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German Pages 704 Year 1998
HANS-HEINRICH JESCHECK
Beiträge zum Strafrecht 1980-1998
HANS-HEINRICH JESCHECK
Beiträge zum Strafrecht 1980-1998 herausgegeben von Theo Vogler
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Jescheck, Hans-Heinrich: Beiträge zum Strafrecht : 1980 - 1998 / Hans-Heinrich J escheck. Hrsg. von Theo Vogler. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 ISBN 3-428-09522-7
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-09522-7
INHALTSVERZEICHNIS
Geleitwort des Herausgebers ... . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. XIII
Strafrechtsentwicklung und Strafrechtsreform Grundfragen der Dogmatik und Kriminalpolitik im Spiegel der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ... . . ... . .. . .. .. .. .. . . ... . .. . . ... . .. .. .. . ... ........ . ... . . Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 93 (1981), 3 - 67.
Die Freiheitsstrafe bei Franz von Liszt im Lichte der modernen Kriminalpolitik
47
Gießener Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 1, Gießen 1982, 15 - 36, und Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Günter Kohlmann, Bd. 11, Köln 1983, 257 - 276.
Das neue deutsche Strafrecht in der Bewährung .. . . . . . ... . ... .. .. ...... .. ... .. . . . .. .. ..
65
Max-Planck-Gesellschaft. Jahrbuch 1980. Hrsg. von der Generalverwaltung der MaxPlanck-Gesellschaft München, Göttingen 1980, 18 - 31, und L'Indice Penale 1981,5 - 24, und Revista de Derecho (Tegucigalpa/Honduras) 1980,82 - 95, und Pravna Misla (Skopie) 1981, 1 - 14, und Istanbul Universitesi Hukuk Fakültesi Mecmuas 1982, 153 - 171, und Archives de politique criminelle No. 8, 1985, 153 - 168.
Methoden der Vorbereitung und Durchführung der deutschen Strafrechts reform
78
Strafrechtsreform in der Bundesrepublik Deutschland und Italien. Hrsg. von Hans-HeinrichJescheck, Baden-Baden 1981, 11 - 26, und L'Indice Penale 1980, 217 - 228.
Strafrechtsreform in Deutschland. Allgemeiner und Besonderer Teil.
88
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 100 (1983), 1 - 28.
Strafrechtsvergleichung Entwicklung und Stand der Lehre von der strafrechtlichen Fahrlässigkeit in Deutschland im Vergleich mit der polnischen Lehre . ... . .. .. .. .. .. . ... . .. ...... . .. . ... 113 Archivum Iuridicum Cracoviense, Vol. XIII, 1980, 99 - 116.
VI
Inhaltsverzeichnis
Die internationale Krise in der Verbrechens bekämpfung
126
Beiträge zur Internationalen Politik. Hrsg. von der Gesellschaft für Auslandskunde München, München 1980, Heft 2, 14 S. Alternativen zur Freiheitsstrafe .... . . ... ........ .......... .... .... ..... .. ..... . ... .. . . ...
137
Contemporary Problems in Crirninal Justice. Essays in Honour of Professor Shigemitsu Dando. Edited by Yasuharu Hiraba, Ryuichi Hirano, Takuji Takada and others, Tokyo 1983, 83 - 96. Die Stellung der Freiheitsstrafe in der Strafrechts reform der Bundesrepublik Deutschland und Schwedens .. .. ..... . ....... .. .. .. . . .. .. . .. . ... ... . .. .. .. .... .. .. .. . .. .. 146 Festskrift till Hans Thornstedt. Redaktionskomitee Per-Edwin Wallen, Gillis Erenius, Olle Hoflund und andere. Stockholm 1983, 353 - 375. Grenzen der Rechtsgewährung in der Strafrechtspflege in rechtsvergleichender Sicht.. . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . ... ... .. .. .. . .. . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. .... . . .. .. .. .. . . . ..... ..... 160 Deutsche Richterzeitung 1983, 383 - 390. Neue Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik in rechtsvergleichender Sicht . . .. . ..
174
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 98 (1986),1 - 27, und Anuario de derecho penal y ciencias penales 1986, 9 - 32, und L'Indice Penale 1985, 507 - 533, und Acta Universitatis Nicolai Copernici 1991,67 - 85, und Ciencia e PoHtica Criminal. Ern honra de Heleno Fragoso, Rio deJaneiro 1992, 217 - 247. Große Strafrechtsfamilien . .. .. ... ... .. .. ... ... ... . . ... ...... ......... . .. .. .... . ..... ... ..
194
FestSchrift für Wolf Middendorff zum 70. Geburstag. Hrsg. von Josef Kürzinger und EImar Müller, Bielefeld 1986, 133 - 141. Das niederländische Strafgesetzbuch im internationalen Zusammenhang .. . . .. .. . ...
202
Naar eer en geweten. Liber amicorumJ. Remmelink. Arnhem 1987,215 - 233, und Nederlandse Staatscourant 1986, Nr. 73, 3 - 5, und Criminal Law in Action. Hrsg. vonJan van Dijk, Charles Haffmans, Frits Rüter und anderen, Arnhem 1986, 5 - 18. Das Strafensystem des Vorentwurfs zur Revision des Allgemeinen Teils des schweizerischen Strafgesetzbuches in rechtsvergleichender Sicht . . . ... . . .. .... .. . . .. .. .. . . .. . 217 Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag am 18. Februar 1987. Hrsg. von Wilfried Küper in Verbindung mit Ingeborg Puppe und Jörg Tenckhoff, Berlin 1987,901 - 924. Zum Rechtsirrtum im deutschen und italienischen Strafrecht ... . ...... .... .. ... .... .. Law in East and West. Recht in Ost und West. Festschrift zum 30jährigen Jubiläum des Instituts für Rechtsvergleichung der Waseda Universität. Hrsg. vom Institute of Comparative Law Waseda University, Tokyo 1988, 889 - 909, und L'Indice Penale 1988, 185 - 204.
236
Inhaltsverzeichnis
VII
Die Behandlung der unechten Unterlassungsdelikte in neueren Strafgesetzentwürfen ............................... ... ............ . ........... .. ................ . ......... 252 Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag am 24. August 1989. Hrsg. von HansHeinrich Jescheck und Theo Vogler, Berlin 1989, 795 - 815. Islamisches und westliches Strafrecht. Gemeinsames und Gegensätze . ...... .. .. .....
269
Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Rolf Dietrich Herzberg, Köln 1985,543 - 557 Das Schuldprinzip als Grundlage und Grenze der Strafbarkeit im deutschen und spanischen Recht ............. ... . .................. . ........... .. .................. . ...... 281 Libro-homenaje a Ignacio de Loyola, Magister Artium en Paris 1528 - 1535. Preparado por Julio Caro Baroja y Antonio Beristain, San Sebastiin 1991,405 - 419, und Eguzkilore Nr. 9 (San Sebastiin) 1996, 25 - 38 Rechtsvergleichende Bemerkungen zum Allgemeinen Teil des neuen liechtensteinischen Strafgesetzbuchs .................................................................... 293 Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 108 (1991), 133 - 152 (Robert Hauser zum 70. Geburtstag) Die Schuld im Entwurf eines Strafgesetzbuchs für England und Wales im Vergleich mit dem deutschen Strafrecht . ...... .. ................................................... 310 Festschrift für Rudolf Schmitt zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Klaus Geppert, Joachim Bohnert und Rudolf Rengier, Tübingen 1992, 56 - 76 Zur Reform des Allgemeinen Teils des tschechoslowakischen Strafgesetzbuchs in rechtsvergleichender Sicht ... ... .. .. ... ...... .. .... . . ... . .................. ... . .. .. .. ..... 328 Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag am 22. Juni 1992. Hrsg. von Gunther Arzt, Gerhard Fezer, Ulrich Weber und anderen, Bie!efe!d 1992,543 - 560, und Pravnik 1992,16 - 20 Der Allgemeine Teil des Entwurfs eines polnischen Strafgesetzbuchs von 1990 in rechtsvergleichender Sicht .... .. .. .. ........................................... .. ......... 345 Festschrift für Günter Spende! zum 70. Geburtstag am 11. Juli 1992. Hrsg. von Manfred Seebode, Berlin 1992, 849 - 869, und Comparative Law Review (Torun) 1993, 5 - 25 Probleme des unechten Unterlassungsdelikts in rechtsvergleichender Sicht .......... 140 Jahre Goltdammer's Archiv für Strafrecht. Eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz. Hrsg. von Jürgen Wolter, Heidelberg 1993, 115 - 129, und Cuadernos de! Consejo General de! Poder Judicial1992, 77 - 90
361
VIII
Inhaltsverzeichnis
Grundgedanken der neuen italienischen Strafprozeßordnung in rechtsvergleichender Sicht .... .... .. .. .. ... .. ... . ... ... . .... ... . ... .. ... ... .. .. ... . ... .. ... .. .. .. ... .. ... . .. . . 374 Strafgerechtigkeit. Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Gebunstag. Hrsg. von Fritjof Haft, Winfried Hasserner, Ulfrid Neumann und anderen, Heidelberg 1993, 659 - 679
Grundsätze des Entwurfs des Allgemeinen Teils eines neuen italienischen Strafgesetzbuchs in rechtsvergleichender Sicht. .. . . . . . . . . . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . 392 Senato della Repubblica. Commissione Giustizia. Pareri, osservazioni sul Disegno di Legge n. 2038. Libro Primo del Codice Penale, [Rom 1995], 17 - 30
Grundsätze der Kriminalpolitik in rechtsvergleichender Sicht . ... . .... .. ............. 403 Festschrift für Koichi Miyazawa. Hrsg. von Hans-Heiner Kühne, Baden-Baden 1995,363 - 382
Die Schuld im Vorentwurf von 1989 eines türkischen Strafgesetzbuchs in rechtsvergleichender Sicht ... . . . ............ . ... .. ... . .... .. ....... . ................. .. ........ . .... 42\ Kriminalistik und Strafrecht. Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Gebunstag. Hrsg. von Ellen Schlüchter, Lübeck 1995, 75 - 93
Internationales Strafrecht und Völkerstrafrecht Entwicklung, gegenwärtiger Stand und Zukunftsaussichten des internationalen Strafrechts . . .. . . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . ... . . .. . . . .. . . .. . . . .. . . . .. . . .. . . .. . . . . .. . . .. . . ... . . 437 Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1981,49 - 70, und Revue internationale de droit penal 1981,337 - 363, und Cherif Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, Bd. I, 1986,83 - 100, und Direito e Justica (Lissabon / Portugal) 1987/1988, 55 - 82 (Volume de Homenagern ao Prof. Doutor Manuel Gon~alves Cavaleiro de Ferreira)
L'application des dispositions materielles de la Convention europeenne d'extradition par les tribunaux allemands .......... . ... . .... . ........ . ......... . ........... . ........ 456 Melanges offerts a Georges Levasseur. Droit penal- Droit europeen. Paris 1992,329 - 343
Möglichkeiten und Grenzen eines Strafrechts zum Schutz der Europäischen Union
469
(griech.): Poinika chronika, Bd. 47 (1997), 481 - 494
Zum Stand der Arbeiten der Vereinten Nationen für die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs . ... .... . ... ... .. . . ... . . . .... . ... .. .. .. .. ... . . ... .. ... . . ...... 48\ Festschrift für Haruo Nishihara zum 70. Gebunstag am 13. März 1998. Hrsg. von Albin Eser, Baden-Baden 1998,435 - 449
Inhaltsverzeichnis
IX
Internationale Organisationen Der Einfluß der IKV und der AIDP auf die internationale Entwicklung der modernen Kriminalpolitik . .... . .. . . . .... . .. .. ....... . .. .. ...... .. ... . ... . . .. . . .. .. ... . ... . ...... 495 Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 92 (1980) 997 - 1020; (jranz.): XII" Congres International de Droit Penal, Hambourg, 16 - 22 Septembre 1979, Actes du Congres 1980,26 - 43; (engl.): ebenda, 44 - 60, ferner Doctrina Pena11981, 455 - 478, und Jogtudomanyi Közlöny 1982, 539 - 546 Rechtsvergleichende Bemerkungen zur Neugestaltung des Mindestprogramms der DcHense Sociale ... ........ .. ... .. . . . .. ........... . ...... .. .. .. ... ... . .. .. .. .... . .. . ....... . 511 Festschrift für Günter Blau zum 70. GeburtStag am 18. Dezember 1985. Hrsg. von HansDieter Schwind in Verbindung mit Ulrich Berz, Gerd Geilen und anderen, Berlin 1985, 425 - 440, und Cahiers de DcHense sociale 1986,40 - 50
Struktur und Beziehungen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . .. . 525 Kriminologie in Europa - Europäische Kriminologie? Kolloquium aus Anlaß des 65. Geburtstags von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Günther Kaiser. Hrsg. von Hans-Jörg Albrecht und Josef Kürzinger, Freiburg i. Br. 1994,7 - 11 Die Beziehungen des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht zu Ostasien .. . . . . .... ... . . . . .. .. .. .. .. .. .. . ... . ....... .. .. ... . .. . .. 529 Gedächtnisschrift für Zong Uk Tjong. Hrsg. von Hans-Heinrich Jescheck, Jhong-Won Kim, Haruo Nishihara und Hans-Ludwig Schreiber, Tokio 1985,69 - 77 Die Beziehungen des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht zur polnischen Strafrechtswissenschaft . . . . . ... .. .. .. .. .. .. . . ... . 535 Studia Juridica Wydawnictwo Uniwersitetu Warszawaskiego, Bd. XVI, Warschau 1988, 71 - 82 (Festschrift für Igor Andrejew)
Gedenkreden und Nachrufe Eduard Kern - Leben und Werk .. .. .... .. .. .... .. .. .. .. .. .. .................. .... .. ..... Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1973, 232 - 241
547
x
Inhaltsverzeichnis
Wilhe1m Gallas in seiner Bedeutung für die Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik ...................................................................................... 557 In memoriam Wilhe1m Gallas (1903 - 1989). Hrsg. von Wilfried Küper, Heidelberg 1991,
7 - 28
Friedrich Nowakowski als Strafrechtsdogmatiker und Kriminalpolitiker . ..... .. .... 570 Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 103 (1991), 999 -1020
Giuseppe Bettiol und die deutsche Strafrechtswissenschaft ............................ 586 Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1993, 145 -162, und L'Indice Penale 1993,5 - 29
Heinz Zipf und seine Bedeutung für die vergleichende Strafrechtsdogmatik .... . .. .. 602 Heinz Zipf (1939 - 1992). Reden zu seinem Gedächtnis am 5. November 1994. Salzburger Universitätsreden Heft 79. Hrsg. von Arno Buschmann, Salzburg 1995,25 - 37
Franco Bricola und sein Werk aus der Sicht der deutschen Strafrechtswissenschaft .. 612 (ital.): L'Indice Penale 1996, 5 - 14
Richard Lange zum Gedächtnis ... .. ... ... . ... . .. .. ... ... ... . ... . ........ . .. .. ... .. .. .. .. 618 Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschatft 108 (1996), 1 - 8
Zum Gedenken an Theo Vogler ... ......... , ... .. ... ... ... ........ , . . .. . . . ... . . . . . . ... . . . 624 JuristenzeitungJg. 52, 1997, 718 - 719
Persönliches Strafrechtliche Lehrjahre in Freiburg und Tübingen
631
Tübinger Universitätsreden Band 39, Tübingen 1990,9 - 23
Wege und Irrwege in der Strafrechtswissenschaft ... . ...... .... .... ..... ..... .. . .. ...... 641 Freiburger Universitätsblätter. Erzählte Erfahrung 11, Heft 128, Freiburg 1995, 9 - 21
Gesamtschriftenverzeichnis Selbständig erschienene Schriften . .... . ..... ....... ..... . ........ .. ... . ... .. .... .. . .. .... 655 Herausgegebene Werke ...... . .. . .. . .... . ..... .. .. .... ... . ............ .. . .... .... . ........ 656 Beiträge zu Festschriften und Gedächtnisschriften .. .. ...................... .. .... .... . 659
Inhaltsverzeichnis
XI
Beiträge zu Zeitschriften und anderen Sammelwerken ................................. 665 Urteilsanmerkungen und Mitteilung von Entscheidungen............................. 681 Rezensionen ... .. .. ... ... .. ....... ... ...... . ...... .. . ;................. ... ............ .. ... 682 Glückwünsche, Gedenkreden und Nachrufe ..... . ...... .......... . ......... .. ......... 683 Varia ... .. .......... .... ..... ..... ...... ....... .. ..... ........ .... ....... .... .... .... ........ 685
GELEITWORT DES HERAUSGEBERS
Die nachfolgende Sammlung von Schriften und Vorträgen schließt an die im Jahre 1980 herausgegebene Auswahl von Veröffentlichungen an, die aus Anlaß des 65. Geburtstags von Hans-Heinrich Jescheck unter dem Titel "Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft" mit einem Geleitwort von Hans Schultz ebenfalls im Verlag Duncker & Humblot erschienen ist. Wenn man mit der Publikation eines Sammelbandes die Vorstellung verbindet, daß damit das Resümee eines Lebenswerkes gezogen werde, dann war jener Zeitpunkt sicher verfrüht. Es war vorauszusehen, daß der 65. Geburtstag bei der Aktivität und Schaffenskraft von Hans-Heinrich Jescheck keine Zäsur darstellte, die die Herausgabe eines solchen Werkes gerechtfertigt hätte. Die deswegen gehegten Bedenken sind damals aus der Erwägung zurückgestellt worden, daß nach dem Abschluß der großen Strafrechtsreform und der Zurückgewinnung des Ansehens der deutschen Strafrechtswissenschaft im internationalen Bereich nach langer Isolierung nichts den Anteil von Hans-Heinrich Jescheck daran besser hätte verdeutlichen können als seine Schriften, die Marksteine auf diesem Weg bildeten. Inzwischen sind seit dem Erscheinen des ersten Bandes 18 Jahre vergangen. Auch die Veröffentlichung der in dieser Zeit entstandenen Schriften ist nicht als Schlußstrich unter ein ungewöhnlich reiches und fruchtbares Schaffen gedacht. Vielmehr erscheint es jetzt an der Zeit, insbesondere die zahlreichen Äußerungen des Autors zu unterschiedlichen Themen der Rechtsvergleichung geschlossen vorzulegen, um sie überschaubar und - wegen der Erstveröffentlichung in nicht überall greifbaren Quellen - leichter zugänglich zu machen. Der Schwerpunkt dieses Bandes liegt deshalb in dem auch vom Umfang her gewichtigsten Abschnitt über die Strafrechtsvergleichung. Die dort zusammengefaßten Beiträge decken einen weiten Bereich ab, der die ganze Vielfalt der Vergleichung mit ausländischem Recht und fremden Rechtskulturen offenbart, sie bilden aber dennoch eine thematische Einheit. In ihrer geschlossenen Wiedergabe stellen sie einen Überblick über das Hauptgebiet des Gesamtwerks dar und füllen damit eine Lücke, die zu schließen ein stetes Anliegen des Autors war. Beeindruckend ist neben der umfangreichen Liste der Publikationen insbesondere die Zahl der herangezogenen Rechte, die Hans-Heinrich Jescheck als einen der besten Kenner des ausländischen Strafrechts und der Strafrechtsvergleichung ausweisen. Neben allgemeinen Beiträgen zur Rechtsvergleichung finden sich spezielle Vergleiche mit dem polnischen, italienischen, schweizerischen, schwedischen, islamischen, niederländischen, liechtensteinischen, englischen, tschechoslowakischen und türkischen Strafrecht. Wie schon in der ersten Sammlung sind auch neuere Beiträge zum internationalen Strafrecht unter Einschluß des Europäischen Strafrechts und des Völkerstrafrechts in einem besonderen Abschnitt zusammengefaßt.
XIV
Geleitwort des Herausgebers
Darüber hinaus haben in das Werk auch andere Rechtsgebiete in eigenen Abschnitten Eingang gefunden. So enthält der erste Teil Publikationen zur Strafrechtsentwicklung und Strafrechtsreform, die insbesondere die geschichtliche Grundlegung und die kriminalpolitischen Wirkungen der Reform des geltenden Rechts verdeutlichen. Im übrigen ist aber von einer Wiedergabe dogmatischer Arbeiten auch diesmal wieder abgesehen worden, da sie schon in die zusammen mit Thomas Weigend veröffentlichte 5. Auflage des Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil des Strafrechts (1996) aufgenommen und damit weltweit verbreitet sind. In besonderen Abschnitten sind die Arbeiten über Internationale Organisationen und über die Struktur und die Beziehungen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht wiedergegeben. In diesen Arbeiten spiegeln sich die Verbindungen und Verdienste von Hans-Heinrich Jescheck wider, wie sie in der Wahl- als erster Deutscher - zum Präsidenten der Association Internationale de Droit Penal und im Aufbau und der Leitung des durch seine wissenschaftlich und menschlich überragende Persönlichkeit geprägten, hoch angesehenen Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht zum Ausdruck kommen. Unter dem Titel "Gedenkreden und Nachrufe" findet sich über die Würdigung dem Autor besonders nahestehender Gelehrten hinaus zugleich die Einbettung ihrer Ideen und ihres Wirkens in den zeitlichen und örtlichen Zusammenhang der Strafrechtsentwicklung, bei ausländischen Kollegen stets auch im Vergleich mit dem deutschen Recht. Wenn es Hans-Heinrich Jescheck in besonderer Weise auszeichnet, daß er hinter dem jeweiligen sachlichen Anliegen zurücktritt und auch in der Auseinandersetzung mit anderen Ansichten nie seine Person in den Vordergrund stellt, dann werden es die Leser besonders begrüßen, im letzten Abschnitt des Sammelbandes unter der Überschrift "Persönliches" etwas über die strafrechtlichen Lehrjahre des Autors in Freiburg und Tübingen zu erfahren und die Wege und Irrwege in der Strafrechtswissenschaft aus seiner erlebten Erfahrung wenigstens ein Stück weit mitgehen zu dürfen. Die äußere Gestaltung entspricht dem Vorgängerband: Die einzelnen Beiträge sind in der ursprünglichen Fassung inhaltlich unverändert abgedruckt worden. Die eckigen Klammern im Text geben jeweils die Seitenzahl im Original wieder, um das Auffinden von Belegstellen zu erleichtern. Innerhalb der einzelnen Sachgebiete ist die chronologische Reihenfolge beibehalten worden. Sämtliche FundsteIlen, auch alle Übersetzungen, sind im Inhaltsverzeichnis vermerkt. Den Band schließt ein Gesamtschriftenverzeichnis ab, in das die im Anhang der Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag aus dem Jahre 1985 abgedruckte Bibliographie eingearbeitet ist. Für die verlegerische Betreuung des Bandes habe ich Herrn Professor Dr. iur. h. c. Norbert Simon, Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, und seinen Mitarbeitern, insbesondere dem Leiter der Herstellungsabteilung, Herrn Dieter H. Kuchta, erneut herzlich zu danken. Dank zu sagen ist ferner allen, die an der Vorbereitung des Werkes
Geleitwort des Herausgebers
xv
bis zur Drucklegung beteiligt waren. Die Reinschrift hat Frau Rose Marie Heidel mit Umsicht und Geduld angefertigt. Für die Korrektur sorgte Herr Rechtsreferendar Stefan Engels mit großem Verständnis. Die Mitarbeiterinnen der Institutsbibliothek haben das Schriftenverzeichnis mit aller Sorgfalt weitergeführt. Frau Assessorin Johanna Bosch hat das Zustandekommen des Werks wiederum durch die Koordination der Arbeiten und die abschließende Redaktion tatkräftig unterstützt. Stegen, im April 1997
Theo Vogler
STRAFRECHTSENTWICKLUNG UND STRAFRECHTSREFORM
I
Jescheck
GRUNDFRAGEN DER DOGMATIK UND KRIMINALPOLITIK IM SPIEGEL DER ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESAMTE STRAFRECHTSWISSENSCHAFT* Bei der Gründung der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft im März 1881 haben Franz v. Liszt und Ado/f Dochow ihr Programm nur kurz dahingehend umschrieben, daß die neue Zeitschrift "Strafrecht und Strafprozeß" sowie die "strafrechtlichen Hilfswissenschaften" umfassen und "als kriminalistisches Zentralorgan ein möglichst vollständiges und treues Bild von dem jeweiligen Stande und den Fortschritten der strafrechtlichen Gesetzgebung und Wissenschaft Deutschlands sowie aller wichtigen außerdeutschen Länder bieten" sollte.! Später finden wir in der Berliner Antrittsvorlesung v. Liszts vom 27. Oktober 1899 genaueren Aufschluß darüber, was er und sein verstorbener Freund seinerzeit unter dem Begriff der "gesamten" Strafrechtswissenschaft verstanden haben? Angeführt werden hier neben der Strafrechtsdogmatik die Kriminalistik, neben der Kriminologie die Pönologie und die Kriminalpolitik, die in diesem Zusammenhang als die "politische Aufgabe" der" Weiterbildung der Gesetzgebung im Sinne einer ziel bewußten Bekämpfung des Verbrechens, insbesondere auch, aber nicht ausschließlich, durch die Strafe und die mit ihr verwandten Maßregeln" (S. 172) erscheint. Aus diesem weiten Felde sollen nachstehend aus Anlaß des 100sten Geburtstags unserer Zeitschrift zwei Schwerpunkte, Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, herausgegriffen und in ihrer Entwicklung anhand einiger Grundfragen verfolgt werden, wie sie sich in den Beiträgen zu den 92 Bänden der ZStW im Rückblick heute darstellen. Wir beschränken uns dabei für die Strafrechtsdogmatik auf Grundfragen, die zum Allgemeinen Teil gehören, für die Kriminalpolitik auf Fragen des Sanktionensystems. [4]
Erster Teil: Grundfragen der Strafrechtsdogmatik A. Die Systematik der Lehre vom Verbrechen I. Die Vorstufen
Von den älteren Systemen der Verbrechens lehre finden sich in den ersten Bänden der ZStW nur undeutliche Spuren in Besprechungsaufsätzen, die ihrerseits bereits von der nächsten Stufe des Aufbaus des Begriffs der Straftat ausgehen. Diese Hinweise sollen hier gleichwohl wiedergegeben werden, um zu zeigen, daß und in welcher Weise unsere Zeitschrift sich schon den Anfängen der dogmatischen Entwicklung zugewendet hat.
* Aus: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 93 (1981),3 - 67.
\ An unsere Leser, ZStW 1 (1881), S. 1. v. Liszt, Die Aufgaben und die Methode der Strafrechtswissenschaft, ZStW 20 (1900), S. 161.
2
\"
4
Strafrechtsentwicklung und Strafrechtsreform
1. Was Karl Binding anlangt, so sehen wir ihn hinsichtlich Aufgabe und Methode der Strafrechtswissenschaft zunächst in voller Übereinstimmung mit Franz v. Lizst. In seinem großen Einleitungsaufsatz, mit dem der erste Band der Zeitschrift im Jahre 1881 einsetzt, kennzeichnet Binding das richterliche Urteil als einen "Akt wissenschaftlicher Tätigkeit", der "mit Sicherheit nur aus der Fülle wissenschaftlicher Erkenntnis geschehen kann" (S. 14), er verlangt dabei aber zugleich, "daß die echte Rechtswissenschaft stets eine Wissenschaft des positiven praktischen Rechts sein muß".3 In seinem Besprechungsaufsatz zu Bindings Handbuch geht v. Lizst in der Einleitung in gleicher Weise wie Binding davon aus, daß die Rechtswissenschaft sowohl eine "eminent systematische" als auch eine "eminent praktische Wissenschaft" ist.4 Danach aber scheiden sich die Wege der beiden großen Systematiker. Dem Angriff Liszts gegen den Rechtsgutsbegriff Bindings würden wir uns heute nicht mehr ohne weiteres anschließen wollen, weil beide Positionen ihre Berechtigung haben: es ist zwar richtig, daß Binding seinen Rechtsgutsbegriff mehr gegenständlich gefaßt hat, während v. Liszt auf das "rechtlich geschützte Interesse" (S. 673) abstellt. Man muß jedoch daran erinnern, daß auch Binding den Begriff des Interesses verwendet hat,5 wenn er ihn auch anders als v. Liszt im Sinne eines Werturteils der Rechtsgemeinschaft versteht, das den Grund für die Norm als Befehl des Gesetzgebers zur ungestörten Erhaltung des erwünschten Zustandes darstellt. Man erkennt in der Lehre v. Liszts die [5] Urform des Gedankens von der materiellen Rechtswidrigkeit, in Bindings Auffassung den ersten Hinweis auf den Aktunwert im Unterschied zum Sachverhaltsunwert der ein Rechtsgutsobjekt beeinträchtigenden Handlung. Die große Gegenposition zur älteren Lehre zeigt sich erst in v. Liszts Kritik am Handlungsbegriff Bindings. Während v. Liszt ganz naturalistisch auf die Körperbewegung und die Verursachung einer Außenweltveränderung abstellt und den Handlungsbegriff als genus proximum zur Grundlage seines Systems macht, an den sich Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit als differentia specifica anschließen (S. 687), ist die Handlung bei Binding "Selbstverwirklichung des verbrecherischen Entschlusses und Setzung des verbrecherischen Tatbestandes".6 Die Handlung gehört zur Schuld und diese tritt dem Tatbestand als verursachender Faktor gegenüber. Der Handlungsbegriff v. Liszts sollte zunächst die Oberhand behalten, der Handlungsbegriff Bindings kehrt in der finalen Handlungslehre wieder. 2. Im Verhältnis zu den festgefügten Systemen Bindings und v. Liszts, die ihre Väter als geschlossene, widerspruchsfreie Konstruktion der Verbrechensphänomene verstanden wissen wollten, hat die Lehre v. Bars ihren Schwerpunkt in der Auslegung des geltenden Rechts und zeigt damit einen pragmatisch-topischen Charakter. In seinem Besprechungsaufsatz 7 des 2. Bandes von "Gesetz und Schuld im Strafrecht", der die "Schuld nach dem Strafgesetze" (1907) behandelt, kritisiert Kriegsmann bei v. Bar die von diesem so genannte "realistisch-teleologische Methode" und die damit verbundene Geringschätzung der strafrechtlichen Systematik. Gegenüber seinen Kritikern verteidigte sich v. Bar 3 Binding, Strafgesetzgebung, Strafjustiz und Strafrechtswissenschaft in normalem Verhältnis zueinander, ZStW (1881), S. 1, 19. 4 v. Liszt, Rechtsgut und Handlungsbegriff im Bindingschen Handbuche, ZStW 6 (1886), S. 663, 667. 5 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 1,3. Aufl. 1916, S. 353 ff. 6 Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. I, 1885, S. 565. 7 Kriegsmann, Die Schuld nach dem Strafgesetze I, ZStW 29 (1909), S. 493.
Grundfragen der Dogmatik und Kriminalpolitik
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damit, "daß die reale Wahrheit den Vorrang verdiene vor der Systematik, die zwar einen nicht geringen, aber gleichwohl nur einen sekundären Wert beanspruchen kann".8 Über die Unentbehrlichkeit einer Systematik, die alle Erscheinungen der strafbaren Handlung widerspruchslos in sich aufzunehmen vermag, urteilt dagegen Kriegsmann zu Recht anders: "Es wird immer die Aufgabe der Jurisprudenz bleiben, die Fülle einzelner Erkenntnisse zusammenfassend, einheitlich zu ordnen." "Den Aufgaben der Strafrechtswissenschaft als systematischer Wissenschaft entspricht es, die Begriffe von den einheitlichen tatsächlichen [6] Vorgängen, mit denen es das Strafrecht zu tun hat, durch die Zusammenfassung ihrer einzelnen Elemente zu bestimmen, diese aber selbst in besonderer und selbständiger Untersuchung zu betrachten und festzulegen" (S. 496). Auf dieser Grundlage wendet sich Kriegsmann an drei Schlüsselpunkten gegen die Lehre v. Bars. Zum Verhältnis von Kausalität und Zurechnung lesen wir: "Indem v. Bar sowohl die Schuld wie die Rechtswidrigkeit für die Bestimmung des Kausalbegriffs verwendet, schafft er einen Kausalbegriff, der sämtliche Haftungsvoraussetzungen zusammenfaßt. Die Unzulässigkeit dieses Vorgehens ist deutlich" (S. 499 f.). Gegenüber der "ethischen" Begründung der Kausalität der Unterlassung führt der Kritiker aus: "Die Gleichstellung einer rein gedanklichen mit einer tatsächlichen Beziehung mag noch so sehr ethischen Anschauungen entsprechen; sie wird dadurch nicht zu einer tatsächlichen kausalen Verknüpfung" (S. 505). Zu dem indeterministischen Bekenntnis v. Bars als Grundlage der Schuldlehre heißt es bei Kriegsmann endlich: "Daß der alte Streit das Strafrecht unberührt läßt, daß der Determinist in dem Zusammenhang VOn Tat und Charakter, der Indeterminist in der Freiheit der Selbstbestimmung die Rechtfertigung des Schuldbegriffs findet - diese Erkenntnis erfreut sich einer so allgemeinen und ständig zunehmenden Verbreitung, daß eine eingehende Auseinandersetzung mit v. Bar hier erspart bleiben mag" (S. 508). 11. Der klassische Verbrechensbegriff und andere ältere Systeme Die strafrechtlichen Systeme, die dem modernen teleologischen Verbrechensbegriff unmittelbar vorausgehen, sind in der ZStW ebensowenig geschlossen dargestellt worden wie die Lehrmeinungen Bindings und v. Bars. Sie werden gewissermaßen als bekannt vorausgesetzt. Im Literaturbericht, in Besprechungsaufsätzen oder in literarischen Fehden treten sie uns jedoch überall als die Grundlage der wissenschaftlichen Diskussion entgegen. Sie bilden den Hintergrund, vor dem die Einzelfragen erörtert werden. 1. Naheliegend ist für Uns Heutige vor allem die Suche nach dem klassischen Verbrechensaufbau des v. Liszt-Belingschen Systems mit dem naturalistischen Handlungsbegriff als Grundlage, den Handlungsattributen der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit und der formalen Scheidung in objektive und subjektive Bestandteile, bei der die objektive Seite in den Merkmalen der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit, [7] die subjektive Tatseite in dem psychologischen Schuldbegriff Ausdruck finden sollte. Hier werden wir, was v. Liszt anlangt, auf eine kurze Selbstanzeige der 1. Auflage seines Lehrbuchs 9 verwiesen, die aber den ursprünglich vorwiegend di8
v. Bar, Die Schuld nach dem Strafgesetze, 1907, S. 197, Fußnote 56 b.
v. Liszt, Literaturbericht. A. Strafrecht. 11. Lehrbücher, ZStW 1 (1881), S. 156 f. Zur Leistung v. Liszts vgl. Heinitz, Franz v. Liszt als Dogmatiker, ZStW 81 (1969), S. 572 H. sowie die Besprechung des Lehrbuchs durch M. E. Mayer, ZStW 26 (1906), S. 267 H. 9
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daktischen Zweck9a seines Systems gut erkennen läßt: "Der Berichterstatter hat es mit Rücksicht auf den Lehrzweck des Buches für unerläßlich erachtet, besonderes Gewicht auf die Systematik zu legen". Zu den Begriffsmerkmalen des Verbrechens gelangt er, "indem er das Verbrechen als besonders geartete Handlung auffaßt und von dem Handlungsbegriff zu dem Verbrechens begriff aufsteigt. Daraus ergeben sich folgende Abschnitte: 1. Das Verbrechen· als Handlung (Handlungsbegriff, Ort und Zeitpunkt der Begehung, Kausalzusammenhang, Unterlassungen); 2. das Verbrechen als rechtswidrige Handlung (insbesondere Notwehr und Notstand als Ausschließungsgründe der Rechtswidrigkeit); 3. das Verbrechen als schuldhafte rechtswidrige Handlung oder ,Delikt' im Bindingschen Sinne (Zurechnungsfähigkeit; Schuld als Vorsatz oder Fahrlässigkeit)" (S. 157). Di!! große Entdeckung Belings, die das v. Lisztsche System erst zum Abschluß gebracht hat, wird uns nicht von dem Autor selbst, sondern in einer Besprechung durch Max Ernst Mayer vorgestellt: "Und so bleibt als weitaus wesentlichste, auch vom Autor als solche behandelte Neuerung die Bezeichnung des Verbrechens als einer tatbestandsmäßigen Handlung. Dieses Merkmal, das unzweifelhaft vollkommen zutrifft, ist in anderen Definitionen überhaupt nicht oder nur eingeschachtelt in Begriffe wie ,Rechtswidrigkeit' oder ,rechtswidriger Erlolg' aufzufinden und hat in dieser Verborgenheit ein seiner Bedeutung durchaus unangemessenes Dasein gefristet. Belings Werk weist die Unentbehrlichkeit und vielseitige Verwertbarkeit des Tatbestandsbegriffes, für den der Verlasser den Ausdruck ,Typus' prägt, nach und fördert durch diese sehr glückliche Grundidee die Dogmatik unserer [8] Wissenschaft beträchtlich".lo Die rein objektive Natur der Rechtswidrigkeit als Grundlage des klassischen Systems wird von Läfflerll im Anschluß an Wahlberg und Rudolf Merkel verteidigt. Die subjektiven Lehren zur Rechtswidrigkeit etwa von Binding,t2 Adolf Merkel, 13 Häpfner, 14 Hold v. Ferneck l5 finden noch keine geschlossene systematische Verarbeitung. Formelle und materielle Rechtswidrigkeit unterscheidet klar earl StoOßI6 und stärkt damit den Boden der klasssischen Lehre. In der Trennung von Schuld und Handlung unterstützt Radbruch l7 die Dogmatik Belings. Schon früh vertritt v. Hippel l8 den Standpunkt, daß der psychologische Schuldbegriff von dem die Geister entzweienden Streit um die Willensfreiheit völlig unabhängig ist.
i. Während in dem Liszt-Belingschen System eine dauerhafte Grundlage der strafrechtlichen Dogmatik gewonnen zu sein schien, hat sich Graf zu Dohna davon als einer der ersten gelöst und neue Wege eingeschlagen. Die Richtung hatte ihm schon Binding 9. Die rechtsstaatliche Bedeutung des Systems hat 'V. Liszt später stark betont; vgl. Lehrbuch 21./22. Aufl., 1919, S. 2: " ... nur die Ordnung der Kenntnisse im System verbürgt jene sichere, immer bereite Herrschaft über alle Einzelheiten, ohne welche die Rechtsanwendung stets Dilettantismus bleibt, jedem Zufall, jeder Willkür preisgegeben". 10 M. E. Mayer, Literaturbericht. Strafrecht. Allgemeiner Teil, ZStW 26 (1906), S. 799 (Besprechung von Beling, Die Lehre vom Verbrechen, 1906). 11 Löffler, Unrecht und Notwehr, ZStW 21 (1901), S. 564. 12 Binding, Handbuch (Anm. 6), S. 159. 13 Ado/f Merke/, Kriminalistische Abhandlungen 1,1867, S. 42 H. 14 Höpfner, Zur Tragweite der Normenlehre, ZStW 23 (1903), S. 643 H. 15 Graf zu Dohna, Frhr. Alexander Hold v. Ferneck: Der BegriH der Rechtswidrigkeit, ZStW 24 (1904), S. 59 f. . 16 earl Stooß, Die Strafrechtswidrigkeit, ZStW 24 (1904), S. 319 H. 17 Radbruch, Über den SchuldbegriH, ZStW 24 (1904), S. 337. 18 'V. Hippel, Willensfreiheit und Strafrecht, ZStW 23 (1903), S. 414 H.
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gewiesen, aber in der systematischen Verarbeitung der Teilstücke des Verbrechensbegriffs gelangte er weit über diesen hinaus. 19 Die Handlung ist nach Dohna nicht Körperbewegung, sondern »objektivierter Wille" (S. 329). Das fahrlässige Delikt ist also nicht Handlung, »gibt es doch nur vorsätzliches Handeln". Auch die Unterlassung ist nicht Handlung, sie wird im Anschluß an Radbruch 20 als ihr »direktes Gegenteil" angesehen (S. 332). Das Delikt ist »zurechenbare Normwidrigkeit", wobei die Normwidrigkeit jedoch nicht formal im Sinne der Bindingschen »Verletzung des subjektiven Rechts auf Botmäßigkeit" ,21 sondern in seiner [9] »inhaltlichen Eigenart" begriffen wird (S. 342). Für die Auffindung und Abgrenzung von Rechtfertigungsgründen ist auf die »Idee des Rechts" zurückzugreifen (S. 344). Dabei verweist unser Autor auf sein bekanntes Buch, in dem er im Anschluß an Rudolf Stammler die Lehre entwickelt hat, es könne »ein menschliches Verhalten, welches als rechtes Mittel zu rechtem Zweck erscheint, niemals zugleich einer rechtlichen Norm, wenn anders dieser sachliche Berechtigung zukommen soll, widerstreiten".22 Das Zurechnungsurteil endlich knüpft sich an die Zurechnungsfähigkeit und die Zurechenbarkeit, zu der außer der Handlungsfreiheit Vorsatz und Fahrlässigkeit zählen. Bei der Fahrlässigkeit wird in ganz moderner Weise ein objektiver und subjektiver Aspekt unterschieden, für den auch schon die Möglichkeit des Übernahmeverschuldens erkannt ist (S. 349). Das Ganze ist eine weithin übereinstimmende Vorstudie zu dem System, das unser Autor viel später unter dem Titel »Der Aufbau der Verbrechenslehre" vorgelegt hat. 23 3. Der symptomatische Verbrechensbegriff von Tesar 4 und Kollmann 25 trin uns in der ZStW nur in einem literarischen Streit zwischen seinen beiden Hauptvertretern entgegen. 26 Während v. Liszt trotz seiner entschiedenen Wendung zur Zweckstrafe im »Marburger Programm" in der Dogmatik nie die Grenzen des Tatstrafrechts verlassen hat, wird hier der Versuch gemacht, der Spezialprävention als Strafzweck konsequent einen entsprechenden Schuldbegriff an die Seite zu stellen: die Lehre nämlich, »die das gesellschaftsschädigende Verhalten als Symptom eines besonderen psychischen Zustands wertet".2 7 Ein eigentliches strafrechtliches System haben die Schöpfer des systematischen Verbrechensbegriffs nicht entwickelt, wohl aber haben sie eine vertiefte [10] Strafzumessungslehre eingeleitet, die vor allem die Strafschärfung bei Gewohnheitsmäßigkeit und Rückfall zu begründen suchte28 und in Zweifelsfällen (wie heute § 19 Abs. 1 JGG) zur relativ unbestimmten Freiheitsstrafe gelangte. 29
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Graf zu Dohna, Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, ZStW 27 (1907), S. 329. Radbruch, Der HandlungsbegriH in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, 1904,
S. 138 H. 21 22
Binding, Die Normen (Anm. 5), S. 98. Graf zu Dohna, Die Rechtswidrigkeit als allgemein-gültiges Merkmal im Tatbestande straf-
barer Handlungen, 1905, S. 50. 23 1. Auf!. 1936,4. Auf!. 1950. 24 Tesar, Die symptomatische Bedeutung des verbrecherischen Verhaltens, 1907. 25 Kollmann, Die Stellung des HandlungsbegriHs im Strafrechtssystem, 1908, S. 200 H. 26 Kollmann, Der symptomatische Verbrechensbegriff, ZStW 28 (1908), S. 449 ff.; Tesar, Der symptomatische VerbrechensbegriH, ZStW 29 (1909). S. 82 H. 27 Tesar, Die symptomatische Bedeutung (Anm. 24), S. 198; ZStW 29 (1909), S. 84. 28 Tesar, Die symptomatische Bedeutung (Anm. 24), S. 240 H. 29 Tesar, Die symptomatische Bedeutung (Anm. 24), S. 260 f.
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III. Der neoklassiche Verbrechens begriff 1. Während sich die älteren Lehrmeinungen meist nur gebrochen im Spiegel der Kritik aus der ZStW entnehmen lassen, ist der Übergang zur teleologisch-wertbezogenen Verbrechenslehre durch maßgebende Aufsätze ihrer führenden Vertreter sehr gut belegt. Die Preisgabe des formellen, auf die Verletzung des Normbefehls abgestellten Rechtswidrigkeitsbegriffs durch eine materielle, am Rechtsgüterschutz orientierte Betrachtungsweise geht schon auf Franz v. Liszt zurück: "Alles Recht ist der Menschen willen da; ihre Interessen, die der einzelnen wie die der Gesamtheit, sollen geschützt und gefördert werden durch die Satzungen des Rechts. Die rechtlich geschützten Interessen nennen wir Rechtsgüter. Es ist klar, daß mit dem ,Rechtsgute' der Zweckgedanke seinen Einzug in das Gebiet der Rechtslehre hält, daß die teleologische Betrachtung des Rechts beginnt und die formallogische ihr Ende findet" .30 Die materielle Rechtswidrigkeit als Grundlage des auf Rechtsgüterschutz abzielenden Strafrechtssystems findet sich bei allen Zeitgenossen, so bei Graf zu Dohna,31 Sauer,32 Wolter,33 Max Ernst Mayer34 und vor allem bei Mezger. 35 Der damit eröffnete, vom Reichsgericht auch alsbald beschrittene Weg zu "übergesetzlichen" Rechtfertigungsgründen (RGSt 61, 242; 62, 137) wird von Graf zu Dohna vorbereitet,36 von Eberhard [11] Schmidt eingehend begründee 7 und von Grünhut 38 in feste Grenzen gebracht, wobei, in Vorwegnahme des heutigen § 34 StGB, bereits erkannt ist, daß zur Güterabwägung die Angemessenheit des Mittels als "Gegenstand einer zweiten, gesonderten Betrachtung" (S. 462) hinzutreten muß. Die Berücksichtigung der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens wird zugleich - entgegen FreudenthaP9 auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt (S. 467). Mit der materiellen Betrachtung der Rechtswidrigkeit verliert der Tatbestand seinen formal-wertfreien Charakter - eine Entwicklung, die im Grunde schon Beling selbst durch den Typusgedanken eingeleitet hatte - und wird zum Träger des deliktstypischen Unrechts. Sauer schreibt dazu: "Dann fassen wir die Tatbestandsmäßigkeit nicht, wie Beling, als ein neben der Rechtswidrigkeit, der Schuld und den Strafdrohungsbedingungen äußerlich nebenherlaufendes Merkmal des Verbrechens auf, sondern leiten sie zufolge einem Rechtspostulate aus dem allgemeinen Merkmal der materiellen Rechtswidrigkeit ab".40 Der Tatbestand enthält also das typische Unrecht, die Interessenverletzung ergibt sich "aus der Deliktsbeschreibung".41 Auch die formelle Unterscheidung zwischen der rein objektiv verstandenen 30 v. Liszt (Anm. 4), S. 673; ebenso v. Liszt, Der Begriff des Rechtsguts im Strafrecht und in der Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, ZStW 8 (1888), S. 138 f. 31 Graf zu Dohna (Anm. 19), S. 344 sowie Rechtswidrigkeit (Anm. 22), S. 38 H. 32 Sauer, Gesetz und Rechtsgefühl, ZStW 33 (1912), S. 794. 33 Wolter, Die Krise der Rechtswidrigkeitslehre, ZStW 48 (1928), S. 35. 34 M. E. Mayer, Glossen zur Schuldlehre, ZStW 32 (1911), S. 496 f. 35 Mezger, Die materielle Rechtswidrigkeit im kommenden Strafrecht, ZStW 55 (1936), S. 1 ff.; viel früher schon Mezger, Sein und Sollen im Recht, 1920. 36 Graf zu Dohna, Die legislative Behandlung von Notwehr und Notstand, ZStW 33 (1912), S. 130 ff. 37 Eb. Schmidt, Das Reichsgericht und der "übergesetzliche Notstand", ZStW 49 (1929), S. 350 ff. 38 Grünhut, Grenzen des übergesetzlichen Notstands, ZStW 51 (1931), S. 455 ff. 39 Freudenthai, Schuld und Vorwurf, 1922, S. 15. 40 Sauer, Zur Grundlegung des Rechts und zur Umgrenzung des strafrechtlichen Tatbestandes, ZStW 36 (1915), S. 468.
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Rechtswidrigkeit und der alles Subjektive einschließenden Schuld verschwindet. Nähere Untersuchung der Tatbestände ergibt, daß die eigentliche Interessenverletzung vielfach erst dadurch charakterisiert wird, daß ein subjektives Merkmal zu dem objektiven Teil des Tatbestandes hinzutritt: "Wir können diese Fälle als Delikte mit überschießender Innentendenz bezeichnen" . "Es ist nun ganz verfehlt, dieses überschießende Innerliche eben als Innerliches, Subjektives zur Schuld zu rechnen, wie es meist geschieht. Vielmehr handelt es sich hier regelmäßig um sozusagen ins Subjektive verflüchtigte Momente des gesellschaftsschädlichen, interesseverletzenden Verhaltens, eine Art Vordatierung der Empfindlichkeit des betreffenden Interesses" .42 Endlich erhält auch der [12] Schuldbegriff in der "Vorwerfbarkeit der Willensbildung" den die psychologische Beschreibung von Vorsatz und Fahrlässigkeit ablösenden normativen Gehalt. 43 Der teleologische Verbrechensbegriff ist geboren. Die zusammenfassende Darstellung des neuen Systems gibt uns die große Tübinger Antrittsrede August Heglers "Die Merkmale des Verbrechens".44 2. Eine interessante, die zukünftige Entwicklung der Systemgedanken weiterführende Variante der teleologischen Verbrechenslehre in Deutschland bietet die österreichische Strafrechtsdogmatik. 45 Während die objektive Richtung, die auf die klassische Position Betings gegründet war (Rittler, Malaniuk, Graßberger), durch die Übernahme der Konstruktion des Tatbestandes als Unrechtstypus an ihre Grenzen gelangt ist, stand die subjektive Richtung zwischen den Fronten und wurde damit zum Ausgangspunkt für einen neuen Aufbruch. Kadecka 46 bekennt sich einerseits zum Willensstrafrecht (S. 20 ff.), will aber andererseits den formal-objektiven Verbrechensbegriff Belings zugrunde legen. Deswegen gilt für ihn einmal: "subjektive Elemente können immer nur Schuldelemente sein, niemals Elemente der Rechtswidrigkeit" (S. 12); zum anderen: "es ist ganz unmöglich, das Unrecht in Typen einzufangen" (S. 14). Nowakowskt",7 folgte ursprünglich [13] ebenfalls der "Systematik, die Beling in reinster Form entwickelt und Kadeeka der subjektiven Lehre angepaßt hat" (S. 296). Er gelangte damit für den Versuch zu der äußersten Konsequenz: "Das Verbrechen ist nicht rechtswidrig, sondern nur schuldhaft" (S. 316). Auch subjektive Rechtfertigungselemente werden nicht anerkannt (S. 319). Wenig später jedoch vollzog Nowakowski in seinem Besprechungsaufsatz zu Jeschecks "Lehrbuch des Strafrechts" die erwartete große Wende,48 durch die er bereits mit der letzten EntwickHegler, Die Merkmale des Verbrechens, ZStW 36 (1915), S. 35. Hegler (Anm. 41), S. 31 ff. 43 Die Grundlage der neuen Lehre bei Frank, Über den Aufbau des Schuldbegriffs, 1907, ist in der Besprechung von Kriegsmann, ZStW 28 (1908), S. 713, richtig erkannt. Vgl. ferner: Graf zu Dohna, Zum neuesten Stand der Schuldlehre, ZStW 32 (1911), S. 326; Rosenfeld, Schuld und Vorsatz im v. Lisztschen Lehrbuch,..ZStW 32 (1911), S. 477; M. E. Mayer (Anm. 34), S. 495; Hegler (Anm. 41), S. 186; Mittermaier, Uber den Begriff" Verbrechen", ZStW 44 (1924), S. 13. 44 ZStW 36 (1915), S. 19, 184. 45 Vgl. dazu Jescheck, Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Belin~ im Vergleich mit der österreichischen Lehre, ZStW 73 (1961), S. 179 ff.; Kienapfel, Zur gegenwärtIgen Siruation der Strafrechtsdogmatik in Osterreich, JZ 1972, 569 ff. Den recl1tshistorisdiel} und geistesgeschichtlichen Hintergrund erhellt das Werk von Moos, Der VerbrechensbegriH in Osterreich im 18. und 19. Jahrhundert, 1968. Vgl. ferner Engisch, Bemerkungen zu Theodor Rittlers Kritik der Lehre von den subjektiven Tatbestands- und Unrechtselementen, Rittler-Festschrift, 1957, S. 165 ff. 46 Kadecka, Willensstrafrecht und Verbrechensbegriff, ZStW 59 (1940), S. 1 ff. 47 Nowakowski, Zur Lehre von der Rechtswidrigkeit, ZStW 63 (1951), S. 286 H. 48 Als mögliche Alternative bereits angedeutet in ZStW 63 (1951), S. 313. 41
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lung in Deutschland gleichzieht: "Danach würden sich drei Ebenen des Unrechts ergeben: die wertwidrige Willenssteuerung, die Herbeiführung eines rechtlich mißbilligten Risikos und die Verwirklichung des Erfolges".49 Beim Schuld begriff bedurfte es dagegen einer Wendung nicht, da dieser schon immer auf der Linie der Entwicklung der deutschen Lehre lag: Schuld bedeutet, "daß die Willensbildung einen Fehler aufweist, der vorwerfbar ist".50 An den Grundgedanken, daß die Schuld im "Versagen des Wertgefühls" besteht, schließt sich die für eine differenzierte Berücksichtigung des Verbotsirrtums grundlegende Unterscheidung nach dem Grade der Erkennbarkeit des Unrechts an, die jetzt in § 9 Abs. 2 des neuen österreichischen StGB durchgedrungen ist. Das richtige Wertgefühl bedeutet bei Nowakowski "ein objektives Maß" (S. 398).
IV. Neue Ansätze im Dritten Reich In den Jahren, in denen manche in Verkennung des wahren Zeitgeistes noch an die "soziale Zielsetzung" und an eine "materielle, d. h. den sachlichen Gehalt wertend erfassende Verbrechensauffassung" des Regimes glauben wollten,51 hat es auch während des Dritten Reiches Ansätze zu einem Neubau des Verbrechenssystems gegeben. Dabei spielte es eine Rolle, daß die Idee der Volkstümlichkeit des Rechts und der stark betonte Gemeinschaftsgedanke den neuen Bestrebungen entgegenkamen.
1. Das Verbrechen tritt für die Umwelt als begangene Tat in Erscheinung. Immer ist es jedoch auch das Werk eines Täters und damit ein Ereignis, das dessen Wesensart mehr oder weniger [14] kennzeichnet. Tat und Täter sind demnach Grundbegriffe des Strafrechts. Die Täterlehren der 30er Jahre, die im Strafrecht an den symptomatischen Schuldbegriff (oben A 11 3), in der Philosophie an phänomenologische Lehren 52 oder an die Ethik des Aristoteles anknüpften,53 haben zwar zu keinem geschlossenen Systemaufbau geführt, sie sind aber dogmengeschichtlich wichtig als Ansätze zur Verselbständigung des Handlungsunrechts gegenüber dem Erfolgsunrecht und damit auch als Parallele zur personalen Unrechtsauffassung, deren Ursprung freilich älter ist und die sich auch unabhängig von den Täterlehren entwickelt hat. Erik Wolf hat seinen frühen Versuch, den Verbrechensbegriff nach Tat- und Tätergesichtspunkten aufzugliedern,54 später nicht fortgesetzt, und auch Gallas hat diesen Weg aufgegeben.55 Der Täter erscheint nunmehr als "Gesinnungstypus", in dem die subjektiven Unrechtsmerkmale ihre Einheit finden,56 oder als Bindeglied zwischen der Rechtsgutsverletzung und der Pflichtverletzung als den beiden Grundelementen der Straftat57 oder endlich als bloßer Hinweis für die StrafzuNowakowski, Probleme der Strafrechtsdogmatik, JBI. 1972,26. Nowakowski, Rechtsfeindlichkeit, Schuld, Vorsatz, ZStW 65 (1953), S. 380. 51 Charakteristisch Grünhut, Kriminalpolitische Wandlungen? ZStW 53 (1934), S. 1 H. 52 Erik Wolf, Vom Wesen des Täters, 1932; Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935. 53 Welzel, Persönlichkeit und Schuld, ZStW 60 (1941), S. 458 H. 54 Erik Wolf, Das zukünftige Strafensystem und die Zumessungsgrundsätze, ZStW 54 (1935), S. 550 H.; ders., Tattypus und Tätertypus, ZAK 1936, 363. 55 Gallas, Tatstrafe und Täterstrafe, insbesondere im Kriegsstrafrecht, ZStW 60 (1941), S. 388, Fußnote 18; dagegen auch Schaffstein, Rechtswidrigkeit und Schuld im Aufbau des neuen Strafrechtssystems, ZStW 57 (1938), S. 333. 56 Erik Wolf(Anm. 54), S. 550. 49
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messung. 58 Praktische Bedeutung hat die Tätertypenlehre, die insoweit an den "normativen Tätertyp" Dahms anknüpfte,59 vor allem als Methode der Einschränkung der weit gefaßten, grausamen Vorschriften des Kriegsstrafrechts gehabt. 60 Sie hat ferner durch die Idee der Lebensführungsschuld dazu gedient, die Strafschärfung des § 20 a a.F. StGB gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher zu rechtfertigen. 61 [15] Die gesamte Problematik ist in dem Werk Bockelmanns "Studien zum Täterstrafrecht" , Teil I 1939, Teil 11 1940 zusammengefaßt, das von Engisch eingehend besprochen wird. 62 2. Die starke Betonung des Verbrechens als "Pflichtverletzung" bzw. als "Gesinnungsausdruck" gegenüber der Rechtsgutsverletzung der herkömmlichen Lehre sowie die methodische Ablehnung des "Trennungsdenkens"63 führten vorübergehend zu einer "ganzheitlichen", Rechtswidrigkeit und Schuld vereinigenden Lehre. 64 Die Rechtswidrigkeit sollte danach auch die allgemeinen und besonderen Schuldmerkmale in sich aufnehmen, während der Schuldbegriff auf die Zurechnungsfähigkeit beschränkt wurde. Die Kampfschrift von Schwinge / Zimmerl "Wesensschau und konkretes Ordnungsdenken im Strafrecht" (1937) läßt die Preisgabe der überkommenen Systematik und Begriffsbildung bei Dahm und Schaffstein als Irrweg erscheinen. 65 Die späteren Systeme haben diesen Ansatz jedenfalls nicht wieder aufgenommen. 65a V. Das System der finalen Handlungslehre und seine Gegner 1. Die Umbildung des teleologischen Verbrechensaufbaus ist erst der finalen Handlungslehre gelungen, die mit allen Konsequenzen seit dem Anfang der 30er Jahre vor allem durch Wetzel nach und nach ausgearbeitet worden ist. 66 Die später Finalität genannte [16] "Intentionalität" wird im Anschluß an die neuere Psychologie schon früh als tragen-
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Kadecka, Gesundes Volksempfinden und gesetzlicher Grundgedanke, ZStW 62 (1944), S. 19. Gemmingen, Zum Täterproblem, ZStW 62 (1944), S. 41. Dahm, Bemerkungen zum Unterlassungsproblem, ZStW 59 (1940), S. 143 ff.; vgl. auch Mez-
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ger, Die Straftat als Ganzes, ZStW 57 (1938), S. 680. 60 Mezger, Tatstrafe und Täterstrafe, insbesondere im Kriegsstrafrecht, ZStW 60 (1941), S. 360 H.; Lange, Täterschuld und Todesstrafe, ZStW 62 (1944), S. 230. 61 Mezger (Anm. 59), S. 689. 62 Engisch, Zur Idee der Täterschuld, ZStW 61 (1941), S. 166. 63 Dahm, Der Methodenstreit.in der heutil$en Strafrechtswissenschaft, ZStW 57 (1938), S. 225 ff., insbes. S. 291 H. (zu C. Schmitt, Uber die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, 1934). 64 Schaffstein (Anm. 55), S. 295 H., insbes. S. 326 ff. Vorher schon Schaf/stein, Die materielle RechtswiCfrigkeit im kommenden Strafrecht, ZStW 55 (1936), S. 31. Ihm hat sich später nur Hardwig, Die Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, ZStW 68 (1956), S. 31 angeschlossen. 6S Zustimmend im wesentlichen Gallas, ZStW 57 (1938), S. 635 f. 6Sa Vgl. den Rückblick von Engisch, Entwicklung der dogmatischen Strafrechtswissenschaft seit
1930 usw., ZStW 66 (1954), S. 353 ff. 66 Ein Vorläufer war schon Wahlberg, Bemerkungen über Handlung und Zufall im Sinne des Reichsstrafrechts, ZStW 2 (1882), S. 189: "Zu einem wirklichen Wollen und Handeln kann es nicht kommen ohne Vorstellung der Erreichbarkeit des bewußt begehrten, ohne Motiv und Willensimpuls, ohne Zweckvorstellung, ohne wenn auch undeutliche Vorstellung der geeigneten Mittel". Konsequenzen für den Aufbau des Systems zogen freilich erst 'V. Weber, Graf zu Dohna, H. Mayer, Erik Wolf Vgl. dazu Busch, Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, 1949; Jescheck, Aufbau und Stellung des bedingten Vorsatzes im VerbrechensbegriH, Festschrift für Erik Wolf, 1962, S. 474 f.
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des Element der Struktur der Handlung erkannt: " Als eigene Tat oder Handlung einem Subjekt gehörig und in diesem Sinne objektiv zurechenbar ist jeder tatbestandlich festgelegte Erfolg, der vom Täter sinnhaft gesetzt oder dessen Abwendung vorhersehbar und sinnhaft setzbar war" .67 Der vollständige Bau des finalen Systems ist wenige Jahre später errichtet68 : "Handeln im engsten und strengsten Sinne ist die menschliche Zwecktätigkeit" (S. 502).69 "Der Vorsatz gehört nicht zur Schuld, sondern zur Handlung" (S. 505). "Vorsätzliche und fahrlässige Delikte unterscheiden sich bereits im Unrechtstatbestand" (S. 519). "Der Begriff der Rechtswidrigkeit kann ganz verschiedene Inhalte haben, indem er entweder den reinen Sachverhaltsunwert oder den Handlungsunwert bezeichnet und den letzteren wiederum entweder zusammen mit einem Sachverhaltsunwert oder ohne einen solchen (als reinen Handlungsunwert)" (S. 523). Jedoch scheiden "alle Handlungen für den Unrechtsbegriff aus, die sich funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes bewegen". Solche Handlungen werden "sozialadäquat" genannt (S. 516 f.).69a "Zentraler Gegenstand des Schuldvorwurfs ist eine besondere Art der Wertentscheidung des Willens zugunsten des Unrechts" (S. 531). "Finale Täterschaft ist die umfassendste Form finaler Tatherrschaft" (S. 539). "Ein für vorsätzliche und fahrlässige Tatbestände gemeinsamer Täterbegriff ist überhaupt unmöglich" (S. 540). "Eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme ist allein für finale Tatbestände möglich und hier notwendig" (S. 540). Die spezifische Schwäche der finalen Handlungslehre zeigte sich bei der [17] Fahrlässigkeit: "Das Handlungsmoment besteht daher hier nicht in einer wirklichen, sondern nur in einer möglichen finalen Beziehung" (S. 559). Dies ist offensichtlich eine Verlegenheitslösung, weil die "Möglichkeit" nur gedanklich durch eine normative Anforderung an die Handlung entsteht und nicht zur seinsmäßigen Struktur des finalen Verhaltens gehört. Seinen Schuldbegriff, der auf der "Möglichkeit sachgeleiteter finaler Handlungen" (S. 435) aufbaut, hat Welzefo später durch die Schichtenlehre (Hoffmann, Rothacker, Lersch, Thiele) anschaulich gemacht (S. 435 ff.). Beim Freiheitsproblem knüpft er an Rothacker an: "Der Einsatz der Spontaneität muß selbst spontan vollzogen werden können. Hierin besteht das Geheimnis der Willensfreiheit, das darum als Geheimnis gilt, weil es nicht mehr aus den uns zugänglichen seelischen Determinationsformen ableitbar ist" (S. 452). Der Schuldvorwurf bei der Fahrlässigkeit betrifft das "mangelhafte (bewußte oder unbewußte) Eingestelltsein auf Gefahren" (S. 473). 2. Die finale Handlungslehre hat sich in Deutschland nur in einem Teil der Theorie durchgesetzt. 71 Jedoch sind ihre bleibenden Erkenntnisse - die Gleichwertigkeit von Welzel, Kausalität und Handlung, ZStW 51 (1931), S. 720. Welzel, Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 (1939), S. 491 H. 69 Die Bezugnahme auf Nicolai Hartmanns "Ethik" findet sich in ZStW 58 (1939), S. 497, Fußnote 12, die auf die moderne Psychologie in ZStW 51 (1931), S. 710, Fußnote 22. 69. Die ursprüngliche Lehre Welzels, wonach die Sozialadäquanz den Tatbestand bei sprachlich zu weit gefaßtem Wortlaut einschränkt, verteidigt Schaffstein, Soziale Adäquanz und Tatbestandslehre, ZStW 72 (1960), S. 378. Er wollte im übrigen auch die Rechtfertigungsgründe als Unterfälle der Sozialadäquanz in den Tatbestand einordnen. Dagegen Hirsch, Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, ZStW 74 (1962), S. 132, der jedoch die Sozialadäquanz zu Recht nur als Auslegungsgesichtspunkt für den engeren Tatbestand gelten läßt. 70 Welzel, Persönlichkeit und Schuld, ZStW 60 (1941), S. 428. 71 Von den Lehrdarstellungen folgen ihr nur Maurach, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auf]. 1971, S. 183, und Stratenwerth, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 2. Auf]. 1976, Nr. 138 H. Zipf ist in 67
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Handlungsunwert und Erfolgsunwert im materiellen Unrechtsbegriff, die volle Normativierung des Schuldbegriffs durch Umstellung des Vorsatzes, die Unterscheidung von Tatbestands- und Verbotsirrtum, die Neuordnung der Teilnahmelehre nach dem Prinzip der Tatherrschaft - von der Handlungslehre des Finalismus unabhängig. Die schon früher verschiedentlich erhobenenen Einwendungen gegen den finalen Handlungsbegriff hat Gallas auf der Strafrechtslehrertagung 1954 in Tübingen vertieft und in einen neuen systematischen Zusammenhang gebracht: 72 Die "Gleichsetzung von Finalität und Vorsätzlichkeit" sei verfehlt (S. 6), die Umstellung des Vorsatzes sei "in Wahrheit eine Aus;sage nicht über das Wesen der Handlung schlechthin, sondern über das Wesen der tatbestandsmäßigen Handlung" (S. 7). Vorsät:z,liche und fahrlässige Begehung ließen sich zwar "auch einem final verstandenen Handlungsbegriff [18] gleichermaßen einordnen", denn "die strafrechtliche Unerheblichkeit des Gewollten [bei der Fahrlässigkeit] schließt die Finalität der Verhaltens nicht aus" (S. 8).72. "Auf der anderen Seite versagt auch ein final gedeuteter allgemeiner Handlungsbegriff gegenüber der Erscheinung der Unterlassungsdelikte" (S. 8), denn für diese "ist allein die Nichtübereinstimmung der faktischen mit einer gedachten Wirklichkeit - dem ,erwarteten' Tun - konstitutiv" (S. 9). Gallas kommt zu dem Ergebnis, "daß nicht schon die Handlung i.S. des allgemeinen Handlungsbegriffs, sondern erst die tatbestandsmäßige, d. h. die im Tatbestand beschriebene konkrete Handlung selbständiges Aufbauelement des Begehungsdelikts sein kann" (S. 14). Dem Handlungsbegriff wird nur eine "negative Funktion" zuerkannt (S. 15).73 3. Ein zweiter prinzipieller Angriff gegen die finale Handlungslehre kam frühzeitig von Roxin. 74 Gegen die ontologische Begründung des strafrechtlichen Handlungsbegriffs wird vorgebracht, "daß in den Rechtserscheinungen soziale Bedeutungsgehalte stecken, die sich nicht als Lenkung von Kausalfaktoren begreifen lassen" (S. 525). Wie Gallas will auch Roxin auf einen dem Tatbestand vorgelagerten Handlungsbegriff verzichten: "Wenn man einen ontologischen Handlungsbegriff so faßt, daß er nur die Steuerung eines materiellen, wertfreien Geschehensablaufs umgreift, dann leistet er nichts. Er ist mit dem Vorsatz nicht identisch, gibt für die Irrtumslehre nichts her, und auch sonst kann man aus ihm nichts ableiten. Nimmt man aber die Sinndimension in den Handlungsbegriff hinein, dann verliert er seine Vorgegebenheit, wird ein rechtlich-normatives Gebilde par excellence und leistet ebenfalls nichts mehr: Man kann dann die Lehren von Vorsatz und Teilnahme ebenso gut - wohl sogar besser - unter [19] völliger Lösung vom Handlungsbegriff aus den ihnen eigenen Sinngehalten entwickeln" (S. 527). Ferner müßte nach Roxin der 5. Auflage des Maurachschen Lehrbuchs (Teilband 1, 1977) zu einer Handlungslehre übergegangen, die dem sozialen HandlungsbegriH nahesteht (S. 223). 72 Gallas, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vorn Verbrechen, ZStW 67 (1955), S. 1 H. 72. Darauf hat vor allem Niese, Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951, hingewiesen. 73 Im gleichen Sinne im Anschluß an Radbruch, Zur Systematik der Verbrechenslehre, FrankFestgabe. Bd. I, 1930, S. 161 H. Krauß, Erfolgsunwert und Handlungsunwert im Unrecht, ZStW 76 (1964), S. 66 f. Weitere Nachweise bei Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, 3. Aufl. 1978, S. 173, Fußnote 1. Für die Notwendigkeit eines Handlungsbegriffs jedoch mit Recht Maiwald, Abschied vorn strafrechtlichen Handlungsbegriff? ZStW 86 (1974), S. 651 ("gemeinsamer Seinsmodus" von Tun und Unterlassen gegenüber der bloßen "cogitatio"), und Bloy, Finaler und sozialer HandlungsbegriH, ZStW 90 (1978), S. 615 (Feststellung des "realen Substrats, das überhaupt Anknüpfungspunkt für die Bestrafung eines Menschen sein kann"). 74 Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre, ZStW 74 (1962), S. 515 H. Gegen ihn Wetzel, Vorn Bleibenden und vorn Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, Grunhut-Erinnerungsgabe, 1965, S. 173 H.
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eine Handlungslehre, die wie der finale Handlungsbegriff Welzels die "sinnhafte Ordnung des Soziallebens" erfassen will, auch die Bedeutung der tatbestandsmäßigen Handlung unter dem Gesichtspunkt möglicher Rechtfertigungsgründe erfassen und daher beim Irrtum über die Voraussetzungen eines solchen zur eingeschränkten Schuldtheorie kommen (S. 537). Das Ergebnis lautet: "So, wie die finale Handlungslehre in eine finale Tatbestandslehre zu verwandeln ist, muß der ontologische Finalitätsbegriff durch einen rechtlich-sozialen Finalitätsbegriff ersetzt werden" (S. 549). Die Anknüpfbarkeit normativer Grundbegriffe an ontologische Handlungslehren der Psychologie und der Ethik ist damit grundsätzlich in Frage gestellt. VI. Neueste Systeme der Verbrechenslehre 1. Die im Anschluß an die Kritik des finalen Handlungsbegriffs entwickelte Lehre von Gallas (Anm. 72), der sich die Lehrdarstellungen von Jescheck (Anm. 73) und Wessel/5 angeschlossen haben und der auch Bockelmann 76 nahesteht, geht von der tatbestandsmäßigen Handlung aus. Auch der "soziale Handlungsbegriff" sei "genau gesehen auf die tatbestandsmäßige Handlung bezogen" (S. 14 Fußnote 40a). Der Tatbestand ist "der Träger des typischen Strafwürdigkeitsgehalts der jeweiligen Verbrechensart" , er ist die" Verkörperung des Deliktstypus" (S. 17). Der typische Unrechtsgehalt der Tat wird sowohl durch ihre Sozialschädlichkeit als auch durch ihren sozialethischen Unwert bestimmt. 77 Die [20] "personal-ethische Seite des Verbrechens" wird später zur personalen Unrechtslehre ausgebaut, in der alle auf den Täter bezogenen objektiven und subjektiven Merkmale des Handlungsunrechts zusammengefaßt werden. 78 Die Stellung des Vorsatzes im Unrechtstatbestand ergibt sich nach Gallas nicht aus seiner finalen Natur, sondern aus dem Sinn des jeweiligen Deliktstypus (S. 32). Zu den normativen Gründen, die nach Gallas für die Stellung des Vorsatzes im Unrechtstatbestand sprechen, kann man noch den Imperativcharakter der Norm und den Gesichtspunkt der größeren Gefährlichkeit für das geschützte Rechtsgutsobjekt hinzufügen, die mit der vorsätzlichen Handlung gegenüber der Fahrlässigkeit und dem Zufall verbunden ist. Das rechtliche Verbot umfaßt den Vorsatz und die bewußte Fahrlässigkeit gleichermaßen, der Unterschied zwischen bewußter Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz liege im Schuldbereich (S. 43). Daraus ergibt sich zugleich ein Hinweis auf die Doppelfunktion des Vorsatzes, der im Unrechtstatbestand Träger des Handlungssinns, in der Schuld Ausdruck der Gesinnung des Täters ist. Auch der Irrtum über eine rechtfertigende Situation läßt sich durch die Lehre von Wessels, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1980. Bockelmann, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 1979. Ebenso Ble~ Strafrecht I. Allgemeiner Teil, 17. Aufl. 1977. Dagegen repräsentiert Baumann, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 1977, die überlieferte teleologische Verbrechenslehre, der auch Schultz, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. I, 3. Aufl. 1977, S. 128, treu geblieben ist. 77 Mit der jetzt herrschenden Lehre kommt Krauß (Anm. 73), S. 65, zu dem Ergebnis, "daß das strafrechtliche Unrecht die Rechtsgutsverletzung als Erfolgungsunwert, die Verfehlung der sozialen Pflichtenstellun~ und den fehlerhaften Willensentschluß des Taters als Handlungsunwert gleichennaßen berücksichtigt". Auch die Abstufung der Rechtswidrigkeit nach dem Rang der Rechtsgüter und Pflichten bei Kern, Grade de~.Rechtswidrigkeit, ZStW 64 (1952), S. 262 ff., beruht auf dieser Betrachtungsweise. Ebenso Noll, Ubergesetzliche Milderungsgründe aus vermindertem Unrecht, ZStW 68 (1956), S. 181 ff. 78 Vgl. Otto, Personales Unrecht, Schuld und Strafe, ZStW 87 (1975), S. 539 H. 75
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der Doppelfunktion des Vorsatzes befriedigend lösen, weil die Tat in diesem Falle zwar mit Tatvorsatz begangen wird, aber nicht dem Schuld gehalt der Vorsatztat entspricht; die Willensbildung ist bei dieser Irrtumslage nicht Ausdruck eines Gesinnungsmankos (S. 46 Fußnote 89).79 Der Tatbestand ist damit nicht nur Unrechts-, sondern zugleich Schuldtypus, der die für den Deliktstypus charakteristischen Schuldmerkmale zusammenfaßt. Gegenstand des Schuldvorwurfs ist die" Tat mit Rücksicht auf die darin betätigte rechtlich mißbilligte Gesinnung" (S. 45).80 In einem solchen System [21] kann "der Unterschied zwischen Unrecht und Schuld nur der zwischen Handlungsunwert und Gesinnungsunwert sein". "Dabei ist es so, daß mit dem Handlungsunwert der vorsätzlich begangenen Tat regelmäßig auch der Gesinnungsunwert gegeben ist. Er fehlt nur dann, wenn es dem Tater trotz vorsätzlicher Begehung am Können mangelte" (S. 45). Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen wird abgelehnt "aus der Erwägung, daß der Tatbestand als Verkörperung des jeweiligen Deliktstypus nicht auch Momente umfassen kann, die außerhalb des Typus liegen" (S. 27).81 Die Lehre von Gallas wird man heute als die in Deutschland überwiegende Auffassung ansehen dürfen. 2. Das System Schmidhäusers deutet sich in seinen Grundzügen schon in einem frühen Aufsatz 82 an. Dieser enthält eine Kritik sowohl der durch Mezger repräsentierten herkömmlichen Handlungslehre, die auf die bloße Willkürlichkeit des Verhaltens abstellt, als auch der finalen Handlungslehre. "So trennt Mezger aus dem als Unrecht geschilderten Geschehen einen Ausschnitt scheinbar heraus, der sich schlechterdings als Gegenstand der rechtlichen Bewertung nicht heraustrennen läßt: er drängt den Willen begrifflich auf den kausalen Willensakt zurück, den ihm eine physiologische Teilbetrachtung liefert. Welzel dagegen verläßt seine Ausgangserkenntnis, daß das als Unrecht geschilderte Geschehen der Tatigkeitsdelikte den nur inhaltlich zu verstehenden Willen aufweist, und dehnt den Willen auf das Wissen des Taters aus, indem er dieses dem Willen zurechnet" (S. 38). Schmidhäuser kommt es dagegen nicht auf den Handlungs-, sondern auf den Unrechtsbegriff an:83 Merkmal des Unrechts der Tatigkeitsdelikte kann weder die" Willkürlichkeit nach Mezger noch die ,Finalität' im Sinne Welzels sein, sondern allein der inhaltlich [22] zu verstehende Wille" (S. 39). Die volle Entfaltung des Systems in Schmidhäusers Lehrbuch ist in unserer Zeitschrift durch einen großen Besprechungsaufsatz Roxins 79
So auch Roxin (Anm. 74), S. 554.
80 Dieser Schuldbegriff ist, weil es dabei auf die Gesinnung ankommt, von einer indeterministi-
schen Vorentscheidung unabhängig; vgl. dazu Graf zu Dohna, ZStW 60 (1941), S. 295; Engisch, ZStW 61 (19~2), S. 173; Heinitz, ~trafzu?less.ung und Persönlichkeit, ZStW 63 (1951), S. 76; G~af zu Dohna, Em unausrottbares MIßverständms, ZStW 66(1954), S. 508 (aus dem Nachlaß): Es 1st "ein Grundgesetz des sozialen Daseins, daß jedermann einzustehen hat für das, was er tut, insoweit es Ausfluß ist seiner Persönlichkeit". 81 Weniger auf diesen formalen Gesichtspunkt, sondern (überzeugend) auf das Vorliegen von sachlichen Wertungskollisionen gründet Noll, Tatbestand und Rechtswidrigkeit: die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW 77 (1965), S. 9, die Abscheidung der Rechtfertigungsgründe vom Tatbestand. Im Ranmen der Wertabwägung weist Stratenwerth, Prinzipien der Rechtfertigung, ZStW 68 (1956), S. 41 ff., auf das Autonomieprinzip als selbständigen Gesichtspunkt neben der Güterabwägung hin. 82 Schmidhäuser, Willkürlichkeit und Finalität als Unrechtsmerkmal im Strafrechtssystem, ZStW 66 (1954), S. 27 ff. 83 Auf den Handlungsbegriff hat Schmidhäuser später - ebenso wie Gallas und Roxin - ganz verzichtet; vgl. Strafrecnt, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1975, S. 177 f.
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dargestellt.84 Mit diesem Werk will Schmidhäuser das "Gegeneinander von herkömmlicher Lehre und finaler Handlungslehre" "in einer Synthese überwinden" (Vorwort zur 1. Auflage, S. V). Bei der Unterscheidung von Unrecht und Schuld bewegt sich Schmidhäuser noch auf der herkömmlichen Bahn mit den Verfeinerungen, die vor allem Gallas zu danken sind. Beim Unrechtsbegriff tritt allerdings das Erfolgsunrecht übermäßig zurück: "Das Unrecht ist Rechtsgutsverletzung in dem Sinne, daß der Täter in seinem Willensverhalten den Achtungsanspruch verletzt, der von einem der grundlegenden Güter des Gemeinschaftslebens ausgeht" (5. 142). "Unrecht ist Willensverhalten" (5. 143). "Vergleicht man vorweg Handlungs- und Erfolgsunwert, so gilt: Für alle Unrechtstatbestände der Begehungsdelikte ist der Handlungsunwert grundlegend; ohne den Unwert der rechtsgutsverletzenden Handlung ist hier kein Unrechtstatbestand denkbar". "Wenn die Strafgesetze gleichwohl so oft einen Erfolg für die Strafe voraussetzen, so geschieht dies nicht (nur) aus Gründen der Anschaulichkeit und Praktikabilität des Gesetzes, sondern aus Gründen der Strafwürdigkeit" (5. 219). Die Schuld ist bei Schmidhäuser "rechtsgutsverletzendes geistiges Verhalten". "In der Schuld geht es um das Verhältnis des Täters als subjektiv-geistigen Wesens zum objektiven Geiste, und zwar bezogen auf das Unrecht" (5. 148). Der Schuld vorwurf richtet sich wie bei Gallas, auf den sich Schmidhäuser auch bezieht (5.153 Fußnote 12), auf die "unrechtliche Gesinnung" (5. 153 ff.). Die herkömmlichen Wege der Dogmatik verläßt Schmidhäuser mit der Auflösung des Vorsatzbegriffs, dessen intellektuelle Merkmale als "Vorsätzlichkeit" bei der Schuld verbleiben, während der Wille im Sinne der "Absicht" als "Zielunrecht" das Kernstück des Unrechtstatbestandes bildet (5. 178 ff., 203 f.). "Vorsätzliche und fahrlässige Tat unterscheiden sich für die teleologische Systematik nicht schon im Unrechtstatbestand, sondern erst im Schuldtatbestand" (S. 204). Tatbestand und Rechtfertigung grenzt Schmidhäuser als "Güterund Pflichtenkollision" gegeneinander ab: "Im Unrechtstatbestand ist der Unwert einer Rechtsgutsverletzung, im Rechtfertigungsgrund ist der Wert einer Gutsbeachtung erfaßt und zugleich die Feststellung getroffen, daß [23] das Wertvolle an dieser Gutsbeachtung dem Wertwidrigen an jener Gutsverletzung vorgeht" (S. 282). Die soziale Adäquanz wird bei Schmidhäuser als Rechtfertigungsgrund verstanden, was ein Licht auf die Weite seines Tatbestandsbegriffes wirft (S. 298). Dagegen ist die Einwilligung - in Übereinstimmung mit einer vordringenden Lehre 85 - bei ihm ein Umstand, der den Tatbestand ausschließt (5.268 f.). Die Auflösung des Vorsatzbegriffs wirkt sich in der Schuldlehre dahin aus, daß der bedingte Vorsatz, weil es nur auf das Moment der Vorstellung ankommt, die gesamte bewußte Fahrlässigkeit einschließt (S. 407 f.). Das für die Abgrenzung entscheidende Moment der Stellungnahme zu dem als möglich erkannten tatbestandsmäßigen Erfolg taucht in diesem System nicht auf. Beim Verbotsirrtum vertritt Schmidhäuser entgegen § 17 S. 2 StGB den Standpunkt, "daß die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat nur angezeigt ist, wenn sich der Täter bewußt über das Unrecht hinweggesetzt hat" (S. 416). In der Versuchs lehre hat Schmidhäusers Auffassung vom Unrecht als Willensverhalten zur Folge, daß auch der abergläubische Versuch bestraft wird, sofern der Täter an die kausale Beherrschung des Geschehens geglaubt hat (5.608 f.); die Beschränkung des Unrechts auf absichtliches oder objektiv gefährliches Handeln führt dazu, daß der bedingt Roxin, Ein "neues Bild" des Strafrechtssystems, ZStW 83 (1971), S. 369 H. Vgl. die Nachweise bei Jescheck (Anm. 73), S. 301, Fußnote 11. Die Notwendigkeit der von ihm begründeten Unterscheidung von Einwilligung und Einverständnis zeigt am Entwurf 1959 11 Geerds, ZStW 72 (1960), S. 42 H. 84
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vorsätzliche untaugliche Versuch straflos bleibt (S. 597 f.). Roxin bewundert bei Schmidhäuser "die Kraft seines Systemwillens sowie die Originalität seiner Grundgedanken", zweifelt aber wohl zu Recht, "ob Schmidhäusers kühnster, im eigentlichen Sinne systembildender Gedanke, die Auflösung des bisherigen Vorsatzbegriffs und die daraus hergeleitete Abgrenzung von Unrechtstatbestand und Schuld, tragfähig ist".86 3. Die Strafrechtsdogmatik hat ihre Begriffe seit jeher im Hinblick auf die Frage entwickelt, unter welchen Voraussetzungen wegen einer rechtswidrigen Tat das sozial-ethische Unwerturteil der Strafe verdient und notwendig ist. Sie hat aber bei dieser Begriffsbildung Gesichtspunkte der Kriminalpolitik nicht unmittelbar verwendet. Über diesen Stand der Entwicklung ist Roxin einen Schritt hinausgegangen: er fordert "die systematische Einheit zwischen Kriminalpolitik und Strafrecht, die nach [seiner] [24] Intention auch im Aufbau der Verbrechenslehre verwirklicht werden muß".87 Obwohl es sich, wie sogleich zu zeigen sein wird, nicht eigentlich um ein neues System handelt, soll die Idee Roxins in diesem Zusammenhang erwähnt werden, weil ursprünglich offenbar eine Veränderung des Verbrechensaufbaus beabsichtigt war. Die Schrift "Kriminalpolitik und Strafrechtssystem", in der diese Gedanken erstmals entwickelt worden sind, ist in unserer Zeitschrift eingehend besprochen worden, in erster Auflage (1970) von Heinitz, der zu dem positiven Ergebnis kommt: "besonders überzeugend und fruchtbar erscheinen mir die Gedanken zur Schuldlehre",88 in zweiter Auflage (1973) von Zipf, der die entgegenstehende Schlußfolgerung zieht: "Auch beim Schuldbegriff scheint mir damit die Trennung von Strafzwecken und Schuldprinzip leistungsfähiger zu sein als die Entwicklung der Schuld aus den Strafzwecken".89 Die beiden ersten Systemgedanken Roxins können hier übergangen werden, weil sie auch in die herkömmliche Strafrechtsdogmatik immer einbezogen worden sind, wenn auch nicht ausschließlich: bei der Tatbestandslehre müsse, so sagt Roxin, "das systematisch leitende Differenzierungskriterium dies sein, in welcher Weise die Forderungen des nullum-crimen-Grundsatzes gesetzgeberisch verwirklicht worden sind" (S. 16), im Bereich der Rechtswidrigkeit bestehe "die Aufgabe der Systematik" darin, "aus der Masse der Rechtfertigungsgründe den Katalog der sehr viel weniger zahlreichen sozial-gestaltenden Prinzipien möglichst komplett herauszuarbeiten und deren Verhältnis zueinander deutlich zu machen" (S. 27). Der entscheidende Punkt Roxins ist aber erst die Aussage: "Die Schuld wird kriminalpolitisch von der Strafzwecklehre her geprägt" (S. 33). Schuld und Verantwortlichkeit sind "als strafrechtliche Systemkategorien" aus der Strafzwecklehre abzuleiten.90 Während Jakobs über diese Position noch einen Schritt hinausgegangen ist, indem er sagt, "Schuld wird durch Generalprävention ... begründet und nach [25] dieser Prävention bemessen" ,91 hat Roxin sie später dahin eingeschränkt, "daß der strafrechtliche Begriff der Schuld zwar einige präventive Aspekte in sich enthält, andere aber gerade nicht, so daß insoweit wechselseitige BeRoxin (Anm. 84), S. 403 f. Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Auf!. 1973, S. 11 . 88 Heinitz, ZStW 83 (1971), S. 760. 89 Zipf, ZStW 89 (1977), S. 711. 90 f!.oxin, "Schuld" und "Verantwortlichkeit", Henkel-Festschrift 1974, S. 172 H. Vgl. auch Roxin, Uber den Rücktritt vorn unbeendeten Versuch, Heinitz-Festschrift 1972, S. 273 H.; Roxin, Über Notwehrexzeß, Schaffstein-Festschrift 1975, S. 105 H. 91 Jakobs, Schuld und Prävention, 1976, S. 9. Dazu die Besprechung von Stratenwerth, ZStW 91 (1979), S. 922: "So geistreich der Versuch von Jakobs, die Schuld als durch und durch zweckbestimmt zu enthüllen, auch sein mag - er dürfte prinzipiellen Widerspruch verdienen" . 86
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grenzungen der Strafgewalt eintreten, die bei der Strafbegründungs- und der Strafzumessungsschuld verschieden gelagert sind" .92 Ich halte mit Zipf Schuld und Strafzweck für Konträrbegriffe: "Nur wenn man die Schuld - als etwas Andersartiges - den Strafzwekken gegenüberstellt, kann sie die Funktion der Strafzweckbegrenzung optimal erfüllen".93 Die Schuld besteht in den der anerkannten Wertordnung widersprechenden und deswegen vorwerfbaren Maximen der Willensbildung des Täters bei der rechtswidrigen Tat. Die Strafe gibt als sozial-ethische Mißbilligung auf das Unrecht nach dem Maß der Schuld die verdiente Antwort. Die Beziehung zwischen Schuld und Generalprävention besteht darin, daß die nach dem Schuldmaß verdiente Strafe nach unserer Erfahrung am besten dazu geeignet ist, das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit zu stärken und die verletzte Rechtsordnung zu bewähren, weil sie als gerecht empfunden wird. Die Erfordernisse der Generalprävention bestimmen sich nach dem Maß der Schuld: geringe Schuld wird Strafe oft unnötig erscheinen lassen, schwere Schuld verlangt sie, aber Begriff und Maß der Schuld sind von der Erforderlichkeit der Strafe unabhängig. 9.J
B. Einzelne Grundfragen Nachdem wir die Systeme der Verbrechenslehre in ihrer Entstehung, Umbildung und Überwindung während der letzten hundert Jahre im Spiegel unserer Zeitschrift betrachtet haben, [26] sollen nachstehend noch einige Grundfragen der Dogmatik des Allgemeinen Teils durch die Bände der ZStW verfolgt werden. Dabei habe ich naturgemäß Gebiete ausgewählt, die nicht schon in den folgenden Beiträgen der Herausgeber behandelt werden. 94a
I. Die Kausalität 1. Die Bedingungstheorie war zur Zeit der ersten Bände der ZStW durch die Arbeiten v. Buris und die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 1, 374) schon so allgemein anerkannt, daß nur noch gelegentliche kritische Äußerungen zu vernehmen sind. v. Liszt verwirft die Bedingungstheorie u. a. wegen der Ergebnisse, "wie sie v. Buri in der Ver-
suchsiehre zieht" .95 Dieser selbst gründet indessen die berühmte Plenarentscheidung des Reichsgerichts über die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs (RGSt 1, 439) gewissermaßen auf die Umkehrung der Bedingungstheorie: "Das Reichsgericht ist bei seiner Entscheidung von der Ansicht ausgegangen, auf den Unterschied zwischen Handlungen mit
92 Roxin, Zur jüngsten Diskussion über Schuld, Prävention und Verantwortlichkeit im Strafrecht, Bockelmann-Festschrift 1979, S. 308. 93 Zip[(Anm. 89), S. 711. Vgl. auch Dreher, GA 1971,218. Gegen Roxin auch Cerezo Mir, CulI'abilidad y eena, Anuario de derecho penal y ciencias penales 1980, 362 ("autonomia del.principio C1e la culpabtlidad frente a las exigencias de la prevenci6n general y la prevenci6n especial"). 94 Übereinstimmend Schönebom, Schuldprinzip und generalpräventiver Aspekt, ZStW 88 (1976), S. 349 ff.; den, Grenzen einer generalpräventiven Rekonstruktion des strafrechtlichen Schuldprinzips, ZStW 92 (1980), S. 682 ff. 94. Zur Strafrechtsdogmatik Hirsch, Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, insbesondere im Spiegel der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, ZStW 93 (1981), S. 831 ff. und 94 (1982), S. 239 ff. 95 v. Liszt, Besprechung von: v. Dun, Die Kausalität in ihren strafrechtlichen Beziehungen (1885), ZStW 5 (1885), S. 734 ff.
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absolut untauglichen Mitteln und mit nur relativ untauglichen Mitteln könne die Straflosigkeit oder Strafbarkeit des Versuchs nicht gegründet werden. Denn wenn der Edolg ausbleibe, so sei die Handlung jedesmal kausalitätslos gewesen, und ebenso könne von keiner einzigen Handlung behauptet werden, daß sie unter allen Umständen geeignet erscheine, den beabsichtigten Edolg hervorzurufen". Daraus wird die Folgerung gezogen: "In dem geäußerten verbrecherischen Willen allein sei darum das Wesen des Versuchs enthalten" .96 Den Hinweis Adolf Merkeis, daß die Gleichheit aller Bedingungen im Rahmen der Kausalität nicht zur Folge habe, "daß sie hinsichtlich ihrer realen Bedeutung wertgleich seien",97 läßt v. Buri nicht gelten: "Wenn ein strafrechtlicher Edolg aus den zusammengetroffenen Mitwirksamkeiten von A, B, C usw. und der Naturkraft X erwachsen ist, so erscheint jede einzelne dieser Mitwirksamkeiten als die Verursacherin des ganzen Edolges, und es hat auch derjenige den ganzen Edolg als einen [27] vorsätzlich von ihm herbeigeführten zu verantworten, welcher denselben als das Ergebnis des Zusammentreffens der übrigen Mitwirksamkeiten mit seiner eigenen haben wollte" .98 Die für die ältere Lehre charakteristische Überschätzung der Kausalität als Kernstück der objektiven Zurechnung tritt bei Janka in Erscheinung, der in der ZStW den auf}ulius Glaser zurückführenden österreichischen Zweig der Bedingungstheorie vertritt: "So ist das Kausalitätsgesetz geradehin Grundgesetz für das Strafrecht. Wissenschaftlich sich vertiefende Edassung und Durchdringung des letzteren ist nur aus dem Kausalgesetze heraus möglich" .99 Die uns Heutigen viel näher liegende Erkenntnis, daß die Kausalität nur eine erste Grundkategorie der objektiven Zurechnung darstellt, vermittelt Max Ernst Mayer: "Die an sich richtige These von der Gleichwertigkeit der Bedingungen leistet für das Strafrecht rein nichts; deswegen sieht sich auch die herrschende Theorie genötigt, dieselbe fallen zu lassen, sobald sie über die strafrechtliche Erheblichkeit einer Bedingung eine Aussage zu machen hat, und sei es auch nur die fundamentale Aussage, daß dem Urheber der Bedingung die Wirkung objektiv zuzurechnen ist" .100 An Entwüden, die es ermöglichen sollten, im Rahmen der Bedingungstheorie die relevanten Zusammenhänge richtig bezeichnen zu können, hat es in der Folgezeit nicht gefehlt. 2. Die Adäquanztheorie begründet ihr Schöpfer v. Kries 101 zutreffend als eine Lehre von der objektiven Zurechnung im Rahmen der Kausalität: für die Zurechnung des verursachten Edolgs muß das rechtswidrige Verhalten, "gemäß den allgemeinen Verhältnissen der Gesellschaft, generell geeignet sein, derartige Verletzungen herbeizuführen". "Die Bedingung für die strafrechtliche Zurechnung kann also kurz etwa dahin angegeben werden, daß der verletzende Edolg demjenigen zuzurechnen ist, der ihn durch em rechtswidriges (schuldhaftes) Verhalten adäquat verursacht hat." [28]
v. Buri, Über die sogen. untauglichen Versuchshandlungen, ZStW 1 (1881), S. 185. A. Merkel, Über das "gemeine deutsche Strafrecht" von Hälschner und den Idealismus in der Strafrechtswissenschaft, ZStW 1 (1881), S. 577 f. 98 v. Buri, Kausalität und Teilnahme, ZStW 2, (1882), S. 245 ff. 99 Janka, Zur Kausalitätsfrage, ZStW 9 (1889), S. SOL 100 M. E. Mayer, Bemerkungen zu Liepmanns Erörterungen über die Kausalität im Strafrecht, ZStW 20 (1900), S. 556. 101 v. Kries, Über die Begriffe Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit und ihre Bedeutung im Strafrecht, ZStW 9 (1889), S. 532 f. 96
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3. Die Schwierigkeit der Adäquanztheorie "das Prinzip anzugeben, nach welchem sich die für das Strafrecht relevanten Faktoren eines Kausalverlaufs von den gleichgültigen unterscheiden" (S. 706), führte Welzel schon frühzeitig dazu, die Zurechnung auf eine "neuartige Determinationsform" zurückzuführen, die "ganz anderer als kausaler Art ist". Er findet sie in der Finalität der menschlichen Handlung. "Die Willensimpulsakte sind intentional bedingt, insofern sie ihre Richtung nach de'n durch sie in Bewegung zu setzenden Mitteln, d. h. nach der Geeignetheit der kausalen Ursachen zur Herbeiführung des gewollten Erfolges bestimmen müssen, ferner insofern sie ihren Ablauf danach richten müssen, in welcher Reihenfolge und Ordnung die Ursachen zu setzen sind, wenn die verschiedenen in Bewegung gesetzten Kausalreihen in dem geplanten Erfolg konvergieren sollen" .102 4. Von der Alleinherrschaft der Bedingungstheorie löst sich Naucke, um ein Regreßverbot zu begründen, das entgegen der herrschenden Lehre und Rechtsprechung (RGSt 61,318) den Rückgriff auf den fahrlässig Handelnden hinter dem vorsätzlichen Tater unterbinden würde. l03 Er findet diesen Weg im Anschluß an Hellmuth Mayer l04 und Lampe lOS in der Lehre von der objektiven Zurechnung. Ebenso wie Welzel stützt er sich dabei auf die Handlung "als vom Willen beherrschbares Tun" (S. 428). Für eine andere Sondergruppe, die Fälle des rechtmäßigen Alternativverhaltens (BGHSt 11, 1), findet Roxin eine Lösung, die innerhalb des gegebenen Bedingungszusammenhangs ein spezifisches Zurechnungsprinzip begründet; er nennt dieses die "Risikoerhöhungslehre".106 5. In Anknüpfung an Engischs Lehre von der "gesetzmäßigen Bedingung", die seinerzeit von Grünhut eingehend besprochen worden ist,107 zeigt einleuchtend Ingeborg Puppe,108 welche [29] Umstände zur Feststellung der Kausalität in die Prüfung des Kausalzusammenhangs jeweils einbezogen werden dürfen. "Bei der Anwendung des Kausalgesetzes auf den Einzelfall, die ein rein logisches Schließen von' einem allgemeinen Satz auf einen besonderen ist, hat man sich strikt an das zu halten, was tatsächlich gegeben ist" (S. 876). Dies führt auch für die Fälle der Doppelkausalität zum richtigen Ergebnis (S. 877). Auch "negative Bedingungen" werden als Ursachen angesehen (S. 895 ff.). Damit gelangt die Verfasserin zur Anerkennung der Kausalität des Unterlassens (S. 899 ff.) und des Abbruchs rettender Kausalverläufe (S. 903 ff.).
Il. Der bedingte Vorsatz Die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewußten Fahrlässigkeit ist das praktisch wichtigste dogmatische Problem im Allgemeinen Teil. Alle wesentlichen Lö-
102 Welzel (Anm. 67), S. 717. 103 Naucke, Über das Regreßverbot im Strafrecht, ZStW 76 (1964), S. 409 ff. 104
Hellmuth Mayer, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1953, S. 318 f.
105 Lampe, Täterschaft bei fahrlässiger Straftat, ZStW 71 (1959), S. 615. 106 Roxin, Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei fahrlässigen Delikten, ZStW 74 (1962), S. 430 ff. 107 Grünhut, Besprechung von Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbe-
stände, ZStW 52 (1932), S. 337 f. 108 Ingeborg Puppe, Der Erfolg und seine kausale Erklärung im Strafrecht, ZStW 92 (1980), S. 863 ff.
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sungsmöglichkeiten sind in den Bänden unserer Zeitschrift während ihrer langen Geschichte erörtert worden. 1. Nach einer großen dogmengeschichtlichen Einleitung (S. 171 ff.) gelangt Frank 109 zur Vorstellungs theorie (S. 208). Für die Annahme bedingten Vorsatzes bei Vorstellung eines tatbestandmäßigen Erfolges, dessen Eintritt möglich, aber nicht sicher ist, macht Frank die berühmte "Gewißheitsprobe": "Die Voraussicht des Erfolges als eines möglichen erfüllt den Begriff des Vorsatzes nur dann, wenn die Voraussicht desselben als eines gewissen den Handelnden nicht abgehalten, nicht die Bedeutung eines ausschlaggebenden kontrastierenden Motivs gehabt hätte" (S. 211). Beim bedingten Vorsatz kommt der Täter mit seiner Prognose zu dem Urteil: "Der Erfolg kann eintreten. Hier ist die Möglichkeit des Anderswerdens erwogen worden, aber unentschieden gelieben. Drückt sich die Voraussicht des Handelnden in diesem Urteile aus, so ist Vorsatz nur dann vorhanden, wenn ihn die Voraussicht des Erfolgs als eines gewissen oder notwendigen vom Handeln nicht abgehalten haben würde" (S. 217).110 Gegen dieses Abgrenzungskriterium hat Lacmann ll1 den durchschlagenden [30] Einwand erhoben und an dem bekannten Schießbudenfall illustriert, daß bedingter Vorsatz auch dann gegeben sein kann, "wenn der Täter den Eintritt des rechtswidrigen Erfolges und den des bezweckten Erfolges als einander ausschließend betrachtet. Den Frank-v. Hippeischen Begriffsbestimmungen zufolge läge aber in Fällen dieser Art stets nur Fahrlässigkeit vor" (S. 159). Bei Lacmann klingt bereits das richtige Kriterium für die Bestimmung des bedingten Vorsatzes an: der Täter "finde sich mit dem ihm immerhin höchst unangenehmen Gedanken an ein mögliches Unglück ab" (S. 158).
2. Die Gegenposition zu Frank hat v. Bar eingenommen. Er geht von der Willenstheorie aus und kommt zu dem Ergebnis, daß nur Absicht und direkter Vorsatz als Vorsatzfälle einzustufen seien, während der Bereich der bloßen Möglichkeit der Verwirklichung des Tatbestandes zur bewußten Fahrlässigkeit geschlagen werden müsse: "Werfen wir die gesamte Lehre von der eventuellen Einwilligung, als einer Form des dolus, über Bord; rechnen wir dem Handelnden nur dasjenige zum dolus zu, was er entweder als ihm wünschenswert erstrebte oder was er als - im Sinne des gewöhnlichen Lebens - notwendig mit dem Erstrebten verbunden erachtete".112 Diese Lehre hat keine Gefolgschaft gefunden. Sie steht im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung und verletzt auch aufs stärkste das Rechtsgefühl; man braucht nur an den Lederriemenfall (BGHSt 7, 363) zu denken. 113 3. Die Gegenposition zu v. Bar, die am stärksten von Schröder und Schmidhäuser vertreten worden ist, daß nämlich alle Fälle der Voraussicht des bloß möglichen Erfolges als Vorsatzfälle einzustufen seien, ist neuerdings von Philipps aufgenommen worden, allerdings mit einer sehr berechtigten Einschränkung: im Falle der Annahme von bedingtem
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Frank, Vorstellung und Wille in der modernen Doluslehre, ZStW 10 (1890), S. 169.
Ebenso v. Hippel, Die Grenze von Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1903, S. 133 H. Lacmann, Die Abgrenzung der Schuldformen in der Rechtslehre und im Vorentwurf zu einem deutschen StGB, ZStW 31 (1910), S. 142. 112 v. Bar, Dolus eventualis? ZStW 18 (1898), S. 559. Ebenso ders., Gesetz und Schuld, Bd. II, 1907, S. 322 H. Ebenso Stooß, Dolus eventualis und Gefährdung, ZStW 15 (1895), S. 199 H. 113 Dagegen auf der Grundlage der Frankschen Formel eingehend Kriegsmann (Anm. 7), S. 517H. 110
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Vorsatz bei vorausgesehener Möglichkeit des tatbestandsmäßigen Erfolges »sollten sehr sorgfältig normative und faktische Gründe dafür angeführt werden, daß für den Handelnden insofern keine Entscheidungssituation gegeben war, als kein billigenswertes Interesse an der Ausführung [31] der gefährdenden Handlung bestand".114 Die meisten Fälle, in denen die Vorsatzstrafe für das Handeln unter Risiko zu streng wäre, dürften danach auszuscheiden sein, so daß diese Lehre zu vertretbaren Ergebnissen führt. 4. Auch die Wahrscheinlichkeitstheorie, die nach dem Grade der Sicherheit fragt, mit dem der Tater den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs erwartet hat, taucht in der ZStW auf. Sie wird hier von Sauer vertreten, seine Ausführungen zeigen aber nur zu deutlich, daß es sich in Wirklichkeit nur um die Prognose und noch nicht um die Entscheidung des Taters handelt: »Die Wahrscheinlichkeitstheorie bringt eine durchaus einfache und natürliche Abgrenzung zwischen (eventuellem) Vorsatz und (bewußter) Fahrlässigkeit: dort Kenntnis der Wahrscheinlichkeit, insbesondere der adäquaten Kausalität, hier deren Nichtkenntnis. Dort Kenntnis der nahen Gefahr, hier nicht" .115
5. Während Sauer noch eine Vorstufe der Entscheidung betrachtet, stellt Armin Kaufmann auf die objektive Manifestation des Vermeidungswillens ab: »Der Vermeidungswille schließt eben die Annahme eines Herbeiführungswillens aus, freilich nur dann, wenn es sich um einen tatmächtigen Willen handelt, d. h. wenn der Einsatz von Gegenfaktoren zur Vermeidung des Nebenerfolges wirklich vollzogen wird" Y6 Es ist also die Finalität der Gegensteuerung, die hier als Abgrenzungskriterium verwendet wird. Jedoch kann - das ist dagegen einzuwenden - auch dann bedingter Vorsatz vorliegen, wenn der Tater keine Gegenfaktoren aufbaut. 6. Durchgesetzt hat sich in neuerer Zeit mehr und mehr die Auffassung, daß die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit davon abhängt, wie der Tater zu dem möglichen Erfolg Stellung genommen hat. Bei Gallas lesen wir: »den Deliktserfolg ,nimmt in Kauf', wessen Handeln nicht durch die Hoffnung oder Erwartung bestimmt wird, ihn vermeiden zu können, wer also durch die Tat seine Gleichgültigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut oder den Anforderungen der Rechtsordnung dokumentiert. Das aber sind Erwägungen, die nicht den [32] finalen Sinn der Handlung, sondern das Maß ihrer Vorwerfbarkeit betreffen".117 Bei Stratenwerth hat der gleiche Grundgedanke folgendermaßen Ausdruck gefunden: »Nur insoweit als sich der Tater die in der konkreten Handlungssituation angelegten Möglichkeiten zu eigen macht, als er sich handelnd auf ihren Boden stellt, werden die (letztlich unabsehbaren) Wirkungen, die sich mit allem menschlichen Handeln verbinden, nicht nur in der theoretisch-anschauenden Vorstellung, sondern auch in dem Handlungsentschluß des Taters antizipiert: Nur bei den ernstgenommenen Gefahren muß der Tater sich entscheiden, ob er ihretwegen die Handlung unterlassen oder sie um höher bewerteter Ziele willen mitverwirklichen will" .118 Auf der gleichen Grundlage entwirft Haft l19 eine Korrelationstabelle von Wahr114
S. 40.
Philipps, Dolus eventualis als Problem der Entscheidung unter Risiko, ZStW 85 (1973),
Sauer, Vorsatz, Irrtum, Rechtswidrigkeit, ZStW 51 (1931), S. 176. Armin Kaufmann, Der dolus eventualis im Deliktsaufbau, ZStW 70 (1958), S. 74. 117 Gallas (Anm. 72), S. 43. 118 Stratenwerth, Dolus eventualis und bewußte Fahrlässigkeit, ZStW 71 (1959), S. 60. Übereinstimmend Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, S. 231 . 115
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scheinlichkeitsurteil (Prognose) und Einstellung (Stellungnahme) für die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit. üb man den Akt der Stellungnahme als Gesinnungsausdruck zur Schuld (Gallas) oder als Teilstück des Handlungsentschlusses zum Unrecht zählt (Stratenwerth) spielt angesichts der Doppelfunktion des Vorsatzes keine entscheidende Rolle mehr. 120
III. Die Behandlung des Verbotsirrtums 1. In einem glänzenden, weitausgreifenden Beitrag entwickelt Liepmann 121 die Dogmengeschichte des Verbotsirrtums von Aristoteles und den Quellen des römischen Rechts über das kanonische Recht und die Postglossatoren bis zum gemeinen Recht und zeigt, daß die Bindingsche Lehre,122 zum Vorsatz gehöre stets das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, jedenfalls nicht aus den Zeugnissen der Vergangenheit hergeleitet werden kann: "Die Auffassung, [33] daß zum Vorsatz stets ein bewußt rechtswidriges Verhalten gehöre, macht zunächst den Eindruck einer geschlossenen, klaren und unmittelbar einleuchtenden Wahrheit. Und doch treten ihr Geschichte, Rechtsvergleichung, Rechtsprechung und Theorie mit gleich starken Argumenten entgegen" (S. 22). Die Lehre Bindings, daß der Verbotsirrtum die Bestrafung "innerhalb der in § 59 StGB gezogenen Grenzen" ausschließen müßte, ist für Ortloff das beherrschende "Prinzip für die Zurechnung zum Vorsatz". 123 Übereinstimmend kommt Rosenberg nach einer kritischen Analyse der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu dem Ergebnis, "daß die Unterscheidung zwischen der Unkenntnis des Strafgesetzes und der Unkenntnis anderer Rechtsnormen sich in der gerichtlichen Praxis nicht bewährt hat";124 er empfiehlt "bei einer Revision des StGB die Rechtswidrigkeit, welche gegenwärtig nur eine objektive Voraussetzung für alle strafbaren Handlungen ist, für einen Tatumstand zu erklären, der zum gesetzlichen Tatbestande jeder strafbaren Handlung gehört. § 59 Abs. 1 StGB würde dann auch auf das Merkmal der Rechtswidrigkeit Anwendung finden" (S. 231). Die entgegengesetzte Auffassung gewinnt Heinemann aus einer dogmengeschichtlichen Untersuchung, aufgrund deren er sich dem Reichsgericht anschließt: "Dennoch hören wir nur selten darüber klagen, daß diese Anschauungsweise ungerechtfertigte Härten im Gefolge hat, und wenn einmal solche Klagen laut werden, so kommen sie nicht aus der Mitte des Lebens, aus gründlicher Kenntnis der realen Verhältnisse, sondern sie sind meistens in der Studierstube erdacht. Das Volks bewußtsein nimmt an dem Satz: ,Unkenntnis des Rechts schützt nicht vor Strafe' so wenig Anstoß, daß es ihn ganz im Gegenteil vollkommen bil119 120
Haft, Die Lehre vom bedingten Vorsatz, ZStW 88 (1976), S. 386. Jescheck (Anm. 73), S. 240, verwendet für den bedingten Vorsatz die Formel, "daß der Täter
die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet", die § 5 Abs. 1 des österreichischen StGB aufgenommen hat. Sie geht zuriick auf Germann, Grundlagen der Strafbarkeit, ZStW 71 (1959), S. 161. Zu der Frage, ob Unrechts- oder Schuldfaktor, entscheidetJescheck sich für das erste, vgl. Festschrift für Erilt Wolf, 1962, S. 486 ff. 121 Liepmann, Gedanken über den Rechtsirrtum im Strafrecht, ZStW 38 (1917), S. 21 ; 39 (1918), S. 115,379,525. 122 Binding, Normen, Bd. 1,3. Auf!. 1916, S. 88 H.; Bd. III, 1918, S. 33 H. 123 Ort/off, Zur Lehre von dem strafrechtlichen Vorsatze und dem Determinismus, ZStW 14 (1894), S. 209. 124 Rosenberg, Zur Reform des § 59 StGB, ZStW 23 (1903), S. 230.
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ligt" .125 Die reichsgerichtliche Unterscheidung von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum rechtfertigt v. Bar 126 mit der unterschiedlichen Qualität der Unkenntnis über "die allgemeinen Regeln des menschlichen HandeIns" und der [34] "Unwissenheit über das Einzelne" als Schuldindikator. Daß darin ein Stück Wahrheit liegt, zeigt die im Ausland noch vielfach unerschütterlich vertretene Lehre "error juris nocet". 2. Die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten für die Behandlung des Verbotsirrtums tauchen sämtlich in unserer Zeitschrift auf. So fordert Rosenfeld - gegen Franz v. Liszt für den Vorsatz das Wissen des Taters von der Sozialschädlichkeit oder vom Verbotensein der Tat. 127 Deutlicher im Sinne der Vorsatztheorie äußert sich Sauer: "Vorsatz ist die (das unrechtmäßige Verhalten begleitende) Kenntnis des Unrechts".128 Er rechnet dazu den "reinen Tatvorsatz" und die Kenntnis "der formellen sowie der materiellen Rechtswidrigkeit". Besonders entschieden hat Lang-Hinrichsen die Vorsatztheorie vertreten, erweitert um den Gedanken der Bestrafung der "Rechtsfahrlässigkeit" .129 Die in der Literatur schon frühzeitig herrschend gewordene Schuldtheorie ist in der ZStW von Rümelin,13o Paul Merkei, 131 M. E. Mayer 132 und v. Hippel 133 vertreten und begründet worden. Eine von dem heutigen § 17 Satz 2 StGB abweichende Regelung hat Warda im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur Bindung des Richters vorgeschlagen: die Strafmilderung bei verschuldetem Verbotsirrtum soll obligatorisch sein, aber bei "Rechtsfeindschaft" entfallen.134 Für Fahrlässigkeitsdelikte führt Arzt die These ein, daß hier Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum ununterscheidbar verschmolzen sind, so daß auf den Gesamtkomplex der gleiche "situationsbezogene Sorgfaltsmaßstab" anzuwenden sei. 134a Abweichend von der in der deutschen Literatur herrschenden [35] Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum vertritt Nowakowski ein anderes Gegensatzpaar: das vom Wissens- und Bewertungsirrtum. "Ein Wissens irrtum liegt vor bei einem Mangel an jenem Wissen (um Tatumstände oder Rechtssätze), das richtiges Wertgefühl zur Einsicht in die Unwertbedeutung des Verhaltens benötigt; ein Bewertungsirrtum, wenn es zwar nicht an diesem Wissen, aber dennoch an der Einsicht in die Unwertbedeutung des Verhaltens fehlt. Der Wissensirrtum schließt den Vorsatz und allenfalls die Schuld überhaupt aus, der Bewertungsirrtum ist Heinemann, Zur Dogmengeschichte des Rechtsirrtums, ZStW 13 (1893), S. 451. v. Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 11, 1907, S. 398 H. Gegen diese Unterscheidung in seinem Besprechungsaufsatz Kriegsmann (Anm. 7), S. 521 f, der seinerseits bei verschuldetem Verbotsirrtum nur Fahrlässigkeitsstrafe eintreten lassen will. 127 Rosen/eId (Anm. 43); S. 488. 128 Sauer, Vorsatz, Irrtum, Rechtswidrigkeit, ZStW 51 (1931), S. 169. 129 Lang-Hinrichsen, Zur Frage des Unrechtsbewußtseins, ZStW 63 (1951), S. 332 H. 130 Rümelin, Über den Rechtswidrigkeitsirrtum, ZStW 41 (1920), S. 495 H. 131 Paul MerkeI, Die Bestimmungen des Strafgesetzentwurfs von 1919 über die Straftat, ZStW 43 (1923), S. 336. 132 M. E. Mayer, Glossen zur Schuldlehre, ZStW 32 (1911), S. 503. 133 v. Hippel, Vorsatz und Fahrlässigkeit in den Entwürfen, ZStW 31 (1911), S. 581 f.; den, Der Rechtsirrtum nach den Beschlüssen der Strafrechtskommission, ZStW 35 (1914), S. 845; den, Vorsatz und Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, ZStW 51 (1931), S. 163. 134 Warda, Zur gesetzlichen Regelung des vermeidbaren Verbotsirrtums, ZStW 71 (1959), S. 252 H. Ebenso später Roxin, Die Behandlung des Irrtums im Entwurf 1962, ZStW 76 (1964), S. 605, der aber die Strafmilderung beim vermeidbaren Verbotsirrtum schon "für den Regelfall" zwingend eintreten lassen will. l)4a Arzt, Zum Verbotsirrtum beim Fahrlässigkeitsdelikt, ZStW 91 (1979), S. 884 H. 125 126
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schlechthin unbeachtlich". \35 Nowakowski wendet diese Unterscheidung auch im Bereich des Tatbestandes an, so daß die Verkennung eines darin enthaltenen Rechtsbegriffs den Vorsatz nur dann ausschließt, wenn es sich um einen Wissensirrtum handelt (S. 397). Das gleiche gilt für den Irrtum über Rechtfertigungsgründe: "Gleichviel, ob der Irrtum die Rechtsgutsverletzung oder deren Rechtfertigung betriffft, kann er ein Wissens- oder ein Bewertungsirrtum sein" (S. 393). 3. Die Behandlung des Irrtums über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (Erlaubnistatbestandsirrtum) ist in Deutschland stark umstritten gewesen und bis auf den heutigen Tag, jedenfalls in der theoretischen Begründung, umstritten geblieben, zumal das neue Recht die Frage im Gegensatz zu den Entwüden nicht geregelt hat. Die Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums nach der strengen Schuldtheorie hat vor allem Wetzel auf den finalen Verbrechensaufbau gestützt.136 Die zusätzliche Korrelation der Vorsatztheorie mit der "Gesinnungsethik", der Schuldtheorie mit der" Verantwortungsethik" (S. 200), die Wetzel zur Begründung seiner Lehre anführt, hat Engisch J37 nachdrücklich bestritten, und sie hat sich in der Folgezeit auch nicht durchgesetzt. Engisch tritt beim vorwerfbaren Erlaubnistatbestandsirrtum für die eingeschränkte Schuldtheorie mit Fahrlässigkeitslösung ein: "Es ist durchaus einleuchtend, daß nicht nur beim Irrtum über positive Tatumstände, sondern auch bei der [36] irrigen Annahme rechtfertigender Sachverhalte die Fahrlässigkeit nur ausnahmsweise bestraft wird, während der ,Verbotsirrtum' in Gestalt der Anmaßung nicht anerkannter Befugnisse immer und überall zur Verantwortung gezogen wird" . 138 Die Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums und die Frage seiner Regelung im Gesetz stand im Mittelpunkt des dogmatischen Teils der Hamburger Strafrechtslehrertagung von 1964. Arthur Kaufmann 139 bekannte sich hier als Referent wie früher schon Engisch 140 zur Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen (S. 564) und lehnte deshalb eine Regelung der Frage im Gesetz ab, weil die Vorschrift über den Tatbestandsirrtum unmittelbar anzuwenden sei (S. 568 H.). Wiedergegeben werden in seinem Vortrag auch die neueren Lehrmeinungen, die später herrschend geworden sind, daß hier nämlich eine dritte Irrtumsart vorliegt (Dreher) und daß bei dieser die Bestrafung aus dem Vorsatztatbestand deshalb ausscheiden muß, weil der darin vorausgesetzte Schuldtypus nicht gegeben ist (Gallas).141 Auch Roxin vertrat als Korreferent die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Er wollte aber die Aufnahme der Fahrlässigkeitslösung in das Gesetz "zur Klarstellung beibehalten" .142 Dagegen wendete sich Welze[143 in seinen Diskussionsbemerkungen mit Entschiedenheit gegen die
Nowakowski (Anm. 50), S. 387. Wetzel, Die Regelung von Vorsatz und Irrtum im Strafrecht als legislatorisches Problem, ZStW 67 (1955), S. 208 H. 137 Engisch, Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei Rechtfertigungsgründen, ZStW 70 (1958), S. 578 H.; vgl. auch Engisch (Anm. 65 a), S. 573: "Der tiefere Grund für die Unterscheidung von Verbotsirrtum und Tatbestandsirrtum liegt m.E. in dem logischen und ontologischen Gegensatz von Daß und Wie, von Existenz und Qualität" . \38 Engisch (Anm. 137), S. 601. 139 Arthur Kaufmann, Die Irrtumsregelung im Strafgesetz-Entwurf 1962, ZStW 76 (1964), S. 543 H. 140 Engisch (Anm. 65 a), S. 380. 141 Vgl. dazu Krümpelmann, Stufen der Schuld beim Verbotsirrtum, GA 1968, 141 H. 142 Roxin, Die Behandlung des Irrtums im Entwurf 1962, ZStW 76 (1964), S. 599. 143 Wetzel, Diskussionsbemerkungen zum Thema "Die Irrtumsregelung im Entwurf", ZStW 76 135
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(1964), S. 619 H.
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Einebnung des sachlichen Unterschieds zwischen Tatbestand und Rechtfertigungsgründen; er erblickte darin ein Fortwirken des abzulehnenden "Ganzheitsdenkens" Dahms (oben A. IV. 2) (S. 621 ff.) und sah in der gesetzlichen Festlegung der Fahrlässigkeitslösung vom Boden der strengen Schuldtheorie aus "einen speziell geregelten Irrtum über die Rechtswidrigkeit" . Im Ergebnis hat der Gesetzgeber, wie schon gesagt, überhaupt keine Regelung des Erlaubnistatbestandsirrtums aufgenommen. 4. Das Problem der Behandlung des Verbotsirrtums im Nebenstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht ist seit dem berühmten [37] Streit zwischen Lange und Welzel nicht zur Ruhe gekommen. Die Rechtslage ist an sich eindeutig: § 17 StGB, der bekanntlich die Schuldtheorie festschreibt, ist nach Art. 1 Abs. 1 EGStGB auch im Nebenstrafrecht anzuwenden, für das Ordnungswidrigkeitenrecht gilt nach § 11 Abs. 2 OWiG ebenfalls die Schuldtheorie. 144 Demgegenüber ist in unserer Zeitschrift schon frühzeitig die These vertreten worden, daß die Schuldtheorie nur im Kernstrafrecht ihren legitimen Platz habe. 145 Insbesondere hat Tiedemann im Anschluß anJames Goldschmidt und Erik Wolf, die für dieses Gebiet die Vorsatztheorie vertreten haben, für das Nebenstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht eine Neuorientierung der Irrtumsregelung gefordert, die der Tatsache Rechnung zu tragen hätte, daß es sich hier meist um "delicta mere prohibita" handelt, bei denen der Verbotsirrtum eine viel geringere Schuldqualität aufweist als im Kernstrafrecht: "Eine künftige Neuordnung des Nebenstrafrechts - insbesondere eine umfassende Kodifikation des Wirtschaftsstrafrechts - sollte daher trotz des ausgeprägten Vereinheitlichungsstrebens der Strafrechtsreform nicht vorschnell an Kategorien und Normen des Kernstrafrechts und seiner Reform orientiert werden. Vielmehr müssen die Sachbesonderheiten beachtet werden, die auch nach weiterer Bereinigung (und Entkriminalisierung) des Nebenstrafrechts bestehen bleiben werden".146 Es handelt sich um eine offene Frage, die man vorläufig rein pragmatisch dadurch wird lösen müssen, daß von Fall zu Fall geprüft wird, ob jeweils die maßgebliche Rechtspflicht als Tatbestandsmerkmal behandelt werden kann. 147 [38]
IV. Die Teilnahme 1. In der Teilnahmelehre standen zunächst Kausalitätsprobleme im Mittelpunkt. Ausgehend von der durch ihn mitbegründeten Äquivalenztheorie, nach der "sämtliche Mitwirksamkeiten, aus welchen sich ein Erfolg ergeben hat, für denselben von der gleichen objektiven Bedeutung sind" (S. 246), kommt v. Buri 148 zur echten Kausalität nicht nur Vgl. Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 6. Aufl. 1980, Art. 11, Randnummer 19 H. Lange, Literaturbericht, ZStW 68 (1956), S. 602 f, 641; Hardwig, Pflichtirrtum, Vorsatz und Fahrlässigkeit, ZStW 78 (1966), S. 21; Maihofer, Zur Systematik der Fahrlässigkeit, ZStW 70 (1958), S. 193 f.; Noll, Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW 77 (1965), S. 6, der hier die Unterscheidung Nowakowskis zwisclien Wissensund Bewertungsirrtum aufnimmt (oben Anm. 135); Roxin, Literaturbericht, ZStW 77 (1965), S. 79 f.; Stratenwerth (Anm. 118), S. 70 f. 146 Tiedemann, Die legislatorische Behandlung des Verbotsirrtums im Ordnungswidrigkeitenund Steuerstrafrecht, ZStW 81 (1969), S. 884. Ebenso Arzt (Anm. 134 a), S. 862. 147 Vgl. Schlegtendal, Tatbestand, Vorsatz und Fahrlässigkeit bei den Ordnungswidrigkeiten, Diss. Freiburg i.Br., 1957, S. 133 H., 147: "Stets muß der Tater Kenntnis vom Verbot hal)en, um vorsätzlich handeln zu können«. 148 v. Buri (Anm. 98), S. 232. 144 145
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der Anstiftung (S. 273) und der Mittäterschaft (S. 276), sondern auch der Beihilfe (S. 252). Dagegen läßt es Haupt im Anschluß an die bekannte Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 6, 169; 8, 267) ausreichen, "daß die Handlung in irgendeiner Weise für die Verübung der Tat förderlich gewesen ist" .149 Die Gehilfenhandlung muß aber vom Tater für die Haupttat wenigstens verwendet worden sein, sonst kommt allenfalls Beihilfe durch Stärkung des Tatentschlusses des Taters in Betracht (S. 204 f.). Dagegen verlangt Coenders zutreffend nur eine "Beeinflussung" der Haupttat, 150 so daß also auch eine Unterstützung, die sich für den Tater letztlich störend ausgewirkt hat, als Beihilfe anzusehen ist. 2. Später treten in der ZStWandere zentrale Probleme von Taterschaft und Teilnahme in den Vordergrund. Extensiver und restriktiver Taterbegriff werden von Zimmerl in grundsätzlicher Weise einander gegenübergestellt.lSI Die Beibehaltung der Unterscheidung von Taterschaft und Teilnahme auf der Grundlage des restriktiven Taterbegriffs wird von ihm nachdrücklich empfohlen. 152 Die vorübergehend im Zuge der Ideologie vom Willensstrafrecht eingetretene Dominanz des extensiven Taterbegriffs 153 endete rasch mit dem Aufkommen der Tatherrschaftslehre. Diese wurde schon durch Beling vorbereitet 1S4 und ist im übrigen eine [39] der bleibenden Einsichten der finalen Handlungslehre gewesen.155 Die Tatherrschaftslehre hat in unserer Zeitschrift durch Gallas eine auch die Gesetzgebung bestimmende Vertretung und Begründung erfahren: "Diese auf den Gedanken der Tatherrschaft des Taters gegründete Abgrenzung zwischen Taterschaft und Teilnahme überwindet den herkömmlichen Gegensatz von objektiver und subjektiver Teilnahmetheorie, indem sie auf die sachliche Bedeutung der tatbestandsmäßigen Handlung als eines finalen Akts abstellt und damit einerseits die Tat nicht als bloßes kausales Geschehen, sondern als Objektivierung eines planenden Willens auffaßt, andererseits an den Inhalt der Objektivierung bestimmte Anforderungen stellt (,Erfolgsnähe' der angewandten Mitte!!). Man mag deshalb von einer ,final-objektiven, Theorie sprechen".ls6 Nach eingehender Widerlegung der subjektiven Theorie für die Abgrenzung von Taterschaft und Teilnahme folgt auch Bockelmann der Tatherrschaftslehre, knüpft diese aber an ein Argument aus der älteren Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 3, 181): "Teilnehmer ist, wer die Entscheidung darüber, ob die Tat ausgeführt werden soll, einem anderen Beteiligten anheimstellt. Tater ist, wer diese Entscheidung selber fällt".157 Aus der Tatherrschaftslehre ergibt sich unmittelbar, "daß Teilnahme an einem
Haupt, Beiträge zur Lehre von der Teilnahme, ZStW 15 (1895), S. 203. Coenders, Über die objektive Natur der Beihilfe, ZStW 46 (1925), S. 7. ISt Zimmerl, Grundsätzliches zur Teilnahmelehre, ZStW 49 (1929), S. 39 ff. 152 Zimmerl, Vom Sinn der Teilnahmevorschriften, ZStW 52 (1932), S. 166 ff.; ders., Taterschaft, Teilnahme, Mitwirkung, ZStW 54 (1935), S. 582. Dagegen wird der Einheitstäterbegriff von Roeder, Exklusiver Taterbegriff und Mitwirkung am Sonderdelikt, ZStW 69 (1957), S. 233, 238, vertre149
150
ten.
t53 154
Kohlrausch, Das kommende deutsche Strafrecht, ZStW 55 (1936), S. 394. Nach Beling, Zur Lehre von der "Ausführung" strafbarer Handlungen, ZStW 28 (1908),
S. 598, kommt es darauf an, wer "der Tat den Stempel seiner Persönlichkeit aufgedruckt hat". 155 Welzel (Anm. 68), S. 539: "Finale Täterschaft ist die umfassendste Form finaler Tatherrschaft" . 156 Gallas, Die moderne Entwicklung der Begriffe Taterschaft und Teilnahme im Strafrecht, Sonderheft der ZStW mit den deutschen Beiträgen zum VII. Internationalen Strafrechtskongreß in Athen, 1957, S. 13. Die volle Ausarbeitung der Tatherrschaftslehre ist Roxin, Taterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl. 1975, zu danken.
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Vorsatzdelikt vorsätzliche Begehung der Haupttat voraussetzt",158 und dieser Standpunkt ist bekanntlich Gesetz geworden. Dagegen wollte Engisch "der Rechtsprechung nicht den Weg versperren durch Aufnahme des Wortes ,vorsätzlich' als Attribut der Haupttat in den Bestimmungen über die akzessorische Teilnahme" .159 Trotz der Limitierung der Akzessorietät behält die [40] mittelbare Taterschaft ihre Bedeutung; die Forderung von Drost,160 die mittelbare Täterschaft im Gesetz zu regeln, hat das neue Recht ebenfalls erfüllt, wenn auch nur durch eine Andeutung. Für die mittelbare Täterschaft verwendet Lampe 161 den Begriff der Urheberschaft, was zum Ausdruck bringen soll, "daß die Urheberschaft Teilnahme und nicht Täterschaft ist" und daß sie "als umfassender Teilnahme-Begriff die Teilnahmeformen der Anstiftung, der psychischen und der physischen Beihilfe" umgreift (S. 300). Stark beschäftigt hat die Literatur ferner der Begriff der "besonderen persönlichen Merkmale". Die Garantenmerkmale beim unechten Unterlassungsdelikt rechnet Geppert mit einem Teil der Lehre nicht zu dieser Gruppe, weil sie nur die Funktion haben, "das in Betracht kommende akt- bzw. erfolgsbezogene Unrecht zu konkretisieren".162 Streitig ist ferner die Einordnung der Merkmale des Schuldtatbestandes. Mit Recht will Herzberg die schuldbegründenden speziellen Schuldmerkmale nicht dem § 28 Abs. 1 StGB unterstellen, der für den nicht-qualifizierten Teilnehmer die (wenn auch nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderte) Strafe für Täterschaft vorsieht, sondern dem § 29 StGB zuweisen, der in diesem Fall zum Freispruch führt. 163 Die herrschende Gegenmeinung, die § 29 StGB nur auf die allgemeinen Schuldausschließungsund Schuldminderungsgründe anwenden will, vertritt Gallas. 164 3. Nach herrschender Auffassung ist die Teilnahmelehre ein Stück der Lehre vom Tatbestand. Anstiftung und Beihilfe sind danach unselbständige Erweiterungen der gesetzlichen Tatbestände. [41] Dagegen hatte Höpfner schon frühzeitig die Auffassung vertreten, "daß es sich bei der Anstiftung und Beihilfe nicht um zwei einer Hauptbegehungsform (Taterschaft) zur Seite tretende Begehungsformen von Delikten handelt, sondern daß sie Übertretungen anderer Normen sind, als der vom ,Täter' übertretenen Norm".165 Sie sind "sekundäre Strafgesetze" im Verhältnis zu den eigentlichen Tatbeständen als 157 Bockelmann (wie Gallas Anm. 156), S. 56. Auf die Straftatbestandsverwirklichung verweist dagegen Sax, Dogmatische Streifzüge durch den EntwUrf des Allgemeinen TeiJs eines StGB nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission, ZStW 69 (1957), S. 433. Ahnlich Gimbernat Ordeig, Gedanken zum TaterbegriH und zur Teilnahmelehre, ZStW 80 (1968), S. 932. 158 Gallas (Anm. 156), S. 24. Ebenso Dahs (wie Gallas Anm. 156), S. 81. 159 Engisch (Anm. 65 a), S. 388. 160 Drost, Anstiftung und mittelbare Täterschaft in dem künftigen StGB, ZStW 51 (1931), S. 375 H. 161 Lampe, Über den Begriff und die Formen der Teilnahme am Verbrechen, ZStW 77 (1965), S. 298 f. 162 Geppert, Zur Problematik des § 50 Abs. 2 StGB im Rahmen der Teilnahme am unechten Unterlassungsdelikt, ZStW 82 (1970), S. 70. Dagegen mit eingehender Begründung Vogler, Zur Bedeutung des § 28 StGB für die Teilnahme am unechten Unterlassungsdelikt, Lange-Festschrift 1976, S. 283. 163 Herzberg, Zur Problematik der "besonderen persönlichen Merkmale" im Strafrecht, ZStW 88 (1976), S. 71 f. Ebenso Jescheck bei Grebing, Die Diskussionsbeiträge der Strafrechtslehrertagung in Göttingen, ZStW 88 (1976), S. 173. 164 Gallas bei Grebing (Anm. 163), S. 174 H. Gegen ihn Langer, Zum Begriff der "besonderen persönlichen Merkmale", Lange-Festschrift 1976, S. 252 ff. 165 Höpfner, Über die rechtliche Eigenart von Anstiftung und Beihilfe, ZStW 26 (1906), S. 619; ebensb den., Bemerkungen zu Belings Lehre von der Teilnahme, ZStW 27 (1907), S. 473 f.
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"primären Strafgesetzen" (S. 620). Im Anschluß an neuere Lehrmeinungen, wonach es neben den "Taterdelikten" selbständige "Teilnehmerdelikte" gebe (Schmidhäuser, Lüderssen, Herzberg), kommt auch Sax für die §§ 26 und 27 StGB zu dem Ergebnis, diese Vorschriften enthielten "die Teilnehmerdelikte der vollendeten Anstiftung und Beihilfe zu einer Straftat in Verbindung mit den Straftatbeständen, auf die sich das Teilnahmeverhalten je bezieht".166 Auch § 30 Abs. 1 StGB wird als "Teilnehmerdelikt der versuchten Anstiftung zum Verbrechen" verstanden (S. 964). V. Die Behandlung der unechten Unterlassungsdelikte 1. Der Streit um die Kausalität der Unterlassung für einen Erfolg, den der Tater hätte abwenden sollen und können, hat die Strafrechtswissenschaft lange beschäftigt. Im ersten Band der Zeitschrift setzt v. Buri167 sogleich mit der Interferenztheorie ein; er erblickt in der "Fassung des Entschlusses, dem [gesetzlichen] Gebote zuwider untätig zu bleiben", die den Erfolg verursachende Handlung. Auch Haupt versteht "das Nichttun als Ursache der eintretenden Naturbegebenheit".168 Dagegen bezeichnet Höpfner 169 im Anschluß an Traeger 170 die erfolgsmächtige Unterlassung nur noch als "relevant" und stützt die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen nicht mehr auf die Kausalität, sondern auf "normative Gesichtspunkte" (S. 114). v. Hippel geht noch einen Schritt weiter und vertritt die auch heute überwiegende Lehre, daß es [42] eine Kausalität des Unterlassens im Sinne des realen Bewirkens des Erfolges nicht gibt; jedoch komme es darauf nicht an: "Es ist unumstößliche Tatsache, daß wir im Leben wie im Recht die Unterlassung dann als kausal betrachten, wenn das Handeln möglich und erwartet war und den Eintritt des Erfolges gehindert hätte. Die kausale Bedeutung der Handlung besteht also im Bewirken, die der Unterlassung im Nicht-Hindern des Erfolges. In beiden Fällen verwerten wir den Kausalitätsbegriff als Form unseres Erkennens".t71 Ebenso verweist Grünwald darauf, daß offenbar der Gesetzgeber selbst die dem Sprachgebrauch entsprechende Meinung teilt, "daß auch der Unterlassende töte" .171a Unter Ablehnung der "Vorstellung von der Ursache als Kraft" kommt schließlich Ingeborg Puppe ohne weiteres zu dem Ergebnis: "Eine Negation ist eine zureichende gesetzmäßige Bedingung eines Erfolges, wenn die entsprechende Position bei im übrigen unveränderten Antezedenzien nach Kausalgesetzen notwendige Bedingung für sein Ausbleiben ist".172 Der Streit um die Kausalität der Unterlassung erweist sich damit als müßig, weil es für die Entscheidung, ob man sie bejaht oder verneint, auf die Wahl des Ausgangspunktes ankommt (vgl. auch oben B. I. 5.). 166 167
Sax, Zur Problematik des Teilnehmerdelikts, ZStW 90 (1978), S. 956.
v. Buri, Über die Kausalität der Unterlassung, ZStW 1 (1881), S. 412 f.; ähnlich Fischer, Das
kausale Element im sogenannten Begehungsdelikt durch Unterlassung, ZStW 23 (1903), S. 508. 168 Haupt, Zur Lehre von den Unterlassungsdelikten, ZStW 2 (1882), S. 540. 169 Häpfner, Zur Lehre vom Unterlassungsdelikte, ZStW 36 (1915), S. 105. 170 Traeger, Das Problem der Unterlassungsdelikte im Straf- und Zivilrecht, Enneccerus-Festschrift 1913, S. 21. 171 v. Hippet, Unterlassungsdelikte und Strafrechtskommission, ZStW 36 (1915), S. 509, Fußnote 29. 17la Grünwatd, Zur gesetzlichen Regelung der unechten Unterlassungsdelikte, ZStW 70 (1958), S.417. 172 Ingeborg Puppe (Anm. 108), S. 900.
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2. In den Mittelpunkt der Lehre von den unechten Unterlassungsdelikten tritt schon frühzeitig die Frage nach den Rechtspflichten, deren Verletzung die Zurechnung des eingetretenen Erfolges für den tatmächtigen Unterlassungstäter zur Folge hat. Noch für Haupt sind dies "nur Gesetz oder Vertrag".I73 Der ausdrücklichen Aufnahme des vorausgegangenen gefahrverursachenden Tuns als Grund der Verantwortlichkeit in § 24 5. 2 des Entwurfs 1913 tritt noch Höpfner 174 aus verschiedenen Gründen entgegen, während v. Hippel die Vorschrift "in Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht und der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts" verteidigt. 175 Er begründet ferner die wichtige [43] gesetzgeberische Entscheidung, "daß eine Ausdehnung des Kommissivdelikts in das Gebiet des unmoralischen Handelns nicht zu erfolgen habe" (5. 516). Einen materiellen Rechtspflichtenkatalog entwickelt später Niethammer: "Rechtspflicht aus Treueverhältnis und Gemeinschaft, Rechtspflicht aus Amt und Auftrag, Rechtspflicht dessen, der Macht hat, ein schweres Übel abzuwenden, Rechtspflicht dessen, der die Gefahr eines Schadens hervorgerufen hat" . 176 Den systematischen Standort der Rechtspflichten zur Erfolgsabwendung bestimmt Dahm 177 im Anschluß an die berühmte Garantenlehre Naglers 178 im Tatbestand. Eine ähnliche materielle Pflichtenlehre wie Niethammer hat Vogt aufgestellt: "Ehe, Familie, nahe blutmäßige Abstammung, Hausgemeinschaft oder ähnliche enge Lebensgemeinschaft, Stand (Beruf) und wirtschaftliches Vertrauensverhältnis" .179 Die moderne Systematisierung der materiellen Garantenpflichten, die vor allem Armin Kaufmann 180 und Henkel l8l zu danken ist, legen schließlich Jescheckl Goldmann ihrer rechtsvergleichenden Untersuchung des Problems zugrunde: "Danach kommen als Fälle pflichtbegründender Nähe zum Rechtsgut in Betracht: natürliche Verbundenheit, enge Gemeinschaftsbeziehungen, freiwillige Übernahme, während als Fälle pflichtbegründender Nähe zur Gefahrenquelle unterschieden werden: Beherrschung eines Gefahrenbereichs, gefährdendes Vorverhalten und nahe Beziehung zum Verletzer" .182 3. Das alte Problem der Vereinbarkeit des unechten Unterlassungsdelikts mit dem Gesetzlichkeitsprinzip hat schon der Entwurf 1913 durch Aufnahme des dem § 13 StGB entsprechenden § 24 zu lösen versucht, der jedoch in Satz 2, wie schon gesagt, als Beispielsfall der Garantenpflichten die Ingerenz ausdrücklich regelt. v. Hippel hat diese Vorschrift nachdrücklich verteidigt.183 [44] Der Versuch des AE, in § 12 die Garantenpflichten erschöpfend aufzuzählen, ist nach Gallas "zum Scheitern verurteilt" ,184 und im § 13 Haupt (Anm. 168), S. 547. Höpfner (Anm. 169), S. 122 H. Noch für Lampe, Ingerenz oder dolus subsequens? ZStW 72 (1960), S. 106, ist "das Problem der Rechtspflicht aus vorangegangenem Tun bisher ungelöst". 175 v. Hippel (Anm. 171), S. 513. 176 Niethammer, Strafbares Unterlassen, ZStW 57 (1938), S. 440 H. 177 Dahm, Bemerkungen zum Unterlassungsproblem, ZStW 59 (1940), S. 135 H. 178 Nagler, Die Problematik der Begehung durch Unterlassung, GS 111 (1938), S. 51 ff. 179 Vogt, Das Pflichtproblem der kommissiven Unterlassung, ZStW 63 (1951), S. 399 ff. 180 Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 283 H. 181 Henkel, Das Methodenproblem bei den unechten Unterlassungsdelikten, MSchrKrim 1961, 190. 182 Jescheckl Goldmann, Die Behandlung der unechten Unterlassungsdelikte im deutschen und ausländischen Strafrecht, ZStW 77 (1965), S. 123 ff. 183 v. Hippel (Anm. 171), S. 513 ff. 184 Gallas, Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 (1968)~ S. 17. 173 174
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StGB hat man darauf denn auch verzichtet. Eine Absage an die Reform der dogmatischen Bestimmungen des Allgemeinen Teils überhaupt, wie sie Armin Kaufmann erteilt hat,185 würde das unechte Unterlassungsdelikt weiterhin dem Gewohnheitsrecht überlassen haben, und demgegenüber bedeutet § 13 StGB immerhin einen Fortschritt. 186 Auch der Vorschlag von Grünwald, die Lösung des Problems der unechten Unterlassungsdelikte im Besonderen Teil zu suchen,187 hat sich nicht durchgesetzt. 4. In der umstrittenen Frage der Unterscheidung von Tun und Unterlassen findet sich in unserer Zeitschrift die zutreffende Lösung nach dem Kausalitätskiiterium in einer Bemerkung von Roxin. Danach "ist lediglich festzustellen, ob ein positives Tun für den Erfolg kausal ist. Läßt sich das bejahen, so ist - da bei Vorsatzdelikten die Frage ohnehin nicht problematisch wird - nur noch zu ermitteln, ob dieses Tun nach allgemeinen Regeln fahrlässig ist. Ist das der Fall, so ist es ausgeschlossen, die strafrechtliche Haftung dadurch zu umgehen, daß man die Tat ihrem sozialen Handlungssinn nach als Unterlassungsdelikt versteht. Wenn dagegen das positive Tun nicht kausal oder nicht fahrlässig ist, so hat man immer noch zu prüfen, ob der Handelnde ein anderes, rechtlich gebotenes Verhalten, das den Edolg abgewendet hätte, unterlassen hat" .188
Zweiter Teil: Grundfragen der Kriminalpolitik I. Der Kampf um die Strafzwecke Die ZStW ist in der großen Zeit der Entstehung der modernen Kriminalpolitik ins Leben getreten. Sie sollte über "Stand [45] und Fortschritte der strafrechtlichen Gesetzgebung und Wissenschaft" umfassend orientieren. 189 Den Gründern ging es dabei vor allem auch darum, die Entwicklung der Auffassungen von Sinn und Zweck der Kriminalstrafe nebst den gesetzgeberischen Auswirkungen in einer sich wandelnden Gesellschaft zu vedolgen. Daß dabei das Schwergewicht auf der Darstellung der Positionen der modernen Schule gelegen hat, ergab sich aus dem Geist und Reformwillen Franz v. Liszts und Eduard Kohlrauschs, die als Schriftleiter mehr als die Hälfte des bisherigen Weges unserer Zeitschrift bestimmt haben. Aber auch die Entwicklung der Strafzwecklehre nach dem zweiten Weltkrieg ist in unserer Zeitschrift anhand der großen literarischen Auseinandersetzungen während der letzten Phase der Strafrechtsreform genau zu vedolgen. 1. Die Grundpositionen der modernen Schule hat vor allem Franz v. Liszt in führenden Beiträgen unermüdlich vertreten. Das "Marburger Programm" von 1882 190 nahm 185 Annin Kaufmann, Die Do.smatik im Alternativ-Entwurf, ZStW 80 (1968), S. 53. Die Geltung des "Umkehrprinzips" Kau/manns, das der Lehre eine feste Struktur geben könnte, hat Haffke, Unterlassung der Unterlassung? ZStW 87 (1975), S. 44 ff., mit Recht bestritten. 186 V~l. LK (jescheck), 10. Auf!. 1979, § 13 Randnummer 11 ff. Daß die Unterlassung jedenfalls dem sozialen Handlungsbegriff eingeordnet werden kann, haben Bloy, Finaler und sozialer Handlungsbegriff, ZStW 90 (1978), S. 624, und Lampe, Die Problematik der Gleichstellung von Handeln und Unterlassen im Strafrecht, ZStW 79 (1969), S. 514, gezeigt. 187 Grünwald (Anm. 171 a), S. 425 ff. 188 Roxin (Anm. 106), S. 415. 189 ZStW 1 (1881), S. 1. 190 v. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 (1883), S. 1 ff. Zur Tatertypenlehre ferner v. Liszt, Die psychologischen Grundlagen der Kriminalpolitik, ZStW 16 (1896), S. 480, 499.
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Mittelstädts Aufruf zum Kampf "Gegen die Freiheitsstrafe" (1879) auf und verkündete als Thesen der Zukunft: "Die richtige, d. h. die gerechte Strafe ist die notwendige Strafe" (S. 31). "Wir müssen das Verbrechen als soziale Erscheinung, die Strafe als soziale Funktion untersuchen" (S. 33). Die Zwecke der Strafe sind: ,,1) Besserung der besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Verbrecher; 2) Abschreckung der nicht besserungsbedürftigen Verbrecher; 3) Unschädlichmachung der nicht besserungsfähigen Verbrecher" (S. 36). Hieran schließen sich die Forderungen für die Gestaltung eines zweckentsprechenden Sanktionensystems an (unbestimmte Freiheitsstrafe, Beseitigung der kurzen Freiheitsstrafe, Strafaussetzung zur Bewährung, bedingte Entlassung, Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe).191 Als philosophische Grundlage seiner Position bekennt sich v. Liszt 192 zum konsequenten Determinismus: "Der überlieferte Schuldbegriff ist unhaltbar" (S. 345); "mit dem Begriff der Schuld fällt auch der der Vergeltung" (S. 346). Die Gefahren der Zweckstrafe werden durch den Magna Charta-Gedanken gebannt (S. 357). Hervorragende Praktiker werden v. Liszts [46] Weggenossen. 193 Aber auch die Gegenposition der absoluten Straftheorie kommt zu Wort und wird durch bedeutende Vertreter von Wissenschaft194 und Rechtsprechung 195 verteidigt. Schon frühzeitig hat jedoch v. Liszt die Brücke zur anderen Seite durch Aufnahme des Gedankens der Zweispurigkeit ge'schlagen. 196 Die Möglichkeiten eines mehrdimensionalen Strafbegriffs im Sinne der Vereinigungstheorie hat Lammasch 197 entwickelt und ist damit ebenfalls ein Wegbereiter praktischer Kriminalpolitik gewesen. Die großen Erfolge der durch Franz v. Liszt geführten IKV 198 und der AIDP als ihrer Nachfolgerin bei der Umsetzung der Forderungen der modernen Schule in die Strafgesetzgebung des In- und Auslands haben Cornil199 und Jescheck 200 in ihren Festvorträgen auf dem vorletzten und letzten Internationalen Strafrechtskongreß in Budapest (1974) und Hamburg (1979) nachgezeichnet.
2. Mit dem Einlenken v. Liszts und der Ausbreitung der Vereinigungstheorie wurde die Beilegung des freilich immer wieder aufflammenden Schulenstreits ermöglicht und der Weg zur Reformgesetzgebung eröffnet. In seiner Berliner Antrittsvorlesung von v. Liszt, Kriminalpolitische Aufgaben, ZStW 9 (1889), S. 452 H. v. Liszt, Die deterministischen Gegner der Zweckstrafe, ZStW 13 (1893), S. 325 H. 193 Aschrott, Zur Reform des deutschen Strafen- und Gefängniswesens, ZStW 8 (1888), S. 1 H. (insbes. S. 4); Appelius, Die Reformbestrebungen auf dem Gebiete der Strafrechtspflege und das heutige Strafrecht, ZStW 12 (1892), S. 1 H.(insbes. S. 20 H.); Oborniker, Zum Kampf der klassischen gegen die moderne Schule in der Birkmeyer-Naglerschen Sammlung, ZStW 36 (1915), S. 159 ff. (insbes. S. 183). 194 Sonntag, Beiträge zur Lehre von der Strafe, ZStW 1 (1881), S. 480 H. (insbes. S. 494 H.). 195 v. Buri, Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 4 (1884), S. 169 H. 196 v. Liszt (Anm. 192), S. 368: "Wir verlangen eine Umgestaltung der Gesetzgebung, und die ist ohne Kompromisse nicht zu erzielen" . 197 Lammasch, Über Zwecke und Mittel der Strafe, ZStW 9 (1889), S. 423 H.; ders., Die Aufgaben der Strafrechtspflege, ZStW 15 (1895), S. 633 H. Auch Oetker, Rechtsgüterschutz und Strafe, ~StW 17 (1897), S. 539 H. folgte als einer der Führer der klassischen Schule der Vereinigungstheone . .. 198 In der Anzeige der Gründun~ der IKV in ZStW 9 (1889), S. 363 wird durch v. Liszt auf die Ubereinstimmung zwischen den knminalpolitischen Zielen unserer Zeitschrift und denen der IKV hingewiesen (S. 367 H.). 199 Cornil, Betrachtungen zum 50-jährigen Bestehen der Association Internationale de Droit Penal, ZStW 87 (1975), S. 438 H.\ 200 Jescheck, Der Einfluß der IKV und der AIDP auf die internationale Entwicklung der modernen Krirninalpolitik, ZStW 92 (1980), S. 997 H. 191
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1899 finden wir bei 'V. Liszt erstmals den "ultima ratio" -Gedanken: "Die Strafe ist eines der Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens; aber sie ist nicht das einzige, sie ist insbesondere auch [47] nicht das wirksamste Mittel",2°1 Wenig später wirbt er für die "gemeinschaftliche Arbeit" der beiden Richtungen.202 Gegenüber heftigen Angriffen der klassischen Schule wird das Bekenntnis zum Marburger Programm zwar erneuert (S. 215), aber auch die Bereitschaft zum Komprorniß bekräftigt: "Es handelt sich heute um mehr als um den Streit der Schulen. Es handelt sich darum, ob wir ein deutsches Strafgesetz bekommen, das, der heutigen Gestaltung der Kriminalität angepaßt, der Rechtsordnung den erforderlichen Schutz gewährt" .203 In einer wichtigen vermittelnden Äußerung schließt sich Liepmann dem Führer der modernen Schule an: "Daher ist die Strafe nur dann und insoweit berechtigt, als sie notwendig erscheint zum Schutz der Rechtsordnung" .204 Die Arbeit an den Entwürfen wird bald zum Träger gemeinsamer Reformanliegen. Beiden Parteien erscheint der Entwurf von 1909 als gelungener Komprorniß im Schulenstreit.204a Auch Delaquis empfindet den Entwurf "als Zeichen zu einem Waffenstillstand" , als "den Anbruch einer Zeit positiver Arbeit, schöpferischen Aufbaus" .205 Nach dem ersten Weltkrieg bildete der Entwurf von 1919 noch immer die Grundlage der gemeinsamen kriminalpolitischen Arbeit beider Richtungen. 20s a Der mit dem Entwurf Radbruchs von 1922 erreichte größte Fortschritt im Sinne der Ideen der modernen Schule ließ sich in der Folgezeit nicht durchhalten 205b und die Verhärtung der Gegensätze, die auch durch den verschärften innerpolitischen Kampf bedingt war, wird immer mehr spürbar. Die berühmte Karlsruher IKV-Rede Kohlrauschs 206 klingt hinsichtlich der Zweispurigkeit viel weniger positiv [48] als frühere Äußerungen (" Versuch, zwei Weltanschauungen nicht zu verschmelzen, sondern äußerlich aneinander zu leimen").207 Angesichts des heraufziehenden Unheils beschwor am Ende der Epoche Grünhut noch einmal die humanen und rationalen Grundgedanken der gemeinsam getragenen Strafrechtsreform gegenüber dem "Glauben an das Neue" .208 3. Durch eine eigenartige Fügung wird die nachfolgende Epoche wiederum mit einem Aufsatz Grünhuti09 eröffnet, der noch einmal die warnende Stimme erhebt: "Die gei201 202 203
v. Liszt (Anm. 2), S. 171. v. Liszt, Die gesellschaftlichen Faktoren der Kriminalität, ZStW 23 (1903), S. 203 H. v. Liszt, Birkrneyers "Warnung vor der modernen Richtung im Strafrecht", ZStW 27 (1907),
S.220.
Liepmann, Strafrechtsreform und Schulenstreit, ZStW 28 (1908), S. 19. van Caiker, Der Vorentwurf zu einern deutschen StGB, ZStW 30 (1910), S. 279 H.; v. Liiienthai, ebenda, S. 241; v. Hippei, ebenda, S. 871 H. 205 Delaquis, Die Umbildung des StrafbegriHs im modernen Kriminalrecht, ZStW 32 (1911), 204
204.
S. 702.
205. Kahi, Der deutsche StGB-Entwurf von 1919, ZStW 42 (1921), S. 215; Ebermayer, Die Entwürfe zu einern deutschen StGB, ZStW 42 (1921), S. 315 H. 205b Radbruch, Regierungsvorlage 1922 und Reichsratsvorlage 1924, ZStW 45 (1925), S. 417. 206 An~ekündigt in ZStW 48 (1928), S. 268. Dazu Gallas, Eduard Kohlrausch, Neue Deutsche BiographIe, 1980, S. 429. Vgl. ferner das großartige Bekenntnis Wiiheim Kahis zu Franz v. Liszt in seiner Reichstagsrede vorn 21. 6. 1927, ZStW 48 (1928), S. 259. 207 Kohirausch, Mitteilungen der IKY, Neue Folge, 3. Band, 1928, S. 40; dagegen fordert Mezger, Kriminologische Grundlagen von Strafe und Sicherung im Strafgesetzentwuif 1927, ZStW 49 (1929), S. 185, den "weiteren Ausbau eines durchaus elastischen Sicherungssystems" mit einern weitgespannten Maßregelkatalog. 208 Grünhut, Zur Frankfurter Tagung der IKV, ZStW 52 (1932), S. 763 H. 209 Grünhut, Kriminalpolitische Wandlungen? ZStW 53 (1934), S. 1 H.
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stesgeschichtliche Konstruktion von dem sozial-liberalen Komprorniß als Entartung des modernen Strafrechts ist unrichtig" (S. 6); "in der Ablösung von der praktischen Kriminalpolitik liegt die große Gefahr dieser Lehren"; "die Orientierung des Strafrechts an dem Zweck der Verbrechensbekämpfung ist der Schutz dagegen, daß die Strafgewalt zum Mittel des politischen Kampfes wird" (S. 8). Erwähnt wird weiter Radbruchs "warnender Hinweis auf die schwere Verantwortung der neuen Lehren, die entgegen den Absichten ihrer Urheber allzuleicht zur Rechtfertigung jeder sinnlosen Brutalisierung des Strafrechts mißbraucht werden können" (S. 9 f.). Auch Gallas210 erinnert in seiner Berliner Antrittsvorlesung von 1933 an den "unverlierbaren Teil des Lisztschen Erbes" (S. 28), warnt im Anschluß an Kohlrausch vor verfrühter weltanschaulich-politischer Festlegung (S. 12), bezweifelt den Wert "einer generellen Verschärfung der Justiz im Dienst der Generalprävention" (S. 15) und erhofft sich eine Durchdringung des Erziehungsgedankens bei der Strafe durch die überindividuellen Werte des Staatsgedankens (S. 25 f.). Die andere Seite erscheint in der Zeitschrift in Gestalt der Denkschrift des Preußischen Justizministers, der Schaffstein 211 in wichtigen Punkten (Einspurigkeit, Verschärfung der Freiheitsstrafe durch körperliche Züchtigung) entgegentritt [49] (S. 615, 617), in anderen (z. B. der Arbeit zur Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen) zustimmt (S. 618). Auf der anderen Seite wird das positive Gesicht der Gesetzgebung der neuen Zeit von Exner hervorgehoben; er bringt das Gewohnheitsverbrechergesetz zu Recht in Zusammenhang mit Franz v. Liszt und dem Kampf der modernen Schule gegen Rückfall, Alkoholismus, Verwahrlosung und Gewohnheitsverbrechertum.212 Gegen rücksichtslose generalpräventive Tendenzen wendet sich Kohlrausch, 213 indem er im Entwurf 1936 die strenge Bindung der Strafe an das Schuldprinzip und den Wegfall einer allgemeinen Strafschärfungsmöglichkeit für besonders schwere Fälle betont. Eine Rettung der Sachgebundenheit der Kriminalpolitik versucht in letzter Stunde noch einmal Hellmuth Mayer: "Im Vordergrund steht die sittenbildende Kraft der Strafe" .214 Den Abschluß der Epoche bildet die beschwörende Mahnung Eberhard Schmidts215 an den deutschen Juristenstand zu "maze und bescheidenheit", die zwar ungehört verhallt ist, aber der ZStW Ehre macht. 4. Die Debatten der Großen Strafrechtskommission um Grundfragen der Kriminalpolitik sind in der ZStW durch die Berichte Dreheri 16 hervorragend dokumentiert. Die Ergebnisse für das Sanktionensystem des Entwurfs 1962 wurden jedoch in unserer Zeitschrift sehr unterschiedlich beurteilt. Eberhard Schmidr 17 forderte die Einheitsstrafe (S. 185) und bezeichnete es im Anschluß an Kohlrauschs bekannte Formulierung als die "kriminalpolitische Sachaufgabe", "einen Entgleisten wieder ins Gleis, wieder auf den rechten Weg zu bringen" (S. 191). Aus seinem [50] großen Züricher Vortrag218 spricht 210 Gallas, Die Krise des Strafrechts und ihre Überwindung im Staatsgedanken, ZStW 53 (1934), S. 11 H. · 211 Schaf/stein, Nationalsozialistisches Strafrecht, ZStW 53 (1934), S. 603 H. 212 Exner, Das System der sichernden und bessernden Maßregeln nach dem Gesetz vom 24. 11. 1933, ZStW 53 (1934), S. 629 ff. m Kohlrausch, Das kommende deutsche Strafrecht, ZStW 55 (1936), S. 397. 214 H. Mayer, Kriminalpolitik als Geisteswissenschaft, ZStW 57 (1938), S. 12. 215 Eh. Schmidt, Strafrechtspflege und Rezeption, ZStW 62 (1944), S. 263. 216 Vgl. insbesondere die Berichte über die beiden ersten Arbeitstagungen im Jahre 1954: Dreher, ZStW 66 (1954), S. 568 ff. und ZStW 67 (1955), S. 77 ff. 217 Eh. Schmidt, Vergeltung, Sühne und Spezialprävention, ZStW 67 (1955), S. 177 H.
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der ungebrochene Glaube an die resozialisierende Kraft eines neuzugestaltenden Strafvollzugs (S. 367 ff.) und deswegen auch die Zustimmung zu dem vikariierenden System bei der Zweispurigkeit; darin bewahrheite sich "Liszts berühmtes Wort, wonach das Notwendige das Gerechte ist" (S. 393). Das System der Maßregeln des Entwurfs billigt auch Bruns,218. der vor allem die Forderung aufstellt, "daß der Richter diese Möglichkeiten ausschöpft" (S. 251), und daran fehlt es bekanntlich gerade bei der Sicherungsverwahrung. Mannheim 218b begrüßt die Anknüpfung der Strafe an das Schuldprinzip (S. 188), fordert die Ergänzung des Schuldprinzips durch eine spezialpräventive Formel (S. 191) und schließt sich ebenfalls dem vikariierenden System als "Notbehelf" an (S. 199). In der Kritik des E 1962 von Heinitz 219 klingen bereits Forderungen an, die erst in der Reform von 1969 im wesentlichen verwirklicht werden sollten. Hall bekämpft Sicherungsverwahrung wie Sicherungs strafe als gleichermaßen ungerecht. 220 Jescheck 221 begrüßt zwar die "Annäherung der kriminalpolitischen Standpunkte" (S. 14), erkennt aber zugleich den entscheidenden Mangel, daß es "an genügend empirischem Beobachtungsmaterial über die Wirkungsweise der strafrechtlichen Sanktionen, insbesondere der Freiheitsstrafen und der mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregeln" gefehlt hat (S. 13). Kaise~22 schließlich schiebt dem Entwurf 1962 "eine hohe Beweislast für die Beibehaltung überlieferter Strafsanktionen" zu (S. 130) und greift mit dem Vorschlag eines "Kriminalrechts entsprechend der Struktur des JGG" (S. 150) noch über die Reform von 1969 hinaus. [51] 5. Damit war bereits der Aufbau der Gegenposition in Gang gekommen, die im Alternativ-Entwurf von 1966 Ausdruck gefunden hat. Die große Auseinandersetzung um die Strafkonzeption und alle damit zusammenhängenden Fragen, die zu dem später eingeschlagenen "mittleren Weg" der deutschen Strafrechtsreform geführt hat, ist auf der Strafrechtslehrertagung 1967 in Münster ausgetragen worden. Schon vorher waren auf der Strafrechtslehrertagung 1964 in Hamburg die Hauptthemen der zukünftigen Diskussion angeklungen: so trat Grünwald für die Schuldstrafe ein, kritisierte aber die Ausdehnung der Maßregeln (S. 667 f.),223 Noll gründete die Strafe allein auf die Notwendigkeit der Generalprävention und erkannte der Schuld nur als "Korrektiv" Bedeutung ZU. 224 In Münster sprach sich dann Gallas gegen den rein präventiven Strafbegriff des AE mit der Schuld lediglich als Obergrenze aus und kennzeichnete den Strafzweck durch das bekannte Wort: "Der Sinn der Strafe wird nicht durch das mit ihrer Anwendung ange218 Eb. Schmidt, Kriminalpolitische und strafrechtsdogmatische Probleme in der deutschen Strafrechtsreform, ZStW 69 (1957), S. 359 H. 218. Bruns, Die Maßregeln der Besserung und Sicherung im StGB-Entwurf 1956, ZStW 71 (1959), S. 210 H. 218b Mannheim, Betrachtungen zum Entwurf des Allgemeinen Teils eines StGB, ZStW 71 (1959), S. 181 H. 219 Heinitz, Der Entwurf des Allgemeinen Teils des StGB vom kriminalpolitischen Standpunkt aus, ZStW 70 (1958), S. 1 H. 220 Hall, Sicherungsverwahrung und Sicherungsstrafe, ZStW 70 (1958), S. 41 H. 221 Jescheck, Die weltanschaulichen und politischen Grundlagen des Entwurfs eines StGB (E 1962), ZStW 75 (1963), S. 1 H. 222 Kaiser, Zur kriminalpolitischen Konzeption der Strafrechtsreform, ZStW 78 (1966), S. 100 H. 223 Grünwald, Sicherungsverwahrung, Arbeitshaus, vorbeugende Verwahrung und Sicherungsaufsicht im E 1962, ZStW 76 (1964), S. 633 H. 224 Noll, Diskussionsvotum auf der Strafrechtslehrertagung vom 21.-23. 5. 1964 in Hamburg, ZStW 76 (1964), S. 712.
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strebte Präventionsziel, sondern durch den Gedanken bestimmt, daß mit ihr der Täter die verdiente mißbilligende Antwort der Rechtsgemeinschaft auf das von ihm begangene schuldhafte Unrecht erfährt und dadurch die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung und die Verantwortlichkeit des Täters für ihre Verletzung demonstriert werden." Dadurch erweist sich die Strafe "zugleich als ein wirksames und für den Rechtsschutz unentbehrliches Mittel der Prävention".225 Jescheck schloß sich ihm an: nach seiner Meinung "verliert die konkret ausgesprochene Strafe ihr eigentliches Wesenselement als sozialethische Mißbilligung der Tat, wenn sie die Beziehung zum Schuldgehalt dadurch einbüßt, daß Schuldgesichtspunkte bei der Festlegung der konkreten Strafgröße überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden dürfen". "Gerade die präventive Funktion der Strafe würde leiden, wenn die Schuld zukünftig nur als regulatives Prinzip für die Strafobergrenze in Betracht gezogen werden dürfte, nicht aber als konstitutives Prinzip auch den Sinngehalt der Strafe selbst bestimmen würde".226 Die Verteidigung der spezialpräventiven [52] Strafkonzeption des AE übernahmen GrünwalJ227 und später Roxin. 228 Auch Eberhard Schmidr 29 hat sich in Münster für die Strafkonzeption des AE ausgesprochen. 6. Die Auffassung der Strafe in den Reformgesetzen von 1969, die darauf beruht, daß die Strafe trotz einer gewissen dem Richter durch die Grundlagenformel des § 46 Abs. 1 StGB eingeräumten Bewegungsfreiheit nicht aufhören darf, "gerechter Ausgleich für die Schuld und damit in ihrem Kern Schuldstrafe zu sein" ,230 führt Bockelmann 231 zwar auf v. Liszt zurück, er zeigt aber zugleich, daß die Schuld nach dem neuen Recht nicht nur Voraussetzung dafür ist, daß überhaupt gestraft werden darf, sondern auch Grund und Grenze der Strafe (S. 609 f.), und daß die Strafe damit durchgängig, auch in ihrer Höhe, ein der Schuld entsprechendes, sozial-ethisches Unwerturteil der Rechtsgemeinschaft ausdrückt. Die Strafkonzeption des neuen Rechts wird auch in der jüngeren Generation gebilligt: "Das geltende Strafgesetz [ist] von der Vorstellung geprägt, daß nur die ,gerechte', nämlich schuldangemessene Strafe als Antwort der Rechtsgemeinschaft auf den schuldhaften Rechtsbruch das wirksame und angemessene Mittel zur Abschreckung der Allgemeinheit, zur sozialpädagogischen Stärkung ihres Rechtsbewußtseins und zur Abschreckung sowie Besserung (Erziehung) des Täters ist" .232 Die Sanktionspraxis hat sich im Sinne der modernen Kriminalpolitik günstig entwickelt. 233 Die internationale Krise 225 226
Gallas, Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 (1968), S. 3. Jescheck, Die kriminalpolitische Konzeption des Alternativ-Entwurfs eines StGB (Allgemei-
ner Teil), ZStW 80 (1968), S. 59. 227 Grünwald, Das Rechtsfolgensystem des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 (1968), S. 90 ff. 228 Roxin, Franz v. Liszt und die kriminalpolitische Konzeption des Alternativ-Entwurfs, ZStW 81 (1969), S. 637 ff. 229 Eh. Schmidt bei Friedrichs, Die Diskussionsbeiträge der Strafrechtslehrertagung 1967 in Münster, ZStW 80 (1968), S. 125. Vgl. auch Eh. Schmidt, Freiheitsstrafe, Ersatzfreiheitsstrafe und Strafzumessung im Alternativ-Entwurf eines StGB, NJW 1967, 1929. 230 Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucksache 1/4094, S. 5. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Konzeption wirkungsvoll unterstützt; vgl. dazu Volk, Der Begriff der Strafe in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ZStW 83 (1971), S. 409 ff. 231 Bockelmann, Franz v. Liszt und die kriminalpolitische Konzeption des Allgemeinen Teils, ZStW 81 (1969), S. 597 ff. m Tiedemann, Die Fortentwicklung der Methoden und Mittel des Strafrechts unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Strafgesetzgebung, ZStW 86 (1974), S. 330.
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der Kriminalpolitik erfordert [53] für das deutsche Strafrecht keine Kursänderung, sondern bestätigt nur deren mittleren Weg, den es in der Reform eingeschlagen hat: wir gehen "mit Selbstverständlichkeit davon aus, daß eine Rückkehr zur absoluten Straftheorie, wie sie jetzt teilweise in den USA aus Ratlosigkeit und Enttäuschung befürwortet wird, nicht in Betracht kommen kann und daß die Bereitschaft zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Straftäter auch weiterhin die Grundlage der Kriminalpolitik bleiben muß" .234
11. Die Reform des Sanktionensystems Unsere Zeitschrift hat die Strafrechtsreform seit ihren Anfängen um die Jahrhundertwende durch eine Fülle von Berichten begleitet, die insbesondere auch die Vorschläge und Reformen im Bereich des Sanktionensystems schildern. Diese informierende Funktion der ZStW kann hier nur erwähnt, aber nicht näher behandelt werden. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf wenige Sachfragen. 1. In der älteren Reformdiskussion stand das auch heute noch nicht befriedigend gelöste Problem der Behandlung des Rückfalls und des Gewohnheitsverbrecherturns im Vordergrund. Im Sinne der scharfen spezialpräventiven Position der modernen Schule forderten Kohlrausch 235 und Graf zu Dohna236 die unbestimmte Sicherungsstrafe, auch im Sinne einer Sicherungsnachhaft. Später hat sich Graf zu Dohna237 erneut für die relativ unbestimmte Freiheitsstrafe nach dem Vorbild des Jugendrechts zur Bekämpfung des Berufsverbrecherturns eingesetzt. Als einen Schritt über die Geldstrafengesetze von 1921 1924 hinaus empfahl Kronecke~38 das Tagesbußensystem. Die Einführung der bedingten Begnadigung in den deutschen Bundesstaaten239 ist durch das ablehnende Gutachten der preußischen Oberlandesgerichtspräsidenten und Oberstaatsanwälte zur Strafaussetzung zur Bewährung240 (außer [54] einem Votum S. 679 H.) nicht verhindert worden. Die Zeitschrift folgte der zahlenmäßigen Entwicklung dieser Einrichtung. 241 Später widmete Karl Schäfe~42 ihr eine eingehende statistische Untersuchung, die deren große praktische Bedeutung als Vorläuferin der erst 1953 eingeführten Strafaussetzung zur Bewährung zeigt. Er mißt der bedingten Begnadigung "die Bedeutung eines selbständigen Strafwerts neben der Geldstrafe und der Freiheitsstrafe" zu (S. 237) und kommt im Ergebnis zu
233 Kaiser, Die Fortentwicklung der Methoden und Mittel des Strafrechts, ZStW 86 (1974),
S. 360 H.
234 235 236 237 238 239
Jescheck, Die Krise der Kriminalpolitik, ZStW 91 (1979), S. 1050. Kohlrausch, Sicherungshaft, ZStW 44 (1924), S. 33. Graf zu Dohna, Die Sicherungsstrafe, ZStW 44 (1924), S. 56. Graf zu Dohna, Auf dem Wege zum unbestimmten Strafurteil, ZStW 51 (1931), S. 454 f. Kronecker, Neuere Bestimmungen über Geldstrafen, ZStW 44 (1924), S. 584. v. Liszt, Die bedingte Verurteilung in Preußen, Aufsätze und Vorträge, Band 11, 1905, S. 160 H. 240 ZStW 10 (1890), S.. ?66 H. mit einer Entgegnung v. Liszts, S. 682 H.: "Das Strafensystem
krankte an der maßlosen Uberschätzung der Freiheitsstrafe" (S. 698). "Wir verlangen eine Umgestaltung unseres gesamten Strafensystems" (S. 699). 241 Kohlrausch, Die Ergebnisse der bedingten Begnadigung, ZStW 25 (1905), S. 792 H.; Klee, Die bedingte Begnadigung innerhalb der letzten sechs Jahre, ZStW 26 (1906), S. 458 H. 242 Karl Schäfer, Die Handhabung der bedingten Strafaussetzung in Preußen, ZStW 52 (1932), S. 236 H.
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30% ganz oder teilweise ausgesetzten Freiheitsstrafen, während 70% restlos vollstreckt wurden (S. 246). Eberhard Schmidr 43 und Grünhur 44 forderten die Abschaffung der Ehrenstrafen wegen ihrer resozialisierungsfeindlichen Wirkung. Um die Reform des Strafvollzugs bemühte sich die gleichnamige Arbeitsgemeinschaft,245 die zuerst von Freudenthal, später von Sieverts und Eberhard Schmidt geleitet wurde. Die ZStW hat über ihre Beratungen und Vorschläge laufend berichtet. In einem grundlegenden Aufsatz erklärte Freudenthaf 46 das Gefangenschaftsverhältnis als Rechtsverhältnis und forderte die Regelung des Strafvollzugs durch "Sätze des öffentlichen Rechts". 2. Alle diese Ansätze zur Humanisierung und Rationalisierung des Sanktionensystems sind durch die nachfolgende Epoche des autoritären Strafrechts vorübergehend unterbrochen worden. Die "ausfüllungsbedürftigen Wertformeln" des Grafen Gleispach auf der letzten IKV-Tagung im Jahre 1932 in Frankfurt: "Unbedingter Vorrang des Ganzen vor dem Einzelnen, engere Verbindung von Recht und Sittlichkeit, Schutz ideeller Güter, vor allem aber Gesinnungsstrafrecht und Ausscheidung des entarteten Verbrechers" [55] konnten zwar "in vielfacher Weise gedeutet werden", waren aber "in einem Gegensatz zu der bisherigen kriminalpolitischen Richtung der Reformbewegung gemeint" .247 Der rückschauende Betrachter kennt den Weg, der dadurch gewiesen wurde. Die Beibehaltung der Todesstrafe stand "für den nationalsozialistischen Staat außer Frage",248 sie erfährt eine "Erweiterung ihres Anwendungsgebiets" und wird im Kriege zur Sicherungs-Todesstrafe.249 Der Unterschied zwischen Zuchthaus und Gefängnis wurde durch Erschwerung des Vollzugs der ersteren verschärft, die Ehrenstrafen wurden ausgedehnt, die Einführung der Ächtung trat ins Blickfeld.250 Das Verhängnis nahm seinen Lauf. 3. Nach dem zweiten Weltkrieg trat im deutschen Sanktionensystem rasch eine grundlegende Wendung ein, die einerseits zu Franz v. Liszt zurückgeführt, andererseits aber auch die Härte der spezialpräventiven Positionen seiner Schule überwunden hat.251 Die Todesstrafe wurde im Jahre 1949 durch das Grundgesetz abgeschafft und blieb es auch nach der denkwürdigen Debatte in der Großen Strafrechtskommission.252 Die Einheitsfreiheitsstrafe siegte über das Zuchthaus253 und wurde in die Reform von 1969 aufge243
S.35.
Eb. Schmidt, Die Gestaltung der Ehrenstrafen im künftigen Strafrecht, ZStW 45 (1925),
Grünhut, Die Abschaffung der Ehrenstrafen, ZStW 46 (1926), S. 260 H. Grünhut, Arbeitsgemeinschaft für die Reform des Strafvollzugs, ZStW 45 (1925), S. 295; Eb. Schmidt, ZStW 64 (1952), S. 1 H. 246 Freudentha/, Strafrecht und Strafvollzug im modernen Rechtsstaat, ZStW 39 (1918), S. 493 H. Eich/er, Neuzeitlicher Strafvollzug, ZStW 48 (1928), S. 175 f., sieht ebenfalls die "schweren Mängel" des rein innerdienstlich geregelten Vollzugs und begrüßt den Entwurf des Strafvollzugsgesetzes. 247 So Grünhut (Anm. 208), S. 773 f. 248 Aus der Denkschrift des Preußischen Justizministers bei Schaffstein (Anm. 211), S. 616 f. 249 Dagegen Lange (Anm. 60), S. 227: "Wort und Sinn der Strafe, der Geist unseres Strafrechts und der Smn eines Strafrechts überhaupt schließen die Möglichkeit der "Sicherungstötung" aus. 250 Vgl. Erik Wolf, Das künftige Strafensystem und die Zumessungsgrundsätze, ZStW 54 (1935), S. 544 H. 25t Bocke/mann (Anm. 231), S. 607 H. 252 Vgl. Niederschriften, Band 11 "Beratungen zur Todesstrafe", 1959; dazu Dreher, Für und Wider dte Todesstrafe, ZStW 70 (1958), S. 543 H.; ferner Beristain, Katholizismus und Todesstrafe, ZStW 89 (1977), S. 215 H. 244 245
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nommen. Die Zweispurigkeit setzte sich gegen die unbestimmte Verurteilung durch.2 54 Die Strafaussetzung zur Bewährung wurde [56] eingeführt. 255 Aus dem Katalog der Sonderstrafen256 wurde das Fahrverbot übernommen. Die Geldstrafe wurde nach dem Tagessatzsystem umgestaltet257 und ist heute die Regelstrafe für die untere und mittlere Kriminalität; die Anwendung der kurzen Freiheitsstrafe ist dadurch erheblich zurückgegangen. 258 Die Maßregeln wurden in rechtsstaatlichem Sinne eingeengt, zugleich aber auch flexibler gestaltet259 und durch die sozialtherapeutische Anstalr S9a und die Führungsaufsichr 60 erweitert. Die Praxis hat das neue Sanktionensystem ohne größere Schwierigkeiten aufgenommen und im Sinne der Reformidee in die Tat umgesetzt.261
IH. Das Sanktionensystem des Jugendstrafrechts 1. Die allmähliche Verselbständigung des Jugendstrafrechts beginnt in unserer Zeitschrift mit einem Bericht Franz v. Liszts über die Vorschläge der aus ihm selbst, Appelius, Krohne und Keßler bestehenden Kommission der IKV.262 Sie betreffen die Zwangserziehung und die bedingte Entlassung. Liszt erwähnt in diesem Zusammenhang ferner die Erhöhung des Mindestmaßes der Freiheitsstrafe, die bedingte Verurteilung und die unbestimmte Freiheitsstrafe (S. 180). Liszts Tochter Eisa gibt die Vorschläge [57] von Koehne zur Verselbständigung des Jugendrechts wieder 63 und berichtet in der Folgezeit laufend über die Entwicklung der Jugendkriminalität und über Fragen der Jugendrechtsre253 Hall, Die Freiheitsstrafe als kriminalpolitisches Problem, ZStW 66 (1954), S. 79; Eb. Schmidt (Anm. 217), S. 185; Heinitz (Anm. 219), S. 7; Jescheck (Anm. 226), S. 63; philippe Graven, Die Zukunft des Freiheitsentzugs im schweizerischen und deutschen Strafrecht, ZStW 80 (1968), S. 206 ff. 254 Zur Zweispurigkeit: Mezger, Die Vereinheitlichung der Strafe und der sichernden Maßregeln, ZStW 66 (1954), S. 172 f.; Schröder (gleiches Thema), ebenda, S. 180 H.; Hellmuth Mayer, Behandlunl$ der Rezidivisten (gefährlichen Gewohnheitsverbrecher) im deutschen Strafrecht, ZStW 80 (1968), S. 139 H. (Ersetzung der Sicherungsverwahrung durch Schutzhilfe). Für unbestimmte Verurteilung Hall (Anm. 253), S. 104; Dreher, Die Vereinheitlichung von Strafen und sichernden Maßregeln, ZStW 65 (1953), S. 489 H. 255 Grünhut und Simson, Bedingte Verurteilung, ZStW 64 (1952), S. 127 H. bzw. S. 140 H. 256 Frey, Ausbau des Strafensystems, ZStW 65 (1953), S. 3 H.; Heinitz (gleiches Thema), ebenda, S. 26 H. 257 Würtenberger, Die Reform des Geldstrafenwesens, ZStW 64 (1952), S. 24 ff.; Zipf, Zur Ausgestaltung der Geldstrafe im kommenden Strafrecht, ZStW 77 (1965), S. 526 H.; Tröndle, Die Geldstrafe inder Praxis und Probleme ihrer Durchsetzung unter besonderer Berücksichtigung des Tagessatzsystems, ZStW 86 (1974), S. 545 H. 258 Horstkotte, Gesetzgebung zum Ersatz kurzer und mittelfristiger Freiheitsstrafen, Deutsche Landesreferate zum Kongreß für Rechtsvergleichung in Teheran, Beiheft zur ZStW 1974, S. 58 ff. 259 Gyünwald (Anm. 223), S. 633 ff.; Grünwald (Anm. 227), S. 113 H. 259. Eisenberg, Über sozialtherapeutische Behandlung von Gefangenen, ZStW 86 (1974), S. 1042 H. 260 Preiser, Die Führungsaufsicht, ZStW 81 (1969), S. 912 H. 261 Zum Ganzen: Blau, Die Kriminalpolitik der deutschen Strafrechtsreformgesetze, ZStW 89 (1977), S. 511 H.; Horn, Neuerungen (ler Kriminalpolitik im deutschen StGB 1975, ebenda, S. 547 ff. 262 v. Liszt, Kriminalpolitische Aufgaben, ZStW 12 (1892), S. 161 H. 263 Eisa v. Liszt, Welche Reformen des Strafrechts, des Strafprozesses und des Strafvollzugs sind vom Standpunkt der Jugendfürsorge zu fordern? ZStW 28 (1908), S. 538 H.
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form. 264 Die Entstehung des ersten Jugendgerichts in Frankfurt (im Wege der Geschäftsverteilung) unter dem Einfluß von Freudenthai und mit Rückendeckung des Oberlandesgerichtspräsidenten Hagens schildert Allmenräder,265 den Freudenthai einen »Jugendrichter von Gottes Gnaden" genannt hat. 266 Im Jahre 1912 wird auf Anregung Freudenthais durch Krohne das erste Jugendgefängnis in Wittlieh an der Mosel eröffnet.267 2. Die beiden bedeutendsten Reformgesetze der Weimarer Zeit, das Jugendgerichtsgesetz von 1923 und das Jugendwohlfahrtsgesetz von 1922268, haben im Kaiserreich bereits einen sehr fortschrittlichen Vorläufer gehabt, über den v. Lilienthai berichtet.269 Das Jugendgerichtsgesetz selbst erläutert Doerr. 270 Die Einbettung des Jugendstrafrechts und seiner Anwendung in eine zeitgemäße Erziehungskonzeption fordern Naegele 271 und Bondy.272 Über den Stand des Jugendstrafvollzugs der damaligen Zeit berichtet Plischke. 272• Der Versuch, die Jugendstrafrechtsreform durch das Einführungsgesetz zum Allgemeinen Deutschen StGB (Art. 72) fortzusetzen,273 scheiterte zusammen mit der Gesamtreform des Strafrechts in der Weimarer Zeit. [58] 3. Doch ist die Entwicklung auf dem Gebiet des Jugendstrafrechts, wenn man von der Verordnung zum Schutze gegen jugendliche Schwerverbrecher von 1939 und von der Einführung des Jugendschutzlagers für die polizeiliche Präventivhaft im Jahre 1942 absieht, von 1933 - 1945 nicht unterbrochen, sondern durch das JGG von 1943 sogar weitergeführt worden. Eine ganze Kette von Aufsätzen im 56. Band der ZStW versucht offensichtlich, den Geist der Reform unter den veränderten politischen und ideologischen Bedingungen aufrechtzuerhalten. Kohlrausch tritt mit seiner ganzen Autorität für die Erhaltung des Jugendgerichts ein, das sowohl für Strafen als auch für Erziehungsmaßregeln zuständig bleiben soll.274 Auch Gallas bekämpft den Vorschlag Schaffsteins, eine Zweiteilung in ein Strafverfahren vor dem Jugendrichter und ein Erziehungsverfahren vor dem Vormundschaftsrichter einzuführen. 275 Peters vertritt die unbestimmte Verurteilung
264
S.87.
Beginnend mit Eisa v. Liszt, Die Familienpflegekolonie zu Sieversdorf i.M., ZStW 30 (1910),
265 Allmenräder, Vom Frankfurter Jugendgericht, ZStW 29 (1909), S. 574 H.
Freudenthai, Karl Allmenröder, ZStW 47 (1927), S. 148. Ellger, Fürsorgeerziehung, Ju~endgericht und Jugendgefängnis, die staatlichen Maßregeln gegen die Verwahrlosung und Krimmalität}ugendlicher, ZStW 35 (1914), S. 671 H. Dazu Preiser, Das erste deutsche Jugenagefängnis, ZStW 39 (1918), S. 328 H. 268 Über die »Vollendung der beiden großen Werke" Eisa v. Liszt, Dem Andenken Edmund Friedebergs, ZStW 44 (1924), S. 211. 269 v. Lilienthai, Entwurf eines Gesetzes über das Verfahren gegen Jugendliche, ZStW 36 (1915),S.1 H. 270 Doerr, Das Jugendgerichtsgesetz vom 16. 2. 1923, ZStW 44 (1924), S. 213. 271 Naegele, Richter und Jugendlicher, ZStW 44 (1924), S. 420. 272 Bondy, Zur Frage der Erziehbarkeit, ZStW 48 (1929), S. 329 H. 272. Plischke, Jugendstrafvollzug, ZStW 49 (1929), S. 84 H. 273 Dazu Hartung, Das Tugendgerichtsgesetz im Entwurf eines EG AStGB, ZStW 51 (1931), S. 891 H., der besonders auf die Einführung der unbestimmten Verurteilung (S. 894 H.) und auf die Einbeziehung der Heranwachsenden - »der bei weitem wichtigste Schritt" - hinweist (S. 897 H.). Vorschläge zur Gerichtshilfe der deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen finden sich in ZStW 51 (1931), S. 244. 274 Kohlrausch, Für das Jugendgericht, ZStW 56 (1937), S. 459 H. 275 Gallas, Strafe und Erziehung im Jugendstrafrecht, ZStW 56 (1937), S. 641. Ebenso Messerer, Die Zukunft des Jugendgerichts, ZStW 56 (1937), S. 487 H. 266 267
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im Jugendstrafrecht gegen die ablehnende Entscheidung, die die Strafrechtskommission für das Erwachsenenrecht getroffen hatte. 276 Die Beibehaltung des Erziehungsgedankens im Strafvollzug wird von mehreren Autoren geschickt verteidigt. 277 Auf diese Weise bleibt die "Selbständigkeit des Jugendstrafrechts"278 im Ergebnis erstaunlicherweise gewahrt. 4. I~ der Gegenwart war das JGG von 1953 mit der unbestimmten Verurteilung, der großzügigen Regelung der Strafaussetzung mit Bewährungshilfe und der bedingten Einbeziehung der Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht zeitweise der fortschrittlichste Teil der deutschen Kriminalpolitik. 279 Vom Schrifttum [59] gewinnt man durch die in rascher Folge in der ZStW erscheinenden Literaturberichte von Peters, Sieverts, Hilde Kaufmann, Miehe, Marquardt ein ausgezeichnetes Bild. Die Hauptprobleme des neuen Rechts kommen in besonderen Aufsätzen zur Sprache. Über die Erfolgsmessung beim Jugendstrafvollzug berichtet Schaffstein anhand empirischer Arbeiten seiner Schüler.279• Beim Jugendarrest erblickt Schaffstein 280 den Hauptmangel "in seiner inflationären Anwendung" (S. 868); statt der Abschaffung des Jugendarrests wird vorgeschlagen, "durch strenge Formulierung der Voraussetzungen seiner Anwendung die Arrestungeeigneten aus ihm fernzuhalten" (S. 878); für den Vollzug werden größere Anstalten, besser vorgebildete Vollzugsleiter und der Einsatz geschulter Sozialarbeiter vorgeschlagen, die auch das soziale Umfeld des Jugendlichen betreuen sollen (S. 895). Die Bestimmung des § 105 JGG über die selektive Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende wird auch wegen ihrer unterschiedlichen Anwendung in der Praxis - stark kritisiert, statt dessen wird die allgemeine Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende als Radikalkur vorgeschlagen. 281 Über diese Punkte ist die Diskussion vorläufig noch nicht weit hinausgekommen.
IV. Die Entkriminalisierung des Sanktionensystems282 1. Die Idee der Einschränkung des Strafrechts auf Taten, denen gegenüber die kriminalrechtliche Reaktion unerläßlich erscheint, ist gegen Ende des vorigen Jahrhunderts entanden. Bei Franz v. Liszt begegnet uns schon früh der "ultima ratio" -Gedanke für die Peters, Die unbestimmte Verurteilung im Jugendstrafrecht, ZStW 58 (1939), S. 589 H. Schaffstein, Gedanken über Strafvollzug an jungen Gefangenen, ZStW 56 (1937), S. 642 H.; Behnke, Jugendgefängnis und Erziehungsheim als Maßnahmen gegen Jugendkriminalität, ZStW 56 (1937), S. 542 H. 278 So Ehrhardt, Die Kriminalität der Jugendlichen in den Jahren 1934 und 1935, ZStW 56 (1937), S. 578. 279 Zum Gegenstück des JGG, dem JWG, und dem in § 1 formulierten Erziehungsziel WürtenbergeT, Recht und Erziehung in der öffentlichen Jugendhiffe, ZStW 71 (1959), S. 15 H., der die Formulierung "leibliche, seelische und gesellschaftliclie Tüchtigkeit" beibehalten will, wie dies dann auch geschehen ist. 279. Schaffstein, Erfolg, Mißerfolg und Rückfallprognose bei jungen Straffälligen, ZStW 79 (1979), S. 209 ff. 280 Schaffstein, Zur Problematik des Jugendarrestes, ZStW 82 (1970), S. 853 H. 281 Schaffstein, Die Behandlung der Heranwachsenden im künftigen Strafrecht, ZStW 74 (1962), S. 25; Anne-Eva Brauneck, Die Jugendlichenreife nach § 105 JGG, ZStW 77 (1965), S. 219. 282 Zur Entkriminalisierung des Besonderen Teils vgl. Peters, Beschränkung der Tatbestände im Besonderen Teil, ZStW 77 (1965), S. 470 ff. 276 277
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Kriminalstrafe (oben B. I. 2.). Bei Reinhard Frank lesen wir: "In demselben Maße, in dem der moderne Staat das Gebiet seiner Tätigkeit ausdehnt, private Interessen in den Bereich seiner Aufsicht und seines Schutzes stellt, steigt die Häufigkeit [60] der Strafe. Man braucht nur die Partikulargesetze, insbesondere die zahllosen Polizeiverordnungen anzusehen, um zu erkennen, wie unendlich weit der Kreis der strafbaren Handlungen gegenwärtig gezogen ist. Wo die Reichsgesetzgebung irgendeine Lücke aufweist, springen hilfsbereit die Landesgesetze ein" .283 Für die Übertretungen fordert er, "ihre Bestrafung in möglichster Schärfe von der anderer Delikte zu unterscheiden, und zwar namentlich in der Art, daß die Umwandlung der wegen einer Übertretung erkannten Geldstrafe in Haft unter allen Umständen ausgeschlossen ist" (S. 747). Die Sonderstellung des Verwaltungsstrafrechts begründete schon frühJames Goldschmidt als den "Inbegriff derjenigen Vorschriften, durch welche die mit Förderung des öffentlichen oder Staatswohls betraute Staatsverwaltung im Rahmen staatsrechtlicher Ermächtigung in der Form von Rechtssätzen an die Übertretung einer Verwaltungsvorschrift als Tatbestand eine Strafe als Verwaltungsfolge knüpft".284 Im Jahre 1932 hat er diese Lehre noch einmal in unserer Zeitschrift zusammengefaßt. 285 Sein Ziel ist das "einer völligen Entstrafrechtung des Verwaltungsunrechts, eines gänzlichen Verzichts der Verwaltung auf die Strafbewehrtheit ihrer Befehle und ihres Zurückziehens auf reinen Verwaltungszwang" (S. 526). Erik Wolf hat den Gedanken eines selbständigen Verwaltungsstrafrechts aufgenommen,286 geht dabei aber von der "ontologischen" Betrachtungsweise Goldschmidts zu einer "werthaften, normativen Betrachtungsweise" über. 287 Das Verwaltungs strafrecht ist für ihn formal zwar Strafrecht, materiell aber Verwaltungsrecht: "Das Verwaltungsstrafrecht ist seinem Wesen nach ein anderes als das Kriminalstrafrecht. Es dient nicht der Gerechtigkeit durch sühnende Strafe, sondern der Wohlfahrt durch zweckmäßige [61] Verwarnungen".288 Auch die Sanktionen sollen deutlich voneinander unterschieden werden; als Bezeichnung für die kriminalrechtliche Haft "dürfte sich Strafhaft empfehlen, wogegen das Verwaltungsstrafgesetz für seine Freiheitsstrafe den Namen Polizeihaft gebrauchen könnte" (S. 555). Die Entwürfe sind so weit zwar nicht gegangen, sie haben aber vom Gegenentwurf 1911 bis zum Entwurf 1930 die Übertretungen in einem besonderen Buch zusammengefaßt und für sie einen eigenen Allgemeinen Teil geschaffen. Die starke Ethisierung des Strafrechts in den 30er Jahren289 führte dann dazu, daß der Entwurf 1936 keine Übertretungstatbestände mehr enthielt. 2. Das geltende Recht hat die Ausscheidung der Übertretungen aus dem Kriminalstrafrecht abgeschlossen. Seit dem OWiG 1952 wurden im Bundesrecht keine neuen Frank, Die Überspannung der staatlichen Strafgewalt, ZStW 18 (1898), S. 737. Goldschmidt, Das Verwaltungsstrafrecht, 1902, S. 577. Eingehende Besprechung durch Kohlrausch, ZStW 23 (1903), S. 144 H. Zum Ganzen Heinz Mattes/ Herta Mattes, Untersuchun283 284
gen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten, Bd. I, 1977, S. 141 H. 285 Goldschmidt, Die Rechtsgültigkeit des Zwangsgeldes in Polizeiverordnungen nach dem Preußischen PVG, ZStW 52 (1932), S. 497 H. 286 Erik Wolf, Die Stellung der Verwaltungsdelikte im Strafrechtssystem, Frank-Festgabe, Bd. II, 1930, S. 516 H., der damit - nach dem eigenen Uneil Goldschmidts - dessen "Lehre viel schöner und tiefer als ich es je getan habe, begründet und entwickelt hat" (Anm. 285, S. 524). 287 So Heinz Mattes/ Herta Mattes (Anm. 284), S. 158. 288 289
Erik Wolf(Anm. 54), S. 554. Schaffstein (Anm. 55), S. 300 f. spricht von "der die gesamte Rechtserneuerung beherrschen-
den Tendenz, das Recht auf die völkische Sittenordnun§ zurückzuführen, und - soweit möglich rechtliche und sittliche Wenung in Einklang zu bringen .
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Übertretungstatbestände mehr geschaffen und auch keine Vergehenstatbestände mehr vorgesehen, die nur mit Geldstrafe bedroht sind. Das OWiG 1968 brachte die Umwandlung der Verkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten. Das StGB von 1975 enthält keine Übertretungen mehr. Die Auswirkungen dieser großen Reform sind in unserer Zeitschrift in mehreren Beiträgen erörtert worden. Heinz Mattes 290 kam von seinem grundsätzlichen Standpunkt aus, daß die Ordnungswidrigkeiten "im Rahmen des Strafrechts verfolgt werden" müßten (S. 36), zu folgendem Ergebnis: "[Die] Einführung von Verkehrsordnungswidrigkeiten ist abzulehnen. Die erstrebte Entkriminalisierung würde besser, nämlich ohne die schädliche Verharmlosung des Verkehrsrechts, im Rahmen des Strafrechts durchgeführt, erforderliche Vereinfachungen des Verfahrens wären im gerichtlichen Strafprozeß möglich. Die Übertragung der Bußgeldgewalt auf Verwaltungsbehörden schließlich verstößt gegen Art. 92 GG" (S. 39). Gegen Mattes vertrat Bockelmann den Standpunkt, es "sei von einem formellen Begriff des Verbrechens, der Strafe und des Richterspruchs auszugehen" .291 [62] Stratenwerth meinte sogar, "daß eine materielle Unterscheidung sehr wohl möglich sei, weil allein der Strafe die diskriminierende Wirkung eigentümlich sei und sie im Gegensatz zu anderen Sanktionen die sozialethische Abwertung der Tat enthalte, weshalb sie ja auch heute nicht zugunsten eines reinen Maßregelsystems aufgegeben werde" .292 AuchJescheck "hielt eine materielle Differenzierung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten für möglich, da man schon im Bereich der Strafe verschiedene Gruppen unterscheiden könne, die nicht alle Kriminalstrafen darstellten" .293 Die materielle Betrachtungsweise bei der Unterscheidung von Kriminalstrafen und Geldbußen wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterstützt, nach der sich die Ordnungswidrigkeiten "von dem kriminellen Vergehen durch den Grad des ethischen Unwertgehalts unterscheiden" (BVerfGE 6, 172).294 Die bedrohliche Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts durch die Hypertrophie der Gesetzgebung und die weit überhöhten Bußgeldandrohungen schildert Weber, 295 er wählt, um diese Gefahren für Rechtsstaat und Freiheit so deutlich wie möglich zu machen, für seinen Beitrag einen dem Aufsatz von Frank aus dem Jahre 1898 (Anm. 283) nachgebildeten Titel. 3. Ein anderer Weg der Entkriminalisierung des Sanktionensystems ist die Einstellung des Strafverfahrens nach Erfüllung von Auflagen oder Weisungen durch den Beschuldigten gern. § 153 aStPO. Die starke Umstrittenheit dieser Form der "diversion" im deutschen Recht spiegelt sich auch deutlich in der ZStW. Vogley296 beurteilt die neue Einrichtung skeptisch (S. 153), schlägt für den Ladendiebstahl als wichtigsten Fall die Ordnungswidrigkeitenlösung vor (S. 160) und wünscht ein vereinfachtes mündliches Strafbescheidsverfahren. Mit Entschiedenheit und mit eingehender Begründung verwirft vor
290 Mattes, Die Problematik der Umwandlung der Verkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten, ZStW 82 (1972), S. 25 H. 291 Bockelmann bei Fischer, Tagungsbericht, ZStW 82 (1972), S. 110 f. Ebenso Lackner, ebenda, S. 112. 292 Wie Anm. 291, S. 111. 293 Wie Anm. 291, S. 114. 294 Volk (Anm. 230), S. 408. Weitere Nachweise bei Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 6. Aufl., 1980, vor § 1, Randnummer 8. 295 Weber, Die Überspannung der staatlichen Bußgeldgewalt, ZStW 92 (1980), S. 313 H. Ebenso schon Vogler, Möglichkeiten und Wege einer Entkriminalisierung, ZStW 90 (1978), S. 155 f. 296 Vogler (Anm. 295).
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allem Hirsch 297 den § 153 a StPO und schlägt statt dessen eine Lösung vor, die "materiell-[63] rechtlich eine - im Sanktionskatalog noch erweiterte - Rechtsfolgenregelung parallel zu § 13 JGG für das Erwachsenenstrafrecht schafft und verfahrensrechtlich ein vereinfachtes (friedensrichterliches) Verfahren einrichtet" (S. 254). Dagegen treten Kaisey298 und Hünerfeltf99 für die Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gegen Auflagenerfüllung seitens des Beschuldigten ein. Auch die Beibehaltung der empirisch jetzt gut untersuchten "Betriebsjustiz"300 als autonome Regelung sozialer Konflikte durch eine "arbeitsrechtliche Lösung" wird befürwortet.301 V. Abschied vom Strafrecht? Die bis in das vorige Jahrhundert zurückreichenden Forderungen nach Abschaffung des Strafrechts und seiner Ersetzung durch andere Mittel der sozialen Kontrolle haben auch in unserer Zeitschrift immer wieder ein Forum der Diskussion gefunden. 1. In der Gegenwart kann man verschiedene Quellen unterscheiden, aus denen der Kampf gegen das Strafrecht gespeist wird. Einmal ist ein extrem individualistisches Verfassungsverständnis anzuführen. Charakteristisch ist dafür Klose: "Es ist gerade die vom Staat nach Art. 1 Abs. 1 GG zu schützende Menschenwürde, deren Wesensgehalt im Grundrecht der Freiheit des einzelnen durch verbrechensvergeltende Bestrafung mit Freiheitsentzug verletzt wird und die es dem Staat nach Art. 19 Abs. 2 verbietet, die Freiheit zur Strafe zu entziehen. Von diesem Standpunkt aus wird die verfassungskonformere Beschaffenheit eines reinen Maßnahmenrechts anstelle des (,zweispurigen') Strafrechts evident".302 Eine andere Quelle ist die Psychoanalyse. Sie führt, wenn auch nicht immer zur Leugnung des Strafrechts überhaupt, so doch zu der Forderung nach grundlegenden, über den gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung weit hinausgreifenden Reformen. [64] So lehnt etwa Streng die Schuld als Maßprinzip im Strafrecht ab, denn "die Schuld des Täters erweist sich als bloße Spiegelung emotionaler Bedürfnisse der Urteilenden, nämlich als das auf den Täter projizierte Korrelat der durch sein Handeln ausgelösten, dem Zeitgeist entsprechenden Strafbedürfnisse der Bürger bzw. des Richters". 303 Anerkannt wird nur die "positive Generalprävention" . "Diese Normbekräftigungsfunktion staatlichen Strafens ermöglicht das Zusammenleben der Menschen in Gemeinschaften" (S. 663). Von den Anhängern dieser Richtung wird jedoch teilweise ein resozialisierender Strafvollzug im Prinzip für unmöglich gehalten, weil die Haftsituation immer ein System der Herrschaft einschließe, das einen "therapeutischen Diskurs" unmöglich mache. So lesen
297 Hirsch, Zur Behandlung der Bagatellkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 92 (1980), S. 218 H. 298 Kaiser, Möglichkeiten der Bekämpfung der Bagatellkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 90 (1978), S. 902. 299 Hünerfeld, Kleinkriminalität und Strafverfahren, ZStW 90 (1978), S. 922. 300 Kaiser/ Metzger-Pregizer, Betriebsjustiz, 1976. 301 Vogler (Anm. 295), S. 148; Kaiser (Anm. 298), S. 902. 302 Klose, "Jus puniendi" und Grundgesetz, ZStW 86 (1974), S. 64 f. Auf dieser Linie liegen auch Naegeli, Von der Vergeltung zur Sozialisierung, in: Die Gesellschaft und die Kriminellen, Strafreform als Gesellschaftsreform, 1972, S. 76 f, und Plack, Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts, 1974, S. 367 f. 303 Streng, Schuld, Vergeltung und Generalprävention, ZStW 92 (1980), S. 656 f.
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wir bei Eisenberg: "Nach dem Bezugsrahmen des interdependent gedachten Verhältnisses von sozialer Kontrolle und Verbrechen ist auch die belitgemeinte Behandlung Ausübung von Macht, solange sie in ihren äußeren Voraussetzungen auf der Inhaftierung aufbaut. Das bedeutet, daß für den Gefangenen Freiheitsentzug als Strafe prinzipiell unabhängig davon ist, ob der Aufenthalt in einer Strafanstalt herkömmlicher Art oder in einer solchen sozial therapeutischer Ausgestaltung stattfindet". 304 Nicht ganz so negativ äußert sich Raffke: "Emanzipierende Sozialtherapie ist nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn sie sich in einer objektiven Zwangs- und Gewaltsituation zu behaupten und zu entfalten hat. An diesem Widerstand kann und muß sie vielmehr ihre Kraft und Zähigkeit erweisen; sie vermag struktureller Herrschaft gegenzusteuern" .305 Prinzipielle Angriffe gegen die Existenz des Strafrechts, wie es gegenwärtig beschaffen ist, kommen weiter aus der Richtung des konsequenten Marxismus. So entnimmt Baratta aus empirischen Erhebungen "die schichtspezifische Selektivität des Strafrechtssystems zu den Unterdrückungs- und Marginalisierungsmechanismen, die zur Aufrechterhaltung der vertikalen Struktur der Gesellschaft beitragen" .306 Auch die Fortschritte, die in der Strafrechtspflege [65] in Richtung auf Humanität, Solidarität und Rationalität erzielt worden sind, ändern an diesem existentiellen Verdikt nichts: "Wenn man die Geschichte des Strafrechts bis zu den Anfängen unseres Gesellschaftssystems zurückverfolgt, so wird die Zugehörigkeit des Strafrechts zum allgemeineren System der Verwaltung der ärmeren Schichten der Bevölkerung zunehmend offensichtlich. In der Gegenwart ist diese Funktion weitgehend symbolisch verdeckt, weil ja auch tatsächlich Fortschritte in der Humanisierung und der Gerechtigkeit der Strafrechtspflege erzielt worden sind" (S. 201 f.). Schließlich ist die "kritische" Kriminologie mit der Etikettierungsthese eine Quelle der gegen das Strafrecht gerichteten Strömungen. Kürzinger beschreibt diesen Ansatz dahin, "daß für Sack das normierte Strafrecht nur eine ,Vehikelfunktion' hat. Denn nicht schon durch strafrechtliche Normen wird jemand kriminalisiert, sondern durch die (selektive) Anwendung des ,Herrschaftsinstruments' Strafrecht".307 Nach Baratta kann "die kritische Gegenthese zu dem grundlegenden Aspekt der bisherigen Strafrechtsideologie in folgenden Sätzen zusammengefaßt werden: a) das Strafrecht verteidigt nicht alle und nicht nur die wichtigsten Güter, an denen alle Bürger in gleicher Weise interessiert sind; b) das Strafrecht ist nicht für alle gleich; c) der effektiv gewährte Schutz und die Verteilung des kriminellen Status ist insofern unabhängig von der Sozialschädlichkeit der Handlungen und der Schwere der Verletzungen, als sie nicht die wichtigsten Bedingungen der kriminalisierenden Reaktion und ihrer Intensität sind" (S. 122). 2. Auch die Gegenpositionen zu diesen Lehrmeinungen lassen sich aus unserer Zeitschrift belegen. Auf die Angriffe des konsequenten Marxismus, der aus der Kriminologie 304
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Eisenberg (Anm. 259 a), S. 1058. Raffke, Über den Widerspruch von Therapie und Herrschaft, exemplifiziert an grundlegen-
den Bestimmungen des neuen Strafvollzugsgesetzes, ZStW 88 (1976), S. 648. 306 Baratta bei Driendl, Tagungsbericht, ZStW 92 (1980), S. 200 f. Vgl. auch Baratta, Strafrechtsdogmatik und Kriminologie, ebenda, S. 107 H. 307 Kürzinger, Die Kritik des Strafrechts aus der Sicht moderner kriminologischer Richtungen, ZStW 86 (1974), S. 228.
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eine Gesellschaftskritik machen will, läßt sich im Grunde ebenfalls nur politisch und ideologisch antworten, wie es etwa Burgstaller in seiner Erwiderung auf Baratta tat, als er sagte: "Eine Integration der sogenannten kritischen Kriminologie mit der Strafrechtsdogmatik in einer gesamten Strafrechtswissenschaft sei nicht möglich. Er stimme insoweit mit Baratta überein, sei jedoch darüber keineswegs [66] beunruhigt".308 Gegenüber der "kritischen" Kriminologie hat Schöch 309 auf die Notwendigkeit einer "multifaktoriellen empirischen Kriminologie" hingewiesen (S. 158) und gezeigt, daß deren Einfluß auf die Gestaltung des Sanktionensystems und der Sanktionspraxis in Deutschland beachtlich gewesen ist (S. 170 ff.). Den Vertretern der verschiedenen Konzepte, die an die Stelle des Strafrechts ein reines Maßregelrecht setzen wollen, hat schließlich Hans Schultz sehr mit Recht entgegengehalten, es handele sich "gleichwohl um einen erzwungenen, einen auferlegten Eingriff, um eine Sanktion. Sogar wenn das Ziel dieser Sanktion eine Behandlung wäre, ließe sich eine nach Voraussetzungen, Begrenzung und Durchführung genaue, eine strafrechtsähnliche Regelung nicht umgehen, wenn die Grundsätze des Rechtsstaates nicht preisgegeben werden sollen. Der Mensch wird nicht zum vollkommenen Wesen, wenn er sich den Mantel des Therapeuten umhängt" .310 Rechtszwang in einem freiheitlichen Rechtsstaat läßt sich nur durch ein Strafrecht verwirklichen, das an die Verantwortung der Bürger appelliert und den Schuldigen für Rechtsverletzungen nach dem Grade der Verdientheit des Vorwurfs verantwortlich macht: "Die Frage nach dem Abschied vom Strafrecht wird zur Frage nach der Zukunft des Rechts überhaupt. Damit gewinnt sie eine ganz andere Dimension und meint die Möglichkeit, ob der Mensch leben kann, ohne daß er von einer Rechtsordnung geleitet wird".3!! Der vorstehende Rückblick zeigt, in welcher Weise unsere Zeitschrift das Programm ihrer Gründer "als kriminalistisches Zentralorgan ein möglichst vollständiges und treues Bild von dem jeweiligen Stande und den Fortschritten der strafrechtlichen Gesetzgebung und Wissenschaft [zu] bieten" in den Bereichen der Strafrechtsdogmatik und der Kriminalpolitik in den vergangenen hundert Jahren auszuführen versucht hat. In der Dogmatik hat sie die Entstehung neuer Systemgedanken frühzeitig erkannt und der Weiterbildung dauernder wie vergänglicher Ansätze in These und Gegenthese weiten Raum gegeben. In den Grundfragen der Strafrechtstheorie hat sie die führenden Lehrmeinungen der jeweiligen Epoche festgehalten und den Fortschritt des Denkens [67] durch ständige Förderung der Kritik weitergeführt. Ihre Bände stellen sich darum wie ein Filigranwerk der Dogmengeschichte dar, das sich dem rückschauenden Blick zu klaren Stufen, Verhältnissen und Zusammenhängen ordnet. In der Kriminalpolitik hat die ZStW zwar entsprechend der GrundeinsteIlung ihres Herausgeberkreises die Forderungen der modernen Schule und später die Anliegen einer Reform des Sanktionensystems auf empirischer Grundlage in den Vordergrund gerückt, aber sich auch für Gegenmeinungen stets offengehalten. Die Zeitschrift bietet darum zugleich ein umfassendes Bild der Reformgeschichte von den Anfängen bis in unsere Tage. Was Generationen von Juristen geschaffen haben, gibt uns den Mut, auf diesem Wege fortzuschreiten und im gleichen Geist das zweite Jahrhundert der ZStW zu beginnen.
Burgstaller bei Driendl (Anrn. 306), S. 198. Schäch, Kriminologie und Sanktionsgesetzgebung, ZStW 92 (1980), S. 143 ff. 3!0 Schultz, Abschied vorn Strafrecht? ZStW 92 (1980), S. 631. 3tt Schultz (Anm. 310), S. 627. 308
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DIE FREIHEITSSTRAFE BEI FRANZ VON LISZT IM LICHTE DER MODERNEN KRIMINALPOLITIK*+ Das Wort von der "Krise der Kriminalpolitik",1 das seit einigen Jahren umgeht, betrifft in erster Linie die Freiheitsstrafe in ihrer überlieferten Stellung als zentraler Sanktion des Strafrechts. Krise der Kriminalpolitik bedeutet in diesem Zusammenhang, daß es zweifelhaft geworden ist, ob die Freiheitsstrafe überhaupt zur besseren Integration des Straftäters in die Gesellschaft beizutragen vermag oder ob nicht vielmehr das Gegenteil der Fall ist. Trotz dieser Zweifel werden in Deutschland jährlich über 100.000 Freiheitsstrafen2 ausgesprochen und nimmt die Gefangenenzahl wieder zu, nachdem die Strafrechts reform von 1975 zunächst einen Rückgang gebracht hatte. 3 In dieser Lage möchte ich versuchen, den Standort der Freiheitsstrafe im gegenwärtigen Strafrecht und Strafrechtsverständnis zu kennzeichnen. Zur 375-Jahrfeier der Universität, an der Franz von Liszt vor hundert Jahren gelehrt hat, will ich dies in der Weise tun, daß ich die Freiheitsstrafe, wie wir sie heute sehen, mit den Vorstellungen vergleiche, die den Schöpfer der modernen Kriminalpolitik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei seinem Reformprogramm geleitet haben. Wir vergleichen also den gegenwärtigen Standpunkt mit Ansichten, die vor hundert Jahren modern gewesen sind. Im Jahre 1969 haben Bockelmann 4 und Roxin5 unsere Frage zum 50. Todestage des Meisters schon einmal behandelt. Sie haben den Ahnherrn der gegenwärtigen deutschen Strafrechtsreform sowohl für die kriminalpolitische Konzeption des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs als auch für die Konzeption des Alternativ-Entwurfs in Anspruch genommen, was die Breite und Lebenskraft seines Werkes beweist. Seither hat sich auf unserem Gebiet jedoch viel ereignet: wir haben einmal das neue deutsche Strafrecht in der Bewährung,6 zum anderen aber auch die internationale Wende der Kriminal,. Aus: Gießener Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 1, Gießen 1982, 15 - 36. + Ein Vortrag, den der Verfasser am 6. Mai 1982 bei der 375-Jahrfeier der Universität Gießen gehalten hat. I Vgl.Jescheck, Die Krise der Krirninalpolitik, ZStW 91 (1979), S. 1037 ff. 2 Im Jahre 1980 wurden 104.850 Freiheitsstrafen ausgesprochen. 3 VgL Kaiser/ Kerner/ Schöch, Strafvollzug, 3. Auf!. 1982, S. 39: 1975 34.608; 198042.235 Strafgefangene (einschließlich Jugendstrafvollzug und Sicherungsverwahrung, ohne Untersuchungshaft). 4 Bocke/mann, Franz v. Liszt und die kriminalpolitische Konzeption des Allgemeinen Teils, ZStW 81 (1969), S. 597 ff. S Roxin, Franz v. Liszt und die kriminalpolitische Konzeption des Alternativentwurfs, ZStW 81 (1969), S. 613 ff. 6 Jescheck, Das neue deutsche Strafrecht in der Bewährung, Max-Planck-Gesellschaft, Jahrbuch 1980, S. 18 ff.
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politik vom Optimismus zur Resignation erlebt.7 Unsere Antworten werden darum zum Teil anders lauten, als sie die beiden eben genannten Autoren damals gegeben haben. Im ersten Teil meines Vortrags möchte ich über das kriminalpolitische Grundkonzept Franz v. Liszts auf dem Hintergrund seiner Herkunft, seiner Vorbilder und seiner politischen und gesellschaftlichen Umwelt sprechen. Danach werde ich in einem zweiten Teil seine Stellung zur Freiheitsstrafe im besonderen behandeln. In einem dritten Teil will ich darlegen, welches im Verhältnis dazu die Positionen unserer Zeit sind. [18]
Franz v. Liszt wurde 1879 mit 28 Jahren als noch unbekannter Grazer Privatdozent auf den Lehrstuhl für Strafrecht der Universität Gießen berufen.8 Große Lehrmeister hatten in Wien seinen wissenschaftlichen Weg bestimmt.9 Bei Rudolf v. Ihering, der mit seinem Werk »Der Zweck im Recht" die Rechtswissenschaft von der Herrschaft der Philosophie und der Geschichte befreit hat und 1868 aus Gießen nach Wien übergesiedelt war, lernte er, daß das Wesen des Rechts nicht in seiner Begrifflichkeit besteht und auch nicht allein aus metaphysischen Voraussetzungen erklärt werden kann, sondern daß es eine Zweckschöpfung für die vom Menschen gewollte und gestaltete Ordnung des Lebens der Gesellschaft darstellt. Emil Wahlberg überzeugte ihn davon, daß der Richter bei der Strafzumessung nicht die Straftat als Einzelerscheinung betrachten dürfe, sondern daß die Sanktion dem Charakter des Täters entsprechen müsse. Die »Individualisierung"lO der Strafe hatte Wahlberg damit zum Prinzip der Strafzumessung erhoben und in der Konzentration auf die Täterpersönlichkeit die Wendung vom Tat- zum Täterstrafrecht eingeleitet, die Liszt später konsequent zu Ende geführt hat. Bei Wahlberg arbeitete Liszt auch über Probleme der Gefängniskunde und lernte dabei die Wirklichkeit der Freiheitsstrafe kennen. Auf Ado/f Merkel, der ebenfalls zu Liszts Studienzeit von Gießen nach Wien berufen worden war, geht der Gedanke des Rechtsgüterschutzes ll - also eines ganz konkreten Zwecks - als Aufgabe der Strafe zurück. Auch die Verbindung von gerechter Vergeltung und zweckmäßiger Bekämpfung des Verbrechens, zu der sich der späte Liszt zwecks Beilegung des Schulenstreits ebenfalls noch verstehen sollte, hatte bei Merkel ihre Wurzeln. Die soziale Funktion der Strafe als Mittel zur »Erhaltung der Existenzbedingungen der Gesellschaft" und ihr zugleich repressiver wie präventiver Charakter waren Grundanliegen der Lehre von Liszts Wiener Altersgenossen Georg Jellinek, dessen damals noch verkanntes, aber heute hoch geschätztes Erstlingswerk 12 gleichfalls dazu beigetragen hat, ihn von der historischen und begrifflichen Betrachtungsweise zur sozialen Realität des Strafrechts zu führen. Zu nennen ist unter den Lehrern ferner der 7 Vgl.Jescheck, Grundlinien der internationalen Strafrechtsreformbewegung, in: Jescheck, Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft, 1980, S. 129 H. S Zu seiner Herkunft und geisti~en Welt Moos, Franz von Liszt als Österreicher, ZStW 81 (1969), S. 660 H.; zur Familiengeschichte Liebseher, Franz von Liszt - familiengeschichtlich gesehen, ZStW 94 (1982), S. 619 H. 9 Zum Einfluß der Lehrer auf Liszt Radbruch, Elegantiae juris criminalis, 2. Aufl. 1950, S. 214 H.; Moos (Fn. 8), S. 664 H. An die großen Namen der Gießener Fakultät zu jener Zeit erinnert Engisch, Gießener Juristen der letzten 100 Jahre, Festschrift für die Universität Gießen, 1957,
S. 17 H.
Wahlberg, Das Prinzip der Individualisierung in der Strafrechtspflege, 1869. Über den Güterschutzgedanken bei Liszt Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972, S. 82 H. 12 GeorgJellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 1878, S. 108 H., 10
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Heidelberger Professor Kar! Roeder, 13 ,dessen Theorie von einem psychologisch fundierten Erziehungsstrafvollzug Liszt auf einer Studienreise nach Deutschland kennenlernte. In der Grazer Zeit endlich war Liszt ein Freund des forensisch [19] tätigen Psychiaters v. Krafft-Ebing,14 der den Blick des jüngeren Kollegen auf die Zusammenhänge von Medizin und Psychologie mit Strafrecht und Kriminologie gelenkt und damit das starke empirische Interesse Liszts geweckt hat. Zu der geistigen Ausrichtung auf die vielfältigen sozialen Funktionen der Strafe, die Liszt durch seine Lehrer und Freunde empfangen hatte, trat beim Übergang nach Deutschland der mächtige Einfluß der politischen Umwelt, die ihn hier erwartete.15 Liszt war als einer der Führer der deutsch-nationalen Studentenschaft Österreichs ein glühender Anhänger Bismarcks geworden, und Bismarck befand sich 1878, dem Jahr des Berliner Kongresses, auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines internationalen Ansehens. Liszt hat seine politische Haltung allerdings später geändert und trat auf die Seite der bürgerlichen Linken. 16 Das Jahr 1878, in dem Liszt nach Deutschland übersiedelte, brachte das Sozialisten gesetz und damit den rücksichtslosen Kampf des Kaiserreichs gegen die "besitzlose Klasse", deren Organisationen zerschlagen, deren Presse vernichtet und deren Führer durch Aufenthaltsverbote ruiniert und ins Ausland getrieben wurdenP Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, daß die übermäßig scharfe Gangart, die Liszt in seiner Kriminalpolitik anfangs eingeschlagen hat, beeinflußt war durch den Anblick der Härte, mit der das von ihm damals noch bewunderte Kaiserreich gegen die politische Linke vorging. Doch war dieser Eindruck der gnadenlosen Abtrennung von allem, was nicht zu den "staatserhaltenden Kräften" gezählt wurde, nicht der einzige, der Liszt in Deutschland erwartete. Die ersten Jahre in Gießen und Marburg sahen auch den Beginn einer breit angelegten staatlichen Sozialpolitik, die 1881 mit der Kaiserlichen Botschaft zur Sozialversicherung einsetzte.18 Der innere Zusammenhang zwischen Sozialpolitik und Kriminalpolitik, den Liszt frühzeitig erkannt und zur Grundlage seiner Lehre gemacht hat, ist ihm sicher auch dadurch eingeprägt worden, daß Bismarck damals nicht ohne Erfolg versuchte, durch eine fortschrittliche Sozialpolitik die Arbeiterklasse wieder mit dem Staat zu versöhnen. 19 Schließlich ist auch auf die Tradition des preußischen Strafrechts20 hinzuweisen, auf die sich Liszt später gerne berufen hat. Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 sah eine zeitlich unbestimmte Nachhaft für vorbestrafte Gefangene bis zum Nachweis von Besserung oder ehrlicher Erwerbsmöglichkeit vor, und in der Zirkularverordnung \3 Zu ihm Lithner, Kar! Roeder, ein vergessener Gefängnisreformer, ZStW 73 (1961), S. 487 ff. 14 v. Lilienthai, Franz von Liszt, ZStW 40 (1919), S. 536. 15 Über das Jahr 1878 als "Schicksalsjahr Deutschlands" Radbruch (Fn. 9), S. 221 ff.
16 Liszt wurde 1909 freisinniger Abgeordneter im Preußischen Abgeordnetenhaus, 1912 im Reichstag; vgl. dazu Eb. Schmidt, Franz v. Liszt 1851 - 1919, in: Die Großen Deutschen, Bd. V, 1957, S. 413. 17 Vgl. dazu Craig, Deutsche Geschichte 1866 - 1945,3. Aufl. 1981, S. 138 ff. 18 Vgl. dazu Craig (Fn. 17), S. 143 H. 19 v. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. I, 1905, S. 130: "Seit 1879 ist der Kampf auf der ganzen Linie entbrannt" . 20 Vgl. Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, S. 251 ff.
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von 1799 [20] wurde sogar allgemein bestimmt, daß der Verurteilte erst bei wirklicher Besserung und beim Nachweis einer Existenz aus dem Strafvollzug entlassen werden durfte und daß rückfällige gewaltsame Diebe überhaupt bis zur Begnadigung in Haft gehalten werden sollten. Dieses Bekenntnis des preußischen Strafgesetzgebers zur Sicherungsstrafe21 mit der deutlichen Unterscheidung von besserungsfähigen und als unverbesserlich eingestuften Tätern hatte vor allem in dem früheren Gießener Professor Karl v. Grolman 22 einen Verfechter, dessen Gedankenwelt Liszt vertraut gewesen ist. Das nur dreijährige Wirken Franz v. Liszts in Gießen hat reiche Früchte getragen. Im Jahre 1881 erschien die erste Auflage seines Lehrbuchs, eines strafrechtlichen Meisterwerks, das vor allem das Systemdenken des In- und Auslands jahrzehntelang bestimmt hat.23 In der Kriminalpolitik enthält es bereits die Grundlinien des großen Reformprogramms seines Schöpfers, das er bis zur Auflage letzter Hand im Jahre 1919 immer mehr ausgebaut und verfeinert hat. Das zweite bleibende Werk Liszts in den Gießener Jahren war die Gründung der "Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft" , die er zusammen mit Adolf Dochow im Jahre 1881 "als kriminalistisches Zentralorgan" ins Leben gerufen hat. Ihr erster Band trägt am Ende des Vorworts der Herausgeber das Datum "Halle und Gießen im März 1881". Seit hundert Jahren ist sie ein getreues Spiegelbild der deutschen und internationalen Kriminalpolitik und bildet damit die Brücke zwischen den Auffassungen Franz v. Liszts und unserer Zeit?' Das berühmte Programm einer vom Zweckgedanken bestimmten Kriminalpolitik, das Liszt 1882 in seiner ersten Marburger Publikation 25 entworfen hat, liegt zwar schon jenseits seiner Gießener Zeit, ist aber in der geistigen Konzeption mit dem Lehrbuch eng verwandt. Das Marburger Programm geht aus von einer damals sehr bekannten Streitschrift "Gegen die Freiheitsstrafen"26 und stellt dieser die These entgegen, daß die "Freiheitsstrafe, eben weil sie allen Strafzwecken sich anzuschmiegen geeignet ist wie keine andere Strafart, die erste und führende Stelle im Strafensystem einzunehmen unzweifelhaft berufen ist". Die Strafzwecke aber, die die Freiheitsstrafe danach in so idealer Weise erfüllen können [21] soll, sind nach der Dreiteilung Liszts: "Besserung der besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Verbrecher; Abschreckung der nicht besserungsbedürftigen Verbrecher; Unschädlichmachung der nicht besserungsfähigen Verbrecher".27 Auf diesem Fundament hat Liszt seine Lehre von der Freiheitsstrafe aufgebaut, die er zwar, 21 Auf die Sicherungsstrafe im preußischen Recht verweist Klug, Die zentrale Bedeutung des Schutzgedankens für den Zweck der Strafe (1938), in: Skeptische Rechtsphilosophie und humänes Strafrecht, Bd. 11, 1981, S. 129, 136. 22 Zu Karl v. Grolman Eh. Schmidt (Fn. 20), S. 227 f. 23 Das Deutsche Reichsstrafrecht, 1881. Die Vorlesungen und Übungen Liszts in Gießen vom WS 1879/80 bis zum WS 1881/82 sind verzeichnet bei Köhler, Gießener juristische Vorlesungen, 1982, S. 245 ff. 24 Vgl. das Jubiläumsheft der ZStW 93 (1981), S. 1 - 272. 25 Vgl. zum Marburger Programm Franz von Liszts (Fn. 19) eingehend und kritisch Naucke, Die Knminalpolitik des Marburger Programms 1882, ZStW 94 (1982), S. 525 ff. 26 Mittelstaedt, Gegen die Freiheitsstrafen, 2. Aufl. 1879 wendet sich hier mit großer Schärfe ge~en den Anspruch, daß d.ie Freiheitsstrafe der B~sserung ~iene und fordert: "daß oie intensivste Stelgerun~ der Zwangsarbeit vor allem von Nöten 1St, um Wieder Zucht und Furcht und ernsthafte Buße in die Strafrechtspflege hineinzubringen" (S. 66). 27 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 166.
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um die Reformgesetzgebung zu erleichtern, gelegentlich durch Kompromisse modifiziert, aber niemals preisgegeben hat. Die letzte der großen programmatischen Schöpfungen Liszts war gegen Ende der Marburger Zeit die Gründung der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung zusammen mit dem Belgier Adolphe Prins und dem Niederländer Gerard van Harnel im Jahre 1889, die die kriminal politischen Ideen und Reformforderungen der modernen Schule in die Welt hinausgetragen hat.28 In der Satzung der Vereinigung29 finden wir die Hauptthesen des Marburger Programms wieder: die Freiheitsstrafe nimmt im Sanktionensystem die erste Stelle ein; die kurze Freiheitsstrafe ist durch andere Strafmittel zu ersetzen; die geeignete Besserungsstrafe ist die zeitlich unbestimmte Freiheitsstrafe; gegen unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher ist, auch bei an sich geringfügigen Vergehen, die langzeitige Sicherungsstrafe das richtige Mittel. Nachdem wir den Weg Franz v. Liszts von seinen Anfängen in Wien, Graz, Gießen und Marburg bis zu dem Höhepunkt der Gründung der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung im Jahre 1889 verfolgt haben, ist im zweiten Teil des Vortrags zu fragen, welches seine Vorstellung von der Kriminalpolitik im ganzen und insbesondere seine Position gegenüber der Freiheitsstrafe gewesen ist. Der Begriff der Kriminalpolitik ist zwar älter als Liszts Programm,30 er hat aber durch die Konsequenz, in der er ihn gebraucht hat, die Prägung erfahren, die uns heute vertraut ist. Kriminalpolitik "ist in erster Linie Bekämpfung des Verbrechens durch individualisierende Einwirkung auf den Verbrecher. Sie verlangt ... , daß . . . die Strafe als Zweckstrafe ... sich in Art und Maß der Eigenart des Verbrechers anpasse, den sie durch Eingriff in seine Freiheit von der künftigen Begehung weiterer Verbrechen abhalten will".3! Der zentrale Punkt seiner Kriminalpolitik ist also der ziel bewußte Eingriff in die Freiheit des Straftäters. Der Gedanke der Vergeltung hat keinen Platz mehr in Liszts Kriminalpolitik, denn weder die subjektive Schuld des Täters noch die objektive Schwere der Tat [22] enthalten nach seiner Meinung das Maßprinzip für eine Strafe, die den Täter in der Zukunft von der Begehung weiterer Verbrechen abhalten soll. "Strafen wir den Mann für das, was er tut, oder für das, was er ist? Ist die Tat oder ist der Täter der Gegenstand unseres Urteils?" fragt Franz v. Liszt.32 Die Antwort kann bei ihm nicht zweifelhaft sein. Es ging ihm bei der Strafzumessung um die Einwirkung auf die Person des Täters durch Abschreckung, Besserung oder Unschädlichmachung. Gerechtigkeit im Strafrecht ist für ihn deshalb nicht die Vergeltung des verschuldeten Unrechts, sondern "die Einhaltung des durch den Zweckgedanken erforderten Strafmaßes".33
28 Vgl. Jescheck, Der Einfluß der IKV und der AIDP auf die internationale Entwicklung der modernen Kriminalpolitik, ZStW 92 (1980), S. 997 ff. 29 ZStW 9 (1889), S. 363 H. 30 Nach v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I, 1925, S. 535 tritt das Wort erstmals um 1800 auf. Liszt beruft sich in Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 291 auf Eduard Henke, Handbuch des Kriminalrechts und der Kriminalpolitik, 1823. Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts, 2. Aufl. 1803, S. 6 rechnet die Kriminalpolitik zu den "Hilfskenntnissen des Knminalrechts" . 31 v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 21./22. Auflage 1919, S. 13. Vgl. auch Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 291. 32 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 159. 33 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 161.
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Die Einwirkung der Strafe auf den Täter selbst nennt man in der Fachsprache Spezialprävention. Liszt hat sie der Generalprävention, d. h. der Einwirkung auf das Rechtsbewußtsein der Gesamtheit, deutlich übergeordnet; er nennt die Generalprävention deshalb eine bloße "Reflex:wirkung"34 der Strafe. In seiner letzten Äußerung zu dieser Frage hat Liszt, um die Brücke zu den Gegnern zu schlagen, einen mehr vermittelnden Standpunkt eingenommen,35 er hat jedoch den Vorrang der Spezialprävention niemals preisgegeben. Mit der Wendung zur Spezialprävention hat Liszt auch das Schuldprinzipals Grenze und Maßstab der Strafzumessung verlassen. "Der überlieferte Schuldbegriff ist unhaltbar" .36 "Mit dem Begriff der Schuld fällt auch der der Vergeltung" .37 In Liszts System konnte das Schuldprinzip keine sinnvolle Funktion erfüllen, weil die Strafe bei ihm zwar an die Zurechnungsfähigkeit des Täters, nicht jedoch an die verschuldete Tatschwere geknüpft ist. Maßgebend ist für ihn der Grad der Gefährlichkeit des Täters und das daraus folgende Schutzbedürfnis der Gesellschaft, wobei auch relativ geringfügige Taten eine langjährige Freiheitsstrafe nach sich ziehen können, wenn die Sicherung der Allgemeinheit dies erfordert. Auch die sozialethische Mißbilligung der Tat ist nicht Aufgabe der Strafe. Wenn Liszt "die Gesinnung des Täters als das in erster Linie maßgebende Moment betrachtet",38 so ist dies nicht der Schuldbegriff des klassischen Strafrechts und auch nicht der der gegenwärtigen Lehre, sondern gemeint ist hier die Persönlichkeitsstruktur des Beschuldigten als Gelegenheits- oder Gewohnheitstäter, als besserungsfähig oder unverbesserlich. "Ob der Angeklagte das erste Mal vor Gericht steht oder ob er zu den getreuen ortskundigen Stammgästen unserer Anstalten gehört, soll entscheidend ins Gewicht fallen". 38 Die Gefahr, daß die Zweckstrafe infolge der Härte ihrer spezialpräventiven Folgerungen ausufern und zu Willkür und Übermaß führen könnte, [23] hat Franz 'Von Liszt durchaus gesehen und ist ihr mit dem Instrumentarium seiner Zeit in dreifacher Weise entgegegetreten. Er bekennt sich einmal zur Einschränkung des Strafrechts mit der ganz modern klingenden Begründung: "Die Strafe ist eines der Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens, aber sie ist nicht das einzige, sie ist insbesondere nicht das wirksamste Mittel".39 Noch in der Ausgabe des Lehrbuchs letzter Hand lesen wir: "Unsere heutige Gesetzgebung macht von dem Kampfmittel der Strafe überreichen Gebrauch. Es wäre zu überlegen, ob der alte Satz ,minima non curat praetor' nicht wieder, sei es als prozessualer Rechtssatz (Durchbrechung des Legalitätsprinzips), sei es als materiellrechtliche Regel (Straflosigkeit bei Geringfügigkeit der Verletzung) Aufnahme zu finden verdiente".4o Auch ausdrücklich auf die Freiheitsstrafe wird das ultima-ratio-Prinzip bezogen: "Uns ist die Freiheitsstrafe nur eines der dem Staate zur Verfügung stehenden oder zu stellenden Strafmittel; wir behalten uns vor, kritisch zu prüfen, ob nicht das Anwendungsgebiet der Freiheitsstrafe eingeschränkt werden kann und soll, ob nicht ein teilweiser Ersatz derselben durch andere Strafmittel als möglich und wünschenswert erscheint"."1 34
Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 164.
35
v. Liszt (Fn. 31), S. 24.
38
Aufsätze und Vorträge, Bd. II, S. 57.
40
v. Liszt (Fn. 31), S. 14.
36 Aufsätze und Vorträge, Bd. II, S. 47. 37 Aufsätze und Vorträge, Bd. II, S. 48.
39 Aufsätze und Vorträge, Bd. II , S. 295.
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Wichtiger noch für die Begrenzung der Zweckstrafe ist zweitens das Rechtsstaatsprinzip. Das Nebeneinander von Zweckstrafe und Rechtssicherheit ist für Liszt charakteristisch, denn er war sowohl Verfechter einer konsequenten Kriminalpolitik als auch Verteidiger der individuellen Freiheit, sowohl ein sozialer als auch liberaler Reformer.42 In einem klassisch gewordenen Wort hat er diesem Standpunkt Ausdruck gegeben: "Nach meiner Meinung ist, so paradox es klingen mag, das Strafgesetzbuch die Magna Charta des Verbrechers. Es schützt nicht die Rechtsordnung, nicht die Gesamtheit, sondern den gegen diese sich auflehnenden Einzelnen. Es verbrieft ihm das Recht, nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen und nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen bestraft zu werden. Der Doppelsatz: nullum crimen sine lege, nulla poena si ne lege - ist das Bollwerk des Staatsbürgers gegenüber der staatlichen Allgewalt, gegenüber der rücksichtslosen Macht der Mehrheit, gegenüber dem ,Leviathan'. Ich habe seit Jahren das Strafrecht gekennzeichnet als ,die rechtlich begrenzte Strafgewalt des Staates'. Ich kann jetzt auch sagen: das Strafrecht ist die unübersteigbare Schranke der Kriminalpolitik" .43 Dies war das Glaubensbekenntnis des formalen Rechtsstaats. Zu seiner inhaltlichen Ausfüllung ist Liszt jedoch noch nicht vorgedrungen. Der Bürger hatte sich mit der Garantie des Gesetzes zu begnügen. Der Gedanke an übergesetzliche, den Gesetzgeber bindende Menschenrechte [24] lag Liszt noch fern, obwohl er in der Vorgeschichte seiner Zeit durchaus schon lebendig gewesen ist. 44 Zukunftweisend als Instrument der Einschränkung des Strafrechts war endlich Liszts Forderung nach Ausscheidung der Übertretungen aus dem kriminellen Strafrecht. In der Ausgabe des Lehrbuchs letzter Hand lesen wir dazu, daß den Polizeidelikten "der inhaltliche Kern des Unrechts, die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts, nicht wesentlich, daß daher ihre Lösung aus dem Begriff des Unrechts und mithin des Verbrechens eine der wichtigsten legislativen Aufgaben ist". 45 Im Gegenentwurf von 1911 hatte Liszt deswegen die Übertretungen bereits in einen selbständigen Teil des Strafgesetzbuchs verwiesen. Die Forderungen Franz v. Liszts zur Reform der überlieferten, am Schuldprinzip und Vergeltungsgedanken orientierten Freiheitsstrafe haben die Diskussion im In- und Ausland fast ein Jahrhundert beherrscht. Am bekanntesten ist Liszts Kampf gegen die kurze Freiheitsstrafe geworden, die, wie er zuletzt noch einmal 1919 im Lehrbuch gesagt hat, "in ihrer heutigen Anwendungsweise weder bessert, noch abschreckt, noch unschädlich macht, dafür aber nur zu leicht den Neuling dauernd in die Bahn des Verbrechens weist".46 Schon 30 Jahre früher hatte er anhand der 1882 erstmals veröffentlichten Reichskriminalstatistik die absolute Vorherrschaft der kurzen und kürzesten Freiheitsstrafe in der deutschen Strafrechtspflege nachgewiesen und daran die alarmierende FestAufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 326. Über den "Gegensatz zwischen dem sozialen und dem liberalen Denken" bei Liszt siehe Georgakis, Geistesgeschichtliche Studien zur Kriminalpolitik und Dogmatik Franz von Liszts, 1940, S. 61. Vgl. dazu ferner Radbruch (Fn. 9), S. 224 f.\ H Aufsätze und Vorträge, Bd. 11, S. 80. H Vgl. z. B. Wagnitz, Historische Nachrichten und Bemerkungen über die merkwürdigsten Zuchthäuser in Deutschland, Bd. I, 1791, S. IV; "Man wird überall aufmerksamer auf Menschenrechte, und gewiß kommt auch an gefangene Menschen die Reihe". 45 v. Liszt (F n. 31), S. 112. 46 v. Liszt (Fn. 31), S. 13. 41
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stellung geknüpft: "Die kurzzeitige Freiheitsstrafe ist nicht nur nutzlos: sie schädigt die Rechtsordnung schwerer, als die völlige Straflosigkeit des Verbrechers es zu tun imstande wäre" .47 Als Ersatzmittel empfiehlt er Geldstrafe, Strafaussetzung zur Bewährung und Arbeitsstrafe (mindestens statt der Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe), erörtert aber auch anhand ausländischer Vorbilder den richterlichen Verweis sowie Friedensbürgschaft und Hausarrest. 48 So sehr Liszt die kurze Freiheitsstrafe ablehnte, so sehr glaubte er an die resozialisierende Kraft der genügend langen Strafe, die dem besserungs bedürftigen und besserungsfähigen Verurteilten als relativ unbestimmte Freiheitsstrafe, nur mit einem festen Höchst- und Mindestmaß, auferlegt werden sollte. 49 Über den Zeitpunkt der Entlassung des Verurteilten sollte nach seiner Meinung nicht der Richter, sondern eine sachverständig zusammengesetzte Kommission unter Beteiligung der Gefangenenfürsorgevereine entscheiden. 50 Auch an eine "nachträgliche Verlängerung [25] der urteilsmäßig erkannten Strafe" nach dem Vorbild des früheren preußischen Rechts hat Liszt gedacht, "wo durch die Führung des Verurteilten in der Strafanstalt die Wirkungslosigkeit des Strafvollzugs dargetan wäre".51 Auf dem Glauben an die positive Wirkung des Strafvollzugs für den Gefangenen ruht seine gesamte Kriminalpolitik, denn weder die Überschreitung des nach der Schuld verdienten Strafmaßes noch die Unbestimmtheit des Strafurteils, noch die Verlängerung der durch den Richter festgesetzten Freiheitsstrafe aufgrund der Erfahrungen des Strafvollzugs sind anders als durch diesen Glauben zu erklären. Ebenso wie Liszt von der resozialisierenden Wirkung langer Freiheitsstrafen überzeugt war, hat er stets mit besonderem Nachdruck "die Unschädlichmachung des nicht besserungsfähigen Gewohnheitsverbrechers", auch bei an sich geringfügigen Vergehen gefordert. 52 Erwägungen der Proportionalität hat er wegen des absoluten Vorrangs des Schutzes der Allgemeinheit zurückgewiesen. Er dachte im Marburger Programm ursprünglich an die Einschließung des Gewohnheitsverbrechers auf absolut unbestimmte Zeit oder auf Lebenszeit53 und nahm damals sogar an, "daß mindestens die Hälfte aller jener Personen, welche jahraus, jahrein unsere Strafanstalten bevölkern, unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher sind" .54 Was er über die "Strafknechtschaft" gesagt hat, die er dieser Tätergruppe auferlegen wollte, mag man heute nach den Erfahrungen, die bei uns und anderswo mit derartigen Vollzugs methoden gemacht worden sind, nicht wiederholen. Er hat diese Äußerungen auch später abgemildert, so wenn er 1896 forderte, daß auch in der Sicherungsanstalt "der Geist wohlwollender Milde, fürsorgender Pflege"55 herrschen müsse, aber bei der Unschädlichmachung durch langdauernde oder lebenslange Einsperrung ist er geblieben. Die Möglichkeit, den Schutz der Allgemeinheit in einem zweispu47 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 340 H., insbes. S. 347; vgl. auch Aufsätze und Vorträge, Bd. II, S. 512 H. 48 Aufsätze und Vorträge. Bd. I, S. 359 H. 49 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 333, 359; Aufsätze und Vorträge, Bd. II, S. 70, 531 H.; v. Liszt (Fn. 31), S. 17. 50 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 334 H. 51 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 337; Aufsätze und Vorträge, Bd. II, S. 93. 52 v. Liszt (Fn. 31), S. 15f. 53 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 170. 54 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 168. 55 Aufsätze und Vorträge, Bd. 11, S. 229.
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rigen System besonderen Maßregeln zu überlassen, hat Liszt erkannt und als Weg der Vermittlung im Schulenstreit auch gelten lassen,56 zumal er einen Wesensunterschied zwischen Sicherungsstrafe und Verwahrung gemeingefährlicher Personen nicht zugeben wollte. 57 In einem System, das in so hohem Maße auf die Freiheitsstrafe gegründet war, mußte die Art und Weise des Strafvollzugs eine beherschende Rolle spielen. 57. Demgemäß hat sich Liszt, wie wir wissen, seit seiner Studienzeit mit Vollzugsproblemen beschäftigt. Er ging von der Überzeugung [26] aus, "daß Strafrechtspflege und Strafvollzug verschiedene Entwicklungsstufen in derselben strafenden Tätigkeit des Staates sind",58 sowie "daß das Strafübel erst durch seinen Vollzug Inhalt und Bedeutung gewinnt".59 Aber abgesehen von dem Erfordernis der "Gewöhnung an regelmäßige, ehrliche Arbeit"6o hat er sich über die inhaltliche Gestaltung eines Strafvollzugs, der den von ihm vorgegebenen Zwecken gerecht werden könnte, nicht geäußert und konnte es vielleicht auch nicht, weil es die heutige Kriminalpädagogik, Haftpsychologie und Gefängnissoziologie damals noch nicht gegeben hat. 61 So hat Liszt die Einheitsfreiheitsstrafe strikt abgelehnt und wegen der strengen Unterscheidung von Besserungs- und Sicherungs zweck auch an der Unterscheidung von Zuchthaus und Gefängnis festgehalten; die Gefängnisstrafe sollte gänzlich in Einzelhaft, die Zuchthausstrafe nach einjähriger Einzelhaft in fortschreitender Gemeinschaftshaft bei nächtlicher Trennung vollstreckt werden; Zuchthausstrafe sollte immer mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und bei der Entlassung mit dem Eintritt von Polizeiaufsicht verbunden werden62 - alles Vorstellungen, die dazu angetan waren, den Zuchthausgefangenen niemals mehr auf die Beine kommen zu lassen. Wir finden aber auch ganz andere Züge in der Einstellung Franz v. Liszts zur Freiheitsstrafe. Stark eingesetzt hat er sich für die beiden wichtigsten Alternativen, durch deren Anwendung die Freiheitsstrafe in vielen Fällen überhaupt vermieden werden kann. Das eine ist die Geldstrafe,63 bei der er für die damalige Zeit beanstandet, daß von ihr "ein zu geringer Gebrauch gemacht" werde und daß "die erkannten Geldstrafen dem Vermögen des Verurteilten zu wenig angepaßt, mithin teils viel zu mild, teils viel zu hart" seien. Er empfiehlt die Anknüpfung an den Steuersatz des Verurteilten und befürwortet außerdem alle Arten von Zahlungserleichterungen. Vor allem dürfe bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe "in keinem Falle kurzzeitige Freiheitsstrafe an ihre Stelle treten". Die Strafaussetzung zur Bewährung64 will Liszt in einem auch rechtsvergleichend begründe56 So schon in seiner Stellungnahme zu earl Stooß' Schweizer Vorentwurf von 1893, Aufsätze und Vorträge, Bd. 11, S. 115; übereinstimmend in der Auflage des Lehrbuchs letzter Hand von 1919 (Fn. 31), S. 25. Vgl. dazu auch Frisch, Das Marburger Programm und die Maßregeln der Besserung und Sicherung, ZStW 94 (1982), S. 581 ff. 57 Aufsätze und Vorträge, Bd. 11, S. 227. 57. Zu Liszts Einstellung zum Strafvollzug vgl. Müller-Dietz, Das Marburger Programm aus der Sicht des Strafvollzugs, ZStW 94 (1982), S. 601 ff. 58 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 326. 59 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 328. 60 Aufsätze und Vorträge, Bd. 11, S. 209. 61 Vgl. Sieverts, Franz von Liszt und die Reform des Strafvollzugs, ZStW 81 (1969), S. 658. 62 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 376 H. 63 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 406 H. 64 Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 360 ff., 388 f., 411 H.
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ten Gesetzesvorschlag, beschränkt auf erstmals zu Freiheitsstrafe Verurteilte, für Gefängnisstrafen (bis zu zwei Jahren) zulassen. Beide Forderungen sind für die Zukunft der Kriminalpolitik von größter Bedeutung geworden. Ist schon die weitgehende Ersetzung der Freiheitsstrafe durch Geldstrafe und Strafaussetzung zur Bewährung ein Programm punkt, der die ursprünglich extreme Härte der Positionen Franz v. Liszts in einem anderen Lichte erscheinen läßt, so gilt dies besonders auch von einem Gedanken, der in den letzten Sätzen des Lehrbuchs zu den "Kriminalpolitischen Forderungen der Gegenwart" anklingt. Hier wendet sich der [27] Blick, der den Straftäter bisher nur als Störer der Rechtsordnung, als Feind der bürgerlichen Gesellschaft und als Gegenstand des Eingriffs in seine Freiheit betrachtet hatte, auf die strafende Gesellschaft selbst zurück und erkennt deren Verantwortung für das Schicksal des verlorenen Sohnes: "Die Erkenntnis, daß das Verbrechen in den gesellschaftlichen Verhältnissen seine Wurzel hat, wird vor Übertreibungen des Zweckgedankens schützen. Die Überzeugung von der ,Kollektivschuld der Gesellschaft' wird der strafenden Tatigkeit des Staates Grenzen vorzeichnen" .65 Damit taucht am Ende eines langen Weges bei Franz v. Liszt erstmals die Idee einer vom Gedanken der Mitverantwortung der Gesellschaft getragenen Kriminalpolitik auf. 66 Die heutige Konzeption der Kriminalpolitik und unsere Stellung zur Freiheitsstrafe hat sich gegenüber den Positionen Franz v. Liszts in einigen Punkten gewandelt, in anderen befinden wir uns mit ihm in Übereinstimmung, in noch anderen ist eine Entwicklung eingetreten, die über Liszt weit hinausgeführt hat. Davon soll in dem dritten, der Gegenwart gewidmeten Teil meines Vortrags die Rede sein. In erster Linie wird heute der Strafzweck anders gesehen, als es Liszt getan hat. Die Strafe wird nicht allein durch den Zweck der Vorbeugung zukünftiger Straftaten legitimiert, sondern zugleich auch durch den Gedanken bestimmt, daß der Titer wegen der Tat die verdiente Mißbilligung durch die Rechtsgemeinschaft erfährt und daß seine Verantwortung für die Tat durch die Strafe auch dem Grade nach festgestellt wird.67 Daraus folgt, daß Strafe Schuld voraussetzt und auch in ihrem Maß dem Schuldgehalt der Tat entsprechen muß. Das Schuldprinzip hat in diesem Sinne den Rang eines Verfassungsgrundsatzes (BVerfGE 20, 323 [331]). Der Gesetzgeber hat den Zusammenhang zwischen Schuld und Strafmaß durch die bekannte Formel ausgedrückt: "Die Schuld des Titers ist die Grundlage für die Zumessung der Strafe" (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Wie diese Grundlagenformel praktisch zu verstehen ist, hat der Bundesgerichtshof mehrfach ausgesprochen: "Von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich darf sich die Strafe weder nach oben noch nach unten inhaltlich lösen" (BGHSt 24, 132 [134]; 29, 319 [321]). Die Spezialprävention ist damit freilich nicht geopfert, denn dem Richter wird für die Strafzumessung zusätzlich zum Schuldausgleich aufgegeben, "die Wirkungen, die von der Strafe für das zukünftige Leben des Titers in der Gesellschaft zu erwarten sind, zu berücksichtigen" (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Auch das Instrumentarium der Spezialprävention ist zur Hand. Es besteht im neuen deutschen Strafrecht wie bei Franz v. Liszt in der Aussetzung der Vollstreckung von Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren (§ 56 StGB) Liszt (Fn. 31), S. 19. Vgl. dazu heute Noll, Die ethische Begründung der Strafe, 1962, S. 24 H. Zur" Wandlung" v. Liszts im Laufe seines Lebens Naucke (Fn. 25), S. 548 H. 67 Grundlegend Gallas, Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 (1968), S. 3. 65" v.
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sowie ferner in der Ersetzung der Freiheitsstrafe unter sechs Monaten durch Geldstrafe (§ 47 StGB), doch das Schuldprinzip - und [28] darin liegt der Unterschied zu Liszt geht der Spezialprävention vor. Ebenso wie die Anordnung einer Maßregel nicht zur Milderung der schuldangemessenen Strafe führen darf (BGHSt 24, 132), wird auch das Bestreben des Gerichts, den Täter durch eine unter die Zweijahresgrenze herabgedrückte Freiheitsstrafe in den Genuß der Strafaussetzung kommen zu lassen, vom Bundesgerichtshof strikt abgelehnt, wenn dies zu einer unverdient milden Strafe führen würde (BGHSt 29, 319 [321 f.]). Auch nach oben wird das Schuldrnaß als unübersteigbare Grenze der Strafzumessung angesehen. »Der Präventions zweck darf nicht dazu führen, die gerechte Strafe zu überschreiten", sagt dazu der Bundesgerichtshof und bezeichnet in diesem Zusammenhang Abschreckung und Sicherung - im genauen Gegensatz zu Franz v. Liszt - als "nachrangige Strafzumessungsgründe", die "ein Übermaß niemals rechtfertigen können" (BGHSt 20, 264 [267]). Das Schuldprinzip - nicht bloß das formale Gesetz - schützt also den Täter gegen die Allgewalt des Staates. Es bindet die Strafe zugleich an ethische Wertvorstellungen der Gemeinschaft und damit an Wertbegriffe, die auch der Täter versteht oder verstehen lernen sollte. Entgegen Liszts Meinung wird auch die Frage, welches Strafmaß in concreto der Schuld des Täters entspricht, in gewissen Grenzen für lösbar gehalten, jedenfalls für eher lösbar als die Frage, wieviel der Täter zu seiner Resozialisierung braucht. Wiederum in Übereinstimmung mit Franz v. Liszt dient die Strafe jedoch auch nach heutiger Auffassung nicht dazu, den Schuldausgleich um seiner selbst willen herbeizuführen und damit zweckfreie Vergeltung zu üben, sondern sie soll die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung als Lebensgrundlage der Gemeinschaft jedermann vor Augen führen. Sie leistet dies durch die der Schuld angemessene Mißbilligung der Tat seitens der Gemeinschaft. Die Strafe erweist sich damit "gerade in ihrer Eigenart als schuldangemessene Antwort auf den Rechtsbruch zugleich als ein wirksames und für den Rechtsschutz unentbehrliches Mittel der Prävention"68 (ebenso BGHSt 24, 40 [42]). Die schuldangemessene Strafe dient somit in erster Linie der Generalprävention, sowohl positiv im Sinne der Einwirkung auf das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit als auch negativ im Sinne der Abschreckung aller, dem Beispiel des Täters zu folgen. Entgegen Franz v. Liszt ist die an das Schuldprinzip gebundene Generalprävention in der Rangfolge der Strafzwecke der Spezialprävention übergeordnet. 69 Ein Recht des Staates, den Menschen zu bessern und ihm zu [29] diesem Zweck die Freiheit zu entziehen, wird nicht mehr anerkannt (BVerfGE 22,180). Auch die Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe hat das Bundesverfassungsgericht vor allem im Hinblick auf die Zwecke der Generalprävention bejaht; es gehöre "zu den Aufgaben der Strafe, das Recht gegenüber dem vom 68 Gallas (Fn. 67), S. 3. Ebenso Jescheck, Die kriminalpolitische Konzeption des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 (1968), S. 59: »Gerade die präventive Funktion der Strafe würde leiden, wenn die Schuld ... nicht als konstitutives PrinziJ? auch den Sinngehalt der Strafe selbst bestimmen würde. Denn das Rechtsbewußtsein der Gememschaft wird durch eine Strafbemessung, die den Rahmen gerechter Vergeltung weder wesentlich über- noch auch wesentlich unterschreitet, zu einern guten Teil gesteuen... ". 69 Hierauf weist zu Recht Maiwald, Moderne Entwicklung der Auffassung vorn Zweck der Strafe, in: Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, 1980, S. 296 ff. hin im Hinblick auf den Vorrang der general präventiv zu verstehenden Geldstrafe und die rein generalpräventive Zielsetzung neu eingefühner Strafvorschriften. Der Forderung Roxins, Wandlungen der Strafrechtswissenschaft, JA 1980, 255, .»die Spezialprävention im Sinne sozialisierender Einwirkung auf den Straffälligen deutlicher in den Vordergrund zu rücken", ist der Gesetzgeber nicht gefolgt.
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Täter begangenen Unrecht durchzusetzen, um die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung vor der Rechtsgemeinschaft zu erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung zu stärken" (BVerfGE 45,187 [256]). Entgegen Liszt glaubt man heute auch nicht mehr ohne weiteres an die resozialisierende Kraft der Freiheitsstrafe, sondern hält ihren Vollzug im Hinblick auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft auch unter den Bedingungen des bestgemeinten "Behandlungsvollzugs" eher für schädlich, weil der Gefangene durch den Verlust der Freiheit gerade den Kontakt mit der natürlichen Umwelt verliert und in eine künstliche Umwelt versetzt wird, die von zahlreichen negativen Einflüssen bestimmt ist?O Diese Skepsis drückt sich u. a. in dem zahlenmäßigen Verhältnis von Freiheitsstrafe und Geldstrafe aus, das sich in Deutschland gegenüber den Zeiten Franz v. Liszts umgekehrt hat. Die Reichskriminalstatistik zeigte Liszt im Jahre 1882 noch 4% Zuchthaus- und 69% Gefängnisstrafen, also 73 % Freiheitsstrafen gegenüber 25% Geldstrafen,71 während 100 Jahre später 17,4% Freiheitsstrafen 82,6% Geldstrafen gegenüberstehen. 72 Von den Freiheitsstrafen werden zudem 65,5 % zur Bewährung ausgesetzt, was über Liszts Vorstellungen erheblich hinausgeht. In etwa 35% der Fälle muß die Aussetzung zwar widerrufen werden, doch ist dies kein schlechtes Ergebnis, da immerhin in zwei von drei Fällen der Gefängnisaufenthalt vermieden wird. Im Ergebnis mußten 1978 nur noch 6,2% aller verurteilten Erwachsenen eine Freiheitsstrafe verbüßen,73 gegenüber 73% im Jahre 1882. Daß man gleichwohl versucht, auch aus dem Regelvollzug etwas anderes zu machen als bloßes "human containment", versteht sich. Zur relativ günstigen Zahl vollstreckter Freiheitsstrafen kommt freilich die Ersatzfreiheitsstrafe hinzu, die eintritt, wenn eine Geldstrafe nicht eingebracht werden kann. Liszt wollte sie durch die Arbeitsstrafe ersetzen, was heute auch in Berlin und Hamburg versucht wird, allerdings offenbar ohne größeren Erfolg. 74 Die Ersatzfreiheitsstrafe beträgt in der Regel 20 - 30 Tage, selten mehr als 90 Tage, da die Gerichte über diese Grenze nur ganz ausnahmsweise hinausgehen. 75 Anteilsmäßig erscheint die Gruppe der Personen, die anstelle der Bezahlung einer Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen, zwar mit etwa 5,5% aller Verurteilungen zu Geldstrafe relativ gering,76 doch fällt die absolute Zahl bei [30] fast 500.000 Verurteilungen zu Geldstrafe im Jahr erheblich ins Gewicht. 1978 mußten 27.724 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe hinnehmen,77 wobei der Grund nicht in der Höhe der Geldstrafe, sondern in der Unfähigkeit lag, auch nur eine geringe Summe Geldes aufzubringen, die in der Regel monatlich weniger als 100 DM beträgt.78 Die Frage der Verfassungswidrigkeit der Ersatzfreiheitsstrafe unter dem GeVgl. Kaiser, Kriminologie, 1980, S. 329; Kaiser / Kerner / Schöch (Fn. 3), S. 433 f. Aufsätze und Vorträge, Bd. I, S. 342. 72 Kaiser (Fn. 70), S. 288. 73 Kaiser (Fn. 70), S. 289. 74 Albrecht, Alternativen zur Freiheitsstrafe: Das Beispiel der Geldstrafe, MSchrKrim 1981, 271 H. 75 Albrecht (Fn. 74), S. 266; Heinz, Entwicklung, Stand und Struktur der Strafzumessungspraxis, MSchrKrim 1981, 170. 76 Kaiser (Fn. 70), S. 306. 77 Kaiser (Fn. 70), S. 206; vgl. auch Rolinski, Ersatzfreiheitsstrafe oder gemeinnützige Arbeit? MSchrKrim 1981, 52. 78 Albrecht (Fn. 74), S. 268. 70
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sichtspunkt der Diskriminierung der Armen ist in Deutschland noch nicht zu gerichtlicher Entscheidung gelangt, doch wird dies sicher bald geschehen, nachdem der italienische Verfassungsgerichtshof die Ersatzfreiheitsstrafe im Jahre 1979 für verfassungswidrig erklärt79 und der italienische Gesetzgeber jetzt an deren Stelle die überwachte Freiheit bzw. auf Antrag sogar die schwer zu organisierende Ersatzarbeit eingeführt hat.80 Die unbestimmte Freiheitsstrafe, von der sich Liszt die resozialisierende Wirkung des Vollzugs und die Möglichkeit der Beobachtung des Gefangenen während seiner Dauer versprochen hat, ist in Deutschland ohne Einfluß geblieben, weil damit das Schuldprinzip und zugleich mit diesem ein unentbehrliches Stück Rechtssicherheit preisgegeben worden wäre. Nur im Jugendrecht ist die unbestimmte Strafe eingeführt worden, wird dort aber immer seltener angewendet, weil die Jugendrichter sie für schädlich halten (1977 nur noch in 2,7% aller Jugendstrafen).81 Schweden, Norwegen und einige amerikanische Staaten, z. B. Kalifornien, haben alle zeitlich unbestimmten Sanktionen abgeschafft, weil sie den Verurteilten übermäßig belasten, ohne einen zählbaren Resozialisierungserfolg zu erbringen. Die heutige Aussetzung des Strafrests zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit ist mit der unbestimmten Freiheitsstrafe Liszts nicht zu vergleichen. Sie kommt im Jahresdurchschnitt nur bei 29% der Entlassungen zur Anwendung,82 weil die zeitlichen Voraussetzungen sonst nicht vorliegen. Bei längeren Freiheitsstrafen ist die Zweidrittelentlassung zwar die Regel, jedoch liegt die Entscheidung nicht, wie es Liszt vorschwebte, bei einem gemischten Ausschuß, sondern bei einem Gericht, nämlich der Strafvollstreckungskammer (§§ 462 a, 454 StPO). Als "Besserungsanstalt" im Lisztschen Sinne kann man am ehesten die sozialtherapeutischen Einrichtungen der Länder verstehen, die bisher [31] aber nur 1 % der Gefangenenzahl aufzunehmen vermögen. 83 Der Personenkreis, der in Betracht kommt, ist allerdings ein anderer, als ihn sich Liszt vorgestellt hatte. Es sind Täter mit schweren Persönlichkeitsstörungen, nicht "Arbeitsscheue", bei denen Liszt mit dem Besserungsvollzug ansetzen wollte. Bisher gibt es die sozialtherapeutische Anstalt nur als Modalität der Freiheitsstrafe (§ 9 StVollzG), während die vom Gesetzgeber an sich beabsichtigte Einführung als Maßregel in der Hand des Richters (§ 65 StGB) wiederholt, zuletzt bis zum 1. 1. 1985, verschoben worden ist. Wahrscheinlich wird es beim gegenwärtigen Rechtszustand bleiben, der seine Vorteile hat84 und den Lisztschen Vorstellungen wohl am meisten entsprechen dürfte. Im Vollzug kann die Auswahl der für die Sozialtherapie disponierten Gefangenen aufgrund eingehender Persönlichkeitsuntersuchung besser vorgenommen und die Einweisung außerdem an deren Zustimmung gebunden werden, so daß für den 79 Cone Costituzionale, Sem. 21 novembre 1979, n. 131, Rivista italiana di diritto e procedura penale 1980, 1375. 80 Legge 24 novembre 1981, n. 689, "Modifiche al sistema penale", Gazz. Uff. 1981 Nr. 59, An. 102. 81 Schaffstein, Jugendstrafrecht,7. Aufl. 1980, S. 109. 82 Nähere Angaben bei Kaiser (Fn. 70), S. 298. Über Ergebnisse der bedingten Entlassung aus verschiedenen Vollzugsanen, mit und ohne Bewährungsaufsicht, Dünkel, Prognostische Kriterien zur Abschätzung des Erfolgs von Behandlungsmaßnahmen im Strafvollzug sowie für die Entscheidung über die bedingte Entlassung, MSchrKrim 1981,292; ferner Albrechtl Dünkel! Spieß, Empiriscne Sanktionsforschung und die Begründbarkeit von Kriminalpolitik, MSchrKrim 1981, 316 ff. 83 Kaiser I Kerner I Schöch (Fn. 3), S. 233. 84 Vgl. Dünkel, Gegenwärtige kriminalpolitische Strömungen zur (sozialtherapeutischen) Behandlung im Strafvollzug, in: Sozialtherapie als kriminalpolitische Aufgabe, 1981, S. 41 .
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Erfolg der Behandlung günstigere Vorausselzungen gegeben sind, als wenn der Richter dem Verurteilten die Sozialtherapie im Urteil auferlegt, ohne ihn zu fragen, ohne ihn zu kennen und ohne ihm den Sinn der Maßregel verständlich machen zu können. Die relativ günstigen Ergebnisse der Anstalten Berlin-Tegel und Hamburg 85 sprechen jedenfalls dafür, die Versuche mit der Sozialtherapie auf breiterer Basis fortzusetzen. Am entschiedensten ist der Gesetzgeber dem Lisztschen Reformprogramm in der Ablehnung der kurzen Freiheitsstrafe gefolgt, und darin scheint Liszt recht behalten zu haben, denn eine Freiburger Untersuchung ergab, daß Ersttäter, die zu einer kurzen Freiheitsstrafe verurteilt worden waren, verglichen mit solchen, die eine entsprechende Geldstrafe erhalten hatten, eine dreimal so hohe Wiederverurteilungsquote aufwiesen wie die Vergleichsgruppe. 86 In Deutschland ist die kurze Freiheitsstrafe unterhalb von 6 Monaten durch die Prioritäts klausel zugunsten der Geldstrafe theoretisch zur Ausnahme geworden. In der Praxis kommt diese Ausnahme freilich noch immer ziemlich häufig vor. Im Jahre 1980 wurden 50.324 Verurteilungen zu Freiheitsstrafe unter 6 Monaten ausgesprochen, von denen 79% zur Bewährung ausgesetzt wurden. Hinzurechnen muß man ferner noch die mehr als 27.000 Personen im Jahr, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, zumal diese nach deutschem Recht nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Die Häufigkeit der kurzfristigen Freiheitsstrafe ist jedenfalls ein Anzeichen dafür, daß man sie nicht einfach abschaffen kann. Jedoch sogar positive Züge gewinnt man ihr heute ab. Für bestimmte Tatergruppen, bei denen es vornehmlich auf eine scharfe Warnung ankommt, wie Wirtschafts kriminelle, Umweltdelinquenten, Verkehrssünder oder militärische Straftäter, wird die kurze [32] Freiheitsstrafe bei schwererwiegenden Vergehen als die geeignete Sanktionsart angesehen, die hier auch keinen entsozialisierenden Nebeneffekt befürchten läßt. Ganz allgemein sind die Niederlande und Schweden in der Verwendung der kurzen Freiheitsstrafe bis an die Grenze der schweren Kriminalität herangegangen mit der fast zynisch wirkenden Begründung, daß kurze Freiheitsstrafen in jedem Fall weniger schädlich seien als lange. 87 Frankreich kennt die Teilaussetzung mit kurzem Anfangsvollzug,88 Italien die Halbfreiheit, bei der der Gefangene tagsüber seiner Arbeit nachgeht. 89 Spanien hat im Entwurf 1979 den Wochenendarrest vorgesehen, der alle primären Freiheitsstrafen unter sechs Monaten ersetzen soll.90 Das letzte Wort über die kurze Freiheitsstrafe ist jedenfalls noch nicht gesprochen.91 Die Sicherungsstrafe im Sinne Liszts wurde in Deutschland ebenso wie die unbestimmte Freiheitsstrafe mit Rücksicht auf das Schuldprinzip und die Rechtssicherheit niemals eingeführt. 92 Die große Frage ist jedoch, auf welche Weise in Fällen, in denen die 85 Vgl. Rehn, Behandlung im Strafvollzug, 1979; Dünkel, Legalbewährung nach sozialtherapeutischer Behandlung, 1980; Dünkel (Fn. 84), S. 88. 86 Kaiser (Fn. 70), S. 296. 87 Vgl. Kaiser (Fn. 70), S. 296 f. 88 Hagedorn, Die richterliche Individualisierung der Strafe in Frankreich, Diss. Freiburg 1980, S. 203 f. 89 Grevi, Das italienische Strafvollzugsgesetz, eine Bilanz fünf Jahre nach der Reform, ZStW 94 (1982), S. 511 H. 90 Mir Puig, Das Rechtsfolgensystem im spanischen Entwurf eines Strafgesetzbuchs, ZStW 93 (1981), S. 1303. 91 Daß der deutschen Strafrechtsreform in der Zuruckdrängung der kurzen Freiheitsstrafe bisher auch nur ein Teilerfolg beschieden gewesen ist, zeigt Heinz, Strafrechtsreform und Sanktionsentwicklung, ZStW 94 (1982), S. 651 H.
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Schuldstrafe nicht ausreicht, der vom Gewohnheitsverbrecherturn ausgehenden Gefahr begegnet werden kann. Die Antwort darauf gibt in Deutschland die Zweispurigkeit von Freiheitsstrafen und sichernden Maßregeln, die auch der spätere Liszt als mögliche Lösung angesehen hatte. Charakteristisch für die Zweispurigkeit ist im deutschen Strafrecht die zeitlich unbestimmte Sicherungsverwahrung, die sich an die Strafverbüßung anschließt. Sie ist jedoch in den letzten Jahren zahlenmäßig stark zurückgegangen und spielt heute.nur noch eine geringe Rolle. 1964 gab es noch 264 Verurteilungen, 1970 110, 1980 nur noch 41. Insgesamt befinden sich heute noch 250 Sicherungsverwahrte in Haft gegen fast 1450 im Jahre 1965. Gleichwohl ist die Sicherungsverwahrung zum Schutz der Allgemeinheit gegen besonders gefährliche Täter wohl nicht zu entbehren, da es den chronisch Schwerkriminellen, den im Sinne Liszts nicht besserungsfähigen Zustandsverbrecher, gibt, der vor nichts zurückschreckt und deswegen für die Allgemeinheit gefährlich ist, wenn auch die Anzahl dieser Personen viel geringer ist, als man früher angenommen hat.93 Zur Zeit scheint die zunehmend verhängte lange Freiheitsstrafe die Aufgabe der Sicherung [33] der Allgemeinheit mit zu übernehmen, weil die Gerichte die Sicherungsverwahrung für ungerecht halten und deshalb nicht anwenden. Der Strafvollzug ist im letzten Jahrzehnt weit über die bescheidenen Reformvorstellungen Franz v. Liszts hinausgewachsen. Das Strafvollzugsgesetz von 1976 hat erstmals eine bundesgesetzliche Grundlage geschaffen und die Rechtsstellung der Gefangenen wesentlich verbessert. Insbesondere bedeutet der richterliche Rechtsschutz durch die Strafvollstreckungskammer (§ 109 StVollzG) und die Einführung der Rechtsbeschwerde an das Oberlandesgericht (§ 116 StVollzG) zusammen mit der Beseitigung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis (BVerfGE 33,1), daß der Gefangene nunmehr weitgehend in den Rechtsstaat eingeordnet ist. Das Gesetz verwirklicht zwar inhaltlich noch nicht die großen Reformen, die angestrebt waren (z. B. nicht den offenen Vollzug als Regelform, nicht Tariflohn, Renten- und Krankenversicherung), es hat aber durch die Verankerung der Resozialisierung als Vollzugs ziel, durch das Prinzip der Mitwirkung des Gefangenen an der Behandlung und die Beschränkung des Strafübels auf den Freiheitsentzug die Anfänge einer rationalen Vollzugspolitik gebracht. Die Wirklichkeit des Strafvollzugs ist heute gekennzeichnet: negativ durch das Anwachsen der Gefangenenzahl und das damit erneut auftretende Überfüllungsproblem, durch die angespannte Personallage und den zu geringen Anteil des offenen Vollzugs, positiv durch die starke Zunahme der Vollzugslockerungen, wie Ausgang, Freigang, Urlaub, die freilich auch das Drogenproblem in den Strafvollzug hineingebracht haben. Jedenfalls kann man die Länder heute nicht mehr wie zu Liszts Zeiten anklagen, den Strafvollzug zu vernachlässigen: die Ausgaben der JJ.1stizhaushalte für diesen Zweck haben sich von 1970 bis 1980 real verdoppelt. 94 Auch die Forderung Franz v. Liszts nach Ausscheidung der Übertretungen aus dem kriminellen Strafrecht ist heute mehr als erfüllt. Das neue Strafgesetzbuch kennt nur 92
Eine Ausnahme war die Sicherungs-Todesstrafe im Kriege nach § 1 des Gesetzes vom
4. 9. 1941 (RGBI. I S. 549).
93 Über die forschungsmäßig noch nicht geklärten und darum auch vorläufig noch ungelösten Probleme der Zukunft der Sicherungsverwahrung Göppinger, Kriminologie, 4. Auf!. 1980, S. 418 H.; Kaiser/ ~erner/ Schöch (Fn. 3), S. 239 H. 94 Dünkel! Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland seit
1970, 1981, S. 355.
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noch Verbrechen und Vergehen. Die Übertretungen sind beseitigt oder in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt, für die nur Geldbußen angedroht sind. Bei Vergehen ist ferner entsprechend der Lisztschen Anregung das Legalitätsprinzip eingeschränkt worden: Verfahren wegen Bagatellvergehen können sanktionslos eingestellt werden (§ 153 StPO), wegen anderer Vergehen dann, wenn Auflagen der Staatsanwaltschaft, insbesondere Geldbußen, geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen (§ 153 a StPO).95 Große Fortschritte gegenüber Liszts rein gesetzesstaatlicher Position sind endlich bei der inhaltlichen Ausfüllung des Rechtsstaatsprinzips gemacht worden. Der Schuldgrundsatz, die Neuorientierung des Strafvollzugs und der richterliche Rechtsschutz für Gefangene wurden schon erwähnt. Schon frühzeitig haben die Gerichte den Gefangenen ferner [34] unmittelbar den Schutz der Grundrechte zugebilligt. So entschied das Oberlandesgericht Hamm im Jahre 1967, daß die zu enge Unterbringung von Gefangenen in Gemeinschaftszellen die Menschenwürde verletzt (NJW 1967, 2024), hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, daß die Grundrechte der Gefangenen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können (BVerfGE 33,1) und hat das gleiche Gericht aus dem Sozialstaatsprinzip den Anspruch des Gefangenen auf Ermöglichung der Resozialisierung abgeleitet, wobei in der Begründung auch der Lisztsche Gedanke der "gesellschaftlichen Benachteiligung" bestimmter Gruppen auftaucht (BVerfGE 35, 202 [235 f.D. Auch das internationale Recht gewährt heute dem Gefangenen seinen Schutz. So enthält die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 in Artikel 3 das Verbot der Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung, in Artikel 5 die Garantie der persönlichen Freiheit, in Artikel 8 das Recht des Gefangenen auf Briefkontakte mit der Außenwelt, in Artikel 13 das Beschwerderecht. Die Spruchpraxis der Europäischen Menschenrechtskommission war für den Strafvollzug zwar bisher enttäuschend,96 doch hält das Recht der Individualbeschwerde nach Artikel 25 diese Problematik für übernationale Impulse immerhin offen. So war das Verbot der Prügelstrafe, die Liszt als Disziplinarmaßnahme im Strafvollzug noch für zulässig gehalten hat, eine wegweisende Entscheidung.97 " Ausdruck des internationalen Rechtsbewußtseins"98 sind ferner die 1957 vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen angenommenen Einheitlichen Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen. 99 Das gleiche gilt für Artikel 10 Abs. 3 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966, der erstmals im internationalen Recht die Bestimmung enthält, daß der Strafvollzug der Wiedereingliederung des Gefangenen zu dienen hat. Zum Abschluß möchte ich einen Blick auf die Vorschläge werfen, die in Deutschland für die weitere Reform der Freiheitsstrafe im Gespräch sind. Die Forderung des Alterna95 Beide Formen der Verfahrens einstellung haben große und zunehmende praktische Bedeutung, vgl. dazu Heinz (Fn. 91), S. 664 ff. 96 Vgl. Ganter, Die Spruchpraxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte auf dem Gebiet des Strafvollzugs, 1974, S. 184, 188. 97 Eurot>äische Menschenrechtskommission, Europäische Zeitschrift für Grundrechte 1977, 486, bestätigt durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, ebenda 1979, 162. 98 So Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, 1969, S. 69. 99 Deutsche Übersetzung vqp.Jescheck in ZStW 67 (1955), S. 667 ff.; die europäische Fassung von 1973 ist 1975 in deutscner Ubersetzung veröffentlicht worden.
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tiv-Entwurfs, die Freiheitsstrafe unter 6 Monaten ganz abzuschaffen,loo erscheint nach allem, was ich vorgetragen habe, unrealistisch. Die Tatsache, daß trotz der strengen Prioritätsklausel zugunsten der Geldstrafe jährlich weiterhin über 50.000 kurze Freiheitsstrafen ausgesprochen werden, zeigt, daß diese Strafe in der Praxis nicht ohne weiteres entbehrt werden kann. Wohl aber sollten die Gerichte im [35] Bereich von drei bis zu sechs Monaten in viel stärkerem Maße von der Geldstrafe Gebrauch machen, als sie es gegenwärtig tun. Ferner sollte man nach französischem Muster an eine kurze Teilvollstreckung ausgesetzter Freiheitsstrafen denken. Der Vorschlag, die Ersatzfreiheitsstrafe ganz abzuschaffen, laI wäre für die Effizienz der Geldstrafe gefährlich. l02 Statt dessen sollte nach Lisztschem Vorschlag die Möglichkeit der Abarbeitung vorgesehen l03 und die Ersatzfreiheitsstrafe erst dann vollstreckt werden, wenn der Verurteilte auch seiner Arbeitspflicht nicht nachkommt. Auch die Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe mit Auflagen sollte eingeführt werden, da nicht einzusehen ist, warum, wer arm ist, auch in diesem Punkte benachteiligt werden muß. Ein weiterer Vorschlag des Alternativ-Entwurfs geht dahin, Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren durch Geldstrafen zu ersetzen, »wenn auch durch eine Geldstrafe erreicht werden kann, daß der Tater nicht wieder straffällig wird" .104 Ich halte auch diesen Vorschlag für wirklichkeitsfremd, denn er würde bedeuten, daß Geldstrafen bis zu 720 Tagessätzen verhängt werden könnten und müßten, während die Gerichte von der schon jetzt möglichen Spanne zwischen 180 und 360 Tagessätzen so gut wie keinen Gebrauch machen. Auch würde die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen durch die drastische Erhöhung der Zahl der Tagessätze sehr erheblich ansteigen, da nach bisheriger Erfahrung schon viel geringere Geldstrafen von einkommensschwachen Personen nicht aufgebracht werden können. Was ferner die Erweiterung der Strafaussetzung zur Bewährung anlangt, die der Alternativ-Entwurf ebenfalls vorschlägt,IOS so erscheint mir die Einbeziehung der Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren in die Normalregelung vertretbar, so daß es sich im Bereich von mehr als einem Jahr nicht mehr um eine Ausnahme handeln würde. l06 Das einschränkende Moment, daß die Strafe zu vollstrecken ist, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung dies erfordert (§ 56 Abs. 3 StGB), müßte jedoch unbedingt erhalten bleiben, weil sonst gerade im oberen Bereich der mittleren Kriminalität die Generalprävention nicht mehr gesichert wäre. Nach französischem Muster sollte man bei erfolgreichem Bestehen der Bewährungszeit aber nicht nur auf die Vollstreckung verzichten, sondern die Bestrafung als nicht eingetreten betrachten. l07 [36] 100 AE § 36 Abs. 1 S. 1; in diesem Sinne aber Roxin, Zur Entwicklung der Kriminalpolitik seit den Alternativ-Entwürfen, JA 1980, 549. 101 So Grebing, Probleme der Tagessatz-Geldstrafe, ZStW 88 (1976), S. 1112; ferner Grebing, Die Geldstrafe in rechtsvergleichender Darstellung, in:]escheck/Grebing, Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht, 1978, S. 1338: Erzwingungshaft statt Ersatzfreiheitsstrafe. 102 Nach Albrecht, Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen, 1980, S. 253 zahlen 10% der Geldstrafenschuldner erst bei Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe; vgl. auch Albrecht (Fn. 74), S. 271. 103 In dieser Richtung AE § 52; ebenso Roxin (Fn. 100), S. 550. 104 AE § 50; in diesem Sinne auch Roxin (Fn. 100), S. 549. lOS AE § 40; ebenso Roxin (Fn. 100), S. 550 f. 106 Auch die Ausdehnung der Strafaussetzung auf einen sozial und strafrechtlich stärker belasteten Personenkreis erschemt bei geeigneter Ausgestaltun~ der Bewährungshilfe vertretbar; vgl. dazu Spieß, Wie bewährt sich die Strafaussetzung? MSchrKnm 1981,296 ff. 107 Für rücltwirkende Straftilgung auch AE § 47 Abs. 2 und Roxin (Fn. 100), S. 550 f.
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In allen übrigen die Freiheitsstrafe betreffenden Punkten scheint mir die gegenwärtige Regelung in Deutschland ausg~wogen, d. h. einerseits nicht zu streng, andererseits für die Erfordernisse der Generalprävention auch ausreichend. Für eine weitergehende Reform auf dem Gebiet der Freiheitsstrafe besteht zur Zeit kein Anlaß.
DAS NEUE DEUTSCHE STRAFRECHT IN DER BEWÄHRUNG*+ Am I. Januar 1975 ist in Deutschland eine Neufassung des mehr als 100 Jahre alten Strafgesetzbuchs in Kraft getreten. Vollständig umgestaltet wurde der Allgemeine Teil, der die für alle Strafvorschriften maßgeblichen Regeln enthält. Aber auch der Besondere Teil mit der Beschreibung der einzelnen Straftaten, wie Mord, Raub, Diebstahl, Brandstiftung, zeigt schon weitgehend ein neues Gesicht. Vor allem in den letzten Jahren hat der Gesetzgeber Themen von höchster Aktualität aufgegriffen, so die Schwangerschaftsunterbrechung, die Bekämpfung des Terrorismus, die Wirtschaftskriminalität und den Umweltschutz. Das deutsche Gesetzeswerk ist ein Teilstück der großen internationalen Bewegung zur Modernisierung und Humanisierung des Strafrechts, die Ende der 50er Jahre eingesetzt hat und historisch als die dritte Epoche der Reformen nach der Aufklärung im 18. Jahrhundert und nach der Zeit des Positivismus um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert verstanden werden kann. Ich erwähne aus diesem internationalen Zusammenhang das gleichzeitig mit unserem Strafgesetzbuch abgeschlossene österreichische Reformwerk. Die Übereinstimmung in den Grundfragen, die das Strafrecht beider Länder heute kennzeichnet, ist nicht das Ergebnis amtlicher Lenkung oder bewußten Strebens nach Rechtseinheit gewesen, sondern beruht auf dem Gewicht sachlich begründeter Einsichten, die man ausgetauscht und in die Tat umgesetzt hat. Auch mit anderen Ländern bestehen derartige Kontakte. Wichtige Reformideen, wie etwa die Neuregelung der Geldstrafe nach dem skandinavischen Tagessatzsystem, hat der deutsche Gesetzgeber ausländischen Vorbildern entnommen. Andererseits findet auch das neue deutsche Strafrecht im Ausland Interesse. So zeigt der Entwurf für das spanische Strafgesetzbuch deutlich den Einfluß der deutschen Entwürfe und wendet sich der Blick der italienischen Juristen hauptsächlich [19] nach Deutschland. Auch die empirischen Untersuchungen der deutschen Kriminologie zur tatsächlichen Handhabung des Strafrechts werden im Ausland zunehmend beachtet. Der internationale Charakter der Reformbewegung zeigt sich ferner an dem Beitrag der Vereinten Nationen und des Europarats, der vor allem in der Anregung und Koordination wissenschaftlicher Arbeiten besteht. Das neue deutsche Strafrecht ist wiederholt Gegenstand dieser Arbeiten gewesen. Bei der Reform ging es jedoch nicht nur um das Strafrecht im engeren Sinn. Ein neues Strafgesetzbuch ohne Neuregelung des Strafvollzugs wäre Stückwerk, da nicht offenbleiben kann, was die Freiheitsstrafe für das Leben des Verurteilten und der Gesellschaft bedeutet. Während das Strafgesetzbuch schon 1871, die Strafprozeßordnung schon 1877 ergangen sind, mußte der Strafvollzug, der es mit der Vollstreckung der Freiheitsstrafe als
* Aus: Max-Planck-Gesellschaft. Jahrbuch 1980. Hrsg. von der Generalverwaltung der MaxPlanck-Gesellschaft München, Göttingen 1980, 18 - 31. + Fesrvortrag am 6. Juni 1980 anläßlich der Hauprversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Hannover. 5 Jescheck
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der schwersten Sanktion des geltenden Rechts zu tun hat, bisher mit Verwaltungsverordnungen auskommen. Erst das Jahr 1976 brachte den Abschluß des Reformwerks durch das Strafvollzugsgesetz, das den Strafgefangenen eine klare Rechtsstellung gibt, die Leistungspflichten des Staates festlegt und inhaltlich die Wendung des Strafvollzugs von einer repressiven zu einer sozialen Institution einleitet. Angesichts der noch nicht langen Geltung der Reformgesetze könnte die Frage nach der Bewährung des neuen deutschen Strafrechts verfrüht erscheinen. Man muß jedoch wissen, daß das Strafgesetzbuch schon seit dem Jahre 1951 schrittweise verändert worden ist und daß auch das Vollzugs gesetz schon seit der Mitte der 60er Jahre durch die Praxis zum Teil vorweggenommen wurde. Im ganzen haben wir es also mit einem Zeitraum von fast 30 Jahren zu tun, in dem das neue Recht seine Probe zu bestehen hatte. Um Maßstäbe für die Beurteilung des Reformwerks zu gewinnen, muß man auf die Ausgangsposition des Gesetzgebers zurückgehen, wie sie sich in der entscheidenden letzten Phase darstellte, und prüfen, ob sich die an das neue Recht geknüpften Erwartungen unter diesem Gesichtspunkt erfüllt haben. Grundlage der Reform war der große Lernund Umdenkungsprozeß, der in der Kriminalpolitik unter dem Einfluß sowohl der Rechtsvergleichung als auch der modernen Kriminologie stattgefunden hat. Diese Wendung ist während der legislativen Arbeiten der letzten 30 Jahre eingetreten und hat der Entwicklung ihre außerordentliche Dynamik gegeben. Worum handelt es sich dabei? Die Erkenntnis, daß das Strafrecht zur Gewährleistung des Rechtsfriedens unentbehrlich, aber doch nur ein Mittel der sozialen Kontrolle neben anderen ist, hat sich weitgehend durchgesetzt. Zugleich hat man erkannt, daß die Bestrafung von Menschen keineswegs nur Gewinn für die Rechtsgemeinschaft bringt, sondern daß auch schwere Nachteile damit verbunden sind, die, abgesehen von dem Verurteilten und seiner Familie, die Gesellschaft selbst treffen. Man hat sich weiterhin dazu bekannt, daß die Strafjustiz nicht die Aufgabe hat, Gerechtigkeit um ihrer selbst willen zu üben, sondern daß sie den Täter nur deswegen für die begangene Tat verantwortlich macht, weil in der verdienten Reaktion auf den Rechtsbruch zugleich ein unentbehrliches Mittel der Vorbeugung [20] liegt. Daraus folgt ferner, daß das Strafrecht nur das äußerste Mittel der Rechtsbewährung sein kann und daß schonenderen Instrumenten der sozialen Kontrolle der Vorrang gebührt, wenn sie sich für den Gesellschaftsschutz als ausreichend erweisen. Die Entkriminalisierung, zum Beispiel durch Abgabe der Bagatelldelikte an das nichtkriminelle Ordnungsrecht, hat hier ihre Wurzel. Auf der anderen Seite sind aber auch neue Rechtsgüter ins Blickfeld getreten, die des gesetzlichen Schutzes bedürfen, so Volkswirtschaft und Umwelt, was zu einer Ausdehnung des Strafrechts geführt hat. Dem Strafrecht mußte weiterhin eine den Forderungen des Rechtsstaates entsprechende Gestalt gegeben werden, so daß mancher Reformvorschlag - wie etwa die Einführung der zeitlich unbestimmten Freiheitsstrafe - schon deswegen abzulehnen war, weil dadurch der Bürger dem unkontrollierbaren Ermessen der öffentlichen Gewalt preisgegeben worden wäre. Durchgesetzt hat sich endlich die aus der Sozial staats klausel des Grundgesetzes abzuleitende Forderung, daß die Gesellschaft auch gegenüber dem Straftäter Solidarität üben und ihm die notwendigen Hilfen gewähren muß, um seine Wiedereinordnung zu erleichtern, soweit er dieser Hilfe bedarf. Wo eine Sozialisation des Verurteilten nicht nötig ist - und Straftaten sind ja keineswegs immer nur das Werk von Außenseitern -, hat das Strafrecht je-
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denfalls dafür zu sorgen, daß der Rechtsbruch als solcher gekennzeichnet und dadurch klargestellt wird, was erlaubt und was verboten ist. Indem es in dieser Weise einen wichtigen Stabilisierungsfaktor in der Gesellschaft darstellt, beschränkt das Strafrecht nicht nur die Freiheit, sondern es schafft auch Freiheit. Auf der Grundlage dieser Ausgangspunkte hat der Gesetzgeber das Strafrecht umgestaltet. Die Bewährung des neuen Rechts möchte ich anhand von drei Fragen prüfen, die in der gegenwärtigen Situation entscheidend sind. Erstens: Ist die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung noch gesichert, obwohl das Strafrecht in seiner Reichweite eingeschränkt und in seiner Strenge gemildert worden ist? Zweitens: Entspricht das neue Strafrecht in seinen Wertentscheidungen noch dem Rechtsbewußtsein der Gesellschaft? Drittens: Hat der Gedanke der sozialen Verbundenheit und Hilfe im neuen Recht Ausdruck gefunden und wird dieser Wandel von der Bevölkerung akzeptiert?
I.
Die vornehmste Aufgabe des Strafrechts ist die Gewährleistung der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung durch staatlichen Zwang. Wenn andere Maßnahmen versagen, um Rechtsfrieden und öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten, soll das Strafrecht in letzter Instanz die Erzwingbarkeit der Rechtsordnung als unentbehrliche Grundlage des Zusammenlebens der Menschen sicherstellen. Sobald es diese Aufgabe nicht mehr erfüllt, steht Selbstjustiz vor der Tür, wie viele Beispiele aus der Geschichte, aber auch Erfahrungen der Gegenwart lehren. [21] Es ist naheliegend, die Bewährung des Strafrechts an der statistischen Entwicklung der Kriminalität ablesen zu wollen, also einfach zu fragen, ob diese in den letzten Jahren zugenommen oder abgenommen hat. Jedoch gibt es eine solche direkte Beziehung zwischen den beiden Faktoren Strafrecht und Kriminalität nur in Ausnahmefällen, wie beim vorübergehenden Stillstand der Rechtspflege in Katastrophenzeiten, in Deutschland etwa nach dem Zusammenbruch von 1945, der sofort zum Emporschnellen vor allem der schweren Kriminalität geführt hat. Normalerweise äußert sich die Wirkung des Strafrechts aber nur indirekt und statistisch nicht meßbar durch die Beeinflussung des Rechtsbewußtseins der Allgemeinheit, während das Auf und Ab der Kriminalität durch die viel mächtigeren Unterströme des Zeitgeistes und auch durch äußere Umstände, wie zum Beispiel die Existenz des Kraftfahrzeugs als Mittel und Objekt des Verbrechens, bestimmt wird. Gleichwohl würde eine starke Zunahme der Kriminalität beweisen, daß das Strafrecht auch die Aufgabe der indirekten Stabilisierung des sozialethischen Gleichgewichts nicht mehr erfüllt. Deswegen wäre eine explosive Entwicklung der Verbrechen für die Frage nach der Bewährung des Strafrechts nicht ohne Bedeutung. Wir müssen die Frage also prüfen. Um die Bewegung der Kriminalität zu zeigen, geht man von der Polizeilichen Kriminalstatistik aus. In dieser werden die bei der Polizei angezeigten oder ihr sonst bekanntgewordenen Straftaten gezählt. Den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik wird die
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Statistik der gerichtlich verurteilten Personen gegenübergestellt. Beide Statistiken zusammen ergeben erst ein einigermaßen umfassendes Bild, dessen Hintergrund freilich durch die unbekannt bleibenden Straftaten - das sogenannte Dunkelfeld - undeutlich ist. Das Bild, das wir auf diese Weise gewinnen, wird bestimmt durch eine Zunahme der Kriminalität, wie sie in allen westlichen Industriestaaten zu beobachten ist, mit Ausnahme von Japan, dessen Sonderstellung ich hier jedoch nicht analysieren kann. Für die Bundesrepublik ergibt die Polizeiliche Kriminalstatistik unter Berücksichtigung des Wachstums der Bevölkerung für das Jahr 1978 eine Indexzahl von 189 im Verhältnis zu 100 für das Jahr 1963, also eine beträchtliche Vermehrung der Gesamtheit der angezeigten Straftaten in 15 Jahren. Die Verurteilungen sind dagegen wesentlich weniger angestiegen: die Indexzahl für 1978 betrug 119 zu 100 für 1963, sie ist zugleich die niedrigste seit 1974. Die absolute Zahl der von der Polizei festgestellten Straftaten (ohne Verkehrsdelikte) betrug 1978 3.390.000, die absolute Zahl der Verurteilungen dagegen nur 407.000. Der Unterschied erklärt sich - abgesehen von einer Abweichung in der Zählung - einmal daraus, daß die Polizei im Durchschnitt nur 45% der angezeigten Fälle aufklären kann, weiter durch die strengeren Anforderungen der Staatsanwaltschaft an den hinreichenden Tatverdacht, ferner durch die große Zahl der Bagatellfälle, die von der Polizei gezählt, von der Staatsanwaltschaft aber eingestellt werden, endlich dadurch, daß Grundlage der Verurteilung nur die Überzeugung des Richters sein kann, nicht ein noch so stark begründeter Verdacht. Doch besagt die Gesamtzahl der Straftaten für die Bewährung des Strafrechts überhaupt nicht viel, da mehr als die Hälfte der angezeigten Fälle [22] Diebstähle sind, deren weit überproportionaler Anstieg deswegen weniger ins Gewicht fällt, weil es sich in der Mehrzahl um leichte Straftaten mit Schadenssummen unter 100 DM handelt. Allein der Warenhausdiebstahl, bei dem die Schadenshöhe meist unter 50 DM liegt, hat 1978 eine Indexziffer von 611 gegenüber 100 im Jahre 1963 erreicht. Stärker kennzeichnend für den Grad der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit durch das Strafrecht ist die Höhenmarke der schweren Delikte, jeweils bezogen auf die Indexzahll00 im Jahre 1963. So zeigt die Polizeistatistik für Mord und Totschlag im Jahre 1978 die Zahl 178, die Verurteilungsstatistik sogar die Zahl 197. Bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung ist die polizeiliche Indexzahl 163, die gerichtliche 114, beim Raub 302 bzw. 241, beim schweren Diebstahl 402 bzw. 142. Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß es die Zunahme der Gewaltkriminalität, vor allem die Verdreifachung des Raubes sowie die Vervierfachung des schweren Diebstahls ist, wodurch die Effizienz des Strafrechts heute in Frage gestellt wird. Beim schweren Diebstahl ist freilich zu berücksichtigen, daß die Schadenshöhe in mehr als 50% der Fälle unter 500 DM liegt. Gleichwohl zeigt die Entwicklung der schweren Kriminalität, daß der Einfluß des Strafrechts auf das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit durch negative Einflüsse beeinträchtigt wird. Es gibt jedoch auch Gegengewichte, die auf der anderen Seite in die Waagschale gelegt werden dürfen. Das eine Gegengewicht sind die kriminalistischen Erfolge der Polizei. Wenn man berücksichtigt, daß die Aufklärungsquote im Jahre 1978 bei Mord und Totschlag 96,4%, bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung 85,8%, bei Vergewaltigung 72,8% und bei Raub immerhin noch 54,3% betragen hat, wird man sagen können, daß die Gewaltkriminalität, obwohl sie bedrohlich zugenommen hat, doch noch immer unter Kontrolle ist. Freilich ist das im Grunde kein Erfolg des Strafrechts, sondern ein solcher der Polizei, aber die Unverbrüchlichkeit des Strafrechts wird nicht nur durch den
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Grad der Rechtstreue der Bevölkerung, sondern auch dadurch bestimmt, daß schwere Straftaten zu einem hohen Prozentsatz aufgeklärt und unverzüglich verfolgt werden. Es gibt allerdings auch Bereiche, in denen die Kriminalität außer Kontrolle geraten ist: so ist beim schweren Diebstahl, der sich seit 1963 vervierfacht hat, die Aufklärungsquote von 31,2 % auf 19,7% gesunken, bei der Sachbeschädigung, die sich seit 1963 verdreifacht hat, ist sie von 35,4% auf 24,5% zurückgegangen. Die Gründe für den Verfall der Generalprävention wie auch der Kontrolle in diesem Bereich liegen freilich auf der Hand: Häuser und Wohnungen bleiben ungesichert, wenn die Bewohner verreisen, Kraftfahrzeuge mit ihrem oft wertvollen Inhalt stehen dem Zugriff offen. Die Täter sind nicht zu fassen, das Risiko der Entdeckung ist gering. Beim Schutz des Eigentums bewährt sich das Strafrecht also zur Zeit am wenigsten, weil die Straftat zu leicht und die Ahndung zu schwer gemacht wird. Die Strafdrohung wirkt eben nur, wenn man sieht, daß sie auch durchgesetzt werden kann. Bei der Abwägung der positiven und negativen Faktoren im Bild der gegenwärtigen Kriminalität sind noch weitere Gegengewichte in Rechnung zu stellen. So [23] hat die Kriminalität nicht überall zugenommen, sondern ist an bestimmten Schwerpunkten auch deutlich zurückgegangen. Insbesondere ist die Indexzahl der polizeilich festgestellten Sittlichkeitsdelikte seit 1963 von 100 auf 64 gefallen, wobei der Rückgang bei der Vergewaltigung von 100 auf 95 und beim Mißbrauch von Kindern von 100 auf 68 für das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung besonders wichtig ist. Die Indexzahl der gerichtlichen Verurteilungen ist bei den Sittlichkeitsdelikten sogar auf 40 gefallen. Die Einschränkung des Sexualstrafrechts durch die Reform von 1973 hat also den befürchteten Dammbruch nicht gebracht, sondern eher den schon vorher im Gange befindlichen Abschwung verstärkt. Auch der Rückgang der Verkehrsunfälle mit Personenschäden bei gleichzeitig erheblicher Zunahme der Kraftfahrzeugzahl ist hier zu nennen als willkommenes Zeichen dafür, daß sich die Verkehrsdisziplin stabilisiert. Das Strafrecht hat daran nur einen begrenzten Anteil, aber es hat in diesem Bereich jedenfalls nicht versagt, obwohl die Verkehrsübertretungen schon 1968 in das Ordnungsrecht überführt worden sind. Die Indexziffer der Verurteilungen wegen Verkehrsstraftaten hält sich seit 15 Jahren konstant zwischen 106 und 116. Die eigentliche Gefahr für die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung geht nicht von der normalen Kriminalität aus, sondern liegt im Terrorismus, weil nur dieser, wie das italienische Beispiel zeigt, die Staatsautorität in ihrem Kern bedroht, die bei gewöhnlichen Straftaten gar nicht in Frage steht. Der Terrorismus bedeutet die schärfste Herausforderung des freiheitlichen Rechtsstaats, der er je ausgesetzt gewesen ist. Er sieht sich nämlich in eine doppelte Bewährungsprobe gestellt: einmal müssen der Staat, die Staatsorgane und die Staatseinrichtungen ebenso wie jeder Bürger vor Terroranschlägen geschützt werden, zum anderen darf sich der Rechtsstaat durch die Methoden ihrer Bekämpfung nicht selbst zerstören, weil dies gerade ein Ziel dieser Anschläge ist. Die Strafjustiz hat größte Anstrengungen gemacht, um das rechtsstaatliche Verfahren auch in Terroristenprozessen durchzuhalten, trotz aller Versuche, das Ganze ad absurdum zu führen. Im Verfahrensrecht ist die Reaktion des Staates auf derartige Versuche streng, aber im Ergebni$ erfolgreich gewesen. Im materiellen Strafrecht hat sich der Gesetzgeber dagegen damit begnügt, das Vorfeld des Terrorismus durch Strafbestimmungen zu erfassen, die sich gegen die Bedingungen der Entstehung terroristischer Gruppen richten. Für die aktiven
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Anschläge selbst hat man das geltende Recht genügen lassen, das von der Praxis im allgemeinen maßvoll, aber auch entschlossen angewendet wird. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß das Bundesverfassungsgericht die lebenslange Freiheitsstrafe bestätigt hat, da diese hier auch eine Sicherungsfunktion erfüllen muß. Im ganzen wird man sagen können, daß selbst gegenüber dem Terrorismus die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung bisher gewahrt werden konnte und daß das Strafrecht zu seinem Teil dazu beigetragen hat.
11. Eine differenzierte Antwort wird auch meine zweite Test/rage finden, ob das neue Strafrecht noch die Grundwerte widerspiegelt, die in der Gesellschaft [24] anerkannt sind. Die Übereinstimmung zwischen dem Strafrecht und den Gütern, die man in der Bevölkerung für schutzwürdig hält, ist für seine Wirkung wesentlich, weil im Strafausspruch die sichtbare Bestätigung des geschützten Wertes liegt und das Urteil in der Allgemeinheit auch als Ausdruck des gemeinsamen Wertbewußtseins verstanden werden soll. Eine in dieser Weise integrierende Strafrechtspflege wirkt, wie man sagt, als nsittenbildende Kraft", indem sie in der Gesellschaft die moralischen Mindestmaßstäbe setzt und damit die Bereitschaft zur Einhaltung der Rechtsordnung erhält. Diese Wirkung des Strafrechts wird aber nur durch Strafvorschriften erreicht, die mit der allgemeinen Rechtsüberzeugung in Einklang stehen. Fehlt dieser Konsens, so wird das Strafrecht entweder toter Buchstabe bleiben oder zum Instrument der Bedrückung herabsinken, gegen das sich Widerwillen und Empörung richten. Ebenso führt auch ein von der öffentlichen Meinung nicht gedeckter Rückzug des Strafrechts zu Verwirrung und Resignation. Ich werde die Frage der Übereinstimmung des Strafrechts mit den in der Gesellschaft anerkannten Grundwerten am Beispiel der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs und des Sexualstrafrechts, also zweier Reformen, erörtern, die in den letzten Jahren die öffentliche Meinung besonders bewegt haben. Danach will ich noch einen Blick auf das Wirtschaftsstrafrecht werfen. Der neue § 218 a beruht auf der sogenannten Indikationenlösung. Dies bedeutet, daß die Unterbrechung der Schwangerschaft nur dann erlaubt ist, wenn bestimmte gesetzliche Gründe dafür vorliegen. Die Fristenlösung, die den Schwangerschaftsabbruch ohne rechtfertigenden Grund innerhalb der ersten drei Monate nach der Empfängnis zuläßt und für das 5. Strafrechtsreformgesetz von 1974 mit knapper Mehrheit angenommen worden war, wurde bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht verworfen. Die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs nach der Indikationenlösung, zu der sich die Bundestagsmehrheit aufgrund dieses Urteils verstehen mußte, hat jedoch eine Konsensbildung und damit die Befriedung der Gegensätze in der öffentlichen Meinung nicht herbeigeführt. Hauptstreitpunkt ist die Notlagenindikation, die freilich auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts genannt ist. Sie bedeutet nach dem Gesetz, daß der Abbruch der Schwangerschaft zulässig ist, wenn von der Frau die Gefahr einer Notlage abgewendet werden soll, die so schwer wiegt, daß die Fortsetzung der Schwangerschaft von ihr nicht verlangt werden kann, und wenn die Notlage auch nicht auf andere zumutbare Weise abzuwenden ist. Die vom Gesetzgeber der Neuregelung zugrunde gelegte Indika-
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tionenlösung ist ein Kompromiß, der, wie er auch immer ausgefallen wäre, die auf ihre Positionen festgelegten Gegner nicht versöhnen konnte. Es blieb aber nur der Weg des Kompromisses, da das frühere Recht, das allein die medizinische Indikation kannte, von allen Beteiligten als dringend reformbedürftig empfunden wurde. Mehr als einen Kompromiß kann das Strafrecht in einem so tiefgehenden Meinungsstreit über kriminalpolitische, sozialethische und religiöse Fragen nicht zuwegebringen. In einer derartigen Konfliktlage sollte der Kompromiß jedoch streng die Mittellinie einhalten. Das geltende Recht tut dies indessen nicht, sondern verschiebt einseitig die Gewichte. An juristischer Kritik ist vor [25] allem vorzubringen, daß die Notlagenindikation weniger streng formuliert ist als im Urteil des Bundesverfassungsgerichts und daß sie der medizinischen Indikation als Rechtfertigungsgrund gleichgestellt wird, obwohl das Bundesverfassungsgericht nur ein Absehen von Strafe zugelassen hatte. Ferner ist durch den Verzicht auf jede öffentlich-rechtliche Kontrolle der Beurteilung der Indikation durch den angerufenen Arzt der Mißbrauch zu leicht gemacht worden. Endlich steht die volle Straflosigkeit der Frau, wenn sie den Abbruch auch ohne Vorliegen einer Indikation durch einen Arzt innerhalb von 22 Wochen vornehmen läßt, im Widerspruch zu dem vom Bundesverfassungsgericht mit Recht vertretenen Vorrang des Lebensschutzes vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Über die Ergebnisse der Neuregelung ist man inzwischen durch den Bericht der "Kommission zur Auswertung der Erfahrungen mit dem reformierten § 218 des Strafgesetzbuches" orientiert, jedoch werden die erhobenen Daten von Befürwortern und Gegnern unterschiedlich bewertet. Die Zahl der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche ist von 54.000 im Jahre 1977 auf 82.788 im Jahre 1979 angestiegen und wird wahrscheinlich noch weiter zugenommen haben, während im Jahr 1975 aus medizinischer Indikation nur 19.000 Anträge genehmigt worden sind. Die Notlagenindikation steht heute mit 67% der durchgeführten Eingriffe weitaus im Vordergrund. Die Schlußfolgerung der Gegner, daß die Gesamtzahl der Schwangerschaftsabbrüche also zugenommen statt abgenommen habe, findet bei den Befürwortern die Antwort, daß die ziffernmäßige Zunahme der gemeldeten Abbrüche durch entsprechende Abnahme der illegalen und der im Ausland durchgeführten Eingriffe ausgeglichen werde. Da man aber die Dunkelziffer nicht kennt, läßt sich keine der beiden Behauptungen beweisen. Einigkeit besteht allein darüber, daß die im Gesetz zwingend vorgeschriebene Beratung der Frau mit dem Ziel der Erhaltung der Schwangerschaft wenig Erfolg hat, da die Beteiligten in der Regel schon mit vorgefaßter Meinung zur Beratungsstelle kommen und die sozialen Hilfen, die zur Verfügung stehen, die meist im persönlichen Bereich liegenden Konflikte nicht beseitigen können. Die Neuregelung des Sexualstrafrechts durch die Reform von 1973 findet in einigen Punkten ebenfalls nicht die Zustimmung aller Kreise der Bevölkerung und hat insoweit einen Ausgleich der Gegensätze hinsichtlich der zu schützenden Grundwerte ebensowenig herbeiführen können. Die Aufhebung der Strafbarkeit der Ehegattenkuppelei, die Einschränkung des Jugendschutzes durch das sogenannte Erzieherprivileg und die Freigabe der Pornographie stehen nach Ansicht der Kritiker im Widerspruch zu wichtigen Leitsätzen der Sexualordnung in bezug auf Ehe, Jugenderziehung und Intimsphäre. Über die Auswirkungen der Reform, vor allem in der Jugend, weiß man bisher freilich wenig, abgesehen von dem Rückgang der Anzeigen von Sexualdelikten bei der Polizei, von dem
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schon die Rede war. Man wird nach früheren Untersuchungen annehmen können, daß weitreichende Veränderungen stattgefunden haben und noch im Gange sind, aber diese sind nicht durch die Reform des Sexualstrafrechts herbeigeführt worden, sondern durch tiefere und früher liegende Ursachen. Die [26] Neuregelung verläßt in einigen Punkten den konsensgetragenen Grundbestand der überlieferten Sexualordnung, sie hat aber auf der anderen Seite deren wichtigste Positionen bewahrt, so daß sie als Komprorniß auch für den partiellen Gegner annehmbar erscheint und jedenfalls keine unversöhnlichen Gegensätze aufgerissen hat. Die Kompromißbereitschaft wird dadurch erleichtert, daß es sich um Dinge handelt, die nach außen weitgehend unsichtbar bleiben, da der Jugendschutz die mittelbare Folge hat, daß die Pornographie in den Auslagen der Zeitungskioske nicht erscheinen kann. Während auf den beiden genannten Gebieten das Strafrecht erheblich zurückgenommen wurde, hat es im Bereich der wirtschaftlichen Betätigung eine Ausdehnung erfahren. Bei der Beurteilung der Frage, inwieweit das geltende Strafrecht noch die herrschende Wertordnung widerspiegelt, sind also zwei Tendenzen zu berücksichtigen, eine einschränkende und eine ausdehnende. Durch den Subventionsbetrug (§ 264) und den Kreditbetrug (§ 265 b) sind zwei neue Strafvorschriften geschaffen worden, die auf die jedem Juristen wohlbekannten Merkmale des Betrugs - Irrtum, Vermögensverfügung, Schaden, Absicht rechtswidriger Bereicherung - verzichten und schon unrichtige oder unvollständige Angaben zwecks Erlangung einer Subvention oder eines Kredits genügen lassen. Beim Subventionsbetrug reicht sogar Fahrlässigkeit hinsichtlich dieser Angaben aus, während das Vermögensstrafrecht sonst immer Vorsatz verlangt. Geschützt werden sollen durch die neuen Vorschriften vornehmlich Allgemeininteressen, im ersten Fall das Interesse an einer zweckentsprechenden Wirtschaftsförderung, im zweiten das Interesse am Funktionieren des Kreditwesens. Der Gesetzgeber konnte sich bei diesem Schritt auf die geschärfte Empfindlichkeit der Bevölkerung gegenüber der Wirtschaftskriminalität im allgemeinen berufen, die in den letzten Jahren immer stärker in den Vordergrund des öffentlichen Interesses gerückt ist. Das repressive Bedürfnis ist in diesem Bereich auch nicht unberechtigt, denn die Schäden sind in der Tat beträchtlich und treffen viele Opfer, wenn auch in den Medien meist übertriebene Zahlen genannt werden. Die bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten ergibt für sämtliche Ermittlungsverfahren im Jahre 1975 einen Gesamtschaden von 4,2, im Jahre 1977 von 4,8 Milliarden DM. Der Subventionsbetrug und der Kreditbetrug stehen jedoch in ihrer praktischen Bedeutung ganz am Rande. Neueste Untersuchungen haben ergeben, daß die beiden im Gesetzgebungsverfahren besonders forcierten Strafbestimmungen bei dem Zugriff der Staatsanwaltschaft auf die Wirtschaftskriminalität nur eine verschwindend geringe Rolle spielen. Bei fast 4.000 Ermittlungsverfahren jährlich taucht der Subventionsbetrug 1977 12mal, 1978 25mal auf, der Kreditbetrug sogar nur 3mal bzw. 12ma!. Es kann natürlich sein, daß diese Zahlen allmählich ansteigen werden, wenn die beiden neuen Vorschriften stärker ins Blickfeld der Justiz getreten sind, aber ein Beweis für die Notwendigkeit der Ausdehnung des Strafrechts sind sie jedenfalls nicht. Vorläufig hat es den Anschein, als ob der klassische Betrugstatbestand mit seiner die Zweckvereitelung und die Vermögensgefährdung einschließenden Auslegung zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in diesem Bereich genügte und daß die neueren Bestimmungen allenfalls wenige Randerscheinungen [27] erfassen. Das herrschende Wertsystem wird von ihnen weder in positiver noch in negativer Hinsicht berührt.
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III.
Die dritte Frage, die ich stellen möchte, um die Bewährung des neuen Strafrechts zu prüfen, betrifft das Sanktionensystem. Genauer gesagt: hat der Gedanke der sozialen Verbundenheit und Hilfe, der in der Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes Ausdruck findet, auch die Strafen und Maßregeln des neuen Rechts bestimmt? Ich wiederhole, was ich zu Anfang sagte: die Kriminalität hat selbstverständlich ihre sozialen Ursachen und insoweit ist sie auch eine Folge der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir alle unter Einschluß der Außenseiter zu leben haben. Daraus ergibt sich für die Gesellschaft die Pflicht, dem Rechtsbrecher nicht den Rücken zu kehren, sondern ihm soziale Hilfen anzubieten, soweit er sie braucht, um in Freiheit bestehen zu können. Andererseits ist in sehr vielen Fällen eine solche Hilfe gar nicht nötig, sondern nur eine Sanktion, die anzeigt, daß der Staat die Straftat nicht durchgehen läßt. Wie ist unter diesen Gesichtspunkten das Sanktionensystem des neuen Strafrechts ausgestaltet? Die Todesstrafe, die stärkste Absage an den Gedanken der Solidarität der Gemeinschaft mit dem Rechtsbrecher, ist schon im Jahre 1949 durch das Grundgesetz abgeschafft worden, obwohl viele Länder, wie Frankreich, Japan, die USA und die sozialistischen Staaten, sie beibehalten haben und nicht selten anwenden und auch bei uns immer wieder die Gegenströmung durchschlägt, wenn schwerste Verbrechen, insbesondere terroristische Mordtaten, die öffentliche Meinung aufwühlen. Die Zuchthausstrafe, die wegen ihrer brandmarkenden Wirkung den Verurteilten besonders belastete, ist ebenfalls abgeschafft, aber im Gegensatz zur Todesstrafe von der Öffentlichkeit schon vergessen. Die lebenslange Freiheitsstrafe ist dagegen bestehengeblieben, weil gegenüber schwersten Verbrechen die Bewährung der Rechtsordnung nicht anders sichergestellt werden kann als durch eine Strafe, die jedenfalls ihrer Idee nach den Verurteilten dauernd aus der Gemeinschaft ausschließt. In der Praxis hat sie diese Wirkung freilich nicht, weil die Gnadeninstanzen der Länder dem Verurteilten nach einer Verbüßungsdauer von durchschnittlich 20 Jahren die Freiheit wiederzugeben pflegen. Die dem Gesetzgeber durch das Bundesverfassungsgericht vorgeschriebene Einführung der bedingten Entlassung durch Richterspruch (bereits nach einer Verbüßung von 15 Jahren) steht bevor, sie wird zukünftig neben die Möglichkeit der Begnadigung treten. Die zeitige Freiheitsstrafe ist zwar noch immer das Rückgrat des Strafensystems, sie ist aber mit 17% aller Verurteilungen nur "ultima ratio" geworden. Man hat gelernt, daß die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe selbst unter den Bedingungen eines ideal gestalteten Vollzugs soziale Schäden für den Verurteilten und seine Umgebung zur Folge hat, die nach Möglichkeit vermieden werden sollen. Nimmt man hinzu, daß von den ausgesprochenen Freiheitsstrafen 65% zur Bewährung ausgesetzt werden, so liegt der Anteil der wirklich vollstreckten [28] Strafen, wenn man zugleich die Zahl der widerrufenen Aussetzungen berücksichtigt, bei 10% aller Verurteilungen. Gleichwohl erscheint die Gesamtzahl der Gefangenen in der Bundesrepublik mit 41 000 noch immer hoch, vor allem im Vergleich mit den Niederlanden und Schweden, wo die Verhältniszahlen nur ein Viertel beziehungsweise die Hälfte der deutschen betragen. Die Bedingungen, unter denen die Freiheitsstrafe vollzogen wird, sind durch das Strafvollzugsgesetz von 1976 verbessert worden, sie bleiben aber noch immer reformbedürftig. So soll die Sozialversicherung für Gefangene erst später in Kraft gesetzt werden;.dasselbe gilt für die Vorschrif-
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ten über die Verwendung des Arbeitsentgelts, die eine normale Verdiensthöhe voraussetzen. Beides wird aber wohl in nicht ferner Zukunft eingeführt werden. Als dringende Postulate bleiben weiter der offene Vollzug als Regelform, die genügende Ausstattung der Vollzugsanstalten mit Fachpersonal, die wirksamere Ausgestaltung des Vollzugs unter einem Jahr, dem immer noch 70% der Gefangenen unterliegen, und die Teilnahme der Gefangenen an der Verantwortung für das Anstaltsleben. Auf der anderen Seite sind wichtige Forderungen im Zeichen der Reform erfüllt worden. So wird der Besuchs- und Postverkehr stärker gefördert, wird den Gefangenen vermehrt Urlaub gewährt, bei einer Nichtrückkehrquote von nur 5%, und wird der Freigang zu Ausbildung und Außenarbeit großzügiger gehandhabt. Erfolg oder Mißerfolg des Vollzugs sind schwer auszumachen. Jedenfalls beruht die verbreitete These von einer Rückfallquote von mehr als 80% bei entlassenen Strafgefangenen auf methodischen Fehlern bei der Messung des Rückfalls. Im Durchschnitt liegt die Rückfallquote bei 65%, doch gibt es in diesem Rahmen auch viel bessere Ergebnisse, wobei Alter, Familienstand, offener oder geschlossener Vollzug, Erst- oder Vorbestraftheit des Entlassenen die wesentlichen Faktoren sind. Dieses Bild rechtfertigt die Anstrengungen, die im Strafvollzug gemacht werden, durchaus. Zu einer Resignation, wie wir sie jetzt in England und den USA erleben, besteht kein Anlaß. Eine große Wende in der Sanktionspraxis hat ferner bei der Strafaussetzung zur Bewährung stattgefunden, deren Anteil sich seit 1953 verdoppelt hat. Trotz der Steigerung der Zahl der Schützlinge um mehr als 150% hat der Ausbau der Bewährungshilfe den Zuwachs auffangen können, so daß die Zahl von 55 Betreuten pro Bewährungshelfer gehalten wurde. Die Widerrufsquote liegt bei der Bewährungshilfe fast bei 50% . Diese Zahl sieht auf den ersten Blick ungünstig aus, sie erweist sich aber in Wirklichkeit als beachtlicher Erfolg, wenn man bedenkt, daß die Freiheitsstrafe "ultima ratio" ist, so daß die Verurteilten an sich schon meist eine negative Auslese darstellen und daß die Hälfte der durch die Bewährungshilfe Betreuten bereits aus dem Strafvollzug kommt. Die bedingte Entlassung hat ebenfalls erheblich zugenommen: bei 29% der Gefangenen wird nach Verbüßung der Hälfte oder von zwei Dritteln der Strafzeit der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt. Ein entscheidender Faktor in der gegenwärtigen Strafpraxis ist endlich die Geldstrafe. Der Anstieg der Geldstrafe auf 83% aller Verurteilungen ist natürlich nicht darauf zurückzuführen, daß man meinte, durch Auferlegung einer Geldstrafe etwas Positives im Sinne der Sozialisation der Verurteilten leisten [29] zu können. Ihr Wert liegt allein darin, daß sie im Bereich der unteren und mittleren Kriminalität zur Durchsetzung der Rechtsordnung meist ausreicht und daß sie die beste Alternative zur Freiheitsstrafe darstellt. Trotz ihrer häufigen Verwendung hat sich die Geldstrafe als durchaus effizient erwiesen, wie eine Freiburger Untersuchung für Baden-Württemberg gezeigt hat. Danach werden 50% der Geldstrafen sofort bezahlt, weitere 15,9% nach Mahnung. Die Zwangsvollstreckung war in 2,1 % der Fälle erfolgreich. 10,8% der Verurteilten bezahlten nach Ladung zum Strafantritt. Nur 4,1 % der Verurteilten mußten eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, die zwar für die wirklich Mittellosen eine bittere Ungerechtigkeit darstellt, aber das Rückgrat des Geldstrafensystems bildet, wie das Beispiel Frankreichs zeigt, wo das Fehlen der Ersatzfreiheitsstrafe zur Folge hat, daß zahlreiche Geldstrafen nicht bezahlt werden und deswegen dem Ansehen der Rechtsordnung mehr schaden als nutzen.
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In Italien hat kürzlich der Verfassungsgerichtshof die Ersatzfreiheitsstrafe bei Mittellosigkeit des Verurteilten wegen Verletzung des Gleichheitssatzes für verfassungswidrig erklärt. An Maßregeln, die speziell auf die Resozialisierung des Verurteilten abzielen, hat das neue Strafrecht die sozialtherapeutische Anstalt und die Führungsaufsicht geschaffen. Die Vorschriften über die sozialtherapeutische Anstalt sollen zwar erst 1985 in Kraft treten, es gibt jedoch bereits einige Modellanstalten, deren Erfolg beziehungsweise Mißerfolg anhand der späteren Strafregistereinträge der entlassenen Gefangenen untersucht worden ist. Für Berlin-Tegel kam eine Freiburger Arbeit bei den Entlassenen, die 41/2 Jahre in Freiheit verbracht hatten, auf eine Differenz von 15 bis 20% in der Bewährung zugunsten der Sozialtherapie gegenüber dem Normalvollzug, während eine Hamburger Untersuchung zwar nur eine Differenz von 10% nachweisen konnte, aber eine besonders strenge Testmethode anwandte. Im ganzen wird man der Sozialtherapie als Vollzugsform mit vorsichtigem Optimismus begegnen und auch eine Ausstrahlung auf den Normalvollzug erwarten dürfen. Die Führungsaufsicht scheint dagegen nach einer anderen Freiburger Untersuchung nicht mehr zu leisten als die einfache Bewährungshilfe. Eine aktive Betreuung der Strafentlassenen durch die Aufsichtsstellen mit planender Initiative sowie Aktivierung und Koordination aller verfügbaren sozialen Hilfen, wie sich dies der Gesetzgeber vorgestellt hat, findet offenbar noch nicht überall statt. In der Erfindung neuer Methoden zur Lösung sozialer Konflikte, aus denen Straftaten entstehen können, ist der deutsche Gesetzgeber bisher zurückhaltend gewesen. Immer noch gilt grundsätzlich das alte Konzept, daß auf die Straftat eine gerechte Strafe folgen soll, wenn man von der Verwarnung mit Strafvorbehalt absieht, die aber mit 0,03 % aller Fälle bedeutungslos geblieben ist. Es gibt keinen Aufschub des Strafausspruchs, wie das "ajournement du prononce de la peine" in Frankreich, keine gemeinschaftsbezogenen Rehabilitationsprogramme, wie die "community corrections" in den USA, keine Dienstleistungsstrafe, wie den "community service" in England, keine Einbeziehung des Opfers in den Versuch der "conciliation" mit dem Tater, wie in den USA und in Kanada. Immerhin hat man das vorläufige Absehen von der Klage und die bedingte [30] Einstellung des Verfahrens gegen Erfüllung von Auflagen und Weisungen durch den Beschuldigten eingeführt, wovon die Staatsanwaltschaften zunehmend Gebrauch machen, um das Strafverfahren zu vermeiden. Ferner sind aus der Initiative freier Verbände AnlaufsteIlen für frühere Gefangene geschaffen worden und besteht beispielsweise in diesem Bundesland ein Resozialisierungsfonds zur Schuldenregelung für Strafentlassene: Zu erwähnen sind weiter die freilich selten angewendeten gemeinnützigen Leistungen als Auflage bei der Strafaussetzung oder der bedingten Einstellung des Verfahrens, ferner die Möglichkeit der Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit in Berlin und Hamburg und das vielversprechende Präventionsprogramm Polizei / Sozialarbeiter in dieser Stadt, das eine intensivere Opferbetreuung und den Abbau gefährlicher Konflikte zum Ziel hat. Der Schwerpunkt der kriminalrechtlichen Sanktionen liegt heute, wie wir gesehen haben, außerhalb der vollzogenen Freiheitsstrafe. Die Frage ist, wie die Allgemeinheit auf diese Wende in der Strafzumessung reagiert, denn nur, wenn sie von der Bevölkerung akzeptiert wird, kann die Justiz ihre Rechtsschutzaufgabe erfüllen.
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Eine Freiburger Untersuchung zur Einstellung der Bevölkerung ergibt bisher, daß zwar vier Fünftel der befragten Personen nichts von dem Übergang zum Tagesbußensystem für die Geldstrafe wissen - was uns übrigens nicht überrascht hat -, daß aber die Geldstrafe selbst als "sinnvolle Strafe" anerkannt wird, wobei ein Unterschied zwischen Personen, die bereits Opfer einer Straftat geworden sind, und anderen Personen offenbar nicht besteht. Auch die Kriminalitätsfurcht und die Kenntnis vom Ansteigen der Kriminalität im ganzen hat auf die positive Einschätzung der Geldstrafe keinen Einfluß gehabt. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, daß die Geldstrafe in der Bevölkerung nicht als Abschwächung der Effizienz des Strafrechts empfunden wird, zumal sie im allgemeinen deutlich höher geworden ist. In anderen Ländern, in denen ein starker Umschlag der öffentlichen Meinung zur Vergeltung stattgefunden hat, zum Beispiel in Italien, liegen die Dinge anders. Man sieht daran, wie wichtig auch für das allgemeine Klima der Kriminalpolitik die Überwindung des Terrorismus ist. Ich bin damit am Ende meiner Ausführungen angelangt. Über den Grad der Bewährung des neuen deutschen Strafrechts konnten wir uns Rechenschaft geben durch den Beitrag dreier zusammengehöriger Teildisziplinen der Kriminalwissenschaft: der Strafrechtslehre, der Kriminologie und der Strafrechtsvergleichung. Die Strafrechtslehre zeigt uns, wie sich die Kriminalität seit den 50er Jahren entwickelt hat, welche Reformen eingeführt worden sind und was man mit den neuen Vorschriften jeweils erreichen wollte. Die Kriminologie lehrt uns, wie das Strafrecht in den verschiedenen Abschnitten seiner Vergangenheit und Gegenwart tatsächlich gehandhabt worden ist, wie es sich ausgewirkt hat und was die Bevölkerung von dem neuen Recht und seiner Anwendung hält. Die Rechtsvergleichung endlich ermöglicht eine Bewertung des Ganzen, indem der im eigenen Recht erreichte Stand der Kriminalpolitik mit dem ·Standard des ausländischen Rechts verglichen wird. [31] Die Gesamtbetrachtung ergibt, daß das neue deutsche Strafrecht einen vernünftigen Mittelweg eingeschlagen hat: Die Beschränkung des Strafrechts auf das für den Gesellschaftsschutz unverzichtbare Maß, die Abschaffung der Todesstrafe, der Zuchthausstrafe und aller Ehrenstrafen, die Zurückdrängung der Freiheitsstrafe zugunsten der Geldstrafe, die Umgestaltung des Strafvollzugs nach Mustern der Sozialwissenschaft sind Wesenszüge des neuen Rechts, die mit den internationalen Tendenzen übereinstimmen. Die deutsche Kriminalpolitik unterscheidet sich von diesen Tendenzen vor allem durch die starke Betonung des Schuldprinzips, auf das jede Kriminalstrafe bei uns gegründet sein muß und durch das sie im Einzelfall nach oben und unten begrenzt wird. Das Schuldprinzip ist durch das Grundgesetz vorgegeben, weil dieses jeden Bürger als freie, zur Verantwortung fähige und berufene Persönlichkeit ansieht. Das Schuldprinzip stellt zugleich einen wichtigen Schutz des Beschuldigten gegen übermäßige Eingriffe des Kriminalrechts dar. Ein weiterer Unterschied ist die begriffliche Trennung von Strafen und Maßregeln im deutschen Recht, die aber im Vollzug durch ein flexibles System des Austausches der verschiedenen Sanktionen wesentlich abgemildert wird. Ein weiterer Abbau des Strafrechts und die Verdrängung der den Justizorganen anvertrauten Sanktionen durch außerstrafrechtliche Sozialisationsprogramme und private Repressionsmechanismen würde die Eindruckskraft des Strafrechts in der Öffentlichkeit schwächen und auch die prozessualen Garantien für den Beschuldigten gefährden. Was
Das neue deutsche Strafrecht in der Bewährung
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für die Zukunft not tut, ist nicht dies, sondern der Ausbau von justiziellen Alternativen zur Freiheitsstrafe, die Einbeziehung des Verletzten in die Konfliktlösung, die weitere Verbesserung des Strafvollzugs, die Intensivierung der Entlassenenfürsorge und die Anerkennung der Mithilfe bei der Einordnung von Straftätern in die Gemeinschaft als Aufgabe des ganzen Volkes.
METHODEN DER VORBEREITUNG UND DURCHFÜHRUNG DER DEUTSCHEN STRAFRECHTSREFORM*+ Die Geschichte der Strafrechtsreform in Deutschland und Italien in den letzten 100 Jahren weist so viele verwandte Züge auf, daß es naheliegend ist, die Erfahrungen, die man bei uns mit der Reformarbeit sowohl in positivem wie in negativem Sinne gemacht hat, für Italien zu nutzen, das vor ähnlichen Problemen steht. Die deutsche Entwicklung in den letzten drei Jahrzehnten seit der Wiederaufnahme der Strafrechtsreform ist in Italien an sich wohlbekannt, da dort zu allen Zeiten, auch von der jüngeren Generation, eine intensive Rechtsvergleichung mit Deutschland betrieben worden ist, die naturgemäß auch die verschiedenen Stufen der Reform und zuletzt insbesondere die Neuordnung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs von 1975 einbezogen hat. Unser Kolloquium soll auf diesem grundsätzlich bekannten Boden Gelegenheit zu einem unmittelbaren Gedankenaustausch zwischen deutschen und italienischen Strafrechtslehrern geben, bei dem sowohl die methodischen als auch die inhaltlichen Grundfragen der Reform in beiden Ländern zur Sprache kommen werden. Ein Kolloquium mit ähnlicher Zielsetzung hat bereits im Oktober 1979 im Rahmen der AIDP in Syrakus stattgefunden, Auch das Kolloquium über die Generalprävention [12] an der Universita Cattolica in Mailand im März 19791 lief in der von Romano vorgetragenen Synthese auf Empfehlungen für die Strafrechtsreform hinaus. Vor einem Jahr sind ferner deutsche und spanische Strafrechtslehrer an der Universidad Autonoma de Barcelona zu einer Diskussion über den neuen spanischen Strafgesetzentwurf zusammengekommen.2 Ich sehe in derartigen Gesprächen einen Weg, sich über die große Wende der Kriminalpolitik zu verständigen, die seit etwa 15 Jahren in der Wissenschaft und teilweise auch schon in der Gesetzgebung eingetreten ist, und gemeinsam zu prüfen, was sich daraus für die Reform des Strafrechts in unseren Ländern ergibt. Meine Aufgabe zu Beginn des Kolloquiums ist es, die Methoden der Vorbereitung und Durchführung der deutschen Strafrechtsreform darzustellen und die dabei gemachten Erfahrungen mitzuteilen. Bevor ich mit meinem eigentlichen Thema beginne, möchte ich einen Blick in die Vergangenheit werfen, um das, was ich zu Anfang gesagt habe, näher zu begründen, daß nämlich das deutsche und das italienische Strafrecht in den letzten 100 Jahren parallel verlaufende Wege gegangen sind.)
* Aus: Strafrechtsreform in der Bundesrepublik Deutschland und Italien. Hrsg. von HansHeinrieh Jescheck, Baden-Baden 1981, 11 - 26. + Ein Vortrag, den der Verfasser am 15. 5. 1980 auf der Arbeitstagung deutscher und italienischer Strafrechtslehrer in Turin gehalten hat. 1 Teoria e prassi della prevenzione generale dei reati, a cura di Mario Romano e Federico Stella, Bologna 1980. 2 La reforma dei derecho penal, Edici6n a cargo de Santiago Mir Puig, Bellaterra 1980. 3 Vgl. zu ItalienJohanna Bosch, Strafrechtsreform in Italien, ZStW 88 (1976), S. 488 H.
Methoden der Vorbereitung der Strafrechtsreform
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Das deutsche Strafgesetzbuch von 1871 war ebenso wie das sardische Strafgesetzbuch des Risorgimento von 1860 aufgebaut auf dem klassischen Vergeltungsgedanken, auf der Freiheitsstrafe als weitaus häufigster Sanktion und auf dem Rechtsstaatsprinzip. Beide Gesetzbücher standen damit in der Tradition des französischen Code penal von 1810. Der Codice Zanardelli von [13] 1889 unterschied sich von seinem sardischen Vorgänger und dessen französischem Urbild vor allem durch die allgemeine Milderung der Strafdrohungen, die in Deutschland schon das StGB von 1871 vorgenommen hatte. Das italienische Recht ging aber durch den Verzicht auf die Todesstrafe, die Einführung des richterlichen Verweises, die Übernahme der bedingten Entlassung und den Versuch, die Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abgelten zu lassen, erheblich über das deutsche Recht hinaus. Schon im Jahre 1904 hat Italien ferner die Strafaussetzung zur Bewährung eingeführt, während sich Deutschland noch bis zum Jahre 1953 mit der bedingten Begnadigung behelfen mußte. In beiden Ländern führten die politischen und sozialen Umwälzungen nach dem ersten Weltkrieg fast gleichzeitig zu Reformentwürfen, die den Problemen der Zeit in ähnlicher Weise gerecht zu werden versuchten. Der italienische Vorentwurf Enrico Fems von 1921 ist die konsequenteste Verwirklichung der Ideen des Positivismus gewesen, die es in der Gesetzgebungsgeschichte gegeben hat. Im Unterschied zu dem Werk Fems war der Entwurf Gustav Radbruchs von 1922 eine Kompromißlösung, die aber wichtige Forderungen der modernen Schule erfüllt hat. Der Verzicht auf Todes- und Zuchthausstrafe, die Einschränkung der Freiheitsstrafe, die Abschaffung der Ehrenstrafen und der Austausch von Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln im Vollzug (vikariierendes System) waren der Höhepunkt der Reformbewegung in der Weimarer Zeit. Erst nach dem zweiten Weltkrieg ist diese Stufe im geltenden Recht erreicht worden. Diese großartigen Ansätze sind in beiden Ländern dem Zusammenbruch des liberalen und demokratischen Staates zum Opfer gefallen. Der entscheidende Unterschied bei diesem Untergang der Welt Fems und Radbruchs liegt jedoch darin, daß der Faschismus im Jahre 1930 mit dem Codice Rocco ein autoritäres Strafgesetzbuch von höchster juristischer Perfektion, aber auch äußerster generalpräventiver Strenge der Strafen und härtester spezialpräventiver Zielsetzung der Maßregeln geschaffen hat. Der deutsche Entwurf von 1936 ist dagegen nie Gesetz geworden. Die Reichsregierung hat den Entwurf, als er ihr im Jahre 1938 zur Beschlußfassung [14] vorgelegt wurde, nicht gebilligt. Die Epoche der Kriegsgesetzgebung, die keine Rücksichten mehr nahm, stand bereits vor der Tür. So beschränkt sich die Parallele zum italienischen Recht in dieser Zeit auf die Einführung der konsequenten Zweispurigkeit im Jahre 1933 auch in Deutschland, eine Idee, die jedoch schon in den Entwürfen der Weimarer Zeit verwirklicht war. Die Tatsache, daß in Italien ein neues Strafgesetzbuch geschaffen worden ist, während in Deutschland das alte Strafgesetzbuch, wenn auch mit einschneidenden Änderungen weitergegolten hat, war als Vorbedingung für die spätere Entwicklung der Strafrechtsreform in beiden Ländern von erheblicher Bedeutung. Im deutschen Strafrecht ließen sich die Einflüsse des Nationalsozialismus verhältnismäßig leicht isolieren und bis 1950 weitgehend beseitigen, so daß das Strafgesetzbuch bis zum Abschluß der Reform im Jahre 1969 ohne weiteres in Kraft bleiben konnte und den Bedürfnissen der Gegenwart nur angepaßt zu werden brauchte. In Italien stand man dagegen im Jahre 1944 vor dem geschlossenen Block der Strafgesetzgebung von 1930, die von der älteren Generation der
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Strafrechtslehrer wegen ihrer unbestreitbaren rechtstechnischen Vorzüge nicht ohne Erfolg verteidigt wurde, so daß bisher nur Teilreformen verwirklicht werden konnten. Ich nenne die einzelnen Etappen der Reform in unserer Zeit nur für die mit der Entwicklung nicht notwendigerweise vertrauten deutschen Teilnehmer unseres Gesprächs. 4 Nachdem der Entwurf 1949/50, der sich an den Namen Petrocelli knüpft, wegen seiner rückschrittlichen Tendenzen bald wieder aufgegeben worden war, ist ein Gesamtentwurf des Codice penale nicht mehr zustande gekommen. Der Entwurf 1960 wollte das geltende Recht nur in einzelnen Punkten ändern, ähnlich wie das deutsche Reformgesetz von 1953 nur dringende Teillösungen gebracht hat. Die Kritiker in Italien haben dem Entwurf vorgeworfen, daß er nur eine "technische" Reform enthalte und den Aufbau, den Geist und die Grundsätze des Codice Rocco unangetastet lasse. Auch das Reformgesetz [15] von 1974 über dringende Maßnahmen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege änderte nur einzelne Punkte, um vor allem die Dauer der Freiheitsstrafe zu senken. Der Gesetzentwurf von 1979 will in vorsichtiger Form Alternativen für die kurze Freiheitsstrafe einführen, ohne jedoch das System im ganzen zu ändern. Ganz anders stellt sich dagegen das neue Strafvollzugsgesetz von 1975 dar, das erstmals eine geschlossene Gesamtkonzeption für ein großes Teilgebiet der Strafrechtspraxis enthält. In den Jahren zwischen dem Entwurf Petrocelli von 1949/50 und dem Ordinamento penitenziario von 1975 hat in Deutschland die Strafrechtsreform stattgefunden und ist mit dem neuen Allgemeinen Teil und den ersten großen Reformgesetzen zum Besonderen Teil zu einem vorläufigen Abschluß gekommen. Das Strafvollzugsgesetz folgte im Jahre 1976 wenige Monate nach dem entsprechenden italienischen Reformwerk.
I.
Ich komme nunmehr zu meinem Hauptthema und möchte als erstes darlegen, welche methodischen Grundauffassungen für die Vorbereitung der Reformarbeit in Deutschland maßgebend gewesen sind. 5 1. Als im Jahre 1952 Bundesjustizminister Thomas Dehler, unterstützt durch Anregungen aus der Mitte des Bundestages, den Entschluß faßte, die große Strafrechtsreform wieder aufzunehmen, die nach dem Scheitern des Entwurfs 1936 geruht hatte, wurde von Anfang an nur an einen Gesamtentwurf für ein neues Strafgesetzbuch gedacht. Dies entsprach der Tradition der deutschen Reformgeschichte, die von 1909 bis 1936 nicht weniger als acht solcher Entwürfe hervorgebracht hat. Die Juristen unserer Generation haben die Schaffung eines neuen Strafgesetzbuchs ebenso [16] wie ihre Väter als historische Verpflichtung gefühlt, weil man in der Neukodifikation des Strafrechts die Krönung des Rechtsstaats erblickte und das Scheitern in den früheren Jahrzehnten als einen schmerzlichen Mißerfolg empfand. Die Möglichkeit von Einzelgesetzen zur Reform von Teilbereichen des Strafgesetzbuchs sowie auch die einer rein "technischen" Reform unter Beibehaltung des Aufbaus des StGB von 1871 entsprechend dem späteren italienischen Entwurf von 1960 wurde zwar erwogen, aber als unzureichend verworfen. Die Übernahme
Vgl. Francesco C. Palazzo, La recente legislazione penale, Padova 1980. Vgl. zum folgenden Jescheck, Strafrechtsreform in Deutschland. Allgemeiner Teil, SchwZStr 91 (1975), S. 1 ff. Italienische Fassung in: Indice penale 1976,373 ff. 4
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Methoden der Vorbereitung der Strafrechtsreform
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des Entwurfs 1930 kam ebenfalls nicht in Betracht, weil der Staat der Bundesrepublik etwas Neues auch gegenüber der Weimarer Zeit darstellen wollte und sich auch die sozialen Voraussetzungen der Reform weitgehend verändert hatten. Was man erstrebte, war ein vollständiger Neubau auf der Grundlage des in dieser Konsequenz erstmals errichteten freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates. Dieses Ziel wurde auch äußerlich erreicht. In der Sache war das Ergebnis in Gestalt des Entwurfs 1962 freilich viel stärker dem Geist der Entwürfe der Weimarer Zeit verhaftet, als man ursprünglich vorgehabt hatte. Ebenso wie in Italien zeigte sich dabei das enorme Gewicht eines geschlossenen, juristisch perfekten Systems von präzisen gesetzlichen Formulierungen, wie es der Entwurf 1930 darstellte. Gesetz geworden ist allerdings auch dieser Gesamtentwurf nicht, sondern nur der Allgemeine Teil, der außerdem in der weiteren gesetzgeberischen Arbeit tiefgreifende Änderungen erfahren hat. 2. Ich behandle weiter den Beitrag der Rechtsvergleichung zu der Strafrechtsreform. Wie schon zu Beginn der Reform nach der Jahrhundertwende sollte die Kommissionsarbeit wiederum durch rechtsvergleichende Vorarbeiten zu den wichtigsten Themen vorbereitet werden. Gegenüber der umfassenden »Vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts" aus den Jahren 1905 bis 1909, an der fast die gesamte deutsche Strafrechtslehrerschaft mitgewirkt hat, waren die Mittel und Möglichkeiten der Rechtsvergleichung in den Jahren 1953 bis 1955 bescheidener. Mit den rechtsvergleichenden Vorarbeiten wurde das damals noch kleine Institut für ausländisches und internationales [17] Strafrecht an der Universität Freiburg, das heutige Max-Planck-Institut, beauftragt, das zu dieser Zeit unter der Leitung von Adolf Schönke stand. Schönke konnte freilich nur noch den Plan der Arbeiten entwerfen, er ist vor Beginn der Ausführung gestorben. Die Leitung übernahm Professor Dietrich Lang-Hinrichsen. Zur Bearbeitung der Themen wurden vorwiegend junge Juristen herangezogen, die zwar Rechts- und Sprachkenntnisse, aber keine Erfahrung auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung besaßen. Die Arbeiten zu den insgesamt 22 Themen des Allgemeinen und 30 Themen des Besonderen Teils sollten den an der Reform Beteiligten auch nur die gesetzlichen Vorschriften des Auslands mit ihrer Auslegung in Literatur und Rechtsprechung zur Kenntnis bringen und keine eigentliche Bewertung sowie auch keine eigenen Lösungsvorschläge enthalten. Die begrenzte Reichweite dieser Arbeiten ergab sich vor allem aus ihrer rein normativen Betrachtungsweise. Woran es damals noch fehlte und fehlen mußte, war der Blick auf die Wirklichkeit der Strafrechtspflege. Wer die Arbeiten heute liest, gewinnt den Eindruck abstrakter Darstellungen des Gesetzesmaterials, denen es noch an Leben und Anschauung gebrach. Erst die Verbindung von Rechtsvergleichung und empirischer Kriminologie, wie sie heute, z. B. auch in Freiburg, versucht wird, hat die Augen für die den normativen Rahmen eigentlich erst ausfüllenden Fragen nach der Wirklichkeit der Strafrechtspflege geöffnet und Ansätze zu Methoden geschaffen, um empirische Daten auch im Ausland sammeln zu können. 3. Die Rechtsvergleichung hat demgemäß nur eine Hilfsfunktion bei der Vorbereitung der deutschen Strafrechtsreform gehabt. Der Schwerpunkt lag durchaus auf nationalem Felde und hier überwiegend bei der Theorie und der Begriffsbildung des deutschen Strafrechts. Der Band der »Gutachten der Strafrechtslehrer" (1954) zeigt dieses Übergewicht ganz deutlich und weist damit die gleiche Einseitigkeit auf wie die rechtsvergleichenden Vorarbeiten. Am weitesten in die wirklichen Verhältnisse der Strafrechtspflege führte der 6 Jescheck
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Beitrag von Eberhard Schmidt bei der Erörterung der Probleme der Spezialprävention, aber auch seine Blickrichtung galt der theoretischen Klärung, der dogmatischen Einordnung und der normativen Erfassung der Probleme, [18] um die es sich dabei handelt. Das gleiche trifft zu für die Beiträge von Würtenberger und Sieverts zur unbestimmten Verurteilung. Das weite Feld der empirischen Kriminologie, insbesondere der Pönologie und der Institutionenforschung, wurde noch nicht einbezogen. So blieben die Handlungsmuster von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, das "ultima ratio" -Prinzip für die Freiheitsstrafe, die Notwendigkeit der Entkriminalisierung, die in der Praxis herrschenden Grundsätze der Strafzumessung, die Wirkung der verschiedenen Sanktionsarten, die Arbeitsweise der Bewährungshilfe, die unausweichlichen Konstanten des Strafvollzugs und die Pflege der Rehabilitation des Verurteilten noch außerhalb des Bereichs einer intensiven Vorbereitung. Die Frage, ob etwa die Strafrechtspflege selbst von Grund auf verändert werden müßte, um Mängel der Vergangenheit zu vermeiden, stellte sich noch nicht. Dies konnte auch nicht anders sein, denn die große Wende in der Kriminalpolitik hatte damals noch nicht stattgefunden und die sozialwissenschaftlich arbeitende Kriminologie war in Europa erst in der Entstehung begriffen. Die großen Kongresse der UNO zur Verbrechensverhütung und Straffälligenhilfe waren noch nicht durchgeführt, die Arbeiten des Strafrechtsausschusses des Europarates hatten noch nicht begonnen, die soziale Verteidigung war noch auf die radikale und damit ziemlich unfruchtbare Richtung Gramaticas festgelegt, die Association Internationale de Droit Penal folgte noch ihrem traditionellen Kurs und die Ergebnisse der amerikanischen Kriminologie auf dem Gebiet der Strafrechtspflege fingen erst an, in Europa bekannt zu werden. Insofern läßt sich von den Arbeiten der Großen Strafrechtskommission sagen, daß sie zehn Jahre zu früh begonnen haben. [19]
11. Als zweiten Punkt möchte ich die methodischen Fragen bei der Durchführung der Reform behandeln. 1. Die wichtigste Entscheidung in der Methodenfrage, die Bundesjustizminister Fritz Neumayer als Nachfolger von Thomas Dehler zu Beginn der Reform getroffen hat, bestand darin, daß der Entwurf nicht von der Strafrechtsabteilung des Bundesjustizrninisteriums allein ausgearbeitet werden sollte, sondern daß dafür im Jahre 1954 die Große StraJrechtskommission berufen wurde, die allerdings ständig unter dem Vorsitz des Ministers tagte und von der Strafrechtsabteilung des Ministeriums mit großem Einsatz unterstützt wurde. Die Große Strafrechtskommission bestand aus Strafrechtslehrern, Richtern und Staatsanwälten, Mitgliedern der Justizrninisterien der Länder, Vertretern der Rechtsanwaltschaft und Bundestagsabgeordneten aus sämtlichen Fraktionen. Sie hielt von 1954 bis 1959 22 Arbeitstagungen mit 237 Sitzungstagen ab und verabschiedete am 19. Juni 1959 den Gesamtentwurf, der nach Beratungen in einer Kommission der Länder als Regierungsvorlage an den Deutschen Bundestag ging und die bekannte Bezeichnung "Entwurf eines Strafgesetzbuches, E 1962" erhielt. Bei der Zusammensetzung der Kommission fällt auf der einen Seite das Übergewicht der Strafrechtstheorie und der Justiz, auf der anderen Seite das Fehlen der Vollzugspraxis und der empirischen Kriminologie auf, die
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allerdings, wie gesagt, in Deutschland damals erst in ihren Anfängen stand. Die Arbeitsweise der Kommission war die gleiche wie die der Kommissionen, die heute in Italien bestehen, jedoch gingen die Beratungen zügiger vorwärts, weil das Ministerium die Er-' gebnisse laufend in den Entwurf einbaute und den raschen Fortgang der Arbeiten dadurch bestimmte. Um Zeit zu sparen, wurde ferner der Stoff des Besonderen Teils auf drei gleichzeitig tagende Unterkommissionen verteilt und erst in Gestalt der Vorschläge dieser Gruppen durch die Gesamtkommission abschließend beraten. Das Ergebnis war der Entwurf 1962. Seine Bedeutung lag vor allem in dem exakt durchgearbeiteten dogmatischen Teil, während das Sanktionensystem sich von dem überlieferten [20] Konzept des auf die Freiheitsstrafe aufgebauten klassischen Strafrechts im Grunde nur wenig zu lösen vermochte. Bedeutsam, auch als besonderer und frühzeitig eingenommener Standpunkt des deutschen Strafrechts im internationalen Vergleich, war die klare Ausrichtung der Strafzumessung am Schuldprinzip. Was dagegen noch fast ganz fehlte, war alles das, was wir schon bei der Vorbereitung vermißt haben, nämlich der Blick auf die moderne Kriminalpolitik. Ein bedeutender Schritt vorwärts, den die Rechtsvergleichung möglich gemacht hat, war jedoch die Einführung des skandinavischen Tagessatzsystems für die Geldstrafe. 2. Inzwischen hatte die große Wende in der Kriminalpolitik eingesetzt und die internationale Reformbewegung war Anfang der 60er Jahre in Gang gekommen. Damit änderte sich auch das Bild in Deutschland. Der Entwurf 1962 wurde alsbald zur Zielscheibe einer breiten öffentlichen Kritik, die wesentlich dazu beigetragen hat, die Probleme der Strafrechtsreform auch in das Bewußtsein der Allgemeinheit hineinzutragen. Der große Lern- und Umdenkungsprozeß, der die letzte Phase der Strafrechtsreform in Deutschland begleitet hat, ist dadurch ausgelöst und erheblich gefördert worden. Ohne diese Bewegung wäre die Reform des deutschen Strafrechts in einer so tiefgreifenden Weise nicht denkbar gewesen. Aus dem prinzipiellen Erneuerungswillen ist der Allgemeine Teil des Alternativentwurjs entstanden, der in den Jahren 1964 bis 1966 von 12 deutschen und zwei schweizerischen (Noll, Schultz) Strafrechtslehrern ausgearbeitet wurde. Der Alternativkreis ist aus privater Initiative zusammengekommen und konnte sich auch nicht auf die Mitarbeit der Strafrechtsabteilung des Bundesjustizministeriums stützen. Es gab weder eine Geschäftsstelle noch einen ständigen Vorsitzenden. Die Mittel zur Finanzierung der Arbeitstagungen wurden von der Fritz-Thyssen-Stiftung zur Verfügung gestellt. Das Verdienst der Verfasser des Alternativentwurfs bestand vor allem darin, daß es ihnen gelungen ist, die vielstimmige Kritik an dem Entwurf 1962 auf einen einheitlichen Nenner und in die Form eines ausgearbeiteten Gesetzesvorschlags zu bringen. Die sachliche Auseinanderse~zung wurde durch dieses Werk wesentlich erleichtert. [21] Zugleich wurde die Möglichkeit geschaffen, in ge~einsamer Beratung beider Entwürfe im Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform die mittlere Linie zu finden, für die man eine breite Zustimmung der Öffentlichkeit wie auch der Strafrechtslehre und der Justizpraxis erwarten durfte. Die starke Seite des Alternativentwurfs war seine geschlossene und konsequente Konzeption eines modernen Sanktionensystems, das in äußerst wirkungsvoller Weise den restriktiven Positionen des Entwurfs 1962 gegenübergestellt werden konnte. Der Alternativentwurf vermochte im Sonderausschuß des Bundestages bald großen Einfluß zu gewinnen, wozu sowohl die Änderung des politischen Klimas in Deutschland als auch die Qualität der Konzeption des Entwurfs als auch schließlich die wirkungsvolle literarische Tätigkeit seiner Autoren beigetragen haben. Das Ergebnis war 6'
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ein Komprorniß zwischen beiden Entwürfen, den die Verfasser des Alternativentwurfs zwar teilweise erbittert bekämpft haben, der heute aber überwiegend als gelungen angesehen wird. 3. Die Synthese der beiden Entwürfe, um die es nunmehr also ging, ist dem Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform zu danken, der in der 5. Wahlperiode (1966 bis 1969) von dem Abgeordneten Dr. Güde (CDU) geleitet worden ist und in der entscheidenden 6. Wahlperiode (1969 bis 1973) unter dem Vorsitz des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert (SPD) gestanden hat. Die große Koalition zwischen CDU und SPD, die von 1966 bis 1969 bestand, hat die Zusammenarbeit erleichtert. Wesentlichen Anteil hatte auch die Strafrechtsabteilung des Bundesjustizministeriums, aus der insbesondere die Namen Dreher, Sturm und Horstkotte zu nennen sind. Der Sonderausschuß hat sich bei seinen Arbeiten umfassend beraten lassen. Die Sprecher des Alternativentwurfs konnten ihre Empfehlungen dem Sonderausschuß unmittelbar vortragen. Sachverständige aus den verschiedensten Bereichen wurden gehört. Strafrechtslehrer, Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Ärzte, Soziologen, Psychologen, Pädagogen, Sozialarbeiter und Vollzugsbeamte kamen zu Wort. Der Sonderausschuß besuchte ferner Vollzugs einrichtungen im In- und Ausland, insbesondere in Schweden, Dänemark und den Niederlanden, weil man damals noch stark auf die Möglichkeit der Resozialisierung [22] durch einen "Behandlungsvollzug" vertraute. Die Abgeordneten nahmen außerdem an der Strafrechtslehrertagung 1967 in Münster und.an mehreren Deutschen Juristentagen teil, die sich mit der Strafrechtsreform befaßt haben. Wesentliche Bedeutung hat vor allem die Strafrechtslehrertagung von 1967 in Münster gehabt, auf der Gallas 6 undJescheck 7 eine mittlere Linie in der Kriminalpolitik vertreten haben, die sich in der Schlußphase der Reform weitgehend durchgesetzt hat. Mit Rücksicht auf die zu Ende gehende Legislaturperiode und das noch fehlende Einführungsgesetz faßte· der Sonderausschuß im Jahre 1969 einen kühnen Entschluß, der sich aber gut bewährt hat: einmal wurde die Stoffrnasse des Allgemeinen Teils in zwei zu verschiedener: Zeit in Kraft tretende Teilgesetzentwürfe zerlegt; zum anderen wurde die Erneuerung des Besonderen Teils, abgesehen von einigen unaufschiebbaren Reformen, auf die nächste Legislaturperiode vertagt. So wurden die kriminalpolitisch besonders dringlichen Reformen durch das 1. Strafrechtsreformgesetz schon zum 1. 9. 1969 bzw. zum 1. 4. 1970 eingeführt, während der im 2. Strafrechtsreformgesetz enthaltene vollständig neue Allgemeine Teil erst am 1. 1. 1975 in Kraft getreten ist. 4. Der Geist der Verständigung hat jedoch im Bundestag nur bis zur Annahme der beiden großen Reformgesetze im Jahre 1969 ausgereicht. Nach dem Ende der Großen Koalition traten die politischen und weltanschaulichen Gegensätze wieder in den Vordergrund. Die wichtigsten Gesetze, durch die die Reform des Besonderen Teils weitergeführt worden ist, mußten gegen die Stimmen der Opposition durchgesetzt werden, weil eine gemeinsame Plattform in Deutschland nicht mehr bestand. Dies gilt für das 3. Strafrechtsreformgesetz von 1970 mit der Entschärfung der Strafbestimmungen über politische Demonstrationen, für das 4. Strafrechtsreformgesetz von 1973 mit der Neuregelung des Sexualstrafrechts und für das 5. Strafrechtsreformgesetz von 1974 mit der sog. FriVgl. Gallas, Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 (1968), S. 1 H. Vgl. lescheck, Die kriminalpolitische Konzeption des Alternativ-Entwurfs eines Strafgesetzbuchs (Allgemeiner Teil), ZStW 80 (1968), S. 54 H. 6
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stenlösung für den Schwangerschaftsabbruch, [23] die vom Bundesverfassungsgericht bekanntlich verworfen wurde (BVerfGE 39, 1). Auch das nachfolgende Kompromiß-Gesetz von 1976 wurde von der CDU-Opposition abgelehnt. Das weitere Schicksal dieser Gesetze in der öffentlichen Meinung zeigt, daß man auch auf weltanschaulich umstrittenen Gebieten faire Kompromisse eingehen kann, die von der Allgemeinheit trotz ursprünglicher Bedenken akzeptiert werden. So wurde das neue Demonstrations- und Sexualstrafrecht von den Gegnern schließlich hingenommen, während jedoch eine Konsens bildung bei der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nicht erreicht werden konnte, weil der strafrechtliche Schutz des werdenden Lebens durch das neue Recht praktisch aufgehoben worden ist, womit sich ein großer Teil der Bevölkerung, einschließlich vieler Ärzte, nicht abfindet. 5. In den letzten Jahren ist die deutsche Strafrechtsreform in die Phase der Überprüfung und Bewertung des Erreichten eingetreten, wobei Strafrechtsdogmatik, Rechtsvergleichung und empirische Kriminologie in verbundenem Einsatz tätig geworden sind. Dadurch hat sich folgendes Bild der deutschen Strafrechtspflege nach der Reform ergeben: Die Beschränkung des Strafrechts auf das absolut notwendige Maß des Gesellschaftsschutzes, die Zurückdrängung der Freiheitsstrafe, insbesondere der kurzen Freiheitsstrafe, zugunsten von Sanktionen, die fühlbar, aber nicht mit Freiheitsentziehung verbunden sind, die Abschaffung der Zuchthausstrafe und aller Ehrenstrafen sind Wesenszüge, die es als gutes Beispiel einer maßvollen, realistischen und humanen Kriminalpolitik erscheinen lassen. Dies ist auch in der Öffentlichkeit verstanden und positiv bewertet worden. Die zeitige Freiheitsstrafe ist zwar noch immer das Rückgrat des Strafensystems, aber sie ist mit 17% aller Verurteilungen zur "ultima ratio" geworden. Nimmt man hinzu, daß von den ausgesprochenen Freiheitsstrafen 65 -70% zur Bewährung ausgesetzt werden, so liegt der Anteil der wirklich vollstreckten Strafen unter Berücksichtigung der Widerrufsquote für die Strafaussetzungen bei 10% aller Verurteilungen. Der Anteil der Geldstrafe an der Gesamtzahl der Verurteilungen [24] ist in wenigen Jahren von 63% auf 83 % angestiegen. In der Durchführung hat sich die Geldstrafe trotz ihrer enormen Zunahme als durchaus effizient erwiesen. 50% der Geldstrafen werden sofort bezahlt, weitere 15,9% nach Mahnung. Die Zwangsvollstreckung ist in wenig mehr als 2% der Fälle erfolgreich. 10,8% der Verurteilten bezahlten nach Ladung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe. Nur wenig mehr als 4% verbüßten die Ersatzfreiheitsstrafe. Diese ist zwar eine bittere Ungerechtigkeit für den Mittellosen, sie bleibt aber das Rückgrat des Geldstrafensystems, das ohne die Ersatzfreiheitsstrafe zur Wirkungslosigkeit verdammt wäre, wie das Beispiel Frankreichs zeigt, wo ihr Fehlen zur Folge hat, daß 70% der Geldstrafen nicht bezahlt werden. Die Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichtshofs, daß die Ersatzfreiheitsstrafe gegenüber mittellosen Personen verfassungswidrig ist, dürfte auch die italienische Praxis in eine schwierige Lage bringen. Auch die sozialtherapeutische Anstalt, die zwar erst 1985 eingeführt werden soll, aber in Gestalt einiger Modellanstalten schon besteht, scheint sich zu bewähren. Die bisher vorliegenden Untersuchungen ergeben, daß die sozialtherapeutische Anstalt um 10 - 20% bessere Ergebnisse hinsichtlich des Rückfalls der Entlassenen bringt als der Normalvollzug. Dagegen leistet die neue Führungsaufsicht, die dem "affidamento in prova" des italienischen Strafvollzugsgesetzes vergleichbar ist, offenbar nicht mehr als die einfache Bewährungshilfe, weil es den Aufsichtsstellen an Fachpersonal fehlt.
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Strafrechtsentwicklung und Strafrechtsreform III.
Welche Schlußfolgerungen methodischer Art sind aus den bei der deutschen Strafrechtsreform gemachten Erfahrungen für uns selbst und möglicherweise auch für andere Länder zu ziehen? 1. Die rechtsvergleichende Vorbereitung der Reform ist unerläßlich. Sie braucht jedoch, was die Zahl der Länder anlangt, nicht sehr umfassend zu sein. Es genügt, sich auf wenige Rechte zu konzentrieren, die weiterführende Ergebnisse versprechen und die man am besten in einem Vortest auswählt. Der Rechtsvergleicher sollte sich aber nicht auf den Normenvergleich beschränken, sondern auch die tatsächliche Handhabung der Strafjustiz in den betreffenden Ländern zu erforschen suchen. Ein Weg ist die Auswertung [25] aller erreichbaren Statistiken und der vorhandenen kriminalpolitischen Literatur. Aber auch die Interview-Methode ist im Ausland anwendbar. Teilnehmende Beobachtung ist ebenfalls schon erprobt. Man sollte sich auch nicht auf die Beschreibung des bestehenden Zustandes beschränken, sondern Stellung nehmen und sich nicht scheuen, Vorschläge für die Verwendung fremder Reclitseinrichtungen bei der Reform des eigenen Rechtes zu machen. 2. Dogmatik und Kriminalpolitik sind für die Reform des Strafrechts in gleicher Weise von Bedeutung. Das Strafgesetz muß eindeutig, systemgerecht, widerspruchsfrei, mit einem Wort juristisch perfekt sein, was angesichts der vielen Vorbilder in der Entwurfsgeschichte heute erreichbar erscheint. Bei der Ausgestaltung des dogmatischen Teils wird man in der Regel der eigenen Rechtstradition folgen können und ausländische Rechtseinrichtungen nur dann übernehmen, wenn im eigenen Recht an diesem oder jenem Punkte ein Wandel unabweisbar und das ausländische Recht als Vorbild geeignet erscheint. Dagegen ist im Bereich der Kriminalpolitik größte Offenheit für alles Neue geboten. Man muß die zahlreichen Wege und Versuche, die es im Ausland gibt, um das Strafrecht den modernen Erfordernissen anzupassen, kennenlernen und auf ihre Brauchbarkeit im eigenen Recht prüfen. Dabei kann die Krise der Freiheitsstrafe, die wir gegenwärtig erleben, nicht unbeachtet bleiben. Sie sollte aber nicht dazu führen, daß die modernen Methoden des Behandlungsvollzugs aufgegeben werden und ein Rückschritt zur reinen Verwahrung ohne Sinn und Ziel stattfindet.
3. Die Gesamtreform des Strafrechts ist jedenfalls für den Bereich des Allgemeinen Teils einer bloß "technischen" Reform oder einer Reform durch Einzelgesetze vorzuziehen, weil sonst der Zusammenhang des Ganzen verlorengehen kann. Dagegen läßt sich die Reform des Besonderen Teils durch eine Folge von Einzelgesetzen bewerkstelligen, die jeweils eine Materie neu regeln. Freilich sollte auch der Reform des Besonderen Teils ein Gesamtplan zugrunde liegen, weil sonst Widersprüche zwischen den neugeregelten Partien sowie auch zwischen den reformierten Teilen und dem alten Recht unvermeidlich sind. [26] 4. Durch eine intensive Presse-, Rundfunk- und Fernseharbeit sollte endlich versucht werden, die Aufgabe der Strafrechtsreform in der Öffentlichkeit bekanntzumachen und Verständnis für die Wege der modernen Kriminalpolitik zu wecken. Dabei muß freilich vorweg Einverständnis darüber bestehen, daß die Reform des Strafrechts nur im Rahmen und auf dem Boden der bestehenden Einrichtungen des freiheitlich demokratischen Rechtsstaates stattfinden kann. Die Reform der Gesellschaft oder der Umsturz der poli-
Methoden der Vorbereitung der Strafrechtsreform
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tischen und wirtschaftlichen Verhältnisse sollte nicht durch den Umsturz von Strafrecht und Justiz angestrebt werden, weil dadurch Rechtsfrieden, öffentliche Sicherheit und Gerechtigkeit zum Schaden aller Bürger schwerstens beeinträchtigt würden. Wenn dieser Konsens unter den wesentlichen politischen Kräften eines Landes erreicht werden kann, ist auch ein Konsens über die Lösung der inhaltlichen Probleme des Strafrechts möglich.
STRAFRECHTSREFORM IN DEUTSCHLAND ALLGEMEINER UND BESONDERER TEIL*
Einleitung Über den Stand der deutschen Strafrechts reform wurde in dieser Zeitschrift zum letztenmal vor acht Jahren im Zusammenhang berichtet. t Damals lag der Schwerpunkt bei der Reform des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs von 1871, der am 1. Januar 1975 in neuer Fassung in Kraft getreten ist. Berichtet wurde über die Entstehungsgeschichte des neuen Allgemeinen Teils, über den großen Lern- und Umdenkungsprozeß in der deutschen Öffentlichkeit und Fachwelt, der zu der veränderten Grundkonzeption der Kriminalpolitik geführt hat, über die Verknüpfung des Schuldausgleichs als Strafzweck mit dem Ziel der spezialpräventiven Einwirkung auf den Tater, über die Entkriminalisierung der Rechtsordnung, über die Aufnahme der wichtigsten Ergebnisse der Rechtsprechung und Lehre in den zweiten (dogmatischen) Abschnitt des Allgemeinen Teils und die tiefgreifende Umgestaltung des Sanktionensystems als Kernstück der Reform. Der Schwerpunkt des nachfolgenden Überblicks liegt dagegen bei der Reform des Besonderen Teils, die nicht in einem Zuge, sondern durch zahlreiche Einzelgesetze erfolgt und demgemäß auch noch nicht abgeschlossen ist. Auch der Allgemeine Teil hat jedoch seit 1975 einige Änderungen und Ergänzungen erfahren, mit denen dieser Bericht eröffnet werden soll. Die wichtigste Neuerung ist das Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976, das man als Regelung der Durchführung der Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln im weiteren Sinne zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs rechnen kann, jedenfalls aber als notwendige Ergänzung des Sanktionenteils verstehen muß.
A. Reformen des Allgemeinen Teils und damit zusammenhängende Materien I. Die Einführung der Unverjährbarkeit des Mordes (StGB § 78 Abs. 2) 1. Der neue StGB § 78 Abs. 2 bestimmt, daß Verbrechen nach § 220 a (Völkermord) und nach § 211 (Mord) nicht verjähren. Die Aufhebung [2] der Verjährung wirkt für den Völkermord nach Art. 3 des 9. Strafrechtsänderungsgesetzes und für den Mord nach Art. 2 des 16. Strafrechtsänderungsgesetzes auf Taten zurück, die beim Inkrafttreten des betreffenden Gesetzes (6. 8. 1969 bzw. 22. 7. 1979) noch nicht verjährt waren. Das eigentliche Politikum dieses Eingriffs war die rückwirkende Aufhebung der Verfolgungsver-
* Aus: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 100 (1983),1 - 28.
t Jescheck, Strafrechts reform in Deutschland. Allgemeiner Teil, SchwZStr 91 (1975) 1 [abgedruckt auch inJescheck, Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft, 1980, S. 101 -128].
Strafrechtsreform in Deutschland
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jährung für Mord, rückwirkend in dem eben genannten beschränkten, aber für die noch anstehenden Fälle allein relevanten Sinn. Der Grund für diesen Schritt des Gesetzgebers war die Besorgnis, daß Mordtaten aus den Jahren des Nationalsozialismus, insbesondere in Konzentrationslagern begangene Morde, deren Täter unentdeckt geblieben sein könnten und deren Vedolgung deshalb noch nicht eingeleitet worden wäre, mit dem Ablauf des Jahres 1979 verjähren würden. Man hat das Problem der drohenden Verjährung dieser Morde seit dem Jahre 1965 in immer neuen gesetzgeberischen Initiativen angegangen. Zunächst bestimmte das Gesetz über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13.4.1965 (BGBl. I 315), daß die Verjährung von Verbrechen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, in der Zeit vom 8. 5. 1945 bis 31. 12. 1949 geruht hat. Die dadurch bis Ende 1969 hinausgeschobene Verjährung der Morde aus der nationalsozialistischen Zeit hat das 9. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. 8. 1969 (BGBl. I 1065) nochmals um weitere zehn Jahre erstreckt, indem die Verjährungsfrist für Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, generell von zwanzig auf dreißig Jahre verlängert wurde. Im Jahre 1979 fürchtete man jedoch noch immer, daß die Verjährung von erst später entdeckten NS-Morden eintreten und der Bundesrepublik Deutschland dadurch unermeßlicher politischer und moralischer Schaden entstehen könnte, und entschloß sich deswegen zu der Radikallösung, die Verjährung für Mord mit rückwirkender Kraft gänzlich aufzuheben. 2. Bei diesem Schritt handelte es sich also im Grunde nicht darum, daß man den Mord als solchen plötzlich in einem neuen Licht für ein so außergewöhnlich schwerwiegendes Verbrechen gehalten hätte, daß das Bedüdnis nach Strafe niemals erlöschen könnte, solange der Täter lebte - was auch mit der kurz darauf eingeführten Aussetzungsmöglichkeit für die lebenslange Freiheitsstrafe nach einer Verbüßung von in der Regel 15 Jahren (vgl. unten 11) unvereinbar gewesen wäre -, sondern es ging um eine politische Entscheidung. Die juristische Problematik lag dabei nicht so sehr in der Aufhebung der Verjährung für Mord als solcher, obwohl die generelle, nicht auf NS-Morde beschränkte Lösung des Gesetzgebers der aller repressiven Kriminalpolitik abholden Zeitströmung deutlich widersprach,2 sondern in ihrer [3] Einführung mit rückwirkender Kraft. Die Frage, ob die rückwirkende Aufhebung oder Verschädung von Verjährungsvorschriften mit dem durch GG Art. 103 Abs. 2 für das Strafrecht statuierten Rückwirkungsverbot vereinbar ist, hat einen heftigen Meinungsstreit ausgelöst. 3 Vom Standpunkt der materi2 Zur gesetz~eberischen Möglichkeit der Beschränkung der Vorschrift auf NS-Morde v~1. Maihafer, Nichtveryährung des Völkermordes, ZRP 1979, 81, und Lewald, Aufhebung oder NIchtaufhebung der Mordverjährung - Freiheit der Gewissensentscheidung? ZRP 1979, 152. 3 Für die Zulässigkeit der rückwirkenden Verschärfung von Verjährungsvorschriften Baumann, Wider eine Verjährung von NS-Verbrechen, ZRP 1979, 150; Bemmann, Zur Frage der nachträglichen Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung, JuS 1965, 333; Calvelli-Adorno, Die Verlängerung der Verjährungsfrist für die Strafverfolgung von Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, NJW 1965, 273; Fuhrmann, Verjährung von NS-Verbrechen, JR 1965, 15; Klug, Die Verpflichtung des Rechtsstaats zur Verjährungsverlängerung, JZ 1965, 149; Lüderssen, Politische Grenzen des Rechts - Rechtliche Grenzen der Politik, JZ 1979,449; Naucke, Rechtspolitische Vorentscheidungen bei der Diskussion einer Verlängerung von Verjährungsfristen für NS-Verbrechen, ZRP 1969, 8; Pfeiffer, Zur Verjährung der Strafverfolgung bei Mord, DRiZ 1979, 11; Schönke/ Schröder (Stree), StGB, 21. Aufl. 1982, Vorbemerkungen zu den §§ 78 H. Rdn. 3; Vogel, Mord sollte nicht verjähren, ZRP 1979, 1. Dagegen: Arndt, Zum Problem der strafrechtlichen Verjährung, JZ 1965,145; Böckenförde, Zur vertassungsrechtlichen Beurteilung der Einführung der Unverjährbarkeit des Mordes, ZStW 91 (1979) 888; Dreher/Tröndle, StGB, 41. Aufl. 1983, § 1 Rdn. 11 b; Eyrich, Auch die Verfolgung von Mord soll verjähren, ZRP 1979,49; Grünwald, Zur ver-
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ell-rechtlichen und der gemischten materiell-prozessualen Auffassung aus ist die Rückwirkung nicht zu begründen, und daß die Strafverfolgungsverjährung jedenfalls auch materiell-rechtlichen Charakter hat,4 zeigt das Gesetz selbst durch die verschiedenartige Behandlung von Mord und Totschlag in der Verjährungsfrage und durch die Abstufungen der Verjährungsfrist in StGB § 78 Abs. 3. Maßgebend ist gewesen, daß das Bundesverfassungsgericht im Anschluß an das späte Reichsgericht (RGSt 75, 311; 76, 161; 328; 77, 107; 183; 203) schon das Berechnungsgesetz von 1965 für verfassungsmäßig erklärt und damit die sich immer wiederholende Frage vorentschieden hatte (BVerfGE 25, 269).5 [4]
11. Die Einführung der Aussetzung des Strafrestes bei der lebenslangen Freiheitsstrafe (StGB § 57 a) Bisher gab es die Aussetzung eines Strafrestes nur bei zeitiger Freiheitsstrafe - nur dort kann man eigentlich von einem "Rest" sprechen - nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe, ausnahmsweise schon nach Verbüßung der Hälfte (StGB § 57). Bei lebenslanger Freiheitsstrafe war nur Begnadigung möglich, die aber regelmäßig nach Verbüßung von durchschnittlich zwanzig Jahren gewährt wurde. Die Bestrebungen in der Literatur, die Aussetzung des Strafrestes auf die lebenslange Freiheitsstrafe auszudehnen,6 entstammten der Bewegung für die Humanisierung des Strafrechts und für die Ausschaltung jedweder staatlichen Willkür aus allen die persönliche Freiheit des Bürgers betreffenden Entscheidungen. Durch das 20. Strafrechtsänderungsgesetz vom 8. 12. 1981 (BGBl. I 1329), das seit dem 1. 5. 1982 in Kraft ist, wurde nunmehr StGB § 57 a eingeführt, der die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von fünfzehn Jahren durch die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht (StPO §§ 454, 462 a) vorsieht, wenn - entsprechend der Aussetzung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe - eine günstige soziale Prognose gestellt werden kann, wofür ein Sachverständigengutachten zwingend vorgeschrieben wurde (StPO 454 Abs. 1 Satz 5). Im Unterschied zur Aussetzung der zeitigen Freiheitsstrafe spielt bei der Entfassungsrechtlichen Problematik der rückwirkenden Änderung von Verjährungsvorschriften, MDR 1965, 521;Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 1. Auf). 1969, S. 578; 2. Auf). 1972, S. 669; 3. Auf). 1978, S. 111,727; Klein, Abschließende Bemerkungen zur Verjährungsdebatte 1979, ZRP 1979, 145; Lorenz, Strafrechtliche Verjährung und Rückwirkungsverbot, GA 1968, 300; Pawlowski, Der Stand der rechtlichen Diskussion in der Frage der strafrechtlichen Verjährun~, NJW 1969, 594; Schreiber, Zur Zulässigkeit der rückwirkenden Verlängerung von Verjährungsfnsten früher begangener Delikte, ZStW 80 (1968) 348; Schünemann, Nulla poena sine lege? 1978, S. 25; derselbe, 17 Thesen zum Problem der Mordverjährung, JR 1979, 181 f.; Willms, Zur Frage rückwirkender Beseitigun~ der Verjährung, JZ 1969, 60. Der Gedanke, daß es sich bei der Aufhebung der Verjährung um eme nachträgliche Etweiterung der Kompetenz der Staatsgewalt handele (Benda, Verjährung und Rechtsstaat, 1965, S. 24), ändert in der Sache nichts, da das Gesetzlichkeitsprinzip gerade eine Selbstbeschränkung des ius puniendi seitens des Staates darstellt; vgl. Maunz/ Dürig/ Herzog/ Scholz, GG, Artikel 103 Abs. 2 Rdn. 104. 4 Schultz, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. 1,4. Auf). 1982, S. 251 erklärt die Verjährung für ein »Institut des materiellen Strafrechts". 5 Kritisch dazu Böckenförde (Fußnote 3), S. 891 f. 6 Dafür Müller-Dietz, Lebenslange Freiheitsstrafe und bedingte Entlassung, 1972, S. 35; Kreuzer, Kriminologische Aspekte zur Debatte um die lebenslange Freiheitsstrafe, ZRP 1977, 49; Triffterer/ Bietz, Strafaussetzung für "Lebenslängliche"? ZRP 1974, 141. Für Beibehaltung der Beschränkung der Entlassung auf den Gnadenetweis Dreher, Richterliche Aussetzung des Strafrestes auch bei lebenslanger Freiheitsstrafe? Festschrift für R. Lange, 1976, S. 341 ff. ;Jescheck, Lehrbuch, 3. Auf). 1978, S. 618.
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scheidung über die vorzeitige Entlassung jedoch nicht nur die Taterprognose, sondern auch der Schuldgehalt der Tat eine Rolle: § 57 Abs. 1 Nr. 2 errichtet nämlich eine Sperre gegen die befürchtete "Entlassungsautomatik", indem die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach fünfzehn Jahren ausgeschlossen wird, wenn die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet. 7 Einen Anhaltspunkt dafür, wie lange in diesem Fall die weitere Vollstreckung andauern kann, enthält das Gesetz nicht. Den Anstoß zur Einführung der Aussetzung des Strafrestes bei der lebenslangen Freiheitsstrafe gab eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die die lebenslange Freiheitsstrafe für Mord zwar für vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, aber als Grundforderung für eine der Menschenwürde und Humanität entsprechende Regelung verlangt hatte, daß die bisherige Gnadenpraxis aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit durch eine gesetzliche Festlegung der Voraussetzungen der [5] Entlassung und des anzuwendenden Verfahrens ersetzt oder vielmehr ergänzt werden müsse, da das Gnadenrecht auch für die lebenslange Freiheitsstrafe natürlich bestehen bleibt (BVerfGE 45, 187,242). Umstritten war insbesondere die Dauer der Mindestverbüßungszeit. Während der Regierungsentwurf fünfzehn Jahre zugrunde legte, verlangte der Bundesrat zwanzig Jahre, um den Unterschied zur zeitigen Freiheitsstrafe, deren Höchstmaß nach StGB § 38 Abs. 2 fünfzehn Jahre beträgt, deutlich zu machen und an die bisherige Gnadenpraxis der Länder anzuknüpfen, die, wie schon erwähnt, im Durchschnitt eine Verbüßungszeit von zwanzig Jahren vorausgesetzt hatte. Obwohl diese beiden Argumente erhebliches Gewicht haben, ist auf der anderen Seite darauf hinzuweisen, daß eine Mindestverbüßungszeit von fünfzehn Jahren in zahlreichen vergleichbaren Ländern, zu denen nach StGB Art. 38 Nr. 1 Satz 1 auch die Schweiz gehört, gilt und daß die Entschließung (76) 22 des Ministerkomitees des Europarats vom 17.2. 1976 sogar eine erste Überprüfung bereits nach einer Haftzeit von acht bis vierzehn Jahren verlangt hat. Einen Anhaltspunkt dafür, ab wann nach dem neuen deutschen Recht die Entlassung bei lebenslanger Freiheitsstrafe erstmals in Erwägung zu ziehen ist, enthält StPO § 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 b. Nach dieser Vorschrift braucht der Verurteilte bei einer ablehnenden Entscheidung dann nicht mündlich gehört zu werden, wenn er noch nicht dreizehn Jahre der Strafe verbüßt hat. IH. Die Verschiebung der Einführung der sozialtherapeutischen Anstalt 1. In dem vor acht Jahren in dieser Zeitschrift erschienenen Bericht war gesagt worden, daß die Einführung der sozialtherapeutischen Anstalt (StGB § 65), die an sich das Kernstück der Reform des Maßregelrechts bilden sollte, bis zum 1. Januar 1978 aufgeschoben worden sei, weil die Bundesländer mit ihren Vorbereitungen für die Errichtung der erforderlichen Anstalten nicht genügend weit vorangekommen wären und weil auch eine verallgemeinerungsfähige Konzeption für diese Anstalten (Organisation und Behandlungsmethoden) noch fehle. 8 Inzwischen ist das Inkrafttreten von StGB § 65 und der damit zusammenhängenden Vorschriften erneut hinausgeschoben worden, und zwar bis zum 1. 1. 1985. 9 Nach StGB § 65 werden bestimmte, für die Allgemeinheit gefährli7
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Kritisch dazu Groß, Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe, ZRP 1979, 134. Jescheck (Fußnote 1), S. 40. Gesetz vom 22.12.1977 (BGBI. I, 3104).
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che Rückfalltäter und Sexualdelinquenten durch den Richter neben der Strafe in eine sozialtherapeutische Anstalt eingewiesen. Die Unterbringung, die bis zu fünf Jahren dauert, ist als Maßregel der Besserung und Sicherung ausgestaltet, auf die die allgemeinen Vorschriften des sechsten Titels über die Maßregeln Anwendung finden. [6] Die seit dem Jahre 1970 laufenden Versuche in den zur Zeit elf sozialtherapeutischen Anstalten oder sozialtherapeutischen Abteilungen von Vollzugsanstalten werden auf Grund von StVollzG § 9 durchgeführt. Nach dieser Vorschrift kann ein Gefangener mit seiner Zustimmung durch die Strafvollzugsbehörde aus dem Normalvollzug in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen einer solchen Anstalt zu seiner Resozialisierung angezeigt sind. 2. Daß man an der sozialtherapeutischen Anstalt als Einrichtung des sozialen Trainings für gefährliche Tater mit schweren Sozialisationsdefekten und zugleich ausreichender Intelligenz und Willenskraft für die Teilnahme an sozialtherapeutischer Behandlung grundsätzlich festhalten wird, ist anzunehmen, da die Sozialtherapie nach wie vor ein Kernstück der deutschen Strafrechts reform ist und die bisherigen Effizienzuntersuchungen der bestehenden Anstalten durchaus ermutigende Ergebnisse haben,l° wenn auch die Frage, ob die bessere Legalbewährung der aus sozialtherapeutischen Anstalten Entlassenen auf ihrer Auswahl oder ihrer Behandlung beruht, noch nicht abschließend beantwortet ist. 11 Gegenwärtig mehren sich jedoch die Stimmen, die der" Vollzugslösung" gegenüber der "Maßregellösung" den Vorzug geben wollen. 12 Ein gravierender Mangel der Maßregellösung wird darin gesehen, daß der Richter bei Vorliegen der Voraussetzungen die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt anordnen muß, ohne daß es auf die Zustimmung des Verurteilten ankäme und ohne daß dieser in der Hauptverhandlung auf seine Therapiefähigkeit genügend geprüft werden könnte. Auch die Verlegung richterlich untergebrachter Personen in den Normalvollzug bei Nichteignung für die sozialtherapeutische Behandlung wäre nach der gegenwärtigen Regelung für die Maßregellösung nur schwer möglich. Ferner wird das Kostenproblem angesichts der zunehmenden Verschuldung des Bundes und [7] der Länder gegen die Maßregellösung ins Feld geführt. Gegenwärtig stehen nur 650 Plätze in sozialtherapeutischen Anstalten zur Verfügung. Von einigen Fachleuten wird jedoch damit gerechnet, daß etwa 10% der gegenwärtig in Haft befindlichen Strafgefangenen - das wären etwa 4000 Gefangene - die Voraussetzungen der Unterbringung nach StGB § 65 erfüllen. Daß die Länder bis zum 1. 1. 1985 eine 10 Vgl. zu Berlin-Tegel Dünkel, Legalbewährung nach sozialtherapeutischer Behandlung. Eine empirische vergleichenae Untersuchung, 1980; zu Hamburg Rehn, Behandlung im Strafvollzug. Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung der Rückfallquote bei entlassenen Strafgefangenen, 1979; zu Erlangen Egg, Auswirkungen sozialtherapeutischer Maßnahmen und Merkmale der Persönlichkeit u!ld des Sozialverhaltens d~r Gefangenen: ein empirischer Ver.gleich, MSchrKrim 1979, 348; allgemeIn Gaertner (Hrsg.), SozIaltherapIe. Konzepte zur Prävention und Behandlung des psychosozialen Elends, 1982. 11 Vgl. Kaiser, Kriminologie, 4. Auf). 1979, S. 68. 12 SO Z. B. Schwind, Zur Zukunft der sozialtherapeutischen Anstalt, NStZ 1981, 121 H.; Dünkel, Sozialtherapeutische Behandlung und Rückfälligkeit in Berlin-Tegel, MSchrKrim 1979, 322; Kaiser / Dünkel / Ortmann, Die sozialtherapeutiscne Anstalt - das Ende einer Reform? ZRP 1982, 206 f.; Resolution der Arbeitsgemeinscnaft "Sozialtherapeutische Anstalten" vom Oktober 1976, MSchrKrim 1977, 50. (Die Arbeitstagung 1979 kam allerdings nach dem Bericht von Schmitt, MSchrKrim 1979, 376 zu dem Ergebrus, daß § 65 StGB, wenn auch in modifizierter Form, beibehalten werden sollte.) Auch bei der Podiumsdiskussion auf dem XII. Internationalen Strafrechtskongreß in Hamburg gab es Stimmen für die Vollzugslösung; vgl. Actes du Congres, 1980, S. 452 H.
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sehr erhebliche Vermehrung der Plätze leisten könnten, muß nach Ansicht dieser Kritiker bezweifelt werden, zumal das Problem der Gewinnung geeigneter Fachkräfte offenbar unterschätzt worden ist. So wird es möglicherweise bei der Vollzugslösung vorläufig bleiben, wobei dann freilich daran zu denken wäre, die Entscheidung über Verlegung bzw. Rückverlegung von Gefangenen der Strafvollstreckungskammer vorzubehalten und die Voraussetzungen der Verlegung an StGB § 65 zu orientieren. 13 3. Mit großem Nachdruck setzt sich dagegen eine andere Gruppe, die vor allem aus dem Arbeitskreis deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer (Alternativ-Professoren) besteht, für die Erhaltung der Maßregellösung ein,14 die durch geringe gesetzgeberische Änderungen verbessert werden und in dieser Form am 1. 1. 1985 durchaus in Kraft treten könnte. 15 Man rechnet in diesem Kreis nur mit der Notwendigkeit von etwa 1000 Plätzen, die von den Ländern, evtl. durch Vermehrung der sozialtherapeutischen Abteilungen bestehender Justizvollzugsanstalten, ohne übermäßige finanzielle Aufwendungen geschaffen werden kömiten, und hält auch das Freiwilligkeitsargument und die Ablehnung der relativ unbestimmten Dauer der Maßregel nicht für überzeugend, weil es sich dabei um eine Rückkehr zur überholten neoklassischen Strafkonzeption handeln würde. Auch der Gedanke, daß nur die Maßregellösung nach StGB § 65 auf die Länder den notwendigen Druck zur Errichtung der entsprechenden Anstalten ausüben könne, spielt bei der Argumentation dieser Gruppe eine Rolle. IV. Das Strafvollzugsgesetz Das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) gehört zwar formell nicht zum materiellen Strafrecht, es bestimmt aber, was die Eingriffe in die Freiheit, die im Sanktionenteil des Allgemeinen Teiles des StGB vorgesehen sind, tatsächlich bedeuten. In dem früheren Bericht ist deswegen [8] schon ein Hinweis auf das bevorstehende Gesetz enthalten gewesen. Allerdings ist dieses erst mit dem Datum des 16. 3. 1976 (BGBI. I 581) erlassen worden und am 1. 1. 1977 zum größten Teil in Kraft getreten. 1. Das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung, wie das Strafvollzugsgesetz mit seinem vollen Titel heißt, beruht auf einem Entwurf der Strafvollzugskommission vom Jahre 1971, dem darauf aufbauenden Regierungsentwurf zum Strafvollzugsgesetz und dem in der Tendenz übereinstimmenden, aber in der Konkretisierung moderner Lösungen erheblich weitergehenden Alternativ-Entwurf des Arbeitskreises deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer vom Jahre 1973. Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung des Strafvollzugs war früher verfassungsrechtlich mit der Lehre vom "besonderen Gewaltverhältnis" überbrückt worden, wonach der Strafgefangene in einem von der Verfassung vorausge13 Vgl. den Gesetzesvorschlag von Kaiser / Dünkel! Ortmann (Fußnote 12), S. 206. Zur Zuständigkeit der StrafvollstreckungsK:ammer Calliess / M üller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 2. Auf!. 1979, § 9 Rdn. 1. 14 So vor allem Baumann, Die Sozialtherapie hat sich bewährt! MSchrKrim 1979, 318. Ferner die Erklärung des Arbeitskreises deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer (Alternativ-Professoren) vom November 1979, MSchrKrim 1979, 379. 15 Schäch und 18 Mitglieder des Arbeitskreises, Rettet die sozialtherapeutische Anstalt als Maßregel der Sicherung und Besserung! ZRP 1982, 212.
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setzten Unterwerfungsverhältnis zum Staat stehe, auf Grund dessen er alle Rechtsbeschränkungen hinzunehmen habe, die sich aus dem Zweck der Freiheitsstrafe und der Natur der geschlossenen Anstaltsunterbringung ergäben.16 Der Erlaß des Strafvollzugsgesetzes wurde zu einer dringenden Aufgabe der Gesetzgebung, nachdem das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluß vom 14. 3. 1972 (BVerfGE 33, 1) angenommen hatte, daß die Grundrechte auch von Strafgefangenen nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden dürften und den daraus folgenden Gesetzgebungsauftrag bis zum 1. 1. 1977 befristet hatte (BVerfGE 40, 276). Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber durch das vorliegende Gesetz nachgekommen. 2. Die Ziele und Grundsätze des Vollzugs, wie sie im Gesetz niedergelegt sind, enthalten zwar nichts umstürzend Neues, sie zeigen aber durch die Klarheit und Entschiedenheit ihrer Formulierung, daß der Gesetzgeber einen Schritt in die Zukunft tun wollte. Die Bestimmung über das Vollzugsziel eröffnet die Reihe der grundlegenden Vorschriften: der Gefangene soll fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (StVollzG § 2 Satz 1). Dies gilt für alle Strafgefangenen, ob sie eine kurze, mittlere, lange oder gar lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen; für Lebenslängliche gibt es allein die Einschränkung, daß Urlaub aus der Haft nur gewährt werden kann, wenn sich der Gefangene zehn Jahre im Vollzug befunden hat oder wenn er in den offenen Vollzug überwiesen ist. Das Vollzugsziel der Resozialisierung ist in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Jahre 1973, dem sog. Lebach-Urteil, dem gesamten Strafvollzug zugrunde gelegt worden (BVerfGE 35, 202), sogar ein "Anspruch [9] auf Resozialisierung" wird anerkannt (BVerfGE 45, 239). Die Resozialisierung geht der in StVollzG § 2 Satz 2 genannten Sicherung der Allgemeinheit vor, doch gilt beides bei rechtem Verständnis nebeneinander, denn die Gemeinschaft hat "ein unmittelbares eigenes Interesse daran, daß der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigt" (BVerfGE 35, 236). Weitere Grundsätze d.es Strafvollzugs haben in StVollzG § 3 Ausdruck gefunden: das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensbedingungen soweit als möglich angeglichen werden (Angleichungsgrundsatz); den schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs (z. B. durch Verlust des Arbeitsplatzes und der Beeinträchtigung der Beziehung zu Familie und Umwelt) soll entgegengewirkt werden (Gegensteuerungsgrundsatz); der Vollzug soll darauf ausgerichtet werden, daß er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern (Integrationsgrundsatz). Hinzu tritt weiter der Mitwirkungsgrundsatz (StVollzG § 4): bei dem Gefangenen soll die Bereitschaft geweckt werden, an seiner Behandlung und der Erreichung des Vollzugs ziels mitzuwirken. Der Mitwirkungsgrundsatz kommt unter anderem darin zum Ausdruck, daß der Vollzugsplan mit dem Gefangenen erörtert wird und entsprechend seiner Entwicklung im Verlaufe der Haft modifiziert werden soll. 3. Das Strafvollzugsgesetz sollte jedoch nicht nur Bestehendes in rechtsstaatlicher Weise festschreiben, sondern auch als echtes Reformgesetz wirken. 17 Es hat seinen Einfluß auf die allmähliche Neugestaltung der Verhältnisse im Strafvollzug auch nicht verfehlt. Die Lage des Strafvollzugs hat sich gebessert, wenn auch das Überfüllungsproblem durch die erheblich überproportionale Zunahme der langen Freiheitsstrafen wiederge16 Gegen diese Lehre schon frühzeitig Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, 1969, S. 59 H.; Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung und Strafvollzugsreform, 1970, S. 24 ff. 17 Calliessl Müller-Dietz (Fußnote 13), Einleitung Rdn. 16.
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kehrt ist; insbesondere werden Vollzugslockerungen (Außenbeschäftigung, Ausführung, Ausgang, Urlaub nach StVollzG §§ 11, 13) heute großzügiger gewährt als früher. 18 Jedoch fehlen noch wichtige weitergehende Reformschritte, so vor allem die vorgesehene Annäherung der Höhe des Arbeitsentgelts an den Tariflohn freier Arbeiter. Die Einbeziehung der Gefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung ist im Strafvollzugsgesetz vorerst nur angekündigt (StVollzG §§ 190 - 193), sie ist aber wegen der damit verbundenen finanziellen Belastungen der Länder aufgeschoben worden, bis sie durch ein besonderes Bundesgesetz verwirklicht wird (StVollzG § 198 Abs. 3) (vgl. Ausblick am Schluß). Offene Anstalten sind zwar in StVollzG § 10 vorgesehen, sie sind aber nicht die Regelform des Vollzuges, sondern die Ausnahme. Ein Fortschritt liegt vor allem in der rechtsstaatlichen Sicherung der Gefangenen durch das Recht des Antrags auf Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, [10] wenn der Antragsteller geltend macht, durch eine Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein (StVollzG § 109), und die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht einzulegen (StVollzG § 116).19
B. Reformen des Besonderen Teils I. Reformen bis 1975
Einzelne wichtige Gebiete des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs wurden schon vor dem oder gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils im Jahre 1975 teilweise im engen Anschluß an den Entwurf 1962 reformiert.20 1. Dazu gehört das politische Strafrecht, in das im Jahre 1968 ein neuer Titel über den »Friedensverrat" und ein stark entschärfter und liberalisierter Titel über die »Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats" aufgenommen wurden. Charakteristisch ist etwa § 91, der die Geltung der Organisationsdelikte und der Strafvorschrift über Agententätigkeit zu Sabotagezwecken in Abweichung von § 9 auf Tätigkeiten beschränkt, die im Bundesgebiet und in West-Berlin ausgeübt werden. Auf der gleichen liberalen Linie hat das 3. Strafrechtsreformgesetz von 1970 die Demonstrationsstraftaten wesentlich eingeschränkt. Vor allem wurde die Strafbestimmung über den Landfriedensbruch (§ 125) von einem Massendelikt auf Täterschaft und Teilnahme an Gewalttätigkeiten oder die Bedrohung mit Gewalttätigkeiten, die aus einer Menschenmenge begangen werden, und auf Hetzer beschränkt, so daß Personen, die in der Menschenmenge lediglich anwesend sind, aber dadurch den Anheizungs- und Solidarisierungseffekt verstärken und die Gefährlichkeit der Situation mit herbeiführen und aufrechterhalten, im Unterschied etwa zu schweiz. StrGB Art. 260 Abs. 1 nicht mehr erfaßt werden. Ein Entwurf des Bundesrats mit dem Ziel, das Demonstrationsstrafrecht wieder zu verschärfen, insbesondere ein »Vermummungsverbot" einzuführen, ist trotz vieler mit schweren Gewalttaten verbun-
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Dünkel! Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland seit
1970, Kriminologische Forschun~sberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg 1. Br., Bd. 7, Freiburg 1981, S. 343 H. 19 Der Rechtsweg gegen Justizverwaltungsakte war früher schon durch direkten Antrag an das Oberlandesgericht nach § 23 EG GVG gegeben. 20 Vgl.Jescheck (Fußnote 1), 1 - 3.
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dener Ausschreitungen, die seither stattgefunden haben, im Bundestag nicht vorangekommen. 2. Eine Neuregelung im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Wertzeichenfälschung (§ 148), die der Geldfälschung (§ 146) angeglichen wurde, erfuhr durch das EGStGB 1974 der 8. Abschnitt des Strafgesetzbuchs über "Geld- und Wertzeichenfälschung". Der tiefgreifende [11] Wandel, der in Deutschland und nicht nur hier in den Grundvorstellungen über Ehe, Familie und geschlechtliche Sittlichkeit eingetreten ist,21 zeigt sich an den Eingriffen, die das 1. und 4. Strafrechtsreformgesetz von 1969 bzw. 1973 am Bestand des alten Rechts vorgenommen haben. Die neue Wirklichkeit ist gekennzeichnet durch die Aufhebung der Strafbarkeit des Ehebruchs, der geschlechtlichen Beziehung zwischen Verschwägerten, der Homosexualität zwischen Männern über 18 Jahren und der Unzucht mit Tieren sowie durch die Einschränkung der Strafbarkeit der Kuppelei auf Förderung der Prostitution und durch die Freigabe pornographischer Schriften und Abbildungen, soweit es sich nicht um die Gefährdung von Jugendlichen oder um Darstellungen handelt, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Mißbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben (sog. harte Pornographie). 3. Das 12. Strafrechtsänderungsgesetz von 1971 erweiterte unter dem Eindruck aufsehenerregender Verbrechen im In- und Ausland die alte Vorschrift über den erpresserischen Kindesraub auf die Entführung Erwachsener zum Zwecke der Erpressung (erpresserischer Menschenraub, § 239 a) und ergänzte diese Bestimmung durch eine neue Strafvorschrift gegen die Entführung in der Absicht, Dritte zu anderen Maßnahmen als vermögenswerten Leistungen zu nötigen (Geiselnahme, § 239 b). Das Tokioter Abkommen vom 14. 9. 1963 und das Haager Abkommen vom 16. 12. 1970 über den Schutz des Luftverkehrs führten zu § 316 c über Angriffe auf den Luftverkehr, einem (im Unterschied zu schweiz. StrGB Art. 237) abstrakten Gefährdungstatbestand mit Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Neu gestaltet wurde ferner durch das 1. Strafrechtsreformgesetz die stark veraltete Regelung des Diebstahls im 19. Abschnitt sowie durch das Einführungsgesetz der 21. Abschnitt über Begünstigung und Hehlerei.
4. Weiter übertrug das Einführungsgesetz aus dem Atomgesetz die Kernenergie- und Strahlungsverbrechen in den 27. Abschnitt über gemeingefährliche Straftaten und verbesserte die §§ 330 über Baugefährdung und 330 a über den Vollrausch, denen das 18. Strafrechtsänderungsgesetz von 1980 die dem Juristen ungewohnte Bezifferung § 323 bzw. § 323 a gegeben hat, um die Ziffern §§ 324 ff. dem neuen 28. Abschnitt über "Straftaten gegen die Umwelt" (unten VI) vorbehalten zu können. 5. Den Abschluß der Reform des Besonderen Teils bis 1975 hat das Einführungsgesetz mit der tiefgreifenden Umgestaltung der Amtsdelikte im 29. Abschnitt gebracht. Die Vorschriften über Bestechung und Bestechlichkeit von Amtsträgern und anderen amtsnahen Personen (§§ 331 - 334) wurden im Anschluß an den EntwUrf 1962 völlig neu gefaßt. [12] Geändert wurden ferner die §§ 343 - 345 (Aussageerpressung, Verfolgung Unschuldiger, Vollstreckung gegen Unschuldige); in Absatz 2 der zuletzt genannten Vorschrift wurde nicht mehr Fahrlässigkeit, sondern nur noch leichtfertiges Handeln mit 21 Vgl. zu der entsprechenden Entwicklung in der Schweiz Schultz, Die Revision des schweizerischen Sexualstrafrechts, SchwJZ 1982,245.
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Strafe bedroht. Eine Reihe von qualifizierten Strafvorschriften wurde gestrichen, weil die Strafdrohung des einfachen Delikts auszureichen schien. Die Strafbestimmung über die Verletzung des Steuergeheimnisses wurde aus der Abgabenordnung in den neuen § 355 überführt. § 359, der früher die Definition des "strafrechtlichen Beamtenbegriffs" enthielt, wurde durch die Einführung des Begriffs des "Amtsträgers" in § 11 Abs. 1 Nr. 2 überflüssig.
11. Die Strafgesetzgebung gegen den Terrorismus Die Welle des Terrorismus, die über Deutschland bis zu der kürzlich erfolgten Verhaftung des Kerns der gefährlichsten Gruppe hingegangen ist, war das auslösende Moment für eine Strafgesetzgebung, bei der sich das Interesse am wirksamen Schutz der öffentlichen Sicherheit und das Interesse an der Erhaltung der Meinungsfreiheit und der rechtsstaatlichen Beschränkung des Strafrechts gegenüberstanden. Ein heftiger Meinungsstreit über das Ausmaß dieser Gesetzgebung ist die Folge gewesen.
1. Zwei neue Strafbestimmungen, die das Kernstück des 14. Strafrechtsänderungsgesetzes von 1976 bildeten,21a sind schon durch das 19. Strafrechtsänderungsgesetz von 1981 wieder aufgehoben worden, da sie im Vorfeld des Terrorismus keine selbständige Schutzwirkung entfaltet hätten. Dies war bei § 88 a über die verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten auch von vornherein zu erwarten, da die Absicht der Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen bei Schriften und öffentlichen Äußerungen, um die es sich bei diesem Tatbestand handeln mußte, zu schwer nachzuweisen ist.22 Ein unerwünschter Nebeneffekt scheint sogar die Beschnüffelung von "linken" Buchhändlern gewesen zu sein. Dagegen war § 130 a über die Strafbarkeit schriftlicher oder öffentlicher Anleitungen zu den in § 126 Abs. 1 - 6 genannten besonders schweren Gewalttaten eine durchaus sinnvolle Vorschrift, die die gefährlichsten Ansätze im Vorfeld des Terrorismus (z. B. die Aufstellung und Verteilung von schriftlichen Plänen für Mordanschläge auf Politiker und andere Führungskräfte des demokratischen Rechtsstaats) treffen konnte und keine subjektiven Einschränkungen enthielt wie § 88 a, zumal der Tatbestandsausschluß bei sozialadäquatem Handeln (§ 86 Abs. 3) die Meinungsfreiheit ausreichend sicherte. [13] 2. Wichtige, durch das 14. Strafrechtsänderungsgesetz erweiterte und ergänzte Vorfeldbestimmungen für den Kampf gegen den Terrorismus sind die §§ 126, 145 d und 241. 23 Die erweiterte Vorschrift des § 126 verstärkt den Schutz des öffentlichen Friedens in drei Richtungen: die Verbrechenstatbestände, deren Androhung in einer zur Friedensstörung geeigneten Weise Strafe auslöst, sind erheblich ausgedehnt worden, z. B. auf Mord, Totschlag, Geiselnahme und Raub; auch die friedensstörende und wider besseres Wissen erfolgende Vortäuschung des Bevorstehens einer solchen Straftat ist jetzt strafbar geworden (z. B. die falsche Bombenwarnung), weil dadurch der öffentliche Friede ebenso gefährdet werden kann wie durch die Androhung eines wirklich bevorstehenden VerStree, Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten, NJW 1976, 1178, 1180 f. Sturm, Zum Vierzehnten Strafrechtsänderungsgesetz (Gewaltbekämpfung), JZ 1976, 349; Wagner; Drei Jahre § 88 a StGB - eine Zwischenbilanz, ZRP 1979,280. 23 Laufhütte, Das Vierzehnte Strafrechtsänderungsgesetz, MDR 1976,441; Sturm (Fußnote 22), S. 347 H. 2ta
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brechens. Abweichend vom bisherigen Recht braucht die Handlung auch keinen Erfolg zu haben, sondern muß nur geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. § 145 d ist von dem Zweck der Vermeidung unnötiger Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden, die durch Vortäuschung einer begangenen Straftat ausgelöst werden, auf unnötige präventive Maßnahmen der Polizei infolge des Vortäuschens einer bevorstehenden Straftat ausgedehnt worden, allerdings beschränkt auf den Kreis der in § 126 Abs. 1 genannten schweren Verbrechen. Den subjektiven Rechtsfrieden als Entsprechung zum öffentlichen Frieden schützt § 241 über die Bedrohung, der nunmehr in gleicher Weise nicht nur die Bedrohung mit einem wirklich bevorstehenden Verbrechen, sondern auch die wider besseres Wissen vorgenommene Vortäuschung eines bevorstehenden Verbrechens einschließt. 3. Ein zweites Gesetz gegen den Terrorismus, das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze vom Jahre 1976, hat als Kernstück im materiellen Strafrecht den § 129 a über die Bildung terroristischer Vereinigungen eingeführt,24 der einen qualifizierten Fall der Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129) darstellt. Terroristisch ist eine Vereinigung, die auf die Begehung von Mord, Totschlag oder Völkermord, erpresserischen Menschenraub und Geiselnahme sowie bestimmter gemeingefährlicher Straftaten gerichtet ist. Bestraft wird die Gründung, Beteiligung als Mitglied, Werbung und Unterstützung; die Mitwirkung als Rädelsführer oder Hintermann ist Verbrechens tatbestand. Eine Vorschrift über tätige Reue (§ 129 a Abs. 5 i. Verb. m. § 129 Abs. 6) gibt die Möglichkeit der Strafmilderung oder [14] sogar der Straffreiheit. Eine "Kronzeugen"-Regelung ist jedoch aus Gründen der Selbstbeschränkung des demokratischen Rechtsstaats nicht eingeführt worden. 25 Das neue Gesetz hat § 129 a auch in den Katalog der nach § 138 anzeigepflichtigen Straftaten eingereiht, so daß schon die Nichtanzeige eines bevorstehenden Beitritts zu einer terroristischen Vereinigung nach § 138 Abs. 2 strafbar geworden ist. Die Strafbarkeit der Nichtanzeige gilt auch für Rechtsanwälte, Verteidiger und Ärzte, wenn es sich um einen bevorstehenden Mord oder Totschlag, Völkermord (§ 220 Abs. 1 Nr. 1), erpresserischen Menschenraub, eine Geiselnahme oder einen Angriff auf den Luftverkehr durch eine terroristische Vereinigung handelt (§ 139 Abs. 3 Satz 2). III. Unerlaubtes Sichentfernen vom UnfalIon (§ 142 StGB) Die in Anlehnung an den Entwurf 1962 durch das 13. Strafrechtsänderungsgesetz von 1975 erfolgte Neufassung des § 142 über das unerlaubte Sichentfernen vom UnfalIon, der mit 42 621 Verurteilungen im Jahre 1979 größte praktische Bedeutung besitzt,26
diente einmal der KlarsteIlung des Gesetzessinns und der Beseitigung von Auslegungs-
24 Sturm, Zur Bekämpfung terroristischer Vereinigungen - ein Beitrag zum Gesetz vom 18. Aug. 1976, MDR 1977,6; Löchner, Terrorismus und Justiz, DRiZ 1980,94 f. (besonders zur Praxis in T~rroristenverfahren). Scharf ablehnend, vor allem zum prozessualen Teil des Gesetzes und zu der Anderung des § 139 StGB Dahs, Das "Anti-Terroristen-Gesetz" - eine Niederlage des Rechtsstaats, NJW 1976,2148 H. Reformvorschläge bei v. Winter/eId, Terrorismus - "Reform" ohne Ende? ZRP 1977,265; Lameyer, Streitbare Demokratie contra Terrorismus? ZRP 1978, 49. 25 DazuJahrreiss, Zum Ruf nach dem sogenannten Kronzeugen, Festschrift für R. Lange, 1976, S. 765 ff.;Jürgen Meyer, Brauchen wir den Kronzeugen? ZRP 1976,25 H. 26 Über die Grunde des Anstiegs der Unfallflucht und die Möglichkeiten der Abhilfe Denzlinger, Entkriminalisierung des Verkehrsunfalls? ZRP 1982, 178.
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schwierigkeiten, brachte aber auch eine nicht unerhebliche Verschärfung des alten Rechts und liegt darum bereits auf der Linie der Schärfungen, die später im Wirtschafts- und Umweltstrafrecht eingetreten sind. 27 1. Die Vorschrift enthält in Absatz 1 ein Handlungsdelikt; bestraft wird nach dieser Vorschrift ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Straßenverkehrsunfall vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten bestimmte Feststellungen ermöglicht oder eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit gewesen wäre, diese Feststellungen zu treffen. Absatz 2 und 3 sind dagegen als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet; bestraft wird nach diesen Bestimmungen ein Unfallbeteiligter, der sich nach Ablauf der Wartefrist, die nach den Umständen verschieden lang sein kann, oder in berechtigter Weise (z. B. um Verletzte ins Krankenhaus zu bringen) oder in entschuldigter Weise (z. B. weil er durch Alkoholgenuß schuldunfähig war) vom Unfallort [15] entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht. 28 Die Handlungspflicht aus Absatz 2 kann der Unfallbeteiligte gemäß Absatz 3 auch durch unverzügliche Benachrichtigung der anderen Beteiligten oder .einer nahegelegenen Polizeidienststelle erfüllen. Durch die Formulierung "zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten" in Absatz 1 Nr. 1 ist jetzt im Gesetz klargestellt, daß der Schutzzweck des § 142 die Feststellung der zivilrechtlichen Ansprüche der anderen am Unfall Beteiligten ist, nicht aber das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Verkehrstätern und an der Ausschaltung ungeeigneter Verkehrsteilnehmer. 29 Angesichts der ungewöhnlichen Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche durch das Strafrecht ohne Einschränkung durch eine Strafantragsregelung wird man jedoch annehmen müssen, daß Strafgrund des § 142 auch die Disziplinierung der Verkehrsteilnehmer und die Verhinderung des Eintritts eines Chaos nach einem Verkehrsunfall ist, wo jeder Beteiligte das Weite suchen bzw. andere Beteiligte an der Flucht zu hindern bemüht sein würde. 30 2. Eine Verschärfung gegenüber dem alten Recht stellt die Pflicht zur nachträglichen Ermöglichung der Feststellungen nach Ablauf der Wartefrist dar, die nach früherem Recht abgelehnt worden war (BGHSt 7, 112). Die Versuchsbestrafung ist im neuen Recht zwar nicht mehr vorgesehen, doch ist der Vollendungszeitpunkt weit vorverlegt, da jetzt schon eine geringe räumliche Trennung vom Unfallort genügt, während früher eine eigentliche Fluchtbewegung vorausgesetzt war. Eine Vorschrift über tätige Reue fehlt, so daß nach neuem Recht auch strafbar ist, wer nach einem Unfall zunächst in Kopflosigkeit davonfährt, aber alsbald zum Unfallort zurückkehrt und sich mit dem Geschädigten einigt. In diesen Fällen wird die Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153 a StPO die beste Lösung sein. 27 Sturm, Die Neufassung des § 142 StGB (Verkehrsunfallflucht) durch das 13. Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1975, 406; Müller-Emmertl B. Maier, Zur Neufassung des § 142 Stq~, DRiZ 1975, 176; Janiszewsk~ Zur Neuregelung des § 142 StGB, DAR 1975, 169; derselbe, Uberblick über neuere Entscheidungen in Verkehrsstraf- und Bußgeldsachen im ersten Halbjahr 1981, NStZ 1981,334. Zur Auslegung Küper, Grenzfragen der Unfallflucht,JZ 1981,209; 251. 28 DreherlTrändle, § 142, Rdn. 6 sieht auch Absatz 1 als echtes Unterlassungsdelikt an, da der Unfallbeteiligte durch die Vorschrift verpflichtet werde, Feststellungen zu ermöglichen. Der Kern des Tatbestandes liegt aber unseres Eraclitens doch im Verbot des Verlassens des Unfallorts. 29 So grundlegend Dünnebier, Die Verkehrsunfallflucht, GA 1957,38 H. Ebenso BGHSt 8, 263; 12,254; 24, 382; BVerfGE 16, 191. 30 So Dreher I Trändie, § 142, Rdn. 5.
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3. Demgegenüber bedeutet die Abschaffung der Strafbarkeit des Versuchs eine Milderung insofern, als damit auch der untaugliche Versuch straflos geworden ist, z. B. die Entfernung eines Fußgängers vom Unfall ort, der irrig annimmt, den beteiligten Autofahrer irritiert und dadurch zu dem Unfall beigetragen zu haben. Auch der Wegfall der empfindlichen Strafschärfung für besonders schwere Fälle stellt eine Milderung dar, doch ist im neuen Recht die Höchststrafe von zwei auf drei Jahre angehoben. [16J
IV. Die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (StGB §§ 218 ff.) 1. Die strenge Durchführung des generellen Abtreibungsverbots im alten § 218, das lediglich durch die gewohnheitsrechtliche und teilweise auch gesetzliche Anerkennung der medizinischen Indikation als Rechtfertigungsgrund durchbrochen war, stand seit langem im Mittelpunkt einer heftigen sozialethischen, medizinischen und juristischen Diskussion, in der es vor allem darum ging, gegenüber dem restriktiven Standpunkt des überlieferten Strafrechts in gewissen Grenzen weitere Indikationen zur Anerkennung zu bringen oder den Abbruch der Schwangerschaft innerhalb einer bestimmten Frist seit ihrem Beginn sogar ganz freizugeben. Vier Lösungsmodelle standen sich im Bundestag gegenüber: 31 die Fristenlösung der damaligen Koalition aus SPD und FDP, die weitgefaßte Indikationslösung (Abgeordneter Müller-Emmert), die enge Indikationslösung der aus CDU und CSU bestehenden Opposition und die engste Indikationslösung (Abgeordneter Heck). Was sich durchsetzte, war zunächst die Fristenlösung. Diese führte im 5. Strafrechtsreformgesetz von 1974 im Anschluß an den Alternativ-Entwurf (Straftaten gegen die Person) zu folgender Regelung: der Schwangerschaftsabbruch sollte in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis straffrei bleiben und erst danach sollte die Rechtfertigung von einer Indikation (medizinische und eugenische Indikation waren vorgesehen) abhängig gemacht werden. Das Gesetz konnte jedoch nicht in Kraft treten, da das Bundesverfassungsgericht den die Fristenlösung enthaltenden § 218 a durch Urteil vom 25. 2.1975 für verfassungswidrig und damit nichtig erklärte, soweit dieser den Abbruch der Schwangerschaft ohne einen den Eingriff rechtfertigenden Grund straflos ließ (BVerfGE 39, 1).32 Die unmittelbar aus der Verfassung geschöpfte Ableitung einer positiven Strafpflicht des Staates zum Schutze des ungeborenen Lebens war eine bedeutende Neuerung in der Judikatur, die auf einem stark dynamischen Verständnis der Verfassung durch das Bundesverfassungsgericht beruhte. 33 Das Urteil lehnte die Fristenlösung [17J ab, ließ die 31
65.
Hierzu eingehend Fezer, Zum gegenwärtigen Stand der Reform des § 218 StGB, GA 1974,
Vgl. zur VorgeschichteJescheck (Fußnote 1),3. In Österreich und Frankreich haben die entsprechenden VerfassuJlgsorgane die Fristenlösung nicht für verfassungswidrig erklärt. Der Unterschied erklärt sich in Osterreich dadurch, daß der Verfassun.gsgeri~htshof de~ Lebensschutzartikel der Europäischen ~enschenr~chtsk?nvention (Art. 2) emschrankend dahm ausgelegt hat, daß das werdende Leben rucht geschlitzt seI und daß ferner das Grundrecht auf Leben den Einzelnen überhaupt nur gegen staatliche Eingriffe schützen solle (Europäische Grundrechte 1975, 74), während die deutschen Grundrechte nach der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts zugleich eine objektive Wertordnung darstellen, die der Staat seinerseits durch positive Maßnahmen zu schützen und zu fördern habe. Einen genügenden Schutz des werdenden Lebens hat das Bundesverfassungsgericht jedoch in dem, was der Gesetzgeber an Beratung und Hilfe für die Schwangere vorgesehen hatte, nicht erblickt. Die Entscheidung des französischen Conseil constitutionnel ist in illrer Kürze schwer zu interpretieren, aber wohl dahin 32 33
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medizinische, eugenische und ethische Indikation aber zu und deutete an, daß auch die soziale Indikation unter gewissen Voraussetzungen verfassungsmäßig sein könnte. Unterdessen schuf das Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz vom 28. 8. 1975 (BGBI. I, 2289) zur sozialen Absicherung der Reform den Anspruch auf ärztliche Beratung über Fragen der Empfängnisregelung und auf ärztliche Hilfe und Versorgung beim rechtmäßigen Abbruch einer Schwangerschaft als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und stellte damit den Abbruch der Schwangerschaft ohne Rücksicht auf die Art der Indikation einem Krankheitsfall gleich. 2. Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts legte das schwer umkämpfte 15. Strafrechtsänderungsgesetz vom 18. 5.1976 der Reform die weite Indikationslösung zugrunde. 34 Die Strafbarkeit der Abtreibung blieb in § 218 zwar grundsätzlich erhalten, die Rechtfertigung des Abbruchs der Schwangerschaft bei Einwilligung der Frau wurde jedoch außer bei medizinischer, sozial-medizinischer, eugenischer und ethischer Indikation auch bei sozialer oder "Notlagenindikation" zugelassen. Letztere liegt vor, wenn "der Abbruch der Schwangerschaft sonst angezeigt ist, um von der Schwangeren die Gefahr einer Notlage abzuwenden, die so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, und nicht auf andere für die Schwangere zumutbare Weise abgewendet werden kann" (§ 218 a Abs. 2 Nr. 3). Während bei medizinischer Indikation ein Abbruch der Schwangerschaft zeitlich unbegrenzt zulässig ist, ist der Abbruch aus eugenischen Gründen nur in den ersten 22 Wochen und aus sozialer und ethischer Indikation nur in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis gerechtfertigt (§ 218 a Abs. 3). Allen Indikationen liegt der Gedanke zugrunde, daß der Schwangeren bei einer schweren Konfliktslage, die sie als Ausweglosigkeit empfindet, das Austragen des Kindes unter Androhung krimineller Strafe nicht zugemutet werden kann. Alle Indikationen werden vom Gesetzgeber als Rechtfertigungsgründe verstanden, wobei der Gedanke zugrunde liegt, daß die Leibesfrucht noch körperlich an die Existenz der Mutter gebunden ist und keine eigenen mitmenschlichen Beziehungen entwickeln kann, und daß sie deswegen qualitativ hinter der Mutter als Mensch mit fertiger psychophysischer Gestalt und sozialer Einordnung zurückstehen muß, eine Erwägung, die aber dem Einwand [18] ausgesetzt bleibt, daß jedenfalls eine bloß soziale Notlage in der Regel nicht ausreichen kann, um deswegen das Lebensrecht des ungeborenen Kindes auszuschließen. 3. Die Strafbarkeit wegen Abtreibung sowie wegen Vornahme einer Schwangerschaftsunterbrechung unter Verletzung der diese regelnden formellen Vorschriften ist in abgestufter Weise geordnet: a) Ein Arzt oder Nichtarzt, der eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß eine der Indikationen des § 218 a vorliegt, wird nach § 218 Abs. 1 mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Regelbeispiele sind das Handeln gegen den zu verstehen, daß das Gericht die gesetzliche Regelung, die immerhin einen "cas de necessite" voraussetzt, als eine Art von Indikationenlösung mit GeneralklauseI angesehen hat Oournal Officiel 1975,671). 34 Laufhütte / Wilkitzki, Zur Reform der Strafvorschrif!en über den Schwangerschaftsabbruch, JZ 1976,329; Müller-Emmert, Die Vorschriften des 15. StAG über den Schwangerschaftsabbruch, DRiZ 1976, 164; sowie sehr kritisch Lackner, Die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, NJW 1976, 1233.
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Willen der Schwangeren und die leichtfertige Herbeiführung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren, nicht jedoch das gewerbsmäßige Handeln des Abtreibers. Der Tatbestand heißt im Gesetzestext nicht mehr Abtreibung, sondern Abbruch der Schwangerschaft, wodurch der besonders verwerfliche Charakter der Tat äußerlich verdeckt wird. b) Die Strafbarkeit nach § 218 bund § 219 betrifft in aller Regel nur Ärzte. Es handelt sich dabei um die beiden Vorschriften, die das Verfahren schützen sollen, das bei einem nach § 218 a indizierten Schwangerschaftsabbruch eingehalten werden muß, und aus denen sich dieses Verfahren überhaupt erst ergibt. Nach § 218 b wird bestraft, wer eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß mindestens drei Tage vor dem Eingriff eine Beratung der Schwangeren über die zur Verfügung stehenden sozialen Hilfen stattgefunden hat und ohne daß ein Arzt die Schwangere über die ärztlich bedeutsamen Gesichtspunkte beraten hat. Die soziale Beratung setzt keine spezifische berufliche Qualifikation voraus, sie kann auch durch einen Arzt erfolgen, "der sich auf geeignete Weise über die im Einzelfall zur Verfügung stehenden Hilfen unterrichtet hat" (§ 218 b Abs. 2 Nr. 2 c), und der gleiche Arzt kann die Schwangere auch über die beim Abbruch der Schwangerschaft ärztlich bedeutsamen Gesichtspunkte beraten. Der Gesetzgeber hat sich von der sozialen Beratung viel für die Erhaltung des ungeborenen Lebens versprochen, aber, wie die Entwicklung gezeigt hat, wohl zu Unrecht, was auch angesichts der zu geringen Anforderungen nicht anders zu erwarten war. Die Gesamtzahl der Schwangerschaftsabbrüche dürfte etwa gleich geblieben sein, wenn man die Zahl der in den Niederlanden an deutschen Frauen vorgenommenen Eingriffe in die Rechnung einbezieht.35 Nach § 219 wird bestraft, wer eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß ihm die schriftliche Feststellung eines anderen Arztes (der aber auch der beratende Arzt sein kann) vorgelegen hat, daß die rechdertigende Indikation gegeben ist und daß die Empfängnis nicht [19] mehr als 22 bzw. 12 Wochen zurückliegt. Da der Abbruch der Schwangerschaft in diesen Fällen materiell gerechtfertigt sein muß - sonst läge der strengere § 218 vor - ist die Strafdrohung hier Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Beim Abbruch der Schwangerschaft aus rein medizinischen Gründen findet das vorgenannte Verfahren nicht statt. c) Die Schwangere selbst wird durch das neue Recht stark privilegiert. Zunächst gilt für sie eine mildere Strafdrohung als für den Abtreiber, nämlich Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe (§ 218 Abs. 3 Satz 1). Weiter bleibt die Schwangere nach § 218 Abs. 3 Satz 2 straffrei, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach der Beratung, wie sie in § 218 b vorgeschrieben ist, durch einen Arzt innerhalb von 22 Wochen vorgenommen wird (persönlicher Strafausschließungsgrund). Diese Bestimmung endernt sich am weitesten von den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, weil hierdurch das ungeborene Leben gegenüber der Mutter strafrechtlich schutzlos gestellt und ihr damit der Weg zum Abtreiberarzt innerhalb [20] von 5 1 /2 Monaten risikolos eröffnet wird. Das Gericht kann ferner gegenüber der Schwangeren von einer Bestrafung absehen, wenn sie sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat (§ 218 Abs. 3 Satz 3). Endlich kann die Schwangere nicht wegen Versuchs bestraft werden (§ 218 Abs. 4 Satz 35
Die hier nicht mitabgedruckten Tabellen mit den Zahlen der in der Bundesrepublik als legal
g,~meldeten Schwangerschaf~abbri:iche u~d f!lit de~ ~ahlen über ,in den Niederlanden durchge-
führte Schwangerschaftsabbruche fInden Sich Im OngInal auf S. 19 In der Fußnote 35.
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2); auch hier liegt ein persönlicher Strafausschließungsgrund vor, so daß der Teilnehmer an einem Versuch der Schwangeren strafbar bleibt, auch wenn es sich um einen untauglichen Versuch handelt. Außerdem kann die Schwangere nicht nach §§ 218 b, 219, 219 a bestraft werden, sie kann aber als mittelbare Täterin nach § 218 strafbar sein. 4. Ergänzende Vorschriften betreffen die wider besseres Wissen erfolgende unrichtige Feststellung über die Voraussetzungen des gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruchs zur Vorlage an den den Eingriff durchführenden Arzt (§ 219 a) die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219 b) und das Inverkehrbringen von Mitteln zum Abbruch der Schwangerschaft (§ 219 c).35a 5. § 219 d stellt klar, daß ein Abbruch der Schwangerschaft im Sinne des Gesetzes nicht vorliegt, wenn die Wirkung der Handlung vor der Nidation eintritt, so daß die Anwendung nidationshemmender Mittel straflos ist. 6. Als Ergänzung zu §§ 218 ff. ist, um einem "Reichenprivileg" vorzubeugen, in der Regelung des internationalen Strafrechts vorgesehen, daß der Abbruch der Schwangerschaft (§ 218) nach deutschem Recht strafbar ist, auch wenn die Tat im Ausland begangen wird, sofern der Täter zur Zeit der Tat Deutscher ist und seine Lebensgrundlage in der Bundesrepublik Deutschland oder in West-Berlin hat (§ 5 Nr. 9). Die Fälle bleiben aber, wie das Beispiel der Abtreibungen in den Niederlanden zeigt, fast gänzlich im dunkeln.[21] V. Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Die seit einigen Jahren neu ins Blickfeld getretene Wirtschaftskriminalität führte zunächst zu organisatorischen Vorkehrungen der Justizverwaltung, um die Gerichte und Staatsanwaltschaften fachlich vorzubereiten, sachkundig zu besetzen und eine möglichst rasche Erledigung der anhängigen Verfahren sicherzustellen. Für Wirtschaftsstrafsachen wurde die Zuständigkeit einer großen Strafkammer als Wirtschaftskammer eingeführt und den Landesregierungen die Ermächtigung gegeben, Wirtschaftsstrafsachen einem Landgericht für die Bezirke mehrerer Landgerichte zuzuweisen (GVG § 74 c). Entsprechend wurden Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften für Wirtschafts strafsachen gebildet. Auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts wurden durch das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität von 197636 zwei neue Strafbestimmungen gegen besondere Formen des modernen" White-collar-crime", der Subventions betrug (§ 264) und der Kreditbetrug (§ 265 b), eingefügt. Außerdem wurden die Konkursdelikte aus der Konkursordnung in den 24. Abschnitt des Strafgesetzbuchs (§§ 283 - 283 d) zurückgeführt und mit den kriminalpolitischen Bedürfnissen und den Anforderungen des Schuld35. Die Zahl der Verurteilungen nach den §§ 218 - 219c war gering und rückläufig; die Sanktion war vorwiegend Geldstrafe. Die Tabelle findet sich im Original auf S. 20 in der Fußnote 35 a. 36 Tiedemann, Das Verbrechen in der Wirtschaft, 2. Auf!. 1972; derselbe, Der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, ZStW 87 (1975) 253; Heinz, Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität mit strafrechtlichen Mitteln, GA 1977, 193; Müller-Emmert/ B. Maier, Das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, NJW 1976, 1657; Schubarth, Das Verhältnis von Strafrechtswissenschaft und Gesetzgebung im Wirtschaftsstrafrecht ZStW 92 (1980) 80; Löver, Rechtspolitische und verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem Ersten Wirtschaftskriminalitätsgesetz, JZ 1979,621 .
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prinzips in Einklang gebracht. Endlich wurden die Wucherdelikte in dem neuen Tatbestand des § 302 a zusammengefaßt. 1. Anlaß zur Einführung des neuen Tatbestandes des Subventionsbetrugs (§ 264) waren die hohen Schäden, die durch Fehlleitung öffentlicher Mittel bei der Vergabe von Subventionen eintreten; man nahm an, daß der Betrugstatbestand (§ 263) hiergegen zu wenig Schutz biete, weil der Vorsatz hinsichtlich aller seiner Voraussetzungen in diesen Fällen oft schwer nachweisbar sei. Die neue Strafvorschrift ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt: allein die Täuschung über subventionserhebliche Tatsachen begründet die Strafbarkeit mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren; Irrtum, Vermögensverfügung und Vermögensschaden auf seiten des Verletzten werden nicht vorausgesetzt und demgemäß braucht auch der Vorsatz insoweit nicht nachgewiesen zu werden. Außerdem reicht Leichtfertigkeit hinsichtlich der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der den Antrag stützenden Angaben aus (§ 264 Abs. 3). Die radikale Herabsetzung der normalen Betrugsvoraussetzungen beim Subventionsbetrug wird damit gerechtfertigt, daß es sich um eine Leistung [22] aus öffentlichen Mitteln an Betriebe oder Unternehmen handelt, die wenigstens teilweise ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird und der Förderung der Wirtschaft dienen soll (§ 264 Abs. 6). Auf diese Weise bleiben Leistungen für kulturelle Zwecke, für Bildungseinrichtungen und für die Forschung sowie soziale Subventionen wie Leistungen an Kindergeld-, Wohngeld- und Ausbildungsförderungsempfänger außerhalb des durch die Vorschrift erfaßten Bereichs. Insoweit gilt weiter der allgemeine Betrugstatbestand (§ 263), bei dem zu Recht angenommen wird, daß der Schaden ;uch in der Verfehlung des sozialen Zwecks einer durch Täuschung erlangten Leistung bestehen kann (BGHSt 19, 37, 44). Subventionsbetrug ist unabhängig vom Recht des Tatorts und von der Staatsangehörigkeit des Täters nach deutschem Recht strafbar, auch wenn die Tat im Ausland begangen wurde (StGB § 6 Nr. 9). Subvention ist auch eine nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften an Betriebe oder Unternehmen gewährte Leistung. 2. Auch der neue Tatbestand des Kreditbetrugs (§ 265 b)37 ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, bei dem schon falsche oder unvollständige krediterhebliche Angaben des Kreditnehmers gegenüber dem Kreditgeber zur Strafbarkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ausreichend sind, während es auf den Vermögensschaden bzw. die Vermögensgefährdung beim Kreditgeber und den darauf gerichteten Vorsatz des Kreditnehmers ebenfalls nicht ankommt. Auch hier können die Voraussetzungen des Betrugstatbestandes und der entsprechende Vorsatz schwer nachzuweisen sein, wenn der Kreditnehmer seine finanzielle Lage und deren Entwicklung zu optimistisch einschätzt. Geschützt als Kreditgeber sind nur Betriebe und Unternehmen und auch als Täter wird nur bestraft, wer einen Kredit für einen Betrieb oder ein Unternehmen in Anspruch nimmt, was die Reichweite des Tatbestandes stark einschränkt. Leichtfertigkeit reicht bei § 265 b nicht aus. Außerhalb dieses Bereichs gilt wie beim Subventionsbetrug weiterhin der normale Betrugstatbestand, der nach deutschem Recht schon dann vorliegt, wenn mit Rücksicht auf die geringere Sicherheit der Kreditforderung eine Vermögensgefährdung anzunehmen ist (Eingehungsbetrug mit bedingtem Vorsatz). 3. Die Konkursstraftaten des früheren Rechts erfaßten teilweise auch Handlungen, die keinen kriminellen Unrechtsgehalt besaßen und damit auch keine ausreichende 37
Lampe, Der Kreditbetrug (§§ 263, 265 b StGB), 1980.
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Grundlage für eine dem Schuldprinzip entsprechende Bestrafung bilden konnten: So bestrafte KO § 240 über den einfachen Bankrott Schuldner im Falle der als objektive Strafbarkeitsbedingung ausgestalteten Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung schon wegen übermäßigen Aufwands oder unterlassener oder unordentlicher Führung von Handelsbüchern mit Freiheitsstrafe, auch wenn der Tater den Zusammenbruch nicht hätte voraussehen können. [23] Außerdem erwies sich KO § 239 über den betrügerischen Bankrott wegen des nur schwer beweisbaren Erfordernisses der Gläubigerbenachteiligungsabsicht meist als unwirksam. Das neue Konkursstrafrecht hat diesen Mangel beseitigt. 38 Der neue § 283 über den Bankrott führt die verschiedenen Bankrotthandlungen auf und stellt sie unter Strafe, wenn sie im Zustand der Krise, d. h. bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit und damit in einer die Gläubiger bereits gefährdenden Situation begangen worden sind, die dem Täter bewußt gewesen sein muß. Darüber hinaus stellt § 283 Abs. 6 klar, daß die Tat nur dann strafbar ist, wenn der Tater seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist (objektive Bedingung der Strafbarkeit). In Absatz 4 und 5 ist für leichtfertige oder fahrlässige Begehungsweise ein milderer Strafrahmen, in § 283 a für besonders schwere Fälle ein schwererer Strafrahmen vorgesehen, der aber mit sechs Monaten Freiheitsstrafe beginnt, während früher die Mindeststrafe bei betrügerischem Bankrott ein Jahr Zuchthaus gewesen ist. § 283 b stellt auch die außerhalb der Krise und sogar nur fahrlässig begangene Verletzung der Buchführungspflicht unter Strafe, verlangt aber zur Strafbarkeit den Eintritt einer objektiven Strafbarkeitsbedingung nach § 283 Abs. 6. Gläubigerbegünstigung (§ 283 c) und Schuldnerbegünstigung (§ 283 d) haben ergänzende Bedeutung. 4. Das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität hat endlich die kasuistische Regelung der Wuchertatbestände (StGB §§ 302 a - 302 f. a.F.) in einer einheitlichen Vorschrift über den Wucher (StGB § 302 a) zusammengefaßt, die Miet-, Kredit-, Leistungs- und Vermittlungswucher einschließt.39 Der neue § 302 a stellt alle Formen des Wuchers in der Strafdrohung gleich, die Erwähnung der verschiedenen Wuchertypen dient nur der Anschaulichkeit der Vorschrift. Der Wucher besteht in der Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche auf seiten des Opfers, indem der Täter sich Vermögensvorteile versprechen läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu der erbrachten Leistung oder deren Vermittlung stehen, wobei das Mißverhältnis möglicherweise erst nach genauerer Prüfung des häufig verschleierten Sachverhalts für den Sachkundigen ins Auge springen muß. [24]
38 Tiedemann, Objektive Strafbarkeitsbedingungen und die Reform des deutschen Konkursstrafrechts, ZRP 1975, 129; derselbe, Grundfragen bei der Anwendung des neuen Konkursstrafrechts, NJW 1977, 777; Heinz (Fußnote 36), S. 216. 39 Sturm, Die Neufassung des Wuchenatbestandes und die Grenzen des Strafrechts, JZ 1977, 84; Müller-Emmertl B. Maier (Fußnote 36), S. 1664; Heinz (Fußnote 36), S. 219 H.
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VI. Straftaten gegen die Umwelt Bisher waren die umweltschützenden Strafvorschriften aus Gründen des Sachzusammenhangs in verwaltungs rechtlichen Spezialgesetzen (Wasserhaushaltsgesetz, Abfallbeseitigungsgesetz, Atomgesetz, Bundesimmissionsschutzgesetz) geregelt. Das 18. Strafrechtsänderungsgesetz von 1980 hat nunmehr den 28. Abschnitt des Besonderen Teils neu geschaffen und hier die Strafvorschriften zum Schutze der Gewässer, des Bodens und der Luft sowie zum Schutz gegen gesundheitsschädlichen Lärm und gegen radioaktive Strahlen vereinigt.40 Den Anstoß zu der Neuregelung gaben nicht nur das zunehmende Umweltbewußtsein der Bevölkerung, sondern auch verschiedene Initiativen auf nationaler und übernationaler Ebene.41 Mit der Übernahme der wichtigsten Bestimmungen des Umweltstrafrechts in das Strafgesetzbuch wollte der Gesetzgeber das Bewußtsein der Öffentlichkeit für die Sozialschädlichkeit von Umwelteingriffen schärfen, die Anerkennung selbständiger Rechtsgüter des Umweltschutzes fördern, die gesamte Rechtsmaterie vereinheitlichen und die general präventive Wirkung der Straftatbestände verstärken. Die neuen Bestimmungen bedrohen durchweg auch fahrlässiges Handeln mit Strafe. Bei schwerer Umweltgefährdung ist Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren angedroht (§ 330). Die Definition des Gewässers umfaßt nach § 330 d Nr. 1 auch das "Meer" und damit außer den eigenen zugleich die fremden Küstengewässer und die hohe See. Die Ausdehnung und zugleich auch sinnvolle Begrenzung der deutschen Strafgewalt wird durch § 5 Nr. 11 erreicht, wonach das deutsche Strafrecht bei Gewässerverunreinigung (§ 324), umweltgefährdender Abfallbeseitigung (§ 326), schwerer Umweltgefährdung (§ 330) und Freisetzen von Giften (§ 330 a) auch dann gilt, wenn die Tat im Bereich des deutschen Festlandsockels begangen wird. Die neuen Strafvorschriften sind zum Teil schwer zu verstehen, da sie - bis auf den § 330 a über das Freisetzen von Giften - auf das Umweltverwaltungsrecht und auf Umweltschutzgesetze außerhalb des Strafrechts verweisen, die dem Leser des Strafgesetzbuchs nicht ohne weiteres zugänglich sind. Ein Musterbeispiel für eine schwer verständliche Vorschrift ist § 330, der in sich Qualifkationen und neue Grundtatbestände vereinigt und zugleich auf eine Fülle von Voraussetzungen außerhalb [25] des Strafrechts verweist. 42 Die Erwartung des Gesetzgebers, daß sich das Umweltstrafrecht, wenn es im Strafgesetzbuch selbst seinen Platz erhielte, dem Bewußtsein der Allgemeinheit besser einprägen und eine stärkere generalpräventive Wirkung entfalten würde, wird deswegen wahrscheinlich enttäuscht werden.
40 Laufhütte / Möhrenschlager, Umweltstrafrecht in neuer Gestalt, ZStW 92 (1980) 912; Leibinger, Der strafrechtliche Schutz der Umwelt, Beiheft zur ZStW 1978,69; Herrmann, Die Rolle des Strafrechts beim Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 91 (1979) 281; Tri//terer, Gleiches Thema, ebenda, S. 309; Tiedemann, Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980.
41 Umweltprogramm der deutschen Bundesregierung 1971; Aktionsprogramm der Europäischen Gememschaften vom 19. 7. 1973, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 20. 12.1973, C 112, S. 3; Resolution des Europarats (77) 28; Entschließungen des XII. Internationalen Strafrechtskongresses, Sektion II, Hamburg 1979, ZStW 92 (1980) 1069. 42 Nach Sack, Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, NJW 1980, 1428 "ein monströser Tatbestand".
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C. Das Betäubungsmittelgesetz
1. Das Betäubungsmittelrecht ist zutreffend nicht im Strafgesetzbuch geregelt, weil hier die verwaltungsrechtlichen Vorschriften stark im Vordergrund stehen und die strafrechtlichen Tatbestände sich auf diese beziehen, so daß sie ohne diesen Zusammenhang selbständig gar nicht dargestellt werden könnten. Die Neuordnung dieses Rechtsgebiets wurde erforderlich, weil die frühere Regelung durch die Entwicklung der internationalen Übereinkommen teilweise überholt war: Man wollte ferner ein neues kriminal politisches Konzept zur wirksameren Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität verwirklichen, das darin besteht, Großtäter und aus Gewinnsucht tätige Händler mit hohen Freiheitsstrafen zu bedrohen, dem drogenabhängigen Täter jedoch nach der Devise »Therapie statt Strafe" den Weg der Behandlung und damit der Befreiung von seiner Sucht unter dem Druck des Strafrechts zu ermöglichen. Dagegen wurde die Unterscheidung von »harten" und »weichen" Drogen und die vielfach geforderte Entkriminalisierung des Vertriebs und Verbrauchs der letzteren nicht übernommen. Auch den unbestimmten Begriff der »geringen Menge" zur Kennzeichnung des Kleinverbrauchs hat man beibehalten und die mengenmäßige Festlegung einer tolerierten Grenze für die verschiedenen Betäubungsmittel nicht eingeführt.
2. Das Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. 7. 1981 (BGBl. I
681)43 enthält die Bestimmungen über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im 6. Ab-
schnitt. Bemerkenswert ist in § 29 Abs. 1 die Erweiterung der strafbaren Handlungen auf das unerlaubte Anbauen von Betäubungsmitteln, das Bereitstellen von Geldmitteln für andere zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und zu deren unerlaubtem Herstellen sowie das Mitteilen, Verschaffen und Gewähren einer Gelegenheit und das Verleiten zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln. § 29 Abs. 3 enthält eine verschärfte Strafdrohung mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr für besonders schwere Fälle, wozu als Beispiele die Gewerbsmäßigkeit und die Abgabe an Personen unter 18 Jahren zählen. Bei einer »geringen Menge" zum Eigenverbrauch ermöglicht § 29 Abs. 5 das Absehen von Strafe. [26] Die Schwerkriminalität wie das Handeln als Mitglied einer Bande oder das gewerbsmäßige Abgeben von Betäubungsmitteln an Jugendliche wird in § 30 als Verbrechen mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bedroht. § 31 enthält eine Art Kronzeugenregelung: das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder von einer Bestrafung ganz absehen, wenn der Täter beim Aufdecken von Drogenfällen mitwirkt. Der Polizei soll dadurch das konspirative Vorgehen gegen Rauschgiftringe erleichtert werden. Im 1. Abschnitt des Betäubungsmittelgesetzes finden sich die neuen Bestimmungen für drogenabhängige Täter, denen mit Hilfe des Strafrechts die Befreiung von ihrer Sucht, die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und die Rehabilitation ermöglicht werden soll. Das neue Recht sucht den Drogenabhängigen zur Therapiebereitschaft zu bewegen, indem es die Zurückstellung der Strafvollstreckung vorsieht, wenn der Verurteilte sich freiwillig in Behandlung begibt, gleichzeitig aber die Verbüßung der Strafe androht, falls die Bereitschaft nicht realisiert oder die begonnene Behandlung abgebrochen wird (§ 35). Wird die Therapie erfolgreich zu Ende geführt, sieht das Gesetz vor, daß die Zeit der Be43
Körner, Betäubungsmittelgesetz, 1982.
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handlung in bestimmter Weise auf die Strafe angerechnet und der Rest zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 36). Das Hauptproblem bei den neuen Bemühungen des Gesetzgebers, die Therapie bei Betäubungsmittelabhängigen stärker zur Wirkung zu bringen, liegt freilich darin, daß es an geeigneten therapeutischen Einrichtungen noch weithin fehlt. Ausblick "Ius criminale semper est reformandum", hat Hans Schultz in seinem schönen Vortrag "Abschied vom Strafrecht?"44 gesagt. Die Intensität und Richtung der weiteren Strafrechtsreform wird davon abhängen, welche Bundesregierung nach dem 6. März im Amt sein wird, da die Parteien sehr verschiedene Pläne haben. 45 Auf dem Gebiet des Allgemeinen Teils muß die Entscheidung über die Zukunft der sozialtherapeutischen Anstalt bald fallen, da die Vorbereitungen in der einen oder anderen Richtung nicht länger aufgeschoben werden können (vgl. oben A 111). In Betracht kommt ferner eine Erweiterung der Strafaussetzung zur Bewährung in dem Sinne, daß die einschränkenden Voraussetzungen von StGB § 56 Abs. 2 bei Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren wegfallen. 46 Hinzuweisen ist weiter auf [27] das von der letzten Bundesregierung bereits eingebrachte Strafvollzugsfortentwicklungsgesetz (BT-Drucksache 8/3335), das den Strafgefangenen ein höheres Arbeitsentgelt verschaffen und sie in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung einbeziehen will, und auf den Entwurf des Jugendstrafvollzugsgesetzes, das die erreichten wesentlichen Verbesserungen im Jugendstrafvollzug festschreibt und weitere Schritte in der Richtung auf die Fortbildung junger Gefangener und auf die Festigung ihrer Persönlichkeit einleitet. Im Besonderen Teil ist vor allem mit einer Reform der Tötungsdelikte zu rechnen. 47 Der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, den Mordtatbestand im Hinblick auf die erforderliche" Verhältnismäßigkeit zwischen Straftatbestand und absoluter Strafdrohung" einengend auszulegen (BVerfGE 45, 187,267), hat zu Unsicherheiten beim Merkmal der "Heimtücke" geführt (vgl. z. B. BGHSt 27,322).48 Die Rechtsprechung ist unbefriedigend und uneinheitlich. 49 Die absolute und zwingend angedrohte lebenslange Freiheitsstrafe hat der Große Senat des Bundesgerichtshofs in einem Heimtücke-Fall mit Rücksicht auf das Vorliegen "außergewöhnlicher Umstände" durch analoge Anwendung der Milderungsvorschrift des Schultz, Abschied vom Strafrecht? ZStW 92 (1980) 635. Einen Überblick über die Gesamtsituation der Strafrechtsreform gibt Rogall, Stillstand oder Fortschritt in der Strafrechtsreform? ZRP 1982, 124. 46 Vogel, Sozialstaatliche Rechtspolitik als Stabilitätsfaktor, ZRP 1981,5. 47 Arzt, Die Delikte gegen das Leben, ZS~W 83 (1971) 1; Geilen, Zur Entwicklung u.nd Refor.m der Tötungsdelikte, JR 1980, 309; Gössel, Uberlegungen zur Reform der Tötungsdehkte, DRiZ 1980,281; Gribbohm, Zur Neuabgrenzung der Straftatbestände des Mordes, des Totschlags und der Kindestötung, ZRP 1980, 222; Woessner, Neuregelung der Tötungstatbestände, NJW 1980, 1136; Eser, Gutachten D für den 53. Deutschen Juristentag, Bd. I, 1980, S. D 3 H. sowie die Referate von Fuhrmann und Lackner Bd. II, 1980, S. M 7 H. bzw. S. M 25 H. zum Thema "Empfiehlt es sich, die Straftatbestände des Mordes, des Totschlags und der Kindestötung (§§ 211 - 213, 217 StGB) neu abzugrenzen ?". 48 Zu den Mordmerkmalen mit ungenügender Randschärfe ] escheck, in: ] escheck / Tri!!terer (Hrsg.), Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig? 1978, S. 129 H. 49 Übersichten bei Dreher/Tröndle, § 211, Rdn. 6 und Eser, Die Tötungsdelikte in der Rechtsprechung zwischen BVerfGE 45,187 und BGH-GSSt 1/81, NStZ 1981, 383 H. 44
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StGB § 49 Abs. 1 Nr. 1 durchbrochen (BGHSt 30,105).50 Damit stellt sich die Frage der Einführung einer gesetzlichen Strafmilderung für minderschwere Fälle des Mordes (§ 211). Auch eine Reform der Körperverletzungsdelikte steht seit langem an.51 Im Zusammenhang der Neuordnung dieser beiden Rechtsgebiete stellt sich die Frage einer gesetzlichen Regelung der Transplantation der Organe von Lebenden und Toten. 52 Besondere Bedeutung kommt [28J bei der Organtransplantation von Toten der Festlegung des Todeszeitpunkts ZU. 53 Bei einer Neuregelung der Körperverletzungstatbestände, insbesondere der Einwilligungsvorschrift des StGB § 226 a, müßte auch die Problematik des Humanexperiments einbezogen werden. 54 Die jüngste gesetzgeberische Initiative auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts gilt der Weiterentwicklung des Wirtschaftsstrafrechts. Die Bundesregierung hat am 2. 6. 1982 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität beschlossen. 55 Der Entwurf enthält die neuen Straftatbestände des nComputerbetrugs" (weil gegenüber der Maschine das Betrugsmerkmal der Irrtumserregung nach StGB § 263 nicht in Betracht kommt) und der Fälschung gespeicherter Daten (die nach geltendem Recht keine Urkunden sind). Weiter wird der Kapitalanlagebetrug (Veranlassung zu Geldanlagen durch täuschende Angaben) schon im Vorfeld des Betrugs erfaßt. Neu ist ferner der Sondertatbestand der Veruntreuung von Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber. Außerdem sollen die Möglichkeiten, Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen festzusetzen (OWiG § 30), erweitert werden.
Zu Recht ablehnende Kritik mit weiteren Nachweisen bei Dreher I Tröndle, § 211, Rdn. 17. Hirsch, Hauptprobleme einer Reform der Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit, ZStW 83 (1971) 140; Lampe, Gefährliche Körperverletzung und körperliche Gefährdung, ZStW 83 (1971) 177. 52 Der Regierungsentwurf eines Transplantationsgesetzes vom 13.9. 1978 (BT-Drucksache 8/ 2681) ist bereits im Bundestag beraten worden. Vgl. dazu Sturm, Zum Regierungsentwurf eines Transplantationsgesetzes, JZ 1979, 697; Behl, Oq~antransplantation, DRiZ 1980,342; Vogel, Zustimmung oder Widerspruch. Bemerkungen zu eIDer Kernfrage der Organtransplantation, NJW 1980,625. 53 Geilen, Medizinischer Fortschritt und juristischer Todesbegriff, Festschrift für E. Heinitz, 1972, S. 373. 54 Eser, Das Humanexperiment, Gedächtnisschrift für H. Schröder, 1978, 191 . 55 DRiZ 1982, 353 f. 50
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STRAFRECHTSVERGLEICHUNG
ENTWICKLUNG UND STAND DER LEHRE VON DER STRAFRECHTLICHEN FAHRLÄSSIGKEIT IN DEUTSCHLAND IM VERGLEICH MIT DER POLNISCHEN LEHRE*+ Auf dem Gebiet der Kriminalpolitik ist die Rechtsvergleichung althergebracht und stellt dort ein anerkanntes Hilfsmittel des Gesetzgebers dar. I Zu denken braucht man nur an die fast gleichzeitige Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1970 (§ 38 deutsches StGB) und in Polen im Jahre 1969 (Art. 30 § 1 Nr. 1 polnisches StGB), an die Beschränkung der kurzfristigen Freiheitsstrafe durch das Minimum von einem Monat in Deutschland (§ 38 Abs. 2 deutsches StGB) und von drei Monaten in Polen (Art. 32 § 1 polnisches StGB) oder an die Einführung des Fahrverbots als Nebenstrafe in beiden Ländern (§ 44 deutsches StGB, Art. 38 Nr. 4 polnisches StGB). Seltener und schwieriger ist dagegen die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet der Erforschung der Grundlagen des Strafrechts, z. B. bei der vergleichenden Untersuchung des materiellen Verbrechensbegriffs oder des Schuldprinzips in verschiedenen Rechtsordnungen. Die Strafrechtsvergleichung wird dabei zum Mittel der Erkenntnis der Grundlagen des Strafrechts und der großen Strafrechtstheorien im internationalen Kulturzusammenhang. 2 So kann man etwa die Gesellschaftsgefährlichkeit als Grundbegriff der sozialistischen Rechte mit der materiellen Rechtswidrigkeit im westlichen Strafrecht vergleichen. Die Gesellschaftsgefährlichkeit ist im sozialistischen [100] Strafrecht ein Schutzwall des Bürgers gegenüber dem Zugriff der staatlichen Strafgewalt: er ist nur dann strafbar, wenn seine Tat nicht allein unter den Wortlaut eines Strafgesetzes fällt, sondern wenn sie außerdem die Interessen und Bedürfnisse der Gesellschaft auf einer bestimmten Entwicklungsstufe beeinträchtigt. Eine ähnliche Funktion hat die materielle Rechtswidrigkeit im westlichen Strafrecht bei der Auslegung der Straftatbestände, bei der Anerkennung von Rechtfertigungsgrunden oder bei der Behandlung von Bagatelldelikten. Das Beispiel zeigt zugleich, daß Strafrechtsvergleichung als Grundlagenforschung dazu beitragen kann, die Überschätzung der Ideologie für die unterschiedliche Gestaltung von Rechtseinrichtungen abzubauen und dadurch die Menschen verschiedener poli-
* Aus: Archivum Iuridicum Cracoviense, Vol. XIII, 1980, 99 - 116. + Ein Vortrag, den der Verfasser auf Einladung der Krakauer Sektion der Polnischen Akademie der Wissenschaften und der Juristischen Fakultät der Jagellonischen Universität am 14. 3. 1978 in Krakau, auf Einladung der Juristischen Fakultät der Universität Lublin am 17. 3. 1978 in Lublin und auf Einladung der Polnischen Landesgruppe der Association Internationale de Droit Penal am 18. 3. 1978 in Warschau gehalten hat. I Vgl. z. B. jacque/ine Bernat de Ce/is, La politique criminelle a la recherche d'elle-meme, Archives de politique criminelle, No. 2,1977, S. 36 H. 2 Vgl. Ewa Weigend, Entwicklung und gegenwärtiser Stand der Strafrechtsdogmatik in Polen, ZStW 90 (1978), Heft 2, S. 481 H., 502. Welche SchWierigkeiten die internationale Verständigung in den grundlegenden Fragen der Strafrechtsdogmatik macht, zeigt die enttäuschende Resolution des Internationalen Strafrechtskongresses in Lissabon 1961 zum Thema der Fahrlässigkeit, Revue internationale de droit pena133 (1962), S. 362 f. 8 Jescheck
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Strafrechtsvergleichung
tischer Systeme einander näherzubringen. Die Ideologie ist nur ein Faktor bei der Gestaltung des Strafrechts. Das Verlangen der Menschen nach Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit ist ein anderer und viel stärkerer Faktor, der überall dort gebieterisch in den Vordergrund tritt, wo die Rechtspflege ihren Namen verdient und nicht bloß in der Ausübung von Macht besteht. Die Strafrechtsvergleichung als Grundlagenforschung erlaubt es ferner, die Entstehungsgeschichte wichtiger Lehrmeinungen des Allgemeinen Teils des Strafrechts in verschiedenen Rechtssystemen miteinander zu vergleichen. Man kann auf diese Weise erkennen, daß die Gelehrten diesseits und jenseits der Grenze, wenn sie auf der gleichen Entwicklungsstufe stehen, oft näher miteinander verwandt sind als die Autoren auf verschiedenen Entwicklungsstufen innerhalb desselben Rechtssystems. Auch diese Beobachtung trägt dazu bei, die Vertreter der Strafr.echtswissenschaft verschiedener Länder miteinander zu verbinden und allmählich eine internationale Strafrechtswissenschaft zur Entstehung zu bringen. Ich möchte meinen Vortrag in dem Sinne verstanden wissen, daß gezeigt werden soll, welches jeweils die Funktion der maßgeblichen Lehrmeinungen im Laufe der Dogmengeschichte gewesen ist und welche Gelehrte sich, ungeachtet ihrer nationalen Identität, auf den verschiedenen Entwicklungsstufen einander zuordnen lassen. Die Entwicklung der Lehre von der strafrechtlichen Fahrlässigkeit in Deutschland werde ich in drei Stufen darstellen: zuerst behandele ich die überlieferte Auffassung der Fahrlässigkeit als Schuldart bzw. Schuldform auf der Stufe des psychologischen und auf der des normativen Schuldbegriffs; danach folgt als dritte Stufe die heute herrschende Auffassung der Fahrlässigkeitstat als besonderer Typus der strafbaren Handlung, für den ein doppelter Maßstab Anwendung findet. In dieser Dreiteilung liegt natürlich eine starke Vereinfachung des Stoffes, da dabei zahlreiche Übergänge, Zwischenstufen und Nebenwege außer acht gelassen werden. Doch spricht das Gebot der Klarheit dafür, sich auf den Hauptweg und dessen wichtigste Stationen zu beschränken. Zu diesen Entwicklungsstufen möchte ich die polnische Lehre in Beziehung setzen. [101] Dabei scheint stillschweigend die Voraussetzung gemacht zu werden, daß die deutsche Lehre in diesem Bereich der polnischen als Vorbild gedient habe, so daß es gerechtfertigt erschiene, den Zusammenhang in der Weise herzustellen, daß zuerst die deutsche Lehre dargestellt und dazu die polnische in Beziehung gesetzt würde. Ob dieses Prioritätsverhältnis wirklich besteht, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich für die polnische Theorie auf sekundäre Quellen wie deutsche und französische Übersetzungen des Gesetzestextes, auf Aufsätze polnischer Gelehrter in französischer Sprache, auf Seminarreferate und Inhaltsangaben durch polnische Mitarbeiter und Institutsgäste angewiesen bin. 3 Die Einteilung des Stoffs ergab sich für mich zwingend daraus, daß ich nur die deutsche Entwicklung voll überblicke, während ich von der polnischen nur lückenhafte Kenntnisse besitze, weswegen ich genötigt bin, beim Vergleich vom Bekannten auszugehen und das weniger Bekannte vorsichtig anzuschließen.
3 Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Frau Dr. Ewa Weigend, Referentin für polnisches Recht am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, und Herrn Professor Dr. Marian Cieilak, Universität Danzig, zur Zeit Gastprofessor der Max-PlanckGesellschaft am Institut.
Die Lehre von der Fahrlässigkeit im Vergleich mit der polnischen Lehre
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I. Die Fahrlässigkeit nach dem psychologischen Schuldbegriff 1. Der psychologische Schuldbegriff, der in der deutschen Strafrechtslehre um die Jahrhundertwende und auch noch nachher herrschte, war Ausdruck des philosophischen Positivismus, wie er um diese Zeit unter dem Einfluß von Auguste Comte und Herbert Spencer in den Geisteswissenschaften Fuß gefaßt hatte. 4 Das Wesen des philosophischen Positivismus lag in der prinzipiellen Beschränkung aller wissenschaftlich fundierten Erkenntnis auf empirisch feststellbare "positive" Gegebenheiten, da man annahm, daß allgemein gültige Urteile nur auf dem Boden beweisbarer Tatsachen erwartet werden könnten. Der psychologische Schuldbegriff ist darum nichts anderes als der Versuch, die strafrechtliche Schuldlehre an empirisch feststellbare, psychologische Tatsachen, eben an das "Positive" in der Seele des Täters zu binden. Der Niedergang des Dogmas von der Willensfreiheit, die der Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs und noch den Hegelianern (Abegg, Köstlin) als Grundlage des Schuldbegriffs gedient hatte, nötigte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Neuorientierung, die angesichts des Aufschwungs der Naturwissenschaften nur in der Übernahme naturwissenschaftlicher Methoden und Grundbegriffe bestehen konnte. Die Bindung des Schuldbegriffs an beweismäßig feststellbare Tatsachen hat aber auch [102] eine geistesgeschichtliche Bedeutung. Sie ist nämlich Ausdruck der liberal-rechts staatlichen Grundhaltung der Strafrechtswissenschaft jener Zeit, die bestrebt war, den Eingriff der Strafgewalt nicht nur in ihren objektiven Voraussetzungen, sondern auch im subjektiven Bereich auf genau abgegrenzte, in der Wirklichkeit vorhandene Tatbestände zu gründen und zu beschränken. Hinzu trat das ebenfalls aus der Naturwissenschaft entlehnte Bestreben, den gesamten Rechtsstoff in ein kIassifikatorisches System streng logischer Über- und Unterordnung zu bringen. Die psychologische Schuldlehre wollte die Schuld deswegen irgendwie mit dem Willen des Täters identifizieren. Ihr Ausgangspunkt lag demgemäß beim Vorsatz, denn hier ist es ohne weiteres einleuchtend, daß ein Willenszusammenhang zwischen der Handlung des Täters und dem eingetretenen Erfolg besteht. Die Schuld läßt sich beim Vorsatz ohne weiteres "psychologisch" verstehen. Sie besteht in der Ausrichtung des Wissens und Wollens auf die Merkmale des objektiven Straftatbestandes. 2. Das Problem für den psychologischen Schuldbegriff lag nicht beim Vorsatz, sondern in der Einordnung der Fahrlässigkeit, die man nach der Tradition der Naturrechtslehre bei der subjektiven Zurechnung des Erfolges dem Vorsatz an die Seite stellen wollte. Dieses Problem war deswegen unlösbar, weil es bei der Fahrlässigkeit an einer Willensrichtung auf den Erfolg gerade fehlt und weil auch die Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolgseintritts nur bei der bewußten Fahrlässigkeit vorhanden ist. Die charakteristischen Versuche der Einordnung der Fahrlässigkeit in den psychologischen Schuldbegriff sind darum sämtlich Verlegenheitslösungen und heute in Deutschland überwunden. Ich möchte als Beispiele vier solcher Versuche kurz schildern. Maximilian v. Buri, ein führendes Mitglied des Reichtsgerichts zUr Zeit seiner Gründung vor 100 Jahren, sah die aktuelle Willensbeziehung bei der Fahrlässigkeit in der bewußten Unterlassung der erfor4 Vgl. Achenbach, Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, 1974, S. 22 ff.; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 1978,
S. 162,339. 8'
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derlichen Prüfung durch den Täter, ob seine Handlung den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeiführen könnte. 5 Das Wesen dieses Erklärungsversuchs liegt in dem Bemühen, die Fahrlässigkeit in einen Akt vorsätzlicher Nichterfüllung von Prüfungspflichten umzudeuten. Franz v. Liszt hat die normative Komponente der Fahrlässigkeit, die im Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt und in der Voraussehbarkeit des Erfolges besteht, zwar seinerseits durchaus erkannt, er hat aber, wohl hauptsächlich aus Gründen der Erhaltung der strafrechtlichen Systematik, trotzdem an der Einheit des psychologischen Schuld begriffs festgehalten und erblickte die Schuld demgemäß "in der Beziehung des Vorstellungslebens des Täters auf den eingetretenen Erfolg" ,6 wobei aber übersehen wurde, daß ein [103] solches" Vorstellungsleben" bei der Fahrlässigkeit durchaus fehlen kann. Vorsatz und Fahrlässigkeit definiert v. Liszt als "Schuldarten",7 ohne freilich den konträren Artunterschied der beiden Begriffe zu berücksichtigen. Gustav Radbruch, der zu Recht von der qualitativen Andersartigkeit der Fahrlässigkeit ausging, versuchte die Einheit des psychologischen Schuldbegriffs dadurch zu retten, daß er die normative Komponente der unbewußten Fahrlässigkeit ganz abstreifte und nur die "Nicht-Voraussicht des voraussehbaren Erfolges" in den Begriff aufnahm. 8 Aber dabei wurde verkannt, daß die Nicht-Voraussicht nur im Hinblick auf die Anforderungen der Rechtsordnung an Vorsicht und Aufmerksamkeit, also nach einem normativen Beziehungsurteil, Bedeutung gewinnt. Eduard Kohlrausch ging noch einen Schritt weiter, indem er nämlich die bewußte Fahrlässigkeit in einen Gefährdungsvorsatz umdeutete und die unbewußte Fahrlässigkeit ganz aus dem Schuldbegriff ausschied.9 Diese Auffassung hat öfters Nachfolge gefunden,lo sie bleibt aber gleichwohl unbefriedigend, da das Gebot der Aufmerksamkeit im technischen Zeitalter die gleiche Berechtigung hat wie die Pflicht, seinen bewußten Willen mit den Anforderungen der Gemeinschaft in Einklang zu halten. 11 3. Das polnische Strafrecht enthält zwar im Gegensatz zum deutschen eine Definition der Fahrlässigkeit, doch läßt diese eine Option für eine bestimmte Lehrmeinung nicht erkennen. Dies gilt sowohl für Art. 14 § 2 des StGB von 1932 als auch für Art. 7 § 2 des StGB von 1969. Im Unterschied dazu regelt das fast gleichzeitige StGB der DDR von 1968 in § 8 Abs. 2 die unbewußte Fahrlässigkeit in einer Weise, die deutlich an den normativen Schuldbegriff anknüpft: hier richtet sich der Vorwurf nämlich gegen die fehlerhafte Willensbildung, und der Fehler wird in der verantwortungslosen Gleichgültigkeit v. Buri, Über die Kausalität und deren Verantwortung, 1873, S. 29. v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 3. Aufl. 1888, S. 163. 7 v. Liszt (Anm. 6), S. 160. 8 Radbruch, Über den SchuldbegriH, ZStW 24 (1904), S. 348. 9 Kohlrausch, Die Schuld, in: Aschrott / v. Liszt, Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, Bd. I, 1910, S. 196,208 f. 10 Vgl. z. B. Germann, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, 1942, S. 94; Jerome Hall, General Principles of Criminal Law, 2. Aufl. 1960, S. 372; Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 156; Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, 1955, S. 180; Glanville Williams, Criminal Law, The General Part, 2. Aufl. 1961, S. 122 f. Zweifelnd Bockelmann, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1975, S. 159 f. 11 Vgl. Jescheck (Anm. 4), S. 459 f. mit weiteren Nachweisen. Im gleichen Sinne Andrejew, Les deIits d'imprudence, Rapports generaux au IX. Congres international de droit compare, Teheran 1974, Bruxelles 1977, S. 779 f.; Plawski, Les problemes poses dans le droit penal moderne par le developpement des infractions non-intentionelles, Revue internationale de droit penal 32 (1961), S. 1191; Wolter, ebenda zum gleichen Thema S. 1263; Lekschas / Loose / Renneberg, Verantwortung und Schuld im neuen Strafgesetzbuch, 1964, S. 117, 126 H. 5 6
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gegenüber [104] Sorgfaltspflichten oder in der disziplinlosen Einstellung dazu gesehen.12 Der Schöpfer des polnischen StGB von 1932 Juliusz Makarewicz 13 war dagegen ebenso wie der Begründer der polnischen Fahrlässigkeitslehre Edmund Krzymuski 14 ein Anhänger der psychologischen Schuldauffassung, die noch heute in Stanislaw Sliwinski l5 und Stanislaw Plawski l6 ihre Vertreter in Polen besitzt. Nach Sliwinski ist die Schuld der "psychische Knoten", der den Täter mit der Tat verbindetY Mit dieser Definition kommt Sliwinski aber ebenso in Schwierigkeiten wie die ältere deutsche Lehre, sobald der Täter unbewußt fahrlässig handelt. Denn hier besteht gerade kein "psychischer Knoten" zwischen der Vorstellung des Handelnden und dem rechtswidrigen Erfolg. Wille und Vorstellung sind auf etwas ganz anderes gerichtet als auf die Möglichkeit des Eintritts des tatbestands mäßigen Erfolges. Über die subjektive Haltung des Täters läßt sich in diesen Fällen nur negativ sagen, daß er nicht an den Erfolgseintritt gedacht hat, und dieses ist auch die Kritik, die Wladyslaw Wolter dem psychologischen Schuldbegriff stets entgegengesetzt hat.1B Sliwinski hat allerdings versucht, im Rahmen der psychologischen Schuldlehre auch der unbewußten Fahrlässigkeit eine eigene empirisch faßbare Grundlage zu sichern. Ähnlich wie § 8 Abs. 1 des StGB der DDR geht er davon aus, daß die Schuld des unbewußt fahrlässigen Täters darin besteht, daß dieser bewußt gegen die im sozialen Leben üblichen und gebotenen Sorgfaltspflichten verstoßen habe. 19 Doch damit sind eben diejenigen Fälle nicht erfaßt, in denen es an einer bewußten Pflichtverletzung fehlt und bei denen das StGB der DDR in § 8 Abs. 2 die Schuld konsequent auf Gleichgültigkeit und Disziplinlosigkeit gründet. Im Ergebnis wird man sagen können, daß auch in Polen die psychologische Auffassung der Fahrlässigkeit heute in den Hintergrund getreten ist. [105]
11. Die Fahrlässigkeit nach dem normativen Schuldbegriff 1. Der Einfluß des philosophischen Positivismus, der im Strafrecht zur Ausbildung des psychologischen Schuldbegriffs geführt hatte, trat in Deutschland seit der Jahrhundertwende allmählich zurück. Statt dessen setzte sich die Philosophie des Neukantianismus durch, die an Kants Erkenntnistheorie und Ethik anknüpfte. Der Neukantianismus 12
Vgl. dazu Strafrecht, Allgemeiner Teil, Gesamtbearbeitung von Lekschasl Renneberg, 1976,
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Vgl. Makarewicz, Kodeks karny z Komentarzem (Strafgesetzbuch mit Kommentar) 1938,
S. 286 ff., 313 H.
S. 32 H., 80 H.
14 Krzymuski, Wyklad prawa karnego ze szczeg6lnym uwzgld~nieniem ustaw austryjackich (Vorlesungen über Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Gesetze) 1885, Bd. 1, S. 323 H. 15 Sliwinski, Polskie prawo karne materialne. Cz~sc Og6lna (Das polnische materielle Strafrecht. Allgemeiner Teil), 1946, S. 210. 16 Plawski, Zagadnienie winy (Die Schuldproblematik), Panstwo i Prawo 1950, Nr. 5, S. 71 H.; ders., Przest~pstwa przeciwko zyciu (Straftaten gegen das Leben) 1963, S. 230 f.; ders. (Anm. 11), S. 1188 f. 17 Sliwinski (Anm. 15), S. 271 - 280; vgl. ferner Sliwowski, Prawo Karne (Strafrecht) 1975, S. 191. t8 Wolter, Zarys systemu Prawa karnego (Grundriß des Strafrechtssystems), 1933, Bd. 1,
S. 115f.; ders. (Anm. 11), S. 1262f. 19 Sliwinski (Anm. 15), S. 274 H., 279.
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begann durch philosophisch geschulte Juristen wie Rudolf Stammler, Max Grünhut, James Goldschmidt, Alexander Graf zu Dohna, Gustav Radbruch, Max Ernst Mayer auf die Strafrechtswissenschaft einzuwirken.20 Der Neukantianismus betonte die prinzipielle Eigenständigkeit der geisteswissenschaftlichen Methode des Verstehens und Bewertens von menschlichen Verhältnissen gegenüber der naturwissenschaftlichen Methode des Beobachtens und Beschreibens von empirisch feststellbaren Tatsachen. Gewiß sind auch die Geisteswissenschaften von den Erscheinungen der realen Welt nicht unabhängig, aber sie stehen zu ihnen in einem anderen Verhältnis als die Naturwissenschaften. Ihre Aufgabe ist es, aus der Fülle der Erscheinungen die für den Sinn des Daseins in der Gemeinschaft wesentlichen Daten herauszuheben und sie zu den Werten in Beziehung zu setzen, in denen dieser Sinn gesehen wird. Die Strafrechtslehre gewann aus dieser neuen GrundeinsteIlung den Anstoß, das Wesen des Strafrechts in seiner Ausrichtung auf Zwecke und Werte zu erblicken, etwa in dem Schutz des freiheitlichen Zusammenlebens der Menschen als Aufgabe oder in der Anerkennung des Schuldprinzips als Grenze der Strafgewalt. Die Befreiung von der naturalistischen Methode des Positivismus öffnete den Weg für eine neue Methode, die vom Zweck her bestimmt war und nach dem griechischen Wort TELOS "teleologische Methode" genannt wird. Sie fand im Zivilrecht in der Interessenjurisprudenz der Tübinger Schule, im Strafrecht, bei dem keine Parteiinteressen zu berücksichtigen sind, in der Ausrichtung auf die Zwecke und Werte des Rechtsstaats Ausdruck. Als Grundwerte, denen das Strafrecht zu dienen hat, wurden etwa der Schutz der Lebensinteressen der im Staat organisierten Gesellschaft und die Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Handeln in der Gesellschaft angesehen. Auf dem Boden dieser Grundauffassung läßt sich der normative Schuldbegriff folgendermaßen beschreiben:21 Der geistig-seelische Status des Menschen, dem eine Straftat zur Last gelegt werden soll, besteht aus verschiedenen Elementen, die alle zusammen erst den Gegenstand des Schuldurteils bilden. Das negative Werturteil über diesen gesamten Sachverhalt wird "Vorwerfbarkeit" genannt. Nunmehr waren die Fragen, die der psychologische Schuldbegriff [106] offengelassen hatte, leicht im Zusammenhang zu lösen. Bei Zurechnungsunfähigkeit entfällt das Schuld urteil, auch wenn der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, weil der geistig-seelische Status des Geisteskranken eine negative Bewertung nicht zuläßt. Trotz Zurechnungsfähigkeit und Vorsatz ist beim Notstand kein Schuldvorwurf zu erheben, weil die Rechtsordnung bei Lebensgefahr die Selbstaufopferung nicht fordern, jedenfalls nicht bei Strafe gebieten kann. Bei der Fahrlässigkeit richtet sich der Schuldvorwurf nicht gegen das Negativum der "mangelnden Erfolgsvorstellung" , sondern gegen die Gleichgültigkeit des Täters gegenüber den Sorgfaltsanforderungen der Rechts- und Sozialordnung. Die Funktion des materiellen Schuldbegriffs besteht darin, diejenigen Faktoren, die für die Verantwortlichkeit des Täters gegenüber der Gemeinschaft in einem Rechtsstaat von Bedeutung sind, zusammenzufassen und sie einem Werturteil zu unterwerfen, das die berechtigten Anforderungen der Gemeinschaft an die Willensbildung des Täters zum Ausdruck bringt. 2. Die begriffliche Erfassung der Fahrlässigkeit nach dem normativen Schuldbegriff bestimmte die Lehre der bekanntesten Autoren jener Zeit. 20 21
Vgl. Achenbach (Anm. 4), S. 75 ff., 133 ff.;Jescheck (Anm. 4), S. 164. Vgl.Jescheck (Anm. 4), S. 339 f.
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Ich möchte als Beispiele die Fahrlässigkeitstheorie von vier Gelehrten anführen. Reinhard Frank, der Begründer des normativen Schuldbegriffs,22 sah die Schuld in der Vorwerfbarkeit des verbotenen Verhaltens. Was die Fahrlässigkeit anlangt, so könne eine Handlung - so sagte er - auch dann vorwerfbar sein, wenn dem Täter kein Vorsatz zur Last falle. Fahrlässigkeit bedeute nämlich die» Vernachlässigung der vom Täter billigerweise zu erwartenden Vorsicht" im Hinblick auf die Vermeidung eines voraussehbaren Erfolges.23 Die Antwort auf die Frage, wie der Mangel an gebotener Vorsicht konkret bestimmt werden soll, damit der strafrechtliche Schuldvorwurf im Einzelfall gerechtfertigt ist, finden wir bei Frank noch nicht. Auch August Hegler beschrieb die Fahrlässigkeit noch als ein reines Negativum, als das »Fehlen einer gedachten negativen Beziehung" des Täters zur Tat, gründete aber diesen Mangel bereits auf ein materielles Element im geistig-seelischen Status, das er »Gesellschaftsgleichgültigkeit" nannte.24 Der Umschwung zur modernen Lehre bereitet sich bei Robert 'V. Hippel vor. Die pflichtwidrige Unvorsichtigkeit, die das Wesen der Fahrlässigkeit ausmacht, bestimmt sich bei ihm schon nach dem »doppelten Maßstab" ,25 der später die entscheidende Rolle spielen sollte: Objektiv komme es darauf an, welches Maß an Sorgfalt nach Lage des Einzelfalles für ein verständiges Urteil geboten sei. Bestimmend dafür seien die Regeln des betreffenden Sachgebiets, [107] etwa die ärztlichen Kunstregeln, die Regeln der Baukunst und der Sicherheit auf Baustellen oder Regeln des Straßenverkehrs. Hinzu trete ein zweiter, subjektiver Maßstab. Es komme nämlich im Strafrecht - im Unterschied zum Zivilrecht - auch darauf an, ob der Täter nach seinen persönlichen Verhältnissen und Fähigkeiten diesen Anforderungen gerecht werden konnte, weil sonst die Strafe als sozial-ethischer Tadel ihren Sinn verliere. Auch bei Edmund Mezger findet sich die Lehre vom »doppelten Maßstab" für die Fahrlässigkeit.26 Die Sorgfaltspflicht bestimme sich objektiv nach den besonderen Umständen des Falles, subjektiv nach den individuellen Verhältnissen des Täters, so daß körperliche Fehler, mangelnde Kenntnisse und Erfahrungen oder verständliche Erregung den Vorwurf der Fahrlässigkeit ausschließen könnten. Beide Autoren betrachten jedoch die Fahrlässigkeit weiterhin als Bestandteil des Schuldsachverhalts.27 3. Die heute in Polen herrschende Lehre von der Fahrlässigkeit entspricht weitgehend der Auffassung, die wir bei v. Hippel und Mezger kennengelernt haben. Hier ist es vor allem Wolter gewesen, der die Lehre von der Fahrlässigkeit auf dem Boden des normativen Schuldbegriffs ausgearbeitet und in Polen heimisch gemacht hat. 28 Wolter sucht nicht wie die Vertreter der psychologischen Schuldlehre nach einer positiven Beziehung zwischen dem geistig-seelischen Status des Täters und dem eingetretenen Erfolg. Vielmehr baut er seine Lehre auf der Erkenntnis auf, daß eine solche Beziehung bei der unbewußten Fahrlässigkleit nicht besteht, während bei der bewußten Fahrlässigkeit zwar das Vorstellungs bild von dem Erfolg mehr oder weniger deutlich gegeben ist, aber der Wille zur Vgl. dazu Achenbach (Anm. 4), S. 97 H. Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Auf]. 1931, S. 194. 24 Hegler, Die Merkmale des Verbrechens, ZStW 36 (1915), S. 210, 22l. 25 v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Band 11, 1930, S. 361 H. 26 Mezger, Strafrecht, 2. Auf]. 1932, S. 359 H. 27 Vgl. v. Hippel (Anm. 25), S. 317; Mezger (Anm. 26), S. 30l. 28 Wolter, Prawo Karne. Cz~sc og61na (Strafrecht. Allgemeiner Teil), 1947, S. 270 ff.; ders., Les problemes poses dans le droit penal moderne par le developflement des infractions non-intentionnelles, Revue internationale de droit penal32 (1961), S. 1262 f. 22
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Verwirklichung des Tatbestandes fehlt. Schuldig dürfte der Tater also nur dann genannt werden, wenn ihm gerade die fehlende Beziehung zwischen seinem Willen und dem Erfolg zum Vorwurf gemacht werden könne. Grundsätzlich dürfe man es natürlich niemandem vorwerfen, daß er eine eingetretene Rechtsgutsverletzung nicht gewollt habe. Anders sei dies jedoch, wenn der Tater den Eintritt des Erfolges als mögliche Konsequenz seines Verhaltens vorausgesehen hatte, dieser Vorstellung aber in seinem Verhalten keinen Raum gegeben habe, oder wenn der Tater sich über die gefährlichen Folgen seines Handelns überhaupt keine Gedanken gemacht habe, obwohl die Umstände dies für ihn nahelegten. Diese Form der Divergenz von Wille und Erfolg würde von der Rechtsordnung negativ bewertet, und darin liege die Schuld bei der Fahrlässigkeit.29 [108] Insoweit stimmt die polnische Lehre mit der deutschen vollständig überein. Zweifelhaft war jedoch zeitweilig die Frage, ob die Anforderungen, die an die Sorgfalt des Taters und seine Fähigkeit zur Voraussicht gestellt werden müssen, nach einem objektiv-generellen oder einem subjektiv-individuellen Maßstab zu bestimmen sind. Nach Art. 14 § 2 des StGB von 1932 war Fahrlässigkeit dann anzunehmen, wenn der Tater den Erfolgseintritt hätte voraussehen können oder müssen. Daraus hat Waclaw Makowski den Schluß gezogen, daß bei denjenigen Tatern, die auf Grund ihrer beruflichen Stellung eine besondere Sorgfaltspflicht trifft, z. B. dem Arzt oder dem Leiter eines Gewerbebetriebes, ein objektiver Maßstab genügte, während es bei allen übrigen Personen lediglich auf die individuelle Fähigkeit zu Sorgfalt und Voraussicht ankomme. 3o Demgegenüber ist es wiederum Wolter gewesen, der dargelegt hat, daß beide Maßstäbe nebeneinander angewendet werden müßten, da die Verletzung der objektiv gegebenen Pflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, dem Tater nur vorgeworfen werden dürfe, wenn er die Pflicht nach seinen persönlichen Fähigkeiten hätte erfüllen können. 31 Diese Lehre Wolters hat sich in Polen durchgesetzt. 32 Nachdem zunächst das Oberste Gericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1953 33 den Wortlaut des alten Art. 14 § 2 entsprechend korrigiert hatte, stellte nunmehr Art. 7 § 2 des StGB von 1969 klar, daß beide Maßstäbe kumulativ angewendet werden müssen. Der Begriff der Fahrlässigkeit in Polen liegt damit auf der gleichen Linie wie die Lehre v. Hippels und Mezgers. Als zweiter Hauptvertreter der normativen Schuldlehre in Polen ist Stefan Glaser zu nennen. 34 Die Besonderheit seiner Theorie liegt darin, daß er den subjektiven Maßstab der Fahrlässigkeit mit dem Gedanken der Zumutbarkeit gleichsetzt. Nur wenn der Willensbildungsprozeß beim Tater ohne Störungen und unter normalen Bedingungen ablaufen konnte, sei ihm die Beobachtung der gebotenen Sorgfalt und Voraussicht zumutbar. Wenn die Situation, in der der Tater seine Willens bildung vollzog, aber anormal gewesen Walter (Anm. 18), S. 116 H.; Sliwinski (Anm. 15), S. 269 H. Makowski, Prawo Karne. Cz~sc ogolna (Strafrecht. Allgemeiner Teil) 1920, S. 179 f.; ders., Kodeks Karny. Komentarz (Strafgesetzbuch. Kommentar) 1932, S. 65. 31 Wolter (Anm. 18), S. 118 f. . 32 Wolter, Z rozwazan nad wint. n~eumysln~ (Überlegungen zur Fahrlässigkeitsschuld), Panstwo i Prawo 1962, Nr. 5 - 6, S. 795 f .; Swida, Les problemes poses dans le droit penal moderne par le developpement des infractions non-intentionnelles, Revue internationale de droit penal 32 (1961) S. 1250. 33 Vgl. Entscheidung des Obersten Gerichts vom 7.12.1953, II K 809/53, zitiert von Wolter in: Panstwo i Prawo 1962, Nr. 5 - 6 (Anm. 32), S. 802. 34 Glaser, Polskie prawo karne w zarysie (Das polnische Strafrecht im Umriß) 1933, S. 158 191. 29
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ist (etwa wegen Übermüdung oder schwerer Erregung), dann sei es ihm nicht zumutbar, das Für und Wider bezüglich seines Verhaltens mit der sonst gebotenen Sorgfalt abzuwägen. Die [109] Rechtsordnung könne in diesem Fall keinen Fahrlässigkeitsvorwurf erheben. Auch in der deutschen Lehre gab es diese Variante der Fahrlässigkeitstheorie,35 doch hat sich schließlich der Standpunkt durchgesetzt, daß die Frage der Zumutbarkeit auf außergewöhnliche Situationen zu beschränken ist,36 während z. B. Müdigkeit und Aufregung nach dem normalen subjektiven Maßstab zu berücksichtigen sind.
III. Die Fahrlässigkeit in der gegenwärtigen Strafrechtslehre
1. In ihrer jüngsten Entwicklung baut die deutsche Lehre von der Fahrlässigkeit zwar weiterhin auf dem normativen Schuldbegriff auf, sie hat dabei jedoch neue Wege eingeschlagen. a) Die deutsche Lehre ist in der Auffassung von.der Struktur der Fahrlässigkeit einen Schritt über den Stand hinausgegangen, der mit 'V. Hippel und Mezger erreicht worden war. Beide Autoren hatten für die Prüfung der Fahrlässigkeit bereits einen doppelten Maßstab zugrunde gelegt, aber die Fahrlässigkeit im ganzen noch als Einheit, und zwar als Schuldelement angesehen. Dies gilt auch noch für Eberhard Schmidt. 37 Die neueste Lehre hat dagegen die Fahrlässigkeit in zwei Faktoren gegliedert und diese auf die beiden Kategorien der Rechtswidrigkeit und Schuld verteilt: die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und die objektive Voraussehbarkeit des Erfolges sind Bestandteile des Unrechts, die Vorwerfbarkeit des Mangels an Sorgfalt und Voraussicht ist Bestandteil der Schuld. 38 Das Unrecht der fahrlässigen Straftat umfaßt somit die sorgfaltswidrige Handlung (Handlungsunrecht) mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg, der durch die Handlung verursacht und objektiv voraussehbar gewesen sein muß (Erfolgsunrecht). Die Schuld setzt sich zusammen aus der Zurechnungsfähigkeit, der Fähigkeit des Täters zu der gebotenen Sorgfalt und Voraussicht und aus der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei anormaler Beschaffenheit der äußeren Umstände. Die Trennung der Fahrlässigkeit in Rechtswidrigkeit und Schuld erscheint nicht nur theoretisch überzeugend, sondern [110] hat auch praktische Vorteile, auf die ich jedoch jetzt nicht eingehen kann. 39 b) Bei der Abgrenzung des bedingten Vorsatzes (in der polnischen Terminologie "dolus eventualis") von der bewußten Fahrlässigkeit geht die deutsche Lehre davon aus, daß die Vorstellung von dem möglichen Eintritt des Erfolgs in beiden Fällen gleich ist. Das Unterscheidungsmerkmal muß also beim Willensfaktor gesucht werden. Für die Um35 Vgl. Freudenthal, Schuld und Vorwurf im geltenden Strafrecht, 1922, S. 5 H.; Goldschmidt, Gegenentwurf zu den Abschnitten "Die Straftat" und "Täter und Teilnehmer" des Strafgesetzentwurfs von 191 9, JW 1922, 257; Tarnowski, Die systematische Bedeutung der adäquaten Kausalitätstheorie für den Aufbau des Verbrechensbegriffs, 1927, S. 315 H. 36 Vgl. etwav. Lisztl Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Band I, 26 Auf!. 1932, S. 279. 37 Vgl. v. Lisztl Schmidt (Anm. 36), S. 280. 38 Die neue Lehre wurde begründet von Wetzel, Fahrlässi~keit und Verkehrsdelikte, 1961, S. 11, ihre heutigen Vertreter sind verzeichnet beiJescheck (Anm. 4), S. 457, Fußnote 9. 39 Vgl. dazu Jescheck (Anm. 4), S. 458. Kritisch dazu Jakobs, Das Fahrlässigkeitsdelikt, Deutsche strafrechtliche Landesreferate zum IX. Internationaren Kongreß für Rechtsvergleichung, Teheran 1974, Beiheft zur ZStW 1974, S. 20, Fußnote 45. Den Wert objektiver, durch die Rechtsprechung aufgestellter Sorgfaltsregeln betont jedoch auch Andrejew (Anm. 11), S. 781 .
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schreibung des Willenselements beim bedingten Vorsatz werden verschiedene Formeln verwendet: der Tater ist mit dem Erfolg, den er für möglich hält, aber nicht anstrebt, "einverstanden", er "stimmt ihm zu", er "nimmt ihn in Kauf", er "nimmt ihn billigend in Kauf", der Erfolg ist ihm "gleichgültig".40 Neuerdings hat sich folgende Formel durchgesetzt: bedingter Vorsatz bedeutet, daß der Tater die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet!l Wir finden diese Formel im amtlichen Entwurf 1962 (§ 16). Das neue österreichische StGB hat sie eingeführt,42 sie wird auch im StGB der DDR verwendet (§ 6 Abs. 2).43 Daß die neue Formel den älteren überlegen ist, zeigt ein Fall des Bundesgerichtshofs (BGHSt
7,363,369). Zwei Mittäter benutzten für einen Raubüberfall einen Lederriemen, mit dem sie
das Opfer würgen wollten, um es bewußtlos zu machen, ohne es zu töten. Obwohl sie erkannten, daß die Drosselung den Tod herbeiführen konnte, setzten sie das Würgen fort, sobald der Überfallene sich bewegte, bis das Opfer von ihnen unbemerkt erstickte. Die Täter waren in diesem Fall mit dem Tod des Opfers nicht einverstanden, er war ihnen auch nicht gleichgültig, sie fanden sich aber damit ab, daß das Opfer möglicherweise ums Leben kommen würde. Bewußte Fahrlässigkeit bedeutet dagegen, daß der Tater zwar die konkrete Gefahr erkennt, aber sie entweder nicht ernst nimmt oder sie zwar ernst nimmt, aber trotzdem pflichtwidrig darauf vertraut, daß der Erfolg dennoch ausbleiben werde.44 c) Eine auch für das Zivilrecht wichtige Entwicklung hat sich ferner bei der Lehre von der objektiven Zurechnung des Erfolges einer Fahrlässigkeitstat vollzogen. Erste Voraussetzung der Zurechnung [111] ist natürlich ebenso wie bei den Vorsatztaten der Kausalzusammenhang. Bei der Fahrlässigkeit genügt dagegen der Kausalzusammenhang nicht. Der Erfolg kann dem Tater vielmehr nur dann zugerechnet werden, wenn er seine spezifische Ursache gerade in der Sorgfaltspflichtverletzung gehabt hat. Dieser besondere Rechtswidrigkeitszusammenhang setzt zweierlei voraus: 45 einmal, daß der Erfolg bei sorgfaltsgemäßem Verhalten vermieden worden wäre, zum anderen, daß die durch die Handlung verletzte Norm gerade der Vermeidung solcher Erfolge diente, wie er im konkreten Fall eingetreten war. Dafür zwei Beispiele: Ein LKW-Fahrer überholt einen Radfahrer fahrlässig mit zu geringem Seitenabstand. Der Radfahrer wird nervös, zieht sein Rad nach links und gerät unter den Anhänger. Der Unfall wäre aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei richtiger Fahrweise des LKW eingetreten, weil der Radfahrer erheblich betrunken war und durch den Überholvorgang in jedem Fall erschreckt und zu der falschen Reaktion veranlaßt worden wäre (BGHSt 11, 1). Die Zurechnung des Erfolges war hier zu verneinen, weil dieser auch bei sorgfaltsgemäßem Verhalten nicht zu vermeiden gewesen wäre. Ein zu schnell fahrender Kraftfahrer überfährt an der Kreuzung einen Fußgänger, der ihm so plötzlich in die Fahrbahn läuft, daß er den Unfall nicht vermeiden konnte. Die Tatsache, daß der Kraftfahrer bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die UnfallsteIle erst er-
Vgl.Jescheck (Anm. 4), S. 243 f. Vgl.Jescheck (Anm. 4), S. 240 f. 42 Vgl. dazu Foregger / Serini, Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 1978, § 5, Anm. 2 mit Rechtsprechung. 43 Vgl. dazu Strafrecht (Anm. 12) S. 307, wo das "Sich-Abfinden" allerdings sinnwidrig der "bewußten Entscheidung" gleichgestellt wird. 44 Vgl. dazuJescheck (Anm. 4), S. 241 f. 45 Vgl. dazuJescheck (Anm. 4), S. 473 ff.;Jakobs (Anm. 39), S. 22 H. 40
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reicht hätte, nachdem sie der Verunglückte bereits passiert hatte, kann nicht zu seinen Lasten verwendet werden, da Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht den Zweck haben, das Eintreffen des Kraftfahrers an einem bestimmten Ort zu verzögern (BGH, Verkehrsrechtssammlung 5, 284,286). Die Zurechnung des Vorverhaltens ist hier ausgeschlossen, weil der Erfolg außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm liegt.
d) Der Schuldvorwurf der Fahrlässigkeit kann auch dann entfallen, wenn außergewöhnliche Umstände die Erfüllung der Sorgfaltspflicht in unzumutbarer Weise erschwerten. Diese Regel, die nicht im Gesetz selbst enthalten, sondern von der Lehre aufgestellt worden ist, steht im Gegensatz zur Behandlung des Vorsatzdelikts, wo es zwar eine gesetzliche Vorschrift über den Notstand (§ 35 deutsches StGB) gibt, aber keine Unzumutbarkeit außerhalb des Notstandes. Ein alter Reichsgerichtsfall soll die praktische Bedeutung dieser Lehre dartun (RGSt 30, 25). Ein Kutscher hatte auf Weisung seines Dienstherrn ein Pferd eingespannt, das, wie er wußte, unter bestimmten Umständen durchzugehen pflegte, und auf diese Weise einen Verkehrsunfall verursacht. Das Reichsgericht hat hier die Zumutbarkeit mit der Begründung verneint, daß es dem Täter nicht "als Pflicht zugemutet werden konnte, eher dem Befehle seines Dienstherrn sich zu entziehen und den Verlust seiner Stellung auf sich zu nehmen, als durch Benutzung des ihm zugewiesenen Pferdes zum Fahren bewußterweise die Möglichkeit der körperlichen Verletzung eines anderen zu setzen". Die Entscheidung wird immer noch als maßgeblich zitiert, obwohl der Fall heute wegen des umfassenden Rechtsschutzes für Arbeitnehmer anders zu entscheiden wäre. [112]
Im Gegensatz zum deutschen Recht erwähnt das neue österreichische StGB die Zumutbarkeit ausdrücklich als Begrenzung der Sorgfaltspflicht (§ 6 Abs. 1). Das StGB der DDR kennt die Unzumutbarkeit ebenfalls, aber nur als Schuldminderungsgrund, der indessen auch für Vorsatztaten gilt (§ 14). 2. In Polen wird die Lehre von der Fahrlässigkeit noch heute von den durch Wolter und Glaser in den dreißiger Jahren entwickelten Grundgedanken getragen. 46 Jedoch sind inzwischen auch neue Lehrmeinungen hervorgetreten, die der deutschen Fahrlässigkeitstheorie nahestehen. a) Was zunächst die Struktur der Fahrlässigkeit anlangt, so ist einmal Witold Swida zu nennen, der bei der Fahrlässigkeit zwischen den Pflichten, die den Kreis der Verantwortung des Täters bestimmen, und seinen persönlichen Fähigkeiten unterscheidet. 47 Weiter ist vor allem auf Kazimierz Buchala hinzuweisen. 48 Der Autor ist bemüht, den Zusammenhang zwischen dem für die polnische Lehre der Nachkriegszeit zentralen Begriff der Gesellschaftsgefährlichkeit und den Fahrlässigkeitsdelikten herzustellen. Die materielle Rechtswidrigkeit der Fahrlässigkeitstat sieht Buchala ebenso wie die neueste deutsche Lehre in der Verletzung der im Sozialleben gebotenen Sorgfalt. Buchala betrachtet die 46 Vgl. Wolter, Nauka 0 przest~pstwie (Die Lehre von der Straftat) 1973, S. 112 - 154; AndTejew, Polskie prawo karne w zarycie (Das polnische Strafrecht im Umriß) 4. Aufl. 1976, S. 141 f. 47 Swida, Prawo karne, Cz~sc og6lna (Strafrecht. Allgemeiner Teil) 1971, S. 198; deTs. (Anm. 32), S. 1250. 48 Buchala, Bezprawnosc przest~pstw nieumyslnych oraz wyi~czajce j~ dozwolone ryzyko (Die Rechtswidrigkeit der fahrlässigen Delikte und deren Ausschluß durch erlaubtes Risiko) J 971, [im weiteren: Die RechtswidrigkeitJ; deTs., Z rozwazan nad win~ nieumysln~ - niedbalstwo (Uberlegungen zur Fahrlässigkeitsschuld - unbewußte Fahrlässigkeit), Panstwo i Prawo 1975, Nr. 2, S. 50 - 64; ders., Wina - wina nieumyslna (Probleme der strafrechtlichen Schuld und der Fahrlässigkeit insbesondere), Prace Prawnicze, Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellonskiego, Zeszyt 74, S. 79 - 113 (Festschrift für w. Woher).
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Verletzung der Sorgfaltspflicht demgemäß konsequent - und im Gegensatz zu Wolterals Bestandteil der Rechtswidrigkeit. 49 Neben Buchala ist auf Wladystaw Mttcior hinzuweisen, der in vollem Umfang die finale Handlungslehre übernommen hat und damit auch die von Hans Welzel begründete neue re Auffassung von der Grundstruktur der Fahrlässigkeit vertritt.50 Die gesonderte Edassung des objektiven Moments der Fahrlässigkeit in der deutschen Lehre wird von Wolte~l und [113] Andrejew52 erwähnt, aber nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich - übernommen. b) Bemerkenswert ist ferner, daß die grundsätzliche Leugnung des Schuldgehalts der unbewußten Fahrlässigkeit auch in Polen einen temperamentvollen Vertreter gefunden hat. Stanisaw Stomma betrachtete die Schuld als eine aus der Metaphysik in die Strafrechtslehre übernommene Fiktion ohne eigentlichen psychologischen oder normativen Gehalt.53 Deshalb wendete er sich gegen beide in Polen vertretenen Schuldtheorien, denen er Verschleierung der Wahrheit vorwad. Am deutlichsten werde der fiktive Charakter der Schuld bei der unbewußten Fahrlässigkeit, denn dort gebe es keinerlei Beziehung zwischen dem Willen des Täters und dem verursachten Edolg. Keine dogmatische Konstruktion könne darüber hinwegtäuschen, daß ein psychischer Vorgang, der einen rechtlichen Vorwud rechtfertigen würde, hier nicht vorhanden ist. In Wirklichkeit werde die Strafwürdigkeit des fahrlässigen Verhaltens aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen abgeleitet und dann rückschauend die "Schuld" des Täters festgestellt. Diese Auffassung hat jedoch mit Recht eine Zurückweisung durch Zdzistaw Papierkowski gefunden 54 und ist heute verlassen. c) Bei der Abgrenzung von dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit folgt man in Polen der Einwilligungstheorie.55 Diese Option ist dadurch vorgezeichnet, daß der Gesetzgeber selbst den Eventualvorsatz in Art. 7 § 1 StGB 1969 - übereinstimmend mit Art. 14 § 1 StGB 1932 - durch das Merkmal des "Einverständnisses" charakterisiert. Gleichwohl bemüht man sich auch in Polen um griffige, für die Abgrenzung in der Praxis taugliche Formeln, die die Willensrichtung des mit Eventualvorsatz handelnden Täter; besser kennzeichnen sollen. Einig ist man sich darin, daß der rechtswidrige Edolg hier nur ein "Nebenprodukt" ist. Während aber Wolter56 richtigerweise der Ansicht ist, daß der Wille des Täters hierbei neutral bleibt und gleichsam in vollkommenem Gleichgewicht schwebt zwischen dem Wunsch, den Edolg herbeizuführen, und dem Wunsch, ihn zu vermeiden, sprach Makarewicz 57 noch von einem "bedingten" Wollen der Tat. 49
Buchala, Die Rechtswidrigkeit (Anm. 48), S. 114 H.
na t.le aktualnych wymagan teorii i praktyki (Die Problematik der Fahrlässlgkeltsdehkte vor dem Hmtergrund der aktuellen Erforderrusse der Theorie und Praxis), 1968. 51 Vgl. Wolter (Anm. 11), S. 1263f. 52 Vgl. Andrejew (Anm. 11), S. 781. 53 Stomma, Fikcja winy (Die Fiktion der Schuld), Panstwo i Prawo 1947, Nr. 10, S. 11 H. S4 Papierkowski, Fikcja winy czy nierozumienie sensu nowoczesnego prawa karnego (Die Fiktion der Schuld oder Verständnislosigkeit in bezug auf das moderne Strafrecht), Panstwo i Prawo 1948, Nr. 1, S. 73 H. ss Eine Ausnahme macht hier Szerer, Le probleme du dol eventueI, Revue internationale de droit penal 32 (1961) S. 1214 H., der den Unterschied zwischen Eventualvorsatz und bewußter Fahrlässigkeit überhaupt leugnet. S6 Wolter, W sprawie tzw. zamiaru wynikowego (Über den sogenannten dolus eventualis), Nowe Prawo 1957, Nr. 5, S. 53 f. ~o Mqcior, P~oblem przest~J'srv: nie~myslnych
Die Lehre von der Fahrlässigkeit im Vergleich mit der polnischen Lehre
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Während also nach [114] heutiger Ansicht der Wille des Titers in bezug auf den Erfolg beim Eventualvorsatz ganz neutral sein kann, wird das Wesen der bewußten Fahrlässigkeit von Wolter58 und Igor Andrejew59 ebenso wie in Deutschland darin gesehen, daß der Täter den Erfolg nicht will, aber die Konsequenzen seines Verhaltens pflichtwidrig falsch einschätzt. Bei der bewußten Fahrlässigkeit setzt sich der Täter leichtfertig über die ihm bekannten Gesetze der Wahrscheinlichkeit hinweg. Da ihm aber seine Kenntnis von der Möglichkeit des Erfolges ein deutliches Warnsignal hätte sein müssen, wird von Wolter nicht seine subjektive Fähigkeit zur Erfolgsvoraussicht, sondern das Wahrscheinlichkeitsurteil eines vernünftigen Beobachters zum Maßstab der Schuld genommen. In diesem Punkt weicht die polnische Lehre von der deutschen ab, da diese auch bei bewußter Fahrlässigkeit das Schuldurteil immer auf die individuelle Fähigkeit des Täters zur Voraussicht des Erfolges gründen würde. d) Die Zumutbarkeit spielt, wie schon erwähnt, vor allem in der Fahrlässigkeitstheorie von Stefan Glaser60 eine Rolle. Wie Wolter geht auch Glaser davon aus, daß die Schuld des Fahrlässigkeitstäters in der mangelhaften Willensbildung besteht.61 Wenn die Situation, in der sich der Täter entschließen mußte, aber nicht normalen Verhältnissen entsprach, dann sei es ihm unzumutbar, das Für und Wider bezüglich seines Vorhabens mit der gebotenen Sorgfalt abzuwägen. Deswegen könne ihm die Rechtsordnung auch keinen Fahrlässigkeitsvorwurf machen. Die weite Anwendung der Zumutbarkeit als Grundlage des Schuldvorwurfs ist in Anknüpfung an Berthold Freudenthai auch in Deutschland bis in die dreißiger Jahre hinein vielfach vertreten worden, aber seither verblaßt. 62 Lebendig ist die Zumutbarkeit als allgemeines Schuldmerkmal jedoch im österreichischen Recht, wo der Gesetzgeber sogar eine entsprechende Vorschrift im neuen StGB vorgesehen hat, die freilich durch das Erfordernis des angemessenen Wertverhältnisses der Güter und einen objektiven Schuldmaßstab begrenzt ist (§ 10 Abs. 1 österr. StGB). Im Wintersemester 1976/77 habe ich in Freiburg zusammen mit den Herren Dr. Andrzej Zoll, Dr. Andrzej Spotowski und Dr. Andrzej Kubas ein Seminar über "Hauptprobleme des Allgemeinen Teils im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und der Volksrepublik Polen" abgehalten, an dem zeitweise auch Herr Professor Buchala und andere polnische Strafrechtslehrer mitgewirkt haben.63 Den Teilnehmern dieses Seminars ist die Schwierigkeit der Strafrechtsvergleichung auf dem Gebiet der [115] Grundlagenforschung geläufig, aber auch das beglückende Gefühl in Erinnerung, daß man sich geistig viel näher ist, als der Unterschied zwischen den politischen Systemen erwarten läßt. Möge auch dieser Vortrag dazu beitragen, eine Brücke zwischen der deutschen und der polnischen Strafrechtswissenschaft zu schlagen und das Bewußtsein zu stärken, daß wir alle der gleichen Kulturgemeinschaft angehören. 57 MakaTewicz, Prawo Karne, Wyklad por6wnawczy (Das Strafrecht. Rechtsvergleichende Vorlesungen) 1924, Bd. 1, S. 147. 58 WolteT (Anm. 46), S. 138 ff. 59 AndTejew (Anm. 46), S. 141 ff. 60 GlaseT (Anm. 34), S. 186 f. 61 GlaseT (Anm. 34), S. 185. 62 Vgl. oben bei Anm. 35 und 36. 63 Ein Teil der Referate und Vorträge aus und zu diesem Seminar ist in ZStW 90 (1978) S. 478608 veröffentlicht.
DIE INTERNATIONALE KRISE IN DER VERBRECHENSBEKÄMPFUNG*+ Das Fach, das ich als akademischer Lehrer vertrete, ist das Strafrecht. Als Direktor des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht arbeite ich wissenschaftlich vor allem auf dem Felde des ausländischen und internationalen Strafrechts und der Rechtsvergleichung. Diese Fächer haben mit dem Arbeitsgebiet Ihrer Gesellschaft - Auslandskunde, Außenpolitik, Außenwirtschaft, Geschichte, Geographie, Politologie - nur am Rande etwas zu tun. Ich habe mich deswegen bemüht, für den heutigen Vortrag ein Thema zu finden, das von den Interessen der Hörer, die mir die Ehre ihrer Gegenwart geben, nicht allzu weit entfernt ist. Lassen Sie mich Ihnen zunächst meine Überlegungen bei der Wahl des Themas "Die internationale Krise in der Verbrechensbekämpfung" schildern und Ihnen dabei zugleich den Sinn des Vortrags und die Art und Weise der Behandlung meines Gegenstandes erläutern. Was ist zunächst Strafrecht und welchen Zwecken dient es? Das Strafrecht dient, wie jedermann weiß, der Verfolgung von Straftaten, zugleich aber auch, was weniger bekannt ist, der Verhütung von strafbaren Handlungen in der Zukunft. Ohne Strafrecht kann kein Staat bestehen. Der Schutz des Zusammenlebens der Menschen in der Gemeinschaft ist eine fundamentale Aufgabe, deren Erfüllung die Vorbedingung jedes menschenwürdigen Daseins in Frieden und Sicherheit ist. Deshalb gehört das Strafrecht als Notwendigkeit zu den ältesten Erfahrungen der Menschheit und ist die Bestrafung von Verbrechen in allen Kulturen immer eine selbstverständliche Aufgabe des Staates gewesen. Das Strafrecht sichert in letzter Instanz die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung. Es zeigt dem Bürger, wo die Grenzen seiner Freiheit verlaufen, und ahndet die Überschreitung dieser Grenzen mit dem schärfsten Instrument, über das die Rechtsordnung verfügt, mit der öffentlichen Strafe. In seinen Mitteln ist das Strafrecht trotz der Bedeutung der Aufgabe, Frieden und Sicherheit zu gewährleisten, in einem Rechtsstaat jedoch erheblich beschränkt. Die Strafgewalt des Staates darf zum Schutze des Zusammenlebens der Menschen in der Gemeinschaft nämlich nicht in beliebiger Weise und auch nicht in beliebigem Umfang eingesetzt werden. Auch das Strafrecht ist vielmehr Ausdruck der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" , die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorgegeben ist. Es darf deswegen nur dann angewendet werden, wenn dies zum Schutze der Gesellschaft unvermeidlich ist. "Die Strafnorm stellt gewissermaßen die ,ultima ratio' im Instrumentarium des Gesetzgebers dar", wie dies das Bundesverfassungsgericht kürzlich ausgesprochen hat. Trotz des prekären Verhältnisses von Aufgabe und Machtmitteln [4] des
* Aus: Beiträge zur Internationalen Politik. Hrsg. von der Gesellschaft für Auslandskunde München, München 1980, Heft 2,14 S. + Ein Vortrag, den der Verfasser am 23. Januar 1980 vor der Gesellschaft für Auslandskunde in München gehalten hat.
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Strafrechts hat es bisher ein gewisses Gleichgewicht zwischen der Kriminalitätsentwicklung und der strafrechtlichen Reaktion gegeben. Die Verbrechenskontrolle durch das Strafrecht hat, jedenfalls in Deutschland, noch immer funktioniert, abgesehen von Krisenzeiten wie der ersten Inflation und den Wirren nach dem 2. Weltkrieg. In den letzten Jahren sind jedoch zwei Erscheinungen hervorgetreten, die dieses Gleichgewicht gefährden: die eine betrifft die gewöhnliche Kriminalität, die es in den verschiedensten Formen zu allen Zeiten gegeben hat, die andere stellt sich dar als die neue, ideologisch motivierte Kriminalität, die man Terrorismus nennt.
I. Bei der klassischen Kriminalität beobachten wir in fast allen Industriestaaten eine erhebliche Zunahme der Zahl und Schwere der Straftaten, insbesondere der Gewaltverbrechen, seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Zugleich besteht eine lähmende Unsicherheit in der Frage, auf welche Weise der Kriminalität unter den gegenwärtigen Umständen am besten entgegenzutreten ist. Diese Unsicherheit beruht auf einer tiefen Skepsis hinsichtlich der Richtigkeit des bisherigen Weges der Kriminalpolitik, der gekennzeichnet war nicht durch repressive Härte, sondern durch den Versuch der Sozialisation des Verurteilten, seiner Rückgewinnung und seiner Eingliederung in die Gesellschaft mittels der Freiheitsstrafe. Mit dem Problem der Zunahme der Kriminalität und der Frage der angemessenen Reaktion des Staates möchte ich mich im ersten Teil meines Vortrags beschäftigen. Im zweiten Teil möchte ich das Problem der Bekämpfung des Terrorismus mit den Mitteln des Strafrechts behandeln. Die Zunahme der Kriminalität, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen großen Industrienationen, läßt sich anhand von Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland und die USA besonders gut belegen. Um Ihnen diese Zahlen vorzutragen, benutze ich den Fachausdruck »Häufigkeitsziffer" . Die Häufigkeitsziffer ist die Zahl der polizeilich bekanntgewordenen Straftaten, bezogen auf 100.000 der strafmündigen Bevölkerung des betreffenden Staates. Diese Zahl ist in der Bundesrepublik angestiegen von 3.588 im Jahre 1968 über 4.131 im Jahre 1973 auf 5.514 im Jahre 1978. Die Steigerung ist vor allem veranlaßt durch die Zunahme des Diebstahls, aber auch vorsätzliche Tötung, Raub und Einbruch sind kräftig angestiegen. In den USA betrug die Häufigkeitsziffer für die Gesamtkriminalität im Jahre 1973 4.116, was etwa der deutschen Kriminalitätsbelastung in diesem Jahr entsprechen würde. Die Steigerungsrate ist jedoch noch größer als bei uns. Indessen besagt die Gesamtzahl der Straftaten für das wirkliche Bild der Kriminalität nicht sehr viel, weil die Faktoren, aus denen diese Zahl entsteht, in beiden Ländern zu verschieden sind. Aufschlußreicher ist der Vergleich einzelner charakteristischer Verbrechen, die vor allem das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit beeinträchtigen. So stieg die Häufigkeitsziffer für den Raub in den USA in den Jahren 1963 - 1973 von 60 auf 180, in der Bundesrepublik Deutschland von 12 auf 25, die [5] Häufigkeitsziffer für den Einbruch in den USA von 570 auf 1180, in der Bundesrepublik Deutschland von 200 auf 420. Aus der hohen Zahl der schweren Straftaten in den USA folgt auch die hohe Zahl der Strafgefangenen. Sie betrug im Jahre 1975 in den USA 189 auf 100.000 Einwohner. Die europäischen Vergleichszahlen liegen demgegenüber wesentlich niedriger, doch steht
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die Bundesrepublik Deutschland mit 81 fast an der Spitze. Die Vergleichszahl in den Niederlanden erreicht z. B. nur etwas mehr als ein Viertel der deutschen Ziffer. Ich möchte die Gründe für die Zunahme der Kriminalität in den westlichen Industrienationen hier nicht erörtern, weil mich dies zu weit von meinem eigentlichen Thema wegführen würde. Nur mittelbar kann ich diesen Punkt berühren, indem ich als Gegenstück die japanischen Zahlen erwähne, die ganz anders aussehen als die entsprechenden deutschen und amerikanischen Daten, obwohl die Industrialisierung dort die gleiche ist. In Japan betrug die Häufigkeitsziffer für die Gesamtkriminalität im Jahre 1968 1215, im Jahre 1978 1159. Die Gesamtkriminalität liegt in Japan also wesentlich niedriger als in Deutschland oder in den USA. Die Kriminalitätsrate ist ferner in den letzten 10 Jahren nicht etwa angestiegen, sondern hat sogar abgenommen. Eine Erklärung für diesen sehr auffallenden Unterschied ist bisher noch nicht in befriedigender Weise gefunden worden. Man kann nur einige Hinweise geben, die als Hilfen bei der Deutung dieses Phänomens dienen mögen. Die geringere Kriminalität in Japan hängt offenbar zusammen mit der ganz anderen Sozialstruktur des Landes, die sich auch unter den Bedingungen des modernen Industriestaates noch weitgehend erhalten hat. Zu nennen sind hier die homogene Zusammensetzung des Volkes, die einheitliche Kultur, das unerschüttert gebliebene Wertbewußtsein, die Wirksamkeit der Einbindung des Einzelnen in den Familienverband und das gut ausgewogene Wachstum des Wohlstandes. Hinzu kommt die immer noch erhebliche insulare Abgeschlossenheit Japans, die der Polizei den Überblick erleichtert. Das japanische Beispiel zeigt aber auch, daß das sprunghafte Anwachsen der Kriminalität in den westlichen Industriestaaten kein unabwendbares Ereignis ist, sondern wieder unter Kontrolle gebracht werden kann. Die internationale Krise in der Verbrechensbekämpfung besteht darin, daß die führenden westlichen Länder gegenüber der ansteigenden Flut der Kriminalität unsicher geworden sind, welches der richtige Weg der staatlichen Reaktion auf Verbrechen ist und in Zukunft sein soll. Noch vor 20 Jahren beruhte das Strafrecht im wesentlichen auf der Freiheitsstrafe. Die Kriminalpolitik vertraute auf die erzieherische Kraft des Strafvollzugs, verstand diesen aber nach der Devise "Heilen statt Strafen" als Behandlung. Die Analogien zur Medizin, die man damals gezogen hat, zeigen, daß das Verbrechen als soziale Krankheit, aber als eine durch Behandlung heilbare Krankheit angesehen wurde. An die Stelle des Richters sollte der Arzt, an die Stelle des Strafprozesses das therapeutische Gespräch, an die Stelle der Freiheitsstrafe die Kur, an die Stelle des Strafvollzugs die Behandlung, an die Stelle [6] des Aufsichtsbeamten der Pfleger, an die Stelle des Gefangenen der Patient treten. Die Dauer der Anstaltsunterbringung sollte nicht davon abhängen, was der Täter wegen der begangenen Tat verdiente, sondern wieviel er zu seiner Wiedereingliederung brauchte, und diese Frage sollte wiederum nicht vom Richter, sondern von fachkundig zusammengesetzten Entlassungsausschüssen entschieden werden, die die Entwicklung des Verurteilten in der Anstalt am besten zu beurteilen vermöchten. Entsprechend dem Vorbild der Medizin wurden Präventivmaßregeln ,ante delictum' und verschiedene Formen der Nachbehandlunng eingeführt. Bei alldem hat man sich um Persönlichkeitsschutz und prozessuale Garantien nicht gesorgt, da diese Art der Kriminalbehandlung als eine zum Wohle des Täters statdindende Veranstaltung angesehen wurde.
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Inzwischen ist in den Ländern, die in der Gleichsetzung von Strafrecht und Sozialmedizin am weitesten fortgeschritten waren, eine große Wende eingetreten. Ich betrachte zuerst die Vereinigten Staaten von Amerika. Seit Mitte der 60er Jahre wird die amerikanische Öffentlichkeit durch das rasche Anwachsen der schweren Kriminalität und die offenkundige Unfähigkeit des Staates, damit fertigzuwerden, in Angst und Schrecken versetzt. Dies hat eine tiefe Vertrauenskrise und ein wachsendes Unsicherheitsgefühl in weiten Schichten der Bevölkerung ausgelöst und zu der "law-and-order"-Bewegung geführt, die mit dem Ruf nach harten Strafen und strengem Strafvollzug ein gut Teil dessen, was man im Sinne der Humanisierung der Strafrechtspflege in den letzten 50 Jahren erreicht zu haben glaubte, wieder in Frage stellt. Wenn man das Bild in den USA kennzeichnen will, läßt sich etwa folgendes sagen: Das alte Ideal der Rehabilitierung des Gefangenen durch die Freiheitsstrafe ist tot. Niemand glaubt mehr daran, daß eine erfolgreiche Resozialisierung in den überbelegten amerikanischen Gefängnissen stattfinden könnte. Schwerste Gefängnisrevolten wie die in Attica oder Santa Fe haben jedermann gezeigt, wie die Dinge in Wirklichkeit liegen. Da es keine wirksame Behandlung im Sinne der Erziehung durch den Strafvollzug mehr gibt, richtet sich die Kritik zugleich gegen die für Amerika typische Verurteilung zu zeitlich unbestimmter Freiheitsstrafe, die ja auf der Behandlungsideologie beruht, da die Entlassung des Gefangenen von seiner Entwicklung im Strafvollzug abhängig gemacht wird. Die unbestimmte Freiheitsstrafe wird heute auch deswegen abgelehnt, weil sie nicht auf die begangene Tat bezogen ist und damit nicht als gerecht erscheint. Eine Freiheitsstrafe von mindestens 5 und höchstens 15 Jahren ist vom Standpunkt der Gerechtigkeit nicht zu verstehen. Auch das Vertrauen in den Sachverstand der Ausschüsse, von deren Ermessen die Entlassung abhängt, ist im Schwinden begriffen. Gefordert wird von einer Gruppe die Rückkehr zur rein tatbezogenen Vergeltung, die alle Behandlungs- und Erziehungstendenzen aus dem Strafvollzug ausscheidet ("flat sentencing"). Eine andere Gruppe empfiehlt den weitg~henden Rückzug der staatlichen Strafrechtspflege aus dem Kampf gegen die Kriminalität, jedenfalls soweit es sich um ihre leichteren Formen und um Jugenddelikte handelt ("radical non-intervention"). In [7] der Mitte liegen die Stimmen, die für die Zukunft eine realistische Kriminalpolitik ohne ideologische Vorurteile fordern. Die Freiheitsstrafe soll zwar als Sanktion für schwere Delikte und den wiederholten Rückfall bestehen bleiben, aber nur in dem Maße eingesetzt werden, wie dies zur Erhaltung der Rechtssicherheit unbedingt erforderlich ist. Die Alternativen zur Freiheitsstrafe, die in den USA unter dem Stichwort "community corrections" (Erziehung in der Gemeinschaft) zusammengefaßt werden, sollen ausgebaut werden. Leichtere Fälle sollen durch die Programme der sog. "diversion" außerhalb des Strafverfahrens in unauffälliger und schonender Weise erledigt werden. Alle Eingriffe gegenüber dem Beschuldigten sollen unter der vollen Garantie der "due process" -Klausel der Verfassung stehen, d. h. sie sollen in ihren Voraussetzungen gesetzlich bestimmt sein, in einem formellen Verfahren angeordnet werden und durch den Richter nachprüfbar sein. Die Krise in der Verbrechensbekämpfung zeigt in Schweden zwar nicht das gleiche beängstigende Bild wie in den USA, sie hat aber doch in ihren Auswirkungen ähnliche Züge. Schweden hat mit seinem vor allem auch in Deutschland als Muster genommenen Kriminalgesetzbuch von 1962 den Grundsatz voll durchgeführt, daß die Behandlung des Rechtsbrechers seine Bestrafung ersetzen soll. Man hat dabei gehofft, die Anstaltsunter9 Jescheck
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bringung durch eine Fülle pädagogischer und therapeutischer Vorkehrungen so ausgestalten zu können, daß die Verurteilten äußerlich und innerlich verwandelt dem Leben in der Gesellschaft zurückgegeben würden. Der Glaube an die Möglichkeit wirksamer Behandlung von Straftätern unter den Bedingungen der Unfreiheit und des zwangsweisen Zusammenlebens mit anderen oft ebenfalls schwer gestörten Menschen ist jedoch auch in Schweden dahingeschwunden. Die neu este Entwicklung läuft auch hier darauf hinaus, von der Ideologie zur Realität zurückzukehren. Die Strafe soll in ihrem Charakter als eine den Verurteilten belastende Reaktion auf den Rechtsbruch wiederhergestellt und nicht in eine ihm zugedachte Wohltat umgemünzt werden. Freiheitsentziehung soll niemals nur deswegen verhängt werden dürfen, weil man meint, daß der Beschuldigte sie zu seiner Erziehung brauche, sondern allein wegen der Schwere der Tat, die er zu verantworten hat. Wenn wegen der Schwere der Tat Freiheitsstrafe unvermeidlich ist, soll die Vollstreckung freilich mit den Mitteln und Methoden moderner Sozialtherapie versucht werden, jedoch nur in dem Sinne, daß dem Gefangenen die Hilfe derartiger Programme angeboten, er ihnen aber nicht zwangsweise unterworfen wird. Auch in Schweden soll die Internierung von unbestimmter Dauer abgeschafft werden, weil sie ungerecht erscheint. Eine ähnliche Grundstimmung hat sich auch in anderen, der modernen Kriminalpolitik besonders zugewandten Ländern ausgebreitet, z. B. in Norwegen. Die Frage ist, welcher Ausweg aus der internationalen Krise der Kriminalpolitik, wie sie sich in den USA und in Schweden gezeigt hat, von uns in Deutschland beschritten werden soll. Die Art und Weise der Reaktion des Strafrechts auf das Verbrechen hängt entscheidend von der staatsphilosophischen und ethischen Grundfrage ab, ob Staat und [8] Gesellschaft dem Tater die Strafe allein als Vergeltung für den begangenen Rechtsbruch auferlegen dürfen, ohne sich um sein künftiges Leben in der Gesellschaft zu sorgen, oder ob die Bereitschaft besteht, auf die Persönlichkeit des Taters und ihre besonderen Schwierigkeiten einzugehen, um ihm dabei zu helfen, zukünftig straffrei existieren zu können. Wenn man die Entwicklung der Kriminalpolitik seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert auf sich wirken läßt, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß eine Rückkehr zur reinen Vergeltung ausgeschlossen ist und daß die Bereitschaft zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Straftäter trotz aller Enttäuschungen, die man auf diesem Gebiet naturgemäß immer erlebt, auch weiterhin die Grundlage aller Bemühungen bleiben muß. Ich halte dies für die unerläßliche Voraussetzung der Strafrechtspflege überhaupt, weil ganz unabhängig von der Frage, welchen Erfolg die verschiedenen Rehabilitierungsprogramme mit und ohne Freiheitsentziehung für die Verbrechensvorbeugung haben mögen, soziale Verbundenheit und menschliche Zuwendung die ethische Grundlage ist, auf der man das Richteramt und den Strafvollzug nur guten Gewissens ausüben kann. Darin liegt bereits die Absage an ein im strengsten Sinne liberales Strafrecht, das die Freiheit des Einzelnen als ein dem Staat unbedingt vorgegebenes Rechtsgut respektieren müßte und deswegen allein die Vergeltung ohne jeden therapeutischen oder sozialpflegerischen Hintergedanken als Sinn der Strafe anerkennen dürfte. Strafrechtspflege ist heute nur noch als soziale Aufgabe möglich. Von dieser Grundeinsicht ist man bei der Strafrechtsreform in Deutschland auch ausgegangen. Diese Reform hat in ihrer letzten entscheidenden Phase im Jahre 1952 mit den Vorarbeiten für den Zusammentritt der Großen Strafrechtskommission begonnen und im Jahre 1976 mit dem Erlaß des Strafvollzugsgesetzes ihren vorläufigen Abschluß ge-
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funden. Bei der Reform ihres Strafrechts hat die Bundesrepublik eine mittlere Linie eingehalten, die sich vom "law-and-order"-Denken ebenso weit entfernt hält wie von der Gleichsetzung des Strafrechts mit der Sozialmedizin. Die Kriminalität hat selbstverständlich ihre sozialen Ursachen und insoweit ist sie auch Ausdruck der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir alle unter Einschluß der Außenseiter zu leben haben. Daraus ergibt sich aber auch für die Gesellschaft die Pflicht, dem Rechtsbrecher nicht den Rücken zu kehren, sondern ihm diejenigen sozialen Hilfen wenigstens anzubieten, die er braucht, um unter den Bedigungen der modernen Leistungsgesellschaft bestehen zu können. Ich möchte nun darlegen, in welcher Weise man in Deutschland diese Grundidee einer auf das Humanitätsprinzip gegründeten Kriminalpolitik in das geltende Strafrecht übersetzt hat. Die Todesstrafe, die ihrer Natur nach die stärkste Absage an den Gedanken der Solidarität der Gemeinschaft mit dem Straftäter darstellt, ist durch das Grundgesetz von 1949 abgeschafft worden, obwohl viele andere Länder wie Frankreich, Japan, die USA oder die sozialistischen Staaten sie beibehalten haben und anwenden, ganz zu schweigen von dem Gebrauch der Todesstrafe als Mittel einer despotischen oder irrationalen Politik. Die lebenslange Freiheitsstrafe ist dagegen in Deutschland bestehen [9] geblieben, weil gegenüber schwersten Verbrechen die Bewährung der Rechtsordnung nicht anders sichergestellt werden kann als durch eine Strafe, die jedenfalls der Idee nach einen dauernden Ausschluß des Täters aus der Gemeinschaft bedeutet. In der Praxis hat die lebenslange Freiheitsstrafe diese Bedeutung freilich nicht, weil die Gnadenbehörden nach einer Verbüßungsdauer von fünfzehn bis zwanzig Jahren meist die bedingte Entlassung zugestehen. Das Bundesverfassungsgericht ist darüber noch einen Schritt hinausgegangen. Es verlangt in einer Entscheidung aus dem Jahre 1977, daß die bedingte Entlassung nicht mehr durch die Gnadeninstanz, sondern durch Richterspruch zu erfolgen habe, weil Gnadenentscheidungen von politischen Erwägungen beeinflußt werden können, und vor allem nicht richterlich nachprüfbar sind. Der Gesetzgeber wird dieser Forderung des Bundesverfassungsgerichts in Kürze durch eine Änderung des Strafgesetzbuchs entsprechen. Die zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe bleibt zwar auch in Zukunft das Rückgrat unseres Strafensystems, sie ist jedoch zur »ultima ratio" geworden. Freiheitsstrafen werden viel seltener angeordnet und viel seltener vollstreckt als früher, weil man einsehen gelernt hat, daß die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe selbst unter den Bedingungen eines ideal gestalteten Strafvollzugs schädliche Folgen für den Verurteilten selbst und für seine Stellung in der Familie und seinem sozialen Umfeld nach sich zieht. Das Bild der Strafzumessung in der Praxis sieht zur Zeit so aus, daß für etwa 83 % aller Straftaten von Erwachsenen, die vor Gericht kommen, eine Geldstrafe ausgesprochen wird, die in einem Anteilsatz von nur etwa 5% in Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt werden muß. Darin liegt ein großer Erfolg der deutschen Strafrechtspflege, denn man mußte natürlich fürchten, daß mit der Zunahme der Geldstrafen auch die Ersatzfreiheitsstrafen zunehmen würden, die an die Stelle von nicht bezahlten Geldstrafen treten. Diese Befürchtung hat sich aber nicht verwirklicht. Weiter zeigt die Statistik, daß bei mehr als 60% der ausgesprochenen Freiheitsstrafen die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, so daß also auch in den Fällen, in denen wegen der Schwere der Tat eine Freiheitsstrafe nicht vermieden werden kann, doch zunächst mit Auflagen und Weisungen vorgegangen wird, 9'
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ehe der Verurteilte wirklich in die Gefängniswelt eintreten muß. Freilich werden fast die Hälfte der Strafaussetzungen letztlich widerrufen, da sich der Verurteilte in der Bewährungszeit erneut etwas zuschulden kommen läßt. Diese verhältnismäßig hohe Rate des Versagens in der Bewährungszeit bedeutet indessen nicht eine Widerlegung des Systems, da die Fälle, in denen es überhaupt zu einer Freiheitsstrafe kommt, bereits eine negative Auslese darstellen. Im Ganzen besteht jedenfalls zur Zeit die strafrechtliche Reaktion in nur etwa 7% aller abgeurteilten Taten in einer Freiheitsstrafe, die den Täter wirklich hinter Gefängnismauern bringt. Wenn man liest, daß gleichwohl die Belegung der Strafanstalten hoch ist, so liegt dies daran, daß auch die Gesamtkriminalität hoch ist und daß die Anzahl der verfügbaren Plätze nicht proportional mit der Zunahme der Bevölkerung gewachsen ist. In Berlin macht man aus dieser Not zur Zeit eine Tugend, indem Gefangene, die Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr zu verbüßen haben, grundsätzlich sogleich in den offenen Vollzug kommen und frühzeitig die Möglichkeit erhalten, als Freigänger tagsüber draußen zu arbeiten. [10] Für die etwa 38.000 Strafgefangenen, die es gegenwärtig in Deutschland gibt, hat das Strafvollzugsgesetz vom Jahre 1976 zwar keineswegs ein Eldorado, wohl aber eine klare Rechtsgrundlage und eine Verstärkung ihrer Rechtsstellung geschaffen. Auch inhaltlich ist der Vollzug der Freiheitsstrafe, obwohl noch vieles reformbedürftig bleibt, besser geworden. Die Freiheitsstrafe ist heute eindeutig am Ziel der Rückfallverhütung und der sozialen Eingliederung des Täters orientiert, und man bemüht sich auch darum, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Die Einführung moderner Methoden der Sozialtherapie hat außerdem ergeben, daß dadurch eine bessere Rückfallverhütung als mit den Mitteln des hergebrachten Verwahrungsvollzugs tatsächlich erreichbar ist. Insbesondere hat sich der Einsatz von progressiv zunehmenden Belastungsproben wie Ausgang, Urlaub, therapeutische Strafunterbrechung und Freigang als wirksam für die Herabsetzung der Rückfallquote erwiesen. Die sozialtherapeutisch behandelten Gefangenen wurden aber nicht nur weniger, sondern auch weniger häufig und weniger schwer rückfällig. Im Ganzen kann man im Gegensatz zu den amerikanischen Erfahrungen nicht sagen, daß sich die stationären Rehabilitationsprogramme bei uns als sinnlos erwiesen hätten. Auch der gewöhnliche Strafvollzug zeigt übrigens kein gänzlich hoffnungsloses Bild. Die Rückfallquote liegt hier bei 60%, also nicht bei 80 bis 90%, wie man vielfach hört. Es besteht also Grund, in den Bemühungen um einen an der Wiedereingliederung der Strafgefangenen orientierten Strafvollzug fortzufahren und sich durch die Resignation, die im Ausland um sich greift, nicht beirren zu lassen. Die Krise der Freiheitsstrafe hat im Ausland ferner zu verschiedenartigen Versuchen geführt, von der Freiheitsstrafe wegzukommen und das strafrechtliche Reaktionssystem auf eine breitere Grundlage zu stellen. Wenn wir auch in Deutschland keinen Anlaß zu einer radikalen Umkehr haben, so muß man sich doch mit den Alternativen zur Freiheitsstrafe beschäftigen, die international erörtert und erprobt werden. Ich erwähne zunächst die Idee der "diversion" (Umleitung), die Anfang der siebziger Jahre in den USA aufgekommen ist und dort rasch Verbreitung gefunden hat. Dabei wird dem Beschuldigten die Möglichkeit eröffnet, sich durch Übernahme von Pflichten, insbesondere durch ambulante Beteiligung an Rehabilitationsprogrammen, die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft zu verdienen. Auch in Deutschland hat dieser Gedanke Fuß gefaßt. Die Staatsanwaltschaft hat durch eine neue Bestimmung der
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Strafprozeßordnung die Befugnis erhalten, in leichteren Fällen von der Klageerhebung abzusehen, wenn der Beschuldigte bestimmte Auflagen erfüllt, die unter anderem auch in der Zahlung einer Geldsumme an den Staat bestehen können. Die Staatsanwaltschaften machen von dieser Möglichkeit zunehmend Gebrauch, um geringere Straffälle schonend und unauffällig zu erledigen und doch dem Täter eine empfindliche Sanktion aufzuerlegen. Die Gefahren, die man auf seiten der Strafrechtswissenschaft in einer solchen informellen Sanktionskompetenz der Staatsanwaltschaft sieht, sind zwar nicht zu unterschätzen, haben aber bisher zu keinen Mißbräuchen geführt. Ein anderer Weg der Vermeidung der Freiheitstrafe ist der "community service", [11] der seit dem Jahre 1972 in England eingeführt ist und dort die Gefänigsstrafe teilweise zu ersetzen vermag. Die Sanktion besteht in der Verpflichtung zur Ableistung einer bestimmten Stundenzahl unbezahlter gemeinnütziger Arbeit in der Freizeit zugunsten bedürftiger Personen oder für Zwecke der Gemeinschaft, z. B. in Kinderheimen, Krankenhäusern, Altersheimen, Asylen für Obdachlose und anderen sozialen Einrichtungen. Die Schwierigkeit bei dem "community service" besteht in der Organisation der Arbeit, vor allem in den Ländern mit liberaler Wirtschaftsverfassung, starker Rationalisierung und erheblichem Leistungsdruck. Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr, daß die Arbeit als solche eine Abwertung erfährt, wenn sie als Sanktion für Straftaten verwendet wird und damit in einer und derselben Gruppe den einen Teilnehmer demütigt, während sie für den anderen Lebensinhalt sein soll. Ein Problem ist auch die Kontrolle der Präsenz und der Arbeitsleistung der Teilnehmer. Man wird die englischen Erfahrungen mit dem "community service" wohl abwarten müssen, ehe in Deutschland weitere Schritte getan werden. In den USA versucht man ferner, unter dem Stichwort "community corrections" Straftäter von vornherein nicht von der Gesellschaft zu isolieren, sondern den Resozialisierungsvorgang in die Gesellschaft selbst hineinzuverlegen. Die Beschaffung von Arbeitsplatz und Wohnung, die Aufnahme in Vereinigungen und Gruppen, die freiwillige Teilnahme an Entziehungskuren und sozialtherapeutischen Programmen und andere aus der Gesellschaft selbst kommende soziale Hilfen sind die Wege, die man geht. In Deutschland steht man mit derartigen Programmen noch im Anfang, weil die Lösung sozialer Probleme bei uns mehr als eine Sache der Behörden angesehen wird denn als eine Verantwortung eines jeden Bürgers.
11. Die internationale Krise in der Verbrechensbekämpfung hat noch einen zweiten Aspekt, der in der Öffentlichkeit stärker beachtet wird als die Krise der Freiheitsstrafe. Der Terrorismus stellt in der Tat eine viel größere Gefahr dar als die gewöhnliche Kriminalität, und zwar aus drei Gründen: einmal wegen der Bedrohung der Staatsautorität in ihrem Kern, zweitens wegen des Versagens der internationalen Rechtshilfe bei der Bekämpfung des Terrorismus, drittens wegen der Übernahme der Methoden des Terrorismus durch gewisse Regierungen selbst. Die Bedrohung der Staatsautorität, die bei der gewöhnlichen Kriminalität gar nicht zur Debatte steht, tritt in verschiedenen Ländern in verschieden starkem Maße in Erscheinung, am stärksten wohl gegenwärtig in Italien, wo die Tötung von Politikern, Richtern, Staatsanwälten, Wirtschaftsführern, Wissenschaft-
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lern, Polizeibeamten hoher und niedriger Dienstgrade an der Tagesordnung ist. Auch in Deutschland hat man die Gefahr der Erschütterung der Staatsautorität vorübergehend gespürt und sie auch trotz bedeutender Erfolge in der Bekämpfung des Terrorismus nicht vollständig gebannt. Das Versagen der internationalen Rechtshilfe [12] gegenüber dem Terrorismus zeigt sich daran, daß die Staaten je nach ihren politischen oder ideologischen Präferenzen das Ersuchen um Auslieferung festgenommener Terroristen ablehnen und ihnen Zuflucht sowie gar Unterstützung mit Geldmitteln und Waffen oder doch jedenfalls die Möglichkeit der Ausreise gewähren. Bekannte Terroristen vermögen auf diese Weise direkt oder auf dem Umweg über Drittländer an den Schauplatz ihrer Taten zurückkehren und ihre Anschläge fortsetzen. Die Übernahme der Methoden des Terrorismus durch die Regierung selbst ist im Iran durch die von der politischen Führung inspirierte Besetzung der amerikanischen Botschaft und die Festhaltung der Botschaftsangehörigen als Geiseln erstmals in Erscheinung getreten und wird, wie das Veto der Sowjetunion im Sicherheitsrat lehrt, von der Vormacht des Sozialismus gedeckt. Dies zeigt zugleich, daß durch den Terrorismus sogar der Weltfrieden bedroht werden kann. Der Terrorismus bedeutet für den Rechtsstaat die größte Herausforderung, der er jemals ausgesetzt gewesen ist. Er sieht sich nämlich in eine doppelte Bewährungsprobe gestellt. Einmal geht es darum, den Bürger, die Gesellschaft sowie den Staat und seine Einrichtungen vor Terroranschlägen zu schützen. Zum anderen darf der Rechtsstaat durch die Bekämpfung des Terrorismus nicht von innen heraus ausgehöhlt werden, damit er sich auch nicht annäherungsweise zu dem entwickelt, als was ihn die Terroristen unter grober Verkehrung der Realität hinstellen und verunglimpfen. Letztlich kommt es ihnen darauf an, den Rechtsstaat mit seiner Sorge für Menschenwürde und Freiheit ad absurdum zu führen. Die Strafrechtspflege darf in ihren Wirkungsmöglichkeiten bei der Bekämpfung des Terrorismus nicht überschätzt werden. Sie kann nicht mehr tun, als begangene Anschläge möglichst rasch aufzuklären und die Tater der gerechten Bestrafung zuzuführen. Eine abschreckende Wirkung der Urteile auf andere Terroristen, die sich noch in Freiheit befinden, ist kaum zu erwarten, da sie in ihrer Ideologie festgefahren sind und wohl auch die Rache der Gesinnungsgenossen fürchten müssen, wenn sie sich von ihnen lÖsen. Auf der anderen Seite sind die langen Strafen, die jetzt von den Gerichten durchwegs verhängt werden, jedenfalls eine gute Sicherung gegen zukünftige Anschläge und haben ihre Wirkung getan, wenn auch keineswegs alle Gefahren gebannt sind. Die Atempause muß nunmehr dazu genutzt werden, um mit den verurteilten Terroristen Kontakt aufzunehmen und sie allmählich in den Stand zu setzen, sich von ihren Ideologien und Verbindungen freizumachen, denn selbstverständlich gilt das Prinzip der Zuwendung zu den Strafgefangenen auch für diese Gruppe. Was hat der deutsche Gesetzgeber zur Bekämpfung des Terrorismus bisher getan? Die Erscheinung des Terrorismus ist in ihrer Gefährlichkeit an sich durchaus erkannt, sie ist ja auch nicht neu, wenn man an die rechtsradikalen Gruppen nach dem ersten Weltkrieg denkt. Die Eigenart des Terrorismus liegt vor allem in der aufs äußerste gesteigerten Gruppenmentalität, die ihren Mitgliedern auch das menschliche Gefühl gegenüber den Opfern raubt. Selbst wenn keine Anschläge stattfinden, werden starke Polizeikräfte für den Personen- und Objektschutz gebunden, die damit für die normalen [13] polizeilichen Aufgaben verlorengehen. Die Bevölkerung ist über die Morde und die Unauffindbarkeit der Haupttäter erbittert und zugleich tief verunsichert, da man instinktiv fühlt,
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daß auch bei uns, ähnlich wie in Italien, die Staatsautorität erneut unmittelbar in Gefahr kommen könnte. Um das Vorfeld terroristischer Anschläge strafrechtlich abzuschirmen, sind Strafbestimmungen geschaffen worden, die sich gegen die Bedingungen richten, aus denen sich die terroristische Aktivität entwickelt. Hierhin gehören Strafdrohungen gegen die Bildung terroristischer Vereinigungen, gegen die Billigung von Straftaten, gegen die Anleitung zu Straftaten, gegen die Volksverhetzung, die verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten und die Verunglimpfung des Staates. Gegenüber dem Terrorismus geht die Entwicklung des Strafrechts genau in die entgegengesetzte Richtung wie gegenüber der gewöhnlichen Kriminalität. Während sich das Strafrecht dort zurückzieht und eine eher restriktive Linie eingehalten wird, hat man gegenüber dem Terrorismus die Verteidigungslinie vorverlegt und neigt die Rechtsprechung zusätzlich zu einer eher extensiven Interpretation des geltenden Rechts. Was weiter die strafrechtliche Reaktion auf den Kernbereich der terroristischen Anschläge anlangt, so enthält das geltende Recht an sich genügend scharfe Sanktionen, die, wie die Praxis zeigt, auch angewendet werden. Insbesondere ist auf den erpresserischen Menschenraub und die Geiselnahme hinzuweisen, zwei Strafbestimmungen, die schon dann die lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, wenn der Tater auch nur leichtfertig den Tod des Opfers verursacht hat. Wichtiger noch sind die Veränderungen, die auf dem Gebiet des Strafverfahrens rechts eingetreten sind. Zu nennen ist hier einmal der Verteidigerausschluß. Ein Verteidiger, der verdächtig ist, mit dem Beschuldigten gemeinsame Sache zu machen oder sein Verkehrsrecht mit dem verhafteten Beschuldigten zur Begehung von Straftaten oder zu erheblicher Gefährdung der Sicherheit der Haftanstalt zu mißbrauchen, kann von der weiteren Mitwirkung am Verfahren ausgeschlossen werden. Weiter kann die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten durchgeführt werden, wenn er sich vorsätzlich verhandlungsunfähig gemacht hat oder wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungssaal entfernt werden muß. Die Höchstzahl der Verteidiger für einen Beschuldigten ist auf drei beschränkt, die Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch einen gemeinschaftlichen Verteidiger ist verboten worden, was vielleicht zu weit geht. Hinzugetreten ist die erleichterte Verhaftungsmöglichkeit bei dringendem Verdacht der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und die Zulässigkeit der richterlichen Kontrolle des Schriftverkehrs zwischen dem Verteidiger und dem inhaftierten Beschuldigten in Terrorismusverfahren. Das Kontaktsperregesetz hat weiter die vollständige Abriegelung von verurteilten Terroristen und Untersuchungsgefangenen während im Gange befindlicher terroristischer Anschläge zugelassen. Endlich wurde bei der Aufklärung terroristischer Taten die Durchsuchung von ganzen Wohnblocks möglich gemacht, die Einrichtung öffentlicher KontrollsteIlen vorgesehen und die Identitätsfeststellung auch von unverdächtigen Personen erleichtert. Für Gespräche zwischen Verteidiger und inhaftiertem Beschuldigten wurde in Terrorismusverfahren die Trennscheibe [14] eingeführt, um die unkontrollierte Übergabe von Gegenständen und Schriftstücken zu verhindern. Ich halte alle diese Vorkehrungen abgesehen von dem Kontaktsperregesetz, das eher eine Überreaktion gewesen sein dürfte - für berechtigt. Wenn man zur Bekämpfung des Terrorismus die Mittel des Strafrechts einsetzt und die Dinge nicht einfach in den Bürgerkrieg hineintreiben läßt, und dies sollte unbedingt das Ziel des Rechtsstaats bleiben, so muß das Strafverfahren funktionsfähig gehalten werden. Die Änderungen im Strafprozeßrecht, die inzwischen eingetreten sind, bezeichnen diejenigen Punkte, an denen man Zweifel haben konnte, ob dies der Fall ist. Wichtig ist nur, daß die Verschärfung des Strafverfahrens nicht das Ende der liberalen
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Strafprozeßreform bedeutet, die im Jahre 1964 mit großen Schritten begonnen wurde, sondern daß die Reform in der Überzeugung, daß der Terrorismus auch einmal überwunden sein wird, im Sinne des freiheitlichen Rechtsstaats und des "fair trial" weitergeht. Auch im internationalen Bereich beginnen sich die Kräfte gegen den Terrorismus zu formieren. Ein Zeugnis dafür ist der Abschluß der Europäischen Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus vom Jahre 1977 und der auf deutsche Initiative zustandegekommenen Konventionen gegen die Geiselnahme von 1979. Beide Konventionen enthalten den Grundsatz "aut dedere aut punire", d. h. die Vertragsstaaten verpflichten sich, den Beschuldigten, der auf ihrem Staatsgebiet festgestellt wird, entweder auszuliefern, wenn ein anderer Staat darum ersucht, oder selbst zu bestrafen. Ich bin am Schluß meiner Ausführungen angelangt. Die internationale Krise der Verbrechensbekämpfung hat ein doppeltes Gesicht. Auf der einen Seite beobachten wir im Bereich der klassischen Kriminalität eine starke Zunahme, insbesondere der Gewaltdelikte, und zugleich Unsicherheit und Resignation in bezug auf die angemessene staatliche Reaktionsweise. Auf der anderen Seite beunruhigt uns der internationale Terrorismus als eine Erscheinung von äußerster Gefährlichkeit, und konstatieren wir die Begrenztheit der strafrechtlichen Machtmittel und den Mangel an internationaler Zusammenarbeit. So wenig die Möglichkeiten des Strafrechts überschätzt werden dürfen, so müssen sie doch in beiden Richtungen voll ausgenutzt werden, um sowohl die Gesetzlosigkeit eines überhandnehmenden Verbrechertums als auch die Entstehung bürgerkriegsähnlicher Zustände und friedensbedrohender Konflikte als Folge des internationalen Terrorismus zu verhindern. In beiden Richtungen ist Festigkeit erforderlich: gegenüber der gewöhnlichen Kriminalität in dem Sinne, daß man die großen Prinzipien der Humanität und Solidarität gegenüber dem Verbrechertum festhält und sich durch die Skepsis hinsichtlich der Chancen der Behandlung im Strafvollzug nicht beirren läßt; gegenüber dem Terrorismus in der Anspannung aller Kräfte, um die Täter zu ermitteln, zu verurteilen und für lange Zeit unschädlich zu machen. Der Terrorismus wird wie ähnliche Erscheinungen in der Geschichte durch konsequente Anwendung des Strafrechts und durch internationale Zusammenarbeit überwunden werden.
ALTERNATIVEN ZUR FREIHEITSSTRAFE* I. Freiheitsstrafe und Alternativen zur Freiheitsstrafe im japanischen Recht im Vergleich mit dem deutschen Recht 1. Die Freiheitsstrafe ist in Japan unter dem Einfluß der modernen europäischen Strafrechtsordnungen durch das Strafgesetzbuch von 1888 eingeführt worden und hat die überlieferten Strafarten des alten japanischen Rechts verdrängt. Auch das heutige Strafensystem, wie es sich im japanischen Strafgesetzbuch von 1907 in der Fassung vom 10. August 1953 darstellt,' gründet sich noch immer auf die Freiheitsstrafe. Es gibt in Japan drei Formen der Freiheitsstrafe: die Zuchthausstrafe, die in den meisten Strafvorschriften des Besonderen Teils - abgesehen von Bagatelldelikten, leichten Fahrlässigkeitstaten und Staatsschutzdelikten - angedroht ist, die Einschließung (auch mit Gefängnisstrafe übersetzt), die hauptsächlich für Staatsschutz- und Fahrlässigkeitsdelikte vorgesehen ist, und die Haft, die von der Geldstrafe überholt worden ist und keine Rolle mehr spielt. Auch der Entwurf für ein neues japanisches Strafgesetzbuch vom [84] Jahre 19742 hat an den drei Freiheitsstrafen festgehalten, aber ihre Anwendungsmöglichkeit im unteren Bereich durch Anhebung der Mindeststrafe für Zuchthaus und Einschließung von einem Monat auf drei Monate eingeschränkt. Die obere Grenze der Haft wurde von dreißig auf neunzig Tage heraufgesetzt, was dieser Strafe aber kaum ihre frühere Bedeutung zurückgeben dürfte. Im Unterschied zum japanischen Recht wurde in der Bundesrepublik Deutschland durch die Strafrechtsreform von 1969 die einheitliche Freiheitsstrafe eingeführt, deren Mindestmaß ein Monat und deren Höchstmaß wie im japanischen Recht 15 Jahre ist.
2. Anders als das Bild der Gesetzestexte des japanischen Rechts stellt sich die Wirklichkeit dar. In der japanischen Strafrechtspflege ist die Freiheitsstrafe zur Ausnahme geworden. Die Gesamtzahl der von japanischen Gerichten rechtskräftig verurteilten
* Aus: Contemporary Problems in Criminal Justice. Essays in Honour of Professor Shigemitsu Dando. Edited by Yasuharu Hiraba, Ryuichi Hirano, Takuji Takada and others, Tokyo 1983, 83 96. I Deutsche Übersetzung des abgeänderten japanischen Strafgesetzbuchs vom 10. August 1953 von Kinsaku Saito und Haruo Nishihara als Nr. 65 der Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung, 1954. Eine systematische Darstellung von Saito unter dem Titel "Das japanische Strafrecht" ist erschienen in: Mezger / Schänke / Jescheck (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Band I, 1955, S. 209 H. Auf dem neuesten Stand ist die systematische Darstellung "Strafrecht" von Zong Uk Tjong und Paul Eubel in: Eubel u. a., Das japanische Rechtssystem, 1979, S. 205 H. Professor Tjong, der im Max-Planck-Institut für ausländIsches und internatIOnales Strafrecht in Freiburg das Ostasien-Referat leitete, ist am 22. Juni 1982 gestorben. Sein früher Tod bedeutet einen schweren Verlust für die Beziehungen zwischen der deutschen und der japanischen Strafrechtswissenschaft. 2 Die deutsche Übersetzung des Entwurfs eines japanischen Strafgesetzbuchs vom 29.5. 1974 von H.~ruo Nishihara ist als Nr. 102 in der Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Ubersetzung, Berlin 1986, erschienen.
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Personen3 betrug im Jahre 19802.140.735. Die Sanktionen, die dabei verhängt wurden, waren außer sieben Todesstrafen und 40 lebenslangen Freiheitsstrafen 69.947 zeitige Zuchthausstrafen und 5.690 zeitige Einschließungen gegenüber 2.037.502 Geldstrafen. Der Anteil der Geldstrafe an der Gesamtzahl der verhängten Strafen beträgt also etwa 96 % 4 und ist damit höher als vermutlich in allen anderen Ländern. In der Bundesrepublik Deutschland, wo dieser Anteil vergleichsweise ebenfalls besonders hoch ist, beträgt er nur etwa 84%. Obwohl die Zahl der verhängten Freiheitsstrafen in Japan außerordentlich niedrig ist, wurden dennoch im Jahre 1980 60% aller Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt, eine Zahl, die fast die Aussetzungsquote in der Bundesrepublik Deutschland mit 65% erreicht, obwohl in Japan im Verhältnis weniger Freiheitsstrafen verhängt werden als in Deutschland. Die vorstehende Zahl zeigt, daß die vollstreckte Freiheitsstrafe in Japan mehr noch als in Deutschland zur "ultima ratio" der Kriminalpolitik geworden ist. Als Alternativen werden die beiden klassischen Ersatzmittel für die Freiheitsstrafe: Geldstrafe und Strafaussetzung zur Bewährung verwendet. Die Strafaussetzung zur Bewährung wurde unter dem Einfluß der europäischen Strafrechtsreformbewegung5 schon im Jahre 1905 durch ein Sondergesetz in Japan eingeführt und im Jahre 1907 in das Strafgesetzbuch [85] übernommen. Im Jahre 1947 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung, die vorher wie noch heute in Deutschland nur bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren zulässig war, auf Freiheitsstrafen bis zu 3 Jahren ausgedehnt. Außerdem wurde die Bewährungsaufsicht eingeführt, die bei wiederholter Gewährung von Strafaussetzung obligatorisch ist. 6 Selbst Freiheitsstrafen von zwei bis zu drei Jahren werden noch in fast 50% der Fälle zur Bewährung ausgesetzt,l während sich in Deutschland die Strafaussetzung bei Freiheitsstrafen von einem Jahr bis zu zwei Jahren auf 18,5 % der Fälle beschränkt. 3. Als Alternative zur Freiheitsstrafe hat in Japan außer der Geldstrafe und der Strafaussetzung zur Bewährung die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft allergrößte Bedeutung.8 Die Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Strafverfahrens aus Gründen der Opportunität geht auf die Zeit vor 1900 zurück, als unter dem Einfluß des europäischen Rechts die Gesamterneuerung der japanischen Rechtsordnung stattfand. Das Opportunitätsprinzip ist heute in § 248 der japanischen Strafprozeßord3 Die nachfolgenden Zahlen sind der Tabelle 1 des von Tjong bearbeiteten Abschnitts "Die Freiheitsstrafe und ihre Surrogate in Japan", in: Jescheck (Hrsg.), Die Freiheitsstrafe und ihre Surrogate im deutschen und ausländischen Recht, Bd. I, Baden-Baden 1983, entnommen. 4 Nishihara, Die Geldstrafe im japanischen Strafrecht, in: Jescheck / Grebing (Hrsg.), Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht, 1978, S. 549. 5 Jescheck, The influence of the Union Internationale de Droit Penal and of the Association Internationale de Droit Penal on the international development of modern policy, in: Association Internationale de Droit Penal, XII' Congres International de Droit Penal, Hambourg, Actes du Congres, 1980, S. 44 H. 6 Shigemitsu Dando, Strafrechtsentwicklung in Japan nach dem Kriege, ZStW 66 (1954) S. 160 f. 7 Tjong (Fußnote 3) Tabelle 3. 8 Dando, Japanese Criminal Procedure, 1965, S. 343 f.; derselbe, Japanese Criminal Procedure Reform, in: Mueller (Hrsg.), Essays in Criminal Science, 1961, S. 454 f.; derselbe, System of Discretionary Prosecution in Japan, The American Journal of Comparative Law 18 (1970) R. 518 H.; Joachim Herrmann, StrafRrozeßrecht, in: Eubel u. a. (Fußnote 1) S. 259; Hans Heiner Kühne, Opportunität und quasi-richterliche Tätigkeit des japanischen Staatsanwalts, ZStW 85 (1973) S. 1079 H.; Koichi Miyazawa, Kriminalität und ihre Bekämpfung in Japan, Festschrift für Thomas Wünenberger, 1977, S. 309 f.
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nung von 19489 geregelt. Nach dieser Vorschrift sind bei der Entscheidung der Frage, ob die Anklage nötig ist oder unterbleiben kann, zu berücksichsichtigen: der Charakter, das Alter und die Verhältnisse des Täters, die Schwere und die Umstände der Straftat und die Verhältnisse nach der Straftat. Von der dadurch eingeräumten Möglichkeit der Einstellung des Strafverfahrens wird in Japan in großem Umfang Gebrauch gemacht. Im Jahre 1971 wurden von den Staatsanwaltschaften 2.811.833 Strafsachen bearbeitet. In 1.907.944 Fällen wurde Anklage erhoben, in 371.096 Fällen wurde das Strafverfahren nach § 248 StPO eingestellt. 10 Obwohl in § 248 StPO die Schwere der Tat als ein von der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigender Umstand angeführt ist, werden jedoch nicht nur Bagatellsachen eingestellt. Im Jahre 1968 wurden nach dieser Vorschrift bei vorsätzlichen Tötungsdelikten 8.4%, bei Brandstiftung 26% der Fälle trotz hinreichender Beweise nicht angeklagtY Die Staatsanwaltschaft hat ferner nach einem Gesetz über die Entlassenenhilfe vom Jahre 1950 die Befugnis, Personen, denen gegenüber das Strafverfahren [86] aus Opportunitätsgründen eingestellt wird, mit ihrer Zustimmung für sechs Monate bestimmten Rehabilitationsmaßnahmen bis hin zur Unterbringung in Übergangsheimen zu unterwerfen. Auch verschiedene Bewährungsauflagen werden von der Staatsanwaltschaft ohne besondere gesetzliche Grundlage mit der Einstellung des Strafverfahrens verbundenY Diese Art der Einstellung entspricht der Befugnis der Staatsanwaltschaft in der Bundesrepublik Deutschland, das Verfahren nach § 153 a der deutschen Strafprozeßordnung unter Auflagen und Weisungen einzustellen, eine Möglichkeit, von der zunehmend Gebrauch gemacht wird. So wurde im Jahre 1981 das Verfahren in etwa 170.000 Fällen nach § 153 a StPO eingestellt, was 5% sämtlicher Ermittlungsverfahren bedeutetY Die japanische Staatsanwaltschaft hat ihre Einstellungspraxis, wie der Vortrag von Koichi Miyazawa auf der Strafrechtslehrertagung in Bern am 14. Mai 1983 ergab,t4 unverändert fortgesetzt. Von den Strafverfahren nach dem Strafgesetzbuch (ohne Verkehrsdelikte) wurden im Jahre 1981 36,1 % aus Gründen der Opportunität eingestellt, während die Praxis bei den Verkehrsdelikten auffallend streng ist. In diesem Bereich wurden nur 2,5% der Verfahren eingestellt.
11. Kriminalpolitik und Entwicklung der Kriminalität in Japan im Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland 1. Die Art und Weise der Handhabung des Strafrechts in Japan ist offensichtlich erfolgreich gewesen, denn Japan ist das einzige der großen westlichen Industrieländer, in dem die Kriminalität nicht ansteigt, sondern sinkt. Die Zahl der bekanntgewordenen 9 Deutsche Übersetzung. von Hideo Nakamura als Nr. 91 der Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Ubersetzung, 1970. 10 Kühne (Fußnote 8) S. 1088. 11 Dando (Fußnote 8) Am. J. Comp. L. 18 (1970) S. 524. 12 Dando (Fußnote 8) Am. J. Comp. L. 18 (1970) S. 527 f.; Kühne (Fußnote 8) S. 1090 f. 13 Peter Rieft, Entwicklung und Bedeutung der Einstellungen nach § 153 aStPO, Zeitschrift für Rechtspolitik 1983, S. 93 ff. Zum GesamtKomplex der Erledigung von Strafsachen durch die Staatsanwaltschaft vor der Hauptverhandlung Ryuichi Hirano, Diversion und Schlichtung, ZStW 93 (1981) S. 1085 ff. 14 Der Vortrag von Miyazawa ist mit den anderen Vorträgen der Berner Strafrechtslehrertagung in ZStW 95 (1983) 1027 ff. veröffentlicht.
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Straftaten betrug im Jahre 1970 1.932.401, im Jahre 1975 1.673.72. 143 Im Vergleich dazu sind in Deutschland im Jahre 19722.559.974, im Jahre 1981 4.071.873 Straftaten bekanntgeworden, bei einer Bevölkerungszahl, die nur halb so groß ist wie diejenige Japans. Auch die hohe Aufklärungsziffer von 69% in Japan ist im Verhältnis zur Aufklärungsziffer in Deutschland, die im Jahre 1981 45,3 % betrug, bemerkenswert. Dementsprechend ist die Zahl der Strafgefangenen in Japan von 52.813 im Jahre 1965 auf 37.850 im Jahre 1975 [87] zurückgegangen,t5 während sie in der Bundesrepublik Deutschland von 33.015 im Jahre 1971 auf 42.235 im Jahre 1980 angestiegen ist. 16 Die Gründe für die günstige Entwicklung der Kriminalität in Japan als einem Lande, das seit dem Ende des zweiten Weltkriegs eine unvergleichliche industrielle Entwicklung durchlaufen hat, liegen höchstwahrscheinlich tiefer als auf der Ebene des Strafrechts, so daß die Schlußfolgerung, die japanische Kriminalpolitik sei bei der Bekämpfung der Kriminalität "erfolgreich" gewesen, eigentlich schon zu weit geht. So viel wird sich jedoch sagen lassen, daß die konsequente Beschränkung der Freiheitsstrafe, die enorme Ausdehnung der Geldstrafe und die liberale Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaft nicht zu einer Zunahme der Kriminalität geführt haben. Die gegenwärtige, äußerst restriktive Handhabung des Strafrechts in Japan reicht zur Sicherung der Generalprävention offenbar aus. Zu einer Verschärfung besteht kein Anlaß. Dagegen hat in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten fünfzehn Jahren laufend eine Zunahme der Kriminalität stattgefunden, die zu einer erheblichen Zunahme der Geldstrafen und im Bereich der Freiheitsstrafe zu einer Zunahme der mittleren und langen Freiheitsstrafen geführt hat. 17 2. Ein Grund, sich nach weiteren Alternativen zur Freiheitsstrafe umzusehen, besteht für Länder, die wie Japan und Deutschland ihre Kriminalpolitik ganz wesentlich auf die Wirksamkeit der Geldstrafe abgestellt haben, in der Erfahrung, daß sich die Geldstrafe in Zeiten wirtschaftlicher Rezession und hoher Arbeitslosigkeit, wie sie die westlichen Industrienationen gegenwärtig erleben, auf dem Wege über die Ersatzfreiheitsstrafe in eine kurze und obendrein als besonders ungerecht empfundene Freiheitsstrafe zurückverwandeln kann. In Japan ist allerdings die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe extrem selten geblieben. Nishihara l8 nennt für das Jahr 1974 nur 160 Fälle, Tjong l9 für das Jahr 1980 gar nur 134 Fälle. Tatsächlich dürfte die Gesamtzahl der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen in Japan allerdings etwas höher liegen, weil es sich bei den vorgenannten Angaben um die Zahl der an einem Stichtag inhaftierten Personen handelt, während die Ersatzfreiheitsstrafen gewöhnlich kürzer als ein Jahr sind und deswegen am Stichtag [88] nur zum Teil erfaßt werden. Aber selbst wenn man dies berücksichtigt, ist die Zahl der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen in Japan extrem niedrig, so daß man das Programm der Ersetzung der Freiheitsstrafe durch die Geldstrafe bis jetzt als voll gelungen bezeichnen kann. Nishihara 20 führt dies darauf zurück, daß die Solidarität der Familie und anderer Kleingruppen in Japan so weit geht, daß Verwandte und Freunde mit Darlehen aushelfen, um die Ersatzfreiheitsstrafe für den Verurteilten zu vermeiden. 14.
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Miyazawa (Fußnote 8) S. 299 (Tabelle 1). Miyazawa (Fußnote 8) S. 308 (tabelle 7). Kaiser/Kerner / Schöch, Strafvollzug, 3. Auf!. 1982, S. 39. Heinz, Strafrechtsreform und Sanktionsentwicklung, ZStW 94 (1982) S. 658 f. Nishihara (Fußnote 4) S. 547. Tjong (Fußnote 3) S. 20. Nishihara (Fußnote 4) S. 548.
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In Deutschland stellt die Ersatzfreiheitsstrafe jedoch mit 25.000 bis 28.000 Fällen im Jahr2l ein ernstes Problem dar, zumal die Verfassungsmäßigkeit der Ersatzfreiheitsstrafe im Hinblick auf das Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG) zweifelhaft geworden ist. So hat bereits der italienische Verfassungsgerichtshof die Ersatzfreiheitsstrafe bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wegen der Diskriminierung der wirtschaftlich Schwachen im Jahre 1979 für verfassungswidrig erklärt22 und der italienische Gesetzgeber hat daraufhin anstelle der Ersatzfreiheitsstrafe die überwachte Freiheit (Iiberta controllata) sowie auf Antrag des Verurteilten die Ersatzarbeit (Iavoro sostitutivo) eingeführt. 23 In Deutschland hat man also Grund, sich nach Alternativen für die Ersatzfreiheitsstrafe umzusehen, zumal das Bundesverfassungsgericht einmal ebenso entscheiden könnte wie der italienische Verfassungsgerichthof.
III. Andere Alternativen zur Freiheitsstrafe (außer Geldstrafe, Strafaussetzung und Einstellung des Verfahrens) Das Instrumentarium der Kriminalpolitik zur Vermeidung der vollstreckten Freiheitsstrafe ist mit der Geldstrafe, der Strafaussetzung zur Bewährung und der Einstellung des Strafverfahrens unter Auflagen durch die Staatsanwaltschaft noch nicht erschöpft. Über die in Japan und Deutschland verwendeten Alternativen zur Freiheitsstrafe hinaus kommen vor allem der öffentliche Tadel, die Anwendung von Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln als Hauptstrafe und die Arbeitsstrafe in Betracht. Die Entwicklung und der gegenwärtige Stand dieser Alternativsanktionen ergeben im internationalen Bereich zur Zeit folgendes Bild: [89] 1. Der öffentliche Tadel besteht in dem förmlichen Ausspruch der Mißbilligung der in einem Schuldspruch festgestellten Tat durch das Gericht und einer Ermahnung des Verurteilten zum Wohlverhalten in der Zukunft. Er ist vor allem im sozialistischen Rechtskreis gebräuchlich. So ist der öffentliche Tadel in § 37 des Strafgesetzbuchs der DDR vorgesehen, wenn die Tat keine erheblichen schädlichen Auswirkungen hatte oder wenn sie zwar zu einem größeren Schaden führte, der Täter jedoch sonst ein verantwortungsbewußtes Verhalten zeigte und seine Schuld gering war. Die erzieherische Wirkung des öffentlichen Tadels kann durch eine individuelle oder kollektive Bürgschaft verstärkt werden. 24 Polen kennt die gerichtliche Rüge in Art. 18 Nr. 4 seines Übertretungsgesetzes. In westlichen Ländern kommt der öffentliche Tadel vor allem im Jugendstrafrecht vor. So gibt es im Jugendgerichtsgesetz der Bundesrepublik Deutschland25 einmal die Ermahnung im Falle des Absehens von der Verfolgung der Tat (§ 45 JGG), zum anderen die als förmliches Zuchtmittel ausgestaltete Verwarnung, die in der Hauptverhandlung durch 21 Die Ersatzfreiheitsstrafe muß in etwa 5.5% von etwas mehr als 500 000 im Jahr ausgesprochenen Veruneilungen zu Geldstrafe vollstreckt werden. 22 Cone Costitutionale, Sent. 21 novembre 1971, n. 131, Rivista italiana di diritto e procedura penale 1980, 1375. 23 Legge 24 novembre 1981, n. 689 »Modifiche al sistema penale", Gazz. Uff. 1981 Nr. 59, An. 102. 24 Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1981, §37 Anm. 2. 25 Schaf/stein, Jugendstrafrecht, 7. Aufl., 1980, S. 91.
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den Richter ausgesprochen wird (§ 14 JGG).26 Auch im österreichischen Jugendstrafrecht ist anstelle einer geringen Geld- oder Freiheitsstrafe die Ermahnung vorgesehen (§ 12 Abs. 2 JGG), die in der unteren Instanz der Jugendstrafrechtspflege bei einem Viertel aller Schuldsprüche angewendet wird. Im österreichischen Verwaltungsstrafrecht gibt es die Ermahnung auch gegenüber Erwachsenen (§ 21 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz)27 und Moos hat die Einführung der Verwarnung generell auch für das Erwachsenenstrafrecht vorgeschlagen. 28 2. Als Alternative zur Freiheitsstrafe mit höherer Intensität der Reaktion als der öffentliche Tadel kommt ferner die Verwendung von Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln in Betracht, die an die Stelle der angedrohten Hauptstrafe treten. So hat vor allem Frankreich im Jahre 1975 eine Anzahl von bisher nur als Neben- und Zusatzsanktionen vorgesehenen Maßnahmen als Hauptstrafen anstelle der Freiheitsstrafe eingeführt.29 Nach Art. 43 - 1 c.p. können Nebenfolgen (auch solche nach berufsständischen Gesetzen), die bei einem Vergehen neben einer angedrohten [90] Gefängnis- oder Geldstrafe Anwendung finden, als Hauptstrafen allein verhängt werden. Art. 43 - 2 c.p. stellt ferner das Berufsverbot bis zu fünf Jahren als Hauptsanktion zur Verfügung, wenn die Tat mit Gefängnis zu bestrafen wäre und im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Verurteilten begangen wurde. Art. 43 - 3 c.p. nennt weiter sechs Sanktionen, die - ohne Beziehung zu der begangenen Tat und ohne Androhung in der betreffenden Strafvorschrift - an die Stelle einer Gefängnisstrafe treten können. Hierzu gehören als wichtigste das Fahrverbot bis zu fünf Jahren (Nr. 1)30 und die Einziehung eines oder mehrerer Kraftfahrzeuge, die im Eigentum des Titers stehen (Nr. 3). Die französische Praxis hat jedoch von den neuen Sanktionsmöglichkeiten kaum Gebrauch gemacht (im Jahre 1977 in weniger als 1 % aller gerichtlich ausgesprochenen Strafen).3! Als Gründe für die Zurückhaltung der Praxis werden die konservative Einstellung der Richter, die auf die traditionellen Sanktionen fixiert sind, das teilweise Fehlen einer Beziehung zwischen den neuen Sanktionen und der Tat, die Schädlichkeit des Berufsverbots für die Resozialisierung des Verurteilten und das zu geringe Gewicht mancher Sanktionen im Verhältnis zur Schwere der Tat angegeben. Auch Polen kennt die Ersetzung einer Freiheitsstrafe durch Nebenstrafen, unter denen ebenso wie in Frankreich das Verbot der Führung von Kraftfahrzeugen die wichtigste ist (Art. 55 i. V. m. Art. 38 Nr. 2 - 4, 6 poln. Strafkodex). In 26 Im Unterschied dazu kennt das japanische Jugendgesetz vom 15. 7. 1948 in Art. 24 verschiedene Fürsorgernaßnahmen und in Art. 23 § 2 eine Vorschrift für den Fall, daß Fürsorgernaßnahmen für unnötig erachtet werden, aber keine ~estimmung über einen förmlichen Tadel. Das japanische Jugendgesetz in der kommentierten Ubersetzung von Hans Heiner Kühne un4. Kotchi Miyazawa ist als Nr. 94 in der Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Ubersetzung, 1975 veröffentlicht. 27 Walter/ Meyer, Grundriß des österreichischen Verwaltungverfahrensrechts, 2. Aufl. 1980, S. 259 f. 28 Moos, Zur Reform des Strafprozeßrechts und des Sanktionenrechts für Bagatelldelikte, 1981, S. 164. 29 Teufel, Reformen zur Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafe in Frankreich, Diss. Freiburg i. Br., 1978, S. 150 ff. 30 Im Unterschied zum deutschen Recht, das das Fahrverbot nur als Nebenstrafe neben einer Freiheits- oder Geldstrafe und nur bei Straftaten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs kennt (§ 44 StGB), ist das Fahrverbot im französischen Recht als alleinige Hauptstrafe und ohne Beziehung zur begangenen Straftat vorgesehen. 31 Teufel (Fußnote 29) S. 229 ff.
Alternativen zur Freiheitsstrafe
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Belgien wird eine Regelung nach französischem Muster für die Reform des Code penal erwogen. 32 3. Die wichtigste der neuen Alternativen zur Freiheitsstrafe ist die Arbeitsstrafe, die nach englischem Muster vielfach "community service" genannt wird. Sie ist jedoch nicht eigentlich "neu", denn schon dem sächsischen und thüringischen Recht des 17. und 18. Jahrhunderts war die Handarbeitsstrafe anstelle einer Geldstrafe bekannt. 33 In der Gegenwart gibt es in einigen Ländern die Arbeitsstrafe als Surrogat für die Ersatzfreiheitsstrafe. So findet sich in der Bundesrepublik Deutschland in Art. 293 des Einführungsgesetzes zum StGB von 1974 eine Bestimmung, die die Landesregierungen ermächtigt, dem Verurteilten zu gestatten, eine [91] uneinbringliche Geldstrafe durch freie Arbeit zu tilgen. 34 Eine entsprechende Regelung gilt in der Schweiz (Art. 49 Ziff. 1 Abs. 2 schweiz. StGB).35 Die schon erwähnte Ersatzarbeit des italienischen Rechts besteht in unbezahlter Tätigkeit für die Gemeinschaft während eines Arbeitstages in der Woche (Art. 105, 107 des Gesetzes vom 24. November 1981).36 Häufig anzutreffen ist in der Strafgesetzgebung ferner die Möglichkeit der Auferlegung von gemeinnützigen Leistungen im Zusammenhang mit Bewährungssanktionen. So gibt es im deutschen Recht die Auflage gemeinnütziger Leistungen (Hilfsdienste in Krankenanstalten, Altersheimen, Kindertagesstätten und ähnlichen Einrichtungen) sowohl beim vorläufigen Absehen von der Erhebung der öffentlichen Klage durch die Staatsanwaltschaft (§ 153a Abs. 1 Nr. 3 StPO) als auch bei der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB); ferner gibt es im Jugendstrafrecht als Erziehungsrnaßregel die Weisung, Arbeitsleistungen zu erbringen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 JGG), eine Sanktion, die auch im Zusammenhang mit der Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommt (§ 23 Abs. 1 JGG). Die Besserungsarbeit ohne Freiheitsentziehung als primäre Hauptsanktion ist eine charakteristische Unrechtsfolge in den Strafrechtsordungen des sozialistischen Rechtkreises. 37 In der Sowjetunion ist Besserungsarbeit die am häufigsten verwendete Alternative zur Freiheitsstrafe. 38 Sie besteht nach Art. 27 des StGB der RSFSR darin, daß der Verurteilte für einen Zeitraum von einem Monat bis zu einem Jahr einen bestimmten Teil seines Arbeitslohns (5 bis 20%) zugunsten des Staates verliert. Im Unterschied zur echten Arbeitsstrafe im Sinne des englischen "community service" handelt es sich hierbei also nicht um zusätzlichen Arbeitseinsatz, sondern um eine "verkappte Geldstrafe", deren Höhe an die Höhe des Arbeits32 Annette Bernards, Die Freiheitsstrafe und ihre Surrogate im belgischen Strafrecht, Diss. Freiburg i. Br., 1980, S. 212. 33 Rosenfeld, Welche Strafmittel können an die Stelle der kurzzeitigen Freiheitsstrafe gesetzt werden? 1890, S. 314 H. 14 Die Länd~r I:Iamburg,.Berlin, Bremen un~ Hess~n haben v