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German Pages 644 [645] Year 1980
HANS-HEINRICH JESCHECK
Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft Ausgewählte Beiträge
HANS-HEINRICH JESCHECK
Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft Ausgewählte Beiträge zur Strafrechtsreform zur Strafrechtsvergleichung und zum Internationalen Strafrecht aus den Jahren 1953 - 1979 mit einem Geleitwort von Hans Schultz
herausgegeben von Theo Vogler
DUNCKER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechan.schen Wiedergabe und der Obersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04795 8
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Geleitwort von Hans Schultz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. XIII
STRAFRECHTSREFORM Das Menschenbild unserer Zeit und die Strafrechtsreform ................
3
Tübingen: Mohr 1957, 40 S., (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Heft 198/199.)
Die weltanschaulichen und politischen Grundlagen des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs (E 1962) ...... . . . . .... .. ... .. ...... .. .. ..... ...... ..... .
28
Zeitschrift für die gesamteStrafrechtswissenschaft 75 (1963), 1 - 15, und Schriftenreihe der Friedrich-Naumann-Stiftung zur Politik und Zeitgeschichte, Nr. 5, 1963, 30 - 47
Zur Reform des politischen Strafrechts
39
Juristenzeitung 22 (1967), 6 - 13
Die kriminalpolitische Konzeption des Alternativentwurfs eines Strafgesetzbuchs (Allgemeiner Teil) ... .. ... .................... . . . ..............
57
Zeitschrift für die gesamte Strafrechts wissenschaft 80 (1968), 54 - 88
Strafrecht im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
Osterreichische Juristen-Zeitung 26 (1971), 1 - 9
Strafrechtsreform in Deutschland. Allgemeiner Teil
101
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 91 (1975), 1 - 44
Grundlinien der internationalen Strafrechtsreformbewegung
129
Rechtsphilosophie und Strafrecht. Festschrift für San Duck Hwang. - Seoul, Korea: Hobunsha 1979,417 - 431
Die Krise der Kriminalpolitik .. . . .... ..... . ....... . .... .. ......... ... Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 91 (1979), 1037 - 1064
139
VI
Inhaltsverzeichnis
STRAFRECHTSVERGLEICHUNG Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre .. ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
161
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 73 (1961), 179 - 209
Schweizerisches Strafrecht und deutsche Strafrechtsreform
184
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 78 (1962), 172 - 193
Die Behandlung der unechten Unterlassungsdelikte im deutschen und ausländischen Strafrecht (unter Mitwirkung von Heinz Gerd Goldmann) .. . . . . . ...
198
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 77 (1965),109 - 148
Moderne Kriminalpolitik in Deutschland und Frankreich. . . . . . . . . . . . . . . . ..
228
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 79 (1967), 874 - 899
Die Entwicklung der Kriminalpolitik in Deutschland und in Belgien während der letzten hundert Jahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 80 (1968), 425 - 441
Der Entwurf eines neuen Sexualstrafrechts im Lichte der Rechtsvergleichung ..
260
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 83 (1971),299 - 318
Strafen und Maßregeln des Musterstrafgesetzbuchs für Lateinamerika im Vergleich mit dem deutschen Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
274
Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag am 1. Januar 1972. Hrsg. von Hans Lüttger in Verbindung mit Hermann Blei und Peter Hanau. - Berlin : de Gruyter 1972,717 -735
Neue Entwicklungstendenzen des deutschen Strafverfahrensrechts im Vergleich mit dem österreich ischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
288
Hundert Jahre österreichische Strafprozeßordnung, 1873 - 1973. Festschrift, hrsg. von Viktor Liebscher und Otto F. Müller. - Wien: Springer 1973, 39 - 58
Rechtsvergleichung als Grundlage der Strafprozeßreform . . . . . . . . . . . . . . . . .. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 86 (1974), 761 - 782 und Probleme der Strafprozeßreform. Berliner Gastvorträge. Hrsg. von Hans Lüttger. - Berlin: de üruyter 1975, 7 - 28
303
Inhaltsverzeichnis
Geschichte, Aufbau und Organisation des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br. (mit Günther Kaiser)
VII
31R
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i. Br. - Freiburg i. Br.: Selbstverlag 1975, 3 - 9
Das neue deutsche Strafrecht im internationalen Zusammenhang .. ..... . . . Max-Planck-Gesellschaft. Jahrbuch 1975. 1975,49 - 60
326
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Deutsche und österreichische Strafrechtsreform . . . . .. ...... ...... .... . .. .
340
Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Günter Warda, Hcribert Waider, Reinhard von Hippel, Dieter Meurer. - Berlin: de Gruyter 1976, 365 - 387
Das neue deutsche Strafrecht im Vergleich mit dem polnischen Recht. . . . . . . .
358
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 88 (1976),467 - 487
Die Ausschließung des Strafverteidigers in rechtsvergleichender Sicht. . . .. . . ..
373
Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag am 29. April 1977. Hrsg. von Hans-Heinrich Jescheck und Hans Lüttger. - Berlin: de Gruyter 1977, 783 - 799
Die Geldstrafe als Mittel moderner Kriminalpolitik in rechtsvergleichender Sicht . . .. . ........ ... . ... ... . ... . ....... . ........ . . . . . . . . . . . .... . ..
386
Kultur. Kriminalität. Strafrecht. Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag am 7. 10. 1977. Hrsg. von Rüdiger Herren, Diethelm Kienapfel, Heinz Müller-Dietz. - Berlin: Duncker & Humblot 1977, 257 - 276
Das Laienrichtertum in der Strafrechtspflege der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz ..... . . . ...... . .. .. .. . . .. . .... .. ...... ..... ....... . .
402
Lebendiges Strafrecht. Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz. Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 94 (1977), 229 - 251
Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Strafrechtsreform . . . .. . . . . . ..
417
Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag am 7. Dezember 1978. Hrsg. von Arthur Kaufmann, Günter Bemmann, Detlef Krauss, Klaus Volk. - München: Beck 1979, 133 - 154
Der Einfluß der neueren schwedischen Kriminalpolitik auf die deutsche Strafrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 90 (1978),777 - 803
434
VIII
Inhaltsverzeichnis
INTERNATIONALES STRAFRECHT
Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
455
Zeitschrift für die gesamte Strafrechts wissenschaft 65 (1953),496 - 518
Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
472
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 66 (1954), 518 - 544
Verbrechen gegen das Völkerrecht
492
Deutsche Landesreferate zum IV. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Paris 1954. - Düsseldorf: Triltsch 1955, 351 - 382
Zur Reform der Vorschriften des StGB über das internationale Strafrecht . . . .
521
Internationales Recht und Diplomatie 1956, 75 - 95
Die Entwicklung des Völkerstrafrechts nach Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
545
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 72 (1957), 217 - 248
Die Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse in der Bundesrepublik Deutschland . . . .. . . .. ... ... . ................ . .... . .... .. ..... . ... .. .
566
Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Hans Welzel, Hermann Conrad, Armin Kaufmann und Hilde Kaufmann. - Bonn: Röhrscheid 1963, 325 - 342
Gegenwärtiger Stand und Zukunftsaussichten der Entwurfsarbeiten auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts . ...... ... . ... . ... .. . .. . . . . ... .... ..... . ..
581
Erinnerungsgabe für Max Grünhut (1893 - 1964). Hrsg. von Hilde Kaufmann, Erich Schwinge und Hans Weite\. - Marburg : Elwert 1965,47 - 60
Gedanken zur Reform des deutschen Auslieferungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . .. Etudes en l'honneur de Jean Graven. (Memoires publies par la Faculte de Droit de Geneve, Nr. 25). - Genf: Georg 1969, 75 - 89
595
Inhaltsverzeichnis
Neue Formen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen
IX 606
Festschrift für Richard M. Honig zum 80. Geburtstag am 3. Januar 1970. - Göttingen: Schwartz 1970, 69 - 78
Gegenstand und neueste Entwicklung des internationalen Strafrechts .. . . . . .. Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Friedrich-Christian Schroeder und Heinz Zipf. - Karlsruhe: Müller 1972, 579 - 594
615
VOR WORT DES HERAUSGEBERS Hans-Heinrich Jescheck, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht an Freiburg und Professor für Strafrecht und Strafprozeßrecht an der Universität Freiburg, feiert am 10. Januar 1980 seinen 65. Geburtstag. Der Gedanke, aus diesem Anlaß eine Auswahl seiner Schriften herauszugeben, reicht in das Jahr 1974 zurück. Schon damals, am Ende des sechsten Lebensjahrzehnts des Jubilars, war daran gedacht worden, durch eine Zusammenfassung der teilweise an entlegenen Stellen veröffentlichten Schriften einen überblick über die wichtigsten Beiträge zur Kriminalpolitik, zur Rechtsvergleichung und zum internationalen Strafrecht aus seiner Feder zu geben. Wenn das Vorhaben zunächst zurückgestellt und statt dessen einem wissenschaftlichen Kolloquium seiner Schüler und Mitarbeiter der Vorzug gegeben wurde, dann war dafür nicht zuletzt die überlegung ausschlaggebend, daß bei seiner Aktivität und Schaffenskraft die Herausgabe einer Schriftensammlung zum damaligen Zeitpunkt verfrüht erschien. Wer Jescheck kennt, weiß, daß auch sein 65. Geburtstag keine Zäsur darstellt, die dieses Bedenken auszuräumen vermöchte. Immerhin ist nach dem Abschluß der großen Strafrechtsreform und der Zurückgewinnung des Ansehens der deutschen Strafrechtswissenschaft im internationalen Bereich nach langer Isolierung nunmehr der Zeitpunkt gekommen, der Verdienste des Jubilars an dem Erreichten zu gedenken. Nichts kann besser seinen Anteil daran verdeutlichen als seine Schriften, die Marksteine auf diesem Weg bilden. Aus der Fülle der VeröffentLichungen um faßt der Sammelband nur ausgewählte Beiträge zur Strafrechtsreform, Strafrechtsvergleichung und zum internationalen Strafrecht, die in der Zeit zwischen 1953 und 1979 erschienen sind. Die sachliche Beschränkung liegt in dem Bedürfmis mitbegründet, die Arbeiten mit dem in der deutschen Strafrechtsliteratur weitgehend vernachlässigten internationalen Aspekt zusammengefaßt zugänglich und überschau bar zu machen. Die zahlreichen dogmatischen Veröffentlichungen konnten um so eher ausgespart bleiben, als sie meist in das schon in 3. Auflage erschienene Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Strafrechts eingegangen sind und mit diesem die weltweite Anerkennung und Verbreitung teilen. Die einzelnen Beiträge sind in der ursprünglichen Fassung inhaltlich unverändert abgedruckt worden. Die eckigen Klammern im Text geben jeweils die Seitenzahl ~m Original wieder, um das Auffinden von Belegstellen zu erleichtern. Mit der Untergliederung: Strafrechtsreform, Strafrechtsvergleichung und internationales Strafrecht sind die Schwerpunkte eines unermüdlichen Wirkens für ein Strafrecht umschrieben, das nicht nur der nationalen Friedensordnung, sondern zugleich der allen Völkern gemeinsamen, von wahrer Humanität geprägten Gerechtigkeitsidee verpflichtet ist. "Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft" als zusammenfassender Titel der ausgewählten Beiträge legt zugleich Zeugnis ab von einem Verständnis,
XII
Vorwort des Herausgebers
welches das Recht nicht als Machtinstrument, sondern in seiner tragenden Funktion für die Sicherheit und Würde des Menschen begreift. Darin spiegelt sich auch das Selbstverständnis des Autors wider, dem die Wissenschaft Verpflichtung und der Gelehrte ihr erster Diener ist. Für die verlegerische Betreuung des Sammelbandes gebührt Herrn Senator h. c. Ministerialrat a. D. Professor Dr. Johannes Broermann, der sich in wahrhaft wissenschaftlichem Geist - ungeachtet des heute damit verbundenen Aufwandes - des Vorhabens angenommen hat, herzlicher Dank. Derselbe gilt seinen Mitarbeitern für die sorgfältige Drucklegung. Zu danken habe ich auch den Verlagen, die in großzügiger Weise den Wiederabdruck der einzelnen Beiträge gestattet haben. Für die Korrekturen hat dankenswerterweise Frau Irmela Jung gesorgt. Das Vorhaben wäre allerdings ohne die tatkräftige Unterstützung von Fräulein Johanna Bosch, Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, kaum zustande gekommen. Sie hat nicht nur die wesentlichen Vorarbeiten geleistet, sondern sich um das Zustandekommen des Sammelwerkes bis zu seiner Fertigstellung mit großem Einsatz bemüht. Dafür sei ihr auch an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt. Wenn die ausgewählten Beiträge zum 65. Geburtstag von Hans-Heinrich Jescheck als Sammelband erneut abgedruckt werden, dann soll darin, verbunden mit den besten Glückwünschen für den Jubilar, zugleich der Dank all derer zum Ausdruck kommen, die von seinen Schriften mannigfache Anregung und Belehrung erfahren durften und auch für die Zukunft erhoffen. Gießen, im Dezember 1979 Theo Vogler
GELEITWORT Weitgespannt ist der Bogen, den die Arbeiten von Hans-Heinrich Jescheck schlagen. Er reicht von Einzeluntersuchungen des .internationalen Strafrechts, des Völkerstrafrechts und der Rechtsvergleichung, über Veröffentlichungen zum Wehrstrafrecht, zum Pressestrafrecht, zum Strafprozeßrecht und zur juristischen Ausbildung bis zur Auseinandersetzung mit den grundlegenden Problemen des Strafrechts. Er findet seine Krönung in dem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil, welches im In- und Auslande als das führende Werk deutscher Sprache auf diesem Gebiete anerkannt ist. Zu diesen selbständigen Arbeiten Jeschecks kommen die von ihm betreuten und herausgegebenen strafrechtsvergleichenden Sammelwerke, wie die über die Untersuchungshaft mit Justus Krümpelmann, über die Wiederaufnahme mit Jürgen Meyer, über die Geldstrafe mit Gerhardt Grebing, über die Staatsanwaltschaft mit Rudolf Leibinger und auch hier einem Höhepunkt, der großen Bibliographie "Quellen und Schrifttum des Strafrechts" mit Klaus H. A. Löffler, zu der kürzlich noch die Herausgabe der 10. Auflage des Leipziger Kommentars, gemeinsam mit Wolfgang Ruß und Günther Willms, getreten ist. Aus diesem so reichhaltigen CEuvre bringt der hier vorgelegte Sammelband Aufsätze aus drei Hauptgebieten der wissenschaftlichen Tätigkeit von Jescheck: Zur Strafrechtsreform im Zusammenhang mit der Kriminalpolitik, zur Strafrechtsvergleichung als Schwerpunkt und zum sogenannten internationalen Strafrecht verbunden mit dem Völkerstrafrecht. Sie vermitteln ein vorzügliches Bild der wissenschaftlichen Persönlichkeit von Hans-Heinrich Jescheck und lassen dessen unermüdliche Arbeitskraft ahnen, die ein schon nach seinem Umfange außergewöhnliches Werk entstehen ließ. Die Arbeiten von Jescheck zeichnen sich aus durch die Verbindung ihrer Richtung auf das Grundsätzliche der jeweils behandelten Problematik mit einer subtilen Erörterung der damit sich stellenden Einzelfragen. In einigen Veröffentlichungen herrscht die Auseinandersetzung mit den strafrechtlichen Grundproblemen vor, wie sie in den Vorträgen über "Das Menschenbild unserer Zeit und die Strafrechtsreform" und "Die weltanschaulichen und politischen Grundlagen des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs (E 1962)" sowie im Aufsatz "Methoden der Strafrechtswissenschaft" unternommen wurde. Die Neigung zur Besinnung auf das Grundsätzliche führte Jescheck immer wieder dazu, die Entwicklung der deutschen strafrechtlichen Dogmatik im Ganzen oder hinsichtlich einzelner Institute mit der anderer Länder, insbesondere österreichs und der Schweiz, in BeZliehung zu setzen. Für die deutsche Dogmatik sind die Arbeiten hervorzuheben, in denen Jescheck sich zu einem sozialen Handlungsbegriff bekannte und den Aufbau der Fahrlässigkeit in äußerst differenzierter Weise analysierte. Jescheck wurde zu einem der maßgebenden Vertreter der personalen Unrechtslehre.
XIV
Geleitwort
In Jungster Zeit traten zu den dem geltenden Redlt und seiner Entwicklung gewidmeten Untersuchungen strafrechtsvergleichende PubLikationen, welche von kriminalpolitischen Fragestellungen geleitet wurden und die sich mit Gesetzesänderungen sowie Reformbestrebungen in Belgien, Frankreich, österreich, Polen, Schweden und Lateinamerika befaßten. Am Ende dieser Reihe steht die jüngste Abhandlung über "Die Krise der Kriminalpolitik" , die zeigt, daß Jescheck über den faszinierenden Problemen der Dogmatik nie übersah, wie stark auf die soZliale Wirklichkeit und die kriminologischen Erkenntnisse bezogen eine heutige Strafrechtslehre sein muß. Kennzeichnend für die Arbeiten von Jescheck list, daß sie die Meinungen anderer unvoreingenommen und sachlich wiedergeben, ohne Rücksicht auf die stets ausgewogene, Extremlösungen abholde eigene Stellungnahme, deren Begründung ohne eine Vertreter fremder Ansichten verletzende Schärfe auskommt. Die sachliche Begründung des eigenen Standpunktes allein zählt und genügt. Seine Stellung als Direktor des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht erlaubte es Jescheck, in einer für die deutsche Strafrechts lehre einmaligen Weise rechtsvergleichende Ausführungen und Exkurse einzubeziehen, durch das Erfassen des Geistes der ausländischen Rechte ebenso beeindruckend wie durch die stupende Beherrschung der Einzelheiten. Es ist nicht zuletzt diese Eigenheit des Jescheckschen Lehrbuches, welche -ihm seine Beachtung im Ausland sicherte. Wenn sich ein Gedanke erkennen läßt, der sich durch alle Arbeiten von HansHeinrich Jescheck zieht und der insbesondere die im Lehrbuch vertretenen Auffassungen prägt, so ist es der der Humanität. Er führte Jescheck als jüngstes Mitglied der Großen Strafrechtskommission dazu, sich entschieden, doch damals zu früh, für moderne Auffassungen einzusetzen, wie die Abschaffung der Zuchthausstrafe, die Einführung des Vikariierens bei der Sicherungsverwahrung und den Ausbau der Strafaussetzung zur Bewährung. Damit verbindet sich die Auffassung des Menschen als eines auf freie Selbstbestimmung und unausweichlich zugleich auf Verantwortung angelegten Wesens. Jescheck versteht das Strafrecht als Bekräftigung der sozialethischen Werte, deren Anerkennung jede Gemeinschaft, die eine Friedensgemeinschaft sein will, bedarf und die sie mit ihrer Rechtsordnung festlegt. Betonte Jescheck früher die Aufgabe des Strafrechts als" Verwirklichung der Gerechtigkeitserwartung" und lehnte er es ab, im Strafrecht nichts als eine Anordnung zu sehen, die eine zweckmäßige Behandlung des Straffäll~gen ermöglichen soll, so bekundet die spätere Hinwendung zur Kriminalpolitik eine immer stärkere Beachtung der Rechtswirklichkeit. Der vermehrten Aufmerksamkeit, die Jescheck kriminalpolinischen Fragestellungen schenkt, entspricht die immer eingehendere Behandlung der kriminalrechtlichen Sanktionen in jeder neuen Auflage des Lehrbuches. Doch hält er daran fest, die Gerechtigkeit verbiete, die zum Ausgleich der Schuld geforderte Strafe zu unterschreiten. All dies wird vorgetragen in einer klaren, einfachen Sprache, die verrät, daß sich Jescheck zu einer Frage erst äußert, nachdem er sie lin jeder Hinsicht aufs gründlichste bedacht hat. Es ist, wie wenn er dem dictum von Walther Burckhardt folgen möchte: "Was klar gedacht ist, kann klar gesagt werden". Sprachmeisterschaft eignet Jescheck nicht nur in seiner Muttersprache, sondern in mehreren anderen europäischen Sprachen. Dies ließ ihn zur Leitung eines Instituts
Geleitwort
xv
der Strafrechtsvergleichung prädestiniert erscheinen. Und mit welcher überlegenheit und scheinbaren Mühelosigkeit bewältigte er diese Aufgabe, die einen anderen voll beansprucht hätte, neben der Betreuung eines strafrechtLichen Lehrstuhls mit unausgesetztem Suchen nach neuen didaktischen Formen, wie die einer »Einführung in die strafrechtliche Praxis", und dem großen wissenschaftlichen Werke! Seine Sprachkennt!l!isse erlaubten Jescheck zudem, die nach 1945 völlig abgebrochenen Beziehungen der deutschen Strafrechtslehre zu der anderer Länder, nicht zuletzt der Siegermächte, wieder anzuknüpfen. Wenn heute die deutsche Strafrechtslehre die Isolierung der ersten Nachkriegsjahre überwunden hat und international wieder voll anerkannt ist, dann ist dies zu einem guten Teil auf das Wirken von Jescheck zurückzuführen. Die ersten Fäden knüpfte Jescheck schon während der Kriegsgefangenschaft in Frankreich an, er setzte diese Bestrebungen fort durch seine Tätigkeit in der deutschen Landesgruppe und insbesondere im Vorstand der Association Internationale de Droit renal und nicht zuletzt durch seine nie erlahmende Bereitschaft, der deutschen Strafrechtswissenschaft durch Vorträge im Auslande Gehör zu verschaffen. Die Anerkennung für dieses vtielfältige und reiche Wirken blieb nicht aus. Drei ausländische Universitäten zeichneten Jescheck mit der Würde eines Ehrendoktors aus. Doch wird er es als den Höhepunkt seiner internationalen Tätigkeit empfunden haben, wüe ihn die Association Internationale de Droit Penal auf ihrer Hamburger Sitzung vom 22. September 1979 als ersten Deutschen zu ihrem Präsidenten berief. Das Wirken von Jescheck verkörpert mit seiner strengen Pflichterfüllung beste alte preußische Tradition. Doch wer vermeint, in ihm einem Stubengelehrten zu begegnen, täuscht sich ganz und gar. Den Künsten aufgeschlossen, sportlicher Betätigung zugewandt ist dieser hervorragende Vertreter heutiger Kriminalwüssenschaft ein Gentiluomo unserer Zeit. Thun, im Dezember 1979 Hans Schultz
STRAFRECHTSREFORM
DAS MENSCHENBILD UNSERER ZEIT UND DIE STRAFRECHTSREFORMH Als ·die Große Strafrechtskommission am 7. Dezember 1956 den Entwurf des Allgemeinen Teils des neuen Strafgesetzbuchs in erster Lesung angenommen hatte, war dies ein bemerkenswerter Augenblick, vor allem wenn man ihn auf dem Hintergrund ,der schon mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Geschichte der Bemühungen um die Reform ,des deutschen Strafrechts betrachtet. Die großen .grundlegenden Vorentscheidungen sind nunmehr gefallen, und die Hoffnung, daß es gelingen wird, den Entwurf des ganzen Gesetzbuchs fertigzustellen und bis, sagen wir, zum Jahre 1958 der Bundesregierung vorzulegen, erscheint jetzt nicht mehr allzu kühn. Der Entwurf des Allgemeinen Teils in seiner ersten Fassung wird in einigen Monaten mit einer Begründung bekannt gegeben und damit der Kritik der öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, während die Beratungen der Strafrechtskommission selbst sich bereits dem Besonderen Teil, d. h. ,den einzelnen Straftatbeständen, zugewandt haben. Wer mit der Gesetzgebungspraxis, insbesondere mit der Strafgesetzgebung, nicht vertraut ist, wird fragen, warum denn gerade von der Vorbereitung des neuen Strafgesetzbuchs so viel Aufhebens gemacht wird. Die Gesetze, die der Bundestag uns beschert hat, sind, so könnte man einwenden, doch ohnehin schon zahlreich genug. Warum bleiben wir dann nicht bei unserem guten alten Strafgesetzbuch von 1871, das erst im Jahre 1953 in neuer Fassung bekannt gemacht worden ist? Wozu die langen Fristen, die man für diese Reformarbeit offenbar nötig zu haben glaubt, wozu eine besondere Kommission und noch dazu eine »große"? Ich kann auf ,diese Fragen hier nur eine Teilantwort geben, weil ich sonst über die Vorrede nicht hinauskommen würde, aber ich hoffe, ,d aß der Vortrag selbst ,dazu beitragen wir.d klarzustellen, was jetzt noch unklar erscheint. Die Juristen, wenn auch längst nicht alle, sind der Meinung, ·daß wir ein unserer Zeit gemäßes, modernes Strafgesetzbuch [4] brauchen und ,daß ,das alte Gesetz auch in seinem vielfach erneuerten Gewande den Anforderungen ,der Gegenwart nicht mehr entspricht. Auch von den Gegnern ,des ganzen Vorhabens wird nicht verkannt, daß diese Reform die schwierigste gesetzgeberische Aufgabe darsteUt, die wir zu leisten haben. Das Strafgesetzbuch erscheint gewissermaßen als getreues Ahbil,d unseres Kulturzustandes und gibt jedermann Auskunft über den Geist, der in unserem Staate herrscht. Es betriffl: unmittelbar jeden einzelnen, indem es ihm Schutz gewährt, aber auch Grenzen setzt. Das Strafgesetzbuch ist tief mit dem Gemüt und Charakter des ganzen Volkes verbunden und erscheint diesem als »,das Recht" schlechthin. In der Zeit des übergangs von der liberalen Gesellschaftsordnung zum modernen hochindustrialisierten Massenstaat benötigt der Gesetz-
*
Tübingen: Mohr 1957. 40 S. (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart. Heft 198/199).
+ Die Abhandlung gibt in erweiterter Form einen Vortrag wieder, den der Verfasser am
12. Dezember 1956 im Rahmen des Freiburger Dies Universitatis gehalten hat. I·
4
Strafrechtsreform
geber besonders sorgfältige, allseitige überlegungen, um sich schlüssig darüber zu werden, welche Grundauffassungen das Strafrecht in unserer Lage vertreten und welche Ziele es anstreben soll. Aus diesen Gründen hat das Bundesjustizministerium die große Aufgabe in jener grundsätzlichen Weise angefaßt, ,die in den Beratungen der Strafrechtskommission, eines Kreises von etwa zwanzig frei berufenen, unabhängigen Mitarbeitern, Ausdruck gefunden hat. Ich möchte vor Ihnen ,die Frage behandeln, wie sich das jetzt bereits erkennbare Gesicht der Strafrechtsreform verhält zu der Wirklichkeit ,des Menschen unserer Zeit oder, sagen wir es vorsichtiger, zu dem Bilde, das wir uns von ihm machen. Als ,das Bundesjustizministerium vor vier Jahren den Wiederbeginn der deutschen Strafrechtsreform in die Wege leitete, wurde ,die juristisch-technische Seite des Vorhabens besonders sorgfältig vorbereitet. Davon legen Zeugnis ab der stattliche Band der "Gutachten der Strafrechtslehrer" und ,die bei den noch von Adolf Schönke in den Anfängen hetreuten Bände der "Rechtsvergleichenden Arbeiten zur Strafrechtsreform ", die an unserem Freiburger Institut für ausländisches und internationales Strafrecht geschaffen wor,den sind. Dagegen wurde die Frage, welches Bild sich unsere Zeit von dem Menschen macht, auf den das neue Strafgesetzbuch einmal angewendet [5] werden soll, nicht ausdrücklich gestellt und jedenfalls nicht in besonderen Vorarbeiten untersucht, wenn sie natürlich auch inden juristischen Gutachten unter Stichworten wie "Täterstrafrecht "Straftheorie" , "Zurechnungsfähigkeit", "Schuldlehre u immer mit bedacht werden mußte. Daß man ohne besondere Vorarbeiten 1 psychologischer, medizinischer und soziologischer Art auszukommen glaubte, hängt wohl mit der heimlichen überzeugung ,des Juristen zusammen, hier selbst zuständig zu sein und sich mehr oder weniger ein eigenes Urteil darüber zutrauen z,u können, wes Geistes Kind die Menschen sind, mit denen er es zu tun hat. In ,der Tat geht der Strafjurist ja täglich mit nichts anderem um als mit den Menschen seiner Zeit, ihrem Gewissen, ihrem Schuldigwerden, ihrer Verantwortlichkeit und ihren mannigfachen guten und ·schlechten Seiten. Aus der bloß juristisch-technischen Vorbereitung ·der Strafrechtsreform darf jedenfalls keineswegs der Schluß gezogen werden, daß die Wegbereiter und Mitarbeiter dieses Werkes das Strafrecht etwa als reine Normwissenschaft: betrachten wollten, die sich die Frage nach dem Sein ,des Menschen im wesentlichen schenken könnte. Im Gegenteil! Das Sollen, mag man seine Begründung noch so hoch ansetzen, bedeutet ,doch immer auch eine reale Verhaltenserwarrung. Wie könnte sich also der Gesetzgeber nicht darum zu kümmern haben, was man von den Menschen unserer Zeit billigerweise verlangen kann, mögen auch die psychologischen und soziologischen Gegebenheiten für das Recht keineswegs schlechthin verbindlich sein! Zum anderen hat die heute herrschende personale Auffassung des Menschen, die Leib und Seele als eine zutiefst verbundene Einheit auffaßt, allentU
,
1 Ganz im gleichen Sinne wie der Text die Arbeiten von Richard Lange, denen ich vielfach verpflichtet bin, z. B. Grundfragen der deutschen Strafrechtsreform, SchwZStr.70 (1955) 373; Die Bedeutung der Tiefenpsychologie und der Narkoanalyse in der Rechtspflege, Z. f. d. ges. gericht!. Medizin 41 (1952) 64; in gleicher Richtung schon früher Gustav Radbruch, Der Mensch im Recht, Tübingen 1927, und Edmund Mezger, Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen, Stuttgart, 3. Aufl. 1944; ferner auch die eigenen Versuche: Grundgedanken der deutschen Strafrechtsreform, Radius (Vierteljahresschrill der Evangelischen Akademikerschall in Deutschland) 1956, 11; La fonction sociale de la peine, Revue Internationale de Defense Sociale 9 (1955) 172.
Das Menschenbild unserer Zeit
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halben so eindrucksvolle Forschungsergebnisse [6] aufzuweisen, mag man .die Anthropologie oder die Psychologie, die Pädagogik oder die Soziologie, die Physiologie oder die Psychiatrie ins Auge fassen, ·daß .der Jurist nicht abseits stehen soHte, wenn ·diese Ernte eingebracht wird. Täte er dies, so würde er sich auf eine bloß routinemäßige Erledigung seines Fachs beschränken und wäre dann wirklich ein "arm Ding", wie ihn Martin Luther einmal genannt hat. So stellen wir also im gleichen Sinne wie Erik Wolf vor 25 Jahren in seiner Freiburger Antrittsrede die Frage: "Wer ist es eigentlich, den wir strafen wollen?"2
1. 1. Der Mensch unserer Zeit erscheint uns anders als der Mensch des Anfangs der dreißiger Jahre. Zwischen ihm und uns liegt die Erschütterung unseres gesamten Daseins, die wir durch die Diktatur und ihre Schrecknisse, insbesondere aber durch den zweiten Weltkrieg als Folge und Preis .der eigenen politischen Verblendung erfahren haben. Wer diese Zeit mit offenen Augen erlebt hat, wurde vor Konfliktsituationen von einzigartiger Schärfe gestellt, .die nicht selten ohne Ausweg waren. Millionen haben erfahren, was es heißt, wenn man um der Ehre und .des Anstands willen für den Sieg kämpfen und gleichzeitig um des Rechts und der Menschlichkeit willen die Niederlage herbeiwünschen muß. Nur weil die nachfolgenden Sätze den Stempel des Selbst erlebten tragen, möchte ich hier wiedergeben, was ich vor zehn Jahren als Kr.iegsgefangener in ·der französischen Zeitschrift "E5prit" auf eine Umfrage über "Das, was die Deutschen von sich selber ·denken" geschrieben habe: "Des le premier abord j'ai considere cette guerre comme une agression criminelle et j'ai beaucoup souffert de la contradiction des devoirs pendant mes annees de front. IIs sont peu, ceux qui, par devoir de conscience, se sont decides a deserter familie, patrie, armee en se rHugiant a I'etranger. Je n'ai meme pas examine cette possibilite3 ." (Von Anfang an habe ich diesen Krieg als einen verbrecherischen Angriff betrachtet und habe während der Jahre an der Front schwer unter [7] dem Widerstreit der Pflichten gelitten. Es sind nicht viele gewesen, die aus Gewissensgründen sich von Familie, Vaterland und Armee getrennt haben, um im Ausland Zuflucht zu suchen. Ich habe diese Möglichkeit nicht einmal in Erwägung gezogen.)
Seit Jahren arbeiten die besten Schichten ·des Volkes an der Wiederbegründung des moralischen deutschen Ansehens im Auslande, das .durchdie stets gegenwärtige Erinner-ung an das Schicksal unserer jüdischen Mitbürger wie auch an vieles andere Schreckliche immer wieder zutiefst erschüttert wird, aherdoch in unbeirrter und unverzagter Arbeit gefestigt wer·den konnte. Es ist fast so, als ob ·die Geteiltheit unseres Volkes und ,das Provisorische ·unseres gegenwärtigen Zustandes uns die Last unserer eigenen Vergangenheit immer wieder symbolisch vor Augen führen sollte. Durch die Erfahrung ist uns so .die alte Frage der Philosophie nach den Prinzipien des rechten Handelns wirklich zu einer Lebensfrage geworden. Man kann das Schicksal unseres Vaterlandes in ·dem letzten halben Jahrhundert nicht betrachten, ohne ,daß sich diese Frage sogleich und immer von neuem auf die Lippen drängte. Es erscheint uns nach dem, was vorgefallen ist, nicht mehr glaubhaft, wenn Jean-Paul Sartre lehrt, daß 2 Erik Wolf, Vom Wesen des Täters, Tübingen 1932, S. 9. Vgl. auch Gustav Radbruch, Die Natur der Sache als juristische Denkform, Laun-Festschrift, Hamburg 1948, S. 176. 3 "Les Allemands parlent de I'AlIemagne", Esprit 15 (1947) 953.
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"nous ne trouvons pas en face de nous des valeurs Oll des or,dres qui legitimeront notre conduite" (daß wir keine Werte oder Ordnungen vor uns haben, die unser Verhalten rechtfertigen) und "que nous inventons les valeurs" (daß wir selbst die Werte erfinden) oder wenn er den Menschen .daran erinnert, "qu'il n'y a d'a.utre legislateur que lui-meme" (daß es keinen anderen Gesetzgeber gibt als ihn selber)4. Gewiß ist die Frage nach den Prinzipien ,des richtigen Handelns, die in ,den ersten Jahren nach dem Kriege mit so viel Ernst gestellt wurde, ·durch die im Verhä.ltnis zu 1945 kaum glaubliche Entwicklung des Lebensstandards !Unseres Volkes bei vielen in den Hintergrund gedrängt wor,den. Aber sie ist ,doch bei allen, ·a uf die es ankommt, immer gegenwärtig geblieben, und der wirtschaftliche Aufschwung ist trotz manches Negativen,das er gebracht haben mag, im Grunde ·doch a.uch ein tbemerkenswertes Zeichen [8] der Disziplin, Schaffenskraft und VerantwortungsfrelUde des ganzen Volkes. Das, was im Hinblick auf 'lInser Gesamtschicksal inden letzten Jahrzehnten not tut, ist vor allem ein kraftvolles Strafgesetz, das sittliche Werte kennt und anerkennt, die Existenz 'lind Verbindlichkeit sittlicher Pflichten voraussetzt !Und dem Volke wie in einem Spiegel das Bild seines besseren Selbst vor Augen führt. 2. Besitzt unser Staat aber eigentlich ,die moralische Autorität, die nötig ist, um eine allgemein anerkannte Wertordnung aufstellen zu können? Besitzt der Staat der modernen Industriegesellschaft überhauptirgendein anderes Ansehen als dieses, daß er den überfluß der Konsumgüter richtig und reibungslos verteilt, eine Polizei unterhält und dafür sorgt, ·d aß die Züge pünktlich verkehren? Mir ist ,diese neutralistische, wertindifferente Staatsa'llffassung genau bekannt5, die sich aus dem Schrecken über unsere Vergangenheit und a'lls der Resignation vor unserer Gegenwart sehr wohl begreifen läßt, aber ich glaube, daß sie auf die Widerstandskraft der Welt, in der es sich um der Freiheit willen allein zu leben lohnt, geradez.u verheeren,d wirkt8 • Ein Staat, der sich dara·u f beschränken wollte, ein gut funktionierender MehrzweckeApparat zu sein, entbehrte jeder Integrationswirkung und würde in der Auseinandersetzung mit dem Osten auch moralisch immer der schwächere bleiben, wenn er nicht schon in der ersten besten Absatzkrise von selber auseinanderfiele. Fragt man, woher der Staat diese neue, ihm gewiß sehr nötig moralische Autorität gewinnen soll, so kann die Antwort nur lauten: ,durch die Lebensarbeit von uns allen, besonders alUch von uns Juristen7 • Es mag vielleicht nur eine gewisse Auslese des Volkes sein, die die gegenwärtige Wertordnung bestimmt, denn leider haben wir nicht mehr [9] eine politisch so fruchtbare Zeit wie vor 100 Jahren, als ,die öffentlichen Angelegenheiten Herzenssache eines jeden Bürgers waren. Aber diese wenigen dürfen mit ihrem Bekenntnis nicht hinter dem Berge halten, und die Pflicht des 4 Jean-Paul Sartre, L'existentialisme est un humanisme, Paris 1946, S.37, 89 und 93. Vgl. hiergegen auch Ulrich Klug, Das MenschenbiLd im Recht, in: Das Menschenbild der Gegenwart, Karlsruhe 1955, S. 40. 5 Zu dem Schwund alIer echten Autorität in dem auf die Verteilung des Sozialprodukts beschränkten Wohlfahrtsstaat vgl. Ernst Forsthoff, Das politische Problem der Autorität, in: Der Horizont, Selbstverlag der Ev. Akademie Baden (Herrenalb) Bd. 1 (1956),1 fI. S Bezeichnenderweise endet auch das die Monotonie der amerikanischen Massengesellschaft: meisterhaft: schildernde Buch von David Riesman, Die einsame Masse (Titel der amerikanischen Ausgabe: Tbe Lonely Crowd), Darmstadt 1956, mit einer "indirekten Morallehre". 7 Forsthoff a. a. o. S. 8 hat völIig recht damit, wie er am Beispiel der Bundesrepublik zeigt, auf welche Weise sich echte Autoritätsbeziehungen bilden: "nämlich durch Leistunß und Bewährung".
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Staates sehe ich darin, diese Ordnung zu einem Zeichen für alle zu erheben. Ich meine damit das, was Goethe in jenem bekannten Wort ausgedrückt hat: "Wenn wir die Menschen behandeln, wie sie sind, so machen wir sie schlechter, wenn wir sie behandeln, wie sie sein sollten, so machen wir sie zu dem, was sie werden könnens."
3. Sind diese überle~ungen richtig, so ergeben sich daraus für ,die Strafrechtsreform weittragende Konsequenzen. Das neue Gesetz muß in erster Linie nach der Bindung an Werte streben und auf letzte Zweckmäßigkeit Verzicht leisten, wenn diese nur unter Aufopferung von Werten erreicht werden könnte. So wird, um das Selbstverständliche vorwegzunehmen, etwa die Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher nicht wieder eingeführt werden, mag diese Maßregel noch so wirkungsvoll sein, weil der Respekt vor dem Menschen, der auch im Verbrecher zu achten ist, Verstümmelungsstrafen verbietet. Auch die schon im Grundgesetz festgelegte Abschaffung der Todesstrafe beruht letztlich auf aer Anerkennung der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens und auf der überzeugung, ,d aß auch der Schwerverbrecher jederzeit zu innerer Läuterung befähigt ist und dem Anruf des Gewissens nicht durch die Hand des Henkers gewaltsam entzogen wel'ldendarf. Das Bekenntnis zu bestimmten Gütern und Werten, die wir für wesentlich halten, wird ferner zur Folge haben, daß - im Gegensatz zur schwedischen Krimina'1rechtsreform sa - wohl keine prinzipielle Xnderung in ,der Beurteilung weltanschaulich umstrittener Tatbestände wie Abtreibung, Homosexualität und Ehebruch eintreten wird. Die Tragik, die auf dem Schicksal so mancher Menschen lastet, kann nicht ,durch ein Nachgeben im Bereich des Strafrechts aufgehoben wer,den. Der Sinn- und Wertgehalt der einzelnen Deliktstatbestände soll auch in Zukunft [10] ,daa.urch angezeigt werden, ,d aß die festen Strafrahmen erhalten bleiben, obwohl es vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit vielleicht vorteilhafter wäre, ,die kriminalrechtliche Reaktion ganz ,dem richterlichen Ermessen im Einzelfall zu ü'berlassen. Die segensreiche Einrichtung der Strafaussetzung zur Bewährung wir,d in dem neuen Gesetz ein ausgeprägteres Profil erhalten, indem die Weisungen mit Resozialisierungssinn, wie etwa die, einen bestimmten Beruf zu erlernen, von den Auflagen mit Sühnecharakter, wie etwa .der Wiedergutmachung ,des Schadens, unterschieden werden. Zugleich soll aamit der fruchebare Gedanke aufgenommen weI1den, ,das "malum passionis" der Strafe in geeigneten Fällen durch ein "bonum actionis" .des Täters zu ersetzen9, und auch darin liegt ein Bekenntnis zu jenem sittlichen Gr,undanliegen des Strafrechts, ,das uns ebenso wichtig erscheint wie seine Schutzfunkcion 1o • Auch die Beibehaltung der Zuchthausstrafe, gegen die ich mich in der Kommission vergeblich ausgesprochen habe, gehört in diesen Zusammenhang. Die Mehrheit wollte sich, nachdem die Todesstrafe abgeschaffI: ist und wohl abgeschaffI: bleiben wird, nicht auch noch dieser Möglichkeit entäußern, den besonderen Unwertgehalt schwerster Straftaten wie Mord, Menschenraub, Körperyerletzung mit beabsichtigten schweren Folgen, Notzucht mit Todesfolge, schwere S Zitiert nach Gustav Radbruch, Kleines Rechtsbrevier, hrsg. von Fritz von Hippel, Göttingen 1954, S. 26. sa Nach einem Freiburger Gastvortrag von Gerhard Simson am 7. 11. 1956. 9 Giorgio dei Vecchio, Sul fondamento dellll Giustizia penale, Archivio Penale 1 (1945) 93. 10 Bezeichnenderweise finden wir die gleiche Entwicklung von der alleinigen Berücksichtigung des "dommage reel" zum Anspruch auf "fraternite sociale" selbst in einem so konservativen Strafrecht wie dem französischen (ooch einem Freiburger Gastvortrag von Jacques Uaute am 14. 2. 1957).
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Brandstift'Ung durch einen von der gewöhnlichen Freiheitsstrafe auch im Volksbewußtsein unterschiedenen Makel zu kennzeichnen. Obwohl ich, wie gesagt, die Ausgangsposition ,der Mehrheit teile, hätte ich an dieser Stelle den Forderungen der modernen Kriminalpolitikden Vorzug gegeben, wonach eine brandmarkende Strafe (wie sie ,die Zuchthausstrafe nun einma.J ist) im neuen Strafrecht keinen Platz haben sollte, weil sie den Rückweg des Verurteilten ins soziale Leben über Gebühr erschwert. Auch der österreichische Entwurf hat aus diesen Gründen die Kerkerstrafe beseitigt. Hinzuweisen ist weiter darauf, ,d aß ,der [11] Entwurf keine privilegierende Strafe für überzeugungstäter mehr vorsieht - eine selbstverständliche Konsequenz, sobald man den Mut hat, die allgemein anerkannte Wertordnung auch ernst zu nehmen. Wer seinen eigenen, davon abweichenden Vorstellungen von Recht und Sittlichkeit folgt, kann keinen Anspruch darauf erheben, als besonders achtbar behandelt zu werden, ,denn die Gesetze verbieten nur das bei Strafe, was aus Gründen des »unerträglichen Beispiels" wirklich strafwürdig erscheint. Schließlich erklärt sich aus dem Bekenntnis zu einer werterfüllten Ol1dnung und zur Pflichtgebundenheit des Menschen auch die Stellungnahme des Entwurfs zum Unrechtsbegriff. Das Verbrechen wird seinem Wesen nach nicht hloß als Herbeiführung eines realen Schadens angesehen, sondern auch als eine Verfehlung gegen persönliche Pflichten11 • Aus dem personalen Unrechtsbegriff folgt z. B. ,die Strafbarkeit des absolut untauglichen Versuchs, der - abgesehen von den Fällen groben Unverstandes wie Totbeten usw. Verfehlung bleibt, obwohl gar keine Gütereinbuße eintreten kann. Auch die subjektiven Unrechtsmerkmale lassen sich nurda.durch voll erklären, daß man das personale Kennzeichen der Tat schon bei der Rechtswi,drigkeit in Betracht zieht. Aus der Pflichtgebundenheit des Menschen ergibt sich ferner ,die Handlungserwanung bei den unechten Unterlassungsdelikten und speziell bei dem charakteristischen Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung wie auch hei gewissen Straftaten gegen die Familie. Das Strafrecht hat in unserer Zeit nicht nur eine Güterschutzf,unktion zu erfüllen, sondern ist zugleich Ausdruck der Erwartung sozialer Anspannung von jedermann zugunstendes Mitmenschen. Der Mensch soll nicht nur keinen Schaden stiften, sondern es wird von ihm, um ,drohenden Scha.den zu vermeiden, in gewissem Umfange auch eine positive Leistung erwartet. 4. Die Grundüberzeugung, daß das Strafrecht »Maß zu geben hat" (Richard Lange) und demgemäß von jedermann das »ethische Minimum" an Pflichtbewußtsein verlangen muß, ist übrigens nicht [12] neu, sondern hat schon in ,den zwanziger Jahren in der Auseinandersetzung mit der materialistischen und positivistischen Strafrechtstheorie der Jahrhundertwende kräftig an Boden gewonnen l2 • Gewiß sind hierbei Einflüsse der materialen Wertethik Max Schelers und Nicolai Hartmanns am Werke gewesen, denn die Wertphilosophie hat damals ,das Denken überhaupt in eine neue Richtung gelenkt und dem Wertrelativismus entschieden den Kampf angesagt, aber es ist trotzdem nicht so, daß der Entwurf für seine Wertentscheidungen einen Absolutheitsanspruch erheben wollte. Das ist z. B. daraus zu schließen, ,daß die Kommis11 Wilhelm Gallas, Zur Kritik der Lehre vom Verbrechen als Rechtsgutsverletzung, Gegenwartsfragen der Strafrechtswissenschaft, Berlin und Leipzig 1936, S. 53 u. 55; vgJ. ferner
Anm. l0. 12
Hans Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie, Mannheim-Berlin-Leipzig 1935,
S. 77 ff.
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sion vom Personal- zum Territorialprinzip ühergegangen ist, also ·den eigenen Staatsangehörigen im Auslande nicht mehr prinzipiell der eigenen Strafrechtsordnung unterwirft. Sehr mit Recht hat Hans Welze! vor solchen Absolutheitsansprüchen gewarnt: "An der Sche!er-Hartmannschen Wertethik erfüllt sich das schon bei P!ato und bei Leibniz offenkundig gewordene Schicksal jeder idealistischen Wertlehre: a.us a·llgemeinen apriorischen Wertwesenheiten läßt sich durch keine Vorzugsgesetze die richtige Entsche~dungim jetzt und hier ,der wirklichen SitJuation ideell herausholen 13 ." Auch der Bundesgerichtshof hat für seine Bemü·hungen, bestimmte Wertentscheidungen absolut zu begründen, wenig Gegenliebe gefunden14 , wie die verbreitete Kritik an ·den Urteilen zur Verlobtenkuppelei 15 und zur unterlassenen Hilfeleistung beim Selbstmord 18 gezeigt hat. Auf der anderen Seite teilt ,der Strafrechtsentwurf aber auch keineswegs den Standpunkt der älteren Existenzphilosophie, daß es das Recht ausschließlich mit der "Uneigentlichkeit" ,des Daseins zu tun ,habe, wo "Jeder der Andere und Keiner er selbst" ist 17 • Die Strafrechtskommission hat vielmehr [13] einen Mittelweg einzuhalten versucht, auf ,der ihr als Leitstern .das Bild eines Menschen vorschwebte, der kraft der Erfahrung seines Schicksals Prinzipien .des rechten Handelns zu erkennen sucht, Werte zu achten weiß ul1!d seine mitmenschlichen Beziehungen als ein Stück seiner eigentlichsten Existenz empfindet. Es ist also ein an der Wirklichkeit orientiertes Rechtsgewissen, das uns dazu führt, dem Menschen eine "soziale Willensanstrengung"18 abzufordern. Das Strafrecht strebt nicht in erster Linie einen Heilerfolg an, sondern die Verwirklichung der Gerechtigkeitserwartung, die Strafe auch dann erfordern kann, wenn niemand "heil:bedürftig" ist oder wenn die "Krankheit" sich als so schwer erwiesen hat, daß therapeutische Versuche von vornherein aussichtslos erscheinen. Recht und Medizin sind und bleiben eben zweierlei. Auch in diesen Fällen stellt es einen nicht zu unterschätzenden Wert dar, daß sich in ,der Machtprobe des Verbrechers gegenüber dem Recht ·die Unverbrüchlichkeit des letzteren erweist.
11. 1. Die Frage, die sich nach diesen Ausführungen aufdrängt, ist nun freilich die, ob der Hintergrund, auf .dem hier der Verbrechensbegriff in seinem sozialen Aspekt gesehen wird, nicht viel zu idealistisch erscheint, sobald man nur den Blick von der Großartigkeit jener Wertwelt zurücklenkt auf .den Menschen, ,den diese Ordnung angeht und der sie erfüllen soll. Kann subjektiv überhaupt geleistet werden, was ein solches Gesetz objektiv verlangt? Ist es nicht einfach .das überstrenge MenschenbiLd Kants, das hier vorausgesetzt wird, mit "der Freiheit als sittlicher Selbstbestimmung, 13 Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Göttingen 1955, S. 181 (Hervorhebung im Zitat vom Verfasser). 14 Vgl. Wilhelm Weischedel, Recht und Ethik, Karlsruhe 1956; Walter Sax, JZ 1954, 474; Paul Bockelmann, JR 1954, 361; Hans-Heinrich Jescheck, MDR 1954, 645; Wilhelm Gallas, JZ 1954,642. 15 BGHSt. 6, 46. 18 BGHSt. 6,147. 17 Martin Heidegger, Sein und Zeit, 7. Aufl., Tübingen 1953, S. 128. Ober diesen Standpunkt hinaus weist jetzt, nachdem auch Heidegger heute anders denkt, Werner Maihofer, Recht und Sein, Frankfurt a. M. 1954. 18 So Franz Wieacker, PriV'atrechtsgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1952, S.355. Näher dazu Erik Wolf, Das Problem der Naturrechtslehre, Karlsruhe 1955, S. 88.
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dem Gewissen, dem Personsein, der menschlichen Würde und ,der Verantwortlichkeit für die Mitmenschen?"19 Werden da,durch nicht gerade ,die Kräfte ·der Menschen überfordert, mit denen es das Strafgesetz gewöhnlich zu tun hat? Man kann sich gegenüber .diesen Fragen auf eine juristisch-technische Antwort zurückziehen und etwa sagen: [14] Die objektive Wertordnung, wie sie von der Mehrheit ·des Volkes verstanden wird, ist offenbar zur Erhaltung des sozialen Zusammenlebens notwendig, und ,deshalh verlangen wir ihre Erfüllung, ohne uns zu vergewissern, in welchem Maße .der straffällige Mensch wirklich die notwendige Einsicht und Willenskraft dafür besitzen mochte, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Schuld und Gewissen werden damit zur "staatsnotwendigen Fiktion"20. Man kann auch ,die .direkte Gegenposition der ,hier vertretenen einnehmen und mit dem Träger eines hohen Amtes in unserer Strafjustiz sagen, das "normative Menschenbild sei eine im Schafspelz der Wissenschaft betriebene schlechte Metaphysik"!!, die Strafrechtskommission habe sich mit "billiger Pathetik begnügt" und sich dem "Studium individual- und massenpsychologischer Phänomene und der soziologischen Aspekte der Kriminalität entzogen"22. Um es vorwegzunehmen: das Menschenhild, ,das ,die Strafrechtskommission zugrunde legt, kommt wohl im ganzen auf die VorsteUung Kants hinaus, ,d aß der Mensch auf Selbstverantwortung angelegt ist und in der Gewissensentscheidung den zentralen Akt der sittlichen Persönlichkeit vollzieht. Aber dies wird nicht mehr als Glaubenssatz apriorisch dekretiert, sondern die Strafrechtsreform kann sich heute auf .die bemerkenswerte Tatsache stützen, daß unsere These in der Gegenwart gewissermaßen "von unten her" durch die naturwissenschaftliche Forschung mit aufgebaut wird. Es scheint mir eine gerade wegen ihrer übereinstimmung in der Vielfalt besonders beachtliche Erscheinung zu sein, daß die beteiligten Wissenschaften, ohne die Wahrheitstreue des Gelehrten im geringsten zu beeinträchtigen, heute mit mehr oder weniger Einschränkung anerkennen, ,d aß der Mensch nicht in seine natürliche Existenz eingeschlossen ist, sondern daß die personale Freiheit seine leib-seelische Bedingtheit überhöht. [15] Die Gegenposition, wie sie einst Franz von Liszt und seine Schule, stärker noch die Italiener Ferri und Garofalo vertreten hatten, ist wissenschaftlich überholt23 • Aber auch bei der vorhin erwähnten Resignationslösung braucht man nicht stehen zu bleiben, denn es würde heute fast als rückständig, jedenfalls aher nicht als besonders mutig erscheinen, wollte man den Menschen nur als Rechtsperson auffassen, es aber nicht wagen, ihn auch in seiner seelisch-leiblichen Existenz als ein mit Gewissen und Verantwortung begabtes Wesen :bU nehmen. 2. Unser Rundblick über die Einzelwissenschaften, den wir jetzt versuchen wollen, ist natürlich mit aller Lückenhaftigkeit und Vereinfachung behaftet, die man in Kauf nehmen muß, wenn man nicht inder Fülle der Einzelheiten stecken bleiben will, 19 So die Formulierung von Weischedel a. a. O. S. 12. 20 Das bekannte Schlagwort stammt von Eduard Kohlrausch, Sollen und Können als Grund-
lagen strafrechtlicher Zurechnung, Güterbock-Festgabe, Berlin 1910, S. 26. 21 Fritz Bauer, Das Menschenbild im Strafrecht, Die neue Gesellschaft 3 (1956) 335, zitiert hier zustimmend S. Haddenbrock, MSchrKrim. 1955, 183, der aber die Stelle anders gemeint hat, nämlich in dem Sinne, daß die Naturwissenschaft sich nicht als Metaphysik ausgeben solle, was völlig richtig ist. %! a. a. O. 336. 23 Erik Wolf a. a. O. S. 11 sagte dazu schon 1931: "Diese Auffassung vom Menschen ist es, die wir Heutigen nicht mehr teilen."
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aber ich glalUbe, ,daß wir ,dabei im Prinzip den richtigen Weg eingeschlagen haben und nicht von einer Fata Morgana getäuscht werden, ,die bald verfliegt ·u nd uns plötzlich wieder vor ungelösten Widersprüchen stehen läßt. a) Das Ergebnis der heutigen philosophisch-anthropologischen Situationsanalyse hat Thomas Würtenberger kürzlich folgendermaßen zusammengefaßt: ,,(dem Menschen) ist es möglich, seine Vitaltriebe, wie die der Selbst- oder Arterhaltung, aus der Einbettung in einen blind funktionierenden Rhythmus herauszulösen und damit sein Antriebsleben willentlich zu formen. Es ist somit schon im biologischen Sein des Menschen angelegt, ,d aß das vitale Antriebsleben einer sinnvollen ,Ordnung' bedarf. Ohne die Ordnung eines dem Menschen aufgegebenen ,Sollens' wäre schon seine biologische Seinsexistenz gefährdet2'." Die Menschqualitätdrückt sich aber gerade in der Fähigkeit zur Selbstbeherrschung aus, und man kann mit Ernst Kretschmer hinzufügen, daß ,die Triebhemmung keineswegs zur Neurose führen muß, sondern daß gerade auch ,die Hemmung dem Trieb von der Natur selbst mitgegeben ist25 • Es ist vor [16] allem das Modell des Schichtenaufbaus der Persönlichkeit nach E rich Rothacker28 gewesen, das dem Juristen das Verhältnis des triebhaften und des normativen Kerns im Menschen anschaulich gemacht hat.
h) Dieses Ergebnis wir.d auch von der modernen Psychologie her nicht mehr 'in Frage gestellt. Robert Heiß konnte, noch im Anschluß an Sigmund Freud, zeigen, "daß die Aufrichtung von Kontrollinstanzen und regulativen seelischen Formen nicht erst dem Bewußtsein, sondern bereits dem Unbewußten zukommt"27 und er hat daraus folgenden für uns wichtigen Schluß gezogen: "An der Tatsache, daß ,der Mensch ein kontrolliertes und kontrollierfähiges Wesen ist, daß er also kraft unbewußten Fühlens und hewußten Erkennens verantwortlich ist, will auch die heutige Psychologie nichts verändern 28." Natürlich sollte damit nicht gesagt werden, daß die Tiefenpsychologie an unseren Vorstellungen von Handlung und Motivation etwa nichts auszusetzen hätte, sondern es geht hier zunächst einmal nur um die negative Feststellung, daß sieden Menschen jedenfalls nicht als Apparat auffaßt. Auf die weitergehende Bedeutung ,der Emdeckung des Unbewußten für das Strafrecht werde ich später noch zurückkommen. Gewissermaßen von ·der entgegengesetzten Seite her, aber gleichfalls unter voller Wür.digungder leib-seelischen Determinationselemente im Menschen, gelangt Theodor Müncker in seinen "Psychologischen Grundlagen der katholischen Sittenlehre" zu dem positiven Ergebnis, nämlich, daß der Mensch ein "personales Wesen ist, das in bestimmten Grenzen in Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung seiner mächtig ist, und das auf Grund dieser Selbstrnacht durch Selbst24 Thomas Würtenberger, Das Naturrecht und die Philosophie der Gegenwart, JZ 1955, 4. Ebenso Karl Engisch, Vom Weltbild des Juristen, Heidelberg 1950, S. 28. 25 Ernst Kretschmer, Medizinische Psychologie. 9. Auf!., Stuttgart 1947, S. 135. Vgl. auch die Meinung von Viktor E. Frankl, Theorie und Therapie der Neurosen, Wien und Innsbruck 1956, S. 151 : "Ich muß mir nicht alles von mir selber gefallen lassen." 28 Erich Rothacker, Die Schichten der Persönlichkeit, Bonn 1952. Hans Welzel, Dal> deutsche Strafrecht, Berlin, 5. Auf!. 1956, S. 117, hat das Schichtenmodell Rothackers seiner Schuldlehre zugrunde gelegt, und dieser selbst hat die strafrechtliche Auswertung seiner Lehre ausdrücklich gebilligt (a. a. O. IX). 27 Robert Heiß, Das Bild des Men5chen in der Psychologie, Freiburger Dies Universitatis, Bd.4 (1955/56), S. 21. 28 a. a. O. S. 22.
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tätigkeit daran arbeiten soll, sich mehr und mehr zum guten Charakter im ethischen Sinne zu entwickeln"29. [17] c) Als Ergebnis der modernen Neurophysiologie hat Paul Hoffmann zum Verhältnis von Reflex und Wille kürzlich an dieser Stelle gesagt, daß es eine "extreme Auslegung" ·d er Pawlowschen Lehre sei, den Menschen "für einen Apparat zu erklären, der ·durch eine Reihe bedingter Reflexe durchs Leben geleitet wird", sondern daß vielmehr "der Wille das zu erreichende Ziel angibt", daß er die "SolleinsteUung unter sich hat", während "die Durchführung dem unterstellten Regelmechanismus überlassen wird"30. Besonders eindrucksvoll ist das Zeugnis des Psychiaters und Kriminologen Friedrich Stumpfl,der durch seine Forschungen z,u r Erblichkeit der Kriminalität bekannt ist31 . Nachdem er schon früher das "Moment der Freiheit"32 beim Menschen immer stark betont hatte, ist er jetzt zu folgendem Bekenntnis gelangt, das der Wahrheitstreue des Naturforschers alle Ehre macht : "Nach all dem naturwissenschaftlichen Aufwand von Tiefenpsychologie, Psychiatrie, Vererbungswissenschaft, Konstitutionsforschung und Milieuforschung ist das Ergebnis wahrhaft enttäuschend. Wir ,glaubten, durch unsere Forschungen ,den Menschen in seiner Begrenzung, seiner Gebundenheit durch Triebe, Geisteszustand, Erbe, Körperbau und Milieu aufweisen zu können, gleichsam als ein Produkt aus Erbanlage und Umwelt, CharakterEntelechie und Erziehung, Körperkonstitution und Krankheit, und was uns nach all den jahrelangen Bemühungen aus Staub und Asc.~e des zweiten Weltkrieges entgegentritt, in das Bild seiner Freiheit;;';." Ins Strafrechtliche gewendet sagt das jüngste [18] Werk auf dem Gebiet der Jugendkriminologie, das Buch von Wolf Middendorff: "Entgegen ,den vielfach herrschenden Tendenzen zur Entmythologisierung des Jugendstrafrechts und zur Verwandlung von ,Schuld und Strafe' in ,Krankheit und Heilung' muß an dem Begriff der Schuld festgehalten werden3f ." d) Grundsätzliche Bedeutung für unser Thema besitzt ferner die Aussage des Soziologen Helmut Schelsky zum Wesen und Wert der Familie in unserer Gegenwart : "Dabei teile ich grundsätzlich die viel vertretene Ansicht, daß die alte patriarchalische Familienverfassung überlebt ist, glaube aber, daß die moderne Familie Züge einer Stabilität entwickelt hat, die sich nicht in Form der sich assimilierenden Anpassung, sondernder sich behauptenden Auseinandersetzung mit den Zerfallserscheinungen der modernen Wirtschaftsgesellschaft erworben hat, kurz gesagt, ·d aß sie im Zuge der Entwicklung zu neuen und dauerhaften Ordnungs- und Stabilitätsverhältnissen ,d er Gesellschaft nicht nachhinkt, sondern an der Spitze marschiert 35 .« Zum 29 Theodor Müncker, Die psychologischen Grundlagen der katholischen Sittenlehre, Düsseldorf, 4. Aufl. 1953, S. 90. 30 Paul HotJmann, Reflex und Wille, Freiburg i. Br. 1956, S. 8, 14 u. 15. Der Psychiater Viktor E. Frankl, Der unbedingte Mensch, Wien 1949, S. 52, formuliert den gleichen Gedanken so: "Das Leibliche ist conditio, aber nicht causa des Seelisch-Geistigen." 31 Friedrich Stump{l, Erbanlage und Verbrechen, Berlin 1935. 32 Handbuch der Erbbiologie des Menschen, V. Band, Berlin 1939, I S. 434; Stump{l schrieb: "AlIein das Moment der Freiheit liegt n!cht nur in diesen freien Willensentscheidungen. Es liegt auch den übrigen menschlichen Handlungen zu Grunde . . . und läßt sich sowohl psychologisch als auch erbbiologisch begründen .. . " 33 Friedrich Stump{l, Kriminalpsychologische Probleme, Wien. Z. prakt. Psych. Bd. 1 (1949), S.25. 34 Wolf MiddendortJ, Jugendkriminologie, Ratingen bei Düsseldorf 1956, S. 213. 35 Helmut Schelsky, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart, Stuttgart 1954, S 14.
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Schluß dieses kurzen überblicks möchte ich hinweisen auf eine demnächst erscheinende arbeitssoziologische Untersuchung von Heinrich Popitz und seinen Mitarbeitern36• In ·diesem Buch wird ·die übliche Kulturkritik an der technischen Arbeit als wirklichkeitsfremdes Vorurteil bekämpft. Der kollektive Arbeitsvollzug, mehr noch die team-artige Kooperation, am meisten das gefügeartige Zusammenwirken in der modernen hochtechnisierten Industrie stellen an den Menschen, seine Verantwortungsfreude, Rücksichtnahme, Willenskraft, Initiative und Hilfsbereitschaft die höchsten Anforderungen. Der Leistungsanspruch der Maschine an den Menschen hat nichts mit Abstumpfung und Entseelung zu run, sondern ist eine besondere Form .derBewährungsprobe, die der Faule und Willensschwache heute nur noch schlechter besteht als vor der epochemachenden Erfindung James Watts. Inder gleichen Richtung entwickelt [19] sich der moderne Straßenverkehr. Er setzt einen Menschen voraus, der "technische Sensibilität" besitzt und ganz anderen Anforderungen an Willenskraft, Verantworrungsfreude und Rücksichtnahme gewachsen ist, als sie im Zeitalter der Postkutsche von ihm verlangt wurden 37 • Gewiß führt von ·der naturwissenschaftlichen Beobachtung und Forschung kein direkter Weg zur Deutung ,des menschlichen HandeIns. Wäre dies so, dann würden alle Probleme schon gelöst sein und wir könnten gewissermaßen dem Schöpfer unmittelbar in seine verborgensten Intentionen hineinschauen. Tatsächlich -bleibt das menschliche Handeln aber, wie es Helmut Hön/38 am Schluß des letzten Dies-Vortrages so eindrucksvoll gesagt hat, ein Geheimnis, und man muß dies um so mehr beachten, als die Naturforschung ja auch im Bereich der Materie an Grenzen gelangt zu sein scheint, an ·denen das Geheimnis -beginnt. Die naturwissenschaftlichen Methoden werden, wenn es um ·die Erforschung der Persönlichkeit geht, "zwar nicht falsch", aber in eigentümlicher Weise "leer". Das Problem der Berufung des Menschen zur Freiheit, um ·das es uns geht, tritt nicht mehr recht in das Blickfeld. Zum gleichen Ergebnis kommt die praktische Psychiatrie. Von .der "personalen Einstellung" des Menschen, ·die zu seiner "naturalen Stellung" hinzutritt, sagt Viktor E. Franki: "Diese Einstellung kann nun eo ipso nicht mehr Subjekt einer der angegebenen Wissenschaften sein; sie entzieht sich jedem derartigen Zugriff. Sie geschieht vielmehr in einer Dimension für sich 39 ." Die Lage, in die uns die Naturwissenschaft heute versetzt, ist, wie es der Physiker Pascual Jordan ausgedrückt hat, die einer "doppelten Verneinung". Sie verneint das Welrbildder Neuzeit, das seinerseits Gott und damit die Freiheit des Menschen verneint hatte. Der Schluß auf die Existenz dieser Freiheit bleibt heute immer noch ein Wagnis, rober ,die Naturwissenschaft gibt für den entgegengesetzten Schluß ebenfalls keine Stütze mehr ab. "Das ist die [20] neue Situation der Freiheit, die durch die Wandlung im Denken auf Grund ,der Ergebnisse der modernen Physik für den Menschen von heute hesteht40 ." An diesem Punkte sind 36 Heinrich Popitz, Hans Paul Bahrdt, Ernst August Jüres, Hanno Kesting, Technik und Industriearbeit, Tübingen 1957. 37 Vgl. hierzu Ernst-Arnold Hellmuth, Juristische Beiträge zur Sicherung des Straßenverkehrs. Freiburger Diss. 1956. 38 Helmut Hönl, Die Endlichkeit der Welt. Der Vortrag wird veröffentlicht in : Freiburger Dies Universitatis, Band 5 (1956/57). 39 Theorie und Therapie der Neurosen a. a. O. S. 150. 40 H . Rohrbach, Wandlung im naturwissenschaftlichen Denken. in: Der Horizont, Selbstverlag der Ev. Akademie Baden (Herrenalb) Bd. 1 (1956), S. 115.
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es die Methoden und Urteile der Geisteswissenschaften, in unserem Falle der Rechtswissenschaft, die in die jhnen eigentümliche Aufgabe eintreten müssen, die Existenz des "Menschen im Recht" zu erklären. Da es sich aber im Recht und ganz besonders im Strafrecht um Forderungen des rechtlichen Sollens handelt, wäre es ganz ungereimt, wenn gerade die Rechtswissenschaft den Menschen nicht als berufen und ausgestattet ansehen wollte, sich von diesen Sollensnormen auch wirklich leiten zu lassen 41 • Die vielen Hinweise in dieser Richtung, die uns ,die exakte Wirklichkeitsbeobachtung anderer Wissenschaften liefert, sind uns ,dabei eine willkommene Hilfe, und ganz unentbehrlich ist uns die Lehre, ,daß es hier auch Grenzen gibt, die kein Jurist außer acht lassen darf. 3. Aus allem ergibt sich, daß die Strafrechtskommission hei ihren überlegungen mit vollem Recht von der Freiheit des Menschen zum rechtlichen Handeln ausgehen konnte. Sie brauchte sich nicht erst auf ,das Persönlichkeitsbild ,des Grun,dgesetzes zu berufen, obwohl auch dieses ihr sicher recht gibt42 • So hat z. B. die Zivilrechtswissenschaft u. a. aus ,dem Grundgesetz jenes bedeutsame allgemeine Persönlichkeitsrecht43 abgeleitet, das gewiß auch nur dann vertretbar und sinnvoll erscheint, wenn dp.r Mensch kein Apparat, sondern ein zur Freiheit des rechtlichen Handelns berufenes Wesen ist. Die Position der Strafrechtskommission in diesem Punkte ist schon früher durch den Bundesgerichtshof vorweggenommen worden in der bekannten Entscheidung zum Verbotsirrtum, in ,der es wie in einem philosophischen Lehrstück heißt: "Der Mensch ist, weil er [21] auf freie, sittliche Selbstbestimmung angelegt ist, auch jederzeit in die verantwortliche Entscheidung gerufen, sich als Teilhaber der Rechtsgemeinschaft rechtmäßig zu verhalten und das Unrecht zu vermeiden"." Aus dieser Auffassung erklärt sich nicht nur die Beibehaltung des normativen Sch-uldbegriffs als Legitimation ,der Strafe, sondern insbesondere auch die Behandlung, die der Verbotsirrtum im Entwurf erfahren hat. Ist der Mensch für den sachlichen Inhalt seines Handelns verantwortlich, so genügt es offenbar nicht zu seiner Entlastung, wenn er bloß seiner subjektiv pflichtgemäßen Gesinnung gefolgt ist, die sich indessen objektiv als vollständig verfehlt erweist. Vielmehr ist das "persönliche Rechtsgewissen des Menschen in seiner transzendenten Herkunft"45 dazu aufgerufen, jederzeit den rechten Weg zu weisen und den Forderungen -des rechtlichen Sollens auf ,dem Gebiet des Strafrechts Gehör zu verschaffen. Naturrechtliches Denken der Hochscholastik wird hier wieder lebendig gegenüber jenem Gesinnungsrigorismus Kants, der die unterschiedliche Qualität des konkreten Entscheidungsinhalts vielleicht allz.u sehr vernachlässigte46 • Ganz anders ist dagegen der Fall zu beurteilen, ,d aß ,der Täter das prinzipielle Gebot ,der Rechtsordnung erkennt und anerkennt, aber aus Mangel an Sorgfah ,die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes irrtümlich annimmt. Mit Recht Vgl. hierzu Gerhart Husserl, Opfer, Unrecht und Strafe, in: Recht und Zeit, Frankfurt 1955, S. 190ff. 42 Das ist mit Hellmuth Mayer, Strafrecht, Stuttgart und Köln 1953, S. 36 gegen Fritz Bauer a. a.O. S. 336 zu sagen. 43 Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, Tübingen, 14. Aufl. 1954, S. 908; dazu Gustav Boehmer, JZ 1956, 734 und Einführung in das bürgerliche Recht, Tübingen 1954, S.207. 44 BGHSt. 2, 201. 45 Pranz Wieacker a. a. O. S. 355. 48 Vgl. hierzu Hans Welzel, Vom irrenden Gewissen, Tübingen 1949, und Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre, Karlsruhe 1953, S. 15 ff. U
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wird ein solcher Irrtum über die aktuellen Grundlagen eines Erlaubnissatzes im Entwurf nach den Regeln der Fahrlässigkeit hehandelt47 • Weil nicht nur das Maß, sondern auch die Art des Vorwurfs verschieden ist, erscheint es mir gerade vom normativen Schuld begriff aus verfehlt, beide Fälle gleich zu behandeln, sei es nach der extremen Version .d er sog. Schuldtheorie, sei es auf dem Wege über die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Verbotsnorm und Erlaubnissatz sind eben zweierlei. [22] 4. Gewissen und Schuld als reale Gegebenheiten des menschlichen Lebens haben weiter vor allem auch den Strafbegriff des Entwurfs geprägt. Die Kommission konnte sich nach ihrer grundsätzlichen Einstellung für nichts anderes als für die Schuldstrafe in dem Sinne entscheiden, ·daß das schuldangemessene Höchstmaß nicht aus individualpräventiven Gründen überschritten werden darf. Die Resozialisierung des Verurteilten und die Sicherung der Gesellschaft müssen also, soweit nicht Maßregeln die Strafen ergänzen oder ersetzen, im Bereich der schuldadäquaten Obergrenze der Strafe angestrebt werden. So sehr ich diese Entscheidung begrüße, weil nur sie den sittlichen Rang ·des Strafrechts sicherstellen kann, so wenig vermag ich mich mit der weiteren Konsequenz zu befreunden, die die Kommission durch Aufrechterhaltung der Zweispurigkeit von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung ziehen zu müssen glaubte. Verbrecher mit ständig wiederholter, erheblicher Rückfälligkeit laden auch immer erhöhte Schuld auf sich, was der Gesetzgeber übrigens durch die Strafschärfung für gefährliche Gewohnheitsverbrecher (§ 20a StGB) anerkannt und ·der Entwurf durch ,die allgemeine Strafschärfung für Rückfällige sogar noch unterstrichen hat. Bereits Aristoteles hat dieses Problem gekannt und aus dem Schatze seiner Weisheit dazu folgendes gesagt: "Aber vielleicht ist der Schuldige eben ein Mensch, dem es nicht gegeben ist, achtsam zu sein. Gewiß, aber daß es soweit gekommen ist, das haben sie selbst verschuldet, und zwar durch ihr unbeherrschtes Leben ... ·denn die wiederholten Einzelhandlungen bewirken einen entsprechenden Grundzustand48." Die Sicherungsverwahrung erscheint mir abgesehen von allen vollzugsmäßigen Unzuträglichkeiten der Differenzierung gegenüber der Strafe4 ' als hloße Maßregel auch deswegen bedenklich, weil die Freiheit als höchstes Gut des gesunden Menschen [23] nicht wegen bloßer Gefährlichkeit dauernd entzogen werden darpo. Ich halte dagegen auch vom Schuldstandpunkt aus die relativ unbestimmte Strafe gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher für vertretbar und glaube, daß sie der Sicherungsverwahrung auch kriminalpolitisch überlegen ist, weil der Maßregelvollz·ug abstumpft und der Vermerk "SV" an der Zellen tür des Sicherungsverwahrten ein absolut vernichtendes Urteil bedeutet 51 • 47 Vgl. hierzu meine Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Verbotsirrtum bei Dreher, ZStW 67 (1955), 437. 48 Aristoteles, Nikomachische Ethik, übersetzt von Franz Dirlmeier, Darmstadt 1956, Buch III, Kap. 7, 1114 a (S. 55). - Dieser Grundzustand ist es, den die Kriminalisten "Lebensführungsschuld" nennen. Vgl. hierzu Edmund Mezger, Die Straftat als Ganzes, ZStW 57 (1938) 688 und Paul Bockelmann, Studien zum Täterstrafrecht, Berlin 1940, Bd. 2, S. 146. Vgl. hierzu die auf umfassender rechtsvergleichender Grundlage beruhenden Vorschläge von Günther Blau, Das Problem der Zweispurigkeit, Freiburg i. Br. 1956, S. 406 ff. (Maschinenschrift). 50 So mit Recht Hellmuth Mayer a. a. O. 5. 379, 380. 61 Ebenso Eduard Dreher, Die Vereinheitlichung von Strafen und sichernden Maßregeln, ZStW 65 (1953) 481 und Thomas Würtenberger, Die unbestimmte Verurteilung, Materialien
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5. Haben wir das Schuldprinzip als die Legitimation und Begrenzung der Strafe erkannt, so erschließt sich uns auch ihr tieferer Sinn inder Vergeltung des Unrechts und inder Sühneleistung, die dem Verurteilten möglich gemacht wird. Dies hat nichts mit Haß, Rache oder verdrängten Aggressionsgelüsten zu ·t un, wie es eine zu rasch verallgemeinernde Tiefenpsychologie gelegentlich behauptet hat 52. Vergeltung bedeutet nichts anderes, als daß nach ,den Grundsätzen der ausgleichenden Gerechtigkeit wegen der Auflehnung des Täters gegen die Rechtsordnung eine Sanktion in Gestalt eines übels auferlegt wird. Das kann in keiner vernünftigen Rechtsordnung anders sein, denn wollte man die Strafe als Belohnung auffassen, so würde man gewissermaßen das Gesetz der Schwerkraft im Reich der sittlichen Werte aufheben und geradewegs ins Schlaraffenland gelangen, wo .die Faulheit als höchste Tugend angesehen wird. Sühne bedeutet, wie es Eberhard Schmidt einmal ausgedrückt hat, daß »ein Schuldiger das Soll des ihn treffenden Strafübels als sittlich notwendig zur Wiedererlangung seiner ethischen Freiheit von sich aus anerkennt und das Strafleiden in diesem Sinne autonom [24] ,will'und a.uf sich nimrnt"53. Ich vermag indessen nicht anzuerkennen, daß »in der Welt ·des Wirklichen auf eine solche Sühneleistung niemals zu rechnen ist"54. Im Gegenteil! Ein erstklassiger Fachmann, der niederländische Psychiater Professor P. A. H. Baan,der eine Anstalt zur Beobachtung rückfälliger Verbrecher ,u nd Psychopathen in Utrecht leitet, hat sich kürzlich in einer Weise geäußert, aus der zu schließen ist, daß wir mit unserer Auffassung von der Strafe als Ermöglichung von Sühne auch in den Augen des Praktikers ,durchaus keine schlechte Kriminalpolitik treiben. In einem in Wien gehaltenen Vortrag führte er aus, »schon jetzt könne gesagt werden, ,d aß zu einem Wiederhineinwachsenin die Gemeinschaft die Entwicklung und Lösung des normalen und um so mehr des pathologischen Schuldbewußtseins erforderlich sei. Dazu sei aber ein bejahendes und äußerst sachverständiges Entgegenkommen dem Delinquenten gegenüber nötig. Nichtgelöste Schuldgefühle führten einerseits zur Wiederholung verbotener Taten im Rahmen eines Schuld-Strafkomplexes, auf ·der anderen Seite aber zu jener Krustenbildung, die eine ,mask of sanity' schafft und den Delinquenten zu einem scheinbar abgehärteten Verbrecher macht"55. Endlich sei daran erinnert, daß die Reformarbeiten in den beiden uns am nächsten stehenden Ländern österreich und der Schweiz hinsichtlich des Wesens ,der Strafe keine anderen Ergebnisse gezeitigt haben als unsere eigenen überlegungen58. zur Strafredmreform, Bonn 1954, Bd. I S. 94 ff. Vgl. ferner die rechtsstaatlichen Bedenken gegen "indefinite incarceration laws" , die der amerikanische Strafrechtler Jerome Hall, Psychiatry and Criminal Responsibility, The Yale Law Journal 65 (1956) 762 ausspricht. Bemerkenswert ist auch die auffallende Neigung der englischen Gerichte, in das rein spezialpräventiv gedachte Sanktionensystem des Criminal Justice Act 1948 Schuldgesichtspunkte hineinzutragen, wofür sich zahlreiche Belege beibringen ließen; vgl. hierzu A. M. Honore, Probleme der Strafrechtsreform in England, ZStW 68 (1956) 493/94. 52 Vgl. z. B. Theodor Reik, Geständniszwang und Strafbedürfnis, Leipzig-Wien-Zürich 1925, S. 135 ff. 53 Eb. Schmidt, Materialien zur Strafrechtsreform, Bonn 1954, Bd. I S. 11. 54 Eb. Schmidt, Die Reform ,des Strafrechts im Rückblick auf Berliner Impulse in der Geschichte der modernen Kriminalpolitik, Verh. d. 41. DJT Bd. II, Tübingen 1956, S. 4. 55 Inhaltswiedergabe durch Ministerialrat Dr. Serini in OstJurZ 1956, 502; im gleichen Sinne Baan, Le probleme de la responsabilite criminelle, in : L'homme criminel (Autour de l'ceuvre du Dr. E. de Greef), Bd. I, Louvain-Paris 1956, S. 83, sowie zum gleichen Thema W. P. J. Pompe ebenda S. 73 u. G. Th. Kempe ebenl}(Jl~" ,die zusammenfassende Einsicht (Vernunft), gegründet wird, die Luther mit "Gewissen" übersetzt hat. Im Kolosserbrief wiro dem Schöpfer dafür Dank gesagt, ·daß er "uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht" (Kol. 1, 12). Offenbar geht der Apostel an dieser Stelle ganz selbstverständlich von der überzeugung aus, ·d aß ·der Mensch mit dem Sollen auch die Fähigkeit erhalten habe, seiner Berufung zur Freiheit Folge zu leisten. Endlich hat Christus selbst keinen Zweifel daran gelassen, daß er einmal "einem jeglichen vergelten werde nach seinen Werken" (Matth. 16,27)57. Dies alles ist geeignet, den eigenen Standpunkt zu stärken, und wird dem Gläubigen immer als der Schlußstein unseres Denkgebäudes überhaupt erscheinen, aber ich hoffe doch ·deutlich gemacht zu haben, daß in dem zukünftigen Strafgesetz keine Glaubenssätze mit a-bsoluter Kraft ausgestattet und jedermann zwangsweise auferlegt werden sollen. Es ist völlig berechtigt, wenn die kritische Philosophie religiösen oder ethischen Absolutheitsansprüchen ,der Rechtsprechung entgegentritt mit der Mahnung: "Auf dem Felde des profanen Rechts ist es erforderlich, daß die maßgebenden Festsetzungen grundsätzlich die Zustimmung auch derer finden müssen, die nicht die gleiche Art des Glaubens besitzen58." Dem gleichen Grundgedanken hat kürzlich im Anschluß an Franz Wieacker9 der Bundesgerichtshof [26] in einem vormundschaftsrechtlichen Beschluß Ausdruck gegeben, in dem es heißt: "daß die in § 138 BGB gemeinte Sittenordnung die alle Rechtsgenossen verpflichtende Fundamentaloronung ist, welche die besonderen Anforderungen einer katholischen oder protestantischen, sozialistischen oder liberalen Sozial- und Individualethik nicht einschließt"60. IH. Mit diesen Erwägungen ist die Aufgabe des Gesetzgebers natürlich noch nicht gelöst, sondern sie beginnt eigentlich erst. Alles, was ich zuvor sagte, beschreibt gewissermaßen nur den Grundriß, auf dem sich eine nach modernen Gesichtspunkten eingerichtete Kriminalpolitik aufbauen soll und kann, ohne den Menschen zum bloßen Behandlungsobjekt zu erniedrigen. Ich beschäftige mich zunächst mit den58 Vgl. für Oster reich August Matouschek, Zur Strafrechtsreform, OstJurZ 1956, 461; für die Schweiz H. Kuhn, Die Beratungen der Expertenkommission für die Revision des Strafgesetzbuchs, Der Strafvollzug in der Schweiz 1956, Nr.15 S. 31f.; ferner eingehend Hans Schultz, Probleme der Strafrechtsreform in der Schweiz, ZStW 67 (1955) 291. 57 Vgl. hierzu vor allem das großartige Schlußkapitel der Botschaft, die Papst Pius XII. am 3.10.1953 an den VI. Internationalen Strafrechtskongreß in Rom gerichtet hat, ZStW 66 (1954) 13/14. ~8 Wilhelm WeischedeI a. a. O. S. 33. ~I JZ 1954, 466. 80 NJW 1956,1796.
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jenigen Personen, die, ohne daß bei ihnen eine kriminelle Neigung hervorgetreten wäre, in einer Konfliktsituation straffällig geworden sind. Franz v. Liszt hatte sie in seiner berühmten Tätertypologie "Gelegenheitsverbrecher" genannt 61 • Mit ihnen hat sich die Strafrechtspflege weitaus am meisten zu beschäftigen; es muß daran erinnert werden, daß ausweislich der Bundeskriminalstatistik der Jahre 1952 und 1953 immerhin nicht mehr als 34 Ofo der Verurteilten vorbestrafr waren, während der Anteil der mehrfach, nämlich mindestens viermal Vorbestraften, nicht mehr als 7,7 Ofo betrug. Die Bedeutung der richtigen Behandlung der Gelegenheitstäter wird unter dem Eindruck ,der Probleme des Strafvollzugs, dem es vornehmlich um die Rückfälligen geht, häufig unterschätzt, und es sieht dann so aus, als habe es die Justiz überhaupt nur mit Rückfälligen zu tun. Bei den Ersttätern ist es das Hauptanliegen des Entwurfs, den sozialen Makel möglichst zu vermeiden, der mit dem Vollzug der Gefängnisstrafe untrennbar verbunden ist. Trotz aller Bemühungen, die entsühnende Krafr verbüßter Strafe im [27] Volksbewußtsein lebendig werden zu lassen 82 - und ich möchte nicht verfehlen, diesen Appell auch vor Ihnen dringlich zu wiederholen -, wird sich der Makel, "gesessen zu haben", wohl nie ganz beseitigen lassen, denn er ist eben ein Anzeichen dafür, daß die Freiheitsstrafe in der Bevölkerung ernst genommen und als in der Regel verdient empfunden wird. Der Entwurf hat, wie das jetzt auch in österreich geplant ist, als kurzfristige Freiheitsstrafe eine neue arrestähnliche Strafart, die Strafhafr, eingeführt, der weder die Schäden noch das soziale Stigma der kurzfristigen Gefängnisstrafe anhaften sollen. Sie soll immer getrennt von der Gefängnisstrafe und in der Regel in Einzelhafr vollzogen werden und kommt auch als Freizeithafr in Betracht, was aber vielleicht die Erwachsenenstrafe unzulässigerweise bagatellisiert und zu sehr in die Nähe des "Vater Philipp" aus dem Militärschwank der Vergangenheit rückt. Durch die Bestimmung, daß Personen, die kriminell anfällig sind, nicht in Strafhafr kommen dürfen, roll der allein auf Gelegenheitstäter zugeschnittene Denkzettel-Charakter der neuen Strafart streng gewahrt werden. Außerdem wurde die Strafaussetzung zur Bewährung verbessert und sie wird vielleicht noch auf Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr ausgedehnt werden. Die Ersatzgeldstrafe ist beibehalten und jetzt auf die wichtige Dreimonatsgrenze ausgedehnt worden. Die Grundregel der Strafzumessung wurde so formuliert, daß klar erkennbar ist, daß ,das verdiente Schuldrnaß aus spezialpräventiven Gründen unterschritten werden darf. Endlich soll die Gel,dstrafe durch Einführung des skandinavischen Tagesbußensystems wirksamer und zugleich sozialer gestaltet wer,den. Davon wird auf Grund von schwedischen Erfahrungen 63 vor allem erhoffi, daß die Geldstrafe viel seltener zum Vollzug der unseligen Ersatzfreiheitsstrafe führen wird; wenigstens eine fakultative mündliche Verhandlung ist übrigens für die Umwandlung jetzt vorgesehen. An ,der Reform des Strafregisterrechts wird ebenfalls gearbeitet. Die Antinomien ,dieses Rechtsgebietes sind schwer miteinander zu versöhnen. Auf der einen Seite erfordert es die Persönlichkeitsforschung, [28] daß die Strafrechtspflegeorgane von den Vorstrafen eines Verurteilten Kenntnis nehmen. Auf der anderen Seite sollen Privatpersonen auch nicht auf dem Umweg über das polizeiliche Führungszeugnis den 81 Franz v. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, Deutsches Rechtsdenken, herausgegeben von Erik Wolf, Frankfurt 1943, S. 34 und ZStW 3 (1883) 41. 82 Paul Bockelmann, Zur Reform des Strafensystems, JZ 1951, 498. 63 Gerhard Simson, Schweden 1941 -1951, ZStW 64 (1952) 347/48.
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Registerinhalt erfahren können, weil der Vorbestrafte sonst niemals mehr im Leben Fuß fassen kannu . Das Problem liegt in der Notwendigkeit, in gewissen Fällen eben doch eine Anstellung Vorbestrafter im öffentlichen oder privaten Dienst zu verhindern, so daß das Strafregister jedenfalls nicht nur auf die Zwecke der Justiz beschränkt werden kann. IV. Das, was ich über die Behandlung der Gelegenheitstäter sagte, ist längst bekannt und auch schon im geltenden Recht teilweise verwirklicht. Anders verhält es sich mit dem Problem der "Zustandsverbrecher" , also jener Personen, die eine Neigung oder gar einen eingewurzelten Hang zu immer wiederholter, erheblicher Kriminalität haben. Hier hat die Strafrechtskommission eine Reihe von weit ausholenden Maßnahmen vorgesehen, die ein ineinander greifendes, durchaus modernes System kriminalrechtlicher Einwirkungsmöglichkeiten darbieten. 1. Zunächst ist durch ,die Einbeziehung der schwersten Fälle von Psychopathien und Neurosen in die Vorschrift über die Unzurechnungsfähigkeit die untere Grenze der Normalität etwas zurückgenommen worden. Die Strafrechtskommission hat sich dabei durch eine Gruppe deutscher Psychiater über den neu esten Stand ,d er Frage beraten lassen. Zugleich hat man durch Einführung einer kriminalrechtlichen Bewahrung straffälliger Psychopathen in besonderen Anstalten nach dem bemerkenswerten dänischen Vorbild 65 die öffentlichkeit vor gefährlichen Verbrechern sichern, die psychiatrischen Krankenhäuser von überaus schwierigen und fehlplazierten [29] Pfleglingen entlasten und für die Psychopathen selbst den bestmöglichen Heilerfolg sicherstellen wollen. Ich bin dafür, diesen Gedanken noch auszubauen und die besondere Psychopathenbewahrung von der m. E. unsachgemäßen Verknüpfung mit der verminderten oder ganz fehlenden Zurechnungsfähigkeit zu lösen. In diesem Zusammenhang ist weiter ,d arauf hinzuweisen, daß uns ,die Tiefenpsychologie gelehrt hat, Triebhandlungen zu erkennen, die, besonders wenn ein eingespielter Handlungsautomatismus zur Verfügung steht, unter minimaler Beteiligung des regulativen Bewußtseins oder überhaupt ,u nter Umgehung ,des Bewußtseins ablaufen und deswegen manchmal sogar die Normalitätsgrenze unterschreiten mögen66 • Es bestehen keine Bedenken, solche Fälle als vorübergehende Bewußtseinsstörungen zu behandeln, mindestens aber verminderte Zurechnungsfähigkeit anzunehmen. Auf der anderen Seite lehrt uns freilich die Psychiatrie, daß selbst im hell auflodernden Affekt das Unrechtsbewußtsein oft vorhanden ist, wenn auch natürlich die Hemmungsmöglichkeiten abgeschwächt sind 67 • U Vgl. hierzu W. f. Liedke, VorbestraA:, Frankfurt a. M. 1956 und den berühmten Roman von Hans Fallada, Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, Berlin 1934. 65 fan Sachs, Zur Behandlung von kriminellen Psychopathen in Dänemark, MSchrKrim. 38 (1955) 69. - Dr. Stürup, der verdienstvolle Leiter der Anstalt in Herstedvester b. Kopenhagen, hat in einer Sitzung der Großen Strafrechtskommission selbst über die dänischen Erfahrungen berichtet. Das Urteil von Fritz Bauer a. a. O. S. 336, die Strafrechtskommission sei »ohne Verwertung ausländischer Forschungen" vorgegangen, ist also - ganz abgesehen von den rechtsvergleichenden Arbeiten zum materiellen Strafrecht - auch auf dem Gebiete der praktischen Psychiatrie nicht gerechtfertigt. 66 Robert Heiß, Allgemeine Tiefenpsychologie, Bern und Stuttgart 1956, S. 257. 87 Vgl. hierzu den Aufsatz von W. Hadamik, LeicdenschaA: und Schuld, der im Jahre 1957 in GA veröffentlicht werden wird.
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2. Abgesehen von den Kranken und den der Krankheit strafrechtlich gleichzustellenden Fällen gibt es eine beträchtliche Gruppe gefährlicher Krimineller, denen ihre Straftaten zugerechnet werden müssen, obwohl eine erhebliche Herabsetzung der Verantwortlichkeit vorliegt, sei es infolge des unheilvollen Schicksals einer schlechten Erziehung, sei es durch das Beispiel krimineller Umwelt, sei es endlich durch angeborene Schäden wie Geistesschwäche, Willensmängel aller Art und gleichzeitige übermäßige Triebstärke68 • Für diese Gruppe hat ,d er Entwurf die Möglichkeit der Strafmilderung wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit beibehalten, aber in den meisten Fällen wird gerade hier eine ,durchgreifende und langandauernde [30] Behandlung erforderlich sein, denn die meisten Rückfälligen tragen nach heute fast unbestrittener Ansicht psychopathische Züge. Deswegen wird häufig eine Unterbringung in der Bewahrung in Betracht kommen. Der Vollzug der Strafe kann bei erfolgreicher Behandlung später ausgesetzt werden, so daß man hier praktisch zur Einspurigkeit gelangt. Zur Bekämpfung der chronischen Kriminalität bei denjenigen Rückfälligen, die nicht vermindert zurechnungsfähig sind, soll in erster Linie die ganz auf den Resozialisierungszweck eingerichtete Gefängnisstrafe dienen. Die Kommission hatte deswegen nach heftigen Meinungskämpfen mit Mehrheit beschlossen, für die Gefängnisstrafe wie im Jugendstrafrecht und ebenso wie im österreichischen Entwurf eine Mindest,dauer von 6 Monaten in Aussicht zu nehmen, weil in einer kürzeren Zeit eine durchgreifende Einwirkung auf ,den Gefangenen unmöglich ist69 • Leider ist gerade diese kriminal politisch so bedeutsame Entscheidung wieder ins Wanken geraten und dadurch der innere Zusammenhang des Systems beeinträchtigt worden. Infolge ,des Nebeneinander von Strafhaft und Gefängnis im Bereich von einem Monat bis zu sechs Monaten, wie sie jetzt der Entwurf vorsieht, wird sich der Richter häufig innerhalb des gleichen Tatbestandes zwischen den heiden Strafarten entscheiden müssen, wobei zwangsläufig bedenkliche Privilegierungserwägungen Raum gewinnen können, während es bei der Strafhaft in Wirklichkeit nicht um eine Sonderstrafe für Kavaliersdelikte, sondern um eine empfindliche, aber sozial unschädliche Denkzettelstrafe ging. Außerdem haben wir nun wieder die kurzfristige Gefängnisstrafe, zu deren Bekämpfung man ja eigentlich ausgezogen war. Immerhin ist aber ,durch die allgemeine Rückfallschärfung sichergestellt, daß für Personen mit zwei erheblichen Vorstrafen bei ,d er dritten Verurteilung nur noch auf Gefängnis von mindestens 6 Monaten erkannt werden kann, so daß jedenfalls für die Gruppe, die es angeht, das kriminalpolitisch Vernünftige geschehen ist. Die Gefängnisstrafe ist im Entwurf als Institution nicht widerspruchsfrei aufgebaut, was aber durch die Rückfallvorschrift zum Teil ausgeglichen wird. [31] 3. Die Frage, wie ein resozialisierender Vollzug der Gefängnisstrafe einzurichten ist, kann naturgemäß nicht im Strafgesetzbuch gelöst wer,den. Darum beschränke ich mich hier auf Stichworte wie "mehr offene Anstalten", "Arbeitstherapie", "Willensschulung" , "Erziehung zum Selbstbewußtsein ", "Freizeitgestaltung", "nachgehende Fürsorge". Die Kommission ist sich jedenfalls klar darüber, ,d aß zahlreiche Störungen der Persönlichkeit, die zu wiederholter Kriminalität führen, durch Entwicklung der Arbeitsfähigkeit und bessere Anpassung der Willenskraft und der technischen 88 69
Vgl. hierzu Theodor Müncker a. a. o. S. 1661f. Vgl. Karl Lackner, ZStW 68 (1956) 291.
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Leistung an die anstrengende moderne Berufsarbeit überwunden werden können und daß man sich ferner besonders mit dem von Martin Lohmann 'behandelten, wichtigen soziologischen Problem zu befassen hat, wie die ,durch Verkürzung der Arbeitszeit gewonnene Freizeit sinnvoll verwendet werden kann. Alle diese Fragen sind auch für den Strafvollzug von hoher Bedeutung und auf sie muß Bedacht genommen werden, wenn der Entwurf ·des Bundesstrafvollzugsgesetzes ausgearbeitet werden wird. Daß damit sogleich nach ·dem Strafgesetzbuch begonnen werden soll, ist beschlossene Sache. Rechtsvergleichende Vorarbeiten zu diesem Gesetz werden an unserem Freiburger Institut für ausländisches und internationales Strafrecht durchgeführt und sind schon weitgehend abgeschlossen 7o • 4. Um die Freiheitsentziehung im geeigneten Augenblick beenden zu können, ist auch im EntWlUrf die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe vorgesehen. Für Rückfalltäter und entlassene Sicherungsverwahrte ist als strengere Form der Bewährungsaufsicht die Sicherungsaufsicht eingeführt, die dem Gericht das Recht zu nachdrücklichen Eingriffen in die Lebensführung des Verurteilten gibt und ihn der Kontrolle einer besonderen Aufsichtsstelle unterstellt. Um die Sicherungsverwahrung im Gegensatz zur augenblicklichen Praxis zu einer wirklich effektiven Waffe der Kriminalpolitik zu [32] machen, ist die Maßregel jetzt obligatorisch geworden, wenn ein Hangtäter (wie der Gewohnheitsverbrecher im Entwurf psychologisch richtiger genannt wird) unter der Sicherungsaufsicht erneut eine Straftat begeht und wieder als Hangtäter verurteilt wird. 5. Von erheblicher kriminalpolitischer Bedeutung ist endlich eine letzte Maßregel einschneidender Art, zu der sich die Kommission nach sorgfältiger Erwägung der kriminologischen Literatur71 und nach Beratung mit in- und ausländischen Spezialisten entschlossen hat. Für Jungerwachsene, ,die in Anbetracht wiederholter erheblicher Straftaten und des Fehlschlagens bisheriger Anstaltserziehungsversuche eine Entwicklung zum Gewohnheitsverbrecher mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, sieht der Entwurf nach dem Muster des englischen Corrective training?! die vorbeugende Verwahrung bis zu fünf Jahren vor. Sie entspricht ,der Sicherungsverwahrung, die nach der Neuregelung erst für Personen über 25 Jahre vorgesehen ist, unterscheidet sich von dieser aber dadurch, daß sie einen letzten Erziehungsversuch darstellen und keineswegs von jener Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit erfüllt sein soll, ,die der Sicherungsverwahrung wohl immer anhaften wird, weil sie es mit eingewurzelten Gewohnheitsverbrechern zu tun hat, die im Leben unzählige Male gescheitert sind. Im ganzen wird man sagen können, daß die Kommission mit ihren kriminalpolitischen Entscheidungen gar nicht so ängstlich gewesen ist, wie man anfangs befürchten mußte. Das vorgesehene System ermöglicht unter starken rechtsstaatlichen 70 Diese Arbeiten werden im Laufe des Jahres 1957 veröffentlicht werden und einen umfassenden überblick über Stand und Probleme des Strafvollzugswesens in der Welt geben. 71 Maßgebend waren dabei insbesondere die Arbeiten des Ehepaars Glueck in den USA, von Erwin Frey in der Schweiz, von Mannheim und Wilkens in England, von Sieverts, Würtenberger und Villinger in Deutschland. 72 Vgl. hierzu den Vortrag, den Hermann Mannheim am 30.10.1956 auf der Tagung für Rechtsvergleichung in Hamburg gehalten hat (JZ 1956, 779/80).
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Sicherungen, auf die ich sogleich eingehen werde, und unter bewußter Schonung der Gelegenheitstäter einen entschlossenen und wirkungsvollen Kampf gegen die Rückfallkriminalität und das Gewohnheitsverbrechertum in seiner angehenden wie seiner eingewurzelten Art. Das Gesetz versucht sogar, den Richter zu planmäßigen kriminalpolitischen [33] Entscheidungen zu zwingen, was besonders vordringlich erscheint, weil schon ein oberflächlicher Blick in die Kriminalstatistik der letzten Jahre zeigt, ,daß ,der gegenwärtigen Praxis ein eigenes kriminalpolitisches Denken vielfach noch fremd ist.
V. 1. Ein charakteristischer Zug ,des Menschen unserer Zeit ist die Integrierung in Verbände und die Vertretung seiner politischen, wirtschaftlichen, geistigen und weltanschaulichen Interessen durch kollektive Einrichtungen. Die Bedeutung dieser Verbände ist bekanntlich außerordentlich groß und nimmt ständig zu. Politische, wirtschaftliche und soziale Aufgaben von erheblicherem Umfang können heute nur noch ausnahmsweise mit ,den Kräften ,des Einzelnen bewältigt werden. Wenn finanzielle Mittel verschiedener Vermögensträger aufgebracht und zusammengefaßt werden müssen, wenn es darum geht, sich der Staatsgewalt oder anderen Gruppen gegenüber durchzusetzen, so gesc.~ieht dies gewöhnlich durch ,die Bildung von Personenverbänden, die durchaus nicht immer eigene Rechtspersönlichkeit besitzen müssen. Man braucht nur hinzuweisen auf die Bedeutung der Parteien im politischen Leben, auf Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und berufsständische Interessenvertretungen in der allgemeinen Wirtschaftsverfassung, auf die Handelsgesellschaften in der gewerblichen Wirtschaft, im Güteraustausch und im Versicherungswesen, auf die Vereine im kulturellen und gesellschaftlichen Leben, um sich eine Vorstellung zu machen von der Mannigfaltigkeit und dem Einfluß der Personenverbände13 • Mit diesem fundamentalen Phänomen der modernen Massendemokratie hat sich die Strafrechtskommission wiederholt und eingehend beschäftigt. Geht man davon aus, daß der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Machtstellung der Verbände auch eine soziale Verantwortlichkeit entsprechen sollte, so drängt sich die Frage auf, ob nicht aus Anlaß von Straftaten, ,die ,die Organe im Namen und Interesse der [34] von ihnen vertretenen Verbände begehen, auch besondere Sanktionen gegen jene verhängt werden müßten74 • Während sich die Geldstrafe gegen juristische Personen in den anglo-amerikanischen Ländern ohne dogmatische Bedenken der Juristen durchgesetzt hat, und zwar nicht nur aus Anlaß von wirtschaftsrechtlichen Zuwiderhandlungen, ist es die in Deutschland herrschende, mit den übrigen Kontinentalstaaten weithin übereinstimmende Meinung, daß echte Kriminalstrafen gegen Personenverbände nicht in Betracht kommen. Daß dies für uns nicht anders sein kann, ergibt sich aus dem, was ich über Wesen und Rechtfertigung der Strafe soeben ausgeführt habe. Die Strafe bedeutet nicht nur Zufügung einer Rechtsgütereinbuße, sondern Erhebung eines Vorwurfs: es wird dem Täter vorgehalten, daß er sich durch die Gebote der Rechts73 Vgl. hierzu Joseph H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin 1956, und Prolegomena zu einer Rechtslehre von Gesellschafl: und Staat, in: Freiburger Dies Universitatis Bd. 4 (1955/56), Freiburg i. Br. 1956, S. 57 ff. 74 Vgl. hierzu Hans-Heinrich Jescheck, Die Behandlung der Personenverbände im Strafrecht. SchwZStr. 70 (1955) 243 mit eingehenden Literaturangaben.
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ordnung nicht genügend habe motivieren lassen, obwohl ihm dies zuzumuten war. Der Vorwurf } (mit Professor Dr. Günther Kaiser). Aus: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Freiburg i. Br. 1975, 3 - 9. I über die Persönlichkeit und Bedeutung des Institutsgründers vgl. Kielwein, Leben und Werk Adolf Schönkes, ZStW 85 (1973) S. 1017 ff.
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ihm selbst noch vorbereitete großzügige Entwicklung seiner Gründung zu einer voll leistungsfähigen Forschungsstätte der Strafrechtsvergleichung verwirklicht. Auf Grund einer vor allem von Staatssekretär Dr. Strauß vom Bundesjustizministerium getragenen Initiative wurde das Universitätsinstitut zu einer öffentlichen Stiftung der Bundesrepublik, des Landes [4] Baden-Württemberg und der Universität Freiburg ausgestaltet und damit in eine reine Forschungseinrichtung mit allmählich anwachsendem PersonaJ.bestand und zunehmenden Sachmitteln umgewandelt. Am 14. Juni 1954, dem Tage der Antrittsvorlesung des als Nachfolger von Adolf Schönke zum Professor und Institutsdirektor in Freiburg beruf.enen Ministerialrats und Privatdozenten HansHeinrich Jescheck über "Entwicklung, Aufgaben und Methoden der Strafrechtsvergleichung" trat die Stiftungssatzung mit der von Dr. Strauß für ,den Bund und der von dem Rektor Professor Pfannenstiel für die Universität geleisteten Unterschrift in Kraft. Der Bestand der Bibliothek wuchs in ,den folgenden 12 Jahren von 18000 im Jahre 1954 auf fast 50000 Bände im Jahre 1966, die Ausstattung mit wissenschaftlichem Personal von einem auf sieben Assistenten, mehrere wissenschaftliche Hilfskräfte und Forschungsstipendiaten sowie zwei freie Mitarbeiter 2 • Das Wachstum des Instituts, die zunehmende Beachtung, die seine wissenschaftliche Arbeit in ,der Fachwelt des In- und Auslands fand, und ,die mehr und mehr erkannte Bedeutung der Strafrechtsvergleichung, vor allem für die im Gange befindliche Reform des gesamten ,deutschen Strafrechts, führten im Jahre 1966 zur Obernahme des Instituts in die Max-Planck-Gesellscha/l, für die sich besonders ,der Präsident der Gesellschaft, Professor Dr. Adolf Butenandt eingesetzt hat. Die Anregung zur Auf!lahme des Instituts in ,die Max-Planck-Gesellschaft ging wiederum von Staatssekretär Dr. Strauß aus, während das Land Baden-Württembergdie Umwandlung durch eine großzügige Regelung der ,damit zusammenhängenden finanziellen Fragen, die Universität durch .die weitere Belassung .der vom Institut benutzten Räume und Inventargegenstände gefördert hat. Zum Direktor des neuen Max-Planck-Instituts und wissenschaftlichem Mitglied wurde Professor Hans-Heinrich Jescheck, zu auswärtigen wissenschaftlichen Mitgliedern wurden Professor Thomas Würtenberger-Freiburg, der damalige Direktor des Instituts für Kriminologie und Strafvollzugskunde, und später Professor Theo Vogler-Berlin, jetzt Gießen, berufen. Dank der erheblichen Mittel, die dem Institut in den Jahren seit der Aufnahme in die Max-Planck-Gesellschaft zugeflossen sind, konnte der Bestand der Bibliothek von den knapp 50 000 Bänden im Jahre 1966 auf mehr als ,das Doppelte, nämlich 110000 Bände im Jahre 1974 erweitert werden. Der Bestand an laufenden Zeitschriften beträgt 697. Das Institut verfügt jetzt ferner über 25 ständige wissenschaftliche Referenten und Forschungsassi,stenten, eine erhebliche Anzahl wissenschaftlicher Hilfskräfte, mehrere ständige Honorarmitarbeiter sowie das entsprechende nicht-wissenschaftliche Personal. Im Institut arbeiten regelmäßig zwischen 10 und 20 ausländische Stipendiaten. Die Entwicklung des Instituts ist ,dabei aber nicht stehengeblieben. Im Jahre 1970 stimmte die Max-Planck-Gesellschaft der Gründung einer kriminologischen Forschungsgruppe im Institut zu, um die immer mehr notwendige Rechtstatsachenforschung auf dem Gesamtgebiet des Strafrechts im Institut zu verankern und mit 2 Vgl. über die ersten 25 Jahre des Instituts Jescheck, Das Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br. 1938 - 1963, Berlin 1963.
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der Rechtsvergleichung organisch zu verbinden. Zum Leiter der neuen Forschungsgruppe wurde Privatdozent Günther Kaiser berufen, ,der vorher am Institut für Kriminologie der Universität Tübingen tätig gewesen war. Er ist seit Februar 1971 Honorarprofessor an ,der Universität Freihurg. Nachdem gegenwärtigen Stand werden etwa ein Drittel der Planstellen des Instituts und ein Drittel der Bibliotheksmittel für die Kriminologie, zwei Drittel für die Rechtsvergleichung [5J verwendet. Die Bibliothek des Instituts umfaßt an kriminologischer Literatur zur Zeit etwa 20 000 Bände, sie enthält damit die umfangreichste Sammlung auf diesem Fachgebiet im deutschsprachigen Raum. Von den 697 laufend bezogenen Zeitschriften sind 157 kriminologischer Natur. Der kriminologischen Gruppe fließen erhebliche Forschungsmittel von seiten der Max-Planck-Gesellschaft zu. Außer,demstehen ihr Personalstellen und Sachmittel zur Verfügung, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft nach Prüfung der Anträge durch den Ausschuß für Empirische Kriminologie einschließlich Kriminalsoziologie zu einzelnen Projekten beisteuert. 1973 wurde Professor Kaiser zum Mitdirektor des Instituts ernannt, das damit wie ,die meisten MaxPlanck-Institute eine kollegiale Leitung bekommen hat. Im Rahmender Gesamtgesellschaft gehört das Institut zwar zu den kleineren Einrichtungen, es erreicht aber fast ,die Größe der beiden älteren Schwesterinstitute für Privatrecht und öffentliches Recht. Ein Zentrum für Strafrechtsvergleichung und Kriminologie mit ähnlicher integrierter Zielsetzung, das über eine vergleichbare Bibliothek und einen ähnlichen Bestand an PersonalsteIlen und Sachmitteln verfügte, besteht in Deutschland nicht, und auch im Ausland gibt es nur Einrichtungen, die das Freiburger Institut an Forschungspotential zwar in einzelnen Beziehungen, aber nicht im ganzen übertreffen. Das Institut arbeitet in den großen internationalen und nationalen Gesellschaften auf dem Gebiet des Strafrechts, der Kriminologie und der Rechtsvergleichung tätig mit. Besonders eng ist die Verbindung zur Association Internationale ,de Droit PenaI. Im Auftrag dieses Verbandes hat das Institut für die vier letzten internationalen Strafrechtskongressedie vorbereitenden Kolloquien für je eines der Kongreßthemen durchgeführt und außerdem ein Regionalkolloquium in Mannheim veranstaltet. Professor Jescheck ist zur Zeit Präsident der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung, Professor Vogler ist Mitglied des Vorstands und Vorsitzender der Fachgruppe für Strafrechtsvergleichung. Professor Kaiser ist zur Zeit 1. Vorsitzender der Gesellschaft für die gesamte Kriminologie. Das Institut gehört zusammen mit 8 anderen ,der zur Zeit 46 Max-Planck-Institute zur Geisteswissenschafllichen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft, ,die neben der Biologisch-Medizinischen und der Chemisch-Physikalisch-Technischen Sektion steht. Der Name Max Planck wurde, nachdem die Gesellschaft 1945 auf Verlangen der amerikanischen Militärregierung ihren bisherigen Namen aufgeben mußte, für die Gesellschaft gewählt, um ,den großen Physiker und früheren Präsidenten der Gesellschaft zu ehren, der 1945 den Wiederaufbau der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von Göttingen aus in die Wege geleitet hatte. Vier juristische Institute gehören :liußer dem Freiburger Institut zur Geisteswissenschaftlichen Sektion, die schon genannten Institute für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, ferner das Institut für
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europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt (gegründet 1964) und ,das Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbs recht in München (übernommen 1966). Der Sektion gehören die beiden Direktoren des Instituts an. Vorsitzender der Sektion ist zur Zeit Professor Jescheck. Vom Institut wurde ferner satzungsgemäß Dr. Jürgen Meyer als Vertreter der wissenschaftlichen Mitarbeiter in die Sektion gewählt. Maßgebend für die Organisation, Leitung und Verwaltung des Instituts sind die Satzung der Max-Planck-Gesellschaft in der am 28.6. 1973 von der Mitgliederversammlung beschlossenen Fassung sowie die Institutssatzung, die sich die [6] Institutskonferenz selbst ausgearbeitet hat, und die durch Beschluß des Senats der Gesellschaft vom 23. 11. 1973 genehmigt worden ist. Die Aufgabe des Instituts wird in der Satzung folgendermaßen umschrieben: "Das Institut dient der Forschung auf den Gebieten des deutschen, ausländischen und internationalen Strafrechts und der Kriminologie. Es besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern stellt eine Einrichtung der Max-Planck-Gesellschaft dar, die ihrerseits keine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, sondern ein eingetragener Verein ist. Das Institut steht unter der wissenschaftlichen und verwaltenden Leitung seiner bei den Direktoren, die, unbeschadet der Verantwortung jedes Direktors für das Ganze und unbeschadet der vollen gegenseitigen Vertretungsbefugnis, ihre Aufgaben in einer Geschäftsordnung nach Hauptzuständigkeiten aufgeteilt haben. Die Institutsdirektoren ,besitzen auf Grund der Satzung der Gesellschaft weitgehende Befugnisse. Sie sind in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit frei, unterliegen insbesondere keinerlei Beschränkung bei der Auswahl, Bestimmung der Reihenfolge und Ausführung der wissenschaftlichen Ar.beiten des Instituts. Sie hestellen und entlassen die wissenschaftlichen und sonstigen Mitarbeiter ,des Instituts, verwalten die Haushaltsmittel und entscheiden üher ihre Verwendung. Sie vertreten die Gesellschaft in den laufenden Angelegenheiten des Instituts ,und verwalten die zum Institut gehörenden Grundstücke, Gebäude, Apparate und Inventargegenstände. U
Eine so umfassende Freiheit, wie sie den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft eingeräumt ist, muß jedoch in der Verantwortung gegenüber den Gesellschaftsorganen ihre Entsprechung finden. Deshalb wird der Rechenschaftslegung der Institute als Gegenstück ihrer Una.bhängigkeit große Bedeutung beigemessen. Zur Erfüllung der Rechenschaftspflicht erstatten die Direktoren dem Präsidenten der Gesellschaft jährlich einen Tävigkeitsbericht, der zugleich der Sektion vorgelegt und dort erörtert und ggf. auch kritisch beleuchtet wir,d. Die gesamte Tätigkeit des Instituts unter Einschluß der Gestaltung des Jahreshaushalts und ,der wissenschaftlichen Arbeiten und Zukunftspläne wird einmal im Jahr mit dem Kuratorium ·des Instituts durchgesprochen. Dieses Gremium besteht aus in- und ausländischen Persönlichkeiten, die dem Institut durch ihr Fachgebiet nahestehen, aus Angehörigen des Bundes- und Lan.desjustizministeriums und ,des Bundesgerichtshofs sowie aus Vertretern des öffentlichen Lebens. Das Kuratorium hat zwar nur beratende Funktion, seine Empfehlungen haben aber für die Entscheidungen der Institutsleitung maßgebliches Gewicht. Ein Ausschuß des Kuratoriums ist der Fachbeirat, dessen Aufgahe es ist, die Institutsleitung und die beteiligten Mitarbeiter bei der Auswahl und Durchführung der Forschungsprojekte zu beraten und die wissenschaftlichen Ergebnisse der Arbeit des Instituts zu hegutachten. Der Vorsitzende des Fachbeirats erstattet dem Kuratorium jährlich Bericht 21 ]escheck
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und hat auf Wunsch ·des Präsidenten auch diesem einen Beridlt vorzulegen. Im Rahmen der Jahressitzung .d er heiden Beratungsgremien veranstaltet das Institut in der Regel ein wissenschaftliches Kolloquium, zu dem auch außenstehende Sachverständige eingeladen werden. Meist wird dabei ein gerade in Arbeit befindliches Forschungsprojekt mit seiner Problematik, seiner Methode und seinen ersten Ergebnissen zur Diskussion gestellt. Vorsitzender des Kuratoriums und des Fachbeirats ist gegenwärtig Professor Paul Bockelmann-München. Die Rechnungsprüfung für das Institut obliegt nach einer Vorprüfung durch ,die Gesellschaft dem Rechnungshof von Baden-W ürttemberg. Das Institut gliedert sich in eine strafrechtliche und eine kriminologische Forschungsgruppe. Für die wissenschaftliche Leitung der ersteren ist Professor Jescheck, [7) für die der letzteren Professor Kaiser verantwortlich. Auf die Wahrung .des inneren Zusammenhangs des Instituts wird im Hinblick auf seine Aufgabe, Strafrechtsvergleichung in Verbindung mit Kriminologie und Kriminologie in Verbindung mit Strafrechtsvergleichung zu treiben, größtes Gewicht gelegt. Dem Ziel der ständigen Integration der heiden Gruppen dient, ahgesehen von der engen persönlichen Zusammenarbeit der beiden Direktoren, .die Auswahl von Forschungsprojekten,die sowohl für die Rechtsvergleichung als auch für die Kriminologie fruchtbar sind. So wird etwa .das gegenwärtig laufende Projekt "Geldstrafe" mit Schwerpunkt von den Juristen rechtsvergleichend hehandelt, diese Forschung wird jedoch ergänzt durch eine empirische Untersuchung der Kriminologen über die Verwendung, Zumessung und Wirkungsweise der GeIdstrafe, insbesondere über die Häufigkeit, Art der Vollstreckung und Auswirkung .d er Ersatzfreiheitsstrafe. So wird das Forschungsprojekt "Staatsanwaltschaft" im Schwerpunkt getragen durch empirische Untersuchungen der Kriminologen hinsichtlich der Tätigkeit dieser für das Gesamtvolumen und für die Gestaltung und Effizienz der Strafrechtspflege maßgeblichen Behörde, hinzu treten jedoch rechtsvergleichende Untersuchungen über den Umfang und die Art und Weise der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft im Ausland. Auch in .der Methode sind die beiden Forschungsgruppen aufeinander bezogen, indem für beidedie Vergleichung im Mittelpunkt steht und die Juristen gewöhnt sind, ihren Blick auf die rechtstatsächlichen Bedingungen ihres Forschungsgegenstandes zu richten, während die Kriminologen gelernt haben, .die Bedeutung des Rechts und seiner Anwendung als einen zentralen Faktor der sozialen Kontrolle zu hetrachten, ,der nicht vernachlässigt werden darf, wenn man nicht ZlU einseitigen, irrelevanten, irreführenden oder gar völlig falschen Aussagen gelangen will. Der Integration der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts auf den bei den Gebieten der Rechtsvergleichung und der Kriminologie dient ferner die Mitberatung der wissenschaftlich-en Mitarbeiter bei ,der Auswahl ,der Forschungsgegenstände und der Durchführung der Arbeiten. Das gemeinsame Organ des Instituts, in d·em diese Mitberatung stattfindet, ist die Institutsbesprechung, an der die bei den Direktoren, sämtliche Referenten und Forschungsassistenten, die wissenschaftlichen Hilfskräfte mit abgeschlossener HochschulbiIdung, der Bibliotheksdirektor und der Verwaltungsleiter teilnehmen. Sie findet einmal im Monat statt und soll auf Grund eingehender Vorbereitung möglichst zu einstimmigen oder doch von der großen Mehrheit der Teilnehmer getragenen Ergebnissen führen. Die begrenzte Zahl der Mitarbeiter und die Tatsache ihrer zum Teil seit Jahren bestehenden persönlichen Verbundenheit sind die Voraussetzungen dafür, daß die Mitberatung der
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wissenschaftlichen und anderen wichtigen Probleme des Instituts noch immer im "Plenum" bewältigt wer,den kann. Die letzte Verantwortung für die Führung des Instituts liegt freilich nicht bei der Institutsbesprechung, sondern bei den Direktoren, die auch entgegen einer Entschließung der Mehrheit handeln können und in diesem Falle lediglich verpflichtet sind, ihre abweichende Entscheidung in der nachfolgenden Institutsbesprechung zu begründen. Auf ,diese Weise wird die Entscheidungsmacht und -freiheit der Institutsleitung gesichert und zugleich die rechtliche Voraussetzung dafür geschaffen, daß die Inscitutsdirektoren für ihre wissenschaftliche und verwaltende Tätigkeit einzustehen vermögen und vom Präsidenten der Gesellschaft, vom Verwaltungsrat und vom Senat auch verantwortlich gemacht werden können. Den wissenschaftlichen Mitarbeitern wird jedoch durch die Einrichtung der Institutsbesprechung nicht nur Mitberatung, sondern faktisch auch ein hohes Maß an Mitbestimmung eingerä.umt, ,da die [8] Institutsleitung von einer Entschließung der Institutsbesprechung nur aus schwerwiegenden und wohlerwogenen Gründen abweichen wird. Eine weitere gemeinsame Einrichtung, die von heiden Forschungsgruppen getragen wird, ist das monatlich veranstaltete wissenschaflliche Kolloquium. Hier werden abwechselnd Themen aus dem Bereich der Strafrechtsvergleichung und der Kriminologie behandelt, wobei die Mitarbeiter des Instituts, darüber hinaus aber auch Stipendiaten und Gäste, Gelegenheit haben, über ihre Arbeiten zu berichten, sich zu informieren und sich gegenseitig z,ustimmend oder kritisch auszutauschen. Das Institut veranstaltet endlich regelmäßig Gastvorträge ausländischer Gelehrter, oft im Zusammenwirken mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Die beiden Forschungsgruppen sind mit Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit ihrer Fachgebiete und Arbeitsmethoden verschieden aufgebaut. Die strafrechtliche Forschungsgruppe gliedert sich in ständige Länderreferate, bei deren Abgrenzung die durch die Geschichte bestimmten Rechtskreise, aber natürlich auch die Sprachen eine Rolle spielen, deren Kenntnis die erste Voraussetzung für den Zugang z,um fremden Recht ist. Die Referenten sind entweder voll angestellte wissenschaftliche Mitarbeiter oder ständige Honorarmitarbeiter mit langer wissenschaftlicher Erfahrung. Die wissenschaftlichen Hilfskräfte werden nur ausnahmsweise zur Vertretung von Referaten eingesetzt, im allgemeinen wirken sie unter der Leitung der Referenten in den Referaten mit, wobei immer auch ,daran gedacht wird, möglichst viele tüchtige Nachwuchskräfte für die Rechtsvergleichung zu gewinnen. Die kriminologische Forschungsgruppe, ,die abgesehen von Kriminologen, die aus der Rechtswissenschaft kommen, Soziologen, Psychologen und Statistiker um faßt, gliedert sich je nach dem Umfang und dem Fortgang der laufenden Forschungsprojekte in wechselnde Projektgr,uppen. Die Zusammenarbeit innerhalb der beiden Forschungsgruppen wird ,durch regelmäßige Gruppensitzungen erreicht, ,die unter der Leitung von Professor Jescheck bzw. Professor Kaiser stehen. Die Mitarbeiter nehmen an wissenschaftlichen Kongressen auf ihren Fachgebieten, möglichst mit eigenen wissenschaftlichen Beiträgen teil und werden auch, so oft es die Haushaltsmittel erlauben, ins Ausland entsandt. Dies ist für die Kriminologen wegen der internationalen Verflechtung ihres Fachs, für die Rechtsvergleicher deswegen von hervorragender Bedeutung, weil sie auf diese Weise den Kontakt mit der Rechtspflege in ihren Ländern, die Verbundenheit mit den maßgeblichen Persönlichkeiten, die Kenntnis der gesprochenen Rechtssprache und 21·
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die Anschauung von der Wirklichkeit des Rechts und seiner sozialen Bedingungen pflegen und ausbauen können. Jeder wissenschaftliche Mitarbeiter muß einen angemessenen Teil seiner Arbeitszeit für die Durchführung eigener Forschungspläne zur Verfügung behalten, die, wenn sie zum Erfolg führen, in Dissertationen, Habilitationsschriften oder Büchern und Aufsätzen ihren Niederschlag finden. Die För,derung der wissenschaftlichen und beruflichen Entfaltung jedes Mitarbeiters ,durch Arbeiten, die die übernahme eigener Verantwortung einschließen, ist die satzungsgemäße Pflicht der Direktoren. Auch in der kriminologischen Gruppe gibt es einen derartigen Forschungsfreiraum für die Mitarbeiter, obwohl dort die projekrbezogene Arbeit ganzer Forschungsteams naturgemäß im Vordergrund steht. Die eigene wissenschaftliche Leistung kann hier z. B. darin Ausdruck finden, daß der von einem Mitarbeiter betreute Teil eines Projekts mit seinen Ergebnissen und methodischen Erkenntnissen selbständig dargestellt oder daß auf der Grundlage eines bestimmten Aspekts des Problems eine gesonderte Bearbeitung dargeboten wird. [9] Abgesehen von den Länderreferaten der strafrechtlichen Forschungsgruppe und den projektgebundenen Arbeitsbereichen der kriminologischen Forschungsgruppe gibt es eine Reihe von Sachreferaten, die für ,die Leitungsaufgaben im Rahmen des Gesamtinstituts und für die Erledigung nicht referats- oder projektgebundener wissenschaftlicher Arbeiten bedeutsam sind. Hierzu gehören das Verwaltungsreferat, die Redaktion der "Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft", das Referat für die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit ,dem Ausland, einschließlich der Betreuungder ausländischen Gäste und Stipendiaten, sowie die Referate für ,die Neubauplanung und für die Vorbereitung und Durchführung der wissenschaftlichen Vorträge und Kolloquien. Das Veröffentlichungsreferat insbesondere betreut die laufenden Publikationen und die ,drei vom Institut herausgegebenen Reihen "Rechtsvergleichende Untersuchungen zur gesamten Strafrechtswissenschaft" (Verlag Röhr,cheid-Bonn), "übersetzungen außerdeutscher Strafgesetzbücher" (Verlag Walter de Gruyter-Berlin) und "Das ausländische Strafrecht der Gegenwart" (Verlag Duncker & Humblot-Berlin). Im größten Interesse der Mitarbeiter und Benutzer des Instituts und im Interesse der hier vereinigten Wissenschaften überhaupt liegt die Pflege und Entwiddung ,der Bibliothek, ,die, solange die Stelle des Bibliotheksdirektors noch unbesetzt ist, von einem Bibliotheksausschuß geleitet wird. Für die sozialen Angelegenheiten des Instituts und die im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehene Mitwirkung bei den personellen Entscheidungen ist ein Betriebsrat des Instituts gebildet worden, der mit der Institutsleitung eng z,usammenar:beitet und durch eines seiner Mitglieder auch im Gesamtbetriebsrat der Gesellschaft vertreten ist. Der Betriebsrat hat erheblichen Anteil an der Schaffung und Erhaltung des guten Arbeitsklimas des Instituts. Eines der Hauptprobleme für die Zukunft des Instituts ist die Raumfrage, die aber jetzt einer Lösung entgegengeführt wird. Das Institut war ursprünglich als Universitätseinrichtung in zwei Räumen des Kollegiengebäudes an der Belfortstraße untergebracht. Da der dort zur Verfügung stehende Raum bei dem raschen Wachstum der Bibliothek nicht mehr ausreichte, zog das Institut im April 1956 in .das Haus Günterstalstraße 72 um, das das Land Baden-Württemberg für die Universität Frei-
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burg angekauft hatte. Im Jahre 1959 konnte noch das Nachbargrundstück Günterstalstraße 70 hinzuerworben werden. In dieses zweite Haus teilt sich das Institut mit dem Institut für Kriminologie und Strafvollzugsk,unde, das im Jahre 1930 von Professor Erik Woll gegründet worden ist und jetzt unter der Leitung von Professor Klaus Tiedemann steht. Anrnietungen in zwei anderen Häusern sind mit der Zeit hinzugetreten. Im Jahre 1966 hat die Max-Planck-Gesellschaft ferner die Villa Mitscherlich gekauft, ein aus dem vorigen Jahrhundert stammendes, geräumiges Gebäude in ausnehmend schöner Lage auf ,der baumbestandenen Nase des Sternwaldecks. In unmittelbarer Nähe diese Gebäudes, aber unterhalb des Sternwaldecks auf der Straßenhöhe, wird ab Mitte 1975 der im Entwurf sehr schöne und zweckmäßige Institutsneubau errichtet werden, der die städtische Bebauung an dieser Stelle gegen den Sternwald hin abschließt. Bis zur Fertigstellung des Neubaus ist ,die kriminologische Forschungsgruppe und ein Teil der strafrechtlichen Forschungsgruppe in dem später zum Abriß bestimmten alten Gebäude untergebracht. Die Leitung und die wissenschaftlichen Arbeiten des Instituts werden sehr erleichtert werden, wenn einmal alle Teile des Instituts, einschließlich der weitverzweigten Bibliothek, wieder unter einem Dache vereint sind, ein Zustan,d, der hoffentlich noch im Jahre 1978 erreicht wer,den wird.
DAS NEUE DEUTSCHE STRAFRECHT IM INTERNATIONALEN ZUSAMMENHANG':·+ Wissenschaftliche Vorträge, wie sie heute nachmittag vor dem Wissenschaftlichen Rat der Max-Planck-Gesellschaft und Fachvertretern aus Hamburg gehalten werden, sind eine Neuerung im Programm unserer Hauptversammlungen. Es ist insbesondere der Wunsch jüngerer Mitarbeiter gewesen, die Sitzung des Wissenschaftlichen Rats nicht auf die Verhandlung von Verbandsinterna zu beschränken, sondern auch für wissenschaftliche Sachthemen zu nutzen, um sich gegenseitig in der Arbeit kennenzulernen und zugleich mit Fachkollegen am Ort ins Gespräch zu kommen. Die ursprüngliche Idee, den Wissenschaftlichen Rat durch Kurzreferate über neueste Forschungsergebnisse in einer Mehrzahl von Instituten zu unterrichten, ließ sich freilich bei den Geisteswissenschaften nicht ohne weiteres verwirklichen, weil unsere Arbeit meist größeren Zusammenhängen gilt, die auch nur in größerem Rahmen vorgetragen werden können, wenn ,die Ergebnisse voll verständlich werden sollen. Ich muß deshalb Ihre Aufmerksamkeit für einen akademischen Vortrag üblichen Umfangs in Anspruch nehmen, der jedoch von einer Aussprache ergänzt werden soll. Als Vertreter eines juristischen Fachs in der Geisteswissenschaftlichen Sektion habe ich mir mit dem neuen Strafrecht ein Thema gewählt, das erfahrungsgemäß auch außerhalb des Kreises der Juristen Interesse findet. Dies vor allem deswegen, weil sowohl ,die Funktion des Strafrechts in unserer Zeit umstritten ist als auch der Weg, ,den es in den letzten 15 Jahren zurückgelegt hat. Als Direktor eines Instituts für Rechtsvergleichung, das durch seine Forschungen zum A,uslandsrecht an dem Reformwerk beteiligt war, möchte ich das neue deutsche Strafrecht im internationalen Rahmen hehandeln, um Ihnen mein Fachgebiet als Teil eines weitverzweigten Kulturzusammenhangs vorzustellen. Die ,deutsche Strafrechtsreform ist am 1. Januar 1975 zu einem vorläufigen Abschluß gekommen. In Kraft getreten ist an diesem Tage eine Neufassung des Strafgesetzbuchs von 1871, das in seinen geistigen Gr,undlagen noch aus ,der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammte. Vollständig umgestaltet wurde der Allgemeine Teil, der die für alle Delikte gemeinsamen Regeln, insbesondere über die Voraussetzungen der Strafbarkeit, die Begehungsformen und die Rechtsfolgen ,der Tat enthält. A:ber auch der Besondere Teil, in dem die Merkmale der einzelnen Delikte mit den daran geknüpften Strafdrohungen festgelegt sind, zeigt schon weitgehend ein neues Gesicht. Der Abschluß der Strafvollzugsreform steht in ,diesem Jahre ebenfalls bevor, wenn auch die beiden wichtigsten For,derungen aller beteiligten Kreise, die [50]
* Aus : Max-Planck-Gesellschaft. Jahrbuch 1975. Hrsg. von der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft München. - Göttingen 1975, 49 - 60. + Vortrag am 18. Juni 1975 vor dem Wissenschaftlichen Rat anläßlich der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Hamburg.
Das neue deutsche Strafrecht
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Tarifentlohnung und die Sozialversicherung für die Gefangenen, aus finanziellen Gründen vorläufig zurückgestellt werden mußten, von den viel weitergehenden Plänen der engagierten Reformer ganz zu schweigen. Das Strafverfahren endlich, das schon in seiner bisherigen Gestalt eine heachtliche Leistung ,des Rechtsstaats darstellt, ist zum 1. Januar 1975 gleichfalls weiter verbessert worden, insbesondere durch Maßnahmen, die der Prozeßbeschleunigung dienen sollen. Die damit eingeleitete Strafprozeßreform wird inden nächsten Jahren durch Einzelgesetze fortgeführt w.erden. Die Hauptthemen sind dabei die Umgestaltung der Hauptverhandlung, der Aufbau ,der Gerichtsorganisation und die Neuordnung des Rechtsmittelwesens. Nicht nur das Ergebnis, sondern a.uchdie Methode der Reform des ,deutschen Strafrechts hat im Ausland Beachtung gefunden. Bemerkenswert war dabei insbesondere die breite Anlage des Unterbaus. Das neue Recht ,gründet sich auf die 5jährigen Beratungen der Großen Strafrechtskommission, ,die zum Regierungsentwurf 1962 geführt haben, auf den Alternativ-Entwurf, der einer privaten Initiative von deutschen und schweizerischen Strafrechtslehrern zu danken ist, ,u nd auf die Zusammenarbeit zwischen dem Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform und der Strafrechtsabteilung ,des Bundesjustizministeriums. Einen wesentlichen Anteil hatten weiter ,die Vor- und Begleitarbeiten, mit denen die Rechtsvergleichung dem Reformgesetzgeber ,die Lösungen des Auslandes vor Augen ,geführt hat. Nicht zu vergessen ist endlich neben der Ia,ufenden Stellungnahme der Wissenschaft zu den Entwurfsarbeitendie Beteiligung ,der öffentlichkeit an den verschiedenen Phasen des Projekts. Das Zusammenwirken von Parlament, Justizministerium und Wissenschaft war auch die Methode, mit der in österreich die dem deutschen Recht verwandte Neuschöpfung des Strafgesetzbuchs anstelle des alten von 1803/1852, in ,der Schweiz die Revision des Strafgesetzbuchs von 1937, inden Niederlanden die Gesamtreform des Strafgesetzbuchs von 1881 geleistet worden sind bzw. geleistet werden. Manche Länder haben sogar ständige gemischte Reformgremien geschaffen, wie Schweden den "Rat für Verbrechensverhütung" oder die USA das private American Law Institute und das National Institute of Law Enforcement and Criminal Justice im Justizministerium. Dagegen kann eine rein als Ministerialzuständigkeit verstandene Reformarbeit, wie sie in manchen Ländern noch immer üblich ist, heute kaum noch genügen, weil die Probleme aus dem nationalen Rahmen in den internationalen Zusammenhang und aus dem juristischen Raum in ,die Bereiche der Nachbardisziplinen hineingewachsen sind. Rechtsvergleichung und interdisziplinäre Arbeit sind deshalb die Methoden der Zeit. Der Reiz der Strafrechtswissenschaft liegt heute zu einem großen Teil gerade in der Aufgabe, a,us der Vielfalt der Tatsachen, Erfahrungen ,u nd Forderungen eine gerechte und praktikable Lösung zu schaffen. Das deutsche Reformwerk steht im Gesamtzusammenhang einer weltweiten Bewegung zur Modernisierung, Liberalisierung und Humanisierung des Strafrechts, die Ende der fünfziger Jahre eingesetzt hat und uns ,das Streben der Menschheit nach zwei Zielen vor Augen führt : nach mehr Eigenverantwortung sowohl wie auch nach mehr Solidarität. In der anglo-amerikanischen Welt gibt es in England die Reihe der großen Reformgesetze von 1958 bis 1974, die entgegen aller Tradition später zu einem Strafgesetzbuch zusammengefaßt werden sollen, in ,den USA ,die neuen Straf-
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gesetzbücher in weit mehr als der Hälfte ·der Einzelstaaten, für ,die ein Entwurf des American Law Institute, der Model Penal Code von 1962, die Grundlage gebildet hat, sowie den im Justizministerium vorbereiteten Entwurf eines neuen Federal Criminal Code, ,der noch in ,dieser Legislaturperiode Gesetz werden soll. Von ·den Ländern des romanischen Rechtskreises ~st hinzuweisen in Frankreich auf die Einführung der Bewährungshilfe im Jahre 1958 und die vor kurzem begonnene Arbeit einer kleinen Kommission an der Reform des Code penal von 1810, in Italien auf die sich seit Kriegsende hinziehenden [51] Bemühungen um die Neugestaltung ·des Codice penale von 1930, denen es bisher aber gerade an der breiteren Resonanz in Wissenschafl: und öffentlichkeit gefehlt hat. Auch in Portugal war die Reform, übrigens in engem wissenschafl:lichen Kontakt mit Deutschland, im Gange, als die neue Regierung die Macht übernahm. Es bleibt abzuwarten, welches Gesicht das Strafrecht nach der Konsolidierung der politischen Verhältnisse in diesem Lande annehmen wird. Schweden hat sich 1961 nach langen, überaus gründlichen, multidisziplinären Vorarbeiten das auf dem Kontinent konsequenteste Kriminalgesetzbuch im Sinne .des Schlagworts "Behandlung statt Strafe" geschaffen, während in Norwegen heute der Gedanke .der Generalprävention, d. h. der vorbeugenden Einw.irkung der Strafe auf das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit, wieder stärker in den Vordergrund tritt. Die sozialistischen Länder haben sich der Reformbewegung in verschiedenem Grade angeschlossen, wobei neben echten kriminalpolicischen Einsichten auch polizeilichautoritäre Tendenzen und das Vertrauen in .die Wirksamkeit ,der Kontrolle durch das Kollektiv mitbestimmend gewesen sind. Im deutschen Sprachraum stehen neben dem Strafgesetzbuch der DDR von 1968 als einem Modellgesetz streng sozialistischer Prägung die Neuschöpfungen liberalrechtsstaatlicher Art, die wir in den neuen deutschen und österreichischen Strafgesetzbüchern und den schweizerischen Teilrevisionen vor uns haben. Es handelt sich dabei um Gesetze, die moderne kriminalrechtliche Lehren zu verwirklichen trachten, ohne indiVlidueile Schuld und persönliche Verantwortung als die unverzichtbaren Grundlagen unseres moralischen Bewußtseins zu verleugnen. In Lateinamerika hat sich Brasilien im Jahre 1969 ein neues Strafgesetzbuch gegeben, ,dessen endgültiges Gesicht aberebensowenig feststeht wie das des gewalDigen Reiches selbst. Außer·dem gibt es ,den Allgemeinen Teil eines Modellstrafgesetzbuchs für Lateinamerika vom Jahre 1971, das eine bemerkenswerte Gemeinschafl:sleistung von Strafrechtslehrern aus fast allen lateinamerikanischen Staaten darstellt und nicht nur den traditionellen Einfluß des italienischen und spanischen Geistes widerspiegelt, sondern zum ersten Male eine Hinwendung zu deutschen Vorbildern erkennen läßt. Das neue japanische Strafgesetzbuch endlich, das kurz vor dem Abschluß steht, bringt neben amerikanischen Einflüssen verstärkt wieder die alte wissenschafl:liche Verbundenheit mit Deutschland zum Ausdruck. Daß in Deutschland selbst ein neues Strafrecht geschaffen wel'den konnte, welches im internationalen Vergleich zwar nicht zu den progressivsten zählt, aber doch viele alte Vorurteile zugunsten eines gemäßigten Modernismus überwunden hat, ist das Ergebnis eines tiefgreifenden Lern- und Umdenkungsprozesses während ,der letzten 20 Jahre gewesen. Dieser Prozeß ist nicht nur aus Eigenimpulsenentstanden, sondern erklärt sich vor allem durch die internationale Verbundenheit der Strafrechtswissenschafl:und Kriminologie, zu der unser Land nachdem Ende ·des zweiten Weltkrieges zurückgefunden hat. Ohne die Kongresse, Konferenzen, Kolloquien und persönlichen
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Verbindungen im Rahmen der internationalen strafrechtlichen und kriminolo~ischen Vereinigungen, des Europarats und der Vereinten Nationen wäre die rasche überwindung üherholter Vorstellungen im deutschen Strafrechtsdenken nicht möglich gewesen. Zugleich aber wird man sagen können, daß hei uns keineswegs alle überlieferung über Bord geworfen worden ist, sondern daß man versucht hat, einen vernünftigen Mittelweg einzuschlagen, der auch im Ausland vielfach Interesse findet. Im Vordergrund dieses Lern- und Umdenkungsprozesses steht die Erkenntnis, ,daß das Strafrecht kein Allheilmittel für soziale Gebrechen sein kann, sondern ein Mittel der Kontrolle neben anderen ,darstellt, das alber wegen der mit seiner Anwendung vCl'bundenen Nachteile so sparsam wie möglich eingesetzt wer,den muß. Da,s Strafrecht hat insbesondere nicht die Aufgabe, Gerechtigkeit um ihrer selbst willen zu verwirklrichen, sondern es verfolgt ,den Schuldigen deswegen, weil in der verdienten Reaktion der Gemeinschaft auf den Rechtsbruch zugleich ein unentbehrliches Mittel der Vorbeugung liegt. Daraus ergibt sich wiederum, daß das Strafrecht nur ,die [52] "ultima ratio" sein darf, um die Rechtsordnung durchzusetzen, und daß schonenderen und weniger aufwendigen Maßnahmen der Vorrang gebührt, wenn sie für den Gesellschaftsschutz ausrcichen und so eingerichtet werden können, daß die Rechtssicherheit gewahrt bleibt. So erleben wir seit einigen Jahren die Umstellung weiter Sachgebiete vom Strafrecht auf das Ordnungsrecht, beobachten im Jugendrecht die kräftige Verstärkung der Tendenz zu Hilfe anstelle von Strafe und sind Zeugen des wachsenden Gebrauchs von Kontrollmechanismen außerhalb der Kriminaljustiz, wie ,die sozialrechtlichen Sanktionen der ,Betriebsjustiz, die zivilrechtlichen Reaktionsmittel bei La,dendiebstählen und die Initiativen der Verbraucherverbände auf dem Gebiet des unlauteren Wettbewerbs, der Preisgestaltung und der Warentests. Mit ,dem Abbau der überschätzung des Strafrechts ist aber auch die überzeugung von seiner Unentbehrlichkeit im Kerngebiet ,der Kriminalität gewachsen, weil nur durch das Strafrecht Rechtsfrieden und Rechtssicherheit in Freiheit gewährleistet werden. Das Strafrecht beschränkt nämlich nicht nur die Freiheit, sondern es schaffi auch Freiheit, indem es seine Strafdrohungen allein für eng umgrenzte Verstöße aufstellt und darüber hinaus selbst keinen Zwang zuläßt. Die ideologischen Angriffe gegen seine Existenzberech~igung halben sich entweder als unzulässige Verallgemeinerungen bestehender Mängel, als Utopien oder als freiheitsgefährdende Theoreme totalitärer Herkunft erwiesen. Das gilt sowohl für den Mißbrauch der Psychoanalyse, die alle Gebrechen ,der Gesellschaft durch ihre Methoden aufdecken und durch entsprechende Therapie heilen können soll, wie für den monokausal vel'standenen nlabeling approach",dessen Grundvorstellung ,d arin !besteht, daß Kriminalität gar nicht durch die Begehung von Straftaten entsteht, sondern ,d aß die Kennzeichnung als nKrimincller" dem einzclnen erst von den Trägern der sozialen Kontrolle angeheftet wird, und zwar in einem Selektionsprozeß nach schidmpezifischen Merkmalen. Dies gilt weiter für die Forderung nach vollständigem Ersatz der Strafe durch Maßregeln wie auch für die konsequente Strafrechtsleugnung, die als Teilstück des marxistischen Kampfes gegen die bürgerlich-liberale Gesellschaftsordnung auftritt. Gewiß mußte die rein repressive Grundhaltungdes klassischen Strafrechts durch etwas Positives ersetzt werden, wenn es sich gegen herechtigte Kritik behaupten wollte, und deshalb ist es gera,de die Humanität im Sinne der Verbundenheit und
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Schicksalsgemeinschaa der Gesellschaa mit dem Straftäter, die als Grundlage der Kriminalpolitik immer stärker in den Vor,dergrund tritt. Aus dieser Verantwortung erwächst ,der Gesellschaa die Pflicht, den Sozialstaat in allen Bereichen zu verwirklichen, um dem Teil ,der Kriminalität den Boden zu entmehen, der aus Unverstand, Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Fürsorgemangel entsteht. Endlich ist auch die Wirksamkeit des Strafrechts für die Verbrechensverhütung im Rahmen einer "cost-benefit"-Rechnung zum Problem geworden. Mit der Preisgabe der in sich ruhenden Mission des alten Strafrechts, Schuldausgleich und Gerechtigkeit um ihrer selbst willen zu üben, mußte auch die Frage nach ,dem sozialen Nutzen der Bestrafung von Menschen aufkommen. In dem Maße, in dem ,der Justiz der Nachweis eines solchen Nutzens abverlangt wird, kann man auch von der übernahme des Effizienzprinzips in das Strafrecht sprechen. Seinen Ausdruck findet es in der allmählich einsetzenden Präventionsforschung,die sowohl die Wirkung der Strafe auf das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit als auch den Effekt der verschiedenen Sanktionsmittel tim Hinblick auf ihre spezifische Heilsamkeit oder Schädlichkeit für den Betroffenen einbezieht. Das Effizienzprinzip hat ferner die Statistikkritik angeregt, es steht hinter der Untersuchung der Strafverfolgungsorgane - Polizei und Staatsanwaltschaa - auf die von ihnen angewendeten Strategien und lebt in der überlegung, daß strafrechtliche Verbote nur dann einen Sinn hahen, wenn Zuwiderhandlungen mit den vorhandenen Kräften der Polizei unter angemessenem Aufwand aufgeklärt und in einer zeitlich begrenzten Hauptverhandlung mit rechtsstaatlichen [53] Mitteln nachgewiesen und abgeurteilt werden können. Fragt man, nach welchen Grundsätzen das neue deutsche Strafrecht gestaltet ist, so wird vor allem auf das Schuldprinzip, das Gesetzlichkeitsprunzip und ,das Prinzip der Enrkriminalisierung hinzuweisen sein. Alle drei Prinzipien sind nicht Eigentümlichkeiten des deutschen Rechts, sondern \Stellen ,dieses in Zusammenhang mit dem ausländischen Strafrecht. Dort sind sie zum Teil in anderer Weise, zum Teil auch in geringerem Umfang verwirklicht als bei uns, so daß die eigenen Leitsätze im Lichte der ausländischen Rechtsbildungen eine Relativierung erfahren. Diese Wechselwirkung im Grundsätzlichen zwischen deutschem und ausländischem Strafrecht zu erschließen, ist eine wichtige Funktion ,der Rechtsvergleichung, die das positive Recht vor Erstarrung bewahrt, Ideologien freilegt und Rationalität und Erfahrung an die Stelle von Emotionen und Vorurteilen setzt. Das Schuldprinzip bedeutet, daß kriminelle Strafe nur auf ,die Feststellung gegründet wel'den darf, daß dem Täter seine Tat zum Vorwurf gemacht werden kann, weil er sich als zurechnungsfähiger Mensch, ohne Irrtum oder Zwang, gegen das Recht entschieden hat. Die Existenz von Schuld und Verantwortung wird von der modernen Psychologie zwar nicht selten bestritten, weil beides Entscheidungsfreiheit voraussetzt, die wissenschaalich nicht hewiesen werden könne. Für das Strafrecht kommt es jedoch nur darauf an, daß Schuld und Verantwortung unbestreitbare Realitäten des Zusammenlebens in der Gemeinschaa sind und daß auch unser individuelles Leben von dem Gefühl der Freiheit bestimmt wird. Auf diesen Tatsachen muß das Strafrecht aufbauen, auf ,die Gefahr hin, daß es sich um Vorurteile handelt. Aus dem Schuldprinzip ergibt sich einmal, daß die Strafe überhaupt Schuld voraussetzt, zum anderen, daß sie auch das Maß der Schuld nicht überschreiten darf. Soweit
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besteht Einigkeit. Die Frage, ob die Strafe das Maß der Schuld auch nicht unterschreiten darf, obwohl ein Weniger für die Prävention an sich genügen würde, ist d,agegen in der Literatur umstritten, sie wil'ld aber vom Bundesgerichtshof klar dahin beantwortet, ,daß die Strafe sich von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich "weder nach oben noch nach unten inhaltlich lösen" dürfe (BGHSt 24, 132 [134]). Das neue Recht hat -das Problem des Verhältnisses von Schuldausgleich und Prävention durch eine einfache Addition zu lösen gesucht: "Die SchuI.d des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das zukünftige Leben des Täters inder Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen" sagt § 46 Abs.1. Obwohl -d amit das Wtichtigste - nämlich ,die Frage nach dem Verhältnis von Schuld und Vorbeugung - un:beantwortet bleilbt, ist diese Aussage nicht ohne Wert, denn sie stellt klar, ,daß eine Strafe, die nach Art und Höhe mit der Schuld des Täters unvereinbar, weil erheblich zu streng oder erheblich zu milde wäre, dem Gesetz nicht entsprechen würde. Abgesagt wur-de durch § 46 ferner einem reinen Maßregelsystem nach der Devü5e "der Täter bekommt, was er zu seiner Sozialisation braucht". Endlich ergibt unsere Vorschrift, daß bei jedem Strafzumessungsakt ,die Auswirkungen der Sanktion auf das künftige Lebendes Verurteilten in der Gesellschaft mitbedacht werden müssen, so daß die Strafe jedenfalls nicht mehr allein als Imperativ der austeilenden Gerechtigkeit verstanden werden kann. Der Wert ,des SchuIdprinzips liegt einmal in dem Schutz des straffälligen Menschen vor unverdient schweren Eingriffen ,des Staates, die unter Berufung auf die Notwendigkeiten von Erziehung, Therapie oder Sicherung vorgenommen werden könnten, zum anderen in der Bindung der Strafe an das Postulat der soztial-ethisch verstandenen Gerechtigkeit, -die die erste Voraussetzung für eine sittenbildende Kraft ,des Strafrechts und auch für die erzieherische Wirkung der Strafe auf den Verurteilten darstellt. Endlich ist darauf hinzuweisen, daß das Bewußtsein von Schuld und Verantwortung den Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Am engsten verwandt mit dem deutschen Recht ist in diesem Punkt das neue futerreichische Strafgesetzbuch, das sich in zwei Bestimmungen [54] ausdrücklich zum Schuldprinzip bekennt (§§ 4, 32 Abs. 1 österr. StGB) und dieses nicht einmal wie das deutsche durch eine spezialpräventive Klausel einschränkt. Auch das schweizerische Strafrecht wird man im gleichen Sinne verstehen dürfen. Dagegen enthält das Strafgesetzhuch der DDR das Schuldprinzip zwar auch (Art. 4 Abs. 3, § 5 StGB DDR), aber nicht als Gebot ,der Gerechtigkeit, sondern als Anknüpfungspunkt für die Wirksamkeit der Strafe, da diese den Täter nur dann in ein Kollektiv einzugltiedern vermag, wenn sie von bei den Teilen als verdient empfunden wird. In Italien wir-d das Schuldprinzip noch immer von der relativen Härte des Strafgesetzbuchs von 1930 überlagert, obwohl ,die Verfassung von 1947 ausdrücklich den Grundsatz aufstellt, daß die strafrechtliche Verantwortlichkeit eine "persönliche" ist und daß Strafen "erzieherisch" wirken sollen (Art. 27 Abs. 1 und 3). Viele Rechtsordnungen erkennen zwar den Satz "Keine Strafe ohne Schuld" an, hahen sich aber von der Entsprechung von Strafmaß und Schuldgröße gelöst. Das gilt z. iB. für Belgien, in besonderem Maße aber für Schweden, das inder Auswahl un,d Zumessung der Sanktion vornehmlich auf die persönlichen und sozialen Ursachen der Tat und auf ,die Wirkungsweise der verschiedenen Reakt'ionsmittel abstellt, wobei Strafen und Maßregeln nicht streng unterschieden werden. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis stellen die
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Fälle der rein objektiven Verantwortung (strict liability) eine deutliche Abweichung vom Schuldprinzip dar, sie beschränken sich aber meist auf Formaldelikte, ,die bei uns als Ordnungswidrigkeiten eingestuft wären. Im übrigen macht sich sowohl in den USA als auch in England mit ,d er Abkehr von der unbestimmten Freiheitsstrafe allmählich ein Wandel bemerkbar, ,der eine Rückkehr zum Schuldprinzip einleiten könnte. Ein fundamentales, auch international allgemein anerkanntes Prinzip des Strafrechts ist der Satz, ,d aß alle Voraussetzungen der Bestrafung sowie Art und Höhe der Strafdrohung durch das Gesetz bestimmt sein müssen. Da-s Gesetzlichkeitsprinzip, das im deutschen Recht als Art. 103 Abs.2 im Grundgesetz verankert ist, bedeutet eine Selbstbindung des Staates, ,durch die sichergestellt werden soll, daß strafrechtliche Sanktionen schon im Zeitpunkt der Tat abschließend feststehen und jedermann darauf vertrauen darf, daß eine Handlung, die bei ihrer Vornahme nicht ausdrücklich mit Strafe bedroht war, auch später nicht bestraft werden kann. Daraus folgt einmal, daß ,der Strafrichter Lücken im Gesetz nicht aus eigener Macht durch entsprechende Anwendung schließen darf. Während für ,das bürgerliche Recht die klassische Anweisung des schweizerischen Zivilgesetzbuches gilt: "Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht, und wo ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen wür,de" (Art. 1 Abs. 2), sind im Strafrecht Gewohnheitsrecht und Analogie gera,de ausgeschlossen. Manche Länder, wie z. B. Italien, gehen im Respekt des Gesetzes so weit, daß sie Gewohnheitsrecht un,d Analogie auch zugunsten des Beschuldigten nicht zulassen. Frankreich und Belgien sehen in dem nur gewohnheitsrechtlich anerkannten Unterlassungsdelikt -der Bestrafung der vorsätzlichen Nichthinderung des Todes als Mord z. B. - einen Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip und würden auch eine Vorschrift wie den neuen deutschen § 13 nicht als ausreichend ansehen, weil sie die Voraussetzungen des Unterlassungsdelikts noch zu unvollständig umschreibt. Eine zweite Konsequenz des Gesetzlichkeitsprinzips ist das Rückwirkungsverbot. Man versteht darunter ,den Grundsatz, daß Strafgesetze in der Fassung anzuwenden sind, in ,der sie zur Zeit der Tat gegolten haben und daß somit ,die Einführung einer neuen Strafvorschrift oder einer Strafschärfung nur für die Zukunft wirkt. In einem Teil der deutschen und italienischen Literatur will man diesen Grundsatz auch auf neue Strafprozeßvorschriften anwenden, wenn sie den Beschuldigten schlechter stellen als das frühere Recht. Aus ,dem Gesetzlichkeitsprinzip folgt endlich das Bestimmtheitsgebot. Die formale Gesetzlichkeit als Grundlage von Strafbarkeit und Strafe könnte noch keine wirkliche Rechtssicherheit gewährleisten, wenn der Gesetzgeber durch ungenaue Fassung [55] der Strafvorschriften einer eigenen Entscheidung ausweichen und die Bestimmung darüber, was strafbar ist und was nicht, dem Richter überlassen dürfte. Der Prüfstein für die Rechtsstaatlichkeit einer Strafrechtsordnung ist darum mehr noch als das Verbot der Analogie das Bestimmtheitsgebot. In den sozialistischen Strafgesetzbüchern ist es im politischen Strafrecht meist nicht verwirklicht, weil das Strafrecht in diesem Bereich nur äußere Form der Durchsetzung des Staatswillens ist, während inden USA eine eigene" Void-for-Vagueness"-Doktrin aufgestellt wurde, um unbestimmte Strafgesetze wegen Verfassungs verstoßes für nichtig erklären zu können. Allerdings verwerfen amerikanische Gerichte ebenso wie das deutsche Bundesverfassungsgericht ein Strafgesetz nur dann als zu unbestimmt, wenn es auch
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durch die anerkannte Rechtsprechung keine ausreichend sicheren Konturen erhalten hat. Dies zeigt, daß es erst die Rechtsprechung ist, die Inhalt und Grenzen eines Rechtssatzes endgültig festlegt. Die Forderung nach Entkriminalisierung folgt unmittelbar aus dem Verständnis des Strafrechts als letztem Mittel, das nur dann eingesetzt werden darf, wenn es zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung unvermeidlich ist. Wir finden diesen Gedanken auch im Ausland vielfach vertreten, wenn auch eher in der Theorie als in der Praxis. So mehren sich inden USA die Stimmen zugunsten einer radikalen Einschränkung des Strafrechts, vor allem im Bereich der sogenannten "victimless cr~mes", was auf eine Abschaffung vieler Alkohol-, Polizei- und kleineren Sittlichkeitsdelikte hinauslaufen würde. Die sozialistischen Rechte dagegen zeigen sich gerade auf diesem Gebiet empfindIich, weil "Rowdytum" oder "asoziales Verhalten" - Delikte, die in der DDR mit erheblichen Strafen bedroht sind (§§ 215 f., 246 StGB) - das Bild stören, das man sich von einer sozialistischen Gesellschaft machen möchte. Auch Schweden reagiert auf Alkoholmißbrauch unverhältnismäßig streng. Die deutsche Refol1m dagegen ist in der Entkriminalisierung des Strafrechts vergleichsweise weit gegangen. Einmal hat der Gesetzgeber mit einem Federstrich sämtliche übertretungen beseitigt. Das Bagatellstrafrecht wurde entweder ganz abgeschafft oder in Ordnungsrecht mit nicht-kriminellen Bußgeldsanktionen umgewandelt, ein Weg, der übrigens im Ausland nur selten Nachahmung gefunden hat. Ein Beispiel bietet a:ber gerade die DDR, die den gesamten Komplex des Bagatellunrechts konsequent aus dem Strafrecht entfernt und entweder als Or.dnungswidrigkeit oder als Verfehlung (§ 4 StGB DDR) eingestuft hat. Bezeichnend ist dort ferner die übertragung der Zuständigkeit für die Aburteilung von Bagatelldelikten auf gesellschaftliche Organe, und zwar auch bei leichteren Straftaten. Eine Parallele dazu scheint auf den ersten Blick die Betriebsjustiz in der Bundesrepublik zu sein. Sie ist es aber in Wahrheit nicht, weil es sich bei ,uns um informelle Sanktionsvorgänge im privaten Bereich handelt, während die DDR die gesellschaftlichen Organe fest in den staatlichen Strafverfolgungsapparat eingebaut hat. Auch Italien kennt nicht-kriminelle Geldbußen, während man sich in den Niederlanden gegen die Einführung des Ordnungs rechts ausgesprochen hat. Eine praktisch wichtige und neuartige Form der Entkriminalisierung ist in Deutschland die neu eingeführte bedingte Einstellung des Strafverfahrens (§ 153 a Strafprozeßordnung). Die Staatsanwaltschaft kann jetzt mit Zustimmung des Gerichts und des Beschuldigten bei allen Vergehen ,unter Anordnung von Auflagen (z. B. der Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder an die Staatskasse) vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen, wenn ,die Schuld des Täters gering ist und die Auflage zur Bewährung der Rechtsordnung ausreicht. Diese Einrichtung, bei uns bisher nur gelegentlich "praeter legern" angewendet, ist in Belgien entwickelt worden, um vermeidbare Strafverfahren schon bei der Staatsanwaltschaft abfangen zu können, wenn der Täter sich stellt und freiwillig bestimmten Auflagen unterwirft. Sie hat sich dort so bewährt, ,daß bald darauf das Absehen von der Verhängung der Strafe durch den Richter als Gegenstück zu ,der echten englischen "probation" eingeführt werden konnte. Die Bedenken, die [56] bei uns gegen die übertragung von Sanktionsbefugnissen auf die Staatsanwaltschaft als weisungsgebundene Justizbehörde vorgebracht werden, halte ich für weniger
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schwerwiegend als ,die Sorge, daß die Staatsanwaltschaft durch die Kontrolle ihrer Auflagen überlastet werden könnte. Der Gesetzgeber hat hier, ähnlich wie bei der Einrichtung der neuen Vollstreckungskammern und der Aufsichtsstellen für die neue Maßregel der Führungsaufsicht, neue Zuständigkeiten geschaffen, ohne an die Zuweisung neuen Personals zu denken. Entkriminalisierung in Form .des bisher wohl tiefsten Eingriffs in den überlieferten Bestand des ,deutschen Strafrechts bedeutete die Einführung der Fristenlösung im § 218 a StGB, d. h. die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis. Obwohl das Verbot der Abtreibung bisher in fast allen Rechtsor,d nungen zum seLbstverständlichen Bestand des Strafrechts gehörte, hat sich die Fristenlösung im Ausland überraschend schnell durchgesetzt, was den tiefen Wandel der Rechtsüberzeugung in einer ganz fundamentalen Frage unserer Kultur anzeigt. Wir finden die Fristenlösung u. a. in österreich, Frankreich, Schweden, den USA, sogar inder DDR, praktisch auch in England, wahrscheinlich bald in den Niederlanden. In Deutschland hat dagegen das Bundesverfassungsgericht die Fristenlösung wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz) für nichcig erklärt und vorläufig eine Indikationslösung än Kraft gesetzt, die auch die ethische und soziale Indikation in den ersten 12 Wochen einschließt. Dagegen haben der österreichische Verfassungsgerichtshof und der französische Conseil constitucionnel eine Verletzung ,des Grundrechts auf Leben durch die in ihren Ländern eingeführte Regelung verneint, was bei uns zu manchen Mißverständnissen geführt hat. Der Unterschied erklärt sich in österreich dadurch, daß der Verfassungsgerichtshof ,den Lebensschutzartikel der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 2) einschränkend dahin auslegt, daß da>S wer,dende Leben gar nicht mitgemeint sei und daß ferner das Recht auf Leben den einzelnen überhaupt nur gegen staatliche Eingriffe schützen solle (Europäische Grundrechte 1975, 74), während die deutschen Grundrechte nach ,dem Bundesverfassungsgericht zugleich eine objektive Wertordnung darstellen, die der Staat seinerseits durch positive Maßnahmen zu schützen und zu fördern habe. Einen genügenden Schutz des werdenden Lebens ,h at das Bundesverfassungsgericht jedoch in dem, was sich der Gesetzgeber an Beratung und Hilfe für die Schwangere vorgestellt hat (§ 218 c StGB), nicht gesehen, was angesichts der Tatsache, daß auch der unterbrechungsbereite Arzt die Beratung vornehmen und - im Gegensatz zu dem französischen Beratungsverfahren - sofort zu dem Eingriff schreiten durfte, nicht verwunderlich ist. Ob daraus freilich von Verfassungs wegen schon das Gebot der Beibehaltung des Stra/schutzes folgt oder nicht vielmehr das Gebot einer Verbesserung der Beratung und Hilfe, ist eäne andere Frage. Die Entscheidung des französischen Conseil constitutionnel ist in ihrer lakonischen Kürze schwer zu interpretieren, aber wohl dahin zu verstehen, daß das Gericht die gesetzliche Regelung, ·die ·i mmerhin einen "cas de necessite" voraussetzt, als eine Art von Indikationslösung mit Generalklausel angesehen hat (Journal Officiel 1975, 671). Der Schwerpunkt der Reform ,des deutschen Strafrechts liegt bei den Strafen ,und Maßregeln. Die allgemeine Tendenz der Reform läßt sich durch das Schlagwort kennzeichnen: 50 wenig Strafen wie nötig, so viel Sozialhilfen wie möglich. In diesem Rahmen möchte ich mich zum Schluß der Freiheitsstrafe, .der Geldstrafe und der sozialtherapeutischen Anstalt zuwenden.
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Auch im neuen deutschen Recht bleibt die Freiheitsstrafe an sich das Rückgrat des Strafensystems. Sie ist nach Abschaffung der Zuchthausstrafe eine einheitliche Strafe geworden, die im Vollzug eine sachgemäße Differenzierung allein nach ihrer Dauer und nach der Persönlichkeit des Verurteilten ermöglicht. Das Mindestmaß ,der Freiheitsstrafe ist ein Monat, so daß ganz kurze Freiheitsstrafen schon kraft Gesetzes ausgeschlossen sind, während Freiheitsstrafen von einem [57] Monat bis zu 6 Monatendurch stark einengende Voraussetzungen zur A\lISnahme gemacht werden. Der Grundgedanke ist dabei der, daß ,die kurze Freiheitsstrafe alle Nachteile der Freiheitsentziehung einschließt, ohne auch nur die Möglichkeit einer positiven Binwirkung auf den Verurteilten zu eröffnen. Zahlenmäßig überwiegt freilich 'bei uns die Geldstrafe bei weitem. Das Bild der Strafzumessung :ist zur Zeit so, daß für etwa 85 Ofo aller Straftaten von Erwachsenen, ·die vor Gericht kommen, Geldstrafe ausgesprochen wir,d, die in einem Anteilsatz von weniger als 5 °/0 in Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt werden muß. Weiter zeigt die Statistik, ,d aß bei fast 60 Ofo der Freiheitsstrafen die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, wobei etwa die Hälfte dieser Strafen wegen Widerrufs der Strafaussetzung letztlich doch vollstreckt werden muß. Im ganzen hesteht die Sankcion zur Zeit nur in nicht ganz 10°10 aller abgeurteilten Fälle in einer Freiheitsstrafe, ,die den Verurteilten wirklich hinter Gefängnismauern bringt. Die Belegung der Strafanstalten ist auf diese Weise deutlich zurückgegangen, was der Intensivierung der Arbeit im Strafvollzug zugute gekommen ist und eine Gefängnisreform eigentlich erst möglich gemacht hat. Leider ist dieser Rückgang im Jahre 1975 teilweise wieder aufgeholt wor,den, was entweder mit der Zunahme der schwereren Kriminalität oder mit der weniger strengen Handhabung des Ausschlusses der kurzfristigen Freiheitsstrafe oder gar mit der Zunahme vollstreckter Ersatzfreiheitsstrafen zusammenhängen kann. Das Bild der Freiheitsstrafe im Ausland ist höchst mannigfaltig. Weit verbreitet hat sich die Skepsis gegenüber den Möglichkeiten einer wirklichen Erziehun~arbeit an Erwachsenen unter .den Bedingungen der Unfreiheit und der zwangsweisen Lebensgemeinschaft mit gescheiterten, geschädigten, gestörten oder labilen Lei.densgenossen, eine Skepsis, die den Behandlun~optimismus der fünfZliger Jahre radikal abgelöst hat. Manche Länder richten wie die Bundesrepublik ihre Bedenken vor allem gegen die kurze Freiheitsstrafe. Dazu gehören österreich, Belgien und wohl auch die Schweiz. Sie gehen von der überzeugung aus, ,daß auf ,die Freiheitsstrafe als notwendiges übel nicht verzichtet werden kann, daß sie aber nur ,dann angewendet werden sollte, wenn sie wegen der Schwere der Tat oder der Gefährlichkeit des Täters unvermeidlich ist, und das ist nur die mittelfristige oder längere Freiheitsstr.afe. Bemerkenswert ist ferner die Zurück,drängung der Freiheitsstrafe in der DDR. Während jedoch in der Bundesrepuhlik die Geldstrafe an deren Stelle gerückt ist, konnte die DDR durch die Einbeziehung der gesellschaftlichen Kräfte und durch ,die Möglichkeiten ,der Planwirtschaft ein reichhaltiges Instrumentarium an Sanktionen ohne Freiheitsentziehung bereitstellen. So kann dort die Verurteilung auf Bewährung mit Maßnahmen verbunden werden wie Aufenthaltsverbot, Bürgschaft eines Kollektivs, Zuweisung eines neuen, auch schlechteren Arbeitsplatzes, Bindung an den Arbeitsplatz, die in einer freiheitlichen Rechts- und Wirtschaftsordnung nicht denk.bar wären. Die Arbeitserziehung für Asoziale und die kurzfristige Haftstrafe als Mittel ,der unverzüglichen und nachdrücklichen Disziplinierung sind daneben übrigens erhalten
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geblieben, und auch in anderen Ländern findet man eine viel positivere Beurteilung der kurzen Freiheitsstrafe als bei uns. Die Großzügigkeit des Verzichts auf die Freiheitsstrafe im Bereich der mittleren Kriminalität hat inder DDR jedoch nicht den erwünschten Erfolg gehabt. Ein Ende 1974 erlassenes Gesetz brachte erhebliche Verschärfungen, die vor allem die Verurteilung auf Bewährung betreffen. Wie sich die Kriminalität in ,der DDR in den letzten Jahren entwickelt hat, läßt sich nicht nachprüfen, da die Kriminalstatistik seit 1971 nicht mehr veröffentlicht wird. Schweden versucht am radikalsten die Zurückdrängungder Freiheitsstrafe, ersetzt sie aher vielfach durch freiheitsentziehende Maßregeln von unbestimmter Dauer. Der Gesetzgeber sieht sich in Schweden sogar der FQrderung nach vollständiger Beseitigung ,des Gefängnisses als einer menschenunwürdigen, naturwidrigen, Gesellschaftshaß erzeugenden Daseinsform gegenüber. Dagegen hat man die kurze Freiheitsstrafe als Schocktherapie, z. B. [58] bei Trunkenheit im Straßenverkehr, beibehalten. Auch in England und den USA haben sich die Zweifel an ,den Möglichkeiten einer sinnvollen Erziehungsarbeit unter den Bedingungen des Strafvollzugs ausgebreitet, und man experimentiert deswegen mit verschiedenen Formen der ambulanten Behandlung, etwa in Gestalt aes "community service" oder des ",d ay-training". Es handelt sich dabei um unbezahlte Arbeit für Gemeinschaftszwecke !Statt Freiheitsstrafe bzw. um den Besuch von Zentren für Beratung, Unterstützung, Aufenthalt un·d soziale Kontakte. Andere Länder wie Italien, Frankreich, Spanien und die Niederlande haben die kurze Freiheitsstrafe von vornherein beibehalten, teils aus Mangel an Reformwillen, teils aus Resignation, teils aber auch, um ahr die bezweckte Wirkung durch eine Neugestaltung abzugewinnen. Für ,die Bundesrepublik läßt sich aus aUedem nur schließen, ,daß für eine radikale Reform ,d er Freiheitsstrafe die Zeit noch nicht reif ist. Die Generalprävention erfordert, daß jedenfalls für die schwerere und schwerste Kriminalität und für den wiederhQlten Rückfall die Freiheitsstrafe bestehen bleiben muß, wenn auch die Möglichkeit bedingter Entlassung unter Auflagen ausgedehnt wer.den ,sollte. Die zukünftige Entwicklung wird wahrscheinlich zeigen, daß auch die kurzfristige Freiheitsstrafe in bestimmten Fällen und bei ent!Sprechender Ausgestaltung ihren guten Sinn hat, z. B. für Trunkenheitsdelikte, Verkehrsstraftäter, Wirtschaftsdelinquenten, im militärischen Bereich und für erstmalige Rückfällige, und daß sie deswegen nicht so pauschal abgelehnt werden sollte, wie ,das gegenwärtig bei uns geschieht. Neben ,der Freiheit!Sstrafe stellt die Neuregelung ·der Geldstrafe angesichts ihrer überragenden praktischen Bedeutung den zweiten Schwerpunkt der deutschen Strafrechtsreform dar. Mit der Einführung des skandinavischen Tagesbußensystems anstelle ,des überlieferten Gesamtsummensystems hat der Gesetzgeber unmittelbar ein ausländisches Vorbild übernommen. Der Sinn ,der neuen Regelung ist es, die Gel,dstrafe durch Anknüpfung der Zahl der Tagessätze an Tat und Schuld und durch Bestimmung der Höhe des Tagessatzes nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verurteilten gerechter, wirkungsvoller und verständlicher zu machen. Ob die Gelastrafe freilich ihre Aufgabe, das wichtigste Sanktionsmittel der modernen Kriminalpolitik zu sein und praktisch die gesamte leichte und mittlere Kriminalität abzudecken, wirklich erfüllen wird, hleibt abzuwarten. Für die zukünftige Gestaltung des deutschen Strafrechts, aber auch für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist dies eine entschei,dende Frage.
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Das Bifddes auslän,dischen Rechts ergibt dazu folgende Anhaltspunkte: österreich hat ,das Tagesbußensystem gleichzeitig mit uns eingeführt ,u nd steht also ohne eigene Erfahrung vor derselben Frage. In Schweden, wo es herstammt, und auch in Finnland hält man es seit Jahren für das richtige, es wird dort freilidl durch feste 01"dnungsbußen für alltägliche Delikte ergänzt, die es aher auch bei uns in Gestalt der festen Geldbußen nachdem Ordnungswidrigkeiten gesetz gibt. Norwegen hat das Tagesbußensystem nie eingeführt. Dänemark scheint es neuerdings wieder abschaffen zu wollen, weil sich der justizielle Aufwand nicht lohne. Die Niederlande haben das Tagesbußensystem abgelehnt, auch in Belgien, Frankreich, Italien, Spanien wird man sich kaum dazu entschließen. Der Sinneswandel in Dänemark hat in Deu~schland bereits eine gewisse Beunruhigung hervorg.erufen, ob man etwa am Ende den falschen Weg eingeschlagen hat. Doch sollten wir angesichts der guten Erfahrungen in Schweden und Finnland nicht gleich in Panik geraten und uns hüten, der Praxis durch Betonung abweichender Bestrebungen in Skandinavien in lähmender Weise in den Arm zu fallen. Was zu tun ist, wäre der Abbau gewisser übertreibungen im ,deutschen Recht, so die Beseitigung des übersetzten Höchstbetrags von 10000 DM für eine Tagesbuße (in österreich 3000 Schilling), die Abschaffung des Nettoeinkommens als Anknüpfungspunkt für die Berechnung des Tagessatzes (in Schweden ein Drittel des Bruttoeinkommens) und die Preisgabe der falschen Gleichsetzung von einem Tagessatz mit einem Tag Freiheitsstrafe (in österreich 2: 1). [59] Das deutsche Recht hat im Sanktionensystem an ,der Zweigleisigkeit von Strafen und Maßregeln festgehalten, das ganze aber besser geregelt, so daß auch die Maßregeln als ein Schwerpunkt der Reform gelten können. Als wesentlicher Fortschritt w.ird vor allem die sozialtherapeutische Anstalt angesehen, die zum 1. Januar 1978 für gefährliche Rückfalltäter, gefährliche Sexualverbrecher, auch als Ersttäter, und für werdende Hangtäter unter 27 Jahren e.ingefü'h rt wird. Von der Anwendung der Sozialtherapie auf diese Tätergruppen verspricht man sich eine Eindämmung der Rückfallgefahr und experimentiert zur Zeit in den von den Ländern versuchsweise eingerichteten Anstalten mit Methoden ,der Gesprächs-, Gruppen-, Arbeits- und Verhaltenstherapie. Die Schwierigkeit scheint einmal darin zu liegen, daß der Patient sich dem Therapeuten unter den Bedingungen der Unfreiheit im Einzelgespräch nur w.iderwillig erschließt, so daß kein gutes Behandlungsklima entsteht. Auch die Gruppentherapie steht vor einer eigenartigen Situation, da die Patienten erfahrungsgemäß ihre Straftaten voreinander verbergen, insbesondere dann, wenn es sich um schwere Sexualdelikte handelt, die den Täter auch im Strafvollzug von den Mitgefangenen unfehlbar isolieren. Die Einbeziehung von Anstaltsproblemen in das therapeutische Gespräch ist eine weitere heikle Frage, weil sich ,dabei allzu leicht Angeberei, Heuchelei und Schönrednerei eindrängen. V,ielfach wird auch die Intelligenz der Patienten für den therapeutischen Ansatz nicht ausreichen, da häufiger Rückfall oA: auch ein Zeichen von Unterbegabung ist. Endlich führen die weitgehenden Lockerungen im Vollzug, die zur Herstellung eines Mindestmaßes an therapeutischem Klima notwendig sind, hei unruhigen und labilen Persönlichkeiten schnell zu Unordnung, Mißbrauch und Störungen, die den Anstaltsbetrieb schwer belasten können. Blickt man auf das Ausland, so werden ,diese Sorgen ,dadurch ein wenig abgemildert, daß wir die sozialtherapeurische Anstalt ebenfaHs nicht selbst erfunden, sondern 22 Jescheck
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von fremden Vorbildern in Dänemark, den Niederlanden und Schweden übernommen haben,so ,d aß man von dort Beratung erhoffen darf, die in den verbleibenden zweieinhalb Jahren bis zur definitiven Einführung in intensiver Weise stattfinden sollte, damit -die im Vollzug möglichen therapeutischen Methoden und die Anstaltsordnungen im voraus festgelegt werden können, ,ehe ein falscher Weg eingeschlagen wird. Andere Länder haben sich dagegen von dem Behandlungsoptimismusder Vergangenheit, auch soweit es sich um echte Therapie handelt, abgewendet und stellen den Vollzug auf Ordnung und Sicherheit um, damit wenigstens Gesellschaftsschutz und Generalprävention durch die Freiheitsentziehung gewährleistet werden. So hat etwa England das corrective training und die preventive detention abgeschaffi und statt dessen längerdauernde Freiheitsstrafen eingeführt, die die öffentlichkeit vor Gewohnheitsverbrechern schützen sollen. österreich ,ist uns auf dem Wege zur soz.ialtherapeutischen Anstalt ebenfalls nicht gefolgt. Die deutsche Strafrechtsreform bedeutet im ganzen gesehen einen großen Fortschritt in der Richtung auf ein humanes, rechtsstaatliches und liberales System, das aller,dings im internationalen Rahmen schon wieder in mancher Bez,iehung auf Kritik stößt und wahrscheinlich in Einzelheiten modifiziert werden muß. Die Entwicklung wird sicher immer mehr von der Freiheitsstrafe weg zur Geldstrafe und zu den verschiedensten Formen ambulanter Resozialisierungsarbeit führen. Die Verkürzung der Distanz des Bürgers zu dem Straftäter und dem entlassenen Strafgefangen,en wird dazu beitragen, Verurteilte leichter und mit weniger Vorbehalten in die Gemeinschaft wieder aufzunehmen. Die Freiheitsstrafe wird aber dort, wo sie notwendig ist, bestehen bleiben, sie wird sich indessen auf schwerere Straftaten, gefährliche Täter und häufig Rückfällige 'sowie als kurzfristige Strafe auf Sondergebiete beschränken, damit jedenfalls die öffentliche Sicherheit gewährleistet wird. An der erzieherischen Bemühung um die Gefangenen durch sinnvolle Arbeit, Ausbildung und Förderung sollte man nicht vorschnell verzweifeln, die schlechten -Erfahrungen in Amerika haben ihr,en Grund wahrscheinlich in besonders ungünstigen [60] Vollzugsbedingungen, im Rassenproblem und in der Ungerechtigkeit der unbestimmten Freiheitsstrafe. Auch die kurze Freiheitsstrafe kann bei kriminalpolititsch richtigem Einsatz durchaus gute Wirkung tun, ohne den Verurteilten gleich aus der Bahn zu werfen, sie ist deshalb beizubehalten und richtig auszugestalten. Ob neben der Freiheitsstrafe die sozialtherapeutische Anstalt und andere Maßregeln psychologischer und medizinischer Art eine Zukunft haben, wird wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, ,d erartige Methoden unter den Bedingungen der Unfreiheit und der negativen Selektion des zu behandelnden Personenkreises sinnvoll anzuwenden. Auch dieser Schritt sollte aber unter Benutzung ausländischer Erfahrungen jetzt ,e rst einmal getan werden, ehe man resigniert. Sie werden mir zum Schluß sicher die Frage stellen, ob das Phänomen ,des Terrorismus mit der Liberalisierung des Strafrechts zusammenhängt. Ich glaube das nicht. Der Terrorismus hat viel tiefere Wurzeln. Sie liegen, abgesehen von fehlgeleitetem politischem Idealismus, der nach neuen Inhalten sucht, in dem Aggressionstrieb gegen eine Gesellschaft, ,die wie jedes etablierte System ein gewisses Maß an Ungerechtigkeit aufweist, in der Hinwendung zur Gewalt als einer schon eingefahrenen Kampfmethode des "revolutionären Volkskriegs" und im mangelnden Wertbewußtsein
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unserer Gesellschaft selbst. Das Strafrecht enthält gegen den Terrorismus an sich sehr scharfe Sanktionen und auch das Strafverfahrensrecht wird den Belastungen gewachsen sein, die jetzt schon sichtbar und noch zu erwarten sind. Man sollte ,deswegen nicht nach ,d er Todesstrafe und nach dem "kurzen Prozeß" rufen, sondern die HumaniJSierung und Liberalisierung des Strafrechts unter ständiger Berücksichtigl\lng ausländischer Erfahrungen ruhig fortsetzen. Es kann keine Rede davon sein, ,d aß man zum Richtschwert zurückkehren müßte, weil der schonende, aufbauende und zukunftsweisende Geist des neuen Strafrechts versagt hätte.
DEUTSCHE UND öSTERREICHISCHE
STRAFRECHTSREFORM:~
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Deutschland und Österreich haben sich zum 1. Januar 1975 neue Strafrechtsordnungen gegeben. In Deutschland ist eine Neufassung des Strafgesetzbuchs von 1871 in Kraß: getreten, die einen neuen Allgemeinen Teil enthält, während die Reform des Besonderen Teils bisher nur in einzelnen Abschnitten abgeschlossen ist und durch Novellengesetze weitergeführt werden wird!. österreich hat dagegen in einer imponierenden Gesamtleistung ein auch im Besonderen Teil vollständig neues Gesetzeswerk geschaffen, das darum auch das denkwürdige Datum seiner Publikation im Jahre 1974 trägt!, während die Vorgänger aus den Jahren 1852 und 1803 nunmehr der Geschichte angehören. Die Ernte der Bemühungen eines Jahrhunderts ist damit eingebracht. Wenn die deutsche und österreichische Gesellschaß: für Rechtsvergleichung heute, 12 Jahre nach ihrer ersten gemeinsamen Tagung, zum zweitenmal zusammenkommen, erscheint es deshalb angemessen, das neue Strafrecht der bei den Länder in den Mittelpunkt der Festversammlung zu stellen. Was 1963 in Wien beim Festvortrag des Herrn Bundesministers für Justiz, Dr. Broda, über "Grundsatzentscheidungen im Strafrecht in Österreich, Deutschland und der Schweiz'" noch Idee, Plan und Entwurf war, ist heute geltendes Recht, das bereits in der Erprobung steht. Aber nicht nur davon, daß wir jetzt in Deutschland und österreich ein neues Strafrecht besitzen, soll die Rede sein, sondern ich möchte auch den Anteil hervorheben, den die Rechtsvergleichung daran gehabt hat. Die Geschichte der Reform des Strafrechts in Deutschland und österreich in den letzten hundert Jahren ist die Geschichte eines fortdauernden rechtsvergleichenden Gesprächs gewesen, in das vor allem auch die Schweiz einbezogen war4 • Der erste österreichische Entwurf (366] von Julius Glaser aus dem Jahre 1874 war noch nach dem Muster des deutschen Strafgesetzbuchs von 1871 ausgerichtet. Unter dem Eindruck der Kritik Franz von Liszts an der Gestrigkeit des damaligen deutschen Strafgesetzbuchs wurde dieser Entwurf jedoch fallengelassen und statt dessen der schweizerische Vorentwurf von Carl Stooß aus dem Jahre 1893 ':. Aus : Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Günter Warda, Heribert Waider, Reinhard von Hippel, Dieter Meurer. - Berlin: de Gruyter 1976, 365 - 387. + Festvortrag auf der Eröffnungssitzung der Tagung für Rechtsvergleichung 1975 am 17. September 1975 im Plenarsaal der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. ! Neubekanntmachung des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15.5. 1871 auf Grund des Art. 323 Abs.1 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 in der Fassung vom 2. 1. 1975 (BGBI. I S. 1). 2 Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974, BGBI. Nr.60, über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch - StGB). 3 ZfRp 1964, 5 ff. 4 Vgl. zur Reformgeschichte Rittler, Die Reform des Strafrechts in österreich, SchwZStr. 79 (1963) S. 1 ff. Eine besondere Seite der Geschichte behandelt eingehend Nowakowski, Der Bt:itrag des Deutschen Juristentags zur gemeindeutschen Strafrechtsreform, in : Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. I 1960, S. 35 ff. Vgl. ferner Serini, Ursprung und Entwicklung der Strafrechtsreform, in: Zum neuen Strafrecht, 1973, S. 7 ff.
Deutsche und österreich ische Strafrechtsreform
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zum Vorbild genommen, der auch auf die deutschen Entwürfe jener Zeit starken Einfluß gehabt hat 5• Das Ergebnis war der erstmals von Franz Klein als Justizminister im Jahre 1907 vorgelegte Entwurf von 1912, der indessen ebenso wie der deutsche Entwurf von 1913 mit der alten Welt, der er zugehörte, unterging. Nach dem gemeinsam verlorenen Weltkrieg standen beide Länder vor einer ähnlich schwierigen Lage, und es war deswegen naheliegend, daß man versucht hat, sich auch in der Gesetzgebung aufs engste zu verbinden8 • Die Frucht der durch einen Strafrechtsentwurf der österreichischen Landesgruppe der IKV7 angeregten amtlichen Zusammenarbeit der Ministerien und Parlamente in den zwanziger Jahren, an der von österreichischer Seite Ferdinand Kadecka, von deutscher Gustav Radbruch und Wilhelm Kahl beteiligt gewesen sind, war der gemeinsame Entwurf von 1927, der bis in die Ausschußberatungen des Jahres 1930 hinein durchgehalten werden konnte8• Aber auch dieses große Werk scheiterte, weil die nach dem ersten Zusammenbruch hoffnungsvoll wiederaufgebaute Zwischenwelt noch einmal in Trümmer ging. [367] In der dritten - unserer - Epoche der Entwurfsarbeit, die in beiden Ländern Anfang der fünfziger Jahre einsetzte, wurde die Rechtsvergleichung vor allem durch die Wissenschaft getragen, die sich von den früheren Entwürfen gelöst hat. Trotz ihrer gemeinsamen Geschichte und Kultur konnten die Strafrechtsordnungen Deutschlands und österreichs jetzt nicht mehr als partikulare Rechtsbildungen auf dem Boden einer fortbestehenden Einheit verstanden werden, sondern traten sich ohne emotionale Bindung ganz neutral gegenüber wie andere Auslandsrechte auch. In dieser Lage hat die Rechtsvergleichung in einer umfassenden Anstrengung StrafrechtsgeschichteO, Strafrechtsdogmatik lO , Kriminalpolitik ll , die Strafrechtsentwürfe l2 , [368] das Strafverfah5 Vgl. dazu Jescheck, Der Einfluß des schweizerischen Strafrechts auf das deutsche, SchwZStr. 73 (1958) S. 184 ff.; derselbe, Schweizerisches Strafrecht und deutsche Strafrechtsreform, SchwZStr. 78 (1962) S. 172 ff. 8 Vgl. von Weber, Aufgaben der deutsch-österreich ischen Strafrechtsvereinheitlichung, 1931. 7 Vgl. Leitsätze und Gegen,vorschläge der Berichterstatter auf der 1. Tagung der Osterr. Krim. Vereinigung vom 13. -15. Oktober 1921 in Wien über den· deutsdten Strafgesetzentwurf 1919, Wien 1921; ferner: Der Deutsdte Strafgesetz-Entwurf, Beridtte und Abänderungsvorsdtläge der Osterr. Krim. Vereinigung, hrsg. von Gleispach, Wien 1921 und der von Kadecka ver faßte Osterreidtisdte Gegenentwurf zu dem Allg. Teil des Ersten Budtes des Deutsdten Strafgesetzentwurfes vom Jahre 1919, Wien 1922. 8 Vgl. Der österr. Strafgesetzentwurf vom Jahre 1927, hrsg. von Kadecka, 2. Aufl. mit den bis zum Ende des Jahres 1930 gefaßten Besdtlüssen des österr. Strafrechtsaussdtusses, Wien 1931; vgl. ferner Klinzmann, Die Einstellung der politisdten Parteien in Osterreidt zum Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbudtes von 1927, Diss. Freiburg i. Br. 1931. • Vgl. insbes. Moos, Der Verbredtensbegriff in Osterreidt im 18. und 19. Jahrhundert, 1968; Jescheck, Die En.twicklung des Verbredtensbegriffs in Deutsdtland seit Beling im Vergleidt mit der österreidtisdten Lehre, ZStW 73 (1961) S. 179 ff.; Moos, Franz von Liszt als Osterreidter, ZStW 81 (1969) S. 660 ff. 10 Vgl. Engisch, Bemerkungen zu Theodor Rittlers Kritik der Lehre von den subjektiven Tatbestands- und Unredttselementen, Festsdtrift für Theodor Rittler, 1957, S. 165 ff.; Roeder, Die Irrtumsregelung im österreidtisdten und deutsdten Strafgesetzentwurf, OJZ 1962, 337 ff.; Zur österr. Strafredttsreform, Beridtt über die Herbstakademie 1964 der Vereinigung Vorarlberger Akademiker, 1965, mit Beiträgen von Nowakowski, Graßberger, Lang-Hinrichsen und Engisch; Liebscher, Strafredtt im Umbrudt, ZfRV 1970, 181 ff.; Jescheck, Strafredtt im Wandel, OJZ 1971, 1 ff.; Platzgummer, Die »Allgemeinen Bestimmungen" des Strafgesetzentwurfs im Lidtte der neuen Strafredttsdogmatik, JBI. 1971, 236 ff.; Nowakowski, Probleme der Strafredttsdogmatik, JBI. 1972, 19 ff.; Kienapfel, Zur gegenwärtigen Situation der Strafredttsdogmatik in Osterreidt, JZ 1972,569 ff.; Moos, Die finale Handlungslehre, in: Strafredttlidte Probleme der Gegenwart I1, 1975, S. 5 ff.
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Strafrt'chtsvcrgleichung
ren 13 und die Einrichtungen der Strafrechtspflege" unserer Länder durchforscht und findet nunmehr in den beiden Strafgesetzbüchern eine Bestätigung, die nicht mehr durch die Einschränkung abgeschwächt wird, daß es sich im Grunde um dasselbe Recht handelt. Wenn beide Gesetze heute für eine moderne Strafrechtsdogmatik geöffnet sind und in der Kriminalpolitik jenen großen Lern- und Umdenkungsprozeß widerspiegeln, der als Ergebnis der Kriminologie die letzten 20 Jahre in der Strafrechtswissenschaft, den Ministerien und den Parlamenten charakterisiertl5, so hat die Rechtsvergleichung daran wesentlichen Anteil gehabt. Die weitgehende übereinstimmung, die die Strafgesetzbücher Deutschlands und österreichs heute aufweisen, ist nicht das Ergebnis amtlicher Lenkung oder bewußten Strebens nach Rechtseinheit gewesen, sondern beruht auf dem Gewicht sachlich begründeter Einsichten, die man sich durch Rechtsvergleichung erarbeitet hat. Wenn Strafgesetzgebung auch immer unvollkommen sein muß, weil sie es mit jener Seite menschlicher Existenz zu tun hat, die Richard Lange zu Recht »das Rätsel Kriminalität"16 genannt hat, so ist doch gerade die Gleichheit der Lösungen in vielen wesentlichen Fragen für beide Länder ein Anzeichen dafür, daß man diejenigen Antworten gefunden hat, die, vorbehaltlich späterer besserer Einsicht, jedenfalls unserer Generation als überzeugend oder wenigstens vertretbar erscheinen.
11 Broda, Die österreich ische Strafrechtsreform, 1965; Baumann, Besteht heute die Möglichkeit, die Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten zu beseitigen? ORiZ 1969, 112 ff.; ]escheck, Die Kriminalpolitik der deutschen Strafrechtsreformgesetze im Vergleich mit der österreichischen Regierungsvorlage 1971, Festschrift für Wilhe1m Gallas, 1973, S. 27 ff.; Moos, Die Reformbewegung des Strafrechts in Osterreich, der Schweiz und Bundesrepublik Deutschland, Festschrift für Walter Wilburg, 1975, S. 253 ff.; Nowakowski, Vom Schuld- zum Maßnahmenrecht? Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10, 1972, S. 1 ff.; derselbe, Zur Zurüdtdrängung der kurzen Freiheitsstrafe in der RV 1971, OJZ 1973, 1 ff.; derselbe, Probleme der österreich ischen Strafrechtsreform, 1972, S. 17 ff.; Pallin, Lage und Zukunftsaussichten der österreichischen Strafrechtsreform im Vergleich mit der deutschen Reform, ZStW 84 (1972) S. 198 ff. 12 Vgl. Dreher, Zur Strafrechtsreform in der Bundesrepublik Deutschland, OJZ 1960, 339 ff.; Nowakowski, Der deutsche AE und die österreichische Strafgesetzreform, öRiZ 1967, 171 ff.; derselbe, Die deutsche Strafrechtsreform (I, II), Die Zukunft, 1969, Heft 18, S. 9 ff., Heft 19, S. 17 ff.; Seiler, Neue Wege in der Strafrechtsreform, JBI. 1969, 113 ff.; Broda, Strafrechtsreform 1971, ORiZ 1971, 181 ff.; Roeder, Wahrheitsbeweis und Indiskretionsdelikt, Festschrift für Reinhart Maurach, 1972, S. 347 ff.; derselbe, Der systematische Standort der »Wahrnehmung berechtigter Interessen" im Spiegel der Strafrechtsreform, Festschrift für Ernst Heinitz, 1972, S. 229 ff. 13 ]escheck, Neue Entwidtlun.gstendenzen des deutschen Strafverfahrensrechts im Vergleich mit dem österreich ischen Recht, in: Hundert Jahre österreich ische Strafprozeßordnung (1873 bis 1973), 1973, S. 49 ff.; Moos, Landesbericht Osterreich, in: ]escheck/Krümpelmann, Die Untersuchungshaft im deutschen, ausländischen und internationalen Recht, 1971, S. 347 ff.; derselbe, Hundert Jahre österreichische Strafprozeßordnung, öRiZ 1975,77 ff.; Piska, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens in österreich, in: ]escheck/Meyer, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens im deutschen und ausländischen Recht, 1974, S. 479 ff.; Seiler, Die Beweisverbote im Strafprozeß, JB!. 1974,57 ff., 123 ff.; Roeder, Die Beweisverbote im deutschen und österreichischen Strafverfahren, OJZ 1974, 300 ff.; Zipf, Das Strafverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, öJZ 1974, 594 ff. 14 Vg!. Moos, Die ParteisteIlung der Staatsanwaltschaft im österr. Strafverfahren, in: Strafrecht und Strafrechtsvergleichung. Kolloquium im Max-Plandt-Institut für aus!. u. internationales Strafrecht in Freiburg i. Br. aus Anlaß des 60. GeburtStages des Direktors Prof. Dr. Dr. h. c. H.-H. Jeschedt, Freiburg 1975, S. 37 ff. 15 Vg!. dazu ]escheck, Strafrechtsreform in Deutschland, Allgemeiner Teil, SchwZStr. 91 (1975) S. 11 ff. 1S Lange, Das Rätsel Kriminalität, 1970.
Deutsche und österreichische Strafrechtsreform
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Ich möchte Ihnen die deutsche und österreichische Strafrechtsreform unter drei Gesichtspunkten vor Augen führen. Einmal will ich zeigen, auf welche Weise das neue Strafrecht bemüht ist, dem Menschen, an den es sich wendet, mehr Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Weiter möchte ich darlegen, wie der Staat heute seine Aufgabe als Träger [369] der Strafrechtspflege versteht. Endlich soll ein Vorblick auf die Frage getan werden, welche Rolle der Gesellschaft in dem modernen Strafrechtssystem zukommen könnte. Gerechtigkeit im Strafrecht ist nicht abstrakt-idealistisch als Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee am Täter aufzufassen, sondern als Anpassung des Redtts an seine Persönlichkeit17, die uns durch die moderne Kriminologie in den Jahren der Reformarbeit immer besser bekannt geworden ist. Mehr Gerechtigkeit im Strafrecht zu verwirklichen, ist aber nicht nur eine Sache der Kriminalpolitik, also der persönlichkeitsgemäßen Ausgestaltung der Strafen und Maßregeln, die als Rechtsfolge des Verbrechens vorgesehen werden, sondern auch eine Aufgabe der Strafrechtsdogmatik. In bei den Ländern beruht das neue Strafrecht auf gewissen dogmatischen Grundannahmen, die nicht nur dazu dienen, Grundbegriffe wie Unrecht und Schuld verständlicher und lebensnäher zu machen, sondern auch Rechtsnormen zu schaffen, die dem Einzelfall besser gerecht zu werden vermögen. Es kam dabei darauf an, das juristische Instrumentarium bereitzustellen, um den vom Täter jeweils verantwortbaren Tatbereich von denjenigen Umständen zu trennen, die ihm nicht zugerechnet werden können. So hat etwa die Frage, ob der Vorsatz als Steuerungsfaktor des Tatgeschehens aufzufassen ist und damit als Teil des Unrechtstatbestandes erscheint oder ob er als bloße Schuldform im Sinne der seelischen Abspiegelung äußerer Vorgänge verstanden werden kann, nicht nur theoretische Bedeutung, wie man als Außenstehender zunächst annehmen mag, sondern sie hat erhebliche praktische Konsequenzen. Zwar ist gerade diese Frage in keinem unserer Länder vom Gesetzgeber vorentschieden worden, aber sie wird für die Auslegung des neuen Rechts an verschiedenen Stellen maßgeblich sein, und darum hat die Wissenschaft dazu Stellung zu nehmen. In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, daß die österreichische Lehre in den letzten Jahren dem vom Vorsatz bestimmten Unrechtsbegriff entgegen einer sich von Theodor Rittler herleitenden rein objektiven Tradition nähergetreten ist l8, [370] nachdem sich dieser Standpunkt in der deutschen Dogmatik schon längere Zeit durchgesetzt hat. Dahinter steht die anthropologische Auffassung der Handlung als eines durch den Menschen sinnhaft gesteuerten Akts, zugleich die normtheoretische Vorstellung des Strafrechts als einer geistigen Macht, die an den Menschen appelliert, ihm Folge zu leisten. 17 Bahnbrechend war im ·deutschen Sprachraum Wablberg, Das Princip der Individualisirung in der Strafrechtspf!ege, 1869. Vgl. dazu Würtenberger, Soziale Aspekte bei Beurteilung und Behandlung von Rechtsbrechem, 0JZ 1963, 318 ft.; derselbe, Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft, 2. Auf!. 1959, S. 97. 18 Vgl. Rittler, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts, 1. Bd., Allgemeiner Teil, 2. Auf!. 1954, S. 65 ft., 121 ft.; ebenso Graftberger, Aufbau und Grenzen der Fahrlässigkeit, ZfRV 1964, 19 f. Die Wende in der österreich ischen Strafrechtsdogmatik wurde eingeleitet durch Nowakowski, JBI. 1972, 22 ft. Ebenso Platzgummer, JBI. 1971,238; zurückhaltender Kienapfel, JZ 1972,575 ft.; vgl. auch derselbe, Einführung in das österreich ische Strafrecht, 1974, S. 234. Zur deutschen und österreich ischen Lehre besonders aufschlußreich Moos, Strafrechtliche Probleme der Gegenwart 11, S. 5 ft., der ebenfalls der neuen Verbrechenslehre folgt; Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974, S. 175.
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Strafrechtsvergleichung
Geht man demgemäß von der Annahme aus, daß der Vorsatz es ist, der das Tatgeschehen bestimmt, so ergibt sich zwingend, daß dieser auch die normativen Tatbestandsmerkmale, z. B. Beamter, Urkunde, sexuelle Handlung, Beleidigung, in ihrem Bedeutungsgehalt umfassen muß, weil von einer Steuerung des Tatgeschehens nur dann die Rede sein kann, wenn sie sehenden Auges stattfindet. Diese Konsequenz, die im österreichischen Recht für die normativen Tatbestandsmerkmale bisher nicht selbstverständlich warI', ergibt sich jetzt eindeutig aus dem neuen § 5 österr. StGB ebenso wie aus seinem deutschen Gegenstück, dem § 16 dt. StGB über den Tatbestandsirrtum. Eine weitere wichtige Folgerung aus der Stellung des Vorsatzes im Tatbestand, die freilich nur das Nachbarrecht ausdrücklich zieht, ist die Definition des bedingten Vorsatzes als positiver Handlungsentschluß gegenüber der bewußten Fahrlässigkeit als bloßer Vorstellung von einer Gefahrlage. Vorsätzlich handelt nach dem neuen österreichischen Recht, das hier dem Obersten Gerichtshof (SSt 41, 19; Ev BI 1971, 144) folgt, auch, wer die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes nur "ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet" (§ 5 Abs. 1), während bewußt fahrlässig vorgeht, wer die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes für möglich hält, "ihn aber nicht herbeiführen will" (§ 6 Abs. 2)20. Zum Vorsatz dürfen dem Täter nur Umstände zugerechnet werden, die er nicht nur äußerlich wahrgenommen, sondern auch in ihrem normativen Sinn verstanden hat, und bedingter Vorsatz bedeutet nicht bloß Risikobewußtsein, Gleichgültigkeit21 gegenüber [371] den Tatfolgen oder eine belastende Vorstrafenliste, sondern das Vorliegen eines positiven Willensentschlusses, in dessen Grundlagen der Täter die nahe Möglichkeit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes einbezogen haben muß. Der Täterpersönlichkeit besser angepaßte Lösungen bietet das neue deutsche und österreichische Strafrecht weiter in der Regelung des Schuldbereichs. Das neue Recht behandelt den Menschen zwar als verantwortliches Wesen, vermeidet aber, daß ihm mehr zugerechnet wird, als von einem der Rechtsgemeinschaft verbundenen Bürger zu vertreten ist. So knüpft die Neuabgrenzung der Unzurechnungsfähigkeit nicht mehr an den Begriff der Krankheit, sondern an die Fähigkeit zu sinnhafter Tatsteuerung an und bezieht deswegen schwere Fälle von nichtkrankhaften Defektzuständen ein!!. Dabei ist die österreichische Formel von der "gleichwertigen seelischen Störung" (§ 11 österr. StGB) der deutschen von der "schweren anderen seelischen Abartigkeit" (§ 20 dt. StGB) vorzuziehen, weil diese ein verkapptes negatives Werturteil enthält und außerdem 18 Vgl. Platzgummer, Vorsatz und UnredltSbewußtsein, in : Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, 1973, S. 38 ff., mit Nachweisen aus dem Schrifttum in Anm. 15 u. 16, aus der Rechtsprechung in Anm. 7. Zum ganzen ferner Wegsd1eider, JBI. 1974,192 ff. 20 Das Schrifttum hat diese Abgrenzungsformel, die eine Anregung von Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1972, S. 222, aufgreift, einhellig begrüßt; vgl. Liebscher, ZfRV 1970, 188; Platzgummer, JBI. 1971, 239; Pallin, ZStW 86 (1972) S. 201; Kienapfel, Einführung S. 437; Nowakowski, Indice penale 1975, 307. Vgl. schon Kohlrausch/Lange, Strafgesetzbuch, 43. Auf!. 1961, § 59 Anm. 111 c. 21 Bedenklich deswegen OGH EvBI. 1975, 26, wo .das Merkmal des Sichabfindens durch "bewußte Gleichgültigkeit" ersetzt wird. Ebenso aber Pallin, ZStW 86 (1972) S. 201; Foregger/ Serini, Strafgesetzbuch, 1975, § 5 Anm. II S. 19; Leukauf/Steininger, Kommentar zum Strafgesetz,buch, 1974, § 6 A 2 S. 77. Ebenso schon Erläuterungen zur RV 1971, S. 66. Treffend OGH EvBI. 1975, 192, 282. 22 So ausdrücklich die Erläuterungen zur RV 1971, S. 78.
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der Vorstellung von einer längeren Dauer der Störung Vorschub leistet, die z. B. beim Affekt nicht zutriffi23 • Der Schuldvorwurf der vorsätzlichen Tat bezieht sich in erster Linie auf die bewußte Entscheidung des Täters gegen das Recht. Im Mittelpunkt der Zurechnung der Tat als vom Täter persönlich zu verantwortendes Unrecht steht deshalb das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. In bei den Gesetzen ist dieses Moment jetzt als selbständiger Schuldfaktor neben dem Vorsatz anerkannt, in Deutschland in der Vorschrift über den Verbotsirrtum (§ 17), in österreich in der entsprechenden Bestimmung über den Rechtsirrtum (§ 9). Der nicht vorwerfbare (unvermeidbare, unverschuldete) Verbotsirrtum schließt danach die Schuld aus. Während diese Lösung für Deutschland in dem großen Beschluß des Bundesgerichtshofs vom Jahre 1952 (BGHSt 2, 194) und einer fast einhelligen Lehre!4 vorgezeichnet war, bedeutete sie für Österreich die entscheidende Wendung, die das Gesetz mit einem Schritt über 150 Jahre hinweg von dem Strafrecht als der »lex [372] cordi hominum inscripta"25 in die moderne pluralistische Gesellschaftsordnung mit ihrem vielschichtigen und verschieden gewichtigen Normengeflecht hineingestellt hat. Praktisch wird der Verbotsirrtum zwar nur im Nebenstrafrecht bedeutsam, hier spielt er aber eine erhebliche Rolle. In Deutschland kommt deshalb die Neuregelung vor allem den Ordnungswidrigkeiten zugute, für die im § 11 OWiG eine dem § 17 StGB entsprechende Bestimmung gilt, die häufig angewendet wird26 • österreich wird diese Konsequenz für das Verwaltungsstrafrecht ebenfalls ziehen müssen, da dort das eigentliche Feld des Verbotsirrtums liegt. Auch in der Behandlung des vorwerfbaren Verbotsirrtums sind beide Rechte prinzipiell den gleichen Weg gegangen: der Täter hat in diesem Falle für die Tat einzustehen, die er vorsätzlich begangen hat, er wird aber milder bestraft (§§ 17, Satz 2, 49 Abs. 1 dt. StGB; §§ 9 Abs.3, 34 Nr. 12 österr. StGB)27. Die österreichische Regelung sieht zwar strenger aus als die deutsche, weil die Strafzumessung auch im Falle der Strafmilderung nach dem Normalstrafrahmen stattfindet, während in Deutschland ein herabgesetzter Sonderstrafrahmen angewendet wird, doch kann dieser Unterschied durch die außerordentliche Strafmilderung nach § 41 österr. StGB ausgeglichen werden. f3 Zustimmend die Lehre; vgl. PJatzgummer, JBI. 1971,244; Pallin, ZStW 84 (1972) S. 202 und aus psychiatrischer Sicht Sluga, Das neue Strafgesetzbuch und die Aufgaben einer neuen forensischen Psychiatrie, OJZ 1974, 205. Bedenken gegen die deutsche Regelung bei Lange, Strafrechtsreform, 1972, S. 91 ff. t4 Die Anerkennung des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit als Schuldmerkmal setzt nicht voraus, daß der Vorsatz als Unrechtsbestandteil aufgefaßt wird; so für einen Teil der deutschen Lehre charakteristisch KohJrauschlLange, § 59 11, 1 und 2. U So im Anschluß an naturrechtliche Vorstellungen Hye, Das österreichische Strafgesetz, Erster Band 1855, zu § 3, S. 214. Vgl. dazu die Dogmengeschichte bei Moos, Der Verbrechensbegriff S. 58, 77, 131 f., 317 f. 2' Vgl. Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 4. Aufl. 1975, § 11 Anm. 3 A. Die vor allem von Lange für die Ordnungswidrigkeiten vertretene Vorsatztheorie hat sich nicht durchgesetzt; vgl. Lange, Der Strafgesetzgeber und die Schuld lehre, JZ 1956, 79; derselbe, Die Magna Charta der anständigen Leute, JZ 1956, 519 ff.; derselbe, Nur eine Ordnungswidrigkeit? JZ 1957, 233 ff. 27 Diese der (eingeschränkten) Schuld theorie entsprechende Lösung wurde im Schrifttum einhellig begrüßt; vgl. Liebscher, ZfRV 1970, 185; Platzgummer, Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, 1973, S. 58 ff.; Pallin, ZStW 84 (1972) S. 201; Kienapfel, JZ 1972,577; Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 195. Als erster übernommen hat die Schuldtheorie Roeder, OJZ 1962, 337 ff. Zum ganzen ferner Schick, Die Entschuldbarkeit rechtsirrtümlichen Handeins im Lichte der österreichischen Strafrechtsreform, OJZ 1969,535 ff.
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Nach zwei Richtungen enthält das österreichische Gesetzbuch zusätzliche Bestimmungen für diese Materie, die das deutsche Recht nicht kennt, die aber wesentlich zur Rechtssicherheit beitragen. Einmal ist der Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes, also etwa die Putativnotwehr, ausdrücklich als Sonderfall herausgestellt, der nicht nach den Regeln über den Verbotsirrtum behandelt werden darf, sondern nur Fahrlässigkeitsstrafe nach sich zieht, sofern der Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht und die fahrlässige Tatbegehung mit Strafe bedroht ist (§ 8 österr. StGB). Man wird [373] erwarten dürfen, daß die Auslegung hier auch den Irrtum über Rechtsbegriffe innerhalb des rechtfertigenden Sachverhalts, also z. B. den Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Angriffs bei der Notwehr, einordnen und den Irrtum darüber nicht etwa dem Rechtsirrtum nach § 9 zuschlagen wird 28 • Zum Verbotsirrtum selbst enthält § 9 Abs. 2 österr. StGB zwei wertvolle Hinweise auf Maßstäbe für die Vorwerfbarkeit dieses Irrtums. Der Rechtsirrtum ist einmal dann vorwerfbar, wenn das Unrecht der Tat für den Täter ebenso wie für jedermann leicht erkennbar war. Abgestellt wird hier also auf einen dem Täter nach seinen persönlichen Eigenschaften, seiner Intelligenz und Lebenserfahrung vergleichbaren rechtschaffenen Dritten, den man sich in die Tatsituation gestellt denkt29 • Der zweite Hinweis betrifft die Pflicht, sich mit den einschlägigen Vorschriften bekannt zu machen, wenn diese sich aus Beruf, Beschäftigung oder sonst aus den Umständen, z. B. einem Auslandsaufenthalt, ergibt, eine überlegung, die vor allem im Nebenstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht oft den richtigen Weg weist. An einem anderen wichtigen Punkt des Schulbereichs, nämlich bei der Abgrenzung der Belastbarkeit des Menschen unter außergewöhnlichen äußeren Umständen, sCheiden sich dagegen die Wege des deutschen und österreichischen Gesetzgebers. Während der deutsche den entschuldigenden Notstand aus Gründen der Rechtssicherheit auf Gefahren für die obersten Rechtsgüter des einzelnen, Leben, Leib und Freiheit, beschränkt (§ 35 dt. StGB), läßt der österreich ische im Anschluß an die neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (SSt 29, 83) den individuellen Notstand als allgemeinen Entschuldigungsgrund gelten, kommt also der Einzelfallgerechtigkeit weit stärker entgegen, freilich mit der Einschränkung auf einen objektivierten Schuldrnaßstab (§ 10 österr. StGB)30. An sich kann jeder bedeutende Nachteil zur Grundlage des Notstands gemacht werden, doch muß der drohende Schaden von einer Art und Schwere sein, daß auch von [374] einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen kein anderes Verhalten zu erwarten gewesen wäre. Dieser von Nowakowski entwikkelte objektivierte Schuldmaßstab31 scheint mir allgemein auch für das deutsche Recht 28 Eine Entwicklung in der entgegengesetzten Richtung, die auf die überholte Unterscheidung von Tatsachen- und Rechtsirrtum hinauslaufen würde, deutet sich bei Platzgummer, Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, 1973, S. 57 f., an, doch werden auch Gegenstimmen in Fußnote 77 genannt. 29 Das Merkmal der "leichten" Erkennbarkeit knüpft ersichtlich an die Lehre von der Rechtsblindheit an; abgestellt wird aber auf den "jedermann", so daß sich der Täter auf individuelle Unfähigkeit zur Rechtseinsicht nicht berufen kann. Vgl. dazu Seiler, JBI. 1969, 116; Platzgummer, Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, 1973, S. 58 f.; Nowakowski, Probleme der österreich ischen Strafrechtsreform, in: Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 179, 1972, S. 15. 30 So bereits Nowakowski, Das österreich ische Strafrecht in seinen Grundzügen, 1955, S. 77. Ober den anzulegenden objektiv-konkreten Maßstab Leukauf/Steininger, § 10 Anm. B 5 S. 98 f. 31 Vgl. Nowakowski, Grundzüge, S. 67, 71; derselbe, Das Ausmaß der Schuld, SchwZStr.65 (1950) S. 301 ff.; derselbe, JBI. 1972, 28 f.; derselbe, Strafr. Probleme d. Gegenw. II, 1975,
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unentbehrlich, da das individuelle Können des Täters immer nur an dem eines "anderen« gemessen werden kann, den wir uns als rechtstreu, im übrigen aber dem Täter gleich vorstellen32• Zu den Notstandsvoraussetzungen hinzu tritt noch eine Verhältnismäßigkeitsklausel, die ebenfalls als objektives Korrektiv wirken soll. Der aus der Tat erwachsende Schaden darf nämlich nicht unverhältnismäßig schwerer wiegen als der Nachteil, den der Täter abwenden will. Als unmittelbare Umsetzung des Schuldbegriffs in das Strafgesetz an einer seiner empfindlichsten Stellen geht die österreichische Regelung gleichwohl ziemlich weit33, vor allem wenn man bedenkt, daß auf den schuldhaften Irrtum über die Voraussetzungen des Notstands nicht wie im deutschen Recht der Vorsatztatbestand angewendet wird (§ 35 Abs. 2 dt. StGB), sondern die Fahrlässigkeitsvorschrift (§ 10 Abs. 2 Satz 2 österr. StGB), die meist gar nicht zur Verfügung stehen wird34 • Ich beende den Ausschnitt aus der Dogmatik mit einem Blick auf die Wandlungen beim Aufbau der Fahrlässigkeit. Auch auf diesem Gebiet versucht das neue Strafrecht, dem Menschen in seiner Belastung durch die vielfältigen Anforderungen der modernen technischen Welt besser gerecht zu werden. Im Anschluß an Welzel 35 wird die Fahrlässigkeit in Deutschland heute überwiegend nicht mehr als Schuldform neben dem Vorsatz, sondern als besonderer Typus der strafbaren Handlung aufgefaßt, der sowohl im Unrechts- als auch im Schuldbereich eine eigene Struktur aufweist36 • Die Fahrlässigkeit bestimmt sich dabei nach einem doppelten Maßstab. Geprüft wird einmal, welche Sorgfalt und Voraussicht zur Vermeidung des tatbestandsmäßigen Erfolgs in einer bestimmten Gefahrlage erforderlich und darum rechtlich geboten ist, zum anderen ob dieses Maß an Aufmerksamkeit [375] vom Täter nach seinen persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen auch verlangt werden kann. Der Vorteil getrennter Wertung mit verschiedenen Maßstäben liegt einmal darin, daß der Grad der Sorgfaltswidrigkeit der Handlung als Gegengewicht gegenüber der überbetonung des Erfolgs wirkt, weiter in der Anregung an die Praxis, allgemeine Sorgfaltsregeln für typische Gefahrlagen herauszuarbeiten wie den Vertrauensgrundsatz im Straßenverkehr oder die Grundsätze für die überwachung des ärztlichen Hilfspersonals im Klinikbetrieb. Der Gewinn für die Gerechtigkeit besteht vor allem darin, daß die gesonderte Schuldprüfung als Essentiale strafrechtlicher Fahrlässigkeit ihren eigenen Stellenwert erhält und nicht mit der Prüfung der objektiven Sorgfaltserfordernisse verschmilzt. Ein weiterer Fortschritt auf dem Gebiet der Fahrlässigkeit liegt in der Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang, die aus der Zivilrechtsdogmatik übernommen wurde. Sie hat dazu geführt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Fahrlässigkeitstäters für die von ihm verursachten tatbestandsmäßigen Folgen durch den Gedanken zu begrenzen, daß die S. 176 ff. Würdigung der "Nowakowkischen Formel" als Grundlage des Schuld begriffs des österreichischen StGB bei Liebscher, ZfRV 1970, 187. Dogmengeschichtliche Ableitung bei Moos, Der Verbrechensbegriff S. 448 ff. 32 In diesem Sinne Engisch, Zur österreichischen Strafrechtsreform S. 76; Jescheck, Lehrbuch S. 304 f. 33 über die Bedenken gegen eine allgemeine Anerkennung der Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgrund Kohlrausch/Lange, Vorbem. III vor § 51. M Kritisch in diesem Punkte auch Platzgummer, JBl. 1971, 243. 3S Welzel, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961. Hinweise in dieser Richtung schon bei Kohlrausch/Lange, § 59 Anm. IV 4. 36 Vgl. dazu Jescheck, Lehrbuch S. 426 ff. mit Nachweisen.
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Haftung nur so weit reichen kann, wie der Schutzzweck der Norm reicht37 • Auch in österreich beginnt sich eine dieser Konzeption der Fahrlässigkeit entsprechende Lehre durchzusetzen, die übrigens hier wie dort schon in der früheren Literatur und Rechtsprechung angelegt war 38• Die Besonderheit besteht darin, daß der Gesetzgeber in österreich eine Fahrlässigkeitsdefinition aufgestellt hat, die diese Lehre zwar nicht übernimmt, aber ihr doch ausdrücklich Raum gibt39• Außerdem enthält das österreich ische Recht die Zumutbarkeit als Begrenzung der den Täter persönlich treffenden Sorgfaltspflicht und damit einen häufig übersehenen Gesichtspunkt, der die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf ein vertretbares Maß zurückführt (§ 6 Abs.l österr. StGB). Ich wende mich damit der Kriminalpolitik im engeren Sinne zu und werde zeigen, auf welche Weise der Gesetzgeber in bei den Ländern bemüht gewesen ist, der Täterpersönlichkeit, so wie sie sich ihm heute in den Ergebnissen der kriminologischen Forschung darstellt, [376) bei der Ausgestaltung der Strafen und Maßregeln besser gerecht zu werden. Beide Gesetze halten an der Tatschuld als Grundlage der Strafe fest (§ 46 Abs. 1 Satz 1 dt. StGB; § 32 Abs. 1 österr. StGB)40. Darin liegt zunächst einmal ein wichtiger Schutz des Beschuldigten gegen unverdient schwere Eingriffe von seiten des Staates, die man aus Gründen der Abschreckung oder der intensiveren Behandlung im Strafvollzug für erforderlich halten könnte. Vor allem wird damit aber das Wesen der Strafe im Unterschied zur Maßregel charakterisiert. Durch Anknüpfung an die Schuld bleibt die Strafe eine verdiente Mißbilligung der Tat durch die Rechtsgemeinschaft. Sie bringt auf diese Weise sowohl die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung als auch die Verantwortlichkeit des Täters für ihre Verletzung zum Ausdruck41 . Eine moralische Abwertung seiner Person soll damit freilich nicht mehr verbunden sein, wie die Abschaffung der Zuchthaus- und Kerkerstrafe und aller Ehrenstrafen wegen ihrer brandmarkenden Wirkung zeigt42 . Vielmehr soll der mit der Strafe verbundene rechtliche Tadel als Einschärfung von Rechtsregeln immer auch dazu beitragen, das zukünftige Leben des Verurteilten in der Gesellschaft vorzubereiten. Ein allgemeines Bekenntnis zur Spezialprävention als Gegengewicht zum Schuldprinzip, wie wir es im neuen deutschen Recht finden (§ 46 Abs. 1 Satz 2 dt. StGB), enthält das österreichische nicht. Jedoch erwähnt dieses die Spezialprävention gleichrangig neben der Generalprävention (§§ 37 Abs. 1, 42 Abs 1 Satz 3, 43 Abs. 1) und zeigt auch sonst, daß die 37 Vgl. dazu Roxin, Zum Schutzzweck der Norm bei fahrlässigen Delikten, Festschrift für Wilhe1m Gallas, 1973, S. 241 tf. 38 In dieser Richtung bereits Graßberger, ZfRV 1964, 20 tf. Die neue Konzeption ist voll durchgeführt bei Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt S. 21 tf. übereinstimmend Platzgummer, JBI. 1971, 240; Nowakowski, JBI. 1972, 30 f.; Kienapfel, Strafrechtsfälle, 2. Auf!. 1971, S. 34 tf.; derselbe, Einführung, S. 428 f., 436 f.; Seiler, Die Bedeutung des Handlungsunrechts im Verkehrsstrafrecht, Festschrift für Reinhart Maurach, 1972, S. 77 tf.; Schick, Die "einleitende Fahrlässigkeit", 0 JZ 1974, 281. 39 Vgl. Foregger, Allgemeine Bestimmungen (§§ 1 bis 17 RV), in: Zum neuen Strafrecht, 1973, S. 25; Kienapfel, Einführung S. 394. 40 Vg!. dazu Moos, Wilburg-Festschrift 5.266 f.; Foregger, Zum neuen Strafrecht S.23; Nowakowski, Der Allgemeine Teil der RV 1971, Grundlagen und Ziele, in: Zum neuen Strafrecht, 1973, S. 146 f.; derselbe, Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10, 1972, S. 1 tf.; derselbe, Strafrecht!. Probleme d. Gegenw. II S. 178 tf. 41 Vg!. Lange, Das Rätsel Kriminalität S. 97; derselbe, Strafrechtsreform S. 91; Gallas, Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 (1968) S. 3. 42 Die Bedenken von Lange, Strafrechtsreform S. 71 tf. gegen die Einheitsstrafe vermag ich nicht zu teilen.
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Verbindung von Schuldausgleich und Prävention ein wichtiges Anliegen des österreichischen Gesetzgebers ist. In übereinstimmung mit der zunehmenden Skepsis gegenüber der Freiheitsstrafe als solcher sind beide Rechte bemüht, ihre Anwendung zur Verhinderung vermeidbarer Schäden für den Verurteilten und seine Familie so weit wie möglich einzuschränken43 • Auf Freiheitsstrafe [377] soll nur noch erkannt werden, wenn sie wegen der Schwere der Tat oder aus zwingenden Gründen der Generalprävention oder zur Einwirkung auf den Täter unbedingt notwendig ist. Andere Strafmittel sollen die Freiheitsstrafe nach Möglichkeit ersetzen. Wir stehen damit an einer Wende der Kriminalpolitik, der eine ähnlich epochemachende Bedeutung zukommen dürfte wie dem übergang von den Leibes- und Lebensstrafen zur Freiheitsstrafe als Ergebnis der Aufklärung. So tritt heute Geldstrafe grundsätzlich an die Stelle von Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten, wobei das österreichische Recht diese praktisch wichtige Grenze einbezieht, andererseits aber den Erfordernissen der Generalprävention ungeschmälert Raum gibt, während sich hier das deutsche Recht auf die» Verteidigung der Rechtsordnung" zurückzieht (§ 47 dt. StGB; § 37 österr. StGB)44. Die Strafaussetzung zur Bewährung, die in österreich bedingte Strafnachsicht heißt45 , ist der Weg, um den Verurteilten zwar nicht mit der Verhängung, wohl aber mit der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu verschonen, wenn die Persönlichkeitsprognose günstig ist und deswegen die Berührung mit dem Strafvollzug vermeidbar erscheint. Die Zeitgrenzen der aussetzbaren Freiheitsstrafe sind mit einem, ausnahmsweise zwei Jahren in beiden Ländern gleich, das österreichische Recht ist aber auch in diesem Punkte durch volle Anerkennung der Generalprävention als Grund für die Vollstreckung der Freiheitsstrafe strenger als das deutsche (§ 56 dt. StGB; § 43 österr. StGB). Gleich geregelt ist in bei den Ländern auch die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug nach Verbüßung von zwei Dritteln, ausnahmsweise schon nach der Hälfte der Strafzeit (§ 57 dt. StGB; § 46 österr. StGB). Es handelt sich dabei um ein wichtiges Mittel, die Dauer des Vollzugs so zu bemessen, daß eine günstige Persönlichkeitsentwicklung nicht durch den Abstumpfungseffekt überlanger Haft wieder zunichte gemacht wird. Auch bei der lebenslangen Freiheitsstrafe kennt das österreichische Recht schon seit 1920 die bedingte Entlassung nach 15 Jahren (§ 46 österr. StGB), während der Lebenslängliche in Deutschland bekanntlich nur auf die Gnadeninstanz hoffen kann. [378] 43 Vgl. Nowakowski, öJZ 1973, 1 ff.; Serini, Das neue österreich ische StGB, SchwZStr.90 (1974) S. 10 ff.; FischIschweiger, Die Strafen der Regierungsvorlage 1971, in: Zum neuen Strafrecht, 1973, S. 42 ff.; Moos, Wilburg-Festschrift S. 268 ff. Vgl. ferner Graven, Die Zukunft des Freiheitsentzuges im schweizerischen und deutschen Strafrecht, ZStW 80 (1968) S. 199 ff.; Schultz, La riforma del diritto pen'olle, Ripertorio di Giurisprudenza Patria, 1975, Numeri 1 - 6, S. 17 f.; Leaute, Conference sur la politique criminelle, Conseil de l'Europe, 1975, S. 9 ff. 44 Mit Recht wendet sich Lange, Strafrechtsreform S. 64 ff. freilich gegen den Schematismus der deutschen Regelung; für einzelne Tätertypen (z. B. Wirtschafts- und Verkehrsdelinquenten) könnte die kurze Freiheitsstrafe kriminal politisch gerade die richtige Sanktion darstellen. U Sie ist in österreich bereits 1920 für Geld- und Arreststrafen eingeführt und 1952 auf Kerkerstrafen ausgedehnt worden. Im Jahre 1967 wurde bei 46 Ofo aller Freiheitsstrafen bedingte Strafnachsicht gewährt. Die Beson·derheit des österreichischen Rechts besteht darin, daß die bedingte Strafnachsicht auch bei Geldstrafen vorgesehen ist; vgl. dazu Jescheck, GallasFestschrift S. 44 f.
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Die Neuregelung der Geldstrafe ist angesichts ihrer überragenden Bedeutung in der modernen Kriminalpolitik für Deutschland und österreich ein Schwerpunkt der Reform 46 • Beide Länder haben mit der Einführung des skandinavischen Tagesbußensystems anstelle der Zumessung einer Gesamtsummenstrafe unmittelbar ein ausländisches Vorbild übernommen, so daß man hier einen interessanten Rezeptionsvorgang beobachten kann, ähnlich wie schon bei der Strafaussetzung zur Bewährung. Der Sinn der neuen Regelung ist es, die Geldstrafe durch Anknüpfung der Anzahl der Tagessätze an Tatunrecht und Schuld, durch Bestimmung der Höhe des Tagessatzes aber nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verurteilten gleichmäßiger, wirkungsvoller und verständlicher zu machen. Ob die Geldstrafe freilich in der Lage sein wird, auf Grund eines verhältnismäßig so einfachen gesetzgeberischen Kunstgriffs das wichtigste Sanktionsmittel der modernen Kriminalpolitik zu werden und praktisch die gesamte leichte und mittlere Kriminalität abzudecken, bleibt abzuwarten. Angesichts der Wende, an der wir stehen, ist das für die zukünftige Gestaltung der Kriminalpolitik die entscheidende Frage. In drei Punkten ist die österreich ische Regelung der deutschen vorzuziehen, weil sie flexibler und undoktrinär ist. Daß der Höchstbetrag eines Tagessatzes in Deutschland mit 10000 DM ebenso hoch angesetzt ist wie früher die normale Höchstgrenze der Geldstrafe überhaupt (§ 40 Abs. 2 Satz 3 dt. StGB), ist eine unbegreifliche übertreibung, durch die das vernünftige Niveau der Geldstrafe für geringere oder auch mittlere Straftaten verfälscht wird47 • In österreich ist der Höchstbetrag eines Tagessatzes 3000 Schilling (§ 19 Abs.2 Satz 3 österr. StGB); man hat sich hier durch den Seitenblick auf seltene Spitzeneinkommen nicht verwirren lassen. Bei der Bemessung der Höhe eines Tagessatzes hat der Richter in Deutschland von dem Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter durchschnittlich an einem Tage hat oder haben könnte (§ 40 Abs. 2 Satz 2 dt. StGB), so daß der Tagessatz also nicht auf das beschränkt bleibt, was er bei sparsamer Lebensführung erübrigen kann, sondern grundsätzlich die gesamten Einkünfte erfaßt. Die Geldstrafe würde, wenn man diese Bestimmung ernst nimmt, nicht minder entsozialisierend wirken als die bisherige Freiheitsstrafe. Das österreichische Recht bemißt dagegen die Höhe des Tagessatzes, ohne in [379] den Fehler der überstrenge zu verfallen, einfach nach den persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Täters (§ 19 Abs. 2 Satz 1 österr. StGB). Endlich wird in Deutschland ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe einem Tagessatz gleichgestellt (§ 43 Satz 2 dt. StGB), obwohl die volle Einbuße der Freiheit, die naturgemäß auch die Einbuße aller Einkünfte einschließt, viel härter wirkt als der bloße Verlust des Einkommens für sich allein. In Österreich entspricht deshalb ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tagessätzen (§ 19 Abs. 3 Satz 2 österr. StGB). Das deutsche Recht hat im Sanktionensystem an der Zweigleisigkeit von Strafen und Maßregeln festgehalten, das österreichische ist ihm auf diesem Wege erstmals gefolgt4s • Der Schwerpunkt liegt dabei auf Maßregeln heilender, pflegerischer und 46 Vgl. zur österreich ischen Regelung Nowakowski, Das Tagesbußensystem usw., OJZ 1972, 197 ff.; zur deutschen Zipf, Probleme der Neuregelung der Geldstrafe, ZStW 86 (1974) S. 513 ff.; Tröndle, Die Geldstrafe in der Praxis usw., ZStW 86 (1974) S. 545 ff.; derselbe, OJZ 1975, 589 ff. Vgl. ferner Thornstedt, Skandinavische Erfahrungen mit dem Tagesbußensystem, ZStW 86 (1974) S. 595 ff. 47 Vgl. dazu treffend Naucke, Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung, 1975, S. 6 ff. 48 Vgl. dazu eingehend Moos, Die vorbeugenden Maßnahmen im neuen österreichischen Strafrecht, in: Zum neuen Strafrecht, 1973, S. 53 ff.
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fürsorgerischer Art, während die früher meist auf Kleinkriminelle angewendete Sicherungsverwahrung so umgestaltet worden ist, daß sie nur noch Täter von hoher Gefährlichkeit erfassen kann, denen gegenüber die Unterbringung geradezu ein Akt der Selbstverteidigung ist (§ 66 dt. StGB). Als wesentlicher Fortschritt wird in Deutschland vor allem die sozialtherapeutische Anstalt angesehen, die in den Bundesländern zum 1. Januar 1978 für Rückfalltäter mit schweren Persönlichkeitsstörungen, gefährliche Sexualverbrecher, auch als Ersttäter, und für werdende Gewohnheitsverbrecher unter 27 Jahren einzurichten ist (§ 65 dt. StGB). Von der Anwendung der Sozialtherapie auf diese Gruppen verspricht man sich die Auflösung und vielleicht auch Heilung schwerer Persönlichkeitsschäden und seelischer Störungen, die ihren Träger, wenn nicht eine positive Wendung eintritt, immer wieder in spezifische Formen der Kriminalität hineinführen. Die Anwendung moderner Methoden der Gesprächs-, Gruppen-, Arbeits-, Verhaltens- und Freizeittherapie unter den Bedingungen der Unfreiheit und in ständiger Gesellschaft von labilen, gestörten, widerwilligen und oft auch unterbegabten Mitgefangenen wirft allerdings manche noch ungelöste Fragen auf. Das österreichische Maßregelsystem stellt ebenso wie das deutsche Behandlung, Pflege, Fürsorge, Heilung in den Mittelpunkt und beschränkt die Unterbringung gefährlicher Rückfalltäter ebenfalls auf schwerste Fälle, die in den Voraussetzungen freilich etwas weniger restriktiv bezeichnet sind als bei uns (§ 23 österr. StGB). Zur Einführung der sozialtherapeutischen Anstalt hat sich österreich nicht entschlossen, doch kann ein Täter, der unter dem Einfluß einer geistigen oder seelischen Störung von höherem Grad eine schwere Straftat begeht, also ein schwer psychopathischer, neurotischer oder triebgestörter [380] Täter, den wir vermindert schuldfähig nennen würden, auch dann in die Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen werden, wenn er nicht zurechnungsunfähig ist (§ 21 Abs. 2 österr. StGB). Ob österreich über diesen Stand hinausgehen wird, dürfte von den Erfahrungen abhängen, die Deutschland mit der sozialtherapeutischen Anstalt machen wird 49 • Die Bundesrepublik Deutschland ist ein liberaler und sozialer Rechtsstaat. Diese Grundlage aller Staatstätigkeit bestimmt auch die Rolle des Staates als Träger der Strafrechtspflege. Aufgabe des liberalen Staates kann nicht das Bestreben sein, durch weltliche Justiz ein absolutes sittliches Ideal zu verwirklichen, etwa in dem Sinne, daß jedermann erfahren soll, was seine Taten wert sind, denn dafür gäbe es keinen irdischen Richter, und das Strafrecht müßte dann auch den "fragmentarischen Charakter" verlieren, der in einem freien Gemeinwesen gerade sein eigentliches Wesen ausmacht. Aufgabe des Staates in der Strafrechtspflege ist vielmehr allein der Schutz des öffentlichen Friedens und die Gewährleistung der individuellen Freiheit. Dieses Leitbild der deutschen Reform gilt nach Eugen Serini, dem die Leitung der Reformarbeiten in Wien mehr als zwei Jahrzehnte anvertraut war, auch für das neue österreichische Recht50• Schutz des öffentlichen Friedens bedeutet, daß mit Hilfe des Strafrechts die Vorherrschaft des Stärkeren gebrochen und durch Abwehr schwerwiegender übergriffe dem einzelnen ein Spielraum geschaffen wird, innerhalb dessen er ohne Furcht nach seinen eigenen Vorstellungen leben und seine Entschlüsse nach eigenem Ermessen ver4. Vgl. Doleisch, Die Möglichkeit der Resozialisierung der Strafgefangenen in der Praxis des Strafvollzuges, Jßl. 1971, 502 ff.; Sluga/Grünberger, Sozialtherapeutische Erfahrungen im österreichischen Strafvollzug, 0 JZ 71, 388 ff. 60 Serini, SchwZStr. 90 (1974) S. 4 f.
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wirklichen kann. Niemand erwartet vom Rechtsstaat einen Zustand, in dem es keine Verbrechen gibt. Wohl aber ist zu verlangen, daß die Kriminalität unter die Kontrolle des Staates gebracht wird, indem begangene Straftaten zu einem hohen Prozentsatz aufgeklärt und ohne Ansehen der Person verfolgt werden. Durch das Strafrecht schaff!: der Staat dem Menschen Freiheit, indem er nur für die Verletzung besonders wichtiger Normen Strafen androht, im übrigen aber keinen repressiven Zwang zuläßt. Die Strafe hat ferner niemals das Ziel, auf den Verurteilten in einer bestimmten Richtung einzuwirken, ihn umzuerziehen oder irgendeiner offiziellen Verhaltenserwartung zugänglich oder gefügig zu machen, denn die Freiheit, die der Staat durch das Strafrecht gewährleisten will, wird als volle Selbstbestimmung und garantierte Achtung des Menschenrechts (381] verstanden, nach eigenem Gutdünken zu leben und zu handeln 51 • "Libertas est potestas vivendi ut velis" (Cicero) ist die Devise, die die Strafe nur als Einschärfung von Rechtsregeln für das zukünftige Leben des Verurteilten in der Gesellschaft verstehen läßt. Beide Rechte sprechen deshalb immer nur von dem Ziel, daß der Verurteilte "keine Straftaten mehr begehen wird" (§ 56 Abs. 1 Satz I, § 57 Abs. 1 Nr.2, § 59 Abs. 1 Nr. 1 dt. StGB), von dem Bestreben, "den Täter von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten" (§ 37, § 43 Abs.l Satz 1 österr. StGB) oder von der Erwartung, daß er "keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde" (§ 41 Abs. 1, § 43 Abs.2 österr. StGB). Dagegen ist nirgends davon die Rede, daß er etwa zu einem "nützlichen Glied der Gesellschaft" im Sinne irgendeiner Ideologie erzogen werden soll. Freiheit schaff!: der Staat ferner durch möglichst einschränkende Verwendung des Strafrechts. Die Forderung nach Entkriminalisierung folgt unmittelbar aus dem Verständnis des Strafrechts als eines letzten Mittels, das nur eingesetzt werden darf, wenn es zum Schutz des öffentlichen Friedens unvermeidlich ist 52• Deutschland und österreich haben bei ihrer Strafrechtsreform diesen Gedanken weitgehend verwirklicht. Gewiß hat es auch Schärfungen des Strafrechts gegeben wie die allgemeine Rückfallvorschrift (§ 48 dt. StGB; § 39 österr. StGB)53 und die Strafbestimmungen über Geiselnahme (§ 239 a dt. StGB; § 102 österr. StGB) und Luftpiraterie (§ 316 c dt. StGB; § 185 österr. StGB). Charakteristisch ist aber der Weg in die entgegengesetzte Richtung. So wurden in bei den Ländern die übertretungen beseitigt. Der Besondere Teil wurde von überholten Vorschriften und Polizeidelikten gereinigt. Kennzeichnend für die liberale Tendenz der Reform ist vor allem die Einschränkung der Ehe-, Familien- und Sexualdelikte. Eine neuartige Form der Entkriminalisierung ist in Deutschland ferner die bedingte Einstellung des Strafverfahrens (§ 153 a dt. StPO), die vermeidbare Prozesse schon bei der Staatsanwaltschaft abfangen soll. Die Staatsanwaltschaft kann jetzt mit Zustimmung des Gerichts und des Beschuldigten bei allen Vergehen unter Anordnung von Auflagen (z. B. der Zahlung eines Geldbetrags an eine gemeinnützige Einrichtung oder die Staatskasse) vorläufig von der Erhebung der [382] öffentlichen Klage absehen, 51 Vgl. Hans Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S.79; Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, DöV 1975, S. 440 und Fußnote 35. 52 Vgl. näher Jescheck, SchwZStr. 91 (1975) S. 19 ff. Grenzen der Entkriminalisierung, vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität, zeigt Lange, Strafrechtsreform S. 12 ff. 53 Vgl. ·dazu Grapberger, Die Bedeutung des Rückfalls, in: Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, 1973, S. 11 ff.
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wenn die Schuld des Täters gering ist und die Auflage zur Bewährung der Rechtsordnung ausreicht. Die Bedenken, die gegen die übertragung von Sanktionsbefugnissen auf die Staatsanwaltschaft als weisungsgebundene Justizbehörde vorgebracht wurden 54, die sich aber bei uns zum Glück nicht durchgesetzt haben, finden in österreich ihr Gegenstück im Ausschluß der Staatsanwaltschaft von der Verfahrenseinstellung wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat nach dem vor allem von Pallin 55 angeregten § 42 österr. StGB. Diese Bestimmung schaff!: für leichte Fälle einen allgemeinen Strafausschließungsgrund im materiellen Recht, eine Lösung, die der Behandlung der Bagatelldelikte nach dem Opportunitätsprinzip (§ 153 dt. StPO) vorzuziehen ist, weil es sich der Sache nach um mangelnde Strafwürdigkeit und nicht um eine Frage der Prozeßökonomie handelt 5G • Der Ausschluß der Staatsanwaltschaft erscheint freilidl weder historisch, noch systematisch, noch praktisch begründet 57 • In der Ablösung des Bagatellstrafrechts durch ein Ordnungswidrigkeitenrecht ist österreich dagegen dem deutschen Beispiel nicht gefolgt 58 • Das Verwaltungsstrafrecht wurde vielmehr als echtes kriminelles Strafrecht beibehalten unter Einschluß der Freiheitsstrafe59 , zu [383] deren Gunsten sogar ein Vorbehalt gegenüber Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention angebracht wurde. Im Zeichen des neuen kriminalpolitischen Programms, das durch das Vordringen der Geldstrafe gekennzeichnet ist, mehren sich jedoch auch in österreich die Stimmen, die für eine Reform des Verwaltungsstrafrechts eintreten6o • Die soziale Komponente des Rechtsstaats tritt im materiellen Strafrecht - anders als im Strafvollzug - erst in Anfängen hervor, sie ist aber doch erkennbar und Vgl. die Nachweise bei Jescheck, SchwZStr. 91 (1975) S. 20. Vgl. Pallin, Die leichten Fälle und die österreichische Strafrechtsreform, in: Der modernen Gesellschaft ein modemes Strafrecht, 1968, S. 23 ff.; derselbe, ZStW 84 (1972) S.206; Zipf, Die mangelnde Strafwürdigkeit der Tat, 1975. Gegner dieser Lösung sind u. a. Seiler, JBI. 1969, 123, und Graßberger, Die besonders leichten Fälle der Regierungsvorlage eines StGB, OJZ 1973, 64 ff. 56 Für Strafausschließungsgrund Platzgummer, JBI. 1971, 246; Fischlschweiger, OJZ 1973, 94; Lotheißen, Konstruktion und Problematik der "leichten Fälle" im Sinne des § 42 RV 1971, JBI. 1974, 26 ff.; Nowakowski, Zum neuen Strafrecht, 1973, S. 148. Für Strafaufhebungsgrund Moos, ORiZ 1975, 83. Für eine Frage der Strafbemessung LeukauflSteininger, § 42 Anm. A S. 275, und Foregger/Serini, § 42 Anm. 11. Der Gesetzgeber hat § 42 in den Abschnitt "Strafbemessung" eingeordnet. :;7 In den Fällen der Straflosigkeit geringfügiger strafbarer Handlungen, die das österreichische Recht bisher schon kannte - § 12 JGG, § 431 StG, § 494 StPO -, war die Staatsanwaltschaft nicht ausgeschaltet. Nimmt die Staatsanwaltschaft einen Strafausschließungsgrund an, so dürfte sie, da es an einer strafbaren Handlung fehlt, gar keine Anklage erheben. Endlich tritt kaum ein Endastungseffekt ein, wenn die Staatsanwaltschaft in Fällen des § 42 Anklage erheben und zugleich auf Einstellung bzw. Freispruch antragen muß. Nach Serini, SchwZStr. 90 (1974) S. 10, ist die Regelung "seitens der Staatsanwaltschaft als diskriminierend empfunden und lebhaft kritisiert worden" - begreiflicherweise. Anders in diesem Punkt Moos, Die ParteisteIlung der Staatsanwaltschaft S. 50 f., der von der Auffassung ausgeht, es handle sich bei § 42 um einen als Strafzumessungsfrage zu behandelnden Strafaufhebungsgrund . SB Vgl. Pallin, ZStW 84 (1972) S. 206. 59 Vgl. Heinl/Loebenstein/Verosta, Verwaltungsstrafgesetz, § 1 Anm. C; Kneucker, Die Konkurrenz von Justiz- und Verwaltungsdelikten, JBI. 1964,238. 60 Vgl. Adamovich, Von der Gewaltentrennung im formellen und materiellen Sinn unter Berücksichtigung der Abgrenzung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung, insbesondere auf dem Gebiet des Strafrechts, Verhandlungen des 4.0sterr. Juristentags, 1970, Bd. II 1. Teil, S. 58; Tagungsbericht "Vom Verwaltungsstaat zum Justizstaat" mit Referat von Klecatsky über "Die geltende Rechtslage und ihre Probleme", ORiZ 1973, 8; Verkehrsj·urist des ARBO 1975, Nr. 23/24 S. 17. 5~
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verdient es, weiter ausgebaut zu werden. Zu nennen sind vor allem die Weisungen für die Lebensführung des Verurteilten und die Bewährungshilfe, die österreich jetzt auch im Erwachsenenrecht eingeführt hat 6l , sowie die neue deutsche Maßregel der Führungsaufsicht (§§ 68 ff. StGB), die vor allem dazu dienen soll, für den übergang kriminell besonders gefährdeter Personen von der Strafanstalt in die Freiheit eine koordinierte Hilfestellung zu leisten, der das gesamte Instrumentarium des modernen Sozialstaats zur Verfügung steht. In dieselbe Richtung weisen die neuen Aufsichtsstellen für die Führungsaufsicht, die das Recht haben, von allen öffentlichen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen anzustellen (§ 463 a dt. StPO), sowie das neue Vollstreckungsgericht in Deutschland (§ 78 a dt. GVG), dessen zusammengefaßte Zuständigkeit die Aufstellung einer Art von Sozialplan für den Verurteilten ermöglichen soll. Der Sozialstaatsgedanke hat ferner erstmals im Strafrecht den Blick auf das Opfer des Verbrechens gelenkt. österreich hat ein Bundesgesetz vom 9. Juli 1972 über die Gewährung von Hilfeleistung an Opfer von Verbrechen geschaffen62 • Der Entwurf des deutschen Bundesgesetzes über die Entschädigung für Opfer von Straftaten sieht Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vor 63 • Daß im Strafrecht alle staatliche Tätigkeit den Grundsätzen des Rechtsstaats untergeordnet ist, versteht sich angesichts des Gesetzlichkeitsprinzips von selbst. österreich geht in diesem Punkt sogar noch [384] einen Schritt weiter als das deutsche Recht. Die Garantiefunktion des Strafgesetzes wird dort nämlich nicht nur auf die Strafen, sondern auch auf die Maßregeln bezogen (§ 1 österr. StGB). Jedoch wird man zugeben müssen, daß der deutsche Gesetzgeber bei den Maßregeln durch gen aue Beschreibung ihrer Voraussetzungen dem Bestimmtheitsgebot ebenfalls gerecht geworden ist und dadurch verhindert, daß Maßregeln außerhalb ihres Zwecks und der Gründe ihrer Rechtfertigung angewendet werden. Das deutsche Strafrecht enthält ferner ausdrücklich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 dt. StGB) als Gegenstück zum Schuldprinzip bei den Strafen, während österreich sich in diesem Punkte auf die vom Verhältnismäßigkeitsprinzip bestimmte gesetzliche Ausgestaltung der Maßregeln verläßt 6C • Strafrecht ist staatliches Recht, Strafrechtspflege ist Staatstätigkeit. Strafrecht und Strafjustiz dürfen jedoch von den gesellschaftlichen Kräften nicht so vollständig abgetrennt bleiben, wie das gegenwärtig der Fall zu sein scheint, wenn man der Justizkritik Glauben schenken kann, die sich vielfach geradezu als Stimme aus einem entgegengesetzten Lager versteht und nicht in der Kriminalität, sondern in der Justiz den eigentlichen Gegner sieht6s • Isolierung des Strafrechts und der Strafjustiz von den gesellschaftlichen Kräften muß zur Bürokratisierung des Verhältnisses zum straffälligen 61 V gl. Broda, Strafrechtsreform 1971, ORiZ 1971, 183 1f. ; Mann, Erfahrungen mit der Bewährungshilfe im Hinblick auf § 51 RV, in: Zum neuen Strafrecht, 1973, 125 1f. 82 Abgedruckt in den Materialien für den XI. Internationalen Strafrechtskongreß in Budapest 1974, Revue internationale de droit pena11973, 408 1f. 63 Vgl. Schätzler, Compensation for Victims of Criminal Acts, Revue internationale de droit penal 1973, 29 1f. 64 Vgl. Nowakowski, Zur Rechtsstaatlichkeit der vorbeugenden Maßregeln, Festschrift für Hellmuth v. Weber, 1963, S. 113 1f.; Stratenwerth, Zur Rechtsstaatlichkeit der freiheitsentziehenden Maßnahmen im Strafrecht, SchwZStr. 82 (1966) S. 337 1f.; Moos, Zum neuen Strafrecht, 1973, S. 63. 85 Ober Verzerrungen des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft grundsätzlich Lange, Das Rätsel Kriminalität S. 300 1f.
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Menschen und zur Abkühlung dieser Beziehung auf den Stand eines reinen Rechtsverhältnisses führen. Die rein rechtliche Betrachtung und Behandlung menschlicher Probleme reicht jedoch nicht aus, sobald es darum geht, gestrandeten, geschädigten, gestörten oder gescheiterten Existenzen durch richtiges Verständnis ihrer Situation und geeignete soziale Hilfestellung einen Weg zu ebnen, der zu einem neuen Anfang im Rahmen der Spielregeln der Gesellschafl: führen kann. Hier muß der von der modernen Kriminologie empirisch stark ausgebaute Gedanke der Solidarität der Gesellschafl: mit dem straffälligen Menschen66 jene gefühlsmäßige Breitenwirkung hervorrufen, die den Boden dafür bildet, daß man über die schmale Schicht der Idealisten und über die berufsmäßige Fürsorge hinaus das Lebensschicksal des Rechtsbrechers [385] auch als Aufgabe der eigenen Person verstehen lernt. Der Aufruf zur Solidarität ist keineswegs nur ein Appell ohne reale Grundlage, sondern stützt sich auf die Mitverantwortung auch der rechtsstaatlich organisierten Gesellschafl: für die Kriminalität, da jede Gesellschafl: ein gewisses Maß an Ungerechtigkeit in sich trägt und die Entstehung unterprivilegierter Randgruppen fördert. Zu diesem Zweck muß man versuchen, Strafrecht und Strafrechtspflege in ihrer sozialen Funktion der Bevölkerung verständlicher zu machen, und darf ihr bei des nicht durch verzerrte Bilder unnötig entfremden. Strafrecht und Strafrechtspflege bedürfen der wohlmeinenden Zuwendung der erhaltenden gesellschafl:lichen Kräfte, mag dieses Interesse auch durchaus mit der notwendigen Kritik verbunden sein67 • Wenn man von diesen überlegungen aus die deutsche und österreichische Strafrechtsreform betrachtet, gibt es manche Ansatzpunkte, von denen aus in dieser Richtung weitergearbeitet werden könnte. Zu denken ist einmal an die Beteiligung des Volkes an der Strafrechtspflege durch das Laienrichterturn, das in Deutschland und österreich zwar auch lebendig ist, aber in keinem unserer Länder jene ursprüngliche, die Justiz weitgehend tragende und die Volksüberzeugung ständig durchdringende Krafl: aufweist wie das aus der Volkswahl hervorgehende Laienrichterturn in der Schweiz. Ich möchte nicht zu dem klassischen Schwurgericht Stellung nehmen, das in österreich erhalten geblieben, in Deutschland aber seit einem halben Jahrhundert abgeschafft ist68 • Der Ansatz für die richtige Zuordnung der gesellschafl:lichen Kräfte liegt mehr in dem gleichberechtigten Zusammenwirken von Berufs- und Laienrichtern und nicht in der Entgegensetzung von Geschworenen- und Richterbank. In jedem Fall ist das Laienrichterturn von einem nicht zu unterschätzenden Wert für die überbrückung der Klufl: zwischen Staat und GesellschafI:. Dagegen hat man weder in der Bundesrepublik noch in österreich je daran gedacht, die in der DDR eingeführte Gerichtsbarkeit der Konflikts- und Schiedskommissionen zu übernehmen69 • Diese Zurückhaltung ist für den liberalen Rechtsstaat selbstverständlich, denn die übertragung ganzer Gebiete staatlicher Justiz auf gesellschafl:liche Organe verändert bereits die 66 Vgl. dazu vor allem Würtenberger, Kriminalpolitik im sozialen Rechtsstaat, 1970, S. 124 ff., 191 ff.; Kaiser, Die Fortentwicklung der Methoden und Mittel des Strafrechts, ZStW 86 (1974) S. 350 ff. 67 Vgl. dazu treffend Hesse, DOV 1975, 440 f. 68 Vgl. dazu Liebseher, Rechtsvergleichende Analyse der Geschworenengerichtsbarkeit, OJZ 1970,253 ff.; Jescheck, Hundert Jahre österreichische StPO, S. 40; derselbe, Considerations de droit compare, in: Le Jury face au droit penal moderne, 1967, S. 152 ff., 165 ff., 179 f. 89 Vgl. Lange, Gesellschaftsgerichte in Ost und West, Festschrift für Hellmuth Mayer, 1966, S. 497 ff.; Eser, Gesellschaftsgerichte in der Strafrechtspflege, 1970.
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prinzipielle Abschichtung der beiden verschiedenen [386] Sachbereiche und gefährdet damit die Freiheit durch Auslieferung des einzelnen an das Kollektiv. Nicht das gleiche Bedenken besteht gegenüber der Betriebsjustiz70 , die wir sowohl in Deutschland als auch in österreich kennen, weil es sich dabei gerade nicht um staatliche Justiz und strafrechtliche Sanktionen, sondern um die stillschweigende und schonende Erledigung geringerer Verstöße im innerbetrieblichen Rahmen mit soziaI- und arbeitsrechtlichen Mitteln handelet. Ein Ansatzpunkt für die Mitwirkung gesellschafHicher Kräfte ist ferner die Bewährungshilfe, die als ehrenamtliche Tätigkeit in Deutschland vorgesehen (§ 56 Abs. 5 dt. StGB), in österreich sogar eingehend geregelt ist (Bewährungshilfegesetz vom 27.3.1969, § 12). Der Vorgang der übernahme der Betreuung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen durch Helfer aus der Bevölkerung bringt diesen den Gewinn eines Kontakts mit einer Welt, die ihnen sonst verschlossen ist, eröffnet den Zugang zu ganz neuen Erfahrungen und hat für den Verurteilten den Vorteil, während der Bewährungszeit nicht allein auf dienstliche, sondern auch auf menschliche Hilfsbereitschaft zu stoßen, ganz abgesehen von der oft besonders wirkungsvollen Aktivierung privater Beziehungen für den Aufbau eines neuen sozialen Lebensraums. Ein Weg für die Mitsprache und Mitgestaltung gesellschaftlicher Kräfte im Straf-
vollzug bietet sich über die Kommissionen, die in den neuen Gesetzen vorgesehen
sind. Der Entwurf des deutschen Bundesstrafvollzugsgesetzes kennt Anstaltsbeiräte (§§ 149 ff.)12, die sich über die Unterbringung, Beschäftigung, Verpflegung, ärztliche Versorgung und Behandlung der Gefangenen unterrichten sollen und die Anstalt und ihre Einrichtungen besichtigen können. Außerdem dürfen die Beiräte auch Wünsche, Anregungen und Beanstandungen der Gefangenen entgegennehmen. Dagegen sind die Vollzugskommissionen nach § 18 des österr. Vollzugsgesetzes mehr als überwachungsorgane für die Anstaltsleitung ausgestaltet. Die Kommission hat in österreich insbesondere nicht die Befugnis, Ansuchen oder Beschwerden aus dem Kreise der Gefangenen entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Das ist wenig und im Grunde gerade nicht das, was der Strafvollzug braucht, wenn die Distanz und die Fehlvorstellung der öffentlichkeit von den Problemen des Strafvollzugs verringert werden sollen. [387 J Eine besonders wichtige Aufgabe haben die gesellschaftlichen Kräfte endlich bei der Entlassenenhilfe73 , denn viele schwierige Fälle der Rückfallkriminalität haben einmal mit fehlender Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft für den entlassenen Gefangenen ihren Anfang genommen. Die Gefangenenfürsorgevereine haben in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung erlebt, die Unterstützung durch die öffentliche Hand hat sich ausgedehnt, Bußgelder sind ihnen zugeflossen, das Interesse der Allgemeinheit, insbesondere der Presse, ist lebhaft. Mit erheblichen privaten Opfern, auch von seiten der Studenten, sind AnlaufsteIlen und übergangsheime gegründet und betrieben worVgl. Feest, Betriebsjustiz usw., ZStW 85 (1973) S. 1125 ff. Ablehnend Pallin, ZStW 85 (1973) S. 1171 f.; positiver dagegen Kienapfel, Betriebskriminalität und Betriebsstrafe, JZ 1965,605. 72 Vgl. Münchbach, Strafvollzug und Offentlichkeit mit besonderer Berücksichtigung der Anstaltsbeiräte, 1973. 73 Vgl. für Deutschland Kerner, in: Kaiser/Schöch/Eidt/Kerner, Strafvollzug, 1974, S. 250 ff.; für Osterreich Boeß, Entlassenenhilfe - Voraussetzung der Resozialisierung, ORiZ 1972, 155 ff.; Schober, 90 Jahre Straffälligenhilfe in Graz, ORiZ 1975, 65. 70
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den. Entscheidend sind die drei Probleme des Arbeitsplatzes, der Wohnung und der sozialen Kontakte, und alle drei Fragen sind ohne das Verständnis und die helfende Hand der Gesellschaft nicht lösbar. Mensch, Staat und Gesellschaft erscheinen im neuen Strafrecht in neuem Licht und in neuem Verhältnis zueinander. Der Mensch ist nicht mehr bloßer Bezugspunkt, sondern der "homo agens", der zwar seine Taten grundsätzlich verantworten muß, aber als Schnittpunkt heterogener Antriebe auch verständnis- und hilfsbedürftig ist. Seiner Individualität soll das neue Strafrecht besser gerecht werden können. Der Staat handhabt das Strafrecht nicht als Zuchtrute, sondern als Mittel zur Sicherung des öffentlichen Friedens und zur Wahrung der individuellen Freiheit. Er muß dabei gegenüber Täter und Opfer immer auch seiner sozialen Aufgabe eingedenk sein, d. h. seine Machtmittel einsetzen, um den Verurteilten in eine von Rechtsregeln bestimmte Gesellschaft zurückzuführen und den Verletzten aufzurichten, wenn dieser sonst aus der Bahn geworfen würde. Die Gesellschaft endlich muß der Strafrechtspflege tätig zugewandt sein und gegenüber dem Verurteilten durch Aufnahmebereitschafl: die schuldige Solidarität üben. Am Ende eines hundert Jahre gemeinsam gegangenen Reformwegs darf ein Weggenosse den Wunsch aussprechen, daß das neue Strafrecht unter diesen Zeichen in Deutschland und asterreich seine Bewährungsprobe bestehen wird.
DAS NEUE DEUTSCHE STRAFRECHT IM VERGLEICH MIT DEM POLNISCHEN RECHTH Nach jahrzehntelangen erfolglosen Bemühungen ist die deutsche Strafrechtsreform am 1. Januar 1975, fünf Jahre nach dem polnischen Strafgesetzbuch von 1969, zu einem vorläufigen Abschluß gelangt. VoU,ständig neu gestaltet wurde der Allgemeine Teil. Die Reform -des Besonderen Teils ist schon weit fortgeschritten und wir-d in den kommenden Jahren durch Novellengesetze zu Ende geführt werden. Das deutsche Strafgesetzbuch von 1871 stammte in seinen geistigen Grundlag,en noch aus der ersten Hälfte des 19. JahrhundertsI, während das 60 Jahre jüngere polni-sche Strafgesetzbuch von 19322, das zu den besten Leistungen .der neueren Strafgesetzgebung in Europa zählte, schon den Einfluß moderner kriminalpolitischer Auffassungen widerspiegelte. Einen eigentlichen Schöpfer des deutschen Strafgesetzbuches von 1871 kann man nicht nennen, da man damals einfach das StGB des Nor,ddeutschen Bundes von 1870 übernommen hat, das seinerseits auf dem preußischen StGB von 1851 beruhte. Der Schöpfer des polnischen StGB von 1932 war der Vorsitzende -der Kodifikationskommission, Professor Juliusz Makarewicz, der zur Schule Franz v. Liszts gehört hat und zusammen mit anderen Vertretern der damaligen polnischen Strafr,echtswissenschaft der soziologischen Richtung in der Kriminalpolitik nahestand. Die Beziehung [468] zwischen Deutschland und Polen in der Strafrechtswissenschaft ist also einmal recht eng gewesen. Das deutsche Reformwerk steht ebenso wie das neue polnische StGB von 1969 im Rahmen der großen internationalen Bewegung, die 'seit etwa 20 Jahren in zahlreichen Ländern eine vollständige oder teilweise Neuordnung des Strafr-echts im Geiste einer freieren Gestaltung des gesamten öffentlichen und privaten Lebens und einer besseren Anpassung der strafrechtlichen Sanktionen an die Bedürfnisse der Sozialisation entwurzelter, gestörter oder geschädigter Menschen im Sinne der Erkenntnisse der modernen Kriminalpädagogik herbeigeführt hat. Zu nennen sind in England die großen Reformgesetze von 1958 bis 197.4, in den USA die neuen Strafgesetz:bücher zahlreicher Einzelstaaten sowie der Entwurf eines neuen Federal Criminal Code3• In
* Aus: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 88 (1976),467 - 487. Französische Fassung in : Archivum Juridicum Cracoviense, Vol. X, 1977,95 - 108 . . + Nach einem Vortrag, den der Verfasser am 14. 7. 1975 im Institut für Rechtswissenschaft der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Krakau, am 18. 7.1975 (in französischer Sprache) im Institut für Rechtswissenschaft der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau und am 23.7.1975 an der Juristischen Fakultät der Universität Breslau gehalten hat. I Zur Entstehungsgeschichte des StGB von 1871 vgl. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1972, S. 74. 2 Deutsche übersetzung von Chodzidlo, in: Sammlung polnischer Gesetze in deutscher übersetzung, Bd. 7, 1940. S Vgl. Wechsler, The Model Penal Code and the Codification of American Criminal Law, in : Essays in Honour of Sir Leon Radzinowicz, 1974, S. 419 ff.
Das neue deutsche Strafrecht im Vergleich mit dem polnischen Recht
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Frankreich brachte der Code de procedure penale von 1958 die Einführung der Bewährungshilfe und des Strafvollstreckungsrichters, die Reformnovelle von 1970 die Ersetzung der "relegation" durch die "tutelle penale"4 und das Jahr 1974 den Beginn der Arbeiten einer Kommission zur Gesamtreformdes Code penal von 1810. Italien hat aus den Entwurfsarbeiten zum Codice penale von 1930, die seit dem Kriegsende im Gange sind, im Jahre 1974 vorläufig eine Teilreform in Kraft gesetzt und im Jahre 1975 ein fortschrittliches Strafvollzugsgesetz erlassen 5 • Die konsequenteste Strafgesetzgebung im Sinne eines durch Maßnahmen charakterisierten und ganz auf Spezialprävention ausgerichteten Strafrechts hat sich Schweden mit dem neuen Kriminalgesetzbuch von 1962 geschaffen8 • Auch die sozialistischen Länder haben sich der Reformbewegung angeschlossen, so ·die verschiedenen Sowjetrepubliken auf der Grundla·ge der 1958 von den Zentralorganen ,der Union angenommenen neuen Grundsätze für die Strafgesetzgebung, ferner [469] .die Tschechoslowakei und Ungarn (1961), die DDR7, Bulgarien und Rumänien (1968) und endlich Polen (1969)8. Im deutschen Sprachraum ist neben dem neuen Strafgesetzbuch ·d er Bundesrepublik 9 und den schweizerischen Teilrevisionen lo vor allem das österreichische Strafgesetzbuch von 1974 11 zu nennen. In Südamerjka gibt es einen von der ibero-amerikanischen Strafrechtskommission im Jahre 1971 abgeschlossenen Allgemeinen Teil eines Musterstrafgesetzbuchs für Lateinamerika 12 • In Japan liegt der amtliche Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1974 vor, der jedoch in ,d er Wissenschaft auf starken Widerstand gestoßen ist l3 • Das neue deutsche Recht unterscheidet sich in seinem liberalen, auf den Ausschluß vermeidbarer Schäden und die FÖi"derung der Wiedereingliederung ,des Täters gerichteten Geist stark von der mehr konservativen, auf Vergeltung und gerechte Strenge aufgebauten Tradition der deutschen Strafrechtsgeschichte. In der Tat hat sich seit etwa 20 Jahren ein großer Lern- und Umdenkungsprozeß abgespielt, .der weit über 4 Vgl. Ancel, La fin de la relegation, in: En·hommage aJean, Constant, 1971 , S. 7 ff. Vgl. Vassalli, The Background of Current Italian Penal Law Reform, in: Studies in Comparative Criminal Law, 1975, S. 51 ff.; Johanna Bosch, Strafrechtsreform in Italien, ZStW 88 (1976) S. 488 ff. 8 Vgl. Simson, Das schwedische Kriminalgesetzbuch v. 21. 12. 1962, Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher übersetzung, Nr. 96, 1976, Einführung, S. 46 ff. 7 Vgl. Jescheck, Modern Criminal Policy in the Federal Republic of Germany and the German Democratic Republic, in : Essays in Honour of Sir Leoll! Radzinowicz, 1974, S. 509 ff.; !rene Sagel-Grande, Die Änderungen im Bereich der Rechtsfolgen· strafbaren Handeins im Strafrecht der DDR, ZStW 87 (1975) S. 762 ff. ; Hans Theodor Schmidt, Kriminalitätsentwicklung und Kriminalpolitik in der DDR, Osteuroparecht 1975, S. 237 ff. 8 Andrejew, Le nouveau Code penal, Droit polonais contemporain, Nr. 15, 1971, S. 5 ff., sowie Rev. sc. crim. 1970, S. 309 ff.; Spotowski, Das neue polnische Strafgesetzbuch, ZStW 87 (1975) S. 742 ff. 9 Vgl. dazu eingehend Jescheck, Strafrechtsreform in Deutschland, Allgemeiner Teil, SchwZStr.91 (1975) S. l ff.; derselbe, Das neue deutsche Strafrecht im internationalen- Zusammenhang, Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft, 1975, S. 49 ff. 10 Vgl. Schultz, Dreißig Jahre Schweizerisches Strafgesetzbuch, SchwZStr. 88 (1972) S. 1 ff. 11 Vgl. Serini, Das neue österreichische Strafgesetzbuch, SchwZStr. 90 (1974) S. l ff.; Jescheck, Deutsche und österreichische Strafrechtsreform, Festschrift für Richard Lange, 1976, S. 365 ff. 12 Vgl. dazu Jescheck, Strafen und Maßregeln des Musterstrafgesetzbuchs für Lateinamerika im Vergleich mit ,dem deutschen Recht, Festschrift für Ernst Heinitz, 1972, S. 717 ff. 13 Es gibt leider noch keine Darstellung des japanischen StGB-Entwurfs mit Begründung vom Jahre 1974 in einer der europäischen Sprachen. 5
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die Fachkreise hinausreicht und in der öffentlichkeit heachtliche Resonanz gefunden hat, so daß .das Thema einer humanen, fortschrittlichen Str.afrechtsreform zeitweise und manchmal mehr, als es der Sache diente, in den [470] Mittelpunkt des populären Interesses gerückt war. So i'st es zu erklären, daß das neue Strafrecht sowohl von der Justizpraxis als auch von ,der öffentlichen Meinung ohne erhebliche Verständnisschwierigkeiten aufgenommen wer·den konnte. Insbesondere ist heute der Gedanke, die soziale Kontrolle vom Strafrecht und der Strafjustiz auf andere Ebenen und Instanzen zu verlagern (z. B. Umwandlung von Strafrecht in Ordnungswidrigkeiten) oder bei solchen Instanzen auszubauen (z. B. in Gestalt dc:r Betriebsjustiz)l\ weithin anerkannt. Freilich gibt es auch Probleme der Abgrenzung ,des Strafrechts, die leidenschaftlich umstritten sind. Dazu gehört z. B. auf der einen Seite die Strafbarkeit der Abtreibung, von der noch die Rede sein wird, auf der anderen die Frage der Einführung einer scharfen Strafvorschrift gegen die Verherrlichung von Gewalt. Die radikalen Strafrechtsleugner l5 können jedenfalls in der gegenwärtigen öffentlichen Meinung der Bundesrepublik kaum auf Gehör rechnen, vielmehr hat sich die Erkenntnis gefestigt, ·daß ein am Schuldprinzip orientiertes Strafrecht am ehesten geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu sichern und den Bürger zugleich vor staatlicher Allmacht zu schützen, weil ein solches Strafrechtda;s Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit aufrechterhält und den Menschen als verantwortliche Persönlichkeit achtet. I. Von den Grundsätzen der modernen Kriminalpolitik möchte ich im ,deutschen, und soweit mir die Quellen zugänglich gewesen sind, auch im polnischen Strafrecht16 drei behandeln: die Art und [471] Weise der Verknüpfung von Schuldausgleich und Verhrechensvorbeugung inder Strafe, die Forderung nach Entkriminalisierung des Strafrechts und das Gesetzlichkeitsprinzip. 14 Vgl. im Vorblick auf die 1976 bevorstehende Veröffentlichung Kaiser/Metzger-Pregizer, »Betriebsjustiz. Untersuchungen über die soziale Kontrolle abweichenden Verhaltenos in Industriebetrieben" den Aufsatz von Feest, ZStW 85 (1973) S. 1125 ff. sowie Metzger-Pregizer, Kleines Kriminologisches Wörterbuch 1974, S. 58 ff. 15 So etwa Menninger, The Crime of Punishment, 1968; Heldmann, Die Sinnlosigkeit des Strafens, Vorgänge 1972, S. 157 ff.; Plack, Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts, 1974. 16 Zur Verfügung stehen in deutscher Sprache: Geilke, Die polnische Strafgesetzgebung seit 1944, Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher übersetzung, Nr.70, 1955; derselbe, Der polnische Strafkodex, Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher übersetzung, Nr. 92, 1970; eine deutsche übersetzung der polnischen Strafprozeßordnung von E. Janik erscheint demnächst; in französischer Sprache Poklewski/Koziell, Code penal de la Republique Populaire de la Pologne, 1970; Sliwowski, Code penal executif de la Republique Populaire de la Pologne, 1970. Vgl. ferner zu dem allmählich wieder einsetzenden deutschpolnischen Gespräch auf dem Gebiet der Strafrechtswissenschaft allein in dieser Zeitschrift folgende Beiträge polnischer AutOren: Schaff, Das Strafverfahren Volkspolens, ZStW 70 (1958) S. 659; Swida, Einfluß der Veränderung ·der Gesellschaftsordnung und Bevölkerungsumschichtung auf die Kriminalität in Polen, ZStW 77 (1965) S. 346; Sawicki, Die Verbrechen gegen, die Menschlichkeit. Versuch einer Analyse, ZStW 80 (1968) S.229; Spotowski, Das Zusammentreffen mehrerer Strafgesetze im polnischen Strafrecht, ZStW 86 (1974) S. 163; derselbe, Das neue polnische Strafgesetzbuch, ZStW 87 (1975) S. 742; derselbe, Literaturbericht Polen, ZStW 87 (1975) S.826; Kaczmarek, Der Begriff der gesellschaftlichen Gefährlichkeit im polnischen Strafrecht (erscheint demnächst in der ZStW). Beiträge über das polnische Recht von deutschen Autoren: Geilke, Das Jugendstrafrecht in Polen seit 1944, ZStW 69 (1957) S. 158; Scharf!, Quellen des polnischen Strafrechts, ZStW 65 (1953) S. 150; Geilke, Freiheitsstrafvollzug in Polen, ZStW 78 (1966) S. 762; derselbe, Besprechungen der wichtigsten Literatur: ZStW 70 (1958) S. 333 ff.; 70 (1958) S.702 = Rechtsprechung des OG auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts (1945 -1957); 73 (1961) S. 172, 541; 76 (1964) S. 346 ff.
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1. Die kriminal politische Grundkonzeption des neuen deutschen Strafrechts besteht in einer Art von dialektischer Verbindung des Strafzwecks des Schuldausgleichs mit dem Ziel der spezialpräventiven Einwirkung auf den Täter durch die Strafe (§ 46 dt. StGB). Kriminelle Strafe soll einmal nur auf die Feststellung gegründet werden, daß dem Täter seine Tat zum Vorwurf gemacht werden kann. Die Strafe soll ferner auch da:s Maß der Schuld nicht überschreiten. Der Wert des Schuldprinzips liegt einmal in ,dem Schutz des Rechtsbrechers vor unverdient schweren Eingriffen des Staates, die im Hinblick a:uf die Notwendigkeit der Generalprävention, der Umerziehung, der Therapie oder ,der sozialen Verteidigung vorgenommen werden könnten, zum anderen in der Bindung des Sinns ·der Strafe an die im Volke lebendigen Grundvorstellungen der Gerechtigkeit. Die Strafe .ist jedoch nicht allein ein Akt des Ausgleichs von Schuld, sondern die Strafzumessung hat, wie es im § 46 Abs. 1 Satz 2 ,dt. StGB heißt, auch die Auswirkungen der Sanktion auf -das künftige Leben des Verurteilten in der Gesellschaft zu berücksichtigen.
Wenn man demgegenüber Art. 50 des polnischen StGB auf sich wirken läßt, der in seiner Funktion für die Strafzumessung etwa dem deutschen § 46 entspricht, so tritt das Schuldprinzip jedenfalls nicht so deutlich und ausdrücklich hervor wie bei uns. Die Schuld ,des Täters ist aber dennoch für die Einschätzung der Sozialgefährlichkeit der Tat im Sinne des Art. 1 poln. StGB ein [472] wichtiges Kriterium. Auch das polnische Strafrecht geht davon aus, daß nur-derjenige Täter strafrechtliche VerantwortJUng trägt, der seine gesellschaftsgefährlich,e Handlung verschuldet hat, und auch das Ausmaß der Schuld hat auf Art und Schwere ,d er verhängten Strafe erheblichen Einflußl7. Die Gesichtspunkte der General- und Spezial prävention haben jedoch nach meinem Eindruck in Polen größeres Gewicht für die Strafzumessung als bei uns, und ich möchte deshalb nicht annehmen, daß ,das Maß der Schuld ·die Strafe mit absoluter Gewißheit nach oben begrenzt, wenn der durch die Tat objektiv entstandene Schaden sehr groß, die Notwendigkeit der Einwirkung auf die Allgemeinheit sehr stark oder das Bedürfnis nach Umerziehung des Täters sehr ,dominierend ist. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, daß es in Polen keine Sicherungsverwahrung gibt, ein Umstand, der bei besonders gefährlichen Tätern ebenfalls auf die Strafzumessung im Sinne der Verschärfung Einfluß haben könnte l8 . Die Generalprävention scheint im neuen deutschen Strafrecht überhaupt keinen Platz zu haben. Jedenfalls hat sie nur jeweils in :besonderem Zusammenhang Erwähnung gefunden (§§ 47 Abs. 2, 56 Abs. 3, 59 Abs. 1 Nr. 3 ,dt. StGB). Daraus ergibt sich aber nicht etwa, daß das ,deutsche Strafrecht die Generalprävencion nicht kennen würde, was angesichts der lebhaften internationalen Diskussion über ,diese Frage kaum verständlich wärei', sondern daß -die Bewährung der Rechtsordnung durch Einwirkung mittels der Strafe auf das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit der vom 17 Vgl. zum Prinzip »nulIum crimen- sine culpa" im polnischen Strafrecht (Art. 6) Wolter, Les principes de la respon-sabilite penale d'apres le nouveau Code penal de la Republiquc Populaire de Pologne, Droit polonais contemporain Nr. 15, 1971 , S. 18 ff. Zur Auslegung des Art. 50 § 1 poln. StGB vgl. ferner W aszczynski, ~volution des methodes et moyens du droit pcnal de la Republique Populaire de Pologne, Rev. int. dr. pen. 1974, S. 232. 18 Audl in anderen sozialistischen Ländern gibt es die Sicherungsverwahrung bekanntlidl nicht. Eine Ausnahme macht neuerdings Ungarn ; vgl. Racz, Die Einführung der Sicherungsverwahrung im ungarischen Strafrecht, ZStW 87 (1975) S. 755 ff. 19 Vgl. etwa die Research Conference on General Deterrence im Juni 1975 in Stockholm.
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Gesetzgeber stillschweigend vorausgesetzte und - so kann man sagen - das Strafrecht im tiefsten Grunde legitimierende Strafzweck ist 20 • Daß er im neuen StGB nicht ausdrücklich genannt ist, [473] erklärt sich daraus, daß ,die Generalprävention bei der Strafzumessung im Einzelfall keinen verschärfenden Einfluß haben soll, weil der Gesetzgeber die Abschreckungswirkung ,d er gerechten, weil smuldangemessenen Strafe für die Einwirkung auf die Allgemeinheit als das heste Mittel angesehen hat. Das polnische Recht betont ,dagegen in Art. 50 § 1 die Generalprävention deutlich und nennt sie sogar als ersten Strafzweck noch vor der Einwirkung der Strafe auf den Täter. Trotzdem wird man mit Andrejew21 ,die Rangor,dnung der heiden Strafzwecke in dieser Vorschrift nicht überbetonen dürfen. Es gibt zu viele Einrichtungen im polnischen Strafrecht, in denen ,der Gedanke der Individualisierung und Täterbezogenheit ·der Strafe gegenüber der Generalprävention dominiert. Man braucht nur an ·die bedingte Ein'stellung des Verfahrens (Art. 27 - 29), an die außerordentliche Strafmilderung (Art. 57 §§ 1 und 2) oder an die Möglichkeit ,der Beschränkung auf eine Nebenstrafe (Art. 55) zu denken. Im ganzen wird man sagen können, daß das Gewicht der Strafzwecke im polnischen Recht zwar wahrscheinlich anders verteilt ist als im deutschen, daß aber Schuldpr,inzip, Generalprävention und Spezialprävention ebenfalls die maßgeblichen Faktoren sind. 2. Die Forderung nach Entkriminalisierung des Strafrechts wird heute in vielen Ländern erhoben. Sie ergibt sich aus der Auffassung ,des Strafrechts als eines letzten Mittels, das wegen der unübersehbaren Nachteile, die mit seiner Anwen,dung notwen'dig verbunden sind, nur dann eingesetzt weroden darf, wenn es zur Erhaltung der Rechtsordnung unvermeidlich ist. Die deutsche Reform ist auf diesem Wege weit fortgeschritten. Einmal hat der Gesetzgeber ,die klassische Dreiteilung 'd er strafbaren Handlungen preisgegeben und die übertretungen beseitigt. Das Bagatellstrafrecht wur,de entweder ganz abgeschafft oder in Ordnungsunrecht umgewandelt. Nur wenige übertretungen wurden zu Vergehen aufgewertet. Eine praktisch wichtige und für uns ,neuartige Form der Entkriminali.sierung enthält ferner der durch ·die Reform eingeführte § 153 a ,d er deutschen Strafprozeßordnung mit der bedingten Einstellung des Strafverfahrens. Nach dieser Vorschrift kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts und des Beschul,digten bei allen Vergehen unter Anordnung von Auflagen und Wei'sungen (z. B. der Zahlung eines Geltdbetrags zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatska9Se) [474] vorläufig von ,d er Erhebung der öffentlichen Klage absehen, wenn die Schuld des Täters gering ist und die Auflage zur Bewährung ,der Rechtsordnung ausreicht. .Entkriminalis.ier.ung in Form des bisher wohl tiefsten Eingriffs in den überlieferten Bestand des deutschen Strafrechts und die ihm zugrunde liegenden Wertvorstellungen bedeutete endlich ,die Einführung der Fristenlösung im § 218 a dt. StGB, ,d. h. die Straflosigkeit der Abtreibung in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung jedoch als Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben, das in Art. 2 Abs.2 Satz 1 des Grundgesetzes verankert ist, für nichtig erklärt und vorläufig eine Indikationslösung in Kraft gesetzt, ,die auch die ethische und soziale Indikation einschließt :0 Vgl. dazu Andenaes, Punishment and Deterrence, 1974, S. 3 ff., 34 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Auf]. 1975, S. 52 ff. 21 Vgl. Polskie prawo karne w zarysie, 3. Auf]. 1973, S. 233 ff.
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(BVerfGE 39, 1). Dagegen haben ,der österreichische Verfassunßsgerichtshof (Europäische Grundrechte 1975, S. 74) und der französische Conseil constitutionnel (Journal Officiel 1975, S. 671) eine Verletzung des Grundrechts auf Leben durch die Einführung der Fristenlösung in ihl'en Ländern verneint. Die rechtlichen Voraussetzungen der betreffenden Entscheidungen waren aller.dings auch ganz andere als in der Bundesrepublik Deutschland. Der neue Entwurf der Fraktionen der SPD und FDP zum § 218 ist umstritten 22 • Der Gedanke der Entkriminalisierung wird auch in Polen POSItiV beurteilt. Die Behandlung des Bagarellunrechts ist im polnischen Strafrecht zwar anders als in der Bundesrepublik geregelt, das polnische Recht zeigt aber doch eine gewisse Ahnlichkeit mit dem deutschen. Die übertretungen wUl'den schon viel früher als Der Entwurf des BJM will darunter nicht nur (wie seither) Seeschiffe verstehen, sondern auch Binnenschiffe, weil ·der Schiffsbau Typen entwickelt hat, die sowohl im Binnen- wie im Küstenverkehr Verwe!l!dung finden.
Reform der Vorschriften des StGB über das internationale Strafrecht
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vielgestaltige Regelung dieses Punktes in den Auslandsrechten geben die Zusammenstellungen von Hegler72 und Straub 73 Auskunft. Obwohl die deutsche Vorschrift am weitesten geht, stehen wir mit ihr doch keineswegs allein. Auch die Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden, China, Cuba und Venezuela haben ebenso wie der gegenwärtige § 5 StGB alle Schiffe und Luftfahrzeuge strafrechtlich dem Inland gleichgestellt. Eine ähnlich weitgehende Bestimmung wie bei uns findet sich im griechischen und italienischen Recht, nur daß hier ausdrücklich auf das Völkerrecht Bezug genommen wird. Bedenken könnte die gegenwärtige Regelung insofern erwecken, als auch Straftaten einbezogen werden, die während des Aufenthalts des Schiffes in fremden Eigengewässern oder Küstenmeeren oder an Bord eines Luftfahrzeuges über fremdem Hoheitsgebiet oder auf fremdem Flughafen begangen werden, denn auf hoher See gilt ja ohnehin unbestritten das Recht der Flagge. Da jedoch der Tatort an Bord des Schiffes oder Luftfahrzeugs einen ausreichenden Anknüpfungspunkt für das staatliche Strafrecht darstellt, können vom Völkerrecht her keine durchgreifenden Einwendungen erhoben werden74 • Das Inland hat auch ein berechtigtes Interesses daran, den Strafschutz auf Schiffen und Luftfahrzeugen unter seiner Flagge in jedem Falle sicherzustellen, da diese im Ausland häufig nur dann verfolgt werden, wenn ausländische Rechtsgüter betroffen sind. Bei Luftfahrzeugen werden sich außerdem Ort und Zeit der Straftat oft nur unter Schwierigkeiten [86] feststellen lassen7s• Der Verzicht auf die Berücksichtigung des Auslandsrechts ergibt sich daraus, daß Schiff und Flugzeug zum Territorium der Flagge gezählt werden ("territoire flottant"). Dies ist auch ganz sachgemäß, denn Besatzung und Fahrgäste müssen sich, vor allem bei dem raschen Wechsel des Hoheitsgebiets im internationalen Luftverkehr, als auf dem Boden des Flaggenstaates befindlich fühlen können. Fahrzeug, Mannschaft und Fahrgäste bilden räumlich und geistig eine Einheit, die sinnvollerweise nur vom Recht der Flagge regiert werden kann, der man sich anvertraut hae 6 • V. Das Real- oder Schutzprinzip 1. Die Aufgaben des internationalen Strafrechts können, wie allgemein anerkannt wird, nicht allein nach dem Territorialprinzip gelöst werden. In gewissem Umfange muß der Staat auch Auslandstaten von In- und Ausländern seinem Strafgesetz unterwerfen77 • Er muß dies zum Schutze bestimmter Rechtsgüter sogar ohne Rücksicht auf das Recht des Tatorts tun, weil die eigene Staatsgewalt, die staatliche Ordnung und gewisse Rechtsgüter der Allgemeinheit durch das ausländische Strafrecht entweder überhaupt nicht oder nicht in ausreichendem Maße geschützt werden78 • Die völkera. a. 0.72 ff. a. a. O. 26/27. 74 Vgl. hierzu Verdross, a. a. O. 181: Mettgenberg, ZStW 52 (1932) 824, Anm. 27, und DJ 1940; und Nuvolone, a. a. O . 641. Alex Mayer, JW 1930, 3384, schlägt zwar eine andere Lösung nach der sog. gemischten Theorie vor, macht aber jedenfalls keine völkerrechtlichen Bedenken geltend. Ebensowenig Simons, a. a. 0.57. 75 Vgl. hierzu Begründung E 1925, 8. 76 Das empfindet auch die oben Anm.20 zit. amerika nische Entscheidung US v. Cordova ganz ·deutlich. 77 Der Vorschlag von Mendelssohn Bartholdy, VDA VI 314, nur das Territorialprinzip im Allgemeinen Teil zu regeln, die Ausde·hnungen dagegen bei den einzelnen Tatbeständen im Besonderen Teil, erscheint mir unzweckmäßig, weil dadurch der überblick erschwert wird. 78 Mendelssohn Bartholdy, a. a. O. 164. 72 73
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Internationales Strafrecht
rechtliche Zulässigkeit des Real- oder Schutzprinzips steht außer Zweifel, sofern es sich um Rechtsgüter handelt, an deren autonomem Schutz der Staat ein berechtigtes Interesse hae 9 • Binding80 wollte sogar so weit gehen, das gesamte internationale Strafrecht allein auf den Schutzgedanken zu gründen; er sah dementsprechend auch das Territorial- und das aktive Personalprinzip nur als verkappte Anwendungsfälle des Schutzprinzips auf räumlicher bzw. nationaler Grundlage an. Wenn Binding allerdings annahm, daß jeder Staat berufen sei, "der inländischen Rechtsgüterwelt den vollsten Rechtsschutz zu gewähren" (S. 391), und daß das Strafrecht auf der Grundlage des Schutzprinzips "nie von der Existenz einschlägiger Strafgesetze am Ort der Begehung des Verbrechens abhängig gemacht werden" dürfe (S.393), so geht das weit über die Grenzen hinaus, die wir hier für das Schutzprinzip in Anspruch nehmen wollen. Es handelt sich im § b nur um den Schutz derjenigen inländischen Rechtsgüter, die durch das ausländische Strafrecht nicht oder nicht ausreichend geschützt sind, keineswegs dagegen um den Schutz aller inländischen Rechtsgüter überhaupt. Das berechtigte Real- oder Schutzprinzip ist von dem m. E. unberechtigten passiven Personalprinzip, von dem noch die Rede sein wird, zu unterscheiden81 .DieSchutzfunktion des Strafrechts darf nicht in Widerspruch treten zu dem Ordnungsgedanken, der dem internationalen Strafrecht zugrunde liegt. 2. In § b habe ich diejenigen Deliktsgruppen zusammengestellt, bei denen ich das Schutzprinzip für gerechtfertigt halte. Die Enumeration glaubte ich aus rechtsstaatlichen Gründen einer Generalklausel wie "Straftaten gegen das deutsche Volk" oder "Straftaten gegen die Staatssicherheit" vorziehen zu sollen. Natürlich kann hier nur eine vorläufige Liste aufgestellt werden, die nach Abschluß der Beratungen zum Besonderen Teil überprüft und gegebenenfalls ergänzt werden muß. [87] Die Regelung des § b ist überhaupt keine abschließende, sondern kann durch Sondergesetze jederzeit ergänzt werden, wie dies schon früher zum Beispiel durch § 12 des Sprengstoffgesetzes (1884) und § 20 a UWG (1932) geschehen ist82 • Der vorgeschlagene § b unterscheidet sich vom geltenden Recht einmal dadurch, daß die Anwendungsfälle des Schutzprinzips von denen des Universalprinzips, die dem § c vorbehalten sind, abgesondert werden, während das geltende Recht beides im § 4 Abs. 3 vermengt hat. Die systematische Trennung in zwei Paragraphen läßt den leitenden Gesichtspunkt klarer hervortreten, und es wird dadurch leichter gemacht, den Unterschied in der Begründung der bei den Fallgruppen zu erkennen und bei späterer Erweiterung der Liste zu bewahren. 3. Die Deliktsgruppen der Ziffern 1 - 5 schließen sich an geltendes oder früher geltend gewesenes Recht an. Der Schutz der Bundesrepublik und ihrer Länder gegen hoch- und landesverräterische Handlungen und gegen Verbrechen des Verfas8ungsverrats entspricht § 4 Abs. 3 Ziff. 1 StGB mit dem Unterschied, daß sich § b Ziff. 1 auch auf Inländer bezieht, während diese nach geltendem Recht ohnehin durch das Personalprinzip erfaßt werden. Die Aufnahme der Verunglimpfung des Bundesprä;~ Vgl. die bei Drost, a. a. O. 122, Anm.27, zitierten Autoren; Drost selbst a. a. O . 136, Travers, Le