Vorphase des Strafprozesses ein Auslieferungsersuchen gestellt wird, und solchen, in denen die Auslieferung zum Zweck der Vollstreckung rechtskräftiger Urteile beantragt wird.285 Da im Auslieferungsverfahren für beide Formen der Auslieferung die gleichen Bestimmungen gelten, sei es sinnvoll, für den Europäischen Haftbefehl, dessen Ziel die Ersetzung des förmlichen Auslieferungsverfahrens ist, einheitliche Regelungen zu schaffen. Obwohl diese Argumente auf den ersten Blick überzeugend erscheinen, werden sie jedoch gerade hinsichtlich des Ziels des Europäischen Haftbe283 Österreich hat eine Überganszeit bis Ende 2008 vereinbart, wonach es die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls im Falle von österreichischen Staatsbürger ablehnen kann. Vgl. Art. 33 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 284 Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 163. 285 Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM (2001) 522 endg., S. 4.
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fehls in Frage gestellt. Der Europäische Haftbefehl regelt die Festnahme und Übergabe einer Person von einem Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Strafvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat.286 Es gibt aber einen wesentlichen qualitativen Unterschied zwischen einem ausländischen rechtskräftigen Urteil und einer ausländischen Inhaftierungsanordnung – und zwar selbst dann, wenn es um eine richterliche Anordnung geht. Während dem ersteren ein richterliches Verfahren vorangegangen ist, bei dem die international anerkannten Menschenrechte geltend gemacht werden können, kann von dergleichen bei einer Anordnung zur Inhaftnahme nicht die Rede sein. Obwohl dieser Unterschied auch aufgrund der zur Zeit noch geltendenden Auslieferungsregeln besteht, stellt er bei den Auslieferungsvereinbarungen doch kein Problem dar, weil es ja andererseits auch zahlreiche Auslieferungshindernisse gibt. Hinsichtlich der Möglichkeit der Verweigerung einer Auslieferung war eine getrennte Regelung der beiden Auslieferungsformen nicht erforderlich. Da der Europäische Haftbefehl abgesehen von den zwingenden Verweigerungsgründen verbindlich sein sollte, hätte man für die Anerkennung ausländischer Strafurteile und ausländischer Untersuchungsersuchen sowie Festnahmeersuchen eine getrennte Regelung vornehmen können. Wenn der Europäische Haftbefehl zum Zwecke der Strafvollstreckung gestellt wird, hätte man auf die fakultativen Ablehnungsgründe verzichten können. Wenn der Europäische Haftbefehl demgegenüber im Vorverfahren gestellt wird, hätte die gegenseitige Anerkennung insofern an strengere Kriterien gebunden werden sollen, da dort die Verfahrensgarantien nicht verlangt werden. Der Europäische Haftbefehl beabsichtigt, die politische/administrative Phase, die im traditionellen Auslieferungsverfahren eine Auslieferung trotz richterlicher Stattgabe schlussendlich verhindern kann, auszublenden. Dementsprechend sieht der Rahmenbeschluss vor, dass für die Entscheidung über die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zuständig ist. Durch diese Regelung entfällt die politische/administrative Phase im Rahmenbeschluss nicht, sondern wird lediglich auf die Justizbehörden der Mitgliedstaaten verlagert. Nach dem Rahmenbeschluss genießen die mitgliedstaatlichen Justizbehörden diejenige Rechte, die im traditionellen Auslieferungsverfahren durch die politische/administrative Ebene ausgeübt werden. Diese Entwicklung ist grundsätzlich zu begrüßen, da durch die Abschaffung des administrativen Bewilligungsverfahrens das Übergabeverfahren voll in die Verantwortung der Justiz übertragen wird. 286 Art. 1 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002.
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Dementsprechend legt der Rahmenbeschluss als Hauptregel den direkten Geschäftsweg der Justizbehörden fest.287 Demnach die ausstellende Justizbehörde übermittelt den Europäischen Haftbefehl direkt an die vollstreckende Justizbehörde. Falls der Aufenthaltsort der gesuchten Person unbekannt ist, wird der Haftbefehl im SIS veröffentlicht. Zur Feststellung des Aufenthaltsortes der gesuchten Person kann die ausstellende Justizbehörde die Hilfe des Europäischen Justiziellen Netzes sowie die Dienste der Interpol in Anspruch nehmen. Aufgrund des Europäischen Haftbefehls muss die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats die gesuchte Person festnehmen und über ihre Übergabe entscheiden. Ob die betreffende Person bis zur Entscheidung über die Übergabe inhaftiert bleibt, entscheidet sich nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats. Grundsätzlich ist eine vorläufige Haftentlassung möglich, der Vollstreckungsmitgliedstaat muss jedoch sicherstellen, dass die betreffende Person nicht entflieht.288 Diese Bestimmung des Rahmenbeschlusses ist jedoch fragwürdig. Falls ein Europäischer Haftbefehl gegenüber eine Person erlassen wurde, ist kaum anzunehmen, dass diese Person sich zukünftig zur Verfügung der ermittelnden Behörden halten wird. Die betreffende Person kann ihrer Übergabe zustimmen und hat das Recht, zu diesem Zweck einen Rechtsbeistand und Dolmetscher hinzuziehen. In ihrer Zustimmung kann die festgenommene Person auf den Spezialitätsgrundsatz verzichten. Die Zustimmung ist grundsätzlich unwiderruflich und wirkt sich auf die Erledigungsfristen aus. Falls die betreffende Person ihrer Übergabe zustimmt, fällt die endgültige Entscheidung über ihre Übergabe innerhalb von 10 Tagen nach ihrer Zustimmung. Sollte die festgenommene Person ihrer Übergabe nicht zustimmen, hat sie das Recht, von der vollstreckenden Justizbehörde nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vernommen zu werden,289 die spätestens 60 Tage nach der Festnahme über die Übergabe entscheidet. Diese Frist kann in Ausnahmefällen um bis zu 30 Tage verlängert werden. Nach der endgültigen Entscheidung erfolgt die Übergabe binnen 10 Tagen. Eine Aussetzung der 10-Tage-Frist ist nur aus schwerwiegenden humanitären Gründen möglich, wo die Voll287 Art. 9 Abs. 1 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 288 Art. 12 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 289 Art. 14 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002.
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streckung des Haftbefehls etwa eine Gefährdung für Leib und Leben der festgenommenen Person darstellen würde. Die Fristen von 10 bzw. 60 Tagen für eine endgültige Entscheidung sind unnötig lang und tun dem verbindlichen Charakter des Europäischen Haftbefehls Abbruch. Insbesondere dann, wenn die Zustimmung des Festgenommen vorliegt, ist nicht einzusehen, warum man erst 10 Tage für eine endgültige Entscheidung und dann weitere 10 Tage für die Übergabe warten muss. Die innerstaatlichen Strafrechte der Mitgliedstaaten sehen in der Regel eine Frist von 48 Stunden für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft vor. Es ist ungewöhnlich, dass man im Fall eines Europäischen Haftbefehls das Fünffache vorschlägt. Darüber hinaus bieten diese langen Fristen weitgehende Möglichkeiten für Missbräuche. Innerhalb von 10 Tagen kann nämlich die gesuchte Person nachdem sie über den Haftbefehl in Kenntnis gesetzt wurde und aus dem Haft vorläufig entlassen wurde, den Vollstreckungsmitgliedstaat verlassen. Nach der Übergabe wird das Verfahren bzw. das ausländische Urteil gemäß den innerstaatlichen Vorschriften des ausstellenden Mitgliedstaats abgewickelt. Der Rahmenbeschluss regelt die technischen Aspekte der Übergabe, die Anrechnung der im Vollstreckungsmitgliedstaat wegen des Europäischen Haftbefehls verbüßten Haft auf die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs, die Möglichkeit einer Strafverfolgung wegen anderer Straftaten, die Übergabe von Gegenständen und die Kostentragung im Einzelnen. Der Vollstreckungsmitgliedstaat trägt diejenigen Kosten, die auf seinem Hoheitsgebiet durch die Vollstreckung entstanden sind. Alle sonstigen Kosten gehen zu Lasten des Ausstellungsmitgliedstaats.290 Ab 1. Januar 2004 können die Mitgliedstaaten ihre bi- oder multilateralen Auslieferungsabkommen untereinander nur dann anwenden oder solche in der Zukunft schließen, wenn deren Bestimmungen über die des Rahmenbeschlusses hinausgehen und zu einer weiteren Vereinfachung oder Erleichterung des Übergabeverfahrens beitragen.291 In der Entwicklung hin zu einem europäischen Rechtsraum ist der Europäische Haftbefehl als ein vorläufiger Endpunkt anzusehen.292 Für die heute aufgeworfenen Fragen der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit 290 Art. 30 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 291 Art. 31 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. 292 So auch Gleß, Sabine: Brauchen neue Vollzugsräume neue Kontrollformen?, ZStW 2002, S. 652.
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liegt seine Bedeutung vor allem in der Festlegung von Erledigungsfristen. Durch die Einhaltung der angegebenen Fristen wird die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten eindeutig beschleunigt. Die Bestimmung, wonach ein Mitgliedstaat, der wiederholt Verzögerungen bei der Vollstreckung von Europäischen Haftbefehlen durch einen anderen Mitgliedstaat ausgesetzt gewesen ist, diesen Umstand dem Rat mitteilt, damit der Rahmenbeschluss umgesetzt wird,293 zeigt einen gewissen Einfluss auf die Tätigkeit der Mitgliedstaaten. Insgesamt zeigt jedoch der Haftbefehl, dass die Mitgliedstaaten Einbußen ihrer strafrechtlichen Souveränität möglichst gering halten wollen.
293 Art. 17 Abs. 7, Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002.
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§ 6 Sonstige Rechtshilfe Der Bereich der sonstigen Rechtshilfe wurde in der Europäischen Union wesentlich ausgeweitet, wobei den Polizei- und Zollbehörden eine entscheidende Rolle bei der Ausführung von Ermittlungshandlungen zukommt. Abschnitt I stellt die Entwicklung der Voraussetzungen sonstiger Rechtshilfe dar und bespricht einige moderne Formen der Rechtshilfe. Die Abschnitte III und IV fokussieren die polizeiliche bzw. die zollbehördliche Zusammenarbeit. Abschnitt V widmet sich den neueren Tendenzen im Recht der strafrechtlichen Rechtshilfe. Ursprünglich bezeichnete man alle Formen der Hilfeleistung an einem anderen Staat in Strafsachen außer Auslieferung als sonstige oder kleine Rechtshilfe. Das Adjektiv „kleine“ oder „sonstige“ ist daher ein Verweis auf das Verhältnis zur Auslieferung. Im Allgemeinen haben diese Formen der Rechtshilfeleistung den Zweck, den Behörden des ersuchenden Staates dazu zu verhelfen, im Verlauf eines Strafverfahrens in diesem Staat Beweise zu erheben. Heutzutage wird der Bereich der sonstigen Rechtshilfe jedoch nachhaltig ausgeweitet, wobei den Polizei- und Zollbehörden eine größere Rolle bei der Ausführung von Ermittlungshandlungen zukommt. Die sonstige Rechtshilfe beinhaltet neben der traditionellen Rechtshilfe also auch die polizeiliche und zollbehördliche Zusammenarbeit. I. Die Rechtshilfe Der acquis des sonstigen Rechtshilferechts umfasst das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen [EuRhÜbk]294 und dessen Zusatzprotokoll [ZP-EuRhÜbk]295, das Schengener Durchführungsübereinkommen [SDÜ], das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [RhÜbkEU]296 und dessen Protokoll [P-RhÜbk-EU]297 sowie den Rahmenbe294 European Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters, 20. April 1959, ETS No. 30. 295 Additional Protocol to the European Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters, 17 March1978, ETS No. 99. 296 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 297 Protokoll des Rates gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union, erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001.
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schluss über gemeinsame Ermittlungsgruppen298. Darüber hinaus gehört auch die Regelung über die Rechtshilfe in den deliktspezifischen Übereinkommen zum acquis, so etwa das Übereinkommen über die Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Entziehung von Erträgen aus Straftaten [GeldwäscheÜbk],299 das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften [BetrugÜbk-EU] und dessen Protokoll [P-BetrugÜbk-EU], das Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind [BestechungÜbk-EU]. Das RhÜbk-EU wurde im Jahre 2000 fertiggestellt und soll 90 Tage nach der Ratifizierung durch den achten Vertragsstaat in Kraft treten.300 Es wird aber gleichwohl seit der zweiten Ratifikation zwischen den betreffenden Staaten vorzeitig angewendet. Das Protokoll zum RhÜbk-EU tritt frühestens nach dem In-Kraft-Treten des RhÜbk-EU in Kraft. Zum 30. Juli 2004 waren weder das RhÜbk-EU noch sein Protokoll in Kraft getreten. Gerade dieser langwierige Ratifikationsprozess hat den Rat dazu veranlasst, einige wichtige Punkte des RhÜbk-EU durch Rahmenbeschlüsse weiterzuentwickeln und umzusetzen. So wurde zur Zeit der Niederschrift dieser Arbeit ein Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Anordnungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens (z. B. eines richterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses) sowie über die Verwertung von im Ausland erhobenen Beweise diskutiert. Diese Rahmenbeschlüsse – die keine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten benötigen und ab ihren InKraft-Treten verbindlich sind – höhlen das RhÜbk-EU aus, da es im Vergleich zu den neueren Rahmenbeschlüssen bezüglich der darin geregelten Rechtsmaterie veraltetes Recht darstellt.301 Sollte dieser Prozess in Zukunft fortgesetzt werden, fragt man sich, ob das RhÜbk-EU jemals unionsweit ratifiziert werden wird. Gleichwohl führt aber das RhÜbk-EU im Rechtshilferecht sämtliche Neuerungen ein, die z. Z. durch vorzeitige Anwendung des Übereinkommens benutzt werden. 298
Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über gemeinsame Ermittlungsgruppen, ABl. 2002 Nr. L 162/1 vom 20.6.2002. 299 Convention on Laundering, Search, Seizure and Confiscation of the Proceeds from Crime, 8 November 1999, ETS No. 141. 300 Art. 27 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 301 Ein markantes Beispiel dafür bietet der Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über gemeinsame Ermittlungsgruppen, ABl. 2002 Nr. L 162/1 vom 20.6.2002.
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Das RhÜbk-EU versteht sich als Ergänzung zum EuRhÜbk, zum ZP-EuRhÜbk und zum SDÜ. Die Übereinkommen insgesamt bestimmen die Voraussetzungen der sonstigen Rechtshilfe. Für die Gewährung sonstiger Rechtshilfe kommen in der Regel die für die Auslieferung entwickelten Prinzipien in Betracht. Für die sonstige Rechtshilfe verzichten jedoch die bi- und multilateralen Übereinkommen zumeist auf die klassischen Erfordernisse, die im Bereich der Auslieferung ausgearbeitet wurden. Zum Zwecke der besseren Verständlichkeit soll hier zunächst von der Entwicklung der Voraussetzungen der sonstigen Rechtshilfe ausgegangen werden, um dann einige bedeutsame neue Rechtshilfeformen näher zu erörtern. 1. Die Voraussetzungen der sonstigen Rechtshilfe Ausgangspunkt des sonstigen Rechthilferechts zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist das EuRhÜbk von 1959, das alle Arten von Rechtshilfe umfasst, die nicht in spezifischen Übereinkommen geregelt sind. Unter sonstiger Rechtshilfe verstand man noch im letzten Jahrhundert jede Hilfeleistung, die eine Justizbehörde eines Staates einer Justizbehörde eines anderen Staates auf deren Ersuchen hin gewährt hat. Anderen Auffassungen zufolge war nur die Hilfeleistung von Gericht zu Gericht als Rechtshilfe anzusehen.302 Im weiteren Sinne umfasst jedoch die sonstige Rechtshilfe alle Strafermittlungshandlungen unabhängig davon, ob sie vom Gericht oder anderen Justizorganen ausgeführt werden. In der internationalen Rechtshilfe wird „strafrechtliche Angelegenheit“ weit verstanden. Heute hat sich weitgehend die Meinung durchgesetzt, wonach unter die Bezeichnung „strafrechtliche Angelegenheit“ nicht nur das Kriminalstrafrecht fällt, sondern beispielsweise auch Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten, das Adhäsionsverfahren oder das Begnadigungsverfahren. Disziplinarverfahren können jedoch nicht als Strafverfahren bezeichnet werden. Die Aufhebung der Einschränkung der Hilfeleistung auf Straftaten stricto sensu ist durch die strafrechtspolitische Entscheidung einiger Mitgliedstaaten bedingt, bestimmte Handlungen zu entkriminalisieren und in Ordnungswidrigkeiten umzuwandeln. Diese auf deutschen Mustern basierende Entwicklung hat die Anpassung der internationalen Rechtshilfemechanismen notwendig gemacht. Das EuRhÜbk spiegelt diese neue Ansichtsweise wider und lässt ein gültiges Rechtshilfeersuchen auch bei Verwaltungsstrafsachen zu. Verwaltungsbehörden, insbesondere Zoll- und Finanzbehörden, die in Verwaltungs302 van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: Mutual Legal Assistance in criminal matters in the European Union, in: J. Dugard/C. van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, Dathmouth 1996, S. 288–289.
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sachen ermitteln, können aber kein gültiges Ersuchen aufgrund des EuRhÜbk einleiten.303 Die engen ökonomischen Beziehungen der EU-Mitgliedstaaten und die Zollunion haben in dieser Hinsicht grundlegende Änderungen bewirkt. Das SDÜ hat den Anwendungsbereich der Rechtshilfe erweitert und lässt verwaltungsbehördliche Zuständigkeit für die Erzeugung von Rechtshilfepflichten genügen.304 Dementsprechend kann die Rechtshilfe auch bei Zuwiderhandlungen gegen Ordnungsvorschriften, Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, in Gnadesachen, in Zivilsachen, die mit einer Strafklage verbunden sind, bei der Zustellung von Urkunden, bei der Aussetzung der Vollstreckung, bei bedingter Entlassung usw. gewährt werden. Demgegenüber sind die Verwaltungsbehörden des ersuchenden Staates nicht berechtigt, um Rechtshilfe zu nachzusuchen. Das SDÜ stellt klar, dass die Rechtshilfe zwar auch dann gewährt werden kann, wenn dem Ersuchen lediglich eine Ordnungswidrigkeit zu Grunde liegt. In solchen Fällen muss aber das Ersuchen von einer Justizbehörde gestellt werden.305 Das RhÜbk-EU bringt weitere Vereinfachungen und normiert eine Rechtshilfepflicht, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden oder des ersuchten Staates auch bloß verwaltungsbehördlich verfolgt wird.306 Damit übernimmt das RhÜbk-EU die Regelungen des SDÜ und kodifiziert die Entwicklung, die bereits das SDÜ eingeleitet hatte. Anders als im Auslieferungsrecht ist der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit für die Leistung sonstiger Rechtshilfe nicht vorgesehen. EuRhÜbk sieht lediglich die gerichtliche Strafbarkeit im ersuchenden Staat vor, nicht auch im ersuchten Staat.307 Diese Regelung des EuRhÜbk beruht auf der praktischen Erfahrung, dass es im Voraus nicht absehbar ist, in wes303 van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: Mutual Legal Assistance in criminal matters in the European Union, in: J. Dugard/C. van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, Dathmouth 1996, S. 294 ff.; Harris, Lorna/Murray, Christopher: Mutual Assistance in Criminal Matters, International Cooperation in the Investigation and Prosecution of Crime, London 2000, S. 8. 304 Art. 49 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 305 Art. 50 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 306 Art. 3 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. Nr. C 197 vom 12.7.2000. 307 Art. 1 European Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters, 20. April 1959, ETS No. 30. Näher dazu Vogler, Theo: Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 589.
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sen Interesse die Hilfeleistung steht: in dem der Strafverfolgungsbehörde oder in dem des Verfolgten. In manchen Fällen führt nämlich der im Rahmen der Rechtshilfe geleistete Verfahrensakt zum Freispruch und nicht zur Verurteilung des Beschuldigten. Die Möglichkeit, dass der fragliche Verfahrensakt auch im Interesse des Beschuldigten stehen kann, erklärt zugleich, warum die Hilfeleistung bei Ermittlungen gegen eigene Staatsangehörige im Ausland schon immer geleistet wurde, während sich die Auslieferung eigener Staatsangehörigen erst in jüngerer Zeit durchsetzt. Die Erleichterung durch die Abschaffung der beiderseitigen Strafbarkeit wird aber durch die vorgesehene Möglichkeit eines Vorbehaltes eingeschränkt. Letztere erlaubt den Vertragsparteien eine Erklärung zum EuRhÜbk abzugeben, die Erledigung eines Ersuchens bei bestimmten Verfahrensakten, die die Rechte Dritter beeinträchtigen, vom Vorliegen beiderseitiger Strafbarkeit abhängig zu machen. Solche Maßnahmen sind z. B. die Durchsuchung oder Beschlagnahme von Gegenständen oder die Personendurchsuchung, die nach den innerstaatlichen Vorschriften nur im Rahmen eines Strafverfahrens erlaubt ist. Tatsächlich hat außer Frankreich jeder Mitgliedstaat der EU, der das Übereinkommen ratifiziert hat, eine Erklärung zu diesem Zweck abgegeben. Daher gilt das EuRhÜbk zwischen den EU-Mitgliedstaaten bezüglich der Durchsuchung oder Beschlagnahme von Gegenständen nur im Falle beiderseitiger Strafbarkeit. Dies war oft Gegenstand der Kritik, da das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit die Zusammenarbeit im Fall der organisierten Kriminalität und bei Finanzdelikten unnötig erschwert.308 Da das RhÜbk-EU keine entsprechende Änderung gebracht hat, reichte Frankreich eine Initiative zum Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Finanzkriminalität ein.309 Gemäß dieser Initiative sollte die beiderseitige Strafbarkeit als Voraussetzung für ein Ersuchen um Beschlagnahme und Durchsuchung von Gegenständen, wie im EuRhÜbk und im SDÜ vorgesehen ist, abgeschafft werden.310 Die Initiative war ursprünglich als ein neues Übereinkommen gedacht, im Laufe der Verhandlungen wurde sie aber in ein Protokoll zum 308 van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: Mutual Legal Assistance in criminal matters in the European Union, in: J. Dugard/C. van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, Dathmouth 1996, S. 295. 309 Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der Erträge aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität, ABl. 2000 Nr. C 243/11 vom 24.8.2000. 310 Art. 2 Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der
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RhÜbk-EU umgewandelt.311 Obwohl die Abschaffung beiderseitiger Strafbarkeit für Beschlagnahme und Durchsuchung einem langjährigen Verlangen der Praxis entspräche und bezweckte, der grenzüberschreitenden Kriminalität die finanzielle Basis zu entziehen, wurde sie bedauerlicherweise nicht in das Protokoll zum RhÜbk-EU aufgenommen. Eine Neuigkeit des RhÜbk-EU besteht darin, dass Rechtshilfe auch für solche Zuwiderhandlungen geleistet wird, die einer juristischen Person zur Last gelegt werden.312 Aus dem Erläuternden Bericht zum RhÜbk-EU geht hervor, dass „[d]ie Tatsache, dass nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats eine Verantwortlichkeit juristischer Personen für die betroffenen Zuwiderhandlungen im Rahmen des Verwaltungs- oder Strafrechts nicht vorgesehen ist, [. . .] nicht mehr als alleinige Begründung für die Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens geltend gemacht werden [kann].“313
Diese Vorschrift stimmt einerseits mit der herrschenden Strafrechtspolitik der Europäischen Union überein, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen seit jeher fordert. Anderseits ist es auch Ausdruck der Entwicklung, die bereits im Europarat ihren Anfang nahm und die auf die völlige Abschaffung der Voraussetzung beiderseitiger Strafbarkeit für die Leistung von Rechtshilfe abzielt. Ähnlich dem Auslieferungsrecht kennt auch das internationale Rechtshilferecht neben der Verpflichtung zur Hilfeleistung eine Reihe von Gründen, bei deren Vorliegen die Rechtshilfeleistung verweigert werden kann. Dementsprechend kann die Hilfeleistung zunächst dann verweigert werden, wenn sich das Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die vom ersuchten Staat als politische oder als fiskalische Delikte angesehen werden. Die Verweigerung der Rechtshilfe für politische Delikte hing damit zusammen, dass politisch Verfolgte in der Regel Asylrecht genossen, wogegen das im Rahmen der Rechtshilfe auszuführende Verfahren verstieß. In dieser Hinsicht hat sich aber die allgemeine Meinung geändert. Wie bereits bei der Erträge aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität, ABl. 2000 Nr. C 243/11 vom 24.8.2000. 311 Vgl. die Einleitung des Erläuternden Berichts über das Protokoll zum Übereinkommen von 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2002 Nr. C 257/1 vom 24.10.2002. 312 Art. 3 Abs. 2 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 313 Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 379/7 vom 29.12.2000, S. 7.
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Auslieferung erwähnt wurde, hängt dies einerseits mit der Ausbreitung des Linksterrorismus zusammen, anderseits stimmen die Interessen innerhalb der unterschiedlichen Verbünde fast überein. Im Lichte der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kann die klassische Auffassung nicht beibehalten werden, wonach der politische Straftäter nur das politische System eines anderen Staates angreift. Ansonsten kann die Hilfeleistung wegen Verstoßes gegen den ordre public auch dann verweigert werden, wenn das politische Delikt nicht als Verweigerungsgrund aufgeführt ist (dazu gleich unten). Dementsprechend schafft das Protokoll zum RhÜbk-EU politische Straftaten als Verweigerungsgrund der Rechtshilfe ab314 und bringt dadurch das Recht der sonstigen Rechtshilfe mit dem der Auslieferung in Einklang.315 Für die Mitgliedstaaten besteht jedoch die Möglichkeit, durch einen Vorbehalt Ausnahmen zu schaffen. In ähnlicher Weise hat sich auch die Beurteilung fiskalisch strafbarer Handlungen geändert. Früher sah man diese Delikte als solche an, die gegen die Interessen von nur einem Staat verstießen. Die Meinungsänderung der europäischen Staaten in Bezug auf fiskalische Delikte erklärt sich aus ihren verstärkten wirtschaftlichen Verbindungen und dem transnationalen Charakter der Wirtschaftstätigkeit. Dementsprechend erweitert das ZP-EuRhÜbk den Anwendungsbereich des EuRhÜbk auch auf fiskalische Delikte. Danach wird die Verweigerung der Leistung von Rechtshilfe aus dem Grund, dass das betroffene Delikt ein Fiskaldelikt ist, aufgehoben. Trotz seiner praktischen Begründetheit wurde das Protokoll bis vor kurzem von Belgien, Irland, Luxemburg und Portugal nicht ratifiziert.316 Deswegen bekräftigte das SDÜ noch einmal die Rechtshilfeverpflichtung bezüglich fiskalischer Delikte wenigstens bei indirekten Steuern.317 Eine für alle fiskalischen Delikte – nicht nur für indirekte Steuern – geltende Rechtshilfeverpflichtung statuiert schließlich das Protokoll zum RhÜbk-EU, welches den Inhalt des ZPEuRhÜbk wiedergibt und zugleich die einschlägigen Bestimmungen des SDÜ aufhebt.318 Damit kann die Rechtshilfe für fiskalisch strafbare Hand314
Art. 9 Protokoll des Rates gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union, erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001. S. 4. 315 Die Bestimmung basiert auf Art. 5 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 313/11 vom 23.10. 1996. 316 Belgien ratifizierte das Zusatzprotokoll erst am 28.2.2002, Irland am 28.11.1996, Luxemburg am 2.10.2000 und Portugal am 27.1.1995. 317 Art. 50 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606.
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lungen im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander nicht mehr verweigert werden. In der Regel wird keine Rechtshilfe für militärisch strafbare Handlungen geleistet. Eine Rechtshilfeleistung für solche Delikte gibt es meistens nur unter militärischen Verbündeten. Darüber hinaus kann die Hilfeleistung auch dann verweigert werden, wenn die Erledigung des Ersuchens gegen den ordre public des ersuchten Staates verstößt.319 Dieser Verweigerungsgrund muss im Zusammenhang mit der Abschaffung der beiderseitigen Strafbarkeit als Voraussetzung für die Hilfeleistung verstanden werden. Im Rahmen der sonstigen Rechthilfe kann derjenige Vertragsstaat, der einem Ersuchen nicht entsprechen möchte, nicht auf das Fehlen der beiderseitigen Strafbarkeit sondern auf eine Verletzung seiner Souveränität und öffentlichen Ordnung oder anderen wesentlichen Interessen berufen.320 Wichtig ist, dass es keine einheitliche Auslegung des Begriffs ordre public gibt. In der Praxis herrscht die Meinung vor, dass die Verweigerung der Rechtshilfeleistung wegen des Grundsatzes ne bis in idem, wegen Geheimhaltungspflichten321 oder einer drohenden Todesstrafe322 auch auf die ordre public-Ausnahme gegründet werden kann. Im Hinblick auf diese Möglichkeit ist hervorzuheben, dass EuRhÜbk die Vertragsparteien verpflichtet, jede Verweigerung der Rechtshilfe zu begründen.323 Das EuRhÜbk enthält den aus dem Auslieferungsrecht bekannten Spezialitätsgrundsatz nicht. Da sonstige Rechtshilfe häufig in einem Stadium beantragt wird, da weder das Verfahren noch die rechtliche Qualifizierung der zu Grunde liegenden Straftat ihre endgültige Form angenommen haben, wäre die Einhaltung der Spezialität in der Praxis fast unmöglich. Deswegen wird öfters eine weniger strikte Regelung in der Form eines Vorbehaltes formuliert, die die Verwendung der im Rahmen der Rechtshilfe erlangten Informationen von der vorherigen Zustimmung des ersuchten Staates abhängig 318
Art. 8 Protokoll des Rates gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union, erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001. S. 3. 319 Art. 2 Abs. 2 European Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters, 20. April 1959, ETS No. 30. 320 In diesem Sinne regt Vogel an, für die Zukunft das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit durch einen ordre public oder Menschenrechtsvorbehalt zu ersetzen. Vgl. Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 74. 321 Vgl. die Erklärung von Österreich zu Art. 2 Abs. 2. http://conventions.coe.int. 322 Zur Praxis deutscher Gerichtshöfe Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 521, Rnr. 6. 323 Art. 19. European Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters, 20. April 1959, ETS No. 30.
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macht.324 Diese Praxis wird im SDÜ kodifiziert, wonach der ersuchende Staat die von dem ersuchten Staat erhaltenen Informationen oder Beweismittel für andere als im Ersuchen bezeichnete Ermittlungen oder Verfahren nur mit vorheriger Zustimmung des ersuchten Staates verwenden kann.325 Das EuRhÜbk sieht vor, dass ein Ersuchen nach dem Recht des ersuchten Staates erledigt wird.326 Dies folgt der alten Maxime locus regit actum, d.h., dass das Recht des Ortes, an dem das Ersuchen ausgeführt wird, das Verfahren bestimmt. Unter praktischen Gesichtspunkten ist diese Regelung leicht zu rechtfertigen, da die Behörden des ersuchten Staates zunächst nur die für sie bereits bekannten Regeln anzuwenden brauchen. Es kann jedoch im ersuchenden Staat in Bezug auf die Verwendung von Beweisen zu Schwierigkeiten führen. Beweise, deren Erhebung gegen die Rechtsvorschriften des ersuchenden Staates verstoßen, können im Strafverfahren im ersuchenden Staat häufig nicht beachtet werden.327 Das Problem ergibt sich oft daraus, dass die Bestimmungen des ersuchten Staates im Hinblick auf Beweise denen des ersuchenden Staates nicht entsprechen.328 Um die Effizienz der Strafverfolgung zu erhöhen, durchbricht das RhÜbk-EU den auf dem traditionellen Souveränitätsdenken ruhenden Grundsatz des locus regit actum und sieht die Leistung der Rechtshilfe grundsätzlich aufgrund der Vorschriften des ersuchenden Staates vor, sofern die den Grundprinzipien des Rechts des ersuchten Mitgliedstaats nicht zuwiderlaufen.329 Durch die Anwendung des Prinzips forum regit actum330 wird die Beweiserhebung oder Ermittlungsmaßnahme von Anfang an nach dem Verfahrensrecht des ersuchenden Staates durchgeführt, in dessen Straf324 In diesem Sinne versteht sich auch der Vorbehalt der Schweiz, der die Verwendung von durch die Rechtshilfe erlangten Beweismitteln oder Informationen über eine herkömmliche Straftat für die Aufklärung oder Verfolgung eines Fiskaldelikts ausschließt. 325 Art. 50 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 326 Art. 3 European Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters, 20. April 1959, ETS No. 30. 327 Vermeulen, Gert: A European Judicial Network linked to Europol? In Search of a Model for Structuring Trans-National Criminal Investigations in the EU, MJ 1997, S. 354. 328 Ausführlich dazu Böse, Martin: Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 2002, S. 148 ff. 329 Art. 4 Abs. 1 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 330 Vogel, Joachim: Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen, AIDP Vorkolloquium, Thema IV, ZStW 1998 S. 977.
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verfahren die Ergebnisse dann auch verwertet werden müssen. Mit dieser Bestimmung wird das Gleichgewicht der Rechtshilfe mit dem Ziel verlagert, die Verwendung der im Rahmen der Rechtshilfe gewonnenen Erkenntnisse als Beweismittel in den späteren Phasen des Verfahrens im ersuchenden Mitgliedstaat zu erleichtern.331 Jedoch darf man im ersuchenden Staat angesichts einer oft anderen Zuständigkeitsverteilung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizei nicht erwarten die eigenen Wertvorstellungen im ersuchten Staat uneingeschränkt wieder zu finden.332 Ein Problem mit Völkerrechtscharakter stellt das Teilnahmerecht von beteiligten Behörden und Personen des ersuchenden Staates bei der Erledigung des Rechtshilfeersuchens im ersuchten Staat dar. Das EuRhÜbk regelt diese Frage sehr vorsichtig: Auf ausdrückliches Verlangen des ersuchenden Staates unterrichtet ihn der ersuchte Staat über Zeit und Ort der Erledigung des Rechtshilfeersuchens.333 Diese Vorschrift begründet keine Pflicht seitens des ersuchten Staates; sie gewährt lediglich eine Möglichkeit. Darüber hinaus sieht das EuRhÜbk nur eine passive Teilnahme von beteiligten Behörden und Personen vor, wozu die Zustimmung des ersuchten Staates erforderlich ist. Die Beamten des ersuchenden Staates können nur Vorschläge über zu stellende Fragen oder zusätzlich zu ergreifende Maßnahmen unterbreiten, ein eigenes Fragerecht oder darüber hinausgehende Eingriffsbefugnisse werden den fremden Beamten nicht eingeräumt. Diese Zurückhaltung des EuRhÜbk hat bereits zur Zeit seiner Fertigstellung Kritik ausgelöst, da der Teilnahme von beteiligten Behörden (meistens Ermittlungsbehörden des ersuchenden Staates) und Personen (z. B. der Rechtsanwalt des Beschuldigten) große praktische Bedeutung zukommen 331 Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 379/7 vom 29.12.2000, S. 10. Hier ist anzumerken, dass das RhÜbk-EU durch den forum regit actum-Ansatz die Probleme des klassischen Beweistransfers löst. Eine andere, in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur jüngst auf vermehrtes Interesse stoßende Problematik ist, ob bzw. wann ein bestimmtes Beweismittel, das unter der Geltung der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats der EU mit dem Ziel der Verwertung in dem zu dieser Rechtsordnung gehörenden Strafverfahren erhoben wurde, überhaupt ein taugliches Beweismittel unter der Geltung einer anderen EU-Rechtsordnung sein kann. Eingehend Gleß, Sabine: Die „Verkehrsfähigkeit von Beweisen“ im Strafverfahren, ZStW 2003, S. 131–150. Das Grünbuch der Kommission unterbreitet Vorschriften über die Institutionalisierung eines „europaweit verkehrsfähigen Beweises“ im Strafverfahren. Vgl. Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg. 332 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 830. 333 Art. 4 European Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters, 20. April 1959, ETS No. 30.
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kann. Da die im Rahmen des Rechtshilfeersuchens gewonnenen Beweise im Strafverfahren im ersuchenden und nicht im ersuchten Staat benutzt werden, können die Behörden und Personen des ersuchenden Staates, die mit den dortigen Ermittlungen vertraut sind, den Behörden des ersuchten Staates mit Erklärungen und Auskünften z. B. über nicht eindeutige Vorschriften oft behilflich sein. Trotz seiner praktischen Relevanz verpflichtet das RhÜbk-EU den ersuchten Staat im Rahmen seiner allgemeinen Bestimmungen nicht, den betroffenen Behörden und Personen des ersuchenden Staates ein generelles Teilnahmerecht bei der Erledigung des Ersuchens einzuräumen. Titel des II RhÜbk-EU sieht besondere Teilnahmerechte in Bezug auf bestimmte Rechtshilfeformen vor, woraus folgt, dass, abgesehen von diesen Verfahren, die eher bescheidenen Bestimmungen des EuRhÜbk fortgelten. Zunächst können die betroffenen Behörden und Personen des ersuchenden Staates durch ihre aktive Teilnahme bei der Erledigung des Ersuchens sicherstellen, dass die gewonnenen Beweismaterialien und Informationen vor dem Gericht des ersuchenden Staates verwendet werden können. Darüber hinaus ist die Beweisaufnahme ohne die Teilnahme des Beschuldigten oft schwierig. Dabei reicht es aus, z. B. an Gegenüberstellung und Augenscheinsnahme zu denken.334 Die zu leistenden Rechtshilfehandlungen sind im EuRhÜbk nicht abschließend aufgezählt;335 auch wäre eine solche Aufzählung unnötig. Obwohl eine abschließende Liste der Rechtshilfehandlungen unzweckmäßig ist, kann man theoretisch die typischerweise unter die sonstige Rechtshilfe fallenden Handlungen systematisieren. Solche Handlungen sind Vernehmungen, Übergabe von Gegenständen, Haus- und Personendurchsuchung, die Übermittlung von Schriftstücken, Augenscheinsnahme, Ladung vor Gericht, die Begleitung von festgenommenen Personen zu Gericht usw. Exemplarisch regelt das EuRhÜbk das Ersuchen um die Vornahme von Untersuchungshandlungen, die Übermittlung von Beweisstücken, Akten oder Schriftstücken, die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen, die Übermittlung von beglaubigten Fotokopien der erbetenen Akten oder Schriftstücke. Im letzten Jahrzehnt hat die Anwendung moderner Techniken die Tätigkeit der Ermittlungsbehörden verändert. Neue Handlungsformen der Rechtshilfe sind entstanden. Titel II RhÜbk-EU regelt sämtliche spezielle Formen der Rechtshilfe, die die Anwendung moderner Technik einbeziehen. So werden die zeitweilige Über334 Gully-Hart, Paul: Loss of Time through Formal and Procedural Requirements in International Co-operation, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 262– 263. 335 Kathrein, Ulrike: Fragen und Probleme der internationalen justiziellen Zusammenarbeit, in: F. Höpfel/B. Huber (Hrsg.): Beweisverbote in Ländern der EU und vergleichbaren Rechtsordnungen, Freiburg im Breisgau 1999, S. 216.
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stellung von Personen zu Ermittlungszwecken, die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen per Video- oder Telekonferenz, kontrollierte Lieferungen, verdeckte Ermittlungen und die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs geregelt. Darüber hinaus führt das Protokoll zum RhÜbk-EU als neue Maßnahme die Rechtshilfe bei Bankgeschäften sowie die Überwachung von Bankgeschäften ein. Diese Rechtshilfehandlungen werden im nächsten Abschnitt näher besprochen. Für den Erfolg der sonstigen Rechtshilfe kommt der schnellen Ausführung oft eine wichtige Rolle zu. Deswegen geht der Trend in der Europäischen Union dahin, den diplomatischen Weg erst über den direkten Geschäftsweg zwischen den Ministerien der betroffenen Staaten, später durch den direkten Geschäftsweg zwischen den Justizbehörden zu ersetzen. Das EuRhÜbk sieht in Übereinstimmung mit der herrschenden Tradition den ministeriellen Weg als Grundregel vor, wonach das Ersuchen von Justizministerium zu Justizministerium übermittelt und die Entscheidung auf demselben Weg zurückgesendet wird.336 Im Allgemeinen ist dieses traditionelle Rechtshilfeverfahren langwierig. Deswegen lässt es das EuRhÜbk in dringenden Fällen zu, dass der Ersuchen auf direktem Geschäftweg zwischen ersuchender und ersuchter Justizbehörde übermittelt wird. Die Zurücksendung erfolgt aber auch in diesen Fällen über den üblichen ministeriellen Weg. Die Beschleunigung des Verfahrens ist nicht nur auf Effizienzgründe zurückzuführen. Heute ist das Recht des Beschuldigten auf ein schnelles Verfahren weitgehend anerkannt.337 Die verfahrensrechtlichen Vorschriften des SDÜ sind deswegen nicht nur unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu begrüßen, sie sind auch für die tägliche Praxis von großer Bedeutung. Das SDÜ ermöglicht die Übersendung von gerichtlichen Urkunden unmittelbar an natürliche und juristische Personen durch die Post338 und enthält als Grundregel den unmittelbaren Geschäftsweg.339 Das bedeutet, dass 336 Art. 15 European Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters, 20. April 1959, ETS No. 30. Schon zu dieser Zeit sah das Rechtshilferecht der Nordischen Staaten eine direkte Korrespondenz zwischen den zuständigen Behörden der betroffenen Staaten vor. Vgl. Lahti, Raimo: Sub-Regional Cooperation: The Experience of the Nordic Countries, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 308. 337 Näher dazu Trechsel, Stefan: Grundrechtschutz bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, EuGRZ 1987, S. 69–78. 338 Art. 52 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 339 Art. 53 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606.
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Rechtshilfeersuchen und die entsprechenden Antworten im Schengener Raum von Justizbehörde zu Justizbehörde unmittelbar übermittelt werden können. Dies lässt jedoch die Möglichkeit unberührt, dass Ersuchen durch die Justizministerien oder über die nationalen Zentralbüros der Interpol gestellt oder beantwortet werden können. Das RhÜbk-EU übernimmt die Regelung des SDÜ über die direkte Übermittlung der Verfahrensurkunden per Post340 und stellt den möglichst unmittelbaren Verkehr zwischen den Gerichten, in dringenden Fällen auch per Interpol, sicher. Mit dieser Regelung soll in Zukunft der unmittelbare Geschäftsweg zwischen den Justizbehörden der EU-Mitgliedstaaten zum Grundsatz werden.341 Von großer praktischer Bedeutung für die Erleichterung und Beschleunigung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sind ergänzende Rechtshilfeersuchen. Letztere erlauben es dem ersuchenden Mitgliedstaat, dass er kein neues Ersuchen zu stellen braucht, wenn in Bezug auf dieselbe Ermittlungen oder Strafverfahren ergänzende Maßnahmen erforderlich sind. Es reicht aus, wenn er auf das ursprüngliche Ersuchen verweist und die notwendigen zusätzlichen Angaben hinzufügt (daher ergänzendes Ersuchen).342 In der Praxis ist es durchaus denkbar, dass für die Feststellung der Tatsachen Ermittlungen notwendig sind, die bei der Abfassung des Rechtshilfeersuchens noch nicht ersichtlich waren. Um diese Ermittlungen schnell vornehmen zu können, sah zunächst die Initiative Frankreichs zur Verbesserung der RhÜbk-EU die Möglichkeit von ergänzenden Rechtshilfeersuchen vor.343 Die Bestimmungen wurden dann in das Protokoll zum RhÜbk-EU aufgenommen.344 Danach müssen ergänzende Ersuchen nicht vom Hoheits340 Art. 5 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 341 Das Vereinigte Königreich und Irland haben zum Art. 6 Abs. 3 einen Vorbehalt abgegeben, wonach ihnen die Ersuchen weiterhin durch Zentralbehörden zugestellt werden sollen. Diese opt-out Möglichkeit wurde unter der Bedingung erlaubt, dass kein anderer Mitgliedstaat einen Vorbehalt zum gleichen Zweck abgibt. Explanatory Memorandum on the Draft Convention on Mutual Assistance in Criminal Matters between the Member States of the EU submitted by the Home Office, 13 December 1999, 13451/99 COPEN 60. 342 Art. 6 Protokoll vom Rat gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001. S. 3. 343 Art. 6 Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der Erträge aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität, ABl. 2000 Nr. C 243/11 vom 24.8.2000.
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gebiet des ersuchenden Mitgliedstaats aus gestellt werden, sondern können auch vor Ort gestellt werden. Relevanz erlangt diese Vorschrift beispielsweise im Fall von ausländischen Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern, die im ersuchten Mitgliedstaat anwesend sind und an der Erledigung ihres Ersuchens mitwirken. Sie können nun vor Ort direkt ergänzende Ersuchen an den Justizbehörden des ersuchten Mitgliedstaats stellen. Ein weiteres Problem bestand darin, dass die Staaten aufgrund des EuRhÜbk überhaupt keinen Fristen für die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens unterlagen, was zu erheblichen Verzögerungen führte. Die langsame Ausführung eines Ersuchens wirkte sich insbesondere auf die Lage des Beschuldigten nachteilig aus, der wegen der langsamen Erledigung des Ersuchens auch nur verzögert zu seiner Entlastung beitragen konnte. Dies wurde bereits vom Ministerkomitee des Europarats scharf kritisiert345 In bestimmten Fällen kann es von großer Bedeutung sein, dass ein Rechtshilfeersuchen innerhalb einer bestimmten Frist erledigt wird.346 Darüber hinaus fördert die prompte Ausführung eines Ersuchens auch das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten, das für die Zusammenarbeit unentbehrlich ist. Das RhÜbk-EU enthält deswegen zum ersten Mal eine Bestimmung über Erledigungsfristen347, wonach für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen die vom ersuchenden Mitgliedstaat angegebenen Fristen berücksichtigt werden sollen.348
344 Art. 6 Abs. 2 Protokoll des Rates gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union, erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001. S. 3. 345 Recommendation 80 of the Council of Europe. 346 Gully-Hart, Paul: Loss of Time through Formal and Procedural Requirements in International Co-operation, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 254– 257. 347 Art. 4 Abs. 2 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 348 Der erste Ansatz auf Unionsebene, eine prompte Behandlung mitgliedstaatlicher Ersuchen zu gewährleisten, versuchte die Gemeinsame Maßnahme vom 29. Juni 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – über die Anwendung bewährter Methoden bei der Rechtshilfe in Strafsachen, ABl. 1998 Nr. L 191/1 vom 7.7.1998.
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2. Moderne Rechtshilfehandlungen Die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität hat neue Formen der sonstigen Rechtshilfe hervorgebracht. Diese bezwecken, die Effektivität der Rechtshilfe im Allgemeinen durch die Anwendung der neusten telekommunikationstechnischen Möglichkeiten zu steigern. a) Auskunftsersuchen zu Bankkonten Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und der organisierten Kriminalität hat neben der Abschöpfungs-Rechtshilfe weitere neue Rechtshilfehandlungen hervorgebracht. So schlug bereits die obengenannte französische Initiative Auskunftsersuchen zu Bankkonten als neue Maßnahme im Rechtshilfebereich vor,349 die später in das Protokoll zum RhÜbk-EU übernommen wurde. Gemäß dem Protokoll zum RhÜbk-EU unterliegen die Mitgliedstaaten zweierlei Verpflichtungen: zum einen müssen sie auf Antrag in konkreten Fällen in ihrem Gebiet bestehende Bankkonten ausfindig machen und die Angaben der ersuchenden Justizbehörde übermitteln,350 zum anderen müssen sie bankkontobezogene Informationen aufbewahren.351 Die Verpflichtung gilt nur für Bankkonten, die eine natürliche oder juristische Person unterhält oder kontrolliert, gegen die strafrechtliche Ermittlungen laufen.352 Um möglichen Missbräuchen vorzubeugen, stellt das Protokoll klar, dass Ersuchen auf möglichst bestimmte Banken und Konten zu begrenzen sind und an den Mitgliedstaat gerichtet werden sollen, der wahrscheinlich in der Lage ist, die ersuchten Informationen bereitzustellen. Dadurch soll verhindert werden, dass die mitgliedstaatlichen Ermittlungsbehörden Auskunfts349 Art. 5 Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der Erträge aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität, ABl. 2000 Nr. C 243/11 vom 24.8.2000. 350 Art. 1 Abs. 1 Protokoll des Rates gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union, erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001, S. 3. 351 Art. 1 Abs. 2 Protokoll des Rates gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union, erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001. S. 3. Vgl. dazu den Erläuternden Bericht über das Protokoll zum Übereinkommen von 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2002 Nr. C 257/1 vom 24.10.2002, S. 2. 352 Vgl. dazu den Erläuternden Bericht über das Protokoll zum Übereinkommen von 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2002 Nr. C 257/1 vom 24.10.2002, S. 2.
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ersuchen als Mittel zur einfachen Beschaffung von Informationen aus anderen Mitgliedstaaten nutzen. Eine derartige Praxis ginge mit einem solchen Arbeitsaufwand seitens des ersuchten Mitgliedstaats einher, dass dessen überforderte Behörden die Auskunftsersuchen nicht mehr bewältigen könnten, was wiederum das ganze Rechtshilfeinstitut zunichte machen könnte. Ungewöhnlich ist die Bestimmung des Protokolls, die Auskunftsersuchen zu Bankkonten nur für bestimmte Straftaten gelten lässt. Dies stellt eine Ausnahme zu bestehenden Rechtshilfeübereinkommen dar, die gewöhnlich einen allgemeinen Anwendungsbereich haben. Der Erläuternde Bericht zum Protokoll führt aus, dass die keineswegs einfache Begrenzung der Straftaten, die ein Auskunftsersuchen zu Bankkonten tragen, Ergebnis eines Kompromisses ist, der sich dadurch auszeichnet, dass alle mitgliedstaatlichen Auffassungen in die endgültige Bestimmung über den Anwendungsbereich aufgenommen wurden. Demzufolge können Auskunftsersuchen zu Bankkonten aufgrund von Straftaten gestellt werden, die mindestens durch eine der folgenden Alternativen gedeckt sind: – eine Kombination von Mindesstrafmaßen in beiden Staaten (4 Jahre im ersuchenden Mitgliedstaat und 2 Jahre im ersuchten Mitgliedstaat), – eine Straftat, die im Anhang zum EuropolÜbk aufgelistet ist, – eine Straftat, die in den Instrumenten zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften genannt ist. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Auskunft auf bestimmte Straftaten zeigt, dass die Mitgliedstaaten mit Blick auf das Recht der informationellen Selbstbestimmung sowie das Bankgeheimnis der Übermittlung von Kontoinformationen an andere (Mitglied-)Staaten zwar zurückhaltend gegenüberstehen, diese aber nicht mehr vollständig zurückweisen. Vielmehr lassen sie dieses Rechtshilfeinstitut in einem auch abgezirkelten Bereich gelten. Dass die Mitgliedstaaten gegenüber der Strafjustiz anderer Mitgliedstaaten gewisse Vorbehalte pflegen, zeigt wiederum die Aufrechterhaltung des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit. Dennoch ist die Bestimmung über den Anwendungsbereich des Auskunftsersuchens als ein weiterer Schritt zur Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Rechtsraumes einzustufen. Überhaupt ist festzustellen, dass in der Europäischen Union eine Tendenz besteht, die weitergehende Zurückdrängung mitgliedstaatlicher Souveränität durch die Begrenzung des Anwendungsbereichs neuer Harmonisierungsmaßnahmen (meistens durch einen Straftatenkatalog) auszugleichen (dazu noch in § 9).
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b) Ersuchen um Überwachung von Bankgeschäften Das Protokoll zum RhÜbk-EU schafft zum ersten Mal einen rechtlichen Rahmen für Ersuchen um Überwachung von Bankgeschäften.353 Es wird hier nicht ohne Grund von einem „rechtlichen Rahmen“ gesprochen, da die einschlägigen Bestimmungen in der Tat sehr wenige Einzelheiten enthalten. Das Protokoll verpflichtet die Mitgliedstaaten, einen Mechanismus zu schaffen, mit dem sie auf Ersuchen Bankgeschäfte überwachen sowie die betreffenden Ergebnisse übermitteln können. Es wird jedem Mitgliedstaat überlassen, zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen er in einem spezifischen Fall Rechtshilfe leistet. Freilich steht dem ersuchten Mitgliedstaat das Recht zu, Bedingungen festzulegen (wie z. B. beiderseitige Strafbarkeit oder Mindeststrafmaß), die in einem ähnlichen inländischen Fall erfüllt sein müssen.354 Darüber hinaus sollen die praktischen Details der Überwachung zwischen den zuständigen Behörden der betroffenen Staaten vereinbart werden. c) Spontanauskunft Eine weitere neue Rechtshilfehandlung ist die Spontanauskunft. Es bezieht sich auf die Möglichkeit, ohne vorheriges Ersuchen Mitteilungen über Ermittlungen oder Verfahren zu machen oder solche Mitteilungen zu übermitteln, wenn der übermittelnde Staat der Auffassung ist, dass „die Übermittlung dieser Informationen der anderen Vertragspartei bei der Einleitung oder Durchführung von Ermittlungen oder Verfahren behilflich sein kann oder dazu führen könnte, dass diese Vertragspartei ein Ersuchen [. . .] stellt.“
Die Spontanauskunft wurde durch das GeldwäscheÜbk eingeführt, mittlerweile erhalten aber sämtliche Instrumente des Dritten Pfeilers ähnliche Bestimmungen. Das Protokoll zum RhÜbk-EU statuiert sogar eine Informationspflicht,355 wonach die Behörden des ersuchten Staates die Behörden des ersuchenden Staates über Ermittlungen informieren sollen, die zwar im 353 Art. 3 Protokoll des Rates gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union, erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001, S. 3. 354 Vgl. dazu den Erläuternden Bericht über das Protokoll zum Übereinkommen von 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2002 Nr. C 257/1 vom 24.10.2002. S. 6. 355 Art. 6 Protokoll des Rates gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union, erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001. S. 3.
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Ersuchen nicht vorgesehen sind, jedoch nach der Auffassung der ermittelnden ausländischen Behörde zweckmäßig seien. Diese Vorschrift impliziert, dass Informationen auch vor der offiziellen Beantwortung des Ersuchens gegeben werden können.356 Neben ihrer praktischen Relevanz trägt die Informationspflicht generell zum Ausbau einer arbeitsteiligen Strafverfolgung unter den Mitgliedstaaten bei. d) Videokonferenz und Telefonüberwachung Neben einer verstärkten Zusammenarbeit bei Ermittlungen, die Bezüge zum Finanzsektor aufweisen, kommt es heutzutage entscheidend auf die Anwendung moderner Telekommunikationsmöglichkeiten an. Letztere ist im Titel II des RhÜbk-EU geregelt. Von den neuen Rechtshilfehandlungsformen sollen hier die Bestimmungen über die Vernehmung per Videokonferenz und die über die Telefonüberwachung hervorgehoben werden, da diese Bestimmungen die meisten Diskussionen in den Mitgliedstaaten ausgelöst haben. Der Europarat beschäftigte sich bereits vor 10 Jahren mit der Möglichkeit der Vernehmung eines sich im Ausland befindenden Zeugen oder Sachverständigen durch Videoübertragung.357 Damals sah noch die Mehrzahl der Staaten den direkten Kontakt zwischen einer Person auf ihrem Hoheitsgebiet und einer ausländischen Justizbehörde als die Verletzung der Souveränität an. Heutzutage genießt die Ausschöpfung der Vorteile, die die Anwendung moderner Telekommunikationstechnik bietet, den Vorrang. Dies wird an den gegenwärtigen Regelungen des RhÜbk-EU deutlich. Das RhÜbk-EU versteht unter Videokonferenz die Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen, der sich auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates befindet, durch den Richter eines anderen Mitgliedstaates unter Anwendung technischer Mittel der Videoübertragung.358 Aus dieser Vorschrift geht hervor, dass die Vernehmung des Beschuldigten durch diese neue Methode nicht gewährt wird. Das RhÜbk-EU schreibt eindeutig vor, dass auf die Vernehmung die Verfahrensordnung des ersuchenden Staates Anwendung finden soll. Dadurch 356 Vgl. dazu den Erläuternden Bericht über das Protokoll zum Übereinkommen von 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2002 Nr. C 257/1 vom 24.10.2002. S. 6. 357 Committee of Experts on the Operation of European Conventions in the Penal Field (PC-OC), 14.1.1993. 358 Art. 10 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000.
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kommt zum Ausdruck, dass das Verfahren eigentlich vom ersuchenden Staat abgewickelt wird, und zwar mit Hilfe seiner durch die Videoübertragung verlängerten Hand. Der Unterschied zur inländischen Rechtshilfevernehmung besteht darin, dass die Vernehmung direkt durch die Justizbehörde des ausländischen Strafverfahrens durchgeführt wird, wobei die Verfahrensbestimmungen des ausländischen Strafverfahrens bis an die Grenze der Verletzung von Grundprinzipien der inländischen Rechtsordnung zur Anwendung kommen. Dies bedeutet ein viel weitergehendes Teilnahmerecht der Justizbehörden des ersuchenden Mitgliedstaates als bisher. Die Justizbehörde des ersuchten Mitgliedstaats wirkt nur zum Zwecke der Beglaubigung mit.359 Durch die Einführung der Videovernehmung erwartet man eine beträchtliche Vereinfachung und Verbesserung des internationalen Rechtshilfeverkehrs. Einerseits werden die Kosten gesenkt, anderseits bietet diese Art der Vernehmung die Gelegenheit, einige bislang ungelöste Schwierigkeiten des Rechtshilfewegs zu beheben. Durch die Möglichkeit einer Videovernehmung soll das Problem der zeitweisen Überstellung in Haft befindlicher Personen (in der Regel erfordert die Durchführung der Überstellung die Zustimmung der zu überstellenden Person) und z. B. das Nichterscheinen der zu vernehmenden Person im Ausland überwunden werden.360 Die umstrittensten Bestimmungen des RhÜbk-EU waren die Vorschriften über die Telefonüberwachung. Die Aufnahme der Bestimmungen der Telefonüberwachung in das RhÜbk-EU wurde durch die Einführung der satellitenunterstützten Telekommunikation 1998 in Europa bedingt. Vor diesem Zeitpunkt gab es in den EU-Mitgliedstaaten nur bodengestützte Systeme, die ohne Ausnahme nationale Systeme waren, deren Abhören vom jeweiligen Mitgliedstaat ohne Mitwirkung anderer Staaten veranlasst werden konnte. Dementsprechend war die Anordnung einer Telefonüberwachung selbst im Rahmen des EuRhÜbk möglich, da dieses, wie oben erwähnt, die zu leistenden Rechtshilfehandlungen nicht erschöpfend definiert hatte. Diese Lage änderte sich vollständig mit der Inbetriebnahme des satellitengestützten Telekommunikationsverkehrs. Bei letzterem handelt es sich um internationale Systeme, deren Netzbetreiber zwar außerhalb Europas angesiedelt sind, jedoch einige Bodenstationen innerhalb des Gebietes der EU 359
Art. 10 Abs. 5, Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 360 Da die zu vernehmende Person nicht verpflichtet wird, ins Ausland zu reisen, sondern wie zur Leistung einer Rechtshilfevernehmung von den inländischen Rechtshilferichter geladen wird, können Zwangsmaßnamen zur Sicherstellung des Erscheinens eingesetzt werden.
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unterhalten. Hinzukommt, dass eine Abhörmaßnahme technisch gesehen nur an einer Bodenstation durchgeführt werden kann. Dies bedeutete, dass die bis dahin bestehende Möglichkeit interner Telefonüberwachung für diejenige Mitgliedstaaten, die über keine Bodenstation verfügten (und das sind die meisten) verloren zu gehen drohte. Vor diesem Hintergrund sieht das RhÜbk-EU Überwachungsmaßnahmen für alle Arten des Telekommunikationsverkehrs – sowohl für boden- als auch für satellitengestützte – vor.361 Das Rechtshilfemodell des RhÜbk-EU legt eine Verpflichtung für alle Mitgliedstaaten fest, Überwachungsanträge anderer Mitgliedstaaten ohne Prüfung durchzuführen, verbunden mit einer Vereinbarung von Ablehnungsgründen für bestimmte Fälle. Das leicht vorstellbare Szenario, dass sich die zu überwachende Person vor oder während der Überwachung mit ihrem tragbaren Gerät in einen oder in mehrere andere Mitgliedstaaten begibt, wurde eingehend erörtert.362 In diesem Fall muss der überwachende Staat den Staat, in dem sich die zu überwachende Person aufhält, über die Überwachung unterrichten. Letzterem stehen 96 Stunden für seine Antwort zur Verfügung. Der unterrichtete Mitgliedstaat kann der Überwachung zustimmen und sie an alle Bedingungen knüpfen, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zu erfüllen wären. Er kann seine Zustimmung auch verweigern. Bei den Ablehnungsgründen weist das RhÜbk-EU auf das EuRhÜbk hin, wonach die Überwachungsmaßnahme abgelehnt werden kann, wenn die der Überwachung zu Grunde liegende Handlung das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit oder der Auslieferung nicht erfüllt oder den ordre public des unterrichteten Mitgliedstaates verletzt. Wichtig ist, hervorzuheben, dass Telefonüberwachung nicht proactive, also im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, angewendet werden kann. II. Die polizeiliche Zusammenarbeit Die technische Entwicklung ermöglicht heutzutage die schnelle und einfache Überschreitung von Grenzen, was auch für die Kriminalität neue Möglichkeiten schafft. Aus dieser Erfahrung gewann man zwei grundlegende Erkenntnisse. Einerseits wurden internationale Übereinkommen zur 361
Art. 17 – 20 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 362 Art. 20 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000.
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Verfolgung transnationaler Straftaten geschaffen, anderseits wurde die Unerlässlichkeit der Zusammenarbeit der Polizeibehörden anerkannt.363 Letztere repräsentiert heute sogar das sich am schnellsten entwickelnde Gebiet der Kooperation. Entscheidendes Merkmal der polizeilichen Zusammenarbeit ist, dass es in diesem Bereich überhaupt schriftliche Regeln gibt. Die polizeiliche Zusammenarbeit wird durch das Schengener Durchführungsübereinkommen [SDÜ], das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [RhÜbkEU] und das Übereinkommen über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts364 [EuropolÜbk] geregelt. Im Allgemeinen ist zu bemerken, dass diese Übereinkommen die unterschiedlichen nationalen, rechtlichen und organisatorischen Strukturen der polizeilichen Arbeit in den Mitgliedstaaten in Kauf nehmen. Ihr Wert besteht darin, die polizeiliche Zusammenarbeit erstmals rechtlich zu organisieren.365 Die Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens polizeilicher Zusammenarbeit ist deswegen bedeutend, weil sich der Charakter polizeilicher Tätigkeit heutzutage verändert hat. Proactive policing spielt eine immer größere Rolle. Letztere wirkt sich nicht nur auf die benutzen Ermittlungstechniken aus. Ermittlungen werden im Allgemeinen viel früher begonnen als in der ante delictum Phase. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kommt den Grundsätzen der Legalität, Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität im Fall von proactive policing besonderes Gewicht zu.366 1. Allgemeine Voraussetzungen polizeilicher Zusammenarbeit Zum ersten Mal überhaupt hat das SDÜ die polizeiliche Zusammenarbeit zum Regelungsgegenstand gemacht. Die Praxis polizeilicher Zusammenarbeit hatte bis zum In-Kraft-Treten des SDÜ ein effektives Eigenleben in einer Grauzone geführt. „Wie immens die Grauzone polizeilicher Kooperation war, zeigten erstmals Reaktionen auf das SDÜ, das nun in seinem Art. 39 ff. zum ersten Male auch explizit 363
Baxter, N.: Policing Maastricht, The Police Journal, 1997, S. 49. Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts, ABl. 1995 Nr. C 316/2 vom 27.11.1995. 365 Hecker, Jan: Europäisches Verwaltungskooperationsrecht am Beispiel der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit, EuR 2001, S. 834. 366 Vermeulen mahnt insbesondere an, dass die transnationale Dimension von Straffällen eine mehr lässigere Attitüde bezüglich der Rechtsmäßigkeit von Polizeihandlungen keineswegs rechtfertigt. Vermeulen, Gert: A European Judicial Network linked to Europol? In Search of a Model for Structuring Trans-National Criminal Investigations in the EU, MJ 1997, S. 353. 364
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von polizeilicher Zusammenarbeit sprach, Aufgaben über Grenzen hinweg definierte und damit auch begrenzte. Diese Reaktion war von Enttäuschung geprägt, wieweit diese Normen hinter bisher erlebter Realität zurückblieben.“367
Die getrennte Regelung der polizeilichen Zusammenarbeit im SDÜ zeigte zugleich, dass sich die polizeiliche Zusammenarbeit von der herkömmlichen Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden emanzipiert hatte.368 Im Unterschied zu den sonstigen Rechtshilfevereinbarungen geht es hier nicht nur um bestimmten Akte der Hilfeleistung für die Unterstützung eines ausländischen Strafverfahrens, sondern es wird die unabhängige Ermittlungstätigkeit ausländischer Polizeibeamter auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates geduldet.369 Das SDÜ beschreibt unter seinen allgemeinen Regeln zur polizeilichen Zusammenarbeit den polizeilichen Informationsaustausch als Hilfeleistung der Polizeidienste untereinander im Interesse der vorbeugenden Bekämpfung und der Aufklärung von strafbaren Handlungen, sofern ein Ersuchen oder dessen Erledigung nach nationalem Recht nicht den Justizbehörden vorbehalten ist und die Erledigung des Ersuchens die Ergreifung von Zwangsmaßnahmen durch den ersuchten Staat nicht erfordert.370 Bei der Abgrenzung zwischen polizeilicher Zusammenarbeit und der traditionellen Rechtshilfe muss entschieden werden, ob es sich um Maßnahmen auf präventiv- polizeilichem Gebiet oder um eine solche auf dem Gebiet der Strafverfolgung handelt. Nur im letzteren Fall geht es um Rechtshilfe in Strafsachen. Die Rechtshilfe in Strafsachen kann hier expressis verbis von Polizei zu Polizei erfolgen, sofern nicht vorrangige Übereinkommen oder nationales Recht Einschränkungen vorgeben. Die Praxis spricht deswegen von „polizeilicher Rechtshilfe“.371 Die örtlichen Polizeidienststellen dürfen aber nicht unmittelbar zusammenarbeiten. Auf Verlangen von zentralistisch geführten Mitgliedstaaten – vor allem Frankreich und Spanien – sollen nationale Stellen benannt werden, die die Ersuchen der einzelnen 367 Schomburg, Wolfgang: Internationale polizeiliche Zusammenarbeit aus der Sicht der Justiz, in: M. Baldus/M. Soiné: Rechtsprobleme der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit, Baden-Baden 1999, S. 187. 368 Zu der Unterscheidung zwischen formeller und informeller Rechtshilfe siehe Wilkitzki, Peter: Development of an Effective Crime and Justice Programme – A European View, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 276–277. 369 Daher bezeichnet Vogel diese Rechtshilfeformen als passive Rechtshilfe. Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 153. 370 Art. 39 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 371 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 926.
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Polizeidienststellen sammeln und an die nationale Stelle des ersuchten Vertragsstaates übermitteln.372 Das SDÜ lässt die Frage offen, was eine Zwangsmaßnahme umfasst. Sind damit nur Maßnahmen der physischen Gewalt gemeint oder sind alle Beeinträchtigungen der Menschenrechte, insbesondere das Recht auf die Privatsphäre (z. B. bei Telefonüberwachung oder verdeckten Ermittlungsmethoden) mitinbegriffen? Eine Antwort fällt je nach betroffenem Staat373 und einschlägigem Übereinkommen374 unterschiedlich aus. Die polizeiliche Zusammenarbeit ist trotz ihrer Formalisierung im SDÜ immer noch wesentlich einfacher als die traditionelle Rechtshilfe. Um einer Ersetzung der justiziellen Rechtshilfe durch polizeiliche Zusammenarbeit vorzubeugen, dürfen schriftliche Informationen nur mit der Zustimmung des ersuchten Staates im ersuchenden Staat in einem Strafverfahren verwendet werden.375 Diese, dem Spezialitätsgrundsatz ähnliche Einschränkung führt jedoch zu der paradoxen Lage, dass aufgrund des SDÜ die Kooperation unter EU-Polizeidiensten strengeren Regeln unterworfen ist als die zwischen EU-Polizeidiensten und Nicht-EU-Polizeidiensten. Letztere erfolgt nämlich weiterhin oft auf einer informellen Basis.376 Darüber hinaus bietet die obige Regel des SDÜ keinen Schutz gegen eine Datenwäsche der Polizei. Ein Beispiel dafür geben Brevers und Joubert aus der Praxis der niederländischen Polizei. Die niederländische Polizei hatte Informationen an sämtliche ausländischen Polizeibehörden zugestellt und relativ kurz darauf durch ein Ersuchen wieder abgefragt. Die Bestätigung der Information aus dem Ausland steigert deren Zuverlässigkeit und Wert.377 372
Art. 39 Abs. 3, Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 373 Bevers, Hans/Joubert, Chantal: Schengen Investigated: a comparative interpretation of the Schengen provisions on international police cooperation in the light of the European Convention on Human Rights, The Hague 1996, S. 592. 374 Kontrollierte Lieferungen sind im SDÜ als eine Form polizeilicher Zusammenarbeit geregelt, während sie im RhÜbk-EU als sonstige Rechtshilfe behandelt werden. 375 Art. 39 Abs. 2 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 376 van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: Mutual Legal Assistance in criminal matters in the European Union, in: J. Dugard/C. van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, Dathmouth 1996, S. 300 Fn. 60. 377 Bevers, Hans/Joubert, Chantal: Schengen Investigated: a comparative interpretation of the Schengen provisions on international police cooperation in the light of the European Convention on Human Rights, The Hague 1996, S. 445.
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Trotz seiner Mängel stellt das SDÜ die polizeiliche Zusammenarbeit auf eine rechtstaatliche Grundlage und ist mit Blick auf die Gewährleistung eines fairen Verfahrens im Sinne Art. 6 EMRK ausdrücklich zu begrüßen.378 Neben dem polizeilichen Informationsaustausch auf Ersuchen ermöglicht das SDÜ auch die Spontanauskunft.379 Danach kann jeder Vertragsstaat im Rahmen seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften Informationen den jeweils betroffenen anderen Vertragsstaaten auch ohne Ersuchen mitteilen. Diese Bestimmung bezweckt die Vorbeugung öffentlicher Unruhe, wie z. B. bei Fußballspielen, Demonstrationen oder Popkonzerten. Hervorzuheben ist, dass es sich hierbei um eine Hilfsbestimmung handelt, die den Mitgliedstaaten keine Verpflichtungen auferlegt. Das SDÜ lässt Spontanauskünfte zur Gefahrenabwehr und zur Abwehr künftiger Straftaten, nicht jedoch zur Aufklärung bereits begangener Straftaten zu. Letztere Einschränkung war mit Blick auf eine effektive Kriminalitätsbekämpfung nicht einzusehen und wurde entsprechend durch das RhÜbk-EU aufgehoben.380 Nach dem Erläuternden Bericht zum RhÜbk-EU wird mit Art. 7 anerkannt: „dass es sehr nützlich sein kann, wenn ein Mitgliedstaat Informationen, die er über Straftaten erlangt hat, einem anderen Mitgliedstaat zugänglich macht.“381
Informationen können nach dem RhÜbk-EU sowohl über Straftaten als auch über Ordnungswidrigkeiten übermittelt werden. Die übermittelnde Behörde kann die Verwendung dieser Informationen an bestimmte Bedingungen knüpfen, die die empfangenden Behörden binden. Schließlich ist noch auf die Einführung des Schengener Haftbefehls382 hinzuweisen. Danach kann eine Person, die im Schengener Informationssystem [SIS] erfasst ist, im ganzen Schengener Raum aufgrund eines Bescheides der Justizbehörde einer Vertragspartei verhaftet werden. Dieser Haftbe378 Kathrein, Ulrike: Fragen und Probleme der internationalen justiziellen Zusammenarbeit, in: F. Höpfel/B. Huber (Hrsg.): Beweisverbote in Ländern der EU und vergleichbaren Rechtsordnungen, Freiburg im Breisgau 1999, S. 210. 379 Art. 46 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 380 Art. 7 Abs. 1 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 381 Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 379/7 vom 29.12.2000, S. 13. 382 Der im Art. 95 SDÜ enthaltene Haftbefehl ist begrifflich nicht mit dem Europäischen Haftbefehl zu verwechseln.
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fehl gilt aber nur für die Untersuchungshaft. Für Zwecke der Auslieferung muss ein formales Auslieferungsverfahren folgen. 2. Spezielle polizeiliche Rechtshilfeleistungen Neben der Schaffung eines generellen Rahmens für die polizeiliche Rechts- und Amtshilfe sind im SDÜ drei Arten der Zusammenarbeit im Detail geregelt, die im Unterschied zum polizeilichen Informationsaustausch die selbstständige hoheitliche Tätigkeit eines Polizeibeamten des ersuchenden Staates im ersuchten (d.h. im ausländischen) Staat voraussetzen. Dies stellt eine neue Qualität der Zusammenarbeit der Polizeibehörden dar. Traditionell war internationale Rechtshilfe – wegen des Territorialitätsgrundsatzes – diejenige Hilfe, die der ersuchte Staat durch eigene Organe auf eigenem Territorium für das im ersuchenden Staat geführten Strafverfahren leistete.383 Im Gegensatz dazu geht es hier um die Gestattung der selbstständigen Ermittlungstätigkeit der Polizeibeamten des ersuchenden Staates auf dem eigenen Staatsgebiet. Dies ist mit einer erheblichen Einbuße an territorialer Souveränität des ersuchten Staates verbunden. Zugleich ist es auch so zu interpretieren, dass „neben der staatlichen Öffnung „nach oben“, gegenüber der supranationalen Hoheitsgewalt, [. . .] eine Öffnung „zur Seite“, gegenüber anderen mitgliedstaatlichen Strafgewalten [tritt].“384
Um die Hoheitsgewalt des ersuchten Staates möglichst zu schützen, sind grenzüberschreitende Ermittlungen nur unter sehr strengen Voraussetzungen zugelassen. In diesem Sinne erlaubt das SDÜ die Fortsetzung der Überwachung auf fremdem Hoheitsgebiet nur gegen solche Personen, die im Verdacht stehen, an einer auslieferungsfähigen Straftat beteiligt zu sein, und zwar bei besonderer Dringlichkeit und nur durch bestimmte Beamte.385 Die grenzüberschreitende Überwachung wurde bereits vor dem SDÜ praktiziert, jedoch nur im Rahmen der traditionellen Rechtshilfe. Letztere bedeutete, dass die Überwachung an der Grenze an die Beamten des ersuchten Staates übergeben wurde, die mit ihrem Tätigwerden im Sinne der klassischen Rechtshilfe das ausländische Ermittlungs- oder Strafverfahren unterstützten. Im Gegen383 So bereits Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 24. 384 Hecker, Jan: Europäisches Verwaltungskooperationsrecht am Beispiel der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit, EuR 2001, S. 827. 385 Art. 40 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606.
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satz dazu lässt das SDÜ bei Vorliegen der obigen Voraussetzungen Ermittlungshandlungen gebietsfremder Beamten auf dem eigenen Staatsgebiet zu. Der Staat, in dessen Hoheitsgebiet ausländische Polizeibeamte tätig werden, muss zuvor einem Rechtshilfeersuchen zugestimmt haben. In dringlichen Fällen von Katalogstraftaten386 kann von einer vorherigen Zustimmung abgesehen werden. Der betroffene Vertragsstaat ist jedoch unverzüglich zu unterrichten. Die grenzüberschreitende Nacheile, also die unmittelbare Verfolgung des Tatverdächtigen, bietet im Vergleich zur Forstsetzung der Überwachung ein neues Instrument der Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung. Aufgrund des SDÜ kann ein Beamter die Verfolgung einer auf frischer Tat entdeckten Person auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates ohne dessen vorherige Zustimmung fortsetzen, wenn dieser Vertragsstaat wegen der besonderen Dringlichkeit zuvor nicht unterrichtet werden konnte.387 Straftaten, die zur Nacheile berechtigen, sind entweder alle auslieferungsfähigen Straftaten oder besondere Katalogstraftaten, die im Wesentlichen denen des Art. 40 Abs. 7 SDÜ entsprechen. Spätestens beim Grenzübertritt müssen die nacheilenden Beamten die zuständige Behörde des Staats, auf dessen Hoheitsgebiet die Verfolgung stattfindet, kontaktieren. Die Verfolgung muss eingestellt werden, wenn der Gebietsstaat es verlangt. Aufgrund zahlreicher Vorbehalte der Vertragsstaaten konnte eine einheitliche Regelung der Modalitäten der Nacheile, insbesondere ein damit verbundenes Festhalterecht, nicht erzielt werden. Man verständigte sich nur darauf, dass jeder Vertragsstaat erklären kann, wie er die Nacheile an den jeweiligen Landesgrenzen auf sein Hoheitsgebiet erlaubt. Dementsprechend unterliegt das Nacheilerecht unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Begrenzungen und fällt im Verhältnis der Mitgliedstaaten jeweils verschieden aus.388 In der Praxis ignorieren die betroffenen Polizeidienststellen denn 386 Die Katalogstraftaten werden in Art. 40 Abs. 7 SDÜ aufgeführt. Art. 40 Abs. 7 gibt noch bei Eilfällen eine Beschränkung des Kreises der Straftaten, derer die zu observierende Person verdächtig sein muss, vor. Solche Straftaten sind z. B. Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Falschmünzerei, Erpressung, Menschenhandel oder unerlaubter Verkehr mit Betäubungsmitteln. 387 Art. 41 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 388 Zum Beispiel gewährt Deutschland den zuständigen Beamten der Benelux Staaten in Bezug auf auslieferungsfähige Straftaten ein Nacheilerecht ohne zeitliche oder räumliche Begrenzung. Im Gegensatz dazu genießen deutsche Beamte in diesen Nachbarstaaten ein jeweils räumlich, zeitlich und sachlich unterschiedlich begrenztes Nacheilerecht. Vgl. Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 934. Darüber hinaus können die EUMitgliedstaaten diverse Ergänzungsregel über z. B. das Benutzen von Waffen oder
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auch diese Vorschriften und gestalten die grenzüberschreitende Nacheile im Einzelfall auf der Basis persönlicher Kooperation über die Grenzen – und Gesetze – hinweg.389 Eine verfeinerte Regelung konnte im RhÜbk-EU nicht erreicht werden. Das RhÜbk-EU hat das Instrumentarium polizeilicher Zusammenarbeit weiter formalisiert und folgt damit dem durch das SDÜ beschrittenen Weg, die polizeiliche Zusammenarbeit auf eine rechtsstaatliche Vertragsgrundlage zu stellen. Die zentralen Bestimmungen des RhÜbk-EU zur polizeilichen Zusammenarbeit beinhalten Art. 13 und 14 über die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und den grenzüberschreitenden Einsatz verdeckter Ermittlungsmethoden. Die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen erwuchs einem praktischen Bedürfnis. Die Erfahrung der Ermittlungsarbeit bei der Verfolgung grenzüberschreitender Delikte, insbesondere im Fall der organisierten Kriminalität, zeigte, dass die Beteiligung der Strafverfolgungsbehörden eines Staates, in dem ein Zusammenhang mit den betreffenden Straftaten besteht, für die Ermittlungen äußerst nützlich sein kann. Deswegen nahmen sämtliche Rechtshilfeabkommen die Möglichkeit der Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen in ihre Bestimmungen auf.390 Auf europäischer Ebene regelte zunächst das Neapel-II-Übk Möglichkeiten und Voraussetzungen solcher Ermittlungsgruppen, jedoch in Bezug auf die Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Zollverwaltungen (dazu sogleich). Im Hinblick auf die polizeiliche Zusammenarbeit bestand eines der Hindernisse bei der Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen im Fehlen spezifischer Rahmenbedingungen.391 Um diese Lücke zu schließen, ermöglicht Art. 13 RhÜbk-EU die Bildung einer Ermittlungsgruppe zur Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen, die aus Personen unterschiedlicher Mitgliedstaaten zusammengesetzt ist, wenn (i) im Ermittlungsverfahren eines Mitgliedstaates zur Aufdeckung von Straftaten schwierige und aufwändige Ermittlungen mit Bezügen zu anderen Mitgliedstaaten ausgeführt werden müssen oder wenn (ii) mehrere Mitgliedstaaten wegen der Aufdeckung von Straftaten ermitteln, die infolge des zu Grunde liegenden Sachverhalts ein koordiniertes und abHausdurchsuchungen erlassen, die eine exakte Beachtung der Bestimmungen weiter erschweren. Vgl. den Boer, Monica: Not Merely a Matter of Moving House: Police Cooperation from Schengen to the TEU, MJ 2000, S. 343. 389 Kühne, Hans-Heiner: Strafprozessrecht, 5. Aufl., Heidelberg 1999, S. 28. 390 Pisani, Mario: Italian National Report, RIDP 1999, S. 551 ff. 391 Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 379/7 vom 29.12.2000, S. 18. Dementsprechend rief Nr. 43 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere zur unverzüglichen Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsteams auf.
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gestimmtes Vorgehen der beteiligten Staaten erfordern. Die genaue Zusammensetzung der gemeinsamen Ermittlungsgruppe (Zahl und Beruf der Personen), sowie der Zeitraum der Ermittlung muss von den beteiligten Mitgliedstaaten vereinbart werden. Aus rechtshilferechtlicher Sicht sind zwei Fragenkreise von zentraler Bedeutung:392 Welchem Recht unterliegen die Mitglieder einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe? Folgt jedes Mitglied dem Recht seines Staates oder folgen alle Mitglieder dem Recht des Einsatzstaates, in dem die Ermittlungshandlungen durchgeführt werden? Welches Recht bestimmt die Verwendbarkeit der im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungen erlangten Informationen und Beweismaterialien? Soll dies nach dem Recht des Gebietsstaats beurteilt werden, in dem die Information oder Beweismaterial gesammelt wurden (lex loci) oder nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie benutzt werden (lex fori)? In Bezug auf den ersten Punkt legt das RhÜbk-EU fest, dass die entsandten Mitglieder der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Ermittlungshandlungen im Einsatzmitgliedstaat nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts dieses Mitgliedstaates durchführen.393 Da es sich in einem komplexen Fall durchaus ergeben kann, dass die Gruppe in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ermittelt, kann sich das einschlägige Recht während einer Ermittlung mehrmals ändern. Das RhÜbk-EU setzt daher die Kenntnis des jeweils anwendbaren Rechts voraus und stellt damit die entsandten Mitglieder der gemeinsamen Ermittlungsgruppe vor große Herausforderungen. Dieses Problem soll dadurch bewältigt werden, dass die Ermittlungsgruppe immer unter der Leitung eines solchen Mitgliedes steht, das zugleich Vertreter des Einsatzstaates ist. Die gemeinsame Ermittlungsgruppe übt ihre Tätigkeit nach den Weisungen des Leiters und mit Zustimmung der zuständigen Behörden sowohl des Einsatzmitgliedstaates als auch des entsendenden Mitgliedstaates aus. Im Gegensatz zu der ausführlichen Regelung der Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Einsatz fremder Hoheitsträger erhält das RhÜbkEU nur eine ziemlich flüchtige Regelung über die Verwertung von Erkenntnissen, welche im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungen erlangt wurden.394 Die Erkenntnisse dürfen, soweit sie rechtmäßig erlangt wurden, für 392
van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 185. Art. 13 Abs. 6 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000. 394 Gleß, Sabine: Zur Verwertung von Erkenntnissen aus verdeckten Ermittlungen im Ausland im inländischen Strafverfahren, NStZ 2000, S. 60. 393
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strafrechtliche Ermittlungen im Entsendestaat unter denselben Bedingungen verwendet werden, wie Informationen, die im Wege der Rechtshilfe übersandt werden. Die Frage nach der Verwertung der durch die gemeinsame Ermittlungsgruppe erlangten Informationen und Beweise beantwortet auch der inzwischen erlassene – und am 1. Januar 2003 in Kraft getretene – Rahmenbeschluss über gemeinsame Ermittlungsgruppen395 nicht. Der Rahmenschluss gibt lediglich den Wortlaut der Bestimmungen des RhÜbk-EU ohne jegliche Ergänzung oder Änderung wieder. Dadurch wird klar, dass das einzige Ziel des Rahmenbeschlusses in der tatsächlichen Umsetzung des RhÜbkEU liegt, der wegen mangelnder Ratifikation immer noch auf seinen InKraft-Treten wartet. Die Mitgliedstaaten haben nicht versucht, mittels des Rahmenbeschlusses die inhaltlichen Aspekte gemeinsamer Ermittlungsgruppen weiter zu verfeinern. Die einzige Neuerung des Rahmenbeschlusses besteht in dem ausdrücklichen Verweis in seiner Präambel, dass die betroffenen Mitgliedstaaten auch solchen Personen die Teilnahme an der Arbeit der gemeinsamen Ermittlungsgruppe gestatten können, die keine Vertreter der Zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sind. Praktische Relevanz erlangt diese Bestimmung im Verhältnis zu Europol und OLAF, deren Beteiligung an gemeinsamen Ermittlungen der Mitgliedstaaten nun eine (wenngleich keineswegs verbindliche) rechtliche Grundlage erhalten hat.396 Die EU-Mitgliedstaaten können nach Art. 14 RhÜbk-EU vereinbaren, dass sie einander bei strafrechtlichen Ermittlungen durch verdeckte oder unter falscher Identität handelnde Bedienstete unterstützen. Die Entscheidung über eine solche Maßnahme wird in jedem Einzelfall von den zuständigen Behörden des ersuchten Mitgliedstaats unter Beachtung seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften getroffen. Wie bei gemeinsamen Ermittlungsgruppen sollen die Detailfragen verdeckter Ermittlungen (Dauer, Rechtsstellung der betreffenden Bediensteten, Haftung für Verstöße, die während der verdeckten Ermittlung verursacht wurden) zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten vereinbart werden. Die verdeckten Ermittlungen sind nach dem Recht des Mitgliedstaates durchzuführen, auf dessen Hoheitsgebiet sie stattfinden. Das RhÜbk-EU äußert sich überhaupt nicht zu der Verwendung der durch verdeckte Ermittlungen erlangten Informationen. Diese Regelungs395 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über gemeinsame Ermittlungsgruppen, ABl. 2002 Nr. L 162/1 vom 20.6.2002. 396 Die Miteinbeziehung von Europol in die Arbeit von gemeinsamen Ermittlungsteams unterstützt auch der Rat in seiner Empfehlung. Vgl. Empfehlung des Rates vom 30. November 2000 an die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Unterstuetzung der von den Mitgliedstaaten gebildeten gemeinsamen Ermittlungsteams durch Europol, ABl. 2000 Nr. C 357/7 vom 13.12.2000.
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lücke ist besonders erstaunlich, weil ein entsprechendes Problembewusstsein an anderer Stelle durchaus zu einer Regelung geführt hat.397 Gleß führt aus, dass hier zwei Positionen eingenommen werden können: „Einerseits kann man argumentieren, dass die durch die grenzüberschreitenden Beamten erlangten Erkenntnisse wie solche zu behandeln sind, die im Wege der Rechtshilfe erhoben wurden [. . .]. Konsequenz dieser Position wäre, dass die durch grenzüberschreitende Ermittlungen erlangten Beweise grundsätzlich erst dann in dem eigenen Strafprozess verwendet werden dürfen, wenn die zuständige Justizbehörde des Gebietsstaates dem zustimmt. Anderseits könnte man sich auf den Standpunk stellen, dass die durch die grenzüberschreitenden Beamten rechtmäßig erlangten Erkenntnisse grundsätzlich so zu behandeln sind, als wenn sie eigene Erkenntnisse wären.“398
Die Frage ist zur Zeit noch offen und bietet ein zusätzliches Beispiel dafür, dass nicht nur die Voraussetzungen sondern auch die praktischen Folgen grenzüberschreitender Zusammenarbeit bedacht werden müssen. III. Die zollbehördliche Zusammenarbeit Der vollständige Abbau der Binnengrenzen gab Anlass zu Überlegungen über Kompensationsmaßnahmen nicht nur im polizeilichen Bereich, sondern auch bei den Zollverwaltungen. Da aber die Zollverwaltungen in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Zuständigkeiten haben, konnte ein Konsens im Vergleich zu der polizeilichen Zusammenarbeit erst wesentlich später erreicht werden. Im Gegensatz zur justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit fällt die zollbehördliche Zusammenarbeit hauptsächlich in die Gemeinschaftskompetenz, deswegen ist die Beziehung der mitgliedstaatlichen Zollbehörden überwiegend in Dokumenten des Ersten Pfeilers geregelt.399 Das wichtigste Dokument ist die Amtshilfe-Verordnung aus dem Jahr 1981,400 die 1997 durch 397
Vgl. insbesondere Art. 19 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europaeische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen (auch sog. Neapel II-Übk), ABl. 1998 Nr. C 24/2 vom 23.1.1998. 398 Gleß, Sabine: Zur Verwertung von Erkenntnissen aus verdeckten Ermittlungen im Ausland im inländischen Strafverfahren, NStZ 2000, S. 60–61. 399 Zusammengefasst in: de Zwaan, Jaap: The Future of the Third Pillar and the Fight against EU Fraud: Evaluation of the ICG and the Treaty of Amsterdam, in: J. Vervaele (Hrsg.): Transnational Enforcement of the Financial Interests of the European Union, Antwerpen/Groningen/Oxford 1999, S. 26. 400 Verordnung (EWG) Nr. 1468/81 des Rates vom 19. Mai 1981 betreffend die gegenseitige Unterstützung der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, um die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung zu gewährleisten, ABl. 1981 Nr. L 144/1 vom 2.6.1981.
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eine neue Verordnung401 ersetzt wurde. Diese Verordnungen enthalten jedoch keine Bestimmungen über die zollbehördliche Tätigkeit in der Strafverfolgung, da diese Aufgaben nebst Zollunion in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben sind.402 Die Tätigkeiten von Beamten der mitgliedstaatlichen Zollverwaltungen bei der Bekämpfung des Rauschgift-, Waffen-, und Nuklearschmuggels, der Artenschutzkriminalität oder als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft bei der Strafverfolgung haben die EU-Mitgliedstaaten in einer getrennten internationalen Vereinbarung niedergelegt. Dies ist das Neapel-II-Übk403, das den hier in Betracht kommende acquis bildet. Die Kernpunkte der Neuregelung des Neapel-II-Übk liegen in den Vorschriften über die besonderen Formen der Zusammenarbeit. Letztere beinhalten die grenzüberschreitende Observierung und Nacheile, gemeinsame Ermittlungsgruppen, verdeckte Ermittlungen und kontrollierte Lieferungen. Das Neapel-II-Übk unterscheidet damit zwischen Amtshilfe und den genannten besonderen Formen der Zusammenarbeit der Zollverwaltungen. Letztere sind im Rahmen der polizeilichen Zusammenarbeit in das Rechtshilferecht integriert worden und setzen ein Rechtshilfeersuchen voraus. Dementsprechend behält das Neapel-II-Übk eine Differenzierung zwischen Amtshilfeersuchen und Ersuchen um Zusammenarbeit. Das Ersuchen wird zwar auch in Form der Amtshilfeersuchen gestellt, doch liegt die Besonderheit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit darin, dass Bedienstete der ersuchenden Behörde mit Zustimmung der ersuchten Behörde auf dem Gebiet des ersuchten Staates tätig werden. Das Neapel II-Übk zählt die allgemeinen Voraussetzungen grenzüberschreitender Zusammenarbeit der Zollverwaltungen auf.404 Danach ist es nur im Fall bestimmter Zuwiderhandlungen zulässig sowie bei Drogen-, 401
Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und Agrarregelung zu gewährleisten, ABl. 1997 Nr. L 82/1 vom 22.3.1997. 402 Ravillard, Patrick: The Functioning of customs Cooperation under Title VI of the Treaty on European Union: A First Evaluation, in: R. Bieber/J. Monar (Hrsg.): Justice and Home Affairs in the European Union, Brussels 1994, S. 236–240. 403 Dieses Übereinkommen hat einen Vorläufer aus dem Jahre 1967, das sog. Neapel-I-Übk zwischen Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden über die gegenseitige Unterstützung ihrer Zollverwaltungen, BGBl. 1969 II, S. 65. Es stellt die Reaktion der damaligen sechs EG-Mitgliedstaaten auf die durch den EWG Vertrag vorgesehene Zollunion und enthält erstaunlich weitgehende Verpflichtungen zur Amtshilfe der Zollverwaltungen. 404 Art. 19 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europaeische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, ABl. 1998 Nr. C 24/2 vom 23.1.1998.
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Waffen-, Nuklearschmuggel und gewerbsmäßigem, illegalem und grenzüberschreitendem Handel. Eine Verpflichtung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit besteht nur dann, wenn die konkrete Art der Zusammenarbeit nach dem Recht des ersuchten Staats zulässig ist. Gemäß dem NeapelII-Übk kann die ersuchte Behörde ein Ersuchen ablehnen, wenn im umgekehrten Fall die ersuchende Behörde nicht in der Lage wäre, die entsprechende Art der Zusammenarbeit zu leisten.405 Durch diese Regelung wird der Gedanke der Gegenseitigkeit in das Übereinkommen eingebaut. Koordination und Planung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sind Aufgaben der zentralen Koordinierungsstellen. Die Bestimmungen in Bezug auf die einzelnen Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit der Zollbehörden stimmen mit denen der polizeilichen Zusammenarbeit weitgehend überein. Hervorgehoben werden im Folgenden deshalb nur die Regelungen, die von dem SDÜ bzw. vom RhÜbkEU abweichen. Die Regelungen zur grenzüberschreitenden Nacheile und Observation konnten im Neapel-II-Übk im Vergleich zum SDÜ nicht weiterentwickelt werden. Das Neapel-II-Übk legt zwar die Modalitäten der grenzüberschreitenden Nacheile fest, die einheitliche Befugnisse der nacheilenden Beamten enthalten, ein Festnahmerecht konnte jedoch gegenüber dem SDÜ wiederholt nicht vereinbart werden.406 Auch der Anwendungsbereich der grenzüberschreitenden Observation ist nach der engeren Fassung des Übereinkommens wie beim SDÜ beschränkt auf Ermittlungsverfahren. Dieser Unterschied ist auf die immer größer werdende Rolle des proactive policing in der polizeilichen Zusammenarbeit zurückzuführen. Bei der Zusammenarbeit der Zollbeamten sind proactive Ermittlungen nicht zugelassen. Im Unterschied zum RhÜbk-EU regelt das Neapel-II-Übk die Verwendung von Beweisen, welche im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungen gewonnen wurden.407 Derartige Informationen können, vorbehaltlich besonderer Bedingungen der zuständigen Behörden des ersuchten Staats, als Beweismittel im Strafverfahren benutzt werden. Im Gegensatz zur polizeilichen Zusammenarbeit kann jeder Mitgliedstaat bei der Ratifizierung des 405 Art. 19 Abs. 3 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europaeische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, ABl. 1998 Nr. C 24/2 vom 23.1.1998. 406 Art. 20 Abs. 2 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europaeische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, ABl. 1998 Nr. C 24/2 vom 23.1.1998. 407 Art. 19 Abs. 8 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europaeische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, ABl. 1998 Nr. C 24/2 vom 23.1.1998.
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Neapel-II-Übk seine Bindung an die Bestimmungen der grenzüberschreitenden Nacheile und Observation voll oder teilweise ausschließen. Damit wird der zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bestehende Rechtszustand noch unübersichtlicher als im SDÜ. Die Regelungen des Neapel-II-Übk über kontrollierte Lieferungen, verdeckte Ermittlungen sowie die Einsetzung gemeinsamer Ermittlungsgruppen überholen zeitlich das RhÜbk-EU und haben als Vorbild dafür gedient. Die Zulässigkeit verdeckter Ermittlungen auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates richtet sich gemäß dem Neapel-II-Übk nach dem nationalen Recht des ersuchten Staates.408 Die verdeckten Ermittler sind nur berechtigt, Informationen zu sammeln und Kontakte zu Verdächtigen oder Personen aus deren Umfeld herzustellen. Diese Maßnahmen sind punktuell und zeitlich begrenzt zulässig. Die Entscheidung über Zulässigkeit, Art, Umfang und Dauer des Einsatzes liegt wie im RhÜbk-EU bei der ersuchten Behörde. Die ersuchte Behörde bestimmt auch nach ihrem nationalen Recht die Bedingungen für die Verwendung von Informationen, welche durch einen verdeckten Ermittler im Zusammenhang mit einer Zuwiderhandlung gewonnen wurden, die aber nicht Gegenstand des ursprünglichen Ersuchens waren. Jeder Mitgliedstaat kann bei der Ratifikation erklären, dass er durch Art. 23 oder einzelne Teile des Artikels nicht gebunden ist. Wie die Vorschriften über grenzüberschreitende Nacheile und Observation verliert auch diese Bestimmung erheblich an Konsistenz und Rechtsklarheit. Das Neapel-II-Übk regelt erstmals die Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen.409 Die Bestimmungen wurden in das RhÜbk-EU übernommen. Ein wichtiger Unterschied liegt jedoch darin, dass im Neapel-II-Übk die teilnehmenden Bediensteten anderer Mitgliedstaaten keine besonderen Eingriffsbefugnisse aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Ermittlungsgruppe genießen. Diese Einschränkung wurde im RhÜbk-EU bedingt aufgehoben410: Die Mitglieder der gemeinsamen Ermittlungsgruppe können vom Gruppenleiter mit der Durchführung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen betraut werden, sofern dies sowohl von der ersuchten als auch von der ersuchenden Behörde gebilligt worden war. 408 Art. 23 Abs. 3 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europaeische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, ABl. 1998 Nr. C 24/2 vom 23.1.1998. 409 Art. 24 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europaeische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, ABl. 1998 Nr. C 24/2 vom 23.1.1998. 410 Art. 13 Abs. 6 Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7.2000.
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IV. Neue Züge der sonstigen Rechtshilfe Die Auffassung über die sonstige Rechtshilfe in Strafsachen hat sich in der näheren Vergangenheit stark geändert. Diese findet ihren Ausdruck im Wesentlichen in fünf Tendenzen: dem Abbau herkömmlicher Rechtshilfevoraussetzungen und -hindernisse,411 der Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens, der Entwicklung neuer Formen der Rechtshilfe, der Interaktion zwischen der Rechtshilfe, der polizeilichen und der zollbehördlichen Zusammenarbeit, und der Stärkung der Rechte des Betroffenen. Hinter den herkömmlichen Rechtshilfevoraussetzungen und -hindernissen verbergen sich Prinzipien, die sich im Laufe des vorletzten Jahrhunderts entwickelt haben und die vorwiegend dem Schutz nationalstaatlicher Souveränitätsinteressen dienen. In Anbetracht des Umstandes, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu einer wirtschaftlichen und politischen Union zusammengeschlossen haben, verlieren jedoch diese Prinzipien an Daseinsberechtigung. So wird das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkehit als Voraussetzung der Rechtshilfe nur noch eingeschränkt verlangt und bilden politische und fiskalische Straftaten kein Rechtshilfehindernis mehr. Je stärker sich Rechtshilfe als bloße Hilfeleistung zugunsten ausländischer Ermittlungen versteht, ohne von dem ersuchten Staat selber als eigene Ermittlungen angesehen zu werden, desto leichter werden die herkömmlichen Rechtshilfevoraussetzungen und -hindernisse aufgegeben und stattdessen strafpolitischen Überlegungen Raum geschaffen. Die Entwicklung dürfte langsam dahin gehen, dass sich – so Schomburg/Lagodny – eine international arbeitsteilige Strafverfolgung innerhalb der Europäischen Union herausbildet,412 der nur noch der ordre public der beteiligten Staaten Schranken vorgibt. Die Zurückdrängung herkömmlicher Rechtshilfevoraussetzungen und -hindernisse und die damit verbundene Einbuße an nationaler Souveränität der Mitgliedstaaten wirkt sich kolleteral zum Vorteil des Betroffenen aus. Die Stärkung der Rechte des Betroffenen lässt sich an der Einräumung von Zustimmungsrechten, an der vorgesehenen Teilnahme von Dritten (Rechtsbeistand) an der Hilfeleistung, sowie an der unionsweiten Anwendung des ne bis in idem-Grundsatzes festmachen. Die Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtshilfeverkehrs genießt absolute Priorität in der Europäischen Union. Zu diesem Prozess tragen ins411
Dazu bereits Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 146. 412 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 20.
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besondere die Bestimmungen bezüglich des direkten Geschäftswegs zwischen den an der Rechtshilfe beteiligten Behörden der Mitgliedstaaten, die Einführung der ergänzenden Ersuchen sowie die Festlegung von Erledigungsfristen bei. Die Vereinfachung und Beschleunigung der strafrechtlichen Zusammenarbeit ist das eindeutige Ziel des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung, dessen Anwendung für die sonstige Rechtshilfe sich z. Z. in der Vorbereitung befindet. Der angestrebte Abbau des förmlichen Rechtshilfewegs wird automatisch mit der Übertragung neuer Zuständigkeiten an die Justizbehörden einhergehen, die wiederum durch die Ablösung der administrativen Phase der Bewilligung zur (weiteren) Justizisalisierung des Rechtshilferechts führen wird. Entscheidend ist im Rechtshilfebereich die Ausarbeitung neuer Formen der Rechtshilfe. Diese wurden durch das Bedürfnis der effektiven Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität hervorgerufen. Sie versuchen, die neuen telekommunikationstechnischen Möglichkeiten wie z. B. Videokonferenz oder Telefonüberwachung für die Rechtshilfe fruchtbar zu machen. Bei dem begrüßenswerten Ansatz, die Effizienz der Rechtshilfe zu steigern, entstehen jedoch Rechtshilfehandlungen, die aus individualrechtlicher Sicht nicht unbedenklich sind. So verfügen die mitgliedstaatlichen Ermittlungsbehörden gegenwärtig z. B. im Rahmen von Bankkontoauskünften und der Überwachung von Bankkonten über umfassende Rechte, grenzüberschreitend personenbezogenen Daten zu erheben und zu verarbeiten (darunter zu speichern, zu übermitteln, und zu nutzen). Diese Entwicklung ist noch bedenklicher mit Blick auf den polizeilichen Bereich. Um die Behörden der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität besser auszustatten, wurden in das Recht der sonstigen Rechtshilfe sämtliche Bestimmungen über die polizeiliche und administrative Zusammenarbeit aufgenommen. Durch diese Bestimmungen erweiterte sich automatisch der Kreis der an der Ausführung der Rechtshilfe beteiligten Organe um die Polizei- und die Zollbehörden. Durch die Regelung der polizeilichen und zollbehördlichen Rechtshilfehandlungen wurde zugleich das Podium für die in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten schon längst praktizierte aktive Interaktion zwischen Strafjustiz, Polizei und Finanzverwaltung auch für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit geschaffen (dazu eingehend in § 9). Angesichts des Umstandes, dass die Kooperation der mitgliedstaatlichen Polizei- und Zollbehörden in der grenzüberschreitenden Strafverfolgung von entscheidender Bedeutung ist, überrascht ihre Miteinbeziehung in die Rechtshilfe nicht. Darüber hinaus ist diese Entwicklung unter dem Gesichtspunkt ausdrücklich zu begrüßen, dass der bisweilen praktizierte „kurze Dienstweg“ zwischen Polizei- bzw. Zollbehörden untereinander durch einen
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rechtlichen Rahmen ersetzt wird, der die polizeiliche bzw. zollbehördliche Zusammenarbeit erheblich transparenter gestaltet. Die zunehmende Beteiligung von Polizeibehörden an der Ausführung von Rechtshilfehandlungen bringt eine gewisse Verpolizeilichung der Rechtshilfe413 mit sich. Hecker erklärt diese Entwicklung dadurch, dass „[sich] die Rechtshilfe zur Selbsthilfe [wandelt], womit sich automatisch der Akzent stärker von der Justiz zur Polizei verschiebt, die zu Primärbeteiligten der zwischenstaatlichen Interaktion avanciert.414
Der Übergang von Rechtshilfe zur Selbsthilfe versteht sich vor dem Hintergrund der Ausgestaltung eines europäischen Rechtsraumes. Sollte dies verwirklicht werden, würden die mitgliedstaatlichen Behörden mit einander in einer Art und Weise kooperieren, wie es zur Zeit nur die innerstaatlichen Behörden kennen. Die der Polizei gegenwärtig zugesprochene Bedeutung in der Ausführung strafrechtlicher Rechtshilfe weckt jedoch auch eine gewisse Skepsis. Die Polizei ist der Justiz nicht nur angesichts ihrer operativen Handlungsmöglichkeiten (wie grenzüberschreitende Überwachung und Nacheile) und dem ihr zur Verfügung stehenden Informationsbestand (Erkenntnisse beispielsweise durch Spontanauskunft, durch gemeinsame Ermittlungsgruppen oder verdeckte Ermittler), sondern auch bezüglich der institutionell-organisatorischen Verwirklichung der polizeilichen Zusammenarbeit (dazu ausführlich in § 8) überlegen. Ein Teil des Schrifttums erblickt in diesem Vorsprung der Polizei gegenüber der Justiz einen Verlust an Rechtsstaatlichkeit und fordert daher den raschen Ausbau des institutionellen Rahmens justizieller Kooperation (dazu nochmals in § 8).
413
Dazu bereits Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 156. 414 Hecker, Jan: Europäisches Verwaltungskooperationsrecht am Beispiel der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit, EuR 2001, S. 836.
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§ 7 Vollstreckungshilfe – gegenseitige Anerkennung Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung soll zukünftig die Übernahme der Vollstreckung einer mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Rechtsfolge durch einen anderen Mitgliedstaat ablösen. Das Prinip der gegenseitigen Anerkennung bewirkt, dass strafrechtliche Entscheidungen eines Mitgliedstaats in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar anzuerkennen und ohne weitere Formalitäten zu vollstrecken sind. Abschnitt I befasst sich mit den rechtspolitischen Hintergründen und den Voraussetzungen der Vollstreckungshilfe. Abschnitt II ist dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gewidmet. Die herrschende Meinung ging noch im letzten Jahrhundert von der Nichtvollstreckung ausländischer Strafurteile aus. Die Strafvollstreckung konnte nur auf ein im Inland abgewickeltes Strafverfahren folgen und war auf Ersuchen ausländischer Staaten, d.h. im Rahmen der Rechtshilfeleistung, nicht möglich. In dieser Hinsicht stimmten die kontinentaleuropäischen Staaten mit den common law-Ländern überein, von denen keines ausländische Strafurteile vollstreckte. Die dem Zweiten Weltkrieg folgende große internationale Mobilität hat eine Änderung der Auffassungen über die Vollstreckung ausländischer Strafurteile ausgelöst. Dies wurde in den 70er Jahren von einer Erweiterung der Ziele der internationalen strafrechtlichen Rechtshilfe begleitet, wonach letztere nicht nur die möglichst effektive Verfolgung der Straftäter, sondern auch deren Resozialisierung im Auge hatte.415 Es war einfach, einzusehen, dass eine Resozialisierung in heimischer Umgebung besser zu erreichen ist. Der Strafvollzug an Ausländern ermöglicht wegen sprachlicher und sozialer Schwierigkeiten kaum eine Resozialisierung. Bei der Vollstreckungshilfe stehen also humanitäre Erwägungen im Vordergrund. Trotz ihrer Vorteile wurde die Daseinsberechtigung dieser Form der Rechtshilfe im wissenschaftlichen Schrifttum in Frage gestellt, da die Vollstreckung ausländischer Strafurteile in der Praxis oft Schwierigkeiten bereitete. Oehler anerkannte jedoch, dass mit Blick auf die Gegenseitigkeit, die Vollstreckung eines Strafurteils eines ausländischen Staates die nationale Souveränität zwar begrenzt, aber die Souveränität dann auch wiederum erweitert, wenn das eigene Strafurteil im Ausland vollzogen wird.416 Trotz 415 Vogler, Theo: Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 591. Vgl. auch Gardocki, Lech: Transfer of Proceedings and Transfer of Prisoners as New Form of International Cooperation, in: A. Eser/O. Lagodny (Hrsg.): Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, Freiburg im Breisgau 1992, S. 318.
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praktischer Schwierigkeiten und theoretischer Einwände beschäftigen sich in letzter Zeit immer mehr bilaterale und multilaterale Vereinbarungen mit der Übertragung der Strafvollstreckung.417 Mit Blick auf die Praxis lässt sich feststellen, dass die grundlegende Frage nicht so sehr im Mechanismus der Vollstreckungsübergabe bzw. Übernahme, sondern in der Anerkennung der internationalen Geltung ausländischer Strafurteile liegt. Letztere wird in der Europäischen Union durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen bestimmt, wonach strafrechtliche Entscheidungen eines Mitgliedstaats unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken sind. I. Die Übertragung der Strafvollstreckung Die Übertragung der Strafvollstreckung unter den EU-Mitgliedstaaten ist im Schengener Durchführungsübereinkommen [SDÜ], in seiner Mutterkonvention, im Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen [ÜberstÜbk]418, sowie dem Übereinkommen über die Geldwäsche, die Ermittlung, Beschlagnahme und Entziehung von Erträgen aus Straftaten [GeldwäscheÜbk]419 geregelt. Die Übertragung der Strafvollstreckung ermöglicht es, dass die Strafverfolgung und insbesondere das gerichtliche Verfahren einerseits und die Vollstreckung der Strafe anderseits in unterschiedlichen Ländern stattfinden. Während Ermittlungen und gerichtliches Verfahren wie gewohnt im Tatortstaat stattfinden, erfolgt die Vollstreckung des Urteils nach der Übertragung im Heimatstaat. Durch die Übertragung der Strafvollstreckung sollen die Vorteile sowohl des Territorialitätsgrundsatzes als auch des aktiven Personalitätsgrundssatzes möglichst nachhaltig zur Geltung gebracht werden. Der Vorteil des Territorialitätsgrundsatzes liegt darin, dass der Tatortstaat meist am besten in der Lage ist, Beweise aufzuspüren. Sein Nachteil entsteht dadurch, dass der Territorialitätsgrundsatz im Fall ausländischer Täter die Anwendung moderner Sanktionsformen ohne Freiheitsentzug häufig aus416 Oehler, Dietrich: Recognition of Foreign Penal Judgements, in: C. Bassiouni (Hrsg.): International Criminal Law, Band 2: Procedural and Enforcement Mechanisms, 2. Aufl., Ardsley/New York 1999, S. 610. 417 Das fortschrittlichste System betreiben zur Zeit die nordischen Staaten, wo die Übernahme der Vollstreckung von Strafurteilen anderer nordischer Staaten durch Verwaltungsentscheidung erfolgt. Vgl. Asp, Petter: Nordic Judicial Cooperation in Criminal Matters, Uppsala 1998, S. 30–33. 418 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. 419 Convention on the Laundering, Search, Seizure of the Proceeds from Crime, ETS No. 141.
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schließt. Im Lichte des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz ist dies ungerecht, insbesondere auch deswegen, weil eine Freiheitsentziehung im Ausland aufgrund sprachlicher und kultureller Unterschiede ein größeres Übel ist. Der aktive Personalitätsgrundsatz hat den Vorteil, dass die generalund spezialpräventiven Aspekte der Strafe besser wirken. Oehler ist der Meinung, dass bei der Vollstreckung ausländischer Strafurteile bestimmte allgemeine Garantien eingehalten werden müssen. Die Vollstreckung ausländischer Strafurteile verspräche den größten Erfolg dann, wenn die betroffenen Staaten ähnliche politische Strukturen, Sozial-, Kultur- und Rechtssysteme hätten. Dies sorge dafür, dass die Rechtsprechung für die Betroffenen weitgehend ähnlich sei. Offensichtlich könne ein ausländisches Strafurteil im Inland nicht vollstreckt werden, wenn die Vollstreckung die nationale Sicherheit gefährdet oder wesentliche nationale Interessen beinträchtigen könnte. Das Recht des Verurteilten auf einen Rechtsbeistand, das rechtliche Gehör, sowie das Recht, vor Gericht auszusagen, solle auch im ausländischen Strafverfahren gewährleistet sein. Oehler hält die Übernahme der Strafvollstreckung nur dann für möglich, wenn diese Voraussetzungen erfüllt würden.420 Das ÜberstÜbk hat die gegenseitige Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen zum Gegenstand, wenn sich der Verurteilte im Urteilstaat befindet. Das ÜberstÜbk verfolgt in erster Linie das Ziel, die Wiedereingliederung verurteilter Personen zu fördern. Sie basiert auf humanitären Erwägungen, indem sie negativen Auswirkungen eines Strafvollzuges in einem fremden Staat entgegenwirken möchte, die dort u. a. durch Sprachbarrieren und fehlenden Kontakt zu Familienangehörigen entstehen können.421 Gemäß Art. 1 des ÜberstÜbk verpflichten sich die Vertragsparteien „im Hinblick auf die Überstellung verurteilter Personen weitestgehend zusammenzuarbeiten.“ [Hervorhebung der Verfasserin]
Das ÜberstÜbk enthält also keine Verpflichtung der Vertragstaaten zur Überstellung oder Übernahme von Verurteilten, es begründet nur eine Pflicht zur Zusammenarbeit. Das SDÜ begründet auch keine Verpflichtung zur Übernahme der Vollstreckung. Diese bescheidene Regelung spiegelt die skeptische Zurückhaltung vieler Staaten gegenüber diesem modernen Instrument der internationalen Rechtshilfe wider. Heutzutage erscheint es aber unangebracht, dass keine Verpflichtung zur Überstellung verurteilter Personen begründet werden kann. Das Fehlen einer Verpflichtung zur Vollstre420 Oehler, Dietrich: Recognition of Foreign Penal Judgements, in: C. Bassiouni (Hrsg.): International Criminal Law, Band 2: Procedural and Enforcement Mechanisms, 2. Aufl., Ardsley/New York 1999, S. 619–620. 421 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 597.
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ckungsübernahme resultiert auf der anderen Seite darin, dass das ÜberstÜbk keine Ablehnungsgründe kennt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass das ÜberstÜbk nur die Übernahme freiheitsentziehender Sanktionen regelt.422 Eine effektive internationale Strafvollstreckung verlangt heute auch die Regelung der Vollstreckung von Verurteilungen zu Geldstrafen oder Geldbußen sowohl gegen natürliche als auch juristische Personen (dazu sogleich). Die Überstellung kann initiiert werden durch sowohl den Urteils- als auch durch den Heimatstaat.423 Sie setzt den Konsens beider Staaten voraus. Dem Beschuldigten wird aber kein Antragsrecht auf Überstellung in den Heimatstaat eingeräumt. Er muss nur vom Urteilstaat über den wesentlichen Inhalt des Übereinkommens unterrichtet werden.424 Die Informationen sollen ihn in die Lage versetzen zu entscheiden, ob er den Wunsch nach einer Überstellung äußert. Der Wunsch ist aber keineswegs mit dem formellen Antragrecht gleichzustellen. Gemäß dem ÜberstÜbk sind die Voraussetzungen einer Überstellung wie folgt: der Verurteilte muss Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaats sein, das Urteil muss rechtskräftig sein, es müssen noch mindestens 6 Monaten von der Strafe zu verbüßen sein, es muss ein Fall beiderseitiger Strafbarkeit vorliegen und der körperliche oder geistige Zustand bzw. der Alter des Verurteilten darf einer Überstellung nicht entgegenstehen.425 Von den weiteren Voraussetzungen soll das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit besonders betont werden. Letzteres bringt die Überzeugung europäischer Staaten zum Ausdruck, dass ohne das Vorliegen beiderseitiger Strafbarkeit der Staat, der die Vollstreckung übernimmt, kein Recht hätte, den Verurteilten festzuhalten. Anders als die Bestimmungen des ÜberstÜbk verlangt das einheitliche Recht der Übernahme der Strafvollstreckung in den nordischen Ländern das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit nicht.426 Dementsprechend ist es möglich, dass ein Däne, der in Norwegen verurteilt wurde, seine Strafe in Dänemark verbüßt, obwohl die fragliche Handlung nach dänischem Strafrecht gar nicht geahndet wird. Es fällt auf, dass weder der Spezialitätsgrundsatz noch die Forderung nach einem fairen Verfahren in die Voraussetzungen aufgenommen wurden. Einige Staaten – etwa Deutschland – haben diesbezügliche Erklärungen ab422
Art. 1 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. Art. 3 Abs 1 lit. d Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. 424 Art. 4 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. 425 Art. 3 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. 426 Asp, Petter: Nordic Judicial Cooperation in Criminal Matters, Uppsala 1998, S. 31. 423
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gegeben. Die Voraussetzung eines fairen Verfahrens für die Übernahme der Strafvollstreckung kann gegen die Interessen des Beschuldigten wirken. Sollten die Grundrechte des Beschuldigten im ausländischen Strafverfahren nicht gewährleistet sein, dann könnte die so verhängte Strafe aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht vollstreckt werden. Dies brächte dem Beschuldigten den weiteren Nachteil, dass nicht nur seine Menschenrechte im Verfahren nicht beachtet würden, sondern auch die Vollstreckung der Strafe im Heimatland nicht möglich wäre. Auf diese Weise geraten rechtliche und humanitäre Überlegungen in Gegensatz zu einander. Wegen eines möglichen Nachteils für den Beschuldigten wurde die Voraussetzung eines fairen Verfahrens nicht in das Übereinkommen aufgenommen. Der Konflikt zwischen dem Interesse des Beschuldigten und der Aufrechterhaltung rechtstaatlicher Grundsätze könnte dadurch vermieden werden, dass dem Beschuldigten für die Übertragung der Strafvollstreckung ein Antragsrecht eingeräumt wird. Darauf konnten sich die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des ÜberstÜbk jedoch nicht einigen. Demgegenüber ist das Fehlen des Spezialitätsgrundsatzes darauf zurückzuführen, dass das ÜberstÜbk die ausdrückliche Zustimmung des Verurteilten zu seiner Überstellung erforderlich macht.427 Der Urteilstaat muss deshalb sicherstellen, dass die Zustimmung freiwillig und im vollen Bewusstsein der rechtlichen Folgen gegeben wird, die die Überstellung für den Verurteilten mit sich bringt.428 Dies gewährleistet zugleich, dass eine zu bestimmten strafrechtlichen Zwecken überstellte Person nicht wegen einer anderen Straftat verfolgt, abgeurteilt oder in Haft gehalten werden darf. Um zu verhindern, dass der Verurteilte wegen derselben Tat mehrfach strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, gewährleistet das ÜberstÜbk für die Vollstreckung einer Sanktion nach erfolgter Überstellung den Grundsatz ne bis in idem.429 Heutzutage hat sich die Auffassung bezüglich der Zustimmung des Verurteilten zu seiner Überstellung geändert. Der Verzicht auf die Zustimmung des Verurteilten wurzelt in der geänderten Zielsetzung der Vollstreckungshilfe. Neben der Erleichterung der Resozialisierung im Heimatstaat rückte auch die Entlastung des Strafvollzugs und die Vermeidung der Unvollstreckbarkeit strafrechtlicher Entscheidungen in den Vordergrund. Insbesondere stellt die Flucht in den Aufenthalts- oder Heimatstaat ein Problem dar, da Letzterer eigene Staatsangehörige oft von Verfassungs wegen nicht zur Vollstreckung an andere Staaten ausliefern kann.430 Der Beschuldigte kann 427
Art. 7 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. Erläuterung der Denkschrift, abgedruckt in: Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 619. 429 Art. 8 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. 428
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daher in der Hoffnung in sein Heimatland fliehen, dass er mit Sicherheit zur Vollstreckung nicht ausgeliefert wird und dass sein Staat die Vollstreckung nicht übernimmt, da die Voraussetzungen des Art. 1 ÜberstÜbk nicht erfüllt sind. Um dies zu verhindern, geht die Tendenz derzeit dahin, der Entlastung des Strafvollzuges eine höhere Bedeutung beizumessen.431 Die Verlagerung dieser Ziele hat zur Folge, dass man sich von dem ursprünglichen Resozialisierungsziel etwas abkehrt und im Ergebnis darauf verzichtet, dass der Betroffene seiner Überstellung zustimmen muss. Wenn der Verurteilte in seinen Heimatstaat geflohen ist, um sich der Strafvollstreckung zu entziehen, ist nach dem SDÜ seine Zustimmung nicht erforderlich.432 Der Verzicht auf die Zustimmung des Verurteilten beruht auf der Annahme, dass der Verurteilte deswegen in den Heimatstaat geflohen ist, weil er daran interessiert ist, die Strafe dort zu verbüßen. Auf diese Weise vermeidet man zugleich ein Ersuchen auf Auslieferung. Die Übernahme der Strafvollstreckung setzt theoretisch die Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Strafurteile voraus. Der Europarat hatte bereits 1962 ein Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen ausgearbeitet. Es fand aber in den meisten Staaten des Europarats nur sehr wenig Akzeptanz433 und signalisierte damit, dass die Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Strafurteile aus Souveränitätsgründen für viele europäische Staaten kein gangbarer Weg war. Um den Souveränitätsbedenken vieler Staaten Rechnung zu tragen, wurde ein neues Verfahren zur Umwandlung der vom ausländischen Gericht verhängten Strafe entwickelt. 430 Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 583. 431 Entsprechend der Verlagerung der Prioritäten der Vollstreckungshilfe von Resozialisierung hin zur Entlastung des Strafvollzugs wurde in 1997 ein Zusatzprotokoll zum ÜberstÜbk zur Zeichnung aufgelegt. Dies verzichtet in Art. 2. Abs. 3. auf das ausdrückliche Zustimmungserfordernis des Betroffenen. Vgl. Art. 2 Abs. 3 Additional Protocol to the Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 167. 432 Weitergehende Ansätze versucht das innerhalb der EPZ ausgearbeitete Übereinkommen vom 13. November 1991 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen zu verwirklichen. Das Übereinkommen ist zwar noch nicht in Kraft getreten, es wird aber in der Praxis bereits vorläufig angewendet. Art. 3 verzichtet auf die Zustimmung des Verurteilten zum Vollstreckungstransfer dann, wenn sich der Verurteilte im Hoheitsgebiet des angestrebten Vollstreckungsstaates befindet. Es geht dabei vorrangig um die Kompensation von Hindernissen, die einer Auslieferung zur Vollstreckung entgegenstehen (Staatsangehörigkeit, Strafverbüßung, usw.) nicht nur um reine Fluchtfälle, wie sie im Art. 68 Abs. 1 und Art. 69 SDÜ geregelt sind. Darüber hinaus erlaubt es in Art. 4 die Vollstreckung von Verurteilungen zu Geldstrafen oder Geldbußen gegen natürliche oder juristische Personen. Damit bietet dieses Übereinkommen eher ein Instrument effektiver Strafvollstreckung. 433 Bis jetzt haben nur 9 Staaten ratifiziert. Vgl. http://conventions.coe.int.
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Dementsprechend bedarf die Übernahme bzw. die Übertragung der Strafvollstreckung nicht unbedingt der Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Strafurteile. Vielmehr kann die Vollstreckung auch nach der Umwandlung der ausländischen Sanktion erfolgen. Dementsprechend beschreibt das ÜberstÜbk zwei Methoden der Übernahme der Strafvollstreckung: Der Vollstreckungsstaat kann entweder die Vollstreckung unmittelbar aufgrund der ausländischen Entscheidung fortsetzen (Fortsetzung der Vollstreckung) oder die ausländische Entscheidung in eine eigene Entscheidung umwandeln (Umwandlung der Sanktion oder Exequaturverfahren) und dabei die ausländische Sanktion durch eine in seinem eigenem Recht vorgesehene Sanktion ersetzen.434 Der dogmatische Unterschied zwischen den beiden Verfahren besteht darin, dass bei der Fortsetzung der Vollstreckung die Rechtskraft des ausländischen Urteils unmittelbar anerkannt wird und die ausländische Sanktion vollgestreckt wird, während im Exequaturverfahren die Vollstreckung lediglich auf einem inländischen Vollstreckungstitel beruht. Hier wird – so Schomburg – das ausländische Urteil nur durch das „Medium“ der inländischen Entscheidung vollstreckbar.435 In beiden Fällen richtet sich die Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats. Bei der Fortsetzung der Vollstreckung kann als Problem auftauchen, dass die Regelungen für die Klassifizierung von Strafen oder der Mindest- oder Höchstdauer von freiheitsentziehenden Sanktionen der beteiligten Staaten unterschiedlich sind. In solchen Fällen lässt das ÜberstÜbk eine Anpassung der ausländischen Sanktion durch den Vollstreckungsstaat an sein eigenes Recht zu.436 Die so angepasste Sanktion darf die Art und Dauer der im Urteilsstaat verhängten Strafe nicht verschärfen und deren im Vollstreckungsstaat maßgebliche Höchstdauer nicht übersteigen. Im Unterschied zur Fortsetzung der Vollstreckung soll durch das Exequaturverfahren eine Vollstreckungsgrundlage im Vollstreckungsstaat zur Durchsetzung des ausländischen Urteils geschaffen werden. Es bestehen unterschiedliche Meinungen darüber, was der Vollstreckungsstaat im Exequaturverfahren prüfen darf. Fest steht jedoch, dass der Vollstreckungsstaat nicht jede tatsächliche und rechtliche Frage überprüfen darf, weil das de facto einer Neuverhandlung gleichkäme.437 Da die Umwandlung in eine Sanktion anderer Art oder Dauer lediglich keine Änderung des Urteils zur Folge haben darf, ist im Exequaturverfahren der Vollstreckungsstaat an die 434
Art. 9 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 623. 436 Art 10 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. 437 Wiener, A. Imre: Nemzetközi Bu ˝ nügyi Jogsegély, Budapest 1993, S. 134. 435
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tatsächlichen Feststellungen, die sich aus dem ausländischen Urteil ergeben, gebunden. Deswegen kann er den dem ausländischen Urteil zu Grunde liegende Sachverhalt nicht anders würdigen. Dieses Hindernis gilt sowohl für die objektive als auch für die subjektive Seite. Eine freiheitsentziehende Sanktion darf nicht in eine Geldstrafe oder Buße umgewandelt werden, der bereits verbüßte Teil der Sanktion muss auf die umgewandelte Sanktion angerechnet werden und durch die Umwandlung darf die strafrechtliche Lage des Verurteilten nicht erschwert werden.438 Daher benötigt die Umsetzung des Exequaturverfahrens detaillierte Regeln im nationalen Recht. II. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung Die Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Strafentscheidungen erweist sich bis heute in mehreren Mitgliedstaaten von Verfassungs wegen als undurchsetzbar.439 Dies ist Ergebnis der strikten Auslegung nationaler Souveränität, die in der Anerkennung ausländischer Strafurteile eine Einschränkung nationaler Strafgewalt sieht. Eine effektive und den Interessen des Beschuldigten sowie den Ermittlungsinteressen besser Rechnung tragende strafrechtliche Rechtshilfe ist jedoch ohne die Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Strafentscheidungen nicht möglich. Dies verdeutlicht der aus Art. 31 lit a EUV abgeleitete Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Gemäß Art. 31 Buchstabe a des Amsterdamer Vertrages bezweckt das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit „die Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit zwischen den Zuständigen Ministerien und den Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten [. . .] bei der Vollstreckung von Entscheidungen“. Diese Bestimmung hat ihren genaueren Inhalt erstmals auf der Tagung des Europäischen Rates in Tampere bekommen. Die Schlussfolgerungen von Tampere heben die gegenseitige Anerkennung zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen hervor.440 Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen besagt, dass diese automatisch unmittelbar in allen EU438
Art 11 Convention on the Transfer of Sentenced Persons, ETS No. 112. Renée Koering, Joulin: Judicial Assistance in Criminal Cases Within the European Union, in: M. Delmas-Marty (Hrsg.): What kind of Criminal Policy for Europe?, Paris 1993, S. 177. 440 Nr. 33 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Tampere) 15.–16. Oktober 1999, Press Release Information, Doc. 200/1/99. Der Vorschlag kam von der britischen Regierung. Näher dazu Monar, Jörg: Die Entwicklung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Perspektiven nach dem Vertrag von Amsterdam und dem Europäischen Rat von Tampere, integration 2000, S. 26. 439
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Mitgliedstaaten anerkannt werden sollen, so dass die typischen Voraussetzungen der Anerkennung, die heute existieren – wie z. B. die beiderseitige Strafbarkeit – abgeschafft wären. Nicht zuletzt gründet sich die Popularität des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf die Hoffnung, eine von „Brüssel aus gesteuerte“ Harmonisierung der materiellen und verfahrensrechtlichen nationalen Strafvorschriften vermeiden zu können. Pragmatisch gesehen stellt zwar die Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Strafentscheidungen einen Verlust an nationaler Souveränität dar, sie greift aber weniger tief in die nationalen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten ein als deren Harmonisierung. Obwohl dieser Schritt im Prinzip zu begrüßen und seit langem fällig ist, darf nicht aus dem Auge verloren werden – so erkennt folgerichtig die Kommission –, dass das Verhältnis zwischen dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und der Harmonisierung eine Kehrseite hat.441 Zwar ersetzt die gegenseitige Anerkennung die Harmonisierung bis zu einem bestimmten Grad, sie erfordert aber ihrerseits ein gewisses Maß an Harmonisierung. Je ähnlicher die materiell- und verfahrensrechtlichen Strafvorschriften der Mitgliedstaaten sind, desto einfacher sind die Wirkungen ausländischer Strafentscheidungen anzuerkennen.442 Der Rat hat im Dezember 2000 ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen verabschiedet,443 das die wichtigsten Aspekte der gegenseitigen Anerkennung behandelt und die zu ergreifenden Maßnahmen auflistet bzw. mit einem Prioritätsgrad versieht. Vordringliche Frage bei dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ist die Bestimmung ihres Anwendungsbereichs. Die Frage stellt sich unter zwei Gesichtspunkten. Einmal ist man mit der gleichen Frage konfrontiert, die bereits bei dem Grundsatz ne bis in idem erörtert wurde: welche Entscheidungen als res judicata gelten und dementsprechend in allen anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden müssten. Anderseits ist aber eine Abgrenzung auch ratione materiae erforderlich: Soll die gegenseitige Anerkennung eine allgemeine oder eine auf bestimmte Delikte begrenzte Tragweite 441 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen, KOM (2000) 495 endg., S. 3. 442 Dies verdeutlicht das Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, das neben der Harmonisierung mitgliedstaatlicher Sanktionen auch die Harmonisierung von Vollstreckungsbestimmungen vorsieht. KOM (2004) 334 endgültig (dazu noch in § 11 II 2). 443 Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. Nr. C 12/10 vom 15.1.2001.
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haben? Soll die gegenseitige Anerkennung unabhängig von der Antwort auf diese Fragen alle Arten von Sanktionen erfassen oder weiterhin auf freiheitsentziehende Sanktionen beschränkt bleiben? In Bezug auf den ersten Aspekt der Frage stimmt die Antwort mit den Überlegungen zu ne bis in idem überein. Jede verfahrensabschließende und im Urteilsstaat rechtskraftbewirkende Strafentscheidung sollte unionsweit anerkannt werden. Die Anerkennung erstreckte sich daher nicht nur auf Verurteilungen und Freisprüche, sondern auch z. B. auf die Ergebnisse eines Täter-Opfer-Ausgleichs oder eine Vereinbarung zwischen den Ermittlungsbehörden und dem Verdächtigen.444 Der zweite Aspekt der Frage nach der Tragweite der gegenseitigen Anerkennung geht in Richtung des Modells der Mindestschwere einer auslieferungsfähigen Tat.445 Die Erwägungsgründe sind dementsprechend die gleichen: Hinsichtlich der Intensität des Eingriffs solle dies nur bei solchen Taten gewährt sein, die einen bestimmten Grad an Schwere aufweisen. In ihren Ausführungen kam die Kommission zu der Schlussfolgerung, dass eine Begrenzung der gegenseitigen Anerkennung auf schwere Straftaten unpraktisch sei, da es keine einheitliche Definition von schweren Straftaten gebe und weil es mit Blick auf die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft ungerecht sei, wenn eine Verurteilung wegen einer schweren Straftat die Resozialisierung vereinfachte.446 Es ist in der Tat nicht einzusehen, warum wegen weniger schwerer Taten verhängte Sanktionen unionsweit aus der gegenseitigen Anerkennung ausgeklammert werden sollten. Ähnlicherweise ist nicht einzusehen, warum die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung auf freiheitsentziehende Sanktionen beschränkt werden sollte, so dass der Täter einer Geldstrafe, alternativen Sanktion, oder diversen Nebenstrafen durch die Überquerung der Grenzen schlicht entkommen könnte. 444 Diese Ansicht vertritt im Übrigen auch die Kommission. Siehe Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen, KOM (2000) 495 endg., S. 13–14. 445 Im Übrigen sollten verwaltungsbehördliche Entscheidungen, die materiell dem Strafrecht zuzuordnen sind, auch von dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung erfasst werden. Dies entspricht dem Recht der sonstigen Rechtshilfe. Vgl. Art. 1 Buchstabe b des Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen (Europaratskonvention), als auch Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens von 1991 über die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Strafsachen (EPZ Konvention). 446 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen, KOM (2000) 495 endg., S. 13–14.
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Die Europäische Verfassung gibt bereits Aufschluss darüber, wie genau die gegenseitige Anerkennung zukünftig verwirklicht wird. Art. III-171 Abs. 1 lit. d. der Verfassung lautet: „Durch Europäische Gesetze oder Rahmengesetze werden Maßnahmen festgelegt, um [. . .] die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Strafverfolgung sowie des Vollzuges und der Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern.“
Es liegen bereits mehrere mitgliedstaatliche Initiativen für Rahmenbeschlüsse zur Verwirklichung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung vor (dazu sogleich). Daraus kann gefolgert werden, dass die gegenseitige Anerkennung in Zukunft schrittweise durch Rahmengesetze umgesetzt wird. 1. Vollstreckung ausländischer Sicherstellungsentscheidungen Mit der Zunahme der internationalen Kriminalität seit Ende der 80er Jahre kam der Regelung der Einziehung immer mehr Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Diskussion über die Vollstreckungshilfe zu. Es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass die organisierte Kriminalität durch die Einziehung von Erträgen und Tatwerkzeugen aus Straftaten am effektivsten zu bekämpfen ist. Seit den 90er Jahren ist Geldwäsche in allen EU-Mitgliedstaaten unter Strafe gestellt. Im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit mussten Regeln für die Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheidungen vereinbart werden. Das GeldwäscheÜbk regelte erstmals die Einziehung und legte in Art. 8 fest, dass die Vertragsparteien einander auf Ersuchen die „größtmögliche Unterstützung bei der Ermittlung von Tatwerkzeugen, Erträgen und anderen Vermögensgegenständen, die der Einziehung unterliegen [, gewähren].“447
Zugleich regelte das GeldwäscheÜbk zwei Formen der Vollstreckung einer ausländischen Einziehungsentscheidung: Entweder vollstreckt der ersuchte Staat unmittelbar eine Einziehungsentscheidung des Gerichts des 447 Diese Form der Vollstreckungshilfe wird in der der Praxis teilweise Abschöpfungs-Rechtshilfe genannt. Vgl. Schomburg, Wolfgang/Lagodny, Otto: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 1998, S. 667. Logischerweise geht die Regelung des GeldwäscheÜbk über die Zusammenarbeit bei den Ermittlungen hinaus und sorgt dafür, dass die Erträge und Tatwerkzeuge aus der bereits aufgespürten Straftat von den Tätern nicht behalten werden können. Das Einfrieren von Bankkonten und die Beschlagnahme von Vermögensgegenständen bieten Beispiele für vorläufige Maßnahmen, die die Vertragsparteien ergreifen können. Vgl. Art. 11 Convention on Laundering, Search, Seizure and Confiscation of the Proceeds from Crime, 8 November 1999, ETS No. 141.
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ersuchenden Staates (d.h. die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung); oder er leitet innerstaatliche Verfahren ein, um eine Einziehungsentscheidung zu erwirken und vollstreckt diese, falls sie erlassen wird. Diese zweite Modalität wies eine starke Ähnlichkeit mit dem Exequaturverfahren des ÜberstlÜbk auf. Im Zusammenhang mit dem strafpolitischen Ansatz, organisierte Kriminalität mit Hilfe der Geldwäschestrafbarkeit zurückzudrängen, legt die Strafpolitik der Europäischen Union zunehmend den Schwerpunkt auf die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Vermögenswerten. Die erhöhte politische Aufmerksamkeit beweist die große Anzahl von mitgliedstaatlichen Initiativen, sowie anderer Instrumente des Dritten Pfeilers, die in der näheren Vergangenheit in diesem Bereich zur Verbesserung der Zusammenarbeit erlassen wurden. So sah zunächst die Initiative Frankreichs aus dem Jahr 2000 für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen um vorläufige Maßnahmen vor, dass diese mit der gleichen Priorität behandelt werden sollen, die solchen Maßnahmen im innerstaatlichen Verfahren zukommt.448 Diese Bestimmung wurde wortgleich in den Geldwäsche-Rahmenschluss aufgenommen.449 Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten aufgrund des Geldwäsche-Rahmenbeschlusses verpflichtet, keine Vorbehalte zu den Einziehungsbestimmungen des GeldwäscheÜbk geltend zu machen oder aufrechtzuerhalten, sofern die Straftat mit einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mehr als einem Jahr bestraft werden kann.450 Um den Behörden zu ermöglichen, Beweismaterial rasch sicherzustellen und leicht zu bewegende Vermögensgegenstände zu beschlagnahmen, hat der Rat einen Rahmenbeschluss erlassen, um die bisherige Regelung durch die Vollstreckung ausländischer Sicherstellungsentscheidungen in der Europäischen Union aufgrund des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung abzulösen.451 448 Art. 5 Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der Erträge aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität, ABl. 2000 Nr. C 243/11 vom 24.8.2000. 449 Art. 4 Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2001 Nr. L 182/1 vom 5.7.2001, S. 2. 450 Art. 1 Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2001 Nr. L 182/1 vom 5.7.2001, S. 1. 451 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003.
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Der Rahmenbeschluss, der am 2. August 2005 in Kraft treten soll, folgt der Denklogik des Europäischen Haftbefehls. Er strebt im Einklang mit der Idee eines europäischen Rechtsraumes eine Annäherung der Regeln des Übergabeverfahrens und der Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen an. Dementsprechend sollen in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die traditionell unterschiedlichen Bedingungssysteme von Auslieferung und Vollstreckungshilfe durch einheitliche Voraussetzungen aufgrund des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ersetzt werden. Allerdings findet man die bereits vom Europäsichen Haftbefehl bekannten Menschenrechtsvorbehalte wieder,452 die von einem Misstrauen der Mitgliedstaaten in das Funktionieren der Strafrechtspflege anderer Mitgliedstaaten zeugen und letztlich zur Schwächung der gegenseitigen Anerkennung führen. Der Rahmenbeschluss gilt für Sicherstellungsentscheidungen, die entweder die Sicherung von Beweismitteln oder der späteren Einziehung von Vermögensgegenständen bezwecken. Im Unterschied zur traditionellen Vollstreckungshilfe geht es hier nicht um die Vollstreckung rechtskräftiger ausländischer Entscheidungen, sondern um die Vollstreckung von vorläufigen Maßnahmen, die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eines anderen Mitgliedstaats erlassen wurden. Nach dem Rahmenbeschluss sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine von einer zuständigen Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats erlassene Sicherstellungsentscheidung anzuerkennen und in ihren Hoheitsgebieten ohne weitere Formalitäten zu vollstrecken.453 Der Rahmenbeschluss schafft das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit indes nur für einen Katalog von Straftaten ab. Bei Sicherstellungsentscheidungen, die aufgrund von Straftaten erlassen wurden, die im Katalog nicht aufgelistet sind, kann die Vollstreckung von der Erfüllung beiderseitiger Strafbarkeit abhängig gemacht werden.454 Damit bleibt zwar der Rahmenbeschluss hinter langjährigen Forderungen von Praxis und Wissenschaft zurück, regelt jedoch das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit genau so wie der Europäi452 Die Sicherstellung kann versagt werden, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Sicherstellungsentscheidung zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache, politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde. Erwägungsgrund 6 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003; vgl. dazu auch § 5, II. 453 Art. 1 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003. 454 Art. 3 Abs. 4 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003.
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sche Haftbefehl und erzielt dadurch eine gewisse Vereinheitlichung innerhalb eines zukünftigen europäischen Rechtsraumes. Das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit entfällt danach nur im Fall der Katalogstraftaten, wenn sie nach dem Recht des Entscheidungsstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens 3 Jahren bedroht sind. Die Katalogstraftaten stimmen mit denen des Europäischen Haftbefehls überein und gehen mit den vorher dargestellten Auslegungsschwierigkeiten einher.455 Die Verpflichtung, die Sicherstellungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaats zu vollstrecken, wird durch fakultative Gründe der Versagung und Aufschub der Vollstreckung beschränkt. Im Unterschied zum Europäischen Haftbefehl kennt der Rahmenbeschluss somit keine zwingenden Verweigerungsgründe. Die fakultativen Versagungsgründe entsprechen teilweise den fakultativen Ablehnungsgründen des Europäischen Haftbefehls. So kann die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung abgelehnt werden, wenn das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit nicht erfüllt wird. Dies gilt jedoch nicht für die oben genannten Katalogstraftaten sowie für Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten.456 Entsprechend besteht die Möglichkeit, die Vollstreckung zu versagen, wenn nach dem Recht des Vollstreckungsstaats Vorrechte bestehen, die die Vollstreckung unmöglich machen, oder die Vollstreckung dem Grundsatz ne bis in idem zuwiederlaufen würde. Darüber hinaus kann die Vollstreckung abgelehnt werden, wenn die Angaben unvollständig oder offensichtlich falsch sind.457 Durch diese Bestimmung – wonach für die Entscheidung über die Gültigkeit der Sicherstellungsentscheidung alleine die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats zuständig ist – erfährt auch die Vollstreckungshilfe in der Europäischen Union eine Justizialisierung. Demnach trägt ausschließlich die Justiz die Verantwortung für die Zusammenarbeit bei der gegenseitigen Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen. In diesem Zusammenhang wäre es nach Ansicht der Verfasserin sinnvoll gewesen, für den Fall der Nichtanerkennung der ausländischen Sicherstellungsentscheidung vor der endgültigen Versagung der Vollstreckung die Inanspruchnahme eines Konsultationsmechanismus einzuführen. 455
Dazu bereits in § 5, 2. Die Vollstreckung kann nicht aus dem Grund versagt werden, dass das Recht des Vollstreckungsstaats keine gleichartigen Steuern-, Zoll- oder Währungsbestimmungen enthält. 457 Art. 7 Abs. 1 lit a Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003. 456
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Die genannten Versagungsgründe werden durch fakultative Gründe des Aufschubs ergänzt. Die Aufschubsgründe beziehen sich auf parallele Verfahren, wenn der betreffende Vermögensgegenstand oder das Beweismittel bereits aufgrund eines anderen Verfahrens sichergestellt wurde.458 In diesen Fällen kann die Vollstreckung bis zur Aufhebung der vorrangigen Sicherstellungsentscheidung aufgeschoben werden. Die Regelung, wonach der Vollstreckungsstaat die Vollstreckung ohne zeitliche Begrenzung aufschieben kann, falls die Vollstreckung laufende Ermittlungen beeinträchtigen könnte, ist sehr unbestimmt formuliert. Sie ermöglicht dem Vollstreckungsstaat, die Vollstreckung einer Sicherstellungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaats beliebig herauszuzögern und dient somit ausschließlich der Wahrung der strafrechtlichen Souveränität des Vollstreckungsstaats. Gewisse Abhilfe bietet in dieser Hinsicht, dass dem Entscheidungsstaat der Aufschub der Vollstreckung einschließlich einer Begründung und der Bennenung der voraussichtlichen Dauer schriftlich mitgeteilt werden muss.459 Missbräuche, um der gegenseitigen Anerkennung zu entkommen, können jedoch nicht ausgeschlossen werden. Der Rahmenbeschluss sieht den direkten Geschäftsweg zwischen den betreffenden Justizbehörden als Hauptregel vor.460 Das Europäische Justizielle Netz kann in Anspruch genommen werden, um die zuständige Justizbehörde des Vollsteckungsstaats zu ermitteln. Sehr fortschrittlich ist die Regelung des Rahmenbeschlusses, wonach die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats über die Sicherstellungsentscheidung innerhalb von 24 Stunden nach deren Erhalt entscheiden muss.461 Überraschend ist jedoch, dass für die Nichteinhaltung der Erledigungsfrist keine Rechtsfolgen statuiert sind. Dies umso mehr, weil das Problembewusstsein beim Europäischen Haftbefehl zu einer entsprechenden Regelung geführt hat.462 458 Art. 8 Abs. 1 lit b–c Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003. 459 Art. 8 Abs. 1 lit. a Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003. 460 Das Vereinigte Königreich und Irland wickeln die Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen über eine zentrale Behörde ab. Vgl. Art. 4 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003. 461 Art. 5 Abs. 3 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003. 462 Vgl. dazu § 5, 2.
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Die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung erfolgt nach den Formvorschriften und dem Verfahren des Entscheidungsstaats. Durch die Anwendung des Prinzips forum regit actum soll gewährleistet werden, dass die im Rahmen der gegeseitigen Vollstreckung erlangten Beweismittel in dem vom Entscheidungsstaat geführten Verfahren verwendet werden können.463 Zwangsmaßnahmen können jedoch weiterhin nur aufgrund der geltenden Strafprozessvorschriften des Vollstreckungsstaats ergriffen werden. Der betroffene Gegenstand wird im Vollstreckungsstaat bis zu seiner Übergabe bzw. Einziehung auf Ersuchen des Entscheidungsstaats sichergestellt. Der Vollstreckungsstaat kann jedoch die Dauer der Sicherstellung gemäß seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten einseitig begrenzen bzw. beenden. Der Entscheidungsstaat muss hierzu lediglich gehört werden. Offensichtlich trägt diese Vorschrift mitgliedstaatlich unterschiedlichen Regelungen der Sicherstellung von Vermögensgegeständen und Beweismitteln Rechnung. Auf dem Weg hin zu einem europäischen Rechtsraum markieren die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen einen wichtigen Schritt. Eingriffe in die strafrechtliche Souverenität der Mitgliedstaaten wurden allerdings nach Möglichkeit vermieden. Das Verlangen, sich im Ausland befindende Vermögensgegenstände und Beweismaterial schnell zu beschlagnahmen, dürfte am ehesten dadurch befriedigt werden, dass eine Erledigungsfrist von maximal 24 Studen für den Vollstreckungsstaat vorgeschrieben ist. Selbst diese Regelung sieht jedoch für den Fall ihrer Nichtbefolgung für den Vollstreckungstaat keine Sanktion vor. 2. Die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen Als wichtiger Mangel der Vollstreckungshilfe gilt, dass diese auf freiheitsentziehende Sanktionen begrenzt ist. Demzufolge braucht eine Person, gegen die z. B. eine Geldstrafe verhängt wurde, nur die Grenze zu überschreiten, um in einem anderen Mitgliedstaat die Geldstrafe zu vermeiden. Durch diese Regelungslücke kann die Wirkung der Strafe praktisch aufgehoben werden.464 In einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts stellt sich deswegen die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen mit besonderem Nachdruck. Das Vereinigte Königreich, die Französiche Republik und das Königreich Schweden schlugen daher eine Initiative im Hin463
Dazu bereits in § 6 I 1. Das Europaratsübereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen erkannte diese Problematik bereits und sah eine entsprechende Regelung vor. 464
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blick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen vor.465 Da es sich hier um einen Vorschlag und nicht um geltendes Recht handelt, werden nur die Kerngedanken der Initiative vorgeführt, ohne eine abschließende Würdigung zu bieten. Vorab soll betont werden, dass es bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen anders als beim Europäischen Haftbefehl und bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen um rechtskräftige Gerichts- oder Verwaltungsentscheidungen der Mitgliedstaaten geht. Dies erklärt zugleich, dass bei der Vollstreckung die Ablehnungsgründe anders ausgestaltet sind als bei den beiden zuvorgennanten Instrumenten, die lediglich vorläufige Maßnahmen betreffen. Nach der Initiative verpflichten sich die Mitgliedstaaten, einen rechtskräftigen Beschluss über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße eines anderen Mitgliedstaats ohne weitere Formalitäten anzuerkennen und zu vollstrecken. Gemäß der Initiative erstreckt sich der Anwendungsbereich der gegenseitigen Anerkennung daher nicht nur auf Geldstrafen, die von einem Gericht aufgrund einer strafbaren Handlung verhängt wurden, sondern auch auf Geldbußen, die einer Verwaltungsbehörde aufgrund einer Ordnungswidrigkeit oder eines Verstoßes gegen Verordnungen erlassen hatte, letzteres aber nur dann, wenn gegen die Verwaltungsentscheidung ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann.466 Darüber hinaus findet die Initiative auch auf die Vollstreckung von Entschädigungszahlungen (z. B. Täter-Opfer Ausgleich) und von Gerichts- und Verwaltungskosten Anwendung. Die Initiative sieht eine Gleichstellung der Vollstreckung ausländischer und inländischer Geldstrafen und Geldbußen vor: Geldstrafen und Geldbußen, die in einem anderen Mitgliedstaaten verhängt wurden, sollen auf die gleiche Weise vollstreckt werden wie eine von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde des Vollstreckungsstaats verhängte Geldstrafe oder Geldbuße. Die Vollstreckung richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats. Bei der Vollstreckung rechnet entweder die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats die Geldstrafe oder Geldbuße in die Währung des 465
ABl. 2001 Nr. C 278/4 vom 2.10.2001. Art. 1 Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen durch den Rat, ABl. 2001 Nr. C 278/4 vom 2.10.2001. Das Verzeichnis solcher Ordnungswidrigkeiten oder Verstöße sollte im Anhang zum Rahmenbeschluss erstellt werden. 466
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Vollstreckungsstaats um (Umrechnung)467 oder verringert sie die Höhe der Geldstrafe oder Geldbuße auf die nach dem nationalen Recht des Staates, in dem die Handlungen vorgenommen wurden, für Handlungen derselben Art vorgesehene Höchstgrenze (Anpassung).468 Die Anpassung ist nur dann möglich, wenn die fragliche Geldstrafe oder Geldbuße ausschließlich für solche Handlungen verhängt wurde, die im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats oder in einem anderen Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsstaat oder Entscheidungsstaat vorgenommen wurden. Die Anpassung der ausländischen Geldstrafe bzw. Geldbuße ist im Grunde ein vereinfachtes Exequaturverfahren. Bei der Anpassung der ausländischen Geldstrafe sollten komplizierte Umsetzungsregelungen dadurch vermieden werden, dass es sich bei der Anpassung lediglich um eine Senkung der Geldstrafe bzw. Geldbuße auf den Höchstbetrag des Rechts des Staates, in dem die zu Grunde liegenden Handlungen vorgenommen wurden, handelt (lex mitior). Die Initiative kennt nur fakultative Ablehnungsgründe und beschränkt dabei die Nichtvollstreckung auf vier Fallgruppen:469 Die Vollstreckung einer Geldstrafe oder Geldbuße eines anderen Mitgliedstaats kann dann verweigert werden, wenn (i) die Angaben unvollständig oder offensichtlich falsch sind, (ii) nachgewiesen ist, dass gegen die verurteilte Person wegen derselben Handlung eine Entscheidung ergangen ist entweder im Vollstreckungsstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat und diese Entscheidung vollstreckt worden ist (Vollstreckungsvorbehalt) oder (iii) die Entscheidung sich ausschließlich auf Handlungen bezieht, die im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats oder in einem anderen Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsstaat oder Entscheidungsstaat erfolgten und diese Handlungen nach dem Gesetz jenes Staates keine Zuwiderhandlung darstellen (beiderseitige Strafbarkeit) oder (iv) die Vollstreckung der Entscheidung aufgrund der in jenem Staat geltenden Verjährungsfristen ausgeschlossen ist (Verjährungsvorbehalt).470 467 Art. 5 Abs. 1 Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen durch den Rat, ABl. 2001 Nr. C 278/4 vom 2.10.2001. 468 Art. 5 Abs. 2 Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen durch den Rat, ABl. 2001 Nr. C 278/4 vom 2.10.2001. 469 Art. 4 Abs. 1–2 Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen durch den Rat, ABl. 2001 Nr. C 278/4 vom 2.10.2001.
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Hervorzuheben ist noch, dass die Nichtvollstreckung von der Behörde des Vollstreckungsstaats begründet werden muss. Besonders fortschrittlich ist die Regelung, die ein Kosultationsverfahren zwischen den Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten vor der endgültigen Entscheidung über eine Nichtvollstreckung vorschreibt.471 Um parallelen Vollstreckungen vorzubeugen, legt die Initiative fest, dass der Entscheidungsstaat nach Übermittlung einer Entscheidung zur Vollstreckung die Vollstreckung nicht mehr selbst vornehmen kann. Dem ne bis in idem-Grundsatz wird dadurch Rechnung getragen, dass der Entscheidungsstaat erst dann wieder vollstreckungsberechtigt ist – unter anderem auch zum Zwecke der Umwandlung der Geldstrafe oder Geldbuße –, nachdem der Vollstreckungsstaat ihn davon unterrichtet hat, dass die Vollstreckung der Entscheidung in ihrer Gesamtheit oder in Teilen nicht erfolgt ist. 3. Die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten Ähnlich wie Geldstrafen und Geldbußen kann die Aberkennung von Rechten mangels gegenseitiger Anerkennung und Vollstreckung umgangen werden. Es reicht aus, dass eine Person, die z. B. von der Ausübung eines Berufes, von öffentlichen Förderungen oder von anderen Aktivitäten ausgeschlossen wurde, die Grenze überschreitet, um in einem anderen Mitgliedstaat die jeweilige Tätigkeit ausüben zu können. Daher sollte die Aberkennung von Rechten in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts der gegenseitigen Anerkennung unterliegen. Bei der Miteinbeziehung von Aberkennungsentscheidungen in die gegenseitige Anerkennung findet man sehr unterschiedlich ausgeprägte Regelun470 Es ist anzumerken, dass die genannten Nichtvollstreckungsgründe von denen des EU-Übereinkommens über den Entzug der Fahrerlaubnis wesentlich abweichen. Zwar stammt dieses Übereinkommen noch aus der Zeit vor dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, gleichwohl würde ein der hier besprochenen Iniative entsprechender Rahmenbeschluss die Neuregelung der Vollstreckung des Entzugs der Fahrerlaubnis notwendig machen. In einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist es demgegenüber geboten, die Ablehnung der Vollstreckung einer mitgliedstaatlichen Entscheidung unabhangig von der darin enthaltenen Sanktion – sei es eine Geldstrafe, der Entzug der Fahrerlaubnis oder die Aberkennung von Rechten – einheitlich zu regeln. Vgl. Art. 6 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Entzug der Fahrerlaubnis, ABl. 1997 Nr. C. 471 Art. 4 Abs. 4 Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen durch den Rat, ABl. 2001 Nr. C 278/4 vom 2.10.2001.
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gen der Mitgliedstaaten. Selbst die Kommission gesteht in ihrem Grünbuch ein, dass „eine allgemeine Rechtsangleichung in diesem Bereich“ nicht ratsam erscheint.472 Dennoch enthalten einige deliktspezifische Rahmenbeschlüsse bereits Bestimmungen über die gegenseitige Anerkennung von Aberkennung von Rechten. So sieht der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt das Verbot vor, unmittelbar oder über Dritte die berufliche Tätigkeit auszuüben, in deren Rahmen die strafbare Handlung begangen wurde.473 Ein Berufsvebot findet man auch in dem Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie. Danach sollen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass eine natürliche Person, die wegen einer vom Rahmenbeschluss erfassten Straftat verurteilt wurde, vorübergehend oder dauerhaft daran gehindert werden kann, eine die Beaufsichtigung von Kindern einschließende berufliche Tätigkeit auszuüben.474 Schließlich verpflichtet der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor die Mitgliedstaaten, erforderliche Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass einer natürlichen Person, die wegen Bestechung oder Bestechlichkeit im privaten Sektor verurteilt wurde, die weitere Ausübung einer vergleichbaren Geschäftstätigkeit vorübergehend untersagt werden kann.475 Um die gegenseitige Anerkennung im Bereich der Aberkennung von Rechten systematisch zu verwirklichen bereitete Dänemark 2002 eine entsprechende Initiative vor.476 Die Initiative beschäftigt sich weniger mit der Regelung der Durchführung der Vollstreckung einer Aberkennungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaats. Vielmehr stellt sie heraus, dass die Voraussetzung für die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten ist, dass ein 472 Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, das neben der harmonisierung mitgliedstaatlicher Sanktionen auch die Harmonisierung von Vollstreckungsbestimmungen vorsieht. KOM (2004) 334 endgültig, S. 58. 473 Art. 1 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 28. November 2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt, ABl. 2002 Nr. L 328/1 vom 5.12.2002. 474 Art. 5 Abs. 3 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie, ABl. 2003 Nr. L 13/44 vom 20.1.2004. 475 Art. 4 Abs. 3 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192/54 vom 31.7.2003. 476 Initiative des Königreichs Dänemark im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates über eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten, ABl. 2002 Nr. C 223/17 vom 19.9.2002.
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Verzeichnis der in allen Mitgliedstaaten gemeinsam geltenden Verluste von Rechten, die bei oder infolge einer Verurteilung gegen eine natürliche oder juristische Person ausgesprochen werden, erstellt wird.477 Solange ein solches Verzeichnis nicht vorhanden ist, sollen die Mitgliedstaaten nach der Initiative einander verpflichtet sein, über die Aberkennung von Rechten zu informieren, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten betreffen und die mit einem Strafurteil oder als Teil eines Strafurteils verfügt wurden und die den Zugang des Verurteilten zur Berufsausübung einschränken.478 Damit sollte die Initiative hauptsächlich nur für Berufsverbote gelten. Technisch soll die Unterrichtung durch nationale Kontaktstellen erfolgen, deren Einrichtung die Initiative vorsieht.479 Es ist die Aufgabe der nationalen Kontaktstelle, Angaben zur Aberkennung von Rechten einzuholen und zu übermitteln. 4. Europäisches Strafregister Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Strafsachen entfaltet zweierlei Wirkung im inländischen Strafverfahren: Einerseits kann die bereits anerkannte ausländische Entscheidung vollstreckt werden. Neben der Vollstreckung wirkt sie sich aber auch auf die Position des Verurteilten aus. Aus Sicht des Verurteilten entsteht durch die Anerkennung einerseits ein Vorteil, indem er durch den Grundsatz des ne bis in idem wegen derselben Taten erneut nicht verfolgt werden darf. Andererseits wirkt sich die Anerkennung auf seine Position auch negativ aus, da die bereits erfolgte Verurteilung in die neue Entscheidung (über eine andere Straftat) bei der Strafzumessung berücksichtigt werden kann so, dass z. B. er als ein Rückfalltäter eingestuft wird und aufgrund dieses Erschwerungsgrundes ein strengeres Urteil erhält. Die technische Voraussetzung für die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung ist, dass dies überhaupt bekannt ist. Um dies zu ermöglichen, schlägt die Kommission vor, ein Europäisches 477 Punkt 8 der Erwägungsgründe der Initiative des Königreichs Dänemark im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates über eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten, ABl. 2002 Nr. C 223/17 vom 19.9.2002. 478 Ausgenommen ist die Aberkennung der Fahrerlaubnis, da dies in einem gesonderten Übereinkommen bereits geregelt ist. 479 Art. 2 Initiative des Königreichs Dänemark im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates über eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten, ABl. 2002 Nr. C 223/17 vom 19.9.2002.
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Strafregister einzuführen.480 Nach Ansicht der Kommission sollte in einem ersten Schritt europaweit einheitliche mehrsprachige Formblätter erarbeitet werden, mit denen Informationen über bestehende strafrechtliche Verurteilungen eingeholt werden könnten. Ohne auf die technischen Einzelheiten dieses Vorschlags einzugehen, sollten bei den Erwägungen die folgenden Punkte beachtet werden: Für gewöhnlich erfährt die jeweilige Behörde von einer ausländischen Strafentscheidung nur dann, wenn sich der Beschuldigte auf den Grundsatz ne bis idem beruft. Auch in solchen Fällen muss die Behörde die Richtigkeit der Information überprüfen. Die Vereinfachung entsprechender Anfragen wird als besonderer Vorteil eines europäischen Strafregisters angesehen. Da es im Interesse des Beschuldigten liegen kann, in neuen Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat wegen anderer Taten eine vorherige Bestrafung zu verschweigen, würde das geplante Register die Behörden in die Lage versetzen, auf Rückfälligkeit reagieren zu können. Anderseits würde ein zentrales Register zur unionsweiten Vollstreckung von Entscheidungen beitragen, mit denen eine Aberkennung bestimmter Rechte verbunden ist. Damit würde ein europäisches Strafregister zugleich mehr Rechtssicherheit bringen und den Forderungen eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts entsprechen. Im Auftrag der Kommission wurden bereits zwei Studien zur Machbarkeit eines Europäischen Strafregisters durchgeführt.481 Aus der Auswertung der Nationalberichte wurde klar, dass die Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Regelungen darüber haben, welche Verurteilungen in das Register aufgenommen werden, wie lange die Eintragungen aufrechterhalten bleiben, wer Zugang zu dem Register hat usw. Dementsprechend bedürfen sämtliche praktischen und rechtlichen Fragen einer Regelung, bevor ein Europäisches Strafregister aufgestellt werden kann: (i) welche Entscheidungen bzw. Verfahren sollen erfasst werden, (ii) wer soll für die Eingabe und Aktualisierung der Eingaben zuständig sein, (iii) wer soll Zugang zu den Daten haben, (iv) wie kann den Datenschutzbestimmungen der Mitgliedstaaten entsprochen werden, (v) wie soll das Europäische Strafregister technisch umgesetzt werden und schließlich (vi) wer soll die Kosten der Einrichtung 480 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen, KOM (2000) 495 endg., S. 7. Vgl. auch Empfehlung 49(e) des Aktionsplans des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages über den Ausbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, angenommen vom Rat (Justiz und Inneres) am 3. Dezember 1998, ABl. 1999 C 19/ 1 vom 23.1.1999. 481 Falcone Project 2000/FAL/168 – European Criminal Record, Projektkoordinator: Helen Xanthaki; Grotius Projekt 2001/GRP/024 – Blueprint for an EU criminal records database: Legal, politico-institutional & practical feasibility, Projektkoordinatoren: Gert Vermeulen und Tom Vander Beken.
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und Verwaltung eines solchen Registers tragen. Diese Punkte wurden zuletzt in einer Mitteilung der Kommission aufgegriffen,482 und werden zur Zeit vom Ministerrat diskutiert.483
482 Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über bestimmte Maßnahmen, die zur Bekämpfung des Terrorismus und anderer schwerwiegender Formen der Kriminalität, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung des Informationsaustauschs, zu treffen sind, KOM (2004) 221 endgültig, S. 13–17. 483 EU will Datenaustausch ausbauen – Debatte über Strafregister, Sitzung der Innen- Justizminister, FAZ 20.7.2004, S 2.
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§ 8 Europäische Strafermittlungseinrichtungen Der einheitliche europäische Strafrechtsraum wird nicht nur rechtlich, sondern auch institutionell verwirklicht. Die folgenden Ausführungen skizzieren die Einrichtungen verwaltungsrechtlicher (sogleich unter Abschnitt I), polizeilicher (sogleich unter Abschnitt II) und justizieller Zusammenarbeit (sogleich unter Abschnitt III). Ziel ist es, das Bild der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union mit der institutionellen Struktur zu vervollständigen. Wie schon die rechtlichen Voraussetzungen strafrechtlicher Zusammenarbeit in der Europäischen Union, so hat auch ihre organisatorische Struktur in den letzten Jahren deutlich an Profil und Detail gewonnen.484 Der Schwerpunkt der Strafpolitik der Europäischen Union bildet hier die Schaffung europäischer Einrichtungen zur Koordinierung der nationalen Strafverfolgungstätigkeit, die sowohl den polizeilichen als auch den justiziellen Bereich umfasst.485 Wie bereits in § 6 nachgewiesen wurde, hat sich die polizeiliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union schneller als die justizielle Zusammenarbeit entwickelt. Dies gilt nicht nur für den rechtlichen Rahmen, sondern auch für die Ausbildung organisatorischer Strukturen. Die rasante Integration im polizeilichen Bereich beweist die Einrichtung von Europol sowie die ständige Ausweitung ihres Mandats. Demgegenüber befinden sich die europäischen Einrichtungen zur Koordinierung der nationalen Strafverfolgungstätigkeit im justiziellen Bereich erst in der Entstehungsphase. Die gegenwärtig existierenden drei Koordinierungsformen (Verbindungsrichter/ -staatsanwälte, Europäisches Justizielles Netz und Eurojust) mit ihren eingeschränkten Befugnissen bleiben hinter der zentralistisch ausgeprägten Europol zurück. Zur Zeit zielen die europarechtlichen Initiativen darauf ab, den durch Europol verwirklichten Integrationsgrad polizeilicher Tätigkeit auch für Richter und Staatsanwälte zu erreichen. Beweggründe der institutionellen Integration liegen einerseits im Erfordernis, einer Verpolizeilichung der internationalen strafrechtlichen Rechthilfe in der Europäischen Union entgegenzuwirken und dadurch das rechtstaatliche Gleichgewicht zwischen Polizei und Justiz auf europäischer Ebene herzustellen. Anderseits initiiert der Ausbau des Raumes der Frei484 Eine Übersicht bei Schünemann, Bernd: Ein Gespenst geht durch Europa – Brüsseler Strafrechtspflege intra muros, GA 2002, S. 506–507. 485 Eingehend dazu Vervaele, John: Transnational Cooperation of Enforcement Authorities in the Community Area, in: J. Vervaele: Compliance and Enforcement of European Community Law, The Hague 1999, S. 363 ff.
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heit, der Sicherheit und des Rechts die Schaffung gemeinsamer Programme und Institutionen der Europäischen Union auf dem Gebiet „Justiz und Inneres“.486 In den folgenden Ausführungen können die bereits realisierten vier Einrichtungen – unter Verweis auf die dazu vorliegende Spezialliteratur – nur schlagwortartig beschrieben werden.487 Ziel ist es, das Bild der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union durch die Darstellung der institutionellen Struktur zu vervollständigen. I. OLAF Institutionell verwirklicht wird der einheitliche europäische Strafrechtsraum für den Bereich des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaften durch OLAF488, das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung.489 Es wurde durch einem Beschluss der Kommission490 errichtet und ist als administrative Kontrollinstanz der Gemeinschaft vorgesehen. Seine Tätigkeit wird in der am gleichen Tag erlassenen Verordnung491 spezifiziert. In organisatorischer Hinsicht ist OLAF ein unabhängiger und nicht weisungsgebundener Teil der Kommission. Seine Untersuchungstätigkeit wird von einem Überwachungsausschuss kontrolliert, der ebenfalls unabhängig ist. OLAF hat im Wesentlichen zwei Aufgaben zu versehen, nämlich die Unterstütztung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von Betrügereien zum Nachteil der fi486
So bereits Scheller, Susanne: Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Recht- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, Freiburg im Breisgau 1997, S. 22. 487 Bestandaufnahme bei Dieckmann, Jochen: Europäische Kooperation im Bereich der Strafrechtspflege, NStZ 2001, S. 617–623. 488 Office de la Lutte Anti-Fraude. 489 Es ersetzt die Abteilung UCLAF (Unité de la coordination de la Lutte AntiFraudé), die im Jahre 1987 von der Kommission als eine eigene Stelle zur Bekämpfung von Betrügereien zu Lasten der Gemeinschaft eingerichtet worden war. Wesentliches Anliegen für die Neuorganisierung der Betrugsbekämpfungsstelle war die Verbesserung interner Kontrollen nach dem Rücktritt der Santier-Kommission. Näher dazu MacMullen, Andrew: Fraud, mismanagement and nepotism: The Committee of Independent Experts and the Fall of the Commission 1999, Crime, Law and Social Change 1999, S. 193–208. 490 Beschluss der Kommission vom 28. April 1999 zur Errichtung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ABl. 1999 Nr. L 136/20 vom 31.5. 1999. 491 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999.
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nanziellen Interessen der Gemeinschaft und die Durchführung eigener administrativer Untersuchungen. Letztere weckten die Aufmerksamkeit der Strafrechtswissenschaft, weil sich administrative Untersuchungen zwar dem Namen nach lediglich gegen „Unregelmäßigkeiten“ richten, worunter in der Sache jedoch auch Straftaten wie Betrug und Korruption fallen.492 Der eher strafrechtliche Charakter der Untersuchungen wird auch dadurch unterstrichen, dass sie erst beim Vorliegen eines diesbezüglichen Verdachts eingeleitet werden,493 und die Rechtswidrigkeit der untersuchten Tätigkeit feststellen sollen.494 Vogel bezeichnet daher den administrativen Charakter der Untersuchungen als „kompetenzrechtlich und politisch motivierten Etikettenschwindel. Denn in der Sache haben diese Untersuchungen gerade aufgrund der oben beschriebenen Voraussetzungen regelmäßig strafrechtlichen Charakter.“495
Die Tätigkeit von OLAF umfasst sowohl externe Untersuchungen bei natürlichen oder juristischen Personen in den Mitgliedstaaten und gegebenenfalls bei Drittstaaten496 als auch interne Untersuchungen bei Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der Gemeinschaft und der Union. Bei externen Untersuchungen richten sich die Befugnisse von OLAF nach der Verordnung betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission.497 Aufgrund dieser Verordnung ist OLAF befugt, administra492 Art. 1 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999. 493 Art. 5 Abs. 1 Verordnung des Rates Nr. 2185/96 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten, ABl. 1996 Nr. L 292/2 vom 15.11.1996. 494 Art. 2 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999. 495 Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz, IRG-Kommentar, 2001, Rdn. 179. So auch bereits Nelles, Ursula: Europäisierung des Strafverfahrens – Strafprozessrecht für Europa, ZStW 1997, S. 727 ff. Selbst der Direktor von OLAF, H. Brünner klagt von einem „systembedingten Flucht ins Verwaltungsrecht“. Vgl. Brüner, H./Spitzer, H.: Der Europäische Staatsanwalt – ein Instrument zur Verbesserung des Schutzes der EU-Finanzen oder ein Beitrag zur Verwirklichung eines Europas der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, NStZ 2002, S. 396. 496 Art. 3 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999. 497 Verordnung des Rates Nr. 2185/96 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten, ABl. 1996 Nr. L 292/2 vom 15.11.1996. In der Verordnung sind die Bestimmungen für die in der Verordnung 2988/95 (Art. 10) vorgesehenen Kontrollen und Überprüfungen fest-
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tive Kontrollen in den Mitgliedstaaten durchzuführen, und zwar unter eigener Leitung und Verantwortung.498 Zu diesem Zweck haben OLAF-Bedienstete ein Betretungsrecht, sowie Zugang zu Personen, Räumlichkeiten und Unterlagen unter denselben Bedingungen wie die Kontrolleure der mitgliedstaatlichen Verwaltungen.499 Dementsprechend können OLAF-Bedienstete Wirtschaftsbeteiligte aufsuchen und von diesen den Zugang zu allen gewerblich genutzten Räumlichkeiten sowie den relevanten Unterlagen verlangen. Dabei haben sie das Recht, alle „zweckdienlichen“ Unterlagen zu kopieren.500 Die Kontrollberichte von OLAF stellen in der gleichen Weise und unter denselben Bedingungen Beweismittel dar wie die der nationalen Kontrolleure.501 Zwangbefugnisse stehen OLAF hingegen nicht zu. In der Regel sind die Interventionsmöglichkeiten von OLAF auf nicht zwingende Ermittlungen beschränkt, wobei jede polizeiliche Maßnahme ausgeschlossen ist. Derartige Maßnahmen fallen in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Diese sind freilich verpflichtet, OLAF zu unterstützten und die notwendigen Zwangsmaßnahmen nach ihrem innerstaatlichen Recht zu treffen. Im Übrigen ist OLAF ermächtigt, auch von Amts wegen Informationen an die zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten, insbesondere über strafrechtlich zu ahndende Handlungen, zu übermitteln.502 Für die politisch sensibleren internen Untersuchungen sind die Befugnisse von OLAF in Art. 4 Verordnung Nr. 1073/99 geregelt. Diese beziehen sich auf Fälle von Betrug oder andere ungesetzliche Aktivitäten im Bereich der Verwaltungstätigkeit, die von europäischen Bediensteten oder Beamten begangen werden. Auch hier gibt es ein Betretungsrecht und ein Recht auf Zugang zu allen Informationen und Unterlagen, und auch hier dürfen Informationen insbesondere über strafrechtlich zu ahndende Handlungen an die gelegt. Verordnung 2185/96 stellt ebenfalls einen Versuch dar, eine Reihe in verschiedenen sektoriellen Verordnungen verstreut vorhandener Bestimmungen in ein gemeinsames Rahmenwerk einzugliedern. 498 Art. 6 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999. 499 Art. 7 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999. 500 Wolfgang, Hans-Michael/Ulrich, Stephan: Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, EuR 1998, S. 636. 501 Art. 8 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999. 502 Art. 10. Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999.
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Justizbehörden des betroffenen Mitgliedstaats übermittelt werden. Gerade wegen seiner politischen Sensibilität503 zögert OLAF, seine Untersuchungsaufgabe innerhalb der Organe und Einrichtungen der Europäischen Union zu übernehmen.504 Dementsprechend machen interne Untersuchungen auch nur einen kleinen Prozentsatz im Verhältnis zur Gesamtzahl der Dossiers (etwa 80 von 1700 Fällen im Jahre 2001) aus. II. Europäische Einrichtungen polizeilicher Zusammenarbeit Die Verbreitung transnationler Kriminalität erfordert weltweit eine erhöhte Effektivität polizeilicher Ermittlungen. Neben den hier beschriebenen Handlungsformen hatten sich auch der institutionelle Rahmen polizeilicher Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten geändert. Es wurden mehrere Zentralstellen für internationale Koordination und gegenseitigen Informationsaustausch aufgestellt. Ergänzend zu dem weltweiten Netz der Interpol wurden auf europäischer Ebene Trevi, das Schengener Informationssystem, die Institution der Verbindungsbeamten und jüngst Europol errichtet. 1. Verbindungsbeamte Insbesondere mit Blick auf die organisierte Kriminalität sowie auf Straftaten, die Berührungspunkte zu mehreren Staaten aufweisen, wurde die Institution der Verbindungsbeamten eingesetzt. Die Entsendung von Verbindungsbeamten wurde erstmals von den USA erprobt. Die Erfahrungen zeigten, dass die Effizienz internationaler polizeilicher Zusammenarbeit durch die Erkennung, Erklärung und Überwindung bürokratischer, kultureller und rechtlicher Hindernisse mit Hilfe von Verbindungsbeamten wesentlich verbessert werden kann.505 In Europa wurden Verbindungsbeamte bereits im Rahmen von Interpol und Trevi gegenseitig ausgetauscht. Unabhängig von diesem bilateralen Austausch zwischen verschiedenen Ländern gab es auch einseitig die Entsendung von Verbindungsbeamten, wie z. B. in Rauschgiftherkunftsländer.506 Organisatorisch sind 503 Den Widerstand der EU-Organe gegenüber internen Untersuchungen zeigt der Rechtsstreit zwischen OLAF einerseits und EIB und EZB andererseits. In Folge dieses Rechtsstreits sah sich OLAF im Jahre 2001 außerstande, Untersuchungen in den genannten Organen durchzuführen. Nachweise in der Stellungnahme Nr. 3/21 zur etwaigen Einsetzung eines für die internen Untersuchungen zuständigen europäischen Staatsanwalts, OLAF-Überwachungsausschuss – Tätigkeitsbericht Juli 2000– September 2001, ABl. 2001 Nr. C 365/1 vom 20.12.2001. 504 OLAF-Überwachungsausschuss – Tätigkeitsbericht Juli 2000–September 2001, ABl. 2001 Nr. C 365/1 vom 20.12.2001, S. 15. 505 Zagaris, Bruce: US National Report, RIDP 1999, S. 505–507.
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Verbindungsbeamte ursprünglich als Beamte ihres Landes im Ausland stationiert: sie sollen vorrangig den Ermittlungen des eigenen Staates dienen. Gleichwohl unterstützen sie aber die Ermittlungen des ausländischen Aufnahmestaates. Verbindungsbeamten kommt insbesondere Bedeutung beim Informationsaustausch zu. Sie haben grundsätzlich Zugang zu den jeweiligen nationalen Datenbeständen, so dass sie in der Polizeipraxis einen sehr weitgehenden und unkomplizierten Datenfluss herstellen können. Um den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu beschleunigen, schaffte das SDÜ erstmals eine gemeinsame Rechtsgrundlage für den Austausch von Verbindungsbeamten.507 Die EUMitgliedstaaten können bilaterale Absprachen über die befristete oder unbefristete Entsendung von Verbindungsbeamten einer Vertragspartei zu Polizeidienststellen einer anderen Partei treffen. Deren Aufgabe kann ausdrücklich die Unterstützung des anderen Staates bei der präventiven oder repressiven Verbrechensbekämpfung508 sowie bei der justiziellen Rechtshilfe in Strafsachen sein.509 Da den Verbindungsbeamten bei der Zusammenarbeit zur Verhütung grenzüberschreitender Kriminalität eine herausragende Aufgabe zukommt, entschlossen sich die mitgliedstaatlichen Regierungen, den vom SDÜ initiierten bilateralen Absprachen einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen zu verschaffen. In diesem Sinne sieht die Gemeinsame Maßnahme betreffend Verbindungsbeamte510 vor, dass die Mitgliedstaaten ihre Initiativen in diesem Bereich aufeinander abstimmen. Zu diesem Zweck unterrichten die Mitgliedstaaten einander im Rat über die Entsendung und Befugnisse von Verbindungsbeamten.511 Darüber hinaus übermitteln die Mitgliedstaaten 506
Nachweise bei Scheller, Susanne: Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Recht- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, Freiburg im Breisgau 1997, S. 23. 507 Art. 47 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 508 Art. 47 Abs. 2 lit. a Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 509 Art. 47 Abs. 2 lit. b Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II 1010, 1997 I 1606. 510 Gemeinsame Maßnahme vom 14. Oktober 1996 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für die Initiative der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verbindungsbeamte, ABl. 1996 Nr. L 268/2 vom 19.10.1996, S. 2. 511 Art. 3 Abs. 1 Gemeinsame Maßnahme vom 14. Oktober 1996 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – be-
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dem Generalsekretariat des Rates jährlich eine Liste über die jeweiligen Netze von Verbindungsbeamten. Der Austausch von Verbindungsbeamten hat durch den Amsterdamer Vertrag eine Rechtsgrundlage im Vertrag erhalten. Nach Art. 31 sollen Verbindungsbeamte zwischen den Mitgliedstaaten binnen 5 Jahren nach dem In-Kraft-Treten des Vertrages – also spätestens bis zum 30.4.2004 – ausgetauscht werden. Seiner Natur entsprechend macht jedoch die transnationale Kriminalität an den Grenzen der Europäischen Union keinen Halt. Deswegen kommt der polizeilichen Zusammenarbeit mit Drittstaaten hohe Priorität zu. Bereits die Gemeinsame Maßnahme betreffend Verbindungsbeamte legte fest, dass die in Drittstaaten entsandten mitgliedstaatlichen Verbindungsbeamten ihre Informationen austauschen sowie die in denselben Drittstaat entsandten Verbindungsbeamten einander unterstützten sollen.512 Im Gegensatz zu ihrer praktischen Relevanz erfuhren aber die Bestimmungen über die Entsendung von Verbindungsbeamten in Drittstaaten sowie ihre Inanspruchnahme wenig Beachtung in den Mitgliedstaaten. Jüngst hat Dänemark deswegen eine Initiative513 unterbreitet, die Regelungen insbesondere für die Entsendung von Verbindungsbeamten in Drittstaaten und zu internationalen Organisationen zum Ziel hat.514 Trotz seiner Effektivität ist der Einsatz von Verbindungsbeamten nicht ganz frei von Bedenken. Probleme können sich dann ergeben, wenn der Verbindungsbeamte sich nicht an die Rechts- und Verfahrensvorschriften des Empfangstaates hält. Ein Spezialfall liegt vor, wenn der Verbindungsbeamte Handlungen ergreift, die nach dem Recht seines Entsendestaates rechtmäßig, jedoch nach dem Recht des Empfangstaats verboten sind.515 Da Verbindungsbeamte in der Regel nur beratend und unterstützend tätig wertreffend einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für die Initiative der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verbindungsbeamte, ABl. 1996 Nr. L 268/2 vom 19.10.1996, S. 3. 512 Art. 5(1)–(2) Gemeinsame Maßnahme vom 14. Oktober 1996 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für die Initiative der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verbindungsbeamte, ABl. 1996 Nr. L 268/2 vom 19.10.1996, S. 4. 513 Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Beschlusses des Rates über die gemeinsame Inanspruchnahme von Verbindungsbeamten, die von den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten entsandt sind, ABl. 2002 Nr. C 176/8 vom 24.7.2002. 514 Art. 10 Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Beschlusses des Rates über die gemeinsame Inanspruchnahme von Verbindungsbeamten, die von den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten entsandt sind, ABl. 2002 Nr. C 176/8 vom 24.7.2002., S. 11. 515 van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 182–183.
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den dürfen und nicht berechtigt sind, polizeiliche Maßnahmen selbsttätig vorzunehmen, kann dieses Problem eigentlich nicht auftreten. In der Wirklichkeit besteht aber keine Möglichkeit zu überprüfen, ob ein Verbindungsbeamter die Regeln polizeilicher Zusammenarbeit einhält. Wie kann ein Verbindungsbeamter davon abgehalten werden, eine Information weiterzuleiten, deren Austausch nur nach der Zustimmung der zuständigen Justizbehörde zulässig ist? Zwar sanktioniert das SDÜ den unrechtmäßigen Austausch von Informationen, doch gilt dies nur für schriftliche Informationen. Ohne vorherige Zustimmung des ersuchten Staates weitergeleitete mündliche Informationen bleiben straflos. 2. Europol Auf der Tagung des Europäischen Rates in Luxemburg im Jahre 1991 wurde auf Anregung der deutschen Delegation beschlossen, einen Bericht über Möglichkeiten zur Einrichtung einer europäischen Polizeibehörde zu erarbeiten. Dieser wurde in ihrem wesentlichen Inhalt nach als Erklärung zur polizeilichen Zusammenarbeit in die Maastrichter Verträge übernommen. Dementsprechend erklärte der Maastrichter Vertrag „die polizeiliche Zusammenarbeit zur Verhütung und Bekämpfung [. . .] schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität [. . .] in Verbindung mit dem Aufbau eines unionsweiten Systems zum Austausch von Informationen im Rahmen eines Europäischen Polizeiamts (Europol)“
zu einem gemeinsamen Interesse.516 1993 beschlossen die Mitgliedstaaten zunächst EDU517, eine vorläufige Stelle, einzurichten, die für eine Übergangszeit die für Europol vorgesehenen Aufgaben wahrnehmen sollte.518 Auf dieser Grundlage haben im März 1995 nationale Verbindungsbeamte ihre Arbeit aufgenommen, und zwar als „nicht ersatzbezogener Stab für den Austausch und die Analyse von Informationen“519 über Betäubungsmittelkriminalität. Später erweiterten die Mitgliedstaaten den Arbeitsbereich der EDU auf die Bekämpfung von illegalem Handel mit radioaktiven und nuklearen Materialien, Schleuserkriminalität, Verschiebung von Kraftfahrtzeugen sowie die mit diesen Kriminalitätsfeldern zusammenhängende Geldwäsche. Seit 1996 gehört auch die Bekämpfung des Menschenhandels zum 516
Art. K. 3 EUV a. F. European Drug Unit. 518 Gemeinsame Maßnahme vom 10. März 1995 bezüglich der Europol-Drogenstelle, vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union beschlossen, ABl. 1995 Nr. L 62/1 vom 20.03.1995. 519 Gemeinsame Maßnahme vom 10. März 1995 bezüglich der Europol-Drogenstelle, vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union beschlossen, ABl. 1995 Nr. L 62/1 vom 20.03.1995, S. 2. 517
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Kompetenzkatalog,520 seit 1999 die von Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Handlungen521 oder Geldfälschung.522 Trotz der Einigung über die Einrichtung eines europäischen Polizeiamtes im Jahr 1992 dauerte es noch weitere 3 Jahre, bis die Mitgliedstaaten einen Entwurf für ein Europol-Statut angenommen hatten. Der Aufbau eines Europäischen Polizeiamtes, das im Namen der Europäischen Gemeinschaften und nicht im Namen der Mitgliedstaaten agiert, konnte indes nicht durchgesetzt werden. Schließlich haben die Mitgliedstaaten 1995 im Rahmen des Dritten Pfeilers das Europol-Übk verabschiedet.523 Danach ist Europol – ähnlich wie Interpol – ein Völkerrechtssubjekt und kein Organ der Europäischen Gemeinschaften. Dementsprechend genießt Europol keine Ermittlungs- und Eingriffsbefugnisse. Seine Aufgaben beschränken sich auf die Erleichterung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten und auf die Unterhaltung einer automatischen Informationssammlung. Selbst diese Aufgaben kann aber Europol nicht uneingeschränkt ausüben, sondern nur im Bereich der auf sie übertragenen einzelne Zuständigkeiten. Seit 1. Juli 1999 sammelt und analysiert Europol Daten und gibt diese an die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten weiter. Der Schwerpunkt der Tätigkeit ist die Erteilung von Auskünften an Behörden der Mitgliedstaaten sowie die Analyse von Erkenntnissen über grenzüberschreitende Kriminalität. Aufgrund der derzeitigen Organisations- und Funktionsstruktur bezeichnet Vogel Europol zu Recht als „ein europäisches polizeiliches Informationssystem“.524 Selbst in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung als Informationssystem wirft Europol drei Fragen auf: Zunächst geht um das Verhältnis von Justiz und Polizei. Bereits der Umstand, dass Datenverarbeitung, deren Ziel die Kriminalitätsbekämpfung ist, alleine in der Verantwortung einer Polizeiein520 Gemeinsame Maßnahme vom 16. Dezember 1996 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – zur Ausdehnung des der Europol-Drogenstelle erteilten Mandats, ABl. 1996 Nr. L 342/4 vom 31.12.1996. 521 Beschluss des Rates vom 3. Dezember 1998 zur Erteilung des Auftrags an Europol, sich mit Straftaten zu befassen, die im Rahmen von terroristischen Handlungen gegen Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit sowie gegen Sachen begangen wurden oder begangen werden könnten, ABl. 1999 Nr. C 26/ 22 vom 30.1.1999. 522 Beschluss des Rates vom 29. April 1999 zur Ausdehnung des Mandats von Europol auf die Bekämpfung der Fälschung von Geld und Zahlungsmitteln, ABl. 1999 Nr. C 149/16 vom 28.5.1999. 523 Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts, ABl. 1995 Nr. C 316/2 vom 27.11.1995. 524 Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz, IRG-Kommentar, 2001, Rdn. 173.
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richtung liegt, ist aus rechtsstaatlichen Gründen bedenklich.525 Dazu kommt, dass aufgrund des Europol-Übereinkommens die mitgliedstaatlichen Justizbehörden keinen eigenen Zugriff auf Europol-Daten haben,526 was den ohnehin bestehenden Informationsvorsprung der Polizei gegenüber der Justiz noch erhöht. Die andere Schlüsselfrage ist die unzureichende justizielle Einbindung von Europol. Als rechtlich eigenständige Einrichtung des Dritten Pfeilers unterliegt Europol weder der unmittelbaren Kontrolle von Einrichtungen der Mitgliedstaaten noch derjenigen einer europäischen Institution. Nach dem Immunitätenprotokoll527 genießen Europol und seine Bediensteten in Bezug auf Amtshandlungen „befremdlicher Weise“ – so mit Recht Schünemann528 – weitreichende Immunität von jeder Gerichtsbarkeit, was praktisch effektiven Rechtsschutz ausschließt. Vogel ergänzt kritisch, dass die im Europol-Übereinkommen vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle dieses Rechtsschutzdefizit durch nationale Kontrollinstanzen und eine gemeinsame Kontrollinstanz, also durch Exekutivorgane, nicht ausgleichen kann.529 Das mit Europol verbundene dritte Problemfeld bildet der bisher nur höchst unzulänglich geregelten Schutz des Rechts der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber der bei Europol stattfindenden Datenverarbeitung.530 Die genannten Punkte erscheinen im Lichte vom Art. 30 Abs. 2 EUV besonders schwerwiegend. Durch Letzteren beschlossen die Mitgliedstaaten, dass Europol in einem Zeitraum von 5 Jahren nach In-Kraft-Treten des Amsterdamer Unionsvertrags – also spätestens bis 30.4.2004 – Ermittlungsverfahren der mitgliedstaatlichen Behörden nicht nur logistisch, sondern auch operativ unterstützen und ein Initiativrecht für strafrechtliche Ermittlungen in den Mitgliedstaaten erhalten soll.531 Gleß weist darauf hin, dass die prak525
So auch Gleß, Sabine: Europol, NStZ 2001, S. 624. Art. 10 Abs. 2 Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts, ABl. 1995 Nr. C 316/2 vom 27.11.1995. 527 Rechtsakt des Rates vom 19. Juni 1997 über die Fertigstellung aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union und von Artikel 41 Absatz 3 des Europol-Übereinkommens des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten von Europol, ABl. 1997 Nr. C 221/1 vom 19.7.1997. 528 Schünemann, Bernd: Ein Gespenst geht durch Europa – Brüsseler Strafrechtspflege intra muros, GA 2002, S. 506 – 507. 529 Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz, IRG-Kommentar, 2001, Rdn. 173. 530 Ausführlich dazu Gleß, Sabine/Grote, Rainer/Heine, Günter (Hrsg.): Justizielle Einbindung und Kontrolle von Europol, 2 Bände, Freiburg im Breisgau 2001. 531 Art. 30 II a–b EUV. 526
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tischen Konsequenzen dieser Bestimmung bis heute nicht verbindlich geklärt sind.532 Beide vorgesehenen Formen der Beteiligung von Europol sind Gegenstand von soft-law-Erklärungen des Rates: Nach einer Empfehlung des Rates vom 28.9.2000533 sollen Ersuchen von Europol um die Einrichtung, Durchführung oder Koordination von Ermittlungen unverzüglich und in angemessener Weise geprüft und Europol anschließend über die Entscheidung, tatsächlich in dieser Richtung zu ermitteln, informiert werden. Werden Ermittlungen nicht durchgeführt, so sollte Europol grundsätzlich über die Gründe hierfür informiert werden. Darüber hinaus erläutert eine Empfehlung des Rates vom 30.11.2000534 Einsatzmöglichkeiten von Europolbediensteten in gemeinsamen Ermittlungsteams.535 Obwohl Art und Umfang der Übertragung operativer Befugnisse an Europol zur Zeit noch unklar sind, dürfte Europol am Ende dieser Entwicklung – wie von Helmut Kohl seinerzeit vorgezeichnet –536 als eine Art europäisches FBI funktionieren. In dieser Richtung lassen sich die Mitgliedstaaten aber nur sehr schwer bewegen. Einerseits sähen die Innenministerien der Mitgliedstaaten nur ungern, dass europäische Polizeibeamten einen Einblick in ihre Tätigkeit erhalten. Anderseits ist aber die rechtstaatliche Kontrolle von Europol in der Tat noch nicht gewährleistet,537 was die Übertragung operativer Befugnisse zur Zeit unmöglich macht. Die Vergemeinschaftung lässt sich dadurch freilich nicht mehr verhindern,538 ihre genaue Umsetzung indes bleibt zunächst offen.
532
Gleß, Sabine: Europol, NStZ 2001, S. 624. Empfehlung des Rates vom 28. September 2000 an die Mitgliedstaaten betreffend Ersuchen seitens Europol um Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungen in spezifischen Fällen, ABl. 2000 Nr. C 289/8 vom 12.10.2000. 534 Empfehlung des Rates vom 30. November 2000 an die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Unterstützung der von den Mitgliedstaaten gebildeten gemeinsamen Ermittlungsteams durch Europol, ABl. 2000 Nr. C 357/7 vom 13.12.2000, S. 7. 535 Dazu bereits in § 6 II. 536 Der Anstoß zur Vergemeinschaftung polizeilicher Zusammenarbeit geht auf einen Vorschlag des damaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl bei einem Treffen des Europäischen Rates in Luxemburg am 28. Juni 1991 zurück. Vgl. dazu Nanz, Klaus-Peter: Der „3. Pfeiler der Europäischen Union“: Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik, Integration 1992, S. 136. 537 Kritisch hierzu Albrecht, Peter-Alexis/Braum, Stefan: Kontingentes „Europäisches Strafrecht“ in actio, KritV 2001, S. 342 ff. 538 den Boer, Monica: Justice and Home Affairs Cooperation in the Treaty on European Union: More Complexity Despite Communautarization, MJ 1997, S. 314. 533
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III. Europäische Einrichtungen justizieller Zusammenarbeit Die institutionalisierte Kooperation in der Europäischen Union wurde über den Bereich der polizeilichen Tätigkeit hinaus auch auf die staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Strafverfolgung erstreckt. Als Ergebnis wurden so genannte zentrale Stellen oder Behörden errichtet, sowie der rechtliche Rahmen für den Austausch von Verbindungsbeamten geschaffen.539 Die Einsetzung von zentralen Stellen und Verbindungsbeamten hat sich im Vergleich zur polizeilichen Zusammenarbeit in der justizielle Zusammenarbeit erst spät durchgesetzt.540 Dies ist dem Umstand zuzuschreiben, dass die Justizbehörden der Staaten traditionell keinen direkten Kontakt zu einander aufnehmen durften, sondern über diplomatische Wege mit einander verkehrten. Erst wurde der diplomatische Weg durch einen Kontakt zwischen den Ministerien der von der Rechtshilfe betroffenen Staaten ersetzt, der heute auch schon wieder als anachronistisch anzusehen ist. Immer deutlicher setzt sich auch in der Rechtshilfe der direkte Geschäftsweg zwischen den an der Rechtshilfe beteiligten Justizbehörden durch. Dementsprechend legt der Amsterdamer Vertrag fest, dass „[d]ie zuständigen Behörden im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats in Verbindung und in Absprache mit dessen Behörden tätig werden dürfen.“541
1. Zentrale Stellen und Verbindungsbeamte Die Errichtung einer zentralen Stelle wurde erst im GeldwäscheÜbk eingeführt, die den Vertragsparteien die Möglichkeit eingeräumt hat, eine oder mehrere zentrale Behörden zu bestimmen, die Ersuchen absenden bzw. beantworten oder an die für die Erledigung zuständigen Behörden weiterleiten.542 Die zentralen Behörden verkehren unmittelbar mit einander.543 Mittlerweile gilt die Errichtung zentraler Stellen als allgemeine Praxis in der EU. Insbesondere der Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität544 verlangt nach der Einrichtung zentraler Kontaktpunkte zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit. 539 Sieber, Ulrich: Bekämpfung des EG-Betrugs und Perspektiven der europäischen Amts- und Rechtshilfe, ZRP 2000, S. 189. 540 van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 182–183. 541 Art. 32 EUV. 542 Art. 22 Convention on the Laundering, Search, Seizure of the Proceeds from Crime, ETS No. 141. 543 Art. 23 Convention on the Laundering, Search, Seizure of the Proceeds from Crime, ETS No. 141.
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Um die Effektivität der strafrechtlichen Rechtshilfe zu steigern, sieht das EU-Recht nun den Austausch von Verbindungsrichtern und -staatsanwälten vor. Als erster Schritt ermöglichte die Gemeinsame Maßnahme betreffend den Austausch von Verbindungsrichtern und Verbindungsstaatsanwälten545 die Entsendung oder den Austausch von Richtern und Staatsanwälten mit besonderer Sachkunde im Rahmen bi- oder multilateraler Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten. Hauptaufgabe der Verbindungsrichter/staatsanwälte ist die Förderung von Direktkontakten und Informationenaustausch. Nachdem zunächst nur relativ wenige Staaten von der Möglichkeit eines Verbindungsrichters oder Verbindungsstaatsanwalts Gebrauch gemacht hatten,546 erfolgt der Austausch heute zwischen allen Mitgliedstaaten im Rahmen von Eurojust (dazu sogleich).547 Dass anfänglich ein nur geringer Austausch von Verbindungsrichtern oder Verbindungsstaatsanwälten zu verzeichnen war, lag nicht so sehr an der traditionellen Haltung der EU-Mitgliedstaaten, sondern vielmehr an budgetären Gründen und dem nötigen Personalaufwand. Als Verbindungsrichter bzw. Verbindungsstaatsanwalt kommt nämlich nur in Frage, wer über gute Fremdsprachenkenntnisse und weitere Qualifikationen verfügt. Die ohnehin finanziell hoch belasteten mitgliedstaatlichen Justizverwaltungen wollten vor diesem Hintergrund kaum auf ihre Leistungsträger verzichten, die ja auch vor Ort dringend gebraucht wurden und werden. 2. Das Europäische Justizielle Netz (EJN) Bereits der Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität548 aus dem Jahre 1997 forderte strukturelle Maßnahmen auf Unionsebene, um die strafrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität zu verbessern. Als erster Baustein in 544 Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (vom Rat angenommen am 28. April 1997), ABl. 1997 Nr. C 251/1 vom 15.8.1997. 545 Gemeinsame Maßnahme vom 22. April 1996, vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen, betreffend den Rahmen für den Austausch von Verbindungsrichtern/-staatsanwälten zur Verbesserung der justitiellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. L 105/1 vom 27.4.1996. 546 van den Wyngaert berichtet im Jahre 1999 nur über Frankreich, Spanien und die Niederlande. Siehe van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 202. 547 Die derzetigen Verbindungsstaatsanwälte sind unter http://www.eurojust.eu. int/aufgelistet. 548 Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (vom Rat angenommen am 28. April 1997), ABl. 1997 Nr. C 251/1 vom 15.8.1997.
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Richtung europäischer organisatorischer Strukturen wurde im Folgejahr das EJN errichtet.549 Das EJN setzt sich aus Kontaktstellen von Vertretern der nationalen Strafverfolgungsbehörden550 zusammen. Jeder Mitgliedstaat muss eine oder mehrere Kontaktstellen so einrichten, dass sein gesamtes Hoheitsgebiet sowie die verschiedenen Formen der schweren Kriminalität tatsächlich abgedeckt werden.551 Als Beispiele für schwere Kriminalität nennt die Gemeinsame Maßname organisierte Kriminalität, Bestechung, Drogenhandel und Terrorismus. Vorrangige Aufgabe des EJN ist es, im Rahmen der bestehenden Rechtshilfewege in bedeutsamen oder eiligen Fällen durch direkte Ansprechpartner eine persönliche, gegenseitige Hilfeleistung und dadurch eine Beschleunigung zu ermöglichen. Um die effiziente Vorbereitung von Rechtshilfeersuchen zu gewährleisten, unterhält das EJN ein Telekommunikationsnetz, die vollständigen Angaben über die Kontaktstellen in jedem Mitgliedstaat, eine vereinfachten Liste der Justizbehörden und ein Verzeichnis der örtlichen Behörden jedes Mitgliedstaats, kurzgefasste rechtliche und praktische Informationen über das Gerichtswesen und die Verfahrenspraxis in den 15 Mitgliedstaaten. Es hält Texte der einschlägigen Rechtsinstrumente sowie etwaiger Vorbehalte zu Übereinkommen bereit und stellt diese auf Anfrage zur Verfügung. Um den persönlichen Kontakt zwischen den Kontaktstellen zu ermöglichen, hält das EJN regelmäßig Sitzungen ab. Diese bieten zugleich ein Forum für die Erörterung praktischer und rechtlicher Probleme. Das Hauptziel des EJN besteht darin, einen rechtlichen Rahmen für den Austausch zwischen den Rechtshilfefachleuten der Mitgliedstaaten herzustellen. Ein solcher Kontakt unter Rechtshilfefachleuten ist nichts Neues. Im Europarat existierte seit Jahrzehnten ein entsprechend intensiver Austausch. Er beruhte jedoch auf persönliche Bekanntschaften und war eher informeller Art.552 Nun wurde dies durch das EJN für die EU-Mitgliedstaaten formalisiert. 549 Gemeinsame Maßnahme vom 29. Juni 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – zur Einrichtung eines Europäischen Justitiellen Netzes, ABl. 1998 Nr. L 191/4 vom 7.7.1998. 550 Gemäß Art. 2 der Gemeinsamen Maßnahme sind es die für die internationale Zusammenarbeit zuständigen Zentralbehörden, die Justizbehörden oder anderen zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. 551 Für Deutschland wurden z. B. Kontaktstellen in jedem Bundesland sowie eine weitere bei dem GBA eingerichtet, so dass insgesamt 17 Kontaktstellen existieren. 552 Wiener, A. Imre: A bünteto ˝ joghatóság és gyakorlása, kivált az Európai Unióban, Állam és Jogtudomány 2002/3–4., S. 201.
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Bereits wegen seiner dezentralen Strukturierung erschien das EJN für die Erfüllung operativer Ermittlungsbefugnisse als nicht geeignet. Die nationalen Kontaktstellen waren vor allem als aktive Vermittler gedacht, die die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten insbesondere bei der Verfolgung der schweren Kriminalität erleichtern sollen. Die Einschätzung Schünemanns, es handle sich um eine bloße Serviceeinrichtung, kommt der Wirklichkeit wohl sehr nahe.553 3. Eurojust Erst mit der Errichtung von Euorjust haben die Mitgliedstaaten ernsthaft versucht, auf die Bedürfnisse der Justiz einzugehen. Auf Initiative der Bundesregierung beim Sondergipfel von Tampere im Oktober 1999 wurde seine Errichtung beschlossen.554 Eurojust sollte an die Seite von Europol gestellt werden und als zwischenstaatliche Behörde – ähnlich wie Europol – der Koordination der Ermittlungen der nationalen Staatsanwaltschaften dienen. In dem Vertrag von Nizza wurde eine eigene Rechtsgrundlage für Eurojust geschaffen.555 Nach Art. 31 Abs. 2. EUV soll die justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union nunmehr auch unter Einschaltung von Eurojust stattfinden. Es soll Eurojust ermöglicht werden, die Tätigkeit mitgliedstaatlicher Strafverfolgungsbehörden sachgerecht zu koordinieren, strafrechtliche Ermittlungen in Fällen schwerer grenzüberschreitender Kriminalität unter Berücksichtigung von Europol-Analysen zu unterstützen und mit dem EJN zusammenzuarbeiten. Letzteres dient insbesondere der Erleichterung der Erledigung von Auslieferungs- und Rechtshilfeersuchen. Noch vor In-Kraft-Treten des Vertrags von Nizza hat der Rat die Einrichtung einer vorläufigen Stelle zur justiziellen Zusammenarbeit, dem sog. Pro-Eurojust556 beschlossen.557 Diese vorläufige Stelle wurde nach der Aufstellung von Eurojust auf diese verschmolzen.558 553 Schünemann, Bernd: Ein Gespenst geht durch Europa – Brüsseler Strafrechtspflege intra muros, GA 2002, S. 506. 554 Nach Nr. 46 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes soll eine Stelle (Eurojust) errichtet werden, in der Staatsanwälte, Richter oder Polizeibeamte mit gleichwertigen Befugnissen zusammengeschlossen sind. 555 ABl. 2001 Nr. C 80/1 vom 10.3.2001. 556 Beschluss des Rates über die Errichtung einer vorläufigen Stelle zur justiziellen Zusammenarbeit, ABl. 2000 Nr. L 324/2 vom 21.12.2000, S. 2. Vgl. dazu Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz, IRG-Kommentar, 2001, Rdn. 174. 557 Beschluss des Rates über die Errichtung einer vorläufigen Stelle zur justiziellen Zusammenarbeit, ABl. 2000 Nr. L 324/2 vom 21.12.2000.
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Eurojust setzt sich aus je einem Mitglied aus jedem Mitgliedstaat zusammen, das Staatsanwalt, Richter oder Polizeibeamter mit gleichwertigen Befugnissen sein muss (Eurojust Kollegium). Die sachliche Zuständigkeit von Eurojust erstreckt sich einmal auf die Straftaten, die in die Zuständigkeit von Europol fallen. Darüber hinaus ist Eurojust auch zuständig für Computerkriminalität, Betrug und Korruption, sowie alle Straftaten, die die finanziellen Interessen der Gemeinschaften berühren, also Geldwäsche, Umweltkriminalität und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Alle Straftaten, die im Zusammenhang mit den genannten Kriminalitätsformen begangen worden sind, fallen auch in den Zuständigkeitsbereich von Eurojust.559 Eurojust kann seine Aufgaben sowohl durch ein betroffenes nationales Mitglied oder als Kollegium wahrnehmen. Unabhängig davon, ob Eurojust durch ein Mitglied oder als Kollegium handelt, besitzt es die gleichen Befugnisse. Danach kann Eurojust die zuständigen Stellen eines betroffenen Mitgliedstaats ersuchen, zu erwägen, – ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, – sich mit der Durchführung des Ermittlungsverfahrens von einem anderen Mitgliedstaat einverstanden zu erklären, – eine Koordinierung zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten vorzunehmen, – ein gemeinsames Ermittlungsteam zu bilden, – an Eurojust Informationen zu übermitteln. 558 Art. 41 Beschluss des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. 2002 Nr. L 63/1 vom 6.3.2002. Für eine Resümee der Erfahrungen von Pro-Eurojust siehe Wahl, Thomas: Eurojust, Bericht zur Tagung der Europäischen Rechtsakademie vom 26. März 2001 in Trier, AGON 2001, S. 21 ff. 559 Art. 4 Beschluss des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. 2002 Nr. L 63/1 vom 6.3.2002, S. 3. Im Vorfeld der Beratungen im Rat lagen zwei Initiativen auf dem Tisch, die deutsche Initiative (Initiative der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates zur Errichtung eines Stabes Eurojust, ABl. 2000 Nr. C 206/1 vom 19.7.2000) und die Initiative der vier Präsidentschaften (Initiative der Portugiesischen Republik, der Französischen Republik, des Königreichs Schweden und des Königreichs Belgien im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates über die Einrichtung einer vorläufigen Stelle zur justiziellen Zusammenarbeit, ABl. 2000 Nr. C 243/15 vom 24.8.2000). Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Initiativen bezog sich auf den sachlichen Zuständigkeitsbereich von Eurojust. Gegenüber der Initiative der vier Präsidentschaften, die Befugnisse von Eurojust auf bestimmte Straftaten zu begrenzen, schlug die Bundesregierung vor, dies auf alle Formen schwerer grenzüberschreitender Kriminalität auszudehnen, also z. B. auch auf für Straftaten gegen Leib und Leben.
§ 8 Europäische Strafermittlungseinrichtungen
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Der Unterschied, ob ein Ersuchen von einem Mitglied oder vom Kollegium gestellt wird, besteht darin, dass, wenn Eurojust die genannten Maßnahmen als Kollegium vornimmt, eine ablehnende Entscheidung begründet werden muss.560 Eine Pflicht zur Begründung der Ablehnung besteht hinsichtlich der Einleitung von Ermittlungsverfahren, des Einverständnisses zur Durchführung des Ermittlungsverfahrens von einem anderen Mitgliedstaat sowie der Übermittlung von Informationen an Eurojust nicht, wenn dies wesentliche nationale Sicherheitsinteressen beeinträchtigte oder den reibungslosen Gang laufender Ermittlungen oder die Sicherheit einer Person gefährden würde. Im Übrigen sollen Mitglieder und Kollegium von Eurojust auf Ersuchen der nationalen Kontaktstellen unterstützend tätig werden,561 sonstige logistische Unterstützung leisten und mit dem EJN zusammenarbeiten. Bei der Ausübung seiner Aufgaben unterliegt das nationale Mitglied dem Recht seines Herkunftslandes, der zugleich die Art und Tragweite seiner justiziellen Befugnisse sowohl im eigenen Hoheitsgebiet als auch in den Beziehungen zu ausländischen Behörden festlegt. Das nationale Mitglied hat ebenso Zugang zu den Einträgen in das nationale Strafregister wie ein Staatsanwalt, Richter oder Polizeibeamter mit gleichwertigen Befugnissen. Es kann zu den zuständigen Behörden seines Landes direkt Kontakt aufnehmen. Neben den nationalen Mitgliedern kann jeder Mitgliedstaat eine oder mehrere nationale Anlaufstellen einrichten. Im Bereich Terrorismusbekämpfung kommt der Einrichtung oder Benennung solcher Stellen hohe Priorität zu. Die nationale Anlaufstelle kann zugleich die Kontaktstelle des EJN sein.562 Eurojust hat im Rahmen seiner Tätigkeiten Zugang zu personenbezogenen Daten.563 Dabei ist Eurojust verpflichtet, die Datenschutzvorschriften des 560
Art. 8 Beschluss des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. 2002 Nr. L 63/1 vom 6.3.2002. 561 Art. 6 b)–d) sowie Art. 7 b)–d) Beschluss des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. 2002 Nr. L 63/1 vom 6.3.2002. 562 Insbesondere erweist sich die Abgrenzung der Tätigkeitsfelder vom EJN und von Eurojust als schwierig. Praktische Probleme ergeben sich z. B. aus der Einschaltung von Eurojust in bilateralen Fällen. Vgl. dazu Wahl, Thomas: Eurojust, Bericht zur Tagung der Europäischen Rechtsakademie vom 26. März 2001 in Trier, AGON 2001, S. 22. 563 Der Rahmenbeschluss führt diejenigen personenbezogenen Daten von Beschuldigten auf, die Eurojust verarbeiten darf: a) Name, Geburtsname, b) Geburtsdatum und -ort, c) Staatsangehörigkeit, d) Geschlecht, e) Wohnort, Beruf und Aufenthaltsort, f) Sozialversicherungsnummer, Fahrerlaubnisse, Ausweispapiere und Passdaten, g) Informationen über juristische Personen, h) Bankkonten und Konten bei anderen Finanzinstituten, i) Beschreibung und Art der zu Last gelegten Straftaten,
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diesbezüglichen Europaratsübereinkommens einzuhalten. Die Gewährleistung von Datenschutz ist ein wesentliches Anliegen des Rahmenbeschlusses. Dementsprechend muss neben der Einhaltung sämtlicher, spezieller Datenschutzvorschriften564 auch ein Datenschutzbeauftragter benannt werden. Der Datenschutzbeauftragte ist direkt dem Kollegium unterstellt. Er sorgt für die rechtmäßige Aufarbeitung personenbezogener Daten, überwacht, dass Übermittlung und Empfang personenbezogener Daten schriftlich festgehalten werden und unterrichtet auf Antrag Betroffene über ihre Rechte. Hinsichtlich der Organisation wählt das Kollegium aus den nationalen Mitgliedern einen Präsidenten für den Zeitraum von 3 Jahren. Die Wahl wird vom Rat gebilligt. Der Präsident nimmt sein Amt im Namen des Kollegiums und unter dessen Aufsicht wahr. Eurojust wird von einem Sekretariat unterstützt, das von einem Verwaltungsdirektor geleitet wird. Die Gehälter und Bezüge der nationalen Mitglieder gehen zu Lasten des jeweiligen Herkunftslandes, während die Kosten zentraler Einrichtungen (Sekretariat, Dolmetscher, Übersetzter usw.) im Haushaltsplan der Union veranschlagt sind. Der Aufbau und die Funktionsweise von Eurojust beweisen, dass die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf bestimmte Straftaten zwar enger als auf den sonstigen Gebieten ist. Sie baut jedoch weiterhin auf der Souveränität der Mitgliedstaaten auf und bleibt weit hinter den Ideen eines einheitlichen europäischen Rechtsraumes und der einer Europäischen Staatsanwaltschaft zurück. Eurojust leidet insbesondere unter zwei Schwachpunkten, die Zweifel an dessen zukünftiger Effektivität aufkommen lassen. Zunächst ist Eurojust nur in Bezug auf bestimmte Straftaten zuständig, es kommt nicht mit allen Straftaten, die einen transnationalen Bezug haben und dementsprechend zu einen Strafgewaltkonflikt führen können, in Berührung. Dadurch ist von Anfang an ausgeschlossen, dass es seine Aufgabe als Schnittstelle der justiziellen Zusammenarbeit vollständig wahrnehmen kann. Darüber hinaus kann Eurojust im Rahmen seiner Zuständigkeiten die mitgliedstaatlichen Stellen nur ersuchen; es kann seine Beschlüsse rechtlich nicht durchsetzen. Insbesondere mit Blick auf Strafgewaltkonflikte kann es ein Einverständnis bezüglich des forum choice nicht erzwingen, es kann die Mitgliedstaaten nur darum ersuchen. Da die Mitglieder von Eurojust in der Tatzeitpunkt, strafrechtliche Würdigung der Taten und Stand der Ermittlungen, j) internationale Aspekte des Falls, k) Einzelheiten über eine vermutete Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung. Hinsichtlich Zeugen oder Opfer darf Eurojust die unter a)–e) aufgelisteten Daten, sowie i) verarbeiten. Es ist auffallend, dass Einträgen der Strafregister in die Auszählung nicht aufgenommen wurden. 564 Vgl. Art. 18–23 Beschluss des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. 2002 Nr. L 63/1 vom 6.3.2002.
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Praxis hohes Ansehen genießen, wird behauptet, dass Eurojust seine Beschlüsse in der Praxis auch ohne Rechtsbindung faktisch durchsetzen kann. Aus rechtlicher Sicht wäre jedoch vorzuziehen, wenn Erojust das Recht zur Vorlage auf Vorabendscheidung enthielte.565 Dann könnte Eurojust seinen Beschluss bezüglich des für die Strafermittlung zuständigen Mitgliedstaats zur Vorabendscheidung dem EuGH vorlegen. Trotz seiner beschränkten Befugnisse befürchten einige Mitgliedstaaten, dass sich Eurojust zu einer gegenüber den nationalen Staatsanwaltschaften weisungsbefugten Euro-Behörde entwickeln könnte.566 Der Behauptung von Klip und Vervaele, die Mitgliedstaaten hätten derzeit noch große Schwierigkeiten mit der Vorstellung einer supranationalen Ermittlungseinrichtung, die über tatsächliche Ermittlungs- und Eingriffsbefugnisse verfügt,567 ist uneingeschränkt zuzustimmen. Dies scheint auch die Europäischen Verfassung zu bekräftigen, die Eurojust in Art. III-174 Abs. 3 bis auf weiteres keine operativen Befugnisse einräumt.568 4. Europäische Staatsanwaltschaft Eine auf die Bedürfnisse eines einheitlichen europäischen Rechtsraumes zugeschnittene Lösung könnte nur eine Europäische Staatsanwaltschaft bieten. Das Konzept einer Europäischen Staatsanwaltschaft wurde im Corpus Juris herausgearbeitet.569 Das Corpus Juris sieht ein einheitliches Strafrecht der Mitgliedstaaten zum Schutz der finanziellen Interessen der Union in einem prozessual einheitlichen europäischen Rechtsraum vor, um eine Strafverfolgung der in dem Entwurf enthaltenen Delikte ohne Behinderung durch innereuropäische Staatsgrenzen möglich zu machen.570 Dementsprechend beinhaltet der zweite Teil des Corpus Juris das europäische Territorialitätsprinzip, die Einführung einer europäischen Strafverfolgungsbehörde und die Regeln eines kontradiktorischen Verfahrens. 565 Vgl. den Vorschlag in: Vander Beken, Tom/Vermeulen, Gert/Steverlynck, Soetekin/Thomaes, Stefan: Finding the Best Place for Prosecution, European Study on Jurisdiction Criteria, Antwerpen 2002, S. 42. 566 Wahl, Thomas: Eurojust, Bericht zur Tagung der Europäischen Rechtsakademie vom 26. März 2001 in Trier, AGON 2001, S. 22. 567 Vervaele, John/Klip, André (Hrsg.): European Cooperation between Tax, Customs and Judicial Authorities, The Hague/London/New York 2002, S. 25. 568 Konventsdok. CONV 850/03 v. 18. Juli 2003. 569 Art. 18–24 des Corpus Juris, vgl. http://europa.eu.int/comm/anti_fraud/ green_paper/corpus/de.doc. 570 Jescheck, Hans-Heinrich: Möglichkeiten und Grenzen eines Strafrechts zum Schutz der Europäischen Union, in: H.-H. Jescheck: Beiträge zum Strafrecht 1980– 1990, Berlin 1998, S. 479.
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Gemäß dem europäischen Territorialitätsprinzip stellt die Gesamtheit der Staatsgebiete der Mitgliedstaaten der Europäischen Union für die Belange der Ermittlung, Verfolgung, Aburteilung und Strafvollstreckung einen gemeinsamen Rechtsraum dar.571 Die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rechtsraumes erfordert die Bildung einer Europäischen Strafverfolgungsbehörde, die aus einem Europäischen Generalstaatsanwalt und abgeordneten Europäischen Staatsanwälten besteht und deren Dienststellen sich in der Hauptstadt eines jeden Mitgliedstaates befinden. Eine solche Europäische Staatsanwaltschaft wäre unabhängig sowohl von den europäischen Organen als auch von den nationalen Behörden.572 Sie wäre unteilbar, was heißt, dass jede Maßnahme, die von einem ihrer Mitglieder in einem Mitgliedstaat vorgenommen würde, als solche der Europäischen Staatsanwaltschaft gölte.573 Ferner bedeutet dies, dass die Mitglieder der Europäischen Staatsanwaltschaft Amtshandlungen auf dem Territorium der gesamten EU vornehmen können und dass Haftbefehle, die Überführung von Inhaftierten und Urteile auf dem gesamten Gebiet der Europäischen Union gültig sind.574 Eine Europäische Staatsanwaltschaft ist für den Bereich der im Corpus Juris definierten Tatbestände vorgesehen. Sie nimmt in den Mitgliedstaaten alle Rechte des Ermittlungsverfahrens wahr und erteilt den nationalen Behörden insoweit Weisungen.575 Die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft würde dadurch die herkömmlichen Kooperationsmechanismen in Strafsachen wie Auslieferung und gegenseitige Rechtshilfe überflüssig machen.576 Die von dem nationalen Richter nach Frage des Europäischen Staatsanwaltschaft anordneten Haftbefehle wären nach dem Entwurf im gesamten espace judiciaire vollziehbar. Abgeurteilt wird eine Tat jedoch immer nur vom nationalen Richter, wenn auch nach europäischem Recht, das zur Ausfüllung von Lücken durch nationales Recht ergänzt werden kann. 571
Art. 18 Abs. 1 Corpus Juris, vgl. im Intenet unter http://europa.eu.int/comm/ anti_fraud/green_paper/corpus/de.doc. 572 Wie van den Wyngaert zu Recht bemerkt: The main challenge contained in this proposal is to ensure that the EPP would be sufficiently independent from both national authorities and EU authorities to perform the functions of his office. At present, it is not clear how this should be done, as the statute of national public prosecutors varies considerably from one state to another. Vgl. van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 152. 573 Art. 18 Corpus Juris, vgl. im Intenet unter http://europa.eu.int/comm/ anti_fraud/green_paper/corpus/de.doc. 574 Art. 24 Corpus Juris, vgl. im Intenet unter http://europa.eu.int/comm/ anti_fraud/green_paper/corpus/de.doc. 575 Jescheck, Hans-Heinrich: Möglichkeiten und Grenzen eines Strafrechts zum Schutz der Europäischen Union, in: H.-H. Jescheck: Beiträge zum Strafrecht 1980– 1990, Berlin 1998, S. 479. 576 van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 152.
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Die abgeordneten Europäischen Staatsanwälte werden von den mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden (jeweils Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsrichter) für eine einmal verlängerbare Dauer von fünf Jahren ernannt und beziehen ihr Einkommen von dem jeweiligen Mitgliedstaat. Aus den europäischen Zuständigkeitsnormen ergibt sich, dass die Mitglieder der Europäischen Staatsanwaltschaft, insbesondere die abgeordneten Europäischen Staatsanwälte, Wanderstaatsanwälte sind, die dazu berufen sind, von einem Mitgliedstaat zum nächsten zu ziehen, um ihre jeweiligen Aufgaben vollständig zu erfüllen. Bezüglich der Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft sieht der Entwurf vor, dass sie die Möglichkeit hat, von sich aus tätig zu werden, über die Aufnahme von Ermittlungen, die Abgabe der Verfahren an die nationalen Behörden und die Einstellung des Verfahrens zu entscheiden und einer verfahrensbeendenden Verständigung zuzustimmen.577 Von den drei letzten Alternativen zur Anklageerhebung scheint die erste etwas problematisch. Es ist nämlich leicht vorstellbar, dass eine überforderte Europäische Staatsanwalt sämtliche Verfahren gerne an die nationalen Behörden abgeben wird, was wiederum dazu führt, dass Fälle auf den Herkunftsort zurückverwiesen werden.578 Diese Möglichkeit scheint die Gefahr der Verlängerung von Verfahren in sich zu tragen. Das Corpus Juris versucht, zwischen der Amtsermittlung, bei dem die ausschließlichen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbefugnisse einer staatlichen Behörde anvertraut sind, und dem Parteiverfahren einen Ausgleich zu finden.579 Dies soll erreicht werden, indem für Handlungen, die in individuelle 577
Insoweit verfahrensbeendende Absprachen eine Ausnahme von dem Legalitätsprinzip darstellen, sind sie in denjenigen mitgliedstaatlichen Strafprozessrechten, die das Legalitätsprinzip als Handlungsmaxime ansehen, strittig. Umstritten ist z. B. im deutschen Schrifttum vor allem, in wie weit es der Zustimmung des zur Entscheidung berufenen Gerichts bedarf, das bereits nach § 153 StPO grundsätzlich die durch die verfahrensbeendende Absprache geschaffene Ausnahme von dem Legalitätsprinzip mitverantworten soll. Dies gilt freilich umso stärker bei schwerer wiegenden Rechtsverstößen, wenn also nach §§ 153a–e StPO einzustellen wäre. Vgl. Schroeder, Friedrich-Christian: Zur Rechtskraft staatsanwaltschaftlicher Einstellungsverfügungen, NStZ 96, S. 319–320. 578 White, Simone: Protection of the Financial Interests of the European Communities: the Fight against Fraud and Corruption, The Hague 1998, S. 183. 579 Die neueren Strafprozessreformen der Mitgliedstaaten bieten Beispiele für eine Übereinstimmung zwischen dem akkusatorischen und dem inquisitorischen System. Das Vereinigte Königreich, das sich traditionell auf das akkusatorische System stützt, hat Einrichtungen geschaffen, die zur öffentlichen Strafverfolgung befugt sind; gleichzeitig ersetzten die Länder mit inquisitorischem System den Untersuchungsrichter durch einen für die Grundfreiheiten zuständigen Richter, der als unabhängiger Schiedsrichter über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der anklageerhebenden Partei wachen soll. Grundlegend dazu Delmas-Marty, Mireille: Toward a Euro-
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Rechte des Zeugen oder Angeklagten eingreifen, die Genehmigung eines unparteiischen und unabhängigen Richters (juge d’instruction) verlangt wird.580 Sobald das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, entscheidet der Europäische Staatsanwalt, entweder die Ermittlungen einzustellen oder Anklage zu erheben. Falls Anklage erhoben wird, läuft das Verfahren vor dem zuständigen nationalen Gericht weiter und die Europäische Staatsanwaltschaft vertritt die Anklage. Aufbauend auf das Corpus Juris hat die Kommission einen Vorschlag vorbereitet, die notwendige primärrechtliche Ermächtigungsgrundlage zur Einrichtung eines „Amts eines europäischen Staatsanwalts“ zu schaffen.581 Als Vertragsänderung wurde die Einführung von Art. 280A angestrebt, der die Einrichtung eines in sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit agierenden, auf sechs Jahre bestellten Europäischen Staatsanwalts zur Verfolgung der Straftaten gegen die finanziellen Interessen der EG und für alle weiter notwendigen Vorschriften vorsieht und der lediglich ein auf eine qualifizierte Mehrheit angewiesenes Gesetzgebungsverfahren verlangt. Der Vorschlag wurde der Regierungskonferenz in Nizza unterbreitet, von dieser aber nicht behandelt. Daraufhin hat aber die Kommission ein Jahr später ein Grünbuch vorgelegt, das im Wesentlichen die Gedankengänge des Corpus Juris aufgreift und das erklärte Ziel verfolgte, nach Einholung von Stellungnahmen und Durchführung einer öffentlichen Anhörung im Laufe des Jahres 2002 anschließend im Jahr 2003 Schlussfolgerungen vorzulegen und ggf. einen neuen Beitrag zu erbringen.582 Mittlerweile sieht indes Art. III-175 der Europäischen Verfassung die Möglichkeit vor, Eurojust in eine spätere Europäische Staatsanwaltschaft zu überführen.583 pean Model of the Criminal Trial, in: M. Delmas-Marty: The Criminal Process and Human Rights, The Hague 1995, S. 191–198. 580 Nach den Erläuterungen der Autoren sollen durch die Verlagerung der Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen von der nationalen auf die europäische Ebene die Probleme im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Ausgestaltung von Opportunitäts- und Legalitätsprinzip in den Mitgliedstaaten gelöst werden. Dagegen spricht jedoch, dass die Verurteilung weiterhin von den nationalen Gerichten erfolgt. Es ist nicht absehbar, wie die Unterschiede in Verurteilung aufgehoben werden. Vgl. White, Simone: Protection of the Financial Interests of the European Communities: the Fight against Fraud and Corruption, The Hague 1998, S. 183. 581 Mitteilung der Kommission – Ergänzender Beitrag der Kommission zur Regierungskonferenz über die institutionellen Reformen zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft: das Amt eines europäischen Staatsanwalts, KOM (2000) 608 endg. 582 Zur Entstehungsgeschichte und Inhalt des Grünbuchs vgl. Brüner, H./Spitzer, H.: Der Europäische Staatsanwalt – ein Instrument zur Verbesserung des Schutzes der EU-Finanzen oder ein Beitrag zur Verwirklichung eines Europas der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, NStZ 2002, S. 393–398. 583 Konventsdok. CONV 850/03 v. 18. Juli 2003.
§ 9 Entwicklungstendenzen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit 219
§ 9 Entwicklungstendenzen in der Europäischen Union im Bereich der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen Als Zusammenfassung von § 3–§ 8 werden nun die neuen Aspekte der internationalen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten in Strafsachen beleuchtet. Die derzeitige und zukünftige Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen bestimmt in der Europäischen Union den Ausbau eines einheitlichen europäischen (Straf-)Rechtsraumes. Dies wird im politisch bedeutsamen Grünbuch der Kommission zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft584 aufgegriffen und erörtert. Der einheitliche europäische Rechtsraum verwirklicht das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, wonach mitgliedstaatliche Strafentscheidungen im ganzen Gebiet der Europäischen Union gelten und entsprechend unverzüglich, also ohne weitere Formalitäten, zu vollstrecken sind. Hinzutreten soll auf der institutionell-organisatorischen Seite eine Europäische Staatsanwaltschaft, die Strafermittlungen in grenzüberschreitenden Fällen koordiniert und leitet. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung fand bereits seinen Eingang in die Dokumente des Dritten Pfeilers und bewirkte fundamentale Änderungen im Bereich der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union. In Zukunft ist mit der breiteren Anwendung dieses Prinzips und demzufolge mit weiteren Umgestaltungen zu rechnen. Ein Durchbruch lag bereits in der Abschaffung des förmlichen Auslieferungsverfahrens und seiner Ersetzung durch das Übergabeverfahren. Wie die Kommission im Vorfeld des Erlasses des Europäischen Haftbefehls angedeutet hat, führt die Umsetzung der gegenseitigen Anerkennung unausweichlich dazu, dass langfristig „Auslieferungsverfahren nicht mehr erforderlich sind, wenn in einem Mitgliedstaat getroffene Entscheidungen einfach in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden.“585 Ähnlich revolutionär kann gegenseitige Anerkennung für die sonstige Rechtshilfe wirken. Sollten die Mitgliedstaaten ihre im Laufe der Ermittlungen erlassenen Anordnungen und sonstigen Entscheidungen gegenseitig anerkennen, machte dies ein Rechtshilfeersuchen überflüssig. 584 Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg. 585 Auslieferung, Arbeitspapier, Europäische Kommission, Generaldirektion Inneres und Justiz, 15 März 2001, JAI/B/3/TL D 2001.
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Teil 1: Die strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union
Die konsequente Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dürfte die Bedeutung der im bestehenden Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen agierenden administrativen/politischen Ebene voll ausgrenzen. Dies würde zugleich die historische Entwicklung der Verrechtlichung der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen vollenden. Die Verrechtlichung bezieht sich auf den Prozess, der die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen zunehmend von politischen Einflüssen befreit und stattdessen auf eine rechtliche Basis stellt. Dies nahm geschichtlich mit den nationalen Kodifikationen des Rechts der Auslieferung und der Rechtshilfe seinen Anfang,586 in deren Rahmen die besprochenen klassischen Voraussetzungen und Hindernisse der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit ausgearbeitet wurden. Die Betrachtung der Entwicklung dieser Voraussetzungen und Hindernisse zeigt eindeutig eine Entbürokratisierung in der Europäischen Union.587 Am Ende dieses Prozesses könnte das auf tradierten Prinzipien strafrechtlicher Zusammenarbeit basierende Bewilligungsverfahren abgeschafft werden. Diese Zukunftsperspektive gilt jedoch mit Einschränkungen, die bereits der Europäische Haftbefehl verdeutlicht. Die politische bzw. administrative Entscheidungsebene, die aufgrund der klassischen Prinzipien die Zusammenarbeit auch im Fall richterlicher Stattgabe schlussendlich verweigern kann, wird zwar ausgeschaltet, gleichwohl wird aber die Prüfung dieser Prinzipien, soweit sie noch vorgesehen ist, sowie die Prüfung des ordre public Vorbehaltes in die Hand der Justiz gelegt. Damit verlagert das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung die Entscheidung von der Justizverwaltung auf die Richter. Die damit erfolgte Justizialisierung der strafrechtlichen Zusammenarbeit ist wohl grundsätzlich als positiv zu werten, weil die letzte Entscheidung über die Kooperation bei der Justiz bleibt. Anderseits zeigen der Europäische Haftbefehl, die Initiative betreffend die Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheidungen sowie die Zuständigkeitsregelung von Eurojust, dass die Mitgliedstaaten zur Durchsetzung des Anerkennungsprinzips nur dann bereit sind, wenn dies auf bestimmte schwerwiegende Delikte begrenzt wird. Dass die gegenseitige Anerkennung keineswegs generell angewendet werden soll, verdeutlichen die unterschiedlichen Straftatenkataloge, die in den genannten Instrumenten enthalten sind. Ohne die dogmatische Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten dieser Straftatenkataloge hier zu wiederholen (dazu bereits unter § 5 II), soll eher ihre strafpolitische Bedeutung hervorgehoben werden. 586
Nachweise bei Vogel, Joachim in: Grützner/Pötz: IRG-Kommentar, 2001, Band I, Rdnr. 7142. 587 Kritisch dazu Gleß, Sabine: Brauchen neue Vollzugsräume neue Kontrollformen?, ZStW 2002, S. 653.
§ 9 Entwicklungstendenzen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit 221
Die Straftatenkataloge dürften ein Zeichen dafür sein, dass die europäische Integration im Strafrechtsbereich in bestimmter Hinsicht dem dezentralen Strafrechtsmodell der Vereinigten Staaten folgen könnte. Während die Einzelstaaten in den USA über eigene materielle und prozessuale Strafrechte verfügen, die von Landesgerichten angewandt werden, hat sich auch ein Bundesstrafrecht mit eigenen Bundesgerichten entwickelt.588 Die Katalogstraftaten könnten zu einem Art „Bundesstrafrecht“ weiterentwickelt werden. Dies bestätigt auch der Umstand, dass viele der Katalogstraftaten bereits von der Europäischen Union harmonisierte Tatbestände sind. Eine solche Entwicklung benötigt aber den entsprechenden verfassungsrechtlichen Hintergrund, den zukünftig Art. III-172 der Europäischen Verfassung in Form von europäischen Strafgesetzen und europäischen Rahmenstrafgesetzen gewährleisten könnte.589 Obwohl die endgültige Form eines einheitlichen europäischen Rechtsraumes noch ungewiss ist, sind hierzu bereits vielfältige Beiträge zu verzeichnen. Im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ist insbesondere auf drei Vorgänge hinzuweisen. Zum einen werden die rechtlichen Voraussetzungen der Übergabe und der sonstigen Rechtshilfe aufeinander abgestimmt. Zum anderen setzt sich in der Europäischen Union – so Kilp und Vervaele590 – ein übergreifender (transprocedural) Ansatz durch, der am Übergang zwischen Rechtshilfe, polizeilicher Zusammenarbeit und zollbehördlicher Zusammenarbeit nachzuweisen ist. Schließlich treten neben die traditionelle horizontale Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen auch vertikale Kooperationsformen. Die Anpassung der rechtlichen Voraussetzungen der Übergabe und der sonstigen Rechtshilfe erfolgt im Zusammenhang mit der fortschreitenden Zurückdrängung klassischer Prinzipien der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Sollte beispielsweise eine von diesen Voraussetzungen für die Übergabe aufgehoben oder beschränkt werden, ist es folgerichtig, die gleiche Einschränkung oder Aufhebung auch für die sonstige Rechtshilfe vorzunehmen. So wird z. B. das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit oder politische und fiskalische Straftaten im Übergabeverfahren und im Rechtshilferecht auf die gleiche Weise gehandhabt. In einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sollten sowohl die an der Zusammenarbeit beteiligten Behörden sowie die durch die Zusam588 Zu den Strafrechtsmodellen grundlegend Sieber, Ulrich: Memorandum für ein Europäisches Strafgesetzbuch, JZ 1997, S. 372 ff. 589 Ausführungen dazu bereits in § 1 III. 590 Vervaele, John/Klip André (Hrsg.): European Cooperation between Tax, Customs and Judicial Authorities, The Hague/London/New York 2002, S. 17.
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menarbeit Betroffenen mit überschaubaren, möglichst einheitlichen Kriterien rechnen können. Gegenwärtig bleibt die Europäische Union noch hinter diesem Erfordernis zurück. Die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen ist immer noch durch das geschilderte Netz von Verträgen geregelt, das einem Vertragschaos gleicht. Im Zuge der justiziellen Integration bemühen sich jedoch die Mitgliedstaaten und der Europäische Rat, die rechtlichen Grundlagen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen in Rahmenbeschlüssen weiterzuentwickeln und zu konsolidieren. Diese Rahmenbeschlüsse treten in der Regel an die Stelle des bislang bestehenden acquis und heben ihn auf. Dieser Konsolidierungsprozess schafft in Bezug auf die rechtlichen Voraussetzungen der Zusammenarbeit eindeutig mehr Rechtssicherheit, obwohl die Texte der Rahmenbeschlüsse oft Ergebnis von Kompromissen darstellen und juristisch wenig ausgereift sind. Solange es noch keinen einheitlichen europäischen Rechtsraum gibt, kommt insbesondere dem übergreifenden-Ansatz in der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen große Bedeutung zu. Dies umschreibt den Umstand, dass in die Ausführung der Rechtshilfe neben der mitgliedstaatlichen Justiz auch die Polizei und die Finanzverwaltung sowie einige supranationale Institutionen (OLAF, Eurojust und vor allem Europol) miteinbezogen werden, wodurch sich die klaren Trennlinien zwischen internationaler Rechtshilfe, polizeilicher Zusammenarbeit und administrativer Zusammenarbeit verwischen. Ein Beispiel dafür bietet die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen. Letztere setzen sich aus Vertretern der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zusammen. Als zuständige Behörden gelten neben den Justizbehörden auch die Polizei und die Finanzverwaltung. Darüber hinaus ist die Beteiligung von Europol und OLAF an gemeinsamen Ermittlungsgruppen vorgesehen. Die so errichtete gemeinsame Ermittlungsgruppe besteht also aus Strafverfolgungsbeamten (Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern), Polizisten, Zollfahndern sowie Mitgliedern von Europol und OLAF. Die Erweiterung des Kreises der an der Rechtshilfe beteiligten Organe hat zur Folge, dass anders als im traditionellen Rechtshilferecht beim übergreifender-Ansatz eine strikte Unterscheidung zwischen ersuchendem und ersuchtem Staat nicht mehr vorgenommen wird. So wird es in Theorie und Praxis immer schwieriger, Rechtshilfe von polizeilicher bzw. von zollbehördlicher Zusammenarbeit zu unterscheiden; es gibt sogar Stimmen im Schrifttum, die die Daseinsberechtigung dieser Abgrenzung insgesamt in Frage stellen.591 591 Schutte, Julian: Administrative and Judicial Co-operation in the Fight against EC Fraud, in: M. S. Groenhuijsen/M. I. Veldt (Hrsg.): The Dutch Approach in Tackling EC Fraud, The Hague London 1995, S. 129.
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Traditionell versteht man unter internationaler Rechtshilfe in Strafsachen diejenigen Normen, welche die Unterstützung eines anderen Staates in strafrechtlichen Angelegenheiten zum Gegenstand haben. Von institutioneller Seite gesehen waren das die Normen, die die Kooperation zwischen Justizbehörden im Rahmen der Strafermittlung oder der gerichtlichen Verhandlung bestimmten. Dies entsprach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung vieler Mitgliedstaaten, wonach die Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten in die Zuständigkeit der Justiz fällt.592 Im Unterschied dazu versteht man unter polizeilicher Zusammenarbeit die Kooperation zwischen den Polizeikräften der Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Die Unterscheidung zwischen Rechtshilfe und polizeilicher Zusammenarbeit folgt aus dem Umstand, dass polizeiliche Kooperation nicht notwendiger Weise Teil der Strafermittlung ist, während Rechtshilfe immer die Förderung solcher Ermittlungen zum Zweck hat.593 Polizeiliche Zusammenarbeit dient oft der Prävention von Straftaten, während Rechthilfe traditionell voraussetzt, dass eine Straftat bereits begangen wurde. Heutzutage entwickelt sich die polizeiliche Zusammenarbeit jedoch mehr und mehr in Richtung vorbeugender Verbrechensbekämpfung (proactive policing), weswegen die strafrechtliche Rechtshilfe auch vor Begehung einer Tat geleistet werden kann. Demzufolge trifft heute nicht mehr zu, dass die strafrechtliche Rechtshilfe im Verhältnis zur Tat immer rückwirkend ist. Gerade aus diesem Grund ist eine Abgrenzung polizeilicher Zusammenarbeit und strafrechtlicher Rechtshilfe in der Praxis schwierig. In Anbetracht des Umstandes, dass das Rechtshilfeübereinkommen der Europäischen Union die Unterscheidung zwischen justizieller Rechtshilfe und polizeilicher Zusammenarbeit sogar aufhebt, lässt sich sagen, dass dieser Unterscheidung heutzutage nur noch beschränkte Bedeutung zukommt. Das Gleiche gilt für die Abgrenzung zwischen strafrechtlicher Rechtshilfe und administrativer Zusammenarbeit. Letztere bezieht sich auf die Kooperation zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung und Anwendung bestimmter Verwaltungsmaßnahmen der EG. Viele der hier in Frage kommenden Verwaltungsbehörden haben ihre Existenz dem EG-Recht zu verdanken, da sie oft die Aufgabe haben, die An592
Auch soweit der Polizei die Ausübung rechtshilferechtlicher Befugnisse übertragen wurde, verbleibt die Rechtshilfe z. B. in Deutschland bei der Staatsanwaltschaft. Siehe Schomburg, Wolfgang: Internationale polizeiliche Zusammenarbeit aus der Sicht der Justiz, in: M. Baldus/M. Soiné: Rechtsprobleme der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit, Baden-Baden 1999, S. 186. 593 van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy: Mutual Legal Assistance in criminal matters in the European Union, in: J. Dugard/C. van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, Dathmouth 1996, S. 291.
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wendung von EG-Normen im jeweiligen Mitgliedstaat zu überwachen. Ein Teil dieser Aufgaben zielt auf die Sammlung von Informationen über Unregelmäßigkeiten bei der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts ab. Dabei verfügen diese Behörden oft auch über Sanktionsmöglichkeiten, die aber außerhalb des Bereichs strafrechtlicher Sanktionen fallen. Sollten administrative Behörden Unregelmäßigkeiten bei der Anwendung oder Durchsetzung des EG-Rechts entdecken, die eine Straftat verwirklichen, dann müssen sie die Behandlung dieser Unregelmäßigkeiten den Strafjustizbehörden übertragen. Jedoch ist eine institutionelle Abgrenzung (d.h., dass Rechtshilfe durch die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte, Amtshilfe hingegen von den Verwaltungsbehörden wahrgenommen wird) nicht immer klar, da die Aufsichts- und Regulierungsbehörden in den meisten Mitgliedstaaten die Aufgabe, in manchen Fällen sogar die Verpflichtung, haben, Verstöße gegen das Recht aufzudecken und zu ermitteln. Bei derartigen Ermittlungen üben die Verwaltungsbehörden polizeiliche Aufgaben aus. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen dem Rechtshilferecht und der administrativen Zusammenarbeit neben der institutionellen Abgrenzung liegt in ihren unterschiedlichen Zwecken: Rechtshilfe in Strafsachen dient grundsätzlich justiziellen Zwecken (die Vornahme bestimmter Amtshandlungen für die Unterstützung der Strafermittlung oder der gerichtlichen Verhandlung) während Amtshilfe administrativen Zwecken (d.h., der Ermöglichung oder Erleichterung der Durchführung der Aufgaben einer Verwaltungsbehörde)594 dient. Daraus folgt, dass Rechtshilfe eigentlich nicht für administrative Zwecke (miss-)braucht und umgekehrt, dass Amtshilfe nicht für justizielle Zwecke benutzt werden sollte.595 Im Gegensatz zu diesem Grundsatz entwickelt sich die Zusammenarbeit in der Europäischen Union zu einem Übergang von Rechtshilfe zu Amtshilfe und umgekehrt. Aufgrund der Amtshilfeverordnung kann administrative Zusammenarbeit auch in den Fällen benutzt werden, wo der Verdacht einer Straftat besteht596 und die Beweise, die im Rahmen der administrativen Zusammenarbeit erbracht wurden, auch im Strafverfahren verwendet werden können.597 Wenn keine Zwangsmaßnahmen erforderlich sind, kann 594
Creifelds, Carl: Rechtswörterbuch, 12. Aufl., München 1994, S. 43. Schutte, Julian: Administrative and Judicial Co-operation in the Fight against EC Fraud, in: M. S. Groenhuijsen/M. I. Veldt (Hrsg.): The Dutch Approach in Tackling EC Fraud, The Hague London 1995, S. 128. 596 Klip und Vervaele verweisen auf die Entscheidung des Hooge Raad vom 28.3.2000. Vgl. Vervaele, John/Klip André (Hrsg.): European Cooperation between Tax, Customs and Judicial Authorities, The Hague/London/New York 2002, S. 48 ff. 597 Art. 3 der Verordnung Nr. 515/97: „Beschließen die Behörden eines Mitgliedstaats, aufgrund eines Ersuchens um Amtshilfe [. . .] Maßnahmen zu treffen, die Ele595
§ 9 Entwicklungstendenzen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit 225
also Rechtshilfe sowohl de jure als auch de facto durch administrative Zusammenarbeit umgangen werden.598 Einer der Einwände gegenüber der Strafpolitik der Europäischen Union besteht genau darin, dass sie die Garantien der strafrechtlichen Rechtshilfe dadurch umginge, dass sie die traditionell der Justiz zugeordneten Aufgaben auf die Polizei bzw. auf Verwaltungsbehörden umlegt. Polizeiliche Zusammenarbeit wird von vielen gerade deswegen als effektiver angesehen, da die für die Rechtshilfe üblichen materiell- und verfahrensrechtlichen Regeln nicht beachtet werden müssen.599 Diese im Schrifttum auch als Verpolizeilichung der internationalen Zusammenarbeit bezeichnete Entwicklung ist unter zwei Gesichtspunkten bedenklich. Einmal ist zu betonen, dass die allgemein anerkannten Menschenrechte in der strafrechtlichen, polizeilichen und administrativen Zusammenarbeit in unterschiedlichem Maße beachtet werden müssen, weswegen es auch aus Sicht der Menschenrechte nicht gleichgültig ist, welche Kooperationsform benutzt wird.600 Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass polizeiliche Zusammenarbeit häufig auf informellen Wegen erfolgt. Selbst bei zunehmender rechtlicher Regelung der polizeilichen Zusammenarbeit ist davon auszugehen, dass sich diese im Unterschied zur förmlichen Rechtshilfe ihrer Natur folgend immer eine gewisse Informalität bewahren wird. Die negativen Auswirkungen des gegenwärtigen Übergewichts der Polizei und der Finanzverwaltung gegenüber der Justiz bei der Ausführung der Rechtshilfe könnten durch den Ausbau supranationler Justizorgane übermente erhalten, die nur mit Genehmigung oder auf Antrag der Justizbehörde durchgeführt werden können, so ist im Rahmen der in dieser Verordnung vorgesehenen Verwaltungszusammenarbeit folgendes zu übermitteln, (a) die Auskünfte über die Anwendung der Zoll- und Agrarregelung, die diese Behörden einholen, oder zumindest, (b) die wesentlichen Elemente der Akten, die die Unterbindung betrügerischer Praktiken erlauben.“ Vgl. Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und Agrarregelung zu gewährleisten, ABl. 1997 Nr. L 82/1 vom 22.3.1997, S. 5. 598 Art. 12, 16 und 21(2) Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und Agrarregelung zu gewährleisten, ABl. 1997 Nr. L 82/1 vom 22.3.1997. 599 Perron, Walter: Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren, ZStW 2000, S. 208. 600 Grundlegend dazu de Doelder, Hans: Boundaries between Administrative and Judicial Investigation, in: J. Vervaele (Hrsg.): Transnational Enforcement of the Financial Interests of the European Union, Antwerpen/Groningen/Oxford 1999, S. 34 ff.
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Teil 1: Die strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union
wunden werden. Diese könnten die Tätigkeit der Polizei und der Finanzverwaltung kontrollieren und selber direkt bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität mitwirken. Schließlich ist zu erwähnen, dass mit dem Fortschritt der institutionellen Verwirklichung des einheitlichen europäischen Rechtsraumes neben die und anstelle der horizontalen Kooperation der Mitgliedstaaten die vertikale Kooperation zwischen den mitgliedstaatlichen und den supranationalen Behörden tritt. Während sich das Adjektiv „horizontal“ auf die Gleichordnung der Mitgliedstaaten im Sinne traditioneller Zusammenarbeit bezieht, signalisiert „vertikal“ ein hierarchisches Verhältnis zwischen den supranationalen und den mitgliedstaatlichen Behörden. Im Ersten Pfeiler, insbesondere im Kartellrecht, hat sich eine vertikale Kooperation bereits weitgehend durchgesetzt. Im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit werden jedoch nur erste Bausteine einer vertikalen Kooperation gelegt. Die bestehenden europäischen Ermittlungsbehörden üben in den Mitgliedstaaten zur Zeit noch keine operativen Ermittlungsbefugnisse aus. Art. 30 Abs. 2 EUV sieht jedoch vor, dass Europol innerhalb von 5 Jahren nach In-Kraft-Treten des Amsterdamer Unionsvertrags – also spätestens bis zum 30.4.2004 – Ermittlungsverfahren der mitgliedstaatlichen Behörden nicht nur logistisch, sondern auch operativ unterstützen und ein Initiativrecht für strafrechtliche Ermittlungen in den Mitgliedstaaten erhalten soll.601 Ebenso wird gefordert, auch OLAF mit operativen Befugnissen auszustatten. Sollten die europäischen Ermittlungseinrichtungen in der Zukunft tatsächlich operative Aufgaben wahrnehmen, könnte sich die vertikale Kooperation durchsetzen.
601 Art. 30 II a–b EUV. Zur Zeit kann Europol auf verlangen der Mitgliedstaaten, diese operativ unterstützen.
Teil 2
Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte § 10 Maastricht – ein Wendepunkt Der Maastrichter Unionsvertrag löste eine intensive wissenschaftliche und politische Debatte über die Rolle des Strafrechts im europäischen Integrationsprozess aus. Den Brennpunkt der Diskussion bildet hier die die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte. In diesem Abschnitt sollen die historischen und strafpolitischen Hintergründe der Strafrechtsharmonisierung geschildert werden. Bis Maastricht beschäftigte sich die europäische Strafrechtswissenschaft nahezu ausschließlich mit der Frage, ob die Gemeinschaft ihre fehlende Strafrechtskompetenz durch Verwaltungssanktionen kompensieren darf. Seit Maastricht lautet die Frage, ob sie es überhaupt kann. Natürlich ist diese Aussage eine grobe Vereinfachung der tatsächlichen Ereignisse. In Wirklichkeit sind Ursache und Wirkung viel stärker verschachtelt. Zunächst geht sowohl die Frage nach dem Dürfen als auch die nach dem Können auf den rasch zunehmenden Ausbau des Binnenmarkts seit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 zurück. Der Binnenmarkt erforderte die vollständige und einheitliche Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts und brachte damit die Freizügigkeit des einzelnen Marktbürgers. Einige Strafrechtler warnten, die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere Bußgelder in nie gekannter Höhe, wirke bisweilen wie Strafe und verlange nach entsprechenden prozessualen Garantien. Zugleich wiesen sie darauf hin, dass für den Schutz der neu formulierten Rechtsgüter der Gemeinschaft neue Straftatbestände im nationalen Recht geschaffen werden müssten.1 Andere Strafrechtler warnten vor den Konsequenzen der Freizügigkeit, die auch den Verbrechern zu grenzüberschreitender Mobilität verhülfe.2 Es stellte sich die Frage, ob die Gemeinschaft zu verwaltungs1 Hierzu Oehler, Dietrich: Fragen zum Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft, in: T. Vogler (Hrsg.): Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag, Berlin 1985, S. 1399; Tiedemann, Klaus: Der Strafschutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft, NJW 1990, S. 229; Zuleeg, Manfred: Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration, JZ 1992, S. 765.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte
strafrechtlichen Maßnahmen greifen dürfe bzw. wie sie der Internationalisierung der Kriminalität effektiv entgegentreten könne. Der Erlass der Verordnung über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften3 von 1995 hat einen Endpunkt der ersten Debatte gesetzt. Sie stellte für alle Bereiche der Gemeinschaftspolitik einen gemeinsamen Rahmen der administrativen Sanktionen und gab damit einen „Allgemeinen Teil“ des gemeinschaftsrechtlichen Verwaltungsstrafrechts vor.4 Das zweite Argument hatte bereits auf die Ausgestaltung des Unionsvertrages starken Einfluss ausgeübt und trug schließlich zur Einrichtung des Dritten Pfeilers bei. Durch die Bestimmungen über die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres wurde es möglich – wenn auch weiterhin nur auf intergouvernementaler Basis – ausdrücklich über Strafrechtsharmonisierung zu sprechen. Somit markierte der Maastrichter Vertrag einen Wendepunkt: Von da an ging es nicht mehr darum, ob die Gemeinschaft ihre fehlende Strafrechtskompetenz durch den Zugriff auf Verwaltungssanktionen kompensieren kann oder darf, sondern vielmehr um die Modalitäten einer echten Strafrechtsharmonisierung. Diese klare Änderung des Inhalts und Schwerpunkts der politischen und wissenschaftlichen Diskussion kann im Schrifttum der letzten fünfzehn Jahre plastisch nachvollzogen werden. Ein wesentlicher Teil der Abhandlungen über die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte aus der Periode zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er Jahre hat sich mit den Auswirkungen des EG-Rechts auf das nationale Strafrecht befasst und konzentrierte sich stets auf das EG-Sanktionsrecht.5 Im Hintergrund der Dis2 So Sieber, Ulrich: Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, ZStW 1991, S. 963; Delmas-Marty, Mireille: Union Européenne et droit pénal, in: Collected courses of the Academy of European Law, 1997, Band VIII-1., S. 637 ff. 3 Verordnung des Rates Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. L 312/1 vom 18.12.1995. 4 So zuletzt Satzger, Helmut: Auf dem Weg zu einem Europäischen Strafrecht, ZRP 2001, S. 550. 5 So bereits 1953 Jescheck, Hans-Heinrich: Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, ZStW, 1953, S. 496. Aus der reichhaltigen internationalen Literatur Oehler, Dietrich: Fragen zum Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft, in: Theo Vogler (Hrsg.), Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag, Berlin 1985, S. 1399 ff.; Grasso, Giovanni: Communitá Europee e diritto penale, Milano 1989; Tiedemann, Klaus: Der Strafschutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft, NJW 1990, S. 226 ff.; Jescheck, Hans-Heinrich: Möglichkeiten und Probleme eines europäischen Strafrechts, Festschrift für Jhong-Won Kim, Seoul 1991, S. 947 ff.; Sevenster, Hanna: Criminal Law and EC Law, CMLRev. 1992, S. 29 ff.; Vervaele, John: Fraud against the Community. The Need for European Fraud Legislation, Deventer 1992; Tesauro, Guiseppe: La sanction des infractions au droit communautaire, Bericht zum XV. FIDE Kongreß, 1992; Zuleeg, Manfred: Der Beitrag
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kussion stand die durch die Umstellung von der Fremd- auf die Eigenfinanzierung begründete finanzielle Autonomie der Gemeinschaft, die nach einem effektiven Schutz verlangte. Dies erforderte wiederum eine Analyse der theoretischen Grundlagen der Sanktionskompetenz der Gemeinschaften und die Aufstellung eines Systems der Gemeinschaftssanktionen. Der Kern der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen bezog sich auf die Prüfung des Strafcharakters gemeinschaftsrechtlicher Sanktionen und auf die Enthüllung der oft versteckten Wechselwirkung von Strafrecht und Europarecht. Diese Arbeiten haben einen wertvollen Beitrag zu der funktionellen Systembildung der punitiven Verwaltungssanktionen geleistet6 und lenkten die Aufmerksamkeit der Strafrechtler auf das Europarecht und deren Einflüsse auf das nationale Strafrecht.7 Zwar erschienen noch bis Ende der 90er Jahre europaweit Studien über die Sanktionskompetenzen der Gemeinschaft,8 doch war die Situation durch die Verordnung zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften sowie durch ex Art. 209 EGV bereits geklärt. des Strafrechts zur europäischen Integration, JZ 1992, S. 761 ff.; Delmas-Marty, Mireille: Rapport Final – Etude Comparative des dispositions législatives, réglementaires des états members relatives aux agissements frauduleux commis au préjudice du budget communautaire – un rapport de synthése, étude sur les systèmes de sanctions communautaires (1994), SEC 1994(93), OOPEC; Vogel, Joachim: Die Kompetenz der EG zur Einführung supranationaler Sanktionen, in: G. Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, Köln 1993, S. 175 ff.; Pache, Eckhard: Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Berlin 1994; Dannecker, Gerhard: Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft, in: A. Eser/B. Hubner (Hrsg.): Strafrechtsentwicklung in Europa – 4. Teil 3., Freiburg im Breisgau 1995, S. 1990–2046; Labayle, Henri: L’application du titre VI du Traité sur l’Union européenne et la matière pénale, Rev.sc.crim. 1995, S. 35 ff.; Swart, Bert: From Rome to Maastricht and beyond: The Problem of Enforcing European Community Rules, in: C. Harding/B. Swart (Hrsg.): Enforcing European Community Rules, Dartmouth 1996, S. 1 ff. 6 Bestandsaufnahmen bei Böse, Martin: Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Studien zum Internationalen Wirtschaftsrecht und Atomenergierecht, Köln 1996; Heitzer, Anne: Punitive Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Schriften zum gesamten Wirtschaftsstrafrecht, Band 25., Heidelberg 1997. 7 So bereits Tiedemann, Klaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, S. 23 ff. Eingehend Göbblingshoff, Stefan: Die Verpflichtungen des deutschen Strafgesetzgebers zum Schutz der Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Schriften zum gesamten Wirtschaftsstrafrecht, Heidelberg 1996 und Bernardi, Alessandro: Vers une européanisation du droit pénal des affairs? Limites et perspectives d’un ius commune criminale, Rev.dr.pén.crim. 1997, S. 405–457. 8 Lenaerts, Koen: Sanktionen der Gemeinschaftsorgane gegenüber natürlichen und juristischen Personen, Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Vorträge und Berichte Nr. 72, Bonn 1997; Asp, Petter: EG:s sanktionsrätt. Ett strafrättsligt perspektiv, Uppsala, 1998.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte
Die Nach-Maastricht-Ära, insbesondere der Zeitraum seit 1996, ist vielmehr von der expliziten Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte dominiert. Gleichwohl ist anzumerken, dass der Begriff Harmonisierung hier ein terminus technicus der Strafrechtswissenschaft ist und nicht dem Vertragstext entnommen wurde.9 Das Gemeinschaftsrecht spricht anstelle von Harmonisierung von der „Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“ (Art. 94 EGV), während das Unionsrecht die Bezeichnung „Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten“ (Art. 29 Abs. 2) verwendet. Im Unterschied zum Vertragstext wurde der Begriff Harmonisierung in der Strafrechtswissenschaft entwickelt um den Zustand zu umschreiben, der über die bloße Assimilierung hinausgeht, ohne bereits eine Vereinheitlichung darzustellen. Dabei steht Assismilierung für den Prozess, der verlangt, dass die Mitgliedstaaten die Gemeinschaftsinteressen wirksam und strafrechtlich jedenfalls wie die entsprechenden nationalen Interessen schützen.10 Die Assimilierung von Normen belässt aber die Regelung eines bestimmten Verhaltens von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich und gewährleistet somit keine „Annäherung“ oder „Angleichung“. Am anderen Ende des Spektrums steht Vereinheitlichung, die sinngemäß die Annahme einheitlicher Normen bedeutet. Zwischen diesen beiden Alternativen liegt die Harmonisierung, deren Ziel in der Abschaffung nur der größten Unterschiede mitgliedstaatlicher Normen liegt, ohne identische Regeln vorzugeben. Was Harmonisierung im Kontext des Strafrechts bedeutet, verdeutlicht Art. 31(e) EUV, der von Mindestvorschriften spricht. Damit ist gemeint, dass in allen Mitgliedstaaten eine Mindeststrafbarkeit geschaffen werden soll, in dem Mindestanforderungen an das nationale Strafrecht gerichtet werden, die vom nationalen Gesetzgeber umgesetzt werden müssen.11 Ursprünglich stand hinter der Strafrechtsharmonisierung die klare Absicht der Kommission, den supranationalen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere deren finanziellen Interessen, einen wirksamen Schutz auch mittels des Strafrechts zu sichern. Inzwischen erweiterte sich aber der Ansatz der Kommission, ausgehend von dem anfangs angestrebten Schutz der finanziellen Interessen auf sämtliche weitere Bereiche des Besonderen Teils des Strafrechts und umfasst z. B. Menschenhandel, Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie, Umweltstrafrecht, Cyber-Kriminalität, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit. Dabei traten die Konturen einer europäischen Strafpolitik immer stärker hervor.12 9 Vogel, Joachim: Harmonisierung des Strafrechts in der Europäischen Union, GA 2003, S. 315. 10 Näher dazu in § 11 I 3 a. 11 Näher dazu in § 15. 12 Dazu bereits in der Einführung.
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Während die Strafrechtswissenschaft den sehr pragmatischen Ansatz der Kommission zum Teil skeptisch begleitet,13 hat sich immerhin die gemeinsame Erkenntnis durchgesetzt, dass die veränderten sozioökönomischen Verhältnisse sowie die Internationalisierung von Straftaten eine verstärkte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Kriminalitätsbekämpfung verlangt. Der begrenzte Anwendungsbereich nationalen Rechts, unterschiedliche materiellrechtliche Konzepte, divergierende Verfahrensrechte sowie konkurrierende und wechselnde Zuständigkeiten führten zu Glaubwürdigkeitsverlust und Wirkungslosigkeit von Strafnormen.14 Dass sich die Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher Freizügigkeit und nationalem Strafrechtssystem bewusst ausnutzen lässt, dass es sogar Staaten gibt, die ihre Attraktivität durch gezielte Unterregulierung steigern wollen, ist weitgehend bekannt. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine Diskussion über die Rolle des Strafrechts bei der europäischen Integration, an der sich prominente europäische Strafrechtler, Vertreter der mitgliedstaatlichen Justizverwaltungen sowie die Organe der Europäischen Union beteiligen. Ihr Gedankenaustausch fokussiert zwei entscheidende Punkte: Einerseits wird die Legitimität und Begründung der Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte erörtert,15 anderseits geht es um die Durchführbarkeit und Form einer solchen Harmonisierung.16 In Bezug auf den gewünschten Umfang, Bereiche und Inhalte europäischer Strafrechtsharmonisierung sind bereits verschiedene strafpolitische Dokumente ausgearbeitet worden. Als bislang einflussreichste gilt das Mitte 2000 im Auftrag des Europäischen Parlaments von der EG-Kommission vorgelegte Corpus Juris.17 Es tritt für einen einheitlichen europäischen Strafrechtsraum für den Schutz der finanziellen Interessen der EG ein und 13 Ein Beispiel bietet die Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrer zum „Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft.“ Unter http://www. gp_strafrechts leherer_de.pdf. 14 Beispiele bei Sieber, Ulrich: Einheitliches Europäisches Strafgesetzbuch als Ziel der Strafrechtsvergleichung?, in: Gedächtnisschrift an Ellen Schlüchter, Berlin 2002, S. 112–113. 15 Dazu bereits in § 1 I. 16 Zu Recht fordert Vogel energisch, die Debatte über die Möglichkeit und Notwendigkeit eines europäischen Strafrechts und europäischer Kriminalpolitik abzuschließen und sich statt dessen auf die Verarbeitung der rapide voranschreitenden Europäisierung des Strafrechts zu konzentrieren. Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 518. 17 Vollständiger Text im Internet unter vgl. http://europa.eu.int/comm/anti_fraud/ green_paper/corpus/de.doc.
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stellt damit auf eine sektorielle Strafrechtsvereinheitlichung in der Europäischen Union ab. Das Corpus Juris definiert 8 Straftaten und einige Verfahrensvorschriften, insbesondere zur Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft. Damit zielt es auf die Ausgestaltung eines zentralisierten repressiven Systems mit gemeinschaftsweit festgeschriebenen Strafen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union ab. Der Entwurf der „Europa-Delikte“ betont dagegen diejenigen Prinzipien und Regeln des Allgemeinen Teils, die in den meisten europäischen Strafrechtsordnungen zu finden sind und beabsichtigt damit die materielle Sicht des Corpus Juris durch eine rechtsstaatliche Perspektive zu erweitern.18 Das Forschungsprojekt bezieht sich auf den strafrechtlichen Schutz der Grundfreiheiten des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft und der wirtschaftlichen Institutionen der Gemeinschaften, das auch Materien des Wirtschaftsstrafrechts sowie des Umweltstrafrechts umfasst. Für die Idee eines Modellstrafgesetzbuches plädiert insbesondere Sieber.19 Da Modellgesetze nicht verpflichtend sind, falle – so Sieber – eine Einigung auf Modellgesetze sehr viel leichter als auf bindende und präzise definierte Übereinkommen. Damit stellt das Modellstrafgesetzbuch ein ideales Ventil dar, die eventuell vorhandene kulturelle Besonderheiten des Rechts berücksichtigen kann. Inzwischen fanden diese rechtspolitischen Vorschläge, insbesondere das Corpus Juris, Wiederklang in der nationalen politischen Debatte, was ihnen praktische Relevanz verleiht.20 Aus wissenschaftlicher Perspektive ist jedoch wichtiger, dass sie einen Beitrag zur Entwicklung der Grundlagen modernen Strafrechts darstellen. In diesem Sinne lädt die Diskussion über das Europäische Strafrecht nachgerade dazu ein, über Effizienz und Gerechtigkeit des Strafrechts neu nachzudenken und alte Strukturen nationaler Strafrechte zu überwinden.21 18 Tiedemann, Klaus: Grunderfordernisse einer Regelung des Allgemeinen Teils, in: K. Tiedemann (Hrsg.): Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, Freiburger-Symposium, Köln/Berlin/Bonn/München 2002, S. 6. 19 Vgl. bereits Sieber, Ulrich: Memorandum für ein Europäisches Strafgesetzbuch, JZ 1997, S. 369 ff.; wiederholt Sieber, Ulrich: Einheitliches Europäisches Strafgesetzbuch als Ziel der Strafrechtsvergleichung?, in: Gedächtnisschrift an Ellen Schlüchter, Berlin 2002, S. 115 ff. 20 In England: Prosecuting fraud on the Communities’ finances – The Corpus Juris, 8.5.1999, Select committee on the European Communities, House of Lords, London. In Frankreich: Rapport d’information sur la lutte contre la fraude dans l’Union européenne, Délégation de l’Asemblée nationale pour l’Union européenne, Paris, 22.6.2000, nº2507. In Deutschland: Bundestagasdrucksache 14/4911 vom 14.12.2000, S. 32 ff. In den Niederlanden: Schreiben an den Ausschuss für Justiz des niederländischen Parlaments vom 5.7.2001 zur Zusammenarbeit der Justizbehörden in strafrechtlichen Angelegenheiten.
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Die hohe Anzahl unterschiedlicher Vorschläge zeigt zugleich, dass die Strafrechtler ihre einmalige Chance wahrnehmen, über die Wissenschaft hinaus die Ausgestaltung der Strafpolitik der Europäischen Union direkt zu beeinflussen.22 Dabei zeichnen sich in der Praxis die Züge eines gewissen Wettbewerbs der Systeme und Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ab. Schünemann z. B. klagte jüngst über die erkennbare Bevorzugung des englischen Strafrechtsdenkens im materiellen Recht und des französischen im Prozessrecht seitens der EU-Organe.23 Er führt die Dominanz des englischen bzw. des französischen Rechts im europäischen Strafrecht darauf zurück, dass sie wegen ihres „rein instrumentell-etatistischen“ Strafrechtsdenkens einer Europäisierung den geringsten Wiederstand entgegensetzen: „im materiellen Recht wegen der fehlenden Durchsetzung des Schuldprinzips im common law, im Verfahrensrecht wegen der scheinbaren Attraktivität der den staatlichen Praktikabilitätsinteressen über diejenigen des Beschuldigten stellenden, infolgedessen aber nur mit kümmerlichen Wahrheitsfindungsgarantien ausgestatteten französischen Hauptverhandlung.“ Die Behauptungen Schünemanns zeugen von einer hierarchischen Wertung europäischer Strafrechtssysteme. Ein Gedanke, der die Gefahr in sich trägt, durch die Betonung der besseren nationalen Strafrechtsdogmatik die Harmonisierung durch den Wettbewerb der Rechtsordnungen zu übertönen. Im Gegensatz dazu muss grundsätzlich akzeptiert werden, dass es in Europa unterschiedliche Strafrechtssysteme gibt, die unter einander als gleichwertig gelten.24 Statt der Suche nach der für die europäische Strafrechtsangleichung am meisten geeigneten Methode sollte – so die treffende Formulierung von 21 Diese Argumente sind der Diskussion über ein einheitliches Bundesstrafrecht entnommen und werden von Sieber als mögliche Perspektive für die europäische Entwicklung aufgezeichnet. Vgl. Sieber, Ulrich: Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, ZStW 1991, S. 959. 22 Tiedemann hat einen entsprechenden Aufruf bereits 1990 ausgesprochen. Tiedemann, Klaus: Der Allgemeine Teil des europäischen supranationalen Strafrechts, in: T. Vogler (Hrsg.): Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag, Berlin 1985, S. 1412. Ähnlich Zuleeg (Zuleeg, Manfred: Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration, JZ 1992, S. 768–769.) Um den Diskussionen einen Rahmen zu geben, wurden auf Anregung der Europäischen Kommission europaweit Vereinigungen für Europäisches Strafrecht gegründet. Exemplarische Beweise politischen Engagements der Wissenschaftler sind der Genfer Appell von 1.10.1996 und der Trierer Appell von 15.9.2001. 23 Schünemann, Bernd: Ein Gespenst geht durch Europa – Brüsseler Strafrechtspflege intra muros, GA 2002, S. 514. 24 So meint Bacigalupo, dass bei der Strafrechtsanwendung bestehende Probleme trotz aller dogmatischen, systematischen und methodischen Verschiedenheit in Europa die gleichen sind. Vgl. Bacigalupo, Enrique: Die Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, in: Festschrift für Roxin, Berlin/New York 2001, S. 1370 ff. Ähnlich Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 522–525.
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Kühl25 – das „Prinzip der methodischen Offenheit“ angewendet werden. In diesem Sinne plädiert Vogel für die gleichwertige Zulassung aller methodischen Positionen, „seien es ontologisierende oder normativierende, sachlogische oder funktionalistische, dem (modernen) Effektivitätsdenken oder dem (alteuropäischen) Prinzipiendenken verpflichtet.“26 Obwohl die theoretische Debatte noch nicht abgeschlossen ist, gibt es bereits zahlreiche Ergebnisse der Strafrechtsharmonisierung. Der stets expandierende Regelungsinhalt erstreckt sich vom Fernmeldeverkehr über das Waffenrecht, die Entziehung der Fahrerlaubnis, den Zeugenschutz, die Stellung des Opfers im Strafverfahren, das Wettbewerbsstrafrecht, den Betrug, die Bestechlichkeit und Bestechung, die Geldwäsche, die Geldfälschung des Euro, den illegalen Drogenhandel, den Menschenhandel, die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie, die Bestrafung der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Insider-Geschäfte, Hightech- und Cyber-Kriminalität, Umweltstraftaten, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie, in neuerer Zeit, auch den Terrorismus. Sie stellen kein von Anfang an einheitlich konzipiertes System dar, sondern sind nach und nach der Praxis erwachsen.27 Ihre Entwicklung wird durch zwei kriminalpolitische Argumente getragen, die in dem jeweiligen Schutzinhalt wurzeln. Während sich ein Teil der aufgezählten Vorschriften auf überstaatliche, supranationale Schutzinhalte (wie die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften oder das rechtmäßige und effektive Funktionieren von deren Verwaltung und Politiken) bezieht, geht es bei den restlichen Vorschriften um Schutzinhalte, die den mitgliedstaatlichen Strafrechten bereits von der nationalen Ebene bekannt sind (wie beim Schutz des menschlichen Lebens, dem Schutz der Jugend oder der Umwelt). Kriminalpolitisch besteht der Unterschied zwischen den beiden Gruppen darin, dass bei der ersten Gruppe keine innerstaatlichen Regelungen vorhanden sind. Hier zielt die europarechtliche Maßnahme darauf ab, die Beeinträchtigung des einschlägigen supranationalen Schutzinhalts zunächst überhaupt unter Strafe zu stellen. Im Gegensatz dazu bestehen im Fall der zweiten Gruppe bereits nationale Vorschriften, die zwar die Beeinträchtigung der jeweiligen Schutzinhalte ahnden sollen, aber aus europäischer Sicht für ungenügend gehalten werden. Wichtig ist, zu betonen, dass die Strafrechtsangleichungsmaßnahmen der Europäischen Union den Schutz nationaler Rechtsgüter in den Mitgliedstaaten bei der zweiten Gruppe nicht hinterfragen. Sie zeigen vielmehr 25
Kühl, Kristian: Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, ZStW 1997, S. 801. Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 522. 27 Jescheck, Hans-Heinrich: Möglichkeiten und Grenzen eines Strafrechts zum Schutz der Europäischen Union, in: H.-H. Jescheck: Beiträge zum Strafrecht 1980– 1990, Berlin 1998, S. 473. 26
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diejenigen Gebiete auf, in denen das nationale Strafrecht für die Gewährleistung des notwendigen Schutzes weniger geeignet ist. In Bezug auf die Strafrechtsangleichungsmaßnahmen wird bewusst über Schutzinhalte und nicht über Rechtsgüter gesprochen. Für die supranationalen Schutzinhalte verwendet Sicurella treffend den Ausdruck European public good.28 Zum Ausdruck gebracht werden soll damit – so Vogel –, dass bei den Erwägungsgründen der Strafrechtsharmonisierungsmaßnahmen neben Rechtsgütern (wie beim Umweltstrafrecht die Umwelt) auch Rechte (wie bei der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie das Grundrecht eines Kindes auf ein harmonisches Aufwachsen und eine harmonische Entwicklung), Rechtsprinzipien (betreffend Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die Demokratie und die Achtung der Grund- und Menschenrechte), rechtlich geschützte Interessen (wie beim Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft) und anderweitige wichtige Gemeinwohlbelange (Bekämpfung von Insiderhandel und Geldwäsche, das Funktionieren von Märkten, die Transparenz und Öffnung des internationalen Handels, das Ansehen des Finanzsystems und das Vertrauen der Öffentlichkeit hierein) ins Feld geführt werden.29 Hinsichtlich der Vielfältigkeit der Erwägungsgründe sollen die von der Europäischen Union anerkannten und geschützten Grund- und Menschenrechte Sorge dafür tragen, dass das Strafrecht nicht über seine rechtstaatlichen Grenzen hinaus ausufert. Eine entsprechende Regelung wird die Charta der Grundrechte bieten, die in den Teil II der Euopäischen Verfassung übernommen wurde. Ziel des vorliegenden Teils ist, die Probleme der Strafrechtsharmonisierung in der Europäischen Union und die gewählten Lösungen am Beispiel des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften aufzuzeigen. Der Verfasserin ist bewusst, dass die Begrenzung der Untersuchungen auf den Schutz der finanziellen Interessen einen Kompromiss darstellt. Eine Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Standes der Harmonisierung insgesamt ist aber wegen des enormen Umfangs bereits bestehender Strafrechtsangleichungsmaßnahmen im Rahmen einer Untersuchung nicht sinnvoll möglich gewesen. Die über viele einzelne Felder verstreuten Vorschriften sind nur monographisch zu bewältigen. Eine abschließende Verarbeitung ist am ehesten in Bezug auf Straftaten zum Nachteil der finanziel28
Eingehend dazu Sicurella, Rosaria: Definition of Supranational interests and a Proposal for Common Offences: The Need for a New Approach at Community Level, in: M. Delmas-Marty/J. Vervaele (Hrsg.): The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Penal provisions for the protection of the European Finances, Antwerpen/Groningen/Oxford 2000, S. 218. Vgl. auch Jokisch, Jens: Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, Berlin 2000, S. 61–62. 29 Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 522 ff.
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len Interessen der Gemeinschaft möglich. Die Wahl ist insoweit gerechtfertigt, dass diese Gebiete den Kernpunkt derjenigen Harmonisierungsschübe bilden, die eine weitestgehende direkte Europäisierung zum Ziel haben – durch Schaffung europarechtlicher Straftatbestände, strafverfahrensrechtlicher Vorschriften und einer mit der Strafverfolgung direkt befassten Europäischen Staatsanwaltschaft. Diese thematische Selbstbeschränkung bedingt, dass die supranationale Sanktions- und Anweisungskompetenz der Gemeinschaft weitgehend außer Betrachtung bleibt. Diese war jedoch bereits Gegenstand eingehender Untersuchungen,30 welche die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente weitgehend ausgelotet haben. Darüber hinaus bleiben auch die Ebenen des Prozessrechts und der Anwendungspraxis ausgeklammert. Als Grundlage der Untersuchungen wird eine Systematisierung des Verhältnisses von Gemeinschaftsrecht und Strafrecht vorgenommen. Danach wird der acquis von Betrug, Korruption, und Geldwäsche im Einzelnen behandelt. Eine abschließende dogmatische Auslegung dieser Straftatbestände ist hingegen nicht Ziel dieser Arbeit. Vielmehr soll gezeigt werden, wie das Gemeinschaftsrecht bzw. das Unionsrecht auf die mitgliedstaatlichen Strafrechte einwirkt. Die Analyse der Rechtsfolgen dieser Tatbestände beschränkt sich stets auf Sanktionen gegenüber natürlichen Personen. Eine Untersuchung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen wäre Gegenstand einer weiteren Arbeit gewesen. Die Schlüsselfragen des Strafrechts werden durch einen horizontalen Vergleich der relevanten Instrumente besprochen. Schließlich werden die Lösungsansätze zusammengeführt und ausgewertet.
30 Zuletzt ausführlich beim Satzger, Helmut: Die Europäisierung des Strafrechts, Köln/Berlin/Bonn/München 2001.
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§ 11 Rechtsgrundlagen der Strafrechtsharmonisierung Als Einführung für die nächsten Kapitel wird zunächst das Verhältnis zwischen Europarecht und Strafrecht systematisiert. Abschnitt I beschreibt das Verhältnis zwischen EG-Recht und Strafrecht. Darunter werden die gemeinschaftsrechtliche Sanktionskompetenz sowie die strafrechtseinengende und strafrechtskonstituierende Wirkung des EG-Rechts geschildert. Getrennt davon wird in Abschnitt II das Verhältnis zwischen Unionsrecht und Strafrecht analysiert, wobei insbesondere der Rahmenbeschluss und die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafen hervorgehoben werden. Um die in §§ 12–14 zu schildernden Strafrechtsangleichungsmaßnahmen zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft erörtern zu können, ist es notwendig, die Frage nach der Rechtsgrundlage strafrechtlicher Maßnahmen im Europarecht aufzuwerfen. Dabei muss man grundsätzlich zwischen zwei Quellen der Strafrechtsangleichung unterscheiden: dem EGRecht und dem EU-Recht. Innerhalb des EG-Rechts bzw. des EU-Rechts gibt es noch einmal jeweils eine Differenzierung nach der gewählten Handlungsform.31 In den nachfolgenden Betrachtungen werden das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum Strafrecht und das Verhältnis des Unionsrechts zum Strafrecht getrennt untersucht. Entscheidend für das Verhältnis des Strafrechts zum Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht ist die Rechtssetzungskompetenz der Europäischen Organe. Ohne die Entwicklung der Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Organe geschildert zu haben, lassen sich einzelne europarechtliche Regelungen nicht einordnen. Es ist wichtig, dabei im Auge zu behalten, dass die europäische Integration ein dynamischer Vorgang ist, der zugleich durch die Änderung der Verträge und durch die integrationsfreundliche Rechtssprechung des EuGH beeinflusst wird. Daraus folgt, dass sich die faktischen Verhältnisse sehr schnell ändern. So hat Vogel treffend von einem Vorauseilen der Praxis des Europäischen Strafrechts gesprochen.32 Um die Gefahr einer kurzatmigen, nur über den jeweiligen Rechtszustand Auskunft gebenden Bestandsauf31 Daher beschreibt Harding das Europäische Strafrecht treffend als mehrstufig (multi-level). Es speise sich aus vielen Quellen (multi-sourced). Die Mehrstufigkeit bezieht sich auf die Struktur (während die Rechtssetzungskompetenz bei den Europäischen Organen ruht, bleibt die Durchsetzung der europäischen Normen Aufgabe der Mitgliedstaaten). Die Vielfältigkeit der Quellen bezieht sich auf die unterschiedlichen Handlungsformen. Harding, Christopher: Exploring the intersection of European law and national criminal law, E.L.Rev. 2000, S. 375–377. 32 Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 517.
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nahme zu vermeiden, wird in der folgenden Auseinandersetzung stets von der faktischen Rechtsentwicklung ausgegangen. Diese Ausführungen stützten sich auf Beispiele aus der Rechtssprechung des EuGH. Dies ermöglicht es dann, den weiteren Bogen zukünftiger Entwicklungen zu spannen. I. Das Verhältnis zwischen Strafrecht und Gemeinschaftsrecht Seit der Entscheidungs des EuGH in Van Gend en Loos gilt das Gemeinschaftsrecht als eigenständige supranationale Rechtsordnung.33 Geleichwohl steht diese natürlich nicht beziehungslos neben den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, mit denen sie Traditionen und Werte teilt und in mannigfaltiger Wechselwirkung steht. Trotz dieser Wechselwirkung ist die Frage nach gemeinschaftsrechtlichen Einflüssen auf das nationale Strafrecht alles andere als selbstverständlich. Bis vor 10 Jahren hatte sich die Strafrechtswissenschaft mit der Frage gemeinschaftsrechtlicher Auswirkungen auf das Strafrecht nur sporadisch befasst.34 Im Hintergrund stand das Prinzip der begrenzten Ermächtigung, dass das Verhältnis der beiden Rechtsordnungen, die der Europäischen Gemeinschaft und die der Mitgliedstaaten, regelt. Demgemäß kann die Gemeinschaft nur insoweit gesetzgeberisch tätig werden, als ihr ausdrücklich eine Kompetenz zugewiesen ist. Zum Erlass von Straf- oder Sanktionsbestimmungen bedarf sie also einer Ermächtigungsgrundlage. Das Fehlen einer Gemeinschaftskompetenz zum Erlass von Strafnormen wurde in der Strafrechtsliteratur und in der Rechtsprechung des EuGH eingehend diskutiert. Beide stellten im Grundsatz darauf ab, dass die Organe der Gemeinschaften nicht befugt seien, Strafnormen zu erlassen, da für die Strafgesetzgebung die Mitgliedstaaten zuständig seien.35 Die Entscheidungen des EuGH in den Fällen Casati36 und Cowan37 haben denn auch bestätigt, dass die Zuständigkeit für die Strafgesetzgebung bei den Mitgliedstaaten verblieben war.38 33 EuGH Urt. vom 5.2.1963, Rs. 26/62 Van Gend en Loos gegen Nederlandse Administratie der Belastingen, Slg. 1. 34 In diesem Sinne wiederholt bei Tiedemann. Vgl. nur Tiedemann, Klaus: EG und EU als Rechtsquellen des Strafrechts, in: Festschrift für Roxin, Berlin/New York 2001, S. 1402. 35 Zuletzt eingehend Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 105. 36 EuGH Urt. vom 11.11.1981, Rs. 203/80 Strafverfahren gegen Guerrino Casati, Slg. 2595. 37 EuGH Urt. vom 2.2.1989, Rs. 186/87 Ian William Cowan gegen Trésor Public, Slg. 195, 221.
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Ergänzend zu dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung muss jedoch auf Ausnahmen hingewiesen werden, die diesen Grundsatz von Anfang an schwächten.39 Grund dafür war, dass einige Institutionen und Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts des strafrechtlichen Schutzes bedurften.40 So enthalten die Art. 23 ff. des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs der EG von 1957 Vorschriften über die Vernehmung von Zeugen. Nach Art. 27 behandelt jeder Mitgliedstaat die Eidesverletzung eines Zeugen oder Sachverständigen wie eine vor seinen eigenen in Zivilsachen zuständigen Gerichten begangene Straftat. Auf Anzeige des Gerichtshofs verfolgt er den Täter vor seinen zuständigen Gerichten. Strafrechtlicher Regelungsbedarf bestand auch auf einem weiteren Gebiet. Im Bereich der Europäischen Atomenergiegemeinschaft stellten sich Fragen der Sicherheit und Geheimhaltung mit besonderem Nachdruck. So verweist Art. 194 des EAGV auf die jeweiligen nationalen Geheimhaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, deren Schutz er auf die in der Verweisung bezeichneten Rechtsgüter unmittelbar ausdehnt. Es handelt sich dabei um ein zweites Bespiel eines primärrechtlichen Verweises auf mitgliedstaatliche Straftatbestände. Durch den Verweis unternimmt die Gemeinschaft eine strafrechtliche Assimilation ihrer eigenen mit den nationalen Interessen.41 Primärrechtliche Verweise auf das nationale Strafrecht sind jedoch selten geblieben und trafen auf entsprechend eingeschränktes Interesse der Strafrechtswissenschaft. Trotz dieser primärrechtlichen Verweise auf die mitgliedstaatlichen Strafrechte kann man generell festhalten, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsetzungskompetenz der Gemeinschaft im Bereich des Strafrechts zu einer erhöhten Relevanz der Verwaltungssanktionen, insbesondere des Verwaltungsstrafrechts führte. Im Hintergrund standen der Ausbau und das Funktionieren des Binnenmarkts, der einheitliche Bedingungen für alle Wirtschaftsteilnehmer voraussetzt. Dies wird durch die gemeinsamen Binnenmarktvorschriften verwirklicht. Einheitliche Bedingungen werden aber in der Praxis nur dann eintreten, wenn die gleichmäßige und effektive Durchsetzung der gemeinsamen Regeln gewährleistet ist. Um die einheitliche Anwendung der Binnenmarktvorschriften sicherzustellen, war die Ausstattung der Gemeinschaftsorgane mit der Möglichkeit der Sanktionierung 38 Erneut wird diese Auffassung bestätigt in EuGH Urt. vom 19.1.1999 Rs. C348/96 Strafverfahren gegen Donatella Calfa, Slg. I-11, 29. 39 So bereits Tiedemann, Klaus: EG und EU als Rechtsquellen des Strafrechts, in: Festschrift für Roxin, Berlin/New York 2001, S. 1403. 40 Pache, Eckhard: Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Berlin 1994, S. 231. 41 Naucke, Wolfgang: Strafrecht: eine Einführung, 7. neubearb. Aufl., Neuwied 1995, Rdnr. 143.
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von Verstößen gegen die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen unerlässlich. Da die Gemeinschaft keine Befugnis zum Erlass von Kriminalstrafen hatte, griff sie in immer größerem Umfang auf verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen zurück. Die Höhe und Schwere der verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen weckte die Aufmerksamkeit der Strafrechtler. Sie sahen darin zum Teil Sanktionen, die zumindest einen strafähnlichen Charakter besitzen. Damit eröffnete sich erneut eine Diskussion über die Kompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Strafrechts. Insbesondere mit Blick auf die dynamische Entwicklung des Gemeinschaftsrechts wurde das Fehlen einer strafrechtlichen Rechtssetzungskompetenz der Gemeinschaft durch einen Teil der Lehre in Abrede gestellt.42 Die so entstandene Aufmerksamkeit der Strafrechtswissenschaft hat jedoch bei der Untersuchung der Bußgeldgewalt der Gemeinschaft und der Kompetenz der europäischen Organe für die Auferlegung von verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen nicht Halt gemacht. Parallel zur Diskussion über die Rechtssetzungskompetenz der Gemeinschaft im Strafrechtsbereich wurden die Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf die mitgliedstaatlichen Straferechte zum Gegenstand eingehender Erörterungen.43 Die Strafrechtswissenschaft war hier auf ein komplexes Problemfeld gestoßen. Bei der Auswirkung des Gemeinschaftsrechts auf die mitgliedstaatlichen Straferechte ist grundsätzlich – so die einschlägige Aufteilung von Tiedemann – zwischen negativen und positiven Einflüssen zu unterschieden.44 Das Gemeinschaftsrecht wirkt auf das nationale Strafrecht dann negativ, wenn sich widersprechende gemeinschaftsrechtliche und nationale Regelungen aufeinandertreffen. Dieser strafrechtsbegrenzende Einfluss des Gemeinschaftsrechts45 erfolgt vor dem Hintergrund, dass die Mitgliedstaa42
Böse, Martin: Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Studien zum Internationalen Wirtschaftsrecht und Atomenergierecht, Köln 1996, S. 55 ff.; Appel, Ivo: Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften zur Überwachung und sanktionsrechtlichen Ausgestaltung des Lebensmittelrechts, in: G. Dannecker (Hrsg.): Lebensmittelstrafrecht und Verwaltungssanktionen in der Europäischen Union, Köln 1994, S. 165 ff. 43 Eingehend zum Verhältnis EG/EU Recht und deutsches Strafrecht Dannecker, Gerhard: Das Europäische Strafrecht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band IV, München 2000, S. 339– 381. 44 Grundlegend Tiedemann, Klaus: Die Europäisierung des Strafrechts, in: K. F. Kreuzer/D. H. Scheling/U. Sieber (Hrsg.): Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, Baden-Baden 1997, S. 142 ff. So auch Pradel, Jean/Corstens Geert: Droit pénal européen, Paris 1999, S. 445 ff. 45 Der Ausdruck wurde zunächst von Moll verwendet. Moll, Dietmar: Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, Göttingen 1998, S. 14 ff.
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ten, dem Gebot der Gemeinschaftstreue folgend, keine strafrechtlichen Regelungen erlassen dürfen, die im Widerspruch zu kompetenzgerecht ergangenem Gemeinschaftsrecht stehen.46 Die EG-rechtlich verbürgten Grundprinzipien und sonstigen Freiheitsrechte wurden vom EuGH dazu benutzt, um – auf Vorlage nationaler Strafgerichte – einzelne nationale Strafdrohungen als unverhältnismäßig, da zu streng, und nationale Verbote als nicht anwendbar, da z. B. gegen das Recht der beruflichen Freizügigkeit verstoßend, einzustufen.47 Eine ganze Reihe von Entscheidungen, die schließlich zum Freispruch in Strafsachen geführt haben, betreffen die Vereinbarkeit nationaler strafbewehrter Rechtsnormen mit dem Gemeinschaftsrecht.48 Der positiv gestaltende Einfluss des EG-Rechts auf nationales Strafrecht erfolgte demgegenüber einmal durch Richtlinien, in denen die Gemeinschaft dem nationalen Gesetzgeber mehr oder weniger vorformulierte Verbotsregelungen vorgab und ihm im Wesentlichen nur die Art der Bewehrung dieser Regelungen überließ. Durch diese sog. Anweisungskompetenz soll einen mittelbaren Schutz der Gemeinschaftsinteressen verwirklicht werden, der auch in der Inanspruchnahme der einzelnen nationalen Strafrechte, nebst Ordnungswidrigkeitsrecht und Verwaltungsrecht besteht.49 In untrennbaren Zusammenhang damit steht die Pflicht nationaler Gerichte zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung.50 Demgemäß müssen die innerstaatlichen Normen im Lichte des Gemeinschaftsrechts ausgelegt werden. Mit Blick auf das Strafrecht verbirgt sich dahinter folgendes Grundproblem: Zwar können Richtlinien keine den Bürger belastenden Wirkungen entfalten, die Heranziehung gemeinschaftsrechtlicher Normen kann sich aber als strafbarkeitsbegrenzend erweisen. Immerhin ist anerkannt, dass sich der Einzelne im Strafrecht auf eine nicht fristgemäß umgesetzte Richtlinie berufen kann, sofern diese hinreichend klar gefasst ist, um auch ohne Umsetzung anwendbar zu sein.51 46
Näher dazu Heise, Friedrich Nicolaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, Bielefeld 1998. Ein neues Beispiel für diese schon traditionsreiche Judikatur des EuGH ist in seinem Urteil vom 29.2.1996, Rs. C-193/94 Strafverfahren gegen Sofia Skanavi und Konstantin Cryssanthakopoulos, Slg. I-929. 47 Beispiele aus der Judikatur des EuGH bei Baker, Estella: Taking European Criminal Law Seriously, Crim.L.R. 1998, S. 361 ff. 48 Tiedemann, Klaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, S. 24. 49 Satzger, Helmut: Die Europäisierung des Strafrechts, Köln/Berlin/Bonn/München 2001. 50 Heise, Friedrich Nicolaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, Bielefeld 1998. 51 EuGH Urt. vom 19.11.1991, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 Andrea Francovich u. a. gegen Italienische Republik, Slg. 1991, I-5357.
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Zum anderen entwickelte sich der positiv gestaltende Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die nationale Strafgesetzgebung durch den in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Assimilierungsgrundsatz. Dieses aus der Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue abgeleitete Gebot verlangt, dass die Mitgliedstaaten die Gemeinschaftsinteressen wirksam und strafrechtlich jedenfalls wie die entsprechenden nationalen Interessen schützen, also die Strafverfolgung zugunsten der ersteren ebenso sorgfältig und nachdrücklich wie die zugunsten der letzteren betreiben. Zwischen dem negativen und dem positiven gemeinschaftsrechtlichen Einfluss liegt die Auswirkung von Verordnungen auf das nationale Strafrecht. Verordnungen stellen unmittelbar anwendbares Sekundärrecht dar. Sie wirken auf das Strafrecht durch die Ausfüllung von Blankettstrafgesetzen ein. Da die Umschreibung dessen, was strafbar sein soll, in der Technik der Blankettstrafgesetze ganz oder in weiten Teilen der Ausfüllungsnorm überlassen wird, kann die Blankettstrafnorm durch die Änderung der EGVerordnung beliebig umgestaltet werden. Als problematisch wird im Schrifttum angesehen, ob den Verweisungen in einer EG-Verordnung aus strafrechtlicher Sicht vorbehaltlos zu folgen sei; darüber hinaus der Umstand, dass es durch die häufige Änderung der Ausfüllungsnormen bei einem Verzug durch den nationalen Gesetzgeber zu sinnlosen Verweisungen kommen kann.52 Da die Inbezugnahme von Verordnungen durch Straf- oder Bußgeldtatbestände im Nebenstrafrecht mittlerweile ganze Rechtsgebiete erfasst (z. B. das Naturschutz- oder Weinstrafrecht), ist der Beeinflussung des nationalen Strafrechts durch gemeinschaftsrechtliche Ausfüllungsnormen keineswegs zu unterschätzen. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die strafrechtliche Diskussion über das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und Strafrecht zwei Themen fokussiert hat: die gemeinschaftsrechtliche Sanktionskompetenz und die Verzahnung des Gemeinschaftsrechts mit den mitgliedstaatlichen Strafrechten. Letztere erfolgte durch strafrechtsbegrenzende bzw. strafrechtkonstituierende Möglichkeiten der Gemeinschaftsorgane. Alle dadurch entstandenen Problemfelder waren bereits Gegenstand umfänglicher Erörterungen. Dennoch ist es notwendig, sich diesen Problemen schlagwortartig zuzuwenden, um sie gedanklich zu erschließen.
52 Eisele, Jörg: Europäisches Strafrecht – Systematik des Rechtsgüterschutzes durch die Mitgliedstaaten, JA 2000, S. 995.
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1. Gemeinschaftsrechtliche Sanktionskompetenz Bei der gemeinschaftsrechtlichen Sanktionskompetenz geht es um die Befugnis des Rats zur Einführung von verwaltungsstrafrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und zivilrechtlichen Sanktionen und um die Zuständigkeit der Kommission zur Anwendung dieser Sanktionen im Einzelfall.53 Diese Gemeinschaftskompetenz wurde im Schrifttum unter zwei Aspekten untersucht. Einmal ging es um die Grenzen der Bußgeldkompetenz der Gemeinschaft, zum anderen um die der repressiven Verwaltungssanktionen. In Bezug auf die Bußgeldkompetenz ermächtigt Art. 92 EGV (ex Art. 87) die Gemeinschaftsorgane zur Verhängung von Bußgeldern im Fall von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht. Aufgrund dieser Bestimmung hat der Rat mehrere Verordnungen erlassen, in denen er Geldbußen, die ausdrücklich als nichtstrafrechtlich bezeichnet werden, für bestimmte Tatbestandsverwirklichungen vorsieht.54 So kann die Kommission gegenüber Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen Geldbußen bei Verletzungen der Wettbewerbsfreiheit aussprechen. In Anbetracht des Umstands, dass die so verhängten Geldbußen bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes des betroffenen Unternehmens ausmachen können, wurde diskutiert, ob derartigen Sanktionen strafähnlichen Charakter beizumessen sei. Sieber formulierte die Frage pointiert: „Kann die EG ihre fehlende Rechtssetzungskompetenz für (kriminal)strafrechtliche Regelungen umgehen, indem sie Sanktionstatbestände – vielleicht mit Bußgeldern in Millionenhöhe, Betriebschließungen und Berufsverboten – nicht als Strafrecht bezeichnet, sondern als Verwaltungsstrafrecht oder Ordnungswidrigkeitsrecht?“55 53 Jescheck, Hans-Heinrich: Möglichkeiten und Grenzen eines Strafrechts zum Schutz der Europäischen Union, in: H.-H. Jescheck: Beiträge zum Strafrecht 1980– 1990, Berlin 1998, S. 475; Grasso, Giovanni: Communitá Europee e diritto penale, 1989, S. 84, Pache, Eckhard: Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Berlin 1994, S. 310. 54 Vgl. Art. 23 Abs. 5 Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 Nr. L 1/1 vom 4.1.2003. 55 Sieber, Ulrich: Das strafrechtliche Sanktionssystem zum Schutz der europäischen Gemeinschaftsinteressen, in: W. van Greven/M. Zuleeg (Hrsg.): Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, Köln 1996, S. 75. Harding spricht in diesem Zusammenhang von virtuellem Strafrecht – virtual criminal law (Harding, Christopher: Exploring the intersection of European law and national criminal law, E.L.Rev. 2000, S. 379.); Van Greve von Etikettschwindel – labelling disguise (Greve, Vagn: The European Union and National Criminal Law, in: A. Snare (Hrsg.): Beware of Punishment – On the Utility and Futility of Criminal Law, Oslo 1995, S. 186.).
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Parallel zur Debatte über die strafähnliche Natur der kartellrechtlichen Geldbußen war umstritten, ob Art. 229 (ex Art. 172) eine Kompetenz zur Schaffung weiterer Bußgeldtatbestände verleiht. Das andere Problemfeld gemeinschaftsrechtlicher Sanktionskompetenz liegt bei den repressiven Verwaltungsmaßnahmen. Der Begriff der repressiven Verwaltungsmaßnahme steht für eine Reihe von Sanktionen im Agrarund Fischereibereich, die aufgrund Art. 34 Abs. 2 und Art. 37 Abs. 2 EGV (ex Art. 40 Abs. 3. und ex Art. 43 Abs. 2.) EGV erlassen wurden. Im Unterschied zum Kartellrecht sprechen diese Vertragsvorschriften nicht über die Einführung von Geldbußen, sondern von „allen zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen“. Diese Verwaltungsmaßnahmen sind in Verordnungen geregelt, die – entsprechend dem Vertragstext – den Ausdruck Geldbuße vermeiden, statt dessen von einer „finanziellen Sanktion“ sprechen.56 Diese Sanktionen dienen überwiegend dem Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, vereinzelt geht es aber auch um die Erleichterung der Beaufsichtigung und Steuerung bestimmter Märkte. In der gemeinschaftsrechtlichen Bußgeldkompetenz sowie in der Kompetenz zur Einführung punitiver Verwaltungsmaßnahmen erblickte ein Teil der Lehre verdecktes Strafrecht. Nach ihrer Ansicht besitzen die fraglichen Maßnahmen zumindest einen strafähnlichen Charakter, was wiederum bedeutete, dass die Gemeinschaft faktisch über eine Strafrechtssetzungskompetenz verfüge. Diese Argumente haben sich jedoch im Zuge der Entwicklung nicht erhärtet bzw. erledigt. Die beiden Fragen (einmal, ob es über das Kartellrecht hinaus eine generelle Gemeinschaftskompetenz zur Verhängung von Geldbußen gäbe und, zum anderen, ob die Gemeinschaft berechtigt sei, Sanktionen mit Strafcharakter einzuführen) kumulierten in dem vielbeachteten Schaffleisch-Fall57. Der Gerichtshof führte in seinem Urteil aus, dass Art. 34 Abs. 2 und Art. 37 Abs. 2 EGV (ex Art. 40 Abs. 3 und ex Art. 43 Abs. 2) die Gemeinschaft ermächtigen, alle Sanktionen einzuführen, die für die wirksame Anwendung der Regelungen auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik erforderlich sind. Er stellte außerdem ausdrücklich fest, der Fall gebe keinen Anlass, über die Zuständigkeit der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Straf56
Tiedemann, Klaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, S. 27; Dannecker, Gerhard: Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft, in: A. Eser/B. Hubner (Hrsg.): Strafrechtsentwicklung in Europa – 4. Teil 3., Freiburg im Breisgau 1995, S. 2005 f., 2013 ff. 57 EuGH Urt. vom 27.10.1992, Rs. 240/90 Bundesrepublik Deutschland gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. I-5383, 5431 ff. Eingehend zum Schaffleisch-Urteil Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 109–110.
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rechts zu entscheiden. Damit hat sich der EuGH fortgehend zurückhaltend geäußert und ließ sich eine Entscheidung über die strafrechtliche Kompetenz der EG nicht abverlangen. Trotz der offenen Formulierung entfaltete das Urteil große Wirkung sowohl im Schrifttum als auch in der Gemeinschaftspraxis. Das SchaffleischUrteil setzte der Frage ein Ende, ob eine generelle Gemeinschaftskompetenz – über das Kartellrecht hinaus – zur Verhängung von Geldbußen und punitiven Verwaltungsmaßnahmen bestehe. Es bestand Einigkeit darüber, dass die Gemeinschaft allgemein befugt ist, für die Durchführung der Gemeinschaftspolitiken punitive Maßnahmen auch außerhalb der Agrarpolitik einzuführen. Dies wurde später durch den Erlass der Verordnung zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften bekräftigt, die – wie bereits in § 10 erwähnt wurde – die Regelungen, die im Rahmen einer breiten Palette von bestehenden sektorialen Bestimmungen durchgeführt wurden, verallgemeinerte. Sie legte damit einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen in allen Bereichen der Gemeinschaftspolitik fest. Durch diese Rechtsentwicklung verfestigte sich das europäische administrative-criminal law regime58 und erledigte sich die Debatte über die verwaltungsstrafrechtliche Kompetenz der EG.59 Im Gegensatz dazu führte die offene Formulierung des Gerichtshofes im Schrifttum zu einem Meinungsstreit zwischen der vorherrschenden Meinung, die eine Strafrechtssetzungskompetenz der Gemeinschaft weiterhin verneinte und denjenigen, die eine solche Kompetenz nicht mehr in Abrede stellten. Die Befürworter einer Rechtssetzungskompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Strafrechts stellten die Kompetenz zum Erlass von Strafnormen in einen Zusammenhang mit der allgemeinen Sachkompetenz in einem bestimmten Rechtsgebiet.60 Die Befugnis zur Setzung von Straf58 Harding, Christopher: Exploring the intersection of European law and national criminal law, E.L.Rev. 2000, S. 378 ff. So auch im französichen administrative quasi-pénal. Näher dazu Delmas-Marty, Mireille: Union Européenne et droit pénal, in: Collected courses of the Academy of European Law, 1997, Band VIII-1., S. 625. 59 Zum „Allgemeinen Teil“ des supranationalen Sanktionsrechts Jokisch, Jens: Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, Berlin 2000, S. 67–68. Vgl. auch Tiedemann, Klaus: Grunderfordernisse des Allgemeinen Teils für ein europäisches Sanktionenrecht, ZStW 1998, S. 497–514. 60 Überwiegend erhalten die Europäische Gemeinschaften Sachgebiete zur Regelung zugewiesen. Soweit auf die Entwicklung des Binnenmarkts in Art. 94 f. EGV und auf die Ergänzungsklausel des Gemeinschaftsrechts in Art. 308 EGV abgestellt wird, entspricht dies dem dynamischen Charakter der europäischen Einigung. Ungeschriebene Kompetenzen kraft Sachzusammenhangs sind der Gemeinschaft nicht verwehrt. Vgl. dazu EuGH Urt. vom 15.7.1960, Rs. 25/59 Regierung des Königreichs der Niederlande gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Slg. 743, 781 ff.
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normen erwachse in diesem Sinne als Frucht aus der allgemeinen Sachkompetenz.61 Daher wird in der Literatur oft von einer Annexkompetenz gesprochen. Diese Argumentation entspringt aus dem Gedanken des „effet utile“, wonach für die wirksame Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen die Einführung aller (wenn erforderlich auch kriminalstrafrechtlichen) Sanktionen geboten ist. Diese Sichtsweise trägt damit einen gemeinschaftsrechtlichen Impuls. Dagegen beruft sich die vorherrschende Meinung auf den Wortlaut des Vertragswerks und damit auf die jahrzehntelange Nichterwähnung des Strafrechts. Verlangt wird damit eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung. Die Androhung oder Verhängung echter Kriminalstrafen wird als eine so wesentliche Befugnis angesehen, dass eine Übertragung ohne entsprechende ausdrückliche Ermächtigung ausgeschlossen sei. Die Mitgliedstaaten haben danach bei Abschluss der Verträge diesbezüglich keinen Souveränitätsverzicht geleistet. Der Meinungsstreit konnte im Laufe der letzten 10 Jahre nicht beigelegt werden, und wurde jüngst in Bezug auf die Auslegung von Art. 280 Abs. 4 EGV wiederbelebt. Gemäß Art. 280 gilt: [. . .] (2) Zur Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten, ergreifen die Mitgliedstaaten die gleichen Maßnahmen, die sie auch zur Bekämpfung von Betrügereien ergreifen, die sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richten. (4) Zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedstaaten beschließt der Rat gemäß dem Verfahren des Artikels 251 nach Anhörung des Rechnungshofs die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten. Die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und ihre Strafrechtspflege bleiben von diesen Maßnahmen unberührt [Hervorhebung der Verfasserin]. [. . .]
In Art. 280 Abs. 4 (ex Art. 209a) EGV erblicken die Befürworter einer Gemeinschaftskompetenz zur Setzung von Strafnormen. Danach soll die Gewährleistung eines gleichmäßigen Schutzes durch die nationalen Strafrechtsordnungen die Befugnis des Rates einschließen, das nationale Straf61 Besonders deutlich zeigt sich diese Verknüpfung bei Pache, der meint, die Gemeinschaft besitze im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik eine umfassende Sachkompetenz und damit einhergehend auch eine umfassende Kompetenz zum Erlass gemeinschaftsrechtlicher Sanktionsvorschriften. Vgl. Pache, Eckhard: Zur Sanktionskompetenz der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, EuR 1993, S. 173, 178.
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recht durch supranationale Normgebung dort zu ergänzen, wo es notwendig erscheint.62 Das EG-Strafrechtsmodell ist bei einem solchen Verständnis komplementär oder subsidiär.63 Nach Art. 280 Abs. 4. EGV bleibe zwar das nationale Strafrecht bestehen und anwendbar, doch die Schaffung europäischer Straftatbestände zum Schutz der finanziellen Gemeinschaftsinteressen, die neben dem nationalen Recht Anwendung fänden, sei damit nicht ausgeschlossen. Die Gegner einer partiellen Kompetenz zum Schutz der EG-Finanzinteressen aus Art. 280 Abs. 4 weisen auf die Wendung hin, dass die mitgliedstaatlichen Strafrechte und Strafrechtsanwendung unberührt bleiben sollen. Es sei in der Praxis kaum denkbar, dass der Vollzug eines, wenn auch subsidiär ausgestalteten, EG-Strafrechts die Strafrechtsanwendung der Mitgliedstaaten nicht berühren würde. Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft64 versuchte die Kommission der erst genannten Ansicht über die strafrechtlichen Gestaltungmöglichkeiten unter Art. 280 Abs. 4 zum Durchbruch zu verhelfen. Gemäß diesem Vorschlag sollen die Mitgliedstaaten die in der Richtlinie genannten Straftatbestände (!) des Betrugs, der Bestechung und der Geldwäsche in ihr innerstaatliches Strafrecht umsetzen. Als Rechtsgrundlage des Vorschlags bezieht sich die Kommission auf Art. 280 Abs. 4. Damit stellt die Kommission eindeutig auf diejenigen Auffassungen über die Auslegung dieser Vorschrift ab, denen zufolge es eine gemeinschaftsrechtliche Rechtssetzungskompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts gibt. Zur Zeit der Niederschrift dieser Arbeit wurde jedoch der Vorschlag von Rat und Parlament nicht erörtert, was davon zeugt, dass strafrechtliche Maßnahmen im Ersten Pfeiler wohl doch eher Wunschdenken sind. Die Tatsache der Nichtbehandlung des Richtlinienvorschlags im Rat ist ein klares Indiz dafür, dass die mitgliedstaatlichen Regierungen Art. 280 Abs. 4 als Rechtsgrundlage der Strafrechtsharmonisierung nicht akzeptieren.65 62 Tiedemann, Klaus: Lehren von der Straftat im Allgemeinen Teil der Europäischen Rechtssysteme, GA 1998, S. 107–108; Moll, Dietmar: Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, Göttingen 1998, S. 7. 63 Tiedemann, Klaus: EG und EU als Rechtsquellen des Strafrechts, in: Festschrift für Roxin, Berlin/New York 2001, S. 1406 ff. 64 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg., geändert durch Kommissionsdokument KOM (2002) 577 endg. 65 Ausdrücklich verworfen wurde der Kommissionsvorschlag einer Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt. Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, KOM (2001) 139 endg. Ein weiteres Beispiel für die Zurückhaltung des Gemein-
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Hinzu kommt, dass in der nunmehr vorliegenden Europäischen Verfassung ein völlig anderer Ansatz zur Verwirklichung europäischer Strafrechtskompetenzen vorgestellt wird,66 der die Argumente für oder gegen eine unmittelbare Strafrechtskompetenz aus Art. 280 Abs. 4 überholt.67 Letzterem kommt heute nur noch rechtshistorische Bedeutung zu. Am Ende des Tages erwies sich Art. 280 Abs. 4 als untauglich für die weitere Entwicklung des Europäischen Strafrechts. Während sich Strafrechtler über die unmittelbare Gemeinschaftskompetenz im Bereich des Strafrechts stritten, nahm das Gemeinschaftsrecht mittelbar immer größeren Einfluss auf die Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Strafrechte. Darüber hinaus stellte sich der Dritte Pfeiler nach seiner Errichtung als völlig neuer Schauplatz der Strafrechtsangleichung dar. Damit relativierte sich der fortwirkende Meinungsunterschied über die unmittelbare Kompetenz. 2. Negative Auswirkungen Wegen des Fehlens einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung zur Schaffung von Strafrecht wurde das Verhältnis zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Strafrecht durch das sog. spill-over Konzept geprägt. Letzteres deutet auf eine funktional beschränkte Anpassung des nationalen Strafrechts durch das Gemeinschaftsrecht hin. Das heißt, dass das europäische Gemeinschaftsrecht das nationale Strafrecht dann modifiziert, wenn der Vorrang des Gemeinschaftsrechts dies erfordert. Der Vorrang erfasst mitgliedstaatliches Recht jeder Art und Form, sogar das Verfassungsrecht.68 Eine solche Änderung findet oft nicht offen statt, sondern resultiert aus dem Zusammenstoß sich widersprechender gemeinschaftsrechtlicher und nationaler Regelungen. Der spill-over-Effekt entspringt dem Gebot der Gemeinschaftstreue. Demgemäß dürfen die Mitgliedstaaten keine strafrechtlichen Regelungen erschaftsgesetzgebers, die Mitgliedstaaten zur Bestrafung bestimmter Verhaltensweisen innerhalb des Ersten Pfeilers zu verpflichten, ist die jüngste Richtlinie über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation, die nicht einmal strafrechtliche Sanktionen verlangt. Vgl. Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation, ABl. 2003 Nr. L 96/16 vom 12.4.2003. 66 Vgl. hierzu die Ausführungen in § 1 III. 67 Das Spektrum der hier vertretenen Aufassungen findet sich bei M. DelmasMarty/J. Vervaele (Hrsg.): The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Antwerpen 2000, S. 369–394. 68 EuGH Urt. vom 17.12.1970, Rs. 11/70 Internationale Handelsgesellschaft m.b.H. gegen Einfuhr- und Vorratstelle für Getreide und Futtermittel, Slg. 1125, 1135.
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lassen bzw. aufrechterhalten, die im Widerspruch zu kompetenzgerecht ergangenem Gemeinschaftsrecht stehen.69 Die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts gelten nicht nur im Bereich der europäischen Hoheitsgewalt, sondern im gesamten Anwendungsbereich des Europarechts in der EG und in den Mitgliedstaaten.70 Sollte eine mitgliedstaatliche Strafvorschrift die EG-rechtlich verbürgten Grundprinzipien und sonstigen Freiheitsrechte verletzten, wird dies vom EuGH – auf Vorlage nationaler Strafgerichte – für unanwendbar erklärt.71 So wurden vom EuGH bereits zahlreiche einzelne nationale Strafdrohungen als unverhältnismäßig, da zu streng, und nationale Verbote als nicht anwendbar, da z. B. gegen das Recht der beruflichen Freizügigkeit verstoßend, eingestuft und demzufolge für unanwendbar erklärt.72 Dieser Prozess berührt sowohl die Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen (neutralisation de l’incrimination) als auch die Art und Höhe der Sanktion (neutralisation de la sanction).73 Eine ganze Reihe von Entscheidungen, die schließlich zum Freispruch in Strafsachen geführt haben, betreffen die Vereinbarkeit nationaler strafbewehrter Rechtsnormen mit dem Gemeinschaftsrecht.74 Neben den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten – so die detaillierten Ausführungen von Moll – entfalteten insbesondere der gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Diskriminierungsverbot sowie das stand-still-Gebot bzw. das Verbot strengerer Regelungen strafbarkeitseinengende Wirkung.75 69 Näher dazu Heise, Friedrich Nicolaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, Bielefeld 1998. Ein neues Beispiel für diese traditionsreiche Judikatur des EuGH ist in seinem Urteil vom 29.2.1996, Rs. C-193/94 Strafverfahren gegen Sofia Skanavi und Konstantin Cryssanthakopoulos, Slg. I-929. 70 EuGH Urt. vom 13.7.1989, Rs. 5/88 Huber Wachauf gegen Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft, Slg. 2609. 71 Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist kein Geltungs-, sondern ein Anwendungsvorrang. (EuGH Urt. vom 7.2.1991, Rs. C-184/89 Helga Nimz gegen Freie und Hansestadt Hamburg, Slg. I-297, 321). Bei einer Kollision zwischen einer Norm oder einem Grundsatz des Europarechts und einer Norm oder einem Grundsatz des mitgliedstaatlichen Rechts ist die Rechtsfolge der Vorrangregel, dass das mitgliedstaatliche Recht im einzelnen Kollisionsfall zurücktreten muss. (Bereits ausgeformt von Zuleeg, Manfred: Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, Köln 1969, S. 136–157.) Für die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union ist es notwendig, dem mitgliedstaatlichen Recht die Geltung abzusprechen. 72 Zur strafrechtsbegrenzenden Wirkung des Gemeinschaftsrechts vgl. Heise, Friedrich Nicolaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, Bielefeld 1998. 73 Delmas-Marty, Mireille: Union Européenne et droit pénal, in: Collected courses of the Academy of European Law, 1997, Band VIII-1. 74 Tiedemann, Klaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, S. 24.
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Die negative Wirkungsweise des Gemeinschaftsrechts zeigt noch einmal eine neuere Entscheidung des EuGH vom 19.1.1999, welche die Strafe der Ausweisung auf Lebenszeit nach griechischem Betäubungsmittelstrafrecht insoweit für unanwendbar erklärt, als diese Strafe gegenüber EG-Ausländern bei Verurteilung von einer bestimmten Höhe an automatisch verwirkt ist. Der EuGH fasst in diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung dahingehend zusammen: „Für das Strafrecht sind zwar grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig; jedoch setzt das Gemeinschaftsrecht dieser Zuständigkeit nach ständiger Rechtsprechung Schranken. Das Strafrecht darf nämlich nicht die durch das Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beschränken.“76
Ähnlich verhalten sich die oben genannten gemeinschaftsrechtliche Grundprinzipien mit dem nationalen Strafrecht. So hat der EuGH nach den Entscheidungen Donckerwolcke77 und Watson78 vor allem im Fall Casati79 explizit auf die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für das Strafrecht hingewiesen: „Die administrativen oder strafrechtlichen Maßnahmen [der Mitgliedstaaten] dürfen nicht über den Rahmen des unbedingt Erforderlichen hinausgehen, die Kontrollmodalitäten dürfen nicht so beschaffen sein, daß sie die vom Vertrag gewollte Freiheit einschränken, und es darf daran keine Sanktion geknüpft sein, die so außer Verhältnis zur Schwere der Tat steht, daß es sich als eine Behinderung der Freiheit erweist. [Hervorhebung der Verfasserin]“80
Das Diskriminierungsverbot untersagt die unterschiedliche Behandlung mehrerer gleicher, d.h. in den wesentlichen Punkten übereinstimmender, Sachverhalte zum Nachteil eines Betroffenen. Auf das Strafrecht übertragen 75 Moll, Dietmar: Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, Göttingen 1998, S. 16. 76 Aus der Rechtsprechung des EuGH geht eindeutig hervor, dass nicht nur materielle und prozessuale Strafnormen, sondern auch administrative und operative Ermessensregel der Strafjustiz gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen können und darauf vom Gerichtshof unanwendbar erklärt werden können. Vgl. dazu das Urteil des House of Lords in R. v. Chief Constable of Sussex, ex. P. International Trader’s Ferry Ltd. Anm. Baker, Estella: Policing, Protest and Free Trade, Crim.L.R. 2000, S. 95 ff. 77 EuGH Urt. vom 15.12.1976, Rs. 41/76 Suzanne Donckerwolcke verehelichte Criel und Henri Schou gegen Procureur de la République, Slg. 1921. 78 EuGH Urt. vom 7.7.1976, Rs. 118/75 Lynne Watson und Alessandro Belmann, Slg. 1185. 79 EuGH Urt. vom 11.11.1981, Rs. 203/80 Strafverfahren gegen Guerrino Casati, Slg. 2595. 80 EuGH Urt. vom 11.11.1981, Rs. 203/80 Strafverfahren gegen Guerrino Casati, Slg. 2595, 2618. Aus der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz EuGH Urt. vom 17.10.1995, Rs. C-83/94 Strafverfahren gegen Peter Leifer u. a., Slg. I-3231. Anmerkung dazu Baker, Estella: Taking European Criminal Law Seriously, Crim.L.R. 1998, S. 369–370.
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verbietet es dieser Grundsatz, Handlungen mit Gemeinschaftsrechtsbezug im Verhältnis zu vergleichbaren Verhaltensweisen rein nationalen Bezugs mit strafrechtlich nachteiligen Folgen ungleich zu behandeln.81 Die strafrechtsbegrenzende Wirkung des Diskriminierungsverbots beschränkt sich dabei nicht nur auf die Tatbestandsfassung82, sondern kann nach dem EuGH auch die Sanktionsandrohung83 als solche betreffen. Unter dem Stichwort „stand-still-Gebot“ wird diskutiert, ob nationale Sanktionsvorschriften weitergehen dürfen, als die entsprechenden Vorgaben des einschlägigen Gemeinschaftsrechts reichen. Von den in Frage kommenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts erlauben einige ausdrücklich eine strengere nationale Regelung,84 während andere dergleichen verbieten.85 Unter Umständen kann erst im Wege der Auslegung ermittelt werden, ob die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift einen Mindeststandard oder eine Höchstgrenze vorgibt. Neben dem Primärrecht können die zur Unanwendbarkeit der Strafnorm führenden Rechte des Täters auch auf unmittelbar anwendbarem Sekundärrecht beruhen. Hierfür bringt Schröder den Fall Bordessa als Beispiel.86 In diesem Verfahren ging es um die Kontrollrechte bei der Devisenausfuhr. Der Gerichtshof erachtete strafbewehrte Vorschriften des nationalen Rechts, denen zufolge die Ausfuhr zu genehmigen und nicht nur anzumelden war, als mit unmittelbar wirkenden Richtlinieninhalten unvereinbar.87 Auch hier spricht der EuGH den Mitgliedstaaten die Befugnis zur Kontrolle bestimmter Lebenssachverhalte und auch die Ahndung von Verstößen nicht ab. Eine entsprechende außerstrafrechtliche Norm bleibt anwendbar. Der EuGH hält es jedoch für unzulässig, dass die Mitgliedstaaten im Lichte des Gemeinschaftsrechts als unverhältnismäßig einzustufende Rechtsfolgen vorsehen.88 81
Sevenster, Hanna: Criminal Law and EC Law, CMLRev. 1992, S. 47 ff. EuGH Urt. vom 10.7.1984, Rs. 63/83 Regina gegen Kent Kirk, Slg. 2689. 83 EuGH Urt. vom 25.2.1988, Rs. 299/86 Strafverfahren gegen Rainer Drexl, Slg. 1213. 84 Vgl. etwa Art. 6. der Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. 1989 Nr. L 334/3 vom 18.11.1989. 85 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1977 Nr. L 26/1 vom 31.1.1977. 86 Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 199. 87 EuGH Urt. vom 23.2.1995, verb. Rs. C-358/93 und C-416/93 Strafverfahren gegen Aldo Bordessa u. a., Slg. I-361, 386. 82
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Ein aktuelles Beispiel der negativen Einflussnahme auf nationales Strafrecht mittels Richtlinie stellt die Richtlinie über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt,89 dar. Mit der Richtlinie verfolgt der Gemeinschaftsgesetzgeber das Anliegen, Hemmnisse für die freie Entfaltung der Marktkräfte im Bereich der Informations- und Kommunikationsdienste zu beseitigen. Art. 12 begrenzt dabei die Verantwortlichkeit der Vermittler. Da Vermittler lediglich den Zugang für Dritte zur Nutzung fremder Inhalte verschaffen, kommt eine Haftung für sie nicht in Betracht. Die in Art. 12 enthaltene Begrenzung gilt für alle Rechtsgebiete, auch für den Bereich des Strafrechts, obwohl dies in der Richtlinie, die auf Art. 47 (2), Art. 55 und Art. 95 EGV gestützt wird, nicht explizit zum Ausdruck gebracht wird. Erwägungsgrund 8 besagt, dass es nicht Ziel der Richtlinie ist, den Bereich des Strafrechts als solchen zu harmonisieren. Eine Harmonisierung im engeren Sinne wird zwar in der Tat nicht erreicht, die Beeinflussung nationaler Strafgesetzgeber ist jedoch eindeutig. Aufgrund der zitierten Beispiele ist festzuhalten, dass das Gemeinschaftsrecht die Tätigkeit des nationalen Strafgesetzgebers nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH beeinflusst. Der nationale Gesetzgeber darf nämlich gegen ein nach dem Gemeinschaftsrecht erlaubtes Verhalten keine strafrechtlichen Vorschriften ins Feld führen. Andernfalls liegt ein Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Pflichten vor. Diese Rechtsprechung ist eindeutig von dem Binnenmarktgedanken getragen. Der Binnenmarkt kann nur durch die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts verwirklicht werden. Die Mitgliedstaaten sind daher – gemäß dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue – verpflichtet, alle Hindernisse für die wirksame Anwendung des Gemeinschaftsrechts aus dem Weg zu schaffen.90 Dieser Pflicht kann sich nicht einmal das Strafrecht entziehen. Ein aus der Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts abzuleitender Vorrang – so zu Recht Schröder – muss in letzter Konsequenz auch uneingeschränkt für das Strafrecht gelten.91
88 Ausführliche Anmerkung zum Bordessa bei Baker, Estella: Taking European Criminal Law Seriously, Crim.L.R. 1998, S. 366 ff. 89 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. 2000 Nr. L 178/1 vom 17.7.2000. 90 EuGH Urt. vom 10.7.1990, Rs. C-217/88 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. I-2879, 2907. 91 Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 133.
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3. Positive Auswirkungen Bis zum Urteil des EuGH im griechischen Maisskandal 92 war der harmonisierende Einfluss des EG-Rechts auf nationales Strafrecht nahezu ausschließlich negativ geprägt. Erst das genannte Urteil des EuGH und die Diskussion über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft haben die Aufmerksamkeit für die strafrechtskonstituierenden Möglichkeiten der Gemeinschaft und damit für die Thematik eines supranationalen Strafrechts erregt. Die Gemeinschaft beeinflusst nationales Strafrecht positiv durch das Assimilierungsgebot, durch ihre Anweisungskompetenz und durch das Gebot der gemeinschaftskonformen Auslegung. a) Assimilierungsgebot Der EuGH stellte im Mais-Urteil fest: „Enthält eine gemeinschaftsrechtliche Regelung keine besondere Vorschrift, die für den Fall eines Verstoßes gegen die Regelung eine Sanktion vorsieht, oder verweist sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, so sind die Mitgliedstaaten nach Art. 5. EWGV verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.“93
Mit dem Mais-Urteil hatte der EuGH aus dem in Art. 10 (ex Art. 5) EGV niedergelegten Gebot der Gemeinschaftstreue gefolgert, dass die Mitgliedstaaten die Gemeinschaftsinteressen wirksam und strafrechtlich jedenfalls wie die entsprechenden nationalen Interessen zu schützen sowie die Strafverfolgung zugunsten der Ersteren ebenso sorgfältig und nachdrücklich wie die zugunsten des Letzteren zu betreiben haben. Demgemäß unternimmt die Gemeinschaft eine strafrechtliche Assimilation ihrer eigenen mit den nationalen Interessen.94 Unter dem Gesichtspunkt des Mais-Urteils wird vom nationalen Gesetzgeber verlangt, den gemeinschaftsrechtlichen Schutzauftrag in einer Weise auszuführen, die sich in die nationale Rechtsordnung angemessen, und zwar im Sinne der Gleichwertigkeit, einfügt. Der Schutz des gemeinschaftsrechtlichen Interesses sollte dem des nationalen Interesses entsprechen. Es wird 92 EuGH Urt. vom 21.9.1989, Rs. 68/88 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Griechische Republik, Slg. 2965. 93 EuGH Urt. vom 21.9.1989, Rs. 68/88 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Griechische Republik, Slg. 2965, 2984 ff. 94 Tiedemann, Klaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, S. 25.
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in der Literatur als Assimilierungsgebot oder Gleichstellungserfordernis bezeichnet. Diese Anleihe aus dem Mais-Urteil hilft jedoch nicht weiter, wenn das innerstaatliche Recht ein vergleichbares Interesse zuvor nicht oder nur partiell strafrechtlich geschützt hat. In diesem Sinne stellt Tiedemann fest, dass die Verpflichtung zur Assimilation alleine keine Harmonisierung bietet, da eben im Einzelnen nur eine Angleichung des Strafschutzes EGrechtlicher Rechtsgüter an den im nationalen Recht bereits vorhandenen Strafschutz entsprechender nationaler Rechtsgüter gefordert wird. Daher europäisiert zwar das Assimilierungsgebot nationale Strafrechte, aber harmonisiert sie eigentlich nicht.95 Das Insiderrecht kann hier als Beispiel angeführt werden. Da es in Deutschland ein umfassendes Sanktionssystem zur Bekämpfung des Insiderhandels nicht gab und entsprechende Handlungen vom Strafrecht nur fragmentarisch erfasst wurden, konnte aus dem Gleichstellungskriterium keine Verpflichtung zur Einführung eines Insiderstrafrechts abgeleitet werden. Vom Gerichtshof wird nur verlangt, eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionierung zu gewährleisten. Die Aspekte der Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung wurden in der Literatur als Mindesttrias bezeichnet. Die Mindesttrias ist mit der Vollstreckungshoheit der Mitgliedstaaten eng verbunden. Für die Verwaltungsvollstreckung zu Gunsten der EG sind die Mitgliedstaaten zuständig. Ist zu erwarten, dass dem Gemeinschaftsrecht Widerstand entgegengesetzt wird, muss der Mitgliedstaat durch Sanktionen den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen Nachdruck verleihen, die eingesetzten Sanktionen müssen wirksam sein.96 b) Anweisungskompetenz Zwar bezog sich das Mais-Urteil auf den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, doch die Pflicht zur Flankierung des Gemeinschaftsrechts mit Sanktionsnormen besteht auch in Bezug auf die sekundärrechtliche Normen des Gemeinschaftsrechts.97 Die Gemeinschaft kann die Mitgliedstaaten zur Rechtssetzung verpflichten. Der Gemeinschaft wird 95 Tiedemann, Klaus: Die Europäisierung des Strafrechts, in: K. F. Kreuzer/D. H. Scheling/U. Sieber (Hrsg.): Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, Baden-Baden 1997, S. 141. 96 EuGH Urt. vom 10.4.1984, Rs. 14/83 Sabine von Colson und Elisabeth Kamann gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1891. 97 Gröblinghoff, Stefan: Die Verpflichtungen des deutschen Strafgesetzgebers zum Schutz der Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Schriften zum gesamten Wirtschaftsstrafrecht, Heidelberg 1996, S. 19 f.
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generell das Recht zugesprochen, die Mitgliedstaaten mittels des Sekundärrechts zur Sanktionierung bestimmter Verhaltensweisen zu verpflichten. Die Gemeinschaftsorgane können zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Maßgabe des EG-Vertrages Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen erlassen, Empfehlungen aussprechen oder Stellungnahmen abgeben.98 Aufgrund des Prinzips der begrenzten Ermächtigung können verbindliche Rechtsakte nur in denjenigen Rechtsformen erlassen werden, die im Rahmen der jeweiligen Einzelkompetenz hierfür vorgesehen sind. Für den Bereich des Europäischen Strafrechts gilt es vor allem, die Richtlinie näher zu betrachten, die ein wichtiges Gemeinschaftsinstrument im Bereich der Harmonisierung von Rechtsvorschriften ist.99 Eine Rechtsangleichung in Form von Richtlinien kann zunächst aufgrund der in Art. 94 EGV normierten allgemeinen Handlungsermächtigung erfolgen.100 Gemäß Art. 249 III EGV ist die Richtlinie für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung bleibt jedoch ihnen überlassen (Anweisungskompetenz). Dementsprechend enthalten Richtlinien in der Regel nur ein Gebot oder Verbot, aber besagen nichts über die strafrechtlichen Rechtsfolgen, die an ein Verstoß zu knüpfen sind. Ob ein Bußgeld oder Strafe angedroht wird, ist grundsätzlich Sache des nationalen Gesetzgebers. Dieser, auf dem ersten Blick relativ weit erscheinende Spielraum nationaler Gesetzgebungen wird in der Praxis über eine detaillierte Beschreibung der Ziele meist erheblich eingeschränkt und die Richtlinie in ihren Wirkungen somit in die Nähe der in allen Teilen verbindlichen und unmittelbar geltenden Verordnung gerückt.101 Die Gemeinschaftspraxis, wonach Richtlinien auch exakte und detaillierte Vorgaben enthalten, ist für das Europäische Strafrecht insoweit relevant, dass die EG den Mitgliedstaaten in einer detaillierten Richtlinie genau bezeichnete Tatbestände und Sanktionen, die 98
Art. 249 EGV. Eine in einer Verordnung erhaltene Verpflichtung, Verstöße gegen die Verordnung strafrechtlich zu ahnden, ist schon deshalb unzulässig, weil es sich bei der Verordnung um unmittelbar geltendes Recht handelt, dass keiner innerstaatlichen Umsetzung bedarf. Anders als die Richtlinie überlässt die Verordnung die Art und Mittel der Umsetzung nicht den mitgliedstaatlichen Rechten. So auch Moll, Dietmar: Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, Göttingen 1998, S. 214. 100 Ein Überblick über die vom Binnenmarkt veranlassten Strafrechtsangleichungsmaßnahmen ist beim Guldenmund, René/Harding, Christopher/Sherlock, Ann: The European Community and criminal law, in: P. Fennell/C. Harding/N. Jörg/B. Swart (Hrsg.): Criminal Justice in Europe, A Comparative Study, Oxford 1995, S. 107 ff. 101 Bleckmann, Albert: Europarecht, 6. Aufl., Köln 1997, Rdr. 420 ff.; Oppermann, Thomas: Europarecht, 2. Aufl., München 1999, Rnr. 547 ff. 99
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diese als Anordnung in die entsprechenden nationalen Strafvorschriften aufzunehmen haben, vorgeben darf. Im Schrifttum ist die allgemeine Kompetenz der Gemeinschaft zur detaillierten Richtlinienvorgabe weitgehend anerkannt, wenngleich es als problematisch angesehen wird, dass demokratisch legitimierte Volksvertretungen zu Vollstreckungsorganen der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben werden.102 Ohne die einzelne Positionen hier wiederzugeben, richtet sich die Kritik gegen eine allgemeine Befugnis zu detaillierten Richtlinien, da bei einer bis in das Detail reichenden Bindung der nationale Gesetzgebungsakt keine demokratische Legitimation vermittele, weil kein kriminalpolitischer Willensbildungsprozess Raum greifen konnte.103 In Bezug auf die Tatbestandsseite geht diese Position dahin, dass die Gemeinschaft zwar das zu schützende Rechtsgut genau benennen darf, jedoch keine detaillierten Vorgaben hinsichtlich der Struktur des Tatbestandes machen dürfe, da ansonsten de facto eine Kriminalstrafgewalt der EG geschaffen würde.104 Neben den kompetenzrechtlichen Problemen unterstreicht Eisele im Hinblick auf die Normierung einer Kriminalstrafe praktische Bedenken.105 Da die konkrete Art und das Ausmaß strafrechtlicher Sanktionen, die keinen genügenden Spielraum bei der Umsetzung bieten, zu Wertungswidersprüchen und Friktionen im Verhältnis zu bereits bestehendem nationalen Strafrecht führen könnten, stelle die Richtlinie ein wenig geeignetes Mittel dar. Im Gegensatz zu den vorstehenden Argumenten erwidert Tiedemann, dass der überwiegenden Mehrheit heute eine pragmatische Orientierung an der Staatenpraxis mit dem theoretischen Argument entsprechen dürfte, dass der strafrechtliche Gesetzesvorbehalt nur verlangt, den nationalen Parlamenten irgendeinen Entscheidungsspielraum, z. B. in Bezug auf die Sanktionen, zuzugestehen.106 Detaillierte Richtlinienvorgaben bestimmen de facto die Voraussetzungen der Tatbestandsmäßigkeit. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geldwäscherichtlinie, die den Tatbestand der Geldwäsche genau umschreibt 102 Hugger, Heiner: Strafrechtliche Anweisungen der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 2000. 103 Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 186. 104 Dieblich, Franz: Der strafrechtliche Schutz der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, Köln 1985, S. 228; Jokisch, Jens: Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, Berlin 2000, S. 84; Gröblinghoff, Stefan: Die Verpflichtungen des deutschen Stragfgesetzgebers zum Schutz der Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Schriften zum gesamten Wirtschaftsstrafrecht, Heidelberg 1996, S. 135. 105 Eisele, Jörg: Europäisches Strafrecht – Systematik des Rechtsgüterschutzes durch die Mitgliedstaaten, JA 2000, S. 994. 106 Tiedemann, Klaus: EG und EU als Rechtsquellen des Strafrechts, in: Festschrift für Roxin, Berlin/New York 2001, S. 1404.
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und die Mitgliedstaaten zur Ahndung dieses Verhaltens verpflichtet. Da die Geldwäscherichtlinie hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, müssen die Mitgliedstaaten sachgerecht und grundsätzlich auch wortgetreu den gesamten Geldwäschetatbestand umsetzen, also die beschriebene Handlungen untersagen und Verstöße ahnden. Damit waren sie insbesondere nicht frei, den Tatbestand einzuschränken.107 Kriminalstrafen werden jedoch ausdrücklich nicht vorgesehen. Tiedemann bezeichnet dies als EG-Tatbestandskompetenz, die den Mitgliedstaaten nur die Sanktionshoheit belässt.108 Generell müsse man genauere Vorgaben in einer Richtlinie dann hinnehmen, wenn dies zur Erreichung des Regelungsziels erforderlich sei und dem Schutz gewichtiger Rechtgüter diene.109 Diese Ansicht wird nochmals durch das Kriterium der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts unterstützt. Letztere führt zu der Verpflichtung, das innerstaatliche Recht eng an den Vorgaben der Richtlinie bzw. der Verordnung zu orientieren. Jeder Versuch, abweichendem Verhalten gemeinschaftsweit entgegen zu treten, droht zu scheitern, wenn sich das nationale Umsetzungsrecht nicht streng an den Richtlinienvorgaben orientiert. Die Rolle des nationalen Gesetzgebers könnte jedoch durch die unmittelbare Wirkung von Richtlinien nicht umgangen werden. Richtlinien können zwar bei hinreichend genauem Inhalt bereits vor ihrer Umsetzung in nationales Recht unmittelbar anwendbar werden.110 Eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien zu Lasten des einzelnen Bürgers im Verhältnis zum Staat ist aber nach allgemeiner Ansicht ausgeschlossen. So ist eine Begründung bzw. Verschärfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit vor Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht nicht möglich. Die eingeschränkte unmittelbare Wirkung von Richtlinien könnte im Einzelfall zu kontroversen Ergebnissen führen. So bleibt im Fall der Geldwäscherichtlinie ein Verhalten, das zwar dem gemeinschaftsrechtlichen Geld107 Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 343. 108 Tiedemann, Klaus: Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, S. 26. 109 So auch Dannecker, der die Verpflichtung zur Androhung bestimmter Sanktionen dann bejaht, wenn ansonsten schwerwiegende Wettbewerbsverzerrungen entstehen oder die Erreichung der von der EG verfolgten Ziele – wie z. B. Gesundheitsschutz oder freier Warenverkehr – ernsthaft gefährdet erscheinen. (Dannecker, Gerhard: Die Entwicklung des Strafrechts unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, Jura, 1998, S. 79 ff.). 110 EuGH Urt. vom 8.10.1987, Rs. 80/86 Strafverfahren gegen Kolpinghuis Nijmengen BV, Slg. 3969. Vgl. dazu Bleckmann, Albert: Europarecht, 6. Aufl., Köln 1997, Rdn. 433 ff.; Oppermann, Thomas: Europarecht, 2. Aufl., München 1999, Rnr. 556 ff.
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wäschetatbestand, nicht aber einem innerstaatlichen Strafgesetz unterfiele, im Ergebnis straflos.111 Es fehlt – so Vogel – an der erforderlichen gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit, die auch nicht durch eine etwaige unmittelbare Wirkung der Geldwäscherichtlinie ersetzt werden könnte.112 Damit schließt sich der Kreis zu den praktischen Bedenken, die bereits Eisele vorgebracht hatte. Die von den Mitgliedstaaten zur Zeit genossenen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Umsetzung von Richtlinien führen im Ergebnis freilich nur zu einer partiellen Rechtsangleichung und damit zu einem unterschiedlichen Umfang der Strafbarkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten.113 c) Gemeinschaftskonforme Auslegung Im Gemeinschaftsrecht gilt der Grundsatz, dass nationale Behörden nationales Recht soweit wie möglich im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht auszulegen haben. Durch die gemeinschaftskonforme Auslegung sollen Kollisionen zwischen dem Europarecht und mitgliedstaatlichem Recht vermieden und die Einheit des Gemeinschaftsrechts gewahrt werden.114 Insbesondere im Fall der Richtlinie erscheint die gemeinschaftskonforme Auslegung geboten (richtlinienkonforme Auslegung). Der EuGH verlangt aber von den mitgliedstaatlichen Gerichten die gemeinschaftskonforme Auslegung nicht nur für das Recht, dass zur Umsetzung einer Richtlinie ergangen ist, sondern für die gesamte Rechtsordnung eines Mitgliedstaats.115 Der Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung setzt voraus, dass das mitgliedstaatliche Recht, sofern es mehrere Deutungen zulässt, zumindest in einer Deutung dem Gemeinschaftsrecht entspricht.116 Die mitgliedstaatlichen Auslegungsregeln bleiben zwar maßgeblich, jedoch ist das Gebot, dem Gemeinschaftsrecht Wirksamkeit zu verschaffen, zu beachten.117 111 Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 343. 112 Diese theoretische Beobachtung entfaltet im Fall der Geldwäschestrafbarkeit keine praktische Relevanz, da die Mitgliedstaaten auch die diesbezüglichen völkerrechtlichen Vereinbarungen in ihre nationalen Rechte umgesetzt haben, die im Endeffekt eine breitere Strafbewehrung als die in der Geldwäscherichtlinie vorgesehene schaffen. Näher dazu in § 14. 113 Eisele, Jörg: Europäisches Strafrecht – Systematik des Rechtsgüterschutzes durch die Mitgliedstaaten, JA 2000, S. 995. 114 EuGH Urt. vom 19.6.1990, Rs. C-213/89 The Queen gegen Secretary of the State for Transport ex parte: Factortame u. a., Slg. I-2433. 115 EuGH Urt. vom 13.11.1990, Rs. C-106/89 Marleasing SA gegen la Commercial Internacional de Alimentación SA, Slg. I-4125, 4159. 116 EuGH Urt. vom 4.2.1988, Rs. 157/86 Mary Murphy u. a. gegen An Bord Telecom Eireann, Slg. 673, 690.
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Alle Möglichkeiten einer gemeinschaftskonformen Auslegung sind auszuschöpfen.118 Die gemeinschaftskonforme Auslegung findet jedoch ihre Grenzen in den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot. Im Bereich des Strafrechts kann der Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung allerdings in Konflikt mit dem Analogieverbot geraten. Grundrechte, insbesondere die in der EMRK enthaltenen, gehören nach der Rechtsprechung des EuGH zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaften. In dem Urteil Kolpinghuis Nijmengen stellte der Gerichtshof allgemein fest, dass der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung dort seine Grenze findet, wo er die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen verschärft wird, die gegen die Richtlinienvorschriften verstoßen. Damit hat der EuGH das Analogieverbot im Strafrecht für den Bereich des Gemeinschaftsrechts anerkannt.119 4. Blankettstrafgesetze Ein weiteres Feld der Verzahnung zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Strafrecht schaffen diejenigen nationale Blankettstrafvorschriften, die hinsichtlich der Strafbarkeitsvoraussetzungen auf EG-Verordnungen oder Richtlinien verweisen. Dies ist insbesondere im Nebenstrafrecht typischer Weise der Fall. In diesen Fällen verweist die nationale Strafvorschrift (Blankettnorm) für die nähere Beschreibung des Straftatbestands auf die Regelungen einer EG-Verordnung oder Richtlinie (ausfüllende Norm). Hier wirkt also das Gemeinschaftsrecht auf das Strafrecht durch die Ausfüllung von Blankettstrafgesetzen ein. Da die Umschreibung dessen, was strafbar sein soll, in der Technik der Blankettstrafgesetze ganz oder in weiten Teilen der Ausfüllungsnorm überlassen wird, kann die Blankettstrafnorm durch die Änderung der gemeinschaftsrechtlichen Regelung beliebig umgestaltet werden. Die überwiegende Zahl ausfüllender Normen ist in Verordnungen enthalten, es gibt jedoch Fälle, da ein Blankettstrafgesetz durch einen Verweis auf eine Richtlinie konkretisiert wird. Als problematisch wird im Schrifttum angesehen, ob Verweisungen in einer EG-Verordnung aus strafrechtlicher Sicht vorbehaltlos zu folgen sei. 117 Jarass, Hans Dieter: Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EGRechts, Köln 1994, S. 90–92. 118 EuGH Urt. vom 14.7.1994, Rs. C-91/92 Paola Facini Dori gegen Recreb Srl, Slg. I-3325, 3357. 119 EuGH Urt. vom 8.10.1987, Rs. 80/86 Strafverfahren gegen Kolpinghuis Nijmengen BV, Slg. 3969.
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Ein Teil der Lehre sieht darin eine versteckte Strafsetzungskompetenz der Gemeinschaft. Darüber hinaus treten in der Praxis dann Schwierigkeiten auf, wenn der nationale Gesetzgeber auf Änderungen der entsprechenden Verordnung zu spät reagiert, so dass es zu sinnlosen Verweisungen kommen kann.120 Ein konkretes Beispiel für solche Sinnlosigkeiten beschreibt Schröder aufgrund einer Entscheidung des HansOLG. In dem besagten Fall ging es um § 7a und § 7b des FPerG121, die auf EG-Verordnungen Bezug nahmen. Den Betroffenen wurde ein Verstoß gegen die in der Verordnung vorgesehenen Tageshöchstlenkzeiten und Tagesmindestruhezeiten für Kraftfahrer vorgeworfen. Gegen die hierauf erlassenen Bußgeldbescheide legten die Betroffenen Einspruch ein. Sodann trat die bis dahin geltende Verordnung außer Kraft und wurde durch eine neue Verordnung ersetzt, wobei das Verhalten der Betroffenen gegen in beiden Verordnungen enthaltene Verbote verstieß. Der deutsche Gesetzgeber war jedoch mit der Anpassung der deutschen Gesetzeslage in Verzug geraten. Als jedoch das Amtsgericht über den Einspruch der Betroffenen verhandelte, war das nationale Gesetz der neuen Rechtslage angepasst. Auf dieser Gesetzesgrundlage hat das Amtsgericht die Betroffenen verurteilt. Dagegen erhoben die Betroffenen Rechtsbeschwerde. Sie argumentierten, dass Verstöße gegen die gemeinschaftsrechtlichen Lenk- und Ruhezeitvorschriften in dem Zeitraum zwischen dem Außerkrafttreten der alten Verordnung und der Anpassung der FPerG an die neuen Verordnung nicht verfolgbar seien. Da das deutsche Recht für den Fall, dass das bei der Beendigung der Tat geltende Gesetz vor der gerichtlichen Entscheidung geändert wird, die Anwendung des mildesten Gesetzes vorschreibt, sei ihr in der Zwischenzeit fallendes Verhalten straflos. Die Rechtsbeschwerde wurde vom HansOLG verworfen. Obwohl sich das Gericht in seiner Entscheidung mit einer möglichen Ahndungslücke und demgemäß mit einer möglichen Straffreiheit nicht befasst hat, führt Schröder richtig aus, dass durch die komplizierte Wechselwirkung zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Strafrecht Straffreiheit auch dann eintreten kann, „wenn das Gemeinschaftsrecht dies nicht verlangt und der nationale Gesetzgeber dies nicht einmal im entferntesten bezweckt hat“.122 Gleichwohl ist die Blankettgesetzgebung gültig, weil weder das Demokratieprinzip noch das Bestimmtheitsgebot den Gesetzgeber daran hindert, zur 120 Eisele, Jörg: Europäisches Strafrecht – Systematik des Rechtsgüterschutzes durch die Mitgliedstaaten, JA 2000, S. 995. 121 Gesetz über das Fahrpersonal von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen, vom 19. Februar 1987, BGBl. 1 S. 640. 122 Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 172.
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weiteren Konkretisierung des Tatbestands auf eine solche Verordnung zu verweisen.123 Weniger problematisch gestaltet sich dagegen der Schutz von Rechtsgütern, die lediglich in Richtlinien normiert sind, da Richtlinien ohnehin noch der Umsetzung in nationales Recht bedürfen. Der nationale Gesetzgeber kann dann bei der Umsetzung entweder unmittelbar eine entsprechende Strafvorschrift erlassen bzw. ändern oder gegebenenfalls auf das umgesetzte nationale Recht im Wege der herkömmlichen Blankettgesetzgebung verweisen.124 Diese kurze Beschreibung verdeutlicht bereits, dass die Frage der Blankettstrafgesetzgebung aus rechtstaatlicher Sicht hoch problematisch ist. Doch würde ihre Vertiefung die vorgegrebenen Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Es muss daher bei einem weiterfürenden Hinweis bleiben.125 II. Das Verhältnis zwischen Strafrecht und Unionsrecht Wegen des Nebeneinanders von EG und EU kommt auch das Unionsrecht als Quelle des Europäischen Strafrechts in Betracht. Dies ist bereits im EUV angelegt, der den Zweck des Dritten Pfeilers in der Entwicklung der strafrechtlichen und polizeilichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten begründet sieht. Im ersten Teil dieser Arbeit wurden die im Dritten Pfeiler zur Verfügung stehenden Handlungsformen aufgelistet und die Entwicklungen des Dritten Pfeilers durch die Verträge von Maastricht und Amsterdam dargelegt. Hier gilt das Interesse dem Einwirken des Unionsrechts auf die mitgliedstaatlichen Strafrechte. Dies erfolgt vor dem Hintergrund des intergouvernementalen Charakters des Dritten Pfeilers, der jedoch über die herkömmliche Zusammenarbeit souveräner Staaten hinausgeht und inzwischen eine erhebliche Kohärenz aufweist. Kohärenz im Kontext des Unionsrechts bedeutet, dass die Mitgliedstaaten ihr Vorgehen in den Bereichen des Dritten Pfeilers miteinander abstimmen müssen und wollen, so dass sie weder unbeabsichtigt noch planvoll gegenläufig handeln.126 Zwar gründet diese Kohärenz hauptsächlich in dem politischen Verhaltensgesetz, dass jeder einzelne Mit123 Dannecker, Gerhard: Die Entwicklung des Strafrechts unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, Jura, 1998, S. 79. 124 Eisele, Jörg: Europäisches Strafrecht – Systematik des Rechtsgüterschutzes durch die Mitgliedstaaten, JA 2000, S. 998. 125 Grundlegend Moll, Dietmar: Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, Göttingen 1998. 126 Müller-Graff, Christian-Peter: Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – Funktion, Ausgestaltung und Entwicklungsoptionen des Dritten
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gliedstaat grundsätzlich ein möglichst vertragstreues Verhalten der anderen erhofft und sich selbst deshalb im langfristigen Eigeninteresse aus eigenem Antrieb eines entsprechend vertragstreuen Verhaltens befleißigt. Dies wird jedoch durch das Dauerziel der Marktintegration ergänzt. Der Bedarf nach gemeinsamer flankierender Politik im Justizbereich gründet in der zunehmenden Verwirklichung des Binnenmarktes127 und hat mittlerweile zu zwei punktuellen Veränderungen im Verhältnis zwischen EU-Recht und nationalem Strafrecht geführt. Zum einen hat der Vertrag von Amsterdam die Handlungsformen des Dritten Pfeilers umgestaltet und sie um ein neues Instrument, den Rahmenbeschluss, erweitert. Letzterer dient ausdrücklich der Angleichung mitgliedstaatlicher Strafrechte. Kurz nach seiner Einführung hatte man noch darüber spekuliert, was für eine Rolle der Rahmenbeschluss einnehmen würde. Inzwischen hat sich aber erwiesen, dass das anfangs dominante Übereinkommen seit dem In-Kraft-Treten des Vertrages von Amsterdam durch Rahmenbeschlüsse verdrängt wird. Der Rahmenbeschluss avancierte zum wichtigsten Harmonisierungsmittel der Mitgliedstaaten im Bereich des Dritten Pfeilers. Er zeugt davon, dass das Bedürfnis nach gemeinsamer strafrechtlicher Flankierung bestimmter integrationsbedingter Interessen das strafrechtliche Souveränitätsdenken der Mitgliedstaaten fortdauernd zurückdrängt und immer größeren Raum für praktische Erwägungsgründe lässt. Neben der Veränderung der Technik, mit der die Europäische Union auf die Strafrechte der Mitgliedstaaten Einfluss nimmt, hat sich auch der Umfang der Einflussnahme erweitert. Ging es ursprünglich noch um die Harmonisierung der in den K-Artikeln beschriebenen gemeinsamen Interessenbereiche der Mitgliedstaaten, ist heute auch die Angleichung strafrechtlicher Sanktionen kein Tabu mehr.128 Dass die Ausdehnung der Themenbreite strafrechtlicher Angleichungsmaßnahmen vom Rat bewusst verfolgt wird, zeigt die folgende Passage aus der Sitzung des Rates: „Mit den vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam angenommenen Rechtsakten sollten vorwiegend die Mindesttatbestandsmerkmale bestimmter strafPfeilers der Europäischen Union, in: C.-P. Müller-Graff (Hrsg.): Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, Baden-Baden 1996, S. 26. 127 Müller-Graff sieht daher die Funktion des Dritten Pfeilers konzeptionell zuvörderst als binnenmarktstabilisierend und auch binnenmarktbegründet. MüllerGraff, Christian-Peter: Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – Funktion, Ausgestaltung und Entwicklungsoptionen des Dritten Pfeilers der Europäischen Union, in: C.-P. Müller-Graff (Hrsg.): Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, Baden-Baden 1996, S. 24. 128 Die Kommission präsentierte jüngst das Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM (2004) 334 endg.
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barer Handlungen festgelegt und sollte gewährleistet werden, dass es für die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf diese strafbare Handlungen eine geeignete Rechtsgrundlage gibt. Der hat seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam auf der Grundlage der Artikel 31 und 34 EUV mehrere Rechtsakte angenommen, in denen zusätzlich festgelegt ist, welches die Mindestanforderungen für das Höchstmaß der Strafen sind, die nach nationalem Recht für bestimmte strafbare Handlungen vorzusehen sind [Hervorhebung der Verfasserin].“129
Um die Verschränkung des EU-Rechts und mitgliedstaatlicher Strafrechte zu verdeutlichen, werden nun der Rahmenbeschluss und die Angleichung mitgliedstaatlicher Strafen näher erläutert. 1. Der Rahmenbeschluss Der Rahmenbeschluss dient der Angleichung der Rechts- und Verfahrensvorschriften der Mitliedstaaten. Diese Formulierung ist dem Gemeinschaftsrecht im Rahmen der Regelungen über den Binnenmarkt seit langem geläufig. Gemäß Art. 34 Abs. 2 ist der Rahmenbeschluss für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, er überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Diese Umschreibung wurde wortwörtlich von der Definition der Richtlinie übernommen. Sie beweist, dass durch den Vertrag von Amsterdam für den Dritten Pfeiler eine Rechtsform analog der Richtlinie geschaffen werden sollte. Die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses – wie auch der Richtlinie – richten sich nicht an den Rechtsunterworfenen, sondern an die Mitgliedstaaten. Diese haben ihre Rechtsordnung an das im Rahmenbeschluss vorgegebene Ergebnis anzupassen. Vom Ergebnis her unterschiedet sich ein Rahmenbeschluss auf der Ebene der EU deshalb nicht von einer rechtsangleichenden Richtlinie auf der Ebene der EG.130 Der Rahmenbeschluss hat durch die ausdrückliche Regelung der Rechtswirkung gegenüber ihrer Vorgängerin, der Gemeinsamen Maßnahme, bei der die Bindungswirkung im Einzelfall festgelegt werden musste, deutlich an Kontur gewonnen. Von dem Übereinkommen unterscheidet sich der Rahmenbeschluss insbesondere dadurch, dass er für die Mitgliedstaaten ohne Ratifikationsverfahren verbindlich ist. Dieses Merkmal erklärt die gesteigerte Popularität des Rahmenbeschlusses gegenüber dem Übereinkommen. Wichtig ist hervorzuheben, dass, während eine Richtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH ausnahmsweise auch unmittelbare Wirkungen 129
Ratsdokument Nr. 7991/02, Tagung des Rates – Justiz, Inneres und Katastrophenschutz – am 25/26. April 2002 in Luxemburg, S. 14. 130 Schünemann, Bernd: Ein Gespenst geht durch Europa – Brüsseler Strafrechtspflege intra muros, GA 2002, S. 503.
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entfalten kann, genau dies für den Rahmenbeschluss ausdrücklich ausgeschlossen ist.131 Das Entscheidungsorgan, das einen Rahmenbeschluss annehmen kann, ist der Rat.132 Wie bei den anderen Rechtsformen des Dritten Pfeilers ist Einstimmigkeit erforderlich. Anders als im Gemeinschaftsrecht, wo die Kommission ein ausschließliches Initiativrecht besitzt, kann eine Initiative zu einem Rahmenbeschluss auch von einem Mitgliedstaat ergriffen werden. Das Europäische Parlament ist vom Rat zu „hören“, bevor er einen Rahmenbeschluss annimmt. Das Europäische Parlament hat seine Stellungnahme binnen einer vom Rat festzuschreibenden Frist von mindestens 3 Monaten abzugeben. Eine Verpflichtung, sich an die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu halten, besteht für den Rat indes nicht. Die Zuständigkeiten des EuGH sind den aus dem Gemeinschaftsrecht bekannten Verfahrensarten nachempfunden: Art. 35 EUV sieht ein Vorabentscheidungsverfahren, eine Nichtigkeitsklage und eine Zuständigkeit für Organstreitigkeiten vor. Vorabentscheidungsersuchen können nur von Gerichten derjenigen Mitgliedstaaten gestellt werden, die eine entsprechende Erklärung abgegeben haben. Dieses opting-in hat der Vertrag von Amsterdam aus mehreren Rechtskaten des Dritten Pfeilers übernommen, wo es 1996 als politischer Kompromiss zwischen den EuGH-freundlichen und den EuGH-skeptischen Staaten entwickelt worden war. Die Erklärung kann eine fakultative Vorlage entweder durch jedes Gericht oder nur durch ein letzt131 Zeder führt jedoch spekulativ ins Feld, dass nicht absehbar sei, ob der EuGH auch im Dritten Pfeiler zukünftig Rechtsfortbildung betreiben werde und ob er dann doch zu unmittelbaren Wirkung gelangen könne. Vgl. Zeder, Fritz: Der Rahmenbeschluss als Instrument der EU-Rechtsangleichung im Strafrecht am Beispiel des Rahmenbeschlusses gegen Geldfälschung, ÖJZ 2001, S. 83. 132 Der endgültige Entwurf von Rechtsakten des Dritten Pfeilers wird vor der Vorlage beim Rat vom Ausschuss der Ständigen Vertreter angenommen. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter ist in Art. 207 Abs. 1 EGV vorgesehen. Dabei handelt es sich um ein wöchentlich tagendes Gremium der Vertreter der Mitgliedstaaten im Botschafterrang. Seine Arbeit wird von der Gruppe der Justizattachés unterstützt, also von Beamten der Mitgliedstaaten, die von den Justizministerien an die ständigen Vertretungen bei der EU entsandt wurden und dort die Zuständigkeiten des Justizressorts wahrnehmen. Auf der nachgelagerten politischen Ebene sind noch einmal zwei Sachebenen vorzufinden. Die eigentlichen Verhandlungen finden in der Arbeitsgruppe „Materielles Strafrecht“ statt. Die Ergebnisse werden an den Art. 36Ausschuss weitergegeben und weiter ausgehandelt. Der Art. 36-Ausschuss ist ein Ausschuss hoher Beamter, der in Art. 36 EUV (ex-Art. K.4) vorgesehen ist (der Nachfolger des K.4-Ausschusses im Bereich der polizeilichen und strafrechtlichen Zusammenarbeit). Dieser nicht gerade einfache Arbeitsmechanismus begründet die Intransparenz der Entscheidungsprozesse innerhalb der Dritten Säule. Kritisch dazu Peers, Steve: Justice and Home Affairs: decision-making after Amsterdam, E.L.Rev. 2000, S. 183 ff.
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instanzliches vorsehen. Eine verpflichtende Vorlage durch letztinstanzliche Gerichte wie im Gemeinschaftsrecht kennt der EUV nicht, allerdings verweist die Erklärung Nr. 10 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam auf das Recht der Mitgliedstaaten, in ihrem nationalen Recht eine solche vorzusehen. Für Streitigkeiten bezüglich der Auslegung oder Anwendung eines Rahmenbeschlusses legt Art. 35 Abs. 7 EUV fest, dass der EuGH nur durch Klage eines Mitgliedstaats, nicht aber durch eine Klage der Kommission angerufen werden kann. An diesem Punkt erleidet der Rahmenbeschluss seine größte Schwäche gegenüber der Richtlinie. Im Gemeinschaftsrecht gilt der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten der Gemeinschaftsaufsicht unterstehen. Dieser Grundsatz äußert sich im Vertragverletzungsverfahren, mit dessen Hilfe die Gemeinschaft die Mitgliedstaaten anhält, das Gemeinschaftsrecht zu befolgen. Die Kommission betreibt das Verfahren, die Vertragsverletzung stellt der EuGH fest. Die Umsetzungskontrolle durch die Kommission im Gemeinschaftsrecht ist – so Zeder – eine conditio sine qua non für das Funktionieren der Richtlinie.133 Im Gegensatz dazu spielt eine Klage eines Mitgliedstaats gegen einen anderen Mitgliedstaat in der Praxis der Richtlinie kaum eine Rolle. Da die Kommission über keine Handhabe zur Umsetzungskontrolle von Rahmenbeschlüssen verfügt, ist deren Effizienz gefährdet. Es ist zu befürchten – so Zeder – dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung in das nationale Recht nachlässig vorgehen, wenn sie nicht, wie bei einer Richtlinie, mit einer Verurteilung durch den EuGH rechnen müssen.134 Die Dominanz der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission in Bezug auf Rahmenbeschlüsse ist das Ergebnis der Struktur der Verträge. Sie wird jedoch durch das Initiativrecht der Kommission in der Praxis etwas relativiert. Zu Recht weist aber Vogel darauf hin, dass es der Rat ist, der über die Komissionsinitiativen entscheidet.135 Damit verschob der EU Vertrag die Gewichte bei der Strafrechtsharmonisierung hin zu den Regierungen der Mitgliedstaaten. Hinzu kommt, dass der Rahmenbeschluss aus Sicht der mitgliedstaatlichen Regierungen ein sehr bequemes Mittel ist, da es keiner 133 Zeder, Fritz: Der Rahmenbeschluss als Instrument der EU-Rechtsangleichung im Strafrecht am Beispiel des Rahmenbeschlusses gegen Geldfälschung, ÖJZ 2001, S. 83. 134 Zeder, Fritz: Der Rahmenbeschluss als Instrument der EU-Rechtsangleichung im Strafrecht am Beispiel des Rahmenbeschlusses gegen Geldfälschung, ÖJZ 2001, S. 82. Die Befürchtung wird bestätigt durch das Beispiel des Europäischen Haftbefehls, der innerhalb der Umsetzungsfrist lediglich von 4 Mitgliedstaaten umgesetzt wurde. 135 Vogel, Joachim: Harmonisierung des Strafrechts in der Europäischen Union, GA 2003, S. 322.
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Kommissionsinitiative bedarf und das Parlament nicht zustimmen muss. Gerade wegen dieser Umstände wurde der Rahmenbeschluss als Instrument gubernativer Rechtssetzung betrachtet. Dem wirkt jedoch die Europäische Verfassung dadurch entgegen, dass der Rahmenbeschluss durch das Rahmengesetz als Handlungsform der Strafrechtsnagleichung ersetzt werden soll.136 Wie bei der Auswirkung von Richtlinien auf das nationale Recht stellt sich auch bei Rahmenbeschlüssen die Frage, ob sie neben ihrer Umsetzung auch durch unionskonforme Auslegung Eingang in das nationale Strafrecht finden können. Die rahmenbeschlusskonforme Auslegung könnte in der Unionstreue begründet sein. Der Vertrag von Amsterdam umfasst im Ersten Pfeiler die Europäischen Gemeinschaften. Er geht auch außerhalb des Gemeinschaftsrechts über die bloße Koordination der Mitgliedstaaten hinaus. Zuleeg hält es daher für angebracht, auch von Unionstreue zu sprechen.137 Darüber hinaus ist anzunehmen, dass, da der Rahmenbeschluss dem gleichen Zweck wie die Richtlinie dient, nationales Recht grundsätzlich auch im Einklang mit Rahmenbeschlüssen auszulegen sein wird.138 Auch für eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung wird dann das Analogieverbot Schranken setzen. Fällt eine Handlung, die aufgrund eines Rahmenbeschlusses durch einen Straftatbestand zu erlassen wäre, im innerstaatlichen Recht nicht unter einen ausdrücklichen Tatbestand, so verbietet sich eine darüber hinausgehende Interpretation, auch wenn dies eine mangelhafte Umsetzung des Unionsrechts zur Folge hat.139 2. Die Harmonisierung des Sanktionsniveaus Generell ist festzuhalten, dass das Unionsrecht bis zum Amsterdamer Vertrag selbst dann nie Angaben über die Höhe der Sanktion enthalten hat, wenn es ausdrücklich eine Strafe vorsah. Die Formulierung im acquis bezog sich immer nur darauf, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, ein bestimmtes Verhalten mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen zu bedrohen und dafür zu sorgen, dass z. B. 136
Vgl. hierzu die Ausführungen der Verfasserin in § 1. Zuleeg, Manfred: Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, NJW 2000, S. 2847. 138 Zeder, Fritz: Der Rahmenbeschluss als Instrument der EU-Rechtsangleichung im Strafrecht am Beispiel des Rahmenbeschlusses gegen Geldfälschung, ÖJZ 2001, S. 82. 139 Zeder, Fritz: Der Rahmenbeschluss als Instrument der EU-Rechtsangleichung im Strafrecht am Beispiel des Rahmenbeschlusses gegen Geldfälschung, ÖJZ 2001, S. 82. Vgl. dazu ferner das Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM (2004) 334 endgültig. 137
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in schweren Fällen auch Freiheitsstrafen verhängt werden können.140 Auf diese Weise war die Festsetzung des Strafniveaus den Mitgliedstaaten überlassen. Als einzige Einschränkung galt, wie bereits erörtert wurde, die Mindesttrias der Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung. Erst die Schlussfolgerungen von Tampere machten klar, dass die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte auch die Harmonisierung des Sanktionsniveaus betrifft. Gemäß den Schlussfolgerungen von Tampere sollen sich die Bemühungen der Europäischen Organe „in Bezug auf das nationale Strafrecht [. . .] zur Vereinbarung gemeinsamer Definitionen, Tatbestandsmerkmale und Sanktionen zunächst auf eine begrenzte Anzahl von besonders relevanten Bereichen, wie Finanzkriminalität (Geldwäsche, Bestechung, Fälschung des Euro) konzentrieren.“
Erstmals ergriff der Rat im Rahmenbeschluss gegen Geldfälschung die Gelegenheit, die Mitgliedstaaten für bestimmte Handlungen (Fälschung und Verfälschung von Geld) zur Schaffung einer nach Jahren bestimmten Mindestdauer der Freiheitsstrafe zu verpflichten. Der Rahmenbeschluss, der in den bisherigen Rechtsakten zur Rechtsangleichung im Strafrecht ohne Beispiel war, sieht eine Mindesthöchststrafe von 8 Jahren vor.141 Inzwischen ist aber auch die Festlegung des Mindestmaßes der Höchststrafe keine Besonderheit mehr im EU-Recht. Zahlreiche angenommene Rechtsakte der letzten vier Jahre142 sowie sämtliche z. Z. noch beratenen Rahmenbeschlüsse enthalten entsprechende Passagen.143 140 Aus der näheren Vergangenheit z. B. der Rahmenbeschluss des Rates vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln, ABl. 2001 Nr. L 149/1 vom 2.6.2001. 141 Art. 6 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro, ABl. 2000 Nr. L 140/1 vom 14.6.2000. 142 Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2001 Nr. L 182/1 vom 5.7.2001; Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. 2002 Nr. L 164/3 vom 22.6.2002; Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192/54 vom 31.7.2003; Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der Sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie, ABl. 2003 Nr. L 13/44 vom 20.1.2004. 143 Beispiele bieten der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, KOM (2001) 259; Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, KOM (2001) 664; Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über Angriffe auf Informationssysteme, ABl. 2002 Nr. C 203 E/109 vom 27.8.2002.
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Als Argument für die Harmonisierung des Strafmaßes werden sowohl praktische als auch politische Gründe angeführt. Unter praktischen Gesichtspunkten wird oft betont, dass Divergenzen in Strafrahmen zu derart schwerwiegenden Wettbewerbsverzerrungen führen können, dass sie gewisse Lenkungseffekte auf die Kriminalität, z. B. die Wahl des Begehungsorts bei transnationalen Delikten oder die Festlegung des Firmensitzes, ausüben würden.144 Durch die Annäherung des Sanktionsniveaus in den Mitgliedstaaten soll verhindert werden, dass Straftäter von den Unterschieden zwischen den Justizsystemen der Mitgliedstaaten profitieren.145 Die möglichst ähnlichen Strafen werden als effektives Mittel angesehen, um Kriminelle abzuhalten, ihre Tätigkeit in den Mitgliedstaaten zu konzentrieren, die über das niedrigste Strafmaß verfügen. Neben einer einheitlichen Kriminalisierung soll das forum shopping auch durch die europarechtliche Vorgabe von Art und Höhe der strafrechtlichen Sanktionen bekämpft werden. Eine Angleichung von strafrechtlichen Sanktionen erleichtert zugleich die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen. Schließlich leugnet die Kommission die symbolische Bedeutung der Angleichung der Strafen für einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht.146 Nebst praktischen Erfordernissen sollte die Harmonisierung des Sanktionsniveaus auch das „gemeinsame Rechtsgefühl“ der Unionsbürger fördern. Die Angleichung des Strafniveaus wird in den Mitgliedstaaten jedoch zum Teil reserviert aufgenommen.147 Die ablehnende Position beruft sich darauf, dass ein Strafrahmen erst durch zahlreiche weitere Bestimmungen des nationalen Strafrechts (z. B. über die Strafbemessung, über die Umwandlung in eine Geldstrafe, über die bedingte Nachsicht oder bedingte Entlassung) und deren Anwendung durch die Gerichte Inhalt erhalte; dass eine Angleichung der Strafrahmen daher nicht notwendigerweise eine Angleichung der ausgesprochenen, ganz zu schweigen von der tatsächlich verbüßten Strafe bewirkte. Die von den Europäischen Organen vorangetriebene Angleichung der Strafrahmen eigne sich daher nicht zur Beseitigung des forum shopping. Darüber hinaus bedeutete eine Angleichung der Strafrahmen in der Europäischen Union, dass das innerhalb einer Rechtsordnung 144
van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 144. Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM (2004) 334 endgültig, S. 10. 146 Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM (2004) 334 endgültig, S. 10. 147 Grundsatzfragen der Strafrahmenharmonisierung und die Kohärenz der nationalen Rechtssysteme aufgrund einzelner Nationalberichte in Delmas-Marty, Mirelle/ Giudicelli-Delage, Geneviève/Lambert-Abdelgawad, Elisabeth: L’harmonisations des sanctions pénales en Europe, Paris 2003. 145
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abgestimmte Verhältnis der Strafrahmen gestört werde.148 Die etwaigen Gewinne einer Angleichung des Sanktionsniveaus seien daher gegen deren Nachteile innerhalb der nationaler Strafsysteme abzuwiegen. Die Einwände der Mitgliedstaaten wurden in Zusammenhang mit dem Corpus Juris noch einmal klargestellt. Art. 14 des Corpus Juris geht eindeutig in die Richtung gemeinschaftsweit einheitlich festgelegter Sanktionen und legt ein Sanktionssystem für den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften fest. Danach gilt:149 1. Für Taten [. . .] sind Hauptstrafen: (a) für natürliche Personen Freiheitsstrafe von fünf Jahren und/oder Geldstrafe. Geldstrafen richten sich nach dem Tagessatzsystem. Ein Tagessatz entspricht dem Tageseinkommen des Beschuldigten. Das Gericht setzt diesen Betrag frei fest, darf aber 3.000 Euro nicht überschreiten. Der Gesamtbetrag der Geldstrafe darf nicht die Summe überschreiten, die dreihundertfünfundsechzig Tagen entspricht. [. . .] (b) für Vereinigungen Geldstrafe bis zu 10 Millionen Euro. 2. Wenn es das öffentliche Interesse verlangt, können auch die folgenden Nebenstrafen verhängt werden: (a) die Veröffentlichung der verurteilenden Entscheidung. [. . .] (b) [. . .] der Ausschluss der verurteilten natürlichen Person oder Vereinigung von zukünftigen Subventionen, die kraft Gemeinschaftsrechts bewilligt werden, für höchstens fünf Jahre; (c) [. . .] der Ausschluss der verurteilten natürlichen Person oder Vereinigung von zukünftigen Subventionen, die von staatlichen Stellen unter Nutzung von Gemeinschaftsmitteln bewilligt werden, für höchstens fünf Jahre; (d) [. . .] die Untersagung des gemeinschaftsrechtlichen und des nationalen öffentlichen Amtes für höchstens fünf Jahre [. . .]. [. . .] 4. Die Tatmittel, Taterträge und der Gewinn aus der Tat können zugunsten der Europäischen Gemeinschaften eingezogen werden. [. . .]
Die vergleichende Studie über die Kompatibilität des Corpus Juris mit den mitgliedstaatlichen Strafrechten hat sämtliche Einwände gegen die obige Vorschrift vorgestellt, die hier jedoch nur ansatzweise wiedergegeben werden können.150 Schweden und England klagen, dass das vorgesehene 148 So äußerten sich insbesondere die dänische, deutsche, österreichische und niederländische Delegationen in der Arbeitsgruppe „Materielles Strafrecht“, die den Rahmenbeschluss gegen Geldfälschung ausgearbeitet hatte. Vgl. dazu Ratsdokument 12260/99 DROIPEN 17. 149 Die deutsche Übersetzung des französischen Originals wurde von Tonio Walter besorgt und ist erhältlich im Internet unter http://europa.eu.int/comm/anti_fraud/ green_paper/corpus/de.doc.
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System mit ihrem jeweiligen Strafrecht nicht zu vereinbaren sei. Im Fall Schwedens wird Art. 9. als zu streng angesehen, während England den Ermessensspielraum des Gerichtes als zu eng empfindet. Ohne die einzelnen Einwände der Mietgliedstaaten weiter auszubreiten, ist wichtig festzuhalten, dass die Mitgliedstaaten insgesamt eine sehr große Sensibilität gegen einheitliche Strafen gezeigt haben. Trotz der vorhersehbaren Einwände der Mitgliedstaaten kam der Rat nach intensiven Beratungen im April 2002 zur Frage des Strafmaßes in seinen Schlussfolgerungen zu einem EU-weiten, gestuften System der Strafniveaus.151 Danach sollte der Gemeinschaftsgesetzgeber das Höchstmaß sowohl der Freiheits- als auch der Geldstrafen festlegen. Vier Strafniveaus sind vorgesehen: Niveau 1 bedeutet Höchststrafen von mindestens 1 Jahr bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe; Niveau 2 bedeutet Höchststrafen von mindestens 2 Jahren bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe; Niveau 3 bedeutet Höchststrafen von mindestens 5 Jahren bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe; Niveau 4 bedeutet Höchststrafen von mindestens 10 Jahren Freiheitsstrafe. Da die aufgeführten Strafniveaus als Mindestniveaus gedacht sind, steht es den Mitgliedstaaten frei, in ihren innerstaatlichen Strafrechten weiterzugehen und höhere Strafen als in dem jeweiligen Rechtsakt vorzusehen. Inwieweit der jeweilige Strafrahmen im Einzelfall ausgeschöpft wird, soll dann das mitgliedstaatliche Gericht entscheiden. Zwar implizieren die Schlussfolgerungen des Rates, dass das vorgeschlagene System von gestuften Strafniveaus die Grenze des zur Zeit politisch Machbaren verkörpert, doch schlug die Kommission in ihrem vor kurzem erschienenen 103-seitigen Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union152 eindeutig den Weg hin zur umfangreichen Harmonisierung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Sanktionen ein. Dabei geht das Konzept des Grünbuchs weit über den oben genannten Beschluss des Rates vom April 2002 hinaus. Das Grünbuch strebt u. a. folgendes an: – die Harmonisierung der Vorschriften über die Einleitung der Strafverfolgung zumindest für harmonisierte Straftaten (z. B. Legalitäts- oder Opportunitätsprinzip), – die Schaffung europäischer „Leitlinien für Strafurteile“ (sentencing guidelines), 150 Vogel, Joachim: Criminal Law General Part: Articles 9–17 Corpus Juris, in: M. Delmas-Marty/J. Vervaele (Hrsg.): The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Antwerpen/Groningen/Oxford 2000, S. 250–251. 151 Ratsdokument Nr. 7991/02, Tagung des Rates – Justiz, Inneres und Katastrophenschutz – am 25/26. April 2002 in Luxemburg, S. 15. 152 KOM (2004) 334 endgültig.
§ 11 Rechtsgrundlagen der Strafrechtsharmonisierung
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– die Durchführung einer Studie über die Praxis der mitgliedstaatlichen Gerichte bei der Verhängung von Strafen, – die Schaffung eines Informationssystems über Strafurteile als Orientierungshilfe für die Gerichte, – die Ausarbeitung eines europäischen Rückfalltatbestandes, der von den mitgliedstaatlichen Gerichten systematisch berücksichtigt werden muss, – die Harmonisierung des Strafmaßes von Straftaten, die im Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl angeführt sind, – die Harmonisierung der Regelungen über alternative Sanktionen und ihrer gegenseitigen Anerkennung, – die Harmonisierung der Voraussetzungen des Mediationsverfahrens und der vorzeitigen Entlassung. Obwohl dem Grünbuch jegliche Verbindlichkeit fehlt, ist es für die Strafpolitik der Union dennoch maßgebend. Die Kommission strebt nebst der Harmonisierung des Strafmaßes auch die Angleichung der Strafvollstreckung der Mitgliedstaaten an. Nach Ansicht der Kommission erstreckt sich die Harmonisierung von Strafen wie in Art. 31 Abs. 1 Buchstabe e EUV vorgesehen, auch auf die Harmonisierung der Strafvollstreckung, darunter auf die vorzeitige Haftentlassung, auf die Aufsichtsmodalitäten und auf die Dauer der Bewährung. Diese Auffassung stellt eine sehr weitgehende – und nicht unbedingt gerechtfertigte – Auslegung des Wortlautes des Vertrages dar, der von der „Gewährleistung der Vereinbarkeit der jeweils geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten untereinander“ spricht.153 Viele der angestrebten Angleichungsfelder betreffen die Gesamtausgestaltung der mitgliedstaatlichen Strafrechtssysteme und würden daher zu Grundsatzdiskussionen führen. So bestehen z. B. beträchtliche Unterschiede im Strafrecht der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Einteilung der Strafen in Haupt-, Neben- und Alternativstrafen sowie in Nebenfolgen und strafrechtliche Maßnahmen. Nicht nur der Aufbau der mitgliedstaatlichen Sanktionssysteme weicht voneinander ab, sondern auch dessen Vollstreckung. So beträgt z. B. das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe in Deutschland 15, in Österreich 20 und in Belgien 30 Jahre. Eine vorzeitige Entlassung aus der Haft kann aber nach Verbüßung eines Drittels der Haftzeit (Belgien), von zwei Dritteln der Haftzeit (Deutschland) oder drei Vierteln der Haftzeit 153 Art. 31 Abs. 1 Buchstabe c EUV. Dieser Art. wird von der Kommission als Rechtsgrundlage für die Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Strafvollstreckung herangezogen. Vgl. KOM (2004) 334 endgültig, S. 23–24.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte
(Spanien) genehmigt werden.154 Es versteht sich von selber, dass eine Angleichung in diesem Bereich ohne gravierende Eingriffe in die mitgliedstaatlichen Strafrechtssysteme nicht durchsetzbar ist. Befremdlich erscheinen auch die vorgeschlagenen „Leitlinien für Strafurteile“ (sentencing guidlines) in (Kontinental-)Europa. Solche Leitlinien bezwecken in der Regel, die als zu mild empfundene Gerichtspraxis zu straffen und dadurch einen repressiven kriminalpolitischen Ansatz zur Geltung zu bringen. Dieser, vor allem in den USA vorherrschende Ansatz hat jedoch in Kontinentaleuropa keinen Rückhalt. Die Einführung von „Leitlinien für Strafurteile“ würde daher die schon ohnehin heftige Debatte hinsichtlich des repressieven Charakters des „Europäischen Strafrechts“ weiter anfachen.155 Zwar scheinen einheitliche Strafen und Strafvollstreckung bei dem derzeitigen Stand der Integration nicht durchsetzbar zu sein, gleichwohl durchbrach der Rahmenbeschluss gegen Geldfälschung die Phalanx der Sanktionshoheit der Mitgliedstaaten. Die Position, die eine Angleichung des Strafniveaus ablehnt, wurde faktisch außer Gefecht gesetzt. Das Grünbuch verdeutlicht, dass das Bestreben nach der Harmonisierung des Sanktionsniveaus in den Mitgliedstaaten mittlerweile zum wichtigen Merkmal europäischer Strafpolitik geworden ist.156 III. Zusammenfassung In Anbetracht der soeben skizzierten Ausführungen über das Verhältnis von Europarecht und nationalem Strafrecht kann man zunächst l’estrême complexité157 des Harmonisierungsprozess im Bereich des Strafrechts konstatieren. Die europarechtlichen Vorgaben erfassen alle Sektoren der nationalen Strafjustiz, die Kriminalisierung bestimmter Verhalten, die Art und Höhe der Strafen, die Art und Weise ihrer Verhängung sowie die nationale Strafrechtssprechung. In den folgenden Kapiteln werden einzelne Bereiche des Strafrechts untersucht, um aufzuzeigen, wie das Europäische Strafrecht in concreto entsteht und welche Charakteristika es aufweist.
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KOM (2004) 334 endgültig, S. 32–33. Dazu bereits in der Einführung. 156 So die ausdrückliche Forderung der Kommission im Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg., S. 43. 157 Delmas-Marty, Mireille: Union Européenne et droit pénal, in: Collected courses of the Academy of European Law, 1997, Band VIII-1., S. 636. 155
§ 12 Betrug
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§ 12 Betrug Die Regelung des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft wird durch die Dichotomie des Verwaltungsrechts und des Strafrechts bestimmt. Zum Zwecke der Verständlichkeit legt Abschnitt I die Erscheinungsformen der Betrugsdelinquenz dar. Sodann geht Abschnitt II auf die Regelung von Unregelmäßigkeit und Betrug ein. Schließlich werden einige verfahrensrechtliche Aspekte behandelt (Abschnitt III), die im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bedeutsam sind. Der acquis des Betrugstrafrechts umfasst Verordnung 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft [BetrugVo-EG]158, Verordnung 2185/96 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission159 und das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften [BetrugÜbk-EU]160. Darüber hinaus gibt es Gesetzgebungsvorschläge der Kommission, die nicht zum geltenden Recht gehören, gleichwohl aber starken Einfluss auf die Gesetzgebungstätigkeit des Rates ausüben und zugleich die Entwicklungsrichtung der Strafpolitik der Europäischen Union aufzeigen. Aus diesem Grund werden hier auch der Vorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft161 sowie das Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft162 in Betracht genommen. Laut dem Jahresbericht der Kommission von 2001 beläuft sich der Schaden wegen Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft auf 1,323 Milliarden Euro.163 Dabei entstehen beträchtliche Schäden 158 Verordnung des Rates Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. L 312/1 vom 18.12.1995. 159 Verordnung des Rates Nr. 2185/96 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten, ABl. 1996 Nr. L 292/2 vom 15.11.1996. 160 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. C 316/49 vom 27.11.1995. 161 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg. 162 Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg.
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– im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung – sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite.164 Der Großteil der Betrügereien – sowohl hinsichtlich der Fälle als auch der betroffenen Beträge – erfolgt im Bereich der traditionellen Eigenmittel (im Wesentlichen Einkommen aus Zollabgaben), in der Landwirtschaft und bei den Strukturfondsmaßnahmen.165 Dass Gemeinschaftsgelder missbraucht werden, wurde relativ früh erkannt. Davon zeugt bereits ein Entwurf der Kommission aus dem Jahre 1976166, der den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft absichern sollte. Die erforderlichen Maßnahmen – so der Entwurf – schienen zu diesem Zeitpunkt jedoch undurchführbar. Nicht nur der Konsens der Nachkriegszeit, sondern auch das damalige wirtschaftliche Wachstum schlossen einer Hinterfragung der Einarbeitungsschwierigkeiten der Gemeinsamen Agrarpolitik aus. Tulkens bemerkt zu Recht, dass Betrugsbekämpfung erst dann ein Thema wurde, als die Wirtschaftsunterschiede unter den Mitgliedstaaten anfingen zu wachsen.167 Hinzu kam, dass dem nationalen Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt der Schutz nationaler Interessen viel wichtiger erschien als der Schutz der Gemeinschaftsinteressen. Zudem wurden die nationalen Vorschriften als geeignet für den Schutz beider Interessensarten angesehen.168 Im Jahre 1990 beauftragte die Kommission eine Expertengruppe damit, eine vergleichende Untersuchung der Systeme der Verwaltungs- und Strafsanktionen der Mitgliedstaaten und der allgemeinen Grundsätze des gemeinschaftsrechtlichen Ahndungsystems durchzuführen. Die Experten haben ihre Arbeit 1993 fertiggestellt und fügten ihrem Bericht einen Verord163 Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg. 164 C. Goybert, La fraude communautaire: Mythes et réalités, Revue du Marché Commun 1995, S. 281 ff. 165 Ausschuss unabhängiger Sachverständiger, Zweiter Bericht über die Reform der Kommission; Analyse der derzeitigen Praxis und Vorschläge zur Bekämpfung von Missmanagement, Unregelmäßigkeiten und Betrug. 10. September 1999, Band 2, S. 157; White, Simone: A variable geometry of enforcement? Aspects of European Community budget fraud, Crime, Law and Social Change 1995, S. 236. 166 Entwurf für einen Vertrag zur Änderung der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften zwecks gemeinsamer Regelung des strafrechtlichen Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaften sowie der Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften genannter Verträge, ABl. 1976 C 222/2 vom 22.9.1976. 167 Tulkens, François: Les fraudes communautaires: un observatoire pénal européen, Déviance et société, 1994, S. 215–226. 168 Spinellis, Dionysos: The years of efforts for an effective protection of the financial interests of the European Union, AGON 1999, S. 16.
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nungsentwurf über die materiell- und verfahrensrechtlichen Grundsätze von gemeinschaftsrechtlichen Sanktionen bei.169 Parallel dazu hat der Rat die Kommission im Jahre 1991 ersucht, eine rechtsvergleichende Untersuchung über die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten durchzuführen, um zu klären, ob Maßnahmen getroffen werden sollen, damit diese Vorschriften den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft besser gewährleisten.170 Diese Studie – bekannt als Delmas-Marty-Bericht – wurde ebenfalls 1993 vorgelegt.171 Aufgrund dieser Studien hat die Kommission einen Entwurf einmal für eine Ratsverordnung zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft und zum anderen für eine Konvention zum gleichen Thema vorbereitet.172 Die Entwürfe wurden vom Europäischen Parlament im März 1995 eingehend geprüft. Der Verordnungsentwurf wurde vom Parlament bestätigt, der Konventionsentwurf aber aus dem Grund abgewiesen wurde, dass das für die Regelung der Sache am besten geeignete Mittel die Richtlinie sei. Schließlich setzte sich der Rat dennoch über die Widerstände hinweg und nahm am 19. Juni 1995 die Verordnung 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft an. Einen Monat später, am 26. Juli 1995, unterschrieben die Mitgliedstaaten das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft. Damit entstand ein administrativepenal control space173 auf europäischer Ebene, um Betrügereien zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften entgegenzutreten. Die europarechtlichen Dokumente führen für die Betrugsstrafbarkeit zwei Gründe an: Als raison d’être wird die Notwendigkeit des Schutzes der Europäischen Gemeinschaften vor Schädigungen ihres Haushalts genannt. 169 Vorschlag einer EG-Verordnung über Grundsätze für die Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Sanktionen, abgedruckt in: Schünemann, Bernd/González, Suárez (Hrsg.): Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, Köln, 1994, S. 465 ff. 170 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 13. November 1991 über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften, ABl. 1991 Nr. C 328/1 vom 17.12.1991. 171 Die Studie wurde von der Kommission 1994 herausgegeben. Delmas-Marty, Mireille: Rapport Final – Etude Comparative des dispositions législatives, réglementaires des états members relatives aux agissements frauduleux commis au préjudice du budget communautaire – un rapport de synthése, étude sur les systèmes de sanctions communautaires (1994), SEC 1994(93), OOPEC. 172 Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates über gemeinsame Maßnahmen, die vom Rat nach Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften angenommen werden, ABl. 1995 Nr. C 89/82 vom 10.4.1995. 173 White, Simone: A variable geometry of enforcement? Aspects of European Community budget fraud, Crime, Law and Social Change 1995, S. 240.
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Dies sei durch die Bekämpfung und Eindämmung von Betrügereien zu erreichen. Da ihr aber die unbefriedigende Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und deren fehlender politischer Wille entgegenstünden, müsse eine Lösung auf supranationaler Ebene erzielt werden. Ohne die wirtschaftliche Notwendigkeit der Betrugsbekämpfung generell zu bestreiten, rief diese Erklärung zahlreiche Kritiker auf den Plan. Sie weisen darauf hin, dass die unklare und komplizierte gemeinschaftsrechtlichen Regelungen, die schwer zu überprüfenden Parameter, die Vielzahl der bestehenden Gesetze und Tarifsätze sowie die fehlende systematische Kodifizierung des EG-Rechts einen hohen kriminogenen Faktor darstellten.174 Kurz gefasst: je detaillierter die Regelung ist, umso zahlreicher sind die Umgehungsmöglichkeiten.175 Alleine auf strafrechtliche Mittel gestützt, also ohne die systematische Reform der Subventionspolitik, sei eine effektive Betrugsbekämpfung daher aussichtslos.176 Diese Kritik ist in der Tat nicht gegenstandslos. Tiedemann hatte bereits in den 70er Jahren im Zusammenhang mit seinen Forschungen über Subventionsdeliquenz in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt, dass Subventionierung ein genuin kriminogener Vorgang ist, weil das natürliche Kontrollinstrument der Gegenleistung bei Austauschverhältnissen fehlt und künstliche Kontrollen nicht selten an eine cost-benefit Grenze stoßen.177 Die Begehungsweise des Subventionsbetrugs besteht im modus operandi, der meist auch beim Wechsel der Subventionierung (etwa vom nationalem zum supranationalen Recht) konstant bleibt. Im Lichte dieser Erkenntnisse, die heute als kriminologisches Allgemeingut betrachtet werden,178 liegt auf 174 So führt z. B. Dannecker den Anreiz zur Begehung von Taten zu Lasten des EG-Haushalts auf die „dirigistische Agrarpolitik der EG, die mit einer erheblichen Normenflut verbunden ist“, zurück. Dannecker, Gerhard: Strafrechtlicher Schutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft gegen Täuschung, ZStW 1996, S. 580. 175 Die das EG-Recht dominierende, an der französischen Gesetzgebungstechnik ausgerichtete, detaillierte Ordnungstechnik soll sicherstellen, dass die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten keinen Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Vergabevoraussetzungen haben. 176 Die einschlägigen Interessenkonflikte illustriert das Zitat eines EU-Politikers: „simplification of complex rules on agricultural subsidies would limit the possibilities of abuse. But a number of agricultural interests and national considerations stand in the way.“ Zitat bei Greve, Vagn: The European Union and National Criminal Law, in: A. Snare (Hrsg.): Beware of Punishment – On the Utility and Futility of Criminal Law, Oslo 1995, S. 190–191. 177 Tiedemann, Klaus: Subventionskriminalität in der Bundesrepublik: Erscheinungsformen, Ursachen, Folgerungen, Reinbek bei Hamburg 1974. 178 Tiedemann, Klaus: Der Subventionsbetrug – Ausgangspunkt eines supranationalen europäischen Strafrechts, AGON 1999, S. 19.
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der Hand, dass eine adäquate kriminalpolitische Lösung über die bloße Verschärfung des sanktionsrechtlichen Instrumentariums hinausgehen muss.179 Die besondere Anfälligkeit des EG-Rechts für Umgehungen beseitigt alleine die Notwendigkeit der Betrugsbekämpfung nicht. Vielmehr unterstreicht sie die Relevanz von Präventivmaßnahmen und gibt wichtige Ansätze zur Formulierung eines Straftatbestands, um die einschlägigen Erscheinungen hinreichend zu erfassen. Neben das unmittelbare wirtschaftliche Motiv, den EG-Haushalt zu schützen, tritt im Betrugsacquis auch eine politische Erwägung. Da der Umfang der Betrügereien die Glaubwürdigkeit des europäischen Projektes in Frage stellt, wird sie als Gefahr für den Integrationsprozess angesehen. In diesem Zusammenhang erscheint die Aufrechterhaltung bzw. Herstellung des Vertrauens der europäischen Bürger unabdingbar.180 Die Ausgestaltung eines supranationalen Kontrollrahmens zur Betrugsbekämpfung ist deswegen nicht nur ein praktisches, sondern zugleich auch ein zutiefst politisches Projekt, dessen Verwirklichung gleichzeitig von vielen Faktoren abhängt.181 I. Die Erscheinungsformen des Betrugs zu Lasten des EG-Haushalts Um die Ansätze der rechtlichen Regelung von Unregelmäßigkeiten und Betrug in der Europäischen Union zu erläutern, werden die Erscheinungsformen dieser Delinquenz kurz dargestellt. Sie hängen naturgemäß mit dem System der Einnahmen und Ausgaben der EG zusammen. Die Manipulationen zu Lasten des EG-Haushalts beziehen sich vor allem auf die Beantragung von Subventionen und sonstigen Beihilfen sowie auf die Nichtabführung von Abgaben. Als wichtigste Erscheinungsformen nennt Dannecker die Hinterziehung von Abgaben bei der Einfuhr von Waren in die EG, die Erschleichung von Subventionen bei der Ausfuhr von Waren in Drittländer sowie die Hinterziehung von Abgaben und Erschleichung von Subventionen innerhalb der EG.182 179 Sieber, Ulrich: Eurofraud, Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung zum Nachteil der Europäischen Gemeinschaft, in: R. Streinz/G. Dannecker/U. Sieber/M. Ritter (Hrsg.): Die Kontrolle der Anwendung des Europäischen Wirtschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, Bayreuth 1998, S. 112. Ausdrücklich auch Köhler, Michael: Form und Inhalt europäischer Strafrechtsangleichung. Beitrag zum Frankfurter Forum zur Wahrung rechtstaatlicher Grundlagen europäischen Strafrechts, KritV 2001, S. 309. 180 White, Simone: Protection of the Financial Interests of the European Communities: the Fight against Fraud and Corruption, The Hague 1998, S. 74. 181 White, Simone: A variable geometry of enforcement? Aspects of European Community budget fraud, Crime, Law and Social Change 1995, S. 252.
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Für die Hinterziehung von Abgaben bei der Einfuhr von Waren in die EG, so Dannecker weiter, haben neben der klassischen Methode der unterlassenen Anmeldung auch die Falschanmeldung der Warenmenge nach Zahl und Gewicht sowie unrichtige Angaben bezüglich der Warengattung oder deren Qualität Bedeutung: Werden bei der Einfuhr zu geringe Warenmengen angegeben oder wird die Qualität der Waren zu gering deklariert, fallen die erhobenen Zölle entsprechend zu niedrig aus. Weiterhin führt oft die Falschanmeldung des Ursprungslandes der Waren zur Hinterziehung von Einfuhrabgaben. Dies vor allem dann, wenn das angegebene Ursprungsland hinsichtlich des Absatzes seiner Erzeugnisse auf dem Binnenmarkt privilegiert ist. Spiegelbildlich verhält es sich mit der Erschleichung von Beihilfen und Erstattungen bei der Ausfuhr von Waren in Drittländer. Auch in diesem Bereich finden sich unrichtige Angaben bezüglich Menge, Gewicht, Gattung und Bestimmungsland der Waren, die aus der EG ausgeführt werden. Während beim Import hochwertige Produkte als minderwertige Ware bezeichnet oder in zu geringen Mengen angegeben werden, um nicht den vollen Betrag der Abschöpfungen bezahlen zu müssen, werden bei der Ausfuhr die minderwertigen Erzeugnisse als hochwertig deklariert oder mit zu hohen Mengenangaben versehen, um dadurch in den Genuss einer überhöhten Ausfuhrerstattung zu gelangen.183 Falschmeldungen hinsichtlich des Bestimmungslandes von Waren führen immer dann zu ungerechtfertigten Gewinnen, wenn für die betreffenden Drittstaaten höhere Erstattungssätze gelten. Zu den zuvorgenannten Import- und Exportbetrug tritt die Hinterziehung oder Verkürzung von Abgaben sowie die Erschleichung von Beihilfen, welche innerhalb der Europäischen Union fällig bzw. gewährt werden. Schließlich gibt es zahlreiche Fälle, die auf die Ausnutzung von Gesetzeslücken zurückzuführen sind. Dannecker gliedert deren Erscheinungsformen rechtlich in zwei unterschiedliche Bereiche: zum einen in Scheingeschäfte, bei denen entweder überhaupt keine Handlung oder aber eine solche Handlung vorgenommen wird, die eine andere Handlung verdeckt; zum anderen in Umgehungsgeschäfte, deren Besonderheit darin besteht, dass eine Lücke im Gesetz oder jedenfalls eine schlechte Formulierung der gesetzlichen Regelung zwar im Einklang mit ihrem Wortlaut, aber entgegen ihrem Sinn ausgenutzt wird.184
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Eingehend dazu Dannecker, Gerhard: Strafrechtlicher Schutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft gegen Täuschung, ZStW 1996, S. 577–583. 183 Dannecker, Gerhard: Strafrechtlicher Schutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft gegen Täuschung, ZStW 1996, S. 580–581.
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II. Systematik des Betrugsacquis Der Betrugsacquis wird von der Dichotomie des Verwaltungsrechts und des Strafrechts dominiert. Diese Dichotomie ist auf die Struktur des Unionsvertrages zurückzuführen, der eine klare Trennung von Befugnissen zwischen dem Ersten und Dritten Pfeiler bezüglich der Kriminalitätsbekämpfung vornimmt. Durch Art. 280 wird eine Gemeinschaftskompetenz zur Betrugsbekämpfung eingeräumt, d.h., eine Rechtsgrundlage für bestimmte Maßnahmen der Kriminalitätsbekämpfung innerhalb des Ersten Pfeilers geschaffen.185 Alle anderen Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung sind vom Ersten Pfeiler ausgeschlossen und können nur im Rahmen des Dritten Pfeilers verwirklicht werden. Dementsprechend bezieht sich die BetrugVo-EG auf administrative und verwaltungsstrafrechtliche Gemeinschaftssanktionen, während das BetrugÜbk-EU den strafrechtlichen Bereich betrifft. Die BetrugVo-EG bringt eine Verallgemeinerung der Regeln, die bereits im Rahmen einer breiten Palette von bestehenden sektorialen Bestimmungen durchgeführt wurden. Sie legt damit gemeinsame rechtliche Rahmen in allen Bereichen der Gemeinschaftspolitik fest (daher spricht man bisweilen auch von einer horizontalen Verordnung). Dabei kommen einige wesentliche Grundsätze zum Ausdruck, die im strafrechtlichen Bereich allgemein anerkannt sind, für das bisherige Sanktionssystem aber teilweise strittig waren: (i) das Rückwirkungsverbot, (ii) das Schuldprinzip, (iii) ne bis in idem, (iv) der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und (v) die Verfolgungsverjährung. Zweck der BetrugVo-EG ist, die künftige Gesetzgebung der Gemeinschaft im Bereich Sanktionen vorzuzeichnen. Sie will grundsätzlich die bereits bestehenden Vorschriften nicht modifizieren bzw. die Kompetenzzuweisungen ändern.186 Das BetrugÜbk-EU ist eine Ergänzung zur BetrugVo-EG und wurde aufgrund ex K.3 EUV erlassen. Dies bedeutet, dass das Übereinkommen und 184 Dannecker, Gerhard (Hrsg.): Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EGBereich, Köln 1993, S. 29. Weitere Beispiele bei Sieber, Ulrich: Eurofraud, Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung zum Nachteil der Europäischen Gemeinschaft, in: R. Streinz/G. Dannecker/U. Sieber/M. Ritter (Hrsg.): Die Kontrolle der Anwendung des Europäischen Wirtschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, Bayreuth 1998, S. 88 ff. 185 Lusignano, Missir: La protection des intérêts financiers de la Communauté, Journal des tribunaux droit européen 1996, S. 73–78. 186 Heine, Joachim Friedrich: Kontroll- und Sanktionssysteme des Gemeinschaftsrechts zur Bekämpfung von Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten zu Lasten des EG-Haushaltes, in: R. Streinz/G. Dannecker/U. Sieber/M. Ritter (Hrsg.): Die Kontrolle der Anwendung des Europäischen Wirtschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, Bayreuth 1998, S. 190.
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die zugehörigen Protokolle außerhalb des Rechtsrahmens der Europäischen Gemeinschaft bleiben und im Rahmen der intergouvernementalen Bestimmungen des Dritten Pfeilers angenommen wurden. Daher bedürfen sie der Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten gemäß den nationalen Verfassungsbestimmungen. Die Verzögerung der mitgliedstaatlichen Ratifikation des BetrugÜbk-EU war Gegenstand zahlreicher Appelle, worin die europäischen Organe die Mitgliedstaaten zur schnellstmöglichen Ratifikation aufgerufen haben.187 Schließlich haben alle Mitgliedstaaten das Übereinkommen ratifiziert, das am 17.10.2002 in Kraft getreten ist. Im Gegensatz zur BetrugVo-EG richtet sich das BetrugÜbk-EU auf die Angleichung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten, um deren Beitrag zum wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft sicherzustellen. Das BetrugÜbk ist ein deliktspezifisches Übereinkommen, d.h. die Mitgliedstaaten beabsichtigen, den Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft durch Verpflichtungen betreffend Gerichtsbarkeit, Auslieferung und wechselseitige Zusammenarbeit oder, anders ausgedrückt, durch die Stärkung der Zusammenarbeit in Strafsachen zu bekämpfen.188 III. Deliktstruktur Die Dichotomie des Verwaltungsrechts und des Strafrechts bei dem Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften spiegelt sich in den Begriffen Unregelmäßigkeit und Betrug wider. Die BetrugVo-EG meidet nämlich den Begriff „Betrug“ wegen dessen strafrechtlichen Ursprungs und verwendet stattdessen den Ausdruck vorsätzliche, fahrlässige oder sonstige Unregelmäßigkeit. Gemäß Art. 1 Abs 2 der BetrugVo-EG gilt „Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“ 187
Z. B. die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Amsterdam vom 16./17. Juni 1997, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. Dezember 2000. 188 Präambel zum Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. C 316/49 vom 27.11.1995.
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Unter Wirtschaftsteilnehmern sind natürliche oder juristische Personen sowie sonstige, nach dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht anerkannte Rechtssubjekte zu verstehen.189 Eine Unregelmäßigkeit wird durch gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen geahndet. Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit wurde im Schrifttum teilweise für zu unbestimmt befunden. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die BetrugVo-EG als horizontale Verordnung gar nicht beabsichtigt, spezifische Verwaltungsunregelmäßigkeiten zu definieren, sondern eine Rahmenregelung vorzugeben. Der Begriff der Unregelmäßigkeit besteht aus der Handlung (Tun oder Unterlassen), dem Erfolg bzw. der Gefährdung („einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften [. . .] bewirkt hat bzw. haben würde“) und der Rechtswidrigkeit („Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung“). Dies wird mit einer Umgehungsklausel ergänzt, wonach „Handlungen, die nachgewiesenermaßen die Erlangung eines Vorteils, der den Zielsetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften zuwiderläuft, zum Ziel haben, indem künstlich die Voraussetzungen für die Erlangung dieses Vorteils geschaffen werden, haben zur Folge, daß der betreffende Vorteil nicht gewährt bzw. entzogen wird.“190
Erstmals führt das BetrugÜbk-EU eine für die Mitgliedstaaten allgemeingültige Definition des Betrugs ein. Um den verschiedenen Erscheinungsformen des Betrugs Rechnung zu tragen, enthält das BetrugÜbk-EU zwei unterschiedliche, aber dennoch homogene Definitionen: eine für betrügerische Handlungen im Zusammenhang mit Ausgaben und eine für betrügerische Handlungen im Zusammenhang mit Einnahmen. Gemäß Artikel 1 „umfasst der Tatbestand des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften a) im Zusammenhang mit Ausgaben jede vorsätzliche Handlung oder Unterlassung betreffend – die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europäischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, unrechtmäßig erlangt oder zurückbehalten werden; 189
Art. 7 Verordnung des Rates Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. L 312/1 vom 18.12. 1995. 190 Art. 4 Abs. 3 Verordnung des Rates Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. L 312/1 vom 18.12.1995.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte – das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer spezifischen Pflicht mit derselben Folge; – die missbräuchliche Verwendung solcher Mittel zu anderen Zwecken als denen, für die sie ursprünglich gewährt worden sind;
b) im Zusammenhang mit Einnahmen jede vorsätzliche Handlung oder Unterlassung betreffend – die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europäischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, rechtswidrig vermindert werden; – das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer spezifischen Pflicht mit derselben Folge; – die missbräuchliche Verwendung eines rechtmäßig erlangten Vorteils mit derselben Folge.“
Der skizzierte rechtliche Rahmen weist zwei Besonderheiten auf: zum einen die getrennte Regelung von Unregelmäßigkeit und Betrug, zum anderen die getrennte Regelung des Betrugs im Zusammenhang mit den Einnahmen und im Zusammenhang mit den Ausgaben. Diese Regelungstechniken sind Ergebnis des Einflusses der mitgliedstaatlichen Strafrechtssysteme. Die getrennte Regelung von Unregelmäßigkeit und Betrug im acquis war – neben den bereits erwähnten kompetenzrechtlichen Gründen – aus strafrechtlicher Sicht notwendig. Da der Tatbestand der Unregelmäßigkeit auch fraus legis und objektive Strafhaftung beinhaltet, wäre seine Einführung in das Strafrecht für einige Mitgliedstaaten ohne grundlegenden Änderungen ihrer Dogmatik nicht möglich gewesen. Im Vergleich zum Begriff der Unregelmäßigkeit setzt Betrug den Vorsatz und den tatsächlichen Schaden voraus und ist daher wesentlich enger ausgestaltet.191 Die Statuierung zweier Delikte (Betrug im Zusammenhang mit den Einnahmen und Betrug im Zusammenhang mit den Ausgaben) folgt dem Modell der strafrechtlichen Erfassung der Manipulationen zu Lasten der EGFinanzinteressen in den mitgliedstaatlichen Strafrechten. Dannecker stellt fest, dass die nationalen Strafrechtsordnungen im Prinzip eine Zweiteilung zwischen Abschöpfungen bei der Einfuhr in die EG auf der einen Seite und Erstattungen bei der Ausfuhr in Drittländer auf der anderen Seite vornehmen. Die Verkürzung von Einnahmen wird durch das Steuer- und Zollstrafrecht, die Erschleichung von Erstattungen durch den Subventions- oder den 191 Über die Verpflichtung, auch leichtfertige Verhaltensweisen unter Strafandrohung zu stellen, konnten sich die Mitgliedstaaten nicht einigen. Z. Z. stellen nur Deutschland und Portugal den leichtfertigen Subventionsbetrug unter Strafe.
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allgemeinen Betrugstatbestand erfasst.192 Dieser mitgliedstaatlichen Regelung folgt das BetrugÜbk-EU, wenn es in seiner oben zitierten Vorschrift getrennte Regeln für die Schädigung der Einnahmen bzw. der Ausgaben festlegt. Dieser Ansatz wurde jedoch in der gegenwärtigen strafpolitischen Diskussion kritisch aufgenommen, weil er sich zu stark an dem Strafrecht der Mitgliedstaaten orientiere und auf die Besonderheiten der finanziellen Interessen der Gemeinschaften nicht genügend Acht gebe. Die Autoren des Corpus Juris fanden die getrennte Behandlung des Betrugs im Zusammenhang mit Einnahmen bzw. Ausgaben unnötig kompliziert und unbegründet.193 Inspiriert von der deutschen Regelung194 schlugen die Autoren des Corpus Juris einen integrierten Betrugsbegriff195 vor, der sich zwar an den Betrugbegriff des BetrugÜbk-EU anlehnt, jedoch eine darüber hinausgehende Kriminalisierung darstellt. Gemäß Artikel 1 Corpus Juris gilt:196 Es ist eine Straftat, auf dem Gebiet der Ausgaben oder auf dem der Einnahmen vorsätzlich oder leichtfertig: (a) gegenüber der zuständigen Stelle unvollständige oder unrichtige Erklärungen zu Umständen abzugeben, die für die Entscheidung (über die Gewährung einer Beihilfe oder einer Subvention oder über die Bezahlung einer Steuerschuld) erheblich sind, sofern eine solche Erklärung die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften beeinträchtigen kann; (b) es nach einem Antrag auf eine Subvention oder einen steuerlichen Vorteil oder nach deren Erhalt pflichtwidrig zu unterlassen, die zuständige Stelle über Änderungen wichtiger Umstände zu unterrichten, die für die Entscheidung über die Gewährung der Subvention, Beihilfe oder des Steuervorteils oder 192 Dannecker, Gerhard: Strafrechtlicher Schutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft gegen Täuschung, ZStW 1996, S. 583–585. 193 Delmas-Marty, Mireille: Necessity, legitimacy and feasibility of the Corpus Juris, in: M. Delmas-Marty/J. Vervaele (Hrsg.), The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Antwerpen 2000, S. 63–64. 194 Umfassend Zieschang, Frank: Das Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der EG und seine Auswirkungen auf das deutsche Strafrecht, EuZW 1997, S. 78 ff. Vgl. auch Wolfgang, Hans-Michael/Ulrich, Stephan: Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, EuR 1998, S. 638–639. 195 Nachweise bei Sicurella, Rosaria: Definition of Supranational interests and a Proposal for Common Offences: The Need for a New Approach at Community Level, in: M. Delmas-Marty/J. Vervaele (Hrsg.): The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Penal provisions for the protection of the European Finances, Antwerpen/Groningen/Oxford 2000, S. 221. 196 Die deutsche Übersetzung des französischen Originals wurde von Tonio Walter besorgt und ist erhältlich im Internet unter http://europa.eu.int/comm/anti_fraud/ green_paper/corpus/de.doc.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte über deren Ablehnung, Minderung, Aufhebung oder Rückgewähr erheblich sind, sofern eine solche Entscheidung die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften beeinträchtigen kann;
(c) eine Subvention oder Beihilfe zweckwidrig zu verwenden, die aus Gemeinschaftsmitteln rechtmäßig erlangt wurde.
Es ist die grundlegende Idee des Corpus Juris, dass Betrug im Zusammenhang mit Ausgaben und Einnahmen in gleicher Weise behandelt und demzufolge in einem einzigen Tatbestand geregelt werden soll. Die Schaffung eines einheitlichen Tatbestands ist daher keine bloße Kodifizierungstechnik, sie verbirgt zwei rechtspolitische Aussagen. Zunächst stellt sie die Notwendigkeit der Gleichbehandlung betrügerischer Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften klar. Auch dient sie der Übersichtlichkeit der Strafvorschrift. Da die Tatbestandsmerkmale bei beiden Betrugsarten identisch sind, ist es in der Tat konsequenter, die beiden Delikte zu vereinheitlichen. Zugleich würde ein einheitlicher Betrugstatbestand auch der Tendenz in den Mitgliedstaaten besser entsprechen, die Finanzdelikte durch eine einheitliche Strafvorschrift für jedwede Abgabenhinterziehung einheitlich zu erfassen. Ein anderer Vorstoß des Corpus Juris liegt in der Ausgestaltung des Betrugs als abstraktes Gefährdungsdelikt (dazu sogleich). Diese progressive Regelung wurde jedoch von der Kommission nicht aufgegriffen. Sowohl der Vorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft197 als auch das Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften behandeln betrügerische Handlung zum Nachteil der Einnahmen bzw. der Ausgaben getrennt. 1. Schutzzweck Das Bindeglied des Betrugsacquis, welches sowohl BetrugVo-EG als auch BetrugÜbk-EU durchdringt, ist das zu schützende supranationale Interesse, das im Wesentlichen in den finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften liegt.198 Gemeint sind nicht nur die Haushaltsmittel 197 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg., S. 15–16. Im gleichen Sinne auch das Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg., S. 39. 198 Mit Blick auf den Rechtsgutbezug erfuhr die Betrugstrafbarkeit insbesondere im deutschen Schrifttum heftige Kritik. Anhänger der personalen Rechtsgutlehre verneinten das Bestehen überindividueller Rechtsgüter und interpretieren den Betrug
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der Gemeinschaft, sondern ihr gesamtes Vermögen. Dem supranationalen Interesse kommt insoweit besondere Bedeutung zu, als es bei der strafrechtlichen Ahndung sämtlicher, das Vermögen der EG beeinträchtigender Handlungen herangezogen wird und als erste Priorität auf der strafpolitischen Agenda der Kommission und des Europäischen Parlaments gilt. Mittlerweile hat es sich auch in den rechtspolitischen Dokumenten wie dem Corpus Juris, dem Vorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft und dem Grünbuch als schutzwürdiges Interesse etabliert. 2. Tathandlungen Die hauptsächlichen Tatbestandsmerkmale des Betrugs sind im Wesentlichen die Verwendung falscher Unterlagen, das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer aus besonderen rechtlichen Bestimmungen hervorgehenden spezifischen Pflicht, sowie die missbräuchliche Verwendung von Mitteln. Die Unterschiede zwischen dem Betrug im Zusammenhang mit Ausgaben und dem Betrug im Zusammenhang mit Einnahmen betreffen in erster Linie deren Erfolg, also „die unrechtmäßige Erlangung oder Zurückbehaltung von Mitteln“ im ersteren Fall und „die rechtswidrige Minderung von Mitteln“ im zweiten. In beiden Fällen setzt das Übereinkommen vorsätzliches Handeln oder Unterlassen und den Erfolg voraus, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europäischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, unrechtmäßig erlangt oder zurückbehalten werden.199 Es wurde hervorgehoben, dass die Übernahme des BetrugÜbk-EU deswegen Schwierigkeiten bereitet, weil die europäische Definition des Beals ein Delikt gegen das Individualrechtsgut Vermögen (der öffentlichen Hand). (Vgl. Hefendehl, Roland: Strafvorschriften zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union: Gestalten, korrigieren oder verweigern, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, Baden-Baden 2002, S. 415–417.) Diese Einwände sind jedoch zweifelhaft. Vogel hat zu Recht betont, dass die europäische Strafrechtsdogmatik keineswegs dem Systemdenken deutscher Prägung verpflichtet sein müsse (oder sollte). Vielmehr sind in der Europäischen Union die unterschiedlichen Methoden des Umgangs mit dem Strafrecht in den nationalen Rechtsordnungen als gleichwertig anzuerkennen. Vgl. dazu Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 524. Kritisch zum Rechtsgutbegriff als Kriterium der Strafrechtsbegrenzung aus der deutschen Lehre Appel, Ivo: Rechtsgüterschutz durch Strafrecht?, Krit.V 1999, S. 278–311. 199 Art. 1 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. C 316/49 vom 27.11.1995.
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trugs von der Regelung in den Mitgliedstaaten vielfach abweicht.200 Die vielfachen Abweichungen können insbesondere an drei Punkten festgemacht werden: i) Zum einen verlangt die im BetrugÜbk-EU gegebene Definition in Bezug auf die Einnahmeseite die Einpassung detailliert vorgeschriebener Regelungen in die nationalen Zoll- und Steuerstrafgesetze. Dabei muss beachtet werden, dass einige Mitgliedstaaten (z. B. Deutschland, Italien und Spanien) einheitliche Straftatbestände für alle Formen der Zoll- und Steuerhinterziehung eingeführt haben, während andere Länder (wie z. B. Frankreich und Belgien) neben den Steuerstrafvorschriften auch spezielle Zollvorschriften kennen, die die Ein- und Ausfuhrabgaben schützen. Die europarechtliche Vorgabe des Betrugstatbestands erweist sich daher in demjenigen Mitgliedstaaten als problematisch, die einen umfassenden Zoll- und Steuerstraftatbestand haben, weil sie für die EG-Finanzinteressen Sonderregelungen treffen müssen.201 ii) Zum anderen muss beachtet werden, dass die Mitgliedstaaten für den strafrechtlichen Schutz der EG-Ausgaben ihre nationalen Betrugstatbestände angewendet haben, wobei in Europa grundsätzlich zwei Modelle des Betrugstatbestands nachweisbar sind, die in Bezug auf das geschützte Rechtsgut und das strafbare Verhalten von einander abweichen. Das französische Tatbestandmodell des Betrug l’escroquerie verlangt nicht die Zufügung eines Vermögensnachteils. Zudem kann er nur durch positives Tun und nicht auch durch Unterlassen begangen werden, wobei der Begriff der „manœuvres frauduleuses“ (betrügerische Machenschaften) weit ausgelegt wird. Im Unterschied dazu verlangt der deutsche Betrugstatbestand in durchgehendem Kausalzusammenhang eine Täuschungshandlung, eine Irrtumserregung, eine Vermögensverfügung und einen Vermögensschaden bei dem Getäuschten oder bei einem in hinreichender Nähebeziehung stehenden Dritten.202 Da der europäische Betrugstatbestand Elemente beider Modelle verbindet, stellt seine Umsetzung jeden Mitgliedstaat vor gewisse Schwierigkeiten. iii) Schließlich wurde kritisch vermerkt, dass der europäische Betrugstatbestand den klassischen Betrug, die Untreue, die Urkundenfälschung und die Steuer- und Zollhinterziehung in einer einzigen Vorschrift zusam200 Jescheck, Hans-Heinrich: Möglichkeiten und Grenzen eines Strafrechts zum Schutz der Europäischen Union, in: H.-H. Jescheck: Beiträge zum Strafrecht 1980– 1990, Berlin 1998, S. 478. 201 Näher dazu Vervaele, John: La fraud communautaire et le droit pénal européen des affaires, Paris 1994, S. 162 ff. 202 Tröndle, Herbert/Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 50. Aufl., München 2001, Kommentierung zu § 263, Rdn. 1c.
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menfasst, die nur schwer in die bestehenden nationalen Rechte einzuordnen sei.203 Trotz dieser Kritik hebt Tiedemann hervor, dass das BetrugÜbk-EU „mit seiner Betrugsdefinition eine durchaus gelungene Harmonisierung zwischen der an den Diebstahl angelehnten, täuschungs- und verfügungsbetonten Betrugskonzeption englischer und französischer Provenienz und der deutschen Betrugskonstruktion mit ihrer Betonung des Vermögensschadens bringt.“204
Diese Bewertung wurde durch die Rechtsentwicklung bestätigt, da trotz aller Schwierigkeiten bereits alle Mitgliedstaaten das BetrugÜbk-EU umgesetzt haben. Der europäische Betrugstatbestand enthält drei Tathandlungen: die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen, oder Unterlagen, das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer spezifischen Pflicht und die missbräuchliche Verwendung von Mittel zu anderen Zwecken als denen, für die sie ursprünglich gewährt worden sind. Diese letzte Wendung wurde im deutschen Schrifttum kritisch aufgenommen. Schünemann sieht sogar darin ein klares Beispiel dafür, dass das BetrugÜbk-EU „den Umfang des legitimerweise strafbaren Verhaltens in einer gegenüber traditionellem rechtstaatlichen Verständnis unerhöhten und deshalb verfassungsrechtlich bedenklichen Weise ausdehnt.“205
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es sich bei dem Argument einer gegenüber „traditionellem rechtsstaatlichen Verständnis“ unerhöhten Ausdehnung des Strafrechts um einen Blankettvorwurf ohne sachlichen Anknüpfungspunkt in der kritisierten Vorschrift handelt. Deren Legitimität kann sich auch jenseits der von Schünemann in Bezug genommenen rechtsstaatlichen Traditionen aus dem spezifischen Unrechtsgehalt bzw. Bedrohungspotenzial der betreffenden Handlungsformen ergeben. Was die missbräuchliche Verwendung von Subventionen angeht, ist anerkannt, dass diese einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden verursachen, der ein Gegensteuern vermittels des Strafrechts rechtfertigt.206 Entsprechende Straf203 Dannecker, Gerhard: Strafrechtlicher Schutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft gegen Täuschung, ZStW 1996, S. 599. 204 Tiedemann, Klaus: Die Europäisierung des Strafrechts, in: K. F. Kreuzer/D. H. Scheling/U. Sieber (Hrsg.): Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, Baden-Baden 1997, S. 142. 205 Schünemann, Bernd: Ein Gespenst geht durch Europa – Brüsseler Strafrechtspflege intra muros, GA 2002, S. 509. 206 So auch Trechsel, Stefan: Stellungnahme zu den Thesen des „Frankfurter Forum zur Entwicklung rechstaatlichen Grundlagen Europäischen Strafrechts“, KritV 2001, S. 301.
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vorschriften sind denn auch in fast allen Mitgliedstaaten anzutreffen. Die im BetrugÜbk-EU enthaltene strafpolitische Konzeption stellt also lediglich eine Abstrahierung bestehender mitgliedstaatlicher Strafpolitiken dar. Es ist die Aufgabe der nationalen Strafgesetzgeber, diese Strafpolitik in die „Sprache nationaler Strafrechtsdogmatik“ zu übersetzen. In Bezug auf die Reichweite des Schutzes setzt das BetrugÜbk-EU die tatsächliche Schädigung des Gemeinschaftshaushalts voraus. Damit hängt der Betrugstatbestand davon ab, ob der Gebrauch oder die Vorlage von Erklärungen oder Dokumenten zu einer rechtswidrigen Festsetzung oder Belassung der Mittel (im Sinne eines Vermögensschadens) geführt haben. Dies wurde jedoch von den Autoren des Corpus Juris als nicht notwendig empfunden. Nach ihrer Auffassung sollte bereits die Gefährdung der finanziellen Interessen der Gemeinschaften unter Strafe gestellt werden. In deren Konzeption, also durch die Ausgestaltung des Betrugs als einem Gefährdungsdelikt, wäre der Erfolg der Verletzungshandlung keine Voraussetzung für die Strafverfolgung. Den Vorschlag, den Betrug als Gefährdungsdelikt zu formulieren, hat aber der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft nicht aufgegriffen.207 Nach den gegenwärtigen strafpolitischen Bestrebungen der Kommission soll ein Betrug weiterhin nur dann gegeben sein, wenn die Verletzungshandlung bereits zum Erfolg geführt hatte. Mit Blick auf die subjektiven Tatbestandmerkmale verlangt das BetrugÜbk-EU vorsätzliches Handeln. Darüber hinaus wird explizit festgelegt, dass der vorsätzliche Charakter der Tat aus den objektiven Tatumständen geschlossen werden kann. Dannecker merkt an, dass es sich hier um eine an das historische Vorbild des dolus ex re angelehnte Nachweiserleichterung handele, die aber zugleich auch eine strikte (verschuldensunabhängige) Strafhaftung ermögliche.208 Dem lag der Umstand zu Grunde, dass nicht alle EU-Rechtsordnungen den strengen Schuldnachweis verlangen. Im Ergebnis wirkt sich der im BetrugÜbk-EU verfolgte Ansatz dahingehend aus, dass in solchen Mitgliedstaaten, deren Rechtsordnungen die verschuldensunabhängige Strafbarkeit anerkennen, dem Angeschuldigten der Unschulds207 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg., S. 15–16. Im gleichen Sinne auch Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften auf den, im BetrugÜbk-EU vorhandenen Betrugstatbestand. Das Grünbuch regt zugleich aber die Diskussion über die Möglichkeit der Ausgestaltung des Betrugs als Gefährdungsdelikt an. Vgl. dazu das Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg., S. 39. 208 Dannecker, Gerhard: Strafrechtlicher Schutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft gegen Täuschung, ZStW 1996, S. 601.
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beweis auferlegt werden kann, während andererseits Rechtsordnungen, die dem strengen Schuldprinzip verpflichtet sind, an der Unschuldsvermutung festhalten können. Schon im Vorfeld der Annahme des Übereinkommens wurde diskutiert, auch grob fahrlässige Handlungen oder Unterlassungen zu erfassen, die zu einem Schaden für den EG-Haushalt führen,209 da in der Praxis der Schaden oft nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig verursacht wird. Auf eine Verpflichtung, auch leichtfertige Verhaltensweisen unter Strafandrohung zu stellen, konnten sich aber die Mitgliedstaaten nicht verständigen. Das Argument, das Erfordernis vorsätzlichen Handelns für den Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften entspreche der Natur dieser Straftat nicht, wurde erneut von den Autoren des Corpus Juris aufgegriffen.210 Nach ihrer Auffassung soll eine Bestrafung des Betrugs aufgrund der Ähnlichkeit von Subventionsbetrügereien und Steuerhinterziehung „in schweren Fällen auch bei der dem Eventualvorsatz ähnlichen Leichtfertigkeit [erfolgen], die in gewisser Weise dem Begriff der recklessness im britischem Recht entspricht.211
Die Erweiterung des verlangten Schuldgrunds um die Leichtfertigkeit fand indes keinen Eingang in den jüngsten Vorschläge der Kommission.212 Sowohl der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft213 als auch das Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der 209 Entschließung des Rates vom 6. Dezember 1994 über den rechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften, ABl. 1994 Nr. C 355/2 vom 14.12.1994. 210 Delmas-Marty, Mireille: Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Köln/Berlin/Bonn/München 1998, S. 40. Kritisch zur Bestrafung von Leichtfertigkeit Hefendehl, Roland: Strafvorschriften zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union: Gestalten, korrigieren oder verweigern, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, BadenBaden 2002, S. 419–420. 211 Delmas-Marty, Mireille: Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Köln/Berlin/Bonn/München 1998, S. 40. Recklessness betrifft einerseits die Fälle, in denen der Täter sich der Gefährdung bewusst ist, und anderseits beispielsweise die Fälle unbewusster grober Fahrlässigkeit, in denen der Täter wichtige Aufgaben auf unerfahrenen Gehilfen überträgt. 212 Hier ist anzumerken, dass die Leichtfertigkeit in Bezug auf EG-Subventionen bereits im geltendem deutschen Recht unter Strafe gestellt ist. Kritisch hierzu Albrecht, Peter-Alexis/Braum, Stefan: Kontingentes „Europäisches Strafrecht“ in actio, KritV 2001, S. 337 ff. 213 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg., S. 15–16.
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Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft setzen also weiterhin vorsätzliches Handeln voraus. 3. Rechtsfolgen Die Dichotomie des Verwaltungsrechts und des Strafrechts zeigt sich auch bei der Regelung der Rechtsfolgen. Die Sanktionierung betrügerischer Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften erfolgt nämlich zweigleisig. Die BetrugVo-EG schafft die Grundlage für eine einheitliche Ahndung solcher Verhalten durch das Verwaltungs(straf) recht, während das BetrugÜbk-EU ausdrücklich Strafen fordert. Entsprechend der getroffenen thematischen Eingrenzung werden in diesem Abschnitt nur die Sanktionen gegenüber natürlichen Personen besprochen. Die einschlägigen Vorschriften zur Sanktionierung juristischer Personen bleiben außer Acht. Die BetrugVo-EG sieht gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen zur Ahndung von Unregelmäßigkeiten vor. Im Vorfeld der Annahme des Textes war es erforderlich, sich mit der Abgrenzung zwischen verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen auseinanderzusetzen. Die Verordnung hat die Schwierigkeit nicht zu lösen versucht; sie setzt die Existenz des Unterschiedes einfach voraus.214 Wie sich eindeutig aus dem Text ergibt, will sie nur verwaltungsrechtliche Sanktionen erfassen. Dementsprechend enthält Art. 4 eine Negativliste von Maßnahmen, die nach Auffassung der Kommission nicht als Sanktionen gelten, sowie eine Positivliste von Instrumenten, die insbesondere als Sanktionen gelten sollen. Keine Sanktionen sind danach: (i) der Entzug des unrechtmäßig erlangten Vorteils; (ii) die Verpflichtung zur Zahlung oder Rückerstattung geschuldeter oder unrechtmäßig erhaltener Beträge, gegebenenfalls zuzüglich der Zinsen; (iii) der vollständige oder teilweise Verlust der Sicherheit; die wegen eines Antrags auf Gewährung eines Vorteils oder bei dem Erhalt eines Vorschusses hinterlegt wurde. Diese Verwaltungsmaßnahmen haben gemeinsam, dass sie alle auf die Rückerstattung geschuldeter oder unrechtmäßig erhaltener Beträge abzielen und keine vorsätzliche oder fahrlässige Handlung verlangen. Art. 5 enthält demgegenüber sieben Sanktionsarten, die anstatt auf den Entzug alle auf die Bestrafung und ggf. Zurückhaltung gerichtet sind. Diese Aufzählung basiert auf den im Agrarbereich schon angewandten Sanktions214 Heine, Joachim Friedrich: Kontroll- und Sanktionssysteme des Gemeinschaftsrechts zur Bekämpfung von Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten zu Lasten des EG-Haushaltes, in: R. Streinz/G. Dannecker/U. Sieber/M. Ritter (Hrsg.): Die Kontrolle der Anwendung des Europäischen Wirtschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, Bayreuth 1998, S. 192.
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formen, ist aber nicht abschließend. Sanktionen sind demnach: (i) Zahlung einer Geldbuße, (ii) Zahlung eines Betrages, der den rechtswidrig erhaltenen oder hinterzogenen Betrag, gegebenenfalls zuzüglich der Zinsen, übersteigt; (iii) der vollständige oder teilweise Entzug eines nach Gemeinschaftsrecht gewährten Vorteils, auch dann, wenn der Wirtschaftsteilnehmer nur einen Teil dieses Vorteils unrechtmäßig erlangt hat; (iv) der Ausschluss oder die Rücknahme eines Vorteils für einen Zeitraum, der auf den Zeitraum folgt, auf den sich die Unregelmäßigkeit bezieht; (v) der Widerruf einer Bewilligung oder einer Anerkennung, die für die Teilinhaber an einem gemeinschaftlichen Beihilfesystem erforderlich sind; (vi) Verlust einer Sicherheit oder Garantie, die zur Gewährleistung der Erfüllung der Bedingungen einer Regelung geleistet wurde; (vii) weitere ausschließlich wirtschaftliche Sanktionen gleichwertiger Art und Tragweite.215 Wesentlich erscheint die der Verordnung zu Grunde liegende Unterscheidung zwischen solchen Maßnahmen, die eigentlich nur den rechtmäßigen Zustand wiederherstellen sollen (reparative Maßnahmen) und solchen, die darüber hinaus an ein rechtswidriges Verhalten nachteilige Folgen knüpfen (repressive Sanktion). Die Verordnung selbst zieht drei Folgen aus der obigen Unterscheidung: a) Erstens bewirkt eine Unregelmäßigkeit in der Regel nur eine Verwaltungsmaßnahme. Eine Verwaltungssanktion wird demgegenüber nur dann verhängt, wenn sie für die korrekte Anwendung der Regelung unerlässlich ist. Bei der Anwendung von Verwaltungssanktionen genießen daher die Mitgliedstaaten einen größeren Entscheidungsraum als bei Verwaltungsmaßnahmen, während letztere quasi automatisch greifen.216 b) Zweitens setzen Verwaltungssanktionen vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln voraus, während dies bei Verwaltungsmaßnahmen nicht vorgesehen ist. Danach können Verwaltungsmaßnahmen verhängt werden, ohne dass ein Verschulden des betroffenen Wirtschaftsbeteiligten festzustellen ist. Von dem Schuldprinzip gibt es eine bedeutsame Ausnahme für diejenigen sektoralen Regelungen, die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Verordnung bereits bestanden, hierzu zählen vor allem die des landwirtschaftlichen Bereiches. Ziel der Ausnahme ist die Wahrung des acquis 215 Es fragt sich, ob die Regelung, wonach z. B. der Ausschluss von gemeinschaftlichen Beihilfen nur als Folge vorsätzlicher oder fahrlässiger Unregelmäßigkeit verhängt wird, den Wirtschaftsbedingungen entspricht. Vielmehr sollte ein insolventer Wirtschaftsbeteiligter ohne vorsätzliche oder fahrlässige Unregelmäßigkeit aus gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeprogrammen – durch Verwaltungsmaßnahme – ausgeschlossen werden können. 216 Bestätigt durch den EuGH in Rs. 54/81 Fromme, Slg. 1982, 1095.
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commumautaire – was bisher schon galt, soll durch die Neuregelung nicht in Frage gestellt werden. Die Tragweite der einschränkenden Bedingung soll nach der Meinung von Heine begrenzt sein, da in den Fällen nicht schuldhafter Unregelmäßigkeiten meistens de facto Fahrlässigkeit vorliege.217 Dies wird durch die mitgliedstaatliche Rechtsprechung bestätigt.218 c) Drittens gilt das Rückwirkungsverbot nur für Verwaltungssanktionen. Dementsprechend kann eine Verwaltungssanktion nur dann verhängt werden, wenn sie in einem Rechtsakt der Gemeinschaften bereits vor dem Zeitpunkt der Unregelmäßigkeit vorgesehen war (Art. 2 Abs. 2). Darin zeigt sich das Bewusstsein, dass Verwaltungssanktionen, die ja eigentlich den Strafsanktionen ähnlich sind, strengeren Anwendungskriterien im Hinblick auf die Gewährleistung von Menschenrechten genügen müssen.219 Die Verordnung überlässt es den Mitgliedstaaten, ob sie für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts von ihren nationalen Strafrechten Gebrauch machen oder nicht. Hinsichtlich der Tatsache, dass Verwaltungssanktionen (also Ordnungswidrigkeiten) nur in vier von den pre-Maastricht Mitgliedstaaten voll entwickelt waren, während drei von den Mitgliedern den Begriff der Ordnungswidrigkeit überhaupt nicht kannten,220 erscheint die Regelung der Verordnung nicht als Überraschung. Im Unterschied zur Verordnung legt das BetrugÜbk-EU bezüglich der Rechtsfolgen fest, dass die betrugsbegründenden Handlungen und Unterlassungen mit Strafsanktionen geahndet werden sollen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Betrug in allen Mitgliedstaaten unabhängig von seiner Etikettierung eine Straftat bildet und damit der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit für die Zwecke der Zusammenarbeit erfüllt ist.221 217 Heine, Joachim Friedrich: Kontroll- und Sanktionssysteme des Gemeinschaftsrechts zur Bekämpfung von Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten zu Lasten des EG-Haushaltes, in: R. Streinz/G. Dannecker/U. Sieber/M. Ritter (Hrsg.): Die Kontrolle der Anwendung des Europäischen Wirtschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, Bayreuth 1998, S. 198. 218 Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 23. Juni 1998 abgedruckt in ZfZ 1999/1, S. 25 ff. 219 So auch die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK, vgl. Öztürk v. Germany, Urteil vom 21. Februar 1984, Serie A, Nr. 73; auch EuGRZ 1985, S. 62 ff. 220 Delmas-Marty, Mireille: Rapport Final – Etude Comparative des dispositions législatives, réglementaires des états members relatives aux agissements frauduleux commis au préjudice du budget communautaire – un rapport de synthése, étude sur les systèmes de sanctions communautaires (1994), SEC 1994(93), OOPEC. 221 Es bleiben jedoch dann Schwierigkeiten bestehen, wenn die Doppelbestrafung in concreto stattfindet. Dazu bereits in § 4 II.
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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müssen diese Sanktionen wirksam, angemessen und abschreckend sein. Den Mitgliedstaaten bleibt jedoch ein Ermessensspielraum, um Höhe und Ausmaß dieser strafrechtlichen Sanktionen festzulegen. So handelt es sich bei den geplanten Sanktionen nicht unbedingt in allen Fällen um Freiheitsstrafen; sie können insbesondere auch in Geldstrafen oder in der einen und anderen dieser Strafen bestehen. Gemäß dem Übereinkommen müssen die Mitgliedstaaten allerdings zumindest bei schweren Betrugsfällen Freiheitsstrafen vorsehen. Außer in Fällen des Betrugs in einer von den einzelnen Mitgliedstaaten festzusetzenden Mindesthöhe, die jedoch nicht über e 50.000 liegen darf, überlässt das Übereinkommen es den Mitgliedstaaten, die Tatumstände festzulegen, die den schweren Betrug erfüllen. Das BetrugÜbk-EU meidet also eine konkrete Festlegung der Art und Höhe der anzuwendende Strafe. Es überlässt den Mitgliedstaaten, den Forderungen des Gemeinschaftsrechts nachzukommen. Damit erreicht das BetrugÜbk-EU zwar eine Assimilierung, jedoch kaum eine Harmonisierung. Unter dem Gesichtspunkt des Effektivitätsgebots schlug das Corpus Juris dann ein gemeinschaftsweit einheitlich festgelegtes Sanktionssystem zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften vor.222 Wie bereits in § 11 II 2 ausgeführt wurde, hat die vergleichende Studie über die Kompatibilität des Corpus Juris mit den mitgliedstaatlichen Strafrechten sämtliche Einwände gegen obige Vorschrift dargestellt. Dies mag erklären, dass sich der Vorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft223 und das Grünbuch224 damit begnügen, die Forderung nach wirksamen Sanktionen im Recht der Mitgliedstaaten zu erheben, ohne die konkrete Art und das Ausmaß der Sanktion näher festlegen zu wollen. Im Lichte der Schlussfolgerungen des Rates vom April 2002 zur Frage des Strafmaßes225 scheint jedoch die Behauptung von Jokisch, wonach die Existenz unterschiedlicher Sanktionen zum gegenwärtigen Stand der gemeinschaftsrechtlichen Integration hingenommen werden müsse, eindeutig als überholt.226 Die zukünftige Entwicklung könnte durchaus zu einem EU-weiten gestuften System der Strafniveaus führen.227 Da222 Art. 14 Corpus Juris, vgl. im Intenet unter http://europa.eu.int/comm/anti_ fraud/green_paper/corpus/de.doc. 223 Art. 10 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg. 224 Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg. 225 Dazu bereits in § 11 II 2. 226 Jokisch, Jens: Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, Berlin 2000, S. 85.
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rüber hinaus wird bereits seit längerer Zeit auf EU-Ebene diskutiert, ob man neben den herkömmlichen Sanktionsarten weitere Sanktionsformen, wie etwa den Ausschluss von zukünftigen Subventionen oder öffentlichen Aufträgen, die Veröffentlichung des Namens der bestraften Gesellschaft (sog. blacklisting) usw., einführen sollte. IV. Einige verfahrensrechtliche Fragen Aus dem zweigleisigen Ansatz von BetrugVo-EG und BetrugÜbk-EU folgt, dass das Verhältnis zwischen einem Verwaltungsverfahren aufgrund der Verordnung und einem Strafverfahren aufgrund des Übereinkommens der Regelung bedarf. Dabei folgen die Verordnung und das Übereinkommen dem Modell, dass Verwaltungsmaßnahmen und Verwaltungssanktionen von Verwaltungsbehörden verhängt werden, während Strafsanktionen den Gerichten überlassen sind. Um parallelen Verfahren vorzubeugen, kann die Verhängung von finanziellen Sanktionen gemäß BetrugVo-EG durch den Beschluss der zuständigen Behörde ausgesetzt werden, wenn gegen die betreffende Person ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, das dieselbe Tat betrifft.228 Nach dem Abschluss des Strafverfahrens oder wenn das Strafverfahren nicht fortgesetzt wird, wird das ausgesetzte Verwaltungsverfahren wieder aufgenommen, sofern dies dem Grundsatz von ne bis in idem nicht widerspricht. Dieses Modell hat zweierlei Konsequenzen: Einerseits erscheint die Verwirklichung des Grundsatzes ne bis in idem fraglich, da in den einzelnen Mitgliedstaaten die Auffassungen darüber, ob dieses Prinzip für das Verhältnis von Verwaltungssanktion und Strafsanktion gilt, auseinander gehen. Deswegen kann die Auslegung dieser Bedingung auch von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausfallen.229 Die BetrugVo-EG stellt diesbezüglich nur fest, dass die mitgliedstaatlichen Behörden bei einer Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens alle Sanktionen berücksichtigen können, die die Justizbehörde wegen derselben Tat gegenüber derselben Person verhängt hatte. Das BetrugÜbk-EU enthält zum Konkurrenzverhältnis zwischen Verwaltungs- und Strafverfahren keine Angaben. Demzufolge sind die 227 So Ratsdokument Nr. 7991/02, Tagung des Rates – Justiz, Inneres und Katastrophenschutz – am 25/26. April 2002 in Luxemburg, S. 15. 228 Art. 6 Verordnung des Rates Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. L 312/1 vom 18.12. 1995. 229 Heine, Joachim Friedrich: Kontroll- und Sanktionssysteme des Gemeinschaftsrechts zur Bekämpfung von Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten zu Lasten des EG-Haushaltes, in: R. Streinz/G. Dannecker/U. Sieber/M. Ritter (Hrsg.): Die Kontrolle der Anwendung des Europäischen Wirtschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, Bayreuth 1998, S. 199.
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mitgliedstaatlichen Behörden zur Anwendung des Anrechnungsprinzips bei konkurrierenden Verwaltungs- und Strafverfahren nicht verpflichtet. Hinzu kommt, dass die unverbindliche Regelung der BetrugVo-EG nur für die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens gilt. Sollte eine Verwaltungssanktion bereits ergangen sein, gibt das BetrugÜbk-EU keinen Aufschluss über die Anrechnung dieser Sanktion auf eine mögliche Strafe. Während Verwaltungssanktionen bei Unregelmäßigkeiten zwingend verhängt werden müssen, sind Strafen optional. Aus diesem Grunde fordert De Doelder eine Anrechnung der Verwaltungssanktion auf die zu ergehende Strafe.230 Zweitens bedeutet die Regel, dass die Verhängung einer Verwaltungsmaßnahme solange ausgesetzt werden soll, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist, mit anderen Worten, dass, solange das Strafverfahren läuft, keine Verwaltungssanktion verhängt werden kann, und zwar auch nicht in solchen Fällen, in denen es aus praktischen Gründen unerlässlich wäre. Zugleich liegt dieser Regelungsmethode eine getrennte Zusammenarbeit einerseits zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und anderseits zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten zu Grunde, ein Ansatz der heute als überholt gilt.231
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de Doelder, Hans: Boundaries between Administrative and Judicial Investigation, in: J. Vervaele (Hrsg.): Transnational Enforcement of the Financial Interests of the European Union, Antwerpen/Groningen/Oxford 1999, S. 39. 231 Näheres dazu in § 9.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte
§ 13 Korruption Die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sind neben Betrug am stärktsten durch Bestechungshandlungen von oder gegenüber nationalen wie Gemeinschaftsbeamten beeinträchtigt. In den Abschnitten I und II werden die historischen und strafpolitischen Hintergründe der Korruptionsstrafbarkeit ausgeführt. Sodann behandelt Abschnitt III die Amtsträgerkorruption, Abschnitt IV die Korruption im privaten Sektor und Abschnitt V das trading in influence. Als Zusammenfassung zeichnet Abschnitt VI die Hauptzüge des Korruptionsacquis nach. Der acquis des Korruptionsstrafrechts umfasst das Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften [P-BetrugÜbk-EU]232, das Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind [BestÜbk-EU]233, die Gemeinsame Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor234, die Initiative des Königreichs Dänemark zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor235 und den Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor.236 Das Thema Korruption wird derzeit in zahlreichen internationalen Foren, u. a. der G8, der OECD237, dem Europarat, den Vereinten Nationen238 und der Welthandelsorganisation diskutiert.239 Das Ergebnis dieser Beratungen 232 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung eines Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1996 Nr. C 313/1 vom 23.10.1996. 233 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrages über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind – Korruptionsübereinkommen, ABl. 1997 Nr. C 195/2 vom 25.6.1997. 234 Gemeinsame Maßnahme vom 22. Dezember 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend die Bestechung im privaten Sektor, ABl. 1998 Nr. L 358/2 vom 31.12.1998. 235 Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2002 Nr. C 184/5 vom 2.8.2002. 236 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192/54 vom 31.7.2003. 237 Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellt keine europäische Organisation im engeren Sinne dar, da neben zahlreichen europäischen Staaten auch außereuropäische Industriestaaten wie Australien, Japan, Kanada, und die USA Mitglieder sind. 238 UN Convention against Corruption, Doc. A/58/422.
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hat Auswirkungen für die Union. Bisweilen haben insbesondere das im Rahmen der OECD abgeschlossene Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr240 und die vom Ministerrat des Europarates verabschiedete Strafrechtskonvention zur Korruption241 Einfluss auf die Strafpolitik der Europäischen Union ausgeübt.242 Diese beiden Konventionen sieht der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor sogar als selbstverständlichen Bestandteil des acquis an.243 Den Verhandlungen im Europarat und in der OECD kommt insbesondere deswegen große Bedeutung zu, weil die Vereinbarkeit der Verhandlungen in den beiden Organisationen mit den in der Union laufenden Arbeiten sichergestellt werden muss und unnötige Überschneidungen oder Unvereinbarkeiten mit den im Europarat und in der OECD ausgearbeiteten Übereinkommen möglichst vermieden werden sollen.244 Es soll vorweg klargestellt werden, dass die hier zu besprechenden Instrumente die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen ohne Ausnahme vorsehen. Diese Regelungen bleiben jedoch in den nachstehen239 Darüber hinaus wurde bereits 1996 in der OAS (Organisation of American States) eine Vereinbarung zur Kriminalisierung der internationalen Bestechung fertiggestellt. Inter-American Convention Against Corruption, Caracas, 29.3.1996, abgedruckt in van den Wyngaert, Christine/Stessens, Guy/van Daele, Inneken (Hrsg.): International Criminal Law. A Collection of International and European Instruments, The Hague, 2000, S. 663. 240 Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997, abgedruckt in BT-Drucks. 13/10428, S. 9 ff. Gegenstand des OECD Übereinkommens ist die „aktive Bestechung“, d.h. der Tatbestand, der von demjenigen verwirklicht wird, der das Bestechungsgeld verspricht oder gibt. Damit stellt das OECD Übereinkommen auf die Gewährungsseite der Korruption ab, was oft zu Recht als Schwäche des Übereinkommens hervorgehoben wurde. 241 Criminal Law Convention on Corruption, ETS No. 173. 242 Gemeinsamer Standpunkt vom 6. Oktober 1997 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegt – zu den Verhandlungen im Europarat und in der OECD über die Bekämpfung der Korruption, ABl. 1997 Nr. L 279/1 vom 13.10.1997, sowie Zweiter Gemeinsamer Standpunkt vom 13. November 1997 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegt – zu den Verhandlungen im Europarat und in der OECD über die Bekämpfung der Korruption, ABl. 1997 Nr. L 320/1 vom 21.11.1997. 243 Punkt 8, Einleitung, Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192/54 vom 31.7.2003. 244 Einleitung, Zweiter Gemeinsamer Standpunkt vom 13. November 1997 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegt – zu den Verhandlungen im Europarat und in der OECD über die Bekämpfung der Korruption, ABl. 1997 Nr. L 320/1 vom 21.11.1997.
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den Ausführungen aufgrund der thematischen Eingrenzung der Arbeit unbehandelt. Die Verantwortlichkeit und Sanktionen, die in diesem Kapitel besprochen werden, beziehen sich ausschließlich auf natürliche Personen. I. Der Paradigmenwechsel All die hier besprochenen Instrumente stammen aus der Zeit gegen Ende der 90er Jahre, was von einem gegenwärtig global erhöhten Bewusstsein für die Gefährlichkeit der Korruption und die Notwendigkeit ihrer Eindämmung zeugt.245 Da Korruption bekanntermaßen schon seit einiger Zeit grenzüberschreitend praktiziert wird, ist die relativ späte Initiative der internationalen Gemeinschaft zur Bestrafung von Bestechungsdelikten im Ausland umso schwerer verständlich. Stessens246 und Pieth247 führen das verzögerte Tätigwerden von internationalen Organisationen, inbegriffen die Europäische Union, auf diesem Gebiet auf den kalten Krieg und die durch ihn entstandenen Spannungen unter den Nationen zurück, die unvermeidlich zum Scheitern früherer Versuche zur internationalen Korruptionsbekämpfung geführt hätten. Die Vereinten Nationen hatten ihre diesbezüglichen Bemühungen Ende der 70er Jahre abgebrochen, als sie beim Entwurf eines entsprechenden Übereinkommens auf gravierende politische Probleme gestoßen waren. 1989 waren die Vereinigten Staaten noch immer das einzige Land der Welt, in dem transnationale Bestechung strafrechtlich verfolgt und das Gesetz über korrupte Praktiken im Ausland (Foreign Corrupt Practices Act) von 1977 effektiv umgesetzt wurde. Der private Sektor der Vereinigten Staaten sah hierin ein Wettbewerbshindernis für die amerikanische Wirtschaft im internationalen Handel. Hier lag der eigentliche Grund, weswegen die US-Regierung nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime im Rahmen der OECD erneut den Versuch unternahm, sich weltweit für die strafrechtliche Behandlung im Ausland begangener Korruptionsdelikte einzusetzen.248 Die dann begonnenen Arbeiten der OECD, insbesondere im Zeitraum von 1989–1994, also bis zur Annahme der ersten Empfehlung, 245 Dölling, Dieter: Die Neuregelung der Strafvorschriften gegen Korruption, ZStW 2000, S. 334. Ähnlich der Erläutende Bericht zur Korruptionskonvention des Europarats, wonach: „From the beginning of the 90s corruption has always been in the headlines of the press [. . .it does appear to] have virtually exploded across the newspaper columns and law reports of a number of States from all corners of the world, irrespective of their economic or political regime.“ Explanatory Report on the Criminal Law Convention on Corruption, Strasbourg, 1990, No. 4. 246 Stessens, Guy: The international fight against corruption, RIDP 2001, S. 896. 247 Pieth, Mark: Internationale Harmonisierung von Strafrecht als Antwort auf transnationale Wirtschaftskriminalität, ZStW 1997, S. 759. 248 Eisele, Jörg: Europäisches Strafrecht – Systematik des Rechtsgüterschutzes durch die Mitgliedstaaten, JA 2000, S. 992.
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haben sehr viel dazu beigetragen, dass die öffentliche Meinung zumindest in den Industriestaaten nicht länger bereit war, Korruption als eine Grundtatsache hinzunehmen.249 Das entschlossene Engagement der OECD-Staaten unter der Führung der Vereinigten Staaten hatte bewirkt, dass andere Foren, wie der Europarat und die Europäische Union, die Frage der Korruption aufgriffen und übte dadurch in der Korruptionsbekämpfung unbestreitbar einen Katalysatoreffekt aus.250 Die Zeit war aber auch aus einem anderen Grund reif für eine solche Initiative. Ende der 80er Jahre gelangten Wirtschaftskriminalität und organisierte Verbrechen an die Spitze der strafpolitischen Debatte. Die neu entstandenen Beziehungen zwischen Korruption und organisiertem Verbrechen führten zur Entwicklung neuer Methoden gemeinsamer Standardbildung.251 Im Kontext der Europäischen Union hängt das energische Auftreten gegen korruptes Verhalten mit dem Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften zusammen. Letztere sind neben Betrug am stärksten durch Bestechungshandlungen von oder gegenüber nationalen wie Gemeinschaftsbeamten beeinträchtigt, die für die Erhebung, die Verwaltung oder die Bewilligung der ihrer Kontrolle unterliegenden Gemeinschaftsmittel verantwortlich sind.252 Korruption verursacht gravierende materielle und immaterielle Schäden, sie verzerrt den freien Wettbewerb sowohl auf dem Binnenmarkt253 als auch auf dem Weltmarkt,254 führt zu erhöhten Preisen 249 Pieth, Mark: Das Bestechungsübereinkommen der OECD, in: G. Dannecker/ R. Leitner (Hrsg.): Schmiergelder – Strafbarkeit und steuerrechtliche Abzugsverbote in Österreich und Deutschland, Wien 2002, S. 17. 250 Der Europarat leitete regionale Arbeiten zum Thema Korruption im Jahr 1994 ein, auch die OAS begann 1994 auf Initiative Venezuelas mit dem Entwurf einer Konvention zur Korruptionsbekämpfung. Die Internationale Handelskammer nahm ihre Arbeiten zur Modernisierung des Verhaltenskodex wieder auf und die Vereinten Nationen nahmen Korruptionsbekämpfung 1996 erneut auf ihre Agenda. Schließlich wurde 1993 Transparency International gegründet. 251 Pieth, Mark: International Efforts to Combat Corruption, in: A. Alvazzi del Frate/G. Pasqua (Hrsg.): Responding to the Challenges of Corruption, Acts of the International Conference Milan, 19–20 November 1999, Rome 2000, S. 21–32. 252 Tiedemann bemerkte bezüglich der deutschen Lage empört: „Vor allem die Straflosigkeit der EG-Beamten wegen Korruption ist ärgerlich und peinlich, wie die neuste Affäre um den Leiter der Generaldirektion XIII., Heinrich von Moltke, zeigt.“ Tiedemann, Klaus: Die Europäisierung des Strafrechts, in: K. F. Kreuzer/D. H. Scheling/U. Sieber (Hrsg.): Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, Baden-Baden 1997, S. 143. 253 Detaillierte Analyse über die Auswirkungen von Bestechung auf die Wettbewerbsbedingungen und auf den Binnenmarkt in der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Politik der EU zur Bekämpfung von Korruption, KOM (1997) 192 endg. 254 US-amerikanische Unternehmen behaupten, Verträge deswegen zu verlieren, weil insbesondere ihre europäischen Konkurrenten Schmiergelder anböten. White,
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von Waren und öffentlichen Projekten und untergräbt das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Entscheidungsmechanismus. Bis vor kurzem beruhte die Bestrafung von Korruption in den Mitgliedstaaten auf dem Staatsmodell des 19. Jahrhunderts, wobei die präventiven und repressiven Zwecke des Korruptionstatbestandes auf nationale Amtsträger bzw. Angestellte gerichtet wurden. In diesem Konzept diente das Strafrecht dem Schutz ausschließlich nationaler Interessen (Rechtsgüter), blieben entsprechende Interessen anderer Staaten unbeachtet und internationale Organisationen existierten zu dieser Zeit noch kaum. Die Abstinenz der Bestrafung der transnationalen Bestechung ging auf das nationalstaatliche Prinzip zurück, dass man sich im Strafrecht um fremde Staatsinteressen prinzipiell nicht kümmern brauche.255 Inzwischen jedoch brachte dieser Ansatz immer größere Anomalien hervor und führte mit Blick auf die Europäische Union dazu, dass die Bestechung von Beamten anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Union nach dem Strafrecht der meisten Mitgliedstaaten sogar dann straflos blieb, wenn die Straftat auf dem eigenen Staatsgebiet oder auf die Anstiftung eigener Staatsangehöriger stattfand.256 Das rechtswidrige Verhalten kann in solchen Fällen unter Umständen durch die Anwendung anderer Straftatbestände – wie Betrug oder Untreue – verfolgt werden, die Bestechungshandlung selbst blieb jedoch straflos. Die Notwendigkeit der Korruptionsbekämpfung auf Unionsebene wurde bereits im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des BetrugÜbk anerkannt. Das Europäische Parlament hatte 1995 einen Bericht zur Korruption anfertigen lassen. In dem Bericht, der das Thema Korruption nicht allein unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft behandelte, wurde auf das Bedrohungspotential der Korruption, auf den Zusammenhang zwischen Korruption und organisiertem Verbrechen und auf die Notwendigkeit eines Vorgehens der Union zur Korruptionsbekämpfung hingewiesen.257 Simone: Protection of the Financial Interests of the European Communities: the Fight against Fraud and Corruption, The Hague 1998, S. 167. 255 Oehler, Dietrich: Internationales Strafrecht, 2. neubearb. Aufl., Köln 1983, Rdn. 232 ff. und 787 ff. 256 Eine Ausnahme bildet der Prevention of Corruption Act von 1906 in Großbritannien, welcher die Bestechung von oder gegenüber „any member, officer or servant of a public body“ unter Strafe stellt. Da die britische Norm gegen die internationale Korruption als Variante der Untreue im Amt konzipiert ist, schützt sie im weiteren Sinne auch fremde Vermögensinteressen und findet Anwendung auch auf Beamte fremder Staaten. 257 European Parliament, Report of the Committee on Civil Liberties and Internal Affairs on combating corruption in Europe, Rapporteur Heinke Salish, 1995.
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Gestützt auf diese Vorarbeiten wurde das Protokoll zum BetrugÜbk-EU auf Antrag des spanischen Vorsitzes als Zusatzinstrument zur Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaft vorgeschlagen und vom Rat im September 1996 angenommen. Es zielt insbesondere auf die Bekämpfung von Bestechungshandlungen ab, an denen nationale oder Gemeinschaftsbeamte beteiligt sind und durch die die finanziellen Interessen der Gemeinschaften geschädigt werden bzw. geschädigt werden können.258 Da das P-BetrugÜbk-EU sich auf den Tatbestand der Korruption zum Nachteil der Europäischen Gemeinschaften beschränkte, unterbreitete Italien in 1996 einen Entwurf für ein ergänzendes Übereinkommen, um zu gewährleisten, dass alle Formen aktiver oder passiver Bestechung von EG-Beamten oder Beamten der Mitgliedstaaten unter Strafe gestellt werden, selbst wenn die Gemeinschaftsfinanzen nicht berührt werden.259 Es ist wichtig hervorzuheben, dass es ursprünglich an einem integrierten Konzept zur Eindämmung der Korruption gefehlt hatte und der acquis somit nur nach und nach die Teilaspekte der Problematik abdeckte. Erst 1997 wurde die Entwicklung einer kohärenten Strategie zur Korruptionsbekämpfung innerhalb und außerhalb der Grenzen der Europäischen Union festgelegt. Nach Meinung der Kommission sollte eine solche Strategie die Bereiche internationaler Handel und Wettbewerb, Finanzhilfen für Drittländer, Eigenmittel, Entwicklungspolitik und Beitrittsvorbereitung abdecken.260 Im Unterschied zu den ambitiösen Plänen der Kommission konnte sich bis jetzt eine solche Strategie noch nicht verwirklichen lassen. Zwar werden den mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden vergleichsweise wenig Korruptionsdelikte bekannt, doch betragen Schmiergelder nach einem Bericht des Europäischen Parlaments in den meisten Mitgliedstaaten 2 bis 10% des Transaktionswertes.261 Nach Schätzung des Europarates fließen in manchen Mitgliedstaaten sogar 10 bis 15% des Preises, den der Käufer zahlt, in Korruption.262 Daher muss man von einem erheblichen Dunkelfeld ausgehen, das der latenten Natur von Korruptionsdelikten 258 Einleitung, Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung eines Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1996 Nr. C 313/1 vom 23.10.1996. 259 Im Detail Grotz, Michael: Legal Instruments of the European Union to Combat Corruption, in: C. Fijnaut/L. Huberts (Hrsg.): Corruption, Integrity and Law Enforcement, The Hague/London/New York 2002, S. 381–384. 260 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Politik der EU zur Bekämpfung von Korruption, KOM (1997) 192 endg., S. 4. 261 European Parliament, Report of the Committee on Civil Liberties and Internal Affairs on combating corruption in Europe, Rapporteur Heinke Salish, 1995. 262 Council of Europe, Administrative, civil and penal aspects, including the role of the judiciary, of the fight against corruption, 1995.
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zuzuschreiben ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Dölling, dass zur Eindämmung der Korruption in erster Linie wirksame kriminalpräventive Maßnahmen erforderlich sind, dass aber auf den ergänzenden Einsatz des Strafrechts nicht verzichtet werden kann.263 Die kriminologischen Aspekte der Korruptionsdelikte, die notwendigen Maßnahmen der Prävention, sowie die damit zusammenhängenden organisatorischen Fragen dürfen daher nicht vernachlässigt werden.264 Sie wurden jedoch bereits in zahlreichen Veröffentlichungen ausführlich besprochen265 und sind daher nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Ausgeklammert bleiben darüber hinaus die Ebenen des Prozessrechts und der Anwendungspraxis. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich allein auf die Betrachtung des strafrechtlichen acquis. II. Rechtsgüter und Systematik des Korruptionsacquis Im Allgemeinen sollen durch die Kriminalisierung der Korruption drei Ziele erreicht werden. Diese Ziele bestimmen zugleich die durch die Korruptionstatbestände geschützten Rechtsgüter, die sowohl auf mitgliedstaatlicher als auch auf supranationaler Ebene gelten. Die Bestrafung der Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Amtsträgern dient der Wahrung der Integrität der öffentlichen Verwaltung und der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes. Dadurch soll das Vertrauen der Allgemeinheit in die Nichtkäuflichkeit der Amtsträger und in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen geschützt werden. Dies ist ein modernes demokratisches Rechtsgut,266 da es die Sachlichkeit öffentlicher Verwaltung als not263 Dölling, Dieter: Die Neuregelung der Strafvorschriften gegen Korruption, ZStW 2000, S. 335. 264 Der Europarat hat eine zivilrechtliche Konvention zur Korruptionsbekämpfung angenommen, die sich u. a. mit Fragen des Schadenersatzes, der Gültigkeit von Verträgen und des Schutzes von „wistle blowers“ beschäftigt. Civil Law Convention on Corruption, 9 September 1999, ETS No. 174. 265 Zu kriminalpolitischen Fragen Savona, Ernesto: Beyond criminal law in devising anti-corruption policies, European Journal on Criminal Policy and Research, 1995, S. 21–35; Vander Beken, Tom/de Ruyver, B./Siron, N.: The organisation of the fight against corruption in the Member States and the candidate countries of the European Union, Antwerp, 2001. Zu organisatorischen Maßnahmen Council of Europe Resolution (97) 24 on the twenty guiding principles for the fight against corruption, adopted by the Committee of Ministers on November 6, 1997, at its 101st session; Inter-American Program for Cooperation in the Fight Against Corruption, Resolution adopted at the 7th plenary session, June 5, 1997. 266 Delmas-Marty, Mireille/Manacorda, Stephano: Corruption – A Challenge to the Rule of Law and Democratic Society, in: Responding to Corruption, Istituto Italiano per gli studi filosofici, Napoli 2000, S. 401–405.
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wendiger Bestandteil einer modernen Demokratie hervorhebt und Verhalten, die diesen demokratischen Wert beinträchtigen, unter Strafe stellt. Der zweite Grund für die Kriminalisierung der Korruption ist das Bestreben, das rechtmäßige Funktionieren öffentlicher Verwaltung sicherzustellen. Zwar ist dieser zweite Grund eng mit dem ersteren verbunden, gleichwohl unterscheidet er sich von ihm. Hier geht es nämlich nicht um die Sachlichkeit, sondern um die Effizienz öffentlicher Verwaltung. Im Vergleich zu dem Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen ist das effiziente Funktionieren der Verwaltung ein wertfreies Konzept. Dabei kommt zum Ausdruck, dass in vielen Rechtssystemen die Kriminalisierung der Korruption aus dem Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis (principal-agent relationship) entspringt, wobei der Auftragnehmer zur Loyalität gegenüber dem Auftraggeber verpflichtet ist und den Auftrag effizient ausführen soll. Beide erwähnten Rechtgüter sind mit dem Konzept des Nationalstaates eng verbunden und betreffen naturgemäß nicht den Schutz fremder Verwaltungsintegrität. Obwohl die Sozialschädlichkeit der Bestechung von Amtsträgern internationaler Einrichtungen oder fremder Staaten allgemein akzeptiert wird und obwohl die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Regel auch ausländische Rechtsgüter schützen, war man sich in Lehre und Praxis bis vor kurzem einig, dass fremde hoheitliche Interessen und insbesondere das Vertrauen in die fremde Beamtenschaft nicht dazugehören.267 Im Kontext der Europäischen Union ließ sich eine Ausdehnung des Rechtsgüterschutzes einfach durch den Bezug zum Gemeinschaftshaushalt begründen. Wo die finanziellen Interessen der Gemeinschaften betroffen sind, liegt ohnehin ein gemeinsames supranationales Interesse vor, wie im P-BetrugÜbkEU vorgebracht wird. Der im BestÜbk-EU verwirklichte, darüber hinausgehende Ansatz, der sich von der Schädigung der Budgetinteressen der Gemeinschaft löst, erhebt den gegenseitigen Schutz auch der nationalen Verwaltungen zur Gemeinschaftsaufgabe. Dadurch bricht die Europäische Union endgültig das Eis für die Bestrafung der transnationalen Bestechung. Pieth spricht in diesem Zusammenhang von einer regionalen Ausdehnung des Schutzes von Auslandsinteressen in der Europäischen Union zumindest inter partes.268 Das BestÜbk-EU soll den weltweit vorherrschenden zweigleisigen Ansatz (double track theory) in Bezug auf internationale und nationale Korruption in der Europäischen Union ablösen. Letzterer stellt darauf ab, dass die Mit267
Oehler, Dietrich: Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Köln 1983, Rdn. 232 ff. Pieth, Mark: Internationale Harmonisierung von Strafrecht als Antwort auf transnationale Wirtschaftskriminalität, ZStW 1997, S. 768. 268
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gliedstaaten historisch unterschiedliche Standards für Korruption angewendet haben. Während im Inland der Korruption der Krieg erklärt wurde, wurde weitgehend akzeptiert, dass die Bestechung ausländischer Amtsträger ein Umstandsfaktor von Auslandsgeschäften ist, eigentlich ein Kostenfaktor, mit dem das Unternehmen kalkulieren muss. Die Ausdehnung von Auslandsinteressen in der Europäischen Union beruht auf der Erkenntnis zahlreicher europäischer Korruptionsskandale269, die eindeutig beweisen, dass die im „europäischen Ausland“ praktizierte Korruption auf den Heimatstaat zurückwirkt und daher Korruption sowohl auf nationale als auch auf europäischer Ebene mit gleichem Engagement bekämpft werden muss. Neben den obigen beiden Rechtsgütern gründet die Strafbarkeit der transnationalen Bestechung im Geschäftsverkehr zu einem Grossteil auf ein drittes Interesse, nämlich das des fairen Wettbewerbs. Durch die Korruptionstatbestände soll der freie Wettbewerb, sowie die Interessen der durch die Korruption benachteiligten Wirtschaftsteilnehmer unter strafrechtlichen Schutz gestellt werden. Dabei kommt zum Ausdruck, dass Korruption die wirtschaftliche Entwicklung untergräbt und internationale Wettbewerbsbedingungen verzerrt.270 Durch die Korruption werden Ressourcen und öffentliche Gelder falsch verteilt. Während früher z. B. weitgehende Akzeptanz bestand, Schmiergelder als Kosten der Wirtschaftstätigkeit im Ausland anzusehen und dementsprechend von der Steuer abzusetzen, besteht heute Einigkeit über die negativen Konsequenzen solchen Verhaltens. Daher gewannen der Schutz des transparenten Funktionierens der Wirtschaft und der freie Wettbewerb an Wichtigkeit. Gleichwohl ist anzumerken, dass die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit von Wettbewerbsverstößen in der strafrechtlichen Literatur kontrovers erörtert werden.271 Zwar geht es bei dieser Diskussion vordergründig um die Kriminalisierung der Submissionsabsprache, sie ist auch relevant mit Blick auf Bestechungsdelikte im privaten Geschäftsverkehr. Nach einem Teil der Lehre muss es wegen der Unbestimmtheit und Offenheit des Rechtsgutes Wettbewerb272 weiterhin um Vermögensschutz gehen. Dement269
Beispiele bei Savona, Ernesto/Mezzanote, Laura: Double Standards in Public life: The Case of International Corruption, in: B. Rider (Hrsg.): Corruption: The Enemy Within, The Hague/London/Boston 1997, S. 106–108. 270 Eine eingehende Analyse der Konsequenzen von Korruption in der Privatwirtschaft findet sich bei Rose-Ackerman, Susan: Corruption and Government: Causes, Consequences, and Reform, Cambridge 1999. 271 Eine Wiedergabe der gegenwärtigen Diskussion bei Tiedemann, Klaus: Wettbewerb als Rechtsgut des Strafrechts, in: Festschrift für Heinz-Müller Dietz zum 70. Geburtstag, München 2001, S. 905–918. 272 Diese Ansicht vertritt insbesondere Lüderssen, Klaus: Die Symbiose von Markt und Staat – Auseinander dividiert durch Strafrecht?, StV 1997, S. 319.
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sprechend solle die Angestelltenbestechung einen Sonderfall der Untreue darstellen, die ebenfalls eine Schädigung von Geschäftsherrn (und/oder Verbraucher) präsumiert.273 Der Gegenauffassung zufolge liegt dieser Ansatz aber neben der Sache, da bei Korruptionsdelikten im Geschäftsverkehr eine Schädigung des Geschäftsherrn eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Im Unterschied zur Untreue, wo der Angestellte dem Geschäftsherrn (Eigentümer) durch die Verletzung seiner Vermögenssorgepflicht zwingend einen finanziellen Nachteil zufügt, ist dies in den Fallkonstellationen der Bestechungsdelikte in der Wirtschaft nicht notwendig der Fall. Im Gegenteil, es ist durchaus denkbar und häufig, dass durch die Anahme eines unbilligen Vorteils vom Angestellten auch beim Geschäftsherr ein finanzieller Vorteil entsteht. Gerade wegen der Möglichkeit des finanziellen Vorteils ist eine Billigung der Vorteilsnahme durch den Geschäftsherrn möglich. Darüber hinaus kann sogar das Bestechungsdelikt im privaten Geschäftverkehr selbst vom Geschäftsherrn begangen werden. Das Fehlen des Eintritts des Vermögensschadens, sowie die Einwilligung bzw. Begehung durch den Geschäftsherrn ändert jedoch an der besonderen volkswirtschaftlichen Schädlichkeit und sozialethischen Verwerflichkeit solchen Verhaltens nichts. Dadurch wird verdeutlicht, dass es bei Bestechungsdelikten nicht um die Sanktionierung der Schädigung von Privatvermögen geht, sondern um den Schutz eines leistungsfähigen Wettbewerbs. Im Hinblick auf die Systematik des Korruptionsacquis ist der Gemeinschaftsgesetzgeber der in den meisten Mitgliedstaaten vorherrschenden Unterscheidung zwischen Bestechungsdelikten im öffentlichen Dienst und im geschäftlichen Verkehr gefolgt. Die Amtsträgerkorruption wird durch P-BetrugÜbk-EU und durch BestÜbk-EU erfasst, während die Bestechung im geschäftlichen Verkehr aufgrund des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor unter Strafe gestellt wird. Zwar ist die Fassung eines umfassenden Grundtatbestandes der Bestechung möglich, der für den öffentlichen Dienst und für die Privatwirtschaft gleichermaßen gilt, wenn jemand im Zusammenhang mit seinem Beruf oder Geschäft für sich oder Dritte ohne rechtfertigenden Anlass eine individuelle Sondervergünstigung fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wobei der Geber entsprechend zu bestrafen ist, doch wurde dergleichen nie vorgeschlagen.274 273
So im französischen und niederländischen Strafrecht. Vgl. Tiedemann, Klaus: Wettbewerb als Rechtsgut des Strafrechts, in: Festschrift für Heinz-Müller Dietz zum 70. Geburtstag, München 2001, S. 911. 274 Einen allgemeinen Korruptionstatbestand kennt das schwedische Strafrecht. Über gute Erfahrungen und praktische Vorteile berichtet Bogdan, Michael: Corruption – Swedish National Report for the XVIth Congress of the International Academy of Comparative Law, 2002, Manuskript (mit freundlicher Genehmigung des Verfassers zitiert).
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Die getrennte Regelung von Amtsträgerkorruption und Korruption in der Privatwirtschaft hat in den meisten Mitgliedstaaten historische Wurzeln. Da der strafrechtliche Schutz sich ursprünglich auf die regelmäßige Ausübung des öffentlichen Amtes konzentrierte und nur graduell auf Bestechung umgeleitet wurde, stand die Amtsträgerbestechung im Mittelpunkt der strafrechtlichen Regelung. Die Bestrafung von Korruption in der Privatwirtschaft kam erst viel später. Für ihre getrennte Regelung wird oft als Grund angegeben, dass die Amtsträgerbestechung wegen der von ihr ausgehenden Gefährdung des Gemeinwohls einen spezifischen Unrechtsgehalt aufweise, der durch einen allgemeinen Korruptionstatbestand verwischt würde.275 Außerdem haben bereichspezifische Korruptionstatbestände den Vorteil, dass sie konkreter gefasst werden können. Diese Argumente können auch bei der Erklärung der Systematik des Korruptionsacquis herangezogen werden: letztere dient der Bestrafung der Bestechung von Beamten der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten, die traditionell von den mitgliedstaatlichen Strafrechten nicht erfasst war. Eine weitere systematische Eigenschaft des Korruptionsacquis ist die getrennte Regelung der Bestechung durch den Vorteilsnehmer (passive Korruption) und den Vorteilsgeber (aktive Korruption), die mit den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen übereinstimmt.276 Dies bringt zum Ausdruck, dass Bestechung eine gegenseitige Gewährung von Vorteilen zwischen den beiden Parteien voraussetzt.277 Die getrennte Bestrafung von aktiver und passiver Korruption hat den Vorteil, dass die an dem Korruptionsdelikt beteiligten beiden Parteien getrennt verfolgt und bestraft werden können, unabhängig davon, ob die andere Partei auch verfolgt wird. Dies ist bei einer Regelung, wonach die eine Partei als Täter, während die andere Partei als Anstifter konzipiert ist, nicht gegeben. III. Amtsträgerkorruption Das P-BetrugÜbk-EU und das BestÜbk-EU enthalten die gleiche Beschreibung der Korruptionstatbestände. Beide Instrumente definieren sowohl die Bestechlichkeit als auch die Bestechung und umfassen damit sowohl die passive als auch die aktive Seite der Bestechungshandlung. Es besteht jedoch ein Unterschied zwischen P-BetrugÜbk-EU und BestÜbk-EU dahinge275 Gegen einen allgemeinen Korruptionstatbestand im deutschen Strafrecht sprechen sich die Beschlüsse der Abteilung Strafrecht des 61. DJT aus. 276 Überhofen, Michael: Rechtsvergleichender Querschnitt, in: A. Eser/M. Überhofen/B. Huber: Korruptionsbekämpfung durch Strafrecht, Freiburg im Breisgau 1997, S. 731 ff. 277 Ferola, Laura: The action of the European Union against corruption, LIEI 1999, S. 126.
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hend, dass das Übereinkommen im Gegensatz zum Protokoll nicht auf den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft begrenzt ist, sondern generell auf die Bekämpfung von Bestechungshandlungen abzielt, an denen Gemeinschaftsbeamte oder Beamte der Mitgliedstaaten beteiligt sind.278 Der Ansatz, demzufolge die Straftatbestände gegen Korruption den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft nicht bevorzugen, sondern vielmehr unterschiedslos auf das unparteiliche und loyale Funktionieren der Verwaltung ausgerichtet sind, liegt auch dem Corpus Juris zu Grunde. Der Tatbestand der Bestechlichkeit (passive Bestechung) soll gemäß BestÜbk-EU dann erfüllt sein, wenn ein Beamter vorsätzlich unmittelbar oder über eine Mittelsperson für sich oder für einen Dritten Vorteile jedweder Art als Gegenleistung dafür fordert, annimmt oder sich versprechen lässt, dass er unter Verletzung seiner Dienstpflichten eine Diensthandlung oder eine Handlung bei der Ausübung seines Dienstes vornimmt oder unterlässt.279
Als Gegenstück dazu ist (aktive) Bestechung dann erfüllt, wenn eine Person vorsätzlich einem Beamten unmittelbar oder über eine Mittelsperson einen Vorteil jedweder Art für ihn selbst oder für einen Dritten als Gegenleistung dafür verspricht oder gewährt, dass der Beamte unter Verletzung seiner Dienstpflichten eine Diensthandlung oder eine Handlung bei der Ausübung seines Dienstes vornimmt oder unterlässt.280
1. Der Begriff „Beamter“ Da beide Instrumente insbesondere auf die Bestrafung von Amtsträgerkorruption ausgerichtet sind, an der nationale oder Gemeinschaftsbeamte beteiligt sind,281 ist der Begriff „Beamter“ bzw. „Gemeinschaftsbeamter“ von größter Bedeutung. Dabei verfolgen sowohl das P-BetrugÜbk-EU als auch BestÜbk-EU den Ansatz, wonach Beamter als Oberbegriff für Gemein278 Einleitung, Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrages über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind – Korruptionsübereinkommen, ABl. 1997 Nr. C 195/2 vom 25.6.1997. 279 Art. 2 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung eines Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1996 Nr. C 313/1 vom 23.10.1996. 280 Art. 3 Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung eines Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1996 Nr. C 313/1 vom 23.10.1996. 281 Einleitung Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung eines Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1996 Nr. C 313/1 vom 23.10.1996.
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schaftsbeamte und nationale Beamte, einschließlich des nationalen Beamten eines anderen Mitgliedstaats, dient. Durch diese Regelung soll der Begriff Beamter eine breite und einheitliche Anwendung des Protokolls bzw. des Übereinkommens gewährleisten.282 Der Ausdruck nationaler Beamter soll entsprechend der Definition des Begriffs Beamter oder Amtsträger im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten für die Zwecke des Strafrechts ausgelegt werden. Somit sollte im Sinne des P-BetrugÜbk-EU und des BestÜbkEU die strafrechtliche Definition der einzelnen Mitgliedstaaten den Vorrang erhalten. Dies wird jedoch durch die Bestimmung in beiden Instrumenten unterminiert, wonach das nationale Recht der an dem Korruptionsdelikt beteiligten Beamten nur insoweit angewendet werden muss, als der betroffene Beamte auch nach dem Recht der lex fori als solcher einzustufen ist. Dies ergibt sich aus Buchstabe c) Untersatz 2 des P-BetrugÜbk-EU, wonach ein Mitgliedstaat entscheiden kann, dass der Straftatbestand der Korruption gegen nationale Beamte eines anderen Mitgliedstaats nur dann geltend gemacht wird, wenn deren Status nach dem nationalen Recht des die Strafverfolgung betreibenden Mitgliedstaats dem nationaler Beamter entspricht. Dies erlaubt dem Mitgliedstaat, der gegen den Beamten eines anderen Mitgliedstaats ein Verfahren einleitet, lediglich die eigene – womöglich engere – Beamtendefinition anzulegen. Es ist jedoch in der Literatur umstritten, ob in der geschilderten Situation die Definitionen beider betroffener Mitgliedstaaten (d.h. der Staat des korrupten Beamten und der die Strafverfolgung betreibende Staat) kumulativ angewendet werden müssen oder auch alternativ angewendet werden können. Die Verfasserin schließt sich den Argumenten von Stessens an, der von einer kumulativen Anwendung ausgeht und legt das P-BetrugÜbk-EU und das BestÜbk-EU dahingehend aus, dass sie der Anwendung der lex mitior Platz machen.283 Eine Alternativanwendung der mitgliedstaatlichen Definitionen würde im Gegensatz dazu führen, dass ein Mitgliedstaat das Korruptionsdelikt von Beamten anderer Mitgliedstaaten auch dann verfolgen und bestrafen könnte, wenn der ausländische Beamte nach seinem innerstaatlichen Recht kein Beamter wäre. Im Unterschied zum P-BetrugÜbk-EU und BestÜbk-EU hat das OECDÜbereinkommen einen anderen Ansatz verwirklicht, indem es einen autonomen Beamtenbegriff eingeführt hat. Gemäß dem OECD-Übereinkommen gilt als Beamter: „any person holding a legislative, administrative or judicial office of a foreign country, whether appointed or elected; any person exercising a public function for 282
Vgl. Erläuternder Bericht zu dem Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1998 Nr. C 11/5 vom 15.1.1998. 283 Stessens, Guy: The international fight against corruption, RIDP 2001, S. 904.
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a foreign country, including for a public agency or public enterprise; and any official or agent of a public international organisation.“
Diese Definition ist autonom in dem Sinne, dass bei der Verfolgung von Korruptionsdelikten, an der ausländische Amtsträger beteiligt sind, der Strafverfolgungsstaat das Recht des Staates des ausländischen Amtsträgers nicht beachten muss. Die Verfolgung und die Aburteilung der Tat erfolgt ausschließlich aufgrund der im OECD-Übereinkommen gegebenen Definition.284 Da die Beamtendefinition im OECD-Übereinkommen auf institutionelle Kriterien abstellt, ist sie durchaus praktikabel.285 Natürlich bleibt für die Frage, ob z. B. der Empfänger des Schmiergeldes wirklich Richter war, nach wie vor dessen heimisches Recht ausschlaggebend. Dieser, vom EU-Modell abweichende Ansatz des OECD-Übereinkommens wurzelt in der angelsächsischen Tradition der einseitigen Ausdehnung des nationalen Strafrechts.286 Nach dieser Tradition soll sich der Tatbestand der aktiven Bestechung ausländischer Beamten auch auf Bestechung zum Nachteil von Nicht-Vertragsstaaten erstrecken. Dies verkörpert unzweifelhaft eine breitere Kriminalisierung als in der Europäischen Union vorgesehen, da die Bestrafung des ausländischen Amtsträgers für Korruption auch dann möglich ist, wenn das gleiche Vorgehen in einem ausschließlich nationalen Kontext des ausländischen Rechts nicht strafbar wäre.287 Pieth bezeichnet diese Regelungstechnik als kollektiven Unilateralismus,288 wonach Korruption, die den lauteren Wettbewerb im internationalen Geschäftsverkehr beeinträchtigt, wegen Lücken der lex loci delicti nicht unbestraft bleiben darf. Logischerweise kann dieser Ansatz nur dann Erfolg haben, wenn von der Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit abgesehen wird. Im Gegensatz zum OECD-Übereinkommen sieht das P-BetrugÜbk-EU und das BestÜbk-EU von der beiderseitigen Strafbarkeit nicht ab. Dementsprechend ist die Verfolgung und Bestrafung eines ausländischen Beamten wegen Korruption daran gebunden, dass er auch nach dem Recht seines Staates als Beamter gilt bzw. dass das ausländische Recht die vorliegende Handlung als Korruption unter Strafe stellt. Im Vergleich zum OECD-Über284 Punkt 3 Commentaries on the Convention on Combating Bribery of Officials in International Business Transactions. 285 Pieth, Mark: Internationale Harmonisierung von Strafrecht als Antwort auf transnationale Wirtschaftskriminalität, ZStW 1997, S. 770. 286 Vgl. zu der US-amerikanischen Praxis, Foreign Corrupt Practices Act 1977; zur britischen Praxis, Prevention of Corruption Act 1906. 287 Dabei darf nicht vergessen werden, dass das BestÜbk-OECD ausschließlich die Verfolgung und Bestrafung aktiver Korruption, d.h. Bestechung ausländischer Amtsträger vorsieht. 288 Pieth, Mark: Internationale Harmonisierung von Strafrecht als Antwort auf transnationale Wirtschaftskriminalität, ZStW 1997, S. 769.
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einkommen ist der Ansatz der EU weniger repressiv, da er transnationale Korruption nur dann unter Strafe stellt, wenn die fragliche Handlung auch nach dem Recht des Staates des ausländischen Beamter strafbar wäre. Mit Blick auf passive Korruption ist die Voraussetzung der Erfüllung von beiderseitiger Strafbarkeit wegen des Legalitätsgrundsatzes geboten. Es wäre mit dem Legalitätsgrundsatz nicht zu vereinbaren, die Bestechlichkeit ausländischer Beamten unter Strafe zu stellen, wenn der gleiche Beamte für dieselbe Handlung nach seinem innerstaatlichen Recht nicht strafbar wäre. Eine heikle Frage wirft der Begriff „nationaler Beamter“ mit Blick auf die Strafbarkeit von Politikern, insbesondere von Ministern der mitgliedstaatlichen Regierungen sowie gewählten Vertretern der nationalen und regionalen Versammlungen, auf. Das P-BetrugÜbk-EU und das BestÜbk-EU sehen davon ab, die Strafbarkeit der genannten Gruppen von Politikern für die mitgliedstaatlichen Strafrechte vorzuschreiben. Ganz im Gegenteil kann der Mitgliedstaat, der gegen den Beamten eines anderen Mitgliedstaats ein Verfahren einleitet, durch den Zugriff auf die lex mitior und mit Hilfe der eigenen engen Beamtendefinition ausländische Politiker aus dem strafrechtlichen Bereich herausnehmen. Sowohl das P-BetrugÜbk-EU als auch das BestÜbk-EU überlassen es den Mitgliedstaaten, ob sie eine Kriminalisierung der Korruption im politischen Umfeld vornehmen möchten oder nicht. Angesichts der Tatsache, dass zur Zeit die mitgliedstaatlichen Strafrechte die Frage der Amtsträgerkorruption in Bezug auf Minister und lokale oder nationale Abgeordnete unterschiedlich regeln,289 kann man auf europäischer Ebene keineswegs von einem harmonisierten Schutzniveau reden. Diese Regelungslücke des Korruptionsacquis ist bedauernswert, da gerade korrupte Politiker sehr große Schäden sowohl in wirtschaftlich-finanzieller Sicht, als auch im Hinblick auf den Vertrauensverlust der Allgemeinheit in die Rechtstaatlichkeit und das Funktionieren der Demokratie verursachen können.290 Eine mögliche Erklärung für die inkonsequente Regelung im acquis kann darin liegen, 289 Zum Beispiel sind in Deutschland Abgeordnete des Bundestages und der Länderparlamente bewusst vom Amtsträgerbegriff ausgenommen. Vgl. dazu Dannecker, Gerhard: Die Verschärfung der strafrechtlichen und steuerrechtlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption in Deutschland, in: G. Dannecker/R. Leitner (Hrsg.): Schmiergelder – Strafbarkeit und steuerrechtliche Abzugsverbote in Österreich und Deutschland, Wien 2002, S. 116–117. 290 Kritisch dazu Bacigalupo, Enrique: Politische Korruption und Strafverfahren, ZStW 1999, S. 715–727. Punkt I.1. der Resolution, die die Young Penalists im Rahmen der Konferenz Corruption and related offences in International Business Transactions (Budapest, 11.–15. September 2002) angenommen haben, fordert eindeutig die Strafbewehrung von Korruption von Politikern. Vgl. Working Papers Nr. 18, Institute for Legal Studies of the Hungarian Academy of Sciences, Budapest 2003.
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dass in den Augen der europäischen Organe die Bestrafung von Korruptionsdelikten von oder gegenüber Gemeinschaftsbeamten an vorderster Stelle stand. Die Kommission wollte die Durchsetzung dieses Vorhabens durch vorabsehbaren Streit über die Korruption von Politikern nicht gefährden und willigte in eine Lösung auf kleinstem gemeinsamem Nenner ein. Mit Blick jedoch auf das angestrebte Ziel des acquis, Korruption, an der nationale oder Gemeinschaftsbeamte beteiligt sind, unter Strafe zu stellen sowie mit Blick auf das geschützte Rechtsgut, bietet der Ansatz eine kaum zufriedenstellende Lösung. Eine weitere Konsequenz dieses Ansatzes ist die Unterminierung des Assimilierungsgebots. Sowohl das P-BetrugÜbk-EU als auch das BestÜbk-EU sehen vor, dass die Umschreibung von Bestechung und Bestechlichkeit von oder gegenüber Regierungsministern, gewählten Vertretern der parlamentarischen Versammlungen oder Mitgliedern der obersten Gerichte oder des Rechnungshofs in den mitgliedstaatlichen Strafrechten in der gleichen Weise für die Fälle gelten werden, in denen die Straftaten von oder gegenüber Mitgliedern der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, des Europäischen Parlaments, des Gerichtshofs und des Rechnungshofs der Europäischen Gemeinschaften begangen werden. Die Verpflichtung zur Assimilierung kann aber nur dann sinnvoll sein, wenn entsprechende Vorschriften, auf die hin assimiliert werden könnte, im nationalen Strafrecht bereits bestehen. In Bezug auf Korruption von oder gegenüber Politikern bietet die Korruptionskonvention des Europarats den angemesseneren Ansatz. Letztere definiert Beamte nämlich so, dass „any official or public officer, a mayor, a minister or judge as defined in the national law of the State, for the purposes of its own criminal law“ umfasst ist. Darüber hinaus verlangt die Korruptionskonvention des Europarates die Kriminalisierung der Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Mitgliedern der nationalen Versammlungen.291 Ein Nachteil besteht jedoch darin, dass die Korruptionskonvention des Europarates die Möglichkeit eines Vorbehaltes erlaubt, der ad infinitum verlängert werden kann. Wie bereits oben erwähnt wurde, ist der Ausdruck Beamter ein Oberbegriff, der nicht nur nationale Beamte der Mitgliedstaaten, sondern auch Gemeinschaftsbeamte umfasst. Damit stellt der acquis eindeutig auf eine Erweiterung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ratione personae ab. Dies ist deswegen zu begrüßen, weil Gemeinschaftsbeamte nach traditioneller Auffassung mitgliedstaatlicher Strafrechte nicht unter den Straftatbestand fallen. Der Korruptionsacquis bezweckt, gerade diese Anomalie zu beseiti291
Art. 4 Criminal Law Convention on Corruption, ETS No. 173.
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gen und die kaum tolerierbare Situation, in der Korruption von oder gegenüber Gemeinschaftsbeamten völlig außerhalb der Reichweite des Strafrechts lag, abzuschaffen. Eine weitere Erweiterung des Personenkreises erfolgt dadurch, dass der Begriff Gemeinschaftsbeamter nicht nur die im Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften aufgelisteten Bediensteten im engeren Sinne erfasst, sondern neben den fest Angestellten auch auf Leihkräfte, die auf Vertragsbasis eingestellt sind, anzuwenden ist.292 Diese Regelung entspricht der Wirklichkeit, da in der Europäischen Union sehr viele Aufgaben von Personen ausgeführt werden, die den europäischen Organen zur Verfügung gestellt oder dorthin delegiert wurden. 2. Aktive und passive Handlungsformen Der Korruptionsacquis folgt der Regelung der mitgliedstaatlichen Strafrechte, wonach im Allgemeinen für Bestechlichkeit drei Handlungen in Frage kommen, nämlich fordern, annehmen und sich versprechen lassen. Als Gegenstück dazu kommen für Bestechung das Anbieten, das Versprechen und das Gewähren als tatbestandsmäßige Handlungen in Frage. Beide Straftatbestände setzen ihrer Natur gemäß vorsätzliches Handeln voraus.293 Dabei werden Bestechlichkeit und Bestechung als Gefährdungsdelikte konzipiert, d.h. die Frage, ob der Vorteil die Ausübung der Amtsaufgaben tatsächlich beeinflusst hat, bleibt unbeachtet. Dies bringt die strafpolitische Überzeugung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass Korruption wegen des Missbrauchs eines öffentlichen Amtes, also wegen Gebrauchs des öffentlichen Amtes für nicht-amtliche Zwecke, verfolgt werden muss. Letztere verletzt das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit und Unparteilichkeit öffentlicher Verwaltung unabhängig davon, ob der Vorteilsgeber seine Ziele verwirklichen konnte oder nicht. 292 Gemeinschaftsbeamter ist jede Person, die Beamter oder durch Vertrag eingestellter Bediensteter im Sinne des Status der Beamten der Gemeinschaften oder der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaft ist; ferner jede Person, die den Gemeinschaften von den Mitgliedstaaten oder von öffentlichen oder privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt wird und dort Aufgaben wahrnimmt, die den Aufgaben der Beamten oder sonstigen Bediensteten der Gemeinschaft entsprechen. 293 Die Handlung, die den Tatbestand der Bestechung erfüllt, muss absichtlich erfolgen, d.h., sie muss von dem Bewusstsein des Beamten getragen sein, Handlungen vorzunehmen, die in Widerspruch zu seinen Pflichten stehen. Ob der Tatbestand vorliegt, wenn der Vorteilsgeber zwar vorsätzlich handelt, aber hinsichtlich der Befugnisse, über die der Beamte seines Erachtens verfügt, einem Irrtum unterliegt, ist nach dem Recht der Mitgliedstaaten zu beurteilen.
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Ein wichtiges Tatbestandsmerkmal des Korruptionsacquis ist, dass nur solche Handlungen des Beamten als Korruption einzustufen sind, die er unter Verletzung seiner Dienstpflichten vornimmt oder unterlässt. Damit gilt das P-BetrugÜbk-EU und das BestÜbk-EU nur für Handlungen, die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften in die Zuständigkeit des Amts- oder Funktionsträgers fallen, sofern sie eine Verletzung seiner Dienstpflichten darstellen. Außerdem muss das entsprechende Verhalten für das P-BetrugÜbk-EU so beschaffen sein, dass damit die finanziellen Interessen der Gemeinschaften geschädigt werden oder geschädigt werden können. Diese Voraussetzung entfällt aber beim BestÜbk-EU. Im Gegensatz zum Wortlaut des acquis steht im Erläuternden Bericht sowohl zum P-BetrugÜbk-EU als auch zum BestÜbk-EU, dass der Straftatbestand der Bestechlichkeit und der Bestechung auch diejenige Amtshandlungen umfasst, die der Beamter als solche zwar nicht unter Verletzung seiner Dienstpflichten vorgenommen hat, wofür er aber einen Vorteil als Gegenleistung entgegengenommen hat.294 Dieser Wiederspruch ist darauf zurückzuführen, dass die meisten Mitgliedstaaten ihre frühere restriktive Fassung aufgegeben haben und dementsprechend die gesetzlichen Vorschriften nicht nur diejenigen Fälle erfassen, in denen der Beamte unter Verletzung seiner Dienstpflichten eine Handlung vornimmt oder unterlässt und dafür einen Vorteil entgegennimmt, sondern auch die Fälle, in denen eine Verletzung der Dienstpflichten nicht erfolgt.295 Die frühere restriktive Fassung wurde damit begründet, dass nach in der Allgemeinheit weit verbreiteter Anschauung nichts Verfängliches in der Vorteilsgewährung für eine ordnungsgemäße Handlung zu erblicken sei. Im Gegensatz dazu wurde schon im französischen Code Pénal von Napoleon der Ansatz vertreten, dass auch ordnungsgemäße Handlungen (actes justes) eines Amtsträgers als Korruption einzustufen seien, wenn der Amtsträger einen Vorteil für die Vornahme der Handlung gefordert hat, sich versprechen ließ oder annahm. Der Unrechtsgehalt der Handlung besteht dann 294
Punkt 2.6. Erläuternder Bericht zu dem Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1998 Nr. C 11/5 vom 15.1.1998, S 11. Es ist zu bemerken, dass die im Erläuternden Bericht enthaltenen Beispiele (Vorzugsbehandlung, oder vorgenommene Beschleunigung oder Aussetzung der Bearbeitung eines Vorgangs) gerade solche Handlungen sind, die eine Verletzung der Dienstpflichten darstellen. 295 Sicurella, Rosaria: Definition of Supranational interests and a Proposal for Common Offences: The Need for a New Approach at Community Level, in: M. Delmas-Marty/J. Vervaele (Hrsg.): The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Penal provisions for the protection of the European Finances, Antwerpen/Groningen/Oxford 2000, S. 237–238. Eine Ausnahme stellt die Niederlanden in dieser Hinsicht dar.
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darin, dass der Amtsträger für die Dienstausübung eine Gegenleistung bekam und dadurch die Wahrung der Sachlichkeit der Amtsausübung verletzt wurde. Gemäß modernem Staatsdenken sind Beamte, die vom Staat bezahlt werden, von Amts wegen zu unparteiischem Handeln verpflichtet und dürfen für die Ausübung ihrer Aufgaben keine Gegenleistung entgegennehmen. Obwohl in diesen Fällen der Vorteil das Endergebnis der Ausübung der Amtsaufgaben nicht beeinflusst, wird das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit öffentlicher Verwaltung jedoch verletzt, was letztlich die Kriminalisierung solchen Verhaltens begründet. Die Widersprüchlichkeit des acquis wurde in dieser Hinsicht leider nicht beseitigt. Der neuste Vorschlag der Kommission hat die Regelungen des P-BetrugÜbk-EU übernommen und damit die Voraussetzung der Verletzung der Dienstpflichten erneut zum Tatbestandsmerkmal erhoben. Der Rechnungshof hat in seiner Stellungnahme zum Vorschlag daher zu Recht kritisiert, dass die derzeitige Definition von Bestechung und Bestechlichkeit im Unionsrecht zu restriktiv sei. Sie decke nicht die Fälle ab, in denen der Beamte Vorteile annimmt, um eine Diensthandlung, die seinen Dienstpflichten als solche nicht zuwiderläuft, vorzunehmen, zu unterlassen, oder hinauszuzögern.296 Eine eindeutige Regelung wurde dagegen in der Korruptionskonvention des Europarats vorgenommen. Letztere unterstreicht insbesondere, dass eine Straftat bereits dann vorliegt, wenn der Beamte einen Vorteil für die Vornahme von ordnungsgemäßen Handlungen entgegennimmt.297 In dieser 296 Stellungnahme Nr. 9/2001 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, ABl. 2002 Nr. C 14/1 vom 17.1.2002, S. 8. Darüber hinaus hat der Rechnungshof die Definition der Bestechlichkeit und Bestechung im Vorschlag auch wegen des Tatbestandsmerkmals kritisiert, wonach ein Schaden für die finanziellen Interessen der Gemeinschaft eingetreten sein müsse. Der Rechnungshof hat zu Recht argumentiert, dass diese Bedingung in Bezug auf Gemeinschaftsbeamte unhaltbar sei, da sie aus dem Gemeinschaftshaushalt bezahlt werden. In deren Fall sei deswegen jede Bestechlichkeit automatisch als Verstoß gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu werten. 297 Punkt 39 Explanatory Report on the Criminal Law Convention on Corruption. Ebenso hatte die urprüngliche Fassung des Corpus Juris vorgesehen, dass Bestechung und Bestechlichkeit sowohl bei Handlungen unter Verletzung der Dienstpflichten als auch für rechtmäßige Handlungen des Beamten gegeben sind. (Vgl. ex-Art. 3 Corpus Juris, Anmerkung dazu bei Sicurella, Rosaria: Definition of Supranational interests and a Proposal for Common Offences: The Need for a New Approach at Community Level, in: M. Delmas-Marty/J. Vervaele (Hrsg.): The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Penal provisions for the protection of the European Finances, Antwerpen/Groningen/Oxford 2000, S. 239.) Dies wurde bedauerlicher Weise während der Beratungen abgeändert, so dass die Endfassung des Corpus Juris nunmehr die Verletzung der Dienstplichten zum Tatbe-
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Konzeption soll die Verletzung der Dienstpflichten als erschwerendes Tatbestandsmerkmal betrachtet werden, das eine schärfere Sanktion rechtfertigt. Darüber hinaus erwähnt der Erläutende Bericht zum Europaratsübereinkommen, dass das Tatbestandsmerkmal „unter Verletzung seiner Dienstpflichten“ die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden auch erschweren würde, da diese zu prüfen hätten, dass der Beamte verpflichtet war, seine Amtsbefugnisse zu Gunsten des Vorteilgebers auszuüben. Im Lichte der Entwicklung der mitgliedstaatlichen Strafrechte und des internationalen Korruptionsstrafrechts stellt die Lösung der Europäischen Union wiederholt nur eine Regelung à la kleinster gemeinsamer Nenner dar. Diese Zurückhaltung ist bedauernswert und mit Blick auf das geschützte Rechtsgut unerwünscht. 3. Der Vorteil Der zentrale Begriff der Straftatbestände von Bestechlichkeit und Bestechung ist der „Vorteil jedweder Art.“ Es handelt sich um einen gewollt weiten Begriff, der nicht nur materielle Gegenstände, sondern alles umfasst, was einen direkten oder indirekten Vorteil darstellen könnte.298 Damit erstreckt sich der Begriff des geforderten, angenommenen oder versprochenen Vorteils auf die verschiedensten Arten materieller und immaterieller Vorteile. Weder das P-BetrugÜbk-EU noch das BestÜbk-EU haben das Adjektiv „unbillig“ verwendet. Durch dieses Adjektiv kann klargestellt werden, dass Vorteile, die der Beamte in Übereinstimmung mit seinen Dienstpflichten erhalten hat, nicht unter den Tatbestand fallen. In diesem Sinne spricht sowohl das OECD-Übereinkommen als auch die Korruptionskonvention des Europarats von einem undue advantage. Das soll zum Ausdruck bringen, dass rechtmäßig erhaltene Vorteile sowie geringfügige Zuwendungen, die den allgemein anerkannten Regeln des sozialen Verkehrs entsprechen und die ordnungsgemäße Amtsführung nicht gefährden, als sozialadäquat nicht unter die Tatbestände fallen.299 standsmerkmal erhebt. Art. 5 Corpus Juris, vgl. im Internet unter http://europa. eu.int/comm/anti_fraud/green_paper/corpus/de.doc. 298 Als indirekter Vorteil gilt z. B. die Begleichung der Schulden des Beamten, die Durchführung von Arbeiten am Grundbesitz vom Beamten usw. Vgl. Erläuternder Bericht zu dem Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1998 Nr. C 11/5 vom 15.1.1998. 299 Punkt 37 Explanatory Report on the Criminal Law Convention on Corruption; Punkt 8 Commentaries on the Convention on Combating Bribery of Officials in International Business Transactions.
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Zwar schweigt der Erläuternde Bericht zum P-BetrugÜbk-EU und zum BestÜbk-EU auch über rechtmäßig erhaltene Vorteile, man kann allerdings relativ sicher davon ausgehen, dass Vorteile, die durch Gesetz oder Verwaltungsvorschriften genehmigt sind, außerhalb des Straftatbestands fallen. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass auch Bagatellfälle vom Straftatbestand nicht erfasst sind. Es wäre jedoch im Interesse der Rechtssicherheit wünschenswert, wenn in den Mitgliedstaaten und in den Unionsorganen durch einen Verhaltenskodex (code of conduct) möglichst einheitliche Richtlinien für die Annahme von Vorteilen durch Beamte geschaffen würden.300 Der Vorteil muss nicht unmittelbar dem Beamten versprochen oder gewährt werden, er kann auch einem Dritten gegeben werden. Dieser Dritte kann beispielsweise der Ehegatte oder Lebensgefährte, ein enger Freund, eine politische Partei oder eine sonstige Organisation sein. Es ist nach der obigen Beschreibung klar, dass der Korruptionsacquis die Praxis der Anfütterung nicht unter Strafe stellt. Letztere bedeutet die Gewährung von Vorteilen an einem Beamten ausschließlich für die Aufrechterhaltung eines guten Verhältnisses. Hier ist die Vornahme oder Unterlassung einer Handlung durch den Beamten nicht erforderlich.301 Es ist wesentlich, dass eine Kriminalisierungspflicht der Mitgliedstaaten gemäß dem P-BetrugÜbk-EU und dem BestÜbk-EU nur in Bezug auf Zuwendungen für künftige Ermessenshandlungen des Amtsträgers besteht. Demnach ist die Entgegennahme eines Vorteils, die im Anschluss an eine Diensthandlung erfolgt (a posteriori-Vorteile) keine Straftat im Sinne des Protokolls und des Übereinkommens. Letztere gilt auch nicht für Geschenke, die nicht im Zusammenhang mit nachfolgenden Amtshandlungen des Beamten stehen.302 Die Begrenzung der Kriminalisierung auf a priori Vorteile soll jedoch die Mitgliedstaaten keineswegs davon abhalten, Bestechungshandlungen unter Strafe zu stellen, bei denen der geforderte oder versprochene Vorteil nach der Handlung des Beamten angenommen wird.303 300 Die Annahme von codes of conduct wird von mehreren internationalen Instrumenten gefordert. Siehe Article IIII.1. der OAS Corruption Convention, the Council of Europe Recommendation No. R (2000) 10 of the Committee of Ministers to Member States on codes of conduct for public officials. Die Internationale Handelskammer hat bereits einen code of conduct für Unternehmen erlassen. (International Chamber of Commerce, Extortion and Bribery in International Business Transactions, 1996 Revisions to the ICC-Rules of Conduct). 301 Stessens, Guy: The international fight against corruption, RIDP 2001, S. 905. 302 Erläuternder Bericht zu dem Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1998 Nr. C 11/5 vom 15.1.1998.
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4. Rechtsfolgen Das P-BetrugÜbk-EU und das BestÜbk-EU sehen vor, dass Bestechlichkeit und Bestechung in den Mitgliedstaaten durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Strafen geahndet werden. Bei der Festlegung von Art und Umfang der vorzusehenden Strafen verfügen die Mitgliedstaaten über einen gewissen Ermessensspielraum.304 Das P-BetrugÜbk-EU und das BestÜbk-EU verlangen nur in schweren Fällen der Bestechlichkeit und der Bestechung die Anwendung von Freiheitsstrafen, ansonsten können auch Geldstrafen verhängt werden. Diese Formulierung hat zur Folge, dass kein einheitliches strafrechtliches Schutzniveau unter den Mitgliedstaaten geschaffen wird. Dies bedeutet wiederum, dass Bestechungshandlungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten weiterhin unterschiedliche Risiken mit sich bringen. Der acquis löst daher das Problem des forum shopping nicht. Einen Rückfall erleidet der Korruptionsacquis in dieser Hinsicht im neusten Richtlinienvorschlag der Kommission, der Freiheitsstrafen nur für schwere Betrugsfälle, nicht jedoch für schwere Korruptionsfälle vorsieht.305 Dies wurde vom Rechnungshof in seiner Stellungnahme zum Vorschlag zum Gegenstand der Kritik gemacht. Der Rechnungshof sieht keinen Grund dafür, die Verhängung von Freiheitsstrafen auf schwere Betrugsdelikte zu begrenzen. Im Gegenteil ist der Hof der Auffassung, dass Bestechlichkeit und Bestechung hinreichend schwerwiegend sind, um die Anwendung der Freiheitsstrafe zu rechtfertigen.306 Dies entspricht auch der Rechtswirklichkeit in den meisten Mitgliedstaaten. Eine rechtsvergleichende Untersuchung, die im Auftrag der Kommission von der Universität Gent durchgeführt wurde, zeigte, dass die Durchschnittshöchststrafe für Amtsträgerkorruption in den Mitgliedstaaten zwischen 6 und 8 Jahren Freiheitsstrafe liegt.307 Dabei wurde festgestellt, dass die Höchststrafe für Bestechlichkeit im Allgemeinen höher ist als für Bestechung.308 303
Erläuternder Bericht zum BestÜbk-EU, Punkt 2.5., S. 5. Huber, Barbara: Sanctions against Bribery Offences in Criminal Law, in: C. Fijnaut/L. Huberts (Hrsg.): Corruption, Integrity and Law Enforcement, The Hague/ London/New York 2002, S. 142. 305 Art. 10 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg. 306 Stellungnahme Nr. 9/2001 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, ABl. 2002 Nr. C 14/1 vom 17.1.2002, S. 12. 307 Vander Beken, Tom/de Ruyver, B./Siron, N.: The organisation of the fight against corruption in the Member States and the candidate countries of the European Union, Antwerp, 2001, S. 20. 304
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Der Richtlinienvorschlag sieht über die bisher genannten Sanktionsarten hinaus die Einziehung der Erträge oder Vermögensgegenstände vor.309 Dadurch soll ermöglicht werden, dem Täter die Erträge aus den Korruptionsdelikten zu nehmen. Dies entspricht der internationalen Tendenz, die Einziehung als Sanktion für Korruptionsdelikte anzuwenden.310 Stessens kritisiert zu Recht, dass die internationalen Instrumente der Korruptionsbekämpfung, darunter der europarechtliche acquis, die im nationalen Strafrecht übliche Sanktion für Amtsträgerkorruption, nämlich die Aberkennung von Rechten und den Ausschluss von öffentlichen Ämtern, nicht erwähnen.311 Letztere Sanktionsformen bringen zum Ausdruck, dass Korruptionsdelikte von Amträgern oder gegen Amtsträger die Anwendung staatlicher Autorität in einer Weise unterminieren, die eine Entfernung aus dem Amt rechtfertigt. Die mitgliedstaatliche Anwendungspraxis macht sich diese Sanktionsform oft zu Nutze, um sicherzustellen, dass der Amtsträger in Zukunft keine Möglichkeit mehr hat, dort tätig zu sein, wo er sich einmal strafbar gemacht hatte.312 Die Lücke im acquis ist insbesondere deswegen bedauernswert, weil die Mitgliedstaaten die Anwendung der genannten Sanktionen auf Rechte oder Ämter begrenzen können, die aufgrund des nationalen Rechts begründet bzw. verliehen wurden. Als Ergebnis entsteht eine Regelungslücke im Sanktionierungssystem insbesondere von Bestechlichkeit und Bestechung von ausländischen und internationalen Amtsträgern. Sollte Mitgliedstaat A einen eigenen Beamten wegen eines im Mitgliedstaat B begangenen Korruptionsdelikts verurteilen, könnte Mitgliedstaat A ein Amtsverbot für Ämter, die aufgrund des Rechtes von Mitgliedstaat B ausgeübt werden, nicht aussprechen. In der gleichen Fallkonstellation könnte Mitgliedstaat A für den Staatsangehörigen von Mitgliedstaat B ein Amtsverbot erst recht nicht vorsehen.
308 Nachweise auch bei Huber, Barbara: Sanctions against Bribery Offences in Criminal Law, in: C. Fijnaut/L. Huberts (Hrsg.): Corruption, Integrity and Law Enforcement, The Hague/London/New York 2002, S. 143. 309 Art. 12 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg. 310 Art. 3 Abs. 3 Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997, abgedruckt in BT-Drucks. 13/10428, Art. 19 Criminal Law Convention on Corruption, ETS No. 173. 311 Stessens, Guy: The international fight against corruption, RIDP 2001, S. 917. 312 Analyse der mitgliedstaatlichen Anwendungspraxis bei Huber, Barbara: Sanctions against Bribery Offences in Criminal Law, in: C. Fijnaut/L. Huberts (Hrsg.): Corruption, Integrity and Law Enforcement, The Hague/London/New York 2002, S. 144–145.
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Um diese Regelungslücke zu schließen, schlägt das Grünbuch vor, die Einführung von Alternativ- oder Zusatzstrafen auf Gemeinschaftsebene in Erwägung zu ziehen.313 Als Beispiel für eine gemeinschaftsrechtliche Zusatzstrafe nennt die Kommission u. a. die Entfernung aus dem öffentlichen Dienst der Europäischen Gemeinschaften. Die Harmonisierung des Sanktionsniveaus unter den EU-Mitgliedstaaten ist jedoch eine höchst sensible Materie. Deswegen sind selbst die Vorschläge der Kommission in diese Richtung äußerst vorsichtig formuliert. IV. Korruption im privaten Sektor Zu den wichtigen Bestandteilen moderner Korruptionsgesetzgebung gehört die Einführung von Straftatbeständen zur Bekämpfung der Korruption in der Privatwirtschaft. Obwohl der Einsatz von Schmiergeldern von Unternehmen, um einen Wettbewerbsvorteil über ihren Konkurrenten zu erzielen, den Wettbewerb verzerrt, war dieses Verhalten bis vor kurzem in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht oder nur zum Teil unter Strafe gestellt.314 Dies ist auf das liberale Denken des 19. Jahrhundert und das Konzept des laisser-faire-Kapitalismus zurückzuführen, wonach der Staat sich in die Art und Weise, wie Entscheidungen in der Privatwirtschaft getroffen werden, nicht einmischt. Dem Opfer standen in solchen Fällen lediglich zivil- oder verwaltungsrechtliche Sanktionen zur Verfügung.315 Heute gilt dieser Ansatz jedoch als überholt. Zunächst etablierte sich der Staat durch die Liberalisierung der Märkte als Wahrer des lauteren Wettbewerbs und übernahm damit eine eindeutige Rolle bei der Lenkung der Wirtschaftspolitik. Darüber hinaus ist heutzutage eine klare Trennung des öf313 Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg., S. 43. 314 Die rechtsvergleichende Untersuchung, die im Auftrag der Kommission von der Universität Gent durchgeführt wurde, zeigte, dass Mitte der 90er Jahre beinah jeder Mitgliedstaat wenigstens die passive Korruption im privaten Sektor unter Strafe stellte. Vander Beken, Tom/de Ruyver, B./Siron, N.: The organisation of the fight against corruption in the Member States and the candidate countries of the European Union, Antwerp, 2001, S. 17. 315 In 7 Mitgliedstaaten bestehen Vorschriften zur Kriminalisierung der Bestechung von Angestellten oder Bevollmächtigten von privatwirtschaftlichen Unternehmen. Obwohl es sich dabei um eine Straftat handelt, wird Bestechung in einigen Mitgliedstaaten unter das Gesetz über unlauteren Wettbewerb oder unlauteres Geschäftsgebaren gefasst. In anderen Mitgliedstaaten gilt das allgemeine Strafrecht sowohl für die Korruption im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Politik der EU zur Bekämpfung von Korruption, KOM (1997) 192 endg., S. 8.
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fentlichen und des privaten Sektors nicht mehr möglich.316 Im Laufe der Privatisierung wird eine immer größere Zahl von Aufgaben privaten Unternehmen übertragen (z. B. in Gesundheitswesen, Bildung, Transport, Telekommunikation usw.), oder zusammen mit privaten Unternehmen ausgeführt (public-private partnership), wobei die fraglichen Unternehmen auch die zur Ausführung der Aufgaben gehörenden öffentlichen Finanzierungsmittel erhalten. Da delegierte Wirtschaftsmacht in der gleichen Weise funktioniert wie delegierte politische Macht, ist es notwendig, den strafrechtlichen Schutz gegen die Korruption auf die Privatwirtschaft im gleichen Maße wie auf den öffentlichen Sektor auszudehnen.317 Es soll der Eindämmung der Korruption sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor besondere Bedeutung beigemessen werden, da die Korruption sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich die Rechtstreue der Menschen gefährdet, den Wettbewerb verzerrt und eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung hemmt.318 Um so erstaunlicher ist, dass weder das OECD-Übereinkommen noch das BestÜbk-EU die Korruption im privaten Sektor unter Strafe gestellt haben. Neben der Europäischen Union spricht sich nur der Europarat für die Kriminalisierung der Korruption im privaten Sektor aus und regelt die Bestechlichkeit und Bestechung im privaten Sektor.319 Eine Schwäche der Korruptionskonvention des Europarates ist jedoch, dass sie Vorbehalte bezüglich der Vorschriften über Korruption im privaten Sektor zulässt320 und diese damit erheblich entkräftet. Somit ist das Kernstück des acquis der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor. 316 Dies kommt zum Ausdruck z. B. in den Erläuterungen zum OECD-Übereinkommen, wonach die leitenden Mitarbeiter einer Firma, die aus historischen oder finanziellen Gründen vollständig dem Staat gehört, jedoch im Wettbewerb mit anderen Firmen keine staatlichen Begünstigungen enthält, sondern unter Marktkonditionen kämpft, keine Amtsträger im Sinne des OECD-Übereinkommens sind. Punkt 17 Commentaries on the Convention on Combating Bribery of Officials in International Business Transactions. Mit Blick auf die Europäische Union vgl. Grotz, Michael: Legal Instruments of the European Union to Combat Corruption, in: C. Fijnaut/L. Huberts (Hrsg.): Corruption, Integrity and Law Enforcement, The Hague/ London/New York 2002, S. 385. 317 Punkt 52 Explanatory Report on the Criminal Law Convention on Corruption. 318 Präambel der Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2002 Nr. C 184/5 vom 2.8.2002, S. 6. 319 Art. 7 und 8 Criminal Law Convention on Corruption, ETS No. 173. 320 Art. 37. Kritisch dazu Pieth, Mark: International Efforts to Combat Corruption, in: A. Alvazzi del Frate/G. Pasqua (Hrsg.): Responding to the Challenges of Corruption, Acts of the International Conference Milan, 19–20 November 1999, Rome 2000, S. 25.
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In Bezug auf die Korruption im privaten Sektor werden zwei grundlegende Konzepte in den mitgliedstaatlichen Strafrechten verwirklicht. Das eine Konzept fokussiert die Lauterkeit und Transparenz der Geschäftsverhältnisse als geschütztes Rechtsgut und versucht, das durch die Korruption betroffene Unternehmen zu schützen. Das andere Konzept stellt das Rechtsgut des freien Wettbewerbs in den Vordergrund und gewährt ihm strafrechtlichen Schutz. Der acquis verfolgt zwar den ersten Ansatz, er betont jedoch, dass Korruption im privaten Sektor die Grundsätze einer Öffnung und Liberalisierung der Märkte sowie insbesondere das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts in Frage stellt und der Öffnung des internationalen Handels zuwider läuft.321 Im Sinne des Rahmenbeschlusses ist die Bestechlichkeit im privaten Sektor durch jede vorsätzliche Handlung, die im Rahmen von Geschäftsvorgängen ausgeführt ist, dann gegeben, wenn „jemand, der in einem Unternehmen im privaten Sektor in leitender oder sonstiger Stellung tätig ist, unmittelbar oder über einen Mittelsmann für sich oder einen Dritten einen unbilligen Vorteil als Gegenleistung dafür fordert, annimmt oder sich versprechen lässt, dass er unter Verletzung seiner Pflichten eine Handlung vornimmt oder unterlässt.“
Als Gegenstück der Bestechlichkeit regelt der Rahmenbeschluss auch die Bestechung so, dass diese durch jede vorsätzliche Handlung, die im Rahmen von Geschäftsvorgängen ausgeführt wird, gegeben ist, wenn „jemand unmittelbar oder über einen Mittelsmann einer Person, die für ein Unternehmen im privaten Sektor in leitender oder sonstiger Stellung tätig ist, einen unbilligen Vorteil für diese Person selbst oder für einen Dritten verspricht, anbietet oder gewährt, damit diese Person unter Verletzung ihrer Pflichten eine Handlung vornimmt oder unterlässt.“
Aus den obigen Definitionen folgen zwei Einschränkungen in Bezug auf die Kriminalisierung der Korruption im privaten Sektor. Zunächst sieht der Rahmenbeschluss ausdrücklich vor, dass Bestechlichkeit und Bestechung im privaten Sektor auch für Geschäftsvorgänge in Unternehmen ohne Erwerbszweck gelten sollen.322 Damit spricht der Rahmenbeschluss die Problematik von Handlungen von Angestellten von non-profit-Unternehmen oder Organisationen an. Sollten auch diese dem Straftatbestand der Bestechung bzw. Bestechlichkeit im privaten Sektor unterliegen oder automatisch außerhalb des strafrechtlichen Bereichs bleiben? Mit Blick auf das ge321
Präambel, Gemeinsame Maßnahme vom 22. Dezember 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend die Bestechung im privaten Sektor, ABl. 1998 Nr. L 358/2 vom 31.12.1998. 322 Art. 2 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192/54 vom 31.7.2003.
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schützte Rechtsgut erscheint als begründet, dass die Handlungen von Angestellten von non-profit-Organisationen oder Unternehmen auch miterfasst sind, soweit die betroffene non-profit-Organisation bzw. Unternehmen geschäftliche Aufgaben ausführt. Ein automatischer Ausschluss von non-profit-Organisationen und Unternehmen aus der strafrechtlichen Regelung wäre mit dem Ziel der Vorschriften nicht zu vereinbaren. Daher ist die Regelung des Rahmenbeschlusses zu begrüßen. Sie wird jedoch zum größten Teil durch die vorgesehene Möglichkeit eines Vorbehaltes – der für 5 Jahre gilt – entkräftet, wonach die Anwendung des Rahmenbeschlusses auf Geschäftsvorgänge beschränkt werden kann, die im Zusammenhang mit der Beschaffung von Waren oder gewerblichen Leistungen eine Wettbewerbsverzerrung zur Folge haben oder haben können. Durch die Zufügung eines das Wettbewerbselement erhaltenden Vorbehalts kann die Abgrenzung des privaten Sektors im Rahmenbeschluss sehr restriktiv ausgelegt werden.323 Dazu kommt, dass der Begriff Privatsektor konservativ zu verstehen ist, er umfasst vordergründig die Privatwirtschaft. Weitere Wirtschaftsteilnehmer sind nur dann erfasst, wenn sie geschäftlich tätig werden. Somit bleiben Gesellschaftseinrichtungen und soziale Organisationen außerhalb des vom Strafrecht abgedeckten Bereichs. Die zweite Einschränkung der Kriminalisierung stellt das Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung dar. Während bei Amtsträgerkorruption eine Pflichtverletzung durch den Beamten in den meisten internationalen Instrumenten ausdrücklich nicht verlangt wird, ist eine Pflichtverletzung für die Bestechung und Bestechlichkeit im privaten Sektor notwendig. Dabei enthält der Rahmenbeschluss keine Definition der Pflichtverletzung, sie ist gemäß dem Recht der Mitgliedstaaten zu verstehen.324 Als Mindestkriterium legt der Rahmenbeschluss jedoch fest, dass die Pflichtverletzung jedwedes treuwidrige Verhalten umfassen soll, das eine Verletzung einer gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht bzw. einer beruflichen Vorschrift oder Weisung darstellt, die für den geschäftlichen Aufgabenbereich gilt. Durch die Aufnahme der Pflichtverletzung unter die Tatbestandsmerkmale wird klargestellt, dass die Annahme unbilliger Vorteile im privaten Sektor nicht immer untersagt wird, sondern nur dann, wenn ein solches 323 Die ursprüngliche Initiative des Königreichs Dänemark zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor verzichtete auf das Tatbestandsmerkmal „geschäftliche Tätigkeit“ und erweiterte dadurch die Kriminalisierung auf Fälle, in denen Unternehmen keine geschäftliche Tätigkeit ausüben, wie z. B. die Verteilung von Entwicklungshilfe in Drittländer. Vgl. Art. 2 Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2002 Nr. C 184/5 vom 2.8.2002. 324 Art. 1 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192/54 vom 31.7.2003.
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Verhalten die Pflichten der Angestellten oder der sonstigen Person verletzt. Im Unterschied zur Amtsträgerkorruption ist das Benutzen der durch die Position geschaffenen Stellung im privaten Sektor für die persönliche Bereicherung nicht im gleichen Umfang strafbar. Im privaten Sektor gibt es kein absolutes Verbot. Im Unterschied zur Amtsträgerkorruption benutzt der Rahmenbeschluss den Begriff „unbilliger Vorteil“. Dadurch wird klargestellt, dass rechtmäßig erhaltene Vorteile sowie geringfügige Zuwendungen, die allgemein als sozialadäquat gelten, nicht unter die Tatbestände fallen. Der Rahmenbeschluss umfasst die Bestechungshandlungen jeder Person, die für ein Unternehmen im privaten Sektor in leitender oder sonstiger Stellung tätig ist. Damit stellt der Rahmenbeschluss auf eine breite Kriminalisierung ratione personae ab, da sie nicht nur Angestellte, sondern jede Person umfasst, die für die im privaten Sektor tätigen natürlichen oder juristischen Person arbeitet. Auf der anderen Seite erstreckt sich jedoch diese Beschreibung nicht auf den Inhaber des Unternehmens, abgesehen von dem Fall, dass der Inhaber in leitender oder sonstiger Position für das Unternehmen tätig ist. Diese Regelung erscheint logisch mit Blick auf die Bestechlichkeit im privaten Sektor. Bei Bestechung jedoch ist die Nichtbestrafung des Inhabers unbegründet. In Bezug auf die Sanktionen schreibt der Rahmenbeschluss vor, dass jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen trifft, um sicherzustellen, dass Bestechlichkeit und Bestechung durch wirksame, angemessene und abschreckende strafrechtliche Sanktionen bedroht sind. Dies ist dann gegeben, wenn Bestechlichkeit und Bestechung im privaten Sektor mit einer Höchststrafe von mindestens einem bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht werden.325 Darüber hinaus sieht der Rahmenbeschluss die Möglichkeit eines Berufsverbotes vor. Die Mitgliedstaaten müssen nämlich sicherstellen, dass einer natürlichen Person, die im Zusammenhang mit einer bestimmten Geschäftstätigkeit wegen der im Rahmenbeschluss genannten Handlungen verurteilt worden ist, gegebenenfalls – zumindest dann, wenn sie im Rahmen der betreffenden Geschäftstätigkeit in einem Unternehmen eine Führungsposition innehatte – die weitere Ausübung dieser oder einer vergleichbaren Geschäftstätigkeit in einer ähnlichen Position oder Eigenschaft vorübergehend untersagt werden kann, wenn der festgestellte Sachverhalt eindeutig auf das Risiko schließen lässt, dass die betreffende Person ihre Position oder Tätigkeit für Bestechung oder Bestechlichkeit missbrauchen könnte.
325 Art. 4 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192/54 vom 31.7.2003.
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V. Trading in influence Eine weitere Form korrupten Verhaltens, dessen strafrechtliche Regelung in sämtlichen Mitgliedstaaten Probleme bereitet, ist das so genannte trading in influence. Letzteres bedeutet, dass eine Person seine Beziehungen zu einem öffentlichen Amtsträger gegen einen Vorteil für die Beeinflussung des Entscheidungsprozesses benutzt. Im Unterschied zur klassischen Korruptionstatbeständen setzt influence trading ein trilaterales Verhältnis voraus, nämlich zwischen demjenigen der behauptet, einen Einfluss ausüben zu können, jenem, der der einflussreichen Person einen unbilligen Vorteil als Gegenleistung für seine Intervention gibt und schließlich dem Amtsträger, der beeinflusst werden soll. Durch die Kriminalisierung von influence trading beabsichtigt der nationale Gesetzgeber, das korrupte Verhalten von denjenigen unter Strafe zu stellen, die in der Nähe der Macht stehen, jedoch die Entscheidungen nicht selber treffen. Zwar besteht kein Zweifel über die negativen Konsequenzen eines solchen Verhaltens auf das Vertrauen der Allgemeinheit in das Funktionieren öffentlicher Verwaltung, doch wurde dies bislang nur in vergleichsweise wenigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unter Strafe gestellt.326 Diesem Umstand ist zu verdanken, dass sich zur Zeit kein europarechtliches Instrument mit der Problematik von influence trading beschäftigt. Im Gegensatz zur Europäischen Union sieht die Korruptionskonvention des Europarats einen entsprechenden Straftatbestand vor327 und das OECDÜbereinkommen soll so ausgelegt werden, dass auch influence trading als tatbestandsmäßiges Verhalten gelten soll.328 Ohne auf die Einzelheiten beider Konventionen einzugehen, ist zu betonen, dass bei der Straftat des influence trading die unbillige Natur der Einflussausübung entscheidend ist. Dadurch soll sichergestellt werden, dass erlaubte Formen von Einflussausübung wie lobbying außerhalb des strafrechtlichen Bereichs stehen. In Bezug auf das geschützte Rechtsgut stellt die Nichtbestrafung von influence trading im acquis eindeutig eine Regelungslücke dar. Sie ist der geteilten Meinung der Mitgliedstaaten bezüglich dieses Verhaltens zuzuschreiben. Aus ethischer Sicht ist aber kaum zu rechtfertigen, warum die Annahme bzw. Forderung eines unbilligen Vorteils von einem Beamten un326 327
So gibt es eine entsprechende Straftat in Frankreich und Belgien. Stessens, Guy: The international fight against corruption, RIDP 2001, S. 906–
907. 328 Art. 1 Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997, abgedruckt in BTDrucks. 13/10428.
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ter Strafe gestellt wird, die Beeinflussung des Beamten gegen einen unbilligen Vorteil jedoch nicht. Es besteht daher weiterhin ein großer legislativer wie praktischer Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene, korrupte Beeinflussung öffentlicher Entscheidungen auszufiltern.329 VI. Hauptzüge des Korruptionsacquis Aufgrund der obigen Ausführungen lässt sich zusammenfassend feststellen, dass der acquis korruptes Verhalten sehr weitgehend unter Strafe stellt. Im Allgemeinen kann man Korruption als Machtmissbrauch oder nicht ordnungsgemäßes Handeln bzw. Unterlassen in einem Entscheidungsprozess infolge einer unrechtmäßigen Vorteilsgewährung bzw. -Annahme definieren.330 Diese Beschreibung weicht von dem herkömmlichen mitgliedstaatlichen Korruptionsverständnis in dreierlei Hinsicht ab und hat eine wesentliche Ausweitung des strafrechtlichen Bereichs zur Folge. Erstens folgt aus der obigen Bestimmung, dass nicht nur Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Amtsträgern, sondern auch die von Angestellten oder von im privaten Sektor tätigen Unternehmen ansonsten beschäftigten Personen unter Strafe zu stellen ist. Dies bedeutet eine Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes ratione materiae. Stessens spricht von einer geradezu drastischen Ausweitung des Korruptionsbegriffs durch die internationalen Übereinkommen. Diese Auffassung, insbesondere das Adjektiv „drastisch“, scheint indes übertrieben zu sein. Es besteht heute weitgehende Einigkeit, dass die Verfolgung von Bestechlichkeit und Bestechung im privaten Sektor für die Sicherstellung des lauteren Wettbewerbs unerlässlich ist. Bestechung und Bestechlichkeit im privaten Sektor dürfte durch die in der Literatur zum Teil vorgeschlagenen außerstrafrechtlichen Maßnahmen, wie z. B. eine Kompetenzrotation oder andere wirtschaftlich fragwürdige oder wirklichkeitsfremde Regelungen, kaum adequat beizukommen sein.331 Daher kann eine entsprechende Kriminalisierung nicht als drastisch bezeichnet werden. Die Beschreibung „drastisch“ ist umso weniger zutreffend, wenn man bedenkt, dass der gemeinschaftsrechtliche Gesetzgeber von Strafvorschriften gegen die Bestechung im weiteren gesellschaftlichen Bereich (z. B. die Bestechung von Schiedsrichtern im Sport) sowie influence trading abgesehen und sich auf diese Weise auf das Notwendigste be329 Dementsprechend fordert der Resolutionsentwurf der AIDP die Kriminalisierung von influence trading, vgl. AIDP Newsletter 2004/1, S. 57–62. 330 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Politik der EU zur Bekämpfung von Korruption, KOM (1997) 192 endg., S. 4. 331 Tiedemann, Klaus: Wettbewerb als Rechtsgut des Strafrechts, in: Festschrift für Heinz-Müller Dietz zum 70. Geburtstag, München 2001, S. 908.
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schränkt hat.332 Die Eingrenzung der Korruptionstatbestände im Unionsrecht auf Amtsträgerkorruption und Korruption im privaten Sektor erscheint adäquat, da andere Felder korrupten Verhaltens noch nicht in ausreichendem Maß erforscht sind. In Bezug auf die Bestimmungen des Korruptionsacquis ratione personae ist ausdrückliches Ziel und Interventionsgrund des Gemeinschaftsgesetzgebers gewesen, die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, korruptes Verhalten ausländischer Amtsträger sowie von Amtsträgern internationaler Organisationen strafrechtlich zu ahnden. Da Gemeinschaftsbeamte nach traditioneller Auffassung mitgliedstaatlicher Strafrechte nicht unter die Korruptionsstraftatbestände fielen, war eine Erweiterung der Kriminalisierung in dieser Hinsicht unausweichlich. Dass die Korruption von oder gegenüber Gemeinschaftsbeamten völlig außer der Reichweite des Strafrechts lag, war nicht hinnehmbar und musste geändert werden. Trotz der Erweiterung des Regelungsbereichs sowohl ratione materiae als auch ratione personae ist man von einer umfassenden Strategie gegen die Korruption immer noch sehr weit entfernt. Letztere verlangt auch die Verwirklichung einer Reihe von Präventionsmaßnahmen wie das Verbot der Steuerabzugsfähigkeit von Schmiergeldern und die Förderung von Transparenz durch Anpassung von Buchhaltungs- und Revisionsvorschriften. Die Unternehmen sollen motiviert werden, ihre Einstellung zu korruptem Verhalten zu ändern und Maßnahmen bis zur operativen Ebene durchzusetzen.333 Eine Perfektionierung des repressiven Instrumentariums kann keine nachhaltigen Ergebnisse verschaffen. In diesem Sinne hat das Strafrecht eine wichtige ergänzende Rolle. Es soll genau umschreiben, welche Verhalten verboten sind. Das Strafrecht liefert die Basis für die Effektivität anderer, nicht strafrechtlicher Maßnahmen, die aber ihrerseits alle von der klaren Umschreibung des Illegalen abhängen.334
332 Die Korruption im Sport wird z. B. durch das neue südafrikanische Korruptionsgesetz unter Strafe gestellt. Siehe § 14 des Prevention of Corruption Bill, Government Gazette No. 23336 vom 18.4.2002. 333 Gegenwärtig haben in einer Reihe von Schlüsselbranchen Verhandlungen von Industriestandards unter Marktführern begonnen, um Regeln zur Verhinderung der Korruption zu entwickeln. Dazu Beispiele beim Pieth, Mark: Staatliche Intervention und Selbstregulierung der Wirtschaft, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, BadenBaden 2002, S. 324–325. 334 Pieth, Mark: International Efforts to Combat Corruption, in: A. Alvazzi del Frate/G. Pasqua (Hrsg.): Responding to the Challenges of Corruption, Acts of the International Conference Milan, 19–20 November 1999, Rome 2000, S. 21–32.
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§ 14 Geldwäsche Die Geldwäschestrafbarkeit bekam Priorität in der Strafpolitik der Europäischen Union im Zusammenhang mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Abschnitt I untersucht die Systematik des bestehenden acquis. Es folgt eine Darstellung der Geldwäschestrafbarkeit in Abschnitt II Abschnitt III bespricht die Pflichten der Finanzinstitute und die durch die Geldwäsche gefährdeten Tätigkeits- und Berufsgruppen. Sodann führt Abschnitt IV die Charakteristika des Geldwäscheacquis zusammen. Der acquis der Geldwäsche besteht wie üblich aus internationalen und supranationalen Instrumenten. Zunächst sind die Wiener Drogenkonvention335 und die Geldwäschekonvention des Europarates336 zu nennen, da die Europäische Union beiden Übereinkommen beigetreten ist und dadurch diese zum Bestandteil des acquis machte. Auf supranationaler Ebene wurde die Richtlinie zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche [Erste Geldwäscherichtlinie],337 das Zweite Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften [Geldwäscheprotokoll],338 die Gemeinsame Maßnahme betreffend Geldwäsche,339 die Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG [Zweite Geldwäscherichtlinie]340 und der Rahmenbeschluss über die Geldwäsche341 erlassen. Über diese Rechtsregeln hinaus werden 335 UN Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances, Vienna 20 December 1988, abgedruckt in BGBl. II 1993 1136. 336 Convention on Laundering, Search, Seizure and Confiscation of the Proceeds from Crime, 1990, ETS Nr. 141. 337 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991. 338 Zweites Protokoll aufgrund von Art. K.3. des Vertrages über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1997 Nr. C 221/12 vom 19.7.1997. Vgl. auch Korte Matthias: Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften mit den Mitteln des Strafrechts – Das „Zweite Protokoll“, NJW 1998, S. 1464–1466. 339 Gemeinsame Maßnahme betreffend Geldwäsche, die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 1998 Nr. L 333/1 vom 3. Dezember 1998. 340 Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001. 341 Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2001 Nr. L 182/1 vom 5.7.2001.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte
von den Gesetzgebungsvorschlägen der Kommission und der Mitgliedstaaten die Initiative der Französischen Republik über die Geldwäsche sowie die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten,342 der Vorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft343 sowie der Verordnungsvorschlag über die Verhinderung der Geldwäsche durch Zusammenarbeit im Zollwesen344 in Betracht genommen. Der Geldwäscheacquis weist drei Besonderheiten auf. Zunächst decken die oben aufgezählten Instrumente drei Teilgebiete ab: ein Teil des acquis bezieht sich ausdrücklich auf die Bestrafung der Geldwäsche, ein zweiter Teil beschäftigt sich mit den Pflichten der Finanzinstitute und anderer gefährdeter Berufszweige zur Verhinderung der Geldwäsche, während die restlichen Vorschriften die strafrechtliche Zusammenarbeit im Bereich der Geldwäsche betreffen. Die besprochenen Instrumente enthalten auch Konfiskationsvorschriften. Diese sind mit der Geldwäschestrafbarkeit logischerweise eng verbunden, da erst die Kriminalisierung der Geldwäsche es den Ermittlungsbehörden ermöglicht, illegale Erträge durch Einziehung abzuschöpfen. Die Vorschriften über die strafrechtliche Rechtshilfe sowie die Zollzusammenarbeit im Bereich der Geldwäsche (Abschöpfungsrechtshilfe bzw. Übermittlung von Informationen beim Geldwäscheverdacht zwischen den Zollbehörden) wurden bereits im Ersten Teil, in § 7 abgehandelt und werden hier nur ansatzweise wiedergegeben. Zweitens greift der Geldwäscheacquis viele soft law Regelungen, wie z. B. Empfehlung Nr. 80 des Europarates345, die Grundsatzerklärung der Baseler Bankenaufsichtsbehörden [Baseler Grundsatzerklärung]346 und die 342 Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der Erträge aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität, ABl. 2000 Nr. C 243/11 vom 24.8.2000. 343 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg. 344 Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die Verhinderung der Geldwäsche durch Zusammenarbeit im Zollwesen, ABl. 2002 Nr. C 227E/574 vom 24.9.2002. 345 Recommendation No. 80(10) on Measures against the transfer and safeguarding of the funds of criminal origin, adopted by the Council of Ministers of the Council of Europe on 27 June 1980. 346 Grundsatzerklärung der Bankenaufsichtsbehörden der Zehnergruppe verabschiedet im Dezember 1988 in Basel. Zu den Mitgliedern der Zehnergruppe gehören mittlerweile Belgien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Luxemburg, die Niederlande, Schweden, die Schweiz, Großbritannien und die USA.
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Empfehlungen von FATF347 auf und schreibt sie für die EU-Mitgliedstaaten als verbindliches Recht vor. Die Bezeichnung soft law bringt zum Ausdruck, dass die genannten Instrumente keine verbindliche Rechtswirkung entfalten und vor einem Gericht nicht durchgesetzt werden können. Trotz des unverbindlichen Charakters der Vorschriften darf deren Einfluss nicht unterschätzt werden. Sie sollen für die nationale Gesetzgebung richtungsweisend sein.348 Darüber hinaus bestehen nichtrechtliche, hauptsächlich politische Druckmittel, um die Befolgung der Empfehlungen zu unterstützten. So besteht z. B. bei einer Nichtbeachtung der FATF-Standards die Gefahr, dass Staaten auf die so genannte Schwarze Liste (black list) der nicht-kooperierenden Staaten gelangen, was eine politische Ächtung und in Ausnahmenfällen sogar Sanktionen nach sich ziehen kann.349 Die ungewöhnliche Relevanz des soft law bei der Bekämpfung der Geldwäsche ist auf die Erkenntnis im Finanzsektor zurückzuführen, dass die Kontaminierung des Finanzsektors mit „Schwarzgeldern“ deren Reputation und das Vertrauen in die Wirtschaft unterminiert.350 Um dem entgegenzuwirken, haben die Finanzinstitute an der Gestaltung des rechtlichen Rahmens für die Eindämmung der Geldwäsche durch den Erlass von Verhaltenskodizes (codes of conduct)351, sowie durch interne Bankaufsichtsmaßnahmen aktiv mitgewirkt. Das verstärkte Auftreten von soft law erklärt sich daraus, dass der Finanzsektor dieses dem traditionellen, gerichtlich durchsetzbaren Recht als weniger einschneidend vorzieht. Zugleich ist es auch eine Form der Selbstregulierung352, die bezweckt, überzeugende unternehmensinterne Präven347 FATF ist die Abkürzung für Financial Action Task Force (Finanzielle Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäsche), eine von der G-8 eingerichtete Arbeitsgruppe (working party), die von der OECD Sekretariat unterstützt wird. Das Gründungsdokument der FATF (Group of Seven Economic Declaration of 16 July 1989) ist abgedruckt in Gilmore, William (Hrsg.): International Efforts to Combat Money Laundering, Cambridge 1992, S. 3. 348 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 18. 349 Zum black-listing-Verfahren der FATF vgl. Stessens, Guy: The FATF Black List of Non-Cooperative Countries and Territories, Leiden Journal of International Law 2001, S. 199–208. 350 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 15–17. 351 Den zur Zeit wichtigste Verhaltenskodex bilden die Wolfsberg – AML-Principles. Sie wurden von den elf größten Privatbanken der Welt, die zusammen über 50% des Weltmarktes dieser Branche beherrschen, mit Hilfe einer Nichtregulierungsorganisation und Vertretern der Zivilgesellschaft erarbeitet. Vgl. Wolfsberg – AMLPrinciples: Global Anti-Money laundering – Guidelines for Private Banking. www.wolfsberg-principles.com. 352 Grundlegend zur Selbstregulierung als Mittel der Geldwäschebekämpfung Capus, Nadja: Selbstregulierung als neue Steuerungsmethode der Schweizerischen Geldwäschebekämpfung, ZStW 2002, S. 696–719.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte
tionskonzepte aufzustellen. Aufgrund dieser Konzepte kann dann die Haftung des betroffenen Finanz- oder Kreditinstituts für Fehlverhalten von Individuen beschränkt werden.353 Die drei bereits genannten soft law Instrumente sind internationale Initiativen, die auf die Ausgestaltung der Geldwäschegesetzgebung sämtlicher Länder Einfluss ausgeübt haben und in den acquis eingebaut wurden.354 In Punkto Wirkungskraft kommt insbesondere der Baseler Grundsatzerklärung und den FATF Empfehlungen besondere Bedeutung zu. Die Baseler Grundsatzerklärung initiierte den ersten relevanten Maßnahmenkatalog gegen Geldwäsche; sie stellte Regeln für off-shore-Zentren, risk management, interne Bankrevisionen und für die Schaffung adäquater Aufsichtsstandards auf. Erst jüngst hat der Baseler Ausschuss Regeln über customer due dilligence für Banken ausgearbeitet, um das „know-your-customer-Prinzip“ besser verwirklichen zu können. Seit der Konstituierung der FATF355 jedoch gelten die von ihr erlassenen Standards als die weltweit wichtigsten Maßgaben im Bereich der Geldwäschebekämpfung. Die 40 FATF Empfehlungen356 enthalten u. a. Identifizierungsanforderungen gegenüber Bankkunden, Forderungen nach höherer Geschäftsführungssorgfalt der Finanzinstitute, Maßgaben zur Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden und den Banken sowie zur internationalen administrativen Zusammenarbeit. Es war eine durchdachte Entscheidung, die 40 Empfehlungen als soft law zu gestalten und kein internationales Übereinkommen zu erlassen. Dadurch wollten die G-8-Staaten dem FATF-System eine gewisse Flexibilität verleihen, so dass man sich um langwierige Ratifikationsprozesse, wie sie bei internationalen Übereinkünften üblich sind, nicht zu kümmern brauchte. Die dritte Besonderheit des Geldwäscheacquis hängt mit seinem geographischen Geltungsbereich zusammen. Da bestimmte europäische Staaten und Gebiete wie Monaco, die Kanalinseln und die Insel Man nicht zur Zollunion gehören und von den Regelungen von Art. 299 Absätze 3, 4, und 6 Buchstabe c EGV ausgenommen sind, finden die Geldwäscherichtlinien auf sie keine Anwendung.357 Anderseits bemühte sich die Europäische Union 353 Pieth, Mark: Staatliche Intervention und Selbstregulierung der Wirtschaft, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, Baden-Baden 2002, S. 319. 354 Insgesamt 15 der 40 FATF Vorschläge wurden in die Erste Geldwäscherichtlinie übernommen und damit in verbindliches Recht für die EU Mitgliedstaaten transformiert. 355 Der 1989 von den G-8-Staaten gegründeten Organisation gehören mittlerweile 29 Staaten, die Europäische Kommission und die Kooperation der Golfstaaten an. 356 Die deutsche Fassung ist erhältlich vom www.oecd.org/fatf. 357 Um die Gefahr, die im Zusammenhang mit der Geldwäsche von diesen Staaten und Gebieten ausgeht, entgegenzuwirken, sieht der jüngste Verordnungsvorschlag über die Verhinderung der Geldwäsche durch die Zusammenarbeit der Zoll-
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mit Erfolg, ihre Geldwäscheregelungen unter dem EWR-Abkommen auch auf Nicht-Mitgliedstaaten wie Island, Norwegen und Liechtenstein auszudehnen.358 Das Instrumentarium der Geldwäschebekämpfung verwirklicht eine weitreichende Überwachung des privaten und geschäftlichen Zahlungsverkehrs. Viele Praktiker heben aber hervor, dass der versprochene Erfolg ausgeblieben ist und die Bilanz der Geldwäscheverfolgung ernüchternd ausfiel.359 Verurteilungen erfolgen kaum, Einziehungen von Vermögenswerten noch seltener. Die überwiegende Mehrheit der Verdachtsanzeigen erweist sich als unberechtigt. Es liegen keine zuverlässigen Daten über das tatsächliche Ausmaß der Geldwäsche vor. Alleine in Deutschland sollen 70 Milliarden Euro jährlich gewaschen werden.360 Im Allgemeinen wird behauptet, dass die Bekämpfung der Geldwäsche durch den Zusammenbruch kommunistischer Regime deutlich schwieriger wurde, da die in diesen Ländern errichteten neuen Finanzmärkte zusätzlichen Raum für Geldwäscheoperationen bieten. Diese Internationalisierung des Geldwäschephänomens verlangt nach einem weltweit abgestimmten Vorgehen gegen Geldwäscher. I. Das Geldwäschephänomen Die Verfolgung der Geldwäsche kann als Paradigma für die Amerikanisierung des europäischen Strafrechts gelten.361 Das Konzept Geldwäsche war in Europa bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts nahezu unbekannt. Gültig formuliert worden ist es erstmalig im Bericht Organized Crime and Money Laundering, der von der President’s Commission on Organized Crime vorgelegt wurde, welche der amerikanische Präsident Reagan einberufen hatte. Nach diesem Bericht lautet die Definition wie folgt: wesen eine Sonderregelung vor. Siehe Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die Verhinderung der Geldwäsche durch Zusammenarbeit im Zollwesen, ABl. 2002 Nr. C 227E/574 vom 24.9.2002. 358 Siehe Art. 36 des EWR Abkommens, sowie ABl. 1994 Nr. L 1/1 vom 3. Januar 1994. 359 Fischer, Thomas: Die Bilanz der Geldwäscheverfolgung ist jämmerlich, FAZ 16. Oktober 2002, S. 19. 360 Fischer, Thomas: Die Bilanz der Geldwäscheverfolgung ist jämmerlich, FAZ 16. Oktober 2002, S. 19. 361 Schubarth, Martin: Geldwäscherei – Neuland für das traditionelle kontinentale Strafrechtsdenken, in: Festschrift für Günter Bemmann zum 70. Geburtstag, BadenBaden 1997, S. 430–442.
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„Als Geldwäsche bezeichnet man die Mittel, mit denen man die Existenz, die illegale Quelle oder die illegale Verwendung von Einkommen verbirgt und dann dieses Einkommen so bemäntelt, dass es aus einer legalen Quelle zu stammen scheint.“362
Zum europäischen kriminalpolitischen und später strafrechtsdogmatischen Thema wurde die Geldwäsche im Zuge der Wiener Drogenkonvention, als die USA Mitte der 80er Jahre begannen, „massiven Druck“363 auf alle Staaten auszuüben, vergleichbare Bestimmungen zu schaffen. So sieht die Wiener Drogenkonvention, mit der die USA ihren Krieg gegen Drogen rechtlich globalisierten, einen Geldwäschetatbestand vor. Darüber hinaus setzten die USA ihren politischen Einfluss vor allem über die FATF in Europa ein. Wie bereits erwähnt, verabschiedete diese Empfehlungen zur Verhinderung der Geldwäsche, die wiederum die Grundlage für die Geldwäscherichtlinie des Rates bildeten. Das Geldwäschephänomen ist auf die geänderten sozioökonomischen Verhältnisse der letzten 20 Jahre zurückzuführen. In der Erkenntnis, dass die organisierte Kriminalität und insbesondere die Betäubungsmittelkriminalität hohe Gewinne ermöglicht, kam man zur der Schlussfolgerung, dass organisierte Kriminalität am effektivsten dadurch bekämpft werden kann, dass man die Täter daran hindert, die Straftatgewinne – sei es für die Begehung neuer Straftaten, sei es im legalen Wirtschaftsverkehr – nutzbar zu machen. 364 In dieser Hinsicht stellt die Schaffung des Tatbestands der Geldwäsche ein neues Mittel, oder besser formuliert, eine neue Strategie im Kampf gegen die organisierte Kriminalität dar, die gegen die Strukturen des organisierten Verbrechens gerichtet ist.365 Zugleich aber wirken sich die geänderten sozioökonomischen Verhältnisse in eine andere Richtung aus: Dem Bedarf der organisierten Kriminalität, ihren aus verbotener Betätigung stammenden Gewinnen den Anschein legaler Herkunft zu verleihen, entspricht zum einen der Bedarf einiger devi362
Die deutsche Übersetzung zitiert nach Arzt, Gunther: Das schweizerische Geldwäschereiverbot im Lichte amerikanischer Erfahrungen, SchwZStR 1989, S. 167. 363 Arzt, Gunther: Geldwäscherei – Eine neue Masche zwischen Hehlerei, Strafvereitelung und Begünstigung, NStZ 1990, S. 1–6. 364 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 4. 365 Es ist erwähnenswert, dass Geldwäsche zwar im Zusammenhang mit der Bekämpfung der organisierten Drogenkriminalität in das allgemeine Bewusstsein vorgedrungen ist, diese jedoch nicht im Zusammenhang mit Drogen, sondern zur Bekämpfung des Terrorismus entwickelt wurde. Vgl. Recommendation No. 80(10) on Measures against the transfer and safeguarding of the funds of criminal origin, adopted by the Council of Ministers of the Council of Europe on 27 June 1980.
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senschwacher Staaten, vorhandene Schwarzgeldreserven in ihrer volkswirtschaftlichen Bilanz zu aktivieren, zum anderen der insbesondere durch die Basel-II-Entwicklung verschärfte Bedarf der Privatwirtschaft an einfach und schnell verfügbarem Kapital. In diesem Lichte stellen die schmutzigen Gelder der organisierten Kriminalität auch eine nicht unwillkommene Kreditquelle für die Wirtschaft dar, unabhängig davon, ob es sich um den staatlichen oder privaten Bereich der Wirtschaft handelt. Man muss daher feststellen, dass – zumindest in Teilbereichen – die helle und die dunkle Seite der Marktwirtschaft Hand in Hand gehen. Bereits die daraus resultierenden, teils verdeckten Interessenkonflikte sind ohne weiteres geeignet, die ernüchternde Bilanz der Praktiker zu erklären. Geldwäscheoperationen verfolgen in der Regel parallel zwei Ziele: zum einen sollen die Vortaten, aus denen die illegalen Erträge stammen, verschleiert bleiben, zum anderen soll gewährleistet werden, dass Kriminelle ihr durch die Straftat „erworbenes Einkommen“ genießen können. Bei der Verwirklichung beider Ziele unterscheidet das kriminologische Schrifttum zwischen drei Phasen der Geldwäsche: die Einschleusung illegaler Einkünfte in das legale Wirtschaftssystem (z. B. Einzahlung auf ein Bankkonto, Kauf von Aktien oder Wertpapieren usw.), die Verschleierung der Herkunft des Geldes (am häufigsten durch eine Reihe von Banküberweisungen) und schließlich die Integration oder das recycling der Beträge in die Wirtschaft. Die letzte Phase tritt dann ein, wenn der Geldwäscher die Beträge in die Wirtschaft reinvestiert (z. B. durch den Betrieb bestimmter bargeldintensiver Unternehmen, wie Kinos, Kasinos, Restaurants usw.). II. Systematik des Geldwäscheacquis Bei der Betrachtung der Vorschriften des Geldwäscheacquis zeichnen sich klar die Elemente einer zweigleisigen Strategie in der Geldwäschebekämpfung ab. Auf der einen Seite versucht der Gemeinschaftsgesetzgeber, die Geldwäsche durch ein Verbot einzudämmen und den Weg zur Abschöpfung illegal erlangter Erlöse freizumachen. Zugleich statuiert er aber auch sämtliche präventive Maßnahmen, die die Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche zum Ziel haben. Kernstück des Geldwäscheacquis ist die Erste Geldwäscherichtlinie, eine Rechtssetzungsform des Ersten Pfeilers, die sich gemäß ihrem Titel auf die Verhinderung und nicht auf die Bekämpfung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche bezieht. Sie enthält vorwiegend organisatorische Maßnahmen, um Praktiken, die Vorteile aus der Freiheit des Kapitelverkehrs in einer mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Weise ausnutzen, zu verhindern.
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Trotz des pro forma nichtstrafrechtlichen Charakters der Richtlinie ist kaum zu leugnen, dass sie im Kontext der Zunahme des organisierten Verbrechens und insbesondere im Zusammenhang mit den internationalen Instrumenten zur Bekämpfung der Geldwäsche erlassen wurde.366 Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission367 sah sogar eine Pflicht der Mitgliedstaaten vor, die Geldwäsche gemäß ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften unter Strafe zu stellen. Der Rat konnte sich jedoch nicht auf eine Richtlinienbestimmung einigen, der zufolge die Geldwäsche unter Strafe zu stellen sei.368 Die Kriminalisierungspflicht wurde dann in der Endfassung gestrichen, so dass die Erste Geldwäscherichtlinie lediglich ein Verbot der Geldwäsche ausspricht. Die fehlende Kriminalisierungsverpflichtung entspricht zugleich der Kompetenzaufteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft, wonach die Europäischen Gemeinschaft über keine Strafrechtskompetenzen verfügt. Das Fehlen einer Kriminalisierungspflicht in der Richtlinie wurde durch eine intergouvernementale Erklärung der Mitgliedstaaten369 ersetzt, die der Ersten Geldwäscherichtlinie als Anhang beigefügt ist. In dieser völkerrechtlichen Erklärung verpflichten sich die Mitgliedstaaten, spätestens bis zum 31. Dezember 1992 alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um Strafvorschriften in Kraft zu setzen, die ihnen gestatten, ihre aus der Wiener Drogenkonvention und der Geldwäschekonvention des Europarats erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Regelungstechnik sowie der Inhalt der Ersten Geldwäscherichtlinie verdeutlichen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber einen zweigleisigen Ansatz der Repression und Prävention gegenüber der Geldwäsche verfolgt. Er sieht vor, dass die Untersagung der Geldwäsche durch präventive Mittel der Finanzverwaltung unterstützt wird. Der Unterschied zwischen dem repressiven und präventiven Ansatz besteht darin, dass, während sich die Repression in erster Linie gegen das sozialschädliche Verhalten richtet und Geldwäsche verbietet (oft ergänzt durch Konfiskationsmaßnahmen), die Prävention versucht, dem Missbrauch des Finanzsystems für die Zwecke der Geldwäsche vorzubeugen.370 Dementsprechend steht im Mittelpunkt des re366 So zählt die Präambel der Ersten Geldwäscherichtlinie die Wiener Drogenkonvention sowie das Geldwäscheübereinkommen des Europarats auf. 367 Vorschlag für eine Richtlinie des des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1990 Nr. C 106/6 vom 28.4.1990. 368 Erster Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Geldwäscherichtlinie, KOM (1995) 54 endg. 369 Erklärung der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, ABl. 1991 Nr. L 166/83 vom 28.6.1991. 370 Stessens warnt jedoch vor einer Vereinfachung der Umstände durch die Unterscheidung zwischen repressiven und präventiven Maßnahmen. Er betont dagegen,
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pressiven Ansatzes die Kriminalisierung der Geldwäsche. Im Unterschied dazu legt der präventive Ansatz das Hauptgewicht auf die Identifizierungsund Meldepflicht von Finanzinstituten und anderen „gefährdeten“ Berufsgruppen. Der gemeinschaftsrechtlichen Regelungstechnik zufolge ist das Verbot der Geldwäsche von den Pflichten zur Bekämpfung der Geldwäsche zu unterscheiden, die für den Finanzsektor und andere gefährdete Tätigkeiten und Berufe gelten. Für die Strafrechtsdogmatik ergeben sich hier zwei zentrale Punkte. Zunächst ist zu untersuchen, ob das Verbot der Geldwäsche im Art. 2 der Ersten Geldwäscherichtlinie durch das Strafrecht umzusetzen ist oder aber das verwaltungsrechtliche Verbot der Geldwäsche der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung genügt. Davon losgelöst ist zu klären, ob sich die verwaltungsrechtliche Umsetzung der Identifizierung- und Meldepflichten auf den im Geldwäschetatbestand beschriebenen Kreis von Verhaltensweisen erstrecken soll oder ihr ein engeres bzw. weiteres Verständnis der Geldwäsche unterliegen kann. In Bezug auf den ersten Punkt ist zu erwähnen, dass tatsächlich alle Mitgliedstaaten das in Art. 2 der Ersten Geldwäscherichtlinie niedergelegte Verbot der Geldwäsche durch das Strafrecht umgesetzt haben.371 Damit ist diese Frage zwar durch die Rechtsentwicklung überholt, angesichts der kriminalpolitischen Kritik aber weiterhin von Interesse. Als Ausgangspunkt gilt, dass den EU-Mitgliedstaaten – technisch gesehen – für die Umsetzung des Geldwäscheverbots zwei Wege freistehen: sie können die in der Richtlinie genannten Tathandlungen entweder durch das Strafrecht ahnden oder durch andere Rechtsgebiete, hauptsächlich durch das Verwaltungsrecht, sanktionieren. Daran ändert zunächst die vorher erwähnte intergouvernementale Erklärung der Mitgliedstaaten372 nichts. Aus diesem Umstand leitet Stessens ab, dass für die Mitgliedstaaten theoretisch die Möglichkeit besteht, anstatt eines strafrechtlichen Verbots der Geldwäsche eher ein administratives Verbot einzuführen.373 dass die finanzrechtlichen „präventive Maßnahmen“ oft repressive Zwecke dienen, und die Maßnahmen zur Verhinderung der Geldwäsche in der Regel durch Strafen unterstützt werden. Daher argumentiert er für eine Unterscheidung zwischen verwaltungsstrafrechtlichen und kriminalstrafrechtlichen Maßnahmen. Vgl. Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 108–112. 371 Vergleichende Darstellung bei Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 343–347. 372 Erklärung der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, ABl. 1991 Nr. L 166/83 vom 28.6.1991. 373 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 118.
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Dem Argument von Stessens ist entgegenzuhalten, dass die Geldwäscherichtlinie hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, d.h., die Mitgliedstaaten müssen die beschriebenen Handlungen untersagen und „Verstöße ahnden“. Im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 10 EGV argumentiert Vogel, dass die Geldwäscherichtlinie dahin auszulegen ist, dass wirksame und abschreckende Sanktionen festzulegen sind.374 Insoweit dürfte aus der Vorwertung der Wiener Drogenkonvention und der Geldwäschekonvention des Europarates folgen, dass wirksam und abschreckend nur Kriminalstrafen sind. Zudem dürfte es der Vollendung des Binnenmarkts widersprechen, wenn ein Mitgliedstaat ein Sanktionsniveau etabliert, das hinter dasjenige der meisten anderen Mitgliedstaaten zurückfällt. Zusammenfassend ist deswegen festzuhalten, dass der gemeinschaftsrechtlichen Forderung nur die strafrechtliche Definition der Geldwäsche genügt. Ein Ordnungswidrigkeitstatbestand – wie von Stessens erwogen – reicht nicht aus. Vor diesem Hintergrund entfaltet die begründete Einschätzung aller Mitgliedstaaten, es seien Kriminalstrafen erforderlich, nicht nur politische, sondern auch rechtliche Verbindlichkeit. Mit Blick auf den zweiten Punkt hat die Kommission in ihrem Bericht über die Umsetzung der Ersten Geldwäscherichtlinie festgestellt, dass sich viele Mitgliedstaaten für die verwaltungsrechtliche Durchsetzung der Identifizierungs- und Meldepflicht entschieden haben. Im Unterschied zur Durchsetzung des Verbots der Geldwäsche erfüllt die verwaltungsrechtliche Durchsetzung der Identifizierungs- und Meldepflicht die Forderungen des Gemeinschaftsrechts. Sie steht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der durch den Verstoß gegen die Identifizierungs- und Meldepflicht begangenen Zuwiderhandlung. Einige Mitgliedstaaten haben jedoch den Verstoß gegen die Identifizierungs- und Meldepflicht unter Strafe gestellt. Dies löste generell eine Diskussion über die Wahl der Umsetzungsform aus. Letztendlich handelt es sich hier um eine strafpolitische Entscheidung des betroffenen Mitgliedstaats, wieweit er Verstöße gegen technische Regeln – wie die Vorschriften über die Identifizierung von Kunden oder die Meldepflicht – bestrafen möchte. Neben der rein strafdogmatischen Frage einer verschuldensunabhängigen strafrechtlichen Verantwortung müssen die Mitgliedstaaten auch dem Grundsatz des freien Kapitalverkehrs Rechnung tragen. Die Sanktion darf nicht so ausfallen, dass der Grundsatz des freien Kapitalverkehrs übermäßig beeinträchtigt oder gar missachtet würde. Aus dogmatischer Sicht erscheint wichtiger, dass die Mehrzahl der Mitgliedstaaten, die sich für die verwaltungsrechtliche Sanktionierung der Verstöße gegen die Identifizierungs- und Meldepflicht entschieden haben, die 374 Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 342.
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gleiche Definition der Geldwäsche im Strafrecht und im Verwaltungsrecht anwendet. Es gibt jedoch Mitgliedstaaten, die für die Zwecke der Umsetzung der in der Richtlinie normierten Verpflichtungen eine vom Strafrecht unabhängige verwaltungsrechtliche Definition der Geldwäsche in ihre Rechtssysteme eingeführt haben. In diesen Mitgliedstaaten existieren parallel zwei Definitionen der Geldwäsche, wobei die verwaltungsrechtliche Definition der Geldwäsche im Vergleich zum strafrechtlichen Geldwäschetatbestand entweder weiter (z. B. Dänemark) oder enger (z. B. Belgien) gefasst ist. Diese Umsetzungsunterschiede verdeutlichen zugleich, dass die Anweisungskompetenz der EG durch Richtlinien zur Harmonisierung zwar beiträgt, ein einheitliches Schutzniveau indes unmöglich gewährleisten kann.375 III. Die Geldwäschestrafbarkeit Die Erste Geldwäscherichtlinie – wie im Übrigen auch die Geldwäschekonvention des Europarates376 – entnimmt im Hinblick auf den objektiven Tatbestand der Geldwäsche wortwörtlich die in der Wiener Drogenkonvention enthaltene Definition.377 Im Unterschied zur Geldwäschekonvention des Europarates enthält die Erste Geldwäscherichtlinie jedoch keine eigene Definition, nur einen Verweis auf die Wiener Drogenkonvention.378 Damit stimmt der objektive Tatbestand der Geldwäsche des acquis mit dem im internationalen Recht Gängigen überein. Gemäß Art. 3(1) der Wiener Drogenkonvention ist Geldwäsche: (b) The conversion or transfer of property knowing that such property is derived from any offence or offences established in accordance with subparagraph (a) of this paragraph, or from an act of participation in such offence or offences, for the purpose of concealing or disguising the illicit origin of the property or of assisting any person who is involved in the commission of such an offence or offences to evade the legal consequences of his actions. The concealment or disguise of the true nature, source, location, disposition, movement, rights with respect to, or ownership of property, knowing that 375
Dazu bereits in § 11, I., 3. Art. 6 (1) Convention on Laundering, Search, Seizure and Confiscation of the Proceeds from Crime, 1990, ETS Nr. 141. 377 Darüber hinaus übernehmen auch die UN Convention against Transnational Organised Crime, sowie der Corpus Juris Art. 3(1)b und (c) Wiener Drogenkonvention. Die Wiener Drogenkonvention wird deswegen zu Recht als völkerrechtliche Mutterkonvention bezeichnet. Vgl. Ambos, Kai: Internationalisierung des Strafrechts: das Beispiel „Geldwäsche“, ZStW 2002, S. 237. 378 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 78. 376
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte such property is derived from an offence or offences established in accordance with subparagraph (a) of this paragraph or from an act of participation in such an offence or offences.
(c) Subject to its constitutional principles and the basic concepts of its legal system: The acquisition, possession or use of property, knowing at the time of the receipt, that such property was derived from an offence or offences established in accordance with subparagraph (a) of this paragraph or from an act of participation in such an offence or offences.
Stessens führt für die Geldwäschestrafbarkeit drei Gründe an:379 Zunächst soll die Kriminalisierung der Geldwäsche die Einziehung und Beschlagnahme illegal erlangter Vermögensgegenstände auch dann ermöglichen, wenn die Einziehung ansonsten nicht möglich wäre. Die Beschlagnahme von Vermögensgegenständen kann nämlich durch Geldwäscheoperationen – am einfachsten durch Veräußerung – verhindert werden. Es ist zwar möglich, die Beschlagnahme auch in Gegenstände Dritter zu vollstrecken, doch geht dies zumeist mit gravierenden Eingriffen in (Eigentums-) Rechte Dritter einher. Um dies zu vermeiden, ziehen es die Gesetzgeber weltweit vor, die Geldwäsche unter Strafe zu stellen. Ein weiterer Impetus für die Kriminalisierung der Geldwäsche liegt in den Schwierigkeiten der Beweisbarkeit in Fällen der organisierten Kriminalität. Ein Hauptmerkmal organisierten Verbrechens liegt darin, dass sich die an der Spitze stehenden Mitglieder der kriminellen Vereinigung an den Straftaten persönlich nie beteiligen. Sie kommen erst mit den gewaschenen „Erträgen“ in Berührung. Um die illegale Herkunft des Vermögens zu vertuschen, nehmen Spitzenkriminelle in der Regel Geldwäschemanöver vor. Die Ermittlungskräfte sehen deswegen die Geldwäschestrafbarkeit als Mittel der Beweissammlung gegen Spitzenkriminelle. Schließlich ist der wichtigste Beweggrund der Geldwäschestrafbarkeit die allgemeine Anerkennung, dass die Durchfilterung des Finanzsektors mit illegalen Geldern die Reputation und das effektive Funktionieren der Finanzmärkte in Zweifel zieht und sich dadurch negativ auf die Weltwirtschaft auswirkt. Die Finanzquellen werden nicht nur ineffektiv verteilt, sondern fördern auch unbillige, sozialschädliche Aktivitäten, anstatt legale Tätigkeiten zu fördern. Neben diese allgemein zutreffenden Gründe der Geldwäschestrafbarkeit tritt im Rahmen der Europäischen Union ein weiterer Aspekt. Wenn ein Mitgliedstaat einschlägige Aktivitäten auf dem Gebiet der Geldwäsche nicht erfasst, kann ihm das bei isolierter Betrachtung der daraus erwachsenden Aktivitäten durchaus zum Vorteil gereichen. Der denkbare Einwand, 379 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 85–87.
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eine derartige Ballung kriminogener Verhaltensweisen könne aus der Sicht eines Mitgliedstaats kaum als wünschenswert bezeichnet werden, greift nicht durch. Folge derartiger Geschäfte sind nicht sozial unerträgliche Umstände, sondern durchaus attraktive Wirtschaftsaktivitäten.380 1. Schutzzweck Vogel zeigt auf, dass trotz der einheitlichen Beschreibung des objektiven Tatbestands der Geldwäsche in allen drei genannten Instrumenten diese von unterschiedlichen Motiven getragen sind und daher auch unterschiedlichen Schutzzwecken dienen.381 Die Wiener Drogenkonvention ist als Teil des internationalen Programms der Vereinten Nationen zur Eindämmung der Drogenabhängigkeit zu verstehen.382 Sie ist auf Betäubungsmitteldelikte beschränkt und repressiv ausgerichtet. Die Wiener Drogenkonvention formuliert sämtliche materiellrechtlichen Strafvorschriften und stellt einen Mechanismus für die internationale strafrechtliche Zusammenarbeit auf. Sie zielt darauf ab, die organisierte Betäubungsmittelkriminalität durch Gewinnabschöpfung zu treffen.383 In diesem Rahmen soll das Geldwäscheverbot dazu dienen, der faktischen Beeinträchtigung der Gewinnabschöpfung entgegenzuwirken. Daneben wird aber auch der Schutz des legalen Wirtschafts- und Finanzverkehrs vor Unterwanderung durch kriminelle Vereinigungen genannt. Die Geldwäschekonvention des Europarates ist das erste ausschließlich gegen die Geldwäsche gerichtete Übereinkommen. Sie ist im Unterschied zur Wiener Drogenkonvention nicht auf die Betäubungsmittelkriminalität begrenzt. Im Vordergrund der Geldwäschekonvention des Europarates steht die Erleichterung internationaler Zusammenarbeit bei der Gewinnabschöpfung aus Straftaten aller Art, sofern sie schwerwiegender Natur sind (serious crimes) oder große Gewinne hervorbringen (crimes which generate large profits). Hier wird die Geldwäschestrafbarkeit als Ausgleichsmaßnahme zur Bekämpfung der faktischen Beeinträchtigung der Gewinnabschöpfung verstanden. 380
Prittwitz, Corneluis: Die Geldwäsche und ihre strafrechtliche Bekämpfung – oder: Zum Einzug des Lobbyismus in die Kriminalpolitik, StV 1993, S. 499. 381 Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 337–338. 382 Comprehensive Outline of Future Activities in Drug Abuse Control, ILM 1987, S. 1637–1724. 383 Erwägungsgründe Nr. 3 – 6 UN Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances, Vienna 20 December 1988, abgedruckt in BGBl. II 1993 1136.
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Demgegenüber stellen die Geldwäscherichtlinien der Europäischen Gemeinschaften auf die Solidität des europäischen Finanzsystems und das Vertrauen der Öffentlichkeit hierin ab. Die Geldwäscherichtlinien betonen die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung im gesamten Finanzraum des Binnenmarkts, wobei die Bekämpfung der Drogen- und anderer Kriminalität384 als Schutzzweck genannt wird. Diese Akzentverschiebung bezüglich des Binnenmarktsbezugs erklärt sich aus den zuvor genannten Kompetenzregelungen der Europäschen Gemeinschaften.385 Diese Unterschiede im Motivbereich und in der Schutzrichtung wirken sich auf Umfang und Systematik der jeweiligen Vorschriften aus und bestimmen das Rechtsgut des Geldwäschetatbestandes. Da die Erste Geldwäscherichtlinie ausdrücklich auf die Wiener Drogenkonvention verweist und da die Europäische Union der Geldwäschekonvention des Europarates beigetreten ist, gelten die dort genannten Ziele auch für die Europäische Union. Daraus folgt, dass bei einer richtlinienkonformen Rechtsgutbestimmung all die genannten Ziele berücksichtigt werden müssen. 2. Vortatenkatalog Geldwäsche ist eine Annexstraftat, sie setzt eine Vortat (predicate offence) voraus. Durch die Vortat wird der Vermögensgegenstand „bemakelt“ oder „kontaminiert“. Der Vortatbezug macht also den Vermögensgegenstand zum tauglichen Tatobjekt des Geldwäschetatbestands. Der sachliche Umfang der Geldwäschestrafbarkeit richtet sich daher nach den in Betracht kommenden Vortaten. Die Erste Geldwäscherichtlinie übernahm die oben zitierte Definition der Wiener Drogenkonvention und sah als Vortat jegliche Straftat (any criminal offence) bzw. jegliche kriminelle Tätigkeit (any other criminal activity) aus Betäubungsmittelgrunddelikten vor. Zugleich erlaubte aber die Präambel der Ersten Geldwäscherichtlinie den Mitgliedstaaten, die Richtlinie neben Erlösen aus Drogenstraftaten auch auf die Erlöse aus anderen kriminellen Tätigkeiten (wie organisiertem Verbrechen und Terrorismus) auszuweiten, sofern diese Erlöse Anlass zu Geldwäschegeschäften geben könnten, die eine entsprechende Ahndung rechtfertigen.386 Damit setzte die Erste Geld384
Gemäß der Geldwäscherichtlinie steht es den Mitgliedstaaten frei, Erlöse auch aus anderen kriminellen Tätigkeiten (wie Terrorismus oder Organisierte Kriminalität) mit zu erfassen. Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 78. 385 Die Erste Geldwäscherichtlinie stützt sich auf Art. 8a, Art. 57 (2), sowie auf Art. 100 (a. F.) EGV, also auf die Vollendung des Binnenmarkts hinsichtlich des freien Kapitalverkehrs.
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wäscherichtlinie den Minimalstandard bei den Erlösen aus Drogendelikten fest. Es bestand jedoch durch den Auffangverweis auf jede kriminelle Tätigkeit die Möglichkeit, auch Erlöse aus anderen Taten mitzuerfassen. Durch diese Regelung hat die Erste Geldwäscherichtlinie den Bezug zur Drogenkriminalität jedoch im Grunde aufrechterhalten. Wie im vorherigen Abschnitt ausgeführt wurde, hat die Geldwäschekonvention des Europarates – im Unterschied zur Wiener Drogenkonvention – die Geldwäsche aus Vortaten schwerwiegender Natur oder aus Vortaten, die große Gewinne hervorbringen, vorgesehen. Damit löste die Geldwäschekonvention des Europarates eine Tendenz aus, die die Erweiterung des Vortatenkatalogs über Betäubungsmitteldelikte des Art. 3 Abs. 1 lit. a Wiener Drogenkonvention hinaus anstrebt. Danach sollten die neuen Geldwäscheregelungen statt auf Drogendelikte auf schwere Straftaten abstellen und die Gewinnabschöpfung aus allen aufgrund des nationalen Strafrechts als schwer einzustufenden Straftaten zulassen. In dieser Hinsicht wurden die Geldwäscheregelungen Gegenstand einer grundlegenden Veränderung: von einem gegen die organisierte Kriminalität und vordergründig gegen Drogendelikte gerichteten Instrument entwickelte sich die Geldwäschestrafbarkeit zu einem allgemeinen Durchsetzungsinstrument der Gewinnabschöpfung. Dahinter verbirgt sich eine neue Strafpolitik, die sich an den Gewinnen aus Straftaten orientiert und Kriminalität durch die Wegnahme dieser Gewinne zurückdrängen möchte anstatt, wie üblich, allein durch die Bestrafung der Täter. Die Erweiterung des Vortatenkatalogs ergab sich aus zahlreichen praktischen Gründen. Zum einen wurde klar, dass organisierte Kriminalität ihre finanzielle Basis nicht nur aus Drogendelikten, sondern auch aus anderen illegalen Tätigkeiten schöpft. Sollte die Verfolgung der Geldwäsche in den Kampf gegen die organisierte Kriminalität einbezogen werden, müssten die Vortaten so weit wie möglich gefasst sein, um ein effektives Vorgehen der Ermittlungsbehörden zu gestatten. Darüber hinaus sind die Aktivitäten der unterschiedlichen kriminellen Vereinigungen oft miteinander auf eine solche Art und Weise verbunden, dass die aus unterschiedlichen Taten erwirtschafteten Gewinne nicht voneinander getrennt werden können. Dazu kam, dass viele Straftaten, die große Gewinne erzielen lassen – wie Menschenhandel, Waffenhandel, Korruption usw. –, gerade im Mittelpunkt des politischen Interesses stehen. Ein breites Spektrum von Vortaten erleichtert zugleich die Meldung von verdächtigen Transaktionen und die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet. Schließlich ist ethisch kaum zu vertreten, 386 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 78.
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dass Erträge aus Drogendelikten bestraft und abgeschöpft werden, die aus anderen Delikten aber nicht. Dies könnte als unsinnige Privilegierung solcher Gewinne fehlverstanden werden, die aus anderen Straftaten als Drogendelikten bestritten wurden. Diese Erwägungen schlugen sich in der Geldwäschekonvention des Europarates nieder und resultierten in dem erwähnten breiten Vortatenkatalog. Eine Schwäche dieser Regelung zeigte sich jedoch darin, dass sie den Parteien die Möglichkeit eines Vorbehaltes eingeräumt hat. Von dem durch die Geldwäschekonvention und der Ersten Geldwäscherichtlinie gewährten Spielraum haben die EU-Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Umfang Gebrauch gemacht387, was sich der mitgliedstaatlich unterschiedlichen Geldwäschestrafbarkeit äußerte. Aus Sicht der internationalen Zusammenarbeit stellte diese Praxis ein Hindernis dar, da es die strafrechtliche Rechtshilfe in Fällen der organisierten Kriminalität erschwerte. Um ein effizientes Vorgehen gegen die organisierte Kriminalität zu fördern, haben die Mitgliedstaaten 1998 beschlossen, ihre der Geldwäschekonvention des Europarats beigefügten Vorbehalte zum Teil aufzuheben. Die Mitgliedstaaten nahmen eine Gemeinsame Maßnahme dahingehend an, dass sie in Bezug auf die Vortaten der Geldwäsche zur Geldwäschekonvention des Europarats keine Vorbehalte machen bzw. aufrechterhalten, sofern es sich um schwere Straftaten handelt. Zu diesen Straftaten gehören zumindest die Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden Maßregeln der Sicherung und Besserung im Höchstmaß von mehr als einem Jahr oder im Mindestmaß von sechs Monaten bedroht sind.388 Diese Verpflichtung spiegelte die neue europäische Strafpolitik wider, die die Geldwäschestrafbarkeit als Mittel zur Gewinnabschöpfung betrachtet. Die Gemeinsame Maßnahme hat zwar den Kreis der „geldwäschetauglichen“ Vortaten erweitert und dadurch die Abschöpfung illegal erlangter Gewinne in einem größeren Umfang ermöglicht, sie erwies sich jedoch zur Verwirklichung einer Harmonisierung der Geldwäschestrafbarkeit als ungeeignet. Die so definierten „schweren Straftaten“ umfassen in jedem mitgliedstaatlichen Strafrecht unterschiedliche Tatbestände, je nachdem, was der nationale Gesetzgeber selber als schwerwiegend einschätzt und dementsprechend mit mindestens 6 Monaten Freiheitsstrafe geahndet wissen möchte. Ambos kommt zu der Schlussfolgerung, dass angesichts der Unterschiedlichkeit nationaler Rechtsordnungen nicht einmal eine Angleichung auf EU387 Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 343. 388 Art. 1 Abs. 1 Gemeinsame Maßnahme betreffend Geldwäsche, die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 1998 Nr. L 333/1 vom 3. Dezember 1998, S. 2.
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Ebene erreicht werden kann.389 Dies ist insofern logisch, als selbst dann, wenn Erlöse aus allen Straftaten unter den Geldwäschetatbestand fielen, die Geldwäschestrafbarkeit in der Europäischen Union immer noch unterschiedlich ausfallen würde, da die nationalen Strafrechte unterschiedliche Straftatbestände enthalten. Trotz dieses Umstandes darf nicht vergessen werden, dass die Erweiterung des Vortatenkatalogs die strafrechtliche Rechtshilfe erleichtert und damit zur Effektivierung der Geldwäschebekämpfung beiträgt. Den nächsten Schritt auf EU-Ebene in Richtung Vereinheitlichung brachte die Zweite Geldwäscherichtlinie, die eine erheblich weiter gefasste Definition der Geldwäsche auf der Grundlage eines breiteren Spektrums von Straftaten, die der Geldwäsche vorangehen oder zu Grunde liegen können, etabliert. Die Zweite Geldwäscherichtlinie stellt einen Vortatenkatalog auf, wonach neben den schon in der Ersten Geldwäscherichtlinie genannten Taten (Drogendelikte) die Handlungen krimineller Vereinigungen,390 Betrug zumindest in schweren Fällen, Bestechung sowie Straftaten, die beträchtliche Erträge hervorbringen und nach dem Strafrecht des Mitgliedstaats mit einer langen Freiheitsstrafe geahndet werden können, als Vortaten der Geldwäsche in Frage kommen. Diese Liste ist Ergebnis eines Kompromisses der Mitgliedstaaten. Sie enthält ausschließlich solche Straftaten, in Bezug auf welche bereits eine Kriminalisierungsverpflichtung aufgrund anderer europarechtlicher Instrumente bestanden hatte. Die aufgezählten Straftaten weisen zugleich einen Bezug zu den finanziellen Interessen der Europäischen Union auf.391 Dieser Kompromiss ist verständlich, wenn man bedenkt, dass bis zum Jahr 2000 das Waschen von Erträgen in Bezug auf jede Straftat nur in sechs EU-Mitgliedstaaten unter Strafe gestellt war.392 Insbesondere mit Blick auf die Erleichterung der strafrechtlichen Rechtshilfe zwischen den EU-Mitgliedstaaten wäre es wünschenswert, den Vorta389 Ambos, Kai: Internationalisierung des Strafrechts: das Beispiel „Geldwäsche“, ZStW 2002, S. 248. 390 Zur Definition einer kriminellen Vereinigung vgl. Art. 1 Gemeinsamen Maßnahme betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1998 Nr. L 351/1 von 29.12.1998. 391 Der Bezug zum EU-Haushalt wird auch im jüngsten Richtlinienvorschlag der Kommission betont. Vgl. Art. 6 Abs. 1 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg. 392 Diese sind Portugal, Dänemark, Irland, Luxemburg, Schweden und Österreich. Vgl. die Ergebnisse der Corpus Juris Studie bei Sicurella, Rosaria: Definition of Supranational interests and a Proposal for Common Offences: The Need for a New Approach at Community Level, in: M. Delmas-Marty/J. Vervaele (Hrsg.): The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Penal provisions for the protection of the European Finances, Antwerpen/Groningen/Oxford 2000, S. 231.
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tenkatalog abzuschaffen und die Geldwäschestrafbarkeit auf illegale Erlöse aus jeglicher Straftat zu beziehen. Eine entsprechende Bemühung auf Unionsebene gibt es jedoch nicht. Die Vorschläge im Grünbuch verdeutlichen, dass die Organe der Europäischen Union über den Vortatenkatalog der Zweiten Geldwäscherichtlinie zunächst nicht hinausgehen möchten.393 3. Tathandlungen Aufgrund der in der Wiener Drogenkonvention gegebenen Definition unterscheidet Vogel drei Einzeltatbestände der Geldwäsche:394 – Die Umwandlung oder Übertragung rechtswidrig hervorgebrachter Vermögensgegenstände mit einem bestimmten Zweck (Absichtstatbestand); – Das Verbergen oder Verschleiern der wahren Beschaffenheit, des Ursprungs, der Verfügung, der Rechte daran usw. (Verschleierungstatbestand); – Der Erwerb, Besitz oder die Verwendung solcher Vermögensgegenstände vorbehaltlich der nationalen Verfassungsgrundsätze und Grundzüge der Rechtsordnung (Erwerbs- oder Besitztatbestand). Der vorangestellte Grundtatbestand ist der Absichtstatbestand, der objektiv jede Vermögensbewegung (Umwandeln, Übertragen, Umtausch, Veräußerung) verbietet, die in der Absicht begangen wird, den illegalen Ursprung des Vermögensgegentandes zu verbergen usw. Der Absichtstatbestand erfasst Handlungen, die darauf abzielen, die rechtswidrige Herkunft der Vermögensgegenstände zu verschleiern oder Tatbeteiligten dabei behilflich zu sein, sich der rechtlichen Folgen ihres Verhaltens zu entziehen. Vogel stellt in seiner rechtsvergleichenden Abhandlung fest, dass dieser Tatbestand in zahlreichen europäischen Staaten in der Weise umgesetzt worden ist, dass bereits jede Anlage oder Bewegung illegalen Vermögens, dessen Herkunft dem Täter bekannt ist, für die Geldwäschestrafbarkeit genügt.395 Die Verfolgung eines bestimmten Zwecks oder Ziels ist etwas anderes als die Kenntnis von der rechtswidrigen Herkunft des tatgegenständlichen Vermögens. Deswegen kann man von einer vollständigen Umsetzung des Absichtstatbestandes nur dann sprechen, wenn auch der Zweck verfolgt wird.396 393
Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg., S. 39–40. 394 Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 345. 395 Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 345. 396 Kritisch dazu Ambos, Kai: Internationalisierung des Strafrechts: das Beispiel „Geldwäsche“, ZStW 2002, S. 247.
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Der als zweites angeführte Verschleierungstatbestand kommt dem kriminologischen Verständnis von Geldwäsche am nächsten. Im Zentrum der Geldwäsche steht danach das Täuschungselement: Geldern aus illegalen Quellen wird nachträglich eine scheinbar legale Herlunft beigegeben. Es kommt also – so zu Recht Vogel – nicht so sehr auf das Einschleusen von illegalen Vermögensgegeständen in den legalen Wirtschafts- und Finanzverkehr als solches an, sondern vielmehr auf das Einschleusen als diesem entstammend.397 Die illegale Natur des Vermögensgegenstandes muss verborgen worden sein, wenngleich ein Irrtumserfolg nicht vorausgesetzt ist. Vom Rechtsgut her handelt es sich also um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, und zwar in Bezug auf den staatlichen Zugriff auf den illegalen Vermögensgegenstand. Nur insoweit macht das Verbergen, Verschleiern oder Verheimlichen Sinn. Der letzte Tatbestand zielt auf die Vermögens- und Nutzhehlerei. Er lässt den rechtswidrigen Erwerb, Besitz oder Verwendung illegalen Vermögens genügen, um dieses schlechthin zu isolieren und dadurch für den Vortäter zu entwerten. Um den Unterschied zwischen „eigentlicher“ Geldwäsche und Vermögens- und Nutzhehlerei zu verdeutlichen, sieht das Corpus Juris zwei getrennte Tatbestände vor: Geldwäsche und Hehlerei.398 Nach diesem Konzept sollen der Verschleierungstatbestand und der Absichtstatbestand unter der Geldwäsche zusammengeführt werden, während der dolose Erwerb, Besitz oder Nutzung illegalen Vermögens den Tatbestand der Hehlerei verwirklicht. Dieses Konzept wurde aber im neusten Kommissionsvorschlag nicht übernommen, der die drei Einzeltatbestände, die in der Ersten Geldwäscherichtlinie enthalten waren, beibehalten möchte.399 In subjektiver Hinsicht gilt zunächst für alle Einzeltatbestände, dass der Täter Kenntnis von der rechtswidrigen Herkunft des Vermögensgegenstandes besitzen muss; beim Erwerbstatbestand muss diese Kenntnis zum Zeitpunkt des Erhalts des Gegenstandes vorliegen. Auf Vorsatz kann aus objektiven Tatumständen geschlossen werden.400 397
Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 340. 398 Art. 3 Corpus Juris, vgl. im Internet unter http://europa.eu.int/comm/ anti_fraud/green_paper/corpus/de.doc. 399 Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg., S. 40. 400 Art. 3 Abs. 3 UN Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances, Vienna 20 December 1988, abgedruckt in BGBl. II 1993 1136, Art. 6 Abs. 2 Convention on Laundering, Search, Seizure and Confiscation of the Proceeds from Crime, 1990, ETS Nr. 141., Art. 1 Richtlinie 91/308/EWG des
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Mit Blick auf den subjektiven Tatbestand ist vor allem die Regelung der Geldwäschekonvention des Europarates umstritten, die die Möglichkeit einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit anbietet. Danach soll es ausreichen, dass der Täter annehmen musste, dass es sich bei dem Vermögensgegenstand um einen rechtswidrigen Ertrag handelte. In vielen Mitgliedstaaten löste dies engagierte Debatten über die Möglichkeit einer Bestrafung fahrlässigen Handelns aus. Dabei ging es darum, ob ein Beschuldigter wegen Geldwäsche verurteilt werden kann, wenn er die rechtswidrige Herkunft des Vermögensgegenstandes nicht kannte – oder wenn seine Kenntnis nicht bewiesen werden kann –, er diesbezüglich jedoch zumindest fahrlässig gehandelt hat. In der Literatur wurde gegen die Bestrafung der Geldwäsche bei leichtfertigem Handeln eingewandt, dass dieses mehr durch den Wunsch, Verurteilungen wegen Geldwäsche zu erleichtern, motiviert sei als durch die Vorwerfbarkeit eines derartigen Verhaltens. Wiederholt wurde betont, dass das materielle Strafrecht keine prozesserleichternde Funktion haben dürfte.401 Die Argumente bezüglich der Beweiserleichterung sind nicht gegenstandslos. Im Mittelpunkt jedes Geldwäscheverfahrens geht es um den Nachweis, dass der Täter von der illegalen Herkunft des Vermögensgegenstandes wusste. Falls sich die Regelung nur auf vorsätzliches Handeln beschränkt, muss die Staatsanwaltschaft stets den Nachweis der Kenntnis der rechtwidrigen Herkunft des Vermögensgegenstandes erbringen, wohingegen sich der Beschuldigte einer Bestrafung mit der Behauptung entziehen könnte, er „habe nicht gewusst.“402 Vogel argumentiert deswegen für eine Leichtfertigkeitsstrafbarkeit. Letztere sei insbesondere mit Blick auf die Strafwürdigkeitsüberlegungen dann unbedenklich, wenn die Leichtfertigkeit vorsatznah ausgelegt wird.403 Die praktische Relevanz der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit verdeutlicht die Stellungnahme des Europäischen Rechnungshofs zum Richtlinienvorschlag über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft. In seiner Stellungnahme fordert der Rechnungshof die Erweiterung des Geldwäschetatbestandes sogar um die Fälle der groben Fahrlässigkeit, wonach der Täter, auch wenn er den Ursprung der Vermögensgegenstände Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991. 401 Lampe, Ernst Joachim: Der neue Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB), JZ 1994, S. 124, 129. 402 Stellungnahme Nr. 9/2001 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, ABl. 2002 Nr. C 14/1 vom 17.1.2002, S. 10. 403 Vogel, Joachim: Geldwäsche – ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 1997, S. 347.
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nicht kennt, bei Vorliegen starker Verdachtsmomente Geldwäsche hätte vermuten müssen. Bislang haben vier EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Schweden, Spanien und Deutschland) die fahrlässige Unkenntnis der rechtswidrigen Herkunft des Vermögensgegenstandes, also die fahrlässige Geldwäsche, unter Strafe gestellt.404 Darüber hinaus reicht in England und Irland das Glauben an die bzw. der Verdacht der rechtswidrigen Herkunft aus, wobei in beiden Mitgliedstaaten weniger als Kenntnis vorausgesetzt wird. In den anderen Staaten, d.h., in der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, wird weiterhin vorsätzliches Handeln verlangt. Eine Verpflichtung zur Bestrafung der fahrlässigen Geldwäsche durch den Gemeinschaftsgesetzgeber geht nach Ansicht der Verfasserin zu weit. Einzuwenden ist nicht so sehr die prozesserleichternde Funktion einer solchen Regelung, sondern vielmehr, dass das ihr zu Grunde liegende Konzept strafrechtlicher Vorwerfbarkeit von den anerkannten dogmatischen Grundlegungen stark abweicht. 4. Vortatbezug Ursprünglich war die Geldwäschestrafbarkeit als Instrument für die Bestrafung Dritter (hauptsächlich von Finanzinstituten) gedacht, die dem Täter geholfen hatten, seine illegal erwirtschafteten Gewinne zu behalten. In diesem Sinne hat die Geldwäschekonvention des Europarates sogar erlaubt, den Vortäter von der Geldwäschestrafbarkeit auszunehmen.405 Diejenige nationale Gesetzgebungen, die ihre Geldwäschestrafbarkeit der Hehlerei nachgebildet haben, nahmen den Vortäter von der Geldwäschestrafbarkeit in der Regel aus.406 Dahinter steckte die Erwägung, dass die Bestrafung des Vortäters der Geldwäsche einer Doppelbestrafung gleichkäme, da der Vortäter als Gehilfe der eigenen Tat nochmals bestraft würde. Dies führte jedoch zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass Banken oder andere Wirtschaftsteilnehmer, die Erlöse aus Straftaten vom Vortäter akzeptiert hatten, wegen Geldwäsche verfolgt werden konnten – ihre Kenntnis der illegalen Herkunft des Vermögens vorausgesetzt – während die Vortäter der Geldwäschestrafbarkeit selber Immunität genossen. Um dies zu beheben, verlangt die Erste Geldwäscherichtlinie, der Wiener Drogenkonvention entsprechend keine 404 Eingehend dazu Ambos, Kai: Internationalisierung des Strafrechts: das Beispiel „Geldwäsche“, ZStW 2002, S. 245, Fußnoten 35–36. 405 Art. 6 Abs. 2 Buchst. b Convention on Laundering, Search, Seizure and Confiscation of the Proceeds from Crime, 1990, ETS Nr. 141. 406 Beispiele aus den Niederlanden und Belgien bei Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 121.
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Vortat eines anderen. Dies hat zur Folge, dass grundsätzlich auch ein an der Vortat Beteiligter eine Geldwäsche an den hieraus stammenden Vermögensgegenständen begehen kann. Demzufolge kann auch der Vortäter wegen Geldwäsche bestraft werden. Dies stellt eine Erweiterung der Strafbarkeit ratione personae dar. 5. Sanktionen Die Erste Geldwäscherichtlinie hat den Mitgliedstaaten die Pflicht aufgegeben, Verstöße gegen die Vorschriften der Richtlinie zu ahnden.407 Eine nähere Beschreibung über die anzuwendenden Sanktionen gab es nicht. Es wurde den Mitgliedstaaten überlassen, welche Art von Sanktion sie wählen und wie streng die gewählte Sanktionsform ausfallen sollte. Erstmals regte die Initiative der Französischen Republik über die Geldwäsche408 eine Annäherung der mitgliedstaatlichen Sanktionen an. Gemäß der französischen Initiative wäre sicherzustellen, dass Geldwäsche in den Mitgliedstaaten mit Freiheitsstrafen belegt werden kann, die im Höchstmaß nicht unter fünf Jahren liegen dürfen.409 Diese Initiative wurde vom Rat aufgegriffen. Der ein Jahr später verabschiedete Rahmenbeschluss über die Geldwäsche legte aber das Minimum des Höchstmaßes nicht bei fünf, sondern bei vier Jahren fest.410 Damit wird versucht, das Minimum des Höchstmaßes festzulegen, um eine gewisse Angleichung der Ahndung der Geldwäsche in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. IV. Präventive Maßnahmen Das Hauptziel der Prävention besteht darin, die Nutzung des Finanz- und Kreditsystems zur Geldwäsche zu verhindern. In diesem Sinne hat bereits 407
Art. 14 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 81. 408 Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Rahmenbeschlusses des Rates über Geldwäsche, die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2000 Nr. C 243/9 vom 24.8.2000. 409 Art. 2. Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der Erträge aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität, ABl. 2000 Nr. C 243/11 vom 24.8.2000. 410 Art. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2001 Nr. L 182/1 vom 5.7.2001, S. 2.
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die Erste Geldwäscherichtlinie 15 von den 40 Vorschlägen der FATF übernommen und sie für die EU-Mitgliedstaaten als verbindliches Recht vorgeschrieben. Sie richtete sich ursprünglich ausschließlich an Finanz- und Kreditinstitute, wie sie im Gemeinschaftsrecht definiert sind.411 1. Die Adressaten präventiver Maßnahmen Aus strafrechtlicher Sicht ist wichtig hervorzuheben, dass sich die präventiven Vorschriften im Unterschied zur Geldwäschestrafbarkeit, die ein Jedermannsdelikt ist, ausschließlich auf Finanz- und Kreditinstitute sowie auf solche Berufe beziehen, die besonders geeignet sind, für Geldwäsche missbraucht zu werden. Warum gerade Finanz- und Kreditinstitute das Hauptziel präventiver Maßnahmen waren, ist hauptsächlich auf drei Merkmale dieser Einrichtungen zurückzuführen. Zunächst eignen sich Finanz- und Kreditinstitute wegen ihrer Bargeldintensität in besonderer Weise für die Geldwäsche. Die hohen Erträge vordringlich aus organisierter Kriminalität können schnell und unauffällig durch Finanz- und Kreditinstitute gefiltert werden. Dazu kommt, dass das Finanz- und Kreditwesen weltweit internationalisiert ist. Erträge können deswegen sehr schnell von einer Jurisdiktion in eine andere überführt werden. Schließlich werden Finanz- und Kreditinstitute traditionell vom Schleier des Geheimnisses umgeben, der sie für Geldwäscher besonders attraktiv erscheinen lässt. Geheimhaltungsvorschriften erschweren oft die Aufspürung der Herkunft der Erträge für die Ermittlungsbehörden, ein äußerst alarmierender Faktor im Kampf gegen die Geldwäsche. In einigen Jurisdiktionen ist sogar erlaubt, dass der Kunde seine Anonymität vor dem Finanz- oder Kreditinstitut bewahrt, eine Möglichkeit, die Geldwäscher schätzen und gerne nutzen. Die Strafpolitik Anfang der 90er Jahre, wonach der Schwerpunkt der Prävention vorwiegend bei den Finanz- und Kreditinstituten liegt, wurde letzter Zeit hinterfragt. Nicht nur erweckte es den Eindruck, dass für die Bekämpfung der Geldwäsche im Wirtschaftssektor die Finanz- und Kreditinstitute in erster Linie verantwortlich sind, sondern es hatte auch das kontraproduktive Ergebnis, dass, je mehr die Finanz- und Kreditinstitute präventive Maßnahmen durchsetzten, desto mehr sich das Geldwäschephänomen auf anderen Sektoren der Wirtschaft verlagerte. Je strenger die Finanz- und Kreditinstitute die präventiven Maßnahmen verfolgt hatten, desto mehr verlor sich ihre Attraktivität für Geldwäscher.412 Die verschärften Kontrollen im Fi411 Art. 1 erster Gedankenstrich Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 78.
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nanzsektor bewirkten, dass Geldwäscher nach neuen Wegen suchten, um die Herkunft ihrer aus Straftaten stammenden Erlöse zu verschleiern.413 Um der Verlagerung des Geldwäschephänomens vorzugreifen, drängten die internationalen Instrumente gegen die Geldwäsche die Staaten, den Anwendungsbereich ihrer präventiven Geldwäscheregelung auf gefährdete Berufe sowie auf Institute über das Finanz- und Kreditwesen hinaus auszudehnen. In diesem Sinne hatte schon die Erste Geldwäscherichtlinie die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, die Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise auf Berufs- und Unternehmenskategorien auszudehnen, die zwar keine Kredit- und Finanzinstitute sind, aber Tätigkeiten umfassen, die besonders geeignet sind, für Zwecke der Geldwäsche genutzt zu werden.414 Diese als Vorschlag formulierte Vorschrift beließ jedoch den Mitgliedstaaten einen großen Ermessensspielraum in der Beurteilung, ob und wieweit Berufe und Unternehmensgruppen außerhalb des Kredit- und Finanzsektors von der in der Ersten Geldwäscherichtlinie vorgeschriebenen Maßnahmen erfasst werden sollten. Stessen stellt fest, dass bis 1994 nur 6 EU-Mitgliedstaaten die Anwendung ihrer Geldwäscheregelungen entsprechend dem Vorschlag ausgedehnt hatten.415 Die Zurückhaltung der Mitgliedstaaten ist aber nur teilweise auf den Vorschlagcharakter von Art. 12 zurückzuführen. Viel eher ging es darum, dass eine Ausdehnung der Geldwäschemaßnahmen wegen der fehlenden gesetzlichen Aufsicht der in Frage kommenden Berufsund Unternehmensgruppen wenig Sinn machte. Dieses Problem wurde bereits bei der Ersten Geldwäscherichtlinie diskutiert, die eine sehr breite Definition von Finanz- und Kreditinstituten vorgibt. Sie brachte insbesondere Schwierigkeiten in Bezug auf Geldwechselstuben, die oft für Geldwäsche missbraucht werden, deren gesetzliche Aufsicht jedoch in vielen Mitgliedstaaten nicht gewährleistet ist. Die Schaffung einer umfassenden gesetzlichen Aufsicht aller Nicht-Bank-Finanzinstitute nur der Geldwäschebekämpfung wegen erschien aber unverhältnismäßig kostspielig für die Mitglied412 Dies ist eine Erscheinung des vom rational choice approach beschriebenen allgemeinen Phänomens, wenn sich die Delinquenten laufend den Marktbedingungen und den Methoden der Strafverfolgungsbehörden anpassen. 413 Erwägungsgrund Nr. 13–15 Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/ EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001, S. 77. Dazu Wegner, Carsten: Das Geldwäschebekämpfungsgesetz – Neue Pflichten für rechtsberatende Berufe und verfahrensrechtliche Besonderheiten, NJW 2002, S. 2276. 414 Art. 12 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 81. 415 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 136.
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staaten. Daher bleibt das Problem der Aufsicht der Durchsetzung von Geldwäschebekämpfungsmaßnahmen eine nicht zu unterschätzende Hürde für die Effektivität. Das Fehlen der gesetzlichen Aufsicht hat die Kommission nicht daran gehindert, ihre Bemühungen zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Geldwäschebekämpfungsmaßnahmen der Ersten Geldwäscherichtlinie fortzusetzen. Erste Schritte wurden im Aktionsplan gegen die Organisierte Kriminalität unternommen.416 Am 19. Juni 1999 legte dann die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Ersten Geldwäscherichtlinie417 mit dem ausdrücklichen Ziel vor, eine Reihe von Aktivitäten und Berufen außerhalb der Finanzbranche in den Anwendungsbereich der Richtlinie einzubeziehen. Die Zweite Geldwäscherichtlinie wurde dann im Jahr 2001 erlassen. Ihr Schwerpunkt lag darin, die Identifizierungs- und Anzeigepflichten bei verdächtigen Transaktionen zu verschärfen und damit die Gesetzeslage der verstärkten Nutzung elektronischer Medien anzupassen. Darüber hinaus wurde der von der Ersten Geldwäscherichtlinie verpflichtete Personenkreis um neue Berufsgruppen erweitert. Die Zweite Geldwäscherichtlinie änderte die Definition der Finanzinstitute dahingehend, dass nun auch Wechselstuben und Unternehmen, die das Finanztransfergeschäft betreiben sowie Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen miterfasst werden.418 Darüber hinaus werden bestimmten Tätigkeiten außerhalb der Finanzbranche in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen. So sind auch Abschlussprüfer, Immobilienmakler, Notare und andere selbstständige Angehörige von Rechtsberufen oder Personen, die mit hochwertigen Gütern wie Edelsteinen und Edelmetallen oder mit Kunstwerken handeln oder diese versteigern419 sowie Kasinos verpflichtet, die Identität ihrer Kunden festzustellen und bei Geldwäscheverdacht die zuständigen Behörden zu informieren. 416
Art. 26 (e) Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (vom Rat angenommen am 28. April 1997), ABl. 1997 Nr. C 251/1 vom 15.8.1997. 417 Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, KOM (1999) 352 endg., ABl. Nr. C 177/14 vom 27. Juni 2000. 418 Art. 1 (B) Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001. 419 Eine Einschränkung gibt es jedoch: die Zahlung muss in bar erfolgen und der Betrag muss sich auf mindestens 15.000 EUR belaufen. Art. 1 Punkt F Gedankenstrich 6 Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001.
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Insbesondere hat die Einbeziehung der rechtsberatenden Berufe große Diskussion in den Mitgliedstaaten ausgelöst.420 Gemäß der Zweiten Geldwäscherichtlinie unterliegen Notare und andere selbstständige Angehörige von Rechtsberufen den allgemeinen Identifizierungspflichten nur dann, wenn sie a) für ihren Kunden an der Planung oder Durchführung von Transaktionen mitwirken, die den Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben; die Verwahrung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen Vermögenswerten ihres Klienten; die Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar-, oder Wertpapierkonten; die Beschaffung der zur Gründung zum Betrieb oder zur Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel, die Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften, Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen betreffen; b) oder wenn sie im Namen und auf Rechnung ihres Klienten Finanz- oder Immobilientransaktionen erledigen. Der Begriff Notar und selbstständiger Angehöriger von Rechtsberufen soll in den Bestimmungen der Richtlinie im Sinne der von den Mitgliedstaaten vorgenommenen Definition verstanden werden.421 Die Einbeziehung dieser Berufszweige in die Identifizierung- und Meldepflicht ist wegen der beruflichen Geheimhaltungspflicht problematisch. Dieser Punkt war bereits Gegenstand der Diskussion im Vorfeld zur Annahme der Zweiten Geldwäscherichtlinie, die schließlich in ihrer Präambel feststellt, dass Angehörige von Berufen der Rechtsberatung, die die Rechtslage für einen Klienten beurteilen oder einen Klienten in einem gesetzlich normierten Verfahren vertreten, von der Identifizierung- und Meldepflicht ausgenommen sind.422 Die Zweite Geldwäscherichtlinie versucht, der Funktion des Rechtsanwalts und Notars Rechnung zu tragen, wenn dieser seinen Mandanten in einem Verfahren vertritt oder über seine Rechtslage berät.423 Damit sucht die Zweite Geldwäscherichtlinie einen Mittelweg zwischen anwaltlicher Geheimhaltungs- und Loyalitätspflicht gegenüber den Mandanten einerseits sowie den 420 Kritisch zur Umsetzung der neuen Richtlinie aus dem deutschen Schrifttum siehe Salditt, Franz: Geldwäsche durch Strafverteidigung – Über Norm und Rolle, Strafverteidigerforum, 2002, S. 181–185. 421 Erwägungsgrund Nr. 16 der Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/ EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001. 422 Erwägungsgrund Nr. 17 der Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/ EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001. 423 Stellungnahme der Kommission, KOM (2001) 330 endg., S. 3.
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Interessen der Geldwäschebekämpfung anderseits. Folglich unterliegt die Rechtsberatung weiterhin der Geheimhaltungspflicht, es sei denn, der Rechtsberater ist an den Geldwäschevorgängen beteiligt, die Rechtsberatung wird zum Zwecke der Geldwäsche erteilt, oder der Rechtsanwalt weiß, dass der Klient die Rechtsberatung für die Zwecke der Geldwäsche in Anspruch nimmt.424 Um den Respekt für die Tätigkeit rechtsberatender Berufe stärker zu wahren, ermöglicht die Zweite Geldwäscherichtlinie den Notaren und anderen Angehörigen von Rechtberufen, eine geeignete Selbstverwaltungseinrichtung als die über die Tatsachen zu unterrichtende Behörde zu benennen. Demgegenüber müssen Kredit- und Finanzinstitute verdächtige Transaktionen an die Finanzaufsicht melden. 2. Identifizierungs- und Meldepflicht a) Kundenidentifizierung Aufgrund der Ersten Geldwäscherichtlinie425 sind Kredit- und Finanzinstitute verpflichtet, die Identität ihrer Kunden durch ein beweiskräftiges Dokument festzustellen, wenn sie mit ihnen Geschäftsbeziehungen anknüpfen, insbesondere, wenn sie ein Sparkonto oder ein anderes Konto eröffnen oder Vermögensverwahrungsleistungen anbieten. Darüber hinaus soll die Kundenidentität bei jeder Transaktion festgestellt werden, deren Betrag sich auf 15.000 Euro oder mehr beläuft. Bei der Feststellung des Transaktionsbetrages müssen Vorgänge, zwischen denen eine Verbindung zu bestehen scheint, zusammengerechnet werden. Eine Identifizierungsverpflichtung besteht im Falle eines konkreten Geldwäscheverdachts sogar dann, wenn der Betrag unter 15.000 Euro liegt. Die Zweite Geldwäscherichtlinie hat die Identifizierungspflicht in zwei Punkten geändert. Zunächst hat sie eine besondere Schwelle für Kasinos festgelegt, d. h. Kasinos müssen ihre Kunde identifizieren, wenn sie Spielmarken im Wert von 1.000 Euro oder mehr kaufen oder verkaufen.426 Da424 Erwägungsgrund Nr. 17 der Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/ EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001. 425 Art. 3 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 80. 426 Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001.
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rüber hinaus enthält die Zweite Geldwäscherichtlinie eine Bestimmung über Ferngeschäfte.427 Ferngeschäfte sind solche Transaktionen, die der Kunde veranlasst, ohne physisch anwesend zu sein. Ferngeschäfte nehmen wegen der fortlaufenden technischen Entwicklung im Finanzsektor an Bedeutung zu. Die Zweite Geldwäscherichtlinie erwähnt beispielsweise eine Reihe von Maßnahmen (die Forderung der Vorlage zusätzlicher Unterlagen, ergänzende Maßnahmen zur Überprüfung oder Bestätigung der vorgelegten Dokumente usw.), um eine angemessene Feststellung der Kundenidentität bei Ferngeschäften zu gewährleisten. Die Pflicht der Kundenidentifizierung ist unzweifelhaft von präventiver Natur. Sie zielt darauf ab, mögliche Geldwäscher davon abzuhalten, ihre aus Straftaten stammenden Erlöse in das Finanzsystem einzubringen und dadurch die Reputation dieser Branche zu unterminieren. Stessens entnimmt der belgischen Praxis, dass die Chance, Geldwäsche zu entdecken, gerade dann am größten ist, wenn der Geldwäscher mit dem Finanzinstitut in (physischen) Kontakt tritt.428 Daher ist die Identifizierungsverpflichtung bei der Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems für die Zwecke der Geldwäsche von vorderster Bedeutung. Sie schafft die Kundenanonymität automatisch ab. Entsprechend der Richtlinie dürfte es keine Bankkonten mehr geben, deren Inhaber der Bank unbekannt ist. Sogenannte Zahlenkonten sind jedoch weiterhin erlaubt. Von der Pflicht zur Kundenidentifizierung gibt es nur eine Ausmahne, nämlich in den Fällen, wo der Kunde ebenfalls ein unter die Geldwäscherichtlinie fallendes Kredit- oder Finanzinstitut ist.429 Dahinter steckt die logische Erwägung, dass diejenigen Kredit- und Finanzinstitute, die den gleichen Anforderungen entsprechen müssen, einander nicht zu überprüfen brauchen. Die Zweite Geldwäscherichtlinie hat den geographischen Anwendungsbereich dieser Ausnahme ausgedehnt. Ursprünglich galt die Ausnahme nur für Kredit- und Finanzinstitute mit einem Sitz innerhalb der Europäischen Union. Trotz dieser Regelung haben drei Mitgliedstaaten (Luxemburg, das Vereinte Königreich und die Niederlande) schon vor der Zweiten Geldwäscherichtlinie Ausnahmen für Kredit- und Finanzinstitute, die in einem 427 Art. 3 Abs. 11 der Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001. 428 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 147. 429 Art. 3 Abs. 7 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 80.
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Drittland ansässig sind, ermöglicht.430 Die Begünstigung war jedes Mal an die Bedingung geknüpft, dass das betroffene Drittland Geldwäschebekämpfungsmaßnahmen anwendet, die denen der Europäischen Union gleichwertig sind. Die Zweite Geldwäscherichtlinie bestätigt diese Praxis nur dann, wenn sie von der Kundenidentifizierung im Fall von Finanz- und Kreditinstituten mit einem Sitz außerhalb der EU absieht, falls dieses Drittland nach Auffassung der betreffenden Mitgliedstaaten den Anforderungen der Zweiten Geldwäscherichtlinie gleichwertige Anforderungen stellt.431 b) Identifizierung der Begünstigten Schon die Erste Geldwäscherichtlinie hatte Kredit- und Finanzinstitute verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Identität der Begünstigten festzustellen. Dies war erforderlich, wenn das Institut Zweifel hegte, ob ein Kunde im eigenen Namen handelte, oder wenn es gewiss war, dass der Kunde nicht im eigenen Namen handelte. Die Zweite Geldwäscherichtlinie hat diese Verpflichtung in zweierlei Hinsicht geändert. Zum einen hat sie den Ausdruck „im eigenen Namen“ geändert. Die gegenwärtige Fassung spricht von Geschäften „auf eigene Rechnung“. Zwar erscheint diese Änderung auf dem ersten Blick nuancenartig, ihre Relevanz darf jedoch nicht unterschätzt werden. Es ist insbesondere im Bereich des Investmentbanking (wie z. B. Portfoliomanagement) üblich, dass der Kunde zwar im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung handelt. Durch die Erfassung von Geschäften, die der Kunde zwar im eigenen Namen aber auf fremde Rechnung tätigt, versucht der Gemeinschaftsgesetzgeber, auch diese für die Geldwäsche anfälligen Sektoren abzudecken. Zweitens hat die Zweite Geldwäscherichtlinie die Pflicht zur Feststellung der Identität der Begünstigten auch auf den unter § 14, III., 1. genannten Personenkreis ausgedehnt. Letzterer ist besonders wichtig, da Angehörige rechtsberatender Berufe – vor allem Rechtsanwälte – ihren Kunden auch Verwahrungsgeschäfte anbieten. Bereits vor der Zweiten Geldwäscherichtlinie erkannten einigen nationale Gesetzgeber die Möglichkeit zur Geldwäsche mittels Konten von Sozietäten. Erst durch die Einbeziehung Angehöriger rechtsberatender Berufe in den Adressatenkreis der Geldwäscherichtlinie wurde diese Lücke in den Geldwäschebekämpfungsmaßnahmen geschlossen. 430
Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 152. 431 Art. 3 Abs. 9 Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001.
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Die Richtlinien beschreiben nicht näher, welche Maßnahmen zur Feststellung der Identität der Begünstigten erforderlich sind. Der Gemeinschaftsgesetzgeber lässt den mitgliedstaatlichen Gesetzgebungen einen bewusst großen Ermessensspielraum bei der Umsetzung dieser Verpflichtung in das nationale Recht. Es hängt vom nationalen Gesetzgeber ab, welche Maßnahmen er für am besten geeignet hält, um die Feststellung der Identität der Begünstigten zu gewährleisten. Zugleich erkennt der Gemeinschaftsgesetzgeber damit an, dass es Fälle geben mag, in denen die Identifizierung praktisch unmöglich ist. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, dass diese Verpflichtung ihre Relevanz insbesondere bei Transaktionen entfaltet, die im Namen oder auf Rechnung von juristischen Personen eingeleitet werden. c) Aufbewahrungspflicht Die Erste Geldwäscherichtlinie normierte eine Pflicht zur Aufbewahrung432 (i) einer Kopie der zur Feststellung der Identität verlangten Dokumente nach Beendigung der Beziehung mit dem Kunden für mindestens 5 weitere Jahre; (ii) der Originale der Belege und Aufzeichnungen von Transaktionen, nach Abschluss der Transaktion für mindestens 5 weitere Jahre. Bei Transaktionsbelegen und Aufzeichnungen reichen auch Kopien aus, falls sie nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des betroffenen Mitgliedstaats die gleiche Beweiskraft haben. Die Richtlinie legt explizit fest, dass die Aufbewahrung obiger Dokumente einer etwaigen Verwendung als Beweis bei Verfahren wegen Geldwäsche dient. Damit stellt der Gemeinschaftsgesetzgeber klar, dass die Vorschriften über die Aufbewahrung in erster Linie die Zwecke der Ermittlung fördern sollten. Die Finanz- und Kreditinstitute, sowie die der Zweiten Geldwäscherichtlinie unterliegenden Institute und Personen erstellen im Endeffekt eine Datensammlung, welche das Aufspüren der Herkunft von Beträgen im Fall einer Ermittlung wegen Geldwäsche wesentlich unterstützt. Die Aufbewahrung oben genannter Dokumente bietet alleine jedoch keine Hilfe. Die Arbeit der Ermittlungsbehörden wird oft durch die fachlichen Geheimhaltungspflichten erschwert. Die Richtlinien enthalten keine näheren Anweisungen, welche Dokumente zur Feststellung der Identität verlangt werden müssen und wie diese Dokumente geprüft werden sollen. Es bleibt den mitgliedstaatlichen Durchsetzungsvorschriften vorbehalten, die in Frage kommenden Dokumente 432 Art. 4 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 80.
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(Personenausweis, Reisepass, Führerschein usw.) zu benennen. Mit Blick darauf, dass diese Dokumente vom Kunden zur Verfügung gestellt werden, sollte ihre Authenzität geprüft werden. d) Pflicht zur Meldung des Geldwäscheverdachts Alle der Zweiten Geldwäscherichtlinie unterliegenden Institute und Personen sind verpflichtet, einen Geldwäscheverdacht den zuständigen Behörden zu melden.433 Die Meldepflicht tritt ein, wenn die Art der Transaktion nach Ansicht der Verpflichteten besonders nahe legt, dass sie mit einer Geldwäsche zusammenhängen könnte.434 Die Meldepflicht bildet eine tragende Säule der präventiven Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung. Stessens führt zwei Gründe für diese erhöhte Bedeutung an: Zum einen findet Geldwäsche oft in einer Umgebung statt, die für die Ermittlungsbehörden, wenn überhaupt, nur begrenzt zugänglich ist. Zum anderen stammen die gewaschenen Erträge oft aus Straftaten, die keine unmittelbaren Opfer haben. Beide Merkmale – so Stessens – begründen, warum die Ermittlungsbehörden von sich aus oft nicht tätig werden können, sondern auf Verdachtsmeldungen angewiesen sind.435 In diesem Kontext gliedert sich die Pflicht zur Meldung des Geldwäscheverdachts in die Reihe neuer Ermittlungstechniken der Informationssammlung ein, die insbesondere zur Aufdeckung organisierter Kriminalität eingesetzt werden. Die Geldwäscherichtlinien setzen das sog. Verdachtsmodell um, d.h., die Meldepflicht entsteht bei ausreichendem Verdacht. Eine Alternative wäre gewesen, eine Meldepflicht für jede Transaktion zu statuieren, die einen bestimmten Wert übersteigt. Letzteres empfand die Kommission aber als zu kostspielig und war der Meinung, dass die Verpflichteten (Finanz- und Kreditinstitute sowie die der Zweiten Geldwäscherichtlinie unterliegenden Institutionen und Personen) am besten beurteilen könnten, ob die betroffene Transaktion mit Geldwäsche zusammenhängt. Die Geldwäscherichtlinien enthalten sowohl eine proaktive als auch eine retroaktive Meldepflicht. Im Rahmen der proaktiven Meldepflicht müssen die der Zweiten Geldwäscherichtlinie unterliegenden Institutionen und Per433 Art. 6 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 80. 434 Art. 5 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 80. 435 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 160.
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sonen die zuständigen Behörden über Tatsachen, die ein Indiz für eine Geldwäsche sein könnten, unterrichten. Demgegenüber besteht die retroaktive Meldepflicht darin, diesen Behörden auf Verlangen alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen. In denjenigen Mitgliedstaaten, die aufgrund der Geldwäscherichtlinie eine verwaltungsrechtliche Meldepflicht im innerstaatlichen Recht eingeführt haben, entsteht das Dilemma, ob diese administrative Pflicht in Bezug auf Erträge aus Straftaten aller Art oder nur in Bezug auf Erträge aus bestimmten (schweren) Straftaten normiert werden soll. Es wurde im Schrifttum darauf hingewiesen, dass sich eine Erweiterung der Meldepflicht ratione materiae nicht unbedingt in einer erhöhten Effektivität der Geldwäschebekämpfung niederschlägt. Ein wichtiges Argument gegen die Ausdehnung der Meldepflicht ist die dadurch entstehende administrative Last seitens der Finanz- und Kreditinstitute sowie der anderen verpflichteten Institutionen und Personen. Dies könnte die Bereitschaft der Finanz- und Kreditinstitute zur Kooperation mit den Ermittlungsbehörden unterminieren. Angesichts der Möglichkeit eines solch kontraproduktiven Ergebnisses sieht die Gemeinsame Maßnahme aus 1998 eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten nur für schwere Straftaten vor. Die Kommission hat auf die Erweiterung der Meldepflicht verzichtet, um die Kooperationsbereitschaft der Finanz- und Kreditinstitute zu erhalten. Die Einschränkung der Meldepflicht auf schwere Straftaten ist aber in der Praxis oft sinnlos. Die zur Meldung verpflichteten Institutionen und Personen sind oft nicht in der Lage zu erkennen, aus welcher Straftat die Erträge herrühren sollten. Trotz der Einschränkung der Meldepflicht werden deswegen häufig Verdachtsanzeigen erstattet, die sich auf Vortaten beziehen, die außerhalb der Meldepflicht fallen. Um die Kooperation der Geldwäscherichtlinie unterliegenden Institutionen und Personen zu sichern, sind diejenigen, die im guten Glauben eine Mitteilung an die zuständige Behörde richten, von nachteiligen Folgen geschützt. Dementsprechend sieht die Erste Geldwäscherichtlinie vor, dass, wenn der Angestellte oder Leiter eines der Meldepflicht unterfallenden Instituts eine Meldung an die zuständigen Behörde macht, dies nicht als Verletzung einer vertraglich oder durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelten Geheimhaltungspflicht gilt. Der Schutz solcher whistle-blower gilt selbst dann, wenn sich herausstellt, dass der Verdacht unbegründet war. Durch diese Regelung soll die zivilrechtliche Verantwortung des Kreditoder Finanzinstituts für eventuelle Schaden ihrer Kunden infolge einer Falschmeldung ausgeschlossen werden. Die Geldwäscherichtlinien sehen vor, dass Transaktionen, die gewiss oder vermutlich mit Geldwäsche zusammenhängen, nicht vorgenommen
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werden, bevor die zuständigen Behörden benachrichtigt wurden.436 Diese Behörden können gemäß den nationalen Rechtsvorschriften die Abwicklung der Transaktion untersagen. Falls von der Transaktion vermutet wird, dass sie eine Geldwäsche zum Gegenstand hat und falls der Verzicht auf eine Transaktion nicht möglich ist oder falls dadurch die Verfolgung der Nutznießer der Geldwäsche behindert werden könnte, kann diese Transaktion durchgeführt werden, unmittelbar danach müssen aber die betroffenen Institute und Personen die nötigen Informationen an die zuständigen Behörden weiterleiten. Diese Praxis wird manchmal analog zu kontrollierten Lieferungen als „kontrollierte Geldwäsche“ bezeichnet.437 Zweck der kontrollierten Geldwäsche ist es, Finanz- und Kreditinstitute, sowie andere betroffene Institute und Personen vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu schützen. Selbstverständlich gewährt die kontrollierte Geldwäsche eine Ausnahme von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nur für die zur Meldung verpflichteten Instituten und Personen und nicht für die Geldwäscher. Solche Ausnahmen sind notwendig, um zu gewährleisten, dass die betroffenen Institute und Personen verdächtige Transaktionen in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden ausführen, anstatt sie abzuweisen. e) Anmeldepflicht im Zollwesen Um die präventiven Maßnahmen der Europäischen Union in der Geldwäschebekämpfung zu stärken, hat die Kommission vor kurzem einen Verordnungsvorschlag zur Verhinderung der Geldwäsche durch Zusammenarbeit im Zollwesen vorgelegt.438 Gemäß den Vorstellungen der Kommission soll jede natürliche Person, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft einreist oder aus diesem Gebiet ausreist und flüssige Mittel in Höhe von 15.000 Euro oder mehr mit sich führt, diese beim Grenzübergang dem Zoll anmelden. Falls aufgrund der Anmeldung vermutet werden kann, dass die mitgeführten flüssigen Mittel für Geldwäscheaktionen benutzt werden sollen, werden die bei der Anmeldung oder bei einer anschließenden Kontrolle gewonnenen Informationen von Rechts wegen zum einen an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats übermittelt, in dem die betroffene Person ihren Wohnsitz hat sowie zum 436 Art. 7 Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991, S. 81. 437 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 175. 438 Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die Verhinderung der Geldwäsche durch Zusammenarbeit im Zollwesen, ABl. 2002 Nr. C 227E/574 vom 24.9.2002.
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anderen an den Staat, über den sie in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingereist ist. In Fällen, bei denen es vermutlich um den Erlös aus einem Betrug oder einer sonstigen rechtwidrigen Handlung zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft geht, soll auch die Kommission benachrichtigt werden. Bei wiederholten Bewegungen flüssiger Mittel unterhalb der festgesetzten Schwelle sollen die zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden unterrichtet werden, falls ein Geldwäscheverdacht besteht. Der Verordnungsvorschlag basiert auf der Erkenntnis, dass beträchtliche Summen zweifelhafter Herkunft in die oder aus der Gemeinschaft verbracht werden, ohne durch den bestehenden Aufspürungsmechanismus aufgegriffen zu werden. Die Präambel des Verordnungsvorschlags stellt freilich fest, dass zwar einige Mitgliedstaaten ihre Zollstellen bereits zu solchen Kontrollen ermächtigt haben, diese Initiativen jedoch vereinzelt und innerhalb der Gemeinschaft nicht abgestimmt seien. Um diese Lücke zu schließen, sollen alle Zollverwaltungen in der Gemeinschaft die Möglichkeit erhalten, Informationen zu sammeln, wenn flüssige Mittel in der genannten Höhe in das Zollgebiet der Gemeinschaft gelangen oder es verlassen. Die Sammlung entsprechender Informationen soll durch die Meldepflicht sichergestellt werden. Die Anmeldepflicht trifft denjenigen, der die flüssige Mittel mit sich führt, und zwar unabhängig davon, wer deren Eigentümer ist. Flüssige Mittel schließen alle vertretbaren Vermögenswerte ein, so Bargeld, Reise- und Postschecks sowie jedes anonyme oder auf den Inhaber ausgestellte Finanz- und Geldinstrument, das in Bargeld umgetauscht werden kann, insbesondere Wertpapiere und Schuldscheine. Zur Überwachung der Anmeldepflicht sollen die Zollbehörden mit operativen Befugnisse versehen werden, Personen und ihr Gepäck zu kontrollieren, Personen über die Herkunft der dabei entdeckten flüssigen Mittel zu befragen und zu entscheiden, ob die entdeckten Mittel auf dem Verwaltungsweg zurückbehalten werden. Wichtig ist, dass die Mitgliedstaaten für den Verstoß gegen die Anmeldepflicht Sanktionen vorsehen müssen. Diese sollten zwar abschreckend sein, jedoch müssen sie auch im Verhältnis zum Versäumnis der Anmeldung stehen und dürfen keineswegs den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs übermäßig beeinträchtigen. Damit ist klargestellt, dass es sich hier hauptsächlich um verwaltungsrechtliche Bußgelder handelt, die unbeschadet der wegen der Geldwäsche zu verhängenden Sanktionen angewendet werden. V. Hauptzüge des Geldwäschestrafrechts Die Durchsetzung des Geldwäscheacquis mündet heutzutage in den meisten Mitgliedstaaten in eine Situation, dass gewöhnliche Geschäftstätigkeiten
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in das Umfeld der Strafvorschrift fallen können.439 Es ist kaum zu leugnen, dass die unter den Geldwäschetatbestand fallenden Tathandlungen so weitgehend sind, dass diejenigen, die im Finanzsektor oder in der Zweiten Geldwäscherichtlinie genannten Berufe mit Geldern Dritter arbeiten, unter einem erhöhten Risiko stehen, eine strafbare Handlung zu begehen. Aus der EU-Praxis ist eindeutig zu erkennen, dass die Strafpolitik der Europäischen Union den Ermittlungsinteressen gegenüber den Interessen des Beschuldigten einem höheren Stellenwert beimisst. Ungeachtet der Position des Beschuldigten begrüßt die Strafverfolgung die europäische Entwicklung, da sie einen möglichst breit angelegten Straftatbestand für die Bekämpfung eines sich so schnell ändernden Phänomens wie der Geldwäsche für am besten geeignet hält. In der Strafrechtswissenschaft wurden mehrfach kriminalpolitische Bedenken gegen die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche geäußert. Während in England und Frankreich die Notwendigkeit der auch strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche in pragmatischer Weise hingenommen wird,440 wurde dies vor allem in der deutschen Lehre kritisiert. Ein Teil der kritischen Bemerkungen kann mit den Schlagworten „Zweck-“ oder „symbolisches Strafrecht“, fehlender oder zu unscharfer Rechtsgüterbezug, Verstoß gegen das Bestimmtheits- und Tatschuldprinzip usw. gekennzeichnet werden. Darüber hinaus wird aber auch die zu hohe Belastung des freien Wirtschafts- und Kapitalverkehrs sowie die faktische Ineffizienz des Geldwäschestrafrechts gerügt.441 Die kriminalpolitische Kritik trifft jedoch nicht nur die Geldwäschestrafbarkeit, sondern richtet sich auch gegen die präventiven Identifizierungsund Meldepflichten. Mit Sorge wird vorgetragen, dass die Finanz- und Kreditinstitute sowie die in der Zweiten Geldwäscherichtlinie genannten weiteren Institute und Personen im Rahmen der Durchsetzung der präventiven Geldwäschebekämpfungsmaßnahmen polizeiliche Funktionen wahrnehmen. Die Ausübung polizeilicher Tätigkeiten durch Institute und Personen außer439 Stessens, Guy: Money Laundering: a new international law enforcement model, Cambridge 2000, S. 126. 440 Fortson, Rudi F.: Annotations with the Criminal Justice Act 1993, Current Law, London 1993. 441 Aus dem deutschen Schrifttum Arzt, Gunther: Geldwäsche und rechtstaatlicher Verfall, JZ 1993, S. 913–917, Lampe, Ernst Joachim: Der neue Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB), JZ 1994, S. 123; Prittwitz, Corneluis: Die Geldwäsche und ihre strafrechtliche Bekämpfung – oder: Zum Einzug des Lobbyismus in die Kriminalpolitik, StV 1993, S. 498. In der deutschen Strafrechtswissenschaft kritisiert insbesondere die „Frankfurter Schule“ die unreflektierte Strafrechtsexpansion, darunter die Schaffung von Tatbeständen mit diffusem Rechtsgüterbezug, die Schaffung weiterer abstrakter Gefährdungsdelikte und ein bloß symbolisches Strafrecht.
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halb der Polizei sei eigentlich eine verdeckte Privatisierung der Strafverfolgungsaufgaben und aus rechtsstaatlicher Sicht nicht ohne weiteres hinzunehmen. Eine solche Kapazitätsausweitung sei insbesondere deswegen bedenklich, weil sie gerade jenen Akteuren die Verantwortung übergibt, die ohnehin am entsprechenden Markt tätig sind. Solch kritische Bemerkungen diskreditieren jedoch das Geldwäschestrafrecht nicht automatisch. Dabei ist einerseits auf die geänderten sozioökonomischen Verhältnisse, anderseits den damit zusammenhängenden Paradigmenwechsel in der Funktionsweise des Wirtschaftsstrafrechts hinzuweisen. In Bezug auf den zuerst genannten Punkt kann die Existenz eines Phänomens, dass Kriminelle ihren aus verbotener Betätigung stammenden Gewinnen, die zugleich auch volskswirtschaftlich beachtlich sind, den Anschein legaler Herkunft verleihen zu versuchen, schlechterdings nicht geleugnet werden. Die Selbständigkeit des Geldwäschestrafrechts gegenüber der Hehlerei findet ihren Ausdruck gerade darin, dass auch der Vortäter wegen Geldwäsche bestraft werden kann. Durch diese Regelung stellt der Gesetzgeber klar, dass die Bemakelung des legalen Wirtschafts- und Finanzverkehrs durch illegal erworbene Vermögen des strafrechtlichen Schutzes bedarf, unabhängig davon, ob das Vermögen durch selbst oder einen anderen illegal erworben wurde. Anderseits macht Pieth zu Recht darauf aufmerksam, dass sich gerade in den Bereichen internationaler Strafrechtsharmonisierung neue Formen der Kombination von Strafrecht und dessen Alternativen durchgesetzt haben, wobei das Strafrecht nur ein Element des Regelungskomplexes darstellt.442 In diesem Bereich – so Pieth – hat die Strafdrohung möglicherweise vor allem nichtstrafrechtliche Konsequenzen: Sie veranlasst, präventiv wirkende Regeln einzuhalten. Konkretisiert auf die Geldwäschebekämpfung bedeutet diese Kombination die gleichzeitige Anwendung von Finanzaufsichtsrecht und Strafrecht. Im Grunde ist die Geldwäschestrafbarkeit vorab eine Verstärkung des aufsichtsrechtlichen Arrangements.
442 Pieth, Mark: Staatliche Intervention und Selbstregulierung der Wirtschaft, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, Baden-Baden 2002, S. 318–319.
§ 15 Grundzüge der Strafrechtsharmonisierung in der Europäischen Union 363
§ 15 Grundzüge der Strafrechtsharmonisierung in der Europäischen Union Als Schlussbetrachtung werden die in §§ 12–14 aufgezeigten Lösungsansätze zusammengeführt und ausgewertet. Die Strafrechte der EU-Mitgliedstaaten werden heute zunehmend von europarechtlichen Vorgaben bestimmt. Kompetenzrechtlich gesehen gibt es zwar kein europäisches Kriminalstrafrecht, doch gibt die Strafpolitik der Europäischen Union vor, was in den Mitgliedstaaten strafrechtlich gelten soll. Die Bereiche und Inhalte der Harmonisierung werden vorgegeben, so dass man heute in vielen Bereichen einem Europäischen Strafrecht gegenübersteht. Das gesamte Ausmaß der erfolgten und stattfindenden Strafrechtsharmonisierung lässt sich kaum überblicken, geschweige denn, darstellen. Das Europäische Strafrecht entwickelt sich rasch. Neben den hier besprochenen Delikten gibt es ein ständig wachsendes Gebiet von Harmonisierungsmaßnahmen, deren Gegenstand vom Umweltstrafrecht bis zur strafrechtlichen Ahndung der Fremdenfeindlichkeit reicht. Mit Recht bezeichnet Vogel die Strafpolitik der Europäischen Union als expansiv.443 Generell gilt, dass das Europäische Strafrecht Ergebnis eines regionalen Integrationsprozesses ist. Begründet durch die politische und wirtschaftliche Union haben sich die Mitgliedstaaten auch im strafrechtlichen Bereich ein Stück aufeinander zubewegt. Die wirtschaftlichen Freiheiten des Gemeinschaftsrechts erforderten im Nachgang eine Angleichung des Sanktionsrechts. Schröder stellt daher fest, dass Straftatbestände, die im Ausland keine Entsprechung finden, unterlaufen werden können, indem die verbotenen Aktivitäten in solchen Staaten stattfinden, die keine oder eine zu vernachlässigende, und damit nicht abschreckende, Sanktion vorsehen.444 Wenn auch nur ein Mitgliedstaat Geldwäsche duldet, wird deren Bekämpfung europaweit in Frage gestellt. Nationalstaatlich begrenzte Strafverfolgungsbehörden können dem grenzenlos operierenden Straftäter auf Dauer nicht wirksam entgegentreten. Durch die Schaffung weitgehender Freiheiten entstanden auch Missbrauchsmöglichkeiten, die zum Teil die Interessen der Gemeinschaft gefährden.445 Die Gewährung der vier gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten 443
Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 527. 444 Schröder, Christian: Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin 2002, S. 186.
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machte deswegen gemeinschaftsweite Maßnahmen zur Bekämpfung ihres Missbrauchs notwendig. Die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität kann zweckmäßigerweise nicht den einzelnen Mitgliedstaaten zur selbstständigen Erledigung überlassen werden. Über den Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit hinaus dient eine EU-weit einheitliche Regelung auch der Rechtssicherheit. Da sich auch der Marktbürger, wenn er von seiner Freizügügkeit Gebrauch macht, nicht mehr auf unterschiedliche Regelungen einzustellen braucht. Die Ausführungen über Betrugs-, Korruptions-, und Geldwäschestrafbarkeit beweisen, dass die so begründete regionale Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte nicht isoliert erfolgt. Die Strafpolitik der Europäischen Union beachtet stets die Entwicklungen, die im Rahmen anderer Organisationen stattfinden. So haben insbesondere die von der OECD – und deren mächtigsten Mitglied, den USA – entwickelten soft law-Vorschriften einen entscheidenden Einfluss auf den acquis ausgeübt.446 Die Einflussnahme amerikanischer Kriminalpolitik auf Europa kann an namhaften Beispielen sowohl im Allgemeinen Teil (z. B. Unternehmensstrafbarkeit, Leitlinien für Strafurteile) als auch im Besonderen Teil des Strafrechts (Geldwäschestrafbarkeit, Krieg gegen den Terrorismus, Korruption ausländischer Amtsträger) festgemacht werden. Mit Blick auf das Europäische Strafrecht sieht Vogel sogar die Notwendigkeit, mit der immer stärkeren Amerikanisierung Schritt zu halten.447 In der Tat haben wesentliche Strafrechtsentwicklungen der letzten Jahrzehnte ihren Ausgang in den USA genommen. Dies ist zum Teil dadurch begründet, dass der anglo-amerikanische Pragmatismus mehr Flexibilität in grundsätzlichen Fragen zulässt.448 In diesem Zusammenhang sollte das Europäische Strafrecht zur Entwicklung neuer Alter445 Teilweise wird im Schrifttum gerügt, bei der Harmonisierung und partiellen Vereinheitlichung des Strafrechts zum Schutz der supranationalen Finanzinteressen formuliere die EG als Opfer selbst Straftatbestände zum ihrem Schutz, vgl. Hassemer, Winfried: Corpus Juris: Auf dem Weg zu einem europäischen Strafrecht?, KritV 1999, S. 133–140. Dem entgegnet Tiedemann zu Recht, dass dieses Argument „das Verwaltungsstrafrecht des 19. Jahrhunderts übersieht, das zunächst ebenfalls dem Selbstschutz des Staates und der Verwaltung diente und dessen rechtsstaatswidrige Exzesse längst beseitigt sind.“ Vgl. Tiedemann, Klaus: Der Subventionsbetrug – Ausgangspunkt eines supranationalen europäischen Strafrechts, AGON 1999, S. 20. 446 Nachweise bei Pieth, Mark: Das Bestechungsübereinkommen der OECD, in: G. Dannecker/R. Leitner (Hrsg.): Schmiergelder – Strafbarkeit und steuerrechtliche Abzugsverbote in Österreich und Deutschland, Wien 2002, S. 18–24. 447 Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 526. 448 So Jung, Heike in; A. Eser (Hrsg.): Neighbours in law. Are common law and civil law moving closer?; Papers in honour of Barbara Huber on her 65th birthday, Freiburg i. Breisgau, 2001. S. 152.
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nativen genutzt werden, die einer kritischen Erörterung der Amerikanisierung Raum bieten. Die Erstellung von Alternativen und Konzepten ist auch aus einem anderem Grund geboten. Der in §§ 12–14 geschilderte acquis beweist, dass es bislang an einem integrierten Konzept der Strafrechtsharmonisierung fehlt. Stattdessen fokussieren die europarechtlichen Instrumente stets nur Teilaspekte bestimmter Delinquenzformen. Ein übergreifendes Konzept wurde erst durch das Corpus Juris, später im Grünbuch der Kommission geboten. In der Zwischenzeit wurden unterschiedliche Instrumente zum gleichen Regelungsgegenstand erlassen, was sich in dem fragmentarischen Charakter der angenommenen und in Aushandlung befindlichen Rechtsakte niederschlagen hat, und zwar sowohl was ihre Konzeption als auch was ihre Durchsetzung betrifft.449 Es gibt zum Beispiel in Bezug auf den Betrug zum Nachteil der Europäischen Union ein Übereinkommen, drei Zusatzprotokolle und drei Verordnungen. In Bezug auf Korruption existieren zwei im Wesentlichen übereinstimmende Übereinkommen, eines über Korruption im Allgemeinen und eines über Korruption im Zusammenhang mit Betrug, sowie ein Rahmenbeschluss in Bezug auf die Korruption im privaten Sektor. In Bezug auf Geldwäsche gibt es neben den beiden Richtlinien auch einen Rahmenbeschluss. Diese Regelungstechnik ist Ergebnis der allgemeinen Praxis, wonach das Entwerfen von Rechtsakten in einem unreifen Zustand abgeschlossen wird, freilich zu einem Zeitpunkt, der für den Mitgliedstaat, der gerade den Vorsitz im Rat hat, politisch vorteilhaft ist.450 Wegen des enormen Zeitdrucks werden Punkte, die noch weitere Diskussion erfordern (d.h. Vorbehalte), an den nächsten Vorsitz im Rat weitergegeben, welcher diese Punkte gemäß seiner politischen Agenda in einem Zusatzprotokoll oder in einer anderen Handlungsform entweder behandelt oder nicht.451 Die zunehmende Bedeutung des Rahmenbeschlusses im Bereich der Strafrechtsharmonisierung scheint an dieser fragmentarisierenden Einstellung nichts zu ändern. Wegen der ungeheuer langsamen Ratifizierung der einschlägigen Übereinkommen werden auch hier Rahmenbeschlüsse dazu gebraucht, wichtigen Einzelfragen rasch zur Verbindlichkeit zu verhelfen. Mittlerweile gilt der Rahmenbeschluss geradezu als Ersatz für Übereinkommen, um auf diese Weise das Ratifikationsverfahren zu umgehen.452 Unter 449 Kritisch hierzu den Boer, M./Orie, A. M. M./Sjöcrona, J. M./Veldt, M. I./van der Wilt, H.: Dutch national report, RIDP 1999, S. 575. 450 van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 148. 451 Weyembergh, Anne: La Coopération européenne en matière de justice et d’affaires interieures: vers un rééquilibrage du couple liberté-securité?, Revue Belge de Droit International, 2000, S. 613.
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der Geltung einer zukünftigen Europäischen Verfassung dürften umfassende Regelungskonzepte in Form von Europäischen Gesetzen bzw. Rahmengesetzen verwirklicht werden, die die bisherige Teilregelungen ablösen könnten. Als problematisch wird auch die Überbetonung der Kriminalitätsbekämpfung und der Sicherheit in der Europäischen Union angesehen.453 In der Tat wird „zu viel von Bekämpfung, Kontrolle der Kriminalität oder Rechtsdurchsetzung gesprochen und zu wenig von Freiheit, Rechten oder ultima ratio.“454
Dem repressiven Ansatz liegt – so die treffende Formulierung von Asp – das minimum-level thinking in der Europäischen Union im Sinne einer Mindestharmonisierung gemäß Art. 31 EUV zu Grunde.455 Danach legt die europäische Rahmenstrafgesetzgebung stets einen Mindeststandard fest, den die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Rechten garantieren müssen. Naturgemäß besteht der Wert der Mindestharmonisierung in der Festlegung eines in allen Mitgliedstaaten geltenden Niveaus der Repression, die oft das bereits existierende Sanktionsmaß übertrifft. Der Mindeststandard darf nicht unter-, wohl aber überschritten werden. So führt eine Mindestharmonisierung naturgemäß zu einer Erweiterung des strafrechtlich geahndeten Bereiches. In diesem Zusammenhang kommt der Grundrechtecharta der Europäischen Union besonderes Gewicht zu, die nun weitgehend unverändert in die Europäische Verfassung übernommen wurde. Der EuGH hat die Grundrechtecharta bereits zur Grundlage seiner Rechtsprechung gemacht. Durch ihrer Anwendung wird die Beachtung der Grund- und Menschenrechte sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Rechtssprechung innerhalb der Europäischen Union sichergestellt. Neben der erhöhten Beachtung von Menschen- und Grundrechten in der Europäischen Union tritt die zunehmend anerkannte Notwendigkeit der Prävention als Gegengewicht einer „ausufernden Repression“ entgegen. Als europäisches Allgemeingut gilt, dass ohne die Beseitigung kriminogener Faktoren nur durch lückenlose Strafvorschriften kein nachhaltiges Ergebnis in 452
Zur Umgehung von Übereinkommen durch andere Handlungsformen vgl. van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 149. 453 Kritisch dazu Weyembergh, Anne: La Coopération européenne en matière de justice et d’affaires interieures: vers un rééquilibrage du couple liberté-securité?, Revue Belge de Droit International, 2000, S. 624–629. 454 Vogel, Joachim: Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 528. 455 Asp, Petter: Harmonisation and Cooperation within the Third Pillar – Built in risks, in: Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2001, S. 16.
§ 15 Grundzüge der Strafrechtsharmonisierung in der Europäischen Union 367
der Kriminalitätsbekämpfung erreicht werden kann. Zwar gehört zur Zeit die Prävention noch nicht zur stehenden Wendung europarechtlicher Vorgaben, gewisse Ansätze in dieser Richtung lassen sich jedoch bereits erkennen.456 Insbesondere in der Geldwäschebekämpfung wurden umfangreiche Präventionsmaßnahmen im Europarecht verwirklicht.457 Ähnliche Tendenzen sind auch in der Korruptionsbekämpfung festzustellen.458 Gleichwohl fehlt aber der präventive Ansatz im Betrugsacquis vollständig, was im Schrifttum oft – wie bereits vorher – sehr kritisch aufgenommen wird.459 Auf lange Sicht können die vorgebrachten Schwächen der Strafrechtsharmonisierung nur durch einen einheitlichen europäischen Strafrechtsraum überwunden werden. Ohne in die Falle zu geraten, den espace judiciaire européen als Allheilmittel zu betrachten, steht fest, dass er – wie auch im Corpus Juris vorgesehen – ein systematisches Vorgehen gegen Verhalten etabliert, die die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften schädigen. Nur so kann die derzeitige fragmentarische Regelung sowohl in Bezug auf ihre Komplexität und Unüberschaubarkeit als auch auf ihre Lückenhaftigkeit überwunden werden. Damit würde vor allem gewürdigt, dass der Schutz der EG-Finanzmittel im Grundsatz effektiv ausgestaltet werden muss, um einerseits den berechtigten Interessen der EG-Bürger als Beitragzahler und anderseits der Verwirklichung normativer Zielvorgaben der EG (und EU) Rechnung zu tragen.460 Jedenfalls muss aber vermieden werden, dass sich der einheitliche europäische (Straf-)Rechtsraum in einem reinen Effektivitäts- und Utilitätsdenken erschöpft. Zudem können die geschätzten humanitären Überlegungen, die die strafrechtlichen Konventionen des Europarats inspiriert haben und die im Rahmen der europäischen Integration verloren zu gehen drohten,461 ihren Weg in den acquis zurückfinden. Diesen Aspekt unterstreicht auch die Priorität, die der Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben im Bereich der polizeilichen und strafrecht456 Während der schwedischen Präsidentschaft (2001, erstes Halbjahr) wurde auf dem Gebiet der Prävention mit der Errichtung eines europäischen Netzwerkes zu Fragen über die Vorbeugung von Kriminalität ein Durchbruch erzielt. Vgl. Beschluss des Rates vom 28. Mai 2001 zur Einrichtung eines Europäischen Netzes für Kriminalprävention, ABl. 2001 Nr. L 153/1 vom 8.6.2001. 457 Dazu bereits in § 14 IV. 458 Dazu bereits in § 12. 459 Umfassend Sieber, Ulrich: Eurofraud, Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung zum Nachteil der Europäischen Gemeinschaft, in: R. Streinz/G. Dannecker/U. Sieber/M. Ritter (Hrsg.): Die Kontrolle der Anwendung des Europäischen Wirtschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, Bayreuth 1998, S. 112 ff. 460 Dazu bereits Tiedemann, Klaus: Der Subventionsbetrug – Ausgangspunkt eines supranationalen europäischen Strafrechts, AGON 1999, S. 20. 461 Kritisch dazu van den Wyngaert, Christine: General Report, RIDP 1999, S. 169 ff.
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Teil 2: Die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte
lichen Zusammenarbeit im Rahmen der EU-Osterweiterung eingeräumt wurde.462 Obwohl der Dritte Pfeiler auf intergouvernmentaler Basis funktioniert, die theoretisch für die Beitrittskandidaten einen im Vergleich zum Ersten Pfeiler größeren Entscheidungsspielraum bei der Übernahme des acquis hätte erlauben sollen und bei der theoretisch eine größere Aussicht auf Erfolg bei der Aushandlung von verschiedenen Ausnahmeregelungen hätte bestehen sollen, ging die politische Realität einen anderen Weg. Die Beitrittssverhandlungen zeigen, dass die Osterweiterung der Union gerade im Bereich des Dritten Pfeilers als politisches Mittel gegen die Fragmentierung dieses Bereichs benutzt wurde. Die Organe der Union forderten die vollständige Übernahme des Besitzstandes im Bereich des Dritten Pfeilers mit besonderem Nachdruck, da noch zögernde Alt-Mitgliedstaaten sich so einem erheblich höheren politischen Druck ausgesetzt sähen, die von ihnen noch nicht ratifizierten Übereinkünfte in ihr innerstaatliches Recht umzusetzen, sobald die Beitrittskandidaten ihr Rechtssystem im Bereich des Dritten Pfeilers mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand harmonisiert haben.463 Im Ergebnis könnte die Osterweiterung daher zu einer nachhaltigen Harmonisierung der PJZ führen.464
462 Monar, Jörg: Enlargement and the Area of Freedom, Security and Justice, in: Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2000, S. 302 ff. 463 Das Corpus Juris ist in diesem Zusammenhang als Bezugspunkt für nationale Maßnahmen besonders wertvoll. Die Staaten Mittel – und Osteuropas nutzen das Corpus Juris bereits als Inspirationsquelle bei der Neugestaltung ihrer Strafrechtssysteme. 464 So konstatierte bereits De Zwaan, dass „the intermediary stage of justice integration could run parallel with the eastern enlargement of the Union“. Vgl. de Zwaan, Jaap: The Future of the Third Pillar and the Fight against EU Fraud: Evaluation of the ICG and the Treaty of Amsterdam, in: J. Vervaele (Hrsg.): Transnational Enforcement of the Financial Interests of the European Union, Antwerpen/ Groningen/Oxford 1999, S. 24.
Schlussbetrachtungen Am Anfang dieser Arbeit wurde der Begriff „Europäisches Strafrecht“ bewusst gewählt. Die Verfasserin unternahm es, zu zeigen, dass Europäisches Strafrecht ein Rechtsbegriff mit identifizierbarem Inhalt ist und kein bloßer Arbeitstitel zur Erfassung aller Tendenzen zur Europäisierung des Strafrechts. Obwohl sich das Schrifttum mit dem Thema des „Europäischen Strafrechts“ seit den 60er Jahren befasst,1 gilt diese These immer noch nicht als überholt. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass sich das Europäische Strafrecht im Spannungsfeld zwischen traditionellem nationalstaatlichem Verständnis des Strafrechts und der justiziellen Integration in der Europäischen Union entwickelt. Obwohl sich die Mitgliedstaaten dem Verlust an nationaler Souveränität widersetzen,2 können sich die mitgliedstaatlichen Strafrechte der europäischen Integration nicht entziehen. Keine Rechtsordnung kann ohne ein Instrument der Durchsetzung von Rechtspflichten auskommen. Gerade diesem Aspekt haben die Initiatoren der Europäischen Gemeinschaften ursprünglich keine große Aufmerksamkeit entgegengebracht. Allerdings enthielt das Gemeinschaftsrecht von Anfang an verwaltungsrechtliche Sanktionen, die z. T. einen strafähnlichen Charakter aufwiesen. Darüber hinaus hat der Rat verschiedene „nicht traditionelle“ Sanktionen geschaffen, wie z. B. den Ausschluss von der Gewährung zukünftiger Leistungen. Die Ursache für die Kreativität des Rates war offensichtlich das dringende Bedürfnis nach effektiven Sanktionen in der supranationalen Rechtsordnung und gleichzeitig die stark begrenzten Möglichkeiten der Gemeinschaftsorgane zur Einführung traditionell-repressiver Sanktionen.3 Frühere Arbeiten verstanden unter Europäischem Strafrecht diese strafähnlichen Sanktionen.4 1 Grützner, Heinrich: Schritte auf dem Weg zu einem Europäischen Strafrecht, NJW 1961, S. 2185 ff.; Johannes, Hartmut: Zur Angleichung des Straf- und Strafprozessrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ZStW 1971, S. 531– 575; Bridge, J.: The European Communities and the Criminal Law, CLR 1976, S. 88–97. 2 Im Lichte der europäischen Integration bezweifelt MacCormick sogar, dass es in der EU überhaupt noch souveräne Staaten im herkömmlichen Sinne gibt. MacCormick, Neil: Beyond the Sovereign State, MLR 1993, S. 16. 3 Ligeti, Katalin: European Criminal Law: Administrative and Criminal Sanctions as Means of Enforcing Community Law, Acta Juridica Hungarica 2000, S. 199– 212.
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Schlussbetrachtungen
Die strafrechtliche Debatte hatte aber zu Anfang der 90er Jahre eine ganz andere Richtung bekommen. Die rechtstheoretischen Untersuchungen des Sanktionssystems innerhalb des supranationalen Rechts waren aus Sicht des Strafrechts nicht mehr aktuell, jedenfalls nicht in demselben Umfang wie zuvor. Statt dessen traten der rasch zunehmende Ausbau des Binnenmarkts und die Konsequenzen der dadurch verwirklichten Freizügigkeit in den Vordergrund. Die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität im Allgemeinen und der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Besonderen erhielten besondere Aufmerksamkeit. Die Europäischen Institutionen sind offensichtlich zu der Einsicht gekommen, dass die Glaubwürdigkeit des „Europäischen Projektes“ bei den Bevölkerungen auf dem Spiel steht, wenn man nichts gegen den massiven Missbrauch der EG-Finanzmittel unternimmt. Als erster Schritt wurde im Jahre 1987 UCLAF errichtet. Parallel dazu beschlossen einige Mitgliedstaaten, in den Schengener Abkommen (1985 und 1990) ihre strafrechtliche und polizeiliche Zusammenarbeit effektiver auszugestalten. Schließlich fand die strafrechtliche und polizeiliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten Eingang in den Dritten Pfeiler des Maastrichter Unionsvertrages. Damit wurde ein Rahmen für die justizielle Integration der Mitgliedstaaten geschaffen. Getragen von den beiden Motiven, einerseits der grenzüberschreitenden Kriminalität effektiv entgegenzutreten, anderseits die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (respektive Union) zu schützen, wurde eine wachsende Zahl von europarechtlichen Maßnahmen ergriffen, die sowohl die Harmonisierung der Strafrechte der Mitgliedstaaten, als auch eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts zwischen den Mitgliedstaaten vorsahen. Als Endpunkt dieser Entwicklung hat sich mittlerweile die Schaffung eines einheitlichen europäischen (Straf-)Rechtsraumes herausgebildet. Spricht man heute über das Europäische Strafrecht, so meint man den Komplex verschiedener europarechtlicher Rechtsakte, die vorwiegend in den 90er Jahren entstanden sind, sowie diejenigen internationalen Übereinkommen, die bereits vor Maastricht die strafrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten regelten. Den Inhalt des Europäischen Strafrechts bestimmen dabei drei Beweggründe: zum einen, das Strafrecht der Mitgliedstaaten zu harmonisieren, zum anderen, die strafrechtliche und polizeiliche Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union zu verbessern, und schließlich, 4 Lenaerts, Koen: Sanktionen der Gemeinschaftsorgane gegenüber natürlichen und juristischen Personen, Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Vorträge und Berichte Nr. 72, Bonn 1997; Tsolka, Olga: Der allgemeine Teil eines europäischen supranationalen Strafrechts i. w. S., Frankfurt a. M. 1995.
Schlussbetrachtungen
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die Befugnisse der Europäischen Organe auf dem Gebiet des Strafrechts zu erweitern. Die derzeitige und zukünftige Entwicklung des Europäischen Strafrechts bestimmt den Ausbau eines einheitlichen europäischen (Straf-)Rechtsraumes. Dies wird im politisch bedeutsamen Grünbuch der Kommission zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ausgeführt. Der einheitliche europäische Rechtsraum verwirklicht das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, wonach mitgliedstaatliche Strafentscheidungen im gesamten Gebiet der Europäischen Union gelten und entsprechend unverzüglich zu vollstrecken sind. Hinzutreten soll auf der institutionell-organisatorischen Seite eine Europäische Staatsanwaltschaft, die Strafermittlungen in grenzüberschreitenden Fällen koordiniert und leitet. Die Verwirklichung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung soll durch die Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafrechte erleichtert werden, so dass divergierende materiell- und prozessrechtliche Strafnormen die Zusammenarbeit und die grenzüberschreitende Strafverfolgung in der Zukunft nicht mehr verhindern bzw. verlangsamen. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung fand bereits seinen Eingang in die Dokumente des Dritten Pfeilers und bewirkte fundamentale Änderungen im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union. In Zukunft ist mit der breiteren Anwendung dieses Prinzips und in Folge dessen mit weiteren Umgestaltungen zu rechnen. Ein Durchbruch lag bereits in der Abschaffung des förmlichen Auslieferungsverfahrens und seiner Ersetzung durch das Übergabeverfahren. Wie die Kommission im Vorfeld des Erlasses des Europäischen Haftbefehls angedeutet hat, führt die Umsetzung der gegenseitigen Anerkennung unausweichlich dazu, dass langfristig „Auslieferungsverfahren nicht mehr erforderlich sind, wenn in einem Mitgliedstaat getroffene Entscheidungen einfach in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden.“5 Ähnlich revolutionär kann gegenseitige Anerkennung für die sonstige Rechtshilfe wirken. Sollten die Mitgliedstaaten ihre im Laufe der Ermittlungen erlassenen Anordnungen und sonstigen Entscheidungen gegenseitig anerkennen, machte dies ein Rechtshilfeersuchen überflüssig. Diese Zukunftsperspektive gilt jedoch mit Einschränkungen, die bereits der Europäische Haftbefehl, die Initiative betreffend die Vollstreckung ausländischer Einziehungsentscheidungen sowie die Zuständigkeitsregelung von Eurojust und Europol zeigen. Die Mitgliedstaaten sind nämlich zu weiteren integrationsbedingten Maßnahmen nur dann bereit, wenn diese auf be5 Auslieferung, Arbeitspapier, Europäische Kommission, Generaldirektion Inneres und Justiz, 15. März 2001, JAI/B/3/TL D 2001.
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Schlussbetrachtungen
stimmte schwerwiegende Delikte begrenzt werden. Dass sich die justizielle Integration keineswegs über das ganze Straf(prozess)recht erstrecken soll, verdeutlichen die unterschiedlichen Straftatenkataloge, die in den genannten Instrumenten enthalten sind. Die Straftatenkataloge dürften ein Zeichen dafür sein, dass sich die europäische Integration im Strafrechtsbereich über die Widerstände hinwegsetzt und in bestimmten Sektoren des Strafrechts verwirklicht wird. Dies bestätigt auch der Umstand, dass viele Katalogstraftaten bereits von der Europäischen Union harmonisierte Tatbestände sind. Am Ende dieser Entwicklung könnte der einheitliche europäische (Wirtschafts-)Strafrechtsraum stehen. Die konkrete Realisierung eines einheitlichen europäischen Strafrechtsraums zeichnen die Bestimmungen der Europäischen Verfassung vor. Nach Art. III-172 sollen die Gemeinschaftsorgane „in Bereichen der besonders schweren Kriminalität“ das Recht zur unmittelbaren Strafrechtssetzung in Form von Europäischen (Straf-)Gesetzen und Rahmen(straf-)gesetzen erhalten.6 Dies bedeutet praktisch, dass ein Teil nationaler Strafrechtssouveränität auf die Gemeinschaftsorgane übertragen wird, die nun auch unmittelbar anwendbare Strafnormen erlassen könnten. Um die Einheit des Rechtsraumes sicherzustellen, müsste eine supranationale Strafermittlungsbehörde vorgesehen werden. Nur durch eine supranationale Strafermittlungsbehörde könnte die einheitliche Anwendung des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Aus diesem Grunde kann auf die Errichtung einer supranationalen Strafermittlungsbehörde langfristig nicht verzichtet werden. Die Unentbehrlichkeit supranationaler Rechtsanwendungsinstitutionen erkennt die Kommission in ihrem Grünbuch, in dem sie die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft fordert. Seit der Schaffung der Europäischen Gemeinschaften steht die Wahrung der Einheit des Gemeinschaftsrechts im Mittelpunkt mitgliedstaatlicher Verpflichtungen.7 Zu diesem Zweck arbeiten die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten zusammen. Die mitgliedstaatlichen Gerichte sind ihrer Funktion nach auch europäische Gerichte.8 Sie können und müssen die Gültigkeit der europäischen Rechtsakte nachprüfen, deren Ungültigkeit indes nur der EuGH feststellen darf,9 um die Einheit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. 6
Dazu bereits in § 1 III. Umfassend dazu EuGH Urt. vom 19.6.1990, Rs. C-213/89 The Queen gegen Secretary of the State for Transport ex parte: Factortame u. a., Slg. I-2433. 8 Zuleeg, Manfred: Die Rolle der rechtsprechenden Gewalt in der europäischen Integration, JZ 1994, S. 1. 9 Art. 234 EGV. 7
Schlussbetrachtungen
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Die Idee einer Europäischen Staatsanwaltschaft – wie im Corpus Juris und im Grünbuch vorgesehen – geht nicht so weit wie die derzeitige Ausgestaltung des Gemeinschaftsrechts. Sie lässt das Gerichtssystem der Mitgliedstaaten unangetastet. Gleichwohl setzt sie voraus, dass die Strafverfolgungstätigkeit in Bezug auf bestimmte Katalogstraftaten im ganzen Gebiet der Europäischen Union zentral koordiniert wird. Die Aufstellung einer Europäischen Staatsanwaltschaft würde für den zukünftigen einheitlichen europäischen Strafrechtsraum auch insoweit von Bedeutung sein, als sie das nötige Gegengewicht gegenüber Europol darstellen könnte, indem sie die Tätigkeit von Europol kontrollierte. Trotz aller Vorteile verdeutlichte die Anhörung, die die Kommission in Oktober 2002 anlässlich des Grünbuches in Brüssel veranstaltet hat, dass sich zahlreiche Mitgliedstaaten eine supranational agierende „Eurobehörde“ im Strafrechtsbereich nicht vorstellen können. Daher sind die Bestimmungen der Europäischen Verfassung an diesem Punkt auch eher vage. Sie sehen lediglich vor, dass Eurojust zukünftig in eine Europäische Staatsanwaltschaft weiterentwickelt werden kann. Die Gewährleistung der Einheit und der uniformen Anwendung des Europarechts ist insbesondere wichtig im Zusammenhang mit der vor kurzem erfolgten EU-Osterweiterung. Im Zuge der Beitrittsverhandlungen hat sich gezeigt, dass die EU-Osterweiterung auf den zukünftigen einheitlichen europäischen Rechtsraum einerseits integrationsfördernd auswirkt, sie anderseits aber auch zu einer Zersplitterung des Besitzstandes des Dritten Pfeilers führen könnte. Generell kann man festhalten, dass der Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben im Bereich der polizeilichen und strafrechtlichen Zusammenarbeit seitens der Gemeinschaftsorgane im Rahmen der EU-Osterweiterung sehr große Bedeutung beigemessen wurde. Obwohl der Dritte Pfeiler den Beitrittskandidaten theoretisch einen im Vergleich zum Ersten Pfeiler größeren Entscheidungsspielraum bei der Übernahme des acquis hätte erlauben sollen. Doch zeigen die Beitrittsverhandlungen, dass die Osterweiterung der Union gerade im Bereich des Dritten Pfeilers als politisches Mittel gegen die Fragmentierung dieses Bereichs benutzt wurde. Die Organe der Union forderten die vollständige Übernahme des Besitzstandes im Bereich des Dritten Pfeilers mit besonderem Nachdruck, da noch zögernde Alt-Mitgliedstaaten mit erheblich höherem politischen Druck aufgefordert werden können, die von ihnen noch nicht ratifizierten Übereinkünfte in ihr innerstaatliches Recht umzusetzen, sobald die Beitrittskandidaten ihre Rechtssysteme im Bereich des Dritten Pfeilers mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand harmonisiert haben. Im Ergebnis könnte die Osterweiterung daher zu einer nachhaltigen Harmonisierung der PJZ führen.
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Schlussbetrachtungen
Anderseits lassen einige unionsrechtliche Instrumente erkennen, dass die Alt-Mitgliedstaaten den Neu-Mitgliedstaaten nicht das gleiche, volle Vertrauen in das rechtmäßige Funktionieren ihrer Justizverwaltungen entgegenbringen, das sie einander gewähren. So enthält z. B. der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl einen „Menschenrechtsvorbehalt“. Danach kann die Ausführung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden, wenn er zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischer Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache, politischer Überzeugung oder sexueller Ausrichtung erlassen wurde,10 sowie dann, wenn die ernstliche Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen Strafe oder Behandlung besteht.11 Mit Blick darauf, dass alle Mitgliedstaaten demokratische Rechtsstaaten sind, die Grund- und Menschenrechte allgemein und im Besonderen im Strafverfahren achten und an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden sind, erscheinen die genannten Ablehnungsgründe unangemessen. Man könnte jedoch davon ausgehen, dass sie weniger von einem Misstrauen der Alt-Mitgliedstaaten untereinander zeugen, als dass sie vielmehr mit einer Nichtbeachtung fundamentaler rechtstaatlicher Grundsätze auf Seiten der Neu-Mitgliedstaaten rechnen. Mit Blick auf die im Amsterdamer Vertrag eingeführte – und in die Europäischen Verfassung übernommene – engere Zusammenarbeit im Bereich des Dritten Pfeilers ist zu befürchten, dass dies zu einer Spaltung des straf- und polizeirechtlichen Besitzstandes führen könnte. In einem zukünftigen europäischen Rechtsraum müsste aber neben der Kriminalitätsbekämpfung und der Betonung der Sicherheit auch die Prävention von Kriminalität ihren Platz finden. Als europäisches Allgemeingut gilt, dass ohne die Beseitigung kriminoger Faktoren nur durch lückenlose Strafvorschriften kein nachhaltiges Ergebnis in der Kriminalitätsbekämpfung erreicht werden kann. Zwar gehört zur Zeit die Prävention noch nicht zur stehenden Wendung europarechtlicher Vorgaben, gewisse Ansätze in dieser Richtung lassen sich jedoch bereits erkennen. Die Europäische Verfassung könnte in diesem Zusammenhang auch weitgehende Fortschritte bewirken, indem sie in Art. 173 die Prävention zum Verfassungsziel erhebt.
10
Punkt 12 der Präambel, Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. S. 2. 11 Punkt 13 der Präambel, Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/1 vom 18.7.2002. S. 2.
Übersicht der verwendeten EU-Rechtsquellen Verordnungen Verordnung (EWG) Nr. 1468/81 des Rates vom 19. Mai 1981 betreffend die gegenseitige Unterstützung der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, um die ordnungsgemaesse Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung zu gewaehrleisten, ABl. 1981 Nr. L 144/1 vom 2.6.1981. Verordnung des Rates Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. L 312/1 vom 18.12.1995. Verordnung des Rates Nr. 2185/96 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten, ABl. 1996 Nr. L 292/2 vom 15.11.1996. Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und Agrarregelung zu gewährleisten, ABl. 1997 Nr. L 82/1 vom 22.3.1997. Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, ABl. 1999 Nr. L 136/1 vom 31.5.1999. Verordnung 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten, ABl. 2001 Nr. L 145/43 vom 31.5.2001. Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 Nr. L 1/1 vom 4.1.2003.
Richtlinien Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1977 Nr. L 26/1 vom 31.1.1977.
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Übersicht der verwendeten EU-Rechtsquellen
Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. 1989 Nr. L 334/3 vom 18.11. 1989. Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1991 Nr. L 166/77 vom 28.6.1991. Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. 2000 Nr. L 178/1 vom 17.7.2000. Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 2001 Nr. L 344/76 vom 28.12.2001.
Übereinkommen Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1995, C 78/2 vom 30.3.1995. Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. C 316/49 vom 27.11.1995. Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts, ABl. 1995 Nr. C 316/2 vom 27.11.1995. Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3. Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrages über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, ABl. 1997 Nr. C 195/2 vom 25.6.1997. Zweites Protokoll aufgrund von Art. K.3. des Vertrages über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1997 Nr. C 221/12 vom 19.7.1997. Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags ueber die Europaeische Union ueber gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, ABl. 1998 Nr. C 24/2 vom 23.1.1998. Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenannten Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands – Schlußakte, ABl. 1999 Nr. L 176/36 vom 10.07.1999. Übereinkommen vom 29. Mai 2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrages über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen
Übersicht der verwendeten EU-Rechtsquellen
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den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 197/3 vom 12.7. 2000. Protokoll vom Rat gemäss Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2001 Nr. C 326/2 vom 21.11.2001.
Rechtsakte Rechtsakt des Rates vom 23. Juli 1996 über die Ausarbeitung des Protokolls aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. 1996 Nr. C 299/1 vom 9.10.1996. Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 313/11 vom 23.10.1996. Rechtsakt des Rates vom 27. September 1996 über die Ausarbeitung eines Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1996 Nr. C 313/1 vom 23.10.1996. Rechtsakt des Rates vom 29. November 1996 über die Ausarbeitung des Protokolls aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. 1997 Nr. C 151/2 vom 20.5.1997. Rechtsakt des Rates vom 29. November 1996 über die Ausarbeitung des Protokolls aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. 1997 Nr. C 151/1 vom 20.5.1997. Rechtsakt des Rates vom 19. Juni 1997 über die Fertigstellung aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union und von Artikel 41 Absatz 3 des Europol-Übereinkommens des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten von Europol, ABl. 1997 Nr. C 221/1 vom 19.7.1997.
Erläuternde Berichte Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. C 375/4 vom 12.12.1996.
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Übersicht der verwendeten EU-Rechtsquellen
Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1997 Nr. C 191/13 vom 23.06.1997. Erläuternder Bericht zu dem Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1998 Nr. C 11/5 vom 15.1.1998. Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 379/7 vom 29.12.2000. Erläuternder Bericht über das Protokoll zum Übereinkommen von 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2002 Nr. C 257/1 vom 24.10.2002.
Gemeinsame Maßnahmen Gemeinsame Maßnahme vom 10. März 1995 bezüglich der Europol-Drogenstelle, vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union beschlossen, ABl. 1995 Nr. L 62/1 vom 20.03.1995. Gemeinsame Maßnahme vom 22. April 1996, vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen, betreffend den Rahmen für den Austausch von Verbindungsrichtern/-staatsanwälten zur Verbesserung der justitiellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. L 105/1 vom 27.4.1996. Gemeinsame Maßnahme vom 14. Oktober 1996 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für die Initiative der Mitgliedstaaten in bezug auf Verbindungsbeamte, ABl. 1996 Nr. L 268/2 vom 19.10.1996. Gemeinsame Maßnahme vom 16. Dezember 1996 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – zur Ausdehnung des der Europol-Drogenstelle erteilten Mandats, ABl. 1996 Nr. L 342/4 vom 31.12.1996. Gemeinsame Maßnahme vom 29. Juni 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – zur Einrichtung eines Europäischen Justitiellen Netzes, ABl. 1998 Nr. L 191/4 vom 7.7.1998. Gemeinsame Maßnahme vom 29. Juni 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – über die Anwendung bewährter Methoden bei der Rechtshilfe in Strafsachen, ABl. 1998 Nr. L 191/1 vom 7.7.1998. Gemeinsame Maßnahme vom 22. Dezember 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend die Bestechung im privaten Sektor, ABl. 1998 Nr. L 358/2 vom 31.12.1998.
Übersicht der verwendeten EU-Rechtsquellen
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Rahmenbeschlüsse Rahmenbeschluß des Rates vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro, ABl. 2000 Nr. L 140/1 vom 14.6.2000. Rahmenbeschluss des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. 2001 Nr. L 82/1 vom 22.3.2001. Rahmenbeschluss des Rates vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln, ABl. 2001 Nr. L 149/1 vom 2.6.2001. Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2001 Nr. L 182/1 vom 5.7.2001. Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über gemeinsame Ermittlungsgruppen, ABl. 2002 Nr. L 162/1 vom 20.6.2002. Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. 2002 Nr. L 164/3 vom 22.6.2002. Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190/ 1 vom 18.7.2002. Rahmenbeschluss des Rates vom 28. November 2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt, ABl. 2002 Nr. L 328/1 vom 5.12.2002. Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192/54 vom 31.7.2003. Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196/45 vom 2.8.2003. Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie, ABl. 2003 Nr. L 13/44 vom 20.1.2004.
Entschließungen Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 13. November 1991 über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften, ABl. 1991 Nr. C 328/1 vom 17.12.1991. Entschließung des Rates vom 6. Dezember 1994 über den rechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften, ABl. 1994 Nr. C 355/2 vom 14.12.1994.
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Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates über gemeinsame Maßnahmen, die vom Rat nach Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften angenommen werden, ABl. 1995 Nr. C 89/82 vom 10.4.1995. Entschließung zu einem Entwurf einer interinstitutionellen Vereinbarung über gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, ABl. 1999 Nr. C 98/496 vom 9.4.1999. Entschließung zu dem Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. 1999 Nr. C 219/ 61 vom 30.7.1999.
Beschlüsse Beschluss des Rates vom 3. Dezember 1998 zur Erteilung des Auftrags an Europol, sich mit Straftaten zu befassen, die im Rahmen von terroristischen Handlungen gegen Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit sowie gegen Sachen begangen wurden oder begangen werden könnten, ABl. 1999 Nr. C 26/ 22 vom 30.1.1999. Beschluss des Rates vom 29. April 1999 zur Ausdehnung des Mandats von Europol auf die Bekämpfung der Fälschung von Geld und Zahlungsmitteln, ABl. 1999 Nr. C 149/16 vom 28.5.1999. Beschluss der Kommission vom 28. April 1999 zur Errichtung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ABl. 1999 Nr. L 136/20 vom 31.5.1999. Beschluss des Rates über die Errichtung einer vorläufigen Stelle zur justiziellen Zusammenarbeit, ABl. 2000 Nr. L 324/2 vom 21.12.2000. Beschluss des Rates vom 22. Dezember 2000 über die Errichtung der Europäischen Polizeiakademie, ABl. 2000 Nr. L 336/1 vom 30.12.2000. Beschluss des Rates vom 28. Mai 2001 zur Einrichtung eines Europäischen Netzes für Kriminalprävention, ABl. 2001 Nr. L 153/1 vom 8.6.2001. Beschluss des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. 2002 Nr. L 63/1 vom 6.3.2002. Beschluss des Rates vom 27. Februar 2003 zur Feststellung der Bestimmungen im Übereinkommen von 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Bestimmungen im Übereinkommen von 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands im Sinne des Übereinkommens über die Assoziierung der Republik Island und des Königreichs Norwegen bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands darstellen, ABl. 2003 Nr. L 67/25 vom 12.3.2003.
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Gemeinsame Standpunkte Gemeinsamer Standpunkt vom 6. Oktober 1997 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegt – zu den Verhandlungen im Europarat und in der OECD über die Bekämpfung der Korruption, ABl. 1997 Nr. L 279/1 vom 13.10.1997. Zweiter Gemeinsamer Standpunkt vom 13. November 1997 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegt – zu den Verhandlungen im Europarat und in der OECD über die Bekämpfung der Korruption, ABl. 1997 Nr. L 320/1 vom 21.11.1997.
Empfehlungen Empfehlung des Rates vom 28. September 2000 an die Mitgliedstaaten betreffend Ersuchen seitens Europol um Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungen in spezifischen Fällen, ABl. 2000 Nr. C 289/8 vom 12.10.2000. Empfehlung des Rates vom 30. November 2000 an die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Unterstuetzung der von den Mitgliedstaaten gebildeten gemeinsamen Ermittlungsteams durch Europol, ABl. Nr. 2000 C 357/7 vom 13.12.2000.
Aktionspläne Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (vom Rat angenommen am 28. April 1997), ABl. 1997 Nr. C 251/1 vom 15.8.1997. Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages über den Ausbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, angenommen vom Rat (Justiz und Inneres) am 3. Dezember 1998, ABl. 1999 C 19/1 vom 23.1.1999.
Maßnahmenprogramme Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. Nr. C 12/10 vom 15.1.2001.
Mitteilungen Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Politik der EU zur Bekämpfung von Korruption, KOM (1997) 192 endg. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen, KOM (2000) 495 endg.
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Übersicht der verwendeten EU-Rechtsquellen
Mitteilung der Kommission – Ergänzender Beitrag der Kommission zur Regierungskonferenz über die institutionellen Reformen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft: das Amt eines europäischen Staatsanwalts, KOM (2000) 608 endg. Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über bestimmte Maßnahmen, die zur Bekämpfung des Terrorismus und anderer schwerwiegender Formen der Kriminalität, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung des Informationsaustauschs, zu treffen sind, KOM (2004) 221 endgültig.
Vorschläge Vorschlag für eine Richtlinie des des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. 1990 Nr. C 106/6 vom 28.4.1990. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, KOM (2001) 139 endg. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) 272 endg. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft (gemäss Artikel 250, Absatz 2 des EG-Vertrages von der Kommission vorgelegt), KOM/(2002) 577 endg. Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die Verhinderung der Geldwäsche durch Zusammenarbeit im Zollwesen, ABl. 2002 Nr. C 227E/574 vom 24.9.2002.
Berichte Erster Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Geldwäscherichtlinie, KOM (1995) 54 endg. Schlussbericht über die erste Begutachtungsrunde – Rechtshilfe in Strafsachen, ABl. 2001 Nr. C 216/14 vom 1.8.2001.
Initiativen Initiative der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates zur Errichtung eines Stabes Eurojust, ABl. 2000 Nr. C 206/1 vom 19.7.2000. Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der Erträge
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aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität, ABl. 2000 Nr. C 243/9 vom 24.8.2000. Initiative der Portugiesischen Republik, der Französischen Republik, des Königreichs Schweden und des Königreichs Belgien im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates über die Einrichtung einer vorläufigen Stelle zur justiziellen Zusammenarbeit, ABl. 2000 Nr. C 243/15 vom 24.8.2000. Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Rahmenbeschlusses des Rates über Geldwäsche, die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2000 Nr. C 243/9 vom 24.8.2000. Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen durch den Rat, ABl. 2001 Nr. C 278/4 vom 2.10.2001. Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Beschlusses des Rates über die gemeinsame Inanspruchnahme von Verbindungsbeamten, die von den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten entsandt sind, ABl. 2002 Nr. C 176/8 vom 24.7.2002. Initiative des Königreichs Dänemark im Hinblick auf die Annahme eines Entwurfs für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten durch den Rat, ABl. 2002 Nr. C 184/3 vom 2.8.2002. Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2002 Nr. C 184/5 vom 2.8.2002. Initiative des Königreichs Dänemark im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates über eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten, ABl. 2002 Nr. C 223/17 vom 19.9.2002. Initiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips, ABl. 2003 Nr. C 100/24 vom 26.4.2003.
Stellungnahmen Stellungnahme der Kommission gemäß Artikel 251, Absatz 2, Buchstabe c) des EG-Vertrages, zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments des gemeinsamen Standpunkts des Rates betreffend den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, KOM (2001) 330 endg.
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Übersicht der verwendeten EU-Rechtsquellen
Stellungnahme Nr. 9/2001 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, ABl. 2002 Nr. C 14/1 vom 17.1.2002.
Sonstiges OLAF-Überwachungsausschuss – Tätigkeitsbericht Juli 2000-September 2001, ABl. 2001 Nr. C 365/1 vom 20.12.2001. Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg. Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM (2004) 334 endgültig. Entwurf für einen Vertrag zur Änderung der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften zwecks gemeinsamer Regelung des strafrechtlichen Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaften sowie der Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften genannter Verträge, ABl. 1976 C 222/2 vom 22.9.1976.
Rechtsprechungsübersicht EuGH Urt. vom 15.7.1960, Rs. 25/59 Regierung des Königreichs der Niederlande gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Slg. 743. EuGH Urt. vom 5.2.1963, Rs. 26/62 Van Gend en Loos gegen Nedelandse Administratie der Belastingen, Slg. 1. EuGH Urt. vom 17.12.1970, Rs. 11/70 Internationale Handelsgesellschaft m.b.H. gegen Einfuhr- und Vorratstelle für Getreide und Futtermittel, Slg. 1125. EuGH Urt. vom 7.7.1976, Rs. 118/75 Lynne Watson und Alessandro Belmann, Slg. 1185. EuGH Urt. vom 15.12.1976, Rs. 41/76 Suzanne Donckerwolcke verehelichte Criel und Henri Schou gegen Procureur de la République, Slg. 1921. EuGH Urt. vom 11.11.1981, Rs. 203/80 Strafverfahren gegen Guerrino Casati, Slg. 2595. EuGH Urt. vom 10.4.1984, Rs. 14/83 Sabine von Colson und Elisabeth Kamann gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1891. EuGH Urt. vom 10.7.1984, Rs. 63/83 Regina gegen Kent Kirk, Slg. 2689. EuGH Urt. vom 8.10.1987, Rs. 80/86 Strafverfahren gegen Kolpinghuis Nijmengen BV, Slg. 3969. EuGH Urt. vom 4.2.1988, Rs. 157/86 Mary Murphy u. a. gegen An Bord Telecom Eireann, Slg. 673. EuGH Urt. vom 25.2.1988, Rs. 299/86 Strafverfahren gegen Rainer Drexl, Slg. 1213. EuGH Urt. vom 2.2.1989, Rs. 186/87 Ian William Cowan gegen Trésor Public, Slg. 195. EuGH Urt. vom 13.7.1989, Rs. 5/88 Huber Wachauf gegen Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft, Slg. 2609. EuGH Urt. vom 21.9.1989, Rs. 68/88 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Griechische Republik, Slg. 2965. EuGH Urt. vom 19.6.1990, Rs. C-213/89 The Queen gegen Secretary of the State for Transport ex parte: Factortame u. a., Slg. I-2433. EuGH Urt. vom 10.7.1990, Rs. C-217/88 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. I-2879, 2907. EuGH Urt. vom 13.11.1990, Rs. C-106/89 Marleasing SA gegen la Commercial Internacional de Alimentación SA, Slg. I-4125.
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Rechtsprechungsübersicht
EuGH Urt. vom 7.2.1991, Rs. C-184/89 Helga Nimz gegen Freie Hansestadt Hamburg, Slg. I-297. EuGH Urt. vom 19.11.1991, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 Andrea Francovich u. a. gegen Italienische Republik, Slg. 1991, I-5357. EuGH Urt. vom 27.10.1992, Rs. 240/90 Bundesrepublik Deutschland gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. I-5383. EuGH Urt. vom 23.2.1995, verb. Rs. C-358/93 und C-416/93 Strafverfahren gegen Aldo Bordessa u. a., Slg. I-361, 386. EuGH Urt. vom 14.7.1994, Rs. C-91/92 Paola Facini Dori gegen Recreb Srl, Slg. I-3325. EuGH Urt. vom 17.10.1995, Rs. C-83/94 Strafverfahren gegen Peter Leifer u. a., Slg. I-3231. EuGH Urt. vom 29.2.1996, Rs. C-193/94 Strafverfahren gegen Sofia Skanavi und Konstantin Cryssanthakopoulos, Slg. I-929. EuGH Urt. vom 19.1.1999 Rs. C-348/96 Strafverfahren gegen Donatella Calfa, Slg. I-11. EuGH Urt. vom 11.2.2003 – verb. Rs. C-187/01 und C-385/01 Strafverfahren gegen Hüseyin Gözütok und Klaus Brügge.
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Sachregister Aberkennung von Rechten 192 ff., 318 abstraktes Gefährdungsdelikt 42 f., 284 acquis communautaire 49 ff. Analogieverbot 259, 266 Anerkennung ausländischer Strafurteile 69, 83, 96 ff., 134, 179 ff. Anfütterung 316 Annexkompetenz 246 Annexstraftat 340 Anrechnungsprinzip 100, 105 ff., 295 Anweisungskompetenz 241, 253, 255, 337 arbeitsteilige Strafverfolgung 16, 54, 171 Assimilierungsgebot 253 ff., 311 Aufbewahrungspflicht 356 ff. Auskunftsersuchen zu Bankkonten 152 f. Auslieferung 66, 74, 79, 82, 92, 94 f., 99, 113 ff., 143 f., 162, 179, 186, 211, 216, 220, 280, 371 Auslieferungshindernis 99, 115 f., 118 ff., 134 Auslieferungspflicht 114, 116 f., 119 f., 127 aut dedere aut judicare 71, 78 f. Barcelona Traction-Fall 76 Beamter – Gemeinschaftsbeamter 307, 312 – Nationaler 308, 310 beiderseitige Strafbarkeit 74, 76, 92 ff., 116, 120, 130, 142, 191 Benelux-Kooperation 67 Beschlagnahme 94, 139, 142 f., 185, 189, 338
Bestechlichkeit 302, 307, 310 ff. Bestechung 297 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 45 Betrug 198 ff., 273 ff., 300, 343, 360 Beweiserleichterung 346 Binnenmarkt 227, 252, 262, 321, 333, 336, 370 black list 329 Blankettstrafgesetz 45, 242, 259 f. Bordessa-Fall 251 f. Brügge-Fall 108 f. Bußgeldkompetenz 243 f. Casati-Fall 238, 250 code of conduct 316 Corpus Juris 89 ff., 215 ff., 232, 269, 283 f., 288 f., 293, 307, 345, 365, 367 Cowan-Fall 238 Datenwäsche 160 Dauerdelikt 107 f. deliktspezifische Übereinkommen 50, 100, 280 Demokratiedefizit, Argument- 29 ff. Demokratieprinzip 38, 260 direkter Geschäftsweg 135, 149, 172, 188, 208 Diskriminierungsverbot 249 ff. Donckerwolke-Fall 250 Doppelverfolgungsverbot siehe ne bis in idem Drei-Pfeiler-Struktur 58, 66 Dritter Pfeiler 49 ff., 58 ff., 129, 185, 228, 261 ff., 279, 368, 373
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Sachregister
efet-utile-Prinzip 110, 246 Eilauslieferungsverfahren 66, 125 Einheitliche Europäische Akte 55, 227 einheitlicher europäischer Rechtsraum 19, 26 f., 65, 69, 92, 118, 125, 129, 136, 153, 173, 186 f., 189, 214 ff., 222, 226, 367, 371 Einstimmigkeitserfordernis 59, 264 Einziehung 184 ff., 318, 328, 331, 338 engrenage siehe spill-over Erklärung von Laeken 34 ff. Ersuchen – Auslieferungsersuchen 82, 113, 116 f., 124 – Rechtshilfeersuchen 26, 140, 150 ff., 210, 371 Ersuchen-Prinzip 19 espace judiciaire européen siehe einheitlicher europäischer Rechtsraum Eurojust 28, 66, 197, 211 ff., 371, 373 Europarat 15, 17, 28, 50 ff., 64, 79, 84, 97, 143, 151, 155, 179, 210, 296 f. Europol 64, 166, 197, 201, 204 ff., 211 f., 222, 226, 371, 373 Europäische Drogenstelle 64 Europäische Gemeinschaften 31, 59 Europäische Menschenrechtskonvention 127, 374 Europäische Politische Zusammenarbeit 54 ff. Europäische Staatsanwaltschaft 214 ff., 232, 236, 371 ff. Europäische Verfassung 30, 35 f., 47 f., 66, 101, 184, 215, 218, 221, 235, 248, 266, 366, 372 Europäischer Haftbefehl 40, 113, 125 ff., 186, 220, 374 Europäischer Konvent 35 europäischer Territorialitätsgrundsatz 89 f., 215
Europäisches Justizielles Netz 197, 209 ff. Europäisches Parlament 32, 39, 47 f., 59 Europäisches Strafrecht 15 f., 28 ff., 41, 46, 48, 126, 232, 255, 272, 363, 369 Europäisches Strafregister 194 ff. European public good 22, 235 Exequaturverfahren 180 ff., 191 fast track extradition siehe Eilauslieferungsverfahren finanzielle Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Schutz der 42, 89, 215, 219, 228 ff., 244 ff., 273 ff., 307, 367 ff. Fiskaldelikt 120, 144 flankierende Maßnahme 262 Foreign Corrupt Practices Act 298 Fortsetzung der Überwachung 56, 162 Fortsetzung der Vollstreckung 180 f. forum choice 89 f., 214 forum delicti commissi 121 forum deprehensionis 77, 85 forum regit actum 146, 189 forum shopping 22, 90 f., 268, 317 Gegenseitigkeitsprinzip 92 Geheimhaltungspflicht, anwaltliche 352 f. gemeinsame Ermittlungsgruppe 139, 164 ff., 170 ff., 222 Gemeinsame Maßnahme 61 f., 64 gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung 241, 258 f., 266 Gemeinschaftstreue 241 f., 248, 252 f. Gerichtsstand-shopping siehe forum shopping Gesetzmäßigkeit, formelle 22, 30 f. geteilte Zuständigkeit 46 Gewinnabschöpfung 339, 341 Gözütök-Fall 108 grenzüberschreitende Nacheile 56, 163 f., 168 ff., 173
Sachregister Griechischer-Mais-Fall 253 f. Grund- und Menschenrechte 22, 24 f., 28, 33, 95, 125, 127, 133, 225, 235, 366, 374 Handlungsformen des Dritten Pfeilers 61, 64, 262 Harmonisierung von Strafnormen 16 ff., 41 f., 47, 51, 64, 118, 182, 228 ff., 252, 254 f., 262, 265 ff., 293, 319, 337, 342, 362, 363 ff. Identifizierungspflicht 352 f. Initiativrecht 48, 206, 226, 264 f. Insiderrecht 254 Instrumentalisierung des Strafrechts 24 international crime 76 internationale strafrechtliche Zusammenarbeit 16, 24, 46, 51 ff., 69, 92, 125, 214, 370 internationale Übereinkommen – vorzeitige Anwendung von, 61 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 79, 98 Internationaler Strafgerichtshof 16, 37, 76 internationales Strafrecht 15 f. Internationalisierung der Kriminalität 20, 23, 228, 231 ius puniendi 36 jurisdiction – to prescribe 69 ff. – to enforce 70, 79 ff. Justiziabilität des EU-Rechts 41 justizielle Integration 370, 372 Klarheit der Strafgesetze 44 f. Kolpinghuis-Fall 259 Kompetenzübertragung 31, 228, 240, 246 komplexe Straftat 20 Kongo-Fall 77
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Kriegsverbrechertribunal, ad-hoc 16, 37 Legitimation – demokratische 29, 33, 35, 38, 62, 256 – formale 30 ff. – mittelbare 31 – soziale 30 ff. – unmittelbare 35 Legitimationskrise 29, 35 f. lex fori 80, 95, 165, 308 lex loci 73 f., 76, 80, 85, 165, 309 lex mitior 80, 191, 308, 310 locus regit actum 146 Lotus-Fall 70 Meldepflicht 335 f., 352 f., 357 ff. militärisches Delikt 119 f., 145 Mindestharmonisierung 366 Modellstrafgesetzbuch 232 ne bis in idem-Prinzip 83, 96 ff., 123, 130, 145, 171, 178, 182 f., 187, 192, 194, 279, 294 f. Nebenstrafrecht 41, 44, 242, 259 neofunktionalistische Integrationsthese 36 Nordischer Rat 67 nordisches Strafrechtsmodell 25, 94, 121, 177 nullum crimen sine lege 45, 80 nullum crimen sine parlamentaria siehe Parlamentsvorbehalt objektive Strafhaftung 282, 288 Öcalan-Fall 82 OECD 49, 66, 296 ff., 364 OLAF 166, 198 ff., 222, 226 opt-in 58 ordre public 80, 95, 144 f., 157, 171, 220
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Sachregister
Organisierte Kriminalität 20, 25, 47, 61, 66, 116, 142, 184 f., 201, 210, 299, 332 ff., 338, 357 Parlamentsvorbehalt 38 Personalitätsgrundsatz – aktiv 73 f., 81, 82, 85, 129, 175 – passiv 74, 81 Pinochet-Fall 74 politisches Delikt 92, 118 f., 121, 143 f., 171, 221 Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen 60 ff., 368 polizeiliche Zusammenarbeit 55, 56 ff., 102, 138, 157 ff., 168 f., 171, 173, 197, 201 ff., 222 ff., 261, 367, 370 polizeilicher Informationsaustausch 58, 159, 162, 201 Prinzip der gegenseitigen Anerkennung 65, 69, 110, 126 f., 128, 172, 174 ff., 219 f., 268, 270, 371 Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege 71, 77 f., 86 proactive policing siehe vorbeugende Verbrechensbekämpfung prozessualer Tatbegriff 107 Rahmenbeschluss 40, 62, 263 ff. Rahmengesetz 47 f., 184, 266, 366 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 18, 46, 50, 60, 65, 125, 186, 189, 195, 221, 268 Rechtsgut 42, 106, 256, 286, 302, 304 Rechtsgutsqualität 42 Rechtshilfe – Abschöpfungs- 152, 155 – internationale strafrechtliche 50, 138 ff., 173, 174, 197, 223, 225 – negative Voraussetzungen der 92, 140 ff. – positive Voraussetzungen der 92, 140 ff. – zwischenstaatliche 17, 99 Rechtshilfeersuchen, ergänzende 150 f.
Rechtshilfevereinbarung 17, 21, 67, 99, 159 Rechtssicherheit 195, 222, 259, 316, 364 Rechtsstaat 29, 39 Rechtsstaatprinzip 71, 80 res judicata 103, 108, 182 Richtlinie 47, 62, 241, 252, 255, 256 ff. Rückwirkungsverbot 259, 279, 292 Sanktion – Strafsanktion 274, 292, 294 – Verwaltungssanktion 227 ff., 243, 291 f., 294 f. Sanktionskompetenz 229, 243 ff. Sanktionsniveau 266 ff., 319, 336 Sanktionsrecht 228, 363 Schengener Durchführungsübereinkommen 56 ff., 102 Schengener Haftbefehl 161 Schengenstaaten 56 ff. Schengen-Zusammenarbeit 56 ff. Schutzprinzip 75 f., 85 soft law 207, 328, 329 f., 364 Solange I – Entscheidung 32 Souveränität 16, 21, 36 ff. – strafrechtliche 55, 68, 83, 124, 179 – territoriale 72, 162 Souveränitätsverlust 59, 91, 171, 182, 246, 369 Spezialitätsgrundsatz 92, 122, 123, 135, 145, 160, 177 f. spill-over 36, 248 Spontanauskunft 154 f., 161, 173 stand-still-Gebot 249, 251 Strafgewalt – abstrakte 70 – derivative 70 – extraterritoriale 71 – originäre 70, 78 – personale siehe Personalitätsgrundsatz – quasi-territoriale 72
Sachregister – territoriale siehe Territorialitätsgrundsatz – universale siehe Weltrechtsprinzip – überlappende 68 Strafgewaltkonflikt – negativer 82 – positiver 81 Strafpolitik der Europäischen Union 19 f., 23, 83, 185, 197, 225, 233, 341, 361, 363 strafrechtliche Zusammenarbeit – horizontale 18, 26, 221, 226 – vertikale 221, 226 Straftatenkatalog 128, 153, 220 f., 372 Strafvollzug-shopping siehe forum shopping supranationaler Schutzinhalt siehe European public good Tampere Schlussfolgerungen 65, 125, 181, 211, 267 Tatortstaat 73, 78, 81, 84, 118, 175 Telefonüberwachung 155 ff., 172 Territorialitätsgrundsatz 54, 71 ff., 81, 85, 99, 129, 175 Terrorismus 47, 54, 61, 75, 128, 210 trading in influence 324 f. transnationaler Straftatbezug 16 f., 23, 69, 81, 214 Trevi 55, 201 Übergabe 113, 115, 125 ff., 221 Übertragung der Strafverfolgung 28, 78 Übertragung der Strafvollstreckung 94, 95, 122, 175 ff. Überwachung von Bankgeschäften 149, 154, 172 Ubiquitätsprinzip 81, 85 ultima ratio 43 f., 366 undue advantage 315 unmittelbare Anwendbarkeit 242, 251, 257, 372
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Unregelmäßigkeit 199, 224, 280 f., 290 ff., 295 Untreue 300, 305 Urteilsstaat 71, 80, 107, 111, 183 vacuum iuris 81 Verbindungsbeamte 58, 201 ff., 208 Verbindungsrichter 197, 209 Verbindungsstaatsanwalt 197, 209 verdeckte Ermittlung 149, 166, 168, 170 Vereinheitlichung von Strafnormen 15 f., 25, 187, 230, 232 Vereinte Nationen 66, 296, 298, 339 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 249 f., 279 Verordnung, horizontale 279 Verwaltungsmaßnahme 244 f., 290 ff. Verwaltungsstrafrecht 228, 239 f., 243, 245 Videokonferenz 155 ff., 172 Völkerrecht, anerkannte Grundsätze 17, 101 Vollstreckungshilfe 94, 174 ff. Vorabentscheidung 40, 215, 264 vorbeugende Verbrechensbekämpfung 157 f., 169, 223 Vortat 340 ff., 347 f. Vorteil, unbilliger 306, 313, 315, 322 f., 324 – a posteriori 316 – a priori 316 Watson-Fall 250 Weltrechtsprinzip 76 ff., 81 whistle blower 358 zentrale Stelle 208 f. zollbehördliche Zusammenarbeit 60, 167 ff., 172, 221, 359 f. Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres 18, 56 f., 59 ff. Zuständigkeit für die Strafverfolgung 78, 83, 87 Zuwendung, geringfügige 315, 323