Europäische Terrorismusbekämpfung: Das Strafrecht als Integrationsdimension der Europäischen Union [1 ed.] 9783428528882, 9783428128884

Der internationale Terrorismus ist einer der bestimmenden Faktoren für die innere und äußere Sicherheit. Die Staatengeme

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Europäische Terrorismusbekämpfung: Das Strafrecht als Integrationsdimension der Europäischen Union [1 ed.]
 9783428528882, 9783428128884

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Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Band 50

Europäische Terrorismusbekämpfung Das Strafrecht als Integrationsdimension der Europäischen Union

Von

Sebastian Weber

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

SEBASTIAN WEBER

Europäische Terrorismusbekämpfung

Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha, Meinhard Hilf, Hans Peter Ipsen †, Rainer Lagoni, Gert Nicolaysen, Stefan Oeter

Band 50

Europäische Terrorismusbekämpfung Das Strafrecht als Integrationsdimension der Europäischen Union

Von

Sebastian Weber

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-2435 ISBN 978-3-428-12888-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die terroristischen Verbrechen von New York, Washington D.C., Madrid und London haben auf schmerzhafte Weise die Verletzlichkeit von Staaten und Zivilgesellschaften deutlich werden lassen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Ereignisse hat die Integration des Strafrechts im Rahmen der Europäischen Union eine beachtliche Dynamik entwickelt. Gleichzeitig war das Ringen der Union um ihre Verfassung eines der beherrschenden Themen der vergangenen Jahre, das nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages nunmehr in der Vertragsrevision von Lissabon seinen vorläufigen Abschluss gefunden hat. Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2007 / 2008 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Sie ist entstanden in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Angelegenheiten an eben dieser Fakultät. Angeregt und bereichert durch die Tätigkeit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Stefan Oeter, dem ich an dieser Stelle für seine Betreuung und die Erstellung des Erstgutachtens besonders danken möchte, konnte diese Auseinandersetzung mit dem Phänomen des internationalen Terrorismus und dem beeindruckenden Projekt der Europäischen Integration Früchte tragen. Prof. Dr. Wilhelm Degener ist für die Erstellung des Zweitgutachtens zu danken, den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen für die gewinnbringende Zeit am Institut. Rechtsprechung und Literatur befinden sich im Grundsatz auf dem Stand vom Dezember 2006. Für die Drucklegung wurden jüngere Urteile und Fundstellen aus dem Schrifttum in begrenztem Umfang nachgetragen. Die Erörterung wurde überdies um jeweils knappe Ausführungen zur Lissabonner Vertragsrevision ergänzt. Herzlich danken möchte ich Herrn Dr. Mario Aussieker, Herrn Dipl.-Ing. Martin Albrecht, Frau Ans Burmester, Herrn Malte Jaguttis, Herrn Klaus Lameier, Herrn Dr. Nils Schaks, meiner Schwester Leonie Weber und vor allem meinen Eltern, Marie-Luise und Dr. Wolf Weber, die alle auf ihre Weise dazu beigetragen haben, dass diese Arbeit geschrieben werden konnte. Hamburg, im Juni 2008

Sebastian Weber

Inhaltsverzeichnis A. Internationaler Terrorismus als Herausforderung der Staatengemeinschaft . . . . .

11

I. Die Aufrechterhaltung von Freiheit und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

II. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14

B. Völkerrechtliche Instrumente der Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

I. Militärische Maßnahmen gegen terroristische Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

II. Nationale Befreiungskämpfe und Staatsterrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

III. Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

IV. Völkerrechtliche Abkommen zum Strafrecht und Strafverfolgungsrecht . . . . . . . .

23

V. Grenzen völkerrechtlicher Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union . . . . . .

27

I. Die gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze und Rechtsakte . . . . . . . . .

27

1. Der Europäische Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

a) Die Grundsätze des Übergabeverfahrens von Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

b) Die Vereinfachungen durch Ausnahmeregelungen des Rahmenbeschlusses

32

2. Die Sicherstellung von Vermögensgegenständen und Beweismitteln . . . . . . . . .

34

3. Die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen . . . . . . . . . . . . .

35

4. Die gegenseitige Anerkennung von Einziehungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . .

36

5. Die rechtsstaatlichen Grenzen der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . .

38

a) Die Gefahr einer unionsweiten Verschärfung des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . .

38

aa) Der Geltungsanspruch bürgerlicher Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

bb) Einstellungsentscheidungen als Ablehnungsgrund einer Übergabe . . .

41

cc) Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

b) Die hinreichende Berechenbarkeit kooperativer Strafverfolgung . . . . . . . . . .

43

c) Die Übergabe eigener Staatsangehöriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

d) Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

8

Inhaltsverzeichnis II. Die Harmonisierung des nationalen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

1. Die unionsweite Definition und Strafbarkeit terroristischer Akte . . . . . . . . . . . .

51

2. Objektive und subjektive Merkmale terroristischer Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . .

52

3. Weitere Harmonisierungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

III. Das Verhältnis von gegenseitiger Anerkennung und Harmonisierung . . . . . . . . . . .

56

IV. Die Rechtswirkung von Rahmenbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

1. Der Ausschluss unmittelbarer Wirkung gem. Art. 34 II lit. b 3 EUV . . . . . . . . .

59

2. Objektive Rechtswirkungen eines Rahmenbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

a) Dauerhafte unionsweite Umsetzungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

b) Beseitigungsverpflichtung bei Normkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

c) Vorwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

d) Rahmenbeschlüsse als Auslegungsmaßstab nationalen Rechts . . . . . . . . . . . .

65

e) Ausschluss eines Verdrängungseffektes eines Rahmenbeschlusses . . . . . . . .

67

f) Maßstabs- und Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

3. Der Rahmenbeschluss als wirkungsvolles Handlungsinstrument . . . . . . . . . . . . .

68

V. Die demokratische Legitimation gubernativer Rahmenbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . .

69

1. Die eingeschränkte parlamentarische Entscheidungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Die Vorgaben des Demokratieprinzips für die Strafgesetzgebung . . . . . . . . . . . .

73

a) Keine Strafe ohne Parlamentsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

b) Die Zulässigkeit kooperativer Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

3. Legitimationsdefizite im Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

a) Gubernative Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

b) Mittelbare demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

4. Verfassungsvertrag und Lissabonner Reformvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

VI. Die Kompetenzgrenzen eines europäischen Strafrechtsraumes . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

1. Die Zielsetzungen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

a) Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

b) Die Erforderlichkeit von Harmonisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

2. Die Bewahrung nationaler Identität als Kompetenzausübungsgrenze . . . . . . . .

91

3. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit unionsweiten Handelns . . . . . . . . . . . . . . .

96

4. Die Folgen kompetenz- und rechtswidrigen Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

5. Gegenseitige Anerkennung und Strafrechtsharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 VII. Die Akteursqualität der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Inhaltsverzeichnis

9

D. Der Schutz bürgerlicher Freiheit in einem europäischen Strafrechtsraum . . . . . . . 107 I. Der notwendige Ausgleich zwischen bürgerlicher Freiheit und Sicherheit . . . . . . 107 II. Der Rechtsschutz des Einzelnen im überstaatlichen Verbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Der EuGH als individualrechtsschützendes Gericht im Unionsrecht . . . . . . . . . 112 a) Das Vorlageverfahren als Rechtsweg des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Der Prüfungsmaßstab des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Der EuGH als Kompetenzgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Die indirekte Überprüfung nationaler Umsetzungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. Die Unionsgrundrechte als Prüfungsmaßstab nationaler Gerichte . . . . . . . . . . . . 117 5. Sekundärrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 III. Die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . 120 1. Die Wirkung von EGMR-Entscheidungen in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . 121 2. Die konventionsbedingte Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Die Kontrolle von Unionsrechtsakten durch den EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 IV. Die Funktion nationaler Verfassungsgerichte im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 V. Die Notwendigkeit einer kohärenten Grundrechtsjudikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Die gemeinsame Verantwortung der Handlungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Das Strafrecht als Integrationsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Verfassungsvertrag und Vertragsrevision von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 IV. Weitergehende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Ausbau des Grundrechtsschutzes auf Unionsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Dezentraler Rechtsschutz über das Vorlageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Der EGMR als Oberster Gerichtshof für Grundrechte in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Eine Grundrechtsbeschwerde zum EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Parlamentarische Letztentscheidung im Bereich des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . 148 a) Die Funktion der nationalen Parlamente im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Volle Zuständigkeit des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

10

Inhaltsverzeichnis

F. Integration als Sicherheitskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Die Konstitutionalisierung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Der Schutz des europäischen Gemeinwohls vor terroristischer Bedrohung . . . . . 158 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

A. Internationaler Terrorismus als Herausforderung der Staatengemeinschaft Der internationale Terrorismus hat sich angesichts seines Ausmaßes und seines Bedrohungspotentials mittlerweile zu einem der bestimmenden Faktoren nationaler wie internationaler Sicherheitspolitik entwickelt. Der bis vor kurzem noch unvorstellbare Missbrauch von voll besetzten Passagierflugzeugen als Massenvernichtungswaffen, ein möglicher Einsatz nuklearer, biologischer oder chemischer Kampfstoffe, gezielte Anschläge auf Verkehrssysteme großer Metropolen und eine unbekannte Zahl potentieller Selbstmordattentäter haben den internationalen Terrorismus zu einer der zentralen Herausforderungen der Staatengemeinschaft werden lassen. Die kriegsähnlichen Gefahren für die Zivilbevölkerung lassen dabei bislang anerkannte Grenzen zwischen polizeilichen, nachrichtendienstlichen und militärischen Handlungsformen verschwimmen. Spätestens seit den Anschlägen des 11. September 2001 gehört die Gefahr von Terroranschlägen zur Lebensrealität der zivilisierten Welt. Die Verbrechen des 11. März 2004 in Madrid und des 7. Juli 2005 in London haben Europa in brutaler Weise verdeutlicht, dass diese Form terroristischer Bedrohung auch auf dem „alten Kontinent“ gegenwärtig ist. Diese erscheint mit Blick auf menschenverachtende Selbstmordattentate umso gefährlicher, als mutmaßlich irrationale Glaubensvorstellungen und Gesinnungen politische Lösungen auszuschließen scheinen. Das offenbar große Potential an Menschen, die sich den Zielen einer Terrororganisation bedingungslos unterordnen und ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben Verbrechen größten Ausmaßes begehen, lässt diese Situation unberechenbar erscheinen. Ihre strategische Ausrichtung, die auf der Unsichtbarkeit potentieller Täter (sog. sleeper) wie der Unvorhersehbarkeit neuer Anschläge beruht, und die finanziellen Ressourcen dieser Terrorgruppen stellen ein großes Gefährdungspotential für die Zivilgesellschaften dar.

I. Die Aufrechterhaltung von Freiheit und Sicherheit In der Folge hat sich im politischen Diskurs die Formel etabliert, die freiheitliche Grundordnung basiere zunächst auf ihrer Sicherheit. Bürgerliche Freiheitsrechte erfahren deshalb zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung teilweise erhebliche Beschneidungen. Verdachtsunabhängige Kontrollen, die Videoüberwachung öffentlicher Plätze und des öffentlichen Personenverkehrs, biometrische Daten in Personalausweisen und Reisepässen, eine ausgeweitete Wohnraumüberwachung und Kontrolle von Bankgeschäften markieren einen nachhaltigen Wandel. Auch

12

A. Internationaler Terrorismus als Herausforderung der Staatengemeinschaft

das Vereins- und Versammlungsrecht wie auch das Ausländer- und Asylrecht wurden vor diesem Hintergrund geändert. Die Kontroverse um die sog. Online-Durchsuchung spricht für sich. Ein gesteigertes subjektives Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und der Versuch der Politik, dieser Erwartungshaltung gerecht zu werden, sind dabei allerdings in Ausgleich zu bringen mit den fundamentalen Garantien, die eine freie Gesellschaft auszeichnen. Eine Lehre scheint die Staatengemeinschaft jedenfalls schon länger gezogen zu haben: Nur gemeinsam lässt sich etwas gegen den internationalen Terrorismus ausrichten. Multilaterale Politik ist allerdings durch hohen Kooperationsaufwand und oftmals auch durch Reibungsverluste gekennzeichnet. Nicht immer können hoch gesteckte Ziele erreicht werden. Die Vereinten Nationen blicken mittlerweile denn auch auf mehr als dreißig Jahre zurück, in denen sie sich um eine weltweite AntiTerrorismuspolitik bemühen. Als besondere Schwierigkeit erweist sich dabei nach wie vor, den Begriff des Terrorismus überhaupt zu definieren. Die vermutlich naturgemäß sehr unterschiedlich ausfallende Bewertung sog. politischer Straftaten, nationale Befreiungskämpfe oder Staatsmächte, die sich verbrecherischer Mittel bedienen, verhindern insoweit bis heute einen globalen Konsens. Wenngleich der Aktionsfähigkeit der Staatengemeinschaft damit deutliche Grenzen gesetzt sind, können dennoch bemerkenswerte völkerrechtliche Entwicklungen festgestellt werden. Besondere Beachtung verdient die Europäische Union, die als vergleichsweise homogene Rechtsgemeinschaft mit weiteren Mitteln und Methoden der polizeilichen und strafrechtlichen Zusammenarbeit ausgestattet ist. Die Integration souveräner Staaten in der Europäischen Union zeichnet sich dabei auf der Basis des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und des Subsidiaritätsgrundsatzes durch eine gemeinsame Ausübung von Hoheitsrechten unter Wahrung der Identität der Mitgliedstaaten aus (Art. 6 III EU).1 Die Integration bestimmter Politikfelder begegnet aber auch in Europa deutlicher Zurückhaltung. So sollen etwa Vertragsbestandteile, die auf eine Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Kriminalstrafrechts schließen lassen, betont restriktiv ausgelegt werden, da sich aus der Gesamtschau des Gemeinschaftsrechts eine inhärente Kompetenzbegrenzung ergebe. Allenfalls wird eine Kompetenz zum Erlass punitiver Sanktionen im weiteren Sinne akzeptiert.2 Supranationales Strafrecht, das Vorrang vor nationalem Strafrecht besäße und unmittelbar anwendbar wäre, wird insoweit ausgeschlossen. Nicht ohne Grund gilt das Strafrecht als klassische Domäne der Nationalstaaten. Strafgesetzgebung und Kriminalpolitik unterliegen schließlich nicht nur rationalen Erwägungen, sondern vielmehr auch kulturellen und historischen Besonderheiten, bestimmten Wertvorstellungen und Ängsten. Auch zwischen den Mitgliedstaaten 1 2

BVerfGE 89, 155 (188 f.). So etwa H. Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts (Habil. Passau 2000), S. 143 f.

I. Die Aufrechterhaltung von Freiheit und Sicherheit

13

der Europäischen Union ergeben sich deshalb veritable Unterschiede im Strafrecht. Allein das Abtreibungsrecht und das Recht der Sterbehilfe veranschaulichen, dass die Frage sehr unterschiedlich beantwortet werden kann, ob bestimmte Handlungen als Straftat definiert und wenn ja, mit welcher Intensität sie verfolgt werden sollen. Dabei ist die Entscheidung eines Staates, eine bestimmte Handlung gerade nicht als Straftat oder auch als Ordnungswidrigkeit anzusehen, prinzipiell von gleichrangiger Bedeutung. Das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht eines Staates ist dadurch ein handfester Ausdruck gesellschaftlicher Werturteile, bildet den Konsens einer Gesellschaft ab und ist damit ein wesentlicher Teil der Identität eines Gemeinwesens, eines Staates. Wie der freie Welthandel, die globalen Umweltprobleme aber auch der internationale Terrorismus zeigen, bleiben heute rechtlich und tatsächlich jedoch immer weniger Sachfragen übrig, die von einzelnen Staaten allein geregelt werden können. Je mehr sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihrer überstaatlichen Instrumente aber bedienen, desto mehr entfernen sie sich vom klassischen Souveränitätsverständnis, das durch die Ausschließlichkeit der einem territorialen Souverän zugewiesenen Herrschaftsrechte gekennzeichnet ist. So sichert die Souveränität eines Staates zwar die Entscheidungen eines Staatsvolkes, angesichts vielfältiger, grenzüberschreitender Aufgaben besteht jedoch auch ein großes Interesse und mit Blick auf den einzelnen Bürger auch eine Pflicht der Staaten, die gegenwärtigen politischen Problemstellungen gemeinsam zu lösen.3 Offene Grenzen und die Freizügigkeit von Personen, Waren und Dienstleistungen im Gemeinsamen Binnenmarkt machen unionsweite Sicherheitsstrategien geradezu erforderlich. Die Europäische Union hat sich insoweit ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts soll Europa nach Maßgabe des Art. 29 EUV sein. Nicht ohne Grund ist die dort angelegte polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen deshalb breit angelegt und umfasst sowohl Präventivmaßnahmen wie repressive Kriminalitätsbekämpfung. Als Rechtsgemeinschaft ist die Union dabei an die Grundsätze der Freiheit und Demokratie gebunden, sie hat die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren (Art. 6 I, II EUV).

3 Vgl. S. Oeter, Souveränität – ein überholtes Konzept?, in: Cremer / Giegerich / Richter / Zimmermann, Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift Steinberger, 2002, S. 259 (276 ff.); siehe auch J. Delbrück, Structural Changes in the International System and its Legal Order: International Law in the Era of Globalization, SZIER 11 (2001), S. 1 (13 ff.); M. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Habil. München 2001), S. 281 ff.; U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt (Habil. Kiel 2002), S. 57 ff. / 361 ff.

14

A. Internationaler Terrorismus als Herausforderung der Staatengemeinschaft

II. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung Vor der Folie völkerrechtlicher Strategien der Terrorismusbekämpfung und ihrer Grenzen soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob einer Union souveräner Staaten weitere Wege eröffnet sind, der Herausforderung des internationalen Terrorismus zu begegnen. Zu untersuchen ist, ob ein europäischer Strafrechts- und Strafverfolgungsraum eine Antwort auf die Bedrohung der zivilen Sicherheit durch Terrorismus sein kann. Dies dürfte nur dann der Fall sein, wenn seine Errichtung auch den Anforderungen demokratischer Legitimation und Rechtsstaatlichkeit genügt. Bei der Erörterung der Strategien und Handlungsinstrumente europäischer Zusammenarbeit in Strafsachen verdienen deshalb die Vereinbarkeit der getroffenen Maßnahmen mit den Bürgerrechten und die Frage besondere Beachtung, inwieweit die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen der erreichten Integrationstiefe entsprechen. Letztlich werden dabei auch die Grenzen europäisch determinierter Strafgesetzgebung und staatenübergreifender Strafverfolgung zu definieren sein. Das Funktionieren des Unionsrechts wie das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der überstaatlichen Ebene sollen hierzu anhand konkreter Mechanismen der Europäischen Integration erläutert werden. Im Ergebnis wird dadurch auch eine Aussage über die Konstruktion der Europäischen Union zu treffen sein und inwieweit diese Form eines Staatenverbundes ein Modell für eine vertiefte weltweite Zusammenarbeit der Terrorismusbekämpfung darstellen könnte. Wie streitbefangen dabei bereits grundsätzliche Fragen der europäischen Einigung sind, zeigen die Debatten über die Rechtsnatur der Europäischen Union4 und ihre Verfassungsfähigkeit.5 Die Klärung dieser Streitpunkte soll allerdings nicht im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen, sind doch hierzu beinahe schon ganze Bibliotheken verfasst worden. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung ist vielmehr auf die Voraussetzungen und Bedingungen gerichtet, die das Unionsverfassungsrecht erfüllen muss, um eine unionsweite Kooperation bei der Strafverfolgung und damit auch eine europäische Terrorismusbekämpfung demokratisch und rechtsstaatlich legitimieren zu können. Dabei rücken vor allem die Zuständigkeit und Funktion des Europäischen Parlaments wie auch die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen, insbesondere die Zugangsmöglichkeiten zum Europäischen Gerichtshof wie zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in den Mittelpunkt des Interesses. Die zunehmende Integration des Strafrechts – auch und gerade zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung – wirft auf diese, zum Teil schon älteren Streitpunkte ein neues Licht. 4 Vgl. die gegenteiligen Auffassungen von C. Koenig, Die Europäische Union als bloßer materiell-rechtlicher Verbundrahmen, EuR 1998, S. 165 ff.; M. Pechstein, Das Kohärenzgebot als entscheidende Integrationsdimension der Europäischen Union, EuR 1995, S. 247 ff. einerseits und A. von Bogdandy, Die Europäische Union als einheitlicher Verband, EuR 1998, Beiheft 2, S. 165 ff. andererseits. 5 D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, S. 581 ff.; W. Hertel, Die Normativität der Staatsverfassung und einer Europäischen Verfassung, JÖR NF, Band 48 (2000), S. 233 ff.

II. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung

15

Der Vertrag über eine Verfassung für Europa war ein erster Versuch, diese Fragestellungen aufzunehmen und zumindest teilweise einer Lösung zuzuführen. Der Reformvertrag von Lissabon, durch den die Gründungsverträge als Vertrag über die Europäische Union (EU) und als Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU) neu gefasst wurden, orientiert sich in großem Umfang am gescheiterten Verfassungsvertrag. Ihre Lösungsansätze gilt es daher zu untersuchen. Darüber hinaus ist aber auch die Frage zu stellen, wo der Vertrag von Lissabon hinter den Anforderungen, die an eine demokratisch verfasste Rechtsgemeinschaft zu stellen sind, zurückbleibt.

B. Völkerrechtliche Instrumente der Terrorismusbekämpfung Internationaler Terrorismus führt fast zwangsläufig dazu, dass auch seine Bekämpfung grenzüberschreitend erfolgen muss. Eine Beschränkung auf polizeiliche und strafrechtliche Mittel eines Nationalstaates erscheint augenscheinlich nicht angebracht. Dies führt dazu, dass unter Umständen von den Handlungen eines Staates auch andere Völkerrechtssubjekte betroffen sind. Insbesondere das Friedenssicherungsrecht der UN-Charta unterliegt angesichts kriegsähnlicher Verbrechen privater Akteure deshalb einem Wandel. Auch das Völkerstrafrecht könnte ein Feld darstellen, auf dem international agierenden Terrororganisationen erfolgreich begegnet werden kann. Darüber hinaus bemüht sich die Staatengemeinschaft, durch völkerrechtliche Abkommen im Bereich des Strafrechts und des Strafverfolgungsrechts weltweit wirksame Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus zu ergreifen.

I. Militärische Maßnahmen gegen terroristische Organisationen Das moderne Friedenssicherungsrecht der Vereinten Nationen basiert auf der Annahme, dass es sich bei einem internationalen bewaffneten Konflikt um eine Auseinandersetzung zwischen Staaten und nicht zwischen Völkern handelt. Das einzig legitime Ziel ist unter Verwendung zulässiger Mittel und Methoden die militärische Schwächung des gegnerischen Staates. Die Beteiligten eines bewaffneten Kampfes müssen als Verbandseinheiten gekennzeichnet sein und ihre Waffen offen tragen. Kombattanten sind insofern nur die Angehörigen der Streitkräfte und gleichgestellter Verbände. Hieraus ergibt sich, dass das universelle Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta grundsätzlich nur in den zwischenstaatlichen Beziehungen gilt. Im Falle einer Friedensbedrohung, des Bruchs des Friedens oder einer Angriffshandlung sieht das System kollektiver Sicherheit den Einsatz militärischer Zwangsmaßnahmen nur im Rahmen eines entsprechenden Mandates des UN-Sicherheitsrates vor. Lediglich solange sich der Sicherheitsrat einer solchen Situation noch nicht angenommen hat, darf sich ein Staat bei Vorliegen eines gegenwärtigen, bewaffneten Angriffs in Ausübung seines naturgegebenen Rechts selbst verteidigen (Art. 51 UN-Charta).6 6 Vgl. M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, 4. Auflage 2007, 8. Abschnitt, Rn. 9 ff.; Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 4. Auflage 2005, S. 175 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage 2004, § 59, Rn. 9 ff.

I. Militärische Maßnahmen gegen terroristische Organisationen

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Die Praxis des Sicherheitsrates stützte sich dementsprechend denn auch auf die Annahme, dass das Friedenssicherungsrecht nur auf staatliche Handlungen anzuwenden ist. Terrorismus stellte daher nur dann eine Friedensbedrohung dar, wenn ein Staat etwa entgegen entsprechender Aufforderung in einer Resolution, Aufnahme oder Ausbildung von Terroristen nicht unterließ oder mutmaßliche Täter nicht auslieferte. Die Nichtbefolgung einer Resolution des UN-Sicherheitsrates konnte als Bedrohung des Friedens qualifiziert werden und zog ggf. Sanktionen nach sich.7 Die Verbrechen des 11. September 2001 wurden dennoch in den Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit klassifiziert. In den Präambeln der Resolutionen bekräftigte der UN-Sicherheitsrat das Recht der USA auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung. Entgegen seiner früheren Praxis stellte der Sicherheitsrat dabei nicht auf eine staatliche Handlung ab, sondern auf die terroristischen Akte selbst. Diese Entwicklung deutete sich bereits nach dem Bombenanschlag auf ein Flugzeug über Lockerbie 1992 an, auf den der Sicherheitsrat in seiner Resolution 731 (1992) reagierte. Die Anwendbarkeit des Friedenssicherungsrechts hängt demnach nicht (mehr) von der Staatlichkeit des Akteurs ab, sondern davon, ob eine Situation vorliegt, die in materieller Hinsicht eine hinreichende Gefährdung des Weltfriedens darstellt. Jenseits polizeilicher und justizieller Maßnahmen bedürfen gewaltsame Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung daher grundsätzlich der Ermächtigung durch den Sicherheitsrat, sofern kein Akt der Selbstverteidigung vorliegt oder auf Einladung eines betroffenen Staates interveniert wird. Nach bisherigem Verständnis konnte sich ein Staat nur auf das Selbstverteidigungsrecht im Falle eines gegenwärtigen, bewaffneten Angriffs eines anderen Staates berufen. Ist jedoch die Intensität einer gewaltsamen Handlung maßgebend, dürfte sich die Einordnung einer terroristischen Tat als bewaffneter Angriff am Täterkreis, dem potentiellen Opferkreis, der Zahl der Opfer, dem Ausmaß der Zerstörung und den angewandten Mitteln orientieren. Ferner könnte ein gewisser Organisationsgrad der Täter zur Voraussetzung gemacht werden sowie die Wahrnehmung der Tat durch die „angegriffene Bevölkerung“ beachtenswert erscheinen. Ein terroristisches Verbrechen wird allerdings erst dann als bewaffneter Angriff zu qualifizieren sein, wenn es sich um eine Tat handelt, die sich gegen ein ganzes Volk richtet und nicht nur einzelne Bombenanschläge oder Selbstmordattentate vorliegen.8 7 M. Krajewski, Terroranschläge in den USA und Krieg gegen Afghanistan – welche Antworten gibt das Völkerrecht, Kritische Justiz 34 (2001), S. 363 (368 f.). 8 T. Bruha / C. J. Tams, Self-Defense Against Terrorist Attacks, in: K. Dicke / S. Hobe / K.-U. Meyn / A. Peters / E. Riedel / H.-J. Schütz / C. Tietje, Weltinnenrecht, Liber amicorum Jost Delbrück, 2005, S. 85 (96 f.); H.-G. Dederer, Krieg gegen Terror, JZ 2004, S. 421 (422 f.); M. Kotzur, Krieg gegen den Terrorismus, AVR 40 (2002), S. 454 (473); S. Weber, Die israelischen Militäraktionen im Libanon und in den besetzten palästinensischen Gebieten 2006 und ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht, AVR 44 (2006), S. 460 (462 f.);

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B. Völkerrechtliche Instrumente der Terrorismusbekämpfung

Kann ein terroristisches Verbrechen einem Staat zugerechnet werden, etwa weil es unter seiner Anleitung oder Kontrolle erfolgte, der betreffende Staat sich die Tat zu eigen macht, logistische oder materielle Unterstützung gewährt(e), indem er Planungs-, Trainings- oder Rückzugsstätten zur Verfügung stellt oder ihr Vorhandensein toleriert, ist eine militärische Intervention eines von Terrorakten betroffenen Staates oder einer Staatengruppe in diesem Staat als zulässig anzusehen. Die Zurechnung eines Terroraktes kann jedenfalls dann erfolgen, wenn die Tat ohne die Unterstützung des betreffenden Staates völlig ausgeschlossen gewesen wäre.9 Handelt es sich dabei um einen Staat, dessen Staatsmacht nicht in der Lage oder Willens ist, die erforderlichen Maßnahmen gegen terroristische Organisationen selbst zu ergreifen, ist er zur Duldung militärischer oder polizeilicher Maßnahmen auf seinem Staatsgebiet verpflichtet. Dies kann bereits aus der Friendly-RelationsDeclaration der UN-Generalversammlung (Resolution Nr. 2625 XXV) vom 25. 10. 1970 abgeleitet werden. Darüber hinaus kann man der Resolution weitere Kooperations-, Verfolgungs- und Bestrafungspflichten im Falle terroristischer Verbrechen entnehmen, die auch durch die Weitergabe relevanter Informationen oder konkrete Rechtshilfe erfüllt werden können.10 Um einen Missbrauch des so verstandenen Selbstverteidigungsrechts möglichst zu verhindern, sind strenge Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Verteidigungshandlungen zu stellen. Die Legitimation des sich verteidigenden Staates hängt maßgeblich davon, inwieweit er nicht nur seinen eigenen Bürgern, sondern auch den Bürgern des Staates gerecht wird, der von den Verteidigungshandlungen betroffen ist.11 Das Recht zu präventiven Verteidigungshandlungen ist in Staatengemeinschaft und Völkerrechtslehre stark umstritten. Allzu strikt dürfte das Tatbestandsmerkmal der Gegenwärtigkeit eines bewaffneten Angriffs jedoch nicht (mehr) auszulegen sein. Zunächst spricht viel dafür, einem angegriffenen Staat die notwendige Zeit vgl. aber auch B. Saul, International Terrorism as a European Crime: The Policy Rationale for Criminalization, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 11 (2003), S. 323 f. 9 Mit unterschiedlichen Akzenten: T. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, AVR 40 (2002), S. 383 (393 ff.); H.-G. Dederer (Anm. 8), S. 426 ff.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen – der 11. September 2001 und seine Folgen, AVR 40 (2002), S. 183 (188 ff.); vgl. auch D. Blumenwitz, Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Kampf gegen den Terrorismus, ZRP 2002, S. 102 (104 f.); G. Dahm / J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, 2. Auflage 2002, S. 824 f.; D. Kugelmann, Die völkerrechtliche Zulässigkeit von Gewalt gegen Terroristen, Jura 2003, S. 376 (377 ff.); F. Mégret, „Krieg“? – Völkerrechtssemantik und der Kampf gegen den Terrorismus, Kritische Justiz 35 (2002), S. 157 ff. 10 H.-G. Dederer (Anm. 8), S. 427 f.; J. A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 879 (883 ff.). 11 J. G. Gardam, A Role for Proportionality in the War on Terror, Nordic JIL 74 (2005), S. 3 (7 ff.); C. Tomuschat, Der 11. September 2001 und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 2002, S. 535 (543).

I. Militärische Maßnahmen gegen terroristische Organisationen

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einzuräumen, seine Verteidigungshandlungen zu planen, Bündnispartner einzubeziehen und auch betroffenen Staaten die Gelegenheit zu bieten, selbst die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Als Reaktion auf einen früheren, in diesem Sinne nicht mehr gegenwärtigen Angriff sind gewaltsame Maßnahmen dagegen als unzulässige bewaffnete Repressalie abzulehnen.12 Darüber hinaus kann überzeugend darauf verwiesen werden, dass es einem Staat angesichts des Rüstungsstands, der Waffentechnik und einer möglichen Verwendung nuklearer, biologischer oder chemischer Kampfstoffe nicht zugemutet werden kann, einen unmittelbar bevorstehenden Angriff erst abwarten zu müssen, bevor er militärisch reagieren darf. Angelehnt an die Caroline-Formel, nach der a necessity of self-defense, instant, overwhelming, leaving no choice ofs means and no moment for deliberation zur Gewaltanwendung berechtigt, ist ein Recht zu antizipatorischer Selbstverteidigung daher anzuerkennen, wobei auch insoweit die Voraussetzungen für entsprechende Maßnahmen im Einzelfall heftig umstritten sind.13 Dagegen sind militärische Maßnahmen, mit denen bereits die Möglichkeit ausgeschaltet werden soll, dass ein Staat oder auch nicht-staatliche Akteure in die Lage kommen könnte(n), einen bewaffneten Angriff zu unternehmen, als unvereinbar mit der UN-Charta anzusehen. Diese – in der Terminologie der National Security Strategy der USA von 2002 – präemptive Selbstverteidigung kann angesichts der nachhaltigen Ablehnung durch die überwiegende Zahl der Staaten auch nicht als gewohnheitsrechtliche Weiterentwicklung des Friedenssicherungsrechts akzeptiert werden, setzte eine solche doch eine von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft getragene Praxis voraus. Mit der Begründung, der Unterschied zu antizipatorischen Maßnahmen läge lediglich in der unsicheren Gefahrenprognose, die aber dem Inhaber des Vernichtungspotentials zuzurechnen sei, werden präemptive Handlungen gleichwohl für zulässig erachtet. Zwar soll durch die Begrenzung auf Fälle, in denen zwischen den betroffenen Staaten ein vergleichbares Verhältnis besteht wie nach einem bereits erfolgten oder bei einem unmittelbar bevorstehenden Angriff, eine allgemein „zugunsten“ der Staatengemeinschaft erfolgende Zerstörung von Vernichtungspotential ausgeschlossen werden, doch vermag dies kaum eine Übereinstimmung mit der UN-Charta zu begründen.14 M. Bothe (Anm. 6), Rn. 19; weitergehend dagegen H.-G. Dederer (Anm. 8), S. 429. L. van den Hole, Anticipatory Self-Defense under International Law, American University Journal of International Law and Policy 19 (2003), S. 69 (95 ff.); D. Murswiek, Die amerikanische Präventivkriegstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, S. 1014 (1016 ff.); vgl. aber auch Y. Dinstein (Anm. 6), S. 184 ff.; zu terminologischen Unklarheiten in diesem Zusammenhang C. Eick, „Präemption“, „Prävention“ und die Weiterentwicklung des Völkerrechts, ZRP 2004, S. 200 ff. 14 Vgl. aber E. Benvenisti, The US and the Use of Force: Double-edged Hegemony and the Management of Global Emergencies, EJIL 15 (2004), S. 677 (684 ff.); M. Herdegen, Völkerrecht, 4. Auflage 2007, § 34, Rn. 19; A. D. Sofaer, On the Necessity of Pre-emption, EJIL 14 (2003), S. 209 ff. 12 13

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B. Völkerrechtliche Instrumente der Terrorismusbekämpfung

Trotz der insoweit bestehenden Zulässigkeit militärischer Maßnahmen gegen terroristische Organisationen kommt Terroristen kein Kombattantenstatus zu. Terrororganisationen, die aus dem Verborgenen zuschlagen und ihre Taten vornehmlich gegen die Zivilbevölkerung richten, können sich auf die Legitimationswirkung eines offenen Kampfes zwischen gekennzeichneten Verbandseinheiten nicht berufen.15 Fallen militärische Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung jedoch zusammen mit der Gewaltanwendung gegen ein handlungsfähiges Völkerrechtssubjekt, zu denen auch stabilisierte de facto-Regime zu zählen sind, kommt das humanitäre Völkerrecht grundsätzlich zur vollen Anwendung. Bis zur Klärung ihres Status durch ein zuständiges Gericht, gilt auch für festgesetzte Terroristen, die nicht in einen militärischen Verband eingegliedert sind, zunächst der Kriegsgefangenenstatus. Terroristische Verbrechen bleiben jedoch Straftaten und sind nach nationalen Rechtsvorschriften zu ahnden, stehen sie in Zusammenhang mit Kampfhandlungen sind sie als Kriegsverbrechen zu verfolgen.16 Mit Hilfe der Figur des unlawful combatant dürfte dagegen keine größere Flexibilität bei der Bekämpfung terroristischer Organisationen zu erreichen sein.17

II. Nationale Befreiungskämpfe und Staatsterrorismus Besondere Schwierigkeiten erzeugen – sowohl in terminologischer wie phänomenologischer Hinsicht – nationale Befreiungskämpfe und terroristische Verhaltensweisen einer Staatsmacht, die durch diese ihre Herrschaft zu sichern versucht (sog. Staatsterrorismus). Der nationale Befreiungskampf wird im Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes gegen Kolonialherrschaft, fremde Besetzung und rassistische Regime definiert. Die Durchsetzung des bislang verwehrten Selbstbestimmungsrechts kann ein Volk im Wege der Selbsthilfe auch gewaltsam erkämpfen. Das Völkerrecht enthält sich insofern zwar einer Bewertung der Gewaltanwendung, doch sind die Angehörigen von Befreiungsarmeen mangels Kombattantenstatus nicht vor der Strafverfolgung der von ihnen bekämpften Staatsmacht geschützt.18

15 M. Ruffert, Terrorismusbekämpfung zwischen Selbstverteidigung und kollektiver Sicherheit, ZRP 2002, S. 247 (249); T. Stein / C. von Buttlar, Völkerrecht, 11. Auflage 2005, Rn. 1253; C. Tomuschat (Anm. 11), S. 536. 16 S. Oeter, Terrorismus und Menschenrechte, AVR 40 (2002), S. 422 (440 ff.). 17 Vgl. S. Hobe / O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 8. Auflage 2004, S. 518; C. Stahn, International Law at a Crossroads?, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (197 ff.); T. Stein / C. v. Buttlar (Anm. 15), Rn. 1263; umfassend zum Begriff J. Wieczorek, Unrechtmäßige Kombattanten und humanitäres Völkerrecht (Diss. Kiel 2004), S. 33 ff.; zur Relevanz im Bereich der Terrorismusbekämpfung S. 162 ff. / 213 / 220. 18 S. Oeter, Terrorism and „Wars of National Liberation“, ZaöRV 49 (1989), S. 445 (469).

II. Nationale Befreiungskämpfe und Staatsterrorismus

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Auch im nationalen Befreiungskampf gelten die völkerrechtlichen Regeln über die zulässigen Mittel und Methoden, wie etwa das Verbot der unterschiedslosen Kampfführung. Demnach ist lediglich der Angriff auf militärische Einheiten und Einrichtungen erlaubt.19 Völkerrechtlich straffrei bleibt ein Befreiungskämpfer dann, wenn er sich als solcher zu erkennen gibt und nicht etwa aus der Deckung der Zivilbevölkerung heraus Anschläge verübt. Die Zerstörung von Anlagen und Einrichtungen nicht-militärischer Art, wozu auch Polizeistationen zu rechnen sind, oder Angriffe auf die Zivilbevölkerung stellen Kriegsverbrechen dar und können auch als terroristischer Akt zu qualifizieren sein. Anhand der verwendeten Mittel und Ziele lässt sich daher die legitime Gewaltanwendung im Rahmen eines Befreiungskampfes von terroristischen Verbrechen unterscheiden. Terrorismus erweist sich insofern eher als Methode denn als eine bestimmte Kategorie gewaltsam ausgetragener Konflikte. Durch die Verwendung terroristischer Mittel entscheidet eine Befreiungsarmee letztlich selbst über ihre Legitimation und ihren rechtlichen Status.20 In ihrem legitimen Kampf gegen eine Staatsmacht, die angesichts des unterdrückten Selbstbestimmungsrechts keine echte territoriale Souveränität besitzt, genießen Befreiungskämpfer also völkerrechtliche Immunität, solange sie die Kampfführungsregeln beachten. Entscheidend für die Qualifikation einer Handlung als terroristischer Akt sind demnach die Tatmodalitäten. Versetzt eine Staatsmacht die Zivilbevölkerung etwa durch gezielte Tötungen, extralegale Hinrichtungen oder das „Verschwindenlassen“ von Personen in Angst und Schrecken, liegen sog. staatsterroristische Verbrechen vor, die in bewaffneten Konflikten ebenfalls als Kriegsverbrechen und außerhalb solcher als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu qualifizieren sind.21 Ob also Private oder staatliche Hoheitsträger, die prinzipiell zur Gewaltanwendung befugt sind, terroristische Akte begehen, ist für deren Einordnung als solche unerheblich. Tatsächlich werfen Gewalttaten von Befreiungskämpfern und Hoheitsträgern jedoch erhebliche Abgrenzungsprobleme auf. Die Bewertung einer einzelnen Tat wird sich je nach Betrachtungswinkel und Zugehörigkeitsempfinden deutlich unterscheiden. Dies gilt umso mehr, wenn bereits der Befreiungskampf als solcher oder die Legitimation einer Staatsgewalt selbst international umstritten ist.

19 Vgl. S. Oeter, Methods and Means of Combat, in: D. Fleck, The Handbook of Humanitarian Law in Armed Conflicts, 1999, S. 105 ff. 20 C. Daase, Terrorismus – Begriffe, Theorien und Gegenstrategien, Die Friedenswarte 76 (1 / 2001), S. 55 (65); kritisch im Hinblick auf die Definition des Terrorismus insoweit B. Saul (Anm. 8), S. 332 f. 21 R. Higgens, The General International Law of Terrorism, in: R. Higgens / C. Flory, Terrorism and International Law, 1997, S. 13 (26 f.); B. L. Nacos, Terrorism and Counterterrorism, 2006, S. 30 ff.; S. Oeter, Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, Die Friedenswarte 76 (1 / 2001), S. 11 (26 f.).

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B. Völkerrechtliche Instrumente der Terrorismusbekämpfung

III. Völkerstrafrecht Sowohl die Qualifikation terroristischer Verbrechen als Kriegsverbrechen in bewaffneten Konflikten wie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit weisen auf die Mechanismen des Völkerstrafrechts hin, das alle Normen umfasst, die eine direkte Strafbarkeit nach Völkerrecht begründen. Ein Angriff auf die Zivilbevölkerung mit terroristischen Mitteln kann etwa gem. Art. 8 II b) i) wie e) i) des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes als Kriegsverbrechen zu qualifizieren sein, unter den Voraussetzungen des Art. 7 I, II des Statuts liegt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.22 Im Falle bewaffneter internationaler Konflikte ergeben sich die persönliche strafrechtliche Verantwortung eines Täters und entsprechende Verfolgungs- und Bestrafungspflichten eines Staates aus den Genfer Abkommen. Für nicht-internationale bewaffnete Konflikte gelten der im gemeinsamen Art. 3 und im Zusatzprotokoll II der Genfer Abkommen festgelegte humanitäre Mindeststandard wie auch die Gesetze und Gebräuche des Krieges gewohnheitsrechtlich. Für bislang nicht kodifizierte Verbrechen wie extralegale Hinrichtungen oder das „Verschwindenlassen“ von Personen können Verfolgungs- und Bestrafungspflichten aus den allgemeinen Menschenrechtsverträgen abgeleitet werden. Diese Auslegung beruht letztlich auf der Annahme, dass die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen wiederum neue Menschenrechtsverletzungen darstellen.23 Außerhalb bewaffneter Konflikte sehen allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts Verfolgungs- und Bestrafungspflichten der Staaten bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, die als menschenrechtliches ius cogens mit einer Wirkung erga omnes zu weitreichenden Konsequenzen führen können.24 Die Menschenrechte selbst ergeben also die Verpflichtung, staatliche wie private Täter terroristischer Verbrechen zu verfolgen und vor Gericht zu stellen. Andernfalls machten sich die zuständigen Staaten einer Verletzung ihrer völkerrechtlichen Pflichten schuldig und würden letztlich zu Komplizen eben jener Verbrechen.25 Als Täter eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit kommen auch paramilitärische Einheiten oder terroristische Organisationen in Betracht. Maßgebend ist auch hier die Intensität des Angriffs auf das völkerrechtliche Schutzgut. So wird man zwar davon ausgehen können, dass – ähnlich wie bei Völkermord – in der Regel staatliche Stellen verantwortlich für eine Tat sind oder sie ihnen zumindest zugerechnet werden kann, doch ist dies nicht zwingend für die Annahme eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit.26 Vgl. A. Cassese, International Criminal Law, 2003, S. 125 ff. Vgl. K. Ambos, Völkerrechtliche Bestrafungspflichten bei schweren Menschenrechtsverletzungen, AVR 37 (1999), S. 318 (325 ff.); vgl. auch das Urteil des Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien vom 15. 07. 1999 im Fall Tadíc (ICTY, Prosecutor vs. Tadíc, IT-94 – 1-A). 24 K. Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, S. 16 (22 f.). 25 So S. Oeter (Anm. 16), S. 431. 22 23

IV. Völkerrechtliche Abkommen zum Strafrecht und Strafverfolgungsrecht

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Aus dem Universalitätsprinzip ergibt sich für Völkerrechtsverbrechen eine Strafbefugnis sowohl für die Staatengemeinschaft als Ganze wie auch für jeden einzelnen Staat.27 Der in Den Haag eingerichtete Ständige Internationale Strafgerichtshof wie auch durch den Sicherheitsrat ad hoc eingerichtete Straftribunale28 gewährleisten im Rahmen ihrer Jurisdiktionsbefugnis eine wirkungsvolle internationale Strafverfolgung. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord unterliegen dadurch nicht nur nationaler Strafgewalt. Ist ein zur Strafverfolgung berufener Staat nicht in der Lage oder Willens, die Verfolgung und Verurteilung etwaiger Täter sicherzustellen, tritt an seine Stelle nunmehr eine internationale Strafgerichtsbarkeit. Eine Zuständigkeit des Gerichtshofs für Terrorismus als selbständigem Verbrechenstatbestand wurde hingegen abgelehnt.29 Inwieweit eine Jurisdiktionsbefugnis des Gerichtshofs für Terrorismus überhaupt hilfreich wäre, darf allerdings bezweifelt werden. Die Erfolgsaussichten, eine allgemein anerkannte Definition des Tatbestandes Terrorismus zu erreichen, dürften trotz aller Fortschritte nicht besonders groß sein. Ob es dem Gerichtshof in den Augen einer zunehmend polarisierten Weltöffentlichkeit darüber hinaus gelänge, die notwendige Unabhängigkeit in entsprechenden Verfahren unter Beweis zu stellen, erscheint ebenfalls fragwürdig. Die tatsächlich oftmals schwer zu leistende Abgrenzung eines terroristischen Verbrechens von legitimen Akten eines Befreiungskampfes wie auch von (noch) legalen Handlungen zur Stabilisierung einer Staatsgewalt bergen jedenfalls ein hohes Risiko für die weltweite Akzeptanz des Gerichtshofes.30

IV. Völkerrechtliche Abkommen zum Strafrecht und Strafverfolgungsrecht In der Regel werden terroristische Gewaltverbrechen jedoch nicht nach den Maßstäben des humanitären Völkerrechts und des Völkerstrafrechts zu beurteilen sein, sondern werden als besonders schwere Straftaten in die Zuständigkeit nationaler Polizei- und Justizbehörden fallen. Die internationale Zusammenarbeit wurde allerdings gerade durch die Phänomene des Befreiungskampfes und staatsterrorisG. Werle, Völkerstrafrecht, 2. Auflage 2007, Rn. 646. M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat – die nationale (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit als Motor völkerrechtlicher Konstitutionalisierungsprozesse?, DÖV 2002, S. 195 (199 f.); G. Werle (Anm. 26), Rn. 173. 28 Etwa für das ehemalige Jugoslawien durch die SR-Resolution Nr. 827 (1993). 29 Vgl. A. Cassese, Terrorism is Also Disrupting Some Crucial Legal Categories of International Law, EJIL 12 (2001), S. 993 (994); G. Werle (Anm. 26), Rn. 73. 30 S. Oeter (Anm. 21), S. 29 f.; vgl. zur deutschen Rechtslage H. Satzger, Das neue Völkerstrafgesetzbuch – Eine kritische Würdigung, NStZ 2002, S. 125 ff.; zur Entwicklung insgesamt O. Triffterer, Der lange Weg zu einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, ZStW 114 (2002), S. 321 ff. 26 27

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B. Völkerrechtliche Instrumente der Terrorismusbekämpfung

tischer Verbrechen erheblich behindert. Die zahlreichen Versuche einer allgemeinen Definition des Terrorismus scheiterten vor allem an politischen Erwägungen und den unterschiedlichen Bewertungen entsprechender Vorgänge.31 In der International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism32 gelang 1999 immerhin eine abstrakte Definition derjenigen Taten, deren logistische und finanzielle Unterstützung von den Staaten zu bekämpfen ist. In Art. 2 I lit. b wird jede Handlung als Terrorismus definiert, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die in einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll und diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Bis dahin hatte sich die Staatengemeinschaft mit einer ganzen Reihe völkerrechtlicher Abkommen über einzelne besonders gefährliche Straftaten zu behelfen versucht. Dazu zählen Tatbestände wie Geiselnahme, Flugzeugentführung oder Bombenanschläge. Weitere Abkommen dienen dem Schutz ziviler Flughäfen, der Sicherheit der Zivilluftfahrt, der Seeschiffahrt, der Sicherheit fester Plattformen auf dem Festlandssockel, dem Schutz von Nuklearmaterial oder auch dem Diplomatenschutz.33 Die Strafbarkeit einer Handlung ergibt sich bei diesen Abkommen jedoch nicht direkt aus dem völkerrechtlichen Vertrag, sondern erst aus der einzelstaatlichen Norm zur Durchführung des jeweiligen Abkommens. Nach dem Prinzip aut dedere, aut judicare erzeugt die Ratifikation eines solchen Abkommens für den jeweiligen Staat die Pflicht, etwaige Täter entweder selbst zu verfolgen und zu bestrafen oder sie auf Verlangen eines betroffenen Staates an diesen auszuliefern. Je nach Ratifikationsstand konnte auf diesem Weg für bestimmte Delikte ein relativ hoher Strafverfolgungsdruck bzw. -standard erzielt werden. Im Ergebnis dürfte diese Form der Zusammenarbeit auf eine weltweite Strafverfolgung hinauslaufen, vergleichbar der für Völkerrechtsverbrechen auf der Basis des Universalitätsprinzips.34 Aber gerade in diesem Zusammenhang erwies sich die Qualifikation eines terroristischen Aktes als politisch motivierte Tat oftmals als 31 H. Behr, Terrorismusbekämpfung vor dem Hintergrund transnationaler Herausforderungen, Zeitschrift für internationale Beziehungen 11 (2004), S. 27 (29 ff.); G. Dahm / J. Delbrück / R. Wolfrum (Anm. 9), S. 1107 ff.; J. Finke / C. Wandscher, Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt, VN 5 / 2001, S. 168 ff. 32 Resolution der UN-Generalversammlung 54 / 169 vom 09. 12. 1999 (Text der Konvention im Anhang); vgl. zur Ratifizierung des Abkommens und entsprechenden Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates C. Tomuschat, Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, DÖV 2006, S. 357 (358 f.). 33 Vgl. die Aufzählung der Abkommen bei S. Oeter (Anm. 16), S. 426 f.; S. Peers, EU responses to terrorism, ICLQ 52 (2003), S. 227 (230). 34 A. Cassese (Anm. 22), S. 130; G. Guillaume, Terrorism and International Law, ICLQ 53 (2004), S. 537 (541 ff.); S. Oeter (Anm. 21), S. 16; ausführlich zur Entwicklung des Prinzips C. Maierhöfer, „Aut dedere – aut iudicare“, 2006, S. 54 ff.; zu seiner Bedeutung im Bereich der Terrorismusbekämpfung S. 131 ff. / 262 ff.

V. Grenzen völkerrechtlicher Strategien

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Hindernis für staatenübergreifende Kooperation, was auch auf europäischer Ebene zu beobachten war.35 Die Ergänzung der Jurisdiktionsbefugnis des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes um einzelne Delikte, die bislang nur auf diese Weise weltweiter Strafverfolgung unterliegen, könnte einen lohnenswerten Versuch darstellen, internationale Mechanismen auch auf diesem Feld zu etablieren. Angesichts der andauernden Kontroverse um den Gerichtshof und seine Befugnisse dürfte in naher Zukunft mit einem solchen Schritt allerdings kaum zu rechnen sein. So wünschenswert auch hier Fortschritte sind, so behutsam wird die notwendige Einigung zwischen disparaten Entscheidungsträgern nur zu erzielen sein.

V. Grenzen völkerrechtlicher Strategien Unilaterale Gewaltanwendung in Reaktion auf terroristische Verbrechen birgt die Gefahr, weitaus größere Risiken für den Weltfrieden zu erzeugen, als ihm zu nützen. Dies gilt umso mehr, als der neue internationale Terrorismus36 territoriale Bezüge, wie Gebietsansprüche, Autonomie- oder Unabhängigkeitsforderungen, nahezu gänzlich vermissen lässt. Zwar versuchten auch schon früher Terrorgruppen ihre Ziele losgelöst vom Ort des zugrunde liegenden Konfliktes durchzusetzen, doch Terrororganisationen wie Al Kaida verfügen von vornherein über ein weltweites Aktionsfeld und verfolgen mit entsprechenden Instrumenten eine wie auch immer geartete globale Zielsetzung. Die Staatengemeinschaft ist also im Grundsatz auf ein multilaterales Kooperationsmodell angewiesen, um der Herausforderung des global terrorism37 erfolgreich begegnen zu können. Sowohl das Friedenssicherungsrecht als auch die Mechanismen internationaler Strafgerichtsbarkeit und die nationale Strafverfolgung von Verbrechen internationaler Terrororganisationen sind durch das erforderliche hohe Maß an Kooperationsbereitschaft zugleich aber in ihrer Effektivität begrenzt. Die Bereitschaft, an der Strafverfolgung eines anderen Staates mitzuwirken, womöglich eigene Staatsangehörige an ein internationales Gericht zu überstellen oder sich an einer militärischen Operation zu beteiligen, wird immer maßgeblich auch politischen Erwägungen unterliegen, die nicht nur außen- und sicherheitspolitisch geprägt sind. 35 T. Stein / C. Meiser, Die Europäische Union und der Terrorismus, Die Friedenswarte 76 (1 / 2001), S. 33 (37 f.); vgl. auch M. Plachta, The Lockerbie Case: The Role of the Security Council in Enforcing the Principle Aut Dedere Aut Judicare, EJIL 12 (2001), S. 125 ff. 36 T. Bruha / M. Bortfeld, Selbstverteidigung und Terrorismus, VN 49 (2001), S. 161; vgl. zur Entwicklung H. Behr, Entterritoriale Politik (Habil. Jena 2002), S. 119 ff.; M. Möstl (Anm. 3), S. 279 ff.; B. L. Nacos (Anm. 21), S. 36 ff. 37 J. Delbrück, The Fight against Global Terrorism: Self-Defense or Collective Security as International Police Action?, GYIL 44 (2001), S. 9.

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B. Völkerrechtliche Instrumente der Terrorismusbekämpfung

Innenpolitische Notwendigkeiten eines Staates werden die Entscheidungen einer Regierung immer mitbestimmen und diese werden möglicherweise den Erfordernissen effektiver Terrorismusbekämpfung deshalb nicht genügen. Völkerrechtliche Instrumente, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben und politischen Entscheidungen souveräner Staaten unterliegen, stoßen demnach zwingend früher oder später an ihre Grenzen. Verfassungsrechtliche Auslieferungsverbote für eigene Staatsangehörige, wie etwa in Art. 16 II 1 GG normiert, oder das Auslieferungshindernis der politischen Tat illustrieren die begrenzte Leistungsfähigkeit völkerrechtlicher Strategien. Die Entscheidungsprozesse des Sicherheitsrates, ob nun bei der Mandatierung einer Militäroperation oder der Einsetzung eines Straftribunals für Verbrechen während eines bewaffneten Konfliktes, unterliegen in erheblichem Umfang politischen Überlegungen. Das Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder begrenzt die Handlungsfähigkeit des Organs, das hauptsächlich für die Sicherung des Weltfriedens verantwortlich ist (Art. 24 I UN-Charta), zusätzlich.

C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen der Europäischen Union stellt vor diesem Hintergrund ein Modell vertiefter überstaatlicher Kooperation dar, die bislang in den Art. 29 ff. EUV ihre vertragliche Grundlage findet. Danach soll der unionsweite Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts insbesondere durch eine engere Zusammenarbeit der Polizei-, Zoll- und Justizbehörden sowie durch eine Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten erreicht werden, soweit diese erforderlich ist (Art. 29 II EUV). Das gemeinsame Vorgehen im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit umfasst unter Einbeziehung der Clearingstelle Eurojust die Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit zwischen den Ministerien und Behörden der Mitgliedstaaten, die Erleichterung der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten, die Gewährleistung der Vereinbarkeit nationaler Vorschriften untereinander, die Vermeidung von Kompetenzkonflikten und die schrittweise Annahme von Mindestvorschriften im Strafrecht (Art. 31 I EUV). Der Unionsebene kommt demnach vor allem eine koordinierende Funktion und teilweise die Befugnis zur (harmonisierenden) Rechtsetzung zu. Die Letztverantwortung für die einzelne justizielle Maßnahme verbleibt dagegen bei den Mitgliedstaaten.38

I. Die gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze und Rechtsakte Als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit wird im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002 / 584 / JI) vom 13. Juni 2002 das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nationaler Strafgesetze bezeichnet.39 Weitere Schritte zur Umsetzung dieses Prinzips sind der Rahmenbeschluss über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union (2003 / 577 / JI) vom 22. Juli 2003, der Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (2005 / 214 / JI) 38 Vgl. V. Götz, Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: J. Ipsen / E. Schmidt-Jortzig, Recht – Staat – Gemeinwohl, Festschrift für Dietrich Rauschning, 2001, S. 185 (196); C. Gusy, Möglichkeiten und Grenzen einer europäischen Antiterrorpolitik, GA 2005, S. 215 (219). 39 ABl. EG 2002 Nr. L 190, 1; vgl. Erwägungsgrund (6) des Rahmenbeschlusses.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

vom 24. 02. 2005 und der Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen (2006 / 783 / JI) vom 06. 10. 2006.40 Weitere Vorhaben stellen die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren41, die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union, die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, sowie auf Urteile, durch die Bewährungsstrafen, alternative Sanktionen und bedingte Verurteilungen ausgesprochen wurden.42 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wird im Rahmen der Europäischen Union vor allem im Recht des Binnenmarktes verwandt und dient insbesondere dem Abbau von Handelshemmnissen nicht-tarifärer Art, die den freien Verkehr von Personen, Waren und Dienstleistungen beeinträchtigen. 43 Durch die Übertragung dieses Prinzips in den Bereich der Strafverfolgung soll dem entsprechend das System klassischer (völkerrechtlicher) Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten in ein System des „freien Verkehrs strafrechtlich-justizieller Entscheidungen“ umgewandelt werden, wie der Rat der Europäischen Union in Erwägungsgrund (5) des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl formuliert hat. Bislang maßgebende Prinzipien des internationalen Rechtshilferechts für die Auslieferung von Personen, die Vollstreckung von Strafen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Beweismittelanordnungen werden dabei im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander erheblichen Veränderungen unterworfen.

1. Der Europäische Haftbefehl Besondere Kontroversen hat die Einführung des Europäischen Haftbefehls ausgelöst, wie auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine entsprechende Verfassungsbeschwerde gezeigt hat.44 ABl. EG 2003 Nr. L 196, 45; ABl. EG 2005 Nr. L 76, 16; ABl. EG 2006 Nr. L 328, S. 59. KOM (2003) 688 endg. vom 14. 11. 2003 (2003 / 0270 CNS); vgl. hierzu H. Ahlbrecht, Der Rahmenbeschlussentwurf der Europäischen Beweisanordnung, NStZ 2006, S. 70 ff. 42 KOM (2006) 468 endg. vom 29. 08. 2006 (2006 / 0158 CNS); Ratsdokument 15875 / 1 / 06 REV 1 (COPEN 121) vom 30. 11. 2006; vgl. zum zuletzt genannten Vorhaben U. Staudigl / S. Weber, Europäische Bewährungsüberwachung, NStZ 2008, S. 17 ff. 43 Vgl. R. Streinz, Europarecht, 7. Auflage 2006, Rn. 936 ff.; vgl. zur Entwicklung und Verwendung des Prinzips im Bereich des Strafrechts S. Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung – Historische Grundlagen und Perspektiven europäischer Strafrechtsentwicklung, GA 2005, S. 681 (683 ff.). 44 BVerfG, Urteil vom 18. 07. 2005 (2 BvR 2236 / 04), BVerfGE 113, 273; vgl. zur Entstehungsgeschichte des Rahmenbeschlusses J. Jekewitz, Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, GA 2005, S. 625 (627 ff.); umfassend F. Schorkopf, Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, 2006, passim. 40 41

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Der Europäische Haftbefehl wird in Art. 1 I des Rahmenbeschlusses als justizielle Entscheidung definiert, die in einem Mitgliedstaat (= Ausstellungsstaat) ergeht und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat (= Vollstreckungsstaat) zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Sicherung zum Ziel hat. Der Europäische Haftbefehl stellt demnach ein besonderes Fahndungsinstrument dar, das auf dem jeweiligen innerstaatlichen Strafverfolgungsrecht beruht und dessen Anwendung wie Vollstreckung nach Maßgabe des anwendbaren innerstaatlichen Rechts erfolgt. Durch den Europäischen Haftbefehl werden ausweislich der Erwägungsgründe (1), (5) und (11) des Rahmenbeschlusses alle bisher geltenden Verfahren und Instrumente des Auslieferungsrechts zwischen den Mitgliedstaaten ersetzt, deren Komplexität und Verzögerungsrisiken nach Ansicht des Rates für ein vereinfachtes Verfahren sprachen. Davon betroffen sind die Regelungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. 12. 1957, seine Zusatzprotokolle vom 15. 10. 1975 und 17. 03. 1978, das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. 01. 197745, das Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der EU vom 10. 03. 1995 und das Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU vom 27. 09. 1996.46 Dieser „gewaltige Schritt“47 wird durch eine veränderte Terminologie unterstrichen, nach der das im klassischen Auslieferungsrecht gebräuchliche Begriffspaar „ersuchender Staat“ und „ersuchter Staat“ durch „Ausstellungsstaat“ und „Vollstreckungsstaat“ ersetzt wird, zwischen denen nunmehr eine „Übergabe gesuchter Personen“ und keine „Auslieferung“ mehr erfolgt. Das Übergabeverfahren soll ausschließlich zwischen den beteiligten Justizbehörden ablaufen, wodurch die das herkömmliche Auslieferungsverfahren kennzeichnende abschließende, politisch geprägte Bewilligung eines Ersuchens durch die jeweilige Regierung abgeschafft wird.48 Damit wird allerdings nicht der zwischenstaatliche Charakter einer Übergabe negiert. Durch den Rahmenbeschluss wurde vielmehr eine meist gerichtlich nicht kontrollierbare politische Entscheidung in ein justizförmiges Verfahren BGBl. II (1964), 1369; (1990), 118; (1991), 874; (1978), 321. ABl. EG 1995 Nr. C 78, 1; 1996 Nr. C 313, 11. 47 So H. Satzger, in: R. Streinz, EUV / EGV-Kommentar, 2003, Art. 31 EUV, Rn. 8; vgl. auch B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Auflage 2007, § 12, Rn. 33; M. Plachta, European Arrest Warrant: Revolution in Extradition?, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 11 (2003), S. 178 (179 ff.). 48 Vgl. D. Rohlff, Der Europäische Haftbefehl (Diss. Regensburg 2003), S. 42 ff.; vgl. zur Begriffswahl auch M. Plachta (Anm. 47), S. 190 ff.; zu den Besonderheiten des deutschen Umsetzungsrechts K. H. Böhm, Das Europäische Haftbefehlsgesetz und seine rechtsstaatlichen Mängel, NJW 2005, S. 2588 ff.; ders., Das neue Europäische Haftbefehlsgesetz, NJW 2006, S. 2592 ff.; zur ersten Fassung auch H. Seitz, Das Europäische Haftbefehlsgesetz, NStZ 2004, S. 546 (547). 45 46

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überführt. Ob Rechtshilfe geleistet wird, unterliegt aber grundsätzlich weiterhin der freien Entscheidung der Mitgliedstaaten.49

a) Die Grundsätze des Übergabeverfahrens von Personen Das klassische Auslieferungsrecht ist geprägt durch den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, nach dem die Auslieferung einer gesuchten Person nur erfolgt, wenn die Handlung in beiden beteiligten Staaten eine Straftat darstellt.50 Das Spezialitätsprinzip begrenzt die Strafverfolgung auf die Taten, deretwegen die Auslieferung erfolgte.51 Schließlich ist nach dem Grundsatz ne bis in idem in der Europäischen Union die doppelte Bestrafung einer Person ausgeschlossen.52 Prinzipiell wurden diese Grundsätze auch im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl beibehalten. Gem. Art. 2 IV, 4 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses kann die Übergabe grundsätzlich davon abhängig gemacht werden, dass die betreffende Handlung auch nach dem Recht des Vollstreckungsstaates strafbar ist, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen und der Bezeichnung der Straftat. Art. 27 II schreibt das Spezialitätsprinzip fest. Das Verbot der Doppelbestrafung gilt gem. Art. 3 Nr. 2 für den Fall, dass die gesuchte Person wegen der fraglichen Handlung bereits in einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt und die Sanktion vollstreckt worden ist oder sie gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. Darüber hinaus kann die Vollstreckungsbehörde die Übergabe gem. Art. 4 Nr. 2 ablehnen, wenn die betroffene Person bereits wegen derselben Tat im Vollstreckungsstaat strafrechtlich verfolgt wird oder gem. Art. 4 Nr. 3, wenn die Justizbehörden des Vollstreckungsstaates beschlossen haben, wegen der fraglichen Handlung kein Verfahren einzuleiten oder das Verfahren eingestellt wurde. Dies gilt auch für den Fall einer rechtskräftigen Entscheidung, die einer weiteren Strafverfolgung entgegensteht. Schließlich kann die Übergabe abgelehnt werden, wenn der Vollstreckungsbehörde Informationen darüber vorliegen, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung bereits in einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt und die Strafe vollstreckt wurde, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Drittstaats nicht mehr vollstreckt werden kann (Art. 4 Nr. 5). H. A. Wolff, Die verfassungsrechtlichen Auslieferungsverbote, StV 2004, S. 154 (157). W. Schomburg / O. Lagodny / S. Gleß / T. Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 64. 51 W. Schomburg / O. Lagodny / S. Gleß / T. Hackner, ebd., Rn. 74. 52 Zur Bedeutung des Grundsatzes im europäischen Auslieferungsrecht E. v. Bubnoff, Schwerpunkte strafrechtlicher Harmonisierung in Europa unter Berücksichtigung der Orientierungsvorgaben aus der Grundrechtscharta 2000, ZEuS 2001, S. 165 (174); G. Dannecker, Die Garantie des Grundsatzes „ne bis in idem“ in Europa, in: H. J. Hirsch / J. Wolter / U. Brauns, Festschrift für Günter Kohlmann, 2003, S. 593 ff.; B. Hecker (Anm. 47), § 13; D. Rohlff (Anm. 48), S. 116 ff. 49 50

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Neben diesen fakultativen Ablehnungsgründen sieht Art. 3 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses die Ablehnung einer Übergabe zwingend vor, wenn die Tat im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und der Vollstreckungsstaat selbst für die Strafverfolgung zuständig war. Eine Übergabe ist ferner abzulehnen, wenn die Person aufgrund ihre Alters nach dem Recht des Vollstreckungsstaates für ihre Tat strafrechtlich nicht belangt werden darf (Art. 3 Nr. 3). Darüber hinaus kann die Übergabe abgelehnt werden, wenn im Falle eigener Gerichtsbarkeit des Vollstreckungsstaates Verjährung eingetreten ist (Art. 4 Nr. 4), sich der Vollstreckungsstaat verpflichtet, die Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel gegen eigene Staatsangehörige oder Personen, die ihren Wohnsitz im Vollstreckungsstaat haben, selbst zu vollstrecken (Art. 4 Nr. 6) oder wenn die strafbare Handlung nach dessen Vorschriften ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaates oder einem gleichgestellten Ort begangen wurde (Art. 4 Nr. 7a) bzw. die Handlung außerhalb des Hoheitsgebietes des Ausstellungsstaates begangen wurde und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaates in einem vergleichbaren Fall eine Strafverfolgung nicht zuließen (Art. 4 Nr. 7b). Im Falle terroristischer Straftaten galt bereits gem. Art. 1, 2 des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus von 1977 das Vorliegen einer sog. politischen Tat nicht mehr als Ablehnungsgrund für eine Auslieferung. In Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen wurde diese Regelung auf Völkerrechtsstraftaten ausgeweitet. Durch das Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU von 1996 wurde das Auslieferungshindernis der politisch motivierten Tat schließlich grundsätzlich abgeschafft, so dass auch der Rahmenbeschluss folgerichtig keinen entsprechenden Ablehnungsgrund enthält. Aus Art. 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses ergibt sich, dass auch eigene Staatsangehörige in der Regel an andere Mitgliedstaaten zu übergeben sind, wenngleich ihre Rücküberstellung zur Verbüßung der Strafe oder Sicherungsmaßregel zur Übergabevoraussetzung gemacht werden kann. Innerhalb der Europäischen Union wird damit eine weltweit durchaus verbreitete Praxis aufgegeben, nach der eigene Staatsangehörige zumindest nicht gegen ihren Willen einer fremden Staatsmacht ausgeliefert werden.53 Gem. Art. 17 I des Rahmenbeschlusses wird ein Europäischer Haftbefehl als Eilsache behandelt. Stimmt die betroffene Person ihrer Übergabe zu, so erfolgt diese bereits innerhalb von zehn Tagen (Art. 17 II), andernfalls wird innerhalb von 60 Tagen eine endgültige Entscheidung getroffen (Art. 17 III), die spätestens nach zehn Tagen vollstreckt wird (Art. 23 II). Führen Umstände, die nicht in der Hand der Mitgliedstaaten liegen, zu einer Verzögerung, haben sich die beteiligten Justizbehörden unverzüglich auf einen neuen Übergabetermin zu verständigen und spätestens zehn Tage nach diesem Termin die Übergabe vorzunehmen (Art. 23 III). 53

Vgl. C. Rinio, Die Auslieferung eigener Staatsangehöriger, ZStW 108 (1996), S. 354 ff.

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Sprechen schwerwiegende humanitäre Gründe gegen eine Übergabe, kann diese solange ausgesetzt werden bis diese Gründe entfallen sind. Danach ist unverzüglich ein neuer Termin zu vereinbaren und spätestens nach zehn Tagen hat die Übergabe zu erfolgen (Art. 23 IV). Die betroffene Person hat nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsstaates Anspruch auf Unterrichtung über das Bestehen eines Europäischen Haftbefehls und die Möglichkeit der Übergabe (Art. 11 I) sowie auf einen Rechtsbeistand und einen Dolmetscher (Art. 11 II). Die direkte Zusammenarbeit der beteiligten Justizbehörden soll durch die europäischen Institutionen unterstützt werden. Die jeweils zuständige Behörde ist etwa mit Hilfe der Kontaktstellen des Europäischen Justiziellen Netzes zu ermitteln (Art. 10 I). Zur Ermittlung des Aufenthaltsortes einer gesuchten Person kann auf das Schengener Informationssystem zurückgegriffen werden (Art. 9 II). Eurojust nimmt entsprechend Art. 31 II EUV eine koordinierende Rolle ein, indem etwa im Falle von Mehrfachersuchen oder Fristversäumnissen aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine Stellungnahme abgegeben wird (Art. 16 II bzw. 17 VII).

b) Die Vereinfachungen durch Ausnahmeregelungen des Rahmenbeschlusses Insbesondere der Verzicht auf das politische Bewilligungsverfahren und die gewonnene Übersichtlichkeit der Rechtslage dürften den Übergabeverkehr gesuchter Personen vereinfachen. Das prinzipielle Festhalten an den Grundsätzen des klassischen Auslieferungsrechts wirft allerdings die Frage nach der tatsächlichen Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens auf.54 Besondere Aufmerksamkeit verdienen deshalb gewichtige Ausnahmeregelungen, die denn auch Gegenstand der politisch-rechtswissenschaftlichen Kontroverse sind. Eine der insoweit wesentlichen Vorschriften des Rahmenbeschlusses ist der Katalog von 32 einzelnen Delikten bzw. Deliktsgruppen in Art. 2 II des Rahmenbeschlusses, bei denen die Vollstreckung eines entsprechenden Haftbefehls ohne Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt, wenn die betreffende Straftat im Recht des Ausstellungsstaates mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist. Insoweit drängen die Regeln des Europäischen Haftbefehls das klassische Auslieferungsrecht deutlich zurück. Dieser Katalog umfasst zunächst die auch in Art. 29 II EUV genannten Kriminalitätsbereiche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie, illegalen Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen, mit Waffen, Munition und Spreng54

(51).

Vgl. W. von Heintschel-Heinegg / D. Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, GA 2003, S. 44

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stoffen sowie Korruption. Darüber hinaus werden in 25 weiteren Spiegelstrichen Delikte und Delitksgruppen aufgeführt, die recht unterschiedliche Kriminalitätsbereiche betreffen. In Reaktion auf den freien Warenverkehr im Binnenmarkt werden illegaler Handel mit bedrohten Tier-, Pflanzen- und Baumarten, mit Organen und menschlichem Gewebe, mit Kulturgütern, Antiquitäten und Kunstgegenständen, mit Hormonen und Wachstumsförderern, mit nuklearen und radioaktiven Substanzen sowie der Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen aufgenommen, ferner Nachahmung und Produktpiraterie sowie die Fälschung von Zahlungsmitteln, amtlichen Dokumenten und der Handel mit ihnen. Weiter umfasst der Katalog klassische Straftatbestände wie Betrug / Betrugsdelikte, Erpressung und schweren Diebstahl, aber auch vorsätzliche Tötung, Geiselnahme, Brandstiftung, Vergewaltigung sowie Flugzeug- und Schiffsentführung, Geldwäsche, Wäsche von Erträgen aus Straftaten, die Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt. Schließlich sind die Völkerrechtsstraftaten zu finden und die recht unbestimmten Kriminalitätsbereiche Umwelt- und Cyberkriminalität, Sabotage sowie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Dieser Katalog kann gem. Art. 2 III vom Rat der Europäischen Union einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments um weitere Delikte ergänzt werden. Eine solche Erweiterung kann und soll insbesondere durch den in Art. 34 III des Rahmenbeschlusses vorgesehenen Bericht der Europäischen Kommission initiiert werden. Darüber hinaus eröffnet der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Wirkung des Spezialitätsprinzips einzuschränken. Durch Mitteilung an das Generalsekretariat des Rates können die Mitgliedstaaten gem. Art. 27 I des Rahmenbeschlusses bewirken, dass ihre Zustimmung zu einer weitergehenden Strafverfolgung vorausgesetzt wird, es sei denn die Justizbehörde gibt im Einzelfall eine anderslautende Erklärung ab oder diese Mitteilung liegt nur von einem der beteiligten Staaten vor. Ferner findet der Spezialitätsgrundsatz keine Anwendung, wenn die betroffene Person das Hoheitsgebiet des Ausstellungsstaates nach ihrer endgültigen Freilassung nicht binnen 45 Tagen verlassen hat oder dorthin zurückgekehrt ist (Art. 27 III a) oder die Tat nicht mit Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht ist (Art. 27 III b) oder die Strafverfolgung nicht zu Maßnahmen führt, die die persönliche Freiheit der Person beschränken (Art. 27 III c), sondern „nur“ die Vollstreckung von Geldstrafen oder anderen vermögensrechtlichen Maßnahmen gegen die Person vorgenommen wird. Schließlich bleibt der Spezialitätsgrundsatz ohne Beachtung, wenn die betroffene Person ihrer Übergabe zugestimmt und den Verzicht auf den Grundsatz ausdrücklich erklärt hat (Art. 13) oder die vollstreckende Justizbehörde gem. Art. 27 IV ausdrücklich einer weitergehenden Strafverfolgung zugestimmt hat.

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2. Die Sicherstellung von Vermögensgegenständen und Beweismitteln Dem Vorbild des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl folgt der Rahmenbeschluss über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln. Zweck des Rahmenbeschlusses ist laut Art. 1 die Festlegung von Vorschriften, nach denen ein Mitgliedstaat (= Vollstreckungsstaat) eine Sicherstellungsentscheidung in seinem Hoheitsgebiet anerkennt und vollstreckt, die von der Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats (= Entscheidungsstaat) im Rahmen eines Strafverfahrens erlassen wurde. Eine Sicherstellungsentscheidung ist dabei jede von einer zuständigen Justizbehörde des Entscheidungsstaates getroffene Maßnahme, mit der vorläufig jede Vernichtung, Veränderung, Verbringung, Übertragung oder Veräußerung von Vermögensgegenständen verhindert werden soll, deren Einziehung angeordnet werden könnte oder die ein Beweismittel darstellen könnten (Art. 2 c). Beweismittel sind Sachen, Schriftstücke oder Daten, die als beweiserhebliche Gegenstände in einem Strafverfahren wegen einer Handlung nach Art. 3 des Rahmenbeschlusses dienen könnten (Art. 2 e). Art. 3 II und IV entsprechen den Regelungen der Art. 2 II und IV des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl. Danach erfolgt bei den aufgeführten Katalogtaten keine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit, während ansonsten die Anerkennung und Vollstreckung einer Sicherstellungsentscheidung vom Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit abhängig gemacht werden kann. Die zuständigen Justizbehörden sind verpflichtet, übermittelte Sicherstellungsentscheidungen ohne weitere Formalität anzuerkennen und die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten (Art. 5 I), es sei denn, es liegen Versagungsgründe nach Art. 7 vor. Die Vollstreckung unterbleibt danach, wenn die notwendige Bescheinigung nach Art. 9 nicht vorliegt, unvollständig ist oder der Sicherstellungsentscheidung offensichtlich widerspricht (Art. 7 I a), nach dem Recht des Vollstreckungsstaates Befreiungen oder Vorrechte bestehen (Art. 7 I b), ein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem erfolgen würde (Art. 7 I c) oder im Falle einer Tat, die nicht im Katalog des Art. 3 II enthalten ist, die beiderseitige Strafbarkeit nicht besteht (Art. 7 I d). Darüber hinaus enthält der Rahmenbeschluss Vorschriften zur Übermittlung von Sicherstellungsentscheidungen (Art. 4), der Dauer der Sicherstellung (Art. 6), Gründe für den Aufschub einer Vollstreckung (Art. 8), die weitere Behandlung des sichergestellten Gegenstands (Art. 10) und eine Erstattungsregelung für etwaige Schäden (Art. 12). Schließlich ist gem. Art. 11 I zu gewährleisten, dass alle betroffenen Parteien sowie gutgläubige Dritte gegen eine Sicherstellung vor einem Gericht des Entscheidungsstaates oder des Vollstreckungsstaates nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften einen Rechtsbehelf zur Wahrung ihrer berechtigten Interessen einlegen können. Dieser Rechtsbehelf soll allerdings keine aufschiebende Wirkung besitzen. Die Sachgründe für den Erlass einer Sicherstellungsentscheidung sollen

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nur durch Klage vor einem Gericht des Entscheidungsstaates angefochten werden können (Art. 11 II). Wird die Klage im Vollstreckungsstaat erhoben, so wird die Justizbehörde des Entscheidungsstaates davon unterrichtet, damit sie die aus ihrer Sicht wesentlichen Argumente vorbringen kann. Die Mitgliedstaaten haben ferner dafür Sorge zu tragen, dass betroffene Personen angemessen informiert werden, die Ausübung ihres Klagerechts aus Art. 11 I erleichtert wird (Art. 11 IV) und Fristen für die Klageerhebung gelten, die eine wirksame Ausübung des Klagerechts gewährleisten (Art. 11 V).

3. Die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen Auch der Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen fußt auf den bereits dargestellten Prinzipien. Von den Regelungen des Rahmenbeschlusses sind gem. Art. 1 Entscheidungen von Gerichten und nichtgerichtlichen Behörden umfasst, die Straftaten und andere Verstöße einer natürlichen oder juristischen Person gegen innerstaatliches Recht mit der Verpflichtung zu einer Geldzahlung ahnden. Davon umfasst sind auch Entschädigungszahlungen an Opfer, die keine zivilrechtlichen Ansprüche abgelten, Gerichts- und Verwaltungskosten sowie festgesetzte Zahlungen an eine öffentliche Kasse oder Opferorganisationen. Grundsätzlich gilt das Vollstreckungsrecht des Vollstreckungsstaates (Art. 9). Geldstrafen und Geldbußen gegen juristische Personen werden allerdings auch vollstreckt, wenn die strafrechtliche Verantwortung juristischer Personen im Vollstreckungsstaat nicht anerkannt ist (Art. 9 III). Die gegenseitige Anerkennung kann grundsätzlich gem. Art. 5 III von der beiderseitigen Strafbarkeit abhängig gemacht werden. Art. 5 I enthält wiederum den Verzicht auf die Prüfung beiderseitiger Strafbarkeit für die bereits bekannten Katalogtaten, ergänzt um sieben weitere Delikte bzw. Deliktsgruppen. Diese Ergänzung, die sich auch im Vorschlag der Kommission über die Europäische Beweisordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren in Art. 16 Nr. 2 wiederfindet, trägt erkennbar aktuellen Problemanzeigen Rechnung bzw. dient der Abrundung des Katalogs. So werden neben den klassischen Tatbeständen Diebstahl und Sachbeschädigung, die binnenmarktspezifischen Bereiche Warenschmuggel und Verletzung von Rechten an geistigem Eigentum aufgenommen, sowie Verhaltensweisen, die gegen Straßenverkehrsvorschriften verstoßen, einschließlich der Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten sowie des Gefahrgutrechts, die Bedrohung von Personen und Gewalttaten gegen sie, einschließlich Gewalttätigkeiten bei Sportveranstaltungen, sowie Straftatbestände, die vom Entscheidungsstaat festgelegt wurden und durch Verpflichtungen abgedeckt sind, die sich aus EG-Rechtsakten oder solchen auf der Basis des Titels VI EUV (der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen) ergeben. Die Versagungsgründe einer Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen entsprechen den bereits dargestellten (Art. 6, 7). Darüber hinaus sieht Art. 7 II

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lit. g des Rahmenbeschlusses die Ablehnung einer Vollstreckung vor, wenn im Falle eines schriftlichen Verfahrens keine Rechtsmittelbelehrung erfolgte (i) oder die betreffende Person nicht persönlich erschienen ist, es sei denn sie wurde selbst oder über einen Vertreter über das Verfahren unterrichtet oder hat auf eine Anfechtung der Entscheidung verzichtet (ii). Schließlich gibt es gem. Art. 7 II lit. h eine Bagatellgrenze von 70 Euro. Unterfällt die Handlung (auch) den Vorschriften des Vollstreckungsstaates kann er die Höhe des zu zahlenden Betrages auf das innerstaatliche Höchstmaß für entsprechende Verstöße verringern (Art. 8). Nach den Vorschriften des Vollstreckungsstaates kann eine Ersatzstrafe, die auch in einer Ersatzfreiheitsstrafe bestehen kann, angeordnet werden. Ihr Höchstmaß kann der Entscheidungsstaat in der Übermittlungsbescheinigung begrenzen (Art. 10). Darüber hinaus enthält der Rahmenbeschluss Vorschriften über die Benennung der zuständigen Behörden (Art. 2), die Übermittlung von Entscheidungen (Art. 3), Amnestie, Begnadigung, Wiederaufnahme (Art. 11), Beendigung der Vollstreckung (Art. 12), Erlös (Art. 13), Unterrichtungspflichten des Vollstreckungsstaates (Art. 14), die Zuständigkeitsverteilung zwischen Entscheidungs- und Vollstreckungsstaat (Art. 15), Sprachen (Art. 16), Kosten (Art. 17), das Verhältnis zu anderen Übereinkünften (Art. 18) und seine Umsetzung (Art. 20).

4. Die gegenseitige Anerkennung von Einziehungsentscheidungen Der Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen beruht ausweislich seines Erwägungsgrundes (2) auf der in Tampere formulierten Erkenntnis des Rates, dass Geldwäsche das Herzstück der Organisierten Kriminaliät sei und konkrete Schritte der Europäischen Union erforderlich seien, um die Erträge aus Straftaten ermitteln, einfrieren, beschlagnahmen und einziehen zu können. Auch im Bereich des Terrorismus sind die Finanzströme internationaler Terrororganisationen ein wesentlicher Ansatzpunkt, um deren Strukturen wirkungsvoll und nachhaltig zu zerstören. Zweck des Rahmenbeschlusses ist es, die Regeln festzulegen, nach denen ein Mitgliedstaat eine von einem in Strafsachen zuständigen Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassene Einziehungsentscheidung anerkennt und in seinem Hoheitsgebiet vollstreckt (Art. 1 I). Als Einziehungsentscheidung wird insoweit eine Strafe oder Maßnahme definiert, die von einem Gericht im Anschluss an ein Verfahren verhängt wird und die zum endgültigen Entzug von Vermögensgegenständen führt. Dem Rahmenbeschluss liegt dabei ein weites Verständnis der Begriffe „Vermögensgegenstand“, „Ertrag einer Straftat“ und „Tatwerkzeug“ zugrunde (Art. 2), die von einer Einziehungsentscheidung betroffen sein können. Auch dieser Rahmenbeschluss sieht die direkte Zusammenarbeit der jeweils zuständigen Behörden vor. Einziehungsentscheidungen sind gem. Art. 4 I und Art. 5 an die jeweilige Behörde eines oder mehrerer sog. Vollstreckungsstaaten zu über-

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mitteln, wenn die zuständige Behörde des sog. Entscheidungsstaates berechtigten Grund zu der Annahme hat, dass die betreffende natürliche oder juristische Person, gegen die die Einziehungsentscheidung ergangen ist, im jeweiligen Vollstreckungsstaat über Vermögen verfügt oder Einkommen bezieht. Die zuständige Vollstreckungsbehörde erkennt die Einziehungsentscheidung ohne weitere Formalitäten an und trifft unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen (Art. 7 I). Maßgebend für die Vollstreckungshandlungen ist dabei das Recht des Vollstreckungsstaates (Art. 12). Die zuständige Behörde eines Vollstreckungsstaates kann allerdings nach dem schon bekannten Muster die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung ablehnen. Dies ist dann der Fall, wenn die notwendigen Bescheinigungen nicht ordnungsgemäß vorliegen (Art. 8 I), die Vollstreckung gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen würde (Art. 8 II lit. a), Immunitäten oder Vorrechte (lit. c) oder entgegenstehende Rechte Betroffener einschließlich gutgläubiger Dritter verletzt würden (lit. d), die Einziehungsentscheidung in Abwesenheit der betreffenden Person ergangen ist, es sei denn diese war ordnungsgemäß über das Verfahren unterrichtet oder hat Rechtsmittelverzicht erklärt (lit. e), die Einziehungsentscheidung wegen Straftaten ergangen ist, die nach dem Recht des Vollstreckungsstaats ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichwertigen Ort begangen worden sind oder außerhalb des Hoheitsgebiets des Entscheidungsstaats begangen wurden und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaates in einem solchen Fall eine Verfolgung nicht zulassen würden (lit. f), besondere Einziehungstatbestände vorliegen (lit. g) oder die Vollstreckung im Falle eigener Gerichtsbarkeit für die zugrunde liegenden Handlungen wegen der im Vollstreckungsstaat geltenden Verjährungsfristen ausgeschlossen ist (lit. h). Darüber hinaus enthält auch dieser Rahmenbeschluss den schon aus dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bekannten Katalog derjenigen Delikte und Deliktsfelder, bei deren Vorliegen eine Einziehungsentscheidung auch ohne Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit anerkannt und vollstreckt wird (Art. 6 I). In allen anderen Fällen kann die Anerkennung und Vollstreckung dagegen vom Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit abhängig gemacht (Art. 6 III) und ggf. versagt werden (Art. 8 II lit. b). Schließlich verpflichtet auch dieser Rahmenbeschluss die Mitgliedstaaten, allen betroffenen Parteien einen Rechtsbehelf gegen die Anerkennung und Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung einzuräumen (Art. 9 I). Die Sachgründe für den Erlass einer Einziehungsentscheidung sollen im Vollstreckungsstaat allerdings nicht angefochten werden können (Art. 9 II). Weitere Regelungen des Rahmenbeschlusses betreffen den Aufschub der Vollstreckung (Art. 10), mehrfache Einziehungsentscheidungen (Art. 11), Amnestie, Gnadenerlass sowie die Überprüfung der Einziehungsentscheidung (Art. 13), weitere Folgen der Übermittlung (Art. 14), die Beendigung der Vollstreckung (Art. 15), die Verfügungsmacht über eingezogene Vermögensgegenstände (Art. 16)

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und Unterrichtungspflichten der Vollstreckungsbehörden (Art. 17). Abschließend folgen die entsprechenden Regelungen zur Erstattung (Art. 18), zum Sprachenregime (Art. 19), zu den Kosten (Art. 20) sowie zum Verhältnis zu anderen Übereinkünften (Art. 21), der Umsetzung des Rahmenbeschlusses (Art. 22) und seinem Inkrafttreten (Art. 23).

5. Die rechtsstaatlichen Grenzen der gegenseitigen Anerkennung Maßgeblich für diese Form unionsweiter Kooperation bei der Strafverfolgung sind die rechtsstaatlichen Grenzen, die der Integration dieses grundrechtlich hoch sensiblen Bereichs gesetzt sind. Art. 1 III des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl betont deshalb die Pflicht, die Grundrechte und allgemeinen Rechtsgrundsätze zu achten, wie sie sich aus Art. 6 EUV ergeben.

a) Die Gefahr einer unionsweiten Verschärfung des Strafrechts Einer der wesentlichen Kritikpunkte am Regelungssystem der Rahmenbeschlüsse ist der Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit für die genannten Katalogtaten. Dabei ist die Befürchtung, durch die gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze, setze sich so innerhalb der Europäischen Union die jeweils strengste Strafrechtsordnung durch, von besonderer Bedeutung.55

aa) Der Geltungsanspruch bürgerlicher Freiheiten Ausgangspunkt muss die Feststellung sein, dass der Entscheidung eines Staates, eine bestimmte Handlung unter Strafe zu stellen, grundsätzlich der gleiche Stellenwert zukommt, wie der Entscheidung eines anderen Staates, dieselbe Handlung als Ausdruck bürgerlicher Freiheit anzusehen und deshalb nicht als Straftat zu definieren. Das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit schützt im klassischen Auslieferungsrecht die Straflosigkeit letzterer Handlungen. Das Bedürfnis effektiver Strafverfolgung kann dieser Regelung auch nicht grundsätzlich entgegengehalten werden, handelt es sich doch bei der betreffenden Handlung nach Auffassung des einen Staates eben nicht um eine strafwürdige Handlung, deren effektive Verfolgung durch staatenübergreifende Zusammenarbeit sichergestellt werden müsste.56 55 Vgl. H. Fuchs, Europäischer Haftbefehl und Staaten-Souveränität, JBl. 2003, S. 405 (408); B. Schünemann, Fortschritte und Fehltritte in der Strafrechtspflege der EU, GA 2004, S. 193 (202); ders., Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 185 (188). 56 So zu Recht B. Schünemann, GA 2004 (Anm. 55), S. 203.

I. Gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze und Rechtsakte

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Betrifft nun eine justizielle Maßnahme eine Handlung, die in einem Staat als Katalogtat angesehen wird, in einem anderen Staat aber straffrei ist, wird diese Schutzvorkehrung durch den Verzicht auf die Prüfung beiderseitiger Strafbarkeit aufgehoben. Vorstellbar erscheint eine solche Konstellation vor allem in vage formulierten Deliktsgruppen wie Cyber- und Umweltkriminalität, für die in den 27 Mitgliedstaaten erheblich divergierende Strafnormen existieren können. Als problematisch erscheint auf den ersten Blick auch der Fall, in dem eine Handlung zwar in beiden betroffenen Staaten strafbar ist, jedoch nur in einem als Katalogtat angesehen wird. Als eher polemisches Beispiel wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit es sinnvoll erscheine, dass ein Deutscher, der im Kölner Karneval einer Holländerin einen Zungenkuss aufnötige, an die Niederlande übergeben werde, da es sich nach niederländischer Rechtsprechung bei dieser Handlung um eine vollendete Vergewaltigung handele.57 Das Beispiel illustriert zwar zutreffend die Weite des Straftatenkatalogs, doch bleibt dabei außer Acht, dass der Täter gem. § 177 I StGB (Sexuelle Nötigung) auch deutschem Strafrecht unterliegt und insofern je nach Verlauf die Ablehnungsgründe des Art. 4 Nr. 2 bzw. Nr. 3 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl einschlägig wären. Eine weitere Problemkonstellation stellen die sog. Inlandsdistanzdelikte dar, bei denen Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen. Praxisrelevant dürfte dies wiederum vor allem im Bereich der Umwelt- und Cyberkriminalität sein. Gerade die jüngere Rechtsprechung des BGH58 hat in Anwendung der §§ 3, 9 I Alt. 3 StGB zu einem sehr weit gefassten deutschen Strafanspruch geführt. Danach ist ein Ausländer, der auf einem ausländischen Server Inhalte einem deutschen Internetuser zugänglich macht, nach deutschem Recht strafbar, wenn dadurch der zu einem Tatbestand wie Volksverhetzung (§ 130 I StGB) oder Holocaustleugnung (als besonderer Ausprägung der Volksverhetzung, § 130 III StGB) gehörende Erfolg in Deutschland eintritt. Rechtspolitisch mag diese Entscheidung im konkreten Fall noch wünschenswert erscheinen, mit Blick auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ist sie jedoch problematisch, führt sie doch letztlich zu einem Export nationaler oder regionaler Werturteile, die etwa mit Hilfe eines Europäischen Haftbefehls auch unionsweit durchgesetzt werden könnten.59 Die Einschränkung des Art. 2 II des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, nach der die Tat im Ausstellungsstaat im Höchstmaß mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein muss, wird sich in der Regel kaum auswir57 Vgl. die Berichterstattung über die mündliche Verhandlung des BVerfG von R. Müller, Ein naheliegendes Instrument?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 14. 04. 2005, S. 4. 58 BGHSt 46, 212. 59 Vgl. zur Kritik der Entscheidung A. Koch, Nationales Strafrecht und globale Internetkriminalität, GA 2002, S. 703 (707 f.) m. w. N.; den BGH unterstützend dagegen B. Hecker, Die Strafbarkeit grenzüberschreitender Luftverunreinigungen im deutschen und europäischen Umweltstrafrecht, ZStW 115 (2003), S. 880 (888); T. Hörnle, Die Verbreitung der Auschwitzlüge im Internet, NStZ 2001, S. 309 f.; vgl. im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl H. Fuchs (Anm. 55), S. 407 f.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

ken, dürfte doch bei den meisten Delikten diese Voraussetzung erfüllt sein, wie der Blick auf die Tatbestände Betrug (§ 263 StGB), Gewässerverunreinigung (§ 324 I StGB), Geldfälschung in minder schweren Fällen (§ 146 I, III StGB) oder Brandstiftung in minder schweren Fällen (§ 306 I, III StGB) zeigt, für die im Höchstmaß eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen ist. Als wirklich problematisch erweisen sich in diesem Zusammenhang jedoch vor allem die verschiedenen Anknüpfungspunkte für die Begründung eines nationalen Strafanspruchs. In Konkurrenz treten die deutsche und die niederländische Strafrechtsordnung im genannten Beispiel aufgrund des passiven Personalitätsprinzips, das den niederländischen Strafanspruch begründen würde. Umgekehrt ließe sich ein Delikt denken, das im Vollstreckungsstaat verübt wurde, dessen Täter aber auf der Basis des aktiven Personalitätsprinzips an seinen Heimatstaat übergeben werden soll, um dessen Strafanspruch unterworfen zu werden. Auch der weite Anwendungsbereich des Territorialitätsprinzips in der Auslegung des BGH ist bedenklich. Durch den Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit als Übergabevoraussetzung wird das weite Strafanwendungsrecht der Mitgliedstaaten in seiner Wirkung noch verstärkt. Im Zusammenspiel weit gefasster nationaler Strafansprüche besteht in Anwendung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung unter Verzicht auf den Grundsatz beiderseitiger Strafbarkeit daher im Einzelfall in der Tat die Möglichkeit, dass sich das strengere Strafrecht durchsetzt. Reformbedürftig erscheint aber vor allem das Strafanwendungsrecht der Mitgliedstaaten. Innerhalb eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bedürfte es der unionsweiten Festlegung auf ein Prinzip zur Ermittlung der jeweils anwendbaren Rechtsordnung. Die Lösung der skizzierten Problemkonstellationen sollte mit Blick auf schwere Straftaten wie Terrorismus dagegen nicht in einer Reduzierung kooperativer Strafverfolgung und der Aufrechterhaltung von Modellen gesucht werden, die vor allem eigene Staatsangehörige vor einer Übergabe bewahren sollen. Vorzugswürdig dürfte daher die unionsweite Geltung des Tatortprinzips als Anknüpfungspunkt sein, stellt doch die den Tatbestand erfüllende Handlung oder Unterlassung den entscheidenden Verstoß gegen die das gesellschaftliche Leben regelnde Strafnorm dar, wenngleich erst der zum Tatbestand gehörende Erfolg zur eigentlichen Störung des Rechtsfriedens führt.60

60 So auch K. Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 12, Rn. 66; M. Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, S. 359 (361); F. Rüter, Harmonie statt Dissonanz, ZStW 105 (1993), S. 30 (46); J. Vogel, Stand und Tendenzen der Harmonisierung des materiellen Strafrechts in der Europäischen Union, in: F. Zieschang / E. Hilgendorf / K. Laubenthal, Strafrecht und Kriminalität in Europa, 2003, S. 29 (53).

I. Gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze und Rechtsakte

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bb) Einstellungsentscheidungen als Ablehnungsgrund einer Übergabe Einen weiteren Problemkreis stellt die Wirkung staatsanwaltschaftlicher und gerichtlicher Einstellung eines Verfahrens dar. So können nationale Rechtsvorschriften nach Maßgabe des Art. 4 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses die vollstreckende Justizbehörde zwar ermächtigen, die Übergabe einer Person abzulehnen, wenn eine solche Entscheidung vorliegt, doch erweist sich die nicht voll umfängliche Bestandskraft solcher Einstellungsverfügungen als Einfallstor für eine neuerliche Strafverfolgung auf der Basis eines Europäischen Haftbefehls. So führt etwa die Einstellung eines Verfahrens aufgrund mangelnden Tatverdachts gem. § 170 II StPO nicht zu einem Strafklageverbrauch. Vielmehr kann das Verfahren jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn Anlass dazu besteht. Ein Vertrauensschutz besteht insoweit nämlich nicht.61 Ein solcher Anlass könnte ein Europäischer Haftbefehl sein, der dann zu erneuter Strafverfolgung führen kann, obwohl der Betroffene nach der ursprünglichen Entscheidung der deutschen Behörden nicht hinreichend tatverdächtig war. Auch die Einstellung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO führt nur zu einem beschränkten Strafklageverbrauch. Eine entsprechende Verfügung der Staatsanwaltschaft kann auch bei richterlicher Zustimmung zurückgenommen werden.62 Bei Einstellung durch das Gericht bleibt eine neue Strafverfolgung möglich, wenn sich herausstellt, dass ein Verbrechen vorliegt.63 Inwieweit neue Tatsachen oder Beweismittel für eine neuerliche Strafverfolgung ausreichen, ist gegenwärtig umstritten.64 Ebenfalls nur beschränkten Strafklageverbrauch erzeugt die Einstellung nach Erfüllung von Auflagen gem. § 153a StPO.65 Der EuGH hat allerdings jüngst die Einstellung eines Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft gem. § 153a StPO als strafklageverbrauchend im Sinne des Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens angesehen, soweit durch sie die Strafklage nach nationalem Recht dadurch endgültig verbraucht ist und der Entscheidung Ahndungswirkung zukommt.66 61 F. Loos, Probleme der beschränkten Sperrwirkung strafprozessualer Entscheidungen, JZ 1978, S. 592 ff.; L. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 49. Auflage 2006, § 170, Rn. 9. 62 L. Meyer-Goßner (Anm. 61), § 153, Rn. 37; a.A. H. Radtke, Bestandskraft staatsanwaltschaftlicher Einstellungsverfügungen und die Identität des wiederaufgenommenen Verfahrens, NStZ 1999, S. 481 (483). 63 H. Radtke, Anfechtbarkeit richterlicher Beschlüsse im Strafverfahren, JR 2003, S. 127 (129). 64 Vgl. BGHSt 48, 331; zustimmend Kühne, Anmerkung, JZ 2004, S. 743 f. 65 L. Meyer-Goßner (Anm. 61), § 153a, Rn. 45. 66 EuGH, Slg. 2003, verb. Rs. C-385 / 01 und C-187 / 01, Gözütok / Brügge, I-1345; kritisch hierzu M. Böse, Der Grundsatz „ne bis in idem“ in der Europäischen Union, GA 2003, S. 744 ff.; H. Radtke / D. Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europäischen Union, NStZ 2003, S. 281 ff.; J. Vogel / A. B. Norouzi, Europäisches ne bis in idem, JuS 2003,

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

Hingegen erstreckt sich etwa gem. § 154a StPO die rechtskräftige Sachentscheidung eines Gerichts auch auf ausgeschiedene Teile der Tat und Rechtsverletzungen.67 Insoweit läge ein endgültiger Ablehnungsgrund für eine Übergabe vor, sollte mittels eines Europäischen Haftbefehls die Strafverfolgung für gem. § 154a StPO ausgeschiedene Teile einer Tat angestrebt werden. Die genannten Beispiele zeigen, dass bereits nach der nationalen Rechtsordnung für den Betroffenen nur bedingte Rechtsklarheit durch Einstellungsentscheidungen der Staatsanwaltschaft und teilweise auch des Gerichts erzeugt wird. Durch den Europäischen Haftbefehl kann in Verbindung mit dem ggf. weit gefassten Strafanwendungsrechts der Mitgliedstaaten dieser unsichere Zustand eine erhebliche Ausweitung erfahren. Andererseits könnte sich die Befürchtung, die jeweils strengere Rechtsordnung setze sich unionsweit durch, hier auch in das gegenteilige Problem verkehren. Führte eine Einstellungsentscheidung zu weitgehendem Strafklageverbrauch und damit zu einem Ablehnungsgrund, könnte ein berechtigtes Strafverfolgungsinteresse eines Mitgliedstaates an der möglicherweise aus anderen Gründen erfolgten Einstellung eines dieselbe Tat betreffenden Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat scheitern.68

cc) Diskriminierungsverbote Bemerkenswert erscheint darüber hinaus der explizite Hinweis auf Diskriminierungsverbote in den Rahmenbeschlüssen. Über die grundsätzliche Verpflichtung zur Achtung der Grund- und Menschenrechte hinaus, die sich etwa in Art. 1 III des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl findet, wird explizit in Erwägungsgrund (12) auf die in Kapitel VI der Grundrechte-Charta der Union verankerten Rechte verwiesen. Es wird zudem eine Interpretation des Rahmenbeschlusses vorgesehen, nach der die Vollstreckung eines Haftbefehls versagt werden kann, wenn dieser zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache, politischen Überzeugungen oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder die Stellung einer Person aus einem der genannten Gründe beeinträchtigt werden könnte. Der Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen nimmt diese Formulierung in seinem Erwägungsgrund (5) wortgleich auf, im Rahmenbeschluss über Sicherstellungsentscheidungen ist sie in Erwägungsgrund (6) zu finden.

S. 1059; zustimmend dagegen T. Stein, Ein Meilenstein für das europäische „ne bis in idem“, NJW 2003, S. 1162 ff.; bereits vorher O. Lagodny, Auslieferung und Überstellung deutscher Staatsangehöriger, ZRP 2000, S. 175 (176 f.); vgl. hierzu insgesamt auch K. Ambos (Anm. 60), § 12, Rn. 38 ff. 67 L. Meyer-Goßner (Anm. 61), § 154a, Rn. 28. 68 Vgl. B. Schünemann, GA 2004 (Anm. 55), S. 205.

I. Gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze und Rechtsakte

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Diese Diskriminierungsverbote gelten aufgrund von Art. 6 EUV ohnehin bei der Anwendung eines Rahmenbeschlusses und seiner nationalen Umsetzungsakte. Offenbar befürchtet der Rat aber ein Missbrauchspotential des Instrumentariums, dem er mit diesem ausdrücklichen Interpretationshinweis bereits präventiv Einhalt zu gebieten versucht. b) Die hinreichende Berechenbarkeit kooperativer Strafverfolgung Die erörterten Problemkonstellationen weisen auf eine weitergehende Fragestellung hin. Ist für den Einzelnen in einem überstaatlichen Verbundsystem, das durch ein im Zweifel sehr weitreichendes Strafanwendungsrecht in 27 Mitgliedstaaten und den Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit bei 32 (39) Delikten bzw. Deliktsgruppen gekennzeichnet ist, eine Verurteilung noch in hinreichendem Maße berechenbar? Der in Art. 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege kann als eine der wesentlichen Ausprägungen eines Rechtsstaates angesehen werden. Die Europäische Union ist an ihn als allgemeinen Rechtsgrundsatz über Art. 6 II EUV gebunden.69 Darüber hinaus wurde er auch in Art. 49 der Grundrechte-Charta festgeschrieben. Dem Gesetzlichkeitsprinzip, auf das auch noch an anderer Stelle einzugehen sein wird, ist ein Bestimmtheits- und Klarheitsgebot für gesetzliche Straftatbestände zu entnehmen (nullum crimen, nulla poena sine lege certa).70 Dieses Gebot verpflichtet zu hinreichend klar und bestimmt formulierten Gesetzen, aus denen sich die strafbare Handlung und die Strafe eindeutig ergeben. Die Entwicklung klarer Konturen eines Straftatbestandes durch richterliche Auslegung ist dadurch zwar nicht ausgeschlossen, doch muss diese mit dem Wesen des Straftatbestandes vereinbar und für den Betroffenen hinreichend vorhersehbar sein.71 Zwar ist der nulla poena-Grundsatz zunächst an den Gesetzgeber gerichtet, der den materiellen Straftatbestand erlässt, sowie an den rechtsanwendenden Richter, dem Analogien zu Ungunsten des Täters (nullum crimen, nulla poena sine lege stricta) und Gewohnheitsstrafrecht (nullum crimen, nulla poena sine lege scripta) verwehrt sind, doch schwindet die Vorhersehbarkeit einer Verurteilung aus Sicht des Betroffenen auch, wenn er dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung nationaler Strafgesetze unterworfen wird. Der Straftatenkatalog der Rahmenbeschlüsse weist notgedrungen recht unbestimmte Oberbegriffe auf, um die ggf. in 27 verschiedenen Ausprägungen und Bezeichnungen existierenden nationalen Straftatbestände in einem solchen Katalog überhaupt aufführen zu 69 EuGH, Slg. 1996, verb. Rs. C-74 / 95 und C-129 / 95, Strafverfahren gegen X, I-6609, Rz. 25. 70 Vgl. C. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Auflage 2007, § 24, Rn. 136. 71 EGMR, Urteil vom 22. 11. 1995, S. W., Nr. 20166 / 92, Serie A 335-C, Rz. 34 ff.

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können. Welche einzelnen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale nun aber in den 27 Mitgliedstaaten die Strafbarkeit begründen, dürfte schon bei klassischen Delikten wie Betrug für den Einzelnen nicht übersehbar sein. Für die nur vage umrissene Cyber- und Umweltkriminalität oder Sabotage kann erst recht nicht vermutet werden, dass der Einzelne weiß, mit welcher Handlung er sich ggf. strafbar macht. Nun schützt Unwissenheit allein vor Strafe nicht72, doch führt das gegenwärtige System, das aus einer eher unglücklichen Kombination aus weitem Strafanwendungsrecht und kooperativer Strafverfolgung besteht, zu einer erheblichen Unsicherheit. Sinn und Zweck des Gesetzlichkeitsprinzips ist aber gerade die Berechenbarkeit des eigenen Handelns, einer etwaigen Verurteilung und auch des Strafmaßes. Auch im Hinblick auf strafschärfende Qualifikationen, die Vollendung einer Straftat, Fahrlässigkeits- und Versuchsstrafbarkeiten können zwischen den 27 nationalen Strafrechtsordnungen erhebliche Abweichungen auftreten, die sich für den Betroffenen in Folge einer Übergabe nachteilig auswirken können. Auch insoweit erscheint eine Verurteilung und im Besonderen das zu erwartende Strafmaß schwer berechenbar.

c) Die Übergabe eigener Staatsangehöriger Die vertiefte europäische und internationale Kooperation bei der Strafverfolgung führte auch in der Frage der Auslieferung eigener Staatsangehöriger zu einem Paradigmenwechsel. Bis zum Jahr 2000 war etwa die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen durch Art. 16 II GG grundsätzlich untersagt. Die Umsetzung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU von 1996, das einen unbeschränkten Auslieferungsverkehr innerhalb der Union vorsah, erforderte daher eine Verfassungsänderung, die auch in Reaktion auf die vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten Straftribunale und die zum damaligen Zeitpunkt noch bevorstehende Einrichtung des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes erfolgte.73 Das Auslieferungsverbot des Art. 16 II GG a.F. war zwar nicht unabänderlich, doch durfte der verfassungsändernde Gesetzgeber gem. Art. 79 III GG nicht den Kerngehalt des Auslieferungsverbotes antasten, der zugleich vom Menschenwürdegehalt des Art. 1 GG umfasst wird. Art. 16 II 2 GG erlaubt die Auslieferung 72 Vgl. nur H. Satzger, Die Internationalisierung des Strafrechts als Herausforderung für den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, JuS 2004, S. 943 f.; vgl. auch S. Braum (Anm. 43), S. 692. 73 Vgl. H. Baier, Die Auslieferung von Bürgern der Europäischen Union an Staaten innerhalb und außerhalb der EU, GA 2001, S. 427 f.; K. Schmalenbach, Die Auslieferung mutmaßlicher deutscher Kriegsverbrecher an das Jugoslawientribunal in Den Haag, AVR 36 (1998), S. 285 (294 ff.); A. Zimmermann, Die Auslieferung Deutscher an Staaten der EU und internationale Gerichtshöfe, JZ 2001, S. 233 (234).

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Deutscher daher nur, wenn rechtsstaatliche Grundsätze im ersuchenden Staat oder vor dem internationalen Gerichtshof gewahrt werden.74 Inwieweit sich diese Einschränkung auf den unionsrechtlichen Übergabeverkehr bezieht, erscheint angesichts der Beratungsgeschichte der Grundgesetzänderung zweifelhaft. Inwieweit sie tatsächlich beschränkende Wirkung entfalten würde, wenn man sie für anwendbar hielte, dürfte mit Blick auf die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grund- und Menschenrechte wie die Rechtsstaatlichkeit über Art. 6 EUV ebenfalls fragwürdig sein.75 Einem völlig bedingungslosen Übergabeverkehr stehen jedoch grundrechtliche Schutz- und Fürsorgepflichten entgegen. Insbesondere aus den Freiheitsrechten lässt sich ein gegenseitiges Rechtsverhältnis ableiten, das den Staat dazu verpflichtet, Eingriffe einer fremden Staatsmacht in die Grundrechte eigener Staatsangehöriger abzuwehren, zumindest insoweit der Menschenwürdegehalt eines Grundrechts betroffen ist.76 Die Verweigerung der Übergabe einer aufgrund eines Europäischen Haftbefehls gesuchten Person kommt – aus deutscher Perspektive – aber nicht bereits dann in Betracht, wenn ein Mitgliedstaat im Einzelfall rechtsstaatlichen Standards nicht genügt, sondern erst dann, wenn dieser Staat grundsätzlich keinen dem Grundgesetz und der EMRK im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz (mehr) gewährleistet.77 In diesem unwahrscheinlichen Fall würden jedoch gegen den Mitgliedstaat Maßnahmen nach Art. 7 EUV ergriffen, der die Suspendierung der Rechte eines Mitgliedstaates erlaubt. In der Folge würde auch die Kooperation bei der Strafverfolgung mit diesem Staat zumindest vorübergehend eingestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht aber sieht den deutschen Gesetzgeber darüber hinaus in der Pflicht, auch unabhängig von den Mechanismen des Art. 7 EUV bei nachhaltiger Erschütterung des Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit der allgemeinen Verfahrensbedingungen eines Mitgliedstaates zu reagieren.78 Das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren, das durch die Vertragsrevision von Nizza noch um ein Frühwarnsystem ergänzt wurde, spricht angesichts seiner Funktion und detaillierten Regelung aber gegen unilaterale Maßnahmen einzelner Mitgliedstaaten.79 Einzelne durchaus erhebliche Unterschiede im nationalen Strafprozessrecht vermögen einen grundsätzlichen Einwand gegenüber dem unionsrechtlichen Über74 BVerfGE 113, 273 (295 f.); vgl. hierzu auch EGMR, Urteil vom 07. 07. 1989, Soering, Nr. 14038 / 88, Serie A 161. 75 So A. Zimmermann (Anm. 73), S. 237; a.A. I. von Münch, Staatsrecht II, 5. Auflage 2002, Rn. 534d; A. Uhle, Auslieferung und Grundgesetz – Anmerkungen zu Art. 16 II GG, NJW 2001, S. 1889 (1893). 76 BverfGE 55, 349 (364 f.); vgl. auch BVerfGE 113, 273 (292 ff.), 76; H. A. Wolff, Die Auslieferung Deutscher aufgrund des europäischen Haftbefehls, ZG 2004, S. 32 f. 77 D. Rohlff (Anm. 48), S. 75; A. Zimmermann (Anm. 73), S. 237. 78 BVerfGE 113, 273 (299). 79 Anders E.-M. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, 2005, S. 172 ff.; vgl. zum Mechanismus des Art. 7 EUV R. Geiger, EUV / EGV-Kommentar, 4. Auflage 2004, Art. 7 EUV, Rn. 1 ff.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

gabeverkehr nicht zu begründen. So mag zwar ein rechtsstaatliches „Defizit mit erschreckender Deutlichkeit“80 vorliegen, wenn in Frankreich ein nicht erschienener Angeklagter in einer bestimmten Verfahrensart ohne Beteiligung von Verteidigern, Zeugen und Geschworenen zur Höchststrafe verurteilt wird, doch belegt das in einem grenzüberschreitenden Fall ergangene Urteil des EuGH das Funktionieren der europäischen Rechtsgemeinschaft. 81 Allerdings ist einzuräumen, dass gerade im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung auch in Mitgliedstaaten der Europäischen Union Regelungen getroffen wurden, die im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten, insbesondere auch den Gewährleistungen der EMRK, problematisch erscheinen. So konnte gem. section 21(1) des Anti-Terrorism, Crime and Security Act vom 14. 12. 200182 der Innenminister des Vereinigten Königreiches eine der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten verdächtige Person, gegen die aber keine formelle Anklage erhoben worden war oder erhoben werden konnte und die deshalb abgeschoben werden sollte, zum „verdächtigen internationalen Terroristen“ erklären, falls er „vernünftigerweise“ glaubte, diese Person sei ein Terrorist und ihre Anwesenheit stelle eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar. Section 23 erlaubte es sodann, diese Person in Erwartung ihrer Abschiebung oder Ausreise ohne zeitliche Begrenzung zu inhaftieren. Vor allem die Ausgestaltung der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Klassifizierung als „verdächtiger internationaler Terrorist“ wie auch die aufgrund von Abschiebehindernissen möglicherweise lange Haftzeit erschienen dabei höchst bedenklich.83 Mit deutlichen Worten wurde deshalb in einem Urteil der Lords of Appeal vom 16. 12. 200484 die Menschenrechtswidrigkeit einer solchen Sicherungshaft für nicht abschiebbare Verdächtige festgestellt, woraufhin die beanstandeten Vorschriften durch das Parlament am 16. 03. 2005 aufgehoben wurden. Maßgebend war hier vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention, auf deren grundsätzliche Bedeutung im Unionsrecht noch einzugehen sein wird.85 I. von Münch (Anm. 75), Rn. 534d. EuGH, Slg. 2000, Rs. C-7 / 98, Krombach / Bamberski, I-1935; vgl. hierzu C. von Bar, Urteilsanm., JZ 2000, S. 725 f.; J. Gundel, Der einheitliche Grundrechtsraum und seine Grenzen: Zur EMRK-konformen Interpretation des Ordre-public-Vorbehalts des EuGVÜ durch den EuGH, EWS 2000, S. 442 ff.; vgl. zur Rechtsprechung des BVerfG zu sog. Abwesenheitsurteilen und folgenden Auslieferungsersuchen BverfG, 2 BvR 26 / 04 vom 03. 03. 2004, Rz. 13 ff. 82 Acts of Parliament, 2001 Chapter 24 (abrufbar unter http: / / www.hmso.gov.uk / acts / acts2001 / 20010024.htm). 83 Vgl. J. Monar, EU-Antiterrorismusmaßnahmen und die EMRK: Probleme der Kompatibilität; in: C. Grewe / C. Gusy, Menschenrechte in der Bewährung, 2005, S. 223 (230 ff.). 84 EuGRZ 2005, S. 387. 85 Vgl. zum Urteil C. Maierhöfer, „. . . dem man nichts nachweisen kann“: Terrorismus, präventiver Freiheitsentzug und die Rolle des Völkerrechts, EuGRZ 2005, S. 460 (461 ff.); zur Bedeutung der EMRK im Vereinigten Königreich C. Grabenwarter (Anm. 70), § 3, Rn. 9; vgl. zur Diskussion in Deutschland über eine Sicherungshaft das Interview mit dem Präsiden80 81

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Ein grundsätzliches Misstrauen in die Unparteilichkeit fremden Rechts und fremder Richter, das den historischen Hintergrund des Auslieferungsverbots eigener Staatsangehöriger bildet86, dürfte innerhalb der Europäischen Union dennoch bzw. deshalb nicht mehr angebracht sein. Art. 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl eröffnet zudem die Möglichkeit, die Übergabe davon abhängig zu machen, dass die betreffende Person zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder Sicherungsmaßregel zurücküberstellt wird, wodurch die besondere Belastung der Strafvollstreckung im Ausland vermieden werden kann.87 Ein Widerspruch zwischen dem eigenen Souveränitätsanspruch und der Übergabe eigener Staatsangehöriger, dessen Vermeidung als Normzweck des Auslieferungsverbots angesehen werden könnte88, dürfte in der an Grund-, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gebundenen Europäischen Union, die der gemeinsamen Ausübung mitgliedstaatlicher Souveränität dient89, ebenfalls nicht mehr festzustellen sein. Grundsätzliche Bedenken gegen die Aufhebung des Auslieferungsverbots eigener Staatsangehöriger innerhalb der Europäischen Union können daher nicht überzeugen. Aus rechtspolitischer Sicht erscheint sie sogar geboten, werden dadurch doch auch die eigenen Strafverfolgungsinteressen gewahrt, die zweifelsohne in einem Raum offener Grenzen und des freien Verkehrs von Waren, Personen und Dienstleistungen gegenüber Angehörigen anderer Mitgliedstaaten entstehen.90

d) Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht wendet sich in seinem Urteil über die Verfassungsbeschwerde eines deutsch-syrischen Staatsangehörigen denn auch nicht prinzipiell gegen das durch den Rahmenbeschluss vorgesehene Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten und seine Grundsätze. Die Verfassungswidrigkeit ten des Bundesverfassungsgerichts, H.-J. Papier, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 25. 10. 2005, S. 4, sowie C. Tomuschat (Anm. 32), S. 363 ff. 86 J. Vogel, Abschaffung der Auslieferung?, JZ 2001, S. 937 (942); vgl. zu weiteren Gründen für die Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger H. Baier (Anm. 73), S. 434. 87 M. Plachta (Anm. 47), S. 187; D. Rohlff (Anm. 48), S. 135 ff.; H. A. Wolff (Anm. 76), S. 38. 88 Vgl. A. Randelzhofer, in: T. Maunz / G. Dürig, Grundgesetz – Kommentar, Art. 16 II GG, Rn. 2. 89 BverfGE 89, 155 (188 f.). 90 K. Ambos (Anm. 60), § 12, Rn. 67; M. Deiters (Anm. 60), S. 360; C. Tomuschat, Ungereimtes / Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, S. 453 f.; vgl. auch J. Monar, Die EU und die Herausforderung des internationalen Terrorismus, in: W. Weidenfeld, Herausforderung Terrorismus, 2004, S. 136 (137); N. Vennemann, The European Arrest Warrant and Its Human Rights Implications, ZaöRV 63 (2003), S. 103 (105); a.A. auf der Basis des ersten deutschen Umsetzungsgesetzes etwa E.-M. Unger (Anm. 79), S. 117 ff.

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des ersten deutschen Umsetzungsgesetzes ergab sich nach Ansicht des Gerichts vielmehr aus Verstößen gegen verfassungsrechtliche Vorgaben, die bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses und insbesondere bei der Ausnutzung der nationalen Gestaltungsspielräume zu beachten gewesen wären.91 So reiche die generelle Bindung der Staatsgewalt an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Art. 16 II 2 GG für die Gewährleistung der grundrechtlich geschützten Belange eines Betroffenen nicht aus. Der Gesetzgeber sei vielmehr aufgrund des qualifizierten Gesetzesvorbehaltes verpflichtet gewesen, die Bedingungen einer Übergabe an andere Mitgliedstaaten tatbestandlich differenziert zu definieren und dabei einen die Grundrechte deutscher Staatsangehöriger möglichst schonenden Weg zu wählen. Der besondere Schutzgehalt des Art. 16 II 1 GG und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichteten den Gesetzgeber insbesondere zu einer entsprechenden Ausgestaltung der Ablehnungsgründe einer Übergabe im einfachen Recht. Danach wäre gesetzlich vorzuschreiben gewesen, dass ein Deutscher aufgrund einer im eigenen Rechtsraum begangenen Tat, also einer Tat mit maßgeblichem Inlandsbezug, nicht an einen anderen Mitgliedstaat übergeben werden darf. Für Distanzdelikte, bei denen die Handlung in Deutschland, der Erfolg aber in einem anderen Mitgliedstaat eintritt, wäre eine Abwägung zwischen den Erfordernissen effektiver Strafverfolgung, der Schwere des Tatvorwurfs und den grundrechtlich geschützten Interessen des Betroffenen explizit vorzusehen gewesen. Dagegen sei eine Übergabe bei Taten mit maßgeblichem Auslandsbezug, bei denen die Handlung überwiegend in einem anderen Staat begangen wurde und der Erfolg dort eingetreten ist, unbedenklich. Dies gelte insbesondere bei typischerweise grenzüberschreitenden schweren Delikten, wie internationalem Terrorismus oder organisiertem Drogen- oder Menschenhandel. Die Staatsangehörigkeit schütze den Täter insoweit vor einer Übergabe nicht in gleichem Umfang, vor allem sei eine erfolgreiche Flucht in den Heimatstaat nicht von ausschlaggebender Bedeutung.92 Das grundsätzliche Auslieferungsverbot des Art. 16 II 1 GG für deutsche Staatsangehörige sei ferner bei der Ausgestaltung des § 80 I IRG a.F. nicht ausreichend beachtet worden. Lediglich das gesicherte Angebot zur Rücküberstellung des Betroffenen zur Strafvollstreckung zur Voraussetzung einer Übergabe zu machen, sei unzureichend. Die bloße Zusage der Rücküberstellung reiche nicht aus, da damit die Möglichkeit der Strafverbüßung mit Blick auf den Grundsatz beiderseitiger Strafbarkeit noch nicht gesichert sei.93 Es bestehe zudem eine Schutzlücke bei Taten mit Inlandsbezug, wenn ein Übergabeersuchen einer verfahrensabschließenden Entscheidung in Deutschland zuvorkomme oder ein entsprechendes Verfahren noch bzw. gar nicht erst eröffnet wurde. 91 BVerfGE 113, 273 (307); so auch J. Jekewitz (Anm. 44), S. 636; J. Masing, Vorrang des Europarechts bei umsetzungsgebundenen Rechtsakten, NJW 2006, S. 264. 92 BVerfGE 113, 273 (302, 306). 93 BVerfGE 113, 273 (304, 309).

I. Gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze und Rechtsakte

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Schließlich müsse der Gesetzgeber aufgrund der in Art. 4 Nr. 2 und 3 des Rahmenbeschlusses ermöglichten Ablehnungsgründe überprüfen, inwieweit staatsanwaltschaftliche Entscheidungen gerichtlich überprüfbar sind, da dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren insofern eine zusätzliche individualrechtsschützende Funktion zukäme.94 Gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG habe ferner der Ausschluss der Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung einer Übergabe durch § 74b IRG verstoßen, da die abschließende Aufzählung von fünf Sachverhaltskonstellationen in § 83b IRG, die zur Ablehnung einer Übergabe führen können, den Charakter der Bewilligungsentscheidung maßgeblich verändert habe. Während vormals nur unbenannte, gerichtlich nicht überprüfbare außen- und allgemeinpolitische Erwägungen für die politische Bewilligungsentscheidung ausschlaggebend waren, sei nunmehr ein verrechtlichter Abwägungsprozess vorgesehen worden, an dessen Ende eine zu begründende Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde stehe, die der Überprüfung durch die rechtsprechende Gewalt unterliegen müsse. In diesem Zusammenhang sei verfassungsrechtlich auch zu beanstanden, dass § 83a IRG das Vorliegen vollständiger Unterlagen nicht zu einer zwingenden Voraussetzung einer Übergabe mache.95 Käme der Gesetzgeber diesen Bedingungen bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses jedoch nach, scheide eine Verletzung des Rückwirkungsverbots des Art. 103 II GG allerdings von vornherein aus. Allerdings könnte sich dann ein Verstoß ergeben, wenn ein bislang vor Auslieferung absolut geschützter Deutscher für Taten, die keinen maßgeblichen Auslandsbezug aufwiesen und zum Zeitpunkt der Tat in Deutschland straffrei gewesen seien, sich nunmehr in einem anderen Mitgliedstaat verantworten müsse. Obwohl das Rückwirkungsverbot nicht für das Strafverfahrensrecht gelte, zu dem auch das Auslieferungsrecht zu zählen sei, käme dies einer materiell rückwirkenden Rechtsänderung möglicherweise gleich.96 Das Bundesverfassungsgericht steht demnach den vorgesehenen Prinzipien kooperativer Strafverfolgung, die in den dargestellten Rahmenbeschlüssen niedergelegt wurden, aufgeschlossen gegenüber, verpflichtet aber zugleich den deutschen Gesetzgeber bei ihrer Umsetzung zu spezifischen, aus den Grundrechten abgeleiteten Regelungen, die vor allem den Belangen deutscher Staatsangehöriger Rechnung tragen sollen. Durch das zweite Europäische Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 wurden die beanstandeten Regelungen des IRG erneut modifiziert und dürften den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zumindest überwiegend entsprechen. Die BVerfGE 113, 273 (305 ff.). BVerfGE 113, 273 (313 ff.). 96 BVerfGE 113, 273 (308); vgl. auch T. Hackner, Der Europäische Haftbefehl in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte, NStZ 2005, S. 311 (312); a.A. E.-M. Unger (Anm. 79), S. 184 ff. 94 95

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

Übergabe eines deutschen Staatsangehörigen ist nunmehr möglich, wenn die dem Übergabeersuchen zugrunde liegende Tat einen maßgeblichen Auslandsbezug aufweist und die Rücküberstellung des Betroffenen zur ggf. erforderlichen Strafvollstreckung gesichert ist. Gem. § 80 I 2 IRG liegt ein solcher maßgeblicher Auslandsbezug vor, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist oder es sich um eine schwere Tat mit typisch grenzüberschreitendem Charakter handelt. Die verwendeten Regelbeispiele, die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nahezu wörtlich entnommen wurden, decken indes nicht alle Varianten strafbarer Handlungen ab. Bei mehraktigen Delikten, Distanzdelikten oder reinen Tätigkeitsdelikten ist insoweit eine Abwägung vorzunehmen. Maßgeblich dürfte insoweit der Schwerpunkt des Tatgeschehens sein. Bei Straftaten mit maßgeblichem Inlandsbezug ist dagegen gem. § 80 II 1 Nr. 2 IRG eine Übergabe unzulässig. Lässt sich weder ein maßgeblicher Inlands- noch ein maßgeblicher Auslandsbezug feststellen, ist eine Übergabe nur zulässig, wenn bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen in seine Nichtauslieferung nicht überwiegt (§ 80 II 1 Nr. 3 IRG). Dabei sind vor allem der Tatvorwurf, die praktischen Erfordernisse einer effektiven Strafverfolgung, die grundgesetzlich geschützten Interessen des Betroffenen und die beabsichtigte Schaffung eines europäischen Rechtsraumes zu beachten. Die Übergabe eines Deutschen zur Strafvollstreckung ist nur möglich, wenn der Betroffene dieser nach Belehrung zu richterlichem Protokoll zugestimmt hat (§ 80 III IRG). Darüber hinaus sind die Regelungen des IRG zu Auslieferungshindernissen zu beachten, etwa im Hinblick auf die Verfolgung politischer Taten (§§ 6 II, 82 IRG), Abwesenheitsurteile (§ 83 Nr. 3 IRG), drohende lebenslange Freiheitsstrafe (§ 83 Nr. 4 IRG) oder den Grundsatz ne bis in idem (§ 83 Nr. 1 IRG). Im Wege einer Vorabüberprüfung durch das zuständige Oberlandesgericht kann die auf dieser Basis getroffene Entscheidung der Bewilligungsbehörde auf Ermessensfehler hin überprüft werden (§ 79 II 3 IRG).97

II. Die Harmonisierung des nationalen Strafrechts Da der Berechenbarkeit des Strafrechts und des Strafverfolgungsrechts – wie dargelegt – aus rechtsstaatlicher Perspektive erhebliche Bedeutung zukommt, stellt sich die Frage, inwieweit die Europäische Union in der Lage ist, den skizzierten Bedenken ausreichend zu begegnen. Die Verwendung relativ unbestimmter Rechtsbegriffe in den Straftatkatalogen der Rahmenbeschlüsse legt eine Harmonisierung 97 Vgl. auch die kritische Darstellung der Neufassung bei K. M. Böhm (Anm. 48), NJW 2006, S. 2592 ff. sowie M. Rosenthal, Europäisches Haftbefehlsgesetz, zweiter Versuch, ZRP 2006, S. 105 (107 ff.).

II. Die Harmonisierung des nationalen Strafrechts

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des nationalen Strafrechts nahe, um zumindest eine vergleichbare materielle Rechtslage zu erzielen, auf deren Basis eine kooperative Strafverfolgung und die gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze vertretbar erschiene. Für den Begriff des Terrorismus ist dies durch den Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung (2002 / 475 / JI) vom 13. Juni 200298 erfolgt.

1. Die unionsweite Definition und Strafbarkeit terroristischer Akte Die Europäische Union stützt sich bei ihrer Definition des Terrorismus auf mitgliedstaatlich definierte Straftaten, deren vorsätzliche Begehung als terroristische Tat einzustufen ist, wenn sie mit dem Ziel erfolgt, die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes (oder einer internationalen Organisation) ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören. Diese Wirkung ergibt aus der Art der Begehung oder dem jeweiligen Kontext der Tat (Art. 1 I des Rahmenbeschlusses). Der nachfolgende Katalog national definierter Straftaten umfasst Angriffe auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können; Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person; Entführung oder Geiselnahme; schwer wiegende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrsmittel, einer Infrastruktur einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandssockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können; Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrs- oder Gütertransportmitteln; Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung, Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, atomaren, biologischen oder chemischen Waffen; Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen von Bränden, Überschwemmungen oder Explosionen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird; Störung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird; sowie schließlich die Drohung, eine der aufgeführten Taten zu begehen. In Art. 2 I definiert der Rahmenbeschluss terroristische Vereinigungen als einen auf längere Dauer angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die zusammenwirken, um terroristische Straftaten zu begehen. Ein organisierter Zusammenschluss liegt vor, wenn er nicht nur zufällig zur unmittelbaren Begehung einer strafbaren Handlung gebildet wird. Er setzt jedoch nicht notwendigerweise 98 ABl. EG 2002 Nr. L 164, 3; vgl. auch die bereits in GS 2001 / 931 / GASP enthaltene Definition.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

voraus, dass förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder bestehen, eine kontinuierliche Zusammensetzung oder eine ausgeprägte Struktur vorliegt. In Art. 2 II werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Tatbestände zu schaffen, die das Anführen einer terroristischen Vereinigung (a) und die Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung einschließlich der Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Tätigkeit mit dem Wissen, dass diese Beteiligung zu strafbaren Handlungen der terroristischen Vereinigung beiträgt (b), unter Strafe stellen. Darüber hinaus ergänzt Art. 3 als terroristische Straftaten schweren Diebstahl und Erpressung, wenn sie im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten und mit dem Ziel begangen werden, eine der in Art. 1 I genannten Straftaten zu begehen, sowie die Ausstellung gefälschter Verwaltungsdokumente, wenn sie mit dem Ziel begangen wird, eine der in Art. 1 I a) – h) und Art. 2 II b) genannten Handlungen zu begehen.

2. Objektive und subjektive Merkmale terroristischer Straftaten Der Rahmenbeschluss steht insoweit im Einklang mit der 1997 vom Europäischen Parlament verabschiedeten „Entschließung zum Kampf gegen den Terrorismus“99, in der terroristische Straftaten als kriminelle Handlungen definiert werden, die unter Anwendung von Gewalt oder Drohung mit Gewalt politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Strukturen in Rechtsstaaten ändern sollen und sich dadurch von Widerstandsaktionen in Drittstaaten unterscheiden, die sich gegen Staatsstrukturen richten, die ihrerseits terroristischen Charakter haben. In der Zusammenschau dieser beiden europäischen Formulierungen und der Definition der International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism lassen sich die konstitutiven objektiven und subjektiven Merkmale terroristischer Straftaten ermitteln. Allen drei Definitionen ist zunächst gemein, dass eine qualifizierte Gewaltanwendung gegenüber Personen als Wesensmerkmal terroristischer Verbrechen festgelegt wird. Der Rahmenbeschluss nimmt darüber hinaus auch schwer wiegende Zerstörungen von Gebäuden, Einrichtungen und Sachen auf, wenn dadurch Menschenleben in Gefahr geraten oder erhebliche wirtschaftliche Verluste drohen. Insoweit präzisiert der Rahmenbeschluss die Formulierung des Europäischen Parlaments, das allgemein die Gewaltanwendung oder die Drohung mit Gewalt als Tathandlung definiert hat. Festzuhalten ist damit, dass terroristische Straftaten nach nationalem oder Völkerrecht rechtswidrige kriminelle Handlungen sind, die einen erheblichen Schweregrad aufweisen.100 Die Ausweitung auf Sachgüter als mögliches Tatobjekt 99

ABl. EG 1997 Nr. C 55.

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erscheint dabei nicht unproblematisch. Überzeugend ist sie im Falle von Anschlägen auf Einrichtungen, deren Zerstörung oder Beschädigung unmittelbar zu einer konkreten Gefährdung der Bevölkerung führt, wie etwa bei einem Atomkraftwerk. Die möglichen Folgen eines solchen Anschlags erscheinen vergleichbar mit denen einer gezielten Tötungshandlung oder schwerer Körperverletzungen, so dass gegen ihre Einbeziehung keine Bedenken bestehen. Ihre Trennschärfe verliert die Definition allerdings, wenn man Blockadeaktionen oder die Beschädigung von Gleisanlagen im Zusammenhang mit Atommülltransporten mit einbezieht, die grundsätzlich auch die Gefahr einer Strahlenbelastung der Bevölkerung hervorrufen können und einen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr darstellen (§ 315 I StGB). Bedenklich wird die Einbeziehung von Sachgütern dann, wenn als qualifizierende Folge erhebliche wirtschaftliche Verluste vorausgesetzt werden. Man wird allerdings nicht bestreiten können, dass nicht nur direkt auf Personen einwirkende Taten, sondern auch mittelbar durch die Erschütterung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensfähigkeit eines Staates oder einer Region terroristische Ziele verfolgt werden können, etwa durch Anschläge auf Versorgungsleitungen, Wasserspeicher oder Verkehrssysteme. Da schließlich die Annahme eines terroristischen Verbrechens das Vorliegen weiterer subjektiver Merkmale voraussetzt, erscheint diese partielle objektive Unschärfe noch vertretbar.101 Der Rahmenbeschluss sieht insofern zwei Alternativen vor. Zum einen wird die Verbreitung von Angst und Schrecken, die Einschüchterung der Zivilbevölkerung, zum anderen die Nötigung einer Regierung oder internationalen Organisation zu einem Tun oder Unterlassen als unmittelbares Ziel der Tathandlung festgelegt. Auch hier sind jedoch weitere Abgrenzungsprobleme festzustellen. So können auch Formen sog. Organisierter Kriminalität, etwa die Herrschaftsbegründung und -sicherung von Mafia-Strukturen mittels systematischer Gewaltanwendung und der damit verbundenen Einschüchterung der Zivilbevölkerung, unter diesen Tatbestand subsumiert werden.102 Die Beschädigung von Gleisanlagen zur Verhinderung von Atommülltransporten stellt im Grunde eine Form gewaltsamen Protests dar, der eine Regierung letztlich zum Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomenergie zwingen soll und der damit dem Tatbestand der Nötigung einer Regierung zu einem Tun bzw. Unterlassen unterfallen könnte. Ein terroristisches Verbrechen wird man deshalb erst dann annehmen dürfen, wenn mit der unmittelbar erzeugten Wirkung der Tat ein weitergehendes, eigentliVgl. S. Oeter (Anm. 21), S. 19; C. Tomuschat (Anm. 11), S. 538. A.A. M. Wagner, Die wirtschaftlichen Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 im völkerrechtlichen Kontext, ZaöRV 63 (2003), S. 879 (885). 102 Vgl. S. Braum, Europäische Strafgesetzlichkeit (Habil. Frankfurt a. M. 2002), S. 458 ff.; E. von Bubnoff (Anm. 52), S. 180 ff.; ders., Terrorismusbekämpfung – eine weltweite Herausforderung, NJW 2002, S. 2672 (2673); S. Oeter (Anm. 21), S. 22; E. Werthebach / B. DrosteLehnen, Organisierte Kriminalität, ZRP 1994, S. 57 ff. 100 101

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ches Ziel verfolgt wird. Eine Katalogtat des Rahmenbeschlusses wird also erst dann als terroristische Straftat anzusehen sein, wenn mit ihr eine nachhaltige politisch-gesellschaftliche Veränderung bezweckt wird, die von einer Ideologie oder auch einer religiös-fundamentalistischen Überzeugung getragen wird. Oftmals wird die zugrunde liegende Situation dadurch gekennzeichnet sein, dass der oder die Täter in dem Glauben handeln, ein legitimes Ziel zu verfolgen, etwa die Befreiung des Landes, ihres Volkes oder einer Minderheit.103 Letztlich räumt auch diese Eingrenzung nicht alle Abgrenzungsschwierigkeiten und Zweifel aus, bedenkt man verschiedene Formen des zivilen Ungehorsams, Streikaktionen und andere Demonstrationsformen, die durchaus auf weitgehende gesellschaftliche Strukturveränderungen abzielen können. Die in demokratischen Rechtsstaaten zulässige Ausübung von Grund- und Menschenrechten kann und darf deshalb auf der Basis des Rahmenbeschlusses nicht unterbunden werden (Art. 1 II).104 Die weitere Präzisierung des bzw. der Tatbestände obliegt damit den Gerichten, was allerdings im Strafrecht nun allemal kein ungewöhnlicher Vorgang ist.

3. Weitere Harmonisierungserfordernisse Auch Tatbestände wie Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln, Geldfälschung oder Geldwäsche, die in den Straftatkatalogen der Rahmenbeschlüsse enthalten sind, die der Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nationaler Strafgesetze und Rechtsakte dienen, sind einer vergleichbaren Harmonisierung unterzogen worden. Weitere Rahmenbeschlüsse betreffen etwa den illegalen Drogenhandel, Menschenhandel und Kinderpornographie. Auch der Schutz der Umwelt durch das Strafrecht war Gegenstand eines Rahmenbeschlusses. Der Rahmenbeschluss über Angriffe auf Informationssysteme harmonisiert einen Teil der unter den Begriff der Cyberkriminalität zu fassenden Handlungen.105 103 J. A. Frowein (Anm. 10), S. 881; kritisch B. Saul (Anm. 8), S. 327 ff.; vgl. auch S. Peers (Anm. 33), S. 231 f. 104 Vgl. S. Douglas-Scott, The rule of law in the European Union – putting the security into the „area of freedom, security and justice“, E.L.Rev. 29 (2004), S. 219 (230 f.); S. Peers (Anm. 33), S. 235 ff. 105 Vgl. zur Rechtsetzung: Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (ABl. EG 2001 Nr. L 149, 1); Rahmenbeschluss über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro (ABl. EG 2000 Nr. L 140, 1); Rahmenbeschluss über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten (ABl. EG 2001 Nr. L 182, 1); Rahmenbeschluss zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. EG 2004 Nr. L 335, 8); Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie (ABl. EG 2004 Nr. L 13, 44); Rahmenbeschluss über den

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Dagegen fehlen etwa für die Begriffe „Sabotage“, „Erpressung und Schutzgelderpressung“ oder „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ entsprechende Regelungen. Der Rat der Europäischen Union hat daher in einer Zusatzerklärung die Mitgliedstaaten ersucht, sich von unverbindlichen Definitionsempfehlungen leiten zu lassen.106 Danach läge Sabotage vor, wenn eine Person widerrechtlich und vorsätzlich Schaden in großem Ausmaß an einer Regierungseinrichtung, einer öffentlichen Einrichtung, einem öffentlichen Verkehrssystem oder einer anderen Infrastruktureinrichtung verursacht, durch den ein beträchtlicher wirtschaftlicher Verlust entsteht bzw. entstehen könnte. Unter Erpressung und Schutzgelderpressung ist die mit einer Drohung, Gewaltanwendung oder jeder anderen Form der Einschüchterung einhergehende Forderung von Waren, Versprechen, Einnahmen oder Unterzeichnung von Dokumenten, die eine Verpflichtung, Veräußerung oder Entlastung enthalten oder zur Folge haben, zu verstehen. Für die Definition von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wird auf die Gemeinsame Aktion (96 / 443 / JI) vom 15. Juli 1996107 verwiesen. Die öffentliche Aufstachelung zu Diskriminierung, Gewalt oder Rassenhaß gegen eine über Hautfarbe, Rasse, Religion, nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe oder ein Mitglied einer solchen Gruppe fällt unter den Begriff des Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Darüber hinaus aber auch die darauf abzielende Verteidigung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Menschenrechtsverletzungen und die öffentliche Leugnung von Verbrechen im Sinne des Art. 6 des Statuts des Internationalen Militärtribunals im Anhang zum Londoner Abkommen vom 8. August 1945, sofern dadurch die Verachtung einer der nach den genannten Merkmalen definierten Gruppe zum Ausdruck kommt. Schließlich soll auch die Weitergabe und Verbreitung von Schriften sowie von Bild- und sonstigem Material mit rassistischen oder fremdenfeindlichen Inhalten in der Öffentlichkeit sowie die Beteiligung an Tätigkeiten von Gruppen, Organisationen und Vereinigungen umfasst sein, bei denen es zu Diskriminierungen, Gewalt, Rassenhaß, ethnischem oder religiösem Haß kommt. Während die Empfehlungen für Sabotage und Erpressung noch den Anforderungen an eine praxistaugliche Definition nahe kommen, dürfte dies bei Rassismus Schutz der Umwelt durch das Strafrecht (ABl. EG 2003 Nr. L 29, 55), der indes durch den EuGH für nichtig erklärt wurde, Urteil vom 13. 05. 2005, Rs. C-176 / 03, Kommission / Rat, vgl. auch EuGH, Urteil vom 23. 10. 2007, Rs. C-440 / 05, Kommission / Rat; Rahmenbeschluss über Angriffe auf Informationssysteme (ABl. EG 2005 Nr. L 69, 67). 106 Überarbeitetes Addendum über die 2436. Tagung des Rates (JI) vom 13. Juni 2002 (9958 / 02, ADD 1 REV 1, LIMITE, PV / CONS 33, JAI 138 vom 16. Juli 2002), S. 6. 107 ABl. EG 1996 Nr. L 185, 5; vgl. auch den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (ABl. EG 2002 Nr. C 75E, 269); B. Hecker (Anm. 47), § 11, Rn. 134 ff.; zur weiteren Entwicklung S. Weber, Strafbarkeit der Holocaustleugnung in der Europäischen Union, ZRP 2008, S. 21 ff.

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und Fremdenfeindlichkeit kaum mehr der Fall sein. Ihre Aufnahme in den Straftatenkatalog mutet ohnehin systemwidrig an, erscheint aber angesichts der expliziten Nennung in Art. 29 I EUV durchaus folgerichtig. Zwar stellen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im eigentlichen Sinn keine Straftaten dar, doch hat sich die Europäische Union die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zur Aufgabe gemacht. Teilweise entspricht die Formulierung der Gemeinsamen Maßnahme allerdings Straftatbeständen wie Volksverhetzung oder auch dem bereits erwähnten § 130 III StGB (der sog. Auschwitzlüge). Angesichts der dennoch zu konstatierenden Unbestimmtheit kommt der Rat in seinem Addendum konsequenterweise überein, nach Maßgabe des Art. 31 I lit. e EUV für die notwendige Harmonisierung des materiellen Rechts zu sorgen.

III. Das Verhältnis von gegenseitiger Anerkennung und Harmonisierung Auf den ersten Blick könnte man annehmen, das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und die Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften stellten zwei alternative Strategien der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen dar. Das Gegenteil dürfte indes richtig sein. Gerade unter den bereits dargelegten rechtsstaatlichen Prämissen sind gegenseitige Anerkennung und Harmonisierung wechselseitige Bedingungen für die beabsichtigte Entwicklung eines europäischen Strafrechtsraumes. Harmonisierung ist indes kein rechtstechnischer Begriff der Unionsverträge. Zu unterscheiden sind insoweit drei unterschiedlich „schwere“ Eingriffe in die nationale Regelungshoheit. Als schwächste Form sind zunächst verbindliche Regelungsaufträge der Unionsebene zu nennen, die in nationales Recht umgesetzt und von nationalen Hoheitsträgern durchgesetzt werden. Diesem Muster folgt auch die gegenwärtige Rahmenbeschlussfassung im Strafrecht. Vorstellbar wären darüber hinaus direkt, in allen Mitgliedstaaten anwendbare gemeinsame Rechtsnormen, deren Handhabung jedoch national erfolgt, sowie als Steigerung auch die Etablierung einer gemeinsamen Verfahrensordnung und Strafverfolgungspraxis auf der Basis gemeinsamer, direkt anwendbarer Normen.108 Unterschieden werden kann auch nach materiellen Gesichtspunkten. Rechtsakte der Union können darauf gerichtet sein, die Mitgliedstaaten zum Schutz der Unionsinteressen in dem Umfang zu verpflichten, den sie auch zum Schutz ihrer eigenen Interessen aufwenden (Assimilation). Derlei Rechtsakte stellen jedoch keine Harmonisierung dar, führen sie doch nicht zu einer Angleichung der nationalen Rechtsordnungen untereinander. Zu differenzieren ist vielmehr zwischen einer 108 Vgl. insoweit A. Klip, Harmonisierung des Strafrechts – eine fixe Idee?, NStZ 2000, S. 626 (627).

III. Verhältnis von gegenseitiger Anerkennung und Harmonisierung

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Harmonisierung mittels Vorschriften, die eine Angleichung oder Annäherung durch Mindestvorschriften bezwecken, wie sie Art. 31 I lit. e EUV vorsieht, und einer Rechtsvereinheitlichung. Die im Zuge von Rahmenbeschlüssen mögliche Festlegung solcher Mindestvorschriften kann einmal auf die Einführung einer Sockelstrafbarkeit gerichtet sein, hinter deren Anforderungen die Mitgliedstaaten nicht zurückbleiben dürfen. Denkbar wären gleichsam in entgegengesetzter Richtung auch Limitierungen für die nationale Gesetzgebung, die nicht überschritten werden dürfen.109 Die im Zuge der Terrorismusbekämpfung gefassten Rahmenbeschlüsse enthalten Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale sowie die Strafen und Strafrahmen, hinter denen die Mitgliedstaaten im Zuge ihrer Rechtsetzung nicht zurückbleiben dürfen und sorgen daher im Zweifel für eine Verschärfung des nationalen Strafrechts. Diese Form der Harmonisierung nationalen Strafrechts korrespondiert mit der Einführung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung als Basis kooperativer Strafverfolgung. Einerseits dürfte das als notwendig unterstellte Vertrauen zwischen den beteiligten Justizbehörden der Mitgliedstaaten immer dann hinreichend groß sein, je ähnlicher sich die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen sind, so dass sich in der Folge die Bereitschaft zu gegenseitiger Anerkennung von Normen und Rechtsakten entwickelt. Andererseits wird man mit Blick auf die Rechtssicherheit des Einzelnen annehmen dürfen, dass die Berechenbarkeit des eigenen Handelns wie auch etwaiger Strafverfolgung und Verurteilung überhaupt nur dann in einem hinreichenden Maße bestehen kann, wenn in dem Bereich, in dem auf den Grundsatz beiderseitiger Strafbarkeit im Rechtshilfeverkehr verzichtet wird, das materielle Strafrecht eine unionsweite Harmonisierung erfahren hat. Konsequenterweise hat auch der Rat anerkannt, dass die Regelungen im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl weitere Harmonisierungsschritte erfordern. Als problematisch erweist sich hier die in den Mitgliedstaaten durchaus verbreitete Befürchtung, im Zuge weiterer Harmonisierung des Strafrechts einen kaum ertragbaren Substanzverlust eigener Staatlichkeit zu erleiden. Richtig ist, dass der Gedanke der Subsidiarität ein Maß gebietet, das der Entfaltung und Weiterentwicklung nationaler Rechtstraditionen genügend Raum belässt. Rahmenbeschlüsse zur Verwirklichung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung dürfen auch nicht dazu führen, dass die Unionsebene Harmonisierungserfordernisse erst kreiert und dadurch eine schleichende Kompetenzausweitung erfolgt. Nicht überzeugen kann dagegen die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, dass die gegenseitige Anerkennung weiterer Harmonisierung prinzipiell vorzuziehen ist.110 Die Wahrung nationaler Souveränität kann vielmehr nur in dem Umfang erfolgen, wie die Vgl. J. Vogel (Anm. 60), S. 33 ff. BVerfGE 113, 273 (298 f.); vgl. hierzu schon S. Weber, Keine gegenseitige Anerkennung ohne Harmonisierung des nationalen Strafrechts in der EU, integration 29 (2006), S. 49 (54 ff.); allgemein M. Wasmeier, in: H. v. d. Groeben / J. Schwarze, EUV / EGV-Kommentar, 6. Auflage 2003, Art. 29 EU, Rn. 19. 109 110

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

notwendige Rechtssicherheit des Einzelnen dies zulässt. Die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung auf europäischer Ebene hat insofern eine Kehrseite. Den Mitgliedstaaten steht es frei, weitere Bindungen unter Aufgabe eigener Zuständigkeiten einzugehen. Verwehrt ist ihnen dabei aber, unter Wahrung eigener Souveränität die europäische Integration unter Abbau rechtsstaatlicher Garantien des Bürgers zu verfolgen. Besonders deutlich wird diese Verknüpfung auch beim Blick auf die gegenseitige Anerkennung von Beweismitteln. Die unterschiedlichen Wertungen der nationalen Gesetzgeber bei der Beweiserhebung und der Beweisverwertung sowie der gegenläufigen Schutzpositionen des Betroffenen stehen einem völlig freien Beweisverkehr entgegen. Ein rechtsstaatliches System innerhalb der Union bedarf vielmehr mehrfacher Absicherung. So kann für die Zulässigkeit einer Übermittlung von Beweismitteln nicht allein die Rechtmäßigkeit der Beweisgewinnung maßgebend sein, die anhand der Rechtsordnung des beweiserhebenden Staates zu messen wäre, würde doch beim Beweistransfer in einen anderen Mitgliedstaat so möglicherweise dem erkennenden Gericht ein Beweis zur Verfügung gestellt werden, den es nach seiner nationalen Prozessordnung niemals hätte erlangen können. Die im jeweiligen nationalen Recht austarierte Prozessordnung und ihre menschenrechtliche Absicherung in den fair trial-Prinzipien der EMRK würden so aus den Angeln gehoben. Erschwerend kommt hinzu, dass zwischen den Mitgliedstaaten deutliche Unterschiede bestehen im Hinblick auf die Voraussetzungen, nach denen eine Tatsache als bewiesen anzusehen ist. Ein allgemein gültiger Beweisbegriff existiert bislang nicht, die Ausgestaltung des Beweisrechts ist vielmehr ausschließlich national geprägt. Insoweit scheint auch hier eine europäische Lösung von Nöten zu sein, will man die Transfermöglichkeiten in einem Raum unionsweiter Kooperation erhöhen. Die Zulassung eines in einem Mitgliedstaat erhobenen Beweises im Strafprozess eines anderen Mitgliedstaates dürfte deshalb maßgeblich von einer Annäherung der Beweiserhebungs- und verwertungsvorschriften abhängen. Sichergestellt werden muss ein fair ausgestalteter Prozess, in dem nicht auf dem Rücken des Beschuldigten die Erhebungs- und Verwertungsregeln durch überstaatliche Kooperation auf ein Minimum reduziert werden. Auch den Verteidigungsrechten kommt hier ein besonderes Gewicht zu.111 Setzt eine umfangreiche gegenseitige Anerkennung nationaler Strafgesetze und Entscheidungen hiernach ein Mindestmaß an Harmonisierung voraus, so zieht die erfolgte Harmonisierung konsequenterweise die gegenseitige Anerkennung auch zwingend nach sich, andernfalls verkäme die Harmonisierung des Strafrechts zu einem folgenlosen Selbstzweck. Der rechtsstaatlich zulässige Umfang kooperativer Strafverfolgung hängt also von den wechselseitig zu erfolgenden Schritten zur Harmonisierung und gegenseitigen Anerkennung ab.112 111 Vgl. S. Gleß, Die Verkehrsfähigkeit von Beweisen im Strafverfahren, ZStW 115 (2003), S. 131 (138 ff.). 112 Ähnlich auch E.-M. Unger (Anm. 79), S. 113 f.; anders J. Vogel (Anm. 60), S. 56.

IV. Die Rechtswirkung von Rahmenbeschlüssen

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IV. Die Rechtswirkung von Rahmenbeschlüssen Die Europäische Union bedient sich sowohl bei der Etablierung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nationaler Strafgesetze wie auch bei der Harmonisierung des Strafrechts der Rechtsaktsform des Rahmenbeschlusses. Die nationale Strafgesetzgebung und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Strafverfolgung unterliegen so europäischen Vorgaben, deren Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nur überprüft werden kann, wenn die Rechtswirkung eines Rahmenbeschlusses definiert wird. Rahmenbeschlüsse dienen gem. Art. 34 II lit. b EUV der Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten. Die Rechtsetzung durch Rahmenbeschlüsse erfolgt in einem zweistufigen Verfahren, das dem der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie gem. Art. 249 III EGV entspricht. Das in einem Rahmenbeschluss vorgegebene Ziel ist für die Mitgliedstaaten als Adressaten des Rechtsakts verbindlich, die Wahl der Form und Mittel zur Umsetzung der Zielvorgabe bleibt ihnen jedoch überlassen. Unmittelbare Wirkung für den Bürger erzeugt ein Rahmenbeschluss erst nach seiner Umsetzung in nationales Recht. Der Umsetzungsakt eines Rahmenbeschlusses muss wie der einer EG-Richtlinie deshalb Rechtssicherheit erzeugen, also konkret, bestimmt und klar sein. Unter Umständen verbleibt den Mitgliedstaaten nur noch die Wahl zwischen Gesetz und Rechtsverordnung sowie die Entscheidung über die Vollzugskompetenzen. Ein nationaler Umsetzungsakt muss zudem beständig sein und Außenwirkung besitzen. Die Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle und das Einräumen einklagbarer Rechte für den Bürger haben nach je Regelungsgegenstand ebenfalls zu erfolgen. Zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses genügen daher weder Verwaltungsvorschriften und eine entsprechende Verwaltungspraxis, noch eine gefestigte Rechtsprechung zur Auslegung zweideutiger oder unvollständiger Gesetze.113 Die nationale Umsetzung hat darüber hinaus in der Form und mit den Mitteln zu erfolgen, die dem Rahmenbeschluss zur größtmöglichen Wirkung verhelfen (effet utile), wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt.114 1. Der Ausschluss unmittelbarer Wirkung gem. Art. 34 II lit. b 3 EUV Der Ausschluss unmittelbarer Wirkung von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II lit. b 3 EUV soll eine Übertragung der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer EG-Richtlinie im Falle ihrer nicht rechtzeitigen oder defizitären Umsetzung unterbinden.115 Vgl. zur EG-Richtlinie G. Nicolaysen, Europarecht I, 2. Auflage 2002, S. 331 ff. A.A. M. Pechstein / C. Koenig, Die Europäische Union, 3. Auflage 2000, Rn. 249. 115 A. v. Bogdandy / J. Bast / F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 77 (111); W. Brechmann, in: C. Callies / M. Ruffert, EUV / EGV-Kommentar, 2. Auflage 2002, Art. 34 EUV, Rn. 9; BVerfGE 113, 273 (300). 113 114

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Obwohl einer Richtlinie nach Art. 249 III EGV im Gegensatz zu einer Verordnung nach Art. 249 II EGV vom Wortlaut her offenbar keine unmittelbare Wirkung zuzuerkennen ist, hat der EuGH hat in seiner Rechtsprechung dem Einzelnen das Recht zugesprochen, sich im Falle defizitärer oder verspäteter Umsetzung auf die einem Mitgliedstaat aus der Richtlinie erwachsenen Pflichten berufen zu können, wenn diese hinreichend klar und unbedingt sind und deshalb keines weiteren Ausführungsaktes mehr bedürfen. Der Mitgliedstaat kann dem Einzelnen insoweit nicht entgegenhalten, die Vorgaben einer Richtlinie seien mangels Umsetzungsakt nicht wirksam.116 Die parallele Gestaltung der EG-Richtlinie und des Rahmenbeschlusses hätte eine Übertragung dieser Rechtsprechung durchaus möglich erscheinen lassen. Jedenfalls wäre sie nicht an der unterschiedlichen Konstruktion und Wirkungsweise des Gemeinschaftsrechts einerseits und des Unionsrechts andererseits gescheitert, andernfalls wäre der ausdrückliche primärrechtliche Ausschluss unmittelbarer Wirkung unnötig gewesen.117 Dieser Ausschluss könnte damit einen wesentlichen Unterschied zwischen Unions- und Gemeinschaftsrecht markieren.118

2. Objektive Rechtswirkungen eines Rahmenbeschlusses Subjektive Rechte des Bürgers sind also aus einem nicht oder defizitär umgesetzten Rahmenbeschluss nicht abzuleiten.119 Objektive Rechtswirkungen eines Rechtsaktes und aus ihm abzuleitende Individualberechtigungen sind jedoch zu unterscheiden.120 Für den Rahmenbeschluss lässt sich die Annahme objektiver unmittelbarer Wirkung mit historischen und systematischen Argumenten begründen. Vorläufer des Rahmenbeschlusses war die „Gemeinsame Maßnahme“ (Art. K.3 II lit. b EUV / Maastricht). Die Maastrichter Regelung wies jedoch erhebliche Defizite auf. Zwar sollte sie offenkundig originäres Rechtshandeln auf Unionsebene ermöglichen, doch definierte der Vertrag die Rechtswirkung einer Gemeinsamen Maßnahme nicht. Eine Gemeinsame Maßnahme wurde vom Rat einstimmig angenommen, Durchführungsbestimmungen konnten mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Die Bindungswirkung dieser Bestimmungen musste jedoch im Einzelfall festgelegt werden, so dass ein wesentlicher Vorteil unionsweiten Handelns, die Anwendung eines Handlungsinstrumentes mit definierter Rechtswir116 Vgl. etwa EuGH, Slg. 1982, Rs. 8 / 81, Becker / Finanzamt Münster-Innenstadt, S. 53, Rz. 24 f. 117 Zutreffend: V. Röben, in: E. Grabitz / M. Hilf, Das Recht der Europäischen Union – Kommentar (Loseblattsammlung), Stand: 2000, Art. 34 EUV, Rn. 15. 118 So C. Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, 1997, S. 44. 119 W. Brechmann (Anm. 115), Art. 34 EUV, Rn. 9; M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 243; V. Röben (Anm. 117), Art. 34 EUV, Rn. 15. 120 E. Klein, Objektive Wirkungen von Richtlinien, in: Festschrift für Ulrich Everling, Bd. 1, 1995, S. 641 (642).

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kung, fehlte, weshalb die Regelungsbedürfnisse der Mitgliedstaaten zumeist auch nicht erfüllt werden konnten.121 Sollte aber die Vertragsrevision von Amsterdam dieses Defizit beseitigen, ist ein Rahmenbeschluss als Handlungsinstrument mit bestimmten objektiven Rechtswirkungen anzusehen.122 Dem wird jedoch entgegengehalten, der Ausschluss unmittelbarer Wirkung dokumentiere den intergouvernementalen völkerrechtlichen Charakter des Unionsrechts. Deshalb sei jede unmittelbare Wirkung eines Rahmenbeschlusses zu verneinen, die Mitgliedstaaten erzeugten vielmehr erst durch den Umsetzungsakt die Verpflichtung für die nationalen Organe, den nunmehr in nationales Recht übertragenen Vorgaben zu folgen.123 Systematisch erscheint diese Position jedoch wenig überzeugend, stellt doch Art. 34 II lit. d EUV neben den Rahmenbeschluss das Handlungsinstrument des „Übereinkommens“. Diese werden vom Rat ausgearbeitet und den Mitgliedstaaten zur Annahme entsprechend ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften empfohlen. Sie treten für die annehmenden Mitgliedstaaten in Kraft, wenn sie wenigstens von der Hälfte der Mitgliedstaaten angenommen wurden. Übereinkommen sind demnach durch das klassische völkervertragsrechtliche Ratifikationsverfahren gekennzeichnet124, während Rahmenbeschlüsse keiner weiteren Annahmehandlung seitens der Mitgliedstaaten mehr bedürfen, sondern bereits durch den Beschluss des Rates unmittelbar bindende Wirkung entfalten.125 Die unmittelbare objektive Wirkung eines Rahmenbeschlusses gilt dabei nicht nur für die Mitgliedstaaten als Adressaten, sondern auch für die nationalen Organe.126 Andernfalls würde die beabsichtigte Verknüpfung eines Handlungsinstrumentes mit einer bestimmten Rechtswirkung nur unzureichend verwirklicht. Diese Position lässt sich im Umkehrschluss auch auf die gängige Praxis der Mitgliedstaa121 A. v. Bogdandy / J. Bast / F. Arndt (Anm. 115), S. 111; W. Brechmann (Anm. 115), Art. 34 EUV, Rn. 7. 122 Vgl. D. Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gemäß Art. 35 VI EUV (Diss. TU Dresden 2004), S. 47 f.; W. Schroeder, Neues vom Rahmenbeschluss – ein verbindlicher Rechtsakt der EU, EuR 2007, S. 349 (358 ff.). 123 Vgl. C. Hillgruber, Urteilsanmerkung, JZ 2005, S. 838 (842); C. H. Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Inneres und Justiz nach dem Amsterdamer Vertrag (Diss. Bochum 2001), S. 66 f.; M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 243; R. Streinz, Der Vertrag vom Amsterdam, EuZW 1998, S. 137 (142). 124 M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 248. 125 M. Böse, in: J. Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 34 EUV, Rn. 6; W. Brechmann (Anm. 115), Art. 34 EUV, Rn. 7; D. Reichelt (Anm. 122), S. 46 f.; V. Röben (Anm. 117), Art. 34 EUV, Rn. 14. 126 M. Böse (Anm. 125), Art. 34 EUV, Rn. 6; W. Brechmann (Anm. 115), Art. 34 EUV, Rn. 7; V. Götz (Anm. 38), S. 197; R. Rupprecht, Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, integration 20 (4 / 1997), S. 264 (266); ebenso, wenn auch diesbzgl. kritisch B. Schünemann, Ein Gespenst geht um in Europa – Brüsseler „Strafrechtspflege“ intra muros, GA 2002, S. 501 (504); a.A. C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 66; M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 244.

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ten stützen, in Beratungen des Rates Parlamentsvorbehalte explizit zu erklären. Bevor diese in Folge der Beratungen oder entsprechender nationaler Entscheidungen nicht aufgegeben werden, kann eine Beschlussfassung nicht erfolgen, da andernfalls ohne weitere Annahmehandlung der Mitgliedstaaten eine das nationale Parlament bindende Entscheidung getroffen würde.127 Angesichts der ausgeschlossenen Individualberechtigungen erreicht der Rahmenbeschluss zwar nicht die supranationale Wirkung einer EG-Richtlinie, doch wird ein erheblicher Unterschied zwischen klassischem Völkervertragsrecht und Unionsrecht hier deutlich. Allein durch den Beschluss des Rates werden durch einen Rahmenbeschluss Rechtsbindungen für die Mitgliedstaaten und ihre Organe erzeugt. Rahmenbeschlüsse stellen insofern mehr als nur inhaltlich vorgeformte völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedstaaten dar.128

a) Dauerhafte unionsweite Umsetzungsverpflichtung Durch den Rahmenbeschluss des Rates werden die Mitgliedstaaten zur Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften verbindlich verpflichtet. Entsprechen diese bereits den Vorgaben, ergibt sich aus dem Rahmenbeschluss die Verpflichtung, an ihnen auch in Zukunft festzuhalten. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnung ist demnach von Dauer.129 Im Falle eines Verstoßes einer Regelung des nationalen Umsetzungsaktes gegen verfassungsrechtliche Vorgaben, ergibt sich aus der Umsetzungsverpflichtung des Mitgliedstaates für einen zur Normverwerfung berufenen Hoheitsträger auch ein Gebot zur möglichst weitreichenden Normerhaltung. Das unionsrechtliche Gebot, die Ziele eines Rahmenbeschlusses zu erreichen, verpflichtet daher etwa das Bundesverfassungsgericht im Falle eines Verfassungsverstoßes – soweit möglich –, nur eine Teilnichtigkeit eines entsprechenden Umsetzungsaktes auszusprechen und mit verfassungskonformen Übergangsregelungen zumindest für eine teilweise Umsetzung des Rahmenbeschlusses in einer Übergangsphase zu sorgen.130 127 Vgl. die Beratungsdokumente zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl: Interinstitutionelles Dossier 2001 / 0251 (CNS), COPEN 79 (14867 / 1 / 01 REV 1 sowie REV 1 ADD 1) vom 10. bzw. 12. 12. 2001 sowie I / A-Punkt-Vermerk, COPEN 22 (7252 / 02) vom 07. 06. 2002, S. 2. 128 W. Brechmann (Anm. 115), Rn. 7; H. J. Cremer / O. Suhr, in: C. Callies / M. Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Auflage 2007, Art. 34 EUV, Rn. 15 ff.; J. Masing (Anm. 91), S. 266; M. Möstl (Anm. 3), S. 563 ff.; D. Reichelt (Anm. 122), S. 45 ff.; M. v. Unger, „So lange“ nicht mehr: Das BVerfG behauptet die normative Freiheit des deutschen Rechts, NVwZ 2005, S. 1266 (1270); H. A. Wolff (Anm. 49), S. 154; a.A. U. Karpenstein, Der Vertrag von Amsterdam im Lichte der Maastricht-Entscheidung des BVerfG, DVBl. 1998, S. 942 (945); M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 245; R. Streinz (Anm. 43), Rn. 476; grundsätzliche Kritik am Tempelmodell bei W. Schroeder (Anm. 122), S. 351 f. 129 D. Reichelt (Anm. 122), S. 28; W. Schroeder (Anm. 122), S. 361 ff.

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Eine Beschränkung von Rahmenbeschlüssen auf eine Auswahl von Mitgliedstaaten ist nicht möglich. Ein Rahmenbeschluss gilt grundsätzlich für alle gegenwärtigen und zukünftigen Mitgliedstaaten. Entsprechend des Beitrittsverfahrens nach Art. 49 EUV gilt das primäre und sekundäre Unionsrecht im Rechtsraum eines beitretenden Staates in dem Stand, den es zur Zeit des Beitritts besitzt (aquis communautaire). Abweichungen können lediglich für Übergangszeiten vereinbart werden.131 Die Ausweitung eines Rahmenbeschlusses auf neue Mitgliedstaaten ließe sich insofern nur durch die Verweigerung des Beitritts selbst verhindern. Ist es dagegen beabsichtigt, eine Maßnahme nur in einem Teil der Union umzusetzen, wäre hierfür das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit nach Titel VII. des EUV zu wählen.

b) Beseitigungsverpflichtung bei Normkollisionen Eine Kollision zweier sich widersprechender, jedoch Geltung beanspruchender Rechtsnormen kann bereits im Zusammenspiel zwischen klassischem Völkerrecht und nationalem Recht entstehen. Durch die Ratifikation eines Vertrages verpflichtet sich der Staat, eine völkervertragskonforme nationale Rechtslage herzustellen. Dieser Verpflichtung kann sich ein Staat auch nicht mit dem Hinweis auf entgegenstehendes Verfassungsrecht entziehen. Wie die Normenkonvergenz hergestellt wird, ergibt sich aus dem nationalen Verfassungsrecht und dem von ihm vorgegebenen Verfahren (Transformation, Adoption, Vollzugslehre). Erst recht nicht überzeugen kann insoweit die Position des Bundesverfassungsgerichts, dass sich der nationale Gesetzgeber der Umsetzung eines Rahmenbeschlusses notfalls auch verweigern könne. Im Hinblick auf einen Rahmenbeschluss erschiene dies auch geradezu widersinnig, setzt doch das Einstimmigkeitserfordernis bei der Beschlusfassung die Zustimmung jedes Mitgliedstaats voraus. Ein auf dieser Basis gefasster Rahmenbeschluss kann daher nicht im Zuge der Umsetzung wieder in Frage gestellt werden können, ist doch dessen Sinn und Zweck gerade die Vorgabe eines verbindlichen Rahmens für alle Mitgliedstaaten, auf dessen Grundlage in der Folge die Zusammenarbeit erfolgen soll.132 130 Vgl. die abw. Meinungen von G. Lübbe-Wolff und M. Gerhardt zu BVerfGE 113, 273 (338 f. bzw. 345) sowie U. Hufeld, Der Europäische Haftbefehl vor dem BVerfG, JuS 2005, S. 865 (868); J. Jekewitz (Anm. 44), S. 638; C. Tomuschat (Anm. 90), S. 458; J. Vogel, Europäischer Haftbefehl und deutsches Verfassungsrecht, JZ 2005, S. 801 (804 f.); a.A. E.-M. Unger (Anm. 79), S. 131; vgl. zur Zulässigkeit entsprechender Verfahren vor dem BVerfG H. A. Wolff (Anm. 76), S. 34. 131 R. Geiger (Anm. 79), Art. 49 EUV, Rn. 20 ff.; A. Uhle (Anm. 75), S. 1892; H. A. Wolff (Anm. 76), S. 35. 132 BVerfGE 113, 273, 301; wie hier auch H. J. Cremer / O. Suhr (Anm. 128), Art. 34 EUV, Fn. 44; W. Schroeder (Anm. 122), S. 364 ff.; E.-M. Unger (Anm. 79), S. 131; vgl. dagegen aber R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Auflage 2002, S. 157 ff.; zur Entscheidung des BVerfG auch K. M. Böhm (Anm. 48), NJW 2005, S. 2588; J. Vogel (Anm. 130), S. 805.

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Unmittelbar anwendbar ist eine Völkerrechtsnorm dagegen nur, wenn nach ihrem Inhalt oder dem Willen des Staates kein weiterer Hoheitsakt mehr erforderlich ist, sondern die Rechtsfolgen vom Anwender direkt aus der Völkerrechtsnorm abgeleitet werden sollen. Auch insoweit unterscheiden sich die Wirkung eines völkerrechtlichen Vertrages und eines Rahmenbeschlusses nicht. Etwaige Normenkollisionen sind entsprechend der verfassungsrechtlichen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung durch Änderung der nationalen Rechtslage zu beseitigen. Maßgeblich ist jedoch das unterschiedliche Zustandekommen dieser Verpflichtung. Während normalerweise ein völkerrechtlicher Vertrag erst nach der Ratifikation durch das nationale Parlament diese Wirkung entfaltet, erzeugt sie im Unionsrecht bereits der Beschluss des Rates der Europäischen Union selbst. Die Gewichte zwischen Parlament und Regierung verschieben sich dadurch beträchtlich. Im Extremfall ist es vorstellbar, dass die Regierung eines Mitgliedstaates durch ihre Mitwirkung im Rat für das nationale Parlament eine unionsrechtliche Verpflichtung erzeugt, deren Vorgabe sie in einem unabhängigen, nationalen Willensbildungsprozess möglicherweise nicht hätte durchsetzen können.

c) Vorwirkungen Die Rechtsverbindlichkeit des Rahmenbeschlusses umfasst auch die regelmäßig enthaltene Umsetzungsfrist. Die Mitgliedstaaten haben deshalb zum einen die fristgemäße Umsetzung sicherzustellen, darüber hinaus aber auch, dass die vorgegebenen Ziele mit Ablauf der Frist auch tatsächlich erreicht werden können. Aus der Treuepflicht der Mitgliedstaaten ergibt sich zudem, dass sie alle Handlungen unterlassen müssen, die geeignet sind, die Ziele eines Rahmenbeschlusses ernsthaft in Frage zu stellen.133 Eine vergleichbare Regelung existiert mit dem sog. Frustrationsverbot des Art. 18 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. 05. 1969 auch im Völkerrecht. Danach ist ein Staat bereits vor der Ratifikation, einer vorbehaltenen Annahme oder Genehmigung des Vertrages verpflichtet, alle Handlungen zu unterlassen, die Ziel und Zweck des Vertrages vereiteln könnten.134 Eine vorübergehende, dem Rahmenbeschluss widersprechende Regelung ist jedoch zulässig, solange mit Fristablauf ein rahmenbeschlusskonformer Zustand erreicht wird. Andernfalls käme der Umsetzungsfrist keine Bedeutung zu, verpflichtet sie die Mitgliedstaaten doch eben erst mit Ablauf der Frist zur Herstellung einer konformen Rechtslage. Insofern steht es auch im Ermessen eines Mitgliedstaates, eine dem Rahmenbeschluss widersprechende nationale Regelung bis zum Fristablauf beizubehalten und anzuwenden.135 133 Vgl. zur EG-Richtlinie EuGH, Slg. 1997, Rs. C-129 / 96, Inter-Environnement, S. I-7411, Rz. 41 ff.; C. Hillgruber (Anm. 123), S. 843. 134 Vgl. S. Hobe / O. Kimminich (Anm. 17), S. 210; T. Stein / C. v. Buttlar (Anm. 15), Rn. 47.

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d) Rahmenbeschlüsse als Auslegungsmaßstab nationalen Rechts Auch das Gebot richtlinienkonformer Auslegung, das sowohl an die nationalen Gerichte wie auch jeden anderen staatlichen Hoheitsträger gerichtet ist, lässt sich als Gebot rahmenbeschlusskonformer Auslegung der nationalen Rechtsordnung übertragen136, ist doch hierfür die unmittelbare Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Vorschrift gerade nicht Voraussetzung.137 Die rahmenbeschlusskonforme Auslegung soll eine Interpretation des nationalen Rechts sicherstellen, die Widersprüche zur unionsrechtlichen Vorgabe vermeidet und dadurch eine effektive Umsetzung der Zielsetzung in den Mitgliedstaaten gewährleistet. Der rahmenbeschlusskonformen Auslegung kommt dabei zwar kein absoluter Vorrang vor anderen (nationalen) Auslegungsmethoden zu, jede rahmenbeschlusswidrige Auslegung nationalen Rechts scheidet jedoch aus. Zumindest für das zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses erlassene Recht wird man mit Blick auf den effet utile-Gedanken und die Treuepflicht der Mitgliedstaaten auch einen Vorrang der (einer) rahmenbeschlusskonformen Auslegung annehmen müssen.138 Diese unionsrechtlich determinierte Auslegungsmethode nationaler Normen vermeidet zwar Friktionen zwischen Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht, sie führt jedoch keine Konvergenz zwischen sich widersprechenden Normen beider Rechtsordnungen herbei, indem sie einen Konflikt durch den Vorrang des Unionsrechts löst, sondern sie steuert die Entscheidung über das Normverständnis im Rahmen semantischer Spielräume.139 Erlaubt eine nationale Norm kein rahmenbeschlusskonformes, ggf. neues Verständnis, steht der jeweilige Normgeber in der Pflicht, durch eine Rechtsänderung für die Umsetzung des Rahmenbeschlusses zu sorgen. 135 W. Schroeder (Anm. 122), S. 367; entsprechend zur EG-Richtlinie U. Ehricke, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts vor Ende der Umsetzungsfrist einer Richtlinie, EuZW 1999, S. 553 (556); H. D. Jarass, Richtlinienkonforme bzw. EG-rechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, EuR 1991, S. 211 (221); E. Klein (Anm. 120), S. 645 f.; W. Weiß, Zur Wirkung von Richtlinien vor Ablauf der Umsetzungsfrist, DVBl. 1999, S. 568 (573); a.A. M. Hilf, Die Richtlinie der EG – ohne Richtung, ohne Linie?, EuR 1993, S. 1 (7); G. Ress, Die richtlinienkonforme „Interpretation“ innerstaatlichen Rechts, DÖV 1994, S. 489 (492 f.). 136 EuGH, Slg. 2005, Rs. C-105 / 03, Pupino, I-5285, Rz. 33 ff. 137 EuGH, Slg. 1984, Rs. 14 / 83, von Colson, Kamann / Land Nordrhein-Westfalen, S. 1891, Rz. 26 f.; A. v. Bogdandy / J. Bast / F. Arndt (Anm. 115), S. 112; V. Götz (Anm. 38), S. 197; M. Nettesheim, Auslegung und Fortbildung nationalen Rechts im Lichte des Gemeinschaftsrechts, AöR 119 (1994), S. 261 (276), a.A. A. Scherzberg, Die innerstaatlichen Wirkungen von EG-Richtlinien, Jura 1993, S. 225 (232). 138 Vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin J. Kokott zum EuGH-Urteil vom 16. 06. 2005 – Pupino (Anm. 136), Rz. 39; M. v. Unger (Anm. 128), S. 1271; entspr. zur EG-Richtlinie S. Grundmann, EG-Richtlinie und nationales Privatrecht, JZ 1996, S. 274 (282); M. Lutter, Die Auslegung angeglichenen Rechts, JZ 1992, S. 593 (605). 139 Vgl. U. Ehricke (Anm. 135), S. 554; B. Hecker, Europäisches Strafrecht als Antwort auf transnationale Kriminalität?, JA 2002, S. 723 (728); M. Nettesheim (Anm. 137), S. 274; a.A. C. Hillgruber (Anm. 123), S. 842.

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Das Gebot rahmenbeschlusskonformer Auslegung gilt angesichts der Zweistufigkeit des Rechtsetzungsverfahrens jedenfalls nach Ablauf der Umsetzungsfrist. Vor ihrem Ablauf ist nationales Recht dagegen nur rahmenbeschlusskonform auszulegen, wenn der Rahmenbeschluss vorzeitig umgesetzt worden sein sollte. Andernfalls bleibt für die rahmenbeschlusskonforme Auslegung kein Raum, stützt sie sich doch neben der Unionstreue der Mitgliedstaaten auf den Umsetzungsbefehl aus Art. 34 II lit. b EUV140, der aber erst mit Ablauf der Frist erfüllt sein muss.141 Die rahmenbeschlusskonforme Auslegung erfasst jedoch nicht nur das zur Umsetzung erlassene Recht, sondern die gesamte nationale Rechtsordnung.142 Für das Strafrecht ist bei der rahmenbeschlusskonformen Auslegung nationalen Rechts der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege von maßgeblicher Bedeutung. Kommt eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung eines Straftatbestandes einer den Angeklagten belastenden Analogie gleich, ist sie unzulässig, auch wenn dies zu einer mangelhaften Umsetzung des Rahmenbeschlusses führt.143 Ein Rechtsprechungswandel in Beachtung eines Rahmenbeschlusses ist dagegen grundsätzlich möglich. Das Gebot der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot (nullum crimen, nulla poena sine lege praevia) stehen einem, durch einen Rahmenbeschluss hervorgerufenen neuen Verständnis einer Strafnorm nicht entgegen. Auch ein neues Auslegungsergebnis findet schließlich seine Grundlage im nationalen Strafgesetz, wenn dieses nun einmal verschiedene semantische Deutungen zulässt. Eine dadurch erfolgende Schlechterstellung des Angeklagten verstößt deshalb nicht gegen das Rückwirkungsverbot, auch wenn die Änderung der Auslegungspraxis durch einen später erlassenen Unionsrechtsakt ausgelöst wird.144 Das Vertrauen in eine bestimmte Auslegung ist auch unter Beachtung des Gebots der Rechtssicherheit nicht schutzwürdig.145 140 EuGH (Anm. 136), Rz. 40 ff.; vgl. zur Unionstreue M. Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, 2004, S. 42 ff. 141 M. Lutter (Anm. 138), S. 605; M. Nettesheim (Anm. 137), S. 277. 142 A. Bach, Direkte Wirkungen von EG-Richtlinien, JZ 1990, S. 1108 (1112). 143 EuGH (Anm. 136), Rz. 44 ff.; vgl. bereits Slg. 1987, Rs. 80 / 86, Kolpinghuis Nijmegen, S. 3969, Rz. 13; A. v. Bogdandy / J. Bast / F. Arndt (Anm. 115), S. 112; B. Hecker (Anm. 139), S. 728; H. Jung, Konturen und Perspektiven eines europäischen Strafrechts, JuS 2000, S. 417 (424); H. Satzger (Anm. 2), S. 558; F. Zeder, Der Rahmenbeschluss als Instrument der EURechtsangleichung im Strafrecht am Beispiel des Rahmenbeschlusses gegen Geldfälschung, ÖJZ 2001, S. 81 (82). 144 Vgl. BVerfGE 18, 224 (240); H.-H. Jescheck / T. Weigend, Lehrbuch des Strafrechts – Allgemeiner Teil, 5. Auflage 1996, § 15 IV 3, Fn. 46; K. Lackner / K. Kühl, Strafgesetzbuch – Kommentar, 25. Auflage 2004, § 1, Rn. 4; C. Roxin, Strafrecht – Allgemeiner Teil, Bd. 1, 4. Auflage 2006, § 5, Rn. 61; H. Tröndle / T. Fischer, Strafgesetzbuch – Kommentar, 52. Auflage 2004; H. Satzger (Anm. 2), S. 556 f.; a.A. aber W. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, (Diss. München 1993), S. 275 ff.; R. Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht – dargestellt am Abfallbegriff des § 326 Abs. 1 StGB (Diss. Trier 1997), S. 107 ff.; O. Ranft, Herabsetzung des Grenzwerts der „absoluten Fahruntüchtigkeit“ und Rückwirkungsverbot, JuS 1992, S. 468 (470 ff.); A. Schönke / H. Schröder / A. Eser, Strafgesetzbuch – Kommentar, 26. Auflage 2001, § 2, Rn. 9.

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Das Gebot rahmenbeschlusskonformer Auslegung erfordert darüber hinaus, dass das gesamte nationale Recht bei der Auslegung einer Norm berücksichtigt wird, um gegebenenfalls so ein mit dem Rahmenbeschluss zu vereinbarendes Auslegungsergebnis zu erzielen.146 Diese Maßgabe dürfte sich vor allem bei strafprozessualen Fragen, etwa bei der Beweiserhebung oder bei Aussagemodalitäten, auswirken.

e) Ausschluss eines Verdrängungseffektes eines Rahmenbeschlusses Unabhängig von der Begründung subjektiver Rechte, kommt einer EG-Richtlinie im Falle ihrer defizitären Umsetzung bei hinreichend klaren, bestimmten und unbedingten Regelungen in objektiver Hinsicht Vorrang vor entgegenstehendem nationalen Recht zu. Nationale Hoheitsträger haben in diesem Fall deshalb nach Ablauf der Umsetzungsfrist solche Regelungen der Richtlinie ungeachtet der nationalen Rechtslage anzuwenden. Die Richtlinie verdrängt insoweit nationales Recht und ersetzt es gleichsam.147 Dieser supranationale Anwendungsvorrang der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie kann auf den Rahmenbeschluss nicht übertragen werden.148 Dies betrifft auch die rahmenbeschlusskonforme Auslegung. Ist eine richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts nicht möglich, führt die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung, als deren Unterfall die richtlinienkonforme Auslegung verstanden werden kann149, zur Unanwendbarkeit der nationalen Norm. Dieser Vorrang kommt dem Unionsrecht für den Fall der Unmöglichkeit rahmenbeschlusskonformer Auslegung nicht zu. Insoweit wirkt sich die unterschiedliche Konstruktion des Gemeinschafts- und des Unionsrechts aus. Nationale Hoheitsträger sind insofern zwar nicht berechtigt und verpflichtet, einem Rahmenbeschluss entgegenstehendes nationales (Verfassungs-)Recht außer Acht zu lassen. Aus der Umsetzungspflicht ergibt sich aber – wie bereits dargelegt – für den (verfassungsändernden) Gesetzgeber die Aufgabe, entsprechende Normkollisionen durch eine Änderung der nationalen Rechtslage aufzulösen und so dem Rahmenbeschluss zur Durchsetzung zu verhelfen.

H. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 2. Auflage 2008, § 8, Rn. 101. EuGH (Anm. 136), Rz. 47. 147 EuGH, Slg. 1995, Rs. C-431 / 92, Großkrotzenburg, I-2189, Rz. 2; vgl. hierzu A. Epiney, Unmittelbare Anwendbarkeit und objektive Wirkung von Richtlinien, DVBl. 1996, S. 409 (414); anders, wenn auch im Ergebnis ebenso M. Niedobitek, Kollisionen zwischen EG-Recht und nationalem Recht, VerwArch 92 (2001), S. 58 (65 ff.; 73). 148 Vgl. BverfGE 89, 155 (176); a.A. M. Möstl (Anm. 3), S. 568. 149 H. D. Jarass (Anm. 135), S. 223, vgl. auch O. Dörr, Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte (Habil. FU Berlin 2002), 2003, S. 135 ff. 145 146

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f) Maßstabs- und Kontrollfunktion Neben die bereits erörterten Vorwirkungen und die rahmenbeschlusskonforme Auslegung nationalen Rechts tritt schließlich noch eine allgemeine Maßstabs- und Kontrollfunktion. Die Anwendung des Umsetzungsrechts hat sich an den Intentionen des Rates als Rahmenbeschlussgeber zu orientieren und nicht etwa an denen des umsetzenden nationalen Gesetzgebers. Die Verbindlichkeit des Rahmenbeschlusses erwächst zudem in allen Amtssprachen, was bei der Auslegung von Begriffen von entscheidender Bedeutung sein kann. Auch die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses in anderen Mitgliedstaaten dürfte bei der Anwendung des Umsetzungsrechts zu berücksichtigen sein.150

3. Der Rahmenbeschluss als wirkungsvolles Handlungsinstrument Die durch Rahmenbeschlüsse verbindlich erzeugten Vorgaben für die nationalen Rechtsordnungen können damit zu erheblichem Veränderungen führen, wie die Strafbarkeit juristischer Personen beispielhaft zeigt. Eine rechtmäßige Bestrafung setzt etwa im deutschen Strafrecht die schuldhafte Begehung und damit die persönliche Vorwerfbarkeit der Tat voraus (nulla poena sine culpa).151 Juristische Personen scheiden deshalb als Adressaten einer Strafvorschrift aus.152 Die im Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung vorgesehene Sanktionierung juristischer Personen (Art. 7, 8) erscheint mit Blick auf das Schuldprinzip deshalb problematisch und markiert beispielhaft mögliche Inkompatibilitäten europäischer Vorgaben und nationaler Rechtsordnungen. Die Umsetzung der Vorgaben aus Art. 7 und 8 des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung führt in Deutschland zumindest zu der partiellen Einführung einer Sanktionierung juristischer Personen, die in Strafvorschriften ihren Grund findet. Damit derartige Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kooperative Strafverfolgung nicht ausschließen, sehen die das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ausfüllenden Rahmenbeschlüsse deshalb die Vollstreckung von Entscheidungen gegen juristische Personen auch dann vor, wenn im Vollstreckungsstaat die Strafbarkeit juristischer Personen nicht anerkannt wird (vgl. Art. 9 III des Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstra150 Entsprechend zur EG-Richtlinie M. Hilf (Anm. 135), S. 15; vgl. auch A. Schmitt Glaeser, Souveränität und Vorrang, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 205 (227); W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 180 (182 ff.). 151 BVerfGE 20, 323 (331). 152 K. Lüderssen, Europäisierung des Strafrechts und gubernative Rechtssetzung, GA 2003, S. 71 (81); vgl. zum europäischen Einfluss auch J. Vogel (Anm. 60), S. 52 f.; T. Weigend, Mindestanforderungen an ein europaweit geltendes harmonisiertes Strafrecht, in: F. Zieschang / E. Hilgendorf / K. Laubenthal, Strafrecht und Kriminalität in Europa, 2003, S. 57 (74 f.).

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fen und Geldbußen, Art. 12 III des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen). Der Rahmenbeschluss als Handlungsform erweist sich so trotz des Ausschlusses von Individualberechtigungen als ein wirkungsvolles und die nationalen Rechtsordnungen unter Umständen sogar prägendes Instrument der Europäischen Union im Bereich des Strafrechts und des Strafverfolgungsrechts. Je nach inhaltlicher Gestaltung eines Rahmenbeschlusses mag zwar für die Mitgliedstaaten ein ggf. durchaus beachtlicher Gestaltungsspielraum bestehen bleiben, doch erzeugt ein Rahmenbeschluss die unbedingte Verpflichtung zu bisweilen erheblichem innerstaatlichen Rechtsetzungsaufwand, der deutlich über die schlichte Transformation etwa von europäischen Übereinkommen oder gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen hinausgeht.153

V. Die demokratische Legitimation gubernativer Rahmenbeschlüsse Obwohl die Zuständigkeit und die Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments noch durch jede Vertragsrevision gestärkt wurden, gehört das Beklagen demokratischer Defizite der europäischen Integration zum Allgemeingut der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung.154 Kennzeichnend für die europäische Einigung ist bislang der Transfer von Kompetenzen von den nationalen Parlamenten vor allem auf den aus 27 Regierungsvertretern bestehenden Rat der Europäischen Union, der die gewonnenen Gestaltungsmöglichkeiten auf der europäischen Ebene federführend nutzt. Erst in einem zeitlich verzögerten zweiten Schritt wurde – in aller Regel durch die folgende Vertragsrevision – zugunsten des Europäischen Parlaments auf horizontaler Ebene ein weiterer Kompetenztransfer vollzogen. Jedenfalls für eine bedeutende Zwischenzeit leidet die Integration dadurch zumeist an einer doppelten Schwächung parlamentarischer Mitwirkung und Kontrolle.155 Besonders deutlich wird die beschränkte Rolle der Parlamente im Unionsrecht. Bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen kommt dem Europäischen Parlament gem. Art. 39 I EUV bislang lediglich ein Anhörungsrecht zu, wodurch die Konstruktion dieses Politikfeldes auf europäischer Ebene als Zu153 E. Bubnoff, Der Europäische Haftbefehl, 2005, S. 47; B. Schünemann, Bürgerrechte ernst nehmen bei der Europäisierung des Strafverfahrens, StV 2003, S. 116; für einen weiten Spielraum der Mitgliedstaaten M. Wasmeier (Anm. 110), Art. 31 EU, Rn. 57. 154 Vgl. umfassend zu den verschiedenen Kritikpunkten A. Tiedtke, Demokratie in der Europäischen Union (Diss. Bonn 2004), S. 29 ff. 155 Vgl. A. Maurer, Parlamentarische Demokratie in der Europäischen Union (Diss. Gießen 2001), S. 15 ff.; vgl. auch M. Schröder, Die Parlamente im europäischen Entscheidungsgefüge, EuR 2002, S. 301 ff.

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sammenarbeit der Regierungen der Mitgliedstaaten nachhaltig illustriert wird.156 Die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten nationaler Parlamente in diesem Bereich sind in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet, doch sind sie im Hinblick auf die Mitwirkung des nationalen Regierungsvertreters im Rat auch deutlich begrenzt.157 Durch den Post-Nizza-Prozess sollte unter anderem gerade die Rolle der nationalen Parlamente in der europäischen Architektur geklärt (und gestärkt) sowie der Rechtsetzungsprozess auf europäischer Ebene durch eine deutlich aufgewertete Rolle des Europäischen Parlaments legitimiert werden.158 Der Vertrag über eine Verfassung für Europa159 enthielt hierzu Lösungsansätze, die zu einem großen Teil in den Lissabonner Vertrag übernommen wurden. Vor dem Hintergrund sinkender Beteiligung an den Wahlen zum Europäischen Parlament und den ablehnenden Referenden über den Verfassungsvertrag stellt sich die Frage, welche Legitimation europäische Strafrechtsharmonisierung und kooperative Strafverfolgung bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages besitzen und inwieweit dieser dazu geeignet ist, die Legitimationsgrundlage zu verbreitern. Es erscheint zumindest fraglich, ob ein Rahmenbeschluss, der durch den Beschluss von 27 Regierungsvertretern Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten und ihre Organe erlangt, den Anforderungen des Demokratieprinzips genügt. Diese Frage ist umso deutlicher zu formulieren, als dass Strafrechtsetzung und Kriminalitätsbekämpfung zu den staatlichen Handlungen zählen, die am intensivsten in die grundrechtlich geschützten Belange des Einzelnen einzugreifen vermögen und die deshalb eines besonderen Legitimationszusammenhangs in einer demokratisch verfassten Gesellschaft bedürfen. Die Gewährleistung wesentlicher Strukturprinzipien des europäisch-demokratischen Verfassungsstaates ist gerade deshalb auch für dieses Politikfeld als Basis der Mitwirkungsberechtigung der Mitgliedstaaten anzusehen. Parlamenaterische Letztentscheidungsrechte sind allerdings nicht gleichzusetzen mit dem Demokratieprinzip, dessen Verständnis unionsweit durchaus divergiert. Gleichwohl wird man annehmen dürfen und müssen, dass zwischen den Mitgliedstaaten der Union ein Grundkonsens über demokratische Herrschaftsformen und die Anforderungen an demokratisch legitimierte Rechtsetzung besteht, der als Prüfungsmaßstab für verbindliche Regelungsvorgaben der Union im Bereich des Strafrechts auch herangezogen werden kann.160 A. Maurer (Anm. 155), S. 188 f.; M. Schröder (Anm. 155), S. 304 f. C. Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: A. v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 283 (312 ff.); A. Maurer (Anm. 155), S. 291 ff.; M. Schröder (Anm. 155), S. 308 ff. 158 Vgl. J. J. Hesse, Zehn Thesen zur Kompetenzordnung im Rahmen der Europäischen Union, in: C.-E. Eberle / M. Ibler / D. Lorenz, Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart, Festschrift für Winfried Brohm, 2002, S. 111 (114 ff.). 159 ABl. EG 2004 Nr. C 310. 160 BVerfGE 89, 155 (184 ff.); vgl. statt vieler A. Bleckmann, Das europäische Demokratieprinzip, JZ 2001, S. 53 f.; J. Gerkrath, Die Bedingungen der Demokratie in der Europäi156 157

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Die Europäische Union ist deshalb auch mit guten Gründen als Rechtsgemeinschaft konzipiert worden, in der das Recht, seine einheitliche Geltung und Anwendung wesentliche Instrumente des Integrationsprozesses darstellen, der vor allem auch durch die Grundfreiheiten und Grundrechte des Bürgers geprägt ist. Die Eigenständigkeit dieser Rechtsgemeinschaft zeichnet sich vor allem durch ihren inhaltlich wie dogmatisch eigenständigen Bestand an Normen und Auslegungsmethoden, deren letztverbindliche Anwendung durch den EuGH und ihre besondere Wirkungsweise gegenüber den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen aus.161 1. Die eingeschränkte parlamentarische Entscheidungsfreiheit Die durch Rahmenbeschlüsse des Rates vorgegebenen Verfahren zur gegenseitigen Anerkennung wie auch die Harmonisierungsvorgaben zum materiellen Strafrecht erfolgen in einem gestuften Rechtsetzungsprozess. Die Zielvorgabe bindet die Mitgliedstaaten und ihre Organe, die den Bürger bindende Strafnorm wird durch nationale parlamentarische Gesetzgebung zu unmittelbar geltendem Recht. Dem schon skizzierten Unterschied zwischen klassischem Völkervertragsrecht und Unionsrecht kommt an dieser Stelle entscheidende Bedeutung zu. Durch die verbindliche Zielvorgabe eines Rahmenbeschlusses wird die Entscheidungsfreiheit des nationalen Parlaments deutlich begrenzt. Anders als durch völkerrechtlichen Vertrag, dessen bindende Wirkung das Parlament durch seinen Ratifikationsakt erst selbst erzeugt (in Deutschland etwa gem. Art. 59 GG), erlangt der Rahmenbeschluss bereits durch seine Verabschiedung durch die 27 Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten die dargestellte Rechtswirkung. Das Parlament ist in der Folge je nach Regelungsinhalt eines Rahmenbeschlusses dann beispielsweise nicht mehr frei in seiner Entscheidung, ob es eine Handlung unter Strafe stellt, sondern es kann nur noch darüber entscheiden, wie die entsprechende Rahmenbeschlussvorgabe umgesetzt wird. Der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung enthält neben der bereits erörterten Definition terroristischer Akte, der Definition terroristischer Vereinigungen und den Regelungen über Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten Bestimmungen über Anstiftung, Mittäterschaft, Versuch (Art. 4), Straschen Union / Ein französischer Standpunkt, EuGRZ 2006, S. 371 (372 ff.); zu den Schwierigkeiten bei der Übertragung national geprägter Ansprüche an demokratische Regierungsformen auf die Unionsebene auch M. Nettesheim, Demokratisierung der Europäischen Union und Europäisierung der Demokratietheorie, in: H. Bauer / P. M. Huber / K.-P. Sommermann, Demokratie in Europa, 2005, S. 143 (148 ff.). 161 Vgl. A. v. Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 149 (166 ff.); C. Callies, Grundlagen, Grenzen und Perspektiven europäischen Richterrechts, NJW 2005, S. 929 (930 ff.); I. Pernice, Die Dritte Gewalt im Europäischen Verfassungsverbund, EuR 1996, S. 27 ff.; J. Schwarze, Das schwierige Geschäft mit Europa und seinem Recht, JZ 1998, S. 1077 (1081); M. Zuleeg, Die Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft, NJW 1994, S. 545 ff.; ders. (Anm. 140), S. 22 f.

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fen (Art. 5, 6), die Verantwortlichkeit juristischer Personen (Art. 7) und ihrer Sanktionierung (Art. 8) sowie darüber hinaus Vorschriften über die Gerichtsbarkeit, Strafverfolgung (Art. 9), Opferschutz und -hilfe (Art. 10) und die Einführung eines Berichtswesens der Mitgliedstaaten (Art. 11). Wie sich schon aus der Definition terroristischer Akte des Art. 1 ergibt, stehen die unionsrechtliche Vorgabe und das nationale Strafrecht in wechselseitiger Beziehung. Die Strafbarkeit einer Tat als terroristisches Verbrechen ergibt sich durch eine nach nationalem Recht strafbare Handlung, die dann als terroristischer Akt zu qualifizieren ist, wenn darüber hinaus die Merkmale des Art. 1 des Rahmenbeschlusses vorliegen. Art. 5 II des Rahmenbeschlusses verpflichtet die Mitgliedstaaten, für diese Taten und solche nach Art. 4 entsprechende Qualifikationstatbestände und für diese höhere Strafen im nationalen Recht vorzusehen als für die einfache Begehung der entsprechenden Straftaten. Eine unionsweite Mindeststrafbarkeit wird auf diese Weise nicht exakt formuliert, sondern den Mitgliedstaaten wird lediglich aufgegeben, innerhalb ihrer eigenen Relationen höhere Strafen festzusetzen. Da insofern der jeweiligen Rechtsordnung das Vergleichsmaß für die Erfüllung der Rahmenbeschlussvorgabe zu entnehmen ist, bleiben die nationalen Eigenarten und spezifischen Wertungen nahezu unangetastet. Art. 5 III des Rahmenbeschlusses formuliert dagegen deutlich präzisere Vorgaben. Das Anführen einer terroristischen Vereinigung (Art. 2 II lit. a) muss seitens der Mitgliedstaaten mit einer Höchststrafe von mindestens 15 Jahren, die Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung (Art. 2 II lit. b) mit einer Höchststrafe von mindestens acht Jahren versehen werden. Durch diese Maßgaben und die Definition einer terroristischen Vereinigung in Art. 2 I wird der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnung erheblich eingeschränkt. Es steht den Mitgliedstaaten allerdings frei, über diese Vorgaben hinauszugehen. So könnte die Tatbestandsdefinition einer terroristischen Vereinigung weiter gefasst und die Mindeststrafe höher angesetzt werden. Strafschärfende Regelungen bleiben also möglich, den Mitgliedstaaten ist es jedoch verwehrt, hinter den Mindestvorschriften zurückzubleiben. An der zuletzt beschriebenen Regelung wird deutlich, wie detailliert eine Rahmenbeschlussvorgabe ausfallen kann. Das Fehlen einer substantiellen parlamentarischen Beteiligung an der Beschlussfassung erscheint deshalb durchaus bedenklich. Das Anhörungsrecht des Europäischen Parlaments wiegt die im Zweifel weitgehende Beschneidung der bisher vollkommen freien Entscheidung eines nationalen Parlamentes, ob eine Handlung überhaupt unter Strafe zu stellen ist, jedenfalls nicht auf. Zwar kann auf eine mittelbare demokratische Legitimation der im Rat entscheidenden Regierungsvertreter durch ihre Wahl in die nationale Regierung verwiesen werden, doch kann auch dies als Ausgleich der Beschränkung parlamentarischer Entscheidungsfreiheit kaum angesehen werden, zumal, wenn wie etwa in

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Deutschland die Bundesminister nicht durch den Bundestag gewählt, sondern vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers (Art. 64 GG) ernannt werden. Die demokratische Legitimation der Mitwirkung des Bundesinnenministers oder des Bundesjustizministers an der Beschlussfassung über einen Rahmenbeschluss ist in diesem Sinne sogar nur doppelt mittelbar. Die Gewichtsverschiebung zwischen Parlament und Regierung wiegt vor diesem Hintergrund besonders schwer.162

2. Die Vorgaben des Demokratieprinzips für die Strafgesetzgebung Dieser Befund dürfte die demokratische Legitimation europäischer Rahmenbeschlüsse bereits grundsätzlich kritisch erscheinen lassen. Erst recht problematisch ist diese Art der Rechtsetzung damit im Bereich des Strafrechts und des Strafverfolgungsrechts, sind diese Rechtsgebiete doch besonders grundrechtsrelevant und legitimationsbedürftig.

a) Keine Strafe ohne Parlamentsgesetz Der öffentliche Strafanspruch erfährt seine Legitimation aus seiner dem Gemeinwohl dienenden Funktion. Das Gemeinwohlinteresse liegt in der spezial- und generalpräventiven Wirkung der Strafe sowie der angemessenen Bestrafung eines Täters. Das Ziel einer strafrechtlichen Vorschrift ist auch der Schutz vor künftigen zurechenbaren Rechtsgutsverletzungen. Der Eingriff in die Grundrechte des Bestraften (die Strafe) ist nur durch die Vorwerfbarkeit der strafbewährten Handlung zu rechtfertigen. Damit die Strafe diesen Zweck erfüllen kann, sind an das sie begründende Urteil hohe Anforderungen zu stellen. Dazu gehören ein fairer rechtsstaatlicher Prozess, Verfahrensgerechtigkeit, die Verhältnismäßigkeit der Strafe und die Qualität des Strafvollzugs. Anders ist weder die abschreckende Wirkung der Strafbarkeit noch die gebotene Resozialisierung des Täters zu erreichen. Gleichwohl ist das Strafrecht als gesellschaftliches Steuerungsinstrument ultima ratio und durch seine Subsidiarität und Akzessorietät in seiner Funktion begrenzt.163 Maßgeblich für das Strafrecht ist das schon in seinen einzelnen Ausprägungen beschriebene Gesetzlichkeitsprinzip. Neben der das gesellschaftliche Leben ordnenden Wirkung der Strafbarkeit einer Handlung kommt ihm die Funktion zu, Exe162 Kritisch deshalb S. Braum, Europäisches Strafrecht im administrativen Rechtsstil, ZRP 2002, S. 508 (511); M. Kaiafa-Gbandi, Europäisches Strafrecht – Die Perspektive des Grundrechtsschutzes nach dem Verfassungsentwurf für Europa, KritV 2004, S. 1 (4 f.); R. Streinz (Anm. 43), Rn. 476; vgl. insoweit auch J. Gerkrath (Anm. 160), S. 376. 163 O. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte (Habil. Freiburg 1995), 1996, S. 138 ff.; K. Lüderssen (Anm. 152), S. 76 ff.

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kutive und Judikative an allgemein formulierte Gesetze zu binden. Das Strafrecht soll für den Bürger berechenbar sein, Willkür und emotionsbeladene Einzelfallentscheidungen sollen ausgeschlossen, der Vertrauensschutz des Bürgers vielmehr gewährleistet werden.164 Ein Täter kann deshalb nur bestraft werden, wenn ein tatbestandsbezogenes Unrechtsbewusstsein erlangt werden konnte, wenn er also die vor der Tat schriftlich formulierte, bestimmte und zum Zeitpunkt der Tat geltende Strafvorschrift kennen konnte.165 Da durch eine Bestrafung in die Grundrechte des Betroffenen einschneidend eingegriffen wird, kann die Legitimation zur Bestimmung der Tatbestandsmerkmale einer strafbaren Handlung und der Strafe in einem (repräsentativ-)demokratischen Rechtsstaat nur dem Parlament zukommen als der Instanz, die das Volk am unmittelbarsten repräsentiert und das sich so einen Verhaltenskodex gibt und die Folgen bei Zuwiderhandlungen festsetzt. Der öffentliche Strafanspruch kann deshalb nur durch ein Parlamentsgesetz legitimiert werden (nullum crimen, nulla poena sine lege parlamentaria).166 Als grundlegendes Verfassungsprinzip ist der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege zugleich Teil des Fundaments der europäischen Wertegemeinschaft.167 Ein Parlamentsvorbehalt ist unionsweit dagegen so nicht feststellbar, wenngleich Strafgesetze wenigstens dem Grundsatz nach auf eine parlamentarische Entscheidung zurückführbar sein müssen. Die in mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in durchaus größerem Umfang existierende Möglichkeit einer Kompetenzübertragung auf die Regierungen spricht in der Gesamtschau allerdings gegen die Annahme des Parlamentsvorbehalts deutscher Prägung als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts.168

b) Die Zulässigkeit kooperativer Strafverfolgung Ein Recht, nur dem Strafrecht unterworfen zu werden, das der Staat geschaffen hat, dessen Staatsangehörigkeit man besitzt, und das deshalb ein Beteiligungsverbot an kooperativer Strafverfolgung nach sich zieht, kann aus dem Demokratieprinzip dagegen nicht abgeleitet werden. Weder das Völkerrecht noch das Verfassungsrecht kennen einen entsprechenden allgemeinen Grundsatz, wie die AusliefeP.-A. Albrecht, Europäischer Strafrechtsraum: Ein Albtraum?, ZRP 2004, S. 1 (3). C. Roxin (Anm. 144), § 5, Rn. 24 f. 166 BVerfGE 78, 374 (382 f.), S. Braum (Anm. 102), S. 70 ff.; P. Kunig, in: I. von Münch / ders., GG-Kommentar, 5. Auflage 2003, Band 3, Art. 103 GG, Rn. 21; K. Lüderssen (Anm. 152), S. 82; C. Roxin (Anm. 144), § 5, Rn. 20 f.; H. Satzger (Anm. 2), S. 110. 167 P.-A. Albrecht, Die vergessene Freiheit, 2003, S. 53 ff.; S. Braum (Anm. 102), S. 569; H. Satzger (Anm. 2), S. 113; vgl. auch EuGH, Slg. 1984, Rs. 63 / 83, Regina / Kirk, S. 2689, Rz. 22. 168 H. Satzger (Anm. 2), S. 129 f. m. w. N.; J. Vogel, Wege zu europäisch-einheitlichen Regelungen im Allgemeinen Teil des Strafrechts, JZ 1995, S. 331 (338 f.). 164 165

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rung eigener Staatsangehöriger durch angelsächsische Staaten und das nunmehr eingeschränkte Auslieferungsverbot des Grundgesetzes zeigen. Dürfte nur das Strafrecht Anwendung finden, an dessen Entstehen der Betroffene als Aktivbürger über sein Wahlrecht mitwirken konnte, gäbe es zum Beispiel auch für nicht wahlberechtigte Jugendliche kein anwendbares Strafrecht, bei Personen mit mehreren Staatsangehörigkeiten ließe sich das geltende Strafrecht nicht klar bestimmen.169 Dem Demokratieprinzip könnte aber zu entnehmen sein, dass ein Bürger nur einer Norm unterworfen werden darf, die eine Handlung unter Strafe stellt, die auch das eigene Parlament als strafwürdig erkannt hat. Der Grundsatz beiderseitiger Strafbarkeit als Auslieferungsvoraussetzung wäre dann als Ausfluss des Demokratieprinzips anzusehen, der darüber hinaus als rechtsstaatlicher Grundsatz im Sinne des Art. 16 II 2 GG Beachtung finden müsste.170 Nach diesem Verständnis zieht das Demokratieprinzip kooperativer Strafverfolgung in der Europäischen Union durchaus Grenzen.

3. Legitimationsdefizite im Mehrebenensystem Den so formulierten Maßgaben des Demokratieprinzips entsprechen die durch Rahmenbeschlüsse vorgegebene nationale Gesetzgebung und die Mechanismen zur gegenseitigen Anerkennung nationaler Vorschriften jedenfalls nicht ohne Weiteres. Hält man aber die Annahme für zutreffend, grenzüberschreitende Kriminalität und internationaler Terrorismus erforderten auch überstaatliche Kooperation bei der Verbrechensbekämpfung, wird man sich die Frage vorlegen müssen, inwieweit an die demokratische Legitimation dieser Zusammenarbeit andere Maßstäbe anzulegen sind als im nationalen Zusammenhang.171 Grundsätzlich festzustellen ist zunächst, dass in der Europäischen Union als einem föderativen Mischsystem das Demokratieprinzip wie auch der Grundsatz der Gewaltenteilung nur unter den besonderen Bedingungen der Integration und damit in einer spezifischen Funktionsordnung verwirklicht werden können.172 169 H. Baier (Anm. 73), S. 435; M. Deiters (Anm. 60), S. 360; O. Lagodny (Anm. 66), S. 176; J. Masing, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 2. Auflage 2004, Art. 16, Rn. 30 ff.; C. Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 116 (2004), S. 332 (338); C. Rinio (Anm. 53), S. 385, H. A. Wolff (Anm. 76), S. 38; a.A. aber offenbar B. Schünemann, ZRP 2003 (Anm. 55), S. 188. 170 So über 100 deutsche Strafrechtslehrer, in: „Thesen zur Europäisierung der Strafverfolgung durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung“, 3.), http: //www.jura.uni-muenchen.de/einrichtungen/ls/schuenemann/[23. 03. 2004]; insoweit präziser B. Schünemann (Anm. 55), GA 2004, S. 204. 171 Eher kritisch zur Bestandsaufnahme, insbesondere bzgl. der negativen Bewertung des gegenwärtigen Rechtshilferechts A. Klip (Anm. 108), S. 628. 172 Vgl. M. Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht (Diss. Göttingen 1995), 1996, S. 91; M. Kaltenborn, Rahmengesetzgebung im Bundesstaat und im Staatenbund, AöR 128 (2003), S. 412 (417); S. Magiera, Die Arbeit des europäischen Verfas-

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Bereits die verfassungsrechtliche Figur des Gesetzesvorbehalts lässt sich angesichts eines bislang fehlenden gemeinschaftsrechtlichen Gesetzesbegriffs, der institutionellen Struktur der Europäischen Union und der andersartigen Abgrenzung von formellen und materiellen Gesetzen bzw. legislativen und exekutiven Rechtsakten nicht so einfach auf das Unionsrecht übertragen.173 In seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt unterstellt der Gesetzesvorbehalt im Verfassungsrecht diejenigen Materien dem parlamentarischen Gesetzgeber, die dieser selbst regeln muss. Die durch den Gesetzesvorbehalt erzeugte Kompetenzabgrenzung zwischen Legislative und Exekutive ist allerdings nicht als starre Grenze zu verstehen, unterliegt diese doch dem jeweiligen Staats- und Verfassungsverständnis sowie jeweils neu aufkommenden Abgrenzungsproblemen, die auch mit dem Begriff des Wesentlichen174 letztlich nur einzelfallbezogen gelöst werden können. Die rechtsstaatliche Komponente des Gesetzesvorbehalts, die Gesetzesbindung der ausführenden und rechtsprechenden Gewalt, wie seine demokratische Komponente, die Legitimität spendende Beschlussfassung durch ein Repräsentativorgan175, sind jedoch über Art. 6 I EUV auch für die Europäische Union maßgebend.176 Ein Parlamentsvorbehalt kann angesichts der in den Verträgen ausgewiesenen Organkompetenzen auf europäischer Ebene freilich auch für wesentliche Fragen nicht festgestellt werden. Vielmehr hat der Rat der Europäischen Union die wesentlichen Grundentscheidungen – je nach Gegenstand in unterschiedlichen Verfahren gemeinsam mit dem Europäischen Parlament – zu treffen, um die in den Verträgen vorgesehene gemeinschaftliche Politik zu verwirklichen. Durchführungsbestimmungen solcher Rechtsakte können sowohl vom Rat wie auch von der Europäischen Kommission erlassen werden. Die verfassungsrechtliche Unterscheidung zwischen parlamentarischem Gesetz und Verordnungen der Regierung findet sich dem entsprechend auf europäischer Ebene so nicht wieder. Der EuGH differenziert lediglich formal zwischen Rechtsakten, die ihre Grundlage direkt in den sungskonvents und der Parlamentarismus, DÖV 2003, S. 578; M. Nettesheim (Anm. 160), S. 155 ff.; G. Nicolaysen (Anm. 113), S. 111; S. Oeter, Föderalismus, in: A. von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 (71 ff.); ders., Europäische Integration als Konstitutionalisierungsprozeß, ZaöRV 59 (1999), S. 901 (913); T. Oppermann, Europarecht, 3. Auflage 2005, § 5, Rn. 10, 246; U. Schliesky (Anm. 3), S. 389 ff.; R. Streinz (Anm. 43), Rn. 323 ff., a.A. aber K. Doehring, Demokratiedefizit in der Europäischen Union?, DVBl. 1997, S. 1133 (1136); vgl. zum Begriff des Mehrebenensystems U. Schliesky a. a. O., S. 474 ff.; durchaus kritisch P.-M. Huber, Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, EuR 2003, S. 574 (575 f.). 173 M. Hilf / K. D. Classen, Der Vorbehalt des Gesetzes im Recht der Europäischen Union, in: L. Osterloh / K. Schmidt / H. Weber, Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung, Festschrift für Peter Selmer, 2004, S. 71 (77 ff.); W. Hoffmann-Riem, Gesetz und Gesetzesvorbehalt im Umbruch, AöR 130 (2005), S. 5 (62 ff.). 174 BVerfGE 49, 89 (126 f.). 175 Vgl. F. Sander, Repräsentation und Kompetenzverteilung (Diss. Hamburg 2003), S. 98 ff. 176 M. Hilf / K. D. Classen (Anm. 173), S. 80.

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Verträgen finden, und Rechtsakten, die der Durchführung der zuerst genannten Rechtsakte dienen, ohne dass insofern eine dem Parlamentsvorbehalt entsprechende Kompetenzzuweisung erfolgte.177 Die Rechtsetzung in der Union weist im Vergleich zur nationalen Rechtsetzung damit strukturelle Unterschiede auf. Eine deckungsgleiche Übertragung des Vorbehalts parlamentarischer Gesetzgebung im Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts ist jedenfalls zum gegenwärtigen Stand der Integration ausgeschlossen. Akzeptabel könnten die gleichwohl erzeugten verbindlichen Vorgaben für das nationale Recht jedoch erscheinen, wenn man sie einerseits im Kontext anderer Formen gubernativer Rechtsetzung betrachtet und ihre mittelbare demokratische Legitimation als ausreichend ansieht.

a) Gubernative Rechtsetzung Auch im nationalen Recht ist das Parlament schließlich nicht das einzige Recht setzende Organ, sondern auch die Regierung als Gubernative setzt durch Verordnungen Recht, die Verwaltung als Exekutive trifft – gebunden an Verwaltungsvorschriften – den Bürger bindende Regelungen durch Verwaltungsakte und die Judikative gestaltet oder stellt Rechtsverhältnisse durch Rechtsprechung fest.178 Das Parlament besitzt in einem repräsentativ-demokratischen Verfassungsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland „lediglich“ die Entscheidungsmacht über den rechtsverbindlichen Inhalt eines Gesetzes. Doch auch auf die konkrete Gesetzgebung übt die Regierung prägenden, wenn man so will hegemonialen179, Einfluss aus. Der deutlich überwiegende Teil von Gesetzgebungsvorhaben geht auf die Initiative der Regierung zurück, die sich dabei auf entsprechende Vorarbeiten ihrer Ministerialbürokratie stützt. Während des parlamentarischen Willensbildungsprozesses kommt der Regierung eine steuernde und auch leitende Funktion zu. Dieser Befund überrascht nicht, besitzt doch letztlich nur die Regierung die notwendigen Ressourcen zur Erarbeitung sachgerechter normativer Regelungen, die im Ergebnis meist auch dem politischen Willen der Parlamentsmehrheit entsprechen. Von erheblicher Bedeutung ist darüber hinaus die Beteiligung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, etwa der Verbände, Kirchen, Unternehmen oder gemeinnütziger Organisationen, denen insoweit auch eine demokratische Funktion 177 EuGH, Slg. 1970, Rs. 25 / 70, Köster, S. 1161 (1172), Rz. 6; Slg. 1987, verb. Rs. 133 – 136 / 85, Rau / BALM, S. 2289 (2341 f.), Rz. 30 f.; Slg. 1992, Rs. C-240 / 90, Deutschland / Kommission, I-5383 (5433 f.), Rz. 35 ff. 178 Vgl. zu den Begriffen A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung (Habil. FU Berlin 1996), 2000, S. 115. 179 So A. v. Bogdandy (Anm. 178), S. 56; vgl. aber die Rede des Bundestagspräsidenten Lammert, der den Bundestag als Auftraggeber der Regierung versteht, Stenographischer Bericht der 1. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 18. Oktober 2005, S. 4.

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zugesprochen werden kann, ohne dass ihnen formalisierte Entscheidungsrechte zukämen. Häufig sind aber allein deren Vertreter in der Lage, die Auswirkungen eines Gesetzesvorhabens in der Praxis zu übersehen und dem entsprechend steuernden Einfluss auszuüben. Die Rolle der Regierung und die unter Umständen politisch sogar entscheidende Beteiligung partikularer Interessenvertreter sprechen in der Verfassungswirklichkeit deshalb gegen die Annahme einer allein maßgebenden Rolle des Parlaments im Gesetzgebungsprozess.180 Wäre aber einzig die funktionale Eignung maßgebend für die Bestimmung einer Entscheidungskompetenz, liefe dies auf eine verfassungsrechtliche Revolution hinaus.181 Weder die Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen, noch das Initiativrecht und die steuernde Funktion der Regierung im Gesetzgebungsprozess lösen das grundlegende Verhältnis zwischen Parlament und Regierung auf. Gubernative und Exekutive bleiben an das legislativ gesetzte Recht gebunden. Umgekehrt kann eine normative Bindung des Parlaments an Entscheidungen der Regierung nicht festgestellt werden, wenn auch der tatsächliche Einfluss seitens der Regierung auf die Tätigkeit des Parlaments bestimmend sein mag. Das Parlament ist aber nicht nur politischer Akteur, sondern unterliegt als verfassungsrechtlich gebundenes Organ auch seinem durch die Verfassung definierten Gestaltungsauftrag. Die Normsetzung des Parlaments ist gebunden an die verfassungsrechtlichen Prinzipien und Werte, deren Konkretisierung durch Gesetzgebung auch als rechtlicher Prozess in Erfüllung der Parlamentsfunktion anzusehen ist.182 Darüber hinaus ist das Parlament der zentrale Ort der öffentlichen Auseinandersetzung über die Belange der Allgemeinheit und selbstverständlich auch der Ort, an dem der politische Kampf zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition ausgetragen wird. Eine veränderte verfassungsrechtliche Funktionsordnung kann aus den Verschränkungen zwischen den Beteiligten im Gesetzgebungsprozess deshalb nicht abgeleitet werden. Auch wenn man davon ausgehen muss, dass das Parlament nicht allein den „allgemeinen Willen“ formuliert, liegt doch die normative Entscheidungsgewalt beim Parlament, das damit die Letztverantwortung im Gesetzgebungsprozess trägt.183 Hoheitliche Rechtsetzung im überstaatlichen Verbund der Europäischen Union ist jedoch durch andersartige Mechanismen gekennzeichnet. Zwar erfolgt sie auf der Basis einer entsprechenden Ermächtigung durch die Mitgliedstaaten, die 180 A. v. Bogdandy (Anm. 178), S. 137 ff.; vgl. auch H. Kube, Vom Gesetzesvorbehalt des Parlaments zum formellen Gesetz der Verwaltung?, NVwZ 2003, S. 57; M. Nettesheim (Anm. 160), S. 161 f. 181 So auch A. v. Bogdandy (Anm. 178), S. 87. 182 F. Sander (Anm. 175), S. 136 f. 183 A. v. Bogdandy (Anm. 178), S. 91; ders., Parlamentarismus in Europa: eine Verfallsoder Erfolgsgeschichte?, AöR 130 (2005), S. 445 (450 ff.); S. Braum (Anm. 43), S. 689; F. Sander (Anm. 175), S. 143 ff.

V. Die demokratische Legitimation gubernativer Rahmenbeschlüsse

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Deutschland etwa durch das parlamentarische Zustimmungsgesetz erteilt hat, doch sind die primär Handelnden und den Integrations- und damit auch den Rechtsetzungsprozess Steuernden die im Rat versammelten Vertreter der Regierungen. Bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen besitzen die Europäische Kommission und jeder Mitgliedstaat ein Initiativrecht. Die Beschlussfassung erfolgt im Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments. Die Funktionslogik und die besonderen Voraussetzungen dieser Integration setzen dieses maßgebliche Zusammenwirken der Regierungen auch voraus.184 Die das nationale Recht prägende Rechtsetzung durch Rahmenbeschlüsse ist damit eine Form gubernativer Rechtsetzung, die dabei aber offenkundig nicht nach den Maßstäben des verfassungsrechtlichen Rollenverständnisses von Parlament und Regierung erfolgt. Auch wenn die normative Letztverantwortung des notwendigen Umsetzungsgesetzes beim nationalen Parlament liegt, kann von einer materiellen Entscheidungsmacht der Parlamente bei dieser Form der Zusammenarbeit nicht gesprochen werden.185

b) Mittelbare demokratische Legitimation Mit Blick auf die notwendige demokratische Legitimation von Strafgesetzgebung und Strafverfolgung könnte das so gesetzte Unionsrecht dennoch akzeptabel erscheinen, wenn der Mitwirkung der Regierungsvertreter im Rat eine hinreichend legitimierende Wirkung zugesprochen werden könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hängt die Legitimität der Europäischen Union bzw. die Beteiligung Deutschlands am Integrationsprozess davon ab, dass eine vom Volk ausgehende Legitimation und Einflussnahme innerhalb des Staatenverbundes sichergestellt ist. Maßgeblich ist nach diesem Verständnis also die Legitimation europäischer Rechtsetzung durch die Staatsvölker der Mitgliedstaaten, die durch ihre nationalen Parlamente repräsentiert werden. Die Legitimation der Europäischen Union durch das direkt gewählte Europäische Parlament wirkt danach bislang nur ergänzend. Als Bedingung für die Mitgliedschaft Deutschlands im Staatenverbund wird auf diese Weise die Bewahrung unübertragbarer nationaler Parlamentskompetenzen formuliert, wenngleich sich strukturangemessene Entscheidungsmechanismen, insbesondere auch Mehrheitsentscheidungen, auf der Unionsebene aus Sinn und Zweck des Staatenverbundes zwingend ergeben und auch zulässig sind. Solange die Staatsvölker aber über ihre nationalen Parlamente die notwendige demokratische Legitimation europäischer Rechtsetzung besorgen, ist die Ausdehnung von Aufgaben und Befugnissen der europäischen Ebene damit aus sich heraus begrenzt. Das Handeln europäischer Organe 184 A. Bleckmann (Anm. 160), S. 55; S. Oeter (Anm. 172), S. 103 ff.; kritisch M. Nettesheim (Anm. 160) S. 176 ff. 185 S. Braum (Anm. 102), S. 404 f.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

setzt nach diesem Verständnis zwingend eine Rückkoppelung an die Parlamente der Mitgliedstaaten voraus.186 Überstaatliche Rechtsetzung kann deshalb nur bei wesentlicher Beteiligung von Regierungsvertretern erfolgen, die wiederum der demokratischen Kontrolle ihrer nationalen Parlamente unterliegen, wodurch die notwendige Rückkoppelung entsteht.187 Der zur Voraussetzung erhobene Rückbezug auf die nationalen Parlamente als den unmittelbar demokratisch legitimierten Organen führt für die Rechtsetzung auf europäischer Ebene so zu einer mittelbaren demokratischen Legitimation. Das entscheidende, Legitimation vermittelnde Organ kann auf europäischer Ebene daher nur der Rat sein, der durch seine Zusammensetzung aus Vertretern der nationalen Regierungen als einziges Organ einen direkten Bezug zu den nationalen Parlamenten aufweist.188 Die aus dem Demokratieprinzip abzuleitenden Partizipationsrechte des Bürgers an nationalen Parlamentsentscheidungen finden auf europäischer Ebene dagegen (bisher) kein Äquivalent.189 Es ist deshalb fraglich, ob prägende Vorgaben für die Strafgesetzgebung der Mitgliedstaaten durch Rahmenbeschlüsse und durch sie erzeugte Mechanismen kooperativer Strafverfolgung durch den einstimmigen Beschluss des Rates nach Anhörung des Europäischen Parlaments den Prinzipien demokratischer Herrschaft genügen und deshalb den (partiellen) Verzicht auf eine parlamentarische Autorisierung dieser Rechtsetzung zulassen. Soweit es sich um Rechtsetzung untergesetzlicher Qualität auf europäischer Ebene handelt, spricht gegen eine maßgeblich gubernative Rechtsetzung ebenso wenig wie im nationalen Zusammenhang. Für materiell gesetzesbedürftige Materien wie das Strafrecht erscheint der Verweis auf das parlamentarische Zustimmungsgesetz zur Übertragung entsprechender Befugnisse auf die überstaatliche Ebene und die politische Verantwortlichkeit der Regierungsvertreter gegenüber ihren nationalen Parlamenten als legitimatorische Basis dieser Art von Rechtsetzung allerdings wenig überzeugend.

186 BVerfGE 89, 155 (183 ff.); vgl. aber etwa die Einschätzung des Europäischen Parlaments durch den EGMR, der das EP sehr wohl als gesetzgebende Körperschaft ansieht, Urteil vom 18. 02. 1999, Matthews / Vereinigtes Königreich, EuGRZ 2000, S. 200 ff.; vgl. hierzu auch J. Bröhmer, Das Europäische Parlament: Echtes Legislativorgan oder bloßes Hilfsorgan im legislativen Prozeß?, ZEuS 1999, S. 197 (198 ff.); I. Canor, Primus inter pares. Who is the ultimate guardian of fundamental rights in Europe?, E.L.Rev. 25 (2000), S. 3 (15); G. Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber – Der Blickpunkt der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZEuS 1999, S. 219 (226 ff.); S. Winkler, Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, das Europäische Parlament und der Schutz der Konventionsrechte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, EuGRZ 2000, S. 18 (20 ff.); vgl. zum Begriff auch U. Schliesky (Anm. 3), S. 149 ff. 187 BVerfGE 89, 155 (187); skeptisch bzgl. der Effektivität dieser Rückbindung S. Winkler (Anm. 186), S. 21. 188 Kritisch hierzu S. Oeter (Anm. 172), S. 87. 189 F. Sander (Anm. 175), S. 327 ff.

V. Die demokratische Legitimation gubernativer Rahmenbeschlüsse

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Die so abzuleitende demokratische Legitimation dürfte nur dann als hinreichend anzuerkennen sein, wenn dem Staatenverbund Europäische Union eine weitergehende Parlamentarisierung und damit eine unmittelbare(re) Legitimation aufgrund seines Wesens unmöglich wäre. Die funktionale Ausdifferenzierung des Institutionengefüges der Europäischen Union, die insbesondere an Aufgabe und Funktion des EuGH abzulesen ist, dokumentiert jedoch eindrucksvoll, dass der Staatenverbund sich weit über gubernativ-exekutivische Formen der Zusammenarbeit von Staaten hinausentwickelt hat.190 Begreift man das Europäische Parlament als gewählte Volksvertretung, wenn auch nicht eines Staatsvolkes, sondern der in einem multinationalen Verbund vereinigten europäischen Staatsvölker, kann der Repräsentationsgedanke im Sinne der Volkssouveränität trotz einer Vielzahl von Besonderheiten – etwa im Hinblick auf die zahlenmäßige Zusammensetzung und die Gleichheit der Wahl191 – auf die Europäische Union übertragen werden.192 Die Repräsentation der Mitgliedstaaten im Rat dient dagegen als Kompensation für die durch die Übertragung von Befugnissen auf die Europäische Union verlorene legislative Entscheidungsmacht der einzelnen Staaten. Während in einem Parlament die von der Rechtsetzung betroffenen Adressaten in ihrer Gesamtheit repräsentiert werden und sie durch ihre Partizipationsrechte Einfluss auf den gemeinschaftlichen Willensbildungsprozess ausüben können, sichert die Repräsentation der Mitgliedstaaten im Rat deren Staatlichkeit durch die Ausübung und Kontrolle der überstaatlichen Rechtsetzungskompetenzen.193 Die Repräsentation der Mitgliedstaaten im Rat wiegt aber die defizitäre Repräsentation der Normunterworfenen auf europäischer Ebene und damit auch die defizitäre Legitimität dieser Art der Rechtsetzung nicht auf. Inwieweit neuerliche horizontale Kompetenztransfers zugunsten des Europäischen Parlaments dieses Defizit Zutreffend F. Sander (Anm. 175), S. 345. Kritisch deshalb H. Satzger (Anm. 2), S. 126 f.; R. Streinz (Anm. 43), Rn. 324 / 355; gegen diese Kritik wiederum B.-O. Bryde, Demokratisches Europa und Europäische Demokratie, in: C. Gaitanides / S. Kadelbach / G. C. Rodriguez Iglesias, Europa und seine Verfassung, Festschrift für Manfred Zuleeg, 2005, S. 131 (133 f.); G. Ress (Anm. 186), S. 224; Tiedtke (Anm. 154), S. 119 ff.; M. Zuleeg (Anm. 140), Zusammenhalt, S. 133; differenzierend auch C. Callies, Das Demokratieprinzip im europäischen Staats- und Verfassungsverbund, in: J. Bröhmer / R. Bieber / ders. / C. Langenfeld / St. Weber / J. Wolf, Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress, 2005, S. 399 (413 ff.); M. Nettesheim (Anm. 160), S. 159 f.; vgl. zu den nationalen Unterschieden A. Bleckmann (Anm. 160), S. 57. 192 C. Callies (Anm. 191), S. 402 ff.; J. Gerkrath (Anm. 160), S. 374 ff.; W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 1995, S. 65; S. Oeter (Anm. 172), S. 90; I. Pernice, Maastricht, Staat und Demokratie, Die Verwaltung 29 (1993), S. 449 (477 ff.); F. Sander (Anm. 175), S. 431 f.; U. Schliesky (Anm. 3), S. 209 ff.; S. Winkler (Anm. 186), S. 21. 193 F. Sander (Anm. 175), S. 350 f.; vgl. zur Kritik an der tatsächlichen Leistungskraft des Rates (und am Europäischen Rat) als politischem und rechtsetzendem Leitungsorgan der Europäischen Union C. F. Mayer, Nationale Regierungsstrukturen und europäische Integration, EuGRZ 2002, S. 111 (112 ff.). 190 191

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

auszugleichen vermögen, sei an dieser Stelle dahingestellt.194 Festzuhalten ist, dass unionsrechtliche Rahmenbeschlüsse eine Bindungskraft für die nationale Strafgesetzgebung entfalten, die nicht in gleichem Maße in einem parlamentarischen und damit Legitimität stiftenden Willensbildungsprozess entstehen. Das Europäische Parlament verfügt gegenwärtig im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit weder über ein Initiativrecht noch über die Möglichkeit, einen vom Rat erlassenen Rechtsakt zu verhindern. Die für das Gemeinschaftsrecht durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente begründete doppelte Legitimationsbasis195 fällt im Unionsrecht damit deutlich schwächer aus. Zum gegenwärtigen Stand der Integration mag dieses Defizit politisch kaum vermeidbar erscheinen, kritikwürdig bleibt es trotzdem. Bei dieser Kritik ist allerdings zu beachten, dass die das nationale Recht prägenden Vorgaben nicht durch eine europäische Gubernative, ausgestattet mit entsprechenden Machtinstrumenten und einer europäischen Exekutive, erlassen werden. Vielmehr erweist sich ein Rahmenbeschluss durch das Einstimmigkeitserfordernis in der Praxis als Kompromiss zwischen 27 Mitgliedstaaten. Aufgrund der teilweise doch erheblichen kulturellen und gesellschaftspolitischen Unterschiede dürfte ein solcher Kompromiss im Einzelfall sogar deutlich ausgewogener ausfallen als manches nationale Gesetz, das von einer bestimmten parteipolitisch orientierten Parlamentsmehrheit beschlossen wird. Dies dürfte mit Blick auf die unterschiedlichen Prägungen der nationalen Rechtsordnungen sowohl für das materielle Strafrecht wie auch das Strafverfolgungsrecht gelten. Gubernative Rechtsetzung auf europäischer Ebene unterliegt damit zwar nicht parlamentarischer Letztverantwortlichkeit wie im nationalen Recht, doch bestehen so immerhin praxiswirksame, der europäischen Integration souveräner Staaten inhärente Ausgleichs- und Kontrollmechanismen.196 Zu betonen ist an dieser Stelle nochmals, dass das Unionsrecht keinen supranationalen Anwendungsvorrang besitzt. Der prinzipiell erforderliche Umsetzungsakt schließt einen „Durchgriff“ unionsrechtlicher Vorgaben aus. Im Falle der Harmonisierung materieller Strafnormen ist in Deutschland für die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses ein das Strafgesetzbuch änderndes Parlamentsgesetz erforderlich. Erhöhte Strafrahmen etwa entfalten nur so für den Bürger Wirkung. Die Regelungstechnik des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung überlässt – wie bereits dargelegt – den Mitgliedstaaten nahezu vollständig die Definition der Straftatbestände und die Festsetzung der Strafen. Den nationalen Parlamenten verbleibt 194 Vgl. hierzu J. Monar, Die EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und die Herausforderung des internationalen Terrorismus, integration 25 (3 / 2002), S. 171 (185); T. Oppermann (Anm. 172), § 5, Rn. 30; F. Sander (Anm. 175), S. 357 ff.; H. Satzger (Anm. 2), S. 131. 195 Vgl. hierzu W. Kluth (Anm. 192), S. 87. 196 So auch J. Vogel, Harmonisierung des Strafrechts in der Europäischen Union, GA 2003, S. 314 (332); ders., Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 116 (2004), S. 400 (401).

V. Die demokratische Legitimation gubernativer Rahmenbeschlüsse

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so ein deutlicher Freiraum bei der Ausgestaltung der Strafrechtsordnung197, wenngleich die Möglichkeit deutlich präziserer Vorgaben besteht, wie ebenfalls bereits geschildert wurde und was im Zusammenhang mit dem Umfang der Unionsbefugnisse nochmals zu erörtern sein wird. Die Bindung des Rates an die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze mag darüber hinaus der Schwere des demokratischen Defizits zusätzlich entgegenwirken.198 4. Verfassungsvertrag und Lissabonner Reformvertrag Das legitimatorische Defizit europäischer Rechtsetzung war schon eines der leitenden Motive bei der Erarbeitung des Vertrages über eine Verfassung für Europa. Hieran hat sich auch beim Vertrag von Lissabon nichts geändert. Das im Verfassungsvertrag als Handlungsform vorgesehene Europäische Rahmengesetz sollte an die Stelle der EG-Richtlinie und des Rahmenbeschlusses treten. Gem. Art. I-33 Abs. 1 (3) des Vertragsentwurfs stellte es ebenfalls einen an die Mitgliedstaaten gerichteten Rechtsakt dar, dessen Zielvorgabe verbindlich sein sollte, die Wahl der Form und Mittel zu seiner Umsetzung aber den Mitgliedstaaten überlassen hätte. Ein Rahmengesetz sollte nach Art. I-34 I im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. III-396 des Verfassungsvertrages erlassen werden. Auf Vorschlag der Kommission oder Initiative eines Viertels der Mitgliedstaaten (Art. III-264) hätten danach Rat und Europäisches Parlament ein Rahmengesetz gemeinsam beschlossen. Ohne eine Einigung wäre ein Rahmengesetz nicht zustande gekommen. Durch die Fusion von Union und Gemeinschaft zu einer neuen supranationalen Europäischen Union hätte das Rahmengesetz in seiner Wirkung vollumfänglich der bisherigen EG-Richtlinie entsprochen. Damit wäre auch die Harmonisierung des Strafrechts und die kooperative Strafverfolgung in das supranationale Gefüge überführt worden. Die demokratische Legitimation dieser Rechtsetzung wäre durch das gleichberechtigte Zusammenwirken von Rat und Parlament deutlich verbessert worden. Die doppelte Legitimation durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente, die bislang nur für Teile des Gemeinschaftsrechts kennzeichnend war, wäre dann auch für das bisherige Unionsrecht gegeben gewesen.199 Die Schrankenregelung des Art. 52 der Grundrechte-Charta, die durch ihre Aufnahme in den Verfassungsvertrag (Art. II-112 VV) Verbindlichkeit erlangen sollte, wäre dabei als Rechtssatzvorbehalt zu verstehen gewesen, der sowohl legislative H. Satzger (Anm. 2), S. 466. So J. Vogel, Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 517 (528 ff.); ders. (Anm. 196), ZStW 2004, S. 401; vgl. auch A. Bleckmann (Anm. 160), S. 58. 199 Vgl. C. Callies (Anm. 191), S. 405 ff.; H.-J. Papier, Die Neuordnung der Europäischen Union, EuGRZ 2004, S. 753 (756); J. Vogel (Anm. 196), ZStW 2004, S. 416 f. 197 198

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

wie exekutive Rechtsakte umfasst hätte. Im neugefassten Unionsrecht wäre so eine Art Gesetzesvorbehalt etabliert worden. Die Reform des Rechtsetzungsverfahrens hätte das neue Unionsrecht weiter an die verfassungsrechtlich geprägten Vorgaben des Gesetzesvorbehaltes auch in seiner Funktion als Parlamentsvorbehalt herangeführt.200 Der Lissabonner Vertrag trifft für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen im Wesentlichen vergleichbare Regelungen. Zwar orientiert sich die Lissabonner Regelung im Hinblick auf die Rechtsaktsformen nunmehr wieder an der Terminologie des bisherigen EG-Vertrages, doch bleibt der Reformvertrag im Hinblick auf die Verbreiterung der Legitimationsgrundlage bei der Beschlussfassung nicht hinter dem Verfassungsvertrag zurück. In Art. 288 Unterabsatz 3 AEU sind erneut „Richtlinien“ vorgesehen, deren Zielsetzung für die Mitgliedstaaten als Adressaten verbindlich ist, während ihnen innerstaatlich Form und Mittel der Umsetzung überlassen bleiben. Richtlinien werden gem. Art. 289 AEU im „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ beschlossen, wonach das Europäische Parlament und der Rat regelmäßig auf Vorschlag der Kommission gemeinsam beschließen. Für Initiativen der Mitgliedstaaten und anderer Organe verweist Art. 289 IV AEU auf jeweils spezielle Vorschriften der Verträge. Das nähere Verfahren wird in Art. 294 AEU detailliert beschrieben und entspricht im Wesentlichen dem bisherigen Verfahren der Mitentscheidung nach Art. 251 des EG-Vertrages. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen unterliegt künftig diesem Gesetzgebungsverfahren. Sowohl Maßnahmen zur gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 AEU) als auch der Erlass von Mindestvorschriften (Art. 83 AEU) können demnach in Zukunft nur noch durch Europäisches Parlament und Rat gemeinsam erfolgen. Als Rückfallposition sehen Art. 82 III UA 1 und Art. 83 III UA 1 AEU jeweils vor, dass jeder Mitgliedstaat, der grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung durch ein Vorhaben berührt sieht, beantragen kann, dass der Europäische Rat (Art. 235 f. AEU) mit der Angelegenheit befasst wird. Wird kein Einvernehmen erzielt, besteht nach dem jeweilgen Unterabsatz 2 zu Art. 82 III bzw. Art. 83 III AEU die Möglichkeit, das mit der Richtlinie verfolgte Ziel im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 20 EU, Art. 329 AEU von mindestens neun Mitgliedstaaten zu verwirklichen. Nach Art. 6 I EU erkennt die Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze der Grundrechte-Charta an. Wie die Rechtsprechung mit dem letzten Halbsatz des Art. 6 I EU umgehen wird, nach dem die Charta sowie die Verträge EU und AEU „rechtlich gleichrangig“ sind, bleibt abzuwarten. Die weiteren Unterabsätze des Art. 6 I EU legen jedoch nahe, dass im Wege der Rechtsprechung die Charta jedenfalls materiell eine vergleichbare Beachtung finden wird wie etwa die Europäische Menschenrechtskonvention und die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten.

200

M. Hilf / K. D. Classen (Anm. 173), S. 85 ff.

VI. Die Kompetenzgrenzen eines europäischen Strafrechtsraumes

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VI. Die Kompetenzgrenzen eines europäischen Strafrechtsraumes Die bislang eingeschränkte demokratisch-parlamentarische Legitimation der Rechtsetzung durch Rahmenbeschlüsse gilt ungeachtet des Reformvertrages für alle bisher verabschiedeten Rahmenbeschlüsse. Europäischen Vorgaben für die nationale Strafgesetzgebung und der unionsweiten Kooperation bei der Strafverfolgung haftet deshalb insoweit ein Makel an. Erträglich(er) erschiene dieses Defizit, wenn der Kompetenzumfang der Europäischen Union entsprechend restriktiv ausgelegt und eine umfassende Vorprägung des nationalen Straf- und Strafverfolgungsrechts dadurch ausgeschlossen worden wäre. 1. Die Zielsetzungen der Europäischen Union Die Zielsetzungen der Europäischen Union sind bislang Art. 2 EUV zu entnehmen. Im 4. Spiegelstrich wird die Erhaltung und Weiterentwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts angestrebt. Die in diesem Raum ermöglichte Personenfreizügigkeit soll einerseits durch wirksame Grenzkontrollen, Asylund Einwanderungsregelungen sowie eine justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, andererseits durch die Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität gewährleistet werden. Die Verwirklichung dieses umfassenden und ehrgeizigen Ziels erfolgt sowohl durch gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen (Art. 61 EGV ff.) wie auch im Rahmen der unionsrechtlichen polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Art. 61 lit. a und e EGV bewirken eine primärrechtliche Verklammerung dieser unterschiedlichen Tätigkeitsfelder der überstaatlichen Ebene, wodurch insbesondere die Kohärenz der getroffenen Maßnahmen sichergestellt werden soll, ohne jedoch die nach wie vor abzugrenzenden Kompetenzbereiche zu verwischen. a) Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts In Art. 29 EUV werden die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, ihre Mittel und Wege konkretisiert. Danach soll durch eine unionsweite Zusammenarbeit organisierte und nicht-organisierte Kriminalität verhütet und bekämpft werden, insbesondere Terrorismus, Menschenhandel, Straftaten gegenüber Kindern, illegaler Drogen- und Waffenhandel sowie Bestechung, Bestechlichkeit und Betrug. Die aufgezählten Kriminalitätsbereiche sind dabei als Schwerpunktsetzung zu begreifen. Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Tätigkeit der Union, die sowohl Präventivmaßnahmen als auch repressive Kriminalitätsbekämpfung umfasst, grundsätzlich auf grenzüberschreitende Kriminalität beziehen wird.201 Diese Zielsetzung der Union soll vor allem durch eine engere Kooperation 201 W. Brechmann (Anm. 115), Art. 29 EUV, Rn. 5 f.; H. Satzger, in: R. Streinz, EUV / EGV-Kommentar, 2003, Art. 29 EUV, Rn. 8.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

der nationalen Polizei-, Zoll- und Justizbehörden unter Einschaltung von Europol und Eurojust verwirklicht werden. Darüber hinaus ist die Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten vorgesehen. Art. 31 EUV konkretisiert die Aufgabenzuschreibungen des Art. 29 II. Lit. a sieht die Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien und Justizbehörden sowie entsprechender Behörden vor, wenn sich dies bei Gerichtsverfahren und der Vollstreckung von Entscheidungen als zweckmäßig erweist. In lit. b wird die Erleichterung der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten vorgesehen. Die Gewährleistung der Vereinbarkeit der jeweils geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten untereinander soll nach Maßgabe von lit. c erfolgen, wenn dies zur Verbesserung der Zusammenarbeit erforderlich ist. Allgemein wird die Vermeidung von Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten in lit. d als Ziel der Zusammenarbeit formuliert. Schließlich sieht lit. e die schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel vor, allerdings nur soweit sie erforderlich sind, Art. 29 II EUV (3. Spiegelstrich). Die Harmonisierung des materiellen Strafrechts der Mitgliedstaaten kann in der Normierung von Handlungen, die unter Strafe zu stellen sind, aber auch in der Festlegung von Strafen und Strafrahmen bestehen, die bei der nationalen Strafgesetzgebung nicht unterschritten werden dürfen. Es ist den Mitgliedstaaten dabei nicht verwehrt, weitere Handlungen oder Variationen unter Strafe zu stellen oder strengere Strafen und höhere Strafrahmen festzusetzen.202 Ausweislich des Wortlauts scheint diese Form der Strafrechtsharmonisierung gem. Art. 31 I lit. e EUV auf organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegalen Drogenhandel begrenzt zu sein. Schrifttum und Praxis gehen jedoch überwiegend davon aus, dass jedes Delikt, das besonders schwere und grenzüberschreitende Kriminalität betrifft, harmonisierungsfähig ist.203 Dies lässt sich begründen, wenn man den einleitenden Halbsatz des Art. 31 („schließt ein“) als Beleg dafür akzeptiert, dass die folgende Aufzählung nicht als abschließend zu verstehen ist. Unterstützt wird diese Interpretation durch die mit der Amsterdamer Vertragsrevision bezweckte Stärkung der gemeinsamen Kriminalitätsbekämpfung. Verstünde man die Aufzählung in lit. e als abschließend, hätte die Vertragsänderung dagegen eine Begrenzung bewirkt.204 Die Eindeutigkeit des Wortlauts allein in lit. e lässt jedoch 202 H.-H. Kühne, Europäische Methodenvielfalt und nationale Umsetzung von Entscheidungen Europäischer Gerichte, GA 2005, S. 195 (196); J. Vogel (Anm. 196), GA 2003, S. 316. 203 So etwa M. Böse (Anm. 125), Art. 31 EUV, Rn. 10; V. Röben (Anm. 117), Art. 31 EUV, Rn. 17; H. Satzger (Anm. 201), Art. 31 EUV, Rn. 12; J. Vogel, Strafrechtlicher Schutz des Euro vor Geldfälschung, Europäischer Rechtsrahmen und Anpassunsbedarf im deutschen Recht, ZRP 2002, S. 7 (8); M. Wasmeier (Anm. 110), Art. 31, Rn. 2, 65 ff.; a.A. aber W. Brechmann (Anm. 115), Art. 31 EUV, Rn. 9; B. Schünemann (Anm. 126), S. 504. 204 So argumentiert H. Satzger (Anm. 145), § 8, Rn. 50.

VI. Die Kompetenzgrenzen eines europäischen Strafrechtsraumes

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deutliche Zweifel an dieser Auslegung aufkommen. Das so eben erörterte legitimatorische Defizit unionsrechtlicher Vorgaben für die nationale Strafgesetzgebung spricht gegen diese weite Auslegung. Die Argumentation, es handele sich um ein Redaktionsversehen205, erscheint angesichts einer ganzen Reihe sprachlicher Ungenauigkeiten im EUV aus sich heraus jedenfalls wenig überzeugend.206 Die Praxis beruht allerdings eindeutig auf der weiten Auslegung.207 Im Entwurf des Verfassungsvertrages wurde dieser Praxis Rechnung getragen. Mindestvorschriften sollten nach Art. III-271 I (1) in den Bereichen besonders schwerer Kriminalität möglich sein. Kennzeichnend für die besondere Schwere sollten Art und Auswirkungen der betreffenden Straftaten sein. Die grenzüberschreitende Dimension solcher Straftaten sollte ferner die „besondere Notwendigkeit“ begründen, diese auf „gemeinsamer Grundlage“ zu bekämpfen. Explizit sollte dies gem. Art. III-271 I (2) nunmehr auch für die Kriminalitätsfelder Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln und Cyberkriminalität gelten. Die einleitende Formulierung („derartige Kriminalitätsbereiche sind: “) sprach vom Wortlaut her deutlicher für eine nicht abschließende Aufzählung. In Art. III-271 I (3) VV wurde jedoch vorgesehen, dass der Rat nur nach Zustimmung des Europäischen Parlaments hätte weitere Kriminalitätsbereiche durch Europäischen Beschluss bestimmen können, die die Kriterien dieses Artikels erfüllt hätten. Grundsätzlich hätte damit zwar eine Kompetenz der Unionsebene bestanden, diese Rahmengesetzgebungsbefugnis auf weitere Kriminalitätsbereiche auszudehnen, doch hätte ein Rahmengesetz insoweit erst einen entsprechenden vorangehenden Europäischen Beschluss vorausgesetzt. Der Lissabonner Vertrag nimmt die Richtung des Verfassungsvertrages auf. Nach Art. 83 I Unterabsatz 1 können Mindestvorschriften bei „besonders schwerer Kriminalität“ festgelegt weren, die aufgrund ihrer Art oder Auswirkungen grenzüberschreitende Dimensionen hat. Unterabsatz 2 enthält dann die bereits zitierte Aufzählung des Verfassungsvertrages unter Verwendung der einleitenden Passage („derartige Kriminalitätsbereiche“). Unterabsatz 3 sieht schließlich wiederum einen Beschluss des Rates – nach Zustimmung des Europäischen Parlaments – zur Ausweitung dieser Form der Harmonisierung des nationalen Strafrechts vor. Art. 83 II AEU erlaubt überdies die Angleichung nationaler Strafvorschriften, wenn dies für die wirksame Durchführung der Unionspolitik auf einem Gebiet, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, unerlässlich ist. Der Union wurde mit dieser Vorschrift ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt.

205 206 207

So D. Reichelt (Anm. 122), S. 21. Vgl. hierzu in anderem Zusammenhang M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 82. Vgl. H. Satzger (Anm. 145), § 8, Rn. 51; F. Zeder (Anm. 143), S. 81.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

In der Zusammenschau mit den gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzen nach Art. 61 EGV ff. dürfte der so zu gestaltende Raum der Freiheit, der Sicherheit und Rechts indes schon heute als eine weitgehende programmatische Zielsetzung zu verstehen sein. Die Vielfalt der Ziel- und Auftragsnormen führen gemeinsam mit den Verbürgungen des Art. 6 EUV, vor allem den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip, in Teilen zu einer Garantie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Unionsebene.208 Hervorzuheben ist insoweit auch die Verknüpfung von Freiheit, Sicherheit und Recht, die die Bedeutung grundrechtlicher Garantien und ihre wirksame Durchsetzung unterstreicht. Ebenso bedeutsam ist aber auch die freiheitsgewährende Funktion effizienter Sicherheitsstrukturen, wenngleich die Beschneidung von Freiheitsrechten aus Sicherheitsgründen ein durchaus zweischneidiges Schwert in dem Bemühen sein kann, die Bevölkerung etwa vor den Gefahren des internationalen Terrorismus zu schützen.

b) Die Erforderlichkeit von Harmonisierungsmaßnahmen Harmonisierungsmaßnahmen nach Art. 31 I lit. e EUV stehen gem. Art. 29 II (3. Spiegelstrich) unter dem Vorbehalt ihrer Erforderlichkeit. Dieses eigenständige Kriterium dürfte dazu führen, dass Mindestvorschriften nur bei einzelnen, besonders schweren und grenzüberschreitenden Delikten zulässig sind.209 Bei den in lit. e explizit genannten Kriminalitätsfeldern dürfte sich dieser Vorbehalt allerdings kaum auswirken. Die Erforderlichkeit von Harmonisierungsmaßnahmen ist jedoch auch in materieller Hinsicht bedeutsam. Kann eine vollkommene Rechtsvereinheitlichung ohnehin nicht auf eine Vorschrift gestützt werden, die lediglich Mindestvorschriften vorsieht, wird man darüber hinaus annehmen müssen, dass eine Harmonisierung nationalen Strafrechts nur dann in Betracht kommt, wenn eine verbesserte Zusammenarbeit anders nicht zu erreichen ist. Vorrangig sind insofern sowohl Verbesserungen bei der Kooperation von Behörden, die Einbeziehung europäischer Institutionen wie auch die gegenseitige Anerkennung nationaler Vorschriften und Rechtsakte, soweit diese nicht wiederum selbst eine Harmonisierung erforderlich werden lässt.210 Rat und Kommission kommt bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Harmonisierungsmaßnahmen allerdings ein Spielraum zu, der insbesondere auch eine Prognose hinsichtlich der Effektivität von Alternativen einschließt.211 Im Rahmen harmonisierender Rechtsakte wiederum ist ein, die nationalen Eigenarten möglichst schonender Weg zu wählen, so dass partielle und optionale Regelungen weitergehenden Vorgaben vorzuziehen sind. 208 209 210 211

So M. Möstl (Anm. 3), S. 618 ff. H. Satzger (Anm. 201), Art. 31 EUV, Rn. 13; J. Vogel (Anm. 198), GA 2002, S. 526. B. Hecker (Anm. 47), § 11, Rn. 6; J. Vogel (Anm. 196), GA 2003, S. 317. H. Satzger (Anm. 145), § 8, Rn. 52.

VI. Die Kompetenzgrenzen eines europäischen Strafrechtsraumes

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Präzise Vorgaben, wie die des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung, erscheinen vor diesem Hintergrund nicht unbedingt unproblematisch. Die Definitionen einer terroristischen Vereinigung in Art. 2 I, des Anführens einer solchen und der Beteiligung an entsprechenden Handlungen in Art. 2 II sowie die daran geknüpften Vorgaben bzgl. der Mindeststrafen in Art. 5 III stellen enge, den Spielraum der Mitgliedstaaten deutlich begrenzende Vorgaben dar. Zwar ermöglichen diese Mindestvorschriften noch strengere Regelungen im nationalen Recht, doch sind etwa der zeitigen Freiheitsstrafe in Deutschland auch verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, die mit der Vorgabe, im Höchstmaß eine Strafe von mindestens 15 Jahren für das Anführen einer terroristischen Vereinigung vorzusehen, erreicht sind. Im Bereich der in lit. e explizit genannten Terrorismusbekämpfung wird man derlei präzise Vorgaben, die der nationale Gesetzgeber letztlich nur eins zu eins umsetzen kann, akzeptieren können. Aus dem Gemeinschaftsrecht ist allerdings das Phänomen vollständig ausformulierter Richtlinien gut bekannt. Gegenüber der Harmonisierung weiterer Teile des materiellen Strafrechts durch Rahmenbeschlüsse dürfte insoweit deutlichere Zurückhaltung angezeigt sein. Die Regelungsvorgaben eines Rahmenbeschlusses müssen allerdings nicht nur den Maßgaben des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips entsprechen. Vielmehr wird man auch die materiellen Erfordernisse des Bestimmtheitsgrundsatzes heranziehen können. Sowohl die Rahmenbeschlüsse zur Umsetzung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung wie auch der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung enthalten umfangreiche Kataloge national definierter Delikte und Deliktsgruppen, die zur Definition des Anwendungsbereichs bestimmter Regelungen bzw. des Terrorismusbegriffs dienen. Diese Form der Regelung schützt zwar nationale Eigenarten und entspricht deshalb dem Subsidiaritätsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das Bestimmtheitsgebot, das dem Gesetzgeber auferlegt, möglichst auf unbestimmte und wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe zu verzichten, soll die Erkenntnisfähigkeit eines verständigen Rechtsunterworfenen über die Strafbarkeit einer Handlung und die möglichen Folgen gewährleisten. Die mehrfache Verwendung solcher Kataloge erleichtert diese Erkenntnisfähigkeit eines Betroffenen indes nicht. Die Problematik sog. Blankettstraftatbestände wirft der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung zwar nicht auf, verpflichtet er doch den nationalen Gesetzgeber zu entsprechenden Änderungen der Strafandrohungen in den jeweiligen Vorschriften des mitgliedstaatlichen Strafrechts, doch verweisen die Regelungen etwa des Europäischen Haftbefehls pauschal auf „Terrorismus“, den ein Betroffener wiederum nur in Verbindung mit dem Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung und den nationalen Strafvorschriften verstehen kann. Die Bestimmtheit dieser Konstruktion mag zwar deshalb nicht in letzter Konsequenz zu bezweifeln sein, doch eine erkenntnis- und damit bürgerfreundliche Regelungstechnik dürfte anders aussehen. Die grundsätzliche Erforderlichkeit von Harmonisierungsmaßnahmen wird man schließlich nicht (allein) mit Erwägungen zur Gerechtigkeit, Gleichheit, Rechtsklarheit oder effektiver Strafverfolgung begründen können, existieren doch gerade

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

hierzu in den Mitgliedstaaten höchst unterschiedliche, auf ihre Weise berechtigte und deshalb auch schützenswerte Unterschiede. Der politische und im EU-Vertrag niedergelegte Wille zielt jedoch auf die Errichtung und Weiterentwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ab, der ebenso wie der Gemeinsame Markt vergleichbare Regelungen in den Mitgliedstaaten erfordert. Die weitgehende Übertragung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung aus dem Recht des Binnenmarktes in den Bereich des Strafrechts und der Strafverfolgung führt aber zu einem großen Harmonisierungsdruck. Wie bereits dargelegt wurde, führt das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit der Normunterworfenen gerade im Strafrecht zu der Verpflichtung, ein möglichst hohes Maß an Verlässlichkeit und Berechenbarkeit zu erzeugen. Diese Form der Rechtssicherheit ist insofern auch kein Selbstzweck und stellt daher auch keinen nur vermeintlichen Rechtfertigungsgrund für Harmonisierungsmaßnahmen dar, sondern angesichts der Korrespondenz zwischen gegenseitiger Anerkennung und Harmonisierung ergibt sich aus einem „Mehr“ auf der einen, immer auch ein „Mehr“ auf der anderen Seite der rechtsstaatlichen Waage, soll diese nicht aus dem Gleichgewicht geraten.212 Liest man in das Erforderlichkeitskriterium hinein, dass die getroffenen Maßnahmen auch geeignet sein müssen, das Harmonisierungsziel nicht nur als solches zu erreichen, sondern auch den dahinter stehenden Zugewinn an Sicherheit zu erzielen, erhöht sich die Schwelle für zulässige Rechtsakte nochmals. Sollen harmonisierte Strafnormen das nötige Maß an Rechtssicherheit für die gegenseitige Anerkennung nationaler Gesetze und Rechtsakte besorgen, dann wird man insoweit auch die divergierenden Regelungen des Allgemeinen Strafrechts zu bedenken haben, deren unterschiedliche Ausgestaltung – etwa im Hinblick auf Täterschaft und Teilnahme, Versuch oder das Begehen durch Unterlassen – eine berechenbare und gleichförmige Anwendbarkeit harmonisierter Vorschriften nicht unbedingt sicherstellen.213 Erachtet man die Aufzählung in lit. e zudem nicht als abschließend, kommt dem so präzisierten Erforderlichkeitskriterium eine wichtige begrenzende Funktion zu. Dies gilt vor allem deshalb, da einmal vorgenommene Harmonisierungsmaßnahmen der Unionsebene den Mitgliedstaaten ein Abweichen nur in dem dafür vorgesehenen Umfang erlauben und damit ihre gesetzgeberischen Spielräume deutlich beschneiden. Der Lissabonner Vertrag nimmt im Sinne der hier vertretenen Interpretation des Erforderlichkeitskriteriums ebenfalls begrenzende Formulierungen auf. Art. 83 I AEU stellt Mindestvorschriften unter den Vorbehalt, dass sie Kriminalitätsbereiche betreffen, die wegen Art, Auswirkung oder besonderer Notwendigkeiten grenzüberschreitende Dimensionen besitzen. Art. 83 II AEU sieht eine Angleichung des Strafrechts in der Folge von Harmonisierungsmaßnahmen in anderen Politikberei212 213

A.A. J. Vogel (Anm. 60), S. 38 f. / 56. Vgl. T. Weigend (Anm. 152), S. 60 / 76 ff.

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chen der Union vor, wenn dies für eine wirksame Zielverfolgung der Unionspolitik unerlässlich ist.

2. Die Bewahrung nationaler Identität als Kompetenzausübungsgrenze Art. 6 III EUV verpflichtet die Union zur Achtung der Identität ihrer Mitgliedstaaten.214 In dieser Formulierung ist eine Begrenzung unionsweiten Handelns angelegt, die eine Abgrenzung der „Kompetenzen“ der Union von denen der Mitgliedstaaten nahelegt. Aus der Kompetenzordnung der Europäischen Union ist die Konstruktion, wenn man so will, der Charakter dieses Verbundes souveräner Staaten abzuleiten. Die Europäische Union kann insoweit als eine föderale Ordnung angesehen werden, die sich durch die Souveränität ihrer Glieder, der Mitgliedstaaten, und deren eigener verfassungsgebender Gewalt auszeichnet. Sowohl die Fortschreibung der Verfassung des Verbundes wie auch die Entscheidungsprozesse auf der überstaatlichen Ebene liegen maßgeblich in den Händen der Mitgliedstaaten. Dieser bündischen Struktur der Union kommt auch normative Qualität zu.215 Charakteristisch für dieses System ist, dass die föderal verbundenen Ebenen den Betätigungsraum der jeweils anderen Ebene respektieren. Dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung kommt dabei die Aufgabe zu, die Befugnisse der überstaatlichen Ebene zum Schutze mitgliedstaatlicher Kompetenzen zu beschränken.216 Wie bei klassischen internationalen Organisationen ist die Europäische Union dabei allerdings nicht auf definierte Sachbereiche eines abschließenden Kompetenzkataloges, sondern auf bestimmte Zielsetzungen wie den Erhalt und die Weiterentwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ausgelegt worden. Bemerkenswert ist die Entwicklung der Union über einen funktionalen Zweckverband hinaus zu einem föderalen System, das den Bürgern auf einem abgrenzbaren Territorium ein hohes Maß an Sicherheit verspricht und damit eine vormals ausschließlich staatliche Garantie in die Gewährleistungen des Verbundsystems aufnimmt.217 Aus einer 214 Vgl. zum Begriff der Identität W. Graf Vitzthum, Die Identität Europas, EuR 2002, S. 1 ff.; M. Nettesheim (Anm. 160), S. 172 ff. 215 M. Nettesheim, Kompetenzen, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 415 (420); vgl. auch M. Herdegen, „Föderative Grundsätze“ in der Europäischen Union, in: H. J. Cremer / T. Giegerich / D. Richter / A. Zimmermann, Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift Steinberger, 2002, S. 1193 ff.; C. Schönberger, Die Europäische Union als Bund, AöR 119 (2004), S. 81 ff. 216 P. Badura, Die föderative Verfassung der Europäischen Union, in: K.-H. Kästner / K. W. Nörr / K. Schlaich, Festschrift für Martin Heckel, 1999, S. 695 (702 ff.); M. Nettesheim (Anm. 215), S. 421 f. 217 A. v. Bogdandy, Zur Übertragbarkeit staatsrechtlicher Figuren auf die Europäische Union, in: M. Brenner / P. M. Huber / M. Möstl, Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura, 2004, S. 1033 (1037 f.); J. Monar, Die politische Konzeption des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Vom Amsterdamer Vertrag

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Zielsetzung allein kann man jedoch noch nicht auf entsprechende Handlungsbefugnisse schließen. Solche werden vielmehr in entsprechenden Kompetenzzuweisungen formuliert, die wiederum an bestimmte Bedingungen bei der Inanspruchnahme geknüpft sind, wie etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Grundrechte.218 Die überstaatliche Verbundstruktur selbst ist allerdings stark umstritten. Dies gilt besonders für das Verhältnis zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union, die die überstaatliche Ebene darstellen, sowie je nach Standpunkt für die Rechtsnatur der Union. Neben der prominenten, wenngleich bislang nicht mehrheitsfähigen These von der Verschmelzung der Gemeinschaften in der Union durch die Verträge von Maastricht und Amsterdam219, spricht eine in der Literatur maßgebende Ansicht der Europäischen Union eine körperschaftliche Struktur und Völkerrechtspersönlichkeit ab. Durch den EUV sei lediglich eine Mantelkonstruktion geschaffen worden, durch die die Tätigkeit der Gemeinschaften als anerkannten Völkerrechtssubjekten durch die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen der Mitgliedstaaten ergänzt werde. Der besondere Wert der Union liege im materiell-rechtlichen Kohärenzgebot des Art. 3 I EUV, das als gegenseitiges Abstimmungsgebot der Maßnahmen der Gemeinschaften und der intergouvernementalen Zusammenarbeit zu verstehen sei.220 Das „Handeln“ der Europäischen Union wäre insofern immer den Vertragsstaaten zuzurechnen, die sich sog. Vertragsorgane bedienten.221 Eine andere gewichtige Strömung in der Literatur charakterisiert die Europäische Union dagegen als gestufte internationale Organisation, der sowohl die Gemeinschaften wie auch die Mitgliedstaaten als Glieder angehörten. Die Union als Verband stütze sich auf die bestehende Organstruktur der Gemeinschaften, deren Organe ihre Befugnisse im Sinne einer Doppelfunktion nach Maßgabe des jeweils einschlägigen Vertrages ausübten (Art. 5 EUV). Aus dieser Organidentität sei allerdings nicht die Identität von Gemeinschaften und Union abzuleiten, so dass weiterhin zwischen Gemeinschafts- und Unionsrecht zu unterscheiden sei.222 zum Verfassungsentwurf des Konvents, in: P.-C. Müller-Graff (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005, S. 29 ff.; S. Oeter (Anm. 172), S. 115. 218 Vgl. A. v. Bogdandy / J. Bast, Die vertikale Kompetenzordnung der Europäischen Union, EuGRZ 2001, S. 441 (445 ff.); M. Nettesheim (Anm. 215), S. 417. 219 A. v. Bogdandy / M. Nettesheim, Die Verschmelzung der Europäischen Gemeinschaften in der Europäischen Union, NJW 1995, S. 2324 ff.; dies., Die Europäische Union: Ein einheitlicher Verband mit eigener Rechtsordnung, EuR 1996, S. 3 ff. 220 C. Koenig (Anm. 4), S. 165 ff.; M. Pechstein (Anm. 4), S. 247 ff.; R. Streinz (Anm. 43), Rn. 133 f.; vgl. auch U. Di Fabio, Die „Dritte Säule“ der Union, DÖV 1997, S. 89 (90). 221 M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 184 ff.; für die Annahme einer supranational geprägten mitgliedstaatlichen Kooperation ohne Völkerrechtsfähigkeit unter Verwendung der Gemeinschaftsorgane im Wege der Organleihe N. Gildhoff, Die Organe der Europäischen Gemeinschaften in den intergouvernementalen Unionssäulen (Diss. Hamburg 2004), S. 432 ff. 222 O. Dörr, Zur Rechtsnatur der Europäischen Union, EuR 1995, S. 334 (337); ders. (Anm. 149), S. 134; C. Hillgruber, Die Rechtsnatur der Europäischen Union nach dem Ams-

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Festzuhalten dürfte sein, dass keines der drei, hier nur skizzierten Modelle223 die rechtlichen Beziehungen zwischen Union und Gemeinschaften einer abschließenden Klärung zugeführt hat. Gegen die strikte Trennung von Union und Gemeinschaften spricht ihre deutliche Verflechtung, die sich vor allem im Beitrittsverfahren und im Haushaltsrecht ausdrückt. Der Annahme einer rechtlichen Einheit steht der ausdrückliche Wille der Vertragsstaaten entgegen. Am ehesten dürfte daher die Charakterisierung der Union als gestufter internationaler Organisation überzeugen.224 Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen für sich genommen als internationale Organisation zu begreifen, erscheint dagegen weniger naheliegend.225 Dass auch die Frage der Völkerrechtspersönlichkeit der Europäischen Union bis heute umstritten ist, kann insoweit kaum überraschen. Im Gründungsvertrag wurde der Union Völkerrechtspersönlichkeit jedenfalls nicht explizit verliehen. In den internationalen Beziehungen gibt sich die Union gleichwohl den Anschein eines eigenständigen Akteurs, der auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird. Am ehesten dürfte der Versuch plausibel erscheinen, eine Rechtspersönlichkeit anhand der implied powers-Lehre zu begründen.226 Für die Annahme zumindest interner Rechtsfähigkeit sprechen die Befugnisse des Rates im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik wie der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, die sich etwa bei der Rechtsetzung durch Rahmenbeschlüsse zeigen. Auch die durch den Amsterdamer Vertrag eingeführte Jurisdiktionsgewalt des EuGH im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit kann als Beleg für eine Übertragung von Hoheitsrechten und damit für interne Rechtsfähigkeit der Union angesehen werden. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Union ihre rechtspolitischen Ziele auf der Basis von vertraglichen Ermächtigungsnormen verfolgt.227 Externe Rechtsfähigkeit wird man der Europäischen Union dagegen mangels einer dauerhaften und zusammenhängenden Praxis, die von einem entsprechenden terdamer Vertrag, in: W. Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 2000, S. 16 (20); C. Wichard, Wer ist Herr im europäischen Haus?, EuR 1999, S. 170 (177); M. Zuleeg, Die Organisationsstruktur der Europäischen Union, EuR 1998, Beiheft 2, S. 151 (152 f.). 223 Zu weiteren Modellen W. Schroeder, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europäischer Union und Europäischen Gemeinschaften, in: A. v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 373 (378 ff.); vgl. auch T. Oppermann (Anm. 172), § 12, Rn. 3 ff. 224 Vgl. auch S. Oeter (Anm. 172), S. 72. 225 Dafür A. Busch, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für den Grundrechtsschutz in der Europäischen Union (Diss. Würzburg 2002), S. 91; C. Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der Europäischen Union (Diss. Münster 1998), S. 256. 226 S. Oeter (Anm. 172), S. 116. 227 Vgl. P.-C. Müller-Graff, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Der primärrechtliche Rahmen, in: ders. (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005, S. 11 (20), einschränkend wiederum auf S. 23; D. Reichelt (Anm. 122), S. 93; zur Jurisdiktionsgewalt des EuGH M. Möstl (Anm. 3), S. 565.

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Willen der Mitgliedstaaten getragen worden wäre und bei anderen Völkerrechtssubjekten Anerkennung gefunden hätte, dagegen bislang nicht zusprechen können. Die Einsetzung des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik deutet zwar ebenso eine Entwicklung an, wie die Beteiligung der Europäischen Union am Zustandekommen des Daytoner Friedensvertrages für Bosnien-Herzegowina, die Mitwirkung an Überwachungsmissionen in Mazedonien und Serbien-Montenegro sowie ein Abkommen mit der Republik Libanon zur Terrorismusbekämpfung, doch dürfte dies als Praxisbeleg noch nicht ausreichen.228 Die Übernahme des von der NATO geführten SFOR-Mandates in Bosnien-Herzegowina durch die EUFOR-Verbände im Dezember 2004 und die EU-Mission in der Demokratischen Republik Kongo zur Absicherung der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2006 stellen ebenfalls bedeutende Schritte zur Weiterentwicklung der Europäischen Union dar229, gegenwärtig wird man jedoch allenfalls von einer im Werden begriffenen externen Rechtsfähigkeit ausgehen dürfen.230 Auf der politischen Ebene hat sich das Ziel einer Verschmelzung mittlerweile durchgesetzt. Durch den Verfassungsvertrag wären die Europäische Gemeinschaft und die Union zu einer neuen Europäischen Union verschmolzen worden, der in Art. I-6 ausdrücklich Rechtspersönlichkeit verliehen worden wäre, womit die skizzierten Streitfragen normativ entschieden gewesen wären. Entsprechend ihrer bündischen Struktur wäre sie als Föderation der Bürger und Staaten Europas zu verstehen gewesen (Art. I-1 des Verfassungsvertrages). Eine weitergehende Finalität hin zu einem Bundesstaat war dem Vertragstext dagegen nicht zu entnehmen, wäre durch ihn aber auch nicht ausgeschlossen.231 Im Lissabonner Vertrag wurde an dieser politischen Entscheidung festgehalten. Künftig wird die Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union durch Art. 47 EU festgelegt. In der Literatur werden allerdings bereits heute deutlich über das Verständnis der Europäischen Union als einer gestuften internationalen Organisation mit interner Rechtsfähigkeit hinausgehende Annahmen vertreten. Die Union wäre danach als werdender europäischer Verfassungsstaat in Abkehr vom klassischen Nationalstaat zu begreifen, der sich stützend auf eine europäische Bürgergesellschaft und mit eigener Legitimation versehen, seinen Aufgaben nahezu staatsgleich annimmt.232 Unabhängig davon, ob man diesem Verständnis folgen mag, Vgl. W. Schroeder (Anm. 223), S. 390 f. Vgl. zu den Perspektiven einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik A. J. K. Bailes, Die Europäische Sicherheitsstrategie: programmatische und praktische Perspektiven für GASP und ESVP, integration 28 (2 / 2005), S. 107 (110 ff.); S. Dietrich, Die rechtlichen Grundlagen der Verteidigungspolitik der Europäischen Union, ZaöRV 66 (2006), S. 663 ff.; S. v. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union (Diss. Mannheim 2004), S. 93 ff.; S. Weber, Die EU-Mission in Kongo: Perspektive einer Europäischen Friedenspolitik?, EuR 2006, S. 879 ff. 230 So etwa C. Hillgruber (Anm. 222), S. 31; T. Stein / C. v. Buttlar (Anm. 15), Rn. 436. 231 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union, DVBl. 2003, S. 1165 (1168). 228 229

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wird man jedenfalls die bereits erreichte Integrationstiefe hervorheben müssen, die sich durch die Übertragung von Hoheitsrechten und einer so erzeugten, beispiellosen Kompetenzbreite der überstaatlichen Ebene des Verbundes auszeichnet.233 Auch das Staatsverständnis unterliegt insoweit einem Wandel. Vielfach wird heute von ,offenen‘ oder ,integrierten‘ Verfassungsstaaten gesprochen, deren Verfassungsordnungen Teil eines mitgliedstaatlich-europäischen Verfassungsgefüges geworden seien.234 Auch in materieller Hinsicht wirkt sich dieses Ineinandergreifen der verschiedenen Ebenen aus. Nationale Verfassungsregeln werden durch europäisches Recht (mit-)geprägt und können ohne seine Beachtung nicht mehr umfassend interpretiert werden.235 Die Europäische Union verfügt allerdings nicht über unabgeleitete Herrschaftsgewalt, sondern sie ist in ihrem Wirken weiterhin auf die Zustimmung und Rückbindung seitens der Mitgliedstaaten angewiesen. Die Souveränität der Mitgliedstaaten und ihre Letztverantwortung bleiben insoweit unberührt.236 Die Herrschaftsgewalt der Mitgliedstaaten ist jedoch durch ihre kaum umkehrbare Integration in den überstaatlichen Verbund ihrerseits beschränkt. Diese insofern „nur“ noch partielle Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten führt so zu einer gewandelten Souveränität, die nicht mehr dem klassischen Begriff entsprechen kann. Da auch die überstaatliche Ebene zur partiellen Ausübung von Hoheitsgewalt befähigt wurde, kann daher auch hier von einem System geteilter Herrschaft gesprochen werden.237 Die Europäische Union ist dabei allerdings nicht als Sachwalter der Mitgliedstaaten zu verstehen, die deren Kompetenzen stellvertretend ausübt, sondern durch die Gründungsverträge sind vielmehr originäre Kompetenzen begründet worden.238 232 I. Pernice, Der Europäische Verfassungsverbund auf dem Wege der Konsolidierung, JÖR NF, Band 48 (2000), S. 205 (214 ff.); vgl. auch T. C. W. Beyer, Die Ermächtigung der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften, Der Staat 35 (1996), S. 189 (190); M. Möstl (Anm. 3), S. 517. 233 M. Nettesheim, Die konsoziative Föderation von EU und Mitgliedstaaten, ZEuS 2002, S. 507 (516 ff.). 234 Vgl. A. v. Bogdandy, Zweierlei Verfassungsrecht, Der Staat 39 (2000), S. 163 (166); ders. (Anm. 217), S. 1042; M. Herdegen, in: T. Maunz / G. Dürig, Grundgesetz – Kommentar, Art. 88, Rn. 4; P.-M. Huber, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 194 (208 f.); U. Schliesky (Anm. 3), S. 444 ff. 235 O. Dörr (Anm. 149), S. 2; M. Möstl (Anm. 3), S. 516; I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 148 (179); U. Schliesky (Anm. 3), S. 502 ff. 236 Vgl. B. Martenczuk, Die differenzierte Integration und die föderale Struktur der Europäischen Union, EuR 2000, S. 351 (355); M. Nettesheim (Anm. 233), S. 519 f. 237 C. Heitsch, Die Transparenz der Entscheidungsprozesse als Element demokratischer Legitimation der Europäischen Union, EuR 2001, S. 809 (814); B. Martenczuk (Anm. 236), S. 356; G. Nicolaysen (Anm. 113), S. 160; S. Oeter (Anm. 172), S. 92; ebenso, wenn auch kritisch S. Braum (Anm. 43), S. 682.

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Die Verpflichtung zur Achtung der Identität der Mitgliedstaaten in Art. 6 III EUV zeugt davon, dass der überstaatlichen Herrschaftsausübung ein potentiell weiter Umfang zuzumessen ist, der durch diese Vertragsvorschrift wiederum begrenzt werden sollte.239 Im Wege praktischer Konkordanz ist deshalb ein Ausgleich zu finden mit der in Art. 1 II EUV formulierten Zielsetzung einer „immer enger“ werdenden Union der Völker Europas.240 Als justiziable Norm wird man Art. 6 III dennoch nicht qualifizieren können. Angesichts seines doch eher verschwommenen Inhalts wird in ihm eher eine politisch-programmatische Aussage zu sehen sein, der bei der Auslegung des Vertrages und Handhabung von Kompetenzen Bedeutung zukommt.241 3. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit unionsweiten Handelns Spricht man der Europäischen Union interne Rechtsfähigkeit zu, ist die Frage ihrer Kompetenzgrenzen wesentlich. Wie das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das in Art. 2 II EUV und 5 EGV enthalten ist, sind deshalb auch das Subsidiaritätsprinzip und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei unionsrechtlichem Handeln zu beachten. Lehnt man die (interne) Rechtsfähigkeit der Union dagegen ab, führen diese Prinzipien nur zu einer Beschränkung auf das vertraglich festgelegte Programm, da der Union nach dieser Ansicht schließlich keine Befugnisse zustehen können, die gegenüber den Vertragsstaaten durchgesetzt werden könnten. Der Appell zur Beachtung von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit wäre insofern, ähnlich wie Art. 6 III EUV, ein politisch-programmatischer.242 Kommt dem Subsidiaritätsprinzip nach der überzeugenderen Ansicht seine kompetenzbegrenzende Funktion auch im Unionsrecht zu, ist es auch bei der Harmonisierung nationalen Strafrechts und der kooperativen Strafverfolgung maßgeblich. Danach sind entsprechende Rechtsakte nur zulässig, sofern und soweit die angestrebten Ziele auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht in ausreichendem Maße erreicht (Negativkriterium) und aufgrund des Umfangs oder der Wirkung der Maßnahmen auf der Unionsebene besser erreicht werden können (Positivkriterium). Neben Art und Umfang der betreffenden Materie ist darauf abzustellen, ob mehrere oder alle Mitgliedstaaten spürbar betroffen sind und ob ein transnationaler Effekt eintritt. Wertend ist zu vergleichen, ob Kosten und Nutzen wie auch der 238 M. Nettesheim (Anm. 215), S. 421; T. C. W. Beyer (Anm. 232), S. 192 / 208 ff.; anders M. Möstl (Anm. 3), S. 573 / 578; vgl. zur „Übertragung von Hoheitsrechten“ auch O. Dörr (Anm. 149), S. 89 ff. 239 T. Oppermann (Anm. 172), § 12, Rn. 2. 240 R. Geiger (Anm. 79), Art. 6 EUV, Rn. 14. 241 Vgl. G. Nicolaysen (Anm. 113), S. 160; vgl. aber auch P. Badura (Anm. 216), S. 704 f. 242 So etwa M. Pechstein, in: R. Streinz, EUV / EGV-Kommentar, 2003, Art. 2 EUV, Rn. 17 f.

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zusätzliche Integrationsgewinn einen „europäischen Mehrwert“ darstellen, der den mitgliedstaatlichen Kompetenzverlust begründen kann.243 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wirkt sich auf der Ebene der Regelungsintensität aus. Neben seiner materiell-rechtlichen Funktion als Schranken-Schranke bei Eingriffen in Grundrechtspositionen ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip also auch als Kompetenzregelung zu begreifen. Danach ist die Union verpflichtet, dasjenige Rechtsetzungsinstrument zu wählen, das einerseits am effektivsten ist, andererseits aber die Kompetenzen der Mitgliedstaaten am wenigsten beeinträchtigt. Dies betrifft sowohl die materielle Regelungsdichte eines Rechtsaktes wie auch die Bindungswirkung der unionsrechtlichen Maßnahme. Bedeutsam kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz deshalb auch bei der Entscheidung sein, ob ein objektiv bindender Rahmenbeschluss gefasst oder ein zu ratifizierendes Übereinkommen nach Art. 34 II lit. d EUV geschlossen wird.244 Bei der Harmonisierung nationalen Strafrechts ist die Wirkung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begrenzt. Über das besondere Erforderlichkeitskriterium des Art. 29 II EUV hinaus dürfte ihm in materieller Hinsicht keine weitere Bedeutung zukommen. Für die zugrunde liegenden Vorfragen kommt es auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip aber durchaus an. Der ultima ratio-Gedanke spricht neben der Frage, ob strafrechtliche Mittel überhaupt geeignet sind, das angestrebte Ziel zu erreichen, für die Prüfung, inwieweit andere, mildere, aber gleich wirksame Mittel als das Strafrecht zur Verfügung stehen und ob eine strafrechtliche Reaktion auf ein Phänomen angemessen ist.245 Die Aufnahme der beiden aus dem Gemeinschaftsrecht bekannten Grundsätze in den Vertrag über die Europäische Union erscheint insofern durchaus folgerichtig. Die Praxis geht denn auch offenbar von einer Bindung an die insoweit präzisierten Prinzipien aus. In Erwägungsgrund (9) des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung etwa wird explizit ausgeführt, dass die betreffenden Maßnahmen von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden könnten und aufgrund ihrer Reziprozität auf „Gemeinschaftsebene“ erfolgversprechender umzusetzen seien, ohne jedoch über das erforderliche Maß hinauszugehen. Dabei wird sowohl auf das Subsidiaritätsprinzip wie auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verwiesen. Erwägungsgrund (7) des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl enthält entsprechende Formulierungen. Angesichts des Einstimmigkeitserfordernisses bei der Verabschiedung eines Rahmenbeschlusses kommt den genannten Grundsätzen tatsächlich dennoch keine

243 Vgl. R. v. Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, EuR 1994, S. 263 ff.; C. Callies, in: ders. / M. Ruffert, EUV / EGV-Kommentar, 2. Auflage 2002, Art. 5 EGV, Rn. 35, 44; M. Kaltenborn (Anm. 172), S. 430 f. 244 Vgl. zum EG-Recht R. Streinz, in: ders., EUV / EGV-Kommentar, 2003, Art. 5 EGV, Rn. 51; zum Rahmenbeschluss J. Vogel (Anm. 60), S. 42. 245 Vgl. T. Weigend (Anm. 152), S. 80.

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vergleichbare Bedeutung wie im Gemeinschaftsrecht zu. Letztlich besitzt ein einzelner Mitgliedstaat immer die Möglichkeit, die Beschlussfassung zu verhindern. Die Bewahrung einzelstaatlicher Aktionsräume im Bereich des Strafrechts war insoweit politisch immer durchsetzbar, wenngleich gerade die politische Gesamtsituation einem einzelnen Mitgliedstaat möglicherweise keine Wahl ließ. So dürfte die vertragliche Fixierung und grundsätzliche Gültigkeit der beiden Prinzipien im Unionsrecht durchaus auch entscheidende politische Bedeutung besessen haben, bedenkt man etwa die unterschiedliche Größe und Einflussmöglichkeiten einzelner Mitgliedstaaten oder auch spezifische Drucksituationen einzelner Regierungsvertreter im politischen Prozess des Rates. Durch den Lissabonner Vertrag wurde an den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit des unionsweiten Handelns materiell gesehen nichts geändert. Art. 5 III EU normiert beide Grundsätze. Überdies wurde erneut ein Protokoll über die Anwendung der Grundsätze verabschiedet, auf das im Zusammenhang mit der Rolle der nationalen Parlamente im Unionsgefüge noch näher einzugehen sein wird. 4. Die Folgen kompetenz- und rechtswidrigen Unionsrechts In der durchaus mit Schärfe geführten Diskussion über den Europäischen Haftbefehl gibt es Stimmen, die den entsprechenden Rahmenbeschluss für rechtswidrig halten bzw. die Usurption einer dem Rat nicht zustehenden Strafrechtskompetenz erkennen. Der EuGH hat indes die Vereinbarkeit des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl mit den Vorgaben des EU-Vertrages festgestellt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil eine entsprechende Handlungsbefugnis der Europäischen Union grundsätzlich bejaht und lediglich die deutsche Umsetzung des Rahmenbeschlusses für verfassungswidrig erklärt.246 Eine Aussage darüber, welche Folgen es hat, wenn ein Rahmenbeschluss keine vertragliche Grundlage besitzt oder gegen das Subsidiaritätsprinzip verstösst, war insoweit unnötig. Bei der Beantwortung dieser Frage sind die Folgen kompetenzlosen Handelns und kompetenzgemäßen, aber rechtswidrigen Handelns zu unterscheiden.247 Die Vertragsvorschriften über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sind nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis des Unionsrechts als Kompetenznor246 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 05. 2007, Rs. C-303 / 05, Advocaten voor de Wereld . / . Leden van de Ministerrad, auch zu finden in NJW 2007, 2237; kritische Anmerkung von R. Streinz, JuS 2007, 854; vgl. zur grundsätzlichen Kritik die abweichende Meinung des Richters S. Broß zu BVerfGE 113, 273 (320 ff.); ders., Konstruktive Probleme bei der Einigung Europas – dargestellt am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, in: R. Griesbaum / R. Hannich / K. H. Schnarr, Strafrecht und Justizgewährung, FS Nehm, 2006, S. 27 (31 ff.); B. Schünemann (Anm. 55), GA 2004, S. 207. 247 M. Nettesheim (Anm. 215), S. 417.

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men der Europäischen Union zu verstehen, die im Binnenverhältnis zu den Mitgliedstaaten als Rechtsträger zu begreifen ist. Rechtserhebliches Handeln der Union kann nur auf einer entsprechenden Kompetenzgrundlage erfolgen. Kompetenzloses Handeln des Rates kann der Europäischen Union dagegen nicht zugerechnet werden.248 Ein Rahmenbeschluss, der keine Grundlage im EUV findet, ist deshalb nicht Teil des Unionsrechts und erzeugt insofern keine wirksame Verpflichtung für die Mitgliedstaaten und ihre Organe.249 Der gleichwohl durch einen Beschluss des Rates entstandene Rechtsschein wäre durch eine entsprechende Feststellung(-sklage) zu beseitigen.250 Als Wahrnehmungsbedingungen einer Kompetenz sind höherrangiges und unabdingbares Recht zu qualifizieren, das je nach seinem Inhalt Verfahrens- und Formanforderungen, aber auch Unterlassungspflichten für die handelnden Organe darstellen kann. Der Rat der Europäischen Union ist bei der Rechtsetzung durch Rahmenbeschlüsse insoweit an die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze wie etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden.251 Auch das Subsidiaritätsprinzip ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts zu verstehen.252 Es soll nicht die durch den Vertrag auf die Unionsebene übertragenen Befugnisse wieder in Frage stellen, sondern betrifft deren Umfang und Intensität. Bei der Auslegung der Kompetenznormen ist der Subsidiaritätsgedanke in Ausgleich zu bringen mit der erforderlichen Effektivität unionsweiten Handelns.253 Ebenso wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist das Subsidiaritätsprinzip daher als Kompetenzausübungsschranke anzusehen.254 Beide Prinzipien beantworten demnach nicht die Frage, ob eine Kompetenz des Verbundes vorliegt, sondern in welchem Umfang sie ausgeübt werden kann. Kommt ein Rahmenbeschluss unter Verletzung dieser Grundsätze zustande, ist er als unionsrechtswidrig zu qualifizieren. Eine Verletzung des Unionsvertrages kann gem. Art. 35 VI EUV vor dem EuGH gerügt werden, der im Falle der Begründetheit einer entsprechenden Klage den betroffenen Rahmenbeschluss für nichtig erklärt (Art. 46 lit. b EUV i.V.m. Art. 231 I EGV).255 Ein Nichtigkeitsurteil Vgl. M. Nettesheim (Anm. 215), S. 416. B. Schünemann (Anm. 55), GA 2004, S. 207. 250 M. Nettesheim (Anm. 215), S. 430; vgl. aber auch A. Schmitt Glaeser (Anm. 150), S. 206 f. 251 Vgl. M. Nettesheim (Anm. 215), S. 417. 252 T. Oppermann (Anm. 172), § 5, Rn. 12. 253 G. Nicolaysen (Anm. 113), S. 287; vgl. auch C. Koenig / R. A. Lorz, Stärkung des Subsidiaritätsprinzips, JZ 2003, S. 167 ff. 254 R. Streinz (Anm. 43), Rn. 166 f.; M. Zuleeg (Anm. 140), S. 77 ff.; vgl. zur Justiziabilität M. Kaltenborn (Anm. 172), S. 433 f. m. w. N.; M. Zuleeg a. a. O., S. 83 f. 255 M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 534; C. Schütz / M. Sauerbier, Die Jurisdiktion des EuGH im Unionsrecht, JuS 2002, S. 658 (661); für die Feststellung der Rechtswidrigkeit C. D. Classen, Die Jurisdiktion des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nach Amsterdam, EuR 1999, Beiheft 1, S. 73 (83 f.). 248 249

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beseitigt die Rechtswirkungen eines Rahmenbeschlusses ex tunc und erga omnes.256 Die Nichtigkeit eines Rahmenbeschlusses führt allerdings nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit bereits erfolgter nationaler Umsetzungsakte. Dem Unionsrecht ist auch keine Pflicht zur Aufhebung oder Aufrechterhaltung des nationalen Umsetzungsrechts zu entnehmen. Den Mitgliedstaaten steht es insofern frei, wie sie mit dem „wiedergewonnenen“ Gestaltungsspielraum umgehen wollen.257 Ist auch das nationale Recht als rechtswidrig anzusehen, etwa weil es gegen nationales Verfassungsrecht verstösst, bedarf es insoweit einer gesonderten Nichtigerklärung durch die dazu berufene nationale Instanz.258

5. Gegenseitige Anerkennung und Strafrechtsharmonisierung Die zur Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nationaler Strafgesetze und Rechtsakte erlassenen Rahmenbeschlüsse müssten demnach auf eine entsprechende Kompetenzgrundlage zu stützen sein und den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit entsprechen. Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl findet seine Grundlage in Art. 31 I lit. a und insbesondere lit. b als materiellen Befugnisnormen sowie in Art. 34 II lit. b EUV, der die zulässige Handlungsform bestimmt. Die Rahmenbeschlüsse über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungsentscheidungen, Geldstrafen und Geldbußen sowie von Einziehungsentscheidungen lassen sich materiell auf Art. 31 I lit. a stützen. An der Verbandskompetenz der Europäischen Union zum Erlass dieser Rahmenbeschlüsse kann insoweit kaum ein Zweifel bestehen. Die Vereinbarkeit des Europäischen Haftbefehls mit dem Subsidiaritätsprinzip wurde dagegen mit Blick auf die Auslieferung eigener Staatsangehöriger durchaus bestritten. Stünde der Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs durch die eigene Justiz aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips und dem Grundsatz stellvertretender Strafrechtspflege tatsächlich nichts entgegen, ergäben sich keine Strafbarkeitslücken, die eine Strafverfolgung eigener Staatsangehöriger in anderen EU-Mitgliedstaaten auf der Basis unionsrechtlicher Regelungen erforderten. In Anbetracht des Subsidiaritätsgedankens, der auch eine Absicherung größtmöglicher Freiheit des Einzelnen darstellt259, könne selbst bei Taten mit maßgeblichem Auslandsbezug insofern der Beleg nicht erbracht werden, dass der eigene Mitgliedstaat als die bürgernähere und kleinere Einheit keine vergleichbar effektive Strafverfolgung gewährleiste.260 Vgl. D. Reichelt (Anm. 122), S. 133 ff. M. Pechstein, Die Justitiabilität des Unionsrechts, EuR 1999, S. 1 (24); D. Reichelt (Anm. 122), S. 153 ff.; kritisch hierzu M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 537. 258 B. Schünemann (Anm. 55), GA 2004, S. 208. 259 Vgl. hierzu I. Pernice, in: H. Dreier, GG-Kommentar, Bd. 2, 2. Auflage 2006, Art. 23, Rn. 68. 256 257

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Dem Rat als dem Unionsrecht setzenden Organ wird allerdings eine maßgebende Einschätzungsprärogative zugestanden werden müssen, die durch die Mitwirkung der Kommission und des Parlaments ergänzt wird.261 Letztlich muss der Rat abschätzen, inwieweit durch geplante Maßnahmen ein europäischer Mehrwert zu erzielen ist. Gelangt er zu der Erkenntnis, dass beispielsweise nur durch unionsrechtliche Vorgaben die notwendige Vereinfachung und Beschleunigung des Auslieferungsverkehrs innerhalb der Union zu erreichen ist, dann kommt dieser Auffassung ein erhebliches Gewicht zu. Die in Erwägungsgrund (11) des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl formulierte Zielsetzung, nach der alle bisher geltenden völkerrechtlichen Abkommen im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten durch den Rahmenbeschluss ersetzt werden sollen, konnte jedenfalls durch einseitiges Handeln der Mitgliedstaaten nicht erreicht werden. Die gleichförmige Straffung des Verfahrens durch den Verzicht auf das politische Bewilligungsverfahren dürfte ebenso nur in einem unionsweit verbindlichen Schritt zu verwirklichen gewesen sein, wie der partielle Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit als Übergabevoraussetzung. Insofern spricht vieles für die Vereinbarkeit des Rahmenbeschlusses mit dem Subsidiaritätsprinzip.262 Dass aufgrund dieses Systemwechsels Taten mit maßgeblichem Auslandsbezug nunmehr überwiegend im Ausland verfolgt und auch eigene Staatsangehörige zu diesem Zweck an andere Mitgliedstaaten übergeben werden, wird man insoweit als politische Entscheidung akzeptieren müssen. Der Grundsatz stellvertretender Strafrechtspflege wie auch das aktive Personalitätsprinzip sind jedenfalls nicht grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber anderen Anknüpfungspunkten zur Begründung eines Strafanspruchs. Die durch den Rahmenbeschluss initiierte Form kooperativer Strafverfolgung erscheint insofern vereinbar mit dem Subsidiaritätsprinzip und kann auch als erforderlich angesehen werden. Inwieweit nun aber der Verzicht auf die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit bei allen 32 bzw. 39 Delikten und Deliktsgruppen der jeweiligen Kataloge der Rahmenbeschlüsse gerechtfertigt erscheint, mag man durchaus mit guten Gründen bezweifeln. Für den Bereich des Terrorismus sind insoweit allerdings keine Einwände zu erheben.263 Der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung stützt sich auf Art. 29 II, 31 I lit. e EUV. An der Vereinbarkeit der getroffenen Maßnahmen, auch im Hinblick auf verbleibende Spielräume der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der natioSo S. Broß (Anm. 246), Sondervotum, Rz. 139 ff. R. Streinz (Anm. 244), Rn. 40. 262 So auch EuGH (Anm. 246), Rz. 28 ff.; vgl. M. Plachta (Anm. 47), S. 184 / 187; D. Rohlff (Anm. 48), S. 21 f.; C. Wegner, Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Europäischen Haftbefehl, StV 2003, S. 105. 263 Vgl. B. Schünemann (Anm. 55), ZRP 2003, S. 188; allgemein im Hinblick auf die Europäisierung des Strafrechts auch T. Weigend (Anm. 152), S. 64 ff.; wiederum gerade kritisch bzgl. des Terrorismus M. Plachta (Anm. 47), S. 185. 260 261

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nalen Strafrechtsordnungen, bestehen in kompetentieller Hinsicht keine ernsthaften Bedenken.

VII. Die Akteursqualität der Europäischen Union Angesichts der durch Rahmenbeschlüsse eingeführten Form kooperativer Strafverfolgung und der bislang verabschiedeten Rechtsakte zur Harmonisierung des Strafrechts der Mitgliedstaaten kann der Europäischen Union im Bereich der Terrorismusbekämpfung die Qualität eines durchaus maßgeblichen Akteurs zugesprochen werden. Eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen stützt diese Aussage. Die Europäische Union hat seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten den Versuch unternommen, eine Europäische Sicherheitsstrategie zu entwickeln, um dieser Form des Terrorismus zu begegnen. Der Rat beabsichtigt dabei langfristig wirkende Maßnahmen zu ergreifen, die an allen Faktoren ansetzen, welche zum Terrorismus beitragen.264 Je nach Grad der Vergemeinschaftung eines Rechtsgebietes und den Möglichkeiten des Unionsrechts wirkt die europäische Ebene dabei mehr oder weniger stark auch auf die nationalen Sicherheitskonzepte ein.265 Von besonderer Bedeutung ist auf europäischer Ebene die politische und technische Weiterentwicklung des Schengener Informationssystems (SIS).266 Das SIS ist eine umfassende Datenbank zum Zwecke der Personen- und Sachfahndung, die von den sog. Schengen-Staaten gemeinsam betrieben wird. Den Art. 95 ff. des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) sind die Ausschreibungskategorien zu entnehmen. Danach besteht die Möglichkeit, Personen zur Auslieferung sowie sog. Drittausländer zur Einreiseverweigerung auszuschreiben. Ferner können im SIS Vermisste, selbstschutzbedürftige Personen, Zeugen, Angeklagte und rechtskräftig Verurteilte ausgeschrieben werden. Darüber hinaus ist die Ausschreibung von Personen und Sachen zur verdeckten Registrierung als auch von Sachen zur Sicherstellung oder Beweissicherung im Strafverfahren möglich. Das System beschränkt sich dabei nicht nur auf grenzüberschreitende Delikte, sondern dient insgesamt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Im Zuge der Erweiterung des Schengen-Raumes um die neuen EU-Mitgliedstaaten soll das System (SIS II) durch neue und zusätzliche biographische, biometrische, genetische und polizeiliche Daten zu einem wirksamen Instrument gerade im Bereich der Terrorismusbe264 Erklärung des Rates zum Kampf gegen den Terrorismus, EU-Bulletin 3 / 2004, Nr. I-30; vgl. die zahlreichen Nachweise zu Einzelmaßnahmen bei K. Ambos (Anm. 60), § 12, Rn. 11 ff. 265 Vgl. J. Saurer, Die Ausweitung sicherheitsrechtlicher Regelungsansprüche im Kontext der Terrorismusbekämpfung, NVwZ 2005, S. 275 (281); im Überblick auch R. Bieber / A. Epiney / M. Haag, Die Europäische Union, 7. Auflage 2006, S. 277 ff. 266 Verordnung (EG) des Rates Nr. 2424 / 2001 vom 06. 12. 2001, ABl. EG 2001, Nr. 328, 4.

VII. Die Akteursqualität der Europäischen Union

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kämpfung ausgebaut werden. Der Zugriff nationaler Behörden auf die entsprechenden Daten soll weiter verbessert werden.267 Eine verstärkte Überwachung von Finanzströmen wird unter anderem durch die zweite Richtlinie zur Geldwäsche vom 28. 12. 2001 und die Richtlinie zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung vom 26. 10. 2005 ermöglicht.268 Die Verordnung (EG) Nr. 2580 / 2001 des Rates269 vom 27. 12. 2001 sieht spezifische Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen vor, um die Finanzierung terroristischer Aktivitäten zu unterbinden. In nachfolgenden Beschlüssen270 des Rates werden die betroffenen Personen und Organisationen konkret benannt und fortlaufend aktualisiert. Ergänzt wird die Verordnung durch einen Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 28. 10. 2002 (2002 / 847 / GASP) über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpung des Terrorismus.271 Der Rahmenbeschluss des Rates vom 13. 06. 2002 (2002 / 465 / JI)272 sieht die Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen vor, die vorrangig zur Bekämpfung terroristischer Straftaten gebildet werden sollen. Gem. Art. 1 X dienen die in einer solchen Ermittlungsgruppe erlangten Informationen sowohl der Abwehr unmittelbarer und ernsthafter Gefahren wie auch der Strafverfolgung. Der Rahmenbeschluss wurde durch eine Empfehlung des Rates (2003 / C 121 / 01)273 vom 08. 05. 2003 ergänzt, die ein Modell für die Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen enthält. Durch Beschluss des Rates (2002 / 996 / JI) vom 28. 11. 2002 wurde zudem ein Mechanismus für die Begutachtung der einzelstaatlichen gesetzlichen Regelungen zur Bekämpfung des Terrorismus und ihrer Anwendung eingerichtet. 274

267 Vgl. K. Ambos (Anm. 60), § 12, Rn. 30 ff.; A. Jour-Schröder, in: H. v. d. Groeben / J. Schwarze, EUV / EGV-Kommentar, 6. Auflage 2003, Art. 30 EU, Rn. 17 f.; W. Schreckenberger, Von den Schengener Abkommen zu einer gemeinsamen Innen- und Justizpolitik, VerwArch 88 (1997), S. 389 (404 ff.); kritisch insoweit S. Leutheusser-Schnarrenberger, Ein System gerät außer Kontrolle: Das Schengener Informationssystem, ZRP 2004, S. 97 ff. 268 ABl. EG 2001, Nr. L 344, 76; ABl. EG 2005, Nr. L 309, 15. 269 ABl. EG 2001, Nr. L 344, 70. 270 Vgl. etwa den Beschluss vom 28. 10. 2002 (2002 / 848 / EG), ABl. EG 2002, Nr. L 295, 12 sowie den Beschluss vom 12. 12. 2002 (2002 / 974 / EG), ABl. EG 2002, Nr. L 337, 85; vgl. zum Rechtsschutz gegen die Aufnahme in die entsprechenden Listen das Urteil des EuG vom 12. 12. 2006, Rs. T-228 / 02, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran / Rat, Rz. 27 ff. 271 ABl. EG 2002, Nr. L 295, 1; vgl. zum Verhältnis zu entsprechenden Maßnahmen auf UN-Ebene S. Hörmann, Völkerrecht bricht Rechtsgemeinschaft?, AVR 44 (2006), S. 267 ff.; K. Schmalenbach, Normentheorie vs. Terrorismus: Der Vorrang des UN-Rechts vor EURecht, JZ 2006, S. 349 ff. 272 ABl. EG 2002, Nr. L 162, 1. 273 ABl. EG 2003, Nr. C 121, 1. 274 ABl. EG 2002, Nr. L 349, 1.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

Darüber hinaus sind die Einrichtung und Weiterentwicklung von Europol und Eurojust hervorzuheben. Europol soll die Leistungsfähigkeit der mitgliedstaatlichen Behörden und ihre Zusammenarbeit vor allem bei der Bekämpfung des Terrorismus und des illegalen Drogenhandels wie auch jeder anderen schwerwiegenden, grenzüberschreitenden Kriminalität verbessern. Zu diesem Zweck sollen der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten erleichtert, Erkenntnisse gesammelt und analysiert werden. Die für einen Mitgliedstaat relevanten, der Kriminalitätsprävention dienlichen Informationen sollen unverzüglich an die zuständigen innerstaatlichen Behörden weitergeleitet werden. Mit Europol stellt die Europäische Union den nationalen Behörden umfangreiche Datensysteme und Analysemöglichkeiten zur Verfügung. Darüber hinaus ist Europol inzwischen befugt, die Mitgliedstaaten um die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren zu ersuchen sowie eigene Bedienstete in die schon genannten gemeinsamen Ermittlungsgruppen zu entsenden. Eigenständige operative Befugnisse besitzt Europol jedoch auf der Basis des gegenwärtig geltenden Rechts nicht.275 Eurojust dient als Dokumentations- und Clearingstelle für die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. Als Pendant zu Europol soll Eurojust strafrechtliche Ermittlungsverfahren der Mitgliedstaaten koordinieren, grenzüberschreitende Maßnahmen der Strafverfolgung fördern und dient insofern vor allem der Verzahnung repressiver Ermittlungstätigkeit in den Mitgliedstaaten. Das wesentliche Instrument dieser Kooperation ist ebenfalls ein breit angelegter Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, Eurojust und Europol, der insbesondere im Bereich der Terrorismusbekämpfung, etwa bei der Verfolgung terroristischer Organisationen, auch in präventiver Hinsicht von Bedeutung sein kann. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und vor allem die Rechtshilfe der Mitgliedstaaten untereinander erfährt so auch eine institutionelle Verklammerung, durch die Kooperationsformen und Informationsaustausch einen europäischen Rahmen erhalten. Die schon erörterten Mechanismen der gegenseitigen Anerkennung und Harmonisierung werden dadurch ergänzt. Die mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden werden durch die bei Eurojust abrufbaren Informationen in die Lage versetzt, ihre Tätigkeit effektiver und angesichts der unionsweiten Bedeutung etwa des Terrorismus auch umfassender anzulegen. In Zukunft wird die Bedeutung von Eurojust auch im Hinblick auf die Kooperation mit Drittstaaten steigen, die in Art. 27 III des Beschlusses des Rates zur Gründung von Eurojust (2002 / 187 / JI) vom 275 Vgl. das Europol-Übereinkommen in ABl. EG 1995, Nr. C 316, 1, zu seinen Änderungen ABl. EG 2002, Nr. C 312, 1; zur Tätigkeit von Europol M. Baldus, Der Beitrag des Europäischen Polizeiamtes (Europol) zur Bekämpfung des Terrorismus, in: H.-J. Koch, Terrorismus – Rechtsfragen der inneren und der äußeren Sicherheit, 2002, S. 121 ff.; H. Felgenhauer, Fragen zur zukünftigen Verfassung der inneren Sicherheit in Europa – Entwicklungsmöglichkeiten des Europäischen Polizeiamtes Europol, in: P.-C. Müller-Graff (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005, S. 137 ff.; G. Kämper, Polizeiliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union (Diss. Münster 2001); N. Kröger, Europol – Europäisches Polizeiamt und Individualrechtsschutz (Diss. Bielefeld 2004); T. B. Petri, Europol (Diss. Frankfurt a. M. 2000).

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28. 02. 2002 auch vorgesehen ist, wobei vor allem die Zusammenarbeit mit den USA Beachtung finden wird.276 Durch Beschluss des Rates277 vom 28. 05. 2001 wurde darüber hinaus ein Europäisches Netz für Kriminalprävention eingerichtet, das der Weiterentwicklung und dem Austausch bewährter Praktiken der Mitgliedstaaten dienen soll. Mit Hilfe von Sachverständigengruppen und mitgliedstaatlichen Kontaktstellen soll dieses Netz Fortbildungsmaßnahmen organisieren, den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fördern, Forschungs- und Ausbildungsschwerpunkte identifizieren und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten und internationalen Organisationen verbessern. Darüber hinaus schuf der Rat im März 2004 das Amt eines Anti-TerrorismusKoordinators.278 Weitere bedeutsame Diskussionspunkte sind die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft279 und eines Europäischen Strafregisters280. Gekennzeichnet ist diese Akteursqualität der Europäischen Union durch duale Mechanismen. Die Unionsebene stellt Institutionen, Datensysteme, Austauschverfahren zur Verfügung und gibt den Rahmen für die gegenseitige Anerkennung oder Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften und Verfahren vor. Den Mitgliedstaaten obliegt die Umsetzung dieser Vorgaben in nationales Recht. Die zuständigen Behörden sind für die Nutzung dieser Möglichkeiten in der Folge selbst verantwortlich, wobei der technischen und sprachlichen Kompatibilität eine besondere Bedeutung zukommt. Dieses System führt zu geteilter Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Rechtsetzung und Organisation von Kriminalitätsprävention und Strafverfolgung. Dadurch entsteht einerseits ein hoher Koordinierungsaufwand, andererseits aber auch eine Art Gesamtverantwortung für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. In diesem Raum wirken europäische Steuerung und mitgliedstaatliche Aus- bzw. Durchführungsakte zusammen, durch die staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungskompetenzen zwar europäisch überformt werden, jedoch weiterhin nach Maßgabe nationaler Vorschriften durch die Mitgliedstaaten 276 Vgl. den Gründungsbeschluss zu Eurojust in ABl. EG 2002 Nr. L 63, 1; zur Tätigkeit von Eurojust auch R. Esser, Der Beitrag von Eurojust zur Bekämpfung des Terrorismus in Europa, GA 2004, S. 711 ff.; ders. / A. L. Herbold, Neue Wege für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Das Eurojust-Gesetz, NJW 2004, S. 2421 ff.; T. Milke, Europol und Eurojust (Diss. Osnabrück 2003); W. Schomburg, Justizielle Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts in Europa: Euro-Just neben Europol, ZRP 1999, S. 237 ff. 277 ABl. EG 2001, Nr. L 153, 1. 278 EU-Bulletin 3 / 2004, Nr. I-32, Nr. I-41. 279 Vgl. S. Braum, Das ,,Corpus Juris“ – Legitimität, Erforderlichkeit und Machbarkeit, JZ 2000, S. 493 (497); F. H. Brüner / H. Spitzer, Der Europäische Staatsanwalt, NStZ 2002, S. 393 ff.; E. Kempf, Der Europäische Staatsanwalt: Freier Fuchs im freien Hühnerstall?, StV 2003, S. 128 ff.; H. Radtke, Der Europäische Staatsanwalt, GA 2004, S. 1 ff.; U. Sommer, Die Europäische Staatsanwaltschaft, StV 2003, S. 126 f.; U. Stiegel, Grünbuch der Kommission zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, ZRP 2003, S. 172 ff. 280 W. Hetzer, Europäische Strategien gegen Geldwäsche und Terror, Kriminalistik 2004, S. 596 ff.

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C. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU

ausgeübt werden. Die Letztverantwortung für einzelne Maßnahmen, wie auch deren Rechtmäßigkeitskontrolle (Art. 35 V EUV) verbleibt so bei den Mitgliedstaaten. Unmittelbar wirkende Rechtsakte der überstaatlichen Ebene waren im Bereich der Kriminalprävention und Strafverfolgung im weiten Sinne dagegen nur im Rahmen des Gemeinschaftsrechts vorstellbar und in der Praxis eher selten.281 Der Lissabonner Vertrag führt diese Akteursqualität der Europäischen Union fort. Eurojust findet künftig seine vertragliche Grundlage in Art. 85 AEU, das Projekt einer Europäischen Staatsanwaltschaft ist in Art. 86 AEU vorgesehen. Durch die Zusammenführung von Gemeinschaften und Union unterfällt künftig auch die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen den supranationalen Mechanismen der Europäischen Union. Die Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs für Sekundärrechtsakte in diesem Bereich ergibt sich damit künftig aus den Art. 256 ff. AEU. Die Letztverantwortung für Maßnahmen im Einzefall und deren Rechtmäßigkeitskontrolle bleibt gleichwohl Sache der Mitgliedstaaten. Anders als die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union (Art. 275 AEU) stellt die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen indes in Zukunft keinen Sonderfall mehr da.

281 Vgl. C. Gusy (Anm. 38), S. 220 ff.; M. Möstl (Anm. 3), S. 519 f. / 579 ff.; U. Schliesky (Anm. 3), S. 562 f.

D. Der Schutz bürgerlicher Freiheit in einem europäischen Strafrechtsraum Die Europäische Union verfügt schon heute zweifelsohne über ein beachtliches Maß an Gestaltungskraft. Sie stellt sich als ein Akteur dar, der auch das nationale Strafrecht und das Strafverfahrensrecht maßgeblich prägen kann. Schwerwiegende Herausforderungen wie der internationale Terrorismus und seine Gefahren für die Zivilgesellschaft lassen diese Handlungsfähigkeit auch wünschenswert erscheinen. Die Legitimationsdefizite wiegen jedoch ebenso schwer und stehen einer Rechtsgemeinschaft nicht gut zu Gesicht. Kann aber die Rechtserzeugung in einem überstaatlichen System bislang den parlamentarisch-demokratischen Ansprüchen des Staatsrechts kaum genügen, kommt den Schutzmechanismen bürgerlicher Freiheit und damit dem Rechtsschutz des Einzelnen in einem solchen System zwingend überragende Bedeutung zu. Dies ergibt sich auch aus verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien wie Art. 19 IV GG oder den Art. 6 I und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die auch in die Rechtsprechung des EuGH Eingang gefunden haben. Besonderes Gewicht kommt dabei der Effektivität gerichtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten zu.

I. Der notwendige Ausgleich zwischen bürgerlicher Freiheit und Sicherheit In national wie international geführten Diskussionen steht immer wieder der notwendige wie hinreichende Ausgleich zwischen bürgerlicher Freiheit und der Sicherheit eines Gemeinwesens im Brennpunkt. Die Sicherheit staatlicher Einrichtungen und Strukturen erscheint dabei ebenso maßgeblich wie die Sicherheit der Allgemeinheit. Das durch Verbrechen größten Ausmaßes wie auch durch persönliche Erlebnisse hervorgerufene subjektive Sicherheitsbedürfnis des Einzelnen steht dabei oft im Widerspruch zu grundlegenden Prinzipien einer bürgerlich-freiheitlich geprägten Grundordnung. Obwohl es ein Gemeinplatz ist, dass absolute Sicherheit nicht zu erreichen ist, lässt sich in der gesellschaftlich-medialen Reaktion auf schwere und schwerste Verbrechen immer wieder der Ruf nach schärferen Gesetzen vernehmen, der auf einen flächendeckenden Einsatz des Strafrechts als sozialem Steuerungsinstrument wie auf eine Absenkung der tatbestandlichen Voraussetzungen für strafprozessuale Eingriffe in die bürgerliche Freiheitssphäre abzielt. Zu befürchten ist insoweit durchaus ein Paradigmenwechsel, der, illustriert durch die Annahme eines „Grund-

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D. Schutz bürgerlicher Freiheit in einem europäischen Strafrechtsraum

rechts auf Sicherheit“, den Rechtsstaat in einen Staat zu verwandeln droht, der sich des Strafrechts zum Zwecke polizeilicher Prävention bedient.282 Besondere Nahrung erhalten entsprechende Forderungen durch ganz unterschiedliche Verbrechenskomplexe, die aber eine Gesellschaft – verständlicherweise – in durchaus vergleichbare Erregung versetzen wie Terrorismus oder Sexualstraftaten. Durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bleibt der Einsatz des Strafrechts auf besonders bedeutsame Unrechtstatbestände beschränkt. Nur elementare Rechtsgüter sollen durch das Strafrecht mit seiner besonderen Wirkungsweise geschützt werden. Dem Staat erwächst insoweit allerdings nicht nur eine Möglichkeit, sondern auch eine Pflicht, eben jene Rechtsgüter im notwendigen und angemessenen Umfang durch das Strafrecht zu schützen. Das Strafrecht kann daher als wesentlicher Bestandteil staatlichen Rechtsgüterschutzes angesehen werden.283 In einem freiheitlichen Rechtsstaat ist das Strafrecht geprägt durch das schon erörterte Gesetzlichkeitsprinzip, das Schuldprinzip284, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Legalität sowie das Offizialprinzip und die Grundsätze eines fairen Strafprozesses. Von besonderer Bedeutung ist ferner das Interesse eines Täters wie der Gesellschaft an der Resozialisierung eines Verurteilten, um einen Rückfall nach seiner Freilassung zu vermeiden und um dadurch den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit Rechnung zu tragen.285 Problematisch ist dieser Ausgleich im Zweifel widerstreitender Interessen schon im Bereich des Sexualstrafrechts, wo das Interesse eines Täters, zu lernen und sich zu bewähren, womöglich unvereinbar ist mit seiner Gefährlichkeit für die sexuelle Selbstbestimmung anderer.286 Terroristen, die, getragen von radikalreligiösen oder andersartigen, offenbar irrationalen Motiven, Verbrechen bislang unbekannten Ausmaßes begehen, scheinen einer Resozialisierung im Sinne einer freiheitlichen Gesellschaft kaum zugänglich zu sein. Dem Selbstmordattentäter, dem es nur noch um ein Ziel im Jenseits gehen kann, kann mit dem spezial- und generalpräventiven Ansatz des Strafrechts wahrscheinlich überhaupt nicht erfolgreich begegnet werden. Eine der Therapie eines Sexualstraftäters vergleichbare Strategie existiert für den einzelnen Terroristen 282 E. Denninger, Freiheit durch Sicherheit?, Kritische Justiz 2002, S. 467 (472 ff.); C. Gusy, Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit im Lichte unterschiedlicher Staats- und Verfassungsverständnisse, VVDStRL 63 (2004), S. 151 (168 ff.); B. Haffke, Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat?, Kritische Justiz 38 (2005), S. 17 (20); W. Hassemer, Strafrecht in einem europäischen Verfassungsvertrag, ZStW 116 (2004), S. 304 (312 ff.); vgl. auch S. Braum (Anm. 279), S. 499; V. Mehde, Terrorismusbekämpfung durch Organisationsrecht, JZ 2005, S. 815 (816); vgl. zu nationalen Maßnahmen etwa M. Nolte, Die Anti-Terror-Pakete im Lichte des Verfassungsrechts, DVBl. 2002, S. 573 ff.; zur Differenzierung zwischen Prävention und Repression M. Möstl (Anm. 3), S. 157 ff. 283 BVerfGE 88, S. 203 (257 f.); vgl. auch M. Möstl (Anm. 3), S. 156; B. L. Nacos (Anm. 21), S. 164 ff. 284 Vgl. zu seiner europaweiten Bedeutung P.-A. Albrecht (Anm. 167), S. 72 ff.; T. Weigend (Anm. 152), S. 71 ff. 285 BVerfGE 35, S. 202 (236). 286 Vgl. B. Haffke (Anm. 282), S. 26 f.

I. Notwendiger Ausgleich zwischen bürgerlicher Freiheit und Sicherheit

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nicht. Vielmehr bewegt sich ein Selbstmordattentäter bewusst außerhalb der Rechtsordnung, um sein vorgeblich gerechtes Ziel zu erreichen. Die Reintegrationsstrategien des Rechtsstaats müssen dabei regelmäßig ins Leere laufen. Und auch die Gefahr, im Rahmen eines Polizeieinsatzes etwa im Falle eines finalen Rettungsschusses ums Leben zu kommen, kann den Selbstmordattentäter nicht von der Verwirklichung seiner Pläne abhalten, sondern allenfalls zur Verzögerung eines Anschlags führen, wenn der Täter sich entdeckt sieht und die Tatverwirklichung deshalb aufschiebt. Die Beseitigung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ursachen für Terrorismus aber stellt eine ungleich komplexere Aufgabe dar, deren Erfolgsaussichten meist nicht abzusehen sind. Diese (scheinbare) Ausweglosigkeit entlässt jedoch weder die Gesellschaft noch ihre politische Führung aus der schwerwiegenden Verantwortung, zu entscheiden, in welchem Umfang bürgerliche Freiheiten der allgemeinen Sicherheit geopfert werden müssen, sollen und dürfen. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass zwischen objektiver Sicherheit und dem Sicherheitsgefühl des Einzelnen zu unterscheiden ist.287 Das Recht auf Freiheit und Privatsphäre, die Meinungs- und Pressefreiheit wie auch die Versammlungs- und Vereinsfreiheit sind zentrale Charakteristika eines freiheitlichen Rechtsstaats. Bei ihrem Bemühen, den Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung im Angesicht terroristischer Verbrechen zu entsprechen, droht die Politik der Bewahrung und Ausgestaltung dieser fundamentalen Rechte nicht mehr hinreichend gerecht zu werden.288 In Staaten, die sich zur Gewährung und Einhaltung von Grund- und Menschenrechten verpflichtet haben, kommt neben der inhaltlich-materiellen Bindung den individuellen Durchsetzungsmechanismen subjektiver Rechtspositionen die entscheidende Rolle zu. Bemerkenswert erscheint insoweit, dass angesichts etwa der Verbrechen vom 11. September 2001 sich Begründungserfordernisse in der öffentlichen Debatte umzukehren scheinen. Derjenige, der die Gewährleistung von Freiheitsrechten „verteidigt“, muss nunmehr begründen, warum dies angesichts möglicher Bedrohungsszenarien noch überzeugend ist. Vormals war und sollte weiterhin 287 Vgl. T. Delpech, Die Liebe zum Tod, Internationale Politik 56 (2001), S. 53 (54 ff.); E. Denninger, Freiheit durch Sicherheit?, StV 2002, S. 96 ff.; ders. (Anm. 282), S. 471 f.; ders., Thesen zur „Sicherheitsarchitektur“, insbesondere nach dem 11. September 2001, KritV 2003, S. 313 (315); C. Gusy (Anm. 282), S. 158 ff.; W. Hoffmann-Riem, Freiheit und Sicherheit im Angesicht terroristischer Anschläge, ZRP 2002, S. 497 (499 ff.); provokant: G. Roellecke, Der Rechtsstaat im Kampf gegen den Terror, JZ 2006, S. 265 (268 ff.); a.A. etwa W. Höfling / S. Augsberg, Luftsicherheit, Grundrechtsregime und Ausnahmezustand, JZ 2005, S. 1080 (1083 ff.). 288 S. Albin, Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämpfung im Völkerrecht, ZRP 2004, S. 71 ff.; K. Globig, Die Lohengrin-Klausel des Grundgesetzes, ZRP 2002, S. 107 ff.; M. Kötter, Das Sicherheitsrecht der Zivilgesellschaft, Kritische Justiz 36 (2003), S. 64 ff.; H. Krieger, Limitations on Privacy, Freedom of Press, Opinion and Assembly as a Means of Fighting Terrorism, in: C. Walter / S. Vöneky / V. Röben / F. Schorkopf, Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2003, S. 51 (52).

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der Eingriff in die Freiheitssphäre des Einzelnen rechtfertigungsbedürftig sein. Dies muss auch für eine Union aus souveränen Staaten gelten, die diverse Maßnahmen trifft, um mittels des Strafrechts und effektiver Strafverfolgung die Sicherheit der Allgemeinheit zu erhöhen. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen stellen insoweit das Korrektiv zu weitgehenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten und des überstaatlichen Verbundes dar, um sich und die Freiheit der Gesellschaft zu schützen. Maßnahmen zur vorgeblichen Verbesserung der Sicherheitslage müssen in einen angemessenen Ausgleich zu Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien gebracht werden, will man nicht diejenigen Rechte und Strukturen zerstören, die man zu schützen vorgibt.289

II. Der Rechtsschutz des Einzelnen im überstaatlichen Verbund In einem System dualer Rechtsetzungsmechanismen wie dem der Europäischen Union sind die Rechtsetzungsebenen und die Rechtsanwendung bei der gerichtlichen Kontrolle zu unterscheiden. Rechtsschutzbedürfnisse des Einzelnen können sowohl auf der Ebene der überstaatlichen Rechtsetzung wie auf der Ebene nationaler Rechtsetzung, aber auch gegenüber der Rechtsanwendung im Einzelfall entstehen. Im Rechtsraum der Europäischen Union, der gegenwärtig auf der Basis des Prinzips gegenseitiger Anerkennung gestaltet wird und der durch verschiedene Ebenen und Einheiten gekennzeichnet ist, kommt es dabei auf die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche an. Grundsätzlich sind die Handlungen einer Ebene an den auf dieser Ebene geltenden Grund- und Menschenrechten zu überprüfen. Zu vermeiden ist dagegen die Überprüfung von Handlungen einer Handlungseinheit an den Grundrechtsgarantien einer anderen Handlungseinheit. Immanente Schutzbereichsbeschränkungen sind in diesem System miteinander verwobener Ebenen und Einheiten aber möglich.290 Art. 46 lit. b EUV begründet bislang die Zuständigkeit des EuGH für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Der Umfang dieser Zustän289 Vgl. auch P.-A. Albrecht (Anm. 167), S. 136 ff.; E. Denninger (Anm. 287), KritV 2003, S. 317; R. Esser, Rahmenbedingungen der Europäischen Union für das Strafverfahrensrecht in Europa, ZEuS 2004, S. 289 (290); C. Gusy (Anm. 282), S. 161; A. Knapp, Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes durch den EuGH im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, DÖV 2001, S. 12 (19 f.); C. Tomuschat, Individueller Rechtsschutz: das Herzstück des „ordre public européen“ nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, EuGRZ 2003, S. 95 (98 f.); ders. (Anm. 32), S. 359. 290 Vgl. M. Möstl (Anm. 3), S. 553; S. Oeter, Rechtsprechungskonkurrenz zwischen nationalen Verfassungsgerichten, Europäischem Gerichtshof und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte, VVDStRL 66 (2007), S. 361 (362 ff.); L. Wildhaber / J. Callewaert, Espace constitutionnel européen et droits fondamentaux, in: N. Colneric / D. Edward / J.-P. Puissochet / R.-J. Colomer, Une communauté de droit, Festschrift für Gil Carlos Rodríguez Iglesias, 2003, S. 61 (64 ff.); H. A. Wolff (Anm. 49), S. 155.

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digkeit ist in Art. 35 EUV festgelegt.291 Für die Überprüfung der Gültigkeit und Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden sind danach die nationalen Gerichte zuständig (Art. 35 V EUV).292 Die Gültigkeits- bzw. Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen obliegt dem Europäischen Gerichtshof gem. Art. 35 VI EUV, dem darüber hinaus im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EUV eine maßgebliche Rolle zuwächst, soweit eine solche Zuständigkeit von den Mitgliedstaaten anerkannt wurde (Art. 35 II, III EUV).293 Die Wirkung von Urteilen des EuGH in den Mitgliedstaaten hat deren Handlungs- und Gestaltungsfreiheit im Laufe der Zeit erheblich beschränkt und zu deutlichen Verschiebungen geführt. Hieran wird deutlich, dass sich das europäische Rechtsschutzsystem inzwischen von seinen völkerrechtlichen Wurzeln mehr und mehr emanzipiert und mittlerweile nahezu staatsgleich entwickelt hat.294 Dabei weist das Unionsrecht bisher im Vergleich zum Gemeinschaftsrecht allerdings einige Besonderheiten auf. Für den Einzelnen ist darüber hinaus auch der Weg zum Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte von besonderer Wichtigkeit. Je nach innerstaatlicher Wirkung ist der Grundrechtsschutz, der im Rahmen einer Individualbeschwerde vor dem EGMR zu erreichen ist, möglicherweise für den Betroffenen sogar entscheidend. Die Bindungswirkung von Urteilen des EGMR für nationale Gerichte wie auch ihr Einfluss auf die grundrechtlichen Gewährleistungen auf der Ebene der Europäischen Union unterliegen dabei ebenfalls eigenen „Gesetzmäßigkeiten“. Durch den Lissabonner Vertrag wurde das gemeinschaftsrechtliche Rechtsschutzsystem auf die bislang unionsrechtlich verfasste polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ausgedehnt, so dass die nachfolgend dargestellten Besonderheiten des Unionsrechts bei Inkrafttreten des Reformvertrages entfallen. Für die bislang getroffenen Maßnahmen der Union war dieses System indes maßgebend und im Hinblick auf die legitimatorischen Defizite der Rechtsetzung bedeutsam.

D. Reichelt (Anm. 122), S. 84 ff.; C. Schütz / M. Sauerbier (Anm. 255), S. 660. Vgl. zum Sonderproblem des Rechtsschutzes gegenüber Europol J. A. Frowein / N. Krisch, Der Rechtsschutz gegen Europol, JZ 1998, S. 589 ff.; N. Kröger (Anm. 275), S. 98 ff.; J. Martínez Soria, Die polizeiliche Zusammenarbeit in Europa und der Rechtsschutz des Bürgers, VerwArch 89 (1998), S. 400 (426 ff.). 293 Vgl. U. Wölker, Grundrechtsschutz durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und nationale Gerichte nach Amsterdam, EuR 1999, Beiheft 1, S. 99 (107 ff.). 294 U. Haltern, Verschiebungen im europäischen Rechtsschutzsystem, VerwArch 96 (2005), S. 311 (312). 291 292

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1. Der EuGH als individualrechtsschützendes Gericht im Unionsrecht Die Gültigkeits- bzw. Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen durch den EuGH setzt eine Normenhierarchie zwischen primärem und sekundärem Unionsrecht voraus. Erachtet man die bisherige unionsrechtliche Zusammenarbeit als rein völkerrechtlich, stünde eine solche Normenhierarchie ebenso im Widerspruch zur lex posterior-Regel wie zur völkerrechtlichen Formfreiheit gem. Art. 2 lit. a WVK. Offenkundig gehen die Regelungen der Art. 35 und 46 EUV aber von einer Normenhierarchie zwischen Primär- und Sekundärrecht aus. Je nach Verständnis des Unionsrechts lässt sich diese Normenhierarchie als völkervertragliche Vereinbarung begreifen, die einen entsprechenden „Korsetteffekt“ und den verbindlichen Verzicht auf die Formfreiheit enthält295 oder man versteht die Union als internationale Organisation mit der Fähigkeit zur verbindlichen Rechtsetzung gegenüber ihren Gliedern, dann ergibt sich die Normenhierarchie bereits aus diesem Umstand selbst, da die Sekundärrechtsakte dann – wie bereits dargelegt – auf entsprechende Kompetenzen zu stützen sind und nur unter Einhaltung der dabei geltenden Bedingungen des zeitlich vorangegangenen Primärrechts wahrgenommen werden können.296 a) Das Vorlageverfahren als Rechtsweg des Einzelnen Zulässige Gegenstände eines Vorlageverfahrens gem. Art. 35 I EUV sind unter anderem Rahmenbeschlüsse. Der EuGH entscheidet über ihre Gültigkeit und Auslegung. Voraussetzung hierfür ist, dass die jeweilige Vorlagefrage innerstaatliche Entscheidungsrelevanz besitzt. Wie im Gemeinschaftsrecht setzt ein solches Vorlageverfahren also ein innerstaatliches Gerichtsverfahren voraus, dessen Ausgang von der Beantwortung der gestellten Vorlagefragen abhängt, beispielsweise also von der Gültigkeit oder der Auslegung eines Rahmenbeschlusses. Der Einzelne kann sich insoweit nicht direkt an den EuGH wenden, sondern ist auf den „Umweg“ über ein nationales Gericht angewiesen. Zulässig ist ein solches Vorlageverfahren nur, wenn der betreffende Mitgliedstaat die Gerichtsbarkeit des EuGH gem. Art. 35 II EUV anerkannt hat. Diese Anerkennungserklärung erfolgt generell für alle nachfolgenden Unionsrechtsakte und geht damit deutlich über völkerrechtliche Vorbilder hinaus.297 Die Gerichtsbarkeit des EuGH ist nach Abgabe einer entsprechenden Erklärung also sachlich nicht beschränkbar und kann auch nicht auf einen bestimmten Einzelfall begrenzt werden. Die Anerkennungserklärung ist unwiderrufbar.298 Vgl. M. Pechstein (Anm. 257), S. 23 f. Vgl. D. Reichelt (Anm. 122), S. 81. 297 Vgl. etwa M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, 4. Auflage 2007, 7. Abschnitt, Rn. 85 ff.; zur Rechtmäßigkeitskontrolle des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl EuGH, Urt. v. 03. 05. 2007, Rs. C-303 / 05, Advocaten voor de Wereld . / . Leden van de Ministerrad (Anm. 246). 295 296

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Vorlageberechtigt kann je nach Inhalt der abgegebenen Erklärung eines Mitgliedstaats gem. Art. 35 III EUV jedes nationale Gericht sein. Eine Beschränkung auf letztinstanzliche Gerichte ist jedoch möglich (Art. 35 III lit. a). Nationalen Vorschriften bleibt es vorbehalten, nicht nur ein Vorlagerecht, sondern auch eine Vorlagepflicht zu statuieren.299 Deutschland etwa hat jedem Gericht eine Vorlageberechtigung eingeräumt und die letztinstanzlichen Gerichte zur Vorlage verpflichtet.300 Kommt ein zur Vorlage verpflichtetes deutsches Gericht seiner Pflicht nicht nach, verletzt es nach der Rechtsprechung des BVerfG das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG).301 Da es sich bei der Vorlagepflicht um eine nationale Rechtspflicht handelt, wäre ein unter Verletzung der Vorlagepflicht ergangenes Urteil verfassungswidrig. Das vorlegende Gericht wie auch etwaige Rechtsmittelinstanzen werden durch Auslegungsentscheidungen des EuGH unmittelbar gebunden. Obwohl Vorabentscheidungen rechtliche Bindungswirkung nur inter partres entfalten, kommt ihnen aufgrund ihrer Leitfunktion faktisch auch bindende Wirkung gegenüber unbeteiligten Gerichten und Behörden zu.302 Erklärt der EuGH einen unionsrechtlichen Sekundärakt für ungültig, ist er als nichtig anzusehen und entfaltet damit keine Rechtswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten und ihren Organen.303 Sowohl Auslegungs- wie auch Ungültigkeitsurteile gelten daher erga omnes – also für alle Mitgliedstaaten.304 In Mitgliedstaaten, die eine Jurisdiktionsbefugnis des EuGH nicht anerkannt haben, besteht allerdings mangels Vorlagemöglichkeit und aufgrund des im Unionsrecht nicht vorgesehenen Vertragsverletzungsverfahrens keine Möglichkeit, diese Bindungswirkung gerichtlich durchzusetzen.305 Es sei denn, diese Möglichkeit ergäbe sich anderweitig aus nationalem Recht. 298 C. Blumann, Aspects institutionnels, RTDE 1997, S. 721 (747); C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 123 f.; V. Röben (Anm. 117), Art. 35 EUV, Rn. 10; a.A. C. D. Classen (Anm. 255), S. 87. 299 C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 126 f.; B. Meyring, Die Reform der Bereiche Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, EuR 1999, S. 309 (319); vgl. aber auch P.-C. MüllerGraff, Justiz und Inneres nach Amsterdam – Die Neuerungen in erster und dritter Säule, integration 20 (1997), S. 271 (281). 300 EuGHG, BGBl. I-1998, S. 2035 ff. 301 BVerfGE 73, 339 (366 ff.); 82, 159 (192); vgl. auch O. Dörr (Anm. 149), S. 155 ff.; R. Jaeger, Menschenrechtsschutz im Herzen Europas, EuGRZ 2005, S. 193 (196 f.); weitergehend H.-W. Rengeling, Brauchen wir die Verfassungsbeschwerde auf Gemeinschaftsebene?, in: Festschrift für Ulrich Everling, Bd. 1, 1995, S. 1187 (1210 ff.). 302 C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 131. 303 Vgl. M. Pechstein (Anm. 257), S. 23 f.; C. Schütz / M. Sauerbier (Anm. 255), S. 661. 304 M. Böse (Anm. 125), Art. 35 EUV, Rn. 6; C. D. Classen (Anm. 255), S. 86; M. Pechstein (Anm. 257), S. 22; a.A. A. Albors-Llorens, Changes in the jurisdiction of the European Court of Justice under the Treaty of Amsterdam, CMLR 1998, S. 1273 (1281); S. Griller, Die Unterscheidung zwischen Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht nach Amsterdam, EuR 1999, Beiheft 1, S. 45 (63); A. Knapp (Anm. 289), S. 14; C. Schütz / M. Sauerbier (Anm. 255), S. 661 305 C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 131.

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Die Lissabonner Vertragsreform führt dazu, dass künftig auch im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ein Vorlageverfahren nach den allgemeinen Regeln des Art. 267 AEU durchzuführen ist. b) Der Prüfungsmaßstab des EuGH Das Vorlageverfahren gem. Art. 35 I EUV dient zwar nicht der Auslegung des Primärrechts, sondern erlaubt nur die Überprüfung von Sekundärrechtsakten, doch setzt diese Überprüfung inzident die Auslegung der unionsvertraglichen Bestimmungen voraus, andernfalls wäre die Beantwortung einer Vorlagefrage kaum möglich.306 Prüfungsmaßstab etwa eines Rahmenbeschlusses sind gem. Art. 46 lit. b EUV die Art. 29 – 42 sowie Art. 6 II EUV (Art. 46 lit. d), also vor allem die nach der Rechtsprechung des EuGH auf Unionsebene geltenden Grund- und Menschenrechte.307 Die Ungültigkeit eines Rahmenbeschlusses kann sich demnach aus der Unzuständigkeit der Unionsebene, einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften sowie einer Verletzung materieller Vorgaben des Titel VI des EUV und der Grundund Menschenrechte ergeben. Künftig ergibt sich die umfassende Zuständigkeit des EuGH ohne Weiteres aus Art. 267 AEU. 2. Der EuGH als Kompetenzgericht Der Europäischen Kommission wie den Mitgliedstaaten steht zur Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen nach Art. 34 II lit. c EUV die Nichtigkeitsklage gem. Art. 35 VI EUV offen. Damit besitzen auch die Kommission und die Mitgliedstaaten eine Möglichkeit, die Zuständigkeit der Unionsebene sowie die Einhaltung wesentlicher Formvorschriften und der materiellen Vorgaben des EUV durch den EuGH überprüfen zu lassen. Gem. Art. 46 lit. f EUV umfasst die Zuständigkeit des EuGH auch die Unberührtheitsklausel des Art. 47 EUV, also das Verhältnis des Unions- und des Gemeinschaftsrechts zueinander. Unionsrechtsakte dürfen danach nicht in die Befugnisse der Gemeinschaften übergreifen, was der Fall wäre, wenn ein entsprechender Rechtsakt auf eine Ermächtigungsnorm der Gemeinschaftsverträge hätte gestützt werden müssen.308 Dagegen ist das Kohärenzgebot (Art. 3 II EUV) kein Prüfungsmaßstab im Rahmen einer Nichtigkeitsklage.309 306 EuGH (Anm. 246), Rz. 18; vgl. A. Knapp (Anm. 289), S. 14 / 19; M. Möstl (Anm. 3), S. 564; D. Reichelt (Anm. 122), S. 83. 307 O. Dörr (Anm. 149), S. 43 f.; A. Knapp (Anm. 289), S. 18 f.; D. Reichelt (Anm. 122), S. 87. 308 Vgl. H.-H. Herrnfeld, in: J. Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 46 EUV, Rn. 19; C. Vedder, Die Unterscheidung von Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht nach dem Vertrag von Amsterdam, EuR 1999, Beiheft 1, S. 7 (30); vgl. auch die EuGH-Rechtsprechungsnachweise in Anm. 105.

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Auch aus der Perspektive des Einzelnen kommt der Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen Union und Gemeinschaften unter Umständen erhebliche Bedeutung zu, eröffnet oder verwehrt die jeweilige Zuordnung einer Kompetenz doch unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten. Dem Europäischen Parlament und natürlichen wie juristischen Personen steht die Nichtigkeitsklage im Unionsrecht nämlich nicht zur Verfügung. Zwar spricht zunächst einiges für die Annahme, der EuGH könnte ein entsprechendes Klagerecht des Parlaments trotz seiner fehlenden Kodifikation entsprechend seiner Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht annehmen310, doch erscheint dies angesichts des unterschiedlichen Verständnisses des Unionsrechts keineswegs sicher, so dass das Parlament zur Wahrung seiner Beteiligungsrechte insofern auf die Kommission angewiesen sein könnte, der dadurch auch im Unionsrecht so etwas wie eine objektive Wächterfunktion zukäme.311 Für den Einzelnen ist die Zuordnung einer Materie in den Bereich des Gemeinschaftsrechts von besonderer Wichtigkeit, steht ihm doch zumindest insoweit die Nichtigkeitsklage unter den Voraussetzungen des Art. 230 IV EGV offen. Der Lissabonner Vertrag eröffnet nunmehr sowohl dem Europäischen Parlament als auch dem Einzelnen die Möglichkeit, Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEU zu erheben und damit Rechtsakte im Bereich des Strafrechts einer Überprüfung durch den EuGH zu unterziehen. Auch ein Nichtigkeitsurteil gem. Art. 35 VI EUV gilt erga omnes und ex tunc, was sich bereits aus dem Sinn und Zweck dieser Verfahrensart ergibt. Die Nichtigerklärung eines Sekundärrechtsaktes hat kassatorische Wirkung und ist deshalb als Gestaltungsurteil anzusehen und illustriert nachhaltig den bündischen Charakter des Unionsrechts.312 Die duale Ausgestaltung der Rechtsetzung setzt sich allerdings konsequent bei der Wirkung gerichtlicher Entscheidungen fort. Durch die Nichtigkeit des Sekundäraktes entfällt zwar die unionsrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten, eine Kassationsbefugnis gegenüber nationalen Umsetzungsakten kommt dem EuGH aber nicht zu. Vielmehr bedarf es je nach dem einer gesonderten Aufhebung durch den Gesetzgeber oder die Regierung. Eine entsprechende unionsrechtliche C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 138. EuGH, Slg. 1986, Rs. 224 / 83, Les Verts / Parlament, S. 1339, Rz. 47 ff.; Slg. 1990, Rs. C-70 / 88, Parlament / Rat (Tschernobyl), I-2041, Rz. 23; EuG, Slg. 2001, verb. Rs. T-222 / 99, T-327 / 99, T-329 / 99, Martinez, de Gaulle / Parlament, II-2823, Rz. 47 ff. 311 O. Dörr / U. Mager, Rechtswahrung und Rechtsschutz nach Amsterdam – Zu den neuen Zuständigkeiten des EuGH, AöR 125 (2000), S. 386 (416); S. Langrish, The Treaty of Amsterdam: Selected Highlights, E.L.Rev. 1998, S. 3 (11); C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 137; a.A. M. Böse (Anm. 125), Art. 35 EUV, Rn. 8; A. Knapp (Anm. 289), S. 13; C. Schütz / M. Sauerbier (Anm. 255), S. 661. 312 O. Dörr / U. Mager (Anm. 311), S. 417; S. Griller (Anm. 304), S. 63; C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 143; M. Pechstein (Anm. 257), S. 23 f.; ders. / C. Koenig (Anm. 113), Rn. 538; C. Schütz / M. Sauerbier (Anm. 255), S. 661; a.A. W. Brechmann (Anm. 115), Art. 35 EUV, Rn. 6; C. D. Classen (Anm. 255), S. 83; L. Harings, Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, EuR 1998, Beiheft 2, S. 81 (92 f.). 309 310

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Verpflichtung besteht allerdings nicht.313 Es bleibt den Mitgliedstaaten vielmehr überlassen, ob sie aus politischen Gründen einmal zur Umsetzung erlassenes Recht beibehalten wollen. Da aber das Aufrechterhalten entsprechenden Rechts zumeist nur dann sinnvoll sein dürfte, wenn auch unionsweit vergleichbare Regelungen existieren, dürfte diese Möglichkeit in der Praxis kaum relevant sein. Es wäre aber immerhin denkbar, dass etwa die Regelungen über den Europäischen Haftbefehl als Instrumentarium der Rechtshilfe beibehalten würden, obwohl die unionsrechtliche Bindung nach einem entsprechenden Nichtigkeitsurteil weggefallen wäre. Dem EuGH kommt damit auch die Funktion eines Kompetenzgerichtes zu, das die Zuständigkeit der Unionsebene für den Erlass eines Sekundärrechtsaktes überprüfen kann.314 3. Die indirekte Überprüfung nationaler Umsetzungsakte Das nationale Umsetzungsrecht wie auch dessen Anwendung durch die Polizei und andere Strafverfolgungsbehörden können indirekt auch in Verfahren vor dem EuGH überprüft werden, obwohl Art. 35 V EUV auf den ersten Blick das Gegenteil zu bedeuten scheint. Gem. Art. 35 VII EUV besitzt der EuGH aber eine obligatorische Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten über die Auslegung und Anwendung von Sekundärrechtsakten nach Art. 34 II EUV. Mittelbar wird in einem solchen Verfahren damit auch mitgliedstaatliches Handeln dahingehend überprüft, ob und inwieweit es den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht. Ein entsprechendes Verfahren kann auch in die Feststellung des EuGH münden, dass ein Mitgliedstaat bislang seiner unionsrechtlichen Umsetzungsverpflichtung (gar) nicht nachgekommen ist.315 Eine Art Vertragsverletzungsverfahren im Sinne der Art. 226, 227 EGV stellt diese Form der Streitbeilegung zwischen Mitgliedstaaten allerdings nicht dar. Hierfür fehlt es an der objektiven Kontrolle durch die Kommission und einer entsprechenden Klageberechtigung.316 Der EuGH kann zwar die Gültigkeit und Verhältnismäßigkeit nationaler Rechtsanwendung durch die zuständigen Behörden nicht überprüfen, doch steht Art. 35 V M. Pechstein (Anm. 257), S. 24. Vgl. zum Begriff und zur Debatte um diese Funktion des EuGH N. Colneric, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften als Kompetenzgericht, EuZW 2002, S. 709 ff.; U. Everling, Quis custodiet custodes ipsos? Zur Diskussion über die Kompetenzordnung der Europäischen Union und ein europäisches Kompetenzgericht, EuZW 2002, S. 357 ff.; U. Goll / M. Kenntner, Brauchen wir ein Europäisches Kompetenzgericht? – Vorschläge zur Sicherung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten, EuZW 2002, S. 101 ff.; C. F. Mayer, Die drei Dimensionen der Europäischen Kompetenzdebatte, ZaöRV 61 (2001), S. 577 (592 ff.). 315 A. Knapp (Anm. 289), S. 17; C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 147. 316 A.A. M. Möstl (Anm. 3), S. 564 f. 313 314

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EUV demnach einer Überprüfung ihrer Unionsrechtskonformität im Rahmen eines Streitbeilegungsverfahrens gem. Art. 35 VII EUV nicht entgegen.317 Für den Einzelnen bedeutet die Möglichkeit entsprechender Streitbeilegungsverfahren im Zweifel keine Ausweitung seiner Rechtsposition, ist er doch auf ein Tätigwerden eines Mitgliedstaates angewiesen, was in der Praxis zwar nicht ausgeschlossen, aber aufgrund zu erwartender politischer Folgen doch unwahrscheinlich erscheint. Darüber hinaus obliegt es den beteiligten Mitgliedstaaten, ihre Konsequenzen aus einer Entscheidung des EuGH gem. Art. 35 VII EUV zu ziehen. Unmittelbar wirksam ist eine solche Entscheidung nämlich nicht und beschränkt sich zudem auf die am Verfahren beteiligten Parteien.318 Die Rechtsprechung des EuGH in einem Streitbeilegungsverfahren wie auch in einem Vorlageverfahren kann jedoch durchaus erhebliche Auswirkungen auf die Anwendung nationalen Rechts haben. Auf der Basis eines EuGH-Urteils kann etwa die rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts zu einer Abkehr vom bisherigen Verständnis einzelner Normen führen. In Ansehung des Ziels eines Rahmenbeschlusses kann davon auch die gesamte Rechtsordnung eines Mitgliedstaates betroffen sein. Die Auslegung des nationalen Rechts und Entscheidung in der Sache erfolgt zwar durch die mitgliedstaatlichen Gerichte, doch je nach Formulierung einer Vorlagefrage und ggf. ihrer Umformulierung durch den EuGH oder des Streitgegenstandes bekommt der nationale Richter relativ enge Vorgaben für die Entscheidung eines konkreten Einzelfalls.319 In Zukunft erfolgt eine Überprüfung nationaler Umsetzungsakte im Bereich des Strafrechts nach den allgemeinen Regeln des bisherigen Gemeinschaftsrechts, wonach sowohl die Europäische Kommission als auch jeder Mitgliedstaats ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einleiten kann, wenn dieser gegen seine Verpflichtungen aus den Verträgen verstößt (Art. 258, 259 AEU).

4. Die Unionsgrundrechte als Prüfungsmaßstab nationaler Gerichte Die Grundrechtsjudikatur des EuGH ist für mitgliedstaatliche Legislativ- und Exekutivakte maßgeblich, die einen spezifischen Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweisen, also vor allem seiner Umsetzung und seinem Vollzug dienen. Vor nationalen Gerichten können im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts diese gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsgarantien auch durchgesetzt werden, wozu gegebenenfalls ein Vorlageverfahren durchzuführen ist.320 C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 148. C. D. Classen (Anm. 255), S. 85; M. Pechstein / C. Koenig (Anm. 114), Rn. 533. 319 EuGH (Anm. 136), Rz. 33 ff.; vgl. zu diesem Effekt auch C. Hillgruber (Anm. 123), S. 843; C. H. Ludwig (Anm. 122), S. 111 sowie – wenn auch für das Unionsrecht ablehnend – U. Wölker (Anm. 293), S. 109; dagegen erkennt M. Möstl hierin ein supranationales Element des Unionsrechts, das als „Hoheitsrecht“ des EuGH anzusehen sei (Anm. 3), S. 565. 317 318

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D. Schutz bürgerlicher Freiheit in einem europäischen Strafrechtsraum

Da die Grundrechtsprechung des EuGH aufgrund von Art. 6 II EUV auch für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen gilt, erstreckt sich diese Bindung mitgliedstaatlicher Hoheitsträger auch auf den Anwendungsbereich des Unionsrechts.321 Auch wenn dem Einzelnen durch einen Rahmenbeschluss direkt keine subjektiven Rechtspositionen eingeräumt werden können, ergeben sich aus den dargestellten objektiven Rechtswirkungen eines Rahmenbeschlusses enge Verbindungen zwischen dem Unionsrechtsakt und seiner nationalen Umsetzung. Die auf der Unionsebene bei Erlass des entsprechenden Rechtsaktes zu beachtenden Grundrechtsgarantien fließen in dessen Ausgestaltung mit ein, geben entsprechende Wertungen und ggf. immanente Beschränkungen vor. Ihr Gehalt ist als allgemeiner Maßstab des Umsetzungsrechts wie auch bei der rahmenbeschlusskonformen Auslegung nationalen Rechts zu beachten. Die Grundrechtsjudikatur des EuGH ist demnach auch im Anwendungsbereich unionsrechtlicher Sekundärakte zu beachten und vor den nationalen Gerichten durchzusetzen.322 Künftig ergibt sich dies ohne Weiteres aus der Verschmelzung der Gemeinschaften und der Union zur neuen Europäischen Union. Den Mitgliedstaaten bleibt es allerdings vorbehalten, die erforderlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu treffen, die insoweit auch keinen unionsrechtlichen Handlungsvorgaben unterliegen. Art. 35 V EUV sichert insoweit Art. 33 EUV ab, der als eine Art ordre public-Klausel zu verstehen ist.323 Dieser spezifische Vorbehalt für mitgliedstaatliche Maßnahmen eröffnet die entsprechenden Möglichkeiten allerdings nur unter den außergewöhnlichen Umständen eines Einzelfalls, andernfalls stünde er weiten Teilen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit prinzipiell entgegen.324 Der Jurisdiktionsausschluss des EuGH führt an dieser Stelle aber zu einem weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten. Dem EuGH obliegt allerdings die Auslegung der Vorschriften, die seine Zuständigkeit begründen, so dass er darüber entscheiden kann, inwieweit tatsächlich ein Fall des Art. 35 V EUV vorliegt, der in der Folge zu seiner Unzuständigkeit führte.325 320 Vgl. D. Ehlers, Die Grundrechte der Europäischen Union, § 14 Allgemeine Lehren, in: ders., Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage 2005, Rn. 54 f.; F. G. Jacobs, Human rights in the European Union: the role of the Court of Justice, E.L.Rev. 26 (2001), S. 331 (333 ff.); A. Verhoeven, How Democratic Need European Members Be? Some Thoughts After Amsterdam, E.L.Rev. 23 (1998), S. 217 (224 ff.). 321 A. Knapp (Anm. 289), S. 18 f.; V. Röben (Anm. 117), Art. 29 EUV, Rn. 30 ff. 322 Vgl. zum Gemeinschaftsrecht T. Jürgensen / I. Schlünder, EG-Grundrechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Mitgliedstaaten, AöR 121 (1996), S. 200 (212 ff.); vgl. zur möglichen Übertragung dieser Grundsätze auf das Unionsrecht C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 115 f. 323 M. Böse (Anm. 125), Art. 33 EUV, Rn. 1; für ein Verständnis als Kompetenzausübungsschranke dagegen M. Möstl (Anm. 3), S. 602. 324 R. Geiger (Anm. 79), Art. 33 EUV, Rn. 2; V. Röben (Anm. 117), Art. 33 EUV, Rn. 2 f.; a.A. U. Wolter, Die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, in: H. J. Hirsch / ders. / U. Brauns, Festschrift für Günter Kohlmann, 2003, S. 693 (702).

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5. Sekundärrechtsschutz Fraglich ist schließlich, inwieweit der Einzelne etwaige Schäden, die durch eine fehlerhafte oder gar nicht erfolgte Umsetzung eines unionsrechtlichen Sekundärrechtsaktes entstanden sind, geltend machen kann. Erachtet man hierfür die unmittelbare Wirkung eines Rahmenbeschlusses als Voraussetzung, wäre ein entsprechender Schadenersatz aufgrund von Art. 34 II lit. b 3 EUV ausgeschlossen.326 Einerseits erschiene ein solcher Ausschluss konsequent, besteht doch bislang auch keine dem Vorbild des EGV folgende Umsetzungskontrolle von Unionssekundärrechtsakten durch die Kommission, ggf. im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens. Sanktionsmöglichkeiten bestehen etwa bei verspäteter, defizitärer oder nicht erfolgter Umsetzung eines Rahmenbeschlusses nicht327, sondern sind – abgesehen von Fällen des Art. 7 EUV – allenfalls politischer Natur. Andererseits bedeutete dieser Ausschluss eine deutliche Verkürzung der Rechtsschutzinteressen Einzelner, die etwa im Bereich des Strafverfahrensrechts, insbesondere des Opferschutzes, durchaus von erheblicher Schwere sein kann.328 Der Einzelne bliebe insoweit auf besondere nationale Staats- oder Amtshaftungsansprüche angewiesen. Für entsprechende Ersatzansprüche Einzelner spricht die deutliche Vergleichbarkeit der Rechtsetzungsinstrumente, insbesondere der EG-Richtlinie und des Rahmenbeschlusses. Eine Übertragung der Rechtsprechung des EuGH zur Haftung der Mitgliedstaaten im Falle der Verletzung von Gemeinschaftsrecht auf unionsrechtliche Sekundärrechtsakte erscheint daher zumindest nicht prinzipiell ausgeschlossen. Künftig gelten die allgemeinen Regeln zum Staats- und Amtshaftungsanspruch für den Fall einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts auch im Bereich des Strafrechts.329

325 Vgl. EuGH (Anm. 246), Rz. 18 ff.; C. H. Ludwig (Anm. 123), S. 120; weitergehend M. Möstl (Anm. 3), S. 603 ff. 326 So L. Harings (Anm. 312), S. 88; C. Hillgruber (Anm. 123), S. 842; H. Satzger (Anm. 47), Art. 34 EUV, Rn. 9. 327 Vgl. W. v. Heintschel-Heinegg / D. Rohlff (Anm. 54), S. 45; F. Zeder (Anm. 143), S. 83. 328 Kritisch deshalb W. Brechmann (Anm. 115), Art. 34 EUV, Rn. 9; C. Heitsch (Anm. 237), S. 812. 329 Explizit zum Rahmenbeschluss W. Schroeder (Anm. 122), S. 367 f.; vgl. im Übrigen U. Haltern (Anm. 294), S. 316 ff.; U. Kischel, Gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung zwischen Europarecht und nationaler Rechtsordnung, EuR 2005, S. 441 ff.; B. W. Wegener, Staatshaftung für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch nationale Gerichte?, EuR 2002, S. 785 ff.

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III. Die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention Angesichts der zunehmenden unionsrechtlichen Determinierung des nationalen Straf- und Strafprozessrechts gebührt den entsprechenden Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention erhöhte Aufmerksamkeit. Dreh- und Angelpunkt ist zunächst Art. 6 EMRK. Aus dem fair trial-Grundsatz (Art. 6 I) lassen sich menschenrechtliche Garantien des Legalitäts- und des Offizialprinzips, der Waffengleichheit sowie ein Beschuldigtenrecht auf Anwesenheit, eine Tatsachenermittlungspflicht des Gerichts, ein Recht auf kontradiktorische Beweisaufnahme, ein Beweis- und Beweisverwertungsverbot bei rechtswidrigem Verhalten von Ermittlungsbehörden und Gerichten sowie ein Recht auf Bekanntgabe und Begründung des Urteils ableiten. Art. 6 II schreibt die Unschuldsvermutung fest, Art. 6 III das Recht auf einen Dolmetscher. Der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege ist in Art. 7 EMRK verankert. Der Gesetzes- und Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehung sowie entsprechende Gründe finden sich in Art. 5 EMRK. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst die Kenntnis vom Tatvorwurf, die Verteidigungsmöglichkeit (bis hin zum Recht auf einen Pflichtverteidiger) und ihre Vorbereitung sowie ein Frage- und Ladungsrecht. Zu nennen sind schließlich das Beschleunigungsgebot, der Öffentlichkeitsgrundsatz, der Grundsatz ne bis in idem (verankert in Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls), eine Rechtsmittelgarantie (verankert in Art. 2 des 7. Zusatzprotokolls) sowie das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Strafe in Art. 3 EMRK. Eine menschenrechtliche Garantie des nemo tenetur-Prinzips findet sich in Art. 14 III des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.330 Wesentlich sind selbstverständlich auch der Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) oder die politischen Grundrechte der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 10, 11 EMRK).331 Auch wenn grundsätzliches Misstrauen in die Rechtsordnungen und die Rechtsanwendung der Mitgliedstaaten mit Blick auf die Voraussetzungen kooperativer Strafverfolgung nicht angezeigt ist, kann die durchaus beachtliche Zahl an Verurteilungen durch den Straßburger Gerichtshof nicht übersehen werden.332 330 Vgl. die Übersicht bei H.-H. Kühne, Grundrechtsschutz in einem grenzenlosen europäischen Strafrecht, in: K. F. Kreuzer / D. H. Scheuing / U. Sieber, Europäischer Grundrechtsschutz, 1998, S. 55 (71). 331 Vgl. die umfangreichen Darstellungen bei R. Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (Diss. Trier 2001), S. 51 ff.; C. Grabenwarter (Anm. 70), § 20 ff.; ders., Justiz- und Verfahrensgrundrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage 2005, § 6; vgl. zur Strafgesetzlichkeit auch S. Braum (Anm. 102), S. 41 ff.; zu den Verfahrensrechten etwa K. Ambos, Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die Verfahrensrechte, ZStW 115 (2003), S. 583 (592 ff.). 332 Vgl. J. Monar (Anm. 83), S. 230; N. Vennemann (Anm. 90), S. 118.

III. Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention

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Zu unterscheiden sind im Folgenden die Wirkungen der Menschenrechtskonvention gegenüber den Mitgliedstaaten einerseits sowie gegenüber der Europäischen Union andererseits. 1. Die Wirkung von EGMR-Entscheidungen in den Mitgliedstaaten Durch die Ratifikation der Menschenrechtskonvention entstehen für den jeweiligen Staat völkerrechtliche Bindungen. Die EMRK überlässt es allerdings den Vertragsstaaten, wie sie ihre Pflichten innerstaatlich umsetzen. Auch innerhalb der Europäischen Union ist die Stellung und Wirkung der EMRK im nationalen Recht deshalb uneinheitlich.333 So besitzt die Konvention in den Niederlanden Vorrang vor dem nationalen Recht einschließlich des Verfassungsrechts. In Österreich hat die Konvention Verfassungsrang. In Deutschland gilt die Konvention aufgrund des entsprechenden Vertragsgesetzes nach Art. 59 II 1 GG im Rang eines Bundesgesetzes. Der Menschenrechtskatalog ist aber unabhängig von seinem Rang in der Normenpyramide in jedem Vertragsstaat unmittelbar geltendes Recht, auf das sich der Einzelne gegenüber staatlicher Hoheitsgewalt berufen kann.334 Inwieweit die Gerichte der Vertragsstaaten an die Auslegung der Konventionsgrundrechte durch den EGMR gebunden sind, ist umstritten. Es spricht allerdings viel dafür, der Konvention einen dynamischen Charakter zuzuerkennen, der in der jeweils aktuellen Rechtsprechung seinen Ausdruck findet und von den nationalen Gerichten zu beachten ist. Die Menschenrechtskonvention in der Auslegung durch den EGMR entfaltet also faktisch staaten- und fallübergreifende Wirkung, obwohl die völkerrechtliche Bindung eines EGMR-Urteils „nur“ inter partes gilt.335 Gerade auch im Zuge präventiver und repressiver Terrorismusbekämpfung zeigt sich immer wieder in politischen Debatten aber auch in konkreter Gesetzgebung die Tendenz, die Schwelle für strafprozessuale Eingriffe in Freiheitsrechte herabzusetzen. Der Menschenrechtskonvention wie der Rechtsprechung des EGMR kommt insoweit auch eine bestandswahrende Funktion zu. Insbesondere im Bereich der Beschuldigtenrechte garantiert die EMRK einen menschenrechtlichen 333 K. Chryssogonos, Zur Inkorporation der Europäischen Menschenrechtskonvention in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, EuR 2001, S. 49 ff.; C. Grabenwarter (Anm. 70), § 3, Rn. 1 ff. 334 D. Ehlers (Anm. 320), § 2, Rn. 6; R. Geiger (Anm. 132), S. 405. 335 J. Bröhmer (Anm. 186), S. 216; I. Canor (Anm. 186), S. 9 ff.; H.-H. Kühne (Anm. 202), S. 208; E. Pache, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsordnung, EuR 2004, S. 393 (407); J. Polakiewicz, Die innerstaatliche Durchsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZaöRV 52 (1992), S. 149 (174 ff.); ders., Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Diss. Heidelberg 1992), S. 279 ff.; H. Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur, ZaöRV 65 (2005), S. 35 (41); a.A. R. Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung – ein Beitrag zum Thema Völkerrecht und Landesrecht (Diss. FU Berlin 1991), Berlin 1993, S. 214 ff.

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D. Schutz bürgerlicher Freiheit in einem europäischen Strafrechtsraum

Mindeststandard, hinter dem die Vertragsstaaten auch im Rahmen neuer Gesetzgebung nicht zurückbleiben dürfen.336 Konventionsverstöße durch hoheitliches Handeln können durch den EGMR festgestellt werden. Gem. Art. 46 I EMRK sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die Urteile des EGMR, die sie als Partei betreffen, zu befolgen. Enge Verflechtungen zwischen der EMRK und einer nationalen Rechtsordnung werden an einer Norm wie § 359 Nr. 6 StPO deutlich, der die Wiederaufnahme eines Verfahrens vorsieht, wenn das Urteil auf einem durch den EGMR festgestellten Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention beruht. Diese innerstaatliche Wirkung eines EGMR-Urteils ergibt sich jedoch nicht aus der Konvention, sondern beruht auf den jeweiligen nationalen Vorschriften, wie die ausdrückliche gesetzliche Festlegung in der Strafprozessordnung zeigt.337 Eine Kassationsbefugnis gegenüber nationalen Hoheitsakten besitzt der EGMR nicht. Der Vertragsstaat ist vielmehr für die Einhaltung seiner Pflichten verantwortlich, kann über die Mittel zur Umsetzung eines EGMR-Urteils selbst entscheiden und haftet „lediglich“ völkerrechtlich. Festgestellte Verletzungen der Konvention sind durch die Anpassung des als konventionswidrig befundenen Rechts zu beseitigen. Im Zeitraum zwischen dem entsprechenden Urteil des EGMR und der notwendigen Rechtsänderung sind konventionswidrige Normen nicht mehr anzuwenden. Darüber hinaus hat der Verletzte Anspruch auf eine gerechte Entschädigung bzw. Genugtuung, die auch durch den EGMR selbst festgesetzt werden kann (Art. 41 EMRK).338 Kommt ein Vertragsstaat einem Urteil des EGMR nicht nach, verletzt er die Konvention erneut.339 Die Durchbrechung der Rechtskraft eines nationalen Gerichtsurteils im Falle der nachfolgenden Feststellung eines Konventionsverstoßes erscheint allerings nicht unproblematisch.340 Inwieweit die Organe eines Vertragsstaates aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Feststellung der Konventionswidrigkeit eines konkreten Hoheitsaktes durch den EGMR gebunden sind, ist ebenfalls streitig. Allein aus dem Beitritt eines Staates zur EMRK wird man eine solche „Durchgriffswirkung“ nicht ableiten können. Eine dem Unions- und Gemeinschaftsrecht vergleichbare 336 R. Esser (Anm. 331), S. 820; T. Weigend, Unverzichtbares im Strafverfahrensrecht, ZStW 113 (2001), S. 271 (295); vgl. aber auch D. Korn, Defizite bei der Umsetzung der EMRK im deutschen Strafverfahren (Diss. TU Dresden 2003), passim. 337 Vgl. auch J. Sauer (Anm. 335), S. 40; vgl. zu nationalen Spielräumen H.-H. Kühne (Anm. 202), S. 214. 338 Vgl. M. Breuer, Zur Anordnung konkreter Abhilfemaßnahmen durch den EGMR, EuGRZ 2004, S. 257 (258 ff.); J. Polakiewicz (Anm. 335), ZaöRV 52 (1992) S. 164 ff.; ders. (Anm. 335), Diss., S. 97 ff. 339 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. 10. 2004 (2 BvR 1481 / 04), Rz. 40 f.; vgl. auch J. Polakiewicz, Die Aufhebung konventionswidriger Gerichtsentscheidungen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZaöRV 52 (1992), S. 804 (817). 340 Vgl. hierzu E. Klein, Urteilsanmerkung zum BVerfG-Beschluss vom 14. 10. 2004, JZ 2004, S. 1176 (1177); J. Sauer (Anm. 335), S. 58 ff.

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normative Verflechtung existiert zwischen der Menschenrechtskonvention und den Vertragsstaaten nämlich gerade nicht.341 Dies drückt sich auch im Charakter der Urteile des EGMR aus, die als Feststellungsurteile und nicht etwa als Gestaltungsurteile ergehen.342 Das Bundesverfassungsgericht geht dennoch von einer weitgehenden Bindung deutscher Behörden und Gerichte durch EGMR-Urteile aus und stützt sich dabei auf den Rechtsanwendungsbefehl, der aus dem Zustimmungsgesetz zur EMRK folgt, und Art. 20 III GG, der im Rahmen der Bindung der Hoheitsgewalt an Recht und Gesetz auch die Gewährleistungen der EMRK und die Entscheidungen des EGMR umfasst. Schließlich wird auf die Möglichkeit verwiesen, Konventionsverstöße vor innerstaatlichen Gerichten geltend zu machen (im Sinne des Art. 13 EMRK) sowie die völkerrechtliche Verpflichtung der Vertragsstaaten, die wirksame Anwendung der Konventionsbestimmungen im innerstaatlichen Recht sicherzustellen. Eine Pflicht zur Nichtbeachtung oder Kassation eines vom EGMR als konventionswidrig erkannten Hoheitsaktes kann auch aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes abgeleitet werden.343 Dennoch soll es möglich bleiben, nach eingehender Auseinandersetzung einem EGMR-Urteil innerstaatlich nicht zu folgen, soweit dies nachvollziehbar begründet wird.344 Beschränkt wird die Bindung nationaler Instanzen allerdings durch die Grenzen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung sowie kollidierende Verfassungsgüter, so dass unter Umständen nationalem (Verfassungs-)Recht oder einer gefestigten nationalen Rechtsprechung Vorrang gegenüber den Gewährleistungen der EMRK und der EGMR-Rechtsprechung einzuräumen ist.345 Im Hinblick auf die letztverbindliche Auslegung und die Vereinbarkeit eines nationalen Hoheitsaktes mit der Konvention besteht zwischen den nationalen Gerichten und dem EGMR allerdings ein Rangverhältnis, an dessen Spitze der Straßburger Gerichtshof steht.346 J. Sauer (Anm. 335), S. 44; vgl. aber auch J. Polakiewicz (Anm. 335), S. 180 ff. Weitergehend H.-H. Kühne, Die Rechtsprechung des EGMR als Motor für eine Verbesserung des Schutzes von Beschuldigtenrechten in den nationalen Strafverfahrensrechten der Mitgliedstaaten, StV 2001, S. 73 (77). 343 So J. Sauer (Anm. 335), S. 50; vgl. allgemein auch O. Dörr (Anm. 149),S. 61 ff.; a.A. R. Uerpmann (Anm. 335), S. 211. 344 BVerfG (Anm. 339), Rz. 50; vgl. insoweit auch den Dissens zum EGMR in der Rechtsprechung des BVerwG, E 99, 331 (334); 104, 254 (255 ff.); 265 (272 f.); 105, 187; vgl. hierzu wiederum J. A. Frowein, Der europäische Grundrechtsschutz und die deutsche Rechtsordnung, NVwZ 2002, S. 29 ff. 345 BVerfG (Anm. 339), Rz. 34 f.; vgl. zu methodologischen Problemen auch H.-H. Kühne (Anm. 202), S. 200 ff.; im Ergebnis eher kritisch H.-J. Cremer, Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen, EuGRZ 2004, S. 683 (698 f.); E. Klein (Anm. 340), S. 1178; H.-H. Kühne a. a. O., S. 208 ff., vgl. aber S. 211 ff. 346 Vgl. EGMR, Urteil vom 29. 11. 1989, Brogan u. a. / Vereinigtes Königreich, Nr. 11209 / 84; 11234 / 84; 11266 / 84; 11386 / 85 Serie A Nr. 145-B, Rz. 27 – 29, 61. 341 342

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Anders als in Österreich ist in Deutschland eine auf Konventionsrechte gestützte Verfassungsbeschwerde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig.347 Gegen einen konventionswidrigen Hoheitsakt kann jedoch unter Berufung auf ein Spezialgrundrecht des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip Verfassungsbeschwerde erhoben werden, wenn der Konventionsverstoß als Verstoß gegen objektives Verfassungsrecht gerügt wird. Eine allgemeine Prüfung am Maßstab der EMRK in Verbindung mit Art. 2 I GG ist jedoch nicht möglich.348 Dem Einzelnen steht insoweit nach Erschöpfung des nationalen Rechtsweges „nur“ die Individualbeschwerde gem. Art. 35 EMRK zum Straßburger Gerichtshof offen, die im Falle ihres Erfolges die bereits geschilderte Wirkung entfaltet. Man wird allerdings feststellen dürfen, dass der EMRK insbesondere im Bereich der (Straf-)Verfahrensgarantien aufgrund einer durch sie geleiteten Interpretation des Grundgesetzes auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchaus erhebliche Bedeutung zukommen kann.349 Nationale Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung standen wiederholt im Fokus von Verfahren vor dem EGMR und vormals der Europäischen Kommission für Menschenrechte. Insbesondere das Vorgehen gegen die baskische Terrororganisation ETA oder die nordirische IRA, aber auch Vorgänge in der Türkei führten wiederholt zu Verfahren in Straßburg. Als problematisch erwiesen sich insbesondere präventive Maßnahmen, bei denen mutmaßliche Terroristen getötet wurden, und deren mögliche Rechtfertigung vor dem Hintergrund des Rechts auf Leben (Art. 2 EMRK). Besondere Schwierigkeiten bereiteten auch Ereignisse, bei denen unbeteiligte Dritte bzw. fälschlicherweise für Terroristen gehaltene Bürger bei Gelegenheit größerer Polizei- bzw. Militäraktionen verletzt wurden oder ums Leben kamen. Aber auch die Strafverfolgung terroristischer Verbrechen führte zu einer Reihe von Verfahren und Verurteilungen. Gegenstand dieser Beschwerden waren dabei sowohl der Polizeigewahrsam und die Prozessgestaltung wie auch die Bedingungen der Strafgefangenschaft.350

Vgl. etwa BVerfGE 74, 102 (128). C. Grabenwarter (Anm. 70), § 3, Rn. 8; vgl. aber J. Limbach, Die Kooperation der Gerichte in der zukünftigen Grundrechtearchitektur, EuGRZ 2000, S. 417 (418). 349 W. Hoffmann-Riem, Kohärenz der Anwendung europäischer und nationaler Grundrechte, EuGRZ 2005, S. 473 (475 f.); zurückhaltender J. Bergmann, Das Bundesverfassungsgericht in Europa, EuGRZ 2004, S. 620 f.; vgl. beispielsweise zur Rechtslage in Spanien J. Polakiewicz (Anm. 335), S. 813 ff. 350 Vgl. Sachverhaltsschilderungen und die Bewertung der Rechtsprechung bei M. Klugmann, Europäische Menschenrechtskonvention und antiterroristische Maßnahmen (Diss. Bonn 2001), 2002, S. 45 ff. 347 348

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2. Die konventionsbedingte Rechtsprechung des EuGH Im Zuge unionsweiter Terrorismusbekämpfung im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit ist für den Einzelnen der Einfluss der Menschenrechtskonvention und ihre Fortbildung durch den EGMR auf die Rechtsprechung des EuGH ein wichtiger Belang. Die Europäische Union ist gem. Art. 6 II EUV zur Achtung der in der Menschenrechtskonvention garantierten Rechte verpflichtet. In Gestalt allgemeiner Rechtsgrundsätze fließt die EMRK neben den verfassungsrechtlich überlieferten Grundrechten der Mitgliedstaaten in die Rechtsprechung des EuGH ein. Die EMRK bildet dabei den staatenübergreifenden Mindeststandard grund- und menschenrechtlicher Garantien, den die Mitgliedstaaten, die allesamt Vertragsstaaten der EMRK sind, nicht unterschreiten dürfen.351 Die wertende Rechtsvergleichung des EuGH zur Ermittlung von Grundrechtsinhalten auf der Unionsebene umfasst dabei auch die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der EMRK.352 Den Garantien der Menschenrechtskonvention kommt so auch auf der Unionsebene und vor allem in der Rechtsprechung des EuGH maßgebende Bedeutung zu.353 Festzuhalten ist aber auch, dass der EuGH die Konvention nicht als bindende Rechtsquelle versteht, sondern seine autonome Feststellung der Unionsgrundrechte auf der Basis verschiedener Erkenntnisquellen vollzieht, zu denen als womöglich wichtigste die EMRK gehört.354 Insoweit ist auch die bislang noch nicht rechtsverbindliche Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus dem Jahr 2000 von Bedeutung, die aber durchaus auch neue Abgrenzungsschwierigkeiten hervorruft.355 Neuere Rechtsprechung356 zeigt allerdings sehr deutlich, wie ernst der EuGH die EMRK als Erkenntnisquelle nimmt. So formuliert der EuGH in Vor351 Vgl. T. Giegerich, Luxemburg, Karlsruhe, Straßburg – Dreistufiger Grundrechtsschutz in Europa?, ZaöRV 90 (1990), S. 836 (854); C. Grabenwarter (Anm. 70), § 4, Rn. 3; C. Langenfeld / A. Zimmermann, Interdependenzen zwischen nationalem Verfassungsrecht, Europäischer Menschenrechtskonvention und Europäischem Gemeinschaftsrecht, ZaöRV 92 (1992), S. 260 (305 ff.); weitergehend R. Esser (Anm. 336), S. 817; H. Jung (Anm. 143), S. 419. 352 EuGH, Slg. 1989, verb. Rs. 46 / 87 und 227 / 88, Hoechst, S. 2859. 353 Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung EuGH, Slg. 1969, Rs. 26 / 69, Stauder, S. 419; Slg. 1970, Rs. 11 / 70, Internationale Handelsgesellschaft, S. 1125; Slg. 1974, Rs. 4 / 73, Nold, S. 491; Slg. 1975, Rs. 36 / 75; Rutili, S. 1219; Slg. 1991, Rs. C-260 / 89, ERT, S. I-2915. 354 Vgl. A. Busch (Anm. 225), S. 26 f.; D. Ehlers (Anm. 320), § 2, Rn. 9 / § 14, Rn. 8; J. Kühling, Grundrechte, in: A. v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 583 (587 ff.); H.-H. Kühne (Anm. 202), S. 199; H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1992, S. 223 ff. 355 Vgl. C. Busse, Die Geltung der EMRK für Rechtsakte der EU, NJW 2000, S. 1074 (1079); J. Callewaert, Die EMRK und die EU-Grundrechtecharta, EuGRZ 2003, S. 198 ff.; E. Pache, Die Europäische Grundrechtecharta – ein Rückschritt für den Grundrechtssschutz in Europa?, EuR 2001, S. 475 (487 ff.); a.A. J. Bergmann (Anm. 349), S. 624. 356 EuGH, Slg. 2003, verb. Rs. C-465 / 00, C-138 / 01, C-139 / 01, Rechnungshof / ORF u. a., I-4989, Rz. 73 ff.

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D. Schutz bürgerlicher Freiheit in einem europäischen Strafrechtsraum

lageverfahren durchaus Prüfungsmaßstäbe und Abwägungseckpunkte entlang einschlägiger Artikel der EMRK und der entsprechenden Rechtsprechung des EGMR. Auf diese Weise wird die Menschenrechtskonvention etwa auch für die grundrechtskonforme Anwendung von EG-Richtlinien in den Mitgliedstaaten maßgebend.357

3. Die Kontrolle von Unionsrechtsakten durch den EGMR Unionsrechtsakte können auf zweierlei Weise durch den Straßburger Gerichtshof am Maßstab der Menschenrechtskonvention überprüft werden. Zum einen kann das nationale Umsetzungsrecht Gegenstand einer Individualbeschwerde sein358, zum anderen auch ein Unionsrechtsakt selbst.359 Zwar ist die Europäische Union nicht Vertragspartei der EMRK und daher auch nicht Verpflichtete, doch besteht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur konventionskonformen Ausübung ihrer Hoheitsrechte auch nach deren Übertragung auf die überstaatliche Ebene fort. Dies gilt sowohl für die Rechtsetzung auf Unionsebene, die Umsetzung und Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten wie auch für die Entscheidungen des EuGH.360 Ebensowenig wie im nationalen Zusammenhang können sich die Mitgliedstaaten also ihrer Konventionspflichten durch die Übertragung von Hoheitsrechten – etwa auf beliehene Private oder überstaatliche Institutionen – entledigen.361 Grundsätzlich ist jedoch der EuGH zur Kontrolle von Unionsrechtsakten berufen. Solange durch seine Rechtsprechung ein äquivalenter Schutz der Grund- und Menschenrechte gegenüber Unionsrechtsakten sichergestellt ist, besteht die Verantwortlichkeit für konventionswidrige Rechtsakte seitens der Mitgliedstaaten nicht.362 EuGH und EGMR stehen damit in einem vergleichbaren „Kooperationsverhältnis“ zueinander wie es das Bundesverfassungsgericht für sich in Anspruch nimmt.363 Inwieweit dieser zeitlich vorangegangene Standpunkt der EKMR nach dem Matthews-Urteil des EGMR noch uneingeschränkt Bestand hat, mag man indes bezweifeln, wird doch nunmehr die Pflicht der Mitgliedstaaten betont, die Konventionsrechte ihrer Bürger auch gegenüber Unionsrechtsakten zu gewährleisten.364 357 Vgl. hierzu M. Ruffert, Die künftige Rolle des EuGH im europäischen Grundrechtsschutzsystem, EuGRZ 2004, S. 466 (470 f.). 358 Vgl. EGMR, Urteil vom 15. 11. 1996, Cantoni / Frankreich, EuGRZ 1999, S. 193. 359 Vgl. EGMR, Urteil vom 18. 02. 1999, Matthews / Vereinigtes Königreich, EuGRZ 1999, S. 200 ff. 360 J. Callewaert (Anm. 355). S. 201; T. Giegerich (Anm. 351), S. 860 ff.; C. Grabenwarter (Anm. 70), § 4, Rn. 6; R. Jaeger (Anm. 301), S. 198. 361 J. Bröhmer (Anm. 186), S. 214; I. Canor (Anm. 186), S. 11; C. Busse (Anm. 355), S. 1078; K. Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 115 (2003), S. 845 (854 ff.); S. Winkler (Anm. 186), S. 24. 362 EKMR, Entscheidung vom 09. 02. 1990, Nr. 13258 / 87, M&Co. / Deutschland. 363 Vgl. BVerfGE 73, 339; hierzu statt vieler: U. Schliesky (Anm. 3), S. 565 ff. m. w. N.

IV. Die Funktion nationaler Verfassungsgerichte im Unionsrecht

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Die Rechtsprechung des EGMR führt – wenn man so will in „umgekehrter Richtung“ – auch zu einer Stärkung des EuGH, indem etwa seine Rechtsprechung als Konkretisierung grundrechtlicher Positionen Einzelner oder das Vorlageverfahren nach Art. 234 EGV als Teil des nationalen Rechtsweges im Sinne des Art. 35 I EMRK und damit als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Individualbeschwerde anerkannt werden.365

IV. Die Funktion nationaler Verfassungsgerichte im Unionsrecht Das im berühmten Maastricht-Urteil ausgerufene Kooperationsverhältnis zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH ist vielfältig analysiert worden.366 In seiner Bananenmarkt-Entscheidung367 hat das BVerfG schließlich klargestellt, dass Verfassungsbeschwerden und Richtervorlagen, in denen eine Verletzung deutscher Grundrechte durch sekundäres Gemeinschaftsrecht bzw. entsprechendes deutsches Umsetzungsrecht gerügt werden, unzulässig seien, es sei denn es würde detailliert dargelegt, dass die Rechtsentwicklung auf Gemeinschaftsebene und die Rechtsprechung des EuGH nunmehr hinter dem bislang anerkannten und für notwendig erachteten Grundrechtsstandard generell zurückblieben. Dass das BVerfG trotz der von ihm anerkannten Zuständigkeit des EuGH für den Grundrechtsschutz gegenüber europäischen Rechtsakten eine beachtliche Rolle für den Einzelnen spielen kann, zeigt aber das Urteil vom 18. 07. 2005 im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde, in dem sich die Karlsruher Richter grundsätzlich zum Europäischen Haftbefehl äußerten.368 Man kann der Entscheidung des Gerichts bzgl. der Differenzierung zwischen Taten mit maßgeblichem Inlands- bzw. Auslandsbezug durchaus folgen369, entspricht diese doch schließlich materiell auch den Gestaltungsspielräumen, die der Rahmenbeschluss bestehen lässt, doch bietet das Urteil Anlass zur Kritik im Hinblick auf das Zusammenwirken des BVerfG und des EuGH. Kritisch streicht bereits das abweichende Votum des Richters Gerhardt heraus, dass eine Auseinandersetzung mit dem kurz zuvor ergangenen Urteil des EuGH im Fall Pupino fehlt370, das grundlegende Aussagen zur Wirkung eines Rahmenbeschlusses in den Mit364 J. Bergmann (Anm. 349), S. 624; (1075 ff.); C. Busse (Anm. 355), S. 1075 ff.; I. Canor (Anm. 186), S. 17 ff.; E. Pache (Anm. 355), S. 492 f. 365 Vgl. J. Bergmann (Anm. 349), S. 624; M. Breuer, Der EGMR als Wächter des europäischen Gemeinschaftsrechts, JZ 2003, S. 433 ff. 366 Vgl. statt vieler T. Oppermann (Anm. 172), § 6, Rn. 48 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 367 BVerfGE 102, 147 (161 ff.). 368 Siehe hierzu bereits Teil C. I. 5. d) dieser Arbeit. 369 So etwa C. Tomuschat (Anm. 90), S. 457. 370 EuGH (Anm. 136).

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D. Schutz bürgerlicher Freiheit in einem europäischen Strafrechtsraum

gliedstaaten und vor allem für den Einzelnen enthält.371 Zwar prüft das BVerfG lediglich die Vereinbarkeit des Umsetzungsgesetzes an den Maßgaben des Art. 16 II GG, doch ergeben sich offenkundig beachtliche Unterscheide in der Bewertung der Wirkungsweise eines Rahmenbeschlusses. Die unmittelbare Bindung nationaler Organe durch einen Rahmenbeschluss unterscheidet diesen deutlich von einem herkömmlichen völkerrechtlichen Vertrag, so dass ihre Gleichsetzung durch das BVerfG372 den Besonderheiten des Unionsrechts nicht gerecht wird.373 Dies gilt erst recht für die vom Gericht vertretene Auffassung, dem nationalen Gesetzgeber komme im Notfall das Recht zu, die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses zu verweigern. In der Konsequenz dürfte deshalb auch der Rechtsfolgenausspruch des BVerfG – die Nichtigerklärung des gesamten Haftbefehlsgesetzes – der Umsetzungspflicht Deutschlands widersprechen. Die Möglichkeiten rahmenbeschlussbzw. grundrechtskonformer Auslegung nutzte das Gericht nicht.374 Die Bewahrung nationaler Letztzuständigkeit ist allerdings kein deutscher Sonderfall. Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht behält sich zum Beispiel auch der französische Conseil constitutionnel im Falle außergewöhnlicher Umstände eine Intervention vor. Grundsätzlich erkennt zwar auch der Verfassungsrat das Verwerfungsmonopol und die alleinige Interpretationsbefugnis des EuGH für das Unions- und Gemeinschaftsrecht an. Dies gilt auch für die Prüfung, inwieweit ein Unionsrechtsakt grundrechtskonform ist. Verstößt ein europäischer Rechtsakt jedoch ausdrücklich gegen französisches Verfassungsrecht, das eine Besonderheit Frankreichs normiert, bleibt die Überprüfung etwa eines Sekundärrechtsaktes möglich. Zu beachten ist dabei aber, dass die verfassungsgerichtliche Überprüfung in Frankreich der Gesetzgebung grundsätzlich vorgeschaltet ist, so dass die Feststellung der Unvereinbarkeit europäischen Rechts mit der französischen Verfassung es dem Verfassungsgeber erlaubt, eine notwendige Verfassungsänderung herbeizuführen. Eine entsprechende Ergänzung der Verfassung war denn auch für die Einführung des Europäischen Haftbefehls erforderlich. Bemerkenswert erscheint mit Blick auf das Urteil des BVerfG zum Europäischen Haftbefehl, dass der Verfassungsrat die Pflicht zur Umsetzung europäischen Sekundärrechts auch als verfassungsrechtliches Gebot ansieht, das sich aus der in Art. 88 – 1 der Verfassung festgeschriebenen Mitgliedschaft Frankreichs in der Europäischen Union ergibt. Das Urteil des BVerfG enthält dagegen keine Aussage zur Integrationsnorm des Art. 23 GG.375 M. Gerhardt, BVerfGE 113, 273 (341 ff.). BVerfGE 113, 273 (300 f.). 373 So auch C. Tomuschat (Anm. 90), S. 458; J. Vogel (Anm. 130), S. 805. 374 Vgl. hierzu auch das abweichende Votum der Richterin G. Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 273 (338 f.); C. Tomuschat ebd.; J. Vogel a. a. O., S. 804; sowie Teil C. IV. dieser Arbeit. 375 Vgl. Zur französischen Rechtslage: J. C. Gautron, Droit européen, 9. Auflage 1999, S. 106 ff.; J. Roux, Le Conseil constitutionnel, le droit communautaire dérivé et la Constitution, RDP 2004, S. 912 ff.; T. Spiegels, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum französischen Recht – Nationale Souveränität und europäische Integration, EuR 2003, S. 119 (126 ff.); C. Walter, Der französische Verfassungsrat und das Recht der Europäischen Union, 371 372

V. Die Notwendigkeit einer kohärenten Grundrechtsjudikatur

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V. Die Notwendigkeit einer kohärenten Grundrechtsjudikatur Ebenso wie das Strafrecht sind auch in Verfassungen und Konventionen garantierte Grund- und Menschenrechte ein Produkt der politischen und rechtlichen Kultur wie auch eines gesellschaftlichen Konsenses in ihrem Geltungsbereich. Die Verfassungsentwicklung in den gegenwärtig 27 Mitgliedstaaten weist schon mit Blick auf die jeweils historischen Gegebenheiten signifikante Unterschiede auf. Der Weg von der Europäischen Montanunion zur Europäischen Union heutiger Prägung birgt ebenso Besonderheiten und „Umwege“ wie derjenige des Europarates und damit auch derjenige der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dass insofern zwischen den Grund- und Menschenrechtsgarantien und vor allem auch dem Verständnis einzelner Gewährleistungen zum Teil erhebliche Divergenzen bestehen, kann deshalb nicht überraschen. Erinnert sei hier beispielsweise an die unterschiedliche Rolle der Kirche und der Religionsfreiheit in Frankreich, Deutschland und Polen oder die innerstaatlich wie europaweit höchst streitige Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften und ihr Verhältnis zum grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie.376 Schon die Grundrechtsprechung der beiden europäischen Gerichtshöfe erforderte in vielfacher Hinsicht Reaktionen und Reformen in den Mitglied- bzw. Vertragsstaaten. In einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem nunmehr auch das materielle und prozessuale Strafrecht einer Harmonisierung unterworfen bzw. gegenseitig anerkannt wird, scheint eine verstärkte Kohärenz des Grund- und Menschenrechtsverständnisses unabdingbar. Die kaum mehr zu negierenden Ähnlichkeiten des Gemeinschafts- und des Unionsrechts führen in letzter Konsequenz auch in der Frage der Letztverbindlichkeit grundrechtlicher Entscheidungen des EuGH und nationaler Verfassungsgerichte zu Verschiebungen, die letztere bis heute nicht unbedingt anerkannt haben. Festzuhalten ist aber, dass etwa der Umsetzungsverpflichtung eines Rahmenbeschlusses nationales Verfassungsrecht nicht entgegengehalten werden, sondern dieses kann lediglich im Rahmen von Umsetzungsspielräumen des Unionsrechtsaktes Bedeutung erlangen. Im Falle der Unvereinbarkeit nationalen Rechts und unionsrechtlicher Vorgaben ist das mitgliedstaatliche Recht anzupassen. Zwar setzt sich das Unionsrecht nicht im Sinne supranationalen Vorrangs durch, doch begeht ein Mitgliedstaat eine Vertragsverletzung, wenn etwa aufgrund unterlassener Verfassungsänderung ein Rahmenbeschluss nicht wirksam umgesetzt werden kann. Eine solche EuGRZ 2005, S. 77 ff.; vgl. zur deutschen Rechtslage und zur Kritik des BVerfG-Urteils das abweichende Votum des Richters S. Broß (Anm. 246), Rz. 133 ff.; ders. (Anm. 246), FS Nehm, S. 34 ff.; zur Funktion des Art. 23 GG O. Dörr (Anm. 149),S. 80 ff.; C. Heitsch, Prüfungspflichten des Bundesverfassungsgerichts unter dem Staatsziel der europäischen Integration, EuGRZ 1997, S. 461 ff.; M. Möstl (Anm. 3), S. 643 ff.; A. Tiedtke (Anm. 154), S. 76 ff. 376 Vgl. zu letzterem Themenkomplex P. J. Tettinger / J. Geerlings, Ehe und Familie in der europäischen Grundrechtsordnung, EuR 2005, S. 419 ff.

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D. Schutz bürgerlicher Freiheit in einem europäischen Strafrechtsraum

Vertragsverletzung kann mittlerweile auch vom EuGH festgestellt werden, so dass die Klassifizierung des Unionsrechts als reines Völkerrecht nicht mehr sachgerecht ist. Maßgeblich beim Erlass eines Unionsrechtsaktes sind die auf Unionsebene gewährleisteten Grund- und Menschenrechte, die im Zuge der Rechtsetzung in Ausgleich zu bringen sind mit den zur Verwirklichung eines Ziels geplanten Maßnahmen. Hierüber wacht der EuGH im Rahmen seiner Kompetenzen, so dass für zusätzliche nationale Sicherungs- und Kontrollmechanismen kein Raum bleibt.377 Die Beschränkung auf das Vorlageverfahren führt in prozessualer Hinsicht zu einer erheblichen Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen. Dass darüber hinaus – wie das Urteil des BVerfG zum Europäischen Haftbefehl zeigt – kohärente und verlässliche Grundrechtsprechung europäischer und mitgliedstaatlicher Gerichte nicht zweifelsfrei sichergestellt ist, erweist sich aus Sicht des Einzelnen als weiteres erhebliches Defizit378, selbst wenn sich dies im konkreten Fall zugunsten des Beschwerdeführers ausgewirkt hat.

So auch J. Masing (Anm. 91), S. 265; M. Möstl (Anm. 3), S. 570. Die Richterin G. Lübbe-Wolff kritisiert denn auch zu Recht in ihrem abweichenden Votum die „Aussendung dunkler Signale“ an den EuGH, BVerfGE 113, 273 (329); grundsätzlich auch J. Callewaert (Anm. 355), S. 206; M. Ruffert, Schlüsselfragen der Europäischen Verfassung der Zukunft: Grundrechte – Institutionen – Kompetenzen – Ratifizierung, EuR 2004, S. 165 (169). 377 378

E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung Die Entwicklung der überstaatlichen Verbundebene und ihrer Mechanismen weist in der Summe bedeutende Fortschritte, aber auch nachhaltige und insbesondere den Einzelnen belastende Defizite auf. Die Entscheidung der Mitgliedstaaten, auch im Bereich der (inneren) Sicherheit ihre Aufgaben gemeinsam wahrzunehmen, ist dabei zweifelsohne als sachgerecht anzusehen. Akzeptiert man darüber hinaus die politische, im EUV auch angelegte Grundentscheidung des Rates, die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen auf der Basis des Prinzips gegenseitiger Anerkennung aufzubauen, so ergeben sich hieraus allerdings eine Reihe weiterer Schritte, die die Europäische Union gehen muss, um den Anforderungen demokratisch-rechtsstaatlicher Verfasstheit gerecht zu werden. Maßgebend ist hierfür zunächst die Feststellung, dass die Verbundebene in der Lage ist, nahezu staatsgleich Aufgaben auch auf dem sensiblen Feld der Innenund Justizpolitik zu übernehmen. Materiell leitend sollte darüber hinaus die Erkenntnis sein, dass sich Freiheit, Sicherheit und Recht aufeinander beziehen und sich wechselseitig prägen. Freiheit und Sicherheit sind mit Hilfe des Rechts zu konkretisieren und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Für die wirksame Kontrolle staatlichen wie überstaatlichen Handelns ist schließlich der Zugang des Einzelnen zu den Gerichten unabdingbar.

I. Die gemeinsame Verantwortung der Handlungsebenen Die effektive Einlösung der verfassungsrechtlich verbrieften Aufgabe der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet die notwendige Sicherheit und die Durchsetzung des Rechts zu gewährleisten, kann heute kaum mehr vom einzelnen Staat allein erreicht werden. Vielmehr sind die Staaten auf Kooperation zwingend angewiesen, um grenzüberschreitender Kriminalität, vor allem auch den neuen Formen des Terrorismus, erfolgreich begegnen zu können. Es dürfte deshalb zutreffend sein, insoweit sogar von einer verfassungsrechtlichen Pflicht zu überstaatlicher Zusammenarbeit auszugehen, können die Staaten doch andernfalls zentralen Aufgaben im Rahmen ihrer Garantenfunktion gegenüber den Bürgern nicht (mehr) gerecht werden.379 Es wird gleichwohl kritisch hin379 J. Kokott, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes, VVDStRL 63 (2004), S. 7 (24 ff.); R. Pitschas, Innere Sicherheit und internationale Verbrechensbekämpfung als Verantwortung des demokratischen Verfassungsstaates, JZ 1993, S. 857 (861 ff.).

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

terfragt, inwieweit unionsweite Regelungsvorgaben für das nationale Strafrecht eine sachgerechte Antwort auf grenzüberschreitende Kriminalität oder den internationalen Terrorismus darstellen.380 Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Europäischen Union, in der gemeinschaftsrechtlichen wie in der unionsrechtlichen Struktur, erzeugt einen modifizierten Verantwortungszusammenhang für staatliche Kernfunktionen. Im Gegensatz zu klassisch-völkerrechtlicher Zusammenarbeit, die zwar völkerrechtliche Bindungen von Vertragsstaaten erzeugt, die staatliche Aufgabenstellung und Verantwortung selbst jedoch unangetastet lässt, führt die Integration der Mitgliedstaaten im Unionsgefüge zu neuen, vom nationalen Recht unabhängigen Strukturen und Zusammenhängen.381 Die Union hat nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund die Aufgabe, für den Bestand der Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten Sorge zu tragen und die Standards demokratischer Rechtsstaatlichkeit für alle Hoheitsträger im Verbundsystem gem. Art. 6 I, 7 EUV sicherzustellen.382 Die dualen Konstruktionsmerkmale dieser Integration wirken sich sowohl bei der Rechtsetzung wie auch bei der Um- bzw. Durchsetzung von Normen aus. Unionsrechtsakte erzeugen verbindliche Vorgaben für die Mitgliedstaaten, bedürfen aber regelmäßig weiterer nationaler Hoheitsakte, um unmittelbare Wirksamkeit für den Einzelnen zu erlangen. Rechtsanwendung und Einzelfallrechtsprechung obliegen ebenfalls den Mitgliedstaaten, so dass in der Sache beide Handlungsebenen im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen tätig werden und so gemeinsam Verantwortung für das Erreichen der angestrebten Ziele tragen. Die Unionsebene ist bei der Ausübung ihrer Kompetenzen an die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gebunden. Nutzt sie die ihr im EUV zugewiesenen Handlungsspielräume aus, so erwächst der Union aus dem Recht zur Kompetenzausübung auch die Pflicht, den verschiedenen, ggf. widerstreitenden Belangen Rechnung zu tragen. Dabei ist nicht nur auf der Unionsebene ein Ausgleich betroffener Rechtspositionen sicherzustellen, sondern auch nationale Rechtsgüter, die im Wege der Um- und Durchsetzung europäischer Vorgaben berührt werden, sind bei der Rechtsgestaltung der überstaatlichen Ebene zu beachten. Die Entwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erzeugt dabei eine Verklammerung bislang von einander abgegrenzter staatlicher Hoheitsräume ohne bereits einen einheitlichen Rechtsraum zu erzeugen. Mit Hilfe einzelner unionsweiter Maßnahmen wird ein Teil staatlicher Sicherheitsgewährleistung und Rechtsdurchsetzung durch den überstaatlichen Verbund ergänzt bzw. überformt. Über die Kompensation von Sicherheitsdefiziten, die durch den Wegfall Vgl. etwa A. Klip (Anm. 108), S. 627 ff. Vgl. M. Möstl (Anm. 3), S. 514 ff. 382 A. v. Bogdandy (Anm. 217), S. 1036; M. Zuleeg (Anm. 140), S. 126 f.; umfassend F. Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union (Diss. Hamburg 1999), vgl. insb. S. 23 / 101 ff. 380 381

II. Das Strafrecht als Integrationsdimension

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der Binnengrenzen entstanden sind, hinaus ist die Ausgestaltung dieses unionsrechtlich geprägten Raumes als grundsätzliches Ziel der Weiterentwicklung der Union anzusehen.383 Im Zuge der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Verbundebene entsteht so nicht nur ein System geteilter Herrschaft, sondern in der Folge auch ein System gemeinsamer Verantwortung der verschiedenen Handlungs- bzw. Herrschaftsebenen. In ihrer unionsrechtlichen Verbundenheit nehmen die Mitgliedstaaten nicht mehr nur ihre eigenen staatlichen Kompetenzen wahr, sondern die auf die Unionsebene zur gesamten Hand der Mitgliedstaaten übertragenen Kompetenzen werden durch den Rat im Rahmen der vertraglichen Grundlagen ausgeübt.384

II. Das Strafrecht als Integrationsdimension Die Verklammerung und gegenseitige Anerkennung bzw. Inanspruchnahme der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen soll zu erhöhter Sicherheit und effektiver Rechtsdurchsetzung führen. Nationale und unionsrechtliche Maßnahmen zielen dabei in die gleiche Richtung. Anders als etwa im Bereich der Grundfreiheiten, in dem nationale Interessen dem freiheitsgewährenden Gemeinschaftsrecht durchaus entgegenlaufen können, sollen sich die Maßnahmen der Mitgliedstaaten und des Verbundes etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung ergänzen und verstärken. Defizitäre nationale Strukturen sollen demnach abgebaut, effiziente bestehende Strukturen der Mitgliedstaaten aber nicht behindert oder eingeschränkt werden. Es erscheint insofern folgerichtig – und mit Blick auf die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit auch zwingend –, die Vorgaben der Unionsebene auf Rahmen- und Mindestvorschriften zu begrenzen, um weitergehende nationale Maßnahmen nicht zu verhindern.385 Das Strafrecht und vor allem das Strafprozessrecht erweisen sich, wie an den beispielhaft diskutierten Rahmenbeschlüssen deutlich wurde, als ein Feld, auf dem zunehmend europäische Vorgaben für nationale Regelungen erfolgen. Als charakteristisch kann insoweit durchaus die Entwicklung des materiellen Strafrechts angesehen werden, die durch eine zunehmende Anerkennung einer originär gemeinsamen Interessenlage geprägt ist. Deutlich wird dies etwa an der auf den Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung zurückgehenden Änderung des § 129 a StGB sowie der Einführung des § 129 b StGB, der die Bildung einer terroristischen Vereinigung im Ausland unter Strafe stellt und der damit auch ausländische 383 M. Möstl (Anm. 3), S. 530 f.; M. Wasmeier, Stand und Perspektiven des EU-Strafrechts, ZStW 116 (2004), S. 320 ff.; M. Zuleeg (Anm. 140), S. 88; anders W. Brechmann (Anm. 115), Art. 61 EGV, Rn. 4; kritisch T. Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 116 (2004), S. 275 ff. 384 I. Pernice (Anm. 259), Art. 24, Rn. 21; J. Kokott (Anm. 379), S. 28; M. Möstl (Anm. 3), S. 571 ff. 385 M. Möstl (Anm. 3), S. 603 / 637 f.; kritisch T. Weigend (Anm. 383), S. 284 ff.

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

Rechtsgüter als schutzwürdig ansieht und einbezieht. Auch im Bereich des Rechtsgüterschutzes wird demnach eine Europäisierung des Rechts vollzogen.386 Die Einführung unionsweiter Standards erweist sich dabei als unter Umständen zweischneidiges Schwert. Zunächst sind sie vom Gedanken der Funktionalität und Effizienz unionsweiter Kooperation geprägt. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit im Rahmen dieser Standards auch die rechtsstaatlichen Erfordernisse im Falle staatenübergreifender Zusammenarbeit zu definieren und damit für die Praxis verbindlich zu machen. Eben jenes Unionsrecht oder das nationale Umsetzungsrecht können aber wiederum selbst mit den Maßstäben, die für eine Rechtsgemeinschaft gelten, in Konflikt geraten und den Einzelnen in seinen Rechten beschneiden.387 Das Strafrecht ist zwar ein wesentlicher Bestandteil des staatlichen Rechtsgüterschutzes, doch bleibt sein Einsatz aus rechtsstaatlicher Perspektive nur als ultima ratio akzeptabel. Unionsweite Kooperationsmechanismen zur Durchsetzung von Strafansprüchen führen zu einer wirkungsvollen Weiterentwicklung des Rechtsgüterschutzes. Im Zuge dieser immer enger werdenden Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten könnten allerdings auch Strafansprüche durchgesetzt werden, die dem durchaus als gemeineuropäisch anzusehenen ultima ratio-Grundsatz widersprechen. So ist es zwar richtig, dass auch das Strafrecht kulturellen und historischen Besonderheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten unterliegt, doch dürfte die Annahme ebenfalls zutreffen, dass in einer Union souveräner Staaten, die insbesondere auf gemeinsamen kulturellen Wurzeln beruht, auch Einigkeit darüber erzielt werden können muss, in welchen Bereichen das Strafrecht als Schutzinstrument eingesetzt werden soll und in welchen nicht. Die gegenseitige Anerkennung jeder nationalen Strafnorm wäre insoweit problematisch.388 Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit unionsweiten Handelns schließen zwar eine vollkommene Rechtsvereinheitlichung im Strafrecht weitgehend aus, doch ist aus zuvor dargelegter Perspektive heraus die Frage durchaus berechtigt, ob neben Mindestvorschriften über Straftatbestände und Strafen auch unionsweite Begrenzungen „nach oben“ einzuführen sind für diejenigen Tatbestände, deren gegenseitige Anerkennung zu unionsweiter Durchsetzung auch höchster Strafen und besonders umfassender Strafbarkeit führen kann.389 386 Vgl. B. Hecker (Anm. 47), § 11, Rn. 52; kritisch bzgl. der konkreten Ausgestaltung des Tatbestandes aber E. v. Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: E. Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, 2005, S. 101 (124 f.). 387 Vgl. etwa zu den Schwierigkeiten im Bereich des Strafprozessrechts T. Weigend (Anm. 383), S. 292 ff.; ablehnend deshalb etwa W. Perron, Strafrechtsvereinheitlichung in Europa, in: D. Dörr / M. Dreher, Europa als Rechtsgemeinschaft, 1997, S. 135 (141). 388 Ablehnend deshalb B. Schünemann, Ein Alternativ-Entwurf zur Regelung der europäischen Strafverfolgung im Verfassungsvertrag der EU, in: E. Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, 2005, S. 81 (88). 389 Hierauf weist B. Schünemann (Anm. 388) zu Recht hin, S. 97; eine „Einebnung“ nationaler Unteschiede befürchtet S. Braum (Anm. 43), S. 682.

III. Verfassungsvertrag und Vertragsrevision von Lissabon

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III. Verfassungsvertrag und Vertragsrevision von Lissabon Der nach der Vertragsrevision von Nizza eingeleitete Verfassungsprozess sollte ein ganzes Bündel an Defiziten der bisherigen „Verbundverfassung“ beseitigen. Einerseits sollten die strukturellen und institutionellen Voraussetzungen für die Osterweiterung der Europäischen Union geschaffen werden, die nach überwiegender Meinung durch die in Nizza beschlossenen Änderungen nicht erreicht wurden.390 Darüber hinaus sollten – und dies ist im vorliegenden Zusammenhang relevant – Effizienz, Transparenz und Legitimation des Handelns der Unionsebene verbessert werden. Über eine Ausweitung der Gesetzgebungs- und Kontrollbefugnisse des Europäischen Parlaments hinaus sollte nach Maßgabe des Arbeitsauftrages von Laeken die demokratische Legitimation auch durch eine verstärkte Einbindung der nationalen Parlamente erhöht werden.391 Allein die vorgesehene Zusammenführung der Unions- und Gemeinschaftsebene zur neuen Rechtsperson „Europäische Union“392 und die damit einhergehende „Vergemeinschaftung“ der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen stellen eine wegweisende Neuerung dar. Künftig sollen in der nunmehr supranationalen Union die unter dem Begriff des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 3 II EU) zusammengefassten Politikbereiche und Zielsetzungen umgesetzt werden.393 Das Europäische Parlament erfuhr schon im Verfassungsvertrag eine durchaus beachtliche Aufwertung, die sich auch im Reformvertrag von Lissabon wiederfindet. Vor allem die schon dargestellte Weiterentwicklung der Beteiligungsrechte des Parlaments hin zu einem „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“, in dem das Parlament nunmehr gleichberechtigt mit dem Rat agiert, ist hier bedeutsam (vgl. etwa zur Harmonisierung des Strafrechts Art. 83 AEU). Als wesentliche Aufgaben sind darüber hinaus das Haushaltsrecht (Art. 14 I EU) wie auch die Bestätigung der Kommission (Art. 17 VII EU) und ihre Kontrolle zu nennen (Art. 17 VIII EU).394 Den nationalen Parlamenten soll in der „Architektur Europas“ gem. Art. 12 EU vor allem eine den Grundsatz der Subsidiarität wahrende Funktion zukommen. Der 390 Vgl. statt vieler A. Hatje, Die institutionelle Reform der Europäischen Union – der Vertrag von Nizza auf dem Prüfstand, EuR 2001, S. 143 ff.; E. Pache, Eine Verfassung für Europa – Krönung oder Kollaps der europäischen Integration?, EuR 2002, S. 767 (768). 391 M. Lais, Die Rolle der nationalen Parlamente in einer künftigen europäischen Verfassung, ZEuS 2003, S. 187 (189 f.); M. Ruffert (Anm. 378), S. 180. 392 Vgl. zu den Konsequenzen noch auf der Grundlage des Verfassungsvertrages B. Fassbender, Die Völkerrechtssubjektivität der Europäischen Union nach dem Entwurf des Verfassungsvertrages, AVR 42 (2004), S. 26 ff. 393 Vgl. noch auf der Basis des Verfassungsvertrages N. Görlitz, Europäischer Verfassungsvertrag und künftige EU-Kompetenzen, DÖV 2004, S. 374 (376 ff.); T. Oppermann (Anm. 231), S. 1239. 394 Vgl. im Einzelnen auch C. Callies (Anm. 191), S. 405 ff.

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

EuGH soll in Zukunft auch für Subsidiaritätsklagen eines Mitgliedstaates zuständig sein. Nationale Vorschriften können den Mitgliedstaat verpflichten, entsprechende Klagen des nationalen Parlaments oder etwa auch der Bundesländer (über den Bundesrat) als eigene vor dem EuGH zu erheben (Art. 8 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit). Auch der Ausschuss der Regionen sollte ein solches Klagerecht erhalten.395 Darüber hinaus soll vor allem der Informationsfluss der nationalen Parlamente wie auch ihre Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament verbessert werden (vgl. insgesamt die Protokolle über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union sowie über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit). Der Verfassungsvertrag sah überdies vor, dass der Rat als Gesetzgebungsorgan öffentlich tagt und entscheidet (Art. I-50 II VV). Dadurch sollte das Gesetzgebungsverfahren der Union transparenter werden, wodurch einerseits die öffentliche Meinungsbildung in Europa verbessert, andererseits aber auch Kontrollmöglichkeiten der nationalen Parlamente intensiviert werden, was wiederum zu einer stärkeren demokratischen Legitimation der Ratsbeschlüsse führen könnte. Art. 16 VIII EU nimmt diese Neuerung deshalb zu Recht ebenfalls auf.396 Diesen avisierten Fortschritten steht eine mindestens ebenso bedeutende Aufwertung des Europäischen Rates gegenüber, der insbesondere in institutionell wesentlichen Fragen die jeweiligen Entscheidungen treffen soll. Dies gilt sowohl für Personalvorschläge (Kommissionspräsident, Hoher Vertreter der Union für Außenund Sicherheitspolitik), die vorgesehenen Rotationssysteme der Kommissare und des Ratsvorsitzes wie auch die nominelle Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, aber auch für die materiell-rechtlich bedeutsame Überführung besonderer Rechtsetzungsverfahren in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren.397 Ob durch den Reformvertrag angesichts der beachtlichen Machtfülle des Europäischen Rates, seinem ureigenen politischen Führungsanspruch und der starken Positionen des Kommissions- wie des Ratspräsidenten wirklich die Machtbalance zugunsten der unmittelbar demokratisch legitimierten Parlamente verschoben wurde, wird die Praxis zeigen.398 Der Versuch, den Zugang des Einzelnen zu den europäischen Gerichten bereits im Wege der Rechtsfortbildung durch den EuGH zu erleichtern, scheiterte bislang. Einer entsprechend weiten Auslegung der „individuellen Betroffenheit“ i.S. des Vgl. T. Oppermann (Anm. 231), S. 1171. J. Gerkrath (Anm. 160), S. 382; kritisch dagegen U. Everling, Zur konsensualen Willensbildung in der föderal verfassten Europäischen Union, in: M. Brenner / P. M. Huber / M. Möstl, Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura, 2004, S. 1053 (1073). 397 Kritisch hierzu noch auf der Basis des Verfassungsvertrages M. Ruffert (Anm. 378), S. 185. 398 Skeptisch auch C. Callies (Anm. 191), S. 409 ff.; M. Ruffert (Anm. 378), S. 186 f.; positiv hierauf reagierend dagegen P.-M. Huber (Anm. 172), S. 598. 395 396

IV. Weitergehende Ansätze

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Art. 230 IV EGV verweigerte sich der EuGH mit Verweis auf den Wortlaut. Eine Ausweitung des Rechtsschutzes Einzelner auf europäische Ebene sei vielmehr Sache einer Vertragsänderung durch die Mitgliedstaaten.399 Art. III-365 (4) des Verfassungsvertrages wie auch Art. 263 Unterabsatz 4 AEU orientieren sich indes an der bisherigen Rechtsprechung. Danach soll der Einzelne klageberechtigt sein, wenn er Adressat eines Rechtsaktes oder einer Handlung ist. Bei Rechtsakten, deren Adressat er nicht ist, berechtigt eine invidiuelle und unmittelbare Betroffenheit den Einzelnen zur Klage. Schließlich wird eine Klagemöglichkeit eröffnet in Fällen, in denen Rechtsakte mit Verordnungscharakter keine Durchführungsakte erfordern und den Einzelnen auf diese Weise unmittelbar betreffen. Denkbar erscheint eine Klageberechtigung danach etwa dann, wenn ein Rechtsakt für einen Einzelnen aufgrund seiner persönlichen Umstände zu erheblichen Nachteilen führt oder wahrscheinlich führen wird. Weiterhin nicht seitens eines Einzelnen angreifbar sind demnach aber Rechtsakte von allgemeiner Geltung, vor allem Verordnungen und Richtlinien im Sinne des Art. 288 AEU. Die Änderungen der Verträge entsprechen weitgehend den schon richterrechtlich fortgebildeten Klagemöglichkeiten und stellen insoweit nur eine begrenzte Weiterentwicklung des europäischen Rechtsschutzsystems dar. Eine Art Grundrechtsbeschwerde zum EuGH wird durch die Vertragsrevision nicht eingeführt.400

IV. Weitergehende Ansätze Angesichts der dargestellten Perspektiven eines europäischen Strafrechts- und Strafverfolgungsraumes wie auch der Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus dürfte über die Vertragsrevision von Lissabon hinaus eine weitergehende Legitimierung unionsrechtlichen Handelns erforderlich sein, soll die politisch wünschenswerte europäische Einigung nicht schlussendlich an berechtigten demokratisch-rechtsstaatlichen Ansprüchen scheitern. Maßgebend sind dabei sowohl die verlässliche und genaue Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze und Verfahrensgarantien im Strafprozess als Ausdruck auch unionsweiter Rechtssicherheit wie auch eine wirksame und nachhaltige Kriminalitätsbekämpfung, die die Sicherheit der persönlichen und gesellschaftlichen Rechtsgüter bezweckt.

EuGH, Slg. 2002, Rs. C-50 / 00 P, UPA / Rat, S. I-6677. Vgl. C. D. Classen, Effektive und kohärente Justizgewährleistung im europäischen Rechtsschutzverbund, JZ 2006, S. 157 (159 f.); C. F. Mayer, Individualrechtsschutz im Europäischen Verfassungsrecht, DVBl. 2004, S. 606 (614). 399 400

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

1. Ausbau des Grundrechtsschutzes auf Unionsebene Gerade der Justiziabilität grund- und menschenrechtlicher Garantien kommt entscheidende Bedeutung zu, droht doch andernfalls die Gefahr, dass wohlfeile Erklärungen – etwa in den Erwägungsgründen zu Rahmenbeschlüssen – und Konventionen in der Praxis dem Einzelnen nicht weiterhelfen. Die Europäische Menschenrechtskonvention erscheint hier als leuchtendes Vorbild. Käme im Zuge der Konsolidierung der Verfassungsentwicklung der Europäischen Union ein System effektiven, transparenten und kohärenten Grundrechtsschutzes auf Unionsebene zustande, ließe sich so möglicherweise die dargestellte Form europäischer Terrorismusbekämpfung im Bereich des Strafrechts und Strafverfolgungsrechts legitimieren.401 Insoweit könnte auch der Kommission im Wege von Vertragsverletzungsverfahren im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen eine wichtige Funktion zuwachsen, wurde doch dem Einzelnen noch keine Möglichkeit eröffnet, allgemein gültige Rechtsakte auf ihre Grundrechtskonformität hin durch den EuGH überprüfen zu lassen.

a) Dezentraler Rechtsschutz über das Vorlageverfahren Legitimatorisch durchaus beachtenswert ist die schon erprobte dezentrale Ausgestaltung des Rechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht. Funktional entspricht dieses System auch den Gegebenheiten der Mehrebenenherrschaft, deren überstaatliche Ebene auf die Kooperations- und Durchsetzungsbereitschaft der Mitgliedstaaten angewiesen bleibt und selbst über keinerlei Zwangsmittel verfügt.402 Folgerichtig ergeht die Einzelfallentscheidung grundsätzlich durch ein nationales Gericht, das im Zweifelsfall gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Fragen im Wege eines Vorlageverfahrens durch den EuGH klären lässt. Dennoch gibt es Fallkonstellationen, die sich in diesem System nur schwerfällig oder auch unzureichend lösen lassen. Die Frage des Individualrechtsschutzes auf der Unionsebene ist allerdings streitbefangen.403 Insbesondere die Differenzen zwischen EuG und EuGH im Sommer 2002 haben anschaulich die verschiedenen möglichen Ansatzpunkte illustriert. Während das EuG für eine Ausweitung der Individualklagebefugnis eintrat404, lehnte der EuGH eine ausgedehnte Interpretation 401 Vgl. M. Nettesheim, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union: Eine verfassungstheoretische Kritik, integration 25 (2002), S. 35 (44); M. Zuleeg, Zum Verhältnis nationaler und europäischer Grundrechte, EuGRZ 2000, S. 511 (516). 402 Vgl. C. F. Mayer (Anm. 400), S. 615. 403 Vgl. die zahlreichen Nachweise aus der Literatur bei M. Nettesheim, Effektive Rechtsschutzgewährleistung im arbeitsteiligen System europäischen Rechtsschutzes, JZ 2002, S. 928 f. (Fn. 6, 12). 404 EuG, Slg. 2002, Rs. T-177 / 01, Jégo-Quéré et Cie SA / Kommission, S. II-2365 (Urteil vom 03. 05. 2002).

IV. Weitergehende Ansätze

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des Art. 230 IV EGV ab.405 Anerkannt ist die Klagebefugnis Einzelner heute, wenn sie durch einen europäischen Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffen sind. Lässt sich ein dergestalt geschlossener Adressatenkreis eines Rechtsaktes feststellen, sind auch Individualklagen gegen EG-Verordnungen oder Richtlinien zulässig. Dies gilt für Personen, die in spezifischer Weise vom Schutzbereich einer Norm umfasst sind oder Verfahrensbeteiligte bei Erlass des Rechtsaktes waren oder sie durch faktische oder rechtliche Gründe von allen übrigen Rechtsunterworfenen unterschieden werden können. Eine geschlossene Dogmatik der Voraussetzungen einer Individualklagebefugnis fehlt indes.406 Der Reformvertrag von Lissabon schreibt diese Rechtsprechung unionsverfassungsrechtlich fest, ohne besondere Ausweitungen vorzusehen. Für den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erscheint die Relevanz des Streits um Individualklagerechte auf den ersten Blick nicht besonders hoch zu sein. Sowohl das materielle Strafrecht wie auch einzelne Verfahrensschritte im Strafprozess und im Übergabeverkehr unterliegen grundsätzlich den dafür zuständigen nationalen Gerichten, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das Umsetzungsgesetz des Europäischen Haftbefehls auch eindrucksvoll belegt hat. Andererseits unterliegen die nationale Gesetzgebung und in ihrer Folge auch jeder rechtsanwendende Hoheitsträger mitunter detaillierten Vorgaben des Unionsrechts, die möglicherweise selbst bereits einen Grundrechtseingriff darstellen und daher vom Einzelnen direkt anzugreifen wären. Auszuschließen ist dies grundsätzlich jedenfalls weder bei Vorgaben für die materielle Strafrechtsharmonisierung, wie der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung gezeigt hat, noch für die das Übergabeverfahren, die Kooperation bei der Beweisgewinnung und die gegenseitige Anerkennung von Urteilen regelnden Rechtsakte der Union. Denkbar wäre eine Rechtsverletzung schließlich auch im Rahmen der Tätigkeit der Dokumentations- und Clearingstelle Eurojust, der auf der Grundlage von Art. 85 AEU weitergehende Kompetenzen übertragen werden sollten.407 Der Umstand allein, ein Normunterworfener zu sein, berechtigt indes noch nicht zur Klage. Der geforderte Rechtsprechungswandel, jedem, der aufgrund der persönlichen Umstände erhebliche Nachteile aufgrund eines Rechtsaktes hat oder wahrscheinlich haben wird408, eine Klagebefugnis einzuräumen, konnte sich nicht durchsetzen. Eine weitgehende Aufgabe der begrenzenden Funktion der Klagebefugnis erscheint auch kaum wünschenswert. Die Leistungsfähigeit der europäischen Gerichtsbarkeit wäre schnell erreicht, wenn bereits die bloße WahrscheinEuGH (Anm. 398), Urteil vom 25. 07. 2002. Vgl. J. Gerkrath (Anm. 160), S. 383; C. F. Mayer (Anm. 400), S. 608; M. Nettesheim (Anm. 403), S. 930. 407 Vgl. zu einer möglichen weitgehenden Interpretation des Vertrages T. Weigend (Anm. 387), S. 298 ff. 408 So Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge in der Rs. C-50 / 00 P, EuGH (Anm. 398); a.A. J. Gundel, Verfahrensgrundrechte, in: D. Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage 2005, § 19, Rn. 26 f. 405 406

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

lichkeit von persönlichen Nachteilen eine Klagebefugnis begründen würde. Die schon heute erreichte Verfahrensdauer in Luxemburg wie auch der Blick auf den Gerichtshof für Menschenrechte führen hier zur Zurückhaltung. Über das Vorlageverfahren nach Art. 35 I EUV (künftig Art. 267 AEU) ist zudem eine arbeitsteilige und sachnähere Gerichtsbarkeit gegeben, die insoweit auch vorzugswürdig erscheint und daher grundsätzlich beizubehalten ist. Als problematisch können sich in diesem System dezentralen Rechtsschutzes allerdings schon heute die Vorlagepraxis409 der mitgliedstaatlichen Gerichte wie auch möglicherweise fehlende nationale Rechtsbehelfe erweisen. In der Bundesrepublik ist die Vorlageberechtigung und Vorlagepflicht für das bisherige Unionsrecht insoweit vorbildlich geregelt. Dies gilt jedoch nicht für alle Mitgliedstaaten. Besteht aber für den Einzelnen keine Möglichkeit, effektiven nationalen Rechtsschutz zu erhalten, kommt auch die grundrechtswahrende Rechtsprechung des EuGH im Rahmen eines Vorlageverfahrens nicht zum Zuge. Die Europäische Kommission versucht insoweit folgerichtig, mit ihrem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union410 ein gemeinsames Fundament für die justizielle Zusammenarbeit zu formulieren. Ausweislich der einführenden Begründung stehen die Festlegung gemeinsamer Mindestnormen und die Anwendung des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung in einem wechselseitigen Verhältnis (Nr. 6). Darüber hinaus wird ein einheitliches Schutzniveau angestrebt, das auch dazu beitragen soll, einen angemessenen Schutz für ausländische Verdächtige und Angeklagte sicherzustellen, da insbesondere diese von den Unionsmechanismen betroffen sein würden (Nr. 7 und 8). Der Kommissionsvorschlag nimmt ausdrücklich auf die EMRK Bezug und weist einerseits auf die hohe Zahl der Verurteilungen hin, andererseits allerdings zugleich auf die Überbelastung des Straßburger Gerichtshofes (Nr. 10). Bereits in ihrem Grünbuch über Verfahrensgarantien in Strafsachen411 hat die Kommission richtigerweise darauf hingewiesen, dass die mitgliedstaatliche Praxis im Hinblick auf die Garantien der EMRK divergiert und deshalb das für die gegenseitige Anerkennung als notwendig erkannte Vertrauen untereinander bisweilen fehlt. Dabei weist die Kommission völlig zu Recht darauf hin, dass dieses Vertrauen sich nicht auf die Regierungsebene beschränken darf, sondern vor allem in den beteiligten Justizbehörden bestehen muss, die das Recht in der Praxis anwenden (Nr. 47 der einleitenden Begründung des Rahmenbeschlussentwurfs). Die Kommissionsvorschläge sind allerdings auf ein geteiltes Echo gestoßen. Einerseits wird der Rahmenbeschluss als nicht weitgehend genug kritisiert, um das 409 Vgl. T. v. Danwitz, Die Garantie effektiven Rechtsschutzes im Recht der Europäischen Gemeinschaft – Zur Verbesserung des Individualrechtsschutzes vor dem EuGH, NJW 1993, 1108 (1112 f.); C. F. Mayer, Europäische Verfassungsgerichtsbarkeit, in: A. v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 229 (234 ff.). 410 KOM (2004) 328 endg. (2004 / 0113 CNS). 411 KOM (2003) 75 endg. vom 19. 02. 2003.

IV. Weitergehende Ansätze

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skizzierte Ziel zu erreichen, andererseits wird die Zuständigkeit der Union vor allem mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip hinterfragt und die Befürchtung formuliert, die vorgeschlagenen Mindestnormen führten insgesamt zu einer Absenkung des Schutzniveaus (vgl. Nr. 17). Als problematisch dürfte in der Tat der Umfang des Rahmenbeschlussvorschlages erscheinen, der sich auf das Recht auf einen (unentgeltlichen) Rechtsbeistand, die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers, weitere Regeln zur Gewährleistung der Kommunikationsfähigkeit Betroffener und Dokumentationspflichten beschränkt. Insoweit kann ein solcher Rahmenbeschluss nur ein erster Schritt sein, um einen unionsweiten Mindeststandard zu formulieren, der nach den schon erörterten Maßstäben der EMRK deutlich erweitert werden müsste. Dies gilt vor allem auch mit Blick auf weitere Vorschläge der Kommission, die wiederum geeignet erscheinen, in die Rechte Betroffener in erheblichem Umfang einzugreifen. Zu nennen sind hier beispielhaft der Rahmenbeschlussentwurf zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren412 und der Rahmenbeschlussentwurf über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten.413 Nach Maßgabe des zu erst genannten Vorschlags sollen insbesondere bei den schon bekannten Delikten und Deliktsgruppen des auf 39 Spiegelstriche erweiterten Kataloges auf der Basis gegenseitiger Anerkennung frühere Verurteilungen derselben Person in Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat berücksichtigt und auch in das jeweilige Strafregister aufgenommen werden. Der Rahmenbeschlussentwurf zum Strafregister sieht darüber hinaus die Modalitäten vor, nach denen ein Mitgliedstaat Verurteilungen von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten an diese zum Zwecke der Eintragung übermittelt. Ferner sollen durch diesen Rahmenbeschluss die Bedingungen für den Auf- und Ausbau eines elektronischen Systems zum Informationsaustausch über strafrechtliche Verurteilungen zwischen den Mitgliedstaaten festgelegt werden. Zu diesem Zweck wird ein umfangreicher Pflichtenkatalog für die Mitgliedstaaten vorgeschlagen, für den Fall, dass sie sog. Urteilsstaat oder Herkunftsstaat eines Verurteilten sind. Von besonderer Bedeutung dürfte darüber hinaus der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union414 sein, der Regelungen enthält, nach denen ein gebietsfremder Beschuldigter in seinen Wohnsitzstaat zurückkehren kann unter der Bedingung, dort den Überwachungsmaßnahmen nachzukommen, die von demjenigen Mitgliedstaat angeordnet wurden, in dem das Ermittlungsverfahren geführt wird. Der vorgesehene Katalog entsprechender Maßnahmen würde 412 413 414

KOM (2005) 91 endg. (2005 / 0018 CNS). KOM (2005) 690 endg. (2005 / 0267 CNS). KOM (2006) 468 endg. (2006 / 0158 CNS).

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

zu einer weitreichenden Kooperation bereits im Stadium des Ermittlungsverfahrens führen und sieht beispielweise Meldepflichten, Regelungen zum Aufenthalt und Wohnsitz sowie zur Überstellung der betreffenden Person vor.415 b) Der EGMR als Oberster Gerichtshof für Grundrechte in der Europäischen Union Vor diesem Hintergrund wendet sich der Blick nicht ohne Grund immer wieder nach Straßburg und auf die Europäische Menschenrechtskonvention, scheinen sich doch die Instrumente des Europarates unabhängig und wirkungsvoll zugunsten der von einem Strafverfahren betroffenen Personen auszuwirken. Die Einzelfallkontrolle nationaler Hoheitsakte kann als die zentrale Funktion des EGMR angesehen werden. Darüber hinaus haben sich die Menschenrechtskonvention und die Straßburger Rechtsprechung zunehmend auch als Orientierungsrahmen und Maßstab für den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Transformations- und Beitrittsländern entwickelt, deren nationales Recht an den entsprechenden Vorgaben ausgerichtet wurde bzw. werden musste. Dem EGMR kommt aufgrund seiner Prüfungskompetenz eine verfassungsgerichtliche Funktion in den Vertragsstaaten der Menschenrechtskonvention zu, indem er bestehendes nationales Recht wie auch dessen Anwendung an den Garantien der Konvention misst. Selbst in Staaten, die eine dem deutschen Modell entsprechende nachträgliche Kontrolle des parlamentarischen Gesetzgebers nicht kennen, fungiert der EGMR insoweit als eine Art europäisches Verfassungsgericht.416 Als durchaus kritikwürdig hat sich dabei allerdings die Tendenz des Straßburger Gerichtshofs erwiesen, den einzelnen Artikeln der Konvention und ihrer Zusatzprotokolle im Zuge extensiver Auslegung immer wieder neue Garantien zu entnehmen.417 Mit Blick auf die Bindungswirkung seiner Urteile kann auch der EGMR im Bereich des Strafverfahrensrechts als eine Art Richtliniengeber angesehen werden.418 Stellt der Gerichtshof einen Konventionsverstoß fest, ergibt sich daraus für den verurteilten Vertragsstaat und dem Grunde nach auch für alle anderen Vertragsstaaten mit vergleichbarer Rechtslage die Pflicht, diesen Verstoß zu beseitigen. Es erfolgt also gewissermaßen eine Zielvorgabe, zu deren Erfüllung die Vertragsstaaten völkerrechtlich verpflichtet sind. Wie das vorgegebene Ziel erreicht wird, bleibt jedem Vertragsstaat jedoch überlassen. Je nach dem, ob der Konventionsverstoß 415 Vgl. zur Kritik etwa H. Ahlbrecht, Die Strafrechtspolitik der Europäischen Kommission – eine Bilanz oder: Bundesverfassungsgericht ante portas?, JR 2005, S. 400 ff. 416 Vgl. H. C. Krüger / J. Polakiewicz, Vorschläge für ein kohärentes System des Menschenrechtsschutzes in Europa, EuGRZ 2001, S. 92 (94); S. Oeter (Anm. 290), S. 363 ff.; C. Walter, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Konstitutionalisierungsprozess, ZaöRV 59 (1999), S. 961 (962 ff.). 417 Vgl. R. Esser (Anm. 331), S. 820; H.-H. Kühne (Anm. 330), S. 63 ff. 418 So etwa R. Esser (Anm. 331), S. 837.

IV. Weitergehende Ansätze

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durch Ermittlungsmethoden im Strafverfahren, ein Urteil oder ein Gesetz erfolgte, sind ganz unterschiedliche Maßnahmen nach den nationalen Zuständigkeiten und Verfahren erforderlich. In der Konsequenz kann sich aus den Urteilen des EGMR im Idealfall so eine vertragsstaatenübergreifende funktionale Angleichung der Rechtslage wie auch der Verfahren ergeben. Wenn auch der EGMR aufgrund seiner völkerrechtlichen Basis nicht die Kompetenz zur Nichtigerklärung nationaler Rechtsakte besitzt, kommt der Feststellung der Konventionswidrigkeit eines Hoheitsaktes in der Praxis zumindest teilweise eine kaum hiervon zu unterscheidende Wirkung zu, wie etwa die nachfolgende Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zeigt. Die Menschenrechtskonvention kann daher mit Recht als ein Teil einer europäischen Grundrechtsverfassung verstanden werden. Dies begründet sich vor allem auch aus dem übergreifenden Charakter der EMRK, finden ihre Garantien doch einheitlich Anwendung bei mitgliedstaatlichen wie gemeinschaftlichen Sachverhalten.419 Ob durch den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK ein grundrechtlicher Mehrwert für den Unionsbürger erzielt werden kann, erscheint dennoch zweifelhaft, dienen doch die Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des EGMR bereits heute als wesentliche Erkenntnisquelle für die Rechtsprechung des EuGH. Zudem geht der Regelungsbedarf im Unions- und Gemeinschaftsrecht deutlich über die auf liberale Freiheitsrechte beschränkte Menschenrechtskonvention hinaus, wie die Grundrechte-Charta der Union inhaltlich wie auch bereits vom Umfang her deutlich macht.420 Im Bereich des Strafprozessrechts kann der überragende Einfluss der EMRK freilich nicht übersehen werden.421 Die Rechtsprechung des EGMR ist allerdings vor allem von dem Bemühen gekennzeichnet, Einzelfallgerechtigkeit zu besorgen. Den spezifischen Ausgleichsmöglichkeiten innerhalb der jeweils betroffenen nationalen Strafrechtsordnung räumt der Gerichtshof im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung einen großen Stellenwert ein, so dass etwa ein Verstoß gegen verbürgte Rechte des Art. 6 III EMRK nur dann als Verletzung der Menschenrechtskonvention angesehen wird, wenn der Strafprozess insgesamt als unfair anzusehen ist.422 Durch Art. 6 II EU wird der Beitritt der neuen Europäischen Union nunmehr ermöglicht. Träte die Union der Menschenrechtskonvention bei, änderte sich aus 419 So J. Callewaert (Anm. 355), S. 200 f.; S. Oeter (Anm. 290), S. 386 ff.; C. Walter (Anm. 416), S. 964 f.; L. Wildhaber, Eine verfassungsrechtliche Zukunft für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?, EuGRZ 2002, S. 369 ff. 420 So etwa auch J. Schwarze, Europäische Verfassungsperspektiven nach Nizza, NJW 2002, S. 993 (996). 421 Vgl. aber zu begrenzden Wechselwirkungen auch C. Grabenwarter, Die Menschenrechtskonvention und Grundrechte-Charta in der europäischen Verfassungsentwicklung, in: H. J. Cremer / T. Giegerich / D. Richter / A. Zimmermann, Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift Steinberger, Berlin u. a. 2002, S. 1129 (1132). 422 Vgl. S. Gleß (Anm. 111), S. 149 f.

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

der Perspektive des Einzelnen jedoch am materiell-rechtlichen Gefüge der Grundrechtsgewährleistung vermutlich kaum etwas. Maßgeblich ist für die Rechtsprechung des EuGH die jeweils für den Betroffenen günstigere Regelung. Vorranging sind also weiterreichende Unionsgrundrechte im Vergleich zu Gewährleistungen der Menschenrechtskonvention, wie auch EMRK-Rechte und die Verfassungsüberlieferungen (vor allem die nationalen Grundrechte) der Mitgliedstaaten vorgehen, wenn sie über die Unionsgrundrechte hinausgehen. Art. 53 EMRK enthält eine entsprechende Vorrangregelung. Einerseits könnte so zwar ein Konkurrieren der Grundrechtskataloge vermieden werden, andererseits wird das letztverbindlich entscheidende Gericht aus der Perspektive des Bürgers nicht transparent genug definiert.423 Bei mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen ist das Ergebnis dieser Günstigkeitsregelungen, die auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger gemünzt sind, ebenfalls nicht eindeutig.424 Für einen Beitritt zur EMRK spricht die Vermeidung von Wertungswidersprüchen, die sich zwangsläufig ergeben müssen. Sowohl der EuGH wie auch die nationalen Verfassungsgerichte prüfen eine Rechtsfrage nie ausschließlich am Maßstab der Menschenrechtskonvention, sondern immer in der Zusammenschau mit anderen Verfassungsvorschriften, seien es die Gründungsverträge der Union oder ein nationaler Grundrechtskatalog. Der europäische Menschenrechtsstandard der EMRK dagegen wird ohne Ansehen weiterer Normen durch den Straßburger Gerichtshof definiert, wodurch im Ergebnis möglicherweise deutliche Unterschiede entstehen.425 Konsequent erschiene der Beitritt nur dann, wenn dem Einzelnen im Rahmen einer Individualbeschwerde die Möglichkeit eröffnet würde, sich nach Erschöpfung des Unionsrechtsweges direkt gegen Unionsrechtsakte zu wenden. Sollen die dargestellten Umwege des EGMR zur Begründung seiner Jurisdiktionsgewalt überflüssig werden, müsste dies allerdings im Zuge der für einen Beitritt der Union notwendigen Änderungen der EMRK entsprechend festgelegt werden. Der Straßburger Gerichtshof mutierte in der Folge zu einer Art Oberstem Gerichtshof für die in der EMRK gewährten Menschen- und Grundrechte auch gegenüber dem EuGH. Denkbar erschiene insofern auch die Einrichtung eines Vorlageverfahrens zum EGMR, in dem der EuGH seinerseits im Rahmen seiner Rechtsprechung Inkohärenzen bereits im Vorwege vermeiden könnte.426 423 Vgl. A. v. Bogdandy, Grundrechtsgemeinschaft als Integrationsziel?, JZ 2001, S. 157 (168); J. Callewaert (Anm. 355), S. 199; Y. Dorf, Zur Interpretation der Grundrechtecharta, JZ 2005, S. 126 (128 f.); P. Eeckhout, The EU Charter of Fundamental Rights and the Federal Question, CMLR 39 (2002), S. 945 ff.; C. Grabenwarter, Auf dem Weg in die Grundrechtsgemeinschaft?, EuGRZ 2004, S. 563 (566); H.-J. Papier (Anm. 199), S. 757; M. Ruffert (Anm. 378), S. 174; T. Weigend (Anm. 383), S. 278 f. 424 Vgl. C. Grabenwarter (Anm. 421), S. 1140 ff.; S. Oeter (Anm. 290), S. 379 f. 425 Vgl. M. Böse, Der Beitritt der EG zur EMRK aus der Sicht des Strafrechts, ZRP 2001, S. 402 (403 ff.); H. C. Krüger / J. Polakiewicz (Anm. 416), S. 98; N. Philippi, Divergenzen im Grundrechtsschutz zwischen EuGH und EGMR, ZEuS 2000, S. 97 ff.

IV. Weitergehende Ansätze

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Im Falle eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH führte eine entsprechende Vorlage zum EGMR dann zur Beantwortung relevanter Fragen des nationalen Gerichts sowohl im Hinblick auf das Unionsrecht durch den EuGH wie auch bzgl. der Menschenrechtskonvention durch den EGMR, bevor das ursprünglich vorlegende nationale Gericht dann in der Sache den Einzelfall entschied. Inwieweit ein solch doppeltes Vorlageverfahren seinerseits den rechtsstaatlichen Ansprüchen an die Verfahrensdauer genügen kann, sei hier dahingestellt. Es steht allerdings zu vermuten, dass eine Menschenrechtsbeschwerde nach Erschöpfung des „innerstaatlichen“ Rechtsweges, der aus EMRK-Perspektive ein Vorlageverfahren zum EuGH bereits einschließt, vermutlich erst nach Ablauf eines solchen Zeitraumes entschieden würde. Erachtet man es als Ausweis rechtsstaatlicher Verfasstheit und Glaubwürdigkeit, Grundrechte nicht nur zu gewähren, sondern sich auch der Überprüfung seiner Verfassungswirklichkeit von außen zu stellen, dann wäre der Beitritt der Union zur EMRK insbesondere vor dem Hintergrund der grundrechtssensiblen Integration des Strafrechts geradezu zwingend. Vergleicht man insoweit die Rechtslage mit der in den Mitgliedstaaten, in denen sowohl das nationale Verfassungsrecht wie auch die Menschenrechtskonvention gilt, dann sollte auch die Unionsgewalt dieser Mitgliedstaaten zum einen den Unionsgrundrechten, darüber hinaus aber auch formell der EMRK unterliegen.427 c) Eine Grundrechtsbeschwerde zum EuGH Unabhängig von den nach einem EMRK-Beitritt eröffneten Beschwerdemöglichkeiten vor dem Straßburger Gerichtshof, drängt sich eine Weiterentwicklung des unionseigenen Rechtsschutzsystems auf. Die Rechtsschutzgarantie der Art. 6 und 13 EMRK, die sich in Art. 47 der Grundrechte-Charta wiederfindet, spricht für eine Ausdehnung der Individualklagebefugnisse vor dem EuGH zumindest in den Fällen, in denen nationale Rechtsbehelfe versagen oder gar nicht existieren und damit auch nicht im Wege des Vorlageverfahrens für eine unionsgrundrechtskonforme Praxis in den Mitgliedstaaten fruchtbar gemacht werden können.428 Bedenkt man das sich aus einem Beitritt der Union zur EMRK ergebende Verhältnis zwischen EuGH und EGMR, mag zudem eine gewisse grundsätzliche Skepsis gegenüber einem Beitritt aufkommen. Man wird auch nicht gänzlich falsch liegen, wenn man dem EuGH unterstellt, dass nicht allein die fehlende Kompetenz 426 I. Canor (Anm. 186), S. 20 f.; C. Grabenwarter (Anm. 421), S. 1147 ff.; E. Pache (Anm. 355), S. 493; ders. (Anm. 335), S. 414; A. Weber, Einheit und Vielfalt der europäischen Grundrechtsordnung(en), DVBl. 2003, S. 220 (225 ff.); L. Wildhaber (Anm. 419), S. 573. 427 So etwa J. Callewaert (Anm. 355), S. 201 f.; I. Canor (Anm. 186), S. 21; H. C. Krüger / J. Polakiewicz (Anm. 416), S. 100. 428 M. Nettesheim (Anm. 403), S. 934; N. Reich, Zur Notwendigkeit einer Europäischen Grundrechtsbeschwerde, ZRP 2000, S. 375 (376).

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

der Gemeinschaft für einen Beitritt zur EMRK ausschlaggebend für sein Gutachten429 im Jahr 1994 war, sondern gerade auch sein Verhältnis zum EGMR ursächlich für die ablehnende Haltung gewesen ist.430 Gegen das Bedenken eines hierarchischen Verhältnisses zwischen EuGH und EGMR spricht allerdings die begrenzte Zuständigkeit des Straßburger Gerichtshofes, der schließlich nur in Bezug auf die Menschenrechtskonvention gegenüber dem EuGH als spezialisierter Gerichtshof auftreten würde und auch nur insoweit Anspruch auf Befolgung seiner Urteile erheben könnte. Der Beitritt zur EMRK erfolgte überdies nur im Rahmen der Unionszuständigkeiten, führte zu keiner Ausweitung des Geltungsanspruchs der EMRK gegenüber den Mitgliedstaaten und begründete auch keine neuen Kompetenzen der Union, etwa in Bezug auf mögliche Schutzpflichten, die sich aus einem EMRK-Recht ergeben könnten (Art. 6 II Satz 2 EU).431 Auch wenn durch den Reformvertrag von Lissabon die Frage der Beitrittsfähigkeit der Union normativ entschieden ist, stellt sich die Frage, ob eine Grundrechtsbeschwerde zum EuGH nicht die primäre Antwort auf Reformerfordernisse im Bereich des Individualrechtsschutzes sein müsste. Im Verfassungskonvent wurde eine Grundrechtsbeschwerde zum EuGH denn auch durchaus erwogen, doch fand sie keinen Eingang in die Empfehlungen der zuständigen Arbeitsgruppe.432 Dass ein völkerrechtliches Schutzsystem, das ein nationales bzw. ein supranationales Rechtssystem ergänzt, nicht unbedingt eine vergleichbare Wirkungskraft wie ein Verfassungstext entfaltet, ergibt sich auch aus dem Ratifikationserfordernis. So hat etwa die Bundesrepublik Deutschland das 7. Zusatzprotokoll zur EMRK von 1984 bis heute nicht ratifiziert, das nun aber gerade wichtige Verfahrensgarantien wie das Recht auf ein Rechtsmittel in Strafverfahren (Art. 2) und den Grundsatz ne bis in idem (Art. 4) enthält. Die Einführung einer Grundrechtsbeschwerde zum EuGH ist schon seit Jahren Gegenstand der europarechtspolitischen Debatte.433 Im Kontext unionsweiter Strafverfolgungsinstrumente und verbindlicher Vorgaben für die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften könnte diese Diskussion neue Nahrung erhalten. Aus der Perspektive deutschen Verfassungsrechts liegt die Vorbildfunktion der Verfassungsbeschwerde, die jedermann erheben kann mit der Begründung, er sei durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt worden, jedenEuGH, Slg. 1996, Gutachten 2 / 94, I-1759. So auch I. Canor (Anm. 186), S. 4; dieser Unterstellung widerspricht allerdings nachdrücklich Rodríguez Iglesias. Der ehemalige EuGH-Präsident Rodríguez Iglesias befürwortet Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur EMRK und betont die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Gerichte auf europäischer und innerstaatlicher Ebene, EuGRZ 2002, S. 206 f. 431 J. Callewaert (Anm. 355), S. 203; C. Grabenwarter (Anm. 423), S. 569. 432 Vgl. J. Schwarze, Der Rechtsschutz Privater vor dem Europäischen Gerichtshof: Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des Individualrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht, DVBl. 2002, S. 1297 (1314). 433 Vgl. die Nachweise bei N. Reich (Anm. 422), S. 376; H.-W. Rengeling (Anm. 301), S. 1190 ff. 429 430

IV. Weitergehende Ansätze

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falls für den grundrechtssensiblen Bereich des Strafrechts auf der Hand. Schließlich wird man auch die legitimatorische Wirkung dieses außenordentlichen Rechtsbehelfs bedenken müssen, die den konstatierten, jedenfalls bislang vorherrschenden Defiziten bei der bisherigen Integration des Strafrechts in den Augen der Bevölkerung zumindest teilweise entgegenwirken könnte. Will man die materiell anerkannten Grundrechtspositionen des Einzelnen auf der Unionseebene nicht entwerten, spricht insofern einiges für die Einführung einer Grundrechtsbeschwerde gleichsam als prozessuales Gegenstück.434 Eine solche Rechtsschutzmöglichkeit dürfte vor allem immer dann besonders wichtig sein, wenn bereits der Unionsrechtsakt selbst den Einzelnen zu Entscheidungen veranlasst, die nicht oder nur mit kaum vertretbarem Aufwand wieder rückgängig gemacht werden können. Für die gesellschaftliche Akzeptanz des Unionsrechts – wie auch im übrigen des EuGH selbst – wird es auch unabhängig davon, ob eine Grundrechtsbeschwerde als eigenständiger Rechtsbehelf eingeführt wird, von großer Bedeutung sein, inwieweit es dem Gerichtshof gelingt, den Grundrechten gegenüber der sekundären Unionsrechtsetzung zur Durchsetzung zu verhelfen.435 Auch eine Grundrechtsbeschwerde sollte den allgemeinen Grundsätzen der Integration folgend gegenüber nationalen Rechtsbehelfen subsidiär sein. Nur wenn dem Einzelnen im nationalen Recht kein (weiterer) vergleichbarer Rechtsbehelf zur Verfügung steht oder keine andere Verfahrensart zum EuGH einschlägig ist, käme eine Grundrechtsbeschwerde zum EuGH demnach in Frage.436 Ein solcher Subsidiaritätsgrundsatz entspräche auch den Prozessvoraussetzungen einer Menschenrechtsbeschwerde zum EGMR. Die Wirkung des Subsidiaritätsgedankens wäre allerdings insofern begrenzt, als nationale Gerichte nicht über eine Grundrechtsverletzung durch Unionsrechtsakte selbst entscheiden könnten. Da die Verwerfungskompetenz beim EuGH liegt, käme es zumindest immer dann zu einer Grundrechtsbeschwerde, wenn der Einzelne möglicherweise durch den Unionsakt selbst in seinen Rechten verletzt wurde und über dessen Grundrechtskonformität nicht im Wege des Vorlageverfahrens entschieden wurde. Der Verzicht auf eine spezifische Grundrechtsbeschwerde zum EuGH bleibt ungeachtet der Möglichkeit einer Menschenrechtsbeschwerde zum EGMR kritikwürdig, deckt doch die EMRK nicht die Gesamtheit der Grundrechte-Charta ab. So erscheint die völkerrechtliche Bindung der Union im Vergleich zur unmittelbar 434 N. Reich (Anm. 428), S. 378; H.-W. Rengeling (Anm. 301), S. 1203; a.A. etwa M. Schröder, Wirkungen der Grundrechtscharta in der europäischen Rechtsordnung, JZ 2002, S. 849 (853). 435 Vgl. A. v. Bogdandy (Anm. 423), S. 167; vgl. zu den Defiziten nach der bisherigen Vertragslage insbesondere im Zusammenhang mit Finanzsanktionen gegen Terrorismusverdächtige U. Haltern, Gemeinschaftsgrundrechte und Antiterrormaßnahmen der UNO, JZ 2007, S. 537 ff.; ders., Rechtsschutz in der dritten Säule der EU, JZ 2007, S. 772 ff. 436 So H.-J. Papier, BVerfG-Präsident Papier plädiert für Subsidiarität einer eventuellen EU-Grundrechtsbeschwerde, EuGRZ 2003, S 85; N. Reich (Anm. 428), S. 378; H.-W. Rengeling (Anm. 301), S. 1197.

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

eigenen Kontrolle durch den EuGH im Wege einer Individualklage wie ein Feigenblatt.437 Zwar wird gegen eine Verdoppelung von Schutzsystemen eingewandt, eine solche könnte im Ergebnis das Schutzniveau insgesamt senken, doch enthebt diese Befürchtung weder einen Staat noch die Union der rechtsstaatlichen Verpflichtung, wirksame Verfahren bereitzuhalten, in deren Rahmen die auf der jeweiligen Ebene gewährten Rechte auch durchgesetzt werden können.438 Ebenso wie ein geschriebener Grundrechtskatalog zur Legitimation unionaler Herrschaftsgewalt beitragen kann, führen individuelle Rechtsbehelfe auf Unionsebene zu einer Steigerung von Akzeptanz und Legitimation. Ob die Errichtung einer Europäischen Grundrechteagentur in diesem Sinne legitimatorische Wirkung erzeugen kann, bleibt dagegen abzuwarten.439 Die mit der Ausweitung der Klagemöglichkeiten verbundene Steigerung anhängiger Klagen würde den EuGH zwar vor erhebliche Probleme stellen, doch wäre hierüber im Rahmen der politischen Willensbildung bei einer entsprechenden Vertragsänderung mit zu entscheiden.440

2. Parlamentarische Letztentscheidung im Bereich des Strafrechts Allein die Einführung einer Grundrechtsbeschwerde zum EuGH kann jedoch kaum die Antwort auf die festgestellten Defizite der Unionsrechtsetzung sein. Demokratische Legitimation ist schließlich nicht erst bei der Anwendung und ggf. der Verwerfung einer Rechtsnorm erforderlich, sondern vielmehr schon im Rechtsetzungsprozess selbst.441 Die Gewährleistung demokratischer Legitimation auf der Unionsebene muss den besonderen Bedingungen der europäischen Integration und der spezifischen Funktionslogik der Institutionen wie auch der Rechtsetzungstechniken entsprechen. Es wäre deshalb verfehlt, eine gesteigerte Legitimation vor allem durch die Angleichung der Union an staatliche Strukturen erreichen zu wollen.442 Die gemeinsame Verantwortungsübernahme der Union und ihrer Mitgliedstaaten erfordert Mechanismen, die beispielsweise unionsweite Terrorismusbekämpfung transIm Ergebnis ebenfalls kritisch C. Grabenwarter (Anm. 423), S. 570. So auch H.-W. Rengeling (Anm. 301), S. 1196; vgl. zudem M. Nettesheim (Anm. 401), S. 36, 40 f., wenngleich die Einführung einer Grundrechtsbeschwerde mit Verweis auf die fehlenden Kapazitäten des EuGH im Ergebnis als nicht gewinnbringend angesehen wird; gegen eine Grundrechtsbeschwerde auf Unionsebene offenbar M. Kaiafa-Gbandi (Anm. 161), S. 22. 439 Vgl. auch A. Schmitt Glaeser (Anm. 150), S. 216; vgl. zur Grundrechteagentur J. M. Schlichting / J. Pietsch, Die Europäische Grundrechteagentur, EuZW 2005, S. 587 ff.; kritisch zur demokratischen Kontrolle der inzwischen zahlreichen Agenturen J. Gerkrath (Anm. 160), S. 380. 440 Vgl. T. v. Danwitz (Anm. 409), S. 1115. 441 Vgl. E. Rumler-Korinek, Kann die Europäische Union demokratisch ausgestaltet werden?, EuR 2003, S. 327 (328). 442 Darauf weist B.-O. Bryde zu Recht hin (Anm. 191), S. 137. 437 438

IV. Weitergehende Ansätze

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parent und berechenbar den Maßstäben demokratischer Rechtsstaatlichkeit entsprechend organisiert, ohne dabei gleich eine europäische Staatlichkeit erzeugen zu müssen. Der Wahlakt wie auch die Offenheit und Transparenz des parlamentarischen Verfahrens erzeugen die notwendigen Akzeptanzchancen neuen Rechts, ermöglichen die Partizipation von Betroffenen und erlegen dem Gesetzgeber die Argumentationslast auf, wenn er etwa durch Sicherheitsmaßnahmen in bürgerliche Freiheitsrechte eingreifen will.443 Allein auf die Leistungsfähigkeit einer gesetzlichen Regelung kommt es dabei nicht an. Zwar sind das öffentliche Interesse und das allgemeine Wohl wesentliche Parameter demokratischer Herrschaft, doch kann auch ein noch so wirkungs- und sinnvolles Gesetz nur durch die parlamentarische Rückbindung an den Willen der Beherrschten legitimiert werden, der in Wahlen seinen Ausdruck findet. Insbesondere im stark grundrechtssensiblen Feld des Strafrechts kann auf diesen klassisch-demokratischen Anspruch nicht verzichtet werden.444 Die vom Wahlakt ausgehende Legitimationskette und der parlamentarische Prozess sind deshalb integrationsadäquat für die Unionsrechtsetzung fruchtbar zu machen. Neben den Rechtsschutzinstrumenten kommt deshalb den mitgliedstaatlichen Parlamenten und dem Europäischen Parlament eine besondere Bedeutung zu. a) Die Funktion der nationalen Parlamente im Unionsrecht Durch den Vertrag von Lissabon (Art. 12 AEU) und seine Protokolle445 sollen die nationalen Parlamente im Unionsgefüge eine eindeutig definierte und gestärkte Position erhalten, die es ihnen erlaubt, einen Beitrag zu mehr Bürgernähe und demokratischer Legitimation der Unionsrechtsetzung zu leisten.446 Vor allem soll die Einbindung der nationalen Parlamente die Subsidiarität unionsweiten Handelns sicherstellen. Gesetzgebungsentwürfe sind deshalb den nationalen Parlamenten acht Wochen vor ihrer Beratung in den europäischen Gremien zur Stellungnahme vorzulegen (Art. 4 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente). Für den Fall, dass ein Drittel der mitgliedstaatlichen Gesetzgebungsorgane447 eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips in einer begründeten Stellungnahme rügt, ist der vorgelegte Rechtsaktsentwurf zwingend zu überprüfen. Bei C. Gusy (Anm. 282), S. 181; M. Nettesheim (Anm. 60), S. 182 ff. E. Rumler-Korinek (Anm. 441), S. 335 ff. 445 Vgl. das Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. 446 Noch aus der Basis des Verfassungsvertrages J. Gerkrath (Anm. 160), S. 380; M. Lais (Anm. 391), S. 189 f. 447 In Zwei-Kammer-Systemen ist das Recht zur Stellungnahme für jede Kammer vorgesehen, so dass auf jeden Mitgliedstaat zwei „Stimmen“ entfallen (Art. 7 Abs. 1 des Subsidiaritätsprotokolls). 443 444

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

Maßnahmen zur Verwirklichung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beträgt dieses Quorum lediglich ein Viertel der mitgliedstaatlichen Gesetzgebungsorgane (Art. 7 Abs. 2 des Subsidiaritätsprotokolls). Darüber hinaus erhalten nationale Gesetzgebungsorgane über ihre Mitgliedstaaten die Möglichkeit, im Klagewege eine Subsidiaritätskontrolle durch den EuGH einzuleiten (Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls).448 Legitimatorische Wirkung kann auch den verschiedenen Kooperationsformen der nationalen Parlamente untereinander und mit dem Europäischen Parlament zugesprochen werden, die in der Praxis möglicherweise zu mehr Offenheit und Transparenz führen können.449 In Art. 9 und 10 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente werden diese Formen der Zusammenarbeit denn auch ausdrücklich aufgenommen, doch sollte man ihre Wirkung vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen wohl nicht überschätzen.450 Eine über die Subsidiaritätskontrolle hinausgehende, formalisierte Beteiligung der nationalen Parlamente an den europäischen Entscheidungsprozessen erscheint dagegen fragwürdig. Man wird schließlich von den mitgliedstaatlichen Repräsentativorganen kaum die Formulierung und Durchsetzung eines unionsweiten Willens erwarten dürfen. Zwar erfolgt auch die mitgliedstaatliche Rechtsetzung überwiegend in gemeineuropäischem Interesse, doch sind die nationalen Repräsentationsorgane vor allem auch und gerade dazu berufen, nationale Interessen zu artikulieren und durchzusetzen. Die Willensbildung des nationalen Parlamentes hat denn auch berechtigterweise erheblichen Einfluss auf das Verhalten des jeweiligen Regierungsvertreters im Rat, ist dieser doch zumindest gegenüber der ihn tragenden Parlamentsmehrheit politisch zur Rechenschaft verpflichtet. Der Reformvertrag sieht echte Kontrollfunktionen der nationalen Parlamente denn auch kaum vor. Über eine politische Kontrolle hinaus sollen sie aber beispielsweise an der Kontrolle von Europol beteiligt werden, wobei Näheres erst durch eine Verordnung festgelegt werden muss (Art. 88 II Unterabsatz 2 letzter Halbsatz AEU). Es dürfte zwar gegenwärtig zutreffen, dass die Identifikation und das Zutrauen der Bürger gegenüber dem jeweiligen nationalen Parlament stärker ausgeprägt sind, doch wird man letztendlich die notwendige Legitimation des Unionsrechts auch auf der Unionsebene suchen müssen.451 Die Gesetzgebung der Union sollte 448 Positiv bewertet von P.-M. Huber (Anm. 172), S. 597; skeptisch dagegen T. Weigend (Anm. 383), S. 281. 449 Vgl. den Überblick bei M. Lais (Anm. 391), S. 194 ff. 450 Vgl. A. Maurer, Nationale Parlamente in der Europäischen Union – Herausforderungen für den Konvent, integration 25 (2002), S. 20 (29 f.). 451 Vgl. R. Bieber, Demokratische Legitimation in Europa: Das Spannungsfeld zwischen den Funktionen von Europäischem Parlament und staatlichen Parlamenten, ZEuS 1999, S. 141 (151 f.).

IV. Weitergehende Ansätze

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dieser auch klar zugeordnet werden können. Eine eindeutige Kompetenzzuordnung führt auch zu eindeutiger Verantwortlichkeit. Die Zuständigkeitsverteilung nach den Art. 2 ff. AEU entspricht dieser Forderung im Grundsatz. Hiernach werden in einer Art Kompetenzkatalog die Zuständigkeiten der Union und der Mitgliederstaaten klarer definiert. Die notwendige Nähebeziehung der Bürger zu ihren Repräsentanten auf europäischer Ebene kann durch entsprechende Transparenz und Berichterstattung in der Folge auch entwickelt werden. Die durchaus spannungsgeladene Atmosphäre Anfang des Jahres 2006 rund um die Beschlussfassung des Europäischen Parlaments zur Dienstleistungsrichtlinie zeigt hier eine Perspektive auf, die sowohl auf Interesse als auch auf die Anerkennung von Entscheidungsmacht der Union hindeutet.452 Der Vorschlag, ein weiteres Gesetzgebungsorgan auf europäischer Ebene einzuführen, eine zweite Parlamentskammer bestehend aus Vertretern der nationalen Parlamente, wurde insoweit auch mit guten Gründen schon vom Verfassungskonvent nicht weiterverfolgt. Die Verkomplizierung des Institutionengefüges, verminderte Transparenz und neue Abgrenzungsschwierigkeiten wie auch die Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens und die Doppelbelastung der betroffenen Abgeordneten sprechen gegen die Schaffung einer solchen Kammer.453 Grundsätzlich wird man den nationalen Parlamenten die Fähigkeit, zu weitergehender Legitimation europäischen Rechts beizutragen, allerdings nicht absprechen können. Die national höchst unterschiedlich ausgestalteten Einflussmöglichkeiten auf den Ratsvertreter454 lassen eine pauschale Beurteilung auch kaum zu. Dennoch sollte sich der Blick konsequenterweise auf den Urheber verbindlicher Regelungsvorgaben für die nationale Strafrechtsordnung richten. Wenn nach der demokratischen Legitimation solcher Vorgaben gefragt wird, ist deshalb die Legitimationsfähigkeit des Europäischen Parlaments ausschlaggebend.455 Aus dieser Feststellung sollte indes nicht die Forderung nach einem europäischen Bundesstaat abgeleitet werden. Vielmehr dürfte diese Funktionszuweisung ein systemadäquater Versuch sein, einen Teil der bisherigen Defizite der Unionsrechtsetzung abzubauen. b) Volle Zuständigkeit des Europäischen Parlaments Die Vertragsrevision von Lissabon liefert insoweit aber nur teilweise die angemessenen Antworten. So wird zwar das Europäische Parlament zum gleichberechtigten Gesetzgeber im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erhoben, doch bleibt die Ausgestaltung seiner Organkompetenzen lückenhaft. Als besonders kritikwürdig erscheint das Fehlen eines Initiativrechts des Parlaments.456 452 A. Bleckmann (Anm. 160), S. 57 f.; vgl. zur Dienstleistungsrichtlinie abschließend die Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. 11. 2006, S. 13. 453 So auch S. Magiera (Anm. 172), S. 580; A. Maurer (Anm. 450), S. 31 f. 454 Vgl. A. Maurer (Anm. 450), S. 26 f. 455 Vgl. auch A. v. Bogdandy (Anm. 183), AöR 130 (2005), S. 454.

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

Es mag müßig sein, bereits weitere Reformschritte der Union einzufordern, doch wiegt der Einwand im Hinblick auf die fortschreitende Integration des Strafrechts schwer. Die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu strafschärfenden Mindestvorschriften ist künftig zwar erforderlich, doch kann das Parlament kein Gesetzgebungsverfahren eigenständig initiieren, in dem solche Mindestvorschriften reduziert oder durch das etwa auf der prozessualen Seite weitere Sicherungen zugunsten Betroffener eingeführt würden. Die Begrenzung des Initiativrechts auf die Kommission und ein Viertel der Mitgliedstaaten (Art. 76 AEU) wird den demokratisch-parlamentarischen Bedingungen, denen Strafgesetzgebung unterliegt, deshalb nicht gerecht.457 Das allgemeine Recht des Parlaments (Art. 225 AEU), die Kommission zu einem Vorschlag für einen Rechtsakt aufzufordern, wiegt dieses Defizit nicht auf. Sollen aber harmonisiertes Strafrecht und weitgehende Kooperationsmechanismen zu unionsweiter Terrorismusbekämpfung einen Beitrag leisten, ist zu prüfen, inwieweit die Organkompetenzen des Europäischen Parlaments zu vervollständigen sind.458 Bereits ein gleichberechtigtes und gleichgewichtiges Zusammenwirken des Parlaments und des Rates bei der Gesetzgebung auf Unionsebene begegnet(e) jedoch Einwänden. Man darf allerdings – wie es der Reformvertrag auch zeigt – zu recht davon ausgehen, dass weder das nicht vorhandene homogene europäische Staatsvolk459, noch die fehlende gemeinsame Sprache und die weitgehend fehlende unionsweite Meinungsbildung der Öffentlichkeit die Legitimationsfähigkeit eines europäischen Parlaments grundsätzlich in Zweifel zu ziehen vermag.460 Aus völkerrechtlicher Sicht spricht sogar einiges dafür, das Europäische Parlament als Vorbild für Demokratisierungsprozesse auf überstaatlicher Ebene anzusehen.461 Das Demokratieprinzip, das erst durch die Amsterdamer Vertragsrevision über Art. 6 EUV zu einem explizit normierten Rechtsprinzip für die Herrschaftsgewalt 456 Vgl. S. Kadelbach, Bedingungen einer demokratischen Europäischen Union / Ein deutscher Standpunkt, EuGRZ 2006, S. 384 (386); a.A. U. Everling (Anm. 396), S. 1063 ff.; wohl auch J. Bröhmer (Anm. 186), S. 209; E. v. Bubnoff (Anm. 386), S. 107 f.; A. v. Bogdandy wertet das fehlende Initiativrecht dagegen als Beleg für einen Übergang des Parlaments zum Kontrollorgan der Gubernative (Anm. 217), S. 1048. 457 So auch M. Kaiafa-Gbandi (Anm. 161), S. 6; allgemein auch C. Callies (Anm. 191), S. 406 ff.; a.A. D. Nickel, Das Europäische Parlament als Legislativorgan – zum neuen institutionellen Design nach der Europäischen Verfassung, integration 26 (2003), S. 501 (504); wohl auch M. Wasmeier (Anm. 383), S. 324. 458 Vgl. zum bisherigen Stand P. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus (Diss. Frankfurt a. M. 2003), S. 279 ff. 459 Vgl. hierzu T. Schmitz, Das europäische Volk und seine Rolle bei einer Verfassungsgebung in der Europäischen Union, EuR 2003, S. 217 (223 ff.); M. Zuleeg (Anm. 140), S. 128 ff. 460 Zutreffend J. Bröhmer (Anm. 186), S. 213; S. Magiera (Anm. 172), S. 579; G. Ress (Anm. 186), S. 221 f. 461 So etwa B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003), S. 61 (66).

IV. Weitergehende Ansätze

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der Union wurde, lässt sich indes nur in einer Weise auf die Europäische Union übertragen, die der spezifischen Ausgestaltung der Integration Rechnung trägt. Grundsätzlich wird man die gegenwärtige Organkompetenzordnung und damit die überwiegend mittelbare Legitimation der Rechtsetzung durch den Rat akzeptieren können. Das unionale Demokratieprinzip erlaubt zumindest die vorherrschende Legitimationsstruktur.462 Die dargestellten Befugnisse des Rates im Bereich des Strafrechts, dessen Regelung nach nationalen Maßstäben Parlamentsentscheidungen verlangt, sprechen hier jedoch zumindest für eine sektoriale Differenzierung. Das durchaus als gemeineuropäisch anzusehende Gesetzlichkeitsprinzip des Strafrechts sollte auch auf der Unionsebene so weit wie möglich verwirklicht werden. Dies gilt umso mehr, als die Ratsvertreter der Mitgliedstaaten an die nationalen Verfassungsvorgaben bei ihrem Stimmverhalten nicht gebunden sind, so dass deren Bindungen im Rechtsetzungsverfahren fehlen.463 Wenig überzeugen kann insofern das Argument, eine vollständige Parlamentarisierung sei deshalb ausgeschlossen, weil ansonsten die Staatswerdung der Union vollzogen würde. Durch eine vollumfängliche Zuständigkeit des Europäischen Parlaments würden unverzichtbare Strukturmerkmale der Integration aufgegeben, die einerseits im Ausschluss der Kompetenz-Kompetenz der Union, andererseits aber gerade auch in der notwendigen Rückbindung an die nationalen Parlamente lägen.464 Ebenso wie aber die Absicherung der grundrechtlichen Belange Betroffener bereits auf der Unionsebene zu erfolgen hat, hat nach dem Gesetzlichkeitsprinzip auch die Beschlussfassung über wesentliche Teile der Strafgesetzgebung durch das Repräsentativorgan der jeweils zuständigen Ebene zu erfolgen.465 Ebenso wenig kann der Einwand überzeugen, eine Vorrangstellung des Europäischen Parlaments sei aufgrund von Art. 6 EUV (künftig Art. 4 II EU) ausgeschlossen. Die Verpflichtung der Union, die Identität ihrer Mitgliedstaaten zu achten, wird durch eine vollständige Parlamentarisierung einzelner Rechtsgebiete jedenfalls nicht unterlaufen. Das Europäische Parlament wäre vielmehr ebenso wie der Rat es heute ist, an die Kompetenzausübungsregeln gebunden, durch die die mitgliedstaatliche Identität geschützt wird.466 Durch die vorgeschlagenen Beteiligungs- und Kontrollrechte der nationalen Parlamente könnte die Subsidiarität unionsweiten Handelns zusätzlich abgesichert werden. Gegen den vorgetragenen Einwand spricht auch die umfangreiche Einführung von Mehrheitsentscheidungen im Rat.467 Nationale Errungenschaften dürften ebenso wie im Rat auch im parlamentarischen Verfahren durchzusetzen zu sein, was allerdings ohnehin nur möglich erA. v. Bogdandy (Anm. 217), S. 1047. Vgl. W. Kluth (Anm. 192), S. 78 ff. 464 So aber M. Möstl (Anm. 3), S. 648; in dieser Richtung auch P.-M. Huber (Anm. 172), S. 583. 465 In diesem Sinne auch schon G. Ress (Anm. 186), S. 224 f. 466 A.A. S. Magiera (Anm. 172), S. 580. 467 Vgl. P.-M. Huber (Anm. 172), S. 587 / 592 ff. 462 463

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E. Die Legitimation europäischer Terrorismusbekämpfung

scheint, wenn eben jene Errungenschaften in ein europäisches Rechtsbewusstsein aufgenommen und damit gleichsam europäisiert werden.468 Der Siegeszug des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Europa könnte insoweit aber durchaus Anlass für eine optimistischere Haltung auch der deutschen Strafrechtslehre bieten. Man mag der Rechtsetzungstechnik von Richtlinien und Rahmenbeschlüssen kritisch gegenüberstehen469, doch dürfte sie mit Blick auf die geltenden Kompetenzausübungsregeln der Union sachgerecht sein. Der Reformvertrag sieht in Gestalt der künftigen Richtlinie insoweit auch zu Recht keine Änderung vor. Das Spannungsverhältnis, in dem nationales Recht und Unionsrecht etwa im Falle defizitärer Umsetzung eines Rechtsakts oder rahmenbeschluss- bzw. richtlinienkonformer Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts stehen, lässt aber eine parlamentarische Legitimation auf beiden Ebenen erforderlich erscheinen. Zwar übt die Union im Bereich des Strafrechts im strengen Sinne keine Staatsgewalt aus, doch regelt sie deren Ausübung durch verbindliche Vorgaben in beachtlichem Umfang. Die Notwendigkeit europäischer Strategien bei der Terrorismusbekämpfung lässt es auch wünschenswert erscheinen, dass die Bedingungen kooperativer Strafverfolgung und das materielle Strafrecht durch teilweise durchaus detaillierte Mindestvorschriften geregelt werden, kann doch nur so ein hinreichendes Maß an Verlässlichkeit und damit Rechtssicherheit erzeugt werden. Die Form parlamentarischer Legitimation hat mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Doppelte Legitimation kann deshalb nur noch durch doppelte parlamentarische Legitimation erreicht werden. Davon umfasst ist jedoch nicht nur die Beschlussfassung, sondern auch das Vorschlagsrecht für Legislativakte. Dem Lissabonner Vertrag ist die Ausweitung des Initiativrechts auch nicht wesensfremd, wie bereits der Blick in Art. 289 IV AEU zeigt, der unter anderem auch Gesetzgebungsinitiativen des Europäischen Parlaments kennt, das beispielsweise in Art. 223 II AEU dazu ermächtigt wird, „aus eigener Initiative“ die es selbst betreffenden Regelungen in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren vorzuschlagen. Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Parlament, Rat und Kommission dürfte durch die hier vorgeschlagene Ausweitung der Parlamentskompetenzen keinen Schaden nehmen. Im grundrechtssensiblen Bereich des Strafrechts ist die Legitimationsbedürftigkeit der Hoheitsgewalt besonders hoch. Ein partielles Initiativrecht des Parlaments auf diesem Rechtsgebiet ist die konsequente Antwort auf die veritable Begrenzung der Entscheidungsfreiheit der nationalen Parlamente durch das Unionsrecht.470 Der Verweis auf die mittelbare Legitimation der Ratsvertreter erscheint angesichts des möglichen Zuwachses an unmittelbarer Legitimation daher nicht überzeugend. Vgl. A. Schmitt Glaeser (Anm. 150), S. 214. M. Kaltenborn (Anm. 172), S. 450 ff. 470 Vgl. auch B.-O. Bryde (Anm. 191), S. 139; G. Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 246 (248). 468 469

IV. Weitergehende Ansätze

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Die Verklammerung der Legitimation stiftenden parlamentarischen Entscheidungsträger entspräche schließlich auch der Verklammerung der Handlungsebenen bei der Bewältigung der Aufgaben im Bereich „innerer“ Sicherheit. Das Vorschlagsrecht für und das Letztentscheidungsrecht über den jeweiligen Teil der Strafgesetzgebung läge so bei den unmittelbar gewählten Organen der Verbundverfassung. Die Integration des Strafrechts und eine auf ihr basierende Strategie der Terrorismusbekämpfung könnte auf das Europäische Parlament und die nationalen Gesetzgebungsorgane zurückgeführt werden. Der Vorwurf, es bestehe ein Mangel demokratischer Legitimation bei dieser Form der Rechtsetzung, könnte danach kaum aufrechterhalten werden. Ergänzt werden könnte und sollte die Legitimation dieser unionsweiten Kooperation bei der Terrorismusbekämpfung durch eine eindeutige Zuständigkeitsordnung der verschiedenen Gerichte und deren Prüfungsmaßstäbe, damit für den Einzelnen unmissverständlich die ihm zustehenden subjektiven Rechte erkenn- und einklagbar sind.471 Wie sich ein höherer Einfluss des Europäischen Parlaments auf die Strafgesetzgebung tatsächlich auswirkt, scheint Spekulation, wenngleich in der Literatur vermutet wird, dass das Europäische Parlament eher für weitere Verschärfungen des Strafrechts sorgen würde.472 Sollte dies aber tatsächlich der Fall sein, so erscheint die demokratische Legitimation entsprechenden Rechts deutlich größer zu sein, wenn es auf einen Vorschlag des Europäischen Parlaments zurückgeht, der in den nationalen Parlamenten beraten und anschließend durch das Europäische Parlament und den Rat beschlossen wurde, als nach der gegenwärtigen Vertragslage, nach der nach Anhörung des Europäischen Parlaments der Rat allein über den Vorschlag der Kommission für einen Rechtsakt beschließt, der verbindliche Vorgaben für das nationale Strafrecht enthält.

471 Vgl. P.-M. Huber, Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker?, in: J. Drexel / K. F. Kreuzer / D. H. Scheuing / U. Sieber (Hrsg.), Europäische Demokratie, 1999, S. 29 (55); G. Lübbe-Wolff (Anm. 470), S. 246 ff.; G. F. Schuppert, Demokratische Legitimation jenseits des Nationalstaates, in: W. Heyde / T. Schaber (Hrsg.), Demokratisches Regieren in Europa?, 2000, S. 65 (74). 472 So etwa J. Vogel (Anm. 196), S. 332 (Fn. 93); ihm zustimmend T. Weigend (Anm. 383), S. 281 (Fn. 18); vgl. dagegen grundsätzlich zu den Schwierigkeiten einer Prognose M. Nettesheim (Anm. 160), S. 157 f.

F. Integration als Sicherheitskonzept Die regional begrenzte, supranationale Integration souveräner Staaten erweist sich auf dem Feld des Strafrechts als zweckdienlich. Gerade auch mit Blick auf die Terrorismusbekämpfung dürfte sie anderen Kooperationsformen als auch global governance-Konzepten überlegen sein. Der bedeutende Entwicklungsprozess des Völkerrechts ist jedoch nicht zu übersehen. Offenkundig völkerrechtswidrige, gewaltsame Konflikte wie jüngst im Irak haben seine Funktionalität zwar wieder einmal zweifelhaft erscheinen lassen, doch kann in der Summe die gesteigerte Geltungskraft des Völkerrechts kaum bestritten werden.

I. Die Konstitutionalisierung des Völkerrechts Die Rolle der Staaten unterliegt eindeutig einem tief greifenden Wandel. Ihre Vormachtstellung als alleinige Akteure der Weltpolitik scheint unwiederbringlich verloren gegangen zu sein. Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Europäische Gemeinschaft, die Weltwirtschaft und Nichtregierungsorganisationen, aber auch international agierende Terrororganisationen sind zu bestimmenden Faktoren der globalen Entwicklung avanciert. Dieser Entwicklung trägt das Völkerrecht zumindest in Ansätzen Rechnung. Sowohl die Rechtsquellen als auch die Zuschreibung von Rechtspositionen durch das Völkerrecht haben sich deutlich verändert.473 Gewaltsame Konflikte aber auch kaum lösbar erscheinende globale Probleme wie Armut, Aids oder der Klimawandel zeigen der Völkerrechtsordnung jedoch auch immer wieder ihre Grenzen auf.474 Mit der Präambel der Charta der Vereinten Nationen hat die Staatengemeinschaft allerdings ein grundlegendes Wertegerüst formuliert, das in den folgenden Jahrzehnten deutlichere Konturen erhielt. Mittlerweile zeichnet sich moderne Staatlichkeit durch Kooperationsoffenheit aus, die von der Erkenntnis geleitet ist, dass die großen Probleme des 21. Jahrhunderts nur in staatenübergreifender Zusammenarbeit gelöst werden können.475 Aus völkerrechtlicher Perspektive kommt 473 J. Delbrück (Anm. 3), S. 21 ff.; S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 253 (264 ff.); vgl. auch L. Henkin, „Nationality“ at the Turn of the Century, in: U. Beyerlein / M. Bothe / R. Hofmann / E.-U. Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, Berlin u. a. 1995, S. 89 ff. 474 Vgl. J. A. Frowein, Ist das Völkerrecht tot?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 07. 2003.

I. Die Konstitutionalisierung des Völkerrechts

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dabei vor allem den Durchsetzungsmechanismen entscheidende Bedeutung zu. Vertikale Machtgefüge sind angesichts des immer noch maßgebenden Konsensprinzips, das den Schöpfungsprozess völkerrechtlicher Normen und ihre Ableitung von den Völkerrechtssubjekten beschreibt, indes nur schwer vorstellbar. Die sukzessive Institutionalisierung der internationalen Gemeinschaft markiert jedoch einen Konstitutionalisierungsprozess, an dessen Ende allgemein verbindliche Regeln für das Zusammenleben der Völker wie auch eine Hierarchisierung des Völkerrechts über Normen des ius cogens hinaus stehen könnten.476 Die Strafverfolgung bei völkerrechtlichen Verbrechen illustriert diese Entwicklung. Die Kodifizierung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit führt zu einer veritablen Begrenzung souveräner Machtausübung. Internationale Gerichtshöfe aber auch nationale Gerichte setzen in Anwendung des Weltrechtsprinzips diese global geltenden Straftatbestände durch. So entsteht zumindest eine Teilregelung staatenübergreifenden Rechts.477 Je nach Ratifikationsstand können im Ergebnis auch die völkerrechtlichen Abkommen zur Terrorismusbekämpfung einen vergleichbaren Effekt erzielen. Den so kodifizierten terroristischen Verbrechenstatbeständen kommt allerdings im Zweifel nicht die Wirkung der universellen Menschenrechte zu, so dass auch keine entsprechenden allgemeinen Verfolgungs- und Bestrafungspflichten bzw. -berechtigungen bestehen. Der Sicherheitsrat hat sich nach der untauglichen Phase des Kalten Krieges durchaus zu einem handlungsfähigen Organ entwickelt, das die Durchsetzung zentraler Völkerrechtsnormen besorgen kann. Dass das Friedenssicherungskonzept der UN-Charta dennoch nicht immer zu greifen vermag, zeigt beispielhaft die humanitäre Intervention einer nicht mandatierten Staatengruppe im Kosovo 1999.478 Unabhängig davon ist es aber ein bedeutender Fortschritt zur Stärkung individueller Rechtspositionen, dass im Falle schwerster Menschenrechtsverletzungen trotz staatlicher Souveränität interveniert wird.479 Die vermehrte Bindung 475 Vgl. S. Hobe, Bedingungen, Verfahren und Chancen europäischer Verfassungsgebung: Zur Arbeit des Brüsseler Verfassungskonvents, EuR 2003, S. 1 ff.; S. Oeter (Anm. 3), S. 276 ff. 476 B.-O. Bryde (Anm. 461), S. 63 ff.; J. Delbrück (Anm. 3), S. 26 ff.; B. Fassbender, Der Schutz der Menschenrechte als zentraler Inhalt des völkerrechtlichen Gemeinwohls, EuGRZ 2003, S. 1 (5); M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 273 ff.; vgl. zur Entwicklung insgesamt auch G. Seidel, Die Völkerrechtsordnung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, AVR 38 (2000), S. 23 ff. 477 M. Kotzur (Anm. 27), S. 200 f. 478 Vgl. B. Fassbender, Die Gegenwartskrise des völkerrechtlichen Gewaltverbots vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung, EuGRZ 2004, S. 241 (248 ff.); D. Thürer, Der Kosovo-Konflikt im Lichte des Völkerrechts, AVR 38 (2000), S. 1 ff.; siehe aber auch S. Oeter, Post-Conflict Peacebuilding – Völkerrechtliche Aspekte der Friedenskonsolidierung in Nachkriegsgesellschaften, Die Friedens-Warte 80 (1 / 2005), S. 41 ff.; K. Schmalenbach, Recht und Gerechtigkeit im Völkerrecht, JZ 2005, S. 637 ff.; S. Weber, Das Sezessionsrecht der Kosovo-Albaner und seine Durchsetzbarkeit, AVR 43 (2005), S. 494 (501 ff.). 479 Vgl. im Einzelnen H.-J. Blanke, Menschenrechte als völkerrechtlicher Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 257 (259 ff.); S. Hobe (Anm. 473), S. 272; G. Nolte, Kosovo und

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F. Integration als Sicherheitskonzept

des Einzelnen wiederum erfolgt durch das Völkerstrafrecht und seine gerichtliche Durchsetzung. Die zunehmende Anerkennung völkerrechtlicher Verpflichtungen mit erga omnes-Wirkung läuft auf die Formulierung der gemeinsamen Interessen der Staatengemeinschaft und wenn man so will auf die Definition eines völkerrechtlichen Gemeinwohls hinaus.480 Rechtsbeziehungen bestehen deshalb auf völkerrechtlicher Ebene auch über das Völkerstrafrecht hinaus zwischen einer ganzen Reihe von Subjekten, beispielsweise auch Unternehmen oder Akteuren der Zivilgesellschaft. Ein globaler Wertekonsens dürfte trotz allem in einer zunehmend polarisierten Welt schwer zu erzielen sein. Schon der Gesamtheit der Menschenrechte nach westlichem Verständnis oder das vermeintliche Recht auf demokratische Regierungsformen481 dürften in diesem Sinne nicht konsensfähig sein. Wesentliche Staaten wie China etwa zeugen von ganz anderen Entwürfen staatlicher Gemeinwesen. Internationaler Terrorismus fußt geradezu auf fundamentalen Unterschieden bei der Gestaltung und Bewertung menschlicher Lebensverhältnisse. Inwieweit die Vereinten Nationen in der Lage sind, den notwendigen Konsens herbeizuführen, der die Grundlage für die Definition eines internationalen Gemeinwohls sein könnte, bleibt abzuwarten.482

II. Der Schutz des europäischen Gemeinwohls vor terroristischer Bedrohung Die europäische Staatengemeinschaft scheint es angesichts ihrer größeren Homogenität leichter zu haben, auf diese Herausforderung zu reagieren. Individualisierung und Pluralisierung innerhalb der Gesellschaften, die Privatisierung vormals staatlicher Aufgaben wie auch die finanziell bedingte Begrenzung staatlicher Leistungsfähigkeit erschweren jedoch auch hier die Konsensfindung. Ein europäisches Gemeinwohl könnte dabei als verbindender Begriff dienen, der die einzelnen nationalen Interessen mit den überstaatlichen Interessen zu einem „gemeinen Wohl Europas“ zusammenführt. Die Festlegung von Zielen und Aufgaben der Europäischen Union erfolgt deshalb berechtigterweise vor dem Konstitutionalisierung: Zur humanitären Intervention der NATO-Staaten, ZaöRV 59 (1999), S. 941 (948 ff.). 480 B. Fassbender (Anm. 476), S. 1 ff.; M. Scheyli (Anm. 476), S. 284 ff. 481 Vgl. einerseits K. Doehring, Demokratie und Völkerrecht, in: H. J. Cremer / T. Giegerich / D. Richter / A. Zimmermann, Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift Steinberger, Berlin u. a. 2002, S. 127 ff.; B. Saul (Anm. 8), S. 332; andererseits T. M. Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, AJIL 86 (1992), S. 46 ff.; vgl. auch J. Delbrück (Anm. 3), S. 31 ff.; A. Tiedtke (Anm. 154), S. 56 ff. 482 Skeptisch insoweit B. Fassbender (Anm. 476), S. 14; optimistisch hingegen S. Hobe (Anm. 473), S. 281.

II. Schutz des europäischen Gemeinwohls vor terroristischer Bedrohung

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Hintergrund gemeineuropäischer Interessen und Werte.483 Der praktische Nutzen wie auch der Schutz dieser Integration erfordert wiederum die Errichtung und Weiterentwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Kristallisationspunkte eines europäischen Gemeinwohls können die Verbürgungen der Grundrechte-Charta und der Europäischen Menschenrechtskonvention sein, kommt in diesen Dokumenten doch der Grundwertebestand und letztlich die Grundlage der europäischen Einigung zum Ausdruck.484 Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zeigt eine Möglichkeit auf, wie Staaten in modifizierter Form ihren Verfassungsauftrag – die Gewährleistung von (innerer) Sicherheit – in einem überstaatlichen Verbund verwirklichen können. Die europäische Rechtsgemeinschaft strebt dabei mehr an als eine Grundsatzverständigung zwischen Staaten, vielmehr wird mit der Integration eine zielgerichtete Politik verfolgt, die in unionsweit geltendes Recht mündet.485 Plausibel erscheint diese Strategie vor allem vor dem Hintergrund des begrenzten Erfolges klassisch-völkerrechtlicher Zusammenarbeit. Der Versuch etwa, im Rahmen des Europarates eine effektive strafrechtliche Kooperation zu initiieren, scheiterte überwiegend. Eine ganze Reihe Übereinkommen sind von den Vertragsstaaten nie im hinreichenden Maße ratifiziert worden und blieben so letztlich nur Absichtserklärungen, denen keine Umsetzung folgte.486 Auch aus der Perspektive eines Beschuldigten erweisen sich völkerrechtliche Schutzsysteme wie die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unbedingt als hinreichend effektiv. In grenzüberschreitenden Fällen oder auch bei Ermittlungsverfahren in mehreren Staaten in derselben Sache kann beispielsweise der Status eines Angeklagten und das daraus abgeleitete Aussageverweigerungsrecht durch einen völkerrechtlichen Vertrag kaum gewährleistet werden. Befinden sich verschiedene Verfahren in unterschiedlichen Stadien, in denen dem Betroffenen unterschiedliche Rechte zustehen oder wird er in einem Staat lediglich als Zeuge vernommen, während er in einem anderen Staat bereits als Beschuldigter gilt, erfolgt womöglich eine den Betroffenen belastende Beweiserhebung unter Umgehung von Grund- und Menschenrechten, die sich im Zuge der Rechtshilfe dann auch in anderen Verfahren niederschlagen kann.487 Die so kontrovers diskutierte Etablierung unionsweiter Kooperation bei der Strafverfolgung erhöht solche Risiken nicht zwingend, sondern bietet auch die Chance, eine ausgewogene Strategie zu verwirklichen. Dabei unterliegt die Euro483 R. Bieber (Anm. 451), S. 144; P. Häberle, Gibt es ein europäisches Gemeinwohl? – eine Problemskizze, in: H. J. Cremer / T. Giegerich / D. Richter / A. Zimmermann, Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift Steinberger, Berlin u. a. 2002, S. 1153 (1155 f.); vgl. hierzu im strafrechtlichen Zusammenhang auch W. Hassemer (Anm. 282), S. 308. 484 Vgl. P. Häberle (Anm. 483), S. 1174; M. Zuleeg (Anm. 401), S. 516. 485 J. Masing (Anm. 91), S. 267; T. Schmitz (Anm. 459), S. 223. 486 R. Esser (Anm. 331), S. 834. 487 Vgl. S. Gleß (Anm. 111), S. 139 ff. mit einem ausführlicheren Beispiel.

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F. Integration als Sicherheitskonzept

päische Union widerstreitenden Interessen. Effektive Strafverfolgung als Instrument der Terrorismusbekämpfung ist einerseits unumgänglich, doch taugt das Strafrecht nicht als umfassendes soziales Steuerungsinstrument, sondern bleibt vielmehr aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips ultima ratio. Sicherheitsbedingte Eingriffe in die bürgerliche Freiheitssphäre bedürfen einerseits parlamentarischer Legitimation, andererseits effektiver Rechtsschutzmöglichkeiten als Korrektiv. Effektive Strafverfolgung darf durch diese jedoch nicht unmöglich werden, ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff darf wiederum nicht durch den einfachen Verweis auf Rechtsschutzmöglichkeiten kaschiert werden. Durch unionsweite Kooperationsmechanismen dürfen schließlich die Beschuldigtenrechte nicht ausgehöhlt oder umgangen werden. Europäische Rechtsetzung muss also darauf abzielen, das vormals zwischenstaatliche Rechtshilferecht in ein grund- und menschenrechtskonformes „inneres“ Recht der Union zu transformieren.488 Durch die Übertragung der Prinzipien demokratischer Rechtsstaatlichkeit auf die Europäische Union dürfte sich der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu einem System entwickeln, das auch aus der Perspektive des Betroffenen ein akzeptables, aber auch effektives Strafrecht in der Union erzeugt. Den Parlamenten der beiden Handlungsebenen kommt dabei ein Gestaltungsauftrag zu, der über die Kontrolle der Gubernative hinausgeht und insbesondere darauf gerichtet sein muss, in einem öffentlichen Diskurs den Ausgleich betroffener Rechtsgüter zu gewährleisten. Der unionale Konstitutionalisierungsprozess wirft dabei selbst vielschichtige Probleme auf, die veranschaulichen, wie schwer überstaatliche Konstruktionen zu errichten sind, die den Ansprüchen demokratisch-rechtsstaatlicher Verfasstheit genügen. Die Erfolgsaussichten dieser Integration dürften dennoch im Vergleich zu klassisch-völkerrechtlichen Instrumenten deutlich größer sein. Der europäischen Rechtsgemeinschaft gelingt es auf der Basis gemeinsamer kultureller Werte, sich über die Gefahr des internationalen Terrorismus weitgehend zu verständigen. Verbindliche Regelungsaufträge für die nationalen Gesetzgebungsorgane führen zu den notwendigen Voraussetzungen für eine effektive Kooperation der Strafverfolgungsbehörden. Staatsanwaltschaften und Gerichte unterliegen nicht mehr den diplomatisch-politischen Zwängen der herkömmlichen internationalen Rechtshilfe, vielmehr wird schrittweise ein justizförmiges Verfahren für die gesamte Union entwickelt. Im Zuge materieller Strafrechtsharmonisierung kann das hierfür notwendige Maß an Verlässlichkeit und Rechtssicherheit herbeigeführt werden. Eine Vorbildfunktion der europäischen Integration für andere, regional begrenzte Formen der Zusammenarbeit dürfte ohne Zweifel bestehen. Die Union bleibt durch ihre Bindung an demokratische Rechtsstaatlichkeit den Grundmustern staatlicher Gewährleistung jedoch deutlich verbunden, so dass eine Übertragung auf die Vereinten Nationen schwer vorstellbar erscheint.489 Der Begriff von der Konstitu488 489

Vgl. R. Esser (Anm. 331), S. 864. Vgl. J. Kokott (Anm. 379), S. 33

II. Schutz des europäischen Gemeinwohls vor terroristischer Bedrohung

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tionalisierung des Völkerrechts490 illustriert zwar eine mögliche Entwicklung, das zunehmende Verschwimmen öffentlicher und privater Aufgabenwahrnehmung ist auch ebenso dazu geeignet wie die fließenden Übergänge zwischen innerer und äußerer Sicherheit, entsprechende Entwicklungen zu beschleunigen, doch ist eine klare Perspektive gegenwärtig kaum zu erkennen. Für die Europäische Union gilt jedenfalls auch im Falle einer erfolgreichen Weiterentwicklung des eigenen Rechtsraumes, dass sie in ihrem Außenverhältnis auf klassisch-völkerrechtliche Zusammenarbeit angewiesen bleibt, um etwa dem internationalen Terrorismus Herr zu werden. Die Unzulänglichkeiten dieser Zusammenarbeit bleiben trotz der inneren Reformfähigkeit damit von nachhaltiger Relevanz.

490

Vgl. B.-O. Bryde (Anm. 461), S. 62; A. v. Bogdandy (Anm. 423), S. 169 f.

Zusammenfassung 1. Die Herausforderung des internationalen Terrorismus verlangt der Staatengemeinschaft eine weltumspannende sicherheitspolitische Konzeption ab, die kaum mehr zwischen innerer und äußerer Sicherheit unterscheiden kann. Mangels einer allgemein verbindlichen Definition des Terrorismus konnten bislang jedoch nur bestimmte, besonders schwerwiegende Delikte in einzelnen Anti-TerrorismusAbkommen definiert und nach dem Prinzip aut dedere, aut judicare weltweiter Strafverfolgung unterworfen werden. Terrorismus, der sich eher als Methode denn als Kategorie gewaltsamer Konfliktaustragung darstellt, unterliegt damit vor allem nationalem Strafrecht und entsprechender Strafverfolgung. Das Friedenssicherungsrecht der Vereinten Nationen, das humanitäre Völkerrecht wie auch das Völkerstrafrecht kommen dagegen nur in recht begrenztem Umfang zur Anwendung. Kennzeichnend für völkerrechtliche Instrumente der Terrorismusbekämpfung sind insoweit ein hoher Kooperationsaufwand und Reibungsverluste zwischen betroffenen Staaten, die sich vor allem aufgrund unterschiedlicher Bewertungen sog. politischer Straftaten, von Befreiungskämpfen und gewaltsam agierender Regierungen ergeben. Die Aktionsfähigkeit der Staatengemeinschaft unterliegt so in hohem Maße politischen Erwägungen und nationalen Rechtsvorschriften, wodurch völkerrechtlichen Strategien der Terrorismusbekämpfung deutliche Grenzen gesetzt sind. Erschwerend kommt hinzu, dass sowohl die einzelnen Merkmale völkerrechtlicher Eingriffstatbestände, etwa des Selbstverteidiungsrechts, mittlerweile wieder stark umstritten sind, aber auch internationale Institutionen wie der Ständige Internationale Strafgerichtshof in den Augen einer zunehmend polarisierten Weltöffentlichkeit kaum die Gewähr für eine neutrale, allgemein akzeptierte Verfolgung terroristischer Verbrechen zu bieten scheinen. 2. Die innerhalb der Europäischen Union erfolgende justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen erweist sich vor diesem Hintergrund als vielversprechende Form weitergehender überstaatlicher Kooperation. Im Rahmen einer vergleichsweise homogenen Rechtsgemeinschaft unterliegen sowohl das materielle Strafrecht, das Strafverfahrensrecht wie auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit und Rechtshilfe tiefgreifender Europäisierung. Durch die Übertragung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung aus dem Binnenmarktrecht soll im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein freier Verkehr strafrechtlich-justizieller Entscheidungen ermöglicht werden. Bislang maßgebliche Prinzipien des internationalen Rechtshilferechts für die Auslieferung von Personen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und anderweitige Beweismittelanordnungen werden auf dieser Basis erheblich verändert, aber auch die grenzüberschreitende Vollstreckung von Strafen

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und Maßregeln der Sicherung soll unionsweit deutlich erleichtert werden. Soweit erforderlich erfolgt zum Zwecke einer effektiveren Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auch die Harmonisierung des materiellen Strafrechts. Durch die Einführung von Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen soll die staatenübergreifende Kooperation bei der Strafverfolgung verbessert werden. 3. Die im Zuge der Diskussion um den Europäischen Haftbefehl aufgekommene Befürchtung, durch die Einführung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung setze sich in der Union künftig das jeweils schärfste Strafrecht durch, erweist sich bei näherer Betrachtung nur als teilweise begründet. Durch den Verzicht auf das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit für einen umfangreichen Katalog von Delikten und Deliktsgruppen wird der bislang vorherrschende Schutz der bürgerlichen Freiheitssphäre in einzelnen Mitgliedstaaten durchaus beschränkt. Letztlich dürfte sich das strengere Strafrecht eines Mitgliedstaates allerdings nur im Einzelfall bei sog. Inlandsdistanzdelikten durchsetzen, was sich vor allem aber aus den weit gefassten Strafansprüchen der einzelnen nationalen Rechtsordnungen ergibt. Die Etablierung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung im Straftrecht hat im Grunde genommen aber nur eine ohnehin schon bestehende Reformnotwendigkeit verstärkt. In einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sollte das weite Strafanwendungsrecht der Mitgliedstaaten nunmehr zugunsten eines Anknüpfungspunktes für die Begründung eines Strafanspruchs zurückgedrängt werden. Vorzugsweise wäre dies das Tatortprinzip, stellt doch die den Tatbestand erfüllende Handlung den entscheidenden Verstoß gegen die das gesellschaftliche Leben regelnde Strafnorm dar, wenngleich erst der zum Tatbestand gehörende Erfolg zur eigentlichen Störung des Rechtsfriedens führt. Aus der Perspektive des Beschuldigten erscheint darüber hinaus in einzelnen Mitgliedstaaten vor dem Hintergrund unionsweiter Kooperation bei der Strafverfolgung die strafklageverbrauchende Wirkung staatsanwaltschaftlicher und gerichtlicher Einstellungsentscheidungen reformbedürftig. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass sich die Befürchtung, die jeweils strengere Rechtsordnung setze sich unionsweit durch, hier auch in das gegenteilige Problem verkehren kann. Führte eine Einstellungsentscheidung zu weitgehendem Strafklageverbrauch und damit etwa zu einem Ablehnungsgrund für eine Übergabe, könnte das berechtigte Strafverfolgungsinteresse eines Mitgliedstaates an der möglicherweise aus anderen Gründen erfolgten Einstellung eines dieselbe Tat betreffenden Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat scheitern. Grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Strafverfolgung und der Wirksamkeit rechtsstaatlicher Grundsätze in den Mitgliedstaaten ist jedoch nicht angezeigt. Die Einbeziehung eigener Staatsangehöriger in den unionsweiten Übergabeverkehr ist unbedenklich, soweit diese Grundsätze gewahrt sind. Besonderes Augenmerk verdient in diesem grundrechtssensiblen Bereich aber die Einhaltung der in den zugrunde liegenden EU-Rahmenbeschlüssen explizit wiederholten Diskriminierungsverbote. 4. Die Rechtssicherheit des Einzelnen und damit die Berechenbarkeit der Konsequenzen des eigenen Handelns sind maßgebliche Charakteristika eines Rechts-

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staates. Auch die Europäische Union ist seinen Prinzipien durch Art. 6 EUV (künftig Art. 6 EU) verpflichtet. Zwar richtet sich der in Art. 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege zunächst an den Gesetzgeber, der hinreichend klare und bestimmte Strafgesetze zu erlassen hat, und den rechtsanwendenden Richter, dem Gewohnheitsrecht und Analogien zu Ungunsten des Angeklagten verboten sind, doch stellt sich auch vorliegend die Frage, ob für den Einzelnen die Folgen seines Tuns angesichts der Verwirklichung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung im Strafrecht noch hinreichend voraussehbar sind. Schon bei klassischen Delikten wie Betrug, aber erst recht bei vagen Oberbegriffen wie Cyber- und Umweltkriminalität kann der Einzelne kaum übersehen, welche Handlung möglicherweise einem in 27 nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich definierten Straftatbestand unterfällt, dessen unionsweite Durchsetzung auf der Basis des Europäischen Haftbefehls und der verwandten Unionsrechsakte nunmehr möglich ist. Dies gilt auch für strafschärfende Qualifikationen, die Vollendung einer Straftat sowie Fahrlässigkeits- und Versuchsstrafbarkeiten. Dieser Befund spricht für die unionsweite Harmonisierung auch materieller Straftatbestände. Für eine ganze Reihe Delikte sind bereits entsprechende Rahmenbeschlüsse verabschiedet worden, so etwa für Terrorismus oder Kinderpornographie, aber auch für Teile der Cyberkriminalität. Die Harmonisierung des materiellen Rechts dürfte einerseits das notwendige und vorausgesetzte Vertrauen der beteiligten Justizbehörden in die Rechtsordnung anderer Mitgliedstaaten befördern, andererseits für den Einzelnen ein hinreichendes Maß an Rechtssicherheit erzeugen. Die Mitgliedstaaten der Union stehen insofern vor einer wesentlichen Entscheidung. Sie dürfen aus Sorge vor dem Verlust eigener Staatlichkeit die vertiefte Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung nicht auf dem Rücken der Betroffenen etablieren. Unter Aufgabe der Möglichkeit vollkommen freier Ausgestaltung der nationalen Strafrechtsordnung können die Mitgliedstaaten überstaatliche Strukturen einrichten, soweit die Rechtssicherheit des Einzelnen dies zulässt. Gegenseitige Anerkennung und Harmonisierung des nationalen Strafrechts erweisen sich so als wechselseitige Bedingungen der Entwicklung eines europäischen Strafrechts- und Strafverfolgungsraumes. Den Beschuldigten- und Verteidigerrechten kommt dabei besondere Bedeutung zu. 5. Als Rechtsetzungsinstrument dient der Europäischen Union bislang sowohl bei der Ausgestaltung der Mechanismen zur gegenseitigen Anerkennung wie auch bei der Harmonisierung des materiellen Strafrechts der Rahmenbeschluss gem. Art. 34 II lit. b EUV. Der Union steht mit dem Rahmenbeschluss ein wirkungsvolles Instrument zur Verfügung. Allein durch Beschluss des Rates werden mit seiner Hilfe verbindliche Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten gesetzt, denen zwar die Wahl der Form und Mittel überlassen bleibt, deren Organe jedoch unmittelbar an die Zielvorgabe gebunden werden. Je nach Regelungsinhalt kann diese Zielvorgabe sehr eng ausfallen, so dass den umsetzenden Organen ggf. nur noch die Entscheidung über nationale Rechtsaktsformen und Vollzugskompetenzen verbleibt. Ein Rahmenbeschluss erzeugt für den nationalen Rechtsanwender objektive Wirkun-

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gen. Der jeweils zuständige Normgeber ist verpflichtet, dauerhaft und rechtsverbindlich eine rahmenbeschlusskonforme Rechtslage herbeizuführen. Die Mitgliedstaaten haben bereits nach Verabschiedung eines Rahmenbeschlusses alles zu unterlassen, was die fristgerechte Zielerreichung gefährden könnte. Bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist bleibt widersprechendes nationales Recht jedoch anwendbar. Nach der Umsetzung bzw. nach Ablauf der Umsetzungsfrist ist die gesamte nationale Rechtsordnung rahmenbeschlusskonform auszulegen, um der Zielsetzung größtmögliche Wirksamkeit zu verschaffen. Das Gebot rahmenbeschlusskonformer Auslegung besitzt dabei zwar keinen absoluten Vorrang vor anderen nationalen Auslegungsregeln, doch scheidet eine rahmenbeschlusswidrige Auslegung aus. Im Bereich des Strafrechts sind allerdings die Maßgaben des Grundsatzes nullum crimen, nolla poena sine lege zu beachten. Ein durch einen Rahmenbeschluss ausgelöster Rechtsprechungswandel ist aber auch mit Blick auf die Rechtssicherheit der Betroffenen möglich. Maßgeblich für die Rechtsanwendung sind die Intentionen des Rahmenbeschlussgebers. Die Rechtsverbindlichkeit des Rahmenbeschlusses erwächst in allen Amtssprachen. Die Rechtsanwendung in anderen Mitgliedstaaten ist zu beachten. Ein dem Gemeinschaftsrecht vergleichbarer supranationaler Verdrängungseffekt kommt einem Rahmenbeschluss im Falle nicht herzustellender Konvergenz mit der nationalen Rechtsordnung jedoch nicht zu. Individualberechtigungen können aufgrund von Art. 34 II lit. b 3 EUV aus einem Rahmenbeschluss auch im Falle defizitärer oder unterbliebener Umsetzung nicht abgeleitet werden. Insoweit unterscheiden sich der unionsrechtliche Rahmenbeschluss und die gemeinschaftsrechtliche Richtlinie. 6. Diese Form gubernativer Rechtsetzung der Union erzeugt eine nur bedingt demokratisch legitimierte Determinierung der nationalen Rechtsordnungen. Die Entscheidungsfreiheit der mitgliedstaatlichen Parlamente wird deutlich eingeschränkt. Ob eine Handlung unter Strafe zu stellen ist, obliegt in Folge eines Rahmenbeschlusses möglicherweise nicht mehr der freien Entscheidung des Parlaments. Mindestvorschriften für Tatbestandsmerkmale und Strafen geben auch den Rahmen für die Intensität der Strafverfolgung vor. Solche Vorgaben entstehen allein durch den verbindlichen Beschluss der 27 im Rat versammelten Vertreter der nationalen Regierungen. Das Europäische Parlament besitzt in diesem Bereich europäischer Rechtsetzung lediglich ein Anhörungsrecht, kann einen Rahmenbeschluss jedoch weder initiieren, noch verhindern. In einem Rechtsstaat darf jedoch Strafgesetzgebung nur durch das Parlament erfolgen, als dem Organ, das die Normunterworfenen am unmittelbarsten repräsentiert. Als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts wird man diesen Parlamentsvorbehalt deutscher Prägung angesichts durchaus abweichender Regelungen in anderen Mitgliedstaaten allerdings nicht ansehen können. Entnimmt man dem Demokratieprinzip jedoch, dass ein Bürger im Wege kooperativer Strafverfolgung nur einer Norm unterworfen werden darf, die eine Handlung unter Strafe stellt, die auch das eigene Parlament als strafwürdig ansieht, wären der staatenübergreifenden Zusammenarbeit deutliche Grenzen gesetzt. Angesichts der Notwendigkeit grenzüberschreitender Strate-

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gien gegenüber internationalem Terrorismus ist jedoch die Frage zu stellen, inwieweit an die demokratische Legitimation von Unionsrechtsakten eigene Maßstäbe anzulegen sind. Festzuhalten ist zunächst, dass bislang weder ein europäischer Gesetzesbegriff noch eine dem Parlamentsvorbehalt für wesentliche Entscheidungen entsprechende Organkompetenzordnung auf europäischer Ebene exisitiert. Formen gubernativer Rechtsetzung bestehen jedoch auch im nationalen Recht in großem Umfang. Angesichts der Steuerungsmacht der Regierung und der Einflussnahme partikularer Interessenvertreter wird man auch anerkennen müssen, dass das Parlament nicht allein den allgemeinen Willen in seinen Gesetzen formuliert. Die normative Entscheidungsgewalt und die legislative Letztverantwortung liegen jedoch beim Parlament. Die Legitimität europäischer Integration hängt nach bisherigem Verständnis von der Rückkoppelung der Ratsvertreter an die nationalen Parlamente und vom Verbleib wesentlicher Entscheidungsmacht in deren Zuständigkeit ab. Die Effektivität dieses Rückbezugs auf die nationalen Parlamente ist jedoch fragwürdig. Als hinreichend dürfte diese Form mittelbarer Legitimation nur dann anzuerkennen sein, wenn eine unmittelbarere in einem Mehrebenensystem wie der Europäischen Union nicht möglich ist. Die dynamische Entwicklung etwa des Europäischen Gerichtshofs aber auch der wiederholte Kompetenztransfer zugunsten des Europäischen Parlaments zeigen jedoch, dass trotz aller Besonderheiten eine Verwirklichung des Repräsentationsgedankens auf europäischer Ebene nicht zwingend ausgeschlossen ist. Erscheint die demokratische Legitimation von Rahmenbeschlüssen insoweit defizitär, wird man allerdings zu beachten haben, dass die Entscheidungsmacht nicht einer europäischen Gubernative übertragen wurde, sondern sich ein Rahmenbeschluss in der Praxis als ein Kompromiss zwischen 27 höchst unterschiedlich geprägten nationalen Vorstellungen erweist, der unter Umständen ausgewogener sein dürfte als manches Parlamentsgesetz, das von einer parteipolitisch orientierten Mehrheit beschlossen wird. Insoweit bestehen zumindest integrationsspezifische Ausgleichsmechanismen. 7. Die Zielsetzung der Union, die Errichtung und Weiterentwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ist ambitioniert und umfasst sowohl prävenive als auch repressive Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung. Durch eine engere Kooperation der nationalen Polizei-, Zoll- und Justizbehörden unter Einschaltung von Europol und Eurojust soll ein hohes Maß an Sicherheit erreicht werden. Soweit es darüber hinaus erforderlich ist, soll die Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten erfolgen. Jedenfalls für den Bereich des Terrorismus bietet Art. 31 I lit. e i.V.m. Art. 29 II, 3. Spiegelstrich EUV hierfür eine Grundlage. Die Erforderlichkeit entsprechender Harmonisierungsmaßnahmen ist dabei als eigenständiges Kriterium für die rechtmäßige Inanspruchnahme dieser Kompetenzgrundlage anzusehen. Dem Rat kommt insoweit zwar eine Einschätzungsprärogative zu, er hat aber einen die mitgliedstaatlichen Eigenarten möglichst schonenden Weg zu wählen. Präzise und umfassende Vorgaben sind deshalb zu vermeiden, partielle und optionale Regelungen dagegen vorzugswürdig.

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Bei der Ausübung ihrer Kompetenzen unterliegt die Union, die bislang nach vorzugswürdiger Ansicht als gestufte internationale Organisation mit interner Rechtsfähigkeit anzusehen ist, weiteren Bedingungen. Über die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten hinaus haben ihre Rechtsakte den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität zu entsprechen. Die Union ist deshalb verpflichtet, dasjenige Instrument zu wählen, das am effektivsten ist, das aber gleichzeitig die Kompetenzen der Mitgliedstaaten am wenigsten beeinträchtigt. Ein Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten ist nur gerechtfertigt, wenn durch die betreffenden Maßnahmen ein europäischer Mehrwert erzielt wird, der ohne die unionsrechtliche Vorgabe nicht hätte erzielt werden können. Die Rechtsetzungsvoraussetzungen für den Europäischen Haftbefehl und seine verwandten Regelungen sind deshalb erfüllt, dürften doch die Ersetzung aller bisher geltenden völkerrechtlichen Übereinkommen für das Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander, die Abschaffung des politischen Bewilligungsverfahrens und der partitielle Verzicht auf das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit ohne die kompakten Regelungen der Rahmenbeschlüsse anders kaum zu erzielen gewesen sein. Angesichts der umfassenden Rechtsetzungstätigkeit der Union, aber auch vor allem der auf europäischer Ebene zur Verfügung gestellten Institutionen, Datensysteme und Austauschverfahren ist der Union im Bereich der Terrorismusbekämpfung mittlerweile die Rolle eines durchaus maßgeblichen Akteurs zuzuschreiben. Zwar verfügt die Union nicht über unabgeleitete Herrschaftsgewalt, doch ist durch die kaum umkehrbare Integration der Mitgliedstaaten auch im Bereich des Strafrechts ein System geteilter Herrschaft entstanden. Europäische Steuerung und mitgliedstaatliche Aus- und Durchführungsakte führen zu einer Gesamtverantwortung beider Handlungsebenen für Kriminalitätsprävention und Strafverfolgung, wenngleich die Letztverantwortung für die einzelne Maßnahme wie auch deren Rechtmäßigkeitskontrolle bei den Mitgliedstaaten verbleibt. 8. Ebenso wie für einen Rechtsstaat sind auch für eine Rechtsgemeinschaft souveräner Staaten die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers ein zentrales Charakteristikum. Der jeweils effektive Rechtsbehelf richtet sich nach den Rechtsetzungsund Vollzugskompetenzen der verschiedenen Ebenen und Einheiten des Unionssystems. Dem Europäischen Gerichtshof obliegt nach Maßgabe der Art. 46 lit. b, 35 EUV die Gültigkeitskontrolle und Auslegung von Sekundärrechsakten der Union im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Prüfungsmaßstab des EuGH sind sowohl die Zuständigkeit der Union, die formellen wie auch die materiellen Vorgaben des EU-Vertrages und damit insbesondere die im Unionsrecht nach Art. 6 EUV geltenden Grund- und Menschenrechte. Im Wege der Nichtigkeitsklage der Kommission oder eines Mitgliedstaats kann so beispielsweise ein Rahmenbeschluss mit Wirkung ex tunc und erga omnes durch den EuGH für nichtig erklärt werden. Dem EuGH kommt insoweit auch die Funktion eines Kompetenzgerichtes zu. Dem Europäischen Parlament wurde ein entsprechendes Klagerecht allerdings nicht explizit eingeräumt. Der Einzelne kann nur im Wege eines Vorlageverfahrens seitens eines nationalen Gerichts die Überprüfung eines Unions-

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rechtsaktes erreichen, wenn der betreffende Mitgliedstaat dies zugelassen hat. Nationalen Vorschriften ist es vorbehalten, entsprechende Vorlageberechtigungen und -pflichten für jedes Gericht oder auch nur für die letzte Instanz festzulegen. Obwohl Vorabentscheidungen rechtlich nur inter partres wirken, entfalten sie faktisch auch Bindungskraft für unbeteiligte Behörden und Gerichte, andere Mitgliedstaaten und deren Organe. Solange der EuGH über die Gewährleistung der bei Erlass eines Sekundäraktes maßgeblichen Unionsgrund- und Menschenrechte wacht, bleibt für zusätzliche nationale Sicherungs- und Kontrollmechanismen kein Raum. Mitgliedstaatliche Gerichte sind dagegen zuständig für die Überprüfung der Gültigkeit und Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden, wobei auch die Unionsgrundrechte maßgeblich sind. In einem Streitbeilegungsverfahren zwischen Mitgliedstaaten über die Auslegung und Anwendung eines Sekundärrechtsaktes kann die nationale Rechtsanwendung allerdings indirekt auch durch den EuGH überprüft werden. Unionsrechtsakte können auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am Maßstab der Menschenrechtskonvention überprüft werden. Das von den Mitgliedstaaten erlassene Umsetzungsrecht und seine Durchführung unterliegen als nationale Hoheitsakte ohne Weiteres der Jurisdiktionsgewalt des Straßburger Gerichthofs. Ein Unionsrechtsakt selbst kann durch den EGMR überprüft werden, da sich die Mitgliedstaaten durch die Übertragung entsprechender Hoheitsrechte ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Konvention nicht entledigen können und damit ihre Verpflichtung zur konventionskonformen Ausgestaltung ihrer Rechtsordnungen auch auf überstaatlicher Ebene fortbesteht. Grundsätzlich ist jedoch der EuGH zur Kontrolle von Unionsrechtsakten berufen, der im Rahmen seiner Rechtsprechung die EMRK nach Maßgabe des Art. 6 II EUV zu beachten und zugrunde zu legen hat. Solange der EuGH einen der EMRK entsprechenden Rechtsschutz gewährt, dürfte für weitere Verfahren vor dem EGMR kein Raum bestehen. Insoweit besteht zwischen den Gerichtshöfen ein vergleichbares Kooperationsverhältnis wie zu den nationalen Verfassungsgerichten. Weder der EuGH noch der EGMR besitzt jedoch eine Kassationsbefugnis gegenüber nationalem Umsetzungsrecht. Die zweistufige Konstruktion der Rechtsetzung setzt sich bei der Kontrolle durch die Gerichte konsequent fort. Erklärt der EuGH einen Rahmenbeschluss für nichtig oder stellt der EGMR einen Konventionsverstoß fest, kann nationales Umsetzungsrecht nur durch entsprechende Gesetzgebung in Folge eines solchen Urteils geändert bzw. aufgehoben werden oder aber ein zur Normverwerfung berufenes nationales Gericht trifft etwa nach Abschluss eines Vorlageverfahrens eine entsprechende Entscheidung. 9. Die effektive Einlösung der verfassungsrechtlich verbrieften Aufgabe der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet die notwendige Sicherheit und die Durchsetzung des Rechts zu gewährleisten, kann heute kaum mehr vom einzelnen Staat allein erreicht werden. Vielmehr sind die Staaten auf Kooperation zwingend angewiesen, um grenzüberschreitender Kriminalität, vor allem auch den neuen Formen

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des Terrorismus, erfolgreich begegnen zu können. Die Entwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erzeugt dabei eine Verklammerung bislang von einander abgegrenzter staatlicher Hoheitsräume ohne bereits einen einheitlichen Rechtsraum zu erzeugen. Mit Hilfe einzelner unionsweiter Maßnahmen wird ein Teil staatlicher Sicherheitsgewährleistung und Rechtsdurchsetzung durch den überstaatlichen Verbund ergänzt bzw. überformt. Die Verklammerung und gegenseitige Anerkennung bzw. Inanspruchnahme der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen soll zu erhöhter Sicherheit und effektiver Rechtsdurchsetzung führen. Die Maßnahmen der Mitgliedstaaten und der Union sollen sich dabei ergänzen und verstärken, defizitäre nationale Strukturen sollen abgebaut, effiziente bestehende Strukturen der Mitgliedstaaten aber nicht behindert oder eingeschränkt werden. Diese Form des Zusammenwirkens der Handlungsebenen erzeugt auch einen veränderten Verantwortungszusammenhang für die vormals allein staatliche Garantie „innerer“ Sicherheit. Die insoweit nach ihrer Effektivität zu beurteilende Überformung durch den Verbund kann dabei durchaus selbst in Konflikt mit den auch für sie maßgeblichen grund- und menschenrechtlichen Garantien geraten. Vor allem die auf der Basis entsprechenden Umsetzungsrechts erfolgende kooperative Strafverfolgung kann zu deutlichen Beschneidungen der Rechtspositionen Betroffener führen. Umso entscheidender für die Akzeptanz einer Sicherheit gestaltenden Rechtsgemeinschaft ist daher ein kohärentes System des Grundrechtsschutzes, in dem sowohl die Zuständigkeit für letztverbindliche Entscheidungen transparent geregelt ist als auch hinreichend effekive und umfassende Zugangsmöglichkeiten zu den betreffenden Gerichten existieren. 10. Der EU-Reformvertrag von Lissabon liefert auf die vorliegend problematisierten Fragen nur teilweise die notwendigen Antworten. Will die Europäische Union die Voraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Verfasstheit erfüllen, sind weitere Schritte erforderlich, um unionsweite Kooperation in Strafsachen und eine hierauf basierende Terrorismusbekämpfung hinreichend zu legitimieren. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen erfahren indes kaum eine Weiterentwicklung. Art. 263 Unterabsatz 4 AEU ermöglicht dem Einzelnen eine Nichtigkeitsklage, wenn er Adressat eines Rechtsaktes oder einer Handlung ist. Darüber hinaus ist er klagebefugt, wenn er, ohne Adressat zu sein, individuell und unmittelbar durch einen Rechtsakt betroffen ist. Diese Klagebefugnis kann sich ergeben, wenn der Betroffene in spezifischer Weise vom Schutzbereich einer Norm umfasst ist, Verfahrensbeteiligter bei Erlass des Rechtsaktes war oder er durch faktische oder rechtliche Gründe von allen übrigen Rechtsunterworfenen unterschieden werden kann. Vorstellbar erscheint dies vor allem bei Rechtsakten mit Verordnungscharakter, die keinen weiteren Durchführungsakt mehr erfordern. Der Reformvertrag geht damit allerdings kaum über die bereits geltende Rechtsprechung des EuGH zur Klagebefugnis Einzelner hinaus. Eine geschlossene und transparente Dogmatik der Voraussetzungen einer Individualklagebefugnis ist hierin nicht zu erkennen. Rechtsakte von allgemeiner Geltung, wie etwa eine Richtlinie, die an die Stelle des Rahmenbeschlusses und der bisherigen EG-Richtlinie tritt, sollen

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dagegen weiterhin nicht direkt angegriffen werden können. Der Einzelne bleibt vielmehr auf das Vorlageverfahren durch nationale Gerichte angewiesen, von deren Vorlagepraxis und national festgelegten Vorlageverpflichtungen er damit weiter abhängt. Eine Grundrechtsbeschwerde zum EuGH sieht der Vertrag von Lissabon nicht vor. Zwar könnte dem Einzelnen nach einem, nunmehr vertraglich vorgesehenen Beitritt der „neuen“ Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention im Falle entsprechender Regelungen die Menschenrechtsbeschwerde zum EGMR offenstehen, um sich gegen sekundäres Unionsrecht zur Wehr zu setzen, doch erscheint der grundrechtliche Mehrwert für den Einzelnen fragwürdig. Bereits heute ist die EMRK wesentliche Erkenntnisquelle des EuGH und besitzt damit schon jetzt überragenden Einfluss im Bereich der Justizgrundrechte sowohl auf europäischer wie nationaler Ebene. Die Rechtsprechung des EGMR ist jedoch von dem Bemühen gekennzeichnet, Einzelfallgerechtigkeit zu besorgen, wodurch den spezifischen Ausgleichsmöglichkeiten der jeweils betroffenen nationalen Rechtsordnung große Bedeutung zukommt. So wird beispielsweise ein Verstoß gegen Art. 6 III EMRK nur dann als Konventionsverletzung gewertet, wenn der Strafprozess angesichts einzelner Verstöße ingesamt als unfair anzusehen ist. Die Übertragung dieser Rechtsprechung auf sekundäres Unionsrecht erscheint problematisch, wird doch durch das Unionsrecht keine Hoheitsgewalt im Einzelfall ausgeübt. Die Frage, inwieweit das Unionsrecht etwa im Wege rahmenbeschlusskonformer Auslegung des nationalen Rechts der Einzelfallgerechtigkeit dienlich sein kann, fällt jedoch in die Zuständigkeit des EuGH. Die letztverbindliche, grundrechtskonforme Auslegung des Sekundärrechts wie auch ggf. seine Nichtigerklärung können ebenfalls nur durch den EuGH erfolgen, selbst wenn dieser durch ein entsprechendes Urteil des EGMR im Hinblick auf die Menschenrechtsgarantien erst hierzu gezwungen würde. Zwar erschiene der EMRK-Beitritt der Union konsequent, wenn dem Einzelnen ohne die gegenwärtig beschrittenen Umwege der EGMR-Rechtsprechung eine direkte Beschwerdemöglichkeit gegenüber der Union eingeräumt würde, doch ist der Regelungsinhalt der Menschenrechtskonvention begrenzt und deckt nicht alle Bereiche des Unionsrechts ab, wie der Umfang der Grundrechte-Charta der EU zeigt. Man wird es zwar als Ausweis rechtsstaatlicher Verfasstheit und Glaubwürdigkeit ansehen können, wenn sich auch die Union der grund- und menschenrechtlichen Überprüfung „von außen“ unterwirft, doch entbindet diese Möglichkeit die Union nicht davon, neben den materiellen Grundrechtsgarantien auch eigene, effektive prozessuale Durchsetzungsmechanismen zur Verfügung zu stellen, will sie die anerkannten Grundrechtspositionen des Einzelnen nicht entwerten und Art. 6 und 13 EMRK gerecht werden. 11. Die Einführung eines solchen, der deutschen Verfassungsbeschwerde nachempfundenen Rechtsbehelfs könnte einen Beitrag zur Legitimation unionsrechtlicher Vorgaben für nationale Strafgesetzgebung leisten. Demokratische Legitima-

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tion muss jedoch bereits beim Rechtsetzungsprozess selbst bestehen und nicht erst bei der Rechtsanwendung und ggf. der Verwerfung einer Norm beginnen. Maßgebliches Moment demokratischer Legitimation sind neben dem Wahlakt die Offenheit und Transparenz des parlamentarischen Verfahrens, das nicht nur die Akzeptanzchancen neuen Rechts erzeugt. Vielmehr ermöglicht es auch die notwendige Partizipation der Normunterworfenen und bürdet dem Gesetzgeber die Argumentationslast auf, wenn er beispielsweise durch Sicherheitsmaßnahmen in bürgerliche Freiheitsrechte eingreifen will. Wesentlich für diese Parlamentsfunktion sind das Initiativrecht und die verbindliche Beschlussfassung. Die nationalen Parlamente können zur Legitimation des Unionsrechts insoweit nur durch ihre Kontroll- und Einflussmöglichkeiten gegenüber dem nationalen Ratsvertreter beitragen. Der Reformvertrag bzw. seine Protokolle sehen darüber hinaus eine Stärkung ihrer legitimitätsstiftenden Funktion durch Information und Beteiligung am Beratungsverfahren der Union vor. Durch begründete Stellungnahmen sollen die nationalen Parlamente vor allem die Subsidiarität unionsweiten Handelns sicherstellen und ggf. eine Subsidiaritätskontrolle durch den EuGH herbeiführen können. Diese Rückbindung an die nationalen Parlamente erscheint allerdings nur als begrenzt geeignet, die notwendige Legitimation für legislative Maßnahmen der Union im Bereich des Strafrechts und damit auch der Terrorismusbekämpfung zu erzeugen. Die Formulierung eines unionsweiten Willens wird man schließlich von den nationalen Parlamenten kaum verlangen können, erfüllen sie doch nationale Aufgaben und haben letztlich die Pflicht, gerade auch nationale Interessen zu vertreten. Erkennt man einerseits die besonderen Bedingungen der europäischen Integration und die Funktionslogik der Instutitionen wie der Rechtsetzungsmechanismen an, verschließt sich andererseits aber auch dem legitimatorischen Defizit nicht, so kann eine Steigerung demokratischer Legitimation letztlich nur durch eine Aufwertung des Europäischen Parlaments erfolgen. Der Vertrag von Lissabon sieht – insoweit konsequent – die Überführung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 289, 294 AEU vor, in dem Rat und Europäisches Parlament Rechtsakte gemeinsam erlassen. Das Initiativrecht wird dem Europäischen Parlament im Reformvertrag im Bereich des Strafrechts jedoch vorenthalten. Dadurch ist zwar die Zustimmung des Parlaments für den Erlass eines Rechtsakts erforderlich, durch den möglicherweise die Rechtspositionen des Einzelnen beschnitten werden, doch kann das Parlament einen bereits erlassenen Rechtsakt aus eigener Initiative nicht verändern oder einen neuen selbständig vorschlagen. Die hierin liegende Verkürzung der Parlamentsfunktion ist inkonsequent. Sollen bindende Regelungsvorgaben des Unionsrechts, die weitreichende Änderungen im europäischen Strafverfolgungssystem wie auch von gesellschaftlich-strafrechtlichen Werturteilen bewirken können, durch das europäische Repräsentativorgan aber legitimiert werden, dann muss das Europäische Parlament auch aus eigener Kraft als notwendig erkannte Reformschritte einleiten können. Der Verweis auf das Recht des Parlaments, die Kommission aufzufordern,

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einen entsprechenden Rechtsakt vorzuschlagen, kann an dieser Stelle nicht überzeugen. Ein Initiativrecht des Parlaments widerspricht auch nicht dem Wesen der Integration, wie die weitreichenden Kompetenzen des Rates und vor allem des EuGH zeigen. Vielmehr muss die notwendige Legitimation ebenso wie der Grundrechtsschutz auf der Ebene erfolgen, auf der die verbindlichen Regelungsaufträge für den nationalen Gesetzgeber beschlossen werden. Die Begrenzung der nationalen parlamentarischen Entscheidungsfreiheit durch das Unionsrecht spricht deshalb zumindest für ein partielles Initiativrecht des Europäischen Parlaments im besonders grundrechtssensiblen Rechtsetzungsfeld des Strafrechts und damit in der Konsequenz auch für Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung. Die notwendige Nähebeziehung zwischen den Repräsentierten und dem Europäischen Parlament ist durch entsprechende Transparenz und Berichterstattung herzustellen. 12. Die Integration souveräner Staaten in der Europäischen Union eröffnet dieser Rechtsgemeinschaft Möglichkeiten, das europäische Gemeinwohl gegenüber terroristischer Bedrohung zu schützen, die weder den einzelnen Staaten zur Verfügung stehen noch auf klassisch-völkerrechtlicher Basis zu realisieren wären. Anders als der Völkerrechtsgemeinschaft dürfte es innerhalb der Europäischen Union gelingen, sich auf diejenigen Grundwerte zu einigen, deren Bestand und Entwicklung zur Definition eines überstaatlichen europäischen Gemeinwohls beitragen könnten. Das „europäische Gemeinwohl“ könnte dabei als verbindender Begriff dienen, der die einzelnen nationalen Interessen mit den überstaatlichen Interessen zu einem „gemeinen Wohl Europas“ zusammenführt. Der praktische Nutzen wie auch der Schutz der europäischen Integration erfordern wiederum die Errichtung und Weiterentwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Kristallisationspunkte eines europäischen Gemeinwohls können die Verbürgungen der Grundrechte-Charta und der Europäischen Menschenrechtskonvention sein, kommt in diesen Dokumenten doch der Grundwertebestand und letztlich die Grundlage der europäischen Einigung zum Ausdruck. Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zeigt eine Möglichkeit auf, wie Staaten in modifizierter Form ihren Verfassungsauftrag – die Gewährleistung von (innerer) Sicherheit – in einem überstaatlichen Verbund verwirklichen können. Die europäische Rechtsgemeinschaft strebt dabei mehr an als eine Grundsatzverständigung zwischen Staaten, vielmehr wird mit der Integration eine zielgerichtete Politik angestrebt, die in unionsweit geltendes Recht mündet. Durch die Übertragung der Prinzipien demokratischer Rechtsstaatlichkeit auf die Europäische Union kann sich der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu einem System entwickeln, das auch aus der Perspektive des Betroffenen ein ebenso akzeptables wie effektives Strafrecht in der Union erzeugt. Den Parlamenten der beiden Handlungsebenen kommt dabei ein Gestaltungsauftrag zu, der über die Kontrolle der Gubernative hinausgeht und insbesondere darauf gerichtet sein muss, in einem öffentlichen Diskurs den Ausgleich betroffener Rechtsgüter zu gewährleisten. In ihrem Außenverhältnis bleibt die Union indes auch im Falle einer erfolgreichen Weiterentwicklung des eigenen Rechtsraumes auf klassisch-völkerrechtliche Zusammenarbeit ange-

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wiesen, um dem internationalen Terrorismus Herr zu werden. Die Unzulänglichkeiten dieser Zusammenarbeit bleiben trotz der inneren Reformfähigkeit damit von nachhaltiger Relevanz.

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Stichwortverzeichnis Adoption 63 Amtshaftung 119 Anhörungsrecht 69, 72 Anti-Terrorism, Crime and Security Act 46 Assimilation 56 Atommülltransporte 53 Auslieferungsverbote 26, 41 f., 47, 75 Aut dedere, aut judicare 24 Befreiungskämpfe 12, 20 f., 23 Berechenbarkeit 43 f., 50, 57, 74, 90, 149 Bestimmtheitsgrundsatz 89 Beurteilungsspielraum 87, 118 Beweismittel 28, 34 f., 41, 58 Bindungswirkung 60, 97, 111, 113, 142 Bürger- und Freiheitsrechte 11, 14, 38, 45, 58, 71, 88, 107 ff., 121, 126, 143, 149, 160 Bundesstaat 94, 151 De facto-Regime 20 Demokratieprinzip 70, 73 ff., 80, 152 f. Diskriminierungsverbote 42 Dual 105, 110, 115, 132 Durchgriff 82, 122 effet utile 59, 65 Erforderlichkeit 88 ff., 97 Eurojust 27, 32, 86, 104 ff., 139 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 43, 45 f., 58, 84, 107, 120 ff., 129, 138, 140 ff., 159 Europol 86, 104, 150 Exekutive 76 ff., 82 fair trial-Prinzip 58, 73, 108, 120, 143 Finanzierung 11, 24, 36, 52, 103 Föderation 94 Formfreiheit 112 Funktionsordnung 75, 78

gegenseitige Anerkennung 27 ff., 38 ff., 56 ff., 88, 100 ff., 133 f., 139 Gemeinwohl 73, 158 ff. Gesetzesvorbehalt 48, 76, 84 global governance 156 Grundrechte-Charta 42 f., 83 f., 125, 143, 145, 147, 159 Grundrechtsbeschwerde 137, 145 ff. Grundrechtsprechung 117 f., 129 f. Gubernative 69 ff., 77 ff., 82, 160 Handlungsebenen 131 f., 155, 160 Handlungsinstrumente 14, 60 f., 68 ff., 100, 119 Harmonisierung 50 ff., 56 ff., 70, 82, 86 f., 88 ff., 97, 100 ff., 139, 160 Hoheitsakt 64, 122 ff., 132, 142 f. Hoheitsträger 21, 56, 62, 65, 67, 118, 132, 139 Individuelle Klagebefugnis 137 ff. Initiativrecht 78, 82, 151 ff. Institutionelles Gleichgewicht 152, 154 Integration 12, 38, 58, 69, 75, 79, 82, 95, 97, 132, 133 ff., 145, 148, 152 ff., 156 ff. Internationale Organisation 24, 51, 53, 91 ff., 105, 112, 157 Ius cogens 22, 157 Jurisdiktionsbefugnis (auch Gerichtsbarkeit) 23 ff., 31, 93, 112 f., 118, 139, 144 Kassationsbefugnis 115, 122 f. Kirche 77, 129 Kohärenz 85, 92, 114, 129, 144 Kombattant 16, 20 Kompetenz 12, 27, 57, 69, 74 ff., 85 ff., 96 ff., 100, 105, 112, 114 ff, 130, 139, 142 ff., 151 ff.

196

Stichwortverzeichnis

Kompetenzausübungsgrenze 91 ff., 99, 132, 153 f. Konstitutionalisierung 156 ff. Kooperationsverhältnis 126 f. Korsetteffekt 112 Kultur 12, 82, 129, 134, 160 Legislative 76, 81 Legitimation 14, 18, 21, 69 ff., 73 ff., 79 ff., 83 ff., 95, 131 ff., 148 ff. Letztentscheidungsrechte 70, 148 ff., 155 Letztverantwortung 27, 78 f., 95, 106 letztverbindlich 71, 123, 144 Mindestvorschriften 27, 57, 72, 84, 86 f., 88 ff., 133 f., 152, 154 nationale Identität 12 f., 91 ff., 96, 153 nationale Parlamente 62, 64, 69 ff., 79 ff., 135 ff., 149 ff., 155, 160 Nationalstaat 12, 16, 94 Ne bis in idem 30, 34, 37, 41 f., 50, 120, 146 Nichtigkeit 62, 99 f., 113 ff., 128, 143 Normkollision 63 ff., 67 Nullum crimen, nulla poena sine lege (auch Gesetzlichkeitsprinzip) 43 f., 66, 73, 74, 108, 120, 153 objektive Rechtswirkungen 60 ff., 97, 118 Organidentität 92 Organisierte Kriminalität 53, 85 f. Personalitätsprinzip 40, 100 Prüfungsmaßstab 70, 114, 117, 126, 155 Rahmenbeschluss – über den Europäischen Haftbefehl 27 ff., 37, 39, 57, 62, 100 f. – über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen 28, 36, 69, 100 – über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen 27, 35, 68, 100 – über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln 27, 34, 42, 100

– zur Terrorismusbekämpfung 51 f., 68, 71 f., 89, 101, 133, 139 rahmenbeschlusskonforme Auslegung 65 ff., 117 f., 128 Ratifikation 24, 61, 63 f., 71, 121, 146, 157 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 13, 27, 85, 88, 105, 129, 160, 162 f., 172 Rechtsanwendungsbefehl 123 Rechtsetzung 57, 59, 70 f., 73, 77 ff., 93, 97, 99, 105, 110 ff., 115, 119, 126, 130, 132, 136, 148 ff., 154, 160 Rechtsfähigkeit (auch Rechtspersönlichkeit) 92 ff., 96, 135 Rechtsgemeinschaft 12, 15, 46, 71, 107, 134, 159 Rechtsgüterschutz 108, 134 Rechtsschutzgarantie 49, 107, 145 Rechtssicherheit 57 ff., 66, 90, 137, 154, 160 Rechtsstaatlichkeit 14, 45, 132, 149, 160 Reziprozität 97 Rücküberstellung 31, 48, 50 Rückwirkungsverbot 49, 66 Schengen 32, 41, 102 Schranken-Schranke 97 Selbstmordattentäter / -attentate 11, 17, 108 f. Selbstverteidigungsrecht 17 ff. Sexualstraftaten 108 Souveränität 13, 21, 47, 57 f., 91, 95, 157 Spezialitätsprinzip 30, 33 Staatengemeinschaft 11 ff., 16 ff., 23 ff., 156 ff. Staatsterrorismus 20 f. Steuerungsinstrument 73, 107, 160 Strafanspruch 39 f., 73 f., 101, 134 Strafklageverbrauch 41 f. Strafmaß 44 Straftatkataloge 32 f., 34 f., 37, 39, 43, 50 f., 54, 89, 101, 141 Strafverfolgung 23 ff., 28 ff., 38 ff., 43 ff., 56 ff., 69, 73 ff., 80, 89 f., 100, 104 ff., 154, 157, 160 Streitbeilegungsverfahren 116 f. Subsidiarität 12, 57, 73, 89, 96 ff., 100 f., 132 ff., 141, 147, 149 ff., 153

Stichwortverzeichnis supranational 12, 62, 67, 82 f., 106, 129, 135, 146, 156 Tatortprinzip 40 Terrorismus, Definition 12, 16 ff., 23 ff., 51 ff. Terrororganisation 16 ff., 25, 36, 124, 156 Transformation 63 Transparenz 135 f., 138, 144, 149 ff. Übergabeverfahren 29 ff., 40 ff., 47 ff., 101, 139 ultima ratio 73, 97, 134, 160 Umsetzung 27, 44, 47 ff., 54, 59 ff., 79, 82 ff., 98, 100, 116 ff., 127 ff., 154 Ungültigkeit 113 f. Unionstreue 66 Universalitätsprinzip (Weltrechtsprinzip) 23, 157 unmittelbare Wirkung 59 ff., 119 UN-Sicherheitsrat 16 ff., 23, 26, 44, 157

Verbund 14, 43, 78 f., 81, 91 f., 95, 99, 110, 131 ff., 135, 155, 159 Verfassungsbeschwerde 28, 47, 124, 127, 146 Verfassungskonvent 146, 151 Verfassungsstaat 70, 77, 94 f. Verfassungsvertrag 15, 70, 83 ff., 94, 135 ff. Verkehrssysteme 11, 53, 55 Verschwindenlassen 21 f. Vertrag von Lissabon 15, 70, 83 ff., 98, 106, 111, 114 f., 135 ff., 146, 150 ff. Vertragsverletzung 113, 116 f., 119, 129, 138 Völkermord 22 f., 157 Völkerstrafrecht 22 f., 158 Volkssouveränität 81 Vollzugslehre 63 Vorabentscheidung (auch Vorlageverfahren) 111 ff., 127, 130, 138 ff., 145 ff. Vorrang12, 65, 67, 82, 121 ff., 129, 144, 153 Weltpolitik 156

Verantwortungszusammenhang 132 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 21 ff., 55, 157

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ziviler Ungehorsam 54 Zivilgesellschaft 11, 108, 158