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German Pages 382 Year 1998
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 763
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen und Rechtsschutz in Deutschland
Von
Lothar Harings
Duncker & Humblot · Berlin
L O T H A R HARINGS
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen und Rechtsschutz in Deutschland
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 763
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen und Rechtsschutz in Deutschland
Von Lothar Harings
Duncker & Humblot • Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Harings, Lothar: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen und Rechtsschutz in Deutschland / von Lothar Harings. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht; Bd. 763) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09438-7
Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09438-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1997/98 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Danken möchte ich Herrn Professor Eberhard Schmidt-Aßmann, der die Anregung zur Beschäftigung mit dem Thema gab und die Arbeit während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht stets mit großem Interesse begleitete und wertvolle Anregungen gab. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner allen Mitarbeitern des Instituts, deren Diskussionsbereitschaft und Hilfe die Fertigstellung gefordert hat. Herr Professor Müller-Graff hat freundlicherweise das Zweitgutachten erstellt. Schließlich wäre die Arbeit nicht zustande gekommen, wenn nicht Gesprächspartner aus Landeskriminalämtern, Bundeskriminalamt sowie Bundesjustiz-, Innen- und Finanzministerium und Europäischer Kommission praktische Erfahrungen aus allen Ebenen der grenzüberschreitenden Kooperation beigesteuert hätten. Nicht zuletzt danke ich meiner Frau Andrea für ihre Unterstützung.
Hamburg, im Mai 1998
Lothar Harings
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung I. II.
29
Polizeiliche und zollbehördliche Zusammenarbeit als Ausprägung der Verwaltungskooperation in Europa
29
Dimensionen der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit
31
1. Rechtliche Ebene
31
2. Kulturelle und emotionale Ebene
33
III. Der Mangel gerichtlicher Kontrolle
34
IV. Gang der Untersuchung
36
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit I.
37
Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
37
1. Klassisches Völkerrecht
37
a) Rechtlicher Rahmen
37
aa) Multilaterale Vereinbarungen
38
(1)
Interpol
38
(2)
Auslieferungs- und Rechtshilfeverträge
39
bb) Bilaterale Vereinbarungen b) Die Zusammenarbeit im Rechtshilferecht aa) Auslieferungsrecht
40 41 42
(1)
Ausgehende Ersuchen
42
(2)
Eingehende Ersuchen
43
bb) Sonstiges Rechtshilferecht
44
(1)
Ausgehende Ersuchen
45
(2)
Eingehende Ersuchen
45
8
nsverzeichnis c) Resümee
45
2. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres nach Titel VI des EU-Vertrages
46
a) Die Entwicklung der Zusammenarbeit
46
b) Rechtsnatur ("Säule unter dem Dach der EU")
47
aa) Fehlende Supranationalität
48
bb) Besonderheiten der "institutionellen Einbettung"
50
(1)
Funktion des Rates
50
(2)
Einbeziehung der Kommission
51
(3)
Einbeziehung des Europäischen Parlamentes
51
(4)
Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes
52
c) Politikbereiche
52
d) Handlungsformen
53
e) Gerichtliche Kontrolle
55
f) Bewertung der intergouvernementalen Zusammenarbeit in der dritten Säule 3. Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam
57 57
a) Vergemeinschaftung einzelner Politikbereiche
58
b) Konzept der flexiblen Kooperation
58
c) Schaffung neuartiger Handlungsformen
58
d) Befugnisse der Gemeinschaftsorgane im Bereich der dritten Säule
59
aa) Europäischer Gerichtshof
59
bb) Kommission und Europäisches Parlament 4. Exkurs: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Deutschland a) Die Übertragung von Hoheitsrechten zur Verwirklichung der Europäischen Union b) Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen (außerhalb der Europäischen Union) c) Die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten
60 60 61 61 62
nsverzeichnis II.
Die Schengener Abkommen
63
1. Die Entwicklung bis zum Abbau der Grenzkontrollen
63
2. Überblick über den Inhalt des Schengener Durchfuhrungsübereinkommens (SDÜ)
64
a) Schärfere Kontrollen an den Außengrenzen
65
b) Harmonisierung der Sichtvermerkspolitik
66
c) Zuständigkeit für Asylverfahren
67
d) Verbesserung der Rechtshilfe und Auslieferung in Strafsachen
68
e) Betäubungsmittel- und Waffenrecht
69
f) Polizeiliche Zusammenarbeit
70
aa) Grenzpolizeiliche Zusammenarbeit
70
bb) Das Schengener Informationssystem (SIS)
71
3. Rechtliche Voraussetzungen und praktische Durchfuhrung der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit a) Grenzüberschreitende Observation und Nacheile aa) Die grenzüberschreitende Observation
72 72 73
(1)
Der Begriff der Observation
73
(2)
Zulässigkeit des Grenzübertritts
74
(3)
Modalitäten der grenzüberschreitenden Observation
75
(4)
Die Durchfuhrung in der Praxis
76
bb) Die grenzüberschreitende Nacheile
77
(1)
Zulässigkeit des Grenzübertritts
77
(2)
Modalitäten der Nacheile
78
cc) Die Rechtsstellung der observierenden und nacheilenden Beamten
79
dd) Rechtsgrundlage für Eingriffsakte
80
b) Das Schengener Informationssystem (SIS)
81
aa) Ausschreibungskategorien
81
bb) Wirkung der Ausschreibung
81
(1)
Wirkung im Verhältnis der Staaten untereinander
81
(2)
Wirkung im Verhältnis Staat-Bürger
83
10
nsverzeichnis cc) Das SIRENE-System c) Bewertung der polizeilichen Zusammenarbeit
83 84
aa) Schengener Informationssystem
84
bb) Observation und Nacheile
85
(1)
Präventivpolizeiliche Observationen
85
(2)
Umfeldobservationen
86
(3)
Bindung an ausländisches Recht
86
(4)
Eingeschränkte Nacheilemöglichkeit
88
4. Datenschutz a) Harmonisierung des Datenschutzes in den Vertragsstaaten
88 88
aa) Das Europaratsmodell
88
bb) Exkurs: Die EG-Datenschutzrichtlinie
89
b) Datenschutz im Schengener Informationssystem 5. Gerichtliche Kontrolle im SDÜ
90 92
a) Fehlen einer supranationalen Rechtsschutzinstanz
92
b) Rudimentäre Ausgestaltung des Rechtsschutzes im SDÜ
93
aa) Rechtsschutz im Schengener Informationssystem
93
bb) Die Folgen des Fehlens anderweitiger Rechtsschutzbestimmungen
94
c) Keine Auslegungszuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes 6. Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen 1. Die Entwicklung der Zusammenarbeit im Zollwesen
94 95 96 96
a) Abgrenzung zum Gemeinschaftsrecht
96
b) Völkerrechtliche Zusammenarbeit
98
aa) Überblick
98
bb) Der Inhalt des "Neapel I-Übereinkommens"
98
c) Weitere Ziele der Zusammenarbeit 2. Das geplante Zollinformationssystem (ZIS) a) Konkurrenz zwischen erster und dritter Säule
99 100 100
nsverzeichnis b) Der Inhalt des ZIS-Übereinkommens
101
aa) Aufbau des Systems und Struktur der Kooperation
101
bb) Datenschutz
102
cc) Gerichtliche Kontrolle
103
c) Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof
104
3. Die "Neapel II"-Konvention
105
a) Entstehungsgeschichte
105
b) Gegenstand des Übereinkommens
106
c) Inhalt des Übereinkommens
107
aa) Überblick
107
bb) Verpflichtung zur Amtshilfe
108
(1)
Amtshilfe auf Antrag
108
(2)
Amtshilfe ohne Antrag
109
cc) Besondere Formen der Zusammenarbeit
109
(1)
Grundsätze der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
109
(2)
Grenzüberschreitende Observation und Nacheile
110
(3)
Sonstige Ermittlungsformen
111
dd) Datenschutz
112
ee) Gerichtliche Kontrolle
112
IV. Die Europol-Konvention
113
1. Entstehungsgeschichte
113
2. Der Inhalt der Europol-Konvention
115
a) Grundlagen und Verwaltungsstruktur von Europol
115
aa) Grundlagen
115
bb) Verwaltungsstruktur
118
b) Aufgaben und Befugnisse von Europol
119
aa) Exekutivbefugnisse
119
bb) Koordination und Datenverarbeitung
120
(1)
Das Informationssystem
120
nsverzeichnis
(2)
(a) Arbeitsweise
120
(b) Zulässiger Inhalt
121
Analysedateien und Indexsystem
122
c) Datenschutz
123
aa) Eigenes Datenschutzregime
123
bb) Verwaltungsverfahren bis zur Auskunftserteilung
124
(1) (2)
Recht auf Mitteilung (droit à la communication) Recht auf Überprüfung (droit à la vérification)
cc) Gemeinsame und nationale Kontrollinstanz
124 124 124
d) Rechtliche Beziehungen der am Informationsaustausch beteiligten Behörden
125
aa) Verhältnis der zuständigen nationalen Behörden zur nationalen Stelle nach Art. 4 EuropolÜbk
125
bb) Verhältnis der nationalen Stelle zu Europol
126
e) Haftung und gerichtliche Kontrolle aa) Haftungsfragen und Rechtsschutz des Bürgers (1)
Klagen gegen einen Mitgliedstaat
129 129
(2)
Klagen gegen Europol nach Art. 39 EuropolÜbk
130
(3)
Datenschutzrechtliche Klagen gegen Europol (Primäransprüche)
131
Vorabentscheidungsverfahren
132
(4)
bb) Das Immunitätsprotokoll (1) (2)
Persönliche Immunität der Mitglieder der Organe und des Personals von Europol
134 134
Keine Immunität für die Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz
cc)
128
Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten
Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
136 136 137
1. Bauformen der exekutivischen Kooperation im Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit
137
a) Kooperationsstruktur
137
b) Institutionalisierter Informationsaustausch
137
aa) Netzwerke
138
nsverzeichnis bb) Ständiger Informationsaustausch c) Konsultationsmechanismen
139 140
aa) Zustimmung
141
bb) Qualifizierte Mitteilung
141
(1) (2) cc)
Determination der Handlung durch die Mitteilung Mitteilung als Anstoß zur eigenen Prüfung
Schlichte Mitteilung
141 142 142
dd) Stellungnahme
142
ee) Besondere Konsultationsverfahren
143
d) Besondere Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
144
aa) Parallelen im deutschen Recht
144
bb) Einordnung der grenzüberschreitenden Tätigkeit im Ausland
146
e) Datenschutz
147
aa) Harmonisierung des nationalen Rechts
148
bb) Eigene Datenschutzregime
148
cc) Institutionalisierte Kontrolle
148
2. Rechtliche Qualifizierung der Handlungsformen
149
a) Völkerrechtliche Betrachtungsweise
150
b) Kriterien der Differenzierung von Hoheitsakten
150
c) Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung
151
aa) Begriffsbestimmung
151
bb) Transnationale Hoheitsakte
151
(1) (2)
Transnationale Verwaltungsakte Transnationale Gerichtsentscheidungen
151 152
d) Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet
153
e) Zuordnung der ausgeübten Hoheitsgewalt
154
3. Tatsächliche und rechtliche Auswirkungen der Handlungsformen auf den betroffenen Bürger
155
14
nsverzeichnis a) Eingriffsakte im Bereich der Informationserhebung aa) Die Erhebung personenbezogener Daten als Eingriff
155 155
(1)
Nationaler Maßstab
155
(2)
Europäischer Maßstab
157
bb) Rechtsgrundlagen für die Erhebung personenbezogener Daten in Deutschland b) Eingriffsakte im Bereich der Informationsverarbeitung
160
aa) Die Verarbeitung personenbezogener Daten als Eingriff
160
bb) Möglichkeiten der Informationsverarbeitung
162
c) Ermittlungsmaßnahmen durch nicht-deutsche Hoheitsgewalt
163
aa) Die grenzüberschreitende Observation
163
bb) Andere Ermittlungsmaßnahmen
164
C.Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland I.
159
165
Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
166
1. Vorbemerkung
166
a) Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
166
b) Völkerrechtliche Rechtsschutzgarantien
167
2. Qualitätsstandards des verfassungsrechtlich geforderten Rechtsschutzes
169
a) Rechtsschutz als Gerichtsschutz
169
aa) Rechtsprechungstätigkeit
169
bb) Organisatorische Trennung
171
cc) Kontrolle von Rechts- und Tatfragen
171
dd) Letztentscheidungskompetenz
172
b) Unabhängigkeitsgarantien
172
aa) Unabhängigkeit der Gerichte
172
bb) Unabhängigkeit des Richters
173
(1)
Sachliche Unabhängigkeit
173
(2)
Persönliche Unabhängigkeit
173
(3)
Innere Unabhängigkeit (Unparteilichkeit)
174
nsverzeichnis c) Rechtliches Gehör aa) Recht auf Information
174
bb) Äußerungsrecht
175
cc) Berücksichtigung durch das Gericht
175
d) Weitere Verfahrensgarantien 3. Die Anforderungen des Art. 6 EMRK a) Gericht ("tribunal") im Sinne des Art. 6 EMRK
176 176 176
aa) Errichtung durch Gesetz
177
bb) Rechtsprechungstätigkeit
177
cc) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
178
b) Verfahrensgarantien 4. Art und Umfang des geforderten Rechtsschutzes
II.
174
179 179
a) Präventiver und repressiver Rechtsschutz
181
b) Vorläufiger und endgültiger Rechtsschutz
182
c) Primär- und Sekundärrechtsschutz
184
d) Durchsetzbarkeit gerichtlicher Entscheidungen
186
e) Beschränkungen des Gerichtsschutzes
187
5. Zusammenfassung
188
Rechtsschutz gegen nationale Eingriffsakte
189
1. Rechtsschutz im Bereich präventivpolizeilicher Informationserhebung und -Verarbeitung
189
a) Datenschutzrechtliche Primäransprüche
189
b) Rechtsschutz gegen sonstige Informationseingriffe
191
aa) Allgemeines
191
bb) Rechtsschutz und innerstaatliches Amtshilferecht
192
c) Sekundäransprüche
192
d) Die Offenlegung geheimer Maßnahmen als Voraussetzung wirksamen Rechtsschutzes
193
2. Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren a) Überblick
194 194
aa) Rechtsweg, Klageart und Zuständigkeiten
194
bb) Grundrechtseingriff und Prozeßhandlung
197
nsverzeichnis cc) Vorläufiger und vorbeugender Rechtsschutz b) Rechtsschutz gegen Informationseingriffe
199 201
aa) Allgemeines
201
bb) Der Sonderfall der Observation/verdeckten Ermittlung
202
cc) Prozessuale Fragen
203
(1)
Klagegegner
203
(2)
Die Wirkungen einer gerichtlichen Entscheidung
204
3. Rechtsschutz gegen Eingriffsakte der Zollverwaltung
205
a) Aufbau und Aufgaben der Zollverwaltung
205
b) Befugnisse der Zollverwaltung und Rechtsschutz des Bürgers
206
aa) Informationseingriffe aufgrund spezialgesetzlicher Zuständigkeit
.....206
bb) Informationseingriffe im Bereich des Steuerrechts
207
cc) Maßnahmen der Strafverfolgung
208
4. Zusammenfassung
208
Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
209
1. Rechtsschutz in Rechtshilfeangelegenheiten
210
a) Auslieferung
210
aa) Ausgehende Ersuchen
210
bb) Eingehende Ersuchen
212
(1)
Anfechtung der Auslieferungsbewilligung
212
(2)
Rechtsschutz gegen den Vollzug der Auslieferung
215
b) Sonstige Rechtshilfe
216
aa) Ausgehende Ersuchen
216
bb) Eingehende Ersuchen
217
(1)
Anfechtung der Bewilligungsentscheidung
217
(2)
Anfechtung der Vornahmehandlung
219
c) Exkurs: Rechtsschutz gegen Maßnahmen von Interpol
220
aa) Rechtsschutz im Sitzstaat Frankreich
220
bb) Rechtsschutz in Deutschland
220
2. Rechtsschutz bei der zwischenstaatlichen Amtshilfe in Steuersachen a) Rechtsschutz bei ausgehenden Ersuchen
221 221
nsverzeichnis b) Rechtsschutz bei eingehenden Ersuchen/Spontanauskünften
222
3. Merkmale des Rechtsschutzes in Fällen grenzüberschreitender Rechts- und Amtshilfe
223
a) Trennungsmodell des Rechtsschutzes
223
b) Internationalisierung der Entscheidungsmaßstäbe
224
c) Perspektiven
225
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG 1. Konkretisierung der Fragestellung
225
2. Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur
227
a) Die Rechtsprechung des BVerfG
227
b) Die Literatur
228
3. Die Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG
229
a) Methodische Vorbemerkungen
229
b) Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG anhand der klassischen Auslegungsmethoden
230
aa) Grammatische Auslegung
230
bb) Systematische Auslegung
231
(1)
Öffentliche Gewalt und Grundrechte
231
(2)
Öffentliche Gewalt und Staatshaftung
235
(3)
Öffentliche Gewalt und internationale Zusammenarbeit
236
Ergebnis der systematischen Auslegung
237
(4)
cc) Historisch-genetische Auslegung
237
dd) Teleologische Auslegung
23 8
(1)
Europäisierung der Rechtsschutzgarantie
23 8
(2)
Keine "Flucht vor dem Grundgesetz"
239
ee) Ergebnis der Auslegung nach den klassischen Auslegungsmethoden c) Andere Prinzipien der Verfassungsinterpretation aa) Verhältnis der Rechtsschutzgarantie zur Integrationsoffenheit des Grundgesetzes (1) 2 Harings
225
Konsequenzen aus der Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft
240 240 241 241
18
nsverzeichnis (2)
(3)
Völkerrechtskonforme Auslegung
242
(a) Grundsatz der Immunität
243
(b) Kein allgemeines völkerrechtliches Verbot der Jurisdiktion über fremde Hoheitsakte
245
(c) Inlandsbezug
246
Keine unzulässige Schutzbereichsfestlegung durch die auswärtige Gewalt
247
bb) Der Grundsatz möglichster Grundrechtseffektivität 4. Zusammenfassung D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland I.
248 248 250
Art. 19 Abs. 4 GG und nicht-deutsche Hoheitsakte
251
1. Schengener Durchfuhrungsübereinkommen
251
a) Grenzüberschreitende Observation/Nacheile aa) Zurechenbarkeit zur deutschen Hoheitsgewalt (1)
(2)
(3)
251 251
Zurechenbarkeit nach Völkerrecht
252
(a) Keine Organleihe
252
(b) Keine sonstige (materielle) Zurechenbarkeit
254
Zurechenbarkeit nach nationalem Recht
255
(a) Regelungen in den Polizeigesetzen der Länder
255
(b) Keine prozessuale Zurechenbarkeit
257
Ergebnis
258
bb) Immunitätsverzicht
258
(1)
Bindung an das Recht des Aufenthaltsstaates
258
(2)
Keine generelle Gleichstellung von ausländischen und deutschen Beamten
261
(3)
Die Haftung nach Art. 43 SDÜ
261
(4)
Ergebnis
262
cc) Rechtslage für die Vertragsstaaten des EuÜbStl
263
b) Grenzüberschreitender Informationsaustausch
264
c) Schengener Informationssystem
265
aa) Die materiellen Ansprüche
265
bb) Vollzug der gerichtlichen Entscheidungen und Haftung
266
Inhaltsverzeichnis cc) Verantwortlichkeit für die Daten
267
dd) Ergebnis
268
2. Übereinkommen im Zollwesen
268
a) ZIS-Übereinkommen
268
b) Neapel Ii-Konvention
269
3. Das Europol-Übereinkommen
269
a) Klagen gegen einen anderen Mitgliedstaat
270
b) Klagen gegen Europol nach Art. 39 EuropolÜbk
270
aa) Rechtslage nach dem Europol-Übereinkommen
270
bb) Das Immunitätsprotokoll
270
c) Datenschutzrechtliche Klagen gegen Europol II.
19
Grenzüberschreitende Ermittlungen
272 273
1. Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen durch nationale Beamte
273
a) Vorbemerkung
274
b) Rechtsschutz vor den Gerichten des Herkunftsstaates
274
aa) Rechtsweg und zuständiges Gericht
274
bb) Angriffsgegenstand
275
cc) Rügepotential (1) Territorialer Anwendungsbereich des deutschen (öffentlichen) Rechts
276
(2)
Berufung auf Verstoß gegen Völkerrecht?
278
(a) Keine völkerrechtlichen Individualrechte
278
(b) Innerstaatliche Anwendbarkeit des Völkerrechts
279
Berufung auf einen Verstoß gegen ausländisches öffentliches Recht?
282
c) Primärrechtsschutz vor den Gerichten des Aufenthaltsstaates
283
(3)
aa) Die Anfechtung der Vornahmehandlung
284
(1)
Zurechnung nach Landesrecht
284
(2)
Keine Zurechnung nach Landesrecht
285
bb) Die Anfechtung der Bewilligungsentscheidung 2*
276
(1)
Die Bewilligungsentscheidung als Verwaltungsakt
286 286
20
nsverzeichnis (2)
Prüfungsumfang des Gerichts
288
(3)
Rechtsschutzlücke bei Spontanobservationen und Nacheilehandlungen
288
cc) Klagen auf Einschreiten der deutschen Behörden d) Sekundärrechtsschutz vor den Gerichten des Aufenthaltsstaates
289 289
aa) Rechtsgrundlage im materiellen Recht
290
bb) Prozessuale Fragen
290
2. Rechtsschutz gegen Ermittlungsmaßnahmen durch Europol-Bedienstete
293
a) Amtshaftungsansprüche gegen Europol
294
b) Ansprüche auf Unterlassung und Widerruf
296
c) Feststellung der Rechtswidrigkeit
297
d) Vollstreckungs- und Sicherungsmaßnahmen gegen Europol
297
III. Konventioneller Informationsaustausch 1. Rechtsschutz gegen die Datenübermittlung ins Ausland
298 299
a) Erfolgsaussichten einer vorbeugenden Unterlassungsklage
299
b) Repressiver Rechtsschutz
301
2. Datenübermittlung nach Deutschland
302
a) Datenübermittlung auf Antrag
302
b) Übermittlung von Spontaninformationen
302
3. Ergebnis
303
IV. Automatisierter Informationsaustausch 1. Rechtsschutz gegen Informationseingriffe durch das Schengener Informationssystem (SIS) und das Zollinformationssystem (ZIS)
304 305
a) Ausgangspunkt: Selbständige Anfechtbarkeit eines Rechtshilfeersuchens?
306
b) Prozessuale Fragen
308
aa) Rechtsbehelfe
308
bb) Zuständigkeit der Gerichte und Klagegegner
309
cc) Prüfungsumfang der Gerichte
309
(1)
Prinzipale Kontrolle nach Art. 111 SDÜ
310
(2)
Inzidentkontrolle
313
nsverzeichnis dd) Einstweiliger Rechtsschutz
313
ee) Die Durchsetzbarkeit der gerichtlichen Entscheidung
315
c) Ergebnis
316
2. Rechtsschutz gegen Europol a) Verfahren vor der gemeinsamen Kontrollinstanz
317 317
aa) Verfahrensablauf.
317
bb) Zusammensetzung und Aufgaben der gemeinsamen Kontrollinstanz
318
(1)
Allgemeine Vorschriften
318
(2)
Der Ausschuß nach Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk (Beschwerdeausschuß)
319
cc) Gerichtsqualität der gemeinsamen Kontrollinstanz?
320
(1)
Errichtungsakt
321
(2)
Rechtsprechungstätigkeit
321
(a) Die Kontrollinstanz als Aufsichts- und Judikativorgan
321
(b) Bindung an mitgliedstaatliche Stellungnahmen
322
(3)
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
3 24
(4)
Das Fehlen eines geregelten Verfahrens
327
(5)
Die Entscheidung der Kontrollinstanz
328
(a) Zustandekommen und Inhalt der Entscheidung
328
(b) Der Erlaß einstweiliger Anordnungen
329
(c) Die Beteiligung der nationalen Instanz
330
Ergebnis
333
(6)
b) Verfahren vor nationalen Gerichten
333
aa) Zuständigkeit der Gerichte jedes Mitgliedstaates
334
bb) Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Betroffenen
334
cc) Bewertung
335
c) Vollstreckungs- und Sicherungsmaßnahmen gegen Europol
335
d) Resümee
336
22
nsverzeichnis V.
Zusammenfassung und Ausblick
336
1. Die Rechtsschutzsituation in den vorgestellten Übereinkommen
337
a) Rechtsschutz im Rahmen der horizontalen Kooperation
337
b) Rechtsschutz im Rahmen der vertikalen Kooperation
338
2. Rechtsschutzmodelle aus anderen Kooperationsbereichen
338
a) Zentralisierung des Rechtsschutzes
339
b) Die Föderalisierung des Rechtsschutzes
340
aa) Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten
340
bb) Rechtsschutz vor inländischen Gerichten
341
(1)
Klagegegenstand: fiktiver inländischer Hoheitsakt
341
(2)
Klagegegenstand: ausländischer Hoheitsakt
342
cc) Wahlrecht des Rechtsschutzsuchenden 3. Entwicklungsperspektiven
343 343
Literaturverzeichnis
346
Sachregister
378
Abkürzungsverzeichnis aaO. a.A. abgedr. ABl. Abs. AFDI AG-NTS AJDA Anm. AO AöR ArchVR Art. AWD/BB AWG BayPOG BayVBl. BbgPOG BDSG Beih. BerDGVR BFH BFHE BGBl. BGH BGHSt BGHZ BKA BMF BMI BMJ BR-Drs. BremPolG BStBl. BT-Drs. BVerfG BVerfG (K) BVerfGE
am angegebenen Ort anderer Ansicht abgedruckt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Absatz Annuaire Francais de Droit International Ausfïihrungsgesetz zum NATO-Truppenstatut Actualité Juridique/Droit Administratif Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv des Völkerrechts Artikel Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Außenwirtschaftsgesetz Bayerisches Polizeiorganisationsgesetz Bayerische Verwaltungsblätter Brandenburgisches Polizeiorganisationsgesetz Bundesdatenschutzgesetz Beiheft Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofes Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeskriminalamt Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Bundesratsdrucksache Bremisches Polizeigesetz Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
24 BVerwG BVerwGE BWVP CDE CML Rev. CR DB DNP DOC DÖV DRiZ DStR DStZ DVB1. EFG EG EGGVG EGMR EGV EMRK
Abkürzungsverzeichnis
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Abkürzungsverzeichnis GG GMB1. GRUR GS GÜG GVB1. GVG GYIL HbEuropR HbStR HbVerfR Hrsg., hrsg. HSOG ICJ IGH ILC IPrax IRG IZPR JA JbStVwW JöR JORF Jura JuS JZ KG Legal Issues LKA LKV LVwG SH MDR MJ MOG m.w.N. NATO n.F. NGefAG NJW NStZ NTS NVwZ ÖZöRV OLG OVG
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26 P.L. POG NW Rdnr(n). RDV RevMC Rev. sc. eur. RhpfPOG RiA RiStBV RiVASt Riv. dir. eur. RIW Rspr. S. SächsPolG SDÜ SIS Slg. SOG LSA SPolG StIGH StIGHE StPO stv SZIER ThürPOG UAbs. UNTS Urt. VB1BW VerwArch VGH VVDStRL VwGO VwVfG wistra wrp WVR YEL ZaöRV ZAR ZBJI ZfZ ZIS
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Abkürzungsverzeichnis ZISÜbk ZK ZKA ZollVG ZPO ZRP
zstw
Übereinkommen über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich Zollkodex Zollkriminalamt Zollverwaltungsgesetz Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
A. Einleitung Der Begriff der "Globalisierung" der wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge ist zu einem Schlagwort in der öffentlichen Diskussion der vergangenen Jahre geworden. Das Spannungsverhältnis zwischen der formalen Unabhängigkeit der Staaten (Souveränität) und ihrer faktischen globalen Verflechtung kann als geradezu klassisches Thema angesehen werden 1. Die nationalen Grenzen haben in nahezu allen Bereichen an Bedeutung verloren. Umweltschutz, Wirtschafte- und Währungspolitik sowie Außen- und Innenpolitik sind auf der Ebene des Nationalstaates nicht mehr länger erfolgversprechend zu betreiben. Infolge dieser Entwicklung sind vielfältige Kooperationsformen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf diversen Entscheidungsebenen entstanden2. Ziel der Bemühungen um eine umfassende Zusammenarbeit und die Herausbildung supranationaler Kompetenzen und Entscheidungsstrukturen in Europa ist es, "die europäischen Nationalstaaten zu einem wirkmächtigen "Global Player" zusammenzufügen" 3.
I. Polizeiliche und zollbehördliche Zusammenarbeit als Ausprägung der Verwaltungskooperation in Europa Art. B (4. Gedankenstrich) des EU-Vertrages in der durch den Amsterdamer Vertrag geänderten Fassung definiert als Ziel der Europäischen Union "die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts". Zur Verwirklichung dieses Ziels arbeiten Polizei- und Zollverwaltungen 4 der Mitgliedstaaten immer enger zusammen. Das grenzüberschreitende Zusammenwirken dieser Behörden ist nur ein Beispiel der immer engeren exekutivischen Kooperation der EU-Staaten untereinander. Infolge der Fortentwicklung der europäischen Integration entwickeln sich Kooperationsstrukturen und -mechanismen nicht nur vertikal im Verhältnis der Mitgliedstaa1
Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 3. Vgl. W. Wessels, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Europäische Integration, S. 165 ff. 3 Pitschas, JBStVwW 8 (1995), 379. 4 Polizei- und Zollverwaltungen werden im folgenden unter dem Begriff "Sicherheitsbehörden" zusammengefaßt. Dieser soll hingegen nicht die Geheimdienste mit einschließen. 2
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A. Einleitung
ten zur EG (-Kommission), sondern auch horizontal im Verhältnis der mitgliedstaatlichen Verwaltungen zueinander. Die Besonderheit der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit liegt darin, daß sie außerhalb der klassischen Gemeinschaftsrechtsordnung im engeren Sinne angesiedelt ist und sich insoweit von der horizontalen mitgliedstaatlichen Kooperation innerhalb der EG unterscheidet 5. Kooperationspflichten der nationalen Behörden bestehen dort in weiten Bereichen des Wirtschaftsrechts. Die Finanzbehörden arbeiten in Steuersachen seit langem intensiv zusammen6. Das Recht der inneren Sicherheit ist hinter dieser Entwicklung zurückgeblieben. Während insbesondere Strukturen der organisierten Kriminalität grenzüberschreitend kooperieren 7, ist das Sicherheitsrecht traditionell durch eine starke Betonung der einzelstaatlichen Souveränität gekennzeichnet8. Doch zeichnet sich in der Politik ein Wandel des Souveränitätsverständnisses ab: "Denn im heutigen Europa bedeutet Souveränität weniger die Fähigkeit zum Schutz der Grenzen, sondern die Fähigkeit, ihre Öffnung zu handhaben. Diese Herausforderungen bekommen eine immer größere Dimension, die über nationale Grenzen hinwegreicht. Mit Hilfe neuer technologischer Mittel betreiben Drogenhändler, Terroristen und Kriminelle ihre illegalen Geschäfte längst über nationale Grenzen hinweg. Die innere Sicherheit in Europa erfordert die Schaffung eines einheitlichen Rechtsraumes."9 Angesichts der fortbestehenden Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen braucht die grenzüberschreitende Kooperation in diesem Bereich in besonderem Maße flexible Strukturen, die allerdings in Konflikt mit dem überkommenen völkerrechtlichen Souveränitätsdenken geraten können. Aufgabe des Kooperationsrechts ist es, solche Konflikte zu verhindern, oder sie rechtlich faßbar zu machen und einem Mechanismus zur Klärung zu unterwerfen.
5 Zu dieser Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270; ansatzweise auch Scheuing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 289 (331 ff); zur horizontalen Amtshilfe der EG-Mitgliedstaaten Meier, EuR 1989, 237. 6 Grundlage der Zusammenarbeit sind zahlreiche bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen sowie für die EG-Staaten die zur Ausfuhrung der EG-Amtshilfe- (Richtlinie (EWG) Nr. 77/799 des Rates vom 19. Dezember 1977, ABl. 1977 Nr. L 336, S. 15) und Beitreibungsrichtlinie (Richtlinie (EWG) Nr. 76/308 des Rates vom 15. März 1976, ABl. Nr. L 73, S. 18) erlassenen nationalen Rechtsvorschriften. 7 Pitschas, in: ders., Politik und Recht, S. 4, hebt die günstigen Rahmenbedingungen für die "Globalisierung der Kriminalität hervor". 8 Vgl. Pitschas, NVwZ 1994, 625: "Polizeirecht ist Souveränitätsrecht". 9 Erklärung der Außenminister Kinkel (Deutschland) und Dini (Italien) zur Justizund Innenpolitik in der Europäischen Union, FAZ v. 21.2.1997, S. 6.
II. Dimensionen der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit
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II. Dimensionen der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit Wirksame zwischenstaatliche Kooperationsmechanismen benötigen rechtliche Rahmenbedingungen, die die Kooperation ermöglichen und steuern (1.), ebenso wie die tatsächliche Bereitschaft der beteiligten Personen, die rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen und auszuschöpfen (2.).
1. Rechtliche Ebene Die Kooperation der EU-Staaten findet auf verschiedenen rechtlichen Ebenen statt. Neben den klassischen völkerrechtlichen Vereinbarungen mit Nachbarstaaten 10 gewinnt die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres nach Titel V I des EU-Vertrages an Bedeutung. Das EuropolÜbereinkommen 11 liegt den EU-Staaten zur Ratifizierung vor. Das Europäische Polizeiamt Europol soll als zentrale Verbindungsstelle die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden, insbesondere den Datenaustausch, fördern. An der Schnittstelle zwischen reinem Völkerrecht und Europäischer Union bewegen sich die Vertragsstaaten der Schengener Übereinkommen 12. Ziel dieser Übereinkommen ist nicht die Errichtung einer gemeinsamen Polizeistelle, sondern die Förderung der Zusammenarbeit der nationalen Behörden. Es steht außer Zweifel, daß Verbesserungen in dieser Hinsicht erforderlich sind 13 . Die Kooperation im Rahmen von "Schengen" beruht derzeit auf völker-
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Vgl. Wittkämper/Krevert/Kohly Innere Sicherheit, S. 125 ff. Rechtsakt des Rates vom 26. Juli 1995 über die Fertigstellung des Übereinkommens aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Übereinkommen), ABl. Nr. C 316/1. 12 Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 14. Juni 1985, GMB1. 1986, S. 79, (Schengen I) sowie Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19. Juni 1990, BGBl. 1993 II, S. 1010 (SDÜ). 13 Vgl. nur Kruizinga, in: Morie/Murck/Schulte, Europäische Polizei, S. 180 ff, der - neben anderen Beispielen - von einem Team niederländischer Polizeibeamter berichtet, das bei einem Einsatz in Belgien von der dortigen Gendarmerie festgenommen, verhört und schließlich für eine Nacht im Gefängnis behalten wurde, bevor es der niederländischen Gerichtsbarkeit übergeben wurde. Die Festnahme beruhte auf einer mangelhaften Koordination des Vorgehens der diversen belgischen Polizeibehörden untereinander. 11
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A. Einleitung
rechtlichem Vertrag ohne institutionelle Einbettung in die Europäische Union 14 . Gleichwohl ist das Modell "Schengen" für die Fortentwicklung der Kooperation innerhalb der Union von erheblicher Bedeutung, wurde es doch von Beginn an als Vorläufer und "Schrittmacher" der EU angesehen15. Europol und Schengen stehen als zwei Modelle für die künftige polizeiliche Zusammenarbeit der EU-Staaten. Sie bilden gleichzeitig die Grundlage für die Fortentwicklung der Zusammenarbeit in anderen, von der Öffentlichkeit und der Politik weniger beachteten Bereichen des Sicherheitsrechts. Namentlich die Zusammenarbeit im Zollwesen orientiert sich an den im Schengener Übereinkommen gefundenen Lösungen. Schengen und Europol stehen für gegenläufige Tendenzen der "Föderalisierung" 16 und "Zentralisierung". Der Begriff "Föderalisierung" soll in diesem Zusammenhang im Sinne einer verstärkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nationaler Behörden verstanden werden. Hingegen steht das Modell "Europol" im Hinblick auf die Zukunft für die Schaffung einer zentralen Poizeieinheit. Die Frage nach der Weiterentwicklung der EU ist in der Phase vor der Regierungskonferenz 1996 kontrovers diskutiert worden. Angesichts divergierender Auffassungen der Mitgliedstaaten sind im Bereich der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit durchgreifende Änderungen durch diese Konferenz nicht zu erwarten gewesen17. Der Vertrag von Amsterdam sieht zwar eine Eingliederung der Schengener Übereinkommen in den Rechtsrahmen der Europäischen Union vor, läßt aber im übrigen die Struktur der Kooperation weitgehend unberührt. Die Entscheidung über künftige Kooperationsformen wird nicht zwischen "Zentralisierung" und "Föderalisierung" gefällt werden, sondern beide Tendenzen beinhalten und fortentwickeln. Die Bedeutung der Schengener Abkommen bleibt erhalten 18 und wird als Vorbild für die Zusammenarbeit mit anderen Staaten möglicherweise noch 14
Dazu Bonnefoi, Sécurité Intérieure, S. 82 f.; zu den Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam unten B II. 6. 15 Schengen - Notiz der deutschen Präsidentschaft, SCH/Com-ex (94) 22, S.20; Kanther, Vorwort, in: BMI, Das Schengener Abkommen; Theys, Das Schengener Abkommen, S. 9: "Es ist klar, daß alles was auf der Ebene von Schengen erdacht, ausgearbeitet und investiert worden ist, die spätere Einverleibung in die europäische Union vorsieht..."; vgl. auch Bieber, NJW 1994, 295; Bonnefoi, Sécurité Intérieure, S. 72, 82 ff; zum Verhältnis des SDÜ zur EG vgl. Epiney, in: Achermann/Bieber/ Epiney/Wehner, Schengen, S. 30 ff; O'Keeffe, YEL 1991, 185 ff. 16 Begriff nach Groß, JZ 1994, 596. 17 Zur Diskussion im Vorfeld der Regierungskonferenz Lobkowics, in: Müller-Graff, Europäische Zusammenarbeit, S. 53 ff. 18 Vgl. Europäische Kommission, Regierungskonferenz 1996 - Bericht der Kommission an die Reflexionsgruppe, Rdnr. 118, S. 51: "Die institutionellen und rechtlichen Instrumente der Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik sind ihrer Natur nach zwischen dem klassischen Gemeinschaftssystem und der einfachen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, die allerdings nach wie vor eine beherrschende Rolle spielt, angesiedelt." (Hervorhebung durch d. Verf.)
II. Dimensionen der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit
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zunehmen19. Die Form der völkervertraglichen Zusammenarbeit im sensiblen Bereich der nationalen Souveränität 20 beläßt die Entscheidung über eine Ausweitung der Kooperation bei den Staaten.
2. Kulturelle und emotionale Ebene Die rechtlichen Rahmenbedingungen dürfen im Hinblick auf eine wirksame Kximinalitätsbekämpfung nicht isoliert bewertet werden. In ihre Betrachtung fließen kulturelle, emotionale und politische Momente ein. Die polizeiliche Zusammenarbeit wird einerseits als erwünschte Reaktion auf die zunehmende Bedrohung durch europa- und weltweit agierende Kriminalität angesehen, doch gleichermaßen von Ängsten hinsichtlich der mangelnden Transparenz der Kooperation und unkontrollierter Datenströme begleitet. Auf dem Politikfeld der öffentlichen Sicherheit ist insoweit ein "Ziel- und Wertekonflikt" beobachtet worden 21 . Gleichwohl schreitet die Europäisierung 22 im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit voran 23 . Informelle und operationelle Kontakte der nationalen Behörden werden institutionalisiert und intensiviert. Doch verläuft die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht reibungslos: "Der Umgang mit den aus der je unterschiedlichen kulturellen Prägung der Verwaltungen resultierenden Besonderheiten dieser polizeilichen Zusammenarbeit bleibt bisher weitgehend unvorbereitet. Er führt damit immer wieder zu Schwierigkeiten der grenzüberschreitenden Kooperation der Sicherheitsbehörden im europäischen Integrationsraum. Gleichzeitig zeigt sich, daß die bisherigen Formen einer Kooperation auf rechtlicher und technisch-organisatorischer Ebene die Effizienzdefizite der Zusammenarbeit in einem europäischen Sicherheitsraum nicht beseitigen. Sie können den Schutz der inneren Sicherheit nur unzureichend verbessern, weil es nicht gelingt, kulturelle Hindernisse der Zusammenarbeit zu erkennen und auszuräumen."24
19 Bundesministerium des Innern (BMI), Jahresbericht, S. 22, 23: Die schrittweise Einführung der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile ist mit Polen bereits im Grundsatz anvisiert. 20 Vgl. Benyon/Turnbull/Willis/Woodward/Beck, Police Co-operation, S. 7 f.; Benyon, Internal Affairs 1994, 497 (515); auf die Schwierigkeiten, die die Aufgabe staatlicher Souveränität bereitet, weist auch der Bericht der Reflexionsgruppe Messina vom 5.12.1995 (DOC/95/8), Rz. 47, hin. 21 Morie/Murck/Schulte, in: dies., Europäische Polizei, S. 9. 22 Der Begriff "Europäisierung" ist hier nicht institutionell im Sinne einer Eingliederung in die EG/EU, sondern rein funktionell zu verstehen. 23 Pitschas, Innere Sicherheit, S. 9 ff., leitet aus Art. 5 EMRK (Recht auf Sicherheit) sogar eine Verpflichtung der europäischen Staaten zur Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung ab. 24 Pitschas/Koch, Kriminalistik 1997, 45. 3 Harings
A. Einleitung
34
Dieser Befund zeigt, daß Recht als Integrationsfaktor in der Praxis außerrechtlichen Einflüssen ausgesetzt ist, die gerade im Bereich der inneren Sicherheit seine Wirkungen in erheblichem Maße beeinflussen können. Der Abbau kultureller Hindernisse kann jedoch nicht durch das Recht selbst erfolgen, sondern nur durch die Begegnung mit der Kultur und den Menschen des anderen Staates. Die Rahmenbedingungen dafür muß die Politik gestalten. Internationale Zusammenarbeit der europäischen Staaten bei der Kriminalitätsbekämpfung erfordert Übereinstimmimg in den Grundvorstellungen von innerer Sicherheit und den Zielsetzungen der Kooperation 25. Diese Arbeit konzentriert sich - unter größtmöglicher Berücksichtigung der täglichen Praxis - auf die rechtlichen Strukturen der Kooperation.
III. Der Mangel gerichtlicher Kontrolle Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft hat der Europäische Gerichtshof die Art. 164 ff. EGV zu einem kohärenten Rechtsschutzsystem in Gemeinschaftsangelegenheiten entwickelt. Er betrachtet die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts 26, der sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergebe und in den Artikeln 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sei 27 . Im Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit nach dem EU-Vertrag, noch mehr jedoch im Bereich der völkerrechtlichen Zusammenarbeit, fehlen Grundlinien eines wirksamen Rechtsschutzes28. Das Schengener Durchführungsübereinkommen ist deshalb ebenso Gegenstand heftiger Kritik 2 9 wie der Gesamtbereich der Kooperation unter Titel V I des EU-Vertrages 30. Die erhobene Kritik bleibt jedoch zumeist pauschal, ohne die vermißten gerichtlichen Kompetenzen im einzelnen zu benennen. Zwischen drei Ebenen der Zuständigkeit gerichtlicher Instanzen ist zu differenzieren: Im Mittelpunkt der politischen Diskussion steht in aller Regel die Befugnis einer über-
25
Pitschas , in: ders., Recht und Politik, S. 5. Vgl. dazu Zuleeg, NJW 1994, 545. 27 EuGH, Slg. 1987,4097 (Heylens); Slg. 1986, 1651 (Johnston). 28 Dazu Schmidt-Aßmann, Bernhardt-FS, 1995, 1283 (1303). 29 Vgl. O'Keeffe , YEL 1991, 185 (212): "The leitmotif of the criticism of the Schengen Convention is that it provides for no independent judicial or parliamentary control"; Benyon , Internal Affairs 1994, 497 (506); Swart , in: H. Meijers u.a., Schengen, S. 102 f.; Woltjer, MJ 1995, 256 (261). 30 Den Boer , CML Rev. 1995, 555 (563); O'Keeffe , CML Rev. 1995, 893 (908); Middeke/Szczekalla , JZ 1993, 284 (291); Foerster , in: Heckmann/Tomei, Freizügigkeit, S. 42. 26
III. Der Mangel gerichtlicher Kontrolle
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geordneten Instanz zur Streitentscheidung zwischen den Vertragsstaaten oder, bei Schaffung eines eigenverantwortlich handelnden Organs, zwischen diesem und den Vertragsstaaten. Wird im Rahmen der Zusammenarbeit eine eigene Organisation mit ihr unterstellten Beamten geschaffen, muß auch Rechtsschutz der Bediensteten gegen Maßnahmen der Organisation gesichert sein. Dazu hat sich im Rahmen des Völkerrechts die Einrichtung internationaler Verwaltungsgerichte bewährt 31 . Das aus der Sicht des Bürgers wesentlichste Element der gerichtlichen Kontrolle ist jedoch ein wirksamer Individualrechtsschutz gegen Maßnahmen aufgrund zwischenstaatlicher Übereinkommen und insbesondere gegenüber Internationalen Organisationen. Auf den insoweit bestehenden Mangel hat Carlos Robles Piquer, der Präsident des Europäischen Parlaments zutreffend hingewiesen32: "Another weak link in Title VI is legal protection. ... In that framework the power of Jurisdiction formally lies with the national courts, although they of course have no responsibilities outside their own national area of jurisdiction." Diese Arbeit beschäftigt sich vornehmlich mit dem angesprochenen Bereich des Individualrechtsschutzes. Die zunehmende polizeiliche Kooperation stellt die Rechtsschutzsysteme der Vertragsstaaten vor neue Herausforderungen. Es wird bezweifelt, ob die nationalen Gerichte in der Lage sind, wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten. Individualschutz und Völkerrecht scheinen nicht immer miteinander vereinbar zu sein. Die Anforderungen an wirksamen Rechtsschutz in Deutschland sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert worden 33 . Im Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit muß ein adäquates Rechtsschutzsystem jedoch neben der Wirksamkeit des Individualschutzes die Interessen des völkerrechtlichen Verkehrs berücksichtigen 34.
31
Errichtet wurden z.B. Verwaltungsgerichte bei den Vereinten Nationen, der Internationalen Arbeitsorganisation und der Weltbank sowie Beschwerdeausschüsse bei OECD und Europarat; eingehend dazu Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 171 ff; für Streitigkeiten zwischen der EG und ihren Bediensteten (Art. 179 EGV) ist die Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz begründet, vgl. Art. 3 des Beschlusses zur Errichtung des Gerichts vom 24.10.1988, ABl. Nr. L 319/1. 32 European Parliament, Comittee on Civil Liberties and Internal Affairs, Report on Cooperation in the field of justice and internal affairs under the Treaty on European Union (Title VI and other provisions), EP Documents 1993/215 A 3, Ziff. 40. 33 Dazu Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl., Rn. 152 ff. 34 Schmidt-Aßmann, Bernhardt-FS, 1995, 1283 (1303). 3*
36
A. Einleitung
IV. Gang der Untersuchung Nach einem Überblick über die Struktur der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit der EU-Staaten konzentriert sich die Arbeit auf die Untersuchung dreier ausgewählter Kooperationsbereiche: die Schengener Übereinkommen, die Zusammenarbeit im Zollwesen und das Europol-Übereinkommen. Da der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Amsterdamer Vertrages derzeit noch ungewiß ist 35 , wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit auf eine durchgängige Einarbeitung der dort beschlossenen Änderungen verzichtet. Auf maßgebliche Neuerungen und deren Konsequenzen wird jeweils im Text hingewiesen. Der erste Teil endet mit einem vergleichenden Kapitel, das Gemeinsamkeiten und Unterschiede der vorgestellten Übereinkommen untersucht. Im Mittelteil der Arbeit rückt der Rechtsschutz in Deutschland in den Vordergrund. Ausgehend von den Rechtsschutzgarantien des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention werden die Anforderungen an wirksamen Rechtsschutz herausgearbeitet. Nachdem die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen sicherheitsbehördliche Eingriffsakte der deutschen öffentlichen Gewalt dargestellt worden sind, öffnet sich die Arbeit wieder einer internationalen Perspektive am Beispiel des Rechtsschutzes im Rechtshilferecht. Gegenstand eines Rechtsschutzbegehrens ist auch dort ein deutscher Hoheitsakt, der allerdings Auslandswirkungen entfaltet. Im Rahmen der Kooperation werfen jedoch zunehmend nicht-deutsche Hoheitsakte Rechtsschutzprobleme auf. Deshalb wird anschließend in einem Kapitel untersucht, ob auch solche Akte von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erfaßt werden. Dieses Kapitel bildet den Übergang zum dritten Teil, der die Rechtsschutzmöglichkeiten in den vorgestellten Übereinkommen anhand konkreter Fallkonstellationen untersucht. Erst anhand dieser Untersuchung kann beurteilt werden, ob die sicherheitsbehördliche Zusammenarbeit in Europa unter Wahrung der Belange eines wirksamen Individualrechtsschutzes stattfindet. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Ausblick auf die Entwicklungsperspektiven des Rechtsschutzes im Bereich der dritten Säule des EU-Vertrages.
"Änderungen des Primärrechts der Europäischen Union bedürfen der Ratifikation durch die Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften. Erst danach können sie in Kraft treten.
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Die Formen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit wurzelten zunächst im klassischen Völkerrecht, bevor sie unter Titel V I des EU-Vertrages zusammengefaßt wurden. Der folgende Abschnitt stellt, ausgehend von den klassischen Kooperationsvorgängen und -strukturen des Völkerrechts, die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres nach Titel V I EUV dar. Anschließend werden die Schengener Übereinkommen, die Zusammenarbeit im Zollwesen und das Europol-Übereinkommen thematisiert und in einem Teil B abschließenden Kapitel Unterschiede und Gemeinsamkeiten analysiert.
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit Die polizeiliche, strafrechtliche und zollbehördliche Zusammenarbeit der Staaten findet sowohl auf der Ebene des traditionellen Völkerrechts als auch, seit Inkrafttreten des EU-Vertrages, unter dessen Titel V I statt. Um die Besonderheiten der in dieser Arbeit thematisierten Übereinkommen erfassen zu können, wird zunächst ein Überblick über die herkömmlichen Kooperationsformen der Zusammenarbeit gegeben. Anschließend erfolgt eine Darstellung der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres nach Titel V I EUV.
1. Klassisches Völkerrecht a) Rechtlicher Rahmen Den rechtlichen Rahmen der traditionellen Zusammenarbeit bilden multiund bilaterale völkerrechtliche Übereinkommen. Diese beschränken sich nicht auf die sicherheitsbehördliche Zusammenarbeit im engeren Sinne, sondern betreffen insbesondere den Bereich des Auslieferungs- und Rechtshilferechts. Das Schengener Durchfíihrungsübereinkommen (SDÜ) 1 ist ein solches multilaterales völkerrechtliches Übereinkommen, das verschiedene Rechtsgebiete in
1
BGBl. 1993 II, S. 1010.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
sich vereint. Es nimmt allerdings insoweit eine Sonderstellung ein, als nach Art. 140 SDÜ nur Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften dem Übereinkommen beitreten können2. Weit verbreitet in der Praxis ist zudem die polizeiliche Zusammenarbeit ohne vertragliche Grundlage 3. aa) Multilaterale Vereinbarungen (1) Interpol Die Zusammenarbeit der Staaten im Rahmen der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (IKPO/Interpol) war bis zum Inkrafttreten des SDÜ die wichtigste Form der Kooperation. Interpol ist eine Vereinigung nationaler Polizeibehörden (nicht: Staaten). Ihre Gründung geht auf das Jahr 1923 zurück. Zum zweiten internationalen Polizeikongreß kamen Teilnehmer aus zwanzig Staaten nach Wien und beschlossen die Errichtung einer Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission (IKPK) zur Bekämpfung des internationalen Verbrechertums. 1956 gaben sich die Mitglieder der Kommission eine neue Satzung und änderten den Namen der Vereinigung in Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO). Im öffentlichen Sprachgebrauch hat sich der Name Interpol eingebürgert. Mittlerweile werden 177 Staaten von der Zusammenarbeit erfaßt 4 und jährlich rund eine Million Nachrichten ausgetauscht5. Ziel der Organisation ist die gegenseitige Unterstützung der nationalen Kriminalpolizeibehörden 6. Interpol trägt im Rahmen der bestehenden nationalen und internationalen Vorschriften dazu bei, die Zusammenarbeit der nationalen Behörden zu intensivieren und zu beschleunigen7. Sie unterhält dazu eigene
2 Da nicht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vertragsstaaten des SDÜ sind, spricht Schreckenberger, VerwArch 88 (1997), 389 (400), von "partiellem Unionsrecht"; diese Bezeichnung darf allerdings nicht dahingehend verstanden werden, als seien die rechtlichen Grundlagen der Schengen-Zusammenarbeit - vor Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages - in der Europäischen Union zu finden, vgl. Woltjer, MJ 1995, 256 (259). 3 Wittkämper/Krevert/Kohl, Innere Sicherheit, S. 117; Endres, Verbrechensbekämpfung, S. 171 ff. zum sog. "kleinen Grenzverkehr"; vgl. auch Swart, Police and Security, S. 101, sowie Fijnaut, Police Cooperation, S. 121 ff. 4 So der Leiter der Polizeiabteilung von Interpol, Paul Higdon, auf einem Kongreß über die organisierte Kriminalität, vgl. FAZ Nr. 117 vom 23.5.1997, S. 8; siehe auch Sturm, Kriminalistik 1997, 99. 5 Wittkämper/Krevert/Kohl, Innere Sicherheit, S. 138. 6 Siehe zu Interpol Wehner, Terrorismus, S. 161 ff., sowie Endres, Verbrechensbekämpfung, S. 13 ff.; kritisch Daum, JZ 1980, 798; Riegel, JZ 1982, 312 (316 ff.); ders., DVB1. 1984, 986. 7 Näher zu den Arbeitsschritten bei der Interpol-Fahndung Wehner, Terrorismus, S. 167 f., sowie dies., in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, Schengen, S. 152.
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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Datenbanken und wertet die ihr übermittelten Informationen aus8. Selbständige Ermittlungsbefugnisse kommen ihr nicht zu. Daraus folgert die wohl herrschende Meinung in der Literatur, daß eine Übertragung nationaler Hoheitsrechte nicht erfolgt und angesichts des Charakters als "Weltorganisation" kaum möglich sei9. Auch sieht sie Interpol nicht als supranationale Organisation an, obwohl die Tätigkeit Beeinträchtigungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger mit sich bringt 10 . Die Speicherung, Übermittlung und Verarbeitung personenbezogener Daten zur Verbrechensbekämpfung ist als polizeiliche Tätigkeit eine klassische hoheitliche Aufgabe 11 . Würde etwa das Bundeskriminalamt seiner begrenzten Befugnisse zur Durchfuhrung eigener Ermittlungen enthoben und nur noch als Zentralstelle für den Informationsaustausch der Länderpolizeien tätig, bestünde gleichwohl kein Zweifel an der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben. Die Tätigkeit von Interpol kann nicht anders bewertet werden, nur weil Interpol die gleiche Aufgabe im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit wahrnimmt. (2) Auslieferungs-
und Rechtshilfeverträge
Die Arbeit von Interpol baut rechtlich auf den bestehenden bilateralen und multilateralen Vereinbarungen der Staaten auf 12 . Bedeutsam für die Durchführung von Maßnahmen sind insbesondere das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 195713 sowie das Europäische Rechtshilfeübereinkommen vom 20. April 195914. Beide Übereinkommen 15 werden ergänzt
8
Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 37. Vgl. nur Wehner, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, Schengen, S. 151. 10 Vgl. etwa Tomuschat, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 24 Rdnr. 117a; Rojahn, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 24 Rdnr. 42; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 24 Rdnr. 32; a.A. hingegen Eick/Trittel, EuGRZ 1985, 81 (83); verfassungsrechtliche Bedenken äußert auch Merk,, BayVBl. 1980, 676. 11 Eick/Trittel, EuGRZ 1985, 81 (82 f.); wohl auch Randelzhofer, Schlochauer-FS, S. 531 (532, 554). 12 Vgl. nur BGHSt 27, 383 ff. (386) zur Rechtsnatur eines über Interpol eingehenden Ersuchens. 13 BGBl. II 1964, 1369; II 1976, 1778; I 1982, 2071; beachte dazu das 2. Zusatzprotokoll, BGBl. II 1990, 118, II 1991, 874, sowie das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977, BGBl. II 1978, 321, 907. 14 BGBl. II 1964, 1386, II 1976, 1799, I 1982, 2021, sowie das Zusatzprotokoll hierzu, BGBl. II 1990, 124, II 1991, 909. 15 Eine Schnellübersicht über die Partnerstaaten ist abgedruckt bei Schomburg, NJW 1995, 243, sowie NJW 1996, 3328; vgl. auch Schomburg/Lagodny, NStZ 1992, 353 f., sowie dies., StV 1994, 393. 9
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
durch zahlreiche bilaterale 16 sowie einige multilaterale 17 Verträge der Staaten, die die Anwendung der Übereinkommen modifizieren und erleichtern. bb) Bilaterale Vereinbarungen Jenseits der bilateralen Vereinbarungen zum Europäischen Auslieferungsund Rechtshilfeübereinkommen existieren nur wenige eigenständige Verträge über die eigentliche polizeiliche Zusammenarbeit 18. Erst in jüngerer Zeit werden Abkommen über die Bekämpfung des Terrorismus, der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels mit mittel- und osteuropäischen Staaten (Ungarn, Tschechien, Polen, Bulgarien) geschlossen19. Den Abkommen ist gemeinsam, daß sie überwiegend nicht-operative Bereiche der polizeilichen Tätigkeit erfassen 20. Im Vordergrund stehen Konsultationen und technische Fragen der Zusammenarbeit, wie die Erleichterung des Telefon- und Telefaxverkehrs der Behörden, die Entsendung von Verbindungsbeamten oder die Verbesserung der Sprachkenntnisse. Soweit der Austausch personenbezogener Informationen vorgesehen ist, gehen die Kooperationsformen in ihrer Intensität
16 Vgl. dazu den Länderteil der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt), abgedruckt in Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, Anhang L. 17 Zu nennen ist etwa das Schengener Durchführungsübereinkommen, dessen Art. 48 ff, bzw. 59 ff die Europaratsübereinkommen ergänzen; vgl. auch den Ratsentwurf eines Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 27. September 1996, ABl. Nr. C 313/11 vom 23. Oktober 1996, zu den Bemühungen der EU-Staaten um Vereinfachung des Verfahrens Grotz, in: Hailbronner, Zusammenarbeit, S. 53 ff. 18 Vgl. etwa das Abkommen mit Frankreich über die Zusammenarbeit der Polizeibehörden im deutsch-französischen Grenzbereich vom 28.11.1978, BGBl. II 1978, 1402; Abkommen mit Belgien "über die dienstlichen Beziehungen zwischen deutschen und belgischen Polizeibehörden im Grenzgebiet" vom 13./26. Januar 1960, MB1. Rheinland-Pfalz Nr. 36 v. 3.8.1960, 796; dazu Mokros, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 925. 19 Vertrag mit Ungarn vom 22.3.1991, BGBl. 1993 II, 743 (geänd. durch Vereinbarung vom 23.1.1995 und 26.6.1995, BGBl. 1995 II, 881); Vertrag mit Tschechien vom 13.9.1991, BGBl. 1993 II, 37; Vertrag mit Polen vom 6.11.1991, BGBl. 1992 II, 950 (geänd. durch Vereinbarung vom 24.1.1995 und 31.1.1996, BGBl. 1996 II, 2613); Vertrag mit Bulgarien vom 14.9.1992, BGBl. 1994 II, 1025; dazu Wittkämper/Krevert/Kohl, Innere Sicherheit, S. 125 ff., sowie zu entsprechenden Verträgen mit Staaten der ehemaligen Sowjetunion Schelter, Innenpolitische Zusammenarbeit, S. 24 (dort Fußn. 6). 20 Im Verhältnis zu Polen werden allerdings Regelungen über die grenzüberschreitende Observation und Nacheile angestrebt, vgl. BMI, Jahresbericht, S. 23; mit der Schweiz laufen Verhandlungen zur Übernahme der Art. 39 ff. SDÜ; dazu Wolters, Kriminalistik 1997, 86 (87), und Hellenthal, Kriminalistik 1997, 123 (127).
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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nicht über das Maß der in dieser Arbeit thematisierten Übereinkommen hinaus. Allerdings ist eine Tendenz zur Annäherung zu beobachten21. Anfänge der Zusammenarbeit im Zollwesen liegen in den Abkommen über die Grenzabfertigungsstellen mit Nachbarstaaten 22, die auch einige polizeirechtliche Elemente enthalten. Die Übereinkommen über die Zusammenarbeit der Zollverwaltungen sind neueren Datums 23 . Sie zielen ebenfalls in der Hauptsache auf einen verbesserten Informationsaustausch. Mit Österreich wurde 1988 ein Vertrag über die Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen 24 unterzeichnet, der einige Bereiche der Zollverwaltung ebenso betrifft wie die präventive Tätigkeit der Polizei. b) Die Zusammenarbeit im Rechtshilferecht Der Gliederung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) entsprechend werden unter dem Begriff "Rechtshilfe" hier im wesentlichen die Bereiche der Auslieferung, Vollstreckungshilfe und der sonstigen Rechtshilfe zusammengefaßt. "Rechtshilfe" (judicial Cooperation) im internationalen sicherheitsbehördlichen Verkehr bezeichnet die gesamte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung 25, nicht etwa nur Ersuchen um richterliches oder staatsanwaltschaftliches Tätigwerden. Die Polizei hat hier wenig eigene Kompetenzen. Hingegen umfaßt der Begriff "internationale Amtshilfe" die unmittelbare Zusammenarbeit der Verwaltungen (Sicherheitsbehörden) außerhalb des Bereichs der Strafverfolgung 26, auch wenn 21
Vgl. das Abkommen mit Polen vom 5. April 1995 über die Zusammenarbeit der Polizei- und Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten; ein entsprechendes Abkommen mit Tschechien ist in Vorbereitung. 22 Dazu Else Kirchhof Grenzabfertigung, S. 2 ff., 150 f.; Wittkämper/Krevert/Kohl, Innere Sicherheit, S. 118 ff.: Das erste Abkommen über die Zusammenarbeit bei den Grenzkontrollen wurde im Jahre 1955 mit Österreich geschlossen, vgl. BGBl. II 1957, 581. Es folgten Übereinkommen mit Belgien, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Luxemburg und Dänemark, im Jahre 1992 auch mit Polen. 23 Vgl. etwa den Vertrag vom 18.12.1991 zwischen Deutschland und Ungarn über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen (BGBl. 1993 II, S. 115), einen entsprechenden Vertrag vom 29.7.1992 mit Polen (BGBl. 1994 II, S. 93), mit Rußland (Vertrag vom 16.12.1992, BGBl. 1994 II, 1052) sowie mit Tschechien (Vertrag vom 19.5. 1995, BGBl. 1996 II, 1066); dazu Borchmann, NJW 1994, 3057, sowie NJW 1997, 101. 24 BGBl. 1990 II, S. 358. 25 Insoweit wird nicht zwischen Rechts- und Amtshilfe unterschieden, vgl. Nr. 2 RiVASt; Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 65; Mokros, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 917 f.; zum innerstaatlichen Recht siehe etwa Kopp, VwVfG, § 4 Rdnr. 5; Schlink, Amtshilfe, S. 43. 26 So auch Mokros, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 918, der strikt zwischen internationaler Rechts- und Amtshilfe trennt; anders Riegel, BayVBl. 1985, 135.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
beide Aufgabenbereiche oftmals eng verbunden sind 27 . Das Recht der Auslieferung und der sonstigen Rechtshilfe wird im folgenden exemplarisch für die klassischen Formen der völkerrechtlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der inneren Sicherheit skizziert. aa) Auslieferungsrecht Die Auslieferung ist die wichtigste und die für den Betroffenen belastendste Rechtshilfemaßnahme 28. Entsprechend der überwiegenden Praxis beginnt die Darstellung des Verfahrens hier nicht erst mit dem eigentlichen Auslieferungsersuchen, sondern schließt bereits die Fahndimg über Interpol ein. (1) Ausgehende Ersuchen Das Verfahren bei ausgehenden Ersuchen beginnt mit einem schriftlichen Fahndungsersuchen, das die in Deutschland zuständige Polizei- oder Justizbehörde unter Vermittlung des Landeskriminalamtes 29 an das Bundeskriminalamt als nationales Zentralbüro von Interpol sendet30. Neben einem vollstreckbaren Haftbefehl muß die verbindliche Zusicherung der Staatsanwaltschaft vorliegen, im Falle der Ermittlung der gesuchten Person ein Auslieferungsersuchen zu stellen31. Das Bundeskriminalamt prüft das Fahndungsersuchen auf seine Vollständigkeit und die Vereinbarkeit mit nationalem Recht. In der Regel findet auch, soweit dies möglich ist, eine Prüfung dahingehend statt, ob die erbetene Maßnahme mit dem Recht des ersuchten Staates nicht offensichtlich unvereinbar ist, damit nicht von vorneherein erfolglose Ersuchen abgesandt werden. Verläuft die Prüfung positiv, wird das Fahndungsersuchen in französischer Sprache an das Interpol-Generalsekretariat in Paris weitergeleitet, das die internationale Fahndung veranlaßt, oder auf direktem Weg dem nationalen Zentralbüro des Zielstaates übermittelt. Im Falle eines Fahndungserfolges im Ausland erfolgt eine Rückmeldung wiederum über die Vermittlung durch Bundes- und Landeskriminalamt an die ausschreibende Dienststelle32.
27 Polimeni , Judicial Cooperation, S. 53: " 'police cooperation' and 'judicial cooperation* are strictly correlated matters", sowie Scheller , Ermächtigungsgrundlagen, S. 8 ff. 28 Vgl. auch Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 25. 29 Vgl. Nr. 6 RiVASt. 30 Dazu Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 52; Endres, Verbrechensbekämpfung, S. 30 ff, sowie Nr. 25 ff, 85 ff. RiVASt. 31 Nr. 85 Abs. 4 RiVASt. 32 Zum Verfahren bei Eilfällen Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 49; Endres, Verbrechensbekämpfung, S. 37 ff.
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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Mit dieser Rückmeldung ist die Fahndung erfolgreich abgeschlossen. Es ist nunmehr ein formelles Auslieferungsersuchen zu erstellen und auf dem vorgesehenen Weg 33 an die zuständige Behörde des ersuchten Staates zu übermitteln. Erst nach der Entgegennahme des Beschuldigten durch deutsche Beamte wird die internationale Fahndung gelöscht. (2) Eingehende Ersuchen In Deutschland eingehende Fahndungsersuchen ausländischer Behörden werden vom Bundeskriminalamt auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft. Verläuft die Prüfung positiv 34 , trifft das Bundeskriminalamt im Rahmen seiner Zuständigkeit die erforderlichen Maßnahmen, z.B. die Ausschreibung der gesuchten Person zur Fahndung. Aufgrund des ausländischen Fahndungsersuchens kann der Beschuldigte gemäß § 16 IRG in vorläufige Auslieferungshaft genommen werden. Über die Haft entscheidet nach den §§ 13 f£ IRG das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk der Verfolgte festgenommen wurde, oder, falls eine Festnahme noch nicht erfolgt ist, zuerst ermittelt wird. Von einer erfolgten Festnahme wird die ausschreibende ausländische Behörde gemäß Nr. 38 RiVASt benachrichtigt. Es liegt dann an dieser, ein förmliches Auslieferungsersuchen zu übermitteln. Mit Eingang des Auslieferungsersuchens in Deutschland beginnt das förmliche Auslieferungsverfahren. Dieses ist aufgeteilt in das gerichtliche Zulässigkeitsverfahren und das Bewilligungsverfahren. Das gerichtliche Verfahren vor dem OLG ist als Offizialverfahren ausgestaltet. Seine Durchfuhrung ist unabhängig von einem Antrag des Betroffenen 35. Es dient der Rechtmäßigkeitskontrolle und dem Rechtsschutz des Verfolgten 36 , aber auch der "außenpolitischen
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Dies ist nach Art. 12 Abs. 1 EuAuslÜbk der diplomatische Weg; für die Vertragspartner des 2. Zusatzprotokolls steht darüberhinaus der ministerielle Geschäftsweg über die Justizministerien offen. 34 Zu den materiellen Voraussetzungen Singer , Rechtshilfeverkehr, S. 54, von Bubnoff Auslieferung, S. 44 ff., sowie Art. 2 ff. EuAuslÜbk. 35 Der Betroffene kann zwar durch seine Zustimmung zu einem vereinfachten Auslieferungsverfahren auf das gerichtliche Verfahren verzichten. Trotz dieses Verzichts kann die Staatsanwaltschaft jedoch eine Entscheidung des OLG beantragen, vgl. §§ 29, 41 IRG sowie Nr. 40, 49 RiVASt. 36 von Bubnoff, Auslieferung, S. 23; die der exekutivischen Entscheidung vorgelagerte gerichtliche Zulässigkeitsprüfung ist vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG nicht unproblematisch, da dieser "Rechtsschutz als Kontrolle" versteht, in dem die Verwaltungsentscheidung vergleichend nachzuvollziehen ist; primäres richterliches Entscheiden genügt grundsätzlich nicht, vgl. Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617
(618).
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Rückendeckung"37 des Staates, der sich außenpolitisch auf die Entscheidung des unabhängigen Gerichts berufen kann, um eine Verweigerung der Auslieferung zu rechtfertigen. Das OLG prüft, ob die unverzichtbaren rechtlichen Voraussetzungen für eine Auslieferung vorliegen. Die Erteilung der Bewilligung obliegt als Akt außenpolitischen Grundsatzermessens grundsätzlich der Bundesregierung. Nach § 74 IRG entscheidet der Bundesminister der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt. Eine Übertragung dieser Kompetenz auf die Landesregierungen ist zulässig und in weitem Umfang erfolgt 38 . Nach § 12 IRG ist die Bewilligungsbehörde an eine gerichtliche Entscheidung gebunden, die die Auslieferung für unzulässig erklärt 39 . Erachtet das OLG hingegen die Auslieferung für zulässig, kommt dem Richterspruch nur gutachterliche Bedeutung zu 40 . In diesem Fall trifft die Bewilligungsbehörde eine eigene Ermessensentscheidung. Sie hat die Voraussetzungen für die Auslieferung und möglicherweise entgegenstehende Auslieferungshindernisse erneut zu prüfen. In die Entscheidung fließen politische Zweckmäßigkeitserwägungen ein. Aus Gründen der außenpolitischen Handlungsfreiheit wird der Bewilligungsbehörde ein weiter Ermessensspielraum zugestanden41. bb) Sonstiges Rechtshilferecht Das Verfahren der sonstigen Rechtshilfe ist gegenüber dem Auslieferungsverfahren stark vereinfacht 42, da die sonstige Rechtshilfe in ihrer Intensität hinter der Auslieferung zurückbleibt und der Begriff "sonstige Rechtshilfe" die verschiedensten Maßnahmen umfaßt. Darunter fallen z.B. die Erteilung von Auskünften, Zustellungen von Ladungen an Beschuldigte und Zeugen, die Vornahme von Untersuchungshandlungen, insbesondere Vernehmungen, aber auch Post- oder Telefonüberwachungen, die Abnahme von Fingerabdrücken oder die Übernahme einer Observation an der Grenze 43. 37
Schomburg/Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, Einl. Rdnr. 84 ff.; Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 12 Rdnr. 7. 38 Vgl. dazu die Zuständigkeitsvereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen vom 1. Juli 1993, abgedruckt bei Grützner/Pötz, Rechtshilfeverkehr, Anhang I A 3. 39 Vogler, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr. 4. 40 Schomburg/Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, Einl. Rdnr. 70 f.; Von Bubnoff, Auslieferung, S. 24. 41 BVerfGE 63, 215 (226); Graßhof/Backhaus, EuGRZ 1996, 445. 42 Vgl. Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 74. 43 Vgl. Wilkitzki, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 59 Rdnr. 16 ff.; Lagodny, in: Uhlig/ Schomburg/Lagodny, IRG, § 59 Rdnr. 45 ff; Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 27.
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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(1) Ausgehende Ersuchen Soweit ein Gericht oder eine Behörde nach innerstaatlichem Recht 44 zu der Auffassung gelangt, die Rechtshilfehandlung eines ausländischen Staates sei erforderlich, regt sie bei der nach § 74 zuständigen Behörde die Stellung eines Rechtshilfeersuchens an 45 . Diese Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Ersuchen gestellt wird oder nicht. Sie übermittelt gegebenenfalls das Ersuchen auf dem vorgesehenen Weg der zuständigen Stelle des ersuchten Staates46. (2) Eingehende Ersuchen Da die §§59 ff. IRG - im Gegensatz zum Auslieferungsrecht - kein Offizialverfahren vorsehen, entscheidet über die Gewährung der Rechtshilfe allein die Bewilligungsbehörde 47. Davon zu unterscheiden ist die Vornahmebehörde, bzw. das Vornahmegericht, das die zur Erledigung des Ersuchens erforderlichen Maßnahmen trifft. Korrespondierend zur Trennung von Bewilligungsund Vornahmebehörde wird unterschieden zwischen Leistungs- und Vornahmeermächtigung 48. Die Leistungsermächtigung betrifft das Vorliegen der (innerstaatlichen und zwischenstaatlichen) Voraussetzungen zur Leistung der Rechtshilfe, während die Vornahmeermächtigung das Rechtsverhältnis zum betroffenen Bürger betrifft. Die Prüfung der Vornahmeermächtigung unterscheidet sich nicht von der Prüfung bei entsprechenden innerstaatlichen Maßnahmen ohne Rechtshilfebezug. c) Resümee Dieser kurze Überblick hat verdeutlicht, wie weit die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres vor Inkrafttreten des Maastricht-Vertrages
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Vgl. Wilkitzki, in: Vögler/Wilkitzki, IRG, vor § 68, Rdnr. 2; Schomburg , in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 68 Rdnr. 2. 45 Zum Verfahren bei ausgehenden Ersuchen Schnigula , DRiZ 1984, 177 ff. 46 Gemäß Art. 15 EuRhÜbk werden Rechtshilfeersuchen grundsätzlich von und an die jeweiligen Justizministerien übersandt; in Eilfällen ist der direkte Verkehr zwischen den Justizbehörden vorgesehen; Art. 15 Abs. 5 EuRhÜbk läßt ausdrücklich die Einschaltung von Interpol zu. 47 Vgl. § 74 IRG iVm. der Zuständigkeitsvereinbarung (oben Fußn. 38); dazu ausf. Scheller , Ermächtigungsgrundlagen, S. 85 ff. 48 Einzelheiten bei Schomburg/Lagodny , in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, Einl. Rdnr. 36 ff., sowie Lagodny , aaO., vor § 59 Rdnr. 12 ff; siehe auch Vogler , Söllner-FG, S. 598.
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B. Formen d r grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
und des Schengener Durchfuhrungsübereinkommens hinter der wirtschaftlichen Integration der europäischen Staaten zurückblieb. Unzähligen Abkommen zur justitiellen Rechtshilfe standen nur wenige Abkommen zur direkten polizeilichen Kooperation gegenüber 49. Die Komplexität der skizzierten Verfahrensabläufe schreckte zudem nicht selten von der Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Mechanismen ab 50 . Die Einsicht der europäischen Staaten in die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit bestand demgemäß schon lange vor Inkrafttreten des Maastrichter Unionsvertrages.
2. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres nach Titel V I des EU-Vertrages a) Die Entwicklung der Zusammenarbeit Der institutionalisierten Zusammenarbeit der EU-Staaten nach Titel V I des EU-Vertrages ging eine langjährige informelle Zusammenarbeit der Regierungen jenseits der Gemeinschaftseinrichtungen voraus. Bereits 1975 setzte die sogenannte TREVI51-Zusammenarbeit der Innen- und Justizminister ein 52 . Das Ziel dieser Kooperation war zunächst die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus, die jedoch später in der allgemeineren Zielsetzung der Zusammenarbeit in den Gebieten Justiz und Inneres aufging. Drei Ebenen sollten eine effektive Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Praxis gewährleisten. Als Leitungsgremium tagten auf der ersten Ebene die Innen- und Justizminister der Mitgliedstaaten. Unterhalb dieser Ebene wurde ein Ausschuß hoher Beamter eingesetzt, um die Arbeiten der Ministerrunde vorzubereiten und die Umsetzung der dort gefaßten Beschlüsse zu überwachen. Die dritte Ebene bestand aus vier Arbeitsgruppen mit folgenden Aufgabenbereichen: - AG TREVI I: Terrorismusbekämpfung. 49
So der Befund von Elsen, in: Hailbronner, Zusammenarbeit, S. 9. Vgl. auch die Bewertung von Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 3: "Schwerfälligkeit und Ineffizienz des Rechtshilfeverfahrens"; Schutte, in: Monar/Morgan, The Third Pillar, S. 181, spricht angesichts der Vielzahl der Übereinkommen und Initiativen von einem "Chaos". 51 Das Wort TREVI steht nach einer Ansicht als Abkürzung für "Terrorism, Radicalism, Extremism and Violence International", nach anderer Ansicht erinnert es nur an den Ort in der Nähe der "Fontana di Trevi" in Rom, an dem der Vorschlag zur näheren Zusammenarbeit erstmals gemacht wurde; vgl. Benyon/Turnbull/Willis/ Woodward/Beck, Police Co-operation, S. 152. 52 Dazu Bonnefoi, Sécurité Intérieure, S. 21 ff.; Benyon/Turnbull/Willis/Woodward/ Beck, Police Co-operation, S. 152 ff.; kritisch Busch, Grenzenlose Polizei, S. 306 ff. 50
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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- AG TREVI II: Öffentliche Sicherheit und Ordnung; Ausrüstung und Ausbildung der Polizei. - AG TREVI III: Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels. - AG TREVI '92: Ausgleichsmaßnahmen für den EG-Binnenmarkt. Darüber hinaus wurden zur Lösung auftretender Probleme weitere Arbeitsgruppen ins Leben gerufen 53, z.B. die Ad-Hoc Arbeitsgruppe justitielle Zusammenarbeit, das Comité Européen de Lutte Antidrogue (CELAD), die Ad-Hoc Arbeitsgruppe Einwanderung, die Gruppe für gegenseitige Amtshilfe der EGZollverwaltungen (GAM f92) und die Ad-Hoc Arbeitsgruppe Europol 54 . Im Rahmen der TREVI-Zusammenarbeit wurden keine völkerrechtlichen Übereinkünfte geschlossen. Grundlage der Kooperation waren Ministerempfehlungen, die der Umsetzung innerhalb jedes Mitgliedstaates bedurften. Der Gesamtbereich der TREVI-Zusammenarbeit ist unter Wahrung des erreichten Besitzstandes55 nach Inkrafttreten des Maastrichter Unionsvertrages in die Kooperation nach Titel V I des EU-Vertrages überfuhrt worden 56 . Die Ebene des Ausschusses hoher Beamter wird nunmehr durch den Koordinierungsausschuß nach Art. K.4 EUV besetzt57. b) Rechtsnatur ("Säule unter dem Dach der EU") In der wissenschaftlichen Diskussion hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß der EU selbst keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt 58 . Das Bundesverfassungsgericht kennzeichnet die Europäische Union als "Staatenverbund
53 Vgl. Benyon/Turnbull/Willis/Woodward/Beck, Police Co-operation, S. 161 f.; Joubert/Bevers, Rev. sc. crim. 1992, 707 (712 f.). 54 Einzelheiten zur Zusammenarbeit im Zollwesen und zu Europol unten III. und IV. 55 Dazu Degen, in: HbEuropR, Vorb. Art. K - K.9 Rdnrn. 2 ff. 56 Den Boer, CML Rev. 1995, 555; Storbeck, Verbrechensbekämpfung, S. 20 (23); eine Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft (1. Säule) für den Bereich der Betrugsbekämpfung zum Nachteil der EG findet sich in Art. 209a EGV und hat innerhalb der Kommission zur Errichtung der "Unité de coordination de la lutte antifraude" (UCLAF) geführt, dazu Kühl, Kriminalistik 1997, 105. 57 Dazu Niemeier, in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 321 ff.; Gautier, in: Constantinesco u.a., TUE, Titre VI Rdnrn. 102 ff.; Adam, Riv. dir. eur. 1994, 225 (241); eine Übersicht über die Struktur der Kooperation unter Titel VI EUV findet sich bei Den Boer, CML Rev. 1995, 555 (558), und Lepoivre, CDE 1995, 323 (339 f.). 58 Koenig/Pechstein, Europäische Union, S. 20 ff.; Lecheler, in: Ipsen u.a., Verfassungsrecht, S. 383 (390 ff.); Bleckmann, DVB1. 1992, 335; Everling, DVB1. 1993, 936; Oppermann, in: Hommelhoff/Kirchhof, Staatenverbund, S. 90; Wyatt/Dashwood, Community Law, S. 657; Hendry, GYIL 36 (1993), 295 (296); anders hingegen Ress, EuR-Beiheft 2/1995, S. 27 ff., sowie Borchardt, Europäische Union, S. 49, und v..Bogdandy/Nettesheim, EuR 1996, 3 ( 8 ff.); dagegen Pechstein, EuR 1996, 137 ff.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
zur Verwirklichung einer immer engeren Union der staatlich organisierten Völker Europas" 59. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres wird innerhalb der Union - ebenso wie die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik - dem intergouvernementalen Bereich zugeordnet 60. Rechtlich hat sich keine Änderung gegenüber der früheren Kooperation der Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) der Einheitlichen Europäischen Akte ergeben 61. Oppermann 62 spricht - in Anlehnung an das Bild der EU als Dach über den drei Säulen63 - davon, daß "allein der EGPfeiler das Gebäude vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit eines völkerrechtlichen Konstruktes wie viele andere bewahrt." Die Rechtsnatur der 3. Säule des EU-Vertrages wird demnach einerseits in Abgrenzung zum Gemeinschaftsrecht mit dem Stichwort "fehlende Supranationalität" gekennzeichnet, anderseits durch die institutionelle Einbettung von sonstigem völkerrechtlichen Handeln der Mitgliedstaaten unterschieden. aa) Fehlende Supranationalität Die beiden Säulen der intergouvernementalen Zusammenarbeit teilen nicht die Rechtsnatur des Gemeinschaftsrechts 64. Ihnen fehlt weitgehend der supranationale Charakter der EG 65 . Der Begriff der Supranationalität 66 wird in
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BVerfGE 89, 155 (188); dazu etwa Kirchhof in: HbStR Bd. VII, S. 855 (874 ff., 879 ff.); ders., in: Hommelhoff/Kirchhof, Staatenverbund, S. 12; Tomuschat, DVB1. 1996, 1073 (1075 ff); Steinberger, Bernhardt-FS, S. 1313 (1321); Lecheler, in: Ipsen u.a., Verfassungrecht, S. 383 (390); zur parallel verlaufenden Diskussion in der Politikwissenschaft Jachtenfuchs/Kohler-Koch, in: dies., Europäische Integration, S. 17 ff. 60 BVerfGE 89, 155 (176 f.); vgl. aber Degen, in: HbEuropR, Art. K Rdnr. 2, der den Begriff der "unionsrechtlichen Zusammenarbeit" vorzieht; Zum Begriff "intergouvememental" Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 58. 61 Zur Entwicklung der Zusammenarbeit siehe Akmann, JA 1994,49 (50 ff). 62 In: Hommelhoff/Kirchhof, Staatenverbund, S. 90; vgl. auch Mathijsen, European Union Law, S. 5: "The Union has political rather than legal significance." 63 Dazu Koenig/Pechstein, Europäische Union, S. 32 f.; v.Bogdandy/Nettesheim, EuR 1996, 3 (7 f.). 64 Müller-Graff, in: ders., Europäische Zusammenarbeit, S. 27; Koenig/Pechstein, Europäische Union, S. 3, 54; Degen, in: HbEuropR, Art. K Rdnr. 2; Akmann, JA 1994, 49 (53); vgl. aber Dehousse, in: ders., Maastricht, S. 7, 10, der auf die enge Verbindung der Sachbereiche hinweist. 65 Zum Verhältnis Supranationalität und Bundesstaat vgl. Badura, in: Starck, Rangordnung, S. 109 ff. 66 Dazu Chapuis, Supranationale Organisationen, S. 26 ff.; Seidl-Hohenveldern/ Loibl, Internationale Organisationen, Rdnm. 101 ff.; Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 60 ff.; Schweitzer/Hummer, Europarecht, S. 275; vgl. auch Erler, VVDStRL 18 (1960), 7 (15 ff.).
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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diesem Zusammenhang in einem weiteren Sinne gebraucht als Kennzeichnung für die Befugnis zu einer die Staaten unmittelbar verpflichtenden Rechtsetzung67. Der Verweis in Art. K.8 Abs. 1 EUV auf Bestimmungen des EGV schließt die Handlungsformen der Gemeinschaft in Art. 189 EGV ebenso aus wie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes. Der Rat kann bei seiner Tätigkeit im Rahmen der 3. Säule nicht auf die supranationalen Handlungsformen des Art. 189 EGV zurückgreifen 68. Der Unionsvertrag enthält auch keine Rechtsgrundlage für Handlungen gegenüber Grundrechtsträgern 69. Die Handlungszuständigkeit verbleibt bei den Mitgliedstaaten70. Dies zeigt sich besonders an Art. K.3 Abs. 2 lit c) EUV. Danach kann der Rat Übereinkommen ausarbeiten, die er den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfiehlt. Der Unterschied zu Rechtsakten des Rates auf der Grundlage des EG-Vertrages wird deutlich: Nicht der Beschluß des Rates führt zur innerstaatlichen Verbindlichkeit, sondern erst die Annahme durch die Mitgliedstaaten. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts 71 als wesentliches Element der Supranationalität fehlt Rechtsakten des Rates im Bereich der dritten Säule des EU-Vertrages 72. Übereinkommen auf der Grundlage des Art. K.3 Abs. 2 EUV sind völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedstaaten73. Dies rechtfertigt es, Rat und Kommission im Rahmen ihrer Tätigkeit innerhalb der 3. Säule des EU-Vertrages trotz ihrer Einbindung in die Infra-
67 Vgl. Koenig/Pechstein , Europäische Union, S. 4; zu weiteren Kriterien Chapuis, Supranationale Organisationen, S. 29; Schermers/Blokker , Inernationale Institutional Law, § 61; einen anderen Ansatz verfolgt v.Bogdandy, Gemeinschaftsverfassung, S. 14 ff, der den Begriff der Supranationalität auf die Struktur des Gemeinschafsrechts einerseits und die Struktur des politisch-administrativen Entscheidungsverfahrens in der Gemeinschaft andererseits zurückführt. 68 Müller-Graff Lexikon der Politik, S. 179. 69 BVerfGE 89, 155 (175); zweifelhaft insoweit Art. 1 Abs. 1 der Gemeinsamen Maßnahme vom 26.5.1997 betreffend die Zusammenarbeit im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, ABl. Nr. L 147/1 vom 5.6.1997. Die Vorschrift enthält eine Verpflichtung zur Übermittlung von Informationen über Gruppen, die zu Veranstaltungen in einen anderen Mitgliedstaat reisen und dort die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören könnten. Allerdings stellt Art. 1 Abs. 2 S. 2 der Gemeinsamen Maßnahme die Übermittlung unter den Vorbehalt der Zulässigkeit nach nationalem Recht. 70 Oppermann/Classen , NJW 1993, 5 (10); Müller-Graff, Everling-FS, S. 925 (929). 71 Vgl. EuGH, Slg. 1964, 1251 - Costa/ENEL; Slg. 1978, 629 - Simmenthai II; Slg. 1990 I, 2433 - Factortame I. 72 Koenig/Pechstein , Europäische Union, S. 55; zu den rechtlichen Defiziten völkerrechtlicher Regelungsmodi auch Schoch, DVB1. 1992, 525 (530). 73 Streinz , Europarecht, Rn. 332a; Müller-Graff, in: ders., Europäische Zusammenarbeit, S. 29; ders., in: Monar/Morgan, The Third Pillar, S. 24; Kokott, DVB1. 1996, 937 (943). 4 Harings
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
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struktur der Gemeinschaft funktional nicht als Gemeinschaftsorgane anzusehen, auch wenn sich Art. K EUV dieser Organe bedient74. bb) Besonderheiten der "institutionellen Einbettung" Die institutionelle Einbettung 75 dieser völkervertraglichen Zusammenarbeit in die Europäische Union gewinnt im Vorfeld der Übereinkommen sowie nach deren Abschluß an Bedeutung76. Die Zusammenarbeit bleibt im wesentlichen intergouvernemental, geht jedoch über das reine Modell der Staatenkooperation hinaus, da neben dem Rat als Hauptorgan in begrenztem Umfang eine Beteiligung der übrigen Organe vorgesehen ist 77 . (1) Funktion des Rates Gemäß Art. K.3 EUV unterrichten und konsultieren die Mitgliedstaaten einander im Rat, um ihr Vorgehen zu koordinieren. Der Rat ist das politische Entscheidungsgremium der Zusammenarbeit. Ihm obliegt es, Beschlüsse zu fassen und sich der Handlungsformen des Art. K.3 Abs. 2 EUV zu bedienen. Nach Art. K.3 Abs. 2 lit c) EUV fallen Maßnahmen zur Durchfuhrung verabschiedeter Übereinkommen ebenfalls in die Zuständigkeit des Rates, der mit Zweidrittelmehrheit entscheidet. Der Rat kann nach Maßgabe des Art. K.9 EUV durch einstimmigen Beschluß die Politikbereiche des Art. K . l Nr. 1 bis 6 EUV dem Gemeinschaftsrecht unterstellen 78. Soweit für die Beschlußfassung eine qualifizierte Mehrheit ausreichend ist, bestimmt sich die Gewichtung der Stimmen nach Art. 148 Abs. 2 EGV 7 9 . 74
So Glaesner, EuR-Beiheft 1/1994, S. 25 (35), der von Organleihe spricht; ebenso Müller-Graff, Everling-FS, S. 925 (936); weitergehend Koenig/Pechstein, Europäische Union, S. 75: "Rat der Europäischen Union" als Vertragsorgan des EU-Vertrages ein aliud zum EG-Ministerrat; vgl. auch Akmann, JA 1994, 49 (54); Epping, Jura 1995, 449; Unterschiede für die Tätigkeit des Rates resultieren aus diesen verschiedenen Einstufungen nicht. 75 Zu den funktionalen Verbindungen zwischen Titel VI EUV und dem Gemeinschaftsrecht Müller-Graff, Everling-FS, S. 925 (939 ff.). 76 Vgl. aber Akmann, JA 1994, (53), der von einem "neuen Integrationsniveau" durch die institutionelle Einbettung spricht; zurückhaltender Vignes, RevMC 1996, 273 (277 f.). 77 Dazu Müller-Graff, CML Rev. 1994, 493 (496 ff.); ders., Everling-FS, S. 925 (930); O'Keeffe, CML Rev. 1995, 893 (901 ff.); Bohnen, DRiZ 1996, 411 (412). 78 Zu dieser sog. "passereile provision" O'Keeffe, CML Rev. 1995, 893 (900 f.); McMahon, Legal Issues 1994, 51 (61 ff.); Adam, Riv. dir. eur. 1994, 225 (236). 79 Hendry, GYIL 36 (1993), 295 (315 f.); auch diese Verbindung zum Gemeinschaftsrecht legt nahe, daß der Rat der Art. K.3 ff. EUV institutionell mit dem Rat der Gemeinschaft identisch ist.
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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(2) Einbeziehung der Kommission Gemäß Art. K.4 Abs. 2 EUV wird die Kommission in vollem Umfang an den Arbeiten in allen Bereichen des Art. K . l EUV beteiligt. In den Politikbereichen des Art. K . l Nr. 1 bis 6 EUV 8 0 steht ihr ein Initiativrecht zumindest neben dem der Mitgliedstaaten zu. Besondere rechtliche Bedeutung, wie etwa in Art. 189 a EGV, kommt den Kommissionsvorschlägen jedoch nicht zu. Über den Präsidenten der Kommission ist diese zudem im Europäischen Rat vertreten, der nach Art. D EUV die politischen Zielvorstellungen für die Entwicklung der Union festlegt 81. Der Kommission ist hingegen nicht die Verantwortlichkeit für die Durchführung der Bestimmungen der dritten Säule übertragen 82. (3) Einbeziehung des Europäischen Parlamentes Das Europäische Parlament hat gemäß Art. K.6 EUV ein Recht auf Unterrichtung und Anhörung 83 . Angesichts dieser nur schwachen Position setzen sich seine fuhrenden Vertreter mit Nachdruck für eine Vergemeinschaftung der Politikbereiche des Art. K . l EUV ein 84 . Beim gegenwärtigen intergouvernementalen Charakter der Kooperation sind die Regierungen in erster Linie ihren nationalen Parlamenten verantwortlich, so daß die Bedeutung des Europäischen Parlaments dadurch eingeschränkt ist 85 . Gleichwohl verläuft die Zusammenarbeit zwischen Kommission und Parlament zufriedenstellend 86. Vertreter der Kommission nehmen regelmäßig an Ausschußsitzungen des zuständigen Parlamentsausschusses teil und berichten über die Tätigkeit der Kommission. Die Zusammenarbeit des Parlaments mit dem Rat gestaltet sich ungleich schwieriger. Der Rat verweigert die Einsicht in Dokumente häufig mit dem Hinweis auf deren vertraulichen Charakter. Eine regelmäßige Information des
80 Ausgeschlossen vom Initiativrecht der Kommission ist auch die Zusammenarbeit im Zollwesen, obgleich das Zollwesen gerade zum klassischen Bereich der Kooperation in der Gemeinschaft zählt, vgl. Den Boer, CML Rev. 1995, 555 (557). 81 Müller-Graff, in: ders., Europäische Zusammenarbeit, S. 28 f.; der Europäische Rat ist nicht mit dem Rat in Art. K.3 ff. EUV identisch; mißverständlich insofern Di Fabio, DÖV 1997, 89 (95). 82 Müller-Graff Everling-FS, S. 925 (937). 83 Zur Rolle des Europäischen Parlamentes Monar, in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 243 ff.; vgl. auch Kokott, DVB1. 1996, 937 (940 f.); allg. zur Willensbildung in der EU Glaesner, EuR-Beiheft 1/1994, S. 25. 84 So etwa Robles-Piquer, in: Hailbronner; Zusammenarbeit, S. 35 ff. 85 Vignes, RevMC 1996, 273 (278). 86 Esders, in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 264.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
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Parlamentes, wie sie etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik vorgesehen ist, lehnt der Rat für den Bereich der inneren Sicherheit ab 87 . (4) Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes Der Gesamtbereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit ist von der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes ausgenommen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht Art. L lit b) EUV nur für die Auslegung von Übereinkommen auf der Grundlage des Art. K.3 EUV, soweit dem Gerichtshof entsprechende Kompetenzen übertragen werden. Dazu ist im Rat Einstimmigkeit erforderlich. Diese Regelung ist im Vergleich zum Gemeinschaftsrecht unbefriedigend, doch zumindest besteht insoweit bereits die im Unionsvertrag angelegte Möglichkeit, dem Gerichtshof Zuständigkeiten zu übertragen. Aus dieser Möglichkeit allein darf jedoch eine besondere Qualität der Zusammenarbeit nicht abgeleitet werden. Der Gerichtshof kann auch in anderen völkerrechtlichen Verträgen zur Streitentscheidung bestimmt werden 88. Soweit nicht alle Mitgliedstaaten der EG an diesen Verträgen beteiligt sind, muß die Gemeinschaft einer solchen "Organleihe" zustimmen. Im Gegensatz dazu ist die Zulässigkeit der Einschaltung des EuGH in Art. K.3 Abs. 2 lit c) EUV vertraglich geregelt. c) Politikbereiche Die Politikbereiche der Zusammenarbeit im Rahmen der 3. Säule des EUVertrages sind in Art. K . l Nr. 1 bis 9 EUV festgelegt 89. Nach dem Grad ihrer institutionellen Einbettung 90 wird zwischen Art. K . l Nr. 1 bis 6 und Art. K.1 Nr. 7 bis 9 EUV unterschieden. In die erstere Kategorie fallen die Asylpolitik (Nr. 1), Vorschriften für das Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten durch Personen und entsprechende Kontrollen (Nr. 2), Einwanderungs- und Drittausländerpolitik (Nr. 3), Drogenpolitik (Nr. 4) und internationale Betrugs87
Einzelheiten bei Esders, in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 264 ff.; vgl. auch Degen, in: HbEuropR, Art. K.6 Rdnr. 3, sowie Gautier, in: Constantinesco u.a., TUE, Titre VI Rdnrn 106 f. 88 Vgl. das Protokoll betreffend die Auslegung des EuGVÜ durch den Gerichtshof vom 3. Juni 1971 i.d.F. vom 26. Mai 1989, ABl. 1989 Nr. L 285/7, BGBl. 1994 II, 531, oder den niederländischen Vorschlag zur EuGH-Zuständigkeit für die Auslegung des SDÜ. 89 Eine kurze Darstellung findet sich bei Müller-Graff in: ders., Europäische Zusammenarbeit, S. 14 ff.; Hendry, GYIL 36 (1993), 295 (300 ff.); Akmann, JA 1994, 49 (53), sowie bei Fischer, EuZW 1994, 747 (748 f.). 90 Initiativrecht der Kommission, Möglichkeit der "Vergemeinschaftung" (siehe oben unter 2.).
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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bekämpfung (Nr. 5) 91 sowie die justitielle Zusammenarbeit in Zivilsachen (Nr. 6). Stärker den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben die justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Nr. 7), die Zusammenarbeit im Zollwesen (Nr. 8) 9 2 und die polizeiliche Zusammenarbeit, einschließlich der Errichtung des Europäischen Polizeiamtes Europol (Nr. 9) 93 . d) Handlungsformen Art. K.3 EUV legt die Handlungsformen und damit den Rahmen der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres fest 94. Der rechtliche Status der einzelnen Formen ist nicht definiert 95 . Es überwiegt der politische Charakter der Kooperation gegenüber rechtlichen Maßstäben96. Nach Art. K.3 Abs. 1 EUV findet die Kooperation unter den Mitgliedstaaten zunächst auf einer informellen Ebene statt, indem sie sich im Rat gegenseitig unterrichten und konsultieren, um ihr Vorgehen in den Politikbereichen des Art. K . l EUV zu koordinieren. Art. K.3 Abs. 2 EUV zählt sodann die möglichen Handlungsformen des Rates auf. Ihnen ist als "sekundäres Unionsrecht" 97 gemeinsam, daß sie weder unmittelbare Durchgriffswirkungen auf das nationale Recht begründen noch individuelle Handlungsanweisungen für die Bürger enthalten können 98 : - Festlegung gemeinsamer Standpunkte (Art. K.3 Abs. 2 lit a) EUV). Gemäß Art. K.5 vertreten die Mitgliedstaaten diese Standpunkte in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen. Inwieweit solche Standpunkte nur politische Willensbekundungen oder rechtlich bindende Erklärungen sind, ist umstritten". Die Stellung in Art. K.3 Abs. 1 EUV spricht dafür, ihre rechtlichen Wirkungen auf die Vertretung gemäß Art. K.5 EUV zu beschränken100.
91
Beide Bereiche enthalten einen Vorbehalt zugunsten der Nr. 7 bis 9. Kritisch dazu Voß ? in Grabitz/Hilf, EGV, Vor Art. 9 - 29, Rdnr. 7, da die Zusammenarbeit der nationalen Zollverwaltungen bereits Element der gemeinschaftsrechtlichen Zollunion sei. 93 Zur Kritik an dieser Trennung Müller-Graff in: ders., Europäische Zusammenarbeit, S. 30; Bohnen, DRiZ 1996, 411 (413). 94 Vgl. Koenig/Pechstein , Europäische Union, S. 90 ff. 95 O'Keeffe, CML Rev. 1995, 893 (913); Müller-Graff CML Rev. 1994,493 (509). 96 Hendry, GYIL 36 (1993), 295 (296). 97 Koenig/Pechstein , Europäische Union, S. 82 ff. 98 BVerfGE 89, 155 (177 f.), verweist zurecht auf die erforderlichen nationalen Umsetzungsakte und verneint deshalb gegenwärtig eine Minderung des Grundrechtsschutzes oder ein Rechtsschutzdefizit; gegen eine Durchgriffswirkung auch Hailbronner , in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 106. 99 Vgl. einerseits Müller-Graff CML Rev. 1994, 493 (509), und Degen, in: HbEuropR, Art. K.3 Rdnr. 4; andererseits Koenig/Pechstein , Europäische Union, S. 91, 92
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit - Annahme gemeinsamer Maßnahmen101 (Art. K.3 Abs. 2 lit b) EUV), soweit sich die Ziele der Union durch gemeinsames Vorgehen besser verwirklichen lassen als durch Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten (Subsidiaritätsprinzip) 102. Selbst an der Bindungswirkung gemeinsamer Maßnahmen für die Mitgliedstaaten wird gezweifelt 103. Die Zweifel resultieren namentlich daraus, daß eine dem Art. J.3 Nr. 4 EUV entsprechende Vorschrift in Art. K.3 fehlt 104. - Ausarbeitung von Übereinkommen, die den Mitgliedstaaten zur Annahme empfohlen werden (Art. K.3 Abs. 2 lit c) EUV). Diese Übereinkommen sind - nach ihrer Annahme durch die Mitgliedstaaten - rechtlich verbindlich. Sie sind multilaterale völkerrechtliche Verträge. Eine Zuständigkeit des EuGH zur Streitentscheidung kann darin vorgesehen werden. -Beschlußfassung über Durchführungsmaßnahmen zu gemeinsamen Maßnahmen (Art. K.3 Abs. 2 lit b), 2. HS. EUV) oder Übereinkommen (Art. K.3 Abs. 2 lit c) S. 2 EUV)105. Im Rahmen dieser Handlungsform ist die Einführung von Mehrheitsentscheidungen gemäß Art. K.3 Abs. 2 möglich.
Die Mitgliedstaaten haben im Rat von ihren Handlungsmöglichkeiten nach Titel V I bislang eher zurückhaltend Gebrauch gemacht 106 , obgleich in der Praxis ein erheblicher Bedarf nach Vereinfachung der grenzüberschreitenden
unter Hinweis auf die Veröffentlichung im Amtsblatt L; Kokott, DVB1. 1996, 937 (943): Bindung über den Grundsatz von Treu und Glauben. 100 O'Keeffe, CML Rev. 1995, 893 (913 f.); vgl. auch Pitschas, Innere Sicherheit, S. 9(17), der die geringen Wirkungen gemeinsamer Standpunkte betont. 101 Der engl. Text ("joint action") entspricht der Terminologie in Art. J.3 EUV, während in der deutschen Fassung zwischen "gemeinsamen Aktionen" im Rahmen des Art. J.3 EUV und "gemeinsamen Maßnahmen" gemäß Art. K.3 Abs. 2 lit b) EUV unterschieden wird. Sachlich gibt es keine Unterschiede zwischen den Begriffen, vgl. Koenig/Pechstein, Europäische Union, S. 96; zur gemeinsamen Aktion Münch, EuR 1996,415. 102 Vgl. etwa - als Beispiel für die Staatenbezogenheit der gemeinsamen Maßnahme die gemeinsame Maßnahme vom 24. Februar 1997 betreffend die Bekämpfung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Kindern, ABl. Nr. L 63/2 vom 4.3.1997. 103 Müller-Graß,\ CML Rev. 1994, 493 (509); ders., Everling-FS, S. 925 (934); Lobkowicz, in: Müller-Graff, Europäische Zusammenarbeit, S. 51; vgl. auch Lepoivre, CDE 1995, 323 (333 f.). 104 Art. J.3 Nr. 4 lautet: "Die gemeinsamen Aktionen sind für die Mitgliedstaaten bei ihren Stellungnahmen und ihren Aktionen bindend." Für die Annahme einer Bindungswirkung auch im Rahmen des Art. K.3 aber Koenig/Pechstein, Europäische Union, S. 96; O'Keeffe, CML Rev. 1995, 893 (914); Kokott, DVB1. 1996, 937 (943); Degen, in: HbEuropR, Art. K.3 Rdnr. 7. 105 Dazu Koenig/Pechstein, Europäische Union, S. 98 ff. 106 Vgl. die Auflistung der unter Titel VI EUV erlassenen Rechtsakte in ABl. Nr. C 274 vom 19.9.1996; zur Kritik an der Ergebnislosigkeit der seit 1987 bestehenden Regierungszusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres siehe auch den Debattenbericht bei Dashwood, Maastricht, S. 56.
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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Vorgänge in allen Rechtsgebieten vorhanden ist 107 . Hinsichtlich der Übereinkommen nach Art. K.3 Abs. 2 lit c) EUV bereitet neben dem Einstimmigkeitserfordernis zudem das lange Ratifikationsverfahren in den Mitgliedstaaten Schwierigkeiten 108 . Die in dieser Arbeit behandelte Europol-Konvention ist vom Rat am 26. Juli 1995 verabschiedet und den Mitgliedstaaten zur Annahme empfohlen worden 109 . Sie soll im Laufe des Jahres 1998 in Kraft treten. Die sog. "Neapel IF-Konvention zur Zusammenarbeit im Zollwesen wurde nach jahrelangen Verhandlungen im Rat schließlich am 18. Dezember 1997 unterzeichnet. Auch der Entwurf eines Übereinkommens über das Überschreiten der Außengrenzen ist noch nicht fertiggestellt, obwohl die Kommission schon Ende 1993 einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet hat 110 . In einer Entschließung vom 14. Oktober 1996 hat der Rat die Prioritäten für die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres für den Zeitraum vom 1. Juli 1996 bis zum 30. Juni 1998 festgelegt 111. e) Gerichtliche Kontrolle Der Gesamtbereich des Titels V I EU-Vertrag ist - mit Ausnahme der optionalen Zuständigkeit nach Art. K.3 Abs. 2 lit c) UAbs. 3 EUV - gemäß Art. L EUV der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes entzogen. Angesichts der Tatsache, daß den in der dritten Säule vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten keine unmittelbaren Durciigriffswirkungen auf den Bürger zukommen, berührt dies die Frage des Individualrechtsschutzes nicht 112 . Der Ausschluß des EuGH wird aber relevant bei Auslegungsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten oder der Anfechtung von Rechtsakten des Rates im Rahmen der zweiten und dritten Säule durch einen Mitgliedstaat. Da der EU-Vertrag ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten ist, wird in der Literatur eine
107
Dazu Bohnen, DRiZ 1996, 411 (414 f.). Lobkowicz, in: Müller-Graff, Europäische Zusammenarbeit, S. 51; dies sei am Beispiel des Dubliner Übereinkommens, das noch vor Inkrafttreten des MaastrichtVertrages abgeschlossen wurde, thematisch aber nunmehr unter Art. K.l Nr. 1 EUV fällt, aufgezeigt: Die Unterzeichnung des Übereinkommens erfolgte am 15. Juni 1990, das Inkrafttreten am 1. September 1997 (ABl. Nr. C 268/1 vom 4.9.1997). 109 Rechtsakt des Rates vom 18. Dezember 1997 über die Ausarbeitung des Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, ABl. Nr. C 24/1 vom 23.1.1998). 110 KOM (93) 684 endg.; ABl. Nr. C 11/6 vom 15.1.1994. 111 ABl. Nr. C 319/1 vom 26.10.1996. 112 BVerfGE 89, 155 (177 f.). 108
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes erwogen 113 . Der Internationale Gerichtshof in Den Haag ist ein Staatengericht (Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut). Natürliche Personen haben keinen Zugang 114 . Auch die Parteifähigkeit Internationaler Organisationen wird abgelehnt115. Die Staaten können sich generell oder für den Einzelfall der Jurisdiktion des IGH unterwerfen. Von der Möglichkeit des Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut, die Anerkennung der Gerichtsbarkeit unter einen Vorbehalt zu stellen, haben alle Staaten Gebrauch gemacht. Nach dem gebräuchlichen sog. "Connally-Vorbehalt" sind alle Streitigkeiten "with regard to matters which are essentially within the domestic Jurisdiction" der Zuständigkeit des IGH entzogen. Die Staaten behalten sich zudem vor, selbst zu entscheiden, welche Streitigkeiten im Bereich des "domaine réservé" liegen 116 . Es ist nicht anzunehmen, daß sie im sensiblen Bereich der inneren Sicherheit eine Zuständigkeit des IGH akzeptieren werden. Noch aus einem anderen Grund bestehen Bedenken gegen die Annahme einer solchen Zuständigkeit. Zwar ist der EU-Vertrag ein völkerrechtlicher Vertrag, doch haben die Mitgliedstaaten der EU damit ein eigenständiges Rechtssystem, das Unionsrecht, geschaffen, das sich in mancher Hinsicht vom klassischen Völkerrecht unterscheidet. Die Einbeziehung der Gemeinschaftsinstitutionen ist nur ein Beispiel dafür 117 . Wenn nun Art. L EUV die Gerichtsbarkeit des EuGH auf bestimmte Bereiche des Vertrages beschränkt, muß der Bestimmung umso mehr ein Ausschluß anderer Gerichtsbarkeiten entnommen werden. Es ist nicht anzunehmen, daß selbst die Staaten, die sich ständig der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen haben, eine Kontrolle durch dieses Gericht der des EuGH vorziehen wollten. Der Europäische Gerichtshof ist vielmehr auch nach den Bestimmungen des EU-Vertrages das Judikativorgan der Europäischen Union. Der Ausschluß seiner Gerichtsbarkeit enthält implizit eine Regelung dergestalt, daß auch andere internationale Gerichte keine Kompetenz zur Streitentscheidung haben. Die Streitschlichtung soll vielmehr intern durch außergerichtliche Instanzen (Konsultationen im Rat/K.4-Koordinierungsausschuß) vorgenommen werden.
113 Hendry, GYIL 36 (1993), 295 (313); O'Keeffe, CML Rev. 1995, 893 (914); ders., in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 407; Müller-Graff CML Rev. 1994, 493 (495); Degen, in: HbEuropR, Art. K Rdnr. 3. 1,4 Schlochauer, EPIL II, S. 1084 (1089). 115 Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1859; selbst wenn man - im Gegensatz zur hier vertretenen Auffassung - die Rechtsfähigkeit der Europäischen Union bejahte, könnte diese demnach nicht vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt werden. 116 Ipsen/Fischer, Völkerrecht, S. 975; vgl. auch Steinberger, International Court of Justice, S. 235 f., sowie Jennings/Watts, Oppenheim's International Law, S. 11 (dort Fußn. 14). 117 Vgl. O'Keeffe, CML Rev. 1995, 893 (915).
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit f) Bewertung der intergouvernementalen
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Zusammenarbeit in der dritten Säule
Die intergouvernementale Zusammenarbeit der EU-Staaten in der dritten Säule wird wegen ihrer schwerfälligen Instrumente und Verfahren, des Festhaltens am Einstimmigkeitserfordernis und der fehlenden gerichtlichen Kontrolle überwiegend kritisiert 118 . Ausgangspunkt für die Kritik ist dabei der Vergleich mit der ersten Säule, der Europäischen Gemeinschaft 119. Aus dieser Perspektive fallen die Schwächen der Kooperation besonders ins Auge. Eine positivere Bilanz der dritten Säule wird aus einer anderen Perspektive ersichtlich. Betrachtet man die Funktion der dritten Säule, nämlich die diversen bestehenden Inititiativen zu koordinieren und zu formalisieren 120, ist durchaus ein Fortschritt gegenüber dem früheren Rechtszustand festzustellen 121. Die Bestimmungen der Art. K . l bis K.9 EUV haben einer in weiten Teilen bereits bestehenden Kooperation einen rechtlichen Rahmen gegeben. Eine solchermaßen strukturierte Kooperation ist der Alternative "Vergemeinschaftung oder lose Staatenkooperation" vorzuziehen. Allerdings darf die erreichte Integrationsebene nicht als Dauerzustand festgeschrieben werden, sondern muß - wie die Gesamtkonstruktion des Staatenverbundes EU - offen für weiterreichende Integrationsschritte bleiben. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die generelle Anerkennung einer Auslegungszuständigkeit für den Europäischen Gerichtshof, wie sie in der Regierungskonferenz nicht durchgesetzt werden konnte.
3. Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam Der Vertrag von Amsterdam 122 hat in den Bereichen Justiz und Inneres einige Änderungen bewirkt, die Grundstrukturen - wie sie unter dargestellt
118
Pointiert Vernimmen, in: Hailbronner, Zusammenarbeit, S. 19 f., und Fortescue, in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 19 (beide aus Sicht der Kommission); O'Keeffe, in Bieber/Monar, aaO., S. 407; Degen, in: HbEuropR, Vorb. Art. K - K.9 Rdnr. 17. 1,9 Lepoivre, CDE 1995, 323 (339 f.), beklagt die vergrößerte Zahl der Entscheidungsebenen gegenüber der EG: Rat, Ausschuß der ständigen Vertreter (Coreper), K.4-Ausschuß, Gruppe der Direktoren, Arbeitsgruppen; dazu die Übersicht bei Foerster, in: Heckmann/Tomei, Freizügigkeit, S. 40. 120 Den Boer, in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 191. 121 So insbesondere die britische Perspektive, vgl. nur Wrench, in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 40; Hendry, GYIL 36 (1993), 295 (323 f.); aus französischer Sicht Vignes, RevMC 1996, 273 (278 ff.); Schreckenberger, VerwArch 88 (1997), 389 (395), spricht von einem "Triadischen Integrationsmodell", das sich aus den Formen der Koordination, Kooperation und der Regulation zusammensetze. 122 ABl. Nr. C 340/1 ff. vom 10.11.1997.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
wurden - jedoch unberührt lassen. Durch die politische Diskussion um die Wirtschafts- und Währungsunion ist das Politikfeld der inneren Sicherheit in den Hintergrund getreten. Als Neuerungen von allgemeiner Bedeutung sind an dieser Stelle hervorzuheben: a) Vergemeinschaftung
einzelner Politikbereiche
In den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) soll ein neuer Titel aufgenommen werden, der der Gemeinschaft binnen fünf Jahren Befugnisse in den Bereichen Asyl, Visapolitk, Einwanderung und hinsichtlich der Kontrollen an den Außengrenzen überträgt. Diese werden die entsprechenden Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens ersetzen. Eine neue Vorschrift soll es dem Rat ermöglichen, Maßnahmen im Bereich der horizontalen und vertikalen Verwaltungskooperation zu beschließen. b) Konzept der flexiblen Kooperation Im Rahmen der dritten Säule soll künftig ein flexibles Vorgehen 123 einzelner Mitgliedstaaten unter Inanspruchnahme des institutionellen Gefüges der Union möglich sein, wenn der Rat dem mit qualifizierter Mehrheit zugestimmt hat (Art. 40 EUV n.F.). Voraussetzung dafür ist, daß die partielle Kooperation die Zuständigkeiten der Gemeinschaft und die Ziele des Titel V I EUV wahrt und insoweit eine Vorreiterrolle übernimmt. Durch die Anerkennung eines flexiblen Integrationskonzepts wird eine wesentliche Änderung im Bezug auf völkerrechtliche Übereinkommen nach Art. K.3 Abs. 2 lit c) EUV ermöglicht. Diese können für die annehmenden Mitgliedstaaten bereits in Kraft treten, sobald sie von mindestens der Hälfte der Mitgliedstaaten angenommen wurden. Bislang mußten sie von allen Staaten ratifiziert werden. c) Schaffung neuartiger Handlungsformen Die "unscharfe" Handlungsform der gemeinsamen Maßnahme nach Art. K.3 Abs. 2 lit b) EUV wird durch den Amsterdamer Vertrag abgelöst durch Beschlüsse und Rahmenbeschlüsse124. Rahmenbeschlüsse zur Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten sind - wie Richtlinien im Bereich des EG-Vertrages - hinsichtlich ihres Zieles verbindlich, überlassen jedoch den
123 Vgl. zu den verschiedenen Konzepten eines flexiblen Vorgehens Pitschas, JbStVW 8 (1995), 379 (394 ff.), sowie Ost, DÖV 1997, 495 (496 ff.), und Huber, EuR 1996, 347. 124 Vgl. Art. 34 Abs. 2 EUV n.F.
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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Mitgliedstaaten die Wahl der Form und Mittel zur Umsetzung. Andere Beschlüsse verfolgen ebenfalls Ziele - mit Ausnahme der Rechtsangleichung im Bereich Justiz und Inneres. Sie sind verbindlich. Beschlüsse und Rahmenbeschlüsse sind nach ausdrücklicher Bestimmung nicht unmittelbar wirksam. Mit dieser Einschränkung wollten die Mitgliedstaaten einer integrationsfreundlichen Rechtsprechung des Gerichtshofes wie im Gemeinschaftsrecht 125 von vorneherein entgegentreten. Sie stellt außerdem - im Gegensatz zum Begriff der "gemeinsamen Maßnahme" - deutlich heraus, daß die Union nicht zu Maßnahmen "mit Durchgriffswirkung auf Grundrechtsträger" ermächtigt ist 126 . d) Befugnisse der Gemeinschaftsorgane im Bereich der dritten Säule aa) Europäischer Gerichtshof Die Regierungskonferenz hat auf die öffentliche Kritik an Art. L EUV, der die intergouvernementale Zusammenarbeit im Bereich der dritten Säule weitgehend der gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH entzogen hatte, reagiert. Gleichwohl konnten sich die Vertreter der Mitgliedstaaten nicht auf die Anerkennung einer obligatorischen Zuständigkeit des EuGH für Rechtsakte im Bereich der dritten Säule einigen. Durchgesetzt hat sich vielmehr ein Kompromiß, der für das Auslegungsprotokoll zur Europol-Konvention gefunden wurde. Danach ist zur Anerkennung der Zuständigkeit des Gerichtshofs eine gesonderte Erklärung jedes Mitgliedstaates erforderlich ("opting-in clause"). Wird diese Erklärung abgegeben, ist der Gerichtshof nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages zuständig, im Wege der Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse sowie über die Auslegung der Übereinkommen zu entscheiden (Art. 35 EUV n.F.). Vorabentscheidungsersuchen können von den letztinstanzlich entscheidenden Gerichten der Mitgliedstaaten gestellt werden, wenn diese eine Entscheidung des Gerichtshofes für erforderlich halten. Der Gerichtshof ist außerdem zuständig für die Entscheidimg über Streitigkeiten der Mitgliedstaaten untereinander hinsichtlich der Auslegung oder Anwendung der Rechtsakte nach Titel V I EUV. Er entscheidet über Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und der Kommission hinsichtlich der Auslegung und Anwendung der nach Titel V I ausgearbeiteten Übereinkommen. Ausdrücklich verwehrt ist dem Gerichtshof jedoch gemäß Art. 35 Abs. 5 EUV n.F. die Überprüfung der Gültigkeit und 125 Zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien dort EuGH, Slg. 1979, 1629 (Ratti); Slg. 1982, 53 (Becker); Slg. 1988, 4689 (Moormann); zur Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten bei mangelhafter Umsetzung EuGH, Slg. 1991 I, S. 5357 (Francovich); Slg. 1996 I, 1029 (Brasserie du Pêcheur), und Slg. 1996 I, 4845 (Dillenkofer). 126 Vgl. BVerfGE 89, 155 (175 f.).
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsorgane eines Mitgliedstaates sowie von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und der inneren Sicherheit. Der Nichtigkeitsklage des Art. 173 Abs. 1 EGV nachgebildet ist die Klage zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse, die ein Mitgliedstaat oder die Kommission gemäß Art. 35 Abs. 6 EUV n.F. erheben können. bb) Kommission und Europäisches Parlament Die Einräumung eines Klagerechts an die Kommission ist vor dem Hintergrund des intergouvernementalen Charakters der Zusammenarbeit überraschend. Sie kann jedoch als Beleg dafür gewertet werden, daß die Kommission nunmehr im Bereich der dritten Säule eine stärkere Stellung als Überwachungsorgan der Integration einnehmen soll 127 . Ihr wird durch Art. 34 Abs. 2 EUV n.F. auch in allen Politikbereichen ein Initiativrecht eingeräumt. Die Stellung des Europäischen Parlamentes in der dritten Säule wertet Art. 39 Abs. 1 EUV n.F. auf. Nach dieser Vorschrift ist das Parlament vor der Annahme eines Beschlusses, Rahmenbeschlusses oder Übereinkommens nach Art. 34 Abs. 2 EUV n.F. anzuhören. Bislang sind die Abgeordneten nicht in das Verfahren der Rechtsetzung einbezogen gewesen. Mit der Anerkennung eines solchen Anhörungsrechtes verbunden ist ein großer Schritt zu mehr Transparenz bei der Ausarbeitung von Rechtsakten im Bereich der dritten Säule.
4. Exkurs: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Deutschland Die Entscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit 128 ist normativ in der Präambel sowie vor allem in den Art. 23 (n.F.) bis 26 und 59 GG verankert. Ihre Wirkungen erschöpfen sich nicht in dem Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung der deutschen Rechtsordnung, sondern verpflichten die deutschen Staatsorgane aktiv zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit 129. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der 127 Der Amsterdamer Vertrag überträgt der Kommission allerdings nicht die Befugnis, einen Mitgliedstaat wegen der Nichteinhaltung eines Beschlusses oder Rahmenbeschlusses vor dem EuGH zu verklagen. 128 Dazu K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, S. 42 ff. 129 Tomuschat, HbStR VII § 172 Rdnr. 4; ders., in: BK, GG, Art. 24 Rdnrn. 3 ff.; Rojahn, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 24 Rdnrn. 7 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 24 Rdnr. 1.
I. Überblick über die Formen der Zusammenarbeit
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oben aufgezeigten Kooperationsformen ist jedoch nicht pauschal von der "offenen Staatlichkeit" des Grundgesetzes auszugehen, sondern es sind die unterschiedlichen Fallkonstellationen gegeneinander abzugrenzen und gesondert zu untersuchen. a) Die Übertragung von Hoheitsrechten zur Verwirklichung der Europäischen Union Art. 23 GG wurde durch Verfassungsänderung im Jahre 1992 eingeführt, um die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Zustimmung zum Maastrichter Unionsvertrag zu schaffen. Er ist nunmehr lex specialis zu Art. 24 GG 1 3 0 und erfaßt damit die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Entwicklung der Europäischen Union. Damit sind in erster Linie die Europäischen Gemeinschaften bezeichnet, aber ebenso die zweite und dritte Säule des Unionsvertrages, soweit es in diesen Bereichen zur Übertragung von Hoheitsrechten auf eigenständige zwischenstaatliche Einrichtungen kommt. Erster Beispielsfall wird das Europol-Übereinkommen sein, denn das Europäische Polizeiamt Europol ist eine zwischenstaatliche Einrichtung, die mit Durchgriffsbefugnissen gegenüber dem Bürger ausgestattet ist, unabhängig von der Frage, ob sie in Zukunft Exekutivbefugnisse besitzen wird. Eine andere Frage wird sein, ob Art. 23 GG auch die Rechtsgrundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten an andere EU-Staaten im Rahmen der Zusammenarbeit in der dritten Säule sein kann. Einerseits spricht Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ausdrücklich von der Übertragung auf zwischenstaatliche Einrichtungen, andererseits knüpft Satz 2 thematisch an Satz 1 an, der die "Europäische Union" als solche zugrundelegt 131. Es gibt gute Gründe dafür, Art. 23 GG weit auszulegen, da er gerade für die Fortentwicklung der Europäischen Union, einschließlich der intergouvernementalen Zusammenarbeit nach Titel V und V I EUV, in das Grundgesetz eingefugt wurde. b) Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen (außerhalb der Europäischen Union) Art. 24 GG behält seine Bedeutung für die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen außerhalb der Europäischen Union. Der Abschluß des Schengener Durchführungsübereinkommens fällt, soweit darin eine Übertragung von Hoheitsrechten an eine zwischenstaatliche Einrichtung 130
Vgl. etwa Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rdnr. 47; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 23 Rdnr. 9. 131 Streinz, in: Sachs, GG, Art. 23 Rdnr. 8.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
liegt 132 , ebenso unter die Vorschrift, wie nachträgliche Änderungen in dieser Hinsicht, soweit sie nicht der Eingliederung der "Schengen-Kooperation" unter Titel V I EUV dienen 133 . Nicht von Art. 24 GG erfaßt wird hingegen die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten oder deren öffentlich-rechtliche Körperschaften 134. c) Die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten Aus der Tatsache, daß Art. 24 GG die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten nicht regelt, kann nicht gefolgert werden, diese sei verfassungsrechtlich unzulässig 135 . Rauser hat entsprechende Bedenken überzeugend widerlegt 136 . Er folgert die Zulässigkeit der Übertragung einzelner Hoheitsrechte insbesondere aus der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Abtretung einzelner Gebietsteile. Wenn solchermaßen die völlige Aufgabe der Gebietshoheit - ohne Verfassungsänderung - zulässig sei, erlaube die Verfassung folglich auch die Übertragung einzelner Befugnisse auf ausländische Staaten (argumentum a maiore ad minus) 137 . Legitimationsprobleme können verhindert werden, wenn die Einwirkungsmöglichkeiten der fremden Staatsgewalt auf deutsche Staatsbürger Beschränkungen unterworfen sind 138 .
132
Das könnte vor allem für den dort eingerichteten Exekutivausschuß gelten, vgl. Dörr, DÖV 1993, 696 ff.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Rdnm. 192 f.; dagegen aber die Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 12/2453, S. 99, sowie Rojahn, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 24 Rdnr. 45, und Streinz, in: Sachs, GG, Art. 24 Rdnr. 33. 133 Dörr, DÖV 1993, 696 ff.; a.A. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rdnr. 47, der Art. 23 GG auch auf den europäischen Integrationsprozeß außerhalb der EU anwenden möchte. 134 BVerfGE 68, 1 (91); 2, 347 ff.; Rauser, Hoheitsrechte, S. 231; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 143; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Rdnm. 52 f.; Tomuschat, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 24 Rdnr. 44; Jarass/Pieroth, GG, Art. 24 Rdnr. 5; Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 245 f.; Scheller, JZ 1992, 904 (909). 135 So aber Tomuschat, in: BK, GG, Art. 24 Rdnr. 44; Jarass/Pieroth, GG, Art. 24 Rdnr. 5; zweifelnd Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 142 f., und Streinz, in: Sachs, GG, Art. 24 Rdnm. 15, 20; siehe auch Elbing,, Grundrechte, S. 298 ff. 136 Hoheitsrechte, S. 231 ff., 246 ff.; zustimmend Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (340 f.), und Neßler, Richtlinienrecht, S. 81; zurückhaltend Scheller, JZ 1992, 904 (909); zur Zulässigkeit der Übertragung auf ausländische Gebietskörperschaften Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 239 ff., sowie zu Art. 24 Abs. 1 a GG ders., ZaöRV 54 (1994), 587 (604); Schwarze, Benda-FS, S. 311 (329); Heberlein, DÖV 1996, 100 (103), und Beck, Übertragung, S. 70 ff. 137 Rauser, Hoheitsrechte, S. 315 ff. (Zusammenfassung der Argumentation). 138 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (341).
II. Die Schengener Abkommen
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II. Die Schengener Abkommen 1. Die Entwicklung bis zum Abbau der Grenzkontrollen Die Vorstellung einer Abschaffung der Binnengrenzen zur Verwirklichung der Personenfreizügigkeit wurde bereits im Dezember 1974 auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Paris behandelt139. Der Vorschlag der Kommission, entsprechend der 1963 eingerichteten Benelux-Paßunion, eine Paßunion innerhalb der EG einzuführen, fand jedoch keine Mehrheit. Erst zehn Jahre später unternahmen Bundeskanzler Kohl und der französische Präsident Mitterand einen neuerlichen Anlauf. Sie vereinbarten zunächst in einem bilateralen Abkommen die Erleichterung und den schrittweisen Abbau der Grenz-kontrollen 140 . Aus dieser Initiative entwickelte sich mit dem "Beitritt" der Bene-lux-Staaten das erste Schengener Abkommen 141 . Dieses enthält in Titel I kurz-fristige Maßnahmen zur Erleichterung des Grenzverkehrs, während Titel I I längerfristig durchzuführende Maßnahmen mit dem Ziel des Abbaus der Grenzkontrollen bis möglichst zum 1.1.1990 regelt 142 . Verbindliche und konkrete Vereinbarungen finden sich erst im Schengener Durchführungs-übereinkommen vom 19. Juni 1990 143 . Darin verpflichteten sich die Benelux-Staaten, die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik zum Abbau der Grenzkontrollen und zur Vornahme von Ausgleichsmaßnahmen. Noch im Jahr 1990 trat Italien (am 27. November 1990) dem Abkommen bei. Beitritte Portugals, Spaniens (beide am 25. Juni 1991), Griechenlands (am 6. November 1992) und Österreichs (am 28. April 1995) folgten. A m 19. Dezem-ber 1996 unterzeichneten die skandinavischen Staaten die Beitrittsurkunde zum SDÜ, nachdem ihnen bereits zum 1. Mai 1996 ein Beobachterstatus eingeräumt worden war 144 . Da nach Art. 140 SDÜ nur Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften dem Übereinkommen
139
Vgl. Taschner, Schengen , S. 9 ff; Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 25 ff.; Magiern, Stern-FS, S. 1317 ff., sowie S. 1332 ff. zur Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. 140 Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an der deutsch-französischen Grenze vom 13. Juli 1984, BGBl. 1993 II, S. 767; zu weiteren bilateralen Absprachen Deutschlands mit Nachbarstaaten Schreckenberger, VerwArch 88 (1997), 389 (396 f.). 141 GMB1. 1986, S. 79; dazu auch Wehner, Terrorismus, S. 199 ff, sowie Epiney, in: Achermann/Bieber/EpineyAVehner, S. 22 ff. 142 Vgl. Stobbe, Das Schengener Übereinkommen, S. 4 ff.; Woltjer, MC 1995, 256 (257). 143 BGBl. 1993 II, S. 1010 (SDÜ). 144 Vgl. Abschlußkommunique der Sitzung des Schengener Exekutivausschusses, Ostende, den 20.12.1995, Ziff. 2, sowie FAZ vom 19.12.1996.
64
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
beitreten können, mußten mit Norwegen und Island besondere Assoziierungsabkommen geschlossen werden. Dadurch erhöht sich die Zahl der mitwirkenden oder assoziierten Länder auf fünfzehn. Auch die Schweiz und Staaten Osteuropas, insbesondere Rußland, haben Interesse an einer Assoziierung bekundet 145 . Gemäß Art. 139 SDÜ ist das Abkommen am 1.9.1993 in Kraft getreten. Vom Datum des Inkrafttretens ist das tatsächliche Inkraftsetzen zu unterscheiden 146 . In einer gemeinsamen Erklärung zu Art. 139 SDÜ haben die Vertragsstaaten festgelegt, daß das Übereinkommen erst in Kraft gesetzt werden solle, wenn die Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt worden seien, insbesondere das Schengener Informationssystem (SIS) einsatzfähig sei. Die Inkraftsetzung des SDÜ erfolgte für die fünf Gründerstaaten sowie für Spanien und Portugal am 26.3.1995. Für Italien, Griechenland und Österreich war die Inkraftsetzung des Abkommens ursprünglich zum Herbst 1997 vorgesehen 147, doch bestanden zwischenzeitlich Bedenken, ob alle Voraussetzungen bis zu diesem Zeitpunkt erfüllt sein würden 148 . Schließlich einigten sich die Regierungschefs und die Innenminister Deutschlands, Österreichs und Italiens auf einen Wegfall der Grenzkontrollen zum 1. April 1998 149 . Die endgültige Entscheidung über die Inkraftsetzung obliegt jedoch dem Schengener Exekutivausschuß.
2. Überblick über den Inhalt des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) "Die Binnengrenzen dürfen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden." Diese Aussage des Art. 2 Abs. 1 SDÜ beinhaltet die - nunmehr konkrete - Verpflichtung der Vertragsparteien zur Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen. Während Art. 8 a EGV Freizügigkeit nur für Unionsbürger und auch für diese nur unter Vorbehalt vorsieht 150 , geht Art. 2 Abs. 1 SDÜ einen Schritt weiter. Die Abschaffung der Binnengrenzen begünstigt Bürger der Schengen-Vertragsstaaten ebenso wie andere Unionsbürger
145
Huber, NVwZ 1996, 1069 (1070); Deutschland strebt im Verhältnis zur Schweiz die Übernahme der Art. 39 ff. SDÜ an, vgl. Wolters, Kriminalistik 1997, 86 (87). 146 Zu dieser völkerrechtlichen Neuerung Woltjer, MJ 1995, 256 (258 f.). 147 Vgl. Schengen Jahresbericht 1996, SCH/C (97) 22, Def., vom 25. April 1997, S. 2. 148 Vgl. FAZ vom 26.6.1997, S. 5, FAZ vom 2.7.1997, S. 6 ("Ist Österreich "schengenreif'?"), sowie FAZ vom 5.7.1997, S. 5 ("Streit um "Schengen-Reife" Österreichs"). 149 FAZ vom 19.7.1997, S. 1 f. 150 Dazu Schütz, AöR 120 (1995), 509 ff.
II. Die Schengener Abkommen
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oder "Drittausländer" 151 . Es findet keine Kontrolle mehr statt 152 . Aus der gegenseitigen Verpflichtung der Staaten, die Grenzkontrollen abzubauen, folgt jedoch kein Individualrecht der Bürger auf Einreise 153 . Art. 2 Abs. 2 SDÜ läßt von der Regel der Personenfreizügigkeit "für einen begrenzten Zeitraum" Ausnahmen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit zu 1 5 4 . Wesentlich breiteren Raum als die Vereinbarung der Abschaffung der Grenzkontrollen nehmen die im folgenden beschriebenen Ausgleichsmaßnahmen ein, die den vermeintlichen Sicherheitsverlust infolge des Abbaus der Grenzkontrollen kompensieren sollen 155 . a) Schärfere Kontrollen an den Außengrenzen Voraussetzung für den Abbau der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ist eine Harmonisierung der Kontrollen an den Außengrenzen. Die Außengrenzen dürfen grundsätzlich nur an den Grenzübergangsstellen und während der festgesetzten Verkehrsstunden überschritten werden 156 . Um die Einhaltung dieser Vorschrift sicherzustellen, sind die Außengrenzen außerhalb der Grenzübergangsstellen durch Streifen zu sichern 157 . Art. 6 SDÜ beläßt die Zuständigkeit für die Kontrolle der Außengrenzen zwar bei den nationalen Behörden, 151
Nach der Definition des Art. 1 SDÜ sind "Drittausländer" nur Personen, die nicht Staatsangehörige eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften sind; ein Unterschied zwischen Angehörigen der Schengen-Staaten und denen anderer EUStaaten wird nicht gemacht. 152 Zu den Auswirkungen des Schengener Durchführungsübereinkommens auf das Zollrecht Dorsch, Zollrecht, Einl. A Rdnrn. 58 ff.; zur Situation an den bayerischen Binnengrenzen Beinhofer, BayVBl. 1995, 193 (194 ff.). 153 Pieroth, VerwArch 88 (1997), 568 (591). 154 Unter Berufung auf diese Vorschrift finden in Frankreich nach wie vor Grenzkontrollen statt, deren vollständiger Abbau zwar mehrfach in Aussicht gestellt wurde, aber dennoch auf sich warten läßt, vgl. FAZ v. 6.2.1996 und FAZ vom 22.12.1995 einerseits sowie SZ vom 29./30.6.1996 andererseits. Der französischen Haltung liegt ein Streit zwischen Frankreich und den Niederlanden über die dortige Drogenpolitik zugrunde. Dazu Theys, Das Schengener Abkommen, S. 12, sowie FAZ v. 22.12.1995 und SZ v. 29./30.6.1996; seit 18. April 1996 finden an den französischen Grenzen zu Deutschland und Spanien keine Grenzkontrollen mehr statt; vgl. Schengen Jahresbericht 1996, S. 3. 155 Zurückhaltend gegenüber der Bedeutung der Grenzkontrollen für die organisierte Kriminalität und den Drogenhandel Benyon/Turnbull/Willis/Woodward/Beck, Co-operation, S. 29; Benyon, Internal Affairs 1994, 497 (499 f.); vgl. auch Kattau, Strafverfolgung, S. 42 ff; Hellenthal Die Polizei 1995, 1; eine Übersicht über die Entwicklung der Kriminalität nach Wegfall der Grenzkontrollen enthalten BMI, Jahresbericht, S. 4 f., und der Schengen-Erfahrungsbericht 1996 der Innenministerkonferenz, S. 3 ff. 156 Art. 3 Abs. 1 Satz 1 SDÜ. 157 Art. 6 Abs. 3 SDÜ. 5 Harings
Police
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
legt aber einheitliche Grundsätze für die Durchführung dieser Kontrollen fest 158 . Danach sind alle Personen einer Identitätskontrolle zu unterziehen. Drittausländer unterliegen darüberhinaus bei der Einreise einer Kontrolle ihrer mitgefuhrten Sachen und Fahrzeuge. Sie müssen nachweisen, daß sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes für die Dauer des Aufenthaltes und für die Rückreise verfügen 159 . Die erforderlichen Maßnahmen werden jeweils nach dem Recht der kontrollierenden Vertragspartei durchgeführt. Besondere Vorschriften bestehen für die Kontrolle an Flughäfen 160 . Eine Differenzierung zwischen anderen EU-Staaten und sonstigen Drittstaaten wird nicht getroffen 161 . b) Harmonisierung der Sichtvermerkspolitik
162
Für einen kurzfristigen Aufenthalt bis zu drei Monaten wird gemäß Art. 10 Abs. 1 SDÜ ein einheitlicher Sichtvermerk eingeführt, der für das Hoheitsgebiet aller Vertragsparteien gültig ist. Ein von Deutschland ausgestelltes "Schengen-Visum" berechtigt deshalb auch zum Aufenthalt in allen übrigen Schengen-Staaten163. Die Modalitäten für die Erteilung werden in den Artikeln 13 bis 15 SDÜ sowie darüberhinaus durch den Exekutivausschuß164 festgelegt. Sichtvermerke für Aufenthalte über drei Monate bleiben auf das Hoheitsgebiet des ausstellenden Staates beschränkt. Sie berechtigen grundsätzlich nur zur Durchreise in den übrigen Vertragsstaaten 165. Personen, die nicht der Visumpflicht unterliegen, können sich bis zu einer Dauer von drei Monaten im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien frei bewegen.
158 Vgl. Epiney (Fn. 141), S. 56: Der handelnde Grenzbeamte als "Sachwalter" der Interessen der anderen Vertragsstaaten; zur Information über die Durchführung der Grenzkontrollen haben die Schengen-Staaten sog. "Besuchsteams" eingerichtet, dazu Schengen-Jahresbericht 1996, S. 4. 159 Kritisch dazu Epiney (Fn. 141), S. 61 ff.; vgl. auch Westphal, Die Polizei 1995, 114 (115 ff.); ders., LKV 1996, 154. 160 Art. 4 SDÜ; dazu Bonnefoi, Sécurité intérieure, S. 104 f. 161 Darauf weist Bieber, NJW 1994, 295, zurecht hin; er übersieht jedoch den Unterschied zwischen den Definitionen des "Drittstaats" und des "Drittausländers" in Art. 1 SDÜ; "Drittstaat" ist ein Staat der nicht Vertragspartei des SDÜ ist. 162 Vgl. nunmehr auch Art. 100 c EGV, der eine Zuständigkeit der EG für die Visapolitik begründet; dazu Nanz, Visapolitik, S. 63 ff. 163 Chocheyras, AFDI 37 (1991), 807 (811 f.); Fontanaud, Problèmes politiques et sociaux Nr. 763/764 (1996), S. 45; Hildebrandt, in: Heckmann/Tomei, Freizügigkeit, S. 49; jede Vertragspartei kann allerdings das Visum räumlich beschränken, vgl. Néel , AJDA 1991,659 (670). 164 Dazu Dörr, DÖV 1993, 696 ff. 165 Vgl. Art. 18 SDÜ.
II. Die Schengener Abkommen c) Zuständigkeitfür
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Asylverfahren
Die Artikel 29 ff. SDÜ enthalten Bestimmungen über die Zuständigkeit der Vertragsstaaten in Asylsachen. Eine Regelung dieses Bereichs wurde für notwendig erachtet, um innerhalb der offenen Grenzen sowohl die mehrfache Antragstellung abgewiesener Asylbewerber zu verhindern als auch Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß sich kein Staat für zuständig erklärt. Die Zuständigkeit eines Staates für die Behandlung der Asylbegehren ergibt sich, unabhängig vom Ort der Antragstellung, aus den in Art. 30 SDÜ festgelegten Kriterien. Danach ist zunächst der Staat zuständig, der einen Sichtvermerk oder eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Ein weiteres Kriterium für die Zuständigkeit bildet das Überschreiten der Außengrenze. Der Staat, über dessen Außengrenze der Asylbegehrende das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten betreten hat, ist für die Durchführung des Asylverfahrens verantwortlich, wenn nicht ein anderes Kriterium vorrangig zu berücksichtigen ist. Der jeweils zuständige Staat entscheidet über das Asylbegehren nach Maßgabe seines nationalen Rechts. Eine Harmonisierung des materiellen Asylrechts 166 ist mit den Regelungen des SDÜ nicht bezweckt, wohl aber eine Koordinierung der Asylpolitik 167 . Der Anwendungsbereich der Art. 29 ff. SDÜ überlappt sich mit den Bestimmungen des Übereinkommens der EG-Staaten von Dublin 1 6 8 , das insofern vorrangig zu beachten ist 169 . Das Dubliner Übereinkommen ist am 1.9.1997 in Kraft getreten 170. Die asylrechtlichen Vorschriften haben - neben den Bestimmungen zur polizeilichen Zusammenarbeit - in den Schengen-Staaten die größten politischen und verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Durchfuhrungsübereinkommen hervorgerufen 171.
166
Dazu Hailbronner, in: Piazolo/Grosch, Festung oder offene Grenzen, S. 71 ff; Weber, ZRP 1993, 170; aus französischer Sicht Fromont, in: Bernhardt-FS, S. 1177 ff. 167 So Achermann, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, Schengen, S. 81 ff. 168 Dazu Müller-Graff in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 49 ff; eine Gegenüberstellung der jeweiligen Vorschriften findet sich bei Bonnefoi, Sécurité intérieure, S. 114; vgl. auch Gerlach, ZRP 1993, 164; Weber, ZAR 1993, 11 (13); Jessurun d'Oliveira, in: O'Keeffe/Twomey, Maastricht Treaty, S. 272. 169 Bonner Protokoll zum Dubliner Übereinkommen und Schengener Durchführungsübereinkommen vom 26.4.1994, BGBl. 1995 II, 738; vgl. auch Borchmann, NJW 1997, 101 (105). 170 Vgl. Huber, NVwZ 1998, 150 f. 171 Zur Diskussion in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden Woltjer, MJ 1995, 256 (266 ff.); vgl. für Frankreich auch die Entscheidung des Conseil Constitutionnel vom 25. Juli 1991, abgedruckt in AJDA 1991, 675, dazu Fontanaud, Problèmes politiques et sociaux Nr. 763/764 (1996), S. 15 ff. *
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit d) Verbesserung der Rechtshilfe und Auslieferung in Strafsachen
172
Die Vorschriften über die Rechtshilfe ergänzen bereits bestehende Abkommen zwischen den Vertragsstaaten, insbesondere das Europäische Übereinkommen über Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 173 . Hervorzuheben ist, daß vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit in den Art. 49 lit a) und 51 lit a) SDÜ abgewichen wird 1 7 4 . Die Kommunikation über Rechtshilfeersuchen findet unmittelbar zwischen den zuständigen Justizbehörden statt 175 . Art. 52 SDÜ erlaubt den Staaten, gerichtliche Urkunden an Personen, die sich im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, unmittelbar durch die Post zu übersenden. Dies erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich, doch gelten im Völkerrecht auch Zustellungen auf fremdem Staatsgebiet als Hoheitsakte 176 , die grundsätzlich verboten sind. Art. 52 Abs. 1 SDÜ stellt demnach den erforderlichen völkerrechtlichen Erlaubnissatz dar. Ebenso wie die Vorschriften über Rechtshilfe erleichtern und modifizieren die Art. 59 ff. SDÜ die bestehenden Vereinbarungen zur Auslieferung 177 . Eine Person kann gemäß Art. 66 SDÜ auch ohne förmliches Verfahren ausgeliefert werden, wenn sie nach persönlicher Belehrung damit einverstanden ist und die Auslieferung nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei nicht offensichtlich unzulässig erscheint. Gemäß Art. 62 SDÜ sind bestimmte Prozeßhindernisse 178, die allein im Recht der ersuchten Vertragspartei bestehen, unbeachtlich. Die Unterbrechung der Verjährung - nicht die Verjährung selbst - richtet sich nach dem Recht der ersuchenden Vertragspartei. Art. 65 Abs. 1 SDÜ erlaubt für Auslieferungsersuchen nunmehr den direkten ministeriellen Geschäftsweg 179.
172
Zu den Problemen in diesen Bereichen Nehm, DRiZ 1996, 41, sowie Schomburg, NJW 1995, 1931; kritisch auch Polimeni, in Pauly, Schengen, S. 53 ff. 173 BGBl. 1964 II, 1369 (EuRhÜbk). 174 Ähnliche Abweichungen fanden sich bisher schon in bilateralen Vereinbarungen, vgl. etwa Artikel I des Vertrages zwischen Deutschland und Frankreich vom 24. Oktober 1974, BGBl. 1978 II, S. 329; 1980 II, S. 1435, oder Artikel 4 des Gesetzes zum Vertrag vom 30. August 1979 zwischen Deutschland und den Niederlanden vom 21. Dezember 1981, BGBl. 1981 II, S. 1158. 175 Art. 53 Abs. 1 SDÜ. Hingegen sind nach Art. 15 Abs. 1 EuRHÜbk Rechtshilfeersuchen in der Regel über den ministeriellen Geschäftsweg zu übermitteln. 176 Vgl. nur Siegrist, Hoheitsakte, S. 168 ff.; Meng, Jurisdiktion, S. 123 ff. 177 Insbesondere das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Sepember 1957, BGBl. 1964 II, 1369, 1371; 1976 II, 1778. 178 Z.B. nach Art. 62 Abs. 3 SDÜ fehlender Strafantrag bei Strafantragserfordernis nur im Recht der ersuchten Vertragspartei. 179 Allein Frankreich hat als zuständiges Ministerium zur Entgegennahme von Auslieferungsersuchen das Außenministerium benannt; zur Begründung Rüter, in: Tröndle-FS, S. 855 (861): Ehrwürdiger und traditionsreicher Kleinkrieg zwischen Justiz- und Außenministerium.
II. Die Schengener Abkommen
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Wegen der erweiterten Möglichkeiten zur Auslieferung mußten die Vertragsparteien auch Regelungen über die Vermeidung von Doppelbestrafungen treffen 180 . e) Betäubungsmittel- und Waffenrecht Im Betäubungsmittel- und Waffenrecht wird eine intensive Zusammenarbeit vereinbart. Angesichts der divergierenden Auffassungen zur Drogenpolitik kommt einigen Normen nur Programmcharakter zu 1 8 1 . Gemeinsame Aktionen zur Bekämpfung des Drogenhandels soll Art. 73 SDÜ ermöglichen, der die sog. "kontrollierte Lieferung" behandelt182. Der Begriff der kontrollierten Lieferung wird im SDÜ nicht definiert. Er dürfte jeoch hinsichtlich der Betäubungsmittel identisch sein mit der Definition des "kontrollierten Transportes" in Nr. 29a RiStBV 1 8 3 . Sichergestellt wird in Art. 73 Abs. 3 SDÜ, daß die Herrschaft und die Befugnis zum Einschreiten bei den Behörden der Vertragspartei liegt, auf deren Hoheitsgebiet die Operation durchgeführt wird. Detaillierte Vorschriften regeln in den Art. 77 ff. SDÜ Erwerb, Besitz, Vertrieb und das Überlassen von Feuerwaffen und Munition 184 . Die Vertragsparteien verpflichten sich, ihre nationalen Gesetze den Bestimmungen des SDÜ anzupassen. Schußwaffen werden differenziert nach verbotenen, erlaubnispflichtigen und meldepflichtigen Waffen. A u f diese Weise kann der Besitz gefährlicher Waffen einer staatlichen Kontrolle unterzogen werden. Das in Art. 91 SDÜ geschaffene Informationssystem über den Erwerb von Feuerwaffen gewährleistet die schnelle Übermittlung der sicherheitsrelevanten Daten. Erfaßt
180
Art. 54 bis Art. 58 SDÜ; dazu Kattau, Strafverfolgung, S. 80 f.; Lagodny, NStZ 1997, 265; vgl. auch OLG Saarbrücken, NStZ 1997, 245; OLG Hamburg, wistra 1996, 193; LG Hamburg, wistra 1996, 359. 181 Z.B. Art. 71 Abs. 5, Art. 72 und 76 SDÜ; vgl. Joubert/Bevers, Rev. sc. crim. 1992, 707 (722 f.). 182 Dazu Busch, Grenzenlose Polizei, S. 326. 183 "Kontrollierte Durchfuhr ist der von den Strafverfolgungsbehörden überwachte illegale Transport von Betäubungsmitteln, Waffen, Diebesgut, Hehlerware u.ä. vom Ausland durch das Inland in ein Drittland; kontrollierte Ausfuhr ist der vom Inland ausgehende überwachte illegale Transport in das Ausland; kontrollierte Einfuhr ist der überwachte illegale Transport vom Ausland in das Inland." Nr. 29b ff. RiStBV legen die Voraussetzungen und die Zuständigkeiten für die Durchführung eines kontrollierten Transportes fest; die Entscheidung über die Durchführung liegt beim Staatsanwalt; rechtsvergleichend zur kontrollierten Lieferung Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 195 ff. 184 Weitgehend identisch ist die Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991, ABl. EG Nr. L 256/51, die am 1.1.1993 in Kraft getreten ist; dazu Bonnefoi, Sécurité intérieure, S. 49, 136.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
werden die Identität des Erwerbers und der Waffe sowie das Datum des Erwerbes. f) Polizeiliche Zusammenarbeit aa) Grenzpolizeiliche Zusammenarbeit Art. 39 SDÜ sieht eine Verbesserung der polizeilichen Kommunikation im Bereich der vorbeugenden Bekämpfung und der Aufklärung von Straftaten vor. In den Mittelpunkt des Informationsaustausches rücken die mit der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit beauftragten zentralen Stellen, doch läßt Art. 39 Abs. 3 SDÜ in Eilfällen den direkten Kontakt zwischen den betroffenen Polizeidienststellen zu. Es besteht eine umfassende Verpflichtung zur gegenseitigen polizeilichen Amtshilfe nach Art. 39 Abs. 1 SDÜ 185 . Diese Verpflichtung steht allerdings unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit einer solchen Informationsweitergabe nach nationalem Recht. Art. 39 SDÜ erweitert die Befugnisse der Polizei im Verhältnis zum betroffenen Bürger nicht 186 . Einer mißbräuchlichen Verwendung von Daten im Strafverfahren wirkt Art. 39 Abs. 2 SDÜ entgegen. Danach können schriftliche Informationen, die im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 39 Abs. 1 SDÜ übermittelt werden, nur mit Zustimmung der Justizbehörde der ersuchten Vertragspartei als Beweismittel im Strafverfahren der ersuchenden Partei verwendet werden 187 . Nach Art. 46 SDÜ können die Polizeidienststellen sich untereinander ohne vorheriges Ersuchen Informationen mitteilen (sog. Spontaninformationen), die für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten oder den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von Bedeutung sein können 188 . Die zentralen Bestimmungen dieses Kapitels beinhalten jedoch die Artikel 40 und 41 über die grenzüberschreitende Observation und Nacheile. Unter bestimmten Voraussetzungen wird den Beamten einer Vertragspartei das Recht eingeräumt, eine im Inland begonnene Observation, bzw. die Verfolgung eines auf frischer Tat betroffenen Straftäters, auf dem Hoheitsgebiet des Nachbarstaates fortzusetzen. Darin liegt eine gänzlich neue Qualität der grenzüber185 Dies wird von Krüger, Kriminalistik 1994, 773 ff, und Wolters, Kriminalistik 1995, 172 (173), als entscheidendes Novum des Art. 39 SDÜ begrüßt; kritisch Busch, Grenzenlose Polizei, S. 322 f. 186 Vgl. Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 448. 187 Kritisch dazu Wolters, Kriminalistik 1997, 86 (88), der auch auf die Schwierigkeiten hinweist, die aus den unterschiedlichen Befugnissen der nationalen Polizeien resultieren. 188 Vgl. zur Bedeutung dieser Vorschrift Schengen-Erfahrungsbericht 1996, S. 9: Über 10.000 Informationskontakte nach Art. 46 SDÜ allein im Raum Aachen/ Maastricht/Eupen.
II. Die Schengener Abkommen
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schreitenden Zusammenarbeit 189, wird doch durch ein Abkommen 190 fremden Hoheitsträgern die Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit auf dem eigenen Staatsgebiet gestattet191. 1996 wurden mindestens 135 grenzüberschreitende Observationen und 39 Nacheilehandlungen von und nach Deutschland durchgeführt, die Mehrzahl davon im Verhältnis zu den Niederlanden 192. Die Observationseinsätze dienten überwiegend der Bekämpfung des Drogenhandels und der Organisierten Kriminalität 193 . bb) Das Schengener Informationssystem (SIS) Kernstück der informationellen polizeilichen Zusammenarbeit ist die - dem deutschen INPOL-System 194 nachgebildete - Einrichtung des Schengener Informationssystems (SIS) 195 , das langfristig zu einem Europäischen Informationssystem (EIS) ausgebaut werden soll 196 . Dieses System besteht aus einem nationalen Teil, der bei jeder Vertragspartei eingerichtet wird, und einer technischen Unterstützungseinheit mit Sitz in Straßburg 197. Durch einen ständigen Datenabgleich der nationalen Systeme mit dem Zentralcomputer wird die Identität der Daten sichergestellt 198. Als gemeinsames Fahndungssystem199 der 189 O'Keeffe, Yearbook of European Law (YEL) 1991, 185 (202): "(H)ot pursuit (Nacheile, d.Verf.) as an infringement of the basic conceptions of sovereignity". 190 Unmittelbar zulässig aufgrund der Bestimmungen des SDÜ sind nur die Spontanobservation nach Art. 40 Abs. 2 SDÜ sowie die Nacheile gemäß Art. 41 SDÜ. Die geplante Observation nach Art. 40 Abs. 1 SDÜ setzt die Zustimmung des Nachbarstaates aufgrund eines Rechtshilfeersuchens voraus. Grenzüberschreitende Observationen aufgrund eines Rechtshilfeersuchens fanden schon vor Inkraftsetzen des SDÜ statt und sind heute im Verhältnis zu Nicht-Schengen-Staaten (z.B. der Schweiz) von Bedeutung. 191 Würz, SDÜ, Rdnr. 82; kritisch dazu Rüter (Fn.), S. 868. 192 Vgl. Schengen-Erfahrungsbericht 1996, S. 7. 193 BMI, Das Schengener Abkommen, S. 76. 194 Dazu Siebrecht, JZ 1996, 711 ff. 195 Titel IV, Art. 92 bis 119 SDÜ; dazu Scheller, JZ 1992, 904; zur Funktionsweise in der Praxis Hemesath, Kriminalistik 1995, 169. 196 Wewel, in: Müller-Graff, Europäische Zusammenarbeit, S. 119; Busch, Grenzenlose Polizei, S. 335; vgl. auch Entschließung des Rates vom 14. Oktober 1996 zur Festlegung der Prioritäten für die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres für den Zeitraum vom 1. Juli 1996 bis zum 30. Juni 1998, ABl. 1996 Nr. C 319/1. 197 Diese ist keine europäische Zentralstelle mit eigenen Befugnissen, sondern eine bloße Recheneinheit, vgl. Busch, Grenzenlose Polizei, S. 326; anders wohl Schreckenberger, VerwArch 88 (1997), 389 (405): Selbständiger Charakter der Fahndungszentrale. 198 Scheller, JZ 1992, 904 (905). 199 Dazu Busch, Grundrechte-Report, S. 25 (26 f.), der allerdings kritisiert, daß die Fahndung sich weniger auf Straftäter als auf abgelehnte und abgeschobene Asylbewerber beziehe; zur Fahndung über Internet So ine, NStZ 1997, 166.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Schengen-Staaten gewährleistet das SIS eine schnelle Datenübertragung. Es speichert Ausschreibungen nach Personen oder Sachen, die im automatisierten Verfahren bei Kontrollen an den Außengrenzen oder im Landesinnern abgerufen werden können. Derzeit werden rund 4,6 Millionen Datensätze vom SIS erfaßt. Über 30.000 Treffer konnten erzielt werden 200 . Den Hauptdatenbestand stellen Deutschland und Frankreich zur Verfügung 201 .
3. Rechtliche Voraussetzungen und praktische Durchführung der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit a) Grenzüberschreitende
Observation und Nacheile
Während die allgemeine Bestimmung des Art. 39 SDÜ zur Amts- und Rechtshilfe sowohl die vorbeugende Verbrechensbekämpfung als auch den Bereich der Strafverfolgung erfaßt, sind grenzüberschreitende Observation und Nacheile gemäß Art. 40 und 41 SDÜ auf den repressiven Bereich begrenzt 202. Dies ist eine Folge der damit verbundenen Preisgabe von Souveränität, die auf ein Minimum begrenzt werden soll. Das Ermittlungsverfahren setzt einen Anfangsverdacht und damit einen konkreten Anhaltspunkt voraus, während im präventiv-polizeilichen Bereich der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit kaum Grenzen gesetzt wären. Die Bestimmungen über Observation und Nacheile ähneln sich inhaltlich in vielen Details, doch bestehen auch bedeutende Unterschiede, so daß sie im folgenden eine getrennte Behandlung erfahren. Bilaterale Vereinbarungen gemäß Art. 39 Abs. 4, Art. 40 Abs. 6 und Art. 41 Abs. 10 SDÜ bleiben dabei außer Acht 2 0 3 . 200
Zahlen nach dem Schengen-Erfahrungsbericht 1996, S. 15; vgl. auch die Tabelle auf S. 18 des Jahresberichts-Schengen 1996. 201 Bericht der Ad-hoc-Arbeitsgruppe "Ausgleichsmaßnahmen EG-Binnenmarkt", in: BMI, Das Schengener Abkommen, S. 72; kritisch zur Zurückhaltung anderer Staaten Nehm, DRiZ 1996, 41 (45 f.). 202 Im Hinblick auf eine mögliche zukünftige Ausdehnung der Befugnisse auf die präventive polizeiliche Tätigkeit soll diese im zweiten und dritten Teil der Arbeit im Auge behalten werden. 203 Solche Vereinbarungen bestehen mit Luxemburg (BGBl. 1996 II, 1203) und den Niederlanden (vgl. FAZ vom 6.2.1997, S. 5), im übrigen sind sie in Vorbereitung. Sie betreffen im wesentlichen Zuständigkeitsverteilungen und Verfahrensfragen. Die Zusammenarbeit mit Frankreich basierte lange auf dem deutsch-französischen Abkommen vom 3. Februar 1977, BGBl. 1978 II, 1403, sowie auf dem in Metz am 12. Oktober 1992 unterzeichneten 28-Punkte-Programm. Am 16. September 1997 schließlich unterzeichneten Vertreter der französischen Gendarmerie Nationale und der Polizei aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland eine neue Übereinkunft zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, vgl. FAZ v. 17.9.1997, S. 3; zu weiteren bilateralen Vereinbarungen zwischen Schengen-Staaten vgl. SchengenJahresbericht 1996, S. 3.
II. Die Schengener Abkommen
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aa) Die grenzüberschreitende Observation (1) Der Begriff der Observation Der Begriff "Observation" wird im Schengener Durchführungsübereinkommen nicht definiert. Er bezeichnet in Deutschland die planmäßige Beobachtung von Personen, Personengruppen oder Objekten zur Gewinnung von Informationen für die polizeiliche Tätigkeit 204 . Im internationalen Sprachgebrauch gibt es keine "amtliche" Definition. Joubert/Bevers 205 verwenden die Kurzformel "watching without being watched", weisen aber selbst auf die Unzulänglichkeit dieses Erklärungsversuchs hin. Die Observation findet in der Regel ohne Kenntnis des Betroffenen statt, doch ist die Heimlichkeit der Maßnahmen kein Wesensmerkmal. Vielmehr kann die Kenntniserlangung durch den Beobachteten beabsichtigt sein, um ein bestimmtes Verhalten hervorzurufen. Eine Observation kann sowohl zum Zwecke der Gefahrenabwehr als auch im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens stattfinden. Im ersteren Fall wird die Polizei präventiv tätig und findet die Rechtsgrundlage für ihr Handeln in den Polizeigesetzen der Länder, die überwiegend Spezialermächtigungen eingeführt haben 206 . Ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel erübrigt sich in diesen Fällen. Keine spezielle Ermächtigung enthält die StPO für Observationen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens 207. Allerdings setzt § 100 c Abs. 1 Nr. 1 lit b) StPO die Zulässigkeit einer Observation nunmehr voraus 208 . Zuständig für die Anordnung ist der Staatsanwalt als Leiter des
204 Benfer, Grundrechtseingriffe, S. 243; Perschke, Ermittlungsmethoden, S. 14; Deutsch, Informationen, S. 7; Riegel, Datenschutz, S. 116; Würz, Polizeiaufgaben, Rdnr. 270; überzeugend hinsichtlich des Eingriffscharakters einer Observation Neumann, Vorsorge, S. 116 ff 205 Schengen Investigated, S. 127 f., 133, zum internationalen Sprachgebrauch und zum Begriff. 206 Vgl. nur Art. 33 I bayPAG; § 22 I Nr. 1 bwPolG; § 15 I HSOG; § 16 I nwPolG; eine Spezialermächtigung wird überwiegend dort für notwendig erachtet, wo die Beobachtung länger als 24 Stunden andauert oder an mehr als zwei Tagen vorgesehen ist oder tatsächlich durchgeführt wird; zustimmend Rogall, Informationseingriff, S. 89 f. 207 Vgl. zur kontroversen Diskussion um § 163 StPO als Eingriffsgrundlage in diesem Zusammenhang Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, Datenschutz, S. 216 ff.; Vahle/Butt gereit, Eingriffsrechte, S. 171; Keller, StV 1984, 521, sowie Kramer, NJW 1992, 2732 (2733 f.) m.w.N.; nicht überzeugend hinsichtlich der Beobachtung von Personen Perschke, Ermittlungsmaßnahmen, S. 118, dem eine klare Bestimmung der Reichweite des § 163 StPO nicht gelingt. 208 Riegel, Datenschutz, S. 117; Würz, SDÜ, Rdnr. 84, der die längerfristige Observation deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 100 c Abs. 1 Nr. 1 lit b) StPO für zulässig hält, was allerdings die Anordnungszuständigkeit grundsätzlich auf den Richter verlagert; zum Ganzen auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 163 Rdnr. 34.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Ermittlungsverfahrens 209. Dies ergibt sich für grenzüberschreitende Observationen im Verhältnis zu Luxemburg bereits aus Art. 5 Abs. 2 der deutschluxemburgischen Vereinbarung. Danach ist der Leitende Oberstaatsanwalt Bewilligungsbehörde für grenzüberschreitende Observationen. (2) Zulässigkeit des Grenzübertritts Gemäß Art. 40 Abs. 1 SDÜ sind Beamte einer Vertragspartei, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens in ihrem Land eine Person observieren, die einer auslieferungsfähigen Straftat verdächtig ist, befugt, die Observation auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei fortzusetzen, wenn diese einem entsprechenden Rechtshilfeersuchen zugestimmt hat. Das Ersuchen ist an die in Art. 40 Abs. 5 SDÜ bezeichneten Behörden zu richten, die entweder selbst zur Entscheidung befugt sind oder es an die zuständigen Stellen übermitteln. Das Bundeskriminalamt, das von Deutschland als Behörde im Sinne von Art. 40 Abs. 1 und 2 SDÜ bezeichnet wurde, hat keine eigene Entscheidungsbefugnis. Eine Verpflichtung, die Zustimmung zu erteilen, besteht nach dem SDÜ nicht. Die Zustimmung zur Durchfuhrung einer grenzüberschreitenden Observation stellt sich jedoch als eine Maßnahme der Rechtshilfe im Sinne des EuRhÜbk dar 210 . Soweit keine bilateralen Vereinbarungen zwischen den Staaten bestehen, ist deshalb auf Art. 1 EuRhÜbk abzustellen, der die Vertragsstaaten verpflichtet, einander "soweit wie möglich" Rechtshilfe zu leisten 211 . Die Zustimmung zur Observation kann nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 SDÜ mit Auflagen verbunden werden. In Eilfällen bedarf der Grenzübertritt nicht der vorherigen Zustimmung des Nachbarstaates, wenn noch während der Observation eine Mitteilung an die zuständige Behörde erfolgt und ein Rechtshilfeersuchen unverzüglich nachgereicht wird. In diesem sind auch Gründe für die Eilbedürftigkeit anzugeben. In jedem Fall ist die Observation einzustellen, wenn die andere Vertragspartei es verlangt oder wenn die erforderliche Zustimmung nicht fünf Stunden nach Grenzübertritt vorliegt 212 . Der Kreis der Straftaten, deren die zu observierende 209 Vgl. Nr. 3 II der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), abgedruckt bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Anhang A 14, sowie dies, aaO., § 163, Rdnr. 3. 210 Aus diesem Grund ist auch Art. 39 SDÜ nicht anwendbar, der die Zusammenarbeit der Polizeibehörden regelt. 211 Nach Art. 2 EuRhÜbk kann Rechtshilfe nur verweigert werden in Zusammenhang mit politischen und fiskalischen strafbaren Handlungen sowie unter Berufung auf den nationalen ordre public. Die Möglichkeiten zur Durchsetzung der grundsätzlichen Verpflichtung sind jedoch im Völkerrecht sehr gering; vgl. Endres, Verbrechensbekämpfung, S. 46: "Gutgemeinte Absichtserklärung". 212 Art. 40 Abs. 2 SDÜ.
II. Die Schengener Abkommen
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Person verdächtig sein muß, wird in den Eilfällen nochmals eingeschränkt. Nicht alle auslieferungsfähigen Straftaten, sondern nur die in Art. 40 Abs. 7 SDÜ enumerativ aufgezählten, schwerwiegenden Straftaten 213 rechtfertigen den Grenzübertritt 214 . (3) Modalitäten der grenzüberschreitenden
Observation
Art. 40 Abs. 3 SDÜ macht die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Observation von der Einhaltung diverser Voraussetzungen abhängig 215 . Zunächst sind die observierenden Beamten an die Bestimmungen des Art. 40 SDÜ und an das Recht der Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet die Observation stattfindet, gebunden216. Sie haben etwaige Anordnungen der örtlich zuständigen Behörden zu befolgen. Im SDÜ selbst nicht näher geregelt ist das Verhältnis dieser nachträglichen Anordnungen zur Bewilligung der Observation durch den Staatsanwalt. Die Bestimmung der im Einzelfall örtlich zuständigen Behörde erfolgt nach dem nationalen Recht des Aufenthaltsstaates. In Deutschland sind die entsprechenden Behörden des Polizeivollzugsdienstes (Polizeidienststellen, Landeskriminalämter) für solche nachträglichen Anordnungen zuständig. Ihre Anordnungen müssen sich im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Bewilligung der Observation bewegen. Dies folgt bereits aus einer Analogie zu § 60 IRG 2 1 7 , der wegen der Zuordnung der grenzüberschreitenden Observation zum Rechtshilferecht anwendbar ist. Zudem können Maßnahmen der Staatsanwaltschaft als übergeordneter Behörde nicht durch nachgeordnete Behörden außer Kraft gesetzt werden. Eine Anordnung zum Abbruch der Observation käme nur in Betracht, wenn die ausländischen Beamten gegen die Bestimmungen des SDÜ, des deutschen Rechts oder Auf-
213
Dazu zählen insbesondere Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Schwerer Diebstahl, Raub, Erpressung, Entführung und Geiselnahme, Unerlaubter Verkehr mit Betäubungsmitteln sowie Waffen- und Sprengstoffdelikte. 214 Zu Recht weist Würz, SDÜ, Rdnr. 98, darauf hin, daß trotz dieser komplizierten Regelung alle wesentlichen Fälle der grenzüberschreitenden Kriminalität erfaßt sind. 215 Ablehnend deshalb Kühne, Kriminalität, S. 97. 216 Kritisch zur Praktikabilität dieser Regelung Wehner, in: Achermann/Bieber/ Epiney/Wehner, S. 172; vgl. andererseits Schreiber, Europäische Einigung, S. 529 (541) für ähnliche Probleme bei einer möglichen Verleihung von Exekutivbefugnissen an Europol. 217 "Hält die für die Bewilligung der Rechtshilfe zuständige Behörde die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe für gegeben, so die die für die Leistung der Rechtshilfe zuständige Behörde hieran gebunden. § 61 bleibt unberührt."; die Vorschrift muß analog angewandt werden, weil die Polizei nicht für die Leistung der Rechtshilfe zuständig ist, sondern die eigenständige Wahrnehmung durch die ausländischen Behörden überwacht.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
lagen der Bewilligung verstoßen. Die Anordnungsbefugnis gilt nur für den Einzelfall. Den observierenden ausländischen Beamten ist das Betreten von Wohnungen und öffentlich nicht zugänglichen Grundstücken untersagt 218. Sie sind nicht befugt, die zu observierende Person anzuhalten oder festzunehmen. Ihre Dienstwaffe dürfen sie, vorbehaltlich eines Widerspruchs der ersuchten Vertragspartei auf ein vorheriges Rechtshilfeersuchen, mit sich führen. Der Gebrauch ist jedoch nur im Falle der Notwehr zulässig219. Die Beamten haben außer in Eilfällen - während der Observation ein Dokument bei sich zu führen, aus dem sich die Erteilung der Zustimmung ergibt. Sie müssen jederzeit in der Lage sein, ihre amtliche Funktion nachzuweisen. (4) Die Durchführung in der Praxis Die Anwendung des SDÜ in der Praxis soll folgendes Beispiel zeigen: Die Kriminalpolizei Karlsruhe hat Hinweise auf die Drogenbeschaffungsfahrt eines Dealers in die Niederlande. Eine Observation soll das nötige Beweismaterial für eine strafrechtliche Verurteilung erbringen. Da die beabsichtigte Observation der Strafverfolgung zuzurechnen ist, muß zunächst der zuständige Staatsanwalt als Leiter der Ermittlungen eingeschaltet werden. Dieser entscheidet über das weitere Vorgehen. Unterstützt er den Vorschlag der Polizei, ordnet er die Observation in Deutschland an und stellt ein Rechtshilfeersuchen an den gemäß Art. 40 Abs. 5 SDÜ landesweit zuständigen Staatsanwalt für grenzüberschreitende Observation in den Niederlanden 220. Das Rechtshilfeersuchen ist in der Regel zunächst gerichtet auf die Übernahme der Observation durch niederländische Kollegen, und nur hilfsweise auf die Fortsetzung der Observation durch deutsche Beamte. Sollte dem Hilfsantrag entsprochen und eine echte grenzüberschreitende Observation nach Art. 40 Abs. 1 SDÜ bewilligt werden, würde diese meist durch Beamte eines Mobilen 218 Diese Einschränkung zeigt sehr deutlich, daß hoheitlich handelnde Beamte, auch wenn sie keine Zwangsgewalt ausüben, im Völkerrecht nicht Privatpersonen gleichgestellt werden können. 219 Zu den unterschiedlichen Voraussetzungen der Notwehr in Belgien, den Niederlanden und Deutschland Brammertz/Bourdoux/Hartwig, Die Polizei 1996, 33; zu Frankreich Würz, SDÜ, Rdnr. 115; vgl. auch Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 325 ff. 220 Zur Vereinfachung der Kooperation sind bei den Landeskriminalämtern BadenWürttemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland "Koordinierungsstellen für internationale Zusammenarbeit" eingerichtet worden. Diese können - in der Praxis durchaus häufig mit der Übermittlung des Ersuchens betraut werden, da sie eine größere Erfahrung haben, welche Erfordernisse im Einzelfall erfüllt sein müssen, und gleichzeitig die polizeiliche Zusammenarbeit in Gang setzen.
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Einsatzkommandos (MEK) des Landeskriminalamtes durchgeführt werden, nicht durch die Sachbearbeiter der Kriminalpolizei vor Ort. Im umgekehrten Fall einer grenzüberschreitenden Observation nach Deutschland wird das Rechtshilfeersuchen gemäß Art. 40 Abs. 5 SDÜ an das Bundeskriminalamt gerichtet. Dieses entscheidet jedoch nicht selbst über die Zulässigkeit der Observation, sondern leitet das Ersuchen an die zuständige Staatsanwaltschaft weiter 221 . Nach Nr. 1 lit c) der Bund-Länder-Zuständigkeitsvereinbarung vom 1. Juli 1993 222 hat die Bundesregierung ihre Befugnisse auf die Landesregierung übertragen, in deren Gebiet der Grenzübertritt stattfinden soll. Die Landesregierungen haben von ihrer Befugnis zur weiteren Übertragung gemäß Nr. 3 der Zuständigkeitsvereinbarung Gebrauch gemacht223. Infolge dieser Übertragungskette ist die Staatsanwaltschaft zuständig, in deren Gebiet der Grenzübertritt zu erwarten ist. Ihre Zustimmung zur Observation gilt für das gesamte Bundesgebiet224. bb) Die grenzüberschreitende Nacheile Eine noch differenziertere Regelung als die Observation hat die grenzüberschreitende Nacheile in Art. 41 SDÜ erfahren 225. (1) Zulässigkeit des Grenzübertritts Grundvoraussetzung der Nacheile ist, daß eine Person bei der Begehung einer Straftat auf frischer Tat betroffen und anschließend verfolgt wird 2 2 6 . Straftaten, die zur Nacheile berechtigen, sind gemäß Art. 41 Abs. 4 SDÜ
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Auf der Grundlage der nach Art. 40 Abs. 6 SDÜ abgeschlossenen bilateralen Vereinbarungen kann das Ersuchen auch direkt an die zuständige Staatsanwaltschaft übermittelt werden, vgl. Art. 5 der Vereinbarung zwischen Deutschland und Luxemburg. 222 BAnz. S. 6383. 223 Vgl. für Baden-Württemberg etwa die "Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Justiz- und Innenministeriums Baden-Württemberg über die Ausübung der Befugnisse im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten" vom 9. Dezember 1994, GABI. 1994, 835. 224 Vgl. Nr. 1 c) der Zuständigkeitsvereinbarung. 225 Die Befugnis zur Nacheile über die Landesgrenzen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland erteilt § 167 GVG. Nach dessen Absatz 2 ist der Ergriffene unverzüglich an das nächste Gericht oder die nächste Polizeibehörde des Landes, in dem er ergriffen wurde, abzuführen. 226 Bonnefoi, Sécurité intérieure, S. 124, befürwortet eine restriktive Auslegung dieser Begriffe; vgl. auch Würz, SDÜ, Rdnr. 130, sowie Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 243 ff.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
entweder alle auslieferungsfähigen Straftaten oder besondere Katalogtaten, die im wesentlichen denen des Art. 40 Abs. 7 SDÜ entsprechen 227. Die Vertragsparteien legen die entsprechenden Straftaten in einer Erklärung fest. Die Nacheile ist auch zulässig zur Verfolgung einer aus der Untersuchungshaft oder Strafhaft flüchtigen Person. Die Fortsetzung der Verfolgung auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaats kann ohne Zustimmung dieses Staates erfolgen, wenn dessen zuständige Behörden nicht rechtzeitig unterrichtet werden konnten oder nicht zur Stelle sind, um die Verfolgung zu übernehmen. Spätestens beim Grenzübertritt müssen die nacheilenden Beamten die zuständige Behörde des Gebietsstaates kontaktieren. Die Verfolgung ist auf Verlangen der Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet sie stattfindet, einzustellen. (2) Modalitäten der Nacheile Befugnisse der nacheilenden Beamten und räumliche Grenzen des Nacheilerechts sind im SDÜ nicht einheitlich festgelegt, sondern ebenso wie die zur Nacheile berechtigenden Straftaten den Erklärungen der Vertragsparteien zu entnehmen228. Deutschland hat dabei in weitest möglichem Umfang von den Möglichkeiten des SDÜ Gebrauch gemacht. Es hat den Nachbarstaaten ein zeitlich und räumlich unbegrenztes Nacheilerecht für alle auslieferungsfähigen Straftaten unter Einschluß eines Festhalterechtes eingeräumt. Im Gegensatz dazu haben deutsche Beamte in Frankreich kein Festhalterecht, in Belgien nur während der ersten dreißig Minuten nach Grenzübertritt. Luxemburg räumt zwar wie die Niederlande ein Festhalterecht ein, begenzt aber die Nacheile räumlich auf ein Gebiet von zehn Kilometern entlang der Grenze 229 . Ebenso wie bei der grenzüberschreitenden Observation sind die Beamten an die einschlägigen Bestimmungen des SDÜ sowie das Recht der Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet sie auftreten, gebunden. Das Betreten von Wohnungen und öffentlich nicht zugänglichen Grundstücken ist unzulässig. Die nacheilenden Beamten müssen eindeutig als Beamte erkennbar und in der Lage
227 Ergänzend aufgenommen ist das Unerlaubte Entfernen nach einem Unfall mit schwerer Körperverletzung oder Todesfolge. 228 Die Erklärungen der fünf Gründerstaaten sind abgedruckt in BAnz. v. 23.11.1990, Beilage Nr. 217 a, S. 26 f., sowie in: BMI, Das Schengener Abkommen, S. 49 ff.; eine Gegenüberstellung findet sich bei Bonnefoi, Sécurité intérieure, S. 123, 125; von einer "Gleichwertigkeit der auf beiden Seiten der Binnengrenzen geltenden Regelungen" (Art. 41 Abs. 9 Unterabsatz 3 SDÜ) kann keine Rede sein. 229 Swart, in: Monar/Morgan, The Third Pillar, S. 195, schließt aus diesen weitgehenden Beschränkungen der polizeilichen Befugnisse im Nachbarstaat, daß die entsprechenden Bestimmungen des Ubereinkommens zu einer illegalen Praxis geradezu einlüden.
II. Die Schengener Abkommen
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sein, ihre amtliche Funktion nachzuweisen. Ihre Dienstwaffe dürfen sie mit sich führen, ihr Gebrauch ist aber nur im Falle der Notwehr zulässig. Das Festhalterecht nach Art. 41 Abs. 2 lit b) SDÜ beinhaltet gemäß Art. 40 Abs. 5 lit f) SDÜ die Befugnis, eine Sicherheitsdurchsuchung vorzunehmen und die mitgeführten Gegenstände sicherzustellen. Während der Beförderung dürfen der festgehaltenen Person Handschellen angelegt werden. Zulässig sind demnach Maßnahmen zur Eigensicherung der Beamten. cc) Die Rechtsstellung der observierenden und nacheilenden Beamten Nach Art. 42 SDÜ werden Beamte, die auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei gemäß Art. 40 und 41 SDÜ tätig werden, den Beamten dieser Vertragspartei in bezug auf die Straftaten, denen sie zum Opfer fallen oder die sie begehen würden, gleichgestellt. Auffällig an dieser Vorschrift ist die Begrenzung der Gleichstellung auf "Straftaten". Eine vollumfängliche Gleichbehandlung der ausländischen Beamten mit den inländischen war demnach nicht beabsichtigt. Ihnen soll aber der gleiche Schutz eingeräumt werden, den die Rechtsordnung des Aufenthaltsstaats seinen eigenen Beamten zugesteht230. Im Gegenzug werden sie auch hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit den Beamten des Staates gleichgestellt, auf dessen Hoheitsgebiet sie tätig werden. Die Vorschrift zielt insoweit auf die Amtsdelikte der jeweiligen Rechtsordnung. Sie betrifft die persönliche Rechtsstellung der Beamten, die hinsichtlich ihres hoheitlichen Verhaltens an die Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates gebunden sind. Die Rechtsstellung der Beamten unterscheidet sich demnach deutlich etwa von der ausländischer Grenzbeamter bei der vorgeschobenen Grenzabfertigung auf fremdem Staatsgebiet. Dort ordnen die von der Bundesrepublik Deutschland mit den angrenzenden Staaten abgeschlossenen Verträge die Geltung des materiellen Rechts des Nachbarstaates bei Tätigwerden eines Beamten im Gebietsstaat an 231 . Der französische Beamte, der auf deutschem Staatsgebiet eine Grenzkontrolle durchfuhrt, wendet demnach allein französisches Recht an. Er unterliegt sowohl in strafrechtlicher wie auch in zivil- und verwaltungsrechtlicher Hinsicht allein der französischen Gerichtsbarkeit 232.
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Vgl. Joubert/BeverSy Schengen Investigated, S. 35, 134. Rauser, Hoheitsrechte, S. 172; vgl. auch Art. 6 des deutsch-tschechischen Vertrages vom 19.5.1995, BGBl. 1996 II, S. 19. 232 Vgl. E. Kirchhof Grenzabfertigung, S. 107 ff.; Rauser, Hoheitsrechte, S. 174 f.; anders Art. 14 Abs. 3 des deutsch-tschechischen Vertrages (oben Fußn. 231), der den Gerichtsstand nach dem Handlungsort oder dem Wohnort des Schädigers/Geschädigten bestimmt. Amtshaftungsansprüche werden jedoch in Art. 14 Abs. 1 allein den Gerichten des Nachbarstaates zugewiesen. 231
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit dd) Rechtsgrundlage fur Eingriffsakte
Belastende Maßnahmen 233 gegenüber Bürgern, die in den Art. 40 und 41 SDÜ vorgesehen sind, finden ihre Rechtsgrundlage unmittelbar im Zustimmungsgesetz zum Schengener Durchführungsübereinkommen. Dieses transformiert die völkerrechtliche Vereinbarung in innerstaatliches Recht 234 . Die Art. 40 und 41 SDÜ sind auch transformabel ("self-executing") 235 dergestalt, daß sie bereits selbst die Rechtmäßigkeitsanforderungen an das Handeln der auslän-dischen Beamten aufstellen. Weitere staatliche Umsetzungsakte sind nicht mehr erforderlich. Da die Befugnis der ausländischen Beamten zur Fortsetzung einer Ermittlungsmaßnahme in Deutschland auf den Bereich der Strafverfolgung beschränkt ist, hat der Bund - dem die entsprechende Gesetzgebungskompetenz zusteht 236 - auch gemäß Art. 32 GG die Kompetenz zum Abschluß des völkerrechtlichen Vertrages. Landesrechtliche Bestimmungen in den Polizeigesetzen237, die ausdrücklich das Tätigwerden ausländischer Polizeibeamter aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen erlauben, haben insoweit nur deklaratorischen Charakter 238. Sie würden allerdings Bedeutung erlangen, wenn auch die präventive Tätigkeit ausländischer Beamter vertraglich erlaubt würde. Da das Polizeirecht in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt, ist in diesem Fall umstritten, ob der Bund überhaupt eine entsprechende Vertragsschlußkompetenz besitzt und ob für eine solche Tätigkeit ausländischer Beamter eine landesrechtliche Rechtsgrundlage erforderlich wäre 239 . 233
Z.B. das Festhalterecht nach Art. 41 Abs. 2 lit b); zum Eingriffscharakter einer Observation unten B. V. 3. 234 Vgl. Herzog,, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rdnr. 22; für das SDÜ Würz, SDÜ, Rdnr. 244. 235 Dazu Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 327; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnrn. 556 ff. 236 Vgl. § 167 Abs. 1 GVG, der die grenzüberschreitende Nacheile innerhalb des Bundesgebietes erlaubt. 237 So etwa §§78 Abs. 4 BwPolG, 102 Abs. 3 HSOG, 103 Abs. 3 NGefAG, 86 Abs. 3 RhpfPOG, 77 Abs. 4 SächsPolG, 91 Abs. 3 SOG LSA, 170 Abs. 1 LVwG SH. 238 Vgl. dazu Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 351 (dort Ziff. 3); für diese Auffassung spricht auch, daß nach Art. 7 des Zustimmungsgesetzes zum SDÜ (BGBl. 1993 II, S. 1010) die Länder verpflichtet sind, ihr Melderecht den geänderten Bestimmungen des Melderechtsrahmengesetzes anzupassen; eine Anpassungspflicht für das Polizeiorganisationsrecht wurde nicht für nötig erachtet. 239 Allerdings haben die Länder Rheinland-Pfalz (GVB1. 1993, S. 1) und NordrheinWestfalen (GVB1. 1994, S. 76) eigene Zustimmungsgesetze zum SDÜ erlassen, Nordrhein-Westfalen (LT-Drs. 11/2528, S. 2) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Lindauer Abkommen; beide Länder gehen wegen der Art. 39 ff. SDÜ von einem Bedürfnis nach landesrechtlicher Regelung aus; abschwächend allerdings die Begründung der rheinland-pfälzischen Landesregierung zu § 86 III POG: "Es soll klargestellt werden, daß ... Amtshandlungen ausländischer Polizeibediensteter in
II. Die Schengener Abkommen b) Das Schengener Informationssystem
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aa) Ausschreibungskategorien Das SIS speichert Daten über die in den Art.94 ff. SDÜ näher bezeichneten Personen und Sachen. Hinsichtlich der personenbezogenen Daten sind nur die folgenden Ausschreibungskategorien zulässig: - Festnahme zur Auslieferung (Art. 95 SDÜ) - Ausschreibung von Drittausländern zur Einreiseverweigerung (Art. 96) - Suche von Vermißten oder anderen Personen zu ihrem eigenen Schutz oder - zur Gefahrenabwehr mit dem Ziel der Aufenthaltsermittlung oder Gewahrsamnahme (Art. 97) - Ausschreibung von Zeugen oder anderen Personen, die im Rahmen eines Strafverfahrens vor Gericht erscheinen müssen, zur Mitteilung des Wohnsitzes oder Aufenthalts (Art. 98) - Ausschreibung zur verdeckten Registrierung oder gezielten Kontrolle (Art. 99). bb) Wirkung der Ausschreibung (1) Wirkung im Verhältnis der Staaten untereinander Eine Ausschreibung im SIS nach Art. 95 SDÜ entspricht gemäß Art. 64 SDÜ einem Ersuchen um vorläufige Festnahme gemäß Art. 16 EuAuslÜbk. Ausschreibungen nach Art. 96 bis 99 SDÜ entsprechen Rechtshilfeersuchen im Sinne des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens 240. Die ersuchende nationale Behörde gibt dazu in ihr nationales Fahndungssystem die Daten der gesuchten Person ein. Diese werden von der nationalen Zentralstelle (in Deutschland das Bundeskriminalamt 241 ) an den Zentralrechner des SIS in Straßburg übermittelt. Über den Datenabgleich mit den anderen nationalen Informationssystemen (NSIS) gelangen die Daten der gesuchten Person an alle Vertragsstaaten. Gegenüber der konventionellen Interpol-Fahndung zeichnet
Rheinland-Pfalz ... rechtlich zulässig sind" (Hervorhebung durch den Verf.); vgl. zum Verhältnis des Bundes zu den Ländern beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge Rojahn, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 32 Rdnm. 41 ff; Rauser, Hoheitsrechte, S. 332 ff, m.w.N. 240 Vgl. Scheller, JZ 1992, 904. 241 Die Zuständigkeit des BKA folgt aus Art. 108 SDÜ iVm. Art. 6 Nr. 1 a) des Gesetzes zu dem Ubereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II, 1011. 6 Harings
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das SIS sich nicht nur durch die Schnelligkeit der Datenübertragung, sondern auch durch die Rechtswirkungen der Ausschreibung aus. Während im Rahmen der Interpol-Fahndung oft keine Reaktion auf ein Ersuchen erfolgt oder Wochen vergehen können, bis die Fahndung im ersuchten Staat ausgelöst wird, enthält die Ausschreibung im SIS eine "Handlungsanweisung" an den ausländischen Polizeibeamten, die erbetene Maßnahme vorzunehmen 242. Diese Verpflichtung folgt nicht nur aus dem mit der Einrichtung des SIS verfolgten Zweck, sondern auch aus der Existenz der im Übereinkommen festgelegten Ausnahmebestimmungen243. Dem ursprünglichen deutschen Vorschlag zufolge sollte der ersuchte Staat ohne weiteres zur Vornahme verpflichtet sein, da bereits der ersuchende Staat das Recht des ersuchten Staates prüfen sollte. Insbesondere aus Frankreich wurden gegen diesen Vorschlag Bedenken vorgebracht, da Frankreich eine solche "transnationale Anweisung" an seine Polizeibeamten ablehnte. Stattdessen befürwortete die französische Regierung ein Modell, nach dem die Daten zunächst an eine nationale Zentralstelle übermittelt werden sollten, die allein nach Prüfung der Rechtslage diese für die nationalen Beamten als verbindlich freigeben sollte. Die Realisierung dieses Modells hätte gegenüber der traditionellen Rechtslage keinen Fortschritt gebracht, doch stießen die darin zum Ausdruck kommenden Bedenken durchaus auf Verständnis. Angesichts beachtlicher Unterschiede in den nationalen Strafrechtssystemen schien die alleinige Prüfung der Rechtslage durch den ersuchenden Staat mit zu großen Unsicherheiten behaftet. Andererseits sollte eine effiziente Kooperation im Rahmen des SIS gewährleistet sein. Der schließlich gefundene Kompromiß zeigt sich in den Art. 94 Abs. 4, 95 Abs. 3 und 99 Abs. 6 SDÜ. Er soll am Beispiel des Art. 95 SDÜ, der die Festnahme zur Auslieferung betrifft, dargestellt werden. Dessen Absatz 2 verlagert die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Festnahme auf den ausschreibenden Staat vor. Dieser hat zu prüfen, ob die Festnahme nach dem Recht der ersuchten Vertragsparteien zulässig ist und in Zweifelsfällen die betreffenden Vertragsparteien zu konsultieren 244 . Eine Beschränkung der Ausschreibung auf einzelne Länder ist nicht möglich 245 . Die Ausschreibung verpflichtet die übrigen Vertragsstaaten grundsätzlich, die erbetene Handlung vorzunehmen, doch haben diese nachträglich die Möglichkeit, eine Ausschreibung gemäß Art. 94 Abs. 4 SDÜ in ihrem nationalen Bestand so zu kennzeichnen, daß sie dort 242 Vgl. auch Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 35; Busch, Grenzenlose Polizei, S. 346: "Rechtshilfeautomatismus"; Sturm, Kriminalistik 1997, 99 (102): Ein Trefferfall "zwinge" zu abkommenskonformen Reaktionen; Weichert, CR 1990, 62 (64): Die Ausschreibung entwickele eine nicht überprüfbare Tatbestandswirkung für Zwangsmaßnahmen; ebenso Würz, SDÜ, Rdnr. 175. 243 Vgl. Art. 94 Abs. 4, Art. 95 Abs. 3 und Art. 99 Abs. 6 SDÜ. 244 Zu den daraus resultierenden Problemen Scheller, JZ 1992, 904 (906 f.), auch zu Art. 99 SDÜ. 245 Wehner, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S. 140 f.
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nicht vollzogen wird 2 4 6 . Eine solche Kennzeichnung ist zulässig, wenn eine Vertragspartei die Ausschreibung für unvereinbar hält mit nationalem Recht, internationalen Verpflichtungen oder wesentlichen nationalen Interessen. Aufgrund des Art. 95 Abs. 3 SDÜ kann zudem eine vorläufige Kennzeichnung für die Dauer von bis zu 24 Stunden erfolgen. Nach Ablauf dieser Frist, die in Ausnahmefällen verlängert werden kann, darf die kennzeichnende Vertragspartei die Festnahme nur aus Rechtsgründen oder "besonderen" Opportunitätserwägungen ablehnen. (2) Wirkung im Verhältnis Staat-Bürger Die Bestimmungen des SDÜ über das Schengener Informationssystem betreffen nur das Verhältnis der Vertragsstaaten untereinander sowie die Befugnis zum Informationsaustausch. Sie berechtigen nicht dazu, die erbetene Maßnahme gegenüber dem Betroffenen vorzunehmen 247. Die Rechtsgrundlage dafür liefern die bestehenden Übereinkommen und das jeweils anwendbare nationale Recht 248 . Diese Feststellung steht der hier angenommenen transnationalen Wirkung der Ausschreibung nicht entgegen, da die ausschreibende Partei bereits zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der erbetenen Handlung verpflichtet ist. cc) Das SIRENE-System Um eine Prüfung der Rechtslage durch die ersuchte Partei zu ermöglichen, wird das SIS unterstützt durch ein System nationaler SIRENEn (SIRENE = Supplementary Information REquest at the National Entry) 249 . In jedem Vertragsstaat wird eine SIRENE errichtet 250 , die die übrigen Vertragsstaaten auf 246
Nach Wolters, Kriminalistik 1997, 86 (89), prüft in der Praxis jeder SchengenStaat selbst die Ausschreibung auf ihre Vereinbarkeit mit seinem nationalen Recht, um eine entsprechende Kennzeichnung vornehmen zu können; Frankreich hat von dieser Möglichkeit bereits in einigen Fällen Gebrauch gemacht, vgl. Nehm, DRiZ 1996, 41 (46). 247 A.A. Würz, SDÜ, Rdnr. 196 (dort Fußn. 91), hinsichtlich der Befugnis zur gezielten Kontrolle nach Art. 99 Abs. 1 SDÜ; vgl. demgegenüber aber Art. 99 Abs. 3 SDÜ; zum Ganzen Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 60 ff. 248 Vgl. Art. 95 Abs. 6, 99 Abs. 5 SDÜ. Art. 95 Abs. 6 SDÜ lautet: "Die ersuchten Vertragsparteien treffen die aufgrund der Ausschreibung erbetenen Maßnahmen auf der Grundlage der geltenden Auslieferungsübereinkommen und nach Maßgabe des nationalen Rechts. Unbeschadet der Möglichkeit, den Betroffenen nach Maßgabe des nationalen Rechts festzunehmen, sind sie nicht verpflichtet, die Maßnahme zu vollziehen, wenn ein eigener Staatsangehöriger betroffen ist." 249 Dazu Würz, SDÜ, Rdnr. 163. 250 In Deutschland ist das Bundeskriminalamt Sitz der SIRENE. 6*
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konventionellem Weg (zunächst Fernschreiben, zunehmend aber Telefax oder e-Mail) mit zusätzlichen Informationen (z.B. nach Art. 95 Abs. 2 SDÜ) versorgt, die ins SIS nach Art. 94 Abs. 3 SDÜ nicht aufgenommen werden dürfen 251 . Obwohl man bei den Verhandlungen zum SDÜ bereits die Notwendigkeit dieses zusätzlichen Austausches personenbezogenener Daten erkannt hatte, werden die SIRENEN im SDÜ nicht erwähnt. Als Grundlage für die Existenz und die Tätigkeit des SIRENE-Systems wird im SIRENE-Handbuch Art. 108 SDÜ genannt 252 . Der Austausch personenbezogener Daten über die SIRENEn wirft insbesondere datenschutzrechtliche Probleme auf, überschreitet aber als Annex zum SIS nicht die Dimensionen des Informationsaustausches im klassischen Rechtshilferecht. c) Bewertung der polizeilichen Zusammenarbeit aa) Schengener Informationssystem Die Erfahrungen in der Praxis mit dem Schengener Informationssystem sind überwiegend positiv 253 . Hervorgehoben wird die Schnelligkeit, mit der Informationen den ermittelnden Beamten zur Verfügung stehen. Die Übertragungszeiten haben sich von mehreren Tagen oder Wochen auf weniger als eine Stunde in dringenden Fällen reduziert. Kritisiert wird von den Sicherheitsbehörden allenfalls, daß die Möglichkeiten des SIS in einigen Staaten nur unzureichend genutzt werden. Datenschützer hingegen stehen dem grenzenlosen polizeilichen Informationsaustausch kritisch gegenüber 254. Bedenken werden insbesondere hinsichtlich einer "Überkompensation" des Wegfalls der Grenzkontrollen durch die Ausgleichsmaßnahmen geäußert 255.
251 Die Tätigkeiten der SIRENEn sind im SIRENE-Handbuch näher beschrieben, das am 14. Dezember 1993 auf der Sitzung des Schengener Exekutivausschusses in Paris angenommen wurde. 252 Nanz, in: Bieber/Monar, Justice and Home Affairs, S. 44; Bäumler, CR 1994, 487 (490); kritisch dazu Werner, CR 1997, 34 (35). 253 Vgl. etwa die Meldung in FAZ v. 22.1.1997, nach der ein deutscher Bankräuber in der südspanischen Hafenstadt Algeciras aufgrund der Angaben im SIS zum Fluchtfahrzeug festgenommen werden konnte. Auch die Festnahme eines der Reemtsma-Entführer in Spanien gelang aufgrund der Ausschreibung im SIS. 254 Vgl. nur Busch, Das Schengener Informationssystem: Instrument der Abschiebung, in: Müller-Heidelberg u.a., Grundrechte-Report, S. 25 ff.; differenzierter Werner, CR 1997, 34 (35): Die datenschutzrechtliche Kritik betreffe nicht primär das SDÜ selbst, sondern die polizeiliche Praxis. 255 Werner, CR 1997, 34 (35).
II. Die Schengener Abkommen
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bb) Observation und Nacheile Differenzierter fällt die Beurteilung der Art. 39 ff. SDÜ in der Praxis aus. Diese Vorschriften enthalten nicht nur Neuerungen 256 und Erweiterungen der polizeilichen Befugnisse, sondern kodifizieren in Teilbereichen eine langjährige Praxis 257 . In Ermangelung internationaler Vereinbarungen war diese bisher Bedenken sowohl nach Völkerrecht als auch nach nationalem Recht ausgesetzt258. Jedenfalls in Deutschland bedarf es einer Rechtsgrundlage für Eingriffsakte fremder Hoheitsträger 259, die für die grenzüberschreitende Observation und Nacheile erst durch das Zustimmungsgesetz zum SDÜ geschaffen wurde. Dem durch die Kodifizierung zu verzeichnenden Zuwachs an Rechtssicherheit stehen Zweifelsfragen 260 gegenüber, die hier nur skizziert werden können: (1) Präventivpolizeiliche
Observationen
Während Art. 39 SDÜ die polizeiliche Zusammenarbeit sowohl im Bereich der Gefahrenabwehr als auch im Bereich der Strafverfolgung regelt, beschränkt Art. 40 SDÜ die grenzüberschreitende Observation auf die repressive Tätigkeit. Folgt daraus, daß nunmehr grenzüberschreitende Observationen zur Gefahrenabwehr unzulässig sind? Vor Inkrafttreten des SDÜ wurden ebenso grenzüberschreitende Observationen durchgeführt wie seit Inkrafttreten des SDÜ mit "Nicht-Schengen-Staaten", z.B. der Schweiz. In der Regel übernehmen dabei aufgrund eines zuvor gestellten Rechtshilfeersuchens Beamte des Nachbarstaates an der Grenze die Observation. Deutsche Beamte können mit Zustimmung des Staates als Beobachter ohne eigene Befugnisse folgen. Möglich ist jedoch auch die Fortsetzung der Observation durch deutsche Beamte, wenn der ausländische Staat einwilligt. A n der Möglichkeit einer solchen Kooperation
256
Gänzlich neu sind nur die Vorschriften über die Nacheile sowie die Spontanobservation nach Art. 40 Abs. 2 SDÜ; zu früheren grenzüberschreitenden Observationen Fijnaut, Police Cooperation, S. 127, 129, sowie Swart, Police and security, S. 101. 257 G. Renault, Schengen, S. 77; O'Keeffe, YEL 1991, 185 (202); Krüger, Kriminalistik 1994, 773 (776); vgl. auch Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 127: "The Schengen Convention is the first international treaty to introduce cross-border observation as a police cooperation technique." 258 Swart , Police and Security, S. 96 (101). 259 Vgl. nur OLG Karlsuhe, NJW 1992, 642 (644). 260 Die Bewertung durch Wehner, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S. 173, im Zweifel werde sich ein Beamter gegen die grenzüberschreitende Observation oder Nacheile entscheiden, wird durch die bisherigen Erfahrungen in der Praxis nicht gedeckt.
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hat sich durch Art. 40 SDÜ nichts geändert. Art. 40 Abs. 1 SDÜ verleiht den Beamten die Befugnis, eine im Inland begonnene strafprozessuale Observation fortzusetzen. Er begrenzt nicht die Möglichkeiten der Amts- und Rechtshilfe nach Art. 39 SDÜ und anderen völkerrechtlichen Übereinkommen. Die Observation zur Gefahrenabwehr liegt nicht im Regelungsbereich der Norm. Art. 40 SDÜ ist eine Befugnisnorm 261 für die observierenden Beamten zur Fortsetzung der "repressiven" Observation. Er schließt die präventivpolizeiliche Observation nicht aus, sondern erfaßt sie gar nicht. (2) Umfeldobservationen Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit einer Observation von Personen aus dem Umfeld des Täters seien anhand eines kleinen Falles dargestellt: Ein deutscher Drogendealer wird in Amsterdam vermutet, sein genauer Aufenthaltsort ist jedoch unbekannt. In Deutschland verdichten sich Hinweise darauf, daß seine Freundin eine Reise nach Amsterdam unternehmen wird. Die Kriminalpolizei möchte die Freundin observieren und einen entsprechenden Rechtshilfeantrag an die Niederlande stellen. Art. 40 SDÜ begrenzt die grenzüberschreitende Observation auf eine Person, die im Verdacht steht, an einer auslieferungsfähigen Straftat beteiligt zu sein. Im vorliegenden Fall richtet sich die beabsichtigte Observation jedoch gegen eine unbeteiligte Person, die möglicherweise zum Täter einer auslieferungsfähigen Straftat Kontakt aufnehmen wird. Ein Grenzübertritt der observierenden Beamten auf der Grundlage des Art. 40 SDÜ scheidet deshalb aus. Wiederum verbleibt die Möglichkeit, ein Rechtshilfeersuchen auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen oder des EuRhÜbk an die Niederlande auf Übernahme der Observation durch niederländische Beamte zu stellen. Eine Ausschlußwirkung für solche Tatbestände kann Art. 40 SDÜ nicht entnommen werden 262 . (3) Bindung an ausländisches Recht Die Bindung an das nationale Recht des Gebietsstaates führt angesichts der weitgehenden Unkenntnis der dortigen Vorschriften in der Praxis zu Irritationen. Betroffen ist zunächst das polizeiliche und strafrechtliche Verfah261 Dafür spricht schon der Wortlaut der Norm: "Beamte..., die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens in ihrem Land eine Person observieren,... sind befugt...", bzw. in der französischen Fassung: "Les agents..., qui, dans le cadre d'une enquête judiciaire, observent dans leur pays une personne ..., sont autorisés ..."; vgl. auch Würz, SDÜ, Rdnr. 22. 262 A.A. G Renault, Schengen, S. 78; Würz, SDÜ, Rdnr. 90.
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rensrecht. Hier können Probleme auftreten, wenn über die eigentliche Observation hinaus Mithöreinrichtungen in einem observierten Fahrzeug angebracht sind und eine solche Vorgehensweise im Recht des Gebietsstaats nicht vorgesehen ist. Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der Verwertbarkeit solcher Beweismittel, die nach deutschem Recht zulässigerweise erhoben wurden, deren Erhebung im Ausland jedoch untersagt war. Ungeklärt ist auch, ob observierende oder nacheilende Beamte sich auf die Jedermannrechte der Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates (in Deutschland: §§ 32, 34 StGB, 127 StPO) berufen können, wenn sie nicht zum Selbstsschutz handeln. Die differenzierten Regelungen der Art. 40, 41 SDÜ scheinen dagegen zu sprechen, und der Begriff "Bindung" (frz.: "les agents ... doivent se conformer...") deutet nicht auf eine Ausweitung der Befugnisse durch das Recht des Aufenthaltsstaates hin. A u f der anderen Seite wäre es schwer verständlich, einem Polizisten Befugnisse vorzuenthalten, die jedem anderen (auch ausländischen) Bürger zustehen. Wichtiger als die Einhaltung der ausländischen dienstrechtlichen Vorschriften ist die Einhaltung der allgemeinen Gesetze, insbesondere des Straßenverkehrsrechts. Die Durchführung einer Observation ist unter Einhaltung der Geschwindigkeitsbeschränkungen kaum möglich. In Deutschland sind gemäß § 35 Abs. 1 StVO Polizeibeamte von der Einhaltung der Bestimmungen der StVO befreit, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Diese Vorschrift wurde durch § 35 Abs. (la) StVO durch Verordnung vom 19.3.1992263 auf "Polizeibeamte, die aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung zur Nacheile im Inland berechtigt sind", ausgedehnt. Eine solche Anpassung wurde erforderlich, weil das SDÜ keine generelle Gleichstellung der ausländischen mit den nationalen Polizeibeamten enthält, sondern diese nur in bezug auf Straftaten vorsieht. Auffallend ist die Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift für ausländische Polizisten auf die Nacheile 264 . Ob angesichts dessen die Befugnis zur Inanspruchnahme von Sonderrechten unmittelbar den Begriffen "Observation" und "Nacheile" entnommen werden kann 265 , muß jedenfalls in bezug auf die Observation Zweifeln begegnen. Diese setzt begrifflich keine Sonderrechte voraus. Darüber hinaus sind observierende und nacheilende Beamte durch Art. 40 Abs. 3 lit a), 41 Abs. 5 lit a) SDÜ ausdrücklich an das Recht des Aufenthaltsstaates gebunden. Die Praxis kritisiert das Fehlen erläuternder Hinweise 266 und verbindlicher Informationen über die Rechtslage im jeweiligen Nachbarstaat 267. 263
BGBl. I, S. 678. So wohl auch Wolff/Stephan, PolG, § 78 Rdnr. 11. 265 Würz, SDÜ, Rdnrn. 114, 119. 266 Vgl. aber für Frankreich „Circulaire du 23 Juin 1995", JORF 1995, 9849 vom 1. Juli 1995, der Erläuterungen der Art. 39 bis 41 SDÜ enthält. 267 Die Arbeitsgruppe I "Polizei und Sicherheit" der Schengen-Staaten arbeitet an einem "Leitfaden zur grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit", der jedoch 264
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(4) Eingeschränkte Nacheilemöglichkeit Eine internationale Vereinbarung zur Nacheile bestand bereits zwischen den Benelux-Staaten mit dem Übereinkommen vom 27. Juni 1962 über die Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen. Im Vergleich zu dessen Art. 27 enthält Art. 41 SDÜ wesentlich restriktivere Bestimmungen268. Insbesondere die Beschränkung der Nacheile auf Täter, die auf frischer Tat ertappt werden (frz.: prise en flagrant délit), ist im Bénélux-Abkommen nicht enthalten. Ähnlichkeiten bestehen hingegen in der Rechtsposition der nacheilenden Beamten, die in Art. 42 SDÜ geregelt ist. Der Vergleich mit der Rechtslage in den Benelux-Staaten zeigt, daß die Vertragsstaaten des SDÜ nur zögerlich bereit sind, Souveränitätsrechte preiszugeben.
4. Datenschutz Das Schengener Durchführungsübereinkommen unterstellt die Regelungen zur polizeilichen Zusammenarbeit einem eigenen Datenschutzregime 269. Dieses verfolgt zwei Regelungstechniken: Harmonisierung der nationalen Datenschutzrechtsordnungen (Art. 39 ff. SDÜ) und direkte Begrenzung des Informationsaustausches (SIS). a) Harmonisierung des Datenschutzes in den Vertragsstaaten aa) Das Europaratsmodell Die Art. 126 ff. SDÜ regeln den Datenschutz beim Informationsaustausch außerhalb des Schengener Informationssystems. Wichtigster Anwendungsbereich der Vorschriften ist die polizeiliche Zusammenarbeit gemäß Art. 39 ff. SDÜ 2 7 0 . Nach Art. 126 Abs. 1 und 2 SDÜ gewährleisten die Vertragsstaaten in
in den entscheidenden Punkten das SDÜ schlicht wiedergibt, ohne die Bestimmungen zu erläutern. Lediglich zu den Begriffen "Dienstwaffe", "Notwehr" und "Wohnung" werden rechtsvergleichende Hinweise gegeben; auch der Schengen-Jahresbericht 1996, S. 8, räumt ein, daß der Leitfaden hinsichtlich der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile ergänzungsbedürftig ist. 268 G. Renault, Schengen, S. 80; Fijnaut, Police Cooperation, S. 118. 269 Dazu Wehner, in Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, Schengen, S. 142 ff.; Würz, SDÜ, Rdnrn. 244 ff.; zu euphorisch Sturm, Kriminalistik 1995, 162 (168): "Motor für den Datenschutz in Europa"; kritisch Riegel, Datenschutz, S. 43. 270 Nach Art. 126 Abs. 4 SDÜ ist die strafrechtliche Rechtshilfe weitgehend vom Regelungsbereich der Vorschrift ausgenommen. Regelungen zum Datenschutz im Rahmen der Kooperation im Asyl verfahren enthält Art. 38 SDÜ.
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ihrem nationalen Recht einen Datenschutzstandard, "der zumindest dem entspricht, der sich aus der Verwirklichung der Grundsätze des Übereinkommens des Europarates über den Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 28. Januar 1981 ergibt" 271 . Im Rahmen des polizeilichen Informationsaustausches nach Art. 39 ff. SDÜ sind gemäß Art. 129 Abs. 1 SDÜ zudem die Grundsätze der Empfehlung R (87) 15 des Ministerkomitees des Europarates über die Nutzung personenbezogener Daten im Polizeibereich vom 17. September 1987 zu beachten272. Kritisiert wird an dem Wortlaut der Art. 126 Abs. 1 und Art. 129 Abs. 1 SDÜ, daß es sich nicht um eine eindeutige Verpflichtung handelt, sondern den Vertragsstaaten ein gewisser Spielraum bei der Umsetzung verbleibt ("Verwirklichung der Grundsätze des Übereinkommens") 273 . Die Empfehlung des Ministerkomitees ist zudem inhaltlich eher vage. Rechte des Betroffenen werden nur zögerlich erwähnt 274 . bb) Exkurs: Die EG-Datenschutzrichtlinie Die EG-Datenschutzrichtlinie 275 steht in keinem direkten Zusammenhang zum Schengener Übereinkommen. Sie findet gemäß Art. 3 Abs. 2 "keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, die für die Ausübimg von Tätigkeiten erfolgt, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, beispielsweise Tätigkeiten gemäß den Titeln V und V I des Vertrages über die Europäische Union ...". Nach den Erfahrungen mit Richtlinien in anderen Rechtsgebieten ist es jedoch nicht auszuschließen, daß die Richtlinie über ihren Anwendungsbereich hinaus in nationales Recht umgesetzt wird, um eine Zersplitterung des nationalen Datenschutzrechts zu
271
Das Übereinkommen ist abgedruckt in BGBl. 1985 II, S. 538; seine Inbezugnahme wird von den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder begrüßt, gleichzeitig aber wird darauf hingewiesen, daß der Datenschutzstandard nicht das Niveau des in Deutschland oder Frankreich gewährleisteten Datenschutzes erreicht, vgl. die Entschließungen vom 26./27. Oktober 1989, ArchVR 27 (1989), 493 (495); zum Europaratsübereinkommen auch Henke, Datenschutzkonvention, S. 48 ff, und Ellger, Datenschutz, S. 460 ff. 272 Die Empfehlung ist abgedruckt in Simitis/Dammann/Mallmann/Reh, Dokumentation-BDSG, D 3.8., sowie bei Würz, SDÜ, im Anhang 2 mit erläuterndem Memorandum; vgl. auch Ellger, Datenschutz, S. 491 f. 273 Vgl. andererseits Würz, SDÜ, Rdnr. 247: Rechtsverbindlicher Charakter der Empfehlung. 274 Z.B. in den Grundsätzen 2.2 und 6.2 ff. 275 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. 1995 Nr. L 281/31; dazu Schild, EuZW 1996, 549, und Simitis, NJW 1997, 281.
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vermeiden 276 . Andererseits existieren jedoch im Polizeirecht häufig bereichsspezifische Regelungen, so daß eine Anpassung an das übrige öffentliche Datenschutzrecht nicht unbedingt naheliegt. Hinzu kommt, daß vielfach Zweifel an der Kompetenz der Gemeinschaft zur Regelung des Datenschutzes im öffentlichen Bereich geäußert werden 277 . Im Gegensatz zum Europaratsübereinkommen beschränkt die Richtlinie den Datenschutz nicht auf die automatische Verarbeitung von Daten, sondern bezieht andere Formen des Erhebens, Speicherns und Aufbewahrens mit ein (Art. 2 lit a) der Richtlinie) 278 . b) Datenschutz im Schengener Informationssystem Für die Datenverarbeitung im Schengener Informationssystem enthalten die Art. 102 ff. SDÜ datenschutzrechtliche Bestimmungen, die im europäischen Vergleich auf einem hohen Schutzniveau angesiedelt sind 279 . Kritisiert wird aber, daß das Übereinkommen die Informationsbeschaffung nicht regelt, vielmehr alle Daten ohne Rücksicht auf die Art und Weise ihrer Beschaffung ins SIS gelangen können 280 . Die Verantwortlichkeit für die im SIS gespeicherten Daten trägt nach Art. 105 SDÜ die ausschreibende Vertragspartei. Ihr allein obliegt gemäß Art. 106 Abs. 1 SDÜ auch die Änderung, Ergänzung, Berichtigung oder Löschung von Daten 281 . Andere Vertragsparteien trifft insoweit aber eine Mitteilungspflicht. Hinsichtlich der im SIS gespeicherten Daten begründet Art. 110 SDÜ unmittelbar einen individuellen Berichtigungs- und Löschungsanspruch. Während dieser einheitlich in allen Staaten gilt 2 8 2 , richtet sich das Auskunftsrecht gemäß Art. 109 Abs. 1 SDÜ nach dem Recht der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet es beansprucht wird. Da ein Auskunftsanspruch des Betroffenen auch in Art. 8 lit b) der Europaratskonvention
276
Vgl. auch Schild, EuZW 1996, 549 (550). Rudolf Stern-FS, S. 1358 f. m.w.N. 278 Der Datenschutzstandard der Richtlinie wird auch aus Datenschutzkreisen hervorgehoben, vgl. Weichen, Grundrechte-Report, S. 34 (35). 279 Neel, AJDA 1991, 659 (670), spricht von einer effektiven Datenschutzkontrolle; ein Überblick über die verschiedenen Konzeptionen des Datenschutzrechts in den EUStaaten findet sich bei Dressel, Harmonisierung, S. 41 ff.; Riegel, DÖV 1991, 311 (313), weist daraufhin, daß noch 1990 Datenschutzgesetze in Belgien, Italien, Portugal, Spanien, Griechenland und Irland gänzlich fehlten. 280 Riegel, DÖV 1991, 311 (314). 281 Dies entspricht der Regelung im deutschen INPOL-System, vgl. Dix, Jura 1993, 571 (574). 282 Ob die Daten im Sinne des Art. 110 SDÜ unrechtmäßig gespeichert sind, richtet sich gemäß Art. 104 Abs. 1 SDÜ nach dem nationalen Recht der ausschreibenden Vertragspartei. 277
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enthalten ist, dürfte er theoretisch 283 in allen Staaten durchsetzbar sein. Verfahren und Umfang können jedoch differieren. Unterschiede bestehen insbesondere darin, ob dem Betroffenen tatsächlich die gespeicherten Daten übermittelt werden oder er lediglich eine Mitteilung erhält, daß Daten über ihn vorhanden sind. Die Auskunftserteilung unterbleibt nach Art. 109 Abs. 2 SDÜ, wenn dies zur Durchführung einer rechtmäßigen Aufgabe im Zusammenhang mit der Ausschreibung oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter "unerläßlich" ist. Nach der französischen Fassung hingegen unterbleibt die Auskunftserteilung bereits dann, wenn sie in den genannten Fällen "schaden kann" ("si eile peut nuire"). Diese sprachliche Divergenz scheint auf Übersetzungsfehler in der zuständigen Arbeitsgruppe zurückzuführen zu sein. Für den Fall der Ausschreibung zur verdeckten Registrierung enthält Art. 5 des deutschen Zustimmungsgesetzes zum SDÜ 2 8 4 ergänzend die grundsätzliche Verpflichtung des Bundeskriminalamtes zur Benachrichtigimg des Betroffenen, bzw. zur Nachholung einer zunächst gemäß Art. 109 Abs. 2 SDÜ unterbliebenen Auskunftserteilung. Allerdings wird diese' Aufgabe im Zusammenwirken mit der ausschreibenden Stelle wahrgenommen, die das Amt darüber unterrichten soll, ob der Betroffene benachrichtigt werden kann. Die materiellen Vorschriften werden ergänzt durch die Normierung eines Klagerechts und die Einrichtung einer nationalen Kontrollinstanz für jeden Vertragsstaat sowie einer gemeinsamen Kontrollinstanz zur Überwachung der technischen Unterstützungseinheit. Damit ist erstmals in einem internationalen völkerrechtlichen Übereinkommen eine internationale datenschutzrechtliche Kontrollinstanz ins Leben gerufen worden 285 . Nach Art. 116 SDÜ haftet zudem jede Vertragspartei für Schäden, die beim Betrieb des nationalen Teils des SIS entstehen, nach Maßgabe ihres nationalen Rechts 286 .
283 Hinsichtlich der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in der täglichen Verwaltungspraxis bestehen allerdings Zweifel, vgl. Schwan, in: Hohmann, Freiheitssicherung, S. 291, mit dem Hinweis auf eine Äußerung des Bundeskriminalamtes aus dem Jahre 1984, daß man "als Polizeibehörde generell von der Auskunftspflicht ausgenommen" sei. 284 BGBl. 1993 II, S. 1010. 285 Dix, Jura 1993, 571 (577); vgl. auch Ullrich, RDV 1994, 217 (219 ff.). 286 Dazu im einzelnen unten 5. sowie D III 2.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit 5. Gerichtliche Kontrolle im SDÜ a) Fehlen einer supranationalen Rechtsschutzinstanz
Die Vertragsstaaten des SDÜ haben sich nicht auf eine übergeordnete Rechtsschutzinstanz einigen können. Trotz aller Kritik 2 8 7 am Fehlen einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle überwiegen bei den Regierungen politische und rechtliche Bedenken. Es besteht offensichtlich die Befürchtung, daß eine unabhängige Gerichtsinstanz die staatliche Souveränität zu weit beschränken könnte. Durch diese Einstellung wird eine Gefährdung der einheitlichen Anwendung der Bestimmungen des SDÜ in den Vertragsstaaten in Kauf genommen. Gemäß Art. 131 Abs. 2 SDÜ hat der Exekutivausschuß die allgemeine Aufgabe, auf die richtige Anwendung des Übereinkommens zu achten288. Aus diesem Grund wird ihm teilweise - in Ermangelung einer anderen zuständigen Gerichtsinstanz - Jurisdiktionsfunktion zuerkannt 289. Der Exekutivausschuß ist ein Kollegialorgan, in das jede Vertragspartei einen Vertreter im Ministerrang entsendet. Er entscheidet einstimmig. Neben seiner allgemeinen Überwachungsaufgabe ist er in einigen Vorschriften des SDÜ mit spezifischen Befugnissen 290 ausgestattet. So trifft er nach Art. 8 SDÜ die erforderlichen Entscheidungen über die praktischen Einzelheiten der Durchführung der Kontrollen und der Überwachung der Außengrenzen. Diese kurze Beschreibung seiner Zusammensetzung und Aufgaben zeigt bereits, daß er weder funktionell noch institutionell den Anforderungen, die an ein Gericht zu stellen sind, entspricht 291 . Zudem kommt seiner allgemeinen Vertragsüberwachungsfunktion keine Durchgriffswirkung gegenüber den Vertragsstaaten zu; es handelt sich um eine reine Aufgabenzuweisung 292. 287
Vgl. O'Keeffe, YIL 1991, 185 (203, 212); Woltjer, MJ 1995, 256 (260 f., 277 f.); Bieber, NJW 1994, 294 (296); im politischen Spektrum drängen vor allem das niederländische und italienische Parlament auf eine Kontrolle durch den EuGH. 288 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Befugnisse des Exekutivausschusses in Frankreich Woltjers, MJ 1995, 256 (267 f.), sowie die Entscheidung des Conseil Constitutionnel vom 25. Juli 1991, abgedruckt in AJDA 1991, 675. 289 So die Erläuterung des BMI, in: Das Schengener Abkommen, S. 80; vgl. auch die Ansicht der niederländischen Regierung zur Übertragung judikativer Funktionen, referiert bei Schütz, AöR 120 (1995), 509 (518, dort Fn. 20), sowie Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 37: "In short, the Committee's tasks will be a mixture of législation and Jurisdiction.". 290
Zu den Befugnissen im einzelnen Dörr, DÖV 1993, 696 (700 ff.). Ebenso Schoch, DVB1. 1992, 525 (531, dort Fußn. 74); Schreckenberger, VerwArch 88 (1997), 389 (406): Exekutives Aufsichts- und Kontrollorgan. 292 Dörr, DÖV 1993, 696 (702); so auch der franz. Conseil Constitutionnel in seiner Entscheidung vom 25. Juli 1991, AJDA 1991, 675 ff. 291
II. Die Schengener Abkommen
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Ebenfalls keine Gerichtsinstanz ist die in Art. 115 Abs. 1 SDÜ vorgesehene gemeinsame Kontrollinstanz zur Überwachung der technischen Unterstützungseinheit des SIS. Ihre Befugnis ist gemäß Art. 115 Abs. 2 SDÜ beschränkt auf die Kontrolle der technischen Unterstützungseinheit. Sie hat die richtige Anwendung der Bestimmungen des SDÜ zu überprüfen. Darüberhinaus ist sie zuständig für "die Prüfung der Anwendungs- oder Auslegungsfragen im Zusammenhang mit dem Funktionieren des Schengener Informationssystems" (Art. 115 Abs. 3 SDÜ). Die gemeinsame Kontrollinstanz setzt sich zusammen aus Vertretern der nationalen Kontrollinstanzen. Nationale Kontrollinstanz in Deutschland ist der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Die Zusammensetzung der gemeinsamen Kontrollinstanz spricht schon dagegen, ihr eine echte streitentscheidende Funktion beizumessen293. Dies folgt zudem aus Art. 106 Abs. 3 SDÜ. Danach unterbreiten die Vertragsparteien, die sich hinsichtlich der Richtigkeit der gespeicherten Daten nicht einigen können, den Fall der gemeinsamen Kontrollinstanz zur Stellungnahme. Eine verbindliche Entscheidung ist nicht vorgesehen. b) Rudimentäre Ausgestaltung des Rechtsschutzes im SDÜ aa) Rechtsschutz im Schengener Informationssystem Rechtsschutz gegen Maßnahmen aufgrund des SDÜ wird im Übereinkommen selbst nur im Zusammenhang mit dem SIS geregelt. Er obliegt den nationalen Gerichten 294 . Die zentrale Rechtsschutznorm des Titels IV des Schengener Durchführungsübereinkommens, Art. 111 Abs. 1, lautet: "Jeder hat das Recht, im Hoheitsgebiet jeder Vertragspartei eine Klage wegen einer seine Person betreffenden Ausschreibung insbesondere auf Berichtigung, Löschung, Auskunftserteilung oder Schadensersatz vor dem nach nationalem Recht zuständigen Gericht oder der zuständigen Behörde zu erheben."295 (Hervorhebungen durch den Verf.) Die Klage ist also nicht nur in dem Staat zulässig, der die Speicherung der Daten im SIS vorgenommen hat 296 . Mit dieser prozessualen Grundnorm korre293
Den Entscheidungen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz kommt ebenfalls keine verbindliche Bedeutung zu; kritisch zu diesem Regelungsdefizit Flanderka, Der Bundesbeauftragte, S. 138 ff. 294 Vgl. Epiney, SZIER 5 (1995), 135 (153). 295 Frz. Text: "Toute personne peut saisie, sur le territoire de chaque Partie Contractante, la juridiction ou l'autorité compétentes en vertu du droit national, d'une action notamment en rectification, en effacement, en information ou en indemnisation en raison d'un signalement la concernant."; aus datenschutzrechtlicher Sicht wird Art. 111 SDÜ begrüßt von Werner , CR 1997, 34 (35). 296 Bäumler, CR 1994,487 (491).
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
spondiert der materielle Berichtigungs- und Löschungsanspruch des Art. 110 SDÜ, dessen Durchsetzung Art. 111 SDÜ dient. Zu einer Änderung, Ergänzung, Berichtigung oder Löschung der Daten ist jedoch gemäß Art. 106 Abs. 1 SDÜ nur die ausschreibende Partei befugt. Die Vertragsparteien verpflichten sich in Art. 111 Abs. 2 SDÜ, unanfechtbare Entscheidungen der Gerichte oder Behörden nach Art. 111 Abs. 1 SDÜ zu vollziehen. Trotz dieses Absatzes 2 geht aus Art. 111 SDÜ nicht eindeutig hervor, ob Klagegegner der Gerichtsstaat allein oder (auch) der ausschreibende Staat sein kann. bb) Die Folgen des Fehlens anderweitiger Rechtsschutzbestimmungen Soweit das SDÜ keine besonderen Vorschriften zum Rechtsschutz in den Art. 39 ff. SDÜ enthält, schließt es jedenfalls Rechtsschutz durch nationale Gerichte nicht ausdrücklich aus. Die Vorschriften zum Rechtsschutz in Titel IV über das SIS ergänzen lediglich die nationalen Gesetze. Deshalb geht ein Gegenschluß zu diesen Bestimmungen fehl, der auf den Ausschluß des Rechtsweges hindeuten könnte. Wenn das SDÜ keine Ergänzungen zum nationalen Recht enthält, bleibt es bei der Anwendung dieses Rechts auf grenzüberschreitende Sachverhalte. Es kann nicht angenommen werden, daß die Staaten sich durch die Form der völkervertraglichen Zusammenarbeit jeglicher gerichtlichen Kontrolle entziehen wollten 297 . c) Keine Auslegungszuständigkeit
des Europäischen Gerichtshofes
Streitigkeiten der Vertragsstaaten um die Auslegung einzelner Bestimmungen des Übereinkommens werden intergouvernemental gelöst. Den institutionellen Rahmen liefert der Exekutivausschuß. Die Vertragsstaaten, die dem Europäischen Gerichtshof die Befugnis zur Streitentscheidung übertragen wollten, konnten sich nicht durchsetzen 298. Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Instanz, die die einheitliche Auslegung der Bestimmungen des Übereinkommens sicherstellt, wurde bereits am Beispiel der sprachlich unterschiedlichen Fassungen des Art. 109 Abs. 2 SDÜ deutlich.
297
Vgl. zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge das Wiener Übereinkommen vom 23.5.1969 über das Recht der Verträge, BGBl. 1985 II, S. 926; United Nations Treaty Sériés (UNTS) Bd. 1155, S. 331; sowie Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 780 f., und Ipsen/Heintschel v. Heinegg, Völkerrecht, S. 120 ff. 298 Vgl. etwa den niederländischen Vorschlag (Notiz der niederländischen Delegation, Sch/Tr-Rego (92) 22 v. 14.12.1992), in einem Protokoll zum SDÜ eine entsprechende Zuständigkeit des EuGH zu verankern.
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6. Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam Durch den Abschluß eines Protokolls zwischen den EU-Staaten wird der "Schengen-Besitzstand"299 in den Rahmen der Europäischen Union einbezogen. Die bisherige - rein völkerrechtliche - Zusammenarbeit erfolgt nunmehr supranational, soweit eine Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft begründet ist 300 , im übrigen intergouvernemental im Rahmen des Titels V I EU-Vertrag. Innerhalb der Ziele der Europäischen Gemeinschaft und des Titels V I EUV wird den Vertragsstaaten der Schengener Übereinkommen weiterhin ein gemeinsames Vorgehen ermöglicht. Die Zustimmimg Irlands und Großbritanniens dazu gilt als erteilt (Art. A und D des Protokolls). Beide Staaten können einzelne oder sämtliche Bestimmungen des Schengen-Besitzstandes übernehmen. Zur Anpassung der institutionellen Strukturen an die Gemeinschaft und die dritte Säule wird der Exekutivausschuß durch den Rat abgelöst. Dieser kann durch einstimmigen Beschluß der Vertreter der Schengen-Vertragsstaaten alle Maßnahmen ergreifen, die zur Eingliederung des Schengen-Besitzstandes erforderlich sind. Er legt gemäß den einschlägigen Bestimmungen der Verträge (EGV, EUV) die Rechtsgrundlage für jede Bestimmung und jeden Beschluß fest, die den Schengen-Besitzstand bilden. Dies ist erforderlich, damit die Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofes zwischen der ersten und dritten Säule voneinander abgegrenzt werden können: "Hinsichtlich solcher Bestimmungen und Beschlüsse nimmt der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Einklang mit dieser Festlegung die Befugnisse wahr, die ihm nach den einschlägigen geltenden Bestimmungen der Verträge zukommen. Der Gerichtshof besitzt auf keinen Fall die Zuständigkeit für Maßnahmen oder Beschlüsse, die die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie die Gewährleistung der inneren Sicherheit betreffen." 301 Die grundsätzliche Anerkennung einer Zuständigkeit des Gerichtshofs dürfte die bedeutendste Neuerung im Rahmen der Eingliederung Schengens in die Europäische Union sein. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß im
299 Als "Schengen-Besitzstand" werden im Anhang zum Protokoll definiert das am 14. Juni 1985 unterzeichnete Schengener Übereinkommen, das am 19. Juni 1990 unterzeichnete Schengener Durchführungsübereinkommen samt dazugehöriger Erklärungen, Beitrittserklärungen und -übereinkommen sowie die vom Exekutivausschuß und den von ihm zur Rechtsetzung ermächtigten Gremien erlassenen Rechtsakte. 300 Eine solche Zuständigkeit ist z.B. hinsichtlich des Titels II SDÜ "Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen und Personenverkehr" eröffnet. 301 Art. B Abs. 1 UAbs. 3 des Schengen-Protokolls; nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Bestimmung (... im Einklang mit dieser Festlegung ...) ist der Gerichtshof an die Festlegung des Rates hinsichtlich der Rechtsgrundlage gebunden, die seine Zuständigkeit determiniert.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Rahmen des Titels V I EU-Vertrag jeder Mitgliedstaat diese Zuständigkeit in einer gesonderten Erklärung anerkennen muß.
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen 1. Die Entwicklung der Zusammenarbeit im Zollwesen a) Abgrenzung zum Gemeinschaftsrecht Die Zusammenarbeit der EU-Staaten im Zollwesen reicht bis zu den Anfängen der Europäischen Gemeinschaft zurück 302 . Ihre Grundlagen bilden die Art. 9 ff. EGV mit der Einfuhrung einer Zollunion. Der Gedanke einer europäischen Zollunion entstand allerdings nicht erst mit den Beratungen zum (damaligen) EWG-Vertrag. Vielmehr setzte bereits in den Zwanziger Jahren eine intensive Diskussion um Vor- und Nachteile eines solchen Zusammenschlusses ein 3 0 3 . Infolge der europäischen Integration erließ die EG eine Vielzahl zollrechtlicher Bestimmungen. A m 1. Januar 1994 trat der Zollkodex (ZK) der E G 3 0 4 in Kraft, der mit der entsprechenden Durchführungsverordnung die bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden zahllosen Einzelvorschriften ablöste. Kontrollen an den Binnengrenzen der EU-Mitgliedstaaten bleiben aber weiterhin erforder-lich, um Verbote und Beschränkungen in den nicht harmonisierten Bereichen des Zollrechts (Art. 36 EGV) durchzusetzen 305. Der Zollkodex enthält nicht nur materielle Bestimmungen zur Abwicklung des Warenverkehrs mit Drittländern, sondern darüberhinaus das bei der Durchführung der Vorschriften anzu-wendende Verfahren, inklusive einiger Grundregeln des gerichtlichen Rechts-schutzes. Die Organisation der nationalen Zollverwaltungen bleibt allerdings dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten (Art. 60 ZK). Hinsichtlich der Kooperation der nationalen Zollverwaltungen sind die Regelungszuständigkeiten nicht eindeutig zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten abgegrenzt. A m 7. September 1967 wurde das sog. "Neapel I"Übereinkommen 306 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemein-
302
Zur Entwicklung Dorsch, Zollrecht, Einl. A Rdnm. 44 ff. Vgl. etwa Heiman (Hg.), Europäische Zollunion (1926), sowie Hohlfeld, Zur Frage einer europäischen Zollunion (1928). 3 Verordnung (EWG) 2913/92 des Rates vom 12.10.1992, ABl. Nr. L 302/1, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) 82/97, ABl. 1997 Nr. L 17/1. Dorsch, Zollrecht, Einl. A Rdnr. 55. 306
..
Ubereinkommen zwischen Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden über gegenseitige Unterstützung ihrer Zoll-
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen
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schaft (außerhalb des institutionellen Rahmens der EG) abgeschlossen. Es stellt die Reaktion der sechs damaligen EG-Mitgliedstaaten auf die durch den EWGVertrag vorgesehene Zollunion dar und enthält erstaunlich weitgehende Verpflichtungen zur Amtshilfe der Zollverwaltungen. Das "Neapel F'-Übereinkommen wird am Tage des Inkrafttretens des "Neapel II"-Übereinkommens aufgehoben werden 307 . Gestützt auf die Art. 43 und 235 EWGV hat der Rat 1981 die EG-AmtshilfeVerordnung 308 erlassen, die 1997 durch eine neue Verordnung ersetzt wurde 309 . Diese Verordnungen haben das Übereinkommen von Neapel bereits "weitgehend" abgelöst 310 . Es behält jedoch seine Gültigkeit in den Gebieten, die in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen. Dieses sind die nicht harmonisierten Verbote und Beschränkungen, die nach den Art. 36 und Art. 223 EGV noch national zulässig sind. Hierzu zählt z.B. die Tätigkeit von Beamten der Zollverwaltung bei der Bekämpfung des Rauschgift-, Waffen- und Nuklearschmuggels 311 , der Artenschutzkriminalität 312 oder als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft bei der Strafverfolgung 313 . Vornehmlich auf diese Bereiche zielt auch die Verankerung der Zusammenarbeit im
Verwaltungen, BGBl. 1969 II, S. 65; 1970 II, S. 987; dazu Ravillard, in: Monar/Morgan, The Third Pillar, S. 219. 307 Art. 32 Abs. 6 des Neapel Ii-Übereinkommens, ABl. 1998 Nr. C 24/1. 308 Verordnung (EWG) Nr. 1468/81 des Rates vom 19. Mai 1981 betreffend die gegenseitige Unterstützung der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, um die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und Agrarregelung zu gewährleisten, ABl. 1981 Nr. L 144/1, geändert durch Verordnung (EWG) Nr. 945/87 des Rates vom 30. März 1987, ABl. 1987 Nr. L 90/3. Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung, ABl. 1997 Nr. L 82/1. 310 Vaulont, in: G/T/E, EGV, Art. 9 Rdnr. 36 (dort auch Fußn. 92). Wewel, in: Müller-Graff, Europäische Zusammenarbeit, S. 118; Wamers, Marktbeobachtung, S. 86 ff; vgl. aber Verordnung (EG) Nr. 3381/94 des Rates über eine Gemeinschaftsregelung der Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use-Verordnung) vom 19.12.1994, ABl. 1994 Nr. L 367/1, geändert durch VO 837/95 vom 10.4.1995, ABl. Nr. L 90/1; dazu etwa Wolffgang, DVB1. 1996, 277. Dazu Klinkhammer/König, ZfZ 1995, 194 ff; zum Artenschutz auch Hammer, DVB1. 1997, 401 ff.; vgl. nunmehr Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9.12.1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels, ABl. 1997 Nr. L 61/1. Dazu Kramer, wistra 1990, 169 (175 ff); zur abweichenden Rechtsauffassung der Komission hinsichtlich der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten Wewel (oben Fußn. 311), S. 122 f. 7 Harings
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
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Zollwesen in Art. K . l Nr. 8 EUV. Im folgenden sollen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften deshalb - soweit möglich - außer Acht bleiben. b) Völkerrechtliche
Zusammenarbeit
aa) Überblick Die Zusammenarbeit der Zollbehörden in den nicht harmonisierten Bereichen des Zollwesens blieb nicht auf der Basis des Neapel I-Übereinkommens stehen. Sie erfuhr neue Belebung durch die TREVI-Zusammenarbeit unter der Bezeichnung G A M (Groupe d'Assistance mutuelle), bzw. im Hinblick auf die Einführung des EG-Binnenmarkts G A M '92 3 1 4 . Der engen Verzahnung mit dem gemeinschaftlichen Zollrecht entsprechend nahm die Kommission, der im Rahmen von TREVI Beobachterstatus eingeräumt wurde, eine aktive Rolle ein. Bei ihr wurde auch das Sekretariat der TREVI-Gruppe G A M eingerichtet. Ihre Schwerpunkte lagen im operativen Bereich in der Bekämpfung und Verfolgung des Waffen- und Drogenschmuggels 315. Neben dieser EG-internen Zusammenarbeit haben sich die Mitgliedstaaten schon frühzeitig internationalen Organisationen, wie dem Brüsseler Zollrat (heute: Weltzoll-Organisation) angeschlossen und dort informationelle Kontakte aufgebaut. In diesem Rahmen wurden vier große Datensysteme, vor allem zur Drogenbekämpfung, errichtet 316 . Zentralstelle für Deutschland ist jeweils das Zollkriminalamt mit Sitz in Köln. bb) Der Inhalt des "Neapel I-Übereinkommens" Das Übereinkommen enthält eine Verpflichtung der nationalen Zollverwaltungen der EG-Staaten zur gegenseitigen Amtshilfe. Kernpunkt ist ein weitgehender Informationsaustausch hinsichtlich solcher Daten, die für die jeweiligen Vertragsstaaten von Interesse sein könnten. Die Verpflichtungen bestehen nicht nur als Reaktion auf ein vorheriges Ersuchen, sondern in den Fällen der Art. 8 ff. des Übereinkommens auch aus eigener Initiative 317 . Nach Art. 13 führt die ersuchte Zollverwaltung alle amtlichen Ermittlungen durch, um die die Zollverwaltung eines anderen Vertragsstaates ersucht hat. Die Beamten der ersuchenden Zollverwaltung dürfen gemäß Art. 14 bei den entsprechenden Maßnahmen auf dem Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei anwesend sein.
314 3,5 316 3,7
Ravillard, in: Monar/Morgan, The Third Pillar, S. 219. Vgl. Degen, in: HbEuropR, Vorb. Art. K - K.9 Rdnr. 13. Einzelheiten bei Busch, in: Roth (Hg.), EUROPOL, S. 18 (22). Vgl. Klinkhammer, ZfZ 1996, 37 (38 f.).
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen
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Eigene Befugnisse kommen ihnen nicht zu. Sie werden bei ihrem Aufenthalt auf fremdem Staatsgebiet den Beamten des Aufenthaltsstaates hinsichtlich ihres Schutzes, aber auch hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit gleichgestellt (Art. 16) 3 1 8 . Die Verpflichtung zur Leistung von Amtshilfe steht unter dem Vorbehalt entgegenstehender nationaler Interessen. Ihre Verweigerung ist gemäß Art. 19 Abs. 2 zu begründen. c) Weitere Ziele der Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit im Zollwesen ist derzeit auf eine Kooperation der nationalen Zollverwaltungen beschränkt, doch bedeutet dies keineswegs die Endstufe der Entwicklung. Gefordert wird vielmehr die Schaffung einer zentralen Institution, die allerdings politischen Bedenken begegnet: "... Das zur Zeit noch übermächtige Souveränitätsempfinden fast aller europäischen Länder wird es aber kaum zulassen, Beamte einer überstaatlichen Organisation auf dem eigenen Gebiet amtieren zu lassen. Es läßt sich denken, daß bei erfolgreicher Entwicklung die Schaffung einer solchen internationalen Zollexekutive möglich wird; besonders in der Anfangszeit wird aber der andere Weg begangen werden müssen."319 Dieses Zitat, das aus dem Jahr 1926 stammt, könnte ebensogut in der aktuellen Diskussion gefallen sein. Das Ziel ist im Jahre 1997 noch das gleiche wie im Jahre 1926 320 . Leider hat auch das Souveränitätsempfinden der EU-Staaten nicht abgenommen. Infolge des Schengener Übereinkommens wird allerdings der Gedanke vertrauter, daß Beamte auf fremdem Staatsgebiet hoheitlich tätig werden. Beamte des deutschen Zollfahndungsdienstes sind als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft bei BtMG- und WaffenG-Verstößen gemäß Art. 40 Abs. 4, 41 Abs. 7 SDÜ zur grenzüberschreitenden Observation und Nacheile befugt. Die derzeitigen Bemühungen des Rates im Zollbereich kreisen um die Fertigstellung der Neapel Ii-Konvention 321 , die das Übereinkommen über ein Zollinformationssystem (im folgenden: ZIS-Übk), das 1995 unterzeichnet wurde 322 , ergänzen soll. Eine Verbindung beider Übereinkommen würde die Zusammenarbeit der Zollverwaltungen auf das Niveau der polizeilichen Zusammenarbeit im Schengener Übereinkommen heben. 318
Die Vorschrift hat offenbar Vorbildfunktion für Art. 42 SDU gehabt. Friedensburg, in: Heiman (Hg.), Europäische Zollunion, S. 200 f. Vgl. nur Wewel (oben Fußn. 311): Europäisches Fahndungsamt als Fernziel. Vgl. die Entschließung des Rates vom 14. Oktober 1996 zur Festlegung der Prioritäten für die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres für den Zeitraum vom 1. Juli 1996 bis zum 30. Juni 1998, ABl. Nr. C 319/1 vom 26.10.1996. Rechtsakt des Rates vom 26. Juli 1995 über die Fertigstellung des Übereinkommens über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich, ABl. Nr. C 316/33 vom 27.11.1995. 319
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit 2. Das geplante Zollinformationssystem (ZIS) a) Konkurrenz zwischen erster und dritter Säule
Das Zollinformationssystem wurde Gegenstand einer eigenen Konvention, da sich die Mitgliedstaaten im Rat nicht auf eine Revision der bestehenden Normen, insbesondere des Neapel I-Übereinkommens, einigen konnten. Die Errichtung eines Zollinformationssystems wurde aber als Ausgleich für den Wegfall der Binnengrenzkontrollen für notwendig erachtet. Das Zollinformationssystem ist nach dem Vorbild des Schengener Informationssystems aufgebaut. Wegen der konkurrierenden Zuständigkeiten der EG einerseits und der Mitgliedstaaten andererseits gestaltete sich die Errichtung des Systems allerdings schwieriger als erwartet. Nunmehr sind rechtlich zwei Zollinformationssysteme vorgesehen 323 : ZIS I auf der Grundlage eines Übereinkommens nach Art. K.3 Abs. 2 lit c) EUV für den Bereich der dritten Säule und ZIS I I auf der Grundlage der neuen EG-Amtshilfe-Verordnung für den Bereich der ersten Säule 324 . Faktisch existiert allerdings nur ein Rechner für den Betrieb, auf dem die beiden Datenbestände aber getrennt werden 325 . Die Datenverarbeitung unter-liegt einerseits den Bestimmungen des ZIS-Übk, andererseits den Art. 23 ff. der EG-Amtshilfeverordnung. Die unterschiedlichen Rechtsregime unterscheiden sich nur in Nuancen. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Bestimmungen des ZIS-Übereinkommens nach Art. K.3 EUV. Eine Vorwegnahme des im Amsterdamer Vertrag vereinbarten Konzepts der flexiblen Integration im Rahmen der EU enthält eine Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten über die vorläufige Anwendung des ZIS-Übereinkommens 326 . Gestützt auf die Rechtsgrundlage des Art. K.7 EUV vereinbaren die Vertragsparteien darin das vorläufige Inkrafttreten des ZIS-Übereinkommens am ersten Tag des dritten Monats nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch den achten Mitgliedstaat (Art. 2 der Übereinkunft). Das Übereinkommen tritt nur für die Mitgliedstaaten in Kraft, die es zu diesem Zeitpunkt bereits ratifiziert haben.
323
Dazu Wewel (oben Fußn. 311), S. 119. . Vgl. Titel V (Art. 23 ff.) der Verordnung Nr. 515/97 des Rates vom 13.3.1997. Vgl. Art. 23 Abs. 3 der Verordnung: "Die Zollbehörden der Mitgliedstaaten können die technische Infrastruktur des ZIS im Rahmen der Zusammenarbeit im Zollwesen nach Art. K.l Nummer 8 des Vertrages über die Europäische Union nutzen." Übereinkunft über die vorläufige Anwendung des Übereinkommens zwischen einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgrund von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich, ABl. Nr. C 316/58 ff. vom 27.11.1995. 324
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen
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b) Der Inhalt des ZIS-Übereinkommens Die Bestimmungen zum Zollinformationssystem orientieren sich eng an den Vorschriften des Schengener Durchfuhrungsübereinkommens zum Schengener Informationssystem. Unterschiede resultieren aus der Ausrichtung des ZIS auf den Warenverkehr sowie aus einigen technischen Besonderheiten. aa) Aufbau des Systems und Struktur der Kooperation Gemäß Art. 3 Abs. 1 ZIS-Übk besteht das ZIS aus einer zentralen Datenbank, die über Terminals von allen Mitgliedstaaten aus zugänglich ist. Dadurch haben diese "on-line f l -Zugriff auf den Zentralrechner, während beim Schengener Informationssystem jeder Mitgliedstaat über einen nationalen Datenbestand verfugt, der mit dem des Hauptrechners identisch ist. Infolge dieses technischen Unterschieds ist beim ZIS der transnationale Charakter einer Ausschreibung stärker ausgeprägt als beim Schengener Informationssystem. Das Zollinformationssystem als zentrale Datenbank eröffnet den Vertragsstaaten nicht die Möglichkeit, einzelne Ausschreibungen für den nationalen Bereich zu kennzeichnen und somit vorläufig nicht zu vollziehen. Die Reaktion eines Staates auf die Ausschreibung erfolgt unmittelbar ohne vorherige eigene Prüfung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. Das Rechtshilfeersuchen wird dadurch zu einer transnationalen "Vollzugsanordnung" 327 . Für den technischen Betrieb des ZIS ist gemäß Art. 3 Abs. 2 ZIS-Übk die Kommission verantwortlich. Die Einbeziehung der Kommission läuft den Bekundungen der Mitgliedstaaten zum intergouvernementalen Charakter der Kooperation in der dritten Säule zuwider, erklärt sich aber aus dem bereits angesprochenen Nebeneinander der Zuständigkeiten und Informationssysteme. Nach Art. 16 ZIS-Übk wird ein Ausschuß aus Vertretern der Zollverwaltungen der Mitgliedstaaten eingesetzt, der für das ordnungsgemäße Funktionieren des ZIS verantwortlich ist. Dieser Ausschuß ist dem Exekutivausschuß des Schengener Übereinkommens nachgebildet. Die Kommission wird gemäß Art. 16 Abs. 4 ZIS-Übk an seinen Arbeiten beteiligt. Sie hat allerdings kein Stimmrecht, da dieses in Art. 16 Abs. 1 ZIS-Übk geregelt ist. Ein Mitentscheidungsrecht der Kommission widerspräche auch den Grundsätzen der intergouvernementalen Zusammenarbeit. Gemäß Art. 7 ZIS-Übk ist der Zugang zum ZIS auf die von den Mitgliedstaaten benannten Zollbehörden begrenzt. Durch einstimmigen Beschluß der Mitgliedstaaten kann internationalen oder regionalen Organisationen Zugang zum ZIS eingeräumt werden. Der Informationsaustausch findet über das ZIS 327
Scheller, JZ 1992, 904.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
unmittelbar zwischen den beteiligten Zollbehörden der Mitgliedstaaten statt 328 . Soweit das Übereinkommen keine strengeren Maßstäbe festlegt, erfolgt die Eingabe und Verwendung der Daten nach Maßgabe des nationalen Rechts des eingebenden/abrufenden Mitgliedstaates. Ebenso wie das Schengener Durchfuhrungsübereinkommen schafft auch das ZIS-Übk keine neue Institution, sondern stellt mit dem ZIS lediglich das Mittel des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten zur Verfügimg. Der Charakter der Kooperation verbleibt - trotz Einschaltung der Kommission - rein intergouvernemental. Die Verantwortlichkeit für die Datenverarbeitung liegt allein bei den Mitgliedstaaten. bb) Datenschutz Materiell wird der Datenschutz beim Betrieb des ZIS durch eine genaue Erfassung der zulässigen Datenkategorien und die Festschreibung des Zweckbindungsgrundsatzes verfolgt. Die Harmonisierung des nationalen Datenschutzrechts soll gemäß Art. 13 ZIS-Übk auf der Grundlage der Europaratskonvention von 1981 erfolgen und ist Voraussetzung für den Zugang zum ZIS. Damit die Bestimmungen des nationalen Rechts auf das ZIS in vollem Umfang Anwendung finden können, ist das ZIS gemäß Art. 13 Abs. 3 ZIS-Übk in jedem Mitgliedstaat als nationale Datei anzusehen. Diese Fiktion wurde erforderlich, da das System - anders als das SIS - nicht zwischen nationalem und zentralem Datenbestand trennt, sondern jeder Mitgliedstaat Zugriff auf den zentralen Bestand hat. Die Rechte des Betroffenen richten sich gemäß Art. 15 Abs. 1 ZIS-Übk nach der Rechtsordnung des Mitgliedstaates, in dem sie geltend gemacht werden. Ebenso wie beim Schengener Informationssystem unterbleibt die Auskunftserteilung, wenn dies zur Durchführung einer rechtmäßigen Maßnahme oder zum Schutz der Rechte Dritter "unerläßlich" ist. Nach der französischen Fassung des Übereinkommens unterbleibt die Auskunftserteilung bereits dann, wenn sie eine solche Maßnahme oder Rechte Dritter "beeinträchtigen kann" ("si celui-ci peut porter atteinte") 329 . Auskunft über Daten, die ein Mitgliedstaat selbst nicht eingegeben hat, darf dieser nur erteilen, wenn der eingebende Mitgliedstaat zuvor Gelegenheit zur Stellung-
328
Vgl. auch die Entschließung des Rates vom 9. Juni 1997 über einen Leitfaden für gemeinsame Zollkontrollaktionen, ABl. 1997 Nr. C 193/4, zur Einbeziehung des ZIS. 329 Art. 15 Abs. 2 ZISÜbk; beruhte diese Diskrepanz in Art. 109 Abs. 2 SDÜ ("si eile peut nuire") wohl noch auf fehlerhaften Übersetzungen, haben die Staaten in einer nicht veröffentlichten Erklärung zu Art. 15 Abs. 2 ZISÜbk zum Ausdruck gebracht, daß die unterschiedlichen Fassungen auf dem Willen des Rates beruhen. Durch diese merkwürdige Konstruktion hat nunmehr derselbe Rechtsakt in verschiedenen Staaten eine unterschiedliche Wirkung. Auf die Herstellung von Rechtseinheit in der Europäischen Union ist insoweit bewußt verzichtet worden.
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen
103
nähme hatte. Nur der eingebende Mitgliedstaat ist gemäß Art. 11 Abs. 1 ZISÜbk befugt, die von ihm eingegebenen Daten zu ändern oder zu löschen. Die übrigen Staaten sind verpflichtet, diesem Bedenken gegen die Richtigkeit der von ihm eingegebenen Daten mitzuteilen 330 . Institutionell folgt das ZIS-Übk dem Schengener Modell einer parallelen Zuständigkeit nationaler und übernationaler Kontrollinstanzen, die hier "Aufsichtsbehörden" genannt werden. Die Befugnisse der nationalen Aufsichtsbehörden und das Verfahren zu ihrer Anrufung bestimmen sich nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht. Die Befugnisse der gemeinsamen Aufsichtsbehörde erschöpfen sich in der Anfertigung von Stellungnahmen und Vorschlägen. cc) Gerichtliche Kontrolle Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten über die Auslegung und Anwendung des Übereinkommens werden zunächst gemäß Art. 27 im Rat erörtert. Ist die Streitigkeit nach Ablauf von sechs Monaten nicht beigelegt worden, kann jede Partei die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Ebenso ist der Gerichtshof zuständig für Streitigkeiten zwischen der Kommission und einem Mitgliedstaat, die nicht im Wege von Verhandlungen beigelegt werden können. Der Individualrechtsschutz verbleibt bei den nationalen Gerichten (oder jeweils zuständigen Behörden) der Mitgliedstaaten. Die Rechtsschutznorm des ZIS-Übk, Art. 15 Abs. 4, ist detaillierter als die entsprechende Vorschrift des Art. 111 SDÜ und vermeidet dadurch zumindest manche Unklarheit. Zunächst bleibt es bei dem Grundsatz, daß jeder im Hoheitsgebiet eines jeden Mitgliedstaates "nach Maßgabe der Rechts- und Verwaltungsvorschriften und Verfahren des jeweiligen Mitgliedstaates" eine Klage erheben kann. Die Bezugnahme auf die nationalen Rechtsvorschriften stellt hier eindeutig heraus, daß Einschränkungen des nationalen Prozeßrechts einer solchen Klage entgegenstehen können. Entsprechend Art. 111 Abs. 2 SDÜ verpflichten sich die Mitgliedstaaten in Art. 15 Abs. 4 UAbs. 2 ZIS-Übk gegenseitig, die "endgültigen Entscheidungen" eines Gerichts durchzuführen. Neu hingegen ist im Vergleich zur Vorlage des Schengener Durchführungsübereinkommens die Bestimmung des Art. 15 Abs. 5 ZIS-Übk 3 3 1 . Diese kann nur so verstanden werden, daß Klagegegner einer Klage nach Art. 15 Abs. 4 ZIS-Übk immer der Gerichtsstaat
330
Vgl. Art. 11 Abs. 3 und 4 ZISÜbk. "Die Bezugnahme in diesem Artikel und in Artikel 11 Absatz 5 auf eine "endgültige Entscheidung" bedeutet nicht, daß ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Entscheidung eines Gerichts oder einer anderen zuständigen Behörde anzufechten."
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
selbst ist, auch wenn er die Daten nicht eingegeben hat und infolgedessen einer Entscheidung eventuell nicht nachkommen kann. Aus der Wirkung der gerichtlichen Entscheidung für den anderen Mitgliedstaat (Art. 15 Abs. 4 UAbs. 2) folgt aber nicht, daß eine ungünstige Entscheidung vom Gerichtsstaat in jedem Fall angefochten werden müßte. Nicht eindeutig ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Art. 11 Abs. 5 ZIS-Übk 3 3 2 . Er enthält in Satz 2 eine Kollisionsklausel für den Fall sich widersprechender gerichtlicher Entscheidungen in den Mitgliedstaaten. Dies ist ebenso zu begrüßen wie der datenschutzfreundliche Inhalt dieser Klausel, der im Fall widersprüchlicher Entscheidungen eine Löschung der Daten vorsieht. Die Bedeutung des Satzes 1 ist weniger eindeutig. Der Hinweis auf eine Einigung der Mitgliedstaaten könnte so verstanden werden, daß über die gerichtliche Entscheidung in einem Mitgliedstaat zunächst eine Einigung der Staaten herbeigeführt werden muß, damit die Entscheidung in einem anderen Staat vollzogen wird. Dies ist aber dann nicht einleuchtend, wenn im Falle widersprüchlicher Entscheidungen "automatisch" eine Löschung der Daten vorgesehen ist. Der scheinbare Konflikt löst sich auf, wenn Art. 15 Abs. 4 als lex specialis zu Art. 11 Abs. 5 S. 1 ZIS-Übk angesehen wird. Für eine solche Auslegung sprechen sowohl die ausdrückliche Bezugnahme auf Art. 15 Abs. 4 in Art. 11 Abs. 5 S. 2 ZIS-Übk als auch der Vorbehalt zugunsten anderer Bestimmungen des Übereinkommens in Art. 11 Abs. 5 S. 1. c) Vorabentscheidungsverfahren
vor dem Europäischen Gerichtshof
Bei der Unterzeichnung des ZIS-Übereinkommens im Rat ließen die Mitgliedstaaten noch offen, ob die primär zur gerichtlichen Kontrolle berufenen nationalen Gerichte den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung sollten anrufen können. Erst am 29. November 1996 stellten sie ein Protokoll fertig, das eine solche Zuständigkeit des Gerichtshofs begründet 333 . Die Regelungstechnik des Protokolls folgt dem - zeitlich vorhergehenden - Kompromiß
"Trifft in einem Mitgliedstaat ein Gericht oder eine andere zuständige Behörde hinsichtlich einer Änderung, Ergänzung, Berichtigung oder Löschung von Daten eine endgültige Entscheidung, so einigen sich die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Übereinkommens untereinander darauf, diese Entscheidung durchzuführen. Im Fall widersprüchlicher Entscheidungen von Gerichten oder anderen zuständigen Behörden in verschiedenen Mitgliedstaaten, Entscheidungen nach Artikel 15 Absatz 4 über eine Berichtigung oder Löschung eingeschlossen, löscht der Mitgliedstaat, der die betreffenden Daten eingegeben hat, diese aus dem System." 333
Protokoll aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. Nr. C 151/16 vom 20.5.1997.
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen
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um die Zuständigkeit des EuGH für die Auslegung des EuropolÜbereinkommens 334 . Danach kann gemäß Art. 2 des Protokolls jeder Mitgliedstaat die Zuständigkeit des Gerichtshofs anerkennen. Dies geschieht aber nicht bereits durch die Unterzeichnung des Protokolls, sondern durch die Abgabe gesonderter Erklärungen, die unterschiedliche Inhalte haben können. Die Erklärung kann vorsehen, daß entweder jedes Gericht 335 (Art. 2 Abs. 2 lit b)) oder nur das letztinstanzliche Gericht 336 (Art. 2 Abs. 2 lit a)) des Mitgliedstaates dem Europäischen Gerichtshof eine Frage, die es zum Erlaß seines Urteils für erforderlich hält, vorlegen kann. Eine Vorlagepflicht für die letztinstanzlich entscheidenden Gerichte, wie sie Art. 177 Unterabs. 3 EGV enthält, sieht das Protokoll nicht vor. Der Grund dafür dürfte in der Furcht einiger Mitgliedstaaten vor einer zu starken Annäherung der intergouvernemental ausgestalteten Zusammenarbeit in der 3. Säule des EU-Vertrages an die Supranationalität der Europäischen Gemeinschaft liegen. Gleichwohl haben einige Staaten, die eine Erklärung nach Art. 2 Abs. 2 lit b) AuslProtokoll abgegeben hat, sich das Recht vorbehalten, innerstaatlich eine Vorlagepflicht des letztinstanzlich entscheidenden Gerichts vorzusehen 337 .
3. Die "Neapel II"-Konvention a) Entstehungsgeschichte Bereits mit der Festlegung des Stichtages 1. Januar 1993 zur Verwirklichung des Binnenmarktes wurden im Bereich der Zollverwaltungen Überlegungen zur Kompensation der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen angestellt. Unter der Bezeichnung G A M '92 (Groupe Assistance Mutuelle) starteten Beratungen unter dem Vorsitz Großbritanniens, um die Neapel I-Konvention den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Mit Inkrafttreten des Maastricht-Vertrages wurde diese Gruppe in die Zusammenarbeit unter Art. K.1 Nr. 8 EUV überführt. Sie verhandelte einige Jahren als Gruppe "Zusammenarbeit im Zollwesen" im Rat der Europäischen Union über ein neues Übereinkommen über 334
Näheres dazu im folgenden Kapitel. Von dieser Möglichkeit haben Deutschland, Griechenland, Frankreich, die Niederlande, Österreich, Finnland und Schweden bislang Gebrauch gemacht. 336 Diesen Weg haben bislang nur Irland und Portugal gewählt; zu den Konsequenzen einer Beschränkung des Vorlagerechts auf die letztinstanzlichen Gerichte einerseits Lenz, NJW 1993, 2664 f. (für Art. 177 EWGV); andererseits Lipp, JZ 1997, 326 (327, 331 f.), unter Hinweis auf Art. 2 des Protokolls vom 3. Juni 1972 betreffend die Auslegung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens vom 27. September 1968 (EuGVÜ), BGBl. 1972 II, S. 846. 337 Vgl. die Erklärungen Deutschlands, Griechenlands, Österreichs und der Niederlande, ABl. Nr. C 151/28 vom 20.05.1997. 335
106
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen. Vorbild für die zu treffenden Regelungen ist in weiten Bereichen das Schengener Durchführungsübereinkommen. Die Verhandlungen gestalteten sich jedoch unter anderem deshalb schwierig, weil die Zollverwaltungen in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Zuständigkeiten haben. Viele Staaten waren zudem nicht bereit, im Zollbereich das Niveau des Schengener Übereinkommens aufrechtzuerhalten. Der Textentwurf, den Deutschland unter seiner EUPräsidentschaft 1994 eingebracht hatte 338 , ist zwischenzeitlich mehrfach geändert worden. Fortschritte gelangen 1997 durch die Textvorschläge der niederländischen Präsidentschaft vom Februar und Juni 1997, die auf einem früheren Entwurf vom Juni 1996 aufbauten 339 . Unterzeichnet wurde das Übereinkommen schließlich im Rat am 18. Dezember 1997 unter luxemburgischer Präsidentschaft. Die Verzögerungen des Abschlusses der Arbeiten im Rat haben kurioserweise zur Folge, daß die vertragliche Zusammenarbeit deutscher Zollbehörden mit den mittel- und osteuropäischen Staaten - außerhalb der EU auf der Grundlage neuerer Verträge stattfindet als innerhalb der EU. Gerade die Vereinbarung mit Polen zeichnet sich durch eine umfassende Verpflichtung zur Zusammenarbeit unter Beachtung datenschutzrechtlicher Grundsätze aus 340 . b) Gegenstand des Übereinkommens Ziel des Übereinkommens ist es, die Neapel I-Konvention aus dem Jahr 1967, die für die damalige Zeit bereits sehr fortgeschritten war, den heutigen Gegebenheiten anzupassen341. Die Kernpunkte der Neuregelung liegen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die in Anlehnung an das Schengener Durchführungsübereinkommen verbindlich geregelt werden soll. Diesem Ziel entsprechend sollte nach dem niederländischen Entwurf bereits der Titel des Übereinkommens auf den erweiterten Anwendungsbereich hindeuten 342 . Der endgültige, fertiggestellte Text hält jedoch am klassischen Begriff der "Amtshilfe" fest 343 . Das Übereinkommen erfaßt sowohl die präventive als auch
338
DOC 8925/94 Enfocustom 27 vom 22.8.1994; dazu Wewel, in: Müller-Graff, Europäische Zusammenarbeit, S. 122. 33 DOC 9505/97 ENFOCUSTOM 42 vom 30.6.1997, DOC 6125/97 ENFOCUSTOM 14 vom 24.2.1997 sowie DOC 8189/96 ENFOCUSTOM 14 vom 13.6.1996. 340 Vgl. den Anhang zum Vertrag zwischen Deutschland und Polen über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen, BGBl. 1994 II, 93. Wewel, in: Müller-Graff, Europäische Zusammenarbeit, S. 122. 342
"Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die gegenseitige Unterstützung und die Zusammenarbeit der Zollverwaltungen". "... gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen".
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen
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grundsätzlich die repressive Tätigkeit der Zollverwaltungen 344 . Die Abgrenzung der Amtshilfe von der justitiellen Rechtshilfe ist allerdings ein wichtiger Diskussionspunkt in den Beratungen gewesen. Die entsprechenden Bestimmungen des Übereinkommensentwurfs sind mehrfach geändert worden. Im Ergebnis wird das Prinzip des Vorrangs der justitiellen Rechtshilfe 345 modifiziert aufrechterhalten: "Dieses Übereinkommen schließt die Amtshilfe und Zusammenarbeit im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen hinsichtlich Zuwiderhandlungen gegen nationale Zollvorschriften und gemeinschaftliche Zollvorschriften ein, für die die ersuchende Behörde aufgrund der nationalen Bestimmungen des jeweiligen Mitgliedstaates zuständig ist." 346 Diese Formulierung soll ähnliche Probleme wie bei der Durchführung des Schengener Durchfuhrungsübereinkommens vermeiden, die unterschiedliche Zuständigkeitsverteilungen in den Mitgliedstaaten aufwerfen. Deutsche Polizeidienststellen haben nämlich in den vergangenen Jahren immer wieder die Erfahrung machen müssen, daß ihre Amtshilfeersuchen von ausländischen Behörden mit der Bitte um Stellung eines justitiellen Rechtshilfeersuchens zurückgesandt wurden. Für den Anwendungsbereich des Neapel II-Übereinkommens ist mit der obigen Vorschrift klargestellt, daß insoweit Amtshilfe geleistet werden muß. Bei Ermittlungen, die von einer Justizbehörde oder unter deren Leitung durchgeführt werden, entscheidet diese gemäß Art. 3 Abs. 2 Neapel II-Übk., ob ein justitielles Rechtshilfeersuchen oder ein Amtshilfeersuchen gestellt wird. c) Inhalt des Übereinkommens aa) Überblick Das Übereinkommen gliedert sich in sieben Titel. Die allgemeinen Vorschriften des Titels I legen den Anwendungsbereich des Übereinkommens und die Abgrenzung zur Rechtshilfe fest. Sie sehen die Errichtung zentraler Koordinierungsstellen und den Austausch von Verbindungsbeamten vor 3 4 7 . Titel I I und I I I betreffen die Amtshilfe der Zollverwaltungen mit und ohne Antrag. Der umstrittene Titel I V enthält Vorschriften über besondere Formen der Zusammenarbeit, namentlich zur grenzüberschreitenden Observation und Nacheile,
344
Vgl. Art. 1: Zuwiderhandlungen gegen Zollvorschriften verhindern und ermitteln, bzw. verfolgen und ahnden. 345 Dazu Klinkhammer, ZfZ 1996, 37 (38). 346
Art. 3 Abs. 1 Neapel II-Ubk. Die Verbindungsbeamten sollen keine Eingriffsbefugnisse in ihrem Gastland haben, sondern lediglich unterstützend tätig werden. 347
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
zur kontrollierten Lieferung und verdeckten Ermittlung. Da der automatisierte Informationsaustausch im ZIS-Übereinkommen geregelt ist, enthält Titel V lediglich Bestimmungen zum Datenschutz im nicht-automatisierten Datenaustausch. Die Auslegung des Übereinkommens durch den Europäischen Gerichtshof ist Gegenstand von Titel VI. Wie beim Schengener Durchfuhrungsübereinkommen spielen Rechtsschutzregelungen im engeren Sinne nur eine untergeordnete Rolle. Titel V I I ist das Schlußkapitel mit den üblichen Schlußbestimmungen, aber auch mit einer Ausnahmeregelung zur grundsätzlichen Unterstützungsverpflichtung (Art. 28). Der Datenschutz wird darin als möglicher Ablehnungsgrund hervorgehoben. Jede Verweigerung der Amtshilfe ist zu begründen. Entsprechend dem intergouvernementalen Charakter der Zusammenarbeit ist die Kommission - trotz dahingehender Bemühungen ihrer Vertreter in den Beratungen - nicht in die Übermittlung von Informationen einbezogen worden. bb) Verpflichtung zur Amtshilfe Die Leistung von Amtshilfe kann mit oder ohne Antrag erfolgen. (1) Amtshilfe auf Antrag Amtshilfe auf Antrag setzt grundsätzlich einen schriftlichen Antrag der ersuchenden Behörde voraus. In Eilfällen sind allerdings gemäß Art. 9 Abs. 4 Neapel II-Übk. mündliche Ersuchen zulässig, die schriftlich bestätigt werden müssen. Die ersuchte Behörde ist verpflichtet, die erbetenen Maßnahmen so vorzunehmen, als ob sie in Erfüllung eigener Aufgaben handeln würde. Sie ist auch nicht auf die Vornahme der erbetenen Handlung beschränkt. Vielmehr hat sie ihre Amtshilfe auf alle Umstände der Zuwiderhandlung auszudehnen, die in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ersuchens stehen. Eines ergänzenden Ersuchens bedarf es in diesen Fällen nicht 3 4 8 . Art. 10 bis 12 Neapel II-Übk. haben besondere Formen der Amtshilfe zum Gegenstand: Auskunftsersuchen, Überwachungsersuchen, Ermittlungsersuchen. Bei Auskunfts- oder Ermittlungsersuchen können Bedienstete des ersuchenden Staates auf dem Gebiet des ersuchten Staates im Einvernehmen mit diesem anwesend sein. Die Ermittlungen selbst werden gemäß Art. 12 Abs. 3 UAbs. 1 Neapel II-Übk. stets von den Bediensteten der ersuchten Behörde geführt. Allerdings haben die ausländischen Bediensteten Zugang zu denselben Räumlichkeiten und Unterlagen wie die Bediensteten der ersuchten Behörde. Sie sind jedoch auf deren Vermittlung angewiesen. 348
Vgl. Art. 8 Abs. 2 Neapel II-Übk.
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen
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(2) Amtshilfe ohne Antrag Die Amtshilfe ohne Antrag, die bereits im Neapel I-Übereinkommen rudimentär geregelt wurde, wird in der Neapel Ii-Konvention aufgewertet und auf eine Stufe mit der klassischen Amtshilfe (auf Antrag) gestellt. Formen der antragslosen Amtshilfe zur Verhinderung oder Verfolgung eines Zollvergehens in einem anderen Mitgliedstaat sind die Überwachung von Personen, Orten, Waren etc. und anschließende Mitteilung der gewonnenen Erkenntnisse sowie die Erteilung von Spontanauskünften. Die Betonung der antragslosen Amtshilfe ist Ausdruck einer gemeinsamen Verantwortung für die Einhaltung der Zollvorschriften in der Europäischen Union. Sie ist Zeichen für eine schwindende Bedeutung der Staatsgrenzen bei der behördlichen Amtshilfe und Zusammenarbeit. cc) Besondere Formen der Zusammenarbeit Der Entwurf des Neapel Ii-Übereinkommens differenziert zwischen Amtshilfe und den besonderen Formen der Zusammenarbeit der Zollverwaltungen. Während die grenzüberschreitende Observation und Nacheile im Rahmen der polizeilichen Zusammenarbeit in das Rechtshilferecht integriert sind und ein Rechtshilfeersuchen voraussetzen 349, unterscheidet der Entwurf zur Zusammenarbeit der Zollverwaltungen terminologisch zwischen Amtshilfeersuchen und Ersuchen um Zusammenarbeit. Letztere werden "in der Form der Amtshilfeersuchen" gestellt 350 . (1) Grundsätze der grenzüberschreitenden
Zusammenarbeit
Die Besonderheit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit liegt darin, daß Bedienstete der ersuchenden Behörde mit Zustimmung der ersuchten Behörde auf dem Gebiet des ersuchten Staates tätig werden. Art. 19 Neapel IIÜbk. faßt die für alle Fälle der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit geltenden Grundsätze zusammen. Diese Art der Kooperation wird auf Fälle schwerwiegender Zuwiderhandlungen begrenzt 351 . Eine Verpflichtung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit besteht nur, wenn die konkrete Art der Zusammenarbeit nach dem Recht des ersuchten Staates zulässig ist. Dieser 349
So auch Schürmann, DNP 1995, 383, hinsichtlich der Tätigkeit verdeckter Ermittler. 350 Art. 19 Abs. 1 Neapel II-Übk. Drogen-, Waffen-, Nuklearschmuggel sowie gewerbsmäßiger illegaler grenzüberschreitender Handel, vgl. Art. 19 Abs. 2 Neapel II-Übk., dessen Einzelheiten lange umstritten waren.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
seinerseits kann ein Ersuchen ablehnen, wenn im umgekehrten Fall die ersuchende Behörde nicht in der Lage wäre, die entsprechende Art der Zusammenarbeit zu leisten. Diese "Gegenseitigkeitsklausel" ist ein typischer Baustein völkerrechtlicher Verträge. Koordination und Planung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit obliegen gemäß Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 Neapel II-Übk. den zentralen Koordinierungsstellen. Die Haftungsbestimmungen des Art. 19 Abs. 5 bis 7 hinsichtlich der grenzüberschreitenden Tätigkeit entsprechen der in Art. 43 SDÜ vorgesehenen Regelung. Eine persönliche Verantwortlichkeit des handelnden Beamten - wie sie Art. 42 SDÜ für begangene Straftaten vorsieht, fehlte noch im Entwurf der niederländischen Präsidentschaft, ist aber zwischenzeitlich als Art. 19 Abs. 8 in das Übereinkommen übernommen worden. (2) Grenzüberschreitende
Observation und Nacheile
Ziel der deutschen Präsidentschaft im Jahre 1994 war es, zumindest die Regelungen zur grenzüberschreitenden Nacheile gegenüber Art. 41 SDÜ weiterzuentwickeln und einheitliche Befugnisse der nacheilenden Beamten vorzusehen. Dieses Ziel konnte nicht durchgesetzt werden. Schon der Vorschlag der irischen Präsidentschaft vom Dezember 1996 griff insbesondere niederländische und britische Bedenken auf und ließ einzelstaatliche Erklärungen hinsichtlich des Festhalterechtes sowie einer räumlichen und zeitlichen Begrenzung der Nacheile zu. Dieser Minimalkonsens hat sich schließlich durchgesetzt. Auch der Anwendungsbereich der grenzüberschreitenden Observation ist nach der engeren Fassung des Übereinkommens wie beim SDÜ beschränkt auf Ermittlungsverfahren 352 . Zudem kann jeder Mitgliedstaat bei der Hinterlegung der Urkunde zur Annahme des Übereinkommens durch eine Erklärung seine Bindung an die Art. 18 und 19 des Übereinkommens oder einzelne Teile dieser Bestimmungen ausschließen353. Dadurch wird der zwischen den einzelnen Staaten bestehende Rechtszustand noch unübersichtlicher als im Schengener Durchführungsübereinkommen, das aus diesem Grund deutlicher Kritik in der Praxis ausgesetzt ist.
Art. 21 Abs. 1 Neapel II-Übk. lautet: "Bedienstete der Zollverwaltungen eines Mitgliedstaats, die in ihrem Land eine Person observieren, bei der der begründete Anlaß zu der Annahme besteht, daß sie in eine Zuwiderhandlung im Sinne von Artikel 19 Abs. 2 verwickelt sind, sind befugt, die Observation ... fortzusetzen, wenn ...". 353
Vgl. Art. 20 Abs. 8 und Art. 21 Abs. 5 Neapel II-Ubk. Eine solche zusätzliche Erklärung, die jederzeit widerruflich ist, haben in den Beratungen insbesondere Italien und Irland befürwortet; Dänemark hat bereits eine einschränkende Erklärung abgegeben, ABl. 1998 Nr. C 24/20.
III. Die Zusammenarbeit im Zollwesen
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(3) Sonstige Ermittlungsformen Als besondere Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sind ferner kontrollierte Lieferungen, verdeckte Ermittlungen sowie die Einsetzung besonderer gemeinsamer Ermittlungsgruppen vorgesehen. Im Rahmen einer kontrollierten Lieferung können Beamte eines Mitgliedstaates auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates tätig werden. Dies ergibt sich nur mittelbar daraus, daß eine Übernahme der Kontrolle durch die ersuchte Behörde nicht unbedingt bei Grenzübertritt erfolgen muß, sondern an einem anderen vereinbarten Übergabepunkt stattfinden kann 3 5 4 . Unklar ist, ob den Beamten der ersuchenden Behörde bis zur vorgesehenen Übergabe an die ersuchte Behörde die Befugnis zum Einschreiten zusteht. Während Art. 73 Abs. 3 SDÜ das Recht zum Zugriff ausdrücklich den Behörden des Staates zugesteht, auf dessen Hoheitsgebiet die Operation durchgeführt wird, fehlt eine entsprechende Bestimmung im Neapel Ii-Entwurf. Die Zulässigkeit eines Ersuchens zum Einsatz verdeckter Ermittler 355 auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wird gemäß Art. 23 Abs. 3 Neapel II-Übk. von der ersuchten Behörde nach ihrem nationalen Recht beurteilt. Die eingesetzten Ermittler sind nur befugt, Informationen zu sammeln und Kontakte zu Verdächtigen oder Personen aus deren Umfeld herzustellen. Entsprechende Maßnahmen sind nur punktuell und zeitlich begrenzt zulässig. Die Entscheidung über Zulässigkeit, Art, Umfang und Dauer des Einsatzes liegt bei der ersuchten Behörde, die ihrerseits zur Unterstützung der erlaubten Ermittlungsmaßnahmen und zum Schutz der Bediensteten des ersuchenden Staates verpflichtet ist. In einer früheren Fassimg bezog Art. 23 neben verdeckten Ermittlern auch - nicht der Polizei angehörige - Vertrauenspersonen ein 3 5 6 . Diese sind jedoch wieder aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeklammert worden. Gemäß Art. 23 Abs. 5 Neapel II-Übk. soll jeder Mitgliedstaat bei der Annahme des Übereinkommens erklären können, daß er durch Art. 23 oder einzelne Teile des Artikels nicht gebunden ist. Wie die Vorschriften zur grenzüberschreitenden Observation und Nacheile verliert auch diese Bestimmung dadurch erheblich an Konsistenz und Rechtsklarheit. Im Sinne einer "Rosinentheorie" kann sich jeder Mitgliedstaat die Regeln für die Tätigkeit ausländischer Beamter auf seinem Staatsgebiet selbst aussuchen. Art. 24 Neapel II-Übk. erlaubt die Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen in einem Mitgliedstaat für einen bestimmten Zweck und einen begrenzten Zeitraum. Die Leitung der Gruppe obliegt einem Bediensteten des 354
Vgl. Art. 22 Abs. 2 Neapel II-Ubk. Zur grenzüberschreitenden Tätigkeit dieser Schürmann, DNP 1995, 383 ff. 356 Vgl. Art. 21 Abs. 1 des Entwurfes vom 13.6.1996, DOC 8189/96 ENFOCUSTOM 14.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Mitgliedstaates, in dem die Gruppe eingesetzt werden soll. Die teilnehmenden Bediensteten anderer Staaten sind an das Recht dieses Mitgliedstaates gebunden. Sie haben allerdings keine besonderen Eingriffsbefugnisse aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur besonderen Ermittlungsgruppe (Art. 24 Abs. 3). dd) Datenschutz Art. 25 Neapel II-Übk. stellt Datenschutzbestimmungen für den personenbezogenen Datenaustausch im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf. Er normiert individuelle Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsansprüche. Die Auskunftserteilung unterbleibt allerdings, wenn das öffentliche Interesse an einer Geheimhaltung das Interesse des Betroffenen an der Auskunftserteilung überwiegt. Ergänzend gilt hinsichtlich des Auskunftsrechts das innerstaatliche Recht des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Auskunft beantragt wird. Vor der Entscheidung über die Auskunftserteilung ist der übermittelnden Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der nationalen Aufsichtsbehörde nach Art. 17 des ZIS-Übereinkommens können Kontrollaufgaben übertragen werden. ee) Gerichtliche Kontrolle Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes bei der Auslegung des Neapel IiÜbereinkommens war lange umstritten. Eine diesbezügliche Entscheidung blieb letztlich dem Rat vorbehalten, nachdem Titel V I a des Entwurfes der Gruppe "Zusammenarbeit im Zollwesen" vom 13.6.1996 357 noch eine Befugnis des Gerichtshofes zur Streitschlichtung zwischen den Mitgliedstaaten sowie zur Vorabentscheidung vorgesehen hatte. Das letztinstanzlich entscheidende Gericht sollte danach zur Vorlage verpflichtet sein. Dieser Vorschlag erwies sich jedoch in der Arbeitsgruppe als nicht konsensfähig. Der Rat entschloß sich schließllich zur Übernahme der im ZIS-Übereinkommen gefundenen Lösung und nahm die entsprechenden Bestimmungen in Art. 26 Neapel II-Übk. auf. Trotz des intergouvernementalen Charakters der Zusammenarbeit sieht Art. 26 Abs. 2 Neapel II-Übk. die Zuständigkeit des Gerichtshofes zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und der Kommission, die ansonsten keine eigenständigen Befugnisse nach dem Übereinkommen besitzt, vor. Dies scheint weniger ein Redaktionsversehen als vielmehr ein Vorgriff auf Art. K.7 Abs. 7 EUV in der durch den Amsterdamer Vertrag geschaffenen Fassung. Dieser sieht eine Zuständigkeit des EuGH mit "Opting in-clause" zur Vorabentscheidung hinsichtlich der zwischen den EU-Staaten gemäß Art. K.6 Abs. 2 lit d) n.F. EUV geschlossenen Übereinkommen vor. 357
DOC 8189/96 ENFOCUSTOM 14.
IV. Die Europol-Konvention
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Vorschriften, die die Befugnis nationaler Gerichte zur Jurisdiktion hinsichtlich der grenzüberschreitenden Sachverhalte - insbesondere im Bereich des Titels I V - präzisieren, sind im Übereinkommen nicht vorgesehen. Auftretende Rechtsschutzfragen sind demnach unter Heranziehung allgemeiner Völkerrechtsgrundsätze zu lösen.
IV. Die Europol-Konvention 1. Entstehungsgeschichte Der Anstoß zum Aufbau eines Europäischen Polizeiamtes geht, nachdem bereits in den 70er Jahren entsprechende Überlegungen geäußert wurden, konkret auf einen Vorschlag des deutschen Bundeskanzlers Kohl bei einem Treffen des Europäischen Rates in Luxemburg am 28. und 29. Juni 1991 zurück 358 . Die Bundesregierung konnte jedoch eine Vergemeinschaftung der polizeilichen Zusammenarbeit und die Aufnahme entsprechender Regelungen in den (damaligen) EWGV nicht durchsetzen 359. Die Errichtung des Europäischen Polizeiamtes Europol wurde deshalb als wichtiges und vorrangig zu verwirklichendes Ziel der (intergouvernementalen) Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres in Art. K . l Nr. 9 EUV aufgenommen. A m 26. Juli 1995 schließlich unterzeichneten die Regierungsvertreter im Rat die Europol-Konvention 360 . Aufgrund anhaltenden Widerstandes aus Großbritannien wurde zunächst darauf verzichtet, von der Möglichkeit des Art. K.3 Abs. 2 lit c) EUV Gebrauch zu machen und eine Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs zu vereinbaren 361 . Erst nachdem insbesondere die Benelux-Staaten erkennen ließen, daß eine Ratifikation des Übereinkommens ohne vorherige Festlegung der Zuständigkeiten des EuGH nicht erfolgen werde, verständigte man sich im Rat auf einen Kompromiß. In einem Protokoll 362 wurde die grundsätzliche
358
Vgl. Benyon/Turnbull/Willis/Woodward/Beck, Police Co-operation, S. 158; Einzelheiten bei Storbeck, Kriminalistik 1994, 201. 359 Storbeck, Kriminalistik 1994, 201; ders., Verbrechensbekämpfung, S. 20 (23). 360 Rechtsakt des Rates vom 26. Juli 1995 über die Fertigstellung des Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Übereinkommen), ABl. Nr. C 316/1 vom 27.11.1995. 361 Vgl. zum politischen Streit FAZ vom 29.01.1996 sowie vom 20.3.1996. 362 Rechtsakt des Rates vom 23. Juli 1996 über die Ausarbeitung des Protokolls aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. Nr. C 299/1 vom 9.10.1996. 8 Harings
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Zuständigkeit des Gerichtshofes für Vorabentscheidungen vereinbart, wobei erst die gesonderte Erklärung eines jeden Mitgliedstaates zur Anerkennung der EuGH-Zuständigkeit für sein Gebiet führt (sog. opting in-clause) 363 . Die anhaltenden Schwierigkeiten um die Ausarbeitung einer Europol-Konvention und deren anschließende Ratifizierung in den Mitgliedstaaten 364 veranlaßten den Europäischen Rat - vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung durch europaweit operierende organisierte Kriminaltät - schon für das Jahr 1994 eine vorläufige Zusammenarbeit der nationalen Polizeibehörden anzuvisieren 365 . A u f der Grundlage einer Ministervereinbarung vom 2. Juni 1993 wurde die Europol-Drogeneinheit (European Drugs Unit, EDU) errichtet, die im Januar 1994 ihre Arbeit in Den Haag aufnahm 366 . Die Tätigkeit der Drogenstelle beschränkte sich zunächst auf die Unterstützung nationaler Polizeibehörden im Kampf gegen illegalen Drogenhandel und damit zusammen-hängende Geldwäsche 367 , wurde jedoch stetig ausgeweitet368. Die Europol-Drogenstelle besteht aus Verbindungsbeamten der einzelnen Mitgliedstaaten, die jeweils allein Zugriff auf ihre nationalen Datenbanken und gesammelten Erkenntnisse haben. Diese Verbindungsbeamten unterstützen sich gegenseitig nach Maßgabe ihres jeweiligen nationalen Rechts und bestehender völkerrechtlicher Übereinkommen 369 . Die Errichtung der EDU führt somit zu einer Vereinfachung und Koordinierung der staatlichen Zusammenarbeit im internationalen Rechtshilferecht. Wesentliche Bedeutung kommt auch der Koordination der einzelstaatlichen Ermittlungen durch EDU zu. Im Jahr 1995
363 364
Näher dazu unten 2. e) aa) (4).
Auf eine Anfrage im Europäischen Parlament teilte der Rat am 18. April 1997 mit, daß allein Großbritannien eine Ratifizierungsurkunde hinterlegt habe (ABl. Nr. C 217/78 vom 17.7.1997). 365 Im Rahmen der TREVI-Zusammenarbeit wurde dazu eine Ad-Hoc Arbeitsgruppe Europol eingerichtet, vgl. Benyon/Turnbull/Willis/Woodward/Beck, Police Cooperation, S. 159. 366 Dazu Storbeck, Kriminalistik 1994, 201 ff.; Zieschang, ZRP 1996, 427; Den Boer, CML Rev. 1995, 555 (568); vgl. auch Benyon/Turnbull/Willis/Woodward/Beck, Police Co-operation, S. 159. 367 Benyon/Turnbull/Willis/Woodward/Beck, Police Co-operation, S. 159. 368 Vgl. die gemeinsame Massnahme vom 10. März 1995 bezüglich der EuropolDrogenstelle, vom Rat aufgrund Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union beschlossen, ABl. Nr. L 62/1 vom 20.3.1995, sowie FAZ vom 27.9.1996, S. 7: Erweiterung der Zuständigkeit auf die Bekämpfung des illegalen Handels mit radioaktiven und nuklearen Materialien, der Schleuserkriminalität, der Verschiebung von Kraftfahrzeuge und der damit verbundenen Geldwäsche sowie des Menschenhandels und des Kindesmißbrauchs; zur Kompetenzerweiterung auch Nicolaus, NVwZ 1996,40 (42), und Den Boer, CML Rev. 1995, 555 (568 f.). 369 Dazu Storbeck, Verbrechensbekämpfung, S. 20 (24), sowie ders., Kriminalistik 1996, 17 (18 ff.).
IV. Die Europol-Konvention
115
wurden in vierzig Fällen kontrollierte Lieferungen 370 durch mehrere EUStaaten unter Inanspruchnahme der Vermittlungstätigkeit von EDU durchgeführt. In den ersten beiden Jahren hat EDU rund 1600 Fälle aus den Mitgliedstaaten bearbeitet 371 . Eine zentrale Speicherung personenbezogener Daten ist vor Inkrafttreten der Europol-Konvention unzulässig 372 . Die nachfolgenden Ausführungen gelten jedoch nicht der Arbeit der Drogenstelle 373 , sondern beschränken sich auf die Darstellung und Beurteilung der im Europol-Übereinkommen getroffenen Regelungen.
2. Der Inhalt der Europol-Konvention Die Europol-Konvention gliedert sich in sieben Titel, die die Verwaltungsstruktur und die Arbeitsweise von Europol regeln. Breiten Raum nehmen Vorschriften zur Errichtung eines Informationssystems und zur Datenverarbeitung und -nutzung ein. a) Grundlagen und Verwaltungsstruktur
von Europol
aa) Grundlagen Das Europäische Polizeiamt (Europol) wird von den Mitgliedstaaten der EU als eigenständige Einrichtung unter Einräumung von Rechtspersönlichkeit gegründet 374 . Europol ist eine internationale Organisation, die gegenüber ihren Mitgliedstaaten und deren Bürgern selbständig handelt und Hoheitsrechte wahrnimmt 375 . Sie ist nicht lediglich ein gemeinsames Organ oder Element der intergouvernementalen Zusammenarbeit 376 sondern eigenes Zurechnungssubjekt 3 7 7 . A u f Dauer angelegte Verbindungen zwischen souveränen Staaten wer-
370
Vgl. zum Begriff oben B II. 2 e). Storbeck, Kriminalistik 1996,17 (19). 372 Zieschang, ZRP 1996, 427. 373 Dazu etwa Monaco, FILJ 19 (1995), 247 (277 ff.). 374 Vgl. Art. 1, 26 EuropolÜbk. 375 Ebenso Würz, SDÜ, Rdnr. 9; Di Fabio, DÖV 1997, 89 (101), sieht einen systematischen Widerspruch zwischen der intergouvernementalen Zusammenarbeit und der institutionellen Verselbständigung von Europol. 376 So aber Zieschang, ZRP 1996, 427; unklar Den Boer, CML Rev 1995, 555 (572). Darin unterscheidet sich Europol von selbständigen Verwaltungseinheiten innerhalb der EG (z.B. dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt ("Markenamt"), ABl. 1994 Nr. L 11/1, oder dem Sortenamt, ABl. 1994 Nr. L 227/1), denen auch Rechtspersönlichkeit zuerkannt ist und die den Bürgern unmittelbar hoheitlich gegen371
8*
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
den völkerrechtlich als Internationale Organisationen bezeichnet, wenn zumindest ein Organ in diesem Gebilde existiert, das einen Willen zum Ausdruck bringen kann, der nicht notwendigerweise identisch ist mit dem Willen eines jeden am Zusammenschluß beteiligten Staates378. Im einzelnen werden für das Vorliegen einer Internationalen Organisation folgende Voraussetzungen gefordert 379 : -Es muß sich um eine auf Dauer angelegte Vereinigung zweier oder mehrerer Staaten aufgrund einer Einigung auf dem Gebiet des Völkerrechts handeln. Das Europol-Übereinkommen ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag der EU-Staaten (vgl. Art. K.3 Abs. 2 lit c) 3. UA EUV). Die Staaten errichten darin das Europäische Polizeiamt (Europol). - Das entstandene Gebilde muß mit der selbständigen Wahrnehmung eigener Aufgaben betraut sein, die in der Regel bereits im Gründungsvertrag festgelegt sind. Die Art. 2, 3 und 7 ff. der Europol-Konvention statten Europol mit eigenen Kompetenzen hinsichtlich der Datenverarbeitung aus. Das Personal von Europol darf von keiner Regierung, Behörde, Organisation oder nicht Europol angehörigen Personen Weisungen entgegennehmen, sofern das Übereinkommen keine anderweitige Bestimmung enthält. - Es muß zumindest ein handlungsbefügtes Organ existieren. Organe von Europol sind gemäß Art. 27 der Verwaltungsrat, der Direktor, der Finanzkontrolleur und der Haushaltsausschuß. Der Direktor ist gemäß Art. 29 Abs. 5 der gesetzliche Vertreter von Europol. Er ist verantwortlich für die Erfüllung der Europol übertragenen Aufgaben und die laufende Verwaltung. Der Direktor ist dem Verwaltungsrat rechenschaftspflichtig 380. Europol tritt dem Bürger als eigenständige Organisation gegenüber. Dies zeigt sich auch in der Haftungsregelung der Art. 38 f. EuropolÜbk, die sehr genau zwischen einer Haftung Europols und der Mitgliedstaaten unterscheidet 381. Schließlich besitzt
übertreten; Zurechnungssubjekt ihrer Handlungen ist jedoch die Europäische Gemeinschaft, die über die Kommission auch die Rechtsaufsicht ausübt. Seidl-Hohenveldern , Völkerrecht, Rdnr. 800; vgl. auch Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 33: "forms of cooperation founded on an international agreement creating at least one organ with a will of its own, established under international law". 379 Vgl. Ipsen/Epping , Völkerrecht, S. 68 ff; Seidl-Hohenveldern , Völkerrecht, Rdnrn. 841 ff.: ders./Loibl , Internationale Organisationen, Rdnrn. 101 ff.; Bindschedler , EPIL II, S. 1289 ff.; Schermers/Blokker , International Institutional Law, §§29 ff; Woyke , Internationale Organisationen, S. 171 ff. Der Verwaltungsrat ist das zur Wahrung der Partikularinteressen der Staaten berufene Organ, in das jeder Mitgliedstaat einen Vertreter entsendet, vgl. SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 857 ff. Vgl. Schlochauer, Rechtsschutz, S. 7 f., 24, zur Abgrenzung der Errichtung gemeinsamer Organe von internationalen Organisationen.
IV. Die Europol-Konvention
117
Europol Rechtspersönlichkeit in den Mitgliedstaaten der EU und begrenzte Völkerrechtsfähigkeit. Nach Art. 26 Abs. 3 ist sie befugt, mit den Niederlanden ein Sitzabkommen (vgl. Art. 37) und im Rahmen der Vorgaben des Rates andere Vereinbarungen mit Drittstaaten abzuschließen. Die unbeschränkte Völkerrechtsfähigkeit ist kein Merkmal internationaler Organisationen 382. Ziel von Europol ist es gemäß Art. 2 Abs. 1 EuropolÜbk, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität zu verbessern. Voraussetzung ist allerdings, daß "tatsächliche Anhaltspunkte für eine kriminelle Organisationsstruktur vorliegen und von den genannten Kriminalitätsformen zwei oder mehr Mitgliedstaaten in einer Weise betroffen sind, die aufgrund des Umfangs, der Bedeutung und der Folgen der strafbaren Handlungen ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten erfordert" 383 . Da die genannten Ziele gemäß Art. 2 Abs. 2 EuropolÜbk "schrittweise" zu verwirklichen sind, begrenzt diese Norm die vorläufige Zuständigkeit von Europol 384 und bestimmt, daß spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des Übereinkommens die Terrorismusbekämpfung hinzugefügt wird. Europol ist in jedem Mitgliedstaat mit einer einzigen nationalen Stelle verbunden. Deren Aufgabe ist es gemäß Art. 4 Abs. 4 EuropolÜbk, Europol (auch aus eigener Initiative) Informationen zu übermitteln und zu aktualisieren, Anfragen an Europol zu richten sowie für die Rechtmäßigkeit des eigenen Informationsaustausches mit Europol Sorge zu tragen 385 . Darüberhinaus entsendet die nationale Stelle mindestens einen Verbindungsbeamten zu Europol, der den Informationsaustausch zu seiner nationalen Stelle unterstützen und deren Interessen bei Europol wahrnehmen soll 3 8 6 . Nationale Stelle in Deutschland ist gemäß Art. 2 § 1 des Europol-Gesetzes 387 das Bundeskriminalamt. 382
Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 813. Art. 2 Abs. 1 EuropolÜbk; zur Kritik an der Unbestimmtheit dieser Regelung Weichert, in: Roth, EUROPOL, S. 25 (26), sowie Zieschang,, ZRP 1996,427 (428). 384 Die Tätigkeit von Europol erstreckt sich danach zunächst auf die Verhütung und Bekämpfung des illegalen Drogenhandels, des illegalen Handels mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, der Schleuserkriminalität, des Menschenhandels und der Kraftfahrzeugkriminalität sowie der jeweils damit verbundenen Geldwäsche und "sonstiger im Zusammenhang stehender Straftaten"; zur Definition der Begriffe siehe Anhang zu Artikel 2 EuropolÜbk, ABl. 1995 Nr. C 316/30. 385 Vgl. im einzelnen die Auflistung in Art. 4 Abs. 4 Nr. 1 bis 7 EuropolÜbk. Über die Verbindungsbeamten unterstützen sich die Mitgliedstaaten auch bilateral bei der Strafverfolgung und -Verhütung, vgl. die Erläuterung zum Europol-Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/7391, S. 9. Gesetz zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 auf Grund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes (Europol-Gesetz), BGBl. 1997 I, 2150. 383
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bb) Verwaltungsstruktur
Organe von Europol sind nach Art. 27 EuropolÜbk der Verwaltungsrat, der Direktor, der Finanzkontrolleur und der Haushaltsausschuß. Der Direktor ist gemäß Art. 29 Abs. 5 EuropolÜbk der gesetzliche Vertreter von Europol. Er wird nach Stellungnahme des Verwaltungsrates vom Rat im Verfahren nach Titel V I EUV einstimmig gewählt. Durch einen Beschluß des Rates, der mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der Mitgliedstaaten gefaßt werden muß, kann er - nach Stellungnahme des Verwaltungsrates - entlassen werden. Der Direktor ist insbesondere verantwortlich für die Erfüllung der Europol übertragenen Aufgaben. Er ist dem Verwaltungsrat rechenschaftspflichtig. Der Verwaltungsrat seinerseits ist das "politische Steuerungsgremium" von Europol. Jeder Mitgliedstaat ist durch einen Vertreter im Verwaltungsrat vertreten. Die Kommission ist gemäß Art. 28 Abs. 4 EuropolÜbk eingeladen, an den Sitzungen ohne Stimmrecht teilzunehmen, soweit nicht der Verwaltungsrat beschließt, in Abwesenheit des Vertreters der Kommission zu verhandeln. Die vielschichtigen Überwachungs- und Mitwirkungsaufgaben des Verwaltungsrates sind in Art. 28 Abs. 1 Nr. 1 bis 23 EuropolÜbk festgelegt. Das Personal von Europol besteht aus dem Direktor, den stellvertretenden Direktoren und den Bediensteten. Der Direktor ist Vorgesetzter des übrigen Personals. Er stellt die Bediensteten ein und entläßt sie (Art. 30 Abs. 2 EuropolÜbk). Alle Mitarbeiter von Europol dürfen von keiner Regierung, Behörde, Organisation oder nicht Europol angehörigen Personen Weisungen entgegennehmen oder anfordern, soweit nicht das Übereinkommen selbst Ausnahmen vorsieht. Sie sind nur den Zielen und Aufgaben von Europol verpflichtet. Diese Regelung wird in der Literatur mit dem Argument kritisiert, sie lasse ein Kontroll- und Verantwortungsdefizit entstehen388. Sie ist allerdings vor dem Hintergrund der Schaffung einer internationalen Organisation konsequent, da bei rechtlichen Einflußmöglichkeiten von 15 Staaten ein undurchsichtiges Verantwortungsgeflecht entstünde. Ihre demokratische Legitimation erhält Europol durch die Übertragungsakte der nationalen Parlamente und die Mitwirkung von Vertretern der Mitgliedstaaten im Verwaltungsrat und im Rat als dem höchsten Entscheidungsgremium, das nach Art. 29 EuropolÜbk den Direktor und die stellvertretenden Direktoren ernennt und entläßt 389 . Die mitgliedstaatlichen Vertreter ihrerseits sind ihren jeweiligen nationalen Parlamenten verantwortlich. 388
So etwa Waechter, ZRP 1996, 167, und Weichen, in: Roth, EUROPOL, S. 25 (26 f.) unter Hinweis auf das Maastricht-Urteil des BVerfG, das unkontrollierte und unzureichend legitimierte EU-Institutionen für unzulässig erkläre; dagegen Baldus, ZRP 1997, 286 (289 f.). 389
Zur personellen Legitimation Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (360 ff.), sowie Isensee, HbStR III, § 57 Rdnm. 60 ff.
IV. Die Europol-Konvention
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b) Aufgaben und Befugnisse von Europol aa) Exekutivbefugnisse Europol hat nach den derzeitigen Bestimmungen des Übereinkommens keine Exekutivbefugnisse in dem Sinne, daß es durch Entsendung eigener Beamter Ermittlungen in den Mitgliedstaaten durchfuhren kann 3 9 0 . Da jedoch insbesondere von deutscher Seite darauf gedrängt wird, Europol mit operativen Befugnissen auszustatten, ist es nicht ausgeschlossen, daß ihre Befugnisse zumindest schrittweise erweitert werden 391 . Im einzelnen sind die Entwicklungsperspektiven unklar, die Äußerungen der Verantwortlichen und die Berichte in der Presse widersprechen sich 3 9 2 . Die Regierungschefs der EUStaaten haben auf dem Gipfeltreffen von Amsterdam im Juni 1997 vereinbart, daß Europol innerhalb von fünf Jahren "in unterstützender Funktion" an operativen Aktionen gemeinsam mit Vertretern der Mitgliedstaaten teilnehmen kann 3 9 3 . Zumindest auf lange Sicht ist es kaum vorstellbar, daß die Durchführung eigener Ermittlungen in den Mitgliedstaaten Europol vorenthalten bleibt. I m Schrifttum wird betont, es sei von der Errichtung einer solchen zentralen Polizeibehörde nur ein logischer Schritt und eine Frage der Zeit bis zur Einräumung eigener Ermittlungsbefugnisse 394. Aus diesem Grund erscheint es gerechtfertigt, im Rahmen dieser Untersuchung Fallkonstellationen miteinzubeziehen, die durch die Einräumung von Exekutivbefugnissen an Europol de lege ferenda entstehen könnten.
390 Storbeck, in: Roth, EUROPOL, S. 7 (11); Zieschang, ZRP 1996, 427; zur Erklärung Den Boer, CML Rev. 1995, 555 (570): "In political terms, an operational Europol would symbolize the érosion of national sovereignty in policing matters"; von der Einräumung solcher Exekutiv- oder Operativbefugnisse zu unterscheiden ist die Frage, ob bereits durch die Tätigkeit der Informationssammlung und -Verarbeitung in Rechte der Bürger eingegriffen wird; dazu unten § 6 III. 2. 391
So die Schlußfolgerung des Vorsitzes beim Treffen des Europäischen Rates in Dublin am 13./14.12.1996 (SN 401/96), die das Ziel der Ausstattung Europols mit operativen Befugnissen betont; ebenso die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 1996, ABl. 1996 Nr. C 96/288 ff. 392 Vgl. einerseits die gemeinsame Erklärung des deutschen Außenministers Kinkel und seines italienischen Amtskollegen Dini 9 in: FAZ v. 21.02.1997, S. 6, andererseits aber der Bericht im Handelsblatt vom 7.2.1997 über das Treffen der Innen- und Justizminister in Noordwijk: "Übereinstimmung bestand zwar darin, daß die Behörde (Europol, d. Verf.) keine eigenen Exekutivbefugnisse ... erhalten soll". Vgl. Art. K.2 Abs. 2 EUV n.F.; dort sind auch weitere - Europol betreffende Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam aufgelistet. 394 Schreiber, Lerche-FS, S. 529 (541); Pitschas, NVwZ 1994, 625 (626): Di Fabio, DÖV 1997, 89 (96); anders jedoch Vignes , RevMC 1996, 273 (275): "un FBI européen n'est pas en vue".
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bb) Koordination und Datenverarbeitung
Nach Art. 3 Abs. 1 EuropolÜbk hat Europol im Rahmen seiner Ziele die Aufgabe - den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtem, - Informationen und Erkenntnisse zu sammeln, zusammenzustellen und zu analysieren, - Erkenntnisse an die Mitgliedstaaten weiterzuleiten und dadurch die Ermittlungen in den Mitgliedstaaten zu unterstützen sowie 395
- automatisierte Informationssammlungen zu unterhalten Diese Informationssammlungen sind in Art. 6 EuropolÜbk näher bezeichnet. Kernstück ist das in Titel I I geregelte Informationssystem. Es wird ergänzt durch die in Art. 10 EuropolÜbk vorgesehenen Arbeitsdateien zu Analysezwecken und ein Indexsystem zu diesen Arbeitsdateien. Eine Verbindung der Europol-Informationssysteme mit anderen EDV-Systemen ist mit Ausnahme des EDV-Systems der nationalen Stellen ausgeschlossen (Art. 6 Abs. 2 EuropolÜbk). Im Gegensatz zum Schengener Informationssystem ist das von Europol unterhaltene System kein Fahndungs-, sondern ein Recherchesystem 396 . (1) Das Informationssystem (a) Arbeitsweise Europol unterhält gemäß Art. 6 Abs. 1 Nr. 2, Art. 7 ff. EuropolÜbk ein automatisiert geführtes Informationssystem mit beschränktem und genau festgelegtem Inhalt. Dieses soll einen schnellen Nachweis der bei Europol und den Mitgliedstaaten vorhandenen Informationen ermöglichen. Die gespeicherten Daten werden unter Beachtung der innerstaatlichen Verfahren durch die nationalen Stellen und Verbindungsbeamten der Mitgliedstaaten eingegeben, soweit sie aus diesen Staaten stammen. Die Übermittlung von Informationen zwischen den nationalen Stellen und den zuständigen nationalen Behörden richtet sich nach innerstaatlichem Recht. Daten, die von Drittstaaten oder Drittstellen übermittelt werden oder aus der eigenen Analysetätigkeit von Europol hervorgegangen sind, werden direkt durch Europol eingegeben. Zugriff auf die gespeicherten Daten haben die dazu befugten Europol-Bediensteten, der 395
Zu weiteren Aufgaben vgl. Art. 3 Abs. 2 und 3 EuropolÜbk. Mokros, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Rdnr. 147; Sturm, Kriminalistik 1997, 99 (102); Busch, Grenzenlose Polizei, S. 338.
IV. Die Europol-Konvention
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Direktor und die stellvertretenden Direktoren sowie die Verbindungsbeamten. Ebenfalls zugriffsberechtigt sind die nationalen Stellen . nach Art. 4 EuropolÜbk 397 . In diesem eingegrenzten Kreis der Zugriffsberechtigten liegt ein wesentlicher Unterschied zum Schengener Informationssystem, auf dessen nationalen Teil gemäß Art. 101 Abs. 1 SDÜ Polizei- und Zollbeamte des jeweiligen Vertragsstaates bei Kontrollen zurückgreifen können. Aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland erfährt jedoch das Modell des Europol-Übereinkommens hier eine Modifikation: Die deutsche Delegation erklärte auf der Tagung des Rates am 20/21. Juni 1995, daß über das Bundeskriminalamt als nationale Stelle auch die übergeordneten Stellen der Länder on-line-Zugriff auf das Informationssystem erhalten werden 398 . Diese innerstaatliche Befugnis der Landeskriminalämter ist in Art. 2 § 3 Abs. 1 des Europol-Gesetzes festgeschrieben. Im Außenverhältnis hingegen bleibt das Bundeskriminalamt als nationale Stelle der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich für Eingabe und Abruf von Daten im Informationssystem. (b) Zulässiger Inhalt Das Informationssystem speichert nach Art. 8 EuropolÜbk personen- und straftatenbezogene Daten (insbesondere Tatmittel). Es hat den Charakter eines erweiterten Kriminalaktennachweises 399. Hinsichtlich der Personendaten wird unterschieden zwischen Personen, die einer Straftat, die in die Zuständigkeit von Europol fällt, verdächtig oder wegen einer solchen Straftat bereits verurteilt sind (Art. 8 Abs. 1 Nr. 1), und Personen, die im Verdacht stehen, solche Straftaten begehen zu werden (Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 ) 4 0 0 . Der Kreis der von einer Speicherung ihrer personenbezogenen Daten potentiell Betroffenen wird damit sehr weit gezogen. Die zulässigen Angaben über eine Person sind hingegen gemäß Art. 8 Abs. 2 EuropolÜbk limitiert. Die zweite Datenkategorie ergänzt die persönlichen Daten um Straftaten, Tatvorwürfe, Tatzeiten und Tatorte, Tatmittel und andere straftatenbezogene Informationen. Diese können auch gespeichert werden, wenn sie sich noch nicht bestimmten Personen zuordnen lassen.
397
Hinsichtlich solcher Personen, die nach Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 EuropolkÜbk lediglich im Verdacht stehen, eine schwere Straftat begehen zu werden, ist der Zugriff der nationalen Stellen auf die Identitätsangaben beschränkt oder muß für eine konkrete Ermittlung über die Verbindungsbeamten erfolgen (Art. 7 Abs. 1 a.E. EuropolÜbk). 398 Vgl. die Denkschrift zum Übereinkommen, BT-Drs. 13/7391, S. 45. 399 Vgl. die Denkschrift zum Europol-Ubereinkommen, BT-Drs. 13/7391, S. 46. 400 Kritisch dazu Weichert, in: Roth, EUROPOL, S. 25 (26).
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
(2) Analysedateien und Indexsystem Die Analysedateien nach Art. 10 EuropolÜbk ermöglichen Europol die weitergehende Nutzung der im Informationssystem gespeicherten Personendaten sowie deren Verbindung mit weiteren Personendaten. In die Analysedateien dürfen auch (potentielle) Zeugen oder Opfer von Straftaten sowie andere Kontaktpersonen oder Informationsträger aufgenommen werden. Zweck der Analyse ist gemäß Art. 10 Abs. 2 EuropolÜbk die Unterstützung kriminalpolizeilicher Ermittlungen. Analyseprojekte werden durchgeführt durch spezielle Analysegruppen, die sich aus Bediensteten von Europol und Verbindungsbeamten/Sachverständigen der betroffenen Mitgliedstaaten zusammensetzen 401 . Die nationalen Stellen haben keinen unmittelbaren Zugriff auf diese Dateien. Sie übermitteln auf Ersuchen von Europol oder aus eigener Initiative die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen, soweit die jeweiligen Daten auch nach nationalem Recht "zu Zwecken der Verhütung, Bekämpfung oder Analyse von Straftaten verarbeitet werden dürfen" 402 . Weitergehend kann Europol nach Art. 10 Abs. 4 und 5 EuropolÜbk Einrichtungen der Europäischen Union, von Drittstaaten oder sonstigen Organisationen um Informationsübermittlung ersuchen, oder Daten aus anderen Informationssystemen abrufen, soweit ihr dieses Recht eingeräumt worden ist. Die Errichtung einer Analysedatei mit personenbezogenen Daten nach Art. 10 Abs. 1 EuropolÜbk bedarf der Zustimmung des Verwaltungsrates, die in dringenden Fällen durch eine mit Gründen versehene Entscheidung des Direktors ersetzt werden kann. Die Einzelheiten der Nutzung der Analysedateien, insbesondere hinsichtlich der Abrufmöglichkeiten und des zulässigen Inhalts, regeln die gemäß Art. 10 Abs. 1 UAbs. 3 EuropolÜbk zu erlassenen Durchführungsbestimmungen. Der Entwurf dazu orientiert sich eng an den Grundsätzen der Zweckbindung und Erforderlichkeit der Datenverarbeitung. Eine strenge Einhaltung dieser Prinzipien ist gerade im Hinblick auf die besonders sensiblen Daten von Zeugen und möglichen Kontaktpersonen unerläßlich. Zur Unterstützung der Analysedateien wird ein Indexsystem errichtet, das dem Zugriff durch Europol-Bedienstete und der Verbindungsbeamten offensteht. Die nationalen Stellen sind insoweit vom Zugriff ausgeschlossen403.
401 Näheres zur Zusammensetzung der Analysegruppen in Art. 10 Abs. 2 und 6 EuropolÜbk. 402 Art. 10 Abs. 3 EuropolÜbk. 403 Vgl. Art. 11 Abs. 2 EuropolÜbk.
IV. Die Europol-Konvention
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c) Datenschutz aa) Eigenes Datenschutzregime Die Tätigkeit von Europol wird im EuropolÜbk einem eigenen Datenschutzregime unterstellt, das dem einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte gewährt. Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen 404 lehnen sich wie beim Schengener Durchführungsübereinkommen an das Übereinkommen des Europarates vom 28. Januar 1981 sowie die Empfehlung R (87) 15 des Ministerkomitees des Europates vom 17. September 1987 über die Nutzung personenbezogener Daten im Polizeibereich an 4 0 5 . Die Übermittlung personenbezogener Daten an die Mitgliedstaaten darf gemäß Art. 14 Abs. 2 EuropolÜbk erst beginnen, wenn diese einen entsprechenden Datenschutzstandard erreicht haben. Gemäß Art. 14 Abs. 3 EuropolÜbk beachtet Europol selbst ebenfalls diese Grundsätze 406. Unter den Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 3 EuropolÜbk, die kumulativ vorliegen müssen, ist Europol befugt, personenbezogene Daten an Drittstaaten und Drittstellen zu übermitteln 407 . Die datenschutzrechtliche Verantwortung für die Daten trifft gemäß Art. 15 EuropolÜbk die Mitgliedstaaten für die von ihnen eingegebenen oder übermittelten Daten und Europol für die Datenübermittlung durch Dritte sowie ihre eigene Analysetätigkeit. Nur die Stelle, die Daten in das Informationssystem eingegeben hat, ist befugt, diese zu verändern, zu berichtigen oder zu löschen 408 . Jede Person kann gemäß Art. 19 Abs. 1, 3 EuropolÜbk in dem Mitgliedstaat seiner Wahl über die nationale Stelle einen Auskunftsanspruch nach Maßgabe des nationalen Rechts gegenüber Europol geltend machen. Maßgeblich für den Auskunftsanspruch in Deutschland ist demnach § 19 BDSG 4 0 9 . Weitergehendere Ablehnungsgründe für eine Mitteilung enthält Art. 19 Abs.3 EuropolÜbk. Nach Art. 20 Abs. 4 EuropolÜbk ist jede Person berechtigt, Europol zu ersuchen, sie betreffende fehlerhafte Daten zu berichtigen oder zu löschen 410 . Zur Durchsetzung dieser Ansprüche kann die gemäß Art. 24 EuropolÜbk zu errichtende gemeinsame Kontrollinstanz angerufen werden.
404
Kritisch dazu Zieschang t ZRP 1996,427. Art. 14 EuropolÜbk. 406 Kritisch zum Wortlaut der Vorschrift Bunyan, in: Roth, EUROPOL, S. 16: Hierdurch sei keine strikte Rechtsbindung erreicht. 407 Jedenfalls bei einer restriktiven Auslegung der Vorschrift sind die bei Zieschang, ZRP 1996, 427 (428), geäußerten Bedenken übertrieben. 408 Einzelheiten in Art. 9 Abs. 2 EuropolÜbk. 409 BT-Drs. 13/7391, S. 49. 410 Zu den Einzelheiten vgl Art. 19, 20 EuropolÜbk. 405
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bb) Verwaltungsverfahren bis zur Auskunftserteilung
Vor der Auskunftserteilung durch Europol sieht Art. 19 Abs. 4, 5 EuropolÜbk ein spezifisches Kooperationsverfahren zwischen Europol und den Mitgliedstaaten vor. Mit Rücksicht auf die gemäß Art. 19 Abs. 3 EuropolÜbk anwendbaren nationalen Rechtsordnungen differenziert das Übereinkommen danach, ob im nationalen Recht eine Mitteilung über die vorhandenen Daten an den Antragsteller vorgesehen ist oder nicht. (1) Recht auf Mitteilung (droit à la communication) Sieht das anwendbare nationale Recht eine Mitteilung über die vorhandenen Daten an den Antragsteller vor, hat Europol einem Mitgliedstaat Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn dieser die Daten eingegeben hat oder von der Mitteilung unmittelbar betroffen ist. Daten, die in den Arbeitsdateien nach Art. 10 EuropolÜbk gespeichert sind, bedürfen zu ihrer Mitteilung einer "Konsensentscheidung" von Europol und dem betroffenen Mitgliedstaat. Doch auch die hinsichtlich des Informationssystems mögliche Stellungnahme eines Mitgliedstaates kann "bis zur Ablehnung reichen". Soweit demnach Europol selbst oder nur ein betroffener Mitgliedstaat die Auskunftserteilung ablehnen, wird dem Antragsteller lediglich mitgeteilt, daß eine Überprüfung vorgenommen worden ist, ohne daß er aus dieser Mitteilung entnehmen kann, ob zu seiner Person Daten vorliegen. (2) Recht auf Überprüfung
(droit à la vérification)
Eine Überprüfung ohne Mitteilung der vorhandenen Daten nimmt Europol gemäß Art. 19 Abs. 5 EuropolÜbk in engem Benehmen mit den betroffenen nationalen Behörden vor. Sie teilt dem Antragsteller mit, daß eine Überprüfung durchgeführt worden ist, ohne dabei Hinweise zu geben, ob zu seiner Person Daten vorliegen 411 . cc) Gemeinsame und nationale Kontrollinstanz Das Übereinkommen sieht die Errichtung einer gemeinsamen Kontrollinstanz für Europol sowie jeweils einer nationalen Kontrollinstanz in jedem Mitgliedstaat vor, um die Datenübermittlung und -Verarbeitung zu über1 Diese Regelung entspricht Art. 39 des französischen Datenschutzgesetzes (Loi No. 78-17 vom 6. Januar 1978, JORF 1978, S. 227), dem auch der Auskunftsanspruch gegenüber Interpol nachgebildet ist, vgl. Riegel, BayVBl. 1985, 135 (141).
IV. Die Europol-Konvention
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wachen 412 . Die nationale Kontrollinstanz ist zuständig für die Eingabe und den Abruf personenbezogener Daten durch den betreffenden Mitgliedstaat. Zu diesem Zweck kann sie nach Maßgabe des nationalen Rechts von jeder Person angerufen werden. Die gemeinsame Kontrollinstanz setzt sich aus Vertretern der nationalen Kontrollinstanzen zusammen. Ihre Mitglieder sind nicht weisungsabhängig. Gemäß Art. 24 Abs. 2 EuropolÜbk ist Europol verpflichtet, die gemeinsame Kontrollinstanz bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Europol hat insbesondere Entscheidungen der gemeinsamen Kontrollinstanz über Individualbeschwerden nach Art. 19 Abs. 7 und Art. 20 Abs. 4 EuropolÜbk auszufuhren 413. Die gemeinsame Kontrollinstanz hat insoweit quasi-richterliche Befugnisse. Über die individualrechtsschutzgewährende Funktion hinaus ist die gemeinsame Kontrollinstanz zuständig für Anwendungs- und Auslegungsfragen hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Übereinkommens (Art. 24 Abs. 3 EuropolÜbk). Sie erstellt in regelmäßigen Abständen Tätigkeitsberichte, die sie dem Rat übermittelt. Über die Veröffentlichung ihrer Berichte entscheidet sie selbst. Dadurch kommt ihr ein nicht unwichtiges Druckmittel zur Mobilisierung der Öffentlichkeit zu. d) Rechtliche Beziehungen der am Informationsaustausch beteiligten Behörden Europol arbeitet nicht losgelöst von nationalen Behörden, sondern kooperiert über die nationalen Stellen nach Art. 4 EuropolÜbk mit den mitgliedstaatlichen Behörden. Die Rechtsnormen, die dieses Beziehungsgeflecht regeln, sind an verschiedenen Stellen des Übereinkommens zu finden. Eine Systematisierung soll die Analyse der rechtlichen Beziehungen erleichtern: aa) Verhältnis der zuständigen nationalen Behörden zur nationalen Stelle nach Art. 4 EuropolÜbk Europol unterstützt die Ermittlungen der Mitgliedstaaten, die von den nach nationalem Recht zuständigen Behörden durchgeführt werden. Da gemäß Art. 1 Abs. 2, 4 Abs. 2 EuropolÜbk die nationale Stelle die einzige Verbindungsstelle zwischen Europol und den Mitgliedstaaten ist, findet die Kommunikation zwischen der zuständigen Ermittlungsbehörde und Europol über die nationale Stelle statt. Nach Art. 4 Abs. 2 S. 2 EuropolÜbk unterliegen die Beziehungen 412
Nationale Kontrollinstanz ist in Deutschland gemäß Art. 2 § 6 des EuropolGesetzes der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. 413 Art. 24 Abs. 2 Nr. 3 EuropolÜbk.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
zwischen der nationalen Stelle und den zuständigen Behörden dem jeweiligen nationalen Recht, insbesondere dessen verfassungsrechtlichen Vorschriften. Dies bestätigt Art. 9 Abs. 3 EuropolÜbk explizit für die Weitergabe von Informationen aus dem Informationssystem. Allerdings sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 EuropolÜbk verpflichtet, den nationalen Stellen Zugriff auf nationale Daten zu ermöglichen, damit diese ihren Aufgaben gegenüber Europol nachgehen können. Der innerstaatliche Datenfluß wird demnach allein durch das nationale Recht beherrscht. Dieses regelt den Umfang und die Modalitäten der Weitergabe von Informationen an die zentrale Stelle ebenso wie den Informationsfluß von der zentralen Stelle an die zuständigen Behörden. Entsprechende Vorschriften enthält in Deutschland Art. 2 des Europol-Gesetzes mit Durchführungsbestimmungen zum Übereinkommen. Charakteristisch für die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland ist die Trennung zwischen Innenund Außenverhältnis. Im Innenverhältnis werden den Ländern bestimmte Rechte und Verantwortlichkeiten eingeräumt 414 , während im Außenverhältnis zu Europol und den übrigen Mitgliedstaaten das Bundeskriminalamt auftritt. bb) Verhältnis der nationalen Stelle zu Europol Die Rechtsbeziehungen der nationalen Stelle zu Europol unterliegen teils nationalem Recht, teils der Europol-Konvention. Im Grundsatz regelt Art. 4 EuropolÜbk die Pflicht der nationalen Stelle, Europol zu unterstützen, indem sie Europol aus eigener Initiative oder auf Anfrage Informationen übermittelt, diese auf dem neuesten Stand hält und die Verbindung zu den zuständigen Behörden herstellt 415 . Ausnahmen davon läßt Art. 4 Abs. 5 EuropolÜbk zu, wenn die Übermittlung nationale Sicherheitsinteressen schädigen, laufende Ermittlungen oder Personen gefährden würde oder nachrichtendienstliche Informationen über die innere Sicherheit betrifft. Auch über diese Ausnahmen hinaus kann nicht angenommen werden, daß die nationale Stelle eine bloße "Anlieferungsfunktion" für Europol ohne eigene Prüfungskompetenz wahr-
414
Vgl. etwa Art. 2 § 2 Abs. 2 des Europol-Gesetzes (datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des BKA im Außenverhältnis, während innerstaatlich die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit bei der eingebenden Stelle liegt), Art. 2 § 2 Abs. 4 (unmittelbarer Datenaustausch zwischen den Landeskriminalämtern und dem deutschen Verbindungsbeamten bei Europol) oder die Begründung des Gesetzentwurfes zu Art. 2 § 2 Abs. 4, BT-Drs. 13/7391, S. 9 (danach ist vorgesehen, daß auch Länderbeamte zwecks Entsendung zu Europol an das BKA abgeordnet werden). 415 Monaco, FILJ 19 (1995), 247 (297).
IV. Die Europol-Konvention
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nimmt 4 1 6 . Ihr ist in Art. 4 Abs. 4 Ziff. 7 ausdrücklich die Aufgabe übertragen, für die Rechtmäßigkeit des Informationsaustausches mit Europol Sorge zu tragen. Dies umfaßt insbesondere die Prüfung, ob der Aufgabenbereich von Europol hinsichtlich der angeforderten Daten betroffen und die Weitergabe der Daten erforderlich ist. A n den Grundsatz der Erforderlichkeit ist sowohl Europol gemäß Art. 14 Abs. 3 EuropolÜbk iVm. Grundsatz 2.1 der Empfehlung Nr. R (87) 15 des Ministerkomitees wie auch das Bundeskriminalamt als nationale Stelle in Deutschland gemäß § 14 Abs. 1 BKAG gebunden. Eine weitere Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht zur Übermittlung von Daten findet sich in Art. 10 Abs. 3 EuropolÜbk betreffend die Analysedateien. Danach muß die Nutzung der Daten auch nach dem jeweiligen nationalen Recht zu Zwecken der Verhütung, Bekämpfung oder Analyse von Straftaten zulässig sein. Der Grund für diese Einschränkung in Bezug auf die Analysedateien liegt in dem erhöhten Gefährdungspotential dieser Art der Datenverarbeitung, die in hohem Maße mit "weichen" 417 Daten operiert und auch unbeteiligte Personen betreffen kann. Jenseits der grundsätzlichen materiellen Kooperationspflicht der nationalen Stellen unterliegt das Verfahren der Kooperation dem nationalen Verfahrensrecht (Art. 7 Abs. 1 und 3 EuropolÜbk). Rechtsgrundlage für den Betrieb des Informationssystems sind die Art. 8 und 9 EuropolÜbk, die auch für die Tätigkeit der nationalen Stellen gelten, soweit diese selbst Informationen eingeben, ändern oder löschen. Geht die Übermittlung von Informationen über die in Art. 8 EuropolÜbk aufgelisteten Angaben hinaus, darf sie gemäß Art. 8 Abs. 4 EuropolÜbk nur auf Antrag erfolgen. Die Zulässigkeit richtet sich nach dem Recht der übermittelnden Stelle. Die nationalen Stellen sind nach Art. 9 Abs. 1 EuropolÜbk zum Zugriff auf das Informationssystem berechtigt. Soweit das Übereinkommen keine weitergehenderen Bestimmungen enthält, gilt wiederum das nationale Recht der abrufenden Stelle. Eine besondere Stellung nehmen die Verbindungsbeamten ein, die von den nationalen Stellen zu Europol entsandt werden. Sie unterliegen weiterhin dem nationalen Recht des entsendenden Staates, soweit nicht das Europol-Übereinkommen besondere Vorschriften enthält. Die Rechte und Pflichten der Verbindungsbeamten gegenüber Europol werden vom Verwaltungsrat festgelegt (Art. 5 Abs. 7 EuropolÜbk). Da sie nicht zum Personal von Europol gehören 418 , unterliegen sie nicht der Weisungsbefugnis des Direktors, sondern So aber die Auslegung des Übereinkommens durch Werner, CR 1997, 34 (36), der beklagt, daß datenschutzrechtliche Erwägungen bei der Weitergabe keine Berücksichtigung fänden. 417 Gesicherte Informationen, z.B. rechtskräftige Verurteilungen, werden als "harte" Daten bezeichnet, während Vermutungen, Verdächtigungen, einzelne Hinweise oder ähnliches als "weiche" Daten bezeichnet werden. 4,8 Vgl. Art. 5 Abs. 2, Art. 30 EuroplÜbk.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
sind nur im Rahmen des Art. 5 EuropolÜbk zur Unterstützung der Ziele Europols verpflichtet 419 . e) Haftung und gerichtliche Kontrolle Europol ist die erste Internationale Organisation, der im Polizeibereich Eingriffsrechte durch ein zwischenstaatliches Übereinkommen eingeräumt werden 4 2 0 . Infolgedessen mußten Regelungen zum Rechtsschutz in das Übereinkommen aufgenommen werden. Das Drängen nach Rechtsschutz wird umso stärker, je mehr Befugnisse einer Internationalen Organisation übertragen sind 4 2 1 . Hinsichtlich einer gerichtlichen Zuständigkeit für das Europol-Übereinkommen sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Während die politische Diskussion die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes zur Auslegung des Übereinkommens bei Streitigkeiten der Mitgliedstaaten untereinander in den Vordergrund stellte, ist Rechtsschutz hier im Sinne von Individualrechtsschutz zu verstehen. Die beiden Ebenen überlappen sich, wenn Gerichten im Rahmen eines individuellen Rechtsschutzbegehrens die Möglichkeit zur Stellung von Vorabentscheidungsersuchen eingeräumt wird. Eine Vorabentscheidung wirkt unmittelbar nur im Ausgangsrechtsstreit, klärt aber auch Zweifelsfragen der Mitgliedstaaten bei der Auslegung. Im Gegensatz zu den anderen hier erörterten Übereinkommen betrifft die Frage nach dem Rechtsschutz im Anwendungsbereich des Europol-Übereinkommens auch den Rechtsschutz der Bediensteten von Europol, da Europol als internationale Organisation ihr eigenes Personal beschäftigt. Darauf soll in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden, da der Rechtsschutz des Personals kein Spezifikum der polizeilichen Zusammenarbeit ist 4 2 2 .
419 Vgl. demgegenüber Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 3 der gemeinsamen Maßnahme des Rates vom 10. März 1995, ABl. 1995 Nr. L 62/1 (2), betreffend EDU: "Die Mitgliedstaaten weisen ihre Verbindungsbeamten an, nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Gesetze ... den Weisungen des Koordinators Folge zu leisten." 420 Zu Interpol siehe oben B. I 1 a) aa). Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rdnr. 1359. Folgerichtig verweist Art. 40 Abs. 3 EuropolÜbk insoweit auf die Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten auf Zeit und die Hilfskräfte der Europäischen Gemeinschaften; insoweit ist eine Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit eröffnet, vgl. die Denkschrift zum EuropolÜbereinkommen, BT-Drs. 13/7391, S. 52.
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aa) Haftungsfragen und Rechtsschutz des Bürgers Titel V I des Europol-Übereinkommens trägt die Überschrift "Haftung und Rechtsschutz". Der Rechtsschutz ist jedoch - wie in den anderen Übereinkommen - nur rudimentär ausgestaltet423. (1) Klagen gegen einen Mitgliedstaat Gemäß Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk haftet jeder Mitgliedstaat nach Maßgabe seines nationalen Rechts für Schäden, die durch fehlerhafte Daten bei der Verarbeitung durch Europol entstehen. Anspruchsgrundlagen für die Haftung sind in Deutschland insbesondere § 7 BDSG sowie Art. 34 GG iVm. § 839 BGB. Im Gegensatz zum Schengener Durchführungsübereinkommen, das eine ähnliche Regelung in Art. 116 Abs. 1 enthält, wird Art. 38 EuropolÜbk im folgenden etwas präziser. Art. 38 Abs. 1 S. 2 des Übereinkommens lautet: "Der Geschädigte kann eine Schadensersatzklage nur gegen den Mitgliedstaat erheben, in dem der Schadensfall eingetreten ist, und wendet sich hierzu an die nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaates zuständigen Gerichte." Durch diesen Satz wird sowohl ein Forum-Shopping ausgeschlossen als auch klargestellt, daß über die Haftung eines Staates nur seine eigenen nationalen Gerichte entscheiden. Vor den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland kann im Bezug auf die Haftung nach Art. 38 EuropolÜbk nur die Bundesrepublik selbst verklagt werden 424 . Auf der anderen Seite muß ein deutscher Staatsbürger mit Wohnsitz in Deutschland auf der Grundlage des Art. 38 EuropolÜbk in Frankreich klagen, wenn er dort aufgrund eines falschen Dateneintrags bei Europol einen Schaden erleidet. Der juristische Dienst des Rates hat bereits in einer Stellungnahme vom 28. November 1995 auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung des Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk hingewiesen, damit dem Rechtsschutzsuchenden nicht aufgrund divergierender Auslegungen der Norm durch die nationalen Gerichte gerichtlicher Schutz vorenthalten wird 4 2 5 . Die Möglichkeit der Anrufung des EuGH zur Vorabent-
423
Unrichtig ist allerdings die Behauptung Prantls, DRiZ 1997, 234, das Ubereinkommen enthalte kein Wort darüber, wie der Rechtsschutz der Bürger aussehen solle. 424 Vgl. auch Art. 2 § 6 Abs. 5 des Europol-Gesetzentwurfes: Danach haftet für Schadensersatzansprüche gemäß Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk im Außenverhältnis die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundeskriminalamt. Im Innenverhältnis sind die Länder der Bundesrepublik Deutschland zum Ausgleich verpflichtet. 425 Vgl. Avis du Service Juridique, DOC 12135/95, S. 5 f.: Ort des Schadenseintritts problematisch, wenn rufschädigende Presseveröffentlichungen in mehreren Staaten verbreitet oder Bankkredite in mehreren Staaten blockiert werden und der Betroffene dadurch Schäden erleidet. 9 Harings
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Scheidung wurde durch das Auslegungsprotokoll vom 23. Juli 1996 geschaffen 4 2 6 . Die Haftung Frankreichs im obigen Beispiel bliebe auch bestehen, wenn die unrichtigen Daten von der deutschen Zentralstelle an Europol übermittelt worden wären. Die Haftung nach Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk ist auf den Mitgliedstaat beschränkt, in dem der Schadensfall eingetreten ist ("... nur gegen den Mitgliedstaat ..."). A u f die Schadensverursachung durch einen anderen Staat oder Europol kann sich der in Anspruch genommene Staat vor seinen Gerichten gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 3 EuropolÜbk nicht berufen. Ihm steht jedoch ein Anspruch auf Erstattung der geleisteten Zahlungen gemäß Art. 38 Abs. 2 EuropolÜbk zu. Der so gewährleistete Ausgleich entspricht der in Art. 15 Abs. 1 EuropolÜbk geregelten datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit. Danach trifft jeden Mitgliedstaat die Verantwortung für die Daten, die er eingegeben oder übermittelt hat. Europol ist verantwortlich hinsichtlich der Daten, die ihr durch Dritte übermittelt wurden oder Gegenstand ihrer eigenen Analysetätigkeit sind. Nach Art. 15 Abs. 2 EuropolÜbk ist Europol ferner verantwortlich für alle bei ihr eingegangenen und von ihr verarbeiteten Daten, die im Informationssystem, in den Arbeitsdateien oder dem Indexsystem gespeichert sind. Art. 38 EuropolÜbk ist trotz seiner mißverständlichen Formulierung nicht als ausschließliche Haftung zu verstehen 427 . Die Vorschrift steht einer Inanspruchnahme des schadensverursachenden Staates nach dessen eigenen Rechtsvorschriften nicht entgegen 428 . Sie kann insoweit allerdings nicht als Anspruchsgrundlage herangezogen werden, und es bedarf dessen auch nicht, wenn das nationale Recht eine passende Anspruchsgrundlage kennt. Bezogen auf den obigen Beispielsfall bedeutet dies, daß der Geschädigte die Bundesrepublik Deutschland für Amtspflichtverletzungen der nationalen Stelle gemäß § 839 BGB iVm. Art. 34 GG in Anspruch nehmen kann und deshalb nicht in Frankreich gemäß Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk klagen muß. (2) Klagen gegen Europol nach Art 39 EuropolÜbk Art. 39 EuropolÜbk regelt die vertragliche und außervertragliche Haftung von Europol sowie in Absatz 3 Ansprüche auf Unterlassung und Widerruf. Als Beispiel für die außervertragliche Haftung nennt die Denkschrift zum Übereinkommen etwa Ansprüche aus der deutschen straßenverkehrsrechtlichen
426 427
_
Dazu unten dd).
Dafür spricht auch die Vorschrift des Art. 39 Abs. 2 EuropolÜbk, die "unabhängig von einer Haftung nach Art. 38" - Amtshaftungsansprüche gegen Europol zuläßt. 428 So wohl auch Di Fabio, DOV 1997, 89 (99).
IV. Die Europol-Konvention
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Gefährdungshaftung 429. Art. 39 Abs. 2 EuropolÜbk stellt aber klar, daß Europol auch für Fehler bei der Datenverarbeitung, insbesondere die unrichtige Datenübermittlung, selbst haftet. Für Klagen hinsichtlich dieser Materien sind gemäß Art. 39 Abs. 4 EuropolÜbk die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten zuständig. Die Zuständigkeiten werden "unter Bezugnahme auf die einschlägigen Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen" (EuGVÜ) bestimmt. Da das EuGVÜ jedoch auf Privatrechtsstreitigkeiten zugeschnitten ist 4 3 0 , ist seine Heranziehimg nur für den Fall der vertraglichen und privatrechtlichen außervertraglichen Haftung problemlos 431 . (3) Datenschutzrechtliche Klagen gegen Europol (Primäransprüche) Datenschutzrechtliche Klagen zur Durchsetzung eines Auskunfts-, Berichtigungs- oder Löschungsanspruches (Art. 19, 20 EuropolÜbk) sind in den Art. 38 ff. EuropolÜbk nicht geregelt. Gemäß Art. 19 Abs. 6 und 20 Abs. 4 EuropolÜbk kann der Betroffene zur Durchsetzung seiner Ansprüche die gemeinsame Kontrollinstanz anrufen 432 . Diese setzt gemäß Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk einen Ausschuß ein, der für die Prüfung der entsprechenden Beschwerden zuständig ist. Hinsichtlich des Auskunftsanspruches ist wie im Verwaltungsverfahren eine enge Kooperation mit den Mitgliedstaaten vorgesehen. Sie findet nunmehr gemäß Art. 19 Abs. 7 EuropolÜbk statt zwischen der gemeinsamen Kontrollinstanz und der nationalen Kontrollinstanz oder dem zuständigen nationalen Gericht des Mitgliedstaates, von dem die Daten stammen. In Deutschland sind zur Entscheidung über datenschutzrechtliche Ansprüche die Verwaltungsgerichte berufen, soweit der präventive Bereich polizeilicher Tätigkeit betroffen ist. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens entscheiden die ordentlichen Gerichte. Ihre Einschaltung erfolgt im Wege der Rechtshilfe. Die Gerichte werden jedoch nicht nur zur Sachverhaltsermittlung tätig, sondern wirken an der Entscheidungsfindung mit. Entsprechend der im Verwaltungsverfahren vorgesehenen Differenzierung sind folgende Fälle auseinanderzuhalten:
429 430 431 432
BT-Drs. 13/7391, S. 52. Vgl. Art. 1 Abs. 1 EuGVÜ. Vgl. dazu unten D II. 2.
Dieser Anspruch ist nach einem Bericht des BMI zur Regelung des Datenschutzes in der EUROPOL-Konvention an den Innenausschuß des Deutschen Bundestages vom 13. Juni 1996 "das Äquivalent zu entsprechenden Ansprüchen deutschen Rechts, die in Deutschland vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden können" (S. 14). 9*
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
- Ist Gegenstand der Beschwerde eine Mitteilung über Daten, die von einem Mitgliedstaat in das Informationssystem eingegeben wurden, trifft die gemeinsame Kontrollinstanz ihre Entscheidung nach dem Recht des Staates, in dem der Auskunftsantrag eingereicht wurde. Dies ist nach Art. 19 Abs. 1 EuropolÜbk nicht notwendig der Staat, der die Daten eingegeben hat. Dessen nationale Kontrollinstanz oder zuständiges Gericht werden jedoch von der gemeinsamen Kontrollinstanz konsultiert und nehmen gegebenenfalls notwendige Überprüfungen vor. Die Entscheidung der gemeinsamen Kontrollinstanz wird in engem Benehmen mit der nationalen Instanz getroffen (Art. 19 Abs. 7 UAbs. 1 EuropolÜbk). - Die Ablehnung Europols oder eines Mitgliedstaates über die Mitteilung der von Europol selbst eingegebenen Daten kann die gemeinsame Kontrollinstanz mit Zweidrittelmehrheit überwinden. Zuvor hat sie jedoch Europol oder den betreffenden Mitgliedstaat anzuhören. Wird die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, so teilt die gemeinsame Kontrollinstanz dem Antragsteller mit, daß eine Überprüfung vorgenommen wurde, ohne dabei Hinweise zu geben, ob zur Person des Antragstellers Daten vorliegen (Art. 19 Abs. 7 UAbs. 2 EuropolÜbk). - Betrifft die Beschwerde lediglich die Überprüfung von Daten, so vergewissert sich die gemeinsame Kontrollinstanz, gegebenenfalls in engem Benehmen mit der nationalen Kontrollinstanz des Staates, der die Daten eingegeben hat, daß die erforderliche Überprüfung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Der Antragsteller erhält eine Mitteilung, aus der nicht hervorgeht, ob zu seiner Person Daten vorhanden sind (Art. 19 Abs. 7 UAbs. 3 und 4 EuropolÜbk). Eine Anfechtung der Entscheidungen der gemeinsamen Kontrollinstanz ist im Übereinkommen nicht vorgesehen. Gemäß Art. 24 Abs. 7 S. 6 EuropolÜbk sind die von der gemeinsamen Kontrollinstanz getroffenen Entscheidungen gegenüber allen betroffenen Parteien rechtskräftig 433 . (4) Vorabentscheidungsverfahren Das im Rat am 23. Juli 1996 verabschiedete Auslegungsprotokoll zur Europol-Konvention434 eröffnet die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof. Das Protokoll bedarf zu seinem Inkrafttreten der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten. Mit der Annahme allein ist jedoch die Zuständigkeit des EuGH noch nicht begründet. Dazu bedarf es einer weiteren Erklärung jedes Mitgliedstaates, die bei der 433
50.
Vgl. auch die Denkschrift zum Europol-Ubereinkommen, BT-Drs. 13/7391, S.
434
ABl. 1996 Nr. C 299/1.
IV. Die Europol-Konvention
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Unterzeichnung oder zu jedem späteren Zeitpunkt abgegeben werden kann (Art. 1, 2 Abs. 1 AuslProtokoll). Mit Ausnahme Großbritanniens haben alle Mitgliedstaaten bereits eine solche Erklärung abgegeben oder angekündigt 435 . Art. 2 Abs. 2 AuslProtokoll läßt zwei mögliche Erklärungen zu: Die Erklärung kann vorsehen, daß entweder jedes Gericht 436 (Art. 2 Abs. 2 lit b)) oder nur das letztinstanzliche Gericht 437 (Art. 2 Abs. 2 lit a)) des Mitgliedstaates dem Europäischen Gerichtshof eine Frage, die es zum Erlaß seines Urteils für erforderlich hält, vorlegen kann. Eine Vorlagepflicht für die letztinstanzlich entscheidenden Gerichte enthält das Protokoll zum Europol-Übereinkommen ebensowenig wie das Auslegungsprotokoll zum ZIS-Übereinkommen. Gleichwohl hat die Mehrzahl der Staaten, die eine Erklärung nach Art. 2 Abs. 2 lit b) AuslProtokoll abgegeben hat, sich das Recht vorbehalten, innerstaatlich eine Vorlagepflicht des letztinstanzlich entscheidenden Gerichts vorzusehen438. Die gemeinsame Kontrollinstanz hat kein Recht zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH. Es taucht der Verdacht auf, daß bei der später vereinbarten Zuständigkeit des EuGH die Kompetenz der Kontrollinstanz zur Prüfung von Auslegungsfragen hinsichtlich der Datenschutzbestimmungen übersehen wurde. Entsprechende Fragen können allerdings der gemeinsamen Kontrollinstanz auch von Europol selbst vorgelegt werden, so daß die Vorschrift durch die Zuständigkeit des EuGH nicht obsolet wird. Die mangelnde Kohärenz wird jedoch offensichtlich in den Fällen, in denen die Kontrollinstanz über datenschutzrechtliche Primäransprüche quasirichterlich in letzter Instanz entscheidet. Den mitgliedstaatlichen Gerichten können sich dieselben Rechtsfragen im Rahmen einer Schadensersatzklage gegen Europol stellen. Sie können den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung ersuchen. Eine Bindung der gemeinsamen Kontrollinstanz an die Auslegung einer Vorschrift durch den EuGH besteht nicht. Das gesamte Auslegungsprotokoll basiert auf einem Kompromiß, der in langen und schwierigen Gesprächen insbesondere mit Großbritannien erzielt worden ist. Die Erklärungen Frankreichs und Irlands zeigen jedoch, daß auch innerhalb der Befürworter einer Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes Unterschiede bestehen439. Mit dem Protokoll ist ein Fortschritt erzielt worden, die einheitliche Anwendung des Europol-Übereinkommens in allen Mitgliedstaaten konnte allerdings nicht sichergestellt werden. Es wird abzuwarten sein, ob zumindest eine faktische Harmonisierung der Rechtsanwendung durch Entscheidungen des EuGH eintritt 440.
435 Schweden hat die Erklärung für einen späteren Zeitpunkt, Dänemark und Spanien haben die Erklärung für den Zeitpunkt der Annahme des Protokolls angekündigt. 436 Von dieser Möglichkeit haben Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Finnland bislang Gebrauch gemacht. 437 Diesen Weg haben bislang nur Frankreich und Irland gewählt; hingegen hat Frankreich für das ZIS-Übereinkommen eine Erklärung nach Art. 2 Abs. 2 lit b) abgegeben. 438 Vgl. die Erklärungen Belgiens, Deutschlands, Griechenlands, Italiens, Luxemburgs, der Niederlande, Österreichs und Portugals, ABl. Nr. C 299/14 vom 9.10.1996. 439 Dazu B. Swart, in: Roth, EUROPOL, S. 24. 440 Aufgrund dieser Befürchtung hatte sich die britische Regierung lange kompromißlos gezeigt, da sie erwartete, daß die Rechtsprechung des Europäischen
134
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bb) Das Immunitätsprotokoll
A m 19. Juni 1997 hat der Rat nach schwierigen Verhandlungen das Immunitätsprotokoll zur Europol-Konvention 441 unterzeichnet. Es enthält zahlreiche, für Internationale Organisationen übliche Regelungen, etwa hinsichtlich der Befreiung von Steuern und Abgaben. Da die Europol-Konvention selbst die Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Europol vor nationalen Gerichten vorsieht, kann Europol nicht von der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten ausgenommen werden 442 . Lediglich die Archive, Liegenschaften und Guthaben genießen Immunität (Art. 2 Abs. 2, Art. 3). A n dieser Stelle soll auf einige Probleme aufmerksam gemacht werden, die das Protokoll aufwirft. (1) Persönliche Immunität der Mitglieder der Organe und des Personals von Europol Gemäß Art. 8 Abs. 1 Immunitätsprotokoll genießen die Mitglieder der Organe und des Personals Immunität von "jeglicher Gerichtsbarkeit hinsichtlich der von ihnen in Ausübung ihres Amtes vorgenommenen mündlichen und schriftlichen Äußerungen sowie Handlungen". Diese Immunität dauert auch nach Beendigimg ihrer Tätigkeit fort. Sie gilt gemäß Art. 9 Immunitätsprotokoll nicht in Zivilverfahren wegen Verkehrsunfallschäden 443. In allen anderen Fällen können Europol-Bedienstete wegen eines Fehlverhaltens im Amt zivil- und strafrechtlich nicht belangt werden. Der Ausschluß der zivilrechtlichen Haftung wiegt dabei wegen der Haftung Europols nach Art. 39 Abs. 2 EuropolÜbk weniger schwer. Angesichts der sensiblen Daten, die Europol verarbeiten darf, bestehen daher erhebliche Zweifel, ob der Schutz der Privatsphäre der betroffenen Personen hinreichend gesichert ist 4 4 4 . Art. 32 Abs. 4 EuropolÜbk verpflichtet die Staaten, Verletzungen der Verschwiegenheitsund Geheimhaltungspflicht seinen Rechtsvorschriften zur Wahrung von Dienstoder Berufsgeheimnissen zu unterstellen. Der grundsätzliche Ausschluß der Europol-Bediensteten von der Gerichtsbarkeit ist auch damit nur schwer zu
Gerichtshofes auch dann von britischen Richtern übernommen werden würde, wenn diese selbst keine Vorlagemöglichkeit hätten; dazu B. Swart, in: Roth, EUROPOL, S. 23 f. 441
Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union und von Artikel 41 Absatz 3 des Europol-Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und442die Bediensteten von Europol, ABl. Nr. C 221/1 vom 19.7.1997. Näher dazu unten D I. 3 b) aa). 443 Vgl. dazu Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 536 f. Sehr kritisch zur Immunität der Europol-Bediensteten auch Prantl, DRiZ 1997, 234 (235).
IV. Die Europol-Konvention
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vereinbaren. In Deutschland ist es angesichts der historischen Erfahrungen nicht vorstellbar, daß Polizeibeamte, wie es die Europol-Bediensteten sind, Immunität hinsichtlich ihrer dienstlichen Handlungen genießen 445 . Auch in England können Polizeibeamte für Fehlverhalten im Amt herangezogen werden 4 4 6 . In anderen EU-Staaten wird ein solches Erfordernis zivilrechtlicher und strafrechtlicher Verantwortlichkeit nicht gesehen. Zudem entspricht die Gewährung persönlicher Immunität an Bedienstete Internationaler Organisationen völkerrechtlicher Gepflogenheit 447 . Allerdings bleiben in der Regel die Eingriffsrechte anderer internationaler Bediensteter hinter denen der EuropolBediensteten zurück. Die Mehrheit der EU-Staaten sieht ein Bedürfnis für Beschränkungen der Immunität gleichwohl nicht. Erst im Zusammenhang mit der Ausweitung der Befugnisse Europols soll darüber neu verhandelt werden 448 . Art. 12 Abs. 1 des Immunitätsprotokolls stellt ausdrücklich klar, daß die den Europol-Bediensteten und Mitgliedern der Organe gewährten Vorrechte und Immunitäten nicht in deren persönlichem Interesse, sondern im Interesse der Organisation gewährt werden. Die weitgehende Immunität der Europol-Bediensteten hat der Direktor deshalb "in allen Fällen aufzuheben, in denen die Immunität verhindern würde, daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht"449, wenn durch die Aufhebung die Interessen Europols nicht geschädigt werden (Art. 12 Abs. 2 Immunitätsprotokoll). Ohne diese Möglichkeit der Aufhebung der Immunität würde Art. 2 § 8 des deutschen Europol-Gesetzentwurfes leerlaufen. Dieser sieht nämlich die Anwendung von Strafvorschriften des StGB auf Europol-Bedienstete und Mitglieder der Organe vor. Die Möglichkeit der Aufhebung der Immunität steht denn auch dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit einer Zustimmung zum Immunitätsprotokoll entgegen. Ein Poenalisierungsgebot läßt sich der Verfassung nur in Ausnahmefällen entnehmen450. Allerdings muß auf andere Weise sichergestellt werden, daß der Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre der Betroffenen gewährleistet wird. Im Rahmen der Staatenkooperation können die nationalen Vorstellungen nicht immer durchgesetzt
445
Vgl. die Kritik am Immunitätsprotokoll durch Ostendorf, NJW 1997, 3418 ff, sowie Hirsch, ZRP 1998, 10 (11 ff); zum historischen Hintergrund etwa Scholderer, Rechtsbeugung, S. 115 ff., dessen Ausführungen zur NS-Justiz unschwer auf die Exekutive übertragen werden können. 446 Bull/Baldus, FAZ v. 20.1.1998, S. 10; allgemein Lewis, Judicial Remedies, S. 405; de Smith/Woolf/Jowell, Judicial Review, Rdnr. 19-015. 447 So auch Frowein/Krisch, S. 9 f.; Hailbronner , JZ 1998, 283 (285); vgl. dazu Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 534: "Each international official needs immunity from prosecution for his official functions. He is afforded such immunity in most international organizations." Vgl. Art. 17 Abs. 2 Immunitätsprotokoll. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rdnr. 1923, nehmen in diesem Fall generell eine Verpflichtung Internationaler Organisationen zur Aufhebung der Immunität an. 450
So auch Frowein/Krisch, S. 10 f.; vgl. allgemein BVerfGE 39, 1 (46 f.); 88, 203 (251 ff, 296 ff.); Götz, HbStR VI § 79 Rdnr. 12; LK-Jähnke, § 203 StGB Rdnr. 4 f.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
werden 451. Ein rechtsstaatliches Minimum ist mit dem gefundenen Kompromiß erreicht worden. (2) Keine Immunität fiir die Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz Bereits dem Titel des Immunitätsprotokolls ist zu entnehmen, daß die Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz hinsichtlich ihrer Amtstätigkeit keine Immunität genießen. Die Kontrollinstanz ist nämlich kein Organ Europols, ihre Mitglieder gehören nicht zum Personal der Organisation. Dieser Ausschluß von der Immunität ist insofern auffallend, als die Instanz mit gerichtsähnlichen Befugnissen ausgestattet ist. In anderen Fällen wird Mitgliedern internationalen Gerichtsinstanzen hingegen persönliche Immunität eingeräumt 452 . Da die Kontrollinstanz Entscheidungen über die Offenbarung oder Löschung sensibler Daten treffen kann, sind leicht Konflikte mit mitgliedstaatlichen Behörden vorstellbar. Dieses Defizit des Immunitätsprotokolls wiegt noch schwerer, wenn zum Vergleich die weitgehende Immunität der EuropolBediensteten herangezogen wird. Das Schutzbedürfnis, das die Vertragsstaaten für die Vertreter der Exekutive in Anspruch nehmen, müßte den Angehörigen des einzigen Judikativorgans der Europol-Konvention erst recht zugebilligt werden 453 . cc) Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten Art. 40 Abs. 1 EuropolÜbk 454 sieht vor, daß Streitigkeiten um die Auslegung oder Anwendung des Übereinkommens zunächst im Rat erörtert werden. Wird dabei binnen sechs Monaten keine Einigung erreicht, legen gemäß Art. 40 Abs. 2 EuropolÜbk die an der Streitigkeit beteiligten Mitgliedstaaten einvernehmlich die Modalitäten zur Beilegung der strittigen Frage fest. In einer Erklärung zu dieser Vorschrift haben sich alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Großbritanniens darauf verständigt, die Streitigkeit dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen 455 . 451 452
So auch Bull/Baldus, FAZ v. 20.1.1998, S. 10.
Vgl. etwa Art. 3 der Satzung des Europäischen Gerichtshofs, Art. 19 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs; Art. 59 EMRK für die Mitglieder des Europäischen Gerichtshofs und der Kommission für Menschenrechte, sowie Art. 14 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten des Gemeinsamen Berufungsgerichts nach dem Gemeinschaftspatentübereinkommen. Ob durch die Vorenthaltung der Immunität die Unabhängigkeit der Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz beeinträchtigt wird, braucht an dieser Stelle noch nicht entschieden zu werden; dazu unten D IV. 2 a) cc). 454 Die Vorschrift geht auf einen französischen Kompromißvorschlag vom 20. Juni 1995 zurück, vgl. B. Swart, in: Roth, EUROPOL, S. 23. 455 Vgl. die Erklärung zu Art. 40 Abs. 2 EuropolÜbk, ABl. 1995 Nr. C 316/32.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
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V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen 1. Bauformen der exekutivischen Kooperation im Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit a) Kooperationsstruktur Die Grundentscheidung für die Struktur der Kooperation fällt zwischen der reinen zwischenstaatlichen Kooperation und der Schaffung einer neuen internationalen Organisation oder Institution. Während das Schengener Durchführungsübereinkommen ebenso wie die Übereinkommen des Zollbereichs an der Staatenkooperation festhalten, wird mit Europol eine eigenständige internationale Organisation geschaffen, die Rechtspersönlichkeit besitzt. Durch die Errichtung von Europol haben die Mitgliedstaaten im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit eine zweite Ebene der exekutivischen Kooperation gebildet. Zur horizontalen Kooperation der mitgliedstaatlichen Behörden untereinander tritt die vertikale Kooperation mit der neu geschaffenen Zentralinstanz. Aus dieser strukturellen Divergenz resultieren Unterschiede in der Verantwortlichkeit. Die internationale Organisation tritt als Zurechnungssubjekt neben die Staaten, die für ihre Handlungen weiterhin verantwortlich bleiben. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten ändert nichts an der klaren Verantwortungsverteilung im Rahmen der reinen Staatenkooperation. b) Institutionalisierter
Informationsaustausch
Im Mittelpunkt der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen steht - wie in anderen Gebieten - der Informationsaustausch als "Basis jeder Verwaltungskooperation" 456. Im Gegensatz zu der punktuellen Kooperation im traditionellen Amts- und Rechtshilferecht ist die informationelle Zusammenarbeit in den hier vorgestellten Übereinkommen dauerhaft. Dies führt zur Herausbildung eigenständiger informationeller Kooperationsstrukturen. Für die innerstaatliche informationelle Zusammenarbeit ist deshalb erwogen worden, die "Informationshilfe" als eigenständiges Institut von der Amtshilfe abzugrenzen 457. Richtig daran ist, daß die herkömmlichen Begriffs-
456
Schmidt-Aßmann , EuR 1996, 270 (290); vgl. auch Joubert/Bevers , Schengen Investigated, S. 443: "The origin and the aim of practically every criminal procedure, information is the alpha and the omega of police work." 457 Scholz/Pitschas , Informationelle Selbstbestimmung, S. 123 (dort Fußn. 418); vgl. auch Schlink, Amtshilfe, S. 155.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
merkmale der Amtshilfe 458 nicht auf den automatisierten Datenfluß zugeschnitten sind 459 , der eine neue Dimension der Kooperation eröffnet. Die Einrichtung grenzüberschreitender Informationssysteme erfolgt jedoch nicht auf der Grundlage des allgemeinen Rechts- und Amtshilferechts, sondern bereichsspezifischer völkerrechtlicher Normen. aa) Netzwerke Von "Netzwerken" wird gesprochen, wenn der Informationsaustausch eine gewisse institutionelle Verfestigung hinsichtlich der beteiligten Behörden erfährt 460 . Die Institutionalisierung der Kooperation findet auf höchster Ebene im Rat statt 461 . Deutlich wird sie aber auch durch die Einrichtung von Zentralstellen in den Mitgliedstaaten, wie dies in den Art. 39 Abs. 3, 46 Abs. 2, 108 Abs. 1 SDÜ, Art. 10 ZISÜbk, Art. 4 Neapel II-Übk und Art. 4 EuropolÜbk geschehen ist 462 . Diese Zentralstellen sind die Verbindungsglieder zwischen den diversen nationalen Behörden und dem gemeinsam errichteten Informationssystem. In Deutschland wird die Aufgabe der nationalen Zentralstelle für die polizeiliche Zusammenarbeit vom Bundeskriminalamt wahrgenommen 463, für die zollbehördliche Zusammenarbeit vom Zollkriminalamt 464 . Netzwerke können aber auch auf einer niedrigeren Ebene entstehen. Die Zusammenarbeit in den Grenzgebieten gemäß Art. 39 Abs. 4 SDÜ ist ein Bei458 Dazu ausf. Dreher, Amtshilfe, S. 17 ff; T. Stein, Amtshilfe, S. 91 ff.; zusammenfassend Goebel, Informationshilfe, S. 30 ff. 459 Goebel, Informationshilfe, S. 32 f , der auf S. 105 f. Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Informationshilfe nennt, die insbesondere ein Auskunftsrecht des Betroffenen enthalten. 460 Vgl. Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270 (291), für die Verwaltungskooperation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft; Pitschas, JbStVW 8 (1995), 379 (385 ff.); Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 446, hinsichtlich der polizeilichen Zusammenarbeit; zu den verschiedenen Ebenen der Kooperation im Rahmen des SDÜ auch Schreckenberger, VerwArch 88 (1997), 389 (403 f.). 461 Vgl. Art. K.3 Abs. 1 EUV: "In den Bereichen des Artikels K.l unterrichten und konsultieren die Mitgliedstaaten einander im Rat, um ihr Vorgehen zu koordinieren. Sie begründen hierfür eine Zusammenarbeit zwischen ihren zuständigen Verwaltungsstellen." 462 Die Bedeutung zentraler Stellen als Bauform der Europäischen Übereinkommen über Amts- und Rechtshilfe wird auch bei H. Jellinek, NVwZ 1982, 535 (537), hervorgehoben. 463 Vgl. allgemein § 3 BKAG, BGBl. 1997 I, S. 1650, sowie Art. 6 Ziff. 1 des Gesetzes zum Schengener Durchführungsübereinkommen, BGBl. 1993 II, S. 1010, und Art. 2 § 1 des Europol-Gesetzes, BGBl. 1997 I, 2150; dazu kritisch Riegel, NJW 1997, 3408 (3410). 464 Vgl. §5aNr.3FVG.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
139
spiel dafür. Die Vereinbarung zwischen Deutschland und Luxemburg 465 listet in Art. 2 Kontaktstellen auf, die ergänzend zum unmittelbaren Kontakt der beteiligten Dienststellen für den Informationsaustausch zuständig sind. Bereits früher wurde im sog. "28-Punkte Programm" 466 zwischen Deutschland und Frankreich die Einrichtung von Koordinierungsstellen vereinbart, die den reibungslosen Ablauf der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sicherstellen sollen. Sie sind für Deutschland bei den Landeskriminalämtern in Saarbrücken, Mainz und Stuttgart angesiedelt, für Frankreich in Straßburg. Nicht hierher gehören die gemeinsamen Ermittlungsgruppen nach Art. 22 Neapel II-Übk, da sie nur für einen begrenzten Zeitraum und einen bestimmten Zweck eingerichtet werden. Die Errichtung solcher Netzwerke hat nicht nur Auswirkungen auf die juristische Struktur der Kooperation, sondern ist insbesondere von praktischer Bedeutung. Die dauerhafte Zusammenarbeit der beteiligten Beamten führt zum Abbau gegenseitigen Mißtrauens. Sprachbarrieren werden überwunden. Das Verständnis für die fremde Rechtsordnung wird durch den häufigen Kontakt gefordert. Verwaltungskooperation wird zu einem vertrauensbildenden Faktor 467 . bb) Ständiger Informationsaustausch Die besondere Qualität der neuen Kooperation und die Loslösung vom klassischen Rechtshilferecht zeigt sich im Bedeutungszuwachs gegenseitiger Informationspflichten. Informationsaustausch findet nicht nur auf ein bestimmtes Ersuchen des Nachbarstaates hin statt, sondern kann spontan und dauerhaft erfolgen 468 . Man kann diese Entwicklung als "Entformalisierung" bezeichnen. Nicht die Stellung eines Rechtshilfeersuchens als formelles Kriterium löst den Informationsaustausch aus, sondern die materielle Betroffenheit eines anderen oder des eigenen Staates. Dies mag für den Betrieb eines Informationssystems unerläßlich erscheinen, ist aber nicht auf diesen Bereich beschränkt. Bereits Art. 8 des Neapel I-Übereinkommens sah eine Verpflichtung der nationalen Zollverwaltungen vor, sich auch unaufgefordert Auskünfte über festgestellte oder geplante Verstöße gegen die Zollgesetze
465
BGBl. 1996 II, S. 1203. Absprache über die polizeiliche Zusammenarbeit in den Grenzgebieten zwischen den Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland und den Departements Niederrhein, Hochrhein und Mosel vom 12. Oktober 1992, dort unter Punkt 20. 467 Vgl. auch Neßler, Richtlinienrecht, S. 62. 468 Kritisch dazu Busch, Grenzenlose Polizei, S. 322; ob die Spontanhilfe im nationalen Bereich zur Amtshilfe gerechnet werden kann ist strittig, vgl. einerseits verneinend Dreher, Amtshilfe, S. 32 f , und Meyer-Teschendorf, JuS 1981, 187 (189), andererseits bejahend Schlink, Amtshilfe, S. 216 ff. m.w.N. 466
140
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
eines anderen Staates mitzuteilen 469 . Der Entwurf der Neapel Ii-Konvention widmet der Amtshilfe ohne Antrag einen eigenen Abschnitt (Titel III), der Überwachungen und Spontanauskünfte einschließt. Nach Art. 46 SDÜ kann jede Vertragspartei ohne Ersuchen einer anderen Vertragspartei Informationen übermitteln, die für diese zur Bekämpfung oder Verhütung von Straftaten oder zur Gefahrenabwehr von Bedeutung sein können. Die nationale Stelle hat gemäß Art. 4 Abs. 4, Art. 10 Abs. 3 EuropolÜbk Europol aus eigener Initiative Informationen und Erkenntnisse zu liefern und zu aktualisieren, die für die Arbeit von Europol erforderlich sind. In dieser Entwicklung kommt zum Ausdruck, daß die gegenseitige Verantwortung für die innere Sicherheit in Europa als Aufgabe aller Staaten angesehen wird, auch wenn eine direkte Betroffenheit des eigenen Staates nicht vorzuliegen scheint. Pflichten zum ständigen Informationsaustausch innerhalb der Bundesrepublik zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern oder dem Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern werden zuweilen als Formen der "Mischverwaltung" qualifiziert 470 . Andere Autoren verwenden zwar nicht diesen Begriff, erkennen aber ebenfalls an, daß eine solchermaßen ausgestaltete Kooperation - unter Wahrung der Eigenverantwortlichkeit der Behörden - über die Form der Amtshilfe hinausgeht471. Dieser Befund ist auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit im Bereich der 3. Säule zutreffend. Es kann durchaus von einem Binnenmarkt der inneren Sicherheit gesprochen werden. Diesem Ansatz entspricht es, wenn der Entwurf der Neapel Ii-Konvention begrifflich zwischen Amtshilfeersuchen und Ersuchen um Zusammenarbeit für die besonderen grenzüberschreitenden Kooperationsformen unterscheidet 472. c) Konsultationsmechanismen Der zunehmende grenzüberschreitende Informationsfluß macht eine wechselseitige Einbindimg der Staaten in ihre Entscheidungsstrukturen erforderlich.
469 Ebenso § 2 Abs. 2 Nr. 1 EG-Amtshilfegesetz, BGBl. 1985 I, S. 2436, 2441, für die Spontanauskunft im Steuerrecht; eine solche liegt aber terminologisch nur vor, wenn die übermittelten Informationen ausschließlich dem Besteuerungsinteresse der empfangenden Finanzbehörde dienen; bei gemeinsamem oder dem eigenen Interesse der übermittelnden Behörde spricht man von "Kontrollmitteilung", vgl. Runge, DB 1986, 191 (194), sowie Menck, in: Vogel, Internationale Steuerauskunft, S. 3 ff. 470 Stern, Staatsrecht I, S. 220; Kniesel/Tegtmayer/Vahle, Datenschutz, Rdnrn. 753 ff; ähnlich Dreher, Amtshilfe, S. 25 f.: Kein Akt der Amtshilfe. 471 Evers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 73 Nr. 10, Rdnm. 15 f.; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 73 Rdnr. 37; abschwächend Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rdnr. 155: Intensive aufeinander bezogene Tätigkeit als Amtshilfe. 472 Vgl. oben B III 3 c) cc).
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
141
In bestimmten Fällen, in denen die Interessen des Staates, von dem die Information stammt, durch einen Informationsvorgang berührt werden, ist dieser Staat am Entscheidungsverfahren der betroffenen Exekutive zu beteiligen. Verschiedene Stufen der Einbindung sind zu unterscheiden: aa) Zustimmung Die vorherige Zustimmung eines Staates ist erforderlich, wenn seine Interessen durch die Entscheidung des anderen Staates in besonderem Maße betroffen sind. Dies ist der Fall, wenn Daten an Drittstaaten weitergegeben (Art. 18 Abs. 4 EuropolÜbk) oder zu einem anderen Zweck verwendet werden sollen, als dies der Ursprungsstaat vorgesehen hatte (Art. 102 Abs. 3 SDÜ). Dementsprechend dürfen gemäß Art. 39 Abs. 2 SDÜ Informationen, die im Rahmen des direkten polizeilichen Informationsaustausches gewonnen wurden, nur mit Zustimmung der zuständigen Justizbehörde des ersuchten Staates als Beweismittel in einem Strafverfahren verwendet werden. Eine als Zustimmung zu qualifizierende Teilhabe kann auch vorliegen, wenn eine Handlung nicht ausdrücklich als Zustimmung bezeichnet ist, in ihrer Wirkung aber einem Zustimmungserfordernis gleichkommt. Nach Art. 19 Abs. 4 Nr. 1 und 2 EuropolÜbk darf eine Mitteilung von Daten an den Betroffenen nur erfolgen, wenn die betroffenen Mitgliedstaaten zuvor "Gelegenheit zu einer Stellungnahme hatten, die bis zur Ablehnung der Mitteilung reichen kann". Ebenso ist das Erfordernis einer "Konsensentscheidung" in Art. 19 Abs. 4 Nr. 3 EuropolÜbk zu qualifizieren. Durch das Zustimmungserfordernis wird der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch in erheblichem Maße eingeschränkt. bb) Qualifizierte Mitteilung Als "qualifizierte Mitteilungen" werden hier solche Äußerungen verstanden, die im Empfängerstaat eine Handlungspflicht auslösen. Solche Mitteilungen können wiederum nach ihren Auswirkungen auf die Handlungspflicht unterschieden werden. (1) Determination der Handlung durch die Mitteilung Für den polizeilichen Informationsaustausch nach Art. 39 ff. SDÜ bestimmt Art. 126 Abs. 3 lit c) SDÜ, daß die Daten übermittelnde Vertragspartei verpflichtet ist, der empfangenden Vertragspartei mitzuteilen, wenn sich Daten nachträglich als unrichtig herausstellen. Ähnliches sieht Art. 25 Abs. 1 lit b) Neapel-Übk für die Amtshilfe der Zollbehörden vor. Die empfangende Vertragspartei ist aufgrund dieser Mitteilung verpflichtet, die Daten zu berichtigen oder einen entsprechenden Vermerk hinzuzufügen. Die Handlungspflicht
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
folgt allein aus der Mitteilung. Eine eigene Entscheidungskompetenz des betreffenden Vertragsstaates existiert nicht. (2) Mitteilung als Anstoß zur eigenen Prüfung In den meisten Fällen löst eine qualifizierte Mitteilung nur eine Prüfungspflicht des empfangenden Staates aus. Dieser wird, da seine datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit andauert, auf einen bestimmten Sachverhalt hingewiesen, der eine neue Beurteilung eines Vorgangs erforderlich machen könnte. Praktisch kommt diese Fallgruppe in allen Informationssystemen zur Anwendung, wenn ein Staat, der die Daten nicht eingegeben hat und infolgedessen nicht zu einer Änderung berechtigt ist, Anhaltspunkte dafür hat, daß die eingegebenen Daten unrichtig sind. Er hat dies dem Ursprungsstaat der Daten mitzuteilen, der seinerseits diese Mitteilung überprüft und gegebenenfalls die erforderlichen Änderungen vornimmt (Art. 106 Abs. 2 SDÜ, Art. 11 Abs. 3 ZISÜbk, Art. 9 Abs. 2 EuropolÜbk). cc) Schlichte Mitteilung Schlichte Mitteilungen dienen als einseitige Kooperationsformen lediglich der Information des Empfangsstaates. Beispiele dafür finden sich in Art. 11 Abs. 2 und 3 ZISÜbk. Danach teilt der Staat, der die Daten in das Informationssystem eingegeben hat, den anderen Vertragsstaaten mit, wenn er solche Daten berichtigt oder löscht. dd) Stellungnahme Hinsichtlich der Daten im Schengener Informationssystem und im Zollinformationssystem kann gegenüber einem Mitgliedstaat, der selbst die Daten nicht eingegeben hat, gleichwohl ein Auskunftsanspruch geltend gemacht werden. Der Umfang des Auskunftsanspruches richtet sich nach dem Recht des Staates, in dessen Gebiet der Anspruch geltend gemacht wird. Bevor der betreffende Mitgliedstaat die begehrte Auskunft erteilt, hat er allerdings gemäß Art. 109 Abs. 1 SDÜ und Art. 15 Abs. 1 ZISÜbk dem Staat, der die Daten eingegeben hat, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die gleiche Regelung findet sich in Art. 25 Abs. 1 lit d) Neapel II-Übk 4 7 3 für den konventionellen Datenaustausch im Rahmen der Amtshilfe. Die Auswirkungen dieser Stellungnahme
473
ABl. Nr. C 24/1 vom 23.1.1998.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
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bleiben unklar 474 . Einerseits fehlt eine Bestimmung, nach der die Stellungnahme zur Ablehnung des Auskunftsantrages fuhren kann 475 , andererseits ist kaum vorstellbar, daß die Stellungnahme nur ein bloßes Verfahrenserfordernis ist. Konkrete Schlüsse lassen sich auch nicht durch Heranziehung des Grundsatzes der Vertragstreue erreichen, da der Vertrag selbst auch den Auskunftsanspruch voraussetzt oder sogar selbst regelt. Da in anderen Bestimmungen ausdrücklich die Zustimmung eines anderen Vertragsstaates vorausgesetzt wird, spricht vieles dafür, einen bindenden Charakter der Stellungnahme abzulehnen476. Art. 15 Abs. 2 ZISÜbk nennt ebenso wie Art. 109 Abs. 2 SDÜ ausdrücklich einige Fälle, in denen die Auskunftserteilung unterbleibt, ohne die ablehnende Stellungnahme eines anderen Mitgliedstaates zu erwähnen. Die Stellungnahme wird allerdings bei der Entscheidung über die Auskunftserteilung berücksichtigt werden müssen. ee) Besondere Konsultationsverfahren Als besondere Konsultationsverfahren werden hier solche bezeichnet, die sich nicht im Austausch von Willenserklärungen erschöpfen, sondern vielmehr eine engere Abstimmung der beteiligten Staaten voraussetzen. Eine Überprüfung von Daten nimmt Europol gemäß Art. 19 Abs. 5 EuropolÜbk "in engem Benehmen" mit den betroffenen nationalen Behörden vor. Ebenso ergehen Entscheidungen der gemeinsamen Kontrollinstanz gemäß Art. 19 Abs. 7 EuropolÜbk nach "Konsultation" und "in engem Benehmen" mit der nationalen Kontrollinstanz oder dem zuständigen Gericht. Diese Kooperation zwischen (quasi-) richterlichen Organen ist eine Besonderheit des EuropolÜbereinkommens, da nur dort die gemeinsame Kontrollinstanz verbindliche Entscheidungen treffen kann. Ein besonderes Kooperationsverfahren ist auch die Pflicht zur Abstimmung unter den Vertragsparteien bei der Aufnahme weiterer Ausschreibungen ins Schengener Informationssystem gemäß Art. 107 SDÜ. Sie soll sich widersprechende Ausschreibungen der Staaten verhindern 477 . Den gleichen Zweck wie diese unbestimmte Formel verfolgt Art. 11 Abs. 4 ZISÜbk sehr viel detaillierter. Steht danach eine spätere Eingabe von Daten durch einen Vertragsstaat im Widerspruch zu der früheren Eingabe eines anderen Vertragsstaates, haben
474 Zur gleichgelagerten Problematik im EG-Kooperationsrecht Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270 (292). 475 Vgl. dagegen Art. 19 Abs. 4 Nr. 1, 2 EuropolÜbk. 476 Unklar insoweit Würz, SDÜ, Rdnr. 288. 477 Ein solcher Fall könnte eintreten, wenn eine Vertragspartei eine Person zur verdeckten Registrierung, eine andere Vertragspartei dieselbe Person zur Festnahme ausschreiben will; vgl. dazu Würz, SDÜ, Rdnr. 207.
144
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
die beteiligten Staaten die Pflicht, bilateral nach einer Einigung zu suchen. Gelingt dies nicht, bleibt die erste Eingabe bestehen und wird lediglich um die Teile der späteren Mitteilung ergänzt, die nicht im Widerspruch zu ihr stehen. Damit ist eine klare Regelung für den Konfliktfall getroffen. d) Besondere Formen der grenzüberschreitenden
Zusammenarbeit
Das neueste Textdokument zur Kooperation im Sicherheitsbereich, die Neapel Ii-Konvention, trennt begrifflich zwischen Amtshilfe und besonderen Formen der Zusammenarbeit. Ersuchen um Zusammenarbeit werden gemäß Art. 19 Abs. 1 des Übereinkommens "in der Form der Amtshilfeersuchen" gestellt. Auch die Art. 39 ff. SDÜ sind dem Kapitel "Polizeiliche Zusammenarbeit" zugeordnet, doch erfassen die Art. 39 und 46 SDÜ auch Maßnahmen, die die Neapel Ii-Konvention der Amtshilfe zurechnet. In beiden Texten steht der Begriff "Zusammenarbeit" aber für die Tätigkeit von Beamten einer Vertragspartei auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei 478. Die Bedeutung dieser neueren Kooperationsform wird durch Art. 32 EUV n.F. unterstrichen: "Der Rat legt fest, unter welchen Bedingungen und innerhalb welcher Grenzen die in den Artikeln 30 und 31 genannten zuständigen Behörden im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats in Verbindung und in Absprache mit dessen Behörden tätig werden dürfen." aa) Parallelen im deutschen Recht Dem deutschen Recht ist die Differenzierung nach Amtshilfe und besonderen Formen der Zusammenarbeit nicht fremd. Sie wird insbesondere zur Beschreibung eines besonderen Kooperationsvorganges in Ausnahmesituationen (Art. 35 Abs. 2 und 3, Art. 87 a und 91 GG) verwandt 479 . Als charakteristische Merkmale dieser über die Amtshilfe hinausgehenden Kooperation arbeitet Schlink heraus 480: Die Beamten werden an einem anderen Ort als ihrem gewöhnlichen Einsatz- oder Aufenthaltsort tätig. Sie unterliegen dem Recht des Gebietsstaates und in der Regel auch der Weisungsgewalt seiner Behörden 481 . Schlink faßt die Formen der Kooperation als Organleihe, Delegation und Mandat zusammen. Den Unterschied zur Amtshilfe sieht er in einem einheitli478 Vgl. auch Swart, in: Monar/Morgan, The Third Pillar, S. 195: "... shift from Cooperation to granting autonomous powers of one Member State to act on the territory of another Member State." 479 Schlink , Amtshilfe, S. 161 ff. 480 Amtshilfe, S. 163 f. 481 Vgl. auch § 78 Abs. 2 bw PolG.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
145
chen Verantwortungszusammenhang durch die funktionelle Eingliederung der ersuchten Beamten in die Strukturen des Gebietsstaates482. Eine Delegation liegt vor, wenn die fremden Kräfte in eigenem Namen und in eigener Verantwortlichkeit mit Kompetenzen betraut werden, während beim Mandat Kompetenzen im Namen des anfordernden Landes wahrgenommen werden 483 . Hirschberger bezeichnet die Organleihe als "institutionalisierte Kooperation" 484 . Hingegen liegen bei der Amtshilfe zwei Weisungsstrukturen vor, die lediglich durch das Amtshilfeersuchen miteinander verbunden werden 485 . So wird als ein Merkmal der Amtshilfe auch die Gleichordnung oder Unabhängigkeit der beteiligten Behörden genannt486. Es ist bezeichnend für die Amtshilfe, daß sie zu einer eigenverantwortlichen Tätigkeit der ersuchten Behörde fuhrt. Die ersuchende Behörde hat auf die Art und Weise der Durchführung der ersuchten Handlung nur informellen Einfluß. Nach außen in Erscheinung tritt im Regelfall nur die ersuchte Behörde 487 . Ihre Befugnisse gegenüber dem Betroffenen richten sich allein nach dem Recht, dem ihre sonstigen Handlungen unterworfen sind. Die Tätigkeit im Rahmen der Amtshilfe begründet keine orginäre Kompetenz oder Eingriffsbefugnis 488. Die hier erörterten Fälle der grenzüberschreitenden Tätigkeit innerhalb der Europäischen Union sind dem Bundesstaat Deutschland nicht fremd. Sie stellen sich in ähnlicher Weise für die örtliche Zuständigkeit der Länderpolizeien, die grundsätzlich nicht über das Gebiet des jeweiligen Bundeslandes hinausreicht 489 . Eine Ausdehnung der örtlichen Zuständigkeit auf das Gebiet eines anderen Landes kann nur durch Gesetz oder Staatsvertrag erfolgen 490 . Schreiten 482
Schlink , Amtshilfe, S. 165; Lodde , Organleihe, S. 45. Schlink, Amtshilfe, S. 165; Schenke , VerwArch 68 (1977), 118 (120 f , 148 f.); vgl. auch Lisken , in: ders./Denninger, Polizeirecht, S. 96, der als Beispiel für das Mandat die Vollzugshilfe nennt; das "ob" des Zugriffs werde dabei vom gesetzlichen Mandanten, das "wie" des Zugriffs vom Mandatar, der Polizei, bestimmt. 484 Organleihe, S. 92. 485 Schlink , Amtshilfe, S. 165; vgl. auch Kopp, VwVfG, § 7 Rdnr. 7. 486 Hirschberger, Organleihe, S. 91; Lodde, Organleihe, S. 45; zu den Kriterien der Amtshilfe auch Meyer-Teschendorf, JuS 1981, 187 ff. 487 Hirschberger, Organleihe, S. 91; Lodde, Organleihe, S. 45. 488 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 4 Rdnr. 14; Kopp , VwVfG, § 5 Rdnr. 14. 489 Vgl. BVerfGE 5, 31; 26, 265; 64, 214; Kopp/Kopp, BayVBl. 1994, 229 (230); Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 105, stellen fest, daß es kaum ein Gebiet gebe, auf dem sich die "föderalistische Vielfalt" stärker ausgeweitet habe als im Polizeiorganisationsrecht. 490 Vgl. etwa § 167 Abs. 1 GVG, das Abkommen zwischen den Ländern über die erweiterte Zuständigkeit der Polizei der Länder bei der Strafverfolgung vom 8.11.1991, GVB1. NW 1992, S. 58, sowie die einschlägigen Bestimmungen der Polizei(organisations)gesetze, etwa §§ 78, 79 BwPolG, 11 BayPOG, 9 PolG NW, 11 ThürPOG; näher Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 111 ff. 483
10 Harings
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Polizeibeamte eines Landes aufgrund eines Staatsvertrages mit Zustimmung der zuständigen Behörde eines anderen Bundeslandes auf dessen Gebiet ein, sollen deren Maßnahmen als solche der zuständigen Behörde gelten 491 ; auch die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Handlung seien dem Recht des Aufenthaltsstaates zu entnehmen. Anders sehen hingegen Drews/Wacke/Vogel/Martens 492 die Situation, wenn die Beamten nur aufgrund korrespondierender gesetzlicher Landesvorschriften tätig werden. In einem solchen Fall blieben die Maßnahmen solche des Herkunftsstaates, dessen Verantwortlichkeit durch eine Zurechnungsvorschrift des Aufenthaltsstaates nicht ausgeschlossen werde; die Beamten müßten auch stets ihr Heimatrecht beachten, selbst wenn sie an Weisungen der Behörden des Aufenthaltsstaates gebunden seien 493 . Die vorgenommene grundsätzliche Differenzierung nach staatsvertraglicher oder bloß landesgesetzlich eröffneter Befugnis zu grenzüberschreitender Tätigkeit kann nicht überzeugen. Sie ist nur dann zu rechtfertigen, wenn der Staatsvertrag selbst die Zurechnung von Handlungen fremder Beamter an die Behörden des Aufenthaltsstaates vorsieht. Fehlt eine solche Vorschrift, kann jedes Land für sein Gebiet eine entsprechende Fiktion anordnen, dadurch aber nicht ausschließen, daß die Maßnahmen weiterhin auch dem Herkunftsstaat der Beamten zugerechnet werden können. Dies führt schon im Bundesstaat zu Rechtsschutzproblemen 494, die sich auf europäischer Ebene noch potenzieren. bb) Einordnung der grenzüberschreitenden Tätigkeit im Ausland Einige der für das nationale Recht angeführten Kriterien der Organleihe sind auch bei den besonderen Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit ausländischen Staaten zu beobachten: Die eingesetzten Beamten werden auf dem Gebiet eines anderen Staates tätig, sie unterliegen dessen Rechtsordnung und der Weisungsgewalt seiner Behörden. Der Unterschied liegt aber im Zweck des Einsatzes und in der Stellung der ersuchenden Behörde. Ersuchende Behörde ist nicht die Behörde des Gebietsstaates, sondern die des Herkunftsstaates der Beamten. Der Zweck der Maßnahmen liegt (vorwiegend) im Interesse des Herkunftsstaates. Nicht der Gebietsstaat bittet um Hilfe bei der Bewältigung seiner Aufgaben, sondern der Herkunftsstaat benötigt eine 491 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 112; Gusy, Polizeirecht, Rdnr. 66; vgl. dazu auch Belz/Mußmann, PolG, § 78 Rdnr. 12 f.; Wolf/Stephan, PolG, § 78 Rdnr. 9; Gallwas/Mößle, PolizeiR, Rdnr. 150; Reichert/Ruder, PolizeiR, Rdnr. 126; Würtenberger/Heckmann/Riggert, PolizeiR, Rdnr. 160, die von Organleihe sprechen, obwohl eine institutionelle Eingliederung nicht stattfindet. 492 Gefahrenabwehr, S. 115. 493 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 115; vgl. auch Vogel, Anwendungsbereich, S. 142 ff; ihm folgend Gusy, Polizeirecht, Rdnr. 66. 494 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahren ab wehr, S. 115.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
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Erlaubnis, um seine Aufgaben durch eigene Beamte im Gebietsstaat wahrnehmen zu können. Nach außen in Erscheinung treten Beamte des ersuchenden Staates. Die Weisungsgebundenheit gegenüber den Behörden des Gebietsstaates ist nicht Ausdruck einer funktionalen Eingliederung zur besseren Aufgabenbewältigung durch den Gebietsstaat, sondern folgt aus Souveränitätsgesichtspunkten. Sie kompensiert die Einschränkung der Souveränität des Gebietsstaates wegen der Befugnis fremder Hoheitsträger zu hoheitlichem Handeln. Besondere Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit stehen für eine Verfestigung der Kooperation. Sie gehen in ihrer Intensität über die Einwirkungen der klassischen Amtshilfe auf den ersuchten Staat (Gebietsstaat) hinaus und führen zu Souveränitätseinbußen bei diesem. Dieser wird auch nicht durch die Eingliederung in die Organisationsstruktur des Aufenthaltsstaates im Wege der Organleihe kompensiert. Insbesondere in den Fällen der Nacheile und der Spontanobservation erfährt der Aufenthaltsstaat oft erst von der Grenzüberschreitung, nachdem diese stattgefunden hat. Maßnahmen der grenzüberschreitend tätigen Beamten bleiben solche ihres Herkunftsstaates und werden völkerrechtlich nicht dem Aufenthaltsstaat zugerechnet 495. Die Begriffsprägung in der Neapel Ii-Konvention symbolisiert über die neue Qualität des grenzüberschreitenden Zusammenwirkens im Hinblick auf die Überschreitung der Staatsgrenzen hinaus die Europäisierung der Zollverantwortlichkeit. Sie kennzeichnet so das Zusammenwirken mehrerer Behörden zur Bewältigung einer Aufgabe 496. Im Schengener Übereinkommen konnte eine solche begriffliche Klarstellung wegen der Beschränkung der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile auf den Bereich der Strafverfolgung, der zum Rechtshilferecht gehört, nicht erfolgen. e) Datenschutz Breiten Raum nehmen in allen Übereinkommen die Bestimmungen zum Datenschutz ein. Drei prägende Regelungstechniken sind zu unterscheiden:
495
Näher dazu unten D 11 a) aa). Vgl. Dreher, Amtshilfe, S. 25; Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, 753 f , zu Parallelen im deutschen Recht. 496
10*
Datenschutz, Rdnrn.
148
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aa) Harmonisierung des nationalen Rechts
Die Europarats-Konvention aus dem Jahr 1981 dient als Maßstab für eine Harmonisierung der nationalen Datenschutzbestimmungen497. Die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften ist Voraussetzung für eine Teilnahme am jeweiligen Informationssystem. Gemäß Art. 14 Abs. 3 EuropolÜbk beachtet Europol ebenfalls die Grundsätze des Europaratsübereinkommens von 1981 und der Empfehlung des Ministerkomitees von 1987. Die EG-Datenschutzrichtlinie498 hingegen nimmt die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich aus. bb) Eigene Datenschutzregime Auf den nationalen Datenschutzbestimmungen aufbauend enthalten die Übereinkommen eigene und teilweise weitergehende Vorschriften. Individuelle Auskunfts- und Klagerechte sind durch dieses Zusammenspiel von harmonisiertem nationalem Recht und den Datenschutzregimen der Übereinkommen gesichert. Das Schengener Durchführungsübereinkommen gewährt Betroffenen unmittelbar einen Berichtigungs- und Löschungsanspruch. Für Europol selbst ist ein eigenes Datenschutzregime sogar zwingend erforderlich, da sie als internationale Organisation nicht den nationalen Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates unterworfen ist. cc) Institutionalisierte Kontrolle Institutionelle Vorkehrungen gegen die mißbräuchliche Verwendung von Daten werden durch die Errichtung von Kontrollinstanzen auf nationaler und übernationaler Ebene geschaffen: "Die Einrichtung unabhängiger Kontrollstellen ... ist ein wesentliches Element des Schutzes der Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten." 4 "
497
Art. 126 Abs. 1 SDÜ, Art. 13 Abs. 1 ZISÜbk, Art. 14 Abs. 1 EuropolÜbk; eine Übersicht über die Vertragsstaaten der Datenschutzkonvention ist abgedruckt in CR 1997, 189; zu den Auswirkungen der Konvention auf die Vertragsstaaten Burkert, CR 1988, 751 (753 ff.). 498 ABl. 1995 Nr. L 281/31. 499 Diese Aussage im 62. Erwägungsgrund der Präambel zur EGDatenschutzrichtlinie (oben Fußn. 498) kann - obgleich die Richtlinie im Bereich der inneren Sicherheit nicht anwendbar ist - als Beleg für die grundsätzliche Anerkennung unabhängiger Kontrollmechanismen in der Europäischen Union gewertet werden; vgl. dazu Rudolf Stem-FS, S. 1347 ff.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
149
Die Einrichtung der nationalen Instanzen bleibt - von wenigen Vorgaben (Unabhängigkeit, Beschwerderecht jeder Person) abgesehen - der nationalen Rechtsordnung überlassen 500. Die gemeinsamen Kontrollinstanzen 501 werden gemäß den Bestimmungen des jeweils anwendbaren Übereinkommens errichtet. Sie setzen sich aus Vertretern der jeweiligen nationalen Kontrollinstanzen zusammen. Die gemeinsame Kontrollinstanz nach Art. 115 SDÜ und die gemeinsame Aufsichtsbehörde nach Art. 18 ZISÜbk haben lediglich beratende Funktion. Sie sind nicht befugt verbindliche Entscheidungen zu treffen. Weitergehend sind die Befugnisse der gemeinsamen Kontrollinstanz gemäß Art. 24 EuropolÜbk gegenüber Europol. Europol ist verpflichtet, Entscheidungen der gemeinsamen Kontrollinstanz über Beschwerden hinsichtlich des Auskunftsund Berichtigungs-, bzw. Löschungsanspruchs auszuführen. Diese Entscheidungen sind gegenüber allen betroffenen Parteien rechtskräftig. Diese starke Stellung der gemeinsamen Kontrollinstanz ist zwar im Grundsatz zu begrüßen, kann jedoch wegen des Ausschlusses des nationalen Rechtsweges Probleme aufwerfen, auf die später einzugehen ist. Der Grund für die unterschiedliche Ausgestaltung der Befugnisse der Kontrollinstanzen dürfte wiederum auf die Grundstruktur der Übereinkommen zurückzuführen sein. Die internationale Organisation Europol wird der datenschutzrechtlichen Kontrolle einer internationalen Kontrollinstanz unterstellt. Hingegen ist weder im SDÜ noch im ZISÜbk eine eigenständige Organisation errichtet worden. Alleinige Träger der Verantwortlichkeit bleiben hier die Vertragsstaaten. Diese sind nicht bereit, sich einer Instanz zu unterwerfen, die sich aus Vertretern mehrerer Staaten zusammensetzt. Datenschutzrechtliche Ansprüche können jedoch mit Hilfe der zuständigen nationalen Instanzen durchgesetzt werden.
2. Rechtliche Qualifizierung der Handlungsformen Für die Frage nach möglichem Rechtsschutz gegen Handlungen auf der Grundlage der Übereinkommen ist eine andere Betrachtungsweise interessant: die Untersuchung und Typisierung der Handlungsformen, die auf der Grundlage der Übereinkommen eröffnet werden und ihre Zuordnung zu einer Hoheitsgewalt.
500 Art. 114 SDÜ, Art. 17 ZISÜbk, Art. 23 EuropolÜbk; zu den Befugnissen der Kontrollinstanzen nach dem jeweiligen nationalen Recht Mähring, Institutionelle Datenschutzkontrolle, S. 136 ff, 178 ff. 501 Art. 115 SDÜ, Art. 18 ZISÜbk, Art. 24 EuropolÜbk.
150
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit a) Völkerrechtliche
Betrachtungsweise
Da die Kooperation unter Titel V I des EU-Vertrages auf der Basis völkerrechtlicher Verträge stattfindet, ist die Untersuchung der Handlungsformen an einer völkerrechtlichen Betrachtungsweise auszurichten. Die verschiedenen Handlungsformen können unter dem Begriff des Hoheitsaktes zusammengefaßt werden. Dieser ist im Völkerrecht autonom zu bestimmen. Eine völkerrechtliche Betrachtung kann nicht an einzelstaatliche Definitionen gebunden sein. Sie können lediglich als Anhaltspunkte für eine völkerrechtliche Begriffsbildung herangezogen werden 502 . Hoheitsakte sind alle Akte der Exekutive, Legislative und Judikative, die in Ausübung von Hoheitsbefugnissen getätigt werden 503 . Eine damit verbundene und im Einzelfall ausgeübte Zwangsgewalt wird nicht vorausgesetzt 504. Schon die bloße Präsenz in amtlicher Eigenschaft wird als Hoheitsakt qualifiziert 505 . b) Kriterien
der Differenzierung
von Hoheitsakten
Die Klassifizierung der Extraterritorialität staatlicher Handlungen kann anhand diverser Kriterien erfolgen. Unergiebig und unbeachtlich ist im Völkerrecht die Differenzierung nach dem handelnden Organ. Völkerrecht ist staatenbezogen. Es differenziert grundsätzlich nicht nach Exekutive, Legislative und Judikative, sondern nur nach den Auswirkungen einer Handlung auf fremde Staaten506. Gemeinhin wird nach dem Grad der Auslandsberührung unterschieden zwischen Hoheitsakten mit extraterritorialer Wirkung 507 und Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet508. Diese Differenzierung soll im folgenden übernommen werden, obgleich die neuere Entwicklung der zwischenstaatlichen 502
Vgl. Okresek, ÖZöRV 35 (1985), S. 325 (326). Vgl. Geck, WVR I, S. 795; Schlochauer, Extraterritoriale Wirkung, S. 9; Siegrist, Hoheitsakte, S. 2 m. w. N. 504 Okresek, ÖZöRV 35 (1985), S. 325 S. 331 f.; Meng, Jurisdiktion, S. 123 ff, 131, 135; mißverständlich Schlochauer, S. 9: "... alle von staatlichen Organen ausgehenden Maßnahmen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt - in der Regel also mit öffentlichrechtlich begründeter Befehls- und Zwangsgewalt - vorgenommen werden." 505 Okresek, ÖZöRV 35 (1985), S. 325 S. 335. 506 Meng, ZaöRV 44 (1984), 726, sowie ders., in: EPIL II, S. 337: "It is submitted that from a public international law point of view the only significant difference is that between prescribing and enforcing acts, irrespective of the issuing organ"; Rauser , Hoheitsrechte, S. 115. 507 Diese werden verkürzt oft als "extraterritoriale Hoheitsakte" bezeichnet, vgl. Schlochauer, Extraterritoriale Wirkung, S. 10; Gronstedt, Einstweiliger Rechtsschutz, S.6. 508 Vgl. nur Geck, WVR I, S. 795; Schlochauer, Extraterritoriale Wirkung, S.10; Siegrist, Hoheitsakte, S. 2; Grabitz, EPIL I, S. 20; Rauser, Hoheitsrechte, S. 115. 503
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
151
Kooperation Erscheinungsformen der Auslandsberührung 509 hervorgerufen hat, die systematisch von den herkömmlichen Formen im Rahmen des Völkerrechts abzugrenzen sind. c) Hoheitsakte mit extraterritorialer
Wirkung
aa) Begriffsbestimmung Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung werden auf dem eigenen Hoheitsgebiet vorgenommen, ihre Wirkungen reichen aber darüber hinaus 510 . Personen oder Sachen auf fremdem Hoheitsgebiet müssen von den Rechtswirkungen unmittelbar betroffen sein 511 . Die Eingabe von Daten in ein von mehreren Staaten unterhaltenes Informationssystem kann unter die Kategorie der Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung subsumiert werden. Sie erfolgt auf dem eigenen Hoheitsgebiet, führt aber dazu, daß möglicherweise in einem anderen Staat ein rechtlich bedeutsamer Vorgang in Gang gesetzt wird. Jede Informationsverarbeitung, die Daten aus einem anderen Staat betrifft, hat Auswirkungen auf dessen Gebiet, da sie entweder Rechte eines dort ansässigen Bürgers berührt oder die Verantwortlichkeit des eingebenden Staates für seine Daten betrifft. bb) Transnationale Hoheitsakte Einen Sonderfall der Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung stellen die transnationalen Hoheitsakte dar. Sie erfassen nicht nur Sachverhalte mit Auslandsberührung, sondern begründen sogar im Ausland selbst aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung oder Europäischem Gemeinschaftsrecht unmittelbar eine durchsetzbare Rechtsposition. (1) Transnationale
Verwaltungsakte
Durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gewinnt im Europarecht der transnationale Verwaltungsakt an Bedeutung. Als solcher wird die Entscheidung einer nationalen Behörde bezeichnet, die innerhalb der gesamten
509
Dazu Schmidt-Aßmann, Lerche-FS, S. 513 (520); ders, DVB1. 1993, 924 (935), sowie in: Bernhardt-FS, S. 1283 (1302). 510 Geck,, in: WVR I, S. 795; Siegrist, Hoheitsakte, S. 2; Schlochauer, Extraterritoriale Wirkung, S. 10; Rauser, Hoheitsrechte, S. 117 ff. 511 Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 240; ähnlich Schwarze, Jurisdiktion, S. 13, der rein faktische extraterritoriale Wirkungen ausschließt.
152
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Europäischen Gemeinschaft Wirkungen entfaltet 512 . Das Wesen der Transnationalität liegt darin, daß ihre Wirkung automatisch eintritt und nicht erst infolge eines anerkennenden Behördenaktes 513. Das Phänomen der transnationalen Verwaltungsakte ist aber nicht auf den engen Bereich des EG-Rechts begrenzt. Ein Visum nach Art. 10 Abs. 1 SDÜ für einen kurzfristigen Aufenthalt bis zu drei Monaten wird von einer nationalen Behörde erteilt und beansprucht Gültigkeit im Hoheitsgebiet aller Vertragsparteien. Das Visum erfüllt damit alle Merkmale eines transnationalen Verwaltungsaktes. Auch aus einer Ausschreibung im Schengener Informationssystem oder Zollinformationssystem folgt grundsätzlich die Pflicht aller Vertragsparteien, die erbetenen Maßnahmen durchzuführen. Es bleibt allerdings der Entscheidung jedes einzelnen Staates überlassen, ob er dieser Pflicht im Einzelfall nachkommt. Insofern ist das Merkmal der Transnationalität nur sehr schwach ausgeprägt. (2) Transnationale
Gerichtsentscheidungen
Transnationale Gerichtsentscheidungen entfalten ebenso wie transnationale Verwaltungsakte ihre Wirkungen im gesamten Gebiet der zusammengeschlossenen Staaten. Bedeutendster Anwendungsfall im Gemeinschaftsrecht 514 sind bestimmte nationale Gerichtsentscheidungen im gemeinschaftlichen Markenrecht. Der im Rahmen der Gemeinschaftmarkenverordnung 515 (GMVO) vorgesehene Rechtsschutz ist zweigeteilt: Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt ("Amt") gewähren besondere Beschwerdekammern des Amtes sowie letztlich die Luxemburger Gerichte (Art. 60 ff. der GMVO). Gemäß Art. 91 ff. GMVO sind jedoch für Streitigkeiten über die Verletzung und Rechtsgültigkeit der Gemeinschaftsmarke besondere, von den Mitgliedstaaten zu benennende, nationale Gerichte zuständig. Die Entscheidungen dieser sogenannten "Gemeinschaftsmarkengerichte" über den Verfall oder die Nichtigkeit einer Gemeinschaftsmarke entfalten ihre Wirkungen im gesamten Gebiet der Gemeinschaft. Die Gemeinschaftsmarke kann
512
Neßler, Richtlinienrecht, S. 5; vgl. auch Schmidt-Aßmann, DVB1. 1993, 924 (935); ders. y EuR 1996, 270 (299 ff.); zum Zusammenhang zwischen Anerkennung und Rechtsangleichung Happe, Grenzüberschreitende Wirkung, S. 83 ff 5,3 Neßler, Richtlinienrecht, S. 22, mit Beispielen aus der Umsetzungspraxis in Deutschland. 514 Außerhalb des unmittelbaren Gemeinschaftsrechts entfalten Gerichtsentscheidungen gemäß Art. 26 EuGVÜ transnationale Wirkung. Dazu Neßler, Richtlinienrecht, S. 11 f. 515 Verordnung Nr. 40/94 des Rates vom 20.12.1993, ABl. 1994 Nr. L 11/1.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
153
wegen ihres einheitlichen Charakters nicht auf eine Teilgültigkeit beschränkt werden 516 . Ähnliche Wirkung muß nationalen Gerichtsentscheidungen hinsichtlich der vorgestellten Informationssysteme zukommen. Gemäß Art. 92 Abs. 2 SDÜ sind die Datenbestände in jedem nationalen Teil des Schengener Informationssystems identisch. Das Zollinformationssystem kennt nur einen zentralen Datenbestand, der in jedem Mitgliedstaat abgerufen werden kann. Es ist demnach nicht möglich, daß ein deutsches Gericht einer Klage auf Löschung stattgibt, die Wirkung dieses Urteils aber auf Deutschland beschränkt bleibt. Gleichwohl haben sich die Vertragsstaaten nicht auf eine "echte" transnationale Wirkung des nationalen Gerichtsurteils einigen können, sondern lediglich eine vertragliche Verpflichtung der Staaten vereinbart, solche Entscheidungen zu vollziehen 517 . d) Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet unterscheiden sich von den oben skizzierten Hoheitsakten mit extraterritorialer Wirkung dadurch, daß sich das handelnde staatliche Organ während des Erlasses des Hoheitsaktes auf fremdem Staatsgebiet befindet 518 . Diese Form der Zusammenarbeit ist von der Amtshilfe zugunsten eines fremden Staates auf dem eigenen Territorium abzugrenzen. Bei dieser nehmen Hoheitsträger in ihrem eigenen Land Hoheitsakte vor, um die sie durch einen ausländischen Staat ersucht worden sind 519 . "Klassische Formen" der in der Literatur behandelten Fälle der Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet sind insbesondere die völkerrechtswidrige Entführung sowie die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen auf fremdem Staatsgebiet520. Letztere hat in jüngerer Zeit Ausprägungen erfahren, die sie aus
516
Dies ergibt sich aus Art. 90 Abs. 1 und 2 iVm. Art. 26 EuGVÜ, wonach die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen von anderen Vertragsstaaten anzuerkennen sind; bei rechtsgestaltenden Entscheidungen (und eine solche ist die Erklärung der Nichtigkeit oder des Verfalls der Gemeinschaftsmarke) betrifft die Anerkennung die Gestaltungswirkung, vgl. Kropholler, EZPR, Rndnr. 15 vor Art. 26 EuGVÜ; der einheitliche Charakter der Gemeinschaftsmarke wird auch in der Präambel zur GMVO herausgestellt, ABl. 1994, Nr. L 11/2. 5.7 Vgl. Art. 111 Abs. 2 SDÜ sowie Art. 15 Abs. 4 S. 2 ZISÜbk. 5.8 Schlochauer, Extraterritoriale Wirkungen, S. 10, Geck, WVR I, S. 794; Siegrist, Hoheitsakte, S. 1; Grabitz, in: EPIL I, S. 20: "representatives of State X perform an official act within the territory of State Y". 5.9 Grabitz , EPIL I, S. 20: "officials of state X request officials of State Y to perform an act within the territory of State Y." 520 Vgl. Siegrist, Hoheitsakte, S. 106 ff.; Okresek, ÖZöRV 35 (1985), S. 325 ff.; die von Siegrist, Hoheitsakte, S. 168 ff, besprochene Problematik der Zustellungen ins
154
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
dem "Schattendasein der völkerrechtlichen Nische" geführt haben. Die Formen der Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet gewinnen im Bereich der völkerrechtlich geregelten Zusammenarbeit der europäischen Staaten an Bedeutung. Observation und grenzüberschreitende Nacheile, verdeckte Ermittlung auf fremdem Staatsgebiet oder die Durchführung kontrollierter Lieferungen sind Beispiele der engeren Kooperation, die bereits teilweise im SDÜ verwirklicht und im Zollwesen anvisiert sind. Nicht in diese Fallgruppe einzuordnen ist die Tätigkeit der Verbindungsbeamten bei Europol gemäß Art. 5 EuropolÜbk. Sie werden zwar formell am Sitz von Europol in Den Haag auf niederländischem Staatsgebiet tätig, doch sind sie gewissermaßen nur "ausgelagert". Sie haben keinerlei außenwirksame Befugnisse auf niederländischem Gebiet, sondern vertreten lediglich die Interessen der jeweiligen nationalen Stelle bei Europol. Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet sind auch abzugrenzen von der eigenständigen Ermittlungstätigkeit der Europolbediensteten (falls Europol eine solche Befugnis übertragen werden sollte). In diesem Fall handelte es sich - wie bei der Tätigkeit von Bediensteten der Europäischen Gemeinschaft - um die Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt auf dem Gebiet der Vertragsstaaten. Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet lägen hingegen vor, wenn Europol-Bedienstete außerhalb des Geltungsbereichs des Europol-Übereinkommens tätig würden. e) Zuordnung der ausgeübten Hoheitsgewalt Die Formen der Hoheitsausübung, die das Schengener Durchführungsübereinkommen, das ZIS- sowie das Neapel Ii-Übereinkommen eröffnen, sind grundsätzlich einer anderen staatlichen Hoheitsgewalt zugeordnet 521. Die Verantwortlichkeit liegt allein bei den Staaten. Hingegen wird mit Gründung der internationalen Organisation Europol eine supranationale Gewalt geschaffen, die mit eigenen Durchgriffsbefugnissen ausgestattet ist. Die EuropolBeamten koordinieren nicht nur die Zusammenarbeit der Vertragsstaaten, sondern nehmen eigene grundrechtserhebliche Handlungen im Bereich der Datenverarbeitung vor. Sollte man sich im Rat politisch auf eigene Ermittlungsbefugnisse für Europol einigen können, dürften Europol-Beamte auch auf dem Gebiet der Vertragsstaaten tätig werden und dabei grundrechtserhebliche Handlungen vornehmen. Schließlich entscheidet die gemeinsame Kontrollinstanz verbindlich über das Bestehen eines Auskunfts- oder Löschungsanspruches gegenüber Europol. Auch in diesen Fällen tritt dem Bürger supranationale Hoheitsgewalt gegenüber. Ausland nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als schon der Begriff selbst und die Einordnung der Zustellung als Hoheitsakt umstritten sind. 521 Zur völkerrechtlichen Organleihe unten D I. 1 a).
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
155
3. Tatsächliche und rechtliche Auswirkungen der Handlungsformen auf den betroffenen Bürger Im folgenden sollen die Maßnahmen systematisch aufgelistet werden, die in grundrechtlich geschützte Individualrechtsgüter eingreifen können. Ihre Zusammenstellung dient als Grundlage für die Bezeichnung der Angriffsgegenstände im gerichtlichen Verfahren. Gerichtliche Relevanz gewinnen Sachverhalte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nach der Grundentscheidung des Art. 19 Abs. 4 GG erst mit der Berührung subjektiver Rechte. a) Eingriffsakte
im Bereich der Informationserhebung
Das Schengener Informationssystem baut ebenso wie das Zollinformationssystem und das von Europol unterhaltene Informationssystem auf Daten auf, die die Vertragsstaaten zur Verfügung stellen. Auch der bilaterale Informationsaustausch nach Art. 39 ff. SDÜ und Art. 8 Neapel II-Übk basiert auf bereits erhobenen Daten eines Vertragsstaates. aa) Die Erhebung personenbezogener Daten als Eingriff (1) Nationaler Maßstab Datenerhebung wird definiert als Informationsbeschaffung im Sinne eines zielgerichteten Vorgangs ohne Rücksicht auf die gewählten Formen und Mittel 5 2 2 . Spätestens seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes 523 wird die Erhebung personenbezogener Daten als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht angesehen, soweit sie im Zusammenhang mit der automatisierten Datenverarbeitung erfolgt 524 . Das BVerfG hat dazu ausgeführt, unter den Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung gebe es
522 Würz , Polizeiaufgaben, Rdnr. 25; Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, Datenschutz, Rdnm. 286 ff.; vgl. auch § 3 Abs. 4 BDSG; zur Abgrenzung der Informationserhebung von der bloßen Wahrnehmung auch Waiden , Zweckbindung, S. 66 f.; ähnlich Neumann, Vorsorge, S. 126 f.; zu den Mitteln der Informationsbeschaffung Deutsch , Informationen, S. 5 ff. 523 BVerfGE 65, 1; dazu Vogelgesang , Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987; weitere Nachweise aus dem umfangreichen Schrifttum bei Waiden, Zweckbindung, S. 59; vgl. auch EGMR, EuGRZ 1985, 17 (Malone). 524 Vgl. jüngst SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1429); dazu Schenke , DVB1. 1996, 1393.
156
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
kein belangloses Datum mehr 525 . Für den Bereich der manuellen Datenverarbeitung wird aus dieser Aussage in der Literatur geschlossen, Erhebung und Gebrauch von "Trivialdaten" wie Name, Anschrift, Beruf und Rufnummer käme keine Eingriffsqualität zu 5 2 6 . Richtig an diesem Ansatz ist zweifellos, daß Eingrenzungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vonnöten sind 527 , damit dieses Recht nicht zu einer Überregulierung alltäglicher Lebensvorgänge führt. Erforderlich sind vielmehr bereichsspezifische Regelungen, die sich an den unterschiedlichen Gefährdungslagen der jeweiligen Datenverarbeitung orientieren 528 . Ob vor diesem Hintergrund ausgerechnet in einem so sensiblen Bereich wie dem Polizei- und Strafrecht von "Trivialdaten" gesprochen werden kann, muß gerade angesichts des hier dargestellten grenzüberschreitenden Datenflusses Bedenken begegnen529. Art. 39 ff. SDÜ, Art. 11 f. Neapel II-Übk. eröffnen die Möglichkeit der polizeilichen Zusammenarbeit im nicht-automatisierten Bereich und infolgedessen einen weitergehenderen Informationstransfer als im traditionellen Amts- und Rechtshilferecht 530. Entscheidend für die Eingriffsqualität der Datenerhebung ist nicht allein die Qualität des betroffenen Datums, sondern die Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit 531 . Für den weiteren Verlauf der Arbeit ist deshalb davon auszugehen, daß jeder Art der planmäßigen Erhebung personenbezogener Daten im Bereich der Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen Eingriffsqualität zukommt 532 . Einen eigenständigen Informationseingriff sieht
525 BVerfGE 65, 1 (45); erweiternd Kowalczyk, Datenschutz, S. 25; kritisch zu den in den Polizeigesetzes aus dem Volksählungsurteil gezogenen Konsequenzen Würz, Polizeiaufgaben, Rdnr. 25 a.E. 526 Waiden, Zweckbindung, S. 67 ff.; a.A. Rosenbaum, Jura 1988, 178 (179); wohl auch Knemeyer, NVwZ 1988, 193 (195). 527 Zur Präzisierung des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Neumann, Vorsorge, S. 120 ff.; vgl. auch BVerfGE 69, 315 (346) zum Grundrechtseingriff im Versammlungsrecht. 528 Deutsch, Informationen, S. 159 ff.; Gusy, VerwArch 74 (1983), 91 (105); Rupprecht, in: Geiger-FS, S. 297 (301 f.); G. Groß, AöR 113 (1988), 161 (206 f.); vgl. auch die Begründung der Bundesregierung zum BKAG-Entwurf, BT-Drs. 13/1550, S. 19 ff, sowie VGH Kassel, CR 1996, 241, zur Unzulässigkeit der Speicherung personenbezogener Daten nach dem BKAG a.F, und Schreiber, NJW 1997, 2137 (2141). 529 So auch Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 148 f , 204 ff.; Bäumler, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 613 f. 530 Diese Feststellung wird insbesondere durch den Bedeutungszuwachs der Spontanauskünfte dokumentiert. 531 Vgl. Neumann, Vorsorge, S. 117 f.; Kowalczyk, Datenschutz, S. 43 ff.; kritisch zum Eingriffsbegriff Peitsch, CR 1989, 721 (722 ff.), der allerdings über das Kriterium der Wesentlichkeit zu ähnlichen Ergebnissen gelangt und zu Recht auf den größeren Kreis der Zugriffsberechtigten bei der automatisierten Datenverarbeitung hinweist. 532 Vgl. auch BVerwGE 84, 375 = NJW 1990, 2761; Bäumler, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 614; für den Fall der längerfristigen Observation Kleinknecht/Meyer-
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
157
S c h e l l e t in der Kenntnisnahme von Informationen aus dem Ausland durch deutsche Behörden. Durch die Kenntnisnahme erhalte eine Behörde ebenso Zugang zur Privatsphäre des Betroffenen wie durch eine Neuerhebung seiner Daten. Die Mindestschwelle der Grundrechtsbeeinträchtigung zur Bejahung eines Eingriffs sieht sie einerseits dadurch erfüllt, daß sensible Daten ausgetauscht würden, andererseits daß dieser Austausch im Rahmen der polizeilichen Zusammenarbeit stattfinde. Dieser Überlegung ist, gerade im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt, grundsätzlich zuzustimmen, wenn auch im einzelnen Einschränkungen gemacht werden müssen. Eine dieser Einschränkungen ist, daß entsprechend den Grundsätzen der Datenerhebung nicht jede zufällige Kenntnisnahme einen Eingriff darstellt. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Planmäßigkeit und Zielgerichtetheit. Diese Einschränkung darf aber wiederum nicht zum Ausschluß der Kenntnisnahme von Spontaninformationen führen, die einer Behörde ohne Antrag von ausländischen Behörden mitgeteilt werden. Die Möglichkeit der Übermittlung solcher Spontaninformationen ist nämlich gesetzlich vorgesehen. Ihre Kenntnisnahme geschieht daher nicht rein zufällig. (2) Europäischer Maßstab Da sich diese Arbeit mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden beschäftigt, sollte es nicht bei der Bejahung der Eingriffsqualität nach deutschen Maßstäben bewenden534. Auf europäischer Ebene ist Maßstab für den Schutz persönlicher Daten das in Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privatlebens ("la droit au respect de sa vie privée et familiale"/"the right to respect for his private and family life") 535 . Diese Norm weicht bereits dadurch vom grundgesetzlich garantierten Recht auf informationelle Selbstbestimmung ab, daß sie nicht das Privatleben als solches, sondern den Anspruch auf Achtung des Privatlebens schützt 536 . Eine abstrakte Definition des Begriffs "Privatleben" ist der Rechtsprechung des Europäischen
Goßner, StPO, § 163 Rdnr. 34a m.w.N.; Bachmann, Rechtsschutz, S. 20; Benfer, Grundrechtseingriffe, S. 243 f.; Riegel, JZ 1980, 224 jüngst BGH, Urt. v. 29.1.1998 (! StR 511/97). 533 Ermächtigungsgrundlagen, S. 239 f , im Anschluß an Schlink, Amtshilfe, S. 198 ff. 534 Zum Eingriffsbegriff iSd. EMRK Holoubek, DVB1. 1997, 1031 ff. 535 EuGH, Slg. 1994 I, 4737 (4789), sieht das Recht auf Achtung des Privatlebens, das sich aus Art. 8 EMRK und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten herleite, auch als Gemeinschaftsgrundrecht an. 536 Evers, EuGRZ 1984, 281 (283); IntKommEMRK-Wildhaber/Breitenmoser, Art. 8 Rdnr. 1; vgl. aber van Dijk/van Hoof, ECHR, S. 368, die dieser Wortwahl keine Bedeutung beimessen und von "right to privacy" sprechen.
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B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Gerichtshofes für Menschenrechte nicht zu entnehmen. Der Gerichtshof und die Kommission erkennen jedoch an, daß Sammlung und Speicherung personenbezogener Daten in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK eingreifen und einer Rechtfertigung bedürfen 537 . Sie sehen in Übereinstimmung mit der Literatur auch geheime Überwachungsmaßnahmen als Eingriffe an 538 . Verfassungsrechtlichen Rang hat der Datenschutz nicht nur in Deutschland, sondern auch in Griechenland, den Niederlanden, Österreich, Portugal und Spanien539. In den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird der Datenschutz durch einfachgesetzliche Bestimmungen sichergestellt 540. In nahezu allen europäischen Staaten wird die individuelle Privatsphäre durch Strafbestimmungen gegen unzulässige Eingriffe geschützt541. Die gemeineuropäische Rechtsüberzeugung zum Datenschutz wird in der Präambel zur EG-Datenschutzrichtlinie dokumentiert 542 : "Gegenstand der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten ist die Gewährleistung der Achtung der Grundrechte und -freiheiten, insbesondere des auch in Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts anerkannten Rechts auf die Privatsphäre. Die Angleichung dieser Rechtsvorschriften darf deshalb nicht zu einer Verringerung des durch diese Rechtsvorschriften garantierten Schutzes führen, sondern muß im Gegenteil darauf abzielen, in der Gemeinschaft ein hohes Schutzniveau sicherzustellen.
537 Vgl. nur EGMR, Serie A Nr. 116, S. 22/Ziff. 38 (Leander); Nr. 160, S. 3 ff. (Gaskin); Nachweise aus der Praxis der Kommission bei IntKommEMRK- Wildhaber, Art. 8 Rdnrn. 287 ff, 323 (dort Fußn. 71), sowie bei Unger, Datenschutz, S. 131 ff.; dazu auch Schrepfer, Datenschutz, S. 56 ff; van Dijk/van Hoof, ECHR, S. 371 f.; Berger, Jurisprudence, S. 283 ff.; Cohen-Jonathan, CEDH, S. 378 ff.; ausführlich auch Breitenmoser, Privatsphäre, S. 184 ff. 538 Vgl. Frowein/Peukert , EMRK, Art. 8 Rdnr. 6; IntKommEMRK- Wildhaber, Art. 8 Rdnr. 323; Evers, EuGRZ 1984, 281 (286 ff.); ebenso Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 136: "... the conclusion is inevitable that art. 8 of the Convention requires a legal basis for most forms of police observation", und Robertson/Merrills, Human Rights, S. 129: "The right to respect for private life will clearly be infringed if the authorities keep an individual under surveillance ...". 539 Tinnefeld/Ehmann , Datenschutzrecht, S. 30; Vassilaki , EuZöR 1994, 109 (113); rechtsvergleichend auch Ellger, Datenschutz, S. 154 ff; zur Rechtslage in Österreich Evers, EuGRZ 1984, 281 (290 ff.), zu Großbritannien Bothe/Kilian, Rechtsfragen, S. 197 f. 540 Die Datenschutzgesetze der europäischen Staaten sind in deutscher Übersetzung abgedruckt in Simitis/Dammann/Mallmann/Reh, Dokumentation-BDSG, Kap. D. 541 Vgl. Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 142 f , sowie S. 461 ff. zu den Datenschutzgesetzen der Schengen-Gründerstaaten. 542 ABl. 1995 Nr. L 281/31, 10. und 11. Erwägungsgrund; die Richtlinie wird an dieser Stelle nur zur Anerkennung des Datenschutzes als solches herangezogen; es wurde bereits früher darauf hingewiesen, daß sie im Bereich der inneren Sicherheit keine Anwendung findet.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
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Die in dieser Richtlinie enthaltenen Grundsätze zum Schutz der Rechte und Freiheiten der Personen, insbesondere der Achtung der Privatsphäre, konkretisieren und erweitern die in dem Übereinkommen des Europarates vom 28. Januar 1981 zum Schutze der Personen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten enthaltenen Grundsätze." Folgerichtig erkennt Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie grundsätzlich "den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten" an 543 . Joubert/Bevers haben gleichwohl in ihrer rechtsvergleichenden Untersuchung zu den gesetzlichen Bestimmungen der fünf Schengen-Griinderstaaten hinsichtlich polizeilicher Observationen festgestellt, daß diese nur in Deutschland auf der Basis klarer gesetzlicher Grundlagen stattfinden. In den übrigen Staaten basieren sie überwiegend auf den Generalklauseln für die polizeiliche Tätigkeit, konkretisiert durch (teils unveröffentlichte) Verwaltungsvorschriften 544 . Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Rechtslage mit Art. 8 EMRK sind nicht von der Hand zu weisen. Der tatsächliche Befund kann aber nichts daran ändern, daß auch auf europäischer Ebene die Erhebung personenbezogener Daten als Eingriff in die individuelle Rechtssphäre angesehen werden kann. Allerdings wird, soweit ersichtlich, in der ausländischen Literatur nicht vertreten, daß bereits die Kenntnisnahme einer Information einen eigenständigen Grundrechtseingriff darstellt. bb) Rechtsgrundlagen für die Erhebung personenbezogener Daten in Deutschland Die Erhebung personenbezogener Daten zur Eingabe in die verschiedenen Informationssysteme und zum Datentransfer ist allein dem nationalen Datenschutzrecht unterworfen 545 . I m Bereich der präventiven Datenerhebung sind demnach die einschlägigen Vorschriften der Polizeigesetze anzuwenden, im repressiven Bereich die Bestimmungen der StPO 546 . Die Übereinkommen enthalten insoweit keine Sondervorschriften für deutsche oder gar ausländische Behörden. Auch Europol ist derzeit nicht befugt, eigene Ermittlungen in den EU-Mitgliedstaaten durchzuführen. Zur Einräumung einer solchen Befugnis bedürfte es einer Änderung der Europol-Konvention und der anschließenden Ratifizierung des geänderten Vertrages in den EU-Mitgliedstaaten. Das Zu543
Vgl. auch Vassilaki, EuZöR 1994,109 (111). Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 137 ff, 182 ff. 545 Vgl. Riegel, Datenschutz, S. 43, zum SIS; Art. 9 Abs. 1 ZISÜbk: "Die Aufnahme der Daten in das Zollinformationssystem erfolgt nach Maßgabe der Rechts- und yerwaltungsvorschriften und Verfahren des eingebenden Mitgliedstaats, sofern dieses Übereinkommen keine strengeren Vorschriften enthält." 546 Eine Abgrenzung der Bereiche voneinander kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden; dazu etwa Waiden, Zweckbindung, S. 148 ff. 544
160
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
stimmungsgesetz zum Übereinkommen enthielte dann die Rechtsgrundlage für Datenerhebungen durch Europol-Bedienstete in Deutschland. b) Eingriffsakte
im Bereich der Informationsverarbeitung
aa) Die Verarbeitung personenbezogener Daten als Eingriff Informationsverarbeitung ist nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 5 Satz 1 BDSG "das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen personenbezogener Daten" 547 . Die Verarbeitung personenbezogener Daten kann wie ihre Erhebung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen 548. Sie ist nicht lediglich die Konsequenz der Datenerhebung und als solche gegenüber dieser eine unselbständige Fortsetzung des Ersteingriffs 549. Insbesondere die Übermittlung personenbezogener Daten ist solchermaßen grundrechtsrelevant 550 . Im Gegensatz zur Aussage des BVerwG in einem früheren Urteil 551 ist es heute nicht mehr zweifelhaft, daß ein selbständiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch den Informationsaustausch zwischen Behörden möglich ist 552 . Wenn ein solcher Befund schon für das nationale Recht mit seinem im europäischen Vergleich hohen Datenschutzstandard zu treffen ist, birgt der Informationsaustausch mit dem Ausland noch größere Gefahren für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in sich 553 . Mit
547
§ 3 Abs. 5 Satz 2 BDSG enthält eine präzisere Definition der Begriffe "Speichern", "Verändern" und "Übermitteln"; vgl. auch Riegel, Datenschutz, S. 133 ff. 548 Riegel, Datenschutz, S. 133 f.; Knemeyer, NVwZ 1988, 193 (195); vgl. jüngst VG Frankfurt/Main, NJW 1997, 3185. 549 So überzeugend Kowalczyk, Datenschutz, S. 61 f. m.w.N.; differenzierend, aber für die Speicherung in automatisierten Informationssystemen ebenfalls bejahend Deutsch, Informationen, S. 162; vgl. auch Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, 241 ff. 550 BVerfGE 65, 1 (51 f.); Bäumler, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 612 f.; Würz, Polizeiaufgaben, Rdnr. 28; Rosenbaum, Jura 1988, 178 (180); Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 207 m.w.N. 551 BVerwG, NJW 1984, 1636 m. Anm. Simitis/Wellbrock; dazu auch Schlink, Der Staat 25 (1986), 233 (249). 552 Vgl. VGH Kassel, DVB1. 1996, 570; CR 1996, 241; Kowalczyk, Datenschutz, S. 65 f.; zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423. 553 Riegel, Datenschutz, S. 154 f.; ders., CuR 1987, 311 ff, 446 ff, 614 ff, sowie ders., RiA 1987, 121; Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 155, 206 f.: "Allgemeine Anerkennung der Eingriffsqualität der internationalen Informationsweitergabe"; vgl. zum notwendigen Inhalt eines Rechtshilfeersuchens Art. 14 EuRhÜbk sowie Art. 9 Abs. 2 der Neapel Ii-Konvention: möglichst genaue und umfassende Angaben über die Personen, gegen die sich die Ermittlungen richten.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen
161
der Übermittlung einhergehen kann zudem der Verlust der Kontrolle über die Daten 554 . Grundlage für einen europäischen Datenschutzstandard ist wiederum Art. 8 EMRK. In ihrer früheren Auslegung dieser Vorschrift hat die Kommission aus dem Auftreten einer Person in der Öffentlichkeit die Befugnis der Polizei zur Herstellung und Aufbewahrung von Lichtbildern geschlossen555. Inzwischen haben die Konventionsorgane anerkannt, daß Sammlung, Speicherung und Weitergabe personenbezogener Daten in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK eingreifen 556 . Dieser Auffassung hat sich die Literatur in den Schengen-Staaten angeschlossen557. Allerdings soll das Überschreiten einer gewissen Eingriffsschwelle erforderlich sein 558 . Die Grundrechtsrelevanz der Datenverarbeitung auf dieser europäischen Ebene zeigt sich besonders in den Bemühungen des Europarates zum Schutz personenbezogener Daten. Das Europaratsübereinkommen zum Datenschutz559 ist inzwischen in allen EU-Staaten ratifiziert worden. Europaratsübereinkommen sowie die Empfehlung R (87) 15 des Ministerkomitees des Europarates über die Nutzung personenbezogener Daten im Polizeibereich 560 können zur Ausfüllung und Interpretation des Art. 8 EMRK herangezogen werden 561 . Grundsatz 5.4 der Ministerempfehlung macht die Zulässigkeit der Informationsweitergabe an ausländische Behörden von der Existenz einer eindeutigen Rechtsgrundlage oder einer ernsthaften, unmittelbar bevorstehenden Gefahr oder Straftat abhängig. Die zurückhaltende Rechtsprechung der Straßburger Organe ist insoweit noch "ausbaufähig und ausbaube-
554 Scheller , Ermächtigungsgrundlagen, S. 209, 215; vgl. auch Oldiges , in: Vogel, Internationale Steuerauskunft, S. 90 ff. 555 Vgl. Frowein/Peukert, EMRK, Art. 8 Rdnr. 5; Joubert/Bevers , Schengen Investigated, S. 458. 556 Vgl. oben Fußn. 537. 557 Vgl. die rechtsvergleichende Übersicht bei Joubert/Bevers , Schengen Investigated, S. 458 f.: "Under art. 8 ECHR, the police commit an interference with fundamental rights by collecting, using and exchanging information that refers or may be retracted to individual citizens." 558 Van Dijk/van Hoof, ECHR, S. 370: "A register which only contains, for instance, the name and the adress of an individual does not normally involve any interference with Article 8." 559 Die deutsche Fassung ist abgedruckt in BGBl. 1985 II, S. 539. 560 Abgedruckt in Simitis/Dammann/Mallmann/Reh, Dokumentation-BDSG, D 3.8. 561 Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S. 458, m.w.N.; allerdings hebt IntKommEMRK-Wildhaber, Art. 8 Rdnrn. 24, 330, hervor, daß der EGMR in den Leander- und Gaskin-Urteilen (oben Fußn. 537) die Datenschutzkonvention gerade nicht herangezogen habe; vgl. demgegenüber das Sondervotum des Richters Pettiti zum Fall Malone, Serie A Nr. 82 = EuGRZ 1985, 24 ff, der betont, daß die Länder, die der Datenschutzkonvention beigetreten seien, auch die Erfordernisse dieser Konvention erfüllen müßten. 11 Harings
162
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
dürftig" 562 . Die grundsätzliche Anerkennung eines europäischen Rechts auf Datenschutz, das einen Schutz vor unbegrenzter Informationsweitergabe einschließt, wird schließlich durch die Datenschutzbestimmungen in den hier vorgestellten Übereinkommen ebenso dokumentiert wie durch die kürzlich beschlossene EG-Datenschutzrichtlinie 563. Der Schutz auf europäischer Ebene ist allerdings weniger weitgehend als der national durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährte Standard 564. bb) Möglichkeiten der Informationsverarbeitung Die Informationsverarbeitung besteht hauptsächlich in der Speicherung personenbezogener Daten auf einem Datenträger (gleich welcher Art) sowie in der Übermittlung der gewonnenen Erkenntnisse an Dritte 565 . Hinsichtlich der konventionellen Speicherung personenbezogener Daten enthalten die Übereinkommen keine besonderen Vorschriften. Speicherung und Übermittlung der Daten erfolgen jedoch nicht nur in den konventionellen Formen (Briefverkehr, Telefon, Telefax, Fernschreiber, e-Mail), sondern auch unter Zuhilfenahme der Informationssysteme (SIS, ZIS, Europol-IS). Diese eröffnen - mit Ausnahme des Europol-Informationssystems - diversen nationalen Behörden aller Vertragsstaaten Zugriff auf die gespeicherten Daten. Automatische Speicherung und Übermittlung fallen somit zusammen. Während beim SIS, ZIS und nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 2 EuropolÜbk auch beim Europol-Informationssystem nur der eingebende Vertragsstaat zur Änderung, Ergänzung, Berichtigung oder Löschung der Daten befugt ist, kann Europol zusätzlich in selbständigen Arbeitsdateien Daten speichern, verändern und nutzen (Art. 10 Abs. 1 EuropolÜbk). Die Behandlung von Informationen eines anderen Vertragsstaates aus dem SIS/ZIS unterliegt den einschränkenden Bestimmugen des Art. 102 SDÜ/Art. 14 ZIS-Übk. Die Verwendung der Daten ist danach grundsätzlich auf den der Ausschreibung im Informationssystem zugrundeliegenden Zweck beschränkt.
562 IntKommEMRK-Wildhaber, Art. 8 Rdnr. 336, der zur Zeit ein Grundrecht auf Datenschutz nur zur Abwehr solcher Eingriffe gewährleistet sieht, die eine besondere Nähe zum privaten oder familiären Lebensbereich der betroffenen Person haben; ebenso Ellger, Datenschutz, S. 138; vgl. aber Jacque, GS Sasse II, S. 909 (913, 917), zu den möglichen Entwicklungsperspektiven. 563 ABl. 1995 Nr. L 281/31 ff.; die Richtlinie schließt zwar (aus kompetentiellen Gründen) das Gebiet der inneren Sicherheit von ihrem Anwendungsbereich aus, doch weist ihre Verabschiedung auf die Existenz eines "europäischen Datenschutzgrundrechtes" hin. 564 Ellger, Datenschutz, S. 137 ff. 565 Vgl. Würz, Polizeiaufgaben, Rdnr. 26 ff.
V. Zusammenfassung: Struktur und Handlungsformen c) Ermittlungsmaßnahmen
163
durch nicht-deutsche Hoheitsgewalt
Ermittlungsmaßnahmen durch nicht-deutsche Hoheitsgewalt begegnen uns in den Formen der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile nach Art. 40 f. SDÜ, der kontrollierten Lieferung nach Art. 73 SDÜ sowie der entsprechenden Vorschriften der Neapel II-Konvention. aa) Die grenzüberschreitende Observation Ein Mittel der verdeckten Erhebung personenbezogener Daten ist auch die Observation 566, der unzweifelhaft Eingriffscharakter beizumessen ist 567 . Art. 40 SDÜ erlaubt diese Art der Informationserhebung durch deutsche Beamte in den übrigen Vertragsstaaten sowie durch nicht-deutsche Hoheitsträger auf deutschem Staatsgebiet. Die Rechtsgrundlage für diese Eingriffstätigkeit ausländischer Beamter in Deutschland enthält das deutsche Zustimmungsgesetz zum SDÜ. Die Vorschriften der StPO über die Informationserhebung gelten, modifiziert durch einschränkende Bestimmungen des Art. 40 Abs. 3 SDÜ, unmittelbar für die fremden Hoheitsträger. Die Besonderheit der grenzüberschreitenden Observation liegt darin, daß Beamte einer Vertragspartei Informationen auf dem Gebiet einer anderen Vertragspartei unmittelbar erheben und anschließend in ihrem eigenen Staat weiterverarbeiten können. Die Vorschrift des Art. 39 Abs. 2 SDÜ, nach der schriftliche Informationen aus der polizeilichen Zusammenarbeit im Strafverfahren eines anderen Staates nur mit Zustimmung der zuständigen Justizbehörde des Herkunftsstaates verwertet werden dürfen, findet für die grenzüberschreitende Observation keine Anwendung. Nicht zuletzt wegen dieser Ausschaltung einer Kontrolle durch nationale Behörden ist eine Harmonisierung der nationalen Datenschutzbestimmungen geboten gewesen.
566 Deutsch , Informationen, S. 7; Würz , Polizeiaufgaben, Rdnrn. 270 ff.; Kowalczyk, Datenschutz, S. 142 ff.; Riegel , Datenschutz, S. 116 f.; Scheller , Ermächtigungsgrundlagen, S. 199; vgl. zur Zulässigkeit der verdeckten Informationserhebung durch die Polizei SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423; Rogall , Informationseingriff, S. 91. 567 BVerwGE 74, 115 (117); SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1436):"... wird auch durch polizeiliche Beobachtungs- und Observationsmaßnahmen systematisch in das Recht des einzelnen eingegriffen, selbst über seine Daten zu bestimmen"; vgl. auch VG München, CR 1986, 667 (669), mit zust. Anm. Riegel , für die offene Observierung, sowie die Nachweise oben Fußn. 566 und Neumann, Vorsorge, S. 116 ff.
Ii*
164
B. Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bb) Andere Ermittlungsmaßnahmen
Das zur grenzüberschreitenden Observation Gesagte gilt grundsätzlich auch für die übrigen Ermittlungsmaßnahmen. Die kontrollierte Lieferung gleicht bis zum Zeitpunkt des Einschreitens der Beamten 568 der grenzüberschreitenden Observation. Ob die Nacheilehandlung als solches bereits selbst einen Grundrechtseingriff darstellt, mag man unterschiedlich beurteilen. Sie kann durchaus diskriminierende Wirkung (Fahrt mit Blaulicht hinter einem PKW) haben und jedenfalls bei Exzessen der nacheilenden Beamten ein Bedürfnis nach gerichtlichem Schutz auslösen.
568 Die Befugnis zum Einschreiten liegt gemäß Art. 73 Abs. 3 SDÜ allein bei den Behörden der Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet die Operation durchgeführt wird; keine ausdrückliche Regelung dazu enthält die entsprechende Vorschrift des Neapel IIÜbereinkommens.
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland Nachdem im ersten Teil der Arbeit die Grundzüge der grenzüberschreitenden Kooperation skizziert worden sind, muß nunmehr die Frage nach dem Rechtsschutz in Deutschland gestellt werden. Ausgangspunkt dafür ist zunächst die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes, Art. 19 Abs. 4 GG. Dieses, auch als formelles Hauptgrundrecht bezeichnete Grundrecht 1 eröffnet nicht nur den Rechtsweg gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt, sondern stellt auch inhaltliche Anforderungen an die Ausgestaltung des Rechtsschutzes. Die Überlegungen zu Art. 19 Abs. 4 GG können aber nur einen ersten Zugang zur Rechtsschutzproblematik darstellen. Gerade in Anbetracht der europäischen Perspektive dieser Arbeit ist entsprechenden Garantien anderer Staaten sowie Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) großes Gewicht beizumessen. Die zu dieser Vorschrift entwickelten Aussagen und ihre Ausstrahlungen auf die nationalen Rechtsordnungen2 können - über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus - die Basis für ein gemeineuropäisches Rechtsschutzverständnis bilden. Ausgehend von solchen allgemeineren Überlegungen wird der Rechtsschutz in Deutschland gegen Eingriffsakte der nationalen Polizei- und Zollbehörden dargestellt und kann so als Vergleichsmaßstab für Rechtsschutzfragen der internationalen Zusammenarbeit dienen. Anhaltspunkte für den Rechtsschutz
1
Klein, VVDStRL 8 (1950), 67 (88); zur Kritik an dieser Charakterisierung Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 14 f.; Krebs, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rdnr. 47. 2 So hat der Fall Benthem (EGMR, Serie A Nr. 97) in den Niederlanden zur Umgestaltung des Verwaltungsrechtsschutzes geführt, vgl. Schwarze, EuGRZ 1993, 377 (379), sowie zum neuen niederländischen Verwaltungsprozeßrecht DorbeckJung/Helder, DÖV 1994, 142 (148 f.); in Österreich hat der Gerichthof die Bindung des dortigen Verwaltungsgerichtshofes an die Sachverhaltsfeststellung der Behörde für unvereinbar mit Art. 6 EMRK gehalten, so daß diesem Gericht "Unabhängige Verwaltungssenate der Länder" vorgeschaltet wurden, um eine dem Art. 6 EMRK entsprechende Kontrolle zu gewährleisten (dazu Potacs/Pollak, in: Schwarze, Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 733 (747 f.)); in Deutschland mußten jüngst beim 6. Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze, BGBl. 1996 I, S. 1626, im Hinblick auf Art. 6 EMRK einige Vorschriften zum Gerichtsbescheid geändert werden, um das Recht auf eine mündliche Verhandlung zu garantieren; trotz Einführung der Zulassungsberufung wird dadurch sichergestellt, daß bei Erlaß eines Gerichtsbescheids künftig stets eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (§ 84 Abs. 2 Nr. 1 VwGO); zur Bedeutung der EMRK für die Auslegung britischen Rechts Bernhardt, Mosler-FS, S. 75 (77).
166
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
gegen die öffentliche Gewalt in Sachverhalten mit Auslandsbezügen können dem Recht der Auslieferung und der internationalen Rechts- und Amtshilfe entnommen werden. Das Rechtshilferecht liegt in weiten Teilen der intensivierten sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit der EU-Staaten zugrunde. Gegenstand einer Klage ist in allen diesen Fällen aber ein deutscher Hoheitsakt. Im Rahmen der neuen Kooperationsformen hingegen ist auch zu untersuchen, ob die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes Akte nicht-deutscher Hoheitsgewalt einschließt oder ihr Anwendungsbereich auf die deutsche öffentliche Gewalt beschränkt ist.
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien 1. Vorbemerkung a) Die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz im Sinne der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes ist zunächst in einem rein formellen Sinn verstanden worden: Rechtsschutz als Schutz des Rechts durch die Gerichte. Das Eingreifen der Rechtsschutzgarantie setzt demnach bestehende materielle Rechtspositionen voraus 3. Allerdings ist neben diese Funktion eine materiell-rechtliche Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG getreten 4. Die Rechtsschutzgarantie strahlt auf die dem Gerichtsverfahren vorgeschalteten Verwaltungsverfahren aus5. Inhaltlich erschöpft sich Art. 19 Abs. 4 GG nicht in der Eröffnung des Rechtsweges, sondern erfordert eine bestimmte Qualität des gerichtlichen Schutzes. So verstanden, steht er in engem Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 92, 97, 101 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG, die sämtlich Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips sind6. Auf die qualitativen Anforderungen dieser Verfassungsnormen an den gerichtlichen Schutz ist sogleich unter 2. einzugehen.
3
Vgl. Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 1 f , sowie Bachmann, Rechtsschutz, S. 50 f. Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 2, unter Hinweis auf BVerwGE 84, 375; Schenke, JZ 1988, 317 (325); vorsichtig noch Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 270. 5 Papier, HbStR VI § 154 Rdnr. 17. 6 Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 33; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569 (2571 f.). 4
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien b) Völkerrechtliche
167
Rechtsschutzgarantien
Anders als die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes erfaßt Art. 6 EMRK nicht alle Verwaltungssachen, sondern nur solche, die als Streitigkeiten über "civil rights and obligations" oder als "criminal Charge" zu definieren sind7. Hinsichtlich der Auslegung dieser Begriffe vermeidet es der EGMR, sich auf abstrakte Kriterien festzulegen. Er hat jedoch auch solche Verfahren, die im nationalen Recht dem Bereich des öffentlichen Rechts zuzurechnen sind, am Maßstab des Art. 6 EMRK gemessen, wenn die Entscheidung des Streits unmittelbare Auswirkungen auf ein privates Recht hat8. Als klassisches privates Recht im Sinne des Art. 6 EMRK hat der Gerichtshof das Eigentumsrecht anerkannt 9. Das Recht auf körperliche Integrität scheint in einer neueren Entscheidung als "civil right" akzeptiert zu werden 10. In ständiger Rechtsprechimg hält der Gerichtshof Art. 6 EMRK außerdem für anwendbar, soweit das Recht der persönlichen Ehre und auf einen guten Ruf ("right to enjoy a good reputation") gefährdet ist 11 . Diese Einzelrechte sind Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf Achtung des Privatlebens 12, so daß es naheliegt, das allgemeine Persönlichkeitsrecht als das klassische private Recht in die Garantie des Art. 6 EMRK einzubeziehen. Die EMRK selbst garantiert das Recht auf Achtung der Privatsphäre in Art. 8. Allerdings ist der Gerichtshof hinsichtlich der Anerkennung eines solchen Rechts gegenüber behördlichen Untersuchungsmaßnahmen zurückhaltend 13. Eine andere Mög-
7
Vgl. Schmidt-Aßmann/Harings, EuZöR-Sonderheft 1997, 529 (537); Bradley , E.P.L. 1995, 347; Picard, Juridiction Administrative, S. 234 ff.; Schwarze, EuGRZ 1993, 377 (378); zur Auslegung des Begriffs "civil rights" auch Kley-Struller, Rechtsschutz, S. 113 ff, sowie Bleckmann, Civil Rights, S. 260 ff, je m.w.N. aus der Rspr. des EGMR. 8 EGMR, Serie A Nr. 13, Ziff. 94 (Ringeisen); Nr. 27, Ziff. 97 ff. (König); aus neuerer Zeit etwa Serie A Nr. 333-A, Ziff. 46 (Acquaviva); zum Ganzen Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnrn. 15 ff. 9 EGMR, Serie A Nr. 13, Ziff. 94 (Ringeisen); Nr. 52, Ziff. 79 (Sporrong u. Lönnroth); Nr. 279-B, Ziff. 27 (Zander). 10 EGMR, Urt. v. 26.8.1997 (Balmer-Schafroth), noch nicht in Serie A veröffentlicht; in dieser Entscheidung verneint der Gerichtshof allerdings die unmittelbaren Auswirkungen der Gerichtsentscheidung auf das private Recht. 11 EGMR, Serie Nr. 18, Ziff. 27 (Golder); Nr. 212-A, Ziff. 27 (Helmers); Nr. 294-B, Ziff. 58 (Fayed); Nr. 316-B, Ziff. 58 (Tolstoy Miloslavsky); zur entsprechenden Praxis der Kommission van Dijk/van Hoof ECHR, S. 369. 12 Zu den Einzelausprägungen des Art. 8 EMRK van Dijk/van Hoof ECHR, S. 368 f. 13 Vgl. EGMR, Serie A Nr. 294-B, Ziff. 62 (Fayed): "Acceptance of the applicants' argument would entail that a body carrying out preparatory investigations at the instance of regulatory or other authorities should always be subject to the guarantees of a judicial procedure set forth in Article 6 § 1 by reason of the fact that publication of its findings is liable to damage the reputation of the individuals whose conduct is being
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
lichkeit, den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK zu eröffnen, läge darin, diesen im Hinblick auf den "fair trial"-Grundsatz im Strafverfahren bereits auf das polizeiliche Ermittlungsverfahren auszudehnen. Dies wird jedoch überwiegend abgelehnt14. Soweit verwaltungsrechtliche Streitigkeiten aus dem Schutzbereich des Art. 6 EMRK herausfallen, entfaltet die Garantie des Art. 13 EMRK 1 5 ihre Wirkung. Diese gewährt zwar kein Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz16, doch fordert sie eine wirksame Beschwerdemöglichkeit 17 ("effective remedy") bei Verletzungen von Konventionsrechten. In Verbindung mit dem Recht auf Achtung der Privatsphäre aus Art. 8 EMRK kann damit die Beschwerdemöglichkeit nach Art. 13 EMRK Bedeutung gewinnen. Ebenso wie Art. 13 ist die in der Datenschutzkonvention des Europarates enthaltene Garantie hinsichtlich der Durchsetzung der Datenschutzansprüche nicht auf gerichtlichen Rechtsschutz beschränkt 18. Nach Art. 8 lit d) dieser Konvention muß jedermann "die Möglichkeit haben, über ein Rechtsmittel zu verfügen, wenn seiner Forderung nach Bestätigung oder gegebenfalls nach Mitteilung, Berichtigung oder Löschung im Sinne der Buchstaben b und c nicht entsprochen wird". Die zur Umsetzung dieser Vorschrift ergangenen nationalen Bestimmungen enthalten überwiegend ein Beschwerderecht bei der zuständigen Datenschutz- oder Aufsichtsbehörde 19 .
investigated. ... In the Court's view, investigative proceedings of the kind in issue in the present case fall outside the ambit and intendment of Article 6 § 1 14 Vgl. IntKommEMRK-Miehsler/Vogler, Art. 6 Rdnr. 345 (dort Fußn. 1). 15 Dazu Matscher, Seidl-Hohenveldern-FS, S. 315 ff. 16 EGMR, Serie A Nr. 18, Ziff. 33 (Golder); Nr. 61, Ziff. 113 (Silver); Nr. 116, Ziff. 77 (Leander); zum Recht auf Zugang zu Gericht als Gewährleistungsinhalt des Art. 6 EMRK Schmidt-Aßmann/Harings, EuZöR-Sonderheft 1997, 529 (536 f.), sowie Robertson/Merrills , Human Rights, S. 86 f , und Cohen-Jonathan, CEDH, S. 410 ff. 17 EGMR, Serie A Nr. 116, Ziff. 77 (Leander); Nr. 161, Ziff. 122 (Soehring); vgl. auch Schmidt-Aßmann, Bernhardt-FS, S. 1283 (1292 f.), sowie Frowein/Peukert, EMRK, Art. 13 Rdnrn. 3 ff, und Wilfinger, Rechtsschutz, S. 133 ff. 18 Vgl. Henke, Datenschutzkonvention, S. 142 f. 19 Henke, Datenschutzkonvention, S. 143; vgl. etwa Art. 6 ff. des französischen Datenschutzgesetzes, abgedruckt in: Simitis/Dammann/Mallmann/Reh, DokumentationBDSG, D 4.1, Art. 4 ff. des portugiesischen Datenschutzgesetzes, aaO, D 6.2, und Sect. 37 ff. des niederländischen Datenschutzgesetzes, aaO, D 23.1.
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
169
2. Qualitätsstandards des verfassungsrechtlich geforderten Rechtsschutzes a) Rechtsschutz als Gerichtsschutz Art. 19 Abs. 4 GG vertraut die Kontrolle der öffentlichen Gewalt allein staatlichen Gerichten an, die den Anforderungen der Art. 92 und 97 GG entsprechen müssen20. Ausgeschlossen ist dadurch eine letztverbindliche Entscheidungskompetenz verwaltungsinterner Beschwerdeausschüsse21, selbst wenn die zuständigen Amtswalter eine unabhängige Stellung einnehmen22. Solche verwaltungsinternen Verfahren können allerdings weiterhin dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltet sein23 . Für die Frage, ob eine bestimmte Instanz ein Gericht darstellt, ist entscheidend, ob die nach dem Grundgesetz an ein Gericht zu stellenden Anforderungen erfüllt sind. Die Gerichtsqualität ist nicht auf die bestehenden Gerichtsbarkeiten begrenzt 24. aa) Rechtsprechungstätigkeit Die Qualifikation einer Instanz als Gericht ist nicht allein vom Vorhandensein äußerer Zeichen richterlicher Tätigkeit (Tragen von Roben, Amtsbezeichnung) oder eines justizformiges Verfahrens abhängig. Entscheidend ist, ob das Schwergewicht der Tätigkeit dem Bereich der Rechtsprechung zugeordnet werden kann 25 . Dies wiederum bestimmt sich nach der verfassungsrechtlichen, traditionellen oder durch den Gesetzgeber vorgenommenen Qualifizierung 26 . Der Begriff der rechtsprechenden Gewalt im Sinne des Art. 92 GG
20
Vgl. nur BVerfGE 11, 232 (233); 49, 329 (340); sowie aus der Literatur SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 174; Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 GG, Rdnrn. 39 f.; Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 202 ff. 21 BVerfGE 9, 194 (198 f.); BVerwGE 8, 350 (351 ff): In dieser Entscheidung qualifizierte das Gericht die Entscheidungen der Beschwerdesenate des Deutschen Patentamtes als Verwaltungsakte, gegen die der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG offenstehen müsse; als Konsequenz dieses Urteils wurde 1961 das Bundespatentgericht eingerichtet; Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamtes gewähren hingegen nach wie vor die Beschwerdekammem des Amtes, denen nach europäischen Maßstäben Gerichtsqualität zukommt, vgl. Schulte, PatG, Anhang § 73 Rdnrn. 2 f. 22 Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 25. 23 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 176. 24 Pietzcker, Redeker-FS, S. 501 (510). 25 BVerwGE 8, 350 (353 f.). 26 BVerfGE 76, 100 (106); 64, 175 (179); 22, 49 (76 ff.); vgl. auch Bettermann, HbStR III § 73 Rdnr. 17, und Achterberg,, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdnr. 77.
170
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
ist materieller Natur 27 . Er bedarf insbesondere der Abgrenzung zur Verwaltungstätigkeit, da beide Staatsgewalten in ihrer Grundform letztlich das Gesetz auf einen bestimmten Schverhalt anwenden28. Eine trennscharfe Abgrenzung wird jedoch kein Kritierium alleine leisten können. Der Begriff der Rechtsprechung ist vielmehr aus einer Kombination mehrerer Kriterien näherungsweise zu bestimmen29. In Anlehnung an Bettermann 30 wird diese Abgrenzung hier anhand der Unterscheidung zwischen Handlungs- und Beurteilungsnorm vorgenommen. Nach Bettermann ist das materielle Recht "für die Verwaltung Handlungsnorm, für den Richter ... Beurteilungsnorm" 31; obwohl Verwaltung wie auch Gericht Staatsorgane seien, unterschiede sich ihr Bezugspunkt zum anwendbaren Recht; die Verwaltung werde, verkürzt ausgedrückt, in eigener Sache tätig, während der Richter als neutraler Dritter auftrete und in fremder Angelegenheit tätig werde 32 ; diese Neutralität beziehe sich nicht nur auf die Person des entscheidenden Richters selbst, sondern auch auf das Gericht als die staatliche Institution. Maßgeblich ist für diese Abgrenzung, daß die gerichtliche Beurteilung eines Sachverhalts von "außen" erfolgt, ohne daß das rechtsprechende Organ im Vorfeld an dem streitigen Rechtsverhältnis beteiligt gewesen ist. Aus dem Merkmal der Neutralität des Gerichts folgert Bettermann auch die Passivität gerichtlichen Schutzes33. Gerichte würden nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag tätig. In der Verwaltung hingegen bestünde nur ausnahmsweise Antragszwang 34.
27 Grundlegend BVerfGE 22, 49 (73 ff.); Bettermann, HbStR III § 73 Rdnr. 18; Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 893; auch Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rdnr. 42 ff, der allerdings dem Begriff einen eigenständigen Bedeutungsgehalt abspricht und die Auslegung des Art. 92 GG in der Verfassungsrechtsprechung für eine "Fehlentwicklung" hält; vgl. zum formellen Verständnis des Rechtsprechungsbegriffs Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdnr. 65, sowie Vosskuhle, Rechtsschutz, S. 70 f. 28 Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 894 f. 29 Vgl. auch Vosskuhle, Rechtsschutz, S. 72 ff. 30 HbStR III § 73 Rdnm. 31 ff.; ders, Jellinek-GS, S. 361 (372 ff.); ders., Rechtsprechung, rechtsprechende Gewalt, in: EvStL, Sp. 2017 (2027 f.); dagegen aber Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rdnm. 35 ff. 31 HbStR III § 73 Rdnr. 31 ff.; Bettermann trennt dabei formell zwischen dieser Unterscheidung und der Neutralität des Richters, setzt aber bereits für die beurteilende Tätigkeit voraus, daß diese durch eine neutrale Instanz erfolgt; zuzugeben ist der Kritik von Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rdnr. 28, daß die Unterscheidung zwischen Handlungs- und Beurteilungsnorm sich nur am materiellen Recht orientiert. 32 Dazu auch BVerfGE 27, 312 (322), sowie Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdnm. 84 ff, und Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 202 f.; Ausdruck der Neutralität des Richters sind die gesetzlichen Unabhängigkeitsgarantien, auf die unten unter 2. gesondert einzugehen ist. 33 HbStR III § 73 Rdnr. 35; vgl. auch Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 895. 34 Kritisch dazu Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 895.
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
171
bb) Organisatorische Trennung Eine solchermaßen rechtsprechende Instanz muß desweiteren als Konsequenz des Gewaltenteilungsgrundsatzes 35 von der Exekutive organisatorisch und personell getrennt sein 36 . Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG stellt das Prinzip der organisatorischen Gewaltenteilung auf: Die Staatsgewalt wird durch besondere Organe der Legislative, Exekutive und Judikative ausgeübt37. In seiner Entscheidung zu den Beschwerdesenaten des Deutschen Patentamtes hat das Bundesverwaltungsgericht überzeugend dargelegt, daß trotz der Unabhängigkeit der Beschwerdesenate diese mit den übrigen Abteilungen des Amtes verzahnt sind und das Amt als solches eine Einheit bildet 38 . cc) Kontrolle von Rechts- und Tatfragen Notwendig verbunden mit dem verfassungsrechtlichen Verständnis des Gerichtsschutzes ist die Kompetenz mindestens eines zuständigen Gerichts zur umfassenden Kontrolle von Rechts- und Tatfragen 39. Ein vollständiger Ausschluß der Tatsachenprüfung wäre mit dem Gerichtsbegriff des Art. 92 GG nicht vereinbar 40. Eine Tatsachenaufklärung von Amts wegen wird jedoch zur Ausfüllung des Gerichtsbegriffs nicht gefordert 41.
35
Dazu jüngst BVerfG, JZ 1997, 300 ("Südumfahrung Stendal"). Vgl. nur BVerfGE 48, 300 (316); 4, 331 (346); BVerwGE 8, 350 (354); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rdnr. 55; Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 909. 37 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rdnr. 55; vgl. auch BVerfG, JZ 1997, 300: "Das Prinzip der Gewaltenteilung ist nirgends rein verwirklicht. Es bestehen zahlreiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen. Das Grundgesetz fordert nicht eine absolute Trennung, sondern die gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten. Allerdings muß die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten gewahrt bleiben." 38 BVerwGE 8, 350 (354). 39 Vgl. nur BVerfGE 78, 214 (226); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 183 zu Art. 19 Abs. 4 GG, dessen Auslegung insoweit aber auf Art. 92 GG übertragen werden kann, siehe etwa Bettermann, HbStR III § 73 Rdnr. 50; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rdnr. 67. 40 BVerfGE 61, 82 (111); vgl. auch Pietzcker, NVwZ 1996, 313 (316), sowie Brenner, EuR-Beiheft 1/1996, 23 (40), hinsichtlich der Gerichtsqualität der Vergabeüberwachungsausschüsse im Bereich des öffentlichen Auftragswesens. 41 Vgl. Bettermann, HbStR III § 73 Rdnr. 50. 36
172
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland dd) Letztentscheidungskompetenz
Vereinzelt wird als Merkmal richterlicher Tätigkeit auch die potentielle Letztverbindlichkeit richterlicher Akte genannt. Akte der Rechtsprechung seien von keiner anderen Staatsgewalt überprüfbar 42. Das Kriterium der Letztverbindlichkeit ist in noch größerem Maße als die bereits aufgeführten anderen Kriterien problematisch, soweit es nicht im negativen Sinn verwendet wird 43 . Bei einem solchen Verständnis des Kriteriums lassen sich bereits alle Akte aus dem Begriff der Rechtsprechung ausscheiden, die selbst keine Verbindlichkeit beanspruchen, insbesondere die gutachterliche Tätigkeit der Gerichte. Im positiven Sinn dagegen wird es oft gerade zweifelhaft sein, ob eine Entscheidung, die der Gesetzgeber als "letztverbindlich" der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung entziehen will, der Rechtsprechung oder der Verwaltungstätigkeit zuzuordnen ist 44 . b) Unabhängigkeitsgarantien Die besondere Stellung der Judikative gegenüber den beiden anderen Staatsgewalten folgt aus einem "Zusammenspiel institutionsbezogener und personenbezogener Elemente45. Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut (personales Element), darf aber nur durch die Gerichte ausgeübt werden (institutionelles Element). Das Grundgesetz betont die persönliche Unabhängigkeit des Richters in besonderer Weise, hebt sich doch gerade dadurch die Rechtsprechung von der Verwaltungstätigkeit ab 46 . aa) Unabhängigkeit der Gerichte Die institutionelle Unabhängigkeit der Gerichte verleiht der bereits vorausgesetzten organisatorischen Trennung von den anderen Staatsgewalten eine besondere Qualität. Unzulässig ist jede Einflußnahme von Seiten der Exekutive, die nicht zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gerichte notwendig
42
So etwa Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 896 f. So wohl Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 92 Rdnr. 63; dazu auch EGMR, Serie A Nr. 97, Ziff. 40 ("Benthem"). 44 Kritisch auch Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdnr. 137. 45 Barbey, HbStR III § 74 Rdnr. 16; Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdnm. 269 ff.; vgl. auch Schmidt-Aß mann, Rechtsprechende Gewalt, S. 90 ff; Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 1 Rdnr. 11. 46 Barbey, HbStR III § 74 Rdnr. 18. 43
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
173
ist 47 . Die Rahmenbedingung der institutionellen Unabhängigkeit eröffnet erst den Freiraum, in dem sich die Unabhängigkeit des Richters erst entfalten kann. bb) Unabhängigkeit des Richters Art. 97 Abs. 1 GG kennzeichnet den Status der Richter dadurch, daß sie unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Er konkretisiert insoweit die bereits aus Art. 92 GG folgende Eigenständigkeit der dritten Gewalt 48 . Als Komponenten der persönlichen Unabhängigkeit werden genannt49: (1) Sachliche Unabhängigkeit Charakteristisch für die sachliche Unabhängigkeit des Richters ist seine Freiheit von Weisungen50. Er ist bei seiner richterlichen Tätigkeit allein an das Gesetz gebunden; jede nicht gesetzlich legitimierte Einwirkung auf einen Richter außerhalb der dafür vorgesehenen prozessualen Möglichkeiten ist verboten 51 . Diese Aussage gilt zunächst für Einwirkungen anderer Hoheitsträger, muß jedoch in zunehmendem Maße auch außerstaatliche gesellschaftliche Kräfte einschließen52. (2) Persönliche Unabhängigkeit Persönliche Unabhängigkeit bedeutet in erster Linie Schutz vor Absetzung und Versetzung 53. Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG begrenzt diesen besonderen Schutz auf die "hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter" 54 . Die persönliche Unabhängigkeit schützt den Richter aber auch vor Maßnahmen der Dienstaufsicht, die aus Anlaß seiner rechtsprechenden Tätigkeit ergehen 55. 47 BVerfGE 26, 79 (93 f.); vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 38. 48 Barbey, HbStR III § 74 Rdnr. 27 ff. 49 Ausführlich D. Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975. 50 BVerfGE 37, 137 (140); 26, 186 (198); 14, 56 (69); 3; 213 (224); Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 911 f.; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97 Rdnrn. 23 f. 51 Barbey, HbStR III § 74 Rdnrn. 30 f.; Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 912; zum Problem der Dienstaufsicht D. Simon, Unabhängigkeit, S. 22 ff. 52 Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 911; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97 Rdnrn 39 ff.; Hager, Richteramt, S. 65 f.; zurückhaltend Schmidt-Aßmann, in: Schoch-SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 43. 53 Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 911. 54 Kritisch dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97 Rdnrn. 48 ff. 55 Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 911.
174
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
(3) Innere Unabhängigkeit (Unparteilichkeit) Persönliche und sachliche Unabhängigkeit des Richters sollen garantieren, daß er unvoreingenommen und unparteilich die ihm zugetragenen Sachen entscheidet. Innere Unabhängigkeit (Neutralität) bezeichnet somit die Einstellung des Richters zu seiner Tätigkeit 56 . Diese wird durch die Inkompatibilitätsvorschrift des § 4 DRiG und die Ausschließungs- und Ablehnungsgründe des gerichtlichen Prozeßrechts gesichert 57. c) Rechtliches Gehör Das in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Prozeßgrundrecht 58 des rechtlichen Gehörs wird vom Bundesverfassungsgericht und der Lehre als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie und des Rechtsstaatsprinzips verstanden 59. Art. 103 Abs. 1 GG bedarf als normgeprägtes Grundrecht der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber in den Prozeßgesetzen60. Hervorzuheben sind für diese Arbeit die Mindestgarantien der Norm 61 : aa) Recht auf Information Die Beteiligten müssen über den Stand und den Fortgang des Verfahrens informiert werden. Erst die Information über prozeßrelevante Vorgänge versetzt sie in die Lage, sich im Prozeß äußern zu können62 . Ein wesentliches Teilelement dieses Rechts ist das Akteneinsichtsrecht. Das Bundesverfassungs-
56
Barbey , HbStR III § 74 Rdnr. 40. Vgl. etwa §§41 ff. ZPO, der über § 173 VwGO auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt, sowie §§22 ff. StPO; Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdnr. 274, betont die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die einfachgesetzlichen Sicherungen der Unparteilichkeit des Richters in den Verfahrensordnungen. 58 Zur Terminologie Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Rdnr. 4 (dort auchFußn. 14). 59 Vgl. nur BVerfGE 89, 28 (35); 86, 133 (144); 55, 1 (6); 9, 89 (95); SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Rdnr. 2; Knemeyer, HbStR VI § 155 Rdnr. 16; Degenhart, HbStR III § 76 Rdnrn. 12 f.; die eigenständige Herleitung aus den verfahrensbezogenen Inhalten des Rechtsstaatsprinzips erklärt die Geltung des Art. 103 auch für juristische Personen. 60 Zur unmittelbaren Geltung als "Basisgarantie" Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Rdnm. 20 f. 61 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 46; ausführlich ders, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Rdnm. 69 ff.; Knemeyer, HbStR VI § 155 Rdnm. 28 ff. 62 Degenhart, HbStR III § 76 Rdnr. 19. 57
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
175
gericht erlegt einem Gericht die Pflicht auf, "den Zugang zu den ihm vorliegenden Informationen den Verfahrensbeteiligten in vollem Umfang zu öffnen" 63 . Die Beteiligten müssen erkennen können, auf welche Tatsachen es dem Gericht für seine Entscheidung ankommt 64 . Es darf nur solche Tatsachen und Beweismittel verwerten, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Verstöße gegen diesen Grundsatz haben ein Verwertungsverbot zur Folge. Auch in rechtlicher Hinsicht sind Überraschungsentscheidungen unzulässig65. Schließlich folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG unter Umständen eine Hinweispflicht für das Gericht. bb) Äußerungsrecht Auf dem Informationsrecht aufbauend folgt als nächste Stufe des rechtlichen Gehörs das Äußerungsrecht eines Beteiligten, der damit zum Verfahrenssubjekt wird 66 . Ihm muß Gelegenheit gegeben werden, sich zu Tatsachen, Beweisergebnissen und zur Rechtslage zu äußern 67. Nur in Ausnahmefällen besteht allerdings eine verfassungsunmittelbare Pflicht zu mündlicher Verhandlung 68. Die Beteiligten müssen angemessene Zeit erhalten, um ihre Äußerungen vorbereiten zu können. Sie müssen sich rechtzeitig vor der gerichtlichen Entscheidung äußern dürfen. Das Gericht darf den Prozeßstoff, auf den sich die Äußerung beziehen soll, begrenzen 69. cc) Berücksichtigung durch das Gericht Das Gericht muß die Äußerungen der Beteiligten "zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen" 70 . Aus diesem Aspekt des Anspruchs auf rechtliches Gehör folgt, daß das Gericht seine Entscheidungen begründen muß 71 . Es muß sich mit den Hauptargumenten der Beteiligten auseinandersetzen, braucht aber nicht jedes Detail des Vorbringens zu würdigen 72 . 63 64 65 66 67
19.
68
BVerfGE 64, 135 (144). BVerfGE 89, 28 (35). Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Rdnrn. 140 f. m.w.N. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Rdnr. 80 m.w.N. Vgl. nur BVerfGE 64, 135 (143); 63, 175 (210); Degenhart, HbStR III § 76 Rdnr.
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Rdnr. 84. Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 46. 70 So das BVerfG in st. Rspr, vgl. nur BVerfGE 83, 24 (35). 71 BVerfGE 54, 86 (91 f.); Degenhart, HbStR III § 76 Rdnr. 19; Kopp, AöR 106 (1981), 604 (626 f.). 72 Knemeyer, HbStR VI § 155 Rdnr. 32. 69
176
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland d) Weitere
Verfahrensgarantien
Als weitere verfassungsrechtlich geforderte Verfahrensgarantien werden insbesondere das Gebot des fairen Verfahrens und das Willkürverbot genannt73. Das Gebot des fairen Verfahrens wird dem Grundgesetz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip entnommen74. Es ist darüberhinaus ausdrücklich in Art. 6 EMRK verankert 75. Der Gedanke des fairen Verfahrens überlagert mit seiner generalklauselartigen Weite die einzelnen Prozeßgrundrechte. Dem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Willkürverbot kommt neben den speziellen Prozeßgrundrechten kaum noch ein eigener Anwendungsbereich zu 76 .
3. Die Anforderungen des Art. 6 E M R K a) Gericht ("tribunal")
im Sinne des Art. 6 EMRK
Gerichte im Sinne des Art. 6 EMRK 7 7 sind nicht nur die ordentlichen Gerichte der Staaten78, "sondern alle justizförmigen, unabhängigen und unparteilichen Spruchkörper, die aufgrund eines geregelten und mit entsprechenden Garantien ausgestatteten Verfahrens nach Recht und Gerechtigkeit ... entscheiden"79. Entscheidende Kriterien für ein Gericht sind demnach Unab-
73
Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnm. 46 ff.; Degenhart, HbStR III § 76 Rdnr. 28. 74 BVerfGE 91, 176 (180); 59, 128 (164); 41, 246 (249); 39, 238 (243), 75 Dazu Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnm. 71 ff, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR. 76 Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnr. 49. 77 Die Auslegung des Begriffs Gericht (tribunal) im Sinne des Art. 177 EGV durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften soll vorliegend außer Betracht bleiben, da diese Auslegung vom Bestreben getragen ist, im Interesse einer effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts einer möglichst großen Zahl nationaler Instanzen ein Vorlagerecht einzuräumen; dazu jüngst EuGH, JZ 1998, 37 m. Anm. Brinker, zur Gerichtsqualität des Vergabeüberwachungsausschusses des Bundes. 78 EGMR, Serie A Nr. 80, Ziff. 76 (Campbell & Fell); Nr. 102, Ziff. 201 (Lithgow): The tribunal need not be a classic court of law within the standard judicial machinery of a country. 79 Vgl. Frowein/Peukert , EMRK, Art. 6 Rdnr. 122 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr. des EGMR; LR-Gollwitzer, EMRK, Art. 6 Rdnr. 49; de Smith/Woolf/Jowell, Judicial Review, Rdnr. A-021, zum englischen Recht: "The more closely a statutory body resembles a court stricto sensu, the more likely is it that that body will be held to act in a judicial capacity."
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
177
hängigkeit, Unparteilichkeit und die Einrichtung durch Gesetz80. In materieller Hinsicht muß die Instanz Rechtsprechungstätigkeit ausüben. aa) Errichtung durch Gesetz Art. 6 fordert ein auf Gesetz beruhendes Gericht 81 . Dies bedeutet, daß die Grundlagen für die Errichtung und die Organisation sowie die Zuständigkeiten abstrakt vorbestimmt sein müssen. Wieweit die gesetzlichen Vorgaben im Einzelfall reichen müssen, ist bislang nicht entschieden worden 82 . Man wird allerdings fordern können, daß das Gesetz selbst die wesentlichen Festlegungen über den Zugang zu Gericht und die Wirkungen der gerichtlichen Entscheidungen treffen muß. Der Verfahrensablauf braucht allerdings nicht im einzelnen bestimmt zu sein. bb) Rechtsprechungstätigkeit Auch nach der EMRK ist die Rechtsprechungstätigkeit der materielle Anknüpfungspunkt für das Vorliegen eines Gerichts. Entscheidendes Merkmal im öffentlichen Recht ist die Befugnis einer Instanz zur Kontrolle einer exekutivischen Entscheidung unter dem Topos "umfassende Rechtsprechungsbefugnis" ("full jurisdiction") 83 . Da der Gerichtshof jedoch eine abstrakte Ausfüllung des von ihm verwandten Begriffs "full jurisdiction" vermeidet, sondern einer topischen Methode folgt, sind die Anforderungen der EMRK insoweit im einzelnen noch nicht geklärt. Im Grundsatz fordert der Gerichtshof eine umfassende Kontrolle sowohl der Tatsachenfeststellungen der Behörde als auch der zugrundegelegten Rechtsansichten84. Rechtsprechungstätigkeit in einem formellen Sinn liegt vor, wenn die Entscheidungen der Instanz von keinem nicht-
80 Frowein, in: ders./Ulsamer, Rechtsschutz, S. 15; IntKommEMRKMiehsler/Vogler, Art. 6 Rdnr. 286; Robertson/Merrills , Human Rights, S. 97. 81 Picard, Juridiction Administrative, S. 254; dazu auch Weiß, Das Gesetz im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1996, S. 64 ff. 82 IntKommEMRK-Me/zs/er/Kog/er, Art. 6 Rdnr. 293; LR-Gollwitzer, EMRK, Art. 6 Rdnr. 52. " V g l . etwa EGMR, Serie A Nr. 335-A, Ziff. 40 ("Bryan"); Nr. 312, Ziff. 28 ("Fischer"); Nr. 268-A, Ziff. 29 ("Zumtobel"); Nr. 179, Ziff. 70 ("Obermaier"); Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnr. 56; Schmidt-Aßmann, EuGRZ 1988, 577 (582). 84 EGMR, Serie A Nr. 179, Ziff. 70 (Obermaier); Nr. 295-B, Ziff. 31; Nr. 312, Ziff. 28 (Fischer), dort auch die abw. Meinung des Richters Martens, der sich kritisch mit der Methode des EGMR auseinandersetzt; einschränkend hinsichtlich der Forderung nach "full Jurisdiction over all questions of law and fact" EGMR, Serie A Nr. 335-A, Ziff. 40 (Bryan). 12 Harings
178
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
gerichtlichen Organ zum Nachteil einer Partei abgeändert werden kann 85 . Gremien, die lediglich eine Empfehlung abgeben, sind keine Gerichte, selbst wenn sie in sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit tätig werden 86. cc) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zählen zu den grundlegenden Konstitutionsprinzipien eines Gerichts im Sinne des Art. 6 EMRK. Das Gericht muß von der Exekutive, der Legislative und den Parteien unabhängig sein87. Die Unabhängigkeit der Richter muß durch Verfahrensgarantien gegen Druck von außen gesichert sein. Kriterien, die der Gerichtshof in diesem Zusammenhang heranzieht, sind die Dauer der richterlichen Amtszeit, die Unabsetzbarkeit der Richter durch die Exekutive sowie die Art und Weise der Ernennung der Richter. Nicht erforderlich ist, daß die Richter auf Lebenszeit ernannt werden oder keine anderen Aufgaben neben ihrem Richteramt ausüben dürfen 88. Die fragliche Instanz muß nach dem äußeren Erscheinungsbild als unabhängig anzusehen sein 89 . Allein die Tatsache, daß ihre Mitglieder von der Exekutive ernannt werden, rechtfertigt jedoch keinen Zweifel an ihrer Unabhängigkeit/Unparteilichkeit 90 . Auch die Unparteilichkeit als die innere Einstellung des Richters zur Streitsache und den Parteien muß durch entsprechende Garantien gesichert werden 91 . Entscheidend ist aber letztlich, ob die Bedenken einer Partei gegen die Unparteilichkeit eines Richters objektiv gerechtfertigt erscheinen. Die Unparteilichkeit wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet 92.
85
EGMR, Serie A Nr. 97, Ziff. 40 (Benthem); Nr. 288, Ziff. 45 (van de Hurk); so auch de Smith/Woolf/Jowell, Judicial Review, Rdnrn. A-016, A-022, zum englischen Recht. 86 LR-Gollwitzer, EMRK, Art. 6 Rdnr. 50. 87 EGMR, Serie A Nr. 13, Ziff. 95 (Ringeisen); Nr. 43, Ziff. 55 (Le Compte u.a.); Nr. 97, Ziff. 43 (Benthem); Nr. 132, Ziff. 64 (Belilos); Nr. 296-B, Ziff. 38 (Beaumartin); vgl. auch Robertson/Merrills , Human Rights, S. 97; Cohen-Jonathan, CEDH, S. 416; zu den entsprechenden Garantien in europäischen Staaten Merli, in: Hofmann u.a., Rechtsstaatlichkeit, S. 32 (dort Fußn. 6). 88 LR-Gollwitzer, EMRK, Art. 6 Rdnr. 53; zur Ernennung auf Lebenszeit als Unabhängigkeitsgarantie in Belgien Sheridan/Cameron, EC Legal Systems, Belgium-7. 89 EGMR, Serie A Nr. 80, Ziff. 78 ff. (Campbell und Fell); Nr. 335-A, Ziff. 37 (Bryan); vgl. auch Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnrn. 124 ff, sowie zum französischen Conseil d'Etat Picard, Juridiction Administrative, S. 255 ff. 90 EGMR, Serie A Nr. 80, Ziff. 78 ff. (Campbell und Fell); Nr. 84, Ziff. 38 ff (Sramek). 91 Vgl. nur EGMR, Serie A Nr. 325-A, Ziff. 3 (Diennet). 92 EGMR, Serie A Nr. 43, Ziff. 58 (Le Compte u.a.); Nr. 80, Ziff. 84 (Campbell und Fell); Nr. 257-B, Ziff. 26 (Padovani); Robertson/Merrills, Human Rights, S. 97.
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
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b) Verfahrensgarantien Art. 6 EMRK garantiert das Recht auf ein faires Verfahren. Allgemeinere Ausführungen dazu hat der Gerichtshof im Fall "de Geouffre de la Pradelle" gemacht93. Er betont darin den Anspruch des Bürgers auf ein kohärentes Rechtsschutzsystem, das einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Verwaltung einerseits und den Interessen des betroffenen Bürgers andererseits gewährleisten müsse. Wichtige Einzelelemente des fairen Verfahrens sind der Grundsatz des rechtlichen Gehörs 94 und der Grundsatz der Waffengleichheit, der auch in Verfahren über "civil rights and obligations" zu beachten ist 95 . Er fordert, daß jeder Partei hinreichend Gelegenheit zu geben ist, ihre Ansichten zum Rechtsstreit dem Gericht in einer Weise darzustellen, die sie nicht gegenüber der Gegenpartei benachteiligt. Dies schließt im wesentlichen gleiche Zugangsrechte zu den Akten mit ein 96 . Sachlich begründete Differenzierungen werden jedoch durch das Gebot der Waffengleichheit nicht ausgeschlossen97.
4. Art und Umfang des geforderten Rechtsschutzes Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Bürger "einen substantiellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle" 98 . Die Effektivität gerichtlichen Schutzes ("effective judicial control") ist jedoch längst zu einem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz in Europa geworden 99, der sich aus zahlreichen Einzelgewährleistungen zusammensetzt. Neben den bereits erörterten Anforderungen an die Zusammensetzung des Gerichts und das zu beachtende Verfahren sind insbesondere die Kontrollkom93
Serie A Nr. 253-B, Ziff. 33 f.; dazu Schwarze, EuGRZ 1993, 377 (379); Brenner, EuZöR-Sonderheft 1997, 595 (606 f.). 94 Dazu Brenner, EuZöR-Sonderheft 1997, 595 (609); Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnr. 72; Wilfinger, Rechtsschutz, S. 149 f. 95 EGMR, Serie A Nr. 99, Ziff. 44 (Feldbrugge); Picard, Juridiction Administrative, S. 268 f.; vgl. auch Merli, in: Hofmann u.a., Rechtsstaatlichkeit, S. 35. 96 EGMR, Serie A Nr. 284, Ziff. 52 f. (Bendenoun); zum Ganzen auch van Dijk/van Hoof ECHR, S. 318 ff. 97 LR-Gollwitzer, EMRK, Art. 6 Rdnr. 61. 98 BVerfGE 35, 263 (274); vgl. auch BVerfGE 84, 34 (49); 93, 1 ( 13 f.); jüngst BVerfG (K), NJW 1997, 726; BVerfG (K), Beschl. v. 25.1.1996, 2 BvR 2718/95; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnrn. 152 ff.; Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnrn. 383 ff; Krebs, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rdnrn. 62 ff.; Papier, HbStR VI § 154 Rdnrn. 75 f.; ausführlich Wilfinger, Rechtsschutz, S. 8 ff. (20 f.). 99 Schmidt-Aßmann/Harings, EuZöR-Sonderheft 1997, 529 ff.; Brenner, aaO, S. 595 (601); für das Gemeinschaftsrecht EuGH, Slg. 1986, 1651 (1682); 1987, 4097 (4117 f.); zur Rechtsschutzgarantie in Frankreich Classen, Europäisierung, S. 14 ff. 12*
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
petenz der Gerichte, die Möglichkeiten eines vorläufigen Rechtsschutzes und der Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen zu nennen100. Der Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG bezieht sich - ebenso wie der des Art. 13 EMRK - primär auf Rechtsschutz gegen bereits eingetretene Rechtsverletzungen ("Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt"). Standardmodell des Rechtsschutzes ist demnach zunächst Gerichtsschutz in Gestalt repressiven Rechtsschutzes101. Darüberhinaus bleibt die Frage offen, in welchem Umfang und welcher Form Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt zu gewähren ist. Die Art. 6 und 13 EMRK geben insoweit nur sehr vage Vorgaben 102 . Die Form gerichtlichen Schutzes hängt eng mit dem Verständnis der Rechtsschutzgarantien als Garantien einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle zusammen, die auch Rechtsschutz innerhalb angemessener und zur rechten Zeit umfassen 103. Die Wirksamkeit gerichtlichen Schutzes ist aber nur ein, wenn auch wichtiger Aspekt, den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen die Exekutive zu beachten hat. Die Rechtsschutzgarantien stehen nicht isoliert, sondern sind in die staatliche Ordnung integriert. Die Anforderungen an ein Gerichtssystem müssen mit diversen Bedürfnissen der Gesellschaft kompatibel sein 104 . In Deutschland sind daher andere Verfassungsprinzipien zu berücksichtigen , die sich mit Art. 19 Abs. 4 GG zum Gebot ausgewogenen Rechtsschutzes ergänzen 105. Die Begrenztheit der Ressource Gerichtsschutz führt auch in anderen Staaten zur Forderung nach angemessenem, nicht notwendig maximalem Rechtsschutz106. Ausgehend von Art. 19 Abs. 4 GG sollen im folgenden Art und Umfang des gerichtlichen Schutzes gegen die öffentliche Gewalt, ergänzt um rechtsvergleichende Elemente dargestellt werden. 100
Schmidt-Aßmann/Harings, EuZöR-Sonderheft 1997, 529 (530 f.). Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 Rdnr. 162; Bauer, Gerichtsschutz, S. 89; Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 91; Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 136 m.w.N.; vgl. auch Brenner, EuZöR-Sonderheft 1997, 595 101
(606).
102
Vgl. aber LR-Gollwitzer, EMRK, Art. 13 Rdnr. 24, der auch aus Art. 13 EMRK in Ausnahmefällen das Erfordernis präventiven Rechtsschutzes ableitet. 103 BVerfGE 40, 237 (257); 54, 39 (41); 55, 349 (369); 60, 253 (269); 88, 118 (124); vgl. auch Wilfinger, Rechtsschutz, S. 52 ff, sowie zur Rspr. des EGMR Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnrn. 136 ff. 104 Schmidt-Aßmann/Harings, EuZöR-Sonderheft 1997, 529 (531). 105 So insbesondere Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnm. 152 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG Art. 19 Abs. 4 Rdnm. 4 f , unter Bezugnahme auf BVerfGE 60, 253 (267); BVerwGE 67, 206 (209); vgl. auch Papier, HbStR VI § 154 Rdnr. 8; Schock, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 964; ders., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80 Rdnm. 12 f.; Krebs, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rdnr. 65. 106 Vgl. Lord Woolf, Interim Report, S. 3: "Procedures and cost should be proportionate to the nature of the issues involved ... (judicial protection) should be effective: adequately ressourced and organized ...".
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien a) Präventiver
181
und repressiver Rechtsschutz
Rechtsschutz in Gestalt präventiven oder vorbeugenden Rechtsschutzes entnimmt die h.M. dem Wirksamkeitsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG 1 0 7 . Die Notwendigkeit präventiven Rechtsschutzes folgt aus der Überlegung, daß nach Eintritt der Rechtsverletzung gerichtlicher Schutz in bestimmten Fällen zu spät kommen und die Folgen der rechtswidrigen Beeinträchtigung nicht oder nur unzureichend beseitigen kann 108 . Zum Schutz vor besonders erheblichen Eingriffen ordnet bereits das Grundgesetz selbst präventiven Rechtsschutz in Gestalt der Richtervorbehalte an 109 . Daraus folgt jedoch keine Begrenzung auf diese Fälle. Gefordert wird eine Verletzung wesentlicher Rechtsgüter und/oder eine besondere Schwere und Nähe des Eingriffs 110 ; zusätzlich sei eine Abwägung des konkreten Rechtsschutzinteresses mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vorzunehmen, das durch den Eingriff in einen Entscheidungsvorgang der Verwaltung durchbrochen werde 111 . Der vorbeugende Rechtsschutz tritt somit neben die Standardform des repressiven Rechtsschutzes und bedarf eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses auf Seiten des Betroffenen 112. Die Rechtsprechung verwendet für das Fehlen eines solchen besonderen Rechtsschutzbedürfnisses die Formel der Unzumutbarkeit nachträglichen Rechtsschutzes113. Besondere Bedeutung gewinnt der vorbeugende Rechtsschutz gegen Realakte, bei denen eine Restitution schwierig ist. Soweit ein solcher nicht durch das einfache Prozeßrecht gewährleistet ist, greift unmittelbar das Verfassungsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG ein und erweitert die einfachgesetzlichen Rechtsschutzmöglichkeiten114. Die Möglichkeit, eine vorbeugende Unterlassungsklage zu erheben, fehlt im Europäischen Gemeinschaftsrecht wie in vielen anderen europäischen Rechtsordnungen 115. Ihr Fehlen resultiert in Frankreich aus dem Verbot für die Judi-
107 Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnm. 390 ff.; Krebs, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rdnr.64; Bauer, Gerichtsschutz, S. 97; Wilflnger, Rechtsschutz, S. 73 m.w.N; etwas vorsichtiger dahingehend, daß Art. 19 Abs. 4 GG vorbeugenden Rechtsschutz gebieten kann, Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 278; ähnlich Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 279 f. 108 Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 390. 109 Vgl. Art. 13 Abs. 2, 104 Abs. 2 S. 1 GG; dazu Bachmann, Rechtsschutz, S. 52. 1,0 Vgl. Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 138 ff; Wilfinger, Rechtsschutz, S. 76 ff. 111 Wilfinger, Rechtsschutz, S. 80. 112 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 279. 1.3 Vgl. die Nachweise bei Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 279; dazu auch Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 Rdnr. 166. 1.4 Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 391. 115 Vgl. Berrang, Vorbeugender Rechtsschutz, S. 41, 58 ff.
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
kative, in die Aufgabenerfüllung der Exekutive einzugreifen 116. Rechtstechnisch fehlt es in Fällen einer vorbeugenden Klage an dem geforderten gegenwärtigen Interesse ("intérêt actuel") fur die Klageform des recours pour excès de pouvoir 117. Als primäres Instrument einer objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle des Verwaltungshandelns räumt das französische Verwaltungsprozeßrecht der Funktionsfähigkeit der Verwaltung Vorrang vor dem Schutz von Individualrechten ein 118 . Zwar ist im englischen Rechtskreis nach der Ausgestaltung der Klagearten vorbeugender Rechtsschutz durchaus denkbar, doch liegt die Gewährung gerichtlichen Schutzes auch bei Vorliegen aller Voraussetzungen im Ermessen des Gerichts. In. Fällen, die die "national security" betreffen, also insbesondere gegen polizeiliche Maßnahmen gerichtet sind, verneinen die Gerichte jedoch in der Regel die Initiativberechtigung des Klägers ("standing") 119 . b) Vorläufiger
und endgültiger Rechtsschutz
Ähnlich wie der vorbeugende Rechtsschutz soll der vorläufige Rechtsschutz als Ausprägung des Gebots wirksamen Rechtsschutzes der Gefahr vollendeter Tatsachen entgegentreten und den Eintritt irreparabler Schäden verhindern 120 . Aus der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes leitet das Bundesverfassungsgericht sehr konkrete Folgerungen fur die Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes ab 121 . Die in § 80 Abs. 1 VwGO vorgesehene aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen ist allerdings nur ein Mittel, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Verfassungsrechtlich zwingend geboten ist eine automatisch eintretende aufschiebende Wirkung nicht 122 . Es gibt keine unter116 Dazu Chapus, Droit administratif général I, Rdnr. 824; Classen, Europäisierung, S. 12 ff. 117 Debbasch/Ricci, Contentieux administratif, Rdnm. 309 ff. 118 Berrang, Vorbeugender Rechtsschutz, S. 65. 119 Vgl. die bei Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 Rdnr. 25 (dort Fußn. 53) wiedergegebene Aussage von Lord Denning, selbst die klassischen Freiheitsrechte müßten gegenüber der "national security" zurückstehen. 120 Vgl. nur BVerfGE 93, 1 (13 f.); 94, 166 (216); NJW 1995, 950 (951); BVerfG (K), Beschl. v. 25.1.1996, 2 BvR 2718/95; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 273 m.w.N.; Bauer, Gerichtsschutz, S. 97 (mit umfangreichen Nachweisen aus dem älteren Schrifttum). 121 Vgl. etwa jüngst BVerfG (K), NVwZ 1997, 479, mit der Forderung nach einer eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage, wenn keine Interessenabwägung erfolge; das Gericht müsse gegebenenfalls sogar die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes prüfen. 122 Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 413; SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 274; Krebs, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rdnr. 64; Schoch, in: ders./Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80 Rdnr. 12; anders wohl BVerfGE 35, 263 (274); 35, 382 (401 f.); sowie jüngst BVerfG,
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
183
schiedliche Wertigkeit des Rechtsschutzes in "Anfechtungs- oder Vornahmesachen"123. Mit dem automatischen Eintritt der aufschiebenden Wirkung weicht das deutsche Verwaltungsprozeßrecht von den meisten anderen europäischen Rechtsordnungen ab 124 . I m französischen Recht ist zwar ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs ("sursis à exécution") vor dem Verwaltungsgericht zulässig, doch wird dieser Rechtsbehelf gerade im Polizeirecht äußerst restriktiv gehandhabt125. Auch dem Gemeinschaftsrecht ist die aufschiebende Wirkung fremd (Art. 185 EGV). Die Möglichkeit zum Erlaß einstweiliger Anordnungen hingegen ist den Gemeinschaftsgerichten ebenso eingeräumt wie den meisten anderen internationalen Verwaltungsgerichten. Das Verwaltungsgericht der Weltbank hat die Befugnis zum Erlaß einstweiliger Anordnungen aus seinem Charakter als internationales Gericht hergeleitet 126. Gegenüber einer solchen Schlußfolgerung werden aber in der Literatur Bedenken angemeldet127. Dieser Befund sollte in Deutschland zu der Erkenntnis führen, daß die Forderung nach wirksamem Rechtsschutz nicht die Anerkennung einer im Anfechtungsverfahren automatisch eintretenden aufschiebenden Wirkung impliziert. Dies gilt umso mehr, als der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung in neuerer Zeit immer wieder gesetzliche Durchbrechungen erleidet 128 . Die Möglichkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist eine Komponente des Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes in Europa 129 , doch ist die deutsche Ausgestaltung keineswegs allein rechtsstaatlich geboten. NVwZ 1996, 58 (59); BVerfG (K), Beschl. v. 25.1.1996, 2 BvR 2718/95: aufschiebende Wirkung als adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie; Bauer, Gerichtsschutz, S. 99. 123 Schock, in: ders./Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80 Rdnr. 17.; vgl. auch Wilflnger, Rechtsschutz, S. 64 ff. 124 Dazu Classen, Europäisierung, S. 88 ff.; Schlette, Verwaltungsgerichtliche Kontrolle, S. 62; Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 434 ff, mit einem europäischen Vergleich der gerichtlichen Vollzugsaussetzung nationaler Verwaltungsakte. 125 Schmitz, Polizeirecht, S. 48 f.; vgl. auch Woehrling, VB1BW 1994, 225 (229), und Schwarze, NVwZ 1996, 22 (27). 126 Vgl. Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 258. 127 Instruktiv dazu die Diskussionsbeiträge von von Mangoldt, Golsong und Herdegen, in: Bernhardt, Interim Measures, S. 123 ff, die auf Rodriguez Iglesias und Pescatore, aaO, S. 121 f , antworten. 128 Vgl. etwa das "Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze" vom 1.11.1996, BGBl. 1996 I, S. 1626, das die aufschiebende Wirkung zeitlich befristet und zudem den Bundesländern die Möglichkeit einräumt, sie für den Vollzug des Landesrechts gesetzlich auszuschließen; dazu etwa Redeker, NVwZ 1996, 521 ff.; Schenke, NJW 1997, 81 ff.; nach § 212 BauGB in der seit 1.1.1998 geltenden Fassung entfalten Widerspruch und Anfechtungsklage im Baurecht keine aufschiebende Wirkung mehr. 129 Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 15 ff, mit einer Aufzählung der in den europäischen Rechtsordnungen gemeinsamen Strukturmerkmale (Eilbedürftigkeit,
184
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland c) Primär- und Sekundärrechtsschutz
Art. 19 Abs. 4 GG steht in engem Zusammenhang mit Art. 34 GG 1 3 0 . Beides sind Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips, die den Schutz des einzelnen vor der Staatsgewalt konkretisieren 131 . Art. 19 Abs. 4 GG jedoch garantiert Primärrechtsschutz, der die Rechtsverletzung selbst beseitigt. Eine allgemeine Geltung des Grundsatzes "dulde und liquidiere" ist unter der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes abzulehnen132. Demnach ist vom Vorrang des Primärrechtsschutzes vor dem Sekundärrechtsschutz auszugehen. Nur durch wirksamen Primärrechtsschutz wird dem materiellen Gehalt der zu schützenden Rechtsposition Rechnung getragen. Dem Sekundärrechtsschutz kommt daneben aber eine wichtige Komplementärfunktion zu. Das Rechtsstaatsprinzip fordert eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Staates in den Fällen, in denen allein die Aufhebung eines rechtswidrigen Aktes zur Rehabilitation des Betroffenen nicht ausreicht. Anders wird das Verhältnis des Primärrechtsschutzes zum Sekundärrechtsschutz im Geltungsbereich des Art. 13 EMRK beurteilt: "Eine wirksame Beschwerdemöglichkeit setzt nicht voraus, daß die Instanz den ursprünglichen Akt aufheben kann. ... Da ein Vergleich des Verwaltungsrechtsschutzes zeigt, daß die Aufhebung keineswegs überall automatisch die Folge der Feststellung der Rechtswidrigkeit ist, dürfte es zu weit gehen, nur diese Möglichkeit im Rahmen von Art. 13 anzuerkennen" 133. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte legt sich nicht hinsichtlich einer bestimmten Rechtsschutzform fest: "However, Article 13 does not go so far as to require any particular form of remedy, Contracting States being afforded a margin of discretion in conforming to their obligations under this provision." 134 In anderen europäischen Staaten ist Sekundärrechtsschutz wegen der verringerten Möglichkeiten zur Erlangung primären Rechtsschutzes von noch
Akzessorietät, Vorläufigkeit); vgl. auch die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates No. R (89) 8 über vorläufigen Rechtsschutz in Verwaltungssachen, abgedruckt bei Lehr, aaO, im Anhang, S. 632 ff. 130 Vgl. etwa Erler, VVDStRL 18 (1960), 7 (36); Papier, HbStR VI § 154 Rdnr. 22; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1 (2). 131 Vgl. nur Schmidt-Aßmann, in: HbStR I § 24; ders., NVwZ 1983, 1 (2); SchmidtJortzig, NJW 1994, 2569 (2571); Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr. 104. 132 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 28 (Ausnahmen von dieser Regel unter Rdnr. 284); Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 276; ders., MengerFS, S. 143 (155); vgl. auch BVerfGE 35, 263 (274 f.); 58, 300 (322). 133 Frowein/Peukert, EMRK, Art. 13 Rdnr. 6; ebenso LR-Gollwitzer, EMRK, Art. 13 Rdnr. 23; vgl. auch EGMR, Serie A Nr. 28, Ziff. 65 ff. (Klass); dazu van Dijk/van Hoof, ECHR, S. 528 f. 134 EGMR, Serie A Nr. 215, Ziff 122 (Vilvarajah u.a.).
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
185
größerer Bedeutung als in Deutschland135. Im französischen Recht wird zwischen einer verschuldensabhängigen Haftung ("responsabilité pour faute") und den Tatbeständen einer verschuldensunabhängigen Haftung ("reponsabilités sans faute/por risque") unterschieden 136. Im Grundsatz besteht eine Haftung nur für schuldhaftes Fehlverhalten, wobei die Rechtswidrigkeit ("illégalité") das Verschulden ("faute") häufig indiziert 137 . Insbesondere im Polizeirecht wird die Haftung in bestimmten Fällen von einem groben Verschulden ("faute lourde") abhängig gemacht 138 . Unter Umständen kommt jedoch eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung für den Einsatz von Schußwaffen in Betracht 139 . Amtshaftung in England ist grundsätzlich die persönliche Haftung des handelnden Amtsträgers, doch setzt sich zunehmend eine stellvertretende Haftung der jeweiligen Körperschaft für diese durch 140 . Dies folgt aus der Gleichbehandlung der Exekutive mit Privatpersonen 141. Deshalb begründet nicht jedes Handeln ultra vires eine Haftung. Der Bürger muß darlegen, daß die privatrechtlichen Haftungstatbestände des "tort" oder "breach of contract" erfüllt sind 142 . Ähnlich dem Vorrang des Primärrechtsschutzes in Deutschland wird eine "private law action" zur Durchsetzung des Amtshaftungsanspruches nur als zulässig angesehen, wenn die Rechtsverletzung nicht im Wege des "judicial review" oder eines gesetzlich begründeten "right of appeal" verhindert werden konnte 143 . Ein allgemeiner europäischer Rechtsgrundsatz, der einen Vorrang des Primärrechtsschutzes proklamiert, besteht jedoch nicht. So betont etwa der Europäische Gerichtshof für das Gemeinschaftsrecht die Eigenständigkeit der Amtshaftungsklage gegenüber der Nichtigkeitsklage 144 . Das
135 Zur weitgehenden Verantwortlichkeit der spanischen Amtsträger, einschließlich der Richter, Encinar, in: Hofmann u.a., Rechtsstaatlichkeit, S. 191. 136 Vgl. Chapus, Droit administratif général I, Rdnm. 1249 ff, 1280 ff.; de Laubadère/Venezia/Gaudemet, Droit administratif, Rdnr. 1272. 137 Vgl. das Beispiel bei Chapus, Droit administratif général I, Rdnr. 1253. 138 Chapus, Droit administratif général I, Rdnr. 1266; Aubert, La Police en France, S. 273 ff. 139 Dazu Chapus, Droit administratif général I, Rdnr. 1285; de Laubadère/Venezia / Gaudemet, Droit Administratif, Rdnr. 1297. 140 Craig, Administrative Law, S. 637 f.; zur Übernahme der Haftung für Polizeibeamte durch einen speziellen Fond de Smith/Woolf/Jowell y Judicial Review, Rdnr. 19-015. 141 de Smith/Woolf/Jowell, Judicial Review, Rdnr. 19-003. 142 Lewis, Judicial Remedies, S. 374; de Smith/Woolf/Jowell, Judicial Review, Rdnm. 19-003 f , auch zu neueren Veränderungen durch die Rechtsprechung des EuGH zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht. 143 Lewis, Judicial Remedies, S. 379, 394. 144 EuGH, Slg. 1971, 975 (983 f.); anders noch Sgl. 1963, 211 (237 ff.); allerdings verneint EuG, Slg. 1995 II, 621 (640 f.), das Rechtsschutzinteresse an einer Schadensersatzklage, wenn die Zahlung des geforderten Schadensersatzes in ihrer Wirkung der Aufhebung einer bestandskräftigen Entscheidung gleichkomme.
186
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Institut der Amtshaftung wird auch im Gemeinschaftsrecht als Bestandteil der Garantie effektiven Rechtsschutzes angesehen145. d) Durchsetzbarkeit gerichtlicher
Entscheidungen
Die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen gegen die Verwaltung berührt in besonderem Maße das Verhältnis der Exekutive zur Judikative. Für die Frage nach einem europäischen Standard dürfen daher die verfassungsrechtlichen Besonderheiten des Grundgesetzes, in dem das Prinzip der Gewaltenteilung nicht in Reinform verwirklicht ist, sondern "Gewaltenverschränkungen und -balancierungen" 146 existieren, nicht zum Maßstab erhoben werden. Im deutschen Verwaltungsrecht wird das Erfordernis einer Möglichkeit zu Vollstreckungsmaßnahmen gegen die öffentliche Hand überwiegend aus Art. 19 Abs. 4 GG gefolgert 147 ; die gerichtliche Entscheidung müsse tatsächlich durchsetzbar sein, da anderenfalls die Rechtswegeröffnung rein theoretisch bliebe; zwar könne in einem funktionierenden Rechtsstaat von der Befolgung richterlicher Entscheidungen durch die Verwaltung ausgegangen werden, doch müßten im Einzelfall die Mittel zur Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stehen148. In Frankreich, wo die Exekutive gegenüber der Judikative eine stärkere Stellung als in Deutschland besitzt 149 , wird das Thema der Vollstreckbarkeit gerichtlicher Entscheidungen gegen die Verwaltung ebenfalls diskutiert 150 . Es ist auch dort nur ein Teilausschnitt des allgemeineren Problems, die Kompetenzen von Exekutive und Judikative sachgerecht voneinander abzugrenzen 151 . Der überkommene Grundsatz, der es den Gerichten verbot, die Verwaltung in einem Urteil unmittelbar zu einem bestimmten hoheitlichen Handeln zu 145 Hofmann, in: ders. u.a., Rechtsstaatlichkeit, S. 331 f.; vgl. auch van Gerven t CML Rev. 1995, 679 (696 ff.). 146 BVerfG, JZ 1997, 300 (Südumfahrung Stendal). 147 Vgl. den Regierungsentwurf zur VwGO, BT-Drs. 3/55, S. 48; Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr. 144; Lorenz, Menger-FS, S. 143 (156); Bauer, Gerichtsschutz, S. 102; Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 167 Rdnr. 9, sowie § 172 Rdnr. 5; abschwächend Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 288. 148 Lorenz, Menger-FS, S. 143 (156); Bauer, Gerichtsschutz, S. 102 f.; vgl. auch Redeker/v.Oertzen, VwGO, § 172 Rdnrn. 1, 3, sowie den Regierungsentwurf zur VwGO, BT-Drs. 3/55, S. 49: Die Erfahrung habe gelehrt, daß es in Ausnahmefällen auch Behörden gegenüber nicht ohne Zwang gehe. 149 Vgl. Classen, Europäisierung, S. 12 ff.; Schlette, Verwaltungsgerichtliche Kontrolle, S. 58 f. 150 Siehe nur Costa, AJDA-Spécial 1995, 227, der darin eine Frage der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates sieht. 151 Debbasch/Ricci, Contentieux administratif, Rdnr. 661.
I. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantien
187
verpflichten ("Verbot der injonctions"), wird in neuerer Zeit eingeschränkt 152. Möglichkeiten zur Zwangsvollstreckung gegen die Verwaltung stehen seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 16. Juli 1980 in begrenztem Umfang zur Verfügung 153 . Auch das Gemeinschaftsrecht kennt die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung gegen EG-Organe 154 . Die Forderung nach einer Vollstreckungsmöglichkeit gegen Behörden ist demnach keine Besonderheit des deutschen Verfassungsrechts, sondern kann durchaus als gemeineuropäischer Rechtsschutzstandard angesehen werden. Allerdings genießt in vielen Staaten Staatseigentum Immunität gegenüber Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder anderen Formen des direkten Zugriffs 155 . e) Beschränkungen des Gerichtsschutzes Die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes wird ausdrücklich durch Art. 19 Abs. 4 S. 3 GG eingeschränkt. Eingriffe in das Brief:, Post- und Fernmeldegeheimnis können demnach zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes des Bundes oder eines Bundeslandes der gerichtlichen Kontrolle entzogen und einer Nachprüfung durch die Legislative unterworfen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Rechtswegausschluß im wesentlichen für verfassungsmäßig erklärt, allerdings ein der gerichtlichen Kontrolle materiell und verfahrensmäßig gleichwertiges "Ersatzverfahren" für unabdingbar gehalten 156 , auch wenn der Betroffene an diesem Verfahren nicht beteiligt ist. Besondere Bedeutung kommt als Surrogat des Gerichtsschutzes der unabhängigen Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zu 1 5 7 .
152
Vgl. das Gesetz vom 8. Februar 1995, das die Gerichte ermächtigt, der Verwaltung eine Frist zur Ausführung einer bestimmten Handlung zu setzen; dazu Costa, AJDA-Spécial 1995, 227 (231), sowie Classen , Europäisierung, S. 20. 153 Debbasch/Ricci, Contentieux administratif, Rdnr. 665; Chapus, Droit administratif général I, Rdnm. 892 ff.; Costa , AJDA-Spécial 1995, 227 (229 ff.); siehe auch Schlette, Verwaltungsgerichtliche Kontrolle, S. 70 f , und Classen , Europäisierung, S. 19 (dort Fußn. 53), 21. 154 Vgl. Geiger, EGV, Art. 187 Rdnr. 5; Grabitz, in: ders./Hilf, EGV, Art. 192 Rdnr. 8. 155 Vgl. Sheridan/Cameron , EC Legal Systems, Belgium-7, France-5, Greece-5; siehe auch § 170 Abs. 3 VwGO, der die Immunität allerdings beschränkt. 156 BVerfGE 30, 1 (27 f.); 67, 157 (185); ebenso Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 30 m.w.N, und Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rdnr. 68. 157 BVerfGE 67, 157 (185); SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1435); OVG Münster, DVB1. 1995, 371 (373); Schenke, DVB1. 1996, 1393 (1395): Kontrolle durch ein dem Richter vergleichbares unabhängiges Organ; vgl. auch Flanderka, Der Bundesbeauftragte, S. 111 ff.
188
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Zum Schutz der inneren Sicherheit läßt die Datenschutzkonvention des Europarates in Art. 9 Abs. 2 Einschränkungen der Individualrechte ebenso zu wie die Datenschutzgesetze der meisten EU-Staaten158. Zum Ausgleich sehen auch diese Gesetze Kontrollbefugnisse unabhängiger Datenschutzbehörden vor 1 5 9 . Solche Einschränkungen des gerichtlichen Schutzes dürfen die bestehenden Rechtsschutzgarantien nicht aushöhlen. Die Kompensation fehlender gerichtlicher Kontrolle durch unabhängige Kontrollinstanzen ist jedoch im Einzelfall geeignet, die Rechte der betroffenen Bürger zu wahren.
5. Zusammenfassung Art. 19 Abs. 4 GG garantiert umfassenden, aber nicht maximalen Rechtsschutz gegen Eingriffsakte der öffentlichen Gewalt, der in einzelnen Bereichen allerdings - kompensiert durch eine unabhängige institutionalisierte Kontrolle zurückgeschraubt werden kann. Standardform des Rechtsschutzes ist der repressive Rechtsschutz zur Beseitigung bereits eingetretener Rechtsverletzungen. Zur Abwehr irreparabler Schäden oder unzumutbarer Beeinträchtigungen folgt aus der Rechtsschutzgarantie ein Anspruch auf vorläufigen und in besonderen Fällen auch vorbeugenden Rechtsschutz. Diese Rechtsschutzform wird jedoch nicht in allen Staaten akzeptiert, so daß im Hinblick auf einen europäischen Standard insoweit Einbußen gegenüber dem Garantiegehalt des Art. 19 Abs. 4 GG hinzunehmen sind. Wirksam ist Rechtsschutz nicht schon, wenn ein bestimmtes gerichtliches Verfahren in angemessener Zeit zu einer Entscheidung führt. Ein wesentliches Element des Prinzips der "Effektivität gerichtlichen Schutzes" ist auch die Durchsetzbarkeit richterlicher Entscheidungen. Hinsichtlich der Anforderungen an ein Gericht unterscheiden sich die Art. 19 Abs. 4 und 92 GG kaum von Art. 6 EMRK. Bestimmende Kriterien sind die Rechtsprechungstätigkeit, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der entscheidenden Person sowie die Einhaltung bestimmter Verfahrensgarantien 160. In einigen seiner Einzelausprägungen geht Art. 19 Abs. 4 GG jedoch über die Anforderungen der Art. 6 und 13 EMRK und die Standards in anderen europäischen Ländern hinaus. Insoweit wird zu überlegen sein, ob an diesen nationalen Besonderheiten zwingend festgehalten werden muß. Ein gemeineuro-
158 Vgl. nur Art. 39 des französischen Datenschutzgesetzes, Art. 20, 21 des spanischen Datenschutzgesetzes, sowie Art. 27, 28 des britischen Data Protection Act; alle Vorschriften sind abgedruckt in: Simitis/Dammann/Mallmann/Reh, DokumentationBDSG, Abschnitt D. 159 Zu den unterschiedlichen Befugnissen dieser Organe Mähring, Institutionelle Datenschutzkontrolle, S. 136 ff, 178 ff; vgl. auch oben § 6 15 lit c). 160 Ebenso de Smith/Woolf/Jowell, Judicial Review, Rdnrn. A-022 f. für das englische Recht.
II. Rechtsschutz gegen nationale Eingriffsakte
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päischer Rechtsschutzstandard kann sich nicht allein an den - in vielen Staaten als Maximalforderungen empfundenen - Gewährleistungen der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes 161 orientieren.
II. Rechtsschutz gegen nationale Eingriffsakte Ausgehend von den Überlegungen zu Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 und 13 EMRK ist nunmehr zu fragen, wie der Rechtsschutz gegen polizeiliche und zollbehördliche Eingriffsakte deutscher Behörden in concreto ausgestaltet ist. Der folgende Überblick über den gerichtlichen Schutz bei reinen Inlandssachverhalten beschränkt sich weitgehend auf die in den Übereinkommen dargestellten Verhaltensweisen der Informationserhebung und -Verarbeitung. Es ist zu differenzieren zwischen dem Bereich der präventivpolizeilichen Informationserhebung und -Verarbeitung, der polizeilichen Tätigkeit im Rahmen der Strafverfolgung und zollbehördlichen Eingriffsakten. 1. Rechtsschutz im Bereich präventivpolizeilicher Informationserhebung und -Verarbeitung Gegen Informationseingriffe zum Zwecke der Gefahrenabwehr steht nach der Generalklausel des § 40 VwGO der Verwaltungsrechtsweg offen. Die statthafte Klageart richtet sich nach der Rechtsnatur der angegriffenen oder begehrten Handlung. a) Datenschutzrechtliche Primäransprüche Gegenstand der Ansprüche auf Auskunft, Löschimg oder Berichtigung ist ein tatsächliches Handeln der Behörden. Gleichwohl wird überwiegend nicht die allgemeine Leistungsklage, sondern die Verpflichtungsklage als statthafte Klageart angesehen162. Begründet wurde diese Auffassung ursprünglich damit, daß das Schwergewicht nicht in dem tatsächlichen Vorgang der Auskunftserteilung, sondern in der Ermessensentscheidung der Behörde darüber liege, ob
161
Vgl. Brenner, EuZöR-Sonderheft 1997, 595 (598 ff, 615 f.). VGH Kassel, DVB1. 1996, 570; VGH Mannheim, DVB1. 1992, 1309; OVG Münster, Urt. v. 10.8.1984, abgedruckt in: Simitis u.a., Dokumentation-BDSG, § 14 BDSG 1977, E 5; OVG Berlin, Urt. v. 16.12.1986, aaO, § 13 Abs. 2 E 10; OVG Bremen, Urt. v. 24.2.1987, aaO, § 13 Abs. 2 E 11; Kniesel/Tegtmey er/Vahle, Datenschutz, Rdnr. 860; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, § 42 Rdnr. 172 m.w.N. 162
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Auskunft zu erteilen oder die Daten zu löschen seien 163 ; der tatsächlichen Handlung sei somit ein Verwaltungsakt vorgeschaltet 164. Die Rechtsprechung hat daran auch festgehalten, nachdem in die Polizeigesetze ein Rechtsanspruch des Bürgers auf Auskunft aufgenommen worden ist 165 ; denn weiterhin kann die Auskunft versagt werden, wenn das öffentliche Interesse an einer Geheimhaltung das Interesse des Betroffenen an der Auskunftserteilung überwiegt 166 . Es ist eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Allerdings führen Differenzen in der Formulierung zwischen Leistungs- und Verpflichtungsbegehren nicht zur Abweisung der Klage als unzulässig, sondern können im Wege der Umdeutung behoben werden 167 . Häufig wird eine Entscheidimg zwischen Leistungs- und Verpflichtungsklage vermieden 168 . Zur Vermeidung irreversibler Nachteile können im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Regelungen getroffen werden. Das VG Frankfurt/Main hat den Erlaß einer einstweiligen Anordnung für möglich gehalten, um personenbezogene Daten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzugänglich zu machen 169 . Rechtsgrundlage für das Begehren auf Löschung oder Berichtigung von Daten ist, soweit keine bereichsspezifische Regelung existiert, das Institut des Folgenbeseitigungsanspruchs 170. Die neueren Polizeigesetze normieren jedoch überwiegend - evtl. unter Verweis auf das einschlägige LDSG - originäre Ansprüche auf Auskunft, Löschung oder Berichtigung 171 .
163
VGH Kassel, NJW 1993, 3011 (3012 f.); OVG Berlin, Dokumentation-BDSG (oben Fußn. 158), § 13 Abs. 2 E 10; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 430. 164 Unklar allerdings Rasch, DVB1. 1992, 207 (208), der in der Ablehnung eines Antrages auf Vornahme eines Realaktes eine schlichte Mitteilung sieht, andererseits aber die Entscheidung über die Auskunft - einen Realakt - als Verwaltungsakt qualifiziert. 165 Vgl. VGH Mannheim, DVB1. 1992, 1309; zum Ausschluß behördlichen Ermessens BVerwG, DVB1. 1992, 298. 166 Vgl. etwa § 19 Abs. 4 BDSG, §§ 45 bw PolG iVm. § 17 Abs. 5 LDSG, § 29 Abs. 3 HSOG. 167 BVerwGE 31, 301; Kopp, VwGO, § 42 Rdnr. 14. 168 Vgl. nur OVG Hamburg, Urt. v. 26.8.1982, BDSG-Dokumentation (oben Fußn. 158), § 13 Abs. 2 E 3. 169 NJW 1997, 675. 170 VGH Kassel, CR 1996, 241; VGH Kassel, DVB1. 1996, 570; zum Folgenbeseitigungsanspruch auch Kunkel, VB1BW 1992, 47 (50), sowie Amelung, Informationsbeherrschungsrechte, S. 38 ff. 171 Vgl. etwa Art. 45, 48 BayPAG, §§ 48 ff. ASOG Bin, §§ 49 ff. SächsPolG, §§ 45 f. bw PolG; dazu Heckmann, VB1BW 1992, 203 (210), sowie die Zusammenstellung der Normen bei Däumler, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 763 ff.
II. Rechtsschutz gegen nationale Eingriffsakte
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b) Rechtsschutz gegen sonstige Informationseingriffe aa) Allgemeines Das Klagesystem der VwGO steht zur Verfügung, um den Betroffenen vor Rechtsverletzungen im Informationsbereich zu schützen oder die Rechtswidrigkeit abgeschlossener Handlungen festzustellen 172. Maßnahmen der Datenerhebung und -Verarbeitung sind zumeist keine Verwaltungsakte, so daß die allgemeine Leistungsklage als statthafte Klageart anzusehen ist 173 . Dieser Weg ist insbesondere einzuschlagen, wenn der Betroffene eine Übermittlung seiner Daten an eine andere Behörde im Vorfeld verhindern möchte 174 . Wegen des Zeitmoments kommt jedoch selbst vorläufiger Rechtsschutz häufig zu spät, so daß oft nur im Wege der Feststellungsklage die Rechtswidrigkeit einer behördlichen Handlung festgestellt werden kann 175 . Das Feststellungsinteresse wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß bereits ein Datenschutzbeauftragter die angegriffene Handlung beanstandet hat. Die Beanstandung ist ein verwaltungsinterner Vorgang, der keine dem gerichtlichen Rechtsschutz vergleichbare Rehabilitierung bietet 176 . Nach Ansicht des VGH Mannheim 177 ist die Feststellungsklage allerdings gegenüber der Klage auf Auskunft und Löschung der durch die Informationserhebung gewonnenen Erkenntnisse subsidiär. In ähnlicher Weise entschied der VGH München 178 , daß ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenspeicherung nicht mehr bestehe, wenn über die entsprechenden Daten Auskunft erteilt worden sei, die Daten zwischenzeitlich gelöscht seien und der Betroffene Schadensersatz erhalten habe. Diese Einschränkungen können aber nur Bestand haben, wenn das Fehlverhalten der Behörde nicht in die Öffentlichkeit ausstrahlte. In solchen Fällen geht das Rehabilitationsinteresse über die Löschung der
172 Zum Rechtsschutz gegen die Datenweitergabe im Bereich des Amtshilferechts etwa Erbguth, in: Sachs (Hg.), GG, Art. 35 Rdnr. 29 ff. 173 Vgl. BVerfG (K), LKV 1993, 383 (384); Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, Datenschutz, Rdnr. 862. 174 Kunkel, VB1BW 1992, 47 (49); Borgs/Ebert, Geheimdienste, A § 3 Rdnr. 42; vgl. auch Erbguth, in Sachs (Hg.), GG, Art. 35 Rdnr. 33. 175 Instruktives Beispiel bei VG München, CR 1986, 667 m. Anm. Riegel zum Rechtsschutz gegen eine präventiv-polizeiliche Observation; vgl. auch OVG Münster, CR 1995, 115 und 118. 176 OVG Münster, DVB1. 1995, 373 f.: In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) dem Personalchef der Klägerin ihre mutmaßlichen Kontakte zur RAF offenbart, was zu ihrer Entlassung führte. Die Berufung des BfV gegen das der Feststellungsklage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts hatte keinen Erfolg. 177 DVB1. 1995,367. 178 CR 1995, 113.
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
gespeicherten Daten hinaus 179 . Eine besonders diskriminierende Wirkung des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht muß nicht geltend gemacht werden. Unter engen Voraussetzungen ist in besonderen Fallkonstellationen die Erhebung einer vorbeugenden Unterlassungsklage zulässig 180 . bb) Rechtsschutz und innerstaatliches Amtshilferecht Nach der traditionellen Auffassung sind Amtshilfeersuchen und -handlungen als interne Verfahrenshandlungen nicht selbständig anfechtbar 181. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht im "Volkszählungs-Urteil" auf das Erfordernis eines amtshilfefesten Schutzes gegen eine Zweckentfremdung von Daten hingewiesen 182 . Inzwischen beginnt sich die Einsicht durchzusetzen, daß auch der Amtshilfeverkehr von Gerichten und Behörden innerhalb der Bundesrepublik Deutschland Rechte des Betroffenen verletzen kann 183 . Der Gesetzgeber erkennt die Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb der Justiz nunmehr als Eingriff an und eröffnet dagegen gerichtlichen Schutz 184 . c) Sekundäransprüche Für den Bereich der automatisierten Informationsverarbeitung existieren eigenständige verschuldensunabhängige Schadensersatzansprüche in den Datenschutzgesetzen185, die vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden können 186 . Nach § 21 bw LDSG ist die speichernde Stelle dem Betroffenen auch dann schadensersatzpflichtig, wenn Daten Unbefugten zugänglich werden, die die automatisierten Sicherungseinrichtungen überwunden haben.
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So nunmehr auch BVerwG, Urt. v. 29.4.1997 (1 C 2.95), unter Aufhebung des oben zitierten Urteils des VGH Mannheim (DVB1. 1995, 367). 180 VG München, CR 1986, 667 (670); Kunkel, VB1BW 1992,47 (50). 181 Vgl. Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 35 Rdnr. 19; Kopp, VwVfG, § 4 Rdnr. 13. 182 BVerfGE 65, 1 (46); dazu Bäumler, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 612. 183 Vgl. OLG Köln, NJW 1994, 1075: kein unbeschränktes Einsichtsrecht des Finanzamtes/Finanzgerichts in die Scheidungsakten der Steuerpflichtigen. 184 Vgl. §§ 12 ff, 22 des Justizmitteilungsgesetzes (JuMiG) zur Änderung des EGGVG vom 18. Juni 1997, BGBl. 1997 I, S. 1430. 185 Siehe nur §§ 7 BDSG, 21 bw LDSG. 186 §§ 7 Abs. 8 BDSG, 21 Abs. 8 bw LDSG.
II. Rechtsschutz gegen nationale Eingriffsakte
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Im Falle schwerer Persönlichkeitsverletzungen besteht auch bei NichtVermögensschäden ein Anspruch auf angemessenen Ersatz in Geld 187 . d) Die Offenlegung geheimer Maßnahmen als Voraussetzung wirksamen Rechtsschutzes Rechtsschutz im Bereich der heimlichen Informationserhebung und -Verarbeitung setzt voraus, daß der Betroffene Kenntnis von Maßnahmen erlangt, die seine Rechte berühren können. Dies folgt letztlich aus dem in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebot wirksamen Rechtsschutzes188. Die neueren Polizeigesetze sehen aus diesem Grund nach Abschluß besonderer Formen der verdeckten Informationserhebung eine Benachrichtigungspflicht der Behörde vor, die nur in Ausnahmefällen unterbleiben kann 189 . Art. 19 Abs. 4 GG enthält aber keinen unmittelbaren und absoluten Anspruch auf Benachrichtigung oder Auskunft 190 . Die Garantieelemente des Art. 19 Abs. 4 GG werden Einschränkungen zugunsten anderer Verfassungsgüter unter dem Gesichtspunkt der praktischen Konkordanz unterworfen 191 . Die Rechte des einzelnen können in solchen Fällen auch durch organisatorische Vorkehrungen und die institutionalisierte Kontrolle durch eine unabhängige Instanz geschützt werden 192 .
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§§7 Abs. 2 BDSG, 21 Abs. 2 bw LDSG; zu den Anforderungen an einen solchen Anspruch LG Deggendorf, NJW-RR 1993, 410 f , sowie AG Freiburg, RDV 1997, 34 m. Anm. Gola. 188 BVerfGE 65, 1 (70 f.): BVerwGE 74, 115 (121); SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1435); Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 425; ders. y DVB1. 1996, 1393 (1395); Riegel, Datenschutz, S. 109 f.; Würtenberger/Heckmann/ Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 434. 189 Vgl. nur § 28 Abs. 5 BGSG, § 9 Abs. 3 BVerfSchG, §§ 22 Abs. 8, 23 Abs. 4, 25 Abs. 4 bw PolG, sowie jüngst §§ 90, 91 Telekommunikationsgesetz (TKG), BGBl. 1996 I, 1120. 190 BVerwGE 84, 375; vgl. auch BayVerfGH, DVB1. 1995, 347 (352 f.); Deutsch, Informationen, S. 24 ff. m.w.N.; a.A. Velten, Ermittlungsbehörden, S. 76 ff; Bäumler, NVwZ 1988, 199 (200); Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 434, sehen im Fehlen einer Mitteilungspflicht eine Einschränkung der Rechtsschutzgarantie, die den Anforderungen entsprechen müsse, die das BVerfG im Abhörurteil (BVerfGE 30, 1 (18 ff.)) aufgestellt habe. 191 SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1435); Schenke, DVB1. 1996, 1393 (1395). 192 Flanderka, Der Bundesbeauftragte, S. 111 ff.; Schenke, DVB1. 1996, 1393 (1395): Kontrolle durch ein dem Richter vergleichbares unabhängiges Organ; zu den Grenzen des Ausgleichs OVG Münster, DVB1. 1995, 373 ff. 13 Harings
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland 2. Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren a) Überblick
m
Rechtsschutz gegen Eingriffsmaßnahmen 194 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens 195 ist in der StPO nur unzureichend geregelt 196. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Amtsgerichten und Oberlandesgerichten nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO und den §§23 ff. EGGVG bereitet nicht nur in der Praxis Schwierigkeiten 197 , sondern ist auch in der Literatur umstritten. Die Rechtsprechung der Gerichte ist uneinheitlich. Von Rechtswegklarheit kann keine Rede sein 198 . Bevor die Rechtsschutzmöglichkeiten in Bezug auf die hier interessierenden Eingriffsmaßnahmen erörtert werden, soll das Rechtsschutzsystem kurz dargestellt werden 199 . aa) Rechtsweg, Klageart und Zuständigkeiten Rechtsschutz gegen sogenannte "Justizverwaltungsakte" wird über die §§ 23 ff. EGGVG durch die Oberlandesgerichte gewährleistet. Mittlerweile steht dabei außer Streit, daß der Begriff "Justizbehörde" in § 23 Abs. 1 EGGVG in einem funktionalen Sinn zu verstehen ist 200 . Maßnahmen der Polizei im Ermitt193
Dazu Heneka, Rechtsschutz, S. 13 ff.; instruktiv und kritisch Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1099 ff, unter Hervorhebung der gesetzlichen Grundnormen und strukturen; aus der polizeirechtlichen Literatur etwa Würtenberger/ H eckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 136 ff.; Schenke, Polizeirecht, S. 286 ff. 194 Zur Terminologie Amelung, Grundrechtseingriffe, S. 14 ff. 195 Zu den Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr in der polizeilichen Praxis vgl. Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1098, unter Hinweis auf die zu beobachtende Tendenz, die vorbeugende Verbrechensbekämpfung als präventiv-polizeiliche Aufgabe einzustufen. 196 Vgl. Amelung, Grundrechtseingriffe, S. 13 f.; Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1116. 197 Vgl. nur BVerfG, NJW 1997, 2165: "Die Rechtsmittel gegen Durchsuchungsanordnungen und Durchsuchungsmaßnahmen sind nach geltendem Recht in schwer zu durchschauender Weise mehrfach gespalten und werden von den Fachgerichten uneinheitlich gehandhabt". 198 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 98; Schoch, in: FS für Stree/Wessels, S. 1095 (1117); Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rdnr. 884; zum Gebot der Rechtswegklarheit auch Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569. 199 Der nachfolgende Überblick beschränkt sich auf die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Maßnahmen der Polizei und Staatsanwaltschaft; die Anfechtbarkeit richterlicher Untersuchungshandlungen wird nur am Rande thematisiert, soweit sie zum Verständnis der Ausführungen unerläßlich ist. 200 BVerwGE 47, 255 (258 ff.); OVG Koblenz, NJW 1994, 2108; LR-Schäfer, § 23 EGGVG Rdnr. 14 ff; weitere Nachweise der Rechtsprechung und Literatur bei Schoch,
II. Rechtsschutz gegen nationale Eingriffsakte
195
lungsverfahren, die diese aufgrund ihrer originären Kompetenz trifft, können deshalb grundsätzlich ebenso auf diesem Wege angegriffen werden wie solche der Staatsanwaltschaft. Eine Beschränkung auf Maßnahmen mit Regelungscharakter (Verwaltungsakte) kann § 23 EGGVG nicht entnommen werden. Der Überprüfung durch das OLG unterliegen auch schlicht-hoheitliche polizeiliche Handlungen, insbesondere rechtsverletzende Realakte201. Statthafte Klagearten im Rahmen des Rechtsschutzsystems nach §§23 ff. EGGVG sind deshalb nicht nur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, sondern auch Feststellungs- und Leistungsklage202. Gemäß § 23 Abs. 3 EGGVG steht der Rechtsweg zu den Oberlandesgerichten nur subsidiär zur Verfügung. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte aufgrund anderer Vorschriften bleibt unberührt. Die bedeutendste derartige Vorschrift der StPO ist § 98 Abs. 2 Satz 2 2 0 3 . Danach kann der von einer Beschlagnahme Betroffene jederzeit die richterliche Entscheidung herbeiführen, wenn die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten kraft ihrer Eilkompetenz angeordnet wurde. Im Unterschied zum "Normalfall" gerichtlichen Rechtsschutzes entscheidet der Richter jedoch nicht über die Rechtmäßigkeit der staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen Handlung, sondern er fällt eine eigene Entscheidung über die Beschlagnahme auf der Grundlage der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage204. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO sichert dem Richter, dessen Primärkompetenz zur Anordnung der Maßnahme infolge der Eilbedürftigkeit "ausgeschaltet" wurde, die nachträgliche Kontrolle. Die Vorschrift wird von der herrschenden Meinung 205 analog auf andere Fälle noch andauernder Zwangsmaßnahmen angewandt, in denen Staatsanwaltschaft oder Polizei kraft ihrer Eilkompetenz tätig geworden sind. Der zuständige Richter soll dabei nicht nur
FS für Stree/Wessels, S. 1100 (dort Fußn. 23 und 24); Einzelheiten bei Feiter, Rechtsschutz, S. 40 ff, sowie bei Heneka, Rechtsschutz, S. 14 ff. 201 LR-Schäfer, § 23 EGGVG Rdnr. 26; MüKo-M. Wolf, § 23 EGGVG Rdnr. 5 f.; Schenke, Polizeirecht, S. 291; vgl. auch BVerwG, NJW 1989, 412 (413), und Heneka, Rechtsschutz, S. 20 ff 202 MüKo-M. Wolf, § 23 EGGVG Rdnr. 16; anders LR-Schäfer, § 28 EGGVG Rdnr. 2, und KK-Kissel, § 28 EGGVG Rdnr. 13: Leistungs- und Feststellungsklage ausgeschlossen. 203 Vgl. auch §§ 111 e Abs. 2 Satz 3, 132 Abs. 3 Satz 2, 161 a Abs. 3 Satz 1 sowie § 163 a Abs. 3 Satz 3. Andere Vorschriften der StPO, die eine Anordnungskompetenz des Richters vorsehen (§§ 100 b Abs. 1 Satz 1, 105 Abs. 1,111 Abs. 2 Satz 1, 125 Abs. 1, 163 d Abs. 2 Satz 1 StPO), sind damit nicht ohne weiteres zu vergleichen. In diesen Fällen ist eine Anrufung des Richters durch den Beschuldigten nicht vorgesehen. 204 Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1102; Schenke, NJW 1976, 1816 (1820 ff.); Heneka, Rechtsschutz, S. 92 ff. 205 Vgl. die Nachweise bei Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1103; anders Heneka, Rechtsschutz, S. 93 f. 13*
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
über die Anordnung der Zwangsmaßnahme, sondern auch über die Art und Weise ihrer Vollziehung entscheiden206. Sucht der von einem Eingriff Betroffene um Rechtsschutz gegen erledigte Maßnahmen nach, stellt sich die Situation noch undurchsichtiger dar 207 . Einigkeit besteht weitgehend darin, daß auch die nachträgliche gerichtliche Kontrolle originärer polizeilicher oder staatsanwaltlicher Eingriffe über die §§23 ff. EGGVG erfolgt. Die StPO sieht dafür keine Rechtsgrundlage vor. Hingegen betrifft § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG gerade den Fall der Fortsetzungsfeststellungsklage. Erledigte Maßnahmen, die in Eilkompetenz von Polizei oder Staatsanwaltschaft angeordnet wurden, unterliegen nach herrschender Ansicht hinsichtlich der Anordnung wiederum der richterlichen Kontrolle analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO 208 . Wird dagegen die Art und Weise der Vollziehung angegriffen, soll der Weg zum OLG nach den §§23 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG eröffnet sein 209 . In einem Beschluß vom 30. April 1997 210 hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen erledigte Grundrechtseingriffe erheblich ausgeweitet. Es ist ausdrücklich von seiner früheren Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit richterlicher Durchsuchungsmaßnahmen211 abgewichen und bejaht nunmehr ein Rechtsschutzinteresse für eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe. Solche Grundrechtseingriffe bejaht das Gericht vor allem bei Handlungen, für die das Gesetz einen Richtervorbehalt vorsieht, doch wird die Entscheidung auch Auswirkungen auf die Anfechtbarkeit anderer erledigter Maßnahmen haben.
206
BGHSt 28, 206 (209); 36, 30 (31); 36, 242 (244); Fezer, Jura 1982, 18 (22); a.A. Amelung, Grundrechtseingriffe, S. 24; vgl. auch Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 139. 207 Vgl. Vosskuhle, Rechtsschutz, S. 10 ff. 208 BGHSt 28, 57 (58); 28, 160 (161); 35, 363 (364); 36, 30 (32); 36, 242 (244); 37, 79 (82); OLG Karlsruhe, NJW 1988, 84 f.; LR-Schäfer, § 23 EGGVG Rdnr. 74 f.; Amelung, Grundrechtseingriffe, S. 49 ff.; ders, NJW 1979, 1687 ff.; Rieß/Thym, GA 1981, 189 (203); Fezer, Jura 1982, 126 (131); ablehnend Feiter, Rechtsschutz, S. 121 ff.; Heneka, Rechtsschutz, S. 99 ff.; Schenke, NJW 1976, 1816 (1820 ff.); Dörr, NJW 1984, 2258 (2260); Aulehner, BayVBl. 1988, 709 (711 f.). 209 BGHSt 28, 206 (208 f.); 37, 79 (82); OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 567 f.; NJW 1988, 84 (85); NJW 1992, 642 (643); StV 1994, 264 (265); OLG Nürnberg, NStZ 1986, 575; OLG Hamm, NStZ 1983, 232 f.; weitere Nachweise bei Feiter, Rechtsschutz, S 124 (dort Fußn. 557). 210 NJW 1997,2163. 211 BVerfGE 49, 329: Nach Abschluß einer Durchsuchung könne . über eine Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung wegen sog. prozessualer Überholung in der Regel nicht mehr entschieden werden; kritisch dazu Köster, Rechtsschutz, S. 69 ff.
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bb) Grundrechtseingriff und Prozeßhandlung 212 Unsicherheiten bestehen für den Rechtsschutzsuchenden nicht nur hinsichtlich der Zuständigkeiten, sondern auch hinsichtlich der Überprüfbarkeit des Angriffsgegenstandes. Nach einer verbreiteten Auffassung 213 sollen "Prozeßhandlungen" der Staatsanwaltschaft und Polizei, die auf die Einleitung, Durchführung und Gestaltung eines Strafverfahrens gerichtet sind, nicht isoliert gerichtlich anfechtbar sein. Das BVerfG hat diese Auslegung mehrfach 214 , auch noch in jüngerer Zeit 2 1 5 , bestätigt. Die Argumentation zur Ausklammerung der Prozeßhandlungen aus dem Rechtsschutz stützt sich im wesentlichen auf die Entstehungsgeschichte der §§23 ff. EGGVG 2 1 6 und die Funktion der Hauptverhandlung 217 ; diese nehme eine Rechtsschutz- und Rehabilitationsfunktion für alle im Ermittlungsverfahren stattfindenden Prozeßhandlungen wahr; Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung seien untrennbar; die Durchführung zahlreicher "Nebenverfahren" vor der Hauptverhandlung lähme das Ermittlungsverfahren 218. Gleichwohl hat die Rechtsprechung in Einzelfällen eine Anfechtung nach den §§23 ff. EGGVG zugelassen219.
2.2
Dazu Feiter, Rechtsschutz, S. 57 ff.; Heneka, Rechtsschutz, S. 49 ff. Vgl. nur OLG Karlsruhe, NJW 1976, 1417 (1418); NJW 1978, 1595; OLG Stuttgart, NJW 1977, 2276; MDR 1986, 689; jüngst auch OLG München, Beschl. v. 17.5.1994 (3 VAs 7/94), zit. nach Czermak, BayVBl. 1995, 489: Maßnahmen der Polizei im Ermittlungsverfahren fielen nicht in den Anwendungsbereich der §§23 ff. EGGVG, da sie der Rechtspflege zuzurechnen seien; KK-Müller (2. Aufl.), § 163 StPO Rdnr. 35; weitere Nachweise bei Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1108 (dort Fußn. 53), sowie bei Amelung, Grundrechtseingriffe, S. 26 (dort Fußn. 55). 214 BVerfG, NStZ 1984, 228; NJW 1985, 1019. 215 BVerfG, NJW 1994, 573: Die Entscheidung betrifft eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluß des Kammergerichts, das einen Antrag nach § 23 EGGVG als unzulässig zurückgewiesen hat. Darin wurde die Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Verteidiger des Beschuldigten als Prozeßhandlung eingeordnet, die nicht im Wege der §§23 ff. EGGVG angefochten werden könne. Das BVerfG spricht von einer vertretbaren Rechtsansicht des KG, die nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoße. Art. 19 Abs. 4 GG gebiete nicht sofortigen Rechtsschutz, sondern Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. 216 Kritisch dazu Schenke, NJW 1976, 1816 (1818): "Überbetonung entstehungsgeschichtlicher Momente"; ebenso Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1108, m.w.N. 217 Vgl. Feiter, Rechtsschutz, S. 57 ff.; Heneka, Rechtsschutz, S. 50 ff. 218 OLG Karlsruhe, NJW 1976, 1417 (1418), ablehnend Schenke, NJW 1976, 1816 (1817 ff.). 219 OLG Karlsruhe, NJW 1995, 899; Einzelheiten bei Feiter, Rechtsschutz, S. 58 ff, auch zur Differenzierung zwischen Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen; zu den sog. "doppelfunktionellen Prozeßhandlungen" Amelung, Grundrechtseingriffe, S. 14, sowie Feiter, Rechtsschutz, S. 63 f. 2.3
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Kritik an der Ausklammerung der sogenannten Prozeßhandlungen von der gerichtlichen Überprüfung ist schon vielfach geübt worden 220 . Diese knüpft zunächst an die Begrifflichkeit der Argumentation an. Bereits Amelung hat darauf hingewiesen, daß die Anfechtbarkeit einer Maßnahme allein davon abhängt, ob sie materielle Rechte beeinträchtigen kann oder nicht 221 . Die terminologische Einordnung als Prozeßhandlung ist nicht entscheidend. Tatsächlich verbergen sich hinter dem Begriff verschiedene Maßnahmen. Als typische Handlungen werden genannt 222 : - Einleitung des Ermittlungsverfahrens, - Erhebung der Anklage, - Verfügungen der Staatsanwaltschaft an die Polizei, - Beauftragung eines Sachverständigen, - Zurückweisung eines Antrags, - Verweigerung der Akteneinsicht223, - Polizeiliche Ingewahrsamnahme und Blutentnahme224. Soweit in diesen Fällen subjektive Rechte verletzt sein können, fordert Art. 19 Abs. 4 GG wirksamen Rechtsschutz22*. Insoweit ist auch eine Parallele zu § 44 a VwGO nicht überzeugend. Vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift werden gerade solche Verfahrenshandlungen nicht erfaßt, denen eine selbständige Eingriffswirkung zukommt 226 . Auch der Hinweis auf die Hauptverhandlung kann das Rechtsschutzdefizit nicht beseitigen. Er versagt bereits offensichtlich, wenn Dritte von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind oder das 220
Vgl. nur Schenke, NJW 1976, 1816 (1817); Amelung, Grundrechtseingriffe, S. 26; Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1108 f.; Lisken, in: ders./Denninger, Polizeirecht, S. 810: Auffassung des OLG Karlsruhe "offensichtlich verfassungswidrig". 221 Grundrechtseingriffe, S. 26; ebenso Vosskuhle, Rechtsschutz, S. 11, der auf die doppelfunktionelle Natur der mit Zwangsmaßnahmen einhergehenden Prozeßhandlungen abstellt. 222 Heneka, Rechtsschutz, S. 50; Feiter, Rechtsschutz, S. 57. 223 Anders als bei der Ablehnung eines Antrags des Beschuldigten oder seines Verteidigers (oben Fußn. 215) hält die Rechtsprechung die Ablehnung des Antrags eines Dritten auf Akteneinsicht in die Ermittlungsakten für diesen den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG für eröffnet, OLG Karlsruhe, NJW 1997, 267, vgl. auch OLG Frankfurt/Main, NJW 1996, 1484. 224 Schenke, NJW 1976, 1816 (1819). 225 Schenke, BK (Zweitbearb.), Art. 19 Abs. 4 GG Rdnrn. 213 ff.; ders, Polizeirecht, S. 290; Amelung, NJW 1979, 1687 (1688); LR-Schäfer, § 23 EGGVG Rdnm. 34 a, 48; Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1109, unter Hinweis auf BVerfG, NJW 1991, 415 (416, zu § 44 a VwGO). 226 Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1109, mit Nachweisen aus der Rspr.
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Verfahren vorher beendet wird 2 2 7 . Schließlich ist zurecht betont worden, daß Gegenstand der Hauptverhandlung der staatliche Strafanspruch und die Schuld des Angeklagten ist, nicht aber die Zulässigkeit der Ermittlungsmaßnahmen 228. In anderem Zusammenhang wird im Strafjprozeßrecht hervorgehoben, daß aus einem Verstoß gegen Beweiserhebungsverbote nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot folgt. Das Strafurteil entscheidet inzidenter nur über die Verwertbarkeit von Beweismitteln. Aus der grundsätzlichen Ablehnung der "Prozeßhandlungstheorie" darf nicht gefolgert werden, alle Maßnahmen im Ermittlungsverfahren seien gerichtlich überprüfbar. Eine Differenzierung kann jedoch nicht terminologisch erfolgen, sondern muß die Auswirkungen der Maßnahmen auf geschützte Rechtspositionen berücksichtigen 229. Die Unsicherheiten, die hinsichtlich des Angriffsgegenstandes durch diese begriffsorientierte Theorie ausgelöst worden sind, können durch eine Rückbesinnung auf verwaltungsrechtliche Grundsätze zur Kontrolle der öffentlichen Gewalt beseitigt werden 230 . Dies steht im Einklang mit dem Gesetz, da sich die §§ 23 ff. EGGVG an der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage orientieren. Maßnahmen zur Durchführung des Ermittlungsverfahrens, die in materielle Rechte des Bürgers eingreifen, sind demnach stets anfechtbar 231. cc) Vorläufiger und vorbeugender Rechtsschutz Die Überlegungen zum vorläufigen und vorbeugenden Rechtsschutz beschränken sich auf die §§23 ff. EGGVG. Beide Rechtsschutzarten spielen in der gerichtlichen Praxis keine bedeutende Rolle. In den meisten Fällen hat der Betroffene keine Kenntnis von beabsichtigten Maßnahmen gegen ihn. Doch sind Fallkonstellationen denkbar, in denen zur Abwehr einer unzumutbaren
227 Überzeugend Vosskuhle, Rechtsschutz, S. 12 (dort Fußn. 17) zum Bestehen eines Rehabilitationsinteresses trotz vorangegangener Einstellung des Verfahrens; vgl. aber LR-Schäfer, § 23 EGGVG Rdnrn. 75 ff, der davor warnt, "in jedem Durchschnittsfall" einer Durchsuchung oder körperlichen Untersuchung ein Rehabilitationsinteresse zu bejahen. 228 Die Argumente sind zusammengefaßt bei Heneka, Rechtschutz, S. 52 ff, sowie Feiter, S. 60 ff.; vgl. auch Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1108 f.; Gusy, Polizeirecht, Rdnr. 393 ff. 229 Vgl. Heneka, Rechtsschutz, S. 59 f. 230 So bereits Amelung, Grundrechtseingriffe, S. 66; ebenso Schoch, FS für Stree/Wessels, S. 1112 ff. 231 Schenke, JZ 1988, 317 (318); Bottke, StV 1986, 120 (121); vgl. auch OLG Karlsruhe, NJW 1992, 642, NJW 1995, 899, sowie OLG Frankfurt/Main, StV 1995, 349 zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
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Grundrechtsbeeinträchtigung vorläufiger/vorbeugender Rechtsschutz gewährt werden muß 232 . Die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes wurde von der früher herrschenden Meinung verneint 233 . Hingegen ist zu differenzieren: Gemäß §§29 Abs. 2 EGGVG, 307 Abs. 1 StPO kommt dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung keine aufschiebende Wirkung zu. Der Senat kann jedoch die Vollziehung der angefochtenen Maßnahme aussetzen234. Der Erlaß einstweiliger Anordnungen ist ebenfalls im Gesetz nicht vorgesehen. In neuerer Zeit wird aber, der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung folgend 235 , jedenfalls zur Abwehr schwerer und unzumutbarer Schäden das Erfordernis einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung zunehmend bejaht 236 . Art. 19 Abs. 4 GG gebietet in diesen Fällen eine Analogie zu verwandten Regelungen237. Eine vorbeugende Unterlassungsklage gemäß §§23 ff. EGGVG wird von der Rechtsprechung überwiegend abgelehnt238. Diese pauschale Abneigung gegen den vorbeugenden Rechtsschutz ist jedoch nicht gerechtfertigt. In Anlehnung an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung sollte die Möglichkeit vorbeugenden Rechtsschutzes grundsätzlich eröffnet sein. Gleichwohl sind an die Zulässigkeit eines entsprechenden Antrags hohe Anforderungen zu stellen. Im Rahmen der Begründetheit ist der Grundsatz der freien Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens zu beachten, der der ermittelnden Behörde einen weiten Ermessensspielraum eröffnet 239 . Das Rechtsschutzgebot des Art. 19 Abs. 4 GG muß so interpretiert werden, daß andere verfassungsrechtliche Gewährlei232
MüKo-M. Wolf, § 23 EGGVG Rdnm. 16, 20 f.; vgl. auch Heneka, Rechtsschutz, S. 113: Polizei droht Ermittlungsmaßnahmen an oder hat in früheren, ähnlich gelagerten Fällen bereits solche Maßnahmen gegen den Betroffenen eingesetzt. 233 OLG Hamm, GA 1975, 150; OLG Celle, JR 1984, 297; Altenhain, DRiZ 1966, 361 (365); vgl. auch LR-Schäfer (22. Aufl.), § 28 EGGVG, Anm. 2; KK-Kissel, § 28 EGGVG Rdnr. 22. 234 Dazu Heneka, Rechtsschutz, S. 110. 235 BVerfGE 46, 166 ff. 236 KK-Kissel, § 29 EGGVG Rdnr. 5; LR-Schäfer, § 29 EGGVG Rdnr. 6 f.; Kleinknecht-Meyer/Goßner, § 29 EGGVG Rdnr. 2; Katholnigg, § 23 EGGVG Rdnr. 12; MüKo-Wolf, § 23 EGGVG Rdnm. 20 ff.; Kopp, VwGO, § 80, Rdnr. 1 b, § 179 Rdnr. 1; Heneka, Rechtsschutz, S. 111; Feiter, Rechtsschutz, S. 38 f.; Krebs, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rdnr. 64; auch OLG Hamm, JR 1996, 257 (258), scheint von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auszugehen. 237 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 273; vgl. auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 990 f.; MüKo-M. Wolf § 23 EGGVG Rdnr. 20: analoge Anwendung des § 80 VwGO. 238 Vgl. OLG Hamm, JR 1996, 257 (258), m. krit. Anm. Krack; OLG Frankfurt/M., NStZ 1982, 134; OLG Koblenz, GA 1974, 251. 239 Zum Ganzen auch Heneka, Rechtsschutz, S. 114 f , und Bachmann, Rechtsschutz, S. 37 ff.
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stungen und Garantien nicht beeinträchtigt werden 240 . Die Funktionsfähigkeit der staatlichen Strafrechtspflege ist deshalb ein im Rahmen des vorbeugenden Rechtsschutzes zu berücksichtigender Faktor 241 . Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und Polizei im Ermittlungsverfahren sind grundsätzlich nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen 242. b) Rechtsschutz gegen Informationseingriffe aa) Allgemeines Legt man die §§ 23 ff. EGGVG entsprechend der hier vertretenen Auffassung in Anlehnung an die Klagearten der VwGO aus, ergeben sich im Verhältnis zu präventivpolizeilichen Informationseingriffen wenig Unterschiede. Die strafprozessualen Nebenverfahren stehen grundsätzlich zur Abwehr von Informationseingriffen zur Verfügung 243 . Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird auch in der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte anerkannt 244. Die gesetzlichen Regelungen bleiben hingegen weit hinter dem im Polizeirecht erreichten Standard zurück 245 . Namenskarteien und Verfahrensregister der Staatsanwaltschaften entbehren noch immer einer gesetzlichen Grundlage 246 . Informationsbeschränkungen in einem laufenden Ermittlungsverfahren sind allerdings hinzunehmen und haben insoweit auch 240
BVerfGE 60, 253 (267); ähnlich BVerwGE 67, 206 (209). Vgl. BVerfG, NJW 1994, 3219, NJW 1985, 1019, zu Einschränkungen der Rechtsschutzgarantie im Strafverfahren. 242 So BGHZ 122, 268 (270 f.), hinsichtlich der Nachprüfung im Amtshaftungsprozeß; ebenso BGH, WM 1994, 992 (995); NJW 1989, 96 (97). 243 Als Justizverwaltungsakte haben anerkannt: OLG Köln, NJW 1994, 1075: Übermittlung von Akten; OLG Stuttgart, MDR 1993, 265: Auskunft über ein laufendes Ermittlungsverfahren an den Dienstvorgesetzten des Beschuldigten; OLG Frankfurt/Main, NJW 1988, 47: Löschung von Daten; vgl. auch Amelung, Informationsbeherrschungsrechte, S. 73 ff, und Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, Datenschutz, Rdnr. 855. 244 Vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1997, 267; OLG Frankfurt/Main, NJW 1996, 1484; StV 1995, 349, sowie die Nachweise der Rspr. bei Duttke, Zwangsmaßnahme, S. 65 (dort Fußn. 272); andererseits aber die Kritik bei Bottke, StV 1986, 120 (122): Die Mitteilung personenbezogener Daten durch die Staatsanwaltschaft an die Presse werde von der h.M. als reine Wissenserklärung angesehen und infolgedessen einer Anfechtung nach §§ 23 ff. EGGVG entzogen; dagegen BVerwG, NStZ 1988, 513 (Verwaltungsrechtsweg gegen Presse Verlautbarungen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren), und OLG Karlsruhe, NJW 1995, 899, das gegen Presseerklärungen der Polizei in einem anhängigen Ermittlungsverfahren den Rechtsweg nach §§23 ff. EGGVG für eröffnet hält. 245 Wolter, ZStW 107 (1995), 793: "Es gibt keinen Datenschutz im Strafprozeß, der diesen Namen verdient". 246 Vgl. OLG Frankfurt/Main, NJW 1995, 1102; Bäumler, NJW 1996, 2984. 241
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Ausdruck in der StPO (§§ 101, 110 d, 147, 163 d Abs. 5) gefunden 247. Während der Dauer eines Ermittlungsverfahrens dürfte eine Geltendmachung der datenschutzrechtlichen Primäransprüche deshalb ausgeschlossen sein. bb) Der Sonderfall der Observation/verdeckten Ermittlung Ein Bedürfnis nach isoliertem gerichtlichen Schutz wird im Schifttum für die längerfristige Observation anerkannt 248. Rechtsschutz wird allerdings dadurch erschwert, daß Observationen im Ermittlungsverfahren in aller Regel ohne Kenntnis der Betroffenen stattfinden und eine spätere Benachrichtigung in der StPO nicht vorgesehen ist. Gleichwohl sind entsprechende Klagen nicht ausgeschlossen, wenn die Betroffenen auf andere Weise Kenntnis von der Observation erlangen 249. Im Rahmen der Begründetheit ist der Grundsatz der freien Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens zu beachten, der allerdings durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip eingeschränkt wird. Die Anordnung der längerfristigen Observation obliegt ebenso wie die des Einsatzes verdeckter Ermittler dem Staatsanwalt als Herrn des Ermittlungsverfahrens. Seine Anordnung ist allerdings noch nicht isoliert angreifbar, da sie ein Behördeninternum darstellt 250 . Erst die auf die Anordnung hin ergriffenen Maßnahmen entfalten Außenwirkung. Die Anordnung selbst ist lediglich eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der nachfolgenden Observation. Der BGH hat eine Anfechtbarkeit der Anordnung zur Einrichtung polizeilicher Kontrollstellen ebenfalls abgelehnt251. Von dieser Fallkonstellation unterscheidet sich zwar die Anordnung einer Observation durch die Individualisierung des Betroffenen,
247 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 434; Theisen, JR 1996, 436, sieht unter Hinweis auf BVerfG, NJW 1994, 3219, und NJW 1985, 1019, den Informationsvorsprung der Ermittlungsbehörde durch das "Postulat wirksamer Verbrechensbekämpfung" gerechtfertigt. 248 Bachmann, Rechtsschutz, S. 129 ff; wohl auch Benfer, Grundrechtseingriffe, S. 244: Weitreichender Grundrechtseingriff; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 163 Rdnr. 34 a; LR-Rieß, StPO, § 163 Rdnr. 51; a.A. Duttge, Zwangsmaßnahme, S. 223 f. 249 Vgl. den Sachverhalt in BVerwGE 74, 115 oder AG Bremen, StV 1983, 427, das den Angeklagten, der vom Landesamt für Verfassungsschutz observiert worden war, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er die Observanten enttarnte und ihre Ausrüstungsgegenstände raubte oder zerstörte. 250 BVerwG, Urt. v. 29.4.1997 (1 C 2.95 - bislang nur in Juris veröffentlicht), und VGH Mannheim, DVB1. 1995, 367, für die Anordnung des Einsatzes verdeckter Ermittler; LR-Schäfer, § 23 EGGVG Rdnr. 30; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 23 EGGVG, Rdnr. 6; grundsätzlich auch KK-Kissel, der allerdings Ausnahmen für zulässig hält; a.A. BVerwGE 87, 23 (25), zur Verwaltungsaktsqualität der Anordnung einer Telefonüberwachung; allgemein zur Verwaltungsaktsqualität entsprechender interner Weisungen, Anordnungen etc. Kopp, VwVfG, § 35 Rdnr. 43 f. 251 BGHSt 35, 363; vgl. auch Göhring, Kontrollstellen, S. 65.
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doch wird dessen Rechtsstellung letztlich erst durch die nach außen gerichteten Maßnahmen der Polizei berührt. Von der Anordnung hat er in der Regel keine Kenntnis. Schließlich wird auch nicht jede Anordnung umgehend in die Tat umgesetzt252. cc) Prozessuale Fragen Die §§23 ff. EGGVG orientieren sich an den Klagearten des Verwaltungsprozeßrechts. Daraus resultieren Besonderheiten, die sich von der strafrechtlichen Einbindung des Verfahrens abheben. (1) Klagegegner Dem Strafprozeßrecht ist der Begriff des Klagegegners fremd. Angegriffen wird eine konkrete Maßnahme der öffentlichen Gewalt, ohne daß die Bedeutung des Klagegegners wie im Verwaltungsprozeß problematisiert wird. Richtiger Klagegegner einer verwaltungsgerichtlichen Klage ist in der Regel der Rechtsträger der handelnden Behörde (Rechtsträgerprinzip) 253. Die Bezeichnung des Beklagten oder der handelnden Behörde (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) gehört als Zulässigkeitsvoraussetzung zum notwendigen Inhalt der Klageschrift (§ 82 Abs. 1 S. 1 VwGO) 2 5 4 . Die §§ 23 ff. EGGVG enthalten zwar keine ausdrückliche Regelung, doch setzen sie die Bezeichnung des Antragsgegners voraus 255 . Dies ergibt sich mittelbar aus § 23 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 EGGVG. Der Antragsteller muß demnach Tatsachen vortragen, die den Schluß auf eine Verletzung seiner Rechte durch eine Justizbehörde rechtfertigen. Das Kammergericht hat an die Darlegungslast des Antragstellers sehr hohe Anforderungen gestellt 256 . In der Praxis erfolgt die Bezeichnimg des 252
Vgl. den Sachverhalt in BVerfG, NJW 1997, 2165: Nachdem das Amtsgericht antragsgemäß am 6.7.1990 einen Durchsuchungsbeschluß erlassen hatte, fand die Durchsuchung tatsächlich erst am 26.8.1992 - über 2 Jahre später - statt. 253 Dazu Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 Rdnr. 14; Kopp, VwGO, § 78 Rdnr. 6. 254 Vgl. Bosch/Schmidt, Praktische Einführung, S. 192; Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 Rdnr. 22. 255 OLG Stuttgart, NJW 1985, 2343; KG, GA 1978, 244; KK-Kissel, § 23 EGGVG Rdnr. 43; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Vorb. §§ 23 ff. Rdnr. 3; nach MüKo-M. Wolf, § 23 EGGVG Rdnr. 17, reicht entsprechend § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die Angabe der Behörde aus; vgl. auch BGH, WM 1994, 992 (994). 256 KG, GA 1978, 244: Der Antragsteller rügte Maßnahmen im Rahmen der Vollstreckung eines Vorführungsbefehls, bezeichnete aber als Antragsgegner nur das Amtsgericht, das den Befehl erlassen hatte; das KG hielt die Bezeichnung des Antragsgegners für unzureichend, da sich aus dem Vortrag nicht ergebe, ob und welche Hilfsorgane zur Vollstreckung tätig geworden seien.
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Antragsgegners bei der Individualisierung der angefochtenen Maßnahme257. Die Stellungnahme des Antragsgegners wird durch den Generalstaatsanwalt (Generalbundesanwalt) beim Oberlandesgericht (BGH) abgegeben. (2) Die Wirkungen
einer gerichtlichen Entscheidung
Anordnungen eines Gerichts oder einer Staatsanwaltschaft im Strafverfahren haben im gesamten Bundesgebiet dieselbe rechtliche Wirkung 258 . Der Bund bildet ein einheitliches Rechtspflegegebiet, in dem Träger des Strafverfolgungsrechts grundsätzlich die Länder sind, deren Gerichte originäre Hoheitsrechte ihres Landes ausüben259. Der Strafklageverbrauch in einem Land gilt auch für alle anderen Bundesländer 260. Eine Staatsanwaltschaft ist an der Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens gehindert, wenn der Beschuldigte hinsichtlich derselben Tat von einem deutschen261 Gericht rechtskräftig freigesprochen oder das Verfahren von einer anderen Staatsanwaltschaft nach § 153 a StPO eingestellt wurde. Anders sind die Wirkungen einer gerichtlichen Entscheidung in Verfahren, die nicht den staatlichen Strafanspruch betreffen, sondern auf die Kontrolle staatlichen Handelns gerichtet sind. Auch Entscheidungen der Oberlandesgerichte im Verfahren nach §§23 ff. EGGVG sind der materiellen Rechtskraft fähig 262 . Sie entfalten Wirkungen nur zwischen den Beteiligten (inter partes) 263. Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle ist nur die konkret angegriffene Vornahme oder Unterlassung einer Maßnahme durch eine Justizbehörde. Eine darüberhinausgehende "präjudizielle" Wirkung für andere Maßnahmen oder Behörden eines anderen Landes kommt den Entscheidungen im Verfahren nach §§23 ff. EGGVG nicht zu: "Die Entscheidung eines Gerichts des Landes Rheinland-Pfalz im Verfahren nach §§23 ff. EGGVG wäre jedoch für eine Justizbehörde des Landes Baden-Württemberg nicht verbindlich, da in diesem Verfahren ebensowenig wie im Verfahren nach §§109 ff. StVollzG (vgl. § 111 StVollzG) deren Beiladung vorgesehen ist."264 257
Vgl. das Muster eines Antrags nach § 23 EGGVG bei Michalke/Hamm, Beck'sches Formularbuch, VIII. F. 3, S. 466. 258 LR-Schäfer/Boll, vor § 156 GVG Rdnr. 33. 259 LR-Schäfer, vor § 12 GVG Rdnrn. 2 f. 260 BGH, NStZ 1986, 557; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Einl. Rdnr. 176; LR-Schäfer, vor § 12 GVG Rdnr. 6. 261 Hinsichtlich ausländischer Gerichte vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, Einl. Rdnr. 177, sowie oben B II 2 d). 262 BGH, WM 1994, 992 (994); NJW 1985, 1335 (1336); MüKo-M. Wolf, § 28 EGGVG Rdnr. 9. 263 Vgl. BGH, WM 1994, 992 (994). 264 OLG Stuttgart, NStZ 1997, 103 (104).
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3. Rechtsschutz gegen Eingriffsakte der Zollverwaltung Entsprechend der Weite der den Zollverwaltungen übertragenen Aufgaben sind die dagegen möglichen Rechtsbehelfe und Rechtswege vielfältig 265 . Aus diesem Grund soll zunächst ein Überblick über Aufbau und Aufgaben der Zollverwaltung gegeben werden. Anschließend werden ihre Befugnisse und die entsprechenden Rechtsschutzmöglichkeiten erörtert. a) Aufbau und Aufgaben der Zollverwaltung Mit der Schaffung des Zollverwaltungsgesetzes vom 21.12.1992 266 hat der deutsche Gesetzgeber auf die durch die damals bevorstehende Einführung des Zollkodexes der EG hervorgerufenen Änderungen der europarechtlichen Rahmenbedingungen reagiert. Fragen der Verwaltungsorganisation überläßt der Zollkodex den Mitgliedstaaten. Die Organisation der deutschen Zollverwaltung ist in § 1 FVG geregelt 267. Oberste Zollbehörde ist danach das Bundesministerium der Finanzen, Mittelbehörden sind die Oberfinanzdirektionen und örtliche Behörden sind die Hauptzollämter und Zollfahndungsämter. Die Zollfahndungsämter sind gegenüber den Hauptzollämtern organisatorisch verselbständigt 268. Als Bundesoberbehörde ist durch Gesetz vom 7. Juli 1992 269 das Zollkriminalamt (ZKA) als Nachfolgerin des Zollkriminalinstituts errichtet worden 270 . Zu den Aufgaben der Zollverwaltung zählt nach § 1 ZollVG die Kontrolle der nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Verbote und Beschränkungen. Die Zollverwaltung erledigt nach § 1 Abs. 4 ZollVG auch andere Aufgaben, die ihr durch Rechtsvorschriften zugewiesen sind. Das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter sind zunächst zuständig für die Ermittlung und Verhütung von Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit der Ein-, Aus- oder Durchfuhr von Waren 271 . Darüberhinaus sind ihnen steuerliche Ermittlungen ebenso übertragen wie die Durchführung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens hinsichtlich Steuerstraftaten oder strafbarer Verstöße gegen Ein- und Ausfuhrbe-
265
Vgl. Bartsch, Jura 1993, 347 (352). Art. 1 des Zollrechtsänderungsgesetzes, BGBl. 1992 1,2125. 267 Der Verweis in § 17 Abs. 1 ZollVG hat lediglich deklaratorischen Charakter, vgl. Bille, in: Dorsch, Zollrecht, § 17 ZollVG Rdnr. 2. 268 Tipke/Kruse, § 208 AO Rdnr. la. 269 BGBl. 1992 I, S. 1222. 270 Dazu Bille, in: Dorsch, Zollrecht, § 17 ZollVG Rdnr. 18; Tipke/Kruse, § 208 AO Rdnr. la. 271 Glashoff/Kühle, Rechtsschutz, Rdnr. 664. 266
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Stimmungen272. Dem Zollkriminalamt sind zur präventiven Bekämpfung von Verstößen gegen das Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetz weitreichende Befugnisse eingeräumt worden, wie sie weder Polizei noch Staatsanwaltschaft nach der StPO zustehen273. Seine Tätigkeitsgebiete sind in § 5a FVG festgelegt. Dazu zählen das Sammeln und Auswerten von Informationen für die Zollfahndungsämter und andere Dienststellen, die Überwachung des Wirtschaftsverkehrs mit dem Ausland und die Zusammenarbeit mit den dortigen Behörden sowie die Koordination und Mitwirkung bei Ermittlungen der Zollfahndungsämter 274. In Fällen von überörtlicher Bedeutung kann das Zollkriminalamt die Ermittlungen selbst führen. b) Befugnisse der Zollverwaltung
und Rechtsschutz des Bürgers
aa) Informationseingriffe aufgrund spezialgesetzlicher Zuständigkeit Die der Zollverwaltung spezialgesetzlich übertragenen Aufgaben reichen vom Außenwirtschaftsrecht über die landwirtschaftliche Marktordnung bis zum Betäubungsmittel- und Arzneimittelrecht 275 . Ihre Befugnisse sind jeweils in den einzelnen Bestimmungen geregelt 276. Eine besonders umstrittene Maßnahme der Informationserhebung des Zollfahndungsdienstes ist die Marktbeobachtung 277 . Diese wird definiert als "fortlaufende Erhebung, Verarbeitung und Nutzung, Auswertung und Steuerung von Informationen über wirtschaftliche Abläufe und Verhältnisse und daran beteiligte Firmen und Personen in Wirtschaftsbereichen, für die die Zollverwaltung Zuständigkeiten zur Überwachung unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung, Aufdeckung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen besitzt" 278 . Die Marktbeobachtung kann sich sowohl auf eine bestimmte Region als auch auf ein bestimmtes Unternehmen oder eine Person erstrecken. Marktbeobachtung findet in allen Bereichen statt, in denen den Zollbehörden Zuständigkeiten übertragen worden sind 279 . 272
Vgl. §§ 208 AO, 12 a FVG; dazu Bille, in: Dorsch, Zollrecht, § 17 ZollVG Rdnr. 13, sowie Kramer, wistra 1990, 169 (175 ff.) zur Eigenschaft der Beamten des Zollfahndungsdienstes als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft. 273 Tipke/Kruse, § 208 AO Rdnr. la. 274 Bille, in: Dorsch, Zollrecht, § 17 ZollVG Rdnr. 18. 275 Vgl. die Übersicht bei Glashoff/Kühle, Rechtsschutz, Rdnm. 666 ff.; zur Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels Fehn, ZfZ 1991, 104. 276 Vgl. Tipke/Kruse, § 208 AO Rdnrn. 3 ff, 20 ff.; zur zollamtlichen Überwachung in § 10 ZollVG Bille, in: Dorsch, Zollrecht, § 10 ZollVG Rdnrn. 2 ff. 277 Dazu Warners, Marktbeobachtung, S. 71 ff, einerseits; andererseits Ringling, ZfZ 1994, 109. 278 Wamers, Marktbeobachtung, S. 37. 279 Vgl. etwa §§ 37, 46 Abs. 4 AWG, §§ 28, 37 MOG, §§ 21 BtMG, 22 AtomG, 74 ArznmG.
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Aufgrund dieser speziellen Befugnisse ergriffene Maßnahmen unterliegen der Anfechtung auf dem Verwaltungsrechtsweg, soweit eine bestimmte Maßnahme nicht (auch) auf § 208 AO gestützt wird 2 8 0 . Statthafte Klageart ist in der Regel die allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage oder die Feststellungsklage. Insoweit bestehen hinsichtlich des Rechtsschutzes keine Unterschiede zur präventiv-polizeilichen Tätigkeit. bb) Informationseingriffe im Bereich des Steuerrechts Gemäß Art. 208 AO können die Behörden der Finanzverwaltung, zu der die Zollverwaltung organisatorisch gehört, Vorfeldermittlungen im steuerlichen Sektor vornehmen 281 . Ob die Vorschrift die Befugnis zu Informationseingriffen umfaßt, ist allerdings umstritten 282 . Bereichsspezifische Datenschutzregelungen fehlen für die Zollverwaltung gänzlich 283 . Erkenntnisse aus steuerrechtlichen Ermittlungen fallen jedenfalls unter das Steuergeheimnis des § 30 AO. Der BFH hält Auskunftsersuchen auf der Grundlage des § 208 AO für zulässig und mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar 284. Der Rechtsweg gegen Maßnahmen der Zollverwaltung auf dem Gebiet der Steueraufsicht führt zu den Finanzgerichten. § 33 Abs. 2 FGO und § 347 Abs. 2 AO beziehen bestimmte Maßnahmen der Zollverwaltung ausdrücklich in den Begriff der Abgabenangelegenheiten ein. Dadurch ist ein im wesentlichen dem Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte gleichwertiger Rechtsschutzstandard gesichert 285 , auch wenn im einzelnen Unterschiede bestehen286. Der Finanzrechtsweg ist ebenso für Klagen auf Unterlassung und Widerruf dienstlicher Äußerungen eröffnet, soweit eine Klage sich nicht gegen den sich äußernden Beamten persönlich richtet 287 . Stützen sich Maßnahmen der Steuerfahn280
Wamers, Marktbeobachtung, S. 117 f. Wamers, Marktbeobachtung, S. 100. 282 Wamers, Marktbeobachtung, S. 98 (dort Fußn. 64); Ringling,, ZfZ 1994, 109 (110 f.). 283 Ringling, ZfZ 1994, 109; Wamers, Marktbeobachtung, S. 110; abwegig allerdings die Ansicht von Wamers, aaO, S. 113, Befugnisse der Zollfahndung auf § 34 StGB (!) stützen zu können. 284 BFHE 148, 108 (116 f.). 285 Blumers/Göggerle, Steuerstrafverfahren, Rdnr. 403; zu den Rechtsschutzgarantien der FGO Koch, in: Gräber, FGO, § 1 Rdnm. 12 ff.; vgl. auch BT-Drs. 4/1446, S. 43: § 33 Abs. 1 FGO wolle lückenlosen Rechtsschutz im Finanzrechtsweg gewährleisten. 286 Vgl. BFHE 177, 242 (245), zur Zulässigkeit einer Spontanauskunft an die niederländische Steuerverwaltung, in der das Gericht darauf abstellt, daß die Informationen weder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthielten noch die Intimsphäre des Betroffenen berührten. 287 Tipke/Kruse, FGO, § 33 Rdnr. 10; zur allgemeinen Leistungsklage auch von Groll, in: Gräber, FGO, § 40 Rdnm. 28 ff. 281
208
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
dung hingegen auf strafprozessuale Rechtsgrundlagen, muß der Weg zu den ordentlichen Gerichten bestritten werden 288 . Hingegen ist der Finanzrechtsweg wiederum eröffnet, wenn der Betroffene nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens Einsicht in die Strafakten begehrt 289 . cc) Maßnahmen der Strafverfolgung Wie die Polizei wird auch der Zollfahndungsdienst mit Ermittlungen im Straf- und Bußgeldverfahren betraut 290 . Die Rechte und Pflichten der Beamten im Ermittlungsverfahren richten sich nach den einschlägigen Vorschriften der StPO (§§ 385, 404 AO). Da der Zollfahndungsdienst insoweit funktionell als Justizbehörde tätig wird, wird Rechtsschutz gegen Informationseingriffe demgemäß vorwiegend über die §§23 ff. EGGVG gewährt 291 . In der Praxis werden Maßnahmen der Steuerfahndung im Strafverfahren selten vom Beschuldigten angegriffen. Bedeutung kommt den zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen allerdings zu, wenn Dritte sich gegen Ermittlungsmaßnahmen wehren wollen 292 .
4. Zusammenfassung Rechtsschutz im Bereich der Informationserhebung und -Verarbeitung wird im nationalen Recht durch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und die Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gesichert. Wurde früher die Leistung von Amtshilfe als behördeninterner Vorgang einer gerichtlichen Anfechtung entzogen, kann sich nunmehr jeder mit der Behauptung, in Grundrechten verletzt zu sein, gegen die Vornahme der Amtshilfehandlung durch die ersuchte Behörde wenden 293 . 288
Tipke/Kruse, FGO, § 33 Rdnr. 21, § 208 Rdnrn. 24 ff.; Koch, in: Gräber, FGO, § 33 Rdnrn. 15 f.; Streck, Steuerfahndung, Rdnrn. 854 ff; Blumers/Göggerle, Steuerstrafverfahren, Rdnr. 405. 289 BFHE 120, 571; 143, 503; FG Niedersachsen, EFG 1993, 531; KK-Kissel, § 23 EGGVG Rdnr. 19; LR-Schäfer, § 23 EGGVG Rdnr. 15; a.A. Hellmann, DStZ 1994, 371. 290 Zum Problem der gemeinsamen Ermittlungsgruppen von Polizei und Zoll Kramer, wistra 1990, 169 f. 291 Überblick über die Rechtsschutzmöglichkeiten bei Glashoff/Kühle, Rechtsschutz, Rdnrn. 669 ff.; siehe auch Koch, in: Gräber, FGO, § 33 Rdnr. 16, sowie LR-.Schäfer, § 23 EGGVG Rdnr. 15. 292 Vgl. Streck, Steuerfahndung, Rdnr. 868, unter Hinweis auf BFH, BStBl. 1983 II, 482; OLG Hamm, WM 1983, 996. 293 Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 35 Rdnr. 33; vgl. auch VGH München, BayVBl. 1988, 341; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5 Rdnr. 39.
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
209
Soweit Unsicherheiten hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolle von Grundrechtseingriffen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bestehen, resultieren diese aus einer äußerst restriktiven Handhabung der Rechtsbehelfe durch die Gerichte. Das Rechtsschutzsystem - weitgehende Zuweisung der Streitigkeiten an die Oberlandesgerichte - ist reformbedürftig. Nur eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmungen kann den verfassungsrechtlich geforderten Rechtsschutz gewährleisten 294.
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Grundmodell des Rechtsschutzes bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist im Bereich der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit das Rechtshilferecht. Es soll im folgenden zusammenhängend (unter Einschluß des Auslieferungsrechts) skizziert werden, da die neueren Formen der Kooperation vielfach auf dem Institut der Rechtshilfe aufbauen. Zugleich bildet es den Übergang von einer rein nationalen Perspektive zu einer "Europäisierung" oder "Internationalisierung" der Betrachtungsweise. Gegenstand des Rechtsschutzes sind in den meisten Fällen deutsche Hoheitsakte, die (auch) im Ausland Wirkungen entfalten. Die Rechtsprechung berücksichtigt diese Auslandsbezüge, indem sie die Auslandswirkungen deutscher Hoheitsakte nicht streng am Maßstab der deutschen Grundrechte mißt, sondern die maßgebliche ausländische Rechtsordnung grundsätzlich als gleichwertig respektiert 295. Dies kann in manchen Fällen, in denen nur geringe Übereinstimmung hinsichtlich der zu beachtenden Wertvorstellungen besteht, kritisch sein, sollte jedoch unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die sich zu den Wertvorstellungen der EMRK bekennen 296 , keine größeren Probleme aufwerfen. Eine ausgeprägte Praxis der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit besteht auch in der Finanzverwaltung 297 . Im Steuerrecht arbeiten die Finanzbehörden der EG-Mitgliedstaaten auf der Grundlage bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen sowie insbesondere der EG-Amtshilfe- 298 und Beitreibungsrichtlinie 299
294
Vgl. Kniesel/Tegtmey er/Vahle, Datenschutz, Rdnr. 859: "Der Rechtsschutz gegen Eingriffsakte der Polizei im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens ist somit allgemein weder praktikabel noch effektiv. Diese Feststellung gilt auch für die Überprüfung polizeilicher Informationseingriffe." 295 Vgl. Graßhof/Backhaus, EuGRZ 1996, 445 ff. 296 Art. F Abs. 2 EUV. 297 Vgl. zur Entwicklung Menck, in: Vogel, Internationale Steuerauskunft, S. 8 ff. 298 Richtlinie (EWG) Nr. 77/799 des Rates über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern und indirekten Steuern vom 19. Dezember 1977, ABl. Nr. L 336, S. 15 (EG-AmtshilfeRL); 14 Harings
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
zusammen. Infolge der internationalen Verflechtung der Wirtschaftsbeziehungen ist die Zahl der grenzüberschreitenden Ersuchen seit Beginn der 80er Jahre stark angestiegen300. Die dazu ergangene Rechtsprechung der Finanzgerichte kann ebenfalls für die in dieser Arbeit untersuchten Fragestellungen hilfreich sein.
1. Rechtsschutz in Rechtshilfeangelegenheiten a) Auslieferung aa) Ausgehende Ersuchen 301 Gegen Maßnahmen eines anderen Staates innerhalb seines Staatsgebietes aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Bundesrepublik Deutschland findet Rechtsschutz vor den Gerichten dieses Staates nach dessen Rechtsordnung statt 302 . Hier soll allein problematisiert werden, ob der Betroffene auch um Rechtsschutz in Deutschland gegen das ausgehende Ersuchen selbst nachsuchen kann 303 . Vogler hat dies in seiner Habilitationsschrift untersucht und letztlich abgelehnt 304 . Seine Begründung ist deshalb von Bedeutung, weil sie die traditionellen Vorstellungen von Auslieferung und Rechtshilfe als rein völkerrechtliche Angelegenheiten widerspiegelt 305 . Zwei Argumente sind
aktuelle Fassung abgedruckt in Sartorius II, Nr. 520; vgl. dazu das EG-Amtshilfegesetz vom 19.12.1985, BGBl. 1985 I, S. 2436 (Sart. II Nr. 560). 299 Richtlinie (EWG) Nr. 76/308 des Rates über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen und bezüglich der Mehrwertsteuer und bestimmter Verbrauchsteuern vom 15. März 1976, ABl. Nr. L 73, S. 18 (EG-BeitreibungsRL); aktuelle Fassung abgedruckt in Sartorius II, Nr. 510; dazu EG-Beitreibungsgesetz vom 10.8.1979, BGBl. 1979 I, S. 1429 (Sart. II Nr. 550). 300 D. Brenner, FR 1989, 236. 301 Aus der Sicht des ersuchenden Staates wird terminologisch auch von "Einlieferungsersuchen" gesprochen. 302 Beispiele bei Nehm, DRiZ 1996,41 (43 ff.). 303 In Betracht kommt allein Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten, da die Stellung eines Auslieferungsersuchens durch die Bundesrepublik Deutschland nicht der Strafverfolgung und -Vollstreckung zuzurechnen ist; vgl. OVG Münster, NJW 1989, 2209 f.; OLG Hamm, Beschl. vom 7.6.1984, in: Eser/Lagodny, Rechtshilfe, U 88. 304 Auslieferungsrecht, S. 320 ff; ders., EuGRZ 1981, 417 (418); zustimmend Trechsel, EuGRZ 1987, 69 (71). 305 Kritisch dazu Schomburg/Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, Einl. Rdnr. 84 ff.
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
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hervorzuheben: Das Einlieferungsersuchen als Teilakt eines völkerrechtlichen Rechtsgeschäfts erzeuge nur Rechtswirkungen im Verhältnis zwischen ersuchendem und ersuchtem Staat; eine Zurechnung der Maßnahmen des ersuchten Staates scheide aus, da diese ihre Rechtsgrundlage nicht in dem Ersuchen selbst hätten, sondern auf selbständigen Hoheitsakten des ersuchten Staates beruhten 306 . Insoweit wird auf die fehlende Gerichtsbarkeit deutscher Gerichte hingewiesen. Nach Ansicht Voglers scheidet Rechtsschutz gegen das Einlieferungsersuchen vor den Verwaltungsgerichten "wegen des unbegrenzten Ermessensspielraums der Bundesregierung" aus; die Staatsgewalt trete dem Betroffenen nicht hoheitlich gegenüber, sondern mache von ihrer Ermessensfreiheit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge Gebrauch 307. Die Auslieferung wird als völkerrechtlicher Vertrag zwischen ersuchendem und ersuchtem Staat angesehen, der durch Auslieferungsersuchen und -bewilligung zustandekommt 308 . Das Bundesverfassungsgericht bestätigt in seinem Beschluß vom 25. März 1981 309 in einem obiter dictum, daß eine Klage gegen ein Einlieferungsersuchen unzulässig sei. Es folgert dies jedoch ausdrücklich nicht aus dem Charakter des Ersuchens als völkerrechtliche Willenserklärung. Vielmehr gelangt es zu der Überzeugung, das Ersuchen habe "weder unmittelbar noch mittelbar einen der Bundesrepublik Deutschland zurechenbaren Eingriff in die Freiheit des Beschwerdeführers" bewirkt 310 . Es habe nur Anstoß zu einer Prüfung durch die schweizerischen Behörden gegeben, ob die Voraussetzungen für eine Inhaftierung und Auslieferung des Betroffenen vorlägen. Einen Automatismus zwischen Rechtshilfeersuchen und Inhaftierung kann das Gericht nicht feststellen. Im Ergebnis verneint das BVerfG damit die Beherrschbarkeit des durch das Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland ausgelösten Geschehens311. Die Qualifizierung des Handelns als völkerrechtliche Tätigkeit steht einem hoheitlichen Handeln gegenüber dem Betroffenen nicht entgegen. Entscheidend ist für die Rechtsbetroffenheit des Dritten allein, ob in dem staatlichen Verhalten selbst ein Eingriff liegt oder ein 306
Vogler, Auslieferungsrecht, S. 320. Vogler, Auslieferungsrecht, S. 321. 308 Dazu auch Gillmeister, NJW 1991, 2245. 309 BVerfGE 57, 9 (23 ff.) - sog. Einlieferungs-Entscheidung, dazu Cremer, Auslandsfolgen, S. 289 f; Vogler, EuGRZ 1981,417. 310 BVerfGE 57, 9 (23); ebenso OVG Münster, NJW 1989, 2209; VG Köln, Beschl. vom 10.4.1984, in: Eser/Lagodny, Rechtshilfe, U 85; kritisch zu der dadurch ermöglichten "Verantwortungsverlagerung" Schomburg/Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, Einl. Rdnr. 57, die eine Verantwortungsteilung befürworten. 311 Vgl. Cremer, Auslandsfolgen, S. 290; anders Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 233, die die sonstige Rechtshilfe betreffend eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland zwar nicht hinsichtlich des "wie", aber des "ob" der erbetenen Ermittlungsmaßnahme bejaht. 307
14*
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
solcher dem Staat aufgrund seines Verhaltens zugerechnet werden kann. Dies verneint die Rechtsprechung - insoweit in Übereinstimmung mit Vogler aufgrund der autonomen Entscheidung des ersuchten Staates über die zu treffenden Maßnahmen 312 . bb) Eingehende Ersuchen Über Auslieferungsersuchen eines ausländischen Staates an die Bundesrepublik Deutschland wird in einem zweistufigen Verfahren entschieden. Der Bewilligung der Auslieferung vorgeschaltet ist das gerichtliche Offizialverfahren vor dem OLG. Das OLG prüft nur die innerstaatliche Ermächtigimg zur Auslieferung, nicht hingegen, ob eine völkerrechtliche Pflicht dem ersuchenden Staat gegenüber besteht313. Prüfungsgegenstand ist grundsätzlich auch nicht die materielle Richtigkeit des dem Auslieferungsbegehren zugrundeliegenden fremdstaatlichen Haftbefehls, insbesondere des bestehenden Tatverdachts 314. Die gerichtliche Entscheidung ist für die Bewilligungsbehörde bindend, soweit die Zulässigkeit der Auslieferung verneint wird 3 1 5 . Hingegen kann die Behörde die Auslieferung trotz einer positiven Entscheidung des OLG ablehnen316. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 IRG sind die Entscheidungen der Oberlandesgerichte unanfechtbar. Allerdings kann gemäß § 33 Abs. 1 und 2 IRG eine erneute gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden, wenn neue Tatsachen auftauchen oder Tatsachen erst nach der Erstentscheidung bekanntwerden, die eine andere Zulässigkeitsentscheidung rechtfertigen könnten. Der Betroffene kann zudem, mit der Behauptung, in seinen Grundrechten verletzt zu sein, gegen die gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben 317. (1) Anfechtung der Auslieferungsbewilligung Umstritten ist, ob Rechtsschutz gegen die Bewilligungsentscheidung gewährt werden muß, nachdem das OLG bereits die Zulässigkeit der 3,2 So auch Heintzen, DVB1. 1988, 621 (622): "Das selbständige hoheitliche Verhalten eines ausländischen Souveräns ist der deutschen öffentlichen Gewalt nicht zurechenbar, auch wenn es von ihr möglicherweise veranlaßt wurde." 313 Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 12 Rdnr. 4. 314 Graßhof/Backhaus, EuGRZ 1996,445 (446). 315 Vgl. Vogler, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr. 3 ff.; Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 148. 316 Siehe oben B I 1 b). 317 Vogler, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr. 18; Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 13 Rdnr. 9 ff.; von Bubnoff, Auslieferung, S. 25; Vogler, NJW 1981, 468 (469); wichtige Entscheidungen des BVerfG sind aufgelistet bei Graßhof/Backhaus, EuGRZ 1996,445 (447).
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
213
Auslieferung bejaht hat. Der Ansicht, es handele sich bei der Auslieferungsbewilligung um einen Verwaltungsakt 318 , kommt heute für die Frage des Bestehens einer Rechtsschutzmöglichkeit vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG und der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel des § 40 VwGO keine Bedeutung mehr zu 3 1 9 . Entscheidend für den Rechtsschutz ist allein, ob der Betroffene durch die Bewilligung in seinen Rechten verletzt sein kann 320 . Das ist nach der wohl herrschenden, völkerrechtlich orientierten Ansicht nicht der Fall 3 2 1 . Diese geht davon aus, daß die Auslieferungsbewilligung ein Hoheitsakt ist, der Rechte des Betroffenen, einschließlich seiner Grundrechte, nicht verletzen könne 322 ; das auslieferungsrechtliche Ermessen der Bundesregierung wurzele im Völkerrecht und sei deshalb unbegrenzt 323; die Bewilligung der Auslieferung könne weder Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Klage noch einer Verfassungsbeschwerde sein 324 . Allerdings ist der Schluß vom völkerrechtlichen Charakter der Bewilligung auf die Versagung des Rechtsschutzes nicht zwingend 325 und nicht überzeugend. Maßstab für die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns ist nicht allein das Völkerrecht 326 , sondern vor allem das Grundgesetz und die Grundrechte 327. Diese binden die deutsche öffentliche Gewalt auch, soweit die
318
So noch OVG Münster, DVB1. 1963, 731; Kimminich, BK (Zweitbearb.), Art. 16 Rdnr. 80; vgl. auch OVG Münster, NJW 1989, 2209 zur Rechtsnatur des Einlieferungsersuchens. 319 Vgl. OVG Münster, MDR 1981, 435; Kimminich, BK (Drittbearb.), Art. 16 Rdnr. 75; Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 149; Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 12 Rdnr. 28, 32; Vogler, EuGRZ 1981,417 (418). 320 Vogler, EuGRZ 1981, 417 (418); vgl. auch Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/ Lagodny, IRG, § 12 Rdnr. 25 ff 321 Kritisch dazu Lagodny, NJW 1988, 2146 (2147). 322 Schröder, BayVBl. 1979, 232; Vogler, EuGRZ 1981, 417 (418); ders, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr. 21 ff.; Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 149. 323 Vogler, EuGRZ 1981, 417 (418); an anderer Stelle (in Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr. 28, spricht Vogler allerdings davon, daß das fehlende Rechtsschutzbedürfnis (wegen des Zulässigkeitsverfahrens vor dem OLG) einer Klage gegen die Auslieferungsbewilligung entgegenstehe. 324 Vgl. Vogler, in: Vogler/Wilkitzki, § 12'Rdnr. 20 ff.; von Bubnoff, Auslieferung, S. 25; Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 149 f.; Oehler, ZStW 96 (1984), 555 (573); Gillmeister, NJW 1991, 2245 (2246); wohl auch OLG Düsseldorf, NJW 1995, 1369 (1370): "Demgemäß ist die sachliche Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung mit einer Entscheidung des OLG nach §§ 29, 33 IRG abgeschlossen.". 325 Kimminich, BK (Drittbearb.), Art. 16 Rdnr. 76. 326 Vgl. aber Vogler, EuGRZ 1981, 417 (420): "Nach dem Völkerrecht sind die Staaten in ihrer Entscheidung, ob sie ausliefern wollen oder nicht und wie sie das Auslieferungsverfahren und den Rechtsschutz gestalten, frei." 327 Dazu Lagodny, NJW 1988, 2146 ff.
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Wirkungen ihres Handelns im Ausland eintreten 328. Die Überprüfung der Hoheitsakte eines anderen Staates erfolgt jedoch nicht am Maßstab der Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß insoweit nur eine Prüfung dahingehend erfolgt, ob "die Auslieferung und ihr zugrundeliegende Akte gegen den völkerrechtlichen Mindeststandard, der nach Art. 25 GG von den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland zu beachten ist, sowie gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze ihrer öffentlichen Ordnung verstoßen" 329. Die volle Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland für grundrechtswidrige, aber nicht völkerrechtswidrige Maßnahmen würde die deutsche Staatsgewalt in ihrer außenpolitischen Handlungsfähigkeit beschränken 330. Das Grundgesetz respektiert zudem die Rechtsordnungen fremder Staaten und akzeptiert diese Staaten als gleichberechtigte Glieder der Staatengemeinschaft 331. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner Entscheidung vom 7. Juli 1989 Art. 3 EMRK auf die Auslieferung angewandt und in den Gründen unter bestimmten Voraussetzungen auch die Anwendung des Art. 6 EMRK für möglich erachtet 332. Dies verdient deshalb hervorgehoben zu werden, als es um die von Großbritannien beabsichtigte Auslieferung eines Verfolgten in die USA ging, also einen Staat, in dem die EMRK keine Anwendung findet. Gleichwohl hat der Gerichtshof das Handeln Großbritanniens am Maßstab des Art. 3 EMRK gemessen und eine Verantwortlichkeit des Landes für das beim Verfolgten in den USA zu erwartende Todeszellensyndrom bejaht. Man wird nicht behaupten können, daß ein völkerrechtlicher Mindeststandard in den USA nicht erfüllt ist. Aufgrund der Auswirkungen auf die Grundrechtsdogmatik, die die Menschenrechtskonvention in Deutschland entfaltet 333 , kann jedenfalls die These nicht mehr vertreten werden, Grundrechte böten keinen Schutz gegen Auslieferung 334 .
328
BVerfGE 6, 290. (295); BVerfGE 57, 9 (23); Einzelheiten bei Cremer, Auslandsfolgen, S. 163/ 329 BVerfGE 75, 1 (19) unter Hinweis auf BVerfGE 59, 280 (282 ff.); 60, 348 (355 f.); 63, 197 (206 ff.); jüngst BVerfG, EuGRZ 1996, 324 (326 ff.); ebenso OLG Düsseldorf, NJW 1994, 1486 (1487); dazu auch Graßhof/Backhaus, EuGRZ 1996, 445 (447 ff.), sowie Hofmann, Grundrechte, S. 260 ff. 330 Vgl. Cremer, Auslandsfolgen, S. 256 ff. (259). 331 Vgl. BVerfGE 18, 112 (116 ff); 31, 58 (75 f.); dazu Graßhof/Backhaus, EuGRZ 1996, 445 (448). 332 EGMR, Serie A Nr. 161 = NJW 1990, 2183 (Soering-Urteil), m. Anm. Lagodny, NJW 1990, 2189; vgl. auch Cremer, Auslandsfolgen, S. 111 ff. 333 Vgl. BVerfGE 74, 358 (370) = NJW 1987, 2427; Schmidt-Aßmann, Lerche-FS, S. 513 (516); Bleckmann, Grundrechte, S. 87; Frowein, in: ders./Ulsamer, Rechtsschutz, S. 20; Pitschas, Innere Sicherheit, S. 9(10). 334 Lagodny, NJW 1990, 2189; ders., NJW 1988, 2146; Cremer, Auslandsfolgen, S. 111, 117.
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
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Da das OLG in seiner Zulässigkeitsentscheidung auch prüft, ob Grundrechte des Auszuliefernden - jedenfalls soweit sie zu den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen zählen - der Auslieferung entgegenstehen, bleibt die Frage, ob die Bewilligungsentscheidung (nochmals) Individualrechte verletzen kann. In diesem Fall geböte Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit einer selbständigen Anfechtung der Entscheidung-35. Da die rechtliche Zulässigkeit der Auslieferung aber umfassend durch das OLG geprüft wird, bleibt der Bewilligungsbehörde ein eigenständiger Ermessensspielraum nur bezüglich außenpolitischer Belange. Deren Gewichtung kann Rechte des Auszuliefernden nicht verletzen, so daß eine Klage gegen die Bewilligung der Auslieferung tatsächlich unzulässig ist 336 . Diese Auffassung fügt sich in das Rechtsschutzsystem des IRG ein 337 . Alle rechtlichen Fragen der Auslieferung sollen präventiv durch das OLG entschieden werden. Ob darüber hinaus die verfassungskonforme Auslegung des IRG eine (nochmalige) Entscheidung des OLG bezüglich der Bewilligung analog § 33 Abs. 1 IRG erfordert, erscheint fraglich. Klagegegner einer gegen die Bewilligung gerichteten Klage wäre auch im Falle einer Übertragung der Befugnis auf die Landesregierungen die Bundesrepublik Deutschland selbst, da ihre Zuständigkeit erhalten bleibt 338 . (2) Rechtsschutz gegen den Vollzug der Auslieferung Als Auslieferungs-Vollzugsakt bezeichnet Lagodny die amtliche Übergabe des Auszuliefernden an Behörden des ersuchenden Staates339. Diese obliegt gemäß § 13 Abs. 2 IRG der Staatsanwaltschaft beim OLG. Grundlage des Vollzugsaktes ist die Bewilligung der Auslieferung durch die Bewilligungsbehörde, an die die Staatsanwaltschaft gebunden ist. Sie hat aber vor der Vollziehung die Transportfähigkeit des Auszuliefernden zu prüfen 340 . Eigenständige Bedeutung dürfte dieser Prüfung jedoch nur für Veränderungen des Gesundheitszustandes nach der Bewilligungsentscheidung zukommen. Eine selbständige Anfechtung des Vollzugsaktes scheidet deshalb in der Regel aus.
335
Vgl. Lagodny, in Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 12 Rdnr. 31 ff. So im Ergebnis die h.M. (oben Fußn. 322 ff). Die Begründungen im einzelnen differieren nicht unerheblich. 337 So auch Lagodny, NJW 1988, 2146 (2149). 338 Lagodny, in Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 12 Rdnr. 33; Schomburg/ Lagodny, StV 1992, 239 (242), die von einer "Organleihe" sprechen. 339 Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 13 Rdnr. 1; ders., NJW 1988, 2146 (2147); sehr kritisch zu dieser Konstruktion Vogler, NJW 1994, 1433 (1435, dort insb. Fußn. 27); ablehnend auch Hofmann, Grundrechte, S. 271 ff. 340 Wilkitzki, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 13 Rdnr. 22. 336
216
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland b) Sonstige Rechtshilfe aa) Ausgehende Ersuchen
Rechtsschutz gegen ausgehende Ersuchen ist nach der traditionellen Auffassung nur in wenigen Fallkonstellationen denkbar. Insoweit kann auf die Ausfuhrungen zu ausgehenden Ersuchen im Auslieferungsrecht verwiesen werden. Einen neueren Ansatz hingegen verfolgt Scheller, die ausgehende Rechtshilfeersuchen abweichend von der herrschenden Ansicht beurteilt 341 : Sie beurteilt den Eingriffscharakter eines Rechtshilfeersuchens nicht allein im Blick auf die erbetenen Maßnahmen, deren Zurechenbarkeit sie bejaht, wenn das Ersuchen auf die Durchfuhrung einer konkreten Maßnahme gerichtet ist, sondern stellt auf die im ausgehenden Ersuchen enthaltenen Informationen ab, die dem ersuchten Staat übermittelt werden 342 . Den Vorgang der Übermittlung teilt sie wiederum in zwei selbständige Teilakte auf, die Weitergabe der Information und deren Kenntnisnahme durch die ausländische Behörde. Beide Teilakte bewertet sie als eigenständige Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG. Sie nimmt bereits durch die bloße Kenntnisnahme ausländischer Behörden einen Eingriff an, weil dadurch der Kreis der Personen, die Zugang zu Daten aus dem Bereich der Privatsphäre haben, erweitert werde; das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schütze nicht allein die Freiheit vor negativen rechtlichen Konsequenzen, sondern bereits die Freiheit vor dem Wissen als solchem 343 . A u f dieser Grundlage rechnet sie den Eingriff durch die ausländischen Behörden der übermittelnden deutschen Stelle zu, da die Kenntnisnahme bezweckt und beherrschbar sei 344 . Das Erfordernis einer gewissen Mindestschwelle der Beeinträchtigung im Einzelfall 345 bereitet keine größeren Schwierigkeiten. Der Bereich der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit ist auch nach der hier vertretenen Auffassung besonders "grundrechtssensibel". Diese Mindestschwelle wird deshalb in der Regel überschritten sein. Eine Klage gegen ein solches ausgehendes Ersuchen wäre dieser Auffassung zufolge zulässig. Die Begründetheitsprüfung müßte sich auf die Zulässigkeit der Informationspreisgabe erstrecken. Die Befugnis zur Weitergabe des im
341
Ermächtigungsgrundlagen, S. 204 ff., 230 f. Vgl. zum notwendigen Inhalt eines Rechtshilfeersuchens Art. 14 EuRhÜbk sowie Art. 9 Abs. 2 der Neapel Ii-Konvention: möglichst genaue und umfassende Angaben über die Person, gegen die sich die Ermittlungen richten. 343 Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 204. 344 Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 210 f. 345 Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 230 f.; vgl. auch Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59 Rdnr. 18 f. 342
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
217
völkerrechtlichen Verkehr erforderlichen Maßes an Informationen dürfte jedoch in den Vorschriften enthalten sein, die den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland erlauben 346. bb) Eingehende Ersuchen Da die sonstige Rechtshilfe zahlreiche wesensverschiedene Maßnahmen umfaßt, ist auch der Rechtsschutz verschiedenartig ausgestaltet. Eine präventive Zulässigkeitsprüfung durch das OLG findet nicht statt. Nach § 61 Abs. 1 IRG kann nur derjenige, der geltend macht, durch die Herausgabe von Gegenständen nach § 66 IRG in seinen Rechten verletzt zu sein, eine Entscheidung des OLG über die Zulässigkeit der Rechtshilfe herbeiführen. Der Gesetzgeber ging offenbar davon aus, daß nur in diesem Fall subjektiv-öffentliche Rechte verletzt sein könnten 347 . Daraus darf jedoch nicht der Schluß gezogen werden, weitergehender Rechtsschutz könne im Rahmen der sonstigen Rechtshilfe nicht gewährt werden. Dies wäre mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar 348. Wie im Auslieferungsverfahren prüfen die deutschen Gerichte grundsätzlich nicht nach, ob die dem Rechtshilfeersuchen zugrundeliegenden fremdstaatlichen Maßnahmen materiell rechtmäßig sind und das Ersuchen rechtfertigen 349. Um Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen muß vor den Gerichten des ersuchenden Staates nachgesucht werden. (1) Anfechtung der Bewilligungsentscheidung
350
Einigkeit besteht in Rechtsprechung und Literatur darüber, daß die Bewilligungsentscheidung selbst nicht nach den § § 2 3 ff. EGGVG angefochten werden kann, da die Bewilligungsbehörde nicht als Justizbehörde tätig wird 3 5 1 . 346
Für § 59 Abs. 1 und 3 IRG wegen deren mangelnder Bestimmtheit ablehnend Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 288 ff. 347 Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59 Rdnr. 18. 348 Vgl. Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59 Rdnr. 18 f , sowie Vogler, NJW 1982, 468. 349 Vgl. BVerfGE 63, 343 (375 ff.), Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 252 f.; Rauser, Hoheitsrechte, S. 308; Groß, JZ 1994, 596 (604). 350 Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59 Rdnr. 24, spricht von Rechtsschutz im Hinblick auf die Leistungsermächtigung (im Gegensatz zur Vornahmeermächtigung); vgl. dazu auch Schomburg/Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, Einl. Rdnr. 36 ff. 351 OLG Stuttgart, NJW 1990, 3100 f.; OLG Düsseldorf MDR 1989, 1125; Vogler, NJW 1982, 468 (471); ders., in: Vogler/Wilkitzki, § 12 Rdnr. 26; Wilkitzki, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 60 Rdnr. 7; Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 12 Rdnr. 34; Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 152; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rdnr. 4; teilweise wird auch argumentiert, das Vorliegen eines Justiz-
218
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Aus dem Fehlen einer anderweitigen gesetzlichen Regelung im IRG zieht Vogler deshalb den Schluß, daß die Bewilligungsentscheidung auf dem Verwaltungsrechtsweg angefochten werden könne 352 . Er sieht im Fehlen eigenständiger Rechtsschutzregelungen des IRG eine Rechtsschutzlücke, die wegen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG durch den Verwaltungsrechtsweg geschlossen werden müsse und könne, da die Tätigkeit der Bewilligungsbehörde dem Bereich des deutschen öffentlichen Rechts zuzuordnen sei. Im Gegensatz dazu geht die wohl herrschende Meinung davon aus, daß die Bewilligung der sonstigen Rechtshilfe ebenso wie die Auslieferungsbewilligung nur das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum ersuchenden Staat betreffe. Als Akt der Ausübung "außenpolitischen Grundsatzermessens" könne sie von vorneherein in Rechte eines Bürgers nicht eingreifen 353. Während die so begründete Auffassung die Zulässigkeit einer Klage wohl wegen der fehlenden Klagebefugnis verneinen würde, schlägt das Bundesverwaltungsgericht einen anderen Weg ein: In einem Beschluß vom 14.6.1990354 führt es aus, daß eine Anfechtung der Bewilligung im Verfahren der sonstigen Rechtshilfe nach §§ 59 ff. IRG vor den Verwaltungsgerichten ausscheide; Rechtsschutz gegen die Vornahmehandlung umfasse auch die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Rechtshilfeleistung gegeben seien 355 ; dem Betroffenen stünden die Rechtsbehelfe der §§ 61, 66 IRG sowie der StPO zur Verfügimg, so daß keine mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbare Rechtsschutzlücke entstehe. Das Gericht geht von einer abdrängenden Sonderzuweisung aus, die den Weg zu den Verwaltungsgerichten versperrt. Die Schwäche dieser Lösung wird offenbar, wenn die Vornahmehandlung - wie im
Verwaltungsaktes könne dahinstehen, da jedenfalls der Rechtsweg nach den §§23 ff. EGGVG wegen der Vorschriften der §§ 60 ff. IRG (früher §§ 41 f. DAG) gemäß § 23 Abs. 3 EGGVG ausgeschlossen sei. 352 Vogler, NJW 1982, 468 ff. (noch für die Rechtslage vor Inkrafttreten des IRG); ders., in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr. 31 ff, sowie in: Söllner-FG, S. 595 ff.; ihm folgend Singer, Rechtshilfeverkehr, S. 156. 353 OLG Karlsruhe, NJW 1992, 642 (644); Wilkitzki, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 60 Rdnr. 5 ff, auch unter Hinweis auf die Vorstellungen des Gesetzgebers in BT-Drs. 9/2137, S. 26; Uhlig/Schomburg, IRG, 1. Auflage 1983, Einf. Rdnr. 9 ff.; anders aber Lagodny in der 2. Auflage, vor § 59 Rdnr. 24 ff.; ebenso Vogler, Söllner-FG, S. 601: "Richtig ist, daß die Bewilligung Teilakt eines völkerrechtlichen Rechtsgeschäfts ist. Das ist aber nur die eine - völkerrechtliche - an den ausländischen Staat gerichtete Seite. Daneben stellt die Bewilligung der sonstigen Rechtshilfe ... die "Ermächtigung" dar, die von einer ausländischen Stelle erbetene Maßnahme durchzuführen..."; vgl. jüngst zum Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rechtshilfeverfahren BVerfG, NJW 1997, 3013 (3014). 354 BVerwG, NJW 1991, 649. 355 Zustimmend Wilkitzki, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 61 Rdnr. 9; im Grundsatz auch Lagodny, in Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59, Rdnr. 25 ff.
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
219
Fall der Informationsweitergabe - mit der Rechtshilfeleistung zusammenfällt oder allein in der hoheitlichen Tätigkeit ausländischer Beamter liegt. Zur Vermeidung eventueller Rechtsschutzlücken im Rechtschutzsystem des Rechtshilferechts zieht Lagodny 356 ergänzend in den Fällen, die keiner Vornahmehandlung bedürfen oder in denen diese gerichtlich nicht kontrolliert werden kann, Rechtsschutz gegen die Bewilligung selbst vor den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 VwGO in Betracht 357 . Folgt der Bewilligung aber noch das Tätigwerden eines ausländischen Staates nach, bedarf es einer genauen Prüfung, ob bereits die Bewilligung in Rechte des Betroffenen eingreifen kann. (2) Anfechtung der Vornahmehandlung Soweit die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens Maßnahmen aufgrund der StPO gegenüber Bürgern erfordert, richtet sich der Rechtsschutz dagegen nach den einschlägigen Vorschriften der StPO, hilfsweise nach den § § 2 3 ff. EGGVG 358 . Die zuständigen Gerichte prüfen dabei, ob die Voraussetzungen für einen Eingriff nach innerstaatlichem Recht (der Rechtsgrundlage in der StPO) gegeben sind. Folgt man der im Anschluß an die höchstrichterliche Rechtsprechung 359 überwiegend vertretenen Integrationslösung 360, so findet auch eine Prüfung dahingehend statt, ob die Voraussetzungen für die Rechtshilfeleistung als solche vorliegen. Da nach dem Willen des Gesetzgebers die Entscheidung über die Zulässigkeit der Rechtshilfe beim OLG angesiedelt ist, wird eine Vorlagepflicht des entscheidenden Gerichts an das zuständige OLG nach § 61 Abs. 1 Satz 1 IRG (analog) bejaht 361 . Die Vorlage ist nur zulässig, soweit sie sich auf die Voraussetzungen der Leistungsermächtigung bezieht, also rechtshilferechtliche Fragen betrifft. Die Beurteilung der Vornahmehandlung im engeren Sinne, d.h. der Maßnahme gegenüber dem Bürger, obliegt allein dem zunächst angerufenen Gericht.
356
In Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59, Rdnr. 27. Insoweit übereinstimmend mit Vogler (oben Fußn. 352). 358 Lagodny, in Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59, Rdnr. 33; Wilkitzki, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 60 Rdnr. 8; kritisch dazu Vogler, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr. 29, sowie ders, Söllner-FG, S. 600 f. 359 BVerwG, NJW 1991,649. 360 Dazu Lagodny, in Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59, Rdnr. 25 ff, 38 ff. 361 Lagodny, in Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59, Rdnr. 39 ff; vgl. auch Wilkitzki, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 61 Rdnr. 3 f.; a.A. OLG Stuttgart, NJW 1989, 3104. 357
220
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland c) Exkurs: Rechtsschutz gegen Maßnahmen von Interpol
Eine eigenständige Position im Bereich der internationalen Polizeizusammenarbeit kommt Interpol zu, wenn es den Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden nicht nur unterstützt, sondern selbständig Informationen verarbeitet 362 und verbreitet 363 . In diesen Fällen wird bei Interpol das Fehlen jeglicher wirksamer gerichtlicher Kontrolle kritisiert 364 . Ansätze des Datenschutzes finden sich erst im Sitzstaatsabkommen mit Frankreich vom 3. November 1982 365 , dessen Art. 8 auf Initiative Frankreichs eine unabhängige Datenschutzkontrolle der Interpol-Archive vorsieht. Auf der Grundlage dieses Artikels wurden dann die "Rules of International Police Co-operation and the Internal Control of Interpol's Archives" verabschiedet 366. Die auf der Grundlage dieser "Rules" errichtete internationale Datenschutzkommission ist keine Gerichtsinstanz 367, sondern ein Äquivalent zu den nationalen Datenschutzinstitutionen. aa) Rechtsschutz im Sitzstaat Frankreich Rechtsschutz gegen Maßnahmen von Interpol vor französischen Gerichten scheidet wegen der Gewährung vollständiger Immunität im Sitzstaatsabkommen aus 368 . bb) Rechtsschutz in Deutschland Interpol genießt in Deutschland keine generelle Immunität vom gerichtlichen Verfahren. Eine entsprechende Bestimmimg fehlt im Gründungsabkommen. Es existiert auch kein Satz des Völkergewohnheitsrechts, der Internationale Organisationen zwingend der staatlichen Jurisdiktion entzieht 369 . Nach herkömmlichem Verständnis scheidet jedoch der Verwaltungsrechtsweg aus, 362
Zur Informationsverarbeitung durch Interpol Unger, Datenschutz, S. 87 ff.; Riegel, Datenschutz, S. 45, sowie ders., DVB1. 1984, 986 ff. 363 Vgl. das Beispiel bei Randelzhofer, Schlochauer-FS, S. 531 (532): Das Generalsekretariat von Interpol bezeichnet in einer Mitteilung - unzutreffenderweise ein deutsches Unternehmen als betrügerische Organisation. 364 Eick/Trittel, EuGRZ 1985, 81 (83 f.); Daum, JZ 1980, 798 (800). 365 JORF No. 62 v. 13.3.1984, S. 829 ff. 366 Dazu im einzelnen Unger, Datenschutz, S. 90 ff. 367 Unger, Datenschutz, S. 98. 368 Vgl. Riegel, Datenschutz, S. 46; Unger, Datenschutz, S. 100. 369 Randelzhofer, Schlochauer-FS, S. 531 (552 f.) m.w.N.; a.A. Ullrich, RDV 1994, 217(219).
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
221
weil § 40 VwGO - der Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG entsprechend - nur Maßnahmen der deutschen öffentlichen Gewalt erfasse 370. Hingegen wird Rechtsschutz vor den Zivilgerichten nach dieser Auffassung nicht ausgeschlossen, betrifft aber nicht die hoheitliche Tätigkeit von Interpol 371 .
2. Rechtsschutz bei der zwischenstaatlichen Amtshilfe in Steuersachen a) Rechtsschutz bei ausgehenden Ersuchen Ausgehende Ersuchen werden grundsätzlich vom zuständigen Finanzamt beim Bundesministerium der Finanzen (BMF) angeregt, das über die Stellung des Amtshilfeersuchens entscheidet. Diese Entscheidung ist nach herrschender Ansicht ebenso wie die Stellung des Amtshilfeersuchens selbst oder die Erteilung einer Auskunft auf ein solches Ersuchen kein Verwaltungsakt 372 . Statthafte Rechtsschutzform gegen ein ausgehendes Ersuchen ist danach die allgemeine Leistungsklage in Gestalt der (vorbeugenden) Unterlassungsklage oder die Feststellungsklage; vorläufiger Rechtsschutz kann im Wege der einstweiligen Anordnung gewährt werden 373 . Die Gegenauffassung 374 sieht in einem Amtshilfeersuchen, das den Steuerpflichtigen beschwert, einen Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage angefochten werden kann. Sie folgert dies aus dem mit der Informationsweitergabe verbundenen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung375. Das FG Düsseldorf 976 , das grundsätzlich den Standpunkt der herrschenden Ansicht teilt, hat allerdings ein Amtshilfeersuchen auf-
370
Randelzhofer, Schlochauer-FS, S. 531 (533 ff.); im Anschluß daran Eick/Trittel, EuGRZ 1985, 81 (84); zu weitgehend Merk, BayVBl. 1980, 676 (679), der auch eine Klage gegen das BKA als nationales Zentralbüro von Interpol für unzulässig hält, weil dieses insoweit als Organ einer Internationalen Organisation handele. 371 Randelzhofer, Schlochauer-FS, S. 531 (554); vgl. auch Daum, JZ 1980, 798 (800), und Riegel, JZ 1982, 312 (317 f.). 372 Vgl. FG Rheinland-Pfalz, EFG 1993, 802 (803); Tipke/Kruse, AO, § 117 Rdnr. 11. 373 Tipke/Kruse, AO, § 117 Rdnr. 11; Stork, DB 1994, 1321 (1325); Schwochert, RIW 1991, 843 (844); vgl. auch die Mitteilung des BMF vom 1. Dezember 1988 betreffend die zwischenstaatliche Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen, BStBl. 1 1988, 466, sowie allgemein Kopp, VwVfG, § 5 Rdnr. 40. 374 Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 117 Rdnr. 82; Oldiges, in: Vogel, Internationale Steuerauskunft, S. 86 ff. 375 Ablehnend insoweit BFH, BStBl. II 1988, 412 f.; BVerfGE 84, 239, läßt die Frage ausdrücklich offen, ob Kontrollmitteilungen von Banken das "Grundrecht auf Datenschutz" berühren; ein Eingriff sei jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da die steuerrechtlichen Auskunfts- und Anzeigepflichten hinreichend bestimmt und verhältnismäßig seien. 376 EFG 1989, 646 (647).
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
grund des EG-Beitreibungsgesetzes wegen seiner nachteiligen Folgen für den Vollstreckungsschuldner ebenfalls als Verwaltungsakt qualifiziert. Es folgert aus dem Sinn des Art. 12 der EG-Beitreibungsrichtlinie, daß allein die ersuchende Behörde über die Voraussetzungen der Beitreibung im Wege der zwischenstaatlichen Amtshilfe entscheide und die ersuchte Behörde an diese Entscheidung gebunden sei. Im Ergebnis bejaht das Gericht damit den Automatismus zwischen Amtshilfeersuchen und den aufgrund des Ersuchens getroffenen Maßnahmen, den das Bundesverfassungsgericht in seiner "Einlieferungs-Entscheidung" 377 für das Rechtshilferecht verneint hat. Unabhängig von der Einordnung des Amtshilfeersuchens in die Handlungsformenlehre wird im Steuerrecht - im Gegensatz zur strafrechtlichen Rechtshilfe - die Anfechtbarkeit eines solchen Ersuchens bejaht, weil bereits die in dem Ersuchen enthaltenen Informationen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse darstellen können. Aus diesem Grund soll dem Betroffenen auch ein Anhörungsrecht zustehen378. Rechtsschutz gegen die Art und Weise der von der ersuchten Behörde ergriffenen Maßnahmen ist vor den Gerichten des ersuchten Staates zu suchen379. Die Befugnisse einer ersuchten ausländischen Behörde gegenüber dem Betroffenen richten sich allein nach dem jeweiligen nationalem Recht. b) Rechtsschutz bei eingehenden Ersuchen/Spontanauskünften Die Entscheidung über die Gewährung von Amtshilfe bei eingehenden Ersuchen ist kein Verwaltungsakt 380 . Nicht sie, sondern regelmäßig erst die Erteilung der Amtshilfe, ebenfalls ein Realakt, kann den Betroffenen in seinen Rechten verletzen. Er soll gemäß § 117 Abs. 4 AO vor der Übermittlung von Unterlagen ins Ausland entsprechend § 91 AO angehört werden 381 . Rechtsschutzformen sind die Feststellungsklage, die vorbeugende Unterlassungsklage
377
BVerfGE 57, 9 (23); vgl. auch BVerwG, NJW 1991, 649. Carl/Klos, DStR 1992, 528 (532); D. Brenner, FR 1989, 236 (240); Mössner, DVB1. 1987, 1233; Kopp, VwVfG, § 4 Rdnr. 13; abschwächend Tipke/Kruse, AO, §117 Rdnr. 11: Mitteilung aus "Kulanzgründen", sowie Runge, DB 1986, 191 (192): keine Verpflichtung der Finanzbehörde zur Anhörung des Betroffenen, aber genereller Hinweis auf die Möglichkeit der Stellung eines Auskunftsersuchens ins Ausland; zum rechtlichen Gehör auch Schwochert, RIW 1991, 843 (844 f.). 379 Vgl. nur Art. 12 der EG-BeitreibungsRL. 380 Tipke/Kruse, AO, § 117 Rdnrn. 25 f. 381 Tipke/Kruse, AO, § 117 Rdnr. 25; Carl/Klos, DStR 1992, 528 (532); Oldiges, in: Vogel, Internationale Steuerauskunft, S. 104 f.; Runge, DB 1986, 191 (193): Anhörung auch, wenn Auskunft aus den Akten erteilt wird. 378
III. Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
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und der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung 382 . Sie sind auch zur Unterbindung von Spontanauskünften 383 statthaft 384. Hingegen liegt ein Verwaltungsakt vor, der mit Beschwerde (§ 349 AO) und Anfechtungsklage angegriffen werden kann, wenn das zuständige Finanzamt zur Durchführung eines eingehenden Ersuchens ein Auskunftsverlangen an den Steuerpflichtigen richtet385. Entscheidendes Kriterium für den Erfolg eines Rechtsbehelfs ist, daß der Betroffene geltend machen kann, durch die Auskunft an ausländische Behörden in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). Dies ist sicher der Fall, wenn Betriebs oder Geschäftsgeheimnisse oder andere personenbezogene Daten unzulässig offenbart werden. Der Betroffene kann hingegen die Nichteinhaltung der Gegenseitigkeit des Auskunftsaustausches oder eine Verletzung des "ordre public" ( § 1 1 7 Abs. 3 Nr. 4 AO) nicht rügen 386 . Diese Voraussetzungen betreffen allein das Verhältnis der beteiligten Staaten zueinander. Auch materielle Einwendungen gegen das Bestehen einer ausländischen Steuerschuld werden von den deutschen Gerichten nicht berücksichtigt 387 .
3. Merkmale des Rechtsschutzes in Fällen grenzüberschreitender Rechts- und Amtshilfe a) Trennungsmodell des Rechtsschutzes Rechtsschutz im Rechtshilferecht folgt dem klassischen Trennungsmodell: Der Betroffene muß um Rechtsschutz in dem Staat nachsuchen, dessen Organe unmittelbar in seine Rechte eingegriffen haben 388 . Haftbefehl oder Steuerbe382 Dazu BFHE 97, 285; D. Brenner, FR 1989, 236 (240 f.); kritisch zur einstweiligen Anordnung FG Düsseldorf, EFG 1989, 646 (647): Diese gewähre nur "unvollständigen und geschmälerten Rechtsschutz", da sie die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes erfordere, an dessen Vorliegen der BFH "überaus" strenge Anforderungen stelle. 383 Dazu FG Düsseldorf, EFG 1991, 711: keine Verwaltungsakte; ebenso Heidner, DStR 1989, 526 ff., und Carl/Klos, DStR 1992, 528 (529 f.): internationale Kontrollmitteilungen; hinsichtlich der Anhörung im spontanen Auskunftsverkehr spricht Runge, DB 1986, 191 (193) von einer "gängigen Praxis". 384 BFH, BStBl. II 1988, 412; 1987, 440; Stork, DB 1994, 1321 (1325); D. Brenner, FR 1989, 236 (238). 385 D. Brenner, FR 1989, 236 (238) mit Nachw. aus der Rspr. des BFH und der Lit. 386 Tipke/Kruse, AO, § 117 Rdnr. 26; D. Brenner, FR 1989, 236 (238). 387 Vgl. BVerfGE 63, 343 (375 ff.); Groß, JZ 1994, 596 (604); hingegen halten Papier/Olschewski, DVB1. 1976, 475 (479 ff.), ein materielles Prüfungsrecht hinsichtlich des zugrundeliegenden ausländischen Hoheitsaktes für verfassungsrechtlich geboten. 388 Schmidt-Aßmann, Bemhardt-FS, S. 1283 (1303).
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
scheid, die einem Ersuchen materiell zugrunde liegen, müssen vor den Gerichten des ersuchenden Staates angegriffen werden, während Rechtsschutz gegenüber den vom ersuchten Staat ergriffenen Maßnahmen den Gerichten dieses Staates obliegt 389 . Zwischen diesen beiden Ebenen gerichtlichen Schutzes existiert eine strikte Trennung, die eine inhaltliche Kontrolle des der Rechtsoder Amtshilfe zugrundeliegenden Hoheitsaktes durch die Gerichte des ersuchten Staates ausschließt. Die Aufspaltung des Rechtsschutzes ist einerseits eine Folge des überkommenen Souveränitätsdenkens, in dessen Folge der Grundsatz der Staatenimmunität die Rechtsschutzmöglichkeiten begrenzt. Auf der anderen Seite wird dadurch den Unterschieden der jeweiligen Rechtsordnungen Rechnung getragen. Ein ausländisches Gericht wäre sicherlich überfordert, wenn es die Rechtmäßigkeit eines deutschen Steuerbescheids nachprüfen müßte. Dieses Trennungsmodell bereitet für die Grundformen der Rechts- und Amtshilfe keine Schwierigkeiten, da jeder Staat nur auf seinem eigenen Hoheitsgebiet tätig wird. Die Zuständigkeiten sind infolgedessen eindeutig abgegrenzt. Eingriffsmaßnahmen gegenüber Individuen sind einer Hoheitsgewalt zurechenbar und gehen auf autonome Entscheidungen der jeweils agierenden Staaten zurück. Rechtsschutz bleibt grundsätzlich im Bereich des jeweiligen nationalen Rechts. b) Internationalisierung
der Entscheidungsmaßstäbe
Obgleich der Rechtsschutz formell im Bereich des nationalen Rechts bleibt, werden die Entscheidungsmaßstäbe gegenüber diesem modifiziert. Die Auslandswirkungen staatlichen Handelns werden weiterhin grundsätzlich am Maßstab der Grundrechte gemessen, doch wird das nationale Recht insoweit zurückgenommen, als eine Wertung der ausländischen Rechtsordnung respektiert werden kann 390 . Normative Grundlage für eine solche Öffnung der nationalen Rechtsordnung gegenüber den Wertungen und Entscheidungen ausländischer Rechtssysteme ist der in den Art. 23 ff. GG verankerte Grundsatz der Integrationsoffenheit oder Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes. Der Einfluß des Völkerrechts hat auch Auswirkungen auf das Rügepotential des Betroffenen. Rechtmäßigkeitsanforderungen an staatliches Handeln sind genauer als bei rein nationalen Sachverhalten daraufhin zu untersuchen, ob sie allein im Interesse des völkerrechtlichen Verkehrs oder zum Schutz des Betroffenen bestehen. Das Erfordernis der Gegenseitigkeit391 ist ein typisches Beispiel 389 Dazu BVerfGE 63, 343 (375 ff.); Kopp, VwVfG, § 7 Rdnr. 7; Engelhardt/.App, VwVG/VwZG, Anhang 2, § 7 Rdnr. 1. 390 Vgl. BVerfGE 59, 280 (282 ff.); 60, 348 (355 f.); 63, 197 (206 ff); 75, 1 (19); jüngst OLG Düsseldorf, NJW 1994, 1486 (1487). 391 Dazu Verdross/Simma, Völkerrecht, § 64 m.w.N.
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
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für ein staatenbezogenes Erfordernis, auf dessen Verletzung sich der Betroffene nicht berufen kann. I m Steuerrecht scheinen Individualinteressen und Interessen des völkerrechtlichen Verkehrs in Einklang gebracht, während im strafrechtlichen Rechtshilferecht die Position des Betroffenen noch ausbaufähig ist. c) Perspektiven Das Trennungsmodell des Rechtsschutzes wird durch die neuen Formen grenzüberschreitender Kooperation zunehmend infrage gestellt. Es konzentriert sich zu sehr auf den jeweiligen nationalen Beitrag zum Gesamtgeschehen, das dadurch eine künstliche, die Rechtsschutzsituation des Betroffenen benachteiligende Aufspaltung erfährt. Der Internationalisierung der behördlichen Zusammenarbeit muß nach neuerer Auffassung eine Internationalisierung der Rechtsposition des betroffenen Einzelnen 392 und des Gerichtsschutzes 393 nachfolgen. Es ist dabei insbesondere zu untersuchen, ob der Grundsatz der Staatenimmunität im konkreten Einzelfall einer Anpassung der justitiellen Kooperation an die Formen administrativer Kooperation entgegensteht.
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG 1. Konkretisierung der Fragestellung Ihre Bedeutung entfaltet die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes in erster Linie hinsichtlich der Ausübung der deutschen öffentlichen Gewalt in Deutschland. Im Zuge der Fortentwicklung der europäischen Integration stellt sich jedoch die Frage nach ihrer Reichweite in mehreren Richtungen. Unbestritten ist, daß die deutsche öffentliche Gewalt auch dann an die Grundrechte gebunden ist, wenn sie im Ausland handelt oder die Wirkungen ihres Handelns im Ausland eintreten 394. Folgerichtig ist es ebenso einhellige Meinung, daß Art. 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz gewährleistet, wenn deutsche
392
Epiney, SZIER 5 (1995), 135 (153). Schmidt-Aßmann, JZ 1994, 832 (839), mit der Forderung, "den Rechtsschutz des Bürgers im Sinne eines einheitlichen, gegebenenfalls auch grenzüberschreitenden Auftrages der mitgliedstaatlichen Gerichte fortzuentwickeln. 394 Vgl. nur BVerfGE 6, 290 (295); 57, 9 (23 ff.); OVG Münster, NVwZ-RR 1997, 174 (175); Stern, Staatsrecht Bd. III/l, S. 1230 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rdnr. 20 sowie Präambel Rdnr. 9; Cremer, Auslandsfolgen, S. 166 (dort Fußn. 11), 181; Elbing, Grundrechte, S. 140 f; Schröder, Schlochauer-FS, S. 137 (138). 393
15 Harings
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Hoheitsakte im Ausland gegenüber Deutschen oder Ausländern ergehen 395. Im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit im Rechtshilfe- und Auslieferungsrecht gewinnt jedoch die Frage nach der Verantwortlichkeit deutscher Staatsorgane für das Verhalten ausländischer Hoheitsträger an Bedeutung396. Klassisches Beispiel dafür ist die Diskussion über die Zulässigkeit einer Auslieferung bei drohender Todesstrafe 397. Geht es dabei um deutsche Hoheitsakte mit Auslandsbezug, hat das Mastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes den Blick auf eine andere Perspektive der Rechtsschutzgarantie gelenkt: Rechtsschutz gegen nicht-deutsche Hoheitsakte mit Inlandsbezug. Durch die zunehmende Verlagerung von Hoheitsbefugnissen auf internationale Organisationen und ausländische Staaten wird der "Grundrechtsschutz in Deutschland" nunmehr zum Thema des Art. 19 Abs. 4 GG. Betroffen ist einerseits die Ausübung nicht-deutscher Hoheitsgewalt auf deutschem Staatsgebiet, andererseits das Hineinwirken ausländischer oder supranationaler Hoheitsakte auf Bürger in Deutschland. Muß Rechtsschutz nach der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes auch gegenüber solchen Hoheitsakten gewährt werden? Unmittelbare Kontakte fremder Hoheitsträger mit Grundrechtsberechtigten waren früher sehr selten. Die klassischen Beispiele der Hoheitsausübung fremder Staaten in Deutschland betrafen die Anwesenheit ausländischer Streitkräfte und die Rechtshilfe. Während die Streitkräfte ihre Hoheitsausübung in der Regel auf ihre Mitglieder beschränkten, sah das Rechtshilferecht höchstens die Anwesenheit ausländischer Beamter vor, während die Durchfuhrung einer Amtshandlung allein deutschen Hoheitsträgern vorbehalten blieb 398 . Im Zuge der immer engeren Staatenkooperation bleiben fremde Hoheitsträger jedoch nicht in der "Zuschauerrolle", sondern sind mit eigenen Befugnissen ausgestattet, die grundrechtliche Positionen unmittelbar berühren können.
395 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnm. 39, 49; Papier, HbStR VI, § 154 Rdnr. 19; Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdnr. 20; Krüger, in: Sachs (Hg.), GG, Art. 19 Rdnr. 114. 396 Siehe Stern, Staatsrecht Bd. III/l, S. 1224 ff, zur Grundrechtsbindung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. 397 Dazu Vogler, NJW 1994, 1433; Lagodny, NJW 1988, 2146. 398 Instruktiv OLG Karlsruhe, NJW 1992, 642 (644); vgl. auch Lagodny, in Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 59 Rdnr. 39, sowie Nr. 138 Abs. 2 RiVASt.
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
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2. Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur a) Die Rechtsprechung des BVerfG Im Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht es als seine Aufgabe bezeichnet, den Grundrechtsschutz nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen, sondern in Deutschland zu gewährleisten 399. Die entsprechende Passage lautet wörtlich 400 : "Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben." Das Gericht ist damit ausdrücklich von seiner früheren Rechtsprechung in der Eurocontrol-Entscheidung 401 abgewichen. Darin hatte es festgestellt, daß Art. 19 Abs. 4 GG nur die durch die Verfassung gebundene deutsche öffentliche Gewalt meine 402 ; im Falle unzureichenden Rechtsschutzes gegen Akte zwischenstaatlicher Einrichtungen könne höchstens eine Verletzung des Art. 24 GG durch den Übertragungsakt vorliegen 403 ; die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes gewähre weder eine subsidiäre Gerichtsbarkeit für den Fall einer fehlerhaften Übertragung von Hoheitsrechten noch eine internationale Auffangzuständigkeit deutscher Gerichte; hinsichtlich der Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen Handlungen einer zwischenstaatlichen Einrichtung räume Art. 24 GG dem Gesetzgeber ein weites Ermessen ein 404 . Obwohl die Aussagen des Maastricht-Urteils sich nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG beziehen, sondern im Hinblick auf den Prüfungsgegenstand im Rahmen der Verfassungsbeschwerde erfolgt sind, spricht vieles für eine insoweit parallele Auslegung des Begriffs der öffentlichen Gewalt in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a)
399
BVerfGE 89, 155 (175). BVerfGE 89, 155 (174 f.). 401 BVerfGE 58, 1 (27) = EuGRZ 1982, 172 m. zust. Anm. Frowein; zum Rechtsschutz der Europol-Bediensteten BVerfGE 59, 63 = DVB1. 1982, 189 m. Anm. Busch = DÖV 1982, 404 m. Anm. Grämlich. 402 Ebenso die Auslegung des § 90 BVerfGG, vgl. BVerfGE 1, 10; 6, 15 (18); 18, 385 (387 f.); 22, 91; 22, 293 (295 ff.); 37, 271 (283 ff.); zustimmend Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rdnm. 84 ff. 403 So auch BVerfGE 73, 339 (373 ff.) - Solange II; zustimmend Rüfner, HbStR V, § 117 Rdnm. 3 ff.; a.A. Krause-Ablaß, AWD/BB 1972, 171 (172): Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG. 404 BVerfGE 58, 1 (Leitsätze 1 a) bis c), Leitsatz 2 b)); ebenso BVerwG, NJW 1993, 1409 f. (insoweit in BVerwGE 91, 126 (129) nicht vollständig abgedruckt). 400
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
GG, § 90 BVerfGG und Art. 19 Abs. 4 GG durch das Verfassungsgericht 405. Einige Stimmen in der Literatur haben das Maastricht-Urteil dahingehend gedeutet406. b) Die Literatur Bis zum Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 407 war es einhellige Meinung in der Literatur, daß öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG nur die deutsche öffentliche Gewalt sei 408 . Gründe für diese Auslegung wurden, soweit das Thema überhaupt aufgegriffen wurde 409 , nur selten genannt. Nach Schenke 410 erfaßt Art. 19 Abs. 4 GG Akte ausländischer juristischer Personen nicht, da diese nicht durch das Grundgesetz gebunden seien und nicht der Jurisdiktion deutscher Gerichte unterlägen. SchmidtAßmann betont in seiner Kommentierung des Art. 19 Abs. 4 GG 4 1 1 ebenfalls die fehlende Gerichtsbarkeit deutscher Gerichte, die Rücksicht auf den völkerrechtlichen Verkehr sowie die historische Intention des Verfassungsgebers. Ist diese Argumentation vor dem Hintergrund der neueren völkerrechtlichen Zusammenarbeit und der europäischen Integration noch zwingend? Inwieweit sich unter dem Eindruck der neuen Rechtsprechung des BVerfG, die zunächst nur den Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Kontrolle und diese 405
Auch im Eurocontrol-Beschluß zieht das BVerfG seine st. Rspr. zu § 90 BVerfGG heran, um die Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG zu stützen, vgl. BVerfGE 58, 1 (27). 406 Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 (490); Frowein, ZaöRV 54 (1994), 1 (5); König, ZaöRV 54 (1994), 17 (23); Gersdorf, DVB1. 1994, 674 (675); Schmidt-Aßmann, Bernhardt-FS, S. 1283 (1303); ders., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl, Rdnr. 9; Frenz, Der Staat 1995, 586 (588); Horn, DVB1. 1995, 89 (93 ff.); Tietje, JuS 1994, 197 (198); E. Klein, Grabitz-GS, 271 (279); ders, Stern-FS, S. 1301 (1305); nach Kirchhof, in: Hommelhoff/Kirchhof, Staatenverbund, S. 21, "ist nunmehr klargestellt, daß der Grundrechtsschutz für jede in Deutschland wahrgenommene Hoheitsbefugnis greift"; anders hingegen Cremer, Der Staat 1995, 268 (278 f , dort Fußn. 52); kritisch auch Enders, Böckenförde-FS, S. 29 (43). 407 BVerfGE 89, 155. 408 Vgl. nur Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnrn. 46 ff.; Schenke, in: Bonner Kommentar (Zweitbearb.), Art. 19 Abs. 4 GG Rdnrn. 168 f.; Krebs, in: v.Münch/Kunig (Hg.), GG-Kommentar, Art. 19 Rdnr. 52; Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdnr. 24; Papier, HbStR VI, § 154 Rdnr. 23; Heyde, HbVerfR, § 33 Rdnr. 46; Randelzhofer, Schlochauer-FS, S. 531 (537); Cremer, Auslandsfolgen, S. 392; Dienes, Europäische Integration, S. 18 f. m.w.N. 409 Die Arbeit von Lorenz, Rechtsweggarantie, geht auf das Problem einer nichtdeutschen Hoheitsgewalt gar nicht ein; vgl. aber demgegenüber Dienes, Europäische Integration, S. 15 ff.; Erler, VVDStRL 18 (1960), 8 f , 26 ff, sowie Thieme, ebenda, S. 76, mit eingehender Würdigung der Problematik. 410 Bonner Kommentar, Rdnrn. 168 f. 411 Maunz/Dürig, Rdnrn. 46 ff.
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
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nur bezüglich der Akte einer supranationalen Organisation betrifft, die Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG ändern wird, bleibt abzuwarten. Während erste Stimmen eine solche erweiternde Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG durchaus in Betracht ziehen 412 , findet das Urteil des BVerfG in einer neueren Kommentierung der Vorschrift überhaupt keine Erwähnung 413 .
3. Die Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG In der Abkehr von seiner ständigen Rechtsprechung seit dem EurocontrolBeschluß folgt das Bundesverfassungsgericht einer topischen Methode 414 . Es schließt von den gewünschten Konsequenzen auf die dazu passende Begründung. Der Schluß von der Grundrechtsrelevanz der Handlungen der Gemeinschaftsorgane auf die Erweiterung der Rechtsschutzgarantie ist nicht zwingend. Die Behauptung des BVerfG, es garantiere den Grundrechtsschutz in Deutschland, kann eine gründliche Analyse der Verfassung nicht ersetzen. Sollte das Bundesverfassungsgericht mit seinen Formulierungen tatsächlich (auch) Art. 19 Abs. 4 GG im Blick gehabt haben, müßte der Begriff der "öffentlichen Gewalt" im Sinne dieser Vorschrift die nicht-deutsche Hoheitsgewalt mit umfassen. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln 415 . a) Methodische Vorbemerkungen Nach herkömmlicher Auffassung rekurriert auch die Verfassungsinterpretation auf die klassischen Auslegungsregeln, um den objektiven Normgehalt zu ermitteln. Grammatische, historische, systematische und teleologische Auslegung sind demnach bei der Verfassungsinterpretation wichtige Hilfsmittel 416 . Das Bundesverfassungsgericht wendet sie in ständiger Rechtsprechung zur
412 Schmidt-Aßmann, Bernhardt-FS, S. 1283 (1303); ders., in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Einl., Rdnr. 9: "Die Begrenzung des Art. 19 IV auf die deutsche öffentliche Gewalt gehört der Vergangenheit an"; Horn, DVB1. 1995, 89 (93 ff.); ebenso Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rdnm. 85 f. für die Auslegung des § 90 BVerfGG; einschränkend Frenz, Der Staat 1995, 586 (596 ff.); ihm folgend SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 38. 413 Vgl. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr. 116. 414 Dazu F. Müller, Normstruktur, S. 47 ff.; sowie grundlegend Viehweg, Topik und Jurisprudenz; vgl. auch Schmelter, Rechtsschutz, S. 75 f. 415 Zur Auslegung des Grundgesetzes etwa Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 180 ff.; Böckenförde, NJW 1976, 2089 ff.; Hesse, Verfassungsrecht, S. 20 ff. 416 Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 6 f.
230
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Auslegung des Grundgesetzes an 417 . Mit der Anwendung dieser klassischen Auslegungsmethoden kann es aber nicht bewenden418. In der Praxis vollzieht sich deshalb eine "Hinwendung zu sach- und problemgebundener Auslegung", die nicht nach einem präexistenten objektiven Willen der Norm allein forscht, sondern unter Berücksichtigung des zu regelnden Sachverhaltes diverse Kriterien hinzuzieht, um eine problemadäquate Lösung zu finden 419 . Wenn also im folgenden zunächst die klassischen Auslegungsmethoden herangezogen werden, so dient dies einer normativen Fundierung 420 , vermag aber nicht allein das gefundene Ergebnis zu rechtfertigen. Andere Prinzipien der Verfassungsinterpretation, insbesondere der Grundsatz der Einheit der Verfassimg, müssen berücksichtigt werden, da das Verfassungsrecht angesichts seiner notwendigen Allgemeinheit in der Regel eine Vielzahl möglicher Auslegungsvarianten bietet. b) Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG anhand der klassischen Auslegungsmethoden aa) Grammatische Auslegung Die grammatische Auslegung nimmt allein den Wortlaut einer Norm zum Maßstab für ihren Inhalt 421 . Der Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht eindeutig. Er enthält keine ausdrückliche Beschränkung der Rechtsschutzgarantie auf die deutsche öffentliche Gewalt 422 : "Wird jemand durch die öffentliche der Rechtsweg offen."
Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm
417 Vgl. nur BVerfGE 1, 299 (312); 11, 126 (130); 35, 263 (278 f.); 62, 1 (45) m.w.N.; siehe auch Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 125 f.; Ossenbühl, NJW 1976, 2100
(2106). 418
Vgl. nur F. Müller, Juristische Methodik, S. 200, 212 ff.; Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2090). 419 Hesse, Verfassungsrecht, S. 26 ff, der ein "normativ gebundenes topisches Vorgehen" befürwortet; in der normativen Anbindung sieht er den Unterschied zur reinen Topik; von einem anderen Ausgangspunkt (die Topik ablehnend) zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Schmelter, Rechtsschutz, S. 76 ff. unter Berufung auf F. Müller, Juristische Methodik, S. 195; vgl. auch Roellecke, FG-BVerfG II, S. 24 ff, sowie Starck, HbStR VII, § 164 Rdnr. 16. 420 Dazu sind die klassischen Auslegungsmethoden unerläßlich, vgl. Starck, HbStR VII, § 164 Rdnr. 18 unter Hinweis auf BVerfGE 62, 1 (36 ff.); 67, 100 (128 ff.); siehe auch Wilfinger, Rechtsschutz, S. 25, insbesondere zur Bedeutung der systematischen und teleologischen Auslegung. 421 Zum möglichen Wortsinn als Grenze der Auslegung vgl. BVerfGE 8, 38 (41); F. Müller, Juristische Methodik, S. 212 f , andererseits aber BVerfGE 2, 347 (374 f.). 422 So auch BVerfGE 58, 1 (26).
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
231
Der Begriff der öffentlichen Gewalt ist als solcher neutral. Er wird umschrieben als Herrschaftsbefugnis im Sinne einer rechtlichen Überlegenheit, die es dem Träger dieser Herrschaftsbefugnis erlaubt, hoheitlich auf andere Rechtssubjekte einzuwirken 423 . Nicht nur der Staat, sondern ebenso nicht-staatliche Hoheitsträger wie Gemeinden oder andere juristische Personen des öffentlichen Rechts werden vom Wortlaut der Norm erfaßt. Öffentliche Gewalt in diesem Sinne kann demnach jede Art der Hoheitsausübung sein, auch durch andere Staaten oder supranationale Organisationen 424. bb) Systematische Auslegung (1) Öffentliche
Gewalt und Grundrechte
Der Begriff der öffentlichen Gewalt findet sich nicht nur in Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG. Diese Vorschrift gibt aber ebensowenig Aufschluß über die Bedeutung des Begriffs wie Art. 19 Abs. 4 GG. Weiterführender erscheint der Blick auf die Stellung der Rechtsschutzgarantie im Grundgesetz. Sie bildet den Abschluß des ersten Abschnittes "Die Grundrechte". Aus diesem Grunde liegt eine Parallele zum Begriff der "vollziehenden Gewalt" in Art. 1 Abs. 3 GG nahe, zudem öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG überwiegend nur im Sinne der Exekutive verstanden wird 4 2 5 . Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet nach klassischem Verständnis allein die deutsche Hoheitsgewalt 426 (formaler Ansatz), auch wenn dies aus seinem Wortlaut ebensowenig hervorgeht wie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Vollziehende 423 Schmelter, Rechtsschutz, S. 81, im Anschluß an Erler, WDStRL 18 (1960), 7 ff; vgl. auch F. Klein, WDStRL 8 (1950), 67 (104). 424 So auch Erler, WDStRL 18 (1960), 7 (11); Dienes, Europäische Integration, S. 15 f.; Gersdorf, DVB1. 1994, 674 (676) hinsichtlich der Akte einer supranationalen Einrichtung; ebenso Krause-Ablaß, AWD/BB 1972, 171, hinsichtlich der Verwaltungsaktsqualität der Handlung einer internationalen Instanz. 425 Vgl. BVerfGE 24, 33 (49 ff.); 24, 367 (401); 45, 297 (334); 75, 108 (165); BVerfG (K) v. 21.11.1996, 1 BvR 1862/96: Öffentliche Gewalt iSd. Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht die Legislative; Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdnr. 25; andererseits aber Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnm. 90 ff, Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Rdnm. 249 ff, die bestimmte Akte der Legislative nicht ausschließen; ebenso Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr. 123. 426 Vgl. BVerfGE 22, 293 (297); 58, 1 (26); Isensee, Stem-FS, S. 1239 (1246); Stern, Staatsrecht, Bd. III/l, § 72 V 5, S. 1229 m.w.N., aber auch S. 1245: Eine Bindungswirkung der Grundrechte gegenüber fremder Staatsgewalt sei nicht schlechthin ausgeschlossen; siehe dazu Cremer, Der Staat 1995, 268 (269), sowie Horn, DVB1. 1995, 89 (93), der aus dem Maastricht-Urteil eine unmittelbare Bindung der europäischen Hoheitsgewalt an die Grundrechte herausliest; ebenso Schröder, DVB1. 1994, 316 (322), und Götz, JZ 1993, 1081 (1083); zweifelnd hinsichtlich dieser Auslegung des Maastricht-Urteils Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Art. 1 Abs. 3 Rdnm. 10, 29.
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Gewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ist ebenfalls nur die deutsche Staatsgewalt. Einen neuen Ansatz zur Grundrechtsbindung nicht-deutscher Staatsgewalt verfolgt Elbing 427. Er vertritt die These, auch ausländische Hoheitsträger seien an deutsche Grundrechte gebunden, wenn sie funktional deutsche Hoheitsgewalt ausübten; dieser funktionale Ansatz gelte unabhängig davon, ob die Hoheitsausübung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Staates stattfinde. Als Beispiel für seine Überlegungen führt er die Tätigkeit eines ausländischen Grenzbeamten in einer gemeinsamen Grenzstation mit der Bundesrepublik Deutschland an, der bei der Einreise in die Bundesrepublik eine Kontrolle durchführt. Insoweit ist der funktionale Ansatz weiter als der formale Ansatz der herrschenden Meinung. A u f der anderen Seite liegt nach Elbing keine deutsche Hoheitsgewalt vor, wenn deutsche Staatsorgane im Bereich der mittelbaren EG-Verwaltung aufgrund bindender EG-rechtlicher Vorschriften nicht eigenverantwortlich entscheiden können 428 ; in einem solchen Fall sei die deutsche Behörde nur "verlängerter Arm" der fremden Gewalt. Den Überlegungen Elbings ist zugute zu halten, daß sie der zunehmenden Aufgabenübertragung auf staatliche Stellen und einem damit verbundenen "schleichenden Zerfall des Grundgesetzes" 429 entgegenwirken sollen. Seine Argumentation kann auch auf das internationale Recht der Staatenverantwortlichkeit zurückgreifen. Ein Staat haftet dann nicht für Handlungen eines Staatsorgans, wenn dieses Organ im konkreten Fall für einen anderen Staat oder für eine internationale Organisation tätig geworden ist 430 . Ein solcher Fall der völkerrechtlichen Organleihe setzt jedoch einen hohen Grad an Abhängigkeit des Organs gegenüber dem fremden Staat voraus. Dies bedeutet in der Regel die Übertragung von Weisungs- und Kontrollbefugnissen 431. Die völkerrechtlichen Grundsätze zur Staatenverantwortlichkeit betreffen jedoch allein die Haftung von Staaten untereinander. Sie gewähren keine individuell einklagbaren Ansprüche, so daß sie nicht unmittelbar für das Staat-Bürger-Verhältnis herangezogen werden können. Das Kriterium der funktionalen Ausübung deutscher Hoheitsgewalt ist - in seiner konkreten Verwendung - nicht trennscharf 432. Die polizeiliche Tätigkeit
427
Grundrechte, S. 150 ff. (154). Grundrechte, S. 156 ff. 429 Elbing, Grundrechte, S. 86. 430 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 1668; Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rdnrn. 20 ff.; Jennings/Watts, Oppenheim's International Law, S. 547. 431 Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rdnrn. 23, unter Hinweis auf Art. 9 des Konventionsentwurfes der International Law Commission (ILC) zur Staatenverantwortlichkeit; näher dazu unten D I 1 a) aa). 432 Kritisch zu den Überlegungen Elbings auch Hofmann, Grundrechte, S. 27 ff. 428
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
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von Europol gehört dem klassischen Souveränitätsrecht (Polizei-/Strafrecht) an. Übt Europol deswegen bei ihrer Tätigkeit zugunsten eines deutschen Ermittlungsverfahrens trotz ihres Charakters als internationale Organisation funktional deutsche Hoheitsgewalt aus? Wem ist ihre Tätigkeit zuzurechnen, wenn sie parallele Ermittlungsverfahren in mehreren Staaten unterstützt? Diese Gedanken zeigen, daß eine funktionale Betrachtungsweise vielen Wertungen Raum läßt, aber kein hilfreiches Kriterium zur Zuordnung von Hoheitsgewalt ist. Hoheitsgewalt wurde Europol trotz des mißverständlichen Wortlauts der Art. 23 und 24 GG nicht von der Bundesrepublik Deutschland übertragen, sondern originär durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffen 433. Die Art. 23 und 24 GG öffnen lediglich die nationale Rechtsordnung dergestalt, daß "der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb des staatlichen Herrschaftsbereichs Raum gelassen wird" 4 3 4 . Gleiches gilt für die "Übertragung" von Hoheitsrechten auf fremde Staaten. Die Frage, in welchen Fällen funktional deutsche Hoheitsgewalt ausgeübt wird, läßt sich nicht eindeutig beantworten. Grundsätzlich übt der Übertragungsempfänger nicht die Hoheitsgewalt des Übertragenden, sondern eigene Hoheitsgewalt aus 435 . Nicht immer besteht bei der Ausübung von Hoheitsgewalt in Deutschland eine Weisungsabhängigkeit nicht-deutscher Organe von der deutschen Staatsgewalt. Elbing leitet die Bindung ausländischer Hoheitsträger an deutsche Grundrechte auch aus der Bereitschaft des auswärtigen Staates zur Eingliederung seiner Hoheitsträger in die nationale Rechtsordnung ab 436 . Da der Staat seine Bereitschaft dazu aber in einer völkerrechtlichen Willenserklärung zum Ausdruck bringt, folgt die Bindung fremder Hoheitsträger nicht aus den Grundrechten selbst, sondern aus dem völkerrechtlichen Vertrag, der dem Tätigwerden nicht-deutscher Organe zugrundeliegt 437 . So sehen etwa die Art. 40, 41 SDÜ eine Bindung der ausländischen Beamten an das Recht des Aufenthaltsstaates vor, zu dem im Fall der Bundesrepublik Deutschland auch
433 434
182 ff 435
Vgl. nur Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Rdnm. 55 ff. BVerfGE 37, 271 (280); dazu etwa Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S.
Rauser, Hoheitsrechte, S. 111; vgl. auch BVerfGE 66, 39 (62). Grundrechte, S. 154: "Ein Verstoß gegen Völkerrecht ist in einer solchen Bindung fremder Hoheitsgewalt nicht zu sehen. Denn dadurch, daß der fremde Staat seine Organe zur funktionalen Ausübung der Emanation deutscher Staatsgewalt bereitstellt, ist er gleichzeitig bereit, sie zumindest partiell der Sache nach in eine andere Rechtsordnung einzugliedern,... also dem Grundgesetz zu unterwerfen." 437 Cremer, Der Staat 1995, 268 (276). 436
234
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
die Grundrechte gehören 438. Der Geltungsgrund liegt jedoch nicht im nationalen Recht, sondern allein im Völkerrecht 439 . Eine funktionale Betrachtungsweise verwischt die klare Trennung der Rechtsordnungen. Schließlich ist beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch nationale Behörden die funktionale Betrachtungsweise nicht überzeugend. Der deutsche Hoheitsträger übt weiterhin deutsche Hoheitsgewalt aus 440 . Er ist aber bei seiner Tätigkeit wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts allein an den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandard gebunden, der die deutschen Grundrechte überlagert. Der Vorteil dieses Ansatzes gegenüber dem funktionalen Verständnis liegt auch darin, daß in allen Fällen, in denen das Gemeinschaftsrecht keine bindenden Vorgaben enthält, die Bindung an das nationale Recht wiederauflebt. Auch auf der Basis des klassischen Verständnisses des Art. 1 Abs. 3 GG läßt sich eine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG begründen. Während die Art. 1 und 20 GG materielle Bindungen der Staatsgewalt zum Gegenstand haben, ist dies bei Art. 19 Abs. 4 GG nicht der Fall. Als "formelles Hauptgrundrecht" 441 hat die Norm einen anderen Anwendungsbereich. Sie betrifft die gerichtliche Kontrolle, legt sich aber hinsichtlich des Kontrollmaßstabs nicht fest. Die Kontrolle von Handlungen ausländischer Staatsorgane oder gemeinschaftlicher Organe durch deutsche Gerichte muß nicht notwendig am Maßstab des Grundgesetzes und der Grundrechte erfolgen 442 . Die Grundrechte binden formell nur die deutsche Staatsgewalt, so daß zwischen Grundrechtseingriffen i.e.S. und grundrechtserheblichen Eingriffen nicht-deutscher Hoheitsträger zu unterscheiden ist 443 . Kontrollmaßstab vor deutschen Gerichten kann auch Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht oder sogar ausländisches öffentliches Recht sein 444 . Die formelle Ausrichtung des Art. 19 Abs. 4 GG rechtfertigt es auch, den Begriff der öffentlichen Gewalt für die nicht-deutsche Hoheitsgewalt zu öffnen, während dies im Rahmen des ansonsten umfassenderen 445 Art. 93 Abs.
438
Aus diesem Grund ist auch das Argument Schenkes, ausländische Hoheitsträger seien nicht an die deutschen Grundrechte gebunden (Bonner Kommentar, Rdnrn. 168 f.), nicht mehr ohne weiteres schlüssig. 439 Vgl. Bleckmann, Kollisionsrecht, S. 36. 440 So auch Streinz, Grundrechtsschutz, S. 188 f. 441 F. Klein, WDStRL 8 (1950), 67 (87 ff.). 442 Andeutungen bei Lechner/Zuch, BVerfGG, § 90 Rdnr. 86; vgl. aber Götz, JZ 1993, 1081 (1083); Schröder, DVB1. 1994, 316 (322). 443 Cremer, Der Staat 1995, 268 (269). 444 Vgl. Rauser, Hoheitsrechte, S. 260 ff.: Ein Prinzip der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts existiert nicht; dazu unten D II 1 b) bb). 445 Der Begriff der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a) GG umfaßt nach ganz h.M. alle drei Staatsgewalten, vgl. nur Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 1206.
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
235
1 Nr. 4 a) GG nicht notwendig sein muß, dient jene Vorschrift doch in erster Linie der Durchsetzung des durch Art. 1 Abs. 3 GG verbürgten materiellen Grundrechtsschutzes. In diesem Zusammenhang könnte der Gedanke auftauchen, daß bei einer Einbeziehung nicht-deutscher Hoheitsgewalt in den Begriff der öffentlichen Gewalt des Art. 19 Abs. 4 GG möglicherweise auch die Bedeutung des Begriffs "Rechtsweg" in einem europäischen Sinn verstanden werden muß. Konsequenz dieser Überlegung wäre, daß unter Rechtsweg im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur der Weg zu den deutschen Gerichten, sondern auch zu ausländischen oder internationalen Gerichten zu verstehen wäre. Zur Unterstützung dieses Gedankens könnte angeführt werden, daß das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG auch den Europäischen Gerichtshof für Vorlageverfahren nach Art. 177 EGV als gesetzlichen Richter ansieht446. Eine so verstandene "Europäisierung der Rechtsschutzgarantie" muß jedoch daran scheitern, daß es dem deutschen Verfassungs- und Gesetzgeber verwehrt ist, Anforderungen an das gerichtliche Verfahren nicht-deutscher Gerichte zu stellen 447 . Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur die Eröffnung eines Rechtsweges, sondern stellt konkrete Anforderungen an das Verfahren der Entscheidungsfindung (Prüfungsumfang, Zugang zum Gericht, einstweiliger Rechtsschutz etc.). Zudem würde sich kein internationales oder ausländisches Gericht an deutsches Verfassungsrecht gebunden fühlen 448 , solange der Geltungsgrund für eine solche Bindung nicht im eigenen innerstaatlichen Recht oder im Völkerrecht liegt. (2) Öffentliche
Gewalt und Staatshaftung
A u f den Zusammenhang zwischen öffentlicher Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 34 GG weist Erler 449 hin. Er befürwortet eine parallele Auslegung der Begriffe "öffentliche Gewalt" und "öffentliches Amt" und kommt so zu der Beschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG auf die deutsche öffentliche Gewalt 450 .
446
BVerfGE 73, 339 (366 ff.); 75, 223 (231 f.); vgl. auch BVerfGE 59, 63 (91) Eurocontrol II. 447 Vgl. E. Klein, Stem-FS, S. 1301 (1307 ff.); Cremer, Auslandsfolgen, S. 392: Art. 19 Abs. 4 GG kann ebensowenig wie andere Grundrechte oder Normen des Grundgesetzes fremden Staaten Rechtspflichten auferlegen. 448 Ebenso Dienes, Europäische Integration, S. 52 ff., mit der Begründung, der EuGH sei nicht an nationales Verfassungsrecht gebunden. 449 VVDStRL 18 (1960), 7 (36); ebenso Papier,. HbStR VI § 154 Rdnr. 22. 450 Vgl. aber Erler, VVDStRL 18 (1960), 7 (11): "Sieht man von der notwendig eingeschränkten Bedeutung ab, die der Begriff der öffentlichen Gewalt in Art. 19 IV und 34 GG und § 90 BVGG durch die Verklammerung mit dem Institut des staatlichen Rechtsschutzes und der staatlichen Amtshaftung erhalten hat, so steht systematisch und
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Die Staatshaftung beziehe sich unzweifelhaft nur auf ein Verhalten deutscher Hoheitsträger. Ob diese Aussage in ihrer Allgemeinheit für die Zukunft noch gültig ist, kann jedoch bezweifelt werden. In der völkervertraglich vereinbarten Zusammenarbeit der Staaten tauchen immer wieder Klauseln auf, die eine Haftungsübernahme mit anschließender Regreßmöglichkeit zwischen den Staaten vorsehen 451. Es ist nicht auzuschließen, daß das nationale Staatshaftungsrecht diese Entwicklung aufgreifen und eine Einstandspflicht des Staates zumindest im Rahmen seiner Einwirkungsmöglichkeiten vorsehen wird. Schließlich ist die gleichlautende Auslegung des Art. 34 GG und des Art. 19 Abs. 4 GG nicht zwingend, erfaßt doch Art. 34 GG auch Rechtsverletzungen der Judikative, während nach ganz herrschender Auffassung Art. 19 Abs. 4 GG gerade nicht gegenüber Akten der Judikative eingreift 452 . (3) Öffentliche
Gewalt und internationale Zusammenarbeit
In systematischer Hinsicht bedeutsam für die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Gewalt ist das Verhältnis des Art. 19 Abs. 4 GG zu den Art. 23, 24 und 59 GG. Diese ermöglichen es dem Bund, völkerrechtliche Verträge abzuschließen und durch Gesetz Hoheitsrechte zu übertragen. Für die weitere Prüfung ist zu unterscheiden: Soweit Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung, wie sie Europol darstellt, übertragen werden, richtet sich die Verfassungsmäßigkeit des Übertragungsaktes allein nach Art. 23 und 24 GG, nicht nach den konkret betroffenen sonstigen Verfassungsnormen. Diese kommen nur modifiziert als Schrankenbestimmungen der Öffhungsermächtigung zur Geltung 453 . Art. 24 GG kommt jedoch nicht zur Anwendung, wenn Hoheitsrechte auf andere Staaten übertragen werden 454 , wie dies nach dem Schengener rechtslogisch nichts im Wege, alle obrigkeitlichen Eingriffsakte auch nichtstaatlicher publizistischer Hoheitseinheiten auf deutschem Staatsgebiet als Akte öffentlicher Gewalt anzusprechen. ... Begrifflich kann öffentliche Gewalt auf dem deutschen Staatsterritorium ausgeübt werden, die nicht unmittelbar oder mittelbar dem deutschen Staat zuzurechnen ist." 451 Vgl. etwa Art. 43 Abs. 2 und 3 sowie Art. 116 Abs. 2 SDÜ; Art. 38 Abs. 1 und 2 EuropolÜbk; darüber hinaus auch Art. 10 Abs. 1 und 3 des Abkommens zwischen Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, der Wallonischen Region und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen, GVB1. NW 1996, 255; allg. zur Haftung auch Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 450 ff. 452 Vgl. Schmelter, Rechtsschutz, S. 88 f.: Zur systematischen Deutung des Begriffs "öffentliche Gewalt" relativ erfolgloser Ausflug in das Staatshaftungsrecht. 453 So pointiert Rauser, Hoheitsrechte, S. 237. 454 BVerfGE 2, 347 ff.; Rauser, Hoheitsrechte, S. 231; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 143; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Rdnrn. 52 f.; Tomuschat, in: Bonner Kommentar (Zweitbearb.), Art. 24 Rdnr. 44; Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 245.
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
237
Modell der Staatenkooperation erfolgt ist. In diesen Fällen ist der Übertragungsakt unmittelbar am betroffenen Grundrecht zu messen455. Die Art. 23 und 24 GG enthalten keine Aussagen über die gerichtliche Kontrolle der Hoheitsausübung einer internationalen Organisation 456. Rechtsschutzgewährung durch deutsche Gerichte wird durch die Übertragung von Hoheitsrechten nicht schlechthin ausgeschlossen, es besteht lediglich die Gefahr ungleichmäßigen Rechtsschutzes in den einzelnen Mitgliedstaaten457. Dies ist ein Problem, das im Rahmen der betroffenen Organisation zu lösen ist und nicht auf der Ebene der Verfassungsauslegung in den Mitgliedstaaten458. Nicht die Art. 23 und 24 GG als solches schließen eine gerichtliche Kontrolle nichtdeutscher Hoheitsgewalt aus, sondern höchstens enstprechende Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen. (4) Ergebnis der systematischen Auslegung Die systematische Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG beschränkt den Bedeutungsgehalt nicht auf eine einzig-mögliche Auslegung des Begriffs der öffentlichen Gewalt, weist aber auf Schwierigkeiten in systematischer Hinsicht hin, die eine Erweiterung des Verständnisses von öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zur Folge haben könnte. Auf der anderen Seite ist auch nach dem derzeitigen Verständnis die gleichlautende Auslegung eines Begriffes an verschiedenen Stellen des Grundgesetzes nicht geboten. Verallgemeinerungen in der Grundrechtsauslegung sind unzulässig. Der Begriff der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG ist eigenständig nach dem besonderen Schutzauftrag der Vorschrift zu bestimmen 459 . cc) Historisch-genetische Auslegung 460 Eine historisch-genetische Betrachtungsweise liefert keine Anhaltspunkte dafür, daß mit öffentlicher Gewalt auch nicht-deutsche Hoheitsgewalt gemeint 455
Rauser, Hoheitsrechte, S. 237, 305. Ebenso Frenz, Der Staat 1995, 586 (591 f.). 457 So das BVerfG im Eurocontrol-Beschluß zu Art. 24 GG, BVerfGE 58, 1 (28). 458 Frenz, Der Staat 1995, 586 (592); vgl. unten 3. zur Rücksichtnahme auf die Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen. 459 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 45. 460 Die Bezeichnung "historisch-genetische Auslegung" ist dem Begriff historische Auslegung aus Gründen der Klarheit vorzuziehen, da sie den Rekurs sowohl auf mögliche Normvorläufer (historische Perspektive) als auch die Entstehungsgeschichte der Norm (genetische Perspektive) einbezieht, vgl. F. Müller, Juristische Methodik, S. 204 ff. 456
238
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
sein könnte. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates war von Beginn an die Rede von "öffentlicher Gewalt", ohne daß dieser Begriff näher erläutert wurde 461 . Die Vorläufer der grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantie sind hinsichtlich ihrer Gewährleistungen mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vergleichbar 462 und für die hier untersuchte Fragestellung wenig aussagekräftig 463. Nach Ansicht des Abgeordneten v.Mangoldt sieht Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG die "allgemeine Verfolgbarkeit" von Eingriffen in die Freiheit vor 4 6 4 . Auch wenn man unterstellt, daß der Parlamentarische Rat nur von Rechtsschutz gegen deutsche Staatsorgane ausging, hat sich diese Sichtweise in den Materialien und Diskussionen nicht niedergeschlagen. dd) Teleologische Auslegung Die teleologische Auslegung erschließt den Sinngehalt einer Norm aus dem Normzweck. Sie gewinnt Bedeutung, wenn eine Fallkonstellation zu entscheiden ist, die nach den zunächst heranzuziehenden Auslegungscanones nicht zuverlässig entschieden werden kann. Es muß dann geprüft werden, wie die Norm auf die neue Tatsachenkonstellation wirken soll 465 . Zweck des Art. 19 Abs. 4 GG ist es, die Durchsetzung der dem einzelnen zustehenden subjektiven Rechte zu sichern 466 . Subjektive Rechte in diesem Sinne sind nicht nur die Grundrechte, sondern auch andere durch Gesetz verliehene subjektive Rechte. (1) Europäisierung der Rechtsschutzgarantie War es Zweck der Rechtsschutzgarantie, eine Aushöhlung des materiellen Grundrechtsschutzes durch die Exekutive zu verhindern, so ist diesem Zweck in Zeiten der europäischen Integration und zunehmenden internationalen Zusammenarbeit durch eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf die deutsche Staatsgewalt nicht länger Genüge getan. Der grundrechtlich verbürgte Freiraum der Bürger wird in zunehmendem Maße durch Rechtsakte internationaler Organisationen und ausländischer Staaten gefährdet. Das Grundgesetz
461
Vgl. v.Doemming/Füsslein/Matz, JöR 1 (1951), S. 183 ff. Vgl. nur Art. 107 WRV und § 182 Abs. 1 der Paulskirchenverfassung, beide mit Art. 138 des Herrenchiemseer Entwurfes abgedruckt bei Vosskuhle, Rechtsschutz, S. 151; zur geschichtlichen Entwicklung einer Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt F. Klein, VVDStRL 8 (1950), 67 ff, sowie Schmelter, Rechtsschutz, S. 92 ff. 463 So auch Bauer, Gerichtsschutz, S. 18 f. 464 Zitiert nach v.Doemming/Füsslein/Matz, JöR 1 (1951), 183 f. 465 Starck, HbStR VII, § 164 Rdnr. 21; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 332. 466 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnrn. 1, 147; Lorenz, Rechtsschutz,^. 131; Schmelter, Rechtsschutz, S. 98 f. 462
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
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hat sich dieser Öffnung nicht verschlossen, sondern sie befürwortet und eine Öffnung des Staates gegenüber fremder Hoheitsgewalt ermöglicht. Deshalb ist es nur folgerichtig, auch die Rechtsschutzgarantie im Kontext der europäischen Integration weiterzuentwickeln 467 , zumal in vielen europäischen Staaten vergleichbare Gewährleistungen existieren 468 und Art. 6 EMRK den Anspruch auf Rechtsschutz, auch gegenüber der Exekutive 469 , völkerrechtlich verbürgt. Aus diesem Grund darf den Staaten der Europäischen Union auch nicht unterstellt werden, sie wollten durch die verstärkte Zusammenarbeit ihren Bürgern den Rechtsschutz, den diese nach nationalem Recht genießen, entziehen. Art. F Abs. 2 EUV bekennt sich ausdrücklich zur EMRK und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, zu denen auch - in unterschiedlichen Ausprägungen - die nationalen Rechtsschutzgarantien gehören 470. (2) Keine "Flucht vor dem Grundgesetz" Nicht in allen Fällen existiert ein eigenes Rechtsschutzsystem, wie es die Art. 164 ff. EGV für die Europäischen Gemeinschaften begründen. Das Europol-Übereinkommen sieht in Art. 39 Abs. 4 ausdrücklich eine Zuständigkeit nationaler Gerichte für Streitigkeiten betreffend die Haftung von Europol vor. A u f der anderen Seite enthält das Schengener Durchführungsübereinkommen z.B. keine Regelungen zum Rechtsschutz hinsichtlich der grenzüberschreitenden Tätigkeit ausländischer Beamter, auch wenn durchaus Konfliktfälle möglich sind. Um Rechtsschutzlücken im räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes zu vermeiden, ist es erforderlich, Akte nicht-deutscher Hoheitsgewalt in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG einzubeziehen oder sie zumindest deutschen Hoheitsakten gleichzustellen 471 . Die Ausweitung der grundrechtserheblichen Tätigkeit nicht-deutscher Hoheitsgewalt war bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes nicht vorhersehbar. Wenn klassische Tätigkeiten der Rechtshilfe, die früher nur von deutschen Hoheitsträgern wahrgenommen werden durften, die einer umfassenden materiellen Bindung an die Grundrechte und der vollen gerichtlichen Kontrolle unterlagen, nunmehr der nicht-deutschen Hoheitsgewalt selbst zufallen, besteht die Gefahr einer materiellen Aufweichung der Grundrechtsstandards; denn eine 467
So auch Frenz, Der Staat 1995, 586 (603 f.); Tietje, JuS 1994, 197 (199 f.), die eine Gleichstellung der europäischen mit der deutschen Hoheitsgewalt befürworten. 468 Vgl. Art. 113 der italienischen Verfassung, Art. 20 der griechischen Verfassung, Art. 24 der spanischen und Art. 20 der portugiesischen Verfassung, sowie Art. 25 der slowenischen und Art. 4 der tschechischen Verfassung. 469 Dazu oben C I 1 b). 470 Dazu Schmidt-Aßmann, Bernhardt-FS, S. 1283 ff., sowie ders./Hörings, EuZöRSonderheft 1997, 529 ff. 471 So etwa die Deutung des Maastricht-Urteils bei Tietje, JuS 1994, 197 (199 f.).
240
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
materielle Bindung nicht-deutscher Hoheitsgewalt an die Grundrechte besteht grundsätzlich nicht 472 . Sie muß völkervertraglich vereinbart werden. Diesen Verlust an materieller Bindung kann Art. 19 Abs. 4 GG mit seinen Gewährleistungen ausgleichen. Die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG auf die nicht-deutsche Staatsgewalt bringt Anforderungen hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens und der Entscheidung mit sich, die in völkerrechtlichen Verträgen oft nicht explizit geregelt sein dürften 473 . Insofern ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten, Art. 19 Abs. 4 GG im Sinne einer internationalen Auffangzuständigkeit deutscher Gerichte für die nicht-deutsche Staatsgewalt auszulegen. Die Perspektiven der künftigen Entwicklung, insbesondere im Bereich der 3. Säule des EU-Vertrages, haben sich erst in den 90er Jahren abzuzeichnen begonnen, so daß es erforderlich ist, vom Inhalt des Eurocontrol-Beschlusses abzuweichen. Die Fortentwicklung des Verständnisses von öffentlicher Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG bedeutet eine Anpassung an die gewandelten Verhältnisse der Staatenkooperation. ee) Ergebnis der Auslegung nach den klassischen Auslegungsmethoden Die Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG anhand der klassischen Auslegungsmethoden hat gezeigt, daß einer Einbeziehung nicht-deutscher Staatsgewalt in die Rechtsschutzgarantie grammatische, historische und systematische Argumente nicht entgegenstehen, sie aber durch teleologische Erwägungen gerechtfertigt wird. Der Satz "Öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ist nur die deutsche öffentliche Gewalt" muß somit geändert werden: "Öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG erfaßt grundsätzlich jede in Deutschland wirkende Art der Hoheitsausübung". Die Einschränkung der These durch das Wort "grundsätzlich" rechtfertigt sich aus der Rücksichtnahme auf andere Verfassungsnormen und verfassungsrechtliche Grundentscheidungen. c) Andere Prinzipien der Verfassungsinterpretation Zusätzliche Gesichtspunkte, die bei der Verfassungsinterpretation zu beachten sind, wie z.B. die "Einheit der Verfassung" oder die "praktische Konkordanz" werden hier 474 gesondert betrachtet, obgleich Überschneidungen
472
Siehe oben 3 b) bb) (1). Vgl. Art. 39 Abs. 4 EuropolÜbk. 474 Im Anschluß an Hesse, Verfassungsrecht, S. 26 ff; vgl. auch Roellecke, FGBVerfG II, S. 22 (26 f.). 473
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
241
mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden kaum zu vermeiden sind 475 . Der Unterschied liegt jedoch darin, daß bei der systematischen Auslegung die einzelnen Grundgesetznormen aus ihrer Stellung im Grundgesetz betrachtet werden und insoweit eine strenge Normorientierung erforderlich ist. Das Hinzuziehen anderer Interpretationsgesichtspunkte ermöglicht es hingegen, auch verfassungsrechtliche Grundentscheidungen und außerhalb des Grundgesetzes liegende Kriterien zur Verfassungsinterpretation heranzuziehen 476. Der Grundsatz der "Einheit der Verfassung" geht insofern über die systematische Auslegung hinaus. aa) Verhältnis der Rechtsschutzgarantie zur Integrationsoffenheit des Grundgesetzes "Integrationsoffenheit" oder "offene Staatlichkeit" 477 sind keine Begriffe, die das Grundgesetz selbst verwendet, sondern Wortschöpfungen der Rechtswissenschaft, die die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die internationale Staatengemeinschaft, insbesondere die Europäische Union, kennzeichnen 478 . Normativ verankert ist diese Entscheidung des Verfassungsgebers in der Präambel sowie vor allem in den Art. 23 (n.F.) bis 26 GG. Die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG hat die Auswirkungen dieser Verfassungsnormen in zweierlei Hinsicht zu respektieren. (1) Konsequenzen aus der Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft Die Übertragung von Hoheitsgewalt auf die Europäische Gemeinschaft 479, bzw. die Öffnung der nationalen Rechtsordnung für europäisches Gemeinschaftsrecht, betrifft nicht nur Exekutive und Legislative, sondern auch die Gerichtsbarkeit. Das gemeinschaftseigene Rechtsschutzsystem der Art. 164 ff. EGV, 1988 ergänzt durch das Gericht erster Instanz, steht insoweit einer Kontrolle europäischen Gemeinschaftsrechts durch nationale Gerichte ent-
475 Nach Starck, HbStR VII, § 164 Rdnr. 19, unterfallen diese deshalb offensichtlich dem canon der systematischen Auslegung; ebenso Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 20 f. 476 Vgl. F. Müller, Juristische Methodik, S. 215 f. 477 Dazu Mosler, HbStR VII, § 175 Rdnm. 8 ff.; vgl. auch die gleichnamige FS für Böckenförde aus dem Jahr 1995, hrsg. von Grawert/Schlink/Wahl/Wieland. 478 Vgl. Tomuschat, HbStR VII, § 172 Rdnm. 2 ff. ; K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, S. 42 ff. 479 Dazu Mosler, HbStR VII, § 175 Rdnm. 28 ff, 41 ff. 16 Harings
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
gegen. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, daß die nationalen Gerichte hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts zwar eine Prüfungs-, nicht aber eine Verwerfungskompetenz haben 480 . Eine solche Verwerfungskompetenz würde zwangsläufig die einheitliche Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen. Dies hat zur Folge, daß der nach den klassischen Auslegungsmethoden gefundene Begriff der öffentlichen Gewalt "europarechtskonform" dahingehend eingeschränkt werden muß, daß Akte öffentlicher Gewalt, die der alleinigen Zuständigkeit der europäischen Gerichtsbarkeit unterfallen, von der Rechtsschutzgarantie nicht erfaßt werden 481 . Diese Einschränkung kann jedoch nur in den Grenzen der zulässigen Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 und 24 GG erfolgen. Die Rechtsschutzgarantie greift demnach gegenüber Akten der europäischen Gemeinschaft nur ein, wenn sie die Grenzen der Übertragung überschreiten (ausbrechende Rechtsakte)482. Da solche Rechtsakte jedoch zunächst der Kontrolle der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit unterliegen, erstreckt sich die Rechtsschutzgarantie in erster Linie auf Judikativakte der Gemeinschaftsgerichte, die ihrerseits die Verbandskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft überschreiten 483. Insoweit ist eine einschränkende Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht durch die Integrationsoffenheit des Grundgesetzes geboten. (2) Völkerrechtskonforme
Auslegung
Art. 25 GG sagt, ebenso wie die Art. 23 und 24 GG, als solches nichts über die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG aus. Er öffnet jedoch die deutsche Rechtsordnung für die Wertungen des Völkerrechts, so daß auch Bestimmungen der Verfassung im Zweifel völkerrechtskonform zu interpretieren sind 484 . Wenn die Rechtsschutzgarantie nach der hier vertretenen Auffassung auch Akte nicht-deutscher Staatsgewalt umfaßt, darf dies nicht dazu führen, daß Vorschriften des Völkerrechts mißachtet werden. Art. 25 GG rezipiert die allgemeinen Regeln des 480
EuGH, Slg. 1987, 4199 (Foto-Frost). Vgl. dazu Cremer, Der Staat 1995, 268 (279 ff.). 482 Vgl. BVerfGE 89, 155 (188); ebenso Frenz, Der Staat 1995, 586 (596 f.): "Von daher unterfallt ein derart ungedeckter Rechtsakt, der innerstaatlich gewährleistete subjektive Rechte berührt, dem Gewaltbegriff des Art. 19 Abs. 4 GG"; dagegen etwa Hirsch, NJW 1996, 2457 (2462). 483 Zu den Anforderungen Everling, Grabitz-GS, S. 57 (70 f.); Kirchhof FAZ v. 4.12.1996, S. 11, sowie Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1996, 125 (127): Residualzuständigkeit des BVerfG als "Vorbehalt für höchst unwahrscheinliche Extremfälle eklatanter Zuständigkeitsüberschreitung durch ein Gemeinschaftsorgan". 484 Tomuschat, HbStR VII, § 172, Rdnr. 28; Steinberger, HbStR VII, § 173 Rdnr. 63; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 190; kritisch zur völkerrechtskonformen Auslegung Ress, BerDGVR 23 (1981), 7 (46 f.). 481
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
243
Völkerrechts 485 , die wiederum die Auslegung anderer Verfassungsnormen beeinflussen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich Art. 25 GG insbesondere auf das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht 486. (a) Grundsatz der Immunität Immunität bezeichnet das Recht eines Staates oder einer Internationalen Organisation und ihrer Beamten, sich hinsichtlich ihrer hoheitlichen Tätigkeit (acta iure imperii) nicht der Zwangsgewalt anderer Staaten unterwerfen zu müssen487. Sie ist demnach in persönlicher (Immunität ratione personae) und in sachlicher Hinsicht (Immunität ratione materiae) begrenzt 488. Beide Kriterien müssen kumulativ vorliegen, um eine Berufung auf die Immunität zu rechtfertigen. Eine absolute Immunität wird jedoch heute auch für den Bereich hoheitlichen Verhaltens nicht mehr angenommen489. Nach Art. 11 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität490 kann ein Vertragsstaat keine Immunität für Handeln auf fremdem Staatsgebiet in solchen Verfahren beanspruchen, die sich auf Schadensersatz für die Verletzung von Personen oder Sachen beziehen. Hoheitliches Handeln wird von der Norm nicht ausgenommen491. Voraussetzung ist allein, daß der schadensstiftende Akt im Gerichtsstaat begangen wurde. Signatarstaaten des Übereinkommens sind neben der Bundesrepublik Deutschland bislang (Stand: 31.12.1996) Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Schweiz, Großbritannien und Zypern 492 . Nur für diese Staaten gilt die Vorschrift des Art. 11. Eine entsprechende allgemeine Regel des Völkerrechts existiert nicht 493 . 485 Dazu etwa Steinberger, HbStR VII, § 173 Rdnr. 63; Geck, FG-BVerfG II, S. 125 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 162 ff. 486 BVerfGE 15, 25 (33 f.); 16, 27 (33); 23, 288 (317); 31, 145 (177), 66 39 (64 f.), sowie BVerfG, NJW 1988, 1462 (1463); vgl. auch Tomuschat, HbStR VII, § 172 Rdnm. 11 ff, und Steinberger, HbStR VII, § 173 Rdnm. 7 ff. 487 Vgl. BVerfG, NJW 1998, 50 (53 f.); Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 1462; Verdross/Simma, Völkerrecht, S. 762 ff.; Ipsen/Gloria, Völkerrecht, S. 338 ff. 488 Eine Abgrenzung in sachlicher Hinsicht der acta iure imperii zu den acta iure gestionis ist in diesem Rahmen nicht erforderlich, da alle hier auftauchenden Handlungsformen unzweifelhaft hoheitlicher Art sind. 489 Geiger, NJW 1987, 1124 (1125 f.); zur Entwicklung der Staatenimmunität Steinberger, FG-Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 451 ff; Damian, Staatenimmunität, S. 4 ff. 490 BGBl. 1990 II, S. 35. 491 Vgl. Damian, Staatenimmunität, S. 111 ff, und Steinberger, FG-Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 451 (458 ff.), je mit Hinweisen auf gleichlautende Vorschriften im amerikanischen und britischen Immunitätsgesetz.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 339. 492 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität vom 24. Oktober 1990, BGBl. 1990 II, S. 1400; im Jahr 1985 ist ein 16*
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
Als Regel des allgemeinen Völkerrechts ist der Grundsatz der Staatenimmunität völkerrechtlich zwingend zu beachten. Er wird denn auch als Hauptargument gegen eine Einbeziehung nicht-deutscher Hoheitsakte in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG vorgebracht, sei es explizit 494 oder aus der Perspektive des innerstaatlichen Prozeßrechts (fehlende Jurisdiktion/Gerichtsbarkeit) 495 . Die Begriffe Jurisdiktion und Gerichtsbarkeit werden im deutschen Sprachgebrauch überwiegend synonym gebraucht als die "aus der staatlichen Souveränität fließende, durch den Staat seinen Gerichten generell verliehene Entscheidungsgewalt (facultas jurisdictionis)" 496 . Dem völkerrechtlichen Zusammenhang mit dem Grundsatz der Staatenimmunität wird jedoch diese Begrenzung auf die Gerichtsbarkeit im Sinne der Tätigkeit der Judikative nicht gerecht. Völkerrecht regelt in erster Linie die Beziehungen zwischen Staaten, unabhängig von deren interner Organisation 497. Es ist deshalb völkerrechtlich weitgehend unbeachtlich, durch welche Organe ein Staat handelt oder inwieweit er selbst rechtlich untergliedert ist 498 . Dieser völkerrechtliche Kontext rechtfertigt es, den Begriff der Jurisdiktion umfassend auf alle drei Staatsgewalten zu beziehen: Jurisdiktion ist die Hoheitsausübung eines Staates durch Legislative, Exekutive und Judikative 499 .
Europäisches Gericht für Staatenimmunität eingerichtet worden, das sich aus Mitgliedern des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zusammensetzt; das Gericht ist bislang noch nicht angerufen worden, vgl. Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 627, 633. 493 Weitergehend Damian, Staatenimmunität, S. 114: Die Ausübung staatlicher Gerichtsbarkeit in solchen Fällen widerspreche allgemeinem Völkerrecht; anders wohl v. Schönfeld; NJW 1986, 2980 (2981), und Geiger, NJW 1987, 1124: Die Konvention gebe weitgehend den gesichterten Stand des Völkerrechts wider. 494 E. Klein, Grabitz-GS, S. 271 (279). 495 Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnrn. 168 ff.; SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 47; Groß, JZ 1994, 596 (604). 496 BGH, JZ 1958, 241 m.Anm. Steindorff GRUR 1985, 196; vgl. aus der Literatur etwa Zöller-Geimer, § 12 Rdnr. 36; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rdnr. 24 vor § 40; Meng, Jurisdiktion, S. 1, 3. 497 Schwarze, Jurisdiktion, S. 20; Meessen, Völkerrecht, S. 83, ihm folgend Happe, Grenzüberschreitende Wirkung, S. 17. 498 Meng, EPIL II, S. 337; vgl. auch EuGH, Slg. 1996 I, 1029 (1145) unter Hinweis auf die Ausführungen von GA Tesauro, aaO, S. 1090. 499 So auch Meng, Jurisdiktion, S. 1 ff (5), unter Hinweis auf die traditionelle angloamerikanische Betrachtungsweise; Schwarze, Jurisdiktion, S. 13; Dahm/Delbrück/Wolf rum, Völkerrecht, Band 1/1, S. 280; aus dem zivilprozessualen Schrifttum etwa Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdnr. 131; vgl. aber Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 323, die Immunität in einem engeren Sinn nur auf die Gerichte eines Staates beziehen: "... in the case of immunity from jurisdiction, local legislation is fully applicable, so that no privileged position is granted. The only consequence of immunity from jurisdiction is that local courts cannot assess the applicability of the law in the specific case."
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
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Jurisdiktion muß nicht auf originärer Hoheitsgewalt beruhen, sondern kann auch durch freiwillige Unterwerfung begründet werden 500 . Staaten und Organisationen können jedenfalls durch ausdrückliche Erklärung auf ihre Immunität verzichten und einzelne Hoheitsakte der Jurisdiktion eines anderen Staates oder einer internationalen Organisation unterwerfen 501. Ob diese Unterwerfung auch mittelbar durch schlüssiges Verhalten geschehen kann 502 , ist umstritten. Jedenfalls muß der Wille des Staates, auf seine Immunität zu verzichten, zweifelsfrei zum Ausdruck kommen 503 . Inwieweit dies geschehen ist, bedarf jeweils einer Einzelfallprüfung. Aus der hier vertretenen, erweiterten Bedeutung des Begriffes Jurisdiktion folgen auch Anforderungen an die Erklärung des Immunitätsverzichts. Dieser braucht sich nicht explizit auf die Unterwerfung unter die Judikative eines Staates zu beziehen, sondern muß die Anerkennung der fremden Hoheitsgewalt als solches unmißverständlich zum Ausdruck bringen. Möglich ist auch ein Teilverzicht, etwa nur zugunsten der Exekutive oder der Judikative eines Staates. Aus der Unterwerfung eines Staates unter das Erkenntnisverfahren folgt nicht auch eine solche unter Zwangs- und Vollstreckungsmaßnahmen 504. Die erweiternde Auslegung der Rechtsschutzgarantie erfaßt im Wege einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung nur diejenigen nichtdeutschen Hoheitsakte, die nicht von Völkerrechts wegen der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen sind. (b) Kein allgemeines völkerrechtliches Verbot der Jurisdiktion über fremde Hoheitsakte Von der Staatenimmunität zu trennen ist die Frage, ob ein allgemeines völkerrechtliches Verbot der Jurisdiktion über fremde Hoheitsakte existiert. Die Befürworter dieser Auffassung sehen die Staatenimmunität nur als eine Immunität ratione materiae. Dies führt zu einem völkerrechtlichen Verbot der Überprüfung der Rechtmäßigkeit fremder Hoheitsakte505. Der Grundsatz der Staatenimmunität hingegen reicht einerseits weiter als ein so verstandenes Verbot, indem er bereits die Zulässigkeit der Klage betrifft, andererseits ist er insofern enger, als er einer Inzidentprüfung nicht entgegensteht und einen Verzicht des 500
Meng, Jurisdiktion, S. 4; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band 1/1, S. 469. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnm. 1465 f.; Verdross/Simma, Völkerrecht, S. 770; Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 1 (26 ff.). 502 So etwa Damian, Staatenimmunität, S. 39; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band 1/1, S. 469; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 339; v. Schönfeld, NJW 1986, 2980 (2983). 503 Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 1 (30). 504 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band 1/1, S. 470. 505 Vgl. Wengler, Völkerrecht, Bd. 2, S. 949; unklar Herndl, Verdross-FS, S. 421 (426). 501
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C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
betroffenen Staates ermöglicht. Ein allgemeines völkerrechtliches Verbot der Jurisdiktion über fremde Hoheitsakte läßt sich in der Staatenpraxis nicht nachweisen506. Selbst die im angelsächsischen Rechtskreis angewandte act of state-Doktrin wird als spezifisch nationale Rechtsregel verstanden 507 und vom Grundsatz der Staatenimmunität abgegrenzt 508. (c) Inlandsbezug509 Während die Immunität nicht-deutscher Organe die Gerichtsbarkeit (Jurisdiktionshoheit) der Bundesrepublik Deutschland einschränkt, ist das Erfordernis eines Inlandsbezuges für die Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte von Bedeutung 510 . Die internationale Zuständigkeit regelt, welchem Staat im Falle eines Sachverhaltes mit Auslandsbezug die Befugnis zukommt, im konkreten Fall von seiner bestehenden Gerichtsbarkeit Gebrauch zu machen 511 . Sie bestimmt sich weitgehend nach innerstaatlichem Recht und unterliegt nur vagen völkerrechtlichen Vorgaben 512 . Eine dieser Vorgaben stellt das Kriterium des Inlandsbezuges dar 513 : Es verstößt gegen Völkerrecht, wenn ein Staat für alle Rechtsstreitigkeiten der Welt die internationale Zuständigkeit seiner Gerichte beansprucht 514. Die Frage nach der internationalen Zuständigkeit im Verwaltungsrecht ist neuerer Natur 515 . Sie stellt sich erst seit dem Bedeutungszuwachs grenzüberschreitenden Verwaltungshandelns. 506 Damian, Staatenimmunität, S. 70; vgl. auch Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 352 ff. 507 Damian, Staatenimmunität, S. 70; Cremer, Auslandsfolgen, S. 225 m.w.N. 508 BVerfG, NJW 1998, 50 (54); ausführlich Folz, Geltungskraft, S. 178 ff. 509 Dazu Meng, Jurisdiktion, S. 541 ff. (543), mit einer Aufzählung weitgehend synonymer Begriffe. 510 Die Erkenntnis, daß zwischen beiden Begriffen zu differenzieren ist, hat sich seit vielen Jahren durchgesetzt, vgl. nur Habscheid, BerDGVR 8 (1968), S. 163; aber auch Schwarze, Jurisdiktion, S. 13 (dort Fußn. 1), sowie Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZivilprozeßR, S. 84, die sich nicht eindeutig festlegen; zur Terminologie im Ausland Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdnr. 132; Meng, Jurisdiktion, S. 231 ff. 511 BGH, JZ 1958, 241; Stein/Jonas-Schumann, ZPO, Einl. Rdnr. 751; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rdnr. 24 vor § 40. 512 Weitergehend Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 31 f , sowie ders., DVB1. 1995, 772 (776), der etwa die Abgrenzung zwischen europäischer und deutscher Gerichtsgewalt unter Hinweis auf die "fehlende internationale Zuständigkeit" deutscher Gerichte vornimmt; anders jedoch BVerwGE, 91, 126 (127 ff.); Meng, Jurisdiktion, S. 226 f.; Erichsen, Jura 1994, 418 (419). 513 Damian, Staatenimmunität, S. 63. 514 MüKo-Patzina, ZPO, § 12 Rdnr. 78; Zöller-Geimer, ZPO, § 12 Rdnr. 36. 515 Vgl. etwa noch Meng, Jurisdiktion, S. 284: "Im deutschen Verwaltungsprozeß spielt die internationale Zuständigkeit insofern keine Rolle, als es sich um eine Kontrolle deutschen Verwaltungshandelns handelt."
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
247
Wegen der Eigenart des öffentlichen Rechts können die Lösungsvorschläge des Zivilprozeßrechts nicht unbesehen auf die auftauchenden Fragestellungen angewandt werden 516 . Es ist deshalb zu fragen, wann auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ein hinreichender Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegenüber nicht-deutscher Staatsgewalt gegeben ist. Als Ansatzpunkte kommen insbesondere in Betracht: Das hoheitliche Tätigwerden nicht-deutscher Beamter auf deutschem Staatsgebiet (Fälle der Observation/Nacheile, andere Exekutivmaßnahmen) und sich in Deutschland auswirkende grundrechtserhebliche Eingriffe nicht-deutscher Hoheitsgewalt aus dem Ausland unter Mitwirkung deutscher Staatsgewalt (Datenschutz hinsichtlich der Informationssysteme SIS, ZIS und der Europol-Datenverarbeitungsssysteme). Das Abstellen auf die Inlandswirkungen ist auch kein neuartiges Phänomen im Bereich des öffentlichen Rechts, sondern wird bereits seit langem bei der Anwendung des nationalen wie des europäischen Kartellrechts praktiziert 517 . Diese Einordnung deckt sich nur teilweise mit dem von Ehlers vorgeschlagenen Kriterium, nach dem deutsche Verwaltungsgerichte international zuständig sind, wenn deutsches öffentliches Recht den Streitgegenstand bildet 518 . Streitgegenstand kann nach der hier vertretenen Auffassung auch Völkerrecht oder das Recht ausländischer Staaten sein, soweit eine Gerichtsbarkeit begründet ist 519 . (3) Keine unzulässige Schutzbereichsfestlegung
durch die auswärtige Gewalt
In der europa-, bzw. völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG liegt auch keine unzulässige Schutzbereichsfestlegung durch die auswärtige Gewalt. Bei einem Grundrecht wie Art. 19 Abs. 4 GG, das der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf 620 , ist es gleichwohl unzulässig, die Bestimmung der Reichweite der Vorschrift von der Verfassungsebene zu lösen und beim einfachen Gesetzgeber oder der Exekutive anzusiedeln. Dies ist jedoch vorliegend nicht geschehen. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie wird mit Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen aus
516
Für das Zivilrecht wird davon ausgegangen, daß die internationale Zuständigkeit der örtlichen Zuständigkeit nachfolgt, sog. "Doppelfunktionalität der Normen über die örtliche Zuständigkeit", vgl. BGHZ 94, 156 (157); NJW 1991, 3092 (3093); ZöllerGeimer, ZPO, § 12 Rdnr. 37. 517 Vgl. Schwarze, Jurisdiktion, S. 47; Meng, Jurisdiktion, S. 526 ff.; Meessen, Kollisionsrecht, S. 23 ff, sowie EuGH, Slg. 1988, 5193 (5243) - Zellstoff. 518 Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rdnr. 64 vor § 40. 519 Näher dazu unten D II 1 b) cc). 520 Dazu Papier, HbStR VI, § 154 Rdnm. 52 ff.
248
C. Rechtsschutz und Rechtsschutzgarantien in Deutschland
der Verfassung heraus bestimmt. Es liegt demnach nicht in der Hand der auswärtigen Gewalt, durch den Abschluß völkerrechtlicher Verträge den Begriff der öffentlichen Gewalt zu definieren, wohl aber mittelbar - im Wege der Schaffung neuen Völkervertragsrechts - die Grenzen der erweiternden Auslegung des Schutzbereichs auszudehnen oder einzuschränken. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. bb) Der Grundsatz möglichster Grundrechtseffektivität Als Auslegungsgrundsatz wird verschiedentlich der Grundsatz der Grundrechtseffektivität oder das Prinzip "in dubio pro libertate" 521 erwähnt. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach ausgesprochen, daß diejenige Grundrechtsauslegung vorzuziehen sei, die die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfalte 522 . Auf der anderen Seite betont das Gericht jedoch, daß eine isolierte Betrachtungsweise einzelner Verfassungsbestimmungen nicht zulässig ist: "Denn die Verfassung ist ein Sinngefüge, bei dem einzelne Gewährleistungen, und mithin auch Artikel 19 Abs. 4 GG so auszulegen sind, daß auch anderen Verfassungsnormen und Grundsätzen nicht Abbruch getan wird." 523 Diese Aussage faßt die Bedenken gegen eine möglichst effektive Auslegung einzelner Grundrechte treffend zusammen. Für die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG folgt daraus das Gebot ausgewogenen Rechtsschutzes524. 4. Zusammenfassung Die Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG hat gezeigt, daß der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht auf Akte der deutschen öffentlichen Gewalt in Deutschland begrenzt ist. Erfaßt wird vielmehr Handeln der deutschen öffentlichen Gewalt mit Auslandsbezug ebenso wie Handeln nicht-deutscher öffentlicher Gewalt mit Inlandsbezug, soweit Europarecht/Völkerrecht eine solche 521
BVerfGE 3, 231; 4, 168; 6, 32 (42); vgl. auch Bleckmann, Grundrechte, S. 88, sowie Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 85, der das Effektivitätsprinzip als Variante der teleologischen Auslegung ansieht. 522 BVerfGE 6, 55 (72); 32, 54 (71); 39, 1 (38); ablehnend F. Müller, Juristische Methodik, S. 222 f. 523 BVerfGE 60, 253 (267); ähnlich BVerwGE 67, 206 (209); vgl. auch SchmidtAßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnm. 152 ff, sowie ders., NVwZ 1983, 1 f. 524 Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rdnm. 153 f.; Papier, HbStR VI, § 154 Rdnr. 8; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 964; ders., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80 Rdnm. 12 f.
IV. Die Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
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Einbeziehung nicht verbietet 525 . Akte nicht-deutscher Staatsgewalt in diesem Sinne können sowohl Hoheitsakte ausländischer Staaten wie auch internationaler Organisationen sein. Der zur Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte erforderliche Inlandsbezug liegt in jedem Fall bei einem Tätigwerden nicht-deutscher Staatsgewalt auf deutschem Hoheitsgebiet vor. Ausreichend für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit ist jedoch auch ein Hineinwirken in deutsches Staatsgebiet von "außen". Der Aussage des Bundesverfassungsgerichtes, es garantiere den Grundrechtsschutz in Deutschland, kann daher für den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung der Einschränkungen, die sich aus dem Grundsatz der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes ergeben, zugestimmt werden. Soweit nicht-deutsche Hoheitsakte der gerichtlichen Kontrolle in Deutschland unterliegen, müssen sich Verfahren und Ausmaß der Kontrolle an der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes messen lassen. Zur Angleichung an einen europäischen Standard können allerdings Einschränkungen zulässig
525
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 47, und ihm folgend Groß, JZ 1994, 596 (604), befürworten ebenfalls eine an Art. 25 GG orientierte Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG, folgern daraus aber, daß die Vorschrift hoheitliche Akte anderer Staaten gar nicht erfasse. 526 Auch für das Rechtsschutzsystem einer zwischenstaatlichen Einrichtung fordert das BVerfG nicht, daß dieses in jeder Hinsicht dem deutschen Recht entsprechen müsse, da der Bund durch eine solche Bindung "vertragsunfähig" würde und dies der "Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit" (Klaus Vogel) zuwider liefe, vgl. BVerfGE 58, 1 (41); ebenso BVerwG, NJW 1993, 1409 (1410), insoweit in BVerwGE 91, 126 nicht abgedruckt.
D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland Im dritten Teil der Arbeit sollen die Auswirkungen der Kooperation auf den Rechtsschutz in Deutschland untersucht werden. Die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes kann nur dann auf nicht-deutsche Hoheitsakte im Rahmen der sicherheitsbehördlichen Kooperation erstreckt werden, wenn diese der deutschen Gerichtsbarkeit unterfallen. Das ist der Fall, wenn die fremden Hoheitsakte der deutschen Hoheitsgewalt zugerechnet werden können oder die Staaten auf ihre Immunität verzichtet haben. Sollte der Grundsatz der Staatenimmunität einer Einbeziehung der Hoheitsakte in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG entgegenstehen, müßte auch eine erweiternde Auslegung der einfach-gesetzlichen Rechtswegvorschriften an der Immunität ausländischer Staaten oder der internationalen Organisation Europol scheitern. Gerade dann wäre weiter zu fragen, ob die vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten dem verfassungsrechtlich geforderten Maß entsprechen. Jenseits des unmittelbaren Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG findet diese Prüfung im Rahmen der Zulässigkeit einer Hoheitsrechtsübertragung nach Art. 23 oder 24 GG statt. Bewertungsmaßstab kann aber nicht allein das an Art. 19 Abs. 4 GG ausgerichtete nationale Rechtsschutzmodell sein. Eine solche Perspektive würde den europäischen Kontext der Kooperation außer Acht lassen. Die gleichen Fragestellungen, die im folgenden Teil für die Anwendung der Übereinkommen in Deutschland erörtert werden, stellen sich in ähnlicher Weise in den anderen Mitgliedstaaten. Solange eine Harmonisierung des maßgeblichen materiellen und prozessualen Rechts aussteht, müssen die in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vorhandenen Möglichkeiten zu einer flexiblen Anwendung der nationalen Vorschriften genutzt werden. Die Tendenz wird in den von der Kooperation erfaßten Tätigkeitsfeldern auf lange Sicht in Richtung einer Angleichung der nationalen Rechtsordnungen gehen. Für den Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt können die Artikel 6 und 13 EMRK einen europäischen Mindeststandard aufgezeigen.
I. Art. 19 Abs. 4 GG und nicht-deutsche Hoheitsakte
251
I. Art. 19 Abs. 4 GG und nicht-deutsche Hoheitsakte Es ist nunmehr konkret zu prüfen, ob hinsichtlich der in dieser Arbeit untersuchten Übereinkommen die Gerichtsbarkeit und die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben sind. In einem solchen Fall unterfielen die betreffenden nicht-deutschen Hoheitsakte der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes. Die Prüfung hat sich an völkerrechtlichen Grundsätzen zu orientieren, da die Staaten der Europäischen Union auch im Rahmen der europäischen Integration auf die grundsätzliche Wahrung ihrer Immunität und Souveränität bedacht sind1.
1. Schengener Durchführungsübereinkommen a) Grenzüberschreitende
Observation/Nacheile
Im Schengener Durchführungsübereinkommen tauchen zunächst Rechtsschutzprobleme bei der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile gemäß Art. 40 und 41 SDÜ auf. Es handelt sich dabei um fremde Hoheitsakte auf deutschem Staatsgebiet. Diese müßten allerdings wie deutsche Hoheitsakte behandelt werden, wenn das Handeln der ausländischen Beamten der deutschen Hoheitsgewalt zuzurechnen ist. Wird dies verneint und von fremden Hoheitsakten ausgegangen, muß weiter ein Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte vorliegen. Ob daneben noch ein Bezug zu anderen Ländern (hier den Herkunftsländern der Beamten) besteht, ist für die internationale Zuständigkeit zunächst ohne Belang. Eine ausschließliche internationale Zuständigkeit2 nicht-deutscher Gerichte ist nicht ersichtlich. aa) Zurechenbarkeit zur deutschen Hoheitsgewalt Da der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit in der Regel ein Rechtshilfeersuchen vorgeschaltet ist, könnte der Rechtsschutz an das Trennungsmodell im Rechtshilferecht anknüpfen. Die Besonderheit der zugrundeliegenden Fallkonstellation im Unterschied zum herkömmlichen Rechtshilferecht 1
Ein anschauliches Beispiel dafür bietet die politische Kontroverse um die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes im Rahmen des Europol-Übereinkommens, vgl. FAZ v. 29.01.1996 sowie FAZ v. 20.03.1996, jeweils S. 5. 2 Die Terminologie ist nicht immer einheitlich, vgl. etwa Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZivilprozeßR, S. 84: "Für Fälle, die zur Zuständigkeit der europäischen Gerichte gehören, fehlt den deutschen Gerichten die Gerichtsbarkeit bzw. die internationale Zuständigkeit"; Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 31 f. (dort insb. Fußn. 162); ders, DVB1. 1995, 772 (776).
252
D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
liegt jedoch darin, daß Hoheitsträger auf fremdem Staatsgebiet tätig werden. Dadurch wird ein Bezug zum Aufenthaltsstaat hergestellt, der geeignet ist, die internationale Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates - zumindest für solche Teilakte des Gesamtgeschehens, die sein Hoheitsgebiet berühren - zu begründen. Möglicherweise ist aber für diese Teilakte sogar die alleinige Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit der Gerichte des Aufenthaltsstaates gegeben. Dies wäre dann zu bejahen, wenn dem Aufenthaltsstaat die Handlungen der fremden Beamten zugerechnet werden müssen3. (1) Zurechenbarkeit
nach Völkerrecht
(a) Keine Organleihe Läge ein Fall der völkerrechtlichen Organleihe 4 vor, käme die Grundkonstellation des Rechtshilferechts zum Tragen. Rechtsschutz wäre dann ausschließlich vor den Gerichten des Aufenthaltsstaates zu suchen, da rechtlich dessen Organe auf eigenem Staatsgebiet auf Ersuchen des Herkunftsstaates handelten. Art. 9 des Konventionsentwurfs der ILC zur Staatenverantwortlichkeit enthält folgende Regelung zur Organleihe: "Das Verhalten eines Organs, das einem Staat von einem anderen Staat oder von einer Internationalen Organisation zur Verfügung gestellt worden ist, ist völkerrechtlich als Handeln des erstgenannten Staates zu betrachten, falls das Organ in Ausübung von Elementen öffentlicher Gewalt des Staates gehandelt hat, dem es zur Verfügung gestellt war." Öffentliche Gewalt des Aufenthaltsstaates in diesem völkerrechtlichen Sinn wird ausgeübt, wenn die Organe im Namen, auf Weisung und unter der Kontrolle des Aufenthaltsstaates handeln5. Im Falle der vertraglichen Organleihe brauchen nicht sämtliche Weisungs- und Kontrollbefugnisse auf den Aufent-
3 Vgl. zur Zurechenbarkeit von Maßnahmen einer auswärtigen Hoheitsgewalt BVerfGE 66, 39 (60 ff.), 57, 9 (23 f.), und 55, 349 (362 f.), sowie Cremer, Auslandsfolgen, S. 255 ff; ob eine solche Zurechnung möglich ist, muß dabei ganz konkret anhand der einzelnen Bestimmungen geprüft werden; dieser normative Ansatz unterscheidet sich deshalb von dem bereits kritisch gewürdigten funktionalen Ansatz Elbings (dazu oben C IV 3 b) bb)). 4 Dazu Jennings/Watts, Oppenheim's International Law, S. 547; Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rdnrn. 20 ff.; die Annahme einer Organleihe wurde bereits unter § 6 I 4 im Hinblick auf die Qualifizierung der Handlungsformen abgelehnt, ist aber nunmehr aus der völkerrechtlichen Perspektive der Staatenverantwortlichkeit zu untersuchen. 5 Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rdnr. 22: "Wenn Organe eines Staates oder einer Internationalen Organisation im Namen, auf Weisung und unter Kontrolle eines anderen Staates handeln, dann handelt durch sie nicht mehr das Herkunftssubjekt, sondern der begünstigte Staat... Diese Rechtslage gebietet, das Verhalten der "entliehenen" Organe dem begünstigten Staat zuzurechnen".
I. Art. 19 Abs. 4 GG und nicht-deutsche Hoheitsakte
253
haltsstaat übertragen zu werden. Einzelne Handlungen können weiterhin dem Herkunftsstaat zurechenbar sein6. Es ist solchenfalls darauf abzustellen, welchem Staat die jeweilige Handlung zugerechnet werden kann. Zunächst ist zu prüfen, ob im Falle der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile überhaupt völkerrechtlich von einer Organleihe gesprochen werden kann. Dafür gibt es einige Argumente. Längerfristige Observationen werden in der Praxis nur dann von den Beamten des Herkunftsstaates grenzüberschreitend fortgesetzt, wenn eine Übernahme der Observation durch Beamte des Aufenthaltsstaates nicht möglich ist. Die fremden Beamten "vertreten" deshalb die Beamten des Aufenthaltsstaates. Nach Art. 40 Abs. 3 lit a) SDÜ sind die Beamten der Rechtsordnung des Aufenthalsstaates und den Weisungen der zuständigen Behörde unterworfen. Schäden, die die observierenden Beamten auf dem Gebiet des Aufenthaltsstaates verursachen, werden von diesem so ersetzt, als ob seine eigenen Beamten gehandelt hätten. Auf der anderen Seite sind die Beamten in Wahrnehmung eigener Angelegenheiten auf dem Gebiet des Aufenthaltsstaates tätig, nicht in dessen Interesse, wobei das gemeinsame Interesse an europaweiter Kriminalitätsbekämpfung hier außer Acht bleibt. Die Kooperation geht über den Rahmen der Rechtshilfe hinaus. Es ist charakteristisch für die Rechtshilfe, daß der ersuchte Staat Aufgaben des ersuchenden Staates wahrnimmt 7 . Durch seine Zustimmung zur grenzüberschreitenden Tätigkeit ausländischer Beamter ermöglicht der Aufenthaltsstaat aber diesen die Wahrnehmung ihrer eigenen Aufgaben. Die Beamten handeln auch nicht im Namen des Aufenthaltsstaates, sondern lediglich mit dessen Zustimmung. Gerade in den Fällen der Spontanobservation nach Art. 40 Abs. 2 SDÜ handeln die Beamten völlig selbständig, bis der Kontakt zu der zuständigen Dienststelle des Aufenthaltsstaates hergestellt worden ist 8 . Sie unterliegen zwar der Rechtsordnung des Aufenhaltsstaates, doch innerhalb der dadurch gezogenen Grenzen führen sie ihren Einsatz in alleiniger Verantwortung aus. Art. 42 SDÜ schließlich stellt die observierenden Beamten nur hinsichtlich ihrer persönlichen Rechtsstellung den Beamten des Aufenthaltsstaates gleich, nicht hinsichtlich ihrer gesamten Amtstätigkeit. Dem entspricht es, daß die Befugnisse der ausländischen Beamten gemäß Art. 40 Abs. 3 lit d) bis f) SDÜ gegenüber denen der eigenen Beamten des Aufenthaltsstaates eingeschränkt sind. Zwar haftet nach Art. 43 Abs. 2 SDÜ der Gebietsstaat für die von den 6
Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rdnr. 23. Siehe auch BGH, JZ 1996, 45 (47) m. zust. Anm. Lagodny; in dieser Entscheidung wird die Anwesenheit von Prozeßbeteiligten bei Untersuchungshandlungen im Rahmen der Rechtshilfe dem Recht des ersuchenden Staates unterstellt, weil die gewonnenen Erkenntnisse vor dessen Gerichten verwertbar sein müßten. 8 Vgl. auch Schürmann, DNP 1995, 383 (387), für den Einsatz verdeckter Ermittler und Vertrauenspersonen: "Soweit ausländische VP zugunsten ausländischer Verfahren in Deutschland zum Einsatz kommen, sind ihre Aktivitäten dem VP-führenden Hoheitsträger, somit der ausländischen Dienststelle zuzurechnen." 7
254
D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
ausländischen Beamten verursachten Schäden, doch kann er nach Art. 43 Abs. 1 SDÜ beim Herkunftsstaat Regreß nehmen. Bei einer vollständigen Eingliederung der fremden Organe in die Organisationsstruktur des Aufenthaltsstaates wäre diese Regreßmöglichkeit unverständlich. Die in Art. 43 Abs. 2 SDÜ statuierte Haftung des Aufenthaltsstaates ist auch keine exklusive, sondern sie tritt kumulativ neben die Haftung des Entsendestaates für seine Organe9. Im Ergebnis ist deshalb nicht von einer völkerrechtlichen Organleihe auszugehen. Die Situation im Schengener Durchführungsübereinkommen unterscheidet sich deutlich von den bekannten Fällen der Organleihe, etwa der Bereitstellung von Truppen für die UN-Streitkräfte ("peace-keeping forces") 10. Außerdem sprechen die differenzierten Bestimmungen der Art. 40 f. SDÜ gegen die pauschale Annahme einer solchen Organleihe. (b) Keine sonstige (materielle) Zurechenbarkeit Liegt kein Fall der völkerrechtlichen Organleihe vor, ergibt sich die Zurechenbarkeit von Handlungen an den Aufenthaltsstaat nicht allein daraus, daß die fremden Hoheitsträger auf seinem Staatsgebiet tätig werden: "Das Verhalten eines in Organeigenschaft handelnden Staatsorgans auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates ... ist völkerrechtlich nicht als Handeln dieses anderen Staates zu betrachten."11 Eine Zurechnung des Handelns grenzüberschreitend ermittelnder Beamter an den Aufenthaltsstaat muß demnach solange unterbleiben, wie die Beamten des Herkunftsstaates eigenverantwortlich handeln. Entscheidend für die Zurechenbarkeit an einen Staat ist nicht der Ort der Handlung, sondern die Verantwortlichkeit für den Eingriff 12 . Diese kann im konkreten Fall beim Herkunftsstaat liegen. Der Aufenthaltsstaat ist jedoch allein verantwortlich, wenn er den Beamten konkrete Anweisungen für ihre Ermittlungstätigkeit gibt und diese danach handeln.
9
So auch die anläßlich eines Gesprächs im August 1996 gegenüber dem Verfasser geäußerte Ansicht der Bundesministerien des Innern und der Justiz; ebenso Drews/ Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 115, für für den Einsatz von Länderpolizeibeamten in einem anderen Bundesland. 10 Vgl. Ipsen, Völkerrecht, S. 514 f. (weiteres Beispiel: Hilfseinsätze bei Katastrophen). 11 Art. 12 Abs. 1 des ILC-Entwurfes; ebenso Art. 13 des Entwurfes für das Verhalten von Organen einer Internationalen Organisation. 12 Vgl. dazu BGHSt 30, 152 (160); 32, 221 (226 f.): Verantwortlichkeit des ersuchenden Staates für im ersuchten Staat erlittene Auslieferungshaft.
I. Art. 19 Abs. 4 GG und nicht-deutsche Hoheitsakte (2) Zurechenbarkeit
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nach nationalem Recht
(a) Regelungen in den Polizeigesetzen der Länder Die Polizei- und Polizeiorganisationsgesetze der Länder enthalten überwiegend Bestimmungen, die den Landesgrenzen überschreitenden Einsatz von Beamten anderer Bundesländer und des Bundes regeln. § 167 GVG erlaubt die Überschreitung der Landesgrenzen bundesgesetzlich nur zur Fortsetzung der Verfolgung eines Flüchtigen im Rahmen der Strafverfolgung. Darüber hinaus sind besondere landesrechtliche Bestimmungen erforderlich, da die Befugnisse eines Polizeibeamten an der Grenze seines Landes enden13. Der Geltungsbereich des Landesrechts ist auf das Gebiet des jeweiligen Landes beschränkt und eine landesrechtliche Norm kommt nur insoweit als Rechtsgrundlage für Eingriffshandlungen in Betracht. Als Beispiel für die Bestimmungen in den Landespolizeigesetzen sei § 78 Abs. 2 BwPolG zitiert: "Werden Polizeibeamte eines anderen Landes nach Absatz 1 tätig, haben sie die gleichen Befugnisse wie die des Landes. Ihre Maßnahmen gelten als Maßnahmen derjenigen Polizeidienststelle, in deren örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich sie tätig geworden sind. Sie unterliegen insoweit deren Weisungen."14 Im Wege der Fiktion werden demnach Handlungen anderer deutscher Polizeibeamten der örtlich und sachlich zuständigen Polizeidienststelle zugerechnet. Anspruchsgegner ist bei Handlungen in Baden-Württemberg für Primär wie für Sekundäransprüche das Land Baden-Württemberg 15. Unterschiedliche Regelungen bestehen hingegen für das Tätigwerden ausländischer Polizei13
BGHSt 4, 110; LR-Schäfer/Boll, § 167 GVG Rdnr. 12; im Gegensatz dazu kann der zuständige Staatsanwalt Amtshandlungen im ganzen Bundesgebiet vornehmen, vgl. LR-Schäfer/Boll, § 143 GVG Rdnr. 5, sowie KK-Schoreit, § 143 Rdnr. 2, und Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 166 GVG Rdnr. 4; dies muß konsequenterweise auch für die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft gelten, soweit sie auf ausdrückliche Weisung dieser und nicht aus eigener Initiative handeln (LR-Schäfer/Boll, § 167 GVG Rdnr. 4; a.A. KK-Schoreit, § 167 GVG Rdnr. 4). 14 § 78 Abs. 3 bw PolG verweist für Polizeibeamte des Bundes auf die Absätze 1 und 2 der Vorschrift; identisch oder ähnlich sind insoweit etwa Art. 11 Abs. 4 und 5 BayPOG, § 7 Abs. 2 und 3 BbgPOG, § 81 Abs. 2 und 3 BremPolG, § 30a Abs. 2 HbgSOG, § 102 Abs. 2 und 3 HSOG, § 103 Abs. 2 und 3 NGefAG, § 9 Abs. 2 und 3 POGNW, § 86 Abs. 2 und 3 RhpfPOG, § 88 Abs. 2 und 3 SPolG, § 77 Abs. 2 und 3 SächsPolG, § 91 Abs. 2 und 3 SOG LSA, § 11 Abs. 2 bis 4 ThürPOG; vgl. auch das Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland über die erweiterte Zuständigkeit der Polizei der Länder bei der Strafverfolgung vom 8.11.1991, abgedruckt in: GVB1. NW 1992, S. 58. 15 Belz/Mußmann, PolG, § 78 Rdnr. 12 f.; Wolf/Stephan, PolG, § 78 Rdnr. 9; Gallwas/Mößle, PolizeiR, Rdnr. 150; Reichert/Ruder, PolizeiR, Rdnr. 126; Würtenberger/Heckmann/Riggert, PolizeiR, Rdnr. 160, die auch von Organleihe sprechen; entsprechend Beiz, SächsPolG, § 60 Rdnr. 4, für Amtshandlungen anderer Landesbeamter in Sachsen.
256
D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
beamter in Deutschland. Während einige Bundesländer auf die Vorschriften für Beamte anderer Bundesländer verweisen 16, fehlt ein solcher Verweis in anderen Polizeigesetzen, die das Tätigwerden ausländischer Beamter aufgrund völkerrechtlicher Verträge ausdrücklich gestatten17. Wieder andere Polizeigesetze äußern sich gar nicht zur hoheitlichen Tätigkeit ausländischer Beamter 18. Es ist völkerrechtlich und auch bundesrechtlich zulässig, daß die Länder im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Polizeiorganisation innerhalb der ihnen gezogenen Grenzen 19 legislativ tätig werden. Zu prüfen ist daher, ob die landesrechtlichen Vorschriften, die die Rechtsstellung der ausländischen Beamten regeln, in Einklang mit den Bestimmungen des SDÜ stehen. Da das SDÜ selbst bereits die Weisungsbefugnis der örtlich zuständigen nationalen Behörden gegenüber den ausländischen Beamten regelt, bleibt nur die Frage der Fiktion zu untersuchen. In den Art. 40 f. SDÜ ist von einer generellen Gleichstellung der ausländischen Beamten mit den Beamten des Aufenthaltsstaates abgesehen worden. Daraus folgt jedoch nicht die innerstaatliche Unzulässigkeit der Annahme einer solchen Fiktion im Verhältnis Staat-Bürger. Nur darauf sind die entsprechenden Bestimmungen der Landesgesetze ausgerichtet. Der betroffene Bürger soll so gestellt werden, als ob Beamte seines Bundeslandes gehandelt hätten. Eine solche innerstaatliche Fiktion steht nicht im Widerspruch zum SDÜ, sondern ergänzt vielmehr Art. 43 Abs. 2 SDÜ. Danach sind Maßnahmen fremder Beamter haftungsrechtlich wie solche der Beamten des Aufenthaltsstaates anzusehen. Völkerrechtlich ist es unerheblich, ob nach dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland der Bund oder ein Bundesland die Haftung übernehmen. 16
Vgl. §§ 102 Abs. 3 HSOG, 103 Abs. 2 NGefAG, 86 Abs. 3 RhPfPOG, 91 Abs. 3 S. 2 SOG LSA, 170 Abs. 2 LVwG SH; § 170 LVwG SH regelt allgemein "Amtshandlungen von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten, die nicht in einem Dienstverhältnis zum Land Schleswig-Holstein stehen", differenziert also zunächst nicht zwischen Beamten des Bundes, anderer Bundesländer und anderer Staaten; aus einem Umkehrschluß zu § 170 Abs. 1 S. 3 2. HS LVwG SH ("dies gilt nicht, wenn die Ergreifung durch eine Polizeivollzugsbeamtin oder einen Polizeivollzugsbeamten eines anderen Landes oder des Bundes erfolgt.") folgt jedoch, daß auch ausländische Beamte vom Regelungsgehalt der Norm erfaßt werden. 17 §§ 78 Abs. 4 BwPolG, 77 Abs. 4 SächsPolG. 18 Art. 11 BayPOG, §§ 7 BbgPOG, 81 BremPolG, 30a HbgSOG, 88 SPolG, 9 POG NW, 11 ThürPOG. 19 Ebenso wie § 167 I GVG bereits die Befugnis der Landespolizeibeamten zur Nacheile bei der Strafverfolgung innerhalb des Bundesgebiets enthält, sind auch die ausländischen Beamten unmittelbar kraft Völkerrechts (SDÜ), bzw. auf der Grundlage des Zustimmungsgesetzes zum Grenzübertritt befugt. Die entsprechenden Artikel des SDÜ sind transformabel ("self-executing"); insoweit kommt den landesrechtlichen Regelungen nur deklaratorische Bedeutung zu (anders möglicherweise, wenn völkerrechtliche Verträge das präventive Tätigwerden ausländischer Beamter regeln, das zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder zählt); dazu Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnrn. 338, 351; Rojahn, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 32 Rdnrn. 41 ff, Rauser, Hoheitsrechte, S. 332 ff.
I. Art. 19 Abs. 4 GG und nicht-deutsche Hoheitsakte
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Demgemäß ist die soeben dargestellte landesrechtliche Ausgestaltung der Tätigkeit auswärtiger Beamter zulässig. Sie ist aber keineswegs zwingend. § 78 Abs. 4 BwPolG sieht ebenso wie § 77 Abs. 4 SächsPolG von einer solchen Gleichstellung mit den Landesbeamten ab 20 . Während hinsichtlich der Tätigkeit von Beamten des Bundes ausdrücklich die entsprechende Geltung der Absätze 1 und 2 angeordnet wird, fehlt ein solcher Verweis in § 78 Abs. 4 BwPolG. Aufgrund dieses ausdrücklichen Verweises in § 78 Abs. 3 BwPolG ist auch kein Raum für eine Analogie. Von einer planwidrigen Regelungslücke kann nicht ausgegangen werden 21 . Ebenso ist die Rechtslage in den Bundesländern, deren Polizei(organisations)gesetze die Tätigkeit ausländischer Polizeibeamter auf ihrem Territorium gar nicht regeln 22. Es ist organisations- und staatsrechtlich ein großer Unterschied, ob Beamte anderer Bundesländer und des Bundes oder Beamte eines ausländischen Staates tätig werden, selbst wenn letztere an die deutsche Rechtsordnung gebunden sind. In diesen Fällen ist vielmehr zu untersuchen, ob Rechtsschutz unmittelbar gegen die ausländischen Beamten erlangt werden kann oder Schutzansprüche gegen die weisungsbefugte deutsche Behörde geltend gemacht werden müssen. Es wäre jedoch wünschenswert, daß alle Bundesländer dem Beispiel der Länder Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein folgten und die Maßnahmen der ausländischen Beamten der örtlich zuständigen deutschen Polizeidienststelle zurechneten. (b) Keine prozessuale Zurechenbarkeit Soweit das Landesrecht keine Vorschriften über die Zurechenbarkeit der Handlungen ausländischer Hoheitsträger an die deutsche öffentliche Gewalt kennt, ist weiter nach möglichen Anknüpfungspunkten an die deutsche Hoheitsgewalt zu suchen. Ein Vergleich zum NATO-Truppenstatut, das ebenfalls Regelungen zur hoheitlichen Tätigkeit auf fremdem Staatsgebiet enthält, zeigt, daß dort Ansprüche nur gegen die Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat der stationierten Truppen geltend zu machen sind. Diese tritt gemäß Art. 12 AG-NTS vor Gericht als Prozeßstandschafterin auf, ohne daß ein Fall der Organleihe vorliegt. Die Heranziehung des NATO-Truppenstatuts verdeutlicht aber auch die Unterschiede zum Schengener Durchführungsübereinkommen. Während bei der Entsendung von Streitkräften zwei getrennte 20 Anders wohl Jelden/Fischer, BWVP 1992, 103 (106), die pauschal in den §§ 78, 79 bw PolG Fälle der Organleihe geregelt sehen. 21 Zu dieser Voraussetzung eines Analogieschlusses Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 191 ff; auch die Kommentarliteratur enthält keine Hinweise auf eine analoge Anwendung der Absätze 2 und 3, vgl. Belz/Mußmann, PolG, § 78 Rdnr. 17; Wolf/ Stephan, PolG, § 78 Rdnr. 11. 22 Siehe oben Fußn. 18. 17 Harings
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Vorgänge stattfinden, nämlich zunächst die Entsendung der Truppe und anschließend deren Handeln auf fremdem Staatsgebiet, handelt es sich bei grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahmen um einen einheitlichen Vorgang, der im Herkunftsstaat beginnt und im Aufenthaltsstaat fortgesetzt wird. Der Regelungsgehalt der Übereinkommen ist auch insofern nicht vergleichbar, als das Schengener Durchführungsübereinkommen einen Bezug der hoheitlichen Tätigkeit zu Privatpersonen voraussetzt, während dies beim Truppenstatut die Ausnahme bildet. Zudem ergibt sich die Prozeßstandschaft aus einer Sondervorschrift, nicht aus allgemeinen Erwägungen. (3) Ergebnis Das Handeln ausländischer Hoheitsträger auf deutschem Staatsgebiet ist einem deutschen Bundesland nur zurechenbar, wenn das einschlägige Landesrecht eine solche Zurechnung vorsieht 23 oder die deutschen Behörden im Einzelfall von ihrer Weisungsbefugnis Gebrauch machen. Anderenfalls kann aber ein Unterlassen der deutschen Hoheitsgewalt vorliegen, wenn diese verpflichtet war, das Handeln der nicht-deutschen Hoheitsträger zu verhindern 24. Für den rechtsschutzsuchenden Bürger bedeutet dies, daß er gegen die zuständigen deutschen Behörden klagen kann, wenn er dadurch sein Rechtsschutzziel erreicht. Zunächst ist aber zu prüfen, ob er unmittelbar gegen die nicht-deutsche Hoheitsgewalt vor deutschen Gerichten Rechtsschutz erlangen kann. Der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG ist eröffnet, wenn die Schengen-Staaten für grenzüberschreitende Handlungen nach Art. 40, 41 SDÜ gegenseitig auf ihre Immunität verzichtet haben. bb) Immunitätsverzicht Das Schengener Durchführungsübereinkommen enthält keine Bestimmung, in der die Staaten für die Fälle grenzüberschreitender Tätigkeit ausdrücklich auf ihre Immunität verzichten. Ein Immunitätsverzicht könnte somit nur konkludent zum Ausdruck gebracht worden sein. (1) Bindung an das Recht des Aufenthaltsstaates Der Verzicht auf die Immunität der ausführenden Beamten und die Unterstellung ihrer hoheitlichen Tätigkeit unter die Jurisdiktion des Aufent23 Dies ist der Fall in Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. 24 Vgl. Ipsen, Völkerrecht, S. 520.
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haltsstaates könnte der Bestimmung des Art. 40 Abs. 3 lit a) SDÜ 25 zu entnehmen sein: "Die observierenden Beamten sind an die Bestimmungen dieses Artikels und das Recht der Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet sie auftreten, gebunden; sie haben Anordnungen der örtlich zuständigen Behörden zu befolgen." Die Vorschrift enthält zwei Komponenten, die in diesem Zusammenhang Beachtung verdienen: Die Bindung an das Recht des Aufenthaltsstaates und die Pflicht, Anordnungen der örtlich zuständigen Behörden zu befolgen. In der Vereinbarung innerstaatlichen Rechts in einem völkerrechtlichen oder privatrechtlichen Vertrag eines Staates liegt grundsätzlich keine Unterwerfung unter die betreffende Gerichtsbarkeit 26. Bestimmt wird nur das auf den Vertrag, bzw. die Tätigkeit der Beamten anwendbare materielle Recht. Das Bundesverfassungsgericht hat für Art. 53 Abs. 1 S. 2 des Zusatzabkommens zum NATOTruppenstatut (ZA-NTS) 2 7 entschieden, daß die Verweisung auf das materielle deutsche Recht keine Unterwerfung unter die Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland in verfahrensrechtlicher Hinsicht bedeute28. Ebenso wird für Art. I I NTS 2 9 lediglich eine materielle Bindung an das deutsche Recht angenommen 30 . Ein genereller Verzicht auf die Immunität der Streitkräfte kann der Vorschrift nicht entnommen werden 31. Die gegenteilige Auffassung nimmt die Voraussetzungen eines solchen Immunitätsverzichtes vorschnell an 32 . Sie hat sich nicht durchsetzen können 33 . Auch Art. 2 Abs. 5 des Aufenthalts- und
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Gleichlautend ist Art. 41 Abs. 5 lit a) SDÜ für die grenzüberschreitende Nacheile. Vgl. nur Damian, Staatenimmunität, S. 55; Kronke, IPRax 1989, 176 (179). 27 BGBl. 1961 II, S. 1218; 1973 II, S. 1022. 28 BVerfGE 77, 170 (207 f.). 29 BGBl. 1961 II, S. 1190; Art. II NTS lautet: "Eine Truppe und ihr ziviles Gefolge, ihre Mitglieder sowie deren Angehörige haben die Pflicht, das Recht des Aufnahmestaates zu achten ...". Die maßgeblichen englischen und französischen Fassungen verwenden die Begriffe "to respect", bzw. "respecter". 30 VGH Kassel, NJW 1989, 470 (473); O. Lepsius, Truppenübungsplatz, S. 52 ff; Deiseroth, US-Truppen, S. 40 f.; Kraatz, DÖV 1990, 382 (383); Sennekamp, NJW 1983, 2731 (2734); Neubauer, ArchVR 12 (1964/1965), 34 (44); abschwächend Randelzhofer/Harndt, NJW 1989, 425 (429); Raap, ArchVR 29 (1991), 53 (77 f.), sowie ders., Souveränität, S. 209 f , im Hinblick auf den englischem/französischen Wortlaut. 31 Randelzhofer/Harndt, NJW 1989, 425 (428); Heitmann, NJW 1989, 432 (435). 32 Vgl. Schröer, DVB1. 1972, 484 (487 f.), der die Zulässigkeit hoheitlicher Handlungen gegenüber ausländischen Streitkräften sowohl aus Art. 53 Abs. 1 ZA-NTS als auch aus Art. 2 NTS ableitet. Lediglich Zwangsmaßnahmen des Aufenthaltsstaates sollen nach seiner Meinung vom schlüssigen Immunitätsverzicht des Entsendestaates nicht erfaßt werden. 33 Vgl. Randelzhofer/Harndt, NJW 1989, 425 (428). 26
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Abzugsvertrages mit der Sowjetunion 34 wird nicht im Sinne eines generellen Immunitätsverzichtes verstanden. Die sowjetischen Truppen sind an das materielle deutsche Recht gebunden, doch ist es deutschen Behörden untersagt, mittels Hoheitsakten auf die Truppe einzuwirken 35 . Zu differenzieren ist demnach zwischen einer materiellen und einer formellen Bindung der ausländischen Hoheitsträger an das Recht des Aufenthaltsstaates 36. Es ist allein eine Frage der formellen Bindung, ob fremde Hoheitsträger verklagt oder Verwaltungsakte ihnen gegenüber erlassen und vollstreckt werden können 37 . Die Anerkennung dieser formellen Bindung muß als Verzicht auf die Staatenimmunität aus dem völkerrechtlichen Vertrag hervorgehen. Allerdings bedarf es keiner ausdrücklichen Erklärung. Ausreichend ist vielmehr, daß ein solcher Verzicht sich zweifelsfrei aus den Vertragsbestimmungen ergibt 38 . Die Bindung der ausländischen Beamten an das Recht des Aufenthaltsstaates bei der Observation oder der Nacheile ist als solches nicht ausreichend, um einen so weitgehenden Immunitätsverzicht anzunehmen. Auch der gegenüber Art. I I NTS und Art. 53 Abs. 1 ZA-NTS stärkere Wortlaut ("sind gebunden") begründet nur eine materielle Bindung und insoweit einen Verzicht auf die Immunität. Etwas anderes könnte sich jedoch aus der Unterwerfung der Beamten unter die Anordnungen der örtlich zuständigen deutschen Behörden ergeben. Darin liegt jedenfalls ein ausdrücklicher Verzicht auf die Staatenimmunität hinsichtlich der Hoheitsgewalt der deutschen Exekutive, in diesem Fall der örtlich zuständigen Behörden 39. Dieser Verzicht betrifft zunächst nicht die Jurisdiktion der deutschen Gerichte. Ein diesbezüglicher Verzicht kann auch nicht konkludent aus der Tatsache abgeleitet werden, daß die örtlich zuständige deutsche Behörde ihrerseits der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen ist. Es ist völker34
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland un der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. 1991 II, S. 256. Art. 2 Abs. 5 des Vertrages hat folgenden Wortlaut: "Die sowjetischen Truppen ... achten die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland ... Sie respektieren und befolgen die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze und Rechtsvorschriften ..." 35 Repkewitz, VerwArch 82 (1991), 388 (398 f.). 36 O. Lepsius, Truppenübungsplatz, S. 59 ff; ebenso Raap, ArchVR 29 (1991), 53, (77 f.), sowie ders, Souveränität, S. 209 f.: Die grundsätzlich bestehende Pflicht ausländischer Streitkräfte zur Respektierung der deutschen Rechtsordnung kann gegenüber dem Entsendestaat nicht durchgesetzt werden; vgl. auch Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 323. 37 Vgl. BVerfGE 77, 170 (207 f.). 38 Vgl. Deiseroth, US-Truppen, S. 163; enger insoweit O. Lepsius, Truppenübungsplatz, S. 62: Ausdrückliche vertragliche Vereinbarung erforderlich. 39 Örtlich zuständige Behörde ist in jedem Fall der für die Bewilligung der grenzüberschreitenden Observation zuständige Staatsanwalt, aber auch jede andere örtlich zuständige Polizeidienststelle.
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rechtlich im Hinblick auf den Grundsatz der Staatenimmunität ein wesentlicher Unterschied, ob eine Klage sich gegen einen fremden Staat selbst richtet oder die Bundesrepublik Deutschland zu einer Maßnahme gegenüber einem fremden Staat verurteilt werden soll. Es ist auch weniger einschneidend, im Einzelfall Weisungen der Exekutive unterworfen zu sein als eine gerichtliche Überprüfung der Hoheitsakte hinnehmen zu müssen. Im Ergebnis rechtfertigen die Art. 40 Abs. 3 lit a) und Art. 41 Abs. 5 lit a) SDÜ nicht die Gerichtsbarkeit deutscher Gerichte über fremde Hoheitsakte auf deutschem Staatsgebiet im Rahmen der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile. (2) Keine generelle Gleichstellung von ausländischen und deutschen Beamten Gemäß Art. 42 SDÜ werden Beamte während eines Einschreitens nach Maßgabe der Art. 40 und 41 SDÜ im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei den Beamten dieser Vertragspartei "in Bezug auf die Straftaten, denen diese Beamten zum Opfer fallen oder die sie begehen würden, gleichgestellt" (Hervorhebung durch den Verfasser). Die Vorschrift bezieht sich demnach ausdrücklich nur auf Straftaten und ist nicht verallgemeinerungsfähig. Sie bezweckt auf der einen Seite den Schutz des handelnden Beamten durch die Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates, auf der anderen Seite aber auch den Schutz der Personen, die möglichen Straftaten der Beamten zum Opfer fallen 40 . Eine generelle Gleichstellung der ausländischen und inländischen Beamten kann demnach nicht angenommen werden. Sie stünde auch im Widerspruch zu den Art. 40, 41 SDÜ, die sehr detailliert regeln, welche Befugnisse dem ausländischen Beamten zustehen. Diese unterscheiden sich erheblich von den Befugnissen deutscher Polizeibeamter. (3) Die Haftung nach Art 43 SDÜ Hinweise auf einen Immunitätsverzicht könnten in der Vorschrift des Art. 43 SDÜ, der die Haftung der Vertragsstaaten regelt, enthalten sein. Gemäß Art. 43 Abs. 1 SDÜ haftet die Vertragspartei, deren Beamte auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei tätig geworden sind, nach Maßgabe des nationalen Rechts dieser anderen Vertragspartei für die durch ihre Beamten verursachten Schäden. Der Umfang der völkerrechtlichen Haftung der Vertragsparteien untereinander wird somit dem nationalen Recht des Aufenthaltsstaates unter-
40 Im deutschen Strafrecht würde dies z.B. zur Anwendung des § 340 StGB (Körperverletzung im Amt) gegenüber ausländischen Beamten führen.
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stellt 41 . Der Staat, dessen Beamte einen Schaden auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates verursacht haben, unterwirft sich hinsichtlich der Haftung dem materiellen Recht des Aufenthaltsstaates. Eine formelle Bindung im Sinne einer Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates ist damit nicht ausgedrückt. Auch die Bestimmung des Art. 43 Abs. 4 SDÜ belegt, daß Art. 43 Abs. 1 SDÜ sich allein auf das Verhältnis der Vertragsparteien zueinander bezieht. Danach "verzichtet jede Vertragspartei in dem Fall des Absatzes 1 darauf, den Betrag des erlittenen Schadens anderen Vertragsparteien gegenüber geltend zu machen". Eine gerichtliche Durchsetzung des Anspruches vor den Gerichten des Aufenthaltsstaates ist nicht möglich. Nach Art. 43 Abs. 2 SDÜ ist der Gebietsstaat verpflichtet, einen auf seinem Gebiet verursachten Schaden so zu ersetzen, als ob seine eigenen Beamten gehandelt hätten. Diese Vorschrift ermöglicht es einem Geschädigten, alternativ anstelle des Entsendestaates den Aufenthaltsstaat auf Schadensersatz zu verklagen. Die Rechtsverfolgung für die Bewohner des Gebietsstaates soll dadurch erleichtert werden. Art. 43 Abs. 2 SDÜ spricht deshalb gegen einen Immunitätsverzicht der Vertragspartei, deren Beamte einen Schaden verursacht haben. Wenn diese Vertragspartei vor deutschen Gerichten verklagt werden könnte, wäre die Vorschrift überflüssig. Schließlich kann auch aus den folgenden Absätzen des Art. 43 SDÜ kein Immunitätsverzicht hergeleitet werden. Diese betreffen den internen Ausgleich zwischen den Vertragsparteien. Gemäß Art. 43 Abs. 3 SDÜ ist die Vertragspartei, deren Beamte den Schaden verursacht haben, zum Ersatz des Betrages verpflichtet, den der Gebietsstaat gemäß Art. 43 Abs. 2 SDÜ gezahlt hat. Art. 43 Abs. 4 SDÜ enthält einen grundsätzlichen Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzforderungen unter den Vertragsparteien. (4) Ergebnis Den Art. 39 ff. SDÜ ist kein Verzicht der Vertragsstaaten auf ihre Immunität zugunsten einer formellen Bindung an das Recht des Aufenthaltsstaates zu ent-
41 Vgl. dazu Art. 14 Abs. 1 des Vertrages vom 19.5.1995 zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik über Erleichterungen der Grenzabfertigung, BGBl. 1996 II, S. 18, der hinsichtlich der Tätigkeit von Grenzbeamten auf dem Gebiet des Nachbarstaates genau die gegenteilige Regelung trifft. Danach unterstehen Ansprüche auf Schadensersatz gegen Beamte des Nachbarstaates dem Recht des Nachbarstaates uns sind vor dessen Gerichten geltend zu machen. Dies mag dadurch erklärt werden können, daß die Grenzbeamten auch bei der vorgeschobenen Grenzabfertigung weitgehend autonom nach ihrem Recht handeln und nicht solchen Beschränkungen wie die observierenden/nacheilenden Beamten unterliegen, vgl. etwa Art. 6 des o.g. Vertrages, aber auch dessen Art. 8 Abs. 2 S. 1, der eine Überwachung durch die Grenzdienststellen des Gebietsstaates vorsieht.
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nehmen. Auch eine Gesamtschau der behandelten Vorschriften erfüllt nicht die Anforderungen hinsichtlich der Eindeutigkeit einer solchen Verzichtserklärung 42 . Rechtsschutz vor deutschen Gerichten kann demnach grundsätzlich nicht unmittelbar gegen die Tätigkeit der ausländischen Beamten gewährt werden. cc) Rechtslage für die Vertragsstaaten des EuÜbStl Anders ist die Rechtslage jedoch möglicherweise für die Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität43. Auf dessen Art. 11 ist bereits hingewiesen worden. Die Bestimmung lautet: "Ein Vertragsstaat kann vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaats Immunität von der Gerichtsbarkeit nicht beanspruchen, wenn das Verfahren den Ersatz eines Personen- oder Sachschadens betrifft, das schädigende Ereignis im Gerichtsstaat eingetreten ist und der Schädiger sich bei Eintritt des Ereignisses in diesem Staat aufgehalten hat."44 Der Anwendung des Art. 11 EuÜbkStl für Sekundäransprüche könnte allerdings Art. 33 EuÜbkStl entgegenstehen. Danach berührt das Übereinkommen nicht bestehende oder künftige internationale Übereinkünfte, die für besondere Rechtsgebiete Fragen behandeln, die Gegenstand dieses Übereinkommens sind. Dies bedeutet, daß Sonderregelungen hinsichtlich der Staatenimmunität, die in anderen völkerrechtlichen Verträgen enthalten sind, nicht durch die Bestimmungen des EuÜbkStl verdrängt werden. Das SDÜ enthält keine solchen Sonderregelungen, die in den Anwendungsbereich des Art. 33 EuÜbkStl fallen. Art. 43 Abs. 2 SDÜ, der stillschweigend voraussetzt, daß der Entsendestaat nicht vor den Gerichten des Gebietsstaates verklagt werden kann, steht dieser Deutung nicht entgegen. Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund des allgemeinen Völkerrechts und der Bestimmungen des SDÜ zu betrachten. Sie ist nicht auf Art. 11 EuÜbkStl bezogen, da nur wenige Vertragsstaaten des SDÜ dem Übereinkommen beigetreten sind. Das EuÜbkStl gilt jedoch, da es den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität aufweicht, nur unter seinen Vertragsstaaten. Es kann nicht, wie etwa die Wiener Vertragsrechtskonvention, als Ausdruck allgemeinen Völkergewohnheitsrechts angesehen
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Vgl. nur Schaumann, Berichte DGVR 8 (1968), 1 (30); Damian, Staatenimmunität, S. 39. 43 BGBl. 1990 II, S. 35; Vertragsstaaten sowohl des EuÜbkStl als auch des SDÜ sind neben Deutschland nur Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Österreich. 44 Ausgenommen vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ist gemäß Art. 31 die Immunität der Streitkräfte.
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werden 45. Im übrigen verlöre die Bestimmung des Art. 11 EuÜbkStl, die hoheitliches Handeln nicht aus ihrem Anwendungsbereich ausklammert, ihren Sinn, wenn in jedem Übereinkommen, das die hoheitliche Tätigkeit im Ausland erlaubt und keinen ausdrücklichen Immunitätsverzicht enthält, eine Sondervorschrift im Sinne des Art. 33 EuÜbkStl erblickt würde. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, daß hinsichtlich der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile die Gerichtsbarkeit deutscher Gerichte nur im Anwendungsbereich des Art. 11 EuÜbkStl (Schadensersatz wegen Personenoder Sachschäden) gegenüber Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich gegeben ist. In allen anderen Fällen können sich diese Staaten wie auch die übrigen Vertragsstaaten gegen Klagen vor deutschen Gerichten auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität berufen. Insoweit scheidet ihr hoheitliches Verhalten aus dem Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG aus. Sekundäransprüche können jedoch nach der Vorschrift des Art. 43 Abs. 2 SDÜ in jedem Fall gegen den Aufenthaltsstaat geltend gemacht werden. b) Grenzüberschreitender
Informationsaustausch
Beim Informationsaustausch nach Art. 39 ff. SDÜ ist die Rechtslage gegenüber der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile eindeutiger. Der Auslandsbezug des Handelns liegt in der Weitergabe personenbezogener Daten an einen anderen Vertragsstaat. Damit sind die Zusammenhänge bereits erschöpft. Die übermittelnde Behörde unterliegt allein ihrem nationalen Recht sowie den Bestimmungen des SDÜ und der Vereinbarungen gemäß Art. 39 Abs. 4 SDÜ. Zwar gibt es, soweit Daten nach Deutschland übermittelt werden, noch einen Anhaltspunkt für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, doch fehlt in jedem Falle die Gerichtsbarkeit. In einem Fall der Informationsübermittlung von Scotland Yard an das Bundeskriminalamt hat der BGH bereits 1978 die Klage gegen den handelnden Amtsträger von Scotland Yard wegen Fehlens der deutschen Gerichtsbarkeit abgewiesen46. Er qualifiziert die vorgenommenen Handlungen zu Recht als hoheitliche Tätigkeiten, die der Staatenimmunität unterfielen, auch wenn sich die Klage nicht gegen das Vereinigte Königreich, sondern den Amtsträger persönlich richte. Hinsichtlich eines konkludenten Immunitätsverzichtes des britischen Staates stellt das Gericht sehr strenge Anforderungen auf. Anhaltspunkte für einen solchen Verzicht sind auch in den Art. 39 ff. SDÜ nicht ersichtlich. Art. 11 EuÜbkStl 45 Vgl. Damian, Staatenimmunität, S. 114; ebenso Geimer, IZPR, Rdnr. 585, der zudem darauf hinweist, daß noch kein Gericht Art. 11 gegenüber Nicht-Vertragsstaaten angewandt hat (Rdnr. 626 c). 46 BGH, NJW 1979, ,1101.
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greift nicht ein, da keine Handlungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durch ausländische Hoheitsträger vorgenommen werden. Die Übermittlung personenbezogener Daten durch ausländische Dienststellen nach Deutschland scheidet somit ebenfalls aus dem Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG aus. Rechtsschutz muß hier gegen die am Informationsaustausch beteiligte deutsche Behörde gesucht werden. c) Schengener Informationssystem Gemäß Art. 111 Abs. 1 SDÜ hat jede Person das Recht, im Hoheitsgebiet jeder Vertragspartei eine Klage vor dem nach nationalem Recht zuständigen Gericht oder der zuständigen Behörde zu erheben. Art. 111 SDÜ ist die prozessuale Norm zur Durchsetzung der materiellen Rechte aus den Art. 109, 110 SDÜ. Sie enthält jedoch keine direkte Aussage zum Klagegegner einer solchen Klage auf Auskunft, Löschung oder Schadensersatz. Es bieten sich zwei Möglichkeiten: - Die Klage ist immer gegen den Gerichtsstaat zu richten, der als Prozeßstandschafter für den ausschreibenden Staat auftritt. Diese Variante entspräche der Rechtslage bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus Truppenschäden nach dem NATOTruppenstatut in Deutschland47. Die Situation ist jedoch nur vergleichbar, soweit sich Art. 111 SDÜ auf Sekundäransprüche bezieht. Die Klage kann aber insbesondere einen Auskunfts- oder Löschungsanspruch zum Gegenstand haben, der nicht mit einer bloßen Geldleistung zu erfüllen ist. - Die Klage ist gegen den ausschreibenden Staat zu richten, auch wenn sie in einem anderen Vertragsstaat erhoben wird. Eine solche Auslegung der Bestimmungen des SDÜ implizierte einen Immunitätsverzicht der Vertragsstaaten hinsichtlich der Klagen gemäß Art. 111 SDÜ. Im folgenden ist deshalb zu prüfen, ob die Bestimmungen des SDÜ zum Schengener Informationssystem Hinweise auf die Bevorzugung einer der möglichen Varianten enthalten. aa) Die materiellen Ansprüche Gemäß Art. 109 Abs. 1 S. 1 SDÜ richtet sich der Auskunftsanspruch einer Person nach dem nationalen Recht der Partei, in deren Hoheitsgebiet das Auskunftsrecht beansprucht wird. Dies wird in den meisten Fällen das Recht des Staates sein, in dem die Person ihren Wohnsitz hat, da der Datenbestand in
47 Gemäß Art. 12 AG-NTS sind ensprechende Klagen ausschließlich gegen die Bundesrepublik Deutschland als Prozeßstandschafterin für den jeweiligen Entsendestaat zu richten, vgl. Geißler, NJW 1980, 2615 (2616 f.).
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allen nationalen Systemen identisch ist. Zwingend ist dies jedoch wegen Art. 111 Abs. 1 SDÜ nicht. Der Betroffene kann im Land seiner Wahl klagen 48 , wobei der Klage wohl ein Auskunftsbegehren an die entsprechende Behörde des Gerichtsstaates vorausgehen muß. Maßgeblich ist dann das Recht des Gerichtsstaates. Gemäß Art. 109 Abs. 1 S. 3 SDÜ darf eine Vertragspartei, die die Ausschreibung selbst nicht vorgenommen hat, Auskunft zu den betreffenden Daten nur erteilen, wenn die ausschreibende Partei vorher Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Dieser Satz könnte dafür sprechen, daß sich der Auskunftsanspruch immer gegen den Gerichtsstaat richtet. Auf der anderen Seite ist dieser Schluß nicht zwingend. Art. 109 Abs. 1 S. 3 SDÜ trifft eine Aussage nur für den Fall, daß der Auskunftsanspruch sich gegen einen Staat richtet, der die Ausschreibung selbst nicht vorgenommen hat. Er sagt nicht aus, daß der Anspruch immer gegen den Gerichtsstaat zu richten wäre. Im übrigen ist die Besonderheit des Auskunftsbegehrens zu beachten. Da der Datenbestand des SIS in jedem Staat identisch ist, muß nicht der ausschreibende Staat Auskunft erteilen. Die Auskunftserteilung kann vielmehr - im Gegensatz zur Löschung von Daten 49 - jeder Vertragsstaat vornehmen. So unterscheidet das SDÜ denn auch zwischen dem Auskunftsanspruch, der in Art. 109 geregelt ist, und dem Berichtigungs- und Löschungsanspruch in Art. 110. Da sich Art. 110 SDÜ keine Anhaltspunkte für einen Immunitätsverzicht der Vertragsstaaten entnehmen lassen, helfen die materiellen Ansprüche bei der Konkretisierung des Art. 111 Abs. 1 SDÜ nicht weiter. bb) Vollzug der gerichtlichen Entscheidungen und Haftung Gemäß Art. 111 Abs. 2 SDÜ verpflichten sich die Vertragsparteien unbeschadet des Art. 116, unanfechtbare Entscheidungen nach Art. 111 Abs. 1 SDÜ zu vollziehen. Dies ist eine sehr zurückhaltende Formulierung, die nur eine Verpflichtung der Staaten ausspricht und keine generelle Vollstreckungsfähigkeit der Entscheidung anordnet 50. Aber die Tatsache, daß die Vertragsstaaten sich zur Vollstreckung der Entscheidung eines fremden Gerichts verpflichten, könnte bereits dafür sprechen, daß sie auch im Gerichtsstaat verklagt werden können. Da sich der damit verbundene Immunitätsverzicht nur
48
Vgl. Wehner, in Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, Schengen, S. 176; Di Fabio, DÖV 1997, 89 (94). 49 Vgl. Art. 106 Abs. 1 SDÜ. 50 Die klassische Formulierung lautet: "Die Entscheidung ist nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts vollstreckbar"; vgl. auch Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ: "Die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt ..." (Hervorhebung durch den Verfasser).
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auf das Erkenntnisverfahren bezöge51, enthielte Art. 111 Abs. 2 SDÜ insoweit die notwendige Ergänzung hinsichtlich der Vollstreckung einer solchen gerichtlichen Entscheidung. Art. 111 Abs. 2 SDÜ kann jedoch ebenso gut als Korrelat zu Art. 106 Abs. 1 SDÜ verstanden werden. Wenn Klagegegner einer Klage auf Löschung von Daten nach Art. 111 Abs. 1 SDÜ nur der Gerichtsstaat wäre, wäre dieser durch Art. 106 Abs. 2 SDÜ daran gehindert, die gerichtliche Entscheidung zu vollziehen, wenn er die Ausschreibung nicht selbst vorgenommen hat. Darüber könnte jedoch Art. 111 Abs. 2 SDÜ hinweghelfen, der die Verpflichtung des ausschreibenden Staates zur Vollziehung der Entscheidung beinhaltet. Ungewöhnlich in diesem Fall wäre nur, daß ein Staat sich zur Vollziehung einer gegen ihn selbst gerichteten Entscheidung verpflichtet, auf deren Zustandekommen er keinen Einfluß hat. Es ist nämlich nicht vorgesehen, daß der ausschreibende Staat in jedem Fall am gerichtlichen Verfahren zu beteiligen ist 52 . In engem Zusammenhang mit Art. 111 Abs. 2 SDÜ steht die Vorschrift des Art. 116 SDÜ. Gemäß Art. 116 Abs. 1 SDÜ haftet jede Vertragspartei nach Maßgabe ihres nationalen Rechts für Schäden, die eine Person beim Betrieb eines nationalen Bestandes des SIS erleidet. Dies gilt auch, wenn der Schaden durch die ausschreibende Vertragspartei verursacht worden ist. Diese hat aber gegebenenfalls den Betrag, der als Schadensersatz geleistet worden ist, der in Anspruch genommenen Vertragspartei zu erstatten. Die Erstattungsmöglichkeit deutet wiederum darauf hin, daß vor den Gerichten eines Staates eine Klage gegen einen anderen als den Gerichtsstaat nicht zulässig ist. cc) Verantwortlichkeit für die Daten Die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit der Datenspeicherung liegt gemäß Art. 105 SDÜ bei der ausschreibenden Vertragspartei. Diese Grundaussage wird in Art. 106 SDÜ konkretisiert. Nach Art. 106 Abs. 1 SDÜ darf die Änderung, Ergänzung, Berichtigung oder Löschung der Daten nur durch die ausschreibende Vertragspartei vorgenommen werden. Andere Vertragsparteien haben zum Ausgleich ihrer insoweit fehlenden Befugnis nur die Pflicht, der ausschreibenden Vertragspartei Mitteilung über mögliche Fehler zu machen (Art. 106 Abs. 2 SDÜ). Im Zusammenhang mit dieser Vorschrift sowie mit Art. 109 Abs. 1 S. 3 SDÜ hätte es nahegelegen, dem ausschreibenden Staat auch eine Stellung in Gerichtsverfahren einzuräumen, 51
Ein weitergehenderer Verzicht kann gar nicht angenommen werden, da die Vollstreckung nicht mehr auf dem Gebiet des Gerichtsstaats stattfinden könnte. 52 Möglicherweise kommt eine Beiladung nach dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht in Betracht; wegen Art. 111 Abs. 2 SDÜ läge in Deutschland ein Fall der notwendigen Beiladung iSd. § 65 Abs. 2 VwGO vor.
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falls diese nach Art. 111 Abs. 1 SDÜ immer gegen den Gerichtsstaat zu fuhren wären. Doch enthält das Übereinkommen selbst insoweit keine Regelungen, sondern verweist auf das jeweils anwendbare nationale Verfahrensrecht. Im Sinne eines wirksamen Rechtsschutzes wäre es die vorzugswürdigste und auch einfachste Alternative, den Art. 105, 106 iVm. 111 SDÜ einen Immunitätsverzicht der Vertragsparteien zu entnehmen. Eine spezielle Kooperationspflicht der Vertragsparteien während des gerichtlichen Verfahrens würde sich dadurch erübrigen. Die Klage wäre direkt gegen die verantwortliche Vertragspartei zu richten. Es kann jedoch unter keinen Umständen angenommen werden, ein dahingehender Immunitätsverzicht komme eindeutig zum Ausdruck. Dies wäre nach den einschlägigen Regeln des Völkergewohnheitsrechts erforderlich. dd) Ergebnis Auch im Anwendungsbereich des Art. 111 SDÜ können ausländische Staaten nicht vor deutschen Gerichten verklagt werden. Die Klage ist vielmehr stets gegen den Gerichtsstaat, d.h. bei Klagen vor deutschen Gerichten gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten. Diese Auslegung hat zudem den Vorteil, daß sich die Zuständigkeit des Gerichts nach nationalem Recht leicht feststellen läßt. Schließlich korrespondiert sie mit Art. 116 Abs. 1 SDÜ. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß nationale Gerichte ausländisches öffentliches Recht anwenden. Die Norm wäre dann als echte Kollisionsnorm anzusehen, da sie das im konkreten Fall tatsächlich anwendbare Recht festlegen und sich nicht auf die Nichtanwendbarkeit deutschen Rechts beschränken würde. Im Zweifel ist jedoch eine Auslegung vorzuziehen, die es bei der Anwendung nationalen öffentlichen Rechts durch die Gerichte beläßt. 2. Übereinkommen im Zollwesen a) ZIS-Übereinkommen Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Behörden im Rahmen des ZISÜbereinkommens kann gemäß Art. 15 Abs. 4 ZIS-Übk vor nationalen Gerichten erlangt werden. Die Situation ist vergleichbar mit der Rechtslage beim Schengener Informationssystem, auch wenn das ZIS nicht in einen nationalen und einen zentralen Bestand aufgeteilt ist, sondern alle Mitgliedstaaten "on-line M -Zugriff auf das System haben, das von der Kommission betrieben wird. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das ZIS-Übereinkommen die Frage der gerichtlichen Kontrolle etwas präziser regelt als das Schengener Durchführungsübereinkommen. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich gegenseitig, "die endgültigen Entscheidungen eines Gerichts oder einer
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anderen zuständigen Behörde" durchzufuhren (Art. 15 aBs. 4 UAbs. 2 ZISÜbk). Art. 15 Abs. 5 ZIS-Übk stellt anschließend klar, daß die Bezugnahme auf "endgültige Entscheidungen" keine Verpflichtung eines Mitgliedstaates beinhaltet, gerichtliche Entscheidungen anzufechten. Aus der Zusammenschau der Art. 15 Abs. 4 und 5 ZIS-Übk folgt daher, daß eine Klage immer gegen den Gerichtsstaat selbst zu richten ist. Dieser ist nicht verpflichtet, eine nachteilige Entscheidung anzufechten, auch wenn sie von einem anderen Mitgliedstaat ausgeführt werden muß. Wäre der verantwortliche Mitgliedstaat selbst vor den Gerichten eines anderen Staates zu verklagen, könnte er selbst die Entscheidung anfechten. Es bedürfte keiner ausdrücklichen Regelung im Übereinkommen. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, daß im Anwendungsbereich des ZISÜbereinkommens ein Immunitätsverzicht der Mitgliedstaaten nicht festgestellt werden kann. Datenschutzrechtliche Klagen können - bei einem Wahlrecht hinsichtlich des Gerichtsstandes - nur gegen den Gerichtsstaat erhoben werden. b) Neapel Ii-Konvention In der Neapel Ii-Konvention sind ebenso wie in den entsprechenden Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens Rechtsschutzbestimmungen ausgespart. Anhaltspunkte für einen konkludenten Immunitätsverzicht in bezug auf die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates sind nicht ersichtlich.
3. Das Europol-Übereinkommen Im Anwendungsbereich des Europol-Übereinkommens ist die Bestimmung des Klagegegners noch schwieriger als beim Schengener Durchführungsübereinkommen, weil zu den Vertragsstaaten noch Europol selbst als Organisation hinzukommt. Das Übereinkommen geht über die bloße Staatenkooperation durch die Kreation einer zwischenstaatlichen Einrichtung hinaus. Es ist demnach auch hinsichtlich eines eventuellen Verzichts auf die Immunität genau zu untersuchen, für welches Völkerrechtssubjekt der Verzicht gilt, da auch internationalen Organisationen in ihren Gründungsverträgen grundsätzlich Immunität vor den Gerichten ihrer Mitgliedstaaten eingeräumt wird 53 . Für Europol ist dies nach Maßgabe eines gesondert verabschiedeten Protokolls 54 53
Szasz, EPIL II, S. 1325 (1328 ff.). Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union und von Artikel 41 Absatz 3 des Europol-Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten von Europol, ABl. Nr. C 221/2 vom 19.7.1997. 54
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
(im folgenden: Immunitätsprotokoll) ausdrücklich in Art. 41 Abs. 1 EuropolÜbk festgelegt. a) Klagen gegen einen anderen Mitgliedstaat Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk läßt Klagen gegen einen Mitgliedstaat wegen unzulässiger oder unrichtiger Datenverarbeitung nur vor dessen eigenen Gerichten zu. Ein Verzicht der Mitgliedstaaten auf ihre Immunität ist damit ausgeschlossen. Vor den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland kann im Bezug auf die Haftung nach Art. 38 EuropolÜbk nur die Bundesrepublik selbst verklagt werden. Ausländische Hoheitsakte in diesem Zusammenhang unterfallen nicht der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. b) Klagen gegen Europol nach Art. 39 EuropolÜbk aa) Rechtslage nach dem Europol-Übereinkommen Für Klagen hinsichtlich der vertraglichen und außervertraglichen Haftung von Europol einschließlich der Ansprüche auf Unterlassung und Widerruf sind gemäß Art. 39 Abs. 4 EuropolÜbk die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten zuständig. Die Vereinbarung einer Gerichtsstandsklausel enthält implizit die Erklärung, daß man sich der Gerichtsbarkeit des gewählten Gerichts unterwerfe und insoweit auf Rechte aus einer bestehenden Immunität verzichte 55. Über die Bezugnahme auf das EuGVÜ unterwirft sich Europol demgemäß der Jurisdiktion des Staates, dessen Gerichte auch international zuständig sind. Da eine ausschließliche Zuständigkeit niederländischer Gerichte nicht besteht, ist der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die außervertragliche Haftung, die dem deutschen Amtshaftungsanspruch entspricht, eröffnet. Dies gilt auch für Klagen auf Unterlassung und Widerruf, die in Deutschland dem öffentlichen Recht zuzurechnen sind, soweit sie sich nicht gegen den handelnden Beamten persönlich richten. bb) Das Immunitätsprotokoll In scheinbarem Widerspruch dazu steht Art. 2 Abs. 1 des Immunitätsprotokolls, das auf der Grundlage des Art. 41 EuropolÜbk vom Rat verabschiedet wurde und noch der Annahme durch die Mitgliedstaaten bedarf:
55 Schack y Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdnr. 163; Schütze, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 29; Kronke, IPRax 1989, 176 (179).
I. Art. 19 Abs. 4 GG und nicht-deutsche Hoheitsakte
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"Europol genießt Immunität von der Gerichtsbarkeit in bezug auf die Haftung nach Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens hinsichtlich unzulässiger oder unrichtiger Datenverarbeitung." Auffallend an der Bezugnahme auf Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk ist zunächst, daß dieser gar nicht die Haftung Europols, sondern die der Mitgliedstaaten regelt. Soll die Bestimmung des Immunitätsprotokolls überhaupt einen sinnvollen Regelungsgehalt haben, müßte der Verweis auf Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk so interpretiert werden, daß sich die Immunität Europols auf die dort genannten Fallgruppen der unzulässigen oder unrichtigen Datenverarbeitung bezieht. Ein Ausschluß dieses Tatbestandes von der Amtshaftung Europols stünde jedoch in offenem Widerspruch zu Art. 39 Abs. 2 EuropolÜbk 5 6 . Dieser Widerspruch dürfte im Zweifel zugunsten der Europol-Konvention zu lösen sein, da das Immunitätsprotokoll seine Rechtsgrundlage in der Konvention findet 57 . Die Bundesregierung, die sich mit der Streichung des Art. 2 Abs. 1 Immunitätsprotokoll in der Arbeitsgruppe "Europol" nicht durchsetzen konnte, geht aber in der Tat davon aus, daß ein Konflikt zwischen Art. 39 Abs. 2 EuropolÜbk und Art. 2 Abs. 1 Immunitätsprotokoll nicht existiere, da die letztgenannte Vorschrift "ins Leere gehe": Sie beschränke die Immunität Europols auf eine Haftung nach Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk, obwohl nach dieser Vorschrift nicht Europol, sondern die Mitgliedstaaten hafteten 58. Im Ergebnis wird damit Europol für einen Fall Immunität gewährt, der gar nicht eintreten kann. Allein eine solche Auslegung der Bestimmungen gewährleistet eine Kohärenz zwischen Europol-Konvention und Immunitätsprotokoll. Sie wirft allerdings auch ein Licht auf die Entscheidungsstrukturen der intergouvernementalen Zusammenarbeit. Sollte die Immunität Europols, der Mitglieder seiner Organe oder seines Personals verhindern, "daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht" kann diese vom Direktor für Europol oder andere Mitglieder seines Personals, im übrigen vom Verwaltungsrat aufgehoben werden 59 . Mit der Bezugnahme auf die "Gerechtigkeit" ist kein Fortschritt zu mehr Rechtssicherheit erzielt worden 60 . Das
56 Ein solcher Widerspruch bestünde auch, wenn man den Verweis auf Art. 38 EuropolÜbk als Redaktionsversehen qualifizierte, was sich aber durch die Entstehungsgeschichte der Norm nicht rechtfertigen läßt. 57 Eindeutig ist diese Normenhierarchie allerdings nicht, da das Immunitätsprotokoll ebenso wie die Konvention der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten bedarf. 58 Diese Auffassung wurde dem Verf. anläßlich eines Gesprächs im Bundesjustizministerium im Juli 1997 mitgeteilt. 59 Art. 12 Abs. 2 Immunitätsprotokoll; Art. 12 Abs. 1 bestätigt den hinsichtlich Europol anerkannten Grundsatz, daß Immunitäten und Vorrechte nicht zum persönlichen Vorteil der Mitglieder einer Organisation, sondern im Interesse der Organisation selbst gewährt werden. 60 Deutlicher Hirsch, ZRP 1998, 10 (13): "völlig nichtssagend".
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
Protokoll hätte statt dessen klare Tatbestände formulieren sollen, bei deren Vorliegen die Immunität hätte aufgehoben werden müssen oder sollen. Streitigkeiten über einen Mißbrauch der gewährten Vorrechte und Immunitäten werden gemäß Art. 12 Abs. 5, 13 Immunitätsprotokoll auf Antrag der zuständigen nationalen Instanz durch Konsultation mit der für die Immunitätsaufhebung zuständigen Stelle Europols gelöst. Über Streitigkeiten entscheidet der Rat im Verfahren nach Titel V I EU-Vertrag 61 . Eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung der Immunität ist nicht vorgesehen 62. Dies ist aus völkerrechtlicher Perspektive folgerichtig, da allein die Organisation, deren Schutz die Verleihung von Immunität dient, darüber entscheiden kann, ob im Einzelfall auf diesen Schutz verzichtet werden kann. Es führt jedoch dazu, daß persönliche Verfehlungen des Europol-Personals nur nach positivem Abschluß des Konsultationsverfahrens nach Art. 12 Abs. 5 Immunitätsprotokoll in einem Mitgliedstaat verfolgt werden können. Während etwa Art. 42 SDÜ ausländische Beamte bei ihrer grenzüberschreitenden Tätigkeit hinsichtlich Straftaten, die sie begehen, den inländischen Beamten gleichstellt, schützt das Immunitätsprotokoll die Europol-Bediensteten grundsätzlich davor, von Behörden oder Gerichten des Aufenthaltsstaates persönlich wegen eines Fehlverhaltens zur Verantwortung gezogen zu werden. Widersetzt sich die zuständige Stelle Europols einer Aufhebung der Immunität des handelnden Beamten, entscheidet letztlich mit dem Rat ein politisches Gremium, das im Zweifel Rücksicht auf mitgliedstaatliche Befindlichkeiten nehmen wird. Auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam wird die Entscheidung der bei Europol für die Immunitätsaufhebung zuständigen Stelle nicht vor dem Europäischen Gerichtshof anfechtbar sein. c) Datenschutzrechtliche Klagen gegen Europol Über datenschutzrechtliche Klagen zur Durchsetzung eines Auskunfts-, Berichtigungs- oder Löschungsanspruches entscheidet nach den Bestimmungen des Übereinkommens die gemeinsame Kontrollinstanz letztinstanzlich. Ihre Entscheidungen sind gemäß Art. 24 Abs. 7 S. 6 EuropolÜbk gegenüber allen betroffenen Parteien rechtskräftig. Daraus folgt, daß eine weitere Anfechtung vor nationalen Gerichten unzulässig ist. Eine Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten besteht gegenüber Entscheidungen der gemeinsamen Kontrollinstanz nicht.
61
Vgl. auch Art. 40 EuropolÜbk. Zweifelnd Hailbronner, JZ 1998, 283 (284 f.), der unter Hinweis auf Art. 41 EuropolÜbk nicht ausschließt, daß der EuGH mit der Reichweite der Immunität befaßt wird. 62
II. Grenzüberschreitende Ermittlungen
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Insoweit lebt der im Europol-Übereinkommen anerkannte Grundsatz der Immunität für Hoheitsakte einer internationalen Organisation 63 wieder auf.
II. Grenzüberschreitende Ermittlungen Anhand ausgewählter Fallkonstellationen sollen nunmehr Rechtsschutzfragen der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit aufgezeigt werden. Die Fallbeispiele dienen dabei zur Veranschaulichung und als Ausgangspunkt der Erörterungen; sie werden nicht erschöpfend behandelt. Zu unterscheiden ist zwischen der Tätigkeit nationaler Beamter auf fremdem Staatsgebiet und der hoheitlichen Tätigkeit der Europol-Bediensteten in den Mitgliedstaaten der EU. Soweit der letztgenannte Bereich betroffen ist, bezieht sich die Bezeichnung "grenzüberschreitend" auf die Binnengrenzen der Mitgliedstaaten, nicht auf eine Tätigkeit außerhalb der EU. Die Fälle sind im Hinblick auf Europol rein hypothetisch, da insoweit Änderungen des Übereinkommens noch nicht in Kraft getreten ist.
1. Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen durch nationale Beamte Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen soll anhand des Schengener Durchführungsübereinkommens erörtert werden, da die Bestimmungen des Entwurfs zur Neapel Ii-Konvention sich daran orientieren. Von folgendem Beispielsfall 1 wird ausgegangen: A, ein Kaufmann aus Karlsruhe, der im Verdacht steht, mit Drogen zu handeln, fährt mehrmals im Monat nach Frankreich. Auf einigen seiner Fahrten bemerkt er, daß ihn ein "verdächtiges Fahrzeug" mit deutschem Kennzeichen verfolgt. Es handelt sich um ein Observationsteam des LKA Stuttgart, das ihn auf der Grundlage des Art. 40 Abs. 1 SDÜ mit Zustimmung der zuständigen französischen Behörde observiert. Entgegen Art. 40 Abs. 3 lit. f) SDÜ greifen die Beamten bei einer vermeintlichen Drogenübergabe ein. Tatsächlich wurde jedoch nicht mit Rauschgift gehandelt. A sieht sich vor seinen (deutschen und französischen) Geschäftspartnern bloßgestellt. Zu einer Hauptverhandlung gegen A kommt es nicht. A möchte die Rechtswidrigkeit der Observation als solches sowie der polizeilichen Festnahmeaktion durch ein Gericht feststellen lassen. 1. Abwandlung: Gleicher Sachverhalt, nur ist A deutscher Staatsbürger mit Wohnsitz in Frankreich, der von französischen Polizisten in Deutschland observiert wird. A glaubt, daß er sich dies in seinem Heimatland nicht gefallen lassen muß und begehrt Rechtsschutz in Deutschland. 63
Vgl. Szasz, EPIL II, S. 1325 (1330).
18 Harings
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
2. Abwandlung: Grundfall wie oben. Beim Zugriff der Beamten werden jedoch Gegenstände fahrlässig beschädigt. A begehrt Schadensersatz in Deutschland/ Frankreich. a) Vorbemerkung Der Grad der Auslandsberührung in Fällen grenzüberschreitender Ermittlungstätigkeit kann differieren. Beschränkt sich der Aufenthalt auf fremdem Staatsgebiet auf wenige Stunden, ohne daß es dort zu Zwischenfällen kommt, ist die Auslandsberührung eher gering. A u f der anderen Seite kann eine sich wiederholende oder mehrtägige Observation im Ausland ihren eigentlichen Schwerpunkt haben. Je stärker der Auslandsbezug ist, desto stärker rückt die Perspektive des Rechtsschutzes vor den Gerichten des Aufenthaltsstaates in den Blickpunkt. Dies ist zum einen eine Frage der internationalen Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates, zum anderen eine Frage der Zuordnung der Hoheitsgewalt der auf fremdem Staatsgebiet handelnden Beamten. Eine solche Zurechnung des Handelns der Beamten an den Aufenthaltsstaat muß völkerrechtlich solange unterbleiben, wie die Beamten eigenverantwortlich handeln. Entscheidend für die Zurechenbarkeit an einen Staat ist nicht der Ort der Handlung, sondern die Verantwortlichkeit für den Eingriff 64 . Umgekehrt ist der Aufenthaltsstaat allein verantwortlich, wenn er den Beamten konkrete Anweisungen für ihre Ermittlungstätigkeit gibt und diese sich danach richten. b) Rechtsschutz vor den Gerichten des Herkunftsstaates Die Grundkonstellation des Beispielsfalles 1 unterscheidet sich von rein nationalen Sachverhalten lediglich dadurch, daß sie auf französischem Hoheitsgebiet stattfindet. Ihre rechtliche Grundlage findet die Kooperation in Art. 40 Abs. 1 SDÜ und im Rechtshilferecht. Es handelt sich um den "Normalfall" der grenzüberschreitenden Observation, die in Deutschland angeordnet wird und beginnt, nach Grenzübertritt mit Zustimmung der französischen Behörden in Frankreich fortgesetzt wird. Rechtsschutz in Deutschland wird dadurch nicht ausgeschlossen. aa) Rechtsweg und zuständiges Gericht Art. 40 SDÜ regelt ebenso wie die restriktive Fassung des Art. 21 Neapel IIÜbk die grenzüberschreitende Observation im Rahmen eines Ermittlungsver-
64 Vgl. dazu BGHSt 30, 152 (160); 32, 221 (226 f.): Verantwortlichkeit des ersuchenden Staates für im ersuchten Staat erlittene Auslieferungshaft.
II. Grenzüberschreitende Ermittlungen
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fahrens. Somit ist für den Rechtsschutzsuchenden gemäß § 23 EGGVG der ordentliche Rechtsweg eröffnet. Zuständig ist gemäß § 25 Abs. 1 EGGVG das Oberlandesgericht 65. bb) Angriffsgegenstand Drei mögliche Angriffsgegenstände der deutschen Staatsgewalt kommen für A in Betracht: - Anordnung der Observation durch den Staatsanwalt; - Stellung des Rechtshilfeersuchens durch den Staatsanwalt; - tatsächliche Durchführung der Observation durch Beamte des LKA Stuttgart. Die Anordnung der Observation durch den Staatsanwalt kann nicht selbständig angegriffen werden, da sie als innerdienstlicher Akt nicht in Rechte des Betroffenen eingreifen kann. Nicht sie hat gegenüber dem Betroffenen regelnden Charakter und entfaltet Außenwirkung, sondern erst die Maßnahme der angewiesenen Behörde 66. Ebenso ist das deutsche Rechtshilfeersuchen einer Anfechtung entzogen, da es im Hinblick auf die spätere Observation nicht unmittelbar in Rechte des Betroffenen eingreift 67 . Dem tatsächlichen Eingriff durch die Observation in Frankreich geht vielmehr eine autonome Entscheidung der französischen Behörden über die Bewilligung der beantragten Rechtshilfe voraus 68. Somit verbleiben als Angriffsgegenstände die tatsächliche Durchführung der Observation in Deutschland und Frankreich sowie der Exzeß der deutschen Beamten in Frankreich.
65
Sollten sich die EU-Staaten auf die weitere Fassung des Art. 19 Neapel II-Übk einigen können, die eine Observation auch zum Zwecke der Gefahrenabwehr erlaubt, wäre hiergegen der Verwaltungsrechtsweg eröffnet; auch mit der Schweiz und Österreich werden Vereinbarungen über präventiv-polizeiliche Observationen angestrebt. 66 BVerwG, Urt. v. 29.4.1997 (1 C 2.95 - bislang nur in Juris veröffentlicht); VGH Mannheim, DVB1. 1995, 367, zur Anordnung des Einsatzes verdeckter Ermittler; LRSchäfer, § 23 EGGVG Rdnr. 30; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 23 EGGVG, Rdnr. 6; grundsätzlich auch KK-Kissel, der allerdings Ausnahmen für zulässig hält; vgl. zur Verwaltungsaktsqualität entsprechender interner Weisungen, Anordnungen etc. Kopp, VwVfG, § 35 Rdnr. 43 f. 67 Vgl. BVerfGE 57, 9 (23); der Eingriffscharakter der mit dem Rechtshilfeeersuchen verbundenen Preisgabe von Informationen über den Beschuldigten soll hier außer Betracht bleiben, da ein darauf gestütztes Vorgehen in der Praxis wenig Aussicht auf Erfolg haben dürfte. 68 Den französischen Behörden bleibt auch im Falle der Bewilligung der Rechtshilfe insoweit ein Ermessensspielraum, als sie die Observation an der Grenze durch eigene Beamte übernehmen oder den deutschen Beamten den Grenzübertritt gestatten können. 1*
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland cc) Rügepotential
Unter dem Begriff "Rügepotential" sollen hier die Vorschriften zusammengefaßt werden, deren Verletzung A mit Erfolg vor Gericht geltend machen kann. Aus der Perspektive des entscheidenden Gerichts entspricht dem der Begriff "Prüfungsumfang". A kann zweifellos vorbringen, die Voraussetzungen für eine Observation seien nach der StPO nicht gegeben, oder die Observation in Deutschland verstoße gegen sonstiges innerstaatliches Recht. Problematischer ist allerdings, ob er Verstöße gegen deutsches Recht in Frankreich, gegen die Bestimmungen des SDÜ oder gar gegen französisches Recht, an das die Beamten nach Art. 40 Abs. 3 lit a) SDÜ gebunden sind 69 , rügen kann. Darauf kommt es jedoch entscheidend an, wenn er sich gegen die Festnahmeaktion wendet, die durch Art. 40 Abs. 3 lit f) SDÜ ausgeschlossen ist. (1) Territorialer
Anwendungsbereich des deutschen (öffentlichen)
Rechts
Eine Regel des Inhalts, daß deutsches öffentliches Recht nur auf deutschem Staatsgebiet angewandt werden darf, kann heute nicht mehr aufgestellt werden 70. Vielmehr ist der Anwendungsbereich 71 des deutschen Rechts aus zwei Perspektiven zu bestimmen: Aus der Perspektive des Völkerrechts ist zu fragen, ob die Anwendung nationalen Rechts auf Sachverhalte außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets völkerrechtlich zulässig ist, während das nationale Recht selbst seinen Anwendungsbereich innerhalb der völkerrechtlichen Grenzen festlegt 72. Dabei ist festzustellen, daß das Völkerrecht dem Anwendungsbereich staatlichen Rechts nur geringe Vorgaben macht. Es steht den Staaten grundsätzlich frei, Auslandssachverhalte in den Regelungsbereich des natio-
69 Vgl. zu den Befugnissen observierender deutscher Beamter in Frankreich nach französischem Recht den Runderlaß des französischen Justizministers vom 23. Juni 1995, JORF vom 1. Juli 1995, 9894, sowie eine Zusammenstellung der danach erlaubten Maßnahmen bei Würz, SDÜ, Rdnr. 117. 70 Dazu Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rdnr. 68 vor § 40 m.w.N. dieser traditionellen Auffassung; vgl. auch Vogel, Anwendungsbereich, S. 13 ff, 143 ff, sowie E. Klein, in: Starck, Rechtsvereinheitlichung, S. 141, SchmidtAßmann, DVB1. 1993, 924 (936), und von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 414 f , die von "Ent-Territorialisierung des Rechts" sprechen. 71 Zur Terminologie etwa Meng, Jurisdiktion, S. 10 ff, der selbst den Begriff "Regelungsbereich" anstelle der hier verwendeten Bezeichnung "Anwendungsbereich" verwendet; Vogel, Anwendungsbereich, S. 2 f , spricht von "transitivem" Anwendungsbereich einer Norm; vgl. auch Hoffmann, Internationales Verwaltungsrechts, S. 857. 72 Vogel, Anwendungsbereich, S. 341; ders. y EPIL I, S. 26; Meng, Jurisdiktion, S. 10; Hoffmann, Internationales Verwaltungsrecht, S. 854, 861 f.; vgl. auch SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Rdnrn. 1359 ff.
II. Grenzüberschreitende Ermittlungen
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nalen Rechts einzubeziehen73, solange und soweit ein gewisser Inlandsbezug vorhanden ist 74 . Der Regelungshoheit eines Staates entspricht im englischen Sprachgebrauch die "Jurisdiction to prescribe". Vom Anwendungsbereich in diesem Sinne abzugrenzen ist der Geltungsbereich einer Norm 75 . Geltungsbereich ist derjenige räumliche Bereich, der "Gegenstand der staatlichen physischen Rechtsdurchsetzung sein kann" 76 ("jurisdiction to enforce"). Dieser Bereich ist in der Regel, aber nicht notwendig, auf das eigene Staatsgebiet beschränkt 77. Ermittlungsmaßnahmen deutscher Beamter im Ausland unterfallen nach dieser Begriffsbestimmung dem Anwendungsbereich deutschen öffentlichen Rechts. Die Grundrechte binden deutsche Beamte auch bei Tätigkeiten im Ausland 78 . Ebenso unterliegen diese weiterhin ihrem nationalen Dienstrecht und den einschlägigen Vorschriften, die ihr Handeln gegenüber dem Bürger bestimmen und begrenzen. Die Besonderheit der hier vorgestellten einschlägigen völkerrechtlichen Befugnisnormen liegt darin, daß sie nicht konstitutiv zur eigenständigen Vornahme einer Maßnahme auf fremdem Hoheitsgebiet ermächtigen, sondern nur die Fortsetzung einer auf eigenem Staatsgebiet begonnenen Handlung erlauben. Dabei bewirkt der Grenzübertritt keine Suspendierung des Rechts des Herkunftsstaates, sondern unterwirft das Handeln des Beamten einer weiteren Rechtsordnung, der des Aufenthaltsstaates 79. Die Befugnis deutscher Gerichte und Behörden, das nationale Recht gegenüber dem Beamten durchzusetzen, besteht freilich nur innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik. Insofern stehen einer Anwendung des deutschen Rechts auf die Ermittlungstätigkeit deutscher Beamter im Ausland keine Bedenken entgegen. Im Kolli-
73
Grabitz, EPIL I, S. 20, unter Hinweis auf die "berühmte" Lotus-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, StIGHE 10, 18 f. 74 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 1366; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, S. 320 f., m.w.N. 75 Vgl. Meng,, Jurisdiktion, S. 10 f. 76 Meng, Jurisdiktion, S. 11; ders., EPIL II, S. 337; ähnlich Schwarze, Jurisdiktion, S. 21: Geltungsbereich bezeichne die "exekutivische und richterliche Durchsetzung von allgemeinen Vorschriften". 77 Vgl. BVerwGE 75, 285 ff.; Hoffmann, Internationales Verwaltungsrecht, S. 858; zur Geltung schweizerischen Rechts in der deutschen Exklave Büsingen Rauser, Hoheitsrechte, S. 208 ff. 78 Stern, Staatsrecht, Bd. III/l, S. 1230 ff.; Isensee, HbStR V § 115 Rdnr. 90; v. Münch, in: ders., GG, Art. 1 Rdnr. 49; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rdnr. 44 vor § 40; BVerfGE 6, 290 (295); 31, 58 (74); 57, 9 (23), und OVG Münster, NVwZ-RR 1997, 174, bejahen eine Grundrechtsbindung in den Fällen, in denen die Wirkungen staatlichen Handelns im Ausland eintreten; a.A. hinsichtlich der Tätigkeit im Ausland OVG Münster, DVB1. 1983, 37. 79 Ebenso Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 115, für die innerhalb Deutschlands stattfindende Nacheile der Polizeibeamten der Länder, die allerdings Ausnahmen davon für die staatsvertraglich geregelten Fälle machen.
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
sionsfalle erweist sich jedoch das Territorialitätsprinzip, also das Recht des Aufenthaltsstaates, als stärker. Die Befugnis der Beamten zur Vornahme von Diensthandlungen wird durch die Bindung an das Recht des Aufenthaltsstaates eingeschränkt. (2) Berufung auf Verstoß gegen Völkerrecht? (a) Keine völkerrechtlichen Individualrechte Das Schengener Durchfuhrungsübereinkommen bleibt auch nach der Transformation durch das Zustimmungsgesetz in nationales Recht vom Rechtscharakter her Völkerrecht 80 . Nach der klassischen Auffassung ist Völkerrecht allein staatenbezogen, so daß Individuen keine oder nur mittelbare Rechte daraus herleiten können 81 . Diese Auffassung kann in ihrer Allgemeinheit heute als überholt angesehen werden 82. Es ist weitgehend anerkannt, daß auch dem Individuum immittelbare völkerrechtliche Rechte und Pflichten erwachsen können 83 . Damit verbunden ist jedoch keine Zuerkennung originärer und umfassender Völkerrechtsfähigkeit, sondern eine potentielle partielle Völkerrechtsfähigkeit infolge der Verleihung individueller Rechte durch Staaten oder Internationale Organisationen. Doch ist hinsichtlich der Stellung des Individuums im Völkerrecht Vorsicht geboten: Nicht jede Norm, die Begünstigungen enthält, begründet echte individuelle Rechte des Individuums gegenüber seinem oder einem anderen Staat. Zu unterscheiden ist deshalb zwischen der "Verleihung individueller Rechte" und der Begünstigung als Rechtsreflex der Verpflichtung der beteiligten Staaten84. Von einer echten völkerrechtlichen Verleihung individueller Rechte wird nur ausgegangen, wenn diese in einem völkerrechtlichen Verfahren durchgesetzt werden können 85 . Die Einklagbarkeit 80 Zur Auslegung wird deshalb auf die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze und die authentischen Vertragstexte zurückgegriffen, vgl. LG Hamburg, wistra 1996, 359 (361); Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 368 ff; vom Rechtscharakter streng zu unterscheiden ist der Rang des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht, dazu BGHZ 26, 200, sowie Ipsen/Gloria, Völkerrecht, S. 1091, 1100. 81 Gesprochen wird in diesem Zusammenhang von einer "Mediatisierung" des Individuums im Völkerrecht, vgl. Ipsen/Epping, Völkerrecht, S. 75 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 927; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 423. 82 Vgl. Jennings/Watts, Oppenheim's International Law, S. 848; EGMR, EuGRZ 1979, 149 (159); Frowein/Peukert, EMRK, Einführung, Rdnr. 5; zur Entwicklung Partsch, EPIL II, S. 957 ff. 83 Ipsen/Epping, Völkerrecht, S. 76. 84 Ipsen/Epping, Völkerrecht, S. 76; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 423. 85 Jennings/Watts, Oppenheim's International Law, S. 847; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnrn. 937 ff.; Beipiele: Möglichkeit der Indiviualbeschwerde zur Europäischen Menschenrechtskommission nach Art. 25 EMRK, Recht zur Anrufung der gemeinsamen Kontrollinstanz im Rahmen des Europol-Übereinkommens; zur
II. Grenzüberschreitende Ermittlungen
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der Rechtsposition vor nationalen Gerichten soll nicht ausreichen 86, da sie nur durch das nationale Recht vermittelt wird. Diese Einschränkung kann jedoch nicht für das Klagerecht nach Art. 111 SDÜ gelten. Die Besonderheit dieses Individualrechts ("jeder hat das Recht, im Hoheitsgebiet jeder Vertragspartei... eine Klage ... zu erheben.") liegt darin, daß das zuständige Gericht eines jeden Vertragsstaates angerufen werden kann. Die Verleihung einer solchen Rechtsposition durch das eigene nationale Umsetzungsgesetz allein ist nicht möglich. Es spricht vielmehr einiges dafür, hier von einem echten völkerrechtlich begründeten Individualrecht auszugehen. Anstelle einer völkerrechtlich eingerichteten Rechtsschutzinstanz gewähren die nationalen Gerichte Individualrechtsschutz. Auf der anderen Seite bezwecken bestimmte Regelungen des Schengener Durchführungsübereinkommens/der Neapel Ii-Konvention nur den Schutz der nationalen Souveränität. Die Einschränkungen der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit sind diesem Bereich zuzuordnen. Sie begründen weder individuelle Rechtspositionen noch treffen sie eine Aussage zum Rechtsschutz. Sie beschränken die Souveränitätspreisgabe infolge der Erlaubnis zur hoheitlichen Tätigkeit auf fremdem Staatsgebiet. Eine Verleihung individueller Rechtspositionen ist auch vor dem Hintergrund des Art. 40 Abs. 6 SDÜ fraglich. Danach können die Vertragsparteien im Wege bilateraler Vereinbarungen den Anwendungsbereich des Art. 40 SDÜ erweitern und zusätzliche Regelungen zu seiner Durchfuhrung treffen. Gemäß Art. 39 Abs. 4 und 5 SDÜ kann die Zusammenarbeit in den Grenzgebieten in Vereinbarungen zwischen den zuständigen Ministerien geregelt werden. Weitergehende bilaterale Übereinkommen bleiben unberührt. Diese Verweise auf andere, die Bestimmungen des SDÜ möglicherweise überlagernde Vorschriften schließen die Einräumung weiterer Befugnisse der handelnden Beamten ein. Von der Verleihung individueller Rechte durch alle Vertragsstaaten in Art. 40 Abs. 3 lit a) SDÜ kann jedoch dann nicht ausgegangen werden, wenn einzelne Staaten durch bilaterale Vereinbarungen abweichende Regelungen treffen können. Vielmehr kommt darin gerade die Staatenbezogenheit des Übereinkommens zum Ausdruck. Es muß deshalb dabei bewenden, daß Art. 40 SDÜ nur dem Schutz der Souveränität des jeweiligen Aufenthaltsstaates dient und keine völkerrechtlichen Individualrechte verleiht. (b) Innerstaatliche Anwendbarkeit des Völkerrechts Aus der das Verhältnis der Vertragsstaaten untereinander betreffenden Funktion einzelner Bestimmungen darf jedoch nicht gefolgert werden, das fehlenden Parteifähigkeit von Individuen vor anderen internationalen Gerichten Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 605 ff. 86 Ipsen/Epping, Völkerrecht, S. 77.
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
Schengener Durchfuhrungsübereinkommen als völkerrechtlicher Vertrag entfalte keine Drittwirkung zugunsten des Betroffenen. Vielmehr schließt die völkerrechtliche Staatenbezogenheit eine individualschützende Wirkung im innerstaatlichen Recht nicht von vorneherein aus87. Ein Bürger kann sich jedenfalls auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die nach Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts sind, berufen 88. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zählen die Verträge über die sicherheitsbehördliche Zusammenarbeit nicht. Sie sind jedoch durch das deutsche Zustimmungsgesetz innerstaatlich verbindlich. Ein Verstoß gegen die einschlägigen Bestimmungen kann deshalb mit Erfolg vor Gericht gerügt werden. Der Betroffene einer Observation wird, jedenfalls durch eine längerfristige Observation, in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Als Betroffener eingreifenden Verwaltungshandelns hat er Anspruch auf Einhaltung aller das Handeln der Beamten determinierenden Normen 89 . Neuere Stimmen in der Literatur fordern zwar einen "Rechtswidrigkeitszusammenhang" zwischen objektivem Gesetzesverstoß und subjektiver Rechtsverletzung, erkennen aber bei einer finalen Rechtsbeeinträchtigung nahezu alle Rechtmäßigkeitsanforderungen an das eingreifende Handeln als Schutznormen an 90 . Dem ist für den Bereich des deutschen Rechts zuzustimmen. Es beantwortet allerdings noch nicht die Frage nach der individualschützenden Reflexwirkung des Völkerrechts. Dazu ist vom Sinn und Zweck der völkerrechtlichen Regelungen auszugehen, die im Falle der grenzüberschreitenden Ermittlungshandlungen zunächst souveränitätswahrenden Charakter haben. Sie geben nicht die Befugnis zur Observation als solches, sondern setzen diese nach nationalem Recht voraus. Der Geltungsbereich nationalen Rechts als Befugnisnorm für Eingriffe in individuelle Rechtspositionen endet jedoch an den Grenzen des eigenen Staatsgebiets91. Art. 40 SDÜ gestattet die grenzüberschreitende Fortsetzung der Observation und ist für diese Fortsetzung selbst die Befugnisnorm. Wenn somit Art. 40 SDÜ als Rechtsgrundlage für die Observation im Ausland einschlägig ist, betreffen Verstöße gegen diese Rechtsgrundlage sehr wohl die Rechtsposition des Observierten. Sie können
87
Vgl. BVerfGE 40, 141 (165 f.), das im konkreten Fall die Ableitung individueller Pflichten aus einem völkerrechtlichen Vertrag verneint, aber darauf hinweist, daß auch in anderer Weise grundrechtlich geschützte Rechtspositionen durch den völkerrechtlichen Vertrag betroffen sein können; ebenso Kattau, Strafverfolgung, S. 119 f. 88 Vgl. etwa Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 13, 20, der den Prüfungsumfang der Gerichte allerdings auf direkt wirkendes Völkerrecht begrenzen will. 89 Dazu BVerwG, NVwZ 1993, 884 (885); Kopp, VwGO, § 42 Rdnrn. 47 ff, 79 ff; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Rdnrn. 45 ff, 70. 90 Vgl. Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Rdnr. 48. 91 Siehe oben 1 b) cc)(l).
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von ihm gerügt und durch das angerufene Gericht überprüft werden 92. Allerdings sind von diesem Befund wiederum Ausnahmen zu machen. Bestimmungen des Art. 40 SDÜ, die allein das Verhältnis der beteiligten Staaten betreffen, müssen ausgeschieden werden 93. So könnte A etwa nicht mit Erfolg rügen, daß ein Rechtshilfeersuchen nicht in der richtigen Form gestellt worden sei. Die Stellung des Rechtshilfeersuchens betrifft allein das völkerrechtliche Verhältnis der Staaten zueinander. Fehler aus diesem Bereich führen nicht automatisch zur Verschlechterung der Rechtsposition des betroffenen Bürgers. Dieser muß geltend machen, daß die Beamten Bestimmungen verletzt haben, die das Verhältnis zu ihm betreffen. Aus diesem Grund kann A jedenfalls mit Erfolg eine Verletzung des Art. 40 Abs. 3 lit f) SDÜ rügen, der den Beamten untersagt, die zu observierende Person anzuhalten oder festzunehmen. Diese Vorschrift schränkt ebenso wie Art. 40 Abs. 3 lit d) und e) SDÜ die Befugnisse der Beamten gegenüber dem Bürger ein. In einem Beschluß vom 19.10.1994 hat eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts entschieden, daß der völkerrechtswidrige Einsatz eines sogenannten Lockspitzels kein Verfahrenshindernis in einem Strafverfahren begründe 94. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des U.S. Supreme Court führt das BVerfG vielmehr aus, daß selbst bei Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Entführung die Einstellung des Strafverfahrens in der Regel völkerrechtlich nicht geboten wäre. Eine Völkerrechtsverletzung berühre die Grundrechtssphäre des Betroffenen nicht 95 . Diese Entscheidung könnte für die hier behandelte Fallkonstellation deshalb von Bedeutung sein, weil für das Tätigwerden des V-Mannes im Ausland ebensowenig eine Rechtsgrundlage existierte wie für den Zugriff der deutschen Beamten in Beispielsfall 7 96 . Der darin liegende Verstoß wiegt sogar schwerer als die Überschreitung eingeräumter Befugnisse im Ausland. Gleichwohl muß unterschieden werden zwischen der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Eingriffshandlungen der öffentlichen Gewalt und dem Vorliegen eines Verfahrenshindernisses oder eines Beweisverwertungsverbotes 92
Vgl. auch Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 351, hinsichtlich Art. 13 des Vertrages zwischen Deutschland und der Schweiz über den Autobahnzusammenschluß im Raum Basel und Weil am Rhein vom 9. Juni 1978, BGBl. 1979 II, S. 822. 93 Vgl. BVerfGE 63, 343 (373) zu ausschließlich staatsgerichteten Völkerrechtsnormen, sowie die Entscheidung des VG Gießen vom 25.1.1996 (5 G 33380/95 A (2), nur in Juris veröffentlicht), nach der Art. 29 Abs. 4 SDÜ keine subjektiven Rechte zugunsten eines Asylbewerbers begründet. 94 NJW 1995, 651; kritisch bereits zur früheren Rechtsprechung Kattau, Strafverfolgung, S. 119. 95 BVerfG (K), NJW 1995, 651 (652). 96 Zum Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung, da ein V-Mann im Unterschied zum verdeckten Ermittler selbst kein Polizeibeamter ist, Riegel, Datenschutz, S. 118. Die Polizei darf die territorialen Grenzen ihrer Zuständigkeit nicht durch den Einsatz privater Ermittler überwinden.
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
im Strafverfahren 97. Nicht jeder Verfahrensverstoß führt zu einem Beweisverwertungsverbot und nur in seltenen Ausnahmefällen kommt eine Verfahrenseinstellung in Betracht. Hingegen ist auf der Primärebene gerichtlichen Schutzes die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Handlung selbst zu beurteilen. Insoweit bleibt es bei der Feststellung, daß A die Verletzung solcher Normen des Völkerrechts rügen kann, die seine Rechtsposition nach innerstaatlichem Recht beeinträchtigen. (3) Berufung auf einen Verstoß gegen ausländisches öffentliches
Recht?
Über die Bestimmungen des SDÜ/Neapel II-Übk ist der observierende Beamte im Ausland an das Recht des Gebietsstaates gebunden. Soweit dieses mit dem deutschen Recht übereinstimmt, kann bei Verfehlungen des Beamten auf den Verstoß gegen das deutsche Recht abgestellt werden. Es sind jedoch Fallkonstellationen denkbar, in denen bestimmte Maßnahmen nach deutschem Recht zulässig, nach dem Recht des Gebietsstaates jedoch unzulässig sind (z.B. die Benutzung von Abhöreinrichtungen während der Observation, die von Art. 40 SDÜ nicht erfaßt wird). Soll sich in einem solchen Fall A zur Begründung der Rechtswidrigkeit der Observation auf die Verletzung ausländischen Rechts berufen können?98 Zunächst ist festzustellen, daß keine völkerrechtliche Pflicht zur Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts existiert 99. Aus inländischer Perspektive ist jedoch umstritten, ob deutsche Gerichte über ausländisches öffentliches Recht judizieren dürfen 100 . Grundsätzlich wendet auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts jeder Staat nur sein eigenes Recht an 101 . Auf der anderen Seite ist zu sehen, daß einer Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts dann keine Bedenken entgegenstehen, wenn der Rechtsanwendungsbefehl dem eigenen nationalen Recht oder Völkerrecht entstammt102. Genau dies ist im
97
Vgl. Benfer, Grundrechtseingriffe, S. 322 ff. Diese Frage unterscheidet sich von der in BVerwGE 75, 285 behandelten Problematik, die die Klagebefugnis ausländischer Grenznachbarn in Deutschland zum Gegenstand hatte, die sich vor deutschen Gerichten auf eine Verletzung deutschen Rechts beriefen. Dabei wurde erörtert, ob eine drittschützende Norm des deutschen Rechts auch grenzüberschreitende Wirkungen entfalten kann. 99 Schwarze, Jurisdiktion, S. 15; Meessen, AöR 110 (1985), 398 (411 f.); Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 240; Rauser, Hoheitsrechte, S. 260 ff.; Kopp, DVB1. 1967, 469 (470 f.). 100 Vgl. Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rdnrn. 64 f. vor § 40 m.w.N. zum Streitstand. 101 Vogel, DStZ 1997, 269 (272). 102 Hoffmann, Internationales Verwaltungsrecht, S. 863 ff.; vgl. auch Ellger, Datenschutz, S. 655. 98
II. Grenzüberschreitende Ermittlungen
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Schengener Durchfuhrimgsübereinkommen und dem Neapel II-Übereinkommen der Fall. Beide völkerrechtlichen Verträge unterstellen die grenzüberschreitende Ermittlungstätigkeit eines Beamten (auch) dem Recht des Aufenthaltsstaates. Damit hängt die Beantwortung der Frage nach der Rügemöglichkeit der Verletzung ausländischen öffentlichen Rechts vor deutschen Gerichten entscheidend vom Charakter des völkerrechtlichen Rechtsanwendungsbefehls ab. Dient dieser nach dem Willen der Vertragsparteien ausschließlich dem Schutz der Souveränität des Aufenthaltsstaates, kann eine Verletzung des nationalen Rechts dieses Aufenthaltsstaates nicht geltend gemacht werden. Da jedoch Art. 40 SDÜ auf fremdem Staatsgebiet selbst als Befugnisnorm für die Fortsetzung der Observation gilt und dieser in Art. 40 Abs. 3 lit a) SDÜ eine Bindung der Beamten an das Recht des Aufenthaltsstaates vorsieht, kann dieses Recht auch die Befugnis der Beamten beschränken. Verstoßen sie gegen das solchermaßen für anwendbar erklärte ausländische Recht, überschreiten sie somit gleichzeitig ihre Befugnis gegenüber dem Bürger. Dies unterliegt der gerichtlichen Kontrolle durch die zuständigen Gerichte. A kann sich demnach auch auf einen Verstoß gegen französiches Recht berufen. Das Gericht muß die Rechtmäßigkeit des Handelns deutscher Beamter (auch) am Maßstab des französischen Rechts beurteilen. c) Primärrechtsschutz
vor den Gerichten des Aufenthaltsstaates
Zentrale Frage der ersten Fallabwandlung ist es, ob um Rechtsschutz gegen die Maßnahmen der grenzüberschreitend observierenden Beamten vor den Gerichten des Aufenthaltsstaates nachgesucht werden kann. Dies kommt sicherlich zunächst in Betracht, wenn Bürger dieses Staates von Maßnahmen der ausländischen Beamten betroffen sind, ist aber nicht darauf beschränkt. Rechtsschutz kann auch aus dem Grund begehrt werden, daß in Deutschland der Individualrechtsschutz in besonderem Maße ausgeprägt ist und ein ausländischer Bürger sich durch die Anrufung deutscher Gerichte eine Verbesserung seiner Rechtsposition erhofft (forum Shopping). Da ausländische Beamte hinsichtlich ihrer hoheitlichen Tätigkeit nicht der Gerichtsbarkeit deutscher Gerichte 103 unterliegen, wäre eine gleichwohl erhobene Klage unmittelbar gegen ihren Staat als unzulässig abzuweisen. Maßnahmen der deutschen öffentlichen Gewalt, die von A angegriffen werden könnten, sind die Bewilligung des Rechtshilfeersuchens einerseits und (unterlassene) Anordnungen der zuständigen Polizeidienststellen andererseits. Nach den Grundsätzen des Rechtshilferechts 104 kann die Bewilligungsentscheidung nur Gegenstand einer Klage sein, wenn nicht die Vornahmehandlung selbst angegriffen 103 104
Vgl. oben D I 1 a). Siehe oben C III 1 b).
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
werden kann. Es wird zu prüfen sein, ob dieser Grundsatz im Rahmen der neuen Kooperationsformen aufrechterhalten werden kann. aa) Die Anfechtung der Vornahmehandlung Vornahmehandlung im Sinne des Rechtshilferechts ist die Durchführung der Observation auf deutschem Staatsgebiet. Ihre Anfechtbarkeit wird durch diverse Faktoren beeinflußt. So kann etwa beachtlich sein, ob die Beamten nur auf dem Gebiet eines Bundeslandes oder mehrerer Bundesländer tätig werden, und ob die gesamte Observation oder nur einzelne Ermittlungsmaßnahmen angegriffen werden. Schließlich existieren in den einzelnen Bundesländern Unterschiede in den Polizeigesetzen. (1) Zurechnung nach Landesrecht Nach den einschlägigen Polizeigesetzen in Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein wird die grenzüberschreitende Tätigkeit ausländischer Beamter der örtlich zuständigen Polizeidienststelle des Landes zugerechnet 105. Die Vorschriften der Landespolizeigesetze über Organisation und Zuständigkeit der Polizei gelten - vorbehaltlich bundesgesetzlicher Regelung - auch für die Tätigkeit der Polizei im Rahmen der Strafverfolgung 106. Ein entsprechender Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG ist demgemäß gegen das Bundesland zu richten, auf dessen Gebiet die Observation stattfindet. Dies ist allerdings problematisch, wenn die Observation sich über das Gebiet mehrerer Länder erstreckt. Erklärt auf einen Antrag hin ein Gericht die Observation in Rheinland-Pfalz für unzulässig, muß die zuständige Polizeidienststelle diese abbrechen. Die Bewilligung des Rechtshilfeersuchens wird durch die gerichtliche Entscheidung insoweit (in den Grenzen der Rechtskraft des Urteils) inzidenter aufgehoben. Die Gerichtsentscheidung könnte jedoch nicht verhindern, daß die Observation legal in einem anderen Bundesland wiederaufgenommen oder fortgesetzt wird, denn Antragsgegner war nur das Bundesland Rheinland-Pfalz. Mit Überschreiten der Landesgrenze zum Land Hessen würde die Ermittlungstätigkeit der ausländischen Beamten nicht mehr dem Land Rheinland-Pfalz, sondern Hessen zugerechnet. Die gegen das Land Rheinland-Pfalz ergangene Entscheidung verpflichtet aber nur dieses
105 Vgl. §§102 Abs. 2 und 3 HSOG, 103 Abs. 2 und Abs. 3 S. 2 NGefAG, 86 Abs. 2 und 3 RhPfPOG, 91 Abs. 2 und 3 S. 2 SOG LSA und 170 Abs. 2 LVwG SH. 106 Götz, Polizeirecht, Rdnr. 542; vgl. auch Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnrn. 157 ff.
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Bundesland107 . Die gleiche Problematik stellt sich im Falle des Grenzübertritts rheinland-pfälzischer Polizisten nach Hessen nicht, wenn man annimmt, daß diese weiterhin an ihr Heimatrecht gebunden bleiben 108 . Ihre Maßnahmen in Hessen werden zwar dem Land Hessen zugerechnet, doch bleiben sie gleichzeitig solche des Landes Rheinland-Pfalz, so daß die Beamten weiterhin eine Entscheidung gegen ihr Heimatland befolgen müßten. (2) Keine Zurechnung nach Landesrecht In den Bundesländern, die eine Zurechnung des Handelns der ausländischen Beamten an das Land nicht vorsehen, ist die Rechtslage weniger klar. Die Observation selbst kann wegen der Immunität ausländischer Beamter nicht Gegenstand eines Antrages nach § § 2 3 ff. EGGVG sein. Sollen bestimmte Maßnahmen der ausländischen Beamten im Vorfeld unterbunden werden, kann ein entsprechender Antrag gegen die weisungsbefugte örtlich zuständige Behörde auf Vornahme einer Untersagungsanordnung gestellt werden. Der Anspruch des betroffenen Bürgers folgt aus der grundrechtlichen Schutzpflicht 109 in Verbindung mit Art. 40 Abs. 3 lit a) SDÜ, der das Vorgehen gegen den auswärtigen Amtsträger völkerrechtlich ermöglicht. Antragsgegner in diesen Fällen wäre der Rechtsträger der zuständigen Polizeibehörde, in der Regel also das Bundesland, auf dessen Territorium eingeschritten wird. Wiederum bestehen Schwierigkeiten, wenn nicht absehbar ist, welchen räumlichen Verlauf eine Observation nehmen wird. Repressiver Rechtsschutz etwa in Gestalt einer Feststellungsklage richtet sich unproblematisch gegen den Aufenthaltsstaat 110, wenn dieser den ausländischen Beamten konkrete Weisungen erteilt hat und diese danach gehandelt haben. Fehlt die Verantwortlichkeit des Aufenthaltsstaates für eine Handlung der ausländischen Beamten, könnte eine Klage gegen ihn nur auf eine Analogie zu Art. 43 Abs. 2 SDÜ gestützt werden. Wenn danach der Aufenthaltsstaat für Schäden haftet, könnte dies dafür sprechen, ihn auch beim repressiven Primärrechtsschutz als Klagegegner 107 OLG Stuttgart, NStZ 1997, 103 (104); vgl. zur Rechtskraftbindung §§ 325 ZPO, 121 VwGO; das Land Hessen kann auch nicht als Rechtsnachfolgerin angesehen werden, weil es als Zurechnungsadressat des Handelns der ausländischen Beamten Rheinland-Pfalz nachfolgt. 108 So Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 115 (siehe oben B V 1 d) aa)); kritisch dazu Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 160 (dort Fußn. 12), die allerdings zu Unrecht von einer Verdoppelung des Rechtsweges ausgehen; vielmehr hat der Rechtsschutzsuchende die Wahl, gegen welchen Rechtsträger er klagen möchte. 109 Vgl. BVerfGE 77, 170 (207 ff.); ein Ermessen kann der zuständigen Behörde insoweit nicht zugestanden werden, als es um Maßnahmen geht, die ihr selbst nach nationalem Recht verwehrt wären. 110 Zur Berücksichtigung derföderalen Struktur Deutschlands unten 1 c) bb).
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
anzusehen. Allerdings ist der Umfang der Rechtskraft des Urteils ein anderer: Beim Urteil auf Schadensersatz erwächst die Verpflichtung des Staates zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrages in Rechtskraft, die Pflichtverletzung der handelnden Beamten stellt lediglich eine Vorfrage dar, die vom Gericht beantwortet wird. Wird hingegen im Rahmen einer Feststellungsklage ausgesprochen, daß Beamte rechtswidrig gehandelt haben, erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils auf diesen Ausspruch. Zudem ist Art. 43 Abs. 3 SDÜ zu beachten, der eine Ersatzpflicht des Herkunftsstaates für geleistete Schadensersatzzahlungen des Aufenthaltsstaates enthält. Dadurch wird die mögliche Verurteilung zu Schadensersatz materiell kompensiert. Für das Verdikt des rechtswidrigen Handelns durch ein Feststellungsurteil hingegen gäbe es keine Kompensation. bb) Die Anfechtung der Bewilligungsentscheidung Die vorstehenden Überlegungen sprechen dafür, Rechtsschutz gegen die Bewilligungsentscheidung zuzulassen, wenn die Observation als solches unterbunden werden soll. Nur so kann dem verfassungsrechtlichen Gebot wirksamen und klaren Rechtsschutzes entsprochen werden. Die Bewilligung der Observation durch den Staatsanwalt gilt für das gesamte Bundesgebiet111. Aus diesem Grund kommt auch einem Urteil, das die Bewilligung aufhebt, entsprechende Wirkung zu. Es kommt nicht darauf an, welchen Verlauf die Observation im einzelnen nimmt. Zwar greift die Bewilligung als solche noch nicht unmittelbar in Rechte des Betroffenen ein, doch rechtfertigt sich ihre isolierte Anfechtbarkeit mit dem Fehlen wirksamen gerichtlichen Schutzes gegen die Vornahmehandlung. Während bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt erst die Durchführung der Observation Gegenstand einer Klage sein kann und muß, ist die Tätigkeit ausländischer Polizisten der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen. Aus diesem Grund ist die Wirkung der Bewilligungsentscheidung faktisch einschneidender als die rechtlich gleichzubehandelnde Antordnung der Observation gegenüber deutschen Beamten. (1) Die Bewilligungsentscheidung
als Verwaltungsakt
Die Anfechtung der Bewilligungsentscheidung muß vor den Verwaltungsgerichten erfolgen, da die Bewilligungsbehörde insofern nicht als Justizbehörde tätig wird 1 1 2 . Die Bewilligungsentscheidung ist kein Behördeninternum, da sie 111 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 2 der deutsch-luxemburgischen Vereinbarung, BGBl. 1996 II, S. 1203; LR-Schäfer/Boll, vor § 156 GVG Rdnr. 33. 112 OLG Stuttgart, NJW 1990, 3100 f.; OLG Düsseldorf, MDR 1989, 1125; Vogler, NJW 1982, 468 (471); ders., in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr.26; Wilkitzki, in:
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über den Rechtskreis der zuständigen Behörde hinaus einerseits den ersuchenden Staat, andererseits den Betroffenen in seinen Rechten berührt. Sie stellt vielmehr im Verhältnis zu dem von der Rechtshilfe Betroffenen einen Verwaltungsakt dar 113 , der im Wege der Anfechtungsklage angefochten werden kann, wenn nicht Rechtsschutz gegen die Vornahmehandlung selbst erlangt werden kann. Die unterschiedliche Beurteilung im Vergleich zur Auslieferungsbewilligung rechtfertigt sich daraus, daß der Bewilligung der sonstigen Rechtshilfe keine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung vorausgeht 114. Vogler und Lagodny, der eine Anfechtung der Bewilligungsentscheidung vor den Verwaltungsgerichten in den Fällen bejaht, in denen die Vornahmehandlung selbst der gerichtlichen Kontrolle entzogen ist 115 , setzen sich allerdings nicht mit den prozessualen Konsequenzen dieser Einordnung der Bewilligungsentscheidung auseinander: Gemäß § 68 VwGO müßte grundsätzlich ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden; Widerspruch und Anfechtungsklage hätten aufschiebende Wirkung (§ 80 VwGO). Das Widerspruchsverfahren entfällt allerdings, wenn der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde erlassen worden ist. Diese Ausnahmevorschrift könnte hier eingreifen, da nach § 74 Abs. 1 IRG der Bundesminister der Justiz über ausländische Rechtshilfeersuchen entscheidet. Soweit die Ausübung dieser Befugnis auf andere Behörden übertragen worden ist, ergeht die Entscheidug über die Bewilligung der Rechtshilfe gleichwohl im Namen des Bundes 116 . Die Handlungen werden dem Bundesminister der Justiz zugerechnet, aber im Wege der Organleihe von Landesbehörden vorgenommen 117 . Aus diesem Grund entfällt ein Vorverfahren auch dann, wenn im Einzelfall die Bewilligung nicht durch eine oberste Bundes- oder Landesbehörde erfolgt. Hingegen greift hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Bewilligungsentscheidung keiner der Ausnahmetatbestände des § 80 Abs. 2 VwGO ein. In Einzelfällen mag wegen eines besonderen öffentlichen Interesses die Anordnung des Sofortvollzuges zulässig sein. Dieses Interesse könnte mit der besonderen Bedeutung der außenpolitischen Beziehungen zu einem Staat begründet werden.
Vogler/Wilkitzki, IRG, § 60 Rdnr. 7; Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, § 12 Rdnr. 34; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rdnr. 5; LR-Schäfer, § 23 EGGVG, Rdnr. 55. 113 Vogler, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 12 Rdnr. 41; ders., NJW 1982, 468 (470) m.w.N. 114 Vogler, Söllner-FG, S. 595 (603 ff.). 115 Lagodny, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 59 Rdnr. 27. 116 Vogler, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 74 Rdnr. 27. 1,7 Vogler, in: Vogler/Wilkitzki, IRG, § 74 Rdnr. 25; Schomburg, in: Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG § 74 Rdnr. 10; Schomburg/Lagodny, StV 1992, 239 (242).
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
(2) Prüfungsumfang
des Gerichts
Das angerufene Gericht prüft im Rahmen einer Klage gegen das jeweilige Bundesland, ob die ausländischen Beamten die Bestimmungen des SDÜ und des anwendbaren deutschen Rechts beachtet haben. Art. 40 Abs. 1 SDÜ fordert, daß die Observation bereits im Herkunftsstaat begonnen wurde. Er erlaubt die Fortsetzung dieser Observation; die Aufnahme einer Observation auf dem Gebiet eines anderen Staates ist gemäß Art. 40 Abs. 1 SDÜ unzulässig. Mit der Bezugnahme auf eine bereits begonnene Observation stellt das Übereinkommen eine Verbindung zwischen dem Recht des Aufenthaltsstaates und dem Recht des Herkunftsstaates her. Es stellt sich die Frage, ob die Aufnahme der Observation im Nachbarstaat rechtmäßig gewesen sein muß, um den Grenzübertritt zu rechtfertigen. Eine illegale Observation könnte rechtlich als "nicht begonnen" anzusehen sein, so daß deshalb nicht von einer Fortsetzung, sondern von einem Beginn im Aufenthaltsstaat ausgegangen werden müßte. Da das SDÜ keine Rechtmäßigkeitsanforderungen für den Beginn der Observation aufstellt, müßte ein deutsches Gericht, wenn es der obigen Argumentation folgte, die Rechtmäßigkeit der Observation anhand des französischen Rechts beurteilen. Dies wäre zwar völkerrechtlich nicht ausgeschlossen, doch sprechen einige Argumente dagegen. Die Verknüpfung zwischen den beiden Rechtsordnungen ist hier nicht stark genug, um eine solche Ausdehnimg des Prüfungsumfangs des nationalen Gerichts zu rechtfertigen. Das SDÜ bezieht das Recht des Herkunftsstaates der Beamten nicht in in seinen Regelungsgehalt ein. Schließlich könnte in der normalen Konstellation des Rechtshilferechts, in der die Observation an der Grenze durch deutsche Beamte übernommen würde, der Einwand des rechtswidrigen Beginns in Frankreich ebenfalls nicht erhoben werden. Das Trennungsmodell des Rechtsschutzes mit seiner Beschränkung auf den eigenen nationalen Beitrag stünde entgegen. Die Fortsetzung der Observation durch französische Beamte erlaubt keine andere Beurteilung. (3) Rechtsschutzlücke bei Spontanobservationen und Nacheilehandlungen In Fällen der Spontanobservation und Nacheile, in denen eine Bewilligungsentscheidung nicht ergeht, ist angesichts der Kürze der Beeinträchtigung Primärrechtsschutz zur Verhinderung oder Beendigung des Eingriffs faktisch ausgeschlossen. Spätestens fünf Stunden nach Grenzübertritt der observierenden Beamten muß der Aufenthaltsstaat seine Zustimmung zur Observation erteilt haben. Diese kann anschließend gerichtlich angefochten werden. Problematisch wird es allerdings, wenn nachträglich die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bestimmten Maßnahme im Verlauf einer Spontanobservation oder Nacheile begehrt wird, die diskriminierenden Charakter
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hatte 118 . Maßnahmen der deutschen öffentlichen Gewalt liegen in diesen Fällen nicht vor, die unmittelbare Anfechtung der ausländischen Diensthandlungen scheitert an der Immunität der ausländischen Beamten. Nur in Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ist aufgrund der dortigen Polizeigesetze Rechtsschutz zu erlangen. In den übrigen Bundesländern klafft eine Rechtsschutzlücke hinsichtlich des Rechtsschutzes im Aufenthaltsstaat. Der Betroffene müßte insoweit um Rechtsschutz vor den Gerichten des Herkunftsstaates der Beamten nachsuchen. cc) Klagen auf Einschreiten der deutschen Behörden Soweit nicht die Observation als solches, sondern lediglich einzelne Handlungen unterbunden werden sollen, kann der Betroffene gegen die zuständigen deutschen Behörden auf Ausübung ihres Weisungsrechtes nach Art. 40 Abs. 3 lit a) SDÜ klagen. Er kann dazu geltend machen, jedenfalls bei einer längerfristigen Observation oder einzelnen gravierenden Eingriffen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen zu sein. Ein solches Klagebegehren wäre im Bereich der Strafverfolgung nach § 23 Abs. 2 EGGVG geltend zu machen. Jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschriften ist im Einzelfall auch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht ausgeschlossen. Ein Schutzanspruch des Betroffenen bestünde insbesondere gegenüber dem Einsatz unerlaubter technischer Hilfsmittel 119 . d) Sekundärrechtsschutz
vor den Gerichten des Aufenthaltsstaates
Die zweite Fallabwandlung stellt das Begehren um Sekundärrechtsschutz heraus. Gemäß Art. 43 Abs. 2 SDÜ ist der Aufenthaltsstaat verpflichtet, einen Schaden, den ausländische Beamte bei ihrem Einschreiten verursacht haben, so zu ersetzen, wie er ihn ersetzen müßte, wenn seine eigenen Beamten ihn verursacht hätten 120 .
118
Zur Zulässigkeit einer Klage in solchen Fällen BVerwG, Urt. v. 29.4.1997 (1 C 2.95 - bislang nur in Juris veröffentlicht). 119 Zum - wegen Art. 13 GG - unerlaubten Einsatz von Richtmikrophonen zum Abhören von Gesprächen in Vorgärten BGH (Ermittlungsrichter), NJW 1997, 2189 f. 120 Art. 11 EuÜbStl soll hier außer Betracht bleiben, da wohl davon auszugehen ist, daß ein Geschädigter im Zweifel eine Klage gegen den Aufenthaltsstaat vorziehen wird. 19 Harings
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland aa) Rechtsgrundlage im materiellen Recht
Haftungsgrund im Verhältnis zum betroffenen Bürger ist nicht unmittelbar Art. 43 Abs. 2 SDÜ. Die Vorschrift enthält nur eine staatenbezogene Verpflichtung, die innerstaatlich zur Anwendbarkeit nationalen Rechts führt. Anspruchsgrundlagen in Deutschland sind deshalb die Normen des deutschen Staatshaftungsrechts, insbesondere § 839 BGB iVm. Art. 34 GG. Amtspflichtverletzungen können in einem Verstoß gegen individualschützende Bestimmungen des anwendbaren deutschen Rechts und des Schengener Durchführungsübereinkommens bestehen. Nicht gerügt werden kann gegenüber dem Aufenthaltsstaat ein Verstoß gegen das Recht des Herkunftsstaates 121. Dies folgt nicht bereits aus Art. 43 Abs. 2 SDÜ, der den Aufenthaltsstaat verpflichtet, Schäden so zu ersetzen, als ob seine eigenen Beamten gehandelt hätten. Deutsche Beamte sind aber nur an ihr eigenes Recht gebunden, nicht an das des Nachbarstaates. Allerdings wäre bei einer solchen Auslegung auch das Schengener Durchführungsübereinkommen aus dem Kreis der rügefähigen Vorschriften ausgenommen. Ein Ausschluß der Art. 40, 41 SDÜ aus dem Kreis der drittschützenden Vorschriften wäre mit Sinn und Zweck der Norm nicht zu vereinbaren. Teleologische Erwägungen sprechen vielmehr dafür, Art. 43 Abs. 2 SDÜ als "Verweisung" auf die Anspruchsgrundlagen des nationalen Rechts zu verstehen. Die Ausklammerung fremden Rechts aus dem Kreis der rügefähigen Vorschriften folgt dann daraus, daß dem Aufenthaltsstaat für die Einhaltung dieses Rechts keinerlei Verantwortlichkeit zukommt, während er auf die Einhaltung seines eigenen Rechts und des Schengener Durchführungsübereinkommens hinwirken kann und muß. Auch muß jeder Staat nach Maßgabe seines eigenen Rechts für solche Schäden haften, die seine Beamten unter Verstoß gegen die Art. 40 und 41 SDÜ im Ausland verursachen 122. Art. 43 Abs. 1 SDÜ steht dem nicht entgegen, da die Vorschrift nur die Haftung im Verhältnis der Staaten untereinander betrifft. bb) Prozessuale Fragen Zuständig zur Entscheidung über Amtshaftungsansprüche sind gemäß Art. 34 S. 3 GG, § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO die ordentlichen Gerichte 123 . Schwierig-
121
Eine solche Rüge kann jedoch vor den Gerichten des Herkunftsstaates unmittelbar gegen diesen erhoben werden, wenn das Recht dieses Staates extraterritoriale Anwendung beansprucht, vgl. für Deutschland oben 1 b) cc) (1). 122 Dies setzt allerdings voraus, daß Art. 43 Abs. 2 SDÜ nicht im Sinne einer ausschließlichen Haftung des jeweiligen Aufenthaltsstaates verstanden wird. 123 Auch für die landespolizeigesetzlich geregelten Ausgleichsansprüche ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet, vgl. nur §§ 58 BwPolG, 65 ASOG Bin, 70 HSOG, 74
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keiten könnte die Bestimmung des Klagegegners bereiten. Art. 43 Abs. 2 SDÜ verpflichtet zunächst die Vertragsparteien des Übereinkommens, in Deutschland also den Bund, zum Ersatz des entstandenen Schadens. Auf der anderen Seite ist Haftungsgrund allerdings Art. 34 GG iVm. § 839 BGB, so daß die dazu entwickelten Grundsätze zur Bestimmung des Klagegegners zur Anwendung kommen 124 . Der BGH führt aus: "Nach Art. 34 GG trifft die Haftung grundsätzlich diejenige Körperschaft, in deren Diensten der pflichtwidrig handelnde Amtsträger steht. In ständiger Rechtsprechung legt der Senat diese Vorschrift dahin aus, daß sich die Frage nach dem haftenden Dienstherm danach beantwortet, welche Köperschaft dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausübung er fehlsam gehandelt hat, anvertraut hat, wer mit anderen Worten dem Amtsträger die Aufgaben, bei deren Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung vorgekommen ist, übertragen hat. Es haftet daher im Regelfall die Körperschaft, die diesen Amtsträger angestellt und ihm damit die Möglichkeit zur Amtsausübung eröffnet hat. Ob auch die konkrete Aufgabe, bei deren Erfüllung die Amtspflichtverletzung begangen wurde, in den Aufgabenkreis der Anstellungskörperschaft fällt, bleibt dagegen grundsätzlich unbeachtlich.",25 Ist demnach grundsätzlich die Anstellungskörperschaft, für die handelnde Polizei also das Land als Rechtsträger, passivlegitimiert, stellen sich Probleme bereits bei der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Polizeibeamten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Im Falle einer Schadensverursachung durch bayerische Polizeibeamte auf dem Gebiet des Landes Hessen hat das OLG Frankfurt/Main eine Schadensersatzpflicht des Landes Hessen abgelehnt, obwohl § 102 Abs. 2 HSOG 1 2 6 die Maßnahmen der bayerischen Beamten dem Land Hessen zurechnet 127. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Wahrnehmung vollzugspolizeilicher Aufgaben für das Land Hessen nach § 102 HSOG führe nicht dazu, das Land als weiteren Dienstherrn der auswärtigen Beamten anzusehen. Eine Ausnahme will das Gericht nur für den Fall zulassen, daß die Amtspflichtverletzung durch eine konkrete Weisung hessischer Behörden veranlaßt worden wäre 128 . Das Urteil ist in der Literatur zu Recht auf Kritik ge-
RhPfPOG und Art. 73 BayPAG; Übersicht dazu bei Rachor, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, L Rdnr. 36. 124 Vgl. dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 93 ff.; speziell zum Polizeirecht, Treffer, Staatshaftung, S. 109 f., sowie Rachor, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, L Rdnm. 37 ff. 125 BGHZ 99, 326 (330); vgl. auch BGH, VersR 1991, 1135 (1136); NJW 1984, 228; OLG Frankfurt/Main, NVwZ-RR 1995, 553 (554). 126 Wie die entsprechenden Bestimmungen aller übrigen Bundesländer. 127 OLG Frankfurt/Main, NVwZ-RR 1995, 553 (554). 128 Diese Ausnahme steht in Einklang mit der Beurteilung der Amtspflichtverletzung bei rechtswidrigen Weisungen; dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 95. 19*
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stoßen129. Der Aufenthaltsstaat hat nämlich dem auswärtigen Beamten erst die Möglichkeit eröffnet, auf seinem Territorium tätig zu werden 130 . Dies rechtfertigt es, in den Fällen, in denen der Aufenthaltsstaat in seinem Landesrecht eine Zurechnungsvorschrift aufgenommen hat, vom Grundsatz der Haftung der Anstellungskörperschaft abzuweichen und den Aufenthaltsstaat - jedenfalls neben der Anstellungskörperschaft - haften zu lassen. Für Beamte eines anderen Staates ist zunächst festzustellen, daß infolge Art. 43 Abs. 2 SDÜ vor deutschen Gerichten jedenfalls ihr Herkunftsstaat nicht passivlegitimiert wäre. Die Vorschrift beantwortet die Frage nach dem richtigen Klagegegner aber selbst nicht unmittelbar. Aus der Verpflichtung "der Vertragspartei" kann nicht gefolgert werden, daß die Bundesrepublik Deutschland für Amtspflichtverletzungen auswärtiger Behörden hafte. Die Formulierungen im Schengener Durchführungsübereinkommen sind auf die bundesstaatliche Ordnimg der Bundesrepublik Deutschland nicht zugeschnitten, sondern legen aus der völkerrechtlichen Perspektive den Staat als Einheit zugrunde. Nach der vom OLG Frankfurt/Main vertretenen Auffassung beantwortet sich die Frage der Passivlegitimation auch nicht dadurch, daß einige Länder in ihren Polizeigesetzen eine Zurechnung des Handelns auswärtiger Beamter ausdrücklich verankert haben 131 . Das Bundesland, auf dessen Gebiet die schadensstiftende Handlung stattgefunden hat, würde trotz einer entsprechenden Zurechnungsvorschrift im Landesrecht nicht haften. Die in der Literatur herrschende Ansicht 132 würde hingegen eine solche Haftung des Bundeslandes bejahen. Für Amtspflichtverletzungen französischer Beamter in Rheinland-Pfalz wäre dann das Land Rheinland-Pfalz zu verklagen. Diese Ansicht ist vorzugswürdig, da sie allein dem Zweck der landesrechtlichen Zurechnungsvorschrift gerecht wird und zu Rechtsklarheit fuhrt. Problematischer ist die Rechtslage in den übrigen Bundesländern, in deren Polizeigesetzen eine Zurechnungsnorm wie § 86 Abs. 3 RhPfPOG fehlt. Diese könnten nur mit der Überlegung als passivlegitimiert angesehen werden, daß die auswärtigen Beamten anstelle der örtlich zuständigen (Landes-) Behörden handeln, so daß bei der nach Art. 43 Abs. 2 SDÜ anzunehmenden Gleichstellung mit deutschen Beamten das jeweilige Bundesland haften würde. Dafür spricht auch, daß gemäß Art. 40 Abs. 3 l i t ) SDÜ die auswärtigen Beamten den Weisungen der örtlich zuständigen Polizeidienststelle unterliegen. Dies recht-
129 Pointiert Rachor, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, L Rdnr. 39; bereits früher anderer Ansicht Drews/Waeke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 116; ebenso Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 160. 130 Rachor, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, L Rdnr. 39. 131 Vgl. §§ 102 Abs. 3 HSOG, 103 Abs. 3 NGefAG, 86 Abs. 3 RhPfPOG, 91 Abs. 3 SOG LSA, 170 Abs. 2 LVwG SH. 132 Siehe oben Fußn. 129.
II. Grenzüberschreitende Ermittlungen
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fertigt es, trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Zurechnungsvorschrift im Landesrecht dasjenige Bundesland als passivlegitimiert anzusehen, auf dessen Gebiet die Beamten tätig geworden sind. Dieses Ergebnis kann durch eine Völkerrechts- und bundesstaatskonforme Auslegung des Art. 34 GG erreicht werden. Es wäre systemfremd, eine Haftung des Bundes für die ausländischen Beamten zu konstruieren, obwohl die Zusammenarbeit im Rahmen der Art. 39 ff. SDÜ primär auf Länderebene angesiedelt ist 133 . Dem steht nicht entgegen, daß Art. 2 § 6 des Europol-Gesetzentwurfes der Bundesregierung ausdrücklich eine Regreßpflicht des in datenschutzrechtlicher Hinsicht verantwortlichen Landes gegenüber der Bundesregierung ausspricht. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung im Zustimmungsgesetz zum SDÜ kann nicht als Beleg für eine Haftung des Bundes angeführt werden, weil das Bundeskriminalamt als Bundesbehörde an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen der Art. 40, 41 SDÜ nicht unmittelbar beteiligt ist. Hingegen tritt im Anwendungsbereich des Europol-Übereinkommens nach außen nur das Bundeskriminalamt auf, so daß dieses im Außenverhältnis die datenschutzrechtliche Verantwortung trägt und aufgrund dessen unmittelbar Haftungsansprüchen ausgesetzt ist. Für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nach Art. 40, 41 SDÜ (Art. 20, 21 Neapel II-Übk) bleibt festzuhalten, daß Klagegegner einer Amtshaftungsklage in Deutschland das jeweilige Bundesland ist, auf dessen Territorium die schadensverursachende Handlung stattgefunden hat. Da die Durchführung der Observation als solches nach der Rechtsprechung nur in besonders schwerwiegenden Fällen zur Begründung von Schadensersatzansprüchen genügt 134 , kann die Tatsache, daß mehrere Bundesländer im Verlauf der Observation berührt werden, nur selten zu Irritationen führen. Abzustellen ist jeweils auf eine konkrete Verletzungshandlung, bzw. andererfalls auf den Schwerpunkt der belastenden Maßnahme.
2. Rechtsschutz gegen Ermittlungsmaßnahmen durch Europol-Bedienstete Im Vertrag von Amsterdam wird für die Zukunft bereits die operative Tätigkeit von Europol-Bediensteten in den Mitgliedstaaten anvisiert. Beispielsfall 2 soll mögliche Rechtsschutzprobleme beleuchten:
133 Vgl. auch Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 455, sowie von Münch, Das völkerrechtliche Delikt, S. 239 ff, der im Völkerrecht von einer primären Haftung der Gliedstaaten und einer nur sekundären Haftung des Gesamtstaates ausgeht. 134 Vgl. etwa BGHZ 122, 268 (279 f.) zum Ersatz immateriellen Schadens bei Freiheitsentziehungen; LG Deggendorf, NJW-RR 1993, 410 f., sowie AG Freiburg, RDV 1997, 34 m. Anm. Gola, zum Schadensersatzanspruch nach § 7 BDSG.
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
Eine Ermittlungsgruppe Europol-Bediensteter, die sich aus Beamten unterschiedlichster Nationalität zusammensetzt, wird auf deutschem Staatsgebiet tätig. Bei einer - wie zu unterstellen ist - erlaubten Aktion im Unternehmen des A beschädigt einer der Ermittler infolge Fahrlässigkeit ein Firmenfahrzeug des A. Auf einer Pressekonferenz bringt er das Unternehmen des A mit illegalem Handel von nuklearen Substanzen in Verbindung. A begehrt daraufhin Schadensersatz für das beschädigte Auto, Unterlassung der Behauptungen und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aktion Europols in seinem Unternehmen. a) Amtshaftungsansprüche gegen Europol Für die Durchsetzung von Ansprüchen der außervertraglichen Haftung gegen Europol sind die nationalen Gerichte gemäß Art. 39 Abs. 2 und 4 EuropolÜbk nach Maßgabe des EuGVÜ zuständig. Dagegen sprechen aus der Sicht des Individualrechtsschutzes keine grundsätzlichen Bedenken135. Nach den Bestimmungen des EuGVÜ richtet sich die örtliche/internationale Zuständigkeit in erster Linie nach dem Wohnsitz des Beklagten. Art. 53 EuGVÜ stellt den Sitz juristischer Personen dem Wohnsitz natürlicher Personen gleich. Europol besitzt gemäß Art. 26 Abs. 1 und 2 EuropolÜbk Rechtspersönlichkeit als juristische Person. Sie kann daher wegen ihres Sitzes in Den Haag in jedem Fall gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ vor den Gerichten der Niederlande verklagt werden. Eine ausschließliche Zuständigkeit niederländischer Gerichte folgt daraus jedoch nicht 136 . Eine solche Verlagerung des Rechtsschutzes in nur einen Mitgliedstaat, wie sie z.B. für die europäische Flugsicherungsbehörde Eurocontrol vereinbart wurde 137 , ist im Zusammenhang mit der polizeilichen Tätigkeit nicht anzunehmen. Während Eurocontrol nur in begrenztem Umfang und gegenüber bestimmten Personen (Fluggesellschaften) tätig wurde, ist die Tätigkeit von Europol in personeller Hinsicht potentiell allumfassend. Jede Person kann davon betroffen sein. Der Schluß folgt auch nicht aus dem Verweis auf das EuGVÜ, da dieses neben der Grundnorm des Art. 2 noch die besonderen Gerichtsstände kennt. Für Ansprüche aus Verträgen gilt Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Danach kann die Klage auch am Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, erhoben werden. Der Schadensersatzanspruch gemäß Art. 39 Abs. 2 EuropolÜbk, der im deutschen Recht dem Amtshaftunganspruch entspricht, unterfällt in einigen
135 Anders B. Swart, in: Roth, EUROPOL, S. 24, der eine Kontrolle durch internationale Richter "mit Autorität und einem guten Ruf auf dem Gebiet des Schutzes der Menschenrechte" fordert. 136 Zweifelnd Den Boer, CML Rev. 1995, 555 (572). 137 Vgl. BVerfGE 58, 1 (4 f , 41 ff.).
II. Grenzüberschreitende Ermittlungen
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Ländern der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte 138. In Deutschland ist dies aufgrund des Art. 34 S. 3 GG ausgeschlossen. Ob der Amtshaftungsanspruch jedoch unter Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ subsumiert werden kann 139 , hängt von der Qualifikation des zugrundeliegenden Verhaltens des Amtsträgers als öffentlichrechtlich im Sinne des EuGVÜ ab 140 . Selbst wenn man bei isolierter Betrachtung die Anwendbarkeit des EuGVÜ auf Amtshaftungsansprüche ablehnen ablehnen müßte, eröffnet Art. 39 Abs. 4 EuropolÜbk gleichwohl dessen Anwendungsbereich. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bestimmt für unerlaubte Handlungen die Zuständigkeit der Gerichte des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (forum delicti commissi). Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ begründen Handlungs- und Erfolgsort die internationale Zuständigkeit 141 . Handlungsort ist jeder Ort, an dem für den Deliktstatbestand zumindest wesentliche Teilhandlungen verwirklicht werden 142 . Erfolgsort ist grundsätzlich der Ort der primären Rechtsgutsverletzung 143 . Für Europol bedeutet dies konkret: Soweit Handlungen in der Zentrale in Den Haag vorgenommen werden, kann jedenfalls dort am Handlungsort geklagt werden. Sollten ihr zusätzlich Exekutivbefugnisse eingeräumt werden oder sie im Rahmen ihrer aktuellen Befugnisse zur Unterstützung nationaler Behörden in anderen Staaten tätig werden und dabei ein schadensstiftendes Ereignis herbeiführen, sind nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ die Gerichte des betreffenden Staates als Handlungsort zuständig. Wird in den Medien über rufschädigende und ehrverletzende Äußerungen eines EuropolBediensteten berichtet, kann alternativ in allen anderen Staaten geklagt werden, in denen aufgrund dieser Berichte die Ehre des Betroffenen beschädigt ist. 138 Als öffentlich-rechtlich wird der Amtshaftungsanspruch etwa in Frankreich, Griechenland und Luxemburg eingeordnet, vgl. die Aufzählung bei Schwarz, Gerichtsstand, S. 140 f. (dort Fußn. 21). 139 Dafür etwa Geirrter, IZPR, Rdnr. 1527a; anders für den Regelfall aber Kropholler, EZPR, Art. 1 Rdnr. 8; Schlosser, EuGVÜ, Art. 1 Rdnr. 12; Schwarz, Gerichtsstand, S. 138 ff (147). 140 Zur vertragsautonomen Qualifikation EuGH, Slg. 1976, 1551; 1980, 3807; vgl. auch Kropholler, EZPR, Art. 1 Rdnm. 3 ff.; Schlosser, EuGVÜ, Art. 1 Rdnm. 7 ff. 141 EuGH, Slg. 1976, 1735 ff.; dazu etwa Kropholler, EZPR, Art. 5 Rdnm. 55 ff.; ebenso Geimer, IZPR, Rdnm. 1501 ff.; Schach,, IZVR, Rdnm. 294 ff.; MüKo-Gottwald, EuGVÜ, Art. 5 Rdnr. 32; Schwarz, Gerichtsstand, S. 156 ff.; vgl. auch die Rechtsprechung des BGH (etwa in NJW 1990, 1533) zu § 32 ZPO. 142 Schach,, IZVR, Rdnr. 300. 143 Schach, IZVR, Rdnr. 304, vgl. auch das Bsp. Rdnr. 302: Nach einem Verkehrsunfall in Belgien wird der Betroffene schwerverletzt in ein Aachener Krankenhaus eingeliefert, in dem er nach wenigen Tagen stirbt. Erfolgsort ist hier nur Belgien, da Folge- und Spätschäden der ersten Rechtsgutsverletzung außer Betracht bleiben; zur Abgrenzung des Erfolgsortes vom Schadensort, d.h. dem Ort, an dem sich die Rechtsgutsverletzung negativ im Vermögen des Geschädigten auswirkt, vgl. EuGH, Slg. 1995, 415, sowie Geimer, IZPR, Rdnr. 1501 und (mit anderer Terminologie Kropholler, EZPR, Art. 5 Rdnr. 59.
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Erfolgsort bei ehrverletzenden Äußerungen in den Medien ist jeder Vertragsstaat, in dem die Veröffentlichung bestimmungsgemäß verbreitet wird oder zugänglich ist 144 . Hingegen wird der Wohnort des Verletzten nicht als Erfolgsort angesehen, wenn die Verletzung dort keine Verbreitung gefunden hat 145 . b) Ansprüche auf Unterlassung und Widerruf Ansprüche auf Unterlassung und Widerruf werden grundsätzlich von Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ erfaßt 146 . Bei den Ansprüchen gemäß Art. 39 Abs. 3 EuropolÜbk handelt es sich jedoch nicht um privatrechtliche Ansprüche, da Europol innerhalb ihres Aufgabenbereichs hoheitlich tätig wird 1 4 7 . Die Gegenauffassung der Bundesregierung 148 ist vor dem Hintergrund des heutigen Verständnisses hoheitlicher Tätigkeit nicht nachvollziehbar. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH wäre eine hoheitliche Tätigkeit im Sinne des Art. 48 Abs. 4 EGV anzunehmen149. In jedem Fall findet das EuGVÜ über Art. 39 Abs. 4 EuropolÜbk Anwendung. Der Verweis auf die Bestimmungen des EuGVÜ impliziert jedoch nicht automatisch die Zuständigkeit der Zivilgerichte. In Deutschland sind demnach die Verwaltungsgerichte zuständig, soweit nicht der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG beschritten werden muß. Europol kann nämlich sowohl präventiv als auch repressiv tätig werden 150 .
144 Kropholler, EZPR, Rdnr. 58; Schock, IZVR, Rdnr. 303; der allerdings die Verbreitung noch als Handlung ansieht und deshalb eine Zuständigkeit des Handlungsortes in den Staaten annimmt. Einen Erfolgsort gibt es nach seiner Auffassung bei Immaterialgüterverletzungen nicht. 145 Schuck, IZVR, Rdnr. 303, m.w.N, auch für die Gegenansicht. 146 Vgl. Schack, IZVR, Rdnr. 292; Kropholler, EZPR, Art. 5 Rdnr. 52, je m.w.N.; MüKo-Gottwald, EuGVÜ, Art. 5 Rdnr. 31: sogar vorbeugende Unterlassungsklagen. 147 Ebenso Baldus, ZRP 1997, 286 (288); vgl. auch Randelzhofer, Schlochauer-FS, S. 531 (532, 554), Eick/Trittel, EuGRZ 1985, 81 (82 f.), sowie Tomuschat, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 24 Rdnr. 117a, zur gleichgelagerten Diskussion um die Tätigkeit von Interpol; Europol werden jedoch in größerem Umfang Befugnisse eingeräumt. 148 BT-Drs. 13/7391, S. 7: "Hoheitliche Befugnisse werden Europol durch das Übereinkommen nicht eingeräumt"; ebenso die Mitteilung in DRiZ 1997, 148; da Europol im Rahmen der Strafverfolgung und -Verhütung tätig wird und diese Tätigkeiten zweifellos hoheitlicher Natur sind, kann dieser Satz nur dahingehend verstanden werden, daß Europol keine eigenen Ermittlungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten durchführen darf. 149 Vgl. nur EuGH, Slg. 1986, 2121 (2146). 150 Vgl. Art. 2 Abs. 2 EuropolÜbk: "Verhütung und Bekämpfung" von Straftaten.
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c) Feststellung der Rechtswidrigkeit Feststellungsklagen sind als "Minus" im Vergleich zu Klagen auf Unterlassung oder Schadensersatz ebenfalls vor den nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ zu bestimmenden Gerichten zulässig. Es bestehen insoweit keine Besonderheiten. Das Feststellungsinteresse besteht in einem fortdauernden Rehabilitationsinteresse 151. d) Vollstreckungs-
und Sicherungsmaßnahmen gegen Europol
Art. 39 Abs. 4 EuropolÜbk verweist nur hinsichtlich der Zuständigkeit der nationalen Gerichte auf das EuGVÜ. Fragen der Vollstreckung eines nationalen Gerichtsurteils werden von der Konvention ausgeklammert. Den Schutz Europols vor nationalen Vollstreckungsmaßnahmen garantiert Art. 2 Abs. 2 des Immunitätsprotokolls: "Die Vermögensgegenstände, Liegenschaften und Guthaben von Europol genießen Immunität von jeder Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung und jeder sonstigen Form des Zugriffs, gleichviel in wessen Besitz und wo sie sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten befinden." Ebenfalls unverletztlich sind nach Art. 3 des Protokolls die Archive Europols. Darunter fallen nach der Definition des Art. 1 lit g) Immunitätsprotokoll "alle Aufzeichnungen, Schriftwechsel, Schriftstücke, Manuskripte, Computer- und Mediendaten, Fotografien, Filme, Video- und Tonaufzeichnungen, die Europol oder einem Mitglied seines Personals gehören oder von diesen aufgeführt werden, und alle sonstigen gleichartigen Unterlagen, die nach einhelliger Auffassung des Verwaltungsrates und des Direktors einen Teil des Archivs von Europol bilden". Im Ergebnis bedeutet diese weitgehende Immunität Europols, daß Vollstreckungsmaßnahmen gegen sie nur mit Zustimmung des Direktors zulässig sind (Art. 12 Abs. 2, 3 Immunitätsprotokoll). Die Zustimmung eines Organs einer Internationalen Organisation zu Zwangsmaßnahmen gegenüber dieser ist als solches nicht ungewöhnlich. Nach Art. 1 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der EWG vom 8.4.1965 152 dürfen Vermögensgegenstände und Guthaben der Gemeinschaft nur mit Ermächtigung des EuGH Gegenstand von Zwangsmaßnahmen sein 153 . Problematisch ist allerdings, daß im vorliegenden Fall der Direktor als Haupt der Exekutive die Zustimmung erteilen soll. Dadurch entscheidet der Vollstreckungsgegner selbst
151
Vgl. OVG Münster, DVB1. 1995, 373. ABl. 1967 Nr. L 152, S. 13. 153 Vgl. dazu Geiger, EGV, Art. 187 Rdnr. 5; Grabitz, in: ders./Hilf, EGV, Art. 192 Rdnr. 8. 152
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
über die Zulässigkeit der Vollstreckung. Ein echtes Judikativorgan mit umfassender Zuständigkeit, das - wie der EuGH - die Zustimmung erteilen könnte, kennt Europol jedoch nicht 154 . Die zuständige nationale Stelle, die den Antrag auf Immunitätsaufhebung gestellt hat, wird gegebenfalls vom Direktor gemäß Art. 12 Abs. 5 Immunitätsprotokoll konsultiert. Kann in diesem Verfahren keine Einigung erzielt werden, entscheidet letztlich der Rat über die Angelegenheit. Diese Regelung ist zwar Gegenstand berechtigter Kritik, vor dem Hintergrund zurückhaltender Regelungen über die Vollstreckung gegen die öffentliche Hand in den EU-Staaten155 jedoch rechtlich nicht zu beanstanden.
III. Konventioneller Informationsaustausch Der Ausbau der polizei- und zollbehördlichen Zusammenarbeit erfaßt im Bereich des konventionellen Informationsaustausches insbesondere die Informationsübermittlung im Wege der Amts- und Rechtshilfe sowie die Übermittlung von Spontaninformationen (Amtshilfe ohne Antrag). Rechtsschutzkonstellationen sollen anhand des Beispielsfalles 3 dargestellt werden 156 : A gerät auf dem Weg zum Fußballstadion in eine Auseinandersetzung einiger FanGruppen mit der Polizei, ohne selbst Beamte tätlich anzugreifen oder Gewalttaten zu unterstützen. Nach seiner Festnahme reagiert er auf der Polizeiwache aus Verärgerung über das versäumte Fußballspiel zunehmend aggressiv. Als seine Personalien aufgenommen werden, bemerkt ein Polizist, man werde seine Daten an ausländische Polizeistellen übermitteln, um so bereits im Vorfeld einer Veranstaltung Gewalttaten zu unterbinden. Da das nächste Länderspiel in Frankreich bereits bevorsteht, möchte A sofort reagieren und der Polizei eine Weitergabe seiner Daten untersagen. /. Abwandlung: A reagiert auf diese Ankündigung nicht, weil er ihr keine Bedeutung beimißt. Als er zu dem bevorstehenden Länderspiel nach Straßburg reist, wird er dort nach einer Personenkontrolle von der französischen Polizei in Gewahrsam genommen. Er möchte nunmehr die Gerichte in Deutschland anrufen, um die Rechtmäßigkeit der Weitergabe seiner Daten zu prüfen, deren Löschung in Deutschland und Frankreich zu erreichen und Schadensersatz für die Eintrittskarte zu erhalten. 2. Abwandlung: A ist von der französischen Polizei irrtümlich in die Kartei der "Fußballchaoten" eingetragen worden. Seine Personalien sind der Landespolizeidirektion Karlsruhe angesichts eines bevorstehenden Länderspiels in Karlsruhe ohne 154
Die gemeinsame Kontrollinstanz ist nach Art. 27 EuropolÜbk kein Organ Europols; ihre Zuständigkeit ist außerdem auf datenschutzrechtliche Ansprüche begrenzt. 155 Vgl. Sheridan/Cameron , EC Legal Systems, Belgium-7, France-5, Greece-5. 156 Der Fall beschränkt sich auf die polizeiliche Zusammenarbeit; die Zusammenarbeit der nationalen Zollbehörden bleibt im folgenden außer Betracht, da hinsichtlich des Rechtsschutzes gegen der präventivpolizeilichen Tätigkeit keine nennenswerten Unterschiede bestehen.
III. Konventioneller Informationsaustausch
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Anfrage übermittelt worden. Der "unschuldige" A wird vor dem Stadion bei einer Personenkontrolle angehalten und aufgrund der französischen Informationen des Platzes verwiesen. Er möchte nunmehr Ersatz der Eintrittskosten und die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Platzverweises.
1. Rechtsschutz gegen die Datenübermittlung ins Ausland Der vorliegende Fall der Datenübermittlung fällt als Weitergabe von Spontaninformationen unter Art. 46 SDÜ. Im Regelfall ist zur Datenübermittlung die Einschaltung des Bundeskriminalamtes als zentrale Stelle gemäß Art. 46 Abs. 2 S. 1 SDÜ, Art. 6 Nr. 1 lit a) SDÜ-Zustimmungsgesetz vorgesehen. In Eilfällen kann die zuständige deutsche Polizeibehörde jedoch direkt in Kontakt mit der französischen Stelle treten (Art. 46 Abs. 2 S. 2 SDÜ, § 43 Abs. 3 BwPolG). a) Erfolgsaussichten
einer vorbeugenden Unterlassungsklage
Da die Polizei im Beispielsfall präventiv zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur Verhütung von Straftaten tätig wird 1 5 7 , ist in Deutschland der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Statthafte Klageart ist in Gestalt der vorbeugenden Unterlassungsklage die Leistungsklage158; vorläufiger Rechtsschutz steht mit der einstweiligen Anordnung zur Verfügung 159 . Alternativ zur Leistungsklage in der Hauptsache steht die allgemeine Feststellungsklage zur Verfügung 160 . Die Übermittlung personenbezogener Daten ist ein tatsächliches Handeln, dem kein Verwaltungsakt vorgeschaltet ist 161 . Erfolgt sie auf direktem Wege zwischen den Polizeidienststellen, ist Klagegegner einer Unterlassungsklage der Rechtsträger der Polizei, im Beispielsfall das Land Baden-Württemberg. Soll erst die Weitergabe durch das Bundeskriminalamt unterbunden werden, muß der Bund verklagt werden. Unsicherheiten hinsichtlich des Klagegegners lösen 157
Vgl. Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rdnr. 122 a. Die Rechtslage entspricht der oben § 9 II geschilderten steuerrechtlichen Amtshilfepraxis; zu den Rechtsbehelfen dort BFHE 148, 1; FG Düsseldorf, EFG 1991, 711; Stork, DB 1994, 1321 (1325); Kaligin, DStZ 1990, 263 (269); BFH, BStBl. 1987 II, 440, zum Rechtsschutz gegen die Stellung eines steuerlichen Auskunftsersuchens an die britischen Finanzbehörden; Schwochert, RIW 1991, 843 (844), zum Rechtsschutz gegen die Auskunftserteilung auf Antrag einer ausländischen Behörde. 159 Vgl. nur BFH, ZfZ 1995, 389 (390); BStBl. 1988 II, 412. 160 Diese kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit einer bereits erfolgten Übermittlung personenbezogener Daten im Hinblick auf deren zu erwartende Wiederholung rügt. 161 Stork, DB 1994, 1321 (1325). 158
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
sich auf, wenn in jedem Fall der Polizeibehörde, die die Daten erhoben hat, ihre Weiterleitung - einschließlich der innerstaatlichen Weiterleitung an das Bundeskriminalamt - untersagt werden kann. Ein entsprechender Anspruch wird in der Finanzverwaltung im Verhältnis der Finanzämter und Zollfahndungsämter zum Bundesministerium der Finanzen abgelehnt162. Dies mag als Besonderheit innerhalb der Finanzverwaltung hingenommen werden, in der eine so strikte Trennung von Bundes- und Landesverwaltung wie bei der Polizei nicht erfolgt 163 . Es darf jedoch nicht auf das Verhältnis der Polizeibehörden des Bundes und der Länder übertragen werden 164 . Diese haben voneinander abgegrenzte Aufgabenbereiche und sind organisatorisch und institutionell getrennt. Dementsprechend bezieht § 42 Abs. 2 S. 2 BwPolG die Datenübermittlung an Polizeidienststellen des Bundes und anderer Bundesländer ausdrücklich in seinen Regelungsbereich ein. Die Speicherung von Daten beim Bundeskriminalamt vergrößert für den Betroffenen zudem die Gefahr eines Zugriffs durch andere, auch ausländische Behörden. Dies spricht dafür, eine Unterlassungsklage immer gegen die Stelle zu richten, die die Daten erhoben hat, auch wenn eine Übermittlung ins Ausland über das Bundeskriminalamt erfolgt. Vorbeugende Unterlassungsklagen gegen die Erteilung von (Spontan) Auskünften im Steuerrecht haben in den seltensten Fällen in der Sache Erfolg. Auch Spontanauskünfte gemäß Art. 46 Abs. 1 SDÜ werden durch Rechtsbehelfe kaum verhindert werden können. Der Betroffene müßte darlegen, daß die Weitergabe der Information nicht erforderlich (§ 43 Abs. 3 S. 1 Nrn. 2, 3 BwPolG) oder nicht "von Bedeutung" (Art. 46 Abs. 1 SDÜ, § 43 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BwPolG) ist. Dies kann er nur, wenn er materiell den gegen ihn bestehenden Verdacht entkräften kann. Sollte ihm dies gelingen, läge die Datenübermittlung auch nicht mehr im Interesse der Polizei. Im Beipielsfall 3 könnte A demnach eine vorbeugende Unterlassungsklage, verbunden mit dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, gegen das Land Baden-Württemberg erheben. In der Regel scheiden solche Rechtsschutzmöglichkeiten jedoch mangels Kenntnis der gespeicherten Daten oder der beabsichtigten Übermittlung ins Ausland aus.
162
BFHE 148, 1; Stork, DB 1994, 1321 (1325). Vgl. §§1,2 FVG sowie § 9 Abs. 2 S. 1 FVG: Der Oberfinanzpräsident als Leiter der Oberfinanzdirektion ist sowohl Bundes- als auch Landesbeamter; im übrigen fungiert das BMF als bloße Übermittlungsstelle zum Datenaustausch, es unterhält keine eigene Datenbank; zu den Dateien des Bundeskriminalamtes Bäumler, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 646 f. 164 Vgl. Kowalczyk, Datenschutz, S. 66 ff, zur Weitergabe von Daten an eine andere Behörde, die allerdings zu sehr auf das Kriterium der Zweckentfremdung abstellt; dagegen Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 208. 163
III. Konventioneller Informationsaustausch
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b) Repressiver Rechtsschutz Stellt sich nach erfolgter Übermittlung heraus, daß die Daten unrichtig waren (Beispielsfall 3, 1. Abwandlung), kann ihre Löschung oder Berichtigung in Deutschland durchgesetzt werden. Eine Feststellungsklage ist demgegenüber subsidiär 165. Die bereits übermittelten Daten allerdings sind außerhalb des Geltungsbereichs des deutschen Rechts. Datenschutzrechtliche Ansprüche können diesbezüglich nur nach Maßgabe des französischen Rechts in Frankreich geltend gemacht werden. Die Harmonisierung der nationalen Datenschutzgesetze auf der Basis der Datenschutzkonvention des Europarates garantiert insoweit einen Mindeststandard 166. Art. 126 Abs. 2 lit c) SDÜ verpflichtet darüber hinaus die übermittelnde Vertragspartei, der empfangenden Stelle mitzuteilen, wenn fehlerhafte Daten übermittelt worden sind 167 . Diese ist ihrerseits verpflichtet, die empfangenen Daten zu berichtigen, zu löschen oder einen entsprechenden Vermerk anzubringen 168. Die notwendige Kontrolle wird durch die nationale Kontrollinstanz gemäß Art. 128 SDÜ ausgeübt. Wegen dieser Kooperationspflicht kann A auch mit Rücksicht auf die Datenübermittlung ins Ausland keine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit erheben. Seine über die Löschung der in Deutschland gespeicherten Daten hinausgehenden Interessen sind durch die Mitteilungspflicht der deutschen Behörden gewahrt. Auf diese Mitteilung hat A einen Anspruch, den er nötigenfalls gerichtlich durchsetzen kann. Schadensersatzansprüche kann A in der 1. Abwandlung wahlweise in Deutschland oder in Frankreich geltend machen. Frankreich kann sich bei seiner Haftung nach französischem Recht gemäß Art. 126 Abs. 3 lit d) SDÜ nicht darauf berufen, daß Deutschland unrichtige Daten übermittelt habe. Deutschland als übermittelndes Land ist im Falle von Schadensersatzzahlungen gegenüber Frankreich regreßpflichtig. Ziel dieser - aus den Übereinkommen bereits bekannten - Regelung ist es, dem betroffenen Bürger die Rechtsverfolgung zu erleichtern. Dieser kann den letztlich verantwortlichen Staat zur Rechenschaft ziehen, aber auch den Staat, der - "gutgläubig" - seine Rechte verletzt hat. Der Verzicht auf die Exculpationsmöglichkeit ist Ausdruck einer
165
VGH Mannheim, DVB1. 1995, 367; vgl. auch VGH München, CR 1995, 113. Vgl. hinsichtlich der Art. 39 ff. SDÜ auch Art. 129 SDÜ: Beachtung der Grundsätze der Empfehlung R (87) 15 des Ministerausschusses des Europarates. 167 Gemäß Art. 126 Abs. 4 SDÜ ist die Norm insbesondere auf die polizeiliche Zusammenarbeit nach Art. 39 ff. SDÜ anwendbar; ausgeschlossen vom Anwendungsbereich sind hingegen die Bestimmungen zum SIS und zur Kooperation bei Asylverfahren. 168 Ähnliche Bestimmungen sieht das Neapel Ii-Übereinkommen für den konventionellen Informationsaustausch vor (Art. 25 Abs. 1 lit c) und e)). 166
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
einheitlichen Verantwortlichkeit der Staaten für die Kooperation im Sicherheitsbereich.
2. Datenübermittlung nach Deutschland a) Datenübermittlung auf Antrag Bei einer Datenübermittlung im Rahmen der Amtshilfe stellt sich zunächt die Frage, ob bereits das ausgehende Amtshilfeersuchen der deutschen Behörde aufgehalten werden kann. Nach der im Rechtshilferecht herrschenden Ansicht ist dies zu verneinen. Nach neuerer Auffassung, die bereits die Kenntnisnahme von Informationen durch deutsche Behörden als Eingriff wertet 169 , müßte zur Abwehr dieses Eingriffs gerichtlicher Schutz zur Verfügung stehen. Allerdings sind kaum Fallkonstellationen denkbar, in denen vorbeugender Rechtsschutz erfolgreich in Anspruch genommen werden kann 170 . Im Regelfall dürfte es ausreichen, nach erfolgter Datenübermittlung auf Berichtigung oder Löschung zu klagen, zumal der Betroffene von der Stellung eines Amtshilfeersuchens grundsätzlich nicht benachrichtigt wird 1 7 1 . Eine solche Benachrichtigungspflicht muß allerdings bejaht werden, wenn man mit Scheller 172 bereits durch die im Ersuchen mitgeteilten Informationen einen Eingriff in Rechte des Betroffenen sieht. Dies würde den Betroffenen in die Lage versetzen, eine mögliche Rechtsverletzung zu verhindern. Was im Steuerrecht im Bezug auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse praktiziert wird, sollte im sonstigen Amts- und Rechtshilferecht zum Schutz des Persönlichkeitsrechts und der Privatsphäre ebenso beachtet werden. Eine Benachrichtigung dürfte nur entfallen, wenn der Zweck des Ersuchens durch sie vereitelt würde. b) Übermittlung von Spontaninformationen Auch die Kenntnisnahme von Spontaninformationen aus dem Ausland ist nach nationalem Maßstab als Eingriff in die Privatsphäre anzusehen173. Wenn die Weitergabe der Informationen nicht vor dem zuständigen ausländischen Gericht angegriffen werden kann oder soll, ist der Akt der Kenntnisnahme als 169
Vgl. Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, S. 239 f. Vgl. aber zur innerstaatlichen Datenübermittlung OLG Köln, NJW 1994, 1075, das deren nachträgliche Anfechtung nach § 28 Abs. 1 S. 4 EGGVG im Hinblick auf eine zu erwartende neuerliche Übermittlung zuläßt. 171 Zum rechtlichen Gehör bei der Amtshilfe in Steuersachen Schwochert, RIW 1991,843. 172 Ermächtigungsgrundlagen, S. 230 f. 173 Vgl. oben C V 3 a) aa) (1). 170
III. Konventioneller Informationsaustausch
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solcher allerdings nicht zu verhindern. Der Betroffene ist somit auch in der 2. Abwandlung des Beispielsfalles 3 auf die datenschutzrechtlichen Ansprüche auf Löschung oder Berichtigung angewiesen. Hinsichtlich des Platzverweises kann er Feststellungsklage erheben. Schadensersatzansprüche sind alternativ in Deutschland oder Frankreich geltend zu machen. Klagegegner in Deutschland ist der Rechtsträger der handelnden Polizei, hier also das Land Baden-Württemberg 174 . Dieses darf sich gemäß Art. 126 Abs. 3 lit d) SDÜ nicht auf die unrichtige Datenübermittlung durch Frankreich berufen. Steht die Richtigkeit der von Frankreich übermittelten Daten im Streit, ist das angerufene Gericht vollumfänglich zur Nachprüfung des Sachverhalts berechtigt. Es hat sich von der Richtigkeit der Informationen zu überzeugen. Der Hinweis der beklagten Behörde auf entsprechende Kenntnisse der französischen Polizei ist nicht ausreichend 175 . Gesichtspunkte des Rechtshilferechts stehen dieser Annahme nicht entgegen, da die Tätigkeit der deutschen Behörden nicht der Rechtshilfe zuzurechnen ist. Im Streit sind allein die Rechtmäßigkeitsanforderungen an ein eingreifendes Handeln der öffentlichen Gewalt.
3. Ergebnis Der konventionelle grenzüberschreitende Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden wird durch die Art. 39 ff. SDÜ gefordert. Die Rechtsschutzmöglichkeiten verbleiben aber auf einer nationalen Ebene. Die Folgen des Informationsaustausches für den Betroffenen werden einerseits durch Harmonisierung der wesentlichen Datenschutzbestimmungen, andererseits durch einen Ausbau der Datenschutz-Kooperation der Exekutive ausgeglichen176. Die Kontrolle insbesondere der Kooperationspflichten erfolgt jedoch nicht grenzüberschreitend durch die Judikative, sondern durch die jeweils zuständige nationale Kontrollinstanz. Im Zweifelsfall ist der Betroffene demnach gehalten, sich an eine ausländische Behörde zu wenden, um die Verbreitung seiner Daten zu kontrollieren. Die Geltendmachung von Auskunftsrechten im Ausland kann
174
Siehe oben D II 1 c) bb) a.E. So auch VG Berlin, Beschl. v. 6.3.1997, NVwZ-Beilage 9/1997, S. 70, hinsichtlich einer Einreise Verweigerung durch den Bundesgrenzschutz: Der Kläger war wegen Terrorismusverdachts im Fahndungssystem des Grenzschutzes ausgeschrieben; vor Gericht berief sich die Behörde zur Rechtfertigung ihrer Handlung auf Erkenntnisse eines "befreundeten Dienstes"; das Gericht hat diese Argumentation ebensowenig als Rechtfertigung für die Einreiseverweigerung gelten lassen wie die Tatsache der Ausschreibung im Fahndungssystem; es fordert tatsächliche Anhaltspunkte für den geäußerten Verdacht. 176 Art. 126 Abs. 3 SDÜ; dazu oben 1 lit b): Mitteilungspflichten; Verpflichtung, fehlerhafte Daten zu berichtigen, zu löschen oder als fehlerhaft zu kennzeichnen; alternative Haftung der beteiligten Staaten. 175
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
allerdings nach Art. 14 Abs. 2 der Datenschutzkonvention des Europarats 177 von Deutschland aus erfolgen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verweisung Rechtsschutzsuchender an ausländische Rechtsschutzinstanzen dann nicht zu beanstanden, wenn dort "gewissen Mindestanforderungen an Rechtsstaatlichkeit" Rechnung getragen wird 1 7 8 . Die institutionalisierte Kontrolle durch unabhängige Datenschutzinstanzen genügt insoweit einem europäischen Standard 179. Sie ist auch in Deutschland hinsichtlich der Sicherheitsorgane vorgesehen, um den Anpruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle mit der "verfassungsrechtlich gebotenen Sicherstellung eines funktionsfähigen Verfassungsschutzes" in Einklang zu bringen. Die Einschaltung des Datenschutzbeauftragten ist zwar kein voller Ausgleich für Erschwerungen des gerichtlichen Schutzes, "bedeutet aber eine nachhaltige und zum verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ausgleich der Schutzgüter fuhrende Minderung der Belastung des Betroffenen" 180 .
IV. Automatisierter Informationsaustausch Der automatisierte Informationsaustausch im Rahmen der sicherheitsbehördlichen Kooperation findet über die jeweiligen Informationssysteme (SIS, ZIS, Europol-Informationssystem) statt. Rechtsschutz im Rahmen der horizontalen Kooperation soll in erster Linie am Beispiel des Schengener Informationssystems dargestellt werden, das seine Arbeit bereits aufgenommen hat 181 . Hinsichtlich der vertikalen Kooperation wird das Inkrafttreten des Europol-Übereinkommens vorausgesetzt. Folgender Beispielsfall 4 soll mögliche Rechtsschutzfragen illustrieren: Der wegen einiger Drogendelikte vorbestrafte A wird angesichts einer verdachtsunabhängigen Kontrolle in Baden-Württemberg auf seine Personalien überprüft. Durch eine Unachtsamkeit des kontrollierenden Beamten ahnt er, daß zu seiner Person Angaben im SIS (ZIS) gespeichert sind. Er ist von den Niederlanden zur ver177
Art. 14 lautet: (1) Jede Vertragspartei unterstützt Personen, die im Ausland wohnen, bei der Ausübung der Rechte, die ihnen nach dem innerstaatlichen Recht zustehen, das die in Artikel 8 aufgestellten Grundsätze verwirklicht. (2) Eine im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei wohnende Person kann ihren Antrag über die bezeichnete Behörde dieser Vertragspartei stellen. (3) ... (Formerfordemisse des Antrags). 178 BVerfGE 63, 343 (378), zum deutsch-österreichischen Rechtshilfevertrag; siehe auch Rauser, Hoheitsrechte, S. 211 f., zur ausschließlichen Zuständigkeit schweizerischer Gerichte für Klagen der Bewohner der deutschen Exklave Büsingen. 179 Vgl. Henke, Datenschutzkonvention, S. 143, sowie oben C 14 e). 180 OVG Münster, DVB1. 1995, 371 (373). 181 Die entsprechenden Bestimmungen des ZIS-Übereinkommens werden im folgenden in Klammem angegeben, aber nur in Einzelfällen separat erörtert.
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deckten Registrierung nach Art. 99 SDÜ (Art. 5, 6 ZISÜbk) ausgeschrieben worden. Als ihm Angaben dazu von der zuständigen deutschen Behörde verweigert werden, klagt er auf Auskunft und Löschung der zu seiner Person gespeicherten Daten. Er möchte auch gegen Europol vorgehen, das ebenfalls eine Auskunftserteilung ablehnt. 1. Abwandlung: Die zuständige Stelle in den Niederlanden hat A wegen des Verdachts, er habe schwere Straftaten begangen, gemäß Art. 96 Abs. 2 lit b) SDÜ im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben. Aufgrund dessen wird A, der kein Unionsbürger ist, bei der Rückkehr von einer Reise in Deutschland festgenommen. Ein Geschäftstermin platzt und fuhrt zu einem Schaden bei A. Die zuständige deutsche Behörde fühlt sich durch Art. 96 iVm. Art. 23 SDÜ182 zur Ausweisung des A verpflichtet und erläßt diesem gegenüber einen entsprechenden Verwaltungsakt. A möchte gerichtlichen Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen und begehrt außerdem Schadensersatz von der Bundesrepublik Deutschland. 2. Abwandlung: Aufgrund der unrichtigen Dateneingabe Europols/eines anderen Mitgliedstaates erleidet A durch deutsche Behörden einen Schaden, den er ersetzt verlangt.
1. Rechtsschutz gegen Informationseingriffe durch das Schengener Informationssystem (SIS) und das Zollinformationssystem (ZIS) A ist im Beispielsfall 4 zur verdeckten Registrierung ausgeschrieben. Dies entspricht im deutschen Polizeirecht einer Maßnahme nach § 25 BwPolG 183 . Danach kann eine Person "zum Zwecke der Mitteilung über das Antreffen" ausgeschrieben werden, wenn "1. die Gesamtwürdigung der Person und ihrer bisher begangenen Straftaten erwarten lassen, oder 2. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Person künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 Abs. 5) begehen wird und die Mitteilung über das Antreffen zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist". Aufgrund dieser Ausschreibung können der ausschreibenden Polizeidienststelle die anläßlich einer Kontrolle der Zielperson gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere über Begleitpersonen und mitgeführte Sachen übermittelt werden. Nach Art. 99 SDÜ ist eine Ausschreibung zur verdeckten Registrierung nur zulässig zur Verhinderung "außergewöhnlich schwerer Straftaten". Dieser Begriff ist enger als der Begriff der "Straftat mit erheblicher Bedeutung" 184 . Die Ausschreibung 182 Art. 23 Abs. 1 SDÜ lautet: "Der Drittausländer, der die im Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien geltenden Voraussetzungen für einen kurzen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt, hat grundsätzlich unverzüglich das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zu verlassen." 183 Ähnlich § 163 e StPO für den Bereich der Strafverfolgung: "Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung"; dazu Bäumler, in Lisken/Denninger, Polizeirecht, S. 701 ff. 184 Würz, SDÜ, Rdnr. 197; hingegen spricht Art. 5 Abs. 2 ZISÜbk lediglich von "schweren Zuwiderhandlungen gegen einzelstaatliche Rechtsvorschriften". 20 Harings
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
nach Art. 99 SDÜ ermöglicht es der Polizei, ein Bewegungsbild und Persönlichkeitsprofil der Zielperson in allen Schengen-Staaten zu erstellen. Anläßlich von Grenzkontrollen oder sonstigen polizeilichen oder zollrechtlichen Überprüfungen können der ausschreibenden Stelle folgende Informationen nach Art. 99 Abs. 4 SDÜ übermittelt werden: M a) Antreffen der ausgeschriebenen Person oder des ausgeschriebenen Fahrzeugs, b) Ort, Zeit oder Anlaß der Überprüfung, c) Reiseweg und Reiseziel, d) Begleitpersonen oder Insassen, e) benutztes Fahrzeug, f) mitgeführte Sachen, g) Umstände des Antreffens der Person oder des Fahrzeugs." 185 Die Ausschreibung im SIS (ZIS) entspricht einem Amts- oder Rechtshilfeersuchen der Bundesrepublik Deutschland, das auf Durchführung der erbetenen Maßnahme gerichtet ist (Art. 95: vorläufige Festnahme; Art. 96 SDÜ: Einreiseverweigerung; Art. 99 SDÜ: Mitteilung der gewünschten Informationen) 186 . Ausgehend von dieser Charakterisierung sollen nunmehr die Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen untersucht werden. a) Ausgangspunkt: Selbständige Anfechtbarkeit
eines Rechtshilfeersuchens?
Nach der traditionellen Auffassung sind Rechtshilfeersuchen nicht selbständig anfechtbar, da sie nicht unmittelbar die Rechte des Betroffenen tangieren; Maßnahmen des ersuchten Staates beruhten auf einer autonomen Entscheidung dieses Staates und seien dem ersuchenden Staat nicht zurechenbar 187. Abweichend von dieser herrschenden Auffassung bejaht Scheller m die Eingriffsqualität eines Rechtshilfeersuchens gerade im Hinblick auf die Zurechenbarkeit der Maßnahmen des ersuchten Staates und die in dem Ersuchen enthaltenen Informationen über den Betroffenen. Sie müßte infolgedessen die selbständige Anfechtbarkeit von Rechtshilfeersuchen anerkennen. Im Steuerrecht wird ebenfalls wegen der möglichen Offenbarung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen die Anfechtung eines ausgehenden Amtshilfeersuchens für zulässig erachtet 189. Die Anfechtbarkeit von Ausschreibungen im Schengener Informationssystem (Zollinformationssystem) folgt aus der neuen Qualität dieser informationellen Zusammenarbeit. Das automatisierte Verfahren ermöglicht es, nicht ein Ersuchen an einen anderen Staat zu senden, sondern ein Ersuchen an alle Schengen-Staaten zu richten. Infolge der Ausschreibung im SIS (ZIS) sind
185 186 187 188 189
Ähnlich Art. 6 Abs. 1 ZISÜbk. Vgl. oben B II 3 b) bb). Vgl. nur BVerfGE 57, 9 (23). Ermächtigungsgrundlagen, S. 230 ff.; oben C III 1 b) aa). Vgl. oben C III 2).
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diverse Stellen in allen Mitgliedstaaten zugriffsberechtigt, so daß im Vergleich zum üblichen Rechtshilfeersuchen eine um ein Vielfaches breitere Streuung der personenbezogenen Informationen eintritt. Zudem ist die Zurechenbarkeit von Maßnahmen des ersuchten Staates abweichend vom klassischen Rechtshilferecht zu beurteilen. Die strikte Trennimg, die das BVerfG 190 zwischen dem völkerrechtlichen Ersuchen und der fremdstaatlichen Entscheidung über die zu treffende Maßnahme zieht, kann nicht aufrechterhalten werden. Im Regelfall sollte die erbetene Maßnahme von den ersuchten Staaten ohne weiteres vollzogen werden, da bereits der ersuchende Staat die Vereinbarkeit seiner Ausschreibung mit den Bestimmungen des SDÜ und des ersuchten Staates (bei einer Ausschreibung nach Art. 95 SDÜ) geprüft hat 191 . Im Falle einer Ausschreibung zur verdeckten Registrierung nach Art. 99 SDÜ sind die ersuchten Staaten gar nicht zur Überprüfung der Ausschreibung in der Lage, da eine Übersendung von Begleitpapieren wie nach Art. 95 Abs. 2 SDÜ nicht vorgesehen ist 192 . Die Ausschreibung ist demnach weniger Ersuchen als "Handlungsanweisung" oder "Vollzugsanordnung" 193. Die als solche konzipierten Ausnahmetatbestände der Art. 94 Abs. 4, Art. 95 Abs. 3 und Art. 99 Abs. 6 SDÜ bestätigen diese Überlegung 194 . Lehnt ein Staat auf ein herkömmliches Rechtshilfeersuchen hin die erbetenen Maßnahmen ab, braucht er darauf nicht zu reagieren. Untätigkeit geht "zu Lasten" des ersuchenden Staates. Untätigkeit auf eine Ausschreibung im SIS hingegen führt dazu, daß die eigenen Beamten die in der Ausschreibung des fremden Staates bezeichneten Maßnahmen durchführen. Die transnationale Wirkung der Ausschreibung kann nur durch eine Kennzeichnung im nationalen Bestand des SIS ausgeschlossen werden. Letztlich ist aufgrund dieser Überlegungen im Schengener Informationssystem ein "Automatismus" zwischen Ausschreibung und erbetener Maßnahme eines anderen Staates festzustellen. Die Entscheidung des ausländischen Staates ergeht nicht mehr losgelöst vom Rechtshilfeersuchen der Bundesrepublik Deutschland, sondern ist die logische Folge der von der deutschen Hoheitsgewalt ausgelösten Kausalkette. Dies rechtfertigt es, die aufgrund der Ausschreibung ergriffenen Maßnahmen der ausschreibenden Vertragspartei zuzurechnen 195. Es begründet die selbständige Anfechtbarkeit eines "Rechtshilfeersuchens per Computer" 196 .
190
BVerfGE 57, 9 (23). So auch die Argumentation des FG Düsseldorf, EFG 1989, 646 (647), im Hinblick auf ein ausgehendes Ersuchen nach dem EG-BeitreibungsG. 192 Würz, SDÜ, Rdnr. 199; Scheller, JZ 1992, 904 (908). 193 Scheller, JZ 1992, 904. 194 Das ZIS-Übereinkommen enthält im Gegensatz zum SDÜ keine Ausnahmetatbestände; mit der Aufnahme der Daten in das Informationssystem entfaltet der transnationale Charakter der Handlungsanweisung seine Wirkung. 195 Vgl. zu den Kriterien der Zurechnung Cremer, Auslandsfolgen, S. 255 ff. 196 Begriff nach Scheller, JZ 1992, 904. 191
20*
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland b) Prozessuale Fragen aa) Rechtsbehelfe
Gemäß Art. 110 SDÜ hat jeder das Recht, auf seine Person bezogene unrichtige Daten berichtigen oder unrechtmäßig gespeicherte Daten löschen zu lassen. Eine Klage auf Löschung der Ausschreibung ist demnach zur Anfechtung eines Rechtshilfeersuchens im SIS geeignet. Zur Durchsetzung der in Art. 110 SDÜ enthaltenen Rechte verweist Art. 111 SDÜ auf die nach nationalem Recht zuständigen Gerichte oder Behörden. Dem Berichtigungs- oder Löschungsantrag wird in der Regel ein Auskunftsersuchen nach Art. 109 SDÜ (Art. 15 Abs. 1 ZISÜbk) vorgeschaltet sein, das ebenfalls gemäß Art. 111 SDÜ gerichtlich durchgesetzt werden kann. Nach Art. 109 Abs. 2 S. 2 SDÜ (Art. 15 Abs. 2 S. 2 ZISÜbk) unterbleibt die Auskunft jedoch immer während der Ausschreibung zur verdeckten Registrierung 197. Im Beispielsfall 4 wird A demnach mit seinem Auskunftsbegehren keinen Erfolg haben, solange die Maßnahme andauert. Er muß sich darauf verweisen lassen, nach deren Abschluß die Löschung der gespeicherten Daten zu beantragen und eventuelle Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Die Beschränkung des Auskunftsrechts auf die Zeit nach Durchführung der verdeckten Registrierung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden198. Sie entspricht auch den in anderen EUStaaten üblichen nationalen Regelungen, soweit diese gegenüber Sicherheitsbehörden überhaupt ein Auskunftsrecht anerkennen 199. Vor Erteilung der Auskunft hat ein Vertragsstaat, der selbst nicht die Ausschreibung vorgenommen hat, gemäß Art. 109 SDÜ (Art. 15 Abs. 1 UAbs. 3 ZISÜbk) der ausschreibenden Vertragspartei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Eine bindende Wirkung dieser Stellungnahme (engl./franz.: "position") kann nicht angenommen werden. Die Stellungnahme erübrigt sich im Falle einer Verurteilung zur Auskunftserteilung nach Art. 111 SDÜ (Art. 15 Abs. 4
197 Art. 5 Abs. 1 des deutschen Zustimmungsgesetzes zum SDÜ sieht für Ausschreibungen zur verdeckten Registrierung durch deutsche Stellen grundsätzlich eine Benachrichtigungspflicht des Bundeskriminalamtes nach Beendigung der Maßnahme vor. 198 Nach § 25 Abs. 4 BwPolG ist der Betroffene ebenfalls erst nach Beendigung der Maßnahme zu unterrichten; für eine Verfassungswidrigkeit des Art. 109 Abs. 2 SDÜ hingegen Kattau, Strafverfolgung, S. 142. 199 Vgl. § 11 Abs. 1 des österreichischen Datenschutzgesetzes, abgedruckt in: Simitis/Dammann/Mallmann/Reh, Dokumentation-BDSG, D 5.1; Art. 20, 21 des spanischen Gesetzes zur Regelung der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, aaO., D 11.2; Art. 28 des britischen Data Protection Act 1984, aaO. D 18.1; Art. 30 des niederländischen Gesetzes zum Schutz der Privatsphäre im Zusammenhang mit Personenregistrierungen, aaO., D 23.1; Art. 11 des belgischen Gesetzes über den Schutz der Privatsphäre bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, aaO., D 26.1.
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ZISÜbk), da der ausschreibende Mitgliedstaat ein entsprechendes Urteil gegen sich gelten lassen muß. Dieser ist auch in jedem Fall gemäß Art. 106 Abs. 2 SDÜ über das eingeleitete Gerichtsverfahren zu informieren. bb) Zuständigkeit der Gerichte und Klagegegner Die Zuständigkeit der Gerichte bestimmt sich gemäß Art. 111 Abs. 1 SDÜ nach nationalem Recht. Damit ist in Deutschland entscheidend, ob die angegriffene Maßnahme präventiven oder repressiven Zwecken dient. Die Ausschreibung zur verdeckten Registrierung im Beispielsfall 4 dient der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung und damit der Verhinderung künftiger Straftaten, so daß in Deutschland die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte eröffnet ist. Klagegegner einer verwaltungsgerichtlichen Klage ist die Bundesrepublik Deutschland, die durch das Bundeskriminalamt als Zentrale für den nationalen Teil des SIS (Art. 108 SDÜ) vertreten wird, selbst wenn die Ausschreibung durch einen anderen Staat vorgenommen worden ist 200 . Für die Schadensersatzklage in der ersten Abwandlung des Beispielsfalles 4 sind gemäß Art. 116 Abs. 1 SDÜ (Art. 21 Abs. 2 ZISÜbk), Art. 34 S. 3 GG, § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO die ordentlichen Gerichte zuständig. Rechtsgrundlage für eine Haftung ist der Amtshaftungsanspruch des deutschen Rechts (§ 839 BGB iVm. Art. 34 GG). Klagegegner ist auch in diesem Fall die Bundesrepublik Deutschland. Zur Exculpation darf sie sich nicht auf die fehlerhafte Datenübermittlung durch den eingebenden Staat berufen (Art. 116 Abs. 1 S. 2 SDÜ, Art. 21 Abs. 2 UAbs. 2 ZISÜbk). Sie kann bei diesem allerdings Regreß nehmen (Art. 116 Abs. 2 SDÜ) 2 0 1 . cc) Prüfungsumfang der Gerichte Das nach Art. 111 Abs. 1 SDÜ iVm. § 40 VwGO zuständige deutsche Verwaltungsgericht prüft bei einer Löschungsklage gemäß Art. 110 SDÜ, ob Daten "unrechtmäßig gespeichert" worden sind. Dies ist der Fall, wenn die allgemeinen oder die besonderen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Aufnahme in das SIS nach den Art. 94 ff. SDÜ nicht gegeben sind. Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, die für jede Ausschreibungskategorie gelten, sind in Art. 94 SDÜ enthalten. Unzulässig ist demnach z.B. eine Ausschreibung, die nicht
200
Vgl. oben I 1 c). Art. 21 Abs. 3 ZISÜbk sieht für den Regreß der Mitgliedstaaten untereinander ein besonderes Einigungsverfahren vor, in dem der Anteil des eingebenden Mitgliedstaates an der als Entschädigung gezahlten Summe festgelegt wird. 201
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
"erforderlich" im Sinne des Art. 94 Abs. 1 SDÜ ist 202 , oder gemäß Art. 94 Abs. 3 UAbs. 2 SDÜ die Speicherung besonders sensibler Daten im Sinne des Art. 6 S. 1 der Datenschutzkonvention des Europarates. Die besonderen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen sind der jeweils anwendbaren Bestimmung der Art. 95 ff. SDÜ zu entnehmen. Dabei ist zunächst zwischen zwei Ausschreibungskategorien zu differenzieren: Der Ausschreibung kann entweder eine rein interne Verwaltungshandlung oder ein förmlicher nationaler Hoheitsakt zugrundeliegen. Im letzteren Fall ist wiederum danach zu unterscheiden, ob die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen dieses Hoheitsaktes sich nach nationalem Recht 203 oder nach den Bestimmungen des SDÜ 2 0 4 richten. Der Prüfungsumfang des Gerichts ist insbesondere im Hinblick darauf zu bestimmen, daß einer Ausschreibung ein solcher ausländischer Hoheitsakt zugrundeliegen kann, der mittels dieser Ausschreibung transnationale Wirkung entfaltet. Nach dem oben dargestellten klassischen Trennungsmodell des Rechtsschutzes im Rechtshilferecht 205 müßte der Betroffene gegen den zugrundeliegenden Grundakt in dem Staat vorgehen, der diesen Akt erlassen hat 206 . Eine materielle Prüfung dieses Aktes durch die Gerichte des ersuchten Staates fände nicht statt. Es ist zu prüfen, ob dieses Modell auch dem Rechtsschutzsystem im Rahmen des Schengener Informationssystems entspricht. (1) Prinzipale Kontrolle nach Art. Iii
SDÜ
Im Beispielsfall 4 könnte A, wenn er auf andere Weise als durch ein Auskunftsbegehren von einer Ausschreibung in bezug auf seine Person erfährt, Klage auf Löschung seiner Daten erheben. Er müßte dann vortragen, daß die Voraussetzungen für eine Ausschreibung zur verdeckten Registrierung nach Art. 99 Abs. 2 SDÜ (z.B. konkrete Anhaltspunkte für Planung oder Begehung außergewöhnlich schwerer Straftaten in erheblichem Umfang) nicht vorliegen. 202 Art. 94 Abs. 1 S. 2 SDÜ ("Die ausschreibende Vertragspartei prüft, ob die Bedeutung des Falles eine Aufnahme der Ausschreibung in das Schengener Informationssystem rechtfertigt.") betrifft nur das Verhältnis der Vertragsparteien untereinander, entzieht diese Einschätzung jedoch nicht der gerichtlichen Kontrolle. 203 Art. 95 SDÜ setzt das Bestehen eines nationalen Haftbefehls voraus. 204 Vgl. Art. 96 Abs. 2 SDÜ. 205 Vgl. C III 3 a); instruktiv dazu BVerfGE 63, 343 (375 ff.), zum deutsch-österreichischen Rechtshilfevertrag: Die deutschen Gerichte prüfen die nach deutschem Recht für die Anerkennung und Voolstreckung erforderlichen Tatbestandsmerkmale, nicht aber materiell das Bestehen einer Abgabenschuld nach österreichischem Recht; der zugrundeliegende Bescheid muß vor den österreichischen Gerichten angefochten werden; ebenso Groß, JZ 1994, 596 (604), für Rechtsschutz im Rahmen der EGAmtshilfe. 206 Vgl. Schmidt-Aßmann, JZ 1994, 832 (839): "Gerichtsschutz 'pro rata' des jeweiligen Kooperationsbeitrages".
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Diese sind zwar von der ausschreibenden Behörde bejaht worden, doch ist keine entsprechende Entscheidung mit Außenwirkung darüber ergangen. Der Vortrag des A wird deshalb vom Gericht vollumfänglich nachgeprüft werden 207 . Teilt das Gericht seinen Standpunkt, wird es gegenüber dem Beklagten eine Löschungsverpflichtung aussprechen. Problematisch ist, ob dieser Prüfungsumfang beibehalten werden kann, wenn in dem ausschreibenden Staat eine formliche Entscheidung ergangen ist, die über die Ausschreibung im SIS transnationale Wirkung entfalten soll. Erhebt A etwa in der ersten Abwandlung Löschungsklage in Deutschland gegen die niederländische Ausschreibung nach Art. 96 SDÜ, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung gemäß Art. 96 Abs. 2 SDÜ nach der zugrundeliegenden nationalen Entscheidung. Eine isolierte Beurteilung der Ausschreibung ist nicht möglich. Die Entscheidungen der nationalen Behörden oder Gerichte können gemäß Art. 96 Abs. 2 SDÜ auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt werden. Hinsichtlich des Prüfungsumfangs des nach Art. 111 SDÜ angerufenen Gerichts stellt sich die Frage, ob dieses die Tatbestandsmerkmale des Art. 96 Abs. 2 SDÜ einer erneuten materiellen Prüfung unterzieht oder ob es - entsprechend dem klassischen Trennungsmodell - allein das Vorliegen einer nationalen Entscheidung für die Zulässigkeit der Ausschreibung ausreichen läßt. Die Klage nach Art. 111 SDÜ dient der Durchsetzung der datenschutzrechtlichen Primäransprüche. Ihr Gegenstand ist in jedem Fall nur die Ausschreibung, über die alle Schengen-Staaten Zugriff auf die Daten des Klägers haben, nicht der zugrundeliegende Hoheitsakt. Über die Zulässigkeit der Ausschreibung soll allein das nach Art. 111 SDÜ angerufene Gericht entscheiden. Dazu muß es sich als Vorfrage mit der Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Hoheitsaktes auseinandersetzen. W i l l man dem angerufenen Gericht überhaupt eine ernstzunehmende Prüfungskompetenz zusprechen, muß es diese Vorfrage in vollem Umfang überprüfen können. Anderenfalls beschränkte sich seine Prüfungskompetenz darauf, ob die zulässigen Ausschreibungskategorien eingehalten sind und hinsichtlich des Namens der auszuschreibenden Person keine Verwechslung vorliegt. Eine solche Auslegung würde der Bedeutung der datenschutzrechtlichen Klage nicht gerecht. Art. 111 SDÜ soll Rechtsschutz an dem Ort garantieren, an dem eine Person durch eine Ausschreibung nachteilig betroffen ist. Der eröffnete Rechtsschutz muß jedoch im Sinne der europäischen Rechtsschutzgarantien effektiv sein. Die Zulässigkeit einer Ausschreibung im SIS richtet sich nicht nach dem nationalen Recht einer Vertragspartei, sondern nach den Bestimmungen des SDÜ, deren Anwendung der gerichtli-
207
Vgl. auch die oben III 2 b) bereits erwähnte Entscheidung des VG Berlin, NVwZBeilage 9/1997, S. 70, hinsichtlich der Wirkungen einer Ausschreibung im Fahndungssystem des Bundesgrenzschutzes.
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chen Kontrolle des nach Art. 111 SDÜ zuständigen Gerichts unterliegen. Ein Verbot der gerichtlichen Überprüfung fremder Hoheitsakte läßt sich weder dem SDÜ noch allgemeinem Völkerrecht entnehmen208. Die mögliche Präjudizialität 209 einer fremdstaatlichen behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung wird durch Art. 96 Abs. 2 SDÜ aufgehoben, der die Entscheidungsvoraussetzungen normiert und den Zusammenhang zur Ausschreibung herstellt. Art. 96 Abs. 2 SDÜ differenziert nicht danach, ob die Entscheidung von einer Behörde oder einem Gericht ergangen ist, so daß in beiden Fällen der Tatbestand einer erneuten Prüfung unterworfen werden kann. Die Bestandskraftoder Rechtskraftwirkungen der früheren Entscheidung stehen der Prüfung nicht entgegen210, da sie sich nicht auf die transnationale Wirkung beziehen. Durch die gerichtliche Entscheidung nach Art. 110, 111 SDÜ wird der einer Ausschreibung zugrundeliegende Hoheitsakt als solcher nicht beeinträchtigt. Er behält weiterhin seine Gültigkeit. Beseitigt wird lediglich die dem Hoheitsakt durch die Ausschreibung verliehene transnationale Wirkung. Anders als bei der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nach Art. 96 SDÜ ist die Rechtslage bei der Ausschreibung nach Art. 95 SDÜ zu beurteilen. Zwar liegt dem Ersuchen um vorläufige Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung ebenfalls ein selbständiger nationaler Hoheitsakt (Haftbefehl) zugrunde, doch sind dessen Tatbestandsmerkmale einer fremdstaatlichen gerichtlichen Kontrolle entzogen. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Haftbefehls bestimmen sich nach dem jeweiligen nationalen Recht. Für das nach Art. 111 SDÜ angerufene Gericht bedeutet dies bei einer Löschungsklage, daß es nur prüft, ob der Ausschreibung ein Haftbefehl zugrundeliegt. Eine Prüfung des gegen den Verfolgten bestehenden Tatverdachts findet hingegen - dem konventionellen Auslieferungsverfahren entsprechend - in der Regel nicht statt 211 . Der unterschiedliche Prüfungsumfang bei Art. 95 und 96 SDÜ läßt sich noch aus einem anderen Grund rechtfertigen: Die erbetene Maßnahme im Falle des Art. 95 SDÜ hat nur "vorbereitenden Charakter". Die vorläufige Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung soll ein Strafverfahren oder eine Strafvollstreckung im ersuchenden Staat ermöglichen. Dagegen kann sich der Betroffene nach seiner Verbringung dorthin mit den entsprechenden innerstaatlichen Rechtsbehelfen zur Wehr setzen. Im Falle des Art. 96 folgt der erbetenen Maßnahme (Einreiseverweigerung) hingegen kein Akt des ersuchenden Staates
208
Siehe oben C IV 3 c) aa) (2) (b). Zum Begriff Seibert, Bindungswirkung, S. 59. 210 Vgl. zum Problem der "europäischen Tatbestandswirkung" bei transnationalen Verwaltungsakten im EG-Recht Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270 (301). 211 Vgl. Graßhof/Backhaus, EuGRZ 1996, 445 (446); zur Vereinbarkeit einer solchen Beschränkung der richterlichen Prüfungsbefugnis mit Art. 6 EMRK Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnr. 124. 209
IV. Automatisierter Informationsaustausch
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mehr nach. Die vom ersuchten Staat zu treffende Maßnahme ist endgültig, ein weitergehendes Ziel verfolgt auch der ersuchende Staat nicht. Wirksamer Rechtsschutz mit umfassender Prüfungsbefugnis des zuständigen Gerichts muß daher bereits gegen die Ausschreibung einsetzen, die zur Vornahme der erbetenen Handlung führt. (2) Inzidentkontrolle Der Fall in der ersten Abwandlung ist dem Sachverhalt einer Entscheidung des VG Lyon vom 6. April 1995 nachgebildet212. Das Gericht hat darin die Ausweisung zweier Rumänen durch die französischen Behörden mit der Begründung aufgehoben, eine Ausschreibung im SIS nach Art. 96 SDÜ alleine ermögliche keine Aussage über die Existenz und Gültigkeit der zugrundeliegenden deutschen Entscheidung. Es hat demnach für sich in Anspruch genommen, die Voraussetzungen einer Ausweisung nach französischem Recht in vollem Umfang ebenso nachzuprüfen wie die Wirksamkeit des deutschen Verwaltungsaktes. Unklar ist auch hier, ob sich das Gericht auf die Prüfung der Wirksamkeit beschränken muß, oder es den Verwaltungsakt inhaltlich nachprüfen darf. Hinsichtlich einer Ausschreibung im SIS (ZIS) eröffnet Art. 111 Abs. 1 SDÜ (Art. 15 Abs. 4 ZISÜBk) ausdrücklich die prinzipale Kontrolle durch ausländische Gerichte. I m Wege des "erst-recht-Schlusses" kann daraus die Befugnis der Gerichte zur Inzidentkontrolle hergeleitet werden. Anders als gegenüber den an das Informationssystem angeschlossenen Behörden entfaltet eine Ausschreibung gegenüber den Gerichten keine Tatbestandswirkung 213. In der ersten Abwandlung des Beispielsfalles 4 kann A deshalb vor Gericht mit Erfolg einwenden, die Ausschreibung im SIS entbehre einer rechtlichen Grundlage. Das Verwaltungsgericht wird daraufhin, wenn es sich der Ansicht des A anschließt, die Ausweisungsverfügung aufheben. dd) Einstweiliger Rechtsschutz Art. 111 SDÜ beantwortet die Frage nach der Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen nicht. Der Begriff "Klage" darf zwar in einem internationalen Übereinkommen nicht ausschließlich im Sinne des deutschen Prozeßrechts verstanden werden, doch deutet auch die französische Fassung ("action") auf das Hauptsacheverfahren hin. Nach der entsprechenden Vorschrift des ZIS-Über212
Zitiert in EuZW 1995,594. Ebenso VG Berlin, NVwZ-Beilage 9/1997, S. 70, hinsichtlich einer Ausschreibung im Fahndungssystem des Bundesgrenzschutzes; zum Begriff der "Tatbestandswirkung" Clausing , in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rdnr. 38; Kopp, VwGO, § 121 Rdnr. 5, sowie ausf. Seibert, Bindungswirkung, S. 69 ff. 213
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einkommens, Art. 15 Abs. 4, kann jede Person "vor Gericht oder der ... zuständigen Behörde Klage erheben oder gegebenenfalls Beschwerde einlegen" ("intenter une action ou, le cas échéant, déposer une plainte devant les tribunaux ou l'autorité competent ..."/"bring an action or, i f appropriate, a complaint before the courts or the authority competent ..."). Diese Formulierungen sagen ebenfalls nichts über die Befugnis zum Erlaß einstweilger Anordnungen aus. Eine von der Bezeichnung des Rechtsbehelfs zu trennende Frage ist, ob das Klagebegehren eines Betroffenen überhaupt einer vorläufigen Regelung zugänglich ist. Berichtigung, Löschung und Auskunftserteilung sind endgültige Maßnahmen, die nicht ohne weiteres rückgängig gemacht werden können. Hinsichtlich des Berichtigungs- und Löschungsanspruches käme eine vorläufige "Sperrung" oder Kennzeichnung der Daten in Betracht. Solche Maßnahmen sind jedoch weder im Schengener Übereinkommen noch im ZISÜbereinkommen vorgesehen. Aus Art. 94 Abs. 4, Art. 95 Abs. 3 und Art. 99 Abs. 6 SDÜ folgt vielmehr, daß eine Kennzeichnung und damit die vorläufige Nichtanwendung einer erbetenen Maßnahme nur für den Bereich des jeweiligen nationalen Teils des Informationssystems einer Vertragspartei zulässig ist. Allerdings wenden sich diese Normen nur an die vollziehende Gewalt und betreffen das Verhältnis der ausschreibenden Vertragspartei zu den ersuchten Vertragsparteien. Sie schränken die Befugnisse eines Gerichts nicht ein. Das nationale Prozeßrecht kann zur Begründung einer Kompetenz zum Erlaß einstweiliger Anordnungen nicht herangezogen werden. Art. 111 SDÜ verweist nur hinsichtlich der Zuständigkeit der nationalen Instanzen auf das nationale Recht, nicht hinsichtlich der gerichtlichen Entscheidimg. Die Ermächtigung zum Erlaß einstweiliger Maßnahmen nur könnte jedoch als "Minus" gegenüber einer Löschung oder Berichtigung in Art. 110, 111 Abs. 1 SDÜ (Art. 15 Abs. 3 und 4 ZISÜbk) enthalten sein. Die Notwendigkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist nämlich in allen Schengen-Staaten - in unterschiedlicher Intensität - anerkannt 214. Gleichwohl bestehen gegen eine solch großzügige Auslegung des Art. 111 SDÜ Bedenken hinsichtlich der Entscheidungswirkungen auf den ausschreibenden Staat, wenn dieser nicht mit dem Gerichtsstaat identisch ist. Vollzogen werden im Ausland nach Art. 111 Abs. 2 SDÜ (Art. 15 Abs. 4 UAbs. 2 ZISÜbk) "unanfechtbare Entscheidungen" ("décisions définitives"/"final décisions") der zuständigen Gerichte und Behörden. Die französische und in noch stärkerem Maße die englische Fassung der Vorschrift könnten auch als endgültige Entscheidungen im Sinne von unanfechtbaren Entscheidungen in der Hauptsache verstanden werden. Es wäre nur schwer verständlich, einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz mehr Bedeutung beizumessen als einer - wenngleich anfechtbaren - Entscheidung in der Haupt-
214
Vgl. oben C 14 b).
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sache. Grenzüberschreitende Wirkung entfaltet bei der hier vertretenen Auslegung nur eine letztlich verbindliche Entscheidung, die eine klare Rechtslage herbeiführt. Vorläufige Entscheidungen stehen jedoch immer unter dem Vorbehalt einer entgegengesetzten Hauptsacheentscheidung. Da Art. 111 Abs. 2 SDÜ zu Souveränitätseinbußen der betroffenen Staaten führt, ist die Vorschrift im Zweifel restriktiv auszulegen. Es ist nicht anzunehmen, daß die Staaten ausländische Eilentscheidungen akzeptieren würden, die möglicherweise inhaltlich über das hinausgehen, was die eigenen Gerichte anordnen können. Im Ergebnis ist daher eine Befugnis der nationalen Gerichte zum Erlaß einstweiliger Anordnungen im Hinblick auf die Informationssysteme ausgeschlossen. ee) Die Durchsetzbarkeit der gerichtlichen Entscheidung Das Gericht kann eine Ausschreibung im SIS nicht selbst aufheben, sondern lediglich die Bundesrepublik Deutschland als Beklagte, dazu verpflichten. Hat das Bundeskriminalamt als zentrale Stelle für Deutschland die Ausschreibung vorgenommen, trifft dieses auch die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit. Es ist gemäß Art. 106 SDÜ zur Änderung, Ergänzung, Berichtigung und Löschung der Daten befugt. Die Löschung eines Datums in Deutschland führt über den Abgleich des nationalen Teils des SIS mit dem zentralen Bestand der technischen Unterstützungseinheit in Straßburg dazu, daß die Daten im gesamten SIS gelöscht werden. Die Bundesrepublik Deutschland ist entsprechend dem nationalen Verwaltungsprozeßrecht verpflichtet, die gerichtliche Entscheidung zu befolgen. Nötigenfalls kann das Urteil vollstreckt werden 215 . Schwieriger gestaltet sich die Durchsetzbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung, wenn die Bundesrepublik Deutschland zur Löschung von Daten verurteilt wurde, sie aber nicht die ausschreibende Vertragspartei ist. Gemäß Art. 106 Abs. 1 SDÜ ist sie in einem solchen Fall nicht zur Löschung befugt. Darüber soll Art. 111 Abs. 2 SDÜ hinweghelfen: "Unbeschadet des Artikels 116 verpflichten sich die Vertragsparteien, unanfechtbare Entscheidungen der Gerichte oder Behörden nach Absatz 1 zu vollziehen."216 Durch diese Bestimmung scheint zunächst sichergestellt, daß das Urteil eines nationalen Gerichts auch in einem anderen Staat vollzogen wird. Die Schwäche dieser Formulierung zeigt sich jedoch am Vergleich mit anderen Bestimmungen zur grenzüberschreitenden Wirkung eines Urteils. Art. 26 EuGVÜ lautet:
215 216
Vgl. nur Kopp, VwGO, § 172 Rdnr. 10. Ähnlich Art. 15 Abs. 4 S. 2 ZISÜbk.
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"Die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Vertragsstaaten anerkannt, ohne daß es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf." 217 Art. 26 EuGVÜ stellt damit nicht auf die völkerrechtliche Verpflichtung der Vertragsstaaten ab, sondern setzt diese bereits voraus und regelt die transnationale Wirkung des Urteils selbst. Art. 116 Abs. 2 SDÜ bleibt in seinem Regelungsgehalt dahinter zurück. Er entspricht in seiner Ausgestaltung als völkerrechtliche Verpflichtung eher Art. 53 EMRK. Nach dieser Vorschrift übernehmen die Vertragsstaaten der EMRK die Verpflichtung, "in allen Fällen, an denen sie beteiligt sind, sich nach der Entscheidung des Gerichtshofs zu richten." Ein Urteil des EGMR kann einen innerstaatlichen Hoheitsakt nicht aufheben, sondern begründet nur eine entsprechende Verpflichtung des Vertragsstaates 218. Allerdings ist kein Fall bekannt, in dem sich ein verurteilter Staat seiner Verpflichtung endgültig entzogen hätte 219 . Zwar mag die Autorität eines anerkannten internationalen Gerichtshofs wie des EGMR einen größeren Befolgungsdruck auslösen als das Urteil eines nationalen Gerichts, doch muß auch für Art. 111 Abs. 2 SDÜ davon ausgegangen werden, daß die Staaten ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllen werden. c) Ergebnis Die grundlegenden Rechtsschutznormen in bezug auf die Informationssysteme, Art. 111 Abs. 1 SDÜ und Art. 15 Abs. 4 UAbs. 1 ZISÜbk, gewährleisten Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten eines jeden Vertragsstaates. Der Betroffene ist trotz des grenzüberschreitenden Datentransfers nicht gezwungen, in einem anderen Land zu klagen. Der Prüfungsumfang des jeweils zuständigen nationalen Gerichts garantiert eine wirksame Nachprüfung des der Ausschreibung zugrundeliegenden Sachverhalts. Hervorzuheben ist, daß das Trennungsmodell des Rechtsschutzes partiell außer Kraft gesetzt wird. Probleme bereitet der Ausschluß einstweiligen Rechtsschutzes. Dieses Defizit wiegt allerdings insofern weniger schwer, als der bedeutendste Anwendungsfall, das Auskunftsbegehren, seiner Natur nach einer vorläufigen Regelung nicht zugänglich ist. Zudem ist in anderen europäischen Ländern deutliche Zurückhaltung gegenüber gerichtlichen Eingriffen in die polizeiliche Aufgaben-
217
Auch die Gemeinschaftsmarkenverordnung der EG verweist hinsichtlich der Wirkungen des Urteils eines nationalen Gemeinschaftsmarkengerichts auf die Bestimmungen des EuGVÜ, vgl. oben B V 2 c) bb) (2). 218 Frowein/Peukert, EMRK, Art. 53 Rdnm. 3 ff; Kilian, Bindungswirkung, S. 199 ff. 219 Frowein/Peukert, EMRK, Art. 53 Rdnr. 1.
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erfüllung zu beobachten220. Dies rechtfertigt es, einen gegenständlich begrenzten Verzicht auf einstweiligen Rechtsschutz hinzunehmen, der zudem durch die ständigen Kontrollbefugnisse der Datenschutzbehörden kompensiert wird. Das Übereinkommen verleiht nationalen Gerichtsentscheidungen zwar nicht unmittelbar transnationale Wirkungen, doch verpflichten sich die Mitgliedstaaten gegenseitig, die Entscheidungen der Gerichte zu vollziehen. Diese Konstruktion einer völkerrechtlichen Verpflichtung mag man kritisieren, doch scheint nach den bisherigen Erfahrungen mit solchen Verpflichtungen im Rahmen der EMRK die Befolgung der Urteile dadurch sichergestellt. Auch im Hinblick auf die Informationssysteme des Schengener-Übereinkommens und des ZIS-Übereinkommens wird demgemäß der verfassungsrechtlich geforderte Rechtsschutz sichergestellt.
2. Rechtsschutz gegen Europol Die Grundzüge des Rechtsschutzsystems der Europol-Konvention in Bezug auf Informationseingriffe sind bereits in § 4 dieser Arbeit vorgestellt worden. Nunmehr soll anhand des Beispielsfalles 4 geprüft werden, ob der gewährleistete Rechtsschutz den verfassungsrechtlich geforderten Anforderungen genügt. Zu differenzieren ist zwischen der Durchsetzung datenschutzrechtlicher Ansprüche vor der gemeinsamen Kontrollinstanz und Klagen betreffend die außervertragliche Haftung unter Einschluß der Ansprüche auf Unterlassung und Widerruf 221 vor den nationalen Gerichten. a) Verfahren
vor der gemeinsamen Kontrollinstanz
Datenschutzrechtliche Ansprüche gegen Europol sind vor der gemeinsamen Kontrollinstanz geltend zu machen. aa) Verfahrensablauf Gegen die Ablehnung der Auskunftserteilung durch Europol kann A im Beispielsfall 4 gemäß Art. 19 Abs. 6 EuropolÜbk die gemeinsame Kontroll-
220 Vgl. für Frankreich oben C I 4 b); für England Dickson , in: Hadfield, Judicial Review, S. 187 ff. 221 Klagen hinsichtlich der vertraglichen Haftung sollen im folgenden ausgespart bleiben.
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instanz anrufen 222 . Vorgaben für die Entscheidungsfindung der gemeinsamen Kontrollinstanz enthält Art. 19 Abs. 7 EuropolÜbk: Da im Beispielsfall die Daten von einem Mitgliedstaat an Europol übermittelt wurden, trifft die gemeinsame Kontrollinstanz ihre Entscheidung nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem der Antrag eingereicht wurde. Für die Entscheidung maßgeblich wäre im vorliegenden Fall demnach deutsches Recht. § 19 BDSG sieht eine Mitteilung über die gespeicherten Daten grundsätzlich vor, so daß der Auskunftsanspruch gegenüber Europol ebenfalls ein Recht auf Mitteilung der gespeicherten Daten beinhaltet, wenn nicht einer der Ausnahmetatbestände des Art. 19 Abs. 3 EuropolÜbk erfüllt ist und deswegen das Individualinteresse an der Auskunftserteilung zurücktreten muß. Auch die ablehnende Stellungnahme eines Mitgliedstaates, der durch die Auskunftserteilung unmittelbar betroffen ist, kann einer Mitteilung der gespeicherten Daten entgegenstehen. Das grundsätzlich anwendbare nationale Recht wird insoweit modifiziert. Die gemeinsame Kontrollinstanz entscheidet nicht alleine über die Beschwerde des A, sondern konsultiert das zuständige Gericht oder die nationale Kontrollinstanz des Mitgliedstaates, von dem die Daten stammen. Die nationale Instanz führt in der Regel die notwendigen Überprüfungen durch. Sie trifft die tatsächlichen Feststellungen zu den Art. 19 Abs. 3 und 4 EuropolÜbk. Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht durch die gemeinsame Kontrollinstanz "in engem Benehmen" mit der nationalen Instanz. Sie ist gegenüber allen betroffenen Parteien rechtskräftig. bb) Zusammensetzung und Aufgaben der gemeinsamen Kontrollinstanz (1) Allgemeine Vorschriften Gemäß Art. 24 Abs. 1 EuropolÜbk wird eine unabhängige gemeinsame Kontrollinstanz eingerichtet, um zu überprüfen, ob bei der Datenverarbeitung durch Europol Rechte von Personen verletzt werden. Die gemeinsame Kontrollinstanz ist daneben zuständig für Anwendungs- und Auslegungsfragen der datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Übereinkommens hinsichtlich der Tätigkeit von Europol. Sie kann von jeder Person eingeschaltet werden, um die Zulässigkeit und Richtigkeit einer etwaigen Erhebung, Speicherung Verarbeitung und Nutzung von sie betreffenden Daten zu überprüfen (Art. 24 Abs. 4 EuropolÜbk). Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen des Übereinkommens macht die gemeinsame Kontrollinstanz durch "Bemerkungen" gegenüber dem Direktor von Europol geltend. Sie fordert ihn auf, innerhalb einer bestimmten Frist auf die Bemerkungen zu antworten, und kann gegebenenfalls den Verwaltungsrat mit einem Problem befassen (Art. 24 Abs. 5 EuropolÜbk). 222
Vgl. oben B III 2 e) aa) (3).
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Der Direktor ist allerdings nicht verpflichtet, den in den Bemerkungen festgestellten Mißständen abzuhelfen. Verbindlich sind nur die Entscheidungen über Beschwerden nach Art. 19 Abs. 7 und 20 Abs. 4 EuropolÜbk. Dies ist über die allgemeine Pflicht Europols hinaus, die gemeinsame Kontrollinstanz zu unterstützen, in Art. 24 Abs. 2 Ziff. 3 und Abs. 7 EuropolÜbk geregelt. Die gemeinsame Kontrollinstanz setzt sich zusammen aus höchstens zwei Mitgliedern jeder nationalen Kontrollinstanz, die für fünf Jahre durch einen Mitgliedstaat ernannt werden 223 . Hinsichtlich ihrer Eigenschaften und ihrer Tätigkeit fordert das Übereinkommen: "Sie bieten jede Gewähr für Unabhängigkeit und besitzen die nötige Befähigung ... Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nehmen die Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz von keiner Behörde Weisungen entgegen."224 (2) Der Ausschuß nach Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk (Beschwerdeausschuß) Der für die Prüfung von Beschwerden nach Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk zuständige Ausschuß setzt sich aus jeweils einem Mitglied jeder nationalen Delegation in der gemeinsamen Kontrollinstanz zusammen. Das Verfahren vor der gemeinsamen Kontrollinstanz wird in einer Geschäftsordnung geregelt, die sich die Kontrollinstanz durch einstimmigen Beschluß gibt. Die Prüfung von Individualbeschwerden durch den Ausschuß kann nach Art. 24 Abs. 7 S. 4 EuropolÜbk in jeder geeigneten Weise stattfinden. Nicht eindeutig ist, ob der Ausschuß allein für die Prüfung der Beschwerden zuständig ist oder auch die abschließende Entscheidung trifft. Art. 24 Abs. 2 Ziff. 3 EuropolÜbk spricht ebenso von "Entscheidungen der gemeinsamen Kontrollinstanz" wie nach den Art. 19 Abs. 7 und 20 Abs. 4 Beschwerde bei der "gemeinsamen Kontrollinstanz" eingelegt werden kann. Gleichwohl ist davon auszugehen, daß der Ausschuß nach Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk für die Prüfung und Entscheidung von Individualbeschwerden zuständig ist, auch wenn nach außen die Entscheidungen als von der gemeinsamen Kontrollinstanz getroffen ergehen. Dafür spricht die Systematik des Art. 19 Abs. 7 EuropolÜbk, der zunächst von der gemeinsamen Kontrollinstanz als Einheit ausgeht und sich dann dem Beschwerdeausschuß zuwendet. Der abschließende Satz ("Die in diesem Rahmen getroffenen Entscheidungen ...) knüpft unmittelbar an die Vorschriften über den Ausschuß an. Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk wäre dann als eine gesetzliche Geschäftsverteilungsregelung innerhalb der gemeinsamen Kontrollinstanz anzusehen. Für eine synonyme Bedeutung der Begriffe "prüfen" und "entscheiden" spricht auch
223 Nach Art. 24 Abs. 1 S. 5 EuropolÜbk hat jede Delegation, auch wenn sie sich aus mehreren Mitgliedern zusammensetzt, bei Abstimmungen nur eine Stimme. 224 Art. 24 Abs. 1 EuropolÜbk.
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Art. 19 Abs. 7 EuropolÜbk. Nach dieser Vorschrift wird die Beschwerde von der gemeinsamen Kontrollinstanz geprüft. Ein Widerspruch zu Art. 24 Abs. 7 S. 4 EuropolÜbk, wonach der Ausschuß die Beschwerden prüft, kann nur dadurch vermieden werden, daß in diesen Fällen der Ausschuß für die gemeinsame Kontrollinstanz handelt. Schließlich spricht gegen eine Trennung von Prüfungs- und Entscheidungskompetenz, daß Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk nicht regelt, wie sich die Feststellungen des Ausschusses auf die Entscheidungen der Kontrollinstanz auswirken sollten (bindende Stellungnahme, Entscheidungsvorschlag etc.). Im Ergebnis ist deshalb davon auszugehen, daß die Entscheidungen der gemeinsamen Kontrollinstanz über Individualbeschwerden durch den Beschwerdeausschuß nach Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk getroffen werden. cc) Gerichtsqualität der gemeinsamen Kontrollinstanz? Im zweiten Teil der Arbeit ist das Erfordernis des "Gerichtsschutzes" als ein Qualitätsmerkmal des verfassungsrechtlich und völkerrechtlich geforderten Rechtsschutzes in Deutschland herausgestellt worden. Es muß deshalb geprüft werden, ob die gemeinsame Kontrollinstanz die Anforderungen an ein Gericht erfüllt, wie sie insbesondere Art. 6 EMRK aufstellt. Sie ist dabei als Ganzes zu untersuchen und nicht lediglich hinsichtlich des Beschwerdeausschusses, da dieser organisatorisch nicht vom übrigen Teil der Kontrollinstanz getrennt ist. Besonderheiten der gemeinsamen Kontrollinstanz ergeben sich ferner daraus, daß Gegenstand ihrer Kontrolle die Akte einer Internationalen Organisation sind. Sie ist insofern nicht mit den mitgliedstaatlichen Gerichten vergleichbar. Doch haben die Vertragsstaaten der Europol-Konvention andererseits bewußt auf die Schaffung eines neuen internationalen Gerichts verzichtet und stattdessen eine unabhängige Instanz mit quasi-richterlichen Befugnissen geschaffen. Diese kann nach den Maßstäben des Art. 6 EMRK gleichwohl als "tribunal" den Anforderungen an ein Gericht entsprechen. Insofern sind als Vergleichsobjekte einerseits doch die großen internationalen Gerichte wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der Internationale Gerichtshof zu nennen, andererseits aber auch die Verwaltungsgerichte der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation 225 , da die gemeinsame Kontrollinstanz zur Kontrolle der öffentlichen Gewalt berufen ist. Zu den an ein internationales Gericht zu stellenden Anforderungen hat das Bundesverfassungsgericht bei der Beurteilung des Verwaltungsgerichts der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) ausgeführt 226: 225 Zu diesen insbesondere Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 127 ff., und Tomuschat, EPIL II, S. 1108. 226 BVerfGE 59, 63 (91 f.); vgl. auch VGH Mannheim, ESVGH 30, 20 (25).
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"Das Verwaltungsgericht der IAO ist ein echtes Rechtsprechungsorgan. Es ist durch völkerrechtlichen Akt errichtet und entscheidet aufgrund rechtlich festgelegter Kompetenzen und zufolge eines rechtlich geordneten Verfahrens ausschließlich nach Maßgabe von Rechtsnormen und Rechtsgrundsätzen die ihm unterbreiteten Verfahrensgegenstände. Seine Richter sind zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verpflichtet (...); daß sie dieser Verpflichtung generell oder im Fall des Beschwerdeführers nicht gerecht würden, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich. Der Zugang zum Gericht ist auch nicht in unzumutbarer Weise erschwert (...); Erschwerungen, die sich aus der Entfernung von dem Sitz des Gerichts und aus der Verfahrenssprache ergeben, sind für die Betroffenen ... zumutbar. Das Verfahrensrecht des Gerichts gewährleistet rechtliches Gehör und ein Mindestmaß an prozessualer Gleichheit der Beteiligten (...)." (1) Errichtungsakt Der Errichtung eines Gerichts durch Gesetz entspricht im internationalen Maßstab die Errichtung aufgrund völkerrechtlicher Normen 227 . Die Einrichtung der gemeinsamen Kontrollinstanz wird im Europol-Übereinkommen selbst geregelt. Gemäß Art. 19 Abs. 6, Art. 20 Abs. 4 und 24 Abs. 4 EuropolÜbk kann jede Person die gemeinsame Kontrollinstanz anrufen, um die Rechtmäßigkeit der Speicherung, Erhebung, Verarbeitung und Nutzung sie betreffender Daten überprüfen zu lassen. Die gemeinsame Kontrollinstanz entscheidet über Individualbeschwerden mit bindender Wirkung gegenüber Europol und dem Antragsteller (Art. 24 Abs. 2 Ziff. 3 und Abs. 7 S. 6 EuropolÜbk). Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk bestimmt darüberhinaus, daß der Ausschuß die Beschwerden "in jeder geeigneten Weise" zu prüfen und die Parteien auf Verlangen anzuhören hat. Die Einzelheiten des Verfahrens dürfen in der Geschäftsordnung geregelt werden 228 , da die konstituierenden Merkmale 229 in der Konvention enthalten sind 230 . Wesentliche Regelungsgegenstände in diesem Sinn sind das Zugangsrecht, die Sicherung des rechtlichen Gehörs und die Befugnisse der Kontrollinstanz gegenüber Europol. (2) Rechtsprechungstätigkeit (a) Die Kontrollinstanz als Aufsichts- und Judikativorgan Materielle Rechtsprechungstätigkeit liegt sicherlich hinsichtlich der Entscheidungen des Ausschusses über Individualbeschwerden nach Art. 19 Abs. 7 227
Vgl. BVerfGE 59, 63 (91); Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 158. Nach Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk gibt sich die gemeinsame Kontrollinstanz durch einstimmigen Beschluß eine Geschäftsordnung, die vom Rat einstimmig gebilligt werden muß; aufgrund dieses Billigungserfordemisses durch den Rat steht der Rechtsnormcharakter der Geschäftsordnung außer Zweifel; allgemein zum Innenrecht Internationaler Organisationen Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rdnm. 1501 ff., Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 158 ff. 229 Dazu Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 189 f. 230 Vgl. oben C I 3 a) aa). 228
21 Harings
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und 20 Abs. 4 EuropolÜbk vor 2 3 1 . Der Ausschuß beurteilt anhand der Normen des Übereinkommens 232 das Verhalten Europols gegenüber dem betroffenen Bürger. Er entscheidet auf Antrag eines Betroffenen als neutrale dritte Instanz zwischen den streitenden Parteien. Seine Entscheidung ist letztverbindlich 233 . Rechtsmittel dagegen sind nicht möglich 234 . Auch die nicht dem Beschwerdeausschuß angehörigen Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz sind nach dem Übereinkommen unabhängig und keinerlei Weisungen unterworfen. Ihre Tätigkeit kann jedoch nicht der Rechtsprechung zugeordnet werden. Für die gutachterliche Tätigkeit nach Art. 24 Abs. 3 des Übereinkommens fehlt es bereits an der Verbindlichkeit ihrer Entscheidungen. Ebenso sind die an den Direktor von Europol gemäß Art. 24 Abs. 5 EuropolÜbk gerichteten Bemerkungen nicht verbindlich. Dies könnte einer Einordnung der gemeinsamen Kontrollinstanz als gerichtlicher Institution entgegenstehen. Auf der anderen Seite üben die nicht dem Beschwerdeausschuß angehörigen Mitglieder der Kontrollinstanz keinerlei Exekutivbefugnisse aus, sondern sind ebenfalls überwachend gegenüber Europol tätig. Ihre Befugnisse sind lediglich weniger weitreichend. Die Kombination von Aufsichts- und Judikativbefugnissen steht nach deutschem Recht der Einordnung als Gericht entgegen, wenn man das Wesen eines Gerichts auch dadurch charakterisiert, daß es nur auf Antrag tätig wird. Sie begegnet aber vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK als solches keinen Bedenken. Entscheidend ist allein, daß die Mitglieder eines "tribunal" nicht der Exekutive zugeordnet werden können und so die Gefahr oder der bloße Schein einer Interessenverflechtung nicht besteht235. Diese Voraussetzung erfüllt die gemeinsame Kontrollinstanz 236 . (b) Bindung an mitgliedstaatliche Stellungnahmen Probleme wirft die Festlegung des für die Entscheidung über eine Auskunftserteilung maßgeblichen Rechts auf. Im Grundsatz ist Art. 19 Abs. 3
231
Vgl. oben C I 2 a) bb). Zum Kriterium des Rechts als Entscheidungsmaßstab Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 142. 233 Zu diesem Kriterium oben C I 2 a) dd) sowie 3 a) bb); vgl. auch Tomuschat, EPIL II, S. 1111. 234 Internationale Organisationen schaffen in der Regel nur eine Gerichtsinstanz, keinen Instanzenzug, vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rdnr. 1381. 235 Vgl. EGMR, Serie A Nr. 80, Ziff. 78 ff. (Campbell und Fell); Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnrn. 124 ff. 236 Zweifelnd insoweit Frowein/Krisch, S. 17. 232
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EuropolÜbk eindeutig. Danach wird der Anspruch auf Auskunft nach Maßgabe des Rechts des Mitgliedstaates geltend gemacht, bei dem er erhoben wird. Nach dieser klaren Grundaussage folgen hinsichtlich des Rechts auf eine Mitteilung allerdings Einschränkungen nach Art. 19 Abs. 3 UAbs. 2 EuropolÜbk, wenn näher bezeichnete öffentliche Interessen entgegenstehen. Schließlich macht Art. 19 Abs. 4 des Übereinkommens die Auskunftserteilung durch Mitteilung der gespeicherten Daten davon abhängig, daß weder der Staat, der die Daten eingegeben hat, noch die Staaten, die von einer Mitteilung betroffen sind, Einwände dagegen erheben 237. Werden Einwände erhoben, teilt Europol dem Antragsteller lediglich mit, daß eine Überprüfung vorgenommen worden ist, ohne ihm Hinweise zu geben, ob zu seiner Person Daten vorliegen. Nach dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 7 UAbs. 1 EuropolÜbk ist auch die gemeinsame Kontrollinstanz an die Ablehnung eines Mitgliedstaates gebunden, sofern dessen nationales Recht ein Recht auf Mitteilung nicht anerkennt 238. Diese Regelung mag aus datenschutzrechtlicher Sicht zu bedauern sein, berührt aber die materielle Rechtsprechungstätigkeit der gemeinsamen Kontrollinstanz nicht. Sie ist hinsichtlich ihrer Beurteilung des Sachverhalts und der Rechtslage nicht an die Stellungnahme einer exekutivischen Instanz gebunden. Die Stellungnahmen der Mitgliedstaaten präzisieren lediglich den Umfang des Auskunftsanspruches. Hintergrund der komplizierten Regelung ist die Tatsache, daß sich die Mitgliedstaaten im Rat nicht auf die Anerkennung eines Auskunftsrechts dahingehend einigen konnten, daß dem Antragsteller die über ihn gespeicherten Daten mitgeteilt werden. Aus diesem Grunde entstand ein schwerfälliger Kompromiß, der im Falle der Kollision zweier unterschiedlicher Rechtsordnungen einer Lösung auf niedrigerem Datenschutzniveau den Vorrang einräumt, aber gleichzeitig eine flexible Handhabung durch die Mitgliedstaaten ermöglicht. Ein solches Modell des "Minimalkonsenses" ist sicher kritikwürdig, auf der anderen Seite aber einer Lösung vorzuziehen, die nur ein Recht auf Überprüfung im Übereinkommen verankert hätte. Die Ablehnung eines unmittelbaren Auskunftsrechts verstößt im Bereich der Strafverfolgung/inneren Sicherheit auch nicht gegen Art. 8 EMRK oder die Datenschutzkonvention des Europarates. Es ist anerkannt, daß in den fraglichen Bereichen Auskunftsrechte der Betroffenen eingeschränkt werden können, wenn die Rechtsverkürzung durch andere Kontrollmechanismen kompensiert
237
Vgl. Art. 19 Abs. 4 Ziff. 1 EuropolÜbk: "... Gelegenheit zu einer Stellungnahme hatten, die bis zur Ablehnung der Mitteilung reichen kann." 238 Vgl. Werner, CR 1997, 34 (38); mittelbar ergibt sich die Bindung der Kontrollinstanz an die Stellungnahme aus einem Gegenschluß zu Art. 19 Abs. 7 2. UAbs. EuropolÜbk, der für die von Europol selbst eingegebenen Daten vorsieht, daß sich die Kontrollinstanz nach Anhörung Europols oder eines Mitgliedstaates mit Zweidrittelmehrheit über deren ablehnende Stellungnahmen hinwegsetzen kann. 21*
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wird 2 3 9 . Bedenken können allerdings hinsichtlich der mangelnden Verständlichkeit des Art. 19 EuropolÜbk erhoben werden. (3) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit Zweifel an der Gerichtsqualität der gemeinsamen Kontrollinstanz bestehen hinsichtlich der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ihrer Mitglieder auf den ersten Blick nicht. Zur Erfüllung dieser Erfordernisse reicht zwar die in Art. 24 Abs. 1 EuropolÜbk statuierte gesetzliche Garantie der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit alleine nicht aus 240 . Die Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz sind aber auch bei ihrer Tätigkeit in den nationalen Kontrollinstanzen gegenüber der Exekutive unabhängig und nicht in die Verwaltungshierarchie eingebunden. In ihrer Funktion als Datenschützer besteht objektiv kein Verdacht, daß sie den Sicherheitsbehörden näherstehen als dem Betroffenen. Ein Gericht im Sinne des Art. 6 EMRK muß auch nicht notwendig aus Berufsrichtern bestehen241. Die Ernennung durch die Exekutive (für Deutschland durch das Bundesministerium des Innern) steht der Unabhängigkeit nicht entgegen242, soweit Garantien gegen eine Beeinflussung von außen existieren. Eine wichtige Garantie der Unabhängigkeit ist die Amtszeit von fünf Jahren gemäß Art. 24 Abs. 1 EuropolÜbk 243 . Auch wenn die Vorschrift es nicht näher hervorhebt, ist davon auszugehen, daß die Mitglieder der Kontrollinstanz während der Dauer ihrer Amtszeit grundsätzlich unabsetzbar sind 244 . Die nähere Ausgestaltung der Unabhängigkeit, wie sie etwa in Art. 2 § 6 des deutschen Europol-Gesetzes geregelt ist 245 , sollte in der Geschäftsordnung der Kontrollinstanz erfolgen. Zwingend erforderlich sind Vorschriften zur Befan-
239 Vgl. Art. 9 Abs. 2 der Datenschutzkonvention des Europarates sowie Grundsatz 6.4 der Empfehlung des Ministerkomitees; ebenso IntKommEMRK-Wildhaber, Art. 8 Rdnr. 337; Unger, Datenschutz, S. 165, spricht von einem "legitimen Kompromiß" zur Wahrung aller beteiligten Rechte und Interessen. 240 EGMR, Serie A Nr. 80, Ziff. 78 ff. (Campbell und Fell); IntKommEMRKMiehsler/Vogler, Art. 6 Rdnr. 296. 241 EGMR, Serie A Nr. 84 Ziff. 36 (Sramek); Nr. 117 S. 18/Ziff. 37 (Ettl u.a.); dazu Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdnr. 126, sowie Cohen-Jonathan, CEDH, S. 416 f. 242 EGMR, Serie A Nr. 132, S. 29/Ziff. 66 (Belilos). 243 Vgl. zur Unabhängigkeit von Richtern internationaler Instanzen Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 683. 244 Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 182, folgert dies für das Verwaltungsgericht der IAO gerade aus dem Fehlen einer Vorschrift, die eine Entlassung vor Ablauf der Amtszeit ermöglicht. 245 Dazu die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/7391, S. 10.
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genheit ("rule of bias") 246 , die in allen Mitgliedstaaten existieren. Die im Übereinkommen selbst getroffenen Regelungen bieten insoweit eine ausreichende Grundlage. Sie orientieren sich etwa an den Art. 2 und 13 des IGHStatuts oder Art. 167 EGV. Allerdings könnte einer Anerkennung der Unabhängigkeit der Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz entgegenstehen, daß sie - anders als Mitglieder anderer internationaler Gerichtsinstanzen 247 - hinsichtlich ihrer Amtstätigkeit keine Immunität genießen248. Die persönliche Immunität von jeglicher mitgliedstaatlicher Gerichtsbarkeit ist ein geeignetes Mittel, um die Unabhängigkeit der richterlichen Amtsführung - unabhängig vom Ort der Wahrnehmung der Amtsgeschäfte - zu sichern 249 . Persönliche Immunität als Mittel zur Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit kann auch im nationalen Recht gewährt werden. In England genießen Richter des High Court und des Court of Appeal hinsichtlich ihrer Amtstätigkeit, von Extremfällen ("acting in bad faith") abgesehen, volle Immunität 250 . Zur Begründung werden zwei Argumente angeführt: Auf der einen Seite sollen sie ihrer Tätigkeit ohne Angst vor Sanktionen nachgehen können 251 , auf der anderen Seite wird betont, daß ihre Entscheidungen keiner Anfechtung mehr unterlägen und infolge dieser Letztverbindlichkeit kein anderes Gericht ein Fehlverhalten feststellen dürfe 252 . Richter der unteren Gerichte hingegen können für Handlungen ultra vires ("outside their jurisdiction") haftbar gemacht werden 253 . In Deutschland wird nationalen Rich-
246
Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl , Internationale Organisationen, Rdnr. 1386, sowie Art. 4, 16 EuGH-Satzung, Art. 17, 24 IGH-Statut und Art. 24 EGMR-VerfO B (abgedr. in Sart. II Nr. 137). 247 Vgl. etwa Art. 3 EuGH-Satzung, Art. 19 IGH-Statut, Art. 59 EMRK oder die Bestimmungen des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten des Gemeinsamen Berufungsgerichts nach dem Gemeinschaftspatentübereinkommen, BGBl. 1991 II, 1386, dort insbesondere Art. 14. 248 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl , Internationale Organisationen, Rdnr. 1386. 249 Schäfers , GRUR 1993, 289 (297), für die Richter des Gemeinsamen Berufungsgerichts für Gemeinschaftspatente; ebenso Butzer , Immunität, S. 101 ff., zur Begründung der Schutzbedürftigkeit des "Internbereichs" der Legislative. 250 Lewis , Judicial Remedies, S. 410 f.; Aldous/ Alder, Judicial Review, S. 95 f.; de Smith/Woolf/Jowell , Judicial Review, Rdnrn. 19-022 ff., sowie Rdnr. A-016 (dort Fußn. 46) die von einer Entscheidung des Court of Appeal die richterliche Haftung betreffend berichten: "Judges of courts stricto sensu are immune from liability for all acts down within jurisdiction, even if they have acted maliciously." 251 Aldous/Alder, Judicial Review, S. 95; de Smith/Woolf/Jowell , Rdnr. 19-029. 252 Lewis, Judicial Remedies, S. 411: "Superior Courts are Courts of unlimited jurisdiction, whose responsibility includes determining the extent of their jurisdiction and resolving questions of law. ... superior court judges are likely to have absolute immunity for judicial acts done in the exercise of their jurisdiction." 253 Craig , Administrative Law, S. 635 f.
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tern keine Immunität hinsichtlich ihrer richterlichen Tätigkeit zugestanden254. Fehlverhalten im Amt wird zivilrechtlich durch § 839 BGB (iVm. der Regreßmöglichkeit des Staates nach Art. 34 GG) sanktioniert und durch § 336 StGB ausdrücklich unter Strafe gestellt 255 . Unabhängigkeit soll nicht als Freiheit von Verantwortlichkeit definiert werden 256 . Der Tatbestand der Rechtsbeugung ist als Gegengewicht zur Macht der Richter konzipiert 257 . Ein Richter kann jedoch strafrechtlich nur belangt werden, wenn er sich gleichzeitig der Rechtsbeugung schuldig gemacht hat. Dies kommt in der normalen Staatspraxis fast nie vor, so daß die hohe Strafbarkeitsschwelle wie auch das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB die richterliche Unabhängigkeit schützen258. Allerdings wird die praktische Gefahr eines Verlustes dieser Unabhängigkeit durch potentiellen Mißbrauch der Strafvorschrift gesehen, obgleich rechtlich die Unabhängigkeit dort ihre Grenze findet, wo der Richter nicht mehr nach dem Gesetz entscheidet259. Der für das nationale Recht - in den aufgezeigten Grenzen - selbstverständlichen Verfolgbarkeit eines Richters begegnen bei internationalen Gerichtsinstanzen Bedenken. Der Unabhängigkeit der Mitglieder gerade neu errichteter Judikativorgane fehlt eine Tradition, die der der mitgliedstaatlichen Gerichte vergleichbar ist. Staaten stehen in praxi Richtern anderer Nationen kritischer gegenüber als den eigenen Staatsangehörigen. Nicht umsonst bestimmt Art. 43 EMRK, daß ein Richter, der Staatsangehöriger einer der Parteien ist, von Amts wegen Mitglied der Kammer des EGMR ist, die sich mit einem Fall befaßt 260 . Die Gefährdungslage für Mitglieder einer internationalen Instanz ist besonders groß, wenn gewichtige Interessen eines Staates betroffen sind. Sie genießen nicht den Schutz durch die Rechtsvorschriften des nationalen Rechts. Doch gerade die Entscheidung über datenschutzrechtliche Beschwerden gegen Sicherheitsbehörden birgt Konfliktpotential mit der Exekutive in sich. Betroffen von Entscheidungen der gemeinsamen Kontrollinstanz ist nicht nur Europol selbst, sondern jeweils auch der Mitgliedstaat, der die Daten in das Informationssystem eingegeben hat oder dessen Interessen auf andere Weise berührt werden. Die Mitglieder der Kontrollinstanz sollten daher vor jeder potentiellen Einflußnahme geschützt werden. Allerdings ist zu sehen, 254
Die Frage der Immunität wird in Abhandlungen zum Status des Richters nicht einmal aufgeworfen, vgl. nur Barbey, HbStR III § 74. 255 Zu den entsprechenden Vorschriften in anderen europäischen Rechtsordnungen Schmidt-Speicher, Rechtsbeugung, S. 113 ff. 256 Heyde, HbVerfR, § 33 Rdnr. 82. 257 Schmidt-Speicher, Rechtsbeugung, S. 11; Scholderer, Rechtsbeugung, S. 21 f., 95 f.: Ohne Sanktionsmöglichkeit bliebe das Gebot, daß der Richter rechtmäßig entscheiden solle, "unbewehrte lex imperfecta". 258 Vgl. Heyde, HbVerfR, § 33 Rdnr. 82; kritisch zu § 336 StGB und dessen Auslegung durch die Strafgerichte Bemmann/Seebode/Spendel, ZRP 1997, 307 f. 259 Scholderer, Rechtsbeugung, S. 23. 260 Vgl. auch Art. 31 IGH-Statut.
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daß auch ein optimaler rechtlicher Schutz richterlicher Unabhängigkeit allein die sachgerechte Amtsführung der Richter nicht sichern kann. Auf der anderen Seite fehlen in klassischen Rechtsstaaten Unabhängigkeitsgarantien, ohne daß jemand tatsächliche Zweifel an der Unabhängigkeit der Richter äußern könnte 261 . Neu eingerichtete Kontrollinstanzen ohne entsprechende Tradition bedürfen jedoch einer normativen Absicherung ihrer Unabhängigkeit. Für die Anerkennung der gemeinsamen Kontrollinstanz als einer internationalen Gerichtsinstanz ist daher die Einräumung persönlicher Immunität an ihre Mitglieder unerläßlich. Ihr Fehlen berührt unmittelbar die Rechtsstellung der Mitglieder der gemeinsamen Kontrollinstanz. Die Inkongruenz im Hinblick auf die den Europol-Bediensteten in weitem Umfang gewährte persönliche Immunität macht die Gefahr der Abhängigkeit von der mitgliedstaatlichen Exekutive besonders deutlich. (4) Das Fehlen eines geregelten Verfahrens Das Recht auf Anhörung ist in Art. 24 Abs. 7 S. 5 EuropolÜbk ebenso anerkannt wie das Recht zur Anrufung der gemeinsamen Kontrollinstanz in Art. 19 Abs. 6 und 7 sowie Art. 20 Abs. 4 EuropolÜbk. Dadurch sind zwei wesentliche Elemente der Rechtsschutzgarantien (Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 EMRK) konventionsrechtlich gewährleistet: das Recht auf Zugang zu Gericht ("access to justice") 262 und auf rechtliches Gehör. Schließlich gibt Art. 24 Abs. 7 S. 4 dem Ausschuß das Recht, Beschwerden "in jeder geeigneten Weise zu prüfen". Gleichwohl muß das Verfahren vor dem Ausschuß nach Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk in der Geschäftsordnimg der gemeinsamen Kontrollinstanz näher ausgestaltet werden 263 . Die Notwendigkeit einer geschriebenen Verfahrensordnung ergibt sich gerade für internationale Gerichte aus dem Zusammentreffen verschiedener Rechtssysteme innerhalb der gerichtlichen Instanz. Der Verfahrensablauf muß für die Parteien transparent sein 264 . Die Geschäftsordnung der gemeinsamen Kontrollinstanz müßte dementsprechend etwa Vorschriften 261 Merli , in: Hofmann u.a., Rechtsstaatlichkeit, S. 33, nennt als Beispiel die Schweiz, in der Richter nach kurzer Amtsperiode der Wiederwahl durch politische Gremien bedürfen. 262 Dazu Schmidt-Aßmann/Harings, EuZöR-Sonderheft 1997, 529 ff. 263 Vgl. Prieß , Internationale Verwaltungsgerichte, S. 190, der die Existenz einer Verfahrensordnung als Standard Internationaler Verwaltungsgerichte nachweist; ebenso Tomuschat , EPIL II, S. 1113; kritisch zum Fehlen entsprechender Bestimmungen im EuropolÜbk Hirsch, ZRP 1998, 10 (12). 264 von Mangoldt , ZaöRV 40 (1980), 554; Prieß , Internationale Verwaltungsgerichte, S. 140 ff; vgl. auch die detaillierte Ermächtigung zum Erlaß einer Verfahrensordnung in Art. 6 der Statuten des Verwaltungsgerichts der Vereinten Nationen, sowie die aufgrund dieser Vorschrift erlassene Verfahrensordnung, beide abgedruckt bei Prieß , aaO, S. 303 ff.
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enthalten über die einzelnen Verfahrensschritte, die Durchführung einer eventuellen Beweisaufnahme und die interne Organisation. Wichtig wäre zudem die normative Ausgestaltung des Konsultationsverfahrens mit den nationalen Instanzen. Es ist nach dem Wortlaut des Übereinkommens nicht eindeutig, ob die nationale Instanz in bestimmten Fällen eingeschaltet werden muß oder ihre Einschaltung im Ermessen der gemeinsamen Kontrollinstanz liegt. (5) Die Entscheidung der Kontrollinstanz Regelungsbedarf in der Geschäftsordnung besteht hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung über Individualbeschwerden durch den Ausschuß nach Art. 24 Abs. 7 EuropolÜbk. (a) Zustandekommen und Inhalt der Entscheidung Das Übereinkommen bestimmt, daß jede Delegation mit einem Mitglied, das eine Stimme hat, im Ausschuß vertreten ist, doch trifft es keine Regelung zu den erforderlichen Mehrheitsverhältnissen. Es kann auch nicht vom intergouvernementalen Charakter der Zusammenarbeit auf das Erfordernis von Einstimmigkeit geschlossen werden. Einstimmigkeit ist zur Verabschiedung der Geschäftsordnung erforderlich. Im Fall des Art. 19 Abs. 7 UAbs. 3 EuropolÜbk wird die gemeinsame Kontrollinstanz ermächtigt, sich mit Zweidrittelmehrheit über Einwände Europols oder eines Mitgliedstaates hinwegzusetzen265. Da hier ersichtlich erhöhte Anforderungen aufgestellt werden sollen, könnte im Gegenschluß für den Normalfall einer Entscheidung eine einfache Mehrheit vorausgesetzt werden. Die Geschäftsordnung muß hierzu jedoch eine eindeutige Regelung enthalten. Hinsichtlich des Inhalts der Entscheidungen des Beschwerdeausschusse folgt aus Art. 24 Abs. 2 Ziff. 3 EuropolÜbk, daß sie Anweisungen an Europol enthalten. Einen zuerkannten Auskunftsanspruch erfüllt der Ausschuß nicht selbst durch Mitteilung der Daten in seiner Entscheidung, sondern er weist Europol an, die entsprechende Auskunft zu erteilen. Allerdings ist das Übereinkommen auch insoweit nicht eindeutig und näherer Ausgestaltung fähig und bedüftig. Denkbar wäre nämlich - dem französischen Recht entsprechend - auch, daß der Ausschuß nur die ablehnende Entscheidung Europols aufhebt, ohne gleichzeitig die Verpflichtung zu einem bestimmten positiven Tun auszusprechen.
265 Frowein/Krisch, S. 19, sehen in diesem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit einen Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit.
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(b) Der Erlaß einstweiliger Anordnungen Eine weitere Frage hinsichtlich des Entscheidungsinhalts betrifft die Befugnis zum Erlaß einstweiliger Anordnungen. Das Verwaltungsgericht der Weltbank hat - mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage in seinen Statuten die Kompetenz zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes aus seinem Charakter als internationales Gericht hergeleitet 266. Eine solche Rechtsschöpfung durch den Beschwerdeausschuß ist nicht möglich, da dieser kein klassisches Judikativorgan ist. Schon seine Bezeichnung deutet darauf hin, daß die Vertragsstaaten anstelle eines klassischen Gerichts eine unabhängige Behörde mit quasi-richterlichen Befugnissen schaffen wollten. Die Befugnis zum Erlaß einstweiliger Anordnungen kann auch nicht daraus abgeleitet werden, daß der Ausschuß berechtigt ist, Individualbeschwerden "in jeder Weise zu prüfen". Diese Aussage betrifft nämlich nur das Verfahren der Entscheidungsfindung, nicht den Inhalt der Entscheidung selbst. Die Konvention differenziert in Art. 24 Abs. 7 zwischen "prüfen" ("examine'V'examiner") und der "getroffenen Entscheidung" ("decision"/"decision"). Sie enthält jedoch keine Aussage zum Inhalt der Entscheidung. Bei der Auslegung der Bestimmungen ist wiederum darauf zu achten, nicht allein deutsche Maßstäbe anzulegen. Zwar wird die Notwendigkeit, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, als gemeineuropäischer Rechtsschutzstandard akzeptiert, doch sind die Voraussetzungen in anderen Staaten gerade im Polizeisektor sehr viel höher als in Deutschland. Wenn zur Kontrolle Europols gerade kein "echtes" Gericht geschaffen wurde, spricht vieles dafür, daß die Befugnisse der quasi-richterlichen Instanz hinter denen eines Gerichts zurückbleiben sollten. Anders als im Schengener Übereinkommen und ZIS-Übereinkommen spielen dabei Souveränitätsfragen keine Rolle. Doch ist zu berücksichtigen, daß die gemeinsame Kontrollinstanz nach Art. 27 EuropolÜbk kein Organ der Internationalen Organisation Europol ist 267 , sondern ein externes Kontrollgremium, das sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt. Anders als etwa im Verhältnis des Europäischen Gerichtshofs zur EG-Kommission fände daher im Verhältnis Europols zur Kontrollinstanz nicht eine Befugnisverlagerung innerhalb einer Organisation statt, sondern auf eine externe Einrichtung. Auch aus diesem Grund müssen die Befugnisse der Kontrollinstanz eher restriktiv ausgelegt werden. Ein Prinzip effektiven Rechtsschutzes, aus dem weitergehende Befugnisse abgeleitet
266 Yg| Prieß} Internationale Verwaltungsgerichte, S. 258, sowie die Diskussionsbeiträge von Rodriguez Iglesias und Pescatore , in: Bernhardt, Interim Measures, S. 121 f., die die Befugnis zum Erlaß einstweiliger Anordnungen dem gerichtlichen Auftrag zur Rechtsschutzgewährleistung entnehmen; kritisch gegenüber dieser Annahme von Mangoldt und Golsong , aaO., S. 123 f, sowie Herdegen , aaO., S. 126. 267 Zur Organstellung internationaler Gerichte im Rahmen Internationaler Organisationen Schäfers , GRUR 1993, 289 (291).
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werden könnten, existiert für den Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit der Europäischen Union ebensowenig wie im Völkerrrecht 268 . (c) Die Beteiligung der nationalen Instanz Die Kontrollbefugnis der gemeinsamen Kontrollinstanz erstreckt sich nicht nur auf die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen durch Europol. Die Kontrollinstanz prüft auch, ob Europol nach Art.2 EuropolÜbk zuständig ist 269 . Die Rechtmäßigkeit der Stellungnahmen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf Art. 19 Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 1 EuropolÜbk unterliegt ebenfalls ihrer Kontrolle. Insoweit kann bei der Prüfung einer Beschwerde hinsichtlich des Auskunftsrechts nach Art. 19 Abs. 7 EuropolÜbk allerdings eine zuständige nationale Instanz hinzugezogen werden. Diese trifft dann die notwendigen Feststellungen dazu, ob die nationale Behörde in Einklang mit ihrem Recht und den Art. 19 Abs. 3 und 4 EuropolÜbk gehandelt hat. Zuständige nationale Instanz in diesem Sinne ist entweder ein Gericht 270 oder eine ebenfalls unabhängige nationale Kontrollinstanz 271 . Diese Aufspaltung der Kontrollbefugnis begegnet im Rahmen des Art. 6 EMRK insoweit Bedenken, als die Vorschrift fordert, das Gericht müsse die für die Entscheidung rechtserheblichen Tatsachen selbst ermitteln können 272 . Eine solche Aussage darf allerdings nicht unbesehen zur Beurteilung der Gerichtsqualität der gemeinsamen Kontrollinstanz herangezogen werden kann. Sie dient nämlich in erster Linie zur Abgrenzung eines Gerichts von der Verwaltung, an deren Tatsachenfeststellungen das Gericht nicht gebunden sein soll. Die Abgrenzung der gemeinsamen Kontrollinstanz zur Verwaltung ist hingegen eindeutig. Entscheidend ist, ob das Gericht, das die Sachentscheidung fällt, auch den Sachverhalt selbst, d.h. alleine und durch alle Mitglieder, erforschen muß. Eine solche Auslegung des Art. 6 EMRK ist hingegen abzulehnen. Die Sachverhaltsermittlung kann einzelnen Mitgliedern desselben oder eines anderen Gerichts übertragen werden 273 . Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden, solange und soweit insgesamt eine vollständige und unabhängige Kontrolle garantiert wird. Das ist der Fall, wenn auf nationaler Ebene ein 268
S. 124. 269
Vgl. dazu den Diskussionsbeitrag von Golsong, in: Bernhardt, Interim Measures,
So auch Werner, CR 1997, 34 (38). In Deutschland das zuständige Verwaltungsgericht. 271 In Frankreich etwa die Datenschutzkommission CNIL ("Commission nationale de l'informatique et des libertés"), vgl. Ellger, Datenschutz, S. 364 ff. 272 Vgl. etwa EGMR, Serie A Nr. 155, S. 15/Ziff. 30 (Langborger); IntKommEMRK-Miehsler/Vogler, Art. 6 Rdnm. 287, 289. 273 Zur Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter vgl. etwa §§ 361 ff. ZPO, §§ 96 Abs. 2, 98, 151 VwGO, aber auch §§ 249 ff. StPO. 270
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Gericht oder eine unabhängige Instanz im Sinne des Art. 6 EMRK tätig wird. In Deutschland wird dies durch die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte oder der ordentlichen Gerichte gewährleistet. In Frankreich ist hingegen zur Überprüfung datenschutzrechtlicher Ansprüche die Datenschutzkommission CNIL zuständig, die Art. 8 des französischen Datenschutzgesetzes als "unabhängige Verwaltungsbehörde" qualifiziert. Da sie keine verbindlichen Anordnungen gegenüber den datenverarbeitenden Stellen erlassen kann 274 , ist sie kein "tribunal" im Sinne des Art. 6 EMRK. Gleichwohl begegnet ihre Einschaltung keinen Bedenken, da eine verbindliche Entscheidungsbefugnis für die Durchführung von Ermittlungen nicht notwendig ist. Entscheidend ist allein die Unabhängigkeit und Kontrollmöglichkeit gegenüber der Exekutive, die das französische Datenschutzgesetz gewährleistet. Das Zusammenwirken verschiedener Gerichte ist auch keine Neuigkeit der Europol-Konvention. Es ist aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht bekannt. Dort sind die Gerichte der Mitgliedstaaten primär zur Rechtsprechung berufen, doch ist es ihnen verwehrt, Gemeinschaftsrecht als ungültig zu verwerfen oder unangewandt zu lassen275. Die Befugnis dazu steht allein dem Europäischen Gerichtshof zu. A u f der anderen Seite sind nur die mitgliedstaatlichen Gerichte mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, d.h. der Subsumtion eines bestimmten Sachverhalts unter dieses Recht, betraut 276 . Das Verfahren dieser spezifischen Kooperation ist in Art. 177 EGV geregelt. Im Gegensatz dazu ist das Kooperationsverfahren nach Art. 19 Abs. 7 EuropolÜbk nicht Gegenstand einer detaillierteren Regelung. Hier wird lediglich von einer "Konsultation" der nationalen Kontrollinstanz gesprochen, die die notwendigen Überprüfungen vornimmt; die Entscheidung ergeht "in engem Benehmen mit der nationalen Kontrollinstanz oder dem zuständigen Gericht" 277 . Im deutschen Verwaltungsverfahrensrecht sind die Kategorien Zustimmung, Einvernehmen, Benehmen und Anhörung nicht unbekannt 278 . Sie bezeichnen Formen des behördlichen Zusammenwirkens unterschiedlicher Intensität 279 . In der Regel bedeuten dabei "Zustimmung" und "Einvernehmen" eine Beteiligungsform mit Bindungswirkung, "Benehmen" und "Anhörung" eine Beteiligungsform ohne
274
Vgl. Art. 21 des französischen Datenschutzgesetzes; dazu auch Ellger , Datenschutz, S. 366; Mähring , Institutionelle Datenschutzkontrolle, S. 139. 275 EuGH, Slg. 1987,4199 (Foto Frost). 276 Vgl. Dauses, in: ders., HbEGWiR, P.II Rdnr. 35; zur Aufgabenteilung der Gerichte bei der Sachverhaltsaufklärung ders., aaO., Rdnr. 38. 277 Vgl. auch die englische und französische Fassung des Übereinkommens: "close cooperation'V'etroite coordination". 278 Vgl. etwa § 58 VwVfG, 36 BauGB, § 4 BauGB-MaßnG, §§ 4 Abs. 1 S. 2, 5 Abs. 2, 12 Abs. 5 und 13 Abs. 2 BKAG, §§ 5 Abs. 4, 9 Abs. 2 FStrG; § 18 Abs. 2 bwLBG. 279 Dazu BVerwG, DVB1. 1966, 177 (179), sowie Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, S. 119 f.; Badura, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 37 Rdnr. 29.
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Bindungswirkung 280 . Nach dieser Einordnung wäre die nationale Kontrollinstanz oder das zuständige Gericht anzuhören, von ihrer Stellungnahme könnte die gemeinsame Kontrollinstanz jedoch abweichen. Allerdings sind die Klassifizierungen des deutschen Rechts für die Begriffsbestimmungen auf der Ebene der Europäischen Union nicht allein maßgeblich. Das Europol-Übereinkommen ist autonom auszulegen. Es kennzeichnet die Mitwirkungshandlungen unterschiedlich, so daß aus diesen Unterschieden Schlüsse für die Einordnung des Begriffs "Benehmen" ("Cooperation") gewonnen werden können 281 : - "Zustimmung" ("consent"/"accord") eines Mitgliedstaats zur Weitergabe von Daten an Drittstaaten oder -stellen (Art. 18 Abs. 4); - "Stellungnahme" eines Mitgliedstaates, "die bis zur Ablehnung der Mitteilung reichen kann" (Art. 19 Abs. 4 Ziff. I) 282 ; - "Konsensentscheidung" ("consensus") von Europol und den an der Analyse beteiligten Mitgliedstaaten (Art. 19 Abs. 4 Ziff. 3); - "enges Benehmen" zwischen der gemeinsamen Kontrollinstanz und der nationalen Kontrollinstanz oder dem nationalen Gericht (Art. 19 Abs. 7 UAbs. 1); und - "Abstimmung" ("collaboration"/"liaison") zwischen Europol und Mitgliedstaat bei der Berichtigung und Löschung von Daten (Art. 20 Abs. 2).
einem
Auch nach dieser Einteilung spricht vieles dafür, in der Verwendung des Begriffs "Benehmen" eine schwächere Beteiligungsform zu sehen. Auch die englische und französische Bezeichnung ("Cooperation") ist so unbestimmt 283 , daß daraus keine weitergehende Rechtspflicht als Information gewonnen werden kann. Wo das Übereinkommen eine starke Beteiligungsform einräumt, spricht es von Zustimmung ("consent"/"consensus") oder Ablehnung ("refusal"/"refus"). Die nationale Instanz, die die tatsächlichen Feststellungen vornimmt, soll in das Verfahren der Entscheidungsfindung einbezogen werden, doch keinen bestimmenden Einfluß auf die Entscheidung selbst haben. Trotz der hier erfolgten Begriffsbestimmung bleibt es wünschenswert, daß das Kooperationsverfahren zwischen der gemeinsamen Kontrollinstanz und der zuständigen nationalen Instanz gesetzlich ausgestaltet wird. 280 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, S. 119 f.; Badura, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 37 Rdnr. 29 f., unterscheidet zwischen bestimmendem und beratendem Einfluß der mitwirkungsberechtigten Stelle; vgl. auch Heinze, VerwArch 52 (1961), 159 (164 ff.). 281 Vgl. die Systematisierung oben B V 1 c) hinsichtlich aller hier behandelten Übereinkommen. 282 Englische/französische Fassung: "opportunity of stating their position, which may extend to a refusal to communicate the data"/"occasion de faire connaître leur position qui peut aller jusqu'au refus des communication". 283 Vgl. etwa für den Bereich des Umweltrechts Storm , in: Bothe/Prieur/Ress, Rechtsfragen, S. 279, 282.
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(6) Ergebnis Organisationsstruktur und Befugnisse der gemeinsamen Kontrollinstanz als Aufsichtsbehörde Europols sind justizähnlich ("quasi-judicial") ausgestaltet. In wesentlichen Punkten erfüllt sie die Anforderungen des Art. 6 EMRK an ein Gericht ("tribunal") im Sinne dieser Vorschrift, so daß eine Nachprüfung ihrer Entscheidungen durch die nationalen Gerichte nicht geboten ist. Die Tätigkeit des Beschwerdeausschusses der gemeinsamen Kontrollinstanz ist materiell der Rechtsprechung zuzuordnen. Der Ausschuß ist organisatorisch von der Exekutive getrennt und er entscheidet rechtsverbindlich über Beschwerden nach Art. 19 Abs. 7 und 20 Abs. 4 EuropolÜbk. Allerdings enthält das Europol-Übereinkommen insoweit nur Grundzüge der Organisation und des Verfahrens. Die weitere Ausgestaltung muß die noch auszuarbeitende Geschäftsordnung vornehmen. Unerläßlich ist es, den Mitgliedern des Beschwerdeausschusses hinsichtlich ihrer Amtstätigkeit persönliche Immunität einzuräumen. Das Immunitätsprotokoll sollte vor Inkrafttreten des Europol-Übereinkommens dahingehend ergänzt werden. b) Verfahren
vor nationalen Gerichten
Hinsichtlich der außervertraglichen Haftung ist - auch wegen fehlerhaften Umgangs mit personenbezogenen Daten - die Zuständigkeit der nationalen Gerichte gemäß Art. 39 Abs. 2 und 4 EuropolÜbk eröffnet. Klagen gegen Europol sind gemäß Art. 39 Abs. 4 EuropolÜbk iVm. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ am Handlungsort, also in den Niederlanden, zulässig. Die Bestimmung des Erfolgsortes bereitet größere Schwierigkeiten, wenn eine Verletzung des Rechts auf informelle Selbstbestimmung geltend gemacht wird. Ansätze können zunächst den Aussagen des internationalen Zivilprozeßrechts zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entnommen werden. Erfolgsort bei ehrverletzenden Äußerungen in den Medien ist jeder Vertragsstaat, in dem die Veröffentlichung bestimmungsgemäß verbreitet wird oder zugänglich ist 284 . Hingegen wird der Wohnort des Verletzten nicht als Erfolgsort angesehen, wenn die Verletzung dort keine Verbreitung gefunden hat 285 . Da das Informationssystem von Europol nicht allgemein zugänglich ist, sondern nur die nationalen Zentralstellen und Verbindungsbeamten zugangsberechtigt sind,
284 Kropholler, EZPR, Rdnr. 58; WieczorekJSchütze/Hausmann, ZPO, § 32 Rdnr. 40 f.; Schach, IZVR, Rdnr. 303, der allerdings die Verbreitung noch als Handlung ansieht und deshalb eine Zuständigkeit des Handlungsortes in den Staaten annimmt. Einen Erfolgsort gibt es nach seiner Auffassung bei Immaterialgüterverletzungen nicht. 285 Schach, IZVR, Rdnr. 303, Wieczoreh/Schütze/Hausmann, ZPO, § 32 Rdnr. 42, je m.w.N., auch für die Gegenansicht.
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paßt der zivilprozessuale Ansatz nicht unbedingt. Der Geschädigte hat auch keine Möglichkeit nachzuweisen, welche nationalen Zentralstellen konkret seine persönlichen Daten abgerufen haben. Zur Lösung dieses Dilemmas bieten sich zwei Wege an: aa) Zuständigkeit der Gerichte jedes Mitgliedstaates Da alle nationalen Zentralstellen der Mitgliedstaaten Zugriff auf das Informationssystem haben, könnte diese potentielle Abrufmöglichkeit der Daten schon zur Bejahung des Erfolgsortes ausreichen. Die Kriterien der Verbreitung und Zugänglichkeit sind im Hinblick auf Presse und Rundfunk entwickelt worden. Sie werden den modernen Informationstechnologien (Internet) nicht mehr gerecht, die auf der ganzen Welt zugänglich sind. Das LG Berlin hat in diesem Sinne jüngst zum Unterlassungsanspruch nach UWG im Internet entschieden, daß dieser überall dort geltend gemacht werden kann, wo ein Abruf des "on-line"-Angebots möglich ist 286 . Es hat dies aus einer weiten Auslegung des Begriffs "Erfolgsort" geschlossen. Bei ehrverletzenden Äußerungen in den Medien ist auch nicht entscheidend, ob diese in der Öffentlichkeit Beachtung finden. Ausreichend ist, daß sie in einem bestimmten Land zugänglich sind. So verstanden, sind Daten von Europol in allen Mitgliedstaaten zugänglich und rechtfertigen eine Schadensersatzklage gegen Europol in jedem Mitgliedstaat. bb) Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Betroffenen Der zweite Weg könnte eine Weiterentwicklung der Auslegung des Begriffes "Erfolgsort" bei Beeinträchtigungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beinhalten: Verletzungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung treffen einen Bürger immer in seinem Persönlichkeitsrecht, dessen Lokalisierung nicht anhand bestimmter Länder möglich ist. Dies spricht dafür, den Erfolgsort dort anzusiedeln, wo der Wohnsitz oder ständige Aufenthaltsort des Betroffenen innerhalb der EU ist. Im internationalen Zivilprozeßrecht wird eine solch extensive Auslegung des Erfolgsortes wegen der Unberechenbarkeit des daraus resultierenden Gerichtsstandes für den Schädiger abgeehnt287. Im öffentlichen Recht ist dieses Argument nicht stichhaltig, da die Staaten bewußt grenzüberschreitende Systeme zur Datenverarbeitung schaffen und dadurch die Beeinträchtigimg in die übrigen EU-Staaten selbst exportieren. Die Beeinträch286 A f p 1 9 9 6 > 405 f >; ebenso Strömer, Online-Recht, S. 213 f.; Ernst, JuS 1997, 776 (782); Kuner, CR 1996, 453 (455 f.), der allerdings auf die Probleme eines "forum Shopping" hinweist, und - mit Einschränkungen - wohl auch Ubber, wrp 1997, 497. 287 Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, § 32 Rdnr. 42.
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tigung liegt nicht erst in der Verbreitung der Daten in diesen Ländern, sondern bereits in der Speicherung und Aufbewahrung in einem staatenübergreifenden Informationssystem. Aus dieser Perspektive kann es weder entscheidend sein, wo die Speicherung stattfindet, noch, an welchen Orten potentielle Abrufmöglichkeiten bestehen. cc) Bewertung Beide Lösungsansätze weichen zwar in ihrer Begründung voneinander ab, erlauben es dem Betroffenen aber letztlich, Europol nicht nur an ihrem Sitz zu verklagen. Für eine solche Erweiterung der Klagemöglichkeiten spricht, daß es kaum vorstellbar erscheint, die Mitgliedstaaten hätten in einem so sensiblen Bereich wie dem Polizei- und Strafverfahrensrecht mit dem Verweis auf das EuGVÜ die alleinige Zuständigkeit niederländischer Gerichte begründen wollen. Dies hätte eindeutiger zum Ausdruck gebracht werden müssen. Im Ergebnis können deshalb Schadensersatzansprüche gegen Europol vor den nationalen Gerichten des Staates geltend gemacht werden, in dem der Betroffene seinen Wohnsitz hat, wenn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen ist 288 . Nach der vorzugswürdigen Auffassung sind allerdings die Gerichte aller Mitgliedstaaten international zuständig. In der 2. Abwandlung des Beispielsfalles 4 kann A jedenfalls vor dem Landgericht am Ort der Verletzungshandlung Amtshaftungsansprüche gegen Europol einklagen. Er kann aber auch nach Art. 38 Abs. 1 EuropolÜbk die Bundesrepublik Deutschland verklagen, die gemäß Art. 2 § 6 Abs. 5 des Europol-Gesetzes durch das Bundeskriminalamt vertreten wird. Diese könnte sich nach Art. 38 Abs. 1 S. 3 EuropolÜbk nicht auf die unrichtige Übermittlung von Daten durch Europol berufen. Im Falle einer Verurteilung könnte die Bundesrepublik bei Europol nach Art. 38 Abs. 2 EuropolÜbk Regreß nehmen. c) Vollstreckungs-
und Sicherungsmaßnahmen gegen Europol
Hinsichtlich der Probleme, die die Durchsetzbarkeit einer nationalen Gerichtsentscheidung gegen Europol bereitet, kann auf die Ausführungen zur grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit verwiesen werden 289 .
288
In ihrer Allgemeinheit gilt diese Aussage nur für Verletzungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das Informationssystem. Bezüglich der Analysedateien ist im Einzelfall zu prüfen, welche Personen und Stellen in diesem Fall zugangsberechtigt waren. 289 Oben II 2 d).
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland d) Resümee
Rechtsschutz gegen Informationseingriffe durch Europol wird durch die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten und die gemeinsame Kontrollinstanz gewährleistet. Deren Einordnung als Gericht begegnet allerdings in einigen Punkten Bedenken. Ihren Mitgliedern sollte persönliche Immunität hinsichtlich ihrer Amtstätigkeit gewährt werden. Auch das Verfahren zur Entscheidungsfindung, insbesondere die Kooperation mit den zuständigen nationalen Instanzen, ist in der Geschäftsordnung noch konkretisierungsfähig und -bedürftig. Wenn diese Konkretisierungen vorgenommen werden, ist die Ausgestaltung des Rechtsschutzes in der Europol-Konvention verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Rechtsschutzauftrag an nationale Gerichte gegenüber einer Internationalen Organisation ist zwar - soweit nicht die Gerichte des Sitzstaates anerkannt werden - ungewöhnlich, doch kann zunächst davon ausgegangen werden, daß Europol auch ohne Vollstreckungsmöglichkeiten des Betroffenen ihre Verpflichtungen aus einem Urteil erfüllen wird.
V. Zusammenfassung und Ausblick Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, daß eine pauschale Kritik an der fehlenden gerichtlichen Kontrolle der Kooperation in den Bereichen Justiz und Inneres nicht gerechtfertigt ist. Andererseits trat zutage, daß eine auf die Exekutive konzentrierte Kooperation die effiziente exekutivische Zusammenarbeit stärker gewichtet als Belange des Individualschutzes290. Die staatenübergreifende Kooperation muß - gleichsam begleitend - auch Legislativ- und Judikativorgane umfassen 291. Gerade das Vertrauen in eine wirksame gerichtliche Kontrolle ist ein nicht zu unterschätzender Integrationsfaktor. Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung sollen nun zusammengefaßt und anschließend unter Berücksichtigung alternativer Rechtsschutzkonzepte aus anderen Kooperationsbereichen bewertet werden. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf Entwicklungsperspektiven des Rechtsschutzes in den Bereichen Justiz und Inneres.
290
Vgl. Leyendecker, in: Weidenfeld, Grundrechte, S. 49. Zur Kooperation der nationalen Parlamente ist am 16./17. November 1989 in Paris eine Konferenz der Europa-Ausschüsse (COSAC) gegründet worden, deren Bedeutung in einem Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union beim Abschluß der Regierungskonferenz 1997 ausdrücklich gewürdigt wurde; zu - de lege ferenda - möglichen Kooperationsformen der Judikative etwa Fromont, in: F.I.D.E. I, S. 472 (497 ff.), sowie ders., JZ 1995, 800 ff. 291
V. Zusammenfassung und Ausblick
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1. Die Rechtsschutzsituation in den vorgestellten Übereinkommen Rechtsschutz im Anwendungsbereich des Schengener Durchfuhrungsübereinkommens und der Konventionen im Zollwesen obliegt den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten. Dies entspricht der horizontalen Kooperationsstruktur der Verträge, die auch keine supranationale Exekutivinstanz vorsehen. Das Europol-Übereinkommen hingegen verfolgt eine dualistische Rechtsschutzkonstruktion mit einer Zuständigkeit der nationalen Gerichte einerseits und der gemeinsamen Kontrollinstanz andererseits. a) Rechtsschutz im Rahmen der horizontalen Kooperation Eine strikte nationalstaatliche Abschottung der jeweiligen Rechtsschutzinstanzen kann nur solange adäquaten Rechtsschutz gewährleisten, wie die Verursachungsbeiträge der Staaten klar voneinander abgegrenzt werden können. Sobald die exekutivische Kooperation jedoch über die Staatsgrenzen hinausgeht, müssen die Kontrollmöglichkeiten der Judikative entsprechend angepaßt werden. Im Bereich des konventionellen Informationsaustausches ist es noch hinnehmbar, daß die Kontrolle staatlichen Handelns nur bei den Gerichten des jeweils handelnden Staates liegt. Doch auch dort wird der Zugang zu fremdstaatlichen Gerichten erleichtert oder auf andere Weise ein Ausgleich für die Begrenztheit der Kontrolle durch nationale Gerichte gewährleistet. Eine wichtige Ausgleichsfunktion nehmen unabhängige Kontrollinstanzen ein. Zudem bestehen Kooperationspflichten der Exekutive im Interesse des Begünstigten, wenn sich übermittelte Daten nachträglich als fehlerhaft herausstellen. In den Fällen der grenzüberschreitenden Tätigkeit auf fremdem Staatsgebiet und des automatisierten Informationsaustausches hat sich die Unzulänglichkeit eines auf das Staatsgebiet begrenzten gerichtlichen Schutzes gezeigt. Zwar stehen auch hier Souveränitätsgesichtspunkte einer echten 'Transnationalität" des Rechtsschutzes entgegen, doch können die Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen nicht auf das Gebiet des Gerichtsstaates beschränkt bleiben. Beim automatischen Informationsaustausch kommt es zu Aufweichungen des klassischen Trennungsmodells des Rechtsschutzes im Rechtshilferecht. Um wirksamen Rechtsschutz gewährleisten zu können, dürfen Gerichte in bestimmten Fällen fremdstaatliche Entscheidungen materiell nachprüfen. Dies ist ein wichtiges Korrelat zur transnationalen Wirkung einer Ausschreibung in den Informationssystemen. Das Trennungsmodell des Rechtsschutzes im Rechtshilferecht wird schließlich den neuen Kooperationsformen der grenzüberschreitenden Tätigkeit nicht mehr gerecht. Eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der beteiligten Staaten ist hier nur sehr schwer möglich. Das Fehlen einer völkerrechtlichen Rechtsschutzregelung - verbunden mit der föderalistischen 22 Harings
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
Vielfalt des bundesrepublikanischen Rechts - macht die Rechtsschutzsituation in diesem Bereich sehr unübersichtlich. b) Rechtsschutz im Rahmen der vertikalen Kooperation Die dualistische Konstruktion des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen des Europäischen Polizeiamtes Europol läßt keine einheitliche Bewertung zu. Entsprechend der vertikalen Kooperationsstruktur des Europol-Übereinkommens hätte hier die Schaffung einer echten supranationalen Gerichtsinstanz oder einer Übertragung entsprechender (Rechtsschutz-) Zuständigkeiten auf den Europäischen Gerichthof nahegelegen. Darauf konnten sich die EU-Staaten jedoch politisch nicht verständigen, so daß als Kompromiß den nationalen Gerichten begrenzte Zuständigkeiten übertragen wurden. Rechtsschutz durch nationale Gerichte erleichtert den Zugang zu Gericht und ist dadurch bürgernah ausgestaltet. Die Kontrolle einer Internationalen Organisation durch ein nationales Gericht begegnet jedoch strukturellen Bedenken. Sie ist mit der grundsätzlichen Immunität der Organisation nur schwer in Einklang zu bringen und tatsächlich zeigen sich solche Inkompatibilitäten in der Europol-Konvention. Eine Kontrolle der supranationalen Datenbanken Europols durch nationale Gerichte haben die EU-Staaten von vorneherein ausgeschlossen. Stattdessen wurde eine Datenschutzkommission mit Aufsichts- und quasi-richterlichen Befugnissen ausgestattet. Ihre Gerichtsqualität ist nach deutschem Recht zu verneinen, genügt aber - einzelne Konkretisierungen in der Geschäftsordnung vorausgesetzt - im wesentlichen den Anforderungen des Art. 6 EMRK. Unerläßlich ist die Einräumung persönlicher Immunität an die Mitglieder dieser Instanz, damit die gegenüber den Europol-Bediensteten bestehende Inkongruenz beseitigt wird und eine unabhängige und unparteiliche Aufgabenerfullung sichergestellt ist.
2. Rechtsschutzmodelle aus anderen Kooperationsbereichen Vergleichsmaßstäbe für die in den hier vorgestellten Übereinkommen geschaffenen Rechtsschutzregelungen finden sich nicht nur im Recht der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch in der kommunalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und in anderen völkerrechtlichen Verträgen mit unterschiedlichen Regelungsgegenständen (z.B. gewerblicher Rechtsschutz, gemeinsame Grenzabfertigungsstellen). Zwei Rechtsschutzmodelle der Zentralisierung und der Föderalisierung des Gerichtsschutzes kristallisieren sich heraus:
V. Zusammenfassung und Ausblick a) Zentralisierung
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des Rechtsschutzes
Die Schaffung internationaler Gerichtsinstanzen ist vor allem dort unerläßlich, wo die Ausübung öffentlicher Gewalt durch Internationale Organisationen einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden soll. Beispiele für solche Instanzen sind die Gerichte der Europäischen Gemeinschaft, aber auch die Verwaltungsgerichte der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation. Der Europäische Gerichtshof vereint diese Aufgabe mit seinem Auftrag zur Sicherung einer einheitlichen Auslegung des EG-Rechts durch die nationalen Gerichte, der durch das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV erfüllt wird 2 9 2 . Soweit diese Funktion betroffen ist, ist die Einrichtung einer den nationalen Gerichten "übergeordneten" 293, zentralen Gerichtsinstanz auch im Bereich der rein horizontalen Staatenkooperation sinnvoll 294 . Die Auslegungszuständigkeit des EuGH für das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens zeigt dies ebenso wie die Errichtung eines Gemeinsamen Berufungsgericht im Streitregelungsprotokoll zum Gemeinschaftspatentübereinkommen 295. In all diesen Fällen obliegt die Entscheidung eines Rechtsstreits zuvörderst den nationalen Gerichten 296 , doch können Streitigkeiten hinsichtlich der Auslegung des für die Entscheidung maßgeblichen internationalen Rechts der entsprechenden internationalen Gerichtsinstanz zur Entscheidung vorgelegt werden. Dadurch wird die einheitliche Auslegung und Anwendimg internationalen Rechts gesichert. In den Bereichen Justiz und Inneres haben die EU-Staaten dieser Überlegung durch die grundsätzliche Anerkennung einer EuGH-Zuständigkeit im Neapel
292 Zu den Funktionen des Europäischen Gerichtshofes als Verfassungs-, Verwaltungs- und Zivilgericht Oppermann , DVB1. 1994, 901, sowie Lenz, NJW 1994, 2063 ff. 293 Hinsichtlich des Verfahrens nach Art. 177 EGV wird allerdings häufig die Gleichrangigkeit der beteiligten Rechtsprechungsorgane betont, vgl. Dauses, EverlingFS, S. 223 (224), aber auch Ress, Die Verwaltung 1987, 177 (181): "übergeordnete Kooperation". 294 Sie ist auch am ehesten geeignet, Streitigkeiten zwischen den beteiligten Staaten zu entscheiden, da insoweit das Vertrauen in die Neutralität eines staatlichen Gerichts gering ausgeprägt ist; vgl. aber Art. 11 des Abkommens zwischen Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, der Wallonischen Region und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen vom 19. Juli 1996, GVB1. NW 1996, 255, das für Streitigkeiten zwischen den beteiligten öffentlichen Stellen den Rechtsweg nach den Vorschriften des Staates eröffnet, in dem der Beklagte seinen Sitz hat. 295 BGBl. 1991 II, S. 1378. 296 Bei der Anwendung des EG-Rechts werden nationale Gerichte daher auch als "Gemeinschaftsrechtsgerichte" (Burgi , DVB1. 1995, 772, 778), "Gemeinschaftsgerichte im funktionellen Sinn" {Dauses, in: ders., HbEGWiR, Einl. P. I, Rdnr. 1) oder "europäische Gerichte" (Zuleeg , JZ 1994, 1, 2) bezeichnet. 22«
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D. Kooperation und Individualrechtsschutz in Deutschland
Ii-Übereinkommen sowie in den Auslegungsprotokollen zum Europol- und ZIS-Übereinkommen Rechnung getragen, diese jedoch mit einer "opting-inclause" verknüpft. Der Vertrag von Amsterdam bringt nur insoweit Änderungen, als die Zuständigkeit des Gerichtshofes nicht auf Übereinkommen begrenzt bleibt, sondern andere Handlungsformen einbezieht, und nach Maßgabe des jeweils anwendbaren EG- oder EU-Rechts auch die Bestimmungen des Schengen-Besitzstandes erfaßt. A n der Möglichkeit einzelner Staaten, die Zuständigkeit des Gerichtshofes auszuschließen, ändert sich nichts. b) Die Föderalisierung
des Rechtsschutzes
"Föderalisierung des Rechtsschutzes" bedeutet in diesem Zusammenhang Rechtsschutzgewährleistung durch nationale Gerichte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Es ist das klassische Modell des internationalen Zivilprozeßrechts, das sich dort an bestimmten Gerichtsständen orientiert. Im Rahmen der horizontalen Verwaltungskooperation sind verschiedene Ausformungen denkbar: Klagen vor den Gerichten des Staates, dessen Organe gehandelt haben; Klagen vor den Gerichten des Staates, in dem der Betroffene seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hat; Wahlrecht des Betroffenen hinsichtlich des Gerichtsstandes. Für einen in Deutschland wohnenden Bürger bedeutet dies, daß er unter Umständen um Rechtsschutz im Ausland nachsuchen müßte. aa) Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten Entfalten Hoheitsakte ausländischer Staaten gegenüber in Deutschland ansässigen Bürgern rechtliche Wirkung, so ist eine Verweisung der Betroffenen an die zuständigen ausländischen Gerichte verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen297. In der Regel sehen Verträge über die vorgezogene Grenzabfertigung auf ausländisches Gebiet vor, daß um Rechtsschutz gegen Maßnahmen eines Zollbeamten des Nachbarstaates vor den Gerichten dieses Staates nachgesucht werden muß 298 . Praktische Schwierigkeiten einer solchen Rechtsschutzverlagerung können nicht geleugnet werden. Die fehlende Beherrschung der Gerichtssprache, ein möglicherweise ungewohntes Verfahrensrecht, Probleme bei der Anwaltssuche sowie die räumliche Entfernung des Gerichtsortes können Rechtsschutzsuchende von der Anrufung ausländischer Gerichte abhalten. Zu bedenken ist schließlich, ob die Akzeptanz einer ausländischen 297
Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 261 f.; ders., ZaöRV 54 (1994), 587 (608 f.); Schwarze, Benda-FS, S. 311 (331 f.). 298 Vgl. Rauser, Hoheitsrechte, S. 174 f.; E. Kirchhof, Grenzabfertigung, S. 102 f., 107 ff.
V. Zusammenfassung und Ausblick
341
Entscheidung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit in dem Maße gewährleistet ist wie bei Entscheidungen inländischer Gerichte. Potentiell betroffen von belastenden Maßnahmen sind in erster Linie Normalbürger, nicht etwa - wie im Wirtschaftsrecht - global operierende Unternehmen, für die solche Erschwernisse keine wirklichen Hindernisse darstellen. Für die nur vereinzelt auftretenden Rechtsschutzprobleme bei der Grenzabfertigung sind solche Schwierigkeiten hinzunehmen, doch sollte die Verweisung an ausländische Gerichte nicht zur Grundlage eines Rechtsschutzmodells in den sensiblen Bereichen der inneren Sicherheit und des Datenschutzes gemacht werden. Die Vertragsstaaten der Schengener Übereinkommen haben darauf auch hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolle von Ausschreibungen im Schengener Informationssystem verzichtet. bb) Rechtsschutz vor inländischen Gerichten Diese Variante ist bürgerfreundlich, beläßt sie doch den Rechtsschutz innerhalb des vertrauten Rechtssystems. Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens kann entweder ein fiktiver inländischer Hoheitsakt oder der ausländische Hoheitsakt selbst sein. (1) Klagegegenstand: fiktiver inländischer Hoheitsakt Bei dieser Variante wird der rechtsschutzsuchende Bürger über eine Fiktion so gestellt, als sei die zuständige inländische Behörde tätig geworden. Rechtsschutz ist demnach gegen diese zu suchen. Für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften hat der Europarat den Modellvereinbarungen 1.4 und 1.5 im Anhang zum Europäischen Rahmenübereinkommen ein solches Modell zugrundegelegt: "Unter allen Umständen behalten die Personen, deren örtliche Behörden den Vertrag geschlossen haben, gegen diese jedes Klage- und Beschwerderecht, das ihnen gegenüber diesen Behörden zustände, wenn diese weiterhin verpflichtet wären, die Lieferungen oder Leistungen vorzunehmen. Den örtlichen Behörden, gegen die eine solche Klage erhoben oder eine solche Beschwerde eingelegt worden ist, steht ein Rückgriffsanspruch gegenüber den örtlichen Behörden zu, welche die Lieferungen oder Leistungen übernommen haben."299
299 Art. 3 Abs. 4 der Modellvereinbarung 1.4, zitiert nach Beyerlin , Rechtsprobleme, S. 263; vgl. auch Art. 10 des Abkommens zwischen Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, der Wallonischen Region und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen vom 19. Juli 1996, GVB1. NW 1996, 255.
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Dieses Modell findet Zustimmung 300 , weil es trotz der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit die Rechtsschutzmöglichkeiten des betroffenen Bürgers unberührt läßt. Es ist - begrenzt auf die Sekundäransprüche der Bürger - bei der polizeilichen Zusammenarbeit nach Art. 40, 41 SDÜ bereits umgesetzt301. Eine weitergehende Fiktion enthält das SDÜ selbst nicht. Sie liegt zwar einigen Länderpolizeigesetzen zugrunde, kann aber auch in diesen Fällen lückenlosen Rechtsschutz nicht gewährleisten 302. Das liegt jedoch weniger an der Rechtsschutzkonstruktion als an der mangelnden Abstimmung zwischen Völkerrecht und bundesstaatlicher Ordnung. Insoweit sind Bund und Länder gefordert, die innerstaatlichen Grundlagen für Rechtsklarheit bei der Umsetzung des Völkerrechts zu schaffen 303. Wenn das gelänge, könnten Fälle des Handelns auf fremdem Staatsgebiet über den fiktiven Angriffsgegenstand eines inländischen Aktes angemessen gelöst werden. (2) Klagegegenstand: ausländischer Hoheitsakt Ein Rechtsschutzmodell, das die Anfechtung eines ausländischen Hoheitsaktes mit grenzüberschreitenden Wirkungen im Inland erlaubte, wäre ein sehr weitgehender Schritt zu einer Föderalisierung des Rechtsschutzes. Es begegnet jedoch im internationalen öffentlichen Recht wegen des damit verbundenen Souveränitätsverlustes eines der beteiligten Staaten Bedenken. Der Staat müßte auf seine Immunität verzichten und sich der Gerichtsbarkeit des Nachbarstaates unterwerfen. Für die Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet nach den Art. 40, 41 SDÜ läge ein dahingehender Immunitätsverzicht nicht in allzu weiter Ferne, da die entsprechenden Vorschriften bereits in materieller Hinsicht eine Unterwerfung unter das Recht des Aufenthaltsstaates und in formeller Hinsicht gegenüber Weisungen der Exekutive vorsehen. Die Anerkennung auch der Gerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates könnte die bestehenden Rechtsschutzlücken schließen. Sie wäre ein echtes Symbol für einen einheitlichen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" 304 , der gegenseitigen Respekt und Vertrauen in die gerichtlichen Instanzen bekundete. Bei realistischer Betrachtung setzt ein solches Rechtsschutzmodell jedoch eine weitgehende Rechtsangleichung oder -Vereinheitlichung voraus. Soweit ersichtlich, hat sich im Bereich der inneren Sicherheit bisher kein Staat hinsichtlich seiner hoheitlichen Handlungen der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterworfen.
300
Vgl. Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 263 f. Vgl. Art. 43 Abs. 2 SDÜ. 302 Oben II 1 b) aa). 303 Maßnahmen ausländischer Polizeibeamter könnten z.B. stets dem Land zugerechnet werden, in dessen Gebiet der Grenzübertritt erfolgte. 304 Art. B, 4. Gedankenstrich EUV n.F. 301
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cc) Wahlrecht des Rechtsschutzsuchenden Eine Ausschreibung im SIS oder ZIS kann gemäß Art. 111 Abs. 1 SDÜ, Art. 15 Abs. 4 ZISÜbk in jedem Vertragsstaat einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden. Die Vorschriften eröffnen die Möglichkeit, ausländisches hoheitliches Handeln an einem Gerichtsstand nach Wahl des Klägers durch nationale Gerichte überprüfen zu lassen, doch richtet sich eine entsprechende Klage immer nur gegen den Gerichtsstaat. Der ausländische Staat verzichtet nur insoweit auf seine Souveränität als er sich verpflichtet, die Entscheidungen des fremden Gerichts zu vollziehen. Das Wahlrecht des Rechtsschutzsuchenden besteht nicht nur hinsichtlich des Gerichtsstandes, sondern - in gewissen Grenzen - auch hinsichtlich des anwendbaren Rechts. Nach der hier vertretenen Auffassung besteht zudem bei Schadensersatzklagen gegen Europol gemäß Art. 39 EuropolÜbk in den meisten Fällen ein Wahlrecht des Betroffenen hinsichtlich des Gerichtsstandes. Die Einräumung eines solchen Wahlrechts ist - vorbehaltlich der strukturellen Unverträglichkeit der Kontrolle einer Internationalen Organisation durch nationale Gerichte - geeignet, wirksamen und bürgernahen Rechtsschutz zu gewährleisten. Während im Zivilprozeßrecht die mit der Möglichkeit des "forum shopping" einhergehende Begünstigung des Klägers zuweilen kritisiert wird 3 0 5 , kann das Instrument des "forum shopping" im internationalen öffentlichen Recht bewußt zur faktischen Rechtsangleichung eingesetzt werden. Wie im Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen und darauf verweisenden Rechtsakten aus anderen Bereichen 306 müssen allerdings Vorkehrungen zur Berücksichtigung von Rechtshängigkeit und Konnexität 307 getroffen werden 308 . Um divergierende Gerichtsentscheidungen zu den völkerrechtlichen Vereinbarungen zu verhindern, sollte eine internationale Gerichtsinstanz die Einheitlichkeit der Auslegung sichern.
3. Entwicklungsperspektiven Die Europäische Union ist kein statisches Gebilde, sondern befindet sich in einer fortschreitenden Entwicklung, die in der Säulenstruktur und insbesondere im möglichen Transfer von Angelegenheiten der dritten in die erste Säule (Art. 305
Vgl. Kohler, in: Bothe/Prieur/Ress, Rechtsfragen, S. 165. Vgl. etwa Art. 34 des Streitregelungsprotokolls zum Gemeinschaftspatentübereinkommen, BGBl. 1991 II, 1378, oder Art. 100 der Gemeinschaftsmarkenverordnung, ABl. Nr. L 11/1 vom 14.1.1994. 307 Art. 22 EuGVÜ verwendet den Begriff der Konnexität für Klagen, bei denen eine "gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, daß in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten". 308 Kohler, in: Bothe/Prieur/Ress, Rechtsfragen, S. 165 f. 306
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K.9 EUV) sichtbar wird. Auch der Rechtsschutz ist in diese Entwicklung einbezogen, die ihn innerhalb der jeweiligen Säule unterschiedlich ausgestaltet. Die durch den Vertrag von Amsterdam eingeführten Änderungen werden deshalb für eine Übergangszeit Bestand haben, teilen aber hinsichtlich der Bestimmungen zur dritten Säule den provisorischen Charakter dieser Normen. Auf lange Sicht wird es unausweichlich sein, den Gesamtbereich Justiz und Inneres in die erste Säule zu überführen und der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs oder eines eigenständigen (Verwaltungs-) Gerichts zu unterwerfen. Eingegliedert würde einerseits die gesamte horizontale Kooperation der Sicherheitsbehörden in das EG-Kooperationsrecht, andererseits die Tätigkeit Europols und die vertikale Kooperation dieser Behörde mit den mitgliedstaatlichen Stellen. Europol könnte als selbständige Verwaltungseinheit, ähnlich dem Marken- oder Sortenamt, in weitgehender Unabhängigkeit von den politischen Gremien der Gemeinschaft seiner Tätigkeit nachgehen, würde aber einer echten europäischen Gerichtsbarkeit unterworfen. Die bestehende dualistische Rechtsschutzstruktur 309 müßte dadurch nicht notwendig aufgehoben werden. Sie könnte durchaus Impulse für eine Föderalisierung des Rechtsschutzes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft geben. Rechtsschutz gegenüber den horizontalen Verwaltungsvorgängen durch die nationalen Gerichte würde in Einklang mit dessen Ausformungen in anderen Kooperationsbereichen ebenfalls weiterentwickelt. Im Zuge fortschreitender Integration darf Gerichtsschutz nicht nur "pro rata" des jeweiligen Kooperationsbeitrages des Gerichtsstaates gewährt werden 310 . Das klassische Trennungsmodell des Rechtsschutzes im Amts- und Rechtshilferecht muß mit dem weiteren Ausbau der Kooperationsbeziehungen zugunsten einer Rechtsschutzkonzentration bei einem Gericht abgelöst werden. Erste Ansätze dazu sind den Bestimmungen des SDÜ zum Schengener Informationssystem zu entnehmen. Mit einer Vergemeinschaftung der dritten Säule wären nicht alle Rechtsschutzprobleme gelöst 311 , doch würde sie zur Entstehung eines kohärenten Rechtsschutzsystems in der Europäischen Union beitragen. Dazu ist ein Sonderprozeßrecht für die innere Sicherheit nicht in der Lage. Die gerichtliche Kontrolle der öffentlichen Gewalt ist nur ein Bauelement eines umfassenderen Kontrollsystems, das erst volle Wirksamkeit im Zusammenspiel mit anderen
309
Kritisch zur Kontrolle Europols durch nationale Gerichte B. Swart, in: Roth, EUROPOL, S. 24: "Es ist unumgänglich, einen internationalen Richter mit Autorität und einem gutem Ruf auf dem Gebiet des Schutzes der Menschenrechte hinzuzuziehen. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften besitzt diese Autorität und diesen Ruf." 310 Schmidt-Aßmann, JZ 1994, 832 (839). 3,1 Zu Reformüberlegungen hinsichtlich des Rechtsschutzsystems der Europäischen Gemeinschaft Dauses, Gutachten D zum 60. Deutschen Juristentag 1994, sowie Schmidt-Aßmann, JZ 1994, 832 ff., und von Danwitz, NJW 1993, 1108 ff.
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Kontrollmechanismen entfaltet 312 . Im Recht der Europäischen Gemeinschaft ist ein solches Ineinandergreifen der Kontrollmechanismen eher gewährleistet als im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit.
312 Schmidt-Aßmann, Menger-FS, S. 107 (114); de Smith/Woolf/Jowell , Judicial Review, Rdnr. 1-003; andere Kontrollmechanismen in diesem Sinne sind z.B. die parlamentarische, politische, haushaltsrechtliche und gesellschaftliche Kontrolle.
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