Strafjustiz und DDR-Unrecht: Band 3 Amtsmissbrauch und Korruption [Reprint 2013 ed.] 9783110899559, 9783110174403

Band 3 dokumentiert die Strafverfahren gegen DDR-Funktionäre wegen Amtsmissbrauchs und Korruption. In strafrechtlicher H

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German Pages 593 [596] Year 2002

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Table of contents :
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Einführung in die Dokumentation „Strafjustiz und DDR-Unrecht“
DDR-Wahlfälschungen im Spiegel der Strafjustiz
Dokumente
Teil 1: Die strafrechtliche Verfolgung von Wahlfälschungen durch die DDR-Justiz 1989/90
Lfd. Nr. 1: Wahlfälschung im Bezirk Potsdam – Kreis Neuruppin
1. Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Neuruppin vom 7.3.1990, Az.: S 10/90
2. Berufungsurteil des Bezirksgerichts Potsdam vom 8.5.1990, Az. bsb 41.90
Lfd. Nr. 2: Wahlfälschung im Bezirk Potsdam – Kreis Brandenburg-Stadt
Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Brandenburg vom 20.6.1990, Az.: S 88/90
Lfd. Nr. 3: Wahlfälschung im Bezirk Gera – Kreis Schleiz
1. Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Schleiz vom 12.4.1990, Az.: S 10/90
2. Berufungsurteil des Bezirksgerichts Gera vom 18.5.1990, Az.: BSB 31/90
Lfd. Nr. 4: Wahlfälschung im Bezirk Gera – Kreis Jena-Stadt
1. Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Jena-Stadt vom 23.4.1990, Az.: S 38/90
2. Berufungsurteil des Bezirksgerichts Gera vom 31.5.1990, Az.: BSB 33/90
Lfd. Nr. 5 : Wahlfälschung im Bezirk Karl-Marx-Stadt – Kreis Glauchau
Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Glauchau vom 8.6.1990, Az.: S 43/90
Lfd. Nr. 6: Wahlfälschung im Bezirk Leipzig – Kreis Leipzig-Stadt
1. Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Leipzig vom 26.6.1990, Az.: 33 S 122/90
2. Berufungsurteil des Bezirksgerichts Leipzig vom 27.9.1990, Az.: BSB 134/90
Lfd. Nr. 7: Wahlfälschung im Bezirk Rostock – Kreis Wismar-Stadt
Strafbefehl des Kreisgerichts Wismar vom 13.9.1990, Az.: 221-99-90
Teil 2: Die strafrechtliche Verfolgung von Wahlfälschungen nach der Vereinigung
Lfd. Nr. 8: Wahlfälschungen im Bezirk Karl-Marx-Stadt – Verantwortlichkeit auf Bezirksebene
Erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 2.11.1990, Az.: 37 S 99/90
Lfd. Nr. 9: Wahlfälschung im Bezirk Potsdam – Kreis Potsdam-Stadt
Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Potsdam-Stadt vom 13.9.1991, Az.: 32 S 26/90
Lfd. Nr. 10: Wahlfälschung im Bezirk Potsdam – Verantwortlichkeit auf Bezirksebene
Erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 27.10.1994, Az.: 75 Ls 60 Js 14/92 (30/94)
Lfd. Nr. 11 : Wahlfälschung im Bezirk Erfurt – Kreis Weimar-Stadt
Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Weimar vom 7.10.1991, Az.: 1 Js 4939/91 a-b
Lfd. Nr. 12: Wahlfälschung im Bezirk Erfurt – Verantwortlichkeit auf Bezirksebene
Erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Erfurt vom 3.11.1994, Az.: Js 6/94 – 2 KLs
Lfd. Nr. 13: Wahlfälschung im Bezirk Gera – Verantwortlichkeit auf Bezirksebene
Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Gera-Stadt vom 15.1.1992, Az.: Ls 2/90
Lfd. Nr. 14: Wahlfälschung im Bezirk Dresden – Kreis Dresden-Stadt
1. Erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts Dresden vom 7.2.1992, Az.: 3 KLs 51 Js 530/91
2. Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs vom 26.11.1992, Az.: 3 StR 319/92
3. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 31.3.1993, Az.: 2 BvR 292/93
Lfd. Nr. 15: Wahlfälschung im Bezirk Dresden – Verantwortlichkeit auf Bezirksebene
1. Erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Dresden vom 27.5.1993, Az.: 3 (c) KLs 51 Js 4048/91
2. Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs vom 3.11.1994, Az.: 3 StR 62/94
3. Urteil des Landgerichts Dresden vom 9.8.1995, Az.: 4 KLs 51 Js 4048/91
Lfd. Nr. 16: Wahlfälschungen im Bezirk Cottbus – Kreis Cottbus-Stadt
Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Cottbus-Stadt vom 14.4.1992, Az.: 31 S 107/90
Lfd. Nr. 17: Wahlfälschung im Bezirk Halle – Kreis Halle-Stadt
Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts für Halle und den Saalkreis vom 27.4.1992, Az.: S 160/90 (111 – 12/90)
Lfd. Nr. 18: Wahlfälschung im Bezirk Halle – Saalkreis
Erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Halle vom 17.5.1994, Az.: 10 (9) Kls 1/93
Lfd. Nr. 19: Wahlfälschung in Berlin
Erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 8.9.1993, Az.: (215) 77 Js 103/90 Ls (10/93)
Lfd. Nr. 20: Wahlfälschung in der DDR – Zentrale Verantwortlichkeit
Anklage der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin vom 1.6.1995, Az.: 28/2 Js 185/91
Anhang
Schaubilder zum Wahlsystem, zum Staatsaufbau sowie zur Struktur von Partei und staatlichen Organen der DDR
Wahlrechtliche Bestimmungen der DDR
Strafgesetzbuch der DDR (Auszüge)
Strafprozeßrecht der DDR (Auszug)
Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland (Auszüge)
Auswahlbibliographie zum Thema Wahlfälschung
Verfahrensübersicht
Gesetzesregister
Ortsregister
Personenregister
Sachregister
Recommend Papers

Strafjustiz und DDR-Unrecht: Band 3 Amtsmissbrauch und Korruption [Reprint 2013 ed.]
 9783110899559, 9783110174403

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Strafjustiz und DDR-Unrecht Dokumentation

Herausgegeben von Klaus Marxen und Gerhard Werle

w DE

_G 2002 Walter de Gruyter · Berlin · New York

Band 3: Amtsmissbrauch und Korruption

Unter Mitarbeit von Willi Fahnenschmidt und Petra Schäfter

w DE

G 2002 Walter de Gruyter · Berlin · New York

Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums der Justiz

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Strafjustiz und DDR-Unrecht : Dokumentation / hrsg. von Klaus Marxen und Gerhard Werle. - Berlin ; New York : de Gruyter Bd. 3: Amtsmissbrauch und Korruption / unter Mitarb. von Willi Fahnenschmidt und Petra Schäfter. - 2002 ISBN 3-11-017440-5

© Copyright 2002 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Vorwort zum dritten Band Die Dokumentation „Strafjustiz und DDR-Unrecht" präsentiert der Öffentlichkeit erstmals ein vollständiges Bild der strafrechtlichen Verfolgung von DDR-Unrecht. Die Dokumentation ist aus dem Forschungsprojekt „Strafjustiz und DDR-Vergangenheit" hervorgegangen, das wir mit Unterstützung der VolkswagenStiftung an der HumboldtUniversität zu Berlin durchführen. Kooperationsvereinbarungen mit den Justizbehörden haben uns den Zugang zu allen einschlägigen Verfahrensunterlagen ermöglicht. Gelingen kann ein Vorhaben dieser Art und Größenordnung nur, wenn tatkräftige Hilfe von außen kommt und tüchtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligt sind. Wir haben daher zahlreichen Personen und Institutionen zu danken. Unser besonderer Dank gilt den Ministerien und Staatsanwaltschaften der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie der Bundesanwaltschaft für die Bereitschaft, die Justizmaterialien zur Verfügung zu stellen. Gedankt sei ferner den Mitgliedern des Projektbeirats, Herrn Generalstaatsanwalt a.D. Schaefgen, dem Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Inneres Herrn Diwell, dem ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof Herrn Prof. Dr. Horstkotte sowie dem Strafverteidiger Herrn Priv. Doz. Dr. Dr. Ignor, die uns bei der Konzipierung dieser Dokumentation beraten haben. Großen Dank schulden wir auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Forschungsprojekts „StraÇustiz und DDR-Vergangenheit" sowie unserer Lehrstühle, die das Werk auf vielfältige Weise unterstützt haben. An erster Stelle sind Willi Fahnenschmidt und Petra Schäfter zu nennen, die durch konzeptionelle und praktische Mitarbeit besonderen Anteil am Gelingen dieses Bandes haben. Weiterhin danken wir Johannes Beleites, Nora Dittmer, Jenny Krieger, Petra Tesch und Doreen Siegmund, die in verschiedenen Phasen an dem Vorhaben mitwirkten. Die VolkswagenStiftung hat durch die großzügige Förderung des Projekts „Strafjustiz und DDR-Vergangenheit" eine entscheidende Voraussetzung für die vorliegende Dokumentation geschaffen. Das Bundesministerium für Justiz schließlich hat durch die Gewährung eines Zuschusses den Druck dieses dritten Bandes ermöglicht. Berlin, im Januar 2002 Klaus Marxen

Gerhard Werle

Inhalt Vorwort

V

Abkürzungsverzeichnis

XI

Einfuhrung in die Dokumentation „Strafjustiz und DDR-Unrecht" Amtsmissbrauch und Korruption in der DDR im Spiegel der Strafjustiz

XVII XXVII

Dokumente Teil 1 : Die Strafverfolgung von Amtsmissbrauch und Korruption: Anklageerhebung durch die DDR-Staatsanwaltschaften Lfd. Nr. 1 Die erste Anklage - Der Fall Opitz

3

1. Anklage der Staatsanwaltschaft des Bezirkes Leipzig vom 1.2.1990 — Az.: 111-25/89 2. Erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts Leipzig vom 11.5.1990 - Az.: BS 1/90; 111-25/89 3. Berufimgsurteil des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik vom 6.9.1990-Az.: 2 OSB 1/90 4. Einstellungsbeschluss des Landgerichts Leipzig vom 23.9.1993 - Az.: 2 Bs 13a/90

21 27

Lfd. Nr. 2 Der ehemalige Vorsitzende des FDGB - Der Fall Tisch

29

1. Anklage des Generalstaatsanwalts der DDR vom 21.2.1990 - Az. : 111 -13-90 2. Beschluss (teilweise Abtrennung und Vorlage) des Landgerichts Berlin vom 14.2.1991 - Az.: (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90) 3. Erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Berlin vom 6.6.1991 Az. : (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90)

31

Lfd. Nr. 3 Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller 1. Anklage der Staatsanwaltschaft des Bezirkes Erfurt vom 11.5.1990 Az.: 111 - 164/89 2. Beschluss (Eröffnung, Abtrennung und Vorlage) des Bezirksgerichts Erfurt vom 9.8.1991-Az: 1 Js 4984/91 3. Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 20.2.1992 - Az.: 16 S 59/90 Ν; l J s 4984/91 4. Aufhebungsbeschluss des Bezirksgerichts Erfurt vom 21.6.1993 — Az.: 501 Js 4984/91 - 5 KLs 5. Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 Az.: 1 Js 4984/91 KLs 6. Beschluss (Abtrennung und Vorlage) des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 Az.: 1 Js 4984/91 KLs 7. Beschluss (Ergänzung des Vorlagebeschlusses) des Landgerichts Erfurt vom 19.9.1995 - Az. 1 Js 4984/91 Kls

5 13

45 63 85 87 93 97 107 109 119 137

Inhalt

8. Beschluss (Unzulässigkeit der Vorlage) des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.1997-Az.: 2 BvL 6/95 9. Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 10.3.1998 Az.: 1 Js 4984/91 KLs Lfd. Nr. 4 Ein „in Leichtbauweise errichtetes Gartenhaus" - Der Fall Korth

141 147 149

1. Anklage der Militärstaatsanwaltschaft Neubrandenburg vom 6.8.1990 Az.: Str. 02/90 (Nbg.) 2. Erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts Schwerin vom 27.8.1991 Az.: lh BS 2/91; Str. 02/90 3. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21.4.1992 - Az.: 1 StR 801/91

161 187

Lfd. Nr. 5 Ein Wochenendhaus für 30,- Mark - Der Fall Kochs/Timm

189

1. Anklage des Staatsanwalts des Bezirkes Rostock vom 20.8.1990 Az.: 111-1-90 2. Erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Rostock vom 16.2.1993 Az.: II Kls 6/91; 111-1-90 StA Rostock 3. Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs vom 13.1.1994 - Az. : 4 StR 481/93 4. Erneutes tatrichterliches Urteil des Landgerichts Rostock vom 2.6.1994 Az.:I KLs 8/94

151

191 197 223 231

Teil 2: Die Strafverfolgung von Amtsmissbrauch und Korruption: Anklageerhebung nach der Vereinigung Lfd. Nr. 6 Das Freizeitobjekt Born - Der Fall Axen

241

1. Anklage der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht vom 21.1.1991Az.: 2 Js 27/90 243 2. Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 27.6.1991 - Az.: 512 -10/91 .. 253 Lfd. Nr. 7 Gartenpflege für drei Millionen Mark - Der Fall Stoph

261

1. Anklage der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht vom 3.7.1992 Az.: 2 Js 43/90 2. Beschluss (Nichteröffnung und Einstellung) des Landgerichts Berlin vom 18.6.1993 - Az.: (519a/519) 2 Js 43.90 (26.92)

285

Lfd. Nr. 8 Die Waldsiedlung Wandlitz - Der Fall Honecker

287

1. Anklage der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht vom 12.11.1992 Az.: 2 Js 97/91 2. Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 13.1.1993 Az.: (514) 2 Js 97/91 (35/92) Lfd. Nr. 9 Bauten für Funktionäre und die Einbindung des Bauministeriums Der Fall Martini 1. Anklage der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht vom 20.4.1993 Az.: 2 Js 871/92 2. Erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Berlin vom 13.12.1994 Az.: (526) 2 Js 871/92 Kls (2/94)

VIII

263

289 345

349 351 369

Inhalt Lfd. Nr. 10 Der Bereich Kommerzielle Koordinierung Der Fall Schalck-Golodkowski/Seidel 1. Anklage der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin vom 19.5.1995 Az.:23Js 1003/93 2. Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 19.9.1997 Az. : (512) 23 Js 1003/93 KLs (14/95) 3. Beschluss des Kammergerichts vom 30.11.1998 - Az.: 2 AR 66/95 5 WS 764/97; (512) 23 Js 1003/93 (14/95) Anhang

379 381 465 487 507

Verfassung der DDR (Auszüge)

507

Strafgesetzbuch der DDR (Auszüge)

508

6. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR (Auszüge)

512

Strafprozessordnung der DDR (Auszug)

513

Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland (Auszug)

513

Auswahlbibliographie zum Thema Amtsmissbrauch und Korruption

515

Verfahrensübersicht

519

Fundstellenverzeichnis

525

Gesetzesregister

527

Ortsregister

533

Personenregister

535

Sachregister

541

IX

Abkürzungsverzeichnis Α. a.A. a.a.O. a.F. aaO Abs. Abt. AG AHB akt. Alt. Anm. App.No. Art. Aufl. Az AZKW BA Bd. BdL BDVP Beschl. Bez. BG BGBl BGH BGHR BK BKK BL Bl. BStA BT BT-Drucksache BV BVerfG BVerfGE BVerfGG BVwfS bzgl. bzw. ca. CDU cm Corp. CSSR d.

Auflage anderer Ansicht am angegebenen Ort alter Fassung am angegebenen Ort Absatz Abteilung Aktiengesellschaft oder Amtsgericht Aussenhandelsbetrieb aktualisiert(e) Alternative Anmerkung Application Number Artikel Auflage Aktenzeichen Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs Beiakte Band Büro der Leitung Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Beschluss Bezeichnung Bezirksgericht Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofs (Loseblattsammlung) Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bereich Kommerzielle Koordinierung Bezirksleitung Blatt Bezirksstaatsanwalt(schaft) Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bezirksverwaltung Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bezirksverwaltung für Staatssicherheit bezüglich beziehungsweise circa Christlich-Demokratische Union Zentimeter Corporation íeskoslovenská socialistická republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) der, des

Abkürzungsverzeichnis d.h. DABA DDR DDR-StGB DevisenG dgl. DHB DKP DÖV DtZ ebd. EFH EGStGB ehem. E-Herd E-Hsp. Einl. erw. etc. EV EVP f. Fa. FamRZ FDGB FDJ ff. 8 GBl. GBNr., Gef.B.Nr. gem. Gen. GG ggf· GmbH GöV GStA GVG GVS HA ha Hi-Fi i.d.F. i.d.R. i folg. i.V. i.V.m. Ing. iSd. iVm. IWP Jan. JR XII

das heißt Deutsche Außenhandelsbank Deutsche Demokratische Republik Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik Devisengesetz dergleichen Deutsche Handelsbank Deutsche Kommunistische Partei Die öffentliche Verwaltung Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift ebenda Einfamilienhaus Einfuhrungsgesetz zum Strafgesetzbuch ehemalige(r), (s) Elektroherd Einkaufs-Handelsspanne Einleitung erweitert(e) et cetera Einigungsvertrag Einzelhandelsverkaufspreis oder Endverbraucherpreis folgende Seite Firma Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Freier deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend fortfolgende Seiten Gramm Gesetzblatt Gefangener-Buch-Nummer gemäß Genösse Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen Generalstaatsanwalt(schaft) Gerichtsverfassungsgesetz Geheime Verschlusssache Hauptabteilung Hektar High Fidelity in der Fassung in der Regel im folgenden in Vertretung in Verbindung mit Ingenieur(in) im Sinne des in Verbindung mit Industrielle Warenproduktion Januar Juristische Rundschau

Abkürzungsverzeichnis JVA Kap. Kfz KG kg KJVD KK KMR KO KoKo KP KPdSU KrG KuA KWV 1 lfd. LFN LG Ii. LK LKW LPG LR lt. M m m.a.W. m.w.N. MAI MAW mbh MDN MDR ME MfB MfS MGO Mio Mod. MOStA Mrd MStA n.F. neuverf. NJW Nr. NStE NStZ NSW NVA o.g. OBL

Justizvollzugsanstalt Kapitel Kraftfahrzeug Kammergericht Kilogramm Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung Kleinknecht-Müller-Reitberger (Kommentar zur Strafprozessordnung) konspiratives Objekt Kommerzielle Koordinierung Kommunistische Partei Kommunistische Partei der Sowjetunion Kreisgericht Kunst und Antiquitäten GmbH Kommunale Wohnungsverwaltung Liter laufend(e) Landwirtschaft, Forsten und Nahrungswirtschaft Landgericht links Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Lastkraftwagen Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Löwe-Rosenberg (Kommentar zur Strafprozessordnung) laut Mark der DDR Meter mit anderen Worten mit weiteren Nachweisen Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel der DDR Ministerium für Außenwirtschaft mit beschränkter Haftung Mark der Deutschen Notenbank (entspricht Mark der DDR) Monatsschrift für Deutsches Recht Mengeneinheit Ministerium für Bauwesen Ministerium für Staatssicherheit Militärgerichtsordnung Millionen Modell Militäroberstaatsanwalt Milliarden Militärstaatsanwalt(schaft) neuer Fassung neuverfasst(e) Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht (hrsg. von Kurt Rebmann u.a.) Neue Zeitschrift für Strafrecht Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet Nationale Volksarmee oben genannt(e), (er), (es) Oberbauleitung

XIII

Abkürzungsverzeichnis OG OGSt OibE OLG Pb PDS PGH Pkw PI. PLZ pol. Pos. pp. Prof. PS PVC qm RD rd. Rdn., RdNr., Rdnrn. re. Reg.-Nummer RFT RGSt Riko Rz S s SBW SDAG SED sign. sog. SPD SPK StA StÄG std. Rspr.

Oberstes Gericht der DDR Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR in Strafsachen Offizier im besonderen Einsatz Oberlandesgericht Preisbasis Partei des demokratischen Sozialismus Produktionsgenossenschaft des Handwerks Personkraftwagen Platte Postleitzahl polizeilich(e), (er), (es) Position und so weiter Professor Personenschutz Polyvinylchlorid Quadratmeter Rückwärtige Dienste rund Randnummer(n) rechts Registriernummer Radio-Femseh-Technik Amtliche Sammlung des Reichsgerichts in Strafsachen Richtungskoeffizient Randziffer Satz oder Seite siehe Spezialbauwesen Sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft Sozialistische Einheitspartei Deutschlands signiert sogenannt(e), (er), (es) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Staatliche Plankommission Staatsanwaltschaft) Strafrechtsänderungsgesetz ständige Rechtsprechung

Stellv.

stellvertretende, (r), (s)

StGB StPO StrafRÀndG, StRÄG StrEG StV SW Τ t Teilbd. TM TVM u. u.a. u.U.

Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafrechtsänderungsgesetz Gesetz über die Entschädigung fur Strafverfolgungsmaßnahmen Strafverteidiger Sozialistisches Wirtschaftsgebiet Tausend oder Teil Tonnen Teilband Tausend Mark Tausend Valutamark und oder unten und anderem oder unter anderem oder unter anderen unter Umständen

XIV

Abkürzungsverzeichnis Überarb. UHA VE VEB VEM vgl. VGW VM VO VVB VWM WAB WaffenG WBK wistra WM WWD Z.A. z.B. z.T. Z.Z., z.Zt. Zf. ZGB Ziff. ZK ZOV

überarbeitete) Untersuchungshaftanstalt Verrechnungseinheiten oder volkeigen(e), (er), (es) Volkseigener Betrieb Versorgungseinrichtung des Ministerrats vergleiche Valutagegenwert Valutamark Verordnung Vereinigung Volkseigener Betriebe/Verwaltung Volkseigener Betriebe Verwaltung der Wirtschaftsbetriebe des Ministerrates Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Waffengesetz Wohnungsbaukombinat Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Weltmeisterschaft Wasserwirtschaftsdirektion zur Anstellung zum Beispiel zum Teil zur Zeit Ziffer Zivilgesetzbuch der DDR Ziffer Zentralkomitee Zentrale Objektverwaltung

XV

Einführung in die Dokumentation „Strafjustiz und DDR-Unrecht" Beabsichtigt ist eine umfassende Dokumentation der strafrechtlichen Verfolgung systembedingten DDR-Unrechts. Zeitlich setzt die Dokumentation im Jahre 1989 ein, denn erste Verfahren wurden schon unmittelbar nach der politischen Wende noch in der DDR betrieben. Den weitaus größeren Teil der dokumentierten Verfahren führte allerdings die Strafjustiz der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung durch. Die Dokumentation bietet vor allem zwei übergreifende Perspektiven. Sie zeigt erstens die Strafverfolgungsaktivitäten der Justiz auf, und sie gibt zweitens zeitgeschichtlich bedeutsame Feststellungen wieder. Damit ermöglicht die Dokumentation nicht nur eine fundierte kritische Auseinandersetzung mit der strafrechtlichen Aufarbeitung des DDRUnrechts selbst; vielmehr wird auch die DDR-Vergangenheit mittelbar zum Gegenstand der Dokumentation. So richtet sich das Angebot des Gesamtvorhabens sowohl an die allgemeine Öffentlichkeit wie auch an die Fachöffentlichkeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen: Rechtswissenschaft, Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft, Sozialwissenschaften.

I. Begründung des Vorhabens Mit der Strafverfolgung von DDR-Unrecht unternahm die deutsche Justiz einen weiteren Versuch, Systemkriminalität aufzuarbeiten. Zuvor waren - im Osten und im Westen Deutschlands - Strafverfahren gegen NS-Täter durchgeführt worden. Ihnen waren die Strafverfolgungsmaßnahmen der Alliierten vorangegangen, die mit den Nürnberger Prozessen ihren Anfang genommen hatten. Die Linie der Verfolgung staatlich initiierter Kriminalität führt bis hin zu den Tribunalen, die derartige im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda begangenen Verbrechen ahnden. Die Verfolgung von DDR-Unrecht ist ungeachtet aller Besonderheiten dieser Verfahren - Bestandteil einer Entwicklung, die darauf zielt, die faktische Straflosigkeit der Kriminalität der Mächtigen zu beenden. Diese Ausdehnung der Herrschaft des Rechts verdient es, eine Wende genannt zu werden. Sie leitet einen neuen Abschnitt in der Entwicklung des Rechts ein. Gesellschaftlich, politisch und juristisch sollte diesem Vorgang daher höchste Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dazu bedarf es einer uneingeschränkten und ungefilterten Wahrnehmung. Eine solche Wahrnehmung soll diese Dokumentation für den Bereich der Strafverfolgung von DDR-Unrecht ermöglichen. Auch zeithistorische Gründe rechtfertigen das Vorhaben. Zum einen bieten die Justizdokumente eine wertvolle historische Materialgrundlage, denn sie enthalten zeitgeschichtlich bedeutsame Feststellungen, die durch die hohen Beweisanforderungen des Strafverfahrens abgesichert sind. Zum anderen bildet die Dokumentation einen justiziellen Vorgang ab, der sich nach Art und Umfang deutlich von den sonstigen Justizaktivitäten abhebt. Bei der politischen und historischen Bewertung dieses Vorgangs wird nicht allein danach gefragt werden, ob die Justiz ihre selbst gesteckten Ziele erreicht hat. Vielmehr werden Nutzen und Nachteil der Verfahren für den Prozess der deutschen

Einführung

Rechtsgrundlagen der Strafverfolgung von DDR-Unrecht

Vereinigung ein wichtiges Thema sein, für dessen Behandlung die Dokumentation das wesentliche Material bereitstellt. Die Bewertungen der Strafverfahren wegen DDR-Unrechts gehen weit auseinander. Nicht wenige sind der Ansicht, dass die Justiz einen Irrweg beschritten habe. Sie vermissen eine ausreichende Rechtsgrundlage, erheben wegen der Unvergleichbarkeit von DDR-Unrecht und NS-Verbrechen den Vorwurf der UnVerhältnismäßigkeit und kritisieren die Verfahren als verkappte politische Abrechnung und letztlich als „Siegeijustiz". Andere dagegen lasten der Justiz an, nur halbherzig gegen Systemtäter vorgegangen zu sein und dadurch den Systemopfern Genugtuung verweigert zu haben. Die Justiz habe die Hauptverantwortlichen verschont und viel zu milde Strafen verhängt. Dieser Meinungsstreit beruht zu einem erheblichen Teil auf einer jeweils nur selektiven Wahrnehmung des Gesamtvorgangs. Darin wirkt sich nicht allein der Unterschied der politischen Standpunkte aus. Grenzen sind auch denjenigen gesetzt, die sich unvoreingenommen eine Meinung bilden wollen. Denn die dafür nötige Materialbasis steht nicht zur Verfügung. Die Medien und die juristische Fachpresse bieten nur Ausschnitte. Die Medien konzentrieren sich auf spektakuläre Einzelfälle. In der juristischen Fachöffentlichkeit sind fast nur Entscheidungen aus dem Bereich höchstrichterlicher Rechtsprechung präsent. Ihre Auswahl erfolgt nach rein rechtlichen Gesichtspunkten. Als Endprodukte verraten sie nichts über den Verlauf der Strafverfolgung und über den Rechtsfindungsgang. Weitgehend ausgeblendet bleibt auch der zeithistorisch besonders bedeutsame Vorgang der Sachverhaltsfeststellung, für den die unteren Instanzen zuständig sind. Nicht einmal ansatzweise kommt der Gesamtvorgang in den Blick. Die Selektivität der Wahrnehmung gilt es zu beseitigen, damit eine sachliche Diskussion über Stärken und Schwächen der Strafverfolgung von DDR-Unrecht geführt werden kann. Ein geeignetes Mittel dafür ist eine auf Vollständigkeit angelegte Dokumentation.

II. Rechtsgrundlagen der Strafverfolgung von DDR-Unrecht Auch nach der deutschen Wiedervereinigung sollte DDR-Unrecht verfolgt werden können. Das geht zweifelsfrei aus Regelungen im Einigungsvertrag und in Folgegesetzen hervor, die das anzuwendende Recht und Veijährungsfragen betreffen. Nach Artikel 8 des Einigungsvertrages wurde mit dem Beitritt der DDR das Strafrecht der Bundesrepublik gesamtdeutsch verbindlich. Auf vorher in der DDR begangene Straftaten, sog. „DDR-Alttaten", ist nach Artikel 315 Absatz 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch § 2 des Strafgesetzbuches anzuwenden. Daraus ergibt sich: Zunächst muss die Tat nach beiden Rechtsordnungen, also nach DDR-Recht wie nach bundesdeutschem Recht strafbar sein (Zwei-Schlüssel-Ansatz). Trifft dies zu, so ist das mildere Recht anzuwenden. Für die Ahndung von DDR-Unrecht ist damit das Meistbegünstigungsprinzip maßgeblich. Es veranlasst eine Prüfung in mehreren Schritten. Dem ersten Prüfungsschritt liegt das Strafrecht der DDR zugrunde. Ausgeschieden werden die Fälle, die bereits nach diesem Strafrecht straflos sind. Der zweite Prüfungsschritt gilt der Frage, ob in den verbleibenden Fällen eine Strafbarkeit auch nach dem Strafrecht der Bundesrepublik gegeben ist. Ein positives Ergebnis hat zur Folge, dass nun nach der Unrechtskontinuität zwischen den anwendbaren Vorschriften des DDRStrafrechts und des Strafrechts der Bundesrepublik gefragt wird. Eine bloß formale XVIII

Konzeption und Ziele der Dokumentation

Einführung

Übereinstimmung der Vorschriften genügt nämlich nicht. Es muss sichergestellt sein, dass das alte und das neue Recht im Wesentlichen denselben Unrechtstyp erfassen. Andernfalls würde das strafrechtliche Rückwirkungsverbot verletzt. Wird die Unrechtskontinuität bejaht, so folgt als letzter Prüfimgsschritt der Vergleich der Strafvorschriften mit dem Ziel, die mildere Strafdrohung zu bestimmen. Veijährungsfragen regelt Artikel 315a des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch. Die Vorschrift sieht vor, dass eine bis zum Beitritt noch nicht eingetretene Verjährung mit dem Tag des Beitritts als unterbrochen gilt. Die Unterbrechung hat zur Folge, dass die Frist in voller Länge erneut zu laufen beginnt. Die Regelung zielt auf eine Kompensation des Zeitaufwandes, der für den Neuaufbau der Justiz auf dem Gebiet der früheren DDR zu veranschlagen war. Nachdem sich abzeichnete, dass der justizielle Neuaufbau mehr Zeit in Anspruch nahm, als ursprünglich vorgesehen, wurden 1993 und 1997 Gesetze erlassen, die die Veqährungsfristen verlängerten. Zudem stellte ein weiteres 1993 erlassenes Veqährungsgesetz klar, dass systembedingte Straftaten verfolgbar blieben, auch wenn die Veqährungsfrist noch vor dem Beitritt abgelaufen war. Da eine Verfolgung von Taten dieser Art in der DDR unterblieb, wurde - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zu systembedingten Straftaten in der NS-Zeit - ein Ruhen der Verjährung angenommen. Im Wesentlichen blieb es bei diesen Vorgaben. Verfassungs- und Gesetzgeber verzichteten auf eine weitergehende Gestaltung der Strafverfolgung von DDR-Unrecht. Die Aufgabe einer Präzisierung der rechtlichen Grundlagen musste zur Hauptsache von der justiziellen Praxis bewältigt werden. Auch dieser Umstand rechtfertigt eine Dokumentation des justiziellen Vorgehens. III. Konzeption und Ziele der Dokumentation Dokumentiert werden soll die strafrechtliche Aufarbeitung des systembedingten DDRUnrechts. Was unter „systembedingt" zu verstehen ist, hat die Justiz selbst durch die Organisationsform der Schwerpunktstaatsanwaltschaft und die Bildung von Fallgruppen in der Entscheidimgspraxis näher bestimmt. Als systembedingt sind danach Taten anzusehen, die durch das System, das den Staat DDR trug, initiiert, gefördert oder geduldet wurden. Dazu sind folgende Fallgruppen zu zählen: Wahlfälschung, Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, Rechtsbeugung, Amtsmissbrauch und Korruption, Straftaten unter Beteiligung des Ministeriums fur Staatssicherheit, Denunziation, Misshandlung von Gefangenen, sonstige Wirtschaftsstraftaten, Doping sowie Spionage. Darüber hinaus wurden von den Schwerpunktstaatsanwaltschaften teilweise auch Taten verfolgt, die erst nach dem Ende der DDR begangen wurden. Dazu gehören etwa Fälle vereinigungsbedingter Wirtschaftskriminalität und Aussagedelikte, die im Zusammenhang mit Strafverfahren wegen DDR-Unrechts verübt wurden. Diese Bereiche bleiben hier jedoch unberücksichtigt, weil schon aus zeitlichen Gründen allenfalls ein mittelbarer Zusammenhang mit dem System der DDR besteht. Die Dokumentation soll gewährleisten, dass die Strafverfolgung in ihrem zeitlichen Ablauf vollständig abgebildet wird. Einbezogen werden daher auch die Verfahren, die nach der politischen Wende noch in der DDR begonnen und teilweise dort sogar abgeschlossen wurden. Im Zentrum stehen allerdings die Strafverfahren, die die Justiz der XIX

Einführung

Materialgewinnung

Bundesrepublik Deutschland nach dem Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 durchgeführt hat. In die Dokumentation werden nur Verfahren aufgenommen, in denen Anklage erhoben wurde. Denn erst mit der Anklageerhebung verlässt das Strafverfahren das Stadium unabgeschlossener Ermittlungen und ungesicherter Annahmen über Tat und Täter. Zur Hauptsache werden gerichtliche Sachurteile dokumentiert. Die in ihnen getroffenen oder überprüften Sachverhaltsfeststellungen sind durch erhöhte Anforderungen an die Beweiserhebung und -Würdigung abgesichert. Auch bestimmen maßgeblich Entscheidungen dieser Art über die Reichweite staatlicher Strafverfolgung, weil sie verbindlich zwischen strafbarem und straflosem Verhalten abgrenzen. Daneben werden Prozessurteile und gerichtliche Beschlüsse wiedergegeben, sofern sie Verlauf und Ergebnis des Verfahrens wesentlich mitgestaltet haben. Auf Anklagen und Einstellungsentscheidungen wird ausnahmsweise dann zurückgegriffen, wenn eine Identifizierung des Verfahrensgegenstandes anders nicht möglich ist. Die Fallgruppen bestimmen den Aufbau der Dokumentation. Nach ihnen richtet sich auch die Aufteilung in Einzelbände. Damit wird den erheblichen Unterschieden zwischen den Fallgruppen Rechnung getragen. Sie betreffen nicht allein die tatsächliche und rechtliche Seite des jeweiligen Unrechtskomplexes, sondern auch die Verfolgungspraxis. Die Präsentation nach Fallgruppen lässt die jeweiligen Besonderheiten in der Entwicklung der justiziellen Verarbeitung deutlich hervortreten und bringt über den einzelnen Fall hinausgehende zeithistorische Zusammenhänge zur Geltung. IV. Materialgewinnung Das Dokumentationsvorhaben war nicht leicht zu realisieren. Denn die Strafverfolgung von DDR-Unrecht wurde dezentral betrieben. Auf die Einrichtung einer zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen, vergleichbar derjenigen in Ludwigsburg zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, wurde verzichtet. Die Materialien mussten also über die im jeweiligen Fall zuständigen Staatsanwaltschaften gewonnen werden. Diese Bemühungen konnten sich auf die neuen Bundesländer und Berlin konzentrieren, weil die Verfahren nach den strafprozessrechtlichen Zuständigkeitsregeln fast ausnahmslos dort durchzuführen waren. Etwas erleichtert wurde das Vorhaben durch organisatorische Maßnahmen im Bereich der Staatsanwaltschaften in den Jahren 1992 und 1993. Die neuen Bundesländer übertrugen die Zuständigkeit auf Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder Schwerpunktabteilungen bei Staatsanwaltschaften. Berlin richtete eine allein mit den Verfahren wegen DDR-Unrechts befasste Staatsanwaltschaft II ein. Mit diesen Staatsanwaltschaften sowie mit der für die Spionageverfahren zuständigen Bundesanwaltschaft mussten unter Einbeziehung der jeweiligen Justizministerien Absprachen darüber getroffen werden, wie die einschlägigen Verfahren erfasst werden konnten und in welchen Formen eine Überlassung und Verwertung von Verfahrensmaterialien möglich war. Zu beteiligen waren auch die für den Datenschutz zuständigen Behörden, weil Strafverfahrenakten datenschutzrechtlich besonders sensibles Material enthalten. Es bedurfte somit umfangreicher Kooperationsvereinbarungen. Auch musste für die Erfassung, die Übergabe, die Anonymisierung, die Verarbeitung mit EDV-Mitteln und die Aufbewahrung der Materialien ein hoher personeller und organisatorischer Aufwand XX

Materialauswahl

Einführung

geleistet werden. Derartige Aufgaben überfordem Einzelpersonen und auch universitäre Einrichtungen. Nötig war die Etablierung eines Forschungsprojekts auf Drittmittelbasis. Die Förderungszusage der VolkswagenStiftung ermöglichte die Einrichtung des Forschungsprojekts „Strafjustiz und DDR-Vergangenheit" an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Das Projekt entwickelte Formen der Kooperation mit den beteiligten Behörden, die eine vollständige Erfassung und sachgerechte Verarbeitung gewährleisteten. Die Staatsanwaltschaften machten dem Projekt die relevanten Verfahrensmaterialien in kopierter Form zugänglich. Die Anonymisierung der Daten solcher Personen, die nicht zu den Personen der Zeitgeschichte gehören, erfolgte zunächst noch vor Übernahme der Materialien in den Arbeitsbereich des Projekts, nach Änderung der datenschutzrechtlichen Auflagen vor Veröffentlichung der Texte. Im Projekt wurden die Verfahren und die Materialien mit kennzeichnenden Daten sowie die Texte der Materialien unter Einsatz von EDV-Techniken verarbeitet. In regelmäßig Abständen wurde der Bestand an Verfahren und Verfahrensmaterialien mit den Staatsanwaltschaften abgeglichen. Dadurch ist sichergestellt, dass das Projekt zumindest für den Zeitraum seit der Begründung spezieller staatsanwaltschaftlicher Zuständigkeiten in den Jahren 1992 und 1993 über eine vollständige Materialsammlung verfügt. Dagegen können Lücken für den Zeitraum davor nicht völlig ausgeschlossen werden. Betroffen sind Verfahren, die vor der Wiedervereinigung noch von DDR-Staatsanwaltschaften und in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung von örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet wurden. Sie sind nirgends systematisch erfasst. Die Quote fehlender Verfahren dürfte jedoch gering sein. Das Projekt ist allen Hinweisen auf derartige Verfahren nachgegangen, die sich aus den erfassten Verfahren und aus der Presseberichterstattung ergaben.

V. Materialauswahl Der Intention einer vollständigen Dokumentation würde der Volltextabdruck sämtlicher Dokumente aus allen Verfahren am besten entsprechen. Der Umfang einer solchen Publikation würde jedoch jedes vertretbare Maß übersteigen. Zudem hätten zahlreiche Dokumente einen weitgehend identischen Inhalt. Es war daher eine Materialauswahl vorzunehmen. Sie orientierte sich an den folgenden generellen Leitlinien. Es war sicherzustellen, dass die wesentlichen Strafverfolgungsaktivitäten vollständig abgebildet wurden. Auch mussten die dokumentierten Verfahren in ihrem Ablauf nachvollziehbar bleiben. Zur Hauptsache sollten, wie oben dargelegt, tat- und revisionsrichterliche Entscheidungen mit wichtigen rechtlichen Aussagen und zeitgeschichtlich bedeutsamen Sachverhaltsfeststellungen zur Geltung kommen. Nur ausnahmsweise sollte auf sonstige richterliche und staatsanwaltschaftliche Entscheidungen oder sonstige Materialien zurückgegriffen werden. Welche Konsequenzen diese Leitlinien für die einzelnen Fallgruppen hatten, wird in der Einleitung der einzelnen Bände dargelegt. Dort werden auch zusätzliche spezielle Auswahlkriterien erläutert, die sich aus den Besonderheiten der einzelnen Fallgruppen ergaben.

XXI

Einführung

Systematik der Dokumentation/Bearbeitung der Materialien

VI. Systematik der Dokumentation Die Dokumentation ist nach Fallgruppen in Einzelbände aufgeteilt. Besonders umfangreiche Fallgruppen erstrecken sich auf zwei Bände. Die Dokumentation der Fallgruppen ist so angelegt, dass eine separate Nutzung der Bände möglich ist. Geplant ist ein Gesamtumfang von etwa zehn Bänden. Die Abfolge des Erscheinens richtet sich nach dem Stand der Verfolgungsaktivitäten. Vorrangig werden Fallgruppen dokumentiert, in denen die Strafverfolgung vollständig oder nahezu abgeschlossen ist. Im Zentrum jedes Einzelbandes steht der Dokumententeil. Die darin enthalten Verfahren sind mit laufenden Nummern und einem Kurztitel versehen, der den Verfahrensgegenstand benennt. Vorangestellt ist ein Verzeichnis der aus diesem Verfahren zum Abdruck kommenden Materialien. Die Abfolge der dokumentierten Verfahren richtet sich nach den Besonderheiten der Fallgruppe. Sie wird in der Einleitung des Einzelbandes dargelegt und begründet. Die zu einem Verfahren gehörenden Dokumente werden chronologisch nach dem Zeitpunkt der Entscheidimg angeordnet. An erster Stelle ist in der Regel das erstinstanzliche Urteil abgedruckt. Es folgen, soweit vorhanden, Entscheidungen weiterer Instanzen. Die jeweils zuletzt wiedergegebene Entscheidung hat, sofern nichts anderes angemerkt ist, Rechtskraft erlangt. Den einzelnen Dokumenten ist ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt. Dem Dokumententeil geht ein einleitender Beitrag voraus. Er enthält für die jeweilige Fallgruppe einen Überblick über Gegenstand, Umfang und Entwicklung der Strafverfolgungsmaßahmen. Ferner werden darin die Materialauswahl und die Reihenfolge der Wiedergabe erläutert. Ein dem Dokumententeil nachfolgender umfangreicher Anhang bietet weiterführende Informationen sowie mehrere Register (näher dazu unten VIII). VII. Bearbeitung der Materialien Größtmögliche Authentizität ist durch Wiedergabe von Dokumenten im FaksimileAbdruck erreichbar. Davon wurde jedoch abgesehen, weil die Bände viel zu umfangreich geworden wären. Auch wäre es wegen der erheblichen formalen Unterschiede der einzelnen Dokumente nicht möglich gewesen, eine übersichtliche und gut lesbare Dokumentation vorzulegen. Günstige Rezeptionsbedingungen lassen sich unter weitgehender Wahrung der Authentizität durch einen Abdruck von Texten im Wortlaut erreichen. Dieser Weg wurde hier gewählt. Die editorische Grundlinie lautet daher: Texteingriffe werden nur vorgenommen, wenn sie aus datenschutzrechtlichen Gründen unvermeidlich und zur Gewährleistung von Übersichtlichkeit und Lesbarkeit geboten sind. Selbstverständlich werden Eingriffe durch Kürzungen oder Zusätze als solche kenntlich gemacht. Annotierungen haben, wie es dem Charakter einer Quellenedition entspricht, lediglich die Funktion, Verständnishilfe zu bieten. Auf Bewertungen jeder Art wird verzichtet. Im Einzelnen wurden an den Materialien, die fast ausnahmslos als Kopien der Originaldokumente vorlagen, folgende Bearbeitungsschritte vorgenommen (vgl. auch das Beispiel auf S. XXV). Zunächst erfolgte eine Überprüfung der Materialien unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes. Stets wurden Tag und Monat des GeburtsXXII

Bearbeitung der Materialien

Einführung

datums sowie Angaben zum Geburts- und Wohnort entfernt. Ferner wurden Nachnamen bis auf den Anfangsbuchstaben unkenntlich gemacht, sofern die Betroffenen nicht zum Kreis der Personen der Zeitgeschichte gehören. Wiesen Personen identische Anfangsbuchstaben auf und war eine Verwechslung nicht auszuschließen, so blieb auch der zweite Buchstabe des Namens erhalten. Im Falle einer auch dann noch bestehenden Übereinstimmimg wurden völlig andere Buchstaben vergeben. Nach der Anonymisierung personenbezogener Angaben wurden die Kopien mit Hilfe eines Scanners eingelesen. Es schloss sich eine Bearbeitung der Dateien mittels eines Textverarbeitungsprogramms an. In mehreren Korrekturdurchläufen wurde die Übereinstimmung mit der kopierten Vorlage überprüft. Eine inhaltliche Überprüfung - z.B. der in den Texten verwendeten Zitate - wurde nicht vorgenommen. Die äußere Gestaltung der Texte wurde unter Wahrung größtmöglicher Nähe zum Original vereinheitlicht. Zur Erleichterung der Identifizierung und Zuordnimg des Dokuments wurde ein Text mit folgenden Angaben vorangestellt: Aussteller sowie Datum, Aktenzeichen und Art des Dokuments. Zitate im Text erhielten eine einheitliche Form. Hervorhebungen blieben erhalten, soweit sie nicht Namen von Verfahrensbeteiligten betrafen. Das gilt auch für Hervorhebungen in Zitaten. Bei ihnen muss offen bleiben, ob sie Bestandteil des Zitats sind oder hinzugefugt wurden. Aufgenommen wurde die Seitenzählung des Originals. Sie ist mit geschweiften Klammern „{ }" eingefügt. Genannt wird die Zahl der Seite, die im Original der angegebenen Stelle folgt. Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden in der vorgefundenen Form belassen. Eingegriffen wurde lediglich in Fällen offensichtlicher Schreib- und Zeichensetzungsfehler. Sie wurden - ohne Kennzeichnung - korrigiert. Fehler sonstiger Art wurden durch Anmerkungen ausgewiesen. Fehlten Wörter oder Satzteile, so wurde der fehlende Text in eckigen Klammern eingefugt, falls er aus dem Kontext zweifelsfrei zu erschließen war. Selten aufgetretene unleserliche Passagen wurden durch den Hinweis „® unleserlich kenntlich gemacht. Über die Anonymisierung personenbezogener Angaben hinaus wurden Textkürzungen nur in Ausnahmefällen vorgenommen. Im Wesentlichen dienten sie dazu, unnötige Wiederholungen zu vermeiden oder Textteile entfallen zu lassen, die wegen der Anonymisierung bedeutungslos geworden waren. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden gelegentlich auch Textpassagen mit datenschutzrechtlich besonders sensiblen Informationen gestrichen, wie etwa gutachtliche Aussagen über den Gesundheitszustand von Angeklagten. Die Stelle des weggelassenen Textes nimmt eine kurze Beschreibung des Inhalts ein. Ihr ist das Zeichen „®" voran- und nachgestellt, das die Kürzung kenntlich macht. Es unterscheidet sich deutlich von Auslassungen im Original („...")· Generell weggelassen wurden Verweise auf Beiakten und Beweismittelordner, ebenso wie Ausführungen zu den Verfahrenskosten. Gelegentlich wurde, um den Text besser erfassbar zu machen, eine Überschrift hinzugefugt, die sich auf Grund der Untergliederung des Textes aufdrängte. Eckige Klammem markieren den Beginn und das Ende des Zusatzes. Die Anmerkungen, die dem jeweiligen Dokument nachfolgen, sind knapp gehalten. Sie erklären Fachbegriffe und weisen auf historische Zusammenhänge hin, die nicht als bekannt vorausgesetzt werden können. Nähere Erläuterungen zu historischen und politischen Hintergründen enthalten die Einleitungen zu den Einzelbänden. Die AnmerkunXXIII

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Hilfsmittel/Ergänzung der Dokumentation

gen verweisen ferner auf verfahrenspraktische Zusammenhänge, z.B. auf andere Strafverfahren gegen den Angeklagten oder auf Strafverfahren gegen im Dokument erwähnte Personen. Vollständigkeit ist insoweit jedoch nicht gewährleistet. Die Anonymisierung, die nach den zunächst geltenden datenschutzrechtlichen Auflagen vor der Verarbeitung vorzunehmen war, erschwerte die Zuordnung. Abkürzungen werden nicht in Anmerkungen, sondern in einem gesonderten Verzeichnis erläutert.

VIII. Hilfsmittel Die Erschließung der Dokumente wird durch verschiedene Hilfsmittel erleichtert. Das Abkürzungsverzeichnis steht vor dem Dokumententeil. Im Anhang sind zunächst Gesetze und andere Rechtsvorschriften abgedruckt, die für die jeweilige Fallgruppe von Bedeutung sind. Gelegentlich werden weitere Materialien hinzugefügt, die für das Verständnis historischer Zusammenhänge wichtig sind, z.B. Organigramme von DDRInstitutionen. Anschließend ist in einer Auswahlbibliographie die einschlägige juristische und zeitgeschichtliche Literatur zusammengestellt. Es folgt eine Übersicht über alle Verfahren der jeweiligen Deliktsgruppe, die bis zur Fertigstellung des Manuskripts bekannt waren. Dieser Übersicht lassen sich die Aktenzeichen, die Urteile sowie die Verfahrensergebnisse für die einzelnen Angeklagten entnehmen. Den Abschluss bilden verschiedene Register. Das Gesetzesregister ermöglicht die gezielte Suche nach gesetzlichen Vorschriften, die in der Dokumentation erwähnt sind. Das Personenregister führt zu den Textstellen, an denen bestimmte Personen genannt werden. Allerdings sind wegen der Anonymisierung im Übrigen nur Personen der Zeitgeschichte recherchierbar. Das Ortsregister enthält Verweise auf geographische Begriffe. Das Sachregister erschließt die Dokumentation nach Schlagworten und enthält auch Namen von Institutionen. Die Register werden mit Beendigung der Dokumentation zu einem Gesamtregister zusammengefasst werden.

IX. Ergänzung der Dokumentation Eine Dokumentation dieser Art ist mit dem Risiko verbunden, dass Nachträge notwendig werden. Zwar ist die Strafverfolgung von DDR-Unrecht insgesamt weitgehend abgeschlossen. Auch kann durch die Abfolge der Bände ein größtmögliches Maß an Vollständigkeit gewährleistet werden, indem diejenigen Fallgruppen den Vorrang erhalten, in denen die Verfolgung am weitesten vorangeschritten ist. Gleichwohl können Lücken dadurch entstehen, dass Verfahren zum Erscheinungszeitpunkt noch nicht beendet sind. Diese Möglichkeit lässt sich allein schon wegen der Dauer der Rechtsmittelverfahren und der verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht ausschließen. Auch können noch so intensive Recherchen nicht vollständig davor bewahren, dass in bereits abgeschlossenen Verfahren relevante Materialien erst nach dem Erscheinen der Buchpublikation bekannt werden. Um derartige Lücken schließen zu können, wird die Buchpublikation durch eine Volltextedition aller Verfahren in digitalisierter Form ergänzt werden.

XXIV

Einführung

Beispiel einer Dokumentseite

Beispiel einer Dokumentseite

Bezirk Erfurt

Φ

Lfd. Nr. 12

Landgericht Erfurt Az.: Js 6/94 - 2 KLs

3. November 1994

URTEIL

( J ) Kurztitel, charakterisiert den Verfahrensgegenstand 0

Laufende Nummer Aussteller, Datum und Aktenzeichen

@

® Art des Dokuments

Im Namen des Volkes In der Strafsache gegen den Rentner Gerhard Müller, geboren 1928, Deutscher, verheiratet,

®

Angaben zu den Angeklagten (ohne Geburtsund Wohnort)

wegen Anstiftung zur Wahlfälschung hat die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Erfurt aufgrund der Hauptverhandlung vom 11.10.1994, 12.10.1994, 18.10.1994, 19.10.1994, 25.10.1994, 26.10.1994 und 03.11.1994, an der teilgenommen haben: ® Es folgt die Nennung der Verfahrensbeteiligten. ®

Redaktionelle Zusammenfassung einer gekürzten Passage zwischen Auslassungszeichen

(6)

am 03.11.1994 für Recht erkannt: Der Angeklagte wird wegen Anstiftung zur Wahlfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Angewendete Strafvorschriften: §§ 107a Abs. 1, 26, 56 StGB; Art. 315 Abs. 1 EGStGB, § 211 Abs. 1 StGB/DDR {3}

®

Beginn der Originalseite in geschweiften Klammern

Gründe (abgekürzt nach § 267 Abs. 4 StPO) I.

[Feststellungen zur Person]

\Q/

Der Angeklagte Müller wurde 1928 in C. als uneheliches Kind einer Arbeiterin geboren. Da seine Mutter allein für den Lebensunterhalt zu sorgen hatte, wurde er bereits kurz nach seiner Geburt in die Familie eines Schneiders zur Pflege gegeben. Dort wuchs er als letztes von zwölf Kindern auf. Von 1934 bis 1942 besuchte er in Bad Brambach die Grund- und weiterführende Schule, anschließend absolvierte er bis Januar 1945 eine Lehrausbildung im Lehrerbildungsinstitut in Auerbach. Nach Kriegsende arbeitete der Angeklagte zunächst in Bad Brambach in der Landwirtschaft, um dann von Januar bis August 1946 einen Kurs für

Redaktionelle Textergänzung in eckigen Klammem

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XXV

Amtsmissbrauch und Korruption in der DDR im Spiegel der Strafjustiz Diese Einleitung skizziert zunächst Gegenstand, Umfang und Entwicklung der Strafverfolgungsmaßnahmen (I.). Anschließend werden Auswahl und Präsentation der Materialien erläutert und begründet (II.).

I. Die strafrechtliche Aufarbeitung von Amtsmissbrauch und Korruption Die persönliche Bereicherung von Funktionären wurde in der DDR 1989 zu einem zentralen Thema öffentlicher Debatte. In der Öffentlichkeit 1 - und dann auch in der Fachliteratur2 - hat sich für diesen Themenkomplex die Bezeichnung als „Amtsmissbrauch und Korruption" eingebürgert.3 Diese plastische Bezeichnung wird auch für die vorliegende Dokumentation übernommen; in strafrechtlicher Hinsicht geht es dabei um Vermögensdelikte, insbesondere um Untreue. Der Einsatz politischer Macht zum Zwecke persönlicher Bereicherung war nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden und Strafgerichte in der politischen Führung der DDR weit verbreitet. Die Aufdeckung dieser Missstände begann bereits im Herbst 1989 und trieb nicht nur die politische Wende in der DDR voran. Gemeinsam mit den Verfahren wegen der Fälschung der DDR-Kommunalwahlen vom 7. Mai 19894 markiert die Ermittlungstätigkeit der DDR-Staatsanwaltschaften wegen Amtsmissbrauchs und Korruption auch den Beginn der Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Insgesamt wurden im letzten Jahr der DDR und nach der Vereinigung in 39 Verfahren 53 hochrangige DDR-Funktionäre - darunter acht Mitglieder des SED-Politbüros - angeklagt.5 Der SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzende Erich Honecker, der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, der Vorsitzende des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) Harry Tisch, der Sekretär für Wirtschaft des Zentralkomitees der SED Günter Mittag sowie der Leiter des Bereiches „Kommerzielle Koordinierung" Alexander SchalckGolodkowski zählten zu den wohl bekanntesten Angeklagten. Dennoch traten die anfangs von einer breiten Öffentlichkeit sehr interessiert beobachteten Verfahren recht bald in den Hintergrund. Ursache waren die turbulenten Entwicklungen in der DDR sowie andere Aufsehen erregende Strafverfahren. 6 So wurde 1

2 3 4 5

6

Vgl. dazu etwa den Bericht von Klemm über den Untersuchungsausschuss der Volkskammer mit dem Titel: „Korruption und Amtsmißbrauch in der DDR"; aus der Vielzahl von Berichten der Tagespresse vgl. nur taz ν. 12.12.1989, S. 2 („Späthe Hilfe"). Vgl. Buchholz, Staat und Recht 1990, 70ff. Siehe auch Fahnenschmidt, DDR-Funktionäre, S. 4f.; Marxen/Werle, Aufarbeitung, S. 105ff. Vgl. den ersten Band der vorliegenden Dokumentationsreihe zum Thema Wahlfälschung (Marxen/ Werle, Strafjustiz, Bd. 1) sowie Müller, Symbol 89. Dabei richteten sich in einigen Fällen mehrere Verfahren gegen ein und dieselbe Person. So wurden z.B. Karl-Heinz Martini, Günter Mittag und Alexander Schalck-Golodkowski jeweils zweimal und Manfred Seidel insgesamt dreimal angeklagt. Etwa die Verfahren wegen der Gewalttaten an der innerdeutschen Grenze (vgl. hierzu den zweiten Band der vorliegenden Dokumentation Marxen/Werle, Strafjustiz) sowie Rummler, Gewalttaten.

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

Strafrechtliche Aufarbeitung

den Verfahren wegen Amtsmissbrauch und Korruption nach wenigen Monaten nur noch auf kommunaler Ebene öffentliche Aufinerksamkeit zuteil; eine Ausnahme bildete allein das Verfahren gegen den ehemaligen FDGB-Vorsitzenden Harry Tisch.7 1. Das zeitgeschichtliche Umfeld Im Jahr 1989 stand die DDR kurz vor dem wirtschaftlichen Ruin. Neben der finanziellen Notlage waren die strikten Reisebeschränkungen, die fehlende Meinungsfreiheit, die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung durch die Staatssicherheit sowie die politische Unbeweglichkeit der überalterten Staatsführung die Hauptursachen für die tiefe Krise der DDR. Soziale Spannungen und der Wunsch nach politischen Reformen wurden immer deutlicher erkennbar. Ein Anzeichen der wachsenden Unzufriedenheit war die stetig steigende Zahl von Ausreiseanträgen. Viele Menschen, die ihre Hoffnung auf eine „legale" Ausreise aus der DDR aufgegeben hatten, fanden andere Wege in die Freiheit. So suchten zahlreiche DDR-Bürger Zuflucht in bundesdeutschen Botschaften in Osteuropa, um auf diese Weise ihre Einreise in die Bundesrepublik zu erzwingen. Diese besondere historische Situation ermöglichte es, auf lange geduldete Missstände erstmals auch öffentlich hinzuweisen. Die immer stärker werdende öffentliche Anteilnahme an dieser Entwicklung führte unter anderem zur Einleitung der ersten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen Amtsmissbrauchs und Korruption.8 2. Die konkreten Tathandlungen Die Bereicherung von Staats- und Parteifunktionären vollzog sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Insgesamt lassen sich vier Sachverhaltskomplexe bilden. Der wohl bekannteste Bereich ist die privilegierte Versorgung der Politbüromitglieder in der „Bonzensiedlung" von Wandlitz (a). Häufig nutzten die politischen Machthaber ihre Position auch, um sich Wohnraum zu bevorzugten Konditionen zu verschaffen (b). Hohe Kosten verursachte des Weiteren die willkürliche und aufwändige Gestaltung und Ausstattung der Jagdgebiete (c). Schließlich lassen sich Privilegien sonstiger Art anfuhren, die hohe Funktionäre fur sich in Anspruch nahmen (d). a) Die Waldsiedlung Wandlitz Anfang der sechziger Jahre entstand nördlich von Berlin die bekannte Regierungssiedlung Wandlitz. Wohnberechtigt waren dort nahezu ausschließlich die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros. Zuständig fur die Bewirtschaftung der Siedlung war offiziell das Ministerium für Handel und Versorgung. Tatsächlich oblagen Schutz, Versorgung und Betreuung der Bewohner aber von Beginn an ausschließlich dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), insbesondere der dortigen Hauptabteilung Personenschutz. Vom Bäcker bis zum Wachpersonal standen insgesamt 650 MfS-Beschäftigte zur Verfugung.9 7 8 9

Vgl. lfd. Nr. 2. Näher dazu unten S. XXXVI. Nach Klemm, Amtsmissbrauch, S. 73.

XXVIII

Strafrechtliche Aufarbeitung

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

Die größte Aufmerksamkeit erregte später die kostengünstige Versorgung der Wandlitz-Bewohner mit Westprodukten jeglicher Art. Bis etwa 1972 wurden in Wandlitz Importwaren allerdings nur in geringem Umfang angeboten. Der Bedarf der Bewohner an Importgütern wurde bis dahin allein aus sogenannter AZKW-Ware (Amt fur Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs) gedeckt. Dabei handelte es sich um Güter, die beim Postverkehr zwischen der Bundesrepublik und der DDR beschlagnahmt worden waren. Im März 1972 versiegte diese Bezugsquelle jedoch vorübergehend.10 Um die weiterhin gewünschten Produkte dennoch anbieten zu können, wurde die Einfuhr notwendig. Die nunmehr zu importierenden Waren konnten natürlich nicht mehr so günstig „erworben" werden wie die Produkte aus dem Bestand des Amtes fur Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs. Schon der Einkaufspreis in DM lag regelmäßig über dem alten Verkaufspreis in Mark der DDR. Zusätzlich musste der Richtungskoeffizient11 dem Einkaufspreis in DM aufgeschlagen werden. Dieser stieg im Laufe der Zeit auf 340%, wurde jedoch aufgrund einer Sonderregelung fur Wandlitz - je nach Produkt - auf maximal 50% festgeschrieben. Schließlich war entsprechend den Preiskalkulationsrichtlinien für Preise im Binnenhandel eine gesetzlich festgelegte Handelsspanne aufzuschlagen. Ein weiteres Problem der Preisgestaltung lag darin, dass der Einkaufspreis in DM durch Preisänderungen in den westlichen Ländern erheblich schwankte. Preissteigerungen widersprachen jedoch dem Festpreissystem der DDR. Es war daher nicht möglich, die Preise der marktwirtschaftlichen Situation anzupassen. Als Folge dieser Situation wurde 1972 eine starre Berechnungsgrundlage für die Preise in Wandlitz geschaffen, die bis November 1989 unverändert Gültigkeit hatte. Der Verkaufspreis errechnete sich danach wie folgt: Der DM-Preis wurde durch Aufschlag des Richtungskoeffizienten (je nach Ware 25-50%) und einer Handelsspanne von 20% in den Verkaufspreis in Mark der DDR umgewandelt. Bei manchen Warengruppen existierten allerdings (günstige) Sonderregelungen. Die Preisgestaltung war so stets sehr verbraucherfreundlich. In wenigen Einzelfallen legte Mielke persönlich und ohne Berücksichtigung der in Wandlitz üblichen Kalkulation den Preis fest. Abgesehen davon, dass viele der in Wandlitz verkauften Waren fur den durchschnittlichen Bürger selten oder gar nicht käuflich waren, wird der wirtschaftliche Vorteil der Einkaufsberechtigten deutlich, wenn man der Wandlitz-Kalkulation die Preise für westliche Waren in den sog. „Exquisit-" oder „Delikat"-Läden gegenüberstellt. Wurden in Wandlitz Importgüter im Wert von 100,- DM mit 150,- bis 180,- Mark bezahlt, mußten in den letzten Jahren der DDR in den Delikat-Läden - je nach Produkt und sofern die Ware überhaupt zu erwerben war - zwischen 400,- und 2000,- Mark aufgewendet werden. Die Liste der Wandlitz-Privilegien lässt sich noch erweitern. So wurden in vielen Fällen aufgrund von Sonderwünschen der Bewohner Einzelaufträge ausgeführt. Die

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Grund hierfür war die Aufnahme der deutsch-deutschen Verhandlungen im Jahr 1971, in deren Gefolge die DDR ihre Beschlagnahmepraxis stark einschränkte. Nach bundesdeutschen Beobachtungen ging die Zahl der beschlagnahmten Pakete von 96.000 im Jahr 1970 auf 31.000 im Jahr 1972 zurück; vgl. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Bereich „Kommerzielle Koordinierung", Abschlussbericht, BT-Drucksache 12/7600, S. 287. Hierbei handelt es sich um die prozentuale Wertdifferenz zwischen der Mark der DDR und der „Valutamark"; näher dazu Fahnenschmidt, DDR-Funktionäre, S. 22f.

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DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

Strafrechtliche Aufarbeitung

durch den hierfür eingerichteten Kurierdienst verursachten Zusatzkosten wurden den Bestellern nicht berechnet. An einer im äußeren Ring der Siedlung befindliche Tankstelle konnten Familienmitglieder der Bewohner für private Zwecke gratis tanken. Zusätzlich erhielten Kinder der Politbüromitglieder kostenlos Kreditscheine für andere Tankstellen.12 Weitere Devisen wurden gebunden durch die wunschgemäße Ausstattung der Häuser mit Waren aus dem westlichen Ausland und eine verstärkte Reiseaktivität der Bewohner. Für alle Wünsche der Politbüromitglieder galt die Weisung, dass die Bediensteten ohne jeden Kommentar, dafür mit „tschekistischer13 Meisterschaft ... die optimale und niveauvolle Betreuung und Versorgung der führenden Repräsentanten" 14 zu realisieren hatten. Die Devisenausgaben für die Unterhaltung der Regierungssiedlung stiegen ständig an. Während im Jahr 1973 noch etwa eine Million Valutamark15 ausreichte, war der Bedarf an Devisen für das Jahr 1989 auf deutlich über acht Millionen Valutamark gestiegen. Legt man den zuletzt gültigen Richtungskoeffizienten von 4,4 zugrunde, so verschlang allein der Erwerb von Importprodukten für die Waldsiedlung zuletzt jährlich etwa 40 Millionen Mark. Der durch den Absatz der Waren erzielte Erlös deckte aufgrund der Vorzugspreise lediglich einen Teil der Devisenausgaben ab. Nicht berücksichtigt sind dabei die Nebenkosten für den Transport. Auch die Kosten für Verwaltung und Verkaufspersonal sind nicht eingerechnet.16 Die Nutzer des Einkaufladens hatten demnach allein im Jahr 1989 durch den kostengünstigen Erwerb von Importware Aufwendungen in einer Größenordnung von 30 Millionen Mark erspart. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, durch ihre Mitwirkung die privilegierte Versorgung der Wandlitz-Bewohner gefordert bzw. als Bewohner selbst hiervon profitiert zu haben. Das insoweit gegen Erich Honecker geführte Verfahren wurde - freilich allein wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Angeklagten - vor der Eröffnung des Hauptverfahrens eingestellt.17 Die zu diesem Komplex gegen Alexander SchalckGolodkowski, Manfred Seidel und Sigrid Schalck-Golodkowski erhobenen Anklagen wurden nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Das Gericht hielt den zur Anklage gebrachten Sachverhalt zwar im wesentlichen für bewiesen, erklärte das Verhalten der Angeklagten aber für nicht strafbar. 18 12 Klemm, Amtsmissbrauch, S. 74. 13 Der Begriff geht zurück auf die „Tscheka", die politische Polizei nach der Oktoberrevolution in Rußland 1917 zur Abwehr „konterrevolutionärer Machenschaften gegen die Sowjetmacht"; vgl. Gill/Schröter, Ministerium, S. 18. 14 Anweisung Nr. PS 5/87 - 1836/87 des Leiters der Hauptabteilung Personenschutz v. 19.11.1987, zitiert nach StA bei dem KG Berlin, Anklage v. 12.11.1992 - Az. 2 Js 97/91, S. 77 = lfd. Nr. 8-1, S. 303. 15 Eine Valutamark entsprach dem Wert von einer DM. Zu diesem Begriff Fahnenschmidt, DDRFunktionäre, S. 22. 16 Die Kosten für Sachmittel und Personal, die zur Unterhaltung der Siedlung anfielen, wurden weitestgehend aus dem Etat des MfS gedeckt. Für das Jahr 1990 war zu diesem Zweck im Haushalt des MfS ein Betrag von 29,4 Millionen Mark bereitgestellt; vgl. Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zum Bereich „ Kommerzielle Koordinierung ", BT-Drucksache 12/7600, S. 291. 17 Vgl. lfd. Nr. 8. 18 LG Berlin, Beschlüsse v. 19.9.1997 - Az. (512) 24 Js 1243/92 KLs (56/94) (A. Schalck-Golodkowski/Seidel) und v. 29.12.1998 - Az. (504) 24/2 Js 17/93 (42/95) (S. Schalck-Golodkowski).

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Strafrechtliche Aufarbeitung

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

b) Die Beschaffung und Verschönerung von Wohnraum Die Privilegierung hoher Funktionäre und ihrer Familienangehörigen bei der Beschaffung und Ausstattung von Wohnraum war oftmals nur möglich, weil einige Prominente ihre Machtstellung durch Androhung von dienstlichen Konsequenzen gegenüber den ihnen Unterstellten rücksichtslos ausnutzten. Die Untergebenen wiederum schlossen häufig aus Angst vor persönlichen Nachteilen die Augen und kamen den Anweisungen unkritisch nach. Allenfalls erlaubten sie sich in Einzelfällen, vorsichtige Bedenken anzudeuten. Wenn der Funktionär trotzdem auf seinem Wunsch beharrte, wurde dieser stets erfüllt. In dem „Kommandosystem" der DDR konnte ein Widerspruch den Verlust der Position bedeuten - so jedenfalls die Befürchtung vieler Beteiligter. Zudem war Widerstand wenig aussichtsreich. Es sei „in der DDR üblich und auch in der Bevölkerung bekannt" gewesen, dass für Politbüromitglieder besondere Rechte gegolten hätten. Man hätte für Kritik „bei niemandem ein offenes Ohr gefunden".19

aa) Staatlich „subventionierter" Eigentumserwerb Der kostengünstige Erwerb von Wohnhäusern zeigt regelmäßig wiederkehrende Abläufe. Gegenstand der Kaufverträge waren staats- oder parteieigene Objekte. Der Begünstigte schloss mit der zuständigen Abteilung des Rechtsträgers einen Kaufvertrag. Dabei war den Beteiligten klar, dass der Wert des Objekts erheblich über dem vereinbarten Kaufpreis lag. Das Landgericht Berlin befasste sich in einem Verfahren mit dem Bau von Häusern für Mitglieder des Ministerrats beziehungsweise deren Familienangehörige.20 Angeklagt waren mit Kurt Kleinert und Günter Schilling zwei hohe Funktionäre der DDR. Staatssekretär Kleinert oblag unter anderem die Leitung aller Betriebe und Einrichtungen des Ministerrats. Er unterstand damit unmittelbar dem Vorsitzenden des Ministerrats Stoph und dessen Stellvertreter Krolikowski. Kleinert wiederum direkt untergeordnet war der Angeklagte Schilling als Leiter der „Abteilung Betriebe und Einrichtungen" des Ministerrats. Diese Abteilung war zuständig für die Wohnraumbeschaffung für Mitarbeiter des Ministerrats. 1987 trat Krolikowski an die Angeklagten heran und verlangte für seinen Sohn ein neues Grundstück, da dieser sich in seiner Umgebung nicht mehr wohl fühle. Obwohl die Angeklagten wussten, dass der Sohn von Krolikowski nicht zum berechtigten Personenkreis zählte, bemühte sich Schilling in Absprache mit seinem Vorgesetzten Kleinert, dem Wunsch zu entsprechen. Als ein geeignetes Grundstück gefunden wurde, forderte Krolikowski den Ankauf und die Errichtung eines Bungalows als Wochenendhaus, der jedoch nicht mehr als 80.000,- Mark kosten dürfe. Den Beteiligten war klar, dass zu diesem Preis nur ein sehr minderwertiges Gebäude errichtet werden konnte. Die von Krolikowski näher präzisierten Ansprüche machten jedoch schnell deutlich, dass der Bau zu diesem Preis nicht realisierbar war. Auf vorsichtige Einwände von Schilling reagierte Krolikowski ungehalten. Schließlich wagte es aus Furcht vor dem Verlust sei-

19 So die unwidersprochene Einlassung eines Angeklagten, vgl. LG Berlin, Urteil v. 9.12.1991 - Az. (520) 2 Js 25/90 (64/90), UA S. 26. 20 LG Berlin, Urteil v. 9.12.1991 - Az. (520) 2 Js 25/90 (64/90). XXXI

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ner Position keiner der Angeklagten, sich den Wünschen des Politbürokraten zu verschließen. Der Bau des Wochenendhauses wurde im Sinne Krolikowskis mit einem Aufwand von über 700.000,- Mark betrieben. Dem Sohn wurden bei Abschluss des Kaufvertrags lediglich 45.000,- Mark in Rechnung gestellt. Ähnlich verschafften andere hochrangige Funktionäre sich oder Familienangehörigen günstig Wohn- oder Ferienhäuser.21 Sofern die Prominenten nicht Mitglied des Ministerrats waren, bedienten sie sich der Hilfe des Bauministeriums. Der damalige Bauminister Wolfgang Junker und der Staatssekretär im Bauministerium Karlheinz Martini sorgten für die Realisierung der Vorhaben. Auch auf regionaler Ebene nutzten die Machthaber ihre Position zum günstigen Erwerb von Wohneigentum. Die verbreitete Patronage auf der Funktionärsebene eröffnete hierbei zahlreiche Möglichkeiten. Die Geschäfte wurden nach außen regelmäßig als legal getarnt. Kritischen Mitarbeitern wurde immer unmissverständlich deutlich gemacht, dass schon alles seine Richtigkeit habe.22

bb) Staatlich „subventionierte" Mietverhältnisse Die finanziell günstige Anmietung von Wohnraum verlief nach ähnlichem Muster. Funktionäre oder deren Familienangehörige äußerten Wünsche über die Anmietung eines (Ferien-)Hauses. Die gewünschten Objekte entsprachen nach damaligem Standard durchweg gehobenen Ansprüchen. Die Bauaufwendungen für die Häuser in bester Lage betrugen nicht selten mehrere hunderttausend Mark. Für einen Mietzins, der nicht einmal die laufenden Kosten für die Unterhaltung des Objekts sicherstellen konnte, ging das Domizil dann an den Bewerber. In Ausnahmefällen erfolgte die Überlassung sogar ohne Entgelt. Ein Fall, der großes Aufsehen erregt hat, betrifft das ehemalige Politbüromitglied Mittag und seine Familie. Mittag war als Sekretär für Wirtschaftsfragen des Zentralkomitees Vorgesetzter von Alexander Schalck-Golodkowski.23 1980 erteilte er - ohne Rechtsgrundlage - dem Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) den Auftrag, drei Einfamilienhäuser zu errichten. Während zwei dieser Häuser den Familien seiner Töchter auf Mietbasis zugedacht waren, wollte er das dritte Gebäude fur sich selbst als Altersruhesitz nutzen. Dieses dritte Haus sollte zunächst leerstehend bereit-

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Vgl. etwa das Urteil des LG Berlin v. 13.12.1994 - Az. (526) 2 Js 871/92 Kls (2/94) und das Urteil des AG Berlin-Tiergarten v. 23.7.1991 - Az. (214) 2 Js 8/90 Ls (135/90) gegen Martini, lfd-Nr. 9, sowie die vom GStA der DDR vorbereitete Anklageschrift gegen Junker v. 9.4.1990 (ohne Az.). Die Anklage gegen Junker ist wegen Suizid des Beschuldigten in der Untersuchungshaft am 9.4.1990 nicht mehr erhoben worden. Ein repräsentatives Beispiel ist das Verfahren gegen den Leiter des MfS im Bezirk Schwerin Werner Korth. Das BG Schwerin (Urteil v. 27.8.1991 - Az. lh BS 2/91) verurteilte den Angeklagten wegen Untreue in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten; vgl. lfd. Nr. 4. Die folgenden Angaben basieren im wesentlichen auf der Anklage der StA II bei dem LG Berlin v. 4.11.1991 - Az. 2 Js 214/91. Zu einem Urteil ist es wegen dauerhafter Verhandlungsunfahigkeit des Angeklagten nicht gekommen (vgl. hierzu Fahnenschmidt, DDR-Funktionäre, S. 41f., 165 m.w.N. Vgl. zu diesem Sachverhalt auch das Verfahren gegen Schalck-Golodkowski/Seidel - Az. 23 Js 1003/93, Fall 264 = lfd. Nr. 10-1, S. 383f„ 405ff.

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gehalten werden. Zur Vermeidung belastender Kosten wurde geplant, das Objekt als „Gästehaus" des Ministeriums für Außenhandel zu fuhren. Schalck-Golodkowski kam dem Wunsch seines Dienstvorgesetzten engagiert nach. Bereits die Erstellung der drei Gebäude mit Garagen, Versorgungseinrichtungen und Außenanlagen erfolgte mit dem außergewöhnlichen finanziellen Aufwand von insgesamt mindestens fünf Millionen Mark sowie weiteren 500.000,- Valutamark. Die Gebäude wurden nach Fertigstellung von den Töchtern des Angeklagten bezogen. Im Mietvertrag wurde ein monatlicher Zins von 239,10 Mark festgelegt. Die Einnahmen des Ministeriums für Außenhandel deckten nicht einmal die laufenden Kosten für die im Preis enthaltene zentrale Beheizung und Warmwasserversorgung.24 Der Rechtsträger des für Mittag freigehaltenen „Gästehauses" musste im Zeitraum von 1982 bis 1989 allein für anfallende Nebenkosten über 200.000,- Mark aufwenden. Das Unrecht der geschilderten Fälle bestand in erster Linie in der umfangreichen Inanspruchnahme von finanziellen und materiellen Ressourcen. Aus heutiger Sicht erwecken vor allem die äußerst günstigen Mietpreise den Verdacht strafrechtlicher Relevanz. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Mietpreise für die gesamte Bevölkerung erheblich subventioniert wurden. Der Quadratmeterpreis lag in der DDR regelmäßig unter einer Mark.25 cc) Staatlich „subventionierte" Werterhöhungsmaßnahmen Die Werterhöhungsmaßnahmen an Privathäusem wurden auf zwei verschiedenen Wegen staatlich „subventioniert". Entweder hatte der Angeklagte die Möglichkeit, Rechnungen für sein Haus unmittelbar aus einem öffentlichen Finanztopf begleichen zu lassen. In diesem Fall konnte er offiziell Betriebe mit der Renovierung betrauen. Zu dieser Untergruppe gehört etwa das Verfahren gegen den Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Union der DDR Gerald Gotting.26 Der Angeklagte erreichte die Finanzierung für Aus- und Umbauten an seinem Privatbungalow in Höhe von fast 100.000,- Mark aus Mitteln der CDU, da er als Parteivorsitzender auch für die Finanzkontrolle zuständig war. Er veranlasste durch geschickte Manöver, dass die Rechnungen an den Hauptvorstand der CDU gerichtet wurden. Als dort Verantwortlicher ließ er die Beträge von einem Konto der Partei abbuchen. Seine Mitarbeiter ließ er in dem Glauben, die Partei sei Rechtsträger des Hauses. Vereinzelten Zweifeln an der Richtigkeit der Zahlungen wurde aufgrund der hohen Position des Angeklagten nicht entschieden nachgegangen. In anderen Fällen haben die Angeklagten die Verwendung staatlich finanzierter Arbeitskraft auf ihren Privatgrundstücken veranlasst, ohne dafür Ausgleichszahlungen zu

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Zu diesem Sachverhalt auch Klemm, Amtsmissbrauch, S. 77. Der zulässige Höchstpreis für Neubauwohnungen lag in Berlin bei 1,25 Mark/m2, in den Bezirken bei 0,90 Mark/m2. Vgl. § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Verbesserung der Wohnverhältnisse der Arbeiter, Angestellten und Genossenschaftsbauern v. 10.5.1972 (DDR-GB1. II, S. 318). Das LG Berlin verurteilte den Angeklagten am 9.7.1991 - Az. (515) 2 Js 4/90 (38/90) - wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Ähnlich auch der Sachverhalt im Verfahren gegen den 1. Sekretär der Bezirksleitung Suhl Albrecht, der durch Urteil des BG Meiningen - Az. 4 Kls 111 - 72/89 - am 16.10.1992 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt wurde.

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leisten.27 Als Dienstvorgesetzte bestimmten sie den entsprechenden Einsatz der ihnen unterstellten Arbeitskräfte, was ihnen jeweils nur aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung möglich war. c) Die Jagdgebiete Grundsätzlich hatten auch „normale" DDR-Bürger die Möglichkeit, in den öffentlichen Jagdgebieten unter bestimmten Voraussetzungen der Jagd nachzugehen. Die hierfür aufzubringenden Beiträge waren so gering, dass sie kein ernsthaftes Hindernis darstellten. Die Besonderheit der Jagdgebiete der Führungsriege lag in der privilegierten Ausstattung und aufwändigen Unterhaltung nach den speziellen Wünschen der Regierenden sowie in der engen Begrenzung der Jagdberechtigten. Das finanzielle Gesamtvolumen für die Unterhaltung der Jagdgebiete mit allen Nebenkosten ist kaum abschätzbar. Neben die materiellen Aufwendungen in dreistelliger Millionenhöhe treten die durch unprofessionelle Führung der Gebiete verursachten Naturschäden.28 Eines der feudalsten Jagdgebiete war das fast ausschließlich Honecker, Mittag und Sindermann zur Verfügung stehende Areal „Schorfheide". Die Kosten für das ca. 20.000 ha große Gebiet waren enorm. Zur Unterhaltung der Gäste wurde der Wildbestand viel zu hoch gehalten. Die durch Jagd- und Wildschäden verursachten Kosten machten im Jahr 1988 ein Zuschuss von fast zehn Millionen Mark notwendig. 6,4 Millionen Mark wurden allein für das Bewässern von Wiesenflächen aufgewendet, damit die Rehe und Hirsche ertragreiche Weidegründe finden konnten. Mehr als 20 Millionen Mark verschlangen der Um- und Neubau von Jagdhütten und Nebenanlagen. Die an Honecker und andere ausgezahlten Schützenanteile von 30.000 bis 70.000 Mark jährlich und pro Person sowie die Kosten für Waffen fielen dagegen kaum merklich Gewicht. Honecker und Mittag legten auch Wert auf repräsentative Jagdfahrzeuge.29 Durch das Engagement von Schalck-Golodkowski wurden acht Geländefahrzeuge der Typen Mercedes-Benz und Range-Rover ausschließlich für die Benutzung durch Honecker und Mittag beschafft. Die Fahrzeuge wurden entsprechend den Vorstellungen der Nutzer aufwändig für Jagdzwecke umgerüstet, so dass für die Geländewagen insgesamt eine Summe von mehr als 1,7 Millionen DM verausgabt wurde. Neben den Staatsjagden existierten auch einige illegale Gebiete. Die illegalen Sondeijagdgebiete waren im Gegensatz zu den Staatsjagdgebieten nicht auf der Grundlage des Jagdgesetzes der DDR, sondern durch selbstherrliche Anordnungen der jeweiligen „Bezirksfürsten" eingerichtet worden. Eines der größten seiner Art war das Jagdgebiet „Kammerbach" des 1. Sekretärs der SED im Bezirk Erfurt Müller mit etwa 1700 ha Waldfläche.30 Für den 27 28

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Diese Fallgestaltung enthält etwa das Urteil des BG Erfurt v. 11.11.1992 - Az. 1 Js 5073/91 - und das Urteil des KrG Erfurt v. 16.3.1993 - Az. 1 Js 4940/91 Ls. Die folgenden Ausführungen basieren auf der Anklage gegen Schalck-Golodkowski und Seidel (StA II bei dem LG Berlin v. 19.5.1995 - Az. 23 Js 1003/93 = lfd. Nr. 10), dem Verfahren gegen den ehemaligen 1. Sekretär der SED-Bezirklsleitung Erfurt Müller - Az. 1 Js 4984/91 = lfd. Nr. 3, sowie Angaben von Klemm, Amtsmissbrauch, S. 79ff. Dazu die Anklage der StA II bei dem LG Berlin v. 19.5.1995 - Az. 23 Js 1003/93 - gegen SchalckGolodkowski und Seidel, Fälle 266-273 = lfd. Nr. 10-1, S. 384f., 419ff. Vgl. dazu das Verfahren der StA Erfurt - Az. 1 Js 4984/91 = lfd. Nr. 3, sowie Klemm, Amtsmissbrauch, S. 80.

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Neubau der Kammerbachhütte, einer Straße und anderer Nebeneinrichtungen wurden öffentliche Gelder in Höhe von etwa einer Million Mark verbraucht. Auch andere 1. Sekretäre der Bezirksleitungen der SED und eine Anzahl 1. Kreissekretäre partizipierten an den illegalen Sondeijagdgebieten.31 Allein im Jahr 1989 sollen mindestens fünf Millionen Mark für die illegalen Gebiete bezahlt worden sein.32

d) Sonstige

Privilegien

Zahlreiche weitere Fälle belegen die wirtschaftliche Selbstbegünstigung der Führungsriege durch den Einsatz politischer Macht auf. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf wenige repräsentative Beispielsfälle. aa) Die Geschäfte des Bereichs Kommerzielle Koordinierung Eine Zusammenfassung zahlreicher Transaktionen zugunsten der politischen Führung findet sich in der Anklage gegen den Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung33 Schalck-Golodkowski und seinen Stellvertreter Seidel.34 Neben den schon oben beschriebenen Fällen von privilegiertem Häuserbau und Unterstützung der Jagdleidenschaft wurden den Angeklagten nahezu 300 weitere Einzelfalle zur Last gelegt. Die meisten Fälle betrafen den Ankauf von insgesamt fast 5.000 Videokassetten mit Unterhaltungsfilmen aus dem westlichen Ausland.35 Der Bereich Kommerzielle Koordinierung musste dafür mehr als 1,3 Millionen DM aufwenden. Auftraggeber und Nutzer waren ausschließlich Honecker und Mittag. Eine Kostenerstattung durch die Begünstigten erfolgte nicht.36

bb) Dotierte Ehrenmitgliedschaften Bei der Schaffung von Privilegien erwies sich der Sekretär für Wirtschaftsfragen im Zentralkomitee Mittag als besonders kreativ.37 Im November 1978 bat er den damaligen Minister für Bauwesen Junker und den Abteilungsleiter Bauwesen im Zentralkomitee zu einer Arbeitsbesprechung. Im Rahmen dieser Besprechung teilte Mittag den Anwesenden mit, dass er - Mittag - neben sechs bereits ernannten Personen zum Ehrenmit31

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Angeklagt wurden deshalb noch der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle Böhme (BStA Halle, Anklage v. 28.5.1990 - Az. 111 - 3 - 90), der Vorsitzende des Rates des Bezirks Schwerin Fleck (vgl. BStA Schwerin; Anklage v. 2.2.1990 - Az. 111 - 113/89) und der Leiter der Bezirkszolldirektion Erfurt Ohmann (vgl. BStA Erfurt, Anklage v. 7.5.1990 - Az. 111 - 7/90). Strafrechtlich ermittelt wurde gegen zahlreiche weitere Funktionäre. Nach Klemm, aaO, S. 80. Zur Arbeitsweise und Organisation des Bereichs KoKo vgl. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Bereich „Kommerzielle Koordinierung", Abschlussbericht, BT-Drucksache 12/7600. Vgl. StA II bei dem LG Berlin v. 19.5.1995 - Az. 23 Js 1003/93 = lfd. Nr. 10-1. StA II bei dem LG Berlin, aaO, Fälle 1-263 der Anklage = lfd. Nr. 10-1, S. 382f., 400ff. Zu den weiteren Einzelheiten vgl. die Anklage der StA II bei dem LG Berlin, aaO. Anklage der StA II bei dem LG Berlin v. 20.06.1991 - Az. 2 Js 107/91. Das Hauptverfahren wurde aufgrund des gesundheitlichen Zustandes des Angeklagten nicht eröffnet {LG Berlin, Beschluss v. 11.05.1993 - Az. (505) 2 Js 107/91 (13/93)).

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glied der Bauakademie zu erheben sei. Darüber hinaus verlangte Mittag, dass die Ehrenmitgliedschaft in Zukunft auch mit einer jährlichen Dotation verbunden werde. Obwohl das Statut der Bauakademie weder eine Ehrenmitgliedschaft kannte, noch Gelder im Haushaltsplan fur eine Dotation zur Verfugung standen, erließ Junker noch im Dezember 1978 eine den Wünschen Mittags entsprechende Anordnung. Die jährliche Ehrendotation wurde auf 20.000,- Mark festgeschrieben und erstmals für das Jahr 1978 ausgezahlt. Die Anordnung des Ministers für Bauwesen hätte als Ergänzimg des Statuts der Bauakademie wie eine Rechtsvorschrift im Gesetzblatt der DDR veröffentlicht werden müssen. Dies ist jedoch aufgrund der erwarteten negativen Reaktionen der Öffentlichkeit unterblieben. Bis zum Jahr 1989 erhielten die Ehrenmitglieder der Bauakademie Zahlungen in Höhe von mehr als einer Million Mark. cc) Die ratseigene Sauna Einen schon fast skurrilen Sachverhalt betrifft eine Anklage der Staatsanwaltschaft des Bezirks Erfurt.38 Der Vorsitzende des Rates des Kreises Arnstadt veranlasste im Jahr 1987 den Einbau und die Ausstattung einer Sauna in einem Ratsgebäude. Die Einrichtung sollte von einem durch ihn zu bestimmenden Personenkreis genutzt werden können. Die Kosten finanzierte der Angeklagte aus einem Fond „Zur Gewährleistung der ständigen Einsatz- und Führungstätigkeit des Rates des Kreises", über den nur er verfugen konnte. Der sogenannte „ZV-Fond" war vorgesehen, um Maßnahmen auf dem Gebiet der Zivilverteidigung finanziell abzusichern. Wegen aufkommender Diskussionen über die Rechtmäßigkeit des Einbaus wurde die Sauna nicht in Betrieb genommen und später wegen fehlender Nutzungsmöglichkeiten demontiert. 3. Die Verfolgungsaktivitäten der Justiz Die strafrechtliche Aufarbeitung von Amtsmissbrauch und Korruption begann bereits im Herbst 1989 nach der Wende in der DDR (a). Ab dem 3. Oktober 1990 wurden die Verfolgungsaktivitäten von der bundesdeutschen Justiz fortgeführt (b). a) Ermittlungen und Anklageerhebung durch die DDR-Staatsanwaltschaften Ende Oktober 1989 geriet der Vorsitzende der IG Metall Gerhard Nennstiel wegen des Verdachts der Veruntreuung von Gewerkschaftsgeldern in die Kritik der Medien.39 Die in der DDR erstmals verhältnismäßig offen geführte Diskussion über das Fehlverhalten eines hohen Funktionärs belebte die Bereitschaft vieler Bürger, auf lange geduldete Missstände hinzuweisen. Zahlreiche Eingaben aus der Bevölkerung beklagten die Privilegien hoher Funktionäre und verlangten Aufklärung. Unmittelbar zuvor, etwa ab Mitte Oktober 1989, war in der Presseberichterstattung bereits eine erste Richtungskor38

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Anklage v. 4.5.1990 - Az. 111 - 8/90. Der Angeklagte wurde durch Urteil des KrG Erfurt v. 16.3.1993 - Az. 1 Js 4940/91 Ls - freigesprochen, weil das Gericht den verursachten Schaden für nicht „bedeutend" iSd. § 165 DDR-StGB hielt. Das Ermittlungsverfahren ist jedoch später wegen fehlendem hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden.

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rektur bei der Kommentierung von Massendemonstrationen erkennbar geworden. Statt der Verunglimpfung der friedlichen Teilnehmer als „Staatsfeinde" und „Saboteure" wurde nunmehr das gewaltsame Vorgehen der Volkspolizei angesprochen. Parallel dazu verstärkten die immer größeren Ausreisewellen über die Botschaften der Bundesrepublik in Osteuropa sowie die immer zahlreicheren Demonstrationen den innenpolitischen Druck. Der Protest gegen die Missstände im eigenen Land und gegen die Privilegien der Mächtigen nahm solche Ausmaße an, dass die Verantwortlichen handeln mussten. Der Handlungsdruck entlud sich unter anderem in der Prüfung strafrechtlicher Reaktionsmöglichkeiten. Im November 1989 leitete der Generalstaatsanwalt der DDR erstmals konkrete Untersuchungsmaßnahmen wegen Amtsmissbrauchs und Korruption gegen (ehemalige) Führungskräfte ein. Diese ersten strafrechtlichen Ermittlungen gegen die politisch Verantwortlichen ab November 1989 waren - neben den etwa zur gleichen Zeit aufgenommenen Untersuchungen wegen Wahlfälschung40 und wegen der polizeilichen Übergriffe auf friedliche Demonstranten41 - die Geburtsstunde der später von der Bundesrepublik fortgeführten strafjustitiellen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Sehr zügig sollten weitere Schritte folgen. Aufgrund konkreter Hinweise aus der Bevölkerung wurden zunächst die Privilegien der Politbüromitglieder Günter Mittag, Hermann Axen, Werner Krolikowski, Günther Kleiber, Harry Tisch und Heinz Keßler auf ihre strafrechtliche Relevanz überprüft. Das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Generalsekretär der SED Erich Honecker wurde offiziell am 5. Dezember 1989 eingeleitet.42 Schon kurze Zeit danach erstreckten sich die Nachforschungen auf Funktionäre aller Ebenen. Diese Vorgänge in der Endphase der DDR haben nicht nur historische Bedeutung. Sie sind zugleich ein wichtiger Bestandteil der späteren, bundesdeutschen Strafverfolgung (dazu sogleich unten b). Von der DDR-Justiz wurden noch vor dem Beitritt 21 Anklagen gegen insgesamt 28 Beschuldigte erhoben. Hiervon wurde allerdings lediglich ein Verfahren noch vor dem 3. Oktober 1990 rechtskräftig abgeschlossen. Der Angeklagte wurde wegen eines vergleichsweise geringfügigen Vergehens zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.43

b) Die Verfahren nach der Vereinigung

Am 3. Oktober 1990 wurden alle Akten der DDR-Staatsanwaltschaften übernommen. Die in den Akten enthaltenen Ermittlungsergebnisse waren eine wichtige Erkenntnisgrundlage für die weitere Arbeit der Justiz. Die bundesdeutsche Justiz hat nach dem Beitritt der DDR weitere 19 Anklagen gegen 29 Beschuldigte erhoben bzw. Strafanträge

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Eingehend zur Strafverfolgung wegen der Fälschung der Kommunalwahlen im Jahr 1989 Hübner, DDR-Wahlfalschungen; Müller, Symbol 89. Insoweit kam es jedoch nur in wenigen Ausnahmefallen zu einer Anklage, weil die Opfer ihre Peiniger nicht identifizieren konnten und Unterlagen über Einsatzpläne auf mysteriöse Weise verschwanden. Vgl. dazu Dahn/Kopka, Report, S. 12f. et passim. Vgl. StA II bei dem LG Berlin, Anklage v. 12.11.1992 - Az. 2 Js 97/91, S. 56 = lfd. Nr. 8-1, S. 295. KrG Pirna, Urteil v. 10.08.1990 - Az. S 61/90. Näher zu diesem Verfahren Fahnenschmidt, DDRFunktionäre, S. 111, 117f.

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gestellt.44 Nahezu alle nach der Vereinigung erhobenen Anklagen stützten sich wesentlich auf Vernehmungen und andere Beweiserhebungen der DDR-Ermittler. Mit den zum 3. Oktober 1990 noch offenen 19 Verfahren, die von DDR-Staatsanwaltschaften übernommen worden waren, hatten die bundesdeutschen Gerichte in insgesamt 38 Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und Korruption zu entscheiden. Mittlerweile sind sämtliche Verfahren abgeschlossen. Gegen acht Beschuldigte wurde das Hauptverfahren nicht eröffnet, in drei Fällen aus gesundheitlichen Gründen, in den anderen Fällen aufgrund materiell-rechtlicher Erwägungen. Gegen weitere acht Beschuldigte wurde das Verfahren gegen Auflagen (§ 153a StPO) eingestellt. Bei zwei Beschuldigten erfolgte eine Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit (§ 206a StPO), ein Verfahren wurde durch den Tod des Angeklagten für erledigt erklärt. Für 36 Angeklagte endete das Verfahren durch Urteil oder Strafbefehl. Dabei wurden zehn Angeklagte freigesprochen. Gegen 17 Angeklagte wurde eine Freiheitsstrafe verhängt, die für zwölf von ihnen zur Bewährung ausgesetzt wurde. In fünf Fällen kam es zum Ausspruch einer Geldstrafe, während vier Angeklagte mit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt belegt wurden.45 Die höchsten ausgesprochenen Strafen stammten meist aus der frühen Phase der Strafverfolgung. Mit größer werdender Distanz zur Wendezeit fielen die ausgesprochenen Strafen im Verhältnis zum Tatvorwurf milder aus.46 Die Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und Korruption bildeten nur einen geringen Teil aller wegen DDR-Unrechts von bundesdeutschen Behörden geführten Verfahren.47 Im Vergleich mit den Ergebnissen der Strafverfolgung in anderen Bereichen des DDRUnrechts fallen besonders eine relativ niedrige Freispruchquote sowie eine relativ hohe Verurteilungsquote auf.48 4. Zur strafrechtlichen Einordnung durch die Gerichte Da in der Deliktsgruppe Amtmissbrauch und Korruption - abgesehen von sehr wenigen, unergiebigen Ausnahmen49 - nur Urteile aus der Zeit nach dem 3. Oktober 1990 vorliegen, beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen auf die strafrechtlichen Bewertungen bundesdeutscher Gerichte. a) Strafanwendungsrecht Die Gerichte hielten im Regelfall die bundesdeutsche Untreuenorm (§ 266 StGB) und die Untreuetatbestände des DDR-Rechts (§§ 161a, 162 DDR-StGB in der Fassung des 44 45 46 47

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In einem Fall wurden unter dem Aktenzeichen einer bereits vor Vereinigung erhobenen Anklage noch Strafbefehlsanträge gegen weitere drei Beschuldigte gestellt. Weiteres Zahlenmaterial - allerdings mit Stand vom November 1998 - findet sich bei Fahnenschmidt, DDR-Funktionäre, S. 277ff. Vgl. Fahnenschmidt, aaO, S. 270ff. Der Anteil lag Mitte 1998 bei ca. 5,7% (vgl. Marxen/Werle, Aufarbeitung, S. 199). Da in anderen Deliktsbereichen vereinzelt noch Anklageerhebungen erfolgten, die Strafverfolgung von Amtsmissbrauch und Korruption jedoch abgeschlossen ist, ist dieser Anteil mittlerweile wohl noch niedriger anzusetzen. Vgl. Fahnenschmidt, aaO, S. 283ff. Vgl. KrG Pirna, Urteil v. 10.08.1990 - Az. S 61/90 - sowie die lfd. Nm. 1-2 und 1-3.

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5. Strafrechtsänderungsgesetzes 50 bzw. §§ 163, 164 DDR-StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR)51 für einschlägig. Bei der Auslegung des DDR-Rechts orientierten sich die Richter weitgehend an den Lehrbüchern und dem Kommentar zum DDR-Strafgesetzbuch sowie an der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR; jedenfalls dann, wenn die Auslegungsgrundsätze „frei von spezifisch sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen" 52 waren. aa) Schaden für das sozialistische Eigentum durch subventionierte Mieten In der Fallgruppe der staatlich subventionierten Mietverhältnisse53 war zweifelhaft, ob die Ausgaben als strafrechtsrelevanter Schaden eingestuft werden können. Denn den Aufwendungen für den Bau und die Ausstattung der Wohnhäuser stand auf der anderen Seite der staatliche Eigentumserwerb an den Objekten gegenüber. Die Gesamtsumme des sozialistischen Vermögens blieb demnach unverändert. Den eigentlichen wirtschaftlichen Schaden verursachte erst die spätere Vermietung, da der Mietzins häufig nicht einmal die laufenden Kosten deckte. Dabei muß aber wiederum berücksichtigt werden, dass die Mieten in der DDR grundsätzlich subventioniert waren. Die für die „Luxuswohnungen" verlangten Mieten entsprachen deshalb oftmals durchaus den rechtlichen Vorgaben. Anhaltspunkte für eine über das normale Maß hinausgehende Stützung der Funktionärsmieten ließen sich jedenfalls nicht erkennen. Zu dieser Frage liegt allerdings nur eine einzelne untergerichtliche Stellungnahme vor.54 Das Amtsgericht Tiergarten stellte in seinem Urteil vom 9. Juli 1997 ohne nähere Begründung fest, dass es dem Bereich Kommerzielle Koordinierung nicht erlaubt gewesen sei, „unter dem Deckmantel der Werkwohnung für seine Mitarbeiter von deren persönlichen Vorstellungen geprägte Häuser zu errichten, die erhebliche Baukosten verursachten, zu unwirtschaftlichen Preisen vermietet und auf Staatskosten zu erhalten und zu bewirtschaften waren." 55

Aus der unzulässigen Verfahrensweise allein folgt allerdings noch kein Vermögensschaden. Diesen versuchte das Gericht mit der Erwägung zu begründen, dass die Gelder der sozialistischen Volkswirtschaft durch den verschwenderischen Bau entzogen worden seien: „Unabhängig von der Tatsache, dass nach dem Bau das Haus als Gegenwert in Volkseigentum stand, ist der Schaden am sozialistischen Eigentum jedoch in dem unwiederbringlichen Entzug von Mitteln zu sehen, auf die die Volkswirtschaft nach Bau des Hauses und dessen Vermietung ( . . . ) nicht mehr zurückgreifen konnte. Diese waren für die Volkswirtschaft unwiederbringlich verloren." 56

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Vom 14.12.1988; DDR-GB1.1 1988, S. 335ff. Vgl. Anhang S. 510. Vom 29.6.1990; DDR-GB1.1 1990, S. 526ff. Vgl. AnhangS. 511f. BGH, Urteil v. 13.1.1994 - Az. 4 StR 481/93 = NStZ 1994,231,231 = lfd. Nr. 5-3, S. 224. Vgl. zu den Sachverhalten oben, S. XXXII. In anderen potentiell einschlägigen Fällen wurde diese Frage aus unterschiedlichen Gründen nicht entschieden. AG Berlin-Tiergarten, Urteil v. 9.6.1997 - Az. (213) 23 Js 32/94 (93/95), UA S. 14. AG Berlin-Tiergarten, aaO, UA S. 13.

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DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

Strafrechtliche Aufarbeitung

bb) Rechtmäßigkeit durch Anordnung Unterschiedlich beurteilt wurde auch die rechtliche Qualität von Anweisungen der Staats- und Parteispitze. Lange Zeit waren die Gerichte 57 davon ausgegangen, dass auch Anordnungen höchster Funktionäre einer speziellen Ermächtigungsgrundlage bedurft hätten, um rechtliche Wirksamkeit zu entfalten. Später hatte jedoch das Landgericht Berlin die Frage in zwei Entscheidungen näher geprüft und war dabei zu einer anderen Auffassung gelangt. 58 Nach Ansicht der Kammer war auch die Verfassung der DDR gegenüber den Weisungen der obersten Staats- und Parteiführung nachrangig. 59 Ausnahmen von dem Grundsatz der Rechtswirksamkeit solcher Anordnungen könnten nur bei einem Verstoß gegen allgemein anerkanntes Menschen- und Völkerrecht anerkannt werden. Unter anderem mit dieser Begründung hat das Landgericht Berlin die Eröffnung der Hauptverfahren gegen Alexander Schalck-Golodkowski und seinen Stellvertreter Manfred Seidel abgelehnt. 60 Die genannten Beschlüsse des Landgerichts wurden zwar im Ergebnis durch das Kammergericht Berlin rechtskräftig bestätigt. Der Begründungsansatz war in der Rechtsmittelinstanz jedoch ein anderer. 61 Denn mit der herrschenden Ansicht war auch das Kammergericht Berlin der Auffassung, dass Anordnungen von politischen Führungskräften in der DDR nicht mit Rechtsnormen gleichzusetzen seien. Die Handlungen der Angeschuldigten hätten aber dennoch das Vertrauen des Staates nicht missbraucht, da keine Verstöße gegen rechtlich bedeutsame Bindungen festgestellt werden könnten. 62 Die Vergünstigungen fur hohe Funktionäre sah das Kammergericht Berlin vielmehr als Ausprägung des „Belohnungssystems" der DDR. Die Finanzierung von Privilegien der Staats- und Parteiführung durch den Bereich Kommerzielle Koordinierung stelle sich als ein „subventionsähnlicher" Vorgang dar. 63

b) Das mildeste Gesetz Bei der Frage nach dem mildesten Recht stehen sich die §§ 161a, 162 DDR-StGB in der Fassung des 5. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR, die §§ 163, 164 DDR-StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR sowie § 266 Absatz 1 und Absatz 2 (a.F.) 64 StGB gegenüber. Das mildeste Recht ist jeweils mit Bezug auf den konkreten Einzelfall zu ermitteln. Gleichwohl lassen sich der Rechtsprechung einige allgemeine Regeln entnehmen. 57 58 59 60 61 62 63 64

XL

Anders nur LG Berlin, Beschluss v. 27.6.1991 - Az. 512 - 10/91 = N J 1992, 176ff. = lfd. Nr. 6-2. LG Berlin, Beschlüsse v. 19.9.1997 - Az. (512) 24 Js 1243/92 KLs (56/94) und - inhaltlich weitgehend identisch - Az. (512) 23 Js 1003/93 KLs (14/95) = lfd. Nr. 10-2. LG Berlin, Beschluss v. 19.9.1997 - Az. (512) 24 Js 1243/92 KLs (56/94), BA S. 23f.; vgl. auch lfd. Nr. 10-2, S. 480f. LG Berlin, aaO, BA S. 24; vgl. auch lfd. Nr. 10-2, S. 480f. KG Berlin, Beschluss v. 12.11.1998 - Az. 2 AR 175/94 - 5 Ws 763/97; Beschluss v. 30.11.1998 Az. 2 AR 66/95 - 5 Ws 764/97 = lfd. Nr. 10-3. KG Berlin, aaO, Beschluss v. 12.11.1998 - Az. 2 AR 175/94 - 5 Ws 763/97, BA S. 22; vgl. auch lfd. Nr. 10-3. KG Berlin, aaO, BA S. 23; vgl. auch lfd. Nr. 10-3. § 266 StGB wurde durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26.1.1998 (BGBl. I, S. 164) geändert. Zum Wortlaut von § 266 StGB a.F. vgl. Anhang S. 513.

Strafrechtliche Aufarbeitung

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

Soweit nach dem Recht der DDR nur der Grundtatbestand einschlägig war, stellte sich § 161a DDR-StGB wegen seiner geringeren Strafdrohung65 und der engeren Tatbestandsfassung66 immer als das mildere Recht dar. Da allerdings bei einem Schaden von mehr als 10.000,- Mark nach fast einhelliger Ansicht der Gerichte67 grundsätzlich der strafschärfende Tatbestand des § 162 DDR-StGB erfüllt war, musste in diesen Fällen § 266 StGB zur Anwendung gelangen, dessen Absatz 2 a.F.68 eine stärkere Berücksichtigung anderer, insbesondere auch entlastender Umstände 69 ermöglichte. Auf diesem Weg kamen die Gerichte in den meisten Fällen im Ergebnis (nur) zu einer Anwendung des Absatzes 1 von § 266 StGB.™

c)

Unrechtskontinuität

Weder der Bundesgerichtshof 71 noch die Instanzengerichte72 zweifelten bei der Untreue „zu Lasten sozialistischen Eigentums" an einer fortdauernden Vertypisierung des Unrechts im bundesdeutschen Recht. Gleiches gilt im Hinblick auf das DDR-Recht nach Inkrafttreten des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes, „da die genannten Vorschriften (§§ 161a a.F., 163 n.F. DDR-StGB, § 266 StGB) in ihrem Kern dasselbe Rechtsgut gegen identische Angriffsformen schützen."73 Im Urteil gegen Harry Tisch setzte sich das Landgericht Berlin näher mit der Gegenansicht auseinander74; den meisten Gerichten lag hingegen die Annahme von Unrechtskontinuität so nahe, dass sie in ihren Entscheidungen auf nähere Ausführungen zu dieser Frage verzichteten.75

65

Das Höchstmaß der angedrohten Strafe im DDR-StGB war eine Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren gegenüber einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren nach § 266 Abs. 1 StGB. 66 Die Vorschrift verlangt - anders als die bundesdeutsche Norm - einen Bereicherungswillen. Vgl. dazu OG der DDR, Urteil v. 6.9.1990 - Az. 2 OSB 1/90, UA S. 8 = lfd. Nr. 1-3, S. 23; AG BerlinTiergarten, Urteil v. 9.6.1997 - Az. (213) 23 Js 32/94 Ls (93/95), UA S. 8f. 67 Anders nur AG Berlin-Tiergarten, Urteil v. 23.7.1991 - Az. (214) 2 Js 8/90 Ls (135/90), UA S. 11, das auch im DDR-Recht trotz einer Schadenhöhe von über 10.000,- Mark eine Gesamtwürdigung vornimmt. 68 Dies galt für § 266 in der Fassung vor dem 6. Strafrechtsreformgesetz (a.F.). In seiner heute gültigen Fassung gibt es den „schweren Fall" ohnehin nicht mehr. Da aber Anfang 1998 bereits fast alle Verfahren abgeschlossen waren, hat die Neufassung insoweit kaum Bedeutung. 69 Vgl. dazu BGH, Urteil v. 18.12.1980 - Az. 4 StR 509/80. 70 Vgl. etwa BGH, Urteil v. 5.3.1991 - Az. 1 StR 647/90 = NJ 1991, 273f.; Urteil v. 13.1.1994 - Az. 4 StR 481/93 = NStZ 1994, 231, 232 = lfd. Nr. 5-3, S. 227; LG Berlin, Urteil v. 6.6.1991 - Az. (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90), UA S. 21 f. = lfd. Nr. 2-3, S. 74f. 71 Urteil v. 13.1.1994-Az. 4 StR 481/93 = NStZ 1994, 231, 232 = lfd. Nr. 5-3, S. 227. 72 Etwa KG Berlin, Beschluss v. 26.11.1990 - Az. 3 Ws 295/90, BA S. 3; BG Schwerin, Urteil v. 27.8.1991 - Az. lh BS 2/91, UA S. 58 = lfd. Nr. 4-2, S. 182; LG Halle, Urteil v. 26.2.1992 - Az. 4 BS 5/90, UA S. 12. 73 LG Berlin, Urteil v. 6.6.1991 - Az. (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90), UA S. 20 = lfd. Nr. 2-3, S. 73. 74 LG Berlin, aaO, UA S. 20f. = lfd. Nr. 2-3, S. 73f. 75 Aus den zahlreichen Entscheidungen etwa LG Berlin, Urteil v. 9.12.1991 - Az. (520) 2 Js 25/90 (64/90); AG Berlin-Tiergarten, Urteil v. 23.7.1991 - Az. (214) 2 Js 8/90 Ls (135/90); AG BerlinTiergarten, Urteil v. 3.7.1991 - Az. (271) 2 Js 14/90 Ls (140/90).

XLI

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

Strafrechtliche Aufarbeitung

d) Die Fortgeltung des §165 DDR-StGB Das 6. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR enthält in § 10 Satz l 7 6 eine besondere und problematische Übergangsregelung. Obwohl § 165 DDR-StGB aufgehoben wurde, soll dieser Tatbestand77 bei der Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortung unter zwei Voraussetzungen weiterhin zugrunde gelegt werden. Die Tat muss vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 1990 begangen worden sein. Zusätzlich muss zu diesem Zeitpunkt bereits ein förmliches Strafverfahren eingeleitet gewesen sein. Dies hat zur Konsequenz, dass Geschehnisse, die an diesem Stichtag noch nicht bekannt waren oder (noch) nicht formell verfolgt wurden, keiner Sanktion nach § 165 DDR-StGB unterliegen. Zudem wurden Täter, die aufgrund dieser Norm rechtskräftig worden waren, durch § 8 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes amnestiert. Weiterhin anzuwenden war die Vorschrift also nur bei laufenden Ermittlungsverfahren und anhängigen Gerichtsverfahren. Mehrere Judikate äußerten durchgreifende Bedenken gegenüber der Verfassungskonformität der Fortgeltungsregelung.78 Die erste, richtungsweisende Entscheidung erging am 14. Februar 1991.79 Das Landgericht Berlin trennte aufgrund seiner Rechtsauffassung das Verfahren in Bezug auf den Vorwurf des Vertrauensmissbrauchs ab und legte die Frage nach Artikel 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vor.80 Zu einer Entscheidung kam es wegen des Todes des Angeklagten allerdings nicht in diesem Verfahren, sondern aufgrund eines ähnlich begründeten Vorlagebeschlusses des Landgerichts Erfurt.81 Das Bundesverfassungsgericht wies den Beschluss als unzulässig zurück, da das Landgericht selbst über die vorgelegte Frage entschieden könne.82 Die Bedenken der Fachgerichte gegen die Vorschrift stützten sich im wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte, nämlich auf das Vorliegen eines unzulässigen Einzelfallgesetzes nach Artikel 19 Absatz 1 Satz 1 GG sowie auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Artikel 3 GG.83 § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR sei ein Einzelfallgesetz, da der nach dieser Norm strafbare Personenkreis bereits bei Inkrafttreten 76 77 78

79 80

81 82 83

Vgl. Anhang S. 512. Die Regelung blieb auch nach dem Beitritt in Kraft (vgl. Art. 9 Abs. 2 EV i.V.m. Anlage II, Sachgebiet C, Abschnitt I Nr. 2). Dasselbe gilt fur die in der Praxis nicht relevant gewordenen alten DDR-Straftatbestände der §§166 Abs. 1 Ziffer 1, Abs. 2; 167-171; 173 Abs. 1 Ziffern 1 und 3, Abs. 2 und 3 sowie 214. LG Berlin, Beschluss v. 14.2.1991 - Az. (519) 2 Js 3/90 (48/90) = DtZ 1992, 254ff. = lfd. Nr. 2-2; LG Berlin, Beschluss v. 27.6.1991 - Az. 512-10/91 = NJ 1992, 176 = lfd. Nr. 6-2, S. 254; BG Erfurt, Beschluss v. 9.8.1991 - Az. 1 Js 4984/91 = lfd. Nr. 3-2; LG Erfurt, Beschluss v. 23.6.1995 - Az. 1 Js 4984/91 = lfd. Nr. 3-6; LG Schwerin, Urteil v. 27.11.1996 - Az. 32 KLs (10/92). Verfahren gegen Harry Tisch - Az. (519) 2 Js 3/90 (48/90), DtZ 1992, 254ff. = lfd. Nr. 2-2. Die kritischen Ansätze stammen schon aus der Zeit des Inkrafttreten des 6. DDR-StÄG; vgl. etwa das Schreiben des damaligen Generalstaatsanwalts der DDR an die Präsidentin der Volkskammer v. 27.7.1990, abgedruckt in: Przybylski, Tatort Politbüro, S. 391ff. Beschluss v. 23.6.1995 - Az. 1 Js 4984/91 KLs = lfd. Nr. 3-6. Β VerfG, Beschluss v. 21.12.1997 - Az. 2 BvL 6/95 = BVerfGE 97, 117 = lfd. Nr. 3-8. Für verfassungsrechtlich zumindest zweifelhaft hält auch der grösste Teil der Literatur die Regelung; vgl. Classen JZ 1991, 717, 719; Sch/Sch-£ser vor § 3 Rn. 123; Eser/Arnold, Strafrecht, S. 385ff., 388; Geppert Jura 1991, 610, 614; Grünwald StV 1991, 31, 32; Karpenstein JuS 1991, 1005ff.; Luther DtZ 1991, 433, 434; NK-Lemke vor § 3 Rn. 80; Peter/Volk JR 1991, 89ff.; Schneiders MDR 1990, 1049, 1052f.; Tröndle/Fischer, StGB, vor § 3 Rn. 31; zurückhaltend Eser GA 1991, 241, 259; LK-Gribbohm § 2 Rn. 63; Lackner, StGB 22. Aufl., § 3 Rn. 5 und Anhang III.2; LK-Laußütte vor § 80, Fn. 7. Erkennbar anders nur Baumann NStZ 1994, 546.

XLII

Strafrechtliche Aufarbeitung

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

der Vorschrift abschließend bestimmbar gewesen sei. Zudem habe der Gesetzgeber ein Gesetz für die Bestrafung eines ganz konkreten Personenkreises - die ehemalige Führungsspitze der DDR - schaffen wollen. Die Fortgeltungsbestimmung sei ferner mit dem Gleichbehandlungsgebot unvereinbar. Die Norm beinhalte eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Straftätern und damit einen Verstoß gegen Artikel 3 GG, weil die Voraussetzung des bereits eingeleiteten Ermittlungsverfahrens von Umständen abhänge, die ihre Ursache nicht in der Person des Täters hätten. Hinzu komme, dass eine Bestrafung einiger weniger auch im Hinblick auf die in § 8 Absatz 1 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR ausgesprochene Amnestie für rechtskräftig verurteilte Täter nicht gerechtfertigt sei.84 Auch die gegenteilige Auffassung wurde in der Rechtsprechung vertreten. Eine rechtskräftige Verurteilung nach § 165 DDR-StGB durch bundesdeutsche Gerichte erfolgte allerdings nur in einem einzigen Fall.85 Ein Einzelfall- oder Einzelpersonengesetz lag nach dieser Auffassung nicht vor. Weder habe das 6. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR eine konkrete Person als Täter ins Auge gefasst, noch sei zum Zeitpunkt seines Erlasses überschaubar gewesen, wer im einzelnen als Täter in Betracht kommen könne. Vielmehr habe die Norm lediglich ein bestimmtes Verhalten mit bestimmtem Unrechtsgehalt erfasst, das allerdings nur von einem bestimmten, noch zu ermittelnden Personenkreis habe verwirklicht werden können.86 Auch nach Auffassung des Landgerichts Rostock87 enthält die Vorschrift keinen Verstoß gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes. Sie greife schon nicht in das Grundrecht der Freiheit der Person aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG ein.88 Bei § 8 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes handele es sich nämlich um eine Amnestieregelung und damit um eine bloße Rechtswohltat, in die einbezogen zu werden der einzelne Betroffene keinen Anspruch habe.89

84 85

LG Erfurt, Beschluss v. 23.6.1995 - Az. 1 Js 4984/94 KLs, BA S. 32 = lfd. Nr. 3-6, S. 135. LG Berlin, Urteil v. 26.11.1993 - Az. (570) 2 Js 188/91 Ls-Ns (153/93). Verurteilt wurde der stellvertretende Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung Manfred Seidel. 86 LG Berlin, Urteil v. 26.11.1993 - Az. (570) 2 Js 188/91 Ls-Ns (153/93), UA S. 22f.; ähnlich begründet das KG Berlin - Az. (4) 2 Js 6/90 HEs (119/90), BA S. 13 - seinen Beschluss v. 19.11.1990, mit dem es die Haftfortdauer gegen den ehemaligen Minister für Staatssicherheit der DDR Erich Mielke anordnet. 87 Urteilv. 16.2.1993 - Az. II KLs 6/91, 111-1-90, UA S. 29fT. = lfd. Nr. 5-2, S. 215f. Das Urteil wurde allerdings später durch den BGH (Urteil v. 13.1.1994 - Az. 4 StR 481/93 = NStZ 1994, 231f. = lfd. Nr. 5-3) aufgehoben. In der Begründung stellte der BGH jedoch allein darauf ab, dass das Landgericht das Tatbestandsmerkmal eines „bedeutenden" Schadens nicht richtig ausgelegt habe. Ob § 10 des 6. DDR-StÄG verfassungskonform sei, ließ der BGH ausdrücklich dahingestellt (UA S. 6) = lfd. Nr. 5-3, S. 224. 88 Nach der herrschenden Auffassung kommt Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG nur dann zum Tragen, wenn durch die Norm ein Grundrecht eingeschränkt wird. 89 Vgl. die ausführliche Begründung des LG Rostock, Urteil v. 16.2.1993 - Az. II KLs 6/91,111-1-90, UA S. 29 = lfd. Nr. 5-2, S. 215. Ähnlich KG Berlin, Beschluss v. 19.11.1990 - Az. (4) 2 Js 6/90 HEs (119/90), BAS. 13.

XLIII

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

Auswahl der Dokumente

e) Verjährung Vor dem Erlass des ersten Verjährungsgesetzes vom 26.3.199390 gingen die Gerichte ohne weiteres davon aus, die Verjährungszeit sei auch während der SED-Herrschaft gelaufen.91 Die einzige Entscheidung, die den Gedanken eines Ruhens der Verjährung anspricht, hält ihn - jedenfalls in den Fällen von Amtsmissbrauch - für nicht anwendbar, „da selbst die Befürworter einer solchen Auffassung diese auf politisch motivierte oder gar staatlich angeordnete (strafbare) Handlungen beschränken".92 Nach dem Erlass des ersten Veijährungsgesetzes hat die Rechtsprechung überwiegend die gegenteilige Auffassung vertreten und die allgemeinen Grundsätze herangezogen, ohne sich mit der früheren abweichenden Rechtsprechung auseinanderzusetzen.93 Lediglich das Landgericht Halle hielt auch nach Erlass des ersten Verjährungsgesetzes ein Ruhen der Verjährung für ausgeschlossen, weil der Wille zur Nichtverfolgung - jedenfalls im konkreten Fall - nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden könne.94

II. Auswahl und Präsentation der Dokumente 1. Auswahl der Materialien Bei der Materialauswahl war verschiedenartigen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. An erster Stelle galt es, die Erscheinungsformen von Amtsmissbrauch und Korruption im Hinblick auf Tathandlungen und Täterkreis möglichst vollständig zu dokumentieren. Zum anderen ging es darum, alle rechtlich bedeutsamen Aussagen, die in den Verfahren getroffen wurden, einzubeziehen. Ferner sollte der Verlauf des Aufarbeitungsprozesses selbst in den Dokumenten sichtbar werden. Bei der Hälfte aller Verfahren erfolgte nämlich die Anklageerhebung noch durch die Staatsanwaltschaften der DDR. Schließlich waren Besonderheiten der Verfahrensabläufe selbst zu berücksichtigen. Aus verschiedenen Gründen endeten viele Verfahren ohne abschließendes Urteil. In manchen Fällen lehnten es die Gerichte aufgrund materiell-rechtlicher Erwägungen ab, das Hauptverfahren zu eröffnen. 95 Häufig führte auch der schlechte Gesundheitszustand der oft schon betagten Angeklagten96 zu Nichteröffnungsbeschlüsssen oder Verfahrenseinstellungen. Im Ergebnis war es bei dieser Sachlage angezeigt, nicht nur die ergangenen Urteile, sondern auch andere verfahrensbeendende Entscheidungen sowie Anklageschriften in die Dokumentation aufzunehmen. Den oft umfangreichen Sachverhaltsdarstellungen in 90 91

92 93 94

95 96

BGBl. I 1993, S. 392. LG Berlin, Urteil v. 9.7.1991 - Az. (515) 2 Js 4/90 (38/90), UA S. 7, 19; BG Meiningen, Urteil v. 16.10.1992 - Az. 4 KLs 111-72/89, UA S.41; LG Rostock, Urteil v. 16.2.1993 - Az. II KLs 6/91, 111-1/90, UA S. 11 = lfd. Nr. 5-2, S. 202. BG Schwerin, Urteil v. 27.8.1991 - Az. lh BS 2/91, UA S. 65 = lfd. Nr. 4-2, S. 184. Etwa LG Berlin, Urteil v. 13.12.1994 - Az. (526) 2 Js 871/92 KLs (2/94) = lfd. Nr. 9-2; AG BerlinTiergarten, Strafbefehl v. 30.1.1997 - Az. 277 Cs 1280/96. So LG Halle/Saale, Beschluss v. 16.2.1995 - Az. 27 (14) Ns 39/93, BA S. 11. Das OLG Naumburg lässt die Frage offen (Beschluss v. 17.10.1995 - Az. 1 Ws 64/95, BA S. 3). Näher zur Problematik des zweiten und dritten Verjährungsgesetzes Fahnenschmidt, DDR-Funktionäre, S. 182ff. Vgl. u.a. lfd. Nr. 10-2. Vgl. u.a. lfd. Nr. 8. Zur Problematik des Alters der Angeklagten in den Verfahren wegen SEDUnrechts allgemein vgl. Marxen/Werle, Aufarbeitung, S. 208 und 237f.

XLIV

Literatur

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

den Anklageschriften kommt zwar nicht die gleiche Bedeutung zu wie gerichtlichen Sachurteilen, die durch erhöhte Anforderungen an die Beweiserhebung und Beweiswürdigung abgesichert sind. Gleichwohl können die in den Anklageschriften enthaltenen Feststellungen zeitgeschichtlich bedeutsam sein. Zudem konnte nur durch die Aufnahme von Anklageschriften die Bedeutung der DDR-Justizaktivitäten für die strafrechtliche Aufarbeitung von Amtsmissbrauch und Korruption angemessen erfasst werden.

2. Reihenfolge des Abdrucks Bei der Reihenfolge des Abdrucks erwies sich eine Einteilung der Verfahren in Sachverhaltskomplexe als kaum praktikabel, da ein und dasselbe Verfahren meist mehreren Sachverhaltsgruppen zugeordnet werden kann. Auch eine Untergliederung nach regionalen Gesichtspunkten war nicht sinnvoll, zumal der größte Teil der Verfahren auf zentraler Ebene geführt wurde. Die Reihenfolge der Darstellung orientiert sich deshalb am Datum der Anklageschrift. Dementsprechend finden sich die vor dem Beitritt erhobenen Anklagen im ersten Teil, die nach dem 3. Oktober 1990 erhobenen Anklagen im zweiten Teil des Bandes.

Literatur Baumann, Thomas: Anmerkung zu BGH, Urteil vom 13.1.1994 - 4 StR 481/93, NStZ 1994, 546. Buchholz, Erich: Verantwortung und Verantwortlichkeit für Amtsmißbrauch, Staat und Recht 1990, 70 ff. Classen, Claus Dieter: Anmerkung zu BGH, Beschluß vom 30. Januar 1991 - 2 BGs 3 8 / 9 1 , JZ 1991, 717 ff. Dahn, Daniela/Fritz-Jochen Kopka (Redaktion): Und diese verdammte Ohnmacht. Report der Untersuchungskommission zu den Ereignissen vom 7./8. Oktober 1989 in Berlin, Berlin 1991. Eser, Albin: Deutsche Einheit: Übergangsprobleme im Strafrecht, GA 1991, 241 ff. Eser, Albin/Jörg Arnold·. Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse, Bd. 2: Deutschland, Freiburg i.Br. 2000. Fahnenschmidt, Willi: DDR-Funktionäre vor Gericht, Berlin 2000. Geppert, Klaus: Probleme der Strafrechtsanwendung im Zeichen der deutschen Einheit, Jura 1991, 610 ff. Gill, David/Ulrich Schröter: Das Ministerium für Staatssicherheit - Autonomie des Mielke-Imperiums, Reinbek bei Hamburg 1993. Grünwald, Gerald: Die strafrechtliche Bewertung in der DDR begangener Handlungen, StV 1991, 31 ff. Hübner, Jan-Kristof: Die strafrechtliche Beurteilung von DDR-Wahlfälschungen nach der Wiedervereinigung, Regensburg 1997. Karpenstein, Ulrich: Bestrafung nach sozialistischem Strafrecht im Rechtsstaat?, JuS 1991, 1005 ff. Klemm, Volker: Korruption und Amtsmißbrauch in der DDR, Stuttgart 1991. Lackner, Karl: Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 22. Aufl., München 1997. XLV

DDR-Amtsmissbrauch und Korruption im Spiegel der Strafjustiz

Literatur

Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Burkhard Jähnke, HeinrichWillhelm Laufhütte und Walter Odersky, 11. Aufl.: 1. Lieferung (§§ 1-2) und 4. Lieferung (§§ 80-92b), Berlin 1992 (zit.: LK-Bearbeiter). Luther, Horst: Der Einigungsvertrag über die strafrechtliche Behandlung von DDRAlttaten nach der Einigung Deutschlands, DtZ 1991, 433 ff. Marxen, Klaus/Gerhard Werle: Die strafrechtliche Verfolgung von DDR-Unrecht. Eine Bilanz, Berlin 1999. Marxen, Klaus/Gerhard Werle (Hg.): Strafjustiz und DDR-Unrecht. Dokumentation, Bd. 1: Wahlfälschung, Berlin 2000; Bd. 2: Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, Berlin (erscheint vorauss. 2002). Müller, Jan: Symbol 89 - Die DDR-Wahlfälschungen und ihre strafrechtliche Aufarbeitung. Berlin 2001. Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Besonderer Teil, Stand: 3. Lieferung, Februar 1996 (zit.: NK-Bearbeiter). Peter, Anne-Marie/Klaus Volk: Zur partiellen Weitergeltung alten DDR-Strafrechts, JR 1991, 89 ff. Przybylski, Peter: Tatort Politbüro. Die Akte Honecker, Berlin 1991. Rummler, Toralf: Die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze vor Gericht, Berlin 2000.

Schneiders, Uwe: Die Regelung über das materielle Strafrecht im Einigungsvertrag, MDR 1990, 1049 ff. Schänke, Adolf/Horst Schröder: Strafgesetzbuch, 25. Aufl., München 1997 (zit.: Sch/Sch-Bearbeiter). Tröndle, Herbert/Thomas Fischer: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 49. Aufl., München 1999. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Bereich „Kommerzielle Koordinierung": Abschlußbericht, BT-Drucksache 12/7600.

XLVI

Dokumente

Teil 1: Die Strafverfolgung von Amtsmissbrauch und Korruption: Anklageerhebung durch die DDR-Staatsanwaltschaften

Lfd. Nr. 1 Die erste Anklage - Der Fall Opitz -

1. Anklage der Staatsanwaltschaft des Bezirkes Leipzig vom 1.2.1990 Az.: 111-25/89

5

2. Erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts Leipzig vom 11.5.1990 Az.: BS 1/90; 111-25/89

13

3. Berufiingsurteil des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik vom 6.9.1990 - Az.: 2 OSB 1/90

21

4. Einstellungsbeschluss des Landgerichts Leipzig vom 23.9.1993 Az.: 2 Bs 13a/90

27

Lfd. Nr. 1-1

Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Anklage der Staatsanwaltschaft des Bezirkes Leipzig vom 1.2.1990 - Az.: 111-25/89 [Anklagetenor]

5

Wesentliches Ermittlungsergebnis

5

Beweismittel

10

[Antrag]

10

Anmerkungen

10

4

Lfd. Nr. 1-1

Die erste Anklage - Der Fall Opitz

Staatsanwaltschaft des Bezirkes Leipzig Az.: 111-25/89

1. Februar 1990

An das Bezirksgericht Leipzig

ANKLAGE Den Angestellten Opitz, Rolf Siegfried geb. 1929 verheiratet, drei Kinder Staatsbürger der DDR lt. Strafregisterauszug nicht vorbestraft in Haft seit 14.12.1989 UHA Leipzig, klage ich an, mehrfach durch zum Teil gemeinschaftlich begangene verbrecherische Untreue im schweren Fall sozialistisches Eigentum geschädigt zu haben. 1. Unter Mißbrauch der ihm als Vorsitzender des Rates des Bezirkes Leipzig kraft Gesetz eingeräumten Befugnis, Vermögensinteressen des sozialistischen Eigentums wahrzunehmen, veranlaßte der Beschuldigte im Zeitraum Oktober bis Dezember 1986 durch entsprechende Beauftragung des Mitgliedes des Rates des Bezirkes Leipzig für Finanzen, N., die in Wahrnahme ihrer eigenen Befugnisse die Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Mittel verfügte, und der damaligen Bürgermeisterin des Rates der Gemeinde Holzhausen, K., sowie unter Einbeziehung der Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates des Bezirkes Leipzig den Kauf des Eigenheimes Baumschulenweg, Holzhausen 7124, für 99 950,-- M aus staatlichen Haushaltsmitteln des Rates des Kreises Leipzig zum alleinigen Besitz und zur Nutzung durch ihn und seine Familie. {2} 2. Gleichermaßen leitete der Beschuldigte im Zeitraum 1987 bis 1989 unter Einsatz seiner Autorität und Entscheidungsbefugnisse als Vorsitzender des Rates des Bezirkes persönlich oder vermittelt über den Rat der Gemeinde Holzhausen, seine Ehefrau, den Zeugen K. und andere Personen Instandsetzungs-, Instandhaltungs-, Modernisierungsund zum Teil über den normalen Wohnkomfort hinausgehende Baumaßnahmen im o.g. Grundstück im Wertumfang von insgesamt 90 821,82 M ein, deren Begleichung wiederum aus staatlichen Haushaltsmitteln erfolgte. Verbrechen gem. §§ 161a, 162 Abs. 1 Ziff. 1, 63 Abs. 2, 22 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 2 StGB

Wesentliches Ermittlungsergebnis Als Sohn einer Arbeiterfamilie erlangte der Beschuldigte den Abschluß der 8. Klasse einer Volksschule und beendete 1947 erfolgreich eine Lehre als Verwaltungsangestellter. Anschließend war er im Bereich Sozialversicherung und von 1948 bis 1952 als An-

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gestellter in der Landesregierung Sachsen tätig. Nach Auflösung der Länderregierungen absolvierte der Beschuldigte bis 1955 ein Direktstudium als Verwaltungsjurist mit Staatsexamen. In der weiteren Folge arbeitete er in verschiedenen leitenden Funktionen in örtlichen Räten, von 1962 bis 1969 als 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden und bis 1974 als Stellvertreter des Ministers für die Anleitung und Kontrolle der Bezirks- und Kreisräte. Anfang 1974 erhielt der Beschuldigte den Auftrag, die Funktion des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig zu übernehmen und wurde durch den Bezirkstag Leipzig gewählt. In dieser Funktion war er bis zu seiner Inhaftierung tätig. Es folgen Angaben zum monatlichen Nettoeinkommen und zu Ersparnissen des Beschuldigten Am 10.12.1986 heiratete der Angeschuldigte in dritter Ehe die Zeugin Brigitte O., geborene K. Bereits in Erwartung der am 7.11.1986 erfolgten Ehescheidung und der beabsichtigten o.g. neuen Eheschließung entschloß sich der Beschuldigte, sein bisher bewohntes Haus in der Quedlinburger Straße, Leipzig 7022, aufzugeben und in ein für sich und seine zukünftige Ehefrau günstig gelegenes Einfamilienhaus zu ziehen. Da trotz Bemühungen ein solches in der Stadt Leipzig nicht verfugbar war, entschied er sich für eine Wohnsitznahme in der Gemeinde Holzhausen. Dementsprechend sprach der Beschuldigte an einem nicht mehr feststellbaren Tag Ende Oktober/Anfang November 1986 die damalige Bürgermeisterin des Rates der Gemeinde Holzhausen, K., an und erkundigte sich nach einem leerstehenden bzw. zu verkaufenden Einfamilienhaus, wobei er angab, daß es sich auch {3} um das Haus eines sogenannten Antragstellers auf ständige Ausreise aus der DDR handeln könnte. Durch die Zeugin K. wurde dem Beschuldigten daraufhin das Haus der Familie S., die einen entsprechenden Antrag auf ständige Ausreise gestellt hatten, Baumschulenweg in Holzhausen benannt. Nach Kenntnis dieses Sachverhaltes beauftragte der Beschuldigte den Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes für Inneres, Dr. R., die Voraussetzungen für die Genehmigung des Ausreiseantrages der Familie S. zu prüfen. Während eines Bürgermeisterlehrganges vom 10. bis 13.11.1986 in Frauwalde (Krs. Würzen) fand ein weiteres vom Beschuldigten organisiertes Gespräch zwischen ihm, der Zeugin K. sowie dem Zeugen Dr. R. statt. Dabei legte die Zeugin K., die im Rat der Gemeinde vorhandenen Unterlagen zum Grundstück Baumschulenweg vor. Nach Einsicht in die Unterlagen gab der Beschuldigte gegenüber der Zeugin an, daß bei Ausreise der Familie S. der Rat der Gemeinde das Haus kaufen müßte und die Finanzierung durch den Rat des Bezirkes geregelt würde. Wenige Tage nach diesem Gespräch suchte der Beschuldigte mit der Zeugin Brigitte O. das Grundstück Baumschulenweg in den Abendstunden auf und besichtigte das Haus im Pkw sitzend von außen. Da ihm das Grundstück sowohl von der Lage und von der Größe her zusagte, beauftragte er in der Folge das zuständige Ratsmitglied für Finanzen, die in anderer Sache Beschuldigte N., die Möglichkeit des Kaufs zur mietvertraglichen Nutzung durch ihn und seine Familie zu prüfen. Kurze Zeit darauf teilte ihm die N. mit, daß der Kauf des Grundstückes möglich ist und sie es veranlassen werde.

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Im Ergebnis dieses Gesprächs fuhr der Beschuldigte mit der Zeugin Brigitte O. zwischen dem 23.11. und 6.12.1986 nach Bad Lausick, um die sich dort zu einem Kuraufenthalt befindliche Bürgermeisterin K. aufzusuchen. Da er diese nicht antraf, hinterließ er eine Nachricht mit der Bitte um telefonischen Rückruf. Bei dem daraufhin folgenden Telefonanruf der Zeugin K. teilte ihr der Beschuldigte mit, daß der Hauskauf eingeleitet werden soll, es bei der Regelung der Finanzierung durch den Rat des Bezirkes verbleibt und die amtierende Bürgermeisterin von Holzhausen, die Zeugin F., sich in diesem Zusammenhang mit der N. in Verbindung setzen soll. Dementsprechend informierte die Zeugin K. die Zeugin F. Entsprechend dem vom Beschuldigten erhaltenen Auftrag wies der Zeuge Dr. R. den ihm unterstellten Abteilungsleiter für Genehmigungsangelegenheiten beim Rat des Bezirkes, L., an, die Ausreiseangelegenheit S. zu prüfen. Dieser führte am 20.11.1986 gemeinsam mit der Zeugin K. und dem zuständigen Abteilungsleiter beim Rat des Kreises Leipzig, B., ein Gespräch mit der Familie S. zu ihrem Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR durch. {4} Da trotz dieses Gesprächs für den Rat des Kreises Leipzig als zuständiges Organ die Voraussetzungen für die Genehmigung des Antrages der Familie S. nicht vorlagen, erfolgte die Einleitung der erforderlichen Schritte zur Genehmigung über das Ministerium des Innern durch den Rat des Bezirkes. Dem Rat des Kreises wurde in der Folge mitgeteilt, daß die Ausreise der Familie S. im Zeitraum 5. bis 9.1.1987 zu realisieren sei. Weiterhin organisierte der Zeuge L. am 24.12.1986 einen Termin für die Verkaufsabwicklung beim Staatlichen Notariat, da entsprechend seinen Aussagen nach Weisung des Zeugen Dr. R. der Grundstückskauf noch vor Weihnachten 1986 durchgeführt werden sollte. Ebenfalls entsprechend der ihr übertragenen Aufgabe, den Hauskauf und damit die Finanzierung zu klären, wies die N. Anfang Dezember 1986 das Mitglied des Rates des Kreises Leipzig für Finanzen, V., an, dem Rat der Gemeinde Holzhausen die Mittel für den Erwerb des Grundstückes in Höhe von 99 950,- M zur Verfugung zu stellen. Da der Zeuge V. einen schriftlichen Auftrag verlangte, übermittelte ihm die N. mit Datum vom 23.12.1986 ein Schreiben entsprechenden Inhaltes, in dessen Folge der Zeuge V. die Überweisung des Geldes an den Rat der Gemeinde vornahm. Weiterhin informierte die N. am 19.12.1986 telefonisch den Rat der Gemeinde, die Zeugin F., über den Notariatstermin und erklärte ihr Einzelheiten der Finanzierung. Entsprechend den getroffenen Vorbereitungen erfolgte am 24.12.1986 der Kauf des Einfamilienhauses durch den Rat der Gemeinde Holzhausen, vertreten durch die Zeugin F. Zwischenzeitlich bewohnte der Beschuldigte mit der Zeugin Brigitte O. vom 6.12.1986 bis zu seinem Einzug in das Grundstück Baumschulenweg am 7.3.1987 eine Dreiraumwohnung im Mehrfamilienhaus Karl-Marx-Str. in Engelsdorf. Nach Aussagen des Beschuldigten waren diese Wohnverhältnisse ausreichend, jedoch aus mehreren Gründen nur als Übergangslösung gedacht und möglich. Am 20.1.1987 erhielt der Beschuldigte vom Rat der Gemeinde Holzhausen ohne vorliegenden Wohnungsantrag eine Wohnraumzuweisung für das Einfamilienhaus Baumschulenweg ausgestellt und Schloß am 10.3.1987 mit Gültigkeit ab 1.3.1987 einen Mietvertrag ab.

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In diesem Zusammenhang war durch den Rat des Bezirkes Leipzig ein Mietpreis von 129,74 M (warme Miete einschließlich Garten- u. Garagenbenutzung) festgelegt worden. Anfang Februar 1987 suchte die N. das Grundstück auf und gelangte zu der Auffassung, daß am Haus Baumaßnahmen erforderlich wären. Deshalb wies sie mit Datum vom 6.2.1987 in Ergänzung der staatlichen Planauflage 1987 die Bereitstellung von 50 000,-- M zur Bewirtschaftung und Erhaltung des Grundstückes an. {5} In den Folgejahren 1988 und 1989 wurden dem Rat der Gemeinde Holzhausen über den Rat des Bezirkes zu diesem Zweck jeweils 30 000,-- M planmäßig zugeordnet. Bereits vor Einzug in das genannte Einfamilienhaus kam der Beschuldigte nach Besichtigung zu der Einschätzung, daß am Haus eine Reihe von Instandsetzungsarbeiten und andere aus seiner Sicht notwendige bauliche Veränderungen erforderlich wären. Das betraf zunächst den Umbau der Heizungsanlage von Kohlebeheizung auf eine andere Heizquelle, den Einbau einer neuen Schließanlage, die Vergitterung von Fenstern und Glastüren, die Erneuerung von Holzdeckenverkleidungen sowie Renovierungsarbeiten. Die einzelnen Maßnahmen stimmte er mit der Zeugin Brigitte O. ab und veranlaßte selbst die Beauftragung der dazu erforderlichen Gewerke. Hinsichtlich der neu zu installierenden Heizungsquelle erzielte der Beschuldigte mit dem Generaldirektor des Energiekombinates Leipzig, T., die Übereinkunft, einen Elektroheizkessel installieren zu lassen. Der dazu erforderliche Auftrag an den VEB Technische Gebäudeausrüstung Leipzig erging über den Rat der Gemeinde Holzhausen ebenso wie für die dazu notwendigen Elektroinstallationsarbeiten durch die Fa. A. Da die vorhandene Elektroenergiezuleitung zum Grundstück für den vorgesehenen 30-kw-Elektroheizkessel nicht ausreichte, wurde in Abstimmung mit dem Generaldirektor des Energiekombinates die bereits vorgesehene, aber noch nicht zeitlich und planungstechnisch eingeordnete Umstellung des Straßenzuges Baumschulenweg auf die erforderliche Standardspannung unverzüglich durchgeführt. Bei der weiteren Organisation von erforderlichen Handwerkern, Materialien und Kapazitäten für durchzuführende Baumaßnahmen am Grundstück setzte sich der Beschuldigte selbst mit den Direktoren und Leitern von Betrieben in Verbindung und veranlaßte so die Ausführung entsprechender Arbeiten. Zum Teil beauftragte der Beschuldigte Mitarbeiter des Rates des Bezirkes, so den Leiter des Büros des Vorsitzenden B. mit der Beschaffung von Material und Handwerkern. Weiterhin stimmte der Beschuldigte teilweise erforderliche Maßnahmen mit der Zeugin Brigitte O. ab und beauftragte sie mit der Gewinnung entsprechender Gewerke. Die Zeugin Brigitte O. setzte dazu sowie zur Koordinierung der Baumaßnahmen den Zeugen Kr. ein. Nur in einigen Fällen ließ der Beschuldigte durch schriftliche (Schreiben vom 9.9.88) oder telefonische Mitteilung bzw. vermittelt über seine Ehefrau und Kr. ordnungsgemäße Aufträge für bereits festgelegte Firmen oder Betriebe durch den Rat der Gemeinde ausstellen. Insgesamt veranlaßte der Beschuldigte in der genannten Weise Baumaßnahmen im Wertumfang von: 1987 1988 1989

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44 380,93 18 297,22 28 143,77 90 821,82

M M M M {6}

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In jedem Fall ging der Beschuldigte davon aus, daß die durch die einzelnen Baumaßnahmen anfallenden Kosten durch den Rat der Gemeinde getragen werden. Dementsprechend ließ er die jeweiligen Rechnungen direkt an den Rat der Gemeinde übersenden. Soweit Rechnungen an ihn persönlich übersandt wurden, ließ der Beschuldigte sie durch sein Büro mit Anschreiben unter Verwendung von Kopfbögen des Vorsitzenden eigenhändig unterschrieben bzw. in seinem Namen an den Rat der Gemeinde zur Begleichung übermitteln. Unabhängig von den Baumaßnahmen am Grundstück weis der Beschuldigte am 11.4.1988 den Direktor des VEB Bezirksdirektion für Straßenwesen Leipzig G. in einer Beratung an, die Erneuerung des Straßenbelages der Sackgasse Baumschulenweg schnellstmöglich zu veranlassen. Entsprechend dieser Weisung wurden die geforderten Arbeiten im Mai 1988 mit einem Wertumfang von 50 376,86 M außerplanmäßig durch die Kreisstraßenmeisterei Delitzsch realisiert. In seiner Funktion als Vorsitzender des Rates des Bezirkes Leipzig war der Beschuldigte befugt und verpflichtet, Vermögensinteressen des sozialistischen Eigentums wahrzunehmen. Er trug unter Beachtung der Artikel 10 Abs. 1 und 81 Abs. 3 der Verfassung der DDR' sowie § 10 Abs. 5 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 4.7.1985 (GBl. T. I, S. 213)2 Verantwortung fur den Schutz und die Mehrung des sozialistischen Eigentums sowie die Gewährleistung eines sparsamen Umgangs mit finanziellen Fonds. Dazu besaß der Beschuldigte gem. § 10 Abs. 2 GöV gesetzlich geregelte Weisungsbefugnisse, mit denen er auf alle Ratsmitglieder, Fachorgane und Vorsitzenden der nachgeordneten Räte verbindlich Einfluß nehmen konnte. Unter Mißbrauch dieser Befugnisse und seiner Autoritätsstellung gegenüber Nachgeordneten veranlaßte der Beschuldigte sowohl den Kauf des Einfamilienhauses Baumschulenweg in Holzhausen als auch in der Folge umfangreiche Baumaßnahmen am Grundstück und nahm dazu staatliche Mittel im Wertumfang von 190 771,82 M in Anspruch. In dieser Höhe trat trotz bestehender Eigentumsrechte am Grundstück eine Schädigung sozialistischen Eigentums ein, da der Einsatz der finanziellen Mittel ausschließlich für persönliche Zwecke und Bedürfnisse des Beschuldigten bei zweckentfremdeter Belastung finanzieller Fonds örtlicher Volksvertretungen und damit entgegen den Grundsätzen zum Schutz und zur Mehrung sozialistischen Eigentums erfolgte. In gleicher Höhe erlangte der Beschuldigte rechtswidrig einen Vermögensvorteil, da sowohl der Kauf des Grundstücks als auch die durchgeführten Baumaßnahmen im persönlichen Interesse des Beschuldigten erfolgten und das Einfamilienhaus einzig und allein durch ihn und seine Familie besessen und benutzt wurde. {7} Für die rechtliche Bewertung ist aus den gleichen Gründen unerheblich, inwieweit es sich bei den am Grundstück durchgeführten Baumaßnahmen, die im kausalen Zusammenhang mit dem Grundstückskauf stehen, um Instandsetzungs-, Instandhaltungs-, Modernisierungs- oder über den normalen Wohnkomfort hinausgehende Arbeiten handelte. Auf dieser Grundlage und wegen der eingetretenen schweren Schädigung des sozialistischen Eigentums hat sich der Beschuldigte zum einen wegen des Hauskaufs und zum anderen wegen der veranlaßten Baumaßnahmen wegen mehrfacher verbrecheri-

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scher Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums im schweren Fall gem. §§ 161a Abs. 1, 182 Abs. 1 Ziff. 1, 63 Abs. 2 StGB3 zu verantworten. Hinsichtlich des Kaufes des Eigenheimes handelte der Beschuldigte gemeinschaftlich gem. § 22 Abs. 2 Ziff. 2 StGB mit der in anderer Sache Beschuldigten N., welche entsprechend des Auftrages des Beschuldigten jedoch unter Wahrnahme ihrer eigenen Verantwortung und Weisungsbefugnis die Finanzierung des Hauserwebs absicherte. Bei der rechtlichen Einordnung insgesamt ist zu beachten, daß entsprechend den Grundsätzen in § 11 Abs. 1 der Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken Grundstücksverkehrsverordnung - vom 15.12.77 (GBl. T. I, Nr. 3) der Kauf von Grundstücken zugunsten des Volkseigentums nur aus staatlichem oder gesellschaftlichem Interesse, nicht aber zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse möglich ist. Diese Grundsätze werden untersetzt durch die Zielstellung der Verordnung vom 31.8.78 über den Neubau, die Modernisierung und Instandsetzung von Eigenheimen - Eigenheimverordnung - (GBl. I, Nr. 40) und des Gesetzes über den Verkauf volkseigener Eigenheime, Miteigentumsanteile und Gebäude für Erholungszwecke vom 19.12.73 (GBl. T. I, Nr. 58) sowie den Orientierungen des Amtes für Preise der DDR (Information Nr. 4/81 v. 23.12.80), nach denen Eigenheime vom Nutzer zu erwerben und nicht zur Vermietung bestimmt sind.

Beweismittel ® Es folgt eine Auflistung der Beweismittel, darunter Vernehmungen der Beschuldigten und von 35 Zeuginnen und Zeugen sowie diverse Schriftstücke. {9} Ich beantrage: 1. Das Hauptverfahren vor dem 3. Strafsenat des Bezirksgerichtes Leipzig zu eröffnen; 2. Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen; 3. zur Hauptverhandlung die Zeuginnen K. und F. zu laden; 4. den Haftbefehl gegen den Beschuldigten vom 14.12.1989 aus den Gründen des Erlasses aufrecht zu erhalten.

Anmerkungen 1 2

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Vgl. Anhang S. 507f. § 10 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 4.7.1985 (DDR-GB1. I, S. 213) hatte folgenden Wortlaut: „(1) Die Räte sind kollektiv arbeitende Organe. Für ihre Tätigkeit ist jedes Mitglied des Rates gegenüber der Volksvertretung und dem Rat persönlich verantwortlich. Der Rat besteht aus dem Vorsitzenden des Rates, den Stellvertretern des Vorsitzenden, dem Sekretär und den anderen Mitgliedern. Der Vorsitzende des Rates des Stadtkreises ist Oberbürgermeister, der Vorsitzende des Rates des Stadtbezirkes ist Stadtbezirksbürgermeister, der Vorsitzende des Rates der kreisangehörigen Stadt bzw. Gemeinde ist Bürgermeister. Die Mitglieder des Rates sollen Abgeordnete sein.

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(2) Der Rat wird von seinem Vorsitzenden geleitet. Er hat die kollektive Arbeit des Rates zu organisieren. Er ist berechtigt, den Mitgliedern des Rates, den Leitern der Fachorgane, der unterstellten Kombinate, Betriebe und Einrichtungen sowie den Vorsitzenden der nachgeordneten Räte Weisungen zu erteilen und deren Durchführung zu kontrollieren. (3) Die Mitglieder des Rates leiten die ihnen vom Rat übertragenen Verantwortungsbereiche. Sie gewährleisten, daß die Fachorgane sowie die dem Rat unterstellten Kombinate, Betriebe und Einrichtungen die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen. Im Rahmen ihrer Kompetenz sind sie berechtigt, Weisungen zu erteilen. (4) Die Räte rationalisieren im Zusammenwirken mit den Vorständen und Leitungen der Gewerkschaften die Leitungs- und Verwaltungsarbeit mit dem Ziel, ihre Aufgaben mit hoher Effektivität zu erfüllen, die Mitwirkung der Bürger an der Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungen zu fordern und eine exakte und zügige Bearbeitung ihrer Anliegen und Anträge zu sichern. (5) Die Räte sind verpflichtet, die Staats- und Plandisziplin und den sorgsamen Umgang mit den materiellen und finanziellen Fonds zu sichern. Sie haben die Grundsätze der Wachsamkeit durchzusetzen und die Staats- und Dienstgeheimnisse zu wahren." Zum Wortlaut der §§ 161a und 182 DDR-StGB vgl. Anhang S. 51 Of.

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Inhaltsverzeichnis Erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts Leipzig vom 11.5.1990 - Az.: BS 1/90; 111-25/89 Gründe [I.

13 Feststellungen zur Person]

[II. Sachverhaltsfeststellungen]

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[III. Beweiswürdigung]

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[IV. Rechtliche Würdigung] 1. Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums 2. Zum Tatbestand des Vertrauensmißbrauchs

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[V. Strafzumessung]

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Anmerkungen

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Bezirksgericht Leipzig Az.: BS 1/90; 111-25/89

11. Mai 1990

URTEIL Im Namen des Volkes In der Strafsache gegen den Angestellten Rolf Siegfried Opitz in Untersuchungshaft seit 14.12.1989 wegen mehrfacher Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums u.a. hat der 3. Strafsenat des Bezirksgerichts Leipzig in der Hauptverhandlung vom 3.5., 7.5. und 11.5.1990, an der teilgenommen haben: ® Es folgt die Nennung der Verfahrensbeteiligten. für Recht erkannt: 1. Der Angeklagte wird wegen mehrfacher Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums in Tateinheit mit mehrfachem Vertrauensmißbrauchs Vergehen gemäß §§ 161a Abs. 1, 165 Abs. 1 StGB - zu einer Freiheitsstrafe von 1 - einem - Jahr verurteilt. 2. Der Schadenersatzantrag des Rates der Gemeinde Holzhausen vom 7.2.1990 wird als unbegründet abgewiesen. 3. Die Auslagen des Verfahrens hat der Angeklagte zu tragen. {2}

Gründe [I. Feststellungen zur Person] Der nicht vorbestrafte Angeklagte ist 60 Jahre alt. Er hat den Beruf eines Verwaltungsangestellten erlernt und danach als Angestellter bei der Landesregierung Sachsen gearbeitet. 1955 beendete er ein Direktstudium als Verwaltungsjurist. Der Angeklagte war anschließend in verschiedenen leitenden Funktionen im Staatsapparat tätig, u.a. als erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden. 1974 wurde er zum Vorsitzenden des Rates des Bezirke Leipzig gewählt. Diese Funktion bekleidete er bis zu seiner Inhaftierung am 14.12.1989. Der Angeklagte Schloß am 10.12.1986 die dritte Ehe. Seine zweite Ehe wurde im November 1986 geschieden. Das Mietrecht an dem bis dahin vom Angeklagten und seiner zweiten Ehefrau bewohnten Haus in Leipzig-Gohlis wurde keinem der Ehepartner übertragen.

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[II.

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Sachverhaltsfeststellungen]

Der Angeklagte bemühte sich bereits im Vorfeld des Scheidungsverfahrens und auch, weil er ohnehin aus diesem Haus ausziehen wollte, um den Bezug eines anderen kleineren Einfamilienhauses. Da in der Stadt Leipzig kein nach seiner Meinung fur ihn geeignetes Haus nach Rücksprache beim Oberbürgermeister vorhanden war, erfuhr er etwa im Oktober 1986 von der damaligen Bürgermeisterin der Gemeinde Holzhausen, der Zeugin K., daß ein seinen Vorstellungen entsprechendes Einfamilienhaus in Holzhausen vorhanden ist. Dieses Haus, gelegen im Baumschulenweg, war das Eigenheim der Familie S., die es auch bewohnte und einen Antrag auf Ausreise in die BRD gestellt hatte. Anläßlich eines kurze Zeit später stattgefundenen Bürgermeisterlehrgangs brachte die Zeugin K. Bauzeichnungen für das genannte Haus mit und es fand ein Zusammentreffen der Zeugin mit dem Angeklagten und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes für Inneres, Dr. R., statt. Im Ergebnis der Zusammenkunft erklärte der Angeklagte, daß der Rat der Gemeinde das Haus kaufen soll mit dem Ziel, daß der Angeklagte als Mieter einzieht, die Finanzierungsmöglichkeiten durch die Zeugin N. geprüft werden und Dr. R. seinerseits überprüft, ob dem Ausreiseantrag der Familie S. stattgegeben werden kann. Dr. R. suchte danach im Auftrag des Angeklagten die Zeugin N., damals tätig als Mitglied des Rates des Bezirkes Leipzig für Finanzen, in ihrem Dienstzimmer auf und bat sie, die Finanzierungsmöglichkeiten für den Erwerb des Grundstücks und Eigenheimes Holzhausen, Baumschulenweg, zu prüfen. Danach fand ein {3} Gespräch von Vertretern des Rates des Bezirkes, an dem auch die Zeugin K. teilnahm, mit der Familie S. statt. Kurzfristig wurde dieser Familie die Ausreise in die BRD genehmigt. Zwischenzeitlich hatte auch der Angeklagte die Zeugin N. gefragt, ob die Finanzierung des Hauses in Ordnung gehe. Die Zeugin N. bejahte diese Frage und der Angeklagte setzte sich nach dem 26.11.1986 mit der Zeugin K., die sich zur Kur befand, telefonisch in Verbindung und erklärte ihr, daß der Rat der Gemeinde das Haus kaufen soll. Hinsichtlich der Finanzierung würde sich die Zeugin N. an sie wenden. Daraufhin rief die Zeugin K. ihre Stellvertreterin, die Zeugin F., die seinerzeit als Bürgermeisterin der Gemeinde Holzhausen amtierte, an und wies sie an, die Kaufhandlung vorzunehmen. Das Grundstück wurde geschätzt, der Kaufvertrag am 24.12.1986 vor dem Staatlichen Notariat Leipzig abgeschlossen. Damit war der Rat der Gemeinde Holzhausen Rechtsträger des Grundstückes 7124 Holzhausen, Baumschulenweg, mit dem darauf erbauten Einfamilienhaus. Der Kaufpreis wurde entsprechend der Schätzurkunde auf 99.950,- M festgesetzt, wovon der Familie S. 85.766,46 M ausgezahlt und an die Sparkasse Leipzig 14.183,54 M für Hypothekenforderungen überwiesen wurden. Mit Schreiben vom 23.12.1986 hatte die Zeugin N. den Zeugen V., Mitglied des Rates des Kreises Leipzig für Finanzen, ermächtigt, Tage vorher hatte sie ihn dazu telefonisch angewiesen, aus dem Haushaltsvolumen 1986 des Kreises Leipzig dieses Geld dem Rat der Gemeinde Holzhausen zum Kauf des Grundstücks zur Verfügung zu stellen. Diese Finanzmittel stammten aus nicht verbrauchten Geldern des Haushalts des Rates des Kreises, die an den Haushalt des Bezirkes und dann weiter bei NichtVerbrauch durch den Rat des Bezirkes an den zentralen Staatshaushalt hätten abgeführt werden müssen. Der Angeklagte hatte beim Rat der Gemeinde Holzhausen keinen Antrag auf Wohnraumzuweisung gestellt, doch war allen Beteiligten klar, daß er als Mieter in dieses

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Haus einziehen sollte. Er erhielt deshalb am 20.1.1987 die Wohnraumzuweisung rückwirkend zum 7.1.1987. Mit Wirkung vom 1.3.1987 wurde zwischen dem Rat der Gemeinde Holzhausen und den Eheleuten Opitz der Mietvertrag für dieses Haus abgeschlossen. Der Mietpreis wurde auf 129,74 M festgesetzt. Als der Angeklagte Anfang des Jahres 1987 das Haus erstmals näher {4} in Augenschein nahm, glaubte er, daß es notwendig sei, umfangreiche Werterhaltungsmaßnahmen am Haus, Umzäunung und Toreinfahrt vornehmen lassen zu müssen. Er sprach deshalb die Zeugin N. an, ob weitere Finanzmittel für die Werterhaltung des Hauses bereitgestellt werden könnten. Mit Schreiben vom 6.2.1987 wies daraufhin die Zeugin N. den Zeugen V. an, 50.000,- M für die Bewirtschaftung des Grundstückes Baumschulenweg für das Planjahr 1987 zweckgebunden bereitzustellen. Für das Jahr 1988 wies die Zeugin N. ebenfalls nach Vorsprache des Angeklagten bei ihr die Bereitstellung von weiteren 30.000,- M für dieses Grundstück an. Für das Planjahr 1989 wurden nochmals 30.000,- M ebenfalls zweckgebunden fur dieses Grundstück bereitgestellt. Der Angeklagte hat die Bereitstellung dieser Mittel ebenfalls angeregt. Mit welchem Mitarbeiter des Rates des Bezirkes er dies besprach, konnte nicht mehr festgestellt werden. Die Zeugin N. war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Funktion als Mitglied des Rates des Bezirkes für Finanzen tätig. Sämtliche Gelder wurden dem Haushalt des Rates des Kreises Leipzig entnommen und der Gemeinde Holzhausen zusätzlich zu ihrem Etat zugeführt. Von den bereitgestellten Mitteln in Höhe von insgesamt 110.000,-M wurden laut Aufstellung des Rates der Gemeinde Holzhausen 92.021,28 M für Werterhaltungsmaßnahmen verbraucht. Dabei bestimmte ausschließlich der Angeklagte, welche Maßnahmen durchzufuhren waren. Der Rat der Gemeinde wurde in keinem Fall vorher um die Genehmigung dafür ersucht. Zum Teil löste der Angeklagte selbst Aufträge aus und schickte dann nachträglich die Rechnungen zur Begleichung an den Rat der Gemeinde. Der Rat der Gemeinde nahm allerdings auch seine Pflicht als Vermieter nicht wahr und ging davon aus, daß die Maßnahmen des Angeklagten gerechtfertigt seien und kontrollierte deren Notwendigkeit nicht. Auch diese, für die Werterhaltung verwendeten Gelder hätten bei NichtVerbrauch an die Haushalte der übergeordneten Organe zurücküberwiesen werden müssen. Dem Angeklagten war bekannt, und von ihm so gewollt, daß sämtliche Mittel sowohl für den Kauf des Grundstücks als auch fur die Werterhaltung aus staatlichen Haushaltsmitteln stammten. Die Höhe des Kaufpreises für das Grundstück kannte der Angeklagte zur Zeit des Abschlusses des Kaufvertrages nicht. Erst in der {5} Folgezeit war ihm die Höhe des Kaufpreises bekannt geworden. Auch für die genaue Höhe der verbrauchten Gelder für die Werterhaltungsmaßnahmen, die sich über 3 Jahre hinzogen, interessierte er sich nicht. Dem Rat der Gemeinde entstand kein Schaden, da Kapazitäten der Gemeinde für die Werterhaltung nicht in Anspruch genommen wurden und die Fondszuführungen zusätzlich zum Haushaltsplan der Gemeinde erfolgten.

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[III. Beweiswürdigung] Dieser wesentliche Sachverhalt beruht auf den Einlassungen des Angeklagten. Als Zeugen wurden Frau K., Frau F., Frau K., Herr V. und Frau N. vernommen. Zum Gegenstand der Beweisaufnahme wurden gemacht: der Strafregisterauszug des Angeklagten, der Grundstückskaufvertrag, die Feststellung des Schätzpreises des Grundstücks, die Wohnraumzuweisung, der Mietvertrag, die Aufstellung des Rates der Gemeinde Holzhausen über die Kosten der Werterhaltungsmaßnahmen, das Schreiben der Zeugin N. an den Rat des Kreises Leipzig vom 23.12.1986, das Schreiben der Zeugin N. an den Rat des Kreises Leipzig vom 6.2.1987, der Standpunkt des Ministeriums der Finanzen vom 26.2.1990, der Beschluß des Ministerrats vom 19.12.1978, die Verfügung des Vorsitzenden des Ministerrats vom 1.12.1975. Die Rechnungen] wurden dem Angeklagten vorgelegt, ebenfalls die Schreiben betreffs Werterhaltungsmaßnahmen. Über den Schadenersatzantrag wurde verhandelt. Die vorgelegten Beweismittel und die Aussagen der Zeugen wurden vom Angeklagten anerkannt und bestätigt, stimmen mit den Aussagen des Angeklagten überein und untermauern den vom Senat festgestellten Sachverhalt. Dieser wurde vom Angeklagten ohnehin nicht bestritten. Er wandte sich ausschließlich gegen die Bewertung dieses Sachverhalts als strafbare Handlungen. Lediglich zur Höhe der für die Werterhaltung verbrauchten Gesamtsumme war von den detaillierten Aussagen der Zeugin F. auszugehen. Diese Summe beläuft sich entgegen der Anklage nicht auf 90.821,82 M, sondern auf 92.021,28 M. Dies wurde vom Angeklagten anerkannt. {6}

[IV. Rechtliche Würdigung] Das Handeln des Angeklagten ist wie folgt rechtlich zu würdigen: 1.

Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums

Der Angeklagte hatte in seiner Funktion als Vorsitzender des Rates des Bezirkes die Pflicht und Befugnis, Vermögensinteressen des Staates zum Wohle der Öffentlichkeit wahrzunehmen, das sozialistische Eigentum zu schützen und zu mehren sowie einen sparsamen Umgang mit den ihm anvertrauten Fonds zu gewährleisten. Diese ihm durch Gesetz übertragene Befugnis (vgl. Artikel 81 Abs. 3 der Verfassung der DDR1 und § 10 Abs. 2 und 5 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen vom 4.7.1985, GBl. Teil I S. 2132) mißbrauchte er, indem er veranlaßte, daß Mittel aus dem Staatshaushalt, die dafür ursprünglich nicht vorgesehen waren, für die Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse und Interessen eingesetzt wurden. Das betrifft sowohl die 99.950,- M Kaufsumme für das Grundstück als auch die verbrauchten 92.021,28 M für Werterhaltungsmaßnahmen. Der Angeklagte beruft sich darauf, daß die auf seine Veranlassung hin durch die Zeugin N. und im Falle der Bereitstellung von 30.000,- M Werterhaltungsmittel für das Jahr 1989 durch einen anderen Mitarbeiter des Rates des Bezirkes Leipzig getroffenen Maßnahmen und Entscheidung zur Bereitstellung der Gelder auf gesetzlicher Grundlage beruhte. Deshalb, so führte er weiter aus, könne sein Handeln nicht als gesellschaftswidrig eingeschätzt werden. Zweifellos waren die von der Zeugin N. und einem anderen

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getroffenen Entscheidungen gesetzlich zulässig, aber, und das ist ein entscheidender Punkt, erfüllen auch gesetzlich zulässige Entscheidungen, wenn sie den Vermögensinteressen des Staates entgegenstehen und darüber hinaus ausschließlich zur Befriedigung persönlicher Interessen und Bedürfnisse dienen, das Tatbestandsmerkmal des Mißbrauchs der dem Verfügenden oder anderen eingeräumten Befugnisse. D.h., die Verfügungsbefügnis des Angeklagten oder anderer Verfügungsberechtigter oder Beauftragter über ihnen anvertraute Fonds ist nicht unbeschränkt, sondern sie endet dort, wo sie staatlichen Interessen entgegensteht. Diese Grenze ist beim Einsatz der Mittel, die, wie oben angegeben, ausschließlich für die persönlichen Interessen des Angeklagten bestimmt waren, zweifellos überschritten. Dies muß auch dem Angeklagten angelastet werden, da er davon ausging, daß staatliche Haushaltsmittel zur Befriedigung seiner persönlichen Interessen, die nicht mit den gesellschaftlichen in Übereinstimmung standen, verwandt wurden. {7} Der Angeklagte wies zwar nicht direkt an, daß Fonds zur Verfügung gestellt werden sollten, regte aber im Gespräch mit der Zeugin N. und einmal über Dr. R. bei der Zeugin N. die Bereitstellung der Gelder an. Außerdem rief er die Zeugin K. an und teilte ihr mit, daß der Rat der Gemeinde das Grundstück kaufen soll und die Fonds bereitstehen werden. Diese Hinweise, Bitten und Fragen wurden aufgrund der Dienststellung des Angeklagten als Weisung aufgefaßt und entsprechend zügig behandelt. Dies war dem Angeklagten bekannt. Insoweit liegt bei Mißbrauch seiner Befugnisse Vorsatz gemäß § 6 Abs. 1 StGB vor, auch wenn ihm die konkrete Höhe der verbrauchten Gelder von insgesamt 191.971,28 M zur Tatzeit nicht bekannt war. Er erklärte, daß ihn dies nicht interessiere, fand sich also bewußt mit jeder Schadenshöhe ab und handelte insoweit bedingt vorsätzlich gemäß § 6 Abs. 2 StGB. Der Angeklagte kann sich aber auch nicht damit entlasten, daß ihm 1974 der damalige Ministerpräsident versprochen hatte, daß er in Leipzig bei Tätigkeitsaufnahme als Vorsitzender des Rates des Bezirkes ein Einfamilienhaus bewohnen könne. Dieses Haus hatte er 1974 in Leipzig-Gohlis bezogen. Seine Auffassung, aus dieser Zusicherung abzuleiten, daß er zu jeder Zeit und möglicherweise auch in jeder Zahl eigenmächtig verfügen kann, aus staatlichen Mitteln in seinem persönlichen Interesse Häuser kaufen zu lassen, entspringt nach Meinung des Senats der in der gesamten Handlungsweise des Angeklagten zum Ausdruck kommenden verantwortungslosen Einstellung zu seinen Aufgaben bei der Verwaltung des Volksvermögens. Der vom Verteidiger des Angeklagten angeführte Beschluß des Ministerrats vom 19.12.1978 und die Verfügung des ehemaligen Ministerpräsidenten vom 1.12.1975, die als Beweismittel vorlagen, können den Angeklagten nicht entlasten, da sie einen völlig anderen Sachverhalt betreffen. Die vom Finanzministerium der DDR im Standpunkt vom 26.2.1990 vertretene Rechtsauffassung steht der des Senats, wie nachfolgend weiter ausgeführt werden wird, entgegen. Zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Verschaffung rechtswidriger Vermögensvorteile für sich oder andere ist der Senat folgender Auffassung: Soweit die Anklage davon ausgeht, daß der Angeklagte sich Vermögensvorteile verschafft hat, kann dem nicht gefolgt werden. Ein Vermögensvorteil liegt dann vor, wenn ein {8} Zuwachs an Vermögenswerten zu verzeichnen ist. Der Angeklagte ist aber nicht der Eigentümer des Grundstücks und des Hauses, sondern der Mieter. Er hatte zwar den Vorteil der Nutzung, dies war auch sein Ziel, aber Nutzung ist nicht gleichzusetzen mit Vermögensvorteil.

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Dokumente - Teil 1

Allerdings hat der Angeklagte einem anderen, nämlich dem Rat der Gemeinde Holzhausen, einen Vermögensvorteil verschafft. Nach Auffassung des Senats schließt der Begriff „einem anderen" nicht aus, daß es sich dabei auch, wie z.B. beim gleichen Begriff im § 158 StGB, um eine juristische Person handeln kann. Der Senat vertritt weiter die Meinung, daß gerade dieser Begriff vom Gesetzgeber in die Bestimmung des § 161a StGB 3 aufgenommen wurde, um u.a. derartige Manipulationen, nämlich juristische Personen auftreten zu lassen, um persönliche Vorteile zu erlangen, zu unterbinden und unter Strafe zu stellen. Zweifellos hat der Rat der Gemeinde einen Vermögensvorteil erlangt, in dem er Rechtsträger eines Grundstücks und Einfamilienhauses wurde. Der Vermögensvorteil liegt in den erheblichen Werterhaltungsmaßnahmen begründet und darin, daß der Gemeinde keinerlei Kosten entstanden sind und er dieses Haus nach ökonomischen Grundsätzen weiter bewirtschaften kann. Die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils ergibt sich einmal aus der Tatsache, daß wie ausgeführt, die Bereitstellung der Gelder für Grundstückskauf und Werterhaltung unter Mißbrauch der Befugnisse erfolgte und deshalb die Erlangung des Vermögensvorteils folgerichtig rechtswidrig sein muß und aus der Motivlage des Angeklagten, der mit Kauf und Werterhaltung nicht etwa ein soziales Problem der Gemeinde Holzhausen lösen, sondern ausschließlich daraus persönlichen Nutzen ziehen wollte. Bei der Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales handelte der Angeklagte vorsätzlich gemäß § 6 Abs. 1 StGB, indem er die Zeugin K. anwies, das Haus zu kaufen und die Zeugin N. und einen anderen veranlaßte, dem Rat der Gemeinde Fonds für die Werterhaltung zur Verfügung zu stellen. Diese Handlungen führten zum Schaden am sozialistischen Eigentum, indem Fonds umgelagert und dadurch geschmälert wurden, für deren Verwendung im öffentlichen Interesse dringendes Bedürfnis u.a. angesichts des Bauzustandes vieler Gebäude in der Stadt und im Bezirk Leipzig bestand. Daß diese Fonds anderweit hätten verwandt werden können, ergibt sich aus den Aussagen der Zeugin N. und {9} des Zeugen V. Damit hat der Angeklagte mit den durch die im Sachverhalt genannten Handlungen den Tatbestand des § 161a Abs. 1 StGB objektiv und subjektiv erfüllt. Hinsichtlich der Veranlassung der Bereitstellung des Fonds für den Grundstückskauf und der Veranlassung der Bereitstellung der Fonds für die Werterhaltung liegt Tatmehrheit gemäß § 63 Abs. 2 StGB vor, da sich der Angeklagte erst nach dem Kauf bei der ersten Besichtigung des Hauses entschloß, Werterhaltungsmaßnahmen durchführen zu lassen.

2.

Zum Tatbestand des

Vertrauensmißbrauchs

Zweifellos hatte der Angeklagte als Vorsitzender des Rates des Bezirkes eine Vertrauensstellung inne. Hinsichtlich des Mißbrauchs dieser Vertrauensstellung wird auf die Begründung zum entsprechenden Tatbestandsmerkmal des § 161a Abs. 1 StGB verwiesen. Sie trifft hier gleichermaßen zu. Der Eintritt eines bedeutenden wirtschaftlichen Schadens ergibt sich einmal aus der Schadenshöhe von insgesamt 191.971,28 M und aus der Tatsache, daß ebenfalls, wie oben ausgeführt, Fonds ihrem bestimmungsgemäßen Zweck entzogen und in andere Fondsträger umgelagert wurden und dadurch Mittel im bedeutenden Umfang dringend benötigter Werterhaltung entzogen worden sind. 18

Die erste Anklage - Der Fall Opitz

Lfd. Nr. 1-2

Diese Folgen mußten dem Angeklagten angesichts seiner Funktion klar sein, zumindest hat er sich mit diesen bewußt abgefunden. Somit handelte er bedingt vorsätzlich gemäß § 6 Abs. 2 StGB. M i t den im Sachverhalt genannten Handlungen erfüllte der Angeklagte somit nicht nur mehrfach den Tatbestand des § 161a Abs. 1 StGB, sondern tateinheitlich dazu gemäß § 63 Abs. 2 StGB auch objektiv und subjektiv den Tatbestand des § 165 Abs. 1 StGB 4 .

[V.

Strafzumessung]

Bei der Strafzumessung war von den Grundsätzen des § 61 StGB auszugehen. Zunächst ist festzustellen, daß der Senat von dem im Beweisergebnis festgestellten Sachverhalt auszugehen hatte. Der Umfang dieser zu bewertenden Feststellungen wurde bestimmt durch die im Anklagetenor genannten Handlungen, an die das Gericht gebunden ist. Diese umfassen lediglich den Kauf des Grundstücks und die Kosten der Werterhaltung, nicht aber z.B. Fragen der Mietpreisfestsetzung, des Stromverbrauchs, Kosten des Straßenbaus usw. Damit hatte der Senat von einem Gesamtschaden in Höhe von 191.971,28 M auszugehen. Diese hohe Schadenssumme ist ein wesentliches Kriterium der Strafzumessung. Dabei muß aber beachtet { 1 0 } werden, und dieser Fakt hat letztlich entscheidenden Wert, daß der Angeklagte sich nicht persönlich bereichert hat. Insoweit war das Handeln des Angeklagten nicht als gesellschaftsgefährlich, sondern gesellschaftswidrig zu werten. Allerdings gebietet die Höhe des Schadens den Ausspruch einer Freiheitsstrafe, die aber nur, da die Handlungen des Angeklagten Vergehenscharakter tragen, unter 2 Jahren liegen mußte. Die fehlende Bereicherungsabsicht bestimmt aber auch wesentlich den Grad der Schuld des Angeklagten, so daß insgesamt die v o m Staatsanwalt beantragte Freiheitsstrafe in Höhe von 1 Jahr und 6 Monaten als überhöht erscheint. In Würdigung aller Umstände erkannte somit der Senat auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr. Da keine persönliche Bereicherung des Angeklagten vorlag, sieht der Senat auch keine Notwendigkeit, auf eine Zusatzgeldstrafe zu erkennen, so w i e sie v o m Staatsanwalt beantragt wurde. Dem Antrag des Verteidigers, den Angeklagten freizusprechen, konnte aus o.g. Gründen nicht entsprochen werden. Der Schadensersatzantrag war als unbegründet abzuweisen, da die Voraussetzung des § 330 Z G B nicht vorliegen. Ausweislich des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist dem Rat der Gemeinde Holzhausen kein Schaden entstanden. Die Zeugin K . nahm zwar den Antrag in der Hauptverhandlung zurück, da sie aber als Bürgermeisterin nicht mehr im A m t ist, fehlt ihr dazu die Legitimation, so daß darüber zu entscheiden war.

Anmerkungen 1 2 3 4

Vgl. Anhang S. 507. Zum Wortlaut des § 10 GöV vgl. Anm. 2 auf S. lOf. Zum Wortlaut der §§ 158, 161a DDR-StGB vgl. Anhang S. 509 bzw. 510. Vgl. Anhangs. 510.

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Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Berufungsurteil des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik vom 6.9.1990 - Az.: 2 OSB 1/90 Gründe

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I.

[Zu den erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen]

21

II.

[Prüfung des anzuwendenden Rechts]

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III. [Rechtliche Würdigung des Sachverhalts]

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Anmerkungen

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Die erste Anklage - Der Fall Opitz

Oberstes Gericht der Deutschen Demokratischen Republik Az.: 2 OSB 1/90

6. September 1990

URTEIL In der Strafsache gegen Rolf Opitz hat das Oberste Gericht der Deutschen Demokratischen Republik durch den 2. Strafsenat in seiner Sitzung vom 6. September 1990, an der teilgenommen haben: Es folgt die Nennung der Verfahrensbeteiligten. ® {2} für Recht erkannt: Auf die Berufung wird das Urteil des Bezirksgerichts Leipzig vom 11. Mai 1990 - BG 1/90 - aufgehoben. Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das genannte Gericht zurückverwiesen, das auch über die Auslagen des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden hat. {3} Gründe I.

[Zu den erstinstanzlichen

Sachverhaltsfeststellungen]

Das Bezirksgericht verurteilte den Angeklagten wegen mehrfacher Untreue in Tateinheit mit mehrfachem Vertrauensmißbrauch - Vergehen gemäß §§ 161a Abs. 1, 165 Abs. 1 StGB1 - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Der Schadensersatzantrag des Rates der Gemeinde Holzhausen wurde als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidung beruht auf folgenden wesentlichen Feststellungen: Es folgt eine Darstellung der erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen. ® II. [Prüfung des anzuwendenden Rechts] Gegen das Urteil des Bezirksgerichts richtet sich die Berufung des Angeklagten, die rechtzeitig eingelegt wurde. Mit dem Rechtsmittel wird Freispruch angestrebt. {6} Die Berufung führte zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach weiterer Sachaufklärung. Dies aus folgenden Gründen: Voraussetzung für die Anwendung des § 165 StGB in der Fassung vom 28. Juni 1979 war der Mißbrauch einer Vertrauensstellung, der durch vorsätzlich herbeigeführten bedeutenden wirtschaftlichen Schaden charakterisiert wird. Die Vertrauensstellung wurde als gegeben beurteilt bei Personen, die eigenverantwortlich und verbindlich auf der Grundlage ihnen übertragener Befugnisse über den Einsatz disponibler materieller oder finanzieller Fonds verfügen durften (OG, Urteil vom 27.10.1970 - 2 Ust 16/70). Ein Mißbrauch der Vertrauensstellung erfolgte durch Treffen, Unterlassen oder Bewir21

Lfd. Nr. 1-3

Dokumente - Teil 1

ken von Maßnahmen entgegen den ihnen auferlegten Rechtspflichten, wobei diese Maßnahmen an sich nicht gesetzlich unzulässig sein mußten (OG, Urteil vom 15.5.1975 - 2b Zst 13/75 - NJ 1975 S. 490), vom Inhaber der Vertrauensstellung aber insbesondere erwartet wurde, daß er durch sein Handeln die ihm anvertrauten Mittel effektiv einsetzt und jegliche Verschwendung verhindert (OG, Urteil vom 5.11.1970 - 2 Ust 17/70). Als bedeutender wirtschaftlicher Schaden im Sinne des Tatbestandes wurden, bezogen auf die jeweils zu lösende Aufgabe und die dafür zur Verfugung stehenden Fonds, beträchtliche negative Auswirkungen auf den Ablauf ökonomischer Prozesse, wesentliche Störungen des Wirtschaftsablaufs mit meß- bzw. bestimmbaren Verlusten fur Wirtschaftseinheiten bzw. erhebliche Schäden für das zu betreuende Vermögen angesehen (OG, Urteil vom 26.10.1978 - 2 OSB 13/78 - OGI 1/1979 S. 19). Nicht jede die Finanzdisziplin verletzende Zahlung, Fondsverschiebung oder nicht rechtzeitig erfüllte Aufgabe war insoweit tatbestandsmäßig. Der Tatbestand erforderte schließlich, daß sowohl der Mißbrauch der Befugnisse als auch die dadurch verursachten Folgen vorsätzlich im Sinne des § 6 StGB erfolgten (vgl. OG, Urteil vom {7} 27.10.1977 - 2 OSK 16/77 - OGI 3/78 S. 48; vom 4.2.1982 - 2 OSB 13/81 - und vom 14.6.1984 - 1 Pr 1 - 1 5 - 2 / 8 4 - O G I 4 / 8 4 S. 3). Nach § 10 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches vom 29. Juni 1990 (6. StÄG) 2 ist u.a. § 165 StGB in der Fassung vom 28. Juni 1979 der Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit weiterhin zugrunde zu legen, soweit vor dem Inkrafttreten des 6. StÄG am 1. Juli 1990 Straftaten nach dieser Vorschrift begangen wurden und das Strafverfahren eingeleitet wurde. Gleichwohl hatte der Senat gemäß § 81 Abs. 3 StGB 3 nun zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Handlungen, die Gegenstand des Verfahrens sind, § 163 StGB in der Fassung vom 29. Juni 19904 das mildere Gesetz darstellt und deshalb anzuwenden ist. Diese Prüfung setzt voraus, daß im konkreten Fall die Untreue im Sinne des § 163 StGB alle Tatumstände erfaßt, die auch den Vertrauensmißbrauch nach § 165 StGB begründen (OG, Urteil vom 13. September 1968 - 2 Zst 26/68 - NJ 1968 S. 729). Untreue nach § 163 StGB ist die vorsätzliche Verletzung der Pflicht zur Betreuung fremder Vermögensinteressen durch Benachteiligung des zu betreuenden Vermögens. Zwar kann die Stellung, aus der sich die Befugnis ergibt, über fremdes Vermögen zu verfügen, auch hier durch Gesetz, Auftrag oder Rechtsgeschäft begründet werden und setzt die Tatbestandsverwirklichung den Mißbrauch der Befugnisse bzw. die Verletzung der Pflichten, Vermögensinteressen eines anderen wahrzunehmen, sowie einen dadurch verursachten Nachteil im Sinne eines Vermögensschadens voraus. Die Nachteile im Sinne des § 163 StGB sind aber auf das zu betreuende Vermögen beschränkt. Der bedeutende wirtschaftliche Schaden im Sinne des § 165 StGB in der Fassung vom 28. Juni 1979 umfaßt neben solcher Schmälerung der Vermögenssubstanz auch die infolge der schädigenden Handlung herbeigeführten weitergehenden ökonomisch negativen Folgen bzw. Schäden bei anderen Rechts-{8}trägem des Eigentums. § 163 erfaßt damit nicht alle Tatumstände die - hier auch unter Berücksichtigung der konkreten Handlungen die Erfüllung des § 165 StGB begründen und ist daher nicht das Gesetz, das für die hier zu beurteilende Handlung eine Milderung vorsieht. Das Bezirksgericht nahm Tateinheit von § 165 StGB und § 161a StGB in der Fassung vom 28. Juni 1979 an. Tateinheit von Vertrauensmißbrauch und Untreue liegt vor,

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Die erste Anklage - Der Fall Opitz

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wenn vom Täter vorsätzlich entgegen seiner Rechtspflichten Verfügungen getroffen wurden, durch die vorsätzlich bedeutender wirtschaftlicher Schaden verursacht wurde und zugleich auf die Erlangung nicht unbedeutender rechtswidriger Vermögensvorteile gerichtet waren (OG, Urteil vom 26.10.1978 - 2 OSB 13/78 - OGI 1/79 S. 19). Differieren bei diesen Voraussetzungen die festgestellten bedeutenden wirtschaftlichen Schäden und Vermögensvorteile im Umfang, ist nur insoweit Tateinheit gegeben, als die wirtschaftlichen Schäden einerseits auch Vermögensvorteile andererseits darstellen. Auch hinsichtlich der Anwendung von § 161a StGB in der Fassung vom 28. Juni 1979 oder § 163 StGB in der Fassung vom 29. Juni 1990 hatte der Senat gemäß § 81 Abs. 3 StGB nunmehr eine Prüfung vorzunehmen. Da § 161a StGB wegen der Schadenszufügung und Vorteilsverschaffung höhere Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestandes stellt als § 163 StGB, der lediglich die Zufügung von Nachteilen für den, dessen Vermögensinteressen zu betreuen sind, fordert, ist hier die Anwendung des § 161a StGB für den Angeklagten günstiger.

III. [Rechtliche Würdigung des Sachverhalts] Das Bezirksgericht subsumierte Verhaltensweisen des Angeklagten im Zeitraum von Oktober 1986 bis 1989 unter den vorgenannten Gesichtspunkten rechtlich zutreffend als Vergehen gemäß §§ 161a Abs. 1 bzw. 165 Abs. 1 StGB in der Fassung vom {9} 28. Juni 1979. Zur rechtlichen Beurteilung der angeklagten Handlungen bedarf es jedoch weiterer Ausführungen und für die exakte Bestimmung des Schweregrades des strafrechtlich relevanten Verhaltens noch weiterer Aufklärung. 1. Die Feststellung, daß der Angeklagte Inhaber einer Vertrauensstellung im Sinne des § 165 StGB hinsichtlich der Handlungen, die den Gegenstand des Verfahrens bilden, war, ergibt sich eindeutig aus seiner Funktion als Vorsitzender des Rates des Bezirkes und ihm damit im Rahmen des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen vom 4. Juli 1985 (GBl. I S. 213) sowie des Gesetzes über die Staatshaushaltsordnung vom 13. Dezember 1968 (GBl. I S. 303) nebst Fünfter Durchführungsbestimmung dazu vom 30. September 1983 (GBl. I S. 301) übertragenen Entscheidungsbefugnisse bezüglich des Einsatzes der zur Verfügung stehenden Fonds (vgl. besonders §§ 10, 22, 28 und 30 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen, die auf eine hohe Effektivität der Verwaltungsarbeit und strikte Einhaltung der Gesetze orientieren, § § 8 , 11 und 23 des Gesetzes über die Staatshaushaltsordnung, die ebenfalls auf die Gewährleistung eines hohen Nutzeffekts beim Einsatz finanzieller Mittel und Sparsamkeit verweisen, sowie § 7 der Fünften Durchführungsbestimmung zum Gesetz über die Staatshaushaltsordnung). Folglich gehörte es zu seiner Pflicht, solche Entscheidungen zu treffen, bzw. zu bewirken, die hinsichtlich des Einsatzes von Haushaltsmitteln der örtlichen Organe des Bezirkes eine hohe Effektivität der Maßnahmen sichern und jegliche Verschwendung verhindern. Das war ihm bekannt. Indem der Angeklagte aber autoritär und auf Privilegien sich stützend im Interesse der persönlichen Nutzung eines seinen Vorstellungen entsprechenden Einfamilienhauses den Kauf des Grundstücks in Holzhausen, Baumschulenweg, über Mitglieder des Rates des Bezirkes und des Kreises durch den Rat der Gemeinde bewirkte, das er zum Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht einmal näher besichtigt und auf Eignung geprüft hatte, verletzte er diese Pflicht vorsätzlich. Seine im

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Dokumente - Teil 1

Verfahren vorgetragene Berufung auf frühere Ent-{ 10} Scheidungen des Ministerrates bzw. dessen Vorsitzenden befreite ihn nicht von der Durchsetzung seiner persönlichen Rechtspflicht, in seinem Verantwortungsbereich Entscheidungen in Übereinstimmung mit den Gesetzen zu treffen und Schäden zu vermeiden (vgl. OG, Urteil vom 22.10.1970 - 2 Ust 18/70 - NJ 1971 S. 113). Allein für den Kauf des Grundstücks zum Zweck der Vermietung an den Angeklagten wurden 99.950,- M aus dem Haushalt des Rates des Kreises aufgewandt. Für die Herrichtung des Einfamilienhauses nach den persönlichen Wünschen und der Auftrag des Angeklagten wurden in der Folgezeit weitere 92.021,28 M aus den örtlichen Haushaltsmitteln verausgabt, die dem Rat der Gemeinde auf Betreiben des Angeklagten zweckgebunden allein fur dieses Grundstück überwiesen worden waren. Damit wurden von ihm die Prinzipien der Verwendung von Haushaltsmitteln in grober Weise verletzt. Es ist festzustellen, daß der Angeklagte durch sein Handeln zu Lasten der Haushaltsmittel der örtlichen Organe zur Befriedigung seiner Wohnbedürfnisse die Zahlung von 191.971,28 M bewirkte. Bezogen auf den Einsatz dieser Mittel für den Erwerb und das Herrichten dieses Einfamilienhauses wurden bedeutende Verluste verursacht. Sie wurden, gemessen am gesetzlichen Gebot des effektiven und sparsamen Einsatzes der Haushaltsmittel, verschwendet. Dazu hatte sich der Angeklagte - auch im Glauben, daß ihm ein solches Privileg zustände - im Interesse seiner Wohnvorstellungen bewußt entschlossen. Mit den als möglich vorgesehenen Folgen fand er sich bewußt ab. Insoweit liegt hinsichtlich des Vertrauensmißbrauchs schadensbedingter Vorsatz im Sinne des § 6 Abs. 2 StGB vor. 2. Die Auffassung des Bezirksgerichts, daß der Angeklagte befugt war, direkt über die Haushaltsmittel des Rates des Kreises bzw. des Rates der Gemeinde zu verfugen, diese Mittel zu verwalten oder insoweit Vermögensinteressen der örtlichen Räte wahrzunehmen, ist in Übereinstimmung mit der Auffassung des Vertreters des Generalstaatsanwalts fehlerhaft. Aus den insoweit getroffenen Feststellungen ergibt sich entgegen {11} den Darlegungen des Vertreters des Generalstaatsanwalts vielmehr, daß der Angeklagte andere, nämlich die Befugten, zu Entscheidungen zum Schaden des Gemeindehaushalts zum eigenen rechtswidrigen Vorteil im Umfang ihm erspart gebliebener Zahlungen für Leistungen bestimmte. Das aber sind Anstiftungshandlungen im Sinne des § 22 Abs. 2 Ziff. 1 StGB zur Untreue gemäß § 161a StGB. Der Inhaber einer Vertrauensstellung im Sinne des § 165 StGB muß nicht zugleich Täter nach § 161a StGB sein, wenn er zum Schaden fremden Eigentums auch persönlich rechtswidrige Vermögensvorteile erlangte. Das kann der Fall sein, wenn der Inhaber einer Vertrauensstellung nach § 165 StGB zugleich befugt war, unmittelbar über das ihm anvertraute fremde Vermögen zu verfugen. Die Handlungen stehen hier schon deshalb nicht in Tateinheit gemäß § 63 Abs. 2 StGB zum Vertrauensmißbrauch. Die Art und Weise der Begehung ist auch eine andere und die Motivation unterscheidet sich von den Handlungen, die als Vertrauensmißbrauch beurteilt wurden. Die Handlungen als Täter und die Teilnahmehandlungen sind im vorliegenden Fall nicht identisch. Im übrigen wurden die durch die Anstiftung zur Untreue verursachten Vermögensschäden und rechtswidrig erlangten Vorteile nicht exakt aufgeklärt und festgestellt. Die differenzierte Bewertung erfordert, davon auszugehen, daß der Rat der Gemeinde infolge der Übertragung der Rechtsträgerschaft als Vermieter des Grundstücks verpflichtet

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Die erste Anklage - Der Fall Opitz

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war, die dem Angeklagten zugewiesene Wohnung in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu übergeben und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Insoweit erforderliche Instandhaltungsmaßnahmen hatte der Rat der Gemeinde durchführen lassen (§ 101 ZGB). Zum Schaden können daher nur die Aufwendungen gerechnet werden, die auf Veranlassung des Angeklagten über seinerzeit ortsübliche Normative hinaus für {12} die Ausstattung der Wohnung erbracht wurden. Dies anhand der Schätzunterlagen, der Zeugenaussagen und vorliegenden Rechnungen wertmäßig zu ermitteln, wird Aufgabe des Bezirksgerichts mit Hilfe eines in das Verfahren einzubeziehenden Sachverständigen sein. Der Umfang dieser Schäden entspricht den rechtswidrig erlangten Vorteilen des Angeklagten, das sind die ihm erspart gebliebenen Ausgaben. Zum Ergebnis der Nachermittlungen wird der Angeklagte - dabei insbesondere zu Fragen des Verschuldens - zu vernehmen sein. Die in diesem Zusammenhang dargelegten Auffassungen des Bezirksgerichts, der Angeklagte habe mit seinem Tun dem Rat der Gemeinde Vermögensvorteile verschafft, geht fehl. Der Rat der Gemeinde wurde aus der Sicht damaliger Eigentumsstrukturen nur Rechtsträger des erworbenen Grundstücks und hatte es zu verwalten. Vorteile entstanden ihm auch dadurch nicht, daß die Mittel für den Um- und Ausbau des Einfamilienhauses aus dem Haushalt des Rates des Kreises zur Verfugung gestellt wurden. Wie oben ausgeführt, hatte der Angeklagte Vermögensvorteile, soweit er Arbeiten ausführen und bezahlen ließ, die er selbst hätte finanzieren müssen. Insoweit das Bezirksgericht den Schadensersatzantrag als unbegründet abwies wurde nicht beachtet, daß der Rat der Gemeinde den Antrag in der Verhandlung zurückgenommen hatte. Für eine Entscheidung des Gerichts war deshalb kein Raum. Der Senat hatte aus diesen Gründen auf die Berufung das Urteil des Bezirksgerichts aufzuheben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 299 Abs. 1 Ziff. 3 StPO). Aus den dargelegten Gründen konnte deshalb auch dem Antrag des Vertreters des Generalstaatsanwalts, den Angeklagten unter Abänderung des Schuldspruchs wegen Vertrauensmißbrauchs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zu verurteilen, nicht gefolgt werden. {13} Da insbesondere das Ergebnis der notwendigen weiteren Sachaufklärung unklar ist, konnte der Senat über die Auslagen des Rechtsmittelverfahrens keine Entscheidung treffen. Sie wird dem erstinstanzlichen Gericht mit der erneuten Entscheidung übertragen.

Anmerkungen 1 2 3 4

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Anhang S. Anhangs. Anhang S. Anhangs.

510 bzw. S. 510. 512. 509. 511.

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Lfd. Nr. 1-4

Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Einstellungsbeschluss des Landgerichts Leipzig vom 23.9.1993 - Az.: 2 Bs 13a/90 Anmerkungen

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Die erste Anklage - Der Fall Opitz

Lfd. Nr. 1-4

Landgericht Leipzig Az.: 2 Bs 13a/90

23. September 1993

BESCHLUSS In der Strafsache gegen Rolf Opitz, geboren 1929, wegen Untreue wird das nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellte Verfahren endgültig eingestellt, nachdem der Angeklagte die erteilte Geldauflage1 erfüllt hat.

Anmerkungen 1

Durch Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 7.4.1993 (ohne Az.) war das Verfahren vorläufig eingestellt und dem Angeklagten aufgegeben worden, einen Geldbetrag von 10.000 DM an die Innere Mission Leipzig e.V. zu zahlen.

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Lfd. Nr. 2 Der ehemalige Vorsitzende des FDGB - Der Fall Tisch -

1. Anklage des Generalstaatsanwalts der DDR vom 21.2.1990 Az.: 111-13-90 2.

Beschluss (teilweise Abtrennung und Vorlage) des Landgerichts Berlin vom 14.2.1991 - Az.: (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90)

3. Erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Berlin vom 6.6.1991 Az. : (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90)

31 45 63

Lfd. Nr. 2-1

Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Anklage des Generalstaatsanwalts der DDR vom 21.2.1990 - Az.: 111-13-90 [Anklagetenor]

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Beweismittel

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Wesentliches Ermittlungsergebnis

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1.

Komplex Eixen

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2.

Komplex Verfugungsfonds

38

3.

Komplex Solidaritätsfonds

40

[Antrag]

43

Anmerkungen

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Der ehemalige Vorsitzende des FDGB - Der Fall Tisch

Generalstaatsanwalt der DDR Az.: 111-13-90

Lfd. Nr. 2-1

21. Februar 1990

An das Stadtgericht Berlin

ANKLAGE Den ehemaligen Vorsitzenden des Bundesvorstandes des FDGB Harry Tisch geb. 1927 verheiratet, drei Kinder Staatsbürger der DDR lt. Strafregisterauszug nicht vorbestraft in Untersuchungshaft vom 03.12.1989 bis zum 21.02.1990 klage ich an, von 1983 bis 1989 mehrfach handelnd ihm obliegende Pflichten als Vorsitzender des Bundesvorstandes des FDGB verletzt und Befugnisse mißbraucht zu haben. Dadurch wurden dem FDGB besonders schwere wirtschaftliche Schäden und schwere Schädigungen seines Eigentums zugefugt. Ihm wird zur Last gelegt, 1. durch Vertrauensmißbrauch im schweren Fall fur den FDGB einen wirtschaftlichen Schaden in Höhe von 4.558.876,71 M verursacht zu haben. Der Beschuldigte mißbrauchte seine Befugnis als Vorsitzender des Bundesvorstandes des FDGB, indem er festlegte, daß durch die Abteilung Bau des Bundesvorstandes, die nur für Baumaßnahmen im Interesse des FDGB vorgesehen ist, von 1985 bis 1989 im Staatsjagdgebiet Eixen, das er persönlich nutzte, Leistungen für Bau und Ausstattung in der oben angeführten Höhe erbracht {2} wurden. Da die Abteilung Bau mit Aufgaben für den FDGB weit überlastet war, ging diese Maßnahme zu Lasten des vorhandenen dringenden Bedarfs des FDGB. Für das Bauvorhaben in Eixen gab es keine finanzielle und materielle Kennziffer. Es war nicht im Plan der Inspektion Staatsjagd enthalten und auch nicht durch diese entschieden worden. Nahezu das gesamte Material wurde über Straßentransport von Berlin nach Eixen gebracht und dadurch erhebliche Transport Kapazität gebunden und der Aufwand erhöht. In gleicher Richtung wirkte auch, daß der Beschuldigte maßgeblich Art und Umfang der Bauausführung und Ausstattung beeinflußte und sich dabei für attraktive und teure Varianten entschied. Mit der unmittelbaren Leitung der Baumaßnahmen in Eixen beauftragte er den damaligen Leiter der Finanz- und Wirtschaftsverwaltung des FDGB-Bundesvorstandes, Harri Weber. Da durch örtliche Fonds nur ein Teil der Kosten abgedeckt wurde, organisierte Weber Maßnahmen zur buchmäßigen Verschleierung des dem FDGB entstandenen endgültigen Vermögensschadens in Höhe von 2.292.456,71 M. 31

Lfd. Nr. 2-1

Dokumente - Teil 1

Verbrechen gemäß § 165 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 1 StGB 2. durch Untreue im schweren Fall den FDGB um 83.994,03 M geschädigt zu haben. Der Beschuldigte veranlaßte, daß von 1985 bis 1989 in insgesamt 19 Fällen aus dem Verfugungsfonds des Bundesvorstandes Rechnungen über Urlaubsaufenthalte der Familien Tisch, Mittag1 und I. bezahlt wurden, obwohl diese Kosten durch die genannten Familien selbst hätten getragen werden müssen. Verbrechen gemäß §§ 161a Abs. 1, 162 Abs. 1 Ziff. 1 StGB 3. durch Untreue im schweren Fall den FDGB um 100,0 Millionen Mark geschädigt zu haben. Der Beschuldigte traf im Jahre 1983 die persönliche Entscheidung, aus dem Solidaritätsfonds des FDGB der FDJ zur Finanzierung des Nationalen Jugendfestivals 1984 einen Betrag von 100,0 Millionen Mark zur Verfügung zu stellen. {3} In Verwirklichung dieser Entscheidung wurden am 28.02. und 27.06.1984 je 30,0 Millionen Mark und am 26.04.1984 40,0 Millionen Mark zur Zahlung angewiesen. Diese Maßnahme widerspricht der in der Finanzrichtlinie des FDGB festgelegten Verfahrensweise und der Zweckbestimmung des Solidaritätsfonds. Verbrechen gemäß §§ 161a, Abs. 1, 162 Abs. 1 Ziff. 1 StGB {4} Beweismittel Es folgt eine Auflistung der Beweismittel, darunter Einlassungen des Beschuldigten, Aussagen von 31 Zeuginnen und Zeugen sowie diverse Schriftstücke. ® {6} Wesentliches Ermittlungsergebnis Der Beschuldigte entstammt einer Arbeiterfamilie. Der Vater, der von Beruf Steinsetzer war, verstarb 1943, die Mutter 1971. In seinem Heimatort Heinrichswalde schloß der Beschuldigte 1941 die 8. Klasse der Volksschule ab. Er arbeitete damals ca. 6 Monate als Hilfsarbeiter in einer Molkerei. Von 1941 bis 1944 erlernte er den Berufeines Bauschlossers. 1944 und 1945 war er Angehöriger der Wehrmacht bzw. Kriegsgefangener. Von 1946 bis 1948 arbeitete er in verschiedenen Betrieben. Im Dezember 1945 wurde der Beschuldigte Mitglied der KPD und betätigte sich danach aktiv in der Gewerkschaft. Am 15.6.1948 wurde er zum Kreisjugendsekretär des FDGB in Ueckermünde berufen. 1949 wurde er Vorsitzender des Kreisvorstandes des FDGB. Im Juli 1950 wurde er Landesvorsitzender der IG Metall Mecklenburg. Er war auch Landtagsabgeordneter. Mit der Bildung des Bezirkes Rostock wurde er 1952 stellvertretender Vorsitzender des Bezirksvorstandes des FDGB. Von 1953 bis 1955 besuchte er die Parteihochschule und schloß sie als DiplomGesellschaftswissenschaftler ab. Danach war er Wirtschaftssekretär der Bezirksleitung Rostock der SED und von 1959 bis 1961 Vorsitzender des Rates des Bezirkes Rostock.

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Der ehemalige Vorsitzende des FDGB - Der Fall Tisch

Lfd. Nr. 2-1

Von 1961 bis 1975 war er 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Rostock. Am 28.4.1975 wurde er zum Vorsitzenden des Bundesvorstandes des FDGB gewählt. Diese Funktion bekleidete er bis zum 2.11.1989. Er war außerdem von 1963 an Mitglied des Zentralkomitees der SED und Volkskammerabgeordneter. 1972 wurde er Kandidat und 1975 Mitglied des Politbüros des ZK und Mitglied des Staatsrates. Der Beschuldigte ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Ehefrau ist seit der Eheschließung Hausfrau. Als Vorsitzender des Bundesvorstandes des FDGB trug der Beschuldigte in hohem Maße Verantwortung für inhaltliche Fragen der Entwicklung dieser größten Massenorganisation in der DDR. Hinsichtlich des Einsatzes der finanziellen und materiellen Fonds und des Arbeitsvermögens des FDGB ergaben sich seine Grundpflichten und die daraus abzuleitende Verantwortung im Einzelfall aus der Satzung, der Finanzrichtlinie und dem Kontenrahmen des FDGB und den daraus aufbauenden Beschlüssen. {7} Damit war der Beschuldigte verpflichtet, Fonds und Arbeitsvermögen des FDGB einzusetzen - unter Beachtung des Sparsamkeitsprinzips und des Grundsatzes höchster Effektivität, - nur für die Erfüllung gewerkschaftspolitischer Aufgaben, d.h. im Interesse der Mitglieder, - nur im Rahmen des beschlossenen Finanzplanes. Die Ermittlungen ergaben, daß in einer Reihe von Fällen konkret gegen diese Grundpflichten verstoßen und dem FDGB erhebliche finanzielle und wirtschaftliche Schäden zugefugt wurden. {8} Diese elementaren Pflichten waren dem Beschuldigten als ständiger Inhalt seiner Arbeit auf diesem Gebiet bekannt. In Ziff. 45. der Satzung des FDGB heißt es: „Die Verantwortung fur die Verwaltung der Finanzmittel und der Vermögenswerte liegt bei den Vorständen des FDGB. Alle Vorstände des FDGB ... sorgen fur eine zweckmäßige und sparsame Verwendung sowie für eine ordnungsgemäße Planung und Abrechnung der finanziellen und der materiellen Mittel auf der Grundlage der vom Präsidium des Bundesvorstandes des FDGB beschlossenen Finanzrichtlinie. Im Rahmen ihres Verantwortungsbereiches sind alle Funktionäre und Mitarbeiter für die finanziellen Auswirkungen ihrer Tätigkeit verantwortlich."

Die Finanzrichtlinie für die Vorstände des FDGB bestimmt: „Die Finanzpolitik des FDGB dient der Lösung der gewerkschaftlichen Aufgaben, unterstützt und fordert sie." „Von erstrangiger Bedeutung sind die Mitgliedsbeiträge als Haupteinnahmequelle des FDGB sowie die zweckgebundenen Solidaritätseinnahmen." „Dabei ist zu sichern, daß der Einsatz der Mittel zweckmäßig und sparsam erfolgt und mit dem geringsten Aufwand an Kräften und Mitteln die gewerkschaftspolitischen Aufgaben erfüllt werden. Bei jeder Entscheidung mit finanziellen Auswirkungen muß gewährleistet sein, daß die erforderlichen Mittel planmäßig bereitstehen. Ausgaben dürfen daher nur im Rahmen der bestätigten Finanz- und Stellenpläne erfolgen." (Präambel) „Entsprechend der Gesamtverantwortung für die politische Arbeit trägt der Vorsitzende des Vorstandes auch die volle Verantwortung für die finanzpolitische Arbeit des Vorstandes." (Ziff. 1.3.) {9}

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1. Komplex Eixen Der Beschuldigte nutzte seit den 60er Jahren das Staatsjagdgebiet in Eixen als ständiger Jagdgast. Das bedeutete, daß alle Aufwendungen für die jagdliche Bewirtschaftung, für Personal und Technik und auch fur die Verpflegung des Beschuldigten und seiner Gäste aus staatlichen Mitteln finanziert wurden. Im Jahre 1985 entwickelte er den Gedanken, zur noch attraktiveren Gestaltung seiner Freizeit in Eixen umfangreiche Neubau-, Rekonstruktions- und Ausstattungsmaßnahmen durchführen zu lassen. Ohne Klarheit über den Umfang der Maßnahmen, die Möglichkeiten der Ausführung und Finanzierung usw. zu haben und ohne eine Entscheidung des Rechtsträgers, der Inspektion Staatsjagd des Ministeriums für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft herbeigeführt zu haben, erteilte er persönlich den Auftrag zur Durchführung der Arbeiten. Dazu nutzte er die Tatsache, daß ihm die Finanz- und Wirtschaftsverwaltung des Bundesvorstandes des FDGB, die durch Harri Weber, inzwischen verstorben, geleitet wurde, direkt unterstand. Zu dieser Finanz- und Wirtschaftsverwaltung gehört auch die Abteilung Bau, ein Betrieb mit mehr als 300 Beschäftigten. Ohne daß ein Beschluß des Bundesvorstandes oder des Präsidiums vorlag, beauftragte er Weber, durch die Abteilung Bau seine Vorstellungen und Wünsche umsetzen zu lassen. Dabei interessierte ihn nicht, daß außerhalb jeglicher Planung und Bilanzierung Material, Leistungen, Ausrüstungen und Ausstattungen in Größenordnungen in Anspruch genommen wurden. Auch die Höhe der Kosten und die Art der Finanzierung spielte in seinen Überlegungen keine Rolle, sonst hätte er diese Fragen vorher geklärt. Bei Inangriffnahme der Bauarbeiten gab es weder ein Projekt noch eine Grundsatzentscheidung. Die Inspektion Staatsjagd, die unmittelbar dem Minister für Land-, Forstund Nahrungsgüterwirtschaft, dem Zeugen Lietz, unterstand, war nicht informiert, obwohl nur sie die Maßnahmen hätte entscheiden und finanzieren können. Die Baumaßnahme ist auch nicht im Planvorschlag der Staatsjagd Eixen für die Jahre der Durchführung, 1985 bis 1987, enthalten. Sie wurde damit nicht Gegenstand des Planes der Inspektion Staatsjagd und es gab dafür keine finanziellen oder materiellen Kennziffern, die durch das Ministerium der Finanzen bzw. die Staatliche Plankommission hätten ausgereicht werden müssen. {10} Es war ein Schwarzbau. Wegen Fehlens jeglicher Kennziffern und Bilanzanteile mußte das gesamte Material und die Ausrüstungen, auch die Massenbaustoffe, von Berlin nach Eixen per Straße transportiert werden. So ist die Maßnahme in Eixen von der Entwicklung der Idee durch den Beschuldigten über die Durchführung und Finanzierung bis hin zur später erfolgten Nutzung Ausdruck der angemaßten Selbstherrlichkeit des Beschuldigten. Der Beschuldigte behauptet, nicht er, sondern der Leiter der Inspektion Staatsjagd, der Zeuge R., habe die Durchführung der Baumaßnahme angewiesen. R. habe auch die volle Finanzierung zugesagt. Das trifft nicht zu. R. hatte im Plan der Inspektion lediglich 100.000,- M für Wertverbesserungen am Blockhaus und am Forsthaus vorgesehen. Er wußte nichts vom tatsächlichen Umfang und von den tatsächlichen Kosten der Baumaßnahmen.

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Ausweislich des vorliegenden Bautagebuches 1 wurde die Realisierung der persönlichen Wünsche des Beschuldigten bezüglich Eixen im August 1985 in Angriff genommen. Dieses Objekt erscheint erstmals im Protokoll der Dienstberatung der Bauabteilung vom 18.11.1985. Aus den Festlegungen der Abteilung Bau vom 20.11.1985 ist ersichtlich, daß der Beschuldigte sehr konkrete Vorstellungen zur Gestaltung des Objektes entwickelt hatte, die bis zur Veränderung der Möblierung und zur Farbe von Möbeln und Fliesen gingen. Auch aus dem Festlegungsprotokoll vom 25.11.1985 ist zu entnehmen, daß der Zeuge K., Leiter der Bauabteilung, dort über die beim Beschuldigten durchgeführte Beratung zu Eixen berichtete. Diese Feststellungen werden gestützt durch die Aussagen der Zeugen Κ., B. und M., wonach der Beschuldigte in Eixen nach eigenem Gutdünken schaltete und waltete, die Zeichnungen sah und Wünsche formulierte, bei vielen Baustellenbesuchen konkrete Feststellungen traf und sich dabei stets für die attraktivste und nicht etwa für die effektivste Variante entschied. {11} Eixen ging, wie die Zeugenaussagen und die Protokolle der Dienstberatungen der Bauabteilung seit Ende 1985 beweisen, eindeutig vor den Neubau am Märkischen Ufer, der zur gleichen Zeit realisiert wurde. Konkret sichtbar wird das persönliche Interesse des Beschuldigten an der Verausgabung von Geld, Material und Arbeitsvermögen des FDGB in Eixen u.a. daran, daß laut Festlegungsprotokoll zur Leitungsberatung der Abteilung Bau vom 7.4.1986 die Abstimmung mit dem Beschuldigten am 5.4.1986 zu berücksichtigen war. Dieser hatte also gegenüber der Leitung der Bauabteilung konkrete Festlegungen zur Baudurchführung in Eixen getroffen. Wie aus der Information des Zeugen B. vom 27.8.1986 hervorgeht, wurden zur Realisierung einer terminlichen Forderung des Beschuldigten Arbeitskräfte von der Abteilung Bau des Bezirksvorstandes Rostock nach Eixen abgezogen. Schließlich sind im Schreiben des Zeugen K. an Weber vom 2.9.86 allein 45 Änderungswünsche enthalten, die auf den Beschuldigten zurückgehen. Wie der Zeuge M., Bauleiter in Eixen, bekundet und der Beschuldigte bestätigt, informierte sich dieser ständig über den Stand der Baumaßnahme und äußerte neue Vorstellungen. Damit ist erwiesen, daß der Beschuldigte sich auch während des Bauens in Eixen um den Fortgang kümmerte und auf den Umfang der Arbeiten, Details der Gestaltung und das Bautempo Einfluß nahm. Das ging so weit, daß er eine in Einzelanfertigung hergestellte und bereits eingebaute Schrankwand wieder entfernen und eine neue anfertigen ließ, nur weil ihm die Farbe der ersten nicht zugesagt hatte. Er hatte also auch eine genaue Kenntnis über den materiellen Umfang der Arbeiten. Das Vorhaben in Eixen hatte einen solchen Stellenwert, daß es im Beschluß der Vertrauensleute der Bauabteilung zum Wettbewerb 1987 als Ziff. 2 erscheint. Dagegen war die Verausgabung von mehr als 4,5 Mio M gewerkschaftlicher Mittel in Eixen der Zentralen Revisionskommission des FDGB nicht bekannt und unterlag keinerlei Kontrolle, wie die Aussage der Zeugin Bo. und der Bericht der Zentralen Revisionskommission vom 7.12.1989 beweisen. {12}

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Dokumente - Teil 1

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Die Baumaßnahmen und die Ausstattung der Objekte in Eixen umfassen die Jahre 1985 bis 1989. Zum 1. Bauabschnitt, dem eigentlichen Bereich des Beschuldigten, gehörten folgende Teilobjekte: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Neubau einer Finnhütte Rekonstruktion der Jagdhütte 1 Rekonstruktion und Anbau der Jagdhütte 2 Erschließung, Straßenbau, Außenanlagen, Einzäunung Antennenanlage Garagenneubau/Unterstelleinrichtung Heizungsanlage, Heizleitung, Heizungsverteilung.

Der 2. Bauabschnitt waren Umbau und Rekonstruktion des Forsthauses. Wie aus dem Protokoll der Dienstberatung der Abt. Bau vom 7.7.1986 ersichtlich, galt Eixen als Sondervorhaben, die Ausstattung erfolgte zu Lasten des Bevölkerungsbedarfs und bereits in der Beratung vom 18.2.1986 wurde eine wöchentliche Berichtspflicht zu Eixen angewiesen. Mit der Auftragserteilung zu Eixen mißachtete der Beschuldigte die Autorität der gewählten Leitung und die Finanzrichtlinie des FDGB. Er maßte sich Befugnisse an, die ihm nicht zustanden und verstieß bewußt gegen seine selbstverständliche Grundpflicht, die finanziellen und materiellen Fonds und das Arbeitsvermögen des FDGB nur im Interesse dieser Organisation und mit dem höchsten Nutzeffekt einzusetzen. Die Maßnahme in Eixen brachte jedoch nicht für eine Mark Nutzeffekt für den FDGB. Sie erforderte an Material, Leistungen, Ausstattung usw. einen Aufwand von 4.558.876,71 M, der finanziell zunächst voll durch den FDGB getragen wurde. Die Schadenssumme untergliedert sich in folgende Teilleistungen bzw. Positionen in den Jahren 1985/86 1987 1988 1989

3.384.303,99 1.135.937,81 30.811,86 7.823,05 4.558.876,71

M M M M M {13}

Damit entstand dem FDGB ein wirtschaftlicher Schaden. Er stellt sich zunächst dar als die Inanspruchnahme von Material und Leistungen, die anderen, dem Interesse des FDGB dienenden Maßnahmen entzogen wurden. Er wird wertmäßig durch die o.a. Summe ausgedrückt. Das Material stammte größtenteils vom Neubau des FDGB-Bundesvorstandes am Märkischen Ufer, wo man entsprechend großzügig geplant hatte. Die Abteilung Bau des Bundesvorstandes war nur vorgesehen, Neubauten, Rekonstruktionen und Reparaturen usw. für den FDGB durchzuführen. Auf diesem Gebiet war der Bedarf bei weitem größer als das Leistungsvermögen der Abteilung Bau. Die Maßnahme in Eixen band über Jahre Mittel, Material und Arbeitskräfte der Abteilung Bau und hatte nichts mit der Gewerkschaft zu tun. Diese Zweckbindung wird auch nicht dadurch hergestellt, daß der Beschuldigte Vorsitzender des Bundesvorstandes des FDGB und seine Gäste in Eixen Mitglieder der Gewerkschaft waren.

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Der ehemalige Vorsitzende des FDGB - Der Fall Tisch

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Aus der Erklärung des Zeugen B. vom 2.2.90 ist ersichtlich, daß von 1984 bis 1989 der Abteilung Bau Investitions- und Werterhaltungsmaßnahmen mit einem Wertumfang von ca. 360 Mio M übertragen wurden, denen eigene Bau- und Ausrüstungskapazitäten in Höhe von 183,5 Mio M gegenüberstanden. Das bedeutet, daß eine Kapazität von 176,5 Mio M nicht abgedeckt war. Es bestand also eine erhebliche Disproportion zwischen dem Baubedarf und der Deckungsmöglichkeit. Dieser Widerspruch wurde durch die zusätzliche Baumaßnahme in Eixen weiter verschärft. Auch der Zeuge S., Produktionsleiter der Bauabteilung, legt dar, daß die gestellten Aufgaben im Rahmen der durchzuführenden Investitionen und Werterhaltungen eine vielfache Überforderung des Leistungsvermögens der Bauabteilung darstellten. Er versuchte, durch Gewinnung neuer Arbeitskräfte dieses Leistungsvermögen zu erhöhen, was aber nicht durchgreifend gelang. Andererseits waren in Eixen mehr als zwei Jahre lang bis zu 20 Arbeitskräfte der Bauabteilung uneffektiv eingesetzt. {14} Unter Mißbrauch seiner Autorität als Mitglied des Politbüros des ZK der SED sah es der Beschuldigte als selbstverständlich an, in staatliche Befugnisse einzugreifen. Er bestellte den Leiter der Inspektion Staatsjagd, den Zeugen R., zu sich und forderte von diesem die Übernahme der Kosten, weil das durch R. gegenüber Weber abgelehnt worden war. Da R. keine Fonds in dieser Höhe hatte, konnte eine Finanzierung durch die Inspektion Staatsjagd nicht erfolgen. Auch der Zeuge Lietz, damals Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft, der durch R. angesprochen wurde, lehnte eine Bezahlung ab. Schließlich wurde eine Teilfinanzierung durch den Rat des Bezirkes Rostock und den Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Rostock erreicht. Dies geschah mit den Rechnungen Nr. 696/86 über 1.770.000,- M, Nr. 702/87 über 100.000,-- M und Nr. 197/88 über 380.000,- M. Dabei wurden die 1.770.000,-- M an Kosten dem Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb aufgezwungen. Sie wurden dort auf verschiedene Fonds verteilt, die sämtlich nicht für diesen Verwendungszweck bestimmt waren, wie der Hauptbuchhalter und der Direktor des Betriebes, die Zeugen St. und H. bestätigen. Bezahlt wurden an die Bauabteilung außerdem 16.420,-- M (Re.-Nr. 422/87) für die Rekonstruktion der Küche. Damit wurden an die Abteilung Bau des FDGB-Bundesvorstandes von den Istkosten des Objektes Eixen in Höhe von 4.558.876,71 M nur insgesamt 2.266.420,-- M erstattet. Der verbleibende Betrag von 2.292.456,71 M ist ein Verlust für die Bauabteilung und damit für den FDGB. Er wurde im Auftrag von Harri Weber verschleiert. 955.715,16 M wurden auf andere Kostenträger gebucht, die einen Überschuß auswiesen. 30.811,86 M wurden mit Rechnung Nr. 394/88 an die Finanz- und Wirtschaftsverwaltung berechnet und durch diese bezahlt. Eine weitere Manipulation bestand darin, daß der Kostenträger 430 (Eixen) im Januar 1987 geschlossen wurde, obwohl die Maßnahmen noch nicht beendet waren. Stattdessen .wurde das Abrechnungskonto 2813 eingeführt. Auf einem Abrechnungskonto erscheinen die Lohn- und Gemeinkosten nicht, die einen wesentlichen Teil der Istkosten ausmachen. {15}

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Diese Verschleierungen erfolgten auf Veranlassung von Harri Weber. Der Beschuldigte behauptet, davon nichts gewußt zu haben. Diese Behauptung kann nicht völlig widerlegt werden, wenn auch vieles dagegen spricht. So hatte der Beschuldigte vom Zeugen R. keine Zusage der vollen Übernahme der Kosten durch die Inspektion Staatsjagd und mußte daher davon ausgehen, daß die Aufwendungen des FDGB nur zum Teil erstattet werden. Nur so erklärt sich auch die Festlegung des Beschuldigten, die durch den FDGB finanzierten Möbel und Ausstattungsgegenstände in Eixen erfassen zu lassen, damit sie als Eigentum des FDGB nicht verloren gehen. Dem Beschuldigten ist somit zu diesem Komplex nur ein Mißbrauch seiner Entscheidungsbefugnisse zur Last zu legen, der darin besteht, daß er Leistungen der Abteilung Bau in einer Größenordnung von 4.558.876,71 M der planmäßigen Verwendung für den FDGB entzog und so einen wirtschaftlichen Schaden in dieser Höhe verursachte. Hinsichtlich des Vermögensschadens fur den FDGB in Höhe von 2.292.456,71 M muß zu Gunsten des Beschuldigten angenommen werden, daß er von der Entstehung dieses Schadens und der Verschleierung auf Veranlassung von Weber keine Kenntnis hatte. Er traf persönlich die Entscheidung zur Durchführung der Baumaßnahmen in Eixen durch die Bauabteilung des FDGB-Bundesvorstandes. Nichtgewerkschaftliche Aufgaben wie die Baumaßnahme in Eixen durften durch den FDGB nicht finanziert und durch die Bauabteilung nicht ausgeführt werden. Insofern verstieß der Beschuldigte mit dieser Entscheidung gegen die Satzung und die Finanzrichtlinie des FDGB und gegen die Zweckbindung der finanziellen und materiellen Fonds und des Leistungsvermögens der Bauabteilung. Er verletzte damit konkret die ihm obliegende Rechtspflicht zur Wahrung der Interessen des FDGB bei jeder Entscheidung oder Maßnahme. Die in Anspruch genommenen Leistungen der Bauabteilung in einem Umfang von mehr als 4,5 Mio M, die sich schwerpunktmäßig auf die Jahre 1986 mit 3.384 TM und 1987 mit 1.136 TM verteilen, machen einen wesentlichen Anteil des Leistungsvermögens der Bauabteilung aus. Der Bedarf an Bauleistungen für den FDGB war bedeutend höher als die Deckungsmöglichkeit aus eigenen Kapazitäten. {16} Daher mußten umfangreiche Fremdleistungen in Anspruch genommen werden. Insofern stellt der zweckfremde Einsatz der Bauabteilung im festgestellten Umfang für den FDGB einen wirtschaftlichen Schaden dar. Seine Schwere wird durch die materielle Bedeutung und den finanziellen Wertausdruck charakterisiert und rechtfertigt die Annahme eines schweren Falles gemäß § 165 Abs. 2 Ziff. 1 StGB2. {17} 2. Komplex Verfiigungsfonds Beim Bundesvorstand des FDGB wurde jährlich ein Verfügungsfonds in Höhe von 500.000,-- M gebildet, über dessen Verwendung der Beschuldigte zu entscheiden hatte. Dabei hatte sich seine Entscheidungsbefugnis ausschließlich im Rahmen der Zweckbestimmung der Verfügungsfonds zu bewegen, die in der Anlage 1 der Finanzrichtlinie, Kontenrahmen, wie folgt definiert ist:

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Der ehemalige Vorsitzende des FDGB - Der Fall Tisch

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„Konto 402 Verfugungsfonds Darunter sind Ausgaben fur repräsentative Verpflichtungen der Organisation im gesellschaftlichen Leben zu verstehen, wie - Präsente an Staatsfeiertagen, Gedenktagen, und zu gesellschaftlichen Höhepunkten; - Kranz- und Blumenpräsente anläßlich nationaler und revolutionärer Feiertage und Gedenktage; - Repräsentationen anläßlich Beratungen, Empfangen und Zusammenkünften des Vorsitzenden des jeweiligen Vorstandes mit Angehörigen hervorragender Arbeitskollektive, der Intelligenz, des öffentlichen Lebens u. dgl. Die Ausgaben aus diesem Konto sind vom Vorsitzenden zur Zahlung anzuweisen. Ausgaben für Funktionäre und Mitarbeiter der Vorstände dürfen hieraus nicht finanziert werden:" Die Ermittlungen ergaben, daß aus dem Verfugungsfonds von 1985 bis 1989 Rechnungen bezahlt wurden, die Urlaubsaufenthalte des Beschuldigten und seiner Begleitung, seiner Tochter und der Familie Mittag, betreffen. Die Zahlungsanweisung wurde bis auf zwei Fälle jeweils durch die Zeugin A. erteilt. Das war ein Verstoß gegen die Festlegung im Kontenrahmen, wonach der Beschuldigte selbst die Zahlungsanweisimg hätte erteilen müssen. Die Zeugin A. sagt aus, daß diese Zahlungen jeweils mit Wissen und im Auftrag des Beschuldigten erfolgten. Sie informierte ihn über den Eingang der Rechnung und die Höhe des Betrages. {18} Der Zeuge Se., Leiter des Kur- und Erholungsheimes Graal-Müritz, erklärte, daß andere Gäste dieser Einrichtung bei ihrer Abreise an der Rezeption die Rechnung bezahlten. Er hatte jedoch vom Beschuldigten persönlich den Auftrag bekommen, diese Rechnungen an dessen Büro zu schicken. Es handelt sich um folgende Rechnungen: Re.-Nr. 36/85 37/85 284/86 285/86 286/86 45/87 46/87 356/87 37/87 38/87 337/87 55/88 56/88 396/88 397/88 398/88 399/88 376/89 388/89

Datum 30.08.85 20.08.86 20.08.86 20.08.86 02.02.87 02.02.87 09.09.87 18.08.87 27.08.87 27.08.87 27.01.88 27.01.88 08.09.88 08.09.88 08.09.88 08.09.88 15.08.89 22.08.89

betroffene Tisch Tisch Mittag Tisch I. Tisch Tisch Tisch I. I. Mittag (15 Tisch Tisch Mittag (14 Tisch Tisch Tisch Mittag (13 Tisch/I.

Familie

Personen)

Personen)

Personen)

Re.-Betrag 7.108,28 M 1.585,41 M 11.190,47 M 1.371,63 M 752,47 M 1.724,40 M 2.902,46 M 815,44 M 293,05 M 1.308, 99 M 15.494,48 M 2.478,01 M 844,98 M 17.615,38 M 444,95 M 2.569,77 M 789,50 M 12.251,25 M 2.453,11 M 83.994,03 M

Somit hat der Beschuldigte in den letzten fünf Jahren seinen Urlaub jeweils auf Kosten des FDGB gemacht, seine Tochter I. dreimal und die Familie Mittag viermal.

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Dokumente - Teil 1

Damit entstand dem FDGB ein Schaden in Höhe von 83.994,03 M und den „Urlaubern" in gleicher Höhe ein persönlicher Vorteil. Der Beschuldigte erkennt an, daß die Urlaubsaufenthalte der Familien Tisch, Mittag und I. nicht durch den FDGB hätten bezahlt werden dürfen und daß damit ein Schaden für den FDGB entstand. {19} Die Bezahlung der Rechnungen Mittag betreffend sei auf seine Anweisung erfolgt. Das betrifft eine Summe von 56.515,58 M. Hinsichtlich der Urlaubsaufenthalte der Familien Tisch und I. sei er davon ausgegangen, daß diese Rechnungsbeträge vor der Gehaltsüberweisung vom Gehalt abgezogen werden. Die Zeugin A. habe einen entsprechenden Auftrag gehabt. Diese hat einen derartigen Auftrag nie erhalten und wäre auch nicht in der Lage gewesen, ihn zu realisieren. Wenn der Beschuldigte die Rechnungen hätte bezahlen wollen, so wäre dies bei seiner Abreise möglich gewesen. Aber diese Bezahlung verhinderte er selbst durch seine Weisung, die Rechnungen an das Büro zu senden. Es sei auch darauf verwiesen, daß z.B. 1985 zwei Monatsgehälter des Beschuldigten erforderlich gewesen wären, um die Kosten seines Urlaubs zu decken. Auch die Aussagen der Zeugen Se. und G. widerlegen die Behauptungen des Beschuldigten. Und schließlich beweisen auch die bei der Durchsuchung der Wohnung gefundenen Rechnungen über Urlaubsaufenthalte des Beschuldigten vor 1985, daß er die richtige Verfahrensweise und die selbstverständliche Pflicht kannte, durch ihn verursachte Kosten auch zu bezahlen. Auch diese Rechnungen, Urlaubsaufenthalte seiner Familie und seiner Kinder in Objekten des FDGB betreffend, wurden an ihn persönlich bzw. an sein Büro gesandt und dann ordnungsgemäß durch Überweisung bezahlt. Erst ab 1985 wurde dann so verfahren, daß die Rechnungen aus dem Verfügungsfonds bezahlt wurden. Die Schadenszufügung in Höhe von 83.994,03 M gegenüber dem FDGB ist strafrechtlich als Untreue gemäß §§ 161a Abs. 1, 162 Abs. 1 Ziff. 1 StGB3 zu werten. Mit seiner Wahl zum Vorsitzenden des Bundesvorstandes des FDGB wurde dem Beschuldigten der Auftrag erteilt, diese Funktion nur im Interesse, auch im Vermögensinteresse, des FDGB auszuüben. Damit war auch die Befugnis verbunden, im Rahmen der Regelungen und Beschlüsse über finanzielle Fonds des FDGB zu verfügen. Diese Regelungen und Beschlüsse, an die der Beschuldigte gebunden war, bestim-{20}men inhaltlich zugleich auch die Vermögensinteressen des FDGB. Die auf Veranlassung bzw. mit Wissen des Beschuldigten vorgenommenen Bezahlungen von Urlaubsaufenthalten aus dem Verfügungsfonds stellen eindeutig einen Mißbrauch der Befugnisse dar. Die Höhe des Schadens rechtfertigt die Annahme eines schweren Falles gemäß § 162 Abs. 1 Ziff. 1 StGB. {21} 3. Komplex Solidaritätsfonds Die Solidaritätsbeiträge der Mitglieder sind eine der wichtigsten Einnahmequellen des FDGB. Sie sind wie alle Mittel des FDGB verantwortungsbewußt und effektiv im Rahmen der gewerkschaftlichen Regelungen, der Beschlüsse der dafür zuständigen Leitungen und der Zweckbestimmung des Solidaritätsfonds einzusetzen. 40

Der ehemalige Vorsitzende des FDGB - Der Fall Tisch

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1983 fand im Politbüro des ZK der SED eine Beratung in Vorbereitung des Nationalen Jugendfestivals 1984 statt. Als in diesem Rahmen die Frage der finanziellen Absicherung diskutiert wurde, machte der Beschuldigte Tisch das Angebot, aus gewerkschaftlichen Solidaritätsmitteln 100 Millionen Mark zur Verfugung zu stellen. Dieser Vorschlag wurde zustimmend zur Kenntnis genommen, wie auch der Zeuge Krenz4 bestätigt. Damit traf schon hier ohne jede Abstimmung mit dem Leitungskollektiv, erst recht ohne den erforderlichen Beschluß des Bundesvorstandes, der Beschuldigte in Überschreitung seiner Befugnisse eine Entscheidung über 100 Mio M gewerkschaftliche Gelder. Alle weiteren Schritte bis zum Übergang des Betrages in das Eigentum der FDJ dienen nur noch der Verwirklichung dieser Entscheidung. Im Finanzplan des Organisationsbüros vom 27.10.1983 erscheint als Finanzierungsquelle der Bundesvorstand des FDGB mit 100,0 Mio M. Am 24.2.1984 schrieb der Leiter der Abteilung Finanzen des FDJ Zentralrates, Ho., an Harri Weber und bat um Überweisung der Mittel in drei Raten, und zwar bis 29.2.84 30,0 Mio M, bis 30.4.84 40,0 Mio M und bis 29.6.84 30,0 Mio M. Dementsprechend erfolgte auch die Überweisung dieser Beträge durch die Abbuchung vom Konto 930, Solidaritätsfonds, am 29.2.84 mit 30,0 Mio M, 26.4.84 mit 40,0 Mio M und am 15.11.84 mit 30,0 Mio M. Damit waren diese 100 Mio M aus der Verfügungsgewalt des FDGB in die der FDJ übergegangen. Die Gesamtausgaben für das Nationale Jugendfestival betrugen 125,2 Mio M, von denen der FDGB allein 100 Mio M aufgebracht hat. Zu dieser Maßnahme gibt es keinen Beschluß. Sie war auch nicht im Finanzplan 1984 enthalten. Die Bereitstellung von Mitteln für die FDJ hätte durch den Bundesvorstand beschlossen werden müssen. {22} Gemäß Ziff. 3.2., 2. Ordnungsstrich, der Finanzrichtlinie dürfen finanzielle Mittel für außerplanmäßige Ausgaben nur verwendet werden, wenn entsprechende Beschlüsse des jeweiligen Vorstandes vorliegen, in diesem Falle des Bundesvorstandes. Und im 3. Ordnungsstrich ist geregelt, daß Zuwendungen, Zuschüsse und Spenden an andere Organisationen ohne Zustimmung des Bundesvorstandes nicht durchgeführt werden dürfen. Der Beschuldigte behauptet, die Zurverfügungstellung der Mittel im Sekretariat des Bundesvorstandes erörtert zu haben. Daran können sich die damaligen Sekretariatsmitglieder Dr. Rö., H. und He. nicht erinnern. Der Zeuge Dr. Rö. sagt aus, erst durch die jetzige Presseveröffentlichung davon erfahren zu haben, daß die FDJ im Jahre 1984 100 Mio M von der Gewerkschaft bekommen hat. Er hat darüber auch mit den ehemaligen Sekretariatsmitgliedern Bü. und H. gesprochen, die ebenfalls nichts wußten. Außerdem hätte eine Diskussion im Sekretariat und auch ein Sekretariatsbeschluß die Ordnungsmäßigkeit nicht hergestellt, weil das Sekretariat eine derartige Dispositionsbefugnis nicht hat. Es ist gemäß Ziff. 27 der Satzung des FDGB für die operative Arbeit zur Durchführung der Beschlüsse des Bundesvorstandes des FDGB und seines Präsidiums verantwortlich. Somit ging die Überweisung der 100 Mio M an die FDJ auf eine unzulässige Einzelentscheidung des Beschuldigten zurück. Der Solidaritätsfonds, Konto 930, darf nur zur Finanzierung von Solidaritätsmaßnahmen zweckgebunden eingesetzt werden.

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Dokumente - Teil 1

Entsprechend der Stellungnahme des geschäftsführenden Vorstandes stellt die Finanzierung des Nationalen Jugendfestivals durch den FDGB keine Solidaritätsmaßnahme dar und war somit auch sachlich nicht zulässig. Die Art und Weise der Durchführung dieser Aktion ist Ausdruck der Selbstherrlichkeit des Beschuldigten beim Umgang mit gewerkschaftlichen Mitteln. Sie dokumentiert andererseits seine Hörigkeit gegenüber Honecker, indem er auf eine Bemerkung desselben sofort mit dem Angebot der enormen Summe von 100 Mio M reagierte. Wenn der Beschuldigte diese Maßnahme auch heute noch als der Sache dienend und dem Solidaritätsgedanken entsprechend ausgibt, so zeigt sich darin nur, wie weit sein Solidaritätsverständnis von dem der Gewerkschaftsmitglieder abweicht, die diese Mittel aufgebracht haben. {23} Er hatte als höchster gewählter Funktionär des FDGB in erster Linie zu berücksichtigen, aus welchen Erwägungen die Mitglieder dieser Organisation Solidaritätsbeiträge entrichteten. Zu berücksichtigen hatte er auch, daß die 100 Mio M, die zwar aus dem Solidaritätsfonds genommen wurden, weit mehr als die Hälfte des jährlichen Solidaritätsaufkommens des FDGB ausmachten, er also von Größe und Inhalt her eine Finanzentscheidung ungewöhnlichen Ausmaßes traf. Diese Handlung, durch die der FDGB um 100 Mio M geschädigt und die FDJ im gleichen Umfang bereichert wurde, ist als Untreue gemäß §§ 161a Abs. 1, 162 Ziff. 1 StGB zu verfolgen. Die Stellungnahme des geschäftsführenden Vorstandes des FDGB bringt eindeutig zum Ausdruck, daß der Beschuldigte zu dieser Maßnahme nicht formell berechtigt war und daß sie auch nicht der Zweckbestimmung des Solidaritätsfonds entsprach. Der Beschuldigte hat eine Beschlußfassung verhindert, indem er eine Beschlußvorlage gar nicht erst einbrachte, sondern hier wie auch in anderen Fällen den ihm völlig ergebenen Harry Weber mit der Durchsetzung seiner persönlichen Entscheidung beauftragte. Damit verletzte er ihm obliegende Pflichten zur Wahrnehmung der Vermögensinteressen des FDGB und schädigte dadurch diese Organisation. Die Handlungen des Beschuldigten, soweit sie als Straftat anzusehen sind, können nur unter Berücksichtigung der zur Tatzeit gegebenen Situation richtig gewertet werden. Der Beschuldigte war Mitglied des Politbüros des ZK der SED, in dessen Händen die gesamte staatliche und wirtschaftliche Macht konzentriert war. Dieses Organ und seine Mitglieder, so auch der Beschuldigte, maßten sich Befugnisse an, die ihnen nicht zukamen, bzw. mißbrauchten ihre Stellung. So gibt es auch beim Beschuldigten neben den Straftaten, die eindeutig als Amtsmißbrauch zu interpretieren sind, auch andere Verhaltensweisen, die zwar strafrechtlich nicht relevant sind, aber aus der gleichen Grundhaltung resultieren. So wurden auf seine Veranlassung zwei seiner Kinder Wohnungen in gewerkschaftseigenen Häusern zugewiesen. {24} Er wirkte maßgeblich mit an einem Beschluß des Präsidiums des FDGB-Bundesvorstandes, daß an jeder Arkona-Reise neben dem ohnehin vorhandenen Reiseleiter des FDGB noch ein weiterer Leitungskader, d.h. ein Mitglied des Präsidiums oder anderer Funktionär als Repräsentant des FDGB, und natürlich auf Kosten des FDGB teilnimmt.

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Der ehemalige Vorsitzende des FDGB - Der Fall Tisch

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Damit schuf man sich die organisatorische Voraussetzung für Durchführung unentgeltlicher Urlaubsreisen a u f der Arkona. B e i Geschenken an fuhrende Parteifunktionäre a u f Kosten des F D G B verlor er ebenfalls jedes Maß. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, daß durch das Wohnen und die besonderen Möglichkeiten der Versorgung in der Waldsiedlung Wandlitz wie auch durch die Nutzung des Staatsjagdgebietes Eixen a u f Staatskosten dem Beschuldigten umfangreiche Privilegien eingeräumt waren. Festzustellen ist auch eine an Hörigkeit grenzende Abhängigkeit des Beschuldigten von den Parteifunktionären Honecker und Mittag. Bei Mittag fehlte ihm der Mut, diesen auf die Bezahlung der Urlaubsrechnungen hinzuweisen, und bei Honecker genügte eine hingeworfene Frage desselben, um den Beschuldigten zur Bereitstellung von 1 0 0 Mio M FDGB-Geldern für das Nationale Jugendfestival 1 9 8 4 zu veranlassen. Die Handlungen des Beschuldigten verletzten massiv seine Pflichten und sind so ein grober B r u c h des Vertrauens, das die Mitglieder des F D G B ihm als Vorsitzenden entgegengebracht haben. Ich beantrage: 1.

das Hauptverfahren vor dem Stadtgericht Berlin zu eröffnen;

2.

Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen;

3.

den Haftbefehl v o m 3 . 1 2 . 1 9 8 9 gem. § 132 ( 1 ) StPO 5 aufzuheben.

Anmerkungen 1

2 3 4

5

Die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht Berlin klagte Günter Mittag am 20.6.1991 - Az. 2 Js 107/91 - und am 4.11.1991 - Az. 2 Js 214/91 - jeweils wegen Untreue und Vertrauensmissbrauchs an. Durch Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24.2.1992 - Az. 526 - 22/91 wurden beide Anklagen verbunden. Das Landgericht Berlin lehnte mit Beschluss vom 11.5.1993 - Az. 505 - 13/93 - die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ab. Die im vorliegenden Verfahren genannten Vorgänge waren nicht Gegenstand der Verfahren gegen Mittag. Vgl. Anhangs. 510. Vgl. Anhangs. 51 Of. Egon Krenz wurde von der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin am 30.11.1994 - Az. 25/2 Js 20/92 - gemeinsam mit Horst Dohlus, Kurt Hager, Günther Kleiber, Erich Mückenberger, Günter Schabowski und Harry Tisch wegen (versuchten) Totschlags angeklagt. Das Landgericht Berlin verhängte gegen Krenz wegen mehrfachen Totschlags eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten (Urteil vom 25.8.1997 - Az. (527) 25/2 Js 20/92 Ks (1/95)). Nachdem der Bundesgerichtshof seine Revision hiergegen am 8.11.1999 - Az. 5 StR 632/98 - zurückgewiesen hatte, legte Krenz Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde am 12.1.2000 - Az. 2 BvR 2414/99 - zurück. Die daraufhin von Krenz beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegte Beschwerde blieb ebenfalls erfolglos (Entscheidung vom 22.3.2001 App. No. 44801/98). Zum Verfahren gegen Krenz u.a. vgl. den Dokumentationsband zu den Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze. § 132 Abs. 1 DDR-StPO vom 12.1.1968 in der Neufassung vom 19.12.1974 (DDR-GB1. I 1975, S. 62) lautete: „Der Haftbefehl ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen. Er ist insbesondere aufzuheben, wenn der Angeklagte freigesprochen oder wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird. Der Verhaftete ist sofort zu entlassen." Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft waren in § 122 DDR-StPO geregelt (vgl. Anhang S. 513).

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Inhaltsverzeichnis Beschluss (teilweise Abtrennung und Vorlage) des Landgerichts Berlin vom 14.2.1991 - Az.: (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90) Gründe

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I.

[Vorlage gem. Art. 100 GG] A) [Anzuwendendes Recht] B ) [Verfassungsmäßigkeit der Fortgeltung von § 10 S. 1 des 6. StÄG] 1. [Unzulässiges Einzelfallgesetz] 2. [Verstoß gegen das Gleichheitsgebot] 3. [Anwendbarkeit von Art. 143 Abs. 1 GG] C) [Entscheidungserheblichkeit]

45 45 46 46 51 53 54

II.

[Keine Einstellung des Verfahrens wegen Verfahrenshindernisses]

58

Anmerkungen

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Landgericht Berlin Az.: (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90)

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14. Februar 1991

BESCHLUSS 1. Das Verfahren wird im Punkt 1 der Anklage des Generalstaatsanwalts der DDR vom 21. Februar 1990 - 111-13-90 - (Staatsjagdgebiet Eixen) abgetrennt. Es wird insoweit gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands Einigungsvertrag - vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 885) mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit er die Fortgeltung des § 10 S. 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßgesetzes (6. Strafrechtsänderungsgesetz) vom 29. Juni 1990 (DDR-GB1.1 S. 526) anordnet.1 2. Die weitergehenden Anträge der Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO bzw. auf Aussetzung des gesamten Verfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG werden als unbegründet zurückgewiesen. 3. Der Haftbefehl des Stadtgerichts Berlin vom 20. Juli 1990 - BS 4.90 - wird, soweit er den Punkt 1 der Anklage betrifft, aufgehoben. 4. Der Beschluß des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte vom 4. Dezember 1989 - HsC.: 443/89 - wird aufgehoben, soweit in ihm die Beschlagnahme der unter Position 5 (soweit nicht bereits durch die Verfugung des Generalstaatsanwalts der DDR vom 13. Juni 1990 aufgehoben) und unter Positionen 7 bis {2} 16 des Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokolls vom 3. Dezember 1989 aufgeführten Gegenstände richterlich bestätigt wird. Ferner wird der unter demselben Aktenzeichen ergangene Beschluß desselben Gerichts vom 7. Dezember 1989 auch insoweit aufgehoben, als dies nicht bereits durch die Verfügung des Generalstaatsanwalts der DDR vom 19. Dezember 1989 geschehen ist. Weiterhin wird der ohne Aktenzeichen ergangene Beschluß desselben Gerichts vom 27. Dezember 1989 aufgehoben.

Gründe I.

[Vorlage gem. Art. 100 GG]

A) [Anzuwendendes

Recht]

Dem Angeklagten wird mit der durch den Eröffnungsbeschluß des Stadtgerichts Berlin vom 29. Juni 1990 zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift des Generalstaatsanwalts der DDR vom 21. Februar 1990 in deren Punkt 1 (Staatsjagdgebiet Eixen) 45

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eine Tat des Vertrauensmißbrauchs in einem schweren Fall gemäß § 165 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 DDR-StGB 2 in der bis zum 30. Juni 1990 gültigen Fassung zur Last gelegt. Die genannte Vorschrift ist durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz (6. StÄG) der DDR mit Wirkung vom 1. Juli 1990 aufgehoben worden. Nach § 10 S. 1 des 6. StÄG 3 ist u.a. der Tatbestand des Vertrauensmißbrauchs jedoch für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 6. StÄG bereits eingeleitete Strafverfahren - mithin auch für das gegen den Angeklagten laufende Verfahren - weiterhin anzuwenden. Gemäß Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages gilt diese Regelung auch nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland fort. {3}

B) [Verfassungsmäßigkeit

der Fortgeltung von § 10S. 1 des 6. StÄG]

Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages ist nach Auffassung der Kammer mit den Art. 19 Abs. 1 S. 1 und 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit er die Fortgeltung von § 10 S. 1 des 6. StÄG anordnet.

1.

[Unzulässiges Einzelfallgesetz]

Die genannte Bestimmung ist ein nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. 4 a) § 10 S. 1 des 6. StÄG und die seine Fortgeltung anordnende Regelung des Einigungsvertrages sind ein einen Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ermöglichendes Gesetz im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG. Zwar erscheint § 10 S. 1 des 6. StÄG auf den ersten Blick nicht als eine derartige Eingriffsnorm. Er nimmt die vom ihm erfaßten Straftaten zunächst einmal von der Regelung des § 8 Abs. 2 desselben Gesetzes 5 aus. Nach dieser Vorschrift sind noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Strafverfahren wegen solcher Handlungen, für die das DDR-StGB in der Fassung des 6. StÄG keine Strafbarkeit mehr vorsieht, spätestens mit Inkrafttreten des 6. StÄG - mithin mit dem 1. Juli 1990 (§ 12 des 6. StÄG) - einzustellen. § 8 Abs. 2 des 6. StÄG dehnt damit die in § 8 Abs. 1 enthaltene Amnestieregelung auch auf noch nicht abgeschlossene Verfahren aus. Dagegen, daß bestimmte Fallgruppen von dieser Amnestieregelung ausgenommen werden, bestehen von Verfassungs wegen grundsätzlich keine Bedenken (vgl. BVerfGE 10, 234, 246), denn die Amnestie stellt eine Rechtswohltat dar, in die einbezogen zu werden der einzelne Betroffene keinen Anspruch hat. Das Vorenthalten einer solchen Rechtswohltat beinhaltet daher grundsätzlich keinen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit. § 10 S. 1 des 6. StÄG schloß die von ihm erfaßten Fälle aber zugleich auch von dem durch das 6. StÄG nicht geän-{4}derten allgemeinen strafrechtlichen Rückwirkungsgebot nach § 81 Abs. 3 DDR-StGB 6 aus. Durch die Fortgeltungsregelung des Einigungsvertrages sind sie nunmehr von der inhaltlich im wesentlichen identischen Bestimmung des § 2 Abs. 3 StGB ausgenommen. Das Rückwirkungsgebot nach § 2 Abs. 3 StGB ist jedoch keine bloße Rechtswohltat. Ein Veränderung dieser Regelung zuungunsten des Rechtsunterworfenen greift in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ein. Die Kammer vermag sich daher der in der von

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der Staatsanwaltschaft erwähnten Entscheidung des Kammergerichts vom 19. November 1990 - (4) 2 Js 6/90 - HEs - (119/90)7 - vertretenen Meinung nicht anzuschließen. Normen, die einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit ermöglichen, haben nicht nur diese freiheitsbeschränkende, sondern zugleich auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung bestimmen (BVerfGE 70, 297, 307). Verschiebt ein Normsetzungsakt diese Grenzen zum Nachteil des Grundrechtsträgers - erweitert also die Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkung gegenüber dem status quo ante - , so liegt hierin ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Hierbei kann der einzelne strafrechtliche Tatbestand nicht isoliert betrachtet werden. Sein Inhalt als Eingriffsnorm und damit die Grenzen der von ihm gewährleisteten Freiheit ergeben sich erst aus dem Zusammenwirken mit den allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen, die für alle Tatbestände in gleicher Weise gelten. Nur mit diesen zusammen ergibt der konkrete Tatbestand das „Ob" und „Wie" der Strafbarkeit, ihre materiell-rechtlichen Voraussetzungen. Zu diesen Voraussetzungen gehören auch die zeitlichen Grenzen der Strafbarkeit, die § 2 Abs. 3 StGB setzt. Anders als die durch die Verfolgungsveqahrung geregelten rein {5} verfahrensrechtlichen Zeitgrenzen, die allein die Verfolgbarkeit betreffen, die Strafbarkeit und den Unrechtscharakter der verfolgten Tat aber unberührt lassen (vgl. BVerfGE 25, 269, 287), betrifft das Rückwirkungsgebot die Strafbarkeit selbst. Es läßt eine Gesetzesänderung auch den noch von der alten Strafhorm Betroffenen zugute kommen und nimmt einer Tat nachträglich den Unrechtscharakter. Der Regelung liegt die Überlegung zugrunde, daß der Strafrichter nicht in die Lage gebracht werden soll, nach einer Norm verurteilen zu müssen, die im Widerspruch zu der einer Gesetzesänderung zugrundeliegenden gewandelten Rechtsüberzeugung des Gesetzgebers steht; es soll „das neuere, jetzt als das vernünftigere, bessere, humanere erachtete Strafrecht ... ohne Rücksicht auf Vergangenheit oder Zukunft ausschließlich" angewendet werden (so schon RGSt 21, 294). Das Rückwirkungsgebot ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz (LK-Tröndle, 10. Aufl., Rz. 33 zu § 2) und entspricht den Grundsätzen verhältnismäßiger Gerechtigkeit (Tiedemann, Zeitliche Grenzen des Strafrechts, in: Einheit und Vielfalt des Strafrechts, Festschrift für Karl Peters, Tübingen 1974). Die Verurteilung aufgrund einer Vorschrift, zu der sich der Gesetzgeber selbst nicht mehr bekennt, wäre eine „Vergewaltigung der materiellen Gerechtigkeit" (so Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilbd. 1, 7. Aufl. Heidelberg 1987, § 12 Rz. 12). Bezeichnenderweise stellt das Rückwirkungsgebot eine derart grundlegende Norm dar, daß es in den Strafrechtssystemen zweier so unterschiedlicher Staaten wie der ehemaligen DDR - auch schon vor dem 6. StÄG - und der Bundesrepublik Deutschland in inhaltlich weitgehend identischer Form enthalten war. Als potentielle zeitliche Begrenzung der Strafbarkeit wohnt diese grundlegende und hergebrachte, dem Gedanken materieller Gerechtigkeit entspringende Regelung den einzelnen Tatbeständen inne. Die Rückwirkung des milderen Gesetzes wird nicht erst im Augenblick der Gesetzesänderung als bloße Vergünstigung gewährt; sie ist angesichts des Umstan-{6}des, daß jedes Strafgesetz - wie auch jedes andere Gesetz - letztlich unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis des Gesetzgebers steht, als Teil des strafrechtlichen Regelungssystems bereits in dem alten, strengeren Gesetz enthalten. Wird wie im vorliegenden Fall ein Strafgesetz ersatzlos aufgehoben, zugleich aber die Rück-

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Wirkung dieser Milderung gesetzlich versagt, so werden die noch von der abgeschafften Norm erfaßten Fälle nicht nur von einer den anderen Rechtsunterworfenen zugute kommenden Erweiterung des Freiheitsgrundrechts ausgeschlossen. Vielmehr werden zugleich die potentiellen zeitlichen Grenzen der Strafbarkeit, wie sie in der alten Vorschrift angelegt waren, zu ihren Lasten verschoben; der Bereich ihrer persönlichen Freiheit erfährt gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eine weitere Einschränkung. Die durch den Einigungsvertrag übernommene Regelung des § 10 S. 1 des 6. StÄG ist mithin ein Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2. b) Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages in Verbindung mit § 10 S. 1 des 6. StÄG ist keine für einen solchen Grundrechtseingriff erforderliche allgemeine Regelung im Sinne des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG. Die Allgemeinheit der Gesetze ist Ausdruck notwendiger Distanz des Staates gegenüber seinen Bürgern. Diese Distanz verbürgt die Gewährleistung der Gleichbehandlung aller Bürger und bildet damit eine Stütze des Rechtsstaats (Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, § 61 Rz. 12). Eine Norm hat den Charakter eines für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geltenden generellen Rechtssatzes - und ist also kein Einzelfallgesetz - , wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht genau übersehen läßt, {7} auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet (BVerfGE 25, 371, 396). Demgegenüber liegt ein Einzelfallpersonengesetz vor, wenn der Kreis der Normadressaten für den Gesetzgeber derart übersehbar ist, daß die Betroffenen ihm nicht nur als Gattungsbegriff, sondern in ihrer Individualität gegenübertreten (BK-Menger, Rz. 112 zu Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG) und jedenfalls im Augenblick des Inkrafttretens des Gesetzes infolge dessen inhaltlicher Ausgestaltung abschließend bestimmbar sind (Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Rz. 36 zu Art. 19 Abs. 1). Letzterer Fall ist bei der genannten Bestimmung des Einigungsvertrages gegeben. Die Wirkung des § 10 S. 1 des 6. StÄG ist auf diejenigen Beschuldigten beschränkt, die vor Inkrafittreten des 6. StÄG zum einen eine nach einer der abschließend aufgezählten aufgehobenen Vorschriften strafbewehrte Handlungen begangen haben und gegen die zum anderen zu diesem Zeitpunkt bereits ein Strafverfahren eingeleitet war. Es handelt sich mithin um einen abgeschlossenen Personenkreis, der sich nach dem Inkrafitreten des 6. StÄG nicht mehr erweitern konnte. Dieser Personenkreis war für den Gesetzgeber auch in seiner Individualität übersehbar; die Regelung zielt ersichtlich auf ihn. Im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung der DDR nach den revolutionären Ereignissen vom Herbst 1989 war das Interesse der Öffentlichkeit neben den Fragen der Gestaltung der Zukunft in besonderem Maße auch auf die Klärung vergangener Ereignisse und die Feststellung vermeintlicher oder tatsächlicher Rechtsverstöße der früheren politischen Verantwortungsträger sowohl auf Staatsebene als auch in den einzelnen Bezirken und Gemeinden gerichtet. Naturgemäß standen hierbei etwaige Privilegien dieser aufgrund ihrer Position der Strafgewalt bis dahin anscheinend entzogenen Personen, hinsichtlich derer ihnen vorgeworfen wurde, sich diese unter Mißachtung von Grundsätzen der sozialistischen Wirtschaft verschafft zu haben, besonders im öffentlichen In{8}teresse. Zahlreiche Anzeigen einzelner Bürgerinnen und Bürger der DDR - teils allein, teils gemeinsam mit anderen vorgebracht - hatten die Einleitung von Strafverfahren gegen derartige Verantwortungsträger zur Folge. 48

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Diesen Verfahren wäre durch die Aufhebung des strafrechtlichen Schutzes der sozialistischen Wirtschaftsordnung, wie er in den §§ 165 ff. DDR-StGB a.F. geregelt war, im Zuge der Schaffung der Wirtschaftsunion mit der Bundesrepublik Deutschland die Grundlage entzogen worden. Demgemäß sah auch der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBl. II S. 537) in Anlage III, Abschnitt II, Nr. 19, Punkt 8 hinsichtlich der später von § 10 S. 1 des 6. StÄG erfaßten Vorschriften nur vor, daß sie auf nach Inkrafttreten des Vertrages begangene Taten nicht angewendet werden dürfen. Hierdurch sollte nach der amtlichen Begründung (Denkschrift, BT-Drucksache 11/7350, S. 97, 131) „eine differenzierte Behandlung ... im Hinblick auf zuvor begangene Straftaten nicht ausgeschlossen werden". Von der hierdurch gegebenen Möglichkeit hat die Volkskammer aber nur in eingeschränktem Umfange Gebrauch gemacht, indem sie das weitere Kriterium des eingeleiteten Strafverfahrens hinzufugte. Ausgehend von der historischen Situation, in der eingeleitete, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wegen Verstoßes gegen zum Schutz der sozialistischen Wirtschaftsordnung bestehende Strafnormen wahrscheinlich ausschließlich, jedenfalls aber zu einem bei weitem überwiegenden Teil frühere, durch die politische Entwicklung ihrer Ämter enthobene Verantwortungsträger auf allen politischen Ebenen betrafen, entstand die Regelung des § 10 S. 1 des 6. StÄG. Dies legt den von der Verteidigung im Anschluß an Schneiders (MDR 1990, 1049, 1052) gezogenen Schluß zu Recht nahe, die Regelung ziele bewußt auf diese {9} Gruppe. Die - allerdings spärlichen - Gesetzesmaterialien stützen diese Ansicht. Eine amtliche Begründung zum 6. StÄG existiert nicht (vgl. Volkskammer-Drucksachen 10/69 und 69a); das Gesetz wurde lediglich bei seiner Einbringung auf der 13. Sitzung der 10. Wahlperiode der Volkskammer am 14. Juni 1990 durch den damaligen Justizminister Prof. Dr. Wünsche mündlich begründet. Auf die hier relevante Regelung ging er nicht ein. In der anschließenden Beratung haben sich aber zwei Abgeordnete zur Regelung des § 10 des 6. StÄG geäußert. Der Abgeordnete Dr. Reichelt stellte die Frage, wie nach der Strafrechtsreform „die Staats- und Parteifunktionäre und die Organisationen bzw. Institutionen, die sich in der Vergangenheit ... schuldig gemacht haben, auf rechtsstaatlicher Grundlage zur Verantwortung gezogen werden" können, äußerte aber in diesem Zusammenhang Bedenken gegen die Rechtskonstruktion des § 10 des 6. StÄG (Protokoll der 13. Sitzung, S. 428). Der Abgeordnete Fiedler begrüßte ausdrücklich die Regelung und erklärte, die „Hoffnung auf Bestrafung der ehemaligen Spitzenfunktionäre" müsse „nun wohl doch nicht ganz begraben werden" (Protokoll der 13. Sitzung, S. 430). Weitere Abgeordnete äußerten sich zu diesem Punkt nicht. In den Beratungen des Rechtsausschusses der Volkskammer vor deren Sitzung am 29. Juni 1990, auf der das Gesetz verabschiedet wurde, und bei der Volkskammersitzung selbst kam die Regelung ebenfalls nicht mehr zur Sprache. Der Rechtsausschuß beriet jedoch noch einmal im August 1990 über § 10 des 6. StÄG, nachdem der Generalstaatsanwalt der DDR die Präsidentin der Volkskammer um Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Norm ersucht hatte. Auf seiner 31. Sitzung am 22. August 1990 beschloß der Ausschuß mit Mehrheit, daß die Vorschrift verfassungsgemäß sei. Dieses Ergebnis teilte der Vorsitzende des Rechtsaus-

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schusses, der Abgeordnete Hacker, der Präsidentin der Volkskammer mit Schreiben vom 3. September 1990 mit. In diesem Schreiben heißt es weiter: „Im Interesse der Aufrechterhaltung der {10} Regelungen des § 10 des 6. StÄG ist es dringend geboten, dessen Verbindlichkeit und Weitergeltung im Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR zu vereinbaren. Dies betrifft außerdem Straftatbestände, die gegenwärtig Grundlage für die Strafverfolgung gegenüber ehemaligen Funktionären der Staats- und Parteiführung sind und bei der deutschen Einigung untergehen würden, sofern keine Weitergeltung im Einigungsvertrag geregelt ist. Der Rechtsausschuß erachtet es für notwendig, die Regierung auf die Zusammenhänge hinzuweisen." Aus diesen Gesetzesmaterialien einerseits und der historischen Situation andererseits gewinnt die Kammer die Überzeugung, daß der Gesetzgeber des 6. StÄG nicht nur das abstrakte Bild einer Gattung von Straftätern vor Auge hatte, die gegen bestimmte gesetzliche Regelungen des alten DDR-StGB verstoßen hatten, sondern daß sich dies für ihn vielmehr in der Gestalt von Verantwortungsträgern insbesondere der Staats- und Parteiführung, aber auch auf allen anderen staatlichen und institutionellen Ebenen, die durch den revolutionären Prozeß in der DDR ihre Positionen verloren hatten, konkretisierte und individualisierte. Nur unter diesem Gesichtspunkt wird auch verständlich, warum der Gesetzgeber die von § 10 S. 1 des 6. StÄG erfaßten Tatbestände andererseits nicht von der Amnestieregelung für abgeschlossene Verfahren in § 8 Abs. 1 des 6. StÄG ausgenommen hat; schon unter zeitlichen Gesichtspunkten dürften von der Amnestieregelung nur solche Fälle erfaßt worden sein, die bereits vor den revolutionären Ereignissen des Herbstes 1989 zur Aburteilung gekommen waren und deshalb keine der genannten Personen betrafen. Stellt sich mithin § 10 S. 1 des 6. StÄG als eine bestimmte und bestimmbare abgeschlossene Personengruppe erfassende und auf diese gezielte Regelung dar, so steht einer Einordnung als gegen Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG verstoßende Einzelfallregelung nicht entgegen, daß auch die {11} Erfassung von nicht zu dieser Personengruppe gehörenden Tätern grundsätzlich möglich erscheint. Ein Einzelfallgesetz liegt auch dann vor, wenn eine logisch mögliche Betroffenheit weiterer Personen neben dem eigentlichen Ziel in ihrer Bedeutung zurücktritt und tatsächlich unwahrscheinlich ist (BK-Menger a.a.O.). Angesichts der in der DDR ab dem Herbst 1989 bis zur Verabschiedung des 6. StÄG eingetretenen Veränderungen erscheint es wenig wahrscheinlich, daß auch noch Verfahren gegen andere als der genannten Gruppe angehörende Personen wegen Verstößen gegen zum Schutz der nach sich schnell verbreitender allgemeiner Meinung abzuschaffenden sozialistischen Wirtschaftsordnung bestehende Gesetze eingeleitet und ernsthaft betrieben wurden. Der Kammer sind solche Verfahren nicht bekannt. Sie träten jedenfalls gegenüber den vom Gesetzgeber des 6. StÄG angezielten Adressaten mit Sicherheit sowohl zahlenmäßig als auch erst recht in ihrer politischen Bedeutung zurück. Da Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages die Regelung des § 10 S. 1 des 6. StÄG fortgelten läßt, die Bundesrepublik Deutschland in den Verhandlungen über den Einigungsvertrag ihrerseits aber kein eigenes Interesse am nachträglichen Schutz der in der DDR bereits abgeschafften sozialistischen Wirtschaftsordnung gehabt haben dürfte, ist davon auszugehen, daß die Motive des DDR-Gesetzgebers im Vertrag und damit als Bundesrecht fortwirken.

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[Verstoß gegen das Gleichheitsgebot]

Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages verletzt, soweit er die Fortgeltung des § 10 S. 1 des 6. StÄG anordnet, außerdem das Gleichheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG. Diesem kommt neben dem Verbot des Einzelfallgesetzes eine eigenständige Bedeutung zu, da Einzelfallgesetze nicht notwendig nämlich zumindest bei der Regelung nicht vergleichbarer singulärer Einzelfalle (vgl. Herzog a.a.O., Rz. 9 zu Art. 19 Abs. 1) - zugleich gegen {12} Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen müssen. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber einen relativ breiten Ermessensspielraum bei der Auswahl der Kriterien, nach denen er bestimmte zu ordnende Lebensverhältnisse von anderen abgrenzt. Es bleibt ihm überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln (BVerfGE 13, 225, 228). Der Gesetzgeber ist durch das Grundgesetz nicht gezwungen, die gerechteste und zweckmäßigste Regelung zu treffen, solange er sich in den Grenzen seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit bewegt (BVerfGE 68, 287, 301). Diese überschreitet er dann, wenn er eine Gruppe im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen den Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 68, 287, 301; 72, 84, 89 f.). Der Gesetzgeber darf die fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht mißachten (BVerfGE 13, 225, 228). Legt man diesen Maßstab an die in § 10 S. 1 des 6. StÄG getroffene und durch den Einigungsvertrag übernommene Regelung an, so kann sie vor dem Grundgesetz keinen Bestand haben. Die Gründe, die den Gesetzgeber zu der Differenzierung zwischen bereits eingeleiteten und noch nicht eingeleiteten Verfahren und zur Anordnung der Fortgeltung der in § 10 S. 1 des 6. StÄG aufgezählten Normen nur für erstere bewogen haben, sind den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Da durch die erwähnte Bestimmung des Vertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bereits eine lediglich auf den Tatzeitpunkt abzielende Vorgabe bestand, kann aber wohl ausgeschlossen werden, daß die Abweichung hiervon auf einem bloßen Redaktionsversehen beruht. Es spricht vielmehr vieles dafür, daß die gewählte Regelung Ausdruck des Wil-{13}lens des Gesetzgebers ist, einen möglichst weitgehenden Schlußstrich unter die für den strafrechtlichen Bereich durch das 6. StÄG abgeschaffte alte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu ziehen. Dies zeigt sich auch in der umfassenden Amnestieregelung des § 8 des 6. StÄG. Es erscheint daher denkbar, daß diesem Zwecke auch die Differenzierung in § 10 des 6. StÄG dienen soll. Denn es hätte ohne Zweifel für erhebliche öffentliche Erregung gesorgt und dadurch den Rechtsfrieden schwer erschüttert, wenn bereits aufgedeckte Zuwiderhandlungen gegen die in § 10 S. 1 des 6. StÄG genannten Vorschriften - die gerade durch ihre Aufdeckung den Rechtsfrieden gestört hatten - nicht mehr weiter verfolgt worden wären, während es für vertretbar gehalten worden sein mag, keine neuen Ermittlungsanstrengungen zur Aufdeckung weiterer solcher Verstöße zu veranlassen. Derartige Überlegungen - andere sind für die Kammer nicht ersichtlich - vermögen die Differenzierung zwischen schon und noch nicht eingeleiteten Verfahren jedoch nicht zu rechtfertigen.

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Schon soweit man § 10 S. 1 des 6. StÄG nur isoliert als Ausnahmeregelung gegenüber der Amnestieregelung des § 8 Abs. 2 des 6. StÄG betrachtet, überschreitet die Norm die dem Gesetzgeber durch Art. 3 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen. Zwar ist der Gesetzgeber beim Erlaß eines Amnestiegesetzes nicht gehalten, Straffreiheit für alle strafbaren Handlungen und in gleichem Maße zu gewähren. Er darf nicht nur einzelne Deliktstypen gänzlich von der Amnestie ausnehmen, sondern auch bestimmte Tatbestände einer Sonderregelung unterwerfen. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt erst dann vor, wenn die vom Gesetzgeber für einzelne Tatbestände getroffene Sonderregelung offensichtlich nicht am Gerechtigkeitsgedanken orientiert ist, wenn sich fur sie also keine vernünftigen Erwägungen finden lassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonstwie einleuchtend sind (BVerfGE 10, 234, 246). {14} Amnestien liegt - wenn sie nicht aus Anlaß besonderer Ereignisse gewährt werden in der Regel die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, unter eine Zeit, in der das Rechtsbewußtsein infolge außergewöhnlicher Verhältnisse erheblich gestört war, einen Strich zu ziehen. Es wird dabei einer allgemeinen Befriedung der Vorrang vor der Durchsetzung von Strafandrohungen eingeräumt (BVerfGE 10, 234, 241). Amnestien sind damit Ausdruck einer unter dem Eindruck besonderer äußerer Umstände erfolgenden nachträglichen Neubewertung des in der Verwirklichung eines Straftatbestandes liegenden Unrechts- und Schuldgehalts. Die Amnestieregelung des § 8 des 6. StÄG beruht soweit ersichtlich auf ähnlichen, wenn auch nicht völlig identischen Überlegungen. Die vollständige Umwälzung des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ließ es dem Gesetzgeber offenkundig ungerecht erscheinen, an der strafrechtlichen Verfolgung derjenigen festzuhalten, die sich allein nach Strafnormen des alten Rechts - mochten diese auch in dem abgeschafften System nicht nur der Unterdrückung gedient, sondern durchaus ihre sachliche Berechtigung gehabt haben - schuldig gemacht hatten. Bei der Gestaltung der Amnestieregelung stand es dem Gesetzgeber frei, einzelne der abgeschafften Tatbestände von der Straffreiheit auszunehmen. Die von ihm gewählte Regelung ist mit dem Gerechtigkeitsgedanken jedoch nicht vereinbar und sachlich nicht zu begründen. Durch die Regelung des § 8 des 6. StÄG einerseits, des § 10 S. 1 desselben Gesetzes andererseits wird eine nicht nachvollziehbare Dreiteilung der Gruppe derjenigen Straftäter bewirkt, die einen der in § 10 S. 1 des 6. StÄG genannten Tatbestände verwirklicht haben. Während sowohl die rechtskräftig verurteilten als auch die noch nicht entdeckten Täter von Strafe freigestellt werden, soll das Verhalten der entdeckten, aber noch nicht rechtskräftig verurteilten Täter bei identischen Tathandlungen unverändert nach den alten Ge-{15}setzen bewertet werden. Die Regelung wird nur verständlich, wenn man - wie schon oben B)l.b) dargelegt - davon ausgeht, daß durch die Differenzierung eine bestimmte und konkrete, nicht lediglich abstrakt definierte Personengruppe erfaßt werden sollte. Dies ist jedoch kein sachlicher Differenzierungsgrund, sondern legt vielmehr die Befürchtung nahe, daß diese Gruppe aus primär außerstrafrechtlichen Gründen der Strafverfolgung ausgesetzt bleiben und damit in einer unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde nach den nunmehr geltenden Wertmaßstäben des Grundgesetzes bedenklichen Weise zum Objekt von Strafverfahren gemacht werden sollte.

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Noch deutlicher tritt der in § 10 S. 1 des 6. StÄG liegende, durch den Einigungsvertrag fortdauernde Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bei dessen Auswirkungen auf das Rückwirkungsgebot nach § 2 Abs. 3 StGB bzw. § 81 Abs. 3 DDR-StGB zutage. Das Rückwirkungsgebot ist Teil eines hergebrachten Regelungssystems zur Bestimmung der zeitlichen Grenzen der Geltung von Straftatbeständen (vgl. oben B)l.a)). Entscheidet sich der Gesetzgeber fur eine bestimmte Ausgestaltung, so muß er Einzelfalle nach den Grundsätzen der von ihm selbst statuierten Sachgesetzlichkeit regeln, solange er nicht das System als Ganzes in Frage stellt und ändert („Systemgerechtigkeit", vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. München 1984, § 20IV 4 Maurer, in: Handbuch des Staatsrechts ..., a.a.O., § 60 Rz. 62). Das System selbst begrenzt damit die Kriterien, die der Gesetzgeber zur Grundlage einer Differenzierung machen darf. Die - zeitlich durch das Bestehen des grundsätzlich zu seiner Disposition gestellten Regelungssystems begrenzte - Selbstbindung des Gesetzgebers steht einer differenzierten Behandlung von nach den Sachgesetzen des Regelungssystems gleichartigen Einzelfällen entgegen. Die durch § 10 S. 1 des 6. StÄG bewirkte Durchbrechung des Regelungssystems lediglich für einen eng um-{16}grenzten Personenkreis ist daher mit dem Gerechtigkeitsgedanken unvereinbar.

3.

[Anwendbarkeit von Art. 143 Abs. 1 GG]

Art. 143 Abs. 1 GG ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Nach dieser durch den Einigungsvertrag in das Grundgesetz eingefügten Verfassungsnorm darf das Recht im Beitrittsgebiet zwar für eine Übergangszeit von Bestimmungen des Grundgesetzes abweichen. Dies gilt jedoch nur, „soweit und solange infolge der unterschiedlichen Verhältnisse die völlige Anpassung an die grundgesetzliche Ordnung noch nicht erreicht werden kann". Auf diese Weise wird den durch die verschiedenartige Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in beiden deutschen Staaten bis zum Beitritt bedingten unterschiedlichen Strukturen in der ehemaligen DDR, die nicht sofort angeglichen werden können, Rechnung getragen und der notwendige gesetzgeberische Spielraum eingeräumt (Kinkel, NJW 1991, 340, 341). Die Anwendung ansonsten auch im Beitrittsgebiet abgeschaffter Strafgesetze ist jedoch kein Problem unterschiedlicher Lebensverhältnisse. Die von § 10 S. 1 des 6. StÄG aufgehobenen Strafnormen wurden gerade zum Zwecke der Anpassung an die Ordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigt. Es ist nicht erkennbar, welche „unterschiedlichen Verhältnisse" die weitere Anwendung dieser Vorschriften auf Altfälle erforderlich machen sollen. Es kann daher dahinstehen, ob die Regelung mit den in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundsätzen, insbesondere mit dem Rechtsstaatsprinzip, unvereinbar ist (so Schneiders, MDR 1990, 1049, 1053) und deshalb von Art. 143 Abs. 1 S. 2 GG erfaßt wird. Der Umstand, daß das Rückwirkungsgebot Ausdruck materieller Gerechtigkeit ist - vgl. oben B)l.a) - , spricht jedenfalls für diese Ansicht. {17}

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C)

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[Entscheidungserheblichkeit]

Auf die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages, soweit er die Fortgeltung des § 10 S. 1 des 6. StÄG regelt, kommt es im gegenwärtigen Zeitpunkt auch für eine von der Kammer zu treffende Entscheidung an. Die Kammer hält an ihrer im Beschluß vom 22. Oktober 1990 vertretenen Auffassung, die Frage der Verfassungsmäßigkeit könne zunächst offenbleiben, nicht mehr fest. 1. Allerdings weisen die von der Verteidigung für ihren Aussetzungsantrag vorgebrachten Argumente keine tragfähigen Gründe auf, die Anlaß zur Annahme einer aktuellen Entscheidungserheblichkeit der Bestimmung geben könnten. a) Die erwähnte Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO ist rein theoretisch und mithin kein Vorlagegrund. Eine solche Einstellung ist bisher weder beabsichtigt noch - was Voraussetzung einer Einstellung wäre - von der Staatsanwaltschaft beantragt. Die Verteidigung mißdeutet offensichtlich die Motive der Kammer bei der Zurückstellung der Frage der Verfassungsmäßigkeit in dem vorerwähnten Beschluß vom 22. Oktober 1990. Dem lag keineswegs die Überlegung zugrunde, sich eines rechtlich besonders problematischen Anklageteils später durch eine vom Angeklagten nicht zu verhindernde Einstellung nach § 154 StPO zu entledigen, wie anscheinend die Verteidigung meint. Die Kammer war vielmehr der Ansicht, daß sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit erst nach abgeschlossener Beweisaufnahme stellen werde, da erst zu diesem Zeitpunkt festgestellt werden könnte, ob der Angeklagte aus der bedenklichen Norm oder auf einer anderen Rechtsgrundlage zu verurteilen oder aber freizusprechen wäre; nach der bisherigen Ansicht der Kammer wäre eine mögliche Verfassungswidrigkeit erst dann entscheidungserheblich geworden. b) Die aufgetretene Verfassungsfrage ist entgegen der An-{18}sieht der Verteidigung auch nicht von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung für das Gemeinwohl, so daß eine Vorlage ausnahmsweise auch bei Fehlen der Entscheidungserheblichkeit zulässig wäre. Die Verteidigung bleibt eine Begründung schuldig, worin die Bedeutung für das Gemeinwohl im Sinne der von ihr zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 47, 146) im vorliegenden Fall liegen soll. Auch in ihrer nachgereichten Erläuterung stellt sie letztlich nur darauf ab, daß eine solche Vorgehensweise - insbesondere auch im Hinblick auf weitere Verfahren derselben Art - prozeßökonomisch sinnvoll sei. Die bloße Prozeßökonomie, mag sie auch einer Zahl weiterer Verfahren zugute kommen und im Falle einer frühzeitigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Staatskasse erhebliche Kosten ersparen, kann jedoch kein Grund für den Verzicht auf die Entscheidungserheblichkeit sein. Eine möglicherweise unökonomische Verfahrensweise ist in der ausdrücklichen Beschränkung des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG gerade angelegt, sie muß hingenommen werden. In der von der Verteidigung zitierten Entscheidung waren die Gründe des Bundesverfassungsgerichts, eine Vorlage anzunehmen, ungleich gravierender und mit dem gegen den Angeklagten gerichteten Verfahren in keiner Weise vergleichbar. Der Entscheidung BVerfGE 47, 146 liegt eine Vorlage zur Überprüfung atomrechtlicher Bestimmungen im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzungen um den sogenannten „Schnellen Brüter" in Kalkar zugrunde; das vorlegende Oberverwaltungsgericht sah hierbei die Möglichkeit erheblicher Risiken für die Gesundheit der gegenwärtigen und künftigen Bevölkerung und die Umwelt sowie 54

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Gefährdungen der freiheitlichen Lebensordnung der Bundesrepublik Deutschland im Innern und ihrer Sicherheit nach außen. Unter diesen besonderen Umständen hat das Bundesverfassungsgericht - soweit der Kammer bekannt erst- und bisher auch einmalig der Vorlagefrage allgemeine und grundsätzliche Bedeutung für das gemeine Wohl zugemessen (vgl. BVerfGE 47, 146,160 f.). {19} 2. Die Vorlagefrage ist jedoch aus einem anderen Grunde bereits jetzt - vor Beginn der Beweisaufnahme zu dem von ihr betroffenen Tatkomplex - entscheidungserheblich. Nach nochmaliger Überprüfung der Rechtslage ist die Kammer zu der Ansicht gelangt, daß das Verfahren gegen den Angeklagten hinsichtlich des Punktes 1 der Anklageschrift, in dem ihm allein ein Verstoß gegen § 165 DDR-StGB a.F. zur Last gelegt wird, nach § 8 Abs. 2 des 6. StÄG ohne weitere Beweisaufnahme einzustellen wäre. Sie sieht sich hieran durch die von ihr für verfassungswidrig erachtete Bestimmung gehindert. Nach § 8 Abs. 2 des 6. StÄG, der gemäß Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages ebenfalls nach dem Beitritt fortgilt, waren anhängige noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wegen Handlungen, für die nach Maßgabe des 6. StÄG keine strafrechtliche Verantwortlichkeit, d.h. Strafbarkeit, mehr vorgesehen war, spätestens mit Inkrafttreten des 6. StÄG einzustellen. Ohne den Ausnahmetatbestand des § 10 S. 1 des 6. StÄG wäre von dieser Einstellungsregelung auch die dem Angeklagten vorgeworfene Tat des Vertrauensmißbrauchs durch Veranlassung von Baumaßnahmen im Staatsjagdgebiet Eixen erfaßt worden. Aus dem Umstand, daß die Einstellung wegen der verfassungswidrigen Norm des § 10 S. 1 des 6. StÄG zu jenem Zeitpunkt unterblieben ist, darf dem Angeklagten kein Nachteil erwachsen. Da § 8 Abs. 2 des 6. StÄG weiterhin gilt, wäre das Verfahren sofort einzustellen. Dem Angeklagten wurde zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 6. StÄG am 1. Juli 1990 und wird weiterhin unverändert zur Last gelegt, volkswirtschaftlich schädliche Baumaßnahmen in dem von ihm genutzten Staatsjagdgebiet Eixen unter Mißbrauch seiner Stellung als Vorsitzender des Bundesvorstandes des FDGB ausgenutzt zu haben, wobei er unzutreffen-{20}derweise davon ausgegangen sein soll, daß der dem FDGB entstehende Aufwand durch das für das Staatsjagdgebiet zuständige Ministerium ersetzt würde. Eine solche Handlung wurde zur Zeit der Tat nur durch den Tatbestand des § 165 DDR-StGB a.F. erfaßt, für den Vorwurf der Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums gemäß § 161a DDR-StGB a.F.8 fehlt es am erforderlichen Vorsatz, da die Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, von einer Erstattung der Kosten ausgegangen zu sein, bisher nicht widerlegt werden konnte, der Tatbestand jedoch - anders als § 266 StGB 9 und auch § 163 DDR-StGB n.F. 10 - voraussetzt, daß der Täter sich oder einem anderen rechtswidrig Vermögensvorteile verschafft. Nach Maßgabe des 6. StÄG bestand für den in Rede stehenden Vorwurf keine Strafbarkeit mehr, da § 165 DDR-StGB a.F. ersatzlos entfallen war. Weder § 163 DDRStGB n.F. (Untreue) noch § 244a DDR-StGB n.F. (Amtsmißbrauch)11 können als Nachfolgedelikte angesehen werden. Diese Vorschriften haben einen anderen Schutzzweck und Unrechtskern als der Tatbestand des Vertrauensmißbrauchs. Letzterer diente - wie schon seine Einordnung in den Abschnitt „Straftaten gegen die Volkswirtschaft" zeigt dem Schutz der planwirtschaftlichen Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit völlig unabhängig von einer etwaigen Schädigung eines einzelnen Betriebes oder einer sonstigen

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einzelnen Einrichtung, die den Täter mit seiner Vertrauensstellung betraut hat, oder von der Bereicherung des Täters oder eines Dritten. Die Bestimmung sollte die leitende und planende Tätigkeit des Staates auf dem Gebiet der Wirtschaft und die „Prinzipien der Leitung und Durchführung ökonomischer Prozesse" sichern (Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin [Ost] 1987, Anm. 1 zu § 165). Der Untreuetatbestand des § 163 DDR-StGB n.F. ist demgegenüber mit § 266 StGB textidentisch; er ist daher ein echtes Vermögensdelikt und bezweckt allein den Schutz des Treugebers. {21} Der mit dem Beitritt der DDR und der Inkraftsetzung des StGB im Beitrittsgebiet entfallene § 244a DDR-StGB n.F. hingegen stellte denjenigen unter Strafe, der „seine staatlichen oder gesellschaftlichen Befugnisse oder seine Stellung oder Tätigkeit mißbraucht und zum Nachteil des Gemeinwohls sich oder andere erheblich bereichert oder sich oder anderen sonstige erhebliche Vorteile verschafft"

hat. Diese - im übrigen unter dem Gesichtspunkt des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots nicht unbedenklich erscheinende - Norm weist zwar eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit dem Tatbestand des Vertrauensmißbrauchs auf. Jedoch ist das Schutzgut „Gemeinwohl" mit demjenigen der - sozialistischen - „Volkswirtschaft" nicht vergleichbar. Eine gerade auf das im Rahmen der auch zur Schaffung des 6. StÄG fuhrenden Rechtsumwälzung abgeschaffte sozialistische Planwirtschaftsgefüge ausgerichtete und seinem Schutz dienende Norm konnte naturgemäß in der neuen Rechts- und Wirtschaftsordnung keine Nachfolgebestimmung identischen Unrechtsgehalts finden. § 244a DDRStGB n.F. war seinem Kern nach, obwohl in den Abschnitt „Straftaten unter Verletzung dienstlicher Pflichten" eingeordnet, ein Vermögensdelikt für einen sehr weit gefaßten Sondertäterkreis. Nach dem bisherigen Stand des Verfahrens kann dem Angeklagten somit allein eine Straftat nach § 165 DDR-StGB a.F. zur Last gelegt werden. Es könnte allerdings - worauf die Staatsanwaltschaft zu Recht hingewiesen hat - bei Durchführung der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zu Feststellungen kommen, die eine Verurteilung z.B. wegen Untreue, aber ebensogut auch einen Freispruch vom Vorwurf des Vertrauensmißbrauchs zur Folge haben könnten. § 8 Abs. 2 des 6. StÄG steht einer solchen Beweisaufnahme aber entgegen. Der Gesetzgeber des 6. StÄG hat einen Stichtag für den spätesten Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung, nämlich den 1. Juli 1990 als Tag des Inkrafttretens des Gesetzes, festgelegt. Durch diese Bestimmung eines Stich-{22}tages waren von der Regelung unvermeidlich Verfahren in unterschiedlichen Stadien potentiell betroffen. Die Regelung gilt nach ihrem eindeutigen Wortlaut ebenso für Verfahren, die wie das hiesige bereits zur Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens geführt hatten, wie für solche, bei denen die Ermittlungen noch in den Anfängen steckten, erfaßt aber auch Verfahren, bei denen die Hauptverhandlung begonnen und möglicherweise bereits zu einer (noch nicht rechtskräftigen) Entscheidung geführt hatte. Voraussetzung der Einstellung kann daher nicht sein, daß abschließend feststeht, daß die den Gegenstand des Verfahrens bildenden Handlungen nach dem neuen Recht nicht mehr strafbedroht sind. Die für einen bestimmten Kalendertag vorgesehene Einstellungsentscheidung kann nur auf der Grundlage der an diesem Tag vorhandenen Erkenntnis, also auf einer vorläufigen Tatsachenbasis getroffen werden. Ergeben diese Tatsachen keinen anderen Verdacht als den einer nach dem reformierten Strafrecht nicht mehr strafbewehrten Handlung, so ist das Verfahren

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selbst dann einzustellen, wenn es möglich erscheint, daß weitere Ermittlungen zu einer anderen rechtlichen Bewertung fuhren könnten. § 8 Abs. 2 des 6. StÄG enthält damit fur die von ihm erfaßten Fälle eine Vergünstigung, die noch weiter geht als die im bundesdeutschen Strafprozeßrecht vorgesehene - im Strafprozeßrecht der DDR aber auch nach dem 6. StÄG nicht enthaltene - Einstellung nach § 206b StPO. Wie letztere dürfte auch die Bestimmung des § 8 Abs. 2 des 6. StÄG vor allem dem Zweck dienen, dem Beschuldigten eine möglichst frühe Sachentscheidung zu seinen Gunsten zu ermöglichen und ihm die Belastungen eines weiteren Ermittlungsverfahrens ebenso wie die der öffentlichen Hauptverhandlung zu ersparen. Der wegen einer - zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht gesehenen - etwaigen Verwirklichung eines anderen Straftatbestandes durch dieselbe Handlung bestehende staatliche Strafanspruch wird durch die Einstellung nicht berührt. Da die Entscheidung anders als die Einstellung nach § 206b StPO nur auf einer vorläufigen Beurteilung beruht, entspricht ihre materielle {23} Rechtskraft nicht der eines freisprechenden Urteils, wie dies bei einem Beschluß nach § 206b StPO der Fall ist. Die Einstellung nach § 8 Abs. 2 des 6. StÄG steht daher der Einleitung eines neuen Ermittlungsverfahrens nicht entgegen, wenn sich nachträglich der Verdacht einer auch nach der Gesetzesreform weiterhin strafbaren Handlung ergibt. Diese Regelung erscheint zwar nicht unbedingt zweckmäßig. Der Gesetzgeber ist jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht gezwungen, in jedem Falle die zweckmäßigste und sachgerechteste Lösung eines Problems zu wählen. Er hat vielmehr die Gestaltungsfreiheit, unter verschiedenen denkbaren Möglichkeiten auszuwählen. Die in § 8 Abs. 2 des 6. StÄG getroffene Regelung ist zumindest aus der der gesamten Strafrechtsreform zugrundeliegenden gesetzgeberischen Motivation erklärlich und nachvollziehbar. Mit der Abkehr von dem alten sozialistischen Wirtschaftssystem und der Hinwendung zur Marktwirtschaft und zur pluralistischen Demokratie sollten die Relikte der alten Ordnung auch im Strafrecht vollständig beseitigt werden (vgl. Teichert, Neue Justiz 1990, 291; Dähn, NStZ 1990, 469). Hierbei sollte ein weitgehender Schlußstrich unter das alte Strafrecht gezogen werden. So sieht § 8 Abs. 1 des 6. StÄG den Verzicht auf die (weitere) Vollstreckung aller aufgrund der abgeschafften Straftatbestände erfolgten Verurteilungen vor. § 8 Abs. 2 des 6. StÄG ist die Ausdehnung dieses Gedankens auch auf die laufenden Ermittlungsverfahren. Es wird hierdurch vermieden, daß Ermittlungsbehörden und Strafjustiz sich mit der Aufklärung und Verhandlung von Geschehnissen befassen müssen, deren rechtliche Bewertung einer überwundenen Zeit entstammt. Zugleich wird den einzelnen Beschuldigten erspart, sich wegen Taten öffentlich verantworten zu müssen, die der Gesetzgeber nicht mehr weiter als Unrecht ansieht. Zwar müßte ein solches Verfahren mit einem Freispruch enden; die öffentliche Hauptverhandlung stellt jedoch auch im Falle eines Freispruchs eine eigenständige Belastung dar, die die Regelung des § 8 Abs. 2 des 6. StÄG ohne einen Ein-{24}griff in die Unschuldsvermutung vermeidet. Die durch die Regelung vorgegebene Notwendigkeit, u.U. neue Strafverfahren wegen desselben Sachverhalts unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt einleiten zu müssen, ist nicht notwendig unökonomisch. Die Frage der Prozeßökonomie ließe sich nur dann beurteilen, wenn man die Verfahren, die auf einer auch rechtlich eindeutigen Tatsachengrundlage beruhen und bei denen im Falle einer Einstellung erheblicher Ermittlungs- und Verfahrensaufwand unterbleibt, zu denjenigen ins zahlenmäßige Verhältnis setzt, bei denen nachträglich auch eine andere rechtliche

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Beurteilung möglich und deshalb ein neues Ermittlungsverfahren - das sich zudem auf die Ergebnisse des alten stützen könnte - notwendig erscheint. Der Gesetzgeber wäre aber auch nicht gehindert, sich für eine unökonomische Lösung zu entscheiden, wenn ihm diese aus anderen Gründen - insbesondere im Interesse der Betroffenen - sachgerecht erschiene.

II. [Keine Einstellung des Verfahrens wegen

Verfahrenshindernisses]

A) Soweit mit der Behauptung eines Verfahrenshindernisses die Einstellung des gesamten Verfahrens begehrt wird, kann der Antrag der Verteidigung keinen Erfolg haben. 1. Dem bisher bekannten Verlauf des Ermittlungsverfahrens kann ein zu einer Einstellung berechtigendes bzw. verpflichtendes Verfahrenshindernis nicht entnommen werden. Die hierzu vorgebrachten Ansichten und Tatsachenbehauptungen der Verteidigung bieten keinen Einstellungsgrund. Sie geben auch keine Veranlassung, über die Tatsachenbehauptungen Beweis zu erheben. Jedenfalls Teile des Vorbringens, insbesondere die Situation bei den Vernehmungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, werden aber u.U. ohnehin Gegenstand der Beweisaufnahme sein müssen. Als Verfahrenshindernis kommen grundsätzlich nur Umstände {25} in Betracht, die nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes für das Strafverfahren so schwer wiegen, daß von ihrem Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängig gemacht werden muß (BGH NStZ 1985, 131, 132). In der Regel berechtigen jedoch auch schwerwiegende Mängel des Verfahrens - wie sie z.B. die absoluten Revisionsgründe des § 338 StPO darstellen nur zur Urteilsanfechtung und fuhren gegebenenfalls zur Urteilsaufhebung, bilden aber kein Verfahrenshindernis. Ob sich unmittelbar aus einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips ein Verfahrenshindernis herleiten läßt, ist umstritten (vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, 39. Aufl., Einl. Rz. 147 f f ) . Allerdings geht die von der Verteidigung zitierte, die Annahme einer hierauf gestützten Verfassungsbeschwerde ablehnende Entscheidung des Vorprüfüngsausschusses des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1984, 967) - wenn auch nur in einem obiter dictum - davon aus, daß in extrem gelagerten Ausnahmefallen eine so erhebliche Verletzung des Rechtsstaatsgebots im Strafverfahren festzustellen sein kann, daß ein anerkennenswertes Interesse an weiterer Strafverfolgung, die allgemein dem verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsgüterschutz dient, im Einzelfall nicht mehr besteht und eine Fortsetzung des Verfahrens rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbar ist. Ein derartiger Ausnahmefall ist nicht erkennbar. Die von der Verteidigung vorgetragenen Gründe vermögen weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau ein Verfahrenshindernis zu begründen. Die behauptete Anweisung „von höchster Stelle", ein Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten einzuleiten, ist - sollte sie geschehen sein - für sich zunächst nicht zu beanstanden. Derartige Weisungen sind jedenfalls im Rahmen des § 146 GVG auch dem Verfahrensrecht der Bundesrepublik {26} Deutschland bekannt. Ein Verfahrenshindernis wäre hierdurch allenfalls begründet, wenn das Verfahren allein zu dem Zweck eingeleitet und fortgeführt worden wäre, der Beruhigung der Bevölkerung zu dienen, ohne daß ein Verdacht einer strafbaren Handlung des Angeklagten vorgelegen hätte. In

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einem solchen Falle wäre der Angeklagte unter Mißachtung seiner auf der unantastbaren Menschenwürde beruhenden Subjektqualität zu einem bloßen Objekt staatlichen Handelns geworden. Hierfür ist aber angesichts der Tatsache, daß nicht nur von Justizorganen der DDR ein zur Eröffnung des Hauptverfahrens ausreichender Tatverdacht, sondern auch von Gerichten der Bundesrepublik Deutschland ein die Untersuchungshaft begründender dringender Tatverdacht bejaht wurde, nichts ersichtlich. Es ist im übrigen anzumerken, daß die bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens amtierende Staats- und Parteiführung - die Verteidigung erwähnt namentlich Egon Krenz 12 - wenige Tage später, nämlich Anfang Dezember 1989, selbst ihre Funktionen verlor, auf den weiteren Gang der Ermittlungen mithin keinen Einfluß mehr nehmen konnte. Soweit die Verteidigung die Geschwindigkeit, mit der das Ermittlungsverfahren gefuhrt und Anklage erhoben wurde, anspricht, entspricht diese dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot. Jedoch will die Verteidigung erkennbar aus der Geschwindigkeit folgern, daß das Verfahren ausschließlich als Politikum geführt wurde. Dies ist allerdings mit der Tatsache unvereinbar, daß mit der Erhebung der Anklage die Haftentlassung des Angeklagten einherging. Die daraufhin erfolgten heftigen Reaktionen in der Bevölkerung der DDR waren in Anbetracht der Prominenz des Angeklagten zu erwarten gewesen; daß die Staatsanwaltschaft bei ihrer Haftentscheidung hierauf keine Rücksicht genommen hat, spricht gegen die Annahme der Verteidigung. Auch das von der Verteidigung geschilderte Vorgehen bei den Vernehmungen des Angeklagten begründet kein Verfahrens-{27 }hindernis. Sollten Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des späteren Amtes für Nationale Sicherheit der DDR an den Vernehmungen des Angeklagten beteiligt gewesen sein oder diese geführt haben, so entspricht dies § 88 Abs. 2 Nr. 2 DDR-StPO in der bis zum Juni 1990 gültigen Fassung. Danach waren die Untersuchungsorgane des Ministeriums für Staatssicherheit Untersuchungsorgane im Sinne der DDR-StPO. Ihre Beteiligung entspricht daher der damaligen Gesetzeslage. Die Kammer verkennt hierbei nicht, das der Staatssicherheitsdienst ein konstitutives Herrschaftsinstrument der SED war (DDR-Handbuch, 3. Aufl. Köln 1985, Bd. 2, S. 909). Seine Praxis war in rechtsstaatswidriger Weise von dem Ziel bestimmt, ein Geständnis von dem Beschuldigten zu erhalten. Hierbei wurden Dauerverhöre bis zur Erschöpfung des Vernommenen ebenso festgestellt wie Versprechungen für vorzeitige Haftentlassungen oder Zusagen, von Repressalien gegen Familienangehörige abzusehen (ebd., S. 1337). Diese bekannte Praxis entbindet jedoch nicht von der Notwendigkeit, im einzelnen Verfahren konkrete unzulässige Verhaltensweisen der Vernehmensführer festzustellen. Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als die Vernehmenden - waren sie wirklich Angehörige des Staatssicherheitsdienstes - zum einen in der Person des Angeklagten einen politischen Repräsentanten der ehemaligen Parteiführung vor sich hatten, deren Herrschaft zu sichern und zu erhalten ihre Grundorganisation geschaffen worden war. Zum anderen wurden sie auch in einer Zeit tätig, in der ihre bisherige Arbeit immer mehr in das Licht der Öffentlichkeit trat, so daß sie keineswegs damit rechnen konnten, daß unzulässige Verhaltensweisen bei der Vernehmung des anwaltlich vertretenen prominenten Angeklagten verborgen bleiben würden. Von einem konkreten Fehlverhalten berichtete die Verteidigung nichts. Worauf ihre Behauptung, der Angeklagte habe de facto kein Aussageverweigerungsrecht gehabt, sich stützt, wird nicht erkennbar. Im üb-

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rigen begründen selbst schwerwiegende Beeinflussungen des Aussage-{28}verhaltens eines Beschuldigten regelmäßig kein Verfahrenshindernis, sondern lediglich ein Verbot der Verwertung der auf diese Weise gewonnenen Aussage (§ 136a StPO). Die geschilderten Behinderungen der Verteidigung im Laufe des Ermittlungsverfahrens sind nicht so gravierend, daß sie ein Verfahrenshindernis darstellen könnten. Ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei polizeilichen Vernehmungen besteht auch nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht, wie ein Vergleich der Absätze 3 und 4 des § 163a StPO zeigt (KK-Pfeiffer, 2. Aufl., Einl. Rz. 70; LR-Rieß, 24. Aufl., Rz. 92 zu § 163a). Es ist im übrigen weder ersichtlich noch vorgetragen, daß etwaige frühere Behinderungen der Verteidigung heute noch in einer die Verteidigung in der Hauptverhandlung rechtsstaatswidrig behindernden Weise fortwirken würden. Auch insgesamt betrachtet geben die behaupteten Vorkommnisse dem Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten keine so besondere Prägung, daß dem nur durch eine Verfahrenseinstellung und nicht auch - sollten diese Tatsachen für das Verfahren bedeutsam und in der Beweisaufnahme festgestellt werden - durch andere verfahrensrechtliche Möglichkeiten wie z.B. den Verzicht auf die Verwertung einzelner Beweismittel Rechnung getragen werden könnte. 2. Entgegen der Ansicht der Verteidigung leiden auch Anklageschrift und Eröffnungsbeschluß nicht unter einem ein Verfahrenshindernis begründenden Mangel. Es folgen nähere Ausführungen zu diesem Gesichtspunkt. {29} B) Der Antrag der Verteidigung, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG zum Zwecke der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Regelung in Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 14, Maßgabe a) zum Einigungsvertrag auszusetzen, gibt keine Veranlassung zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Die Kammer teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken der Verteidigung nicht. Es ist zunächst festzustellen, daß die von der Verteidigung angegriffene Bestimmung des Einigungsvertrages für das hiesige Verfahren keinerlei Bedeutung hat. Sie betrifft allein die weitere Behandlung von bei den aufgelösten gesellschaftlichen Gerichten der DDR anhängig gewesenen Verfahren. Den zur Klärung herangezogenen Ausführungen zur {30} Antragsbegründung ist aber zu entnehmen, daß die Verteidigung verfassungsrechtliche Bedenken dagegen hat, daß bei den Justizbehörden der DDR anhängig gewesene Verfahren nach dem Beitritt von den Justizbehörden der Bundesrepublik Deutschland ausnahmslos übernommen werden mußten. Dies ist allgemein in Nr. 28 Maßgabe k) des vorgenannten Abschnittes der Anlage I zum Einigungsvertrag geregelt. Für das Land Berlin ist jedoch eine Sonderregelung in Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet A, Abschnitt IV, Nr. 3, Maßgabe j) zum Einigungsvertrag enthalten. Allein diese Regelung ist im vorliegenden Fall für die Begründung der Zuständigkeit des Landgerichts Berlin und damit der Kammer von Bedeutung und somit auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Verfassungsrechtliche Bedenken könnten allerdings tatsächlich bestehen, wenn man die Regelung mit der Verteidigung dahin verstünde, daß jedes Verfahren ungeachtet seiner bisherigen Entwicklung und möglicher Rechtsstaatswidrigkeit des Vorgehens der DDR-Behörden einfach weitergeführt werden müßte. Dazu besteht jedoch keine Veranlassung. Zwar ist, wie sich aus Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 28, Maßgabe g) zum Einigungsvertrag ergibt, der nach dem Verfahrensrecht der DDR erreichte Verfahrensstand zu übernehmen und das Verfahren erst ab diesem Zeit-

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punkt nach dem neuen Recht zu fuhren. Dies ändert jedoch nichts daran, daß vorhergehende Mängel des Verfahrens, die dessen Rechtsstaatlichkeit berühren, zu berücksichtigen sind und gegebenenfalls zu einem Verfahrenshindernis oder zu einem Verwertungsverbot fuhren können. Die nicht nur mögliche, sondern naheliegende verfassungskonforme Auslegung der Norm zeigt, daß sie keineswegs zu den von der Verteidigung befürchteten Folgen fuhrt. Einer spezialgesetzlichen generellen Überprüfungskompetenz der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland für von der DDR-Justiz übernommene Verfahren bedarf es angesichts des ihnen zur Verfugung stehenden verfahrensrechtlichen Instrumentariums nicht. {31} ® Unter der Gliederungsziffer III. folgen nähere Ausführungen zur Aufhebung des Haftbefehls sowie der Beschlagnahmebeschlüsse. {32}

Anmerkungen 1 2 3 4

5 6 7

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Harry Tisch verstarb am 18.6.1995, bevor es zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kam. Vgl. A n h a n g s . 510. Vgl. A n h a n g s . 512. Vgl. dazu auch die Entscheidungen im Verfahren gegen Müller: Bezirksgericht Erfurt, Beschluss vom 9.8.1991 - A z . 1 Js 4984 = lfd. Nr. 3-2; Landgericht Erfurt, Beschluss vom 23.6.1995-Az. 1 Js 4984 = lfd. Nr. 3-6 sowie den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 27.6.1991 - Az. 512 - 10/99 = lfd. Nr. 6-2 im Verfahren gegen Axen. Vgl. A n h a n g s . 512. Vgl. Anhang S. 509. Mit dem genannten Beschluss ordnete das Kammergericht Berlin die Haftfortdauer gegen den ehemaligen Minister für Staatssicherheit der DDR Erich Mielke an. Der Beschluss erging im Verfahren, das gegen Mielke sowie Hans Albrecht, Erich Honecker, Heinz Keßler, Erich Mielke, Fritz Streletz und Willi Stoph wegen vollendeten bzw. versuchten Totschlags im Zusammenhang mit dem Schusswaffeneinsatz an der innerdeutschen Grenze geführt wurde (Anklage der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin vom 12.5.1990 - Az. 2 Js 26/90). Zum Verfahrensverlauf vgl. den Dokumentationsband zu den Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze. Vgl. A n h a n g s . 510. Vgl. A n h a n g s . 513. Vgl. A n h a n g s . 511. Vgl. A n h a n g s . 513. Egon Krenz wurde von der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin am 30.11.1994 - Az. 25/2 Js 20/92 - gemeinsam mit Horst Dohlus, Kurt Hager, Günther Kleiber, Erich Mückenberger, Günter Schabowski und Harry Tisch wegen (versuchten) Totschlags angeklagt. Das Landgericht Berlin verhängte gegen Krenz wegen mehrfachen Totschlags eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten (Urteil vom 25.8.1997 - Az. (527) 25/2 Js 20/92 Ks (1/95)). Nachdem der Bundesgerichtshof seine Revision hiergegen am 8.11.1999 - Az. 5 StR 632/98 - zurückgewiesen hatte, legte Krenz Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde am 12.1.2000 - Az. 2 BvR 2414/99 - zurück. Die daraufhin von Krenz beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegte Beschwerde blieb ebenfalls erfolglos (Entscheidung vom 22.3.2001 App. No. 44801/98). Zum Verfahren gegen Krenz u.a. vgl. den Dokumentationsband zu den Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze.

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Inhaltsverzeichnis Erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Berlin vom 6.6.1991 Az.: (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90) Gründe

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I.

[Anklagevorwurf und Verfahrensgeschichte]

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II.

[Feststellungen zur Person]

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III. [Sachverhaltsfeststellungen]

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IV. [Beweiswürdigung]

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V.

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[Rechtliche Würdigung]

VI. [Strafzumessung]

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VII. [Teilweiser Freispruch]

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Anmerkungen

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Landgericht Berlin Az.: (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90)

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6. Juni 1991

URTEIL1 Im Namen des Volkes Strafsache gegen den Bauschlosser und Diplom-Gesellschaftswissenschaftler Harry Emil Otto Tisch, geboren 1927 in H., wegen Untreue. Die 19. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Berlin hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 29. und 31. Januar 1991, 5., 7., 8., 12., 14., 15., 19. und 21. Februar 1991, 22. März 1991, 2., 15., 23. und 25. April 1991, 2., 10., 16., 23. und 30. Mai 1991 sowie 6. Juni 1991, an der teilgenommen haben: {2} ® Es folgt die Nennung der Verfahrensbeteiligten. in der Sitzung vom 6. Juni 1991 für Recht erkannt: Der Angeklagte wird wegen Untreue in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Im übrigen wird er freigesprochen. Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, fallen die Kosten des Verfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse Berlin zur Last. Im übrigen hat der Angeklagte sie zu tragen. {3} Angewandte Straf vorschriften: §§ 161a Abs. 1, 162 Abs. 1 Nr. 1, 63, 64 DDR-StGB i.d.F. des 3., 4. und 5. Strafrechtsänderungsgesetzes §§ 163, 164 Abs. 1 Nr. 1, 63, 64 DDR-StGB i.d.F. des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes §§ 266 Abs. 1, 2 Abs. 3, 53, 54 StGB {4}

Gründe I.

[Anklagevorwurf und Verfahrensgeschichte]

Der Generalstaatsanwalt der ehemaligen DDR hat am 21. Februar 1990 Anklage gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Vertrauensmißbrauchs (§ 165 DDR-StGB in der bis zum 30. Juni 1990 gültigen Fassung2) durch Anordnung von Baumaßnahmen der FDGB-Abteilung Bau in dem von dem Angeklagten genutzten Staatsjagdgebiet Eixen

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sowie der Untreue (§§ 161a, 162 DDR-StGB in der bis zum 30. Juni 1990 gültigen Fassung 3 ) einerseits durch Bezahlung von Urlaubsreisen der Familien Tisch, Mittag 4 und I. aus dem Verfugungsfonds des FDGB-Bundesvorsitzenden in 19 Fällen und andererseits durch Überweisung von 100 Mio. M an die FDJ zur Finanzierung des Nationalen Jugendfestivals 1984 aus dem Solidaritätsfonds des FDGB-Bundesvorstandes erhoben. Durch Beschluß des Stadtgerichts Berlin vom 29. Juni 1990 ist aufgrund dieser Anklage das Hauptverfahren gegen den Angeklagten vor dem Stadtgericht eröffnet worden. Mit dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland ist das Verfahren bei diesem Verfahrensstand gemäß Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 3 Maßgabe j des Einigungsvertrages auf das Landgericht Berlin und damit auf die Kammer als nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Spruchkörper übergegangen. Hinsichtlich des Vorwurfs des Vertrauensmißbrauchs hat die Kammer das Verfahren mit Beschluß vom 14. Februar 19915 (DtZ 1991, 217 ff.) abgetrennt und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt I Nr. 2 des Einigungsvertrages mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit er die Fortgeltung des § 10 S. 1 des 6. DDR-Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29. Juni 1990 (DDR-GB1.1 S. 526) 6 anordnet. 7 {5}

II. [Feststellungen zur Person] Der aus einfachen Verhältnissen stammende heute 64 Jahre alte Angeklagte besuchte von 1933 bis 1941 die Volksschule. Nach einer kurzen Tätigkeit als Hilfsarbeiter in einer Molkerei begann er im Oktober 1941 eine Lehre als Bauschlosser, die er mit Erfolg abschloß. Er wurde dann im April 1944 zum Militärdienst bei der Marine eingezogen und geriet in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er im November 1945 in seinen Geburtsort in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone fliehen konnte. Dort arbeitete er zunächst als Hilfsmaurer, bevor er schließlich eine Tätigkeit als Betriebsschlosser im Sägewerk Heinrichswalde aufnahm. Der Angeklagte engagierte sich in der gewerkschaftlichen Arbeit in seinem Betrieb und wurde zum Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaftsleitung gewählt. Nach einem Besuch der Kreisparteischule im Februar 1948, ab dem „man" sich nach Ansicht des Angeklagten „für ihn zu interessieren" begann, erlangte er im Juni 1948 die Funktion des Kreisjugendsekretärs des FDGB. 1949 wurde er zum FDGB Kreisvorsitzenden und bereits 1951 zum Landesvorsitzenden des FDGB Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Von 1953 bis 1955 studierte der Angeklagte an der Parteihochschule der SED. Sein Studium schloß er mit dem Titel eines Diplom-Gesellschaftswissenschaftlers ab. Nach Beendigung des Studiums wurde der Angeklagte zunächst als Wirtschaftssekretär der SED-Bezirksleitung Rostock eingesetzt, bevor er 1959 den Vorsitz des Rates des Bezirks Rostock übernahm. Im Juli 1961 wurde er schließlich zum 1. Sekretär der SEDBezirksleitung Rostock gewählt. Diese Funktion, aus der heraus er 1972 auch die Position eines Kandidaten des SED-Politbüros erlangte, übte der Angeklagte bis 1975 aus. Nach dem Tod des am 26. März 1975 verstorbenen früheren FDGB-Vorsitzenden Herbert Warnke befragte der damalige 1. Sekretär des Zentralkomitees der SED, Erich 64

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Honecker, den Angeklagten, ob er bereit sei, die Nachfolge des Verstorbenen zu übernehmen. Der Angeklagte, der bis dahin dem Bundesvorstand des FDGB nicht angehört hatte, erklärte seine {6} Bereitschaft und wurde nach einem entsprechenden Beschluß des Politbüros im Frühjahr 1975 zum Vorsitzenden des Bundesvorstandes des FDGB gewählt. Im Juni 1975 wurde der Angeklagte Vollmitglied des SED-Politbüros, 1976 Mitglied des Staatsrates der DDR. Er hatte diese Funktionen in Partei, Staat und Gewerkschaft inne, bis er sie im Herbst 1989 durch die politischen Veränderungen in der DDR verlor. Der Angeklagte heiratete 1949. Aus der Ehe sind drei mittlerweile erwachsene Kinder hervorgegangen. Es folgen Ausführungen zur Einkommenssituation und zum Vermögen des Angeklagten. Seine Ehefrau ist nicht berufstätig. Der Zugriff auf auf einem Sparbuch ruhende Vermögenswerte ist dem Angeklagten durch Beschlagnahmeentscheidung eines Untersuchungsausschusses der Volkskammer8 der ehemaligen DDR derzeit verwehrt. Der Angeklagte ist in dieser Sache erstmals am 3. Dezember 1989 aufgrund des Haftbefehls des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte vom selben Tage - Az.: HsC.: 443/89 - festgenommen worden. Er befand sich zunächst bis zum 21. Februar 1990 in Untersuchungshaft. An diesem Tage wurde er auf Anordnung des Generalstaatsanwaltes der DDR aus der Haft entlassen; der Haftbefehl wurde gemäß § 133 DDR-StPO9 durch das Stadtgericht Berlin am 28. Februar 1990 aufgehoben. Dasselbe Gericht erließ jedoch am 20. Juli 1990 erneut einen Haftbefehl gegen den Angeklagten - Az.: BS 4.90/111-13-90 - , der noch am selben Tage vollstreckt wurde. Aufgrund dieses Haftbefehls befand der Angeklagte sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft, bis er durch Beschluß der Kammer vom 16. Mai 1991 ab diesem Tage von deren weiterem Vollzug verschont wurde. {7} III.

[Sachverhaltsfeststellungen]

1. Der Angeklagte hatte durch seine Funktion als Vorsitzender des FDGB-Bundesvorstandes die Möglichkeit, alljährlich sowohl einen mehrwöchigen Sommerurlaub - in der Regel im Juli und August - als auch einen über den Jahreswechsel hinausreichenden Weihnachtsurlaub in Erholungseinrichtungen des FDGB-Bundesvorstandes zu verbringen und auch seinen Kindern Urlaubsaufenthalte zu ermöglichen. Hierzu gehörte insbesondere das 1980 eröffnete Kur- und Erholungsheim des FDGB-Bundesvorstandes in Graal-Müritz an der Ostsee, eine nur fuhrenden Funktionären und Mitarbeitern des FDGB und der Einzelgewerkschaften nach Zuweisung durch das Büro des Präsidiums des FDGB-Bundesvorstandes zugängliche Einrichtung, in der der Angeklagte regelmäßig Urlaub machte. Die im Kur und Erholungsheim Graal-Müritz und anderen Einrichtungen für die Urlaubsaufenthalte des Angeklagten oder seiner Angehörigen erstellten und von dem Angeklagten bzw. seinen Angehörigen zu bezahlenden Rechnungen wurden an das Büro des Präsidiums des FDGB-Bundesvorstandes gesandt. Im Falle des Kur- und Erholungsheimes Graal-Müritz hatte der Angeklagte dessen Leiter, den Zeugen Se., hierzu 1982 im Zusammenhang mit der Übernahme der Funktion der Leiterin des Büros des

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Präsidiums durch die Zeugin A. nochmals ausdrücklich mit dem Hinweis aufgefordert, die Rechnungen an die Zeugin A. zu senden. Die aus den Urlaubseinrichtungen im Büro des Präsidiums des FDGB-Bundesvorstandes eintreffenden Rechnungen wurden dem Angeklagten früher möglicherweise zur Begleichung ausgehändigt. Spätestens jedoch bei Eingang der Rechnung Nr. 36/85 des Gästehauses des Bundesvorstandes des FDGB in Heringsdorf vom 30. August 1985 über einen Urlaubsaufenthalt des Angeklagten vom 18. Juli bis zum 15. August 1985 entschloß der Angeklagte sich, diese und alle künftigen seine eigenen privaten Urlaubsaufenthalte sowie diejenigen seiner Kinder betreffenden Rechnungen nicht mehr selbst zu begleichen, sondern hiermit den für Repräsentationsaufgaben des Vorsitzenden eingerichteten und der Kontrolle durch die Zentrale Revisionskommission des FDGB nicht unterworfenen Verfügungsfonds (Konto {8} 402 des FDGB-Kontenrahmens) zu belasten, fur den er persönlich anweisungsbefugt war und dessen Zweck im Kontenrahmen wie folgt umschrieben wurde: „Konto 402 Verfiigungsfonds Darunter sind Ausgaben für repräsentative Verpflichtungen der Organisation im gesellschaftlichen Leben zu verstehen, wie - Präsente an Staatsfeiertagen, Gedenktagen und gesellschaftlichen Höhepunkten; - Kranz- und Blumenpräsente anläßlich nationaler und revolutionärer Feiertage und Gedenktage; - Repräsentationen anläßlich Beratungen, Empfängen und Zusammenkünften des Vorsitzenden des jeweiligen Vorstandes mit Angehörigen hervorragender Arbeitskollektive, der Intelligenz, des öffentlichen Lebens u. dgl. Die Ausgaben aus diesem Konto sind vom Vorsitzenden zur Zahlung anzuweisen. Ausgaben für Funktionäre und Mitarbeiter der Vorstände dürfen hieraus nicht finanziert werden." Hierbei war dem Angeklagten bewußt, daß die seine privaten Urlaubsaufenthalte und diejenigen seiner Angehörigen betreffenden Rechnungen oder Teilrechnungen aus dem Verfiigungsfonds wegen dessen Zweckbindung nicht beglichen werden durften. Dennoch wies der Angeklagte die ihm unmittelbar unterstellte Zeugin A. an, die seinen privaten Urlaubsaufenthalt betreffende Rechnung Nr. 36/85 des Gästehauses Heringsdorf über 7.108,28 M aus dem Verfügungsfonds zu begleichen, was die Zeugin weisungsgemäß durch Verbuchung über das beim FDGB-Bundesvorstand fur den Zahlungsverkehr mit haushaltsgestützten Einrichtungen bestehende Verrechungskonto 29 {9} tat. Der Zeugin A. war auf Wunsch des Angeklagten ebenso wie ihrem Stellvertreter, dem Zeugen G., Alleinzeichnungsbefugnis für den Verfiigungsfonds eingeräumt worden, von der sie bei regelmäßig wiederkehrenden, typischerweise aus dem Verfügungsfonds zu bezahlenden Anlässen ohne besondere Rücksprache, ansonsten aber nur nach entsprechender Weisung des Angeklagten Gebrauch machen konnten. Der Angeklagte wies die Zeugin A. außerdem zugleich an, auch mit den zukünftig beim Büro des Präsidiums eintreffenden Urlaubsrechnungen in gleicher Weise zu verfahren und sie aus dem Verfiigungsfonds zu begleichen. Dieser Weisung folgend beglich die Zeugin auch in den Folgejahren bei ihr als Leiterin des Büros des Präsidiums eingehende Urlaubsrechnungen über Aufenthalte des Angeklagten und seiner Angehörigen durch Verrechnung über das Konto 29, wobei sie den Angeklagten möglicherweise teilweise nicht über Eingang und Höhe der einzelnen

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Rechnungen informierte. Diesem war jedoch aufgrund seiner vorherigen Urlaubsaufenthalte jeweils bekannt, daß eine Rechnung an das Büro des Präsidiums gesandt werden würde, die entsprechend seiner Weisung aus dem Verfügungsfonds bezahlt werden sollte. Im einzelnen wurden auf diese Weise folgende weitere Rechnungen beglichen: - Rechnungen Nr. 285/86 und 286/86 des Kur- und Erholungsheimes Graal-Müritz vom 20. August 1986 über 1.371,63 M bzw. 752,47 M fur einen Aufenthalt des Angeklagten und seiner Tochter Monika I. mit Familie vom 16. Juli bis zum 15. August 1986; - Rechnung Nr. 46/87 derselben Einrichtung vom 2. Februar 1987 über 2.902,46 M für einen Aufenthalt des Angeklagten vom 18. Dezember 1986 bis zum 4. Januar 1987; {10} - Rechnungen Nr. 37/87 und 38/87 des Gästehauses Heringsdorf vom 18. August 1987 über 293,05 M bzw. 1.308,99 M fur einen Aufenthalt der Familie I. vom 6. Juli bis zum 1. August 1987; - Rechnung Nr. 356/87 des Kur- und Erholungsheimes Graal-Müritz vom 9. September 1987 über 815,44 M für Dienstleistungen bzw. Lieferungen an den Angeklagten während dessen Aufenthalt in dem von ihm genutzten Ferienhaus in Dierhagen vom 12. Juli bis zum 11. August 1987; - Rechnung Nr. 55/88 derselben Einrichtung vom 27. Januar 1988 über 2.478,01 M für einen Aufenthalt des Angeklagten vom 23. Dezember 1987 bis zum 3. Januar 1988, wobei diese Rechnung durch den Zeugen G., dem die Praxis bei den Angeklagten betreffenden Rechnungen bekannt war, zur Bezahlung angewiesen wurde; - Rechnung Nr. 398/88 derselben Einrichtung vom 8. September 1988 über 2.569,77 M fur einen Aufenthalt des Angeklagten vom 22. Juli bis zum 14. August 1988; - Rechnung Nr. 388/89 derselben Einrichtung vom 22. August 1989, die neben anderen Positionen Teilbeträge von 322,48 M fur gegenüber dem Angeklagten während eines Aufenthalts in Dierhagen vom 14. bis zum 29. Juli 1989 erbrachte Leistungen, von insgesamt 785,05 M für einen Aufenthalt des Angeklagten in dem Kur- und Erholungsheim selbst vom 29. Juli bis zum 12. August 1989 sowie von 209,64 M für einen Aufenthalt der Familie I. enthielt. Insgesamt wurden mithin in der Zeit von 1985 bis 1989 auf die geschilderte Weise zehn private Urlaubsaufenthalte betreffende Rechnungen über insgesamt 20.917,27 M aus dem Verfiigungsfonds des FDGB-Bundesvorsitzenden beglichen. {11} 2. Der Zeuge Dr. Mittag, wie der Angeklagte seinerzeit Mitglied des Politbüros der SED und als Sekretär des Zentralkomitees der SED für Gewerkschaftsfragen zuständig, verlor im Herbst 1984 durch eine aufgrund einer Stoffwechselerkrankung erforderlich gewordene Amputation ein Bein. Nach der Operation und seiner Rückkehr an seinen Arbeitsplatz war sein Gesundheitszustand während einer Politbürositzung Gegenstand eines Gespräches zwischen ihm und dem damaligen SED-Generalsekretär Honecker, in dessen Verlauf dieser erklärte, er habe mit den Ärzten des Zeugen Dr. Mittag gesprochen und diese hätten geraten, der Zeuge möge auch seinen Jahresurlaub für eine Kur nützen. Im Anschluß an diese Politbürositzung bot der Angeklagte dem Zeugen an, eine Kur im Kur- und Erholungsheim des FDGB-Bundesvorstandes in Graal-Müritz zu ma-

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chen, dessen Einrichtungen hierfür geeignet seien. Der Zeuge solle nur rechtzeitig mitteilen, wann er nach Graal-Müritz gehen wolle, damit entsprechend geplant werden könne. Nach Besprechungen mit seinen Ärzten, bei denen auch verschiedene andere Kurorte im In- und Ausland erörtert wurden, teilte der Zeuge Dr. Mittag dem Angeklagten mit, daß er sein Angebot annehme. Im Sommer 1985 hielt der Zeuge sich dann erstmals im Kur- und Erholungsheim des FDGB-Bundesvorstandes in Graal-Müritz auf. Im folgenden Jahr fragte der Zeuge Dr. Mittag erneut bei dem Angeklagten an, ob dieser ihm wiederum einen Kuraufenthalt in Graal-Müritz ermöglichen könne. Der Angeklagte sagte dies zu. Er wies außerdem die Zeugin A. an, die anfallenden Kosten aus dem Verfügungsfonds zu begleichen und den Zeugen als Gast des FDGB-Bundesvorstandes zu behandeln. Dem Angeklagten war hierbei bereits aus dem Vorjahr bekannt, daß der Zeuge Dr. Mittag mit einer größeren Zahl von Familienangehörigen und anderen Begleitpersonen Aufenthalt nehmen und deshalb ein erheblicher Rechnungsbetrag entstehen würde. Ihm war auch bewußt, daß die Bezahlung derartiger Kuraufenthalte des Zeugen Dr. Mittag und seiner Begleitung aus dem Verfügungsfonds nicht mit dessen sich aus dem Kontenrahmen ergebender Zweckbestimmung übereinstimmte und die Mittel hierfür nicht verwandt werden durften. {12} In gleicher Weise vereinbarte der Angeklagte auch jeweils in den Jahren 1987, 1988 und 1989 mit dem Zeugen Dr. Mittag auf dessen Anfrage hin erneut, daß er in dem Kurund Erholungsheim Graal-Müritz Aufenthalt nehmen und die dortigen Kureinrichtungen zur Rehabilitationsbehandlung nutzen könnte. Er wies die Zeugin A. auch jeweils vor dem Kurantritt des Zeugen Dr. Mittag wiederum an, daß dieser als Gast des FDGBBundesvorstandes zu behandeln und seine Rechnung aus dem Verfügungsfonds zu begleichen sei. Entsprechend den Anweisungen des Angeklagten beglich die Zeugin A. die folgenden Rechnungen des Kur- und Erholungsheimes Graal-Müritz über die Kuraufenthalte des Zeugen Dr. Mittag auf dieselbe Weise wie die privaten Urlaubsrechnungen des Angeklagten durch Verrechnung über das Konto 29: - Rechnung Nr. 284/86 vom 20. August 1986 über 11.190,47 M für einen des Zeugen vom 9. Juli bis zum 1. August 1986; - Rechnung Nr. 337/87 vom 27. August 1981 über 15.194,48 M für einen des Zeugen (15 Personen) vom 6. bis zum 30. Juli 1987; - Rechnung Nr. 396/88 vom 8. September 1988 über 17.615,38 M für einen des Zeugen (14 Personen) vom 9. bis zum 31. Juli 1988: - Rechnung Nr. 376/89 vom 15. August 1989 über 12.251,25 M für einen des Zeugen (13 Personen) vom 9. bis zum 30. Juli 1989.

Aufenthalt Aufenthalt Aufenthalt Aufenthalt

Insgesamt wurden in den Jahren 1986 bis 1989 auf diese Weise Kosten der Kuraufenthalte in Höhe von 56.551,58 M aus dem Verfügungsfonds beglichen {13} IV. [Beweiswürdigung] 1. Der Angeklagte hat die Tatsache der Bezahlung seiner privaten Urlaubsrechnungen aus dem Verfügungsfonds, der nach den glaubhaften Bekundungen der früheren Vorsitzenden der Zentralen Revisionskommission des FDGB, der Zeugin Bo., wie auch andere

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Verfügungsfonds nicht der Revisionskontrolle unterworfen war, nicht in Abrede gestellt und auch eingeräumt, daß diese Mittel dafür nicht hätten verwendet werden dürfen. Er hat sich jedoch dahingehend eingelassen, hiervon erst im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung nach seiner Inhaftierung erfahren zu haben. Bis dahin sei ihm wohl wegen der Belastung durch seine Funktionen nicht aufgefallen, daß abweichend von der von ihm - insoweit unwiderlegt - geschilderten früheren Praxis, ihm die Rechnungen auszuhändigen, diese nicht mehr in seinen Besitz gelangt seien und daher auch nicht von ihm hätten bezahlt werden können. Diese Einlassung des Angeklagten wird durch das Ergebnis der Beweisaufnahme als bloße Schutzbehauptung widerlegt. Die Zeugin A. hat abgestritten, ohne eine entsprechende Weisung des Angeklagten aus eigenem Antrieb dessen Urlaubsrechnungen aus dem Verfügungsfonds beglichen zu haben. Sie sei vielmehr immer - oder doch zumindest in den meisten Fällen - bei Eingang der Rechnungen zu dem Angeklagten gegangen, der sie dann jeweils angewiesen habe, diese aus den Mitteln des Verfügungsfonds zu bezahlen. Diese Angaben der Zeugin sind jedenfalls in ihrem Kern glaubhaft. Die Kammer verkennt hierbei nicht, daß die Zeugin Veranlassung haben kann, eine etwa bestehende eigene Verantwortung zu leugnen. So hat sie auch von sich selbst und ihrer Art der Funktionsausübung das Bild einer weitgehend unselbständigen und politisch einflußlosen Hilfskraft gezeichnet, während sie von den Zeugen G., Sch. und S. sowie einem Teil der als Zeugen gehörten Sekretäre des FDGB-Bundesvorstandes als dominant, einflußreich und dem Angeklagten nahestehend geschildert wurde. Es ist jedoch andererseits nicht erkennbar, welches Interesse die Zeugin A. gehabt haben sollte, den Angeklagten ohne eine entsprechende {14} Anordnung von Urlaubskosten freizuhalten. Die Zeugin hat wie alle anderen führenden Funktionäre des FDGB mit Ausnahme des Angeklagten ihre regelmäßigen Urlaube in Graal-Müritz selbst bezahlt. Dies wird nicht nur durch die Angaben der Zeugin A. selbst und der Sekretäre des FDGB-Bundesvorstandes, die ebenfalls in Graal-Müritz Urlaub machten, sondern auch durch die Bekundung des Zeugen Se. bestätigt, wonach außer bei dem Angeklagten, dem Zeugen Dr. Mittag und ausländischen Delegationen die Rechnungen dem Gast persönlich ausgehändigt oder geschickt und entweder noch im Kur- und Erholungsheim oder per Überweisung oder Einzahlung bei der gewerkschaftlichen Hauptkasse bezahlt wurden. Die Zeugin A. hätte zudem - wäre sie wirklich eigenmächtig ohne und gegen den Willen des Angeklagten tätig geworden - immerhin damit rechnen müssen, daß ihr Fehlverhalten durch den Angeklagten selbst aufgedeckt und sie zur Verantwortung gezogen worden wäre. Daß die Zeugin aus unerfindlichen Gründen ein solches Wagnis eingegangen sein soll, ist unwahrscheinlich. Zudem ist es auch völlig unglaubhaft, daß der Angeklagte über Jahre hinweg nicht bemerkt haben will, daß er seine Jahresurlaube nicht mehr bezahlt hat. Auch unter Berücksichtigung des für DDR-Verhältnisse hohen Einkommens des Angeklagten waren seine Urlaubskosten schließlich keineswegs gering. Hingegen vermochte die Kammer der Zeugin insoweit nicht zu folgen, als sie bekundet hat, sie habe den Angeklagten in der Regel vom Eingang der Rechnungen informiert und dieser habe ihr jeweils einzeln die Weisung erteilt, seine Urlaubsrechnungen zu begleichen. Da die Zeugin andererseits erklärte, diese Vorgehensweise in Anbetracht der Position des Angeklagten in irgendeiner Form auch als zulässig angesehen zu haben,

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hätte sie keine Veranlassung gehabt, in jedem Falle nachzufragen. Zudem hat der Zeuge G., der während einer Abwesenheit der Zeugin A. als deren Vertreter die Rechnung Nr. 55/88 aus Graal-Müritz zur Bezahlung angewiesen hat, glaubhaft bekundet, dies ohne Rücksprache mit dem Angeklagten getan zu haben, da ihm die Praxis der Begleichung aus dem Verfügungsfonds bekannt gewesen sei. Die Kammer geht daher davon aus, daß die Zeugin ihr eigenes Handeln herunterspielen wollte und möglicherweise den Angeklagten im Rahmen von Gesprächen auch über den Rechnungseingang informierte, diesem jedoch nicht generell alle Rechnungen vorlegte. {15} Während bei den Rechnungen des Gästehauses Heringsdorf der Leistungsempfänger aus dem Rechnungstext bzw. dem Adressaten der Rechnung ersichtlich war, konnten die nur auf „Gäste des Bundesvorstandes" ausgestellten Rechnungen des Kur- und Erholungsheims Graal-Müritz aufgrund der Bekundungen der Zeugen Se. und O., zugeordnet werden. Die Zeugen haben glaubhaft bekundet, daß die Formulierung „Gäste des Bundesvorstandes" nur bei den Rechnungen für die Urlaubsaufenthalte des Angeklagten und seiner Angehörigen, für die Aufenthalte des Zeugen Dr. Mittag sowie für ausländische Delegationen verwandt wurde, wobei bei den letzteren durch einen Zusatz deren Herkunftsland oder andere Identifikationsmerkmale angegeben wurden. Da derartige Merkmale bei den gemäß § 249 Abs. 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführten Rechnungen fehlen, konnten die Zeugen bei deren Vorlage an sie ausschließen, daß sich die den Gegenstand der Anklage bildenden Rechnungen auf ausländische Delegationen bezogen. Die in den Rechnungen aufgeführten Aufenthaltszeiten korrespondieren zudem nach den Bekundungen dieser Zeugen und auch der Zeugin A. mit den üblichen Urlaubszeiten des Angeklagten. Die die Aufenthalte des Zeugen Dr. Mittag betreffenden Rechnungen konnten von den Zeugen aufgrund ihrer sie von den anderen Rechnungen deutlich abhebenden Höhe und der aufgeführten Personenzahl identifiziert werden. Die Zeugen Se. und O. haben weiter glaubhaft bekundet, daß bei den Aufenthalten des Angeklagten und seiner Angehörigen jeweils Tagesrechnungen erstellt wurden, aus denen die genauen Leistungen hervorgingen und aus denen auch zu ersehen war, ob diese für den Angeklagten selbst, für seine Kinder, für die Bewirtung von Gästen oder für seinen Personenschutz erbracht wurden. Die Endrechnungen seien dann entsprechend differenziert formuliert und unter Beifügung der einzelnen Tagesrechnungen an das Büro des Präsidiums gesandt worden. Dies wird auch von der Zeugin Sch., einer ehemaligen Mitarbeiterin im Büro des Präsidiums bestätigt, die bekundet hat, im Jahre 1989 zwei Rechnungen mit beigefügten Tagesrechnungen gesehen zu haben. Anhand von Formulierungen wie „Technik" und „Veranstaltungen" sowie von ihm auf den Rechnungen angebrachten Namenskürzeln konnte der Zeuge Se. die auf den Personenschutz und die Bewirtung von Gästen des Angeklagten entfallenden Rechnungen bzw. Rechnungsteile ausscheiden (s. hierzu auch unten {16} VII.l.), so daß zur Überzeugung der Kammer feststeht, daß die in den Feststellungen genannten Rechnungen sich ausschließlich auf Leistungen beziehen, die für den privaten Urlaubsaufenthalt des Angeklagten und seiner Angehörigen erbracht wurden. 2. Hinsichtlich der vier durch die Zeugen Α., Se. und G. aufgrund der außergewöhnlich hohen Rechnungssumme und der Personenzahl sowie der Aufenthaltszeit den Kuraufenthalten des Zeugen Dr. Mittag zugeordneten Rechnungen hat der Angeklagte eingeräumt, deren Begleichung aus dem Verfügungsfonds angeordnet zu haben. Seine

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Einlassung stimmt insoweit mit der Aussage der Zeugin A. und auch mit den Bekundungen des Zeugen Se. überein, der angegeben hat, daß der Angeklagte den Zeugen Dr. Mittag ihm gegenüber bereits vor dessen erstem Aufenthalt als Gast des Bundesvorstandes bezeichnet hatte. Der Angeklagte will hierbei jedoch der Ansicht gewesen sein, daß die Mittel des Verfugungsfonds hierfür hätten verwendet werden dürfen, da es sich bei dem Zeugen Dr. Mittag um eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gehandelt habe, deren Bewirtung vom Zweck des Fonds umfaßt werde. Dies sei neben dem schlechten Gesundheitszustand des Zeugen der Grund seiner Entscheidung gewesen. Diese vom Angeklagte in der Hauptverhandlung vorgetragene Auffassung ist zunächst objektiv falsch. Nach dem eindeutigen Wortlaut des FDGB-Kontenrahmens sollte der Verfugungsfonds zur Bezahlung von Aktivitäten zur Darstellung der Organisation nach außen und von dem Vorsitzenden der jeweiligen Organisationsgliederung aus seiner Stellung erwachsenden Repräsentationsverpflichtungen dienen. Die im Kontenrahmen enthaltene Aufzählung ist zwar ersichtlich nicht abschließend, sondern zählt nur beispielhaft die wesentlichen derartigen Anlässe auf, für deren Finanzierung der Fonds verwandt werden konnte. Erkennbar war der Verfugungsfonds aber andererseits nicht zur schenkweisen Bezahlung von Urlaubsaufenthalten hoher Funktionäre anderer Organisationen bestimmt, wie auch dadurch deutlich wird daß der von dem Angeklagten benutzte Be-{17}griff der Persönlichkeit „des öffentlichen Lebens" im Text des Verfugungsfonds lediglich im Zusammenhang mit „Repräsentationen anläßlich Beratungen, Empfängen und Zusammenkünften" bei der Begegnung mit solchen Personen erscheint. Hierunter kann zwar ein - je nach Bedeutung des Anlasses auch höherer Bewirtungsaufwand, nicht aber die Bezahlung einer Urlaubs- oder Kurreise verstanden werden. Solche Zahlungen haben mit der Außendarstellung des FDGB in dem von der Regelung des Kontenrahmens umschriebenen Sinne nichts zu tun. Dem Angeklagten war dies entgegen seiner in der Hauptverhandlung gegebenen Begründung für die Finanzierung der Aufenthalte des Zeugen Dr. Mittag auch bewußt. Seine jetzige Argumentation soll allein einer nachträglichen Rechtfertigung dienen. Es erscheint nicht glaubhaft, daß der Angeklagte sich als führender Funktionär des FDGB über die insoweit eindeutige Regelung des Kontenrahmens nicht im klaren gewesen sein sollte. Letztlich wurde auch schon in der Art, wie der Angeklagte seine damalige Motivation schilderte, deutlich, daß es sich bei seiner Begründung um eine Schutzbehauptung handelt. Während er in seiner Einlassung lebhaft und eindringlich den schlechten Gesundheitszustand des Zeugen Dr. Mittag darlegte, der einer Kur dringend bedurft hätte, führte er anschließend nach einem kurzen Zögern unvermittelt, ohne besondere Betonung und ohne Überzeugungskraft noch dessen Funktion an, als ob ihm dieses Argument wider sein besseres Wissen von Dritten eingegeben und von ihm fast vergessen worden wäre. Der Umstand, daß der Angeklagte auch bei anderen, von der Verteidigung angeführten und durch Zeugen bestätigten Gelegenheiten die Mittel des Verfugungsfonds für Zwecke eingesetzt hat, die von dessen Wortlaut nicht gedeckt waren so z.B. für die Renovierung des Sportplatzes der Warnke-Oberschule in Graal-Müritz - , vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Er belegt allenfalls, daß der Angeklagte von diesen Mitteln in selbstherrlicher Weise großzügig Gebrauch gemacht hat, rechtfertigt sein Verhalten jedoch nicht. Die Staatsanwaltschaft wird vielmehr diesbezüglich

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ebenso wie hinsichtlich des ersten Aufenthaltes des Zeugen Dr. Mittag in Graal-Müritz im Jahre 1985 Veranlassung zu der Prüfung haben, ob nicht auch insoweit ein genügender Verdacht zur Aufnahme von Ermittlungen besteht. {18} Das weitere von der Verteidigung des Angeklagten vorgetragene Argument, die Bezahlung der Rechnungen aus dem Verfügungsfonds des FDGB-Vorsitzenden sei auch deshalb nicht zu beanstanden, weil diese anderenfalls durch die Sozialversicherung und mithin ebenfalls durch den FDGB als deren Träger zu begleichen gewesen wären, verkennt die rechtliche und tatsächliche Situation der Sozialversicherung in der ehemaligen DDR und geht deshalb ins Leere. Abgesehen davon, daß der Sozialversicherungsanspruch kaum den Aufenthalt der gesamten Familie des Zeugen Dr. Mittag umfaßt hätte - weshalb auch dessen unter Eid gemachte Aussage, von einer Bezahlung durch die Sozialversicherung ausgegangen zu sein, unglaubhaft ist - , waren die Finanzmittel des FDGB und der Sozialversicherung auch keineswegs „ein einziger Topf'. Zwar leiteten nach Art. 45 Abs. 3 der DDR-Verfassung die Gewerkschaften die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten. Nach § 274 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuches der DDR wurde diese Leitung durch den FDGB ausgeübt. Die eigentliche Versicherungstätigkeit wurde jedoch gemäß § 276 des Arbeitsgesetzbuches durch die Verwaltung der Sozialversicherung des FDGB im Auftrag der regionalen FDGB-Organe durchgeführt. Die Verwaltung der Sozialversicherung des FDGB war gemäß § 103 Abs. 4 der DDRVerordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten eine eigenständige juristische Person. Die Trennung der Kassen des FDGB als Organisation einerseits und der von ihm geleiteten Sozialversicherung andererseits wird auch durch die unterschiedlichen Finanzquellen deutlich, aus denen sie gespeist wurden. Während nach § 279 Abs. 2 des Arbeitsgesetzbuches der DDR die Ausgaben der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten durch den Staat, Beiträge der Betriebe und Beiträge der Werktätigen - in dieser Reihenfolge aufgeführt - finanziert wurden, nennen Satzung und Finanzrichtlinie des FDGB weder Staat noch Betriebe als Quelle der finanziellen Mittel der Gewerkschaften. Die durch die juristische Eigenständigkeit der Sozialversicherung praktizierte rechnerische Trennung war auch schon von daher geboten. Daß dem Angeklagten als Vorsitzendem des FDGB dies alles bekannt war, bedarf keiner näheren Erörterung. {19}

V. [Rechtliche

Würdigung]

Nach den somit getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte sich der Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums (§ 161a Abs. 1 DDR-StGB in der bis zum 30. Juni 1990 gültigen Fassung des 3., 4. und 5. Strafrechtsänderungsgesetzes) in 14 Fällen schuldig gemacht, indem er die ihm aufgrund seiner Funktion als gewählter Vorsitzender des FDGB-Bundesvorstandes eingeräumte und durch die Bestimmung des FDGBKontenrahmens über den Verfügungsfonds näher konkretisierte Befugnis, durch Anweisungen über das in diesen Fonds eingestellte Vermögen des FDGB - als Vermögen einer Massenorganisation sozialistisches Eigentum i.S.d. § 157 Abs. 1 a.F. DDR-StGB10 zu verfügen, entgegen dessen Zweckbestimmung dazu mißbrauchte, die bezeichneten 14 Rechnungen über eigene Urlaubsaufenthalte, diejenigen der Familie I. und die Kuraufenthalte des Zeugen Dr. Mittag aus diesen Mitteln bezahlen zu lassen. Er hat hier72

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durch sich und anderen Vermögensvorteile zum Schaden des Vermögens des FDGB verschafft. Die einzelnen Taten stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 63 Abs. 2 DDR-StGB). Das Verhalten des Angeklagten erfüllt auch den Tatbestand des vom 1. Juli 1990 bis zum Beitritt der DDR geltenden § 163, 1. Alt. DDR-StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes" und damit zugleich den seit dem 3. Oktober 1990 auch im Beitrittsgebiet geltenden, mit Ausnahme der Rechtsfolgen mit § 163, 1. Alt. n.F. DDRStGB identischen Tatbestand des § 266 Abs. 1,1. Alt. StGB12. Auch im Sinne dieser Vorschriften hat der Angeklagte die ihm aufgrund seiner Wahlfimktion vertraglich eingeräumte und durch die Regelung des Kontenrahmens über den Verfügungsfonds konkretisierte Befugnis, über das Vermögen des FDGB zu verfügen, durch die Anweisung der Begleichung der 14 Rechnungen über die Urlaubs- und Kuraufenthalte mißbraucht und hierdurch dem FDGB Nachteil zugefügt. Der Einordnung unter den sog. „Mißbrauchstatbestand" der Untreue steht nicht entgegen, daß der Angeklagte die unmittelbare technische Anweisung des Betrages aus dem Verfügungsfonds nicht selbst vorgenommen, sondern dies der Zeugin A. übertragen hat. Die Verfügungsgewalt der Zeugin ist lediglich aus deqenigen des Angeklagten abgeleitet und wurde von ihr entsprechend seiner Weisung ausgeübt. {20} Die tatbestandlich erforderliche besondere Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten ergibt sich aus seiner herausgehobenen verantwortlichen Position. Während die einzelnen Taten jedoch nach § 63 Abs. 2 DDR-StGB auch unter dem 6. Strafrechtsänderungsgesetz rechtlich weiterhin als zueinander in Tatmehrheit stehend anzusehen sind, ist bei der rechtlichen Würdigung unter dem Gesichtspunkt des jetzt geltenden Strafrechts zu berücksichtigen, daß die sich auf die in Punkt III.l. aufgeführten 10 Rechnungen beziehenden Taten nach den getroffenen Feststellungen auf einem einzigen 1986 getroffenen Tatentschluß beruhen. Sie sind daher als eine einzige - der DDR-Strafrechtsdogmatik unbekannte - fortgesetzte Tat nach § 266 Abs. 1, 1. Alt. StGB anzusehen. Die vier selbständigen, jeweils auf neuen Entschlüssen beruhenden Taten zugunsten des Zeugen Dr. Mittag stehen hierzu und untereinander in Tatmehrheit (§ 53 StGB). Da die genannten Strafvorschriften (§ 161a a.F. DDR-StGB, § 163 n.F. DDR-StGB, § 266 StGB) in ihrem Kern dasselbe Rechtsgut gegen identische Angriffsformen schützen, stehen die Gesetzesänderungen zwischen Tatbegehung und Verurteilung einem Schuldspruch nicht entgegen. Die Taten des Angeklagten waren seit ihrer Begehung ununterbrochen strafbewehrt. Entgegen der Ansicht der Verteidigung kann auch der Umstand, daß § 161a a.F. DDR-StGB sich nur auf das im Rahmen der Herstellung der Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion zwischen beiden deutschen Staaten zum 1. Juli 1990 als Rechtsform beseitigte sozialistische Eigentum, nicht aber auf das durch § 182 a.F. DDR-StGB 13 gegen Untreue geschützte persönliche und private Eigentum bezog, nicht zu der Schlußfolgerung führen, daß durch die Regelung des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes die Strafbestimmung des § 161a a.F. DDR-StGB ersatzlos gestrichen werden sollte. § 161a a.F. DDR-StGB war keineswegs per se ein Ausdruck sozialistischen Unrechts. Die Regelung beruhte allerdings auf der ideologisch begründeten Aufspaltung des einheitlichen Eigentumsbegriffs, wie er der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland

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zugrundeliegt, in verschiedene Eigentumsarten, von denen das sozialistische Eigentum von Verfassungs wegen einem besonderen Schutz unterlag (Art. 10 Abs. 2 DDR-Verfassung 14 ); dieser spiegelte sich in der unterschiedlichen Strafdro-{21}hung der §§ 161a und 182 a.F. DDR-StGB wider. Die Aufspaltung des Eigentumsbegriffs schuf jedoch keine besondere neue Eigentumsart, die allein der Rechtsordnung der DDR typisch und eine Verkörperung sozialistischen Unrechts gewesen wäre. Es wurde lediglich in Abhängigkeit von der Person des Rechtsträgers dessen Eigentum in besonderer Weise qualifiziert. Das in der ehemaligen DDR als sozialistisches Eigentum bezeichnete Rechtsgut war und ist als Eigentum der öffentlichen Hand nach Bundesrecht im selben Umfang geschützt (Kammergericht in ständiger Rechtsprechung, zuletzt Beschluß vom 23. März 1989 - RHE AR 38-39/89 - 4 Ws 51/89 - ; vgl. auch BGH NJ 1991, 273 sowie Kammergericht, Beschlüsse vom 19. November 1990 - (4) 2 Js 6/90 - HEs - (119/90) 15 - und vom 26. November 1990 - (3) 2 Js 3/90 HEs (30/90) - 3 Ws 295/90 - ) . Die Aufhebung der Differenzierung der Eigentumsarten bei der Schaffung der Voraussetzungen für die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion durch den DDR-Gesetzgeber führte zwar zur Beseitigung des sozialistischen Eigentums als Rechtsinstitut, nicht jedoch zur Beseitigung der faktisch unverändert vorhandenen, in ihrer rechtlichen Zuordnung zu bestimmten Rechtsträgern fortdauernden und in ihrer Existenz und Zuordnung nach wie vor schützenswerten und geschützten Vermögenswerte als solcher.

VI. [Strafzumessung] Bei der Strafzumessung war unter Berücksichtigung des Gebotes der rückwirkenden Anwendung des mildesten Gesetzes (§ 2 Abs. 3 StGB, Art. 315 Abs. 1 S. 1 EGStGB) von dem Strafrahmen des § 266 Abs. 1 StGB auszugehen, der die Verhängung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder von Geldstrafe vorsieht. Dementsprechend war auch der Schuldspruch auf der Grundlage des nunmehr geltenden milderen Rechts zu treffen. Die zur Tatzeit geltende Regelung des § 161a a.F. DDR-StGB stellt sich demgegenüber als eine strengere Regelung dar, da der für die Bildung der Hauptstrafe nach § 64 DDR-StGB heranzuziehende Strafrahmen jedenfalls im Hinblick auf die Taten zugunsten des Zeugen Dr. Mittag dem § 162 Abs. 1 Nr. 1 a.F. DDR-StGB zu entnehmen wäre, der in der seit dem 1. Juli 1989 geltenden Fassung des 5. Strafrechtsänderungsgesetzes die {22} Verhängung von Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren ermöglichte, während zuvor sogar eine Mindeststrafe von zwei Jahren vorgesehen war. Die dem Angeklagten vorzuwerfenden Taten haben insoweit eine schwere Schädigung des sozialistischen Eigentums im Sinne der genannten Vorschrift verursacht. Eine solche einen schweren Fall der Untreue mit der bezeichneten erhöhten Strafdrohung begründende Schädigung liegt in der Regel bereits ab einem Schaden von 10.000,— M vor (vgl. Kommentar zum Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, 4. Aufl. Berlin [Ost] 1984, Anm. 2 zu § 162), der bei der Finanzierung der Kuraufenthalte des Zeugen Dr. Mittag mehrfach deutlich überschritten wurde. Dementsprechend wurden in der ehemaligen DDR bei einem Schadensumfang, wie er dem Angeklagten zur Last zu legen ist, regelmäßig mehrjährige Freiheitsstrafen verhängt.

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In gleicher Weise sind diese Taten auch ein schwerer Fall der Untreue im Sinne des mit derselben Strafdrohung versehenen § 164 Abs. 1 Nr. 1 DDR-StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes16, so daß diese Bestimmung nicht als ein milderes Zwischengesetz angesehen werden kann. Der Gesetzgeber des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes hat insoweit den Wortlaut des § 162 Abs. 1 Nr. 1 a.F. DDR-StGB ersichtlich lediglich im Hinblick auf den Wegfall des sozialistischen Eigentums redaktionell dahin überarbeitet, daß einen schweren Fall der Untreue begeht, wer „eine schwere Vermögensschädigung verursacht". In Anbetracht der Beibehaltung der auch in § 161a a.F. DDR-StGB vorgesehenen niedrigen Höchststrafe von zwei Jahren für den normalen Fall der Untreue in § 163 n.F. DDR-StGB ist nicht davon auszugehen, daß die Bestimmung des § 164 Abs. 1 Nr. 1 n.F. DDR-StGB durch die Änderung der Formulierung einen anderen Sinngehalt bekommen sollte (so anscheinend auch BGH NJ 1991, 273). Demgegenüber liegen die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls der Untreue nach § 266 Abs. 2 StGB nicht vor, so daß von dessen für den Angeklagten günstigerem Regelstrafrahmen auszugehen ist. Bei der Strafzumessung im einzelnen war hinsichtlich aller Taten zugunsten des Angeklagten sein Alter und seine bisherige Unbestraftheit zu berücksichtigen. Seine von der Verteidigung mehrfach als Geständnis {23} bezeichnete Einlassung zu seinen eigenen Urlaubsreisen konnte demgegenüber nicht für ihn sprechen, da er in ihr die seine strafrechtliche Verantwortung begründenden Tatsachen, nämlich sein Wissen um die Zahlungen und seine entsprechende Anordnung, gerade in Abrede gestellt hat. Hingegen war zu berücksichtigen, daß er bezüglich der Kuraufenthalte des Zeugen Dr. Mittag das äußere Tatgeschehen im wesentlichen eingeräumt hat. Hinsichtlich dieser Aufenthalte war ferner zu seinen Gunsten zu werten, daß er hieraus selbst keinen unmittelbaren Vorteil erlangt hat. Gegen den Angeklagten spricht jedoch der erhebliche Schaden. Bei dessen Bewertung konnte nicht von dem damaligen Kurswert der Währung der DDR auf dem Devisenmarkt ausgegangen werden. Vielmehr waren die konkret erlangten Gegenleistungen zu betrachten. Hierbei war zu berücksichtigen, daß es sich bei den empfangenen Bewirtungsleistungen um bekanntermaßen in erheblichem Umfange gestützte und subventionierte Leistungen handelte. Zwar wäre der Subventionsaufwand bei privater Bezahlung in gleicher Weise angefallen, so daß die Schadenssumme hierdurch nicht erhöht wird. Für die Bestimmung des Wertes der empfangenen Leistungen kann er jedoch nicht außer acht bleiben. Auch unter Berücksichtigung der in der ehemaligen DDR üblichen niedrigen Preise für Nahrungsmittel und Wohnung stellen die fast 80.000,-- M einen erheblichen Betrag dar. Bezüglich der Urlaubsreisen des Angeklagten und seiner Familie fiel schließlich auch der Aspekt ins Gewicht, daß der Angeklagte, der die privilegierte Möglichkeit häufiger Urlaube hatte und diese offenbar auch seinen Angehörigen ermöglichen konnte, zusätzlich seine Position dazu mißbraucht hat, diese Urlaube nicht einmal mehr selbst zu bezahlen. Unter Abwägung aller Umstände erschienen für die vier Taten zugunsten des Zeugen Dr. Mittag Einzelfreiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten und für die fortgesetzte Untreue durch Bezahlung eigener Urlaubsreisen eine Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten angemessen. Aus diesen Einzelstrafen war gemäß § 54 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden, die nach Auffassung der Kammer unter nochmaliger Würdigung aller Um-

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stände mit einer Höhe von einem Jahr und sechs Monaten ausreichend, aber auch erforderlich ist, um dem Schuldgehalt aller Taten Rechnung zu tragen. {24} Die verhängte Strafe konnte trotz einer gegebenenfalls im Rahmen des § 57 StGB zu berücksichtigenden positiven Sozialprognose im Urteil nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, da nach § 56 Abs. 2 StGB erforderliche besondere mildernde Umstände nicht erkennbar sind. Derartige besondere Umstände sind solche, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen besonderes Gewicht besitzen und eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderlaufend erscheinen lassen (BGH NStE Nr. 4 zu § 56 StGB). In Anbetracht der Art und Weise, in der der Angeklagte seine privilegierte Position als hoher Funktionär der ehemaligen DDR über Jahre hinweg zur Erlangung von Vorteilen ausgenutzt hat, vermochte die Kammer auch unter Berücksichtigung des Alters des Angeklagten, seiner bisherigen Unbestraftheit und der langen Dauer der Untersuchungshaft in der Gesamtwürdigung derartige Umstände nicht zu erkennen.

VII. [Teilweiser

Freispruch]

1. Die durch das Stadtgericht Berlin zugelassene Anklageschrift des Generalstaatsanwalts der DDR wirft dem Angeklagten über die im Punkt III aufgeführten Rechnungen hinaus vor, den Tatbestand der Untreue gegen sozialistisches Eigentum auch durch die Anweisung der Bezahlung von fünf weiteren Rechnungen über insgesamt 5.389,24 M, nämlich der Rechnung Nr. 37/85 des Gästehauses Heringsdorf sowie der Rechnungen Nr. 45/87, 56/88, 397/88 und 399/88 des Kur- und Erholungsheimes Graal-Müritz, erfüllt zu haben. Hinsichtlich dieser als selbständige, untereinander in Tatmehrheit stehende Taten angeklagten Handlungen war der Angeklagte ungeachtet der Tatsache, daß diese im Falle der Verurteilung möglicherweise als Teilakte der fortgesetzten Handlung zu III.l. zu werten gewesen wären, aus tatsächlichen Gründen freizusprechen (vgl. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984, 209, 212: BGH NStE Nr. 2 zu § 260 StPO; BGH bei Miebach NStZ 1988, 209, 212). {25} Soweit die Anklageschrift hinsichtlich der Rechnung Nr. 388/89 des Gästehauses Graal-Müritz über den im Punkt III festgestellten Betrag von insgesamt 1.317,17 M hinaus von einem weiteren Schaden in Höhe von 1.135,94 M ausgeht, konnten ebenfalls keine zu einer Verurteilung genügenden Feststellungen getroffen werden. Eines gesonderten Freispruchs bedurfte es insoweit aber nicht, da diesbezüglich auch die Anklage von einer einheitlichen Handlung ausgeht. Im einzelnen hat die Hauptverhandlung hinsichtlich der bezeichneten Rechnungen bzw. der Teilrechnung folgendes ergeben: Der Angeklagte wurde bei seinen Urlaubsreisen von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit als Personenschutz begleitet. Hierdurch entstehende, eigentlich durch das Ministerium für Staatssicherheit zu tragende Kosten wurden in Rechnungen der Urlaubseinrichtungen gesondert - meist unter der Bezeichnung „Technik" oder „technisches Personal" - ausgewiesen oder es wurden gesonderte Rechnungen erstellt, die ausschließlich die für diesen Personenkreis erbrachten Leistungen enthielten. Auch

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diese Rechnungen wurden an das Büro des Präsidiums des FDGB-Bundesvorstandes gesandt und durch die Zeugin A. zur Bezahlung aus dem Verfugungsfonds angewiesen. Seine Urlaubsaufenthalte an der Ostseeküste nutzte der Angeklagte auch dazu, mit örtlichen Partei- und Gewerkschaftsfunktionären Gespräche zu fuhren. Der hierbei entstehende Bewirtungsaufwand wurde ebenfalls - in der Regel unter der Bezeichnung „Veranstaltungen" - in Rechnungen gesondert ausgewiesen. Auch diese Rechnungsbeträge wurden von der Zeugin A. zur Begleichung aus dem Verfugungsfonds angewiesen. Folgende Rechnungen über derartige Leistungen wurden aus dem Verfugungsfonds beglichen: - Rechnung Nr. 37/85 des Gästehauses Heringsdorf vom 30. August 1985 über 1.585,41 M für den Personenschutz des Angeklagten; {26} - Rechnung Nr. 45/87 des Kur- und Erholungsheimes Graal-Müritz vom 2. Februar 1987 mit Teilbeträgen von 423,61 M für den Personenschutz und von 1.300,79 M fur die Bewirtung von Gästen des Angeklagten; - Rechnung Nr. 56/88 derselben Einrichtung vom 27. Januar 1988 mit Teilbeträgen von 578,93 M für den Personenschutz und von 266,05 M für Bewirtungsaufwand; - Rechnungen Nr. 397/88 und 399/88 derselben Einrichtung vom 8. September 1988 über 444,95 M bzw. 789,50 M fur Bewirtungsaufwand; - aus der Rechnung Nr. 388/89 derselben Einrichtung vom 22. August 1989, die daneben auch privat veranlaßte Kosten des Urlaubsaufenthalts des Angeklagten und der Familie I. enthielt, Teilbeträge von 495,53 M für den Personenschutz und von 640,41 M fur Bewirtungsaufwand. Der Angeklagte hat sich hinsichtlich der in den Rechnungen enthaltenen Beträge für Bewirtungsaufwand dahin eingelassen, daß es sich hierbei um Veranstaltungen gehandelt habe, die er in seiner Funktion als Vorsitzender des FDGB-Bundesvorstandes habe durchführen müssen. Auch wenn nicht auszuschließen ist, daß diese während seines Urlaubs erfolgten Begegnungen des Angeklagten mit örtlichen Funktionären eher der Selbstdarstellung der Person des Angeklagten als Zwecken des FDGB dienen sollten oder auf der SED-Funktion des Angeklagten und nicht auf seiner gewerkschaftlichen Position beruhten, kann die Einlassung des Angeklagten doch nicht mit einer zur Verurteilung genügenden Sicherheit widerlegt werden. Der Zeuge Se. und auch die Zeugin O., eine Mitarbeiterin des Kur- und Erholungsheimes in Graal-Müritz, haben bestätigt, daß der Angeklagte Begegnungen mit anderen Funktionären hatte und sich für diese Gelegenheiten auch separate Räume erbat, in denen er mit seinen Besuchern ungestört und auch durch das Personal nicht beobachtet sprechen konnte. Es ist daher jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, daß es sich hierbei um Bewirtungen gehandelt haben kann, deren Bezah-{27}lung aus dem Verfügungsfonds des FDGB-Vorsitzenden von dessen Zweckbestimmung gedeckt war. Bezüglich der Kosten des Personenschutzes war dem Angeklagten nicht mit einer zur Verurteilung genügenden Sicherheit nachzuweisen, daß er deren Begleichung aus dem Verfügungsfonds veranlaßt hat. Da der Angeklagte abgestritten hat, die Bezahlung von seine Urlaubsaufenthalte betreffenden Rechnungen überhaupt angeordnet zu haben, hat er sich zu den Kosten des Personenschutzes nicht differenzierend äußern können, ohne sein Verteidigungskonzept aufzugeben. Anders als bei seinen privaten Rechnungen hatte der Angeklagte aber bei den bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise - wie der

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Zeuge Dr. Mittag bestätigt hat - vom Ministerium für Staatssicherheit zu tragenden Auslagen von dessen Mitarbeitern keinen Grund, hiermit den FDGB statt des eigentlich Verpflichteten zu belasten. Der Zeuge Se. hat zudem bekundet, daß er bereits beim ersten Aufenthalt des Angeklagten in dem Kur- und Erholungsheim durch den ihm nur unter dem Namen „Franz" bekannten Kommandeur des Personenschutzes des Angeklagten aufgefordert worden sei, die Rechnungen für den Personenschutz an das Büro des Präsidiums des FDGB-Bundesvorstandes zu senden. Er habe entsprechend verfahren, was auch nie reklamiert worden sei. Er sei aber auch sonst hierauf, insbesondere auch von dem Angeklagten, nicht angesprochen worden. Unter diesen Umständen läßt sich nicht mit einer zur Verurteilung genügenden Sicherheit feststellen, daß die Begleichung der Rechnungen des Personenschutzes durch den Angeklagten angeordnet oder ihm auch nur bekannt war, zumal diese Kosten auf seinen privaten Rechnungen wegen der gesonderten Rechnungstellung, von der erstmals bei der Rechnung Nr. 388/89 abgegangen wurde, "nicht in Erscheinung traten. Es ist letztlich nicht auszuschließen, daß die Bezahlung der eingehenden Rechnungen insoweit auf einem Fehler der Zeugin A. beruhte. Die zugelassene Anklageschrift legt dem Angeklagten weiterhin zur Last, Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums dadurch begangen zu haben, daß er im Jahre 1983 im Widerspruch zu der in der Finanzrichtlinie des FDGB festgelegten Verfahrensweise und der Zweckbestimmung des {28} Solidaritätsfonds des FDGB die persönliche Entscheidung getroffen haben soll, aus diesem Fonds der FDJ zur Finanzierung des Nationalen Jugendfestivals 1984 einen Betrag von 100 Mio. M zur Verfugung zu stellen, der dann in Verwirklichung dieser Entscheidung in Beträgen von je 30 Mio. M am 28. Februar und 27. Juni 1984 und von 40 Mio. M am 26. April 1984 zur Zahlung angewiesen wurde. Von diesem Vorwurf war der Angeklagte ebenfalls aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Die Hauptverhandlung hat insoweit zu folgenden Feststellungen geführt: Bereits im Sommer des Jahres 1982 plante die FDJ - damals noch unter der Leitung des Zeugen Krenz 17 als 1. Sekretär des Zentralrates - , wie schon 1979 auch im Jahr 1984 ein Nationales Jugendfestival in Berlin durchzuführen. Die Pläne der FDJ waren wahrscheinlich am 31. August 1982 - Gegenstand der Beratungen des Politbüros. Hierbei wurden seitens des SED-Generalsekretärs Erich Honecker Bedenken dagegen geäußert, daß die FDJ zur Finanzierung eine Spendensammlung unter ihren Mitgliedern veranstalten wollte. Er befürchtete, daß von einer derartigen Aktion und dem damit verbundenen Druck auf die Mitglieder, Spenden aufzubringen, Unruhe ausgehen könnte. Da aber auch der Staatshaushalt nicht zur Finanzierung herangezogen werden sollte, hatte Honecker bereits vor der Sitzung des Politbüros den Angeklagten darauf angesprochen, ob der FDGB einen erheblichen Finanzbeitrag leisten könnte. In Kenntnis des Umstandes, daß der Solidaritätsfonds des FDGB-Bundesvorstandes erhebliche Mittel enthielt, sagte der Angeklagte deshalb bei der Sitzung des Politbüros zu, daß der FDGB einen Betrag von 100 Mio. M zur Verfügung stellen werde. Die in dem Solidaritätsfonds des FDGB-Bundesvorstandes (Konto 93 des FDGB-Kontenrahmens) angesammelten Beträge stammten aus den Solidaritätsbeiträgen der Mitglieder, die neben den Mitgliedsbeiträgen auf formell freiwilliger Basis erbracht wurden. Das relativ hohe Aufkommen an diesen Beiträgen konnte teilweise nicht zweckentsprechend, d.h. insbe-

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sondere für Hilfeleistungen im Ausland, eingesetzt werden, weil wegen der fehlenden Konvertibilität der DDR-Währung kein unmittelbarer Bargeldtransfer erfolgen konnte, die stattdessen zu liefernden Sachleistungen der DDR-Produktion wegen des Erfordernisses der Sicherung der Versorgung der eigenen Bevölkerung aber auch nur {29} begrenzt entnommen werden konnten. Die deshalb im Haushaltsjahr im Rahmen der laufenden Solidaritätseinnahmen- und -ausgaben auf den Bewegungskonten der Kontenklasse 6 des FDGB-Kontenrahmens nicht umsetzbaren Einnahmen wurden bei Abschluß des Haushaltsjahres in den Solidaritätsfonds umgebucht, dessen Zweck der Kontenrahmen wie folgt umschrieb „Konto 93 Solidaritätsfonds Zur Finanzierung von Solidaritätsmaßnahmen wird zweckgebunden beim Bundesvorstand des FDGB ein zentraler Solidaritätsfonds geführt, der aus dem Gesamtergebnis der Solidarität der Organisation sowie aus Abführungen gebildet wird." Entsprechend der Zusage des Angeklagten, 100 Mio. M aus den Mitteln des FDGB aufzubringen, bestätigte das Sekretariat der FDJ am 1. November 1983 den Finanzplan für das Nationale Jugendfestival unter Berücksichtigung dieses Betrages auf der Einnahmenseite. Mit Schreiben vom 24. Februar 1984 an den mittlerweile verstorbenen damaligen Leiter der Abteilung Finanzen des FDGB-Bundesvorstandes, Harry Weber, bat dann der Leiter der Abteilung Finanzen des Zentralrates des FDJ, Karl Ho., den Betrag in drei Raten auf das Konto der FDJ zu überweisen, und zwar 30 Mio. M bis zum 29. Februar 1984, 40 Mio. M bis zum 30. April 1984 und 30 Mio. M bis zum 29. Juni 1984. Weber wies den für das Rechnungswesen zuständigen Sektorenleiter seiner Abteilung, den Zeugen F., durch einen handschriftlichen Vermerk auf dem Schreiben der FDJ an, die Beträge direkt gegen den Solidaritätsfonds zu buchen, was der Zeuge F. weisungsgemäß tat. Der Solidaritätsfonds, der am Anfang des Jahres 1984 einen Bestand von rund 278 Mio. M aufwies, wurde durch diese nur teilweise durch Neuzugänge ausgeglichenen Ausgaben zum Jahresende auf einen Betrag von 198.368.919,63 M reduziert und mit diesem Ergebnis auch in der Bilanz des FDGB für 1984 ausgewiesen. Während dieser Geschehensablauf aufgrund der eigenen Einlassung des Angeklagten, der diese im wesentlichen nur ergänzenden Bekundungen der Zeugen Krenz, Aurich - 2. Sekretär des Zentralrates der FDJ unter dem {30} Zeugen Krenz und dessen Nachfolger ab dem 1. Dezember 1983 - und F. sowie der in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden und den mit dem Zeugen F. erörterten Buchungsbelegen und Bilanzen als erwiesen anzusehen ist, konnte die durchgeführte Beweisaufnahme keine Klärung darüber erbringen, ob der Angeklagte eine Entscheidung der zuständigen Organe des FDGB über die Zahlung der 100 Mio. M an die FDJ herbeigeführt hat. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe nach der Sitzung des Politbüros die Mitglieder des Sekretariats über die beabsichtigte Unterstützung der FDJ unterrichtet. Dies sei von ihnen zustimmend zur Kenntnis genommen worden. Diese Schilderung des Angeklagten wird nur durch den Zeugen Z., den seinerzeit für Jugendfragen zuständigen Sekretär des FDGB-Bundesvorstandes, bestätigt. Dieser hat bekundet, der Angeklagte habe ihn nach seiner Rückkehr aus der Sitzung des Politbüros telefonisch zu sich in sein Büro gebeten, wo sich schon der - verstorbene - Leiter der Finanzabteilung Weber und möglicherweise auch die Zeugin A. und die - mittlerweile ebenfalls verstorbene - stellvertretende FDGB-Vorsitzende Töpfer befunden hätten. Bei

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dieser Zusammenkunft, die die hierzu befragte Zeugin A. weder bestätigen noch ausschließen wollte, habe der Angeklagte von der Beratung des Politbüros und von der Absicht einer Finanzierung des FDJ-Jugendfestivals durch den FDGB berichtet. Noch am selben oder spätestens am folgenden Tage habe es dann eine Zusammenkunft der Sekretäre gegeben, bei der diese ebenfalls unterrichtet worden seien. Spätestens bei dieser Gelegenheit habe der Angeklagte auch die Höhe des Betrages mit 100 Mio. M genannt. Welche der Sekretäre hierbei anwesend gewesen sein sollen, vermochte der Zeuge nicht mehr zu sagen. Es sei jedenfalls eine normale Sekretärsrunde und nicht nur eine besonders kleine Gruppe gewesen. Der Bericht des Angeklagten über die beabsichtigte Finanzierung sei zustimmend zur Kenntnis genommen worden. Demgegenüber gaben die weiteren als Zeugen gehörten damaligen Mitglieder des Sekretariats des FDGB-Bundesvorstandes, die Zeugen He., H., Dr. Rö. und Bü. an, sich an eine Beschlußfassung über die {31} Unterstützung des Jugendfestivals 1984 nicht erinnern zu können. Die Zeugen Bü., H. und Dr. Rö. wollen aus Presseveröffentlichungen nach den Ereignissen des Herbstes 1989 erstmals von der Zahlung erfahren haben. Diese Aussagen sind offenkundig miteinander unvereinbar, da es kaum möglich erscheint, daß alle diese vier Zeugen bei der von dem Zeugen Z. geschilderten Sitzung des insgesamt nur neunköpfigen Sekretariats - wenn sie denn stattgefunden haben sollte gefehlt haben könnten, auch wenn die Zeugen sich immer wieder darauf beriefen, durch Krankheit oder Urlaub möglicherweise gerade der entscheidenden Sitzung ferngeblieben zu sein. Ein derart geringer Besuch dieser Sitzung wäre dem Zeugen Z. angesichts seiner ansonsten detaillierten Erinnerung mit Sicherheit nicht entfallen. Es ist nun zwar denkbar, daß ein Zeuge sich nach längerer Zeit nicht mehr an Einzelheiten auch einer bedeutsamen Entscheidung erinnern kann, zumal später - nämlich 1988 - in Sekretariat und Präsidium des FDGB-Bundesvorstandes eine gleichartige Entscheidung in bezug auf das FDJ-Jugendfestival 1989 getroffen wurde, die sich in der Erinnerung mit der früheren vermischen kann. Die Tatsache der Unterstützung der FDJ als solche mit dem erheblichen Betrag von 100 Mio. M kann jedoch nicht ohne weiteres in Vergessenheit geraten sein. Entweder der Angeklagte und der Zeuge Z. oder aber die übrigen Mitglieder und Teilnehmer der Sekretariatssitzung müssen daher bewußt die Unwahrheit gesagt haben. Wessen Schilderungen wahrheitsgemäß sind, konnte jedoch nicht mit genügender Sicherheit festgestellt werden. Die Kammer mußte bei der Würdigung der Aussagen berücksichtigen, daß die eine entsprechende Entscheidung verneinenden Zeugen ein Interesse daran haben könnten, die Verantwortung für einen Beschluß von sich zu weisen, für den der Angeklagte sich öffentlicher Kritik und Strafverfolgung ausgesetzt gesehen hat. Dies galt in noch stärkerem Maße für die Zeit ihrer polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Vernehmung in der ehemaligen DDR. Sollten sie sich in dieser aber der Wahrheit zuwider auf eine bestimmte Schilderung festgelegt haben, so ist nicht auszuschließen, daß sie in der Hauptverhandlung möglicherweise nicht mehr bereit waren, hiervon abzugehen und sich selbst der Lüge zu überfuhren. {32} Andererseits ist ebenso denkbar, daß der Zeuge Z. sich dem Angeklagten noch heute politisch oder persönlich verbunden fühlt und auch bereit ist, ihn durch eine Falschaussage zu schützen. Für die Aussage des Zeugen Z. spricht aber immerhin, daß der Angeklagte in der damaligen Situation als Mitglied des mit unumschränkter Machtfülle herr-

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sehenden Politbüros keine Veranlassung gehabt hätte, eine Entscheidung des Sekretariats zu vermeiden. Mit Widerstand hätte er nicht rechnen müssen, wie alle als Zeugen gehörten Sekretäre bestätigt haben und wie auch der Umstand zeigt, daß hinsichtlich der Unterstützung des Jugendfestivals 1989 im Herbst 1988 nach den übereinstimmenden Angaben des Angeklagten und der Zeugen He., H., Gr., Si., Α., Bü. und Dr. Rö. ohne Schwierigkeiten entsprechende Gremienbeschlüsse herbeigeführt werden konnten. Grund zur Geheimhaltung bestand allenfalls gegenüber breiteren Kreisen hinsichtlich der Höhe der Zuwendung, die immerhin Rückschlüsse auf die Vermögenssituation des FDGB zugelassen und den Sinn der Erhebung von Solidaritätsbeiträgen in Frage gestellt hätte. Nach den Bekundungen der Zeugen Krenz, Aurich und Si. kann jedoch davon ausgegangen werden, daß die finanzielle Unterstützung von der Höhe abgesehen - innerhalb und außerhalb des FDGB auch nicht strikt vertraulich behandelt wurde. So hat der Zeuge Si. glaubhaft bekundet, daß der Angeklagte Anfang 1984 auf einer Zusammenkunft mit den Bezirksvorsitzenden des FDGB und den Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften zur Unterstützung des Jugendfestivals aufgerufen und hierbei auch erwähnt habe, daß dieses mit finanzieller Hilfe des FDGB stattfinde. Die Zeugen Krenz und Aurich haben übereinstimmend angegeben, daß die finanzielle Unterstützung des FDGB auch Gegenstand einer Danksagung des Zeugen Aurich auf dem XII. Parlament der FDJ 1985 gewesen sei. Weiterhin hat auch der Zeuge He. bekundet, daß die Unterstützung fur das Jugendfestival 1984 allgemein bekannt gewesen sei. Selbst wenn bei diesen Gelegenheiten die Höhe des Betrages nicht genannt worden sein sollte, erscheint es dennoch unwahrscheinlich, daß die Zeugen H., Bü. und Dr. Rö. als Mitglieder des innersten Führungskreises des FDGB hiervon erst nach den revolutionären Ereignissen in der ehemaligen DDR erfahren haben wollen. Unter diesen Umständen vermochte auch die Tatsache, daß die gemäß § 249 Abs. 2 StPO in die Hauptverhandlung eingeführten Verzeichnisse der {33} Beschlüsse des Sekretariats aus den Jahren 1982 bis 1984 keine Entscheidung über die Zuwendung an die FDJ auswiesen, nicht die Überzeugung der Kammer zu begründen, daß es eine solche Entscheidung nicht gegeben hat. Allerdings belegen diese ausweislich ihrer ununterbrochenen numerischen Folge vollständigen Verzeichnisse, daß ein schriftlich niedergelegter Beschluß nicht existiert. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden - auch wenn es in Anbetracht der ansonsten nach den Beschlußauflistungen regelmäßigen schriftlichen Niederlegung auch unbedeutenderer Entscheidung nur wenig wahrscheinlich erscheint - , daß die Entscheidung nur durch mündliche Billigung getroffen wurde. Dies würde genügen, da eine schriftliche Fixierung zwar für die interne Arbeit des FDGB erforderlich sein mag, die Wirksamkeit einer Entscheidung mangels einer Formgebundenheit hiervon aber nicht abhängt. Eine Entscheidung des Sekretariats des FDGB-Bundesvorstandes wäre auch zur Verfügung über den Solidaritätsfonds ausreichend. Nach der Satzung des FDGB oblag dem Sekretariat allerdings allein die sogenannte operative Arbeit, also die praktische Umsetzung der politischen Entscheidungen. Für die politische Leitung war das Präsidium zuständig; die Entscheidung über Zuwendungen an andere Organisationen war nach der Finanzrichtlinie des FDGB (Abschnitt 3.2., 3. Spiegelstrich) sogar ausdrücklich von der Zustimmung des gesamten Bundesvorstandes abhängig. Die Abweichung von diesen Regelungen war - wenn es denn überhaupt eine Sekretariatsentscheidung gab - jedoch

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keine Manipulation in dem der Anklage zugrundeliegenden Einzelfall, sondern allgemeine und ohne Bedenken ausgeübte Praxis. Die Konzentration wesentlicher Entscheidungen auf das Sekretariat, die nur begrenzte Beteiligung des Präsidiums und die weitgehende Entmündigung des Bundesvorstandes war Ausdruck der in der ehemaligen DDR generell festzustellenden Ansammlung von Macht in kleinsten Führungsgremien. Unter dem Vorwand eines angeblich „demokratischen" Zentralismus wurden auf diese Weise demokratische Entscheidungsprozesse verhindert und selbst führende Funktionäre von Entscheidungen und Informationen ausgeschlossen. Diese Praxis wurde von den Beteiligten jedoch als selbstverständlich und zulässig angesehen, wie besonders deutlich bei der Vernehmung des Zeugen Gr. durch dessen Verwunderung über entsprechende unter Hinweis auf die Satzung gestellte Fragen des Gerichts zur Zuständigkeitsverteilung, mit {34} denen der Zeuge ersichtlich nichts anfangen konnte, zutage trat. Daher kann in der Beschränkung der Entscheidung auf das Sekretariat keine auf die Verschleierung einer Untreue und den bewußten Ausschluß zuständiger Gremien von der Finanzentscheidung gerichtete Handlung gesehen werden. Die Entscheidung des Sekretariats würde allerdings nicht genügen, wenn die Mittel des Solidaritätsfonds für die Unterstützung der FDJ nicht hätten verwendet werden dürfen, da auch die Entscheidung eines zuständigen Gremiums die Verwirklichung des Untreuetatbestandes dann nicht ausschließen kann, wenn die Entscheidung gegen die Zweckbindung verstoßen würde (vgl. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 6). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann jedoch von einer zweckwidrigen Verwendung der Gelder durch Zahlung an die FDJ nicht mehr mit einer zur Verurteilung genügenden Sicherheit gesprochen werden. Eine genaue Festlegung des Zwecks der im Solidaritätsfonds des FDGB angesammelten Gelder existiert nicht; die Regelung im Kontorahmen (Konto 93) spricht nur von „Solidaritätsmaßnahmen", ohne deren Inhalt näher zu umschreiben. Anhaltspunkte geben jedoch die im Kontenrahmen aufgeführten Konten für laufende Solidaritätsausgaben in der Kontenklasse 6. Zu diesen gehören - über das in der ehemaligen DDR gängige, z.B. durch den Zeugen Krenz geschilderte Verständnis von „Solidarität" als Leistung in andere Länder hinausgehend - auch Zuwendungen an Organisationen innerhalb der DDR (Konto 672). In Anbetracht der Tatsache, daß in dem Solidaritätsfonds im wesentlichen lediglich die Einnahmeüberschüsse aus der Kontenklasse 6 angesammelt wurden, kann nicht davon ausgegangen werden, daß insoweit ein anderer Solidaritätsbegriff zugrundezulegen wäre. Eine Zahlung zur Unterstützung der Arbeit der FDJ ist daher nach dem Wortlaut der Regelungen des FDGB vom Zweck des Solidaritätsfonds gedeckt, auch wenn die Mitglieder des FDGB bei der Hingabe ihrer Solidaritätsbeiträge möglicherweise andere Vorstellungen von deren Verwendung hatten. Diese Vorstellungen vermochten die Gremien des FDGB jedoch nicht zu binden, ihre Mißachtung ist eine Frage politischer und nicht strafrechtlicher Verantwortung. {35}

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Das Urteil wurde am 24.10.1991 rechtskräftig, nachdem sowohl der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht Berlin als auch die Verteidigung des Angeklagten ihre zunächst eingelegte Revision zurückgenommen hatten. Mit Beschluss des Landgerichts Berlin v. 10.12.1991 - Az. (519) 2 Js 3/90 KLs (48/90) - wurde Tischs Haftzeit vom 3.12.1989 bis 21.2.1990 und vom 20.7.1990 bis 16.5.1991 auf die zu verbüßende Strafe angerechnet und die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Vgl. A n h a n g s . 510. Vgl. A n h a n g s . 510. Die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht Berlin klagte Günter Mittag am 20.6.1991 - Az. 2 Js 107/91 - und am 4.11.1991 - Az. 2 Js 214/91 - jeweils wegen Untreue und Vertrauensmissbrauchs an. Durch Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24.2.1992 - Az. 526 - 22/91 wurden beide Anklagen verbunden. Das Landgericht Berlin lehnte mit Beschluss vom 11.5.1993 - Az. 505 - 13/93 - die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Verhandlungsunfáhigkeit des Angeklagten ab. Die im vorliegenden Verfahren genannten Vorgänge waren nicht Gegenstand der Verfahren gegen Mittag. Vgl. lfd. Nr. 2-2. Vgl. A n h a n g s . 512. Harry Tisch verstarb am 18.6.1995, bevor es zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kam. Die Volkskammer beschloss am 13.11.1989 einstimmig die Einrichtung eines zeitweiligen Untersuchungsausschusses „zur Überprüfung von Fällen des Amtsmissbrauchs, der Korruption, der persönlichen Bereicherung und anderen Verdachts der Gesetzesverletzung". § 133 DDR-Strafprozessordnung vom 12.1.1968 in der Neufassung vom 19.12.1974 (DDR-GB1. I 1975, S. 62), zuletzt geändert durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 28.6.1979 (DDR-GB1. I, S. 139) lautete: „Ist die Anklage noch nicht erhoben, ist der Haftbefehl aufzuheben, wenn der Staatsanwalt es beantragt. Er kann die Entlassung des Beschuldigten schon vor der Entscheidung des Gerichts anordnen. Vgl. Anhang S. 509. Vgl. A n h a n g s . 511. Vgl. A n h a n g s . 513. Vgl. A n h a n g s . 511. Vgl. Anhang S. 507. Mit dem genannten Beschluss ordnete das Kammergericht Berlin die Haftfortdauer gegen den ehemaligen Minister fur Staatssicherheit der DDR Erich Mielke an. Der Beschluss erging im Verfahren, das gegen Mielke sowie Hans Albrecht, Erich Honecker, Heinz Keßler, Erich Mielke, Fritz Streletz und Willi Stoph wegen vollendeten bzw. versuchten Totschlags im Zusammenhang mit dem Schusswaffeneinsatz an der innerdeutschen Grenze gefuhrt wurde (Anklage der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin vom 12.5.1990 - Az. 2 Js 26/90). Zum Verfahrensverlauf vgl. den Dokumentationsband zu den Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze. Vgl. A n h a n g s . 511. Egon Krenz wurde von der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin am 30.11.1994 - Az. 25/2 Js 20/92 - gemeinsam mit Horst Dohlus, Kurt Hager, Günther Kleiber, Erich Mückenberger, Günter Schabowski und Harry Tisch wegen (versuchten) Totschlags angeklagt. Das Landgericht Berlin verhängte gegen Krenz wegen mehrfachen Totschlags eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten (Urteil vom 25.8.1997 - Az. (527) 25/2 Js 20/92 Ks (1/95)). Nachdem der Bundesgerichtshof seine Revision hiergegen am 8.11.1999 - Az. 5 StR 632/98 - zurückgewiesen hatte, legte Krenz Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde am 12.1.2000 - Az. 2 BvR 2414/99 - zurück. Die daraufhin von Krenz beim Europäischen Gerichtshof fur Menschenrechte eingelegte Beschwerde blieb ebenfalls erfolglos (Entscheidung vom 22.3.2001 App. No. 44801/98). Zum Verfahren gegen Krenz u.a. vgl. den Dokumentationsband zu den Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze.

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Lfd. Nr. 3 Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller -

1. Anklage der Staatsanwaltschaft des Bezirkes Erfurt vom 11.5.1990 Az.: 111 - 164/89

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2. Beschluss (Eröffnung, Abtrennung und Vorlage) des Bezirksgerichts Erfurt vom 9.8.1991 - Az: 1 Js 4984/91

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3. Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 20.2.1992 Az. : 16 S 59/90 Ν; 1 Js 4984/91

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4. Aufhebungsbeschluss des Bezirksgerichts Erfurt vom 21.6.1993 Az.: 501 Js 4984/91 - 5 KLs

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5. Nichteröffiiungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 Az.: 1 Js 4984/91 KLs

109

6. Beschluss (Abtrennung und Vorlage) des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 Az.: 1 Js 4984/91 KLs

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7. Beschluss (Ergänzung des Vorlagebeschlusses) des Landgerichts Erfurt vom 19.9.1995 - [zu Az. 1 Js 4984/91 Kls]

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8. Beschluss (Unzulässigkeit der Vorlage) des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.1997-Az.: 2 BvL 6/95

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9. Nichteröffiiungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 10.3.1998 Az.: 1 Js 4984/91 KLs

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Lfd. Nr. 3-1

Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Anklage der Staatsanwaltschaft des Bezirkes Erfurt vom 11.5.1990 - Az.: 111 - 164/89 [Anklagetenor]

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Beweismittel

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Wesentliches Ermittlungsergebnis

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[Antrag]

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Anmerkungen

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Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Staatsanwaltschaft des Bezirkes Erfurt Az.: 111 - 164/89

Lfd. Nr. 3-1

11. Mai 1990

An das Kreisgericht Erfurt-Nord - Strafkammer -

ANKLAGE Den Bürger Gerhard Alfred Müller geboren am 04.02.1928 in Chemnitz Staatsbürger der DDR lt. Strafregisterauszug nicht vorbestraft in dieser Sache in Untersuchungshaft seit dem 02.12.1989 UHA Erfurt 1 klage ich an, sich des mehrfachen Vertrauensmißbrauchs, der mehrfachen Anstiftung zur Untreue und des Diebstahls im schweren Fall schuldig gemacht zu haben. {2} 1. Der Beschuldigte Gerhard Müller mißbrauchte die ihm in seiner Funktion als 1. Sekretär der Bezirksleitung Erfurt der SED übertragene Vertrauensstellung, indem er, entgegen seinen Pflichten für eine rationelle und sparsame Verwendung der zur Verfugung stehenden materiellen und finanziellen Mittel Sorge zu tragen: 1.1. im Frühsommer 1987 den Neubau des Jagdhauses Kammerbach mit einem Baukostenaufwand von 756 TM ohne ökonomische Notwendigkeit und mit dem Ziel der persönlichen Privilegierung bewirkte, wodurch materielle und personelle Kapazitäten im genannten Wertumfang gesellschaftlich notwendigen Baumaßnahmen, z.B. bei der Wohnraumwerterhaltung, entzogen wurden; 1.2. im Frühjahr 1986 sowie im Herbst 1988 über zentrale staatliche Organe die Bereitstellung von Kfz der Typen Lada-Niva, polizeiliches Kennzeichen FY 01-43 und ARO-240 D, polizeiliches Kennzeichen FY 01-51, zur Ausstattung des von ihm sowie zwei weiteren Personen genutzten Jagdgebietes 3 der Jagdgesellschaft Luisenthal veranlaßte und deren Bezahlung und Unterhaltung durch den Rat des Bezirkes Erfurt bewirkte. Es wurden Haushaltsmittel des Rates des Bezirkes im Wertumfang von 81.267,87 M für Anschaffung, Reparatur und TreibstoffVersorgung dieser Kfz eingesetzt; 1.3. im April 1989 gegenüber der Bezirksbitumenkommission Erfurt die Freigabe von 1501 bereits bilanzierten Grundbitumens zum Bau des 2. Abschnitts der Forststraße vom Jagdhaus Kammerbach zurück zur Ohratalsperre bewirkte, wodurch 2.7001 Heißmischgut im Wert von 493.340,97 M einschließlich Transport- und Verarbeitungskosten planwidrig und zu Lasten von Straßenbau- bzw. Straßenerhaltungsmaßnahmen in der Stadt und im Kreis Eisenach zum Einsatz gebracht wurden. 2. Von 1983-1988 veranlaßte der Beschuldigte in insgesamt 3 Fällen die jeweils verfügungsberechtigten Mitarbeiter des Fachorgans Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft des Rates des Bezirkes Erfurt, die rechtswidrige Finanzierung von Jagdwaffen im

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Dokumente - Teil 1

Wert von 21.206,75 M zu Lasten des beim Rat des Bezirkes geführten Kontos Nr. 422321-152237, bestehend aus Erlösen für Arbeitseinsätze von Angehörigen der Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Garnison Nohra, und damit zum Nachteil des genannten Eigentümers, vorzunehmen. Im einzelnen handelt es sich um: - die Finanzierung einer Bockbüchsflinte Modell 211 E mit Ziel und Zubehör im Wert von 2.917,15 M im Mai 1983, - die Bezahlung einer Bockbüchsflinte Modell 210 mit Ziel und Zubehör im Wert von 9.800,60 M im Juli 1986, - die Bezahlung eines Modellgewehres „Merkel Bockflinte 303 E" im Wert von 8.489,00 M im Herbst 1988. {3} Die so finanzierten Jagdwaffen verwendete der Beschuldigte als Geschenke für einen Funktionär der KP Litauens sowie für den damaligen Generalsekretär des ZK der SED Honecker. 3. Im Dezember 1987 eignete sich der Beschuldigte eine Hahndoppelflinte Modell „E. Schwiering Torgau" im Wert von 1.600,00 M rechtswidrig zu, indem er diese an sich nahm und in der Folgezeit wie ein Eigentümer darüber verfügte. Die dem Beschuldigten unter bestimmten Verwendungsbedingungen durch Entscheidung des damaligen Innenministers übergebene Waffe wurde am 08.12.1989 im Wohnhaus des Beschuldigten beschlagnahmt. Verbrechen gemäß §§ 165 Abs. 1 und 2 Ziff. 1, 157 Abs. 1, 158 Abs. 1, 161a Abs. 1, 162 Abs. 1 Ziff. 1, 22 Abs. 1 und 2 Ziff. 1, 63 Abs. 2 StGB. Beweismittel Es folgt eine Auflistung der Beweismittel, darunter Aussagen von Beschuldigten und 23 Zeuginnen und Zeugen sowie diverse Schriftstücke. {5} Wesentliches Ermittlungsergebnis Der jetzt 62jährige Beschuldigte ist von Beruf Lehrer. Nach Tätigkeit im Bildungswesen war er ab 1955 in verschiedenen Funktionen in der SED tätig. Im Jahre 1980 wurde er zum 1. Sekretär der Bezirksleitung Erfurt der SED gewählt. Diese Funktion übte er bis zum 11.11.1989 aus. Bis zu seinem Ausschluß am 3.12.1989 war der Beschuldigte zugleich Mitglied des ZK der SED und Kandidat des Politbüros. Als 1. Sekretär der Bezirksleitung Erfurt der SED war der Beschuldigte, auch unter Berücksichtigung seiner weiteren Funktionen im Apparat der SED, de facto Inhaber einer Vertrauensstellung im Sinne von § 165 Absatz 1 Strafgesetzbuch2. Er war, ohne dazu gesetzlich ausdrücklich legitimiert zu sein, in der Lage, auf verschiedene Art und Weise in wirtschaftliche Entscheidungsprozesse einzugreifen, solche auszulösen und zu beeinflussen. Dies wird durch mehrere Zeugenaussagen im Ermittlungsverfahren sowie die festgestellten tatsächlichen Geschehensabläufe belegt.

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Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

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Als Inhaber einer Vertrauensstellung war der Beschuldigte verpflichtet, die zur Verfugung stehenden materiellen und finanziellen Mittel so rationell wie möglich zu verwenden und jegliche Verschwendung bzw. Vergeudung zu verhindern. Diese Verpflichtung ist wie fur jeden Bürger aus Artikel 10 Absatz 2 der Verfassung der DDR3 abzuleiten. Die Einwirkungen des Beschuldigten auf wirtschaftliche Entscheidungen und Prozesse müssen daher im Hinblick auf das Vorliegen strafrechtlicher Verantwortlichkeit gemäß § 165 StGB an diesen Pflichten gemessen werden. Die dem Beschuldigten in Ziffer 1 des Anklagetenors zur Last gelegten Straftaten des Vertrauensmißbrauchs stehen damit in unmittelbarem Zusammenhang, daß der Beschuldigte seit mehreren Jahren im Jagdgebiet 3 der Jagdgesellschaft Luisenthal die Jagd ausübte. Zur Jagdgruppe des Beschuldigten gehörten 4 Personen. Das Jagdgebiet umfaßte 1.700 ha Fläche. {6} In diesem Jagdgebiet, welches im Hinblick auf die Größe und die materielle und personelle Ausstattung zur Realisierung jagdlicher Belange einen besonderen Status hatte, befand sich die sogenannte Kammerbachhütte, die im Februar 1987 unentgeltlich in Rechtsträgerschaft der SED überfuhrt wurde. Bereits im Juli 1986 hatte der Beschuldigte persönlich vor Ort gegenüber beauftragten Mitarbeitern der Bezirksleitung der SED, so den Zeugen E. und K., Maßnahmen zur Rekonstruktion der Kammerbachhütte festgelegt, die mit ca. 165 TM Kosten veranschlagt wurden. In der Folgezeit ergab sich, daß aus bauaufsichtlichen Gründen eine Rekonstruktion nicht möglich war, weshalb durch den Zeugen K. der Abriß entschieden und dem Beschuldigten Müller über den Zeugen B. das Projekt eines Neubaus unterbreitet wurde. Dieses hat der Beschuldigte zweifelsfrei im Frühsommer 1987 zur Kenntnis bekommen und im wesentlichen bestätigt, ohne sich nochmals näher mit den zu erwartenden Neubaukosten sowie dem Bauaufwand zu befassen. Bereits zu diesem Zeitpunkt mußte dem Beschuldigten klar sein, daß die veranschlagte Baukostensumme nicht eingehalten werden kann. In der Folgezeit wurden zum Neubau der Kammerbachhütte durch Beschäftigte des VEB Kreisbaubetrieb Gotha Bauleistungen im Wertumfang von 756 TM erbracht. Diese Summe ist der wertmäßige Ausdruck für den materiellen und personellen Aufwand, der betrieben wurde, um ein an sich nicht notwendiges, ökonomisch nicht zu begründendes Bauvorhaben zu realisieren. Durch Aussagen der verantwortlichen Leiter des Baubetriebes, insbesondere des Zeugen H., wird deutlich, daß die Bauleistungen sinnvoller, z.B. für die Wohnungswerterhaltung in der Stadt Ohrdruf, hätten eingesetzt werden können, wobei das Normativ für die Rekonstruktion einer Wohnung mit durchschnittlich 45 TM anzusetzen ist. Der wirtschaftliche Schaden im Sinne von § 165 Absatz 1 StGB besteht in der der persönlichen Privilegierung dienenden Vergeudung dieser materiellen und personellen Kapazitäten. Daß der Beschuldigte mit der Zielstellung der persönlichen Privilegierung bezüglich der Errichtung der Jagdhütte gehandelt hat und dabei die für ihn erkennbaren negativen wirtschaftlichen Folgen in Kauf nahm, ist anhand des objektiven Geschehensablaufes sowie des tatsächlichen Zusammenhangs zur Jagdausübung durch den Beschuldigten in diesem Jagdgebiet abzuleiten. Dieses Motiv und diese Handlungszielstellung liegt auch den unter Ziffer 1.2. und 1.3. des Anklagetenors dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlungen des Vertrauensmißbrauchs zugrunde. Bezüglich Ziffer 1.2. ergibt sich der wirtschaftliche Schaden dar-

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aus, daß Haushaltsmittel des Rates des Bezirkes Erfurt im Wertumfang von 81.267,87 M zur Finanzierung, Reparatur und Treibstoffversorgung von Kfz verwendet wurden, die nicht durch den Rat des Bezirkes genutzt wurden, sondern der in keinem Verhältnis zu anderen Jagdgebieten stehenden Ausstattung des vom Beschuldigten genutzten Jagdgebietes dienten. {7} Daß der Beschuldigte über den damaligen Minister Kleiber und den Leiter Staatsjagden R. auf das Zurverfugungstellen der Fahrzeuge Lada Niva und ARO 240 D direkt Einfluß nahm, wird vom Beschuldigten bestätigt. Dem Beschuldigten mußte auch bekannt sein, daß diese Fahrzeuge durch den Rat des Bezirkes finanziert werden und dem Jagdgebiet 3 zur Verfugung gestellt werden. Er bestätigt selbst, jeweils Absprachen mit dem damaligen Ratsvorsitzenden Swatek getroffen zu haben. Das wird im Hinblick auf die Beschaffung, Finanzierung und den Einsatz des ARO 240 D durch den Zeugen L. ausdrücklich bestätigt. Zu Ziffer 1.3. ergibt sich der wirtschaftliche Schaden aus der Tatsache, daß durch den Eingriff in die damals begrenzten Bilanzanteile für Bitumen bereits geplante Maßnahmen des Straßenbaus bzw. der Instandsetzung in der Stadt sowie im Kreis Eisenach nicht realisiert werden konnten. Dazu wird auf die vorliegende schriftliche Stellungnahme des verantwortlichen Stellvertreters des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Erfurt für Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Sch., verwiesen. Wenn auch davon auszugehen ist, daß dem Beschuldigten die Weisung des Ministers für Verkehrswesen vom 3. August 1978 zur sparsamsten Verwendung und zum rationellsten Einsatz von Bitumen nicht bekannt war, so wußte er doch aus der täglichen Lebenserfahrung, daß es sich um einen sogenannten Engpaß handelte. Dies wird auch durch den am 3.4.1989 durch den staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Gotha an den Beschuldigten gerichteten Antrag zur Unterstützung bei der Bitumenbeschaffung deutlich. Der Beschuldigte verfugte gegenüber dem Zeugen Sch. die Erledigung dieses Antrages und behielt die Realisierung auch unter persönlicher Kontrolle. Durch die in den einzelnen Fällen jeweils durch den Beschuldigten ausgeübten Einflußnahmen und getroffenen Entscheidungen war für die eigentlich Entscheidungsbefugten unter Beachtung der tatsächlichen Stellung des Beschuldigten keine selbständige Entscheidungsmöglichkeit mehr gegeben. Die Bewertung der Handlungen unter Ziffer 1.1. bis 1.3. des Anklagetenors als Vertrauensmißbrauch im schweren Fall gemäß § 165 Absatz 2 Ziffer 1 StGB ist durch die Verursachung eines besonders schweren wirtschaftlichen Schadens begründet. Dies ergibt sich aus der wertmäßigen Bezifferung der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in Höhe von über 1,3 Mio. Mark. Materielle, finanzielle und personelle Kapazitäten in diesem Wertumfang wurden vergeudet und standen damit einer Nutzung im begründeten volkswirtschaftlichen Interesse nicht zur Verfügung. Dem Beschuldigten war seit mehreren Jahren die Existenz eines sogenannten Sonderkontos beim Rat des Bezirkes Erfurt, über welches der Stellvertreter des Vorsitzenden fur Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft, Schröter, der sich zu diesem Sachverhalt im Verfahren Aktenzeichen 111 - 3/90 gemeinsam mit anderen zu verantworten hat4, verfügungsbefugt war, bekannt. {8} Der Beschuldigte wurde mehrfach über den aktuellen Kontostand informiert. Auf das Konto wurden Erlöse aus Arbeitseinsätzen von Angehörigen der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Garnison Nohra, eingezahlt. Der Beschuldigte ver-

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Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

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anlaßte im Zeitraum von 1983 bis 1988 in 3 Fällen die Bezahlung von Jagdwaffen im Wert von 21.206,75 M zu Lasten dieses Kontos unter Mißbrauch der den jeweils Berechtigten obliegenden Verfügungsbefugnis und zum Nachteil des rechtmäßigen Eigentümers der auf diesem Konto befindlichen finanziellen Mittel. Die auf diese Weise finanzierten Waffen verwendete der Beschuldigte in seiner Funktion als 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED in der dargelegten Form als Geschenke. Die durch die Verfügungsberechtigten unter Mißbrauch ihrer Befugnisse vorgenommenen Auszahlungen zu Lasten des Kontos Nr. 4223-21-152237 sind als Untreue gemäß § 161a StGB5 zu bewerten. Der Beschuldigte Müller hat diese rechtswidrigen Verfugungen durch seine Einflußnahme in allen 3 Fällen ausgelöst, wobei seine Einwirkung auf die Verfügungsberechtigten jeweils über Dritte, nämlich den früheren Ratsvorsitzenden Gothe, den Zeugen D., die Zeugin M., verwirklicht wurden. Die Nachdrücklichkeit und Ernsthaftigkeit der jeweiligen Forderung zur Finanzierung ergibt sich aus der für die Täter bekannten gesellschaftlichen Stellung des Beschuldigten und der damit verbundenen Tatsache, daß Forderungen und Auffassungen des Beschuldigten faktisch den Charakter von Weisungen hatten und als solche aufgefaßt wurden. Diese Handlungen des Beschuldigten sind strafrechtlich als Anstiftung zur Untreue gemäß §§ 161a, 22 Absatz 2 Ziffer 1 StGB zu bewerten. Für diese Wertung ist es unerheblich, daß der Beschuldigte L. hinsichtlich der Berechtigung der Finanzierung der Bockbüchsflinte im Wert von 9.800,60 M im Juli 1986 im Irrtum handelte. Da durch die Untreuehandlungen sowie die in Ziffer 3. des Anklagetenors dargestellte Diebstahlshandlung ein Schaden zum Nachteil des Eigentums anderer in Höhe von 22.806,75 M herbeigeführt wurde, ist eine schwere Schädigung im Sinne von § 162 Absatz 1 Ziffer 1 StGB6 und damit die Bewertung eines Verbrechens gegeben. Ich beantrage: 1. 2. 3. 4.

Das Hauptverfahren zu eröffnen Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen die Zeugen zum Termin zu laden den Haftbefehl des Kreisgerichts Erfurt-Nord vom 3.12.1989 aus den Erlaßgründen aufrecht zu erhalten.

Anmerkungen 1 2 3 4

5 6

Der Angeklagte befand sich bis zum 17.10.1990 in Haft. Vgl. Anhangs. 510. Vgl. Anhang S. 507. Unter dem Az. 111 - 3/90 klagte die Bezirksstaatsanwaltschaft Erfurt am 9.5.1990 den stellvertretenden Vorsitzendes des Rates des Bezirks Erfurt, Rolf Schröter, und drei Mitarbeiter der Ratsverwaltung Erfurt wegen mehrfacher Untreue in einem schweren Fall an. Durch Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 17.7.1992 - Az. 39 S 39/90; 1 Js 11015/91 a-d Ls - wurden Schröter und der Mitangeklagte S. zu einer Freiheitsstrafe von neun bzw. vier Monaten verurteilt, deren Vollzug zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die beiden weiteren Mitangeklagten L. und B. wurden unter StrafVorbehalt verwarnt. Vgl. Anhangs. 510. Vgl. Anhangs. 510.

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Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Beschluss (Eröffnung, Abtrennung und Vorlage) des Bezirksgerichts Erfurt vom 9.8.1991-Az: 1 Js 4984/91 Gründe

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Anmerkungen

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Bezirksgericht Erfurt Az: 1 Js 4984/91

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9. August 1991

BESCHLUSS In der Strafsache gegen Gerhard Alfred Müller geb. 1928 in C. wegen Vertrauensmißbrauch, Anstiftung zur Untreue und Diebstahl hat der 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Erfurt am 09.08.1991 beschlossen: 1. Das Hauptverfahren wird eröffnet. 2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 11.05.1990 wird hinsichtlich Ziffer 2 und 3 - Anstiftung zur Untreue in drei Fällen sowie Diebstahl in einem Fall - zur Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht des Kreisgerichts Erfurt zugelassen. Vergehen gem. §§ 163,157 Abs. 1 StGB/DDR in der Fassung vom 29.06.1990 (6. Strafrechtsänderungsgesetz). {2} 3. Das Verfahren wird in den Punkten 1.1. bis 1.3. der Anklage der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 11.05.1990 (Neubau des Jagdhauses Kammerbach, Bereitstellung und Betreibung von Pkws fur das Jagdgebiet 3 der Jagdgesellschaft Luisenthal und Bereitstellung von Bitumen für den Wegebau im Jagdgebiet) abgetrennt. Es wird insoweit gem. Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 2 i.V. mit Anlage II Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 885) mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit er die Fortgeltung des § 10 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßgesetzes (6. Strafrechtsänderungsgesetz) vom 29. Juni 1990 (DDR-GB1.1 S. 526)1 anordnet. {3}

Gründe Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat am 28.05.1990 bei dem damaligen Kreisgericht ErfurtNord Anklage gegen Gerhard Müller erhoben.2 Mit Beschluß vom 11.10.1990 hat das Kreisgericht die Akten gem. § 209 Abs. 2 StPO dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Erfurt zur Entscheidung vorgelegt.3

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Nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens ist der Angeklagte hinreichend verdächtig, im Zeitraum von 1983 bis 1988 in drei Fällen die jeweils verfügungsberechtigten Mitarbeiter des Fachorganes Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft des damaligen Rates des Bezirkes Erfurt dazu angestiftet zu haben, die Finanzierung von insgesamt 3 Jagdwaffen im Wert von 21.206,75 M (DDR) rechtswidrig zu Lasten des Kontos Nr. 4223-21-152237 der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Garnison Nohra, zum Nachteil des Konteninhabers vorgenommen zu haben. Der hinreichende Tatverdacht ergibt sich aus den Einlassungen des Angeklagten sowie den Aussagen der Zeugen S., M., Si., D. und B. im Ermittlungsverfahren. Ebenso liegt nach der Aussage der Zeugen W. und D. hinreichender Tatverdacht für die im Anklagepunkt 3 bezeichnete Tat vor. Insoweit war deshalb das Hauptverfahren wegen des verbleibenden Umfanges der Anklage und damit nach der Art und Schwere der erhobenen Beschuldigung vor dem Schöffengericht des Kreisgerichts Erfurt wegen dessen Zuständigkeit zu eröffnen (§§ 24, 74 Abs. 1 GVG, 207 Abs. 1, 209 Abs. 1 StPO). Dem Angeklagten werden desweiteren mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 11.05.1990 in den Anklagepunkten 1.1. bis 1.3. jeweils eine Tat des Vertrauensmißbrauchs im schweren Fall gem. § 165 Abs. 1, Abs. 2 Ziffer 1 StGB/DDR4 in der bis zum 30.06.1990 gültigen Fassung zur Last gelegt. Die genannte {4} Vorschrift ist durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz (6. StÄG) der DDR mit Wirkung vom 1. Juli 1990 aufgehoben worden. Nach § 10 Satz 1 des 6. StÄG ist unter anderem der Tatbestand des Vertrauensmißbrauchs jedoch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 6. StÄG bereits eingeleitete Strafverfahren - mithin auch für das gegen den Angeklagten laufende Verfahren - weiterhin anzuwenden. Gem. Artikel 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages gilt diese Regelung auch nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland fort. Artikel 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages ist nach Auffassung des Senats mit den Artikeln 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit er die Fortsetzung von § 10 Satz 1 des 6. StÄG anordnet. Die 19. Strafkammer des Landgerichts Berlin hat im Verfahren gegen Harry Tisch Az: (519) 2 Js 3 AO (48/90) in der Hauptverhandlung am 14.02.1991 das Verfahren, soweit es die Anklage Punkt 1 - Vertrauensmißbrauch im schweren Fall - betrifft, ausgesetzt, um es insoweit dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen.5 In seinem umfassenden und überzeugend begründeten Beschluß hat das Landgericht die Bedenken genannt, die es zu diesem Schritt veranlaßte. Es hat insbesondere darauf hingewiesen, daß es sich bei dem § 10 Satz 1 des 6. StÄG nach seiner Auffassung um ein unzulässiges Einzelfallgesetz handelt und es damit an der nach Artikel 19 Abs. 1 Satz 1 GG erforderlichen allgemeinen Regelung fehlt (Bl. 6 d. Beschlusses). Die 19. Strafkammer des Landgerichts erhebt zutreffend den Einwand, daß durch die Fortgeltungsregelung des Einigungsvertrages zu § 165 StGB/DDR das Rückwirkungsgebot des § 81 Abs. 3 StGB/DDR6 ebenso unbeachtet bleibe, wie die sich aus § 2 Abs. 3 StGB ergebenden Konsequenzen der zeitlichen Grenzen der Strafbarkeit (Bl. 3, 4, 15 des Beschlusses). Unter Be-{5}tonung des Rückwirkungsgebots als eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes 94

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verweist die Strafkammer darauf, daß bezeichnenderweise dieses Gebot eine derart grundlegende Norm ist, daß es in den Strafrechtssystemen zweier so unterschiedlicher Staaten wie der BRD und der ehemaligen DDR - auch schon vor dem 6. StÄG - und der Bundesrepublik Deutschland in inhaltlich weitgehend identischer Form enthalten war (Bl. 5 d. Beschlusses). Der Senat pflichtet der Auffassung des Berliner Landgerichts bei, daß die Fortgeltung des § 10 Satz 1 des 6. StÄG gegen das Gleichheitsgebot nach Artikel 3 Abs. 1 GG verstößt, weil eine Gruppe von Straftätern im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen den Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (Bl. 12, 1. Absatz und 14, letzter Absatz des Beschlusses). Dem Beschluß des Landgerichts, soweit er die Weitergeltung des § 165 StGB/DDR auch zum jetzigen Zeitpunkt betrifft, schließt sich der Senat in vollem Umfange an und verweist bezüglich der ausführlichen Begründung auf obigen Beschluß. Die §§ 163 StGB/DDR n.F. (Untreue)7 bzw. 244a StGB/DDR n.F. (Amtsmißbrauch)8 können wegen des anderen Schutzzweckes und des anderen Unrechtskernes nicht als Nachfolgedelikte angesehen werden. Das Verfahren war deshalb hinsichtlich der Anklagepunkte 1.1. bis 1.3. wie beschlossen abzutrennen und zum Zwecke der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht auszusetzen.

Anmerkungen 1 2 3

4 5 6 7 8

Vgl. Anhangs. 512. Vgl. lfd. Nr. 3-1. Dieser Beschluss erging mit dem Az. 38 S 59/90; 111 - 164/89 und ist vorliegend nicht abgedruckt. § 209 Abs. 2 StPO regelt die Eröffnungszuständigkeit: „Hält das Gericht, bei dem die Anklage eingereicht ist, die Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung, zu dessen Bezirk es gehört, fur begründet, so legt es die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft diesem zur Entscheidung vor." Vgl. Anhangs. 510. Vgl. lfd. Nr. 2-2. Vgl. Anhang S. 509. Vgl. Anhangs. 511. Vgl. Anhangs. 513.

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Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Erstinstanzliches Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 20.2.1992 - Az.: 16 S 59/90 Ν; 1 Js 4984/91 Gründe

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I.

[Feststellungen zur Person]

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II.

[Sachverhaltsfeststellungen]

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III. [Beweiswürdigung]

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IV. [Rechtliche Würdigung]

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V. [Strafzumessung]

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VI. [Teilweiser Freispruch]

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Anmerkungen

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Kreisgericht Erfurt Az.: 16 S 59/90 Ν; 1 Js 4984/91

20. Februar 1992

URTEIL Im Namen des Volkes In der Strafsache gegen Gerhard Müller geb. 1928 inC. wegen Untreue pp. hat das Schöffengericht bei dem Kreisgericht in der öffentlichen Sitzung vom 6.2.92, 11.2.92, 13.2.1992, 20.2.92, an der teilgenommen haben: Es folgt die Nennung der Verfahrensbeteiligten. für Recht erkannt: 1. Der Angeklagte wird wegen Anstiftung zur Untreue und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 - acht - Monaten verurteilt. {2} Im übrigen wird der Angeklagte freigesprochen. 2. Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte, soweit er verurteilt worden ist, im übrigen die Staatskasse. 3. Das beschlagnahmte Gewehr - Hahn-Doppelflinte „Torgau" ohne Waffennummer - wird eingezogen. Angewendete Strafvorschriften: §§ 266 Abs. 1, 26, 53, 74 StGB, §§ 159 Abs. 1, 161 StGB/DDR Gründe - abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO I.

[Feststellungen zur Person]

Der Angeklagte wurde am 4.2.1928 in Chemnitz geboren. Er erlernte den Beruf des Lehrers, studierte dann später Landwirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften. Im Jahre 1946 trat der Angeklagte in die SPD ein. Er besuchte ab 1953 die Parteihochschule „Karl Marx" und ging dann im Auftrag seiner Partei (jetzt SED) nach Brandenburg, wo er zunächst als Sekretär für Volksbildung und Kultur in der Bezirksleitung tätig war. Später bekleidete er die Position des zweiten Sekretärs der Bezirksleitung Neubrandenburg. 97

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Im April 1980 wurde der Angeklagte zum ersten Sekretär der Bezirksleitung in Erfurt gewählt und schied Ende 1989 aus diesem Amt aus. Der Angeklagte war von 1981 bis 1989 Mitglied des ZK der SED. Vom November 1985 bis zum Oktober 1989 [war er] Kandidat des Politbüros. {3} Der Angeklagte ist verheiratet. Aus der Ehe ist eine Tochter hervorgegangen, die volljährig ist und nicht mehr im elterlichen Haushalt lebt. Es folgen Angaben zum Einkommen und zum Vermögen des Angeklagten. ® Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

II.

[Sachverhaltsfeststellungen]

1. Ende der siebziger Anfang der achtziger Jahre hatten der zwischenzeitlich verstorbene Ratsvorsitzende des Bezirksrats Gothe und der Leiter des Fachorgans fur Landwirtschaft, Forsten und Nahrungswirtschaft (LFN) Rolf Schröter 1 mit den zuständigen Offizieren der sowjetischen Garnison Nohra vereinbart, daß Gelder für landwirtschaftliche Einsätze der sowjetischen Soldaten auf ein Konto des Rates des Bezirks gezahlt und dort verwahrt werden. Es war vereinbart worden, daß das dort im Laufe der Zeit angesammelte Geld für die sowjetischen Soldaten, die es ja erwirtschaftet hatten, verwendet werden sollte. So wurde in der Folgezeit auch verfahren. Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zahlten die Gelder nach erfolgten Ernteeinsätzen der Soldaten auf dieses Konto. Die Offiziere in Nohra entschieden, was von dem Geld angeschafft bzw. gekauft werden sollte. Es wurde z.B. Baubedarf und Geschirr für die Garnison in Nohra finanziert. Der Kontostand wuchs im Laufe der Zeit immer weiter an und betrug zuletzt, im Jahre 1989, etwa 260.000,- Mark. Dieses sogenannte „Sonderkonto Nohra" war weder der Finanzrevision gemeldet noch in die Jahreshaushaltsrechnung des Bezirkes eingestellt. Es wurde also nicht kontrolliert. Erst im Dezember 1989 erfolgte eine Überprüfung durch die Finanzrevision. Gleichwohl war die Existenz des Kontos sowohl im Rat des Bezirkes als auch in der Bezirksleitung der SED nicht unbekannt. Nach Einschätzung des als Zeugen vernommenen Rolf Schröter hatten etwa 180 Personen Kenntnis von diesem „Sonderkonto". {4} Formell verfiigungs- und zeichnungsberechtigt waren Rolf Schröter als Leiter des Fachorgans LFN, dessen Stellvertreter Karl L. und der Hauptbuchhalter Karl Si. Diese kannten den Verwendungszweck der Gelder. Ansprechpartner für Wünsche der sowjetischen Offiziere waren in erster Linie Rolf Schröter und Heinz D., letzterer Mitglied der Bezirksleitung der SED und Leiter der Sicherheitsabteilung. Auch dem Angeklagten - erster Sekretär der Bezirksleitung der SED - war die Existenz des „Sonderkontos Nohra" und dessen Zweckbestimmung bekannt. Er war noch zur Amtszeit des Ratsvorsitzenden Gothe, der diese Position bis zu seinem Tode 1984 inne hatte, von diesem entsprechend informiert worden. Nach dessen Tod erhielt er dann noch genauere Informationen und war spätestens ab diesem Zeitpunkt exakt unterrichtet. Im Jahre 1985 oder 1986 trat der erste Sekretär der KP Litauens an den Angeklagten heran und bat um die Anfertigung eines Gewehres. Das Gewehr, eine Bockbüchsflinte Mod. 210, wurde daraufhin in Suhl gefertigt. Der Angeklagte übergab es im Jahre 1986

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dem Sohn des ersten Sekretärs, der zusammen mit einem LPG-Vorsitzenden in Erfurt weilte. Er übergab es als Geschenk, forderte keine Bezahlung. Das Gewehr war in Suhl von Heinz D., dem Leiter der Abteilung Sicherheit in der Bezirksleitung, abgeholt und zusammen mit der Rechnung über 9.800,60 Mark dem Angeklagten ausgehändigt worden. Zur Bezahlung dieser Rechnung beauftragte der Angeklagte Heinz D. bei Rolf Schröter anzufragen, ob dieses Gewehr aus den Mitteln des „Sonderkontos" finanziert werden kann. Für diesen - der Angeklagte war als erster Sekretär der Bezirksleitung der SED sein Vorgesetzter - war klar, daß die Bezahlung aus dem „Sonderkonto" vorgenommen werden sollte. Hierauf kam es dem Angeklagten an. Er wollte, daß eine entsprechende Auszahlung getätigt wurde. So erfolgte dann im Juli 1986 die Überweisung aus diesem Konto. Der Überweisungsträger wurde unterzeichnet von Karl L., dem Vertreter von Rolf Schröter, und dem Hauptbuchhalter Karl Si. Während der Hauptbuchhalter lediglich die Korrektheit des Buchungsvorgangs überprüfte, waren Karl L. die Zusammenhänge bekannt. Ihm war diese {5} Rechnung sein Vorgesetzter Schröter befand sich im Urlaub - zusammen mit anderen Rechnungen für die Garnison Nohra zugeleitet worden. Es war fur ihn klar, daß alles aus dem Sonderkonto zu bezahlen war, was dann auch ohne weiteres geschah. 2. Im November 1987 erhielt der Angeklagte über einen Rapport Kenntnis von einem Gewehr, welches von der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei (BDVP) nicht mehr benötigt und bereits zum Innenministerium nach Berlin gegeben worden war. Es handelte sich um eine etwa 130 Jahre alte Hahndoppelflinte ohne Nummer, an welcher der Angeklagte interessiert war. Er wendete sich an den Chef der BDVP Erfurt Gerhard Wittig und bat diesen darum, bei dem Innenminister nachzufragen, ob ihm das Gewehr zur Aufarbeitung und zur späteren Verwendung als Geschenk fur eine Persönlichkeit übergeben werden könne. Tatsächlich wollte der Angeklagte die Flinte jedoch für sich behalten. Gleich im Anschluß an dieses Gespräch, allenfalls ein oder zwei Tage später, schrieb Gerhard Wittig am 27.11.1987 an den Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei Dickel in Berlin. In dem Schreiben heißt es auszugsweise wie folgt: „... Der Kandidat des Politbüros und 1. Sekretär der Bezirksleitung Erfurt der SED, Genösse Gerhard Müller, der durch den Rapport vom Sachverhalt Kenntnis erhielt, ist an der Waffe zum Zweck der Aufarbeitung als Sammlerwaffe (Geschenk für Persönlichkeiten) interessiert..."

Mit Schreiben vom 3.12.1987, unterzeichnet von Generalmajor U., antwortete das Innenministerium und gab der Bitte des Angeklagten statt. In dem Schreiben ist unter anderem folgendes angeführt: „... Es wird davon ausgegangen, daß diese Waffe nur für den angegebenen Zweck Verwendung finden wird..." {6}

Auf dieses Schreiben hin veranlaßte Gerhard Wittig, daß dem Angeklagten die Waffe ausgehändigt und eine entsprechende Waffenkarte ausgestellt wurde. In der Waffenkarte ist der Angeklagte als Eigentümer eingetragen. Entsprechend seinem vorgefaßten Entschluß behielt der Angeklagte das Gewehr für sich und wollte es auch zu keinem Zeitpunkt einer Persönlichkeit schenken. Er ließ es für eigene Zwecke aufarbeiten. Einen Kaufpreis oder dergleichen zahlte er nicht. Nach

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Angaben des Angeklagten betrug der Wert der historischen Flinte etwa 1.600,- Mark. Für die Aufarbeitung will er 1.000,- Mark investiert haben. III. [Beweiswürdigung] 1. Zu der Finanzierung der Waffe aus dem „Sonderkonto Nohra" hat sich der Angeklagte in tatsächlicher Hinsicht durchaus geständig eingelassen, wenngleich er die Strafbarkeit seiner Handlungen nicht eingeräumt hat. Der Angeklagte hat ausgesagt, daß er schon zu Beginn seiner Amtszeit von dem damaligen Ratsvorsitzenden Gothe über das Konto und seinen Verwendungszweck informiert worden war und dann, nach dessen Tod, noch genauere Angaben erhielt. Nachdem schon im Jahre 1983 ein Gewehr für den ersten Sekretär der KP Litauen aus dem „Sonderkonto" finanziert worden war - dies aber noch auf Veranlassung des damaligen Ratsvorsitzenden Gothe - habe er 1986 Heinz C. beauftragt, bei Rolf Schröter, dem Verfügungsberechtigten über das „Sonderkonto Nohra", nachzufragen, ob auch dieses Gewehr entsprechend bezahlt werden könne. Es habe sich lediglich um eine Bitte gehandelt und nicht etwa um einen Befehl oder eine direkte Anweisung. Im übrigen sei das Gewehr ja einem sowjetischen Bürger zugute gekommen und damit vom Zweck des „Sonderkontos Nohra" durchaus gedeckt gewesen. 2. Zur Erlangung der alten Hahndoppelflinte hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, schon von Anfang an vorgehabt zu haben, das Gewehr für sich persönlich zu gebrau-{7 }chen. Er habe Gerhard Wittig nicht beauftragt, eine Freigabe der Waffe als Geschenk für eine Persönlichkeit zu erwirken. Das Gewehr sei ihm zu Eigentum übertragen worden, was sich schon daraus ergebe, daß er in der Waffenkarte als Eigentümer aufgeführt sei. Die Einlassung des Angeklagten, er habe Gerhard Wittig nicht darum gebeten, die Freigabe der Waffe als Geschenk für eine Persönlichkeit zu erwirken, ist widerlegt. Der als Zeuge vernommene Wittig hat genau dies ausgesagt. Er hat bekundet, daß er sich mit dem Angeklagten vor dem Haus - beide waren zur damaligen Zeit Nachbarn getroffen und dieser ihn eben zur Freigabe des Gewehres zu diesem Zweck: „Geschenk für Persönlichkeiten" gebeten habe. Die Aussage ist für das Gericht glaubhaft. Der Zeuge Wittig konnte sich in seiner Vernehmung daran erinnern, daß der Angeklagte gerade diesen Zweck genannt und er daraufhin dann den entsprechenden Brief an den Innenminister geschrieben hatte. Es sind keine Gründe bekannt geworden, die etwa die Annahme gerechtfertigt hätten, der Zeuge Wittig hätte diese Zweckbestimmung eigenmächtig mit in das Schreiben aufgenommen. Der Zeuge hat vielmehr erklärt, er hätte ohne weiteres einen anderen Verwendungszweck benennen können, so etwa die Bitte, das Gewehr dem Angeklagten als Geschenk auszuhändigen. Dem Zeugen war es offensichtlich egal, ob und für welchen Zweck das Gewehr übergeben wurde. Die Glaubhaftigkeit der Aussage wird ganz bedeutend durch das Aussageverhalten des Zeugen gestützt. Dieser hatte den Sachverhalt, wie geschildert, erklärt und war auch dann noch dabei geblieben, als er durch das Gericht erneut belehrt und eindringlich auf eine mögliche Vereidigung hingewiesen wurde. Nachdem sich die Vernehmung dann noch über einige Zeit hinzog, war sich der Zeuge nicht mehr hundertprozentig sicher

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und relativierte seine Aussage. Eine Vereidigung unterblieb. Nach der Mittagspause kam der Zeuge dann aus freien Stücken wieder und erklärte, sich den Ablauf noch einmal genau überlegt zu haben und war sich jetzt ganz sicher, von dem Ange-{8}klagten diesen Verwendungszweck gesagt bekommen zu haben. Der Zeuge Wittig wurde dann auf seine Aussage vereidigt. Der Zeuge ist glaubwürdig. Er ist Jurist, so daß gerade ihm die Folgen eines Meineides bekannt sind. Auch hat er offensichtlich kein Interesse an dem Ausgang des Strafverfahrens. Im übrigen war der Zeuge nach seinen eigenen Angaben in Waffenangelegenheiten sehr genau und hat deshalb den formellen schriftlichen Weg gewählt, der es ihm jetzt erlaubt, exakt und an Hand der Schreiben Auskunft zu erteilen. IV. [Rechtliche

Würdigung]

1. Durch seine Handlungen hat sich der Angeklagte nach dem StGB strafbar gemacht. a. Der Angeklagte hat sich im Fall der Bezahlung des Gewehres aus dem „Sonderkonto Nohra" der Anstiftung zur Untreue gem. §§ 26, 266 Abs. 1 2. Alt. StGB2 schuldig gemacht. aa. Vorgenommen und verfügt hat die Überweisung Karl L. Als Stellvertreter des Leiters des Fachorgans LFN, Rolf Schröter, war er von diesem über das „Sonderkonto Nohra" informiert worden, so daß auch ihn die Vermögensfürsorgepflicht traf, mit den finanziellen Mitteln nur in der bestimmten Art und Weise zu verfahren, wie es von seinem Vorgesetzten Schröter mit den Offizieren in Nohra abgesprochen worden war. Karl L. war also in das Treueverhältnis bzgl. des Verwendungszwecks der Gelder mit einbezogen, so daß sich seine Auszahlung als pflichtwidrige Handlung im Sinne eines Treuebruchs gem. § 266 Abs. 1 StGB darstellt. Auch handelte er rechtswidrig. bb. Zu dieser Tat hat der Angeklagte angestiftet, indem er dem Zeugen D. die Rechnung übergab und darum bat, daß diese aus dem „Sonderkonto" bezahlt werde und dieser die Rechnung zusammen mit anderen dem Zeugen L. zuleitete, der dann letztendlich auszahlte. Selbst wenn der Angeklagte den Zeugen D. nur dazu aufforderte, nachzufra{9}gen, ob eine Bezahlung möglich ist, liegt eine Anstiftungshandlung vor. Es ist gleichgültig, welcher Mittel sich der Anstiftende bedient. In Betracht kommen z.B. Überredung, Ratserteilung, Anregung, konkludente Aufforderung und sogar Frage (vgl. Dreher/Tröndle Strafgesetzbuch, 45. Aufl. § 26 Rz. 4). Entscheidend ist, daß in dem Täter der Entschluß zur Tat durch irgendeine dafür ursächlich oder mitursächliche Anstiftungshandlung hervorgerufen wird (vgl. Dreher/Tröndle aaO. Rz. 3). So liegt es hier. Als der Angeklagte, in seiner deutlich hervorgehobenen Stellung als erster Sekretär der Bezirksleitung der SED dem Zeugen D. die Rechnung übergab und darum bat, nachzufragen, ob eine Bezahlung aus dem „Sonderkonto" möglich sei, war für diesen klar, daß entsprechend zu verfahren war. Er gab daraufhin die Rechnung zusammen mit anderen zur Bezahlung an Rolf Schröter bzw. dessen Stellvertreter L., da sich Schröter im Urlaub befand. Der Zeuge D. stiftete also seinerseits zur Tat an. Ein Fall der mittelbaren Täterschaft liegt allerdings nicht vor, da Heinz D. selbst die Tatherrschaft inne hatte. Auch ihm waren ja alle Tatumstände bekannt.

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Daß der Angeklagte darum bat, die Rechnung Rolf Schröter zu übergeben, wegen dessen Abwesenheit aber sein Vertreter handelte, ist unerheblich und ändert an der Strafbarkeit letztlich nichts. Die Person des Anzustiftenden braucht nicht völlig bekannt zu sein. Es genügt, wenn sich die Aufforderung an die eine oder andere unbestimmte Person aus einem individuell bestimmten Personenkreis richtet und zur Anstiftung wird (vgl. Roxin in Leipziger Kommentar 10. Aufl. § 26 Rz. 10). Ob also Schröter persönlich oder (zufallig) dessen Stellvertreter handelte, läßt die Anstiftung nicht entfallen. An der Anstiftung ändert sich letztendlich auch nichts dadurch, daß der Angeklagte sich nicht direkt an den Verfugenden wandte, sondern Heinz D. beauftragte. {10} Anstiftung zur Anstiftung und damit Anstiftung zur Haupttat liegt vor, wenn jemand einen anderen anstiftet, seinerseits einen Dritten zur Begehung einer Tat anzustiften (vgl. Roxin in Leipziger Kommentar 10. Aufl. § 26 Rz. 36; BGHSt 6, 359). Nach den damaligen Machtverhältnissen, als erster Sekretär der Bezirksleitung der SED war der Angeklagte quasi erster Mann im Bezirk, wäre es auch nicht zu erwarten gewesen, daß sich der Angeklagte bis zur Unterzeichnung der Auszahlungsanordnung um die Bezahlung eines Gewehres kümmert. Für ihn war die Sache abgeschlossen, als er den Zeugen D. betraut hatte. Entscheidend ist, daß es dem Angeklagten im Ergebnis darauf ankam, daß das Gewehr aus dem Sonderkonto finanziert wurde. Und so geschah es dann auch. b. Bezüglich der alten Hahndoppelflinte hat sich der Angeklagte wegen Betruges gem. § 263 StGB gegenüber dem Innenministerium zu Lasten des Innenministeriums schuldig gemacht. Gegenüber dem Zeugen Wittig in seiner Stellung als Chef der BD V P hat der Angeklagte eine Täuschungshandlung begangen, indem er diesen darum bat, ihm das Gewehr zur Aufarbeitung als Geschenk für eine Persönlichkeit zu überlassen und der Zeuge Wittig dementsprechend seinem Innenminister und Chef der BDVP unter dem 27.11.1987 berichtete und um Zustimmung bat. Sowohl bei dem Zeugen Wittig als auch bei den in Berlin im Innenministerium zuständigen Stellen wurde ein entsprechender Irrtum erregt. Man glaubte dem Angeklagten, was im Antwortschreiben des Ministeriums vom 3.12.1987 deutlich wird. Dort wird demzufolge auch noch einmal ausdrücklich auf den besonderen Verwendungszweck Bezug genommen. Dementsprechend wurde dann im folgenden das Gewehr an den Angeklagten übergeben und sogar eine Waffenkarte auf dessen Namen ausgestellt. Das Gewehr wurde dem Angeklagten übereignet, was ohne weiteres eine Vermögensverfugung bedeutet. Eine Gegenleistung oder Bezahlung durch den Angeklagten erfolgte nicht, war nach dem vereinbarten Zweck aber auch {11} nicht erforderlich. Gleichwohl bedeutet die freiwillige Übergabe einen Vermögensschaden, da der angegebene Zweck - Aufarbeitung der Waffe als Geschenk für eine Persönlichkeit - von dem Angeklagten von vornherein nicht verwirklicht werden wollte. Denn gibt der Getäuschte ohne rechtliche Verpflichtung bewußt einen Vermögenswert ganz oder teilweise ohne Entgelt weg, so kommt es für die Annahme eines im Sinne des § 263 StGB relevanten Schadens darauf an, ob der mit der Aufwendung verfolgte Zweck verfehlt wurde, obwohl seine Erreichung sich als der vom Partner zu realisierende

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Ausgleich für das Vermögensopfer darstellt (vgl. Lackner, StGB mit Erläuterungen, § 263 Rz. 56). So liegt es hier. Der Angeklagte wollte das Gewehr von vornherein für sich persönlich erlangen und es eben nicht dem benannten Zweck zufuhren. Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich und in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Ihm war bewußt, daß er keinen Anspruch auf das Gewehr hatte und daß er es nur durch die Täuschung über den Verwendungszweck erlangen konnte. 2. Der Angeklagte hat sich auch nach den zur Tatzeit geltenden Strafvorschriften des StGB der DDR (in der Fassung des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 28.6.1979) schuldig gemacht. a. Gem. § 161a Abs. 1 StGB-DDR 3 war die Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums und gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR die Anstiftung hierzu strafbar. Die Tat des Angeklagten richtete sich gegen sozialistisches Eigentum. Gem. § 157 StGB-DDR 4 umfaßt der Begriff des sozialistischen Eigentums auch das Vermögen sozialistischer Staaten, ihrer Organe, Einrichtungen und Betriebe, so daß der Zugriff auf das „Sonderkonto" der sowjetischen Garnison Nohra hierunter fällt. Der Strafrahmen wäre § 162 Abs. 1 StGB-DDR 5 zu entnehmen gewesen. Danach wird eine schwere Schädigung sozialistischen {12} Eigentums als Verbrechen mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren bestraft. Eine schwere Schädigung in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn der verursachte Schaden etwa 10.000,- Mark beträgt (vgl. Strafrecht der DDR, Kommentar, § 162 Anm. 2). Hier hatte das finanzierte Gewehr einen Kaufpreis von 9.800,60 Mark, womit eine schwere Schädigung des Vermögens gegeben ist. Auch in den „Zwischengesetzen" der DDR, insbesondere dem fünften und sechsten Strafrechtsänderungsgesetz, blieb die Anstiftung zur Untreue strafbewehrt. Insbesondere blieb die Bestrafung schwerer Fälle der Untreue gem. § 164 StGB-DDR 6 unverändert, wenngleich der untere Strafrahmen auf ein Jahr Freiheitsstrafe reduziert wurde. Gem. Art. 315 EGStGB in Verbindung mit § 2 StGB ist im Verhältnis zum Strafrecht der DDR das mildere Gesetz anzuwenden. Dies ist im vorliegenden Fall § 263 Abs. 1 in Verbindung mit § 26 StGB, da die Vorschrift eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr und sogar Geldstrafe zuläßt. b. Betrug zum Nachteil sozialistischen Eigentums war gem. § 159 Abs. 1 StGB-DDR 7 strafbewehrt. Vergehen wurden gem. § 161 StGB-DDR mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, Verurteilung auf Bewährung oder Geldstrafe bestraft. Dieser Strafrahmen blieb auch im fünften und sechsten Strafrechtsänderungsgesetz erhalten. Der Strafrahmen des § 263 StGB sieht Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor, so daß die zur Tatzeit geltende Strafvorschriften des StGB der DDR als milderes Gesetz anzuwenden waren.

V.

[Strafzumessung]

Im Rahmen der Strafzumessung war gem. § 53 StGB für beide Straftaten eine Gesamtstrafe zu bilden.

103

Lfd. Nr. 3-3

Dokumente - Teil 1

Unter den Voraussetzungen des § 53 StGB sind in die Gesamtstrafenbildung auch Einzelstrafen einzubeziehen, die auf fortgeltendem DDR-Recht beruhen oder nach Art. 315 EGStGB {13} in Verbindung mit § 2 StGB auf das mildere DDR-Recht gestützt werden (vgl. Lackner, StGB, § 54 Rz. 8). Im Falle der Anstiftung zur Untreue gem. §§ 26, 266 StGB eröffnet das Gesetz einen Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Unter Abwägung aller Umstände erschien dem Gericht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten tat- und schuldangemessen. Hierbei sprach für den Angeklagten, daß er sich in der Hauptverhandlung zur Sache einließ und damit zur Aufklärung des Sachverhalts durchaus beitrug. Auch war zu berücksichtigen, daß sich der Geldbetrag zur Finanzierung des Gewehres nur auf 9.800,60 Mark belief und damit der Schaden nicht sonderlich hoch lag. In diesem Zusammenhang war jedoch auch zu bedenken, daß das durchschnittliche Einkommen der Bevölkerung in der DDR zum Tatzeitpunkt nur bei etwa 900,- oder 1.000,- Mark lag und nach den Strafvorschriften der DDR bei einem veruntreuten Betrag in Höhe von etwa 10.000,- Mark schon eine Bestrafung wegen eines Verbrechens in Betracht kam, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht war. Gegen den Angeklagten sprach, daß er bis zum Schluß das Unrecht seiner Tat nicht einsah und keine Reue zeigte, während dies bei einigen Zeugen durchaus der Fall war. Für die Betrugstat gem. §§ 159, 161 StGB-DDR ist ein Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vorgesehen. Hier erschien dem Gericht eine Freiheitsstrafe von vier Monaten tat- und schuldangemessen. Eine Geldstrafe kam nicht mehr in Betracht, ergab sich doch aus den Tatumständen, daß der Angeklagte seine Stellung als erster Sekretär der Bezirksleitung der SED und damit seine deutliche Machtstellung für seine persönlichen Zwecke mißbrauchte. Nur so konnte er das Innenministerium täuschen und die alte Waffe erhalten. Zugunsten des Angeklagten war auch hier der relativ geringe Schaden von unter 2.000,- Mark zu berücksichtigen. Nach nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt das Gericht letztendlich eine {14} Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten für tat- und schuldangemessen. Eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung kam aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht. Der Angeklagte hatte in dieser Angelegenheit vom 2.12.1989 bis zum 17.10.1990 in Untersuchungshaft eingesessen, so daß diese Zeit der Untersuchungshaft die verhängte Freiheitsstrafe übersteigt. Die Untersuchungshaft ist gem. § 51 StGB anzurechnen. Ist aber durch die gesetzlich angeordnete Anrechnung der Untersuchungshaft die Strafe in vollem Umfang verbüßt, so ist eine Strafaussetzung schon begrifflich nicht mehr möglich (vgl. Leipziger Kommentar/Ruß § 56 Rz. 7). Das durch die Betrugshandlung erlangte alte Gewehr war gem. § 74 StGB einzuziehen, da es zur Zeit der Entscheidung dem Angeklagten gehörte. VI. [Teilweiser Freispruch] Dem Angeklagten waren in der Anklageschrift zwei weitere Taten der Anstiftung zur Untreue vorgeworfen worden. So soll schon im Jahre 1983 auf seine Veranlassung hin eine Waffe als Geschenk für den ersten Sekretär der KP in Litauen und im Jahre 1988 104

Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Lfd. Nr. 3-3

eine weitere Waffe als Geschenk für Erich Honecker aus dem „Sonderkonto" bezahlt worden sein. Das Gericht sah beide Anklagepunkte nicht als bewiesen an. Im ersten Fall kam, so hat es die Beweisaufnahme ergeben, die Anweisung letztendlich von dem damaligen und zwischenzeitlich verstorbenen Ratsvorsitzenden Gothe. Ob der Angeklagte hieran maßgeblich beteiligt war, konnte in der Hauptverhandlung nicht zweifelsfrei geklärt werden. Im Fall der Modellwaffe für Erich Honecker haben die Zeugen Schröter und B. den Angeklagten entlastet. Sie haben ausgesagt, eigenständig und ohne Wissen des Angeklagten die Finanzierung aus dem „Sonderkonto" vorgenommen zu haben. {15} Wegen dieser Taten hatte mithin ein Teilfreispruch zu erfolgen, da sie zu den verurteilten Straftaten im Verhältnis der Tatmehrheit gestanden hätten und auch in diesem Sinne von der Staatsanwaltschaft angeklagt waren.

Anmerkungen 1

2 3 4 5 6 7

Rolf Schröter wurde gemeinsam mit drei weiteren Angestellten des Rates des Bezirkes von der Staatsanwaltschaft Erfurt am 9.5.1990 - Az. 111 - 3/90 - wegen Untreue angeklagt. Das Kreisgericht Erfurt verurteilte Schröter am 17.7.1992 - Az. 39 S 39/90 - zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Einer der Mitangeklagten wurde zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten auf Bewährung verurteilt, die anderen beiden wurden verwarnt. Zum Wortlaut des § 266 StGB vgl. Anhang S. 513. Vgl. Anhangs. 510. Vgl. Anhang S. 509. Vgl. Anhangs. 510. Vgl. AnhangS. 511. Vgl. Anhang S. 509.

105

Lfd. Nr. 3-4

Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Aufhebungsbeschluss des Bezirksgerichts Erfurt vom 21.6.1993 Az.: 501 Js 4984/91 - 5 KLs Gründe

107

Anmerkungen

107

106

Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Bezirksgericht Erfurt Az.: 501 Js 4984/91 - 5 KLs

Lfd. Nr. 3-4

21. Juni 1993

BESCHLUSS In der Strafsache gegen Gerhard Alfred Müller, geb. 1928 in C., wegen Vertrauensmißbrauchs, Anstiftung zur Untreue und Diebstahl wird der Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Bezirksgerichts Erfurt - 1. Strafsenat Az.: 1 Js 4984/91 - vom 09.08.1991" zu Ziffer 3. aufgehoben.

Gründe ® Es folgen Ausführungen zur Prozeßgeschichte und zum derzeitigen Stand des Verfahrens. {2} Nach Übersendung der Akten an das Bundesverfassungsgericht hat der Berichterstatter des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts unter Hinweis auf § 24 Bundesverfassungsgerichtsgesetz u.a. Bedenken deshalb geäußert, weil der Beschluß des 1. Strafsenats des Bezirksgerichtes Erfurt vom 09.08.1991 in falscher Besetzung ergangen sei. Diesen Bedenken schließt sich der 5. Strafsenat des Bezirksgerichtes Erfurt an: {3} Über eine Vorlage nach Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz, § 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz hat das vorlegende Gericht jeweils in der Besetzung zu entscheiden, in der es sonst die ausgesetzte Verfahrensentscheidung zu treffen gehabt hätte. Im vorliegenden Fall ist der Aussetzungs- und Vorlagebeschluß im Verfahren über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens ergangen. Es handelte sich damit um eine Entscheidung des Strafsenats des Bezirksgerichts außerhalb der Hauptverhandlung. Nach Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1, Maßgabe j, Absatz (1) des Einigungsvertrages entscheidet außerhalb der Hauptverhandlung der Vorsitzende des Strafsenats allein. Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluß vom 09. August 1991 trägt jedoch die Unterschrift von zwei Richtern und ist damit nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung gefaßt worden. Aus vorstehenden Gründen war der Beschluß des 1. Strafsenats vom 09.08.1991 aufzuheben. Eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, soweit dem Angeklagten Müller unter Ziffer I.I. bis I.III, der Anklage jeweils ein Vertrauensmißbrauch im schweren Fall vorgeworfen wird, wird demnächst durch den nunmehr zuständigen 5. Strafsenat des Bezirksgerichts Erfurt erfolgen.

Anmerkungen 1

Vgl. lfd. Nr. 3-2.

107

Lfd. Nr. 3-5

Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 Az.: 1 Js 4984/91 KLs Gründe

109

I.

[Prozeßgeschichte]

109

II.

[Sachverhaltsfeststellungen]

110

III. [Rechtliche Würdigung] Anmerkungen

108

113 117

Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Landgericht Erfurt Az.: 1 Js 4984/91 KLs

Lfd. Nr. 3-5

23. Juni 1995

BESCHLUSS In der Strafsache gegen den Rentner Gerhard Alfred Müller geboren am 4.2.1928 in Chemnitz verheiratet, Deutscher wegen Vertrauensmißbrauchs hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Erfurt durch ® es folgt die Nennung der Verfahrensbeteiligten ® am 23. Juni 1995 beschlossen: Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus rechtlichen Gründen in dem Fall 1.1. der Anklage abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen insoweit der Staatskasse zur Last. {2}

Gründe I.

[Prozeßgeschichte]

Dem Angeschuldigten wird mit der Anklageschrift vom 11. Mai 19901, beim Kreisgericht Erfurt Nord eingegangen am 28.5.1990, unter Ziffer 1.1. vorgeworfen, die ihm in seiner Funktion als 1. Sekretär der Bezirksleitung Erfurt der SED übertragenen Vertrauensstellung mißbraucht zu haben, indem er, entgegen seinen Pflichten fur eine rationelle und sparsame Verwendung der zur Verfugung stehenden materiellen und finanziellen Mittel Sorge zu tragen, im Frühsommer 1987 den Neubau des Jagdhauses Kammerbach mit einem Baukostenaufwand vom 756 TM ohne ökonomische Notwendigkeit und mit dem Ziel der persönlichen Privilegierung bewirkte, wodurch materielle und personelle Kapazitäten im genannten Wertumfang gesellschaftlich notwendigen Baumaßnahmen, z.B. bei der Wohnraumerhaltung, entzogen wurden. Das Verfahren befindet sich hinsichtlich des Anklagepunktes 1.1. der Anklage noch im Entscheidungsstadium über die Eröffnung des Hauptverfahrens, §§ 203, 207 StPO. Zwar heißt es in dem Beschluß des Bezirksgerichts Erfurt vom 9.8.1991 unter dessen Ziffer „1.": „Das Hauptverfahren wird eröffnet." Da hier keine Differenzierung zwischen den einzelnen Anklagepunkten vorgenommen wurde, könnte dies so verstanden werden, als sei das Hauptverfahren bereits insgesamt, auch hinsichtlich der hier in Rede stehenden Ziffer 1.1. der Anklage bereits eröffnet worden. Ziffer 1. des Beschlusses vom 9.8.1991 ist jedoch im Zusammenhang mit dessen Ziffern „2." und „3." auszulegen.

109

Lfd. Nr. 3-5

Dokumente - Teil 1

Da unter Ziffer 2. des Beschlusses allein die Anklage der Staatsanwaltschaft hinsichtlich deren Ziffer 2 und 3 zur Hauptverhandlung zugelassen wurde und entsprechend Ziffer 3 des Beschlusses das Verfahren hinsichtlich der Punkte 1.1. bis 1.3. der Anklage {3} abgetrennt, ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz vorgelegt wurde 2 , ist Ziffer 1 des Beschlusses so zu verstehen, daß eine Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich aller Anklagepunkte nicht gewollt war. Davon, daß sich das Verfahren hinsichtlich der Anklagepunkte 1.1. bis 1.3. noch im Entscheidungsstadium darüber befindet, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist, geht auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Stellungnahme vom 17.12.1992 unzweifelhaft aus. Der Angeschuldigte wurde 1928 in C. geboren. Er war zunächst von Beruf Lehrer, bevor er ab 1955 in verschiedenen Funktionen in der SED tätig war. Im Jahr 1980 wurde der Angeschuldigte zum 1. Sekretär der Bezirksleitung Erfurt der SED gewählt. Diese Funktion übte er bis zum 11.11.1989 aus. Bis zu seinem Ausschluß am 3.12.1989 war der Angeschuldigte zugleich Mitglied des Zentralkomitees der SED und Kandidat des Politbüros. {4}

II.

[Sachverhaltsfeststellungen]

Nach dem Abschluß der Ermittlungen stellt sich anhand der in den Akten enthaltenen Zeugenaussagen der Zeugen Κ., Ε., B., P., S., W., S., R. und H. für das Gericht folgender Sachverhalt dar: Der Angeschuldigte übte seit mehreren Jahren im Jagdgebiet 3 der Jagdgesellschaft Luisenthal die Jagd aus. Zur Jagdgruppe des Angeschuldigten gehörten 4 Personen. In dem 1700 ha großen Jagdgebiet, das im Hinblick auf die Größe und die materielle und personelle Ausstattung zur Realisierung jagdlicher Belange einen besonderen Status hatte, befand sich die sog. Kammerbachhütte, die im Februar 1987 vom Rat des Bezirkes unentgeltlich in die Rechtsträgerschaft der SED überfuhrt worden war. Der Rechtsträgerwechsel erfolgte, weil das Pirschhaus als Objekt der BL der SED Erfurt genutzt werden sollte. Am 24.7.1986 besichtigte der Angeschuldigte zusammen mit den Zeugen Κ., E. und dem Architekten B. die Hütte. Der Zeuge E. war seit Oktober 1973 als Abteilungsleiter in der Bezirksleitung der SED in Erfurt tätig. In dieser Funktion war er für das Finanzgeschehen im Bezirk Erfurt verantwortlich. Dies umfaßte die Einnahmen und Ausgaben der Partei, wobei auch die Planungen für Werterhaltungen der Gebäude der Partei sowie Neubauten und Reparaturen dazu gehörten. Der Zeuge K. war Mitarbeiter der Bezirksleitung der SED und war als solcher für die Planung, Durchführung und Abrechnung der Bauvorhaben in der Bezirksparteiorganisation Erfurt verantwortlich. Der Zeuge B. war durch den Ratsvorsitzenden des Bezirkes Erfurt 1986 in die Funktion des Gruppenleiters für Sonderbauten im VEB Ingenieurbüro Bauwesen berufen worden. {5}

110

Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Lfd. Nr. 3-5

Im Rahmen dieser Besichtigung gab der Angeschuldigte die Anweisung, daß die Kammerbachhütte zu renovieren sei. Er legte dabei nach Beratung mit dem Zeugen B. fest, welche einzelnen Baumaßnahmen durchzufuhren sind. Der Angeschuldigte gab an, daß das Pirschhaus der Unterbringung von Gästen der Bezirksleitung der SED dienen sollte und der Weg und die Unterbringung der Gäste auf der Veste Wachsenburg dafür entfallen sollte. Im Zusammenhang mit der Renovierung der Jagdhütte wurde nach gemeinsamer Beratung von voraussichtlichen Renovierungskosten in Höhe von 165 TM gesprochen. Diese Summe wurde später von dem Zeugen K. im sog. Reparaturplan eingeplant und vom Zeugen E. bestätigt. Im Jahr 1987 kam es zu einer weiteren Besichtigung der Hütte, an der u.a. der Zeuge K. - nicht aber der Angeschuldigte - teilnahm. Im Rahmen dieser Besichtigung wurde festgestellt, daß die ursprünglich geplante Rekonstruktion nicht möglich war, da die Hütte kein Fundament hatte und im unteren Teil verfault war. Die Kosten einer Renovierung hätten die eines Neubaus überschritten. Einige Tage später kam es vor Ort zu einem Treffen mit dem Zeugen P., der als Leiter der staatlichen Bauaufsicht tätig war. Der Zeuge P., der von dem Vorhaben des Angeschuldigten Kenntnis hatte, entschied daraufhin am 11.5.1987 im Einvernehmen mit den Zeugen H., K., S. und B., daß die Hütte abzureißen sei. Unmittelbar darauf wies der Zeuge K. an, die Hütte abzureißen. Diese Entscheidung basierte auf dem bestehenden Auftrag des Angeschuldigten zur Rekonstruktion des Forsthauses. Der Abriß der Kammerbachhütte begann durch den Kreisbaubetrieb Gotha, Bereich Ohrdruf am 4.5.1987. Kurz nach dem Abriß wurde der Angeschuldigte durch den Zeugen S. - dem damaligen persönlichen Mitarbeiter des Angeschuldigten - darüber und über das Vorhaben, eine neue Jagdhütte zu erbauen, informiert. Der Angeschuldigte, der sich zu dieser Zeit in Kur befunden hatte, stimmte diesem Plan zu. Den Plan zum Neubau der Hütte hatten die Zeugen P. und K. allein deshalb gefaßt, weil sie wußten, daß der Angeschuldigte bestimmt hatte, die Jagdhütte zu renovieren, also deutlich machte, daß es ihm auf das Vorhandensein einer gut ausgestatteten Hütte ankam. {6} Ohne die Zustimmung des Angeschuldigten wäre es zu keinem Neubau der Hütte gekommen. Richtigerweise hätten vor Baubeginn die Projektunterlagen, der Kostenplan und eine Grundsatzentscheidung des ZK der SED vorliegen müssen. Da die insoweit für diese Maßnahmen zuständigen Zeugen K. und E. auf die Zusage und die Angaben des Angeschuldigten vertrauten, wurden die Maßnahmen unterlassen. Hinsichtlich der Finanzierung hatte der Angeschuldigte keine Anweisungen gegeben. Ausweislich des Protokolls der Revisionskommission mußten für die Errichtung und Ausstattung der Kammerbachhütte insgesamt ein Betrag von 756.367,33 M aufgewendet werden (1987: 227.587,97 M; 1988: 484.262,08 M; 1989: 44.517,28 M.) Die Zeugen E. und K. entschieden, daß die Finanzierung der Errichtung der Kammerbachhütte grundsätzlich aus dem Bau- und Reparaturfonds der BL der SED (Konto 59260) erfolgen sollte. Die BL verfügte im Jahr 1988 über einen Fonds für Baureparaturen aller parteieigenen Objekte des Bezirkes Erfurt in Höhe von ca. 3,5 Mio. Mark. In der Finanzrichtlinie der SED heißt es hierzu:

111

Lfd. Nr. 3-5

Dokumente - Teil 1

2.4.1. Die Planung der finanziellen Mittel für Investitionen und Rekonstruktionen erfolgt nach einem von der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED bestätigten Plan. 2.4.2. Für die Instandsetzung, Instandhaltung und Modernisierung der Gebäude und baulichen Anlagen ist ein normativer Betrag vom Bruttowert der Gebäude und baulichen Anlagen zu planen. Die Mittel sind auf der Grundlage der aus den Zustandsanalysen erarbeiteten Maßnahmeplänen schwerpunktmäßig einzusetzen. {7} Die Leistungen sind nach konkreten Vorgaben als Baureparaturen zu planen Obwohl der Bau- und Reparaturfonds allein für Baureparaturen vorgesehen war und gerade nicht für Investitionsmaßnahmen dienen sollte, wurde der Großteil der Finanzmittel aus diesem Fonds entnommen. Dies war dem Angeschuldigten auch bekannt: Der 1. Sekretär einer Bezirksleitung ist in jedem Fall informiert, wenn eine Investitionsmaßnahme bestätigt wird, da hierzu eine entsprechende Beschlußfassung erfolgen muß. Da zur Verwirklichung der Kammerbachhütte diese Maßnahme nicht durchgeführt wurde, muß davon ausgegangen werden, daß G. Müller Kenntnis davon hatte, daß keine Investitionsmaßnahme durchgeführt wird. Somit mußte ihm auch die einzige Möglichkeit der Finanzierung für Kammerbach aus dem Fonds für Baureparaturen klar gewesen sein; eine andere Alternative gab es nicht. Die Rechnungen gelangten entgegen der üblichen Vorgehensweise nicht nach Berlin zur Finanzabteilung des ZK, so daß das ZK über die Existenz der Kammerbachhütte bzw. die Kosten für ihren Neubau keine Kenntnis erlangen konnte. Allein hinsichtlich eines Betrages von 200 TM wurde ein anderer Finanzierungsweg eingeschlagen: Nachdem 1987 mit dem Bau der Kammerbachhütte begonnen worden war, teilte der Zeuge E. dem Angeschuldigten mit, daß die finanziellen Mittel für den Bau nicht ausreichen und zusätzliche Mittel benötigt werden. Der Angeschuldigte versprach, sich mit dem Zeugen W., Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED in der Abteilung Finanzen, in Verbindung zu setzen. Dem Zeugen W. oblagen die Entscheidungen zu Rechtsgeschäften jeglicher Art, die im Rahmen der SED abgeschlossen wurden. Er war insofern für den Abschluß und die Genehmigung von Rechtsgeschäften in bezug auf Grundstücke und Baulichkeiten der {8} Bezirks- und Kreisleitungen der SED verantwortlich. Die Rechtsgeschäfte unterlagen seiner Genehmigung, soweit sich das Erfordernis nicht unmittelbar aus den Beschlüssen des Sekretariats des ZK der SED ergab. Baumaßnahmen im Territorium durch die Partei bedurften der Genehmigung durch W., soweit sie Investitionscharakter trugen. Dazu erfolgte durch W. eine entsprechende Grundsatzentscheidung, die durch das Sekretariat des ZK der SED in Form eines entsprechenden Beschlusses zu bestätigen war. Kurze Zeit später teilte der Angeschuldigte dem Zeugen E. mit, daß für den Bau die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden; er habe mit dem Genossen W. gesprochen. Er, E., müsse diese nur noch beantragen.

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Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Lfd. Nr. 3-5

Der Zeuge E. stellte daraufhin am 10.12.1987 einen Antrag an die Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK in Höhe von 980 TM. Der Antrag wurde durch den Zeugen R. unterschrieben und durch das ZK bestätigt. Er wurde damit begründet, daß die 980 TM für den Umbau eines Gästehauses in Erfurt, Cyriakstraße benötigt werde. Tatsächlich wurden 200 TM davon für den Bau des Pirschhauses Kammerbach verwendet. Daß auch Mittel für den Bau der Kammerbachhütte verwendet werden sollten, wurde in dem Antrag nicht erwähnt. Die gesamten Kosten, die durch den Neubau der Kammerbachhütte entstanden, wurden der Bezirksleitung der SED in Rechnung gestellt und durch diese beglichen. Die Kammerbachhütte wurde Ende 1988 fertiggestellt. Der Angeschuldigte erwähnte, daß die Hütte als Gästehaus der BL dienen sollte. Tatsächlich wurde die Kammerbachhütte einmal - Anfang Dezember 1988 - von einer polnischen Delegation genutzt. {9} ΙΠ. [Rechtliche

Würdigung]

Das dem Angeschuldigten zur Last gelegte Geschehen des Anklagepunktes 1.1. wertet die Anklage als schweren Fall des Vertrauensmißbrauches i.S.v. § 165 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 1 StGB/DDR3. Dem vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Nach Ansicht der Kammer ist der Angeschuldigte nicht hinreichend verdächtig, sich nach § 165 Abs. 1, 2 StGB/DDR in der Fassung vom 1. Juli 19904 i.V.m. § 10 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßwesens (6. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR, GBl. 1990 I, Nr. 39) i.V.m. Art 9 Abs. 2 und Anlage II, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 - Einigungsvertrag - strafbar gemacht zu haben. Art. 9 Abs. 2 des Einigungsvertrages vom 31.8.1990 legt fest, daß das in Anlage II aufgeführte Recht der Deutschen Demokratischen Republik mit den dort genannten Maßgaben in Kraft bleibt, soweit es mit dem Grundgesetz unter Berücksichtigung des Einigungsvertrages sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist. In Anlage II, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages wird bestimmt, daß § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 29. Juni 1990 in Kraft bleibt. § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR lautet: „Soweit vor Inkrafttreten dieses Gesetzes Straftaten nach den Vorschriften der §§ 165, ... begangen und Strafverfahren eingeleitet wurden, sind in diesen Fällen die {10} vorgenannten Bestimmungen der Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit weiterhin zugrunde zu legen. ..."

Aus Anlage I i.V.m. § 1 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes ergibt sich, daß § 165 StGB/DDR im übrigen entfällt. Gemäß § 12 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29.6.1990 trat das Gesetz am 1.7.1990 in Kraft. 113

Lfd. Nr. 3-5

Dokumente - Teil 1

§ 165 StGB/DDR bestimmt, daß derjenige, der eine ihm zeitweise übertragene Vertrauensstellung mißbraucht, indem er entgegen seinen Rechtspflichten Entscheidungen oder Maßnahmen trifft oder Maßnahmen oder Entscheidungen bewirkt und dadurch vorsätzlich einen bedeutenden wirtschaftlichen Schaden verursacht, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Geldstrafe bestraft wird. Wer durch die Tat einen besonders schweren wirtschaftlichen Schaden verursacht, wird gemäß § 165 Abs. 2 Nr. 1 StGB/DDR mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren bestraft. § 165 StGB/DDR setzt damit folgendes voraus: - eine Vertrauensstellung - der vorsätzliche Mißbrauch dieser Stellung und Befugnisse durch Treffen von Entscheidungen oder Maßnahmen entgegen den Rechtspflichten oder das Erwirken von Entscheidungen - das vorsätzliche Herbeifuhren eines bedeutenden bzw. besonders schweren wirtschaftlichen Schadens durch den Mißbrauch - den Kausalzusammenhang in der Reihenfolge der aufgezählten Tatbestandsmerkmale (Strafrecht der DDR Kommentar, 3. Aufl. 1981, § 165 Nr. 2). Die Vorschrift sichert die leitende und planende Tätigkeit des Staates auf dem Gebiet der Wirtschaft und die Prinzipien der Leitung und Durchführung ökonomischer Prozesse gegen den Mißbrauch von Rechten und Befugnissen, die den Staats- und {11} Wirtschaftsfunktionären oder sonstigen Vertrauenspersonen im Bereich der sozialistischen Volkswirtschaft übertragen wurden (a.a.O. § 165 Nr. 1). Daß durch § 165 StGB/DDR gerade die Volkswirtschaft geschützt werden soll, ist auch aus der Stellung der Norm im 2. Abschnitt des Besonderen Teil des StGBs/DDR unter der Überschrift „Straftaten gegen die Volkswirtschaft" zu entnehmen. Der strafrechtliche Schutz der Volkswirtschaft basiert auf der sozialen Planwirtschaft und folgt dem auch in der Wirtschaft voll zu verwirklichenden Prinzip des demokratischen Zentralismus (Strafrecht Besonderer Teil, Lehrbuch, 1981, S. 144). Der in strafrechtlichen Bestimmungen verwendete Begriff Volkswirtschaft erfaßt die Gesamtheit aller ökonomischen und technischen Prozesse der erweiterten Reproduktion, die sich in einem abgegrenzten Territorium in und zwischen Betrieben, Einrichtungen und Institutionen vollziehen. Zur Volkswirtschaft gehören alle Betriebe, Einrichtungen und Institutionen der Industrie, der Bauwirtschaft, der Land- und Forstwirtschaft, des Verkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, des Handels, der sonstigen Zweige des produzierenden Bereichs (wie Forschungs- und Entwicklungszentren, Projektierungsbetriebe, Verlage) und der dienstleistenden Wirtschaft, ferner die ökonomischen Beziehungen im kulturellen und sozialen Bereich sowie der staatlichen Verwaltung und gesellschaftlicher Organisationen (Strafrecht BT, Lehrbuch, S. 144). Aus diesem Schutzzweck heraus und dem beschriebenen Schutzgut der sozialistischen Volkswirtschaft kann das Verhalten des Angeschuldigten zumindest nicht das Tatbestandsmerkmal des Herbeifuhrens eines bedeutenden wirtschaftlichen Schadens erfüllen. Das Schutzgut der sozialistischen Volkswirtschaft ist nicht betroffen.

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Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Lfd. Nr. 3-5

Bedeutender wirtschaftlicher Schaden sind alle negativen Auswirkungen auf den Ablauf ökonomischer Prozesse, die im Hinblick auf das Ausmaß einer eingetretenen finanziellen {12} Schädigung beträchtlich sind oder bzw. und die als Beeinträchtigung ökonomischer Prozesse und Proportionen wesentliche Störungen verursacht haben (Kommentar a.a.O., § 165 Nr. 5). Zwar war hier die Vorgehensweise insofern nicht korrekt, als Mittel des Parteivermögens für ein Vorhaben verwendet wurde, das von der Parteispitze entgegen Punkt 2.4.1. der Finanzrichtlinie der SED nicht bestätigt worden war. Für den Neubau der Kammerbachhütte waren daher von der Partei keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt worden. Das ZK wußte im Zweifel nichts von der Existenz der Kammerbachhütte und deren Neubau. Die Finanzierung erfolgte zudem entgegen den Richtlinien der Partei nicht aus dem Fonds für Investitionsmaßnahmen, sondern aus dem Bau- und Reparaturfonds. Zu beachten ist jedoch, daß beide Fonds von der SED zur Verfügung gestellt wurden, d.h. die Mittel beider Fonds gerade nicht ursprünglich dem Volke zustanden und nicht Bestandteil der Volkswirtschaft waren. Der Aufbau der Hütte wurde vollständig aus den Mitteln der SED-Bezirksleitung bezahlt. Wenn überhaupt, wurde hier zum Nachteil des Vermögens der Partei gehandelt, ohne daß „Volkseigentum" bzw. die „sozialistische Volkswirtschaft" in der oben dargelegten Definition betroffen war. Auch aus § 157 Abs. 1 StGB/DDR5 ergibt sich, daß das Vermögen demokratischer Parteien gerade nicht zum Volkseigentum gehört. Hierzu zählten nach der Vorschrift vielmehr nur das Vermögen der Deutschen Demokratischen Republik, ihrer Organe, Einrichtungen und Betriebe. Es ist auch nicht ersichtlich inwieweit die Gelder, die durch die Fonds der SED in den Aufbau der Kammerbachhütte flössen, für das Volkseigentum aufgebracht worden wären bzw. sonstwie in die sozialistische Volkswirtschaft eingeflossen wären. Da es sich insoweit um Parteieigentum handelte, ist vielmehr davon auszugehen, daß die Fonds, wären sie nicht teilweise für den Aufbau der Kammerbachhütte verwendet {13} worden, für sonstige Projekte der Partei zur Verfügung gestellt worden wären, ohne daß die Volkswirtschaft als solche hiervon Nutzen gehabt hätte. Ebenso kann nicht mit der Anklagebehörde darauf abgestellt werden, daß, wenn die Kammerbachhütte nicht erbaut worden wäre, die mit dem Aufbau beschäftigten Arbeitskräfte hätten - ebenso wie das verwendete Material - besser (etwa für den Wohnungsbau) eingesetzt werden können. In der Anklage heißt es hierzu, daß durch den Neubau der Kammerbachhütte materielle und personelle Kapazitäten im Wertumfang von 756 TM gesellschaftlich notwendigen Baumaßnahmen, z.B. bei der Wohnraumwerterhaltung, entzogen wurden. Der wirtschaftliche Schaden i.S.v. § 165 Abs. 1 StGB/DDR bestehe in der der persönlichen Privilegierung dienenden Vergeudung der materiellen und personellen Kapazitäten. Zwar führte der Zeuge S. - Oberbauleiter des VEB Kreisbetriebes Gotha - aus, daß durch den Gebrauch des Materials für die Kammerbachhütte die Wohnungserhaltung auf der Strecke blieb. Die jährliche Leistung an Baureparaturen pro Beschäftigten liege bei der Werterhaltung bei ca. 25 TM, so daß bezogen auf 700 TM etwa 250 TM für die Bevölkerung hätte verbaut werden können. Auch der Zeuge H. gibt an, daß für den finan115

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ziellen Aufwand, der für die Kammerbachhütte erbracht wurde, 8 Vi Wohneinheiten hätten erbaut werden können. Zum einen wurde hierbei jedoch nicht berücksichtigt, daß für den Einsatz an Arbeitskräften und Material seitens der SED ein finanzieller Gegenwert in Form von Geldzahlungen erbracht wurde; die gesamten 756 TM wurden, wie bereits mehrfach erwähnt, aus parteieigenen Mitteln bezahlt. Ein nachhaltiger Eingriff in die sozialistische Volkswirtschaft lag damit nicht vor. Zum anderen ist nicht ersichtlich, welche konkreten Vorhaben durch den Aufbau der Kammerbachhütte mangels Vorhandenseins von Material oder Arbeitskraft zurückgestellt werden mußten. Die Aussagen der Zeugen sind insoweit zu pauschal. {14} Die allgemeine Feststellung, daß Planvorhaben nicht durchgeführt werden konnten, genügt hier nicht. Es ist erforderlich, die konkreten ökonomischen Auswirkungen der planwidrigen Entscheidung oder Verfügung nach Art und Ausmaß zu bestimmen (StGB, Kommentar a.a.O., § 165 Nr. 5). Da der Zeuge H. darüber hinaus ausgesagt hat, daß ihm nicht bekannt sei, daß es in den Jahren 1987 und 1988 objektkonkrete Verschiebungen gegeben hat, spricht auch dies gegen eine Strafbarkeit des Angeschuldigten nach § 165 StGB/DDR. Auch kann es - wie oben gesehen - nicht Schutzzweck des § 165 StGB/DDR sein, vor dem „falschen" - da für die Bevölkerung nicht effektiven bzw. nützlichen - Einsatz von Parteimitteln zu schützen. Inwieweit die zweckwidrige Verwendung parteieigener Fonds negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaft im Sinne eines bedeutenden wirtschaftlichen Schadens hat, ist nicht erkennbar. Dies steht auch nicht in Widerspruch zur Entscheidung des Landgerichts Rostock vom 16.2.1993 6 , Neue Justiz 1993, 425. In der Entscheidung des LG Rostock ging es um die planwidrige Verwendung von Mitteln des Rates des Bezirkes, mithin von Volksund nicht Parteieigentum. Hierin lag, anders als im vorliegenden Fall, ein unmittelbarer Einfluß auf die sozialistische Volkswirtschaft vor. Zwar mag die Einsetzung der vorhandenen Parteimittel seitens des Angeschuldigten für eigene bzw. nur einem sehr kleinen Personenkreis dienende Zwecke angesichts der allseits sichtbaren Not in der Bevölkerung moralisch verwerflich gewesen sein. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit kann daraus nach Ansicht der Kammer jedoch nicht hergeleitet werden, da die Vorschrift des § 165 StGB/DDR ihrem Schutzzweck nach die zweckwidrige Verwendung von Parteieigentum nicht erfassen kann. {15} Nach alledem war die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen eines Verstoßes gegen § 165 StGB/DDR i.V.m. § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes i.V.m. Art. 9 Abs. 2 und Anlage II, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages gem. § 204 StPO abzulehnen. Auch kam eine Eröffnung des Hauptverfahrens wegen eines Verstoßes gegen § 161a StGB/DDR (Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums) 7 i.V.m. § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes i.V.m. Art. 9 Abs. 2 und Anlage II, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages nicht in Betracht. Die Staatsanwaltschaft hatte mit Schreiben vom 14.9.1994 daraufhingewiesen, daß das Hauptverfahren auch hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 161a StGB/DDR zu eröffnen sei.

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Da die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat vor dem Wirksamwerden des Beitritts der neuen Bundesländer begangen wurde, findet nach Art. 315 Abs. 1 S. 1 EGStGB § 2 StGB Anwendung. Gem. § 2 Abs. 1 StGB bestimmt sich die Strafe nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat galt; soweit das Gesetz vor der Entscheidung geändert wurde, ist gem. § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz anzuwenden. Aufgrund des Gesamtvergleiches des § 161a StGB/DDR und der dieser Vorschrift vergleichbaren Bestimmung des § 266 StGB8 ist wegen der engeren Fassung des objektiven Tatbestandes (§ 161a StGB/DDR setzt im Gegensatz zu § 266 StGB voraus, daß der Täter sich oder anderen rechtswidrig Vermögensvorteile verschafft) und des geringeren Strafrahmens § 161a StGB/DDR als das mildere Gesetz anzusehen. Diese Vorschrift ist daher der Beurteilung der Strafbarkeit des Angeschuldigten zugrundezulegen. {16} Der Angeschuldigte ist einer Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums gem. § 161a StGB/DDR deshalb nicht hinreichend verdächtig, weil ihm oder anderen durch sein Handeln keine rechtswidrigen Vermögensvorteile i.S.d. § 161a StGB/DDR verschafft wurden. Die Kammerbachhütte verblieb im Eigentum der SED. Selbst wenn angenommen würde, daß der Angeschuldigte die Hütte auch fur persönliche Zwecke benutzte, ist dies kein Vorteil, der sich im Vermögen des Angeschuldigten niederschlägt.

Anmerkungen 1 2 3 4

5 6 7 8

Vgl. lfd. Nr. 3-1. Vgl. lfd. Nr. 3-2. Vgl. Anhangs. 510. Diese Formulierung ist missverständlich, denn § 165 DDR-StGB wurde durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29.6.1990 (DDR-GB1.1, S. 526), das am 1.7.1990 in Kraft trat, in seiner bisherigen Form aufgehoben und regelte ab diesem Zeitpunkt den Tatbestand der vorsätzlichen Sachbeschädigung. Gemeint ist wohl § 165 DDR-StGB in der bis zum 6. Strafrechtsänderungsgesetz gültigen Fassung durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 28.6.1979 (DDR-GB1.1, S. 139). Vgl. Anhang S. 509. Vgl. lfd. Nr. 5-2. Vgl. Anhangs. 510. Vgl. Anhangs. 513.

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Inhaltsverzeichnis Beschluss (Abtrennung und Vorlage) des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 A.Z.: 1 Js 4984/91 KLs Gründe

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1.

Prozessuale Situation

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2.

Sachverhalt A. Anklagepunkt 1.2 B. Anklagepunkt 1.3

121 121 123

3.

Rechtliche Würdigung A. Entscheidungserheblichkeit B. Verfassungswidrigkeit a. [Unzulässiges Einzelfallgesetz] b. [Verstoß gegen das Gleichheitsgebot]

125 125 129 129 132

Anmerkungen

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Landgericht Erfurt Az.: 1 Js 4984/91 KLs

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23. Juni 1995

BESCHLUSS In der Strafsache gegen den Rentner Gerhard Alfred Müller geboren am 4.2.1928 in Chemnitz verheiratet, Deutscher wegen Vertrauensmißbrauchs hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Erfurt durch es folgt die Nennung der beteiligten Richterinnen und Richter ® am 23. Juni 1995 beschlossen: Das Verfahren gegen den Angeschuldigten Müller wird in den Punkten 1.2. und 1.3. der Anklage der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 11.5.19901 (Bereitstellung und Betreibung von Pkws für das Jagdgebiet 3 der Jagdgesellschaft Luisenthal und Bereitstellung von Bitumen für den Wegebau im Jagdgebiet) abgetrennt. {2} Es wird insoweit gem. Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) - Einigungsvertrag mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit er die Fortgeltung des § 10 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßwesens (6. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR vom 29. Juni 1990, GBl. 19901 Nr. 39) anordnet. {3} Gründe 1. Prozessuale Situation Das Landgericht Erfurt hat, nachdem durch Anklageschrift vom 11.5.1990 am 28.5.1990 beim Kreisgericht Erfurt-Nord gegen den Angeschuldigten Müller Anklage erhoben wurde, über die Eröffnung des Verfahrens gem. § 203 StPO zu entscheiden. Dem Angeschuldigten Müller wird u.a. vorgeworfen, sich des mehrfachen Vertrauensmißbrauches im schweren Fall i.S.d. § 165 Abs. 1 und 2 Ziff. 1 StGB/DDR2 strafbar gemacht zu haben.

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In der Anklageschrift heißt es hierzu u.a.: Es folgt ein Zitat der Anklagepunkte 1.1. und 1.2 (vgl. lfd. Nr. 3-1, S. 87). ® Daneben wurde dem Angeschuldigten vorgeworfen, sich der mehrfachen Anstiftung zur Untreue und des Diebstahls im schweren Fall gem. §§ 157 Abs. 1, 158 Abs. 1, 161a Abs. 1, 162 Abs. 1 Ziff. 1, 22 Abs. 1 und 2 Ziff. 1, 63 Abs. 2 StGB/DDR3 schuldig gemacht zu haben (Ziffer 2. und 3. der Anklageschrift vom 11.5.1990). Mit Schreiben vom 18.1.1991 hat die Staatsanwaltschaft Erfurt beantragt, entgegen dem ursprünglichen Antrag in der Anklageschrift, das gerichtliche Hauptverfahren vor dem Bezirksgericht Erfurt zu eröffnen. Mit Beschluß des Bezirksgerichts Erfurt vom 9.8.19914 wurde das „Hauptverfahren eröffnet" (Ziffer 1. des Beschlusses) und die Anklage der Staatsanwaltschaft Erfurt hinsichtlich der zuletzt genannten Vorwürfe (mehrfache Anstiftung zur Untreue und Diebstahl im minder schweren Fall; §§ 157 Abs. 1, 158 Abs. 1, 161a Abs. 1, 162 Abs. 1 Ziff. 1, 22 Abs. 1 und 2 Ziff. 1, 63 Abs. 2 StGB/DDR) zur Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht des Kreisgerichts Erfurt zugelassen (Ziffer 2.). {4} In dieser Sache wurde der Angeschuldigte durch Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 20.2.19925 (rechtskräftig seit dem 28.2.1992) wegen Anstiftung zur Untreue und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Im übrigen - hinsichtlich des Vorwurfes des Vertrauensmißbrauches im schweren Fall - wurde das Verfahren durch Beschluß vom 9.8.19915 (Ziffer 3.) abgetrennt und insoweit gem. Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. August 1990 (BGBl II S. 885) mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit er die Fortgeltung des § 10 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes, und des Paßgesetzes (6. Strafrechtsänderungsgesetz) vom 29. Juni 1990 (DDRGB1.1 S. 526) anordnet. Nachdem das Bundesverfassungsgericht unter dem 17.12.1992 zur Zulässigkeit des Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses rechtliche Bedenken geäußert hatte, hat der Vorsitzende des 5. Strafsenates des Bezirksgerichts Erfurt diesen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Bezirksgerichts Erfurt vom 9.8.1991 (Ziffer 3.) am 21. Juni 1993 aufgehoben.7 Das Landgericht Erfurt hat unter dem 23.6.19958 die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt, soweit dem Angeschuldigten unter Punkt 1.1. der Anklageschrift vom 11.5.1990 vorgeworfen wurde, die ihm in seiner Funktion als 1. Sekretär der Bezirksleitung Erfurt der SED übertragenen Vertrauensstellung mißbraucht zu haben, indem er, entgegen seinen Pflichten für eine rationelle und sparsame Verwendung der zur Verfügung stehenden materiellen und finanziellen {5} Mittel Sorge zu tragen, im Frühjahr 1987 den Neubau des Jagdhauses Kammerbach mit einem Baukostenaufwand von 756.000 Mark ohne ökonomische Notwendigkeit und mit dem Ziel der persönlichen Privilegierung bewirkte, wodurch materielle und personelle Kapa-

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zitäten im genannten Wertumfang gesellschaftlich notwendigen Baumaßnahmen, z.B. bei der Wohnraumerhaltung entzogen wurden. Hinsichtlich der Anklagepunkte Ziffer 1.2. und 1.3. bleibt über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu entscheiden, §§ 203, 207 StPO. Zwar heißt es in dem Beschluß des Bezirksgerichts Erfurt vom 9.8.1991 unter dessen Ziffer „1.": „Das Hauptverfahren wird eröffnet." Da hier keine Differenzierung zwischen den einzelnen Anklagepunkten vorgenommen wurde, könnte dies so verstanden werden, als sei das Hauptverfahren bereits insgesamt, auch hinsichtlich der hier in Rede stehenden Ziffern 1.2. und 1.3. der Anklage eröffnet worden. Ziffer 1. des Beschlusses vom 9.8.1991 ist jedoch im Zusammenhang mit dessen Ziffer „2." und „3." auszulegen. Da unter Ziffer 2. des Beschlusses allein die Anklage der Staatsanwaltschaft hinsichtlich deren Ziffer 2 und 3 zur Hauptverhandlung zugelassen wurde und entsprechend Ziffer 3 des Beschlusses das Verfahren hinsichtlich der Punkte 1.1. bis 1.3. der Anklage abgetrennt, ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz vorgelegt wurde, ist Ziffer 1 des Beschlusses so zu verstehen, daß eine Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich aller Anklagepunkte nicht gewollt war und das Verfahren nur insoweit erfaßte, als auch die Anklage zugelassen worden ist. Davon, daß sich das Verfahren hinsichtlich der Anklagepunkte 1.1. bis 1.3. noch im Entscheidungsstadium darüber befindet, ob das Hauptverfahren eröffnet ist, geht auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Stellungnahme vom 17.12.1992 unzweifelhaft aus. {6} Die Aussetzung und Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG ist bereits vor der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) zulässig, da das Gericht bereits in diesem Abschnitt des Verfahrens die Pflicht hat, den Sachverhalt unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und sich über die Gültigkeit der in Betracht kommenden Strafnormen schlüssig zu werden hat (BVerfGE 4, 352, 355). Das Gericht hat nämlich nach § 207 StPO im Eröffnungsbeschluß nicht nur die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat, sondern auch das anzuwendende Strafgesetz zu bezeichnen.

2.

Sachverhalt

Nach dem Abschluß der Ermittlungen stellt sich anhand der in den Akten befindlichen Zeugenaussagen, den Einlassungen des Angeschuldigten und den Urkunden für das Gericht folgender Sachverhalt dar: A. Anklagepunkt 1.2.

Der Angeschuldigte Müller übte von 1980 bis zum 11.11.1989 die Funktion des 1. Sekretärs der Bezirksleitung Erfurt der SED aus. Gleichzeitig war er bis zu seinem Ausschluß am 3.12.1989 Mitglied des Zentralkomitees der SED und Kandidat des Politbüros. Der Angeschuldigte ging im Raum Erfurt seit mehreren Jahren der Jagd im Jagdgebiet 3 der Jagdgesellschaft Luisenthal nach. Zur Jagdgruppe des Angeschuldigten gehörten 4 Personen, u.a. der Revierförster H. {7} 121

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In dem etwa 1.700 ha großen Jagdgebiet, das im Hinblick auf die Größe und die materielle und personelle Ausstattung zur Realisierung jagdlicher Belange einen besonderen Status hatte, befand sich die sog. Kammerbachhütte, die im Februar 1987 vom Rat des Bezirkes unentgeltlich in die Rechtsträgerschaft der SED überfuhrt worden war. Nicht in die Rechtsträgerschaft über ging der Fahrzeugbestand, der zum Jagdgebiet Kammerbach gehörte. Der Fahrzeugbestand blieb vielmehr im Bestand der Fahrbereitschaft des Rates des Bezirkes, wurde aber - wie auch bereits vor dem Wechsel der Rechtsträgerschaft - im Jagdgebiet Kammerbach zur Nutzung bereit gestellt. Nach dem Rechtsträgerwechsel war der Rat des Bezirkes nicht mehr an den Jagden beteiligt. Im Jahr 1983 bestand der Fuhrpark des Jagdgebietes aus folgenden Fahrzeugen: einem Traktor mit Anhänger, einem Trabant-Kübel, einem Krad und einem Kübel-ARO. 1984/ 1985 kam dann ein anderer gebrauchter ARO dazu. Dafür wurde der alte ARO ausgesondert und herausgegeben. Im Jahr 1986 wurde der Fahrzeugbestand weiter erhöht und ein PKW Lada Niva (pol. Kennzeichen: FY 01-43) aufgenommen. Aufgrund wessen Veranlassung der Lada Niva in den Fuhrpark des Jagdgebietes aufgenommen wurde, kann den Zeugenaussagen nicht entnommen werden. Der Angeschuldigte läßt sich hierzu wie folgt ein: „Nach Rücksprache und mit Zustimmung des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes habe ich den damaligen Minister Kleiber, der fur die Verteilung der Import-PKW verantwortlich war, gebeten, zu prüfen, ob es möglich ist, dem Rat des Bezirkes einen PKW Lada Niva zuzuweisen. Nach einiger Zeit erfolgte die Zuweisung. {8} Offensichtlich auf Weisung des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes wurde dieser PKW dann dem Jagdgebiet Kammerbach übergeben." „... Im übrigen ist mir bekannt, daß der alte ARO fur jagdliche Zwecke genutzt wurde. ... Da sich der alte ARO in einem sehr schlechten Zustand befand, ... habe ich mich, ... nach Rücksprache mit dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes dafür verwandt, daß dem Rat des Bezirkes ein Niva zugewiesen wird. Das erfolgte. Dieser Niva wurde dann vom Rat des Bezirkes dem Jagdgebiet 3 zur Verfugung gestellt...." Bei dem Lada Niva FY 01-43 handelte es sich um ein Kraftfahrzeug, welches entsprechend einem Bilanzanteil für den Rat des Bezirkes Erfurt bezogen wurde. Es war nicht vorgesehen, von Anfang an dieses Fahrzeug im Bereich Kammerbach zum Einsatz zu bringen, sondern es sollte zunächst im Fuhrpark des Rates des Bezirkes für Fahrten im unwegsamen Gelände Verwendung finden. Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, der Zeuge Swatek, hatte den Zeugen L. jedoch angewiesen, daß der Lada im Jagdgebiet Kammerbach sofort nach Lieferung eingesetzt wird. Eine unmittelbare Benachteiligung des Rates des Bezirkes trat durch diese Entscheidung nicht ein, weil der Rat über genügend andere Fahrzeuge verfügte. Der Lada Niva FY 01-43 wurde im März 1988 gegen einen neuen Lada Niva (amtl. Kennzeichen FY 1-86) ausgetauscht. Am 1.2.1989 wurde durch Mitarbeiter des Jagdgebietes Kammerbach zudem ein Kübelwagen ARO 240 D, amtl. Kennzeichen FY 01-51 übernommen.

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Durch den Angeschuldigten war mitgeteilt worden, daß dieses Fahrzeug fur den Rat des Bezirkes besorgt sei und durch dessen Mitglieder abzuholen und durch den Rat zu bezahlen sei. {9} Der Angeschuldigte hat sich persönlich für die Lieferung des Fahrzeuges eingesetzt und direkt darauf Einfluß genommen, daß die polizeiliche Zulassung erfolgte. Daraufhin ist die Abholung veranlaßt worden. Das Fahrzeug war nicht dem Rat des Bezirkes als Bilanzanteil übergeben worden. Der Rat hatte dazu keinen Bilanzanteil. Nachdem zunächst durch die Volkspolizei eine Zulassung des Fahrzeugs für den Rat des Bezirkes verweigert wurde, da die Zuweisung des Fahrzeugs auf einen anderen forstwirtschaftlichen Betrieb ausgestellt war, ordnete der Angeschuldigte gegenüber dem Zeugen Swatek an, daß dieses Fahrzeug abzuholen ist und im Jagdgebiet Kammerbach zu übernehmen ist. Der Zeuge Swatek ordnete seinerseits den Zeugen L. an, das Fahrzeug abzuholen. Der Zeuge L. beauftragte hiermit wiederum den Leiter des Fuhrparks, den Zeugen St. Die Rechnungslegung erfolgte an das Staatliche Jagdgebiet „Dreiherrenstein". Für die Kosten der Anschaffung und Unterhaltung der Fahrzeuge kam der Rat des Bezirkes auf. Die Investitionen, die im Bereich Kammerbach eingesetzt wurden, erfolgten wie bei allen Fahrzeugen, die der Rat des Bezirkes finanzierte, aus Mitteln des Haushaltes. Dafür war ein entsprechender Investitionsfonds vorhanden. Die Kraftstoffkosten für die Fahrzeuge, die im Bereich Kammerbach eingesetzt wurden, wurden ebenfalls aus dem dafür vorgesehenen Fonds für Kraftstoffe finanziert; ebenso die Reparaturkosten. Die Investitionskosten für den Lada Niva FY 01-43 betrugen 35.978,- Mark (Rechnung vom 4.3.1986). Im Zeitraum von März 86 bis Februar 88 fielen Kraftstoffkosten in Höhe von 12.532,70 Mark und Reparaturkosten in Höhe von 3.931,35 Mark an. {10} Für den ARO D, amtl. Kennzeichen FY 01-51, wurde ein Betrag von 21.600,-- Mark geleistet (Rechnung vom 2.1.1989); für den Zeitraum von Februar 89 bis September 89 fielen Kraftstoffkosten in Höhe von 2254,-- Mark und Reparaturkosten in Höhe von 4971,82 M an. Daraus errechnet sich ein Betrag von 81.267,87 Mark. Aus der Finanzierung des Fuhrparks für Kammerbach zog der Rat des Bezirkes keinerlei Nutzen. {11} B. Anklagepunkt 1.3.

Zu der sich auf dem Jagdgebiet Kammerbach befindlichen Kammerbachhütte führte ein Forstweg („Kammerbachstraße"), der bis zum Jahr 1988 nicht mit einer Bitumendecke versehen war. Ein weiterer Forstweg führte von der Kammerbachhütte zurück zu einer Umgehungsstraße. Im Jahr 1988 war in einem ersten Bauabschnitt auf Veranlassung des stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Erfurt für Verkehr und Nachrichtenwesen, dem Zeugen Sch., die Kammerbachstraße, mit einer Bitumendecke versehen worden. 123

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Ein zweiter Bauabschnitt, der den Forstweg von der Kammerbachhütte zur Umgehungsstraße betraf, wurde Anfang 1989 eingeleitet. Ausgangspunkt für die Durchführung des 2. Bauabschnittes war ein Gespräch zwischen dem Angeschuldigten und dem Zeugen H. in dessen Verlauf auf entsprechende Bitte hin der Angeschuldigte dem Zeugen H. zusicherte, daß er das notwendige Bitumen beschaffen könne, wenn er ein entsprechendes Anforderungsschreiben vorliegen habe. Der Zeuge H. wandte sich daraufhin an den Zeugen F., der zu dieser Zeit als Direktor des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes Gotha tätig war. Der Zeuge F. verfaßte unter dem 3.4.1989 ein an den Angeschuldigten gerichtetes Schreiben, das die Bitte enthielt, ihm bei der Freigabe des Kontingentes von 1501 Bitumen für den Ausbau des Wegenetzes in der Oberförsterei Luisenthal behilflich zu sein. {12} Dieses Schreiben versah der Angeschuldigte auf seiner linken oberen Ecke mit dem Vermerk: „S. Stange zur Erledigung". Das Schreiben mit Vermerk wurde dem Zeugen Stange, der zu dieser Zeit als 2. Sekretär der SED BL Erfurt tätig war, postalisch zugesandt. Für den Zeugen Stange enthielt die Bemerkung die zweifelsfreie Anweisung des Angeschuldigten, daß entsprechend der Bitte des Zeugen F. die Bereitstellung des Bitumens zu veranlassen war. Da der Zeuge Stange der Anweisung des Angeschuldigten zunächst nicht folgte, erkundigte sich die Sekretärin des Angeschuldigten im Mai 1989 nach dem Beginn der Arbeiten an der Straße. Der Angeschuldigte habe aus der Kur angerufen und nachgefragt. Der Zeuge Stange gab daraufhin den Auftrag zum Bau an den Abteilungsleiter B. weiter. B. setzte, nachdem er mit dem Rat des Bezirkes noch weitere Absprachen getroffen hatte, die Weisung des Angeschuldigten schließlich durch. Da es bezüglich der Verteilung von Bitumen große Probleme gab, wäre ein entsprechender Antrag durch den Rat des Bezirkes niemals genehmigt worden. Seit Anfang der 80er Jahre waren für die Ausgestaltung von Forstwegen keinerlei Bilanzen für Bitumen bereit bzw. zur Verfügung gestellt worden. Der Zeuge Swatek stimmte der Bitumenvergabe aber zu, weil durch einen Vermerk des damaligen 1. Bezirkssekretär der SED Erfurt für ihn die Entscheidung bereits gefallen war. Der Zeuge Swatek hat ausgesagt, daß der Angeschuldigte Fachfragen selber entschied und keinerlei Widerspruch duldete. Für die Beteiligten an diesen Sitzungen habe es keinerlei Möglichkeiten gegeben, gegen solche Entscheidungen zu sprechen. Der Zeuge Swatek setzte sich wiederum mit dem Zeugen Sch. in Verbindung. Dieser war als Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Erfurt für {13} Verkehr und Nachrichtenwesen befugt, über die bilanzierten Bitumenmengen im Bezirk Erfurt zu entscheiden. Dem Zeugen Sch. war auch bereits vom Bezirksbaudirektor Bräutigam das Schreiben vom 3.4.1989 nebst Vermerk des Angeschuldigten mit der Bemerkung übergeben worden, der Angeschuldigte habe dazu bereits entschieden.

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Da der Swatek gegenüber dem Zeugen Sch. sinngemäß äußerte, man werde nicht umhinkommen, den Wunsch des Angeschuldigten zu erfüllen, wurden die weiteren Maßnahmen von ihm - dem Zeugen Sch. - veranlaßt. Für Sch. lag keine Entscheidungsfreiheit mehr vor, denn der Angeschuldigte hatte bereits entschieden. Das Gespräch mit Swatek hatte insofern den Charakter einer mündlichen Weisung. Im Frühjahr 1989 wurde dann auch der Zeuge S. (Direktor für Produktion im BDS und Mitglied der Bitumenkommission des Rates des Bezirkes) in Kenntnis gesetzt, daß der Forstweg zur Kammerbachhütte weitergebaut werden sollte. Es kam daraufhin zu einer Objektbegehung, in deren Verlauf H. den konkreten Verlauf der Straße nannte. Während der damit verbundenen Absprache bat der Zeuge S. den nun geforderten 2. Bauabschnitt erst 1990 zu beginnen, da im laufenden Jahr 1989 die Bitumenmischanlage in Gotha zu rekonstruieren war. H. wollte diesen Umstand dem Angeschuldigten erklären. Etwa im April 89 erhielt der Zeuge S. dann Kenntnis von einem Anschreiben des Zeugen F. an den Angeschuldigten zur Freigabe von 150 Tonnen Grundbitumen. Der zweite Bauabschnitt wurde daraufhin im Juli 1989 begonnen und im September 1989 abgeschlossen. Sowohl das Bitumen selbst als auch dessen Aufbringung wurde in der Folge durch den VEB BDS Erfurt realisiert. {14} Zugunsten der Kammerbachstraße wurden im Jahr 1989 die Planmaßnahmen in der Stadt Eisenach sowie die Schwarzdecke zwischen Hastrungsfeld und Burla (Kreis Eisenach) nicht realisiert. Im Zuge des 2. Bauabschnitts wurde dann noch innerhalb der Umzäunung ein ca. 3 Meter breiter Bitumenbelag aufgebracht auf eine Länge von 70 Meter. Die Summe für die Bauleistung 1989 betrug 493.440,97 Mark. {15} 3. A.

Rechtliche

Würdigung

Entscheidungserheblichkeit

Der Angeschuldigte ist aufgrund dieser sich aus den in den Akten befindlichen Zeugenaussagen und Urkunden ergebenden Ermittlungsergebnisse hinreichend verdächtig, sich gem. § 165 Abs. 1, 2 StGB/DDR i.V.m. § 10 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßwesens (6. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR, GBl. 1990 I, Nr. 39) i.V.m. Art 9 Abs. 2 und Anlage II, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 - Einigungsvertrag - strafbar gemacht zu haben. Art. 9 Abs. 2 des Einigungsvertrages vom 31.8.1990 legt fest, daß das in Anlage II aufgeführte Recht der Deutschen Demokratischen Republik mit den dort genannten Maßgaben in Kraft bleibt, soweit es mit dem Grundgesetz unter Berücksichtigung des Einigungsvertrages sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist. 125

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In Anlage II, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages wird bestimmt, daß § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 29. Juni 1990 in Kraft bleibt. § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR lautet: „Soweit vor Inkrafttreten dieses Gesetzes Straftaten nach den Vorschriften der §§ 165, ... begangen und Strafverfahren eingeleitet wurden, sind in diesen Fällen die vor-{16}genannten Bestimmungen der Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit weiterhin zugrunde zu legen. ..."

Aus Anlage 1 i.V.m. § 1 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes ergibt sich, daß § 165 StGB/DDR im übrigen entfällt. Nach § 12 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR tritt das Gesetz am 1. Juli 1990 in Kraft. Da das Strafverfahren gegen den Angeschuldigten vor dem 1.7.1990 eingeleitet worden war, greift die Vorschrift des § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes DDR ein. § 165 StGB/DDR bestimmt, daß derjenige, der eine ihm zeitweise übertragene Vertrauensstellung mißbraucht, indem er entgegen seinen Rechtspflichten Entscheidungen oder Maßnahmen trifft oder Maßnahmen oder Entscheidungen bewirkt und dadurch vorsätzlich einen bedeutenden wirtschaftlichen Schaden verursacht, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Geldstrafe bestraft wird. Wer durch die Tat einen besonders schweren wirtschaftlichen Schaden verursacht, wird gemäß § 165 Abs. 2 Nr. 1 StGB/DDR mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren bestraft. § 165 StGB/DDR setzt damit folgendes voraus: - eine Vertrauensstellung - den vorsätzlichen Mißbrauch dieser Stellung bzw. der Befugnisse durch Treffen von Entscheidungen oder Maßnahmen entgegen den Rechtspflichten oder das Erwirken von Entscheidungen - das vorsätzliche Herbeiführen eines bedeutenden bzw. besonders schweren wirtschaftlichen Schadens durch den Mißbrauch - den Kausalzusammenhang in der Reihenfolge der aufgezählten Tatbestandsmerkmale (Strafrecht der DDR, Kommentar, 1984; § 165, Nr. 2). {17} Die Vorschrift sichert die leitende und planende Tätigkeit des Staates auf dem Gebiet der Wirtschaft und die Prinzipien der Leitung und Durchführung ökonomischer Prozesse gegen den Mißbrauch von Rechten und Befugnissen, die den Staats- und Wirtschaftsfunktionären oder sonstigen Vertrauenspersonen im Bereich der sozialistischen Volkswirtschaft übertragen wurden (a.a.O., § 165 Nr. 1). Der Angeschuldigte ist sowohl hinsichtlich des Anklagepunktes 1.2. als auch des Punktes 1.3. hinreichend verdächtig, durch seine Handlungen die Voraussetzungen des § 165 StGB/DDR erfüllt zu haben. Der Angeschuldigte ist hinreichend verdächtig, Inhaber einer Vertrauensstellung i.S.d. § 165 StGB/DDR gewesen zu sein. Ob eine Vertrauensstellung i.S.d. § 165 StGB/DDR vorliegt, hängt vom Umfang und Inhalt der dem Täter in seinem konkreten Arbeitsbereich generell oder im Rahmen eines 126

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bestimmten Auftrages obliegenden Aufgaben, Pflichten und Befugnissen ab; insoweit kann nicht allein auf die jeweilige Funktionsbezeichnung abgestellt werden (a.a.O., § 165 Nr. 3). Die Vertrauensstellung des Täters ergibt sich z.B. aus den Befugnissen, selbst verbindliche Entscheidungen zu treffen (a.a.O.). Auch der Angeschuldigte hatte de facto die Möglichkeit aufgrund seiner politischen Stellung als erster Sekretär der Bezirksleitung der SED in Erfurt, Mitglied des ZK und Kandidat des Politbüros auf ökonomische Prozesse Einfluß zu nehmen. Ihm war als Parteifunktionär die Möglichkeit gegeben, selbst verbindliche Entscheidungen zu treffen. {18} Dies ergibt sich bereits aus der fuhrenden Rolle der SED zum Tatzeitpunkt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und der hohen politischen Funktion, die der Angeschuldigte innerhalb der Partei einnahm. Die SED beanspruchte - verfassungsrechtlich durch Art. 1 Verf./DDR9 abgesichert eine Führungsrolle auch auf wirtschaftlichem Gebiet, indem ihre Organe die Grundsatzentscheidungen zur Planung und Leitung der Volkswirtschaft selbst trafen und den staatlichen Organen deren Umsetzung in normative Form, weitere Präzisierung und Durchführung beließen. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landgerichts Rostock vom 16.2.199310 (Neue Justiz 9/1993) ist daher auch bei Parteifunktionären der SED davon auszugehen, daß diese eine Vertrauensstellung i.S.d. § 165 StGB/DDR inne haben konnten. Der Angeschuldigte selbst räumt ein, daß er den damaligen Minister Kleiber gebeten habe, dem Rat des Bezirkes einen PKW Lada Niva (FY 01-43) zuzuweisen, was dann auch tatsächlich geschah. Er habe sich dafür verwandt, daß dem Rat des Bezirkes ein Lada zur Verfugung gestellt wurde. Bereits die Tatsache, daß auf Veranlassung des Angeschuldigten der PKW Lada Niva tatsächlich in den Fuhrpark des Jagdgebietes gelangte, macht das Vorliegen einer Vertrauensstellung - verbunden mit der jeweiligen Entscheidungsmöglichkeit - hinreichend wahrscheinlich. Gleiches gilt auch hinsichtlich der Zurverfügungstellung des ARO (FY 01-51). Der ursprünglich für das Staatliche Jagdgebiet „Dreiherrenstein" vorgesehene PKW wurde auf Veranlassung des Angeschuldigten dem Jagdgebiet Kammerbach übergeben. Nach Aussage des Zeugen L. hat der Angeschuldigte sich persönlich für die Lieferung des Fahrzeuges eingesetzt und direkt darauf Einfluß genommen. {19} Auch hinsichtlich des Anklagepunktes 1.3. ist der Angeschuldigte insoweit hinreichend verdächtig, de facto eine Vertrauensstellung gehabt zu haben. Die hervorgehobene Stellung des Angeschuldigten und die mit dieser verbundenen Entscheidungskompetenz wird auch im Bereich der Vergabe von Bitumen insbesondere durch den Zeugen Swatek und den Zeugen Stange dokumentiert. So hat der Zeuge Stange ausgesagt: „Seine Entscheidungen (gemeint sind die des Angeschuldigten) waren absolutes Gesetz und Widerspruch war nicht möglich oder man hätte seine Konsequenzen tragen müssen und dafür gibt es Beispiele" (V, 25).

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Der Zeuge Swatek hat ausgesagt, daß der Angeschuldigte zu Fachfragen selbst entschied und keinerlei Widerspruch duldete. Für die Beteiligten habe es keinerlei Möglichkeiten gegeben, gegen solche Entscheidungen zu sprechen. Der Angeschuldigte ist hinreichend verdächtig, seine Vertrauensstellung mißbraucht zu haben, in dem er seine Machtposition ausnutze und entgegen den wirtschaftlichen Interessen des Rates des Bezirkes bewirkte, daß die beiden Fahrzeuge Lada Niva (FY 01-43) und ARO (FY 01-51) in den Fuhrpark des Jagdgebietes gelangten und hier ausschließlich der Nutzung auf dem Jagdgebiet, somit einem eng begrenzten, privilegierten Kreis zur Verfugung standen. Der Angeschuldigte ist hinsichtlich des Anklagepunktes 1.3. hinreichend verdächtig, seine Vertrauensstellung mißbraucht zu haben, indem er durch den Vermerk „S. Stange zur Erledigung" auf dem Schreiben des Zeugen F. vom '3.4.1989 dem Zeugen Stange zweifelsfrei die Anweisung gab, entsprechend der in dem Schreiben geäußerten Bitte die Freigabe von 150 Tonnen Bitumens für den Ausbau des Wegenetzes zur Kammerbachhütte zu realisieren. {20} Sowohl fur den Zeugen Stange als auch für die Zeugen Swatek, Sch., Bräutigam und S. war die Anweisung des Angeschuldigten so verbindlich, daß an deren Realisierung kein Weg vorbei führte. Dementsprechend wurde angewiesen, die 1501 Bitumen für den Ausbau des Forstweges im Jagdgebiet 3 bereit zu stellen und den Weg mit einer Decke zu versehen, obwohl diese Bitumenmenge weder bilanziert war noch jemals bilanziert worden wäre. Der Angeschuldigte ist ferner hinreichend verdächtig, einen bedeutenden bzw. besonders schweren wirtschaftlichen Schaden herbeigeführt zu haben. Bedeutender wirtschaftlicher Schaden sind jene negativen Auswirkungen auf den Ablauf ökonomischer Prozesse, die im Hinblick auf das Ausmaß einer eingetretenen finanziellen Schädigung beträchtlich sind und bzw. oder als Beeinträchtigung ökonomischer Prozesse und Proportionen wesentliche Störungen verursacht haben (a.a.O., § 165 Nr. 5). Hinsichtlich des Anklagepunktes 1.2. kann ein bedeutender wirtschaftlicher Schaden darin gesehen werden, daß sowohl die Investitionskosten als auch die Reparaturkosten und Kraftstoffkosten in Höhe von insgesamt 81.267,87 M vom Rat des Bezirkes aufgebracht werden mußten. Hinsichtlich des Anklagepunktes 1.3. kann sich ein Schaden daraus ergeben, daß dadurch, daß die 150 Tonnen Bitumen für den Ausbau des Forstweges verwendet wurden, Planmaßnahmen im Bereich der Stadt Eisenach sowie die Schwarzdecke zwischen Hastrungsfeld und Burla ( Kreis Eisenach ) nicht realisiert werden konnten. {21} Der Angeschuldigte ist auch hinreichend verdächtig, vorsätzlich gehandelt zu haben. Hinsichtlich Anklagepunkt 1.2. wußte er, daß, da der Fuhrpark noch vom Rat des Bezirkes unterhalten wurde, die Kosten für dessen Betrieb zu Lasten der Allgemeinheit mit öffentlichen Geldern bezahlt werden. Hinsichtlich Anklagepunkt 1.3. ergibt sich der Vorsatz bereits daraus, daß der Angeschuldigte, als die Anweisung im April 1989 gegeben wurde, davon ausgehen mußte, daß das Bitumen für das Jahr 1989 bereits bilanziert war. Im übrigen liegt es nahe, daß der Angeschuldigte aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung Kenntnis vom Engpaß in der Bitumenproduktion hatte.

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Nach alledem wäre, die Verfassungsmäßigkeit des Art 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 885) i.V.m. § 10 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfiihrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßwesens (6. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR vom 29. Juni 1990, GBl. 1990 I, Nr. 39) vorausgesetzt, das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten hinsichtlich der Anklagepunkte 1.2. und 1.3. der Anklageschrift vom 11.5.1990 gem. § 203 StPO zu eröffnen. Bei Verfassungswidrigkeit der genannten Vorschriften käme eine Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 165 StGB/DDR nicht in Betracht. {22} B.

Verfassungswidrigkeit

Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. August 1990 (BGBl II S. 885) ist nach Auffassung der Kammer mit Art. 19 Abs. 1 S. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit er die Fortgeltung des § 10 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes, und des Paßgesetzes (6. Strafrechtsänderungsgesetz) vom 29. Juni 1990 (DDR-GB1.1 S. 526) anordnet. Daß die vorgenannte Regelung des Einigungsvertrages nach den Rechtsgedanken des Grundgesetzes zu messen ist, ist Kap. III, Art. 9 Abs. 2 des Einigungsvertrages zu entnehmen, der bestimmt, daß das in Anlage II aufgeführte Recht der Deutschen Demokratischen Republik mit den dort genannten Maßgaben in Kraft bleibt, soweit es mit dem Grundgesetz unter Berücksichtigung des Einigungsvertrages sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist. a.

[Unzulässiges Einzelfallgesetz]

Art. 9 i.V.m. Anlage II Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages i.V.m. § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR (6. StÄG) ist ein nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die vorgenannte Bestimmung hat die Wirkung eines Gesetzes und ist daher einem Gesetz i.S.d. Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG gleichzusetzen. Als solche ermöglicht die {23} Bestimmung den Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Die durch den Einigungsvertrag übernommene Regelung des § 10 des 6. StÄG/DDR, mit der die weitere Verfolgbarkeit der von § 165 StGB/DDR unter Strafe gestellten Handlungen angeordnet wurde, stellt einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG - auch des Angeschuldigten - dar.

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Bei Art. 9 i.V.m. Anlage II Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages i.V.m. § 10 des 6. StÄGs DDR handelt es sich nach Ansicht des Gerichts nicht um eine Amnestie, durch die grundsätzlich Straffreiheit für alle strafbaren Handlungen, die von § 165 StGB/DDR erfaßt waren, gewährt wird. Insoweit kann insbesondere entgegen der Ansicht des Landgerichts Rostock (Urteil vom 16.2.1993, Neue Justiz 1993, 455) nicht von einer Rechtswohltat, in die einbezogen zu werden der einzelne Betroffene keinen Anspruch hat, gesprochen werden. Denn allein durch Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages wird überhaupt die strafrechtliche Verfolgung von Bürgern der ehemaligen DDR wegen Handlungen, die unter den Tatbestand des § 165 StGB/DDR fallen, ermöglicht. Wäre die in Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 getroffene Regelung im Einigungsvertrag nicht enthalten, kämen die allgemeinen Regelungen zum Zuge. Nach Kap. III Art. 8 des Einigungsvertrages tritt im Gebiet der neuen Bundesländer grundsätzlich Bundesrecht in Kraft. {24} Da die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat vor dem Wirksamwerden des Beitritts der neuen Bundesländer begangen worden ist, fände nach Art. 315 Abs. 1 S. 1 EGStGB die Vorschrift des § 2 StGB Anwendung. Danach bestimmt sich gem. § 2 Abs. 1 StGB die Strafe nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat galt und - soweit das Gesetz vor der Entscheidung geändert wurde - ist gem. § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz anzuwenden. Durch einen Verstoß gegen § 165 StGB/DDR wurde eine Norm verwirklicht, die allein in dem Wirtschaftssystem der sozialistischen Planwirtschaft Bedeutung und Geltung haben konnte. Der strafrechtliche Schutz des § 165 StGB/DDR basierte auf der sozialistischen Planwirtschaft und folgte dem auch in der Wirtschaft voll zu verwirklichendem Prinzip des demokratischen Zentralismus (Strafrecht (DDR), Besonderer Teil, Lehrbuch, 1981, S. 144). Da es im Strafrecht der Bundesrepublik schon aufgrund des anderen Wirtschaftssystems keine dem § 165 StGB/DDR entsprechende Strafhorm gibt, wäre der Angeschuldigte, würde die allgemeine Regelung des Kap. III, Art. 8 des Einigungsvertrages i.V.m. Art. 315 Abs. 1 S. 1 EGStGB i.V.m. § 2 Abs. 3 StGB gelten, nicht zu bestrafen. Dadurch, daß Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages die Fortgeltung des § 10 des 6. StÄG/DDR anordnet, wird in das Grundrecht der Freiheit der Person eingegriffen. Gegen die Tatsache, daß es sich hier um einen (neuen) „Eingriff' in das Grundrecht der betroffenen Personen handelt, spricht dabei nicht, daß der Einigungsvertrag allein die „Fortgeltung" des § 10 des 6. StÄG/DDR anordnet. Es kann insbesondere nicht argumentiert werden, daß die Fortgeltung eines bereits vorhandenen Rechtszustandes (die von Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kapitel III, {25} Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages erfaßten Personen waren bereits vor dem 3.10.1990 der Strafverfolgung ausgesetzt) keinen neuen Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 2 mit sich bringen kann.

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Denn dafür, daß § 10 StÄG/DDR auch nach dem 3.10.1990 Geltung haben sollte, war eine neue Entscheidung notwendig, die gem. Art. 9 Abs. 2 des Einigungsvertrages ebenfalls an den Rechtsgedanken des Grundgesetzes zu messen ist. Die Fortgeltung des § 10 StÄG/DDR i.V.m. § 165 StGB/DDR beruhte nicht auf einem automatischen, nahtlosen Übergang der Vorschrift, sondern erforderte einen neuen Entschluß. Da die Entscheidung über die Fortgeltung des § 165 StGB/DDR auf einem neu gefaßten, selbständigen Entschluß der Vertragspartner des Einigungsvertrages beruht, der von demjenigen, der dem § 10 des 6. StÄG/DDR [zugrunde lag], unabhängig ist, wurde das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG erneut betroffen. Doch auch selbst wenn mit dem Landgericht Berlin allein auf § 10 des 6. StÄG/DDR abgestellt wird, bzw. deren Regelungsgehalt in den Vordergrund gestellt wird, handelt es sich, wie auch das Landgericht Berlin in seinem Vorlagebeschluß vom 14.2.1991" zutreffend ausgeführt hat, bei § 10 [des 6.] StÄG/DDR dennoch um eine Eingriffsnorm. Denn § 10 des 6. StÄG/DDR Schloß auch das durch das 6. StÄG/DDR nicht geänderte allgemeine Rückwirkungsgebot nach § 81 Abs. 3 StGB/DDR12 aus. § 81 Abs. 3 StGB/DDR bestimmte, daß Gesetze, welche die strafrechtliche Verantwortlichkeit nachträglich aufheben auch für Handlungen gelten, die vor ihrem Inkrafttreten begangen wurden. Da gemäß § 1 des 6. StÄG/DDR i.V.m. seiner Anlage 1 und § 8 StÄG/DDR13 die Strafbarkeit aus § 165 StGB/DDR grundsätzlich entfällt, handelt es sich um ein {26} Gesetz, daß die strafrechtliche Verantwortlichkeit hinsichtlich dieser Vorschrift nachträglich aufhebt. Gemäß dem Rückwirkungsgebot des § 81 Abs. 3 StGB/DDR, das gem. § 2 Abs. 3 StGB auch im Strafrecht der Bundesrepublik verankert ist, muß dies auch für alle Handlungen gelten, die vor Inkrafttreten des Gesetzes begangen wurden, mithin auch für die vom Angeschuldigten vor dem 1.7.1990 begangenen Taten. § 10 des 6. StÄG/DDR, der für bereits eingeleitete Strafverfahren insoweit eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach § 165 StGB/DDR aufrecht erhalten will, greift in die Freiheit der Person ein. Anders als die durch die Verfolgungsveqährung geregelten verfahrensrechtlichen Zeitgrenzen, die allein die Verfolgbarkeit betreffen, die Strafbarkeit und den Unrechtscharakter aber unberührt lassen (BVerfGE 25, 269, 287), betrifft das Rückwirkungsgebot die Strafbarkeit selbst. Es läßt eine Gesetzesänderung auch den noch von der alten Strafhorm Betroffenen zugute kommen und nimmt einer Tat nachträglich den Unrechtscharakter. Als potentielle zeitliche Begrenzung der Strafbarkeit wohnt diese grundlegende und hergebrachte, dem Gedanken materieller Gerechtigkeit entspringende Regelung des Rückwirkungsgebotes den einzelnen Tatbeständen inne. Die Rückwirkung des milderen Gesetzes wird nicht erst im Augenblick der Gesetzesänderung als bloße Vergünstigung gleich einer Amnestieregelung gewährt. Sie ist angesichts des Umstandes, daß jedes Strafgesetz - wie jedes andere Gesetz - letztlich unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis des Gesetzgebers steht, als Teil des strafrechtlichen Regelungssystems bereits in dem alten, strengeren Gesetz enthalten. Wird wie im vorliegenden Fall ein Strafgesetz ersatzlos aufgehoben, zugleich aber die Rückwirkung dieser Milderung gesetzlich versagt, so werden die noch von der abgeschafften Norm

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erfaßten Fälle nicht nur von einer den anderen Rechtsunterworfenen zugute kommenden Erweiterung des Freiheitsgrundrechts ausgeschlossen. Vielmehr werden zugleich die potentiellen Grenzen der Strafbarkeit, wie sie in der alten Vorschrift angelegt waren, zu ihren Lasten verschoben; der Bereich ihrer persönlichen Freiheit erfährt gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eine weitere Einschränkung. {27} Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages i.V.m. § 10 S. 1 des 6. StÄG/DDR ist keine für einen Grundrechtseingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG erforderliche allgemeine Regelung im Sinne des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG. Eine Norm hat den Charakter eines für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geltenden generellen Rechtssatzes - und ist daher kein Einzelfallgesetz - , wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht genau übersehen läßt, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet (BVerfGE 25, 371, 396). Dagegen liegt ein Einzelfallgesetz vor, wenn der Kreis der Normadressaten für den Gesetzgeber derart übersehbar ist, daß die Betroffenen ihm nicht nur als Gattungsbegriff, sondern in ihrer Individualität gegenübertreten (BK-Menger, Rz. 112 zu Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG) und jedenfalls im Augenblick des Inkrafttretens des Gesetzes infolge dessen inhaltlicher Ausgestaltung abschließend bestimmbar sind (Herzog, in Maunz/ Düring/Herzog/Scholz, GG, Rz. 36 zu Art. 19 Abs. 1). Dies ist bei der genannten Bestimmung des Einigungsvertrages der Fall. Von § 10 des StÄG erfaßt wird ausschließlich ein Personenkreis von Tätern, der zum einen vor dem 1.7.1990 einen Verstoß gegen § 165 StGB/DDR begangen hat und gegen den zum anderen bereits ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Der Kreis der unter diese Norm fallenden Personen ist eng umgrenzbar und grundsätzlich bestimmt und bestimmbar; er stand insbesondere bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes abschließend fest und konnte sich nach dessen Inkrafttreten nicht mehr erweitern. Es ist ausgeschlossen, daß die Vorschrift in Zukunft weitere Anwendungsfalle haben kann. Der Personenkreis war auch für den Gesetzgeber in seiner Individualität und Begrenztheit übersehbar. Es liegt insbesondere kein Kreis von Betroffenen vor, der nur der Gattung nach übersehbar ist. Davon, daß die Norm den Charakter eines für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geltenden generellen Rechtssatzes hat und sich wegen der abstrakten Fassung des {28} gesetzlichen Tatbestandes die Zahl und Art der Anwendungsfälle nicht genau übersehen läßt, kann nicht gesprochen werden. b. [Verstoß gegen das Gleichheitsgebot] Die Fortgeltung des § 165 StGB/DDR ausschließlich für solche Täter, deren Verfahren bis zum 1.7.1990 bereits eingeleitet wurden, verstößt zudem gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar muß es grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen werden, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln (BVerfGE 13, 225, 228; 83, 1, 23). Der Gesetzgeber ist lediglich gehal132

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ten, Gesetzlichkeiten zu berücksichtigen, die in der Sache selbst liegen und darf die fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht mißachten (BVerfGE a.a.O.). Überprüfbar ist deshalb allein, ob die Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit überschritten sind (BVerfGE 68, 287, 301), nicht jedoch, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Regelung getroffen hat (BVerfGE 71, 39, 53). Als Prüfungsmaßstab dafür, ob eine Ungleichbehandlung noch durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, kommt nur das Willkürverbot in Betracht (BVerfGE 83, 1, 23). Das Willkürverbot ist dann verletzt, wenn sich kein sachlich vertretbarer Grund für eine Unterscheidung anführen läßt (BVerfGE 33, 44, 51; 71, 39, 53; 83, 1, 23), oder anders ausgedrückt: der Gesetzgeber hat die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten, wenn die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, m.a.W., wenn ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (BVerfGE 1, 14, 52; 34, 335, 337; 67, 329, 345; 71, 39, 58). {29} Es muß sich um eine Regelung handeln, die unter keinem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheint, so daß die Unsachlichkeit der getroffenen Regelung evident ist (BVerfGE 71, 39, 58). Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 68, 287, 301; 71, 39, 59). Ein sachlicher, vertretbarer, vernünftiger und einleuchtender Grund dafür, daß allein Täter, die ihre Tat vor dem 1.7.1990 begangen haben und gegen die vor diesem Zeitpunkt ein Strafverfahren eingeleitet wurde, nach Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages i.V.m. § 10 Satz 1 des 6. StÄG/DDR i.V.m. § 165 StGB/DDR weiterhin zu bestrafen sind, während die übrigen Täter straffrei ausgehen, läßt sich nicht finden. Im Gegenteil besteht zwischen den Tätern, die aufgrund des 6. StÄG/DDR wegen einer Verletzung des § 165 StGB/DDR nicht mehr bestraft werden können und dem hier in Rede stehenden Personenkreis, dem auch der Angeschuldigte angehört, kein Unterschied von entscheidendem Gewicht. Der Unterschied zwischen den Tätern, die über Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages i.V.m. § 10 Satz 1 des 6. StÄG/DDR noch wegen Verstoßes gegen § 165 StGB/DDR zur Verantwortung gezogen werden sollen und denjenigen, die insoweit straffrei ausgehen, besteht ausschließlich in der Tatsache, daß gegen die ersteren bereits vor dem 1.7.1990 ein Strafverfahren eingeleitet wurde, während bei der zuletzt genannten Gruppe dies noch nicht der Fall war. Einzig und allein in diesem Punkt sind die Sachverhalte zwischen denjenigen, die noch nach § 165 StGB/DDR zu bestrafen sein sollen und denjenigen bei denen eine Strafbarkeit entfällt, verschieden. {30} Dieses eine Differenzierungskriterium (Einleitung eines Strafverfahrens vor dem 1.7.1990) kann jedoch schon deshalb keinen vernünftigen, einleuchtenden und sachlichen Grund darstellen, weil die Tatsache, ob zu dieser Zeit bereits ein Strafverfahren

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eingeleitet wurde, allein von Zufälligkeiten, die insbesondere von der Person des Täters und seiner Tat völlig unabhängig sind, abhängt. Daraus, daß zufällig bereits ein Strafverfahren gegen bestimmte Personen vor dem 1.7.1990 eingeleitet wurde, kann insbesondere nichts auf die Schwere der Tat, die kriminelle Energie des Täters oder die Bedeutung der Verurteilung aus der Sicht der Bevölkerung hergeleitet werden. Die Argumente des Landgerichts Rostock (Urteil vom 16.2.1993, Neue Justiz 1993, 425, 426)14 können insoweit nicht greifen. Das Landgericht will die Angemessenheit des Differenzierungskriteriums daraus herleiten, daß zum einen aufgrund der besonderen historischen Situation (Wegfall des volkswirtschaftlichen Prinzips der staatlichen Planung) im Interesse der allgemeinen Befriedigung ein Schlußstrich unter die Vergangenheit gezogen werden sollte. Zum anderen sollte der Personenkreis, gegen den in der letzten Phase des Bestehens der DDR erstmals wegen Mißbrauchs seiner Machtposition Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren und der zuvor kraft seiner Stellung im politischen System der DDR vor solchen Verfolgungen sicher gewesen war, von dieser Regelung nicht profitieren. Dies sei auch unter der Geltung des Grundgesetzes nicht zu beanstanden. Der Gesichtspunkt, daß angesichts der historischen Situation und der völligen Umkehr der DDR im Interesse des Rechtsfriedens ein Schlußstrich zu ziehen ist, ist auch nach Ansicht der Kammer gerechtfertigt. Dies ergibt sich bereits daraus, daß durch einen Verstoß gegen § 165 StGB/DDR eine Norm verwirklicht wurde, die allein in dem Wirtschaftssystem der sozialistischen Planwirtschaft Bedeutung und Geltung haben konnte und - wie oben bereits {31} festgestellt - nach Wegfall des Wirtschaftssystems und Auflösung des demokratischen Zentralismusses für die Gültigkeit des § 165 StGB/DDR kein Raum mehr ist. Dies spricht für den Wegfall der Strafbarkeit nach § 165 StGB/DDR insgesamt. Daß hinsichtlich einzelner Personen insoweit eine abweichende Regelung getroffen wird, ist nicht gerechtfertigt und kann sich insbesondere nicht damit begründen lassen, daß hier allein diejenigen Täter erfaßt werden, die kraft ihrer Stellung im politischen System der DDR vorher vor der Verfolgung sicher gewesen wären und hinsichtlich deren Strafverfolgung angesichts des bereits eingeleiteten Strafverfahrens ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Denn zum einen läßt sich das öffentliche Interesse nicht an der Einleitung des Strafverfahrens messen; die Einleitung eines Strafverfahrens beruht nicht zwangsläufig auf einem hohen öffentlichen Interesse bzw. bringt dieses zwingend mit sich. Zwar spricht einiges dafür, daß in den Fällen, in denen das Strafverfahren bereits eingeleitet wurde, ein erhöhtes öffentliches Interesse besteht; immerhin muß ein Anlaß zur Einleitung des Verfahrens bestanden haben. Letztlich sind die Umstände, die zu einer Einleitung des Strafverfahrens gefuhrt haben, jedoch weder objektivierbar noch allgemeingültig. Denkbar ist hier sowohl der private Vergeltungsdrang einzelner oder zufälliges Bekanntwerden durch die Strafverfolgungsbehörden und damit wenig öffentliches Interesse als auch die große Betroffenheit weiter Teile der Bevölkerung, die Anzeige erstatten, verbunden mit größtem öffentlichen Interesse.

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Andererseits ist es durchaus auch möglich, daß auch Personen, die nach dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und nach deren Interesse ebenfalls zu bestrafen sind, allein deshalb straffrei ausgehen, weil gegen sie zufallig noch kein Strafverfahren eingeleitet wurde. {32} Hinzu kommt, daß durch das Differenzierungskriterium (Einleitung des Strafverfahrens vor dem 1.7.1990) nicht gewährleistet ist, daß tatsächlich ausschließlich diejenigen Personen erfaßt werden, die kraft ihrer Stellung im politischen System der DDR bisher vor solcher Verfolgung sicher gewesen waren. Auch wenn dies letztlich Ziel des Gesetzgebers gewesen sein mag, ist nicht auszuschließen, daß auch gegen Personen, die schon seit jeher wegen Verstoßes gegen § 165 StGB/DDR verfolgt worden wären, vor dem 1.7.1990 Strafverfahren eingeleitet worden waren und diese Personen damit auch heute noch der Strafverfolgung ausgesetzt sind. Hinzu kommt, daß auch im Hinblick darauf, daß gem. § 8 Abs. 1 StÄG/DDR bereits rechtskräftig ausgesprochene Strafen wegen einer Handlung gegen § 165 StGB/DDR nicht verwirklicht werden, eine Bestrafung hinsichtlich der Personen, gegen die allein ein Strafverfahren bereits eingeleitet wurde, nicht gerechtfertigt ist. Für eine Ungleichbehandlung dieser Sachverhalte lassen sich keinerlei sachliche bzw. einleuchtende Gründe aufzeigen. Da letztlich das in § 10 StÄG/DDR enthaltene und durch Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages übernommene Differenzierungskriterium völlig ungeeignet erscheint, um zu rechtfertigen, daß die aufgezeigten Sachverhalte ungleich behandelt werden, liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. {33} Da auch eine verfassungskonforme Auslegung der in Rede stehenden Regelungen ausscheidet, ist Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages i.V.m. § 10 Satz 1 des 6. StÄG/DDR i.V.m. § 165 StGB/DDR nach alledem nicht verfassungsgemäß. Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. lfd. Nr. 3-1. Vgl. Anhangs. 510. Die §§ 157, 158, 161a, 162 sind im Anhang abgedruckt, vgl. S. 509ff. Vgl. lfd. Nr. 3-2. Vgl. lfd. Nr. 3-3. Vgl. lfd. Nr. 3-2. Vgl. lfd. Nr. 3-4. Vgl. lfd. Nr. 3-5. Vgl. Anhang S. 507. Vgl. lfd. Nr. 5-3. Vgl. lfd. Nr. 2-2. Vgl. Anhang S. 509. Vgl. Anhangs. 512. Vgl. lfd. Nr. 5-2.

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Lfd. Nr. 3-7

Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Beschluss (Ergänzung des Vorlagebeschlusses) des Landgerichts Erfurt vom 19.9.1995 - Az. 1 Js 4984/91 Kls [Ausführungen zur Zulassigkeit der Vorlage]

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Anmerkungen

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Landgericht Erfurt Az. 1 Js 4984/91 Kls1

Lfd. Nr. 3-7

19. September 1995

BESCHLUSS In der Strafsache gegen den Rentner Gerhard Alfred Müller geboren 1928 in Chemnitz verheiratet, Deutscher wegen Vertrauensmißbrauchs wird der Aussetzungs- und Vorlagebeschluß der Kammer vom 23. Juni 1995 in seiner Begründung im Hinblick auf das Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 7.9.1995 ( - 2 BvL 6/95 - ) wie folgt ergänzt: Die Vorlage ist nach Ansicht der Kammer zulässig. Zwar handelt es sich bei § 10 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßwesens (6. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR vom 29. Juni 1990, GBL 1990 I Nr. 39)2 um vorkonstitutionelles Recht. {2} Das 6. Strafrechtsänderungsgesetz wurde - vor dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland - am 29. Juni 1990 verkündet und trat am 1. Juli 1990 in Kraft. Der Gesetzgeber hat § 10 Satz 1 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR jedoch nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Beitrittsgebiet in seinen Willen aufgenommen und bestätigt. Er hat durch Art. 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 18. September 1990 (BGBl. II 1990, 885) vom 23. September 1990 dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 einschließlich seiner Anlagen I bis III zugestimmt. Da in Anlage II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nr. 2 des Einigungsvertrages bestimmt ist, daß § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes in Kraft bleibt, wird der Wille, daß die in Rede stehende Norm weiterhin Geltung erhalten soll, nach außen sichtbar. Nach Ansicht der Kammer hat der Gesetzgeber den § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR dabei nicht nur als vorkonstitutionelle Norm hingenommen und ohne ihn in seiner Geltung bestätigen zu wollen - seine Aufhebung oder sachliche Änderung vorerst unterlassen; vielmehr wollte er diese Vorschrift in der damaligen Fassung endgültig fortbestehen lassen.

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Dagegen, daß eine bloße (vorübergehende) Hinnahme der Vorschrift gewollt war, spricht zum einen, daß eine zeitliche Begrenzung der Gültigkeit der Norm von vornherein nicht vorgesehen wurde. Sie hat vielmehr auch heute noch Gültigkeit. Schon insoweit unterscheidet sich die Regelung von § 26 Abs. 1 Satz 2 des Rentenangleichungsgesetzes vom 28. Juni 1990 (GBL DDR I, Nr. 38 S. 495) in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2, Anlage II Kap. VIII Sachgebiet F Abschnitt III {3} Nr. 9 des Einigungsvertrages. Der Gesetzgeber hat das Rentenangleichungsgesetz nur fur eine von vornherein zeitlich begrenzte Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1991 vorgesehen, um im Anschluß daran beabsichtigte Reformen in Kraft treten zu lassen. Hinzu kommt, daß die Voraussetzungen fur die Annahme, der Gesetzgeber habe die Vorschriften in seinen Willen aufgenommen, um so geringer werden, je länger der Gesetzgeber vorkonstitutionelle Regelungen in Geltung läßt. Dies gilt hier um so mehr, als angesichts des besonderen Regelungsinhaltes des § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR ein besonders hoher, mit fortschreitender Zeit sich ständig vergrößernder Handlungsbedarf bestanden hätte, wenn der Gesetzgeber die Norm zunächst nur vorerst hingenommen hätte. Von dem Gesetzgeber wäre angesichts des Inhaltes der in Rede stehenden Norm in dem Falle, daß er die Norm zunächst nur hingenommen hätte, eine rasche und abschließende Entscheidung über deren Gültigkeit zu erwarten gewesen. Von § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR werden nur diejenigen Personen erfaßt, die eine Straftat, die unter die Vorschrift des § 165 StGB/DDR3 fällt, vor dem 1. Juli 1990 begangen haben und deren Strafverfahren vor dem 1. Juli 1990 eingeleitet wurde. Damit steht der Personenkreis, der von § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes erfaßt wird, von vornherein fest; eine Erweiterung des Personenkreises, für den die Norm Gültigkeit hat, ist ausgeschlossen. Verbunden damit ist aber, daß die Norm nur fur einen ganz begrenzten Zeitraum (bis zur Erledigung aller der von § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes erfaßten Verfahren) überhaupt relevant ist. Daß mit zunehmendem Verstreichen der Zeit der Personenkreis, der von der Norm erfaßt wird, ständig abnimmt, liegt auf der Hand. Wenn der Gesetzgeber aber in Kenntnis dieser Tatsachen die zeitlich unbegrenzte Fortdauer der Norm zustimmt bzw. eine andere Entscheidung auch nach dem Ablauf von nahezu fünf Jahren nicht trifft, kann dies nur bedeuten, daß er sich endgültig für {4} deren Gültigkeit auch nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Beitrittsgebiet entschieden hat. Die bloße Hinnahme der Vorschrift mit der denkbaren Möglichkeit, sie zu einem späteren Zeitpunkt aufzuheben bzw. zu ändern, erscheint angesichts der Gefahr, daß sich bis dahin alle von der Norm erfaßten Fälle ohnehin erledigt haben, insoweit ausgeschlossen. Dafür, daß der Gesetzgeber den § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes [der] DDR bestätigt hat, spricht ferner, daß er sich auch mit dem Inhalt der Vorschrift offensichtlich befaßt hat. In den von der Bundesregierung zur Unterrichtung des Bundestages gegebenen „Erläuterungen zu den Anlagen zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutsch-

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Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

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lands vom 31. August 1990 - Einigungsvertrag - " wird zu Sachgebiet C Abschnitt I Nummer 2 nämlich ausgeführt: „Nach Nummer 2 gelten auch §§ 8-10 des Strafrechtsänderungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 1990 fort. Diese Vorschriften enthalten Übergangsregelungen, die die Verwirklichung früherer Strafentscheidungen und die Beendigung von Strafverfahren in der Deutschen Demokratischen Republik betreffen." Ein nur vorübergehenden Status bzw. eine Übergangsregelung erscheint unter diesen Umständen nach Auffassung der Kammer ausgeschlossen.

Anmerkungen 1 2 3

Der Beschluss trägt ursprünglich kein eigenes Aktenzeichen. Er erging jedoch im Verfahren mit dem genannten Aktenzeichen. Vgl. Anhangs. 512. Vgl. Anhangs. 510.

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Inhaltsverzeichnis Beschluss (Unzulässigkeit der Vorlage) des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.1997 Αζ.: 2 BvL 6/95 Gründe

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I.

[Zu § 165 StGB/DDR]

141

II.

[Prozeßgeschichte]

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III. [Unzulässigkeit der Vorlage] Anmerkungen

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143 145

Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Bundesverfassungsgericht Az.: 2 BvL 6/95

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21. Dezember 1997

BESCHLUSS1 In dem Verfahren zur Prüfung, ob Artikel 9 Absatz 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nummer 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) - Einigungsvertrag - mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit danach § 10 Satz 1 des Gesetzes der Deutschen Demokratischen Republik zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßgesetzes (Sechstes Strafrechtsänderungsgesetz) vom 29. Juni 1990 (GB1.-DDR I S. 526) in Kraft bleibt, - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Landgerichts Erfurt vom 23. Juni 1995 (1 Js 4984/91 KLs)2 - {2} hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat es folgt die Nennung der beteiligten Richterinnen und Richter am 21. Dezember 1997 beschlossen: Die Vorlage ist unzulässig. Gründe Gegenstand der Vorlage ist die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß die Strafvorschriften über den Vertrauensmißbrauch (§ 165 des Strafgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik - StGB/DDR - ) für bereits vor dem 1. Juli 1990 eingeleitete Strafverfahren in Kraft bleiben. I.

[Zu § 165 StGB/DDR]

® Im folgenden wird der Wortlaut des § 165 StGB/DDR sowie derjenigen Vorschriften wiedergegeben, die seine Fortgeltung anordnen (§10 S. 1 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes, Art. 9 Abs. 2 iVm Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I Nr. 2 des Einigungsvertrages). ® {3}

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Lfd. Nr. 3-8 II.

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[Prozeßgeschichte]

1. Der Staatsanwalt des Bezirks Erfurt erhob im Mai 1990 beim Kreisgericht ErfurtNord gegen einen Parteifunktionär der SED Anklage wegen dreifachen Vertrauensmißbrauchs im schweren Fall (§ 165 Abs. 2 Nr. 1 StGB/DDR) sowie wegen weiterer Straftaten.3 Das Kreisgericht legte die Sache gemäß § 209 Abs. 2 StPO dem Bezirksgericht Erfurt zur Entscheidung vor, weil es seine Strafgewalt fur überschritten ansah und wegen der besonderen Bedeutung des Verfahrens das Bezirksgericht für zuständig hielt. Das Bezirksgericht ließ die Anklage hinsichtlich der weiteren Straftaten zur Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht des Kreisge-{4}richts zu und eröffnete insoweit das Hauptverfahren, das inzwischen rechtskräftig abgeschlossen ist.4 Das Verfahren über die Anklage wegen Vertrauensmißbrauchs trennte das Bezirksgericht ab, setzte es aus und legte es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vor, weil es die einschlägigen Strafvorschriften als verfassungswidrig ansah.5 Diesen Vorlagebeschluß hob das Bezirksgericht später wieder auf.6 2. Das inzwischen zuständig gewordene Landgericht Erfurt lehnte mit Beschluß vom 23. Juni 19957 die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen eines Falles des Vertrauensmißbrauchs ab. Wegen der beiden anderen Fälle trennte es das Verfahren ab, setzte es erneut gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aus und legte es dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vor, ob Artikel 9 Absatz 2 in Verbindung mit Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt I, Nummer 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) - Einigungsvertrag - mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit er die Fortgeltung des § 10 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung, des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten, des Strafregistergesetzes, des Strafvollzugsgesetzes und des Paßgesetzes (Sechstes Strafrechtsänderungsgesetz) vom 29. Juni 1990 (GBl DDR I S. 526) anordnet. Das Landgericht hält den Angeschuldigten für hinreichend verdächtig, sich in den beiden verbliebenen Fällen wegen Vertrau-{5 }ensmißbrauchs im schweren Fall strafbar gemacht zu haben. Es sieht sich aber daran gehindert, insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen, weil es die einschlägigen StrafVorschriflen für verfassungswidrig hält. Die Fortgeltung des § 165 StGB/DDR beruhe auf einem nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässigen Einzelfallgesetz, das zudem gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Durch Beschluß vom 19. September 19958 ergänzte das Landgericht seine Ausführungen zur Zulässigkeit der Vorlage: Die Vorlage sei zulässig. Der vorliegende Fall unterscheide sich von demjenigen, der durch Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Oktober 1993 - 1 BvL 42/92 - (DtZ 1994, S. 148 f.)9 entschieden worden sei. Zwar handele es sich bei dem 6. Strafrechtsänderungsgesetz um vorkonstitutionelles Recht aus der Zeit vor dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland. Der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland habe § 10 Satz 1 des Gesetzes jedoch nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Beitrittsgebiet in seinen Willen aufgenommen und bestätigt. Er habe durch Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II 142

Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

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S. 885) dem Einiglingsvertrag einschließlich seiner Anlagen I bis III zugestimmt und damit seinen Willen kundgetan, daß § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der DDR weiterhin gelten solle. Der Gesetzgeber habe sich auch mit dem Inhalt der Vorschrift befaßt. Die Bundesregierung habe in ihren „Erläuterungen zu den Anlagen zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der {6} Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 - Einigungsvertrag - " zu Sachgebiet C Abschnitt I Nr. 2 ausgeführt: „Nach Nr. 2 gelten auch §§ 8 bis 10 des Strafrechtsänderungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik10 vom 29. Juni 1990 fort. Diese Vorschriften enthalten Übergangsregelungen, die die Verwirklichung früherer Strafentscheidungen und die Beendigung von Strafverfahren in der Deutschen Demokratischen Republik betreffen."

III. [Unzulässigkeit der Vorlage] Die Vorlage ist unzulässig. Die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG für ein Verfahren der konkreten Normenkontrolle liegen nicht vor. Das Landgericht kann selbst entscheiden, ob § 10 Satz 1 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes in Verbindung mit § 165 StGB/DDR mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher außer Kraft getreten ist. 1. a) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so hat es nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Das gilt indessen nur für Gesetze, bei deren Erlaß der Gesetzgeber die Vorschriften des Grundgesetzes zu beachten hatte, nicht dagegen für solche, die nicht unter der Herrschaft des Grundgesetzes ergangen sind. Diese einschränkende Auslegung folgt aus Sinn und Zweck des Art. 100 Abs. 1 GG. b) Die Vorschrift soll die Autorität des konstitutionellen Gesetzgebers wahren. Gesetze, die unter der Herrschaft des Grund-{7}gesetzes erlassen worden sind, sollen bis zur allgemeinverbindlichen Feststellung ihrer Nichtigkeit oder Unwirksamkeit durch das Bundesverfassungsgericht befolgt werden; über ihre Gültigkeit soll es keine einander widersprechenden Gerichtsentscheidungen geben. Deshalb hat das Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht ein Verwerfungsmonopol eingeräumt. Für Gesetze, die nicht unter der Herrschaft des Grundgesetzes erlassen worden sind, kommt eine solche Rücksicht auf die Autorität des konstitutionellen Gesetzgebers nicht in Betracht. c) Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß Art. 100 Abs. 1 GG nur für Gesetze gilt, die nach Inkrafttreten des Grundgesetzes verkündet worden sind. Grundsätzlich nicht anwendbar ist die Vorschrift auf vorkonstitutionelle Gesetze im Sinne des Art. 123 GG (vgl. dazu etwa BVerfGE 2, 124 ; 70, 126 ). Nur solche vorkonstitutionellen Gesetze stehen den nachkonstitutionellen gleich, die der Gesetzgeber nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in seinen Willen aufgenommen hat (vgl. BVerfGE 66, 248 ; 70, 126 ). 2. Von diesen Grundsätzen ist auch für Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik auszugehen, die nach dem Einigungsvertrag fortgelten sollen. Sinn und Zweck des Art. 100 Abs. 1 GG sprechen auch bei ihnen gegen die Zulässigkeit einer konkreten

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Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Die Vorschriften des Einigungsvertrags ergeben jedenfalls für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nichts anderes. {8} a) Von den zur Prüfung vorgelegten Vorschriften ist allein das Zustimmungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland zum Einigungsvertrag unter der Herrschaft des Grundgesetzes verkündet worden. Die Anlage II zu diesem Vertrag bestimmt in Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt I Nr. 2, daß § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft bleibt. Diese Bestimmung stellt eine Ergänzung der im Einigungsvertrag enthaltenen grundlegenden Vorschriften dar: Nach Art. 9 Abs. 2 EV bleibt das in Anlage II aufgeführte Recht der Deutschen Demokratischen Republik mit den dort genannten Maßgaben in Kraft, soweit es mit dem Grundgesetz unter Berücksichtigung des Einigungsvertrags sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist. Die Fortgeltung von Vorschriften des Rechts der Deutschen Demokratischen Republik wird danach nur für den Fall angeordnet, daß die Vorschriften inhaltlich mit dem Grundgesetz (in der Fassung des Einigungsvertrags) und mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar sind. Diese Vorschrift kann als solche nicht dem Grundgesetz widersprechen; denn sie macht die Fortgeltung der in Anlage II des Vertrags bezeichneten Vorschriften gerade davon abhängig, daß diese inhaltlich mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Landgericht legt demgemäß auch nicht dar, daß es Art. 9 Abs. 2 EV für sich als verfassungswidrig ansehe; es entnimmt die Unvereinbarkeit der angegriffenen Regelung mit dem Grundgesetz vielmehr dem Inhalt der in der Vorlage bezeichneten Vorschriften des Rechts der Deutschen Demokratischen Republik. {9} b) Die vor Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland erlassenen Vorschriften des § 165 StGB/DDR und des §10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes gehören nicht zu den Gesetzen, die unter der Herrschaft des Grundgesetzes ergangen sind. Sinn und Zweck des Art. 100 Abs. 1 GG sprechen daher dafür, sie in bezug auf die Zulässigkeit einer konkreten Normenkontrolle nicht anders zu behandeln als das vorkonstitutionelle Recht. Zwar handelt es sich bei diesen Gesetzen nicht um vorkonstitutionelles Recht im Sinne des Art. 123 GG. Sie stammen aus einer fremden Rechtsquelle, die einen Rechtsanwendungsbefehl für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht enthielt. Dieser Rechtsanwendungsbefehl ergibt sich für die Zeit nach dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland erst aus den Überleitungsvorschriften des Einigungsvertrags. Sie inkorporieren Recht der Deutschen Demokratischen Republik in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und nehmen dabei - anders als Art. 123 GG - die einzelnen Vorschriften, die in Kraft bleiben sollen, in den Blick. Indessen wird dadurch diesen Vorschriften nicht der Rang nachkonstitutionellen Rechts der Bundesrepublik Deutschland verliehen. c) Durch die Aufnahme der Vorschriften in die Anlage II zum Einigungsvertrag hat der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland sie nicht derart in seinen Willen aufgenommen, daß sie nachkonstitutionellem Recht der Bundesrepublik Deutschland gleichstünden. Er hat sie - wie auch der Wortlaut („... bleibt ... in Kraft, ...") zeigt - lediglich hingenommen und von ihrer Aufhebung abgesehen, ohne sie in ihrer Geltung zu bestätigen {10} (vgl. BVerfGE 66, 248 m.w.N.). Er hat ihre Fortgeltung näm144

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lieh ausdrücklich nur unter der Voraussetzung angeordnet, daß sie weder dem Grundgesetz noch dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften widersprechen. Der Rechtsanwendungsbefehl fur die Bundesrepublik Deutschland steht mithin unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Prüfung am Maßstab des Grundgesetzes und des europäischen Gemeinschaftsrechts. 3. Für diese Prüfung gilt das in Art. 100 Abs. 1 GG geregelte Verfahren der konkreten Normenkontrolle nicht. Es fehlt an einer Vorschrift, die für diesen Fall das Verfahren ausdrücklich vorsähe. Die Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle läßt sich auch nicht im Wege der Auslegung begründen. Wie bereits dargelegt wurde, stehen Sinn und Zweck des Art. 100 Abs. 1 GG einer solchen Auslegung entgegen. Da Art. 100 Abs. 1 GG danach nicht anwendbar ist, kann das Landgericht selbst über die Vorlagefrage entscheiden.

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Veröffentlicht in BVerfGE 97, 117. Vgl. lfd. Nr. 3-5. Vgl. lfd. Nr. 3-1. Vgl. lfd. Nr. 3-2 und 3-3. Vgl. lfd. Nr. 3-2. Vgl. lfd. Nr. 3-4. Vgl. lfd. Nr. 3-5. Vgl. lfd. Nr. 3-7. Im genannten Beschluss erörterte das Bundesverfassungsgericht eingehend die Voraussetzungen für die Bestätigung vorkonstitutionellen Rechts durch den nachkonstitutionellen Gesetzgeber. Konkret erklärte es eine konkrete Nonnenkontrolle bezüglich § 26 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes der Deutschen Demokratischen Republik zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen - Rentenangleichungsgesetz vom 28.6.1990 (DDR-GB1.1, S. 495) fur unzulässig. 10 Zum Wortlaut der §§ 8,10 des 6. DDR-StÄG vgl. Anhang S. 512.

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Lfd. Nr. 3-9

Dokumente - Teil 1

Inhaltsverzeichnis Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 10.3.1998 Az.: 1 Js 4984/91 KLs Gründe.

147

1.

Prozessuale Situation

147

2.

Sachverhalt

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3.

Rechtliche Würdigung A. Entscheidungserheblichkeit B. Verfassungswidrigkeit

147 147 148

Anmerkungen

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Die Kammerbachhütte - Der Fall Müller

Landgericht Erfurt Az.: 1 Js 4984/91 KLs

Lfd. Nr. 3-9

10. März 1998

BESCHLUSS In der Strafsache gegen den Rentner Gerhard Alfred Müller geboren 1928 in C. verheiratet, Deutscher wegen Vertrauensmißbrauchs hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Erfurt durch es folgt die Nennung der beteiligten Richterinnen und Richter am 10.03.1998 beschlossen: Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus rechtlichen Gründen auch in den Punkten 1.2 und 1.3 der Anklage der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 11.05.1990 (Bereitstellung und Betreibung von PKW's für das Jagdgebiet 3 der Jagdgesellschaft Luisenthal und Bereitstellung von Bitumen für den Wegebau im Jagdgebiet) abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen auch insoweit der Staatskasse zur Last. {2} Gründe 1. Prozessuale Situation Der Text zu diesem Gliederungspunkt ist bis auf den letzten Absatz, der hier fehlt, identisch mit der Passage des Beschlusses des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 unter derselben Überschrift (vgl. lfd. Nr. 3-6, S. 119-121).® {6} 2.

Sachverhalt

® Der Text zu diesem Gliederungspunkt ist identisch mit der Passage des Beschlusses des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 unter derselben Überschrift (vgl. lfd. Nr. 3-6, S. 121-125).® {15} 3. Rechtliche Würdigung A.

Entscheidungserheblichkeit

® Der Text zu diesem Gliederungspunkt ist identisch mit der Passage des Beschlusses des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 unter derselben Überschrift (vgl. lfd. Nr. 3-6, S. 125-129). ® {33}

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Lfd. Nr. 3-9

Β.

Dokumente - Teil 1

Verfassungswidrigkeit

® Der Text zu diesem Gliederungspunkt ist identisch mit der Passage des Beschlusses des Landgerichts Erfurt vom 23.6.1995 unter derselben Überschrift (vgl. lfd. Nr. 3-6, S. 129-135). Der Abschnitt wurde um die beiden folgenden Absätze ergänzt. n

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