124 30 19MB
German Pages 223 Year 1979
Soziologische Schriften Band 29
Struktur und Wandel der Polizei Organisations- und berufssoziologische Untersuchungen über die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland und in den USA
Von
Günter Endruweit
Duncker & Humblot · Berlin
GüNTER ENDRUWEIT
Struktur und Wandel der Polizei
Soziologische Schriften
Band 29
Struktur und Wandel der Polizei Organisations- und herufssoziologische Untersuchungen üher die Polizei in der Bundesrepuhlik Deutschland und in den USA
Von
Prof. Dr. Günter Endruweit
DUNCKER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1979 Duncker & Humblot, Berlln 41
Gedruckt 1979 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04378 2
Max Endruweit, meinem Vater, zum 90. Geburtstag, Arthur Kaufmann, meinem Doktorvater, zum 55. Geburtstag, Christian Helfer, meinem Habilitationsvater, zum 50. Geburtstag gewidmet.
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung ......................................................
15
1. Funktion und Ausbildung der Polizei in der soziologischen Analyse
19
1.1 Funktionen der Polizei .......................................
20
1.1.1 Soziale Funktionen ......................................
21
1.1.2 Interne Funktionen .....................................
26
1.2 Ausbildung der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
1.2.1 Ausbildung für soziale Funktionen
31
1.2.2 Ausbildung für interne Funktionen
35
1.3 Funktionen und Funktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
2. Struktur und Ausbildung der Polizei in den USA ..................
39
2.1 Organisationsstrukturen der Polizei ...........................
41
2.1.1 Organisationsebenen und Zuständigkeiten. .. . . .. . ... . . . ..
42
2.1.2 Innere Struktur der Gemeindepolizei .................... 2.1.2.1 Gliederung der Gemeindepolizei .................. 2.1.2.2 Personalstruktur und Besoldung .................. 2.1.2.3 Polizei als Kostenfaktor .......................... 2.1.2.4 Technische Ausstattung .......................... 2.1.2.5 Dienstbetrieb .................................... 2.1.2.6 Altersstruktur und Aufstiegschancen . . . . . . . . . . . . . .
45 45 49 53 54 56 57
2.2 Ausbildung der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
2.2.1 Einstellungsvoraussetzungen ............................. 2.2.1.1 Allgemeine Voraussetzungen. . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . 2.2.1.2 Allgemeinbildungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3 Bewerbungen und Kündigungen ..................
60 60 62 65
Inhaltsverzeichnis
8
2.2.2 Ausbildung ............................................. 2.2.2.1 Ausbildungsformen und -stufen .................. 2.2.2.1.1 2.2.2.1.2 2.2.2.1.3 2.2.2.1.4 2.2.2.1.5 2.2.2.1.6
66 67
Anlern-Ausbildung ...................... Polizei-Trainee-Ausbildung .............. Polizeiakademie .......................... Roll-Call-Training ....................... Spezial- und Fortbildungskurse .......... Systematische Ausbildung am Arbeitsplatz
67 68 68 76 77 81
2.2.2.2 Ausbilder ........................................
82
2.2.2.3 Disziplin und Korruption ......................... 2.2.2.3.1 Disziplin ................................. 2.2.2.3.2 Korruption ..............................
85 85 87
2.2.2.4 Ausbildungsstil .................................. 2.2.2.4.1 Lehrstil .................................. 2.2.2.4.2 Form der Prüfungen .....................
90 90 90
2.2.2.5 Beförderungen und Auszeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
2.3 Einstellungen der Polizei und Einstellungen zur Polizei: ein Aspekt der Organisation-Umwelt-Beziehungen... .... .. .. . . ...
93
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei. . . .... ... . .. .. . ... .
100
3.1 Erwartung und Wahrnehmung von Wandel...................
104
3.1.1 Bisherige Änderungen in der Polizeitätigkeit .............
105
3.1.2 Erwartungen von Wandel in der Zukunft................
110
3.1.2.1 Kurzfristiger Wandel ............................
110
3.1.2.2 Mittelfristiger Wandel ............................
118
3.2 Berücksichtigung des Wandels in der Vergangenheit. .........
126
3.3 Anpassung der Ausbildung an den erwarteten Wandel........
129
3.3.1 Anpassungen an kurzfristigen Wandel. . . . .. . . ...... .. . . . 3.3.1.1 Kürzungen gegenwärtiger Ausbildungsteile ....... 3.3.1.2 Verlängerungen der gegenwärtigen Ausbildungsteile ............................................. 3.3.1.3 Vorschläge für neue Inhalte... .. ...... . . ........ . 3.3.1.4 Änderungen im Ausbildungsstil ..................
130 130 135 140 145
3.3.2 Anpassung an mittelfristigen Wandel... .. . . .... ........ . 3.3.2.1 Kürzung gegenwärtiger Ausbildungsteile . .. .. .. .. . 3.3.2.2 Verlängerung gegenwärtiger Ausbildungsteile ..... 3.3.2.3 Vorschläge für neue Inhalte. .. .............. ... . . 3.3.2.4 Änderungen im Ausbildungsstil ..................
149 149 154 154 163
Inhaltsverzeiclmis
9
3.4 Chancen langfristigen Wandels ...............................
167
3.4.1 Langfristige Aufgaben der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.1 Wichtigste Aufgaben ............................. 3.4.1.2 Unwichtigste Aufgaben ..........................
168 168 174
3.4.2 Vorbereitung auf die Zukunft ...........................
179
3.5 Ergebnisse ...................................................
182
3.5.1 Zusammenfassung der Datentrends ...................... 3.5.1.1 über den Wandel der Polizei tätigkeit ............. 3.5.1.2 über die Berücksichtigung des Wandels in der Vergangenheit ....................................... 3.5.1.3 über die Berücksichtigung zukünftigen Wandels in der Ausbildung .................................. 3.5.1.4 über die Chancen erfolgreichen langfristigen Wandels ....................................... . . . ....
182 182
3.5.2 Zusammenfassende Auswertung .........................
186
Schlußbemerkung ...................................................
202
Anlagen ............................................................
209
Literaturverzeichnis .................................................
216
Sachverzeichnis .....................................................
221
183 183 185
Verzeichnis der Tabellen
Tab. 1: öffentliche Polizeiorganisationen in den USA 1965 ..........
42
Tab. 2: Bruttojahresgehälter von Polizeibeamten in $ 1970 ..........
48
Tab. 3: Durchschnittsgehälter und Steigerungsraten in den Gemeinde-Polizeibehörden von Cook-County . .. . . .. . . .. . . . . . . .
50
Tab. 4: Gehalt und Sozialleistungen für einen Patrolman in Des Plaines in $/Jahr ..........................................
51
Tab. 5: Schichteinteilung und Arbeitsbelastung bei der Gemeindepolizei in Cook-County (ohne Chicago) ....................
56
Tab. 6: Durchschnittsalter der Polizisten in Cook-County ..........
57
Tab.
7: Durchschnittliche Dienstjahre in Cook County ......... . ....
58
Tab.
8: Stellenkegel (ohne Polizeichef und dessen Vertreter) ... . ....
59
Tab. 9: Allgemeinbildung der Polizisten ...........................
63
Tab. 10: Stundenplan für verschiedene Grundausbildungskurse ..... .
69
Tab. 11: Anwärter-Ausbildung beim FBI ..........................
72
Tab. 12: Reformvorschlag (nach Watson/Sterling) ...................
74
Tab. 13: Grund-, Fortgeschrittenen- und Spezialkurse in Illinois 1971
78
Tab. 14: Fortbildungskurs des FEI für leitende Polizeibeamte anderer Behörden .................................................
79
Tab. 15: Auswahlkriterien bei Beförderungen .......................
92
Tab. 16: Erwartete kurzfristige Anderung der Polizeitätigkeit . .. . ... .
111
Tab. 17: Unterschiede in den kurzfristigen Zukunftserwartungen nach Sparte und Laufbahngruppe ..............................
118
Tab. 18: Erwartete mittelfristige Anderungen der Polizeitätigkeit ....
119
Tab. 19: Rangplätze der zehn häufigsten Erwartungen beim kurz- und mittelfristigen Wandel ....................................
123
Verzeichnis der Tabellen
11
Tab. 20: Bekannt gewordene GewaIt- und Eigentumsdelikte in den USA und der BRD (1973) ..................................
125
Tab. 21: BerückSichtigung von Änderungen der Polizeitätigkeit in Organisation und Ausbildung ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
Tab. 22: Vorschläge zur Kürzung von Ausbildungsteilen im Hinblick auf die erwarteten kurzfristigen Änderungen ..............
131
Tab. 23: Rangfolge der für kürzbar gehaltenen Ausbildungsteile im kurzfristigen Wandel ................. " ..... . .. . ... . ... .. .
134
Tab. 24: Vorschläge zur Verlängerung von Ausbildungsteilen im Hinblick auf die erwarteten kurzfristigen Änderungen . . . . . . . . . .
136
Tab. 25: Rangfolge der zu verlängernden Ausbildungsteile im kurzfristigen Wandel ..........................................
138
Tab. 26: Vorschläge für neue Ausbildungsinhalte im Hinblick auf die erwarteten kurzfristigen Änderungen. .. . ... . . . .. . . .. . . . . . .
141
Tab. 27: Anpassung des Ausbildungsstils an die erwarteten kurzfristigen Änderungen.. . . .. .... .. .. .... .. . .. . .. . .. . .. . . . . . ..
146
Tab. 28: Vorschläge zur Kürzung von Ausbildungsteilen im Hinblick auf die erwarteten mittelfristigen Änderungen .............
150
Tab. 29: Rangfolge der für kürzbar gehaltenen Ausbildungsteile im mittelfristigen Wandel. . .. . . .... . . . . .... . ... . . . . . . . ... . . .. .
152
Tab. 30: Häufigste und seltenste Kürzungsvorschläge nach Bundesländern ...................................................
153
Tab. 31: Vorschläge zur Verlängerung von Ausbildungsteilen im Hinblick auf die erwarteten mittelfristigen Änderungen. .. . . . . .
155
Tab. 32: Rangfolge der zu verlängernden Ausbildungsteile im mittelfristigen Wandel ..........................................
157
Tab. 33: Vorschläge für neue Ausbildungsinhalte im Hinblick auf die erwarteten mittelfristigen Änderungen ....................
159
Tab. 34: Rangvergleich der Erstnennungen über kurz- und mittelfristig nötige neue Ausbildungsinhalte .....................
162
Tab. 35: Anpassung des Ausbildungsstils an die erwarteten mittelfristigen Änderungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164
Tab. 36: Rangvergleich der Erstnennungen über kurz- und mittelfristig nötige Änderungen des Ausbildungsstils ............
167
Tab. 37: Ansichten über die langfristig wichtigsten Aufgaben der Polizei ....................................................
169
12
Verzeichnis der Tabellen
Tab. 38: Ansichten über die langfristig unwichtigsten Aufgaben der Polizei ....................................................
175
Tab. 39: SelbstbeurteiIung der gegenwärtigen Eignung der Polizei für die Aufgaben der Zukunft .................................
180
Tab. 40: Die drei häufigsten bzw. seltensten Vorschläge zur Kürzung oder Verlängerung der gegenwärtigen AusbiIdungsteiIe im kurzfristigen Wandel. . ... .... .... ... . . . .. . . . . . . .. ...... ...
184
Tab. 41: Die drei häufigsten bzw. seltensten Vorschläge zur Kürzung oder Verlängerung der gegenwärtigen AusbiIdungsteile im mittelfristigen Wandel ....................................
185
Verzeichnis der Abbildungen und Anlagen
Abb. 1: Organisationsvariablen und Umwelt........................
20
Abb. 2: Organigramm der Polizeibehörde Evanston . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
Abb. 3: Schichtverteilung in Evanston ..............................
57
AnI. 1: Auszüge aus dem Officer-Coach Training Guide der Illinois State Police ................................................
209
Anl. 2: Auszüge aus den Dienstvorschriften der Illinois State Police Academy (Recruit Training Syllabus) ........................
214
Vorbemerkung Von allen Organisationen ist die Polizei nach dem Industriebetrieb und der Schule wohl die am meisten erforschte. Während man aber von einer eigenständigen Industriebetriebssoziologie seit langem und einer eigenständigen Schulsoziologie seit einiger Zeit sprechen kann, weil deren jeweiliger Gegenstand recht deutlich integrativ von mehreren speziellen Soziologien her interdisziplinär - gewissermaßen als Schnittmenge mehrerer spezieller Soziologien - behandelt wird, kann von einer Polizeisoziologie noch nicht die Rede sein. Vielmehr wird die Polizei noch von den einzelnen soziologischen Disziplinen unter ihren eigenen Blickwinkeln gesehen. Dabei ist der Beitrag der einzelnen Soziologien recht verschieden. Die deutsche Kriminologie hat wegen ihrer nichtsozialwissenschaftlichen, einseitig legalistischen Orientierung auf Tat-Täter-Beziehungen jahrzehntelang gar nicht gemerkt, daß zu einer wissenschaftlichen Erfassung der Kriminalität auch gefragt werden muß, wer eigentlich institutionell einen Handelnden zum Täter im Sinne des Gesetzes machtl. Erst in neuerer Zeit hat die Rezeption der amerikanischen Kriminalsoziologie, insbesondere unter dem Einfluß des symbolischen Interaktionismus, in Deutschland das Augenmerk auf die Polizei gelenkt2 , aber eben unter spezifisch kriminologischen Fragestellungen. Der weitere präsumptive Zulieferer der Polizeisoziologie, die Organisationssoziologie, wurde von einer jetzt maßgeblichen Vertreterin vor 15 Jahren in Deutschland für noch nicht einmal als spezielle Soziologie existent gehalten3 • Auch das hat sich unter amerikanischem Einfluß erst neuerdings gewandelt und sogar schon bei der Polizei selbst zu ernsten Versuchen geführt, sich unter organisationstheoretischen Gesichtspunkten zu betrachten'. Daß die deutschen Wirtschaftswissenschaften angesichts der übertriebenen Verrechtlichung und ökonomischen Unterentwicklung der deutschen Verwaltung an der Polizei überhaupt kein Interesse fanden, kann nicht verwundern. In den USA dagegen sind u. a. Haushaltswesen der Polizei Vgl. auch Popitz S. 19/20. Insbesondere in den Arbeiten von Feest / Blankenburg und Feest / Lautmann. a Mayntz S.148. , Vgl. die Beiträge über Polizeiorganisation in Zeitschrift für Organisation 44 (1975), S. 361-401. 1
2
16
Vorbemerkung
und Wirtschaftlichkeits rechnung für einzelne Polizeiaktivitäten gängige Themen im wissenschaftlichen Schrifttum5 • Angesichts dieses kulturspezifischen "cultural lag" der deutschen Soziologie in der Polizeiforschung kann es nicht überraschen, daß es in den USA schon in den zwanziger und dreißiger Jahren Ansätze einer polizeisoziologischen Literatur gab und daß die Berliner Polizei der Weimarer Republik von einem Amerikaner erforscht wurde 8• Die USA verdanken ihren Vorsprung mehreren - teils glücklichen, teils unglücklichen - Umständen, so etwa der frühzeitigen Institutionalisierung einer hochdiversifizierten sozialwissenschaftlichen Soziologie, der bis vor kurzem überall in den USA im Vergleich zu Europa sehr problematischen Struktur der Polizei als eines stark politisierten Teils des Patronagesystems in der Lokalpolitik7 , der Einrichtung von Kursen in Criminal Justice Administration u. ä. für Juristen und Polizisten in der akademischen Ausbildung und der ungeheuren Offenheit des amerikanischen Verwaltungssystems für Innovationen. Daran liegt es unter anderem, daß viele amerikanische Beiträge auf diesem Gebiet sehr pragmatisch, empirisch, konkret und realistisch sind und damit in die Gefahr geraten, die Polizei von New York oder Desertville für die Polizei überhaupt zu halten, oder den Leser in die Gefahr bringen, Lehren zu ziehen, die irrtümlich bestimmte Teilaspekte für übertragbar halten. Diese Bemerkungen sollen einerseits erklären, warum auch die folgenden Untersuchungen die Polizei mehr unter jeweils auf einzelne spezielle Soziologien ausgerichteten Fragestellungen betrachten. Andererseits sollen sie auch erklären, warum hier eine recht spezielle Untersuchung über die deutsche Polizei (Teil 3) mit einer recht allgemeinen über die amerika nische Polizei (Teil 2) zusammengefügt ist: Viele Bausteine einer allgemeinen Polizeisoziologie sind bisher notgedrungen aus den keineswegs immer auf allgemeine Lehren ausgerichteten amerikanischen Abhandlungen übernommen worden, ohne daß wir die notwendigen Grundkenntnisse über das amerikanische Polizeisystem haben, um ermessen zu können, ob wir hier nicht einem keineswegs bös5 Siehe z. B. Larson, Richard C.: Urban Police Patrol AnalYSiS, Cambridge, Mass.: MIT Press 1972; Hirsch, Werner Z. / Sonenblum, Sidney / Teeples, Ronald K.: Local Government Program Budgeting, New York: Praeger 1974; Folk, F. J.: Municipal Detective Systems: A Quantitative Approach, Cambridge, Mass.: MIT Operations Research Center 1971; Heller, N.: Proportional Rotating Scheludes, Ph. D. Dissertation, Philadelphia, Penn.: University of Pennsylvania 1969; Leonard, V. A.: Police Patrol Organization, Springfield, Ill.: Charles C. Thomas 1970; St. Louis Police Department: Allocation of Patrol Manpower Resources in the St. Louis Police Departments, 2 vols., St. Louis, Mo.: St. Louis Police Department 1968. 6 Liang, Hsi-Huey: The Berlin Police Force in the Weimar Republic, Berkeley, Calif.: University of California Press 1970. 7 Dazu u. a. Fogelson S. 23-39, und Fosdick S. 115.
Vorbemerkung
17
willigen oder auch nur leichtfertigen, sondern natürlichen Ethnozentrismus aufsitzen. Die hier erstmals veröffentlichten Untersuchungen wurden im Rahmen einer großen Studie über das Berufsbild des Polizeibeamten angefertigt, die von Angehörigen der Fachrichtung Soziologie der Universität des Saarlandes im Auftrag der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder in den Jahren von 1972 bis 1975 durchgeführt wurde 8 • Entsprechend den verschiedenen Zielsetzungen dieser Studie haben auch die einzelnen Teile dieser Veröffentlichung einen verschiedenen Charakter. Teil 1 bringt eine theoretische Einführung in einen besonderen Aspekt der Organisationssoziologie. Angesichts der kriminologischen Tradition und, weitestgehend, auch des juristischen Gegenwartsverständnisses, die eine sozialwissenschaftliche Analyse der Polizei eigentlich entschuldbar nur dann außer Betracht lassen können, wenn sie - fälschlich, natürlich - annehmen, diese sei eine Institution, die selbstverständlich haargenau entsprechend ihrer rechtlichen Betriebsanweisung funktioniere, scheint es notwendig, auf einige organisationssoziologische Gesichtspunkte hinzuweisen, die auch für die Polizei gelten. Mit ihnen soll darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Polizei, wie fast alle Organisationen, auch ein Eigenleben führt, das teilweise unabhängig vom Organisationsziel ist; was in neueren kriminalsoziologischen Untersuchungen u. a. über selektive Strafverfolgung mehr als Analyse von Individual- und Gruppenverhalten der Polizeibeamten gesagt wurde 9 , hat durchaus auch seine organisationssoziologische Seite. Auch aus dieser Sicht ist also die Polizei nicht nur ein Rädchen in der Mühle der Justiz, das rein mechanische übersetzung im Sinne der Technik verrichtet; vielmehr treibt sie durchaus übersetzung als Sinnübertragung und muß deshalb auf ihre Systemfunktion, auf die Sozialisation ihrer Mitglieder usw. untersucht werden, um Probleme wie Rechtsprechung, Kriminalisierung, Normdurchsetzung, Randgruppen, Schichtung usw. erfassen zu können. Teil 2 mit den Angaben über die amerikanische Polizei soll vor allem bei der Beurteilung der weitgehend theoretischen Frage helfen, welche Erkenntnisse der dortigen Polizeisoziologie auch über die USA hinaus Geltung haben könnten, und zur Lösung der praktischen Frage beitragen, welche konkreten Details aus amerikanischen Polizeistrukturen 8 Die Ergebnisse sind ausführlich bei Helfer / Siebel wiedergegeben; eine Kurzfassung dieses Berichts für den Buchdruck ist in Vorbereitung. Einzelergebnisse wurden schon bei Endruweit Relations und Waldmann Organisationskonflikte S. 67-81 mitgeteilt. Im Gutachten an die Auftraggeber waren nur die hier in Teil 3 benutzten Daten enthalten (Helfer / Siebel, Bd. 5,
S. 1237-1314). 9
Siehe z. B. Feest S.54-57.
2 Endruwelt
18
Vorbemerkung
in andere kulturelle Umgebungen übertragen werden könnten und welche unabänderlich mit tieferen Strukturen der amerikanschen Gesellschaft zusammenhängen. Dieser Teil beruht im wesentlichen auf Expertengesprächen10 mit Mitgliedern mehrerer Polizei organisationen, auf nichtteilnehmender Beobachtung des Ausbildungs- und Dienstbetriebes in diesen Organisationen in den Jahren 1972 und 1973 und auf der Auswertung von zum Teil unveröffentlichtem schriftlichem Material. Teil 3 hat sein Material aus der deutschen Polizeistudie. Die empirische Grundlage waren 1 243 Klassenzimmerinterviews mit einer hinsichtlich regionaler Streuung, Dienstbereiche, Lebensalter und ähnlicher Daten repräsentativen disproportional geschichteten Stichprobe von Beamten der Schutz- und Kriminalpolizei des mittleren und gehobenen Dienstes. Die Interviews wurden im Juni 1974 durchgeführt. Dieser Teil soll insbesondere Fragen zum Zusammenhang zwischen Organisationsziel und Sozialisationsergebnis der Ausbildung aufwerfen, über das Verhältnis von Organisationsbild und individueller Wertordnung und Verhaltensorientierung der Mitglieder und schließlich über die denkbaren Rückwirkungen der Mitgliederstruktur auf die Organisationsstruktur und die Organisationsziele berichten. Trotz einer gewissen Heterogenität sollen diese vornehmlich organisations- und berufssoziologischen Betrachtungen zu einer Polizeisoziologie beitragen, deren Anfänge ohnehin erst in den sechziger Jahren erkennbar wurdenu. Für die Möglichkeit, den von mir betreuten Teil der deutschen Untersuchung selbständig veröffentlichen zu können, bin ich Christian Helfer zu Dank verpflichtet, der einer der beiden Auftragnehmer für den Forschungsauftrag der Innenministerkonferenz war. Frau Gudrun Krieger von der Universität des Saarlandes danke ich für die nicht nur genaue, sondern auch kritische Betreuung des Manuskriptes. Saarbrücken, im August 1978 Günter Endruweit
10 Stellvertretend für alle anderen sei hier gedankt: Carl F. Tucker, U. S. Department of Justice, Judge Angelo F. Pistilli, Joliet, Ill., Supervisor John F. Burns, FBI Washington, Special Agent John C. Noonan, FBI Chicago, Superintendent Dwight E. Pitman und Major F. E. Piper, Illinois State Police, Superintendent James B. Conlisk, Chicago Police Department, Director James T. McGuire, Chicago Police Academy, Chief of Police WiIliam McHugh und Sergeant Larson, Evanston, IH. U Cain S.2.
1. Funktion und Ausbildung der Polizei in der soziologischen Analyse Aus soziologischer Sicht ist die Polizei eine Organisation, also ein soziales Subjekt, das bestimmte vorgegebene oder selbstgesetzte, aber stets beschränkte Ziele hat, für deren Erreichung es bestimmte Instrumente besitzt, und das unter bestimmten Organisationsbedingungen arbeitetl. Noch genauer ist die Polizei eine soziale Agentur, also eine von der Gesellschaft formell eingerichtete Organisation zur Verfolgung bestimmter Gesellschaftsziele. Sie ist eine! der Agenturen für soziale Kontrolle. Unter sozialer Kontrolle soll hier ein Prozeß verstanden werden, durch den ein soziales System seine Mitglieder zu positiv bewertetem Verhalten zu bringen oder wenigstens von negativ bewertetem Verhalten abzubringen versuch~. Wie jede Organisation wird auch die Polizei durch bestimmte Strukturen, Funktionen und Verhaltensweisen ihrer Mitglieder charakterisiert. Wenngleich die Zahl der grundsätzlichen organisationssoziologischen oder allgemein organisationstheoretischen Ansätze ständig zunimmt4, so sind sich doch - soweit erkennbar - alle derzeitigen Richtungen darin einig, daß die erwähnten Merkmale abhängige Variablen sind, die durch die unabhängigen Variablen, nämlich Organisationsziele, -instrumente und -bedingungen, bestimmt und durch die intervenierenden Variablen der sozialen Einflüsse modifiziert werden5 • Dazu kommt noch, daß sie - wie auch die unabhängigen Variablen - untereinander in Verbindung stehen. Dieser Zusammenhang kann schematisch etwa so skizziert werden, wie es Abbildung 1 zeigt. Hierbei interessiert besonders die Verbindung der Polizei mit der sozialen Umwelt. Natürlich hat jede Organisation, sogar ein Eremitenkloster, solche Verbindungen. Aber bei Agenturen der sozialen Kontrolle sind sie von besonders prekärer Natur: Die Polizei als Organisation ist eine Einrichtung der Gesellschaft mit dem Ziel, gegen Teile der Genauer dazu Endruweit Relations S. 225-228. Zu ihrem Verhältnis zu anderen Agenturen vgl. Lautmann S. 11-13. a So ähnlich auch z. B. Hartftel, Günter: Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart: Kröner 1972, S.355; Treiber, Hubert, in: Fuchs, Werner, u. a.: Lexikon zur Soziologie, Opladen: Westdeutscher Verlag 1973, S. 372. 4 überblicke z. B. bei Haas / Drabek S.23-93 und Grochla S. 10---13. , Ausführlicher dazu Endruweit Relations S. 243-247. 1
2
Z·
20 1. Funktion und Ausbildung der Polizei in der soziologischen Analyse AbbiLdung 1: Organisationsvariablen und Umwelt Organisation
Inputs
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Variablen
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1S
2.3 Einstellungen der Polizei und Einstellungen zur Polizei
93
beurteilung ist im Fall von Evanston gemeint), kann sie auch zu be'reits sichtbaren Eigenschaften für den Zielrang Stellung nehmen und deswegen mehr berücksichtigt werden. Neben der Beförderung gibt es, meistens allerdings nur in größeren Polizeibehörden, ein System von Auszeichnungen für besondere Leistungen. Das geht von einem mehrstufigen Ordenssystem für Tapferkeit im Dienst für New Yorker Polizisten77 über Medaillen für allgemein überdurchschnittlichen Dienst bis hin zu Urkunden, Geldpreisen und Medaillen für besondere Leistungen in der Fortbildung innerhalb und außerhalb der Polizei, die manchmal auch durch Stipendien und zumindest teilweise Dienstbefreiung zum Weiterstudium belohnt werden. Außerdem gibt es häufig formelle Belohnungen für erfolgreiche Festnahmen, oft gekoppelt mit Schwerpunktprogrammen. Schließlich gibt es noch eine Reihe informeller Belohnungen, d. h. Anerkennungen, die nicht automatisch nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen gegeben werden. Diese können zum Beispiel Dienstbefreiung für eine Schicht, Versetzung in eine bestimmte gewünschte Funktion oder in eine bestimmte Schicht, Befreiung von unangenehmen Posten usw. sein. Mit derartigen positiven Disziplinarmaßnahmen sind nach allgemeinem Urteil gute Erfahrungen gemacht worden, oft sogar bessere als mit negativen Sanktionen. 2.3 Einstellungen der Polizei und Einstellungen zur Polizei: ein Aspekt der Organisation-Umwelt-Beziehungen
Die Struktur und die Ausbildung der Polizei in den USA haben sich in vielen Punkten als deutlich anders erwiesen als sie auch dem Laien von der deutschen Polizei bekannt sind. In der neueren Organisationssoziologie wird dann, bei sonst gleichen Organisationselementen, gern auf den Einfluß der sozialen Umwelt verwiesen 1 • Gerade die Polizei, die ihr soziales Gegenüber ziemlich repräsentativ quer durch die Sozialstruktur findet und die ihr Publikum auch nicht wie das Finanzamt, das Krankenhaus oder der Industriebetrieb nur in relativ speziellen Situationen trifft, ist mit Recht als ein besonders geeignetes Feld für Untersuchungen über Beziehungen zwischen Organisation und Umwelt bezeichnet worden2 • Einer der vielleicht bezeichnendsten Aspekte dieser Beziehungen sind die gegenseitigen Einstellungen und die teilweise darauf beruhenden Selbstbilder der Polizei. Wenn sich in den USA in den letzten fünfzehn 77 1 2
Watson / Sterling S.54. Dazu näher Endruweit Relations S. 243. Reiss / Bordua S. 54.
94
2. Struktur und Ausbildung der Polizei in den USA
bis zwanzig Jahren ein so umfassender Wandel in der Polizeiorganisation gezeigt hat, der häufig hohe Ansprüche an die Träger stellte, so ist zu vermuten, daß sich zumindest das Polizeibild der politisch maßgebenden Personen geändert hats. Das heißt aber nicht notwendig, daß sich das Selbstverständnis eines jeden Polizisten und daß sich das Polizeiverständnis eines jeden Staatsbürgers ebenfalls und in der gleichen Richtung gewandelt haben muß. Treten hier Diskrepanzen auf, können daraus neue Schwierigkeiten für die Tätigkeit der Polizei entstehen.
In diesem Abschnitt sollen durch Wiedergabe von Zitaten aus der Polizeiliteratur und Ergebnissen empirischer Untersuchungen einige Illustrationen zur gegenwärtigen Bewußtseinslage gegeben werden, die aber nicht den Anspruch erheben, ein vollständiges Abbild der Wirklichkeit zu sein. Für eine empirische Untersuchung des Verhältnisses zwischen Bürger und Polizei könnte es interessant sein, einer Hypothese nachzugehen, die ein New Yorker Polizeioffizier aufstellte, als er von einer Informationsreise aus Europa zurückkam. Er meinte, dieses Verhältnis sei durch die Geschichte der Polizei bestimmt, und diese Geschichte sei auf beiden Kontinenten sehr verschieden: Die Polizei in Europa sei fast überall als Instrument der regierenden Minderheit zur Kontrolle des Volkes eingerichtet worden; in den USA dagegen habe sie als Organisation der Bürger zum Selbstschutz begonnen4 • Wenn "die Polizei" in den USA ein so uneinheitliches Bild bietet, wie es beschrieben wurde, dann ist es besonders naheliegend, daß ihre Einschätzung in der Bevölkerung nicht nur, wie bei jeder Organisation, von persönlichen Erfahrungen des einzelnen gefärbt ist, sondern auch von einem mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart liegenden Zustand. Da der gegenwärtige Wandel in jeder Gemeinde zu einem anderen Zeitpunkt, mit anderer Geschwindigkeit und anderen Begleiterscheinungen auftrat und zudem durch weiteren Wandel auf übergemeindlichen Ebenen verdeckt wurde, braucht es einige Zeit, bis der neue Zustand dem Außenstehenden sichtbar wird. Daher ist das gegenwärtige Polizeibild vieler Amerikaner noch von der Vergangenheit geprägt, die zudem den Vorzug hat, durch Vergessen von Einzelheiten alles klarer erscheinen zu lassen. Das Polizeibild der Vergangenheit ist alles andere als schmeichelhaft. Hier sollen nur Ergebnisse von Untersuchungen und Ansichten von 3 Für den Haushalt des Jahres 1973 schlug der Chicagoer Bürgermeister eine Verminderung des städtischen Personals um 700 Stellen, aber eine Erhöhung der Polizeistärke um 560 Mann vor. Während andere Dienststellen keinerlei Verbesserung erhielten, wurden für die Polizei Gehaltserhöhungen und Verlängerung des Urlaubs beantragt (Chicago Daily News vom 14.11. 1972, S.I). 4 Vgl. dazu auch Gasser S.8. Zu den Unterschieden zwischen Europa und den USA auch Fogelson S. 13-18.
2.3 Einstellungen der Polizei und Einstellungen zur Polizei
95
Insidern wiedergegeben werden. So heißt es 1929, "policemen as a dass, are usually not weIl educated, skilled mechanically or industrious. They are men above the average in physical strength and appearance who have lacked sufficient persistence to acquire an education or learn a trade.) Their contacts with the criminal element tend to make them suspicious of human nature. They are daily engaged in the prosecution of others, and of course, in defending their own acts"5. Wäre der Polizist das, als was man manchmal im Militär die Pioniere bezeichnete, nämlich stark und doof, dann bestünde die Hoffnung, daß er doch gutmütig sei. Aber gerade das wurde nicht angenommen. Vielmehr hörte man Gunnar Myrdal in seiner aufsehenerregenden Studie über amerikanische Probleme sagen, die ökonomische und soziale Unsicherheit des schlechtbezahlten und ungebildeten Polizisten treibe ihn in eine ständige Defensivhaltung und lasse ihn als hartgesotten erscheinenft • Da Polizisten vorwiegend aus den unteren Schichten7 kamen und da festgestellt worden war, daß Neigung zu Gewalttätigkeit in Unterschichten ein relativ häufiges Phänomen war, hatte man auch eine handliche Erklärung für die Fälle von Polizeibrutalität8 - die Polizei war eben schon mit einem Geburtsfehler behaftet. Und schließlich ist es auch Volksweisheit, daß der Umgang mit der Persönlichkeit korreliere, was dann auch bei der Polizei gelten muß 9 • Empirische Untersuchungen fanden, daß der Polizist nicht immer der unternehmungslustige, schaffensfrohe, selbständige Mensch ist, der in den USA so geschätzt wird, sondern daß der Polizeibetrieb am ehesten für autoritätsfromme, in strenger Erziehung aufgewachsene, konformistische Typen erträglich istlO • Könnte man das noch als berufsspezifischen Persönlichkeitsvorteil ansehen, so stimmen beobachtete Konsequenzen doch bedenklich. Denn dieser Polizist zeigt Vorurteile gegen Minderheiten aller Art, die er entsprechend behandelt, bis hin zur Selbstjustizll ; das läßt sich dann nicht mehr als Vorteil abtun. Dieses Image bleibt dem Polizisten nicht verborgen, und seine Haltung wird davon beeinflußt. Er wird leicht zynisch, von der Gesellschaft 5 Asher Lynn Cornelius: The Cross-Examination of Witnesses, 5th printing, Indianapolis: Bobbs-Merrill 1940 (zuerst 1929), S. 176. ft Myrdal S.540. Vgl. auch City of New York Commission on Human Rights: Community Values and Conflict, 1967: A Conference Report, New York 1967, S.74. 7 Dazu auch Fogelson S. 227. 8 Siehe Sam Blum: The Police, in: Redbook Magazine, Februar 1967. 9 Das ist jedenfalls der Tenor der Stellungnahme bei Jerome H. Skolnick: Justice Without Trial, New York: John Wiley 1966, S.42. 10 Ruth J. Levy: Predicting Police Failures, in: Journal of Criminal Law, Criminology and Police Science 58 (1967), No. 2, S.275. 11 Siehe dazu Fletcher Knebel: Police in Crisis, in: Look 32 (6.2.1968), No. 3, S.14, und Bordua S.33. Für Deutschland vgl. Waldmann Organisationskonflikte S. 69/70 und Hinz S. 140.
2. Struktur und Ausbildung der Polizei in den USA
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enttäuscht und in seinem Selbstwertgefühl gemindert12 • Wenn man dann noch in Betracht zieht, daß viele zur Polizei gehen wegen des abwechslungsreichen Dienstes und dann feststellen müssen, daß es auch hier in manchen Stellungen hauptsächlich Monotonie und uneinsehbare Routine gibt, und wenn sie dazu bemerken, daß der innerhalb und außerhalb des Dienstes geschätzteste Polizist der Kriminalbeamte ist - der Mann, der keine Uniform trägt -, wird die Tendenz zur Unzufriedenheit gesteigert13 • Das alles führt zu einem engeren Zusammenschluß in der Wir-Gruppe 14 bis hin zur illegalen Kameraderie in einer Subkultur. Andererseits kann nicht übersehen werden, daß die Städte, die Hauptträger der Polizeilast in den USA, die Situation der Polizei in den letzten Jahren ungeheuer verbessert haben, mehr wahrscheinlich als die Lage in jedem anderen Gebiet städtischer Aktivität. Zumindest die entscheidenden politischen Kräfte der Städte müssen also ein nicht so negatives Bild von der Polizei haben. Da aber die Anteilnahme der Bürger an Kommunalwahlen und an der Stadtpolitik im Vergleich zu Deutschland viel größer ist, kann man die Hypothese aufstellen, daß die Mehrheit die Polizeiinvestitionen billigt und deshalb insgesamt doch ein positives Urteil gegenüber der Polizei hat. Auch in der Polizei selbst ändert sich die Selbsteinschätzung. Wenn das FB! im Jahresbericht 1967 seine Akademie als das "West Point of Law Enforcement" und "summit of law enforcement training"15 besingt und wenn die Polizei von Chicago sich als ungewöhnliche Gelegenheit für das Verdienen von Geld und Dank anpreist16, dann ist das noch das übliche Klopfen von Werbesprüchen. Aber auch wenn noch mehr als die Hälfte von befragten Sheriffs aus den Südstaaten angeben, sie hielten die Ausbildung für ausreichend, obwohl es nur bei 20 Ofo von ihnen Banton S. 114 und 169; Jacobs S. 24; Turner S. 45. J acobs S. 48. 14 Banton S.170; EImer Hubert Johnson: Crime, Corrections and Society, Homewood, 111.: Dorsey Press 1964, S. 443; Bordua S. 138. 15 Seite 31. 16 In einer "Botschaft vom Superintendenten" sagte der Chicagoer Polizeichef James B. Conlisk 1971: "The Chicago Police Department offers young men an outstanding opportunity for a satisfying career in public service. It provides maximum potential for promotion to positions of greater responsibility and prestige. - The police profession is a tough and demanding one. However, its rewards are many: personal recognition for service to fellow citizens, opportunity to obtain higher education, financial security, and a great variety in work assignments. - To make it a better place to live, Chicago needs topflight men in police service. If you can measure up to the high standards required of a Chicago police officer, we will be pleased to welcome you to our ranks." 12
13
2.3 Einstellungen der Polizei und Einstellungen zur Polizei
97
überhaupt welche gab 17, und wenn auch nur die Hälfte von tausend befragten Polizeichefs zugab, daß die Ausbildung noch Mängel habe 1s, und wenn sich auch die Gewerkschaften um diese Mängel des Polizeidienstes herzlich wenig kümmern 19, so wird trotzdem der Wandel in den Anforderungen an den Polizisten - und damit die Notwendigkeit eines neuen Polizistentyps - immer mehr bemerkt. Das drückt sich unter anderem in den folgenden Worten des damaligen geschäftsführenden Direktors der International Assodation of Chiefs of Police aus: "Never in history of law enforcement in our nation have the pressures and demands upon those charged with enfordng the law been greater or more acute. . .. The police mandate is simple in concept - prevent crime and apprehend criminals. But the sodal climate of our times has immensely broadened this concept to where the police find themselves the arbiter between riyal sodal factions, where they find themselves involved in the most delicate problems of human relations in the rapidly changing sodal structure of our modern society. It is no exaggeration to say that the type of duties normally performed by sodal workers occupy as much as fifty percent of the long day of both police administrators and line officers!o." Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu sehen, die sich mit Einstellungen amerikanischer Polizisten beschäftigen. Zwei neuere von ihnen sollen hier in einigen Punkten referiert werden. Die erste Untersuchung!l umfaßte 124 Polizisten im Dienstrang von Patrolman bis Inspector aus verschiedenen Polizeiorganisationen. Sie war als exploratorische Untersuchung gedacht und wurde Mitte der sechziger Jahre durchgeführt. Danach fühlten sich 60 °/0 der Befragten durchaus nicht als sehr selbständig Arbeitende, sondern eher als Rädchen in einer Maschine; nur 40 fJ/o waren der Ansicht, daß die Polizei in ihrer Gemeinde ein vorteilhaftes Image habe. Lediglich ein Drittel meinte, die Polizei habe heute genügend Autorität, aber 82 Ofo hielten schärfere Strafen für Rechtsbrecher für notwendig, obwohl 65 010 meinten, daß Strafen überhaupt einen Einfluß auf die Kriminalität haben22 • Dementsprechend gaben 17 Dana B. Brammer / James E. Hurley: A Study of the Office of Sheriff in the United States' Southern Region, University of Mississippi: Bureau of Governmental Research 1967 (vervielfältigt), S. 175. 18 Robert J. Havlick: Police Recruit Training, in: International City Managers' Association (ed.): Municipal Yearbook, 1968, Chicago 1968, S.347. 18 Saunders S. 145. 10 Quinn Tamm: Equal Justice Under Law, in: The Police Chief 33 (November 1966), No. 11, S. 6. 21 Watson I Sterling S. 7 ff.
7 Endruwelt
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2. Struktur und Ausbildung der Polizei in den USA
89°/0 zu, daß es in ihrer Organisation "einige" gebe, die beim Umgang
mit Verdächtigen zuweilen etwas rauh sind; 9 (l/o meinten, es seien viele, und nur 2 °/0 wußten niemanden, der sich so verhielt. Ein repräsentatives Zitat: "Wir haben Beamte, die bringen keinen herein, der nicht blutet, ganz egal, weswegen sie ihn festnehmen". Es wäre aber verfehlt, die Polizei danach als Einsperrtechniker anzusehen; denn 550f0 waren dafür, daß die Polizei sich beispielsweise um Erziehungsprobleme, Arbeitsplatzschwierigkeiten und Benachteiligung von Wohnungssuchenden kümmere, und 65 Ofo glaubten, daß eine Beseitigung von sozialen und psychischen Komponenten abweichenden Verhaltens eher zur Eindämmung der Kriminalität führe als eine Vergrößerung und Verbesserung der Polizei. Trotzdem wollten 90 °/0 ihre Tätigkeit als Lebensberuf ansehen, allerdings hauptsächlich wegen der vergleichsweise hohen Sozialleistungen, wegen der doch interessanten Arbeit und wegen der Arbeitsplatzsicherheit - so die drei meistgenannten Gründe 23 • Für die zweite Untersuchung24 wurden 7099 Fragebogen versandt, von denen 4844 ausgefüllt zurückgeschickt wurden. Dabei wurden 294 Organisationen aller Ebenen in allen Staaten erfaßt. Die Befragten waren im wesentlichen Patrolmen, Kriminalbeamte, Jugendpolizisten, Innendienstbeamte und Ausbilder. Die Untersuchung war, wie bei schriftlichen Befragungen oft, im Ergebnis nicht repräsentativ, verfälschte aber die Verteilungen nicht sehr stark. Auch dieser Befragtengruppe wurde die Rädchen-Frage gestellt, und etwa 80 Ofo hielten sich nur für ein Rädchen im Getriebe; je länger die Erfahrung, je niedriger die Vorbildung, desto mehr wurde die Frage bejaht. Auf die Behauptung, gute Polizeiarbeit erstrecke sich auf die Folgen und nicht auf die Ursachen des Verbrechens, reagierten etwa 13 Ofo positiv und etwa 86 (l/o negativ; die Ablehnung war am schwächsten bei Polizisten mit der besten Vorbildung. über zwei Drittel fühlten die Polizei von den Politikern nicht genügend unterstützt. Auf die Behauptung, daß ein guter Polizist seinem Vorgesetzten unbedingt gehorsam sein müsse, reagierten über 50 °/0 zustimmend und über 400f0 ablehnend; unter den Polizisten mit niedriger Schulbildung oder weniger als 20 Dienstjahren oder bei den "Frontsoldaten" (im Gegensatz zu Innendienstlern und Ausbildern) überwogen die Zustimmungen. Etwa drei Viertel hielten mehr Polizisten mit höherer Bil22 Weitgehend anders noch in Deutschland, vgl. Waldmann Organisationskonflikte S.77. 23 Sicherheit und Abwechslung im Beruf spielen auch bei deutschen Polizisten eine erhebliche Rolle als Berufswahlmotiv; eingehender dazu Hornthal/ Krenz S. 243 m. w. N. und Helfer / SiebeI, Bd.4, S. 786-791. 24 Watson / Sterling S. 10 ff.
2.3 Einstellungen der Polizei und Einstellungen zur Polizei
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dung (College) für nötig, obwohl eine Mehrheit (anders nur Polizisten mit Collegebildung und Ausbilder und Verwalter) meinte, das Bildungsniveau habe mit der Qualität des Polizisten nicht notwendig etwas zu tun. Etwa die Hälfte meinte, in manchen Stadtvierteln würden Kampftechnik und aggressives Gehabe dem Polizisten mehr Vorteil verschaffen als Buchwissen und freundliches Verhalten; bedeutend mehr Ablehnung als Zustimmung fand diese Ansicht unter Polizisten mit höherem Dienstalter, höherer Schulbildung und unter Jugendpolizisten und Ausbildern. Eine überwiegende Mehrheit von durchschnittlich zwei Dritteln meinte, ein erfolgreicher Polizist müsse im entscheidenden Moment von den vorgeschriebenen Verhaltensregeln abweichen können25 • Dementsprechend glaubte auch nur ein gutes Drittel, daß derjenige der beste Beamte sei, der sich genau an die Dienstvorschriften hält. Vielen schien die Ausbildung in Sozialwissenschaften nützlich; denn nur weniger als ein Drittel (mehr nur bei niedriger Schulbildung) meinten, daß Psychologie und Soziologie zu wenig auf die tägliche Polizeiarbeit zugeschnitten seien. Unzufriedenheit mit der gesetzlichen Rolle spiegelte sich in der Meinung von über zwei Dritteln, daß die Kriminalität geringer wäre, wenn die Polizei sich mit gleicher Intensität wie bei der Strafverfolgung der Verbrechensverhütung widmen würde, und in dem Wunsch von fast zwei Dritteln, bei jugendlichen Tätern deren sozialökonomische Situation berücksichtigen zu können, wenn über das weitere Vorgehen entschieden wird. Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß die Situation der amerikanischen Polizei offensichtlich von ihr selbst wie auch von der Bevölkerung so ambivalent beurteilt wird, wie es die Untersuchung vor außen her nahelegt.
25 Aus 170 Interviews mit Polizeibeamten einer deutschen Großstadt ergab sich, daß ebenfalls etwa zwei Drittel meinten, der Beamte könne sich nicht immer an die Buchstaben von Gesetz und Vorschrift halten, wenn der Dienstbetrieb nicht zusammenbrechen solle (Hinz S. 141).
7·
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei Obgleich die Polizei zu den Organisationen gehört, die durch Selbstund Fremdbeobachtung ungewöhnlich zahlreiche Beschreibungen und Analysen hervorgebracht haben\ fehlt es trotzdem noch an Untersuchungen über den Wandel der Polizei. Das liegt allerdings nicht an der Polizei, sondern an den allgemeinen Bedingungen für Longitudinalanalysen in der Sozialforschung. Untersuchungen über Organisations- und anderen Wandel sind in jeder Hinsicht sehr aufwendig und daher selten. Dabei sind Forschungen über den Wandel von sozialen Systemen jedoch wissenschaftlich wie auch politisch und praktisch in der Regel von größerem Interesse als auch noch so analytische Momentaufnahmen. Besonders müßte das für die Polizei gelten, wenn man sie - wie unter 1.1.1 angedeutet als eine der Schlüsselorganisationen für die Sozialstrukturanalyse ansieht. Es steht außer Zweifel, daß sich die meisten Gesellschaften in den letzten zwanzig Jahren und erst recht in den letzten hundert Jahren erheblich gewandelt haben. Dann müßte die Polizei sich ähnlich gewandelt haben, oder es muß erhebliche Veränderungen - in welcher Richtung auch immer - im Spannungsrepertoire der Gesellschaften gegeben haben. Wenn die Polizei als Funktionsnachfolger der "Cherubim mit dem bloßen hauenden Schwert" aus 1. Mose 3,24 zuweilen scherzhaft als das zweitälteste Gewerbe der Welt bezeichnet wird, dann wird damit suggeriert, daß die Arbeit der Polizei, und wohl auch die Polizei insgesamt, ewig dieselbe sei. Demgegenüber wird heute in Deutschland ein Wandel der Polizei aber für selbstverständlich gehalten. Wahrscheinlich ließe sich zahlenmäßig belegen, daß die Vermutung richtig ist, die Polizei habe in den letzten zwanzig Jahren mehr kleine und große Reformen erlebt als die meisten anderen Zweige des öffentlichen Dienstes. Dabei handelt es sich zumeist um Veränderungen, die man durch simple Dokumentenanalyse, etwa durch Rechtsvergleichung der einschlägigen Gesetze, nicht erfassen kann. Wer die Polizei von 1877 und die von 2077 vergleicht, wird gewiß weitaus mehr Unterschiede finden als zwi1 Um nur die Veröffentlichungen zu einem Spezialgebiet, der Polizei in der Weimarer Republik, zu überblicken, schaue man einmal in das Literaturverzeichnis bei Liang!
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
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schen der jeweiligen Fassung der §§ 152 GVG und 160, 163 StPO im Jahre 1877 und im Jahre 20772 • Schon diese Behauptung ist eine Prognose, die aus der Vergangenheit auf die Zukunft schließt; aber sie soll hier die einzige bleiben. Denn hier sollen keine Prognosen nach Art der futurologischen Zukunftsstudien gestellt werden. Sie gehen zumeist von zu simplen Trendextrapolationen und vorurteilsvollen Annahmen einer stetigen eindimensionalen Entwicklung aus 3, als daß sie wirkliche Entscheidungshilfen bieten könnten. Brauchbare Prognosen eines solchen Allgemeinheitsgrades lassen sich wohl nur als Alternativszenarios aus Computersimulation aufbauen und nicht mit den herkömmlichen Methoden. Ebenso geht es uns hier nicht um eine klassische Untersuchung von Organisationswandel, also um die Frage, wie sich eine Organisation von irgendeinem Zeitpunkt der Vergangenheit bis zum gegenwärtigen Augenblick verändert hat. Sofern eine solche Untersuchung nicht schon in der Vergangenheit, etwa als Zeitreihenstudie, angelegt und dann in regelmäßigen Abständen durchgeführt wurde, ist sie rückschauend nur mit Einschränkungen möglich, nämlich entweder auf methodologisch zweifelhaftem Niveau oder mit sehr enger Fragestellung, obgleich zuzugeben ist, daß die Forschungsbedingungen bei der Polizei sicherlich günstiger sind als bei den meisten anderen vergleichbaren Objekten. Bei unserer Fragestellung geht es vielmehr um die Chancen des Wandels, also um eine Untersuchung gegenwärtiger Verhältnisse und nicht um die Erforschung der Vergangenheit oder die Vorhersage der Zukunft. Diese Untersuchung ist nicht etwa dadurch überflüssig, daß Veränderungen der Polizeiorganisation vom Amts wegen verordnet werden können. Denn was administrativ als Reform bezeichnet zu werden pflegt, ist soziologisch noch längst kein Wandel, sondern bestenfalls ein Anstoß zum Wandel. Die Entscheidungen auf den Direktionsetagen sind daher weniger Forschungsobjekt als die Verhältnisse vor Ort. Man kann fast sagen, daß die meisten organisationssoziologischen Studien in ihrem Zentrum die Frage haben, inwieweit die Initiativen der Leitung mit dem tatsächlichen Handeln der Organisationsmitglieder übereinstimmen oder konfligieren. Damit verknüpft ist in der Regel die Frage, !
Vgl. auch Wehner S.174 m. w. N.
a Vgl. die Studie von Bleck (1971), die versucht, aus allgemeinen futurolo-
gischen Prognosen auf die Entwicklung der Polizei zu schließen. Sie ist schon jetzt, sieben Jahre nach ihrem Erscheinen, in einigen Annahmen widerlegt, weil die zugrundegelegten Prognosen von zu einheitlichen Entwicklungen ausgingen. Im folgenden wird trotzdem mehrfach auf sie verwiesen, um übereinstimmungen oder Diskrepanzen mit unseren Daten zu zeigen;
102
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
ob die Organisation ihren Umweltbedingungen gerecht wird. Wenn wir den Wandel der Polizei als einen Teil ihrer internen Funktionen betrachten, geht es also um eine Untersuchung, ob die internen Funktionen stets in einem angemessenen Verhältnis zu den sozialen Funktionen stehen: denn es ist eines der wichtigsten Themen für Organisationsforscher, Politiker und Staatsbürger, ob besonders extravertierte Organisationen wie die Polizei ihre internen Funktionen mit den sozialen Funktionen koordinieren, d. h. ob Organisations- und Sozialstrukturwandel sich funktional oder dysfunktional entwickeln. Bei einer solchen Untersuchung sind zwei Bedingungsbereiche für den Wandel zu unterscheiden. Es gibt einmal die äußeren Bedingungen, zu denen sowohl die Elemente der Sozialstruktur zählen, unter deren Zwängen oder Gelegenheiten die soziale Funktion der Polizei definiert wird, wie auch diejenigen politischen und rechtlichen Regelungen, die im einzelnen für die Polizei maßgebend sind. Man kann wohl auch ohne Einzelanalyse sagen, daß bisher günstige äußere Bedingungen in der Regel genutzt wurden, um für die Polizei als vorteilhaft angesehene Maßnahmen durchzuführen. Wann immer sich durch Politgangster, Palästinenserterror, Entführungserpressung usw. Möglichkeiten ergaben, das öffentliche Interesse zugunsten der Polizei auszunutzen, wurde das sogleich für Maßnahmen genutzt, die Grundlage eines echten Wandels sein konnten; das gilt für die zunehmende Verstaatlichung, die Vermehrung der Personalstärke, die Elektronisierung, die Umdefinition der Aufgaben des Bundesgrenzschutzes usw. Diese für sich allein aber nur polizeihistorischen Vorgänge sollen hier nicht dargestellt werden; sie sind durch Aktenanalysen unschwer zu erheben. Allerdings sollte man ihre Bedeutung als situative Variablen des Wandels nicht unterschätzen. Es ist allgemeine Ansicht, daß nicht zuletzt die Konzentrationsbewegung in der Wirtschaft mit den modernen Mammutkonzernen eine wichtige Voraussetzung für viele Neuerungen war4 • Gerade diese Erkenntnis führt zur Vermutung, daß die öffentliche Verwaltung als Nährboden organisatorischer Innovation relativ unfruchtbar ist; auf diesem Gebiet ist sie der weitaus bedeutendste Großbetrieb in jedem Land, und trotzdem ist sie oft auf die Hilfe von Zwergunternehmen des Beratungswesens angewiesen. Desto mehr wird es also bei ihr darauf ankommen, ob durch offiziell induzierte Maßnahmen wirklicher Wandel ausgelöst wurde, nämlich tatsächliche Änderungen in Einstellung und Verhalten der Polizeibeamten. Aber auch diese Frage steht hier nicht zur Debatte; sie könnte nur durch eine quasi-experimentelle 4 Galbraith, John Kenneth: American Capitalism, Boston: Houghton Mifflin 1962, S.87.
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
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Längsschnittuntersuchung abgeklärt werden, und ein solches Instrument war bei diesem Projekt nicht anzuwenden. Es geht hier vielmehr nur um die inneren Bedingungen für einen Wandel in der Polizei. Darunter sind alle diejenigen Strukturelemente des hauptberuflichen Polizeikorps zu verstehen, die eine Reaktion auf externe Wandelstimuli oder eigene Anstöße zum Wandel begünstigen, behindern oder in eine bestimmte Richtung lenken. Solche Strukturelemente sind es, die endgültig über das Eintreten oder Nichteintreten von Wandel entscheiden. Ihre Nichtbeachtung ist der Grund für den häufigen naiven Organisationsoptimismus, man brauche entweder nur oben aufs Knöpfchen zu drücken und schon sei die Reform in Marsch, oder man brauche der Organisation nur freie Hand zu lassen und es werde stets die adäquateste Reaktion herauszukommen. Die theoretischen Gesichtspunkte dieser Fragen werden zumeist als Bedingungen des Einstellungswandels 5 oder der Verhaltensänderung oder auch als Komponenten der Innovationsbereitschaft8 behandelt. Diesen Problemen kann man ihre Wichtigkeit und Dringlichkeit nur absprechen, wenn man zu leitenden Aufgaben im öffentlichen Dienst unfähig ist 7 • Zwar hört man häufig die Behauptung, "das Gerede vom Jahr 2000 entbehre jeder Grundlage, es gebe Wichtigeres zu tun. Nun, wenn ein junger Mann im Jahre 1973 als Sechzehnjähriger in die Polizei eintritt und 50 Jahre vor sich hat, dann dürfte er sogar 22 Jahre nach diesem so entfernt liegenden Datum, also im Jahre 2022, die Pensionsgrenze erreicht haben. Die Lage ist beängstigend überschaubar"A. Wer nicht an die totale Veränderbarkeit eines Menschen, zum al eines deutschen Beamten auf Lebenszeit, in einer einzigen Generation glaubt, muß heute bei der Einstellung von Polizeibeamten die Polizei des 21. Jahrhunderts im Auge haben. Daher kann die Zukunft der Polizei 5 Vgl. zum speziellen Aspekt der überzeugungsänderung: Endruweit, Günter: Die Wahlfeststellung und die Problematik der überzeugungsbildung, der Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der sozialen und personalen Gleichwertigkeit von Straftaten, Köln 1973, S. 112-116 m. w. N. 8 In der Innovationsforschung ist das Begriffsinstrumentarium teilweise schon bedeutend mehr differenziert. Vgl. z. B. die Untersuchungen zum Kongruenz- und speziell dem Kompatibilitätskriterium für die Diffusion von Innovationen bei FliegeI, Frederick C. / Kivlin, Joseph E.: Attributes of Innovations as Factors in Diffusion, in: American Journal of Sociology 72 (1966), S. 235-248, hier besonders S. 246). 7 Trotzdem ist nicht zu übersehen, daß Zukunftsprobleme in der Polizeiliteratur äußerst selten behandelt werden. "Futurologische" Untersuchungen sind nicht bekannt (Bleck S. 65). Aber auch die vielleicht nützlicheren Zukunftspläne werden selten erwähnt, ebenso auch simple Erwartungen. Eines der seltenen Beispiele der Veröffentlichung von Erwartungen führender Polizeibeamter und Politiker aus Bayern gibt Josef Dollhofer: Künftige Entwicklungstendenzen im Bereich der bayrischen Polizei, in: Die Neue Polizei,
1968, S.9-11. 8
Siebecke S. 102.
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3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
nicht nur nach internen Gesichtspunkten bestimmt werden. Ihre soziale Funktion wird vielmehr von Faktoren beeinflußt, auf die die Polizeiabteilungen der Innenministerien gar keinen Einfluß haben, mit denen der einzelne Polizeibeamte aber fertigwerden muß. Das liegt unter anderem daran, daß sein Beruf durch den Zwang zu schnellen, unmittelbar umgesetzten Entscheidungen gekennzeichnet ist und sein wird und daß solche Entscheidungen nur dann verbindlich sind, wenn sie als verbindlich akzeptiert werden oder andernfalls mit legitimer Gewalt durchgesetzt werden können9 • Die schwierigste Entscheidung beim Vorgehen gegen den Sitzstreik einer Bürgerinitiative ist nicht die Frage, ob einfache körperliche Gewalt oder der Wasserwerfer einzusetzen sind, sondern die Frage, ob die Räumungsaufforderung akzeptiert oder ihre gewaltsame Durchsetzung als legitime oder illegitime Gewalt angesehen wird. Daß derartige Probleme, die sich durchaus vom Vertreiben einer Landfahrersippe aus dem Stadtpark unterscheiden, in der nächsten Zukunft zunehmen können, ist der Polizei schon vorhergesagt worden10 • Eine verantwortungsbewußte Polizeiplanung hat auch solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Wer die Entscheidung völlig dem einzelnen Beamten mit seiner üblichen Ausrüstung - "im Kopf das Gesetz, im Auge die Wirklichkeit und im Nacken den Boß"l1 - überläßt, verletzt nicht nur seine Fürsorgepflicht, sondern begeht vielleicht auch Beihilfe zum Umsturz. Hier können diese Zukunftsaspekte nicht positiv behandelt werden; das war nicht Gegenstand der Untersuchung. Es geht vielmehr nur darum, wie zur Zeit die Chancen ihrer Bewältigung von den Polizeibeamten gesehen werden. In dieser Untersuchung sollen vor allem vier Fragenkreise behandelt werden, und zwar 1. Sehen Polizeibeamte ihre Tätigkeit überhaupt als eine sich ständig wandelnde?; 2. In welcher Weise sehen sie eventuellen Wandel bisher berücksichtigt?; 3. Wie sollte sich vorhersehbarer Wandel in der Ausbildung auswirken?; 4. Wie werden die Chancen für erfolgreichen Wandel überhaupt beurteilt?
3.1 Erwartung und Wahrnehmung von Wandel Diese Untersuchung über Chancen des Wandels geht von der allgemeinen Hypothese aus, daß sowohl induzierter wie auch reaktiver Wandel einer Organisation erheblich erleichtert, wenn nicht überhaupt erst möglich werden, wenn die Mitglieder der Organisation darauf ein• Gamson, William A.: Power and Discontent, Homewood, 111.: Dorsey Press 1968, S. 22. Vgl. auch Lautmann S. 15. 10 Bleck S. 66. 11 Siebecke S. 125.
3.1 Erwartung und Wahrnehmung von Wandel
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gestellt sind!!. So falsch die Ansicht ist, es genüge, wenn die unmittelbar nach außen handelnden Mitglieder - zumeist unter dem Einfluß der Organisationsumwelt - die nötigen Anpassungen vollzögen, während die Leiter ruhig in alten Vorstellungen beharren könnten!', so falsch ist auch das andere Extrem, mit dem Goethe wieder einmal irrte, nämlich, "daß sich das größte Werk vollende, genügt ein Geist für tausend Hände"". Methodisch schien es jedoch sehr zweifelhaft, nach kurzatmiger Meinungsforschermanier einfach nach der Bereitschaft zu Veränderungen im Polizeidienst zu fragen. Das hätte möglicherweise eine nur verbale Zustimmung erbracht, da Mobilitätsfreudigkeit und Innovationsaufgeschlossenheit zur Zeit hoch im Kurs stehen. Daher wurde versucht, die Einstellung zum Wandel indirekt aus mehreren vermuteten Komponenten zu erschließen.
3.1.1 Bisherige Änderungen in der PoZizeitätigkeit Der einfachste erste Schritt zur Ausformung von Wandelbereitschaft ist das Erkennen des bislang schon eingetretenen Wandels. Das Bewußtsein von Möglichkeiten einer Alternative führt zuerst zur Wertkritik und dann zur Änderungsbereitschaft: "Das Infragestellen sowie der Austausch eigener traditioneller Werte ist eine Vorbedingung zur kulturellen Anpassung!5." Wenn dieses Infragestellen schon aus historischem Bewußtsein ermöglicht wird, haben wir bereits das entwicklungssoziologisch so wichtige Kontrasterlebnis!' auf eine relativ kostengünstige Art erreicht und brauchen es nicht erst durch in der Regel aufwendigere Verfahren, wie interkulturellen Vergleich, grundlagenorientierte Bildungsarbeit usw., anzustreben. Die erste Frage unserer Studie untersuchte daher, ob der Polizeibeamte sich heute lediglich gewissermaßen als Cherub mit Beamtenstatus sieht oder ob er meint, schon in der unmittelbaren Vergangenheit hätten sich wichtige Wandlungen im Beruf des Polizisten gezeigt. Nur wenn dieses Bewußtsein genügend verbreitet ist, stehen wir nicht dauernd vor dem Problem, das einer der maßgeblichsten Polizeimänner beschrieb als das Problem der "ewig Gestrigen, die glauben, die polizeiliche Arbeit von heute und morgen !! Einen einführenden Überblick über die Forschungen zu diesem Thema bieten Gross, Neal / Giacquinta, Joseph B. / Bernstein, Marilyn: Implementing Organizational Innovations, New York: Basic Books 1971, S.19-40. 13 Vgl. dazu den parodistischen Grundsatz der betrieblichen Organisationslehre: Ein Betrieb ist dann gut organisiert, wenn er auch funktioniert, während der Chef da ist. 14 Faust, Zweiter Teil, V. Akt, 4. Szene (Schluß). 15 Kurz, Ursula: Partielle Anpassung und Kulturkonflikt, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1965, S.814-832, hier: S.817. 11 Vgl. dazu unter anderem Endruweit Industriegesellschaft S. 464.
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3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
im großen und ganzen noch so bewältigen zu können, wie dies vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren ging,m. Es wurde daher gefragt, welche Änderungen in der polizeilichen Tätigkeit sich nach Ansicht des Befragten in den letzten fünfzig Jahren ergeben haben. Leider sind die Antworten auf diese Fragen wegen offenbar unbehebbarer Kodierfehler nicht auswertbar. Der nur mit größten Einschränkungen zu betrachtende Grobeindruck ergibt jedoch, daß die weitaus häufigsten Stellungnahmen darauf hinauslaufen, daß sich die Aufgaben vor allem in der Verkehrslenkung geändert haben; dabei wird zumeist nur der quantitative Aspekt der Zunahme des Verkehrs erwähnt, was also nur die Hälfte der informierten Beobachtung widerspiegelt, daß "mit dem fast totalen Aufgehen der Schutzpolizei im Verkehr" zugleich "die Steigerung der Kiminalität, vor allem der Massenkriminalität", einhergegangen seP8. Jeweils etwa halb so viele Meinungen sehen die Änderung in der verbesserten Ausrüstung der Polizei mit technischen Hilfsmitteln und in der Änderung der Täter, die jetzt schwieriger zu ermitteln sind, beweglicher und raffinierter sind und überhaupt neue Gruppen umfassen. Neben diesen stark besetzten Antwortgruppen, in denen Alltagsbeobachtungen wiedergegeben werden, die auch Nichtpolizisten gemacht haben, gibt es einige Antworten, die zahlenmäßig zwar nicht sehr ins Gewicht fallen, die aber doch wichtig erscheinen als möglicherweise zukünftig einflußreiche Meinungsgruppierungen. Das gilt insbesondere für eine Gruppe von Beamten, die überwiegend dem gehobenen Dienst angehören und wegen ihres durchschnittlichen Lebensalters von 30 bis 45 Jahren einen guten Teil der Polizeispitzen in den achtziger Jahren bilden werden. Sie haben sich viel häufiger als andere Beamte - was auf individuelle Merkmale schließen läßt und damit auf Mängel der Polizeiausbildung in dieser Hinsicht - Gedanken über das Verhältnis zwischen Polizei und Bürger gemacht. Daher sehen sie den Polizeibeamten in den letzten fünfzig Jahren verwandelt "vom Büttel der herrschenden Klasse hin zu dem Gesetz und Recht verpflichteten Beamten" - so ein Kriminalhauptkommisar in den Vierzigern (Interview Nr.990); sie bemerken, so ein 30jähriger Polizeioberkommissar (Nr. 1108), einen "Wandel vom Vertreter eines Obrigkeitsstaates zum Beamten, dessen Handlungsgrenze das Grundgesetz bestimmt" und eine "Steigerung des Verantwortungsbewußtseins in bezug auf die anzuwendenden polizeilichen Mittel" (Erster Kriminalhauptkommissar, Nr. 579). Der Zusammenhang solcher Ansichten mit der Polizeientwicklung ist sehr treffend in der Literatur dargestellt: "Die Verfassungs17 Stümper S. 4/5. 18 Wehner S. 177.
3.1 Erwartung und Wahrnehmung von Wandel
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wirklichkeit läßt die Polizei heute mehr und mehr in einer fast gleichberechtigten Rolle neben dem Bürger auftreten, obwohl sie als Prototyp der Eingriffsverwaltung angesehen werden kann ... Diese partnerschaftliche Stellung erfordert von der Polizei nicht ein spätes Einschreiten kraft hoheitlicher Macht im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sondern ein frühzeitiges Tätigwerden im Interesse und zum Schutze der Bürger und Rechtsgenossen. Trotz gleichlautender Gesetzestexte hat sich die Akzentuierung verschoben ... Die Polizei wird im Laufe der Zeit umdenken müssen. Sie wird sich zwar auch noch als Arm der Staatsgewalt ansehen dürfen, wird sich aber vornehmlich nach Art der Leistungsverwaltung verstehen müssen. Eine solche Betrachtungsweise mußte sich zunächst polizei-intern und in allen dienstlichen Beziehungen durchsetzen19." Damit ist recht gut umrissen, was sich allgemein für die Wandlungsfähigkeit und -chancen der Polizei zeigt. Anstöße zum Wandel gibt es in der Polizei allenthalten, wahrscheinlich häufiger als in den meisten anderen Verwaltungszweigen, was nicht zuletzt daran liegen mag, daß die Polizeitätigkeit für Interne und Externe besonders gut überprufbar ist, jedenfalls im Hinblick auf das Grobkriterium des Erfolges. Fraglich ist aber, inwieweit solche Anstöße "polizei-intern und in allen dienstlichen Beziehungen" aufgenommen werden. Der zweite Aspekt - der übrigens sehr weit aufzufassen ist, also nicht nur die Polizeibehörde und andere Zweige der Verwaltung umfaßt, sondern auch Parlamente, Presse und nicht zuletzt die Bürger - ist nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Aber auch die polizei-interne Meinungsbildung ist schwierig genug. über ein Dutzend voneinander unabhängige Verwaltungen mit jeweils mehreren Sparten mit unterschiedlichster Aufgaben- und Problemstellung, gegenübergestellt mehreren Gewerkschaften mit verschiedenen Zielvorstellungen, haben noch damit zu kämpfen, daß die Zahl der Organisationsmitglieder sehr hoch und aus dienstlichen Gründen oft in relativ isolierte Einheiten gegliedert ist, so daß sich lokale Partikularpolitiken leichter verfolgen lassen und eher unter den Einfluß von Motiven geraten, die nicht an der Lösung gemeinsamer Sachprobleme orientiert sind. Dazu kommt noch, daß der persönliche Hintergrund der Polizeibeamten ziemlich heterogen ist und durch die relative Einheitlichkeit der Ausbildung nicht genügend integriert werden kann, wenn nachher die Verschiedenheit des Dienstes die Differenzierungen weiterführt. Im hier behandelten Problem stellen sich die polizei-internen Wandelschwierigkeiten an einer Stelle dar, auf die auch in anderem Zusammenhang - etwa beim Ausbildungsstil - oft hingewiesen wurde, nämlich bei einem vor allem im mittleren Dienst wahrgenommenen 19
Schäfer S. 300.
108
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
Gegensatz zwischen mittlerem und gehobenem Dienst!o. Was Beamte des gehobenen Dienstes als zunehmende Bürgernähe und rechtsstaatlichere Bindung an das Gesetz positiv bewerten, erscheint vielen Beamten des mittleren Dienstes als Nachteil für die Polizei. So ist nach eines Kriminalobermeisters Aussage (Interview Nr. 802) der Polizist "nicht mehr das Symbol des Staates, sondern wird als geeignetes Objekt für das eigene Fehlverhalten des einzelnen Bürgers betrachtet, an dem er seinen angestauten Zorn auslassen kann". Der Befragte Nr. 457, der sogar so anonym bleiben wollte, daß er nicht einmal Besoldungsgruppe und Bundesland angab, sah einen "Verfall des sozialen Status der Polizei; Folge: Erschwerung der polizeilichen Tätigkeit". Dabei ist es keineswegs nur die von manchen besonders entschieden kritisierte Erschwerung durch die verdächtigtenfreundlichen Änderungen der Strafprozeßordnung, sondern viel häufiger die Zunahme der Anzeigen und die Schwierigkeit ihrer Bearbeitungen: "Ich glaube, daß früher leichte Verstöße unbürokratischer geregelt wurden. Der Bürger kommt heute mit zu vielen Kleinigkeiten, die die Arbeit unnötig erschweren, da nach dem Gesetz auch hier ,bearbeitet' werden muß", meinte ein junger Kriminalhauptmeister aus Hamburg (Nr. 683). Diese Beschreibung wird auch auf höchster Ebene der Fachleute für zutreffend gehalten; denn "so ist das Schlagwort von der ,Verwaltung der Kriminalität' entstanden, das den Zustand der letzten Jahre zwar drastisch, aber ziemlich treffend wiedergibt"2!. Dementsprechend meint auch ein Kriminalhauptmeister (Nr. 147), kurz vor seiner Pensionierung, er und seine Kollegen seien jetzt "mehr Beamter als Kriminalbeamter". Was hier beschrieben wurde, ist vielleicht das objektive Bild, vielleicht auch nicht. Es ist ungewiß, ob nur die Anzeigefreudigkeit der Bürger auch bei kleinen Delikten gewachsen ist oder ob nicht auch deren Zahl oder relative Bedeutung gewachsen ist. Ferner ist nicht klar, ob die Anspruche von außen die Polizei zu mehr Arbeit veranlassen oder ob nicht die Erhöhung ihres Fahndungspotentials sie selbst auf Fälle bringt, die sie vor fünfzig Jahren nicht entdeckt hätte. Und schließlich bleibt zu fragen, ob zutreffende Beobachtung über Veränderungen oder selektive Wahrnehmung der "großen Fälle" in der Vergangenheit und Vergessen des Kleinkrams oder gar Verkürzung der Arbeitszeit und Veränderung der Arbeitsmoral zu einer bescheidenen Verklärung einer guten alten Zeit und zum Stöhnen über die Gegenwart bei einigen Polizisten führen, während umgekehrt bei anderen 20 Der höhere Dienst wird, da er wohl wegen niedriger Zahl und damit hoher funktionaler Heraushebung als weit entrückt betrachtet wird, fast gar nicht erwähnt. 2! Wehner S.l77.
3.1 Erwartung und Wahrnehmung von Wandel
109
im Hinblick auf die Gegenwart schon mancher Wunsch für die Wirklichkeit genommen wird. Die Wirklichkeit, die aber mit Sicherheit feststellbar ist, ist die, daß die Meinungen über die Wirklichkeit der Gegenwart im Vergleich zu der der Vergangenheit stark voneinander abweichen und daß manche dieser Abweichungen mit anderen Daten der Befragten, insbesondere der Dienststellung, zu korrelieren scheinen. Auch über den gegenwärtigen Zustand divergieren die Ansichten. Während einige schon das Bild einer neuen Leistungsverwaltung mit hochwichtigen sozialen Funktionen erkennen, sieht für andere der Polizeialltag noch so aus: "Notizbuch raus, Notizbuch rein, Bleistift abgebrochen oder stumpf, Kugelschreiber ausgelaufen, Uniform zu stramm, aufknöpfen, zuknöpfen, Regen, Wind, klamme Finger, Schweißausbruch, Atemnot, Raummangel auf dem Podest inmitten der Straßenkreuzung, Stoßverkehr, Auge auf Kleinkind oder auf Oma, von links Schwertransport, = Anhänger schert aus! =, von rechts fragender Durchreisender... Aber mit Sicherheit fehlt ihm ein handliches Diktiergerät, das kaum größer ist als der Handteller und jede Bemerkung aufzeichnen könnte, die sich im Revier mühelos übertragen ließe. Und das alles in einem Zeitalter, in dem Diktaphone schon zum Spielzeug unserer Kinder gehören" 22. Auch die sehr zahlreichen Antworten, die auf eine Technisierung der Polizeitätigkeit hinweisen, sind also noch umstritten. Daher kommt auch die Forderung für die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei: "Nur genügt es hier nicht, das Sonntagsbild eines Polizeibeamten zu entwerfen, vielmehr sind gerade die Schwierigkeit und besonderen Belastungen des Polizeidienstes aufzuzeigen"23. Angesichts dieser Ungewißheit über die Deutung praktischer Änderungen in der Polizeitätigkeit ist es nicht verwunderlich, daß Angaben über technische Einflüsse und deren teils positive, teils negative Wirkungen auf den Dienst den Hauptteil der Äußerungen auf die Fragen bilden. Als Gesamteindruck ergibt sich also, daß die Polizei die Änderungen im wesentlichen als Erschwerung ihrer Arbeit oder als Technisierung ihrer Arbeit ansieht; Antworten, die auf eine Änderung des polizeilichen Sozial-Rollenverständnisses - bei ihr selbst oder beim Bürger - hinauslaufen, machen dagegen nur knapp mehr als 10 Ufo aus und liegen damit erst an vierter Stelle der Nennungen. Das läßt darauf schließen, daß von relativ vielen Beamten der Polizeiberuf als "Handwerk" aufgefaßt wird und nicht als eine Institution der sozialen Intervention. Solch eine Grundeinstellung wäre kaum vorteilhaft für die Entwicklung interner oder die Aufnahme externer Wandelimpulse. Sie würde nämlich bei der Mehrzahl der Beamten die Annahme einer 22
Siebecke S. 125.
23 PhiIipp S. 221/222.
110
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
konstanten sozialen Funktion der Polizei als Hintergrund haben, sofern überhaupt das Bewußtsein einer sozialen Funktion vorliegt. Dementsprechend wären interne Reaktionen auf äußere Wandelimpulse zuerst einmal technizistischer Art. Aus solchen Einstellungen wird dann auf alle Ereignisse hin sogleich der Materialkatalog der Beschaffungsstelle zu Rate gezogen, um das Reaktionspotential zu erhöhen. Aber diese überlegungen sind hier noch Vermutungen, die durch ein einziges Datum, dazu ein so schlecht zu verarbeitendes, nicht genügend gestützt werden können. 3.1.2 Erwartungen von Wandel in der Zukunft
Maßgeblicher als die zum Teil auch vom historischen Wissensstand abhängige Frage nach bisher stattgefundenen Änderungen im Polizeidienst ist sicherlich die Frage, ob die jetzt diensttuenden Beamten in der Zukunft wichtige Änderungen erwarten. Sie ist weniger eine Wissensfrage, weil ihre Beantwortung in der Regel nicht auf Information über zukunftswirksame Entwicklungen aufbaut, sondern auf der Wahrnehmung und Extrapolation der Gegenwart. Diese für eine inhaltliche Prognose nachteilige Tatsache ist für den hier verfolgten Zweck ein großer Vorteil: Sie ist eine direkte Abbildung der gegenwärtigen Einstellung zu zukünftigen Situationen und damit unmittelbar ein Indikator für die Bereitschaft, auf die angenommenen Bereiche des Wandels einzugehen. Die Frage wurde für zwei Erwartungshorizonte gestellt: für kurzfristige und für mi ttelfristige Veränderungen. 3.1.2.1 Kurzfristiger Wandel Zuerst wurde gefragt, ob der Beamte sich wichtige Änderungen der polizeilichen Tätigkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre vorstellen könne. Die Mehrzahl (51,5 0/0) verneinte die Frage, eine Minderheit (40,30/0) bejahte sie, und 8,2 Ofo gaben keine Antwort. Der aus einer nicht repräsentativen - Stichprobe der Nein-Antworten gewonnene Eindruck ist der, daß sie vornehmlich von Revierbeamten der Schutzpolizei mit niedrigerem Dienstrang, aber mittlerem Dienstalter gegeben werden sowie von einigen höherrangigen Beamten mit vorherrschend resignativer Gesamteinstellung. Die 501 Beamten, die wichtige Änderungen erwarten, wurden dann gefragt, auf welchen Gebieten diese Änderungen wohl eintreten würden. Die Antworten sind in Tabelle 16 wiedergegeben. Wenn wir in dieser Tabelle die 457 Beamten, die in den Kategorien 01 bis 17 spezifizierte Angaben machten, als Gesamtpopulation an-
Recht wird schärfer / milder / neue Rechtsvorschriften kommen I Rechtsänderungen werden Polizeitätigkeit beeinflussen.
06 Richtung: Rechtsänderungen
05 Richtung: Ausbildung Ausbildung wird besser / anders / schwerer / moderner.
Es gibt mehr Spezialisierung / mehr zivile Spezialisten in die Polizei / Polizist mehr Fachmann als Persönlichkeit
04 Richtung: Spezialisierung
Polizei wird zentralisierter arbeiten / Auflösung der Länderpolizeien / BKA erhält mehr Weisungsbefugnis / Gemeindepolizei kommt an Land.
03 Richtung: Zentralisierung
Organisation wird anders werden /wird effektiver /mehr Spezialeinheiten (spezialisierte Personen dagegen bei 04 verschlüsselt) / nichtpolizeiliche Tätigkeit wird an andere Behörden übergeben.
02 Richtung: Anderung der Organisation (sofern nicht 03 und 08)
I
33
40
56
37
90
74
absolut
1
2,7
3,2
4,5
3,0
7,2
6,0
Ofo
Erstnennung
I
7
45
51
26
40
41
absolut
0,6
3,6
4,1
2,1
3,2
3,3
1%
Zweitnennung
Erwartete kurzfristige Änderung der Polizeitätigkeit
01 Richtung: Anderungen in Ausrüstung Ausrüstung wird besser / technische Modernisierung / technische Veränderungen /mehr EDV.
Antwortgruppen
Tabelle 16:
I
6
18
20
9
9
20
1
0,5
1,4
1,6
0,7
0,7
1,6
Ofo
Drittnennung absolut
I
I
I
I
Q)
.... .... ....
Q)
::l 0. ~
:a
::l
o
t."
c.:>
17 18 19 20 00
Keine Weiß nicht Entfällt K . A.
Richtung: Restkategorie
Bürgernähe / Demokratieverständnis muß gefördert werden.
16 Richtung: Gesellschajtsnähe
Keine neuen Inhalte, aber neue Schwerpunkte / wie bisher, aber intensiver oder überhaupt mehr.
15 Richtung: Nur Modifikation der Gegenwart
Mehr auf Fortbildung / Weiterbildung abgestellt.
14 Richtung: Weiterbildung
---
Allgemeines Wissen / allgemeines Bildungsniveau höher / bessere allgemeine Schulbildung (z. B. Abitur) als Voraussetzung.
13 Richtung: AllgemeinbiLdung
10 Richtung: ZiviLrecht BGB / Bürgerliches Recht / Wirtschaftsrecht / Wertpapierrecht. 11 Richtung: Selbstschutz Sport / Schießen / Waffengebrauch / Selbstverteidigung / Judo. 12 Richtung: Fremdsprachen Fremdsprachen.
Antwortgruppen
1_1
0,2 2,1 0,1 0,1 61,6 7,0
0,7
0,9
243_ 100,0
2 26 1 1 766 87
9
11
1,4
100,0 --
1243
0,6
1,2
I
1243
5 14 0 0 766 354
2
6
12
3
0,5
1,0
5
1
absolut
I
100,0
0,4 1,1 0,0 0,0 61,6 28,5
0,2
0,5
1,0
0,2
0,4
0,1
°/0
Drittnennung
0,6
0,3
G/o
0,3 2,6 0,0 0,0 61,6 16,8
I
4 32 0 0 766 209
8
15
13
6
0,6
7
18
8
1,0
13
J
absolut
4
Ofo 0,1
I
Zweitnennung
1
absolut
Erstnennung
Tabelle 26 (Fortsetzung) I
~
/l)
~.
N·
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~ en
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'"1 Q.
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I:',;)
"'"
....
3.3 Anpassung der Ausbildung an den erwarteten Wandel
143
rechtlichen, soziologischen und technischen Gesichtspunkte integrierend einbezogen werden. Besonders in der Antwortgruppe 03 findet man viele Stellungnahmen, die einen Wunsch nach einer derartigen Ausbildungskonzeption ausdrücken. In den Gruppen 01 und 02 sind die Antworten vor allem derjenigen Beamten, die kritisieren, daß die Polizei sich nicht genügend den geänderten Situationen anpasse, während alle anderen Antwortgruppen eher langfristigere Mängel bezeichnen. Viele Antworten der ersten Gruppe zielen auf eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen der gegenwärtigen Arbeitssituation des einzelnen Beamten, in der er nie genug Spezialkenntnisse haben kann, und der manchmal als ideologisch verhärtet angesehenen Einheitsausbildung in der Einheitslaufbahn, verbunden mit einem Mangel an spezialisierender Fort- und Weiterbildung. Unter den Antwortenden der Gruppe 02 findet man häufig Kritik an zu starren Lehrprogrammen, in die beispielsweise Ausbildung für Verhalten bei Demonstrationen oder Hausbesetzungen und selbst Änderungen von Gesetzen und Rechtsprechung mit zu großer Verzögerung aufgenommen würden. Eine kleine, aber bildungspolitisch oft besonders engagiert erscheinende Gruppe von Beamten hat die in Antwortgruppe 14 zusammengefaßten Antworten gegeben. Dahinter stecken manchmal recht weitgehende Vorstellungen von Ausbildungsreform, die mehrere Anregungen aus den schon hier erwähnten Antwortgruppen in einem Konzept zusammenfassen. Es geht meistens darauf hinaus, daß man fachliche Spezialisierung und Zwang zur ständigen Aufnahme von Neuerungen dadurch gleichzeitig berücksichtigt, daß die allgemeine Ausbildung verkürzt und ein breit gefächertes System von Fort- und Weiterbildungsgelegenheiten und -zwängen eingerichtet wird. Manche von den Befragten sind sich auch der weitreichenden Konsequenzen eines solchen Vorschlags bewußt, wie sie sich in der Meinung des BKA-Präsidenten Herold zeigen, Ausbildung müsse "ein permam~nter Prozeß des Um- und Dazulernens sein und nicht Konservierung einmal erworbenen Wissens. Das alles setzt ein anderes Laufbahnrecht voraus. Darüber hinaus bedarf das aber auch anderer Führungsprinzipien, Delegation von Verantwortung, Mitspracherecht, Team-work und Konsultationsbereitschaft"13. Die andere Hälfte der Antworten auf die Frage nach neuen Ausbildungsinhalten betrifft die Nennung von einzelnen Fächern. So richtig neu sind bestenfalls einige Einzelnennungen, etwa Wertpapierrecht. Daher interessiert hier mehr die Verteilung der Nennungen als ihr Inhalt. 13 Zit. nach Dicke / Halt S. 268.
144
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
Eine erste Untergruppe nennt die traditionellen Sachfächer 04, 05, 08 bis 11 und 13. Sie hat 104 von den 200 Erstnennungen von Sachfächern. An der Spitze stehen die Wünsche nach Rechtsausbildung (31 Nennungen) und Technikunterricht (25 Nennungen). Das paßt zwar ganz gut zu den Ergebnissen unter 3.3.1.1, aber auf den ersten Blick nicht recht zu den Antworten unter 3.3.1.2. Dieser Unterschied erweist sich aber als oberflächlich, wenn man die Antworten hier genauer prüft. Sie betreffen hier nämlich zumeist Wünsche nach Spezialgebieten, wie Verwaltungsrecht, Prozeßrecht, elektronische Datenverarbeitung und Umweltschutz, die in der bisher praktizierten Ausbildung nur wenig berücksichtigt werden. Diese Antworten sind also nicht entgegen 3.3.1.2 als Wunsch nach Verlängerung, sondern nach Ergänzung der Ausbildung 7.U sehen. Die zweite Untergruppe mit 61 Erstnennungen umfaßt mit den Antwortgruppen 06, 07 und 12 neuere Sachfächer, die die Befragten nur zum Teil und dann mit geringer Stundenzahl in ihrer Ausbildung gehabt haben. Hier handelt es sich also in der Mehrzahl der Fälle um echte Ergänzungswünsche. Zum großen Teil sind sie nach den Antworten aus der individuellen Erfahrung der Befragten entstanden, die sich auf diesen Gebieten in der Praxis oft unzureichend gerüstet fühlten und diesen Mangel in der Zukunft sich eher vergrößern sehen. Das dürfte insbesondere für den Bereich der Psychologie und Pädagogik gelten. Hier kann es sich um neu aufgetretene Ereignisse gehandelt haben. So hat man in den westlichen Ländern während der Unruhen der sechziger Jahre "zunehmend erkannt, daß der einzelne Polizist, nicht die leitende Persönlichkeit des Polizeidienstes, vor die schwere Entscheidung gestellt ist, wie er von der ihm übertragenen Gewalt Gebrauch machen soll" 14. Es kann sich aber auch um lange andauernde Veränderungen im sozialen Rollenverständnis handeln, deren Rollendiskrepanzwirkung der einzelne Beamte zu tragen hat, wenn er entdeckt, "daß der Polizist einerseits ,strafend' auftreten müsse, er dies aber andererseits - nach dem Willen seiner ,fortschrittlichen' Präsidenten - mit der allergrößten Freundlichkeit und Zuvorkommenheit tun sol1e"15. In dieser Orientierungsnot wird von den Beamten dann die Hilfe der Sozialwissenschaften erwartet, die manchmal auch in einer sehr handlichen Form von fertigen Verhaltensrezepten geboten wird. Gerade das ist aber ein höchst fragwürdiges Angebot dieser Wissenschaften. Zwar kommen sie "damit einem polizeilichen Bedürfnis entgegen, das überwiegend schematischen, um nicht zu sagen statischen Denk- und Führungsstrukturen entspringt ... Aber genau hier, im Gebrauch von Schablonen und vorgegebenen Mustern, liegt die große Ge14
15
Adam S. 246. Der Polizeipsychologe Sieber, zit. nach Stocker S. 248.
3.3 Anpassung der Ausbildung an den erwarteten Wandel
145
fahr, da individuelle Anpassung unmöglich wird, dynamisches Eingehen auf die sich ständig ändernden Situationen ausgeschlossen ist,m. Im Grunde können die Sozialwissenschaften in beide Richtungen brauchbare Hilfen bieten: sie können die bestehenden Denk- und Handlungsschablonen verfeinern und gelegentlich auch korrigieren, sie können aber auch ein individuelles Konfliktlösungspotential relativ schablonenfrei vergrößern. Welche dieser Hilfen die "richtige" ist, hängt von der Polizeikonzeption ab, und die wird nicht von den Sozialwissenschaften bestimmt - sie ist zur Zeit überhaupt nicht bestimmt. 3.3.1.4 Änderungen im Ausbildungsstil
Die eben aufgestellte Behauptung wird auch durch die Ergebnisse erhärtet, die auf eine Freilauffrage nach notwendigen Änderungen im Ausbildungsstil erzielt wurden. Sie sind in Tabelle 27 zusammengefaßt. Auch in diesem Fall finden wir Antworten, die im Grenzbereich zwischen Inhalt und Stil liegen. Das gilt insbesondere für größere Teile der Antwortgruppen 01, 09 und 16. In den übrigen Antwortgruppen geht es aber zumeist um echte Fragen des Ausbildungsstils. Obwohl die Frage auf Vorschläge für die nächste Zukunft zielte, kann man die Antworten ohne Bedenken als Kritik an der Gegenwart auffassen. Wenn man diese nun rein zahlenmäßig mit der Zahl der Antworten in Gruppe 18 vergleicht, ist die Kritik sehr stark. Das bedeutet, daß zwischen der amtlichen Polizeikonzeption, die sich nicht zuletzt im Ausbildungsstil ausdrückt, und den Vorstellungen der Befragten große Unterschiede bestehen. Es gibt also wieder einen Anlaß zu Zweifeln, zu welchem Polizeikonzept eigentlich die möglichen Änderungen der Ausbildung beitragen sollen. Allerdings ist es nicht ohne weiteres gerechtfertigt, den Unterschied zwischen der Ausbildung, wie sie sich den Befragten darstellt, und der Ausbildung, wie sie sich die Befragten wünschen, als Unterschied zwischen zwei verschiedenen Polizeikonzeptionen zu interpretieren. Vor allem im zweiten Fall ist nicht auf Grund der hier vorliegenden Informationen auszuschließen, daß statt eines alternativen Polizeibildes - und sei es auch nur partiell, wie etwa die "Hinwendung zum absoluten Leistungsprinzip, welches seinerseits das ... Berufsbild des Polizeibeamten anzuheben helfen wird"l1 - vielmehr persönliche Gesichtspunkte die Stellungnahme bestimmten. So können die erlangten Daten nicht als Prüfung zweier konkurrierender Angebote ausgewertet werden, sondern als Vergleich zwischen Angebot und Nachfrage. 18
17
Klinkhammer S. 7. Bleck: S.66.
10 Endruwelt
---
---
07 Richtung: Schule und Praxis Schulausbildung sollte öfter von Praxis unterbrochen werden. 08 Richtung: Grund- und Fortbildung Kürzere Grundausbildung und mehr Fortbildung. 09 Richtung: Spezialisierung Spezialisierter / von vornherein auf künftige Tätigkeit des Schülers abstellen / Spezialbegabung fördern / spezielle Interessen berückSichtigen.
03 Richtung: Erwachsenenunterricht Keine Behandlung wie Schüler / mehr Anerkennung der Persönlichkeit / Beratung statt Unterweisung / menschlicher. 04 Richtung: bessere Lehrkräfte (sofern nicht 05) Bessere Lehrer / ausgebildete Lehrer / Lehrer statt Unterführer / hauptamtliche Lehrer / praxiserfahrene Lehrer. 05 Richtung: Nichtpolizeiliche Lehrer Lehrer von außerhalb der Polizei. 06 Richtung: Schulart Hochschulähnliche Ausbildung / Fachschulniveau / Fachhochschule I Studium oder ähnliches.
Weniger militärisch / keine Kaserne / Schule statt Kaserne / weniger autoritär / freier / legerer / kein Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis / weniger formal.
02 Richtung: Weniger militärisch
Weniger Theorie / mehr auf Praxis ausgerichtet.
01 Richtung: Praxisbezug
Antwortgruppen
10
1,3
16
9
1,3 16
--~
7
0,7 9
-----
9
0,5 6
-
13
0,7
9
--
21
3,8
27
9
9
absolut
47
5,2
6,0
°/0
2,3
I
---
I
0,7
0,6
0,7
0,8
1,0
1,7
2,2
0,7
0,7
0/0
Zweitnennung
28
65
74
absolut
Erstnennung
2
4
3
6
5
7
3
4
5
I
0,2
0,3
0,2
0,5
0,4
0,6
0,2
0,3
0,4
Ofo
Drittnennung absolut
Tabelle 27: Anpassung des Ausbildungsstlls an die erwarteten kurzfristigen Änderungen
"'"
....
~.
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Ci
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Ii
'--
17 Richtung: Restkategorie Alle anderen Antworten. 18 Gar nicht / kaum / nur wenig. 19 Weiß nicht 20 Entfällt 00 K.A.
Ausbildung muß länger dauern.
16 Richtung: Ausbildungsverlängerung
11 Richtung: Kurs statt KLasse Lieber Kurse statt Jahrgangsklasse 12 Richtung: Modern Moderner / unkonventioneller / flexibler / weniger schematisch / anpassungsfähiger. 13 Richtung: Praxis Mehr in Praxis / Einzeldienst verlagern. 14 Richtung: Allgemei'nes Lehrer-Schüler-Verhältnis Mehr Einfühlungsvermögen der Lehrer / Schüler mehr motivieren / kein Standesdünkel der Lehrer / Verhältnis muß besser werden / objektiver. 15 Richtung: Gruppen bildung Gruppeneinteilung abschaffen / mehr auf einzelne Schüler eingehen.
Mehr Frage und Antwort / Diskussion / nicht nur Vortrag / kooperativer / Gruppenarbeit.
10 Richtung: Kooperation
An twortgruppen
I
1243
31 11 1 767 106
6
100,0
2,5 0,9 0,1 61,7 8,6
0,5
I
1243
24 4 1 767 268
5
100,0
1,9 0,3 0,1 61,7 21,6
0,4
I
1243
6 4 0 765 402
1
2
0,1 1
0,3
4
9
1,0 13
0,8
10
0
4
0,2
2
4
1
10
absolut
I
100,0
0,5 0,3 0,0 61,5 32,3
0,1
0,2
0,7
0,0
0,3
0,1
0,8
0/0
Drittnennung
0,3
0,7
9
0,4
2,0
°/0
5
I
0,6
25
absolut
8
1,9
°/0
0,5
I
Zweitnennung
6
24
absolut
Erstnennung
Tabelle 27 (Fortsetzung)
I
i
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148
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
Dabei ergibt sich in erster Linie, daß die Nachfrage nach dem militärischen Komplex ausgesprochen gering ist. Hierzu sind die Antworten der Gruppe 02 und ein Teil der Gruppen 03, 04 und 14 zu zählen, während ein anderer Teil eher quantitative als qualitative Änderungen verlangt, etwa "bessere Ausbildung und höhere Anforderungen an Polizeilehrer" (Interview Nr.782). Sie bilden die größte Gruppe unter den Erstnennungen. Wenn unter 3.2 im 5. Absatz festgestellt wurde, daß für etwa 10 % der Antwortenden in der Vergangenheit ein Abbau der militärischen Elemente als Anpassung an Veränderungen zu bemerken gewesen sei, dann erscheint die Kritik am noch vorhandenen militärischen Rest um so stärker, wenn hier etwa ein Viertel der positiv Antwortenden einen weiteren Abbau verlangt. Dabei wird die Kritik gegen Militärisches nicht immer wörtlich vorgebracht, sondern sie ergibt sich manchmal aus Formulierungen, in denen beispielsweise ein fachlich nicht begründetes Unterordnungsverhältnis gerügt wird, wenn ein Oberkommissiar, Ende der Vierziger, verlangt: "Offener, mehr verbindlich-persönlicher Ausbildungsstil, wobei die Persönlichkeit des Ausbilders nicht von seinem Dienstgrad abgeleitet wird, sondern durch seine praktisch-theoretischen Fähigkeiten überzeugend ausgestrahlt wird" (Nr.803). Damit spielt der militärische Komplex schon hinüber in den allgemeineren der Polizeilehrerqualifikation. Dazu kamen die zweithäufigsten Nennungen. In mancher Hinsicht widersprachen sie sich. So verlangten die einen mehr Praktiker aus den eigenen Reihen, um möglichst alltagsgerecht ausgebildet zu werden, während die anderen eher Lehrkräfte von außerhalb bevorzugten, um der innerorganisatorischen Routine vorzubeugen. Einig waren sich aber alle im Verlangen nach Lehrern, die ihre Autorität ausschließlich auf höhere fachliche Qualifikation stützen. Möglicherweise ist die gleiche Ansicht in den USA der Grund, weshalb dort die prestigereichen FBI-Beamten besonders oft als Polizeilehrer herangezogen werden18 - allein im Haushaltsjahr 1973 unterrichteten sie 320000 Polizisten19 • Das Verlangen unserer Befragten ist vielleicht nur eine der Ausdrucksformen für die allgemeinere Autoritätskrise, zu der gesagt wurde: "Falls überhaupt in der näheren Zukunft Autorität noch Anerkennung findet, dann kann es nur die der institutionellen entgegengesetzte sein: die persönliche20 : ' Man kann sich vorstellen, daß dieses Problem in der Polizei besonders spürbar wird, aber daß es wegen der bisherigen Betonung der Einheitslaufbahn, dem Zwang zu gleichmäßiger und koordinierter Arbeit einer großen Zahl von Organisationsmitgliedern usw. schwieriger zu 18 19
!O
Vgl. dazu Schweppe S. 41 und 55/56. Adam S. 246. Baum S. 157.
3.3 Anpassung der Ausbildung an den erwarteten Wandel
149
lösen ist als etwa in der Landesplanung oder der Bauverwaltung, in der fachliche Heterogenität der Arbeitsgruppen und sachliche Autonomie des Einzelnen eine längere Tradition haben.
3.3.2 Anpassung an mittelfristigen Wandel Im Anschluß an die Frage, ob innerhalb von ungefähr 25 Jahren wichtige Änderungen in der polizeilichen Tätigkeit eintreten könnten, wurden die Beamten, die diese Frage bejahten, gefragt, ob damit wohl auch Änderungen in der Ausbildung nötig würden. Im einzelnen wurden über diesen mittelfristigen Wandel die gleichen Fragen gestellt wie die unter 3.3.1 erwähnten für die kurzfristigen Änderungen. Die allgemeine Frage nach der Notwendigkeit von Ausbildungsanpassungen wurde von 692 Beamten (= 55,7 fJ/o aller Befragten) bejaht und von 91 Befragten (= 7,3010) verneint; 152 (= 12,2 010) gaben keine Antwort, und 306 (= 24,8010) bezeichneten die Frage als für sie entfallend, weil sie keine Änderung der Polizeitätigkeit erwarteten21 • Rechnet man hier wieder nur die inhaltlich Antwortenden, so hielten 88 °/0 von ihnen Ausbildungsanpassungen an die Tätigkeitsänderungen für nötig und 12 0/0 für unnötig. Die erste Gruppe wurde dann weiterbefragt über die Richtung der notwendigen Ausbildungsänderungen. 3.3.2.1 Kürzung gegenwärtiger Ausbildungsteile
In Tabelle 28 sind die Vorschläge zusammengefaßt, die die Befragten für Kürzungen von Teilen der gegenwärtigen Ausbildungsbereiche machten. Sie werden wieder nach dem Muster der Tabelle 23 in Tabelle 29 nach dem Rang der Erstnennungen geordnet. Dabei ergibt sich eine sehr überraschende übereinstimmung zwischen den Tabellen 23 und 29. Die ersten sechs Plätze sind mit denselben Antwortgruppen besetzt und weisen überdies noch eine sehr ähnliche Zu- oder Abnahme von den Erst- zu den Zweitnennungen auf22 • In den Rängen 7 bis 11 differieren die Tabellen höchstens um einen Rang, und erst danach gibt es größere Änderungen der Reihenfolge, die bei einem jeweiligen Anteil unter 0,6 Ofo aber ohnehin eher zufällig als signifikant ist. Aber auch in diesem unteren Bereich bleibt die frappierende Ähn%1 Auch hier stimmen infolge von inkonsistenten Antworten die Zahlen nicht genau mit denen überein, die nach dem zu Beginn von 3.1.2.2 dargestellten Ergebnis der Vorfrage logisch zwingend sind. 22 Dieser zweite Umstand läßt es möglich erscheinen, daß hier die generellen Bedenken gegen Konsistenzvermutungen bel schriftlicher Befragung gerechtfertigt sind. Diese Bedenken beruhen darauf, daß bei schriftlichen Befragungen der Befragte die Einheitlichkeit seiner Antwortstruktur durch Abschr.eiben der. Antwort auf .eine. frühere Frage vortäuschen kann.
29 24
15 6 4 7 7
0,5 0,4
0,3 0,3 0,0 0,1 0,2
6 5 8 4 4 0 1 2
07 GSOD
08 Infonnatorische Ausbildung
09 InnendienstausbiIdung (z. B. Maschinenschreiben, Kurzschrüt, Fernschreiber, Datenverarbeitung)
10 Polizeüächer im engeren Sinne (z. B. Polizeiverwendung, Polizeidienstkunde)
11 Recht (außer Straf- und Zivilrecht)
12 Strafrecht
13 Zivilrecht
14 Schießen, Waffenkunde u. ä. ---------
250
9,5
118
06 Fonnalausbildung
-
10
1,9
23
05 Ennittlungstechniken (z. B. Kriminalistik, Fotografieren usw.)
0,6
35
70
7,5
93
45
15,0
04 Berufsethik u. ä.
3
9,4
187
2
3,0
03 Ausbildung in der Bereitschaftspolizei (Bepo-Fächer insgesamt)
absolut
°/0
117
I
02 ASOD
absolut
I
Cl
....
g. 5,6
......
20,1
0,6
0,6
0,3
a
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N'
0,5
(1)
'1j
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P.
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2,8
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152
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei Tabelle 29
Rangfolge der für kürz bar gehaltenen Ausbildungsteile im mittelfristigen Wandel Prozentanteil an der
Rang der Erstnennung
Antwortgruppe
Erstnennung
Zweit-
I nunnung
1
BePo-Ausbildung
28,0
8,1
2
Formalausbildung
17,7
45,1
3
ASOD
17,5
0,5
4
Berufsethik
13,9
12,6
5
Keine
8,7
3,1
6
Allgemeinbildung
5,5
0,4
7
Ermittlungstechniken
3,4
1,8
8
GSOD
1,2
6,3
9
Informatorische Ausbildung
0,9
5,2
10
Innendienstausbildung
0,7
4,3
11
Polizeüächer i. e. S.
0,6
2,7
12
Recht (außer 16 und 17)
0,6
1,1
13
Technikausbildung
0,4
3,8
14
Schießen, Waffenkunde
0,3
1,3
15
Sozialwissenschaftliche Fächer
0,3
0,9
16
Zivilrecht
0,1
1,3
17
Strafrecht
0,0
0,7
18
Sport u. ä.
0,0
0,7
99,8
99,9
lichkeit in den Steigerungsraten von der Erst- zur Zweitnennung erhalten. Verbinden wir nun diese Ergebnisse mit den Daten aus Tabelle 19, dann können wir das Gesamtergebnis in zweierlei Richtung deuten: Entweder sehen die Befragten eine ungemein geradlinige Entwicklung vom kurzfristigen zum mittelfristigen Wandel mit einer ebenso stetigen
3.3 Anpassung der Ausbildung an den erwarteten Wandel
153
Konsequenz für die Ausbildungsanpassung, oder sie haben in beiden Fällen nur ihr Gegenwartsbild in die Zukunft projiziert, ohne einen einzigen neuen Faktor einzubeziehen. Welche Deutung zutreffend ist, läßt sich nach dem vorliegenden Material nicht sagen und durch schriftliche Befragung wohl überhaupt nicht klären. Zu dieser Frage wurden auch Antwortkorrelationen mit anderen Daten der Befragten durchgeführt. Da hier in vielen Fällen der wahre Wert vom Erwartungswert stark abweicht, seien die extremsten Daten genannt. Dabei muß man sich aber aus Sicherheitsgründen auf Nennungen beschränken, die überhaupt in größerer Zahl vorliegen. Zuerst sollen die Kürzungsvorschläge nach Bundesländern untersucht werden. Dazu werden jeweils die drei Länder genannt, in denen die wahren Werte am meisten nach oben oder nach unten vom Erwartungswert abweichen. Einen überblick gibt Tabelle 3023 • Tabelle 30
Häufigste und seltenste Kürzungsvorscltläge naclt Bundesländern
Kürzungsfach BePo-Fächer
Erwartungswert 15,0
Wahrer Wert Höchstnennungen
INiedrigstnennungen
NL 25,4; HB 21,4; HH 17,2
HEL 9,0; RPL 9,4; B9,6 B 5,8; HB, NL je 7,1
Fonnalausbildung
9,5
SH 19,6; BYL, RPL je 13,2
ASOD
9,4
RPL 24,5; BWL 15,2; NL 3,2; HB 3,6; B13,5 SAL3,8
7,5
SAL 19,2; RWL 12,0; RPLll,3
HH 1,6; HB 3,6; B3,8
3,0
HH4,7; BYL4,1; B3,8
HB, RPL je 0; HELl
Berufsethik Allgemeinbildung
Daraus kann man wohl ablesen, daß in keinem Land einheitlich zuviel Formationsausbildung oder Allgemeinbildung getrieben wird, sondern daß nur einzelne Bereiche darin jeweils übertrieben erscheinen. Auch wenn man die Kürzungsvorschläge nach der Zugehörigkeit zur Schutz- oder Kriminalpolizei unterscheidet, sind die Differenzen sämtlich nicht signifikant. Dasselbe gilt für Unterscheidungen nach der BeZ3 Zur Erhöhung der übersichtlichkeit sind die Länder mit den amtlichen Kfz-Kennzeichen ihres öffentlichen Dienstes bezeichnet und die Prozentzeichen bei Erwartungs- und wahrem Wert weggelassen.
154
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
soldungsgruppe, Gemeindegröße des Dienstortes, Siedlungstyp des Dienstbezirks, Schulbildung. Hier läßt sich also sagen, daß die Meinung über Kürzungen der Ausbildungsteile recht einheitlich in der Polizei ist, weil sie von sonstigen Variablen kaum systematisch beeinflußt wird. 3.3.2.2 Verlängerung gegenwärtiger Ausbildungsteile
Als Ausbildungsanpassungen an die mittelfristig erwarteten Änderungen in der Tätigkeit wurden die Verlängerungen genannt, die in Tabelle 31 wiedergegeben sind. Auch diese Tabelle wurde nach dem Muster der Tabelle 23 umgeschrieben, um eine Einbeziehung in die Analysen der Parallelwerte zu ermöglichen. Das geschieht in Tabelle 32. Auch hier ergeben sich wieder frappierende Übereinstimmungen in Erst-, Zweit- und Drittnennungen. Das gilt für die Ränge, die in den ersten fünf Plätzen gleich sind, wobei nur die Positionen 3 und 4 vertauscht sind, und erst im Bereich von 3,5 % Erstnennungen und weniger gibt es Positionswechsel um maximal fünf Rangplätze. Noch überraschender ist aber, daß die Kurve von den Erst- zu den Drittnennungen für jede Antwortgruppe fast kongruent ist, einschließlich des für den Autor dieser Untersuchung so schmeichelhaften unaufhaltsamen Aufstiegs der Sozialwissenschaften!4. Die Folgerungen sind hier dieselben wie bei den entsprechend einheitlichen Antwortstrukturen zu den Kürzungsvorschlägen. Es ist entweder die Vermutung einer geradlinigen, stabilen Entwicklung von Gesellschaft, Staat und Polizei oder eine unkritische übertragung der Gegenwart in die Zukunft. 3.3.2.3 Vorschläge für neue Inhalte
Da die Befragten bei ihren Vorschlägen für Verkürzungen oder Verlängerungen einzelner Ausbildungsteile an das Schema der gegenwärtigen Fächerzusammensetzung gebunden waren, kann die Einheitlichkeit der kurz- oder mittelfristigen Vorstellungen vielleicht durch diese Vorgabe mitbestimmt gewesen sein. Deutlicher könnten Unterschiede in den zeitlichen Konsequenzen des Wandels bei einer Frage ohne Ant!4 Auch hier kann es natürlich wieder sein, daß die Antworten auf diese Frage von den Antworten auf die Frage nach Verlängerungen der Ausbildung im kurzfristigen Wandel abgeschrieben wurden. Gegen eine solche Vermutung oder für mangelnde Umsicht beim Abschreiben spricht aber die Tatsache, daß manche Befragte auch für die Verlängerung Ausbildungsteile empfahlen, die sie zuvor für eine Kürzung vorgeschlagen hatten.
14
04 Berufsethik u. ä.
4
14 46 30 21 17
08 Informatorische Ausbildung
09 Innendienstausbildung (z. B. Maschinenschreiben, Kurzschrift, Fernschreiber, Datenverarbeitung)
10 Polizeifächer im engeren Sinne (z. B. Polizeiverwendung, Polizeidienstkunde)
11 Recht (außer Straf- und Zivilrecht)
12 Strafrecht
°
07 GSOD
06 Formalausbildung
255
15
03 Ausbildung in der Bereitschaftspolizei (Bepo-Fächer insgesamt)
05 Ermittlungstechniken (z. B. Kriminalistik, Fotografieren usw.)
12
214
I
1,4
1,7
2,4
3,7
1,1
0,3
0,0
20,5
1,1
1,2
1,0
69
72
53
88
40
° 11
98
8
7
6
6
17,2
I
5,6
5,8
4,3
7,1
3,2
0,9
0,0
7,9
0,6
0,6
0,5
0,5
Ofo
Zweitnennung absolut
Ofo
Erstnennung absolut
02 ASOD
01 Allgemeinbildung
Antwortgruppen
Tabelle 31: Vorschläge zur Verlängerung von Ausbildungsteilen im Hinblick auf die erwarteten mittelfristigen Änderungen
35
16
19
17
° 12
0
13
1
1
1
6
I
2,8
1,3
1,5
1,4
1,0
0,0
0,0
1,0
0,1
0,1
0,1
0,5
Ofo
Drittnennung absolut
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I
100,0
1243
-
9,7
34,1
0,8
120
10
19 Weiß nicht
0,6
00 K.A.
7
18 Keine
0,1
424
1
17 Technikausbildung (z. B. Motorenkunde, Funken u. ä.)
02
2,2
0,6
20 Entfällt
3
27
15 Sozial wissenschaftliche Fächer (z. B. Soziologie, Psychologie, Kriminologie, Pädagogik, Menschenführung)
16 Sport u. ä.
7
14 Schießen, Waffenkunde u. ä.
I
1243
156
423
8
0
6
8
109
58
17
0,2
1
100,0
12,6
34,0
0,6
0,0
0,5
0,6
8,8
4,7
1,4
Ofo
Zweitnennung absolut
I
1%
Erstnennung absolut 2
I
13 Zivilrecht
Antwortgruppen
Tabelle 31 (Fortsetzung)
I
I
1243
222
425
8
0
64
33
325
28
17
100,0
17,9
34,2
0,6
0,0
5,1
2,7
26,1
2,3
1,4
ro
"d
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E: ::s
w
W
14,1 100,0
175 1243
42,1
0,6
OOK.A
8
19 Weiß nidlt
1,0
523
13
18 Gar nicht / kaum I nur wenig
3,3
1,0
0,4
1,1
0/0
20 Entfällt
41
17 Richtung : Restkategorie Alle anderen Antworten
Ausbildung muß länger dauern. 12
5
15 Richtung: Gruppen bildung Gruppeneinteilung abschaffen I mehr auf einzelne Schüler eingehen.
16 Richtung: Ausbildungsverlängerung
I
Erstnennung absolut
14
I
14 Richtung: AUgemeines Lehrer-Schiller-Verhältnis Mehr Einfühlungsvermögen der Lehrer / Schüler mehr motivieren / kein Standesdünkel der Lehrer I Verhältnis muß besser werden / objektiver.
Antwortgruppe
Tabelle 35 (Fortsetzung)
I
1243
458
521
5
5
27
8
4
17
I
100,0
36,9
41,9
0,4
0,4
2,2
0,6
0,3
1,4
Ufo
Zweitnennung absolut
I
1243
631
521
5
4
13
1
2
10
I
100,0
50,8
41,9
0,4
0,3
1,0
0,1
0,2
0,8
Ufo
Drittnennung absolut
I
(1)
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167
3.4 Chancen langfristigen Wandels
TabeHe 36
Rangvergleich der Erstennnungen über kurz- und mittelfristig nötige Änderungen des Ausbildungsstils
Rang
Antwortgruppe in Tabelle 27
Antwortgruppe in Tabelle 35
1
1
2
2
2
1
3
4
4
4
3
3
5
10
12
6
6
6
7
9
9
8
14
10
9
5
5
10
8
14
11
7
7
12
11
8
13
16
16
14
12
11
15
15
15
16
13
13
3.4 Chancen langfristigen Wandels
Die bisher dargestellten Informationen über die Zukunftsansichten der Polizei waren noch zu sehr auf die gegenwärtige Situation bezogen oder zu sehr auf die Ausbildung ausgerichtet, um einen Eindruck von einem Selbstbild der Polizei für die Zukunft zu geben. Deshalb wurden den Interviewpartnern auch Fragen gestellt, die sie zu einer solchen Projektion veranlassen sollten. Entsprechend unserem Ansatz, daß die Polizei in allen ihren Merkmalen entscheidend von ihren sozialen Funktionen bestimmt sein muß, müßte auch ein Zukunftsbild von solchen zukünftigen Funh:tionen geprägt sein.
168
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
3.4.1 Langfristige Aufgaben der Polizei Kurz- und mittelfristige Änderungen in den sozialen Funktionen der Polizei können nicht mit nur geringer Verzögerung zu einer Änderung des gesamten Berufsbildes der Polizei führen, weil sie aus vielerlei Gründen bestehende Strukturen zumindest vorläufig unberührt lassen müssen. Das Berufsbild der Zukunft kann daher erst in einer langfristigen Perspektive bestimmt werden. Diese Perspektive wird entscheidend durch die Annahmen über die langfristig bedeutsamen Aufgaben der Polizei geformt. Die Beamten wurden daher gefragt, welche Aufgaben der Polizei sie auf lange Sicht für besonders wichtig bzw. unwichtig halten. 3.4.1.1 Wichtigste Aufgaben Auf die Frage nach den langfristig wichtigsten Polizeiaufgaben konnte ohne jede Beschränkung frei geantwortet werden. In der Auswertung wurden die in der Reihenfolge ersten drei Nennungen berücksichtigt. Die Ergebnisse sind in Tabelle 37 nach der Häufigkeit der Erstnennungen aufgeführt. über die Hälfte aller Befragten erwähnt dabei in den Antwortgruppen 01 bis 03 die klassischen Polizeiaufgaben. Dabei werden in der Regel die generellen Formeln zur Bezeichnung dieser Aufgabe angegeben, nicht etwa konkrete Vorschläge zu ihrer Erfüllung gemacht; lediglich im Präventionsbereichi ist es etwas anders, wo besonders häufig eine Intensivierung der Jugendarbeit verlangt wird. Die Antworten in der Gruppe 02 zeigen fast ausnahmslos, daß Sicherheit, Ordnung und Recht nicht problematisiert werden, sondern als das genommen werden, was sie nach der amtlichen Interpretation sind. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Beamten damit eine zukunftsgerechte Interpretation finden. Ein Polizeibeamter sagt in dieser Hinsicht voraus: "Mit der politischen Verständigung und der Sicherung des allgemeinen Wohlstandes wächst der Wunsch nach innerer Sicherheit. Die achtziger Jahre können damit zu einer in der Geschichte einmaligen Aufwertung des Polizeibegriffs führen, wenngleich der Inhalt dieses Begriffs gewandelt ist: Konsolidierung des Erreichten, Bewahrung des Bewährten und Abwehr aller Retardation werden oberste Leitlinie 1 So konkretisieren manche Polizeien in den USA ihre Aufgabe des Eigentumsschutzes unter anderem dadurch, daß sie die Bürger auffordern, ihr Auto durch Aufmalen der Führerscheinnummer auf die Fahrertür zu kennzeichnen (Adam S.247). Bei ganz normalen Ausweiskontrollen bleibt ein Autodiebstahl nur dann unentdeckt, wenn der Dieb den Wagen umspritzt oder seinen eigenen Führerschein fälscht.
-
---
Schutz des Staates / der Demokratie
06 Staatsschutz
Öffentlichkeitsarbeit I besserer Kontakt zur Bevölkerung mehr Vertrauen erwerben I mehr Zusammenarbeit mit der Bevölkerung I Beratung / Information I Sicherheitsgefühl für Bürger I Ansehen erhalten.
05 Richtung: Bürgervertrauen, Öffentlichkeitsarbeit
Schutz des Bürgers vor Verbrechen I Gewährleistung der Freiheit des einzelnen / Schutz der Grundrechte des Bürgers.
04 Richtung: Bürgerschutz
Prävention I Vorbeugung I Verhinderung von Straftaten.
03 Richtung: Verbrechensverhinderung
Aufrechterhaltung von Sicherheit / Ordnung / Recht.
02 Richtung: Law and Order
Verbrechensbekämpfung I höhere Aufklärungsraten I mehr Erfolg bei der Fahndung I Modernisierung der Verbrechensbekämpfung
01 Richtung: Verbrechensbekämpfung
I
42
106
119
170
203
325
absolut
I
3,4
8,5
9,6
13,7
16,3
26,1
Ofo
Erstnennung
I
65
102
86
140
39
165
absolut
I
5,2
8,2
6,9
11,3
3,1
13,3
Ofo
Zweitnennung
Ansichten über die langfristig wichtigsten Aufgaben der Polizei
Antwortgruppe
Tabelle 37:
42
60
22
45
19
48
absolut
I
3,4
4,8
1,8
3,6
1,5
3,9
Ofo
Drittnennung
~
w
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0) ~
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rn
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o
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o
:::
::Y po
(1
I Verkehrsdelikte
6
--------
13 Richtung: Spezialisierung Spezialisten ausbilden I einstellen I Spezialeinheiten aufbauen I weg vom Universalgendarm.
-----
6
Bestimmte Delikte (auch einzelne Beispielnennungen) ver· stärkt verfolgen (Bagatellfälle übersehen).
12 Richtung: Arbeitskonzentration
Ständige Beschulung I stets auf dem neuesten Wissensstand bleiben. 7
12
10 Richtung: Höhere Schlagkraft Personal- I Ausrüstungs- I Ausbildungsstand verbessern.
11 Richtung: education permanente
17
18
38
absolut
I
0,5
0,5
0,6
1,0
1,4
1,4
3,1
Ofo
Erstnennung
Mithalten mit der Entwicklung I auf dem neuesten Stand bleiben I nicht ins Hintertreffen geraten.
09 Richtung: Entwicklung (sofern nicht 15)
08 Richtung: Berufspolitik Für guten Nachwuchs sorgen I Ausbildung des Nachwuchses I Attraktivität des Berufes wiederherstellen I Status der Polizei erhalten.
Verkehrslenkung
07 Richtung: Verkehr
Antwortgruppe
Tabelle 37 (Fortsetzung)
2
21
10
13
14
16
92
absolut
I
0,2
1,7
0,8
1,0
1,1
1,3
7,4
Ofo
Zweitnennung
5
12
7
12
10
10
48
absolut
I
0,4
1,0
0,6
1,0
0,8
0,8
3,9
Ofo
Drittnennung
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172
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
allen polizeilichen Handeins sein2 ." Das ist ein Modell der sozialen Polizeifunktionen, das auf der Vorstellung von Aktions- und Werteinheit zwischen Gesellschaft und Polizei beruht, in der die Polizei nur das Sicherheitsorgan der ganzen Gesellschaft ist, das die gelegentlichen oder notorischen Störenfriede im Zaum hält. Demgegenüber gibt es aber auch ein Modell, in dem größere Konflikte innerhalb der Gesellschaft angenommen werden. Dadurch wird die Polizei nicht stets vom Konsens aller Ernstzunehmenden getragen, sondern sie muß sich bewußt sein, daß jede ihrer Entscheidungen eine Parteinahme ist. Diese Situation wird von Jerome Skolnick mit einem in der Polizeigeschichte seltenen Scharfblick beschrieben: "Genauso wie der Kriminologe es sich nicht leisten kann, in den Fehler zu verfallen, alle ,Verbrechen' auf die gleiche Weise zu erklären, sowenig kann der moderne Polizist sich vernünftigerweise allen Handlungen gegenüber, die gegenwärtig als strafbar gelten, gleich verhalten. In England etwa mußten die Arbeiter zahlreiche Gesetze verletzen, um schließlich das Wahlrecht und das Recht, Gewerkschaften zu bilden, zu erhalten ... Eine professionelle Polizei muß sich daher darüber im klaren sein, daß die Rolle des Polizisten ihm oft die schwere Aufgabe auferlegt, die Interessen der Besitzenden gegen die Nichtbesitzenden zu verteidigen. Wenn der Polizist auch verpflichtet sein mag, solche Dienste zu verrichten, so muß er doch eine neue Einschätzung und Perspektive seiner geschichtlichen Rolle in der demokratischen Gesellschaft entwickeln3." Die Gruppe, die Sicherheit und Ordnung nicht so fraglos sieht wie die Antwortgruppe 02, ist nur etwa ein Fünftel so stark und besteht hauptsächlich aus den Beamten, die hier die Antwort 06 gaben und in den Tabellen 16 und 18 die Antworten 11 und 13. Sie sehen den Konflikt, aber aus ihrer Stellungnahme ergibt sich, daß sie dabei auf der Seite des Staates stehen wollen. In den Ansichten über die wichtigsten Zukunftsaufgaben läßt sich also ein erster Orientierungsbereich erkennen, der die klassischen Polizeiaufgaben als Richtpunkt hat. Mit den Antwortgruppen 01, 02, 03 und 06 hat er 740 Erstnennungen, d. h. 69 (l/o der inhaltlich Antwortenden. Für einen zweiten Orientierungsbereich ist nicht die abstrakte, gerade jetzt oder jeweils herrschende Ordnung der Richtpunkt, sondern das Bestreben, für "den Bürger" zu arbeiten. Ein dafür typisches Zitat stammt von einem Polizeiobermeister, der als Aufgabe definierte: "Aufrechterhaltung eines Zustandes, der von der Mehrheit der Bürger als richtig angesehen wird" (Interview Nr.614). Darin zeigt sich schon 2
3
Bleck S. 65. Skolnick S. 180.
3.4 Chancen langfristigen Wandels
173
mehr Bewußtsein von Konfliktpotential in der Polizeirolle, wenngleich in der Regel angenommen wird, daß volonte generale und offizielle Ordnung im Einklang stehen; zu diesem Bereich gehört außer 04 und 05 auch die Antwortgruppe 14, in der insgesamt acht Befragte als langfristige Polizeiaufgabe die Verbesserung ihres eigenen gesellschaftswissenschaftlichen Kenntnisstandes anführen. Zwar wird polizeieigene Forschung schon länger betrieben - das britische Home Office hat dem Chief Inspector of Constabulary seit 1963 eine Forschungs- und Planungsabteilung zugeordnet, die schon 1967 22 Wissenschaftler und 7 höhere Polizeibeamte umfaßte 4 - oder auch von der Polizei gefordert5 ; aber das geschah nur zur Erhöhung des allgemeinen Aktionspotentials der Polizei, also zu instrumentellen Zwecken. Ein Übergang zeigt sich schon in der Ansicht eines Polizeipsychologen, die Polizei sollte "ihr soziales Erkenntnisprivileg intensiver nutzen!... Die Polizei müßte doch zuallererst soziale Strömungen und Änderungsprozesse erkennen und auswerten und daraus polizeitaktische wie verhaltens- und einstellungsrelevante Konsequenzen ziehen"8. Die Nennungen in Gruppe 14 meinen mehr diesen Beitrag zum Selbstverständnis und sind daher zum Bereich der Bürgerorientierung zu zählen. Er umfaßt mit 227 Erstnennungen 21 fl/ O der inhaltlichen Antworten. Der dritte Orientierungsbereich mit 105 (= 10 v/o) der Erstnennungen umfaßt die professionellen Orientierungen der Antwortgruppen 07 bis 13, 15 und 16. Ihr Anteil erscheint relativ gering, wenn man die Zahl ähnlicher Nennungen auf die Frage nach den zukünftigen Änderungen damit vergleicht7 • Das kann daran liegen, daß die Aufgabenstellung für relativ konstant gehalten wird und der Wandel nur als Umschichtung innerhalb dieses Rahmens gesehen wird. Danach wäre also die soziale Funktion der Polizei auch langfristig ziemlich stabil, während die internen Funktionen als häufiger zu verändern beurteilt werden. In diesem Bereich gibt es noch die kleine Untergruppe 08, die sich an berufspolitischen Orientierungen ausrichtet. Die geringe Anzahl dieser Nennungen läßt darauf schließen, daß gelegentliche spektakuläre Hinweise auf die angeblich schlechte Situation des Polizeibeamten keineswegs die vorherrschende Ansicht widerspiegeln. So suchten im Juni 1977 in einer Stellenanzeige 105 Kölner Kriminalbeamte, etwa ein Viertel des dortigen Kripo-Personals, wegen angeblicher Unterbewertung und fehlender Aufstiegsmöglichkeiten "Tätigkeiten nach dem LeiCritchley S. 312. BKA-Präsident Herold nach Dicke / Halt S. 267 f. 8 Klinkhammer S.7. 7 Auch die sonst so häufige Spezialisierung wird hier kaum erwähnt, obwohl man nach dem Stand der Dinge nicht annehmen kann, 1985 werde es ohnehin "keinen Allround-Schutzmann mehr geben" (so aber Bleck S.68). 4
5
174
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
stungsprinzip" in der freien WirtschaftB. Zwei Monate später waren trotz 52 Stellenangeboten mit zum Teil über DM 4000,- Bruttomonatsgehältern (polizeigehalt DM 2300,- netto im Durchschnitt) noch alle im Dienst, weil Angst vor Probezeiten und Kündigungsmöglichkeiten das Beamtendasein doch nicht gar so unglücklich erscheinen ließenD. Zudem haben sich auch ohne Beförderung die Gehälter seit 1970 um weit über 50 Ofo erhöht. Schließlich zeigt sich auch seit Jahren in immer größerem Maße, daß gerade bei der Kriminalpolizei die Zahl der Bewerber die der offenen Stellen immer mehr übertrifft10• 3.4.1.2 Unwichtigste Aufgaben Die den Befragten auch für die fernere Zukunft am unwichtigsten erscheinenden Polizei aufgaben sind in Tabelle 38 in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit bei den Erstnennungen aufgeführt. Hierbei gab es bemerkenswert viele Einzelnennungen, die oft durch das Gesichtsfeld der jeweiligen dienstlichen Position bestimmt waren oder durch kürzliche Erfahrungen auf abgelegenen Zuständigkeitsgebieten und die zu einer verhältnismäßig großen Restkategorie führten. Ebenso bemerkenswert ist die hohe Zahl von 81 Erstnennungen, nach denen keine oder fast keine der gegenwärtigen Polizeiaufgaben in längerer Zukunft unwichtig ist. Auch aus der stark abnehmenden Zahl von Zweit- und Drittnennungen in allen Antwortgruppen kann geschlossen werden, daß es für die meisten Beamten nur ein oder zwei Tätigkeitsgebiete gibt, die sie für sehr unwichtig halten, während im übrigen die Polizeiaufgaben recht gleichbleibend gesehen werden. Die übrigen 757 Erstnennungen lassen sich zu vier Orientierungsbereichen zusammenfassen. Im größten Bereich mit den Antwortgruppen 01, 02, 05, 08 und 15 mit 395 Erstnennungen (= 52 Ofo aller positiven Einzelangaben) findet man die Antworten, die solche Aufgaben für unwichtig erklären, die nicht in unmittelbarer Beziehung zur Strafverfolgung und Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung stehen. So wird in Antwortgruppe 01 nicht nur von einem Hamburger Kriminalhauptmeister "der aufgeblähte Innendienst" (Nr.683) überhaupt gerügt, sondern oft wird bemängelt, daß auch die notwendigen Vor- und Aufbereitungsarbeiten der Strafverfolgung zu umfangreich oder umständlich seien. Ein besonderes Gewicht haben hier die eigentlich polizeifremden Tätigkeiten, wie "die durch einen Verkehrsunfall anfallenden schriftlichen und zeichnerischen Angaben für die Versicherungen", deren ErB Saarbrücker Zeitung vom 23.6.1977, S. 9. Saarbrücker Zeitung vom 30.8.1977, S. 9. 10 Vgl. z. B. Saarbrücker Zeitung vom 31. 8. / 1. 9. 1974, S.25. 9
Bewachung von (Ordnungsdienst bei - friedlichen-) Veranstaltungen.
09 Richtung: Veranstaltungen
Musikkorps / Spalierbilden / Eskorte
08 Richtung: Repräsentation
Ausbildung / Einsatz im Verband / paramilitärisches Einschreiten / Formalausbildung
18
19
45
50
06 Richtung: Verkehrsunfälle Leichtere Verkehrsunfälle / Verkehrsunfälle mit nur geringem Sachschaden.
07 Richtung: Verband
79
93
107
134
161
Ermittlungen für andere Behörden und Interessenten (z. B. Versicherungen) / Vollzugshilfe - auch Einzelbeispiele hier verschlüsselt.
05 Richtung: Amtshilfe
auch
u. 06)
Kleinere Kriminalität / Ordnungswidrigkeiten Einzelbeispiele hier verschlüsselt.
04 Richtung: Bagatellkrimtnalität (sofern nicht 03
Ruhender Verkehr / Parksünder
03 Richtung: Ruhender Verkehr
Polizeifremde Tätigkeiten / was an andere Behörden abgegeben werden kann.
02 Richtung: Polizeifremde Tätigkeit
Schreib-/Büroarbeiten/Verwaltung
01 Richtung: Bilrodienst
absolut
I
1,4
1,5
3,6
4,0
6,4
7,5
8,6
10,8
13,0
Ofo
Erstnennung
9
8
8
15
52
43
37
58
25
absolut
I
0,7
0,6
0,6
1,2
4,2
3,5
3,0
4,7
2,0
Ofo
Zweitnennung
Ansichten über die langfristig unwichtigsten Aufgaben der Polizei
Antwortgruppen
Tabelle 38:
2
2
0
6
15
7
6
13
6
absolut
I
0,2
2,2
0,0
0,5
1,2
0,6
0,5
1,0
0,5
Ufo
Drittnennung
I
i
~
I
.... ..., Cl
tii"
P P. ro
llJ
~
::l
ro
tn
s:
-.)
....
3.4 Chancen langfristigen Wandels
177
ledigung ein Polizeiobermeister (Nr. 689) und viele seiner Kollegen aufgeben möchten. Auch in anderen Ländern wird der Arbeitserfolg der Polizei auf ihren ureigensten Gebieten beeinträchtigt gesehen durch solche Aufgabenl1 • Für die Bundesrepublik wird geschätzt, daß die Polizei gegenwärtig nur 30 bis 40 Prozent ihrer Arbeitszeit der Strafverfolgung, Verkehrsunfallverhütung und Verkehrslenkung widmen könneu. In den eben erwähnten Antworten kommt ein Ideal der Polizeiarbeit zum Vorschein, nach dem die Aktivität der Polizei möglichst ganz auf Strafverfolgung und Gefahrenabwehr als primäre Organisationsziele konzentriert wird, indem die Hilfstätigkeiten des Innendienstes als sekundäre Organisationsziele nichtpolizeilichen Hilfskräften überlassen und Randaktivitäten, die der Polizei nur mangels besser geeigneter Institutionen zugeschoben werden, zurück- oder weitergeschoben werden. Ein sehr ähnliches Bestreben kennzeichnet den zweiten Orientierungsbereich. Zu ihm gehören die Antwortgruppen 09, 13 und 14. Sie umfassen alle Antworten, die solche Aufgaben als unwichtig bezeichnen, die nicht unmittelbar der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr dienen, sondern als Prävention im Vorfeld liegen bzw. als Teilnahme an der Gerichtsverhandlung eine für die Tataufklärung zumeist überflüssige Abwicklungshandlung darstellen. Mit 29 Erstnennungen (4010) ist dieser Bereich sehr klein. Zahlenmäßig größer könnte sich der Erfolg der Polizei darstellen, wenn die Aufgaben abgeschafft würden, die in einem dritten Orientierungsbereich für unwichtig erklärt werden. Er umfaßt die Antwortgruppen 03, 04, 06, 10 und 12 und hat 274 (= 36010) der Erstnennungen. Sie laufen alle darauf hinaus, der Polizei die Konzentration auf ihre "eigentlichen" Aufgaben zu erleichtern, indem man ihr die Erledigung leichterer Fälle erspart. Dabei ist im Auge zu behalten, daß die Bearbeitung aller dieser Fälle zu den sozialen Funktionen der Polizei gehört. Wenn sie aus diesen die leichteren aussortieren will, um sich auf die schwereren konzentrieren zu können, dann scheint sie unter Rollenüberlastung zu leiden, aus der sie einen Ausweg sucht, indem sie die übernahme der weniger Prestige bietenden Rollen ablehnt. Das gilt zuerst für den ruhenden Verkehr. "Statt den unfallträchtigen fließenden Verkehr intensiv überwachen zu können, werden beachtliche Polizeikräfte durch die überwachung des ruhenden Verkehrs (Park- und Halteverbote) absorbiertI3." Es wird dabei nie behauptet, 11
12 13
Bittner S. 42/43 m. w. N. für die USA. Siebecke S. 128/129 m. w. N. Siebecke S. 123.
12 Endruwelt
178
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
daß im ruhenden Verkehr alles gestattet sein sollte, vielmehr wird wie in England schon vor 1930 von Captain Sant14 - die schon immer öfter durchgeführte Einrichtung von speziellen Organisationen mit weniger qualifizierten Kräften verlangt. Allerdings ist hierbei durchaus umstritten, ob der Polizei dann nicht auch Informationen entgehen, die für ihre wichtigen Aufgaben von Bedeutung wären. Seltsamerweise kam hier nie der Vorschlag, auch diese Zuständigkeit bei der Polizei zu belaSS€n, die Zahl der Fälle aber durch andere Maßnahmen, etwa abschreckende Strafen, zu vermindern, wie es in den USA mit großem Erfolg versucht wird 15 • Derartige Alternativen sind im deutschen Verwaltungsdenken aber wohl schon utopisch. Darüber hinaus wird aber in 93 Erstnennungen (Antwortgruppe 04) die Verfolgung von kleinerer Kriminalität durch die Polizei als unwichtige Aufgabe angesehen. Die Behandlung dieser Fälle wird in zweierlei Richtung gesehen. Die eine Richtung schlägt die Übertragung an eine andere Organisation vor. So hält der Befragte Nr. 537 für eine unwichtige Aufgabe die "Sachbearbeitung der leichten Kriminalität; insbesondere bei Ersttätern könnte Strafverfolgung durch StA unter Ausschaltung der Polizei (Geschädigter reicht Anzeige sofort bei StA ein) erfolgen." Es erscheint bei manchen Fällen in der Tat verschwenderisch, eine Organisation, deren hochspezialisierte Aufgabe die Aufklärung von Straftaten und die Ermittlung von Tätern ist, auch dann nach dem üblichen Aktionsschema einzusetzen, wenn die Tat völlig klar und der Täter bekannt ist, so daß es nur noch um die Rechtsfrage geht. Ähnliche Erwägungen stehen zumeist hinter der Ablehnung der Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten, die viele Polizeibeamte offensichtlich nicht einmal mehr als straftatähnlich ansehen, sondern eher als so etwas wie die irrtümliche Unterfrankierung eines Briefes, und die sie deshalb noch mehr auf Verwaltungsbehörden übertragen sehen möchten. Immerhin bliebe damit die Frage zu beantworten, ob dann nicht durch die zu erwartenden Entwicklungen der Praxis - zum Beispiel Zunahme von Rechtsschutzversicherungen - der Staat seine Schutzaufgabe vernachlässigen würde, wenn er den Opfern von Rechtsverletzern nicht zumindest indirekt seinen spezialisierten Apparat des Ermittlungswesens Critchley S. 300/301. In mehreren Staaten gibt es dort Habitual-Offender-Gesetze, nach denen hartnäckige Wiederholungs täter empfindlich bestraft werden können. So wird in Virginia nach 3 schweren oder 10 leichten Verkehrsdelikten der Führerschein entzogen; wer dann Auto fährt, erhält eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Nach Einführung dieses Gesetzes sank die Zahl der Verkehrstoten um 20 %. Als die Verkehrsgerichte von Cook County, Illinois, vereinbarten, chronische Verkehrsdelinquenten stets mit der gesetzlichen Höchststrafe zu belegen, sanken die Verkehrsdelikte ebenfalls erheblich und sogar die Zahl der Verkehrstoten um ein Drittel (Schweisheimer S.41). 14 15
3.4 Chancen langfristigen Wandels
179
und dessen Autorität zur Verfügung stellt. Zur Zeit bietet das Verkehrsunfallrecht ein Beispiel dafür, wie der Staat einen von Rechtsbrechern Geschädigten oft de facto völlig schutzlos läßt, wenn er ihn als Individuum dem habgierigen Versicherungskonzern des Verbrechers ausliefert. Eine zweite Richtung sucht eine rechtstechnische Lösung, wenn sie mit den Worten eines 56jährigen Polizeihauptmeisters (Interview Nr.610) die "obligatorische Verfolgung von Straftätern nach § 163 StPO" als unwichtige Aufgabe betrachtet. Sie möchte also das Legalitätsprinzip, nach dem die Polizei jede Straftat zu verfolgen hat, durch das Opportunitätsprinzip ersetzen, wonach Zweckmäßigkeitsgründe über Verfolgung und Nichtverfolgung entscheiden; in einem solchen System könnte dann die Verfolgung von Bagatellen als unzweckmäßig und daher nicht geboten erscheinen. Diese Lösung erscheint bedenklich. Näheres dazu folgt im letzten Abschnitt bei 3.5.2 (11). In einem vierten Orientierungsbereich mit den Antwortgruppen 07 und 11 und zusammen 59 (= 8 0J0) der Erstnennungen werden solche Aufgaben erwähnt, die zwar in der Regel auch direkte Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr sind, aber wegen ihrer Natur ein zumindest paramilitärisches Vorgehen erfordern. In vielen Ländern werden sie deshalb auch von vornherein dem Militär oder paramilitärischen Organisationen übertragen, so in den USA der Nationalgarde, die in Stärke der deutschen Bundeswehr ansonsten das Ersatzheer der ersten Stufe darstellt16 , und in Frankreich den Gardes mobiles, Compagnies n§publicaines de securite (CRS) oder der Gendarmerie nationale 17•
3.4.2 Vorbereitung auf die Zukunft Bisher war nur davon die Rede. welche externen Ansprüche an die Polizei der Zukunft gestellt werden und welche organisatorischen Anpassungen die Polizei dazu vornehmen müsse. Die abschließende Frage sollte klären, wie sich die Mitglieder der Organisation, die Polizeibeamten, selbst vorbereitet sehen, um den Anforderungen der Zukunft begegnen zu können. Die Antwortmöglichkeiten dazu waren vorgegeben. Welche gewählt wurden, sagt Tabelle 39. Diese Tabelle zeigt wieder einen Mangel der schriftlichen Befragung, nämlich unaufklärbare Antwortinkonsistenz. Es war im Fragebogen zwar allgemein aufgefordert worden, hier bis zu drei Antwortvorgaben anzukreuzen. Aber nach logischen Gesichtspunkten hätte es bei den Antwortgruppen 01, 06 und 08 keine Zweit- und Drittnennungen geben dürfen. 18
17
12·
Delury, George E. (ed.): The 1973 World Almanac, New York 1973, S.498. Le Clere S. 25 und 89/90.
I 1243
1243
122
4,6 100,0
4
0,4 5
08 Nein, gar nicht; das meiste müßte ganz anders sein
I
9
0,6
7
07 Nein, aber das ließe sich bei Bedarf nachholen
-
56
1,6
20
06 Teils-teils; auf einigen Gebieten nicht, auf anderen ja
---
225
2,3
28
05 Wenn die Personalstärke erhöht wird
-----
586
6,4
79
04 Wenn die technische Ausrüstung verbessert wird
57
197
5,2
65
03 Wenn die Organisation der Polizei verändert wird
00 K.A.
41
69,8
867
I
10,6 2,7 1,0
608 132 33 13 322
18,1 4,5 0,7 0,3 9,8 100,0
1243
48,9
I
~
8,4 104
100,0
25,9
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()
3,3
~
0,1
Ofo
Drittnennung absolut
...~ 1
0,2
3
Ofo
9,3
I
Zweitnennung absolut
Ofo
02 Wenn sie durch Fortbildung darauf vorbereitet werden
I
Erstnennung absolut 115
Antwortgruppe
Selbstbeurteilung der gegenwärtigen Eignung der Polizei für die Aufgaben der Zukunft
01 Ja, ohne weiteres
TabeLle 39:
3.4 Chancen langfristigen Wandels
181
Will man das erreichte Ergebnis trotzdem interpretieren, kann man wohl nur sagen, daß bei den befragten Beamten bei längerem Nachdenken die überzeugung von der Zukunftseignung der Polizei eher geringer als größer wird. Insgesamt läßt sich feststellen, daß weit mehr Befragte die Polizei für uneingeschränkt geeignet als für überwiegend ungeeignet halten. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß bei den überwiegend negativen Urteilen nicht immer nur die Polizei als ungeeignet angesehen wird, sondern manchmal ist es die Beurteilung der allgemeinen Umstände, die das Inadäquanzurteil bestimmt. So sagte ein Kriminalhauptmeister, der hier eine Antwort der Gruppe 08 ankreuzte, in anderem Zusammenhang: "Die Gesellschaft wird radikaler, die Rechte der Polizei werden durch die neueren Gesetze zu sehr beschnitten" (Interview Nr.782). Aber Bejahung und Verneinung der Zukunftseignung erreichen zusammen nur etwa 10 fl/ O der Erstnennungen. Das weitaus überwiegende Urteil der Befragten lautet: "beschränkt verwendungsfähig" für die Zukunft. über die Möglichkeiten zur Aufhebung dieser Beschränkung gibt es auch eine eindeutig sichtbare Meinung. In erster Linie fühlen sich die Beamten offensichtlich selbst den kommenden Anforderungen nicht gewachsen und möchten den Mangel durch Fortbildung aufgeholt sehen. Und diese Mängel erscheinen, wenn man sie aus Tabelle 32 entnehmen will, im wesentlichen im Kernbereich der Polizeitätigkeit selbst zu liegen sowie in dessen unmittelbarem Umfeld der Absicherung durch Allgemeinbildung und sozialwissenschaftliche Kenntnisse; die Beherrschung des Rechts und der Technik scheint dagegen weniger problematisch. In zweiter Linie sollen die Eignungsmängel durch Verbesserung der technischen Ausrüstung aber auch - in deutlich geringerem Maße - durch MehreinsteIlungen und Organisationsmaßnahmen behoben werden, und erst an dritter Stelle wird massiv die Personalvermehrung für nötig gehalten. Hauptergebnis ist somit, daß die Befragten den Mangel an Zukunftseignung nicht in der Organisationsstruktur der Polizei sehen, auch nicht in der Personalstärke, sondern in erster Linie in einem Nachholbedarf an Ausbildung bzw. Fortbildung, was sinnvollerweise umgedeutet werden muß in den Wunsch nach der Institutionalisierung eines lebenslangen Fortbildungssystems, und in zweiter Linie in einem Hinterherhinken des Ausrüstungsstandes hinter den Erfordernissen und Möglichkeiten.
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
182
3.5 Ergebnisse
In diesem Abschnitt sollen die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung über die Chancen des Wandels in der deutschen Polizei kurz zusammengefaßt und im Gesamtzusammenhang ausgewertet werden.
3.5.1 Zusammenfassung der Datentrends Das Material ergab, gegliedert nach unseren eingangs erwähnten Fragenkreisen, die folgenden Grundzüge in der Meinung der Befragten: 3.5.1.1 über den Wandel der Polizeitätigkeit wurden Fragen gestellt, die sich einerseits auf die vergangenen 50 Jahre und andererseits auf die kommenden 5 und 25 Jahre bezogen. Die Angaben zum ersten Bereich sind wegen eines Kodierfehlers nur beschränkt verläßlich. Sie erwähnen (in Teil 3.1.1 dargestellt) etwa 1. zu einem Viertel: Zunahme der Verkehrsaufgaben,
2. 3. 4. 5.
zu einem guten Zehntel: Verbesserung der Polizeiausrüstung, ebenso: Änderung der Täterzusammensetzung, zu einem knappen Zehntel: Änderung des Verhältnisses zu den Bürgern, ebenso: Verbesserung der Ausbildung.
Diese Erstnennungen betreffen also unter 1, 3 und teilweise 4, d. h. mit etwa 40 Ofo, Erschwerungen der Polizeitätigkeit, denen in 2, 5 und teilweise 4 mit zusammen 25 % Erleichterungen gegenüberstehen. Die von außen kommenden Einflüsse auf die Polizei (1, 3 und 4) werden größtenteils als durch die Technisierung hervorgerufen angesehen. Ebenso sind die internen Antworten darauf (2 und 5) zur Hälfte technischer Natur. Kurzfristigen Wandel erwarten etwa 40 Ofo der Befragten, 50 Ofo sehen ihn nicht voraus (knapp 10 Ofo gaben keine Antwort). Die positiven Nennungen ergaben ein Zukunftsbild, das von den Änderungen in der Vergangenheit abweicht, nämlich (im einzelnen unter 3.1.2.1): 1. 43 %: Organisatorische Änderungen,
2. 15 %: Rechtliche Änderungen, 3. 15 %: Verbesserung der Ausrüstung, 4. 8%: Verbesserung der Ausbildung, 5. 2 %: Zunahme der Verkehrsaufgaben. Hier werden die Erschwerungen in 5 und größtenteils 2 nur mit einem geringen Anteil gezählt (auch in den übrigen, hier nicht erwähn-
3.5 Ergebnisse
183
ten Antwortgruppen spielen sie keine große Rolle), während alle übrigen Antworten große Hoffnungen auf Erleichterung und Verbesserung der Tätigkeit widerspiegeln. Hier ist der Teil der Antworten, der von außen kommende Ansprüche an die Polizei, also den wichtigsten Teil ihrer sozialen Funktion, betrifft, sehr gering (Nr.5 und teilweise 1 und 2). In ihm ist auch das technische Element noch verschwindend klein. Die meisten erwarteten Änderungen sind Anpassungsprozesse der Polizei, in denen ebenfalls mehr organisatorische und pädagogische Innovationen als technische erwartet werden. Mittelfristigen Wandel erwarten über 60 % der Befragten, und knapp 25 % erwarten ihn nicht (fast 15 Ufo gaben keine Antwort). Die Ansichten derjenigen, die Wandel erwarteten (genauer bei 3.1.2.2), verteilen sich so ähnlich wie beim kurzfristigen Wandel: 1. 33010: Organisatorische Änderungen, 2. 16010: Rechtliche Änderungen, 3. 16010: Verbesserung der Ausrüstung, 4. 6010: Verbesserung der Ausbildung, 5. 2010: Zunahme der Verkehrsaufgaben.
Die Deutung ist dieselbe wie beim kurzfristigen Wandel. Dabei ist allerdings die niedrigere Zahl von Nennungen unter 1 und 4, die beide zum organisatorischen Bereich gehören, nicht zu übersehen. Eine Fortschreibung des Trends von der Vergangenheit zur nächsten Zukunft, daß technischer Wandel abnehme und organisatorischer zunehme, ist also nicht möglich. 3.5.1.2 über die Berücksichtigung des Wandels in der Vergangenheit waren die Stimmen mit großer Mehrheit negativ. über zwei Drittel aller ausdrücklichen Antworten sagten, daß bisher Änderungen noch nicht, noch nicht ausreichend oder verspätet in Organisation und Ausbildung berücksichtigt wurden. Positiv wurden mit insgesamt nur gut einem Viertel die Ausbildungsreformen beurteilt, bei denen die ausdrücklich als Antwortmöglichkeit vorgegebene Entmilitarisierung nur von etwa 7 Ofo gewählt wurde, und von einem Fünfzehntel der Antworten wurden organisatorische Maßnahmen erwähnt (Einzelheiten vorne unter 3.2). 3.5.1.3 über die Berücksichtigung zukünftigen Wandels in der Ausbildung wurde ebenfalls für die kurz- (unter 3.3.1) und mittelfristige (3.3.2) Perspektive gefragt.
184
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
Diejenigen, die überhaupt kurzfristigen Wandel annahmen, hielten zu über 80% auch entsprechende Anpassungen in der Ausbildung für nötig. Sie wurden zuerst nach den Teilen der gegenwärtigen Ausbildung gefragt, die im Hinblick auf die kurzfristigen Änderungen gekürzt werden könnten oder verlängert werden sollten. Die jeweils drei häufigsten und seltensten Nennungen dazu sind in Tabelle 40 aufgeführt. Tabelle 40
Die drei häufigsten bzw. seltenstena) Vorschläge zur Kürzung oder Verlängerung der gegenwärtigen Ausbildungsteile im kurzfristigen Wandel
Nennung 1.-häufigste
Kürzung
Verlängerung
Formalausbildung
Ermittlungstechniken
. 2.-häufigste
Bepo-Fächer
Sozialwissenschaftliche Fächer
3.-häufigste
Berufsethik
Allgemeinbildung
3.-seltenste
Strafrecht
ASOD
2.-seltenste
Recht (außer Zivilund Strafrecht)
Bepo-Ausbildung
1. -seI tenste
Sport u. ä.
Formalausbildung
a) Berechnet durch Kumulation der relativen (bezogen auf die Inhaltlichen Antworten) Erst-, Zweit- und Drittnennungen, wobei die Erst- mit 3 und die Zweitnennungen mit 2 gewichtet wurden.
Ergänzend zu diesen Modifikationen der gegenwärtigen Lehrpläne wurde nach Vorschlägen für neue Ausbildungsinhalte gefragt. Fast die Hälfte der darauf gegebenen Antworten hat keine neuen Inhalte genannt, sondern mehr Hinweise darauf, wie ein beliebiger Lehrstoff dargeboten werden sollte, etwa in Richtung auf Spezialisierung der Beamten, mit mehr Praxisorientierung, flexibler als bisher oder als Fort- bzw. Weiterbildung. Als wirklich neue Fächer geben nur jeweils kleine Befragtengruppen Gegenstände an, die bisher nur am Rande oder noch nicht behandelt wurden, so beispielsweise Verwaltungsrecht, elektronische Datenverarbeitung und Umweltschutz, aber auch Fächer, die viele Befragte in ihrer Ausbildung nicht hatten, wie Psychologie und Pädagogik. Bei der Frage nach kurzfristig notwendigen Änderungen des Ausbildungsstils wird besonders ein Verzicht auf noch vorhandene militärische Elemente verlangt, und zwar von etwa einem Viertel der positiv Antwortenden. Am zweithäufigsten wird eine höhere Qualifikation oder andere Rekrutierung der Polizeilehrer verlangt.
185
3.5 Ergebnisse
Mittelfristig hielten nur 74 % der Befragten, die überhaupt Wandel in der Polizeitätigkeit während der nächsten 25 Jahre erwarten, auch Änderungen in der Ausbildung für nötig. Für Kürzungen und Verlängerungen wurden dabei von den gegenwärtigen Ausbildungsteilen die Bereiche empfohlen, die in Tabelle 41 aufgeführt sind. Tabelle 41
Die drei häufigsten bzw. seltenstena) Vorschläge zur Kürzung oder Verlängerung der gegenwärtigen Ausbildungsteile im mittelfristigen Wandel
Nennung
Kürzung
Verlängerung
1.-häufigste
Formalausbildung
Ermittlungstechniken
2.-häufigste
Bepo-Ausbildung
Allgemeinbildung
3.-häufigste
Berufsethik
Innendienstausbildung
3.-seltenste
Schießen und Waffenkunde
Sportu. ä.
2.-seltenste
Sozialwissenschaften I Zivilrecht
Technikausbildung
l.-seltenste
Sport I Strafrecht
Formalausbildung
a) Berechnet durch Kumulation der relativen (bezogen auf die inhaltlichen Antworten) Erst- und Zweitnennungen. wobei die Erstnennungen mit 2 gewichtet wurden. Die Drittnennungen waren wegen eines Datenverarbeitungsfehlers in Tabelle 28 nicht verwendbar.
Die Antworten auf die Frage nach notwendigen neuen Ausbildungsinhalten zeigen fast dieselbe Struktur wie beim kurzfristigen Wandel (genau dargestellt in Tabelle 34). Dasselbe gilt für Änderungen im Ausbildungsstil (siehe Tabelle 36). 3.5.1.4 über die Chancen erfolgreichen langfristigen Wandels sollte durch drei Fragen Aufschluß gewonnen werden (näher unter 3.4). Zuerst wurde nach den auf lange Sicht wichtigsten Aufgaben der Polizei gefragt. Dabei entfielen mehr als zwei Drittel aller Antworten auf drei klassische Polizeiaufgaben, nämlich Verbrechensbekämpfung, Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und Verbrechensverhinderung. Etwa ein Fünftel der Antworten sieht eine Bürgerorientierung (Bürger schützen, mit ihnen zusammenarbeiten, gesellschaftliche Zusammen-
186
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
hänge sehen) als wichtigste Aufgabe an. Nur ein Zehntel nennt professionelle Orientierungen (Verkehr lenken, Nachwuchs ausbilden, Ausrüstung verbessern u. ä.). Die zweite Frage sollte die Kehrseite darstellen, indem sie die Aufgaben der Polizei untersucht, die langfristig als besonders unwichtig angesehen werden. Etwa ein Zehntel der Erstnennungen gibt an, daß auf keine der gegenwärtigen Aufgaben verzichtet werden könne. Die größte Gruppe jedoch, etwa die Hälfte der positiv Antwortenden, nennt Aufgaben, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Strafverfolgung und der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung stehen. Ein weiteres gutes Drittel möchte alle leichteren Rechtsverletzungen - insbesondere Verkehrsübertretungen, aber auch leichtere Strafrechtsverstöße - aus dem Aufgabenkatalog der Polizei gestrichen wissen. Schließlich wollen knapp zehn Prozent der Antwortenden noch alle Aufgaben aus dem Polizeibereich ausgegliedert wissen, die paramilitärische Ausbildung oder Aktion verlangen. Abschließend sollten die Befragten angeben, ob sie die gegenwärtigen Polizeibeamten für genügend vorbereitet halten, um den Anforderungen der Zukunft begegnen zu können. Nicht einmal zehn Prozent der Erstnennungen bejahten die Frage, aber auch nur ein Prozent verneinte sie. Der Rest gab eingeschränkte Bejahungen. Eingeschränkt waren sie dadurch, daß die Eignung an die Erfüllung weiterer Voraussetzungen gebunden war. Diese Voraussetzungen waren in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit: Vorbereitung durch Fortbildung (70 Ofo der Erstnennungen), Verbesserung der technischen Ausrüstung (50 Ofo der Zweitnennungen) und Erhöhung der Personalstärke (50 °/0 der Drittnennungen).
3.5.2 Zusammenfassende Auswertung Eingangs wurde dieser Teil der Untersuchung mit der Annahme begründet, daß Einstellungen von Organisationsmitgliedern zum Wandel eine wichtige Determinante für den Wandel selbst seien. Die unter 3.1 bis 3.4 gesammelten Daten, die zum Teil auch dort schon auf ihren Beitrag zu dieser Fragestellung interpretiert wurden, sollen hier nun noch einmal zusammen darauf untersucht werden, inwieweit ihr Ergebnis etwas über die Chancen des Wandels in deT Polizei aussagt. Die Hauptergebnisse werden dabei als These formuliert und numeriert. In den jeweils nachfolgenden Ausführungen wird die These durch Verweis auf die Daten begründet. Der übersichtlichkeit wegen werden dabei Hinweise auf die genaue Fundstelle der Daten weitestgehend ausgelassen; sie ergeben sich leicht aus der Gliederung.
3.5 Ergebnisse
187
Wichtigste Ergebnisse der Untersuchung, hier mehr in systematischer als zeitlicher Reihenfolge geordnet, sind:
1 Die Mehrheit der Beamten ist auf Wandel eingestellt, eine beachtliche Minderheit jedoch nicht. Auf die Frage nach Änderungen in den letzten fünfzig Jahren konnten fast alle Befragten Beispiele nennen, bei der Frage nach kurzfristigem Wandel waren es jedoch nur 40 {l/o, und bei der Frage nach mittelfristigem Wandel 60 Ofo, die ihn erwarteten. 50 Ofo erwarten ihn kurzfristig und 25 % mittelfristig ausdrücklich nicht. Da die Verneinungen des kurzfristigen Wandels überwiegend von Beamten kommen, deren alltäglicher Dienst Veränderungen nicht so deutlich sichtbar werden läßt, ist ihr überwiegen nicht zu stark zu bewerten. Insgesamt ist festzustellen, daß die Mehrheit offenbar darauf eingestellt ist, daß die Polizeitätigkeit sich wandelt; sie würde auch vermutlich induziertem Wandel keinen Widerstand entgegensetzen, wenn er ihr sinnvoll erschiene. Grundsätzlich bedenklich stimmt die Tatsache, daß immerhin ein Viertel der Befragten auch im Laufe der nächsten 25 Jahre keine wichtige Änderung in der Polizeitätigkeit erwartet. Es sind fast ausnahmslos dieselben, die auch sonst keine Veränderung sehen. Sie sind die typischen Vertreter des zweitältesten Gewerbes der Welt, denen es zu verdanken ist, daß man als Außenstehender aus manchen polizeigewerkschaftlichen Schriften, vor allem der ÖTV, den Eindruck gewinnt, daß die dringendsten Probleme sich um Stellenkegel und Funktionszulage grupppieren l . Hier ist ein großes Potential von Beamten, die zur überbetonung der internen und Außerachtlassung der sozialen Funktionen der Polizei neigen und die das Element vertreten, das man negativ als "typisch beamtenhaft" zu kennzeichnen pflegt und das gerade von den Polizeibeamten kritisiert wird, die sich besonders Gedanken über die soziale Rolle der Polizei machen. 1 Um einem Mißverständnis vorzubeugen: es ist nicht nur das Recht, sondern die Hauptpflicht der Gewerkschaften, sich vor allem um die materiellen Vorteile ihrer Mitglieder zu kümmern. Wenn dabei eine Forderungshaltung entsteht, ist es eine Nebenwirkung. In der Polizeiführung dagegen und im weiteren Behördenzusammenhang gibt es leider immer noch Amtsträger, die Polizisten pflichtwidrig zu innovationsfeindlichen, inaktiven Beamtenkarikaturen erziehen. Wenn Pressemeldungen stimmen, nach denen ein hessischer Kriminalbeamter auf überwachungsfehler in einer Strafanstalt aufmerksam machte, indem er unter Verwendung von Kassibern Artikel in Fachzeitschriften schrieb und vor der Veröffentlichung Vorgesetzte informierte, daß aber "der Staat" darauf im wesentlichen mit einem Strafverfahren wegen unbefugter Verwendung amtlicher Schriftstücke reagierte (Saarbrücker Zeitung vom 27. 10. 1977, S. 12), dann wäre das eines der vielen Beispiele für das "Bremsen von oben". Vgl. dazu auch den Bericht über diesen Kriminalbeamten, KHK Emil Vollmuth, in: Neue Revue vom 21.11.1977, S.7-9.
188
2
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
Die Polizei sieht sich gerade jetzt in einer entscheidenden Umorientierung.
Ein Vergleich der Nennungen zum Wandel in der Vergangenheit mit denen zum Wandel in der Zukunft ergibt, daß bisher nach Meinung der Befragten die Veränderungen mehrheitlich technische Ursachen hatten (Zunahme des Verkehrs, Modernisierung der Ausrüstung) und daß sie in Zukunft mehr im organisatorisch-rechtlichen Bereich erwartet werden. Parallel dazu liegt die überzeugung, daß bisher die Tätigkeit per saldo immer schwerer wurde, aber daß die Änderungen der Zukunft vornehmlich die Arbeit erleichtern und verbessern werden. Es ist ein verbreitetes Denkmuster, die eigene Gegenwart als den Zeitpunkt "fünf Minuten vor Zwölf" zu betrachten, als das Nadelöhr, auf das alle Fäden der Geschichte zulaufen, um sich dahinter wieder in alle Richtungen auszubreiten2 • Wenn auch die Polizisten sich in so einer Zeitenwende fühlen, wäre dem keine große Bedeutung beizumessen. Immerhin gibt eine solche Einstellung aber doch Hinweise darauf, welche Veränderungen am ehesten Zustimmung finden könnten. Im Augenblick sind das offensichtlich vor allem Maßnahmen der Organisation und der Ausbildungsverbesserung. Das wird auch nicht dadurch eingeschränkt, daß diese Nennungen im weiteren Zeithorizont abnehmen. Ein Versuch, die Abnahme bei den Nennungen von Organisationsund Ausbildungsänderungen zu erklären, kann in dem Hinweis auf den - leider nicht quantifizierbaren - Eindruck aus dem Material liegen, daß den Befragten auf diesen beiden Gebieten zur Zeit ein besonderer Nachholbedarf zu liegen schien, von dem sie offensichtlich annahmen, daß er mittelfristig befriedigt sein werde, so daß dann nur noch die laufenden Anpassungen an die allgemeinen Änderungen zu bewerkstelligen sein werden.
3
Die Polizei versteht sich als Organisation im traditionellen Sinn der Exekutive.
Äußerst selten kam in den Antworten zum Ausdruck, daß die Polizei selbst etwas tun könne, solle oder müsse, um ihr soziales Rollenbild mitzubestimmen. Sie wurde überhaupt selten deutlich als Akteur angesehen, meist mehr als Reakteur. Sie hat einfach zuzusehen, wie sie den an sie gestellten Anforderungen gerecht wird. In den Tabellen 16 und 18 ist kaum eine Antwort untergebracht, nach der die Polizei gleichberechtigt neben anderen legalen gesellschaftlichen Kräften gesehen wird. Sie ist fast immer das ausführende Organ. 2
Vgl. dazu Freyer, Hans: Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart
1963, S.73/74.
3.5 Ergebnisse
189
Dabei ist festzustellen, daß die Befragten diesen Zustand nicht etwa als eine Beschneidung ihrer Entfaltungsfreiheit sahen. Im Gegenteil: die Polizei als eigene Kraft wurde zumindest implizit stets abgelehnt. Ein Potential für einen Polizeistaat, in dem die Polizei aus eigenem Antrieb führend wird, ist hier wahrlich nicht gegeben. Indessen ist in dieser Sicht der Polizei als abhängige Exekutive auch ein Element dessen enthalten, was in anderem Zusammenhang dazu führt, daß die Polizei sich als benachteiligt, ausgenutzt, unterbewertet fühlt. Es gibt mehrere Äußerungen, in denen beklagt wird, daß Politiker, Öffentlichkeit, Presse und auch andere Behörden von der Polizei große Leistungen verlangen, ohne gleichzeitig bereit zu sein, ihr die dafür notwendigen Mittel bereitzustellen. Hier ist nicht die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Behauptungen zu prüfen. Vielmehr ist hier nur festzustellen, daß solche Ohnmachtsgefühle, Streßempfindungen und Abhängigkeitsurteile in der Regel Ursache für die Entwicklung eines esprit de corps sind, der mit seinen Grundsätzen wie "Einer für alle, alle für einen" zu den wirksamsten Hindernissen für Wandel gehört3 • So ist es für die deutsche Szene der Polizeibrutalität und der gegenseitigen Begünstigung von Rechtsbrechern in Uniform typisch, daß hierbei weit überwiegend die untersten Chargen der Polizeihierarchie agieren, und zwar besonders solche mit relativ hohem Dienstalter - also Beamte, die auch sonst den Kern der sich unterprivilegiert Fühlenden darstellen. Natürlich darf dabei nicht übersehen werden, daß höhere Ränge viel seltener Gelegenheit zu ähnlichem Verhalten haben. Aber daneben scheint doch erheblich, daß - wie unser Material ergab - das im gehobenen Dienst verbreitete Gefühl, selbst etwas bewirken zu können, auch mit einer optimistischeren und neuerungsbewußteren und freundlicheren Einstellung zum Wandel der Polizei gekoppelt war.
4
Wandel wird als Anpassung der internen an die jeweils neuen sozialen Funktionen empfunden.
Entsprechend dem unter (3) umrissenen Selbstbild sind auch die Angaben über den Wandel nicht durch das geprägt, was die Polizei tun kann, um die Entwicklung zu beeinflussen, sondern durch das, was sie tun muß, um mit der draußen stattfindenden Entwicklung mitzukommen. Vergleicht man in den Tabellen 16 und 18 die Antwortgruppen 01 bis 05, 08 und 17 als Nennungen zu internen Funktionen, so werden Veränderungen in der Polizeitätigkeit in den internen Funktionen kurzfristig mit 70 :0/0 , mittelfristig mit 65 % der Erstnennungen angegeben, 3
Vgl. auch Bittner S. 63 ff.
190
3. Chancen des Wandels in der deutschen Polizei
in den sozialen Funktionen dagegen nur mit 30% kurzfristig und 35 % mittelfristig. Diese Einteilung ist noch eine sehr großzügige Bevorzugung der sozialen Funktion, zu der zum Beispiel die Antwortgruppen 10 und 13 im strengen Sinne nicht recht gehören, weil sie eher ein interner Reflex von äußeren Phänomenen sind. Im Gegensatz zum Ergebnis unter (3) ist hier aber auch eine negative Komponente festzustellen. Die großen Veränderungen, die in der sozialen Funktion der Polizei durch den Wandel vom nationalsozialistischen Regime zur demokratischen Herrschaft eingetreten sind, werden nur von einer recht kleinen Minderheit erwähnt. Sie sind vermutlich auch nur ihr deutlich bewußt. Wenn diese veränderte soziale Rolle und Funktion der Polizei aber so wenigen Beamten auch auf eine ausdrückliche Frage hin nicht in den Sinn kommt, ist es nicht ausgeschlossen, daß diese in ihrer Konzentration auf interne Funktionen die Bedeutung dieser sozialen Funktion unterbewerten und daher etwaige Veränderungen in ihr ebenfalls zu leicht nehmen. Im Zusammenhang damit ist auch der häufige Vorwurf gegen die Polizei zu verstehen, sie nehme "die Ordnung", "das Recht" und ähnliches immer nur in der Weise wahr, wie es - um es überspitzt auszudrücken - der jeweilige Innenminister gerade haben will. Viele Befragte waren sich - um im Bilde zu bleiben - des häufigen Wechsels der Innenminister bewußt und verstanden die soziale Funktion mehr als den Extrakt der neu esten Dienstanweisungen. Das bringt die Gefahr der Konzentration auf den "status constitutus" mit sich, die Beurteilung aller Situationen am Maßstab des Hergebrachten, die alles Neue als Störung begreift und damit den "status constituens" zu unterdrücken geneigt ist\ nämlich das für die Demokratie unverzichtbare Recht des Bürgers auf legalen Wandel.
5
Nur eine Minderheit hat festumrissene und detaiLlierte Vorstellungen vom Wandel.
In den Tabellen 16 und 18, aber auch in anderen, fällt auf, daß die Antwortkategorien mit höchster Nennungsbesetzung zumeist sehr allgemein gehaltene Aussagen wiedergeben, während spezifizierte Kategorien nur geringe Nennungszahlen aufweisen. Das wurde fast ausschließlich nicht dadurch erreicht, daß die größeren Kategorien durch Zusammenlegung mehrerer kleinerer und detaillierterer gebildet wurden, wobei dann eine zunehmende Abstraktion der Antworten erforderlich gewesen wäre. Vielmehr sind sehr viele Antworten in den stark besetzten Gruppen von vornherein sehr generell gegeben worden, indem beispielsweise gesagt wurde, daß die Polizeiorganisation in Zukunft , Siehe dazu Denninger S. 149.
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anders werden müsse, aber nicht gesagt wurde, in welcher Weise das geschehen könne. Das bedeutet zuerst, daß die Mehrheit der so Antwortenden - und das ist oft die Mehrheit der Befragten - wohl keine genaueren Vorstellungen vom Wandel hat. Es bedeutet weiterhin, daß im Verlauf des notwendig folgenden Prozesses der Meinungskonkretisierung unter der jetzt sichtbaren Einheitlichkeit Unterschiede in den Meinungsrichtungen auftauchen können. Schließlich bedeutet die Unklarheit der Zielvorstellungen auch, daß bei manchen Befragten noch unbewußt Widersprüche in ihrem Zukunftsbild stecken. Darin liegt die Gefahr, daß bei stückweiser Verwirklichung möglicherweise im ersten Schritt Fakten geschaffen werden, die sich später als unerwünscht herausstellen. Solche systematischen Inkompatibilitäten ergeben sich auch auf höherer Ebene. So lehnt der GdP-Vorsitzende die absolute Gehorsamserziehung für Polizeibeamte ab und verlangte "selbstverantwortliche und selbstsichere Polizeibeamte"s, nachdem er in derselben Rede sich gegen Erkennungszeichen für Polizei beamte mit der Begründung ausgesprochen hatte, "die Forderung nach Einführung von Erkennungszeichen könne sich doch nur auf geschlossene polizeiliche Einsätze beziehen ... Gerade in diesen Fällen trügen jedoch polizeiliche und politische Führung gemeinsam die Verantwortung für die Anwendung von Waffen und für die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Diese Verantwortlichkeit könne nicht auf die eingesetzten Polizeiwachtmeister abgeschoben werden"6. Abgesehen davon, daß hier zwei Behauptungen nicht richtig sind - auch wenn angebliche Mißhandlungen auf einer Polizeiwache in Frage stehen, kann das Erkennungszeichen oftmals den einzigen Beweis liefern; und verantwortlich ist auch jetzt der einzelne Beamte, weil gegen ihn oder "Unbekannt" die Ermittlungsverfahren laufen und nie gegen den Innenminister oder Polizeipräsidenten -, sind beide Ansichten nebeneinander nur aus Gruppeninteressen heraus konsequent, nicht aber aus der sozialen Funktion der Polizei. Aus dieser heraus wäre es nur konsequent, wenn man sich entweder gegen Erkennungszeichen wehrte und gleichzeitig die Forderung nach Selbständigkeit aufgäbe oder wenn man zuerst Selbständigkeit verlangte und sich dann auch mit Erkennungszeichen einverstanden erklärte. Dabei wäre die zweite Forderung der gegenwärtigen Beamtenrechtslage angemessen. Die erste Alternative ist angesichts der heutigen rechtlichen Ausgestaltung des Lebenszeitbeamten - und auch aus anderen Gründen - ungeeignet; wenn ein Vorgesetzter sich nicht gute Untergebene aussuchen und schlechte nicht entlassen darf, kann er für sie 5 8
Das vollständige Zitat steht vorne im Text unter 3.2 im 4. Absatz. Werner Kuhlmann, zit. nach Anonym S. 325/326.
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und ihre Handlungen entweder keine Verantwortung tragen oder sie nur dann tragen, wenn er seinen Vorstellungen auf ihm richtig erscheinende Weise, also notfalls auch durch Dressur und unbedingte Befehlsgewalt, Geltung verschaffen kann.
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Innerhalb der Polizei unterscheiden sich manche Meinungsbilder nach mehreren Merkmalen.
Die Annahme, daß die Einheitslaufbahn in Verbindung mit einem Zwang zu weitläufiger Kommunikation und Kooperation sowie einheitlicher und intensiver Leitungsstruktur auch zu einer Vereinheitlichung von Überzeugungen und Meinungen führe, ist nicht gerechtfertigt. Tabelle 17 bringt mehrere Beispiele, in denen sich Meinungen zum Teil erheblich danach unterscheiden, ob Befragte einem bestimmten Zweig der Polizei oder einer bestimmten Dienstgruppe angehören. Daneben gibt es natürlich Unterschiede, die mit dem Dienstland oder -ort zusammenhängen7 , in anderen Fragen zeigen sich derartige Unterschiede dagegen nicht. Daraus können eindeutige Schlüsse nicht gezogen werden. Es könnte sein, daß die Unterschiede mit Ausbildungsunterschieden zusammenhängen, und zwar nicht nur in der Vorbildung (denn hier waren die Korrelationswerte nicht immer signifikant), sondern in der Fachausbildung, bei der der gehobene Dienst möglicherweise mehr für die tiefschichtigeren Probleme der Polizei sensibilisiert wird als der mittlere Dienst, dem dann wohl im wesentlichen nur die Handgriffe für die tägliche Arbeit vermittelt werden. Aber es könnte auch sein, daß die Unterschiede auf den jeweiligen Erfahrungen der verschiedenen Dienstposten beruhen. Und dann ist es noch möglich, daß hier vornehmlich Persönlichkeitsvariablen wirken, die wiederum maßgeblich sind für die von uns gemessenen Größen. Schließlich können auch Kombinationen der Merkmale wirken, in denen je nach Bereich das eine oder andere beherrschend ist. Weitere systematische Forschungen in diesem Bereich wären nicht nur für eine strukturorientierte Personalpolitik wichtig, sondern würden auch bei Entscheidungen über das berufliche Bildungswesen sehr hilfreich sein.
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Ober den bisherigen Wandel wird ausgesprochen negativ geurteilt.
Auf die Frage, ob dem Wandel bisher in Organisation und Ausbildung Rechnung getragen wurde, antworteten - je nach Berechnungsgrundlage - 58 bis 68 % in der Erstnennung spontan, daß das, wenn 7
Beispiele dafür findet man unter anderem unter 3.3.2.3 im Text vorne.
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überhaupt, nur verspätet oder unzureichend geschah. Nur ein knappes Drittel der Erstnennungen und erst bei den Zweitnennungen über 80.0/0 gaben Bereiche an, in denen solche Anpassungen erfolgten. Dieses Ergebnis läßt auf große Unzufriedenheit und auf großen Nachholbedarf schließen. Die Polizei sieht sich als Organisation, deren Leistungsfähigkeit mehr und mehr hinter den Anforderungen zurückgeblieben ist. Das geschah aber nicht wegen einer schicksalhaften Veränderung im Verhältnis zwischen Nötigem und Möglichem, sondern wegen sichtbarer Versäumnisse. Zwar ist inzwischen die Kritik, "auf allen möglichen Gebieten erstellt man heute Generalpläne und Grundkonzeptionen . .. Für den polizeilichen Bereich indes scheint sich hierzu niemand zuständig zu fühlen"s, wohl nicht mehr ganz zutreffend; inzwischen gibt es mehr als nur unverbindliche Planspiele, und selbst das oberste Gremium der Polizeiführungen hat ein angesichts sonstigen föderalistischen Selbstbewußtseins erstaunlich konkretes Programm aufgestellt9 • Aber es gibt immer noch genügend Vorschläge aus der Polizei, die möglicherweise ihre Effizienz und damit ihr Prestige erhöhen würden, die aber aus polizeifremden Gründen nicht verwirklicht werden, ohne daß dadurch die Erfolgserwartungen gegenüber der Polizei gemindert werden. Das gilt zum Beispiel für die von hohen Polizeibeamten und von der GdP geforderte Organisierung nach kriminal geographischen Gesichtspunkten10, die beispielsweise dem Mißstand abhelfen könnte, daß im Ballungsraum Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg eine Million Einwohner in den Zuständigkeiten von 12 Kriminalpolizeidienststellen von 3 Bundesländern verstrickt ist. 8
Die Polizei ist völlig antimilitaristisch.
Ein Ergebnis, zu dem die erfragten Meinungen innerhalb der gesamten Polizei völlig einheitlich sind, ist die Ablehnung militärischer oder gar militaristischer Elemente in der Polizei. Dabei handelt es sich um Wesentlicheres als die in der Presse immer wieder hochgespielte Frage des Uniformschnittes. Bei der Frage nach den bisherigen Änderungen in der Polizei wurde die ausdrücklich vorgegebene "Entmilitarisierung" nur in 78 Erstnennungen erwähnt. Bei den Fragen nach den kurz- und mittelfristig zu kürzenden Ausbildungsabschnitten stehen die Formalausbildung und S Weinberger S. 127. , Programm für die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland, Teil I, Ständige Konferenz der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder, Juni 1972. 10 Vgl. Dicke / Halt S.267.
13 Endruweit
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die bei der Bereitschaftspolizei zu lehrenden Fächer immer eindeutig an der Spitze. Ebenso wurde bei Fragen nach dem Ausbildungsstil der Verzicht auf militärische oder militärähnliche Elemente an erster oder zweiter Stelle genannt. Dagegen gab es keine einzige Antwort, die etwa "mehr Zackigkeit" oder ähnliche Desiderate brachte. Einem Leitsatz, der etwa wie in den Dienstanweisungen der Staatspolizei von Illinois diese offiziell als halbmilitärische Organisation bezeichnet l l , würde die deutsche Polizei keinerlei Wertschätzung entgegenbringen. In diesem Zusammenhang paßt auch das stets wache Mißtrauen aller Polizeigewerkschaften gegen alle auch nur potentiell militärischen Elemente und ihre Zurückhaltung gegenüber der Deklarierung des Bundesgrenzschutzes als Polizei.
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Die gegenwärtige Lage der Polizei wird sehr kritisiert.
Neben dem immer noch vorhandenen Teil einer militärischen Ausrichtung der Polizei, neben den Versäumnissen der Vergangenheit, dem Gefühl der Benachteiligung in der Besoldungsstruktur und den Aufstiegsmöglichkeiten gibt es noch andere Elemente, an denen die Befragten Kritik am gegenwärtigen Zustand der Polizei ansetzen. Solche Kritik ist nicht zuletzt aus den Vorschlägen zur Veränderung der Ausbildung herauszulesen; denn diese Vorschläge beruhen in der Regel auf den Erfahrungen der unmittelbaren Vergangenheit. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Kritik nicht immer nur quantitatives Ungenügen betrifft. Sehr häufig wird auch an der Qualität einzelner Elemente der Polizeisituation etwas ausgesetzt. Das gilt besonders auch für das Gefühl einer unvorhersehbaren Rechtslage für den Polizisten. Mit der Deutung von Generalklauseln, die sich als Gleichungen mit mindestens einem halben Dutzend Unbekannten darstellen, ist er in der Entscheidungssituation oft überfordert. Daher sind die Vorstellungen, daß der Rechtsunterricht weder wesentlich verkürzt noch verlängert werden solle, oft von Wünschen nach mehr praktischer Handhabbarkeit des Stoffes und insbesondere auch nach Erlaß klareren Rechts begleitet. In der Tat könnte auch kein deutscher Polizeibeamter über seine Vorschriften zum Waffengebrauch dasselbe oder ähnliches sagen wie ein amerikanischer Kollege über die Politik des Waffengebrauchs in seiner Behörde: "this gun policy requires that the weapon not be drawn from the holster unless the officer has a reasonable expectation of shooting. Should he shoot, he should endeavor to hit his target ... Targets include people. A person becomes a target when the 11 IIlinois State Highway Police Academy: Recruit Training Syllabus, Springfield IL o. J. (vervielf.), S. 80, auszugsweise hier im Anhang abgedruckt.
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officer responsibly concludes that his life or another's life is in immediate danger and that there is no other means by which to alleviate that danger . .. At this point, the officer shoots to kill. There is no middle ground. If the situation is not important enough to require the officer to slay his man, then the situation is not of sufficient import to fire the weapon or even to draw the weapon12." Die Massierungen von Unklarheiten und Unzulänglichkeiten, die viele Polizeibeamte in ihrer Situation wahrnehmen, führen zu einer Haltung, die eine allgemein schlechte Einschätzung ihrer gegenwärtigen Lage ist und unmittelbar vor der Staatsverdrossenheit liegt. Protestdemonstrationen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter13 und Abstimmungen der Gewerkschaft der Polizei, in der sich große Mehrheiten für Streik und sonstige Formen der Arbeitsverweigerung zu Protestzwecken aussprechen14, sind ein beredtes Zeugnis dafür. Dagegen ist auch kein Trost in dem Hinweis zu finden, daß die Vorteile des Polizistenberufs sich in Krisenzeiten zeigen, wenn viele Bewerber in die Beamtenposition drängen. Das ist keineswegs eine Garantie dafür, daß die gefundene Sicherheit alle anderen wahrgenommenen Nachteile des Berufs geringfügig erscheinen läßt. Wenn unter 3.4.1.1 am Ende ein Beispiel für eine außergewöhnliche Demonstration von Frustration beschrieben und als nicht repräsentativ bezeichnet werden konnte, so kann doch nicht verhehlt werden, daß unterhalb dieses Dringlichkeitsniveaus Unzufriedenheit herrscht, die nicht mit Bezahlung u. ä. zu tun hat, sondern aus der polizeitypischen Berufssituation kommt.
10 Das Zukunfts bild der Polizei hat professionelle Ideale. Was unter (9) über die allgemein kristische Einstellung der Beamten gesagt wurde, führt jedoch nicht zu einem revolutionären Kontrastbild der Polizei von sich selbst. Ihr Protest richtet sich nicht auf die Verwirklichung einer Alternative, sondern auf konsequente oder konsequentere Verfolgung eines herkömmlichen Berufsbildes vom Strafverfolger und Ordnungshüter - jedenfalls in der Zielbestimmung, während die Mittelwahl nicht stets an überkommenen Vorstellungen ausgerichtet ist. Die Polizei zeigt keine Neigung zum klassischen Polizeistaat des Absolutismus, in dem sie sich um alles kümmerte; vielmehr folgt sie mit ihrer Beschränkung auf Strafverfolgung und Gefahrenabwehr durchaus dem liberalistischen Ideal. In diesem Rahmen entHansen S.117/118. Vgl. das Interview mit dem Vorsitzenden des BDK im Spiegel 44/1970, S. 132 ff. 14 Siehe Der Spiegel 10/1970, S. 77-80. 11 13
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wickelt sie deutlich professionelle Zielvorstellungen, die von der Allzuständigkeit als Büttel der öffentlichen Hand zur Spezialisierung in einem engeren und anspruchsvolleren Zuständigkeitsbereich führen. Dem entsprechen die einheitlichen Wünsche nach verlängerter Ausbildung in Ermittlungstechniken, Innendienst und Polizeifächern im engeren Sinne. Während manche "Hilfswissenschaften" wie Sport, Technikausbildung und insbesondere Formalausbildung, relativ wenig geschätzt werden, ist der vor allem kurzfristig geäußerte Bedarf nach mehr sozialwissenschaftlichem und allgemeinbildendem Unterricht kein Widerspruch zu der ProfessionaIisierungsthese. Vielmehr ist er einerseits von der Erkenntnis bestimmt, daß die Einstufung einer Spezialisierung nicht zuletzt davon abhängt, auf welchem allgemeinen Kenntnisstand sie aufbaut, und zum anderen ist vor allem der Wunsch nach psychologisch-pädagogisch-soziologischer Unterrichtung häufig von dem Bestreben gekennzeichnet, den Alltagssituationen auf der Wache und auf der Straße, die nach vielen Voraussagen 15 zunehmende zwischenmenschliche Schwierigkeiten bringen werden, besser gerecht zu werden, als es auf dem niedrigen Niveau der technisch-juristischen Reaktion möglich ist. In dieselbe Richtung weisen die Ablehnungen aller der Ausbildungsteile, die in der Situation des Einzeldienstes unnütz erscheinen, dazu bei der Kriminalpolizei die für Ermittlungsarbeiten überflüssigen Teile der Schutzpolizeiausbildung, und für alle Beamten diejenigen Elemente des Ausbildungsstils, die ihrem Selbstbild als selbständige Fachleute widersprechen, indem sie sie als leicht ersetzbare Rädchen einer großen Maschinerie behandeln. Hierzu gehören ebenso die Forderungen nach mehr Flexibilität und Aktualität sowie Praxisbezug der Ausbildung; denn zur Professionalisierung gehört nicht zuletzt die praktische Meisterung von Fällen, die wiederum davon abhängt, daß man immer auf dem neuesten Stand ist, was wiederum gegen jede Routinisierung im Sinne von Schematisierung spricht und für permanente Anpassungsfähigkeit. In diesen Trend passen auch die Vorstellungen von den langfristig wichtigen und unwichtigen PoIizeiaufgaben. Als wichtigste Aufgaben werden Verbrechensbekämpfung und -verhinderung sowie Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in ihrer klassischen Interpretation von mehr als der Hälfte der Befragten genannt. Zu den unwichtigsten Aufgaben werden dementsprechend von mehr als der Hälfte der Befragten solche Aufgaben gezählt, die - wie Schreibarbeiten, Amtshilfe und nichtpoIizeiliche Aufgaben - nicht unmittelbar der Strafverfolgung oder Erhaltung der öffentlichen Sicherheit dienen. 15
Vgl. z. B. Bleck S.68.
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Zu dieser Professionalisierungstendenz paßt auch, daß die Befragten sich nicht durch larmoyante Betonung eines besonderen Berufsrisikos eine Sonderstellung gegenüber anderen Berufen gewähren lassen wollen. Abgesehen davon, daß man noch genauer untersuchen müßte, ob die Verletzungs- und Todesgefahr bei Polizisten wirklich höher ist als bei Bergleuten oder Taxifahrern, würden solche Verweise auf eine außerordentliche Risikoübernahme für soziale Funktionen doch Zweifel erregen, wenn man liest Ie, daß in der saarländischen Polizei 65 Unfälle durch Widerstandshandlungen eines Rechtsbrechers verursacht wurden, im selben Zeitraum aber 195 Unfälle durch den Dienstsport. Hier kommt insgesamt zum Vorschein, daß der größte Teil der Beamten wünscht, daß der Polizeiberuf ein Beruf wie jeder andere sein möge. Die Polizei ist sehr wenig an politischen Prinzipien orientiert.
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Die unter (3), (4), (5) und (10) zusammengefaßten Ergebnisse werden konsequent durch die Tatsache ergänzt, daß die Befragten weder in ihrer Mehrheit noch in bemerkenswerten, deutlichen Minderheiten eine durchgängige Orientierung an politischen Prinzipien zeigten. Aus dem vorliegenden Material ließ sich weder eine konservative noch eine progressive Haltung erkennen. Die besonders im Ausland verbreitete Meinung, rechtsradikale, ja faschistische Personen würden bevorzugt in Militär und Polizei ihr Berufsziel suchen, läßt sich aus dem vorliegenden Material für die deutsche Polizei nicht bestätigen. Der Polizeibeamte scheint sich nicht wesentlich vom Postbeamten zu unterscheiden, wenn es um das Geschichtsbild geht. Weder in den Aussagen zur historischen Entwicklung, noch in den erwarteten Zukunftsbildern oder in den Stellungnahmen zu Ausbildungs- und Organisationsfragen der Gegenwart taucht eine prononciert politische Deutung der Polizei rolle auf oder auch nur eine Orientierung von Detailentscheidungen an höheren politischen Prinzipien. Vorherrschend sind vielmehr Zweckmäßigkeitsentscheidungen, die als funktionaler Beitrag der Polizei zum Weiterbestand eines irgendwie für vorgegeben betrachteten Systems gedacht werden. Das ergibt sich unter anderem aus den Stellungnahmen zum Wandel der Polizeitätigkeit in den letzten fünfzig Jahren. Neben den vielen, fast technizistisch zu nennenden Wahrnehmungen von Veränderungen gab es nur weniger als ein Zehntel der Antworten, die auf Änderungen in der Machtfülle, der Rechtsposition, dem Verhältnis zu Bürger und Staat, der Kontrollsituation usw. eingingen - kurz: auf den Unterschied zwischen der Polizei des Dritten Reiches und der Polizei der U
Die Polizei des Saarlandes Nr. 6 / 1972, S. 5.
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Bundesrepublik Deutschland. Die unter 3.1.1 zitierten Antworten sind nicht etwa nur repräsentativ, sondern beinahe schon erschöpfend. Die geringe Häufigkeit solcher Antworten kann nicht nur als Zeichen dafür genommen werden, daß nur wenige Befragte einen Unterschied in dieser Hinsicht bemerken. Sie kann auch bedeuten, daß der gegenwärtige Zustand der Mehrheit viel zu selbstverständlich ist, um als Wandelergebnis klassifiziert zu werden. Wenn das so wäre, müßte aber immer noch überlegt werden, ob es nicht zweckmäßig wäre, in der Ausbildung diesem Punkt mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Denn eine ahistorische und apolitische Professionalisierung der Polizei hat auch ihre Gefahren, wie sich nicht zuletzt daraus ergibt, daß sie in Diktaturen stets dann das Ziel ist, wenn sich eine Politisierung im Sinne des Systems nicht erreichen läßt. Dieselbe Tendenz zeigt sich in den geringen Besetzungen der Antwortgruppe 16 in den Tabellen 26 und 33 sowie in den Wünschen nach Kürzung des Unterrichts in Berufsethik, der offensichtlich als Versuch einer unpassenden Ideologisierung der Polizei aufgefaßt wird und deshalb nicht recht zum Bild eines ganz normalen Berufs gehört, der sich eher auf Standesinteressen als auf eine gesamtgesellschaftlich ausgerichtete Ethik stützt. Daher wird auch die in prinzipiellen Diskussionen so umstrittene Frage, ob der Polizeibeamte sich in erster Linie als Arm des Gesetzes oder als Sozialarbeiter verstehen solle, in den Antworten kaum aufgegriffen, obwohl schon vor fünfzehn Jahren die Ansicht vertreten wurde, das Sinken des Polizeiprestiges hänge damit zusammen, daß die Zunahme an Professionalisierung zu einer Abnahme des "human element" im Polizeiberuf geführt habe und daß das wenigstens teilweise durch behutsame Orientierung an Zügen der Sozialarbeit wettgemacht werden könnte 17 • Die hinter der Sozialarbeitertheorie stehende Annahme, daß viele sogenannte Rechtsbrecher sagen, sie möchten sich eigentlich gern gesetzeskonform verhalten, sie könnten nur nicht immer, scheint den Befragten offensichtlich nicht sehr auf der Hand zu liegen. Vielmehr scheint ihnen genügend Grund für das überwiegen der Denkvoraussetzung für eine repressive Strafverfolgung zu bestehen, nämlich für die Annahme, daß die meisten Täter sagen, sie könnten schon rechtstreu sein, nur wollten sie manchmal nicht. Daß eine solche berufsmäßige Orientierung nicht ohne Gefahren ist, ergibt sich an einigen Stellen, wenn Forderungen aufgestellt werden, die am endogenen Interesse der Polizei als Berufsgruppe orientiert sind und nicht an übergeordneten Prinzipien, etwa dem Rechtsprinzip der umfassenden Strafverfolgung. Das wird zum Beispiel deutlich an der Behauptung, die Polizei dürfe "sich nicht wundern, wenn Bürger sich gegenseitig mit der Polizei bedrohen; einfach, weil sie die Funk17
Jones S.9.
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tion der Polizei und ihren (nicht klar definierten) Auftrag überschätzen und anmaßend nach ihr rufen, wenn es um des Nachbars Zaun oder das eigene ,Eingemachte' geht ... Dazu gehören die hunderttausend Lappalien, die allein im heutigen Straßenverkehr auf Bürger und Polizei in gleicher Weise einwirken, ganz abgesehen von den täglichen Bagatellfällen, die insgesamt das Verhältnis zwischen Bürgern und Polizisten strapazieren'