Kulturbilder aus Hellas und Rom: Band 1 [3., berichtigte und vermehrte Auflage. Reprint 2020] 9783112349540, 9783112349533


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Kulturbilder aus Hellas und Rom: Band 1 [3., berichtigte und vermehrte Auflage. Reprint 2020]
 9783112349540, 9783112349533

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Kulturbilder Hellas und Rom.

Erster Band.

Kultiirbilbrr aus Hellas und Rom

Hermann Göll.

Dritte berichtigte und vermehrte Auflage.

Erster Band.

Leipzig.

Verlag von Veit & (Lorup. 1878.

Das Uebersetzungsrecht in fremde Sprachen wird Vorbehalten.

Vorwort zur zweiten Auflage.

Bessere Bürgschaft als Lobsprüche, die Neid und Argwohn zu belächeln sich für berechügt halten, gewährt der Absatz einer Auflage dem Autor

dafür, daß er mit dem Werke seinen Zweck erreicht und dasjenige Publikum, welches ihm von Anfang an vor Augen schwebte, befriedigt hat.

Die

Adresse der „Kulturbilder" war nicht direkt an die Schule gerichtet gewesen,

sondern an den auf kein Alter, kein Geschlecht beschränkten Kreis wahrhaft Gebildeter, die ein reges Interesse für die Kulturgeschichte der Menschheit in der Brust tragen und denen deshalb besonders eine Gelegenheit zu

klarerem Einblick in die Verhältnisse des hellenischen und römischen sozialen Lebens willkommen sein muß. Das Buch hat auch in dieser zweiten Auf­

lage weder Tendenz noch Form geändert; nur mußten einige Irrthümer getilgt, mehrere Abschnitte erweitert und die inzwischen erschienenen wissen­

schaftlichen Arbeiten berücksichtigt werden. Und so möge es denn fortfahren, sich unter Denjenigen Freunde zu erwerben, denen es bei ihrer Lektüre

eben nicht bloß um Unterhaltung zu thun ist, die aber den schwerfälligen

gelehrten Apparat nicht gern mit in Kauf nehmen.

Schleiz, im Mai 1869.

Göll.

Vorwort zur dritten Auflage.

Die Kulturbilder haben hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Auf­

einanderfolge in der gegenwärtigen neuen Auflage keine Aenderung erfahren.

Nur sind die früheren drei Bände in zwei zusammengezogen worden und der

neue Herr Verleger hat dem Buche eine gefälligere Ausstattung gegeben. Natürlich mußten auch den Fortschritten der Forschung auf dem Gebiete der

Alterthumswissenschaft Rechnung getragen und manche Zusätze eingeschaltet

werden. Und so möge sich diese Auflage einer ebenso günstigen Aufnahme erfreuen, wie die beiden früheren.

Schleiz, im August 1877.

Der Verfasser.

Inhalt. Seite

I. Der Volksunlerricht..........................................................................................

1

n. Professoren und Studenten der römischen Kaiserzeit.........................................19 HL Der Musikdilettantismus der römischen Kaiserzeit.............................................. 31 IV.

V.

VI.

Das Reisen im Altetthume................................................................................... 38 Die geselligen Spiele der Griechen und Römer

............................................ 61

Die Parasiten und Hofnarren............................................................................. 84

VH. Die Gaukler.......................

91

VH!. Die Pantomimik.................................................................................................... 104

IX.

Die Astrologie in der römischen Kaiserzeit.................................................... 114

X.

Aktiengesellschaften im Alterthume..................................................................... 124

XI.

Banquiers, Banken und Geldkrisen................................................................ 134

XII.

Die Aerzte............................................................................................................ 141

Xm. Die Armenpflege.................................................................................................... 151 XIV.

XV.

Die Handwerker, Fabrikanten undZünfte......................................

16*2

Der Neujahrstag in Nom................................................................................ 175

XVI.

Die griechischen Milizen und Landsknechte.................................................... 187

XVII.

Die Leibeigenen und Sklaven...........................................................................201

XVUl. Die Polizei............................................................................................................... 234 XIX.

Die soziale Stellung des Weibes..................................................................... 250

XX.

Toleranz, Sektirerei und Proselytenmacherei............................................... 278

XXI.

Gespensterspuk und Geisterzwang..................................................................... 302

XXII.

Die dramatischen Dichter und Künstler..........................................................320

XXni. Die Sachwalter und Rechtsgelehrten.................................................................. 344 XXIV. XXV.

Die römischen Militärverhältnisse..................................................................... 362 Die Kriegsmarine....................................................

386

Der Volksunterricht. 0

Bildung der hellenischen Jugend im heroischen Zeitalter erstreckte sich mehr auf den Körper, als auf die geistigen Kräfte. Mit Kunst und Anstand die gymnischerr Uebungen des Wettlaufs, Ringens, Dis­

kuswerfens und Faustkampfs auszuführen wurden die reiferen Knaben und Jünglinge gelehrt, oder sie lernten es durch eigene Uebung unter Anweisung älterer und kundigerer Genossen.

Die Ausbildung des Geistes beschränkte sich

auf einen kleinen Kreis praktischer Kenntnisse, durch welche theils die Sittlich­ keit geweckt und gestärkt, theils das Auffassungs- und Urtheilsvermögen geschärft

werden sollte.

Dahin gehört das Einprägen nützlicher Sentenzen und Lebens­

regeln , der wichtigsten Notizen aus der Kräuter- und Heilkunde und der einer: Einblick in die einfachen Rechtsverhältnisse jener Zeit bedingenden Vorkenntnisse,

vielleicht auch schon der Unterricht im Lesen und Schreiben der hieroglyphen­ artigen Schriftzeichen, auf deren Vorhandensein, wenigstens im Homerischen Zeitalter, einige Spuren Hinweisen.

Ausdrücklich erwähnt wird ferner die

Unterweisung im Saitenspiel und Gesang, welche der Sage nach Herakles von

Linos, Achill von Chiron genossen haben sollen.

Aber ein Gemeingut der

Nation waren diese Kenntnisse nicht und nur die Söhne der Vornehnren und

Edeln wurden in dieselben eingeweiht. Die Gesetzgeber der historischen Zeit erkannten recht gut den Einfluß der Erziehung und des Unterrichts auf das Wohl der Staaten, und wenn auch

der Athener Solon die Pädagogik nicht so eng mit dem Staatsorganismus verband, als der Dorier Lykurg, so soll er doch durch Gebote mancherlei Art

die sittliche Reinheit der zu seiner Zeit bereits bestehenden Schulen zu erhalte:: oder wiederherzustellen gesucht habe::.

Wir lesen z. B., daß er anordnete, die

Schulen sollten nicht vor Sonnenaufgang geöffnet, aber vor Sonnenuntergang Söll, Kulturbilder. I.

1

4

Der Volksunterricht.

übelberüchtigten Menschen ihre Kinder anvertrauen; zuweilen kennen sie sogar

die Unwissenheit und Verdorbenheit der Zöglinge von solchen Lehrern und geben doch ihre Söhne hin, theils durch Schmeicheleien bestochen, theils aus Gefällig­ keit gegen fürsprechende Freunde." Die Bezahlung des Unterrichts stellte ferner den Lehrerstand nach der aristokratischerr Anschauungsweise der Zeit auf gleiche Stufe mit anderen Lohnarbeitern, und Leute aus bessereil Familien griffen wol stets nur durch die Noth gedrängt zu diesen: Erwerbszweig. Plutarch räth verarmten Bürgern: „Werdet Lehrer, Pädagogen, Thürhüter oder nehmt Dienste auf den Schiffen!" Den geringsten Grad der Achtung genossen natür­ lich die Elementarlehrer. Deshalb läßt Lukian in einer scherzhaften Beschrei­ bung der Unterwelt die Könige und Satrapen dieser Welt im Jenseits Bettler, Verkäufer gesalzener Fische oder Schullehrer werden, und eine sprichwörtlicheRedensart lautete: „Er ist entweder gestorben oder Lehrer geworden"! Die ärmeren Lehrer unterrichteten auf d^n Straßen und Kreuzwegen, während die Schüler wohlrenommirter Anstalteir auch geräumige nut) anständige Lokale hatten. Demosthenes rühmt sich, die seinem Stande angemessenen Schulen besucht zu haben und wirft seinem Gegner Aeschines vor, derselbe habe als Knabe in einer Schule niedrige Dienste geleistet, die Dinte gerieben, die Bänke gescheuert, die Klasse ausgefegt. . Die Einkünfte der Lehrer richtete!: sich imtürlich nach Sta::d und Menge der Schüler. Ueber die Höhe des Schulgelds besitze:: wir bloß aus dem 5. Jahrhundert eine vom alexandrinischen Dichter Palladasherrührende Notiz; danach betrug es jährlich 20 Drachinen. Außerdem scheint es, als habe man, wie in Italien, das Schulgeld monatlich entrichtet, weil bei Theophrast ein Geizhals, um das Schulgeld zu spareu, augeblich aber der Feste und Schau­ spiele weger:, seine Kinder den ganzen Mormt Arllhesterion (Februar) zu Hause behält; auch verweigert derselbe bei Versäuu:nisser:, die durch Krartkheiten her­ beigeführt werden, die Zahlung. Daß die Lehrer oft Noth hatten, ihr Geld zu bekommen, sieht man aus dem Beispiel des Den:ostheues, desseu unredliche Vormünder sein Schulgeld während seir:er ganzer: Mir:derjährigkeit schuldig geblieben siud. Uebrigens scheint bereits ein Solornsches Gesetz das Maximum der Schülerznhl für die einzelnen Lehrer festgestellt zu Haber:, ohne daß wir jedoch dessen Höhe und Geltungszeit ker:r:er:. In der Schule zu Astypaläa be­ fanden sich, als der wahnsinnige Athlet Kleomedes, wie der blinde Sirnson, durch Wegreißen einer Tragsäule den Eir:sturz des Gebäudes herbeiführte, gegen 60 Knaben. Dagegen wird es auch manchen: Granunatisten so gegangen

sein, wie dem witzigen Musiklehrer Stratoinkos, der ir: schien: Unterrichts­ zimmer die Bildsäulen der neun Muser: ur:d Apollor:s aufgestellt hatte und auf die Frage, wieviel er Schüler habe, antwortete: „Mit den Göttern zwölf!" Es erinnert dies an Martial's Epigramm: „Munna, gewöhnt, immer zwei

5

Der Volks unterricht.

Schüler zu lehren, bittet Dom Kaiser die Rechte dreier Scholaren" (mit An­ spielung ans die für drei eheliche Kinder gewahrten Privilegien!).

gab es, die vielen Festtage ausgenommen, wol nicht.

Schulferien

Ein besonderes Schulfest,

das den Mnsen zu Ehren gefeiert wurde, existirte aber bereits zu Solon's Zeit, so wie in dell Ringschulen die Hermäen gefeiert wurden. Zu den Kosten dieser

Jugendfeste steuerten übrigens dieKnabei: bei; demr der Knauser Theophrastos laßt deshalb bei solcher Gelegenheitell seine Kinder krank melden! Platon sagt ausdrücklich, daß die zum Handwerkerstande bestimmten

Knaben auch spater angesangen hätten, als die Kinder wohlhabender Aeltern, sich die nöthigen Schulkenntinsse anzueignen.

Wemr imii aber derselbe Schrift­

steller verlangt, daß der Unterricht erst im zehnten Jahre beginnen sollte, so

steht auch diese Ansicht in Widerspruch mit der Sitte der Zeit, da man im Durchschllitte annehmen muß, daß der Eintritt in die Schule im siebenten Jahre

erfolgte.

Manche Aeltern schickteir die Knaben noch zeitiger zu den Lehrern, nur

um sie zu Hause los zu werden.

„Die Ammen", sagt Lukian, „pflegen von

ihren Schlltzbefohlenen zu feigen: Sie müssen nun in die Schnle gehen; denn

wenn sie auch noch nicht im Stande sind, dort etwas Gutes zu lernen, so wer­ den sie doch wenigstens während dieser Zeit nichts Schlechtes thun."

Sobald das Regiment der Ammen anfhörte und der Schulbesuch begann,

trat nun aber der Pädagog sein Amt an, der seit den Perserkriegen in den Häusern der Wohlhabenderen überall anzntreffen war.

Es war dies gewöhn­

lich ein Sklave, und er sollte den Knaben überall hin, auch in die Schule, be­ gleiten, beaufsichtigen und vor unsittlichen Einflüssen bewahren.

Außerdem

brachte er ihm die nothwendigsten Regeln des Anstandes bei; denn der junge Hellene mußte auf der Straße gesenkten Hauptes einhergehen, älteren Personen

ausweichen, die Gewänder regelrecht tragen, bei Tische mit der rechten Hand' die Speisen anfassen nnd zwar mit zwei Fingern Fische, Fleisch und Brod, mit

einem alles Gepökelte.

Wenn nun auch au die Pädagogen nicht die Anforde­

rung höherer Bildung gestellt wurde, so versteht es sich doch von selbst, daß

eigentlich der würdigste und verständigste unter den Sklaven dazu gewählt wer­ den mußte.

Allein theils trafen auch hierin die Aeltern leichtsinnige Wahlen,

theils täuschten die Erwählten durch den angenommenen Schein des Ernstes

und die sprichwörtlich gewordene Pädagogenmiene.

Plutarch sagt: „Man

macht die brauchbarsten Sklaven zu Ackerbauern, Schiffskapitünen, Kaufleuten, Hausverwaltern, Geldverleihern; wenn man aber einen trunksüchtigen, nasch­

haften, zu jedem Geschäfte unbrauchbaren findet, dem anvertraut man die Söhne".

So soll selbst Perikles seinem Mündel Alkibiades einen wegen seines Alters ganz unnützen Sklaven zum Pädagogen gegeben haben. Diogenes vonSinope

reichte einst einem fahrlässigen Hofmeister, dessen Zögling Näschereien verzehrte, eine tüchtige Ohrfeige.

Dieselbe Behandlung verdiente gewiß jener würdige

6

Der Volksunterricht.

Mentor zu Sybaris, her, wie Aelian erzählt, seinen Zögling heftig strafte, weil derselbe eine Feige von der Straße aufgehoben hatte, aber dann den konfiszirten Fund selbst kaute. Das Amt des Pädagogen wurde schwieriger, als mit der wachsenden Demoralisation die Kinderzucht sich lockerte. So seufzt in einem Plauünischen Stücke der Erzieher Lydus: „Sonst durfte sich der Schüler

rncht einen Zoll weit vom Pädagogen entfernen, ja er erlangte eher ein Ehren­ amt, als er dessen Worten zu gehorchen aufhörte. Jetzt aber, bevor er sieben Jahre alt ist, wenn er nur mit der Hand berührt wird, zerschlägt der. Knabe sofort mit seiner Tasel den Kopf des Hofmeisters; und führt man beim Vater Beschwerde, so spricht dieser zum Jungen: So ist's recht! Nur sich immer gegen Beleidigungen gewehrt! und zum Pädagogen: Höre Du, nichtswürdiger Alter, daß Du dem Knaben wegen dieser Sache nichts zu Leide thust! Er hat brav gehandelt! Wenn dann des Hofmeisters Schädel, wie eine Laterne, mit geölter Leinwand geflickt worden ist, dann gehen die Parteien auseinander/' Wie aus den erwähnten Solonischen Gesetzen erhellt, begann der Unter­ richt in den Elementarschulen mit Sonnenaufgang. So will es auch Platon, und der Ueberfall vom böotischen Mykalessos geschah nach Thukydides mit Tagesanbruch, „als die Schule sich kaum erst gefüllt hatte". Daß auch nach der leichten Mittagsmahlzeit Unterricht ertheilt wurde, zeigt die Solonische Bestimmung, die Schulen mit Sonnenuntergang zu schließen. Auch bei Lukian heißt es in einem Gespräche: „Ich werde, wie die Kinder, früh und Nachmit­ tags zu Dir kommen, um Deine Kunst zu erlernen." Irr dem Schulzimmer saßen die Knaben auf hölzernen Bänken. Der Unterricht begann mit dem Er­ lernen der Buchstabeil, denr das Buchstabireir folgte. Man hat die Erfindung der Lautirmethode nach einer falsch verstandenen Stelle den Griechen zu­ schreiben wollen: allein in den Fragmenten, die uns Athenäos von der ^gram­ matischen Komödie", des Kallias (410 v. Chr.) erhalten hat, buchstabirt der Chor der Weiber ganz nach der noch vor wenigen Jahrzehnten bei uns herr­ schenden Weise. Das Lesenlerneir ging gewöhnlich langsam und mühselig von Statten; aber man gewöhnte auch dabei die Knaben an eine deutliche Artikulation und sah auf melodischen Klang ilnd Rhythmus des Vortrags. Beim Schreiben zog der Lehrer, wie Platon erwähnt, den Anfängern Linien und schrieb ihnen wol auch die Buchstaben vor. Die Knaben benutzten dabei wahrscheinlich, wie die Erwachsenen zu thun pflegten, das herangezogene Knie als Stützpunkt für den Schreibapparat. Uebrigens verlangt Platon, der nur drei Jahre auf den Elementarunterricht verwendet wissen will, gerade keine Fertigkeit im Schön- und Schnellschreiben, wenn dieselbe nicht während dieser Zeit gewonnen werden könnte. Hinsichtlich der Arithmetik, die sich übrigens als Unterrichtsfach der Schule nicht nachweisen läßt, schlägt derselbe vor, durch die sinnliche Anschauung, durch Vertheilen und Zusammenordnen von Aepfeln,

Kränzen oder metallenen Gefäßen die Zahlbegriffe spielend den Kindern beizu­ bringen.

Man wird aber wol, wie im gewöhnlichen Leben, sich hierzu theils

der Finger, theils der Rechensteine bedient haben.

Während nämlich schon die

einzelnen Finger ihre bestimmte und, jenachdem sie der rechten oder linken

Hand angehörten, verschiedeile Geltu^ig hatten, drückten die durch Zusammen­ halten und Biegen derselben entstehenden Figuren die mannigfaltigsten Zahl­ verhältnisse aus.

Zu den Rechensteinen gehörte auch das Rechenbrett, auf dem

runde Steine oder Knöpfe sich an Stiften auf parallel laufenden Einschnitten

bewegten, durch welche die Dezimalstellen bezeichnet wurden.

Jeder Einschnitt

enthielt aber nicht 9 Steine, sondern nur 5, von denen allemal einer, der sich

in einen: getrennten kürzeren Theile des Einschnittes befand, allein die Fünf

reprüsentirte.

Es hatte also das antike Rechenbrett große Aehnlichkeit mit dem

heutigen russischen, das vielleicht zugleich mit der griechischen Buchstabenschrift von den Oströmern nach Rußland gewandert ist.

Auf diesem sind die runden

Steinchen zu je neun an parallel von links nach rechts laufende Drähte gereiht,

und ihre Geltung wächst mit jedem Drahte von oben nach unten um eine

Dezimalstelle.

Der Maler Apelles verglich die Rechensteine nicht ohne Witz

mit den Günstlingen der Fürsten, lveil sie nach dem Willen des Rechnenden jetzt einen Obolos m:d gleich darauf ein Talent gälten! —

Auf die Elemente folgten bei den Knaben, die besser erzogen wurden,

Uebungen im Auswendiglernen und Deklamiren poetischer Stücke (in alter Zeit auch der Gesetze). „Wenn die Knaben die Buchstaben kennen," läßt Platon den Protagoras sagen, „und daun bereits anfangen, das Geschriebene zu verstehen, so gebe:: ihnen die Lehrer auf, die Gesänge guter Dichter vorzulesen, und

zwingen sie, dieselben auswendig zu lernen,

mahnungen,

(^s finden sich darin viele Er­

aber auch viele Erzählungen zum Preis und Ruhm trefflicher

Männer der alten Zeit und der Knabe soll dadurch zum Wetteifer und zur

Nachahmung angespornt werden."

Außer den Dichtungen Hesiod's und der

Kykliker waren es vorzüglich die großen nationalen Epopöen Homer's, welche als Mittel zur Weckung des Nationalgefühls, der Vaterlandsliebe, der Reli­

giosität und des ästhetischen Sinnes in den Schulen benutzt wurden.

So wird

denn nicht selten vorgekommen sein, was Nikratos in Xenophon's Gastmahl

tion sich rühmt: „Mein Vater, besorgt darum, daß ich ein braver Mann würde, hat mich gezwungen, alle Gesänge Homer's zu lernen, und nun kann ich die ganze Ilias und Odyssee auswendig hersagen."

Aber bereits im Alterthume

fanden Homer und Hesiod als Lehrmeister der Jugend ihre Gegner, und zwar

unter den philosophischen Denkern. Lenophanes aus Kolophon (530 v. Chr.)

bekämpfte die vermenschlichenden Volksvorstellungen

des Polytheismus als

Pantheist und drang auf Abschaffung Homer's und Hesiod's, weil beide ihren

Göttern Diebstahl,

Betrug

und Ehebruch

beilegten.

Der

streng sittliche

8

Der Volksunterricht.

Heraklit aus Ephesos (500 v. Chr.) behauptete sogar, man müsse Homer und den schmähsüchtigen Archilochos aus den Schulen mit Ruthen hillauspeitschen. — Grammatische und sprachwissenschaftliche Belehrungen an das Lesen der Klassiker zu knüpfen, begann man sicher erst seit dem Zeitalter der Sophisten. Gelehrsamkeit in illlserem Sinne war ja überhaupt ben Helleueu der besseren Zeit, die überhaupt das Leben und namentlich die Jugelldbildung in idealem Sinne faßten, tödtende Einseitigkeit, des Freien unwürdig und nur Arbeit von Sklaven. Im vierten Jahrhundert v. Chr. trat zu bcn gewöhnlichen Bildungsmitteln der Jugend auch das Zeichnen hinzu. Gegen Geometrie, Geographie, Astro­ nomie und andere derartige Wissenschaften herrschte aber immer ein Borurtheil unter dem Volke, und noch derRedner Jsokrates schreibt hierüber: „Ich glaube, daß diejenigen, welche sich mit Geometrie, Astrologie imb dergleichen Wissenschaften besassen, ihren Schülern nicht schadell, sondern nützen, und tnenn auch weniger als sie versprecheir, doch mehr, als die Andern annehmen. Denn die Mehrzahl unter den Leuten halten solche Kenntnisse für Worturacherei und Kleinigkeitskrämerei; denn man habe ja feinen Nutzen davon, sagen sie, weder im Privatleben, noch für ben Staat; ja jene Dinge hafteten nicht einmal im Gebächtnisse ber ßernenben, weil sie ihnen Weber im Leben zur Seite blieben noch sie praktisch nnterstützten, sonbern rein überflüssig wären." Der musikalische Unterricht ging zuweilen neben beni Elementarunterricht her; gewöhnlich aber begann er später. Ueber bie Zulässigkeit ber Tonkunst alsUnterrichtsgegenstanb stimmen Arist o t el es nnb Platon überein. Jener sagt, ber Zweck ihres Erlernens sei nicht bloß bas Vergllügen, soirbern auch bie würbige Ausfüllung ber Mußestunben, nnb wenn bie Musik auch nicht ein so nothwenbiges Bilbungsmittel sei, als bie Disziplinen bes Grammatisten, so müsse sie boch für ein schönes nnb bem Freien geziemenbes gelten. Dieser aber schreibt im Protagoras: „Wenn die Knaben bas Zitherspiel erlernen, werben sie zngleich mit ben Liebern guter lyrischer Dichter bekannt, müssen ihre Stimme bem Saitenspiel anpassen nnb bie Melobien sich einprägen. Dadurch gewöhnen sie sich an rechtes Maß und schöne Ordnung uni) werden geschickter in Worten und Werken; denn das ganze Leben des Märschen bedarf des Gleichmaßes und der harmonischen Stimmung." Diesen Grundsätzen gemäß war auch das In­ strument, das die Knaben spielen lernten, die mit zur Begleitung des Gesanges geeignete Lyra. Nach den Perserkriegen wurde in Athen auch die Flöte beliebt; aber schon zu Aristoteles' Zeit hatte man sich derselben wieder entwöhnt. Plutarch schreibt diese Geschmacksänderung dem Alkibiades zn, der als Knabe den Ton unter seinen Altersgenossen angegeben nnb bie Flöte verabscheut haben soll, weil aufgeblasene Wangen bas Gesicht entstellten. „Wir wollen baher," sagte er zu seinen Kameraben, „bie Flöte ben Kinberu ber Thebaner überlassen,

9

Der Volksunterricht.

welche nicht reden können, besonders da wir Athener Athena und Apollon zu Schutzgöttern haben, von denen jene die Flöte weggeworfen, dieser aber den Flötenspieler Marsyas geschunderr hat."

Wenn es nun aber auch von jedem

Gebildeten verlangt wurde, daß er sich einige musikalische Bildung aneignete,

wenn es dem Themistokles sogar vorgeworfen werden koimte, daß er weder die Lyra noch die Kithara zu spielen verstand, so durfte man auf der andern Seite

die Grenzen des Dilettantisnms nicht überschreiten; denn der Virtuose von Profession ist ein Lohnarbeiter und steht dem niedrigsten Handwerker gleich.

„Schämst Du Dich nicht, so schön zu spielen?" sprach Philipp, der Makedonier, zu seinem Sohn, als dieser nach allen Regeül der Kunst die Zither schlug.

Die systematische körperliche Ausbildung der Knaberr hatte Förderung der Gesundheit, Rüstigkeit und Schönheit zum Endzwecke und fußte auf der richtigen Ansicht, daß der Leib nicht geringeren Anspruch auf Vervollkommnung habe als der bei urrs auf Kosten desselben einseitig gebildete Geist, und daß auch die

Seele in einem vernachlässigten Körper nicht leicht zu voller Gesundheit gedeihe.

Diese Harmonie der physischen nnb psychischen Natur, diese Entfaltung des ganzen Menschen suchte man nun Dini zarter Jugend an zu erstreben, ilnd

währeild in den dorischen Staaten die Abhärtung des Körpers, als Vorbe­ reitung auf den Krieg, im Vordergründe stand, war es vorzüglich Athen, wo sich die Gymnastik mit Ebenmaß und Grazie verband und zur höchsten Blüthe

entwickelte.

Ueber das Jahr der Ailfnahme in den ersten Kursus des Turn­

unterrichts bestand wol ebenfalls keine bestimmte Regel. Platon und Aristo­

teles verlangen nur, daß der Knabe bis zum zehnten Jahre gymnastisch rmterrichtet und dann erst den Graminatisten übergeben werde.

Allein, sowie diese

Forderung hinsichtlich der Elementarschule unerfüllt blieb, wird auch der Turn­

unterricht je nach der körperlichen Entwickelung früher oder später begonnen haben und größtentheils neben den Lese- und Schreibestunden hergcgangen sein. Natürlich nahm man zuerst die leichtesten Uebungsarten vor, Aristoteles räth überhailpt, die ben Körper anstrengendeil Leistungell bis auf das beginnende

Jünglingsalter zu verschieben, damit der Körper nicht im Wachsthum ge­ hindert werde. Der Turnuntericht wurde in besonderen Anlagen, den Palästren, ertheilt.

Athen besaß in der Zeit seiner Blüthe neben seinen drei Gymnasien, in deren weit umfassenden, lichten Säulenräumen, Sälen und freien Plätzen die Jüllglinge nnb Männer sich übten mld unterhielten, viele Palästren, die größtentheils

Privatbauten und ausschließlich für dell Knabenullterricht bestimmt waren, aber

nebenbei

voll Sophisten zu Bortrügell und

geselligen Zusammenkünften bellutzt wurden.

vonl Publikuln überhaupt zu

Jll diesen Ringschulen tarnen die

Knaben zuerst unter die Leitung der sogenanllten Püdotriben, die ebenfalls Pri­

vatlehrer waren und schulgerechte Allweisung 511 Erlangung der einzelneil

10

Der Volksunterricht.

Körperfertigkeiten ertheilten.

Neben dieser: praktischer: Tnrrllehrern Werder: noch

die Gymnasien genannt, denen in der alteren Zeit eine höhere theoretische Bilduirg und eine genauere Einsicht in die Natur und Wirkung der einzelnen

gymnastischen Bildungsmittel beigelegt wurde, während später der Unterschied verschwand und nur der Name einen vornehmeren Klang behalten zu Haber: scheint. Auf attischen Inschriften kommen auch Hypopädotriben vor, die also,

wie die Assistenten der Grammatisten, die Turnlehrer unterstützten.

Was endlich Disziplin und Schulstrafen in den griechischen Schulen be­ trifft, so scheint allerdings, wenigstens ir: der älteren Zeit, der Stock nicht gespart worden zu sein. Bei Plautus sagt der erwähnte unglückliche Pädagog

von der früheren Zeit: „Wenn Du darauf nach Hause kamst, in dem Jäckchen auf dem Schemel saßest Du neben dem Lehrer, und werm Du dann beim Lesen eine Silbe verfehlt, färbte er Dir Deinen Rücken bunt wie einen Kinderlatz."

Selbst die Musiklehrer verschafften ihren Anweisungen durch Schläge Eingang. Schon in der mythischen Periode sollte ja der Sänger Linos den Herakles

wegen seiner Hartköpfigkeit beim Unterricht mit Schlägen bestraft, der Schüler aber den Lehrer mit der Kithara erschlagen haben! So erzählt auch Aelian:

„Als ein Schüler des Flötenspielers Hippomachos falsch blies, aber doch von den Zuhörern Lob einärntete, schlug ihn dieser mit dem Stocke, indem er sagte:

„Wenn Du nicht schlecht geblasen hättest, würden Dich diese Leute nicht gelobt

haben!" Auch in den „Wolken" des Aristophanes heißt es: „Wenn Einer einmal sich in Sprüngen vermaß, in gekünstelten Trillern und Schnörkeln, Dem lohnte der Stock im üppigsten Maaß, weil Musengesang er entheiligt."

Daß in den letzten beiden Jahrhunderten auch vom Staate eingerichtete

Schulen existirten, beweist eine neulich in der jonischen Stadt Teos gefundene

Inschrift, nach welcher dort jährlich bei den Beamtenwahlen auch die Elementar­ lehrer für Knaben und Mädchen mit 390 — 470, ferner ein Musiklehrer für Kithara und Harfe mit 550 Mark Gehalt gewählt wurden.

In Schaltjahren

— da das griechische Jahr nur 354 Tage hatte, so half man sich dadurch, daß

unter je 8 Jahren 3 Jahre nicht 12, sondern 13 Monate bekamen! — sollte Ge­ haltszulage gewährt werden und bei Ueberfüllung ihrer Klassen sollten sich die

Lehrer an den aus dem Pädonomen und Gymnasiarchen bestehenden Schulvor­ stand wenden.

Auch hatte bereits ein gewisser Polythrus 26,700 Mark zu

Stipendien für arme Kinder ausgesetzt.

Die römischen Familienverhültnisse waren durch die ernstere, ethischere

Richtung des Mannes auch auf das häusliche Leben und besonders durch die würdigere, einflußreichere Stellung der Hausfrau wesentlich von den hellenischen

verschieden.

Die Erziehung in der Familie unter der Leitung sorgsan:er Mütter

und unter den wachsamen Augen der Väter hatte vielleicht schon bei den

11

Der Volksunterricht. Etruskern und Sabinern stattgefunden.

die Väter oft selbst.

Auch den ersten Unterricht ertheilten

Der ältere Kato, der die Sitte der Vorfahren mit Affek-

tation festhielt und sie überall wieder hervorsuchte, wo sie verschwunden war, unterrichtete seinen Sohir theilweise, obgleich er einen geschickten Hauslehrer

hatte, und schrieb für denselben einen Leitfaden der Geschichte und andere

Bücher pädagogischen Inhalts.

Auf ähnliche Weise machte sich Cicero um

Sohn und Neffen verdient. Dessenurigeachtet gab es in Rom schon in sehr früher Zeit Elementar­

schulen.

Denn wenn man auch auf die Notiz Plutarch^s, daß die Zwillings­

stifter Roms zu Gabii Unterricht erhalten Hütten, kein Gewicht legen darf, so

findet man aus dem Jahre 449 v. Chr. bei Livius und Dionys von Halikarnaß die bestimmte Erwähnung einer wahrscheinlich von Mädchen und Kna­

ben besuchteir Schule unter den Krambuden am Forum, und zwar in der Geschichte derVirginia. DaßdiesevomDeeemvir Appius Klaudius verfolgte

Jungfrau noch lesen und schreiben lernte, braucht nicht Wunder zu irehmen, wenn man die schon mit den: zwölften Jahre eintretende Reife der Süd­

länderinnen bedenkt.

Sechzig Jahre später soll der vielberufene Schulmeister

von Falerii gelebt haben, der die ihm anvertrauten, vornehmen Kinder unter

dem Vorwande körperlicher Uebungen vor die Stadt führte und verrätherischer Weise dem Feldherrn Kamillus in die Hände spielte. Aus der Erzählung dieses Vorfalls bei Livius geht übrigens hervor, daß der Verrüther die Schule nicht

auf eigene Rechnung unterhielt, sondern als Lehrer und Hofmeister von den. Aeltern gemeinschaftlich angestellt worden war.

Drei Jahre später, als die

Römer als Sieger im nahen Tibur einzogen, ließen sich die Bewohner in ihren Geschäften keineswegs stören, ja „die Schulen hallten von den Stimmen der

Lernender: wieder".

Wir wissen freilich sehr wohl, daß die moderne Wissen­

schaft die erwährrterr Beispiele sämmtlich dem Fabelreiche zuweist.

Allein schon

daraus, daß das sagenbildende Zeitalter — und dieses war doch jedenfalls ein sehr frühes — sich das bürgerliche Leben der Vorältern gar nicht ohne Schul­ unterricht denken konnte, läßt sich ein Schluß auf das hohe Alter desselben in

Rom ziehen.

Auf das frühe Vorhandensein von Unterrichtsanstalten in Rom

weist auch ein im Jahre 93 v. Chr. gegen die lateinischen Rhetoren erlassenes

Edikt hin, in welchem sich die Worte finden: „Unsere Vorfahren haben An­ ordnungen darüber getroffen, was ihre Kinder lernen und in welche Schulen sie gehen sollten."

(Einen Aufschwung aber scheint das römische Schulwesen

durch Spurius Karvilius, einen Freigelassenen, ums Jahr 225 v. Chr. be­

kommen zu haben unb Plutarch nennt ihn deshalb wol irriger Weise den Gründer der erster: Schule in Ron:.

Interessant ist es, daß unter ihn: sich die

Hon:erischen Gedichte, wenigstens die Odyssee, in der rohen lateinischen Ueber-

setzung des Livius Andronikus in den römischen Schulen einbürgerten. Noch

12

Der Volksunterricht.

zur Zeit des Horaz pflegten manche Lehrer die saturnischen Verse derselben

ihren Schülern zu diktiren.

Sonst wurde in der älterer: Zeit ncbeir der Uebung

in den allgemeinen Elementen noch Auswendiglerner: der Zwölftafelgesetze ver­

langt.

Noch Cicero hat diese in feiner Jugend memorirt, bemerkt aber aus­

drücklich , daß es zur seiner Zeit Niemand mehr thue.

Uebrigens besuchte auch

Cicero eine Elementarschule; denn Plutarch berichtet, daß die Aeltern seiner

Mitschüler theils diese Schule aus Neugierde besucht hätten, um sich von seinen gerühmten Fähigkeiten zu überzeugen, theils ihren Söhnen gezürnt, weil die­

selben der: jungen Cicero mif dem Schulwege stets

ehrend in die Mitte

nahmen. Der "eigentliche grammatische Unterricht soll erst zwischen dem zweiten und

dritten punischen Krieg durch Krates von Mallos, einen Gesandten des perga-

menischen Königs Attalos, der in Rom durch einen Beinbruch aufgehalten worden war, dahin verpflanzt worden sein.

Aber das Unterrichtswesen blieb

immer noch mangelhaft, bis endlich das politisch unterjochte Hellas seinen geistigen Eroberungszug gegen Wester: begam:.

Da wuchs auch schnell die Zahl

der Anstalten und nach Sue ton's Zeugniß soll es zuweilen damals über zwanzig

renvmmirte Schuler: in Ron: gegeben haben.

Auch der griechische Pädagog er­

scheint nur: und zwar zuerst, wie bei den Griechen, als Führer und Beschützer.

Außer ihn: begleiteten aber auch ein oder mehrere Sklaven der: vornehmeren

Schüler auf der Straße, die Schulutensilien tragend, während die ärmerer: Jungen, wie die Söhr:e wichtig thuender Centurionen zu Venusia, dem Ge­

burtsorte des Horaz, dahin trollter:, „links am Arme die Kapselr: gehängt und die Tafel zurr: Rechnen".

Augustus räumte bei öffentlichen Schauspieler: den

Knaben eine besondere Reihe von Sitzen ein und überließ die dahirtter befir:dliche den Pädagogei:.

Die begleitender: Sklaver: bliebe::, wie es scheint, auch

während des Unterrichts in der Nähe ihrer Zöglir:ge; dein: uuc hätte es sonst zugehen sollen, daß der eingebildete Grammatiker Rhemmius Palärnon in Vicenza als Sklave und Kapselträger rnehr lerrwr: sonnte als seir: kleiner bonirter Herr?

Obgleich aber Cicero die Pädagogen auf gleiche Stufe mit den

Ammen stellt, so gab es doch manche, die genug wissenschaftliche Befähigung

hatten, um selbst zu unterrichten.

Besonders nahm man gen: griechische Sklaven

zu Pädagogen, um den Kindern durch griechische Konversation die fremde Sprache noch vor der Muttersprache beibringen zu lassen, was Quintilian heftig tadelt. Mit Recht empfiehlt derselbe die größte Vorsicht diesen Halbwissern und Prole­ tariern der Wissenschaft gegenüber.

„Hinsichtlich der Pädagogen", sagt er,

„möchte ich noch bemerken, daß sie entweder vollkommen gebildet sein, oder wenigstens wissen müssen, daß s:e nicht gelehrt sind.

Denn es giebt nichts

Schlimmeres, als Leute, die ein wenig über die Elementarkenntnisse hinaus sind

und nun eine falsche Meinung von ihrem Wissen angenouunen haben.

Sie

13

Der Volksunterricht.

halten es dann unter ihrer Würde, erfahrenen Lehrern nachzustehen und burd) das Recht zu befehlen, das diese Menschen stolz macht, tyrannisch und jähzornig werdend, lehren sie ihre Alberniheit fort und fort."

Auf diese Sorte von

Lehrern bezieht sich auch folgeudes Epigramm der griechischen Anthologie: „Einen Grammatiker warf, wie es heißt, ein Esel zur Erde, So daß ihm beim Fall auch die Grammatik entfiel. Still nun lebt er seitdem, sowie Andere, ohtte Gelehrtheit, Sonder Erinnern an das, was er so lange gelehrt. Glykoti aber erprobte das Gegentheil. Selbst der gemeinsten Sprach' unkundig und nicht bloß der Grammatik allein, Trabt er auf libyschen Eseln einher; ost fiel er herunter; Aber sogleich und im Nu stand der Grammatiker da."

Eine andere Gefahr lag natürlich in dem unlauteren, sklavischen Sinne der meisten Subjekte dieser Klasse. Ein Beispiel dazu lieferte Theodoros, der

Pädagog des juugen Autouius, der denselben nach des Triumvirs Tode an Oktavian verrieth.

Im Ganzen wurde jedoch die Sitte, seine Kinder einem

Hauslehrer zu übergeben, nicht allgemein. Denn wenn sich auch Quintilian die Mühe iiüimtt , deu Vorzug der öffentlichen Schulen vor dem häuslichen Unter­ richte uachzuweisen, so schickt er doch die Bemerkung voraus: „Man kann nicht

leugnen, daß es Einige giebt, die von der beinahe allgemeinen Sitte (des Ge­

brauchs öffentlicher Schulerr) aus Ueberzeugung abweichen." Zu diesen Wenigeir kamen wol aber noch Viele, die auf Geburt und Geld stolz, ihre Kinder vorn Umgänge mit dem Pöbel fern halten wollten.

Seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. machte sich ferner ein

genauer Unterschied zwischen den Elenientarschulen und den Schulen der Granimatiker bemerklich.

Nur die ersten Anfangsgründe blieben dem Granlmaüsten

oder literator, während der grammatische Unterricht, das Jnterpretiren und die kritische Behandlung der Schriftsteller dem grammaticus oder literatus über­

lassen wurde.

Elementarschulen scheint es in allen Distrikten der Hauptstadt,

selbst in den entferntesten Wiirkeln gegeben haben.

Auf dem Lande war natür­

lich weniger gesorgt in dieser Beziehung, da die Anlegung von Schulen dort

nicht lohnte.

Deshalb mußte der Knabe aus dem Bajanischen, welchen nach

Plinius ein Delphül täglich über den Meerbusen trug, den später Kaligula mit seiner Riesenbrücke überspannte, die Schule von Puteoli besuchen.

Deshalb

ging Virgil, dessen Aeltern im Dorfe Andes lebten, nach Kremona in die

Schule.

Noch schlimmer sah es wol in den meisten Provinzen aus und der

Militärschriftsteller V e g e t i rl s, der ilnter G r a t i a n lebte, giebt deshalb den Werbe­ offizieren den Rath, auch darauf §11 sehen, daß wenigstens immer einige unter den Rekruterr zu schreiben und rechnen verständen, um die verschiedenen Bücher

und Listen bei der Armee führen zu können.

14

Der Volksunterricht. Das schulpflichüge Alter war, wie in Griechenland, durch kein Gesetz

bestimmt.

Die Meisten nahmen aber an, daß vor dem siebenten Jahre kein

Anfang mit dem Unterrichte gemacht werden dürfte. Quintilian, der dies be­

richtet, will dagegen schon früher, wenn auch nur spielend, den Grund gelegt wissen.

Auch über die Zahl der Schüler war vom Staate uichts festgesetzt.

„Ein guter Lehrer", sagt Quintilian, „wird sich nicht mit einem größeren Schwarme belasten, als er bewältigen kann."

Auch erzählt er aus seiner

Schulzeit, daß es in den Schulen seiner Lehrer nicht nur verschiedene Klassen gegeben, sondern auch alle Monate ein Certiren über die Plätze stattgefunden habe.

Unterlehrer zur Unterstützung werden häufig erwähnt und aus ihnen er­

gänzte sich wohl auch gewöhnlich die Zahl der Schulinhaber (ludimagistri).

Der Unterricht begann, wie das ganze tägliche Leben, noch früher am Morgen,

als in Athen. Martial rechnet die Schulmeister zu den schlafraubendeü Stören­ frieden der Nacht: „Was wol haben mit Dir wir gemein, verruchter Magister, Haupt, nicht Knaben allein, sondern auch Mädchen verhaßt? Noch nicht störte die Ruh' der behelmten Hähne Gekrätze, Und schon donnerst du los, brüllend und prügelnd im Zorn!"

und sagt an einer anderen Stelle: „Stehet nun auf! Der Bäcker verkauft schon den Knaben ihr Frühstück."

Auch Juvenal klagt, der Grammatiker sitze von Mitternacht an, wo weder

ein Schmied noch ein Wollspinner seine Arbeit beginne, und müsse eben so viele Lampen riechen als Knaben zugegen seien, so daß sein Horaz sich färbe und sein Virgil voll schwarzen Rußes hänge.

Was die einzelnen Lehrgegenstände anlangt, so läßt es sich aus den zer­ streuten Andeutungen nicht verkennen, daß sowol im Vergleich mit den Griechen,

als auch mit der früheren römischen Zeit, unter den Kaisern bedeutende Fort­ schritte gemacht worden sind, besonders in der Methodik.

Beim Leseunterrichte

ließ man zuvörderst die Namen der Buchstaben nach ihrer Reihenfolge lernen. Quintilian tadelt dies und will, daß zuerst die Form der Schriftzeichen den

Kindern bekannt würde; hierzu empfiehlt er die schon vor ihm gebrauchten elfen­

beinernen oder metallenen Buchstaben als Spielzeug.

Die Syllabirmethode

scheint zu seiner Zeit üblich gewesen zu sein mit) die geübteren Schüler unter­ stützten den Lehrer, indem sie die Sylben und Wörter einzeln und deutlich vor­ sprachen, worauf das Nachsprechen im Chor erfolgte. Beim Schreiben führte der

Lehrer anfänglich die Hände; um aber die Kinder eher an die Züge zil gewöhnen,

schlägt Quintilian Tafeln vor, auf denen die Buchstaben vertieft waren, so daß

die Hand den Gestalten folgen mußte.

Die sonst übliche Schreibtafel war mit

Wachs überzogen, rmd wenn spater anstatt des Griffels das Schreibrohr in die Hand genonunen wurde, so pflegte man den Schülerir kein neues Papier zu geben, sondern bereits gebrauchtes und, wie gewöhnlich, bloß auf der eineu

Seite beschriebenes.

Zu bcii Vorschriften wählte man lehrreiche Sprüche und

Sentenzen, die zugleich auswendig gelernt wurden.

Es gab auch besondere

Schreiblehrer (notarii), die aber mehr in der Stenographie Unterricht ertheilt

zu habeu scheüren, ebenso wie besondere Rechenlehrer (calculatores) den höheren Unterricht übernahmen, die vier Species den Ludimagistern überlassend.

Wie

schon aus der Beschreibung hervorgeht, die Horaz von den Schulknaben zu Venusia macht, waren auch in Italien die Fingerrechnung und die Rechentafel

üblich.

Da die Römer überhaupt gute Finanzleute waren, so legten die Väter

auf die Erlernung der Rechenkunst einen ganz besonderen Werth und Horaz und Juvenal spotten über diese auf das Materielle gerichtete Betriebsamkeit.

„Die römischen Knaben", sagt der Erstere, „lernen den As (hier die gewöhn­ lichen nronatlichen Zinsen von l°/0) durch lange Exempel in hundert Theile

zerlegen."

„Es mag mir einmal (spricht der Lehrer) der Sohn des Albinus

sagen: Wenn vorr fünf Zwölfteln ein Zwölftel genommen wird, was bleibt übrig?

Du hättest es schon längst sagen kömren! — Ein Drittel. — Gut, Du wirst einmal Dein Vernrögen zusammenhalten können! Aber ein Zwölftel hinzugelegt;

was kommt heraus? — Eiu halber As!" — Zur Arithmetik kam dann noch

etwas Geometrie hinzil, auf die mein viel gab, weil man bereits einsah, wie groß deren formaler Einfluß auf Schürfung der Denkkraft ist.

Nach dem

ersten Leseunterrichte wurden die Kinder stufenweise zur Lektüre der populärsten

Dichter geführt, wobei freilich richtige Aussprache und Deklamation die Haupt­ sache blieb. Homer und Virgil nahmen hier die erste Stelle ein und wie man

aus der vorher berührten Stelle Juvenal's sieht,täuschte sich auch Horaz uicht,

wenn er zu seinem Buche sagte:

stammelnde Alter überrascht,

„Auch dies steht Dir bevor, daß Dich das

während Du in entlegener Winkelschule den

Kindern die Elenrente beibringst;" obgleich er an einem anderen Orte das Lob

weniger Kenner dem Ruhme der Schulklassicität vorzieht.

Uebrigens verband

man später mit der Lektüre mythologische, geographische und geschichtliche Notizen und noch besitzen wir von den dazu gebrauchten Hülfsmitteln eine mythologische Bilderfibel in Relief und einen griechisch geschriebenen Geschichts­ leitfaden aus der Zeit des Kaisers Tiberius. Da nun aber alle Kenntnisse die

jetzt in geschiedenen Unterrichtsfächern gelehrt werden,

im Alterthume dem

jugendlichen Geiste durch die Poesie vermittelt wurden, da selbst die Lehren

der Sittlichkeit und Lebensweisheit aus dieser Lektüre geschöpft wurden, so kann man sich allerdings die Wirkungen der Dichtkunst, als wichtigsten Bildungs­

mittels, auf Gedächtniß, Phantasie und ästhetisches Gefühl nicht durchschlagend

16

Der Volksunterricht.

genug denken.

Wenigstens erklärt sich hieraus van selbst die Melige frühreifer

poetischer Talente. Die Musik war in Rom als Bildungsmittel nicht so hoch geachtet als in Athen, wenn sie auch in den Kreis der Urrterrichtsstände gezogen wurde, die für den Freigcbornen anständig waren. Noch Kornelius Nepos meint ja, daß

das Singen eines Staatsmannes unwürdig fei, und Horaz spottet über die Meisterschaft vieler Zeitgenossen im Zitherspiel. Bei dcnr weiblichen Geschlecht freilich galt musikalische Bildung bald für unerläßliche Mitgift. Deshalb giebt auch Martial einem Vater, der ihn über die Erziehung seines Sohnes befragt hatte, den Rath, er solle denselben Musiklehrer werden lassen, und schließt die Anrede an das von Oberitalien aus geschriebene dritte Buch der Epigramme mit den Worten: „Fragen sie: Wann wird er kommen? so sag': Als Dichter gegangen Ist er; wann wieder er kehrt, treibt er zur Laute Gesang."

Auch die gymnastischen Uebungen haben nie bei den Römern die Geltung erreicht, welche sie bei den Hellenen genossen. In älterer Zeit suchte man Ab­ härtung und Ausdauer im Kriegsdienste zu erzielen. Später vernachlässigte man zwar die körperliche Ausbildung keineswegs und übte sich im Ballwerfen, Ballschlagen, Springen und Laufen selbst im Matmesalter; allein von einem regelmäßigen Turnunterricht ist keine Rede. Erst in der Kaiserzeit fand die Agonistik der Hellenen Eingang und es entstanden Palästren mit) Gymnasien nach griechischem Muster. Die Schulzucht )var streng und der Stock lvurde häufig gebraucht. Auf einem zu Pompeji entdeckten Gemälde, welches das Innere einer Schulstube darstellt, erblickt man eine mittelst der Ruthe vollzogene Strafexekution, wobei ein Schüler dem Delinquenten die Füße zusammenhält, während ihn ein anderer an beiden Armen gefaßt auf seinen Schultern liegen hat! Martial beklagt sich nicht nur über die Prügelsucht seines Nachbars, sondern spricht auch anderswo von den „traurigen Gerten, den Sceptern der Pädagogen". Der bekannte Orbilius Pupillus, der die straffe Disziplin, die er als Soldat kennen gelernt hatte, mit in sein Schulamt hinüberuahm, wird von seinem Schüler Horaz „der Prügelreiche" genannt. Auch der heilige Augustin er­ hielt nach eigenem Geständniß wegen seiner Trägheit oft körperliche Züchtigungen in der Schule, ohne daß sich die Aeltern seiner erbarmten. Quintilian spricht sich aus trefflichen Gründen gegen den Stock aus und Berrius Flakkus, ein Freigelassener, machte den letzteren dadurch überflüssig, daß er Belohnungen für die besten Schüler aussetzte. Deshalb wühlte ihn auch Augustus zum Lehrer seiner Enkel und versetzte seine Schule auf den Palatin. Auch Sarpedon, der Lehrer des jüngeren Kato, „suchte", wie Plutarch sagt, „seine Schüler mehr

•17

Der Volksunterricht.

durch Gründe, als mit der Ruthe zu überzeugen".

Daß übrigens, wie bei uns,

die kleinen Anfänger, um ihnen Lust zu macheu, von den Lehrern mit Zucker­ werk beschenkt wurden, bezeugt Horaz.

Ueber die Ferien der römischen Schul­

jugend weiß man nur soviel, daß an ben Saturnalien und an den fünf Tagen des zu Ehren Minerva's gefeiertenQuinquatrienfestes (vom 19. März an) der Unterricht ausgesetzt wurde.

Wirft man endlich noch einen Blick auf die Stellung der römischen Lehrer

in Bezug auf ihr Einkomnren und ihr Verhältniß zum Staat und zu den Aeltern, so war dieselbe gerade keine beneidenswerthe.

Der gebräuchliche Ter­

min zur Aufnahnre treuer Schüler und zum Beginn des Kursus scheint das er­

wähnte Minervenfest gewesen zu sein.

Die neuen Schüler zahltet: dann eine

kleine Summe als Rezeptionsgeld (minerval) und der Lehrer weihte die zuerst

eingehende der Göttin' selbst, eine Sitte, die noch in der christlichen Zeit zu Tertullian^s größtemAerger fortbestand.

In der älterenZeit honorirten viel­

leicht Aeltern und Vormünder die Lehrer nach Belieben und Spurius Karvi-

lius scheint zuerst eine bestimmte Summe verlangt zu haben.

Doch kam das

Erstere auch noch später vor; detmSuetonerzählt, daß der Grammatiker M. Anto­ nius Gnipho niemals mit den Aeltern über ein bestimmtes Honorar überein-

gekominerr sei und sich dabei viel besser als Andere gestanden habe. Die Höhe des gewöhnlichen Betrags kennt man nicht genau; doch scheint das Schulgeld, wie in

Athen, monatlich bezahlt worden zu sein und auch den Betrag wenigstens für italische Landstädte kann man nach Horaz bemessen, wenn er von der Schule des Flavius zu Venusia sagt: „wohin hohe Knaben, von wichtig thuenden Centurionen entsprossen, Links an den Arm ihr Schreibbuch gehängt und die Tafel zum Rechnen, Gingen, je acht schwere Batzen des Monats tragend als Schulgeld."

Wenn Juvenal vom Grammatiker sagt, daß er nach Ablauf des Jahres

soviel bekomme, als das Volk einem Sieger im Wettkampfe bestimme, so weiß man nicht, ob er den Wagenlenker im Cirkus, oder den Gladiator im Amphi­ theater oder den Schauspieler im ©inne hat; im letzten Falle wären es fünf Goldstücke gewesen.

Juvenal klagt auch im Namen der Lehrer über Lässigkeit

im Bezahlen; ja er sagt sogar, daß oft zu gerichtlicher Klage geschritten werden müsse.

Auch sei der Lehrer genöthigt, mit sich handeln zu lassen, wie ein

Hausirer, und doch kürze endlich noch die Summe der herrschaftliche Rent­ meister und der Pädagog! So war denn Armuth das gewöhnliche Loos der

niederen Lehrer, und Ovid nennt darum den großen Haufen derselben „ver­ mögenslos ". Und daß die Dichter nicht übertreiben, erhellt auch aus den wenigen Biographien berühmter Grammatiker, die S uet o n hinterlassen hat. P o m p iliu s Göll, Kuliurbilder. I.

2

Andronikus war so arm, daß er sein Hauptwerk für 16,000 Sesterzen verkaufen mußte. Der gelehrte Valerius Kato, ein sehr geschickter Lehrec, mußte sein Landgütchen bei Tuskulum den Gläubigern überlassen und lebte zu­ letzt in größter Noth in einer entlegenen Bretterhütte. Julius Hyginus, Vor­ steher der Palatinischen Bibliothek und einer sehr besuchten Schule, , lebte in seinem Alter von der Gnade des Geschichtschreibers Kajus Lieinius, und O r bilius selbst hauste als Greis von beinahe 100 Jahren in einem Dachstübchen und schrieb ein Buch über die Kränkungen, welche den Lehrern durch Vernach­ lässigung und durch die Eitelkeit der Aeltern bereitet würden, ein Buch, das vielleicht unzählige Auflagen und Nachträge erlebt hätte, wenn es nicht ver­ loren gegangen wäre! Zuweilen freilich benutzten auch Einige den starken Zu­ lauf, stellten höhere Preise und wurden sogar reich. Dem schon erwähnten Rhemmius Palämon brachte seine Schule 400,000 Sesterzen ein. Außerdem war er Kleiderfabrikant und Weinbergsbesitzer und übrigens einer der an­ maßendsten und lasterhaftesten Menschen der ersten Kaiserzeit, von dem die Kaiser Tiberius und Klaudius erklärten, daß eigentlich keinem Menschen weniger als ihm die Erziehung der Kinder anvertraut werden sollte! Doch Niemand kehrte sich daran; man ließ sich durch seine glänzenden Talente bestechen und berücksichtigte nicht seinen entsittlichenden Einfluß. Entsprach er doch den An­ forderungen, die man an den Lehrer stellte und die Juve nal ungefähr in folgende Worte faßt: „Alle grammattschen Regeln müssen ihm bekannt sein; er muß die Weltgeschichte kenne::, alle Schriftsteller, wie seine Nägel und Finger auswendig wissen. Wenn er zufällig in ein Bad kommt und gefragt wird, muß er den Namen der Amme des Anchises augeben und der von Virgil erwähnten Stief­ mutter des Königs Anchemolus, mußsagen können, wie alt der sicilischeAcestes geworden sei und wie viel Faß Wein er dem Aeneas geschenkt habe." Wenn auch die übrigen Kaiser nicht so unsinnig handelten wie Ela gab al, der nach Herodian einem gewesenen Schauspieler das Portefeuille des Kultusministers anvertraute, so fühlte sich doch die Staatsgewalt nie berufen, verhütend in das Erziehungs- und Unterrichtswesen einzugreifen; sogar fördernd that sie — man kann es dreist sagen — hinsichtlich des niederen Unterrichts so gut wie nichts. Denn obgleich die Lehrer der freien Künste das Bürgerrecht in Cäsar's Todesjahre erhielten, obgleich man die hohen Schulen begünstigte und auch den Grammatikern neben den Philosophen und Rhetoren Zuschüsse aus Gemeindemitteln und der Staatskasse gewährte, so war dies doch ein Bauen von oben herab; der Elementarunterricht behielt seinen privaten Charakter und es geschah nichts, um den wegen seiner Kümmerlichkeit verachteten Stand der Volks­ schullehrer zu heben.

II.

Professoren und Studenten der römischen Kaiserzeit.

|

höhere Unterricht nahm erst von Vespasian^s Zeit an einen öffentlichen Charakter an. Der berühmte Lehrer der Beredtsamkeit Quin-

tilian soll der erste gewesen sein, welcher mit einem festen Gehalte vom

Staat angestellt wurde.

Vespasian zeigte sich überhaupt freigebig gegen die

Lehrer der Granunatik und Rhetorik, die man damals bereits anfing mit dem

Namen „Professoren" zu bezeichnen, und soll nach Sueton mehreren die Summe vou 100,000 Sesterzen jährlich haben zufließen lassen.

Der tyran­

nische Domitian trieb bald darauf aus instinktiver Scheu vor Licht und Frei­ heit im Unterrichten und Denken die Rhetoren und Philosophen auf kurze Zeit aus Italien.

Desto günstiger gestalteten sich aber dann die Verhältnisse der

Gelehrten unter Hadrian, der nicht nur selbst gern mit seiner sophistischen Bildung prunkte, sondern die Gelehrsamkeit auch an Anderen schätzte.

Er be­

reicherte besonders sein Vaterland Spanien mit Unterrichtsanstalten und

Bibliotheken, setzte den Professoren ebenfalls feste Gehalte aus und bedachte die untauglich gewordenen mit Pensionen.

Auf seinen Reisen im Orient, vielleicht

gerade während seines Aufenthalts in Athen und Alexandria, den beiden

Hauptfitzen der wissenschaftlichen Bildung, reifte in ihm der Plan, auch zu Rom eine hohe Schule zu gründen.

Leider fehlen uns die genaueren Nach­

richten über das Athenäum, die erste kaiserliche Uuiversität, und erst die Gesetze

späterer Kaiser und die Zustände der Akademie zu Konstantinopelerlauben uns, einige Rückschlüsse zu machen.

Selbst der Ort, wo die Anstalt stand, ist un­

sicher; doch scheint der Umstand, daß die hohen Schulen an einigen anderen Orten und zu Konstautinopel den Namen Kapitolium führten, auf den

kapitolinischen Berg hinznweisen. Vielleicht wurde auch in Rom der ursprüngliche

20

Professoren und Studenten der römischen Aaiserzeit.

Name der Hadrianischen Stiftung, der zuletzt im dritten Jahrhundert er­

wähnt wird, durch diesen dem Orte entnommenen später verdrängt.

Nur soviel

ist außerdem sicher, daß außer dem Unterrichte in den.Hörsälen des Athenäums

die seit Anfang der Kaiserzeit gewöhnlichen öffentlichen Vorlesungen von Ge­ dichten und Uebungsreden gehalten wurden, welche die Kaiser oft mit ihrer

Anwesenheit beehrten. Gleichen Eifer für die Wissenschaften zeigte Antoninus, der Philosoph.

Er ordnete und erweiterte die Stifümgen seines Vorgängers und wendete seine Sorgfalt besonders Athen zu. Für alle Wissenschaften wurden nun dort Lehrer mit festem Gehalt angestellt und insbesondere acht Lehrstühle der Philosophie

errichtet, so daß jede der vier Schulen (Akademiker, Peripatetiker, Stoiker und

Epikuräer) zwei Vertreter hatte.

Die Gehalte der athenischen Professoren

scheinen zwischen 5000 und 9000 Mark geschwankt zu haben.

Lukian, der

Zeitgenosse Antonin's hat uns einen Dialog unter dem Titel „der Eunuch" hinterlassen, der den lächerlichen Wettstreit zweier Peripatetiker zu Athen um

eine Professur mit 10,000 Drachmen (8700 Mark) Gehalt schildert. Aus dem­ selben kann man entnehmen, daß die Konkurrenten auf dem Markte vor einer aus den besten, ältesten und weisesten Männern bestehenden Prüfungskommission um

den Preis rangen, indem sie ihre Fachkenntnisse, wahrscheinlich in einer Disputation an den Tag legten und an ihrem Lebenswandel zu beweisen suchten, daß sie die

Lehren der Weisheit nicht als bloßes Blendwerk im Munde führten.

Konnten

die Richter, wie im erwähnten Falle, sich nicht vereinigen, so wurde die Ent­ scheidung dem Kaiser anheimgestellt.

Zuweilen übertrugen auch die Kaiser das

Examen besonderen Vertrauensmännern, wie Markus Antoninus dem So­

phisten H ero d es Attiku s. Manchmal geschah es ferner, daß der Kaiser aus eigner Entschließung Lehrer berief, die sich dann nicht weigern konnten. Auch Urlaub auf

längere Zeit wurde in späterer Zeit nur von der Regicrnrrg ertheilt. Uebrigens wechselten die Lehrer sehr häufig in den Städten und selten kain es vor, daß

gerade Einheimische in ihrer Vaterstadt Anstellung fanden.

Hinsichtlich der

Lehrer in den Provinzen, wo es nach einer Andeutung des jüngeren Plinius bei Besetzung der Stellen nicht iminer redlich ilnd gewissenhaft zuging, traf Antoninus Pius die Anordnung, daß die Zahl der von allen Steuern und Staatslasten freien Lehrer sich nach der Größe der Ortschaften richten sollte, und

zwar bestimmte er für kleinere Städte drei Sophisten oder Rhetoren und eben so viele Grammatiker, für größere vier von beiden Klassen, für die größten

fünf.

Die Philosophen waren dabei nicht mit genannt, und vielleicht wollte der

Kaiser gerade bei dieser Fakultät mit besonderer Vorsicht verfahren, weil nicht nur zu seiner Zeit, sondern auch vor ulld nach ihni eine Menge ganz unnützer

Subjekte sich unter ihre Fahne drängten.

Lukian hat diese trailrigeir Nachahmer

eines Diogenes in unvergänglichen Farberr abkonterfeit.

Mit dem unvermeid-

Professoren und Studenten der römischen Kaiserzeit.

21

lichen langen Barte, ihrem Hauptkennzeichen, im kurzen spartanischen Mantel, einen mächtigen Knittel und einen unergründlichen Ranzen führend, zagen sie

in der Welt herum, predigten, bettelten und faullenzten. Durch Habsucht und Schlemmerei

straften

sie

ihre

vorgebliche

Genügsamkeit

und

Einfachheit

Lügen und machten oft später üüii ihren gesammelten Bettelpfennigen

ein

großes Haus. So ist es denn auch nicht auffällig, daß im Jahre 369 folgendes Gesetz der Kaiser Valentinian und Valens diesem widerlichen Bettelmönchthum zu

steuern suchte: „Es soll ein Jeder in seine Heimat gewiesen werden, der sich erwiesener Maßen frech inib wider Verdienst die Philosophentracht angeeignet hat, mit Ausnahme derjenigen, die von bewährten Müruiern geprüft worden

sind und von dieser Hefe gesoridert werden müssen.

Denn es ist schändlich,

wenn Jemand die Obliegenheiten gegen das Vaterland incht erfüllen kann, der sich rühmt, selbst die Schläge des Schicksals ertragen zu.können."

Von Kom-

modus an bisauf Alexander Severus wurden die Vertreter der Wissenschaft eher zurückgesetzt als begünstigt. Kommodus, der nur am niedrigsten Umgang Geschmack fand, verweigerte selbst zuweilen die Immunität und antwortete dem

Sophisten Philiskus, der bereits sieben Jahre Professor in Athen gewesen war und jenes Vorrechts beraubt werden sollte: Weder er noch die anderen Dozenten

tuämi steuerfrei; denn der Kaiser könnte nicht wegen einiger kurzen und elenden Reden die Gemeinden der Stellerpflichtigen berauben.

Roch schlimmer stand

es unter Elagabal, der selbst die Lehrer seines Adoptivsohns Alexander

Severus, darunter Mällner von ausgezeichnetem Rufe, theils tödtete, theils verbannte.

Dennoch gelang es den Bemühungen der Mlltter llnd Großmutter

des Kronprinzen, den Charakter desselben vor Verderbniß zu bewahren, und

zur Regierung gelangt, suchte er die heillose Vernachlässigung des Unterrichts­ wesens wieder gut zu machen.

Er ließ den Lehrern der Rhetorik, Granrmatik,

Arzileikunde, Astrologie, Mechanik und Baukunst Honorare zahlen und stiftete

für arme Studenten Getreidestipendien.

Irr den Provinzialstädten bezogen die

Lehrer ihren Gehalt größtentheils aus den Gemeindekassen und so wies noch Konstantin des Großen Vater dem Rhetor Eumenius seinen Gehalt von

60,000 Sesterzen (von dellen freilich damals das Stück nur wenige Pfennige werth war) aus den Mitteln der gallischen Stadt Augustodunum (Antun) an.

Diese Zuschüsse von Seiten der Komnlunen blieben aber oft aus, besonders als das Christenthum immer lveitere Fortschritte machte und man die Lehrstühle

der Rhetorik, Grammatik unb Philosophie als unnütze, ja schädliche Ueberbleibsel und Stützen des Heidenthums anzusehen anfing.

Konstantin sah sich

genöthigt, durch eine Berordnuilg jene Zahlungell den Städten einzuschärfen.

Außerdem bestätigte er die Privilegieil der Professoren hinsichtlich der städtischen

Aemter,

des Kriegsdienstes und der Einquartierung und schützte sie gegen

22

Professoren und Studenten der römischen Raiserzeit.

Prozesse und Kränkungen, indem er jedem Freigeborenen, der ihre Ruhe störte,

eine Strafe von 100,000 Sesterzen, jedem Sklaven eine tüchtige Tracht Prügel androhte. Doch scheint es unter ihm mit der Prüfung der Kandidaten ziemlich leicht

genommen worden zu sein; denn Julian erneuerte die alten Bestimmungen.

Wie sehr übrigens der kaiserliche Romantiker die hohe Aufgabe des Unterrichts begriff und die Würde des Lehrerstandes zu heben bemüht war, leuchtet klar

aus den Worten seines Gesetzes hervor: „Die Lehrer der Wissenschaften müssen sich zuerst durch ihre Sitten auszeichnen; dann durch Beredtsamkeit.

Aber weil

ich in den einzelnen Gemeinden nicht zugegen sein kann, so mag Jeder, der Lehrer werden will, nicht plötzlich und willkürlich sich zu diesem Amte drängen, sondern sich zuvor nach dem Urtheile des Senats mit Zustimmung der Besten aus der Gemeinde ein Diplom verdienen.

Das Wahldekret soll aber jeder­

zeit mir selbst zur Bestättgung vorgelegt werden."

Es ist freilich möglich,

daß die letzte Besümmung mit der Ausschließung der Christen von den Lehr­

stühlen der Grammatik und Rhetorik zusammenhing,

durch welche Maß­

regel Julian dem Christenthum den aus der Benutzung der heidnischen Literatur fließenden Gewinn zu

entziehen trachtete.

Die Lehrfreiheit beschränkte er

außerdem dadurch, daß er das Studium des epikuräischen und skeptischen

Systems verbot.

„Haben doch bereits," sagte er, „auch die Götter, woran sie

sehr wohl thaten, diese Schulen vertilgt, so daß auch die meisten ihrer Schriften verschwunden sind." Bald nach seinem Tode hob Valentinian, der Erste, die Beschränkungen

Julianas den Christen gegenüber auf, indem er die Zulassung zum Lehramte bloß an Lebenswandel und Kenntnisse knüpfte.

Demselben Kaiser, der überhaupt

neben einer Wildheit und Grausamkeit, die sannt durch sein cholerisches Tempera­ ment und durch die verzweifelte Lage des Reichs entschuldigt werden kann,

eine edle Weisheit als Gesetzgeber entwickelte, verdanken wir eine Reihe inter­ essanter akademischer Gesetze, in denen bereits die Grundlinien aller späteren Regulative über die studenüsche Disziplin enthalten sind. Sie daüren vom Jahre

370 n. Chr. und beziehen sich zunächst auf die Studirenden zu Rom, wohin eine

Menge Jünglinge aus den Provinzen kamen, vorzüglich um der in ihrer Heimat nicht gelehrten und doch am besten zum Staatsdienst befähigenden Rechtswissen­

schaft obzuliegen (schon unter Nero schickte nach Philostrat ein Arkadier seinen Sohn in dieser Absicht nach Ronr). Als zur Inskription erforderlich wird erst­ lich eine Art Abiturientenzeugniß verlangt: eine obrigkeitliche Bescheinigung über Heimat, Aeltern und Würdigkeit der Aufzunehmenden; sie mußte beinl

Vorsteher des Steuerkatasterbureaus vorgezeigt werden, wobei die jungen Leute sogleich anzugeben hatten, welchem Fakultätsstudium sie sich widmen wollten.

Die Schreiber und Archivare der genannten Kanzlei (censuales) wurden zugleich

angewiesen, die Stelle der Pedelle zu versehen.

Denn sie sollten genau die

Wohnungen der Studenten kennen, um zu sehen, „ob dieselben sich auch der Dinge befleißigten, die sie zu erstreben vorgäben."

Ebenso sollten die Censualen darauf

sehen, daß jeder bei Zusammenkünften sich so aufführte, „wie es sich für Jüng­

linge schickt, die einen schimpflichen und entehrenden Ruf und Verbindungen, die Wir dem Verbrechen für zunächst stehend erachten, vermeiden zu müssen

glauben."

Dann werden verboten nächtliche Gelage, die nach dem Berichte des

unter K o n st a ntin lebenden Sophisten L i b a ni o s besonders häufig auch unter den

Studirenden zu Athen vorkamen, und der zu häufige Besuch der Schauspiele,

für welche der Römer so unsinnig schwärmte.

Der heilige Augustin zeigt an

dem Beispiel eines jungen Mannes, für den er sich, als einen Landsmann, be­

sonders interessirt hatte, das Verführerische und Verderbliche der circensischen Spiele und der Gladiatorengefechte. In Karth a g o, wo er zuerst Rhetorik lehrte,

war es ihm noch mit Mühe gelungen, jenen Schüler von der Liebe zum Cirkus zu heilen.

Mit den besten Vorsätzen bezog derselbe später die Universität Rom

und enthielt sich lange des Schauspielbesuches.

Auch als er einst von anderen

Studenten mit Gewalt in das Amphitheater geführt worden war, versuchte er

mit geschlossenen Auger: noch die Neugier und Schaulust zu bekämpfen; aber

ein plötzliches Geschrei und Beifallklatschen der Menge regte ihn so auf, daß er

die Auger: öffnete: er sah die Blutarbeit der Gladiatoren und wurde fortan der tollste Zuschauer und der Verführer Arrderer. — Wer wider diese oder ähnliche Bestimmunger: der Gesetze har:delte und sich anders betrüge, als es die Würde der Wissenschaften verlangte, dern drohte Valentinian, da^ er öffentlich ge­

geißelt, sogleich auf ein Schiff gesetzt und nach Hause geschickt werden sollte.

Ferner erlaubte der Kaiser auch de:: fleißigen Studenten nur bis zun: zwanzig­ sten Lebensjahre den Aufeiühalt zu Ron: und verfügte, daß der Stadtpräfekt, als Oberpolizeimeister, nach Ablauf dieser Frist für unfreiwillige Rückkehr der

Betreffenden ohne ehrenvolle Entlass::ng Sorge zu tragen hätte.

Da nämlich

die Vorbereitung zur Akademie im Verhältniß zu unserer Zeit wenige Jahre erforderte und von den Schülern innerhalb des zwölften und fünfzehnten Jahres

beendigt werden konnte, blieb für das Fachstudium ein fünfjähriger Zeitraum, nach dessen Ablauf die persönlichen Leistungen der Bürger für den Staat be­ ginnen mußten. Doch hatte schon hundert Jahre früher der Kaiser Diokletian

den auf der berühmten Rechtsschule zu Berytus (Beirut) befindlichen St::-

direnden arabischer Nation auf ein von deren Senior, einem gewissen Sev erinus, verfaßtes Gesuch nachgelassen, bis zum fünfundzwanzigsten Jahre studiren zu

dürfen, und es scheint überhaupt öfter Dispensation von dieser für langsame

Köpfe allerdings harten Bestimmung ertheilt worden zu sein.

Oft besuchten

freilich auch erwachsene Männer die Hörsäle, wie der Kaiser Julian im 24.,

Basilius der Große im 25., Gregor von Nazianz im 30. Jahre. Endlich wurden

die

Censualen noch

angewiesen,

eine genaue Matrikel

der

neu

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Professoren und Studenten der römischen Raiserzeit.

Ankommenden monatlich anzufertigen und jährlich das Verzeichniß an den Kaiser einzusenden, „damit Wir," schließt das Gesetz, „nachdem Wir die Verdienste und den Studiengang der Einzelnen erfahren haben, ermessen, ob und wann Wir

sie im Staatsdienste brauchen können."

Die Liste enthielt also zugleich das

testimonium morum et studiorum! — Nach Augustin's Zeugniß führten sich die römischen Studenten musterhaft

auf, während Bruder Studio in Karthago, dem wissenschaftlichen Sammel­

plätze Afrikas, wegen seiner Ausschweifungell und seiner Zügellosigkeit übel berüchtigt war.

Der Kircherwater erwähnt besonders einer Klasse älterer

Studenten (eversores), deren teuflische Freude es war, Neuangekommene zu verführen, und beklagt sich über die Unsitte, in fremde Auditorierr ohne Er­ laubniß der Dozenten einzudringen und die Vorlesungen und Redeübungen in

frecher Weise zu stören.

Da er im Jahre 354 geboren war und also nach der

Zeit Valentinian des Ersten nach Rom übersiedelte, so ist es sehr wahr­

scheinlich, daß die von ihm gerühmte Disziplin der römischen Studirenden eine

Frucht der akademischen Gesetze des Jahres 370 war. — Noch haben wir

endlich von einem anderen Zeitgenossen, den: berühmten Dogmatiker und Redner Gregor von Nazianz, interessante Notizen über das Treiben der Studenten in Athen, besonders über den Empfang der sogenannten Füchse von den bemoosten

Häuptern. Hiernach postirten sich die älteren Studenten bei Beginn des Kursus (nach einer Andeutung Augustin's war der Schluß der Weinleseferien ein solcher

Zeitpunkt, während die früheren Sophisten in A t h e n nach A t h e n ä o s an den Anthesterien im Februar den Ehrensold und Geschenke erhielten und dann ihre

Bekannten zu einem fröhlichen Fest bei sich enrzuladen pflegten) auf die Berge und an die Häfen, um die Novizen in Empfang zu nehmen und für bestimmte Lehrer, bei denen sie sich in Gunst setzen wollten, wegzukapern.

Sie nahmen die An­

gekommenen mit sich auf ihre Quartiere uid) suchten dort durch Neckereien und

Stichelreden aller Art ihre Charaktere zu ergründeil und sie durch imponirendes

Auftreten einzuschüchtern und sich willig zu machen.

Dann führten sie ihre

Rekruten behufs der Anmeldung den einzelnen Professoren zu und mm erst

folgte die eigentliche Weihe und Aufnahmezeremonie in folgender Weise.

Paar­

weise zogen sie in langer Reihe, die Aelteren voran, die Neulinge hiitterdrein, durch die Straßen und über den Markt nach dem Bade.

Hier angekommen rief

man den Jüngeren Halt zu, pochte an die Thüren und suchte ihnen Furcht und Schrecken einzujagen.

Endlich wurde ihnen der Eintritt gestattet und die Weihe

wahrscheinlich mit einer tüchtigen Wassertaufe vorgenommen. Zuweilen kam es

aber auch zwischen den verschiedenen Parteien zu ernsthaften Schlägereieir, wobei

man von Steinen, Keulen und Schwertern Gebrauch machte und so gefährliche

Verletzungen mit rmterliefen, daß die Klagen bis zrun römischen Prokonsul in Korinth drangen.

Konnte doch sogar ein Rhetor selbst seinen Schülern vor--

werfen, daß sie für itju keine Schlacht geliefert und keine Narben davon getragen

hätten, wie ihre Väter anfzuweisen vermöchten! Jene Fopperei war aber nicht nur in Athen, sondern auch auf den übrigen

Universitäten gewöhnlich; denn ein Gesetz Justinians verbot die Quälereien der Novizen auf den hohen Schulen zu Konstantinopel und Berytus. Die erst im vorigen Jahrhundert abgeschaffte Deposition der Beanen, welche sogar eine ge­

setzlich autorisirte Zeremonie gewesen war, ist sicher nur als eine weitere Aus­

bildung jener alten Possen anzusehen. Was die Zahl und die sonstigen Verhältnisse der späteren Professoren

anlangt, so bestimmt wenigstens ein Gesetz des Kaisers Theodosius des Zweiten (425 n. Chr.) die Zahl der öffentlichen Professoren zu Konstantinopel, wobei

man vielleicht das Muster der älteren Universität in Rom vor Augen hatte. Darnach sollten im Ganzen 31 Professoren sein, und zwar drei römische und

fünf griechische Rhetoren, zehn Grammatiker für jede der beiden Sprachen, ein

Philosoph und zwei Juristen. Jedem akademischen Lehrer wurde ein besonderes Auditorium angewiesen und zwar bestaird das Universitätsgebäude aus einer

großen Portikus (im achten Distrikte der Stadt), in deren schattigeil Säulen­

gängen halbmondförmige Ausbiegungen mit amphitheatralisch ansteigenden, hölzernen Sitzreihen in solchen Zwischenräumen angebracht waren, daß die Vortrageildeil sich gegenseitig iricht stören sonnten.

Außerdem gab es auch

verandaähnliche Vorbane oder nach der Straße zu offene Mansarden (pergulae), die zum Unterrichten benutzt lvurdeu. Die nicht öffentlichen Lehrer oder Privat-

dozenten, die zum Aerger der ordelitlicheu Professorerr zuweilen mit der größeren Zahl ihrer Zichörer prahleild die öffentlicheil Unterrichtslokale benutzten, wies

das Gesetz bei Strafe der Ausweisung in die Schrankell der Privatwohnungen

zurück.

Die wirklicheil Professoren fottten dagegen nie Privatunterricht er­

theilen:

sonst verloreil sie ihre Privilegien und den Anspruch auf die nach

zwanzigjähriger, tadelloser Dienstzeit seit Konstantin ihnen ertheilten Insignien mit) Titel der ersten Verdienstklasse. Es setzt diese Beschränkung der im Staats­ dienste stehenden Universitätslehrer einen ausreichenden Gehalt voraus. Leider

können wir aber kaum einem der Herren genau nachrechnen. Die Besoldung aus dem Fiskus bestand größtentheils aus Getreidelieferungen und kann wol nach ihrem Werthe ermittelt werden.

Das Deputat

wurde nämlich nach den Getreiderationen (annonae) berechnet, welche die ärmeren Bewohner Roms seit alter Zeit theils unentgeltlich, theils zu geringem Preise aus den öffentlichen Magazinen bezogen.

Gewöhnlich rechnete man auf

den Kopf monatlich fünf römische Scheffel, also jährlich 60 = 5,25 Hektolitern. Nun dotirte der Kaiser Grati an (367) die Rhetoren in Gallien mit 24 Annonen (= 126 Hektolitern), die Grammatiker mit der Hälfte (sie standen sich stets

schlechter als die Lehrer der Beredtsamkeit);

nur unter den Professoren zu

Professoren und Studenten der römischen Raiserzeit.

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Trier, dem reichen Mosel-Athen, wurde der Rhetor mit 30 Annonen, der latei­ nische Grammaüker mit 20, der griechische, „wenn ein würdiger aufgetrieben

werden könnte," mit 12 bedacht. Setzt man aber bei dem Schwmrken der Weizen­

preise als hohen Durchschnittspreis für den Hektoliter 8 Mark, so sieht man klar, daß die Lehrer mit diesen Getreidelieferungen wol schwerlich auskommen tonnten,

und wenn man auch anzunehmen geneigt wäre, daß die Professoren" zu Rom und Konstantinopel besser gestellt waren, so widerspricht dem schlagend das Bei­ spiel des berühmten Redners Themistios, der von sich selbst offen gesteht, daß er

200 Medimnen—1200 römische Scheffel = 20 Annonen ^--105 Hektoliter aus den kaiserlichen Getreidemagazinen zuKonstantinopel bezog. Zwar erhieltder-

selbe Gelehrte noch 200 Krüge Oel geliefert; aber seinen Weizen theilte er Hausenweise an arme Studenten aus, und wenn er also nicht außer den: Getreide

vom Staate noch klingendes Honorar und von seinen Zuhörern Kollegiengelder bezogen hätte, so wäre er wol dem Neide seiner Widersacher entgangen und

hätte vielleicht mit Juvenal geklagt: „Viele schon reute die Wahl des gewinn­ losen, eiteln Katheders!" So aber sagt er selbst, daß er von einigen Schülern

mit einer Mine (87 Mark), von anderen mit dem Doppelten, wieder von anderen mit einem Talente, wahrscheinlich für den ganzen Kursus, honorirt wurde.

Das Edikt Diokletians setzte als Maximum für den Rhetor 3000

Denare fest (vielleicht 200 Mark). Während die Privatlehrer in ihren Forde­

rungen unbeschränkt waren und vor dem Unterricht jedenfalls stets ein Ueberein­

kommen mit ihren Zuhörern trafen, läßt sich anders kaum denken, als daß die wirklichen Professoren, die ihre Vorlesungen öffentlich halten mußten, ihre

Kollegiengelder in bestimmter Minimalhöhe ansetzten und dann je nach dem Vermögen auch reichlicher bezahlt wurden.

Delln daß man überhaupt das

Honorar mehr als wirklichen Ehrensold betrachtete, ergiebt sich auch aus der

Meinung des Rechtsgelehrten Ulpian über die juristische Geltung der Honorar­

forderungell.

Die Provinzialstatthalter sollten nach ihm nur den Rhetoren,

Grammatikern und Mathematikern wegen des Kollegiengeldes Recht sprechen; die Philosophen nimmt er aus, weil sie — vor allen Anderen zeigen müßten,

daß sie jede Lohnarbeit verachteten! Aber auch die Professoren des Rechts sollten

nicht klagen, weil die richterliche Weisheit eine zu heilige sei, als daß sie nach Geldeswerth abgeschätzt und dadurch entehrt werden dürfte. Denn man könnte gewisse Dinge anständiger Weise annehmen, ohne sie mit Anstand fordern zu

dürfen. Man sieht, daß das altrömische, aristokratische Vorirrtheil gegen jeden

Lohndienst auch hierin noch fortwirkte. Weniger zart verfuhr jener Lehrer, der, wie Lukian erzählt, einen Schüler, welcher nicht zu rechter Zeit sein Stunden­

geld entrichtet hatte, beim Gewand am Halse packte, vor Gericht schleppte und vor Aerger und Zorn so außer sich kam, daß er ihm die Nase abgebissen hätte,

wenn der Jüngling nicht von einigen Kameraden seinen Händell entrissen worden

wäre! Freilich suchten auch Manche die Honorarzahlungen zuweilen zu um­

gehen und besonders in Rom machte Augustin die unangenehme Erfahrung,

daß viele seiner Zuhörer sich förnilich verschworen und plötzlich gegen Ende des Kursus aus Scheu vor der Zahlung zu anderen Professoren überliefen.

Auch

Libanios klagt, daß nur Wenige bezahlten und daß man unmöglich durch das Honorar ein reicher Mann werden könne.

Auf der andern Seite weiß er aber

recht wohl, daß das Erlassen des Kollegiengeldes den Studirenden selbst Schaden

bringt; „denn was man umsonst erhält, nimmt man nicht genau und auf das, was man nicht bezahlt, legt man keinen Werth."

Er schildert übrigens die Lage

der akademischen Lehrer in Antiochia als eine gegen frühere Zeiten äußerst her­

untergekommene. „Jetzt besitzen sie", heißt es bei ihm, „nicht ein Häuschen. Wie

die Schuhflicker wohnen sie in fremden Häuserri. Hat sich aber einer ein Häus­ chen gekauft, so hat er das Darlehn noch nicht bezahlt, so daß die Besitzenden in

größerer Sorge sind, als die, welche nicht gekauft haben.

Der Eine hat drei

Sklaven, der Andere zwei, ein Dritter nicht einmal so viele, und diese Sklaven sind gegen ihre Herren übermüthig, weil sie nicht mit vielen zusammen Dienste

thun.

Der eine Rhetor preist sich glücklich , weil er nur eines Kindes Vater

ist, dein Anderen gilt die große Zahl seiner Kinder für ein Unglück; derjenige scheint verständig zu sein, welcher die Ehe meidet.

Werkstätten der Silberarbeiter mrd bestellten Gefäße.

den Bäckertl sind.

Früher gingen sie in die Jetzt habeir sie nur mit

verhandeln, denen sie das Geld für das Brot schuldig geblieben

Sie sagen immer, daß sie es bezahlen wollen, müssen aber immer noch um Zuletzt finb sie genöthigt das Ohrgehänge oder den Hals­

mehr Brot bitten.

schmuck ihrer Frauen zu den Bäckern zu tragen.

Sie können nicht daran denken,

was sie dell Frauetl wieder scheickert atöchten, nein, nur daran, was die Frauen

etwa noch zum Verkaufen besitzen.

Ist ihre Vorlesung zu Ende, so mögen sie

nicht nach Hause geheu, wo sie nur an ihr Elend erinnert werden, sondern sie verweilen noch länger im Hörsaale.

Hier treffen sie mit ihren Amtsgenossen

zusammen und beklage^ gemeinsam ihre Lage, hören auch wol zu ihrem Er­ staunen, daß es deir Änderen noch schlechter ergeht." Was endlich das Verhältniß zwischen Lehreril und Lernerrden betrifft, so war es ein näheres und persönlicheres als auf den Akademien unserer Zeit. Nur

die heutigen Examinatoria und Disputatoria erinnern noch an die Gespräch­ form der alten griechischen Lehrweise, die sich auf die Hochschulen des römischen

Reichs vererbte.

Am wenigsten beschränkten sich die Lehrer der Rhetorik aus

Kathedervorträge, sondern wendeten allen Fleiß auf die mündlichen und schrift­

lichen Uebungerr ihrer Schüler. gegebene Themata.

Diese fertigten von vornherein Arbeiten über

Zunächst waren es Ausführungen geschichtlicher Begeben­

heiten, wobei den jungen Leuten der weiteste Spielraum für dichterische Frei­ heiten gelassen war.

Dann folgten Untersuchungen über die Wahrscheinlichkeit

Professoren und Studenten der römischen Kaiserzeit.

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ober Unwahrscheinlichkeit sagenhafter Begebenheiten, Charakteristiken berühmter

Männer, sowie einzelner Tugenden und Laster u. s. w. Hierauf wurde der Uebergang zu den eigentlichen Deklanrationen oder Uebungsreden gemacht, und

zwar bestand bei diesen der Anfang in Monologen bekannter Persönlichkeiten vor entscheidenden Handlungen des Lebens.

Da hatte z. B?der Schüler in der

Rolle Hannibals zu überlegen, ob er nach der Schlacht bei Kannä nach Rom ziehen sollte, in der Cieero's, ob er dem Antonius Abbitte thun sollte, in der Sullas, ob er die Diktatur niederlegen sollte!

Spaßhaft

genug erzählt der Satiriker Persius, er habe als Knabe sich oft Oel in die Augen gerieben, um die Stunde beim Rhetor versäumen zu können, wenn er

keine Lust gehabt hätte, den Monolog des zum Selbstmord schreitenden Kato auswendig zu lernen! Aber die ewige Wiederkehr derselben Themata, die unaufhörliche Repetition

derselben Machwerke mochten auch Ueberdruß und Langeweile in reichem Maaße bei den Professoren hervorrufen! „Der immer wieder aufgewärmte Kohl bringt

die unglücklichen Lehrer um," sagt Juvenal und läßt den Lehrer eines bornirten Schülers ausrufen: „Ich zahlte gern jeden Preis, wenn man es mir ermög­ lichen könnte, daß der Vater so oft als ich den schrecklichen Hannibal seines Sohnes anhören müßte!" Allein das Deklamiren gehörte einnral zu den Mode­

thorheiten jener Zeit, zu den nothwendigsten Disziplinen der höheren Erziehung, und wenn die Beredtsamkeit ihren Einfluß im öffentlichen Leben gänzlich ver­

loren hatte, so übte man sich desto mehr in der Lob- und Schmeichelredekunst

und impfte der Jugend Eitelkeit und Unbescheidenheit planmäßig ein, indem man sie die in den Rhetorenschulen mühsam eingepaukten oratorischen Produkte

zu Hause vor einem glänzenden Kreise besonders dazu geladener Zuhörer vor­

zutragen gewöhnte. Größer mußte natürlich das Interesse der Hörer sein, wenn der auf der höchstenStufe der rhetorischen Ausbildung angelangte junge Mann in einem erdichteten Streitfall meist pikanter Natur als Ankläger oder Vertheidiger auftrat.

Solche

Kontroversen deklamirte der nachmalige Kaiser Gordian I. im Athenäum. Da­

gegen verschmähten es auch die Dozenten nicht, sich von ihren Schülern beklatschen und durch Zuruf preisen zu lassen.

Schon Seneka schreibt über diese Unsitte:

„Wie groß ist die Narrheit desjenigen, den das Beifallsgeschrei Unwissender in heiterer Stimmung aus seinem Auditorium schreiten läßt! Warum freuest Du Dich, von Menschen gelobt zu werden,

die Du nicht selbst loben kannst?

wol der Kranke den ihn schneidenden Arzt?"

Lobt

Dennoch will der Philosoph

den lauten Ausbruch der Bewunderung nicht tadeln, wenn er der Sache gilt und

nicht der Darstellung, und fordert nur einen Unterschied zwischen Schule

und Theater!

Neben den eigenen Heftungen im Redehalten wurde es bcn Schülern von

den Rhetoren Such zur Pflicht gemacht, die Vorträge der Meister im Fache bei feierlichen Gelegenheiten nicht zu versäumen und es pflegten auch die jungen

Leute spezielle Einladungen zu öffentlichen Reden zu erhalten. Ein Rhetor aus dem vierteil Jahrhundert klagt über das Berhalteil der Studirendeir bei solchen Gelegenheiten in folgeilder Weise:

„Sind die Schuler zu einem öffentlichen

Vortrage eingeladen worden, so sind sie weit davon entfernt, so schnell, wie der einladende Sklave, sich zu beeilen, geschweige denn, ihn in der Eile zu über­ treffen.

Sie kommen heran, als ob sie auf Seilell gingen, und ehe sie herein­

treten, erregen sie noch durch ihr Zögern den Unwillen der schon Versammelten. Hat der Vortrag begonnen, so unterhalterl sie sich mit Winken über Wagenlenker,

Mimell, Pferde ilnd Tänzer, über ein geliefertes oder noch bevorstehendes Gladiatorellgefecht.

Dann stehen die Einen da, steinernen Bildsäulen gleich,

ohne die Hände zu rühren, oder auch indem sie mit beiden Händen in den Nasen stöbern.

Die Anderen bleiben sitzeil, obwol so Vieles sie zum Aufstehen reizen

sollte, und llöthigen den, der da aufsteht, zum Sitzen.

Andere zählen die später

Hereintretenden, noch Andere begnügen sich damit, die Blätter allzusehen, sie schwatzen lieber, als daß sie dem Redner Aufmerksamkeit zollen.

Ja, noch

Kindischeres thun sie: durch falsches Klatschen stören sie das ächte, auch hindern sie das Beifallrufen und ziehen oft durch erdichtete Nachrichten oder durch Auf­

forderung zuin Baden so Viele als möglich vom Vortrage ab.

dies anders.

Früher war

Damals hatte doch der Eille dieses, der Andere jenes behalten;

dann suchtell sie, toeim sie den Hörsaal verlassen hatten, die Rede wieder zu­

sammenzustellen und waren recht traurig, wenn ihnen Einiges entgangen war.

Drei oder vier Tage beschäftigte sie das Gehörte im Hause und noch länger hier bei uns." Die Professoren standen ihren Schülern aber anch insofern näher, als sie sich zugleich um deren Erziehung kümmerten.

Freilich hatten die jungen Leute

ihre Pädagogen noch bei sich, „die", wie Libanios sagt, „für Alles sorgen, was

das Leben erfordert, und für lloch Wichtigeres, für die Keuschheit, indem sie die Beschützer und Wächter, eine Mauer des blühenden Alters sind llnd, wie

bellende Hunde die Wölfe, so die bösen Verführer zurückscheucheil;" allein die Autorität des Hofmeisters, der ja nur ein Sklave war, reichte nicht aus und so

fiel ein guter Theil der Aufsicht den Lehrern anheim, die deshalb auch „Hirten" genannt wurden und sich bei ihren Besserungsmitteln selbst bis zu Schlägen versteigen durften! Manche Dozenten hüteten sich wol vor großer Strenge, um

ihre Schüler incht zu verlieren und stellten ihnen aus demselben Grunde gute Zeugnisse für die Aeltern aus.

Sonst war es Sitte, daß sie ihre Zuhörer auch

zu gemeinschaftlichell Spaziergäilgen einluden und dieselben besuchten, so oft sie krank waren.

Für arme Schüler verwendeten sie sich auch bei reichen Leuten,

ja sie schrieben auch nach Libanios zuweilen an den Herrn Vater, wenn der

Professoren und Studenten der römischen Raiserzeit.

ersehnte Wechsel des Sohnes zu lange auf sich warten ließ! Der Dank, den sie für so vielfältige Mühe ernteten, war nicht immer groß. Sie hatten viel Verdruß

mit den Aeltern und Pädagogen und die Scholaren ihrer Rivalen ärgerten sie oft durch beißende Spottgedichte.

Den abgehenden Studenten Pflegte vom Rhetor, bei dem sie gehört hatten, eine feierliche Abschiedsrede gehalten zu werden und die Kommilitonen geleiteten

sie zur Stadt hinaus, bis endlich unter Klagen und Thränen der Abschied erfolgte.

III.

Der Musikdilettantismus der römischen Kaiserzeit. nbestritten giebt es in keiner Kunst soviel Dilettanten, wie in der Musik. Die ausübenden Liebhabereien in den übrigen Künsten verschwinden dagegen; nur die Poesie kann sich in annäherndem Maaßstabe eines

solchen Zudranges zu ihren Geheimnissen rühmen.

Musikalische Vereine aller

Art bestehen überall bis in die kleinsten Marktflecken herab; der Unterricht in der Kunst wird als integrirender Zweig der besseren Erziehung betrachtet; jeder

Theezirkel, jedes Kränzchen wird durch Musik gewürzt; besonders ein Instru­

ment, das vielfach vervollkommnete Klavier, hat im Siegeszuge die halbe Welt erobert und, wenn auch oft nur als unentbehrliches Möbel, sich eingebürgert

in den Palästen, wie in den bescheidenen Häusern der Vorstädte, ja der Dörfer. Dem Musikfeinde mag es schwer fallen, jetzt einen ruhigen Winkel zu finden, dessen Echo nicht geweckt wird von der Kehle einer Sängerin oder von den

rauschenden Klängen eines angehenden Klaviervirtuosen oder von den qualvollen Versuchen eines zukünftigen Paganini, obligater Blechtöne, heiserer Guitarrenklünge und dudelnder Harmonikazüge nicht zu gedenken.

Kurz, wenn es wahr

bleibt, was schon die alten Griechen erkannt haben, daß die Musik veredelnd und nnldernd auf Gefühl, Geschmack und Sitten einwirkt und daß auch der Musikdilettantismus Kunstsinn verbreitet und Kennerschaft begründet, so scheint

unsere Zeit unübertrefflich daznstehen.

Bei dem römischen Volke erwachte der Sinn für Musik sehr spät; er wurde ihm von außen eingeimpft und erschien als Begleiter der überhand­ nehmenden griechischen Bildung.

Denn während bei den Griechen schon zu

Themistokles ZeitUnbekanntschast mit Gesang und Saitenspiel als Mangel an Bildung galt, wenn auch die Kunst, als Profession, eines freien Mannes un­ würdig war, blieb bei den Römern lange die Ausübung der Musik einer Art

32

Der Musikdilettantismus der römischen Raiserzeit.

Von Dorfmusikantenzunft überlassen und auf religiöse Zeremonien beschränkt. Die Strenge der alten Zucht wurde auch in diesem Punkte durch den Einfluß grie­

chischer Sitte gebrochen. Schon zur Zeit der Gracchen gabesnach Makrobius

in Rom Tanz- und Singschulen, die von Knaben und Mädchen aus den besten

Familien besucht wurden.

Und wie hierüber die konservativ gesinnten Römer

damals ihren Unmuth nicht verhehlten, so mahnten, selbst als der musikalische

Dilettantismus, besonders unter dem weiblichen Geschlechte, längst Fuß gefaßt hatte, tadelnde Stimmen an die ernst praktische, jeder tändelnden Liebhaberei abholde Vergangenheit.

Ich erinnere hier nur an die treffliche Charakterschil­

derung der Sempronia, einer Mitwisserinbei der KatilinarischenVerschwörung,

von welcher Sallust unter anderem sagt: „Sie verstand eleganter die Zither zu

spielen und zu tanzen, als es eine sittsame Frau nöthig hat;" und an Quintilian^s Empfehlung der ernsten Musik für den Redner, an deren Schlüsse es

heißt: „Ich meine ferner nicht Psalter und andere Saiteninstrumente, welche auch von der sittsamen Jungfrau verschmäht werden müssen."

Der uns sonst

unerklärliche Widerwille gegen die harfenartigen Instrumente stammte nament­

lich von dem mehr als zweideutigen Rufe der betreffenden Künstlerinnen. Als aber der musikalische Enthusiasmus die vornehmere Klasse ohne Ausnahme er­

griff, als in jedem reichen Hause eine Kapelle und ein Sängerchor existirte, die bei Tafel, im Bade, und sonst die Ohren der Gebieter kitzelten, emanzipirte sich

auch das weibliche Geschlecht früh genug von diesen Vorurtheilen. Den Sängern

Tigellius und Demetrius, seinen Feinden, wünscht Horaz, sie möchten den ganzen Tag neben den Lehnsesseln ihrer Schülerinnen plärren.

Schon der

leichtfertige Ovid giebt den jungen Damen folgenden Rath: „Schmeichelnd wirkt der Gesang; wol lerne zu singen die Jungfrau; Mancher anstatt der Gestalt hals der Gesang zum Gemahl. Mögen entströmen der Lipp' Melodien, gehört im Theater, Oder des schilfigen Nils fremde Musik und Gesäng'! Ferner verstehe die Frau, nach meinem Geschmacke gebildet, Zither und Plektron zugleich führen in kundiger Hand."

Diese Wünsche wurden allgemein erfüllt und bald galt musikalische Bil­ dung als unerläßliche Mitgift der vornehmen jungen Römerin.

So hofft denn

auch der Dichter Statius, seiner Stieftochter bald einen Gemahl zu verschaffen,

da sie in diesem Zweige der Bildung allen Ansprüchen genüge: „Sicherlich ist sie es werth durch geistige Guter und Schönheit, Mag sie, die Lyra im Arm, ihr liebliche Töne entlocken, Und an die Musen gewandt des Vaters Lied moduliren, Oder im zierlichen Tanz die blendenden Arme entbreiten."

Daß freilich nun, als die Musik einmal Modesache geworden war, sie meist nicht um ihrer selbst willen, sondern als Mittel zu anderen Zwecken

getrieben wurde und ihreu sittlichen Einfluß verlor, liegt auf der Haud. Dürfen wir jedoch deshalb einen Stein auf deu Dilettautismus der Römerinnen werfen? Kommt es nicht ailch bei ilns unzählige Male vor, daß die Musik die ganze Jugendzeit hindurch ohne ein inneres Verständniß der Kunst, ohne den inneren Trieb zu deren Ansübung, ohne dauernde Reignng zur Kunst getrieben wird? Vielleicht nur der hänsliche Zwang von Seiten der Aeltern, der eigene Ehrgeiz, oder die noch niedrigere Eitelkeit, die in der zierlichen Bewegung der Glieder, in der Belebmig des Auges und der (eisen Röthung der Wangen ein willkom­ menes Mittel findet, die Augen auf sich zu ziehen, haben die Triebfedern des ailfgewendeten Fleißes abgegeben und irach der Verheiratung wird die edle Kunst vernachlässigt, wie ein unnöthiges Hausgerät bei Seite gesetzt. Wie es jedoch eine große Zahl unter unseren Zeitgenossinnen giebt, die von der er­ lernten Kunst einen edleren Gebrauch machen, indem sie den Familienkreis da­ mit gemüthlich beleben und nicht laute Bewunderung, sondern stille Dankbarkeit erstreben, so mag auch manche Römerin voll besseren Motiven und wirklicher Liebe zur Musik beseelt gewesen sein. Ein Zeugniß dafür giebt der jüngere Plinius, wenn er von seiner dritten grnn rühmt: „Sie komponirt und singt meine Verse znr Zither, ohne von einem auderei: Kü^lstler Unterricht erhalten zu haben, als Don Amor, welcher der beste Lehrmeister ist." Am bittersten geißelt aber den in Manie ausartenden weiblichen Mrisikdilettantismus Juvenal: ,sie Gesang, so thut es ihr gleich kein dicker Kastrate, Welcher die Stimme dem Prätor verkauft; in der Hand unermüdlich Hält sie die Laut', dicht strahlet das Brett von funkelnden Steinen, Zitterild durchhüpfet im Takt das Plektron die rauschenden Saiten; Hedymeles einst hat es gebraucht, ein blühender Knabe, Darum ist es ihr Trost und sie weihet ihm zärtliche Küsse."

Daß unter solchen Umständen die Virtuosen als Musiklehrer in vornehmen Familieir sehr anständig hoilorirt wurden, versteht sich Don selbst. Die Lehrer der Wissenschastell wurden viel schlechter bezahlt, und darum giebt Martial einem Vater, der ihn über die Erziehltug seines Sohnes befragt hatte, ben Rath, er solle denselben weder zu den Grammatikern noch Rhetoren in die Schule seudeu; voll den Schriftelt Ci ee r o' s nnd V i r g il' s brauche er nichts zu wissen und wenn er vielleicht Verse mache, möge er ihn lieber verstoßen. Solle der Sohn eine brotreiche Kunst lernen, so müsse er Zitherspieler oder Flötist werden! Der Dichter selbst schließt die Anrede ein das dritte Buch seiner Epigramme, das er von Oberitalien aus uach Rom schickte, mit den Worten: „Fragen sie: Wann wird er kommen? so sag': Als Dichter gegangen Ist er; wann wieder er kehrt, treibt er zur Laute Gesang."

Werfen wir noch einen Blick auf die Männer, so tritt uns ein gleichzeitiges Wachsen der musikalischen Liebhabereien, aber zugleich auch öfteres und lautes $ ölt, Kulturbilder. I.

3

34

Der Musikdilettantismus der römischen Raiserzeit.

Klagen ^über die damit verbundene Verweichlichung und Entartung entgegen.

Wenn noch Kornelius Nepos meinte, daß das Singen eines römischen Staats­

mannes unwürdig sei, so hatte sich bereits Sulla, der überhaupt das Sitten­ richteramt mehr liebte, als die Sittlichkeit selbst, herabgelassen, Sänger und

Tänzer in seinen Umgang zu ziehen und selbst den Ruf eines guten Sängers zu erringen.

Ovid giebt bald darauf auch den Liebenden den Rath: „Hast du Stimme, so singwenn zierliche Arme, so tanze!"

und Horaz macht die spöttische Bemerkung: „Stehen wir nicht am Gipfel des Glücks? Sind Maler geworden, Zitherspieler zugleich und suchen im Ringen den Meister!"

Der junge Britannikus sang als dreizehnjähriger Prinz vortrefflich und schürfte durch ein rührendes Lied einst den tödtlichen Haß Nerols. Die wahn­

sinnige Leidenschaft dieses Kaisers ist bekannt.

Vielleicht wäre, wenn er noch

zehn Jahre regirt hätte, seinen Unterthanen der musikalische Sinn förmlich aus­

getrieben worden! Kam es doch schon bei seinen öffentlichen Konzerten in Neapel

soweit, daß von den auf kaiserlichen Befehl eingeschlossenen Einwohllern einige von den Mauerzilmen an Seilen hinabrutschten, andere sich als Todte im Sarge hinaustragen ließen, um denl kaiserlicheil Virtuosell zu entgehen! Was wäre erst

geworden, wenn ihm das Schicksal vergömlt hätte, ein Gelübde zu erfüllen, das er bei der herannahenden Gefahr ausgesprochen hatte: in den Spielen zur Feier des Sieges als Wasserorgelspieler, Chorflötist und Sackpfeifer auftreten

zu wollen? An mllsikalischer Vielseitigkeit wetteiferte mit diesem Vorbilde der

unsinnige Elagabal, von dem ein Biograph sagt: „Er sang, tanzte, rezitirte mit Flötenbegleitung, blies die Trompete, spielte die Pandura (ein Saitenin­ strument) und die Orgel."

Auch Hadrian hatte im Gesang und Zitherspiel

seinen Meister gesucht, Mark Aurel in seinen Mußestunden komponirt und Karakalla gleichfalls die Citharödik geübt. Uebrigens fanden die Blechinstru­

mente, wie bei uns , weniger Liebhaber ulld besonders die langgestreckte, unge­ bogene und deshalb auch rauh klingende Tronlpete (tuba) blieb nur musikalischen

Sonderlingen überlassen.

So blies wol der Kaiser Alexander Severus die

Tuba, ließ sich aber nie vor Zeugen hören. Eine ergötzliche Anekdote aber über

einen Trompeter früherer Zeit erzählt Dio Kassius. Unter Tiberius, am Neu­ jahrstage des Jahres 19 n. Chr., sollte der Konsul Norbanus sein Amt an­

treten.

Am frühesten Morgen fanden sich schon Gratulanten vor seinem Hause

ein, um zum Lever zugelassen zu werden.

Allein Norbanus, welcher immer

dem Tubablasen oblag und vielleicht den Aberglauben seiner Landsleute theilte,

daß man am ersten Tage des Jahres, um die böse Vorbedeutung zu vermeiden, seine Berufsgeschäfte und Liebhabereien nicht gänzlich ruhen lassen dürfe, griff

nach dem Aufslehen zuerst nach seinem lieben Instrumente und entlockte demselben

schmetternde Baßtöne.

Die Zuhörer aber erschracken, weil bei den Leichenbe­

gängnissen erster Klasse auch Tubabläser verwendet wurden und bezogen auch später das unglückverheißende Signal auf den Tod des Germanikus.

Uebrigens stieg der Hang zu Musik und Tanz immer höher, jemehr das öffentliche, politische Leben unter den Kaisern schwand, jemehr dadurch der Müßiggang privilegirt wurde.

„Siehe, der Geist der müßigen Jugend ist

gelähmt und rüttelt sich nicht wach durch irgend welche ehrenwerthe Anstrengung. Schlaf und Mattigkeit und schimpflicher als beides: Fleiß im Betriebe schlechter Künste, hat die Gemüther erfaßt.

Unsittlichem Gesang und Tanz widmen die

Verweichlichten ihre Zeit; das Haar kräuseln, weibische Schmeichelworte lis­ peln, in Verzärtelung des Körpers mit den Weibern wetteifern, das ist unserer

Jünglinge Ideal." So schreibt der Rhetor Seneka zur Zeit der ersten Kaiser. Noch bezeichnender schildert den Musikenthusiasten der gleichnamige Philosoph

in seiner Schrift über die Kürze des Lebens. „Was soll man von denen sagen", schreibt er, „die mit Komponiren, Anhören und Vortragen von Arien beschäf­

tigt sind, wobei sie ihre Stimme, dererr Klang die Natur so gut und einfach

gebildet hat, durch weichliche Modulationen verändern und verdrehen? Ihre ginger trommeln immer den Takt zu einem Liede, an das sie denken und auch,

wenn sie oft ernster:, ja traurigen Dingen beiwohnen, hört man sie heimlich

Melodien sunrmerr." Und noch für das vierte Jahrhundert zeugt für die Fort­ dauer der Musikliebhaberei die Klage Aminian's: „Die wenigen Häuser, die sich früher noch durch Betrieb ernster Studien anszeichneten, sind jetzt voll von den Spielereier: lässiger Trägheit inib hallen wieder von den Tönerr des Gesangs

und vom säuselnden Schwirren der Saiten. Anstatt des Philosophen läßt man

einen Sänger komnren, anstatt des Redners einen Musiklehrer; die Bibliotheken

hat man wie Todtengrüfte auf ewig geschlossen; aber Wasserorgeln und Leiern werden gebaut, so groß, daß man sie für Karossen halten könnte" u. s. w. Solche Extravaganz im Musikdilettantismus haben wir im Allgemeinen an

unserer Zeit nicht zu rügen und höchstens ist es die Oberflächlichkeit, das un­ gründliche Streben nach Vielseitigkeit bei der Beschäftigung mit den schönen

Künsten, das viele mit jenen Römern: gemein haben.

Der witzige Martial

schildert einen solchen Geschäftigen, Alles Treibenden also: „Zierlich trägst Du vor, führst, Attalus, zierlich Prozesse; Zierlich bewegest Du Dich in der Novelle, dem Lied. Zierlich gelingen Dir auch die Possen und Stachelgedichte; Zierlich Silben Du stichst, zierlich die Sterne Du fragst. Zierlich, Attalus, singst und schwingst im Tanze den Fuß Du, Zierlich die Laute Du schlägst, zierlich den Ball Du bewegst. Edel zeigst Du Dich nie, doch was Du beginnest, ist zierlich. Höre denn, was Du bist! Groß im geschäftigen Nichts."

36

Der Musikdilettantismus der römischen Raiserzeit.

Ersieht man also aus dieser Zusammerlstellung, daß der Dilettantismus in der Musik zur Zeit der ersten rönrischeir Kaiser sich reißend schnell ausbreitete und mit dem Sinken des Reichs seinen Höhepunkt erreichte, so ließe sich viel­ leicht auch in Hinsicht des musikalischen Geschmacks eine ähnliche Aus­ artung nachweisen, die sogar einen Vergleich mit der Richtung und Aenderung des modernen zulassen dürfte. Der Klagen über den Verfall des jetzigen musikalischen Geschmacks giebt es sehr viele. Die Meisterwerke der klassischen Zeit, an denen es noch soviel zu zehren und zu studireu gäbe, sirrd sehr in ben Hintergrund getreten und das allgemein waltende Haschen nach dem Neuesten, Brillantesten, Lärmendsten oder Schwürmendsten zeigt eben, daß man Musik treibt, um sich zu zerstreuen, nicht um durch kühneres Eindringen in ein Kunstwerk sich einen höheren Genuß zu verschaffen. Die meisten Komponisterr fommen bereitwillig huldigend diesem Geschmacke der Dilettanten entgegen und die Spreu des musikalischen Bücher­ marktes übersteigt längst die des literarischen. Die Jdeenarmuth bestrebt man sich mit glärczenden Arabesken zu überdecken und bei der Jagd nach neuen, Nerven reizenden Effekten bleiben nicht nur die Ansprüche des Gemüthes unbe­ rücksichtigt, sondern dasselbe wird abgestumpft urrd betäubt. Und die Rückkehr zum Einfachschönen mag noch in weiter Ferne liegen; die Musik der Zukurrft scheint sie wenigstens nicht bewerkstelligen zu wollen. — Nachdem schon die Griechen zu Aristophanes' Zeit über eine Entartung der Musik geklagt hatten, die durch Emanzipation der begleiterlden Instrumen­ talmusik vom Gesänge entstanden war und sich durch Unklarheit und Verworren­ heit geäußert hatte, summen auch bei den Römern derartige Beschwerden über die Verderbniß des Geschmackes vor. Die Uebertreibung der Effektmittel, die wachsende Liebe zum Rauschenden und Lärmenden berührt Seneka besonders in Bezug eins das Theater mit folgenden Worten: „Siehst Du nicht, aus wie vielen Stimmen der Chor besteht? Und doch entsteht aus allen bloß ein Ton. Einige sind hoch, andere tief, andere halten die Mitte. Zu den männlichen Stimmen kommen auch weibliche, Flöteukläuge werden dazwischen geschoben; da verschwinden die Stimmen der Einzelnen, die Aller sind hörbar. Ich spreche von dem alten Chore. Bei unseren Ausführungen giebt es mehr Sänger, als ehemals in den Theatern Zuschauer. Wenn die Reihe der Sänger alle Gänge angefüllt hat, der ganze Schauplatz von Blechmusik umkrünzt ist und von der Bühne herab Flöten und Jnstruniente aller Art zugleich erschallen, dann wird Einklang aus Mißtönen." Ein anderes Beispiel von: Geschmacke an starker Jnstrumentirung liefern die Spiele des Kaisers Ka ri nus, wobei 100 Trompeter, 100 Flötisten, 100 Klarinettisten konzertirten. Eingehender noch als die Klage Seneka's ist die des Athenäos im 3. Jahrhundert: „Jetzt treibt man die Musik ohne Sinn und Verstand. Sonst war es ein Beweis von schlechter Kunst,

Der Musikdilettantismns der römischen Aaiserzeit. bei der Menge Beifall zu finden.

37

Deshalb sagte auch Asopodoros aus

Phlius, als ein Flötist zu seinem Spiele mit Kastagnetten klapperte: „Was soll das heißen? Offenbar ist es ein großes Unglück, daß er auf keine andere

Weise der Menge gefallen kann!" Unsere Zeitgenossen machen den glücklichen Erfolg auf dem Theater zum Zwecke der Kunst.

Darum sagt Ariftoxeuos:

„Wir machen es den P o si d o nier n gleich, welche am tyrrhenischen Busen wohnen.

Diese waren früher Hellenen, entarteten aber zu Barbaren mit) wurden Tyr-

rhener. Sie änderten ihre Sprache und ihre ganze Lebensweise; sie feiern aber heute noch eines der hellenischen Feste, an welchem sie zusammenkommen mit) sich unter Weinen und Wehklagen jener alten Namen und Gebräuche erimrern.

So, sagt er, thuen auch wir. Nachdem das Theater verwildert und diese Aller-

weltsmusik in große Verderbniß verfallen ist, entsinnen wir wenige uns mrter einander, was einst die Musik loar."" Auch bei Plutarch findet sich die Klage:

„Das krank gewordene Gehör hat die NNusik verderbt, in Folge dessen das Ge­ zierte und Verweichlichte nur weibischen Sinnerckitzel hervorbringt." Anch dort

also war es das Kokettiren mit dem Geschmacke der der Balletmnsik ergebenen Menge, das geflissentliche Abweichen von den alten Meisterrr, das Sachen nach

klingelndem und klapperndem Nebenwerke, was das Steiger: des Dilettarrtismus

als Zeichen der Zeit begleitete.

IV. Das Reisen im Alterthume. ^fachen Erleichterungsmittel des Verkehrs, besonders die Eisen-

bahnen, haben in unserer Zeit die Reiselust in solchem Grade gesteigert, die Zahl der Touristen in solchem Umfange vermehrt, daß unbestritten

niemals früher die Menschheit eine solche Beweglichkeit und Rührigkeit im

Reisen gezeigt hat.

Wir bemitleiden schon unsere Großväter und Väter, die

ihre Sehnsucht nach der Ferne so selten zu befriedigen im Stande waren, denen

so viele herrliche Genüsse im Gebiete der Natur, Kunst und Menschenkenntniß versagt geblieben sind.

Wir fragen aber auch billigerweise, wie weit andere

Völker in früherer Zeit in diesem Punkte der Kultur vorgeschritten waren, und vergleichen besonders nicht ohne Interesse in dieser Beziehung die Sitten der Hellenen und Römer mit den unsrigen.

Die sagenhafte Periode, welche dem von Homer geschilderten heroischen

Zeitalter kurz voranging, scheint dem Verkehr der Völker keineswegs günstig gewesen zu sein.

Es herrschte allenthalben Rohheit, Unsicherheit, Uebermuth.

Mythische Unholde und Räuber lauerteu an den Straßen auf die Fremden und übten ein rücksichtsloses Faustrecht; nur daß sie nicht, wie weiland deutsche

Raubritter, des schnöden Gewinnes wegen harmlose Krämer plünderten, son­

dern in muthwilliger Selbstüberhebung und Götterverachtung ihr Vergnügen daran fanden, die Fremden mit ausgesuchten Martern zu tödten.

Nachdem

aber die Ungeheuer Sinnis, Skiron, Prokrustes, Antäos, Diomedes, den Streichen eines Herakles und Theseus erlegen waren, kehrte der Sinn für Ordnung und Recht zurück, und nach einer wahrscheinlich langen Zwischenzeit

reicher und manigfacher Kulturentwickelung stehen plötzlich die ganz anderen Verhältnisse eines durch jugendlich heitere Weltlichkeit, ritterlichen Sinn und

Frömmigkeit gleicherweise ausgezeichneten Geschlechtes vor uns.

Obgleich noch

der Krieg die Hauptsache mit) der Friede eigentlich nur Waffeustillstand war,

obgleich jedermau bewaffnet einherging und Seeräuberei gerade nicht sehr ent­ ehrte, so wurde doch durch das allgemein herrschende Gastfreundschaftsrecht, als eine durch den Willen der Gottheit geheiligte Sitte, das kriegerische Treiben

gemildert und ein sicheres Fortkommen fiir Fremde und Reisende ermöglicht.

Zeus, der Vater der Götter und Menschen selbst, ist der Beschützer der Her­

bergesuchenden, und wie im Mittelalter von den Klöstern im Namen der

Religion den Pilgern und Reisenden Unterkommen und Verpflegung zu Theil wurde, so achtete sich der Hellene durch den Willen der Gottheit zu gastlicher Aufnahme der Reisenden verpflichtet, die bei dem damaligen Mangel aller öffentlichen Gasthäuser auch übel genug daran gewesen wären.

virte Völker werden

Wilde, unkulti-

deshalb von Homer „gastfreundlichen, denen gottes­

fürchtiger Sinn inwohnt", entgegenstellt, und nur Kyklopen und Lästrygonen, auf denen der Zorn der Götter lastet, legen Hand an die Fremdlinge.

Wenn

ei'letzteres thäte, sagt der treue Eumäos zu seinem Herrn Odysseus, würde er wol nicht mehr froh zu Zeus beten können. Ja, der Phäakenkönig Alkinoos

spricht in Bezug auf den ihm unbekannten Odysseus die edlen Worte: „An Bruders Statt ist der schutzsuchende Fremdling einem jeden Mann, der nur ein wenig verständigen Sinnes theilhaftig ist." Alle Stände traten durch

diese Sitte einander näher, und selbst der

Bettler fand in derselben eine Garantie seiner persönlichen Sicherheit, da die

Götter die den Armen zugefügten Beleidigungen rächten und jeder zerlumpte

Ankömmling ja auch ein verkleideter Gott sein konnte.

Und nicht nur der im

Ueberfluß lebende Mann, wie der in der Jliade erwähnte Axylos aus Arisbe,

der an der Landstraße wohnte, nahm bereitwillig Gäste in sein Haus; auch der Aermere, ja der Sklave, wie der Schweinehirt Eumäos, bewirthete mit seinem einfachen Vorrathe gern den Fremden. Telemach und Peisistratos, desgreisen-

Ne st o r' s Sohn, fahren vor dem Palast des spartanischen Königs M e nel a o s vor, als dieser gerade eine Doppelhochzeit ausrichtet und das Haus voll Gäste hat.

Als aber der emsige Diener Eteoneus den König fragt, ob er die neuen An­ kömmlinge vielleicht einem anderen Hause zur Verpflegung zuweisen solle, er­

hält er eine scharfe Zurechtweisung und wird von Menelaos an die eigene reiche Erfahrung auf der Heimfahrt von Ilion erinnert. Nur wenn man, wie

Tel em a ch dem Seher Th e o kl y m en o s gegenüber, durch Abwesenheit verhindert

war, die Pflichten des Wirthes zu erfüllen, konnte man es wagen, den Gast

einem guten Bekannten zuzuschicken.

Tie Beobachtung der Regeln der Artig­

keit und Rücksichtsnahme gegen die Gäste gereichte zu nicht geringem Lobe, und Penelope selbst rühmt die Kunst ihres Gemahls im Empfangen und Entlassen der Fremden.

Telemach gerieth in Zorn, als er die in Gestalt eines Frem­

den erscheinende Athene zu lange an der Thiire stehen sah; er tritt auf sie zu,

40

Das Reisen im Alterthume.

reicht ihr die Rechte, nimmt ihr die Lanze ab und spricht: „Sei willkommen,

Fremdling! Du wirst Dich bei uns pflegen; und wenn Dll Dich an Speise gesättigt,

wirst Du uns erzählen, lvessen Du bedürftig bist."

In diesen

Worten liegt zugleich das allgemein beobachtete Bestreben, alle Zudringlichkeit

gegen den Gast zu vermeiden.

Erst wenn derselbe ein Bad genommen hatte,

und reichlich mit Speise und Trank versorgt worden war, erst dann wagte man

es, nach Herkunft, Reisezweck u. s. w. zu fragen, wobei im Homer zuweilen die naive und charakteristische Frage mitunterläuft, ob die Gäste vielleicht See­ räuber wären, „welche ihr Leben auf's Spiel setzend umherschweifen und An­

deren Uebles zufügen".

Ja, der lykische König Jobates bewirthet den Be­

zähmer des Pegasos, Bellerophon, neun Tage lang, bevor er den vom Argiver Proitos demselben mitgegebenen Uriasbrief entgegen nimmt! Die

richtige Mitte zwischen Vernachlässigung und Zudringlichkeit bezeichnet der König Menelaos, indem er zu dem Abschied nehmenden Telemach sagt: „Ich will Dich nicht länger zurückhalteir, wenn Du der Rückkehr begehrst.

Ich

tadle auch andere Wirthe, die erllweder in ihrer Liebe oder in ihrem Hasse das

Maaß überschreiten.

Das Schickliche ist überall besser.

Es ist gleich gefehlt,

den bleiben wollenden Gast zur Abreise aufzuforderil mit) den forteilenden auf­

zuhalten. "

Wie oft sündigt auch die deutsche Gastfreundlichkeit durch über­

triebenes Zureden und „Röthigen" gegen diese Regel!

Auf der anderen Seite war auch der Gast zur Artigkeit und Bescheidenheit verpflichtet. Odysseus erlaubt sich in seinem Inkognito nicht, den Eumäos oder

dessen "Knechte geradezu um einen warmen Mantel für die Nacht anzusprechen, sondern sucht feinen Wunsch durch eine erdichtete Episode aus dem trojanischen

Feldzuge derrselben nahe zu legen, und als er alle Phäaken zum Wettkampf herausfordert, nimmt er den Lieblingssohn des Alkinoos aus: „Denn", sagt er, „er ist mein Gastfreund; wer sollte mit feinem liebreichen Wirth kämpfen?

Der ist ein unverständiger und nichtswürdiger Mann, welcher seinem Gast­ geber gegenüber einen Wetteifer in Kampfspielen zum Vorschein bringt."

End­

lich mußte auch der Gast seinem Wirth ein dankbares Gedächtniß bewahren. „DerFremdling", sagt Telemach's Geführte Peisistratos, „erinnertsich alle

Tage des gastlichen Mannes, der ihm Freundlichkeit erzeigt hat."

Lebendig

erhalten wurde das Andenken an die genossene Gastfreundschaft und die dadurch

geschlossene Verbindung mit der Familie des Wirthes durch die Gastgeschenke, die in metallenen Gefäßen, Kleidern, Schmuckfachen, Rossen und Sklaven be­

standen und von den Homerischen Menschen mit gleicher Lust gegeben und em­ pfangen wurden. Der Reisende erwartete geradezu diese Gaben, rühmte sich derselben, und betrachtete sie gewissermaßen als Gewinn des Reisens.

Sie

vererbten sich in der Familie und damit Pflanzte sich auch der geschlossene Bund

von Generation zu Generation fort.

Wie gewissenhaft das Gastrecht geehrt

wurde, sieht man besollders daraus, daß selbst im Kriege Gastbefreundete sich auf dem Schlachtfelde vernüeden.

Ergreifend schildert das Aufhvren der Feind­

schaft bei Erkennung des Gastfreundes die herrliche Episode von Glailkos und Diomedes.

Sofort springen die beiden Helden vom Wagen, schütteln sich die

Hände und tauschen ihre Rüstuligen. War der Gastfreund gefallen, so erheischte es die Pflicht, seinen Tod zu rächen, und als der paphlagonische Prinz Har-

palion durch einen griechischen Pfeil getödtet worden war, gerieth sein Gast­ freund, der schöne Paris, in großen Zorn und erschoß sogleich dafür einen

Achäer.

Das Reisen war übrigens im Homerischen Zeitalter nicht so selten,

als man glauben sollte, besonders die Angeseheneren besuchten verschiedener Zwecke willen zii Wasser mit) zu Land fremde Gegendeiu Odysseus kommt ins Land der Taphier, um sich Pfeilgift zu holen; Athene selbst, als Taphierfürst

verkleidet, giebt vor, auf der Reise nach Kypern begriffen zu sein, um gegen

brandfarbiges Eisen Kupfer einzutauschen, und wieder in Pylos bei Nestor in

Mentor^s Gestalt erdichtet sie eine Reise nach der arkadischen Küste, eine alte Schuldforderung einzutreiben.

Odysseus erzählt vor seiner Wiedererkennung

der Penelope von sich selbst, er habe gehört, daß die Phäaken ihn sicher und

geraden Wegs in die Heimat Hütten senden lvollen, „und Odysseus", führt er fort, „wäre wol scholl lange hier;

aber es dünkte ihm gewillnreicher im

Herzen, über die weite Erde hinwandernd Schätze zu sammelil."

Von der

Fremdenfrequenz im Hause des Odysseus zeugen die an Athene gerichteten Worte Telemach's: „Besuchst Du uns zum erstenmal oder bist Du vom

Vater her uns Gastfreund? Viele Mellschell gingen scholl in unserem^Hailse ein und alls, da auch mein Vater gern Besuche machte."

Außer den Kallf-

leuten und Schifferil, die ihr Gewerbe zum Reisen nöthigte, scheiuell aber auch Aerzte, Baumeister, Seher uni) Sänger ein wanderndes Leben geführt zu

haben und dahin gereist zu sein, woher ein Ruf an sie ergangen war oder wohin sie ihre Neigung trieb. Bettler übernachteten auch oft in der Lesche, der Gemeinde­

halle, einem stets offenen Versammümgsort für Leute jeden Standes. Während der gemeine Mann mit dem Knotenstock oder der Lanze in der

Hand zu Fuß seine Straße zog, fuhren edelgeborene, besonders ältere Leute in dem theils mit Pferden, theils mit Maulthieren bespannten Wagen.

Tele­

mach und Peisistratos kutschiren, im zweirädrigen Streitwagen stehend,

von Pylos nach Sparta und wieder zurück.

Auch Sophokles läßt den

alten Laios zu Wagen, von mehreren Dienern begleitet, dem zu Fuß wan­

dernden Oedipus begegnen. Von Reisen zu Pferde findet sich bei Homer noch keine Spur.

Die Beschaffellheit der damaligell Wege kann man. nur nach der

Schnelligkeit der Fahrten beurtheilen, uiit) auch diese geben keinen Anhaltepunkt, da es nicht im Interesse des epischen Dichters liegen kann, den Fortschritt der Handlung durch holperige und sandige Wege zu hemmen.

Ja selbst die

42

Das Reisen im Alterthume.

Richtung der Straßen scheüit der Wirklichkeit nicht allemal zu entsprechen.

Wenigstens weiß man heute, daß die Reise Telemach's von Pylos über

Pherä direkt nach Sparta nicht möglich war, weil der einzige Paß über das

Taygeton, die Langada, nie eine Fahrstraße gewesen sein kann. In der historischen Zeit hörte zwar die schöne Sitte der Gastfreundschaft nicht auf; aber sie minderte sich doch mit den: Fortschreiteir der Kultur und dem Zunehmen der Reisen und des Fremdenverkehrs.

Dennoch kann man gerade

nicht sagen, daß das Verhalten gegen die Fremden ein unfreilndliches geworden

sei.

Zwar trug die Lage der Fremden — und obgleich sich die Hellenen den

Barbaren gegeiniber als zusammengehörig betrachteten, so sahen sich dennoch die Bürger der einzelneil griechischen Staaten unter sich als Fremde und Aus­

länder an! — immer nur den Charakter der Duldung uni) Gunst, und sie stallden überall gegen den Bürger zurück; allein recht- und schutzlos waren sie

nicht.

In Athen konnte ein Fremder ungestraft nur dann getödtet werden,

wenn ihn ein Volksbeschluß förmlich für einen Feind des Volks erklärt und

geächtet hatte.

Auch Sokrates sagt bei Xenophon: „Seitdem Skiron und

Prokrustes todt sind, thut niemand ben Fremden etwas zu leide."

Und

Platon schreibt in seinen Gesetzen ganz im Geiste der Homerischen Zeit, Ver­

letzungen der Fremden unterlägen der Strafe der Götter, illdem der Fremde, dem weder Freunde noch Verwandte zu Seite ständen, ebelldeswegen um so

mehr voll Göttern und Menschen berücksichtigt werdell müßte.

Auch der

Redner Jsokrates räth dem Kronprinzen von Kyperll, Rikokles, allen Fremden in seinen Staaten Sicherheit zu gewähren.

Sogar aus dem Tadel

und Unwillen der übrigen Griechen über die polizeiliche Maßregelung der

Fremden hi Sparta ergiebt sich doch schon eine mildere Praxis! Und doch thateil die Spartailer kaum mehr, als lvas noch heutzutage int modernen Poli­ zeistaat Vorkommen kann.

Wenn einst, nach Theopompos, zur Zeit einer

Theuerung eine Vertreibung aller Fremden erfolgte, so muß nimi bedenken, daß früher jeder Mißernte Hungersnoth auf dem Fuße zu folgen pflegte; und wenn

die Frentden überhaupt streng überwacht und zuweileir solcherr Zureisenden, von denen ein nachtheiliger Einfluß auf die heimische Sitte rtachzuweisen oder

auch nur zu fürchten war, die Thore gewiesen wurden, so findet dies in dem

löblichen Streben seine Rechtfertigung, die Reitrheit der Sitte rmd Zucht auf­ recht zu erhalten, und zu der Unduldsantkeit ben Sophisten gegenüber, die mit

stlbjektiver Willkür die Achtung vor dem Bestehendetr unterwühlten und die objektive Wahrheit in offen Gebieten negirten, liefert die nettere Geschichte der

gesittetsten Staaten noch viel auffallendere Beispiele in Menge.

An gewissen

Festen, wie den Gymnopädien, fand ein ungehemmtesZusammenströmenvieler Fremden in Sparta statt, und die Ausweisung eines Müandrios, der mit den

Schätzen seines Herrn, Polykrates von Samos,

die Lakedämonier zu

bestechen versuchte, wird reichlich ausgewogen durch den ungehinderten Aufent­ halt vieler namhaften Dichter, Philosophen und Künstler. Daß die Gastlichkeit auch in der historischen Zeit unter die vornehmsten Tugenden gerechnet wurde, erhellt aus verschiedenen Stelleir bei Dichtern, Historikern und Philosophen, und aus der Achtuug, die das griechische Alter­

thum denjenigen zollte, welche in dieser Beziehung freigebig waren.

Theokrit

spricht den Homerischen Grundsatz aus, mein dürfe kein schlechter Wirth sein, sondern den Besuch nach freundlicher Bewirthung entlassen, wenn er heimzu­ kehren wünsche.

Pindar singt in der Ode zum Preise des Agrigentiners

Lenokratcs: „Niemals ließ der seinen gastlichen Tisch umwehende Wind die Segel erschlaffen, sondern im Sommer fuhr erzürn Phasis uud schiffte im

Winter zum Nile."

Ein Gesetz des alten sicilischen Gesetzgebers Charondas

gebot, jedem Fremden Gastfreundschaft zu erweisen, und nach Aelian gab es bei den Luka niern eine Verordnung, nach welcher jeder gestraft wurde, der mich

Sonnenuntergang einem Fremden das Nachtquartier verweigerte.

Der Spar­

taner Lichas machte sich einen Namen dadurch, daß er an den Gpmnopädieu

alle anwesenden Fremden bewirthete.

Gellios aus Agrigent beherbergte

einst 500 Reiter aus Gela und gab jedem beim Abschiede einen Leibrock und

einen Mantel.

So erzählt auch Herodot vom älteren Miltiades, daß der­

selbe einst in der Vorhalle seines Hauses sitzend einige Leute vorübergehen sah, die er an der Kleidung als Ausländer erkannte.

Sofort habe er sie zu sich

gerufen und ihnen Herberge und Gastgeschenke angeboten.

Auch Themi-

stokles zeigte sich nach Plutarch sehr freigebig in Bewirthung von Fremden.

In Xenophon's „Haushalter" wird die anständige Aufnahme der Fremden geradezu unter die stehenden Ausgaben gerechnet; das Haus des Kallias schildert Platon im Protagoras so voll von Gästen, daß selbst die Vorrathskammer zu ihrer Beherbergung ausgerüumt worden war.

Der Auf­

schneider in den Charakteristiken Theophrastos, der das gemiethete Haus, welches er bewohnt, für sein väterliches ausgiebt, sagt, er müsse es verkaufen,

weil es zur Beherbergung der Fremden nicht mehr ausreiche. maaß in der Gastfreundlichkeit wurde sogar getadelt.

Das Ueber-

Schon Hesiod sagt ja:

„Meide, zu sehr gastfrei, wie ungastfreundlich zu heißen!"

Und dasselbe geht aus einer Anekdote Aelian's hervor.

Der lustige Zither­

spieler Stratonikos war auf seinen Kunstreisen irgendwo von einem reichen

Manne sehr zuvorkommend in sein Haus ausgenommen worden und freute sich sehr des guten Unterkommens.

Als er aber noch einen Zweiten und einen

Dritten eintreten sah und bemerkte, daß das Haus für Niemand verschlossen war, sagte er zu seinem Diener: „Gehen wir fort von hier! Denn es scheint,

wir haben eine Holztaube anstatt einer Haustaube, ein Wirthshaus statt eines

44

Das Reisen im Alterthume.

Gastfreundes Wohnung gefunden."

Kurz, es giebt Beweise genug, die dafür

zeugen, daß man auch in spaterer Zeit auf der Reise in unbekannten Häusern gastlicher Aufnahme gewärtig sein sonnte. Die am wirthlichen Herde geschlossenen Freundschaftsbündnisse vererbten sich auch noch auf die Nachkommen und man tauschte gegenseitig äußere Merk­

zeichen aus, um sich später legitimiren und wechselseitig erkennen zu können. Gewöhnlich bestand das Erkennungszeichen in einer mit dem Abdrucke des

Siegelrings versehenen Marke oder auch aus den zwei Hälften eines zerbrochenen Ringes. So anerkennt im „Jungen Punier" des Plautus der Adoptivsohn des

Antidamos in Aetolien sofort den von seinem Vater herrührenden Gastanspritch des Karthagers Hanno, als dieser ihm ein Erkennurigszeichen vorweist,

von dem er ein gleiches Exemplar zu Hause verwahrt. Plutarch berichtet, daß

nach der Schlacht bei Kunaxa der gefangene Klearch dem Arzt und Geschicht­ schreiber Ktesias seinen Ring geschenkt habe, damit jener, wenn er einmal

nach Lakedämon käme, von seinen Freunden und Bekannter: wohl aufge-

rwmmen würde. Daß man auch durch besondere Empfehlungsbriefe sich freund­ liche Aufnahme an fremden Orten zu sichern bemühte, versteht sich eigentlich

von selbst und es fehlt auch nicht an Belegen dafür.

War der Reisende im

Auftrage seiner Regierung unterwegs, so konnte er außerdem darauf rechnen, im Auslande bei dem Staatsgastfreunde oder Kor:sul seiner Heimat, der aber stets ein Angehöriger des frenrden Staates war, Unterkommen zu finden. Deshalb befanden sich auch während des vom spartanischen Feldherrn Spho-

drias versuchten Ueberfalles des Pirüeus die spartanischen Gesandten im Hause ihres Konsuls Kallias.

Aber auch anderen Reisenden nützte der Ver­

treter ihres Staates, indem er verpflichtet war, sich ihrer anzunehmen, so oft

sie rechtlichen Schutzes und Beistandes bedurften.

Demosthenes erwähnt

eines interessanten Falles, in welchem zwei Konsuln der Stadt Heraklea an verschiedenen Orten in Angelegenheiten eines Staatsangehörigen eingriffen.

Der Großhändler Lykon aus jener Stadt, der in Athen wohnte, wurde auf einer Geschäftsreise im argolischen Busen Doi: Seeräubern angegriffen und tödtlich verwundet.

Nach Argos gebracht, übergab er sterbend seinem Staats­

gastfreunde die Gelder.

Auf diese Nachricht hin begab sich der Vertreter der

Herakleoten in Athen, Kallippos, sogleich zum Bankier des Verstorbenen

und verlangte Einsicht in die Kontobücher, die ihm auch ohne Anstand ge­

währt wurde. Noch sei endlich zu dem Verhältnisse zwischen den Gastfreunden bemerkt, daß nicht allemal mit der gastfreundlichen Aufnahme eines Fremden dessen voll­

ständige Verpflegung und die Zuziehung zum Tische verbunden war.

Nach

einer Behauptung Vitruv's hätten die Griechen nur am ersten Tage die Frem­ den selbst bewirthet und ihnen dann später Hühner, Eier, Gemüse und Früchte

auf das Zimmer geschickt.

Damit scheint auch zu stimmen, was Lukian und

Appulejns von dein Helden des goldeneil Esels erzählen. liebst

feinen Sklaven

bereits Aufnahme

beim

Nachdem derselbe

thessalischen Gastfreunde in

Hypata gefunden hatte, giebt er dem Dienstmädchen Geld, um Futter für sein Pferd zu kaufen, uild später sendet ihm eine befreundete Matrone ein fettes Schweiil, fünf Hühner und einen Krug Wein, Geschenke, bereit Annahme doch nicht zu der vollen Bekostiguilg im Hause des Wirthes gestimmt hätte!

Mau hat sich früher mit der falscheil Vorstellung getragen, daß alle an­ ständigeren Reisenden in Griechenland die eben beschriebene „Vetterilstraße"

gezogen seien, und daß die Eiilkehr in öffentlichen Gasthäusern entweder gar

ilicht oder doch nur in sehr beschränktem Maaße und von Seiten der Uilbe-

mittelsten stattgefundell Hütte.

Allein es läßt sich schon int Voraus annehmen,

daß die edle Sitte der Gastfreundschaft bei denl steigenden Verkehr der Staaten, bei der Zunahnle der Reiseil

llicht Älleil Unterfomnien verschaffen konnte.

Athen und das wegen seiner Gastlichkeit von Pin dar gerühmte Korinth waren oft mit Fremden überfüllt, die uilmöglich bei Gastfreunden logiren konnten. Voll

ben luxuriösen Byzantinern versichern Nlehrere Schriftsteller, daß sie gleich ben

Einwohnern unserer Meßstädte ihre eigenen Wohnungen an die Fremdeil vermiethet hätten.

An ben Orten öffentlicher, glänzender Feste und bei berühmten

und vielbesuchten Wallfahrtsstütteil sorgte schon der Staat dafür, daß die Zu-

reiseilden wenigsteils Obdach mld Nachtlager fanden.

Im Haiile Altis bei

Olympia sowol als in dem schattigeil Walde neben dem Aphroditetempel zu

Kilidos gab es Zelte oder Hütteu, in denen auch für Bewirthuug gesorgt war, der sich freilich nach Lnkiail die Gebildeteil selten bedienteil, indem sie es vor­

zogen in eigenen Zelten zu kanlpirell.

Das größte derartige Gebäude zur Auf­

nahme von Fremden errichteten die Thebaner im peloponnesischen Kriege neben

denl Heratempel des zerstörteil Platüä.

Es hielt 200 Fuß im Quadrat und

hatte rings herum unten und oben Gemächer, welche mit Bettstellen ausgestattet

wurden, die man mls dem öorgefunbenen Eisen und Erz verfertigen ließ. Voll einer solchen, lediglich zürn Nachtquartier bestimmten öfferltlicheil Behausuilg,

iit der, wie in den russischen „Krügen" der Reiseilde nur die rohe Stätte fand, wo er sein Haupt hinlegte, spricht auch Dosiades bei Atheuäos in seiner

Beschreibung von Kreta. Dort wilrderl aber die Fremden außerdenl in den nach spartanischer Art eingerichteteil' öffeiltlichen Speiselokalen an besonderen Gast­ tischen gespeist.

Auch die Bewohner des karischen Magnesia verabreichten

dell zu ihrem berühmteil Artenlistempel Wallfahrenden nach Athenäos außer Obdach: Salz, Oel, Essig, Licht, Bettzeug und Tische.

Aber es sandeil sich auch sonst allenthalben an der Landstraße Gasthäuser, in denen Leute jeden Staildes cinzukehreil pflegten.

Es spricht dafür deutlich

die vou Cicero erzählte Traumgeschichte von den beiden Arkadiern, deren

46

Das Reisen im Alterthume.

einer in Megara bei einem schurkischen Gastwirthe, der andere bei einem Gastfreunde logirte. Auch im Pbnulus des Plautus ladet ein Kuppler den

angeblichen Fremden ein, für Geld bei ihm einzukehren.

Plutarch warnt in

seiner Schrift über Diätetik Var dem Betreten eines Gasthofes, wenn man er­

hitzt sei und sich nicht vorher habe frottiren lassen.

An einer andern Stelle

sagt er, selbst wemr der Wirth öfter freundlich gegrüßt habe, pflege man nicht

in einem schlechten Wirthshause einzukehren, wem: ein besseres daneben wäre.

Ferner erzählt er, ein Lakanier habe sich in einem Wirthshaus ein Fischchen gekauft und es dem Wirth zum Herrichten Übergebell.

Als dieser aber Käse,

Essig und Oel dazu verlangt, habe der Spartaner gesagt: „Wenn ich diese Zu­

thaten gehabt hätte, würde ich nur keinen Fisch gekauft haben."

Sonst wissen

wir aus Polybios, daß es in Griechenland Sitte war, über alle einzelnen

Bedürfnisse mit dem Wirth in voraus zu akkordiren, während man in Ober­

italien sogleich über die ganze Tagesrechnung ein Uebereinkommen traf.

Ja

sogar die Gesandten der Athener an Philipp scheinen überall in öffentlichen

Gasthäusern eingekehrt zu sein; wenigstens sagt Aeschines in der Rede über die Truggesandtschaft von Demosthenes: „Wenn es nur anging, wollte nie­

mand unterwegs in demselben Gasthause mit ihin Rast macheir."

Darum er­

kundigt sich auch in den Fröschen des Aristophanes Dionysos bei Herakles genau nach den Wirthshäusern auf dem Wege in die Unterwelt.

„Nenne

mir doch," sagte er, „Deine Gastbefreundeten, die Du neulich, als Du nach dem Kerberos niederstiegst, dort angesprochen, auch die Häfen, Bäckerläden,

Bordelle, Rastorte, Kneipen, Quellen, Wege, Ortschaften, Speisehäuser und

Gastwirthinnen, wo die wenigsten Wanzen!" Selbst in dem am arabischen Meer­ busen liegenden Handelsorte Berenike gab es nach Strabo Gasthäuser und

überhaupt wird imr in Bezug aüf wenig civilisirte Länder, wie z. B. Thrakien, über Mangel an Unterkommen geklagt.

Trotzdem war aber das Gewerbe der Gastwirthe in Hellas ein sehr ver­ achtetes , theils weil es überhaupt zu den auf Gelderwerb hinauslaufenden Be­

schäftigungen gehörte, theils weil es der Tugend der Hospitalität gradezu zu

widersprechen schien, theils weil die Wirthe im allgemeinen wegen Prellerei und Schlechtigkeit verrufen waren. „Alle Arten der Krämerei, des Seehalldels

und der Gastwirthschaft," heißt es daher bei Platon, „sind verlästert und ge­ reichen zur schimpflichen Schande; wenn aber jemand, — was nie geschehen mag und auch wird — die besten Männer überall zwänge, eine Zeit lang Gäste für Geld zu beherbergen, dann würden wir wol einsehen, wie lieb und angenehm jedes dieser Geschäfte wäre."

Theophrast zählt die Gastgeberei

unter die Merkmale der sittlichen Verworfenheit und stellt sie auf eine Linie

mit der Zöllnerei nnd Bordellwirthschaft.

An letztere erimrerte übrigens nur

zu sehr die überall vorauszusetzend'e Anwesenheit gefälliger Diriren.

Was nun ferner die verschiedenen Arten betrifft, auf welchen die Reisen­ den in der historischen Zeit ihren Weg znrncklegten, so merkt man, nach den vor­ handenen Andentnngeil 311 urtheilen, im Vergleich zu der Homerische!: Zeit eine merkwürdige Abnahme im Gebrauche der Wagen. Ja, es konnte nun für Uebermuth und Weichlichkeit ansgelegt werden, wenn man sich ans kleineren Touren eines Wagens bediente! D e m 0 sth e n e s wenigstens wirst es feinem Feinde Meidias vor, daß er seine Frau nach Eleusis oder anderswohin mit zwei sikyonischen Schimmeln zu fahren pflegte, und dem Phünippos, daß er fein Kriegspferd abgegeben und dafür einen Wagen gekauft habe. Daß die demo­ kratische Gleichheitsidee an diesem Vorurtheil viel Antheil hatte, sieht man da­ raus, daß der Redner Lykurg ein Gesetz durchbrachte, welches den Weibern verbot, zu den Mysterien nach Eleusis zu fahren, damit nicht die Aermeren durch die Reichen beschämt würden. Leider war seine Gemahlin eine der ersten, die das Gesetz übertrat, und es kostete ihn ein Talent, die Angeber zum Schweigen zu bringen! Uebrigens hatte Solon den Weibern verboten, bei Nacht zu reifen, außer im Wagen, und auch dann nur mit vorgetragener Leuchte. Ueber die Konstruktion der im gewöhnlichen Leben gebräuchlichen Fuhrwerke sind nur sehr dürftige Nachrichten vorhanden. Am meisten zur Reise benutzt wurde wol das aus Monilmenten vorkommende zlveiräderige Gefährt, dessen auf drei Seiten mit einer Lehne umgebener Sitz auf der Achse ruht, während die Gabeldeichsel mit dem Joche den Pferden auf dem Rücken liegt. Erinnert schon diese Ein­ richtung an die im nördlichen Finnland und Schlveden heute noch üblichen, ureinfachen Kabriolets, so steigert sich noch die Aehnlichkeit, wenn man den Rosselenker nach Art der „Skjntsjungen" zu den Füßen der Reisenden sitzen oder hockeir sieht. Reiste mein freilich mit Familie, so bediente man sich des mit einer Plane versehenen vierräderigen Wagens, in dem man auch übernachten konnte, wie das Beispiel einer in Megara einst arg beleidigten peloponnesischen Festgesandtschaft beweist. Oester als des Fahrens bediente man sich zum Fortkommen des Reitens. Auf diese Weise tritt Lucius im goldenen Esel seine Reise ein. Auch Demosthenes miethete für makedonische Gesandte ein Maulthiergespann und begleitete sie selbst zu Pferde bis Theben. Die Maul­ thiere benutzte man ebenfalls zum Reiten und legte ihnen einen bequemen Sattel mit Rückenlehne eins; doch scheint der Gebrauch mehr den Damen und den ver­ weichlichten Männern anheim gefallen zu fein; deshalb sagt auch der komische Krüppel beim Redner Lysias: „Wenn ich Vermögen besäße, würde ich auf einem Maulthier reiten und nicht fremde Pferde besteigen; aber jetzt, da ich mir nichts dergleichen kaufen kann, bin ich gezwungen mich fremder Pferde zu bedienen." Aus dieser Stelle ergiebt sich zugleich, daß in Athen Pferde und Wagen zu vermiethen waren. Sonst wanderte man am gewöhnlichsten zu Fuße, und selbst eine öffent-

48

Das Reisen im Alterthume.

liche Gesandtschaft der Athener an Philipp scheint nicht anders gereist zu

sein. Man erleichterte sich den Marsch, indem nuui einen oder mehrere Sklaven mitnahm, die das aus Lebensmitteln, Geschirr und besonders den Lagerdecken für die Nacht bestehende Gepäck in einenl Reisesacke nachtrugen.

Diese Sitte

war so allgemein, daß man den Diener bei jedem Reisendeir voraussetzen konnte, und darum erzählt Xenophon, Sokrates habe einst jemanden, der von einerlangen Reise recht ermüdet gewesen, gefragt: ob er auch eine Last getragen

habe. — „Gott bewahre!" antwortete jener, „nur mein Gewand."

„Reisest

denn Du aber allem, oder begleitete Dich ein Diener?" fuhr Sokrates fort, und als dies bejaht wurde: „Ging er leer oder trug er etwas?" — „Natürlich,"

war die Antwort „trug er die Decken und das übrige Geschirr." Im Lucius Lukian's trägt zwar das Pferd das Reisegepäck; dessenungeach^t folgt aber dem Reiter ein Dieirer zu Fuße. Die Art des späteren Reisens in Griechenland veranschaulicht eine Er­

zählung des berühmten Rhetors Aristeides aus dem zweiten Jahrhundert ii. Chr. Er schreibt: „Da ich während eines Sommers am Magen litt, kündigte

mir der Gott Asklepios eine Reise an (ich befand mich damals in Smyrna)

und ich mußte sofort aufbrechen. Pergamon führenden Wege.

Ich verließ also die Stadt auf dem nach

Während aber das Fuhrwerk herbeigeschafft

wurde, kam der Mittag heran und es entstand eine große Hitze.

also in der Vorstadt die heiße Zeit abzuwarten."

schaft war vorausgeschickt worden.

Ich beschloß

Das Gepäck mit der Diener­

Nach großem Zeitverlust (also vielleicht

erst um 3 Uhr) ging die Reise vorwärts und er gelangte gegen Sonnenunter­

gang an das Wirthshaus am Hermos.

„Weil ich aber die Unbequemlichkeit

des Gebäudes nicht ertragen konnte, beschloß ich, weiter zu reisen. — Es war

schon spät am Abend, als ich nach Larissa kam.

Da ich aber kein Fuhrwerk

ausfindig machen konnte und die Einkehrverhültnisse nicht besser waren, als

vorher, so mußte ich mich wieder auf den Weg machen.

Und es war schon

Mitternacht oder darüber und wir gelangten nach Kumä, wo Alles verschlossen

war.

Dies war mir recht."

Er geht also mit seinen Begleitern weiter und er­

reicht bei Tagesanbruch Myrina.

„Dort traf ich meine Leute vor einer der

Herbergen auf offener Straße, sowie sie eben angekommen waren, weil sie, wie sie sagten, nirgend die Thüren offen gefunden hatten.

Es stand aber in der

Vorhalle des Wirthshauses eine Bank; diese trugen wir bald hierhin, bald

dorthin; denn wohin wir sie stellten, war sie mir unbequem."

Aus der Weiter­

reise erreicht er am Abend die warmen Quellen, wo Alles voll Lärm und Ge­

wühl ist.

Wieder kann er kein Unterkommen finden und muß weiter reisen.

Endlich trifft er eine Herberge mit Zimmer, Bett und reinern Teppich! Die griechischen Straßen waren bequem und wohlgebaut, und wenn gleich

Strabon meint, daß die Griechen drei Dinge vernachlässigt Hütten, die beiden

Römern mit den größten Kosten und der mühseligsten Arbeit unternommen worden seien, den Bau der Kloaken, der Wasserleitungen und der Heerstraßen, so müssen wir bedenken, daß unsere besten Chausseen in Vergleich mit den

herrlichen römischen Knnststraßen wol bei Strabon nicht besser weggekommen

sein würden! Die Wege stauben unter Obhut des Hermes. Ueberall befanden

sich die ihm geweihten Pfeiler nnb heiligen Steinhaufen, denen jeder Wanderer

nach altem, fronunem Brauch einen Stein zuwerfen sollte. Auf den Kreuzwegen

dagegen stand die dreihauptige Gestalt der die Wege beschirmenden, aber auch

oft die Reisenden durch Gespenster neckenden Zaubergöttin Hekate.

Vor den

Bildern beider Gottheiten legte man allerhand Speisen hin, die wol der hung­ rige Wanderer ohne Versüirdiguirg genieße;: sonnte. Auch gestattete man gewiß

gern bei: Reisenden, im Vorübergehen von ben Früchten der Obstbaume zu essen. Platon stützt sich sicher ans eine vorhandene Sitte, wenn er in seinen Gesetzen

dein Fremden, „nebst einem Begleiter desselben" erlaubt, Tafeltrauben, Feigen., Birnen, Aepfel und Granatapfel ohne Entgelt zi: brechen.

Die Rücksicht eins

das Gebot der Religioi: verschaffte dem irrenden Wanderer auch überall bereit­

willige Zurechtweisung.

In einen: Fragmente des Konnkers Diphilos ist

von Verwü::schungei: die Rede, welche einst gegen diejenigen ausgesprochen

worden waren, die sich dieser Pflicht entzogen, und Theokrit laßt in einer

Idylle einen Hirt den: Herakles antworten:

„Ich werde Dir, Fremdling,

über alles, was Du fragst, Auskunft ertheilen, die Ahndung des Hern:es

fürchtend;

denn der Höchste der Ueberirdischen soll zürnen, wenn man einen

nach den: Wege verlangenden Reisenden abweist."

Die Hermen, welche schon

Hipparch, des Peisistratos Sohn mit Sprüchen und Lebensregeln hatte

versehen lassen, enthielten spater auch Angaben über die Entfernungen und andere Zurechtweisungen für die Reisenden. Ja, (wer sollte es meinen?) selbst der Paßplackereien und Visitationen war der Reisende schon nicht ganz ent­

hoben, wenn es auch im allgemeinen wol unrichtig ist, daß stets zu Reisen ins

Ausland Passe ertheilt worden seien.

War nanllich ein Staat im Kriegszu-

sta::de, so mußten die Auspassirenden mit Legitimationszeichen, die das Stagts-

siegel trugen, versehen sein. Darum nimmt in den „Gefangenen" des Plautus

der Aetolier Hegio für seinen Boten nach Elis, das mit Aetolien Krieg führte, vom Prator einen Paß, und aus demselben Grunde wird im „Wolkenkukuksheim" des Aristo pH anes die Götterbotin Iris gefragt:

„Du warst

doch auf der Dohlenhauptwacht? Du ließest den Paß doch auf der Storchenpolizei visiren? Gab Dir kein Vogeloffizier eine Marke?"

In Sparta freilich waren alle Reisen ins Ausland ohne spezielle Er­ laubniß der Ephoren streng untersagt. Auch Platon mißbilligte die in den anderen Staaten herrschende Freiheit, nach Belieben reisen zu dürfen, und verordnete

in seinen Gesetzen, daß niemand vor dem vierzigsten Jahre das Vaterland Göll, Kulturbilder I.

4

50

Das Reisen im Alterthume.

Verlassen sollte! Sonst findet sich kein Beweis für besondere Kontrole und Hemmung der Reisenden unter beii gewöhnlichen Verhältnissen, nur scheint die

Neugierde nach fremden Sitten und Einrichtuirgen als ein Zeichen der Urrzu-

friedenheit mit den heimischen Zuständen angesehen wordeir zu sein.

An den

Zollstellen wurde auch das Gepäck der Reisenden untersucht, denn es gab da­

mals bereits steuerbare und verbotene Waaren. Plutarch sagt in Bezug darauf: „Die Zöllner fallen uns lästig, nicht wenn sie die einzuführenden Sachen sortiren, sondern wenn sie, nach dem Verborgerren spähend, im fremden Gepäck herum­

wühlen!" Die Douaniers nahmen sich zmveilen sogar heraus, die Briefe zu öffnen, um Paschereien auf die Spur zu summen! In Bezug auf den Zweck

finden wir alle Arten der Reisen bei ben Griechen vertreten;

selbst die so

fashionabeln Badereisen fehlten, wenigstens in späterer Zeit, keineswegs.

Aus

einer Menge Bäder, die theils zum Vergnügen, theils ihrer Heilkraft wegen

besucht wurden, nennen wir hier nur das euböische Ae d ep so s, über das Plutarch Folgendes schreibt: „Aedepsos auf Euböa, wo die heißen Quellen sind, ist ein

Orr, der von Natur viel Vergnügen darbietet und, mit Gebäuden und Woh­

nungen versehen, ein gemeinschaftlicher Aufeirthaltsort für ganz Hellas geworden

zu sein scheint. Es wird viel Geflügel und Wild dort gefangen und ebenso liefert das Meer leckere Fische für die Tafel. Am meisten blüht der Ort im Spätfrühling, denn viele leben dann dort in Geselligkeit und Ueberfluß zusammeir."

Auch

Sulla erholte sich hier von seinen Strapazen, und Plutarch tadelt es, daß er nur mit Schauspielern Unrgang gepflogen. Und fragt man endlich nach den Kosten der Reisen in jener Zeit, so kann man freilich nur mit ein paar Notizeu der Alten antworten. Zu Demo­

sthenes^ Zeit erhielt eine aus drei Männern bestehende Gesandtschaft für drei Monate 1000 Drachmen Reisegeld , der Mann also täglich ungefähr 2 Mark

80 Pfennige Auslösung. In den „Acharnern" des Aristophanes erzählen die zum Großkönige geschickten Gesandten, daß sie täglich zwei Drachmen, also

1 Mark 50 Pfennige erhalten Hütten; dies war aber auch hundert Jahre früher.

Immerhin war also damals das Reisen theurer als 180 Jahre nach

Demosthenes in Italien, wo man nach Polybios dem Gastwirthe für seinen sämmtlichen Bedarf 1/4 Obolos oder 4 Pfennige zahlte! Sehr

weite

Reisen

haben

bekanntlich

unter den Griechen

Solon,

Pythagoras, Herodot, Lykurg, Platon und Polybios gemacht.

Der

skythische Prinz Anacharsis, der zu Solou's Zeit, um seine Wißbegierde zu stillen, Griechenland bereiste, erregte ungefähr ein eben so großes Aufsehen

wie heutzutage ein indischer Nabob. Noch sei endlich bemerkt, daß es Sitte war, dem von der Reise zurückgekehrten Freunde ein Gastmahl zu veranstalten, sowie

man auch oft die Abreisenden auf diese Art ehrte. Bei den Römern wurde das Band der Gastfreundschaft nicht weniger

heilig gehalten als bei den Grieche!:.

Auch sie hatten den Glauben an Gatt-

heiten, die den Fremdling schützten und rächten, und unter denen Jupiter

Voranstand.

Noch als Nero's Leben durch die Pisouische Verschwörung be­

droht wurde und die Verschwornen Pisons Billa bei Bajü, wohin der Kaiser öfter kam, zuin Orte des Mordes bestimrnen wollten, weigerte sich Piso, indern er auf das Gehässige der That hinwies, „wenn die Heiligkeit des Tisches und die gastlichen Götter des Hauses mit dem Blut eines Fürsten befleckt würden."

Man findet auch hier den Gebrauch, daß Marken und äußere Kennzeichen zum

Behufe

späteren Wiedererkennens zwischen den Gastfreunden

ausgetauscht

wurden, und eine römische sprichwörtliche Redensart für den Abbruch des freundschaftlichen Verhältnisses lautete: „ Duhast das Wahrzeichen der Gastfreund­

schaft zerbrochen."

Auch staud in Rom das befreundete Verhältniß der Ahnen

noch bei den Nachkommen in Ehren, und erlosch nur durch eine förmliche Auf­

kündigung.

Der König Dejotarus von Galatien lud den jüngeren Kato,

als Gastfreund vom Vater her, zu sich ein, und die Boten des Königs Perseus,

welche im Jahre 171 v. Chr. zum römischen Gesandten Mareius nach Thes­ salien kamen, näherten sich demselben, wie Livius sagt, im Vertrauen auf

die Gastfreundschaft, welche zwischen den Vätern bestanden hatte.

Die Gastfreunde standen hinsichtlich ihrer Ansprüche mit den Klienten auf gleicher Linie; ja Masurius Sabinus gab sogar den Hospitalischen Rechten

den Vorzug, iudem er zuerst die Mündel, dann die Gastfreunde, dann die Klien­

ten, hierauf die Blutsverwandten und endlich die übrigen Verwandten berück­ sichtigt wissen wollte. Deshalb gehört es auch nicht zu den geringsten Vorwürfen,

die Cicero dem abscheulichen Verres zuschleudert, daß derselbe alle Rücksichten und Verpflichtungen gegen seine sicilischen Gastfreunde aus den Augen gesetzt, ja

mit Füßen getreten hatte.

Der Fremde genoß in Rom Sicherheit, wenn er

auch sonst eben so wenig wie in den griechischen Staaten einen Anspruch auf Staats­

schutz hatte.

Die dem Fremden angethane Verhöhnung galt als Verletzung der

guten Sitte, und bei Plautus muß sich jemand, der es gethan, gefallen lassen,

daß man zu ihm sagt: „Du bist gewiß ein Sklave und ein nichtswürdiger und böser Mensch, da Du einen Fremden und Ankömmling verspottest."

Trotzdem

scheute sich die Staatsgewalt eben so wenig wie die spartanische, wenn es ihr

gut dünkte, die Fremden aus Rom zu weisen.

Als C. Gracchus den Vor­

schlag gemacht hatte, allen Italienern das Bürgerrecht zu geben, und nun von allen Seiten das Volk nach der Hauptstadt strömte, beredete der Senat den

Konsul Fannius dazu, alle Nichtbürger hinauszutreiben. Auch im Jahre 65

v. Chr. wurden nach dem Papischen Gesetze alle verjagt, die ihr Bürgerrecht nicht beweisen konnten.

Obgleich in den erwähnten Fällen die Maaßregel sich

rechtfertigen läßt, sagt doch Cicero darüber: „Unrecht thun auch diejenigen,

welche den Fremden die Städte verschließen und sie hinaustreiben, wie Fannius 4*

52

Das Reisen im Alterthume.

zu unserer Väter Zeit, Papius erst neulich; denn den Fremden verbieten, die

Stadt zu betreten,

ist sicher inhuman."

Außerdem

sah sich später auch

Augustus durch eine große Theuerung veranlaßt, alle Fremden, mit Ausnahme

der Lehrer und Aerzte, bis aus 750 Stadien von Rom zu verweisen.

Früh­

zeitig bemühten sich benachbarte uni) entfernte Städte und Völker, in Rom

einen Vertreter und Beschützer zu gewinnen, und was in Griechenland der Staatsgastfreund war in Rom der Patronus.

Diese Sachwalter traten mit

den betreffenden Gemeinden ebenfalls in ein enges Hospitalitätsverhältniß, und das eherne Dokument, durch welches dasselbe sanktionirt worden war, wurde

bisweilen sogar am Hause des Patrons angebracht.

Cicero liefert ein paar

Beispiele von der Wirksamkeit solcher konsularischen Vertreter.

„Die berühm­

testen Männer unseres Staates," sagte er, „erachten es für sehr ehrenvoll und rühmlich, ihre Gastfreunde und Klienten, auswärtige Nationen, die mit dem römischen Volke in Freundschafts- oder Unterthallen-Verhältniß stehen, vor Un­

recht zu schützen.

Wir wissen, daß M. Kato sich viele schwere Feindschaften

zugezogen hat, wegen Beleidigungen der Spanier, bei deneir er als Konsul ge­ wesen war.

Neulich hat Cn. Domitius den M. Silanus angeklagt wegen

eines dem einzigen Aegritomarus, seinem väterlichen Freunde und Gast­

freunde widerfahrenen Unrechtes." Wie die Griechen gaben auch die Römer, wenn sie sich auf ded Reise be­

fanden, der Einkehr beim Gastfreunde den Vorzug.

Cäsar z. B. logirte in

Mailand bei seinem Gastfreunde Valerius Leo, und war so artig gegen derselben, daß er sich nichts merken ließ, als er Spargel mit ranzigem Del essen mußte. Wenn Berres in Sicilien nach Thermä kam, wohnte er bei Sthe-

nius.

Der Vertraute des Pompejus, P. Vedius, kehrte in Laodicea bei

Pompejus Bindullus ein. Die Landhäuser, welche an der Heerstraße lagen, wurden natürlich besonders heimgesucht, inib Kolumella giebt darum den

Rath, die Villa ja nicht an die Straße zu bauen, „weil durch die Plünderungen der vorübergehenden Wanderer und durch die ewige Beherbergung der Ein­

kehrenden das Vermögen geschlvücht wird."

Wern aber aus seiner Straße die

Häuser gastfreier Bekannterr fehlten, der mußte eben auch seine Zuflucht zu den öffentlichen Wirthshäusern nehmen, deren Vorhandensein nicht der Belege be­

darf.

Aber Leute von Stand betrachten die Einkehr in einer solchen Herberge,

des Mangels am Comfort und der gewöhnlich plebejischen Gesellschaft wegen, nur als eine gern gemiedene Nothwendigkeit.

„Wenn Dir der Staub und das

Rollen der Räder oder das Wirthshaus lästig ist," sagt Horaz, so ziehe Dich nach Ferentinum zurück."

Und an einer anderen Stelle desselben Dichters

heißt es: „Wer von Kapua nach Roni reist und von Regen und Koth durch­

näßt ist, wird dennoch nicht sein Leben in eiiwm Wirthshause zubringen wollen." Außer der dürftigen Einrichtung waren die Herbergen auch mit Ungeziefer ge-

füllt und Plinius nennt deshalb die Flöhe „die sommerlichen Bewohner der

Wirthshäuser."

Nilr ein Vitellius konnte Gefallen daran finden, in den

Wirthshäusern und Allsspannorten mit Maulthiertreibern und Wanderern sich

auf gleichen Fuß zil stellen. Uebrigens scheint es, als ob die meisten Wirthshäuser und Schenkell an

den Straßen von den Besitzern der allliegellden Güter erbaut wurden, die dann ihre Fabrikate und Produkte dort „verkrügten."

Vitruv und Varro geben

den Rath, solche Tabellen zu errichtell, und besollders letzterer schreibt: „Wenn das Grulldstück am Wege liegt und der Platz den Wanderern genehm ist, so

müssen Tabernell zllm Eillkehren errichtet werden, welche jedoch nicht zur Oekonomie zu rechnen sind, weim sie allch einträglich sein mögen."

Die Wirthe

selbst waren oft nebenbei Kuppler mit) nicht höher geachtet als die griechischen; auch Wirthinnen trieben selbständig das Gewerbe, wie die vom Pseudovirgil besungene Syriska und die Plautinische Chrysis, „das alte Faß" genannt. Die meisten Tabernen hatten auch ihre Aushängeschilde mit besonderen Bildern.

So hat man neuerdings in Pompeji ein Wirthshaus „Zum Elephanten" auf­ gefunden. In Narbo existirte ein Hotel „Zum Hahne" und ein Schild in Lyon trug die Aufschrift: „Hier verspricht Merkur Gewinn, Apollo Ge­

sundheit, Septumanus (Name des Wirthes) Ausnahme nebst Mahlzeit. Wer

einkehrt wird es ilicht bereuen, Fremder sieh zu, wo Du bleibst!" Selbst eine Wirthshausrechnnng hat sich von der Kaiserzeit her erhalten.

Auf einem in

Aesernia gefundenen Basrelief rechnet ein Reisender, sein Maulthier am Zügel haltend, mit der Wirthin ab und darüber steht das Gespräch selbst: „Wirth! meine Rechnung!" — „Du hast einen Schoppen Wein, Brot: ein As; Zukost: 2 As." — „Es stimmt." — „Ein Mädchen: 8 As." — „Auch das stimmt." — „Heu für den Maulesel: 2 As." — „Dieser Maulesel wird mich noch ruiniren!" Die verschiedene Weise, wie mau sich sonach bei den Römern hinsichtlich

der Einkehr behelfen mußte, veranschaulicht recht deutlich Plutarch im Leben des jüngeren Kato in folgenden Worten: Seine Reise (nach Asien) machte er auf diese Weise.

Mit Tagesanbruch schickte er seinen Bäcker und seinen Koch

nach dem Orte voraus, wo er einkehren wollte; diese begaben sich ruhig und

bescheiden in die Stadt, und wenn sich daselbst kein Freund seines Vaters oder ein Bekannter fand, so trafen sie im Wirthshause Anstalten zu seiner Aufnahme, ohne jemand zu belästigen; war aber kein Wirthshaus vorhanden, so wandten

sie sich an die Obrigkeit und nahmen gern das ihnen gegebene Unterkommen an. Da man ihnen aber nicht überall glaubte und sie vernachlässigte, weil sie vor

den Behörden weder lärmten noch drohten, so wurden sie oft von Kato einge­

holt, ehe sie etwas ausgerichtet hatten, und er selbst wurde über die Achsel an­ gesehen und für einen niedrigen und furchtsamen Menschen gehalten, da er sich

in solchen Fällen ruhig wartend auf sein Gepäck setzte.

Manchmal ließ er aber

54

Das

Reisen im Alterthume.

auch die Oberen vor sich fordern und sagte ihnen: „Ihr Urchöftichen, äubcrt Euere Unfreundlichkeit gegen die Fremden, und glaubt nicht, daß immer Leute,

wie ich, kommen.

Sucht vielmehr durch liebreiche Aufnahme ihr Ungestüm zu

besänftigeil, da sie nur einen Vorwand brauche!:, Euch dasjenige mit Gewalt zu nehmen, was ihr nicht freiwillig gebt." Auch die von Horaz in Gesellschaft Mäeen's nach Brundisiuni ge­

machte und launig beschriebene Reise trägt diesen gemischten Charakter. Horaz, der erst in Anxur mit Mäcenas zusammentrifft, macht die Reise bis dahin theils zu Fuße, theils auf dem Kanalboot, und übernachtet zlveimat in Wirths­

häusern. In Formiü wird die Gesellschaft von Murena ins Haus genommen,

während sie Kapito bewirthet.

Sodann bleiben sie in einer dem Staat ge­

hörigen Station und werden von den Pächtern derselberr kärglich versorgt.

Nun folgt eine glänzende Aufnahme im Landhause eines Koccejus, dagegen in

Bene Vent wieder Einkehr im Gasthofe.

Die Villa bei Trivicum endlich

war wahrscheinlich abermals eine öffentliche Station.

Die letzten sechs Reise­

tage wurden zu Wagen zurückgelegt. Vorher scheint die Gesellschaft geritten zu sein, da von bepackteil Maulthiereil die Rede ist.

Die Fußreisen wurdell bei

den: steigeilden Hange der späteren Römer zur Bequemlichkeit immer seltener,

und wer es machen konnte, pflegte lvenigstells zu reiten.

„Wenn ich ein reicher

und hochstrebeilder Mann wäre," schreibt Horaz, „so nmßte ich mehrere Knechte

und Pferde ullterhalten, Wageil anschaffen.

Jetzt fdim ich auf einem gestutztell

Maulesel, dem der Quersack die Lendeil wund drückt, der Reiter den Vorder­ bug, bis nach Tarent reiten."

Auch der ältere Kato pflegte nach Seneka

auf einem Gaule zu reiten und in einem Mantelsacke das Nöthige bei sich zu führen.

Wer sich lücht eigenes Geschirr halten kcuinte, bemchte gemiethete Wagen und

Thiere, dem: es gab allenthalben Vetturini, (deren Stationen aber stets vor den Stadtthoren lagen, da das Fahrer durch die Städte bei Tage verboten war) und man konnte durch Wechseln derselberl sogar recht schirell vorwärts

kommen.

Als Kaligula bei dem Verkauf der deil geächteten und Hingerich­

teten reichen Leuten gehörigen Güter und Mobiliell in Gallien ein glänzen­

des Geschäft gemacht hatte, da jedermann genöthigt war, um jeden Preis und weit über den Werth die Gegenstände zu erstehen, ließ er zu demselben Zwecke sich aus der Hauptstadt alles ältere Inventar des kaiserlichen Hofes nachkommen.

Sueton bemerkt dabei, es seien zu diesem Transport auch die Miethwagen in

der Nähe Norns gezwungen worden und es hättell dann wegen Marrgels cm Fuhrwerk viele Prozessuanten zum bestellteil Termiile nicht in Ronl erscheinen

können.

Auch von Cäsar erzählt Sueton, daß er vor dem entscheidenden

Uebergange über den Rubiko von Ravenna aus Maulthiere benutzt habe, die

er aus der nächsten Mühle miethete.

Und wie sollte es möglich gewesen sein,

daß derselbe „im Lohnwagen" täglich 100 römische = 20 deutsche Meilen machte, uni) so in 8 Tagen von Nom bis zur Rhone kam, ohne daß die Pferde

gewechselt wurden? Oder daß Glaueia, der die Botschaft von der Ermordung

des Roscius von Rom nach Ameria brachte, 11 Meilen in nicht ganz 10 Stunden zurücklegte?

Auch wenn Martial seinem Werke, das er einem

Freunde mit nach Spanien gab, voraussagte, es werde von Tarragona aus

mit dem fünften Kabriolet seine Vaterstadt Bilbilis erreichen, so meint er wahrscheinlich eben so viele Tagereisen mit verschiedenen Lohnkutschern. Endlich

wechselte auch Tiberius Nero nur dreimal die Pferde auf einer 40 deutsche Meilen langen Reise, welche nach Plinius Tag und Nacht fortging.

Hinsichtlich der Wagen trifft man bei den Römern bereits eine große

Mannigfaltigkeit und ein Wechseln der Mode.

Da giebt es Wagen gallischen,

belgischen und britischen Ursprungs, zweirädrige leichte Kabriolets, die besonders gern zur Reise verwendet und mit flinken Ponies gallischer Race bespannt wurden, vierrädrige Planwagen, deren Zugthiere der Reisende selbst lenkte, Gepäckfuhrwerke und Staatskarossen, die mit Platten von getriebenem Silber und

Gold geziert waren, und oft, wie Martial sagt, den Werth eines Landgutes hatten.

Seit der Zeit der ersten Kaiser kam auch die Sänfte zur Reise in Gebrauch, die in Griechenland nur von Frauen und Kranken benutzt wurde.

Sehr bequem

war es allerdings, auf weicher Matratze ausgestreckt, durch Baldachin und Vorhänge gegen Regen, Sonnenschein und Staub geschützt, von sechs oder acht

breitschulterigen Sklaven sich tragen zu lassen. Ja, Berres ließ sich seine Kissen mit Malteserrosen stopfen, und reiste mit einem Rosenkranz aus dem Haupt,

einen zweiten um den Hals, außerdem unterwegs ein kleines Netz voll Rosen in der Hand haltend! Welcher Luxus überhaupt in der späteren Zeit auch auf der Reise entfaltet wurde, welcher Troß von Dienerschaft die Herren begleitete, davon giebt eine Stelle Seneka's eine ausreichende Vorstellung.

„Jedermann

reist nun so," schreibt er an Lueilius, „daß nuniidische Reiter voransprengen,

eine Schaar von Läufern vor ihm hereilt.

Man hält es für eine Schande,

wenn nicht Leute dabei sind, welche die Begegnenden aus dem Wege, treiben,

welche durch eine große Staubwolke verkünden, daß ein anständiger Mann komme.

Jedermann hat jetzt Maulthiere, die krystallene und ciselirte Gefäße

vom großem Werthe tragen.

Es ist eine Schande, wenn es scheint, als habe

man Gepäck, das ohne Gefahr zusammengerüttelt werden könne.

Jedermanns

Pagen fahren mit eingesalbten Gesichtern, damit nicht Sonne oder Kälte der

zarten Haut schade.

Es ist eine Schande, wenn sich niemand unter den be­

gleitenden Lieblingssklaven findet, dessen gesundes Antlitz ein Pflaster nöthig

hat."

Dagegen sagt der Philosoph von seiner eigenen Reisebequemlichkeit:

„Der Wagen, auf den ich gestiegen bin, ist ein bäuerlicher; den Maulthieren sieht man es an, daß sie vom Spazierengehen leben; der Kutscher ist nicht des

56

Pas Reisen im Alterthume.

Sommers lvegen ohne Schuhe.

Kaum gewinne ich es über mich, dieses Fuhr­

werk für das meinige gelten zu lassen." Aber auch die Reisemanie blasirter Noblesse, das Jagen nach dem Pit­ toresken, Romantischen und Gefährlichell, nur um dell Kitzel der Abwechslung,

des Kontrastes zu genießen, findet in der damaligen Zeit würdige Vertreter, und man bedauert es fast, daß noch die stabilen Gestalten grämlicher Lords

und prüder Ladies fehlen mußten.

An einer allderen Stelle Seneka's heißt

es: „Es ist eine Eigenthülnlichkeit des Kranken, nichts lange zu dulden und die

Veränderung als Heilmittel zu brauchen; deshalb werdell weite Reisen unternoinmen und die Küsten des Meeres durchstreift, und bald versucht sich der

immer dem Gegenwärtigen feindliche Wankelmuth zu Meere, bald zu Lallde. Jetzt wollen wir Kampaniell besuchen! — Schon habe ich die kultivirten, üppigen Gegenden zum Ueberdruß; die Wildniß möchte ich sehen; laßt uns das

kalabrische Waldgebirge durchstöbern! Irgend etwas Angenehmes wird sich doch

in den Einöden finden lassen, wobei die verwöhnten Augen voll der ewigen

Rauhheit

schauderhafter Gegenden

sich

erholen?

Auf nach

Tarent!

Wir

wollen seinen gepriesenen Hafen besuchen, den Winteraufenthalt im dortigen

milderen Klima nehmen und in deir Wohnungen, die unseren Altvorderen recht prächtig vorkamen. Nun wieder die Route nach der Hauptstadt gerichtet! Schon allzulange haben meine Ohren des Lärms und Händeklatschens entbehrt; es

macht auch wieder Freude, sich an Menschenblut zu weiden!" Besonders in Aufnahme standen die Reisen in die verschiedenen Bäder, an denen Etrurien und Kampanien so reich waren.

Den Vorrang unter denselben behauptete

bekanntlich das zwischen Kumä und Puteoli gelegene Bajä, welches durch seine gesunde und reizende Lage, durch die Heilkraft seiner Schwefelbäder, die

Heiterkeit und Ungebundenheit der Lebensweise auch auf Vergnügungssüchtige und Wüstlinge große Anziehungskraft übte.

In außerordentlich gutem Zustande befanden sich die Landstraßen, in deren Anlegung die Römer für alle Zeiten Musterhaftes geleistet haben.

Die

Rücksicht auf den Staat, welchem eine bequeme Verbindung der gewonnenen

Provinzen mit dem Herzen des Reichs irothwendig war, führte zur Entwickelllng der Wegebaukunst, und mit der staunenswerthen Energie, welche das Römervolk überhaupt kennzeichnet, suchte man alle natürlichen Bodenverhält­

nisse, denen man sich in anderen Ländern gemüthlich anzubequemen pflegte, zu

bewältigen.

Wo sich Berge entgegenstellten, wurden sie durchbrochen, wo eine

Senkung des Bodens die gleichmäßige Fortführung des Weges störte, wurde

dieselbe durch feste Dämme ausgeglichen, wo tiefe Thalgründe und reißende

Ströme die direkt laufende Bahn durchschnitten, wurden sie mit kühnen Bogen überwölbt.

Erhöhte Fußwege zogen sich an beiden Seiten der soliden Heer­

straße hin, Auftrittsteine für die Reiter, Ruheplätze für die Wanderer, Meilen-

57

Das Reisen im Alterthume.

steine fehlten an den Hauptstraßen fast nirgends, rind herrliche Tempel, prächtige Familiengrabmaler, und hie iiub da stolze Triumphbögen bildeten gleichsam den Vordergrund des umgebenden Landschaftsgemüldes.

Großes Verdieirst in

dieser Beziehung erwarb sich vorzüglich der jüngere Gracchtls, der, wie

Plutarch sagt, bei Anlegung öffentlicher Straßen nicht nur auf den Nutzen, sondern auch auf die Bequemlichkeit und Schönheit fein Augenmerk richtete?)

Wie aber der Straßenbau durch politische Gründe gefördert wurde, so waren auch die unter Augtrstus entstehenden Posteinrichtungen, die schon lange

vorher im Orient, besonders im persischen Reiche, bekannt gewesen waren,

eine Folge des Zentralisationssystems.

Sueton berichtet, daß der erste Kaiser,

nur um schneller und leichter erfahren zu können, was in den Provinzen vor­

fiele, auf den Militürstraßen zuerst in gleicher Entfernung rüstige Boten und

dann Fuhrwerke aufgestellt habe.

Später scheiut vorzüglich Trajan die Post­

anstalt erweitert urrd verbessert zu haben.

Damals waren schon überall in der

Entfernung einer Tagreise Mansionen oder Stationen errichtet, mit Baulich­

keiten zum Nachtlager für die Reisenden, mit Scheunen, Stallungen, Bädern, sowie mit besonderen für die kaiserliche Familie bestimmten Räumen (palatia).

Zwischen diesen Hauptrastorten lagen je fünf bis acht Mutationen oder Posthaltereien, wo blos Pferdelvechsel stattfand. zu 40 Pferde, Maulesel uud Ochseu.

Auf jeder Mutation ftanben bis

Der Kourierdienst wicrde zu Pferde

(unser Wort „Pferd" verdankt der lateiinschen Bezeichnung des Postpferdes:

veredus und paraveredus, und diese wieder dem keltischen vehorrheda den

Ursprung) geleistet, und die Kouriere, deren jede Statioir nicht mehr als täg­ lich fünf bis sechs befördern durfte, führten die Depeschen ni einem Felleisen

bei sich, dessen Gewicht zuerst auf 30, dann auf 100 Pfund bestimmt ward, Seit der Zeit der

und ließen sich gewöhnlich von einem Postillon begleiten.

Antonine wurden auch Lasten bis zu 15 Zentnern in größeren, mit Ochsen

bespannten Wagen durch die kaiserliche Post befördert.

Uns iilleressirt hier

vorzugsweise das Expediren der Reisenden durch die Extrapost (denn vor:

Diligencen, Eilwagen, Journalißren ist noch keine Rede).

Das Maaß und

die Tragkraft der Reisewagerr war erstlich genau bestimmt, und die Stellmacher verfielen in hohe Strafe, wenn sie dieses Gesetz nicht einhielten.

Vierrädrige

Wagen sollten zehn Zentner Last tragen, und im Sommer mit acht, im Winter mit zehn Pferden oder Maulthieren bespannt werden; zweirädrige mit zwei Centner Last dreispännig fahren.

Die Mitte zwischen beiden hielt ein leichter

vierräderiger Wagen, der bis zu sechs Zentnern halten sollte. Personen dursten

höchstens drei auf einem Wagen sitzen.

Von der ersten Art wurde freilich tüg-

*) Ueber die Sicherheit der griechischen und römischen Straßen vergl. II. Band. XII.

58

Das Reisen im Alterthume.

lich nur ein Wagen befördert, und es war dabei streng verpönt, weiter als 500 Schritte von der Heerstraße abzubiegen. Trotzdem wäre diese Eillrichtung schon recht bequem und zweckmäßig zu neunen, wenn nicht das ganze Institut nur von Staatsbeamten hätte benutzt werden dürfen. Ausschließlich die Beamten für besondere Aufträge, die höheren Provinzialbehörden, die Richter, insbesondere Militürpersonen, hatten die Er­ laubniß, die kaiserliche Post in Anspruch zu nehmen, sowie auf den Staüonen Pflege, Beköstigung, Fourage, $Bagen, Pferde und in besonderen Füllen auch bewaffnetes Geleite — und zwar alles unentgeltlich — zu verlangen. Wenn nicht der Charakter der Sendung unzweifelhaft offiziell war, entnahm der Reisende ein Diplonl zu seiner Legitimation, auf dem stets die Zahl der Pferde, die Art der Beköstigung und die Dauer der Giltigkeit des Passes genau ver­ zeichnet stand. Dieser Ferman trug den Ramen des Kaisers an der Spitze, und wurde von höheren, im Rechte der Verleihung oft wechselnden Beamten aus­ gestellt. Zuweilen, wie nach Otho's Tode, wollte man beim Regierungsan­ tritt eines neuen Kaisers die Diplome des Vorgängers nicht gelten lassen. Die meisten Kaiser nahmen es mit Ertheilnng der Diplome sehr genau, und es ist demnach nicht übertriebene Aengstlichkeit, toenn der jüngere Plinius, als Statthalter von Bithyuien, fast über jeden Postschein, den er unterzeichnet hat, dem Kaiser Trajan Meldung macht, und sich sogar entschuldigt, daß er seiner Gemahlin zu einer wichtigen Reise ein Diplom ausstellte. Als er an­ sragte, ob auch solche Diplome, deren Termin abgelaufen, noch zu berück­ sichtigen seien, antwortete der Fürst: dergleichen dürften nicht knrsiren, und es würde deshalb eine seiner ersten Sorgen fein, in alle Provinzen neue Post­ scheine zu senden, bevor sie dort au3gingen. Privatpersonen konnten nur ganz ausnahmsweise eine solche Urkunde erhaschen. Der Kaiser Julian schickte wohl seinen Freunden Eustachius, Basilius, Aetius, Maximus, die er bei sich sehen wollte, Diplome, und auch der unter Theodosius lebende Symmachus erwirkte für seine nach Büren und edeln Rossen ausgesendeten Boten Postfreiheit von befreundeten Beamten; allein sonst fehlt es beinahe ganz an Erwühnung, unb nur als Reisegefährte eines kaiserlichen Dieners konnte der Privatmann das Postinstitut genießen, was der Kaiser Konstantin der Große, „zum Schutze des Lebens und zur Erleichterung des Ungemachs" aus­ drücklich erlaubt, während er auf den Verkauf des Diploms Verbannung setzt. Trotz aller Strenge, mit der die Post beaufsichtigt wurde, gelang es dennoch vielen Leuten, die „postunfähig" waren, Postscheine zu erlangen, indem nicht nur die Statthalter und deren Untergebene vielfachen Mißbrauch trieben und die Post geradezu ausbeuteten, sondern auch die vom Präfekten der Leibwache und dem Minister des kaiserlichen Hauses, als obersten Instanzen, abgesandten und besonders besoldeten geheimen Kommissäre (curiosi), anstatt instruktionsgemäß

die Gouverneure, Postmeister und Reisenden zu kontroliren, mit den Statt­

haltern gemeinschaftliche Sache machten rmd ebenfalls Postscheine für Geld

ausstellteil. Das Schlinnnstc dabei war, daß nicht die kaiserliche Kasse, sondern die armen Provinzialen die Geplagten mit) Betrogenen waren.

Die Unter­

haltungskosten der ganzen Post hatten nünilich die Provinzen zu bestreiten, und

nur einzelne Kaiser, die sich beim Volke beliebt machen wollten, wie Nerva, Hadrian, Antoninus Pius und Severus, nahmen wenigstens die An­ schaffung der Zugthiere und Wagen und die Besoldung der höheren Beamten

auf das Konto des kaiserlichen Schatzes. Die Unterhaltungskosten der Gebäude,

die Anstellung der Postillone (von denen jeder drei Pferde unter sich hatte), die Lieferung von Futter und Lebensmitteln lasteten auch in diesen Zeiten auf den Gemeinden und besonders den vielgeplagten Munizipalsenatoren.

Wie bitterer

Hohn klingt es dazu, wenn Kaiser Valens geruht, den Lieferanten als „Trost" den Dünger der Poststülle zu überlassen! Nun muß mau aber noch außerdem

hinzurechnen, daß auch auf allen Nebenstraßen, wo sich keine regelmäßige Post­ verbindung befand, imnier eine Anzahl von Pferden von den Ortsbehörden in Bereitschaft gehalten werden mußte, um außerordentliche Agenten und

Militärbeamte

expediren.

zu

Besonders

durch

willkürliche

Erpressung

dieser Klasse von Pferden kanien die Provinzen so herunter, daß der KaiserKonstantin auf seinen Reisen kaum je 20 Pferde auftreibeu konnte.

Nach Ammian

gingen

viele Familien

durch die Postlieferungen zu

Grunde, und die Kaiser selbst gestanden zu, daß durch die Habsucht Einiger dem Vermögen der Provinzialen im Ganzen großer Verlust zugefügt werde.

Am meisten korrumpirt war das Postwesen kurz vor Konstantin und Julian.

Ammian behauptet, daß es besonders Konstantius dadurch herabgebracht habe,

daß er den „schaarenlveise von Synode zu Synode herumreisenden

Bischöfen" die Benutzung der Post gestattete.

Der Sophist Libanios schreibt,

daß in jener Zeit die Maulthiere kaum zum Stehen und an die Krippe kamen, daß Schläge nichts mehr fruchteten, und daß man 20 und noch mehr vor einen Wagen spannen mußte. Im Winter wurde die Postverbindung oft auf ganzen Strecken total unterbrochen, indem die Postillone entliefen und die Thiere

zu Boden lagen.

Die Mißhandlung der Thiere, besonders das Schlagen

derselben mit Knitteln, suchten die Kaiser mehrmals zu hindern, wie auch den Postillonen zu

helfen,

denen übermüthige Passagiere

oft die Mäntel

herabrissen, um sich derselben als Decken zu bedienen! Die regelmäßige Schnel­

ligkeit der Extrapost kam übrigens der unserer Eilwagen ungefähr gleich. Den

Weg von Antiochia bis Konstantinopel (etwa 100 Meilen) legte man nach Libanios in nicht vollen 6 Tagen zurück.

spricht

dagegen von

zehnfacher Geschwindigkeit.

Der Byzantiner Prokop Desto

dagegen die Reisen in barbarischen Ländern von Statten.

langsamer

gingen

Aristeides reiste

60

Das Reisen im Alterthume.

von Adriani

bei Pergamum

quer

durch

Thrakien

nach

Rom in

100 Tagen! Dort herrschte auch Mangel an Wirthshäusern und die Ein­

geborenen wollten sich nicht einmal gern zil Wegweisern hergeben. Schließlich sei noch erwähnt, daß Plinius, der Aeltere, berichtet, der Diktator Julius Cäsar habe nach einem gefährlichen Sturze des Wagens

sich jedesmal, sobald er sich in den Reisewagen gesetzt, durch einen dreimal wiederholten Zauberspruch eine glückliche Reise zu sichern bestrebt, „was, wie

wir wissen, jetzt die Meisten thun."

V. Die geselligen Spiele der Griechen und Römer. 0

Betrachtung der verschiedenen Weisen der Unterhaltung, durch welche die einzelnen Völker theils ni der Jugend der erwachenden Phantasie

mit) den sich entwickelnden Kräften des Körpers leichte und angenehme Uebung bereiten, theils im spateren Alter dem vom Ernste des Lebens, von den Arbeiten und Sorgen des Berufes ermüdeten und abgestumpften Geist Er­

holung und Heiterkeit verschaffen, ergiebt auf der einen Seite, daß in den ent­ ferntesten Landern und Zeiten die Menschen sich in der Wahl der Mittel, um die Zeit zu vertändeln, oft in überraschender Weise gleichen, zeigt aber auch

andererseits, wie die Verschiedenheiten der Nationalcharaktere sich nicht selten in der Kurzweil und dem Zeitvertreib jedes Alters wiederspiegeln und ausprägen.

Als Unterschied zwischen uns und den beiden klassischen Völkern des Alterthums stellt sich hierbei sofort heraus, daß bei diesen durch Sitte und Gesetz eine

größere Berücksichtigung der natürlichen Rechte des Körpers, ein spezielles Hinarbeiten ans dynamische und ästhetische Hebung des äußeren Menschen auch

im Spiele hervortritt. Das erste Spielzeug, welches den Kindern in die Hände gegeben wurde, bestand aus kleinen, klimpernden Metallsachen.

In Rom beschenkte man die

Kleinen damit sogleich am neunten Tage nach der Geburt, wo die mit der Bei­ legung des Namens verbundene Sühn- und Reinigungsfeier stattfand. Plautus

nennt in einem Lustspiel: ein goldenes Schwertchen mit des Vaters Namen,

eine kleine goldene Axt mit dem Namen der Mutter, zwei verschlungene Händ­ chen, ein silbernes Schweinchen, einen goldenen kleinen Mond und ein Ringel­ chen.

Selbst von den Sklaven des Hauses verlangte es der gute Ton, den

Kindern solche Geschenkchen von ihren sauer verdienten Sparpfennigen zu

machen und deshalb klagt der Sklave Davus im „Phormio" des Terenz:

62

Die geselligen Spiele der Griechen, und Römer.

„Was Hellerweise der Arme von seinem Deputate seinem Munde abdarbend gegespart hat, das wird die Herrin auf einmal raffen, ohne an die Mühe des Erwerbes zu denken; dann wird er um ein anderes Geschenk geprellt werden bei der Niederkunft; dann wieder um ein anderes, wenn des Kindes Geburts­

tag ist, wenn sie es in die Bürgerrolle einschreiben lassen." Gewöhnlich trugen die Kleinen diese Gegenstände um den Hals, und es dienten oft dieselben zur

Wiedererkeirnung ausgesetzter oder geraubter Kinder. Außerdem gab man ihnen zur Beruhigung und Unterhaltung die Klapper, besonders von derjenigen Kon­ struktion, wie sie nach Aristoteles der Kinderfreund Archytas, jener aus­

gezeichnete großgriechische Staatsmann, Feldherr, Philosoph und Mathematiker, erfunden haben soll.

Daran reihte sich nun für die Erwachseneren allerhand

Spielgerät, das theils auf dem Markte zu kaufen war, theils von den Kindern selbst verfertigt wurde. Unter den käuflicherr Waaren stehen voran die Puppen,

die freilich nicht, wie bei uns, aus angeputzten Bälgen bestanden, sondern aus

Thon geformt und bemalt waren.

Aber die Thonbildnerei war bei den Alten

ein zu einem bedeutenden Kunstzweige veredeltes Handwerk, und die Anmuth

und Schönheit der Formen konnte wol für die größere Naturähnlichkeit der

heutigen Fabrikate dieser Art entschädigen.

Es haben sich gerade in anttken

Kiirdergräbern nicht nur kleine menschliche Gestalten aus Terrakotta, auch wirk­ liche Gliederpuppen gefunden, sondern auch Thierfiguren, Hasen, Schildkröten, Enten, Affen. Auch Don den griechischen Schriftstellern werden die Thorrpuppen

hier und da erwähnt. So wirft der Redner Demosthenes seinen Landsleuten

im Unmuth über ihre Schlaffheit und Sorglosigkeit vor, daß sie ihre Miliz­

obersten und Generale nicht zum Kriege, sondern, wie die Puppenbildner ihre thönernen, nur zum Paradiren auf dem Markte erwählten. Auch Lukian sagt zu einem Redner, der nach schwierigen und seltenen Ausdrücken hascht: „Ohne es zu wissen, bist Du den Figuren ähnlich, die von den Puppenfabrikanten zum

Verkaufe gefertigt werden:

äußerlich roth und blau gefärbt, inwendig aber

thönern und zerbrechlich." In Rom gab es im Dezember ein besonderes Bilder­ und Puppenfest, an dem die Kinder mit Figürchen aus Thon oder Erz beschenkt

wurden.

Wohlbekannt war ferner das Wägelchen aus Holz und Leder.

Ein

Vasenbild zeigt noch ein solches an der Hand eines Kllaberr, der mit Backwerk

einen Hund an sich lockt.

So sagt auch in den „Wolken" des Aristophanes

ein Vater zu seinem Sohne: „Einst kauft' ich auch Dir Kind im sechsten Jährlich weiß Du lalltest noch, Vom ersten Obol, den ich als Nichtersold erhielt Am Diasien-Fest ein kleines schönes Wägelchen."

Die Mädchen bekamen auch kleine Bettgestelle, und nach des Pausanias Beschreibung befand sich unter den Sehenswürdigkeiten des Junotempels zu

63

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

Olympia ein mit Elfenbein verziertes Bettchen, in das einst die vielwnfreite

elische Prinzessin Hippodameia ihre Puppen gelegt haben sollte.

Die eigene

Erfindungsgabe der hellenischen Kinder bezeugt Aristophanes, indem er den­

selben Vater dem Sokrates gegeilüber von seinem Sohne rühmen läßt: „Nimm unbedenklich ihn in die Lehr^: er hat Genie. Er war noch so ein winzig Knäbchen, da bildet' er Schon Wachs zu Häusern, schnitzte Schiff' und zimmerte Aus Leder Wagen; aus Granatenschalen ließ Er Frösch' entstehen."

Auch Lukian erzählt von sich, daß ihn sein Vater anfangs zu einem

plastischen Künstler bestimmt habe, weil er zunr Aerger der Lehrer Rinder, Pferde und Menschen aus Wachs modellirt habe.

Schon damals imponirte

auch der Seele des Kindes in hohem Grade der hoch zu Roß galoppirende Reiter, und es griff zum Rohrstecken, als dem urältesten Surrogat für das

Geschenk Poseidons.

Von Agesilaos, der überhaupt seinen Kindern ein

ungemein zärtlicher Vater war, berichten Aelian und Plutarch übereinstim­ mend, daß er in Gesellschaft seiner Kinder auf dem Rohre im Hause herum­

geritten sei, und einen seiner Freunde, der dies gesehen, gebeten habe, nicht

eher jemand etwas davon zu sagen, als bis er selbst Kinder hätte.

Das auch

die römischen Kinder dieselben Unterhaltullgen liebteil, sehen wir airs Horaz,

der es als eine Thorheit für einen Erwachsenen bezeichnet, wenn er sein Ver­ gnügen daran fünde, „Niedliche Häuser zu bauen, zu schirren an Wägelchen Mäuse, Spieleu das „Gleich Ungleich", auf ragendem Stecken zu reiten."

Das hierbei mit erwähnte „Gleich und Ungleich" bestand darin, daß der eine Spielende eine Anzahl Bohnen oder Nüsse in die Hand nahm und den

Gegner rathen ließ, ob die Zahl eine gerade oder ungerade wäre, oder man

ließ auch auf die bestimmte Zahl rathen und der Mitspielende gewarur in beiden

Füllen, wenn er glücklich traf, die in der Hand enthaltene Summe.

Anstatt

der gerrannten Früchte bedienten sich die Knaben auch sehr häufig der Astragalen,

länglicher, aus den Sprungbeinen gewisser Thierfersen gefertigter Würfel, auf die wir später zurückkommen werden.

Das Spiel gewann durch dieselben auch

noch die Veränderung, daß man die Augen des Wurfes mit den Händen bedeckte

und den Kameraden dann die Zahl nennen ließ.

Natürlich war es riskanter

und kam seltener vor, daß die Angabe der bestimmten Zahl verlangt wurde. Deshalb heißt es auch bei Aristoteles: „Es dürfte wol bei diesen Spielen jemand besseres Glück haben, wenn er: „gerade" oder „ungerade" antwortet,

als wie viel der Gegner habe, und wenn er sagt, daß es so sein wird, als wenn

er angiebt, wann? Wie alt das Astragalenspiel sei, erhellt, wenn man in der

64

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

Jliade Homer's lieft, daß Patroklos als Knabe den Sohn des Amphi-

damas im Streite beim Astragalenspiel getödtet habe. Bekannt ist die Anekdote

aus der Jugend des Alkibiades, der in knabenhaftem Trotze einen Fuhrmann zum Halten zwang,, welcher ihn im Würfelspiele gestört hatte.

Im Anfänge

des Platonischen Dialogs, der den Titel Lysis führt, vergnügeir sich in einer

Ringschule am Hermesfeste die jüngeren Knaben cm demselben Spiele, „indem sie eine Menge Knöchel aus Körben hervorholten." Aber trotzdem, daß Horaz

das Grad und Ungrad unter die Beweise der Verkehrtheit rechnet, scheueten sich

doch zuweilen selbst die Erwachsenen nicht, zu dieser Art von Hasardspiel zu greifen.

So hören wir von Sueton, daß Augustus manchmal jedem Tisch­

genossen 250 Denare gegeben habe, wenn sie vielleicht Würfel oder Grad und Ungrad spielen wollten.

Kunstdarstellungen von Kindern, welche mit Astra­

galenspiel beschäftigt sind, kommen nicht selten vor.

Vom genialen Bildhauer

Polyklet standen im Palaste des Kaisers Titus zwei knöchelspielende Knaben, die von einigen für das vollendetste seiner Werke gehalten wurden.

Ein pom-

pejanisches Wandgemälde zeigt die Kinder des Jason mit diesem Spiel sich

unterhaltered, während Med eia bereits mit gezücktem Schwerte ihr Leben

bedroht.

Die jungen Mädchen benutzten die Knöchel rwch zu einem anderen

Zeitvertreibe oder als Orakel, indem sie fünf derselben auf die iunere Hand­ fläche legten, dann in die Höhe warfen und mit der äußeren Fläche wieder auf­

fingen. Auch zu diesem Spiele, das heute noch vielfach getrieben wird, mangelt cs reicht an bildlichen Darstellungen aus dem Alterthume. Am liebsten belustig-

tere sich aber Knaben und Mädchere mit den verschiedereen Nüssespielen.

„Die

Nüsse verlassen" heißt geradezu so viel wie „aus dere Kinderschuheie treten" und

besonders in den Saturualien, wo die großen Leute hasardirten, machten es ihnen

die Kleinen mit Nüssen nach, weshalb Martial vviu Ende dieser Ferien sagt: „Der Knabe läßt die Nüsse schon im Stiche Und folgt betrübt dem lauten Ruf des Lehrers."

Unter Ovides Namen ist noch eine Elegie über die Nuß vorhanden, welche die verschiedenen Arten des Spieles angiebt.

Hiernach suchte man entweder die

Nuß durch einen geschickten Schlag oder Druck zu spalten, oder es wurden drei

Nüsse neben einander gelegt und der Spielende mußte eine vierte so geschickt darauf werfen oder fallen lassen, daß sie auf ihnen liegen blieb, wodurch die­ selben gewonnen waren, oder man ließ, wie in manchen Gegenden mit den

Ostereiern geschieht, seine Nuß tion einem schräg liegenden Bret hinabrolleu,

um eine der unten befindlichen Nüsse zu treffen, oder man zielte mit der Nuß nach einem mit Parallellinien durchzogenerr Dreieck, wobei es galt, so viel als

möglich Linien zu überspringen ohne das Dreieck zu verlassen, oder man warf

aus gewisser Entfernung nach einem Topfe oder einem Loche, oder man spielte

damit Gerad und Ungerad.

Viel mehr Lärm als die erwähnteir Spiele ver­

ursachte das Treiben des Spielreifs.

Er bestand nämlich aus Eisen, war mit

vielen klirrender! Ringen behangen und wurde durch eineu mit gekrümmter

eiserner Spitze versehenen Trcibstecken in Bewegung gesetzt. „Klingend herum im geräumigen Reife sich kehret das Ringlein! Daß dem geschwätzigen Rad weich' die begegnende Meng'",

heißt es bei Martial.

Uebrigens scheint der Gebrauch dieses Spielreifs von

Griechenland nach Rom gewandert zu sein, weil ihn Horaz nicht ohne ver­

ächtlichen Accent den „griechischen" nennt. Dagegen war wahrscheinlich den Kindern beider Nationen von Alters her gemein der durch die Peitsche getriebene Kreisel, von dem Virgil sagt: „So wie ost von dem Schlage geschnellt, umflieget ein Kreisel, Den hi gewaltigem Kreis um offene Flächen des Saales Knaben, zum Spiele geschaart, umdrehn; da die Schnur ihn entsendet, Rollt er gewirbelte Läufe dahin; unkundig von oben Starrt der kindliche Schwarm und bewundert das schnurrende Buxholz; Streich beseelt es auf Streich."

Auf Bildwerkeu erscheinen oft Knaben, mit Enten, Günsen und Schwänen

spielend.

Auch haben sie kleinere Vögel und Käfer an Fäden gebunden und

lassen sie fliegen; selbst der Drache oder „Adler" koinmt vor.

Sehr beliebt bei

Knaben und Mädchen war ferner die Strickschaukel, die man oft abgebildet

sieht; es findet sich aber auch bereits der bequemere, an vier Stricken hängende Schaukelstuhl! Unter einer Menge geselliger Kinderspiele, die eine überraschende Aehnlichkeit mit den heute uoch üblichen haben, findet sich in deni lexikographischen Werkedes griechischen Sophisten Pollux auch ein Blindekuhspiel aufgeführt,

das er „eherne Fliege" (entsprechend dem italienischen mosca ceca) benennt und folgendermaßen beschreibt: „Man verhüllt einem Kinde mit einer Binde

die Augen; es dreht sich dann herum und ruft: Ich werde eine eherne Fliege jagen!

Die anderen antworten darauf:

Du wirst sie wol jagen, aber nicht

fangen! und schlagen den Blinden mit ledernen Riemen, bis er einen von ihnen

fängt."

Ein ganz ähnliches Spiel ist das sogenannte Maallaufen, wobei ein

Knabe mit verbundenen Augen auf dem Maale sitzt, während die anderen sich verstecken.

Wenn nun der sitzende Knabe aufsteht, um zu suchen, laufen alle

dem Maale zu; der letzte aber pflegt gegriffen zu werden und kommt dann an

die Stelle des Sitzenden. Dann gab es aber auch einen Massenwettkampf im Laufen.

Hierbei stand die spielende Schaar da, durch eine in der Mitte durch­

laufende Linie in zwei Theile getrennt. Dann warf ein Knabe unter dem Rufe „Tag! Nacht!" eine auf der einen Seite schwarz bemalte, auf der andern weiß G ö l l, Kulturbilder. I.

5

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

66

gelassene Scheibe oder Muschel in die Höhe; kam die Tagseite nach oben zu

liegen, so mußte die Gegenpartei, im umgekehrten Falle die des Knaben die

Flucht ergreifen.

Auch unser Plumpsackspiel beschreibt Pollux mit geringer

Abänderung. Eine recht beliebte Unterhaltung der Knaben war ferner das Königsspiel, durch welches ja bekanntlich Herodot die Erkennung des jungen Kyros her­

beigeführt werden läßt. Noch über Nero wird von Sueton erzählt: „Seinen

Stiefsohn Rufius Krispinus, der noch ein Knabe war, ließ er während des Fischens ins Meer werfen, weil man von ihm sagte, daß er das Anführer­

und Kaiserspiel sehr liebte."

Auch bei Lauf- und Ballspielen pflegte der Ge­

winnende König genannt zu werden und dies hat Horaz im Sinne, wenn er sagt: „Bei den spielenden Knaben heißt es: Wenn Du es recht machst, wirst Du König sein." Größere Knaben belustigten sich auch mit Vogelschießen. Auf

einem Vasenbilde dient drei Jünglingen, die sich im Bogenschießen üben, ein

auf einet Säule aufgestellter Hahn als Ziel.

In Pompeji und Herkulanum

hat man auch Gemälde gefunden, auf denen das heutige Versteckspiel und ein

Zieh- oder Zerrspiel nicht zu verkennen sind.

Daß aber die Knaben von dem

öffentlichen Leben der alten Staaten nicht unberührt blieben, und in ihren Spielen sich wol bestrebten, das Verfahren der Richter, Volksredner und

Magistrate, das so offen vor ihren Augen lag, nachzuahmen, läßt sich leicht voraussetzen.

Aus dem Leben des jüngeren Kato erzählt Plutarch nach­

stehende Episode, die das Gesagte bestätigt.

Es lud ihn einmal einer seiner

Verwandten, der seinen Geburtstag beging, nebst anderen Knaben zu einer

Mahlzeit ein, und die Knaben begaben sich, um sich die Zeit nach ihrer Art zu vertreiben, in einen abgelegenen Theil des Hauses.

Dort begannen sie mit

einander ein Spiel, bei welchem einige die Richter, andere die Ankläger und noch andere die Gerichtsdiener vorstellten. Einer aus den Verurtheilten, ein

schöner Knabe, der von einem älteren in ein Zimmer geführt und dort einge­ sperrt worden war, rief Kato's Beistand an; dieser (der wahrscheinlich die

Rolle des Volkstribunen spielte) unterrichtete sich über das Geschehene, ging dann zur Thüre,

Knaben.

stieß die davor Wachehaltenden hinweg und

erlöste den

Dann führte er ihn zornig nach Hause und die übrigen Kinder

begleiteten ihn. Endlich muß hier noch des Ballspieles gedacht werden, das zugleich als

ein allen Altersklassen gemeinsames den Uebergang zu den geselligen Spielen

der Erwachsenen bildete.

Die Knaben trieben es auf den öffentlichen Plätzen,

in Rom besonders auf dem Forum vor den Tabernen der Fleischer. Haupt war das Ballspiel in den Straßen Roms sehr häufig.

Ueber-

Bei Plautus

droht im „Curculio" der Parasit: „Alle, die auf der Straße Ball spielen, die ihn schlagen und die ihn machen, alle werde ich niedertreten."

Wie hätte auch

der Jurist Ulpian den Fall aufstellen können, daß, während einige Ball

spielten, ein zu stark getriebener Ball in die Bude eines Barbiers flöge und der Hand desselben, welche gerade mit dem Rasirmesser den Bart eines Sklaven

bearbeitete, einen solchen Stoß versetzte, daß sie die Gurgel des Sklaven durch­ schnitt?

Jeder Knabe, der einen Fehler beim Ballspiel machte, mußte seine

Wade darbieten, um einen Schlag darauf zu empfangen. Der als Theilnehmer an der Kaülinarischen Verschwörung bekannte Lentulus, ein unsittlicher und

gewissenloser Mensch, welcher sich als Quästor unter Sulla Veruntreuungen

hatte zu Schulden kommen lassen, bewirkte seine Freisprechung nur durch den Spaß, daß er den Richtern statt jeder Vertheidigung die Wade anbot. Die Mädchen waren in Griechenland vom Ballspiel ausgeschlossen; nur in Sparta nahmen sie an diesem, wie an allen anderen gymnastischen Uebungen Theil.

Auch den römischen Mädchen verbietet Ovid das Ballspiel; dafür beschreibt er

ein Mädchenspiel, wozu Bälle benutzt wurden, ungefähr mit folgenden Worten: „Rundliche Bäll' fest liegen im Grunde des offenen Netzes; Nimmst Du nun einen heraus, rühr' sich kein anderer Ball!"

In der Kaiserzeit emanzipirte sich das schöne Geschlecht in vielen Stücken, und wenn sich Mädchen und Weiber nicht scheuten, im Cirkus aufzutreten, so gab es gewiß sehr viele, die sich nach der vom sinnlichen Properz bewunderten

Weise der Lakonierinnen der Sitte ihres Geschlechtes entzogen und, wie Philänis bei Martial, hochgeschürzt am Ballspiel theilnahmen.

Im heroischen

Zeitalter, wo die Stellung der Frauen eine weit freiere war, fällt es freilich

nicht ans, die phäakische Königstochter Nausikaa mit ihren Sklavinnen nach Vollendung der Wäsche und des Mahles das Ballspiel treiben zu sehen.

Man

suchte sich dort gegenseitig zu treffen, und Nausikaa wurde herzlich verlacht,

als ihr Ball am Ziele vorüber ins Wasser flog. Ueberhaupt waren die Phäaken geschickte Ballspieler, und Homer schilderte eine Art ihres mit Tanz verbun­ denen Ballspieles also: „Einer den Ball sortschleudert empor zu den schattigen Wolken Hinlergebeugt; und der andere hoch von der Erde sich hebend Fing ihn behende, bevor mit den Füßen den Boden er rührte."

In der historischen Zeit suchte man im Ballspiel nicht bloß Zeitvertreib und Erholung, sondern benutzte es als ein von den Aerzten empfohlenes diäte­ tisches Mittel zur Stärkung der Glieder, und besonders zur Entwickelung kör­

perlicher Gewandtheit und Anmuth.

Der Arzt Galenus schrieb sogar eine

Abhandlung über die Vortheile des Spieles mit kleinen Bällen, und in den Gymnasien ertheilte ein besonderer Lehrer in dieser Kunst Unterricht. Und nicht

bloß der Jugend blieb diese leichteste Art der Gymnastik überlassen; auch ernste

5*

in Amt unb Würden stehende Männer, die bei uns ihren Körper durch einen kurzen Spaziergang Genüge zu leisten glauben und demselben außerdem höchstens eine Partie Kegel oder Billard gönnen, befleißigten sich vor dem täglichen Bade außer anderen Uebungen auch des Ballwerfens. Alexander der Große war ein leidenschaftlicher Jünger der Kunst, und seinen Partner, den Karystier Aristonikos, machten die Athener wegen seiner Virtuosität zum Bürger und errichteten ihnr ein Standbild. Der berühmte römische Rechtsgelehrte Mucins Scävola, Cäsar, der Kaiser Antoninns, der Philosoph, und Alexander Severus übten sich regelmäßig im Ballspiel, der jüngere Kato trieb es am Tage, wo er als Bewerber um die Prätur durchgefallen war. Vom Kaiser Augustus schreibt Sueton sogar tadelnd: „Die Uebungen im Reiten und Fechten auf dem Marsfelde unterließ er sogleich nach den Bürgerkriegen, und ging anfangs zu Ball und Ballon über, bald aber trieb er nichts anderes als Fahren und Spazierengehen." Denn das Spazierengehen begann zwar in der Kaiserzeit sich einzubürgern und wird von Seneka warm enlpfohlen. Wie aber die frühere Zeit darüber dachte, theilt uns Aelian mit. „Als die Lakedämonier", schreibt er, „während des peloponnesischen Krieges die attische Stadt Dekeleia besetzt hielten, Pflegte die Garnison abendliche Spaziergänge zu machen." Da entboten ihnen die Ephoren: „Geht nicht spazieren! Spartaner sollen nicht durch Herum­ gehen, sondern dnrch gymnastische Hebungen sich Gesundheit verschaffen." Wenn Cicero sich rühmt, daß er alle Mußezeit, die andere auf Ballspiel rmd andere Dinge verwendeten, den wissenschaftlichen Studien widme, so scheiirt er beinahe hierin eine Ausnahme gebildet 511 haben. In den Häusern und Villen der Reichen, so wie in den öffentlichen Bädern gab es deshalb für das Ballspiel bestimmte Lokale, in denen nebenbei anch andere Leibesübungen vorgenom­ men wurden. Bei den Phäaken war der Ball aus Purpilrwolle gewirkt. Später bediente man sich lederner Bälle von verschiedener Farbe, die mit Federn, Wolle oder Feigenkörnern gestopft, oder nur dnrch Luft aufgeblasen waren. Je nach der Größe zerfiel das Spiel in verschiedene Klassen. Die Kunstverständigen gaben die Vorschrift, daß beim Spiel mit großen Bällen die Hände nicht über die Kopfhöhe, bei dem mit den kleineren nicht über die Schulterhöhe gehoben wer­ den durften. Die schon von Honrer erwähnte Spielweise lebte auch später fort. Eine andere Art, zu der sich unsere Gumyübälle außerordentlich geeignet haben würden, war auf die Elastizität der Bälle berechnet. Man schleuderte nämlich entweder den Ball mit Kraft senkrecht auf den Boderl, so daß er zurück­ prallte, worauf er mit der flacherr Hand anfgefangen benfefben Weg fortsetzte, ober man warf ihn in schräger Richtung auf bie Erbe nnb zählte seine Sprünge, worauf ihn ein Mitspieler auffing nnb sofort wieber zurücktrieb. Dann würbe auch, wie bei uns, ber Ball gegen bie Wanb geschleubert unb wieber aufgefangen.

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

69

Wer ihn am öftesten Hintereinalider in der Hand behielt, hieß „König", der Be­

siegte „Esel". Dagegen war ein Partiespiel der sogenannte Episkyros, der in Sparta besonders beliebt war.

Die Gesellschaft theilte sich in zwei gleiche

Parteien, die durch einen Strich oder eine Steinreihe getrennt wurden.

Zwei

ähnliche Striche deuteten die Grenze an, hinter welche sie beim Auffangen des

Balles nicht zurückweichen durften.

Das Zuwerfen und Auffangen, wobei jede

Seite sich cmftmigtc, den aufgefangenen Ball über die Gegner lmd deren Grenz­

linie hinauszllwerfen, wurde daun so lauge fortgesetzt, bis die eine oder die andere Partei Hüller ihre Denrarkationslinie zurückgetrieben war. Das griechische

Spiel mit großen luftgefüllten Bällen, die mit der Faust oder dem Arme parirt und zurückgeschlagen wurdell, unterschied sich wol nicht viel vonr römischen Ballonspiel, das der Bischof Jsidorus von Sevilla ein Ellbogenspml nennt, und zu dem nach gewissen Andeutungen auch Fausthandschuhe erforderlich waren.

Da die Ballons leer waren, bedurften sie nur einer mäßigen Anstreligung, und das Spiel trieben Greise und Knaben.

Martial giebt daher dem Ballon, als

Saturnaliengeschenk, die Devise bei:

„Jünglinge, bleibet mir fern! Ich gehöre dem weicheren Alter. Greisen und Knabeir allein ziemt es zu spielen Ballon." Das Spiel mit dem kleinen, mit Haaren gestopften, bunten Balle (pila),

neben dem jedoch eine etwas größere mit Federn gefüllte Sorte (paganica) vörkommt, war theils mit Auffangen der Bälle verbündet:, theils mit sofortigem

Zurückschlagen ohne die Hand zu schließen. Einiges über die Theorie des ganzen Spieles findet sich bei Seneka in der Schrift über die Wohlthaten, wo das

Fangei: nnb Absender: des Balles mit den: Empfangen und Austheilel: der

Wohlthaten verglichen wird.

„Der Ball", heißt es, „fällt zu Boden ohne

Zweifel durch die Schuld erllweder des Abse::ders oder des Empfüttgers. Dann behält er seine Bahn, we::n er zwischen den Händen beider Spieler sich hin und her bewegt, geschickt von beiden geworfen ur:d in Empfang genommen.

Noth-

wettdig aber ist dabei, daß der Spieler den Ball ariders einem langen, anders emen: kurzer: Partner zuwerfe. Wem: wir es mit einem Geübterer: und Ge­

schickteren zu thu:: haben, werden wir dreister den Ball entsenden; denn'wie er kommen mag, wird ihn dessen bewegliche und fertige Hand zurücktreiben. Wenn

dagegen ein Anfänger und Neuling vor uns steht, werden wir nicht so in ge­ rader Linie und mit so straffen: Arme, sondern matter und, nach seiner Hand

zielend, mit gelindem Schwünge den Wurf erwidern."

Während Seneka hier

nur zwei Spieler im Auge zu haben scheint, ist zu seiner Zeit bereits das Spiel

mit den: sogenannten Trigon, einen: kleinen, harten Balle, den drei im Dreieck stehende

Personen

einander

zuwarfen,

das

Martialsiche Devise des Trigonalballes lautet:

gewöhnlichste

gewesen.

Die

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

70

„Wenn Du verstehst mit rühmlicher Linken mich weiter zu treiben, Bin ich Dein eigen: wenn nicht — Tölpel, nur her mit dem Ball!"

Aus dieser und anderen Stellen ergiebt sich zugleich, daß geschickte Spieler die rechte Hand gar nicht bei diesem Spiele anwendeten.

Welchen Ehrgeiz

manche beim Spiele zeigten, beweist derselbe Dichter auch in folgendem Wunsche: „So möge Dir die Palme beim nackten Trigonspiel die richtende Gunst des gesalbten Zuschauerkranzes zuerkennen und nicht höher preisen die Linke des

Polybius."

Viel stürmischer aber ging es bei einem anderen Ballspiel, dem

Harpastum, zu.

Es war ein Raub- oder Raffspiel, an dem sich mehrere be­

teiligten, während einer den Ball unter vielen Finten und Kommandos unter

die Gesellschaft warf. Staub, Geschrei und Püffe kennzeichneten das im übrigen uns dunkle Spiel, und es konnte dabei wol leicht vorkommen, was der Rechts­

gelehrte Alfenus in seinen Digesten annimmt, daß nämlich ein Sklave, von einem anderen gestoßen, zu Boden fällt und das Bein bricht. Eitle leidenschaftlich gesuchte Unterhaltung bildeten ferner, besonders für

jüngere Leute, die Kämpfe der Hähne und Wachteln, die auch jetzt noch bei mehreren Völkern zum Zeitvertreib und zum Wetten benutzt werden. In Athen

wurde sogar jährlich, wie Aelian und Lukian erzählen, nach einem nach den Perserkriegen gegebenen Gesetze ein öffentlicher Hahnenkampf im Theater ver­

anstaltet.

Als nämlich Themistokles mit dem athenischen Heere gegen die

Perser auszog, soll er auf cm paar heftig kämpfende Hühne gestoßen sein und diese Gelegenheit benutzt haben, um den Muth seiner Soldaten zu entflammen,

indem er sie daran erinnerte, wie diese Thiere weder für Vaterland, noch für Tempel und Altäre der Götter, noch für Freiheit kämpften, sondern nur darüber,

wer Sieger bleibe.

Ob nun von diesem ziemlich unwahrscheinlicheil Hergang

der spätere Festgebrauch herstammte oder von der allgeborenen Schaulust der Athener, bleibe dahingestellt.

Es gab Leute, die ein Gewerbe daraus machten,

die Kampfhähne, unter denen nach Pausanias die von Tanagra und Rhodos

die streitbarsten waren, zu ziehen und abzurichten. Die Leute, welche die Thiere dann kauften, behandelten dieselben mit lächerlicher Sorgfalt.

Platon sagt hierüber: „Es halten bei mls nicht nur Knaben, sondern auch nlanche Aeltere junge Hähne, die sie zu gegenseitigen Kämpfen aufziehen. Jeder nimmt aber im Gewände die kleineren Hähne unter der Achsel in die Hände, die größeren unter

den Ellbogen, und pflegt viele Stadien weit spazieren zu gehen, llicht um seiner

eigenen Gesundheit willen, sondern wegen des Wohlbefindeils der Thiere."

Alkibiades vergaß einst bei muthwilligem Geldauswerfen die Wachtel in

seinem Gewände. Sie entfloh; die Anwesenden liefen ihr nach, und ein gewisser Antiochos gewann Dadurch, daß er sie wiederfing, die besondere Gunst des leichtsinnigen Jiinglings. Auch wurden damals schon den Hähnen eherire Sporen angelegt.

Vor dem Gefecht pflegte man sie mit Knoblauch zu füttern, um ihre

Wuth zu vergrößern, und stellte dann zwei Hahne auf einem runden, mit einem erhöhten Rande versehenen Tische einander gegenüber. Der Siegespreis war ent­

weder Geld oder der Hahn selbst. Den besiegten Thieren pflegte man laut in die Ohren hineinzuschreien, um aus ihrem Gedächtniß das Siegeskrähen des Feindes

zu verwischen. Mit den Wachteln machte man sich noch einen besonderen Spaß,

indem man ein unserem Hahnenschlagen ähnliches Spiel anstellte.

Denn der

Wettende tippte dem in: Kreise stehenden Wachtelhahn mit dem Zeigefinger auf

den Kopf oder rupfte ihn an den Federn, und es kam nun darauf an, ob die Wachtel Stand hielt und sich tapfer wehrte oder Fersengeld gab.

Daß die

Römer diesem Spiele ebenfalls ergeben waren, bezeugt Plutarch im Leben des

Antonius, wo es heißt: „Es geschah aber oft, wenn Cäsar und Antonius

Hähne oder zum Kämpfen abgerichtete Wachteln mit einander streiten ließen,

daß Cäsar's Thiere

die Oberhand

behielten,

worüber Antonius (der im

Kampfe eine Vorbedeutung suchte) so bitteren Verdruß empfand, daß er Italien

verließ." Zu den belebtesten geselligen Spielen gaben die Symposien oder Trink­ gelage Veranlassung, indem man hierbei in anmuthiger Weise durch heitere

Gespräche, fröhliche Scherze und Kurzweil aller Art dem Zusammensein Reiz zu verleihen wußte.

Freilich verstanden diese Kunst hauptsächlich die Griechen.

Bei den mit geringerer Beweglichkeit begabten, dickblütigeren Römern tritt der

materielle Genuß bei dem Mahle jener geistigen Lust gegenüber bald in den Vordergrund, und die Unterhaltung sank endlich bei ihnen zu völliger Passivität herab, als rauschende Musik, Tänzerinnen, Mimen, Gaukler und Gladiatoren

den Gästen die Gelegenheit raubten, ihrem Frohsinne und Humor die Zügel

schießen zu lassen. Unter den Unterhaltungen des Konviviums steht das Kottabosspiel oben­

an, das man, wie das einfache Abschnippen der Aepfelkerne nach der Decke, meist

"dazu anwendete, um die Liebe oder Abneigung geliebter Personen sich weissagen zu lassen. Es gab von: Kottabos zwei Arten, deren eine ziemlich komplizirt ist. Beim ganzen Spiel kam es darauf an, wenige Tropfen Wein, entweder die

zurückgebliebene Neige, oder zum Bedarf des Spiels eingeschenkt, mit Kraft und Gewandtheit so zu schleuderrr, daß nichts vergossen und doch das Ziel mit lautem Klatschen getroffen wurde.

Zum Ziele nahm man ein teller- oder

schalenförmiges Erzgefäß und stellte dasselbe gewöhnlich auf einen im Boden

steckenden oder auf einem Fuße ruhenden hohen Stab oder hing es oben an

denselben.

Zuweilen scheint auch dieser Schaft so eingerichtet gewesen zu fein,

daß er beliebig verlängert oder verkürzt werden konnte.

Erhöht wurde die

Schwierigkeit noch dadurch, daß man an der Schale eine kleine Bildsäule oder Herme, Manes genannt, anbrachte, deren Kopf der Wein erst treffen mußte,

'bevor er in das Gefäß fiel.

Dionysios, der Eherne, ein elegischer Dichter,

72

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

stimmt mit dem Gesagten überein, wenn er in einem Don Athenaas ausbewahrten Fragmente singt: „Endlich zum dritten als Wettkampf bacchischen Spiels Dir zu stellen, Fügen den Kottabos wir, die wir cntglühen in Lieb'. Also gesammt, die Ihr hier seid, leget die Hände geschmeidig Euerem Becher ins Ohr! Et/ Ihr hinschartt auf die Schal', Meßt mit den Augen Euch ab den abwärts steigenden Bogen, Achtend, wie viel sich des Raums dehne zum Kottabos hin."

Auch in dem Epos des den Dionysischen Mythenkreis besingendm Nonnos ans Panopolis spielen Eros und Hymenäos den Kottabos. Hymettäos zuerst „ergreifet den Becher und schleudert Hoch in die Luft das nektarische Ras;: doch über das Becken Wirft er es hin."

Hierauf heißt es von Eros: „Dann ohne Säumen mißt er den sltaum mit untrüglichem Blicke, Schleudert fern nach den: Ziel den weithin treffenden Tropfen. Siehe, der Thau des nektarischen Tranks kam stracks und unbeugsam Aus der Höhe der Luft und schallt' auf den Scheitel des Manes: Lieblich ertönte das Bild."

Nach der anderell Weise des Spieles schleuderte man die Neige aus der Triitkschale in ein Wassergefäß, in welchem leere Näpfchen und Becherchen schwammen, die durch freu hineiuspritzenden Wein untersinken sollten. Beim Kottabos, der vorzüglich bei den nächtlichen Kultfeierrt den Schlaf Vertreiber: helfen nmßte, wr:rden für die Sieger auch Belohnungeri ausgesetzt, die in Aepfeln, Honigkuchen, Konfekt mit) Küssen bestanden. Die Sieilier, denen auch die Er­ findung zugeschrieben wurde, bauten sich nach Athenäos besondere, zu diesem Spiele eingerichtete Gebäude, worin wahrscheinlich die Spieler aus gleicher Entfernung um den Preis ringen konnten. Uebrigens scheinen die Römer den Kottabos fast gar nicht gekannt, wenigstens nicht sehr kulüvirt zu haben. Eine andere, sehr einfache Unterhaltung suchte man darin, daß man eine Münze auf die Kante stellte, im Kreise lvirbelte und mit den: Finger z,um Stehen brachte. Die berühmte Hetäre Phryne, die den Griechen als irdische Verkörperung der Aphrodite galt, ergötzte sich vorzüglich an diesem Zeitvertreibe und plünderte damit wahrscheinlich nebenbei ihre Liebhaber. Noch mehr vom Zufalle abhängig war das Gelingen beim Riemenstechen, von welchem der Grammatiker Pollux schreibt: „Das Riemenstechen ist eine labyrinthische Wickelung eines doppelten Riemens, in welchen man einen Pflock (oder Nagel) hineinstecken und dabei die Doppelung treffen mußte. Denn wenn bei der Lösung der Pflock nicht im Riemen stak (also vom Riemen eingeschlossen war

und denselben hielt), war der Spieler besiegt."

Zu dieser Beschreibung paßt

das in Deutschland gewöhnliche Spiel vollständig; freilich wird, wie bei diesem,

auch im Alterthum

schon das Meiste auf die oft betrügliche Gewandtheit

dessen angekommen sein, der stechen läßt.

Bei den Griechen und noch mehr

bei den Römenr war ferner das Spiel sehr im Gebrauche, das früher in

Deutschland „Fiirgerlein snellen", im jetzigen Italien mora heißt. Dabei hatten die beiden Spielenden gleichzeitig und blitzschnell die geballte Faust der rechten Hand zu öffnen und die von dem Gegner ausgestreckte Zahl der Finger laut

rufend zu errathen.

Zuweilen gewann auch derjenige, rvelcher am schnellsten

die meisten Finger ausstreckte. Da eine Kontrole bei diesem immer ohne Aufent­

halt sich fortsetzenden Spiele ziemlich schwer, Betrug aber leicht war, so sagten die Römer, um einen grundehrlichen Menschen zu bezeichnen: „Er ist es werth,

daß man im Finstern mit ihm Mora spielt."

Auch nahm inan nicht bloß zum

Zeitvertreib die micatio vor, sondern entschied überhaupt dadurch auf scherzhafte Weise unbedeutende Fragen, so daß sie die Stelle des Looses vertrat.

Aber

auch bei erirsthaften Gegerrständen machte man davon Anwendung. Wenigstens sah sich im Jahre 380 n. Chr. der römische Stadtpräfekt Apronian genöthigt,

die Mora beim Viehhandel zu verbieten. „Die Vernunft und Erfahrung lehrt", heißt es in seinem Edikte, „baß es besser sei, nach Abschaffung der gewohntell

micatio das Vieh nach dem Gewichte zu verkaufen, als den Handel dem Ab­ schlusse der Finger zu überlassen."

Ja, Oktavian ließ nach der Schlacht bei

Aktium zwei seiner Gegner, Vater und Sohn, um das Leben Mora spielen!

Der Vater bot aber freiwillig seinen Nacken dem Henker dar und der Sohn entleibte sich selbst.

Nach den Bildwerken pflegten die beiden Spielenden

übrigens mit der Linken einen Stab zwischen sich zu halten, um jede Störung

durch diese Hand zu vermeiden, welche die heutigerr Italiener zu demselben Zwecke auf den Rücken legen. Größere Ueberlegung und Uebung erforderten die verschiedenen Brett­

spiele, deren Erfindung, älter als das den Lydern zugeschriebene Würfelspiel, nach Platon richtig den Aegyptern, nach der allgemeinen Meinung aber dem

sinnreichen Weisen und Helden des trojmüschen Sagenkreises Palamedes ge­

bührt. Schon dieFreier der Penelope belustigten sich im Hause des Odysseus damit.

Homer läßt ilns aber gänzlich im Unklaren über die Anwendung der

Brettsteine, und wenn nach Athenäos der im ersten Jahrhunderte n. Chr. lebende alexandrinische Gelehrte Apion von einem Jthakesier erfahren haben

wollte, von welcher Einrichtung das Spiel der Freier gewesen, so mag wol damals der Wißbegierde des Forschers mit einer Ente neuer Erfindung ge­ dient worden sein.

Auch verlor ja durch seine Beschreibung das Spiel den

Charakter des Brettspieles. Die 108 Freier stellten nämlich eben so viele Steine einander gegenüber, so daß auf jeder Seite 54 standen.

In der Mitte blieb

74

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

ein kleiner leerer Raum, auf den ein Stein, welchen man Penelope nannte,

gesetzt wurde. Nach diesem warf der Freier, den das Loos getroffen hatte, mit seinem Stein.

Traf er die Penelope und schnellte sie von der Stelle, so stellte

er seinen Stein an den Platz derselben; dann nahm er die Penelope und warf von der Stelle aus, wo sie lag, nach seinem jetzt in der Mitte stehenden Stein.

Traf er nun, ohne einen anderen Stein zu berühren, so hatte er die gerechteste Hoffnung, die Braut heimzuführen.

Apion wußte sogar, daß Eurymachos

die meiste Geschicklichkeit in dem Penelopespiel entwickelt hatte! Von den späteren griechischen Brettspielen werden zwei Arten genannt. Die ältere, einfachere, wie

sie vielleicht Palamedes bereits in Aulis mit Protesilaos spielte, ist für uns gänzlich unklar, da die Berichterstatter selbst über dieselbe schlecht unterrichtet

gewesen zu sein scheinen. Nur so viel ist sicher, daß die Spieler auf einer durch

fünf Linien getheilten Tafel mit je fünf Steinen gegen einander operirten und

daß eine sechste Linie, die „heilige" genannt, jene quer durchschnitt. Eine etwas deutlichere Vorstellung geben die griechischen Autoren vom sogenannten Städte­

spiel.

Pollux sagt hierüber: „Zu dem Spiel mit vielen Steinen gehört eine

viereckige Tafel, die durch Linien in Felder eingetheilt ist. Stadt, jeder Stein aber Hund.

Die Tafel heißt

Während nun die gleichfarbigen Steine nach

ihrer Farbe in zwei Theile zerfallen, besteht die Kunst des Spieles darin, durch Einschließrmg vermittelst zweier gleichfarbiger Steine einen anders gefärbten

wegzunehmen." Aber nicht bloß das Brett führte den Namen „Stadt", sondern

auch die einzelnen Felder.

Das Ziehen der Steine, das Zurückziehen oder

Zurücknehmen des Zuges, das Vorgeben eines oder mehrerer Steine, das Verändern der Stellung wird häufig erwähnt. Die Hauptkunst lag aber darin,

den Gegner dahin zu bringen, daß er nicht mehr ziehen konnte. So sagt in dem Buche Platon's über den Staat Adeimantos zu Sokrates: „Es geht allen,

die Dich anhören, so, daß sie Deinen Worten endlich nichts mehr entgegnen

können, und wie die des Brettspiels Unerfahrenen von den geschickten Spielern endlich abgesperrt werden und keinen Zug mehr haben, so geschieht ihnen auch, aber bei einem anderen Brettspiele, das nicht mit Sternen, sondern mit Worten

geführt wird." Derselbe Philosoph erwähnt auch an einer anderen Stelle, daß

unter 1000 Männern keineswegs 50 gute Brettspieler wären, und weist damit deutlich auf die Schwierigkeit des Spieles hin. Viel klarer wird das Spiel, wenn man es mit dem römischen Soldaten­

oder Belagerungsspiel zusammenhält, das Don dem griechischen Städtespiel eigentlich gar nicht verschieden war und nur seinen Namen von den Steinen (latrunculi) hergenommen hatte. Auch hier war die Tafel in qnadratische Felder getheilt, die durch horizontale und vertikale Linienreihen gebildet wurden.

Die

Steine (wie es scheint, auf jeder Seite 30) waren gewöhnlich aus Glas, daher das Spiel auch „ein gläserner Krieg" genannt wird, aber auch aus Elfenbein

und Wachs.

Die zwei verschiedenen Farben waren entweder Schwarz und

Weiß, oder Roth und Weiß.

Wichtig ist ferner, daß sich aus einigen An­

deutungen eine Verschiedenheit hinsichtlich der Geltung der Steine ergiebt. Jsidorus in seinem bereits erwähnten Werke berichtet: „Die Steine bewegen sich theils in einer einzigen Richtung, theils in verschiedenen.

Deshalb nennt

man die einen Ordinarii (in gerader Richtung fortrückende), die anderen vagi (unstäte)."

Ob nun aber diese Bewegung der zweiten Klasse der der Königin

oder des Springers im Schachspiel entsprochen habe, darüber geben die Queller: keine weitere Auskunft, und alle Behauptungen, die darüber aufgestellt worderr

sind, haben nur den Werth vor: Vermuthungen.

Wahrscheinlich hatten alle

Steine, die latrunculi oder latrones im spezielleren Sinne hießen und den Offizieren des Schachspiels entsprachen, dieselbe vielseitige Bewegung, und die Ordinarii Isidoras sind am Ende weiter nichts als die anderwärts erwähnten mandrae, Steine, welche, vor den anderen stehend, wie die Bauern im Schache,

nach Art der alten Wagenburgen, ein Hemmniß, eine Art Verschanzung gegen

den Feind gebildet zu haberr scheinen.

Ihre Verschiedenheit von den übrigen

Steinen erhellt deutlich aus Martial, wenn er, seinen Freund Paulus be­ glückwünschend, auch hinzufügt:

„So magst Du besiegen den Publius und

Novius (wahrscheinlich zwei renommirte Brettspieler), nachdem Du sie durch mandrae und gläserne Soldaten eingeschlossen."

Nur nach diesen zwei Klassen

unterscheiden sich wol auch die Steine in ihrem Aeußeren, während sich sonst

keine Andeutung über eine weitere gestaltliche Gliederung der Soldatensteine nach verschiedenen Verrichtungen auffinden läßt.

Von Nero erzählt zwar

Sueton, er habe im Anfänge seiner Regierung täglich mit elfenbeinernen

Viergespannen Brett gespielt; aber wahrscheinlich hat er sich eben an Stelle der

latrunculi kleine Quadrigen verfertigen lassen.

Am belehrendsten ist eine

Schilderung des Spieles bei Salejus Bassus, einem Dichter aus der Zeit

Vespasian^s: „Wenn es vielleicht Dich ergötzt, von der Last des Studirens ermattet, Dennoch zu feiern nicht ganz und kunstreiche Spiele zu treiben, Wird auf der Fläche der Tafel der Brettstein sinnig gewechselt Und cs entbrennet der Krieg in der Schaar krystallener Kämpfer, Daß fest ziehe den schwärzlichen Stein bald der weiße, bald rückwärts. Wer aber hielte Dir Stand? oder unter Dir wer gab den Rücken Preis und erregt' nicht dem Feind selbst untergchend Verderben? Kundig verschlagener Taktik kämpft Deine Schaar; den Verfolger Selbst rafft jener dahin auf der Flucht; aus weiter Entfernung Naht der auf Wacht dort stand; hier waget den Streit zu bestehen Einer betrügend den Feind, der die Beut' zu erhaschen gedenket. Jener erheuchelt Verzug und dem unziehbaren geähnelt Andere fesselt er zwei; hochstrcbend ein Steinchen dort ausrückt, Schnell nach durchbrochener Schanz' zu bestürmen die feindlichen Reihen,

76

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

Niederzuwerfen den Wall, zu verheeren das feste Gemäuer. Währeild indessen die Schlacht entflammt von wüthender Kampflust In der geschnitzten Armee: Du selbst mit gefiilleter Phalanx Siegest doch, oder beraubt vielleicht nur weniger Krieger, Und der Gefangenen Schwarm umspannen die Hände Dir klappernd."

Sowol diese als andere Belegstellen ergeben hinsichtlich des Verlaufes kein

anderes Resultat, als das beim griechischen Städtespiel gefundene. Man mußte eben den Mitspielenden durch Wegnahme von Steinen schlvächen und endlich

durch Sperrung matt setzen.

Die Steine schlugen und bewegten sich vor- und

rückwärts, und geschlagen wurde der Stein, der von zwei gegnerischen ein­

geschlossen wurde.

Daher war es Regel, den einzelnen Stein nicht zu weit

vorrücken zu lassen, und Ovid warnt wohlmeinend: „Mag der bunte Soldat die Umkommt jeglicher Stein Mag er sich lieber zu folgen Daß er nicht ohne Genoß

Straße marschireu geradaus! mitten in doppeltem Feind. bequemen und rufen den Bormann, gehe auf sicherer Flucht."

Je weniger Steine der Sieger verloren hatte, desto glorreicher war der

Sieg, und welche Wichtigkeit man diesem beilegte, mit welchem Ernste über­ haupt sich ächte Brettspieler in die Situation vertieften, erfennt man aus einer von Seneka als Beispiel von Seelenruhe mitgetheilten Anekdote, die lebhaft

an die Fassung erinnert, mit welcher der sächsische Kurfürst Johann Friedrich nach der Mühlberger Schlacht beim Schachspiele die Nachricht vor: seinem Todes­

urtheile empfing.

Canus Julius, der das Mißfallen Kaligula's auf sich

gezogen hatte, spielte gerade das Belagerungsspiel, als ein Harlptmann mit Wache eintrat und ihm gebot, sich auf den Weg zur Hnrrichtung zu machen. Da zählte er ruhig seine Steine und sagte zu seinem Mitspieler: „Hüte Dich, nach meinem Tode zu lügen, daß Du gesiegt habest!" und dein Hauptmanne

zuwinkend setzte er hinzu: „Du wirst mir bezeugen, daß ich einen Stein voraus habe!" — Der militärische Charakter des Spieles zeigt sich auch darin, daß der Sieger Imperator genannt wurde. So erzählt Vopiskus, der Usurpator Prokulus sei zehnmal hinter einander beim Brettspiele während eines Trink­

gelages Imperator geworden, mrd endlich habe ihnr ein Spaßvogel ein Purpur­ tuch über die Schultern geworfen und ihm, lvie dem Kaiser, seine Verehrung bezeigt. Ovid giebt hinsichtlich dieses Spieles, ebenso wie beim Würfeln, den schlauen Rath, den Damen gegenüber sich besiegen zu lassen, lvenn man Gmrst erwerben wolle: „Wenn zum Scheille des Kriegshandwerks auf dem Brette der Stein rückt, Laß von dem gläsernen Feind schlagen Dein eigenes Heer."

Gute Spieler erregten Bewunderung; delmoch sagt Seneka tadelnd:

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

'

77

„Wir treiben das Brettspiel; in überflüssigen Dingen nutzen wir unsern Scharfsinn ab." Ein anderes Brettspiel, das die Romer das Zwölflinierrspiel nannten, wurde auf der audereu Seite der Spieltafel, die dort durch 12 in der Mitte getheilte Linien in 24 Felder zerfiel, mit 15 weißen und ebensoviel schwarzen Steinen gespielt, und kam insofern unserem Puffspiel sehr uahe, als die Züge sich nicht nach der bloßen Berechnung des Verstandes richteten, sondern durch die Würfel bestimmt wurden. Im Hause des Petron'scheu Trimalchio war die Tafel aus Terperitinbauinholz, die Würfel aus Krystall. Austatt der Steine dienten silberne und goldene Münzen. Ein geschickter Spieler konnte bei dieser Art den Nachtheil eines Wirrfes durch Kunst im Setzen der Steine wieder aus­ gleichen. Es kam nänllich imnler darallf an, daß auf eiuer Linie nicht weniger als zwei Steine standen, weil die vereinzelteil von: Gegner weggeschlagen werden sonnten. Ein anderes, unserer Mühle sehr nahekommendes Spiel meint Ovid, wenn er sagt: „Ferner giebt es ein Spiel, das geordnet nach niedlichen Strichen, Gleichet den Monden an Zahl, lvelche durchlaufet: das Jahr. Steinchen je drei faßt jegliche Seite des kleinen Getäfels, Sie aneinander zu reih'n nennet man sicheren Sieg."

Der scholl ijennnnte Seävola zeichnete sich auch im Zwolfliuieuspiel aus, ulld war dabei so ehrgeizig, daß er llach Quintiliau eiust, als er zwar deu erstell Zug üls feindliche Lager gethml hatte, aber doch geschlageu worden war, ans dem Wege llach seiner Billa die ganze Reihe der Züge im Gedächtniß wieder­ holte, llild als es ihill eiilgefallen war, bei welchem Wurfe er sich geirrt hatte, zll feinem Mitspieler zurückkehrte uud deilselbeil Don der Richtigkeit seiner Angabe überzeugte. Ein altes Epigramm kennzeichilet das Spiel also: „Dort an dem Rande des Bretts eilt Thurm in Urnengestalt steht, Welcher die Würfel auslvirst über die Stusell hinab. Nach ihrem Fall' ausrückei: die Steine sich feindlich begegnend; Wechselnd lächelt das Glück beiden im eifen:dei: Kampf."

Eitle Unterhaltnllg, die den Berstalld übte, aber zugleich geeigneter war, die allgemeine Stimnlllllg der Gesellschaft zll heben und zur Heiterkeit zu reizen, fanden die Griechell feriler in der Auflösnllg witziger Räthsel und dunkler Gripheu. Mall verlailgte z. B. einen Fisch, eine Pflanze u. dgl. genannt, bereu Namen mit einem bestimmten Bnchstaben begannen, Eigennamen, die mit bestimmten Silben anfingen oder einigten, Gotternamen enthielten oder nicht u. s. w. Man stellte die Fordernng, Verse zu rezitiren, die mit einem bestimmten Bnchstaben begannen unb schlossen, oder in denen ein Buchstabe, besonders das S nicht vorkam, deren Allfallgs- und Endsilbe zusanuneil einen Namen, ein

78

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

Gefäß, ein Instrument, eine Speise bezeichneten.

Hier kam es also darauf an,

so schnell als möglich die Worte zu finden, welche in metrischer Form den ge­ stellten Bedingungen entsprachen, und eine Hauptrolle bei der Lösung fiel

natürlich dem Gedächtniß zu.

Von den eigentlichen Räthseln, die in ihrer ver­

fänglichen Weise den Scharfsinn übten, haben sich noch manche erhalten, wenn auch die 3000 Lieder und Griphen des rhodischen Tyrannen Kleobulos und die hexametrischen Räthsel seiner Tochter Kleobuline bis auf einige Reste

verloren gegangen sind. Wir begnügen uns hier mit wenigen Proben. Zu den ältesten Griphen zählt Athenäos folgende:

„Was ist dasselbe nirgend und

überall?" (Zeit.) „Was ist dasselbe im Himmel, auf der Erde und im Meere?"

(Bär, Schlange und Hund.) „Was lehren wir, ohne es zu wissen?" (Daß wir Seelen haben.)

Allgemein bekannt und nach Platon ein Kinderräthsel war

ferner die Aufgabe: „Ein Mann, der kein Mann war, warf einen Vogel und

doch keinen Vogel, der auf einem Holze und doch keinem Holze saß, mit einem Stein, der doch kein Stein war."

(Eunuch, Fledermaus, Pfriemenkraut,

Bimsstein); oder das Räthsel des Kleobulos: „Einem Erzeuger der Söhne sind zlvölf und jedern derselben Dreißig Kinder gehören mit doppelt gestaltetem Antlitz; Denn bald blendendes Licht, bald wiederum decket sie Schwärze. Und sie vergehen zumal und besitzen doch ewiges Leben."

Geistreich ist die den Schatten bezeichnende Nachahmung des Sphinxräthsels vom tragischen Dichter Theodektes: „Weder das Land nährt solches Geschöpf noch die Tiefe der Meerflut Noch auch ähnelt sein Bau in dem Wachsthum sterblichen Gliedern; Sondern im Werden sogleich und Entstehen ist es am größten, Klein in der Blüthe der Kraft; beim Nahen des schwächenden Alters Größer denn alles zuvor an Gestaltung und Höhe und Umfang."

Der Preis für die Lösung der Aufgabe und die Strafe für die Unfähigkeit im Errathen waren verschieden und hingen von Uebereinkunft der Gesellschaft

ab.

Kränze, Fleischportionen, Kuchen, Bänder, auch wol Küsse belohnten den

glücklichen Finder.

Wer die ihm zugefallene Nuß nicht zu knacken vermochte,

verfiel in allerhand lächerliche Bußen; er mußte z. B. etwas Ehrenrühriges von sich ausrufen, oder die Flötenspielerin dreimal ums Haus herumtragen,

oder nackt tanzen, oder sich, wenn er ein Kahlkopf war, kämmen u. s. w. Am häufigsten aber wurde ihnt ein bestinlmtes Maaß Wein zudiktirt, das in späterer Zeit entweder ungemischt war oder auch einen Zusatz von Salzwasser

bekam, und in einem Zuge, ohne Athem zu holen, ausgetrunken werden mußte. Im Gegensatze zu den zuletzt genannten, die Sammlung der geistigen

Kräfte erheischenden Spielen, sagte den Trinkern wol oft mehr das mit der

trüglichen Hoffnung auf Gewinn verbundene Würfelspiel zu, das besonders

zu Rom mit einer Leidenschaft geübt wurde, die dem Treiben in den moderner: Spielhöllen nicht nachsteht, und sich durch die schärfsten Verbote nicht bannen ließ. Es gab im Alterthume zweierlei Würfel. Die einen glichen ganz unseren

sechsseitigen, mit 1 — 6 Augen bezeichneten; die anderen sind weiter nichts als die bereits erwähnten, ursprünglich aus Thierknöcheln gefertigten Astragalen.

Diese haben vier Längenseiten, zwei breite, von denen die eine konvex, die andere konkav ist, und zwei schmale, die eine wieder etwas eingedrückt, die andere voller.

Beim Wurfe kam der Astragalos natürlich am häufigsten auf

eine der beiden breiten Längenseiten zu liegen, oder auf die schmale volle, am

seltensteir auf die schinale eingedrückte, weshalb gerade dies der beste Wurf war.

Die zwei spitzen Enden des Knöchels kamen gar nicht in Betracht, da er wieder umfiel, auch wenn er einmal auf der einen flachen Seite stand. Die vier Haupt­

seiten waren nicht mit Zahlen bezeichnet und allgemein galt die volle Schmal­

seite 1, die eingedrückte 6, die beiden Breitseiten 3 und 4, so daß also 2 und 5 fehlten.

Die Namen der Würfe, vor: denen die griechischen Grammatiker 64

enthalten, rühren von Göttern, Heroen, Königen, Hetären und besonderen Vorfällen her. Bei dem Astragalenspiel, wobei es 35 Variationen des Wurfes gab, gebrauchte man vier, bei dem Spiel mit unseren Würfeln drei Würfel. Der höchste und glücklichste Wurf hieß der Venus- oder Aphroditewurf, oder

auch „der kölngliche", weil der Präses des Konviviums durch denselben bestimmt zu werden pflegte.

Er entstand beim Astragalenspiel, wenn die 4 Knöchel ver­

schiedene Nummern, also 1, 3, 4, 6 zeigten; beim zweiten Spiele, wenn bei

allelr drei Würfeln die Sechs oben zu liegen kam. Der schlechteste Wurf, Hunds­

wurf benannt, wurde durch die ausschließliche Eins auf allen Würfeln gebildet. Deshalb schreibt Martial zu elfenbeinernen Astragalen als Devise: „Wenn Dir keiner der Würfel dasselbe Gesicht zugekehret, Groß das Geschenk alsdanir nennest Du, das Du empfayn."

Dagegen klagt Properz: „Während ich suchte im Spiel der Würfel zu Haschen die Venus, Immer uur, bringend Verlust, sprangen die Hunde hervor."

Nebrigens scheint es, als ob bei dem Astragalenspiele nicht, wie stets beim eigentlichen Würfelspiele, der Werth des Wurfs nach der Zahl der Augen be­

stimmt worden sei, sondert: meistentheils sich nach der besonderen Konstellation der vier Nummern gerichtet habe. So galt der Wurf „Euripides" 40, während

4 mal 6 nur als 6 berechnet wurde und einige Würfe sogar einen Strafeinsatz zur Folge hatten. — Es gab auch falsche Würfel, und im königlichen Museum zu

Berlin werden zwei dergleichen aufbewahrt, deren einer die Vier doppelt zeigt,

80

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

der andere offenbar einst mit Blei ausgegossen war.

Auch erwähnt bereits Aristo­

teles der Kunst, die leichtere Seite der ausgegossenen Würfel nach sich gekehrt zu halten, so daß dann beim Umdreheil des Würfels diejenige Zahl nach oben

kam, die man in der Hand nach oben gehalten hatte. Um allen Betrug zu verhindern, bediente inan sich darum des schon ge­

nannten thurmähnlichen Würfelbechers, der unten weiter als oben und inwendig mit stufenförmigen Absätzen ringsunr versehen war, über welche die Würfel beim Ausschütten sich recht oft herumdrehen mußten.- Horaz gedenkt als Bei­

spiel der Beharrlichkeit im Laster des Wüstlings Volanerius, der sich, nach­

dem ihm ein wohlverdientes Chiragra den Gebrauch der Hände geraubt, um Tagelohn Jemand miethete, welcher für ihn die Würfel auflas und in den

Würfelbecher warf! Während der Spieler den hölzernen oder elfenbeinernen Becher schüttelte, pflegte er den Namen seiner Geliebten oder den einer Gottheit anzurufen. So sagt der Parasit in den „Gefangenen" des Plautus: „Denn

wenn beim Mahl ein junger Kauz die Würfel wirft, so ruft er die Geliebte an;" und im „Curculio" erzählt der Held des Stückes:

„Nachdem wir ge­

gessen und getrunken hatten, verlangt der Soldat Würfel und fordert mich zum Ich setze meinen Mantel, er setzt dagegen seinen Ring und ruft die Planesium an. Er wirft vier Geier. Ich raffe die Würfel auf, rufe den

Spiele auf.

Herkules an und werfe den Königswurf."

war also sehr kurz und einfach.

Diese Art, das Glück zu versuchen,

Ein Partiespiel mit Einsätzen beschreibt uns

derKaiserAugustus in einem vonSueton aufbewahrten Briefe auTiberius:

„Während der Tafel machten wir Alten ein Würfelspiel nach unserer Weise,

gestern sowol wie heute.

Wer einen Hund oder eine Sechs geworfen hatte,

zahlte für jeden Würfel einen Denar in die Kasse, und wer einen Venuswurf

that, zog Alles ein."

Gefährlicher als diese Spielart war das wirkliche

Pointiren, wo sich Gewinn und Verlust nach der Zahl der Augen richtete. Nero spielte den Point zu 400,000 Sesterzen (87,000 M.)! — Weder bei

Griechen noch bei Römern hatte der Name „Spieler" einen besseren Klang als bei uns. Cicero und Juvenal stellen ihn gleich neben den Ehebrecher.

Nur

alten Leuten sah man das Würfeln als Zeitvertreib nach, und Cicero selbst sagt: „Die jüngeren Leute mögen die Waffen, die Pferde, das Ballspiel, die

Uebungen im Schwimmen und Laufen für sich behalten, uns Alten aber von

vielen Spielen nur die Astragalen und Würfel lassen; und auch hierin steht ihnen die Wahl frei, weil das Greisenalter ohne beide glücklich sein kann." Und so war es auch bei den Hellenen; denn in der „Medeia" des Euripides heißt es:

„Ich hörte Jemand sagen, unbemerkt non ihm, Am Orte, wo zum Würfelspiel die Greise sich Hinlagern, um Peirene's hochberühmten Born."

Als besonderen Liebhaber des Würfelspiels zeigte sich der Triumvir

Antonius, dem Cicero vorwirft, daß er einem seiner Mitspieler, einem nichtswürdigem Menschen, der sich incht gescheut hätte, selbst auf dem Markte

zu würfeln, und der auch des Spieles wegen verurtheilt worden wäre, zur

Kassation des Urtheiles verholferr habe.

Der Kaiser Augustus faud am

Würfeln besonderes Vergnügen, und da er nicht bloß cm Feiertagen, wo das Spielen gewöhnlicher war, fonbeni auch an Werkeltagen spielte, so entging er

dem Tadel nicht und bei Sueton findet sich das Epigramm auf ihn: „Nachdem er zweinral seine Flott' verlor besiegt, Um einmal doch zu siegen, spielt er Würfel stets."

Ihm scheitlt dies aber wenig Kilmmer gemacht zu haben; denn in einem anderen Briefe an Tiberius schreibt er:

„Wir haben das Quinquatrusfest

sehr vergnügt gefeiert. Demr wir haben alle Tage gespielt und das Würfelbrett

recht warm erhalten. Deitl Bruder erhob einen großen Lärm. Am Ende ver­ lor er doch so viel nicht, sondern erholte sich wider alles Vermnthen nach nnd

nach von seinem großen Berlnste. Ich für meinen Theil verlor 20,000 Sesterzen (4350 M.).

Das kam aber daher, daß ich, wie gewöhnlich, zu freigebig war.

Denn hätte ich alle Sätze, die ich nachließ, eingefordert, oder hätte ich behalten, was ich verschenkte, so konnte ich an 50,000 Sesterzerr gewinnen.

Aber es ist

so besser; derm meine Freigebigkeit wird mir göttlichen Nachruhm verschaffen."

Aehnlich machte es der ostgothische König Theoderich, der seinen Spielgewirrn unter die Diener vertheilte. Das Ungeheuer Kaligula verschmähte weder Lug

noch Meineid, um beim Würfelspiel zu profitireu, und einst, als er kein Geld

hatte, übergab er einem Anderen seine Partie, ging vor die Thüre nnd ließ zwei römische Ritter, die vorübergingen, ergreifen nnd ihre Güter konfisziren. Triilmphirend kehrte er dann znrück und rühmte sich, nie einen glücklicheren

Wnrf gethan zn haben.

Am leidenschaftlichsten liebte der Kaiser Klandius

das Würfeln, der sogar ein Bnch darüber schrieb, das leider verloren gegan­ gen ist, und Einrichtnngen treffen ließ, daß er in der Sänfte und im Wagen

ungestört spielen konnte.

Darnm hebt auch Seneka in der satirischen Spott­

schrift auf Klaudius diese Vorliebe stark hervor.

Nicht bloß beklagen die

Spieler seinen Tod, sondern der Todtenrichter Aeakus läßt ihn auch endlich

zur Strafe ewig vergebliches Würfelspiel treiben.

Denn so oft er den Becher

schüttelt und werfen will, entfliehen die Würfel seinen Händen und so hascht er

immer umsonst nach ihnen.

Der Schlemmer Vitellins

hatte vor

seiner

Herrschaft sowol dem Klaudius als dem Nero Gesellschaft beim Hasard geleistet. Auch Domitian würfelte oft schon am Vormittage; Kommodus trieb

das Faro eifrig, und Aelius Berus, der lüderliche Adoptivsohu des edelu

Antoninus, spielte ganze Nächte hindurch. Göll, Kulturbilder. I.

Unter solchen Regenten schwiegen 6

82

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

wol auch die Gesetze, und überhaupt war die Spielwuth in der spateren

Kaiserzeit nicht im Abnehmen begriffen.

Ammian geißelt die Römer des

4. Jahrhunderts deshalb und die Kirchenväter rechnen die Würfel zu den Er­

findungen des Teufels. In Konstantinopel kam inzwischen ein neues Hasardspiel, unserer Rou­

lette ähnlich, auf, das man „hölzerne Pferde" nannte.

In einem hölzernen

Gestelle, das mit Stufen versehen war und in der Mitte verschiedene Löcher hatte, wurden von oben herab vier Kugeln, mit den vier Farben der Cirkus­

parteien bemalt, geworfen.

Man wettete nun, welche Kugel zuerst aus dem

untersten Loche herauskommen würde.

Wie ungeheure Summen auch Privat­

leute verspielten, erhellt aus Juvenal's Worten: „Hat wol je eine größere

Spielwuth die Gemüther besessen? Mau geht nicht mehr mit der Börse zum Tische Fortuna's, sondern spielt bei offenen Geldkassen.

Welche Gefechte er­

blickt man dann, bei denen der Kassirer den Schildknappen macht! Ist es ge­ wöhnlicher Wahnsinn, 100,000 Sesterzen zu verlieren und dem frierenden Sklaven das Kleid zu verweigern?" Auch bei Lukian antwortet Saturn auf

die Frage, ob schon zu seiner Zeit das Würfeln unter den Menschen Sitte gewesen: „Ja wohl! aber nicht um Talente und Myriaden, wie bei Euch, sondern höchstens um Nüsse."

Wann in Rom durch Gesetz das Hasardspiel untersagt

worden sei, ist unbestimmt, ebenso wie der Name des Gesetzes.

Plautus wird

es erwähnt,

und

die Verurtheilung

Cieero^s Zeit spricht für seine Aufrechthaltung.

Aber schon bei

des Dentikula zu

Es war in demselben das

Würfeln nur bei Tische erlaubt und sonst zum Scherze uni Nüsse und Lupinen­ kerne, die überhaupt für Marken galten; außerdem nur an den Saturnalien. Dem Uebertreter des Gesetzes war als Strafe die Zahlung des vierfachen Be­

trages angedroht, und der Richter nahm außerdem keine Klage von demjenigen

an, bei dem gespielt worden war, selbst wenn man ihn dabei geschlagen und bestohlen hatte. spielen

Dagegen bestrafte er diejenigen, welche Andere zum Mit­

gezwungen hatten.

Die Spielfreiheit

an

den

reichlich benutzt und war vielen Neichen verderblich.

tial

den

Würfelbecher

„den

Beherrscher

des

Saturnalien wurde

Nennt doch

sicheltragenden

Mar­

Greises!"

Der Kaiser Justinian verschärfte das Gesetz dadurch, daß er selbst nach 30 Jahren noch gestattete, das verlorene Geld zurückzufordern.

Bei Wetten

in körperlichen Uebungsspielen erlaubte er Geld zu setzen, aber nie mehr als ein

Goldstück. Diejenigen Orte, wo das verbotene Hasard am häufigsten getrieben wurde,

waren die Verstecke der Garküchen oder Popinen, wohin die vornehmen Wüst­ linge mit verhülltem Haupte gingen und wo Sklaven, Bootsknechte und Gesindel

aller Art verkehrten.

Die Aedilen beaufsichtigten diese Spelunken, und so sagt

Martial nach Ablauf der Saturnalien:

Die geselligen Spiele der Griechen und Römer.

83

„Verrathen durch den Klang des Würfelbechers, Hervorgezogen aus verborgner Kneipe, Fleht lallend den Aedilen an der Spieler."

In Athen soll ursprünglich bei dem Tempel der Athene Skiras oder

in demselben der gewöhnliche Versammlungsort der Würfelspieler gewesen sein. Später trieb man das Spiel in Hausern, die eben so verrufen waren, wie die römischen Popinen.

Der Redner Aeschines erzählt in einer Rede, daß eine

Bande betrunkener Leute in ein solches Haus des Nachts eingebrochen sei. „Sie zertrümmerten das Hausgeräth," sagt er, „warfen die Würfel und Würfel­

becher und anderes dazu gehöriges Werkzeug auf die Straße, tödteten die Wachteln und Hähne, die der Gastwirth sich hielt, und mißhandelten ihn selbst."

Ein unserer Lotterie ähnliches Spiel führte Augustus zur Belustigung

seiner Gäste bei Tafel ein, indem er Dinge von sehr ungleichem Werthe und umgekehrt hingelegte Gemälde zu verkaufen pflegte.

Durch den unsicheren Zu-

sall täuschte er dann entweder die Hoffnung der Käufer oder erfüllte sie.

Es

bot immer eine Tischreihe zusammen und theilte dann den Gewinn oder Ver­

lust. Von Elagabal erzählt der Biograph Lampridius, daß er umgekehrt die Loose beim Gastmahl, deren Nummern sich auf den Löffeln befanden, so ein­

richtete, daß der Eine ihm zehn Kameele, ein Anderer zehn Fliegen, ein Dritter zehn Pfund Gold, ein Vierter eben so viel Blei, ein Fünfter zehn Strauße, ein

Anderer zehn Hühnereier zu liefern hatte!

VI. Die Parasiten und Hofnarren. große Familie der Narren ist so alt als das Menschengeschlecht und | Mi gedeiht unter jedem Himmelsstriche. Es muß jedoch als Zeichen der

Zeit, als kulturhistorisches Merkmal gelten, wenn in irgend einer Periode die Narrheit zunftmüßig austritt, wenn Possenreißer und Lustigmacher an den Tafeln der Reichen, in der Umgebung der Fürsten nicht fehlen dürfen,

um theils passiv in wirklichem oder erheuchelten: Blödsinne als Zielscheiben

übermüthigen Spottes zu dienen, theils aktiv vermöge angeborenen Witzes und Talentes von dem Privilegium der Straflosigkeit auf Kosten ihrer Herren und

Gönner Gebrauch zu machen. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Erscheinung größtentheils entweder von einer noch rohen, unentwickelten Kulturstufe oder

von einer in Folge von Ueberfeinerung, Blasirtheit und Entsittlichung ein­

reißenden Barbarei Zeugniß giebt, wenn auch zuweilen, wie z. B. bei den Römern, ein allgemeiner Hang zur Bouffonnerie der Sache Vorschub leistet.

Bei den Griechen soll der Lustspieldichter Alexis in der Mitte des 4. Jahr­ hunderts v. Chr. zuerst deu Parasiten als Charakterfigur auf die Bühne

gebracht haben, und es beweist dies hinlänglich, daß Leute dieses Schlages

damals im gewöhnlichen Leben längst sich eingebürgert hatten.

Auch entsprach

sicherlich ihr Auftreten in der Wirklichkeit so ziemlich dem ihrer karrikirten Spiegelbilder in der Komödie.

Eigentlich hatte der Name „Parasit" keines­

wegs eine ehrenrührige Bedeutung. Man nannte so Tempel- oder Kultbeamte, die, von Seiten der Gemeinde den Priestern beigeordnet, den Kornzehnten ein­

nahmen, Festschmäuse ausrichteten und am priesterlichen Tische mit speisten. Später übertrug man den Namen auf das ganze Gewerbe der ungebetenen und

doch überall sich eindrängenden Tischgenossen, die handwerksmäßig für Be­

friedigung ihrer Hungerleiderei und Lüsternheit die Lachnerven der reichen Leute kitzelten.

Xenophon hat in seinem „Gastmahle" das Gebaren eines solchen Lustig­ machers in folgenden Zügen geschildert.

Als die Gäste im Hause des reichen

Kallias schon beim Mahle saßen, hörte man stark an die Hausthüre klopfen, und bald meldete der Thürhüter, Philip Pos, der Lustigmacher, sei draußen und

sage, er komme ausgestattet mit Atleni, was dazu gehöre, um an einem fremden Mahle theilnehmen zu fmuten, und sein Diener sei ganz müde, weil er nichts zu tragen habe und ttoch ohne Frühstück sei.

Kaum hatte nun der Hausherr

die Erlaubniß gegeben, so stand der Angemeldete auch bereits auf der Schwelle

und führte sich mit den Worten ein: „Ich bin, wie Ihr wißt, der Spaßmacher Philippos und erscheine gern, weil ich glaube, daß es lustiger ist, mteingeladen zu Tische zu kommen, als eingeladen." Nachdem er nun den ihm zukommenden

untersten Platz eingenommen hatte, versuchte er es, wiewol vergeblich, durch seine Witze die Gesellschaft zum Lachen zu bringen, hörte endlich auf zu essen

und verhüllte sich seufzend und stöhnend das Haupt.

Ueber den Grund seiner

Verzweiflung befragt, sagte er mit. weinerlicher Stimme: Durch das Schwinden des Gelächters aus den: Leben sei seine Existenz im höchsten Grade gefährdet;

denn Niemand werde ihn mm mehr zu sich einladen. Lachend trösteten ihn hier­

auf die Attwesenden, und schließlich ließ er sich bereden, seinem Appetit weiter Genüge zu leisten. Hier erscheint also der Parasit in der Gesellschaft eines

Sokrates und Antisthenes mehr als geduldete, denn als nothwendige Bei­ gabe des Mahles, und man sieht es ihm an, daß ihm nicht recht behaglich zu

Muthe ist.

An anderen Orten fanb er freilich einen besseren Spielraum.

In

den „Gefangenen" des Plautus sagt der Schmarotzer Ergasilus: „Wir er­

nähren uns beständig, wie die Mäuse, von fremder Kost. Wenn sich freilich die

Leute Feiertage macherr und auf's Lartd begeben, so haben auch unsere Zähne Feiertage.

Alsdann gleichen wir den Windspielen; nach und nach aber, wenn

die Leute in die Stadt zurückkommen, werden wir wieder zu dicken und ver­

drießlichen Bullenbeißern.

Es wird auch hier allnrählich ganz aus mit uns;

wer nicht Ohrfeigen leiden und sich Schüsseln auf dem Kopfe zerschlagen lassen kann, der mag nur den Sack nehuren und vor^s Thor betteln gehen!" Und der

berühmte griechische Komiker Antiphanes läßt Einen dieses Schlages von sich rühlnen: „Meinen Charakter kennst Du; Stolz wohnt nicht in mir, sondern

ich bin für mente Freunde ein Klotz beim Schlägebekommen, ein Donnerkeil beim Zuschlägen, ein Sturmwind beim Hinauswerfen, ein Strick beim Würgen, ein Erdbeben beim Thüraufsprengen, eine Heuschrecke beim Hineinspringen; ich speise ungerufen mit, wie eine Fliege; ich gehe nie aus, wie ein Brunnen; ich

erdrossele, morde, zeuge, ohne mich zu bedenken. mich die Jüngeren den Wetterstrahl."

Und um deswillen nennen

Beinamen dieser Art zierten überhaupt

die Koryphüett der Schmarotzerkunst; gewöhnlich warett sie aber der Fertigkeit

ihrer Kauwerkzeuge entlehnt, wie z. B. Kinnbacken, Scharfzahn, Schinkensäbler.

Ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort waren die Bäder und der Markt. Dort drängten sie sich an ihre Kunden; ihre feinen Nasen spürten jedes Familienfest und größere Mahl auf, und dann konnte sie, tvie Plutarch sagt, weder Feuer noch Eisen, noch Erz abhalten, ins Haus zu treten. Recht drollig gesteht der Parasit bei Diphilos: „Wenn ich zur Mahlzeit eines reichen Mannes gehe, betrachte ich weder die schöne Säulenstellung, noch die prächtige Decke, noch prüfe ich die foriitts)ifc£jeii Gefäße: unverwandten Blickes schaue ich auf den Rauch der Küche; wenn derselbe i)ickqualmend sich gerade emporwälzt, dann freue ich mich und frohlocke; wenn er aber schief und dünn hinauszieht, dann merke ich, daß zu dieser Mahlzeit nicht einmal Blut vergossen ward." Ihre Unverschämtheit hielt in allen Verlegeicheiten Stich. Als sich einst ein gewisser Chärephon bei einem Hochzeitsmahle uneingeladen eingefunden und den letzten Platz eingenommen hatte, wollten die Polizei­ beamten, welche über die gesetzmäßige Zahl der Hochzeitsgüste zu wachen hatten, ihn entfernen. Er aber sprach ruhig: „Zahlt nur noch einmal, aber fangt bei mir an!" Als beim Könige Ptolemäos Philopator von Aegypten, der sich seine Spaßvögel aus Atheri verschrieb, ein leckeres Gericht herumgegeben wurde, das aber immer nicht bis zum Parasiten Korydos reichte, fragte dieser: „Bin ich denn berauscht, Ptolemäos, oder scheint mir nur dies herumgereicht zu werden?" Besonders zur Zeit Philipp's von Makedonien hatte Athen einen solchen Ueberfluß an Witz­ machern, daß sich im Heraklestempel des auch von Aristo pH an es der Wind­ beutelei bezichtigten Diomeischen Bezirks ein förmliches Kollegium von sechzig Kladderadatschgelehrten konstituirte. „Ich komme von den Sechzigern"; „Dies haben die Sechziger gesagt!" hieß es damals in Athen und den Namen der fünf vornehmsten hat der Polyhistor Athenäos die Unsterblichkeit gesichert. Ja, der lachlustige Vater Alexander des Großen schickte der Gesellschaft ein klingendes Talent, wofür sie ihm ein Protokoll über ihre Schnurren auf­ nehmen sollte! Nach Plautus pflegten überhaupt die Lustigmacher ihre Witze aufzuschreiben und legten sich Anekdotensamullunge^r an, so daß es schon damals Bücher gab nach Art von „Du sollst und mußt lachen!" — Bei der überhandnehmenden Verderbniß der griechischen Jugend scheint sich aber bald das Verhältniß der Parasiten anders gestaltet zu haben. Sie hörten nach und nach auf, nur die Lustigmacher zu spielen, und griffen zu der viel gefährlicheren Rolle der Schmeichler, Augendiener und Jntriguanten. An vielen Stellen der Komiker finden sich Klagen der Parasiten über die Abliahme der Gastfreund­ schaft. So sagt z. B. Gelasimus bei Plautus: „Gewisse Redensarten gehen nach und nach ganz verloren und darmrter nach meiner Ansicht die beste und artigste, welche die Leute sonst im Munde führten: Komm doch zu mir zu Mittag! Thue so! Versprich es aber! Mache feine Umstünde! Ich will es und

87

Vie Parasiten und Hofnarren.

lasse Dich nicht los! Dafür hat nmn jetzt eine andere Phrase gefunden, und zwar eine nichtswiirdige, erbärmliche: Ich würde Dich gern zu Gaste bitten,

wenn ich nicht selbst außer den: Hailse speiste!" Anr deutlichsten bezeichnet den Uebergang der Parasit im

„Eunuchen"

des

Terenz

mit den Worten:

„Ehedem bei unseren Vorfahren war wol damit etwas zu machen, daß man sich zmn Narren halteir ließ und Prügel einsteckte.

auf eine neue Art.

Jetzt fängt mein die Vögel

Es giebt eine gewisse Art Leute, die in jeder Rücksicht die

ersten sein wollen und es doch nicht sind.

An diese mache ich mich, diesen gebe

ich mich hin, nicht um nach auslachen zu lassen; ich lache zuerst über sie und bewundere zugleich ihre Geistesgaben.

Was sie mir sagen, das lobe ich;

behaupten sie wieder das Gegentheil, so lobe ich es ebenfalls.

Verneint einer

etwas, so sage ich auch nein, bejaht er, so thue ich's auch. Kurz, ich gebe ihnen

Der gute Ton verlangte aber später von: reichen Manne, daß er Parasiten um sich hatte;

in allen Dingen Recht und dabei stehe ich mich ganz vortrefflich."

wenigstens sagt der geistreiche Spötter von Samosata noch von seiner Zeit: „Ein reicher Mann, luemt er auch ein Krösus ist, bleibt arm, so lange er

allein speist, und scheint ein Bettler zu sein, wenn er ohne Parasiten ausgeht; derm wie ein Soldat ohne Waffenschmuck, ein Kleid ohne Purpur, ein Roß

ohne Geschirr im Werthe sinken, so kommt uns ein Reicher ohne Parasiten wie ein niedriger, gemeiner Maim vor." Auch unter den Königerr und Tyraniren des Helleirenthumes finderr sich viele, die den Lustigmachern als Hofnarren einen günstigen Boden einrüumten. Außer Hierou und Hieronymos

werden

vorzüglich Dionysios,

der

Aeltere und der Jüngere von Syrakus, als Patrone solchen Geschmeißes hervorgehoben.

Jener lachte einst mit einigen Vertrauten über eine Sache, die

ein unfern stehender Parasit unmöglich gehört haben konnte; dennoch lachte derselbe mit und antwortete, darüber befragt, er habe gar nicht gezweifelt, daß die Unterhaltung lächerlich gewesen wäre, und deshalb mit gelacht.

Vom Hofe

des jüngern Dionys aber, der seine Regierung mit einem neunzigtägigen

Gastgelage begann, wird erzählt, daß sich ein Heer von Possenreißern ein­ gefunden hatte, die ihre Kriecherei so weit trieben, daß sie z. B., weil der

Tyrmm an Kurzsichtigkeit litt, wie Blinde auf der Tafel herumtasteten, bis Dionys selbst ihre Hände zu den Gerichten lenkte. Besondere Erwähnung ver­

dient ferner Philipp von Makedonien, der die größte Umsicht und Energie bei dem leichtfertigsten und niedrigsten Umgänge, in Völlerei und Rausch, zu

bewahren verstand.

Die Aufzählung seiner Schmeichler und Narren, von

denen einer, Namens Kleisophos, als der König ein Auge verloren hatte, ebenfalls mit verbundenem Auge erschien, als jener an Lähmung des Schenkels

litt, auch nebenher hinkte und endlich, wenn Philipp eine scharfe Speise genoß, ebenfalls das Gesicht verzog, als äße er mit, füllen bei Athenäos mehrere

88

Die Parasiten und Hofnarren.

Kapitel.

Deshalb konnte auch Demosthenes von jenem sagen: „Seine Um­

gebung besteht nur aus Räubern, Schmeichlern und Leuten, welche in der Trunkenheit schändliche Tänze aufführen.

Menschen, von hier vertrieben, wie

jener Kallias, ein Staatssklave, und derartiges Gelichter, possenhafte Mimen,

Dichter schändlicher Lieder, welche sie, um Lachen zu erregen, auf die Genossen

machen, diese liebt er und hat er um sich."

Auch der Hof Alexanders übte

nicht bloß auf Schmeichler, sondern auch auf Lustigmacher, die der König bei Tafel liebte, eine große Anziehungskraft und es vererbte sich diese Liebhaberei

fast auf alle seine Nachfolger.

Doch läßt sich beinahe mit Sicherheit behaupten, daß selbst in dieser Zeit die Unterhaltung nicht zu einem so hohen Grade von Passivität herabsank,

wie in Rom, wo Ohren und Augen der Tischgäste stets in Spannung erhalten wurden, wo Vorlesungen und Konzerte, Gladiatoren und Mimen alle Zwischen­ pausen ausfüllen mußten und die Geschmacklosigkeit so weit gehen konnte, daß sogar die Dialoge Platon's dramatisch aufgeführt wurden! Da fanden denn

die Possenreißer überall ihre Rechnung, und zwar um so mehr, als, wie schon erwähnt, die römische Vorliebe für burlesken Witz und Scherz ihnen entgegen­

Bald gehörten sie als unumgängliches Zwischengericht zu jedem Gast­

kam.

mahle.

Fratzen jeder

Art,

Körperverdrehungen,

glatt geschorenes

Haar

begleiteten ihre Späße, die sie entweder gegen einzelne Gäste oder gegeneinander

richteten.

Einen solchen Wettkampf schildert uns Horaz in der launigen

Beschreibung seiner Reise von Rom nach Brundisium.

Freilich wird es uns

schwer, den Inhalt desselben so witzig und unterhaltend zu finden, wie der Dichter selbst, und es zu überwinden, daß der reiche Gastfreund Koccejus in

seiner Villa den Reisenden dieses Vergnügen bereitet hat, welches wir höchstens in einer Dorfherberge drollig finden würden. Zuerst reizt Sarmentus seinen

Gegner Messius, genannt „Schreihals", dadurch, daß er ihn einem wilden

Pferde vergleicht.

Als

fährt Sarmentus fort:

Messius

die Herausforderung

drohend

annimmt,

„Was würdest Du wol thun, wenn Dir nicht ein

Horn aus der Stirne geschnitten worden wäre, da Du noch als Verstümmelter

so sehr drohst?" Zugleich bittet er ihn, im pantomimischen Tanze den riesigen Polyphem vorzustellen; denn häßliche Larve und tragische Stelzschuhe habe er z ja nicht nöthig.

Darauf fragt nun Messius den gewesenen Sklaven spöttisch,

ob er denn schon seine Kette seinem Gelübde gemäß den Hausgöttern geweiht

habe und warum er überhaupt seinem Herrn entlaufen sei, da er doch bei seiner kleinen schmächtigen Gestalt an einem Pfund Mehl täglich genug gehabt hätte? Solche Gesellen wurden von den Reichen natürlich für ihre Leistungen

bezahlt und waren nicht, wie die alten griechischen Parasiten, mit dem bloßen Sattwerden zufrieden, besonders da sie und die armen Klienten (wie uns

Juvenal in seiner fünften Satire ausführlich schildert) schlecht abgefüttert

wurden, wahrend der Hausherr aufs feinste dinirte. verschiedene Abstufungen.

Es gab auch unter ihnen

Einige führten beständig Sittensprüche im Munde

und philosophirten wol gar über paradoxe Behauptungen; Andere legten sich

mehr auf das Erzählen mirakulöser und schnurriger Dinge. Noch mehr gesucht als diese geistreicheren Narren waren aber die eigentlichen Dummköpfe, be­

sonders verwachsene, blödsinnige Cretins, Zwerge mit unförmlichen, spitzen Köpfen und langen Eselsohren.

Ihr Werth stieg mit ihrer Einfalt, und

Martial schreibt in komischer Verzweiflung:

„Man gab ihn mir für einen

Narren aus und ich kaufte ihn für 20,000 Sesterzen.

wieder, Gargilianus: er hat Verstand!"

huldigten vorzüglich die vornehmen Römerinnen. August's von Livia und Julia. nur gegen 21l2 Fuß hoch.

Gieb mir mein Geld

Diesem unwürdigen Geschmacke Wir wissen es aus der Zeit

Konopas, der Zwerg der letzteren, war

Selbst Seneka's Frau hielt sich eine Närrin,

Harpaste, die, wie der Philosoph schreibt, nach dem Tode ihrer Herrin als

Inventar im Hause blieb und endlich erblindete, ohne ihren Zustand zu kennen: sie ließ sogleich ihren Aufseher kommen und bat ihn, ein anderes Logis zu

miethen, da das Haus zu finster sei! „Ich selbst", setzt Seneka trocken hinzu,

„bin immer ein Feind von solchen Monstrositäten gewesen; wenn ich nnch an einem Narren ergötzen will, so brauche ich nicht weit zu suchen:

ich lache

über mich!"

Es scheint, daß man später bei Tafel fast nirgends mehr dieser Art von Belustigllngerr habe entgehen können, und deshalb sucht auch der jüngere

Plinius einen darüber ungehaltenen Freund mit folgenden beschwichtigen:

„Ich

habe Deinen Brief erhalten,

Worten zu

in welchem Du Dich

beschwerst, daß Dich ein sehr ausgesuchtes Gastgelage verdrießlich gemacht habe, weil Possenreißer, schamlose Tänzer und Narren die Tische umkreisten.

Willst Du nicht wieder Denre Stirn glätten? Ich halte mir nicht dergleichen Leute, weil es nrir nicht den geringsten Spaß macht, wenn von einem Lustig­

macher etwas Muthwilliges, von einein Narren etwas Dummes vorgebracht

wird. Aber ich füge mich in die Laune solcher Wirthe. Denn wie viele brechen auf, wenn bei uns ein Vorleser oder Sänger oder Schauspieler auftritt, oder

bleiben mit eben so großem Verdrusse sitzen! Wir wollen also mit den Ver­

gnügungen Anderer Nachsicht haben, um dieselbe für die unsrigen zu finden." Da nun aber hauptsächlich die Miniaturmenschen schwer aufzutreiben waren, zumal wenn man sie so leicht haben wollte, wie ein von Sueton erwähnter

Lucius war, der blos siebzehn Pfund wog, oder der Dichter Philetas, ein

Zeitgenosse Alexanders, dem man andichtete, daß er Blei in den Schuhen getragen habe, um nicht vom Winde weggeweht zu werden, so gab es sogar bald Leute, die eigene Küsten oder Futterale dazu benutzten, um bei Findel­

kindern, die sie zu sich nahmen, das Wachsthum zu hemmen und so künstliche

90

Die Parasiten und Hofnarren.

Zwerge zu erzeugen.

Ja, es war nach Plutarch in Rain ein besonderer

Markt, auf welchem wadenlose, kurzarmige, dreiäugige, vogelköpfige Miß­ geburten feil geboten wurden! Natürlich giebt auch bei den römischen Kaiserir die größere oder geringere Neigung zu dieser Art von Belustigung einen Maaßstab zu ihrer Beurtheilung mit ab.

Unter den Machthabern,

die als Vorgänger der Cäsaren gelten

können, hatte der Diktator Sulla so großes Vergnügen an dieser Menschen­ klasse, daß er ihnen sogar Staatsländereien zum Gescheirk gemacht haben soll. Während dann Augustus mehr Gefallen an wohlgebildeten, durch Naivetät

und Witz ausgezeichneter: kleinen Knaben, als an Mißgeburten und niedrigen

Possenreißern fand und lustige Erzähler nur zuweilen zum Vertreiben der Schlaflosigkeit benutzte, waren in seines Nachfolgers Umgebung Zotenreißer und Narren der gewöhnlichsten Art.

Am Hofe des halbverrückten Kaligula

herrschte ebenfalls große Narrenfreiheit.

Vorzüglich richteten die Schranzen

ihre Angriffe auf den unbeholfenen, beschränkten Oheiin des Tyrannen, den

nachmaligen Kaiser Klaudius.

Wenn derselbe nach Tisch eingeschlummert

war, warfen sie ihn mit Oliven- und Dattelkernen; bisweilen weckten sie ihn

auch durch Ruthenschläge auf, nachdem sie vorher seine Hände beschuht hatten,

damit er sich beim plötzlichen Erwachen mit ihnen ins Gesicht fahren sollte. Vespasian, ein Freund von Wortspielen und derben Späßen, verschmähte die

Possenreißer nicht, und Domitian hatte selbst während der öffentlichen Spiele zu seinen Füßen einen in Scharlach gekleideten Zlverg stehen, mit dem er sich

sogar über Regierungsgeschäfte unterhielt, und ließ Weiber und Zwerge mit

einander kämpfen.

Von Kommodus sagt Herodian, daß unter ihm jeder

Vernünftige und wissenschaftlich Gebildete als geheimer Feind des Hofes verfolgt

worden sei, und daß Possenreißer und Mimen den Kaiser ganz in ihrer Gewalt hatten. Sein Nachfolger Pertinax schaffte sie ab und nahm ihnen den größten Theil ihrer Reichthümer wieder. Außer Gallienus, der stets an einem

zweiten Tische eine Gesellschaft Lustigmacher neben sich speisen ließ, sei endlich

nur noch Elagabal erwähnt. Er fand seine größte Lust daran, seine Parasiten

zu foppen und zu quälen.

Sehr oft ließ er ihnen dieselben leckeren Gerichte,

welche er verspeiste, in Wachs, Thon oder Glas nachgebildet vorsetzen, oder

sperrte sie, wenn sie trunken waren, des Nachts mit zahmen Löwen, Tigern oder Bären zusammen in ein Schlafgemach. Dann setzte er sie auf Windpolster

und freute sich, wenn durch schnelles Aufblasen derselben die Schmarotzer unter den Tisch flogen; zuweilen öffnete sich auch über dem Tisch die bewegliche

Decke und überschüttete die darunter Sitzenden mit einer solchen Masse von Blumen aller Art, daß einige erstickt sein sollen. Endlich lud er auch oft lauter

Taube, Podagristen, Kahlköpfige, Dicke und dergleichen zu sich ein, ganz ä la Peter von Rußland.

VI. Die Parasiten und Hofnarren. große Familie der Narren ist so alt als das Menschengeschlecht und | Mi gedeiht unter jedem Himmelsstriche. Es muß jedoch als Zeichen der

Zeit, als kulturhistorisches Merkmal gelten, wenn in irgend einer Periode die Narrheit zunftmüßig austritt, wenn Possenreißer und Lustigmacher an den Tafeln der Reichen, in der Umgebung der Fürsten nicht fehlen dürfen,

um theils passiv in wirklichem oder erheuchelten: Blödsinne als Zielscheiben

übermüthigen Spottes zu dienen, theils aktiv vermöge angeborenen Witzes und Talentes von dem Privilegium der Straflosigkeit auf Kosten ihrer Herren und

Gönner Gebrauch zu machen. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Erscheinung größtentheils entweder von einer noch rohen, unentwickelten Kulturstufe oder

von einer in Folge von Ueberfeinerung, Blasirtheit und Entsittlichung ein­

reißenden Barbarei Zeugniß giebt, wenn auch zuweilen, wie z. B. bei den Römern, ein allgemeiner Hang zur Bouffonnerie der Sache Vorschub leistet.

Bei den Griechen soll der Lustspieldichter Alexis in der Mitte des 4. Jahr­ hunderts v. Chr. zuerst deu Parasiten als Charakterfigur auf die Bühne

gebracht haben, und es beweist dies hinlänglich, daß Leute dieses Schlages

damals im gewöhnlichen Leben längst sich eingebürgert hatten.

Auch entsprach

sicherlich ihr Auftreten in der Wirklichkeit so ziemlich dem ihrer karrikirten Spiegelbilder in der Komödie.

Eigentlich hatte der Name „Parasit" keines­

wegs eine ehrenrührige Bedeutung. Man nannte so Tempel- oder Kultbeamte, die, von Seiten der Gemeinde den Priestern beigeordnet, den Kornzehnten ein­

nahmen, Festschmäuse ausrichteten und am priesterlichen Tische mit speisten. Später übertrug man den Namen auf das ganze Gewerbe der ungebetenen und

doch überall sich eindrängenden Tischgenossen, die handwerksmäßig für Be­

friedigung ihrer Hungerleiderei und Lüsternheit die Lachnerven der reichen Leute kitzelten.

92

Die Gaukler.

und nach den verschiedenen Zeiten der geschichtlichen Entwicklung. Während die versetzten, die höchsten Feste

größten Hexenmeister ganze Städte in Staunen

verherrlichen halfen und ihrem Namen ein eben so gutes Stück Unsterblichkeit verschafften, wie in unserer Zeit einPhiladelphia, Bosko oderDöbler, stand

Nicht bloß hatten die Be­

eigentlich der ganze Stand in geringer Achtung.

nennungen für einzelne Zweige der Jonglerie, wie Petaurista, Prästigiator, Funambulus, Agyrtes, Thaumatopoios, Parabolos, eine verächtliche Neben­ bedeutung, sondern man belegte auch die ganze Zunft mit den entehrenden Namen:

Landstreicher, Betrüger, Bettler, Lügenkünstler, Marktschreier.

Der Schein

des Wunderbaren und Geheimnißvollen, den sie um sich verbreiteten, übte zu

allen Zeiten eine große Anziehungskraft auf die Menge; aber ihre herum­ ziehende, leichtfertige Lebensweise und das Diebische und Betrügliche in ihren

Leistungen läßt immer in den Zuschauern nach Befriedigung der Schaulust eine geheime Abneigung vor den Künstlern zurück.

Wenn daher das Bäuerlein,

welches nach Alkiphron zu Athen die Kunststücke eines Gauklers gesehen hatte, zu seinem Nachbar sagt: „Das ist der ärgste Dieb und könnte es mit den berüchtigsten Gaunern aufnehmen! Möge nie eine solche Bestie in mein

Dorf komnren! Der würde mir Alles aus dem Hause und vom Felde'stehlen

und

doch

von Niemand

erwischt werden!"

so

könnte man

diese Worte

getrost einem Zeitgenossen in den Mund legen. Mit der Entartung der Sitten

und mit der sich ins Unmäßige vergrößernden Vergnügungssucht und Schau­ lust stieg bei Griechen und Römern die Geltung der Gaukler bedeutend.

Von den Griechen sagt- Athenäos ausdrücklich:

„Die handwerksmäßigen

Fertigkeiten setzten die Hellenen später bei weitem über die Erfindungen und Werke der Wissenschaft und Kunst."

Er denkt dabei vorzüglich an die Zeit des

politischen Unterganges, der makedonischen Herrschaft. Denn damals beschenkten die Athener den Karystier Aristonikos, einen bei Alexander dem Großen in Gunst stehenden Ballspieler, wegen dieser Kunstfertigkeit mit dem Bürger­

rechte und einem Standbilde; damals räumten sie dem Marionettenspieler

Potheinos dieselbe Bühne ein, vor welcher die Zeitgenossen eines Sophokles

und Euripides in göttlicher Begeisterung geschwärmt hatten, und errichteten dem Gaukler Eurykleides eine Bildsäule im Theater neben Aeschylos!

Auch die Hestiäer und Oriten (auf Euböa) stellten die Bildsäule des Taschen­ spielers Theodoros in ihren Theatern auf, die als Symbol der Kunst ein Kügelchen in der Hand hielt.

Alexander selbst liebte diese Art der Unter­

haltung ausnehmend und unter seinen Nachfolgern interessirte sich Seleukos

vorzüglich für die Seiltänzer. Bei den Römern verstieg man sich allerdings nie zu einem so hohen Grade des Enthusiasmus für die Jongleure;

allein schon Plautus erwähnt die

Gaukler öfter in seinen Komödien und seinem Nachfolger Terenz widerfuhr

das auch noch in unserer Zeit mögliche Unglück, daß bei der Aufführung feiner „Schwiegermutter" die Zuschauer sich aus dem Theater verliefen, um die gleich­ zeitigen Produktionen eines Seiltänzers nicht zu versäumen. In der Kaiserzeit bildeten die Belustigurugen durch Feuerwerke, Seiltänzer, Gaukler und Equi­ libristen die Zwischenakte bei Wettkämpfen, Thierhetzen, Gladiatorengefechten, ja sogar Gastmählern, gleich bcit Intermezzos in den heutigen Bereiterbuden. Uni die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen zu erhöhen, mögen sich wol schon früh Leute dieses Faches zusammengeschaart oder sich Schüler heran­ gebildethaben. Wenigstens hatte der Syrakusaner bei Xenophon eine Gauklerin, einen Tänzer und eine Flötenspielerin bei sich und in der byzantinischen Zeit trat eine aus vierzig Personen bestehende Seiltänzerbande in Konstantinopel auf. Auf ihren Zügen mußten sie natürlich ihr ganzes Rüstzeug mit sich führen; deshalb sagt Plntarch von Anekdotenjägern.- „Sie haben von ihren Erzählungen nicht etwa bloß einen Sack voll, sondern soviel, als die Gaukler an Geräthe und Kram auf den Reisen schleppen und hinter sich herziehen." Selbst die Heere pflegten von Jongleurs begleitet zu werden; denn Plntarch hebt es besonders hervor, daß die Armee Kleomenes III. allein von allen hellenischen und könig­ lichen weder Mimen, noch Gaukler, noch Tänzerinnen und Harfenspielerinnen bei sich gehabt habe. Rach ihren Leistungen war auch die Einnahme verschieden. Von seinem Syrakusaner sagt Xenophon, daß er „erstaunlich viel Geld" verdient habe. Bei den Vorstellungen auf öffentlichen Plätzen regnete es kleine Kupfermünzen auf die, wie bei uns, herumgereichten Teller, wobei es nicht an Personen fehlte, welche Anspruch auf Freibillete machten. Es erhellt dies aus Theophrastos Charakteren, wo als Beschäftigung geistig verkommener Menschen angeführt wird: „Bei den Gauklerkunststücken zu einem Jeden hinzutretend die Kupfermünzen einsammeln und sich mit denen herumstreiten, welche eine Frei­ marke bei sich tragen und umsonst zuschauen wollen." Doch betrachten wir die Leistungen der Alten aus diesem Felde einzeln und beginnen von der niedrigsten Stufe, der theils angeborenen, theils durch fortgesetzte Uebung erhöhten Körperstärke! Die Beweise riesiger Kraft, welche die bekannten griechischen Athleten von ihrem Urahn Herakles an gegeben haben, kommen hier nicht in Betracht. Nur einer von ihnen, dem nach seinem Tode auch göttliche Ehre zu Theil wurde, mag hier genannt werden: der Thasier Theagenes. Schon im neunten Jahre, als er einst ans der Schule nach Hause ging, trug er ein ehernes Götterbild, das ihm besonders gefiel, vom Marktplatze nach Hause und brachte es, als ein großer Lärm darüber entstand, wieder an seine Stelle. Aus der späteren römischen Zeit berichtet Plinius, der Aeltere, daß ein gewisser Salvins 200 Pfund Gewicht an jeder Hand und jedem Fuß und 400 Pfund auf den Schultern eine Stiege hinaufgetragen habe. Plinius selbst sah den oben erwähnten Athanatus in einem bleiernen

Brustharnische, der 500 Pfund wog, und mit eben so schweren Stelzschuhen über die Bühne schreiten. Zu Martial's Zeit trug der Riese Linus auf jedem

Arme 7—8 Knaben und der Dichter benutzt dies, um einen nnwiderstehlichen

Gecken seiner Zeit damit zn vergleichen, der an jedem Finger 10 Mädchen hangen habe! Der Usurpator Firmus endlich ließ sich einen Amboß auf seine Brust setzen und mit großen Hämmern darauf schlagen, ein Kunststück, das ihm seitdem

Viele nachgemacht haben. Noch mehr Staunen erregte aber die Leibesstürke, wenn sie mit Equilibristik verbunden gezeigt wurde.

So balaneirte der Athlet Masthlion, ebenfalls zur

Zeit Martial's, eine Stange mit schweren Gewichten auf seiner Stirne und selbst Chrysostomos kann derartigen Leistungen seine Bewunderung nicht

versagen.

„Wie soll man von denen sprechen", schreibt er, „welche auf der

Stirne eine Stange so unbeweglich wie einen festgewurzelten Baum halten?

Und dies ist noch nicht das Wunderbarste. Sie lassen noch zwei Kinder auf der Spitze der Stange mit einander ringen und weder die Hände, noch irgend ein

anderer Theil des Körpers, sondern allein die Stirne hält fester als jede Bande diese Stange."

Auch die jetzt bei jeder equibristischen Vorstellung unerläßliche

Menschenpyramide ist ein altes Stückchen.

Der Dichter Klaudian sagt in

seinem Festgedichte über den Konsulatsantritt des Mallius Theodorus: „Andere schwingen sich leicht, wie Vögel, umher in die Lüfte, Fügen den Leib in raschem Verband und bauen eillander Auf zum Thurm, wo, wie ein Geschoß fortsausend, ein 5knabe Oben erscheint, und, am Fuße befestigt oder am Schenkel, Sicher den schwankenden Raum zum Tritt in elastischem Schwung trifft."

Noch stauuenswerther sind die auf die Schnellkraft des Körpers basirten Kunst­

stücke der alten Luftspringer und Schwingkünstler (Petauristae oder Petaminarii), die nach Annahme der Astrologen unter dem Zeichen des Delphins geboren waren. Ihre verwegenen Künste hingen eng mit dem Petauron, einem schmalen

und langen Schwung- oder Schaukelgerüste, zusammen, das wahrscheinlich nicht fest stand, sondern durch einen emporschnellenden Stoß dem Sprunge zu Hilfe kam.

Sowol die Andeutungen der Schriftsteller, die von einem „Heraus­

schleudern" der Körper aus der Maschine reden, als auch ein noch vorhandenes

Vasengemälde beweisen, daß man sich die ursprüngliche Form des Petauron

(welches eigentlich die Stange bedeutet, auf welcher des Nachts die Hühner

sitzen) ganz einfach als einen horizontalen, in seinem Mittelpunkte auf einer

dreikantigen Unterlage schwebenden Schaukelbalken zn denken hat.

Später

wurde dieses Gerüste jedenfalls viel kömplizirter und mein belegte vielleicht sehr

verschiedene Schwungmaschinen mit demselben Namen.

Namentlich gilt dies

von dem freistehenden, sich drehenden Rade, welches von Vielen für das eigentliche

Petauron gehalten worden ist. Auf dieses stellten sich zwei Athleten und während

es sich durch die Last drehte, suchte:! sie allerhand schwierige Kunststücke aus­ zuführen; zuweilen flogen sie dann mit elastischem Sprunge weit weg und überschlugen sich in der Luft oder sie wanden sich blitzschnell durch das Rad,

ohne den Kreis zu berühren. Auch brennende oder glühende Reife wurden zum Durchspringen benutzt und im Petron'schen Gastmahle Trimalchio's, der sich

übrigens nicht scheute, seinen Gästen zu erklären, daß er Petauristen und Wachtel­

kämpfe über alle Schauspiele setze, springt ein Knabe durch brennende Reife und hält mit den Zähnen eine Amphora, nachdem er eine Leiter hinaufgeklettert

war und oben nach der Melodie eines Liedchens getanzt hatte. Endlich schildert das ganze Treiben der Luftspringer das astrologische Gedicht des Manetho in folgender Weise: Kräftiger Werke Vollbringer erzeugt sie (die Sonne) mit mühsamer Spiellust, Pöbelbefreundcte Gaukler, Theaterlustige, schwebend Himmelan, auf den Gerüsten fortfliegcnde Petauristen, Zwischen der Erd' und den: Himmel gemessene Werke beeilend: Ziehende Vögel im Lande, die allerverworfenste Stadtbrut.

Zunächst verwandt mit diesen beflügelten Künstlern ist der Wanderer auf der luftigen Bahn des Seiles, von dem ein altes Räthsel sagt: „Wenig breit ist der Pfad und reicht nicht aus für die Füße."

Dieses uralte, halsbrecherische Wagestück ist unter diesen Künsten in sofern das gemeinste, als es beim Zuschauer nicht einmal den Reiz des Wunderbaren, sondern nur die ängstliche Spannung des Gefährlichen erzeugt, „ dem der Künstler",

wie Manilius sagt, „sein Talent verkauft."

Aber gerade dieser Kitzel gefiel

dem durch Gladiatorengefechte und Thierschlächtereien verwilderten Geschmacke

der späteren Römer und es nimmt deshalb nicht Wunder, wenn sie den Seil­

tänzern, die zum ersten Male im Jahre 390 der Stadt sich produzirten, mehr Aufmerksamkeit zollten als dem Drarna.

Eine genaue Beschreibung der Kunst

liegt in einem Fragmente Petron's vor, wo es heißt: „Auf untergestellten

Balken werden Stricke aus Werg gespannt, welche der Jüngling sicheren Fußes

besteigt.

Der luftige Wanderer setzt sodann die Beine vor einander und durch­

läuft den selbst für Vögel schwierigen Pfad; die Arme ausbreitend lenkt er seine

Schritte durch die Leere, damit nicht der Fuß vom schmalen Taue abgleite."

Wenn hier der Schriftsteller einen Seiltänzer vor Augen hat, der durch bloßes Ausbreiten der Arme das Gleichgewicht hält, so.darf man nicht hieraus schließen

wollen, daß die Balancirstange den Alten unbekannt gewesen sei.

Vielmehr

verschmähten nur die tollkühneren Seilkünstler, wie auch bei uns, dieses Hülfs­ mittel; tanzt ja doch auf einem zu Herkulanum gefundenen Bilde eine Figur

auf dem Seile, mit beiden Händen die Doppelflöte spielend!

Die Vorstellungen fanden meist im Theater statt und wenn man heutzutage

96

Die Gaukler.

das Seil von den Thürmen auf die öffentlichen Plätze herabgezogen sieht, so spannten die Alten den Catadromus (das herablaufende Seil) von beii höchsten

Schwibbögen des Theaters bis in die Orchestra.

Und was man früher als

das höchste Wagestück des Menschen anstaunte, das mußte in. der Kaiserzeit das kolossalste Thier, der Elephant leisten! Zuerst ließ der nachmalige Kaiser Galba

als Prätor bei den Spielen der Flora einen ELephanteil auf dem Thurmseile

in die Höhe steigen.

Weit schwieriger war aber für den Riesen der Thierwelt

das Herabgehen auf der schwankenden, abschüssigen Bahn.

Dennoch erzwang

auch dies der unsinnige Nero bei den zu Ehren seiner durch ihn ermordeten Mutter veranstalteten Spielen, und sowie überhaupt die vornehmsten Mmmer und Frauen von ihm zu den entwürdigendsten Handlungen gedrängt wurden,

nöthigte er auch hier einen römischen Ritter aus berühmtem Geschlechte an Stelle des sonst gewöhnlichen Negerknaben auf dem Elephanten zu reiten. Der menschenfreundliche Antoninus, der Philosoph genannt, befahl dagegen nach

dem unglücklichen Sturze eines Knaben, den Seiltänzern stets Polster unterzubreiten, deren Stelle auch nach seinem Tode noch Netze vertraten. Der Saiten­

tänzer (Neurobates), der während der prachtvollen Spiele des Kaisers Karinus auftrat, bediente sich wahrscheinlich einer starken Darmsaite, damit es den

Anschein gewänne,

„als schwebte er in der Luft."

Unter den Sonderbar­

keiten dieser Spiele erwähnt der Biograph auch einen „Mauerläufer" (Ticho-

bates), der zuerst einen Bären foppte und in Wuth versetzte und dann sich dadurch rettete, daß er eine Wand hinaufkletterte. Daß auch den Dieben diese Fertigkeit

trefflich zu statten kam, erhellt aus einer von Sui das erzählten Anekdote. Ein berüchtigter Dieb-, Namens Eurybatos, saß im Gefängnisse.

Seine Wächter

berauschten sich einst und kamen auf den Gedanken, ihren Gefangenen loszubinden

und aufzufordern, daß er ihnen zeigte, auf welche Art er die Häuser erklimmen könnte. Anfangs weigerte sich der Gauner; aber endlich legte er sich seine

Stacheleisen zurecht Md begann vor den staunerrden Wächtern die senkrechte

Wand des Hauses zu ersteigen.

Nachdem er aber das Dach erreicht hatte,

vergaß er die Rückkehr und verschwand, ehe die Häscher um'das Haus herum­ laufen konnten! Eine wahre Pflanzstätte der Seiltänzerkunst scheint, wie schon angedeutet, die am Marmarameere gelegene, reiche Handelsstadt Kyzikos gewesen zu sein.

Ihr Wohlstand datirte sich vom Sinken Athen's und Milets her und erhielt sich durch kluge Politik während ihrer Unabhängigkeitsperiode und durch treue

Anhänglichkeit unter dem römischen Regimente. Ihre Befestigungen, Arsenale und öffentlichen Gebäude waren weit und breit berühmt, ihr Handel wetteiferte mit den blühendsten Emporien des Mittelmeeres und sank erst durch die Raub­

züge der Gothen und durch die Eroberung der Stadt von Seiten der Araber. Nach einer unter Konstantin d. Gr. verfaßten Geographie sollen nun ihre.

Bewohner in der Seiltänzerkunst alle Völker übertroffen und behauptet haben, daß dieselbe bei ihnen erfunden worden sei.

Bei den Festen und Spielen dieser

Stadt mögen denn auch derartige Gaukler das Höchste geleistet haben und

Kyzikos ließ sogar Münzen prägen, auf denen Seiltänzer, in Ausübung ihrer

Kunst begriffen, abgebildet waren. Namentlich gilt dies von einer im kaiserlichen Münzkabinet zu Paris befindlichen Bronzemedaille, welche etwa ums Jahr 212

zu Ehren des Kaisers Karakalla, dessen Neokoren oder Tempeldiener sich die

Kyzikener nennen durften, geschlagen worden ist.

Auf dem Reverse stehen

zwei schief aufgerichtete Balken oder Mastbäume, die von zwei schwüchereit in spitzem Winkel gestützt werden, während nach den beiden Außenseiten hin deutlich zwei Seile von der Spitze aus herabgespannt sind.

Außerdem sind die Mast­

spitzen mit großen, runden Gefäßen geziert, in welchen, wie in großen Blumen­

vasen, mehrere Palmenzweige stecken.

Zwei Seiltänzer, mit Balaneirstangen

versehen, haben eben das Ziel erreicht, und strecken die Hände nach dem Sieges­

preise aus; am Fuße der Stützen stehen noch zwei Personen, welche theils die

Balken umfaßt halten, als wollten sie die Sicherheit des Gerüstes vermehren,

theils Miene machen, die Masten zu erklettern.

Den aus der Apostelgeschichte

bekannteil Simoli, den Magier, von dem die apokryphe Kirchengeschichte erzählt,

daß er zu Rom unter dem Kaiser Nero vom Kapitole herabgeflogen und auf

Beschwörmrg der ihm helfenden Dämonen durch den Apostel Paulus herab­ gestürzt sei, hat man auch für einen gewandten Seilkünstler ausgeben wollen.

Wahrscheinlich war es wirklich ein verunglückter Flugversuch, Die oben erwähnte Seiltänzerbande, die im 13, Jahrhunderte in Kon­

stantinopel erschien, stammte aus Aegypten und hatte bereits das südliche und westliche Asien durchzöge:!, aber auch schon von 40 Mitgliedern die Hälfte durch Unglücksfälle eingebüßt. Diese spannten ihre Seile zwischen Schiffsmasten auf,

umwickelten letztere bis an die Spitzen mit Tauen und stiegen dann auf diesen

Wendeltreppen enlpor.

Einer von ihnen stellte sich auf die Spitze des Mastes,

bald auf einem Fuße, bald auf dem Kopfe balancirend; dann that er plötzlich

einen weiten Sprung, ergriff mit der einen Hand das Seil und drehte sich wie ein schnell gewirbeltes Rad um dasselbe herum,

Zuweilen erhaschte er das Seil

auch mit den Knieen und machte dieselbe Bewegung.

Dann stellte er sich auf

das Seil, nahm Pfeil und Bogen und traf mit großer Sicherheit ein in der Ferne aufgestecktes Ziel.

Endlich ging er mit verbundenen Augen und einen

Knaben auf der Schulter tragend von einem Maste zum anderen. Am Anfänge unseres Jahrhunderts machten die mechanischen Seilschwinger

Breitrück's und Enslen's, Puppen in Lebensgröße, welche die künstlichsten Bewegungen auf dem Seile ausführten, großes Aufsehen mit) einige Zeit später

setzten die Tendlerschen Seiltänzer die Welt in Staunen. Diese Marionetten waren nur zwei Fuß hoch. Ehe sie auf's Seil kamen, waren sie schlaff, wie Göll, Kulturbilder. I.

7

98

Die Gaukler.

andere Puppen; sowie sie aber der Künstler auf das Seil setzte, schienen sie

plötzlich Leben zu bekommen; sie schwangen sich kräftig hin und her, hielten sich

bald mit beiden Händen, bald mit einer Hand, schleuderten sich um das Seil

herum, nahmen es zwischen die Beine, streckten die Arme in die Höhe, stellten sich mit dem Kopfe darauf und machten überhaupt eine Menge schwer zu erklären­ der Kunststücke.

Auch solche auf dem Seile balaneirende Männchen waren dem

Alterthume nicht fremd. Wenigstens farrd der in Ky z ik o s erzogene S el e u k o s VI. Vergnügen daran, vier Ellen hohe Puppen auf dem Seile tanzen zu lassen. Ueberhaupt waren die Marionetten nach Herodot schon den alten Aegyptern

bekannt, und wennAppulejus sagt: „Diejenigen, welchem hölzernen Puppen

Bewegungen hervorbringen, ziehen an den verschiedenen Fäden; dann dreht sich der Nacken, nickt der Kopf, zucken die Augen, sind die Hände zu jedem Dienste

bereit, wird die ganze Gestalt zu leben scheinen", so ergiebt sich daraus, daß

die Lebendigkeit der Neurospasta — so hießen bei Griechen und Römern die Gliederpuppen — einen bedeutenden Grad der Vervollkommnung erreicht hatte. Hat man doch sogar neuerdings in Pompeji ganze Gruppen kleiner hölzerner

Gladiatorenfiguren gefunden, die, durch einen Mechanismus in Bewegung gesetzt, das Bild eines Gefechtes darstellten!

Elastische Kraft, geschmeidige Fügsamkeit der Muskeln und Taschenspieler­ behendigkeit erforderten ferner die Künste der Ventilatores und Pilarii, „welche", wie Quintilian sagt, „Alles, was sie von sich warfen, wieder in ihre Hände

zurückkehren oder, wo sie wollen, niederfallen lassen."

Eine gute Vorübung

zu künstlicheren Leistungen waren bei Griechen und Röinern die verschiedenen Arten des Ballspieles.

Schon bei Homer wird das orchestische Ballspiel der

Nausikaa erwähnt und in den Gymnasien ertheilte später ein besonderer Lehrer

in dieser Kunst Unterricht.

Wird also schon ein geschickter Spieler in dieser

leichtesten Art der Gymnastik Vorzügliches geleistet haben, so mag die Schilde­ rung des Manilius nicht übertrieben sein, die er in folgenden Versen vom

Ballgaukler giebt: Fliegenden Ball mit beweglichem Futz vermag er zu schnellen, Handdienst leistet der Fuß, er treibt mit dem Fuß das Ballonspiel. Ball auf Ball entfliegt des beweglichen Oberarms Muskeln; Schaaren von Bällen ergießen sich über die Glieder des Körpers! Soviel Glieder, soviel entwachsen auch Hände den Gliedern, Damit erfaßt er die Kugeln, im Rückschwung schneller sie flügelnd, Alle gelehrig dem Meister.

Auf einem im Museum zu Verona befindlichen Diptychon spielt ein junger Gaukler mit sieben Bällen, die er theils auf die Stirn, theils auf das innere

Gelenk der Ellbogen, theils auf die Wade und den Spann des Fußes auf­ prallen läßt.

Anstatt der Bälle, welche wahrscheinlich aus polirtem Metalle bestanden, nahmen einige Jongleure Ringe, Degen und andere Dinge.

So warf die

Gauklerin in Xenophons Gastmahle zwölf Ringe während des Tanzes in die Hohe und fing sie der Reihe nach wieder auf.

Dem gewandten Agathinus,

welcher dasselbe Spiel mit kleinen runden Schilden trieb, fiel, wenn man seinem

Lobredner Martial glaubt, nie ein Schild zur Erde, wenn auch Wind und Regen dem Spiele hinderlich waren; stets fing er die herabfallenden auf und

nicht bloß mit den Händen, sondern unter gleichmäßiger Mitwirkung des ganzen

Leibes.

Gefährlicher wurde die Sache, wenn Schwerter in die Luft geworfen

und der Reihe nach beim Griffe wieder gefangen werden mußten, was Chry­ sostomos in Antiochia sah. Der Tänzerin Xenophons wurde ein rings mit gezückten Degen gespicktes, rundes Gestell hingesetzt, in welches hinein sie ein Rad schlug und sich wieder rückwärts herausschwang. Dasselbe thaten auch

die Gauklerinnen auf der von Athenäos beschriebenen Hochzeit des Makedoniers

Karanos, und es finden sich noch Vasenbilder, auf denen Gauklerinnen in abenteuerlichen Stellungen diesen Tanz ausführen, neben anderen,

worauf

Künstlerinnen, auf die Hände gestützt, während die Beine über den Kopf nach

vorn sich ausstrecken, mit deir Zehen Pfeil und Bogen handhaben oder au§ einem

größeren Gefäße einen Becher vollschöpfen.

Das Lesen und Schreiben auf einer-

schnell sich drehenden Töpferscheibe endlich scheint ebenfalls eine oft gezeigte Prodicktion der Weiber gewesen zu sein. Es folgen nun die wirklichen Taschenspielereieil, die eigentlichen Wunderthaterr der alten und neuen Zauberer. Geschwindigkeit und geschickte Verdeckung

des natürlichen Zusammenhanges überraschen mit) belustigen hier den Zuschauer; „die Tüuschimg und der Betrug", sagt Seneka, „ergötzen am meisten bei

diesen Stücken; wenn Du mich belehrst, wie es zugeht, so verliere ich den Ge­ schmack mi ihnen."

Die Alten müssen natürlich in diesem Zweige der Jonglerie

bedeutend nachstehen, da ihnen die Hilfe der Experimentalphysik und Chemie

größteirtheils abging.

Schon aus diesem Grunde also darf man die Leistungen

der alten Gaukler rächt überschätzen. Wenn man aber überdies dem behangenen Tische, der blendenden Kerzenbeleuchtung und dem die Aufnrerksamkeit ablenkenden, vielfachen Apparate unserer Bosko gegenüber die Einfachheit und die durch

die Tageshelle und der: Mangel an Deckmitteln bewirkte Bloßstellung der alten

Eseamoteure hervorgehoben hat, so darf man nicht vergessen, daß nach Platon's Zeugnisse schon die Alten eine Schranke zwischen sich und die Zuschauer stellten,

hinter welcher sie ihre Wrmder vollbrachterr. Das allergewöhnlichste Taschenspielerstück bestand in dem Spiele mit

Kugeln oder Steinchen und Bechern (die Griecherr nannten davon die ganze

Zunit:

„Kugelspieler" oder „Kugeldiebe"; unser

„Gaukler" stammt wahr­

scheinlich von: mittelalterlichen Cauculator und dieser vom griechischen Ka-vztov

7*

100

Die Gaukler.

d. h. Schüsselchen, Näpfchen). vermittelst

der Geschwindigkeit

Außer vielfachen Erwähnungen dieser Hexerei

bei

anderen

Schriftstellern

findet sich

in

Alkiphron's Romane folgende genaue Schilderung: „Es trat Einer mitten

unter uns und stellte auf ein dreifüßiges Tischchen drei kleine Näpfe.

Dann

steckte er unter dieselben weiße, runde Steinchen, wie man sie an den Ufern der

Bäche findet.

Diese verbarg er bald einzeln unter den Näpfchen, bald zeigte er

sie alle unter einem einzigen, bald verschwanden sie alle ganz und gar und dann brachte er sie aus seinem Munde heraus.

Endlich verschluckte er sie, stellte die

ihm zunächst stehenden Personen in die Mitte und zog die Kügelchen dem Einen

aus der Nase, dem Andern aus den Ohren und im nächsten Augenblicke waren

sie alle wieder verschwunden."

Ferner gehört hierher das Hinabstoßen von Plutarch läßt einen Athener im

Schwertern und Dolchen in den Schlund.

Spotte über die spartanischen Schwerter sagen, sie seien so kurz, daß sie von den Gauklern leicht verschluckt werden könnten.

Der Apparat, den die Alten

vielleicht auch zu diesem Kunststücke, sicher aber auf der Bühne brauchten, kam

übrigens unserem Theaterdolche sehr nahe.

In dem Romane des Achilles

Tatius findet Jemand in einem aus dem Meere gezogenen Kasten einen Dolch,

dessen Griff vier Handbreiten, der Stahl aber nur zwei Zoll lang war.

Solange

man dieses Instrument mit der Spitze nach oben gekehrt hielt, ragte der Stahl heraus; wenn man es aber wie zum Stoße zückte, verschwand die Klinge in

einer Ritze des Griffes.

Widerwärtiger als jene Eisenfresserei war das Früh­

stück der Gaukler, welche nach Chrysostomos spitzige Nägel und alte Schuhe zerkauten und verschlangen! Da liest man doch lieber von dem berühmten Viel­

fraße des Kaisers Aurelian, der an einem Tage einen ganzen Eber, 100 Brode, einen Schöps und ein Ferkel verzehrte und dazu mehr als eine Tonne Wein

aus einem Trichter trank!

Der Lokrer Diope.ithes, welcher sich in Theben

sehen ließ, umgürtete sich mit Schläuchen voll Milch und Wein, preßte dieselben

leer und pumpte die Flüssigkeiten aus seinem Munde wieder heraus.

Ein angehender Barnum scheint ferner der bei Griechen und Römern bekannte Matreas aus Alexandria gewesen zu sein.

Dieser Schwindler

gab vor, ein Thier zu besitzen, daß sich selbst auffresse, weshalb man noch zu Athenäos Zeit einander oft im Scherze fragte, was für ein Thier das des

Matreas sei? Außerdem hielt er Vorträge über lustige Themata, z. B. warum die Sonne untertauche, ohne zu schwimmen; warum die Schwämme zusammen

tränken, ohne mit einander zu zechen; warum der Thaler gewechselt werde, ohne sich zu ärgern.

Sogar in gewisse Theile des Kopfes stießen sich die Gaukler

zu Antiochia Nägel, und der Ausdruck:

„ein vernagelter Kopf" findet sich

schon bei Chrysostomos, freilich erst in eigentlicher Bedeutung. Sodann standen auch die Kunststücke unserer Feuerspeier und Unverbrenn­ lichen bereits mit auf dem Repertoire der alten Gaukler. Die Gauklerinnen auf

der Hochzeit des Karanos hauchten auch Feuer aus dem Munde. Der syrische

Sklave Eunus, der in der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. den ersten sieilischen Sklavenaufstand erregte und leitete, bediente sich desselben Kunststückes,

um seine göttliche Sendung zu beglaubigen, indem er das Feuer aus einer durch­

bohrten Nuß blies.

Durch ein ähnliches Wunder bezeugte zu Hadrian's Zeit

der jüdische Aufrührer Barkocheba seinen tiefgesunkenen Landsleuten seinen

Messiasberuf und ließ sich der Kaiser Konstantius außer Fassung bringen.

Doch scheint mall den glimmenden Flachs damals noch nicht hierzu angewendet Der berühmte Arzt Galenits berichtet, das einst ein Gaukler ein

zil haben.

Licht ausgelöscht ulid wieder angezündet habe, indem er es an eine Wand hielt. Bei näherer Untersuchung ergab sich aber, daß die Mauer vorher mit Schwefel

bestrichen worderr war und der Zauberer verlor seinen Ruf.

Bei den Römern

war eine Art Kunstfeuerwerk sehr beliebt, welches auf beweglichen und bemalten

Gerüsterr abgebrannt wurde. Von allen Seiten mußte das Feuer aus der Vor­ richtung hervorbrechen und bestimmte Figuren beschreiben, bis es endlich plötzlich

verschwand.

Bei dem erwählüen großen Feste des Kaisers Karinus entzündete

sich durch ein solches Feuerwerk die ganze Bühne. Auch bei dem schon berührten

Konsulatsantritte des Mallius Theodorus im Jahre 399 v. Chr. fehlte diese Belustigung incht, denn Klaudian schreibt: „Frei vom Gegengewicht versenke sich leicht das Gerüste! Wie im Tanz umdrehe der Spielraum sprüheilde Funkeir Hoch umher, und das Feuer, die buntesten Kreise beschreibend, Schweife gefahrlos über das Holz! Mit dem Schimmer der Flammen Spiele das farbige Gebälk und der Thurm vertraue dem Brande, Der unschädlich darin umgaukelt, ohne zu rasten!"

Nach einer Andeutung Tertullian's gab es auch Leute, die sich anheischig

machtet!, eine gewisse Strecke in brennenden Kleidern zurückzulegen! In der wundergläubigen späteren Kaiserzeit spielen diese Kunststücke, wozu auch das Eintauchen der Hände in brennendes Pech, Erregung von Donner, Spiegel­

bilder und Bauchrednerei gehören, eine große Rolle bei den Betrügereien heidnischer Priester.

Die christlichen Kirchenlehrer der ersten Jahrhunderte tadelten mit Recht

alle verwegenen, lebensgefährlichen, unnützen Künste der Gaukelei; aber der

klare Geist des Chrysostomos wittert noch nicht den Pferdefuß unter dem

Gewände

der Jongleure

und

noch

der Geschichtsschreiber

Nikephoros

Gregoras, ein Geistlicher, sagt nach seiner Schilderung der ägyptischen Seil­

tänzerbande: „Ihre Leistungen waren zwar außerordentlich und staunenswerth, hatten aber nichts mit teuflischer Zauberei gemein, sondern ihre Künste waren

durch eine glückliche Körperanlage bedingt, die man durch Uebung zu solchen

Werken herangebildet hatte."

Um so verdummter erscheinen uns die folgenden

Jahrhunderte.

Wurde ja noch im Jahre 1739 ein Taschenspieler in Polen bis

zum Geständniß der Hexerei gefoltert und dann gehängt! Ja 1601 ward einem

abgerichteten Pferde in Lissabon der Prozeß gemacht! Es war dasselbe, welches

der gelehrte Casaubonus im Januar desselben Jahres in Paris gesehen hatte; der Herr des Thieres, ein Engländer, hatte ihm noch das Geheinmiß der Dressur

enthüllt, die in leisen Worten und Winken bestand! — Bei dieser Gelegenheit

sei noch kurz der Abrichtung der Thiere bei den Alten überhaupt gedacht.

Oft

wiederholt ist die Anekdote von dem Trompeterschimmel, der beim ersten Klange der gewohnten Signale seinen bürgerlichen Reiter in die Reihen der Soldaten trug. Schon vor länger als 2000 Jahren hat sich etwas Aehnliches in größerem

Umfange zugetragen.

Die weichlichen Sybariten und die zu dem thracischen

Reitervolke gehörenden Kardianer fanden Vergnügen daran, ihre Pferde nach Flötenmusik tanzen zu lehren und an ihren Festen diesem Kunststücke zuzuschauen. Als nun Sybaris mit Kroton, und Kardia mit Bisaltia in Krieg gerieth, benutzten

die Feinde diesen Umstand, eigneten sich durch Verrath die Balletmelodien der

Pferde an, und als die Schlacht begann und die gewohnten Klänge ertönten, spitzten die sybaritischen und kardianischen Rosse die Ohren, stellten sich auf die Hinterfüße und tanzten mit ihren Reitern zu den Feinden hinüber! — Auch die Affenkomödie war den Alten nicht fremd.

(Shi ägyptischer König ließ nach

Lukian einen Waffentanz von bekleideten, mit Larven versehenen Affen aus­

führen;

allein am Ende des Tanzes hatte ein muthwilliger Zuschauer den

Einfall, Nüsse auf die Bühne zu streuen: da warfen die Tänzer Waffen und

Kleider weg, demaskirten sich und kämpften um die Beute.

Daß ferner Raben

sprechen lernten, Hunde durch Reife sprangen, ist allbekannt und fällt uns nicht auf; nur Eines ist außer Mode gekommen: man ließ im Alterthume auch dem

gutmüthigen Rinde keine Ruhe und dressirte es zu künstlichen Stellungen und

Tänzen! Unter anderen Lkunststücken von ihm erwähnt der ältere Plinius das Stehen auf Wagen als Wagenlenker und bei den Spielen des Titus zeigten dressirte Stiere zugleich mit Pferden ihre Künste im Wasser.

Eine ähnliche

Veranlassung hatte Martial zu einem Epigramme., das anhebt: „Sieh, wie die Schaar dort springt auf die jungen, friedlichen Rinder, Und wie er liebet die Last, dieser gefällige Stier! Dieser hangt an der Spitze des Horns, der läuft auf den Schultern Hin und wieder und schwenkt Waffen umher auf dem Rind. Aber die Wildheit steht unbewegt."

Derselbe Dichter besingt auch den Zweikampf dressirter Antilopen, Von

gezähmten Löwen aber sagt er mehrmals, daß sie Hasen in der Arena fingen und apportirten.

Einen blinden Hund von außerordentlicher Klugheit zeigte

im Jahre 543 ein Italiener, Namens Andreas, zu Konstantinopel.

Er ließ

sich Ringe von den Zuschauern geben, verscharrte sie, und der Hund brachte

Die Gaukler. dann jedem den seinigen.

103

Dann sortirte er auf Befehl die verschiedensten

Münzen nach den Bildnissen der Kaiser. Endlich bezeichnete er die Anwesenden

nach ihrer Größe und ihrem Charakter!

Eine antike Terraeottalampe zeigt

einen Gaukler, zu dessen linker Seite ein abgerichteter Affe sitzt, während auf

der anderen ein Hund eine Leiter hinaufklettert.

Daß man in Griechenland

ganz gewöhnlich gezähmte wilde Thiere für Geld sehen ließ, bezeugt folgende

Stelle des Jsokrates: „Jedes Jahr schauen wir unter den Kunststücken Löwen, die sich zahm gegen ihre Wärter gebärden, und Bären, die sich wälzen und

unsere Geschicklichkeiten nachahmen."

VIII.

Die Pantomimik. enn man die Tanzkunst der Griechen und Römer im Allgemeinen mit der modernen vergleicht, so zeigt sich auf den ersten Blick eine prin­ zipielle Differenz, welche die Aehnlichkeit bedeutend verringert, ja beinahe aufhebt. "Bei uns ist der Tanz vorherrschend geselliger Genuß; die Tanzenden kümmern sich fast nur um ihr eigenes Vergnügen, wenig um ihre Beziehung zu den Zuschauenden, und wenn, wie in Deutschland, zur Armuth an schönen Formen noch der Mangel an Grazie beim Tanze kommt, so muß man vom gewöhnlichen Tanze, als besonderer Kunstform, ganz absehen. Anders gestaltete sich die Orchestik bei den Alten, in deren Anschauung geistige und körperliche Schönheit untrennbar waren, bei denen alles Innere plastisch in die Gestalt heraustrat. Sie tanzten eben mit ganzen Körper; besonders das selbst von den Kunsttänzern jetzt arg vernachlässigte Spiel der Arme und Hände richtete sich streng nach der Stimmung der Musik, gleichsam durch die Harmonie der Bewegungen die fehlenden musikalischen Ausdrucksmittel ersetzend. Freilich knüpft sich au den Umstand, daß damals die Tänze fast bloß für den Zuschauer

berechnet waren, der weitere Unterschied, daß bald der gesellige Tanz größtentheils im Kunsttanz unterging und dann bei Mahlzeiten und anderen Be­ lustigungen Tänzer und Tänzerinnen von Profession auftraten. Die bei Homer noch nicht vorhandenen Vorurtheile gegen die Virtuosität treten in der. historischen Zeit deutlich hervor und das Beispiel des Atheners Hippokleides, der sich vor seinem ernsten Schwiegervater Kleisthenes in Sikyon die Braut durch zu leidenschaftliche Liebe zum Tanz verscherzte, wird manchem griechischen Dandy warnend vorgeschwebt haben. Sonst galt der Tanz den Griechen der historischen Zeit als höchster Grad des Vergnügtseins beim Symposion, und sich hierbei, auszuschließen konnte nach Theophrast sogar als Zeichen der

Ungeselligkeit gedeutet werden.

Bei den Doriern gab es einen in bunter Reihe

von Jünglingen und Jungfraueir aufgeführten Festtanz.

Bei den Athenern

tanzten wol auch an Familienfesten die Frauen; aber die beiden Geschlechter werden jedenfalls auch hier ihre Touren getrennt zum Besten gegeben haben.

Noch strenger, als die Griechen, urtheilten natürlich Jbie Römer in dieser Be­ ziehung, weil ihnen mit der gravitätischen Würde des Mannes eine tänzelnde

Cicero's berühmt gewordenes Wort:

Beweglichkeit unvereinbar erschien.

„Fast Niemand tanzt in nüchternem Zustande, wenn er nicht vielleicht den

Verstand verloren hat," trifft deshalb zufällig mit der Ansicht vieler Sitten­ richter unserer Tage überein, „die," wie Vischer sagt, „nur eine häßliche

Sinnlichkeit kennen."

So bliebe denn eigentlich bloß ein Vergleich zwischen

den höheren Kunstformen alter und neuer Zeit möglich, wie sie besonders in der theatralischen Orchestik auftreten und hier ist es besonders die römische

Kaiserzeit, die bis jetzt unerreicht dasteht. Die überaus große Beweglichkeit der Südländer, ihre lebhafte Gestiku­ lation und die Mannigfaltigkeit des Lebens erzeugte bei den Griechen eine Reihe von Gebärden, welche auch außerhalb des Theaters im täglichen Leben ihre Anwendung fanden und allen sogleich verständlich waren.

Einige Gesten

dieser Art, namentlich solche, die sich auf Liebesverhältnisse bezogen, kommen

auch in den Malereien antiker Thoirgefäße vor.

Man wundert sich deshalb

nicht über die Neigung der Griechen, auch durch den Tanz wirkliche Handlungen darzustellen. Bald überwog das mimische Element das rythmische, und es gab

endlich keinen Charakter, kein Gewerbe, nichts Auffallendes im Getriebe des Lebens, was diese Art der Pantomimik nicht durch die stumme Sprache der Glieder wiedergegeben hätte. Als solche Charaktertänze werden z. B. aus der

älteren Zeit erwähnt: Angelike, Gypones, Brydalliche, Mimetike. Die Angelike stellte einen Boten vor, der eine überraschende Nachricht hastig und bezeichnend mittheilte; im Gypones veranschaulichte man das Einher­ schleichen bejahrter und vom Alter gebeugter Männer;

die Brydalliche

bezeichnete das Treiben ausgelassener Weiber; die Mimetike einen auf dem Diebstahl von Eßwaaren Ertappten.

Einer noch niedrigeren Art der Komik

gehörten die Nachahmungen besonders hervorstechender Thiere, z. B. des

Löwen, des Fuchses, der Eule, an.

Ein bedeutender Fortschritt war es, daß

die Orchesten, unter denen die lakonischen und sieilischen die ausgezeichnetsten waren, ihre Stoffe aus der Mythologie wählten und nun die Thaten und Schicksale ihrer Götter und Heroen in mimischen Tänzen und Tableaux aus­

drückten.

Die anschaulichste Schilderung einer Darstellung dieser Art liefert

uns Xenophon in seiner Beschreibung des Gastmahles, welches Kallias seinem Freunde Sokrates giebt.

Hier erscheint zur Erheiterung der Gäste

ein Syrakusaner nebst einer Tänzerin, einer Flötenspielerin und einem der

Die Pantomimik.

106 Orchestik kundigen,

schönen Knaben.

Nachdem die Gesellschaft mancherlei

Gauklerkünste zum Besten gegeben hat, erbittet sich Sokrates selbst einen

Ein Lehnstuhl reichte hin, um das Gemach anzudeuten;

dramatischen Tanz.

der Syrakusaner gab mit wenigen Worten das Programnr der Darstellung: der Ariadne

die Heimfuhrung

durch Dionysos.

„Hierauf kam zuerst

Ariadne herein, bräutlich geschmückt, und setzte sich auf den Sessel.

ertönte auf der Flöte die Melodie eines bacchischen Tanzes.

Da

Sogleich zeigte

Ariadne durch ihr Benehmen, wie freudig sie die Töne durchschauerten; zwar stand sie nicht auf, um dem Gott entgegenzugehen, aber sie konnte ihre Unruhe

nicht verbergen.

Endlich erschien Dionysos, halbberauscht, setzte sich zu ihr

und umarmte sie. Dionysos aufstand,

Verschämt erwiederte sie seine Liebkosungen. Ariadne mit sich emporzog und beide

Als aber

sich vermittelst

der Gebärdensprache ihre Liebe gestanden, da ergriff die Zuschauer Staunell über die Wahrheit der Darstellung; denn sie glaubten zu hören, daß der Gott das Mädchen fragte, ob sie ihn liebte und daß sie es mit einem Eide bejahte,

ja, sie wollten alle darauf schwören, daß die beiden Pantomimen einander wirklich liebten." Auch außer dem Theater und den Lustbarkeiten des Hauses zeigte sich

diese Fortbildung des nrimischen Tanzes in den Volkstänzell bei ländlichen Festen.

Hervorzuheben ist hier besonders der Winzertanz, in welchem ver-

schiedeire Gruppen von Personen alle bei der Weinlese und dem Mostkeltern vorkommende Handlungen, vorn Lesen der Trauben bis zum Trinken des

Weines, vorstellten.

Die antike Musik leistete als Begleiterin des Tanzes den

Griechen mehr Unterstützung, als wir gewöhnlich allzunehmelr geneigt sind.

Sie entbehrte zwar der Harmonie der Akkorde und überhaupt des freieren

Aufschwunges der modernen; allein sie war eben dadurch durchsichtiger, von unmittelbarerer Wirkung, und da sich an bestimmte Tonarten und Takt­

bewegungen im Bewußtsein des Hörers sogleich eine bestimmte Gemüths­ stimmung knüpfte, so wirkte sie bei der mimischen Darstellung als ein direkt

mit das Verständniß vermittelndes Element.

Dabei fehlte aber der Pallto-

mimik noch so lange die höchste Fähigkeit, den ganzen Reichthurn eiires geschicht­ lichen Sujets in der Darstellung zu entwickeln, als sie sich noch nicht vorn Gesänge, dessen Text den Inhalt der Handlung bestimmt aussprach, begleiten

ließ.

Dieses dritte nothwendige Vehikel der Kunst kam auf italischem Boden

hinzu,

ohne daß die dadurch vervollkommnete Pantomimik eigentlich eine

römische Erfindung genannt werden kann.

Das römische Drama bestand

bereits seit dem Jahre 240 v. Chr. au§> dem Dialoge (der stets gesprochen wurde), dem Gesang und der Pantomimik.

In den lyrischen Monologen

ging die Rezitation in Gesang, die Gestikulation in Tanz über. Der eigentliche Schauspieler stellte schon den Inhalt des Monologs pantomimisch dar, während

ein Sänger oder ein Chor bot Text nach besonders dazu koniponirten Melodieir mit Flötenbegleiturlg abfang. Von dieser Einrichtung zu rein pantomimischen Stücken war mir noch ein Schritt. Man brauchte eben bloß den Dialog auszuschließeir und die Hauptsituationen in eine Reihe von lyrischen Solos zusammeilzufasserr, die vielleicht den erzählenden Rezitativeil unserer Oratorien glichen. Dieser Text wurde dann von Gesangchören vorgetragen, und zwar unter Begleitung starkbesetzter Orchestermusik, weshalb auch Pyl ad es auf die Frage, worin seine Dceuenuig bestünde, mit dem Verse Homeros geantwortet haben soll: „In der Flöten und Pfeifen Getön, und der Menschen Getümmel." Die Bekanntschaft des Publikunis mit dem gesammten mythologischen Material konnte dalli: die etwa bleibendeil Lückeil leicht ausfüllen. Griechische Balletmeister waren es, die unter der Regierung des Kaisers

Augustus dieseil glücklichen Einfall hatteil, so wie überhaupt Künstler aus Hellas oder den grüeisirten Provinzen, besonders Syrien und Aegypten, den Ruhm der Meisterschaft behaupteten, den Italienern die eigentlichen Mimen (Harlekinadeii mit übertriebeilen Grimasseil und obscönen Gebärden) über­ lassend. Uild es sind nicht bloß die Nameil fast aller Virtuosen in dieser Kunst griechisch, sonderil auch die Texte scheineil den Andeutungen der Alten zufolge bisweileil in griechischer Sprache verfaßt gewesen zu fein. Die Erfinder waren Pylades ails Cilicieil und Bathyllos aus Alexandria. Bathyllos zeichllete sich besoilders in der Darstellung des Zarten, Weichen, Weibischeil uild Komischen aus, Pylades nrehr in den tragischen Rollen. Bathyllos war deshalb ein Favorit des weichlichen Mäcenas und Liebling der römischen Damen, die von ilamenlosenl Entzücken hingerissen wurden, wenn er ihnen seiil Meisterstück, die voll Zeus geliebte Leda, vorzauberte. Die energischere Natur seines Rivalen Pylades spricht aus mehreren über ihn aufbewahrten Anekdoten. Als er zum ersten Mal im „rasenden Herkules" auftrat, den er später privatim vor dem Kaiser wiederholen mußte, und das Publikum Zeichen des Mißfallens über das ungewöhnliche Gebärdenspiel gab, nahn: er die Maske ab und rief: „Ihr Thoren, mein Tanz stellt ja einen Rasenden vor!" Ein anderes Mal zeigte er mit dem Finger höhnend auf einen Zuschauer, der ihn auszischte. Dies war für Augustus genug, ihn aus Rom und Italien auf einige Zeit zu verbannen. Die Zurückberufung des geliebten Pantomimen söhnte das Volk mit mancher strengen Maaßregel der kaiserlichen Regierung wieder aus, und als ihm Augustus drohend die Feindschaft mit dem von ihm proiegirten Bathyllos vorwarf, antwortete er keck und treffend: „Es ist Dir bloß von Nutzen, o Kaiser, wenn sich das Volk im Streite über uns die Zeit

vertreibt." In der Wahl der Stoffe blieben die Erfinder und ihre Nachfolger bis in die späteste Zeit bei demselben abgeschlossenen Kreise der Mythologie und der

Die Pantomimik.

108 ältesten Sagengeschichte stehen.

Ferner war das Spiel in den ersten zwei

Jahrhunderten auf eine einzige Person beschränkt, die so schnell als möglich ihr Kostüm wechselte und durch ein rasches Nacheinander gleichen Schritt mit

dem Nebeneinander der Handlung zu halten suchte.

In Bezug darauf erzählt

Lukian, es sei einst ein Ausländer ins Theater gekommen und habe bemerkt,

daß fünferlei verschiedene Masken für den Tänzer in Bereitschaft waren.

Da

er nun bloß einen Tänzer sah, habe er gefragt, wo denn die übrigen vier

wären, die mit demselben agiren sollten. Man sagte ihm, dieser Einzige würde alle fünf Rollen spielen.

mimen, wissen."

„Um Verzeihung," sprach der Fremde zum Panto­

„Du hast also in einem Leibe fünf Seelen?

Das konnte ich nicht

Ja, derselbe Lukian erklärt sich den vielgestaltigen Proteus schon

auf ächt rationalistische Weise als einen recht geschickten ägyptischen Tänzer! — Die Masken waren immer schön und dem Sujet angemessen, nicht mit offenem,

sondern mit geschlossenem Munde. dünkende Mienenspiel ganz;

Natürlich hinderten sie das uns so nöthig

allein erstlich lag in der alten pantomimischen

Kunst der Hauptaecent auf der Cheironomie, der Gestikulation, und dann

konnten in den ersten Jahrhunderten, wo keine weiblichen Pantomimen öffent­ lich auftraten, die Tänzer bei weiblichen Rollen der Larven Glicht entbehren.

Die Flötenmusik verstärkte man bald durch andere Instrumente und besondere Taktschläger regelten durch das sogenannte Skabillum, eine eiserne Schuhsohle, den Rythmus des Gesanges. Allein, der stärkere Effekt, der durch das

Zusammenklingen mehrerer Instrumente erreicht wurde, mit) die größere Bieg­ samkeit in der Modulation fanden bald strenge Tadler. Es war dies nach

unserer Ansicht ein naturgemäßes Bedürfniß nach konkreterer Belebung der Musik durch Harmonie ; aber dieses Schmelzen und Flüssigwerden des. kalten

Einklanges erschien den alten Kunstkennern als Verweichlichung, Entnervung der edelen Tonkunst, und die Klagen über ihre schlechte Theatermusik erinnern uns lebhaft an die vielleicht gerechteren Stoßseufzer über leichtfertige Balletund Opernkompositionen in der Neuzeit.

Die Pantomimen akkommodirten ihre Gebärden so streng dem gesungenen Texte, daß sie ihr Spiel bis auf einzelne Worte nuancirten. So wird erzählt, daß einst Hylas, der ausgezeichnetste Schüler des Pylades, einen Chor

tanzte, dessen Schlußworte waren: seine Gestalt hoch aufrichtete.

„den großen Agamemnon," und dabei

Da rief ihm sein Lehrer von den Zuschauersitzen

aus zu: „Du machst ja aus dem Großen einen Langen!" und als er hierauf

auf die Bitte des Volkes denselben Chor sogleich selbst tanzte, nahm er an derselben Stelle des Textes eine tiefnachsinnende Stellung an.

Ein anderes

Mal tanzte Hylas den blinden Oedipus mit sicherer Haltung, und Pylades tadelte ihn wieder laut mit den Worten: „Du siehst ja!" Mit dem Grade der Kunstausbildung steigerte sich auch die Kennerschaft des-Publikums, von dem

man überhaupt dreist behaupten sann, daß es weniger aus Neugierde, als aus Liebe zur Tarstellrlng das Theater besuchte, da ihm ja alle Stoffe bekannt waren und ihm also die moderne Spannung auf die Erfindung und Kompo­ sition der Stücke gänzlich abging. Wehe auch dem Akteur, an welchem man das geringste Unschickliche bemerkte! Lukian erzählt aus Antiochia, einer Hauptbildungsstätte aller Gaukler und Tänzer: „Einst trat ein sehr kleiner Tänzer auf, um beit Hektor zu tanzen; sogleich schrieen alle Zuschauer wie aus einem Munde: „„Da kommt Astyanax (Hektor's Sohn), aber wo bleibt Hektor?"" Ein anderes Mal stellte ein recht langer Bursche den Kapanens (einen Der Sieben gegen Theben) vor, und da er sich ebeir anschickte, die Mauern von Theben zu bestürmeu, riefen sie ihm zu: „Steige doch hinüber, Du brauchst keine Sturmleiter!" Einen überaus dicken Tänzer, der gewaltige Sprünge machte, baten sie, zu bedenken, daß man die Bühne noch länger brauchte; einem außerordentlich schmächtigen dagegen rief man zu: „Gute Besserung!" So ist es denn erklärlich, daß die pantomimische Kunst eine Hohe erreichte, wogegen alles, was bei rms Mimik heißt, in den Hintergrund tritt, daß wirklich endlich bei manchelr Meistern „jeder Gedaltke eine Gebärde, jede Gebärde ein Gedanke" wurde. Zwei Triumphe der Kmlst berichten uns die Alten aus Nero's Zeit, Der eyuische Philosoph Denretrios zog damals gegen die Tanzkunst los und that es ancf) einst in Gegenwart eines Orchestern Da er dem musikalischen Ohrenkitzel die Hauptwirkung der Pantomimik zugeschrieben hatte, so bat der Tänzer, ihn erst tanzen zu sehen, bevor er über ihn urtheilte. Demetrios willigte ein; der Tänzer hieß die Flöten und Sänger schweigen und tanzte ohne alle Begleitung die in den Armen des Kriegsgottes überraschte Venus, wie Helios sie dem Vulkan verräth, dieser sie belauscht und im Netze fängt, wie er die gesammteu Götter herbeiruft und jeder derselben sich auf besondere Weise benimmt — Alles mit so viel Geschicklichkeit, daß Demetrios, vor Vergnügerr anßer sich, dem Tänzer zugerufen haben soll: „Was für ein Mann bist Dil? Ich sehe nicht nur, ich höre alles, was Du nrachst und da Du so gut mit dell Händen reben kannst, ist Dir eine andere Sprache leicht entbehrlich." Die zweite Anekdote betrifft einen Fürsten aus einem barbarischen Lande, der an Nero's Hof gekommen war. Er sah denselben Tänzer einige Pantomimen so deutlich ausführen, daß er alles verstand, wiewol ihm die Worte des Gesanges verloreir gingen. Als er sich nun vom Kaiser beurlaubte, und ihm dieser sagte, er möchte sich von ihm ausbitten, was er wollte, es sollte ihm mit Vergnügen gewahrt werden, erwiderte er: „Du würdest mich glücklich machen, wenn Du mir den Pantomimerl schenken wolltest." „Und was willst Du in Deinem Lande mit ihm anfangen?" fragte Nero. „Ich habe," antwortete der Fremde, „verschiedene Nachbarn, die andere Sprachen reden, und es findet

Die Pantomimik.

110

sich nicht immer sogleich ein Dolmetscher; so oft ich nun einen brauche, soll er

diesen Leuten durch Gebärden meinen Willen erklären."

Kaum läßt sich aber

auch der ungemessene Beifall, den dieses Spiel fand, der ausschweifende Eifer aller Klassen für dasselbe schildern. Hohe und Niedere, Alt und Jung, Männer

wie Weiber glühten von Leidenschaft für die Darstellungen, und zuweilen artete die Begeisterung des P^lblikums in Raserei aus.

So geschah es, daß

einst zu Lukian's Zeit ein Tänzer den „rasenden Ajax" gab und sich dabei ganz wie ein Rasender gebärdete, einem Taktschläger die Kleider vom Leibe

riß, einem Flötenspieler die Flöte aus dem Munde nahm und danrit dem sich seines

Sieges

freuenden

Odysseus

ein Loch

Zuschauer ließen sich aber auch anstecken,

in

den Kopf

schlug.

Die

sprangen auf, schrieen wie die

Unsinnigen und warfen ihre Kleider von sich! — Zu Hause ahmte man Stellungen und Gesten nach, trällerte die Melodien der Chöre, mit) die Gefähr­ lichkeit der Pantomimen für das schöne Geschlecht übersteigt noch die unserer

Ballettänzerinnen.

Aergerlich sagt der Philosoph Seneka: „Wie ängstlich ist

man bemüht, daß ja nicht der Name irgend eines Pantomimen untergehe!

Fest

begründet durch

viele Nachfolger steht das Haus

des Pylades und

Bathyllus; groß ist die Zahl der Schüler, groß die der Lehrer dieser Künste. In allen Häusern der Stadt erdröhnen die Bretter der Bühnen; auf ihnen drehen sich stampfend die Männer und Weiber. Beide Geschlechter wetteifern

in der Ehre, die Pantomimen auf der Straße zu begleiten."

Besonders die

letzten Worte deuten auf den Umschlag hin, den die öffentliche Meinung hin­ sichtlich des Makels, der von Alters her an den Schauspielern haftete, bald

erfuhr.

Augustus ließ zwar die entehrende Strafe der Peitschung sogar an

dem Liebling des Volkes, Hy las, noch vollziehen und Tiberius erneuerte die

alten Verbote: daß kein Senator die Häuser der Pantonnnien betreten, daß

kein römischer Ritter in Begleitung derselben sich blicken lassen oder anderswo als im Theater ihren Vorstellungen beiwohnen sollte, und daß die Prätoren die Exzesse der Claque und der Faktionen mit dem Exil bestrafen durften; ja, er

verbannte acht.Jahre später, als die Klagen sich mehrten, alle Schauspieler

aus Italien.

Allein Kaligula führte die lange entbehrten Belustigungen

wieder ein, veranstaltete dieselben sogar des Nachts (was bis dahin noch uner­ hört war) bei voller Beleuchtung der Stadt, grollte lästernd mit Jupiter, als

einst Regengüsse die Vorstellungen der Pantomimen verzögerten, und küßte den vortrefflichen Künstler Mnester vor den Augen des ganzen Volkes.

Nero

begünstigte natürlich in seiner Kunstmanie auch die Pantomimen, hatte seine große Freude an den Raufereien des Volkes und warf selbst vom Proszenium herab mit Steinen und Stuhlbeinen unter die Kämpfenden; als aber der Ver­

such, die Orchestik beim Tänzer Paris zu erlernen, mißlang, ließ er denselben hin­ richten und verbannte alle derartigen Künstler aus Italien. Seine Ermordung

brachte die Hauptstadt um einen großen Genuß; deun er hatte bei der heranruihenden Gefahr das Gelübde gethan, bei den Spielen zu Ehren seiner Er­ haltung den König Turnus nach Virgil zu tanzen! Wenn man bedenkt, daß

danrals jeder Arrführer von einer Abtheilung der kaiserlichen Claque eine Besoldwlg von 7500 Mark erhielt, so kann man sich eine schwache Vorstellung

vorr den Kosten des Theaters machen (das gewöhnliche Honorar der Schau­ spieler für eine Vorstelluirg schwankte übrigens in der Kaiserzeit gesetzlich

zwischen 75 und 150 Mark). Unter Domitian entzückte ein zweiter Paris das Volk. Er war so sehr Liebling der Damen, daß Juvenal es unter den Opfern aufzählt, die sich eine

Frau auferlegte, wenn sie die Hauptstadt verließ: daß sie das Spiel dieses

Künstlers missen mußte.

So war es kein Wunder, daß selbst die Kaiserin

Domitia sich sterblich in ihn verliebte.

Endlich merkte aber der Tyrann die

Untreue seiner Gemahlin, verstieß dieselbe und ließ den Pantomimen auf

offerier Straße niederstoßen.

Seiner Wuth fiel sogar ein unschuldiger, kränk­

licher, aber seinem Lehrer an Gestalt und Kunst ähnelnder Schüler des Paris

zum Opfer, so wie die Todesstrafe an Allen vollzogen wurde, welche den Ort, wo der Tänzer ermordet worden war, mit Blumen schmückten.

Außerdem

gestattete Doniitian von nun an nur rroch das Spiel der Pantomimen inner­ halb der Privatwohnungen.

Vom edeln Trajan verlangte das Volk mit der­

selben Ucbereillstimmung die Abschaffmig der Pantomimen, wie von Nerva die

Wiedereinfiihrung derselben. Unter den folgenden Kaisern wagte es höchstens

Kommodus, dem Volke diese Darstellungen zu eutziehen; sie erhielten sich in Gunst bis zum Untergange des lvestromischen Reiches und fanden in der neuen

Hauptstadt des oströmischen denselben ausschweifenden Beifall.

gothische Geheimschreiber Kassiodor

lobt

„die

R^och der ost-

geschwätzigen Hände,

die

zungenfertigen Finger, das schreiende Stillschweigen, die stumme Erzählung der Pantomimen" mit) zugleich ersieht man aus ihm, daß weder die Art der

Aktion,

noch

die Sujets der Darstellung sich bis dahin geändert haben.

Justinian endlich, dessen schamlose Gattin selbst früher Tänzerin gewesen war, hat unter anderen auch die Bestimmung des Kaises Theodosius in seine

Gesetzsammlung ausgenommen: daß die Bildnisse der Pantomimen nicht neben den Portraits der Kaiser an öffentlichen Orten figuriren sollten, sondern bloß

am Cirkus und im Theater. Wenn nun aber auch die Kunst sich ziemlich gleich blieb, so artete doch der

sinnliche Reiz der pantomimischen Stücke in Schamlosigkeit aus, als im vierten Jahrhundert die ausschweifende Lüsternheit das Spiel weiblicher Pantomimen

auf die Bühne brachte.

Bevor jedoch dies geschah, kam noch neben der her­

gebrachten eine Gattung des dramatischen Ballets auf, welche insofern große

Aehnlichkeit mit deni unsrigen hat, als hier dramatische Gegenstände von

112

Die Pantomimik.

mehreren Personen dargestellt wurden und der Chorgesang wegblieb. Der altdorische Wasfentanz, Pyrrhiche genannt, war schon zu Casares Zeit nach Rom verpflanzt und dort von Asiaten getanzt worden. Nach und nach wurde er aber mehr theatralisch als kriegerisch-mimisch und stellte theils mythologische Stoffe, die Thaten des Dionysos, des Ikaros u. a. dramatisch vor, theils bloß künstliche Chortänze. Im „goldenen Esel" des Appulejus findet sich noch die interessante Schilderung einer theatralischen Aufführung beider Arten der Pyrrhiche hintereinairder. Sie lautet: „Zuerst tanzten Jünglinge und Mädchen von jugendlicher Frische und schöner Gestalt, in glmrzendem Kostüme mit graziöser Haltung, die griechische Pyrrhiche. Reihenweise geordnet schwebten sie in zierlichen Windungen einher, bald im Kreise sich drehend, bald in Kreuzungen sich verschlingend, und jetzt zum hohlen Viereck geschart, jetzt wieder sich trennend in einzelne Haufen. Endlich gab das Schmettern der Trompete das Zeichen zur Auflösung der labyrinthischen Drehungen, der Vorhang hob sich und die Bühne wurde anders arrangirt. Als sie sich wieder öffnete, stand-vor unsern Augen ein hoher, künstlich aus Holz gebildeter Berg, der Homerische Ida, mit Gesträuch und lebendigen Bäumer: bepflanzt. Vom höchsten Gipfel desselben rieselte Quellwasser herab, einige Ziegen pflückten sich Gras und ein Jünglirig in phrygischer Tracht spielte den Hirten Paris, durch eine goldene Tiara seine königliche Abkunft verrathend. Da erschien ein anderer netter Jüngling, blond­ gelockt, nur mit einem kurzen, von der linken Schulter herabwallenden Mantel bekleidet. Der Heroldsstab und die goldenen Flügelchen zu beiden ©eiten des Hauptes kennzeichneten ihn als den Götterboten Merkur. Leichtfüßig herbei­ tanzend reichte er Paris einen goldenen Apfel dar, richtete ihm durch Gebärdeir den Auftrag Jupiters aus und verschwand eben so schnell, als er gekommen war. Hierauf traten drei Tänzerinnen auf. Die eine, würdigen Antlitzes, mit Diadem und Szepter geschmückt, stellte Juno vor, die zweite erkannte man als Minerva am funkelnden Helm, den eine Krone von Olivenzweigen bekränzte, am Schild und an der geschwungenen Lanze; die Götün der Liebe endlich, an Liebreiz, Schönheit und Grazie den andern überlegen, war nur zunr Theil in einen durchsichtigen Stoff von blauer Farbe gehüllt. Jede Göttin hatte außer­ dem die ihr zukommende Begleitung. Juno zur Seite gingen Kastor und Pollux, durch die Sterne ihrer Helmspitzen kenntlich; sie selbst schritt nach dem Rythmus des Flötenspielers vor und machte mit ruhiger, würdevoller Glieder­ bewegung dem Hirten verständlich, daß sie ihm die Herrschaft über ganz Asien verspräche, wenn er ihr den Preis der Schönheit zuerkennen würde. Zwei Jünglinge mit bloßen Schwertern und ganz gewappnet, der Schrecken und der Schauder, beschützten Minerva und hinter ihr spielte die Flöte einen aufregenden, kriegerischen Marsch. Sie selbst in unruhiger Haltung, mit drohenden Augen und heftigen Gesten, versprach Paris Heldenruhm und kriegerische Ehren, wenn

Die Pantomimik.

113

er ihrer Schönheit den Sieg gewinnen ließe. Venus endlich stand hold lächelnd in der Mitte der Bühne, umringt von einem ganzen Volke kleiner Liebesgötter, die, beflügelt und mit Köchern und Pfeilen bewaffnet, der Herrin hochzeitliche

Fackeln vortrugen; schöne Grazien und Horen huldigten ihr außerdem, mit den herrlichsten Blumengewinden sie umschwebend.

Unmuthiger noch, als die lieb­

liche Musik, welche sie begleitete, bewegte sie sich zögernden Schrittes vorwärts. Mit Augen, welche bald drohend blitzten, bald sanft schmachteten, deutete sie

durch die reizenden Winke ihrer Arme dem Jüngling an, daß sie ihn für den Vorzug mit dem fchönsten Weibe beglücken wollte.

Da reichte ihr freudig der

Phrygier den goldenen Apfel. Traurig entfernten sich Juno und Minerva, die Entrüstung über ihre Zurücksetzung pantomimisch ausdrückend. Venus dagegen

bezeugte mit ihrem Chor im Tanze ihre Freude. Zum Schlüsse entsprudelte der Quelle wohlriechender Safran, der die Zicklein gelb färbte und das ganze Theater

durchduftete, bis endlich der ganze Berg vor den Augen der Zuschauer versank."

Bei der großen Aehnlichkeit, die diese Tableaux mit dem modernen Ballet haben, muß man doch immer dem alten theatralischen Kunsttanz den Vorzug geben. Die Handlung ist bei uns nicht mehr wirklicher Tanz, die Chortänze sind

zwar oft schön, aber „die Solotänze der heraustretenden Tänzer und Tänze­

rinnen," sagt Vischer treffend, „sind, wo nicht Nationaltänze von ihnen aus­ geführt werden, ausdruckslos und zum widerlichen Kunststück herabgesunken,

welches das Schwere mit dem Schönen verwechselt; das führt nothwendig zum Schweren auf Kosten des Schönen, zur häßlichen Verrenkung, und für die

Beleidigung der Anmuth entschädigt der Kitzel der Entblößungen, den der

Reiz des Verbotenen in einer Welt strenger Deeenzbegriffe verdoppelt."

Bei

.unseren westlichen Nachbarn scheint kein gesundes Drama ohne die Zuthat

dieses sinnlichen Reizmittels mehr aufkommen zu können. Auch in Rom unter­ lagen Tragödie und Komödie schon zu Anfang der Kaiserzeit den Pantomimen,

nachdem sie kaum angefangen hatten, sich selbständig zu entwickeln.

Bei Festen

von religiöser Bedeutung, wo die Pantomimen fehlten, erwähnt schon Tacitus zu Nerols Zeit die geringe Betheiligung des Publikums an dramatischen

Stücken und nach Juvenal verkauften die besten Dichter ihre Stücke an Pantomimen, um dem Hungertode zu entgehen.

Göll, Kulturbilder. I.

8

IX. Die Astrologie in der römischen Kaiserzeit. die Beobachtung und Berechnung der Gestirne und der mit dem

Sternendienste zusammenhängende Glaube an den Einfluß der Planeteu

auf die Schicksale der Menscheu bei den Aegyptern oder Baby­ loniern ihren Anfang genommen haben, bleibe hier unentschieden. Gewiß ist, daß seit dem Sturze des persischen Reiches durch den Makedonier Alexander die

Kenntnisse und Geheimnisse der chaldäischen Priesterkaste sich über die griechische!: Kulturstaaten verbreiteten und die Astrologen des Ostens, welche Vorgaben^

schon 47 Myriadenjahre vor Alexander im Besitze ihrer Kunst gewesen zu

sein, die breite Straße des Erwerbes nach dem Westen einschlngen.

Am Hofe

Alexanders und der Diadochen spielten sie bereits eine große Rolle, während

in Griechenland selbst ihre Konstellationslehre wol vorher schon bekannt ge­

wesen war (das spartanische Gesetz, welches nicht gestattete, ins Feld zu rückeu, bevor der Vollmoud eingetreten war, deutet darauf hin), aber verhältnißmäßig keinen bedeutenden Einfluß gewonnen hatte.

Nirgends fanden die Sterndeuter

aber einen günstigeren Boden als in Rom wahrend des Unterganges der Republik und in der Kaiserperiode.

Mehrere Ursachen vereinigten sich, ihnen

dort gute Aufnahme zu sichern. Der Römer war überhaupt abergläubischer als der Grieche; Zeichendeuterei und Wahrsagerei umspann bereits das Staats­ und Privatleben; der stark fatalistisch gefärbte Volksglaube kounte der Anuahnie

einer unabwendbaren Vorherbestimmung jedes Menschen von der Geburt au nicht abhold sein, und als nun in der allgemeinen Auflösung des sittlichen Lebens der Glaube an die alten Institute der Divination unterging, als die Kulte und Religionen aller Völker sich in Rom zu vermischen begannen, als in Hin­ blick auf den auffallenden Wechsel und das Wandelbare der menschlichen Schick­

sale die irreligiöse Generation den obersten Rang in der Götterwelt der blinden

Die Astrologie in der römischen Raiserzeit.

115

Fortuna einräumte: da wurde auch die Neugierde auf die kommenden Dinge

mächtiger und jeder Ehrgeizige hegte endlich den Wunsch, den Schleier seiner Zukunft zu lüften.

So kommt es denn, daß die Astrologen nicht wenig, sowol

absichtlich als auch zufällig, in die damaligen Geschicke der Welt mit eingegriffen haben; ja, man kann dreist behaupten, daß manche ihrer Prophezeiungen wirk­ lich eingetroffen sind dadurch, daß energische Naturen das ihnen verkündigte

hohe Ziel fest ins Auge faßten und so endlich ht blindem Vertrauen auf die Wahr­

heit ihres Horoskops die vorgespiegelte Zukunft in eine wirkliche verwandelten. Schon im Jahre 139 v. Chr. wurden die Sterndeuter, in Rom Chaldäer oder Mathenratiker genannt, (die jetzige Mathematik hieß Geometrie), durch ein

Edikt des Prätors Kornelius Hispallus bedeutet, innerhalb zehn Tageil 9?ont und Italien zu verlassen.

verachtete Klasse gewesen zu sein.

Doch scheinen sie damals noch eine ziemlich

Der erste angesehene Mann, den sie ganz

bethorten, war der Konsul Oktavius.

Er ließ sich im Jahre 87 bei der An­

näherung seines Feindes Marius von den Chaldäern bewegen, in der Haupt­ stadt zu bleiben, und als er von den Trabanten des neuen Machthabers auf den: kurulischen Sessel niedergehauen worden war, fand man in seinem Busen eine Tafel mit dem trügerischen Horoskop.

Marius selbst hielt sehr viel auf

die Wahrsagekunst und soll selbst in den Tageir der höchsten Gefahr festes Ver-

traiwn zu einer alten Prophezeiung gehegt haben, die ihm das siebenmalige

Konsulat verheißen hatte.

„Sulla," sagt Plutarch, „sah nicht nur seinen

Tod voraus, sondern beschrieb ihn auch gleichsam.

Denn er brachte zwei Tage

vor demselben das zweiundzwanzigste Buch seiner Memoiren zu Ende, in welchem er meldet, daß ihm die Chaldäer vorhergesagt Hütten, er werde im

höchsten Gliicke fein Leben beschließen."

Traf hier die Verheißung des Er­

wünschten zufällig ein, so heißt es dagegen bei Cicero: „Wie vieler Aussprüche

der Chaldäer erinnere ich mich in Bezug auf Pomp ejus, auf Krassus und

selbst Cäsar, dahin lautend, daß jeder derselben im Greisenälter, zu Hause, im höchsten Glanze des Ruhmes sterben würde! Es ist nur wunderbar, daß es überhaupt noch jemanden giebt, der ihren Prophezeiungen glaubt, da dieselben

doch täglich durch den Erfolg widerlegt werden."

Es finden sich diese Worte

des großen Redners in seinem Buche „Ueber die Weissagung", in welchem er in

einem längeren Abschnitte gegen die Vernnnftwidrigkeit und den verderblichen Einfluß der astrologischen Grundsätze eifert.

Es hatten diese damals aber

bereits eine solche Gewalt über die Gemüther erlangt, daß ein gewisser Taru-

tius Firmanus es wagen konnte, die Geburtsstunde der Stadt Rom zu be­

rechnen, zu behaupten, daß zu jener Zeit der Mond im Zeichen der Wage gestanden habe, und darnach die weiteren Schicksale zu bestimmen.

Ein anderer Zeitgenosse Cicero's, der berühmte Grammatiker P. Nigi-

dius Figulus, soll als eifriger Astronom und Nativitätssteller, sobald er die

8*

116

Die Astrologie in der römischen Raiserzeit.

Nachricht von der Geburt Oktavians erhielt, denselben als künftigen Herrn

des Reiches bezeichnet haben. Begegniß gründete sich Stern.

Weniger auf diese Aeußerung als auf ein anderes

später Oktavian's Zuversicht auf fernen glücklichen

Wenige Monate vor seines Oheims Ermordung war er nach Apol­

lonia in Illyrien gesandt worden, um sich dort mit dem Heere bekannt zu machen und seine Studien fortzusetzen.

Da trieb ihn einst die Neugierde und

das Beispiel Anderer, den in der Nahe wohnenden Seher Theo genes zu be­

suchen.

In Begleitung Agrippa^s erstieg er die Hohe, auf der das astrono­

mische Observatorium stand, und ungekannt betraten sie dasselbe.

Agrippa

fragte zuerst und erhielt so große und beinahe unglaubliche Versprechungen,

daß der junge Oktavian, aus Furcht, ein geringeres Loos zu ziehen, sich weigerte, die Stunde seiner Geburt anzugeben.

Schüchtern that er es endlich,

auf vieles Zureden; Theogenes verstummte und — bezeugte ihm fußfällig seine Verehrung.

Wer kann wissen, ob nicht dieser Vorgang die schlummernde

Herrschsucht in Cäsar's Neffen weckte, ihn wenigstens mächtig in den Ent­ schlüssen stärkte, welche er vielleicht wenige Wochen später als erklärter Erbe

von Cäsar's Namen und Vermögen faßte? Thatsache ist, daß er als Kaiser

eine silberne Münze mit dem bei seiner Geburt dominirenden Zeichen des Stein­ bocks prägen ließ und die Widmung der astrologischen Gedichte des Manilius annahm.

Natürlich kam unter ihm die Genethliologie in der Hauptstadt immer

mehr in Aufnahme;

sorgfältig notirte man bei jedem Kinde die entscheidende

Stunde, und selbst die Damen interessirten sich schon lebhaft für die Wissenschaft

der Zukunft und studirten die von den Mathematikern herausgegebenen Scheniata und Berechnungen.

Daher sieht sich Horaz veranlaßt, seiner Freundin Leu-

konoä zuzurufen:

„Forsche nicht, denn es ist frevelhaft, was Zeus für ein

Ziel bestimmt, o Leukonoö, für Dich oder mich; flieh die chaldäischen Zahlen! Besser erträgt man mit Geduld, was uns beschieden ist."

Auch das furchtsame

Gemüth Mäcen^s, der sich vielleicht über die gefährliche Stellung der Planeten in seiner Naüvität Sorgen machte, beruhigt er mit den Worten: „Warum zerquälst Du durch Deine Klagen mich? Der Götter Will' ists nicht, noch der meinige, daß Du Mäeen, mein Stolz und meine mächtige Stütze, zuerst ent­

schlummerst. — Ob einst die Wag^ auf mich, ob der Skorpion, der ersten

Lebensstunde gewaltiger Begleiter, grausenvoll herabsah, oder des Meeres Tyrann, der Steinbock: so stimmt rmglaublich unser Geburtsgestirn zusammen." Endlich nahm das Unwesen so überhand, daß sich Augustus genöthigt

sah, im Jahre 11 n. Chr. die Astrologen zu beschränken, indem er ihnen verbot, einem Einzelnen Orakel zu ertheilen, besonders über den Tod Anderer, was

auch in Gegenwart Mehrerer nicht geschehen sollte.

Auch mögen unter den

2000 prophetischen Büchern, die er verbrennen ließ, viele astrologischen Inhaltes

gewesen sein.

Desto leidenschaftlicher aber huldigte der Kunst Tiberius.

Die Astrologie in der römischen Kaiserzeit.

117

Während seines halb unfreiwilligen Aufenthaltes in Rhodos, als er in Zurück­

gezogenheit fern von der Stadt ein einsaines Haus hoch auf steilem Meeresufer bewohnte, hatte er sich dem Studium der Philosophie und Mathematik ergeben. Sein Lehrer Thrasyllos wurde bald Mitwisser seiner geheimsten Gedanken,

besonders seitdenr er den Prinzen auch in der geheimnißvollen Kunst der Chal­ däer unterrichtete.

Allnächtlich geleitete ein Freigelassener von großer Körper­

stärke und geringem Verstände den Philosophen auf schwindelndem Stege zum Hause, wo dann dieser neben Tiberius auf dem hohen Altan den gestirnten Himmel beobachtete mit) dem Schüler über die künftige Herrschaft und die Ge­

schicke der im Wege stehenden Verwandten befriedigende Auskunft ertheilte. Allein es verging Jahr auf Jahr, die Zukunft Tiber's schien sich immer mehr

zu trüben und mit dem schwindenden Vertrauen wurde sein Verhältniß zu Thrasyllos immer kälter.

Endlich beschloß er sich des möglichen Verräthers

seiner verborgensten Pläne zu entledigen und gab eines Tages dem Freigelassenen Befehl, den Astrologen auf dem Rückwege von den Felsen hinabzustürzen. Zuvor

wollte er jedoch noch einmal die Kunst des Lehrers auf die Probe stellen und

fragte ihn, ob er seine eigene Geburtsstunde kenne, und was wol das Jahr, die gegenwärtige Stunde ihm bringe? Thrasyllos hatte genug Gelegenheit

gehabt, die Gemüthsart des Fragestellers kennen zu lernen; er war ein sehr kluger Kopf und ahnte die ihm drohende Gefahr. Nachdem er also die Stellung und Entfernung der Gestirne gemessen hatte, gerieth er in Verwirrung, begann

zu zittern und rief endlich voll Staunen und Furcht: „Die Stunde ist für mich sehr bedenklich, es droht mir eine sehr große Gefahr!" Da umarmte ihn Tibe­ rius und wünschte ihm Glück dazu, daß er durch die Sicherheit seines Wissens der Gefahr entronnen sei.

Einen zlveiten Beweis zu seinen Gunsten lieferte der

Astrolog dadurch, daß er, als das Regierungsschiff in Sicht kam, welches dem

Verbannten die Erlaubniß zur Rückkehr brachte, vorhersagte, das Schiff berge eine freudige Nachricht.

Tiberius konnte sich

nun von Thrasyllos nicht

mehr trennen, nahm ihn mit sich nach Rom und behielt ihn bis an^s Ende seines Lebens in seiner Nähe.

Sehr klug hatte sich der Astrolog vor jeder

gefährlichen Ungnade seines Herrn geschützt, indem er stets behauptete, Tiberius werde zehn Jahre später als er sterben; ja, er erwarb sich dadurch, vielleicht

ohne es zu wollen, ein Verdienst um Andere insofern, als der grausame Tyrann gegen das Ende seines Lebens trotz der zunehmenden Schwäche manche blutige Maaßregel aufgeschoben haben soll,

weil ja sein getreuer Thrasyllos noch

lebte! — Uebrigens gab der kaiserliche Adept auch Probeu seiner Kunstfertigkeit

und soll unter anderem dem unglücklichen Galba, als derselbe noch Konsul war, gesagt habeu: „Auch Du wirst einst die Herrschaft kosten!"

Trotzdem

hegte er aus angeborenem Argwohn und eigener Erfahrung Mißtrauen gegen die Chaldäer und gestattete ihnen nur auf ihr Versprechen, die Ausübung ihres

Die Astrologie in der römischen Raiserzeit.

118

Gewerbes unterlassen zu wollen, den Aufenthalt in Italien.

Ms aber später

die Untersuchungen gegen Skribonius, Libo und Lepida darthaten, wie

leicht jenes Gelichter selbst schwache Gemüther mit llichtigen Hoffnungen erfüllen und zu gefährlichen Unternehmungen reizen sonnte, veranlaßte er einen Senats­

beschluß zur Vertreibung der Chaldäer und Magier und ließ einen derselben vom tarpejischen Felsen herabstürzen, einen andern auf dem Richtplatz der Sklaveu enthaupten.

Allein die Charlatane waren längst der Hauptstadt unentbehrlich geworden;

alle Verbote blieben erfolglos; „Den Mächtigen mizuverlässig und trügerisch

den Hoffenden", wie Taeitus sie nennt, fanden sie sich stets wieder ein.

Der

unsinnige Kaligula scheint wenig auf chaldäische Weisheit gegeben zu haben,

und man erzählte sich bei Hofe, er habe den ungeheuern, zweckloser: Brückenbau über die 3600 Schritte lange Wasserfläche von Bauli nach Puteoli bloß des­

halb unternommen, um die Prophezeiung des berühmten Thrasyllos zu nichte zu machen: daß Kaligula eben so wenig zur Regierung gelangen könnte, als

über die Bucht von Bajä mit Rossen fahren.

Allein gegen sein Ende hin soll

er sich doch herabgelassen haben, den Mathematiker Sulla über seine Zukunft zu befragen und mit der bestimmtesten Verkündigung des nahen Todes bedacht worden sein.

Unter Klaudius waren einige Hochverrathsprozesse wegen

Befragung der Chaldäer über Verhältnisse des kaiserlichen Hauses die Ursache zu einem abermaligen „harten und vergeblichen" Verbannuugsdekret.

Desto

sehnlicher scheinen die Chaldäer den Tod des beschränkten Kaisers erwartet zu haben. Wenigstens läßt der über den Aberglauben seiner Zeit hoch erhabene Philosoph Seneka in seiner Spottschrift

auf den Tod des Klaudius den

Merkur zu einer der Parzen sagen: „Gestatte doch endlich einmal den Astro­ logen die Wahrheit zu sagen, die jenen, seitdem er Kaiser geworden ist, in jedem

Jahre, in jedem Monate begraben lassen!" Die zweite Gemahlin des Kaisers,

Agrippina, die würdige Mutter Nero's, war ganz in den Händen der Mathematiker.

Der Sohn des Thrasyllos hatte ihr vorausgesagt, daß ihr

Sohn zwar den Thron besteigen, aber seine Mutter todten werde, worauf sie

erwiedert haben soll: „Mag er mich todten, wenn er nur Kaiser wird!" Die

Astrologen waren ferner mit Schuld an der Verheimlichung vom Tode des Klaudius, weil Agrippina erst die von ihnen bestimmte glückliche Stunde zur

Proklamirung des neuen Kaisers abwarten wollte. eigentliche goldene Zeit der Wahrsagerei.

Mit Nero begann die

Er selbst duldete nicht nur die Chal­

däer, sondern ließ sich selbst oft von ihnen die Zukunft enthüllen.

Da sagten

ihm denn einige voraus, daß er einmal die Krone wieder verlieren würde, und er soll darauf mit desto größerem Eifer der Musik obgelegen haben, da er

sie als seine künftige Ernährerin ansah; andere versprachen ihm die Herrschaft über den Orient, namentlich das Königreich Jerusalem, mehrere endlich

Die Astrologie in der römischen Raiserzeit. auch die Wiedereinsetzung in die verlorene Würde.

119

Die Erscheinung eines Ko­

meten beunruhigte ihn und auf den Rath des Astrologen Barb illos silchte

er das Verderben durch mehrere aus den Vornehmsten gewählte Schlachtopfer von sich abzuwälzen.

Auch die berüchtigte Poppäa Sabina war von Mathe­

matikern („den schlechtesten Werkzeugen einer Fürstin", bemerkt Tacitils) umgeben, die in alle ihre Geheimnisse eingeweiht waren.

Kein Wunder daher,

wem: die ängstliche Scheu vor deir Plarieten in alle Verhältnisse des Lebens

eindrang, wenn selbst in der Heilkunde Krinas aus Marseille als Stifter einer neuen Schnle sein Glück machte — er hinterließ gegen 1,200,000 Mark znm Bau der Stadtmauenr von Marseille, nachdem er die gleiche Summe bei Lebzeiten schon einer andern Stadt zugewendet hatte! — die nach genauer

Beobachtung astrologischer Stundentafeln Speisen und Arzneien zil nehmen

vorschrieb. Am treffeildsten charakterisirt diese Zustände Juvenal's sechste Satire

ungefähr mit folgenden Worten:

„Den Chaldäern schenkt man sehr großes

Vertrauen; was ein Astrolog sagt, dem glaubt man, als sei es ein Orakelspruch des Jupiter Ammon.

Der angesehenste unter ihnen ist aber, wer mehrmals

verbannt worden ist;

denn es fließt der Kunst Vertrauen zu, wenn an der

rechten und linken Hand die Fesseln geklirrt haben, iuenn man recht lange im

Gefängniß des Feldlagers geschmachtet hat. Einer, der noch nicht vernrtheilt worden ist, wird nie den Geist der Weissagung besitzen, nur ein solcher, der kaum denr Tode entrinnen konnte, dem es mit Mühe glückte, auf eine der Kykladen geschickt und endlich vom Inselchen Seriphos wieder zurückgerilfen zil werden. Bei ihm befragt sich Deine Hausfrau über den zögernden Tod ihrer

gelbsüchtigen Mutter, vorher aber über den Deinigen; wann sie die Schwester,

wann ihre Oheime zur einigen Ruhe begleiten könne, ob ihr Geliebter sie überlebeir werde? Sie hat jedoch keine astrologischen Kenntnisse und weiß nichts

von den Häusern uitb Kräften der Planeten.

Hüte Dich aber, einer Frau zu

begegnen, in deren Händen Du ein abgenutztes, bernsteingelbes astrologisches

Tagebuch erblickst! Sie befragt Niemanden, sondern ertheilt schon selbst Ant­ worten; sie wird sich nicht von der Stelle rühren, sobald ihr die Berechnungen

des Thrasyllos abgerathen, mag der Mann ins Feld ziehen oder ins Vater­ land heimkehren.

Beliebt es ihr, eine Spazierfahrt bis zum ersten Meilenstein

zu machen, wird die Stunde dazu dem Buche entnommen;

juckt der etwas

geriebene Winkel des Auges, so wird das Horoskop gestellt und darnach Augen­ salbe gefordert; liegt sie krank, so ist feine Stunde zum Speisen schicklicher, als

welche der größte Astrolog Aegyptens, Petosiris, gerathen hat."

Einen

passenden historischen Beleg zil dieser Stelle liefert die von Taeitus im 16. Buche der Annalen erzählte Verrätherei des Antistius Sosianus. Dieser

war wegen einiger Spottgedichte auf Nero verbannt worden und machte auf

Die Astrologie in der römischen Kaiserzeit.

120

seiner Insel mit einem berühmten Chaldäer, Namens Pammenes, Bekannt­ schaft.

Letzterer lebte ebenfalls dort iin Exil, unterhielt aber mit seinen vor­

nehmen Kunden in Ronr einen lebhaften Briefwechsel. Hierauf baute Antistius seinen Befreiungsplan.

Nachdem er sich in des Chaldäers Vertrauen ein­

geschlichen, suchte er sich unter dessen Korrespondenten einen römischen Edeln, Namens Antejus, aus. Derselbe hatte bei Nero 's Mutter in Gunst gestanden

und war daher dem Kaiser verhaßt; außerdem hatten seine Reichthümer einen Reiz für denselben.

Antistius fing also dessen Briefe auf, stahl dann bei

Pammenes des Antejus Horoskop und die Prophezeiungen über den Regenten und derumzirte beit Fragesteller wegen Hochverraths.

Er erreichte zwar seinen

Zweck und erlangte die Freiheit, wurde aber bei Vespasian's Regierungs­ antritt als Angeber wieder auf dieselbe Insel zurückgeschickt.

Die angesehenen Astrologen ließen sich sehr theuer bezahlen (in einer

Anekdote des Appulejus bekommt Diophanes in einer griechischen Stadt

für Angabe eines glücklichen Reisetages 100 Denare).

Mann hatte Gelegenheit, die Sterne zu befragen.

Aber auch der gemeine

„Das plebejische Schicksal",

sagt Juvenal, „hat seinen Stand im Cirkus oder auf dem Walle (jetzt Porta

San Lorenzo);

dort fragt die Frau des Schenkwirthes, ob sie ihren Mairn

verlassen und den Kleidertrödler heirathen soll."

Auch diese vagabundirenden

Sterndeuter erkulldigten sich nach Jahr, Tag und Stunde der Geburt und rechneten dann mit Hilfe von Rechensteinchen, die auf einer Tafel aufgelegt

wurden oder an den Fingern den Bescheid aus.

Ihre Manieren beschreibt der

jüngere Plinius am Beispiel seines Feindes, des Rechtsverdrehers Regulus.

Dieser kam zu einer reichen Frau an's Krankenlager.

„Er setzte sich nahe zu

ihr, fragte sie, an welchen: Tage, zu welcher Stunde sie geboren sei; als er das

gehört hatte, nahm er eine ernste Miene an, faltete die Augenbrauen, bewegte die Lippen, spreizte die Finger und rechnete — nur, damit die Arme recht lange

in Erwartung schwebte.

Du stehst, sprach er hierauf, in einem Stufenjahre;

aber Du wirst davon kommen.

Und um die Probe auf sein Exempel zu machen,

läuft er schnell zu einem Eingeweidebeschauer und erhält natürlich dieselbe Ant­ wort. Die leichtgläubige Kranke verlangt ihr Testament und setzt dem Regulus

aus Dankbarkeit ein Legat aus; als sie aber immer kränker wurde, verwünschte

sie sterbend den meineidigen Betrüger." Auch der in der Schule Neronischer Genußsucht verdorbene Otho ließ sich ganz von Astrologen beherrschen und als einmal die Prophezeiung des

Ptolemäos eingetroffen war, daß er den Kaiser Nero überleben werde, schenkte er leicht der weiteren Versicherung Glauben, daß er selbst zur Kaiser­

würde bestimmt sei, und lebte sich so in diesen fatalistischen Wahn hinein, daß

er sogar die Ermordung Galba's beschleunigte, weil es die Sterndeuter so haben wollten! Sein Nachfolger Bitellius, früher in allem dem Orakel der

Sterne gehorsam, haßte als Kaiser die Mathematiker tödtlich und ließ jeden, der sich verrieth, ohne Untersuchung hinrichten.

Er hatte nämlich ein Edikt

publizirt, in welchein er ihnen geboten hatte, bis zum ersten Oktober Italien zu

verlassen; eint nächsten Morgen las man an allen Straßenecken: „Glück und Heil! Die Chaldäer sagen hiermit an, daß Vitellins Germanikus bis zum

1. Oktober nicht mehr existiren wird."

Auch unter Vespasian blieb dies

Verbannungsdekret gegen die Unverschämten in Kraft; der Kaiser aber selbst

war, wie Tacitus sagt, nicht frei von diesem Aberglauben, hatte stets den

Astrologen Seleukos als Berather in seiner Nähe und bewilligte dem schon

erwähnten Astrologen Barbillos zu Gefallen der Stadt Ephesos die Ein­

richtung eines periodischen Festspieles.

Ihm verlieh die Zuversicht auf seine

Nativität solches Selbstvertrauen, daß er einst dem Senate, der einiger Ver­

schwörungen wegen besorgt geworden war, versicherte: entweder würden seine

Sohne ihm nachfolaen oder Niemand. Titus war selbst Eingeweihter der Kunst

und stellte nach Sueton Anderen das Horoskop.

Der Haß Domitian's, der

die Chaldäer ebenfalls vertrieb, hatte, wie auch ursprünglich bei Vitellins, seinen Grund darin, daß ihm dieselben Unangenehmes in Beziehung auf seinen

Tod prophezeit hatten.

Die Erzählung Sueton's von: Märtyrertode des

Astrologen Askletarion klingt wahrhaft legendenartig.

Derselbe hatte das

nahe Ende Domitian's vorhergesagt und wiederholte seine Prophezeiung muthig vor dein Tyranrren.

Auf die Frage, welches Ende denn er selbst haben

werde, antwortete er: „Ich werde in kurzem von Hunden zerrissen werden." Obgleich nun der Kaiser sogleich befahl, den Propheten zu todten und sorg­

fältig zu verbrennen, ging die Voraussagung doch in Erfüllung. Ein plötzliches Ungelvitter verjagte die Leichenbestatter und lvarf vom Scheiterhaufen den

Leichnam herab, der dann eine Beute der Hunde wurde! Bei so allgemeiner Verbreitung des Glaubens an die Herrschaft der Pla­

neten und an die Vorausbestimmmlg des Einzelnen würde es befremden, wenn H a d ri a n, der in ägyptischen und griechischen Mysterien ben Schlüssel verborgener

Weisheit suchte und überhaupt die Eitelkeit besaß, gründliche Kemrtnisse in allen Wissenschaften zeigen zu wollen, nicht auch Fertigkeit in der astrologischen Kunst

beansprucht hätte.

Und wirklich hat er sich so tiefes Verständniß der Konstella­

tion zugetraut, daß er stets am Anfang des Jahres alles aufschrieb, was ihm im Verlauf des ganzen Jahres begegnen würde.

Natürlich standen unter ihm

auch die Astrologen in großer Ehre, und da er nichts weniger als Widerspruch vertragen konnte, so wmrdert man sich einigermaßen, daß sein Zeitgenosse, der

Philosoph Favorinus, es wagen durfte, so offen dem Aberglauben entgegen­

zutreten.

„Die Astrologen", sagt dieser, „tappen stets im Finstern zwischen

Wahrheit und Lüge; dicrch vieles Tasten stoßen sie zuweilen plötzlich auf das

Richtige oder sie komnren bei

der Leichtgläubigkeit der Fragenden durch

122

Die Astrologie in der römischen Raiserzeit.

Schlußfolgerungeir darauf.

Deshalb scheinen sie auch immer die Vergarigenheit

besser zu kennen als die Zukunft.

Die Dinge aber, die ihnen eintreffen, sind

nicht der tausendste Theil von denen, welche sie Lügen strafen!" In den Bio­ graphien der folgenden Kaiser geschieht der Nativitätsstellerei häufig Erwähnung.

Dem Kaiser Septimius Severus z. B., der als Privatmann in Afrika einen Mathematiker befragte, ging es beinahe eben so, wie früher Oktavian;

durch Ausplaudern dieses Geheinrnisses gerieft) er später in eine gefährliche

Untersuchung und ließ dann als Regent selbst Viele hinrichten, die im Verdacht standen, die Sterne über sein Leben befragt zu haben.

Sein Glaube vererbte

sich auch auf Karakalla, der die Gesinnungen der ihm nahe stehenden Leute

nach dem Horoskop taxirte.

Am meisten aber wurde später die Astrologie von

Alexander Severus begünstigt.

Er errichtete in Rom Lehrstühle dieser

Kunst und gab den Professoren öffentliche Hörsäle und Gehalt.

Am Ende des

dritten Jahrhunderts erneuerte Diokletian das alte Verbot, nach welchem sogar die, welche den Sklaven über die Zukunft ihrer Herren antworteten,

deportirt oder in die Bergwerke verwiesen, die fragenden Sklaven aber gekreuzigt wurdeu.

In den Gesetzen heißt es: „Die Geometrie zu lernen und zu übeu,

ist von öffentlichem Nutzen; die mathematische Kunst aber ist verbannungswürdig

und gänzlich verboten."

Konstantin, dem Großen, gebot die Staatsklugheit

Vorsicht in Bezug auf das Heidenthum.

Er verbot deshalb auch den Propheten

bloß, innerhalb der vier Wände Antwort zu ertheilen, überhaupt Besuche

anzunehmen und die Schwellen ailderer Häuser zu betreten.

Aber schon sein

Sohn Konstantius befahl, „daß die Neugierde in Betreff der Zuknnft ganz

ruhen sollte", und verhängte die Strafe des Schwertes über alle Ungehorsame. Doch half dieses strenge Gesetz wenig; denn 15 Jahre, später, als unter dein leidenschaftlicheil und grausamen Valens die Anhänger der alten Religion,

begierig nach einem heidnischen Kaiser, durchaus den Nanren des Nachfolgers zu erforschen strebten, wurde auch die Astrologie wieder lebendig.

Welch abenteuerliche Mittel nebenbei in Anwendung kamen, wäre uns

kaum glaublich, wenn wir nicht selbst im Zeitalter des Tischrückens und Geister­ klopfens lebten. So schrieb der Sophist Libanios 24 Buchstaben in den Staub

und legte zu jedem derselben ein Weizenkorn.

Dann ließ er einen Hahn herbei­

schaffen und beobachtete, während er gewisse Formeln rezitirte, welche Körner

derselbe zuerst fraß. Einige Beamte des Hofes konstruirten aus Stäbchen von Lorbeer ein dreifüßiges Tischchen. Dasselbe biente einer metallenen Schüssel

als Unterlage, in deren Rand die 24 Buchstaben eingravirt wareil. Dann stellte sich Einer über die Schüssel, in der Rechten einen Faden mit einem geweihten

Ringe haltend, der, in Schwingung gerathend, endlich einzelne Buchstaben

berührte.

Während der Hahn des Libanios bis THEOD gekommen war,

hatte der Ring erst die Buchstaben THEO gewählt, als ein Vorlauter schrie,

Die Astrologie in der römischen Kaiserzeit.

123

es könne Niemand anders gemeint sein, als Theodoros, ein eingebildeter kaiserlicher Sekretär.

Leider verstand der Kaiser keinen Scherz und wüthete

mit Folter, Feuer uiti) Schwert gegen Schuldige und Unschuldige.

Unter

anderem büßte ein vornehm,er Mann, der vor der Entbindung seiner Frau das Geschlecht des Sprößliugs zu erfahren gesucht hatte, mit dem Verluste seines

Vermögens, und ein armer Provinzbewohner, bei dem man die Nativität eines längst verstorbenen Bruders feint), der unglücklicherweise des Kaisers Namens­

bruder gewesen war, wurde ohue Uutersuchuug enthauptet. Eine Unmasse Bücher wurde gesammelt und verbrannt und ein neues Gesetz bedrohte Lehrer und

Schüler der Astrologie mit dem Tode.

Die alten christlichen Kirchenlehrer machten einstimmig gegen die Astrologie Front und wußten noch nichts von den Spitzfindigkeiten, durch die man sich im

Mittelalter vom astrologischen Standpunkte aus gegen die Konsequenz eines fatalistischen Determinismus zu verwahren suchte.

Daß von der Kirche die

Sterndeuterei als etwas spezifisch Heidnisches angesehen wurde, ergiebt sich auch aus dem letzten Gesetze der Art, das Honorius im Jahre 409 gegen sie erließ;

es lautet: „Wir befehlen, daß die Mathematiker, wenn sie nicht bereit sind, nach

Verbrennung ihrer Bücher vor den Augen der Bischöfe zu versprechen, daß sie der

katholischen Religion treu bleiben und nie zu ihren früheren Irrthümern zurück­ kehren wollen, nicht allein aus der Stadt Rom, sondern auch aus allen andern Städten vertrieben werden.

Wenn sie sich dennoch nicht entfernen und bei Aus­

übung ihrer Profession ergriffen werden, sollen sie die Strafe der Deportation

empfangen."

Die erwähnten Gesetze der Kaiser Diokletian, Konstantins

und Valens wurden später auch von Justinian adoptirt.

X.

Aktiengesellschaften im Alterthume. pm||nfofern man unter Aktien verkäufliche Verbriefungen über den Geld-

antheil versteht, welchen Jemand an einer gemeinschaftlichen UnterlögJät nehmung hat, kann freilich eben so wenig von ihnen in der Zeit vor der Entstehung des neuen Geldwesens die Rede sein, als von eigentlichen

Wechseln; wenn man aber findet, daß bereits bei Griechen und Römern sich ganze Gesellschaften vereinigt haben, in welchen Jeder nach Verhältniß des von

ihm eingeschossenen Kapitals seinen Antheil am Gewinn (Dividende) bekam und an welchen eine ziemlich ausgebildete Organisation der Verwaltung nicht zu

verkennen ist, so dürfen dieselben dennoch einen Vergleich mit den modernen Aktienkompagnien aushalten. Bei den Athenern bot der Staat selbst dem Unternehmungsgeiste vielfach

Gelegenheit dar, indem er Staatsgüter, Steuern und Zölle nicht durch seine

eigenen Beamten verwalten ließ, sondern verpachtete.

Unter den Staats­

besitzungen waren es vorzüglich die Bergwerke, die für eine verhältnißmüßige

Summe als Pachtpreis und außerdem 4^ Prozent als jährliche Abgabe einzelnen reichen Bürgern, aber auch Gesellschaften überlassen wurden.

Nach

einer freilich nur oberflächlichen Andeutung bei Demosthenes scheint im zweiten Falle der Werth eines Grubenantheils sich durchschnittlich unfein Talent (3715 M.)

belaufen zu haben.

Da der Gewinn des Staates, welcher bis zur Zeit der

Perserkriege unter die Bürger vertheilt wurde, unter Themistokles gegen

150,000 Mark betrug, so ergiebt sich als jährliche Ausbeute der Pächter

ungefähr die Summe von 4,500,000 Mark.

Die Ergiebigkeit der Gruben, be­

sonders der berühmten lauriotischen im Süden des Landes, war jedoch schon nach dem peloponnesischen Kriege im Abnehmen begriffen.

Außer dem Mangel

an Betriebskapital und der Unvollkommenheit des Schmelzverfahrens scheint

besonders die Erschöpfung der Gruben das Sinken des Bergbaues befördert zu

haben; denn nach Alexander dem Großen deckte der Gewinn bei der größten

Rührigkeit im Anbau nicht einmal immer die Betriebskosten, und im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung gab man die Gruben auf und durch­

suchte nur noch einmal die alten Schlacken.

Während nun bei der Betheiligung

an Gruben und Hüttenwerken noch viel auf Eifer und Geschick der Unternehnier ankam, war dagegen die Pachtung der Kopf- und Gewerbesteuer mehr ein

Glücksspiel, dessen Resicktat von der Sterblichkeit, der Aus- und Einwanderung,

überhaupt vom Steigen mit) Fallen der Einwohnerzahl abhing.

Uebrigens

waren die Bürger selbst nicht direkt besteuert, wol aber die in Athen ansässigen Fremden, in deren Händen vorzüglich Handel und Gewerbe lagen, und die

Sklaven.

Da nun der Mann 9 Mark, die Frau die Hälfte und der Sklave

30—40 Pfennige Kopfsteuer bezahlte, so läßt sich die Totalsunime bei 12,000 steuerpflichtigen Schutzverwandten und 365,000 Sklaven auf 275,000 Mark

anschlagen.

Ueber die Gewerbesteuer, die jedenfalls wieder an andere Leute

verpachtet wurde, wisseu wir nichts Näheres; daß sie aber in ziemlich weiten:

Umfange stattgefunden habe, ersieht man aus der Eintreibung der schmutzigen Hetärensteuer.

Genauere Einsicht steht dagegen in das athenische Zollwesen und

in die Betheiligung der Privaten an dessen Verwaltung offen.

Soweit man

zurückblicken kann, ist das Freihandelssystem nirgends in Griechenland zu finden. Schutzzölle, Monopole, Ein- und Ausfuhrverbote existirten dagegen allenthalben als Maßregeln der Staatskunst.

Der freisinnige Solon verbot alle Ausfuhr

aus Attika, das Oel ausgenommen. Auch später blieb die Ausfuhr des Getreides und aller zum Schiffsbau nöthigen Gegenstände verpönt und lag ein Zoll von zwei Prozent auf allen Waaren, selbst auf dem für das Land unentbehrlichen,

fremden Getreide.

Dabei fand kein Unterschied in den Artikeln statt, sondern

Landesprodukte, Jndustrieerzeugnisse, Rohstoffe und Vieh zahlten den gleichen

Satz.

An den Thoren Athen's mußte eine weitere Eingangssteuer bezahlt

werden und endlich erhoben die Agoranomen noch eine Abgabe von den auf den Markt gebrachten oder dort verkauften Waaren.

Diese Zölle übernahmen bald einzelne Personen, bald größere Gesellschaften, die einen Direktor an der Spitze hatten, auf dessen Namen die Pacht lief. Dabei mußten Bürgen gestellt werden, die wahrscheinlich aus Mitgliedern der

Gesellschaften bestanden und es geschah sogleich nach dem Abschluß des Kontraktes eine Vorauszahlung, ivelcher die übrige Liquidirung in bestimmten Terminen nachfolgte. Wer nicht zahlte, wurde ehrlos, bei der nächsten Frist zum Doppelten

verurtheilt und ging zuletzt seines Vermögens verlustig.

Einen recht klaren

Einblick in das Verhältniß gewährt eine von Plutarch über Alkibiades aufbewahrte Anekdote.

Dieser nämlich, der einen Groll auf die Zollpächter

hatte, veranlaßte einen Fremden durch Drohungen, die Pächtergesellschaft zu

Aktiengesellschaften im Alterthume.

126 überbieten.

„Derselbe ging daher am bestimmten Morgeir auf den Markt und

bot ein Talent mehr als die Anderen.

Die Pächter stecktcir die Köpfe zusammen,

wurden ganz unwillig und verlangten, daß er seinen Bürgeir angeben sollte, weil sie glaubten, er würde keinen finden können.

Der Fremde wurde hieriiber

ganz betreten und wollte eben den Handel aufgeben, als Alkibiades von fern den Archonten zurief: Schreibt es auf mich, er ist mein guter Freund und ich bin Bürge für ihn! Die Zöllner waren nun sehr bestürzt, da sie gewohnt waren,

bei der neuen Pacht die alten Pachtgelder zu bezahlen.

Sie baten daher den

Konkurrenten, daß er ein Stück Gekd nehmen und zurücktreten sollte.

Allein

Alkibiades ließ ihn dies nicht eher thun, bis man ihm ein Talent zugestand."

Wahrscheinlich handelte es sich hier um der athenischen Hafenzoll, der in der Zeit des peloponnesischen Kriegs für jährlich 30 Talente oder 141,456 Mark verpachtet wurde.

Der rhodische Hafenzoll brachte dagegen vor dem Jahre

164 v. Chr. durchschnittlich eine Million Drachmen oder 786,000 Mark ein.

Die Einnahme der Zölle geschah theils durch die Pächter selbst, theils durch

eine Menge Unterbeamten, die meist Sklaven der Unternehmer waren.

Zur

Abwartung ihrer Geschäfte war letzteren Freiheit vom Kriegsdienste gewährt, auch schützte sie der Staat im eigenen Interesse durch streuge Gesetze gegen

Defraudationen.

So kann man sich leicht denken, daß das Berpachtungssystenr

beim Zollwesen noch mehr Uebelstmlde mit sich führte mit) das Publikum noch ärgeren Plackereien aussetzte, als die Zollerhebungen durch Staatsdiener in

unserer Zeit.

Eigennutz und Habsucht reizten danials gewiß die Einnehmer

stärker zur Strenge und Unnachsichtlichkeit, als der abstrakte Amtseifer ihre heutigen Kollegen, und ein heinilicher Händedruck mit glänzender Einlage hätte

das Uebel wol nur noch schlimmer gemacht. Die Artikel, welche die Zolllinie passirten, wurden zwar deklarirt und in

die Listen von Beamten eingetragen; außerdem fand aber auch bei den Griechen, wie später bei den Römern noch spezielle Durchsuchung statt (bei den Römern nahm das Gesetz hierbei die Matronen aus).

Cicero sagt deshalb von den

Douaniers: „Sie schütteln die Leute ganz aus;" uud Plutarch: „Die Zöllner fallen uns lästig, nicht, wenn sie die eingeführten Sachen sortiren, sondern wenn sie, nach dem Verborgenen suchend, im fremden Gepäcke herumwühlen."

In den „Zwillingsbrüdern" des Plautus spricht Menächmus zu seiner neu­ gierigen Frau:

„Wenn Du fortfährst mich so zu behandeln, sollst Du bald

als Wittwe Deinen Vater Wiedersehen; denn wenn ich ausgehen will, hältst Du

mich zurück und forschest, wohin ich gehe, was ich vorhabe, lvas für ein Geschäft

ich besorgen wolle, was ich suche, was ich bringe, was ich gethan habe. Als habe ich mir einen Zöllner ins Haus geführt, so muß ich Alles, was ich thue und gethan habe, ansagen." Ja, sogar das Briefgeheimniß wurde von ihnen

keineswegs respektirt; wenigstens will in einem Plautinischen Stücke Jemand

Aktiengesellschaften im Alterthume.

127

das Fehlen eines Siegels damit entschuldigen, daß er sagt, der Brief sei auf

dem Zollamte erbrochen und eingesehen worden.

So konnten also auch schon

in der alten Zeit die Beanrten der Zollkompagnien nicht auf Beliebtheit beim Publikum rechnen, und wenn auch in Athen alle unverzollten Waarerr konfiszirt

wurden, so scheint doch die Schmuggelei dort an der Tagesordnung gewesen zu Eigentlich mußten alle Waaren, die ht Athen oder im attischen Gebiete

sein.

abgesetzt werden sollten, im Piräeus, dem abgegrenzten Emporium Athen's,

ausgeladen und verzollt werden.

Man umging diese Bestimmung aber leicht,

indenr man in den imtvcit Athen's gelegenen, sogenannten Diebshafen eirrlief.

Daß hier wenig Kontrole gewesen ist, ergiebt sich deutlich aus Demosthenes' Rede gegen Lakritos, wo es heißt: „Es ist aber, wenn Jemand ein Schiff in den Diebshafen führt, ungefähr ebenso, wie wenn er in Megara oder Aegina

aillandete, da es freisteht, aus dieser Bucht wegzusegeln, wohin und wann es

Jedem beliebt." Wenigstens scheint die Versteuerung der Ladung ohne Visitation des Schiffes am Lande geschehen zu sein.

Die strengsten Maßnahmen gegen

Zolldefraudanteu müssen übrigens in Olbia (am Dniepr) geherrscht haben, wo

der Vater des Philosophen Bion um 300 v. Chr. als Schmuggler mit seinem

ganzen Hause verkauft worden sein soll.

Wie allgemein überhaupt die Erhebung

von Zollen in den alten Seestädten gewesen ist, sieht man aus dem Beispiel der Üymüer, die nach Strabo erst 300 Jahre nach Gründung ihrer Stadt einen

Hafenzoll einführteri und deshalb als einfältig belächelt wurden; denn man sagte, sie hätten so spät erst bemerkt, daß sie am Meere wohnten!

Außer diesen Gelegenheiten zu Kompagniegeschüften, welche der Staat gab, suchten ferner die Rentner oft durch gemeinschaftliche Betheiligung an

Handelsgeschäften ihr Vermögen zu vergrößern.

Zwar der eigentliche Betrieb

des Handels war für den Athener nicht ehrenvoll; der Detailhändler war tief verachtet und selbst der Großhandel konnte 511m Vorwurfe gemacht werden und wurde fast ausschließlich von Fremden, Schutzverwandten und Freigelassenen

betrieben; alleill mit Rhederei und Bodmerei (deren Entstehung von Manchen

fälschlich in die neuere Zeit verlegt wird) beschäftigten sich häufig reiche Athener. Die Kapitalien wurden dann entweder auf die Fracht oder auf das Schiff, ober

auf beides geliehen, wobei der angegebene Theil als Hypothek galt.

Nur

Hoffnung auf hohe Zinsen, die bis zu 36 Prozent stiegen, konnte natürlich zur Uebernahme eines solchen Risiko's bewegen; denn gewöhnlich erklärte der Gläubiger

in der Vertragsurkunde, daß er für das Schiff oder die Ladung alle Gefahr

auf sich nehme und für den Fall des Unterganges auf Zinsen und Kapital Verzicht leiste.

So erzählt z. B. ein Bodmerist bei Demosthenes: „Da aber

die Schuldverschreibiulg, wie dies bei allen solchen Fällen stattzufinden pflegt, die Bestimmung enthielt, daß nur, wenn das Schiff geborgen würde, das Geld

zurückzuzahlen wäre, so beschlossen die Schiffer, das Schiff unterwegs in den

128

Aktiengesellschaften im Alterthume.

Grund zu bohren."

In diesem Falle war das Geld in Syrakus ausgenommen

worden; man sieht also daraus, daß diese Sitte nicht bloß in Athen galt.

Natürlich konnte es nun den Gläubigern nicht einerlei sein, lvohin die Fahrt des Schiffes ging, weil davon die Dauer der Reise, also auch des Darlehns abhing,

namentlich wenn das Geld für Hin- und Rückfahrt geliehen worden war.

Die

größere oder geringere Gefährlichkeit der Meeresgegenden und besonders die Jahreszeit wurden natürlich außerdem berücksichtigt, sowie die Fälle, in welchen

sich den Schiffern unterwegs günstigere Aussichten in andern Häfen, als im Vertrage bezeichnet waren, darbieten konnten.

Wir geben hier einen Auszug aus einer Schuldverschreibung über eine

Ladung, wie sie sich in der Rede des Demosthenes gegen Lakritos findet: „Androkles aus Karystos (Euböa) und Nausikrates aus Sphettos (Attika)

haben dem Artemon und Apollodoros aus Phaselis (Pamphylien) dreitausend Drachmen Silber (2250 Mark) geborgt zu einer Fahrt von Athen nach Mende und Skione (Makedonien) und von da nach dem Bosporus und,

wenn sie wollen, an der linken Küste bis zum Dniepr und zurück nach Athen,

zu 221I2 Prozent, so, daß als Unterpfand 3000 Krüge Wein gelten sollen. Die Rückfracht muß in demselben Schiffe geschehen und die Zahlung des schuldigen Geldes erfolgt binnen zwanzig Tagen nach der Zurückkunft.

Ausgenommen

dabei ist der Verlust an Waaren, die in der Gefahr über Bord geworfen oder

den Feinden überlassen werden müssen. Wenn aber das Schiff von irgend einem

Unfälle betroffen wird, der seinen Untergang zur Folge hat, so muß das Pfand gerettet werden und was erhalten und geborgen wird, gehört den Gläubigern gemeinschaftlich."

Hier war also angenommen, daß Kapital nebst Zinsen nach

der Rückkehr gezahlt würden, und so geschah es meistentheils, weil es keinen

Kommissionshandel und keine Wechsel gab; es kam aber doch, besonders im Schwarzen Meere vor, daß Athener Geschäftsfreunde besaßen, an die sie dann

vorher schrieben, um die Schuldner beobachten und das Kapital oder einen Theil der Zinsen einziehen zu lassen.

Auch geschah es nicht selten, daß einer

der Gläubiger, um des Geldes sicher zu sein, an der Handelsreise selbst Theil

nahm, sich die Summe am Ziele der Fahrt auszahlen ließ und sogleich ^wieder

auf neue Gefahr auslieh.

Trotzdem nun aber der Gewinn sehr bedeutend war

und das Gesetz die Gläubiger berechtigte, sich an das Eigenthum des säumigen Schuldners zu halten, so war doch der Kaufmann, wenn er ein Schiff nebst

Ladung verpfändet hatte, für den Fall eines Unglückes noch in größerem Vortheil, ja eigentlich verassekurirt, und die Höhe der Zinsen beweist doch auch

den großen Profit, den er im glücklichen Falle bei dem Handel machen konnte. Bei dem römischen Volke tritt die Bildung von Gesellschaften zur Ueber­

nahme gewinnversprechender Geschäfte schon viel deutlicher und geregelter auf und auch hier giebt das Verpachtungssystem hinsichtlich der Staatseinkünfte die

nächste Veranlassung zu ihrer Eutstehuug.

Um die Kosten der Verwaltung zu

ersparen und gleich mit Anfänge jeder Finanzperiode ein festes Budget aufstellen zrl können, wurdeir auch in Rom die Einnahmen, welche aus dem Zehnten der Provinzen, den Donianen, den Hafenzöllen, den Bergwerken, Salinen und

Fischereien flossen, an die Meistbietenden verkauft.

Da dieses Geschäft den

Censoren oblag, so wurden die Kontrakte meist auf 5 Jahre und nur ausnahms­

weise auf längere Zeit geschlossen. Bei der von Jahr zu Jahr sich ausdehnenden Größe des Reiches mußten natürlich auch die einzelnen Branchen der National­ einkünfte bald das Vermögen jedes Privatmannes aus dem Mittelstände über­ steigen und da das Gesetz den Senatorenstand von Handel und Gelderwerb

ausschloß, so kam es, daß die Kapitalisten mit dem höchsten oder Rittereensus (nicht unter 90,000 Mark) als Mittelspersonen in den finanziellen Angelegen­

heiten des Staates eintraten und daß der sich bildende Stand der Staatspächter größtentheils aus Rittern bestand, wenn es auch viele Ritter gab, die sich nicht an Geldgeschäften beteiligten.

Wirkliche Gesellschaften (societates), in welchen

die Mitglieder zuweilen gleichen, oft sehr ungleichen Antheil am Gewinne hatten,

verbanden sich wahrscheinlich schon früh. des zweiten punischen Krieges.

Zuerst erwähnt werden sie während

Damals fand man es (nach Livius) bei der

großen Erschöpfimg der Staatskasse für billig, daß diejenigen, welche als Generalpüchter ihr Vermögen vermehrt hätten, dasselbe auch dem Staate in

der Noth darliehen.

Es wurde daher die Verproviantirung des spanischen

Heeres verpachtet und am Lizitationstermine fanden sich drei Gesellschaften, im

Ganzen 21 Mann stark, welche alles Nöthige herbeischafften, ohne natürlich die Gefahr des Transportes zu überuehmen. Die Organisation einer römischen

Pachtgesellschaft war ungefähr folgende.

Ein Disponent übernahm das Bieten

bei der Lizitation, schloß im Namen der Uebrigen den Kontrakt mit dem Censor ab und leistete mit seinem Besitze Bürgschaft oder stellte Bürgen. Er war also

der eigentliche Entrepreneur und übernahm die Gefahr des Geschäftes.

Die

Leitung der Geschäfte dagegen hatte ein jährlich wechselnder Direktor (magister),

der in Rom zu bleiben Pflegte, das Rechnungswesen besorgte und das Archiv

mit allen Urkunden und Korrespondenzen in Verwahrung hatte.

Man weiß

sogar, daß die Vorsteher nach Ablauf ihres Jahres sich von ihrer General-

rechnung, die nach den monatlichen Berichten aus der Provinz zusammengestellt war, eine Kopie zu nehmen pflegten.

In der betreffenden Provinz führte ein

Stellvertreter, Vizedirektor, die Aufsicht und unter diesem stand das größten­

theils aus Freigelassenen und Sklaven zusammengesetzte Personal der Subalternen,

je nach der Art der Pacht geordnet und vertheilt.

Die Gesellschaft unterhielt

ihre eigenen Briefboten, die auch oft von den höheren Beamten der Provinz

benutzt wurden.

Uebrigens benannte man auch die Gesellschaften nach ihrer

Pachtung die „Zehntner, Zöllner" u. s. w. Goll, Kultnrbilder. I.

Die Pächter des Zehntens, von 9

130

Aktiengesellschaften im Alterthume.

Cicero „die Senatoren unter den Generalpächtern genannt", kauften dem Staate

den Zehnten in denjenigen Ländern ab, wo man Grund und Boden den früheren Eigenthümern gegen eine Naturalabgabe gelassen hatte. In manchen Provinzen

wurden diese Abgaben, welche von Getreide den Zehnten, von Wein, Oel und

Gartenfrüchten den Fünften betrugen, zu Geld geschlagen und von den Kom­ munen direkt an den Staat abgeliesert.

In Asien und einem Theile Siciliens

aber hausten noch die Pächter, welche gewöhnlich nicht den wirklichen Ertrag der Ernten abwarteten, sondern nach der Aussaat und den Durchschnittsernten

eines Jeden schon vorher die Lieferungsverträge abzuschließen pflegten.

Wie

hart und ungerecht diese Klasse ihre Steuerpflichtigen drücken konnte, wenn sie sich mit den Statthaltern gut zu stellen wußte, lehrt das Beispiel des berüch­

tigten Berres, der in Sicilien das Gesetz gab, daß der Ackerbauer demZehntner

so viel Zehnten zu entrichten habe, als dieser vmr ihm verlangen würde, daß der Ackerbauer dem Zehntner, wohin der letztere wolle, das persönliche Er­ scheinen vor Gericht versprechen müsse und daß Niemand das Getreide von der

Tenne nehmen solle, bis er mit dem Zehntpachter abgeschlossen habe! Mit dem Eintritte der Kaiserzeit hörten diese Verhältnisse auf, weil kaiserliche Beamte

mit der Einnahme der Grundsteuer beauftragt wurden. Was die Domänen betrifft, so wurden für den Staat nach Eroberung eines Landes gewöhnlich nur die Domänen der abgesetzten Könige eingezogen

oder die Kommunalländereien solcher Städte, welche eine härtere Behandlung

verschuldet hatten.

Diese Güter wurden zerschlagen und die Parzellen theils

an Römer, theils an Provinzialen auf längere Zeit, z. B. 100 Jahre, verpachtet

oder geradezu in Erbpacht gegeben. Das eingezogene Weideland dagegen benutzte der Staat in unmittelbarer Weise und ließ es, wie den Zehnten, durch die Censoren verpachten. Die Beamten der Gesellschaften führten dann die strengste Aufsicht über die Triften, katastrirten überall den Viehbestand und ließen sich

für jedes Stück ein Triftgeld zahlen.

Wollten die Besitzer mehr Vieh halten,

als sie hatten einschreiben lassen, so hatten die Pächter das Recht der Konfis­ kation.

Später bekamen die kleinen Landwirthe das Recht, 10 Stück großes

und 50 Stück kleines Vieh auf den Staatstriften weiden zu dürfen.

Die Ein­

nahmen von den Triften wurden dadurch geringer und in der Kaiserzeit weideten in den Provinzen die kaiserlichen Herden auf den öffentlichen Weideplätzen;

in Italien führten kaiserliche Prokuratoren die Aufsicht über den Bestand der, wie auch heute, während des Sommers in den Apenninen weidenden Herden und die Bestimmungen über das Einschreibegeld waren noch in der ostgothischeir

Zeit beinahe dieselben. Die anfänglichen Einkünfte des römischen Staates aus den Bergwerken

waren gering, weil er während der Republik nicht ausschließlich das Recht des

Bergbaues beanspruchte und weil es Maxinie war, den Metallreichthum Italiens

131

Aktiengesellschaften im Alterthume.

zu schonen (So dursten z. B. in ben Goldgruben bei Vercelli nur 5000 Ar­

beiter gehalten werden!). Der Ertrag der Gruben stieg jedoch ungeheuer, nach­ dem die spanischen und makedonischen zu Staatseigenthum erklärt worden waren.

Ihr Betrieb wurde ebenfalls Aktiengesellschaften überlassen.

Doch wenn auch

der ältere Plinius von staimenswerthen Seifenarbeiten in den spanischen Berg­

werken erzählt, so wird der Grubenbetrieb im Allgemeinen durch das Ver­

pachtungssystem gar nicht gewonnen haben, sondern nur zu häufig Raubbau

geblieben sein.

Auch die Verfälschung des Metalles von Seiten der Pächter

fand natürlich statt.

So durfte z. B. der Zinnober aus den Gruben des süd­

westlichen Spaniens an Ort und Stelle nicht fertig zubereitet werden, sondern es wurden davon jährlich gegen 2000 Pfund unter Zülfsicht nach Rom geschafft

und in den Offizinen der Kompagnie geschlemmt, wobei das Pfund dann nicht über IO1!2 Mark zu stehen kommen durste.

Trotzdem hatten die Pächter nach

Plinius ihren größten Profit dabei durch die Versetzung.

Die einträglich­

sten Gruben waren die Silbergruben bei Neukarthago in Spanien, welche 40,000 Menschen beschäftigten und täglich 25,000 Denare (jährlich beinahe

6 Millionen Mark) einbrachten.

Von den spanischen Bleibergwerken nennt

Plinius als jährliche Pachtsumme 45,000 und 90,000 Mark.

Mit welchem

Eifer auch die Privatbergwerke ut Spanien ausgebeutet wurden, zeigt sich daran, daß die Abgaben derselben dem Staate noch mehr einbrachten, als die Pachtgelder der Staatsgruben.

Die Bergleute waren fast alle Sklaven und

ihr Schicksal mag kläglich genug gewesen sein.

„Die zu den Bergwerken

bestimmten Sklaven", sagt Diodor, „bringen ihren Herren unendlichen Nutzen;

da sie aber beständig fortarbeiten müssen, so daß sie weder Tag noch Nacht rechte Ruhe haben können, sonderir immer wieder von neuem durch Schläge zur Arbeit ermuntert werden, so sterben die meisten in sehr kurzer Zeit und

diejenigen, welche bei fester Körperkonstitution länger leben, wünschen sich wol hundertmal den Tod, um das mühselige Leben, welchem sie ausgesetzt sind, nur

endlich los zu werderl."

Die Verpachtung der Bergwerke, sowie eines Theiles

der Marmor- und Wetzsteinbrüche und der Salinen dauerte auch unter der

Monarchie fort, nur mit dem Unterschiede, daß sich die Kaiser nach und nach alle Goldbergwerke erwarben, die schon im ersten Jahrhunderte n. Chr. wenig

ergiebigen spanischen Silbergruben an Privatpersonen veräußerten und die

veränderlichen Pachtgelder in eine feste Abgabe von 10 Prozent verwandelten. Selbst die zum Bergbau verurtheilten Sträflinge wurden später zuweilen den Aktienkompagnien übergeben und ein wahres Nertschinsk soll in dieser Beziehung

Sandarake am Schwarzen Meere (Bithyuien) gewesensein, wo eine Mennigart gegraben wurde und nach Strabo die 200 Arbeiter, durch die Arsenikdünste

vergiftet, wie die Fliegen wegstarben.

Auch in den Salinen, deren Pächter

zugleich das Heizungsmaterial für die Bäder lieferten, wurden die Verbrecher, 9*

132

Aktiengesellschaften im Alterthume.

namentlich Frauen, gleichsam als Inventar den Gesellschaften überlassen. Erst spät wurden eigene Bergbeamte angestellt, unter deren Aufsicht Sklaven und Tagelöhner für unmittelbare Rechnung des Staates arbeiteten. Daß endlich auch die Zölle an die Meistbietenden versteigert wurden und dadurch in die Hände von Kapitalistengesellschaften kamen, ist bereits erwähnt worden. In der Königszeit scheint die Ein- und Ausfuhr mit Abgaben belastet gewesen zu sein. Der erste römische Freihandelsmann, der sie abschaffte, war Valerius Poplikola. Und so blieb Rom und Italien lange Zeit frei, während man in allen eroberten Ländern theils die bestehende Zölle in römisches Staatseigenthum verwandelte, theils neue Zölle einführte. Erst 179 v. Chr. bekam Rom die Zölle wieder und behielt sie nach einer kurzen Unterbrechung von Cäsars Zeit bis in die späteste Periode. Alle Handelswaaren und Luxus­ artikel waren mit Aus- und Eingangssteuern belegt, nicht aber die zum Privat­ gebrauch bestimmten Gegenstände des gewöhnlichen Lebens. Cicero z. B. nennt unter den Artikeln, die von Sicilien aus Exportzoll entrichten mußten und an denen die Zollpächter Siciliens durch die Defraudation des Verres allein im Hafen von Syrakus über 9000 Mark eingebüßt hatten: Gold, Silber, Elfen­ bein, Purpur, Malteser Teppiche, Stoffe aller Art, kostbare Gefäße, Getreide, Honig; und in einem Tarif aus der Zeit der Antonine werden aufgezählt: Gewürze, Medikamente, Baumwollengewebe, orientalische Pelzwaaren, Elfenbein, indisches Eisen, Edelsteine, Opiate, indische Matten, Seide, halbseidene Stoffe, Eunuchen, Löwen, Leoparden und Panther, Farben und feine indische Wolle. Der Zollsatz betrug fast immer 21l2 Prozent vom Werthe der Waare, in Sicilien dagegen 5 Prozent und ebensoviel vom Werthe der freigelassenen Sklaven; die indischen Waaren zahlten in dell Häferr des Rothen Meeres eine Importsteuer von 25 Prozent. Die Hauptstadt befand sich bei diesen Zoll­ einrichtungen am schlimmsten; ihr Handel war bloß passiv, da die Ausfuhr kaum in Betracht kam; ja, nicht eimnal das einträgliche Transportgeschäft nährte den Römer, da die Kaufleute aus den Provinzen ihre und die weiter her­ kommenden Produkte selbst nach Italien verschifften. Den Betrag der aus Indien allein jährlich importirten Waren giebt Plinius auf beinahe 4 Millio­ nen an. Wenn man nun rechnet, daß dieselben im Rothen Meere einen hohen Eingangszoll und in Italien zum zweiten Male Eingangssteuer zahlten und daß z. B. die Transportkosten einer Kameellast Weihrauch vom glücklichen Arabien bis an die italische Küste über 450 Mark betrug, so wird man der Versicherung desselben Gelehrten Glauben schenken, daß sich der Verkaufspreis" in Rom auf das Hundertfache des Einkaufspreises gesteigert habe. Die Generalpächtergesellschaften, welche für die Zölle die ganze Kaiserzeit hindurch fortbestanden haben, mögen freilich dabei, den schönsten Gewinn gezogen haben. Schließlich sei noch bemerkt, daß man in der Kaiserzeit auch auf Land- und

Aktiengesellschaften im Alterthume.

133

Wasserstraßen Durchgangssteuer, Chaussee-, Kanal-und Brückengelder zahlen

mußte. Cäsar spricht von den großen Wegegeldern in den Alpen; die Marseiller erhoben an der Einfahrt des Rhonekanals, den sie doch von Marius geschenkt bekommen hatten, einen Sundzoll, wie einst die Athener im Bosporus, und

nach einer Stelle bei Strabo scheint es fast, als seien damals schon Schlag­

bäume zur Sperrung in Arrwendung gekommen! Wenn so die Kapitalisten und Aktiengesellschaften hinreichende Gelegenheit fanden, ihr Vermögen arbeiten und

steigen zu lassen, so verdienten sie außerdem noch sehr viel dadurch, daß sie ihre

Anwesenheit in den Provinzen dazu benutzten, durch Banquier- und Wucher­ geschäfte gegen unerhörte Zinsen den erschöpften Kasse:r der Provinzialen zu

Hilfe zu kommen.

Daß übrigens in Rom der Seewucher in ähnlicher Weise wie in Griechen­ land getrieben wurde, zeigt das Beispiel des älteren Kato^ von dem Plutarch erzählt:

„Diejenigen, denerr er Geld lieh, mußten mit fünfzig Anderen in

Kompagnie treten und dann mit ihnelr eben so viele Schiffe ausrüsten, auf deren

jedem Kato einen Theil seines Geldes stehen ließ und worüber er seinen Freigelassenen Quintion stellte, der mit den Kaufleuten und Schuldnern zur See ging und auf Alles genau Acht hatte.

Kato wagte also nicht die ganze

Summe, ftnlderu nur einen geringen Theil davon imi) konnte doch dabei sehr viel gewinnen."

War dies bei der großen Gefahr des alten Seeverkehrs ganz

richtig kalkulirt, so bot das Znsammentreten Mehrerer auch den Senatoren, welche

nach dem Klaudischen Gesetz keinen Seehandel treiben durften, Gelegenheit, sich unter fremder Firma bei dem Geschäfte zu betheiligen.

Elldlich wurde auch der

Transport des Getreides, welches aus Sardinien, Sieilien, Spanien und Afrika auf Rechnung des Staates bezogen wurde, nach Varro's und Kolumella's Zeugniß an die Mindestfordernden vergeben. Da nun z. B. aus Aegypten

allein des Jahres 300,000 Scheffel Weizen geliefert wurden, kann man sich einen Begriff von der Bedeutung dieser Entreprisen machen, die ebenfalls von Handelsgesellschaften übernoinmen wurden, welche ganze Flotten von Kauffahrern

lmterhielten.

Aus der Gesetzsammlung des Kaisers Theodosius erfährt man,

daß die alexandrinischen Schiffe 4 Prozent der Ladung und für je 1000 römische Scheffel ein Goldstück, die afrikanischen nur 1 Prozent der Ladung als Trans­

portvergütung erhielten.

Das von Lukian geschilderte ägyptische Kornschiff

Isis verdiente jährlich 57,000 Mark an Fracht. Wie sehr sich zn Kato's Zeit

das Assoziationswesen auf Geschäfte aller Art ausdehnte, ersieht man auch aus

einem von ihm aufgestellten Mnsterkontrakte über eine Olivenernte, nach welchem der Akkord gewöhnlich mit ganzen Kompagnien geschlossen wurde. Ja, dasselbe

geschah mit Hausbauten, Begräbnissen und Regulirungen von Konkursmassen.

XI.

Banquiers, Banken und Geldkrisen. Geschichte zeigt, daß den großen und sicheren Geld- und Handelsströmungen überall erst die engen, trüben Kanäle des Wuchers vorani-sääS gingen. So entwickelte sich im Mittelalter das Bankwesen gleichzeitig mit dem steigenden Geldverkehre aus dem Wucherwesen der Juden und Lom­

barden.

Aehnlich gestalteten sich die Verhältnisse bei den beiden Hauptvölkern

des klassischen Alterthums.

Die griechische Nation, durch die treffliche topographische Beschaffenheit

ihres Landes begünstigt und auf Seefahrt und Handel hingewiesen, fühlte

natürlich sehr bald, das Bedürfniß des Geldwechsels, und es gab deshalb auf allen größeren Handelsplätzen Geldhändler.

Das ursprünglichste Geschäft der­

selben bestand darin, das fremde Geld oder rohes Gold und Silber gegen marktübliches Geld oder umgekehrt zu vertauschen; ja auch ohne den Verkehr

mit fremden Völkern würde dieser Handel durch die griechische Kleinstaaterei

dringend geboten gewesen sein.

Der ihnen aus dem Aufgelde zufließende Ge­

winn war jedoch keineswegs der Haupttheil ihres Verdienstes. Man borgte von ihnen auch Geld, und da das Maß der Zinsen gesetzlich nicht beschränkt war,

und selbst Zinseszins genommen werden konnte (die Zinsen wurden aber im Alterthume nur alljährlich zum Kapital geschlagen), so bekamen die athenischen

Wechsler bis zu 36 Prozent und gaben auch auf Pfänder nur gegen sehr hohe Zinsen Darlehne. Eigenthum.

Dennoch waren diese ausgeliehenen Kapitalien selten ihr

Viele reiche, vornehme Leute, die zu bequem waren, sich mit der

Verwaltung ihres Vermögens zu befassen, oder durch Reisen oder andere Ver­

hältnisse an der eigenen Kassenverwaltung behindert wurden, pflegten den

Wechslern im Vertrauen auf deren größere Geschäftsgewandtheit Kapitalien

gegen mäßige Zinsen zu -übergeben. Wußten nun die Banquiers gewiß, wie lauge solche Summen bei ihnen stehen blieben, so verborgten sie dieselben gegen hohe Zinsen an Dritte und betrieben so überhaupt ihr Hauptgeschäft mit fremdem Gelde. Ja, es kommt bei Demosthenes der merkwürdige Fall in Frage, daß der Besitzer einer Wechselbank, die nicht nur aus eigenem Handels­ kapital, sondern auch aus 45,000 Mark fremder Depositengelder bestand, dieselbe an seinen Freigelassenen verpachtet hatte. Der Vater des reichen Rhetors Herodes Attikus hatte in seinem Testamente jedem athenischen Bürger eine Mine (78 M.) jährlich ausgesetzt. „Als nun das Testament vorgelesen wurde," sagt Philostratos, „fauden sich die Athener mit Herodes ab, er sollte durch einmalige Bezahlung von 5 Minen auf den Mann die Verpflichtung der immerwährenden Abgabe abkaufen. Allein als sie zu den Wechslern kamen, um sich die Summe, über welche sie einig geworden waren, auszahlen zu lassen, und ihnen dagegen Verschreibungen von ihren Vätern und Großvätern vorgelegt wurden, welche auf die Aeltern des Herodes lauteten, und sie sich einer Ab­ rechnung unterwerfen mußten, erhielteir Einige nur wenig ausgezahlt, Andere gar nichts, noch Andere waren mehr schuldig, so daß sie sogar noch heraus­ zahlen sollten." Die llrsprünglichen Darleiher wiesen aber nun alle ihre Zahlungen auf ihre Banquiers au, indem sie gewisse verabredete Zeichen, meistens Ringe, ihren Anweisungen beifügten oder die Personen namhaft machten, welche die Identität der Ueberbringer darthun sollten. So sendet in einem Lustspiele des Plautus der Gläubiger feinem Wechsler nebst feinem Siegelringe einen Brief folgenden Inhaltes: „Ich bitte Dich inständig, daß Du demjenigen, welcher diese Zeilen überbringt, das Mädchen nebst Kleidung und Goldschmuck übergiebst; das Geschäft ist in Deiner Gegenwart und unter Deiner Vermittelung abgeschlossen worden und Du kennst ja die Abmachung: das Geld zahlst Du bem Kuppler, dem Ueberbringer überlieferst Du das Müdcheu." In dieser Vereinfachung der Zahlung liegt allerdings ohne Zweifel der Anfmrg zu unserem Wechselwesen; allein an den weiteren Schritt, an die Uebertragung der Anweisung auf einen Zweiten und Dritten, dachten weder Griechen noch Römer. Etwas Anderes als bloßes Deponiren und Umschreiben fand auch bei den griechischen Staatsbanken nicht statt, welche hier und da z. B. in Tenos, Jlium und Temnos (in Mysien) bestanden. Von der letzteren sagt Cicero, es könne dort kein Geld umgesetzt werden ohne die vom Volke gewählten fünf Prätoren, drei Quästoren und vier Banquiers. Auch in Aegypten war in jedem Distrikte eine königliche Bank unter einem Beamten, bei welcher Zahlungen geleistet und Kontrakte geschlossen wurden. Die Stadt Byzanz hatte nach Aristoteles das Geldwechseln an einen einzigen Banquier verpachtet, und bestrafte jede Umgehung dieser Maßregel mit Konfiskation des

136

betreffenden Geldes.

Banquiers, Banken und Geldkrisen.

Geldgeschäfte trieben aber auch die Tempel, indem sie die

aus ihrem Grundbesitze, aus Schenkungen, Strafgeldern und Beuteantheilcir

fließenden Kapitalien an Gemeinden und Privatpersonen ausliehen.

Nameirtlich

liegen' Nachrichten über das delphische und delische Heiligthum vor und nach

einer Inschrift hat das zuletzt genannte Geld auf fünf .Jahre zu 10 Prozent

ausgeliehen. ‘ Wegen des Vertrauens, welches die Tempel ihrer Unantastbarkeit

wegen genossen, pflegten auch von Staaten und Einzelnen Geldsunimen in ihnerr

deponirt zu werden.

Die Wechsler in Athen, die hier, wie in Rom, ihren

Stand alle am Markte hatten, standen in Verbindmrg miteinander, so daß einer

dem andern aushalf,

Als Kommis waren bei ihnen meist Sklaven angestellt.

Sie führten nun schon im Interesse ihres Rufes genaue Handelsbücher über ihr Geschäft und ein Jeder, dem in rechtlicher Beziehung daran gelegen war, scheint

die Einsicht in diese Bücher haben fordern zu können, welchen auch vor Gericht

Beweiskraft beigelegt wurde.

Trotzdem war die Achtung, in welcher die ganze

Klasse der Geldhändler stand, im Ganzen keine große; Raubgier und Unehr­

lichkeit waren Prädikate, die man ihnen sprichwörtlich beilegte.

In demselben

Plautinischen Stücke spricht der Wechsler mit sich selbst über seinen Stand folgendermaßen: „Ich gelte für wohlhabend; aber ich habe eben einen kleinen Ueberschlag gemacht, wie viel von meinem Gelde mir, wie viel Anderen gehört.

Reich bin ich, wenn ich meine Gläubiger nicht bezahle; wenn ich ihnen wieder­ gebe, was ich schulde, sind meine Passiva überwiegend.

Wahrlich, wenn ich

mir meine charmante Lage überlege, muß ich es auf eine Klage ankommen lassen, sobald sie mich bedrängen.

So machen es ja die meisten Wechsler, daß

sie immer, einer von dem anderen, Geld fordern und Niemanden wieder be­

zahlen. Sie möchteir gern mit den Fäusten bezahlen, wenn das Geld zu dringend verlangt wird!" — Bei den griechischen Rednern finden sich Fallissements er­ wähnt, bei welchen sich die Banquiers schon ganz in moderner Weise anfänglich verborgen halten und dann außer Land gehen. Zugleich dürfte man aus diesem

Umstande schließen können, daß ein insolventer Wechsler von Seiten der Gerichte gefänglich eingezogen zu werden pflegte.

Dagegen finden sich auch genug

Ehrenmänner, mit denen man Geschäfte ohne Zuziehung von Zeugen abschloß,

deren Kredit sich bis in das Ausland erstreckte, mi die sich sogar die Regierungen

in Verlegenheiten wendeten. Ein solcher war der Zeitgenosse des Demosthenes, Pasion, dem die Athener wegen seiner Verdienste um den Staat das Bürger­ recht ertheilten und der dann als Neubürger in seinen Staatsleistungen große

Freigebigkeit bewies. Ueberhaupt liegt der Grund der gewöhnlichen Mißachtung des ganzen Standes bei den Griechen nicht in dem von Einzelnen geübten

Mißbrauche des Kredits, sondern darin, daß sich meist Menschen von niederer Herkunft und schlechter Gesinnung, namentlich Freigelassene, dem Geschäfte widmeten.

Vergleicht man mit diesen griechischen Zuständen die römischen, so springt zuerst der Uuterschied in die Augen, daß Rom zwar keine stehende öffentliche Bank hatte, daß aber der Staat mehr als in Griechenland die Wechsler beaufsichtigte, ja, von Staatswegeir dergleichen anstellte. Toch nur in Fallen großer Noth, in eigerstlichen Geldkrisen, errichteten die Römer Staatsbanken unter Leitung öffentlicher Beaniten, und danir waren es stets Leihanstalteri. Zum ersten Male geschah dies im Jahre 352 v. Chr., um dem ungeheuer verschuldetell niederen Volke unter die Arme zu greifen. Fünf Staatsbeamte prüften die Verhältnisse der Schuldner und leisteten an ihren am Hauptmarkte errichteten Tischen gegen Sicherstellung Vorschüsse aus der Staatskasse. Der umgekehrte Fall trat ein, als während des zweiten punischen Krieges das Aerar selbst in die Lage kam, die aufopfernde Hülfe der Patrioten in Anspruch zu nehmen. Damals nahm dieselbe Behörde Geld und edles Metall in Empfang, während ihre Schreiber die Nameir in die Liste der öffentlichen Anleihe ein­ trugen. Der Kaiser Augustus etablirte später aus dem Ertrage der konfiszirten Güter der Verurtheiltelr eine Leihkasse, aus welcher Jeder, der für den doppelten Betrag Unterpfand stellen konnte, auf eine gewisse Zeit geborgt bekam. Diesem Vorgänge folgte auch später Alexander Severus, indem er ein großes Kapital zu geriugeu Zinsen verlieh und Armen zunr Ankailfe von Grurldstücken Gelder ohne Zinsen vorftreckte, die sie dann von dem Ertrage derselben nach imd nach lviedererstatteten. Wie sehr sich übrigens schon zu Allfang der Kaiserzeit der Betrieb der Geldgeschäfte geändert iiiii) das Ansehen der Banquiers gesteigert hatte, zeigt sich besouders in den Mitteln, welche Tiberius zi:r Beseitigung einer großen Geldkrisis im Jahre 32 n. Chr. an­ wendete. Es fehlte danrals keineswegs an Kapital; das plötzliche Aufhören des Kredits war nur eine Folge falscher Maßregeln. Da nämlich die Schuldner laut über die Härte und den Zillswucher der Kapitalisten klagten, zu denen freilich sämmtliche Mitglieder des demoralisirteil Senats gehörten, so ging man auf ein Gesetz Casares zurück, liach welchem Niemand mehr als 15,000 Denare (13,050 Mark) baares Geld besitzen durfte, gebot den Reicheren, zwei Drittheile ihres Vermögens in Grimdbesitz anzillegen und setzte zu diesen Veränderungen eine Frist von 18 Monaten fest. Allein die Gläubiger kündigteir nun aus Furcht alle ihre Kapitalieu auf; durch die Menge der Bankerotte sank der Preis aller städtischen Besitzllngell mit) Wohlstand und Ehre Vieler ging zu Grunde. Da löste endlich der Kaiser die Stockung des Kredits, indem er gegen 21 Millionen Mark den Zahltischen der Banquiers zur Disposition stellte, die nun im Nanien des Staates gegen doppelte Hypothek, aber ohne Zins, auf drei Jahre Geld vorschossen. Von der Zeit an, wo sich die inneren Verhältnisse des großen Römer­ reiches mehr kvnsolidirten, wo die Habsucht der reich gewordenen Epigonen die

138

Banquiers, Banken und Geldkrisen.

alte, festgewurzelte Scheu der Altvorderir vor schnödem Gelderwerb erstickte und unzählige Summen in den Provinzen auf hohe Zinsen ausgeliehen oder in Handelsgeschäften angelegt wurden, fehlte es natürlich auch )ücht an ungünstigen Rückschlägen von dort nach Italien, welche mit den durch den internationalen Wechselverkehr bedingten Schwankungen des Kredits in jetziger Zeit verglichen

Werden können. Sonennt wol Cicero mit gutem Grunde die Periode Sullas

„eine Zeit sehr schwieriger Zahlung", und eben so sagt er über die Er­ schütterungen der östlichen Provinzen durch den pontischen Mithridates: „Man weiß, daß damals, als so Viele in Asien große Summen verloren

hatten, auch in Rom durch die in beit Zahlungen eiugetretene Hemmung der Kredit ganz gesunken ist; denn es können nicht in einem Staate Viele ihr

Vermögen einbüßen, ohne Andere mit sich in dasselbe Unglück zu verwickeln." Auch die Entwerthung des Geldes erzeugte große Störungen des Verkehrs.

Zwar war es erst einer fernen Zukunft Vorbehalten, den Geldwerth des Papieres

zu entdecken und auszubeuten; aber das Kippen und Wippen verstanden die römischen Gewalthaber schon vortrefflich.

Während der Bürgerkriege mischte

der Triumvir Antonius Eisen unter das geprägte Silber und den Entdecker

der Silberprobe ehrte damals das Volk mit Bildsäulen in allen städtischen Distrikten.

In den 200 Jahren von Nero bis Aurelian verschlechterte sich

aber das Geld allmählich immer mehr. Die Regierungen verboten das Probiren

ihrer Münzen und gaben bronzene Denare mit Silberplattirung aus, deren Silbergehalt von 1/3 endlich auf 1/5 herabsank.

Zuletzt wußte man gar nicht

mehr, ob der Ueberzug des weiß gesottenen Kupfers aus Silber oder Zinn bestand und es geriethen alle Vermögensverhältnisse irr die heilloseste Verwirrung.

Die Abgaben mußten unter Elagabal und Alexander Severus in Gold

gezahlt werden, und hiermit war eigentlich schon der Staatsbankerott aus­ gesprochen. Erst Diokletian gelang es, vollständige Ordnung im Münzwesen wieder herzustellen.

Wie in Athen wurde auch in Rom das Forum dadurch zu einer Art

von Börse, daß die Boutiquen der Wechsler auf demselben oder in seiner Nähe sich befanden. Besonders unter den drei großen, gewölbten Durchgangs­ bogen desselben, in welchen besondere kleine Nischen zu diesem Zwecke angebracht waren, pflegten sie ihren Stand aufzuschlagen urrd nach der Lokalität bezeichneten

sie auch ihre Firma (z. B. „der Wechsler von der Julischen Basilika", „vom Cirkus Flaminius" u. s. w.). Ihre Geschäfte waren bedeutend ausgedehnter und vielseitiger als die der griechischen Kollegen.

Zwar inachte das Wechselwesen

selbst, wie schon .erwähnt, in Rom keinen Fortschritt und es blieb nach wie vor bei den bloßen Anweisungen; allein der Ausdehnung des Reiches gemäß

erweiterten sich auch die Beziehungen der römischen Bairquiers zu denen in den Provinzen und es kamen mit der Zeit eine Menge auf Geld und Handel

bezügliche Besorgungen in ihre Hände, die bei uns besonderen Agenten und den Notaren anheimfallen. Bei Käufen und Verkäufen dienten sie als Mäkler, sie besorgten Privatauktionen und wurden bei öffentlichen Versteigerungen als Schriftführer und Kassirer zugezogen, weshalb auch die Auktionskataloge an ihre Buden angeschlagen wurden. Natürlich liehen sie auch fremdes Geld, um dasselbe zu höheren Zinsen wieder unterzubringen; aber bei solchen Operationen waren sie hinsichtlich der Zinsen irnmer durch Regierungsmaßregelrr beschränkt und der Zinsfuß stand in Rom nie auf der Höhe des griechischen. Von 8°/0 stieg er wol am Ende der Republik auf 12°/0, sank aber zu Anfang der Monarchie durch die Anhäufung vieler Kapitalien bis auf 4°/0 herab. Zwar dauerte dies nicht lange, aber über 8°/0 scheint er nicht oft gestiegen zu sein und Justinian setzte endlich den gesetzlichen Zinsfuß auf 6°/0 fest und verbot den Zinseszins gänzlich. In Rom beaufsichtigte die Wechsler der Stadtpräfekt, in den Provinzen der Statthalter, und vom Kaiser Galba wird erzählt, daß er als Gouverneur in Spanien einem unredlichen Banquier die langfingrigen Hände abhauen und cm den Wechslertisch habe nageln lassen. In Rom war eine bestimmte Zahl für die Geldhändler festgesetzt, welche eine Art von Innung bildeten, zuweilen unter sich solidarische Verbindlichkeiten entgingen und das Recht besaßen, über die Aufnahme neuer Mitglieder zu entscheiden. Sklaven waren nur als Kommis zulässig und der Herr des Geschäftes blieb stets für sie verantwortlich. Besonders streng verpflichtet waren die römischen Banquiers, ihre Bücher genau zu führen, und es befremdet dies um so weniger, als es überhaupt bei den Römern bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. allgemeine Sitte war, Ausgaben und Einnahmen gehörig aufzuschreiben und zu verrechnen, so daß Summen, die nicht im Buche (Calendarium) standen, als unredlich er­ worbene vorgeworfen werden konnten. Daher hatten die Wechsler nicht nur ein Kassabuch, in welches sie ihre Einnahmen und Ausgaben chronologisch ein­ trugen, sondern auch ein Kontokurrentbuch, in welchem das Soll und Haben der einzelnen Kunden auf getrennten Blattseiten verzeichnet stand, und ein Journal zum Behuf späterer Eintragung in das Kassabuch. Vor Gericht hatten diese Bücher vollständige Beweiskraft. Justinian war den Wechslern besonders günstig gesinnt, vermehrte ihre Privilegien und sagt unter anderem in dem bezüglichen Gesetze nach der Be­ stimmung, daß ihnen auch ohne vorgehende Abmachung stets die gesetzlichen Zinsen des verborgten Geldes gezahlt werden sollten: „Denn es wäre un­ gerecht, wenn diejenigen, welche bereit sind, fast alle Hilfsbedürftigen zu unterstützen, durch solche kleinliche Chikanen Unrecht erleiden sollten." Ueberhaupt hatte in der Kaiserzeit dieser ganze Stand gleiche Geltung mit den Kauf­ leuten. Der reiche Banquier war eben so angesehen wie der Großhändler;

140

Banquiers, Banken und Geldkrisen.

der kleine Wechsler und der schmutzige Wucherer dagegen genossen eben so

wenig Achtung wie überhaupt jeder Kleinhändler und Krämer.

Auf solche

Händler niederen Ranges beziehen sich auch die bitteren Worte des Plautus:

„Hinter dem Kastortempel sind diejenigen, bei welchen Du schlecht ankommen kannst, wenn Du ihnen geschwind Geld anvertraust; so wie Du dies gethan

hast, machen sie augenblicklich Bankerott!"

XII. Die Aerzte Heilkunde ist fast bei allen Völkern, deren Bildung noch auf der

F ersten Stufe stand, als Geheimlehre in den Händen der Priester geBJSSO wesen. Auch in Hellas wurden die Kranken in den Tempeln ver-

fchiedener Gottheiten behandelt,

unter denen Asklepios,

der Gesundheit

spendende Sohn Apollon's, den ersten Rang einnimmt. Die Asklepieen waren

meist an freien, hohen Orten in der Nähe gesunder Quellen erbaut und außer

einer zweckmäßigen Diätetik thaten oft auch die einfachsten Arzneimittel hier Wunder, da sie durch psychische Einwirkungen, wie dAr Tempelschlaf der Kranken oder Priester, von dem man Inspiration der Kurmethode erwartete,

mächtig unterstützt wurden.

Die Genesenen weihten, wie in christlichen Wall­

fahrtsstätten, in den Tempeln metallene Nachbildungen der geheilten Organe

oder Täfelchen mit der Krankheitsgeschichte und ihren Namen.

Die ärztliche

Kunst war natürlich in den Priesterfamilien erblich; doch mußten die Schüler erst durch besondere Weihen in den Orden der Asklepiaden ausgenommen

werden.

Besonders zu betonen ist dabei der Eid, die Geheimnisse der Kunst

nicht verrathen zu wollen, den auch nach der Zeit des Hippokrates die an­

gehenden Meister noch schwören mußten.

Unabhängiger gestaltete sich die Medizin durch die Philosophenschulen und

besonders durch die sich entfaltende Blüthe der Gymnastik.

Der verständige

Turnunterricht in Athen beschränkte sich nicht auf die Einübung athletischer Kunststücke und auf einseitig betriebene Fertigkeiten, sondern bildete den Körper harmonisch zu derjenigen Vollkommenheit und Schönheit heraus, welcher er überhaupt fähig war. Man suchte deshalb auch in den Gymnasien die Erhaltung

und Wiederherstellung der Gesundheit durch sorgfältige Diät und geregelte

Muskelthätigkeit zu erzielen und die moderne Orthopädik und.Heilgymnastik hat

142

Dre Aerzte.

ihren Schöpfer im Lehrer des Hippokrates, Herodikos von Selymbriazu suchen.

Mit dem

genialen Hippokrates und seiner rationelleren Be­

handlungsart erreichte dann die griechische Medizin einen Abschluß, der erst

durch das naturwissenschaftliche System des Aristoteles und die empirische

Methode der Alexandriner überschritten wurde. Das Ansehen der Aerzte blieb

jedoch

in Griechenland,

auch nachdem sie den religiösen Boden verlassen

hatten, durch den göttlichen Ursprung der Wissenschaft gehoben und den Nameir Asklepiades legten sich die Mediziner bis in die späteste römische Zeit gern

bei, um sich als Nachkommen ihres Patrons zu bezeichnen. des

Hippokrates

deutet

auch

auf

ein

Der erwähnte Eid

zunftmäßiges Zusammenhalten

der

späteren Aerzte hin und auf eine nach Ablauf der Lehrzeit, vielleicht nach vorher­

gehender Prüfung, den Schülern ertheilte Erlaubniß zur Ausübung der Kunst. Eine Wahl von Seiten des Volkes fand nur für diejenigen statt, welche vom

Staate in öffentlichen Sold genommen werden wollten.

Um zu beweisen, wie

thöricht es sei, keinen Lehrer haben zu wollen, läßt Sokrates bei Xenophon

einen solchen Kandidaten zum Volke sprechen: „Ich habe von Niemandem die Heilkunst erlernt und auch nie darnach gestrebt, daß mich ein Arzt in die Lehre

nähme; denn ich habe mich stets gehütet, nicht allein von den Aerzten etwas zu lernen, sondern auch vor dem Scheine, diese Kunst erlernt zu haben. Gleichwol

bitte ich Euch, Athener, mir die Ausübung der Heilkunst zu gewähren; denn

ich will versuchen, sie durch Experimente an Euch zu erlernen!"

Für eine un­

glückliche Kur konnte der Arzt nicht verantwortlich gemacht werden, und wenn

auch Aristoteles sagt, daß der Arzt nur vor Aerzten Rechenschaft von der

Richttgkeit seiner Heilmethode geben könne, so liegt in diesen Worten noch nicht, daß ein ärzlliches Kollegium je über einen Amtsgenossen zu Gerichte gesessen habe. Die Belohnung für ihre Dienste erhielten die Aerzte von ihren Patienten,

und zwar ließen sie sich oft das Honorar voraus bezahlen, da sie die Ausgaben für die Arzneien selbst zu verlegen hatten.

Aelian berichtet, daß der vom Vater der jüngeren Aspasia zu Rathe gezogene Arzt sich weigerte, ein Gewächs

im Gesichte derselben zu behandeln, weil die Familie die geforderten drei Stateren nicht erlegen konnte.

Auch bei Achilles Tatius heißt es von einem

Arzte: „Umsonst öffnet er nicht den Mund, sondern er ist ein Arzt und verlangt

zuerst den Lohn." Gewöhnlich also wurde wenigstens von dem Arzte in voraus eine Summe ausbedungen.

Aristoteles sagt von ihnen:

Kranken geheilt haben, tragen sie ihr Honorar davon."

„Wenn sie die

Dasselbe beweist auch

jene spaßhafte Fabel Aesop's, wo eine an den Augen leidende alte Frau mit einem Arzte das Uebereinkommen trifft, daß sie eine bestimmte Summe nach

der Heilung zu bezahlen habe, wenn dieselbe aber nicht einträte, nichts schuldig

sei.

Doch kam es auch vor, daß die Höhe des Honorars dem Patienten an­

heim gestellt blieb.

Einen Theil des Einkommens bildete auch das Lehrgeld ihrer Schüler,

von denen sie sich bei ihren Besuchen begleiten ließen. Noch Galen erzählt von dem unter Kaiser Klaudius lebenden Thessalos von Tralles, daß er einen

Haufen von Lehrlingen sechs Monate lang bei seinen Krankenbesuchen mit­ geschleppt habe, worauf er ihnen die eigene Praxis erlaubte! Die Aerzte im

Staatsdienste wurden auch von der Regierung bezahlt. So erhielt Demokedes

aus Kroton in Aegina jährlich 4715 M., nach seiner Uebersiedelung nach

Athen 7800, bei Polykrates in Samos 9430 M.

Solche öffentliche

Aerzte, die für Athen noch öfter erwähnt werden, ließen sich von den Be­ handelten kein Honorar zahlen. Das Selbstdispensiren der Aerzte war nicht zu

vermeiden, da es keine Apotheken gab.

Allerdings konnte man auch Arzneien

in den Buden der Medikamentenhändler bekommen.

Diese Leute standen aber

mit den eigentlichen Aerzten in gar feiner Verbindung, sondern waren Quack­

salber und Marktschreier, die auf eigene Hand Hausmittel, Gifte, Farben,

Schminke imd andere Dinge verkauften. Von einen: derselben erwähnt Lukian, daß er ein Mittel wider den Huste:: angepriesen habe, das sofort von dieser

Plage befreien sollte, daß er aber dabei selbst vom Husten arg geschüttelt worden sei. D:e leichteren Kranken besuchten den Arzt in seiner Werkstätte oder Bude,

wo sich auch Müßiggänger mancherlei Art einfanden. Da die griechischen Aerzte Medizin und Chirurgie zugleich ausübten, vereinigte ein solches Lokal das Aus­

sehen einer Apotheke mit dem einer Barbierstube.

Arzneibüchsen, Salbgefttße,

Waschbecken, Schröpfköpfe, Klystierspritzen und Schalen waren an den Wänden

aufgestellt und, von seinen Gehilfen und Schülern unterstützt, bereitete dort der Arzt seine Arzneien, arnputirte und hautirte vor aller Augen, wie es eben das

Geschäft mit sich brachte.

Unter den Assistenten gab es auch Sklaven, denen

besonders die Behandlung ihrer Standesgenossen überlassen gewesen zu sein scheint und die nach Pla ton's Tadel, voll Anmaßung und Nachlässigkeit, sich

kaun: die Mühe nahmen, die Kranken auszufragen, sondern sofort nach Gut­

dünken verordneten und weiter eilten.

Unter den freien Aerzten gab es aber

sicher viele, die mit Gelvissenhaftigkeit und Sorgfalt zu Werke gingen und auch

in ihrem äußeren Auftreten den Vorschriften des Hippokrates nachzukommen suchten.

Nach diesen sollten sie die größte-Sauberkeit der Haut und des Haar­

wuchses beobachten und auch in der Kleidung zwischen Reichthum und Arm­

seligkeit die rechte Mitte halten, „außer wenn der Paüent an besonders kost­

barem oder schäbigem Anzuge sein Vergnügen findet." Schwieriger wurde es den Herren, die von dem Meister ebenfalls ver­ botenen Klippen der Großsprecherei und Insolenz zu umschiffen.

Zu allen

Zeiten sind die Jünger Aeskulap's leicht auf den Abweg der Wichtigthuerei

und Charlantanerie gerathen. Wenige zwar erhoben sich wol bis zur Einbildung

144

Die Aerzte.

des Menekrates aus Syrakus, der iu kvuiglichem Schmucke einherzog und sich Zeus nanute,

weshalb

ihm Philipp

vou Makedonien

„gesunden

Menschenverstand" wünschte; aber es finden sich genug Klagen über geräusch­ volles Auftreten, Rücksichtslosigkeit und Grobheit der griechischen Aerzte. Einer

antwortete z. B. einem Kranken auf die Aeußerung, er werde wol sterben, mit dem Verse:

„Starb doch auch Palroklos, ein Mann viel höheren Werthes!" Auch verstandell sie es schon recht gut, durch die Eleganz ihrer Instrumente

die Menge zu blenden, und Lukian schreibt darüber:

„Die unwissendsten

Aerzte lassen sich elfenbeinerne Büchsen, Schröpfköpfe aus Silber und Messer, mit Gold eingelegt, nlachen.

Wenn sie sich aber dieser Dinge bedienen müssen,

verstehen sie es nicht, geschickt damit umzugehen, und ein Kunstverständiger, der nur eine scharf geschliffene, sonst rostige Lanzette hat, muß dann den Patienten

vom Schmerze befreien." Auch in Rom waren die Priester zugleich privilegirte Aerzte; aber der

Kultus medizinischer Gottheiten kam größtentheils aus dem Auslande, aus Etrurien und Griechenland.

Bereits während des dritten samnitischen

Krieges war der Dienst Aeskulap^s auf Befehl der sibyllinischen Bücher von Epidauros nach Rom verpflanzt worden, um einer damals herrschenden

Epidemie Einhalt zu thun, und gewiß wurden auch seitdem im Tempel des

Gottes auf der Tiberinsel die von den griechischen Asklepiospriestern allenthalben

geübten Wunderkuren nicht unterlassen.

Allein an ein wohleingerichtetes

Tempellazareth läßt sich dabei selbst für die spätere Zeit nicht denken, und

wenn Sueton erzählt, daß der Kaiser Klaudius das Verfahren der Herren,

welche ihre kranken Sklaven auf der Tiberinsel aussetzten, als eine arge Grau­ samkeit dadurch bestrafte, daß er solche Sklaven für frei erklärte, so spricht

dies eben nur für das geringe Ansehen und die wenig allgemeine Benutzung jenes Instituts.

Eigentliche Aerzte soll Rom vor dem 6. Jahrhundert seiner

Zeitrechnung nicht gehabt haben.

Der Peloponnesier Archagathos war der

erste bedeutende Arzt, der sich in Rom niederließ mit) der Senat beschenkte ihn

mit dem Bürgerrechte und einer Bude.

Das ungewohnte Schneiden und

Brennen verdarb den Chirurgen aber bald den Kredit und verschaffte ihnen den

Beinamen „Henkersknechte". Zudem konnte der Ernst und die fest eingewurzelte

Scheu der Römer vor allen auf Gelderwerb abzielenden Künsten den Leichtsinn und die gewinnsüchtige Rührigkeit der entarteten Griechen nicht vertragen.

Daher kurirten sich noch Viele mit Hausmitteln nach alten Rezeptbüchern. Auch der ältere Kato haßte die Aerzte und schrieb ungefähr fünfzig Jahre nach An­ kunft des Archagathos aus Athen an seinen Sohn:

„Nimm meine Worte

für eine Weissagung: wenn uns dieses Volk einst seine Wissenschaften mittheilen

wird, so wird Alles in Verderbniß gerathen und besonders dann, wenn es uns

seine Aerzte senden wird.

ihre Medizin zu todten.

Diese haben sich verschworen, alle Barbaren durch

Und selbst dieses thun sie um Lohn, damit man ihnen

glaube und sie desto leichter ins Unglück stürzen können.

den Gebrauch der Aerzte!"

Ich untersage Dir

Ist dieses Urtheil aus Widerwillen gegen den

damaligen griechischen Volkscharakter im Allgemeinen entstanden, so zogen die Nachfolger des Archagathos sich Spott und Verachtung noch dadurch in Rom zu, daß sie ihre Unwissenheit und den Mangel an persönlichem Vertrauen

durch marktschreierische Ostentation zu ersetzen suchten.

„Ein jeder Grieche,"

sagt Juvenal, „der zu uns kommt, bringt in sich einen Redekünstler, einen

Feldnresser, einen Maler, einen Seiltänzer, einen Arzt, einen Apotheker, einen Wahrsager, einen Zauberer mit: Alles versteht ein hungriger Grieche. Sprich:

fahre gen Himmel! — er wird es thun."

So verspottet auch schon Plautus

die Prahlerei der Jünger Aeskulap's, die sich am Abend, wenn sie von den Patienten kämen, rühmten, diesem Gott ein Bein, jenem einen Arm eingerichtet zu haben, so daß man nicht wisse, ob man einen Arzt oder einen Schmied vor sich habe; und der Arzt, den er in seinen „Zwillingsbrüdern" auftreten läßt,

ist ein tölpelhafter Jgnormrt.

Doch ersieht man aus demselben Stücke, daß die

damaligen Aerzte schon Kranke zu sich ins Haus nahmen, um sie unter sorg­ fältigerer Aufsicht und Pflege zu haben.

Der berühmteste griechische Arzt, aber zugleich ein großer Charlatan, war Asklepiades aus Bithynien, ein Zeitgenosse Ciceros.

Nachdem er

in Athen rmd Alexandria studirt hatte, kam er 80 v. Chr. nach Rom und machte durch Zungenfertigkeit, Beherztheit und Fleiß bald großes Glück.

Er

stieß alle vorhergehenden Methoden um, kurirte meist durch Fasten, Abreiben der Haut, Bewegung in freier Luft, überhaupt durch die einfachsten und angenehnlsten Mittel, und als er endlich zufällig bei einem Scheiterhaufen vor­

übergehend den Leichnam als scheintodt erkannt und ins Leben zurückgeruferr hatte, stieg sein Ruhm bis zur Vergötterung und er wurde mit Gold über­

schüttet.

Dem pontischen Mithridates, der ihn zu sich eingeladen hatte,

schickte er in ächt moderner Art seine Schriften! Trotz des Mißtrauens gegen

die Griechen blieb jedoch die Medizin in den Händen derselben bis tief in die Kaiserzeit hinein. Wenigstens sagt der ältere Plinius, daß bis zu seiner Zeit sich sehr wenige Römer dieser einträglichen Wissenschaft zugewendet hätten.

Und auch diese Wenigen mußten sich wo möglich vollständig gräcisiren, „weil

auch solche Leute, die des Griechischen unkundig sind, Aerzten, die ihre Kunst nicht griechisch betreiben, kein Vertrauen schenken; ja sie haben weniger Zuversicht,

wenn sie verstehen, was zu ihrem Heile dient!" Blieb man also in Hinsicht auf körperliches Wohl einerseits in Abhängig­

keit von Ausländern, so konnte anderntheils die Ausbildung und der Werth der

Arzneikunde selbst nur verlieren, als römische Sklaven und Freigelassene beGöll, Kulturbilder. I.

10

146

Die Aerzte.

gönnen, die ärztliche Praxis zu üben und von der: Vornehnren zu Hausärzten verwendet wurden. Und doch stieg seit beni Höhepunkte der römischen Macht und Weltherrschaft mit der einreißenden Entnervung und Verweichlichung der Geschlechter das Bedürfniß und die Nothwendigkeit der Heilkunde mit jeden: Jahre! Für das Heer der Krankheiten, welche sich nach und nach einbürgerten, reichten die einfachen Hausmittel, die in der alten, guten Zeit verständige Familienväter sich ausgezeichnet hatten, bei weitem nicht mehr aus. „Hippokrates, der Fürst der Aerzte", sagt Seneka, „hat behauptet, daß das weibliche Geschlecht weder den Haarschmuck verlieren, noch am Podagra leiden könne. Unsere Zeit straft den großen Arzt und Naturforscher Lügen; denn jenen Vor­ zug des Geschlechtes haben die Frauen längst durch ihre Lebensweise verloren;" und an einer anderen Stelle: „Die vielen Krankheiten sind ein Erzeugniß der vielen Gerichte; zähle die Köche in der Stadt und Du wirst Dich über die Un­ zahl der Krankheiten nicht wundern." Besonders gehörten Fieber jeder Art und durch klimatische Einflüsse begünstigte Augenkrankheiten (für welche sich bald eigene Augenärzte etablirten) zu den gewöhnlichsten Folgen der sinnlichen Ueberfeinerung und Schwelgerei. Die Furcht vor dem Tode stieg und zuletzt ließ man sogar den Sklaven, den man zur Erkundigung nach dem Befinden des kranken Freundes abschickte, nicht eher wieder ins Haus, als bis er sich durch ein Bad gereinigt hatte! Wie grell sücht nun von dem wegwerfenden Ur­ theil Katars das zahme Vertrauen des jüngeren Plinius ab! Er schreibt an Restitutus: „Ich selbst pflege den Meinigen einzuprägen: Wenn ich krank werden sollte, so hoffe ich, werde ich nichts verlangen, was nuch reuen könnte; wenn mich aber die Krankheit übermannen sollte, so erkläre ich, daß man mir nichts geben soll, als mit Erlaubniß der Aerzte, und wer mir doch etwas giebt, der wisse, daß ich ihn so strafen werde, wie Andere diejenigen, welche ihnen etwas verweigern. Ja, als ich von: heftigsten Fieber verzehrt, in der Besserung begriffen und gesalbt vom Arzte einen Trank erhielt, reichte ich ihm zuvor meine Hand, sagte ihm, er sollte mir den Puls fühlen, und gab den Becher, den ich schon an die Lippen gesetzt hatte, zurück." Kein Wunder also, wenn man für die Erhaltung des lieben Lebens enorme Summen verausgabte. 54,000 Mark waren anfangs der gewöhnliche Jahrgehalt der kaiserlichen Leibärzte; der berühmte Stertinius verlangte aber unter Klaudius das Doppelte, indem er vorrechnete, daß ihm seine Privatpraxis in den reichen Familien Roms über 129,000 Mark früher eingetragen habe. Er hinterließ 6x/2 Millionen Mark, nachdem er seine Vaterstadt Neapel mit Bau­ werken geschmückt und dadurch sein Vermögen bedeutend geschwächt hatte. Einem Wundarzte, Namens Alkon, der wegen Verbrechen verurtheilt war, entriß Klaudius über 2 Millionen Mark und doch erwarb sich derselbe binnen weniger Jahre während seiner Verbannung in Gallien sein Vermögen wieder.

Die Preise scheinen da, wo kein jährliches Honorar festgesetzt war, wie in Griechenland (und oft im heutigen Nordamerika) für jeden einzelnen Krank­

heitsfall vorausbedungen worden zu sein.

Plinius erwähnt z. B. einen Fall,

wo von einem Arzte ein Kranker in der Provinz für 43,500 Mark in Behand­

lung genommen worden war.

Auch Cicero schreibt an seinen kranken Frei­

gelassenen Tiro: „Laß ja dem Arzte so viel Honorar versprechen, als er ver­ langen wird." Doch heißt es auch wieder in einem anderen Briefe: „ Dem Arzt muß man, glaube ich, etwas geben, damit er desto eifriger sei."

Die Zahl der kaiser­

lichen Hofärzte stieg übrigens später auf sieben; voir ihnen erhielt aber unter

sparsamen Kaisern, wie z. B. Alexander Severus, nur ein einziger sein Ho­ norar in klingender Münze; die übrigen bekamen ein Deputat m Naturalien. Das Schwankende in den Prinzipien dieser Wissenschaft trat in jenen Zeiten ihrer Kindheitsperiode noch mehr an den Tag.

Wer sich irgend einen

Namen machen wollte, suchte an der alten Schulweisheit des Hippokrates, an den neueren Systemen des Asklepiades oder Themison zu mäkeln und

zu ändern, und die entgegengesetztesten Methoden folgten sich in raschem Wechsel.

Antonius Musa, ein Freigelassener, kurirte den Kaiser Augustus, der schon

sein Haus bestellt hatte, auf Priesnitz'sche Art durch kalte Bäder und

Wassertrinken, und erhielt dafür eine Bildsäule neben Aeskulap, den goldenen Ring, das Vermögen der Ritter und Abgabenfreiheit für sich und seine Kunst­

genossen auf alle Zeiten.

Aber fein Kredit sank etwas, als der geliebte

Schwestersohn des Kaisers, Marcellus, bei derselben Behandlungsart starb, und bald darailf empfahl man, anstatt der erkältenden brennend heiße Bäder und verordnete Speisen und Arzneien nach dem Stande der Gestirne.

Selbst

Aerzte, die bloß mit Wein kurirten, fanden ihr Publikum.' Als aber endlich das

Heidenthum seinem Uutergange näher kam, übten die Schatten des Aberglaubens, welche sich gespenstig überall an Stelle der zerfallenden Religion in die Ge­ müther drängten, auch auf die Heilkunde bedeutenden Einfluß.

Eine Unrmffe

magischer Mittel, Besprechungen, Amulete, wurden nun auch von Aerzten an­

erkannt und angewendet; ja der ganze Kram von Hexerei, Sympathie und Geheimmittellehre, der sich durch das ganze Mittelalter hindurch bis in unsere

Zeit herein glücklich im Gedächtnisse des Volkes erhalten hat, gewann damals

die weiteste Ausdehnung. Mäusegehirn

Unter den sonderbarsten Mitteln nennen wir z. B.

gegen Kopfschmerzen;

verbrannten Hundszahn gegen Zahn­

schmerzen; ein Spänchen oder Steinchen, heimlich auf den Kopf gelegt, gegen

Schlucken; Einreibungen mit Blut aus der großen Zehe des Kranken oder Genuß des Blutes von einem Gladiator oder Verbrecher gegen Epilepsie; den Zahn

einer Spitzmaus, mit der linken Hand aufgehoben, gegen Gicht; Haare aus dem

Schwänze des Kameels oder Katzeirmist nebst einer Uhuzehe, um den Hals ge­ tragen, gegen Wechselfieber. Gegen Triefäugigkeit trug Servius Nonianus

Die Aerzte.

148

ein Amulet mit den Buchstaben P und A um den Hals, Mueianus eine leben­

dige Mücke in einem Stück Leinwand! Außerdem gab es eine Menge Mittel, die nach den Entdeckern oder nach der Wirkung benannt waren und denen das Alterthum eben so blinden Glauben schenkte, wie unsere Zeit der Revalenta Arabika und anderen spezifischen Pillen, Salben mrd Pulvern.

Die Bereitung der Arzneien hatten früher, wie die griechischen, auch die

römischen Aerzte selbst besorgt und wenn auch hier arge Mißgriffe unausbleib­ lich gewesen sein mögen, so war es doch eine heillose Verschlimmerung des Ver­ hältnisses, daß die Aerzte der Kaiserzeit aus Bequemlichkeit und Sorglosigkeit

dies unterließen und fertige Salben und Pflaster aus den Buden der Kräuterund Salbenhändler (seplasiarii) entnahmen, die mehr Aehnlichkeit mit unseren

Droguisten als Apothekern hatten und theils aus Unwissenheit sündigten (Pli­

nius erwähnt, daß sie häufig anstatt des indischen Drachenblutes Zinnober unter

die Salben mischten!), theils ihre sprichwörtlich gewordenen Betrügereien übten und entweder verlegene oder verfälschte Waaren verkauften. Und wenn auch die Aerzte selbst dispensirten, priesen sie die theuersten und geheimsten Mittel als die besten an.

Die Medikamente selbst bekamen, wie bei uns eine Eti­

kette, auf welcher neben der Art des Gebrauchs auch der Name des Mittels

und seines Erfinders, seine Zusammensetzung und die Namen der Krankheiten, gegen welche es diente, sich befanden.

Noch sind 110 Steinstempel für augen­

ärztliche Heilmittel vorhanden. Da die Medikamente sehr komplizirt zu sein pflegten und die einzelnen Stoffe aus den fernsten Gegenden herbeigeschafft werden mußten, so war es überhaupt schwer, ächte Droguen in Rom zu be­

kommen.

Der große Galen machte deshalb mehrere Reisen, um sich ächte

Waare zu verschaffen, und holte z. B. aus PalästinaBalsam und ausLemnos

die rothe sogenannte „Siegelerde."

Es kam endlich der Ausdruck medicamen-

tarius so in Verruf, daß er im Gesetzbuche des Kaisers Theodosius geradezu

„Giftmischer" bedeutet.

Freilich mußte auch in einer Zeit, wo die Giftmischerei

so vielfach benutzt wurde, jeder Seplasiarius auf einige akute Mittelchen für

seine vornehmen Kunden halten, so wie daneben auf die betreffenden Gegengifte, unter denen das berühmte Mithridatikum aus 54 Ingredienzen zusammen­ gesetzt werden mußte. Recht belehrend über solche Verhältnisse ist folgende Stelle

aus der Rede Cicero's für Kluentius: „Hat nicht Dein Vater Oppianikus, Deine Großmutter, deren Erbe Du bist, getödtet? Als er seinen eigenen Arzt zu ihr brachte, rief die Frau aus, sie wollte nicht von einem Menschen behandelt werden, der alle ihre Angehörigen umgebracht hätte. Da wendet er sich plötzlich

an einen gewissen Klodius aus Ankona, einen herumziehenden Quacksalber, der zufällig damals nach Larinum gekommen war, und kommt mit ihm um

400 Sesterzen (23 Thlr.) überein.

Klodius, der Eile hatte, weil er noch an

vielen Plätzen Geschäfte machen wollte, brachte die Sache zu Ende, sobald er

das Krankenzimmer betreten hatte, und schaffte die Frau durch das erste Tranklein aus der Welt." Und so übelbestellt mit der Arzneibereitung blieb es noch später unter den Byzantinern. Nicht einmal der kaiserliche Hof in Konstanti­ nopel besaß einen zuverlässigen Apotheker, sondern ein Kammerdiener besorgte die seiner Aufsicht unterstellte Sanrmlung von Salben, Pflastern, Giften und Gegengiften für Menschen und Vieh. Bei solchen Uebelstäirden finden wir die Klagen römischer Schriftsteller über die Ungestraftheit und Unverantwortlichkeit der Aerzte völlig begründet, wenn sie auch bei der Unsicherheit der schwierigen Wissenschaft auf alle Zeiten Anwendung finden. „Jedem, der sich Doktor nennt," sagt Plinius, „schenkt man sogleich Vertrauen, während doch mit keiner Lüge eine größere Gefahr verbunden ist. Wer unter den Aerzten nur ein gutes Mundwerk besitzt, wird sogleich unser unumschränkter Herr über Leben und Tod. Das beachten wir aber nicht; so schmeichelnd ist für jeden Kranken die Süßigkeit der Hoffnung. Außerdenr giebt es kein Gesetz, das die Unwissenheit unschädlich machte und kein Beispiel von Strafe. Sie lernen durch unsere Gefahren und werden an Er­ fahrung reicher durch Todesfälle, rmd nur an dem Arzte bleibt es völlig unge­ ahndet, einen Menschen aetödtet zu haben." Auch Martial verschont den Stand nicht mit feinem Spotte: „Neulich noch war er ein Arzt, jetzt Leichenträger, Diaulus, Was er als Träger betreibt, that er als Doktor schon längst." „Fröhlich badet' mit uns Andragoras, fröhlich auch schmaust' er, Und am Morgen drauf fcuib man Andragoras todt. Du, Faustinus, erforschest den Grund so plötzlichen Todes? Hermokrates, den Arzt, hat er im Traume gesehn."

Eben so braucht auch Juvenal, um dell Begriff einer hohen Zahl auszu­ drücken, die Ausrede: „Lieber noch nenn' ich die Zahl von Oppia's vielen Geliebten, Oder die Kranken, die stets zur Herbstzeit Th emison würgte."

Sogar über die Sucht, die Krankheiten zu vergrößern, um höheren Ruhm durch die Heilung zu ernten, klagt schon Seneka mit den Worten: „Viele Aerzte kömren die Krankheiten, wenn sie dieselben ihres Ruhmes wegen vermehrt und gesteigert haben, gar nicht mehr verscheuchen oder bezwingen sie endlich nur unter großen Leiden der Patienten," Besonders gern renommirten sie auch mit der Zahl ihrer Schüler, die sie an die Krankenbetten begleiteten: „Ich war unwohl," sagt Martial zum Arzt Symmachus; „aber Du kamst zu uns in Begleitung von hundert Schülern. Hundert durch Boreas erstarrte Hände haben mich berührt: Ich hatte kein Fieber; jetzt habe ich es-." Doch gelangte gerade zu Seneka^s Zeit das Medizinalwesen in Rom wenigstens

150

Die Aerzte.

äußerlich zu einer festeren Regelung.

Unter Nero wurden nämlich über die

gewöhnlichen Aerzte noch Oberärzte, die im Staatsdienste standen, gesetzt.

Es

gab deren in jeder Stadt eine bestimmte Zahl; in Rom nach den städtischen Distrikten 14.

Das Kollegium dieser Oberärzte beaufsichtigte die anderen

Kollegen, ertheilte den ausschließlichen Unterricht in der Medizin, prüfte die

Kandidaten und ergänzte sich selbst durch Majoritätswahlen, wobei der Neu­

angestellte den untersten Rang bekam und die anderen nach dem Alter aufrückten. Die Staatsärzte erhielten ihre Besoldung vom Staate und übernahmen dafür auch die Verpflichtung, die Armen unentgeltlich zu behandeln. Dies scheinen sie

jedoch oft ohne Gewissenhaftigkeit gethan zu haben; denn ein Gesetz des Kaisers

Balentinian II. vom Jahre 386 gebot ihnen, nicht, wie bisher die Mehrzahl

gethan hätte, bloß ihrem Vortheile im Dienste des Reichthumes nachzugehen,

sondern dem Nothrufe der ärmeren Klasse willig zu folgen.

Honorar anzu­

nehmen, war ihnen nicht verboten, aber ausdrücklich nur so viel, als ihnen die

Genesenen freiwillig anboten, nicht aber Summen, die ihnen in der Todesangst etwa für die Rettung versprochen wurden. Sie waren, wie die Professoren aller

Wissenschaften, nebst ihren Familien frei von allen Abgaben, von Rekrutirung

und Einquartierung, und wer ihre Ruhe durch Beleidigung störte, sollte

12,000 Mark Strafe erlegen, war er ein Sklave, in Gegenwart des Beleidigten mit Ruthen gezüchtigt werden.

Dagegen wurde auch nach und nach das Publikum

durch die Gesetzgebung gegen Betrügerei und Gewissenlosigkeit von Seiten der

Aerzte geschützt und jede ungeschickte oder nachlässige Behandlung konnte vor Gericht zur Untersuchung und Bestrafung kommen. Außer den Gemeinden der

Städte hatten auch die Gladiatoren, Cirkusfaktionen und Vestalinnen ihre eigenen Aerzte und seit dem ersten Jahrhundert n. Chr. auch die Legionen, deren Aerzte

doppelten Sold erhielten, Rüstung trugen und ihre Kranken schon in Feldlaza­ rethen behandelten. — Man hat in der Gräberstadt Pompeji nicht nur zwei Apotheken entdeckt, in denen man noch trockene Arzneikörper und eingetrocknete Flüssigkeiten in Gläsern fand und deren eine die Schlange Aeskulap^s mit dem

Pinienapfel im Rachen als Aushängeschild führte, sondern auch in dem Hause

eines Chirurgen dessen vollständiges Besteck, bestehend aus Sonden, Zangen, Lanzette, Katheter, Brenneisen, Skalpell u. s. w.

XIII. Die Armenpflege. auperismus und Proletariat nehmen in allen neueren Staaten in erschreckendem Grade überhand.

Die wachsende Uebervölkerung, die

Beeinträchtigung vieler Gewerbe durch das Fabrikwesen, die Ver­ drängung der Handarbeit durch Maschinen aller Art, die Schwankungen und

Störungen des Handels durch politische Verwickelungen und Spekulationswuth, die zunehmende Vervielsültigung der Lebensbedürfnisse, haben eine Armennoth

erzeugt, die der Weisheit der Gesetzgeber und dem guten Willen der Besitzenden spottet.

Im Alterthume fehlten viele dieser Vorbedingungen zur Vermehrung

der Armen.

Die Verhältnisse des Verkehres waren weniger verwickelt, die

Kosten des Unterhaltes durch die Genügsamkeit der niederen Klassen und die Wohlfeilheit der Lebensmittel gering, die ungeheure Proletariermasse endlich, die von den Sklaven gebildet wurde, war vor dem Verhungern dadurch geschützt,

daß sie von den Herren ernährt werden mußte.

In Rom freilich fiel durch

außerordentliche Umstünde bald eine große Zahl freier Einwohner dem Staate

zur Last.

Wie wenig Unterschied aber dort zwischen hilfsbedürftiger Armuth

uud frecher Arbeitsscheu gemacht wurde und wie geringen Erfolg man über­ haupt durch die kostspieligsten Unterstützungen der Armen erzielte, weil man sich eben auf das bloße Hinfristen beschränkte, ohne das Uebel an der Wurzel zu

fassen, wird sich später ergeben.

Die attischen Zustände waren in dieser Hin­

sicht natürlicher und gesünder.

Erstlich war das Prinzip der gegenseitigen

Unterstützung in Noth und der Vereinigung der Kräfte zum Schutze der Ver­

armung, das in neuester Zeit in freien Genossenschaften aller Art wirksam

befolgt wird, theilweise bereits in Athen zur Geltung gelangt.

Es bestand

eine Menge von Gesellschaften, deren Mitglieder sich bei eintretenden Geldver­ legenheiten mit unverzinslichen Darlehen aus einer gemeinschaftlichen Kasse, zu

152

Die Armenpflege.

der sie monatliche Beiträge zahlten, aushalfen. Der Empfänger war verpflichtet, die Unterstützungssumme zurückzuerstatten, wenn er in bessere Umstände kam, und die Gesetze begünstigten diese Vorschußvereine (Eranoi) durch Entscheidung

ihrer Rechtshändel binnen Monatsfrist.

Dann wurde aber auch von Seiten des Staates für gebrechliche und

arbeitsunfähige Bürger,

bereit

Vermögen

(235 Mark) nicht erreichte, gesorgt.

die

Summe von

drei Minen

Schon Solon ließ den im Kriege ver­

krüppelten Bürgern eine kleine Unterstützung auszahlen, die später auf alle Arbeitsunfähigen ausgedehnt wurde. Sie betrug täglich einen Obolos (13 Pf.); doch finden sich auch zwei und drei Obolen zuerkannt.

Die Volksversammlung

bewilligte die jährliche Summe, während dem Rathe der Fünfhundert die Ver-

theilung und die jährliche Prüfung der Unterstützungswürdigkeit zukam.

Der

Staat verwendete auf solche Almosen jährlich 23 — 47,000 Mark und unter­

hielt auch die Kinder der im Kriege Gefallenen bis zur Mündigwerdung. Plutarch erzählt es dem Demetrios Phalereus nach, daß das Volk auf

Antrag desselben den beiden Töchtern des Aristeides täglich drei Obolen und später jeder eine Drachme habe reichen lassen, und dem Kallisthenes, daß der Polykrite, der Enkelin des Aristeides, soviel ausgesetzt worden sei,

als die

olympischen Sieger bekamen,

nämlich 390 Mark.

Spitäler und andere Armenanstalten dagegen gab es nicht.

Armenhäuser,

Die Speisung auf

öffentliche Kosten war keine Unterstützung, sondern eine Ehrenbezeigung, die

den Priestern der eleusinischen Mysterien, den Siegern in den olympischen Spielen, glücklichen Feldherren, verdienten Staatsmännern und fremden Ge­

sandten zu Theil ward. Außerdem gab es noch mancherlei öffentliche Spenden, die aber ohne Auswahl vertheilt wurden mit) nicht den Zweck hatten, der Armuth zu steuern^ sondern von Demagogen ausgebeutet wurden, um die Gunst und die

Stimmen des Volkes zu gewinnen. Dahin gehört das Verkaufen des Getreides aus den Staatsmagazinen um einen niedrigen Preis oder zuweilen auch die Schen­

kung desselben, die durchs Loos ertheilten Güteranweisungen in eroberten Ländern, die von Themistokles abgeschafste Vertheilung der aus der Ver­

pachtung der lauriotischen Silberbergwerke fließenden Einkünfte und vorzüglich die von Perikles eingeführte Zahlung der Eintrittsgelder zu den Theater­ vorstellungen, aus denen aber nach und nach ein Beitrag zur fröhlichen Feier aller athenischen Feste wurde.

Den Gesammtbetrag dieser jährlichen Festgelder

veranschlagt man aus wenigstens 120,000 Mark; und diese Verschleuderung des Nationalvermögens nannte der feile Redner Denrades den Kitt der Demo­ kratie! Recht treffend bemerkt dagegen Aristoteles, eine derartige Unter­ stützung gleiche einem durchlöcherten Fasse; man solle lieber den Arnren die Mittel schaffen^ sich ein Stück Feld zu kaufen oder einen Handel anzufangen.

Dasselbe meint auch Plautus, wenn er im „Trinummus" den Philto sagen

läßt: „Einem Bettler dient man schlecht, wenn man ihm giebt, was er ißt oder trinkt.

Man verliert nur, was man schenkt und giebt sein Leben dem Elende

Was übrigens die Leberisweise der athenischen Bettler betrifft, so

preis."

können wir sie nicht besser schildern, als mit den Versen des Aristophanes.

Im „Plutos" sagt nämlich Chremylos zur Armuth! „Du, was kannst Du denn Gutes verleihen als nur Brandblasen im Badhaus, Und der Kinder Geschrei, die der Hunger gebleicht, und der keifenden Weiber Gekreische? Denn alle die Laus' und die Mücken und Flöh' und all das Gezieser erwähn' ich Gar nicht, so viel sind ihrer, die Nachts um das Haupt Dir summen, Dich quälen, Dich lvecken vom Schlaf, Dir schwirren ins Ohr: „Auf rühre Dich, oder Du hungerst!" Dazu kommt, daß man anstatt des Gewands nur Lumpen hat, uiw für ein Ruhbett Ein Strohsack dient, mit Wanzen gefüllt, der ewig den Schlafenden aufweckt. Für Teppiche giebst Du von Rohr ein Geflecht, ein vermodertes, und für ein Polster Liegt unter dem Haupt ein gewaltiger Stein; statt nährender Brote verspeist man Nur Malvengemüs' und statt Mehlbreis nur Blätter des schmächtigen Rettigs. Als Schemel der Füße gebraucht man den Hals des zerbrochenen 51ruges, zum Backtrog Faßdauben, den Rest vom gesprungenen Faß."

In Italien griff die Verarmung des Volkes seit den Bürgerkriegeil mit

reißender Schnelligkeit um sich.

Die Masse der Bevölkerung war durch un­

aufhörliche Rekrutirungen der friedlichen Arbeit entfremdet, der Stmrd der kleinen Landwirthe hörte bald ganz auf, das Land gerieth in die Hände von

Spekulanten, die statt des nicht genug lohlrenden Getreides Wein und Oel bauten, oder ging in den Besitz luxuriöser Reichen über, welche es in Park­ anlagen,

Gärten oder Fischteiche verwandelten.

Auf den übrig bleibenden

Strecken fand der freie Landmarln weder als Pachter noch als Tagelöhner Beschäftigung, da die Reicher: ihre ungeheuren Güter durch Sklaven bewirth­

schafteten, die ihner: weniger kosteten und über die sie nach Willkür als kleine Tyrarmen schalteten. So verschwand nach und nach der eigentliche Mittelstarrd;

wie in der Zeit nach der Königsherrschaft dem Erbadel, stand jetzt der über­ müthigen Geldaristokratie die große, besitzlose Masse gegenüber. Der Rück­

schlag, de:: die Hauptstadt durch diese Aenderungen in Italien erhielt, war ein empfilldlicher.

Ihre Bevölkerung war imnrer im Steigen begriffen und er­

reichte endlich unter Augustus die Einwohnerzahl der jetzt bevölkertsten Stadt

des Festlandes von Europa, aber leider nicht durch natürliches Wachsthum, sondern durch die Einwanderung italischer Bettler und ausländischer Glücks­ ritter.

„Siehe," schreibt Seneka an seine Mutter, „diese ungeheure Eiil-

wohnermenge, für welche kaum die Häuser der unermeßlichen Stadt hinreicherr.

Der größte Theil dieser Bolksniasse ist heimatlos; aus den Munizipien und

Kolonien,

aus

dem ganzeir Erdkreise strömen sie hier zusammen."

Die

Wenigsten kamell in der Hoffnung gesteigerten Erwerbes auf dem Wege der

154

Die Armenpflege.

Arbeit, die Meisten, um Theil zu nehmen an der reichlich fließenden Quelle der kaiserlichen Geschenke und Unterstützungen, oder um die Eitelkeit und Ver­

schwendungssucht

der römischen Großen auszubeuten.

Freilich sollte man

glauben, daß sich bei dem grenzenlosen Luxus, mit dem sich die nur nach Lebensgenuß haschenden Reichen umgaben, die arbeitende Klasse der Bevöl­ kerung recht gut gestanden haben müßte. Dies war jedoch keineswegs der Fall.

Zwar fanden Hunderte von Menschen bei einem einzigen Manne Beschäftigung

und Unterhalt; aber es waren wieder seine Leibeigenen, die, wie früher bei den russischen Magnaten, nicht bloß als Bediente und Feldarbeiter, sonderrr als Handwerker und Künstler jeder Art alle Bedürfnisse seines großen Haus­

haltes befriedigten.

Dazu kam, daß der Freigeborene sich schwer von dem alt­

römischen Vorurtheile gegen alle Gewerbe, die ihm gemein und niedrig vor­ kamen, losreißen konnte.

So erklärt sich beim jene uns seltsam dünkende

Erscheinung, daßnn der damaligen Hauptstadt der Welt, trotz der unendlichen Reichthümer, die dort zusammenflossen, die Hälfte der freien Bevölkerung sich

nicht ernähren konnte, sondern Jahr aus Jahr ein vom Staate unterhalten

werden mußte. In früheren Zeiten, als Rom anfing, sich durch überseeische Zufuhren

zu verproviantiren, hatte man bereits, um das Volk nicht dem Kornwucher

preiszugeben, auf Rechnung des Staates den Bedarf der Stadt aufgekauft und dann aus den Magazinen jedem Hausvater monatlich ungefähr 3/4 Preuß.

Scheffel zu billigerem Preise abgelassen.

Schon dadurch verlor die Staatskasse

in einem einzigen Jahre nur an sieilischem Weizen über 1 x/2 Millionen Mark und im Jahre 62 v. Chr. betrug die Einbuße gegen 6 Millionen! Kurz darauf

ging

der Gesetzvorschlag

des berüchtigten Tribuns Klodius durch,

nach

welchem den Bürgern Rom's mit Ausnahme der Senatoren und Ritter das Getreide ganz umsonst geliefert werden mußte.

320,000 12

Getreideempfänger

Millionen kosten nwchte.

vor,

So fand denn Jul. Cäsar

deren Versorgung

Er nahm nun eine

jährlich

Revision

wenigstens vor,

schied

170,000 Mann aus, siedelte 80,000 Arnie in überseeischen Kolonien an und suchte auch für die in Italien bleibenden einen regelmäßigen Erwerb zu schaffen,,

indem er die Besitzer größerer Güter verpflichtete, wenigstens den dritten Theil

ihrer Hirten aus Freien zu nehmen.

150,000 sollte die Normalzahl für die

Getreideempfänger werden und für die durch Aussterben leer werdenden Plätze wurden die Inhaber aus den Exspektanten durchs Loos bestimmt.

Es ist da­

bei mehr als wahrscheinlich, daß unter Cäsar und später nur den ganz Armen

das Getreide umsonst gegeben wurde, den Uebrigen zu einem geringen Preise.

Die Gratisspenden scheinen in den Magazinen gegen Vorzeigung von Frei­

marken erfolgt zu sein.

Unter Augustus stieg die Zahl der Empfänger

wieder auf die frühere Höhe, weil er die Aufnahme, zu welcher vorher erst das

elfte Lebensjahr berechtigt hatte, auch auf kleinere Kinder ausdehnte. Er reduzirte die Zahl nochmals auf 200,000, verdoppelte aber die Freimarken und gab zuweilen Allen das Getreide umsonst. Und so blieb es mit wenigen Aus­ nahmen unter den folgenden Kaisern. Es war schwer, bei der Menge die Würdigkeit und Bedürftigkeit der Einzelnen festzustellen, und deshalb sagt Seneka: „Das öffentliche Getreide empfängt eben so wol der Dieb als der Meineidige und der Ehebrecher und ohne Unterschied der Sitten überhaupt Jeder, dessen Name in die Erztafeln eingegraben ist; ebenso erhalten jede andere öffentliche Spende Gerechte und Ungerechte, nicht als gute Menschen, sondern als römische Bürger." Selbst Wohlhabendere schämten sich nicht, durch Freilassung ihrer Sklaven Betrug zu üben und sich eine größere Quan­ tität zu verschaffen. Dennoch reichten selbst bei den Armen diese 12 Metzen monatlich nicht hin, da das weibliche Geschlecht nicht mit bedacht war; es fehlt deshalb nicht an Klagen der Undankbarkeit darüber, daß die ganze Familie sich mit der Ration eines Soldaten oder Gefangenen begnügen müsse, und in Jahren der Theuerung mußte das Doppelte, ja Vierfache der gewöhnlichen

Portion vertheilt werden. Allmählich hörte aber das Verkaufen des Getreides ganz auf, nachdem sich eine Zeit lang der Preis ziemlich hoch gestellt hatte, und nur die Schenkungen der Freimarken dauerten fort. Aber bald gingen wichtige Veränderungen mit dieser Versorgung der Armen vor sich. Schon zu Aurelianes Zeit bekamen dieselben nicht rnehr das Getreide, sondern gebackenes Brot. Es wurden große Bäckereien errichtet, von welchen aus das Brot in bestimmte Lokale geschafft und zur Verhütung alles Unterschleifes von stufenförmigen Gerüsten abgeholt wurde. Dessenungeachtet drängten sich Unberufene, besonders Sklaven mit hinzu und ein hartes Gesetz des Kaisers Valentinian I. verurtheilte jeden Sklaven, der sich eingeschlichen hätte, zur lebenslänglichen Arbeit in der Bäckerei und der damit verbuirdenen Mühle, jeden Senator, der seinen Sklaven zum Betrage verleiten würde, zur Güterkonfiskation, jeden Freigeborenen, selbst den Aermsten, zur Strafarbeit, jeden Beamten aber, der Mitwisser des Betruges gewesen, zur Hinrichtung durchs Schwert. Dann war aber auch dieses Brot nur für wirklich Arme bestimmt, „die," wie ein Gesetz desselben Kaisers sagt, „von anderer Hilfe entblößt wären," und die monatlichen Freimarken wurden in Legitimationskarten verwandelt, die stets galten und durch Erbschaft und Kauf in andere Hände übergehen durften. So konnte man sich also, ähnlich wie in unseren Hospitälern, für eine Summe in -diese Versorgungsanstalt ein­ kaufen. In Konstantinopel, wohin das Institut der Brotaustheilung durch Konstantin d. Gr. verpflanzt worden war, wurden besonders diejenigen be­ dacht, welche neue Häuser erbauten (also nicht gerade die Aermsten), und der Anspruch auf das Geschenk haftete dann an den Gebäuden, nicht an den Familien

156

Die Armenpflege.

der Erbauer.

In Rom wird der Brotvertheilung noch unter Theoderich,

dem Ostgothen, gedacht und öffentliche Getreidemagazine gab es dort in der

späteren Zeit: 335. Zu den außerordentlichen Unterstützungen, die außerdem den Einwohnerir

Roms

zu Theil wurden,

gehören ferner die sogenannten Kongiarien (von

congius, dem Oelmaaße), d. h. Geschenke an Oel, Salz, Fleisch, Wein und Kleidern.

Für den niedrigen Preis des Oeles, das die Römer nur als

Nahrungsmittel und zum Brennen, nicht wie die Griechen auch für die Palästra

benutzten, hatten schon in alter Zeit die Aedilen Sorge getragen.

Auch hatten

bereits in der republikanischen Zeit Kandidaten und Magistratspersonen zuweilen dasselbe umsonst geliefert.

Cäsar gab dem Volke (46 v. Chr.) Mann für

Mann 10 Pfund Oel, 10 Scheffel Getreide und 100 Denare (87 Mark). Erst Konstantin schaffte die Schenkung des Oeles, die damals aus den Abgaben

von Tripolis und Nikäa floß, gänzlich ab.

Natürlich suchte man auch das

Fleisch billig zu erhalten und Alexander Severus z. B. strebte den Preis desselben herabzudrücken, indem er das Schlachten von Mutterschweinen, Kühen und Kälbern verbot.

Allein erst Aurelian brachte die Sitte aus, auch das

Schweinefleisch dem Volke umsonst zu liefern, ja, er hatte sogar im Sinne, den Weinbedarf hinzuzufügen.

In den fruchtbaren, waldreichen Gegenden Etru­

riens und weiter hinauf bis an die Seealpen gab es sehr viele unangebaute Strecken, die der Kaiser den Besitzern abkaufen und mit Kriegsgefangenen bevölkern wollte.

Die Hügel sollten dann mit Weinstöcken bepflanzt und der

Ertrag dem römischen Volke überlassen werden. Schon waren die Arbeitslöhne, Keltern, Fässer, Schiffe veranschlagt, als der Kaiser den Gegenvorstellungen

seiner Umgebung Gehör gab und es dabei bewenden ließ, daß er dem Volke Wein aus den kaiserlichen Kellern billig verkaufte.

Besonders soll der Präfekt

seiner Leibgarde zu dieser Sinnesänderllng durch den richtigen Ausspruch bei­

getragen haben:

„Wenn wir dem Volke auch den Wein geben, so fehlt nur

noch, daß wir ihm auch die Hühner und Gänse dazu schenken!" Wie die Sol­

daten erhielt auch das Volk zuweilen Geldgeschenke, z. B. an den kaiserlichen Geburtstagen und beim Mündigwerderr des Thronfolgers, wo gewöhnlich auf

den Kopf gegen 40 Mark kamen (Antoninus Philosophus gab einmal 150 Mark).

An diesen Kongiarien hatten übrigens nur dieselben Personen

Theil, welche zum Empfange des Getreides berechttgt waren und natürlich suchte man kurz vor einer solchen Spende einen Platz auf der Mitgliederliste

zu erhalten.

So schreibt der jüngere Plinius aus der Zeit Trajan^s:

„Wenn der Tag der Austheilung herannahte, pflegte man sonst den öffentlichen

Ausgang des Kaisers zu erwarten; besonders faßterr Schwärme von Kindern vor dem Palaste Posto.

Sobald er erschien, bemühten sich die Aeltern, ihre

Kleinen dem Fürsten zu zeigen; sie setzten dieselben auf ihre Nacken und lehrten

sie schmeichelnde Bittworte nachsprechen.

Die meisten Kinder belästigten aber

die tauben Ohren der Kaiser mit vergeblichen Bitten; ohne zu wissen, um was

sie baten, wurden sie auf die Zeit vertröstet, wo sie es einsehen würden.

Du

ließest Dich nicht einmal darum bitten und Alle einschreiben, bevor sie Dich sahen und sich Dir nahten."

Die Kosten dieser Geschenke, die man für die Zeit

zwischen Cäsar und Diokletian ziemlich genau zusammenstellen kann, sind

ungeheuer; sie standen in den einzelnen Regierungszeiten nie unter 2,400,000 Mark, stiegen aber bis zur enormen Höhe von 490 Millionen (Diokletian)

und blieben durchschnittlich gegen 30 — 36 Millionen Mark. Und

welchen sittlicher: Werth

und Einfluß hatten diese großartigen

Almosen? — Diese Frage kam: leider nicht zu Gurrsten der betreffenden Insti­ tute beantwortet werden.

Sie waren unglückliche Erbstücke aus den Zeiten der

Republik, welche die Kaiser theils benutzten, um ihre Popularität zu erhalten,

theils nicht anzutasten wagten, weil sie sich zu unsicher auf dem Throne fühlten.

Die Getreidevertheilungen hatte das Volk im Gefühle seiner Souveränetät

anfangs als

ein Recht beansprucht,

als eine Entschädigung für den ihm

gebührenden Genuß der eroberten Provinzen und daher gab auch schon das

bloße Bürgerrecht den Anspruch auf Berücksichtigung.

Ebenso waren die

Kongiarien anfangs nur die Mittel gewesen, durch welche ehrsüchtige Demagogeir sich hi die Gunst des Volkes einzudrängen und Aemter zu erjagen strebten.

Zwar läßt es sich nicht leugnen, daß beiderlei Spenden den größten Theil der Empfänger vor dem äußersten Mangel schützten; aber die Unmasse der Be­ dürftigen hatte sich ja eben dieses Köders wegen aus ganz Italien nach der Hauptstadt gezogen und jeder Pensionär, der in die Listen einrückte, wurde nun

der Arbeit entfremdet und der Unterstützung bedürftig, wenn er es auch vorher

nicht gewesen war.

Dabei behielt der römische Lazzarone von den Vorzügen

seiner großen Vorfahren eine Art politischen Ehrgefühles, das ihn immer noch mit Stolz auf den reichen Sklaven herabblicken ließ und ihn noch am Rande des Hungertodes vor dem schimpflichen Verkaufe seiner Kräfte bewahrte.

Urrd

so blieb der römische Pöbel bis in die späteste Zeit.

Noch während der Völker­

wanderung schreibt Ammianus Mareellinus:

„Das müßige, unthätige

Volk verwendet sein ganzes Leben auf Wein, Würfelspiel, Ausschweifungen

und Schauspiele; sein Tempel und seine Wohnung, sein Bersammlungsplatz und der Inbegriff aller seiner Wünsche ist der Cirkus Maximus.

Ueberall

auf den Marktplätzen, Kreuzwegen und Straßen sieht man diese Leute haufen­ weise bei einander stehen und unter sich mit heftigem Gezänke disputiren.

Die­

jenigen, welche lange genug gelebt haben und deshalb Ansehen genießen, schreien

dann trotz ihrer weißen Haare und Runzeln, der Staat könne nicht länger

bestehen, wenn nicht bei der nächsten Wettfahrt irgend ein Wagenlenker zuerst

aus den Schranken heraussprengen oder mit seinem Leinpferde nicht eng

158

Die Armenpflege.

genug an der Spitzsäule des Cirkus umlenken werde.

Und wahrend ihre Faul­

heit und Nachlässigkeit so groß ist, eilen doch alle, sobald der erwünschte

Tag der Spiele anbricht, ehe noch das Tagesgestirn aufgeht, über Hals und Kopf nach dem Cirkus, als ob sie die wettfahrenden Wagen an Schnelligkeit

übertreffen wollten; ja die Meisten bringen die vorhergehende Nacht schlaflos zu, aus Sorgen über die Erfüllung ihrer Wünsche.

Wenn sie dann die

Theatervorstellungen besuchen, wird jeder Schauspieler ausgezischt, der sich

nicht durch Geld die Gunst des Pöbels erkauft hat.

Fehlt endlich auch dieser

Lärm, so schreien sie nach Art des taurischen Volkes, man müsse die Fremden

aus der Stadt treiben, ohne deren Hilfe sie doch nie bestehen können!"

So

lebte und dachte also der Hauptbestandtheil der Bevölkerung Roms, während die rohe Faust der Barbaren an alle Thore des morschen Reiches pochte und die Legionen unter fremden Anführern ihr Blut für dessen Rettung vergossen! Höher als die erwähnten Unterstützungen Erwachsener ist eine Art milder

Sttftungen für arme Kinder anzuschlagen, wenn dieselben auch ihren Ursprung

weniger menschlichem Mitgefühl für die Armuth, als einem politischen Beweg­

gründe verdankten.

Sie gehörten nämlich mit zu den vergeblichen Versuchen

der Kaiser, das Sinken des sittlichen Lebens zu hemmen und besonders durch Belohnung der rechtmäßigen Ehe und des Kinderreichthumes die bedenkliche

Abnahme der freien römischen Bevölkerung aufzuhalten.

Schon Augustus

hatte eine Menge äußerer Ehren und Vortheile den Verheiratheten durch sein bekanntes Ehegesetz zugewendet und unter anderem einmal bei einer Revision der städtischen Distrikte jedem Familienvater für jedes Kind 216 Mark aus­

zahlen lassen.

Nerva und Trajan (der außerdem 5000 städtische Kinder

durch Aufnahme unter die Getreideenipfänger versorgte) stifteten aber mehrere

Fonds von Kapitalien, von deren Zinsen arme Kinder erhalten wurden, und bedachten mit dieser Wohlthat besonders die vorher zurückgesetzten Landstädte.

Spätere Kaiser, namentlich die Antonine, folgten diesem Beispiele und nannten ihre Stiftungen (schon ächt modern) nach den Namen ihrer Gemahlinnen. Auch

Privatpersonen vermachten zuweilen einzelnen Städten Summen zu demselben Zwecke; so schenkte der jüngere Plinius seiner Vaterstadt Komum 108,000

Mark zu einer Stiftung für Knaben und Mädchen und eine gewisse Makrina

den Terra einens ern 216,000 Mark zur Unterstützung 100 armer Kinder. Die Knaben (seltener lvaren die Mädchen bedacht) erhielten bis zum 16. oder 18. Jahre namentlich an bestimmten Orten Getreide oder Geld.

verschieden.

In der noch

Der Betrag war

vorhandenen Stiftungsurkunde Trajan^s

für

Velleja unweit Placentia werden 245 ehelichen Knaben für jeden monatlich 16 Sesterzen (jährlich 42 Mark), 34 Mädchen für jedes 12 Sesterzen jähr­ lich (31 Mark), einem unehelichen Knaben jährlich 31 Mark, einem unehelichen

Mädchen 26 Mark festgesetzt.

Der Sicherheit wegen wurden die Kapitalstöcke

von den Stiftern nicht auf gewöhnliche Hypothek ausgeliehen, sondern die

Grundstücke der Schuldner mit einem festen Erbzins belastet, so daß eigentlich

der Grund und Boden selbst die Zinsen schuldete. Daß aber trotz dieser sprechenden Beweise der wohlthätige Sinn der da­

maligen Heidenwelt noch weit entfernt war von der weitherzigeren christlichen Nächstenliebe und Armenpflege, dies zeigt sich besonders darin, daß man das

zunächst Liegende übersah, daß man wol theilweise für die Heranwachsende

Generation sorgte (wenn auch nicht von Seiten der Gemeinden), aber ohne be­ sondere Rücksicht auf die Waisen zu uehmen und ohne sich der unglücklichen Geschöpfe zu erbarmen, die mütterliche Scheu oder väterliche Hartherzigkeit von

sich stieß und an Tempeln und öffentlichen Plätzen oder an den Thüren reicher

Leute aussetzte.

Besonders die Milchsäüle auf dem Gemüsemarkte und der ur­

alte Feigenbauru am Palatin, der Sage nach der Rettungsanker der Zwillings­ stifter Roms, waren diejenigen Plätze, an denen man am häufigsten auf das

Mitleid der Vorribergehenden spekulirte.

Diese Grausanlkeit war durch kein

Gesetz verboten; selbst der erste christliche Kaiser machte nur einen Anfang zu

ihrer Abschaffung, indenr er den Aeltern alle Rechte auf ihre ausgesetzten Kin­ der absprach und ihnen jede Hoffnung nahm, sie einst wieder zu bekommen, und erst Valentini an und Gratian geboten Jedem, seine Kinder zu er­

nähren, und belegten die Aussetzung mit harten Strafen. Selten war wol das Schicksal dieser Findelkinder, auch wenn sie Pflegeältern fanden, zuletzt ein so heiteres, wie es bei den Komikern, die das Verhältniß oft zur Schürzung des

dramatischen Knotens benutzten, geschildert wird.

Leider gar oft schlich unter

den: Mantel der Barmherzigkeit die schnödeste Gewinnsucht urnher und suchte sich

gerade die Krüppel unter den Findlirrgen aus oder verstümmelte wol gar die Kleinen zu Hause — um sie später für sich betteln zu lassen und die Erzie­

hungskosten vervielfacht wieder eillzuziehen; denn diese Unglücklichen waren ja nach dem Gesetze alle — Sklaven! Wirft man endlich noch einen Blick auf die unterste Klasse der Proletarier, auf die Bettler von Profession, so gab es während der Kaiserzeit Tausende von freien Römern und flüchtigen Sklaven,

die kein mrderes Obdach hatten, als die öffentlichen Hallen und Säulengänge der Tempel und die ungeheuren Räume der Cirken und Amphitheater, „deren müder Nacken", sagt Seneka, „auf einem Heubündel ausruht oder auf einem

alten Polster im Cirkus, dessen Füllsel durch die Flickstellen der morschen Lein­ wand hervorquillt."

Der Miethzins in der Riesenstadt war sehr theuer und

für einen finsteren Winkel oder für ein luftiges Stübchen im sechsten Stocke

„in der Nähe nistender Tauben", zahlte man jährlich so viel, als in einer

kleinen Landstadt für ein bescheidenes Häuschen.

Am Tage hatten die Bettler

gewöhnlich ihre festen Stationen, die sie nach Art des Homerischen Jros im ehrlichen Faustkampfe gegen jeden Eindringling vertheidigten, und

wie im

160

Die Armenpflege.

heutigen Rom die Brücke St. Angelo und die spanische Treppe die Haupt­ versammlungsplätze sind, so waren es im Alterthunre die Thore und unter den Brücken vorzüglich die sublieische, so daß Juvenal anstatt des Wortes Bettler geradezu den Ausdruck braucht, „Einer von der Brücke". Die Stelle des heuttgen Ghetto vertrat der wegen ungesunder Lust und sumpfigen Bodens von den Wohlhabenden geflohene Vatikan. Halbnackt und langbärtig, mit Stock oder Stange versehen und von mürrischen Hunden begleitet, streckten sie dem Vorübergehenden die hohle Hand entgegen und hefteten sich als hartnäckige Begleiter an seine Sohlen, oder warfen den: vorüberrollenden Wagen Kuß­ hände zu. Von Haus zu Haus wanderten ferner Abgebrannte und Schiff­ brüchige, oft Gemälde von ihren Unglücksfällen mit sich führend, um den Glauben und das Mitleid zu steigern. Außer der Unmasse unprivilegirter Bettler durchzogen aber auch schon damals die Bettelpriester verschiedener Kulte die Hauptstadt und die Provinzen, monatliche Almosen für religiöse Zwecke heischend und Traktätchen vertrödelnd, deren Lektüre angeblich entsündigen sollte. Besonders geschah dies im Interesse der großen Göttermutter Kybele und der ägyptischen Isis. Hierauf bezieht sich das Lob, welches Valerius Maximus den Marseillern ertheilt, weil sie „Allen, die unter irgend einem religiösen Vorwande Unterhalt für ihre Fmllheit erbettelten", ihre Thore ver­ schlössen und jeden „erlogenen und geschminkten Aberglauben" fern von sich hielten. Auch Tertullian sagt spottend: „Die Ehrwürdigkeit der Religion wird gewinnbringend, wenn sie bettelnd die Wirthshäuser besucht." Der gute Kirchenvater hat freilich nicht geahnt, daß einige Jahrhunderte später christliche Mönche das Gelübde lebenslänglicher Bettelpflicht ablegen würden! Noch sei erwähnt, daß der Kaiser Galerius einst alle Bettler Roms auf Schiffe packen und im Meere versenken ließ, wie sein erboster Gegner, der christliche Cicero Laktantius, ihm nachsagt. Vielleicht wollte Galerius nur eine Armen­ kolonie gründen und die Flotte litt Schiffbruch. Die oft unverständig gehandhabte christliche Mildthätigkeit trug keines­ wegs dazu bei, die Zahl der Bettler in Rom zu mindern, und nachdem Valentinian I. besondere Armenärzte mit fester Besoldung angestellt hatte, sah sich Gratian endlich genöthigt, seinem Stadtprüfekten zu befehlen, eine

strenge Untersuchung über alle Bettler anzustellen. Diejenigen, welche noch zur Arbeit tauglich waren, wurden, wenn sie dem freien Stande angehörten, als Bauern angesiedelt, wenn sie das Unglück hatten, Sklaven zu sein, Eigen­ thum ihrer Denunzianten. Zu gleicher Zeit schrieb der heilige Ambrosius in seinem Buche über die Pflichten der Geistlichkeit, man müsse sich hüten, Wohl­ thaten an Unwürdige zu verschwenden und dadurch die Unterstützung der wirk­ lichen Armuth zu verringern, und ermahnt die Priester, ja nicht jeder Lüge der Vagabunden zu trauen, sondern die Wahrheit zu erforschen. Der Kaiser

161

Die Armenpflege.

Justinian bestellte einen eigenen Beamten dazu, die Arbeitsfähigen unter den

Bettlern in Konstantinopel zu beschäftigen, die Fremden in ihre Heimat

zu schicken.

Bis zu seiner Zeit hatte nun freilich das Christenthum unendlich

viel gethan, um den wahren Bedürfnissen der Armen zu Hilfe zu kommen und

die wirklich Bedürftigen ohne Nebenzwecke zu berücksichtigen; ja, man kann bei­ nahe nachweisen, daß alle unsere Institute der Wohlthätigkeit bereits in jenen Zeiten vorhanden waren. Schon Julian, der Abtrünnige, wies die heidnischen Priester ans die Armenpflege der Christen zur Nachahmung hin und im Gesetz­

buche Justinians finden sich bereits erwähnt: Herbergen für Fremde (sie lagen unmittelbar neben den Kirchen), Krankenhäuser (von den Diakonissinuen besorgt), Waisenhäuser (deren Beamte, weil sie Aelternstelle vertraten, nicht verbunden waren, ihren Zöglingen später Rechenschaft abzulegen), Findelhäuser und

Hospitäler für alte Personen.

Alle diese Institute wurden von den Kaisern

durch namhafte Privilegien begünstigt und geben für die alte Kirche das Zeug­ niß, daß sie diese Angelegenheit nicht vom bloßen polizeilichen Standpunkte aus

ansah.

In Alexandria gab es 600 Krankenpfleger, wegen der Pestgefahr,

der sie ausgesetzt waren, Parabolani, Wagehälse, benannt, und für Rom selbst hat man aus dem 3. Jahrhunderte die unverdächtige Nachricht, daß zur

Zeit der Diokletianischen Verfolgung mehr als 1500 Witwen und Hülfsbedürftige von der Unterstützung der christlichen Gemeinde lebten. Bald freilich

wurde dies anders und fiel die ganze Sorge den Klöstern anheim, wodurch dem christlichen Sinne und Leben nur Nachtheil erwuchs.

Göll, Kulturbilder. I.

11

XIV.

Die Handwerker, Fabrikanten und Zünfte. Recht hat man den Kampf zwischen den Geschlechtern uird Handv lverkerzünften im deutschen Mittelalter mit dem Ständekrieg der jungen römischen Republik verglichen. der Plebejer

als Gruud der Mißstimmung,

Die politische Zurücksetzung das siegreiche Vorgehen der

Regierten gegen die Regierenden und die endliche Herstellung der Gleich­ berechtigung Aller machen eine bis ins Einzelne gehende Parallele zwischen

beiden Zeiten möglich.

Weniger glücklich muß der Versuch ausfallen, in den

Verhältnissen der Gewerbtreibenden bei Griechen und Römern und derselben

bei uns und im Mittelalter eine Gleichartigkeit entdecken zu wollerr.

Jeue

unterdrückte Klasse im alten Rom bestand nicht aus Handwerkern, sondern aus Bauern und städtischen Grundbesitzern und die Achtung und Berechtigung,

welche das bürgerliche Gewerbe später nach und nach erlangt hat, fehlte ihm int Alterthum vollständig.

Dennoch bleibt es interessant genug, die unbeschränkte

Gewerbefreiheit, nach der unser Zeitalter unaufhaltsam strebt, bereits im Alter­ thum, besonders bei den Griechen, vorhanden zu sehen, und auf der anderer: Seite die aus dem in Rom herrschenden Korporationsgeist entsprungenen

Genossenschaften in ihrer Verschiedenheit und Aehnlichkeit den deutschen Gilden gegenüber zu verfolgen.

In Griechenland wurde der Gruud zur Verachtung,

jeder Lohnarbeit schon durch die Wanderungen und damit verbundenen Er­ oberungen der verschiedenen Stämme gelegt.

Die neuen Landesherren griffen

überall zu den besten Theilen des Grundbesitzes und überließen den Besiegten neben

kleineren Ackerloosen

die

verschiedenen Zweige

Beschäftigungen, die des Vollbürgers unwürdig waren.

des

Erwerbs

als

Aber auch, als die

Aristokratie der Demokratie weicheu mußte, glaubte erst recht jeder einzelne Bürger berechtigt zu sein, seine ganze Zeit nur dem Staate widmeu uud sich

von jeder Erwerbsthätigkeit fern halten zu dürfen, worauf auch das dein Sokrates in beit Mnnd gelegte Wort abzielt: Schwester der Freiheit."

„Die Unthätigkeit ist die

Hierzu kam, daß die zahlreichen Sklaveil, von

denen in maiuhen Städten, wie in Epidamnos, die Handwerke ausschließlich getrieberr wnrdell, den Freier eine schädliche nnb demüthigende Konkurrenz

bereiteten. Endlich herrschte das allgemeine Borurtheil, daß die körperliche und geistige Tüchtigkeit des Mannes durch die Haudarbeit beeinträchtigt werde, und

daß das ängstliche Trachten nach Unterhalt mit) Gewinn sich nicht mit der Bildung und Gesinnung vertrage, die der freie Staatsbürger zur Beschluß­

fassung über das Wohl des Vaterlandes und zur uneigennützigen Verwaltung der öffentlichen Aemter nöthig habe.

Was den Körper betrifft, so schwächte

allerdings denselben die sitzende Lebensart, hinderte an den gymnastischen Uebungen und also auch an der Erfüllung der ersten Pflicht des griechischen

Biirgers, der Vertheidigung des Vaterlandes, während Jagd und Ackerbau zum Kriegsdienst abhärteten.

Deshalb mag auch im alten Theben ein Gesetz

Alle vom Staatsdienst ausgeschlossen haben, die sich nicht zehn Jahre lang jedes Gewerbes enhalten hatten — eine Maßregel, die, wiewol vergebens, auch

einmal in Athen beantragt wurde. Hinsichtlich der Einwirkung auf die Gesinnung lassen iuir einen Ausspruch des Sokrates folgen: „Es giebt eine doppelte Beschäftigung, je nachdem man

für den Leib oder für den Geist sorgt, und die erste ist eine dienende; durch sie ist es möglich,

den Körper mit Allem zu versorgen: mit Speise, wenn er

hungert, mit Trank, wenn er dürstet, mit Kleidern, Decken, Schuhen, wenn er

friert. Auf den ersten Blick scheinen nun die Kränier, Kaufleute, Bücker, Köche,

Weber, Schuster, Gerber, da sie alle Bedürfnisse befriedigen, die rechten Pfleger

des Körpers zu sein.

Anders aber verhält sich die Sache, wenn man bedenkt,

daß es außerdem eine Gymnastik und Heilkunde giebt, welchen in Wahrheit die

Pflege des Körpers gebührt, insofern sie nach der Wohlfahrt des Körpers den Gebrauch jener Künste regeln und also die Herrinnen derselben sind, während

jene für sklavisch, dienend, eines Freien unwürdig gelten." Auch bei Xenopho n

nennt Sokrates die meisten Handwerker „Sklavenseelen." Demgemäß wollte Platon in seinem idealen Staat die Handwerker und Tagelöhner nur geduldet

wissen und meinte, man niüßte die Bürger höherer Klassen zu diesem Stande degradiren, wenn sie sich Feigheit oder sonstige Schlechtigkeit zu Schulden

kommen ließen. Auch Aristoteles weist den Handwerkern ihre Stelle zunächst

den Sklaven an, und macht nur den Unterschied in der Knechtschaft, daß die Sklaven nur einem Herrn dienten, jene aber Jedermann. Daß die Handarbeit

den Geist abstumpfe, plumpe, ungeschliffene Leute erzeuge und überhaupt den freien Bürger herabwürdige, spricht er außerdem bestinunt aus.

Der Redner

Demosthenes sagt geradezu: „Es ist nach meiner Meinung nie möglich, daß

11*

164

Die Handwerker, Fabrikanten und Zünfte.

derjenige, welcher sich mit geringen und verächtlichen Dillgen abgiebt, zu großen

iiiit) thatkräftigen Gesinnungen gelangen könne;

denn wie die Beschäftigung

der Menschen ist, so muß auch ihre Gesinnung sein!"

Aehnlich äußert sich

Plutarch: „In manchen Dingen folgt der Bewunderung eines Werkes nicht sogleich der Trieb, dasselbe zu thun; oft geschieht auch das Gegentheil, daß wir

uns cm einem Meisterstücke ergötzen und den Meister gering achten, wie wir etwa an Salben und Purpur Wohlgefallen finden, die Färber und Salbeuhündler aber für geringe Handwerksleute halten."

Antisthenes sagte daher

auch, als er hörte, daß Jsmenias ein geschickter Flötenspieler wäre: „Dennoch ist er ein gemeiner Mensch; denn sonst würde er nicht ein so geschickter Flöten­

spieler sein."

Ueberall wurde die Kunst verachtet, sobald der Gelderwerb als

Dagegen wird vom Maler Polygnot ausdrücklich rühmend erwähnt, daß er nie um des Geldes willen gemalt habe, und wenn der Hauptzweck vorwaltete.

makedonische König Aeropos ein geschickter Tischler und Drechsler war, und

der jüngere Dionys in der von seinem Vater aus Argwohll über ihn ver­ hängten Einsamkeit Wagen, Leuchter, Stühle und Tische verfertigte, so wurden solche fürstliche Dilettanten eben so wenig durch die Arbeit entehrt, als das

Ansehen des Handwerkerstandes durch sie gehoben. In oligarchisch-aristokratischen Staaten war natürlich die Mißachtung des

Handwerks am größten.

Bei den Spartanern waren Gewerbe und Künste,

Schifffahrt und Handel für den Vollbürger verpönt. Der Einzelne sollte gegen alles materielle Sonderinteresse gleichgiltig sein und sein ganzes Leben dem

Staatszwecke widmen.

Als daher der König Agesilaos, um die Bundes­

genossen zu überzeugen, wie viele von ihnen eigentlich Soldaten wären, be­ fohlen hatte, die Bnndesgenossen sollten sich alle zusammen an einem Ort mit) die Lakedämonier an einem anderen niedersetzen, und dann ausrufen ließ, daß

erstlich alle Töpfer, hernach alle Schneider, ferner alle Zimmerleute und

Maurer und endlich alle anderen Handwerksleute aufstehen sollten, erhoben sich beinahe alle Bundesgenossen, während alle Spartaner sitzen blieben.

Wenn

freilich ein Vollblutspartaner verarmte und den monatlichen Beitrag zu den Gemeindemahlzeiten (etwas über 3/4 preußischen Scheffel Mehl oder Gersten­

graupen, 22 Quart Wein, 5 Pfund Käse, 2x/2 Pfund Feigen und ungefähr

2 Mark in baarem Gelde) nicht mehr entrichten konnte, so wurde er aus der Zahl der Bürger ausgestoßen und verfiel einem von unserem

verarmten

Adel begierig erstrebten, nach der damaligen Ansicht aber sehr traurigen

Schicksale.

Da er sich zum schimpflichen Handwerke nicht bequemen konnte,

mußte er in fremden Heeren für Sold dienen.

Im Gegensatze zu Sparta

waren im stammverwandten Korinth Gewerbe und Handel die Quelle des

sprichwörtlich gewordenen Reichthums und seine Einwohner „verachteten", wie Herodotsagt, „unter allen Hellenen die Handwerker am wenigsten." In Athen

herrschte eine merkwürdige Differenz zwischen der Absicht der Gesetze und der Praxis und

allgemeinen Volksstimme.

Der strenge Drakon bestrafte

den Müßiggang mit Verlust der bürgerlichen Rechte.

Solon gab ein Gesetz,

daß ein Sohn nicht verbunden fein sollte, seinen Vater zu ernähren, wemr

derselbe ihn keine Kunst Hütte lernen lassen, und trug dem Areopag auf, darüber zu wachen, daß Jeder seinen Unterhalt nachweise, und die Müßiggänger, welche

dreimal ohne Beschäftigung angetroffen worden wären, zu bestrafen — eine Einrichtung, die Peisistratos verschärft haben soll.

Und daß wirklich Nach­

frage in dieser Beziehung gehalten wurde, ist außer Zweifel.

Deim Plutarch

erzählt: „Einst hielt sich ein Spartaner zu Athen auf, zu einer Zeit, wo eben Gerichtssitzung war.

Als er nun hörte, daß einer des Müßiggangs wegen

bestraft worden wäre und deshalb trauerte, auch von feinen Freunden, die Mitleid mit ihm hätten und ihn bedailerten, nach Hause begleitet würde, so bat

er seine Umgebung, »mit möchte ihm doch denjenigen zeigen, der wegen einer freigeborenen Männern so anständigen Sache bestraft worden wäre, und

Athenäos berichtet eine Anekdote von zwei Schülern Platon's, Menedemos

und Asklepiades, welche von den Areopagiten gefragt wurden, wie es käme, daß sie, ohne etwas zu besitzen und ohne etwas Anderes zu thun, als philo­

sophische Vorträge zu besuchen, so wohl aussähen.

Sie ließen darauf einen

Müller als Zeugen rufen, und dieser sagte aus, daß sie des Nachts in seiner Mühle jeder 2 Drachmen verdienten.

Areopag mit 200 Drachmen.

Voll Bewunderung beschenkte sie der

Aber wenn nun auch außerdem Thukydides

den Perikles in seiner Leichenrede sagen läßt, daß in Athen nicht die Arnruth, sondern das vielmehr fiir eine Schande gehalten werde, die Armuth nicht durch Arbeit zu vermeiden, so geht doch aus vielen Stellen hervor, daß

dort die eigenhändige Betreibung eines Gewerbes und die Arbeit überhaupt in Mißachtung stand. Selbst wenn die Noth drängte, bequemte man sich schwer dazu, die Hände

zu regen. So erzählt Xenophon, daß es Sokrates viel Mühe gekostet habe, einen Bekannten, Namens Aristarchos, der während der Herrschaft der

dreißig Tyrannen mehrere verwandte Frauen nt sein Haus ausgenommen hatte

und mm in die größte Verlegenheit gekommen war, weil er wegen der Kriegs­

unruhen aus seinen Feldern und Häusern nichts einnahm, zu überreden, seinen Vorschlag anzunehmen, der dahin ging, daß er die Weiber mit Weberei beschäftigen

möchte. Dennoch gab es außer den Schutzverwandten oder Metöken, die sich fast

ausschließlich von Gewerben nährten und bereicherten, eine große Menge von Handwerkern unter den Bürgern. Man sieht dies schon daraus, daß Sokrates

bei Xenophon dem jungen Charmides, der sich scheute, als Redner in der Volksversammlung aufzutreten, dadurch Muth einflößte, daß er zu ihm sagte:

„Vor den Tuchscheerern, oder vor den Handelsleuten, oder vor den Schustern,

166

Die Handwerker, Fabrikanten und Zünfte.

oder vor den Zimmerleuten, oder vor den Schinieden, oder vor denen, die auf

dem Markte verkaufen und darauf ausgehen, was sie wohlfeil eingekauft, theuer wieder an den Mann zu bringen, wirst Dll Dich wol nicht fürchten. Aus lauter

solchen Leuten aber besteht die Volksversammlung."

Der für die Besucher der

Volksversammlungen ausgesetzte Sold von 3 Obolen (40 Pfennig) und der eben so hohe Richterlohn für die Geschworenen waren es, welcher die Handwerker zu

diesem Bürgerdienste herbeilockte; daß sie sich dadurch mit dem Lastträger auf gleiche Sink stellten, wie Aristophanes ihnen vorwirft, kümmerte sie nicht.

Rechnet man nun hinzu, wie viele Zeit durch Betheiligung an den zahlreichen Festen, Spielen und Opfern für den Gewerbetreibenden verloren ging; wie

manche Stunde vielleicht auch mit den Besuchern verschwatzt wurde, die nach der

stehenden Sitte der späteren Zeit sich in den Handwerksstätten täglich einfanden,

um Neuigkeitskrümerei und Kannegießerei zu treiben: so fragt man billig, wie war es möglich, daß diese müßige, arbeitsscheue Klasse ihre Existenz behauptete,

oder gar nach und nach verbesserte? Die allerdings bedeutende Wohlfeilheit

des Lebens (es läßt sich annehmen, daß zu Sokrates' Zeit eine Familie von vier Personen mit 270 bis 300 Mark jährlich auskommen konnte) erklärt

nicht genug;

wol aber reicht der Umstand hin, das Räthsel zu lösen, daß

die meisten Handwerker ihr Gewerbe durch Sklaven betreiben ließen.

Wir

setzen, um dies zu belveisen, nur aus der witzigen Rede des Krüppels bei Lysias folgende Worte her:

„Ich habe ein Handwerk, welches mir wenig

eültrügt und welches ich selbst mühselig betreibe; Jeinanden aber, der es mir

verrichtete, konnte ich mir rroch nicht kaufen." Ja, wer teil Preis eines Sklaven nicht erschwingen konnte, half sich dadllrch, daß er fremde Sklaven miethete;

denn der griechische Leibeigene galt für ein zinsentragendes Kapital, und wenn sein Herr nicht selbst den Nutzen aus ihnl zieherr konnte, gab er ihn gern gegen eine bestimmte Abgabe an Andere ab. So sagt Aeschines, indem er Timarch's Vermögen herrechnet, daß derselbe neun des Schuhmacherhandwerks kundige

Sklaven besitze, von denen ihm jeder täglich zwei Obolen, der Werkführer aber drei einbringe.

Ebenso wurde für die in die Bergwerke geliehenen Sklaven

täglich ein Obolos gezahlt. Noch häufiger als diese Vermiethuilg war die Benutzung der Sklaven von

Seiten der Herren für eigene Rechnung.

Der Herr war dann Fabrikant und

zog aus dem Erlöse der gefertigten Waaren seinen Gelvinn, was besonders bei solchen Gewerben geschah, Materials erforderten.

die ein größeres Kapital zur Beschaffung des

Der Aufseher der Fabriksklaven war ein Sklave oder

ein Freigelassener, und lieferte

dem Herrn beit Gewinn der Arbeit ab.

Demosthenes' Vater besaß zwei Fabriken;

32 Stahlklingenarbeiter, von

denen ein Theil je 380 Mark und die übrigen wenigstens nicht niedriger

als 225 Mark an Werth veranschlagt wurden, und von denen er jährlich

2250 Mark reine Einkünfte bezag.

Außerdem besaß er 20 Bettgestellmacher,

die nach Abzug der Ausgaben 900 Mark Gewinn gewährten. Den Verbrauch an Elfenbein berechnet der Sahn auf 150 Mark monatlich, den Werth des nach des Vaters Tode vorhaildeiwn Materiales an Eisen, Holz und Elfenbein ans

6000 Mark, an Galläpfeln und Erz auf 5250 Mark. Bruder Polemarchos,

reiche Metöken

aus

Lysias und sein

Syrakus,

betrieben durch

120 Sklaven eine Schildfabrik, in welcher sich bei ihrer Verhaftung durch die Dreißig 700 vorräthige Schilde und 21,000 Mark baares Geld befanden. Als

reiche Fabrikanten seiner Zeit nennt Sokrates bei Xenophon den Gersten­ graupenmüller Nausikydes, der außerdem eine Masse Vieh mästete und so

viel verdiente, daß er mehrere Male kostspielige Staatsleistungerr übernehmen

konnte; den lllxuriös lebenden Bäcker Kiribos, die Schneider Demeas und Menon und endlich die vielen Kleidermacher im benachbarten Megara.

Der

Vater des Redners Jsokrates besaß eine Fabrik musikalischer Instrumente;

der bekannte Kleon erbte von seinem Vater eine von Sklaven betriebene Gerberei, deren Fabrikate nicht immer von der besten Qualität gewesen sein sollen.

Sein Zeitgenosse,

der Demagog

Hyperbolos,

erwarb sich

als

Lampenfabrikant einen ansehnlichen Gewinn, jedoch, wie Aristophaues be­ hauptet, durch Betrug, indem er Blei zum Lampenerze mischte.

Wie viele

Sklaven übrigens zu Athen in den Fabriken beschäftigt wurden, ergiebt sich daraus, daß im peloponnesischen Kriege einmal 20,000 Fabriksklaven von Athen nach Dekeleia übergelaufen sind.

Interessanten Aufschluß über den

Unterschied zwischen groß- und kleinstädtischer Industrie und über die Theilung der Arbeit in den Fabriken, giebt Xenophon in seiner Kyropüdie, wo er sagt:

„In Heinen Städten verfertigen dieselben Leute ein Bettgestell, eine Thüre,

einen Pflug, einen Tisch (oft baut auch derselbe Mann ein Haus und ist zu­

frieden, wenn er auch in dieser Weise genug Arbeitgeber findet), in großen Städten hingegen genügt wegen des großen Bedarfs auch ein einziges Hand­

werk für Jeden zum Unterhalt, ja, oft nicht einmal ein einziges ganz, sondern

der Eine macht Männerschuhe, der Andere Frauenschuhe; es kommt ja auch vor, daß der Eine seinen Unterhalt findet, indem er nur die Schuhe näht, der

Andere, indem er das Leder schneidet, ebenso wie der Eine die Röcke nur zu­ schneidet, der Andere sie zusammensetzt."

Neben dieser allgemein üblichen Avt und Weise, das Handwerk zu betreiben, kann man sich nun schwer eine gesetzliche Beschränkung der Gewerbe­

freiheit oder Gilden von Handwerkern denken, und in Wahrheit findet sich auch von zunftmäßiger Gebundenheit des Handwerkerstandes nirgends eine sichere Spur.

Erst auf kleinasiatischen Inschriften, die aus dem ersten Jahrhundert

n. Chr. stammelt, finden sich wol der römischen Sitte nachgebildete Zünfte.

Dagegen wird es, wie bei uns, nicht selten gewesen sein, daß der Vater

168

Die Handwerker, Fabrikanten und Zünfte.

am liebsten seine Kunst auf den Sohn vererbte. Von Fremden ließen sich die Meister auch Lehrgeld zahlen. Von Besteuerung der Gewerbe finden sich nur höchst unsichere Spuren. Die Einträglichkeit der Gewerbthätigkeit in Griechenland läßt sich schwer berechnen, da man die Größe der dabei in Anschlag kommenden Zeit und Arbeit nicht kennt. Unter den Fabrikanten werden viele von den Schriftstellern als reiche Leute bezeichnet. Interessant sind die Lohntaxen, welche sich auf inschriftlichen Baurechnungen in der Burg zu Athen gefunden haben. Zimmerleute uni) Steinmetzen erhielten darnach täglich 65 bis 80 Pfennig und diese Summe mag damals zur Erhaltung von drei bis vier Personen gereicht haben. Bei den Römern war, wie schon erwähnt, ebenfalls das, was wir Bürgerstand nennen, nicht der städtische Handels- und Gewerbestand. Bis zu der Zeit, wo die auswärtigen Eroberungen Rom bereicherten und mit Getreide

versorgten, blieb der Ackerbau eine anständige Beschäftigung, während das Handwerk auch in Rom für eine des freien Mannes unwürdige galt und den Klienten oder Hörigen des Adels, den Aermeren aus der Plebs und der: Frei­ gelassenen überlassen wurde. Alle diese Leute gehörten wahrscheinlich, mit Ausnahme solcher, die wirklich ein ehrloses Gewerbe trieben, wie die Kuppler, zur sechsten Klasse der Serbischen Centurienverfassung (proletarii), in welcher so gut wie gar kein Vermögen erforderlich war. Einige von den Gewerben, die für den Krieg nothwendig waren, die Zimmerleute, Kupfer­ schmiede, Trompeter und Hornbläser, erhielten sogar in der Servischen Klassen­ eintheilung eine auszeichnende Stellung. Dagegen wurden die Handwerker und Gewerbsleute rächt zu den Legionerl ausgehoben. Schon während der ersten Sezession sagte Menenius Agrippa, die in der Stadt zurückgebliebene Menge sei im Kampfe gegen auswärtige Feinde nicht zu gebrauchen; der größte Theil sei niederes Volk, Tagelöhner, Klienten und Handwerker. Im Jahr 326 v. Chr. rekrutirte der Konsul Mamercinus ein Heer gegen die Gallier mit großer Strenge, und „es sollen dabei", sagt Livius, „sogar der Haufe der Handwerker und die Stuhlhocker, eine zum Kriegsdienste keineswegs taugliche Menschenklasse, ausgehoben worden sein." Sallust nennt sie verächtliche Leute, „deren Vermögen und Kredit aus ihren Händen beruht", und stellt sie mit den Sklaven in eine Kategorie. Auch Cicero spricht sich in seiner Pflichtenlehre stark genug über das Handwerk aus: „Eine ganz niedrige Art, sich zu nähren, und welche nur dem untersten Pöbel zukommt, ist die der Tagelöhner; der Lohn, den sie bekommen, ist nichts Anderes als ein Preis, um den sie sich Anderen auf eine Zeit lang zu Sklaven verkaufen. Die Krämerei, die von Andern im Ganzen kauft, ist ein nicht weniger schmutziges Gewerbe. Denn es kann unmöglich viel Gewinn bringen, wenn man

seine Käufer nicht sehr übersetzt, d. h. sie betrügt.

als lügen.

Nichts aber ist schändlicher

Allell Handwerkern klebt Schmutz und Niedrigkeit an.

Es ist fast

unmöglich, daß etwas Großes und Edles aus einer Werkstütte hervorkommen könne." Am tiefsten in der Achtung standen diejenigen Gewerbetreibenden, welche

ihre Waaren selbst verkauften oder damit hausirten, wozu die Wohlhabeuderen ihre besonderen Faktorell oder Kommis, meist Sklaven, hielten. Von dem durch

die Schlacht bei Kannä bekannt gewordenen Konsul Terentius Varro sagt

Livius: „Er stammte nicht bloß aus einer niedrigen, sondern auch schmutzigen Familie.

Sein Vater soll ein Fleischer gewesen sein, selbst seine Waaren feil

geboten und den Sohn zu den sklavischen Diensten dieses Handwerks gebraucht haben."

Neben diesem Parvenu erregte lioch besonders später den Abscheu der

Nobilität der ehemalige Maulthiertreiber Ventidius Bassus, bei dessen Konsulatsantritte folgende Verse in den Straßen angeschlagen waren: „Lauft all' herbei, ihr Augurn, ihr Haruspices; Ein nagelneues Wunderthier ist ausgeheckt; Denn der zuvor Maulthiere trieb, ist Konsul nun!"

Natürlich fehlte es auch uicht an Handwerkern, die durch ihr Gewerbe

oder durch sonstige Glückssülle reich wurden, und dann dem Spott anheim­

fielen.

Hierher gehört der Schuster Vatinius aus Benevent, der, wegen

seines lvmrderlich verkrüppelten Körpers und großen Possenreißertalents cm

Nero's Hof gekommen, bald die mächtigsten und schlechtesten kaiserlichen

Favoriten überragte, in seiner Vaterstadt einst ein glänzendes Gladiatorenspiel gab mld feinen Namen durch eine Art Trinkbecher mit vier seiner langen Nase

nachgebildeten Schnepfen unsterblich machte. ärgerte sich oft über solche Glückspilze.

Der Epigrammatiker Martial

So schreibt er:

„Feines Bologna, Dir gab ein Schuster neulich ein Festspiel; Euch, Modenesen, ein Walker; wo wird es der Schenkwirth nun halten?"

Dem reichem Schuhmacher vou Bologna widmete er mehrere Epigramme, unter

ihnen folgendes: „Eladiatorengcfecht', o Schusterköniglein, giebst Du; Was Dir die Pfrieme geschenkt, siehe, nun rafft es der Dolch. Trunken wol bist Du; denn nie vermöchtest Du's nüchternen Muthes, Selbst zu tragen das Fell, Schuster, das eigne, zu Markt. Laß Dir genügen das Spiel und — folge mir! ohne zu säumen, Schneide Dein Leder und nimm, Schuster, den Leisten zur Hand!"

Auch dauerte in der Kaiserzeit die Verachtung des Handwerksmannes

fort.

Ein recht deutliches Beispiel davon giebt Sueton, indem er berichtet,

der Kaiser Klaudius habe einst auf dem Forum vor dem Volke ein Bußgebet

Die Handwerker, Fabrikanten und Zünfte.

170

gehalten, weil sich ein unheilverkündender Vogel in der Stadt hatte blicken

lassen, aber zuvor den Handwerkerpöbel und die Sklaven entfernt. Glichen sich sonach die griechischen und römischen Handwerker in ihrer

sozialen Stellung so ziemlich, so bildet das Vorhandensein geschlossener, genau organisirter Handwerkervereiue bei den Römern einen stark in die Augen fallenden Unterschied.

Zwar gab es auch in Griechenland Genossenschaften,

denen nach einem alten Solonischem Gesetze das Recht zustand ihre Statuten zu entwerfen, wie die Thiasoi, Vereine, die ihrem Schutzgott zu Ehren zu gewissen Zeiten Schmäuse anstellten und außer anderen Zwecken vorzüglich die

gesellige Erheiterung im Auge hatten, und die Kreditvereine oder Eranoi; aber ein Zusamurenhalten von Gewerbetreibenden derselben Klasse ist dabei nicht

nachweisbar.

In Rom dagegen wird von der Sage die Gliederung der von

Hantirungen lebenden Einwohnerzahl in Zünfte oder Innungen (collegia) bereits dem Friedenskönige Numa zugeschrieben. Er soll neun Zünfte gestiftet haben, und zwar die der Flötenspieler, der Zimmerleute, der Goldarbeiter, der Färber, der Lederarbeiter, der Gerber, der Schmiede, der Töpfer; die neunte

Zunft begriff alle übrigen Gewerbe in sich, mit) aus ihr entstanden dann später, vielleicht mit geringeren äußerlichen Vorrechten, nach und nach die anderen

Innungen.

Denn später kommen vor die Kollegien der Bäcker (erst seit

174 v. Chr.), Erzarbeiter, Kaufleute, Gewürzkrämer, Goldschläger, Lumpen­ händler, Geschützverfertiger, Beilschmiede, Vergolder, Weber, Walker, Aerzte,

Schiffer, Fährleute, Fischer, Purpurfärber, Treppenbauer, Schweinehündler, Schneider u. a.

Ob diese Zünfte religiösen und politischen Ursprunges sind,

ist noch unentschieden; wol scheint man aber bei ihrer Einrichtung die Priester­ kollegien und religiösen Brüderschaften zum Vorbilde genommen zu haben. Die

politischen Kollegia, die gegen das Ende der Republik entstanden, um den

Zwecken der Amtserschleichung zu dienen, und die im Jahre 64 verboten, dann

58 durch Klodius hergestellt und unter Cäsar und Augustus wieder auf­ gehoben worden sind, gehören nicht hierher. Die rechtlichen Verhältnisse und die Einrichtung der Handwerkerzünfte

waren

nun

ungefähr

folgende.

Die Kollegien

nahmen ihre

Mitglieder

selbständig auf und gestatteten den Austritt nur ausnahmsweise, stießen aber

auch bisweilen unwürdige Mitglieder aus.

Die Mitglieder, „das Volk" oder

„Zunftgenossen", „Jnkorporirte" genannt, waren entweder von bestimmter oder unbegrenzter Anzahl.

Sklaven wurden bloß in den niedrigsten Zünften

und in den Leichenkommunen ausgenommen.

Die verschiedenen Geschäfte der

Kassenverwaltung, der Vertretung vor Gericht, der Aufnahme neuer Mit­

glieder, des Arrangements der Feste, der Beschaffung des dem Gewerbe ge­ hörenden Inventars, besorgten Syndiken, Quästoren und Magistri, letztere nach den Inschriften meist mit fünfjähriger Amtsdauer.

Außerdern pflegten die Zünfte, wie die größeren und kleineren städtischen Kommunen, angesehene Männer auf Lebenszeit zu ihren Patronen zu erlvählen. Valerius Maximus z. B. berichtet, daß zu Cäsar's Zeit ein Pferdearzt, Namens Herophilos, dadurch, daß er sich für den Enkel des berühmten Mariils ausgab, zu solchem Ansehen gelangt sei, daß ihn ansehnliche Pro­ vinzialstädte und alle Kollegien Roms zu ihrem Patron ausersehen hätten. Die Aufsicht über die Korporatiouen führten die Konsuln und Aedilen, in der Kaiserzeit der Stadtpräfekt und in den Provinzen die Statthalter. Die höchste Instanz, besonders hinsichtlich der Autorisation neuer Vereine, scheinen sich die Kaiser Vorbehalten zu haben, und wenn auch einzelne, z. B. Alexander Severus, sich dabei liberal benahmen, so war man doch bei Entstehung neuer Zünfte sehr vorsichtig, weil man dieselben als Deckmäntel politischer Bestrebungen in: Ganzen beargwöhnte. Als Plinius, als Statthalter von Bithynien, nach einem großen Brande in Nikomedia seinem Kaiser über die Trägheit der Zuschauermenge und den gänzlichen Mangel an Löschanstalten berichtet und den Vorschlag gemacht hatte, 400 Zimmerleute in eine Zunft zu vereinigen, wobei er noch hinzufügte: „Ich werde dafür sorgen, daß nur Zimnlerleute aufgenoinmen werden und daß Keiner das verliehene Recht zu etwas Anderenr mißbrauche; es wird auch nicht schwer sein, so wenige zu be­ wachen," antwortet selbst der milde Trajan abschläglich, „weil leicht unter jedem noch so unschuldigen Namen sich politische Verbrüderungen bilden könnten!" Als jilristische Persoireu hatten die Kollegien das Recht, Vermögen zu besitzen und zll erwerben, und ihre Kassen füllten sich durch Beiträge der Mitglieder, Strafgelder und Vermächtiüsse. Bei Beschlußfassungen entschied die Majorität der Stimmen- und ihr Recht, Beschlüsse zil fassen rmd Statuten^ zu entwerfell, war schon boit den Zwölftafelgesetzen anerkannt. Sowie ferner die Brüderschaften rmd Innungen des Mittelalters ihre Heiligen hatten, ver­ ehrten die römischen Kollegien ihre Schutzgötter, denen zu Ehren sie Feste feierten und prächtige Schmäuse und Opfer anstellten. Die Weber, Walker, Färber, Schuster, Aerzte und Bildhauer hatten einen Kult der Minerva, und feierten besonders deren fünftägiges Fest im März. Auch das lustige Völklein der Flötenbläser, die arls Etrurien stammten und der Religion wegen zu den ältesten Zünften gehörten, hatte sich Minerva als Patronin erkoren und zog am 13. Juni maskirt und singend durch die Straßen. Dieses Privilegium eroberte es sich, als man es mit dem Verluste eines anderen bedrohte. Von Alters her nämlich hatten die Flötenbläser das Vorrecht genossen, einmal jährlich auf öffentliche Kosten im Tempel des kapitolinischen Jupiter zu schmauserr, und nachdem ihnen im Jahre 312 v. Chr. die Censoren dies ver­ weigert hatten, um die Ausgabe dem vom Kriege schwer heimgesuchten Staate

172

Die Handwerker, Fabrikanten und Zünfte.

zu ersparen, zogen sie insgesammt aus nach dem nahen Tibur. Da man sie nun in Rom der Opfer wegen nicht entbehren konnte, veranlaßte der Senat die

Tiburtiner, durch Zureden die Auswanderer zur Rückkehr zu bewegen, aber vergeblich.

Endlich gelang es durch List; nian machte sie an einem Festtage

mit Wein, „nach dem," wie Livius sagt, „diese Leute gemeiniglich gierig

sind," trunken, packte sie auf Wagen und führte sie nach Rom, wo sie bei

Sonnenaufgang.mitten auf dem Markte erwachten und unter den erwähnter: günstigen Bedingungen kapitulirten.

Merkurius beschützte die Kaufleute,

Vulkan die Schmiede. Die festlichen Gelage wurden in Heiligthümern oder in besonderen, den Zünften gehörigen Lokalen (curiae oder scholae) gehalten.

Selbst der Tod trennte die Zunftgenossen nicht,

da sie

gemeinschaftliche

Begräbnißplätze hatten, und auch die Bestattung, bei welcher, wie bei allen

anderen feierlichen Aufzügen,

die

Standarte des

Kollegiums vorgetragen

wurde, fand auf Kosten der Gemeinde-Sterbelade statt.

Die Einrichümg dieser Sterbefiskus, die auch getrennt von den Zünften als besondere Kommunen mit Schutzheiligen Vorkommen, ist uns zufällig genau

bekannt, da man im Jahre 1816 in Citta-Lavinia (dem alten Lanuvium) auf einer Marmortafel die vollständigen Statuten der im Jahre 136 n. Chr. gestifteten „heilsamen Zunft der Verehrer der Diana und des Antinous" (des vergötterten Lieblings des Kaiser Hadrian) aufgefunden hat. Das Mit­

glied zahlte dort beim Eintritt als Einschußgeld 100 Sesterzen (ungefähr 21 Mark) und eine Amphora guten Wein; der jährliche Beitrag ist auf etwas

mehr als 3 Mark in monatlichen Raten festgesetzt; das Sterbegeld betrug 8 7 Mark. Ueber das Alter der Aufzunehmenden findet sich keine Notiz. Wenn aber Jemand seinen Beitrag nicht zahlte, verlor er jedes Unspruchsrecht.

Ein besonderer

Paragraph sichert die auszuzahlende Summe vor Beschlagnahme; ein anderer

handelt von den Schmäusen des Vereines, deren es sechs im Jahre gab (der Geburtstag des Antinous, der Geburtstag der Dimm zugleich als Stiftungs­ fest, und vier Schmäuse in Folge von Legaten), und bei denen alles Tumultuiren

und Queruliren verboten war, „damit wir ruhig und heiter an den Festtagen schmausen."

Wer den Anderen dabei durch ein Schimpfwort beleidigte, zahlte

4 Mark Strafe.

Die Amtsgeschäfte des Vorstehers, der auf fünf Jahre

gewählt wurde, .waren vielfach und lästig, doch winkte ihm nach guter Amts­

führung bei allen Spenden aus der Kasse ein Antheil von anderthalb Rationen! Schon im Jahre 1790 hatte man in einem siebenbürgischen Goldbergwerke eine auf Wachstafeln geschriebene Urkunde gefunden, in welcher der Magister eines

dem Jupiter geweihten Kollegiums, da die Zahl der Mitglieder von 54 auf 17 gesunken war und die Beiträge nicht mehr gezahlt wurden, die Aisihebung des Vereines und die Einstellung der Zahlung von Leichengeldern in bar­

barischem Latein bekannt macht.

Eine in vielen Zügen frappante Aehnlichkeit dieser römischen Innungen mit den mütelalterlichen Zünften laßt sich also nicht leugnen.

Und dennoch

liegt dieselbe niehr in der Organisation als in der wirklichen Bedeutung. politische Seite des Vergleiches haben wir bereits fallen lassen.

Die

Die mittel­

alterlichen Zünfte waren und sind nun aber auch Verbände selbständiger Meister, gerichtet gegen die Gesellen, Konsumenten und Produzenten, und in

dieser Beziehung, also hinsichtlich des sogenannten Zunftzwanges, herrscht zu großer Mangel an Beweisstellen, um das Dasein desselben im alten Rom zu

erhärten.

Dagegen scheint es, als ob jedes Gewerbe mit seinem Absätze in der

Residenz aus eine bestimmte Region beschränkt war und daß nur auf besoildere $crgünftignn()

des Stadtpräfekten

einem Handwerker der Vertrieb seiner

Waare über die ganze Stadt erlaubt wurde.

Lehrlinge mußten natürlich vor­

handen sein und werden auch erwähnt (discipuli); aber von einem strengen Unterschiede zwischen Meistern und Gesellen ist eben so wenig eine Spur vor­ handen als von einem Verbietungsrecht der Zunfgenossen der Verfertigung und

denr Betriebe zünftiger Artikel gegenüber, wozu auch besondere Privilegirung

nöthig gewesen wäre. Nur gegen das Aufkäufen von Waaren aus Spekulation und gegen die Verabredung der Handeltreiberlden über gewisse Preise liegen

Verbote der Kaiser vor.

Daß übrigens Uebereinkommen über Preise von den

Konkurrenten schon in älterer Zeit getroffen wurden, beweist z. B. eine Stelle

in den „Gefangenen" des Plautus, wo es heißt: „Alle handeln nach Ver­ abredung, wie die Oelhändler im Velabrum."

Vorhandensein

solcher Zunftprivilegieil

die

Sonst spricht auch gegen das

große Zahl gewiß unzünftiger

Fabrikanten. Dazu gehörte eine Menge Freigelassener, die, von ihren Patronell mit Geld unterstützt, die ärmeren Bürger leicht überflügelten. Zu den mllernehmendsten Fabrikherren dieser Art zählte der üppigste nnd industriellste aller

Schulmeister, der frühere Sklave Remmius Palümon aus Vicenza, dem sein Schulgeld jährlich 120,000 Mark einbrachte, der aber außerdem ein vor­

trefflicher Landwirth war, eine Papierfabrik besaß und eine Fabrik „käuflicher Kleider".

Sodann wurde auch eine Unmasse fertiger Kleider eingeführt, und

zwar größtentheils von Fremden, wie auch viele fremde Meister, besonders

Griechen, sich in Rom niederließen.

Kurz, es bleibt wenig Aehnlichkeit mit

dem früheren deutschen Zunftwesen übrig und man möchte eher die römischen Kollegien mit den Genossenschaften der französischen Gesellen zum Zweck gegen­

seitiger Unterstützullg und Förderung in Vergleich bringen.

Außer der Konkurrenz unzünftiger Fabrikanteil hinderte aber das Empor­ kommen des römischen Handwerkerstandes die Sitte der Reichen, durch ihre

Sklavell sich so viel als möglich selbst genug zu sein.

Sklaven waren ja

nicht bloß die Bedienten, die Köche und die Bücker eines vornehmen Mannes, sondern auch dessen Schuster und Schneider.

Dieser Uebelstand, welcher der

174

Die Handwerker, Fabrikanten und Zünfte.

arbeitenden Klasse die Quellen des Erwerbes verstopfte und sie zwang, ihre Kunden unter den Unbemittelten zu suchen, wurde auch noch vom Staate ver­ mehrt, der nicht nur selbst eine Menge öffentlicher Sklaven hielt, sondern auch den Unternehmern öffentlicher Bauten gestattete, Sklaven als Arbeiter zu benutzen. Endlich ahmten auch die Kaiser in ihrer Hofhaltung den Reichen nach, und es gab ganze Kollegien kaiserlicher Vorkoster, Köche, Zeltmacher, Sänftenträger, Münzarbeiter u. s. w. Eine eigenthümliche, halb bevorzugte, halb leibeigeue Stellung hatten ferner die Handwerker in den großen Waffenfabriken des Reiches. Diese Feuerarbeiter waren wol frei von Steuern und Ein­ quartierung und standen unmittelbar unter dem Reichskanzler, konnten aber nur sehr schwer von ihren Kollegien wieder loskommen, wurden beim Eintritt der Sicherheit wegen am Arm gebrandmarkt und mußten solidarisch für die Schulden jedes Einzelnen hasten. Zum Schluß sei noch erwähnt, daß die Gewerbe in Rom lange von Be­ steuerung frei blieben, während in vielen Provinzen neben der Kopfsteuer die Gewerbesteuer existirte. Erst Kaligula unterwarf gewisse Gewerbe einer Ab­ gabe und Alexander Severus scheint eine allgemeine Gewerbesteuer, zum Theil mit Realabgaben, eingeführt zu haben.

Der Neujahrstag in Nom |FW|^ie andere Völker des Alterthums feierten auch die alten Römer das

BvaW 8est der Wintersonnenwende in fröhlicher und heiterer Weise,

als die Zeit, wo die menschliche Brust nach längerer Verkürzung und Be­

schränkung des Tageslichtes wieder aufathmet und hoffnungsvoll dem Wieder­

erwachen der verjüngten Mutter Erde entgegenharrt.

Wahrscheinlich begann

sogar das älteste römische Jahr mit dem kürzesten Tage und war das Solstitium

zugleich eine Neujahrsfeier.

Als jedoch diese Bedeutung in den Hintergrund

trat, begann man dafür am 19. Dezember das Andenken an das goldene Zeit­

alter unter der Herrschaft Saturns zu erneuern und suchte sich durch Aufhebung .aller Trauer und Werkeltagsthütigkeit und durch Herstellung einer ungezügelten Freiheit und Gleichheit in jene ideale Zeit der Unschuld zu versetzen, welche die unlogische Phantasie so gern in die graue Vorzeit zurückdatirt.

Das Neujahr

trennte sich nun von den Saturnalien, die sich später zu drei Tagen (17. 18.

und 19. Dezember) und mit Hinzurechnung des Puppenmarktes (der Sigillarien) zu einet* Woche erweiterten, und siel auf den ersten März, den ersten Tag des

zehnmonatlichen Jahres.

Auch nachdem König Numa die Monate Januar

uud Februar dem Jahre hinten angefügt hatte, scheint mit diesem Tage das neue Jahr begonnen zu haben, und vielleicht darf man die später an den Kalen­

den des März noch gefeierten Matronalien, an welchen die Frauen für das

Glück der Ehe opferten, Geschenke erhielten und ihren Sklaven, wie die Haus­ herren an den Saturnalien, Festmahle gaben, als eine Spur jener alten Sitte

betrachten.

Wann der Jahresanfang sich wieder der Wintersonnenwende ge­

nähert hat, läßt sich nicht einmal annähernd bestimmen, da die Antrittszeit der

Konsuln, die allerdings erst seit 153 v. Chr. auf den ersten Januar verlegt worden ist, deshalb gar nichts beweist, weil sie vor diesem Jahre beinahe alle

176

Der Neujahrstag in Rom.

fünfzig Jahre gewechselt hat.

Es ist sogar möglich, das schon in sehr früher

Zeit der März als erster Monat zählte, ohne daß das Jahr mit seinen Kalenden

begonnen hat. Wenn wir uns in das Leben eines römischen Neujahrstages hineinver­

setzen wollen, müssen wir sehr früh das Lager verlassen.

Die Hauptstadt der

alten Welt erwachte überhaupt beim ersten Hahnenruf, lveil sie bald nach

Sonnenuntergang zur Ruhe ging, und schon an gewöhnlichen Tagen waren die

Straßen vor Sonnenaufgang stark belebt.

Nach dem Verlassen des Lagers be­

eilten sich die Hausgenossen, einander zu beglückwünschen, und bemühten sich, dabei nur Worte von guter Vorbedeutung zu brauchen, weil eine einzige Unvor­

sichtigkeit den Segen des ganzen Jahres zu bedrohen schien.

Alls derselben

Rücksicht enthielt man sich jedes Gezänkes und Streites und aller Flüche.

Ja,

weil eben Alles, was man an diesem Tage that, bedeutungsvoll für die bevor­ stehende Zeit war, feierte man das Neujahr nicht, wie andere Festtage, durch

Enthaltung von jeder Arbeit, sondern es herrschte der allgemeine Brauch, daß Jedermann etwas von seinen gewöhnlicheil Geschäften vornahm, um Trägheit

und Erfolglosigkeit in der Zukunft von sich fern zu halten. Deshalb versuchte sich der ackerbautreibende Theil der Bevölkerung in mancherlei ländlichen Arbeiten,

die Handwerker machten sich mit ihrem Werkzeuge etwas zu schaffen, die Lite­ raten erprobten die Gunst der Musen an kleinen schriftstellerischen Produkten, die

Sachwalter ließen vor den Tribunalen des Forums ihre Stimme ertönen. Im

Jahre 18 n. Chr. veranlaßte diese Sitte einen komischen Vorfall, der aber so­ gleich als unglückliches Omen aufgefaßt und später auf den Tod desGermanikus

gedeutet ward. antreten.

Der Konsul Norbanus sollte am Neujahrsmorgen sein Amt

Eine große Menge von Gratulanten hatte sich bereits vor dem

Hause eingefunden; der neue Würdenträger war längst aufgestanden und festlich

geschmückt; bevor er aber die Besuchenden empfing, griff er noch schnell nach seiilem Lieblingsinstrumente, der Trompete, derell Berührung ihm die vielfachen Tagesgeschäfte nicht nlehr erlaubt hätten, und entlockte derselben einige schmet­

ternde Fanfaren, die den erschreckten Zuhörern Unglücksahnungen einflößten.

Viel Zeit wurde übrigens auf die Geschäfte uird Künste rächt verwendet, und es

hatte bei einem bloßen Probiren, oder, wie Ovid sagt, einem „Kosten" sein Bewenden, weil die Zeit des Morgens anderweitig bedeutend in Anspruch ge­

nommen wurde. Die Frauen wallten nach den Tempeln, wo die Opferflammen, von Weihrauch und cilicischem Safran duftend, sich in den vergoldeten Decken spiegelten, während auch dem Beginner des Jahres, dem doppelgesichtigen Vater

Janus in seinem fast nie geschlossenen Doppelbogen am Fuße des Kapitols Weih­

rauch, Wein, Salzschrot und ein in besonderer Form, nach Art übereinander gelegter Finger gebackener Opferkuchen dargebracht wurde.

Natürlich bezogen sich fast

alle Gebete der Frommen auf die Verbesserung der äußeren Glücksumstünde im

neuen Jahre. Um so mehr fiel es auf, als ein gewisser Manins, ein großer Schlemmer, aber geistreicher Mensch, am ersten Januar im Jupitertempel laut den Gott bat, ihm doch 40,000 Sesterzen Schulden zu verleihen! Als seine Nachbarn sagten: „Bist Du toll, daß Du an einem so bedeutungsvollen Tage um Schulden bittest?" flüsterte er: „Wundert Euch nicht! Ich habe 80,000!" Bei den Männern scheint übrigens, wie oft bei uns, der Herrendienst dem Gottesdienste vorgegangen zu sein; denn die Besuche an diesen Tage waren da­ mals eine Pflicht, der sich Niemand "entziehen konnte. In den früheren Zeiten der Republik hatte es das hörige Verhältniß der Klienten zu ihrer: Patronen mit sich gebracht, daß jene ihren vornehmen Gön­ nern die Aufwartung zu machen hatten. Später, als dieses innige Band sich gelockert hatte, wollte jeder reiche und eitle Mann ein dienstfertiges Hofstaats­ personal um sich haben, das ihn auf seinen Ausgängen begleitete und am Morgen unterthänig begrüßte. Und da diese Dienste täglich mit 25 As (2 Mark) bezahlt zu werden pflegten, so sand sich eine Menge müßiger Menschen, die aus Armuth und Eigennutz die erheuchelten Zeichen der Anhänglichkeit zur Schau trugen. Alle diese versäumten es nicht, am Feste des Janus in geschäftiger Schnelligkeit die Straßen zu durcheilen, die Hallen der Reichen zu füllen und mit dem ge­ wöhnlichen Morgengruße (Ave — Sei gesegnet) ehrfurchtsvolle Wünsche für das Wohl des gnädigen Gönners (die Klienten pflegten ihre Brodherren auch „Könige" zu nennen) zu verbinden. Natürlich machten auch Freunde unterein­ ander Gratulaüonsbesuche und die in amtlichen Verhältnissen Stehenden ihren Vorgesetzten. Am größten war die Zahl der Gratulanten in den Vorhallen des kaiserlichen Palastes, wo auch sonst täglich je nach der Leutseligkeit der Kaiser eine größere oder geringere Schaar von Bürgern ihre Ergebenheit be­ zeigte. Augustus gab selbst dem Niedrigsten persönlich Gehör; aber Klaudius und die nächsten Kaiser stellten Visitatoren an, die alle Personen sorgfältig nach verborgenen Mordgewehren durchsuchten, bis Vespasian diesen'handgreif­ lichen Mißtrauensbeweisen ein Ziel setzte. Die Besuche am Morgen des ersten Januars zeichneten sich übrigens alle durch eine auffallende Flüchtigkeit und Kürze aus. Man durfte feine Gönner und Bekannten nicht davon abhalten und wollte es auch selbst nicht versäumen, die ersten Beamten der Republik und dem Scheine nach auch der Kaiserzeit, die Konsuln, zu beglückwünschen, welche, wie schon erwähnt, seit 153 v. Chr. am Neujahrstag ihr Amt antraten. Vor ihren Häusern warteten in der Frühe die Senatoren und Ritter, um eingelassen zu werden, das Volk, um sich der feierlichen Prozession nach dem Kapitol anzu­ schließen. Man muß hinsichtlich dieses Festzuges die Zeit vor und nach dem zweiten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung wohl unterscheiden. Wahrend der Republik und unter den ersten Kaisern waren die Zeren:onien noch einfach. Der neue Konsul begann den Tag mit Gebet und Beobachtung bedeutungskräftiger Göll, Kulturbilder. 1.

12

Der Neujahrstag in Rom.

178

Vorzeichen, wozu besonders das gierige oder langsame Fressen heiliger Hühner

gedient zu haben scheint. Doch hatte er nicht nöthig, dieselben vorher aushungern zu lassen oder nach dem Beispiele eines rationalistischen Feldherrn im ersten

punischen Kriege zu verfahren, der sie mit den Worten, sie möchten trinken, wenn sie nicht fressen wollten, ins Wasser warf; denn es ist kein Fall bekannt,

wo ein ungünstiges Vorzeichen den Amtsantritt aufgehoben hätte.

Nachdem

der Religion Genüge geschehen war, legte er das Amtskleid der höheren Ma­ gistrate, die faltenreiche, mit einem breiten Purpurstreifen verbrämte Toga, vor dem Altare seiner Hausgötter an und ließ die Thüren des Atriums (des großen Familienzimmers, Salons) der harrenden Menge der Besucher öffnen, um deren freundliche Worte und Küsse in Empfang zu nehmen.

Natürlich war es hierbei

für Sejan, den anmaßenden Günstling Tiber's, ein böses Omen, daß sein

Sessel durch den ungestümen Andrang der servilen Menge in Stücke ging, sowie

daß beim Beginne des Zuges eine geängstigte Katze ihm über den Weg lief! Nach der Gratulationsaufwartung scheint sich die Prozession in der Weise

geordnet zu haben, daß die Ritter, geschmückt mit einer purpurn und weiß ge­

streiften kürzeren Toga (der Trabea) und durch die vom Halse bis zum Saume am Unterkleide, der Tunika, hinablaufenden schmäleren Purpurlinien sich von

den Sellatoren unterscheidend, den Zug eröffneten.

Wahrscheinlich folgte dann

das Opferthier, ein weißes, fleckenloses Rind, mit Lorbeerkränzen, vergoldeten

Hörnern und purpurnen Binden geschmückt.

Es wurde gewöhnlich von den

fetten Weiden am Flusse Klitumnus geholt, sollte nie am Joche gewesen sein und mußte eine besonders sanfte Gemüthsart haben, da es weder stark brüllen, noch am Stricke reißen durfte! Flötenspieler, die bei der Opferhandlung selbst

nöthig waren, begleiteten es.

Hinter diesen und unmittelbar vor dem Konsul

schritten nun einzeln hintereinander dessen zwölf Liktoren, die Faseen oder Ru-

thenbündel, das Zeichen der Herrschergewalt, schulternd, und einer von ihnen trug den elfenbeinernen kurulischen Stuhl, ebenfalls eine Auszeichnung der

höheren Beamten, der wie unsere Feldstühle zum Zusarnmenklappen eingerichtet

und, ohne Lehne, mit kunstvollen Schnitzereien und geschweiften Füßen ausge­ stattet war.

Die Senatoren, außer dem breiten Purpurstreifen an der Tunika

noch an den hochgeschnürten, mit elfenbeinernen Halbmonden versehenen Schuhen

kenntlich, gingen dem Konsul zunächst und an sie schloß sich die übrige Volks­ menge an.

Es wäre nun für uns freilich leichter zu denken, daß beide Konsuln

von einem Hause aus, gesellig neben einander wandelnd, auf das Kapitol ge­ zogen wären; allein es liegt keine Andeutung dafür vor; im Gegentheil spricht

der verbannte Ovid, wo er sich den Zug eines Gönners ausmalt, nur von einem Konsul und der spätere Dichter Klaudian erwähnt den Umstand, daß

die beiden Brüder Ani cius OlhbriusundAnieius Pr o binus im Jahre 395

zusammen durch die Stadt zogen, als etwas Besonderes.

Nachdem man

179

Der Neujahrstag in Rom.

die Höhe des kapitolinischen Berges erreicht hatte, bestieg der Konsul das vor dem Jupitertempel befindliche Tribunal (eine viereckige Erhöhung oder Bühne)

und nahm, auf dem kurulischen Sessel sitzend, die vorgeschriebene Prüfung des von den Priestern bereits sorgfältig auserwählten Rindes vor, indem er dem­ selben Wasser und Wein auf den Kopf sprengte.

Machte es dabei eine Be­

wegung, so galt es für tauglich, wo nicht, für unbrauchbar. Darauf wurde das Opfer an den Altar geführt; ein Herold gebot dem Oberpriester und dem Kon­

sul, die heilige Handlung mit Andacht zu verrichten, dem Volke, sich ruhig und still zu verhalten.

Der Konsul faßte den mit Lorbeer und wollenen Binden

umwundenen Altar und sprach unter dem Klange der Flöten die Gebetformel

für das Wohl des Staates mit den dazu gehörenden Gelübdeir den: Priester nach, der sodann mit Wein, Wasser und Salzschrot das Thier weihte, die

Sürnhaare wegschnitt und ins Feuer warf, worauf die Opferschlächter ihr Amt verrichteten.

Nun kam bekanntlich auf die Beschaffenheit der edleren Einge­

weide, besonders der Leber, viel an, und die Eingeweideschauer (Haruspices)

begannen zu schneiden, zu sortiren und zu kochen.

Die eine Seite der Leber

hatte Bedeutung für den Opfernden, die andere für die Feinde; einer hervor­ ragenden Stelle, „Kopf" genannt, schrieb man den meisten Einfluß zu; sein Nichtvorhandensein war das schlimmste Zeichen, seine Verdoppelung verhieß

Entzweiung, seine Abreißung eine plötzliche Veränderung, und aus der Farbe gewisser Adern schloß man sogar auf ein dürres oder nasses Jahr.

Waren die

Eingeweide fehlerhaft, so mußte ein anderes Thier geopfert werden und so oft mehrere. Die neuen Konsuln warteten die Ergebnisse nicht ab, sondern begaben sich nach Beendigung der Opferzeremonien sofort in die Senatssitzung, die eben­ falls auf dem Kapitole entweder im Tempel des Jupiter selbst oder dem

einer andern Gottheit abgehalten wurde.

Hier wurden meist religiöse Gegen­

stände verhandelt, z. B. die Feststellung des latinischen Bundesfestes auf dem albanischen Berge, jedoch auch die Lage des Staates, die Vertheilung der Pro­ vinzen, Krieg und Frieden u. s. w.

Vom Volke uiib dem Senate geleitet,

kehrten dann die Konsuln nach Hause zurück. In der Kaiserzeit erweiterte sich diese einfache Feierlichkeit allmählich zu

einem solchen Gepränge, daß zwischen dem glanzvollen Festzuge am Neujahrs­

tage und dem damals selten gesehenen Triumphe nur ein geringer Unterschied übrig blieb. Je mehr aber der äußere Flitterputz stieg, desto ohnmächtiger wurde

das konsularische Amt, und obgleich es bis in die letzten Zeiten des weströmischen Reiches für die höchste Auszeichnung und Gunstbezeigung von Seiten der

Kaiser galt, so konnte durch seine Verleihung doch nur die Eitelkeit gekitzelt, ein

falscher Ehrgeiz befriedigt werden, und als bei der wechselnden Prachtliebe und Verschwendung der Kaiser und der dadurch bedingten Verwöhnung des Publi­

kums die Kosten des Konsulates eine immer kolossalere Höhe erreichten'(sie 12*

betrugen endlich 2000 Pfund Gold = 1,728,000 Mark), führten Manchen die kaiserliche Gnade und der Glanz weniger Wochen (die Amtsdauer verringerte

sich bald auf zwei Monate) zum Bankerotte. Zuerst wurde der Ehrendienst, welchen man den Konsuln durch Beglück­ wünschung und Begleitung am ersten Januar erwies, für die Bekannten des­ selben eine recht lästige Pflicht. Die Konsuln ließen bald förmliche Einladungen dazu ergehen und selbst in der Ferne war man skrupulös in der Wahl der Entschuldigungsgründe. Der beredteSymmachus (unter Theodosius) fühlte sich sogar von Frankreich aus verpflichtet, auf eine Einladung die Kürze der Tageszeit, die strenge Kälte und den Mangel der Postverbindung vorzuschützen; ein anderes Mal eilt er deshalb von Rimini nach Rom. Ferner war es schon vor Trajan^s Zeit Sitte geworden, daß die Konsuln die ihnen an ihrem Ehrentage erwiesene Höflichkeit durch ein Geschenk zu vergelten suchten. Die gewöhnliche Gabe war ein Goldstück, ein Louisdor an Werth. Der Kaiser Gallienus hatte zu seiner Beglückwünschung sogar das schöne Geschlecht eingeladen und war so galant, jeder Dame beim Handkusse vier Goldstücke zu geben. Außerdem werden auch noch silberne Schalen oder Körbchen erwähnt und als allgemein gebräuchliche Gabe Notiztäfelchen oder Diptycha. Diese be­ standen aus zwei elfenbeinernen Deckeln, welche innen mit Wachs überzogen waren, außen aber in Gold ausgelegt, den Namen und das Bildniß des Konsuls enthielten und einen purpurnen oder goldenen Rand hatten. Anstatt weißer, mit Purpur verbrämter Kleider trug der Konsul die eigentlich zu Jupiters Garderobe gehörenden Triumphalgewänder, purpurfarbig und mit Gold gesttckt oder besetzt. Besonders die Tunika zeichnete sich durch die Pracht der Stickerei aus, indem auf ihr Palmen und menschliche Figuren ausgeführt waren. Der Kaiser Gratian schenkte seinem Lehrer Ausonius ein Unterkleid mit dem ein­ gewirkten Bilde seines Vaters Konstantins und auf des tapferen Stilicho's Kleide denkt sich der Dichter Kl au di an ein Gemälde, das vier Hochzeiten dar­ stellte. Daher starrten und knisterten diese Gewänder von Gold und man kann sich von der Last derselben eine Vorstellung machen, wenn man hört, daß das Gold an den Kleidern der Tochter Stilicho's, der Kaiserin Maria, deren Grab man im 16. Jahrhundert öffnete, 36 Pfund wog! In der Hand führten die Konsuln ein elfenbeinernes Szepter mit einem Adler an der Spitze und an den Füßen weiße, später goldene Schuhe. So fehlte zur Vervollständigung des Triumphalaufzuges nur zweierlei: der große goldene Kranz vom Haupte Jupiter's, welcher von einem Sklaven über den Triumphator gehalten wurde, und der hohe, vergoldete Prachtwagen, in welchem derselbe zu stehen pflegte; doch wurde auch dieser Auszeichnung der Konsul theilhaftig, wenn er am dritten Januar, vor Beginn der Spiele, die Götterbilder in den Cirkus Maximus führte. Am Neujahrstage gingen aber die Konsuln

dennoch nicht zu Fuße auf das Kapitol, sondern erschienen auf einem von stäm­ migen Sklaven getragenen, mit Silber und Gold verzierten Tragsessel. Sonst blieb die Ordnung und Zusammensetzung des Zuges wol dieselbe. Nur die Liktoren umwanden später, wie beim Triumphe, ihre vergoldeten, mit rothen Riemen geschnürten Fascen mit Lorbeer und wagten es auch, die blitzender: Beile in dieselben zu stecken, die man früher aus Achtung vor der Volkssouveränetät nur im Lager zu zeigen pflegte; und die weiße Toga der Senatoren und Bürger erinnerte deutlicher als früher an einen Festtag, da die National­ tracht im gewöhnlichen Leben immer mehr außer Gebrauch kam. Sobald sich aber die Prozession in Bewegung setzte, war die Volksmenge noch dichter, der Lärm und das Drängen noch viel stürmischer als in der alten Zeit, nicht weil die Theilnahme oder auch nur die Neugier zugenommen hatte, sondern weil die Konsuln Geld unter das Volk streuten. Da hierin Einer den Anderen an Frei­ gebigkeit überbot, behielt ein Gesetz des Kaisers Theodosius Goldmünzen dem Kaiser vor und besümmte als größtes Silberstück beim Geldauswerfen eine Münze von ungefähr einer Mark. Endlich wurde aber der Skandal am Neujahrstage manchen Regenten lästig. Man schlug sich mit Steinen und Stöcken, und wer so glücklich war, etwas zu erhaschen, brachte nichts mit nach Hause, sondern verjubelte es an demselben Tage. So schafften denn Valentinian der Dritte und Mareian (452) das Geldstreuen der Konsuln ab und verwandelten es in eine feste Abgabe von 100 Pfund Gold zum Besten der Wasserleitungen. Allein schon in den nächsten 70 Jahren gaben nur die Aermsten und Geizigsten nichts, während fast Alle Dispens erbaten und erhielten, bis Justinian im Jahre 536 das Verbot wieder aufhob. Sein Neffe, Justin der Zweite, ließ beim Antritte seines Konsulates auf dem Markte zu Konstanti­ nopel ein vier Stockwerke hohes Gerüste bauen, auf welchem das Volk den Geldregen auffing. Sein Zug ging übrigens in die Sophienkirche. Die Senatsfitzmlg am ersten Januar wird auch in der Kaiserzeit vielfach erwähnt und erhielt dadurch noch mehr Bedeutung, daß die neuen Konsuln einen Eid auf Aufrecht­ erhaltung der Gesetze ablegten (was sie früher innerhalb der ersten fünf Tage vor dem Volke thaten) und dem Senate den Eid der Treue gegen den Kaiser ab­ nahmen, und daß einer von ihnen dem Kaiserim Namen des Staatesund in seinem eigenen zu danken hatte. Diese Reden waren meist geschraubt und auf Effekt berechnet, knechtische und geschmacklose Machwerke der Schmeichelei. Endlich übten auch die Konsuln an diesem Tage stets eine amtliche Handlung, die später beinahe den einzigen Rest ihrer früheren Gewalt bildete: sie schenkten einigen Sklaven die Freiheit und zwar nach der ältesten, feierlichen Weise, wobei ein Liktor dem Herrn die Gewalt über seinen Sklaven absprach, indem er mit einem Stäbchen letzteren auf den Kops schlug, woraus der Herr den Freizulassenden herumdrehte und losließ, der Konsul aber ihn für frei erklärte.

182

Der Neujahrslag in Rom.

Bei Privatleuten füllte den übrigen Theil des Tages ein allgemeiner Austausch von Geschenken, die ebenfalls eine gute Vorbedeutung haben sollten.

Sie hießen Strenae und bestanden ursprünglich aus sehr einfachen Dingen.

Einen Zweig vom Lorbeerbäume, dem Symbol der unzerstörbaren Lebensfrische, soll man schon unter dem König Tatius aus dem auf dem Esquilin gelegenen

Haine der Göttin Strenia (einer Personifikation der Rüstigkeit, Gesundheit)

geholt und einander als glückverheißendes Zeichen geschenkt haben. Hierzu kamen

später als Gaben, die so gewöhnlich waren, wie unsere vergoldeten Nüsse,

Aepfel und Lebkuchen zu Weihnachten: Datteln, an ihrem Zweige hängend und mit Goldschaum überzogen; karische, getrocknete Feigen oder Damascener-

pflaumen, die in gewundenen, spitzen Düten aus gebranntem Thone verkauft

und übersandt wurden, und Honigscheiben.

Alles dies sollte nach Ovid be­

deuten, daß das neue Jahr seinem süßen Anfänge gemäß verlaufen möchte. Auch ein Geldstück gehörte zu diesen Süßigkeiten, und zwar ursprünglich der As, eine Kupfermünze, die den Januskops auf ihrem Gepräge führte.

schon Ovid sagt von seiner Zeit:

Allein

„Eine bessere Vorbedeutung liegt jetzt im

Golde, und besiegt ist die alte Münze der neuen gewichen;" und später suchte nur der Arme und der Geizhals zu seinen vergoldeten Datteln einen alten As

zu bekommen, da die Kaiser auch den Kupfermünzen ihre eigenen Köpfe oktroyirten. Da nun aber auch sehr bald jene konventtonellen Leckereien, wie bei unserem

Weihnachtsfeste, Nebensache wurden und der Anstand werthvollere Geschenke

verlangte, wurde durch das Neujahrsfest der ohnehin durch die kurz vorherge­

gangenen Saturnaliengeschenke geschwächte Geldbeutel wieder bedeutend in An­

spruch genommen.

Das Schlimmste dabei war, daß jedes Geschenk der Sitte

gemäß mit einer Gegengabe erwiedert werden mußte.

Fir der älteren Zeit

hatten wol an den Saturnalien und wahrscheinlich auch am Neujahrstage die

Patrone von den Klienten, als ihren Schutzgenossen, allerhand ansehnliche Gaben an Geld oder Naturalien erpreßt und dieser Mißbrauch hatte sogar ein Gesetz veranlaßt, das die Saturnaliengeschenke der Klienten auf Wachskerzen beschränkte; allein in der Kaiserzeit, wo die Klienten ganz und gar von den Patronen unterhalten wurden, trat gerade das umgekehrte Verhältuiß ein: die

Neujahrsbettelei wurde bereits eine Qual für die Wohlhabender:; die Wurst

wurde nach der Speckseite geworfen, oder wie Martial sagt: Geschenke gleichen Angeln; denn wer weiß es nicht, Daß schnappend nach der Fliege sich das Fischlein fangt?

Eben deshalb schreibt derselbe an seinen Freund Stella: Daß weder Silber noch Gold wir sendeten Dir zum Geschenke, Deinetwillen geschah's, Stella, beredter Poet! Jeder, der Großes verschenkt, wünscht Großes dafür zu empfangen; Unsere irdene Gab' wird Dich entheben der Last.

Das Hauptgeschenk an den Saturnalien, die Sigilla, kleine Figuren aus Terrakotta, aber auch aus Silber und Gold, Wachs und Glas, spielte auch am

Neujahrstage eine Hauptrolle.

Mit diesen Spielereien beschenkten die Aeltern

ihre Kinder, und diese erhielten Geld, um sich wieder einander zu überraschen. Auch die Erwachsenen neckten sich durch solche Attrapen, welche die Kunstfertig­ keit der römischen Plastiker in großer Vollkommenheit lieferte. Elagabal ließ

zuweilen seinen Gästen alle Gerichte, die er aß, in Wachs oder Glas nachge­ bildet, vorsetzen, und nach Plinius^ Zeugniß gab es Aepfel und Trauben aus

Wachs, die von den natürlichen nicht zu unterscheiden waren. Auch die Kuchen­ bäcker und Konditoren lieferten ihre Beiträge mus Honigteig in tausenderlei

zierlichen Formen und bildeten wahrscheinlich auch die irdenen Menschenfigürchen

in Marzipan nach (Marei panis bekanntlich aus der in Venedig üblichen Dar­ stellung des Evangelisten Markus in Honigteig entstanden).

Alle diese Gegenstände kaufte man nach den eigentlichen Saturnalien auf der Sigillarmesse ein, welche vielleicht eine ganze Woche dauerte und theils in

der Nähe des Pantheon auf deni Marsfelde, theils bei den Thermen Trajan's auf dem Esquiliri abgehalten wurde. Dort fand man aber in den weißen Lein­ wandbuden außerdem die verschiedensten Gegenstände: alle Arteil von Eßwaaren

und Leckerbissen m Geulüsen, Fleisch und Fischen, kostbare Gefäße und Bijouteriewaaren, Zeuge und fertige Kleider, Toilettengegenstände, elegante Möbeln, kurze Waareil jeder Art, Waffen, Gemälde und sogar Bücher.

Wir besitzen

noch ein reiches Verzeichniß solcher Sächelchen im dreizehnten und vierzehnten

Bilche der Epigramme Martial's unter dem Titel Xenia und Apophoreta. Jener Name bezeichnet ursprünglich Geschenke an Lebensmitteln, die nran dem Gastfreunde, welchem bei den Alten eigentlich nur Wohrurng gewährt wurde, zuschickte; dieser Viktualien oder Luxusartikel, die bei den Gastmahlen in Rom

den Güsten in der mitgebrachten Serviette mit nach Hause gegeben wurden. Beider Bezeichnungen bediente sich der Dichter für seine Distichen (zweizeilige

Gedichtchen), die er als passende Devisen oder Ueberschriften für alle nur er­

denklicher: Geschenke verfertigte. Seine 124 Xenien kosteten bei Tryphon, dem Verleger, 87 Pfennige, und Martial meint scherzend, der Buchhändler ge­

winne doch dabei fünfzig Prozent.

Es kam auch vor, daß man eine Karte mit

einer solchen Devise und dem Namen eines verschenkbaren Gegenstandes be­

schrieben, allein übersandte; doch wird dies bloß unter guten Freunden als eine an unsere Neujahrskarten erinnernde Fopperei stattgefunden haben, oder

aus dem Grunde, welchen Martial selbst angiebt: Senden auch kannst Du dem Freund die Disticha statt des Geschenkes, Wenn Dir so dünn, wie mir, ist in der Börse das Geld.

Bei der Allgemeinheit der Sitte scheuten sich auch die Kaiser nicht, vom

184

Der Neujahrstag in Rom.

römischen Volke am Neujahrstage Geldgeschenke anzunehmen. Unter Augustus'

Regierung scheinen anfangs alle Stände in Folge eines für die Gesundheit des Kaisers geleisteten Gelübdes eine Kollekte veranstaltet zu haben.

Ungefähr in

der Mitte des Forums lag ein eingefriedigter Platz mit einer brunnenartigen

Vertiefung, der sogenannte Weiher des Kurtius, wo einst ein tief klaffender Schlund sich über dem edelsten Gute Roms, dem hochherzigen Jünglinge

M. Kurtius,. der sich in voller Rüstung auf glänzend geschmücktem Rosse hinabstürzte, geschlossen haben sollte.

Offenbar zur Nachahmung dieses Opfers

warf jeder dorthin für den Kaiser ein Geldstück, gewöhnlich einen As.

Später

machte man ihm am ersten Januar auf dem Kapitole bald kleinere, bald größere Geschenke, die er persönlich in Empfang nahm.

Augustus hütete sich wohl,

diesen Sammlungen den Schein von Erpressungen zu geben, und verwendete

die eingegangenen Summen zur Stiftung öffentlicher Kunstwerke.

Noch heute

befindet sich in Rom eine Marmorinschrift zu einem dem Vulkan geweihten Denkmale, das er von dem am Neujahrstag des Jahres 9 n. Chr. einge­

kommenen Gelde hatte errichten lassen.

Auch daß er nach derr Berichten der

Biographen in Folge eines Traumes an einem bestimmten Tage den Bettler

vor dem Volke spielte, ist eher aus dem Glauben zu erklären, daß durch frei­ willige Demüthigung die drohende Nemesis versöhnt werden könne, als für

eine geschickt erfundene Zwangssteuer anzusehen.

Sein Nachfolger zeigte eine

glänzende Freigebigkeit, wo es die Noth exheischte; aber er haßte alle un-

nöthigen Ausgaben und hatte daher schon zu Augustus' Lebzeiten die durch die Gegengeschenke verursachte Geldverschleuderung getadelt. Selbst zur Regierung gelangt, wich er den Gratulanten aus, indenr er den Neujahrsmorgen außer­ halb der Stadt zubrachte. Später fügte er sich doch bisweilen dem Herkommen,

nahm eigenhändig die Gaben in Empfang und schenkte dafür den vierfachen

Betrag.

Als er aber durch die Zudringlichkeit solcher, die ihn am Neujahr

nicht getroffen hatten oder beim Gedräilge nicht ankommen konnten, beinahe den ganzen Monat über belästigt wurde, verbot er die Fortsetzung des Geschenk-

tausches über den ersten Januar hinaus, eine Maßregel, für die ihm gewiß

Viele Dank wußten.

Wie unwürdig benahm sich dagegen Kaligula! Sein

Tigerherz konnte überhaupt des Blutes nicht genug fließen sehen, und seine ewige Geldverlegenheit, in Folge unsinniger Verschwendung, reizte ihn leicht zum Morde reicher Leute, deren einziges Verbrechen dann ihr Vermögen war.

Als

endlich auch sein Versuch, aus Auripigment Gold zu machen, fehlgeschlagen war,

erniedrigte er sich so weit, daß er förmlich bekannt machte, er werde am Neu­ jahrstage die Strenen in Empfang nehmen, und ließ wirklich, im Vorhofe des

Palastes stehend, dieselben vor sich niederlegen.

Daß seinem Winke von Jeder­

mann Folge geleistet wurde, und daß diese Peterspfennige nicht bloß aus abge­

führten Assen bestanden, sieht man aus Sueton, der darüber berichtet, es

185

Der Neujahrstag in Rom.

hätten alle Stände „mit vollen Händen und vollen Schößen" gespendet! Von

einer Gegengabe schweigt der Biograph.

Selbst während seiner Abwesenheit

bezeigte der Senat denr leeren Sessel des Kaisers im kapitolinischen Tempel seine Reverenz und legte das Neujahrsgeld vor demselben nieder.

Klaudius

machte diesen Erpressungen ein Ende und verbat sich alle Neujahrsgeschenke,

ohne jedoch die Sitte selbst aufzuheben. Von dieser Zeit ab erwähnen die Schriftsteller lange nichts von der Be­ schenkung der Kaiser, und erst int vierten Jahrhunderte, unter den Briefen des

Symmachus, findet sich ein Gratulationsschreiben an die Cäsaren Valentinian, den Zweiten, und Theodosius, nebst dem der Verfasser als Stadt­ präfekt int Namen des Richterstandes „die üblichen Opferschalen mit je fünf Gold­

stücken" übersandte. Wahrscheinlich bestanden diese Schalen schon aus dem Pfund Gold, dessen Darbrurgung mit den „probehaltigen Goldstücken" ein Ge­

setz der Kaiser Honorius und Arkadius später gnädig gestattete.

Erst der

oströmische Kaiser Leo, der Erste, hob dieses Angebinde auf. Dagegen dauerten auch die früher üblichen Gegengeschenke von Seiten der Kaiser fort, namentlich

an die kaiserlichen Beamten, für welche sie eine Art Besoldungstheil waren. So

verschaffte unter Gratian der Dichter Ausonius einem Freunde, der bei der Austheilung vergessen worden war, dem Professor Ursulus in Trier,

noch nachträglich sechs Louisdor; in einer genauen Gehaltsspezifikaüon des nachmaligen Kaisers Klaudius, des Zweiten (268 n. Chr.), als Legions­

obersten, figuriren auch unter dem Titel „Neujahrsgeschenk" 47 ganze und

160 Drittellouisd'or (damals Philipped'or genannt), und zwar mit des regie­ renden Kaisers Bildnisse, und noch ein Gesetz des Oströmers Anastasius ver­ spricht die Neujahrsgratifikation den Sachwaltern als Belohnung und „Trost."

Der Neujahrstag endete in Rom mit einem Schmause, den die Konsuln zur Feier ihres Amtsantritts den Behörden und Senatoren auf dem Kapitole gaben.

Dabei ging es hoch her und Plinius hat uns sogar die Namen der

Weinsorten aufbewahrt, die Cäsar seinen Gästen bei dieser Gelegenheit vorge­

setzt hat, nämlich Falerner (aus Kampanien), Chier, Lesbier, Mamertiner (Sicilien). Unter den späteren Kaisern scheint dieses Mahl auf kaiserliche Kosten gegeben worden zu sein. Die prächtigen Spiele, welche die Konsuln zu veranstalten verpflichtet waren, begannen erst am dritten Januar, wo auch feierliche Gebete und Gelübde für des Kaisers Wohl stattfanden, und dauerten oft bis in den Februar hinein.

Die alte christliche Kirche, die sonst so gern den heidnischen Festzeiten eine neue religiöse Weihe gab, eiferte heftig gegen Geschenke, Tänze und

Mahlzeiten nm Neujahrstage, zumal da sie den Anfang des Kirchenjahres weiter zurück verlegt hatte.

Dennoch dauerten die lustigen Schmäuse bis ins

siebente Jahrhundert fort und der Gebrauch der Strenä hat sich bekanntlich bis

186

Der Neujahrstag in Rom.

heute in Frankreich erhalten (etrennes) und auch in Italien werden dieselben noch unter dem Namen Befana (aus Epiphanias korrumpirt) am Dreikönigsfeste den Kindern gegeben, die im Glauben an eine Santa Befana am Abende zuvor ihre Kleider in die Hausflur hängen, um sich von ihr die Taschen füllen zu lassen. Die Saturnalien dagegen sind wegen des Geburtsfestes Christi weiter hinausgerückt worden und finden im heutigen Karneval einen Nachklang.

XVI. Die griechischen Milizen und Landsknechte. W^as heroische Zeitalter zeigt nach den Homerischen Gedichten bereits eine 'S ziemlich hohe Ausbildung des Kriegswesens. Der Mann trotzte damals

auf seine Waffen und betheiligte sich gern bei den oft genAg vor­

kommenden Rache- und Raubkriegen.

Dem Könige Heerfolge zu leisten wird

als eine unweigerliche Verpflichtung dargestellt, der man aus Furcht vor öffent­

licher Schande und schwerer Strafe sich nie entzog. Jedes Haus scheint wenigstens einen Mann gestellt zu haben, und in Familien, wo mehrere Söhne waren, entschied das Loos, wer mit in den Kampf ziehen mußte.

So sagt Hermes,

indem er sich für einen Sohn des Myrmidonen Polyktor ausgiebt, daß ihn unter seinen sieben Brüdern das Loos getroffen habe, dem Achilles nach Troja zu folgen.

Doch muß man beinahe glauben, daß man sich auch vou der Ver­

pflichtung loskaufen konnte, wenn man an einer andern Stelle der Jliade liest,

daß ein reicher Sikyonier dem Agamemnon eine Stute geschenkt habe, um uicht an der Heerfahrt Theil nehmen zu müssen. Plutarch freilich sieht darin bloß einen Beweis für die Klugheit des Anführers einem Feigling gegenüber.

— In der historischen Zeit, nachdem die Vergewaltigung vieler Staaten durch übermächtige Tyrannen überwunden war, findet man überall gleiche Bestand­

theile der Kriegsmacht vor: das Heer war die Nation, und die Nation das Heer. Stehende Heere in Friedenszeiten, die in unseren Tagen bei den künstlichst

organisirten Steuersystemen die Staaten aussaugen, würden nicht bloß die Finanzkräfte der griechischen Republiken überstiegen haben, sondern auch als leicht

zur Tyrannis führende und deshalb verfassungsgeführliche Einrichtungen ange­ sehen worden sein.

Auch wurde die heimische Bevölkerung, mit Ausnahme der

zu jeder Zeit gleichsam im Feldlager lebendeu Spartaner, durch ihre bestimmten

täglichen Beschäftigungen abgehalten, eine längere Zeit sich dem Kriege zu

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

188

widmen: sie betrachtete den Kriegsdienst nicht als Hauptsache und war gewohnt,

bei Einbruch der kälteren Jahreszeit vom Feldherrn entlassen zu werden.

Ein

Heer aber aus Fremden oder gar Sklaven zu bilden, das verabscheuten in der

guten Zeit alle Hellenen ohne Ausnahme; und wenn die Noth unausweichlich zu diesem Auskunfsmittel drängte, so enthob man jene nach Beendigung des

Krieges ihres verachteten Standes, so wie z. B. die Spartaner im peloponnesischen Kriege vielen Heloten, die Athener nach den Schlachten bei den Arginasen

und bei Chäronea den mitausgezogenen Sklaven die Freiheit schenkten.

Diese Ausschließung aller Nichtbürger vom Waffendienste wird durch die Stellung des Bürgers zum Staate gerechtfertigt.

Bei dem innigen Zusammen­

hänge des Heerwesens mit dem gesammten Staatsorganismus war der Kriegs­

dienst einestheils wol eine Pflicht des freien Bürgers, der keilleswegs wie der Miethling um Geld und Lohn sein Leben für andere wagte und deren Hab

und Gut zu schützen sich verpflichtete, sondern die Bewahrung und Vertheidigung

der heiligsten Güter selbstbewußt übernahm, anderntheils aber auch ein Recht, das Jeder als eine Ehre für sich beanspruchte.

Vom Nichtbürger und Unfreien

setzte man voraus, daß er ein geringes Interesse am Staate habe, ja, daß er sich deshalb wol gar gegen des Staates Vortheil gebrauchen lassen könne und

vermied es daher, ihm die Waffen in die Hände zu geben. Sogar die Gewerbe­ treibenden waren in manchen Staaten, wie auch in Athen, zum regelmäßigen

Dienste nicht verbunden, da sie unniöglich für ihre Ausrüstung und Verpflegung sorgen konnten, und außerdem wegen der durch die sitzende Lebensart herbei­

geführten Vernachlässigung der Körperbildung für untauglich zur Erfüllung der Militärpflicht gehalten wurden. Deshalb sagt auch Aristoteles: „Wo es eine große Menge Handwerker giebt, da kann der Staat volkreich und doch

seine Kriegsmacht schwach sein;" und das Handwerk war deswegen auch ver­ achtet und in einigen Staaten den Bürgern geradezu verboten.

In Rom

herrschte ja dieselbe Ansicht und noch Livius schreibt, der Konsul Aemilius

Mamercinus habe im Jahre 329 v. Chr. auch „den Handwerkerpöbel und die Stuhlhocker ausgehoben, Menschen, die sich gar nicht zum Kriegsdienste

eignen."

Hinsichtlich der Marine dagegen räth Aristoteles — und in der

Praxis geschah es auch schon in früher Zeit so — das Matrosenvolk unbe­

denklich aus Angehörigen fremder Staaten bestehen zu lassen, die Seesoldaten aber aus der Bürgerschaft zu nehmen.' In Athen wurde der junge Bürger schon bei seiner im achtzehnten

Jahre erfolgenden Mündigsprechung an seine Verpflichtung zum Waffendienste

erinnert, indem er dabei nicht nur einer körperlichen Prüfung unterworfen, sondern auch nach seiner Einschreibung in das Verzeichniß seiner Gaugenossen

dem Volke im Theater vorgestellt und dann mit Schild und Speer bewehrt wurde, worauf er einen Eid schwören mußte, durch den er sich der Vertheidigung

Die griechischen Milizen und Landsknechte. des Vaterlandes weihte.

189

Ihre Vorbereitung zum Dienst erhielt die Jugend in

den Palästren und Gymnasien durch einen vernünftigen Turnunterricht, ver­

bunden mit der Unterweisung im Gebrauche der Waffen aller Art, also durch

eine wirkliche Erziehung zum Kriege, ohne welche überhaupt die Leistungen von Bürgermilizen nicht hoch anzuschlagen sind.

Sonst folgte auf die Wehrhaft-

machung der jungen Leute zuerst ein zweijähriger Dienst daheim, indem sie

als Sicherheitswächter das Land zu durchstreifen hatten.

Bedurfte der Staat

einer Militärmacht, so erfolgte, wenn'nicht die ganze dienstpflichtige Mannschaft

erforderlich war, ein Anfgebot nach Altersklassen, entweder nach den einzelnen

Jahrgängen bis zu den Sechzigjährigen, oder in wechselnder Reihenfolge, je nach dem Beschlusse des Volkes.

Es wurde dabei eine für jeden Stamm und

Gau genau geführte Musterrolle zu Grunde gelegt, die zu Jedermanns Einsicht

öffentlich auslag.

Nur wenige außer den Gebrechlichen waren vom Kriegs­

dienste befreit: die Senatoren, die Pächter gewisser Zölle, die Großhändler und Rheder, welche durch ihr Geschäft von der Heimat fern gehalten wurden. Entzog sich ein Verpflichteter dem Dienste, so traf ihn der Verlust aller bürger­

lichen und politischen Rechte.

Die athenische Armee bestand nach der Zahl der

Volksstämme aus zehn Bataillonen, die wieder in Lochen oder Kompagnien und kleinere Abtheilungen zerfielen und deren Befehlshaber, Taxiarchen genannt,

sich durch dreifachen Helmbusch und einen Purpurrock auszeichneten.

Den

größten Theil dieser Truppen bildete die in früherer Zeit fast ausschließlich

zur Allwendilng kommende, schwergepanzerte Infanterie.

Aus Bürgern der

ersten Vermögensklasse bestehend, war diese Waffengattung zu allen Zeiten die geehrteste; es hatte auch jeder Hoplit seinen Diener, der ihm Gepäck, Proviant, und Schild auf dem Marsche nachzutragen hatte, und Thukydides erwähnt

deshalb besonders, daß nach der unglücklichen Belagerung von Syrakus die

Schwerbewaffireten und Reiter aus Mißtrauen oder aus Mangel an Knechten ihre Rüstung und Lebensmittel selbst getragen hätten.

Diesem schweren Trilppenkörper zur Seite kämpfte nun wol auch leichteres Fußvolk und Reiterei; aber die Anwendung des ersten fällt meist erst in die

Zeit, als die Söldnerheere entstanden, und wo es früher vorkam, bestand es aus Fremden und aus den minder geachteten untersten Vermögensklassen. Mit

der griechischen Kavallerie aber war es überhaupt, mit Ausnahme der thessalischen,

übel bestellt.

Schon die Bodenbeschasfenheit des Landes begünstigte die Pferde­

zucht nicht, und da auch der Unterhalt der Pferde ziemlich kostspielig war (zu

Aristophanes' Zeit wurde ein edleres Exemplar auf 900 Mark geschätzt),

so wurde der Reiterdienst nur den reichen Bürgern aufgebürdet, die dann zur Entschädigung auch in Friedenszeiten eine Art Ehrengarde bildeten und bei feierlichen Aufzügen in vollem Glanze paradirten.

Zu Solon^s Zeit bestand

die ganze Reiterei der Athener aus 96 Mann; in der Periode der Perser-

190

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

kriege wird gar keine Reiterei genannt und zur Zeit der höchsten Machtent­ faltung stellte jeder Stamm 100 Reiter, und das ganze Korps, welches fleißig im Manövriren geübt wurde und eine jährliche Musterung vor dem Rathe der Fünfhundert passiren mußte, zerfiel in zwei Abtheilungen von je 500 Mann. Die mittlere Gesammtstärke der schwerer: Infanterie in der Perikleischen Zeit betrug 13,000 Mann. Hierzu kam aber noch eine aus den jüngsten und aus den älteren Milizen bestehende Landwehr von 16,000 Mann. — Die Kosten der Ausrüstung wurden von den Bürgern selbst getragen, und von Löhnung rvar zuerst keine Rede. Als aber im peloponnesischen Kriege die Feldzüge sich

häuften und von längerer Dauer wurden, erachtete Perikles die Einführung des Soldes für eine nothwendige Maßregel, zu deren Ausführung auch die nach Athen verlegte Bundeskasse die Mittel darbot. Auch sahen die Athener im Solde nicht, wie in jedem anderen Lohne, eine Erniedrigung, sondern sie betrachteten denselben als eine Art von natürlicher Entschädigung. Die Zahlung beschränkte sich bloß auf die Feldzüge und war immer von gleicher Höhe. Gewöhnlich bekam der Infanterist täglich zwei Obolen Sold und, da an Ein­ quartierung noch nicht gedacht wurde, eben so viel für die Verpflegung (ungefähr 52 Pf. im Ganzen), der Hauptmann das Doppelte, der General das Vierfache: eine Steigerung, die unseren Offizieren nicht behagen dürfte, aber mit dem demokratischen Gleichheitsprinzip im Einklang stand. Als die Athener im peloponnesischen Kriege Potidäa belagerten, empfing wegen der Größe der Entfernung der Schwerbewaffnete zwei Drachmen täglich (1 Mark 57 Pf.), eine für sich und eine zweite für den Diener. Die Kosten der Reiterei im Frieden schlägt Xenophon jährlich auf 180,000 Mark an, was, wenn man die Verschiedenheit des Geldwerthes mit in Anschlag bringt, den Unterhaltungs­ kosten eines Kavallerieregiments in jetziger Zeit beinahe gleichkommen mag. Wiewol der athenische Staat durch seinen Handel und seine Industrie schon früh auf das Seewesen hingewiesen war und bald den Schwerpunkt seiner ganzen Macht in die Flotte legte, so lehrt doch die Geschichte, mit welchem Enthusiasmus und welcher Tapferkeit die athenischen Milizen sich stets geschlagen haben, und selbst das Schlachtfeld von Chäronea, über dem die Sonne der griechischen Freiheit unterging, bezeugt, daß die athenischen Bürger jener gesunkenen Zeit fürs Vaterland zu fechten und zu sterben verstanden. Freilich läßt es sich nicht leugnen, daß die Verfassung des Staates selbst in manchen Stücken einer strengen, auf unbedingte Subordination gebauten Disziplin hinderlich war. Vorzüglich störte die Mehrzahl von 10 Feldherrn (Strategen), die jährlich vom Volke gewählt wurden und die in den Perserkriegen sogar täglich den Oberbefehl unter sich wechseln ließen, die militärische Einheit der Führung. Und wenn auch später die Generale selten sämmtlich in den Krieg gesandt wurden, wenn auch zuweilen ein bewährter Kriegsmann, der gar nicht

191

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

zum Kollegium der Strategen gehörte, mit dem Oberkommando auf längere Zeit betraut ward, so ist doch das Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Wahl

nicht nur der Generale, sondern auch der Obersten und Stabsoffiziere durch Volksabstimmung gerechtfertigt genug, und was half den Feldherrn die unum­ schränkteste Vollmacht, wemr sie nach beendigter Amtsführung zur Rechenschaft

vor die Volksgerichte gezogen und selbst mit dem Tode bestraft werden konnten?

Timotheos und Jphikrates z. B. wurden im Bundesgenossenkriege von ihrem Kollegen Chares, dem sie sich im Kriegsrathe hinsichtlich eines zu-

liefernden Treffens widersetzt hatten, vor dem Volke angeklagt, der Feldherrn­ würde entsetzt und zu bedeutender Geldbuße verurtheilt.

Auch ihr Zeitgenosse

Kephisodotos wurde abgesetzt, um 22,500 Mark gestraft und beinahe zum

Tode verurtheilt, weil er einen ungünstigen Vertrag geschlossen hatte.

Am

berüchtigsten aber ist das Schicksal jener sechs Generale, die im Jahre 406

nach einem großen Seesiege in der Nähe von Lesbos den Giftbecher leeren mußten, weil sie nach der Schlacht durch einen Sturnr verhindert gewesen

waren, die Leichen und Schiffstrümmer zu sammeln. Demosthenes rügte diese

Unsitte mit treffenden Worten: „Es ist jetzt schimpflicher Weise dahin gekommen,

daß Jeder Eurer Feldherrn zwei- oder dreimal vor Euch auf den Tod angeklagt lvird, gegen die Feinde aber Keiner von ihnen auch nur einmal auf den Tod zu kämpfen wagt, sondern den Tod der Menschenrüuber und Kleiderdiebe dem

rühmlicher: vorzieht; denn nur der Uebelthäter soll verurtheilt sterben, der

Feldherr aber int Kampfe gegen die Feinde."

Außerdem war aber auch im

athenischen Bürger das Gefühl der politischen Gleichberechtigung zu stark, als

daß er sich in blinder Unterwürfigkeit der strengen Ordnung der Kriegszucht gefügt Hütte.

„Die größte Schwierigkeit liegt darin", schreibt General Nikias

von Syrakus aus seinen Landsleuten, „daß ich als Feldherr solchen Unord­ nungen nicht steuern kann, weil Eure Gemüther so schwer zu lenken sind."

Auch Xenophon legt einem Redner, der im thebanischen Kriege zum Bündniß mit Sparta räth, die Worte in den Mund:

„In Hinsicht auf etwas sehr

Wichtiges, auf den Gehorsam gegen die Befehlenden, sind jene am stärksten zu Lande, Ihr zur See."

Besonders strafbare Vergehen, wie Feigheit, Verlassen

des Postens, Wegwerfen der Waffen, wurden von besonderen Gerichten bestraft, wenn der Oberfeldherr nicht bereits Strafe verhängt hatte.

Daß diese auch in

Stockschlägen bestehen konnte, lehrt Plutarch im Leben des Aristeides, wo es von Pausanias heißt: „Er betrug sich gegen die Häupter der Bundes­ genossen hart und gebieterisch und ließ die gemeinen Soldaten mit Schlägen

strafen oder sie zwingen, daß sie zur Strafe den ganzen Tag über einen eisernen Anker auf den Schultern tragen mußten.

Ja, es durfte sich Keiner von den

übrigen Griechen sein Lager eher bereiten und sich aus den Bächen Wasser

holen, als bis es die Lakedämonier schon gethan hatten, so daß sogar ihre

192

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

Sklaven Alle, die sich dem Wasser nähern wollten, mit Peitschen wegtrieben." Dagegen belohnte man die Tapferen durch öffentliche Bekränzung, Errichtung

von Standbildern und Austheilung von eroberten Landstrecken, und ehrte die

Gefallenen durch feierliche Bestattung, wobei in Athen die besten Redner die

Lobrede hielten.

Das spartanische Heerwesen übertraf das der übrigen Staaten durch eine sorgfältigere Gliederung, ausgezeichnete Einschulung und seltene Präzision in

allen Zweigen des Kriegsdienstes.

Jeder spartanische Vollbürger war Soldat

bis zum sechzigsten Jahre und weiter nichts als Soldat. Die friedlichen Gewerbe,

welche für die Krieger anderer Staaten doch die Hauptsache waren, kannte man nicht und überließ sie den Schutzgenossen und Heloten.

Nach Plutarch

ließ einst der König Agesilaos, als die Bundesgenossen sich über die Last der Heerfolge beschwert hatten, dieselben zusammen an einem Orte den Spartanern

gegenüber sich niedersetzen und befahl sodann durch den Herold allen Töpfern

und Schneidern und Zimmerleuten und Maurern und endlich allen übrigen Handwerkern aufzustehn. . So standen zuletzt fast alle Bundesgenossen da,

während kein Spartaner sich vom Platze gerührt hatte, und Agesilaos sagte lachend: „Seht Ihr nun ein, wie viel Soldaten wir mehr ins Feld schicken als

Ihr?"

Xenophon nennt die Lakedämonier Künstler im Kriegshandwerk,

während die übrigen Hellenen sich demselben nur aus dem Stegreife oder als Dilettanten hinzugeben pflegten.

Und deshalb urtheilt schon Platon über die

spartanische Verfassung sehr richtig, sie bilde zwar zu militärischer Tüchtigkeit aus, aber nicht zur wahren sittlichen und geistigen Trefflichkeit, in welcher jene Tüchtigkeit auch, und zwar noch in höherem Grade, aber doch nur als ein. einzelner Bestandtheil enthalten sei.

In der Eintheilung des Heeres waren in

Sparta ähnliche Beziehungen zu den politisch-lokalen Abtheilungen des Volkes vorherrschend, wie in Athen.

Die Grundlage derselben bildeten die von

Lykurg gestifteten Verbrüderungen und Kameradschaften.

Vier Enomotien,

Rotten von 25—36 Mann, formirten einen Lochos, und aus 4 solchen Kom­ pagnien bestand eine Division oder Mora, die ein Polemarch, Kriegsoberster,

befehligte und deren das Land sechs besaß.

Es giebt dies bloß eine Gesammt-

zahl von 2400 Soldaten. Jedoch wechselt theils die Stärke der Moren bedeutend, theils sind ihnen stets so viele Periöken oder Unterthanen beigemischt, die eben­

falls als schwer bewaffnete Infanteristen dienten, daß sich bestimmte Zahlen

gar nicht ermitteln lassen.

Zum Vorpostendienst im Lager, als Avant- oder

Arriöregarde auf dem Marsche, wurden die Skiriten gebraucht, ein aus den

Bewohnern des Distrikts Skiritis gebildetes, leichtes Fußvolk.

Unausgesetzte

Uebungen im Marschiren, in Wendungen und Evolutionen aller Art, die selbst

im Lager zweimal des Tages stattfinden mußten, erzeugten jene vielbewunderte taktische Virtuosität, vermöge welcher ein spartanisches Herr blitzschnell sich

aufstellte und bewegte.

Hierzu kam aber auch noch der bereits erwähnte un­

bedingte Gehorsam gegen die Befehle der Oberen.

„Wenn der König das

Heer anführt", schreibt Thickydides, „so ist er es, der über das Ganze befiehlt;

und er ertheilt den Polemarchen seine Aufträge, diese den Lochagen, diese den Pentekosteren,

diese den Enomotarcheir und diese endlich ihren Soldaten.

Alle Befehle, die sie dem Heere ertheilen wollen, werden auf diese Art und mit

Schnelligkeit verbreitet.

Denn beinahe das ganze lakedämonische Heer besteht

aus Anführenl, und die Sorge der Ausführung dessen, was geschehen soll, fällt Vielen anheim."

Eine Menge uns überlieferter Anekdoten lehren, wie

streng jeder Subordinationsfehler gerügt wtlrde und wie den Feigen bis ans

Ende des Lebens die Schande folgte.

Biel schlechter freilich als mit dem Fuß­

volke, selbst mit der athenischen Reiterei, sah es mit der spartalüschen aus, die es vor dem Jahre 424 v. Chr. überhaupt nicht gegeben hatte.

Die Pelo-

ponnesier waren überhaupt schlechte Reiter und nach Tenophon dienten die Reichen, welche, wie in Athen, die Pferde unterhielten, nicht einmal selbst damit, sondern, wenn das Aufgebot erging, kamen andere und gewöhnlich die schwächlichsteil uitb untüchtigsten Leute, nahmen Pferde und Waffeil in Empfang und zogen ospie Vorbereitung und Uebung zu Felde. Die Schlacht bei Leuktra

giitg bloß durch die erbärmliche Haltung der vor der Front der Spartaner

aufgestellten Reirerei verloren.

Letztere war im pelopounesischen Kriege

600 Mann stark.

Die Rationalheere der Hellenen behaupteten nur so lange ihren Ruhm, als die aufopferrlde Liebe zunr Vaterlande alle Bürger beseelte, als das öffent­

liche Scbeii und der sittliche Charakter der Nation auf seinem Höhepunkte

beharrte. Als aber lvährend des peloponnesischeu Krieges, besonders in Atherl, mit der wachsenden Entfefselung und Schrankenlosigkeit aller Leidenschaften

uyd Alunaßlmgell Genußsucht urld Egoismus alle Stände ergriff und der Gemeinsintt und Patriotismus schwand, da verschmähten es die griechischen

Bürgerschaften, auch die Waffen ferner zil führen; die Palästren und Gymnasien wurden spärlich besucht und die Sitte, durch fremde Miethlinge die Kriege

ausfechten zu lassen, nahm überhand.

Die frühesten Spuren solcher Söldner­

dienste, wenll mail zuerst aus die Nationalität der Dieneilden sieht, finden sich

außerhalb Griechenlands bei dem nichtgriechischerl Volke der Kar er in 5Äeinasien.

Durch ihre Hülfe soll schon der ägyptische König Psammetich die

Herrschaft über ganz Aegypten gewonneil haberr, mit) später „schweiften sie",

wie Strabo sagt, „durch ganz Griechenland, für Sold Kriegsdienste leistend." Besonders darum hastete auch an ihrem Namen die Schmach feiler und sklavischer

Gesinnung.

Eben so gern verdingten sich die Kreter als Bogenschützen und

Schleuderer, und sie standen gleichfalls lvegen Unzuverlässigkeit in schlechtem Rufe.

Neben ihnen, die man später überall, auch bei den römischen Heeren

Göll, Kulturbilder. I.

13

194

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

als stehende Heerestheile trifft, wird am häufigsten der Arkader Erwähnung gethan.

Ihr Land, von Gebirgen ganz durchzogen, bestimmte durch feine

Natur die Bewohner zu Hirten und Jägern.

Doch glich das Leben derselben

keineswegs den idyllischen Schilderungen alter und neuer Dichter; sondern außer Mangel an Intelligenz zeigte dieses Völkchen eine große Liebe zum Kriegshandwerk, und da ihre Heimat sie nur kärglich nähren konnte, suchten sie, gleich den Schweizern, fleißig Solddienste.

Dem Lerxes sollen sie, wie

Herodot berichtet, bereits ihre Hilfe angeboten haben.

Ueber die Hälfte der

10,000 Söldner des jüngeren Kyros bestand nach Xenophons Zeugniß

aus Arkadern und Achäern. Auch Thukydides sagt, indem er die Bundesgenossen der Athener und Syrakusaner aufzählt:

„Die Mantineer aber und die übrigep arkadischen

Söldner, die gewohnt sind, gegen jeden Feind, den man ihnen anweist, zu

fechten, achteten auch jetzt, durch den Gewinn bewogen, ihre Landsleute, die mit den Korinthern gekommen waren, ohne Berücksichtigung der Verwandt­ schaft, für ihre Feinde."

So heißt es auch in einen: Fragmente des Lustspiel­

dichters Antiphanes, wo derselbe die Hauptprodukte der einzelnen griechischen Länder und Städte hernennt: „Sklaven aus Phrygien; aus Arkadien aber Landsknechte."

In der griechischen Geschichte findet man solche gedungene

Söldner zuerst als Trabanten und Leibwächter der Tyrannen, die, wie auch Lenophon sagt, keine Freude daran fanden, wassentüchtige und wohlbewehrte

Bürger zu haben, sondern fremde Truppen für geeigneter erachteten, um ihre Herrschaft zu stützen.

Der Günstling Fortuna's, Polykrates von Samos,

gewann und erhielt feine auf Gewalt gebaute Herrschaft nur durch Mieths-

truppen.

Auch Peisistratos bemächtigte sich mit Hilfe der ihm vom unvor­

sichtigen Volke selbst bewilligten 50 Keulenträger der athenischen Burg und der Oberherrschaft, und fein Sohn Hippias behauptete sich lange Zeit, selbst

den Spartanern gegenüber, durch thessalische Reiter.

Große Heere endlich,

aus allerlei fremdem Kriegsvolk zusammengesetzt, stellte:: die syrakusanischen Könige in ihren vielen bürgerlichen und auswärtigen Kriegen ins Feld und die

Republik Karthago bediente sich, wie die Handelsstaaten des Mittelalters, ausschließlich der Söldner, da ihre Bürger wegen ihrer merkantilen Interessen dem Waffendienst stets fremd blieben.

Der ältere Dionys sandte im theba-

nischen Kriege seinen Freunden, den Lakedämoniern, mehrmals Hilfsheere,

deren kelüberische Reiterei den Feinden großen Respekt einflößte.

In Griechen­

land selbst kam bereits zu Anfang des peloponnesischen Krieges das Söldnerwesen auf. Zur Belagerung von Potidäa schickten die Korinther eine Abtheilung Freiwilliger und gemiethete Peloponnesier.

Sowol Kleon, der Athener, als

fein Gegner Brafidas nahmen Thraker in Sold, und bei der sicilischen Expediüon der Athener befanden sich 80 Kreter und 700 rhodische Schleuderer.

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

195

Auch später miethete Athen 1300 thrakische Barbaren, entließ sie aber bald

wieder, da ihm die Kosten, täglich 75 Pfennig für den Mann, zu groß

waren, mit) benutzte sie dann dazu, auf dem Heimwege die Küsten Böotiens grausani verheeren zu lassen.

Die jährlich fühlbarer werdenden Folgen des

langjährigen Krieges wirkten aber rasch befördernd auf die Entwicklung des

Söldnerthums.

Eine Masse Menschen wurde durch den Krieg ihres Unter­

haltes und Vermögens beraubt und griff gern in der Noth zu jedem Erwerbs­ zweig.

Außerdem weckte der Krieg selbst die Rauflust und die Sucht nach

Abenteuern. Am meisten aber wol strömten zu den Fahnen der Condottieri jene Unzahl

Heimatloser, die durch die bliude Parteiwuth der siegenden Oligarchen oder Demokraten vertrieben worden waren.

Man kann sich kaum einen richtigen

Begriff davon bilden, in welchem Umfange dergleichen Verbannungen damals

stattgefunden haben. Schonlange vordem peloponnesischenKriege, im Jahre510 v. Chr., hatte der spartanische König Kleomenes, der Erste, auf einmal 700 Familien aus Athen vertrieben. Gleich beim Beginne des Krieges zwangen die Athener die wehrlosen Einwohner Aegina^s, ihre Heimath zu verlassen.

Lysander nöthigte nach Eroberung Athens die ganze Demokratie der Insel Samos zuui Auswandern, und Jsokrates behauptet von seiner Zeit, daß es mehr Verbannte und Flüchtlinge aus einer einzelnen Stadt gegeben habe, als

in alten Zeiten aus dem ganzen Peloponnes. Es war leichter, damals aus den Heimatlosen und Vagabunden ein großes Heer zusammenzubringen als aus

Biirgeru.

„Keiner bedauert es", sagte er, „daß Viele, vom Hunger gezwungen,

für Feinde gegen Freunde fechtend sterben; aber über das Unglück, welches die Dichter ersinnen, werden Thränen vergossen."

Dem makedonischen Könige

Philipp schlägt er vor, an der kleinasiatischen Küste des Hellesponts und

Pontus Städte zu erbauen und die wegen Mangels der täglichen Nahrung herumstreifenden und Schaden jeder Art anrichtenden Flüchtlinge anzusiedeln.

„Wenn wir sie nicht hindern werden, sich zusammenzurotten dadurch, daß wir ihnen Unterhalt verschaffen, werden sie zu solcher Menge anwachsen, daß sie den

Hellenen nicht weniger furchtbar werden, als den Barbaren."

Auch seine

Mitbiirger warnte derselbe Redner auf das Ernsteste, und seine in der Rede

„Vom Frieden" befindlichen Worte sind charakteristisch genug für das ganze Verhältniß: „Wir verlangen, über alle Welt zu herrschen, und wollen doch

nicht zu Felde ziehen; wir nehmen den Krieg beinahe gegen Jedermann auf, und üben uns doch nicht zu demselben, sondern Menschen, die theils Heimatlose,

theils Ueberläufer, theils Verbrecher sind, die, wenn ihnen Jemand mehr Sold bietet, sofort demselben folgen.

Ja, so weit in unserer Thorheit sind wir ge­

kommen, daß, während wir selbst kaum genug zum täglichen Leben haben, wir

Soldtruppen zu unterhalten wagen und unsere Bundesgenossen schädigen und

196

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

besteuern, um nur jenen gemeinschaftlichen Feinden Aller den Lohn zu ver­ schaffen. Unsere Vorfahren setzten ihr Leben bei der Kriegsgefahr ein, während

in der Burg Schätze von Gold und Silber lagen; wir dagegen, die wir

so arm sind und doch so Viele, halten uns, wie der Großkönig von Persien, gemiethete Heere!" Auch Demosthenes drang später bei den Athenern darauf, daß unter den 2000 Infanteristen, die er zum Schutze der chalkidischen Städte auszusenden

vorschlug, 500 Bürger wären, gleichsam als Aufseher der Söldner, die sonst nur diejenigen Kriege liebten, die ihnen Gewinn brächten und ant liebsten mit

reichen Bundesgenossen anbänden. Deshalb glauben wir gern, was Plutarch erzählt, daß nämlich beim Heransegeln athenischer Flotten in jener Zeit die

Bundesgenossen Mauern und Häfen bewehrt und Herden, Sklaven, Weiber

und Kinder vom Lande in die Städte geschafft hätten.

War es anders bei uns

noch während des dreißigjährigen Krieges? Wie schnell übrigens die Zahl der Landsknechte in den sechzig Jahren zwischen d^m Ende des peloponnesischen Krieges und der Regierungszeit Philipps von Makedonien zugenommen haben muß, erhellt aus des Jsokrates Behauptung, daß noch zur Zeit des jüngern

Kyros diejenigen, welche in den Städten werben ließen, mehr Geld auf die Geschenke zu verwenden gehabt hätten, die sie den Werbern geben mußten, als

auf den Sold für die Soldaten, während zu seiner Zeit sogleich ganze Schaaren

von Söldnern angeworben würden.

Später sahen sich die kriegführenden Parteien sogar genöthigt, Soldaten

anzuwerben, da die Verbündeteten Städte ganz gewöhnlich Geld anstatt Truppen sendeten.

So beschlossen nach dem Antalkidischen Frieden die peloponnesischen

Verbündeten, daß jede Stadt anstatt der Soldaten Geld geben könnte und zlvar

3 ägineüsche Obolen oder 54 Pf. täglich für den Schwerbewaffneten und das Vierfache für den Reiter.

Auch der spartanische Admiral Mnasippos, der

im Jahre 374 mit 60 Schiffen einen Zug nach Korfu unternahm, hatte 1500 Söldner bei sich, weil sich die Bundesgenossen fast alle mit Geld

abgefunden hatten, was auch Agesilaos den kleinasiatischen Griechen gestattete. Da die Sucht nach Beute und Gold jede andere Rücksicht vergessen ließ, so

verdingten sich diese griechischen Söldnerhaufen am häufigsten mit Verleugnung alles Naüonalstolzes den sonst tief verachteten Barbaren.

Stellte ja noch der

letzte persische König Dareios Kodomannos 30,000 ausgesuchte griechische Söldner dem gleichfalls zu einem großen Theile aus Griechen- bestehenden Heere

Alexanders des Großen entgegen: Mit 12,000 Mann zog der berühmte Condotüere Jphikrates im Dienste Artaxerxes, des Zweiten, gegen den

ägyptischen Rebellen Nektanebos, den Ersten, zu Felde.

Der 80jährige,

ruhmbedeckte Agesilaos half umgekehrt mit 10,000 griechischen Miethlingen dem folgenden ägypttschen Könige gegen Persien.

Plutarch sagt darüber:

„Es schien bem greisen Feldherrn, der fiir den ersten in Griechenland galt, nicht wohl anzustehen, daß er sich einein Barbaren, einen: Rebellen verkaufte." Auch die makedonischen Diadochen bildetei: ihre stehenden Heere ails Söldnern und bis auf die ßcitcit des atolischeu uud achaischen Bundes finden wir ihre Benutzung. Sie haben mehr, als man gewöhnlich glaubt, dazu beigetragen, den Untergmig der griechischen Freiheit und Selbständigkeit zu beschleunigen, indem sie die siilanziellen Kräfte aller Staaten erschöpften und die Sorglosigkeit und Unthätigkeit der Bürgerschaften vermehrten, bis dieselberr endlich im Zustmlde der Verlveichlichung und Nnmäunlichkeit nicht mehr im Stande waren, sich zu wehreu. Aber auf der anderu Seite nnlß man zugesteheu, daß die eigentliche Kriegs­ kunst, die Taktik und Strategik, durch das Söldnerwesen entschiedene Fortschritte machte. Aus Leuten, die den Krieg als Handwerk betrachteten, ließen sich natürlich viel tauglichere Werkzeuge für die Zwecke des Krieges heranziehen. Das meiste Verdienst in Benutzung dieses Vortheiles erwarben sich die beiden Athener Jphikrates und Chabrias. Jener schuf die schwere Bürgermiliz in eine leichtere Truppengattung um, welcher er anstatt des großen Ovalschildes die kleine halbmondförmige Pelta der Thraker, anstatt des metallener: Kürasses oder Lederkollers den linriener: mit Erz plattirten Panzer, außerdem aber läugere Spieße ur:d Schwerter zuertheilte uud so eine größere Beweglichkeit ur:d Schnelligkeit ermöglichte. Chabrias erfand dagegen eine unserer Quarrefornüruug ahrrliche Aufstellur:g, un: der: Angriff eines überleger:er: Feindes abzuhalter:. Vor: der Bildurug eines aus Landsknechten besteher:den Heeres, feiner Einrichtung und der Schwierigkeit, es zu regieren und in Gehorsam zrr erhalten, giebt die Anabasis Ler:ophor:^s die beste Vorstellung, wenn man die Kriegslisten Polyün's zur Ergänzung herbeizieht. Der jüngere Kyros gab erprobten Offizieren, wie dem spartanischen Flüchtling Klearch und dem Böotier Proxenos, Auftrag und Geld, Werbungen zu veranstalten. Diese erlangten dadurch zugleich den Anspruch auf die obersten Befehlshaber­ stellen und sandten nun wieder ihre unteren Offiziere aus, die einzelne Kom­ pagnien zu 100 Mann zusammen zu bringen hatten. Natürlich fand auch dainals schon ein besonderer Zudrang zu den Offizierftellen statt und von Jphikrates wird erzählt, daß er, um die Tüchtigsten ohne Fahnrichsexamen herauszufinden, einen panischen Schrecken gleich anfangs verbreiten ließ und dann beobachtete, wer das Hasenpanier ergriff oder nicht!. Bei der Werbung schlichen sich manche Sklaven mit ein, wie Xenophon erwähnt; ja, sogar von den Hauptleuten wurden einzelne später fortgejagt, weil sie sich als Barbaren herausgestellt hatten. Dem Hauptmann Ephistenes rühmt er nach, daß er

nur schöne Leute angeworben habe. Mit Vorliebe scheinen die Dienst suchenden Söldner auf der lakonischen Halbinsel Tünaron (Kap Matapan) einstweiliges

198

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

Quartier genommen zu haben.

Nicht nur der aus Asien flüchtende Harpalos

setzte dort seine 6000 Miethsoldaten ab, sondern auch dessen Gefährte Thibrön schickte später von Kyrene aus, das er belagerte, einige Freunde nach Tünaron,

denen es auch gelang, dort 2500 Mann aufzutreiben.

Eine besondere Eigenthürnlichkeit der Söldnerheere lvar es, daß in ihneil, wie bei den Bürgermilizen die Stämme, so hier die Landsleute, Verwandten,

Freunde und Nachbarn zusammenhielten und besondere Heeresabtheiluiugen bildeten, wodurch wol die gegenseitige Aufnumterung :md der Zusammenhalt

befördert, aber schwerlich für die Disziplin ein Nutzer gestiftet wurde.

Was

den Sold anlangt, so zahlte der persische Prinz Kyros nicht mehr, als damals und auch später in Griechenland selbst üblich gewesen zu sein scheint, nämlich

monatlich einen Dariusd'or — 15 Mark dem Gemeinen, 30 Mark dem Haupt­ mann , 60 Mark dem General.

Der thrakische Fürst Seuthes.gab später

denen von den 10,000, die in seine Dienste übertraten, monatlich einen Kyzikener oder ungefähr 22 Mark.

Dann aber bot ihnerr wieder der spartanische

Harmost Thibron einen Dareikos.

freilich auch höhere Sätze.

In Zeiten der Verlegenheit zahlte man

Von den thrakischerr Peltasten z. B., die Athen inr

Jahre 413 in Sold nahm, erhielt der Mann täglich eine Drachme. Die Hälfte der

Summe galt fast

allenthalben als Verpflegungsgeld,

Soldat seine Lebensmittel selbst kaufen nnrßte.

weil sich

der

Durch diesen Umstand litten

die Leute zuweilen große Einbuße; in Lydien z. B. fand

das Heer des

Kyros so hohe Getreidepreise, daß der Mamr täglich siebenmal mehr für Brot

ausgeben mußte, als er Ersatz dafür bekam, während ihm in Athen zu derselben Zeit seine Ration 3 — 5 Pfennige gekostet hätte.

Als Kyros endlich seinen

eigentlichen Plan dem Heere nicht verheimlichen sonnte, versprach er auch den Soldaten Erhöhung des Soldes um die Hälfte. Ein Handgeld beim Anwerben wird zwar nicht erwähnt; es scheint aber, als habe die Vorausbezahlung eines

Theiles vom Lohne dafür gegolten, wenn in dem von Menander entlehnten „bramarbasirenden Soldaten" des Plautus der Söldnerhauptmann sagt: „Mich dünkt, nun ist die Stunde da, zum Markt zu gehn, Daß den Rekruten, die ich gestern einrollirt, Ich die bedungene Löhnung nun auszahlen kann, König Scleukus dringt in mich mit Freundlichkeit, Daß ich Rekruten ihm werben und bedingen soll."

Die Beschaffung des Soldes, als des Hauptnervs für die Thätigkeit der

Landsknechte aller Zeiten, machte den griechischen Heerführern oft eben so viele

Mühe und Sorge als den italienischen und deutschen Condottieri des 15., 16. und 17. Jahrhunderts. Wenn Jphikrates seinen Kriegern den Lohn

nicht zahlen konnte, führte er sie in öde Gegenden, damit sie so wenig als möglich verzehrten; hatte er aber Uebersluß an Geld, so brachte er sie in Städte, wo

sie leicht und schnell ihren Verdienst los werden konnten, damit sie dann gern

wieder an neue Unteruehnrungen gingen. Auch Pflegte er den vierten Theil des

Soldes inne zu behalten, um sich vor Desertion zu schützen.

Als einst bei

Geldmangel seine Soldaten in Aufruhr waren, ließ er Männer, als Perser

verkleidet, in die Versammlung treten und melden, daß sie vorausgeschickt wären,

um die Ankunft eines persischen Goldtransportes anzuzeigen, worauf die Em­ pörer aus einandergingen.

Recht erfinderisch war auch der athenische Feldherr

Timotheos in Geldverlegenheiten, indem er nicht nur seinen Siegelabdruck

als Müuze ausgab, um ihn später wieder einzulösen, sondern auch Silber­ drachmen mit drei Biertheilen Kupfergehalt schlagen ließ.

Vom makedonischen

Philipp erzählt Polyän, daß er, um den ungestümen Mahnungen seiner

Söldner zu entgehen, einst so lange beim Baden schwamm, untertauchte und sich mit seinen Gefährten im Wasser herumtmnmelte, bis die Manichäer sich ver­ laufen hatten.

Viel Klugheit, Energie, auch ein imponirendes Aeußere gehörte

dazu, als Feldherr die zügellosen Söldnerscharen zu dressiren und Gehorsam,

Pünktlichkeit und Ehrgefühl wach zu rufen. Außer Jphikrates soll diese Kunst in: hohen Grade der thessalische Fürst Jason von Pherä verstanden haben.

Natürlich hätte eine solche Schule für die Milizen nicht gepaßt, und wo die Einheit der Führung fehlte, erreichte auch bei den Söldnern die Kriegszucht nie

diese Höhe der Ausbildung. Im griechischen Heere des Kyros wollen die Sol­

daten um alle Pläne wissen und in berathenden Versammlungen dafür gewonnen

werden. Ja, sie versagen offen den Gehorsam; weigern sich, weiter zu marschiren;

drohen, sich andere Anführer wählen zu wollen; kurz, wollen fein säuberlich behmldett fein.

Wenn es ihnen bei einem Führer nicht gefiel, liefen sie mit

Sack und Pack zum andern über.

Zuweilen nahm wol auch ein Strateg den

Stock in die Hand, aber, wenn er zuschlug, mußte er gewärtig sein, sich, wie

Xenophon selbst,

später der Menge gegenüber verantworten zu müssen;

züchtigte er aber gar den Söldner einer fremden Truppenabtheilung, so konnte

es ihm noch übler bekommen, wie Klearch^s Beispiel lehrt, dem eine Holzaxt und viele Steine nachflogen, als er nach der That so unvorsichtig war, durch das Lager desselben Regiments zu reiten.

Der rohe spartanische General

Mnasippos freilich wagte es sogar, seine Hauptleute zu schlagen, die ihm vorgehalten hatten, wie schwer es sei, die Leute in Gehorsam zu halten, wenn dieselben nicht den schuldigen Sold bekämen.

Steine aufzuheben und damit zu

werfen, scheint übrigens allenthalben bei den Landsknechten Mode gewesen zu sein, uni dem Zorn und Haß Luft zu machen. Denn auch von den karthagischen

Söldnern, die ihren Unvorsichtigen Herren einen so langwierigen und gefährlichen Krieg bereiteten, erzählt Polybios, daß sie, von verschiednerlei Nation und

Sprache, doch alle das einzige Wort: Jemand

dieses

Wort zu rufen

„Wirf"

verstanden.

„Wenn daher

begann, so warfen sie von allen Seiten

Die griechischen Milizen und Landsknechte.

200

so geschwind mit Steinen, daß Niemand entfliehen konnte, der sich einmal genähert hatte."

Doch gaben die Söldner auch manchmal Beweise von Ehrgefühl und Korpsgeist.

So z. B. fraternisirten die Soldaten des Alkibiades nicht mit

den kurz zuvor bei Ephesos geschlagenen Leuten des Thrayllos, bevor letztere

in Gemeinschaft mit ihnen ein siegreiches Gefecht bestanden hatten! Das Feld­

lager bot einen bunten, belebten Anblick nicht nur durch eine Menge von Diener::

aller Art, von Herolden, Trompetern, Schildträgern, Priestern, Aerzten und Handwerkern, sondern auch durch die Kaufleute und Marketeuder, die auf Wagen

und Lastthieren den Proviant untführten. Die Truppen wurden von besonderen

Fechtmeistern unterwiesen und einexercirt, beschäftigten sich außerdenr mit der Zubereitung der Mahlzeiten, mit Opfern und Spielen zur Feier heimischer

Feste und hatten bei lustigen Gelagen ihre Freude an Spaßmachern und mimischen Tänzern. Die Beute, besonders der Erlös aus den Gefangenen, wurde nach Abzug der allgemeinen Ausgaben nach Beendigung des Krieges an die Soldateir ver­

theilt.

Die Griechen thaten dies, als sie das Schwarze Meer erreicht hatten.

Manchen, die aus Beutegier und Abenteuerlust ausgezogen waren, gliickte es,

viel Geld zusammenzuraffen.

Sie kamen dann in ihre Heimath zurück und

verpraßten gewöhnlich den Gewinn schneller, als er ihnen zugefallen war. Durch ihr Gebareu wurden sie eine stehende Charakterfigur der Bühne.

Sie

renommiren gewaltig mit ihren Heldenthaten, sind tölpelhaft und bilden sich

ein, beim schönen Geschlecht Furore machen zu müssen.

Darum fallen sie den

Parasiten als leichte Beute zu, haben meist Urrglück in der Liebe mit) werden

überhaupt, wie auch der glorreiche Hauptmann Pyrgopolinikes des Plautus, gefoppt, gerupft und endlich auch geprügelt.

XVII.

Die Leibeigenen und Sklaven. man sich darüber wundert, wie es möglich war, daß bei einem Volke, welches deit Werth der persörrlichen Freiheit so tief erkannte

und so hoch schätzte, wie das hellenische, beinahe der ganzen dienendeil und arbeitenden Klasse das Recht auf gleicheu Anspruch mit den Vollbürgern

des Staates entzogen war;

wenn man sich

vom christlichen und philan­

thropischen Standpunkte aus berufen fühlt, das klassische Alterthum dieses Fleckens wegen überhaupt herabzusetzen: so muß mau erstens bedenken, daß die Anerkennung der allgemeinen Menschenwürde, welche erst in der neueren Zeit

angefangen hat, die Aufhebung der Sklaverei zu veranlassen, der griechischen

Nation noch sehr fern lag und daß die griechischen Sklaven fast ausschließlich überwundene oder gekaufte Angehörige fremder Völker waren, die der Hellene

ebenso als von Natur sich uutergeordnete und zur Knechtschaft bestimmte Ge­ schöpfe betrachtete, wie der heutige Sklavenhalter die schwarzen Parias äthio­ pischen Stammes.

Jede spätere Generation wuchs in der Vorgefundenen An­

nahme einer wirklichen Rassenverschiedenheit auf, und da der freie Bürger gerade der damit beschäftigten Sklaven willen jede Handarbeit haßte und seine

ganze Zeit darauf verwandte, den öffentlichen Versammlungen beizuwohnen,

die Redner anzuhören, sich in den Gymnasien zu üben und Feste mit zu feiern, so wäre es ihm wol noch viel schwerer gefallen, seine Sklaven frei zu geben, als dem jetzigen Plantagenbesitzer; denn wo hätten in Hellas die freien Ar­ beiter und Diener Herkommen sollen?

Selbst die bedeutendsten Philosophen vermochten die Frage über die Rechtmäßigkeit des Sklavenstandes nicht vorurtheilslos zu erörtern.

Denn

zwar hatten Einige, wie Aristoteles berichtet, schon richtig behauptet, daß es

nur dem Gesetze nach Sklaven geben könne, keineswegs aber der Natur nach,

202

Die Leibeigenen und Sklaven.

die keinen Unterschied zwischen Freien und Unfreien mache, und in einem

Fragmente des Komikers Philemon heißt es: ist, besitzt er dasselbe Fleisch und Blut;

„Auch wenn Jemand Sklave

denn auf der Natur Geheiß wird

Keiner je ein Sklave, sondern Fortuna würdigt seinen Leib dazu herab;" allein Platon, der in seiner Republik freilich imr die letzterr Konsequenzen

zieht, die sich aus der griechischen Staatsidee ergeben, und von seinem aristo­ kratischen Standpunkte aus den ganzen dritten Stand vom eigentlichen Staats­ leben ausschließt, setzt das Sklavenelemerrt ohne Bedenken als nothwendig

voraus und findet es recht, daß für Freie und Sklaven verschiedene Gesetze

existiren.

Daß Aristoteles dasselbe thut, ist eben so wenig zu verwundern,

da sich seine Philosophie an das Vorhandene, Empirische durchgängig anschmiegt. Indem er eine besondere Sklaventugend annahm, die eben so wie die des

Weibes und des Kindes von der des Mannes verschieden wäre und überhaupt

die moralische Tugend von der natürlichen Bestimmung, über Andere zu herrschen, abhängig machte, gelangte er von falscher Voraussetzung zu falschem Schlüsse und behauptete endlich ebenfalls der allgemeinen Ansicht seiner Lands­

leute gemäß, daß die Hellenen, vermöge ihrer größeren geistigen Regsamkeit zum Herrschen bestimmt, nie rechtnmßig zu Sklaven werden könnten, wol aber

die Barbaren, die nur unter sich freigeborerr, den Griechen gegenüber sich ins

Joch beugen müßten.

Daher nennt er auch den Sklaven ein „beseeltes Werk­

zeug", jedes Werkzeug einen „unbeseelten Sklaven", und sagt, daß sich letzterer hinsichtlich des Gebrauches wenig vom Hausthiere unterscheide.

Ueberhaupt ist

ihm die unbedingte Nothwendigkeit der Sklaven der letzte Gruild der Sklaverei

und dies führt ihn auch zu der merkwürdigen Aellßerung: „Wenn die Instru­ mente auf den bloßen Wink oder Befehl des Herrn ihr Werk verrichten könnten, wie die Dreifüße des Dädalos und Hephästos, so daß das Weberschiff von

freien Stücken webte und das Plektron die Laute schlüge, so bedürften weder

die Architekten der Gehilfen, noch die Herren der Sklaven."

Freilich — und

das muß man ferner zur Entschuldigung des Alterthums in Anschlag brürgen

— war auch das Staatsleben, wie es in Hellas war und wie es nach Pla­ tonischen und Aristotelischen Ideen sein sollte, nur unter Voraussetzung der

Sklaverei möglich, und ohne dieselbe wäre vielleicht die volle Harmonie des

griechischen Wesens in der Geschichte gar nicht zur Erscheinung gekommen.

Es

war, wie schon angedeutet, nothwendig, daß der Bürgerstand den Handwerks­ arbeiten und damit zugleich der den Geist niederdrückenden, den Körper er­

mattenden Mühe um des Lebens Nothdurft entriickt war, damit der zur Theilnahme an der öffentlichen Gewalt berechtigte freie Bürger in voller Un­

abhängigkeit sich um die Angelegercheiten des Staates kümmern konnte. Dadurch ist natürlich die Sklaverei keineswegs gerechtfertigt; denn auch bei uns giebt es

überall eine auf die niederen Arbeiten des Lebens angewiesene Klasse, die vor

dem Gesetze dennoch mit den Anderen auf gleicher Stufe der Berechtigung steht

(wenn sich auch sonst ihr Loos in Wirklichkeit wenig von dem der Sklaven unterscheidet); aber mcut kann einmal nicht dem Nationalstolze der Helleneir

etwas zumuthen wollen, das bei den christlichen Volkern so viele Jahrhunderte gebraucht hat, um zur vollen Anerkennung zu gelangen, wahrend es doch klar inr

Prinzipe der Religion gelegen hat.

Außerdem ist ja der Zustand der aus der

Leibeigenschaft Entlassenen noch heute in manchen Ländern viele Jahre nach der Befreiung beinahe noch erbärmlicher als früher, wo sie wenigstens vor bem

Huugertode geschützt waren. Es herrschte unter den Griechen selbst die Annahme, daß es eine Zeit ge­

geben habe, wo die Sklaverei noch nicht eingeführt war.

Herodot erwähnt

ausdrücklich, daß vor der Zeit der Vertreibung der Pelasger die Athenerinnen sich noch selbst zum Wasserholeir bequemt hätten, weil ihnen die Sklaven fehlten,

und Pherekrates, ein Vorgänger des Aristophanes, bezeugt ebenfalls, daß

in der frühesten Zeit die Weiber das Getreide auf der Handmühle inahlen und

alle häuslichen Arbeiten selbst verrichten mußten.

Ja, der freilich schon von

seinen Rezensenten inr Alterthunre der Kritiklosigkeit bezüchtigte Sieilier Ti-

nräos erzählt, die Lokrer und Phoker hätten bis auf die makedonische Zeit

keine Bedienung gehabt und die Frau des als Anführer inr sogerramrten heiligerr

Kriege berühmt gewordenen Philonrelos habe sich zuerst auf ihrerr Ausgängen von zwei Sklavinnen begleiten lassen. Aber von diesen angeblichen Ausnahmeir

abgesehen, uurß man die Elrtstehung der Skalverei in Griechenlaird sehr weit

zurück, vielleicht in die Periode der Rohheit und Urrsicherheit setzen, die zwischen denr patriarchalischen Pelasgerthunie und denr heroischen Zeitalter in der Mitte

lag.

Deirn in dem letzteren, wie es von Homer geschildert wird, war das

Sktavenwesen schon allgenrein verbreitet.

Der Dichter rechrret eine große An­

zahl Sklaven zu deir Kennzeicherr eines reichen Mannes und theilt dem Hause

des Odysseus 50 Sklavinnen zu, von denen zwölf täglich in der Mühle be­ schäftigt sind und zwanzig mif einmal Wasser holen.

Die Mehrzahl dieser un-

freieir Dienerschaft waren allerdings Kriegsgefangene, und dieses Schicksal traf gewöhnlich Weiber rmd Kinder, da die Männer, die nicht im Kampfe fielen, meist erschlagen wurden; aber es wurde auch bereits Handel und Tausch mit Menschen getrieben. Harrdel und Schiffahrt der damaligen Phöniker und Griechen war noch größtentheils Freibeuterei, und die aus fernen Ländern gerallbten Thiere und Menschen wurden nach anderen gebracht und vertauscht.

Dieses Loos hatte die Wärterin des Odysseus, Eurykleia, gehabt, für welche Laertes zwanzig Rinder zahlte, und der treue Eumäos, ursprünglich

ein Königssohn. Auch im Lager von Troja tauschten die Griechen schon Sklaven gegen Wein und andere Bedürfnisse.

Die Behandlung, die nach Homer den Sklaven zu Theil ward, ist mild

Die Leibeigenen und Sklaven.

204

und human und bildet einen grellen Kontrast zu der geringschätzigen und drückenden von Seiten der späteren, besonders der rönnschen Herren.

Der

Abstand zwischen den Freien und Sklaven war trotz der Rechtlosigkeit der

letzteren doch keine große Kluft. Es herrschte ein freilndliches mit) ziemlich ver­

trautes Verhältniß zwischen Herren und Dienern, und oft nähert sich die Stellung des Sklaven dem eines Familiengliedes.

Die Frau des Hauses sitzt

mitten unter ihren Sklavinnen, die sie durch ihre Unterhaltung aufheitern, läßt sich von den älteren ganz herzlich „mein Kind" anreden und nennt sie dagegen

„Freundinnen" und „Mütterchen." Die Prinzessin Rausikaa wäscht mit ihren

Sklavinnen zusamnien Kleider, nimmt in ihrer Gesellschaft ihr Mahl ein und spielt mit ihnen Ball. Odysseus und Telemach lassen sich bei der Begrüßung

von den Dienern und Dienerinnen freundschaftlich auf Haupt und Schultern

küssen.

Der Sauhirt Eumäos, wie der Rinderhirt Philötios,

wird in

Anerkennung seiner persönlichen Tüchtigkeit „der göttliche" genannt und beide erhalten von Odysseus das Versprechen: „Ich will Euch ein Weib und Güter

zum Eigenthum geben und Euch in meiner Nähe Häuser bauen und Ihr sollt nnr Freunde und Brüder meinem Telemach sein."

Die Treue und Pflichter­

füllung der Sklaven ist überall rühmlich und von Strafen werden nur zwei Fülle erwähnt, wo der an dem Herrn verübte Verrath mit dem Tode vergolten wird. Neben den eigentlichen Sklaven noch Leibeigene bei Homer nachzuweisen,

wie sie in späterer Zeit als Unterthanen der herrschenden Bevölkerung sich in verschiedenen Ländern vorfinden, ist nicht möglich, und es fällt nicht unwahr­ scheinlich deren Entstehung erst in die Zeit nach dem trojanischen Kriege, be­ sonders in die Periode der dorischen Wanderungen und Eroberungszüge. man findet sie besonders da, wo dorische Stämme sich eingedrängt haben.

Denn Am

bekanntesten in dieser Beziehung ist der leibeigene Bauernstand Lakoniens, die Heloten.

Sie werden von einigen alten Schriftstellern als Staatssklaven be­

zeichnet und insofern nicht mit Unrecht, als sie vom Staate den Einzelnen zum

Gebrauch überlassen wurden, ohne daß die Besitzer das Recht hatten, sie zu

verkaufen, freizulassen oder vom Gute zu trennen.

Der Staat benutzte sie auch

in Kriegszeiten als Schildknappen, Troßknechte und Leichtbewaffnete. Von dem Ertrage der Aecker hatte jeder 3670 Liter Gerste seinem Herrn und 630 der Frau desselben nebst einer verhältnißmäßigen Quantität Wein und Oel zu ent­

richten.

Wie viel ihnen selbst dann geblieben, läßt sich nicht ermitteln, da man

weder die Größe der unter sich gleichen Güter, noch die Zahl der sie bearbei­ tenden Leibeigenen kennt.

Aber es war mit einem Fluche belegt, mehr von

ihnen zu verlangen, und daß sie etwas erübrigen konnten, sieht man daraus,

daß der König Kleomenes, der Dritte, 2,357,620 Mark zusammenbrachte, als er im Kriege gegen Antigonos allen Heloten die Freiheit gab, die 390 Mark erlegen konnten.

Nichtsdestoweniger war die Lage der Heloten, besonders nachdem durch

Unterwerfilng der Messenier ein zahlreiches Volk in dieselbe Lage versetzt worden war, im Allgemeinen: eine sehr gedrückte und ihr Verhältniß zu den scharf von

ihnen geschiedenen Spartiaten ein fortwährend gespanntes, ja feindseliges. Plutarch sagt, in Sparta sei der Freie am meisten frei und der Sklave am

meisten Sklave gewesen.

Die Staatsgewalt wachte ängstlich darüber, daß die

Leibeigenen in Sitte und Verhalten innerhalb der peinlich vorgeschriebenen Grenzen blieben, und scherlle kein Mittel, ihre Herrschaft über die den Sparta­

nern zwanzigfach überlegene Mehrzahl zu behaupten.

So ließ man die jungen

Leute vor ihrem Eintritte in der: Kriegsdienst unter den Waffen das Land durchstreifen, von versteckter: Schlupfwinkeln aus das Thun und Treiben der

Heloten beobachten und Gesetzwidrigkeiten augenblicklich ahnden. Noch schlimmer ist, was Thukydides aus der Zeit des peloponnesischen Krieges erzählt, wo

die Heloten und Messenier sich rnehrmals empört hatten.

„Die Lakedämonier",

sagt er, „die immer mit einer Menge Sicherheitsmaßregeln gegen die Heloten

beschäftigt waren, hatten nun sogar aus Furcht vor der rüstigen Jugend und

der Ueberzahl derselben zu folgeudem Mittel ihre Zuflucht genommen.

Sie

ließen bekannt machen, daß sie diejenigen, die sich anheischig machten, am tapfer­

sten wider den Feind zu kümpfeu, aussondern wollten, um ihnen die Freiheit zu geben.

Dies geschah aber, um sie zu versuchen, indem die Lakedämonier

überzeugt waren, daß jeder, der sich der Freiheit vorzüglich werth achtete, auch den Muth haben würde, Hand an seinen Herrn z:: legen.

zweitausend,

die,

mit

Kränzen

geschmückt,

nach

zogen, als ob n:an ihnen die Freiheit geschenkt hätte.

Sie wählten also

verschiedenen Tempeln Nicht lange nachher aber

wurden sie alle heimlicher Weise aus dem Wege gerüuntt, und Niemand erfuhr,

lvas aus ihnen geworden war."

Gleich den Heloten waren auch die alten

Landeseinwohner auf Kreta von den dorischen Siegern geknechtet worden. Die Alten theilen dieselben in zwei Klassen, die Klaroten oder Aphamioten,

welche, wie die Heloten, die den Privaten zuertheilten Ländereien bebauten, und

die M u o ite n, welche die beträchtlichen Staatsdomänen gegen einen Zins bewirth­ schafteten und Eigenthum des Staates waren.

Nach Strabo hatten auch die

megarisch-dorischen Erbauer des pontischen Heraklea die dort hausende::

Mariandyner zu einem hörigen Verhältniß gezwungen und verkauften sie auch unter sich, jedoch nicht aus dem Lande.

Verhältuißmäßig am besten aber scheinen sich die Penesten gestanden zu habe::, äolische Einwohner Thessaliens,

Fürsten eindringenden

die sich den unter heraklidischen

thesprotischen Thessalern unter der Bedingung er­

geben hatten, daß sie von den Siegern nicht außer Landes geschafft und nicht getödtet werden sollten; dagegen entrichteten sie eine bestimmte Abgabe von dem Lande, das sie bebauten. Wie der Geschichtschreiber Archemachos aus Euböa

206

Die Leibeigenen und Sklaven.

behauptet, waren viele Penesten reicher als ihre Herren.

Außerdem gab es

noch in Siky'on, Argos und Byzanz leibeigene, an die Scholle gebundene

Sklaven.

In Attika und im übrigen Griechenland fehlte diese Klasse ganz

und die Sklaven waren dort immer freies Besitzthum, das von einer Hand in die andere überging. Während aber in den nachhomerischen Zeiten das Bedürf­ niß nach Sklaven stieg, nahm die Zahl der Befehdungen mit) damit die der

Kriegsgefangenen ab.

In den Kriegen der Griechen untereinander wurde es

ferner bald stehende Sitte, die Gefangenen gegen Lösegeld frei zu geben, weil sich das Nationalgefühl sträubte, Angehörige desselben Stammes zur Dienstbar­ keit zu erniedrigen. Diese Rücksicht wurde nur in Fällen besonderer Erbitterung aus den Augen gesetzt, wie während des peloponnesischen Krieges zwischen

Athen und der Insel Samos, indem die Athener den kriegsgefangenen Sa-

miern ihr Stadtwappen, die Eule, auf die Stirn brannten, die Samier dagegen den Athenern ein Schiff.

In einigen durch das Staats- oder Privatrecht

bedingten Fällen konnte freilich in Athen selbst der Freigeborene Sklave werden, z. B. der aus Kriegsgefangenschaft Losgekaufte, wenn er seinem Be­

freier das Lösegeld nicht zurückzahlte, der Fremde, der sich ins Bürgerrecht eingeschlichen hatte, der Schutzgenosse, wenn er die Abgaben nicht zahlte, der Freigelassene, wenn er die seinem Patrone schuldigen Pietätspflichten verletzte.

Die Knechtung und der Verkauf des armen, verschuldeten Volkes von Seiten

der reichen, vornehmen Gläubiger war durch die Solonische Gesetzgebung gründlich beseitigt worden.

Außer den genannten Fällen wurden in der histo­

rischen Zeit alle Sklaven, die außer den im Lande geborenen nöthig waren, um

das Bedürfniß zu decken, aus barbarischen Ländern importirt.

Die Insel Chios hatte im Alterthume den zweifelhaften Ruhm, am frühesten regelmäßigen Sklavenhandel getrieben zu haben.

Dort wurden auch

die Landgüter von gekauften Barbaren bestellt, und die üppigen und reichen Insulaner hatten ihren Ueberfluß an solcher Bevölkerung später schwer zu be­

reuen.

Schon

während

des peloponnesischen Krieges gingen die dortigen

Sklaven zahlreich zu den Athenern über und thaten ihren Herren besonders

wegen ihrer Ortskenntniß großen Schaden.

Auch später brauchte der athenische

Söldnerführer Jphikrates nur im benachbarten Mitylene zu äußern, er müsse

eine Menge Schilde anfertigen lassen, um sie den Sklaven der Chier zu senden,

als die Insulaner in Furcht geriethen, ihm Geld schickten und ein Bündniß schlossen.

Die von den Chiern aber längst gefürchtete Gefahr einer allgemeinen

Empörung erschien endlich nach der Zeit Alexanders des Großen.

Damals

stellte sich ein gewisser Drimakos an die Spitze der entlaufenen Sklaven und

spielte die Rolle eines Toussaint-Louverture mit vielem Glücke.

Die Chier

wurden in allen Gefechten geschlagen und mußten sich endlich Vertragsweise

gefallen lassen, daß der Sklavenhauptmann aus den Magazinen so viel, als er

brauchte, entnahm, wogegen er versprach, alle Sklaven, die ohne triftigen Grund

entlaufen würden, ihrelr Herren zurückzusenden.

die strengste Zucht.

Unter seinen Leuten hielt er

Als er aber alt wurde, ließ er sich von einem Günstlinge

das Haupt abschlagen, um ihm den auf dasselbe gesetzten Preis zuzuwenden.

Nach seinem romantischen Ende litten die Chier wieder schweren Schaden von den Sklaverr und verehrter: schließlich den verkannten Drimakos

als einen

gegen Sklavenhinterlist schützenden Halbgott! Nach Nikolaos aus Damaskos

und Poseidonios wurden die Chier endlich von Mithridat, dem Großen, alle zu Sklaven gemacht und gebunderr ihren eigenen Sklaven überliefert, um

nach Kaukasien Lransportirt zu werden.

Athenäos sieht darin nur eine gött­

liche Vergeltung für die abscheuliche Erfindung des Sklavenhandels.

In der Zeit des gesunkenen Hellas erhob sich außerdem das heilige Eiland

Delos zu einem Hauptstapelplatze des Sklavenhandels.

Strabo erzählt, daß

durch die Sorglosigkeit der kilikischen und syrischen Könige in jenen Gegenden sich die Seeräuberei gemehrt habe, daß der große Gewinn, den sie aus dem

Menschenhandel zogen, außerordentlich verlockend für die Flibustier gewesen

sei,

daß die Könige von Aegypten,

Kypern und die Rhodier, zum Theil

aus Feindschaft gegen die Syrer, diesem Handwerke durch die Finger gesehen

und daß die Römer sich wenig um das gekümmert hätten, was jenseits des Tauros vorging. Auf diese Weise wären oft an einem einzigen Tage Myriaden

gekauft und verkauft worden und der Absatz hätte so leicht stattgefunden, daß

es zum Sprüchwort ward: Eins."

„Auf Delos landen, abladen und verkaufen ist

In Kleinasien waren es vorzüglich die Provinzen Lydien, Phrygien,

Mysien, Paphlagonien, Kappadokien, welche die Sklaven lieferten; außerdem

Thrakien und die nördlichen skythischen Länder. Der Wiederverkauf im Einzelnen fand auf den größeren Messen statt;

doch waren auch sonst in den Städten Einrichtungen dazu getroffen.

Auch üi

Athen war der Sklavenmarkt ein vielbesuchter; die dazu bestimmten Orte selbst hießen, wie überhaupt die einzellrei: Abtheilungen des athenischen Marktes:

„Ringe" und die Sklaven starrden auf Gerüsten ausgestellt.

Wir bekommen

eine Vorstellung von dem Menschenhandel aus einem Fragmente Menander's, wo es heißt: „Bei den Göttern, fast kommt es mir vor, als sähe ich mich schon

in den Ringen ausgekleidet, im Kreise herumlaufen und verhandelt werden." Wie in Rom nrachte auch hier das Gesetz den Händler für bedeutende Fehler

und Gebrechen verantwortlich.

Der Streit wurde nach Platon vor Aerzten

verhandelt, die die Parteien mit gegenseitiger Uebereinstimmung wählten, und

wenn der Beklagte des absichtlichen Betruges überführt wurde, so mußte er das Doppelte des Kaufpreises, sonst nur die erhaltene Summe bezahlen.

Der

Markt war in Athen aber kein stehender, sondern wurde, wie es scheint, jedes

Mal am ersten Monatstage gehalten, an welchen Terminen überhaupt ein

208

Die Leibeigenen und Sklaven.

größerer Geschäftsverkehr herrschte, da die Landbewohner sich an denselben in großer Zahl einstellten.

In den „Rittern" des Aristophanes heißt es an

einer Stelle: „Dieser kaufte am vergangenen Neumonde einen Sklaven, einen

paphlagonischen Gerber," und in Alkiphron's Briefen erzählt Jemand, daß er des Kauftages wegen einen Sklaven „Neumond" getauft habe.

Ein viel­

besuchter Sklavenmarkt scheint auch in dem am südlichen Vorgebirge Atüka^s liegenden Städtchen Sunio.n abgehalten worden zu sein.

Wenigstens sagt der

Parasit Phormio bei Terenz zur Ausrede, er wolle nach Sunion auf die Messe gehen, um eine Sklavin zu kaufen.

Wer zur Strafe in die Sklaverei

verkauft wurde, den versteigerte stets ein Herold, und wie es überhaupt auf Skavenauktionen zuging, läßt sich vielleicht aus der scherzhaften Philosophen­

versteigerung Lukian's erkennen. Die Preise waren je nach dem Werthe des Artikels sehr verschieden.

Lenophon sagt in den Denkwürdigkeiten des Sokrates: „Unter den Sklaven

ist mancher zwei Minen (157 Mark) werth, mancher nicht einmal die Hälfte, mancher fünf Minen (393 Mark), mancher auch zehn; Nikias soll für einen

Aufseher in den Silberbergwerken gar ein Talent (4710 Mark) gezahlt haben." Ebenso heißt es bei Platon: „Einen Handwerkssklaven kaust man für fünf

oder höchstens sechs Minen, einen Baumeister wol kaum für zehntausend Drachmen (= 100 Minen oder 7860 Mark)."

Demosthenes veranschlagt

die Stahlklingenarbeiter seines Vaters auf je drei bis fünf Minen, die Bett­

gestellmacher aber nur auf durchschnittlich zwei. Auf den delphischen Inschriften

findet sich mehrfach der Kaufpreis von zwei Minen, doch überwiegend beträgt

der Durchschnittspreis 3—4.

Die römischen Gefangenen, welche Hannibal

in der Schlacht bei Kannä gemacht hatte, wurden tu Griechenland um fünf Minen für den Kopf verkauft.

Hetären und Zitherspielerinnen dagegen werdet:

bei Plautus und Terenz mit 1560—2350 Mark bezahlt, und auch die

durch Demosthenes berüchtigt gewordene Abenteurerin Neära wurde von der

Kupplerin für 2358 Mark verkauft.

Neben den gekauften Barbaren, die

Platon „unbestreitbare Sklaven" nennt, gab es natürlich noch von Sklavinnen

geborene Sklaven.

Doch wird der geringeren Zahl der weiblichen Sklaven

gemäß diese Klasse in der Minorität geblieben sein.

Viele derselben mögen wol

aus dem Umgänge der Sklavinnen mit Freien entstanden sein; doch waren auch

Sklavenehen erlaubt,

wenn die Herren nichts dagegen einzuwenden hatten.

Der Zahl nach besaß Attika nicht die meisten Sklaven, sondern nächst freit Chioten kamen nach Aristoteles die Aegineten mit 470,000, dann Korinth mit 460,000 Sklaven; doch werden in beiden Städten die meisten derselben

Fabriksklaven und Ruderknechte gewesen sein und die Zahlen bloß für die Blüthezeit zutreffen.

Ueber Athen berichtet Athenäos nach dem Annalisten

Ktesikles, daß eine von Demetrios Phalereus 309 v. Chr. angestellte

Volkszählung: 21,000 Bürger, 10,000 Schutzgenossen und 400,000 Sklaven ergeben habe. So fällt es beim gar nicht auf, daß im peloponnesischen Kriege auf einmal 20,000 Sklaven nach dem von den Spartanern besetzten Dekeleia entliefen! Zur Bedienung und zu ben Verrichtungen, die heutzutage gennethetes Hausgesinde übernimmt, haben die Griechen im Garrzen nicht so viele Indivi­ duen verlvendet als die Römer. Wie viele der Anstand ungefähr erforderte, ist aus einzelnen Stellen ersichtlich. Xenophanes aus Kolophon beklagte sich, daß er kaum zwei Sklaven zu halten im Stande sei. Platon besaß vier männliche und einen weiblicheil Sklaven, Theophrast acht männliche und ein Mädchen. Der Verräther Aeschiires will seine Unbestechlichkeit darthun, indem er in einem Briefe schreibt: „Nachdem ich so viele Talente als Miethling Philippas und dann Alexanders und als Verräther der Phoker und der griechischerr Freiheit hätte einnehmeir müssen, sitze ich hier mit sieben Sklaven." Beim Ausgehen ließen sich die Mmmer gewöhlllich von einem Dieirer begleiten, dein ängstliche Herren sich vorauszugeheir befahlen! Eine größere Anzahl war auffallend und Demosthenes wirft es deshalb seinem Feinde Meidias vor, daß er mit einem Gespanne weißer sikyonischer Rosse fahre und mit drei oder vier Bedienten über den Markt fege, und ebenso Apollodoros, dem ver­ schwenderischen Sohne Pasion^s, daß er drei Sklaven hinter sich her gehen lasse. Die Frauen begnügten sich dagegen gar nicht lange mit der ihnen auf ihren seltenen Ausgängen gestatteten einen Dierrerin. Plutarch erzählt, daß Phokivil's Frau sich nur von einer Sklavin begleiten ließ und daß deshalb einst ein Athener, der die Ausstattung des dramatischeil Chores zu besorgen hatte, im Streite mit einem Schauspieler, welcher für seine Weiberrolle eine große Zahl von Begleiterinneil verlangte, laut im Theater ausrief: „ Siehst Du nicht, daß Phokion's Frau immer nur mit einer Sklavin ausgeht? Du verdirbst nur die Weiber und machst sie üppig!" Das Publikunl nahm diese Jiilprovisation mit großem Applause auf. Hundert Jahre später hatte man sich längst über derartige Einfachheit hinweggesetzt. In einem Stücke des ungefähr 270 v. Chr. lebenden Dichters Machon heißt es von einer ziemlich lockereil Tarne: „Währeild des Festes begab sie sich in den Piräeus hinab zu einem fremden Kaufmailile, in ärmlichem Aufzug, auf einem Maulesel mit drei Eselchen, drei Dieilerinneil und einer jungen Amme." In den kleinasiatisch eil Stüdteil urld währeild der Rönlerherrschaft auch in Griechenland war die Zahl der begleitenden Zofen und Eunuchen eine noch viel bedeutendere. Für besoildere Geschäfte in größeren Häusern wareil ferner als Diener angestellt: erstens der Haushofmeister, zuweilen auch eine Schaffnerin. Sie hatten den ganzen Haushalt ilnter sich, gaben das Nöthige aus den Borrathskammern her mld hielteil die Thüren derselbeil nach griechischer Sitte unter Siegel. Dann Göll, Kulturbilder. I.

14

210

Die Leibeigenen und Sklaven.

gab es noch besondere Einkäufer für den Markt, da es sich für die Hausfrau keineswegs ziemte, zum Krämer und Viktualienhändler zu gehen. Doch fand sich das Amt des Eiilkäufers nur in wenigen Häusern von Sklaven besetzt: im Allgemeinen galt es als Regel, daß der Mann selbst einkaufte, und ein gewisser Lynkeus von Samos hatte sogar eine Anleitung für Herren geschrieben, wie man sich beim Einkäufe vor Schaden schützen könnte! Endlich bediente man sich natürlich der Sklaven als Mundschenke, Pädagogen, Wasserträger, Thürhüter, auch Weber, Sticker u. s. w. Zu der männlichen Dienerschaft kam ein ansehnliches Personal von Skla­ vinnen hinzu, das zum Reinhalten des Hauses, zur Wartung der Kinder, zur Herstellung vieler häuslichen Bedürfnisse, die wir fertig zu kaufen pflegen, zum Mahlen und endlich zur speziellen Bedienung der Hausfrau nöthig war. An der Spitze der Zofen stand die eigentliche Kammerjungfer, gewöhnlich eine im Hause geborene und auferzogene jüngere Sklavin. Eigentliche Luxussklaven, Musiker, Tänzer und Schauspieler fingen die Griechen erst an sich zu halten, als römische Sitte bei ihneir Eingang gefunden hatte. Wol aber kauften sich reichere Leute zum Prunke Neger und Eunuchen. Theophrast rechnet es zu den charakteristischen Merkmalen eines in kleinlichen Dingen ehrsüchtigen Menschen, wenn Jemand Sorge dafür trage, daß ihn ein Schwarzer auf der Straße begleite, und im Eunuchen des Terenz sagt der Liebhaber zu der Buhlerin: „Hast Du je bemerkt, daß meine Freigebigkeit Grenzen habe? Habe ich Dir nicht sofort auf Deinen Wunsch ein Mädchen aus Aethiopien geschafft? Dann wolltest Du einen Eunuchen haben, weil bloß große Herrschaften solche halten: ich habe einen gefunden und gestern für beide 20 Minen gezahlt." Eine große Anzahl der attischen Sklaven bearbeitete nun wol auch mrter Aufsehern, die ebenfalls Sklaven waren, die Landgrundstücke ihrer Herren. Aber dennoch würden alle die genannten Verrichtungen nicht hinreichen, die große Sklavensumme im Ganzen zu erklären, wenn nicht der größere Theil als Handwerker und Tagelöhner beschäftigt gewesen wäre. Die Griechen waren eben als Sklavenhalter mehr auf den Nutzen bedacht und auf die Zinsen, die der Kaufschilling tragen mußte, als die Römer, für welche die Sklaven größtentheils der Eitelkeit und Bequemlichkeit wegen da waren. Deutlich spricht dies Athenäos aus, wenn er sagt: „Sehr viele Römer besitzen 10,000 und 20,000 und noch mehr Sklaven, nicht der Einkünfte halber, sondern meistens, um sich damit öffentlich zu zeigen." Selbst der arme Bürger zu Athen suchte sich einen Sklaven zu erschwingen, der ihn in seinem Handwerke als Geselle unterstützte und vertrat. Ja, jener arme Krüppel, für den der Redner Lysias eine launige Vertheidigungsrede fertigte und der vom Staat täglich einen Obolos Unterstützung erhielt, klagt darüber, daß er sich noch keinen Sklaven habe kaufen können, der das Handwerk für ihn selbst treibe! Viele Griechen legten aber nun

auch für solche Gewerbe, die ein größeres Kapital zur Anschaffung des Ma­ teriales erforderten, Fabriken an und ließen, oft ohne etwas vom Geschäfte zu verstehen, ihre Sklaven unter technisch gebildeten Aufsehern für ihre Rechnung arbeiten. So war es bei dem älteren Demosthenes der Fall; auch Lysias und sein Bruder Polemarch beschäftigten 120 Sklaven in einer Schildfabrik. Wie schon erwähnt, hatten die 32 Stahlarbeiter des Demosthenes durch­ schnittlich 4 Minen, also im Ganzen gegen 10,000 Mark im Ankäufe gekostet. Der Redner rechnet nun in der ersten Rede gegen seinen ungetreuen Vormund Aphobos aus, daß diese Fabrik jährlich 30 Minen = 2340 Mark Netto­ gewinn abwarf, also über 23 Prozent. Die 20 Sklaven der Bettgestellfabrik hatten einen Preis von 40 Minen — 3120 Mark gehabt und ergaben 12 Minen Gewinn — 30 Prozent. Auf diese Weise gelangten Viele zu Reich­ thum, wie auch z. B. der Vater des Jsokrates durch eine Flötenfabrik so viel Vermögen erwarb, daß er die Kosten der Staatsleistungen tragen und seinen Söhnen eine anständige Erziehung geben konnte. Am meisten rentirte der Grubenbetrieb durch Sklaven. So beschäftigten der reiche Nikias 1000, ein gewisser Hipponikos 600, Philemonides 300 theils in den Silbergruben Laurion's, theils am Pangäos in Thrakien, und Xenophon meint, daß überhaupt viele Myriaderr Sklaven ailch von Seiten des Staates Vortheilhaft in dell Bergwerken beschäftigt werden könnten. Man blieb aber bei der eigenen Ausniltzullg der Menschellkräfte lücht stehen, sondern wucherte mit dem Kapitale und zwar auf bequemere und sicherere Weise noch weiter, indem man die Sklaven gegen einen höheren oder geringeren Zins je nach dem Grade ihrer Brauchbar­ keit vermiethete, wobei der Pachter natürlich die Zahl stets voll erhalten mußte. So verdingte der genannte Nikias seine 1000 Bergleute an den Thraker Sofias gegen einen täglichen Zins von einem Obolos für den Kopf. Der Obolos scheint überhaupt die gewöhnliche tägliche Abgabe von den Bergwerks­ sklaven gewesen zu fein; denn wenn Hipponikos für 600 Mann täglich eine ganze Mine und Philemonides für 300 eine halbe einnahm, so bleibt das Verhältniß ganz dasselbe. Auch Xenophon in seiner Schrift über die Staats­ einkünfte gibt den Rath, der Staat solle, um seinen Finanzen aufzuhelfen, Sklavell ankaufen und zur Arbeit in den Bergwerken vermiethen; denn wenn man zullächst 1200 kaufe und jeder derselben täglich einen Obolos einbringe, so werde man in fünf bis sechs Jahren 6000 Sklaven haben, falls man den Reinertrag immer zum Ankauf neuer Sklaven verwende. Aber auch andere Sklavenbesitzer ließen sehr oft ihre Sklaven auf eigene Hand sich nähren und sich, nach Art des früheren russischen Obroks, eine bestimmte Abgabe zahlen. Timarchos, der Gegner des Aeschines, besaß 9—10 Schuhmachersklaven, von denen ihm jeder täglich 2 Obolen und der Vorsteher 3 entrichtete. Auf ähnliche Art nahmen solche Sklaven Ernten und 14*

212

Die Leibeigenen und Sklaven.

Weinlesen in Pacht, vermietheten sich als Kutscher, Bediente mib Handarbeiter jeder Art, und. ailch die Tagelöhner, die nach Weise unserer Eckensteher am

Markte auf Arbeit warteten, lieh man ferner dem

waren wol

größtcntheils Sklaven.

Staate seine Sklaverr zum

Ebenso

Ruder- uni) Matrosen­

dienste auf die Flotte. Außerdem wurden in Schenken und Garküchen, selbst bei Krämern, Geldwechslern und Großhändlern die Geschäfte durch Sklav^r

besorgt und manche solche Kommis genossen großes Vertrauen und machteir weite Reisen für ihre Herren. Der Verdienst der auf eigene Rechnung arbeiten­

den Sklaven muß nach der Arbeit verschieden gewesen sein und läßt sich nicht

einmal annähernd bestimmen. Die Philosophen Menedemos und Asklepiades sollen nach Athenäos als arme Jünglinge vor den Areopag zitirt und

gefragt worden sein, wovon sie lebten, ohne Vermögen zu besitzen.

Da sei es

denn an den Tag gekommen, daß sie des Nachts sich bei einem Müller ver­ mietheten und für jedes Mal 12 Obolen oder 2 Drachmen (1 Mark 57 Pfennige)

erhielten.

Die Arbeit an der Hand- oder Stampfmühle, der Schrecken auch der

römischen Sklaven, war wol beschwerlich und wird selten freilvillig gesucht worden sein, aber im Allgenreinen ist doch anzunehmen, daß der Arbeitslohrr

eines fleißigelr Sklaven die 4 Obolen des Kriegssoldes überstiegen habe. dieser Einträglichkeit des Sklavenbesitzes

war die vom

Bei

athenischen Staate

erhobene Sklavenpersonalsteuer von 3 Obolen für den Kopf sehr müßig. Eine eximirte Stellung unter den Sklaven nahmen die öffentlichen ein.

Sie bewegten sich freier, eben weil kein Einzelner ihr Herr war, hatten ihrelr besonderen Hausstaird und wurden als Diener der öffentlichen Beamten benutzt,

als Herolde, Schreiber, Büttel, Henker, Gefangcnwärter, Münzarbeiter u. s. w.

Zu ihnen gehörten auch in Athen die als Polizeiwache fungirenderr skythischen Bogenschützen, die anfangs 300, dann 600 und selbst 1200 Mamr stark waren.

Nach Aristoteles macht sogar einst ein gewisser Diophantos den Vorschlag,

daß der Staat zur Beschaffung aller Handwerksarbeiten für öffentliche Zlvecke Sklaven verwenden sollte, was aber nicht zur Ausführung kam.

Endlich ge­

hörten hierher noch die sogenannten Hierodulen, die Leibeigenen und Sklaven von Heiligthümern.

Jene bestanden aus zinspflichtigen Bauern; diese waren

theils für niedere Dienstleistungen angekauft und standen unter Aufsicht der

Priester, theils wurden sie in Folge von Gelübden den Tempeln geweiht, wie z. B. die der Prostitution verfallenden Hierodulen zu Korirrth und auf dem

sicilischen Eryx.

Wenn ein neu gekaufter Sklave in das Haus trat, wurde er zum Herde getragen, dort niedergesetzt und dann mit Datteür, Backwerk, Mandeln, Feigen und Nüssen überschüttet. Da dieselbe Sitte beim Empfange eines neuen Ehe­

paares herrschte, so könnte man leicht dies Symbol auf eine angenehme und

glückliche Zukunft des armen Burschen zu deuten geneigt fein.

Es galt jedoch

die gute Vorbedeutilug, die mein erzielte, nicht dem Sklaven, sondern dem Hause,

auf das der über ihu ausgeschüttete Reichthum gleichsam herabtrüufeln sollte. Das Schicksal, welches ihu selbst erwartete, richtete

natürlich nach dem

Vermögen, dem Bildungsgrade, der Gemüthsart des Herrn. aber zeichnete sich

die Behandlung

Im Allgemeineri

der Sklaven in Griechenland

vor der

römischen Vortheilhaft aus uud uameutlich genossen die Athener, wie in anderen Dingen, so auch deu Sklaven gegenüber des Rufes einer größeren Humanität.

Aristoteles sieht in der Ungebundenheit der attischen Sklaven eine Rückwirkung der freien Verfassnng; viel zum vertraulicheren Verkehre zwischen Herren und

Sklaven, von dem die Komiker auf jeder Seite Belege liefern, trug aber auch sicherlich die größere Elastizität und Geschmeidigkeit des ionischen Stamm­ charakters bei und nebenher die Furcht vor Empörung bei starkem Drucke.

Die

Geschwätzigkeit der griechischen Sklaven bildet einen grellen Gegensatz zum

stummeu Gehorsam der römischeu. Demostheues sagt zu seinen Mitbürgern: „Ihr glaubt ja auch sonst, daß die Freimüthigkeit im Reden allen Einwohnern des Staates gemeinsam sein müsse, und laßt daher sowol die Fremden als auch

die Sklaven an derselben Theil nehmen, und man kann wol bei Euch viele

Sklaveu finden, die mehr Freiheit haben, zu reden was sie wollen, als in einigen anderen Staaten die Bürger selbst."

Ja, Xenophon sagt irgendwo, es falle

in Athen den Sklaven nicht ein, einem Freien aus dem Wege zu gehen! Wie

ganz anders klingt, was Seneka in einem Briefe schreibt: „Die unglücklichen Sklaven dürfen nicht einmal zum Sprechen die Lippen rühren; durch die Ruthe

wird jedes Murmeln, im Zaume gehalten, und nicht einmal zufällige Diuge sind

von Schlägen ausgenommen, wie Husten, Niesen, Schluchzen; hart wird jeder die Stille unterbrechende Laut gebüßt, und so stehen sie nüchtern und stumm die ganze Nacht hindurch."

Die Namen der griechischen Sklaven bezeichneten entweder ihre Herkunft

und Nation oder es waren wirklich griechische.

Nur gewisse Namen, denen

Religion oder Geschichte eine höhere Bedeutung verliehen hatte, scheute man

sich den Sklaven beizulegen, z. B. die der Freiheitshelden Harmodios und Ar i st og ei ton.

Auch in ihrer äußeren Erscheinung unterschieden sie sich nicht

von dem freien Handwerker.

Wie die ganze arbeitende Klasse trugen sie einen

Chiton oder Leibrock, der nur ein Armloch für den linken Arm hatte, während

der rechte und die Hälfte der Brust vollkommen rmbedeckt blieb; dazu kam eine eiförmige Leder- oder Filzkappe und im Winter Schuhe.

Nur am kurz ge-

schoreueu Haupthaar erkauute man den Sklaven, während der attische Bürger je nach seinem Geschmacke und der Mode das Haar bald länger, bald kürzer

geschnitten oder gelockt trug.

Es war ferner keinem Freien erlaubt, einen

fremden Sklaven zu schlagen, und auf die von dem Herrn deshalb angestellte

Kriminalklage konnte der Schuldige zu schwerer Geldstrafe verurtheilt werden.

214

Die Leibeigenen und Sklaven.

Auch insofern war die Gesetzgebung mild gegen die Sklaven, als sie im Gegen­

satze zu der römischen dem Herrn nicht erlaubte, seine Sklaven zu todten. „Selbst diejenigen, welche ihre Herren ermordet haben," sagt der Redner Antiphon, „sogar wenn sie auf frischer That ertappt werden, können nicht von den Angehörigen getödtet werden, sondern werden nach unseren Gesetzen der Obrigkeit übergeben." Dennoch genügte, wie aus einer anderen Stelle desselben Schriftstellers erhellt, für den, welcher seinen Sklaven getödtet hatte, die gewöhnliche Blutsühnung durch Gebet und Opfer. Dann kam den mißhan­ delten Sklaven auch das Asylrecht der Heiligthümer zu Gute. In Athen diente ihnen besonders der Tempel des Theseus als Zufluchtsstätte und sie konnten von dort aus darauf antragen, an einen anderen Herrn verkauft zu werden. Waren ihre Klagen freilich ungegründet, so wurden sie genöthigt in das Haus zurückzukehren. Als die Spartaner im dritten messenischen Kriege die in beit Tempel Poseidons auf dem Vorgebirge Tänaron geflüchteten Heloten herausgerissen und hingerichtet hatten, betrachtete man das bald nachher erfolgende Erdbeben als eine Strafe für jene Versündigung. Endlich gab es in manchen Staaten, wie in Thessalien, Trözen und Kreta, Sklavenfeste nach Art der römischen Saturnalien, während welcher die Sklaven auch einmal die Rolle der Herren spielen durften. Auch das seltene Vorkomnien von Sklavenaufständen im eigentlichen Griechenland spricht für ein erträglicheres Loos. Nur ein­ mal in der attischen Geschichte wird eine Empörung der lauriotischen Gruben­ sklaven erwähnt, die ihre Wächter niedermachten, das Fort von Sunion eroberten und lange Zeit Attika brandschatzten. Aber trotz aller jener Einrichtungen zur Erleichterung des Sklavenjoches blickte dennoch auch in Athen allenthalben die Gerillgschätzung der Person mib die Mißachtung der natürlichen Rechte deutlich durch. Selbst das Verbot, einen fremden Sklaven zu schlagen, erklärt Xenophon nur durch die Rücksicht auf eine mögliche Verwechselung der Freien mit Sklaven. Obgleich sie dem öffentlichen Gottesdienste beiwohnen dursten, so war ihnen doch durch ein Solonisches Gesetz der Besuch der Gymnasien und- Ringschulen verboten und ebenso der Volksversammlungen. Hinsichtlich des Eigenthumsrechtes war die Willkür des Herrn ohne Schranken; er konnte den Sklaven verkaufen, ver­ schenken, sogar verpfänden. Wenn ihm auch das Recht über Leben und Tod nicht zustand, so konnte er ihn doch züchtigen, wie er wollte. Und hinsichtlich der Strafen machte selbst Platon grundsätzlich einen Unterschied zwischen Freien und Leibeigenen. Zurechtweisung, sagt er, und Warnungen gehörten

nur für Freie, bei den Sklaven müßten strengere Mittel angewendet werden; noch deutlicher äußert sich Demosthenes in folgenden Worten: „Wenn Ihr bei Euch selbst erwägen wollt, welcher Unterschied zwischen einem Sklaven und einem Freigeborenen sei, so werdet Ihr denselben hauptsächlich darin

finden, daß bei den Sklaven der Körper für alle Vergehungen büßt, bei Freien aber dieses Züchtigungsmittel nur im äußersten Falle zur Anwendung kommt." Schlüge wurden wol am häufigsten ertheilt; auch Fußfesseln wurden oft ange­ legt, um das Entlauferr zu hindern, und in den attischen Bergwerken sollen alle Sklaven gefesselt gearbeitet haben. Auch Halseisen und Handschellen wendete man der Sicherheit wegen an. Eine Strafe dagegen war es, mit den Füßen in den Block gelegt zu werden, und von noch schlimmerer Art war ein Holz, das fünf Löcher für Hals, Hände und Füße hatte. Den Dieben und Läuflingen wurde ein Zeichen auf die Stirn gebrannt, was natürlich die Inhaber später auf jede Weise zu verbergen trachteten. Daher heißt es bei Di philos von einem betrüglichen Fischhändler: „Er ließ sein Haar wachsen, als wäre es einer Gottheit geweiht; dies war aber nicht der wahre Grund, sondern als Gebrandmarkter trug er dasselbe als Vorhang der Stirn." Der Grammatiker Pol­ lux erwähnt noch eine Vorrichtung, die man anwendete, um die Sklaven beim Mahlen oder Backen am Naschen zu hindern; es war eine breite hölzerne Hals­ krause, über welche hinweg sie mit den Händen nicht den Mund erreichen konnten! Zu Alexauder des Großen Zeit etablirte der Rhodier Antigenes, als Ober­ beamter in Babylonien, eine Sklavenversicherungsbank, indem er gegen Er­ legung üoii 6 Mark für den Kopf entweder die entlaufenen Sklaven wiederzu­ schaffen oder den Kaufpreis zu zahlen versprach. Freilich beruhte diese erste Asse­ kuranz auf reinem Schwindel! Denn Antigenes bereicherte sich durch die Prämien und ließ die ihm urrtergebenen Satrapen für den Schadenersatz aufkomnren. Wenn ferner auch bei Mißhandlungen, welche die Sklaven von Fremden er­ fuhren, der Herr das Recht der Klage hatte, so war es für sie doch schmachvoll, daß ihilen alle Gegenwehr und Selbsthilfe verboten war. Platon sagt im „Gorgias": „Es kommt dem Manne nicht zu, Beleidigungen zu erdulden, sondern nur dem Sklaven, für welchen der Tod Wünschenswerther ist, als das Leben, weil er weder sich gegen Mißhandlungen und Beleidigungen wehren kann, noch irgend einen Anderen dagegen schützen." Noch weiter mit) am schimpflichsten wird ihre Rechtsunfähigkeit bezeugt durch die Ungiltigkeit aller ihrer Aussagen vor Gericht, die nicht durch die Folter erzwungen waren. Ja, man legte diesen durch körperliche Qualen er­ preßten Sklavenaussagen eine größere prozessualische Beweiskraft bei, als den Zeugnissen und. Eiden freier Leute. Geradezu spricht dies der Redner Jsäos in den Worten aus: „Wenn Sklaven und Freie vor Gericht stehen und es soll etwas bei der Untersuchung herauskommen, so bedient Ihr Euch nicht der Zeugnisse der Freien, sondern foltert die Sklaven und sucht so den wirklichen Thatbestand zu ergründen." Behauptet doch sogar Demosthenes irgendwo, daß gefolterte Sklaven noch niemals einer unwahren Aussage überführt worden wären! Daß für die Freien etwas sehr Herabwürdigendes in dieser Ansicht

216

Die Leibeigenen und Sklaven.

lag, scheint man sonach gar nicht gefühlt zu haben.

Die Verschiedenheit der

Behandlung wirkte natürlich auf die Sinnesart der Sklaven zuriick, und daß

erstere sehr ungleich war, sieht man z. B.

aus Pla ton's Beschreibung:

„Einige schenken dem Sklavengeschlechte gar kein Vertraueir und bemühen sich, die Seelen der Leibeigenen durch Peitschen und Knuten der Natur der Thiere

gemäß zu sklavischen umzubilden, Andere thun von diesem Allen das Gegen­

theil." Die Folgen der Behandlung schildert auch Xenophon, wenn er schreibt: „Wenn ich Dir nun zeige, daß hier die Sklaven alle gefesselt sind und dennoch

häufig entlaufen, dort aber alle ledig, und freiwillig arbeiten und bleiben:

scheint Dir dies nicht hinsichtlich der Verwaltung des Hauswesens beachtungswerth zu sein?" Aber wenn wir auch annehmen müssen, daß Onkel Tom's Hütte bereits unter dem sonnigen Himmel von Hellas gestandeil hat, so gilt doch das von Seneka erwähnte Sprichwort:

„So viel Sklaven, so viel

Feinde", weniger von den Griechen, und selbst Aristoteles mußte eingestehen,

daß sich die Natur oft vergreife und den Sklaverr die edlere Natur der

Freien schenke. Freilassungen kamen in Griechenland nicht selten vor, am häufigsten durch

testamentarische Verfügung.

Auch gelang es den Sklaven oft, so viel zu er­

sparen, um die vom Herrn geforderte Summe erlegen zu tonnen. Dann pflegte

eine öffentliche Bekanntmachung im Theater, in der Volksversammlung oder vor Gericht zu erfolgen, und die Freigelassenen traten in das Verhältniß der Metöken oder Schutzgenossen, blieben aber in einen: gewissen Abhängigkeitszu­

stande ihren Patronen gegenüber, dessen Verletzung sie in die Sklaverei zurück­ führen konnte.

Oft blieben sie auch im Dienste ihrer früheren Besitzer; oft

mag aber freilich eingetreten sein, was Demosthenes erwähnt:

„Schlechte

und undankbare Sklaven pflegen, wenn sie zur Freiheit gelangt sind, ihren früheren Herren keinen Dank für -ihre Freilassung zn zollen, sondern dieselben vielmehr vor allen anderen Menschen zu hassen, als die­

jenigen,

die

darum

wissen,

daß

sie im Sklavenstande

gelebt

haben."

In der neueren Zeit

haben eine große Menge Inschriften, namentlich aus

Delphi,

daß die Sklaven um ihren Loskauf

dargethan,

machen, sich an irgend welche Gottheiten

dann

seinen

Sklaven

nominell

an

den

wendeten.

Gott

und

rechtsgiltig

zu

Der Herr verkaufte auf

dem

Dokument

befindet sich die Quittung für die Kaufsumme, die Bemerkung, daß der genau

bezeichnete Sklave frei sein sollte, die Zustimmung erbberechtigter Verwandter des Herrn und die Angabe der Zeugen. Die Ansichten der Römer über die Rechtmäßigkeit der Sklaverei waren

nur insoweit von denen der Griechen abweichend, als man bei ihnen die Natur­ widrigkeit des Verhältnisses eigentlich nicht leugnete.

Digesten aufgenommene Definition^ welche

So lautete die in die

von dem zur Zeit des Kaisers

Alexander Severils

lebenden

Rechtsgelehrten Florentinas

herrührt:

„Sklaverei ist eine völkerrechtliche Bestimnmng, durch welche Jemand gegen die

Natur einer frembcii Gewalt unterworfen wird."

Der Jurist Theophilos

setzte hinzu: „Die Natur hat Alle frei geschaffen und die Sklaverei ist eine Er­

findung des Krieges." Auch über die Aristotelische Annahme einer zweifachen Bestimmung des ruenschlichen Geschlechtes dachte man freier, und der Philo­ soph Seneka sagt dagegen: „Wenn man glaubt, daß die Sklaverei den ganzen

Menschen umfasse, so irrt man; der bessere Theil desselben ist ausgenommen. Die Leiber sind den Herren unterthänig und verschrieben; der Geist ist frei und

ungebunden, so daß er nicht einmal von dem ihn umschließenden Gefängnisse

zurückgehalte): werden kann, Ungeheures zu vollführen und sich zum Begleiter der Himmlischen emporzuschwingen."

Dessellungeachtet ist auch der freisinnige

Seneka weit davon entfernt, an der Nothwendigkeit der Sklaverei zu zweifeln. Das Festhalten des Rainers am abstrakter: Rechte ließ ihn überhaupt zu keinem

Skrupel hierüber kommen, und der harte und rauhe Guß seiner eigenwilligen Natur brachte den Unterworfenen eine gemessenere und mürrischere Behandlung als in Hellas.

Was den Ursprung der Sklaverei bei den Römern betrifft, so haben die­ selben sie gelviß mit Recht von der Kriegsgefangenschaft hergeleitet, durch die der Feind selbst, wie jede ai:dere erbeutete Sache, in den Besitz des Siegers kam.

Gewöhnlich wurden nun aber die Gefar:ger:en von der übrigen Beute,

die dem Heere anheim fiel, gesondert und für Rechnung des Staatsschatzes verkauft. Es wird dies sehr oft erwähnt (von Livius bereits aus dem Jahre 500

v. Chr.), und bei der Versteigerung in: Lager trugen die Gefa::genen einen Kranz auf dem Haupte, zrun Zeichen, daß der Staat für ihre etwaigen Fehler

nicht hafte.

Nur zuweilen geschah es, daß den Soldaten ein Theil der Kriegs­

gefangenen als Belohnurig zuertheilt wurde, z. B. im Jahre 423, wo nach Eroberung der Stadt Fidenü jeder Reiter einen Sklaven, die Tapfersten aber

je zwei sich erloosten.

Wie in Griechenland gab es

auch in Rom gewisse

Fälle, in denen der freigeborene Römer in die Sklaverei gerieth.

Wer sich

der allgemeinen Schätzung entzog, um der Besteuerung und dem Kriegsdienste

zu entgehen, wer sich bei der Rekrutirung rncht stellte oder im Felde die Fahne

verließ, wer sich in betrügerischer Absicht als Sklave verkaufen ließ, um An­

theil am Gewinne zu haben, wurde vom Staate in die Sklaverei verkauft. Später setzte auch der Kaiser Klaudius fest, daß jede Freie, die mit einem

fremden Sklaven wider Willen seines Herrn lebte, mit ihrem ganzen Ver­ mögen demselber: Herrn angehören sollte. Dagegen erfolgte in zwei anderen Fällen wol der Verlust der Freiheit, aber nicht eigentliche Sklaverei, da der

Betroffene nicht alle Rechtsfähigkeit verlor.

Der Vater konnte vermöge seiner

hausherrlichen Gewalt den eigenen Sohn verkaufen, und noch die Zwolftafel-

218

Die Leibeigenen und Sklaven.

setze bestimmten, daß erst nach dreimaliger Wiederholung dieser Barbarei der

Sohn von der väterlichen Herrschaft frei sein sollte! Aber auch der Schuldner

gerieth nach fruchtlosem Verlaufe aller ihm gestellten Fristen in die Knechtschaft

des Gläubigers, und diese Sitte bestand der Hochhaltung des einmal gegebenen Wortes gemäß und bei der vorherrschenden Richtung auf Erwerb gesetzlich noch

in der Kaiserzeit.

Auch die Religion konnte eine Ursache zum Verluste der

Freiheit abgeben, so wie z. B. unter Diokletian die Christen niedrigen

Standes den Genuß ihrer Freiheit verloren.

Natürlich hatten auch Alle, die

von einer Sklavin geboren waren, das Schicksal ihrer Mutter, und es war in

Rom einerlei, ob das Kind aus einer Sklavenehe herruhrte, die überhaupt als ein rechtloses Verhältniß galt, oder wer sonst der Vater war.

Die im Hause

geborenen Sklaven kannten alle Verhältnisse desselben und eigneten sich des­ halb am besten zur nächsten Bedienung der Herrschaft; sie genossen aber auch eine größere Freiheit, nahmen sich viel heraus, und man sah ihnen ihre sprich­ wörtlich gewordene Dreistigkeit und ihre muthwilligen Späße nach, da man

mit ihnen aufgewachsen war.

In der älteren Zeit reichten in Rom die im Kriege mit benachbarten Völkern gemachten Gefangenen wol vollkommen aus.

Zur nächsten Bedienung

wurde vielleicht ein einziger Sklave gebraucht; wenigstens scheint darauf die alte Benennung der Sklaven nach dem Namen des Herrn, z. B. Bursche des

Markus, des Lucius u. s. w. hinzudeuten.

M. Kurius, der Besieger des

Pyrrhos, hatte nur zwei Reitknechte im Lager; M. Porcius Kato, der Wächter altrömischer Sitte, nahm als Konsul nicht mehf als drei Sklaven mit

nach Spanien.

Juvenal sagt in der Beschreibung eines Mittagsmahles nach

altem Stile: „Geringe Becher, für wenige Dreier gekauft, wird Dir ein un­

geschniegelter, aber vor der Kälte gesicherter Bursche darreichen. Sklaven aus Phrygien da,

keine aus Lykielr,

händler um hohen Preis gefeilscht.

Niemand,

Es sind keine

vom

Sklaven­

Hast Du etwas zu fordern, so fordere es

lateinisch. Alle Sklaven sind leicht gekleidet, die Haare geschoren und schlicht und nur heute des Gastniahles wegen gescheitelt." Obgleich ferner die Herren dieselbe rechtliche Macht, wie die späteren Generationen in den Händen hatten,

scheint doch iw alter Zeit eine größere Milde in der Behandlung und ein ver­

traulicheres Verhältniß zwischen Knechten und Gebietern bestanden zu haben. Die Sklaven aßen in Gesellschaft der Herren, jedoch auf besonderen Bänkchen

zu den Füßen der Speisesophas, mit welchem Platze sich überhaupt Leute nie­ drigen Standes und die Kinder begnügen mußten.

Der Censor strafte sogar

den Bürger, der seine Sklaven schlecht behandelte, mit einem Verweise.

Vom

älteren Kato erzählt Ptutarch, daß er zu Hause mit seinen Knechten das

Feld bearbeitet, nach der Arbeit mit ihnen zusammen gespeist und einerlei Wein und Brot genossen habe, im Felde aber nie auf seinen Sklaven, der ihm

die Nahrungsmittel nachtrug und kochte, zornig oder unwillig geworden sei, sondern demselben, wenn es seine Zeit erlaubte, bei der Zubereitung der

Speiser: geholfen habe.

Daher sagt auch derselbe Schriftsteller in der Lebensbeschreibung Koriolan^s: „Man behandelte damals die Sklaven mit vieler Mäßigung, indenr

man dadurch, daß mail selbst mit arbeitete und gemeinschaftlich mit ihnen aß,

sie mehr an sich heranzog und gewöhnte."

Wenn aber Kato selbst in seiner

Schrift über den Ackerbau den Rath giebt, etien so wie fehlerhaftes Vieh, alte

Wägen, altes Eisen, alte Ochsen, auch alte und kränkliche Sklaven zu ver­ kaufen, so war diese Jnhunianität weniger eine Durchführung altrömischer Anschauungsweise, als ein Beweis für seinen Geiz und seine Gewinnsucht, und

Plutarch hat vollkommeil Recht, deshalb an dem Edelmuthe seines Charakters zu zweifeln.

Dabei stellt letzterer sich selbst ein besseres Zeugniß aus, Indern

er hinzufügt: „Ich für meine Person würde nicht einmal einen Ochsen, den ich

zur Bestellung meines Feldes gebraucht hätte, wegen seines Alters wegschaffeil oder verkaufen, viel weniger einen alten Knecht aus meinem Hause, als aus seiner Heimat, und aus meiner Kost und meinen Diensten, deren er gewohnt

gewesen ist, verjagen und um eines geringen Gewinnes willen verkaufen, zu-

nlal er dem Käufer eben so unnütz als dem Verkäufer sein würde." Auf einen humaneren Umgang mit den Sklaven weist endlich auch Seneka hin, indenl er schreibt: „Jene Sklaven, die nicht nur in Gegenwart ihrer Herren sprachen, sonderil auch sich mit denselben selbst unterhielten, deren Mund nicht zugenäht

wurde, waren auch bereit, für den Herrn ihre Brust darzubieten, die drohende Gefahr auf ihr Haupt zu lenkeil. Bei den Gastmählern redeten sie; aber auf

der Folter verstanden sie zu schweigen." Mit der Vergrößerung des römischen Gebietes und dem Steigen des Luxus wuchs das Bedürfniß nach Sklaven und es wurden bisweilen Uimmffeii

von Kriegsgefangenen nach Italien geschleppt. Menge Sklaven

aus Afrika mit,

So brachte Regulus eine

die dem fünften Theile der damaligen

Bürgerschaft gleich gekommen sein soll, und im Lager des Lukullus ver­ kaufte man die Gefangenen zu vier Drachmen.

Spanien,

Illyrien,

Afrika

und

Vorderasien

Großgriechenland, Gallien, lieferten

ihre Kontingente,

und da das Geschäft für Wucherer äußerst verlockend war, so entwickelte sich bald ein Sklavenhandel, der den griechischen an Ausdehnung weit übertraf.

Außer Delos traten nun Tanais und Byzanz unter den Bezugsquellen des Menschenhandels in erste Reihe.

Jenes, eine Pflanzstadt von Milet, lag

am Ausflusse des Don und tauschte gegen Wein und Kleiderstoffe von den

Nonladen des Innern, besonders von den am kaspischen Meere wohnenden Dahern Sklaven und Pelzwerk ein; Byzanz, die liederlichste Stadt des Alter­ thumes, deren Einwohner die Häuser sammt den Frauen an Fremde ver-

220

Die Leibeigenen und Sklaven.

mietheten und ihre Wohnung in den Kneipen nahmen, und deren Milizen einst in Kriegsgefahr nur dann zum Wachtdienst gebracht werden konnten, als iijan Garküchen und Schenken auf der Stadtmauer etablirte, war der Hauptstapel­ platz aller pontischen Sklaven, die schon damals für die schönsten galten.

Die

von Strabo erwähnte Menschenrüuberei der wilden Ziechen und Heniochen in der Nähe des Kaukasus wurde von manchen Städten des Schwarzen

Meeres unterstützt, die ihnen ihre Häfen öffneten rmd den Raub abkauften.

Wie in Griechenland waren ailch in Nom die Neger besonders geschätzt. Sie blieben aber immer nur eine Art Rarität, mii) Martial stellt sie mit Meerkatzen, sprechenden Elstern, Schooßhündchen iiub anderen Liebhabereien auf eine Linie. Die Sklavenhändler standen wegen ihrer Betrüglichkeit im schlechtesten

Rilfe.

Sie stellten ihre Waare mit weiß gefärbten Füßell auf einen: Gerüste

aus und verkauften sie aus freier Hand oder ließen sie durch den Herold ver­

steigern.

Am Halse trugen die Feilgebotenen eine Tafel mit Angabe ihrer

Vorzüge und körperlichen Fehler.

Wollte der Verkäufer keine Garantie für-

letztere gewähren, so trug der Sklave einen Hut; im entgegengesetzten Falle

aber schützte ein spezielles Edikt der kurulischen Aedilen den Käufer vor Betrug und Arglist.

Auch die moralischen Fehler und Übeln Angewohnheiten

kamen dabei in Betracht, und wenn der Sklavenhändler einen Dieb, einen

Läufling, einen Spieler für einen unbescholtenen Menschen, oder einen ver­ schmitzten, in allen Sklavenkniffen bewanderten Burschen (veterator) für einen Neuling ausgegeben hatte, so niußte er ihn wieder nehmen.

Die Käufer

hüteten sich daher wohl, ließen die Sklaven entblößen und besahen und be­ tasteten sie von allen Seiten.

„Die Sklavenhändler", sagt Seneka, „ver­

stecken durch irgend einen Aufputz alles Mißfällige.

jeder Schmuck verdächtig.

Deshalb ist den Käufern

Man mag daher einen Schenkel oder einen Arm

umwickelt sehen, man läßt ihn entblößen und sich den Körper selbst zeigen.

Siehst Du jenen Prinzen aus Skythien oder Sarmatien, mit einem Kopf­ schmucke geziert? Wenn Du ihn taxiren willst und genau wissen, was er werth

ist, so löse ihn: die Fürstenbinde! Viel Uebles ist unter ihr verborgen."

Der

Dichter Kl au di an schreibt in Hinblick auf die früheren Schicksale des ost­ römischen Ministers Eutropius: „Wenn Du die Fluthen des Meeres, die

Sandkörner Libyens kennst, so zählst Du die Herren des Eutropius.

Wie oft

hat er den Besitzer, wie oft das Aushängeschild, wie oft seinen Na:nen ver­

tauscht! Wie oft stand er nackt da, während der Käufer den Arzt zu Rathe zog, damit ihm nicht durch verborgenes Uebel ein Verlust drohte! Aber Alle reute

der Handel und immer wieder wurde er losgeschlagen." gang auf dem Sklavenmarkte schildert Martial.

Einen drolligen Vor­

Ein Herold bot einst ein

Mädchen zum Verkaufe aus, das eben nicht in gutem M:fe stand.

Als er nun

trotz des geringen Preises lange keinen Käufer gefunden hatte, verfiel er auf die List, das Mädchen zil küssen, um den Anwesenden dessen Sittsamkeit durch das Sträuben darzuthuir, womit es diese Zildringlichkeit aufnahm.

Käufer,

Allein der

der eben noch 600 Sesterzen (130 Mark) geben wollte, zog sein

Gebot sofort zurück!

Ueberhaupt wurden die besseren und schöneren Exem­

plare nicht auf dem Markte, sondern privatim in den Buden der Sklaven­

händler verkauft.

„Diese bewahrt", sagt Martial, „das Getäfel des geheimen

Schaugerüstes, und weder das Volk, noch das Gelichter meines Schlages bekommt sie zu sehen."

Preis gezahlt.

Natürlich wurde für diese Sklaverl auch der theuerste

Im Allgemeiuen scheint übrigens die Taxe der Sklaven in

Rom etwas höher gestanden zu haben als in Athen.

Wenn der ältere Kato

nie euren Sklaven kauferr wollte, der mehr als 1500 Drachmen kostete, so

übersteigt fein Maximum für eineu Ackersklaven, der sonst keine Kunst verstand, die irr Griechenland gewöhnlicherr Preise. Horaz läßt einen Sklavenhändler für einen gewandten,

fehlerloser:

Sklaven, der ein wenig Griechisch verstand rmd keine üble (Stimme hatte, 8000 Sesterze:: (1740 Mark) verlangen.

Für schöne oder gelehrte Sklaven

zahlte man enorme Summen und 100,000 Sesterzen (21,753 Mark), ja, das Doppelte fomnü nicht selten vor.

Der reiche Kalvisius Sabinus, ein

Zeitgenosse Seneka's, hatte ein schwaches Gedächtniß und verwechselte immer die bekanntesten Namen der Vorzeit.

Da er aber den Schein der Gelehrsam­

keit verbreiten wollte, so kaufte er sich eine:: Sklave::, der den Homer, einen zweiten, der den Hesiod, neun Andere, welche die lyrischen Dichter aus­

wendig wußten.

Da diese lebendigen Bücher nicht anfzntreiben waren, so be­

stellte er sich dieselbe:: und zahlte für jeden 100,000 Sesterzen, bloß um die

Gäste

durch seine Souffleure

:n Verlegenheit

zu

setzen!

Der habsüchtige

Krassus ließ ebenfalls seine Sklaven sorgfältig unterrichten, um sie dann mit großem Vortheile zn verkaufe::, und vom älteren Kato erzählt Plutarch:

„Er streckte auch seinen Sklaven auf Verlaugeu Geld vor.

Diese kauften sich

dafür Kinder und verkauften sie wieder mit Vortheil, wenn dieselben von ihnen ein Jahr lang auf Kato's Nnkosten in allerhand Künsten und Handwerken

unterrichtet worden waren.

Kato behielt auch selbst viele von diese:: Kinder::,

und zwar für den Preis, der von einem Käufer geboten worden war" (er

übte also das Vorkaufsrecht). Die Zahl der Sklave:: war schou gegen das Ende der Republik unglaub­ lich gestiegen, und wie in Athen erforderte der Anstand für jeden größeren Haushalt eine bestimmte Anzahl.

Wahrend noch der jüngere Scipio Afri-

kanus nur fünf Sklaven auf ferne Feldzüge mitnahm, wird es dem Prätor

Tillius von Horaz vorgeworfen, daß ihm auf der großen Tour von Ron: nach Tivoli nur dieselbe Zahl von Dienern folgte.

Kato, der Jüngere,

222

Die Leibeigenen nnd Sklaven.

hatte in seinem Gefolge stets 15 Sklaven und zwei Freigelassene.

Horaz er­

zählt von dem wunderlichen und unbeständigen Virtuosen Tigellius, daß er

zuweilen 200, zuweilen nur 10 Sklaven gehabt habe und scheint damit ein Minimum für seine Zeit zu bezeichnen.

In der folgenden Periode stieg aber

der Luxus so, daß man von Heerden, Heeren, Nationen und Legionen von

Sklaven reden konnte.

Demetrius,

ein Freigelassener des Pompejus,

zählte nach Seneka täglich die Menge seiner Sklaven, wie Pompejus seine Soldaten.

Ein gewisser Klaudius Jsidorus, der unter Augustus starb,

hinterließ 4116 Sklaven, wiewol er in den Bürgerkriegen viel eingebüßt hatte. Der Usurpator Prokulus konnte 2000 Sklaven aus seinem Hause bewaffnen.

Noch größere Zahlen kommen in Justinians Periode vor.

In Petronas

satirischem Romane wird diese Maßlosigkeit am reichen Emporkömmling Trimalchio persiflirt.

Da antwortet ein Sklave auf Befragen, daß er zur vier­

zigsten Dekurie gehöre; ein anderer behauptet, daß nicht der zehnte Theil der Sklaven Trimalchio^s ihren Herrn kännten, und in einem statistischen Tages­

bericht, den sich Trimalchio von seinem Buchhalter vorlesen läßt, heißt es gar:

„Am 27. Juni sind auf dem Landgute bei Kumä 30 Knaben und 40 Mäd­ chen, geboren worden."

Die Eintheilung in Dekurien wurde durch die große

Menge nöthig, und Kolumella empfiehlt sie beim Ackerbau besonders der leichteren Beaufsichtigung wegen.

Es waren aber auch in größeren Häusern

besondere Stillegebieter (silentiarii) angestellt und Namennenner (nomen^ clatores), deren Gedächtniß alle Sklavennamen festhalten mußte. Trotz der ungeheuern Menge war aber doch das Verhältniß der Freien zu den Unfreien in der Hauptstadt selbst ein viel günstigeres als in Athen.

Es herrschte in

Noln unter der niederen städtischen Bevölkerung eine viel größere Arnmth als

in Athen, und man kann getrost behaupten, daß 700,000 Freie gar nicht an

Sklavenhalten denken konnten. Sklaven,

so

Nun überwog aber allerdings die Zahl die

daß. man vielleicht

1,100,000 Sklaven rechnen kann.

auf ungefähr

2

Millionen Einwohner

Man wird sich deshalb nicht wundern,

daß der schon vor Seneka^s Zeit im Senate gemachte Vorschlag, die Sklaven durch eine besondere Kleidung zu kennzeichnen, nicht durchging. „Man sah ein," sagt der Philosoph, „welche Gefahr drohte, wenn unsere Sklaven an­

fingen, uns zu zählen."

Alexander Severus, der überhaupt für das Uni-

formirungswesen schwärmte, kam auf den Gedanken zurück, ließ sich aber durch

die Vorstellungen der Rechtsgelehrten Ulpian und Paulus, die mehr auf die wahrscheinliche Vermehrung der Zänkereien imt) thätlichen Beleidigungen hin­ wiesen, davon abbringen.

Die römischen Sklaven trugen, wie die griechischen,

nicht das die Arme am Arbeiten hindernde Obergewand, sondern einen groben, kurzen, ärmellosen Leibrock.

Was die Namen der Sklaven betrifft, so ent­

lehnten die Römer dieselben ebenfalls zum Theil von der Heimat, oder mit

grausamer Ironie von alten Königen und Helden. Lieblingssklaven benannte man zarter nach Edelsteinen und Blumen, z. B. Smaragd, Beryll, Hyazinth, Narziß. Mit römischen Namen, die überhaupt nicht wie in Hellas etwas Zu­ fälliges, Wechselndes, sondern Zeichen des freien Mannes waren, blieb man sehr zurückhaltend, und am häufigsten erscheint darunter der Name „Statius". Domitian ließ einst einen vornehmen Mann deshalb hinrichten, weil er zweien seiner Sklaven die Namen Mago und Hannibal gegeben hatte! Es scheint also damals eine Art von Nanienzensur bestanden zu haben. Nachdem die Dienerschaft vom Tische der Herren verstoßen worden war, erhielt sie monatlich, in manchen Häusern auch täglich, ein Deputat an Weizen, Oliven, Oel, Essig, Wein, Fischlake und Salz. Man rechnete jährlich unge­ fähr 525 Liter Weizen auf die Person, was einen Werth von etwa 39 Mark ausmacht. Der Wein, dessen Portionen Kato genau nach den verschiedenen Jahreszeiten vorschreibt, war natürlich nur Trester. Die Oellieferung betrug monatlich ein halbes Liter, die des Salzes jährlich 10 Liter. Rechnet man die Kleider (eine Tunika und einen Mantel), die bloß alle zwei Jahre gegeben wurden, hinzu, so werden die Unterhaltungskosten eines Sklaven nicht viel über 72 Mark jährlich betragen haben, wogegen ein freier Tagelöhner zu Cicero's Zeit sich täglich 45 Pf., also jährlich mit Abrechnung der Feiertage vielleicht 150 Mark verdienen konnte. Die größere Hälfte der Sklaven wurde zur Bewirthschaftmlg der Ländereien und großen Güter (latifundia) verwendet, und da wir die agrarischen Verhältnisse Italiens genauer kennen als die Attika's, ist es interessant, zil sehen, wie die Sklaverei, verbunden mit den großen Güterkomplexen, in uationalökoilomischer Hinsicht hier dem Lande eben so viel geschadet hat, wie den Sklavenstaaten Amerikas. Jll Folge der unaufhörlichen Eroberungs­ kriege Roms konnte es gar nicht anders kommen, als daß die freie Bevölke­ rung Italiens incht nur ab nehmen, f untern auch dem friedlichen Ackerbau ent­ fremdet werden mußte. Schon Tib. Gracchus fand in Etrurien das Land wüste liegend und Hirten und Ackerleute aus Sklaven und Barbaren bestehend. Das unselige System der Militärkolonien vollendete die Ausrottung des freien Bauernstandes. Sulla's nnd Cäsar's Legionen und die verwilderten Vete­ ranen der letzten Triumvirn vertrieben die Eigenthümer gerade der schönsten und fruchtbarsten Gegenden. Selter: aber wird aus einem altem Soldaten ein fleißiger Landmann. Jene Krieger waren überhaupt ein lockeres, ausschwei­ fendes Leben gewöhnt und blieben deshalb selten im langen Besitze des er­ worbenen Ruheplatzes. Zwar hatte Cäsar den Kolonisten verboten, ihre Ländereien in den ersten zwanzig Jahren zu veräußern, aber schon Kassius brachte dies Hinderrnß in Wegfall; reiche Spekulanten legten ihr Geld in den zusammengekauften Gütchen arr, uni die Hände ihrer sich immer mehrenden

224

Die Leibeigenen und Sklaven.

Sklaven Vortheilhaft zu beschäftigen, und verdrängten sogar oft ihre ärmeren

Nachbarn mit Gewalt, wenn ihnen deren Besitzungen recht gelegen waren. So

verschwand allmählich der kleine Grundbesitz. Aber auch der Boden erfuhr nun eine andere Benutzung, die den Bedürfnissen der Bevölkerung nicht entsprach.

Der reiche Mann entzog auf seinen: Besitzthum, dessen Grenzen oft ganze

Landschaften umschlossen, den Acker dem Getreidebail, indem er oft den frucht­ barsten Raum für seine Landhäuser, Gärten, Haine mrd Fischteiche brauchte.

Auch der Spekulant vernachlässigte die Getreideproduktion,

die zu Kolu-

mella^s Zeit kaum 4 Prozent Gewinn abwarf und legte sich auf Viehzucht,

Weill- und Oelbau.

So findet man denn gegell das Ende der Republik die

ungeheueren Sklavenmassen der römischen Schwelger in den Oel- und Wem-

pflanzuilgen abtheilungsweise unter ihren Aufsehern, zudem noch großentheils gefesselt, arbeiten, und Cäsar drang nicht einmal hinsichtlich der Hirten mit der Bestimmung durch, daß wenigstens der dritte Theil derselben aus Freien bestehen sollte.

Anstatt der zahlreichen Weiler ulld Gehöfte glücklicher Bürger,

die früher die Landschaft belebt hatten, erblickte man jetzt in abgemessenen Ent­

fernungen die verrufenen Herbergen (ergastula) der Leibeigenen.

Die Be­

völkerung derselben sollten eigentlich die des Entlaufens verdächtigen und die wegen irgend welcher Vergehung aus der Stadt hierher verwiesenen Sklaven bilden.

Allein wiewol Kolumella die große Küche der Villa den Sklaven

als gewöhnlichen Aufenthaltsort anweist und die günstigste Lage für ihre

Zellen bestimmt, so kann man doch annehmen, daß in der That wegen Mangel

an Platz und aus Furcht die Mehrzahl der Sklaven in jenen halb unter der

Erde liegenden, mit recht hohen Fensterchen versehenen Bagnos eingepfercht

wurden und dort alle in Fesseln lagen.

Deshalb heißt bei Plautus die

familia rustica „ein eisernes Geschlecht" (ähnlich unserem Ausdrucke: „Ge­

schlossene Gesellschaft"). Darum sagt Martial: „Du glaubst vielleicht, daß ich mir aus dem Grunde Reichthum wünsche, weshalb der große Haufe und der

ungebildete Schwarm ihn erstrebt: damit die setinische Scholle meine Harken abnutze und mein tuscischer Acker von unzähliger: Fesseln klirre."

An, der

Spitze der Verwaltung des Gutes stand eir: Inspektor (villicus), ebenfalls ein Sklave, welcher Kenner des Landbaues war; ihn: zur Seite aus größeren

Gütern ein besonderer Rechnungsführer. Die Pflichter: des Inspektors hat der ältere Kato genau beschrieben; auch wie dessen Frau, die ihm vom Hern: oktroyirt wurde, beschaffen sein soll, über ihre Geschäfte und ihr Verhalten gegen die Nachbarweiber findet man bei ihm die überraschendsten Einzelheiten. Während

diese Bewirthschaftung des Landes sich

über Mittel- und

Unteritalien bis nach Sicilien erstreckte, blieben die gallischen Bewohner der

Pogegenden weniger davon berührt,- weil die Besitzer der dortigen Güter,

wie auch der jüngere Plinius, nur Kleinpächter und freie Arbeiter hielten.

Die schlimmen Folgen der großen Gnterkoniplexe und der Sklaverei entgingen schon den Alten keineswegs. Sie sahen, daß die Kraft des Landes verschwand,

während mir die wenigen Sklavenhalter sich bereicherten und daß auch das

Zurückgehen der Agrikultur mit der ungenügenden Arbeitskraft und Arbeits­ lust der Sklaven zusammenhing. Der ältere Plinius spricht es an verschiedenen

Stellen unumwunden aus;

„die Latifundien,"

heißt

es irgendwo, „haben

Italien zu Grunde gerichtet und beinahe auch schon die Provinzen." — „Wir

wundern uns, daß jetzt die Kraftanstrengungen der Züchtlinge geringer sind,

als die der ehemaligen Feldherren. Es taugt gar nichts, daß die Fluren von den Sklaven bearbeitet werden und eben so lvenig taugt Alles, was durch solche

verzweifelte Menschen geschieht."

Selbst die Landstraßen wurden zuweilen

durch die Sklavenhalter unsicher gemacht, indem die habsüchtigsten unter ihnen harmlose Wanderer, einerlei, ob Sklaven oder Freie, aufgreifen und unter ihre Sklaven stecken ließen. Der Kaiser Augustus nahm deshalb eine Revision

der Arbeitshäuser vor und Tiberius sah sich zur Wiederholung dieser Maß­ regel gezwungen, weil abermals nicht bloß Reisende, sondern auch solche mit Gewalt zurückgehalten wurden, die aus Furcht vor der Rekrutirung sich in die Sklavenherbergen geflüchtet hatten.

auf.

Hadrian hob endlich die Bagnos ganz

Dennoch gelang es nie vollständig, diese schändlichen Anstalten zu unter­

drücken, und die Regierung ließ selbst die Arbeitshäuser der Staatssklaven

noch fortbestehen. Außer diesen Ackersklaven erscheint nun aber auch in den Rechtsquellen

der Konstantinischen Zeit ein leibeigener Bauernstand, der die den Herren ge­ hörigen Felder gegen eine Abgabe vom Ertrage bewirthschaftete, aber an die Scholle gefesselt lvar.

Die Herren durften nie baare Münze von ihnen ver­

langen, sie auch nicht ohne das dazu gehörige Land verkaufen. Die Entlaufenen

wurden streng bestraft und wieder zurückgebracht.

Die Kolonisten waren vom

Kriegsdienste frei und zahlten Kopfsteuer, die, wie früher in Rußland, vom Gutsherrn im Ganzen ausgelegt und dann von den Einzelnen wieder einge­ trieben wurde.

Doch lassen sich unter diesen Leibeigenen wieder zwei Klassen

deutlich erkennen: die eine besteht aus wirklichen Sklaven, auf deren Eigen­ thum der Herr Ansprüche machen kann, die andere aus ursprünglich freien

Kolonisten, die nach Ablauf von 30 Jahren dem leibeigenen Stande verfielen,

ohne ihre persönliche Freiheit und ihr Dispositiousrecht zu verlieren. Entstehung dieser merkwürdigen Verhältnisse ist nicht klar.

Die

Es wird wol zu­

weilen vorgekommen sein, daß Gutsbesitzer einzelne Parzellen den eigenen Sklaven in Naturalpacht gegeben haben, und daraus könnte jene erste Klasse entstanden sein.

Die in freieren Verhältnissen lebenden Kolonisten sind aber

wahrscheinlich Barbaren, besonders Germanen gewesen, die zu verschiedenen

Zeiten und schon von Augustus an in die Provinzen übergesiedelt worden sind, Göll, Kulturbilder. I.

15

226

Die Leibeigenen und Sklaven.

um dem Landbaue ailfzuhelfen.

Uebrigens sei es zilr Ehre des menschlichen

Gefühles erwähnt, daß sowol bei Verkäufen als auch bei Gütertheilungen die

nächsten Verwandte): unter beit Llckersklaven nicht von einander gerissen w::rden.

„Wer sollte es mit ansehen können," sagt der Kaiser Konstantin in

einem Edikte, „daß Kinder von ihren Aeltern, Schwestern von ihren Brüdern, Weiber von den Märnrern getrennt werden?" Man hat diese Milderung dem

Einflüsse des Christenthums zuschreiben wollen; daß aber schon früher auf die

Verwandtschaft Rücksicht genommen wurde, ergiebt sich aus folgendem Zusatze Ulpian^s zum ädilischeu Edikt: „Gewöhnlich werden vom Käufer wegen der

mit Krankheit behaftete): Sklaven auch die gesunde:: dem Händler zurückgegcbe::, wenn sie nicht getrennt werde:: können ohne großen Verlust oder nur mit

Verletzung der Pietätsrücksichten.

Denn sollte man wol mit Zurückhaltung des

Sohnes desse:: Aeltern dem Händler wiedergeben wollen? Dasselbe n:uß auch

bei Brüder:: und bei verheiratheten Personen beobachtet werde::." Wenn man nun ferner die verschiedenen Beschäftigungen der städtischen Sklaven ins Auge faßt, so kann hier Manches übergangen werden, was theils mit griechischer Sitte übereinstimmt, theils in andere, nicht hierher gehörige Gebiete ein­

schlägt. Unter denjenigen Sklaven, welche das Vertrauen ihres Herrn besaßen und in Folge dessen die Oberaufsicht über einzelne Theile des Hauswesens führten, auch allein das Recht hatten, sich einen Vikarius oder einen stellvertretenden Sklaven

zu kaufen, war der Prokurator, als der eigentliche Vermögensverwalter, der vor­ nehmste. Unter ihn: standen der Kassirer und der Proviantmeister.

Eine ange­

sehenere Stelle nahm ferner der Haushofmeister (atriensis) eh:, unter dessen Aufsicht

das ganze Inventar des Palastes sich befand. Es folgten die eigentlichen Kammer­ diener, die auch die Besucher anzumelden hatten, wobei der Portier nicht zu vergessen

ist, der, bereits mit dem Rohrstocke bewaffnet, die Zudringlichen abwehrte, aber auch in vielen Häusern wie ein Hund an der Kette lag.

Bei Ausgängen nahm man

gewöhnlich ein Gefolge von vielen Sklave:: mit. Einige gingen hinterdrein und

trugen allerha::d Bedürfnisse, da es zum guten Tone gehörte, sich auch der leichtesten Mühe zu überheben, weshalb selbst den Kindern die Schulutensilien

von einem Sklaven in der Kapsel nachgetragen wurden.

Andere Sklaven

bildeten :nit den Klienten und Parasiten des Hauses den Vortrab und suchten durch Geschrei und Rippenstöße den Weg frei zu halten.

Ammianus Mar-

eellinus erzählt von seiner Zeit, daß die Reichen mit fünfzig Begleitern die Bäder zu besuchen pflegten! Um die Mitte des ersten Jahrhunderts hatte man

auch bereits Läufer und numidische Vorreiter auf der Reise bei sich.

In

der Stadt vertrat die Stelle des Wagens die Sänfte (lectica), welche, an­

fangs nur Kranken und Frauen neben der kaiserlichen Familie Vorbehalten, seit der Regierung des Kaisers Klau diu s allgemein in Gebrauch kam.

Auf

das mit Baldachin und Vorhängen versehene Ruhebett hingegossen, schwebten

nun die Herren der Welt von 6 — 8 stämmigen Sklaven in rother Livree ge­ tragen, über den Häuptern der ärmeren Sterblichen dahin. „Ihr," sagt Lukian zu den Römern, „die Ihr die Menschen wie Zugthiere gebraucht, laßt sie auf ihrem Nacken die Sänften wie Wagen schleppen. Ihr selbst aber liegt iippig darauf und lenkt von da ails die Menschen, als wären es Maulesel." Als die Sänfte allgemeill Mode geworden war, behielten sich Kaiser und Konsuln den Gebrauch des Tragsessels vor, der unserer Sänfte mehr entsprach als die lectica. Nur noch erwähnt seien ferner im häuslichen Dienste die mancherlei Handwerker, die alle nöthigen Arbeiten besorgten und dem freien

Handlverkerstande Erwerb und Achtung raubten, die musikalische Hailskapelle, Gaukler, Tänzerinnen, Gladiatoren u. s. w., ferner die Gelehrten, Aerzte', Vorleser, Bücherabschreiber und Pädagogen und vorzüglich der zum Tafel­ luxus gehörige Schwarm von Köchen und Aufwärtern aller Art. „Sieh unsere Küchen an," schreibt Seneka, „und die zwischen so vielen Feuern um­ herlaufenden Köche: sollte man glailben, daß es ein einziger Magen sei, für den mit solchem Tumulte Speise bereitet wird? Wenn sich endlich jene verwohnten Zärtlinge zur Tafel gelagert haben, so steht ein großer Haufen Sklaven um­ her; auf ein Zeichen springen sie, um aufzutragen, aus einander; einer zer­ legt kostbares Geflügel; ein Anderer reicht, wie ein Weib herausgeputzt, den Wein; ein Dritter sammelt niedergebückt die Speiseüberreste der Trunkenen. Gute Götter! wie viel Leute setzt der eine Magen in Bewegung!" Im Allgenieinen darf man sich aber airch nicht verhehlen, daß, weil die Sklaven Geschäfte, Haildlverke und Künste aller Art theils im Dienste uild für Rechnung ihrer Herren trieben, theils zu demselben Zwecke an Andere mit Vortheil vermiethet wurdeil, tu der römischen Zeit und namentlich unter den Kaisern fast alle Arbeit, die jetzt von Freien geleistet wird, dem Sklavenstarrde anheim fiel, und daß in Folge der dadurch erzeigten Wohlfeilheit der Arbeit jener atlßerordentlich verbreitete Kunstluxus ermöglicht wurde, über den wir in allen Provinzen des römischen Reiches staunen. Die Zahl der Sklavinnetr, welche des Winkes der Gebieterül gewärtig tvaren, überstieg die bei den Athenern gelvöhnliche ebenfalls bedetttend. Von den Launen der Herrin hatte die ganze Dienerschaft oft mehr zu leiden, als von der Strenge des Hausherrn. Martial und Ovid enthalten Schilderungen weiblicher Grausamkeit. Am besten aber charakterisirt eine ungnädige Tyrannin Juvenal: „Wemfsich die Herrin geärgert hat, ist die Spinnmeisterin verloren, die Garderobiers bringen nie die rechtet: Kleider, der Sänftenträger kommt zu spät; auf dem Eitlen zerbrechen die Ruthen, den Anderen röthet die Peitsche, den Dritten die Knute; manche Frauen zahlen den Folterknechten ein besonderes Jahr­ geld. Sie läßt zuschlagen und schminkt sich dabei das Antlitz; sie giebt ihren Freundinnen Audienz oder betrachtet die breite Goldstickerei ihres Gewandes, 15*

228

Die Leibeigenen und Sklaven.

und dabei regnet es Schläge;

sie überliest die langen Zeilen des Ausgebe-

journals: die Schläge fallen fort und fort, bis endlich die Schlagenden ermüden

und ein donnerndes: Hinaus! erschallt."

Damr schildert Juvenal die Leiden

des unglücklichen Geschöpfes, das die schwere Aufgabe hatte, das Haar der

Gebieterin tlach der Mode zu frisiren, und mit bloßen Schultern und zerrauftem Haar vor ihr steht: „Warum ist diese Locke höher als die andere?" ruft die

Dame unwillig, und sofort straft der Ochsenziemer das Verbrechen. — Bezeichnend

genug ist auch das Zwiegespräch zwischen Frau und Marrn bei demselben Dichter:

„Laß für den Sklaven ein Kreuz errichten!" — „Durch welches

Verbrechen hat er die Todesstrafe verdient? Wer ist Zeuge davon? Wer hat

ihn angezeigt? Merk' wohl! Kein Zaudern über eines Menschen Tod ist zu

lange!" — „O Thor! Also ist wol der Sklave ein Mensch? Er mag nichts

gethan haben; gut! Aber ich will es; ich befehle es, und mein Wille ist Grund

genug!" — Leider liegt in den letzten Worten mehr als ein Beweis für die

tyrannische Willkür mancher Herren; sie enthalten zugleich die römische, vom Gesetze bestätigte Ansicht über das unbeschränkte Recht des Herrn gegen Leib

und Leben des Leibeigenen.

Während in Atherr die eigenmächtige Tödtung

der Sklaven verboten war, konnte in Rom der Herr seinen Sklaven strafen,

martern und quälen; er konnte ihn nach Belieben tödte:r, ohne Rechenschaft zu geben.

Dieses strenge Recht scheint nur in älterer Zeit weniger zur Ausübung

gekommen zu sein, als in späterer, und wurde überhaupt in verschiedenen Familien verschieden geübt; es gab aber doch zu jeder Zeit grausamen Charak­

teren Gelegenheit, ihre böse Lust zu stillen.

Noch zu Cicero's Zeit ließen

Privatleute ihre Sklaven nicht nur unmenschlich foltern, sondern auch hinrichten. Der alte Kato ließ es sich z. B. nicht nehmen, einen eines größeren Verbrechens

überwiesenen Sklaven im Beisein der andereil vor seinen Augen am Leben

strafen zu lassen, so wie er auch nach aufgehoberler Festtafel eigenhändig die­ jenigen auspeitschte, welche in der Aufwartung etwas versehen oder die Speisen

nicht wohl zubereitet hatten! Mehrere Schriftsteller erzählen von der Grausamkeit

eines Vedius Pollio, der zu August's Zeit lebte.

Als der Kaiser einst bei

ihm speiste, zerbrach ein Sklave ein kostbares Krystallgefäß.

Vedius befahl,

denselben sofort den Muränen seines Fischteiches vorzuwerfen.

Der Schuldige

stürzte dem Kaiser zu Füßen und bat nur um eine andere Todesart. Augustus

befreite ihn, ließ alles Krystallgeschirr des Hauses zerbrechen und befahl, den Fischteich zuzuschütten.

Auch das Petronische Gesetz, das dem Herrn das Recht

nahm, seinen Sklaven ohne Entscheidung der Obrigkeit zum Kampfe mit den

wilden Thieren hinzugeben, scheint unter seiner Regierung erlassen worden zu sein.

Schon die Flucht zur Bildsäule des Kaisers, ja sogar das Emporhalten

einer Münze mit dem kaiserlichen Bildniß gewährte den Sklaven vorläufige Rettung, und über zu grausame Behandlung, unkeusche Zumuthungen und zu

spärliche Kost konnten jetzt die Sklaven ihre Klage bei dem Stadtprüfekten an­

bringen.

Dagegen kam es auch vor, daß der Kaiser verbrecherische Subjekte

nach zuvor angestellter Untersuchung ihren Herren zur Vollziehuug der Todes­

strafe auslieferte.

Unter Klaudi:rs trieben Viele ihre Härte gegen die Sklaven

so weit, daß sie Kranke oder Gebrechliche ohne Weiteres aus dem Hause stießen

oder auf der Tiberiusel, wo das Tempelhospital Aeskulap's stand, aussetzten. Der Kaiser verfiigte deshalb, daß die Ausgesetzten, wenn sie gestmd würden, nicht wieder in die Gewalt ihrer Herren zurückfallen, sondern frei sein sollten.

Als Mörder sollte aber behandelt werden, wer seinen Sklaven lieber todten als

aussetzen würde.

Hadrian fand es für nöthig, das Petronische Gesetz wieder

in Erinnerung zu bringen, uird stellte ailch ein Atrafexempel auf, indem er eine vornehme Frau, die ihre Mägde wegen geringer Vergehungen arg mißhandelt

hatte, auf fünf Jahre in die Verbanmmg schickte. Antonius endlich verordnete abermals, daß gegen Jemanden, der seine Sklaven tödtete, nicht anders ver­

fahren werden sollte, als gegen den Mörder eines fremden Sklaven, und befahl, daß die Sklaven, welche sich wegen schlechter Nahrurrg und imerträglicher Behandlung in ein Heiligthum stiichten würden, nicht mit Gewalt zurückgebracht, soudern, wenn sich ihre Klagen gegründet erwiesen, von den Herren verkauft

werden sollten.

Schoir diese sich wiederholenden Eiuschärfungeu erregen ein

gerechtes Mißtraueir gegen den Schlltz, welchen die kaiserlichen Bestimmungen iiberhaupt gewährt haben.

Juvenal's Schilderungen lassen kaum eine Be-

schränkung der herrschaftlichen Willkür ahnen, und Ammianus berichtet über

die Römer des vierteil Jahrhunderts nichts Besseres.

Freilich muß mau bei

allem Abscheu vor dieser Herabwiirdigung der menschlichen Natur bedenken,

daß die zahlloseil imi) demoralisirten Sklavenschwürme nur durch die größte

Strenge nn Zanme gehalten werden konnten.

„Uilsere Vorfahren," spricht bei

Taeitils ein Senator, „mißtrauten dem Charakter der Sklaven, mut) weiln

dieselben auf ihren GLiteril oder in denselben Häusern geboren ivareil uild so­ gleich die Zuneigung des Herrn erlangt hatten.

Nachdenr wir aber Nationen

iil unscrern Gesinde besitzen, die verschiedene Gebräuche, ausländische Religionen

oder gar feine haben, kann man dieses Chaos nur durch Furcht bündigeil." Es wäre widerlich, die verschiedenen Arten der Peitschen und anderer Marteriverkzeuge zil zergliedern, die außer den bereits berührten in Allwendung

kameil.

Da nach römischem Gesetze Jedermann einem fremden Sklaven unge­

straft Faustschläge geben sonnte, so nimmt es nicht Wunder, wenn in den Lust­

spielell die Sklaven über gewöhnliche Schlüge ihren Scherz treiben und dieselben,

als etlvas Alltägliches, eßen nicht sehr zu fürchten scheinen.

Der Herr schärft

darunl oft die Prügelstrafe, fnbeni er den Sklaven all den Händen aufhängen und die Füße mit Gewichten beschweren läßt. Die Brandmarkung war für Diebe

und Flüchtlinge gewöhnlich nud anch in Rom suchte man später die Stelle durch

230

Die Leibeigenen und ^klaren.

Schönpstästerchen zu verbergen. Ja, es gab zu Martials Zeit zwei Aerzte, welche die Brandmäler zu vertilgen verstanden. Um das Entlaufen zu ver­ hindern, trugen auch viele Sklaven Halsbänder mit Inschriften, wie z. B.: „Halte mich fest, wenn ich fliehe, und bringe niich zurück zu N. N." Durch Maueranschläge, durch Sklavenhäscher, die aus der Aufspürung und Ergreifung der Flüchtlinge ein eigenes Gewerbe machten, und durch das strengste Verbot der Sklavenhehlerei wurde der Herr unterstützt. Noch zil Plinius' Zeit glaubte man endlich, daß eine von den Vestalischen Jungfrauen ausgesprochene Bannformel die entlaufenen Sklaven „festmachen" könne, vorausgesetzt freilich — daß sie die Stadt noch nicht verlassen hätten! Noch sei hier als eines eigenthümlichen Züchtigungsmittels der furca gedacht, eines gabelförmigen Holzblockes, aus zwei Schenkeln bestehend, welche den Verbrechern auf die Schultern gelegt und an welchen die Arme fest gebunden wurden. In der älteren Zeit war dies mehr eine beschämende Strafe, später fügte man aber noch Schläge hinzu. Bei so harter Behandlung bildeten die wenigen Tage der im Dezember gefeierten Saturnalien den einzigen Zeitpunkt im Jahre, wo die Sklaven sich als Menschen fühlen konnten. Alle ihre Arbeiten ruhten dann; sie trugen die Toga und den Hut, als Symbol der Freiheit. Sie saßen mit ihren Herren wie in alter, besserer Zeit zu Tische und ließen sich von ihnen bedienen: es herrschte, wie ein griechischer Schriftsteller sich bezeichnend genug ausdrückt, „ein Waffenstillstand im ewigen Kriege zwischen Gebietern und Sklaven." Auch die Redefreiheit, die ihnen dann zustand, wurde gegen harte Herren oft redlich benutzt. Sonst hatte es freilich bei dieser geringfügigen Rache rncht immer sein Bewenden. Ein Blick aus die römische Geschichte zeigt, daß es zu­ weilen nur eines geringer:. Anstoßes und eirres energischen Charakters bedurfte, um Tausende der Unglücklichen zun: Verzweiflungskampfe gegen ihre Unter­ drücker auszustacheln. Zweimal wurde das blühende Sicilierr durch Sklaverraufstände heimgesucht, die durch ihre Furchtbarkeit an die Negerempörung auf Domingo (1791) erinnern. Der syrische Sklave Eunus, der zuerst die Kerker der Ackersklaven sprengte und durch Gaukelei und Wahrsagcrei seinen abergläubischen Genossen so imponirte, daß sie ihn zum König wählten, unterlag erst nach dreijährigem Widerstände und vielen Siegen im Jahre 131 v. Chr. den römischen Legionen. 20,000 Kreuzigungen sollten damals Schrecken und Gehorsam verbreiten. Aber kaum 30 Jahre später erregten die Vorspiegelmrgen, welche den Sklaven ein geldsüchtiger Statthalter niachte, um sich die Herren zu reicherem Tribute zu verpflichten, einen zweiten schrecklicher: Krieg, der erst nach

fünfjährigem Kampfe in Blut erstickt werden konnte. Endlich brachen auch im Jahre 72 v. Chr. die italischen Sklaven ihre Ketten, nachdem 64 Fechtersklaven, aus einer Kaserne in Kapua entwischt, die Fahne der Empörung aufgepflanzt hatten. Der kühne Thraker Spartakus trat an ihre Spitze, schlug alle Heere

der Römer, die sich ihm entgegen stellten, und faßte endlich, wie es scheint, die kühne Hoffnung, durch Erstürmung und Zerstörung der Hauptstadt Rache zu nehmen cm den Eroberern des Erdbodens.

Die stolze Roma zitterte, als er

vom Wege ^iach Gallien, wo er sich anfangs niederlassen wollte, umkehrelld mit 120,000 Sklaven ihre Mauern bedrohte, als Brand, Mord-und Verwüstung

Nur Mangel an Eintracht und Zucht führte die

die ganze Halbinsel verödete.

endliche Besiegung und Vernichtung der Aufrührer herbei.

Spartakus selbst

und seine besten Leute starben iu der mörderischen Schlacht am Silarus den Tod freier Männer und ehrlicher Soldaten; die unglücklichen Gefangenen aber

wurden unter ausgesuchten Martern getödtet und allein 6000 auf der Appischen Straße zwischen Rom und Kapua gekreuzigt.

Zuweilerl kam es aber auch vor, daß das Sklavengesinde des Hauses

gewaltsam seiner Erbitterung gegen ungerechte Herren Luft machte, und dann

hatten diese das Aeußerste zu fürchten.

Ein schreckliches Beispiel solcher Rache

erzählt der jüngere Plinius aus seiner Zeit.

Largins Macedo, ein stolzer

und gestrenger Herr (obwol sein Vater selbst Sklave gewesen war), befand sich

eben auf seiner Villa im Bade, als die Sklaven über ihn herfielen und ihm durch Würgeu, Stoßen und Schlagen die Besinnung raubten.

Dann warfen sie ihn

auf dcu heißen Estrich der Dampfbadstube, um zu versuchen, ob er wirklich todt wäre.

Aber der Gemißhandelte erholte sich wieder und lebte noch so lange, um

wenigstens, wie Plinius sagt, „deu Trost der Rache" zu gemeßen. Das volle

Maß dieser Rache war schon Don alter Zeit her vom Gesetze bestimmt und be­ stand in der barbarischen Maßregel, daß alle Sklaven, welche sich zur Zeit des Mordes mit dem Herrn unter einem Dache befunden hatten, ohne Ausnahme

getödtet wurden.

Man nahm eben an, daß es Pflicht der anwesenden Sklaven

gewesen sei, den Mord zu verhindern, und wollte zugleich das Gesinde durch

die Furcht vor dem eigenen Schicksale veranlassen, Alles aufzubieten, um eine solche That zu vermeiden.

So blieb denn die Ansicht Ulpian's, daß kein

Haus anders sicher sein könne, als wenn die Sklaven mit ihrem Kopfe für die Sicherheit des Herrn bürgten, bis in die spätesten Zeiten in Geltung.

Auch

Plinius fügt ängstlich feiner grausigen Erzählung zum Schlüsse die Worte bei:

„Du siehst, wie vielen Gefahren, Mißhandlungen, Verhöhnungen wir ausgesetzt sind.

Und es kann sich Niemand deshalb für sicher dürcken, weil er Milde und

Nachsicht übt.

Denn die Herren fallen nicht einem Urtheilsspruche, sondern

dem Verbrechen zum Opfer."

Augustus erneuerte die früheren gesetzlichen

Bestimmungen, strafte aber beim Morde des abscheulichen Hostius Quadra die schuldigen Sklaven nicht. Unter Nero aber erlebte Rom eine unmenschliche Anwendung des kurz vorher auch auf die testamentarisch freigelassenen Diener

ausgedehnten Gesetzes.

Der Stadtpräfekt Pedanius Sekundus war von

einem seiner Diener ermordet worden. Der Senat verurtheilte die 400 Sklaven

232

Die Leibeigenen und Sklaven.

desselben alle zum Tode, und als das Mitleid mit so vielen anerkannt Unschul­ digen den drohenden Unwillen der Volksmasse erregte, ließ der Kaiser die zur

Richtstätte führenden Straßen militärisch besetzen, und dein csquilinischen Felde, wo die Gebeine der Verbrecher und Sklaven bleichten,

entging keines der

vielen Opfer.

Auf der anderen Seite fehlt, es nicht an Beispielen der treuesten Anhäng­

lichkeit und hochherzigsten Aufopferung von Seiten solcher Sklaven, die eine bessere Behandlung erfuhren.

Seneka in seiner Schrift über die Wohlthaten

und Valerius Maximus in seiner Anekdotensanuulung haben viele Fälle dieser Art gesammelt, und auch aus Grabinschriften läßt sich erkennen, daß in

manchen Familien Herren und Sklaven ein enges Pietätsverhältniß verknüpfte. Doch mögen immer die humanen Grundsätze eines Seneka und Plinius selten

genug gewesen sein.

Der erste schreibt an Lueilius:

„Mit Vergnügen habe

ich vernommen, daß Du auf einem vertraulichen Fuße mit Deiiren Sklaven So geziemt es sich für Deine Klugheit, Deine Bildung .... Ich lache

stehst.

über Alle, die es für eine Schande ansehen, mit ihren Sklaven zusammen zu speisen.

Freilich werde ich nicht alle Sklaven zu Tische ziehen, sondern nur die

würdigsten, aber nicht ihrer Verrichtung, sondern ihren Sitten nach. — Laß

Dich lieber von Deinen Sklaven lieben und verehren, als fürchten" u. s. w. Auch Plinius sagt in einem Briefe: „Die Krankheiten meiner Leute, von denen

einige der Tod in der Blüthe ihres Alters hiugerafft, haben mich auf's Tiefste gerührt. Zwei Trostgründe habe ich, die zwar für einen so großen Schmerz

zu schwach, aber doch Trostgründe sind.

Der eine ist die Bereitwilligkeit, womit

ich ihnen die Freiheit geschenkt; denn es dünket mich, daß ich diejenigen nicht zu bald verloren, die ich frei verloren habe.

Der airdere ist die Erlaubniß, die

ich meinen Sklaven gebe, eine Art von Testament zu machen, das ich gesetzmäßig

aufrecht erhalte.

Sie verordnen und bitten mich um das, was ihnerr gefällt,

und ich vollziehe ihre Anordnungen, wie Befehle.

Sie vertheilen, schenken,

hinterlassen, wenn es nur iiidjt außer dem Hause geschieht. Denn dein Sklaven

ist das Haus gleichsam Vaterland mit) Heimat."

Wie in Attika gab

es auch im rönrischen Staate öffentliche Sklaven.

Dieser Sklavenstand entsprang einestheils aus Kriegsgefangenen, die der Staat seinem Dienste reservirte.

So wurden im Jahre 210 v. Chr. nach der Erobe­

rung Neukarthago^s 2000 Handwerker zu Staatssklaven gemacht, und da zu derselben Zeit die Einwohner Kalabriens zu Hanuibal gehalten hatten,

erklärte man sie ebenfalls später zu Sklaven des römischen Volkes, und sie mußten die Dienste der Büttel und Boten bei den Provinzialmagistraten ver­ richten. Andererseits kaufte sich mlch der Staat zuweilen Sklaven oder es gingen Privatsklaven durch Erbschaft au den Staat über.

August schenkte z. B. die

Don Agrippa geerbten Sklaven den Wasserleitungen des Staates. Die niederen

Diener der Magistrate standen sich besser als die Sklaven der Privatleute; sie

konnten ftcsi Vermögen erwerben, erhielten ein Deprltat zu ihrem Uuterhalte, hatten freie Wohnung und konnten seit Hadrian über die Hälfte ihres Besitzes

testamentarische Verfügung treffen.

Viel übler war dagegen die Lage derjenigen

Staatssklaven, die bei Bergwerken, Wegebauten, Steinbrüchen, Kloaken, Bädern angestellt waren, Arbeiten, die der Kaiser Trajan in einem Briefe an Plinius

„nicht weit von Strafe entfernte" nennt. — Da die Römer den engherzigen Glauben an natürliche Sklavenklassen und an deren Prädestination zur Skla­ verei nicht theilten, so wurde auch durch die gesetzmäßige, feierliche Freilassung

vor dem Richter, vor dem Censor oder durch Testament der Sklave sofort zum Range eines freien Biirgers erhoben, iucnn auch erst seine Kinder in den vollen

Genuß der Rechte eintraten.

Der neue Freigelassene, der nun den Familien-

und Vornamen seines Freilassers dem seinigen vorsetzte, ließ sich das Haupt schceren und trug einen Hut oder eine lveiße wollene Binde, um die Veränderung seines Standes kund zu thun.

Wie in Hellas blieb er aber zur Ehrerbietung

und zu mancherlei Verpflichtungen gegen seine frühere Herrschaft verbunden,

mit) da in der Kaiserzeit dieses Pietätsverhültniß sich bedeutend lockerte und bittere Klagen über das Benehmen der Freigelassenen einliefen, so wurden ver­

schiedene Verordnungen erlassen, in Folge deren Verbannung, körperliche Züch­ tigung und selbst Wiedereintritt in die Sklaverei als Strafen der Riicksichtslosigkeit eintraten. Die Freilassungen selbst wurden in der Kaiserzeit aus verschiedenen

Ursachen immer zahlreicher.

Oft erwarb sich der Sklave durch Schandthaten

den Preis der Freiheit, oft wurde er auch zur Belohnung für seine Verschwiegen­

heit vom verbrecherischen Herrn freigelassen.

Sogar die Habsucht kam zuweilen

mit in's Spiel, indem der Freigelassene sich verpflichten mußte, seinen Antheil an den, armen Bürgern zusallenden Getreiderationen und anderen Spendungen seinem Herrn abzutreten.

Die meisten Freilassungen hatten aber ihren Grund

in der Eitelkeit der Vornehmen, die nicht selten in ihrem Testamente allen Sklaven die Freiheit schenkten, um das-Gepränge ihres Leichenzuges durch

möglichst viele Zeugen ihrer Großmuth zu vermehren. So kam es, daß Augu­ stus schon sich gezwungen sah, gegen diese Vermehrung der Bürger durch schlechte Subjekte aller Art eiuzuschreiten.

Ein Gesetz bestimmte daher, daß alle

Sklaven, die entehrende Strafen erlitten Hütten, des Bürgerrechtes unfähig wären,

ein anderes, daß nur ein gewisser Theil der Sklaven vom Testator freigelassen

werden könnte, und überhanpt nie mehr als hundert.

Der Kaiser erachtete

diese Verfügung für so wichtig, daß er ihre Aufrechthaltung seinem Nachfolger

dringend anempfahl.

XVIII.

Die Polizei. ie moderne Polizei, als eine besondere Anstalt im Staatsorgauismns,

entstammt wol dem Namen nach der hellenischen Sprache; aber ihre Existenz läßt sich in den griechischen Freistaaten nicht nachweisen. Von

der vorbanenden, abwehrenden, bevormundenden Geschäftigkeit, die der Polizei­

staat entwickelt, um jede Störung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, jede Gefährdung des Gemeinwohles im Keime zu ersticken, findet man in alten Re­

publiken keine Spur.

Das Gesetz bedrohte den Uebertreter mit schwerer Verant­

wortlichkeit, und so lange der Einzelne, wie es die Innigkeit der staatlichen Gemeinschaft forderte, seinen Eigenwillen dem Ganzen unterordnete, ließ ihn

die Staatsgewalt unbehindert und ohne Gängelband seinen Weg gehen. Daher jener kühnere Schritt, jene unbeengtere Bewegung, jene mündigere Haltung,

die wir an den Alten so bewundern. Freilich mußte im Ganzen die auf Ueber-

tretung des Gesetzes folgende Strafe oft härter und drückender sein, als eine dem Vergehen zuvorkommende Maßregel und es läßt sich nicht verhehlen, daß

z. B. im grellsten Kontraste zur sonstigen Freiheit der Bürger die Polizei­ gewalt in Glaube und Sitte mit großer Härte und Ausdehnung geübt wurde. Allein das Volk empfand nicht einmal das Uebermaß dieses Eingreifens von

Seiten des Staates, weil es beides, Regierung und Regierte, zugleich war und

sich also nicht selbst Unrecht zufügen zu können schien. Dazu kam, das gewisser­ maßen die Gesammtheit der Bürger schon eine polizeiliche Aufsicht unter sich

ausübte, insofern jeder Einzelne zur Anzeige gesetzwidriger Handlungen ver­ pflichtet war.

Sonst vertheilten sich einzelne polizeiliche Funktionen in Athen unter

eine Menge verschiedener Beamten oder waren zum Theil mit anderen Aemtern verbunden. Zuerst sind hier die Astynomen zu erwähnen, zehn durch das Loos

ernannte Beamte, denen die eigentliche Straßenpolizei oblag nnd von denen fünf in der Stadt nnd fünf im Pircieus fungirten. Sie sorgten für die Rein­ heit der Straßen und hatten deshalb die Ko Prologen oder Kothkarrner zu ihrer Verfügung. Sie wachten aber auch über Ordnung und Anstand auf den öffentlichen Platzen überhailpt und beaufsichtigten Flötenspielerinnen, Zithermädchen .und Possenreißer. Mehr als einmal brauchte kein Bürger dieses lästige Amt zu übeniehmeu. $on Wichtigkeit war ferner die Aufsicht über die öffentlichen Brunnen nni) Wasserleitungen. Die Armuth Athenes an süßem Wasser zwang Solon zu der Verordnung, daß Niemand aus einem öffent­ lichen Brunnen Wasser schöpfen sollte, der mehr als 500 Schritte weit von seinem §au)c entfernt wäre und daß dem $rnnnen des Nachbars nur 40 Liter entnommen werden dürften. Von Themistokles erzählt Plutarch, daß derselbe, als Brunneninspektor , Viele, die widerrechtlich aus den öffentlichen Wasserleitungen das Wasser für sich entlehnten, bestraft und aus den Straf­ geldern das eherne Bild eines wassertragendeu Mädchens als Weihgeschenk aufgestellt habe. In gleicher Auzahl, wie die Astynomeu, verwalteteu die Agorauomeu die Polizeiaufsicht über den Markt, über Kauf und Verkauf, und schlichteten die dabei erltstehenden Streitigkeiten. Sie tanuneii auch in den meisten anderen Stadteil Griechenlands vor und hatten es fast nur mit Fremden, Schutzgellossen uni) der niedrigsten Klasse der Bürger zu thwl, da der Klemhandel und die Hökerei verachtet waren. Diese Marktmeister erhoben in Athen — und auch in anderen Städten scheint dies Sitte gewesell zll sein — von allen Waaren, gleichviel einheimischell oder fremden, die zum Verkauf ausgestellt waren nach einem bestimmten Tarif eine Steuer. Die Betrüglichkeit der Detailverkäufer war sprichwörtlich. Im Verdminen des Weines, im Verfälschen der Waarell überhaupt und im Gebrauche falscher Gewichte und Maaße scheinen sie Meister gewesell zu sein. Bei der Ausdehnung des Verkehres gab es also für die Polizei hier viel zu thrul. Bestimmte Theile des Marktes erheischteil aber noch besolldere Kontrole. So durste der Verkauf der Fische nicht vor einer fest­ gesetzten Zeit beginnen und es wurde mit einer Glocke dazu ein Zeichen ge­ geben. Wir wissen dies aus einer drolligen Anekdote, die Strabo erzählt. Es ließ sich ilämlich einst auf dem Markte ein Zitherspieler hören und eine Zeit lang schenkte ihm eine große Volksmenge die ullgetheilteste Aufmerksamkeit; sobald aber die Glocke des Fischmarktes ertönte, verließen ihn Alle und strömten dem Verkaufsorte zu. Nur ein Harthöriger blieb zurück und zu diesem trat der Virtuos und sagte: „Mein Freund ich weiß Dir vielen Dank für die Ehre, welche Du mir erzeigst; denn die Anderen sind beim ersten Klang der Glocke fortgegangen." — „Was sagst Du?" erwiderte jener, „die Glocke hat schon geläutet? — Behüte Dich Gott!" stand auf und eilte hinweg. Außerdem

Die Polizei.

236

durften auch die Fische nicht mit Wasser begossen werden, wahrscheinlich, um die übermäßigen Forderungen der Fischhändler einzuschränken.

Mit ben

Astynomen zusammen wachten die Agoranomen dariiber, daß die öffentlichen Gebäude nicht verletzt wurden und der Markt in guten: Zustande blieb, wes­

halb beiden Behörden ein später Redner vorlvirft, es ciitftmiöen ganze Sümpfe

in der Stadt Athen.

Die Agoranomen waren mit einer Peitsche bewaffnet,

die sie natiirlich nur gegen Sklaven und Fremde in Anwendung brachten; gegen Bürger verhängte:: sie bei leichteren Vergehen Geldstrafen, bei schwererer:

traten sie zu einem Gerichtshof zusammer:, dessen Amtsgebäude wahrscheinlich

am Markte lag. Auch die Maaße und Gewichte wurde:: von besonderen Beamten beauf­ sichtigt, deren es unter dem Ramen Metronomen fünf in der Stadt und fünf

im Piräeus gab. Ein aus der Zeit nach 300 v. Chr. stanunender Volksbeschluß

der Athener bestimmt, daß zur Kontrole Mustermaße angefertigt und von den Metronomen aufbewahrt werden sollten; nach diesen sollten die gewöhnlichen

Maaße angefertigt und geaicht werden. Zur größeren Sicherheit-des Publikums hatten die Metronomen auch noch Uuterbeamte, die P ro metreten, welche gegen

ein Entgelt die Sa:nenfr::chte vermaßen.

Falsche Münzen nwgen nicht häusig

im Verkehr vorgekommen sein; denn auf Falschmüuzerei stand fast allenthalben

die Todesstrafe. Dann bestand ferner für den athenischen Getreidehandel, der für das kornarme Land von besonderer Wichtigkeit war, eine getrennte Aufsichtsbehörde.

Zehn Sitophylakes (Getreidewüchter) ließen bei sich alles eingeführte Getreide deklariren, steuerten dem Kornwucher und sahen auf Befolgung der Mehl- und Brottaxen, so wie darauf, daß Niemand mehr als 26 Hektoliter Getreide zu

eigenem Vorrath ankaufte, was bei Todesstrafe verboten war.

Uebrigens

fehlte es schon damals nicht an Börsenkuiffe:: zur Täuschung und Uebervor-

theilung des Publikums, urn ein Steigen der Preise zu bewirken.

„So gern

sehen sie Eure Kalamitäten", sagt der Redner Lysias von den Spekulanten

zum Volke, „daß sie dieselben theils früher als Andere zu erfahren trachten, theils selbst erdichten.

Da sollen die Schiffe im Pontus Schiffbruch gelitten

haben oder von den Spartanern gekapert worden sein oder die Handelsplätze unter Blokade liegen oder die Handelsverträge nächstens gekündigt werden." Für Beobachtung und Handhabung der Handelsgesetze, vorzüglich auch in Be­

ziehung auf den Getreidehandel, sorgten außerdem noch speziell zehn besondere Handelskuratoren mit eigenen Kanzleischreiberu und Amtsdienern, :velche ihr Bureau in Piräeus hatten.

Die Polizeigewalt über die Sitten war bekanntlich an: ausgedehntesten in

Sparta, wo die allmächtigen Ephoren über die gesammte öffentliche Zucht wachten.

So wurde, um hier nur einige auffallende Fülle hervorzuheben, ein

gewisser Naukleides, der durch Unterlassung der körperlichen Uebungen und

durch Verboteires Wohlleben eine in Sparta anstößige Wohlbeleibtheit erzielt hatte, mit Allsweisung bedroht, wemr er nicht seine Körperfülle auf ein

anstäudiges Maaß zurückfuhren würde. Der König Archidamos bekam einen

Verweis, weil er eine kleine mit) häßliche Frau genommen hatte, die nach der Ephoren Meinung nur die Mutter von Liliputkönigen werden könnte.

Der

Musiker Terpander aus Lesbos wurde bestraft, da er auf seine Leier eine Saite mehr als gewöhnlich gespannt hatte und dadurch von der alten und strengen

Einfachheit der Musik abgewichcn war.

Die Frauen dursten weder Gold noch

gestickte Kleider tragen, noch langes Haar.

Ja sogar von Lebensmitteln war

es nicht unbedingt erlaubt zu kaufen, was und wie viel Jeder wollte, und nicht

einmal den Bart abzuscheeren oder wachsen zu lassen, soll Lykurg der Willkür

überlassen haben! Fremde, die auf irgend eine Weise Übeln Einfluß auf Ge­ bräuche und Sitten zu haben schienen, wurden sofort ausgewiesen. In Athen stand die Sitten- und Luxuspolizei unter dem Areopag.

Dieser auf dem Areshügel tagende, uralte Rath wirkte bis zu Periklcs herab als Censor der Sitten, des öffentlichen und häuslichen Lebens, als Wächter der Gesetze, als Schirmer der durch das Alter geheiligten Institute und Knlte.

Wer seine Aeltern nicht ernährte oder das väterliche Erbtheil durch liederlichen Lebenswandel vergeudete, erlitt den bürgerlichen Tod und verlor das Stimm­ recht und die Befähigung zu allen Staatsämtern.

Der Areopag durfte auch

nach den Existenzmitteln derjenigen fragen, welche kein Vermögen besaßen und ohne einen Erwerbszweig zu betreiben, müßig gingen, und es scheint in früheren Zeiten eine regelmäßige Angabe der verschiedenen Gewerbe jährlich stattgefunden zu haben.

Wer dreimal in dieser Beziehung als Herunitreiber bestraft worden

war, verlor ebenfalls die bürgerlichen Rechte. Insbesondere erstreckte sich die poli­ zeiliche Aufsicht der Areopagiten auf die Sitten der Frauen. Das atheniensische schöne Geschlecht war ja überhaupt nicht um seine Stellung zu beneiden.

Im

Gegensatze zu der kecken Dreistigkeit der Spartanerinnen und zu dem gesunderen

und natürlicheren Auftreten der Homerischen Griechinnen lebte die „im Schatten erzogene" Athenerin in beinahe klösterlicher Abgeschlossenheit und bürgerlicher

Unselbständigkeit, und blöde und ohne Bildung konnte sie mit der heiteren,

geistig gewandteren Hetäre nicht konkurriren.

Wenn sie einmal ihre im Hin­

terhause oder oberen Stocke liegenden Zimnier verließ und die Straße betrat, so durfte dies nicht ohne Begleitung eines Dieners oder einer Zofe geschehen, ja, seit der Diadochenzeit bewachten besondere Polizeibeamte, die Gynäkonomen,

ihre Schritte und konnten sie, sobald sie sich in Kleidung oder Benehmen etwas

Ungebührliches zu Schulden komnien ließen, um 1000 Drachmen (786 Mark) strafen.

Nur religiöse Handlungen und Feste lockerten zuweilen die strengen

Schranken der Sitte.

Dieselben Beamten hatten auch die Verpflichtung, bei

Die Polizei.

238

Hochzeiten und Opferschnmusen zu erscheinen und darauf zu achten, daß nicht

über dreißig Gäste zugegen waren, weshalb auch die gemietheten Koche sich

jedesmal bei ihnen zu melden hatten. Die ethische Thätigkeit des Areopags betraf aber auch ferner die Religion

und den Kultus.

Daher konnten Alle, die fremde Gottheiten verehrten oder

ihren Dienst einzuführen strebten, wegen Gottlosigkeit vor sein Forum gezogen

werden.

Aspasia, die berühmte Freundin des Perikles, wurde der Re­

ligionsverletzung angeklagt; der große Redner vergoß bei ihrer Vertheidigung

mehr Thränen, als wenn es sich um sein eigenes Leben und Vermögen handelte

und rettete dadurch seine Klientin, wie später der Redner Hypereides durch ein noch drastischeres Mittel die schöne Phryne.

Anaxagoras,' dessen

Ramen einen bedeutenden Fortschritt in der Philosophie bezeichnet, des Atheis­ mus angeklagt, weil er die Sonne für eine feurige Masse erklärt hatte und zuerst die Idee eines von der Materie gesonderten Weltgeistes lehrte, konnte

ebenfalls nur durch Verwendung des Perikles vom Tode gerettet werden und

wurde

um

fünf Talente

mit)

mit Verbannung bestraft.

Der Freigeist

Diagoras erregte durch schonungslose Angriffe auf die Volksreligion den Unwillen der Athener in so hohem Grade, daß er aus Athen fliehen mußte

und daß man auf seinen Kopf sogar einen. Preis von einem Talent Silber setzte, einen Preis von zwei Talenten aber, wenn ihn Jemand lebendig ein­

lieferte.

Ein ähnliches Schicksal traf den Sophisten Protagoras, weil er in

einer Schrift behauptet hatte, er wisse nicht, ob die Götter seien oder nicht und

wie sie beschaffen seien.

Seine Schriften wurden, wie die des Diagoras,

konfiszirt und auf dem Markte verbrannt; er selbst fand auf der Flucht seinen Tod in den Wellen.

Auch Aristoteles wurde wegen einiger Lehrmeinungen

der Irreligiosität beschuldigt, aber besonders deshalb, weil er einem Freunde

einen Hymnus gewidmet hatte unt) dadurch göttliche Ehre erlvieseu zu haben schien, und ging in freiwilliges Exil. Am Mannteften ist das Verfahren gegen

Sokrates, dessen Anklage sich darauf stützte, daß er neue Gottheiten einführte

und von der Staatsreligion abgefallen wäre.

Uebrigens kam es auch oft vor,

daß der Areopag bloß warnte und Verweise ertheilte.

Bei Erwägung dieser

polizeilichen Beschränkungen der Glaubensfreiheit füllt nun freilich die That­ sache sehr ins Gewicht, daß die Alten die Entgegenstellmrg der beider: Faktor-en

Staat und Kirche gar nicht kannten; sie würde ifjnen als ein Frevel an der

Würde des Staates vorgekommen sein.

Der Kultus und die religiösen Insti­

tutionen waren innig mit dem Staatsorganismus verwachsen, nur ein Glied des Ganzen, und nach der Ueberzeugung jener Zeit bildete nicht die alleinige Kirche, sondern der Staat selbst und das Leben im Staate den Menschen zur

Menschlichkeit, Sittlichkeit.

Der Gehorsam, den der Staat auf diesem Gebiete

forderte, war also durch die Rücksicht auf das Wohl des Ganzen geboten.

Dann verlangte aber der Staat auch nur Arrerkerrnung der Götter und Kultus­ gebräuche, ohne ein Dogma, eine öffentliche Religionslehre vorzuschreiben.

Freilich spricht gegen die Hatldhabung der sittenrichterlichen Disziplin

überhaupt die Erfahrung, daß wol der äußere Schein der Sittlichkeit dadurch länger gewahrt, nie aber eine wahrhaft sittliche Gesinnmig erzeugt werden kann.

Auch in Athen bewahrheitete sich dies.

Denn nachdem es den Be­

mühungen des Perikles gelungen war, durch Schmälermrg des Areopages die Athener einer konservativ-aristokratischen Schranke zu entledigen, und nun

das souveräne Volk eine noch schärfere Polizei über sich selbst durch un­ beschränkte Lülsübrulg des Anklagerechtes zu üben begamr, zeigte es sich, daß die allgemeine Entsittlichung schon zu weit vorgeschritteu war, als daß

diese auf die sittliche Tüchtigkeit und politische Tugend des Einzelnen basirte

Einrichtung mif die Dauer einen gedeihlichen Zustand hätte begrülrden können. Es bildete sich im Gegentheil ein System der Angeberei und Inquisition aus und das ränkesüchtige, giftige Gezücht der Sykophanten (eigentlich:

„Feigenangeber," wahrscheinlich in Zusammenhang mit einem alten Ausfuhr­

verbot) wucherte empor, von dem Demosthenes treffend sagt: „Ein solcher Meilsch schleicht über den Markt wie eine Schlange oder ein Skorpion, der

seinen Stachel in die Höhe gehoben hat und ihn bewegend umher schaut, wo

er Jemairdem Ulcheil bereiten oder Lästermlgcn über Einen ausschütten könne, oder wie er Jemandem Furcht einjagen und dadurch sich Geld erpressen möge.

Als unversöhnlicher Menscherrfeind bleibt er fern von den Verbindungen der Freundschaft ilnd Liebe; aber wie die Maler die Umgebung der Gottlosen in der Unterwelt abbildeir, so sind auch in seinem Gefolge Verleumdung, Neid, Zwietracht, Hader und Fluch." Da die Hälfte Don dem, was die Verurtheilten

als Buße verloren, dem Angeber zufiel, so ward dies ein Sporn zu rastloser

Thätigkeit.

Bedeutende unt)

vermögende Leute sahen sich

genöthigt, den

Sykophanten zu schmeichelir und reichliche Geldopfer zu bringen, oder wie

Kriton, der Feind des Sokrates, einen gegen die anderen in Sold zu nehmen, „als einen Wächter für sich, wie er für seine Herden Hunde halte gegen die

Wölfe." „So lange ich reich war", sagt Charmides bei Xenophon, „lebte ich stets in Furcht vor Einbruch iuib Sykophanten; seitdem ich arm bin, schlafe ich ganz ruhig."

Der reiche Feldherr Nikias löste sich von seinen Verfolgern

durch rmgefähr 300 Mark und wurde deshalb viel verspottet.

Auf dieselbe

Weise schützte sich der Redner Lykurg; er entschuldigte es damit, daß er sagte, fiir einen Staatsmann sei es ehrenvoller zu geben als zu nehmen.

Zwar be­

stand ein Gesetz, nach dem jeder Ankläger, welcher nicht den fünften Theil der

Richterstimmen erhielt, in eine Geldstrafe verfiel; allein die Sykophantie wußte sich durch allerhand Ausflüchte zu decken, und so wurde der Wunsch, den der

Redner Andokides aussprach und Tausende mit ihm theilten, das Vaterland

240

Die Polizei.

Von diesem Uebel befreit zu sehen, nie erfüllt.

Noch Aristoteles schrieb

scherzend aus Euböa an den makedonischen Neichsverweser Autipater, er

möchte nicht in jener Stadt bleiben, wo, wie im Garten des Phaakenkönigs

Alkinoos, „Feige bei Feige" stände. Eine förmlich eingerichtete heiinliche Polizei hat es wol nirgend in den griechischen Staaten gegeben.

Auch das Briefgeheimniß blieb vom Staate

unangetastet, wenn auch incht immer öou Seiten der habgierigen Zollbeamten.

Dagegen hat die jüngere Tyrannis, das Resultat der sittlichen und polittschen Entartung des Hellenenthumes, dieses unsaubere Mittel nicht verschmäht.

So

schickten die sieilischen Könige, besonders Hieran, der Erste, Horcher zu den Gastmählern.

Die beste Polizei aber übte gewiß der von Aelian erwähnte

Tyrann Tryzos, welcher, um geheime Umtriebe zu verhüten, seinen Unter­ thanen das Sprechen verbot und, als sie sich nun durch Gebärden zu ver­

ständigen suchten, auch dieses untersagte.

Mall gehorchte; aber als einst auf

dem Markte der allgemeine Schmerz sich in Thränen auflöste und der Tyrann auch diesen zu wehren suchte, brach ein Aufstand los und er wurde ermordet. — In Athen duldete man dagegen sogar geheime politische Gesellschaften, die

in Rom stets verboten waren.

Sie bildeten sich zur Zeit der unumschränkten

Demokratie unter dem unverdächtigen Namen von „Kameradschaften" (Hetärren), standen unter Leitung von Oberhäuptern ulld banden ihre Mitglieder durch den

Eid.

Diese meist oligarchischen und reaktionärell Klubs nahmen bald eine dem

Bestehenden feindselige, hochverätherische Tendeliz an und trugen durch die Gewissenlosigkeit ihres Egoismus viel zum Untergange des Staates bei. Die oben erwähnten Behörden würd eil m der Ausübung ihrer polizei­

lichen Funktionen durch eine aus 10—1200 Bogenschützen bestehende Stadt­

wache unterstützt.

Diese waren öffentliche Sklaven, hießen Skythen, ohne es

der Mehrzahl nach zu sein, und kampirten llnter Zeltell mitten auf dem Markte,

später auf dem Areopag.

Dennoch scheint es mit der nächtlichen Sicherheit der

Straßen nicht zum besten bestellt gewesell zll sein.

Die häufigen Trinkgelage

und das Herumziehen lustiger, vom Weine aufgeregter Gesellschaften von einem

Hause zum anderen, mögen schon genug Tilllullt verursacht haben.

Aus den

Rednern sieht man aber, daß allch Schlägereien unl Hetären und schöne Knaben, gewaltsames Eindringen in die Häuser gar nicht zll den Seltenheiten gehörten.

Auch vor räuberischen Einbrüchen mittelst Durchbohrens der Wände und be­

sonders vor einer Art von Gaunern, die des Nachts darauf ausgingen, den Leuten die Kleider vom Leibe zu reißen, scheint man viel Furcht gehabt zu haben.

Bei den Römern findet sich in der republikanischen Zeit ebenfalls kein unserer Polizei ähnliches Institut.

Theils gehörte sie, wie bei den Griechen,

in den Geschäftskreis verschiedener Beamten, theils wurde sie unter den Formen des Civil- und Kriminalprozesses geübt, theils fiel sie dem Familiengerichte und

dem Hausvater anheim, der vermöge des ihm zustehenden, weit tUlsgcdehnten Zucht- und Strafrechtes in nmnchen Fällen ben auf der That ertappten

Schuldigen sogar zu todten befugt war.

Tie Hauptgeschäfte unserer Polizei

verwalteten in Rom die Ae d ilen und Cen so re u, in den Provinzen die Statt­

halter und Mittüzipalädilen.

Die Aedilen entsprechen in ihren Funktionen anr

meisten deil griechischen Astynomen; Agoranomen mit)

nur daß man sich die Befugnisse der

Sitophylakeu und die Verpflichtung zur Anstellung der

öffentlichen Spiele hinzuzudenken hat.

aber sechs Aedilen gewühlt.

Es wurden jährlich vier, seit Cäsar

Das ehrwürdige, hochangesehene Amt der Censur

dagegen findet in Hellas keine Analogie: denn die beiden Censoren vereinigten

mit der obersten Finanzverwaltung und der Einweisung der Bürger in die Klassen nach dem Vermögen das oberste Sittenrichteramt des Areopags.

Und

zwar war ihr Strafrecht ein sehr allgemeines, ganz ihrer subjektiven, sittlichen Willkür überlassenes.

Niemand war davon ausgenommen; die vornehmsten

und berühmtesten Männer des Staates, die amtirenden Magistrate selbst, waren ihm ebenso unterworfen, wie der geringste Bürger.

Alle Handlungen,

die gegen Sitte der Vorfahren, gegen die allgenreine Sittlichkeit verstießen, namentlich solche, die kein ausdrückliches Gesetz der Verantwortung unterwarf oder bei denen der Ankläger fehlte, wurden vor ihren Richterstuhl gezogen. Dabei folgten sie ohne eigene Verantwortlichkeit lediglich ihrer inneren Ueber­ zeugung, nachdem sie beim Antritte ihres achtzehnmonatlichen Llnttes geschworen hatten, sich weder durch Haß uoch durch Gunst in ihren Urtheilen, die theils auf

Rüge, theils auf bürgerliche Degradation lauteten, bestimmen zu lassen.

Diese

große Gewalt wurde gegen das Ende der Republik sehr geschmälert und endlich

nebst der tribunieischen und kommenheit einverleibt.

prokonsularischen der kaiserlichen

Machtvoll­

Ueberhaupt änderte sich unter Augustus die Polizei-

verwaltuug durch mannigfache Reformen und näherte sich schon bedeutend

ihrem neueren Begriffe.

Rach Eintheilung der Hauptstadt in 14 Regionen

mußten die Aedilen ihre Befugniß mit den Prätoren und Volkstribunen theilen und sanken überhaupt zu Unterbeamten des neuernannten Stadtpräfekten herab,

der als oberster Polizeichef für Ruhe und Ordnung im Allgemeinen Sorge zu tragen hatte und die ganze Polizeigewalt in sich vereinigte. Für die einzelnen Formen der römischen Polizei ist zu bemerken, daß ge­

mäß der Hinneigung des Volkes zur Ausbildung des abstrakten Rechtes hier

die Beamten größtentheils nach gesetzlichen Instruktionen handelten, die sie zum Theil selbst beim Anfang ihres Amtes publizirten und die zugleich die Straf­

bestimmungen enthielten.

Vor das Kriminalgericht gehörten alle Handlungen,

welche die Sicherheit und Ruhe störten, wie das Tragen und Anhäufen von Waffen in böslicher Absicht, Zusammenrottungen und nächtliche Versamm­ lungen. Auch Zünfte, Genossenschaften aller Art und besonders politische Klubs Göll, Kulturbilder. I.

16

242

Die Polizei.

standen unter Aufsicht der Konsuln, Quästoren und Aedilen.

Auch gegen Ue

Zauberei, insofern sie den Staat oder die Religion gefährdete oder den Bürcer

an Leib und Vermögen schädigte, trat die römische Polizei strenger auf, als He griechische. Während der Areopag einst eine Frau, die einer: Mann durch einen Liebestrank vergiftet hatte, freisprach, weil sie nicht die Absicht der Tödtrmg

gehabt, wurden unter mancher: Kaisern die Zarrbermeistcr und derer: Kunter: hingerichtet.

Der Glaube an die Möglichkeit, die Saatei: zu behexen urrd

fremdes Getreide ar:f den eigener: Acker herüber zr: zaubern, führte zu eirurn

Verbote in den Zwölftafelgesetzer: und noch irr: Jahre 157 v. Chr. zu einem interessanter: Prozesse.

Die Aedilen klagten einer: gewisser: Furius Kresinus

der ökonomischen Zauberei an, der als guter Landwirth auf einem kleinen Grundstücke immer mehr Früchte gebaut hatte, als die neidischen Nachbarr:. Um sich zu retten, schaffte er alle seine Ackerlverkzeuge, ein Paar wohlgenährte

Ochser: und seine stämmige Tochter auf den Markt, zeigte sie den: Volke mit der: Worten: „ Dies sind meine Zauberrrnttel; Schweiß und Arbeit, die ich außer­

dem aufgewer:det, kann ich Euch freilich nicht Vorführer:!"

und wurde frei­

gesprochen. Obgleich ferner der Römer viel tolerarller gegen fremde Kulte war, als

der Grieche, und selbst nach und nach das ganze griechische Göttersystern adoptirte, weil es in seiner religiösen Ar:schauur:gsweise lag, ir: Fällen, wo der

Schutz der eigenen Götter nicht auszureicher: schier:, zu fremder: seine Zuflucht

zu nehmen und selbst gewissermaßen Vertrüge nrit Gottheiter: der Fe:r:de zu schließen, so schritten doch zuweilen die Aedilen gegen solche ein, welche die Reinheit des einheimischer: Kultus durch frerr:der: Aberglauben trübten.

Das

gefährlichste Beispiel der Art war die arrs Etrurien eir:geschlichene orphischbacchische Wirckelreligion, die in: Jahre 186 v. Chr. mit unerbittlicher Strenge unterdrückt wurde.

Auch an ihr zeigte sich, wie verführerisch und epidemisch

die Unsittlichkeit wirkt, wenn sie unter der Maske der Heiligkeit erscheint, u::d mit vollem Rechte sah der Staat durch die bereits auf 7000 Köpfe ange­

wachsenen Eingeweihten seinen gesammten Sitten- imb Rechtszustand gefährdet. Handelten hier die Aedilen in: Auftrage der Konsuln und des Senates, so war ihnen die spezielle Sittenpolizei in gewissen Dingen überlassen.

Demzufolge

führten sie die polizeiliche Aufsicht über Kuppler und Buhlerinnen und über­

wachten in nwralischer und gesundheitspolizeilicher Hinsicht die öffentlichen Bäder.

Besondere Kontrole erforderten auch die Popinen, Häuser, unseren Gar­ küchen oder Restaurationen vergleichbar, ü: denen warme Speisen und Getränke verabreicht wurden.

Da der ganze Stand der Gastwirthe tief verachtet war

und man überhaupt eine Gemüthlichkeit des Wirthshauslebens nicht kannte,

hielten sich nur Sklaven, Matrosen und Gladiatoren an solchen Orten auf, oder vornehme Wüstlinge, von denen eine gewisser Syriskus zu Marti al's

Zeit anderthalb Millionen Mark dort durchzubringen verstand.

Besonders in

der Kaiserzeit, wo die Frequenz der Popinen sehr zunahm, erschienen wieder­ holte Verbote gegen den Verkauf von gekochteil Fleischspeisen, warmen Getränken

und Backwerk, und noch im vierten Jahrhunderte suchte der Polizeipräfekt Ampelius den Abgrund der damaligen Schwelgerei zu schließen, indem er

z. B. gebot, cs sollte vor zeh:r Uhr Morgens keine Weinstube geöffnet werden, ebenso vor einer bestinunten Sturrde keine Garkiiche und es sollte sich früher

Niemand karrend auf der Straße blicken lassen! Außerdenr waren diese Popinen wahre Spielhöllen, und da das Hazardspiel mit Ausnahme der Saturnalien in

Rom stets verboten war (vergl. den Arükel „Gesellige Spiele"), so waren die Aedilen auch in dieser Beziehurrg ein Schrecken solcher Verstecke.

Daß ferner

der Vertrieb von Giften und schädlichen Medikamenten, das Bestatten der

Leichen inrrerhalb der Stadt und überhaupt jeder dem leiblichen Wohle des

Mitbürgers zugefügte Schaderr Polizeistrafen unterlag, sei nur der Vollständig­

keit wegen erwähnt. Mehr Interesse gewührerr die vergeblichen Anstrengungen, die von Seiten der Gesetzgebilng gemacht wurden, um dem Luxus Einhalt zu thun.

Noch

275 v. Chr. wurde ein angesehener Mann ans dem Senate gestoßen, weil sein Silbergeschirr zehn Pfund wog.

Im Jahre 125 zogen die Censoren einen

Angnr zur Rechenschaft, weil derselbe etwas über 900 Mark Miethe für seine Wohmurg bezahlte. Von der strengen Censur des Vaters der beiden Gracchen

(169 v. Chr.) erzählt Plutarch, daß, wenn er von einem Gastmahle heimkehrelld durch die Straßen ging, die Leute die Lichter auslöschterr, um nicht in den Verdacht der Unmäßigkeit im Weintrinkcn zu kommcir! Was vorzugsweise

die Tafelgenüsse betrifft,

so

stammte schon ans nralter Zeit das Verbot

schuppcnloser Fische, wodurch man die theueren Seefische fern halten wollte. Ein anderes Gesetz (161 v. Chr.) erlaubte fiir gewöhnlich drei Gäste, be­

schränkte die Kosten der Mahlzeit auf urrgefähr 6 Mark für die Festtage, 2 Mark für je zehn Tage in jedem Monate mit) auf 60 Pfennige für die übrigen, und gebot, nie mehr als für 11,2 Mark Einkäufe an Lebensmitteln auf dem Markte zil machen! Der Genuß gemästeter Hennen und Haselmäuse, Schweineeuter,

Wildschweinsköpfe und gewisse Weille und Salben waren besonders verpönt. Auch der Diktator Sulla suchte durch Erneuerung der alten Polizeivorschriften und durch neue Bestimmungen den breiteil Strom der Verschwendung zn hemmen.

Er gestattete unter Anderem für Werkeltage nur drei Pfund geräuchertes

Fleisch und ein Pfund Salzfische und veröffentlichte eine unendliche Liste von Fischen, Saucen und Fleischgerichten mit den Taxen, so daß Makrobius mit Recht behauptet, er habe dadurch die Leckerhaftigkeit eher augereizt als ver­ mindert.

Ueberdies gab er den Aermeren durch Herabsetzung der Preise nur

Gelegenheit, sich die feineren Leckerbissen auch verschaffen zu können. 16*

Am ver-

Künftigsten verfuhr später Tiberius in einer Zeit noch größerer Ueppigkeit. Er verbot zwar Speisegeräthe aus gediegenem Golde und seidene Gewänder als Männertracht; als aber die Aedilen in ihn drangen, vermöge seiner eensorischen Gewalt mit noch größerer Schärfe siirzugreifen, lvies er diese Almuthung zurück. Am meisten wirkte wol später zi:r Minderilng des Uebels das gute Beispiel der Kaiser, besonders Vespasian's, und die Verarmung der Familien ersten Ranges. Die höhere und niedere Marktpolizei hatten die Aedilen, wie erwähnt, gleichfalls. Sie sorgten für die nöthige Zufnhr von Getreide, bekämpften den Kornwucher und suchtet: auf jede Weise wohlfeile Preise herzustellen, bis von Augnstus diese wichtige Sorge einem besonderen Präfekten übertragen wnrde. Schlechte Lebensmittel nahmen sie weg, falsche Maaße und Gewichte zerbrachen sie. Auch in allen merkantilischen Beziehungen übten sie nicht bloß polizeiliche Fürsorge, so::dern besaßen auch für diesen Zweig ihre eigene Jurisdiktion nnd bildete:: eine Art von Handelsgericht. Was die Straßenpolizei betrifft, so gehörte die Anlegur:g und Pflasternmg der Straßen in den Ressort der Censoren, aber die J::standhaltung :u:d Reparirnng lag den Aedilen nebst derer: Unterbeamter:, den Quartalaufsehern und Straßenfeger:: ob. Das Unterlassen der Reinheit seines Distriktes bekam dem nachmaligen Kaiser Vespasian, als Aedilen, sehr schlecht. Der Kaiser Kaligula ließ ihm durch Soldaten den Busen mit Straßenkoth füllen. Jeder Hanseigenthümer :nußte die bei seinem Hanse vorüberführende Straße unter­ halten, nnd wenn er sämnig war, gab der Aedil den Bau auf seine Kosten in Akkord und pfändete dann den Schnldigen aus. Alle Anlagen, wie Buden nnd Vorbauten, welche die Straßen verengten, lvare:: die Aedilen ermächtigt, weg­ reißen zu lasse::, so wie sie auch Geräthschafte:: und dergl., welche den Verkehr hinderten, zerschlagen ließen. Auch das Fahren nnd Reiten war innerhalb der Stadt verboten. Nur wenige bevorzngte Personen, wie die Vestalinnen, einige Priester und die oberen Magistrate bei solenner: Aufzügen machteü davon eine Ausnahme. Für Lastwagen existirten Polizeistlmden, indem sie von Sonnen­ aufgang bis vier Uhr Nachmittags nicht fahren durften. Daher die Klage Jnvenal^s: „Das Vorbeifahren der Wagen in der engen Krümmung der Gassen und das Durcheinanderschreien des haltenden Trains wird selbst den Meerkälbern den Schlaf rauben!" Erst Hadrian verbot den schweren Last­ wagen vollständig die Stadt. Die Erlenchtung seines Weges blieb in der Nacht jedem Einzelnen überlassen; denn obgleich Illuminationen bei festlichen Gelegen­ heiten nicht ungewöhnlich waren (man scheint aber in Rom dabei die Lichter und Fackeln vor die Thüren gestellt zu haben), so ist vor dem vierten Jahr­ hundert von regelmäßiger Straßenbeleuchtnng keine Spur zu finden. Znm nächtlichen Schutze der Stadt gegen Feuersbrünste, Einbrüche nnd ränberische

"Anfälle wurde von August ein nnlitärisches Korps von 7000 Mann gebildet, Das seinen eigenen Präfekten hatte und in sieben Kasernen pertheilt lag.

Diese

Ichaarwächter patroilillirten in der Stadt und hatten das Recht, bei drohender -Gefahr rücksichtslos in die Häuser einzirbrechen.

werden bereits genannt:

Unter ihren Gerüthschaften

Spritzeit, Feirereimer, Aexte, Stangen mit Wider­

haken, Leitern und Lappen 511m Ersticken der Flamme, die mit Essig getränkt wurden. Diese Anstalten wareir aber auch sehr nöthig in einer Stadt, die durch

ihre Bauart dein Feuer so imgemeineu Vorschub leistete.

Tenn es bestand wol

ein altes Gesetz, nach welchem jedes Haus einen freien Raum von zwei Fuß

um sich herum habeu sollte;

aber während der letzten Zeit der Republik

flimmerte inan sich nicht um diese Bestimmung und baute die Häuser in engen,

krummen Straßen massenweise an einander. Die Paläste der Vornehinen hatten

eine große horizontale Ausdehnung, aber sonst keine bedeutende Höhe. Dagegen wohnte die bei weitem größere Anzahl der Einwohner iit besonderen, zum

Zwecke der Vermiethuug erbauten Häusern (insulae), deren Zahl sich zu den

Herrenhäusern wie dreißig zu eins verhielt. Sie wurden aus leichtem Material

mit vielen Stockwerken bis zu einer abenteuerlichen Höhe aufgethürmt. Zu den einzelnen Etagen stieg man aus getreuuten Treppen von der Straße oder vom

Hose empor und bei den hohen Miethpreisen in der Stadt war es keine Selten­ heit,

daß Unbemittelte

vier

Treppen

hoch

wohnten.

Der

Schulmeister

Orbitius logirte in seinen alten Tagen unter dem Dache, Martial drei Treppen hoch; Tertullian vergleicht die verschiedenen Himmel der Gnostiker

mit dem wegen seiner Höhe sprichwörtlich gewordenen Miethhause eines ge­

wissen Felikles.

Auch diesem Uebelstaude, der durch die freilich jeder Asse-

kurauzaustalt entbehrende Spekulation reicher Leute gewachsen war, suchte August durch

passende polizeiliche Vorkehrnngen zn

wehren.

Besonders

erwähnt wird nur, daß er das Maximum der Hohe für Gebäude an der Straße auf 70 Fuß feststellte.

Rach dem großen Neronischen Brande wurden die Straßen erweitert,

vorn an den Häusern Säulenhallen angelegt, von deren flachen Dächern aus mau die oberen Etagen erlangen konnte, und die Gebäude wenigstens von unten

auf aus Quadern.erbaut.

Allein die Straßen konnten der Ortsverhältnisse

wegen doch weder sehr verlängert noch erweitert werden und der frühere

Uebelstand, daß man von den Häusern aus Taberuen, Werkstätten und Lüden jeder Art in die Straße hiuembaute, nahm auch nach dem Umbau der Stadt

so sehr überhand, daß sich der Kaiser Domitian bewogen fand, eine gründ­ liche Reinigung der Straßen vorzunehmen.

Martial sagt darüber:

„Die

ganze Stadt hatte der täppische Krämer in Beschlag genommen und keine Schwelle befand sich innerhalb ihrer Grenze.

Du hast, 0 Germauikus, die

Die Polizei.

246

schmalen Gassen wachsen lassen und was erst ein Steig war, ist eine Straße

geworden.

Kein Pfeiler ist mehr mit angeketteten Weinflaschen umgürtet, noch

wird der Prätor gezwungen, mitten im Kothe zu gehen.

Nicht mehr wird im

dichten Menschenschwarm das gefährliche Scheermesser gezückt, oder versperrt die rußige Garküche den ganzen Weg.

Der Barbier, der Schenkwirth, der

Koch, der Metzger halten sich in ihren Grenzen. Jetzt ist es wieder Rom; vor Kurzem noch war es eine große Taberne."

Aber auch die leichtsinnige Bauart

der oberen Stockwerke griff nach dem Brande wieder um sich. Wenn Strabo von der Zeit des Augustus schreibt, daß in Rom unausgesetzt Häuser zu-

sammenstürzlen und daß der peripatetische Weltweise Athenäos von dem nächtlichen Einstürze seines Hauses erschlagen worden sei, so liest man noch bei Juvenal die Klage: „Wir bewohnen eine Stadt, deren Häuser fast in jedem

Bezirke mit schmächtigen Balken gestützt sind; denn so begegnet dem Einsturz

der Verwalter und hat er den Spalt des alten Risses wieder geflickt, so läßt er uns ruhig schlafen beim drohenden Falle." Auch die Sicherheit der Straßen während der Nacht war trotz der zahl­

reichen Schaarwache nicht vollkommen.

In früherer Zeit zog man noch, wie

der ältere Plinius schreibt, in den Fenstern nach der Straße zu Gemüse und

Blumen;

später aber „zwang der von einer unzähligen Menge getriebene,

schreckliche Straßenraub, alle Aussicht zu verbauen," und Juvenal sagt: „Nicht fehlen wird es an Leuten, Dich zu plündern, wenn die Häuser sich ge­ schlossen haben und jeder Riegel der eingeketteten Buden verstummt ist,

Wol

treiben auch hastige Banditen mit dem Dolche ihr Handwerk, so oft der pomp-

tinische Sumpf mrd der gallinarische Wald von bewaffneter Macht umstellt ist. Dann laufen sie Alle hierher, wie gehegte Thiere zu ihreir Fütterungsplätzen." Und war man zu arm, um die Augen der Diebe auf sich zu ziehen, so lief man

stets Gefahr, des Nachts in Konflikt mit zahlreichen Nachtschwärmern und

Raufbolden zu gerathen.

Juvenal schildert das Vorspiel eines

solchen

Streites, „wenn es ein Streit ist, wenn der Andere zuschlägt, während ich nur

Prügel bekonune.

Er bleibt stehen und ruft mir Halt zu.

Gehorchen muß ich,

denn was soll man machen, wenn ein rasender und dabei noch stärkerer Mensch uns zwingt? Woher kommst Du? schreit er; mit wessen Essig, mit wessen

Saubohnen hast Du Dir den Wanst gefüllt? Welcher Schuster hat mit Dir Schnittlauch und gekochtes Schöpsmaul soupirt? Antwortest Du mir nicht? Entweder sag's, oder Du bekommst einen Fußtritt!

Gieb auch an, wo Du

wohnst; in welcher Judeirschule treffe ich Dich? — Ob Du dann zu reden

versuchst oder stumm zurücktrittst, ist einerlei: in jedem Falle bekommst DuSchläge."

Zur stehenden Sitte unter der vornehmen Jugend wurde diese

nächtliche Rauferei unter Nero, der selbst das größte Vergnügen daran fand,

harmlose Straßenwandler zu schlagen, zu verwunden, in die Kloaken zu stürzen,

hier Kleider zu berauben, die Frauen zu insultiren, Verkaufsgegenstände aus bcii

Briden zu rauben, bis er endlich selbst eirrmal von einem Senator unbarmherzig durchgewalkt wurde! Die Nachahmer, welche diese Bubeustreiche fanden, innren

so zahlreich, daß man, wie Taeitns bemerkt, endlich die Nacht wie unter Belagerungsznstand hinbringen mnßte.

Am meisten zeichnete sich damals durch

frechen Muthwillen der nachherige Kaiser Otho aus, der hauptsächlich darin

eine Meisterschaft besaß, die Gemißhandelten auf einem ailsgespannten Mantel hoch empor zrr schriellen oder zu „prellen".

Hinsichtlich der Gesundheitspolizei hatte mein in Rom von Seiten der

Regierung durch öffentliche Bäder, zahlreiche Wasserleitungen, Bassins und riesige Abzugskanale, Latrinen nnb später besonbers burch Anstellung öffent­

licher Aerzte viel gethan.

Die Stanbwolken nnb Küchenbämpfe, über beren

Lästigkeit Horaz nnb Seneka klagen, finb rmallsbleibliche Zugaben großer

Stäbte, bie heute über beni stmkeubeu nnb rußenben Steinkohlenrauch beinahe vergessen werben können. Aber bie Luft Rom's selbst war uugesuub burch bie

bösen Ausbünstungen ber südlich bavon gelegenen Sümpfe unb bie oft vor-

tonimcnbcn Ueberschwemmungen ber Tiber.

Gewisse Stabttheile, besonbers

Vorzüglich Ende August,

der Vatikan, galten für Lieblingssitze der Fieber.

„wenn," wie Horaz sagt, „bie erste Feige nnb bie Glnt ben Leichenbesorger mit schwarzen Trabarlten nmgiebt, wenn Vater nnb Mutter für bie Kinber

zittern," bann entfloh, wer es nni* ausführen konnte, ber Stabt nnb snchte

höher nnb gestlnber liegenbe Gegenben auf. Die

athenische Sykophantie wieberholte sich

schauerlicher Weise.

bekanntlich

zu Rom in

Schon bie mit Einführung ber stehenben Kriminalgerichte

verbnnbene Belohnung ber Angeber vom Staate hatte, besonbers seit ben Zeiten

bet Jnlischen Ehegesetze, eine heillose Rotte von Anklägern ins Leben gerufen, bie mit habgieriger Spürkraft niib frecher Unverschämtheit ihr schmachvolles Gewerbe trieben. Gleich bei Beginn ber Kaiserzeit würbe aber biese Giftpflarlze

beni sozialen Leben noch verberblicher,

iiibem ber gesetzliche Auftrag ber

Delatoren erweitert würbe unb bie Gesetze über Hochverrath unb Majestätsbeleibignng hohen Blutlohn in Aussicht stellten.

Es kam fortan nur auf bie

tyrannische ober milbere Gesinnung ber einzelnen Kaiser an, ob nach bem biegfnnten Gesetze gelinb ober grausam verfahren unb ber Eifer ber Angeber

gebämpft ober ermnthigt würbe.

Unter fRegenteu, wie Tiberius, faub jeber

Ankläger Glauben unb jeber Verstoß würbe als Tobesverbrechen gefaßt, mochte er selbst seinen Ursprung bem Scherze ober ber Trunkenheit Verbanken.

Kein

Geschlecht, kein Stanb scheute sich, mit bem schmutzigen Gewerbe sich zu befassen, unb selbst Senatoren übten es öffentlich ober geheim.

Unb bennoch begnügte

sich bas Mißtrauen unb ber Argwohn bes Despotismus nicht mit ber frei­ willigen Zuträgerei biefer Sykophanten; es existirte bereits von Augustus an

eine förmlich orgemifirte geheime Polizei. Unter den Rathschlägen, welche Dio Kassins von Mäeenas dem Fürsten ertheilen läßt, welche aber fast alle von wirklichen Einrichtnngen abstrahirt sind, findet mein auch Folgendes: „ Wenn es aber nothwendig wird, daß Du ans diesen oder jenen Gründen Leute hältst, die mit Augen und Ohren Alles überwachen, was Deiner Herr­ schaft zu Gute kommt, damit Dir nichts entgehe, was Deine Wachsamkeit und Abhilfe erfordert, so darfst Du ihren Berichten doch nicht unbedingten Glauben schenken, sondern mußt Altes genau untersuchen lassen." Später verwendete man die Feldjäger (speculatores) und Fouriere (frumentarii) der Armee zur Spionage und überhaript ganz nach Art unserer Gensdarmen. Einer der miß­ trauischsten Kaiser war in dieser Beziehung der überhaupt leicht reizbare Hadrian, unter dem die geheime Polizei den Gipfelpunkt ihrer Blüthe erreicht zu haben scheint und gerade die Häuser der dem Hofe am nächsten Stehenden am genauesten überwacht wurden. Schämte sich doch der Kaiser nicht, zuweilen seinen Freunden Proben von seiner Allwissenheit abznlegen! Auch Karakalla ließ sich nach Dio Kassius Altes, auch das Geringfügigste, berichten und ver­ ordnete, daß die Gensdarmen nur von ihm selbst znr Verantwortung gezogen werden könnten. Die Folge davon war natürlich, daß selbst die Senatoren ihrer Tyrannei unterworfen waren. Wie es die Agenten anfingen, um sich in das Vertrauen einzuschleichen, lehrt eine Stelle bei dem am Ende des ersten Jahrhunderts lebenden Philosophen Epiktet: „Ein Soldat in bürgerlicher Kleidung setzt sich neben Dich und fängt an, vom Kaiser übel zu reden; Du, als wenn Du dadurch ein Pfand für seine Zuverlässigkeit erhalten hast, daß er zuerst Beleidigungen ausgestoßen, sagst anch, was Du denkst; die Folge aber ist, daß Du in Ketten und ins Gefängniß geworfen wirst." Das Polizeiwe.sen scheint unter Konstantins eine Verbesserung erfahren zu haben. Allein in späterer Zeit, wo die Curiosi und Agentes in rebus an die Stelle der „Fouriere" traten, mehren sich wieder die Klagen über die Polizeispivne, die durch An­ drohung von Berichterstattung überall in den Provinzen Geld erpreßten. Daß unter solchen Verhältnissen, „wo," wie Taeitus äußert, „der Ver­ kehr durch Reden und Hören genommen war und wo man selbst das Gedächt­ niß verloren hätte, wenn das Vergessen ebenso in unserer Gewalt läge, wie das Schweigen," auch eine scharfe Büchereensur von der Polizeigewalt geübt wurde, ist nicht befremdlich. Schoir Cäsar hatte die Schriftsteller der Opposition theils einer wirklichen Censur unterworfen, theils irach Besiegung des Pompejus von der Amnestie ausgeschlossen. Ein Freund Cieero's, Aulus Cäcina, schildert in einem Briefe aus dem Exile recht treffend die Eiirschüchterung und Ver­ legenheit eines Literaten der damaligen Zeit in folgenden: Selbstgespräch: „Dieses Wort wird er billigen, dieses ist verdächtig! — Ich lobe ferner Je­ manden: ich werde doch damit nicht anstoßen? — Wenn ich aber anstoße?

Die Polizei.

249

Wie? Wenn er diesen Manu gar nicht gelobt haben will? — Er verfolgt die

Feder des Bewaffneten; wie wird es dem Besiegten und noch nicht Begnadigten

ergehen?"

Auch Augustus ließ sich durch die Feinde des Republikaners

T. Labienus bewegen, dessen Darstellung der Bürgerkriege verbrennen zu lassen, worauf dieser aus Verdruß seinem Leben ein Ende machte. Dasselbe

Schicksal traf vielleicht mit größerem Rechte die Schmähschriften des Kassius Severus.

Schon unter Tiberius schwand aber „das Glück, denken zu

können, was man will, und sagen zu dürfeu, was mau denkt", den Römern

vollständig.

Der Geschichtsschreiber Kremutius Kordus hatte des Brutus

Genossen Kassius „den letzten Römer" genannt.

Seine Schriften wurden

vernichtet; er selbst kam der Hinrichtung durch den Hungertod zuvor.

Gegen

den eiteln Gelegenheitsdichter Lutorius Priskus, der den Tod des Drusus besang, bevor er noch erfolgt war, schritt der Senat, ohne den Kaiser zu fragen,

mit der Todesstrafe ein. die

leiseste

Ueberhaupt war Tiberius auch bei Dichtern gegen

Anspielung im höchsten Grade empfindlich

Skaurus büßte ein paar Verse seines Trauerspieles Leben.

und

Mamerkus

„Atreus" mit dem

Kaligula hatte wol bei seinem Regierungsantritte aus Streben nach

Popularität gestattet, die unterdrückten freisinnigen Werke des Labienus,

Kremutius Kordus, Kassius Severus zu verbreiteu und zu lesen, später aber beabsichtigte er sogar, Homeros Gesänge zu vertilgen und ließ den un­

glücklichen Dichter einer Volksposse wegen eines zweideutigen Verses mitten im

Amphitheater verbrennen!

Unter Nero

„machte," um mit dem jüngeren

Plinius zu reden, „die Knechtschaft jede liberale wissenschaftliche Bestrebung

lebensgefährlich," und noch schlimmeren geistigen Despotismus übteDomitian, der die Vertreter der Wissenschaft planmäßig verfolgte und den Triumviri

Capitales, welchen das Verbrennen der verbotenen Bücher oblag, viel zu thun

gab.

Selbst unter dem milden Trajan (wahrscheinlicher unter Hadrian)

wurde Juvenal wegen einer Anspielung auf den einflußreichen Pantomimen

Pylades in eine entfernte Provinz kommandirt.

XIX.

Die soziale Stellung des Weibes. ast giebt es keinen Theil der antiken Sittengeschichte, kein Verhältniß

des gesellschaftlichen und bürgerlichen Lebens, das so verschieden be­

urtheilt, so einseitig unterschätzt uud wieder idealisirt worden ist, als

die Lage und Geltung des weiblichen Geschlechts, besonders bei den Hellenen. Theils hat man die christliche Anschauungsweise über Ehe und Familie auf die Verhältnisse des Alterthums übergetragen, theils vom Standpunkte einer über­

feinerten Civilisation aus den Urtheilsspruch gefällt, theils den verschiedenen

Einfluß des Klimas auf die Geschlechter nicht in Anschlag gebracht, theils die Aussprüche der komischen Dichter in zu vollem Ernste genommen, theils den

Unterschied der Zeitalter und Volksklassen unberücksichtigt gelassen, theils aber

auch in Begeisterung für die Herrlichkeit der klassischen Kultur keinen klaren Blick für die Schroffheiten bewahrt, die bei Allem, was das Leben des Einzelnen und der Familie angeht, uns wol abstoßen und verletzen müssen.

Erschwert

wird außerdem die Erkenntniß des Richtigen dadurch, daß die vorhandenen Nachrichten vorzugsweise die Frauen der höheren Stände betreffen und daß unter der Zahl der hervorragenden Beispiele die schlechteren überwiegen, wäh­

rend, wie Peri kl es in seiner berühmten Leichenrede bei Thu ky di des richtige bemerkt, der Ruhm desjenigen Weibes am größten sein sollte, von dem unter den Männern am wenigsten Gerede herrscht.

Einen unverkennbaren Unterschied findet man zuerst zwischen der Stellung der Weiber, wie sie Homer schildert, und dem Zustande derselben in der histo­

rischen Zeit.

Im heroischen Zeitalter erscheint das Verhältniß der beiden Ge­

schlechter in und außer der Ehe als ein fast durchweg edles und natürliches.

Die Frau steht dem Maune nicht als eine unterwürfige Sklavin, sondern als

gleiche Lebensgefährtin zur Seite, und die Ehe wird überall als ein wünschens-

werthes und glückliches Verhältniß bezeichnet.

„Es giebt nichts Erfreuenderes

und Trefflicheres," spricht Odysseus zur Königstochter Nausikaa, „als wenn Mann und Weib einträchtigen Sinnes ihr Haus bewohnen, den Widersachern

zum Verdruß, den Freunden zur Frellde mit) sich selber zum Ruhme."

So

sagt auch Achilleus: „Jeder brave uud verständige Mann hält sein Weib werth und sorgt für sie."

Viele Züge treuer Liebe hat Homer veranschaulicht,

besonders in Fällen, wo beim wilden kriegerischen Treiben jener Zeit der Tod des Mannes das Glück der Ehe unterbrach, wo „das Weib in Thränen sich auf

den Gemahl stürzt, der im Kampfe dahinsank, den Sterbenden und Zuckenden umschlingt und laut aufschluchzt".

Mit besonderer Zartheit hat der große

Dichter in der Jliade die Verbindung zwischen Hektor und Andromache,

in der Odyssee zwischen Penelope und dem Helden des Epos gezeichnet. Von dem durch Schillerns Bearbeitung berühmt gewordenen Abschiede an bis

zur Bestattung des unglücklichen Gatten zeigt Androniache eine Innigkeit des Gefühls, die jedes warme Herz rühren muß, während die Königin von Ithaka, von Tag zu Tag auf des Odysseus Rückkehr hoffend, alle lockenden Anträge von der Hand weist und in thränenreicher Wehmuth die lange Prüfungszeit zu­

bringt.

Auch Odysseus widersteht selbst dem Zauber verführerischer Göt­

tinnen und zieht der angebotenen ewigen Jugend und Unsterblichkeit die Rück­

kehr zur „ehrsamen" Gattin vor, und nach der freudigen Wiedervereinigung spricht Penelope die Meinung aus, daß der Jammer, der sie betroffen, eine Schickung der Götter sei wegen ihres allzugroßen Glückes! Fehlte nun also der

Ehe selbst in jener Periode nicht die sittliche Basis, so darf man sich auch die

Freiheit der Weiber nicht so beschränkt denken als Manche gethan haben. Zlvar bewohnten sie im Hause, getrennt von den Männern, den oberen Stock und leiteten in der zur ebenen Erde befindlichen Gesindestube die Arbeiten der Die­

nerinnen, mit Weben und Sticken beschäftigt. Aber auf diese Zimmer beschränkt und von der Gesellschaft des Mannes abgesondert war die Frau deshalb keines­

wegs.

Als Odysseus zum Phäakenkönig Alkinoos kommt, trifft er ihn

neben seiner spinnenden Frau am Herde sitzend.

Ja, die Königin Arete nimmt

Theil am Festschmause im Männersaal, und die von den Freiern beleidigte Penelope begiebt sich, von zwei Dienerinnen begleitet, unter die Schmausen­ den.

Auch umgekehrt kommen in die Frauenwohnung nicht nur die männlichen

Diener, sondern auch Odysseus in Gestalt eines bettelnden Fremden.

Sogar

daß königliche Jungfrauen, wie Polykaste und Helena, fremden Gästen beim

Bade allerlei Handreichungen leisteten, galt in jener ehrenfesten Zeit als etwas Unverfängliches.

Unter solchen Umständen fällt es nicht auf, daß die Frauen bei feierlichen Opferhandlungen mit zugegen sind, wie z. B. in Pylos, als Nestor dem

Poseidon einen Stier opfert, die Königin und deren Schwiegertöchter.

Auch

sonst scheint der öffentliche Ausgang der Frauen keiner Beschränkung unter-

252

Die soziale Stellung des Meibes.

worfen gewesen zu sein.

Nur bittet Nausikna

den von ihr .gefundenen

Odysseus, sie nicht durch die Stadt zu begleiten, um dem Gerede der Leute

keinen Anlaß zu geben.

Von ihrer Mutter sagt der Dichter, daß das Volk auf

sie, wie auf eine Göttin, hinschaute, uud sie mit 511^1111(1 cf)im Worte begrüßte,

so oft sie durch die Stadt schritt.

Die Trojanerinnen sahen von einem hohen

Thurme der Schlacht zu, und als Hektor einst ans dem Treffen in die Stadt

kam, „liefen um ihn zusammen der Troer Weiber und Töchter, frigend nach

ihren Söhnen und Brüdern und Freunden und Gatten", sowie arch „weder ein Mann noch ein Weib in der Stadt blieb", als Priamos Hekter^s Leiche aus dem griechischen Lager brachte. Welche Achtung endlich das Zeitalter vor der

weiblichen Natur und Tugend im Allgemeinen besaß, erhellt am unwidersprech-

lichsten aus den Urtheilen über die Fehltritte der Töchter des Tyndareus, die nebenbei die einzigen Beispiele von Frauen sind, welche durch fremde Männer

zum Ehebruch verführt werden. Helena, eine Verirrte, keine Verworfene, fühlt Reue und verflucht den Tag ihrer Geburt; Priamos und Penelope entschul­ digen ihre Schwachheit durch die Intervention der Liebesgöttin, die auch

Helena selbst als ihre Verführerin bezeichnet, und von ihrem Gemahl wieder­ gewonnen, herrscht sie mit vormaliger Würde in ihrem Palast.

Die Schuld

Klytämnestra's wird ebenfalls mehr dem dunkeln Schicksale des Tantalidengeschlechts und der Geschicklichkeit des Verführers Aegisthos zugemessen als

ihr selbst, die sonst „braver Gesinnung" war.

Daß freilich der betrogene Ehe­

mann Agamemnon eine üble Meinung von dem schönen Geschlecht bekam, und

deshalb noch in der Unterwelt den Odysseus warnte, nie liebreich gegen ein

Weib zu sein und demselben nie Alles anzuvertrauen, was er wisse, sondern ihr

Einiges wol zu sagen, Anderes aber zu verheimlichen, ist psychologisch richtig, kann aber doch wahrhaftig nicht benutzt werden, um die geachtete Stellung der

Homerischen Frauen zu verdächtigen.

Auch der Homer am nächsten stehende

Dichter Hesiod stellt das Weib hinsichtlich seiner Geltung nicht tiefer, wenn er auch mehrmals auf den Unterschied zwischen bösen und guten Individuen des

Geschlechts hinweist und'dem Charakter seiner Dichtungen gemäß, die vom Glanze der Fürstenhöfe abgewendet, das bürgerliche Leben m.t seinen Sorgen, seiner Arbeit, seinen Verdrießlichkeiten schildern, auch die ehebchen Verhältnisse

keineswegs idealisirt.

„Flieht einer die Ehe und der Weiber leidiges Thun,"

heißt es in der Theogonie, „und gelangt znm Alter, so fehlt ihm ein Pfleger, auch wenn es ihm an Gütern nicht gebricht, und diese fallen Fremden zu. Wem aber das Loos der Ehe und eine brave Gattin zu Theil genorden ist, die zu

seinem Sinne paßt, bei dem liegt Gutes und Böses im Kampfe.

Hat er hin­

gegen ein Weib verderblicher Art, so trägt er unaufhörlichen Kummer in der

Brust, und das Uebel kennt keine Heilung. So also ist es nickt niöglich, Zeus' Sinne und Willen zu entgehen."

Die veränderte Stellung, die mein in der historischen Zeit mit einem Male die Weiber, besonders des ionisch-attischen Stammes, einnehmen sieht, ist sehr auffallend, jedoch nicht unerklärlich.

Denn erstlich finden wir ja bei Homer

fast gar keine Nachrichten über die Verhältnisse der mittleren und unteren Klassen des Volkes.

Tann milszte aber naturgenrüß der Unterschied zwischen den Ge­

schlechtern um so schärfer hervortreten, je mehr deren Interessen auseinander gingeil.

Die Solonische Gesetzgebung hatte die Entwickelungskeime der Demo­

kratie gepflanzt, mit) je schneller sich dieselben entfalteten, je mehr der Einzelne

sich als integrirendes Glied des Ganzen fühlte, je mehr aber auch der Staat

vollständige Unordnung, ja ein Aufgehen des Bürgers im Zwecke des Ganzen forderte, wurde der Mann, dessen Heimat die Oeffentlichkeit ward, seinem Hause mit) dem Familienleben entfremdet, wurde auch das weibliche Geschlecht in den Hintergrund geschoben, in mancher Beziehung seine Gleichberechtigung mit dein

Manne aufgehoben und ihm, wenigstens der modernen Ansicht nach, Unrecht

gethan.

Dennoch hat man, wie schon erwähnt, im Allgemeinen einseitige Zeug­

nisse der Alten über die Mißachtung der athenischen Frauen zu sehr aecentuirt. Klagen von Weiberfeinden und unglücklichen Ehemännern werden in allen

Zeiten und bei allen Völkern vorkommen, und sehr richtig schreibt schon der

heilige Ehrysostomos: „Niemand ist frei von Verdruß.

Wer eine schöne

Frau hat, klagt, es sei nichts so schlimm als eine schöne Frau zu haben; wer eine häßliche hat, findet dasselbe.

Sorgen.

Der Verheirathete klagt iiber Frau und Der Unverheirathete fühlt sich unglücklich über den Mangel eines

Hauswesens und der Ruhe."

Wenn

daher die dramatischen Dichter der

Griechen eine große Menge von Invektiven gegen die Weiber und den Ehestand enthalten, so könnte man ihnen leicht eine ansehnliche Blumenlese von ähnlichen Klagen entgegenstellen, die der männliche Egoismus neuerer Zeit über dasselbe

Thema hat laut werden lassen.

So sagt denn z. B. Eubulos: „Möge zum

Henker fahren, wer zum zweiteumale eine Frau heirathet. Um der ersten willen

schelte ich ihn nicht, denn ich will annehmen, daß er das Uebel nicht kannte.

Später wußte ct aber doch, welches Uebel ein Weib sei!"

Und in den Frag­

menten des Komikers Alexis klagen die Männer: „O wir Unglücklichen, die

lvir die Freiheit des Lebens verkauft haben, und nun nicht mehr als Freie, sondern

als Frauensklaven leben."

„Zlvei Tage der Ehe",

sagt ferner

Hipponax, „sind die augenehnisten: wenn das Weib heiratet, und wenn es

begraben wird."

Antiphanes läßt Jemanden auf die Nachricht, daß ein

Freund geheiratet habe, ausrufen: „Was sagst Du?

Hat er wirklich gehei­

ratet, er, den ich. vor kurzer Zeit noch lebend und herumspazierend verließ?" Eubulos endlich sagt spottend an einer andern Stelle: „O hochverehrter Zeus, rede id)x je wol Böses von den Weibern? So wahr ich bin, sie sind das beste

unter allen Gütern! Wenn aber Medea ein böses Weib war, so ist Pene-

254

Die soziale Stellung des Weibes.

lope ein Prachtexemplar.

Und sagt Jemand, daß 5llytamnestra nichts ge­

taugt, so sehe ich Alkestis als Tugendmuster dagegen. Aber vielleicht wird einer

von Phädra übel reden; doch beim Zeus, eine recht gute war doch — wer? Wehe mir Elenden!

Schnell sind mir die guten Weiber ausgegangen; von den

schlechten kann ich noch viele nennen!"

Ebenso sind die Tragödien des Euri­

pides voll von Schmähungen des anderen Geschlechts, die theils den eigenen

bösen Erfahrungen des Dichters, theils auch, wie im Hippolyt, der dramatischen Situation ihren Ursprung verdanken.

Schlimmer sahe es mit der Geltung der Frauerr aus, wenn zu diesen

komischen und rhetorischen Uebertreibungen auch ernstere Stimmen in die Wag-,

schale fielen.

Allein Aristoteles spricht es ausdrücklich als einen Unterschied

zwischen Barbaren und Hellenen aus, daß bei jenen das Weib und der Sklave auf gleicher Linie stehe; und über das Verhältniß des Mannes zum Weibe

schreibt er in seiner Ethik: „Zwischen dem Manne und der Frau scheint zufolge der Natur eine Freundschaft obzuwalten.

Die Gemeinschaft der andern Ge­

schöpfe beschränkt sich auf die Fortpflanzung; die Menschen aber leben mit ein­ ander nicht bloß wegen der Kindererzeugung, sondern auch um anderer Lebens­

verhältnisse willen.

Ihre Geschäfte sind getrennt, rlnd die des Mannes sind

andere als die der Frau.

Sie helfen also eines dem andern, indem jedes das

ihm Eigenthümliche gemeinsam macht.

Daher denn in einer solchen Verbin­

dung das Nützliche mit dem Angenehmen vereinigt ist.

Sie kann aber auch

durch Tugend bewirkt werden, wenn sie gut geartet sind, denn jeder Theil hat seine Tugend, und sie kömren sich daran erfreuen."

Desto üblere Schlüsse auf

den Zustand des schönen Geschlechts hat man aber aus anderen Aeußerungen des Stagiriten und Platons gezogen, die dem Weibe, als einem schwächeren

und sich leicht zum Bösen hinneigenden Wesen, seinen Platz unter dem Manne anweisen und Gehorsam von ihm fordern. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß letzteres bei den Griechen allgemeilie Ansicht war, und von vielen Stellen, welche

diese Lehre einschürfen, stehe hier nur folgendes aus Men anderes Fragmenten: „Den zweiten Part zu spielen ziemt stets der Frau; des Ganzen Leitung aber kommt dem Manne zu.

Ein Haus, in dein die Frau die erste Stimme hat,

muß unvermeidlich untergehen früher oder später."

Aber harmonirt denn in

diesem Punkte die Meinung der Griechen nicht mit den: biblischen Christenthum?

Freilich kommt es darauf an, wie diese Herrschaft geübt wurde.

Aus

manchen Stellen der Komiker geht hervor, daß es der List und Schlauheit der

Töchter Eva^s schon damals gelang, das stärkere Geschlecht ihrem Willen zu beugen, und eine gewisse Selbständigkeit in ihrem Bereich gesteht auch Aristo­ teles der Frau zu.

Er vergleicht nämlich die Verbindung des Mannes und

Weibes mit der aristokratischen Verfassung, indem der Mann in Folge seiner

Würdigkeit den Vorrang habe in dem, was ihm zukomme, und der Frau das-

255

Die soziale Stellung des Weibes.

jenige übergebe, was für sie passe.

„Wenn aber", fahrt er fort, „der Mann

über Alles Herr sein will, verwandelt sich das Verhältniß in ein oligarchisches, indem der Mann dann gegen seine Wiirdigkeit handelt und nicht, insofern er besser ist.

Bisweilen herrschen auch die Frauen, weil sie reich sind; eine Herr­

schaft, die sich nicht auf Tüchtigkeitsgrüude, sondern auf äußere Dinge, wie in der Oligarchie stützt."

So läßt auch Lenophon in seinem „Haushalter"

den Jschomachos zu feiner jungen Frau sagen, wenn sie die Pflichten und Obliegenheiten einer guten Hausfrau erfüllen werde, so solle sie im Hause bei­

nahe geachteter sein, als er; er selbst werde ihr Diener werden, und sie habe nicht zu besorgen, daß sie ihm im vorgerückten Alter weniger lieb fein werde,

sondern auch als alte Frau solle sie um so hoher im Hause geehrt sein, je mehr sie ihm eine treue Gefährtin und den Kindern eine sorgsanie Hüterin sei. Es wird dies bestätigt, wenn Aristop Hanes seine Lysistrata den Vor­ schlag machen läßt, die Gelder des Staats zu verwalten und auf einen dagegen

gemachten Einwurf erwidern: „Was findest Du so bedenklich? Verwalten denn

wir Frauen nicht für Euch gauz das Vermögen des Hauses?" und meint bei

demselben in der „Frauenherrschaft"

die Praxagora spricht: „Den Frauen,

rathe ich, müssen wir die Staatsgewalt ganz übergeben, führen sie zu Hause

doch für uns die Aufsicht über Kasse und Küche stets." Ja, selbst die Frau des von Theophrast geschilderten Mißtrauischen hält unter ihrem Verschlusse die Truhe und den Silberschrank.

Daß aber überhaupt die attischen Frauen als

Mütter in hoher Achtung standen, ist aus den „Wolken" des Aristophanes

ersichtlich, wo der schwache Strepsiades, nachdem er von seinen sophistisch ge­ schulten Sohn geschlagen worden ist, sich überreden läßt, daß dies mit Recht geschehen sei; als aber der Sohn ihm zum Troste das gleiche Recht auch der

Mutter gegenüber in Anspruch nimmt, geräth er außer sich und bezeichnet dies als den ärgsten und strafbarsten Frevel.

Blickt also aus solchen Stellen, die sich leicht vermehren lassen, eine eigent­ liche Herabwürdigung des Weibes nicht hervor, so vergißt man wiederum unsere eigenen Verhältnisse (wie sie wenigstens noch vor ein paar Deeennien waren),

wenn man im Mangel der rechtlichen Selbständigkeit einen Belveis für die geringe Geltung des ganzen Geschlechtes finden will.

Dauert doch heute noch,

selbst in den Staaten, wo die alleinstehenden Frauen durch die Gesetzgebung dispositionsfähig geworden sind, in der Ehe die männliche Vormundschaft fort!

Durften also die athenischen Frauen kein bedeutenderes Geschäft für sich ab­ schließen, so kann man sich nicht darüber wundern.

Das von Demosthenes

erwähnte Gesetz Solon's: daß alles ungiltig sein sollte, was der Mann auf

Bitte oder Rath eines Weibes thun würde, hat wahrscheinlich den Zweck gehabt, den Einfluß der Fraueu auf öffentliche Angelegenheiten so fern als möglich zu

halten, wird aber in seiner Ausführung auf mancherlei Schwierigkeiten gestoßen

256 sein.

Die soziale Stellung des Weibes. Einen Fortschritt, freilich bloß ans dem Papier, machte Platon in seinen

Gesetzen, wo es heißt: „Einem freigeborerien Weibe soll es erlaubt sein, vor

Gericht zu zeugen, anzuklagen und zu vertheidigen, ruenn sie über 40 Jahre alt und unverheirathet ist.

Solange der Mann lebt, soll es ihr nur erlaubt

sein, Zeugniß abzulegen."

Dagegen schützte das Gesetz auch die Frauen vor

harter:md unanständiger Behandluirg.

Selbst anstößige Reden in Gegenwart

derselben gelten als strafbar, und Demosthenes benutzte es als Anklagepunkt gegen seinen Feind Meidias, daß derselbe vor seiner unerwachsenen Schwester

Reden geführt hatte, „die schändlich und so beschaffen waren, daß sie nicht

wiederholt werden können."

Im „Selbstpeiniger" des Terenz schämt sich der

Mann, in Gegenwart seiner Frau das Wort „Buhlerin" auszusprechen.

Ver­

nachlässigung von Seiten des Mannes oder gar Aufnahnre einer Hetäre ins

Haus begründete für die Frau das Recht der Scheidungsklage.

Hipparete,

die Frau des leichtfertigen Alkibiades, die ihren Gemahl liebte und dessen

Extravaganzen nicht dulden konnte, verließ ihn und war eben im Begriff den Scheidebrief dem Archonten einzuhündigen, als sie von Alkibiades umfaßt

und wieder in sein Haus getragen wurde.

Auf dieses Recht der Frau gründete

sich ein Stück des Dichters Kratinos, „die Weinflasche" genannt, in welchem

die Komödie, als seine Frau, sich über ihn beklagte, daß er ihr untreu geworden wäre und zu oft der Frau Flasche zuspräche! Die Beleidigung der Wittwen, Waisen

und Erbtöchter wurde durch Geldbußen und Verlust bürgerlicher Rechte bestraft. Wenn nun also die Stellung der Frauen in rechtlicher Beziehung iroch

erträglich war, so ist man vielleicht mehr berechtigt in ihrer Erziehung Ver­ nachlässigung, in ihrem häuslichen Leben arge Beschränkung wahrzunehmen.

Das ganze Schulwesen entbehrte überhaupt im Alterthunie der gesetzlichen

Regelung, des öffentlichen Charakters, und die Bildung des weiblichen Geschlechts

war noch in höheren: Grade dem Herkommen, der Sitte rmterworfen.. Da man nun den Besuch öffentlicher Schulen für mwereinbar mit jungfräulicher Sitt­ samkeit hielt, so erhielten die Töchter nur einen nothdürftigen Unterricht in den

Elernentarwissenschaften von Ammen :md Müttern.

Die Kenntniß des Lesens

und Schreibens und einige Bekanntschaft mit der Mythologie darf man wol mit Recht bei den Jungfrauen besseren Standes voraussetzen, und Demosthenes

erwähnt auch z. B. in einer Rede schriftliche Aufzeichnungen eitler reicher: Frau, die man nach deren Tode über die Vern:öger:sverhältnisse fand.

Die Hauptsache

blieb aber immer die Erlernung der weiblicher: Arbeiten: des Spinnens, Webens, Nähens u. s. w., und die Aneigrmng eirres sittsamen Betragens und häuslicher Tugenden. Wissenschaftlich gebildete oder wol gar gelehrte Frauen waren daher

ärcherst selten, und n:an begreift den Blaustrrlrr:pfstolz, in welchem die Dichterin Sappho an eine Freundin schrieb: „Wenn Dr: gestorben bist, wirst Du im

Grab liegen und Niemand wird Deiner gedenken; denn Du hast keinen Theil

an den Rosen Pieria's.

Wie solltest Du nicht mit weit größerem Rechte auf

Dich stolz sein, wenn Du zwar nicht an den Blüthen, aber an den Früchten

Theil hast, welche die Musen denen gewähren, welche Bildung und Philosophie in Ehrerr halten?" Allein die Kluft zwischen männlicher und weiblicher Bildung

und Aufklärung wurde doch erst in der Zeit des Verfalles, der Demoralisation am auffälligsten, als die Sophistik eine Fülle allgemeiner Kenntnisse unter das

Volk geworfen hatte und eine Menge höherer Schulen entstand. Für die frühere, bessere Zeit kann man dreist behaupten, daß der Unterschied zwischen der Bildungsstufe eines Atheners und der einer Athenerin weit geringer war, als zwischen den wissenschaftlichen Kenntnissen der achtbarsten unserer Aeltermütter

und denen ihres Herrn Gemahls! Und wo hätten damals die Damen auch ihre Kenntnisse verwerthen sollen?

Es existirte für sie noch keine große Welt; es gab weder Bälle noch Konzerte,

noch Theegesellschaften mit geistreicher Unterhaltung; es fehlten alle Anlässe

und Tummelplätze der Eitelkeit, der Sentimentalität, der Emanzipationssucht.

Eingezogen, beinahe ganz getrennt von dem Verkehr mit der Außenwelt,

besonders von dem Umgang mit dem anderen Geschlecht, verlebten die Athene­ rinnen ihre Jugend in der Gynäkonitis, der im Hinteren Theile des Hauses

getegenell Frauenwohnung.

Daher werden sie geradezu „Eingeschlossene", „im

Schatten Erzogene" genannt; daher fehlte ihrem Teint die Farbe der Gesilnd-

heit und sie ergaben sich allgemein der Unsitte des Schminkens.

Nur bei

einigen Götterfesten erschienen sie in öffentlichen Versammlungen und Pro­

zessionen, besonders in dem großen panathenäischen Festzuge, wo sie in un­

muthiger Haltung heilige Gefäße und Geräthe in Körben auf dem Haupte trugen, während die Töchter der Schutzgenossen Sonnenschirme über sie hielten.

Bei solchen Gelegenheiten entspann sich zuweilen auch eine Neigung zwischen

jungen Leuten; es kam aber auch nach den Komikern bei dem leicht entzündlichen Blute der Südländer zu schlimmeren Dingen, durch welche die Strenge der Aufsicht ihr Empörendes verliert.

Natürlich zeigten nun die athenischelr Jungfrailen in ihrem Auftreten eilte große Unerfahrenheit und Blödigkeit, und da sie schon im fünfzehnten Jahre zu heiraten pflegten, so lag eigentlich ihre weitere Ausbildung und^Vervoll-

kommnung dem Manne ob.

Die junge Frau des Xenophontischen Jschomachos,

„die," wie es heißt, „möglichst wenig gesehen und gehört hatte", mußte erst

„gekirrt" und so weit zutraulich gemacht werden, daß ihr Mann mit ihr ein Gespräch beginnen konnte. Als er ihr dann auseinandersetzte, wie er sie zu

seiner Lebensgefährtin erkoren, damit sie sein Hauswesen mit ihn: vermehrte,

antwortete sie ihm naiv genug: „Was sollte ich Dir wol helfen können? Was habe ich für Macht? In Deiner Gewalt liegt ja Alles; meine Pflicht sei, sagte meine Mutter, Ehrbarkeit und Zucht zu bewahren." Die große Jugend entGöll, Kulturbilder. I.

17

258

Die soziale Stellung des Weibes.

schuldigt hier freilich auch deu Mangel an Erfahrung, besonders einen: so großen

Hausstande gegenüber, wie er sich bei einen: wohlhabenden Athener voraussetzen

läßt.

Ob aber jede Braut an ihren: Manne einen eben so klugen und geduldigen

Lehrmeister gefunden habe, wie Jschomachos, möchte man bezweifeln.

Die

allzu große Schüchternheit der jungen Gattin war in den meiste:: Fällen schon

deshalb vorhanden, weil sie ihren Gemahl vor der Hochzeit gar nicht kennen gelernt hatte.

Meist war es der Vater, welcher dem Sohn die Frau wählte,

und welcher dabei weniger Rücksicht auf die Person, als auf die Fannlie und auf die Mitgift nahm.

Denn auch dadurch trennt eine Kluft die weiblichen Ver­

hältnisse der historischen Zeit von denen der heroischen, daß nun nicht n:ehr der

Ma::n durch herrliche Brautgeschenke die vielumfreite Gattin gewinnt, sondern daß der Vater seine Tochter gehörig aussteuern muß, um sie an den Mann zu bringen, wodurch die Töchter oft der Familie als eine Last erscheinen, aber auch

oft der Grund zum Pantoffelregiment in der Ehe gelegt wurde, weil der Mann

nur Nutznießer, nicht Eigenthümer der zugebrachten Mitgift wurde.

Wie sehr

man übrigens auf Gleichheit der Vermögensumstände Rücksicht nahm, wie sehr

sich selbst eine arme Familie, die keine Mitgift bieten konnte, scheute, die Werbung eines Reichen anzunehmen, sieht man aus dem „Schatz" des Plautus, wo

die ganze Verwickelu::g darauf gebaut ist.

Lesbonikus, der seine Schwester

nicht aussteuern kann, sagt dort zum Bewerber: „Ich will nicht, daß Du sorgst, wie Du meiner Armuth hilfst, sondern daß ich, wenn auch arm, nicht ehrlos sei, damit man nicht sage, ich habe meine leibliche Schwester Dir als Kebsweib

übergeben, so ohne Mitgift, mehr fürwahr denn als Ehefrau." Sehr oft wurden die jungen Herren, um endlich von einem unordentlichen

Leben zurückgebracht zu werden, genöthigt, zu heiraten, und genügten so zugleich ihrer Pflicht gegen den Staat.

So geht es z. B. dem lockeren Lesbonikus

in demselben Plautinischen Stücke.

daß er verlobt sei:

Resignirt a::twortete er auf die Nachricht,

„Ich nehme sie, diese und jene, die Du sonst willst",

und der Schwiegervater setzte hinzu: hundert Frauen nicht."

„Zur Strafe seiner Sünden reichen

Die Alten selbst fühlten die Härte, die in dieser

Behandlung der Jungfrauen lag. Am stärkste:: spricht sich darüber Sophokles in einem Fragmente aus, wo junge Mädchen klagen: „Wenn wir aber fröhlich

ins Jungfrauenalter ko:nmen, werden wir aus dem Leben gestoßen und ver­

handelt, fern von den väterlichen Göttern und den Erzeugern; und doch, ist die Hochzeit vorbei, muß man dies loben, und glauben, daß es so recht sei."

Daß

dann das Wetter in der neuen Ehe kühl, der Himmel bewölkt zu sein pflegte,

nimnit uns nicht Wunder.

Platon will deshalb, daß vor der Heirat eine

nähere Bekanntschaft der Betheiligten stattfinde, damit Niemand getäuscht werde,

und schlägt die Einrichtung besonderer Spiele vor, wobei Jünglinge und

Mädchen Tänze aufführen sollten.

259

Die soziale Stellung des Weibes.

Wenn man aber behauptet hat, es habe wol niemals ein freigeborener

Athener aus Liebe und heftiger Neigung geheiratet, so gehört auch dies zu den gröblichen Uebertreibrurgen einseitigen Vorurtheils.

In vielen Lustspielen

bildet ja die starke Leidenschaft eines jungen Mannes für ein Mädchen, das endlich als Bürgerin, gewöhnlich als die verlorene Tochter eines reichen Mannes erkannt wird, den dramatischen Knoten, und wer erinnert sich nicht der von Sophokles verherrlichten Liebe des Fürstensohnes Hümon zur heldenmüthigen

Antigone? Daß die Dichter hierbei Verhältnisse darstellten, die in der Wirk­ lichkeit gar nicht vorkamen, läßt sich nicht denken. Aber es finden sich auch sonst

Beweise. Schlägt man z. B. das Leben Kimonos von Plutarch auf, so liest man kurz hintereinander Folgendes: „Als aber Kallias, ein wohlbegüterter

Athener, kam, der sich in Elpinike verliebt hatte und sich erbot, die Geldstrafe für ihren Vater zu bezahlen, so ließ sie es sich gefallen rmd ihr Bruder Kimon gab sie dem Kallias zur Frau.

So viel ist gewiß, daß Kimon seine Gemahlin

Jsodike gar zu heftig geliebt und sich über ihren Tod gar zu sehr betrübt hat, wenn nian anders den zu seiner Beruhigung verfertigten Trauergedichten glaubeil darf."

Nur soll man sich eine solche Leidenschaft nicht im Sinne der

modernen diomantik denken; sie entwuchs rnehr dem Boden des Natürlichen,

Sinnlichen, und verstieg sich nicht bis zu einer überschwänglichen Apotheose der Geliebten.

Zuweilen mag es wol auch vorgekommeu sein, daß sich die Liebe

nach der Verheiratung einstellte, wie in der „Schwiegermutter" des Terenz,

wo Pamphilus, durch die edlen Eigenschaften seiner anfangs verschmähten Frau angezogeu, allmählich seiner Maitresse untreu wird. Das eigenthümlich

nüchterne und ungemüthliche Verhältniß der Eheleute ist neben dem leitenden Motive bei Schließung des Ehebundes am deutlichsten ausgesprochen in der

angeblich von Demosthenes herrührenden, als Beitrag zur Sittengeschichte höchst interessanten Rede gegen die Hetäre Neara, wo es heißt: „Buhlerinnen

hält man sich zmn Vergnügen, Kebsweiber aber zur täglichen Pflege und Be­ dienung der Person; Frauen heiratet man dagegen, um ebenbürtige, eheliche

Kinder zu zeugeu und um im Hause eine treue Wächterin zu haben." Der gesellige Umgang der Eheleute wurde schon durch die scharfe Trennung

der Geschäfte gehindert und reduzirte sich wol auf wenige Stunden eint Tage. „Denn", sagte Jschomachos, „für die Frau ist es schöner, zu Hause zu bleiben, als außer dem Hause zu sein; für den Mann aber ist es schimpflicher, zu Hause zu bleiben und sich nicht um die Dinge draußen zrl kümmern."

Darum spricht

in derselben Schrift Xenophon's Sokrates sogar zu Aristobulos: „Giebt es Jemand, mit dem Du Dich weniger unterhältst, als mit Deiner Frau?"

Und der Schüler antwortet: „Niemand, oder wenigstens nicht viele Menschen." Doch beweisen wiederum die Komiker mit) andere Quellen, daß die Sache nicht

gar so schlimm in der Wirklichkeit aussah und daß die weibliche Neugierde und

260

Die soziale Stellung des Weibes.

Eifersucht Fragen und Gespräche mancherlei Art herbeiführten.

(Man vergl.

z.B. Aristoph.Lysistr. V. 508 ff.) Von der Unterhaltung mit fremden Männern dagegen war keine Rede, sowie sich auch die Hausfrau zurückzog, wenn der Mann zufällig einen Gast mit nach Hause brachte.

War der Mann nicht zu

Hause, so würde es einem Fremden für grobe Ungeschliffenheit angerechnet worden sein, das Haus zu betreten.

Demosthenes erwähnt sogar eines

Falles, wo der von einem Sklaven des Hauses zu Hilfe gerufene Freund es

nicht wagt, dasselbe zu betreten, eben weil der Hausherr abwesend ist.

So ist

es denn wahr, was Kornelius'Nepos über die griechische Frau sagt: „Sie

wird nicht zum Gastmahl gezogen, außer unter Verwandten, und sitzt im inneren

Theil des Hauses, wo Niemand Zutritt hat, als der nächste Angehörige. " Ja, Euripides verbietet sogar die Besuche der Frauen untereinander, indem er in

der Andromache schreibt: „Niemals, niemals — denn nicht für einmal sag^ ich's — dürfen verständige Männer, die eine Gattin haben, andere Weiber ihre Hausfrau besuchen lassen, denn sie sind die Lehrerinnen der Schlechügkeiten.

Die Eine verdirbt die Ehe, indem sie einen Gewinn dabei zieht,, die Andere

will im Sündigen eine Gefährtin haben."

Doch stand es auch hiermit im

Ganzen nicht so schlimm. In des Aristophanes „Frauenherrschaft" sagt ein Nachbar zu dem seine Frau beim Aufflehen vermissenden Blepyros: „Was mag es sein? Ob eine ihrer Freundinnen sie vielleicht zum Frühstück eingeladen

hat?" und der Ehemann erwidert: „So denk' ich auch.

Sie ist wol am Ende

nicht so arg, so viel ich weiß." Die Einsamkeit der das Haus hütenden Frau bezeichnete Pheidias durch

das Symbol der Schildkröte, auf die er die Statue der Aphrodite Urania in Elis treten ließ. Am schärfsten aber kennzeichnet das Verhältniß zur Außen­

welt eine Stelle in der „Thesmophorienfeier" des Aristophanes, wo die Weiber selbst sprechen: „Wenn wir ein Uebel sind, warum heiratet Ihr uns

denn und gestattet uns weder auszugehen, noch beim Heraussehen ertappt zu werden, sondern wollt mit Sorgfalt das Uebel bewachen? Und wenn das Weib hinausgeht und Ihr findet es vor der Thür, werdet Ihr toll vor Zorn, die Ihr

Euch doch freuen und ein Dankopfer bringen müßtet, wenn Ihr wirklich das Uebel los wäret und nicht mehr drinnen anträfet! Und wenn wir aus dem

Fenster lugen, sucht jeder das Uebel zu erschauen, und wenn man sich erröthend zurückzieht, wünscht jeder um so mehr das Uebel hervorlugen zu sehen." Selbst

in Fällen, wo Angst und Noth die konventionellen Schranken zu brechen Pflegt, finden wir die Frauen nur in den Hausthüren stehend, und der Redner Lykurg

tadelt es noch dazu, daß nach der Schlacht bei Chäronea die Frauen von den

Thüren aus sich nach dem Schicksale ihrer Angehörigen erkundigten! Die Aus­

gänge auf die Straße waren auch den verheirateten Frauen sehr erschwert. Schon Solon hatte darüber Bestimmungen erlassen und unter anderem geboten:

eine Frau sollte beim Ausgang nicht mehr als drei Kleider haben, nicht mehr als für einen Obolos Speise und Trank mit sich tragen und keinen Korb größer

als eine Elle; auch sollte sie Nachts nicht reisen, außer im Wagen, und dann eine Leuchte vor sich hertragen lassen.

In der Diadochenzeit wurden sogar

besondere Aufseher angestellt, die der Demoralisation und dein Luxus der Weiber steuern sollten, und die es bereits früher in anderen Städten, z. B.

Syrakus, gegeben hatte. Da der Gemahl die Markteinkäuse selbst zu besorgen pflegte, und da Spaziergänge, wenn auch von der Pythagoräerin Phintys empfohlen, doch noch nicht Mode gewesen zu sein scheinen, so blieben als Motive

zum Ausgehen großentheils nur die religiösen Handlungen und die scenischen

Spiele.

Uebrigens muß man doch für die Frauen der niederen Klassen, denen

die Hilfe der Sklaven abging, sicher einen viel geringeren Zwang annehmen. Sie holen sich ihre Bedürfnisse selbst, z. B. das Wasser vom Brunnen.

In

einem Fragmente des Komikers Antiphanes geht sogar eine Liebhaberill der

Flasche zu ihrem Nachbar, dem Schenkwirth.

Wie aus einer Stelle in den

„Fröschen" des Aristophanes hervorgeht, verkauften sie auch ihre Wollarbeit

selbst auf dem Markte. An den Festen, besonders solchen, an denen, wie bei ben fünftägigen Thesmophorien, die Männer von der Theilnahme ausgeschlosseil waren, pflegten

sich die armen Frauen für ihre Beschränkung zu entschädigen und sich wol recht lustig zu machen.

Was das Theater betrifft, so scheinen anständige Frauen

kaum der Aufführung von Tragödien beigewohnt zu haben.

Die cynische

Gemeinheit und Unzüchtigkeit der Lustspiele vollends, die selbst von verständigen Zeitgenossen getadelt wurde, bildet auch einen zu grellen Kontrast zu der an­ ständigen Schonung, die rnan sonst den weiblichen Ohren zu Theil werden ließ.

Endlich scheinen alle Weiber an gewissen Familienfesten, besonders bei der am

zehnten Tage nach der Geburt der Kinder stattfindenden Feier der Nainengebung, harnllos in Gesellschaft der Männer gescherzt und gespielt zu haben.

Wenigstens

werden bei solchen Gelegenheiten für denjenigen, welcher die Nacht hindurch munter blieb oder im Kottabosspiel siegte, unter den Belohnungen auch Küsse

von Seiten der anwesenden Damen aufgeführt.

Darauf bezieht sich wol auch,

daß Aristophanes in der „Thesmophorienfeier" den Weiberchor sagen läßt: „Und wenn wir im fremden Hause müde vom Spiel uns niederlegen, so sucht Jeder nach dem Uebel und umschleicht die Ruhebetten." Jede Frau besseren Standes mußte dagegen bei ihren Ausgängen eine

Dienerin bei sich haben. In Theophrastos Charakterzeichnungen miethet der Geizige für seine Frau für jeden Ausgang eine Sklavin! Als aber der Luxus

stieg, vermehrte sich auch die Zahl der Begleiterinnen und Phokion's Frau

erhielt eine öffentliche Anerkennung im Theater, weil sie sich mit einer einzigen Dienerin begnügte.

Ob endlich wirklich öfter der Fall vorkam, daß Ehemänner

262

Die soziale Stellung des Weibes.

die Weiberabtheilung des Hauses verschlossen und versiegelten, wollen wir dahin­ gestellt sein lassen. Bedenklich ist allerdings die Stelle Men an der's: „Wer durch Riegel und Siegel die Gattin hütet, ist ein Thor, während er glaubt, etwas Weises zu thun." Und dasselbe bezeugt Aristophanes, wenn er in der „Thesmophorienfeier" eine Frau sagen läßt: „Von ihm (Enripides) bethört, versiegeln unsere Männer auch die Frauengemächer, legen Schloß und Riegel vor, um uns einzuschließen. Ja, sie halten außerdenr Molosserhunde, Schreck­ gespenster für unsere Buhlen." Schwer ist es, die Frage zu beantworten, wie weit den athenischen Weibern bei dieser Behandlung Unrecht geschehen sei, wie weit ihre durch den Himmelsstrich bedingte Natur ben Argwohn der Männer rechtfertigte. Gewiß wenigstens bleibt, daß man in keiner Periode weniger Achtung vor den Frauen hatte, als gerade da, wo man ihnen die übertriebensten Lobsprüche, Schmeicheleien und Huldigungen erwies. Daß die athenischen Eheherren selbst Muster von Treue gegen ihre Frauen warerr, läßt sich sannt erwarten, da fast allenthalben, wo Sklaverei herrscht, dem Manne die Untreue nahe liegt und ungestraft bleibt. In der Schilderung, die Aristophanes vom gemüthlichen Leben in Friedenszeiten giebt, ist „das Scherzen mit der Thrakerin, während die Frau im Bade sitzt", uicht vergessen. Auch in der Rede des Lysias über die Ermordung des Eratosthenes erfährt der Hausherr von der Frau einen darauf bezüglichen Vorwurf. Endlich heißt es sogar in den Ehestands­ regeln Plutarch's: „Wenn ein gewöhnlicher Mann, weil er schlecht erzogen und ausschweifend ist, sich an einer Hetäre oder Sklavin vergeht, so darf die Gattin nicht grollen noch zürnen, weil er ja aus Scheu vor ihr, an seüter Liederlichkeit, Zügellosigkeit mtd Ausgelassenheit eine Andere theilnehmen läßt!" Eine gatlz andere war die Stellung des weiblicheit Geschlechts bei dem dorischen Stamme. Die Freiheit, welche ihm hier gestattet war, wurde von derr Alten dem glücklichst Widerstände zugeschrieben, dert die Weiber den be­ schränkenden Maßregeln der Lykurgischen Gesetzgebung entgegeitgesetzt hättett. Allein es ist klar, daß das spartanische Erziehungs- und Behandlungssystem der Frauen organisch mit der ganzen Staatsidee zusammenhängt. Um dem Staate ein kräftiges Geschlecht zu sichent, ließ man hier die Jungfrauen an allen gynutastischen Uebungen theilnehmen mit) sich keck und frei in wenig ver­ hüllenden Gewändern unter der ntännlichen Bevölkerung bewegen, und daß Lykurg fehlen Zweck erreichte, bezengt die Bewnndernng, die den Spartane­ rinnen wegen ihrer Schönheit zn Theil wnrde. Neidisch lobt Lysistrata bei Aristophanes die Lakonerin Lampito mit den Worten: „Wiegroß, mein Herz, ist Deine Schönheit, wie gesnnd ist Deine Farbe, wie schwellend Deine Körperform!" Die verheirateten Franen hatten weniger freien Umgang mit den Männern, weil, wie eine Spartanerin einst sagte, die NNüdchen erst einen Mann zn fachen, die Franen aber den ihrigen nur zn erhalten hätten! Sie gingen in

züchtiger Kleidullg und verschleiert einher, und wenn sie auch im Hause die

Arbeit des Spiuuelis und Webens bcn Sklavinnen überließen, so war doch auch die Verwaltung des Hauswesens ihr Hauptgeschäft, uud eine gefangene Spartanerin, die gefragt wurde, was sie gelernt habe, antwortete: „Das Haus

gut zu verwalten."

SBeiui nun auch durch das Zusammenspeisen der Männer

in den Syssitien das häusliche Leben und der Umgang unter de:r Eheleuten beeinträchtigt wurde, so standen die Weiber doch von Jugend auf den Männern

näher, betheiligten sich lebhaft an allen öffentlichen Angelegenheiten und.waren an allgemeiner Bildung, wie so viele treffende Antworten beweisen, den Athene­ rinnen überlegen.

Ihr Einfluß auf die Mäuner, die besonders auf ihr Lob

uud Tadel viel zu geben pflegten, war darunr auch so groß, daß die übrigen

Griechen von „spartanischer Weiberherrschaft" sprachen. Plutarch erzählt, daß

eine fremde Frau zur Gemahlin des Leonidas gesagt habe, die Frauen in Sparta wären die einzigen,

die über ihre Männer herrschten.

Die stolze

Antwort lautete: „Sie fiiib auch die einzigen, welche Männer zur Welt bringen." Derselbe Schriftsteller erzählt im Leben des Königs Agis, die Lakedämonier

hätten ihrer: Weiberr: beständig gefolgt unb diese an den öffentlichen Dingen mehr Airtheil genommen, als jene an den häuslichen.

Neben allen diesen Vor­

züge!: erzeugte freilich das Vorwalteu der politischen Rücksichten und die Unier-

ordmlng aller Privatiuteressei: unter die Staatsidee einzelile Sitten, dener: eine

große Verkennung der weiblicher: Würde zu Grunde lag, wie, wenn es vorkomnrer: korrnte, daß sich mehrere Brüder mit einer Frau behalfen, oder daß ein älterer Mann seine ehelicher: Rechte aus einen jünger: Freund übertrug, ohne daß die Ehe dadurch gelöst wurde!

Noch können wir von der: griechischen Frauen nicht scheiden, ohne einer:

Blick auf das Hetäreuweser: geworfer: zu Haber:.

Wir wolleu nicht hinab­

steigen zu den öffentlichen Dirnen, die bereits vor: Solon aus Gründer:, mit derren der heilige Augustin harmouirt, konzessionirt worden waren; wir wollen einer: Schleier fallen lasser: über das Schicksal jener armer: Geschöpfe, welche

die Hartherzigkeit oder Gewirmsucht in die Hände verruchter Kuppler ur:d Kupplcrirmen lieferte, und die zu einem trostlos zerrissenen Leben in Sklaverei

systematisch erzogen wurden.

Wir blicken auf jene Mädchen, dener: Schönheit,

Geist und Gewandtheit eine hervorragende Stellung in der Gesellschaft anwiesen, die zrlrr: Theil über Fürsten herrschte::, mit Bildsäulen geehrt, mit Gold über­

schüttet wurden.

Das Zeitalter des Perikles und des Alkibiades hat den

zweideutigen Ruhm, eiue so hohe Verfeineruug des Hetärenwesens herbeigeführt zu haben, daß es von nun an aus das Familienleben und auf den Wohlstand

Einzelner einen höchst verderblichen Einfluß ausübte. Freilich läßt es sich nicht verkennen, daß die Erscheinung selbst in der falschen Stellung der Weiber ihren

Grund hatte, die sich beim Fortschreiten der Kultur immer mehr steigerte.

264

Die soziale Stellung des Weibes.

Während Künste und Wissenschaften ihre höchste Blüthe erreichten, während die schrankenlose Demokratie dem Ehrgeize des Mannes den weitesten Spielraum

eröffnete, verhinderte weniger der Zaum des Gesetzes, als der strenge Bann der Sitte jeden Fortschritt des Weibes in Bildung und Rechtsfähigkeit.

So

konnte es demselben auch nicht gelingen, irgeird welchen Einfluß auf die sittliche Entartung, auf die Verschlechterung des geselligen Tons, auf den steigenden

Hang der Männer zum sinnlichen Genuß zu erlangen.

Als daher einzelne frei­

geborene, fremde, aber talentvolle Mädchen das Raffinement orientalischer

Haremskünste mit einem pikanten Anstrich höherer Bildung vereinigten und es wagten, mit Abstreifung aller konventionellen Banden völlig ungezwungen in der Gesellschaft aufzutreten, da vergaß man das Verächtliche ihres Gewerbes über der glänzenden, lockenden Außenseite, vertauschte sogar den wahren Namen

mit dem Euphemismus „Freundin", und theilte wol allgemein die frivole Ansicht des Komikers Amp hi s: „Die Hetäre verdient um Vieles den Vorzug vor der

angetrauten Frau; diese, so sehr sie dem Manne zuwider ist, schützt das Gesetz inr Hause, die Hetäre aber weiß, daß sie durch Gefälligkeit sich die Gunst des

Mannes sichern oder zu einem andern wandern muß."

Tonangebend war

ohne Zweifel in dieser Hinsicht das Verhältniß des Perikles zu Aspasia. Diese Milesierin muß aber zugleich als das hervorragendste Exemplar der Zunft gelten, und ihr-Glanz und Ruhm kam, so zu sagen, allen übrigen zu gut. Denn, wenn man ihr auch nicht, wie die Alten, so viel politischen Einfluß ein­ räumen will, daß man die Entstehung des peloponnesischen Krieges auf ihre Rechnung setzt, so war doch ihre Bildung, besonders ihre Kenntniß der Rede­ kunst, so ungewöhnlich, daß verheiratete Männer kein Bedenken trugen, ihre Frauen zu ihr zu führeir, um sie zu hören, daß man allgemein die unwidersteh­

liche Gewalt der Perikleischen Beredtsamkeit ihrem Unterricht zuschrieb, und

daß auch Sokrates an ihrem Umgang großen Gefallen fand und sich im Scherze ihren Schüler in der Rhetorik nannte.

Und dennoch erkennt man aus

der Thatsache, daß sie sogleich nach Perikles^ Tode Maitresse des Demagogen

Lysikles wurde, daß ihr sittlicher Werth sich wol weniger über das Niveau des ganzen Gelichters erhob. hüten.

Und dieses zu überschätzen, muß man sich wol

Hat doch noch in neuester Zeit eine geistreiche Französin es versucht,

die Buhlerinnen des griechischen Alterthums von allen Airklagen zu rechtfertigen,

und sie nur als verkörperte „Proteste gegen die häusliche Sklaverei der Frauen" hinzustellen!

Daß sich unter der Maske hingebender Liebe niedrige Habsucht, unter dem Flitterschein des äußeren Prunkes Unordnung und Schmutz verbarg, dazu

liefern die Schriftsteller Belege in Masse.

Auch die wissenschaftliche Bildung

und Schöngeisterei, durch die sich manche einen Namen gemacht haben, darf

man nicht zu hoch anschlagen.

Es war mehr ein Kokettiren mit der Wissenschaft

unter dem berechneten Zwecke, die Anziehungskraft ihrer Person zu verstärken, als ein ernstes Streben nach Kenntnissen und Wahrheit.

Die laxen Grundsätze

der Jünger Epikur's und Aristipp's bewogen diese Philosophen meist zu einem ehelosen, ungebundenen Leben, und eine Thais, Leontion, Lasthenia, Nikarete, suchten wol in den philosophischen Hörsälen weniger Weisheit als Freundschaft.

Der gelehrte Grammatiker Athenäos hat un£ eine Sammlung

von witzigen Einfällen und Calembours berühmter Hetären aufbewahrt.

Einige

zeugen von Humor, Scharfsinn und großer Schlagfertigkeit; die meisten aber

sind cynisch muthwillig und schamlos, und gewähren eine widerwärtige Vor­

stellung von dem Tone jener liederlichen Kreise.

Endlich waren die Hetären,

trotz ihrer Vergötterung von Seiten der Liebhaber, doch im Allgemeinen ohne alle bürgerliche Achtung.

Ma:r erlaubte sich allerlei Muthwillen gegen sie und

belegte sie mit den derbsten Spitzllamen.

Und wenn die Blüthezeit ihrer Reize

vorüber war, oder das Glück ihnen treulos den Rücken wandte, sahen sie sich gewöhnlich in die traurigste Lage versetzt. Die Aspasia des Perikles versank

noch bei Lebzeiten in das Dunkel der Vergessenheit, die gefeierte Lais beqiremte sich zum Kupplergeschäft, und nur wenigen gelang es, was Phryne von sich

rühmen konnte, die Hefe theurer zu verkaufen als den Wein!

Bei den Römern nahm das weibliche Geschlecht von der frühesten Zeit mi eine viel würdigere Stellung ein, als bei den Hellenen, und fein Einfluß im Familienleben und in der Gesellschaft war demzufolge ein stärker hervortretender.

Unverkennbar dabei ist gleich anfangs die Einwirkung des etrilskischen und

sabinischeir Elements, und besonders von den Sabinern scheint das patriarcha­ lische Hausregiment, die Heilighaltung der Ehe, die Strenge des Familiellrechts auf die Römer übergegangen zu sein.

Die römische Sage aber schreibt die

wachsende Achtung der Frauen theils deren Verdiensten um den Staat, theils

der Weisheit der Gesetzgeber zu.

Als durch Vermittlung

der gerairbten

Sabinerinnen das Blutvergießerl gehemmt und Rom gerettet worden war, stiftete

Romulus das Weiberfest der Matronalien, eine Art Gegenstück zu den Saturnalien der Männer, beirannte nach ihnen die dreißig Kurien mit) befreite

sie mit Ausnahme der Wollarbeit von allem Hausdienst.

Außerdem mußte

Jeder den Matronen beim Begegnen auf der Straße höflich Platz machen; wer sie durch freche Reden oder Handlungen verletzte, kam vor den Blutrichter, und

wer seine Frau verstieß, mußte ihr, wenn er es nicht der Giftmischerei oder des Ehebruchs wegen that, die Hälfte des Vermögens geben. Auch später, als eine Freuengesandtschaft den starren, trotzigen Sinn Koriolan's erweicht und den­

selben zum Abzug mit den Volskern bewogen hatte, wurde zu Ehren der Frauen

und zum Andenken an diese rettende That der weiblichen Glücksgöttin ein Tempel gestiftet, und den Frauen gestattet, Purpurgewänder und Goldbesatz

zu wagen.

Und endlich sollen die Matronen das Ehrenvorrecht erhalten haben,

266

Die soziale Stellung des Weibes.

innerhalb der Stadt auf Wagen fahren zu dürfen und nach dem Tode beim Leichenbegängniß durch öffentliche Lobreden gefeiert zu werden, nachdem sie ihr

Gold und Geschmeide dem Staatsschatz geopfert hätten, um den von Kamillus gelobten Zehnten der vejentischen Beute aufzubringen.

Bezeichnend genug fiir

die Achtung der weiblichen Würde ist es ferner, daß zwei Staatsumwälzungen, der Sturz der Monarchie und die Abschaffung des Decemvirats, durch ent­

ehrende Gewaltthaten gegen Frauen herbeigeführt wurden, daß die heroische Klölia die beispiellose Auszeichnung einer Reiterstatue bekam, und daß gerade

Frauen von exemplarischer Tugend zur Ausführung hochwichtiger religiöser Handlungen auserwählt wurden. Keusche Jungfrauen bewachten das Palladium

und hüteten das heilige Feuer auf dem Staatsherd der Vesta, und nur Matronen, den trefflichsten Mann Roms an der Spitze, wurden gewürdigt, das heilige Symbol der pessinuntischen Göttermutter bei seiner Ankunft in Rom

in Empfang zu nehmen.

Darum kann auch Seneka in der Trostschrift an

seine Freundin Marcia schreiben: „Wer kann wol sagen, daß die Natur stiefmütterlich mit den weiblichen Anlage:: umgegangen sei und die Tugenden des Geschlechtes auf enge Grenzen beschränkt habe? Glaube es mir, sie besitzen

gleiche Regsamkeit, gleiche Befähigung zu sittlichen Handlungen; sie ertragen Arbeit und Schmerz gleichermaßen, wenn sie sich daran gewöhnt haben.

In

welcher Stadt, gute Götter, sprechen wir hiervon? In derjenigen, wo Lukretia und Brutus das Königthum gestürzt haben; dem Brutus verdanken wir die

Freiheit, der Lukretia den Brutus; wo wir eine Klölia wegen ihrer außer-

ordentliche:: Kühnheit beinahe den Männern zugerechnet haben. In der heiligen Straße, der besuchtesten Gegend, hoch zu Rosse sitzend, wirft es Klölia unseren Jünglingen, die das Polster der Sänfte besteigen, vor, daß sie sich so in einer

Stadt zu zeigen wagen, in der wir auch Weiber mit dem Rosse beschenkt haben." Die größere Liberalität in der Behandlung und die dadurch bewirkte

ungezwungenere Bewegung des weiblichen Geschlechtes erkennt man schon in einzelnen Zügen der ältesten Geschichte.

Der Raub der Sabiuerimren bezeugt

das Zugegensein der Jungfrauen und Frauen bei festlichen Spielen; daß Sextus. Tarquinius, selbst als Verwandter in Abwesenheit des Mannes bei Lukretia

gastliche Aufnahme finden konnte, wäre ein arger Verstoß gegen die griechische

Sitte gewesen; die erste Schule, deren in Rom Erwähnung geschieht, ist eine Mädchenschule am Forum, die im Jahre 449 v. Christo von der unglücklichen

Virginia besucht wird.

Der Verkehr der Frauen unter sich und ihr un­

gehindertes Erscheinen an öffentlichen Orten erweisen für die frühere Zeit besonders zwei eklatante Fälle.

Ungefähr beim Anfang des zweiten punischen

Krieges geschah es, daß der Senat wegen Mangel an Zeit einen Beschluß ver­ tagen niußte und deshalb seinen Mitglieder:: Stillschweigen über die Verhand­

lung auferlegte.

Nun waren aber der damaligen Sitte gemäß auch die Söhne

der Senatoren, die das Knabenalter noch nicht überschritten hatten, zugegeir gewesen, und die neugierige Mutter eines jungen Papirius fragte denselben

nach den Beschlüssen des Rathes.

Auf die Antwort des Knaben, daß er

schweigen müsse, wird sie natürlich noch begieriger und setzt ihm durch Drängell

und Drohen so lauge zu, bis er mit der Nothlüge herausplatzt: der Senat habe darüber debattirt, ob es nützlicher und für das Staatswohl ersprießlicher,

sei, daß ein Mann zwei Weiber besitze, oder daß die Bigamie im umgekehrten Verhältnisse eingeführt werde.

Erschrocken eilte die Betrogene zil den anderell

Matrolien unb am andern Morgen erschieil zum Staunen des Senats eine

große Schaar derselben, die weinend flehten, doch ja lieber tm eine Frau je

zwei Männer verheiratell zll wollen! Noch ausfallender und verbürgter als dieser Vorfall, in Folge dessen die

römischell Knaben das Recht, den Senat zu besucheir, verloren habell sollen,

war das Gebaren der ^Römerinnen bei den Verhandlungen über die Aufhebullg des Oppischen Gesetzes im Jahre 195 v. Chr.

Mall hatte llümlich zwanzig

Jahre früher, während der Noth des zweiten punischen Krieges, das Vorrecht der Frallen, purpurne Gewällder zu tragen und in der Stadt herllmzufahren,

aufgehobell unb ihnen nur eine halbe Ullze Gold zu führell gestattet.

Als null

llach Beendigullg des Krieges die Verhältnisse sich wieder gebessert und die Frauen der übrigen latinischen Städte llach wie vor ben in Rom verpönten

Luxus treiben durften, da brachte der höchst willkomlnene Alltrag zweier Volkstribunen auf Aufhebung des Gesetzes enie ungeheuere Agitatioll unter denl schönen Geschlechte hervor. Wie Livius erzählt, ließen sich die Frauen weder durch Schanl lloch durch das Gebot der Männer zil Hause halten.

Alle Straßen der

Stadt und besonders die Zugänge des Forums besetzend, baten sie die vorüber­

gehenden Mäniler um Zurückgabe ihres Schmuckes wld wagten es sogar, die höchsten Staatsbeamten daruin allzuredell. Obgleich nun der eine Konsul, der

strenge Porcius Kato, in einer heftigen Rede dieses Benehmen tadelte und vor den Gefahren solcher Ueberhebung warnte, so wurde doch am nächsteil Tage der Auflauf noch massenhafter;

die Weiber belagerten die Thüren der beideil

Tribunen, welche ihr Veto gegen die Aufhebung des Gesetzes einlegen wolltell,

und ruhten llicht eher, als bis dieselbell den zudringlichen Bittstellerinnen nach­

gaben. Daß freilich darnals bereits ein beträchtlicher Abstand voll den Verhält­ nissen der Frauen in älterer Zeit existirte, ersieht man leicht aus einigen Kraft­ stellen der Katonischen Rede.

„Wenn jeder Mann," sagt er, „seiner Ehefrau

gegeilüber die männliche Majestät und Obgewalt aufrecht zu erhalten sich ent­

schlossen hätte, dann würden wir jetzt mit den sämmtlichen Weibern nicht so

viel zu schaffell haben.

Jetzt wird unsere durch die weibliche Ausgelassenheit

zu Hause besiegte Freiheit ailch hier auf dem Foruin vernichtet und mit Füßell

getreten, und weil wir dell einzelnen nicht gewachsen gewesen sind, beben wir

268

Die soziale Stellung des Weibes.

vor ihrer Gesammtheit zurück.

Wenn sich die Matronen von der Scham in

den Grenzen ihres Rechtes halten ließen, so hätte es sich für sie gar nicht geziemt, sich darum zu kümmern, welche Gesetze hier vorgeschlagen und abgeschafft würden.

Unsere Vorfahren haben gewollt, daß die Weiber nicht einmal ein

Privatgeschäft ohne Genehmigung ihres Vormundes abschlössen und daß sie

in der Gewalt ihrer Väter, Brüder und Männer wären.

Wir dagegen dulden,

daß sie noch, so Gott will, an den Staatsgeschäften Antheil nehmen und sich

unter die Versammlungen des Volkes mischen.

Laßt nur der leidenschaft­

lichen Natur und der Unbändigkeit des Geschöpfes die Zügel schießen, und hofft dann, daß es sich ein Ziel in der Ausgelassenheit selbst setzen werde!

Es ist

dies das Geringste von dem, was die Weiber widerstrebenden Herzens, als

durch die Gesetze und Sitten auferlegt, ertragen.

Nach Freiheit sehnen sie sich

in allen Dingen oder vielmehr nach Ungebundenheit.

Wenn Ihr Euch Alles

aus der Hand winden laßt und sie zuletzt den Mämlern gleichkommen, glaubt

Ihr, daß man es dann noch mit ihnen werde aushalten können? Von dem

Augenblicke an, wo sie anfangen, Euch gleich zu sein, werden sie das Uebergewicht haben."

Nach Plutarch kam in dieser Philippika gegen die Emanzipation des weiblichen Geschlechtes auch der Satz vor: „Alle Männer herrschen über ihre

Weiber, wir herrschen über alle Menschen, über uns aber unsere Weiber." Allerdings stimmen auch andere von den wenigen Nachrichten über den früheren

Zustand der Frauen mit Kato's Behauptung überein.

Plutarch erzählt:

„Der Gesetzgeber Numa hielt die Frauen zur Zucht und Ehrbarkeit an, zog

sie von allem Vorwitze ab, schrieb ihnen Nüchternheit vor, gewöhnte sie zum Stillschweigen, verbot ihnen gänzlich den Wein und verstattete ihnen auch nicht einmal, von nothwendigen Dingen ohne ihre Männer zu reden.

Ja, es soll

auch sogar einst der Senat deswegen, weil sich ein Weib selbst vor Gericht vertheidigt hatte, die Götter gefragt haben, was wol dieses Wunderzeichen für

die Stadt zu bedeuten hätte?"

Was die hier befohlene Nüchternheit betrifft,

so ließ ein gewisser Mäcenius seine Frau tödten, weil sie den Weinkeller

erbrochen hatte; eine andere mußte deshalb den Hungertod erleiden.

Das von

Plutarch erwähnte Auftreten vor Gericht wird von Valerius Maximus

mit Beispielen belegt.

Wie aber doch die öffentliche (Stimmung darüber urtheilte,

ergiebt sich daraus, daß Amasia, die sich so gut vertheidigte, daß sie frei­

gesprochen wurde, den Namen „Mannweib" (Androgyne) erhielt,

und die

prozeßsüchtige Afrania, eines Senators Tochter, ihren Namen zu sprichwört­

licher Bezeichnung aller zänkischen Weiber stempelte.

Ehrenvoller gedenken die

Alten der Hortensia, der Tochter des berühmten Redners Hortensius, welche, als die gefürchteten Triumvirn 43 v. Chr. 1400 reiche Matronen mit

einer Kriegssteuer belegen wollten und kein Mann für dieselben zu sprechen

269

Die soziale Stellung des Weibes.

wagte, unerschrocken und beredt die Vertheidigung führte und den Erlaß des

größeren Theiles der Summe erlangte. Dieses Heraustreten aus dem Bereiche weiblicher Zurückgezogenheit und

Sittsamkeit war natürlich nur möglich, als die strengen rechtlichen Bestimmungen über die römische Ehe sich gelockert hatten.

Denn wie fast bei allen Stämmen

des alten Italiens erhielt ursprünglich der Mann in der gesetzmäßigen Ehe

dieselbe Gewalt über seine Frau, die vorher der Vater über sie, als seine Tochter,

besessen hatte.

Sie war ihm zunr Gehorsam verpflichtet, brachte ihm ihre Mit­

gift und was sie sonst besaß, als sein Eigenthum zu, und stand natürlich in allen civilrechtlichen Verhältnissen unter seiner Vormundschaft.

Dieses Ueber-

gehen der väterlichen Rechte aus den Gemahl, was der römische Sprachgebrauch

als ein „unter die Hand Kommen" bezeichnet, fand nicht nur bei der ältesten und feierlichsten Art der Eheschließung, der patrizischen confarreatio statt, die sehr bald außer Gewohnheit kam, sondern auch bei der das Zeremoniell einer feierlichen Besitzabtretung an sich tragenden coemtion und dem durch einfache

Verjährung Giltigkeit erlangenderi usus.

Gegen das Ende der Republik hin

gelang es aber doch ben Frauen, sich allmählich dem starren Joche dieser Ver­

bindung zu entziehen, und eine freiere Ehe lvurde Sitte, in welcher die Frau weder persönlich der Gewalt des Mannes rmterworfen war, noch die Dispositioil über ihr enrgebrachtes Vermögen verlor. Doch muß man sowol hinsichtlich der früheren, als auch der späterer: Zeit das rechtliche Verhältniß wol von dem

faktischen unterscheiden.

Wenn auch die Römer die griechische Ansicht von einer

natürlichen und nothwendigen Unterordnung des weiblichen Geschlechtes theilten,

rmd wenn auch bei ihueu der Staat sein hohes Interesse an den: Heiraten der

Bürger geltend machte, so mnß man ihnen doch zugestehen, daß ihnen eine würdigere und höhere Bedeutung der Ehe nicht unbekannt war. Sie definirten die Ehe als eine freiwillige Vereinigung zweier Personen verschiedenen Ge­ schlechtes zu inniger Lebensgemeinschaft, deren Zweck zugleich Kindererzeugung

war.

Ein Zusnuunenleben ohne höheren Zweck, als die Fortpflanzung des

Geschlechtes, betrachteten auch die Römer nur als Konkubinat.

Da nun auch

in der freieren Ehe jene Gemeinschaft aller Freuden und Leiden fortdauerte, so

fand auch meistentheils in der Wirklichkeit ein gemeinschaftlicher Genuß des

beiderseitigen Vermögens statt und die rechtliche Trennung desselben behielt die meiste Wichtigkeit nur für den Fall des Todes oder der Scheidung.

Aber auch für die ältere Zeit hat man die Stellung der Römerinnen in:

Hause und in der Ehe trotz der eheherrlichen Gewalt über die der Griechinnen zu setzen. Erstlich war die Frau in Ron: ansgesprochenermaßen die Regentin des

Hanswesens, und als Symbol dieser Herrschaft wurden ihr sogleich bei der Hochzeit die Schlüssel übergeben, bei der Scheidung abgefordert.

Nicht in der

Gynäkonitis eingeschlossen, wie die Griechin, nimmt sie am ganzen häuslichen

270

Die soziale Stellung des Weibes.

Treiben, den Mahlzeiten und den Unterhaltungen des Mannes Theil, empfängt Besuche und wird von allen Gliedern des Hauses, sowie vom Gemahl „Herrin"

(domina) titulirt; kurz die Achtung und Etikettenstrenge war so groß, daß die

Römerinnen der guten Zeit der Gefahr nicht entgingen, durch zu einseitiges Halten auf Würde und Konvenienz und durch Annahme eines steifen und un­ freundlichen Wesens, an Liebenswürdigkeit einzubüßen.

Besonders hielten sie

viel auf altadelige Abstaninumg und thaten sich auf Reichthum gern etwas zu

Gute.

Juvenal sagt deshalb: „Lieber noch eine Benusierin, als, o Mutter der Gracchen, Dich, Kornelia, wenn zu gefeierter Tugend Du mitbringst Stolz sich hebende Brau'n und Triumph' einrechnest dem Mahlschatz."

Kolumella in seiner Schrift über den Landbau schildert die altrömischen häuslichen Verhältnisse wie folgt: „Bei den Römern war bis zu unserer Väter

Zeit die häusliche Arbeit eine Pflicht der Matronen, während sich die Familien­

väter an den häuslichen Herd nur zur Erholung zurückzogen, indem sie dann

die Sorge für die Staatsgeschäfte abschüttelten.

Denir es herrschte hier die

größte Hochachtung, gemischt mit Eintracht und Sorgfalt, und die Frau war von dem schönsten Wetteifer in der Aufmerksamkeit beseelt, indem sie sich bemühte, den Geschäften des Mannes dirrch ihre Sorge größere Wichtigkeit und Vor­

züglichkeit beizulegen.

Nichts erblickte man im Hause Getheiltes, nichts, was

entweder der Mann oder die Gattin als ein ausschließliches Recht beanspruchte,

sondern beide gingen einmüthig Hand in Hand, so daß die Emsigkeit der Matronen mit den öffentlichen Geschäften der Männer gleicher: Schritt hielt."

Die eheliche Eintracht, welche Tacitus so sehr an der Ehe des Agrikola rühmt, hatte zur Hüterin die männerversöhnende Juno.

Ihre Kapelle auf

dem Palatin war ein Asyl, wohin sich die gekränkte Gattin flüchtete, um der Göttin ihr Leid zu klagen, und von wo sie nicht eher heim ging, als bis der

Gatte sie aufsuchte und sich mit ihr versöhnte.

„Eine ehrwürdige Göttin ist

dies", sagt Valerius Maximus, „die wol verdienen möchte, mit den vor­ züglichsten rrnd ausgesuchtesten Opferrr geehrt zu werden, da sie die Wächterin

des täglichen Hausfriedens ist, und bei gleicher Verpflichtung zur Liebe durch ihren Namen schon die von den Frauen der Würde des Mannes schuldige Ehre erweist." War doch selbst der strenge Kato nach Plutarch ein leutseliger

Ehegemahl und sagte öfter, daß diejenigen, welche ihre Weiber oder Kinder schlügen, „ihre Hände an die größten Heiligthümer legten, und daß er einen rechtschaffenen Ehemann weit höher achte, als einen weisen Senator."

Die Lobsprüche, welche eine spätere, sinkende Zeit der Heiligkeit der Ehe,

dem häuslichen Frieden in der guten alten spendete, werden übrigens bestätigt

durch die Nachrichten der römischen Schriftsteller, daß, als im Jahre der Stadt 446 eine Ehescheidung ohne vorhergegangenen Familienrath vorkam, der Censor

dies bestrafte, und als Spurius Karvilius Ruga 77 Jahre später sich

unter dem Vorwande der Kinderlosigkeit Don seiner Frau schied, allgemeine Indignation unter den Zeitgenossen herrschte.

Auch

soll Thaläa,

eiues

Pinarius Gattin, die erste gewesen sein, die mit ihrer Schwiegermutter in Uneinigkeit lebte (dies geschah freilich schon zur Zeit des letzten Königs!).

Aber

noch deutlicher wird die geachtete Stellilng der römischen Matronen aus dem

bedeutenden Einflüsse, den sie auf die Erziehung der Kinder übten. Die Heran­

wachsende Jungfrau wilrde zur Sittsamkeit und Keuschheit streug augehalteu

und Alles vermieden, was ihre Unschuld trüben konnte.

Kato stieß einst als

Censor einen gewissen Manilius aus dem Seuate, weil derselbe am Hellen

Tage in Gegenwart seiner Tochter seine Gattin geküßt hatte.

Ein Publius

Mavius tödtete einen Freigelassenen, der, wie Balerins Maximus sagt,

nur aus Versehen seiner Tochter Lippen berührt hatte! Noch Augustus, der

auch seine Tochter uitb seine Enkelin nach alter Sitte zum Spiuueu anhielt und ihnen verbot, heimlich und irgend etwas zu sprechen, was incht in die öffentlichen

Tagebücher ausgenommen werden- könnte, machte einem edlen jungen Manne den Vorwurf der Unbescheidenheit, weil derselbe nach dem Badeorte Bajä gekommen war, um seine Tochter zu begrüßen. so höre man darüber den ernsten Taeitus.

Was aber die Knaben betrifft, „Die Mutter," sagt er, „deren

vorzüglichstes Lob darin bestand, dein Hause vorzustehen und sich dem Dienste der Kinder zu widmen, leitete nicht bloß die ernsten Beschäftigungen, sondern

auch die Erholungen und Spiele der Knaben durch ein gewisses hehres, Ehr­ So Kornelia, die Mutter der Graecheu, so

furcht gebietendes Wesen.

Aurelia, Cäsar's, so Atia, Augustes Mutter.

Ihre Zucht und Streuge

hatte besonders den Zweck, daß die wahre, ächte und noch dilrch keine Schlechtig­ keit versührte Natur eines jeden sich mit voller Seele sogleich den schönen Künsterr

weihe und das ganz und gar betreibe, wozu ihn seine Neigung hinführe, sei es das Kriegswesen, die Nechtswisse:rschaft oder das Stndinm der Beredtsamkeit." Unter den von Tacitns angeführten Beispielen strahlt die hochgesinnte und

geistvolle Tvchter des älteren Scipio Afrikanns am hellsten hervor, sie, die

anch einst einer mit ihren Pretiosen prahlenden Gastfreundin ihre Knaben als einzigen Schmuck vorführte. Wenn nuni aber gegenüber solch ilnleugbaren Beweisen von moralischer Achtung, die man den römischen Frauen zollte, behauptet hat, die römischen Männer Hütten, wie die Spartaner, die unter ihrer

Hand befindlichen Weiber sogar Anderen überlassen oder borgen können, so beruht dies auf einem einzigen Fall, der aber schoir den Alten problematisch war, nämlich der Abtretung der Marcia von Seiten des jüngern Kato an den Redner Hortensius. Spätere Beispiele dieser Art sind entweder wirkliche

Scheidungen oder Gewaltstreiche, von Kaisern verübt.

Und wenn man sich

zuletzt auf die vom Grammatiker Gellius aufbewahrten Worte aus einer vom

272

Die soziale Stellung des Weibes.

Censor Metellus Numidikus (102 v. Chr.) über die Nothwendigkeit der

Heiraten gehaltenen Rede beruft:

„Wenn wir ohrre Frail sein könnten, so

würden wir alle dieser Beschwerde entbehren; weil es aber die Natur so ein­

gerichtet hat, daß man mit ihnen nicht in voller Bequemlichkeit, ohne sie aber

gar nicht leben kann, so muß man lieber für die fortdauernde Wohlfahrt, als

für ein kurzes Vergnügen sorgen", so ist es doch klar genug, daß der Redner nicht im Allgemeinen verächtlich von der Ehe spricht, sondern nur mit Aner­ kennung der mit dem Ehestände stets verbundenen Beschränkungen und Sorgen, die von den Hagestolzen geltend gemacht wurden. Wie bei den Griechen, galt aber auch bei den Römern die Ehe mit einer reichen Frau für voraussichtlich

unglücklich.

„Es stand mir frei,"

sagt Periplektomenes im

„großspreche­

rischen Soldaten" des Plautus, „eine wohlhabende Frau von hoher Abkunft zu heiraten, aber ich

will mir keine Widerbelferin ins Haus lassen."

Und

wenn derselbe in seiner „Topfkomödie" die Ansprüche schildert, welche eine reich ausgestattete, vornehme Frau zu machen pflegte, so staunt man über den

Luxus, der bereits zu Ende des zweiten punischen Krieges herrschte, und wundert sich weniger über die von da an sich steigernde Abnahme der Heiratslust.

Gegen das Ende der Republik und in der Kaiserzeit änderte sich, wie

schon angedeutet, die Stellung der Weiber sehr zu ihren Gunsten, und man könnte der Emanzipation seinen Beifall schenken, wenn sich nur nicht das ganze

Geschlecht dabei zugleich von den ewigen Gesetzen der Sittlichkeit entfernt hätte. Zunächst gelangten die Frauerr in den Besitz einer höheren Bildung, die sich

nun auch auf die Bekanntschaft mit der griechischen Literatur und auf die Musik ausdehnte.

Die Mutter der Gracchem, die ihre letzten Jahre in Misenum

verlebte, war hier immer von Gelehrten und Griechen umgeben.

Von der

Gemahlin des Pompejus schreibt Plutarch: „Außer den Reizen, die ihr

Jugend und Schönheit verliehen, besaß sie noch vieles Andere.

Sie war in

der Literatur, Geometrie und Musik wohl geübt; auch philosophischen Unter­ richt hatte sie mit Nutzen genossen, und mit diesen Gaben verband sie einen

Charakter, der von der Anmaßung und Eitelkeit frei war, die sich bei solchen Kenntnissen leicht jungen Frauen anhängt." Auch Plinius' Gattin, K al p u r-n i a,

war eine Dame von nicht gewöhnlicher literarischer Bildung. Nachdem Plinius

in einem Briefe ihren Scharfsinn, ihre Mäßigkeit und ihre Liebe zu ihm gelobt, fährt er fort: „Hierzu kommt ihr Jlrteresse an der Literatur, das sie aus Liebe zu mir gefaßt hat. sogar auswendig.

Meine Bücher besitzt sie, liest sie immer wieder, lernt sie

Wenn ich eine Vorlesung halte, so sitzt sie daneben, durch

einen Vorhang getrennt, und vernimmt mein Lob mit begierigen Ohren." Er erwähnt auch eines interessanten Briefes, den ihm ein Freund, als von seiner

Gemahlin herrührend, vorgelegt hatte und dessen Diktion er mit Plautus und Terenz vergleicht.

Wenn er aber hinzusetzt, lobenswerth sei ein Mann, der

Die soziale Stellung des Weibes.

273

seine Gattin, die er als Jungfrau geheiratet, so gelehrt und gebildet gemacht

habe, so sieht man, daß die Fortbildung der gewöhnlich schon zwischen dem 13. und 17. Jahre heiratenden Mädchen auch hier dem Manne anheimfiel.

Darum sagt auch Ovid: „Es giebt auch, doch dünn gesäet, gelehrte Mädchen; den anderen Schwärn: bilden die nicht gelehrten, aber sie wolle:: doch dafür gelten."

Am meisten erforderte der gute Ton Fertigkeit in der griechischen

Konversation, so wie bei uns ein Hauptbestandtheil der aristokratischen Pensions­ bildung das Erlernen des Französischen ist.

„Was giebt es Widrigeres," liest

man bei Juvenal, „als daß sich keine für schön hält, wenn sie nicht aus einer

Lateinern: eine Griechin, aus einer Sulmonenserin eine wahre Athenerin ge­

worden ist? Alles wird griechisch ausgedrückt, obgleich es schilnpflicher für unsere Landsleute ist, nicht lateinisch zu verstehen.

Doch verzeiht man dies

noch den Mädchen; Du aber, die das 68. Jahr belästigt, sprichst auch noch

griechisch?" Allzugelehrte Damen hält derselbe Dichter noch für unerträglicher als Liebhaberinnen des Weins.

„Lästiger jedoch ist jene", sagt er, „welche,

sobald sie sich niederläßt, den Virgil lobt, der sterbenden Dido verzeiht, die Dichter vergleicht und kritisirt.

Dann legt sie Virgil in die eine Wagschale,

in die andere den Homer; Grammatiker weichen ihr, Professoren der Rhetorik

werden geschlagen, die Gesellschaft schweigt, und weder ein Sachverwalter, noch ein Herold kommt da zu Wort, noch ein zweites Weib.

Eine solche Wucht von

Worten entstürzt ihrem Munde, so viel Becken, so viele Glocken glaubt man auf einmal klingen zu hören. Die Frau, die Du heiratest, n:ag nicht Erfahrung

in der Rhetorik haben, oder Dir in gedrechselter Rede eine künstliche Schluß­ argumentation zuschleudern, noch soll sie alle Historien wissen, sondern Einiges

in den Büchern auch nicht verstehen." Der literarische Dilettantismus führte die Frauen auch an die Pforten der Weltweisheit. Sie umgaben sich mit griechischen Philosophen und studirten, wie wenigstens Epiktet von seiner Zeit berichtet, vorzüglich Plato n's Republik,

weil derselbe, an der Möglichkeit der Beschränkung des geschlechtlichen Umganges auf die Ehe verzweifelnd, eine Art von Weibergemeinschaft statuiren wollte.

Daß in der späteren Zeit der Verkehr der Frauen außer dem Hause ein

fast unbeschränkter war, läßt sich leicht beweisen.

Wenn Kornelius Nepos

von der früheren Zeit gesagt hatte: „Welcher Römer genirt sich, seine Frau

zum Gastmahl zu führen oder wessen Hausfrau besitzt nicht den ersten Rang in: Hause und bewegt sich in der großen Welt?" so schwindet in der Kaiserzeit

die letzte Spur nmtronenhafter Zurückgezogenheit.

Der Circus, das Theater,

das Amphitheater standen ihnen offen, und wie begierig jede Gelegenheit, hier

„zu schauen und geschaut zu werden", benutzt tpurde, schildert Ovid in seiner Liebeskunst. „Wie ein Ameisenzug, wie ein Bienenschwarm eilen die Weiber in reichem Putz zu den gefeierten Spielen. Göll, Kulturbilder. I.

Oft hinderte ihre Menge meine 18

274

Die soziale Stellung des Weibes.

Schätzung." Im Theater und im Amphitheater scheinen sie hinter den Männern

gesessen zu haben, und den Anbetern blieb nichts übrig, als zu ihrer Fertigkeit in der Augen- und Fingersprache ihre Zuflucht zu nehmen;

aber bei den

circensischen Spielen hinderte nichts das Zusammensitzen der beiden Geschlechter,

und die Rathschläge, die Ovid den Liebhabern giebt, um sich hier angenehm zu machen, beziehen sich eben so sehr auf allerlei Zuvorkommenheiten, welche die Beschaffenheit des Ortes mit sich brachte (z. B. „und wenn, wie es geschieht, Staub in den Schooß des Mädchens herabfällt, so klopfe ihn mit den Fingern ab, und wenn auch kein Staub da ist, so klopfe ihn doch ab!"), als auf die zu

führende galante Konversation. Auch im Spazierengehen hatten die Römerinnen gegen die Athenerinnen große Fortschritte gemacht.

Besonders waren es die

sich an Tempel anlehnenden oder um Gartenanlagen herumlaufenden bedeckten

Säulenhallen, in deren Schatten sich die Schönen lustwandelnd ergingen, und

wo die jungen Männer, nach Ovid's Anweisung alle Manöver moderner Pflastertreter in Anwendmig brachten. Außerdem bediente man sich beim Aus­

gang der von rothgekleideten, stämmigen Sklaven getragenen, bequemen Sänften, und wenn dieselben auch mit Baldachin und Vorhängen versehen waren, so

hätte es doch einer Gelegenheit, sich in reizender Stellung und prächügem Putze denl Publikum zu zeigen, Eintrag gethan, wenn man vom Verschlusse Gebrauch

gemacht hätte! „Ein bäuerischer; grober, übelgesitteter und bei den Matronen

verabscheuter Ehemann heißt", sagt Seneka, „wer seiner Frau verbietet, sich in der Sänfte feil zu halten und, von allen Seiten den frei zugelassenen Be­ schauern sichtbar, sich herumtragen zu lassen."

Bei solcher Ungebundenheit im

Leben außer dem Hause mag es schwer gewesen sein, eine Frau aus den höheren Ständen zu finden, welche sich Plutarch's Gebote fügte: „Eine sittsame Frau

muß sich am meisten in Gesellschaft ihres Mannes zeigen, wenn er aber abwesend

ist, sich verbergen und zu Hause bleiben;" und eher glaubt man ihm, daß ein anderes Mittel, um die Frau uuter Klausur zu halten, half, von welchem er kurz darauf Folgendes schreibt: „In Aegypten war es Sitte, den Frauen keine

Schuhe zu geben, damit sie zu Hause blieben;

bei uns bleiben die meisten

Frauen zu Hause, wenn man ihnen die vergoldeten Schuhe, die Spangen, den Purpur und die Perlen nimmt."

Verzweifelnd sagt in dieser Hinsicht auch

Juvenal: „Ich weiß, welchen Rath Ihr alten Freunde von ehedem gebt:

Riegle die Thür zu! Halte sie unter Verschluß! Wer aber wird die Wächter

selbst bewachen? Die Frau ist verschmitzt und beginnt gerade mit diesen.

Und

schon ist nicht besser, die über das schwarze Pflaster schreitet, als die, welche

auf den Schultern baumlanger Syrer dahinschwebt."

Ja, die Emanzipationssucht in Verbindung mit weiblicher Neugierde und

Klatschsucht brachte Exemplare hervor, die, wie Juvenal sie schildert, sich dreist unter die Versammlung der Männer mischten, mit Offizieren die Details

des Krieges besprachen,

alle häuslichen Geheimnisse auskundschafteten, die

neuesten Gerüchte über die Erdbeben und Ueberschwemmungen an den Stadt­

thoren auffingen und jedem Begegnenden auf offener Straße wieder erzählten. Doch waren diese immer noch erträglicher als jene Dragoner, die ihre meiste Zeit in den Turn- und Fechtschulen zubrachteil, und dann mit den Männerll

um die Wette zechten.

Von ihnen heißt es bei Seneka: „Weil sie das Weib

abgestreift haben, silld sie auch zu den männlichen Krankheiten verdammt. Denn

wie die Männer wacheir sie die Nächte hindurch, trinken und nehmen es im

Ringell und Weinzechen mit den Münneril auf; und wie diese geben sie das dem Magell Aufgedrmlgene durch den Mund wieder von sich und brechen den Wein wieder aus." - -Zusammenkünfte von Frauen zu geselligen Zwecken werden

sicher in Rom stattgefunden haben.

Als Thrasea, der großartigste Charakter

der Neroilischen Zeit, sein Todesurtheil empfing, hatte er in seinen Gärten

gerade eine Gesellschaft von vornehmen Männerll und Frauen bei sich. Sueton

erzählt, daß Agrippina, die spätere Gemahlin des Kaisers Klaudius, die

durch allerlei Künste der Koketterie den Kaiser Galba fesseln wollte, von dessen

Schwiegermutter Lepida in einer Damengesellschaft mit Scheltworten und Schlägen traktirt worden sei.

Ela gab al hatte den merkwürdigen Einfall,

einen Weibcrsenat zu errichtell, in welchem die angeseheusten Matronen saßen

und Gesetze über die Etikette und den Rang dekretirten, z. B. über die Kleidung, über die Edelsteine und Goldschnallen an deil Schuhen, über den

Vortritt, über den Gebrauch von Wagen und Mauleseln, u. s. w. Fragt man nun aber, wie es in der späteren Zeit um den häuslichen

Zustand der Frauen aussah, so muß man gestehen, daß auch hier mit der wachsenden Selbställdigkeit unb Ungebundenheit die früher gerühulteil häuslichen

Tugenden immer mehr sich verringertell.

Was die Arbeitsamkeit und Spar­

samkeit ülsbesondere betrifft, so berichtet darüber Kolumella im Gegensatze

zllr alten Zeit: „Jetzt, da die Mehrzahl der Frauen so in Luxus und Trägheit versuilkell ist, daß sie nicht einmal geruhen, die Sorge für das Spinnen und

Webell zu übernehmen, sonderil die im Hause gefertigten Stoffe verschmähen unb andere, kostbarere in verkehrter Begierde von den Männern herauslocken, welche für große Summen unb beinahe für ganze Vermögen verkauft werden;

jetzt ist es kein Wunder, daß sie durch die Sorge um das Laudgut und das Wirthschastswesen belästigt silld und es für eine niedrige Aufgabe ansehen, sich nur wenige Tage auf der Villa aufzuhalten.

Deshalb also, weil die alte

Sitte der römischen und sabinischen Hausfrauen nicht nur ganz und gar aus der Mode gekommen, sondern auch untergegangen ist, hat sich als etwas Noth­

wendiges die Sorge für eine Wirthschafterin eingeschlichen, welche die Pflichten

der Hausfrau erfülleu muß."

Auch Juvenal sagt: „Viele giebt es, bei

deueu es zu Hause knapp hergeht; aber keine besitzt die Schamröthe der Armuth 18*

276

Die soziale Stellung des Weibes.

und mißt sich nach dem Maaße, das ihr die Armuth gegeben und gesetzt hat.

Eine verschwenderische Frau nimmt die Abnahme des Vermögens nicht wahr, sondern als ob aus der geleerten Kasse das Geld immer wieder frisch hervor­

quelle und man immer von einem vollen Haufen es wegnehme, rechnen sie nie nach, wie viel ihnen ihr Vergnügen kostet." Natürlich hatten die Männer jetzt, wo die Ansprüche der Frauen so gestiegen waren, noch mehr Scheu als früher

vor der Heirat mit einer begüterten Frau. Behauptung:

Bei Juvenal befindet sich die

„Unerträglicheres giebt es nichts als eine reiche Frau", und

Martial schreibt:

„Ihr fragt: warum ich nicht eine wohlhabende Frau

heiraten will? Ich will nicht die Frau meiner Frau sein!"

Oft war schon

der Reichthum ein Vorwand für die Damen des Hauses, sich einen Cicisbeo in Gestalt eines schönen Geschäftsführers anzuschaffen! Immer aber blieb er das Fundament, auf welches pochend man denr geplagten Ehemanne gegen­ über das berüchtigte Wort fallen lassen konnte: „Dies will ich; so befehle

ich; statt jedes Grundes gelte mein Wille!"

Ueberhaupt steigerte sich auch

das herrschsüchtige Streben der Frauen nach dem Regimente des Hauses, in Bezug worauf es bei Seneka heißt: „Wenn Du ihr die Leitung des ganzen

Hauses überlässest, so mußt Du ihr Diener sein;

wenn Du irgend etwas

Deinem Gutdünken aufsparst, wird sie glauben, daß man ihr kein Vertrauen schenke; Haß und Zank wird entstehen und, wenn Du nicht schnell vorbeugst, wird sie zu Gift greifen."

Den schlagendsten Beweis für die Vermehrung der

schlechten Ehen, für den Leichtsinn, mit dem man das eheliche Verhältniß betrachtete, liefern die häufigen Trermungen der Ehen aus den unbedeutendsten

Gründen, und die eben so voreiligen Wiederverheiratungen.

Plutarch ent­

schuldigt die Ehescheidung des Aemilius Paulus durch eine damals bekannte

Anekdote.

„Ein Römer", schreibt er, „hatte sich von seiner Frau geschieden

und wurde deswegen von seinen Freunden zur Rede gesetzt.

Sie sagten zu

ihm: Ist sie nicht keusch? Ist sie nicht schön? nicht fruchtbar? — Allein jener zeigte ihnen seinen Schuh, indem er erwiderte: Ist er nicht schön? Ist

er nicht neu? Und doch weiß Niernand von Euch, wo er mich drückt!" Nach Tertullian heirateten die Frauen nur, als ob sie durch die Scheidung zur

Freiheit gelangen wollten.

Auch Seneka behauptet: „Erröthet wol noch eine

über eine Scheidung, nachdem einige vornehme und angesehene Frauen ihre

Jahre nicht nach der Zahl der Konsuln, sondern der Männer berechnen, und der Ehe wegen das Haus verlassen, der Scheidung wegen heiraten?" Nach

Juvenal zog manche

schon

wieder

aus,

bevor

nur

die

Kränze

und

Guirlanden, womit die Thüre bei der Hochzeit geschmückt gewesen, verwelkt

waren, und brachte es in fünf Herbsten zum achten Gemahl.

Auf den Grab­

schriften wird es deshalb oft als ein besonderes Lob hervorgehoben, daß eine

Frau nur einem Manne gehört habe.

Daß es natürlich auch in der Zeit

Die soziale Stellung des Weibes.

277

allgemeiner Korruption treffliche Frauen und gute Hausmütter gegeben habe, soll nicht geleugnet werden, auch wenn man das so vielen Todten geschenkte

Lob auf den Grabschriften nicht als ein untrügliches gelten lassen kann. Ta ei tu s und der jüngere Plinius liefern glänzende Beispiele von edeln und hochgesinnten Frauen, die das traurigste Loos ihrer Angehörigen voll

Selbstverleugnung theilten und selbst durch den Tod ihre Liebe zum Gatten besiegelten.

XX. Toleranz, Seftircrei und Proselytenmacherei. öffentliche und bürgerliche Leben der Griechen so reich an

religiösen Handlungen war, daß jeder wichtige Akt von Opfern, Gebeten und Gelübden begleitet wurde, so läßt sich doch nicht leugnen, daß

ihre Religion weniger das Vermögen besaß, sittliche Ideen hervorzurufen, einen

bessernden und reinigenden Einfluß auf das Leben der Individuen auszuüben. Dieses moralische Unvermögen hatte seinen Grund zum Theil in der Natur des

Polytheismus selbst.

Schon die Menge der Götter und die Theilung der Ge­

walt zersplitterte die Energie des Glaubens; am meisten aber wurde ihre Rück­ wirkung auf die Verehrung durch ihr unvollkommenes, dem Menschen zu nahes,

mit sittlichen Schwächen behaftetes Wesen gelähmt.

Das Gepräge der Heilig­

keit, der Reinheit, der vollendeten Liebe fehlt den ewig schönen Göttergestalten

des Olymps.

Sie haßten und schmähten sich; sie ließen allen sinnlichen Leiden­

schaften die Zügel schießen und fühlten selbst Anwandlungen von Mißgunst und

Neid gegen die armen Sterblichen.

Diese göttlichen Beispiele, wie sollten sie

uicht benutzt worden seht, das eigene unsittliche Thun vor dem Gewissen und

vor den Leuten zu rechtfertigen?

So sagt denn auch im „Eunuchen" des

Terenz der Jüngling Chärea bei Betrachtung eines Gemäldes, welches das Abenteuer Jupiters bei Danae darstellt:

„Und welcher Gott ist dies! der

die höchsten Zinnen des Himmels durch seinen Donner erschüttert! Und ich

Menschenkind sollte nicht dasselbe thun?

Sicher thue ich es und zwar gern!"

Auch im „Hippolyt" des Euripides entlehnt die Amme, als Versucherin der

Königin Phädra, ihre Gründe aus der chronique scandaleuse des Olymps.

Konnten doch sogar Fälle Vorkommen, wo die Unsittlichkeit selbst den Stempel der Gottgefülligkeit erhielt!

Wie wenn nach Athenäos der Korinther Xeno­

phon der Aphrodite fünfzig Buhlerinnen versprach, falls er in Olyntpia

Toleranz, Sektirerei und Proselytenmacherei.

bcn Siegespreis erringen würde!

279

Denkendell Köpfen entging freilich dieser ge­

fährliche Einfluß der Mythologie keineswegs.

Xenophanes, der Pantheist,

drang, wie Heraklit aus Ephesos, auf Abschaffung Homer's und Hesiod's, weil beide ihren Göttern Diebstahl, Ehebruch und Betrug beilegten.

Auch

Platon tadelte die Dichter, weil sie die Fabelil und Geschlechtsregister der

Götter erfunden Hütten, imi) Aristoteles wünschte wenigstens Statuen und Zeremonien, welche die Sitte verletzten, dem Blicke der Jugend entzogen

zu tvissen. Andere versuchten das Anstößige der Mythen durch allegorische Inter­

pretation zu beseitigen und ihnen einen tieferen Sinn unterzulegen, ohne jedoch niit ihren reformatorischeir Bestrebungen großen Einfluß auf die Masse des Volkes zu gewinnen.

Denn trotz der Existenz zahlreicher Schulen gab es ja

keinen Religionsunterricht, der den Glauben an die höheren, sittlichen Ideen unter­

halten und geweckt hatte, eben weil kein Dogma, keine eigentliche Religionslehre vorhanden war.

Nur im Allgemeinen nahn: der Verständige an, daß man ohne

einen rechtschaffenen Wandel, ohne Erfiillung seiner Pflichten gegen ben Staat

und die Mitbürger, der göttlichen Huld nicht dauernd theilhaftig werden könne; aber der Hauptaccent der griechischen Frömmigkeit lag doch auf der Beobachtung der Killtilsformen, feststehender, von den Göttern selbst geforderter und be-

fohteller gottesdienstlicher Gebräuche.

Der große Haufe fand seine Beruhigung

in der legalen Leistung dieses Ehren- und Dankzolles

und betrachtete, wie

Platon selbst gesteht, den Kultus als eine Art von Tauschhandel zwischen

Göttern und Menschen.

Eille Tremrung der Kirche vom Staate ist den Alten

nie in den Sinn gekommen.

Der Staat wurde von ihnen selbst als eine gött­

liche Stiftung angesehen, die Religioir und der Kultus als ein organisches Glied

des Staates.

Die Staatsgesetze überließen den Glairben und die religiöse Ge­

sinnung den: Gewissen der Einzelnen, bekümmerten sich nur um die gesetzmäßige

Stellung und Haltlmg der Bürger gegen die Staatskulte, und sorgten für

religiöse Belehrung des Volkes durch Wort oder Schrift in keiner Weise.

Erst

als das Heidenthum dem Andringen des Christenthums unterlag, rief der

Missionseifer Julian's, des Abtrünnigen, eine Art voll Kanzelvortrügen ins Lebell, indem die Priester lmd Lehrer in den Tempeln über die heidnischen Mythen in der allegorisch erklärenden Weise der Neuplatoniker predigen mußten.

Spöttisch äußert sich darüber der heilige Augustin in einem seiner Briefe:

„Freilich Alles, was von Alters her über das Leben und die Sitten der Götter

geschrieben worden ist, muß voll den Weisen ganz anders verstanden und er­ klärt werden.

So haben wir wirklich gestern und vorgestern in den Tempeln

vor dem versammelten Volke dergleichen heilsame Auslegungen vortragen hören." Wie aber von Seiten des Staates kein Gewissenszwang versucht, kein orthodoxes Credo aufgenöthigt, keine Überwachung des Tempelbesuches ein-

280

Toleranz, Sektirerei und Proselytenmacherei.

gerichtet wurde, so Pflegte man auch nur direkte Angriffe auf die einmal be­

stehenden gottesdienstlichen Gebräuche und öffentlichen Kultusformen zu bestrafen. Dahin gehörte natürlich die Entheiligung oder Beraubung der heiligen Orte, worauf der Areopag Entziehung des ehrlichen Begräbnisses und Konfiskation des Vermögens zu verhängen Pflegte.

Der Respekt vor dem Eigenthum der

Götter ging überhaupt so weit, daß selbst die Noth eine profane Benutzung desselben nicht entschuldigte, wie es z. B. den Athenern im peloponnesischen

Kriege von den Böotiern als Gottlosigkeit vorgeworfen wurde, daß sie in der Festung Delion das dem Apollon geheiligte Wasser zum gewöhnlichen Ge­ brauch genommen hatten.

Obgleich nun aber der Staat nur um die Außenseite

der Religion Sorge zu tragen schien, so mußte er dennoch einschreiten, wenn Jemand das Dasein der anerkannten Götter offen bezweifelte oder leugnete, weil Skeptiker und Atheisten eben das, was die Götter von Rechtswegen zu fordern

hatten, nicht zu leisten pflegten.

Bekannt ist, daß ein Hauptpunkt der mit Er­

folg gegen Sokrates vorgebrachten Klage dahin lautete, daß er nicht an die

Götter glaube, die der Staat verehre.

eine große Zahl.

Und solcher Ketzerprozesse giebt es noch

Selbst Aspasia, die aufgeklärte Freundin des Perikles,

konnte nur durch die Bitten und Thränen des großen Staatsmannes von der

Verurtheilung wegen Gottlosigkeit gerettet werden.

Dagegen getraute sich

Perikles nicht, seinen Lehrer, den Naturphilosophen Anaxagoras, mit dem­

selben Erfolge zu vertheidigen, und ließ ihn aus Athen erttfliehen, nachdem ein Fanaüker, Namens Diopeithes, im Namen Apollon's und der Artemis Klage darüber erhoben hatte, daß Anaxagoras die Sonne für eine feurige Masse^ größer als der Peloponnes, den Mond aber für bewohnt und mit Bergen und Schluchten versehen erklärte!

Die Wenigen, bei denen die Lehren be£

Philosophen Anklang gefunden hatten, hielten seine Schriften sehr geheim und vertrauten sie nicht leicht Jemandem.

Erst Platon brachte die Naturwissenschaft, besonders die Astronomie, die man spötüsch „Himmelsschwätzerei" nannte, zu Ehren, weil er, wie Plutarch sagt, einen unsträflichen Wandel führte und die physischen Naturgesetze dem

mächtigeren göttlichen Regimente unterordnete.

Des Atheismus schuldig fand

man auch den Sophisten Protagoras, weil er in einer Schrift behauptet

hatte, nicht zu wissen, ob die Götter seien oder nicht, und wie sie seien.

Auf

einem kleinen Fahrzeuge flüchtete er nach einer Insel, soll aber in den Wellen seinen Tod gefunden haben.

Seine Schriften wurden konfiszirt, bei wem man

sie fand, und auf der Stelle verbrannt.

Auf den Kopf eines gewissen Dia-

goras aus Melos, der in schonungsloser, greller Weise gegen die Volks­

religion aufgetreten zu sein scheint, soll in Athen sogar ein Preis gesetzt worden sein.

Ebenso wurde der Schüler Euklid's, Stilpon, vom Areopag ver­

wiesen, weil er die Athena auf der Akropolis eine Tochter des Pheidias ge-

nannt hatte.

Konnte doch der spitzfindige Dialektiker Theodoros nur durch

die Fürsprache des Demetrios Phalereus von der Anklage gerettet werden, die er sich durch einen schlechten Witz gegen einen priesterlichen Beamten der

Mysterien zugezogen hatte!

„Sage mir doch," hatte er diesen gefragt, „wer

macht sich denn der Gottlosigkeit hinsichtlich der Mysterien schuldig?"

Der

Hierophant erwiederte, Jeder, der die Geheimnisse einem Uneingeweihten mittheile.

„Also," sagte Theodoros, „bist Du selbst gottlos, insofern Du mir,

einem Unberufenen, eben diese Eröffnung gemacht hast."

Sieht man also aus

solchen Fällen, daß von Staatswegen jeder Angriff auf die gottesdienstlichen

Stiftungen schwer geahndet zil werden pflegte, so muß man sich umsomehr über die Licenz verwundern, die das Theater und die Lustspieldichter der alten Ko­

mödie der Religion gegenüber genossen, besonders wenn man bedenkt, daß die

Stücke an den Feste!: der Götter selbst aufgeführt wurden, daß die Besoldung der Schauspieler und Dichter nebst den Preisen der Sieger aus der Staatskasse flossen, und daß ein Archont Liber die Annahme der Stücke eiltschied.

Wie kein

Staatsmann so mächtig, kein Feldherr so bedeutend war, daß er der Geißel des Spottes entgehen konnte, so wurden auf der Bühne auch die Schwächen, die der

Volksglaube den Göttern beilegte, dem Gelächter preisgegeben.

In den „Fröschen" des Ar ist ophan es erscheint Dionysos als Schutzgott der dramatischen Spiele, so liederlich, feig und erbärmlich wie der leibhaf­

tige Falstaff, und wird sogar vom Hausknecht Pluto's tüchtig ausgepeitscht. Im „Amphitruo", den Plautus nach griechischen Mustern arbeitete, bildet die Verwechslung des gleichnamigen thebanischen Königs mit seinem Ebenbilde,

Jupiter selbst, den dramatischen Knoten; der Vater der Götter giebt sich als plump sinnlichen Ehebrecher und bringt den beleidigten Gatten schließlich durch

gnädigen Machtspruch zur Ruhe; noch widerwärtiger ist dabei Merkur in seiner Rolle, als Helfershelfer und — Sohn. In den „Vögeln" des Aristophanes empören sich die Luftbewohner gegen die Herrschaft der Götter, er­

bauen zwischen Himmel und Erde die Stadt Wolkenkukuksheim, lassen sich von den Menschen huldigen und zwingen die Götter durch Absperren des Opfer-

fleischdampfes zu einer Kapitulation, deren Bedingungen der Dichter so zu­ sammenfaßt:

„Und nach Euch empfangen die Götter ihr Theil, und es steht dann geziemender Weise Den Göttern stets ein Vogel zur Seil', wie er eben für jeglichen passend. So, wer Aphroditen ein Opfer weiht, der streue dann Körner dem Sperling; Und wer dem Poseidon ein Schaf darbringt, der bedenke die Ente mit Weizen; Wer ein Rind dem Herakles, bediene sogleich mit Honigkrapsen die Kropfgans; Wer dem Zeus als König 'nen Schafbock weiht — Zaunkönig ist ebenfalls König, Und es ziemt sich, vor Zeus ihm den männlichen — Floh als hüpfendes Böcklein zu schlachten!"

282

Toleranz, Sektirerei und proselytennracherei.

Der tiefere politische Sinn dieses Vogelreiches, in dem Aristophanes die Schwächen und das Verderbniß des eigenen Vaterlandes vor Augen stellen wollte, ist und war freilich sogleich bemerkbar; aber es scheint uns doch immer­

hin bedenklich, daß die erhabensten Bilder der religiösen Phantasie auf diese Weise karikirt und herabgezogen wurden,' und man wird wol behaupten können,

daß die Religiosität jenes schon vielfach zur Frivolität geneigten Zeitalters durch derlei Possen noch mehr gelitten habe, als die naivere des christlichen Mittel­

alters durch die mit den Mysterien und Fastnachtsspielen verbundenen groben Späße und Volkswitze.

Das Verhältniß dieser travestirenden Richtung , die

schon vor Aristophanes im sieilisch-dorischen Dichter Epicharmos einen Hauptvertreter hatte, läßt sich mit dem der gleichzeitigen Sophistik zusammen­ stellen.

Beide Erscheinungen waren nothwendige Erzeugnisse der gesammten

Zeitentwickelung, Symptome der Fäulniß.

Sie übten aber sicher selbst wieder

einen zerstörenden Einfluß auf Religion und Sittlichkeit aus und trugen viel

mit-zur Auflösung des Hergebrachten in Glauben und Sitte bei. Trotz des Schutzes, den der Staat den herkömmlichen Kulten und Gott­ heiten gegen direkte Angriffe gewährte, herrschte doch keine Intoleranz gegen

fremde Kulte. Aenderungen und Neuerungen im Gottesdienst fanden allerdings sehr schwer Eingang, theils weil man zu fest am alten Brauche hing, theils

weil man sich für verpflichtet hielt, über jede derartige Maaßregel bei einem Orakel, besonders dem delphischen, anzufragen.

Sinne des

attischen Glaubens:

So sagt Platon gewiß im

„Was zu Delphi, Dodona, oder vom

Ammon oder nach den Glauber: der Väter über Götter und Dämonen und

über die Heiligthümer, welche ihrren errichtet werden sollen, bestimmt worden ist, daran wird kein Vernünftiger etwas ändern wollen," und ebenso rechtfertigt Xenophon seinen Lehrer Sokrates gegen den Vorwurf der Gottlosigkeit, in­

dem er behauptet, derselbe habe über Götter und Heroen gedacht und sie ver­ ehrt, so wie die Pythia bestimmt habe, nämlich nach den Anordnungen des Staates.

Doch ist es zuweilen vorgekommen, daß fremde Gottheiten vom

athenischen Staate förmlich anerkannt und adoptirt wurden.

Es geschah dies

z. B. mit dem Kulte der phrygischen Göttermutter Kybele, der man auf Be­ fehl des Orakels auf dem Markte neben dem Rathe der Fünfhundert einen

Tempel erbaute, nachdem man den ersten ihrer Priester, der sich bettelnd und

für den wilden Naturdienst Proselyten machend in Athen hatte blicken lassen, als einen Frevler und Rasenden in den Verbrecherabgrund gestürzt hatte.

Da

Pheidias das Bild der Göttin fertigte, so wird die Verehrung derselben unter

Perikles begonnen haben.

Dann wurde die thrakische Mond- und Lichtgöttin

Bendis der öffentlichen Verehrurrg gewürdigt und ihr zu Ehren im Piräeus

ein jährliches Fest gefeiert, wo Aufzüge von Athener:: und Thrakern und am Abend ein Fackelwettrennen zu Pferde stattfanden.

Platon erwähnt diese

Feier als eine ganz neue im Eingang seines Gespräches über den Staat. Im übrigen lag es in der Natur der athenischen Verhältnisse, daß eine Menge fremder Kulte geübt wurde und am Ende auch geduldet werden mußte. Die vielen Vorzüge Athens, besonders die günstige Lage der Stadt für den Handel und die reiche Gelegenheit zum Gewerbbetrieb bewog viele Fremde, nicht bloß aus dem übrigen Hellas, sondern auch aus barbarischen Ländern, dauernden Aufenthalt dort zu nehmen, und Athen begünstigte diese Niederlassungen, weil es den Nutzen, der ihn: aus der Einwanderung einer betriebsamen Bevölkerung erwuchs, besser als alle anderen griechischen ©boten erkannte. Auch die Masse fremder Sklaven ist in Anschlag zu bringen, die ihre verschiedenartigen Reli­ gionen mit sich führten. Endlich neigten sich auch die Athener selbst vermöge ihrer beweglicher:, elastischen Natur zur Neuerungssucht und Nachahmung des Fremden, und Strabo sagt von ihnen geradezu: „Die Athener, die alles Ausländische so sehr liebten, haben dies auch in der Annahme des Gottesdierlstes der Ausländer gezeigt; denn sie haben sehr viele Feste und andere gottesdienstliche Gebräuche vor: den Fremden angenommen (worüber sie auch auf ihren eigenen Theatern verlacht wurden), vorzüglich aber von den Thrakern und Phrygern." Da nun aber dem Polytheismus das ausschließende erste Gebot der monotheistischelr Religionen fehlte und da, wie schon erwähnt, kein Dogma vorhanden war, welches das Privilegium der Rechtgläubigkeit und Alleinseligmachung bean­ spruchte, so sah sich der Staat genöthigt, nicht nur den Fremden ihre vaterläildischen religiösen Gebräuche zu gestatten, sondern auch die Dissenters unter seinen Angehörigen gewähren zu lassen, so lange sie nicht den Bestand der alten Götter r:nd Kulte zu bedrohen oder wirklich verderblichen oder verbreche­ rischen Sitten anzuhängen schienen. Jener Apostel der Kybele erlitt den Tod, weil man glaubte, daß er die großen Mysterien entweihte. Ninos, eine Prie­ sterin des Sabazios, wurde mit dem Tode bestraft, weil sie allerhand magische Künste trieb, besonders Liebestrünke braute, und die Lemnierin Theoris, die Plutarch ebenfalls als Priesterin bezeichnet, tödtete man mit allen ihren Ver­ wandten als Zauberin und Betrügerin auf eine Anklage des Demosthenes. Die Anhänger derjenigen fremden Kulte, welche im Staate nicht zu öffentlicher Anerkennung gelangten, vereinigten sich zu Genossenschaften, Thiasoi genannt, die förmlich organisirt wäre::, ihre Vorsteher, Geschäftsführer und Seckelmeister hatten, und hinsichtlich der Rechtskräftigkeit ihrer Statuten von Seiten des Staates geschützt wurden. Die Thiasisten brachten an gewissen Tagen ihren Gottheiten Opfer dar, womit gewöhnlich festliche Schmausereien verbunden waren. Zu mehren begann sich das Konventikelwesen von den Zeiten des peloponnesischen Krieges an, als bei dem schnell zunehmenden Unglauben die epische Götterwelt ihre Wahrheit verlor, als überhaupt die einheimischen

284

Toleranz, Sektirerei und Proselytenmacherei.

Glaubensformen den Bedürfnissen des religiösen Lebens nicht mehr genügten. Da suchte man das Gefühl des Unbefriedigtseins durch fremde Kulte aller Art zu beschwichtigen und während der abenteuerlichste Synkretismus und Aber­

glaube alle einfach poetischen und ethischen Motive der Mythologie erstickte,

warf man sich zugleich der asiatischen Mystik in die Arme, die allerdings durch das Geheimnißvolle ihrer Symbolik der Phantasie imponirte und durch Gnade

verheißende Weihen und Sühnungen, auch durch Verkündigungen über das

Leben nach dem Tode das Gemüth beruhigen konnte.

Zahlreiche Proselyten

machte vorzüglich der auf Bacchischen Kult gegründete Orphische Religionsverein. Die Person des Ordensstifters, des berühmten Sängers und Priesters,

ist durchaus mythisch, und schon seit Aristoteles glaubte kein Unterrichteter mehr an seine historische Existenz. Gewöhnlich schrieb nmn die angeblichen Werke des

Orpheus dem zur Zeit der Peisistratiden lebenden Propheten Onomakritos zu, der durch seine Unterschiebungen wenigstens das Meiste dazu beitrug, das

aus früherer Zeit Stammende systematisch zu ordnen, und so der eigentliche

Stifter der Orphischen Theologie wurde. Mit der Orphischen Schule vereinigten sich aber, wahrscheinlich nach ihrer Vertreibung aus Unteritalien, die Ueberreste

der Pythagoräischen Verbrüderung, die vielleicht unter des Orpheus Namen ihre Lehren und Einrichtungen in Griechenland einzuschmuggeln suchte.

Die

an Pythagoräische Spekulation deutlich anklingende Orphische Dogmatik enthält zuerst die Lehre von der Erbsünde, motivirt durch die Annahme, daß das

Menschengeschlecht entstanden sei aus der Asche des den Göttern verhaßten Titanenstammes.

In Folge dessen leide die Seele im Körper Gewalt, wie in

einem Gefängnisse, und könne erst nach einer Wanderung durch immer voll­

kommenere Formen endlich gereinigt von der alten Schuld in die Wohnungen

der Seligen auf den Sternen eingehen.

Natürlich wurde nun dieser Allen

bevorstehende Läuterungsprozeß nach der Lehre der Sekte erleichtert und abgekiirzt durch Anwendung der ihnen geoffenbarten Gnadenmittel, die in den mit einer

reichen dramaturgischen Darstellung von Göttergeschichten verbunden Weihen und

in einem ascetischen Leben bestanden. Den ganzen Ritus der Weihen, welche das Leben ernster und den Tod minder furchtbar machen sollten, ahmte eine gleich zu erwähnende niedrige und betrügerische Klasse von Orpheuspriestern bei der Aufnahme ihrer Novizen nach.

Die Orphische Lebensweise schrieb ihren An­

hängern Enthaltsamkeit von gewissen Speisen, z. B. Fleisch, Bohnen, manchen Fischen, Eiern u. s. w., ferner eine bestimmte Art sich zu kleiden und mancherlei

Uebungen und Entbehrungen vor, deren Grund in den heiligen Schriften an­ gegeben war. Beim Gottesdienst fanden nur unblutige Opfer statt, weil ja alles Lebendige für beseelt galt; man las aus den geoffenbarten Büchern vor,

und das ganze Rituale war symbolisch und gründete sich vorzüglich auf den

Bacchischen Mythenkreis, besonders auf die Fabel über den von den Titanen

Toleranz, Sektirerei und Proselytenmacherei.

285

zerrissenen und Dom Tode zum neuen Leben wieder erstehenden Naturgott

Dionysos (Zagreus oder Sabazios).

Daß sich auch viele Leute aus den

höheren Stünden in die Orphischen Logen aufnehmelr ließen, erkennt man aus

Euripides, der den Konigssohn Hippolyt als einen Anhänger derselben dar­ stellt, indem er dessen Vater Theseus sich so über ihir vernehmen läßt:

„Du lebst mit Göttern als ein auserwählter Mann? Du bist ein Reiner, unentweiht von Sündendienst? Nie rührt mich Deine Prahlerei, des Unverstands In argem Wahn die Götter anzuschuldigen! So rühme Dich denn immerhin und prunke stolz Mit Pflanzennahrung, diene Bacchos, huldige Dem Meister Orpheus und der grauen Bücher Dunst: Du bist entlarvt! Ich mahne Jedermann zu fliehn Bor solchen, die Dir gleichen; denn sie finnen nur Auf Schnödes, jagen diesem nach mit frommem Wort/ Wenn auch diese Worte deutlich darauf Hinweisen,

daß jene Sektirerei

geistlichen Hochmuth und Scheinheiligkeit in ihrem Gefolge hatte, so läßt sich

doch wol mit Sicherheit annehmen, daß Viele aus wirklichen: religiösen Bedürf­ nisse dem Verein beitratetr und daß diese Gattung von Orphikern sich von

Airdersdenkenden nicht mißachtet sah.

Dagegen gab es noch eine vulgäre Seite

des Orphischen Bundes, Don der die Alten weit mehr redet:, ut:d deren Ver­

treter, dieOrpheotelesten/>auf den rohesten Aberglauben und die Leichtgläubig­

keit der Menge spekulirend, im Lande umherzogen. Sie auch::ahmen Weihen und Sühnungen vor und rühntten sich ebenfalls, uralte Vorschriften und Prophe-

zeiu::ge:: zu besitzen.

Platon erwähnt ihrer in seiner Schrift über den Staat

und charakterisirt ihr Treiben folgendertnaaßen: „Die Bettelpriester und Wahr­ sager kotnmet: vor die Thüret: der Reichen und geben vor, daß ihnen eine von den Göttern herrührende Macht beiwohne, durch Opfer und Zaubersprüche jedes Vergehen, mag es von Jemandem selbst oder vot: dessen Vorältern her­

stammet:, unter Vergnügen und festlicher Freude zu sühnen, und wenn Jetnand einem Feit:de Schadet: zt:fügen wolle, mit geringe:: Kosten Gerechte m:d U::gerechte zu schädigen,

it:dem sie durch gewisse Zauberformeln und

nmgische Beschwörunget: die Götter bewegten, ihnen zu dienen."

Nachdem

er dann erwähnt, daß sie sich hinsichtlich der Möglichkeit einer Sünden­

reinigung auf Hesiod, hinsichtlich der Versöhnlichkeit der Götter auf Homer

bezögen, führt er fort: „Dabei weisen sie ein ganzes Bündel von Schriften des Musäos und Orpheus vor (Abkömmlingen der Selene und der Musen, wie sie sagen), nach denen sie opfert: und wahrsagen, und sie überreden nicht bloß Einzelne, sondern auch gat:ze Stüdte, es gebe Erlaß und Reinigungen von Sünder: durch Opfer und festliches Spiel für noch Lebende, es gebe aber auch

286

Toleranz, Lektirerei und Proselytenmacherei.

sogenannte Weihen für bereits Gestorbene, die in jener Welt von dem Uebel befreien.

Schreckliches endlich stehe denen bevor, die nicht opferten."

„Der

spartanische König Leotychides" sagt Plutarch, „sprach zu dem Orpheotelesten Philipp, der ein Bettler war, aber behauptete, daß die von ihm Ge­ weihten nach dem Ende des Lebens glückselig würden: „„Warum stirbst Du

denn nicht so bald als möglich, Du Thor, damit Du einmal aufhörst, Dein

Elend und Deine Armuth zu beweinen?""

Zu einem solchen Ablaßprediger

geht auch monatlich mit Weib und Kind der Abergläubische in den Charakter­ zeichnungen Theophrasts, um sich weihen und absolviren zu lassen.

Daß sich auch Weiber mit der Verbreitung und Ausübung dieses Kultus befaßten, ist aus den Beispielen von Ninos und Theoris ersichtlich, nament­

lich aber aus des Redners Demosthenes Auslassung über Glaukothea, die Mutter seines unedeln Rivalen Aeschines, worin zugleich die Hauptmerk­ male des Orphischen Weiheritus enthalten sind. „Als Du ein Mann wurdest,"

sagt er, „lasest Du Deiner Mutter, wenn sie Weihungen verrichtete, aus den

heiligen Büchern vor und spieltest überhaupt den Ministranten, indem Du des Nachts eht Rehfell umhingst, aus den heiligen Pokalen trankst, die Eingeweihten reinigtest und von Thon und Kleie säubertest, dann aber von der Reinigung

sich erheben und ausrufen ließest:

„„Dem Bösen entrann ich, das Bessere

gewann ich!"" Dabei warst Du stolz darauf, daß Dich Niemand im Heulen

und Plappern übertreffen konnte.

Am Tage aber führtest Du die schönen

Prozessionen, mit Fenchel und Pappellaub bekränzt, durch die Straßen, die heiligen Schlangen drückend und über dem Kopfe schwenkend, und dazu tanzend und schreiend: Euoi Saboi! und Hyes Attes! Dafür wurdest Du freilich von

alten Mütterchen mit dem Beinamen:

Chorführer, Vorstand, Laden- und

Wannenträger beehrt, und bekamst zur Belohnung Semmeln, Kringel und Kuchen."

Das in dieser Schilderung erwähnte Rehfell war ein Attribut des

Dionysos selbst; die orientalischen Ausrufe waren den Hellenen selbst nicht

verständlich; das Symbol der Wannenwiege deutet auf die Wiedererweckung

des Gottes vom Tode hin, und in einer Lade hatte Athena das Herz des zer­ rissenen Dionysosknäbleins aufbewahrt und gerettet.

Trommeln und Pauken

begleiteten die nächtliche Feier und steigerten die religiöse Aufregung zur Leiden­

schaft und ekstatischen Wuth, wobei es nach dem Zeugnisse der Alten an ge­ schlechtlichen Ausschweifungen nicht fehlte.

Darum läßt auch Euripides in

den „Bacchantinnen" den König Pentheus fragen: „Und diese Weihen feierst

Du Nachts oder Tags?" und auf die Antwort des Dionysos: „Bei Nacht

die meisten; heilig ist die Dunkelheit," ihn erwiedern: „Für Frauen ist sie

trügerisch und voll Gefahr!" Eng verwandt mit den Orphikern waren die Anhänger der phrygischen Göttermutter, deren in schrankenlosem, orgiastischem Taumel gefeierten Feste

ebenfalls das Absterberr und Wiedererwachen der Natur in der Trauer über das Verschwinden des Götterlieblings Attis und dem Jubel über sein Wieder­

finden abspiegelten. Die beiden Killte rühmt nebeneinander als gleich beseligend

der Chor in dem eben erwähnten Stücke des Euripides:

Götterfreund, in

„Selig, der, ein

den Weihen der Unsterblichen heimisch, das Leben rein

bewahrt, der im Gebirg umher, göttlichem Sühnefest zujubelnd, die Seele heiligt, und der Kybele, der Erhabenen, sich, der Allmutter, geweiht hat, und emporschwingend den Thyrsos, mit dem Epheu sich das Haupt kränzt, zu ver­ herrlichen Dionysos!"

Auch zu diesem Dienste gehörten heilige Weihen, je

nach den verschiedenen Graden der Erkenntniß.

Uebrigens waren die Priester

der großen Göttermutter — Metragyrten genannt — noch berüchtigter als

die Orpheotelesten.

Von dem gemeinen und nichtswürdigen Treiben dieser

Hausirenden und bettelnden Brüder liefern uns Lukian und Appulejus im milesischen Märchen vonr goldenen Esel ein treffliches Bild.

Denn wenn auch

die Zeit dort eine viel spätere ist und die Bettelmönche als Diener der wahr­ scheinlich mit Kybele bloß verwandten syrischen Göttin von Hierapolis be­ zeichnet werden, so kann man sicher das Gebaren der Metragyrten kaum für

ein abweicheirdes ansehen. Diese unter Anführung eines alten vierschrötigen Kastraten in Makedonien von Ort zu Ort ziehende Bande führte das Bild in einer tragbaren Kapelle bei sich.

Die Produktionen begannen mit einer

wilden Musik, worauf die Diener der Gottheit, Gesicht und Augen nach Frauenweise bemalt, die Köpfe mit gelben Turbanen umwunden, in gelben und gestreiften baumwollenen und linnenen Gewändern einen bacchantischen Tanz aufführten, das Haupt tief zur Erde gefenft, so daß das aufgelöste Haar ben Koth berührte.

Dabei bissen sie sich in die Zungen und ritzten mit Beilen und

Schwertern die Haut der nackten Arme.

Dann folgte eine neue Scene.

Einer

der fanatischen Komödianten pflegte unter Aechzen und Stöhnen sich selbst eines Frevels gegen seine heilige Religion anzuklagerr und sich zur Buße vermittelst einer mit Kliöcheln durchflochtenen Geißel, die alle Metragyrten trugen, bis

aufs Blllt zu zerschlagen. Nach der Vorstellung wurden die Zuschauer in Kon­

tribution gesetzt, und die Flagellanten bekamen Kupfer- und Silbermünzen, Käse, Fische, Wein, Milch und Getreide.

Im Geheimen entschädigten sie sich

dann durch schmutzige Gelage für die erduldeten Kasteiungen.

Auch durch

Wahrsagerei verdienten sie sich Geld und durch Kuriren verschiedener Krank­

heiten, besonders des Wahnsinnes.

Wie schon Platon im „Euthydemos"

erzählt, setzten sie beit Patienten auf einen Stuhl und tanzten nach den:

rauschendeil Getöse von Cymbeln und Handpauken um ihn herum, ließen ihn auch selbst mittanzeil.

Es fehlte nicht an reichen Leuten, die aus gläubiger

Frömmigkeit diese Gesellell in ihren Häusern bewirtheten, und, wo es anging,

suchten letztere ihrem Götzenbilde in den Tempeln anderer Götter Herberge zu

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Toleranz, Sektirerei und Proselytenmacherei.

Verschaffen und dadurch sein Ansehen und seine Ebenbürtigkeit darzuthun. Als

sie aber einst aus einem Heiligthume eine goldene Schale aus Versehen mit­ genommen hatten,

wurden sie als Betrüger entlarvt und ins Gefängniß

geworfen. Eine ausschweifende Sekte bildeten ferner die Anhänger der thrakischen Liebesgötttn Kotytto,

deren Feste,

besonders in Athen und Korinth,

durch sinnliche Genüsse jeder Art begangen wurden.

Eine viel weitere Ver­

breitung aber hatte der vom Staate ebenfalls nur geduldete Dienst des Adonis, des gestorbenen und wiedererstandenen Geliebten der Aphrodite, unter dessen

lieblichem Bilde ebenfalls die belebende, zeugende Naturkraft, die im Winter erlischt, verborgen lag. Die Verehrung dieses Zwillingsbruders von Dionysos, Attis und Osiris, war über Asien und Afrika verbreitet, scheint aber nicht

vor dem peloponnesischen Kriege sich in Hellas eingebürgert zu haben.

Am

Tage seiner Todesfeier stellte man wächserne Bildchen von ihm aus und erhob eine Leichenklage.

Dabei standen die sogenannten Adonisgärten neben dem

kleinen Katafalke, irdene Gefäße, in die man Weizen, Lattich, Fenchel oder andere Pflanzen gesäet und durch starke Wärme in wenig Tagen emporge­ lrieben hatte.

Man warf dieselben dann ins Wasser und durch ihr schnelles

Emporblühen und Verschwinden sollte eben die doppelte Bedeutung der Feier hervorgehoben werden.

Vom Jdyllendichter Theokrit besitzen wir noch eine

interessante Beschreibung einer von der ägyptischen Königin Arsinoe veran­ stalteten Adonisfeier, aus der wir das Wichtigste hier folgen lassen: „Dir zum Dank, Aphrodite, Du tempelgeseierte Göttin, Ehrt Arsinoe heut mit allerlei Gaben Adonis. Neben ihm liegt anmuthig, was hoch auf dem Baume gereifet, Neben ihm auch Lustgärtchcn, umhegt von silbergeslocht'nen Körben, auch goldene Krüglein, gefüllt mit syrischen Düften; Auch des Gebacknen viel, was Frau'n in den Formen bereitet, Mischend das weißeste Mehl mit mancherlei Würze der Blumen, Was sie mit lieblichem Oele getränkt und der Süße des Honigs. Alles ist hier, das Geflügel der Lust und die Thiere der Erde. Grünende Laubgewölbe, vom zartestell Dille beschattet, Baut man: und oben als Kinderchen fliegen Eroten. Sehet das Ebenholz! und das Gold! Und den reizenden Schenken, Herrlich aus Elfenbein, vom Adler entführt zu Ki:onion! Auf dem purpurnen Teppich hier, sanfter als Schlummer, Ist ein Lager bereit zugleich dem schönen Adonis. Hier ruht Kypris und dort mit rosigen Armen Adonis. Morgen tragen wir ihn, mit der thauenden Frühe versammelt, Alle hinaus in die Flut, die herauf schäumt an das Gestade, Und mit fliegendem Haar, das Kleid tief bis auf die Knöchel, Offen die Brust, so stimmen wir hell den Feiergesang an: Holder Adonis, Du nahst bald uns, bald Acherons Ufern,

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Toleranz, Seftircrei und Proselytenmacherei. Wie kein andrer Halbgott, sagen sie











Schenk' uns Heil, o Adonis, und bring' ein fröhliches Neujahr! Freundlich kamst Du Adonis, o konun, wenn Du kehrest, auch freundlich!" Die Adoniasten bestanden größtentheils aus Weibern.

daß im Tempel Jupiter's, des Erhalters,

Pausanias erwähnt,

in Argos eine Zelle war,

„irr

welcher die Argiverinnerr den Adorris beweinen", und auch Plutarch sagt im Leben des Alkibiades in Beziehung auf die sicilische Expedition: „Als aber

bereits Alles zur Abfahrt fertig lvar, fiel außer arrdererr Unglückszeicheu gerade

auf diese Tage das Adonisfest, was man für etwas Böses ansah, weil an dem­ selben die. Frarren an vielerr Orten Todtenbilder aufstellten und unter großen:

Wehklagen und den: Gesänge vieler Trauerlieder eine Art von Leichenbegangniß hielten." Ueberhaupt fanden die sich einschleichenden barbarischen Religions­ systeme ihre meisten Proselyten bei den: weiblichen Geschlechte.

Die Gründe

dieser Erscheinung lagen theils irr der größeren Empfänglichkeit des weiblichen Gernüthes dem Glauben und Aberglauberr gegenüber, die ja noch heute jedem

religiöserr Schwärnier und Heuchler einen Wirkungskreis ermöglicht, theils besorrders irr der untergeordneten Stellung der hellenischen Frarrerr,

welche,

rnarrrrigfach zurückgesetzt, der Entartung des religiöserr Gefühles am leichtesterr Daß die Alten dies schon wohl erkairnten, sieht marr aus

bloßgestellt waren.

Strabo's Aeußerung: Bigotterie sirrd."

„Alle glauben, daß die Frauen die Führerinnen der

Der gebildete Theil der rrrännlicheir Bevölkerung mochte wol

wenig Sektirer unter sich zählen. Die Art und Weise, wie Demosthenes riber die sabazischen Weihen spricht, und noch dazu vor einer so zahlreichen, gerrrischterr Versammlung, läßt deutlich auf einen geringen Grad des öffentlichen

Anseheirs derselben schließerr. Dichtern.

Aber es fehlt auch rricht an Zeugnissen bei den

Euripides legt irr den „Baechantinrren" dem Könige Pentheus

die Worte über den Baechusdienst irr derr Mund: „Schon flammt in unserer

Nähe hier, dem Feuer gleich, der Baechen Wuth, für Hellas' Volk ein großer Hohn!" Und Aristopharres läßt einen Rathsherrrr in der „Lysistrata" klagen:

„Ward Euch der Frauen Uebcrmuth jetzt endlich klar, Ihr Paukenwirbel, die Sabaziosschwärmerei, Und dies Adonisheulen aus den Dächern rings, Wie ich es selbst in der Volksversanrrnlung einst gehört? Da rieth zu böser Stunde wol Demostratos, Nach Syrakus zu ziehen, mit) im Tanze schrien Die Frauen: „Todt Adonis!" Er, Demostratos, Rieth, Männer auszuhcben im Zakynthervolk; Und taumelnd auf dem Dache schrie'n die Trunkenen: „Wehklagt um Adonis!" Aber er setzt' Alles durch. Zu Solchem führt uns ihre tolle Schwärmerei." Göll, Kulturbilder. I.

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290

Toleranz, Sektirerei und proselytcnmacherei.

Endlich schreibt auch Cicero in seiner Schrift über die Gesetze: „Die

neuen

Götter und

die

bei ihrem Dienste vorkonunerrde Nachtfeier nimmt

Aristop Hanes so mit, daß bei ihm Sabazios und einige andere fremde

Götter durch einen Richterspruch aus dem Staate verbannt werden." Die religiösen Zustände Roms befanden sich schon von alter Zeit her

in noch ärgerem Mißverhältnisse zum wahren Bedürfnisse des menschlichen Herzens, als die hellenischen. Zwar hing der frühere Römer mit großer Treue

an seinen Göttern, zwar gehörte religiöse Weihe und Zerernonie zu jedem Geschäfte, jeder Unternehnmng im öffentlichen und im Privatleben; es war

sogar allgemeine Ueberzeugung, daß um der Frömmigkeit des Volkes willen die kapitolinischen Götter Rom groß gemacht hätten, und Cicero sagt deshalb rühmend von seiner Nation: „Durch Frömmigkeit und Religiösität und durch

die Weisheit allein, daß wir erkannt haben, Alles werde durch den Willen der

unsterblichen Götter gelenkt und regiert, haben wir alle Völker und Nationen besiegt."

Dennoch entbehrte aber das ängstliche und abergläubische Verhältniß

des Volkes zu den Göttern der ächten Gläubigkeit, des Nachdenkens, der Sinnigkeit.

Damit die Götter den Staat erhielten, sorgte der Staat dafür,

daß von seinen Bürgern in allen Punkteir die streng vorgeschriebene Ver­ pflichtung gegen dieselben erfüllt wurde; damit sie den Einzelnen förderten, betete der Einzelne zu ihnen. So war von vornherein der Kultus den Römern

wichtiger als der Götterglaube, ihre Religion war wesentlich auf politische

Zweckmäßigkeit, nicht auf freie Empfindung gegründet; sie ward zum bloßen Mittel des kahlsten Egoisnlus.

„Es kommt uns zu statten, daß Götter

existiren," sagt Ovid, „und wie es uns zu statten kommt, wollen wir auch an ihre Existenz glauben!" Kein Wunder also, daß die religiösen Anstalten von

der Staatsregiermrg wurden.

als ein wesentliches Mittel zum Regieren angesehen

Hiezu kam noch, daß der Römer vermöge seiner praktisch politischen

Natur zu wenig ästhetische Phantasie besaß, um jene geistige Freiheit und Schönheit der hellenischen Religion erreichen zu können, und daß kein Homer auftrat, mit genialer Kraft ihre karge Mythologie zu bereichern.

An die Stelle

der plastisch idealen Götterbilder traten bei ihnr jene frostigen, nüchternen allegorischen Gestalten, denen, als Erzeugnissen der Reflexion, Leben rmd

Seele fehlten.

Eine Nation, die in der Religion ein so egoistisches Prinzip

verfolgt, wird, wo es sich um ihren Nutzen handelt, stets tolerant gegen fremde Kulte sein.

Bei den Römern ging aber noch außerdem die Gottesverehrung

darauf aus, das göttliche Wirken in seinen einzelnen Momenten zu erkennen und zu fixiren, und der Kreis der Gottheiten konnte sich schon deshalb nie

völlig schließen, weil jede neue Offenbarung bestimmten göttlichen Waltens die Einsetzung eines neuen Kultus erheischte.

So entstand bemi durch das Zu­

sammenwirken des Nützlichkeitsprinzips und der skrupulösen Scheu, andere.

selbst imbefnnnte Götter zu übergehen und 511 beleidigen, eine religiöse Duld­

samkeit, die um so weniger Lob verdiente, je mehr sie der religiösen Tiefe

ermangelte. Jeder Gott galt schließlich gleich, wenn er nur den gewünschten Segen zu versprechen schien.

Ja, selbst die Götter der Feinde, die Schutzheiligen

belagerter Städte, suchte man fiir sich zu gewinnen, indern man ihnen höhere Verehrung in Rom zil zollen versprach, wenn sie ihr Volk preisgeben und die

Eroberimg der Städte geschehen lassen würden. So wurde die Schutzgöttill Veji's, die Königin Juno, von Kamillus

vor dein letzten Sturme angefleht, solche Treulosigkeit zu begehen, und siedelte

nach der Eroberwlg auf den aventischen Hügel über; so öffneten sich bei der Belagerung von Jerusalem plötzlich die Thüren des Tempels und eine über-

meuschliche Stimnie verkiindete dmr Auszug der Götter, worauf man lautes

Gctöse, wie von Herausgehenden, vernahm.

Auf diese Weise muß schon in

früherer Zeit die Zahl der nach Roni verpflanzten fremden Götter eine un­ glaublich große geweseir fein und ohne Uebertreibung sagt deshalb der christ­

liche DichterPrudentius: „Später erzeugte sich Rom durch herrliche Triumphe unzählige Götter.

bevaffnete Hand

Aus

deu rauchenden Trümmern der Tenipel riß die

des Siegers

die

feindlichen Götterbilder und führte sie

gcfuigcii nach Hause, wie heilige Wesen sie verehrend."

Freilich trennte man

schm dadilrch die Killte fremder Götter voll den einheimischen, daß man ihre Tenpel alte außerhalb der Stadtmauern anlegen ließ;

auch übernahm der:

Dünst der nach Rom gerufenen Götter nicht allenull der Staat, sondern ,zuveileu ailch die Familie des Feldherrn, der das Gelübde dargebracht hatte. Ater allnlählich und unaufhaltsam drängten sich die fremden Elemente auch ins Jmeu bei* Stadt.

Zuweilen, wenn besondere Unglückssälle den Staat heim-

fuqteii und die Hilfe der rrationalen Götter nicht auszureichen schien, adoptirte die Regierung selbst einen Gott, den Orakelsprüche, besonders aber die sibylliinshen Bücher vorgeschlagen hatten.

Auf diese Weise haben die meisten Helle­

nishen Gottheiten in Rom Aufnahme gefunden.

Als z. B. während des

drillen samnitischen Kriegs eine pestartige Seuche in Ronr wüthete, verordneten

diee

prophetischen

Urkunden

die Einholimg

des

heilenden Llpollosohnes

Asklepios vom argolischen Epidauros, der nebst seiner heiligen Schlange auj der Tiberinsel Tempel und Lazareth geweiht erhielt. Ebenso kam auf den Rath dieses Orakels der Kybeledienst nach Rom,

um in der Noth des zweiten punischen Krieges die Vertreibung des auswürügen Fendes aus Italien zu ermöglichen.

Der beste römische Mann, Kornelius

Slip io, nebst allen Matronen, begrüßten das heilige Symbol, einen Meteor-

sten, bei seiner Ankunft aus der phrygischen Stadt Pessinus. Ein neues sechstägges Fest, die Megalesien, wurde gestiftet, und es begannen nun vor der Augen der stauneriden Rönrer die lärnienden Umzüge und orgiastischen

19*

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Toleranz, Seftirerei und proselyteinnacherei.

Tänze der Kybelepfaffen.

Doch unterstellten die Römer diese öffentlich einge-

führten fremden Gottesdienste stets der Korrtrole des Staates mit) behielten

demselben das Recht vor, die Form des Kultes 511 regeln, nach römischer

Sitte möglichst umzuwandeln und mit schon vorhandenen eirrheimischen Diensten zu verschmelzen.

Am deutlichsten zeigt sich dieses Bestreben gerade anr Beispiele

der Göttermutter.

Man assinülirte die neue Göttin der altrömischen Maja

oder Ops, der Frau Saturn's, beschränkte die Kollekten der Bettelpriester

auf wenige feststehende Tage und gestattete, wenigstens in den edleren Zeiten der Republik, den römischen Bürgern nicht die eigene Ausübung des Gottes­ dienstes.

„Von den eingeborenen Römern", schreibt Dionysios von Hali-

karnaß, „zieht keiner mit durch die Stadt, entweder bettelnd unter Flöten­ klang, mit buntem Gewände bekleidet, oder die Göttiir mit phrygischen Orgien

verehrend, und zwar geschieht dies in Folge eines Gesetzes oder Senatsbe­

schlusses.

So vorsichüg ist der Staat hinsichtlich der fremden Gebräuche,

und scheut jede Verkehrtheit, die sich mit der Wohlanständigkeit nicht verträgt."

Dagegen begünstigte man die Entstehung religiöser Vereine und Brüder­ schaften

(sodalitates), die nach Art der athenischen Thiasoi die gemein­

same Feier gewisser Opfer und Festmahlzeiten in den Tempeln der vom Staat

adopürten Götter zum Zwecke hatten, imb deren Glieder unter sich in einem engen Pietätsverhältnisse standen.

Selbst

der strenge Sittenrichter Kato

erzählt bei Cicero, daß er als Jüngling bald nach der Aufnahme des Kybele-

dienstes sich an den zu Ehren der Göttin gestifteten Verbrüdernngen betheiligt und fröhlich mitgeschnraust und gezecht habe.

Da stets der Stiftungstag des

Heiligthums gefeiert wurde, so gewinnen die Feste Aehnlichkeit mit nufcmi Kirch­

weihen.

Manche Klubs waren aber auch reich au frDinnicn Legaten, die ihnen

öftere Gastereien möglich machten. Aber schon ein paar Dezennien nach Aufnahme desKybeledienstes klagtEnnius über das mönchische Treiben der Priesterschaft: „Diese abergläubischen Pfafsen, dieses freche Prophctenpack, Theils aus Faulheit, theils verrückt, theils gedräirgt von Hungerpein, Wollen Andern Wege weisen, die sich selbst nicht finden arrs, Schenken Schätze dem, bei dem sie selber Pfennige betteln gehn!"

Abgesehen von den Kulten, welche sich gesetzlich in Rom einbürgerten,

gab es nun aber eine Unzahl fremder Religionsübtmgen, die entweder von Einwanderern oder von Fremden, welche sich zeitweilig in der Hauptstadt auf-

hielten, privatim vorgenommen wurden, und es ist keinem Zweifel unterworfen, daß Jeder in der Ausübung seiner Religion vollkommene Freiheit genoß, so lange er den öffentlichen Kulten nicht störend entgegentrat und überhaupt seine

religiösen Gebräuche^in seinem Hause verrichtete.

Anders verhielt es sich wohl

in der besseren Zeit mit den römischen Bürgern.

Die ängstliche Beobachtung

aller religiösen Pflichten gegen die hergebrachten Götter, besonders gegen den

kapitolinischen Jupiter, der eben so hoch über den fremden Göttern stand, als

Rom selbst über den auswärtigen Nationen, ließ jede Neuerung in Religions­ sachen als Afterglailben erscheinen und in der ungescheuten öffentlichen Uebung

eines fremden Gottesdienstes von Seiten: eines Römers ein Vergehen gegen die

geheiligte Sitte der Vorfahren erkennen, das von den Censoren und Aedilen, als Wächtern des vaterländischen Kultus, gerügt wurde.

Daher befiehlt auch

Cicero, der in seinen: Buche über die Gesetze stets auf die konkreten Verhält­ nisse Rücksicht nimint:

„Niemand soll für sich getrennte Götter haben und

man soll auch keine neuen u::d eingewandertei: Götter anbeten, wenn sie nicht

vom Staat anerkannt worden si::d."

Daß dabei besonders scharf gegen die-

jerngcn religiösen Systeme verfahren ward, welche der Reinheit der Sitten und

den: Bestand der Regierung ::achtheilig zu sein schienen, versteht sich von selbst. Die Fälle, wo die Behörden sich gezwungen sahen, einzugreifen, sind in

früherer Zeit gerade nicht sehr häufig.

Schor: in: Jahr 326 v. Chr. führten

Ungunst der Witterung und Seuchen ausländische Religionsgebräuche herbei, und fast scheint es, als ob der dainalige Geheirndienst Aehnlichkeit mit dem fast

gleichzeitig in Athen erwüh::tei: Treiben der Orpheotelestei: gehabt.

Livius berichtet darüber:

Denn „Neue Opfergebräuche wurden unter Prophe-

zeihm:gen in die Häuser gebracht von Leuten, denen die vom Aberglauben

eingenommenen Gemüther Gewinn bringen, bis das öffentliche Aergerniß auch

die Vornehmster: mit Scharn erfüllte, da sie in aller: Stadtvierteln ur:d Kapellen frernde ur:d ungebräuchliche Sühnrnittel ar:wer:der: sahen, um die göttliche Gnade wieder zu gewir:nen.

Es wurde:: hierauf die Aedilen beauftragt, darauf zu

achter:, daß nur römische Götter urrd diese nur auf herkömmliche Weise verehrt

würdeu." Auch einige Jahre, bevor der Kybeledicnst nach Rom versetzt wurde, nahrncn die frernden Gebräuche so zu, daß endlich der Senat einschritt.

Allein

die Aedilen waren nicht im Stande, die Volksincnge zu zerstreuen und die

Opfer zu stören, ::nd es nurßte eir: Prätor ir: außerordentlicher Vollmacht beauftragt werde::, alle Schriften, welche fremde Wahrsagungen, Gebetsformeln

und die Beschreibung des neuen Opferritus enthielten, zu konfisziren.

Man

gewinnt dabei aus den Worten des Geschichtschreibers keinen Anhaltepunkt, um diese Weise der Gottesverehrung klassifizieren zu können.

Anders gestaltet sich dies bei seiner Erzählung von der Unterdrückung der im Jahre 186 entdeckten Bacchanalienverschwörung, in der man unschwer

das Wesen der Orphisch-Sabazischen Winkelreligion wieder herausfindet.

Etrurien zuerst hatte ein griechischer Orpheoteleft, unbekannter,

nach Livius:

Nach

„ein

griechischer Opferpriester und Wahrsager", den Geheimdienst

gebracht, „und zwar nicht ein solcher, der, ohne ein Geheimniß von seinem

Gewerbe und seiner Lehre zu mache::, die Gemüther mit Irrthum erfüllt,

sondern ein Vorsteher verborgener und nächtlicher Weihen".

In Rom wurde

294

Toleranz, Seftircrci und Proselytenmacherei.

der an der Tibermündung gelegene Hain der Stimula von den Eingeweihten

anfangs zum Versanunlungsort gewühlt. Danials lvurde die Eiulveihung nach zehntägiger Enthaltsamkeit und nach vorhergehenden Waschungen im Jahre dreimal, am Tage, und zwar nur mit Frauen vorgenommeu, mit) unbescholtene

Matronen

bekleideten abwechselnd

das

Priesterthum.

Seitdem

aber eine

Kampanerin als Priesterin auf göttliche Inspiration auch Aiänner zu den

Mysterien zugelassen, die Zeit der Weihe in die Nacht verlegt, und dieselbe

fünfmal in jedem Monat angeordnet hatte, wurden die Orgien Vorwand für die schändlichsten Ausschweifungen;

ja, die Weigerung, an denselben theil­

zunehmen, kostete den Novizen gewöhnlich das Leben: eine Maschine entraffte

sie in verborgene Tiefen.

Allmählich und seuchenartig verbreitete sich diese

Sektirerei in Rom über alle Stände.

„Daß Bacchanalien schon längst in

Rom an

ganz Italien und jetzt auch in

vielen Orten gehalten werden,"

sprach der Konsul Postumius im Senat, „das habt Ihr sicherlich nicht durch

Hörensagen erfahren, sondern aus dem nächtlichen Lärm und Stimmengetöse, das die ganze Stadt durchschallt."

Besonders am Ufer der Tiber tobten die

Männer in verzückten Tänzen, die Weiber im Aufzug von Bacchantinnen. Endlich wurde Niemand mehr eingeweiht, der das zwanzigste Jahr über­ schritten hatte, und die Verbrüderung erstreckte sich über die unter der Maske

der Heiligkeit verübten unsittlichen Orgien hinaus und gefährdete sogar den gesammten Sitten- und Rechtszustand, indem'die Mysten nebenbei zu Betrug

jeder Art, Urkundenfälschung, falschem Zeugniß, selbst zu Mordthaten konspirirten. Die römische Regierung griff das Uebel, als es zur Anzeige gekommen

war, mit großer Energie und Strenge an.

Ueber 7000 Männer und Frauen

sollen bei der Untersuchung betheiligt gewesen sein, und ganz Italien gerieth in Furcht und Schrecken.

Die Mehrzahl derjenigen, welche thätigen Antheil an

dem Unfug genommen hatten, wurde'hingerichtet; die bloß zur Mitwissenschaft Eingeweihten blieben

im

Gefängniß.

Alle

dem Bacchus

geweihten Ver­

sammlungshäuser wurden niedergerissen, außer wo ein alter Altar oder ein heiliges Bild sich vorfand.

Wenn aber Jemand zu einer solchen Feier sich

durch sein Gewissen verpflichtet erachtete, mußte er besondere Erlaubniß vom Senate einholen, und dann durften nicht mehr als fünf Theilnehmer, und zwar

ohne Priester, beisammen sein.

Gänzlich auszurotten war nun freilich diese

fanatische Sekte nicht, besonders, nachdem sich der Boden so günstig für die

Richtung derselben gezeigt hatte.

Besonders in Etrurien finden sich noch viel

später Spuren ihres Vorhandenseins, und daß auch von Griechenland her

wieder Versuche gemacht wurden, die Dionysischen Orgien, die dort nach wie vor bis in die spätere Kaiserzeit abgehalten wurden, in Rom einzuführen, geht

daraus hervor, daß kaum 50 Jahre nach dem großen Bacchanalienprozesse der

Prätor Kornelius Hispalus neben den chaldüischen Astrologen Fremde,

welche, wie Valerius Maximus sagt, „durch Ausrichtung des Sabaziusdienstes die römischen Sitten zu vergiften wagten", in ihre Heimat zilrückzukehren zwang. Allein seit den Bürgerkriegen wurde der Widerstand, den man bis dahin

dem Andringen der fremden Religionen noch geleistet hatte, geringer und es

gelang bereits den Aposteln mancher derselben, durch Hartnäckigkeit sich öffent­

lich Duldung zu erringen.

Aus dem schnellen Verfalle der Staatsreligioir

erklärt sich dies leicht. Das spezifisch römische Element der Religioit war längst

durch das Umsichgreifen des griechischen Ritus zurückgedrängt worden und in halbe Vergessenheit

gerathen.

Begünstigt

durch die aus Kleinasien über­

kommenen sibyllinischen Bücher, durch den regen Verkehr mit den griechischen

Städten Unteritaliens, hatten die durch ihre schöne Form und ihren reicher: mythologischen Inhalt bestechenden religiösen Vorstellungen der Griechen nach und nach Platz gewonnen, und nuui nimmt an, daß bis zum zweiten punischen Kriege bereits das ganze griechische Göttersystem in Rom eingebürgert war.

Was war aber das damalige religiöse Leben in Griechenland mehr, als ein

Schattenbild der früheren Blüthezeit? War nicht damals schon lange die ideale Götterrvelt,

welche

die

Begeisterung

und Frömmigkeit

der

Poeten

mfo

Künstler geschaffen hatte, ihres Nimbus entkleidet? So blieben denir auch die griechischen Kulte den Römern äußerlich, mehr berechnet als gefühlt.

Aber

auch das Philosophiren über religiöse Dinge lernten die Römer erst von den Griechen unb zum Nachtheile für ihre Religiosität.

Denn sie beschäftigten sich

zuerst mit den Werken der griechischen Zeitgenossen, deren Religionsphilosophie sich meist auf eine geistlose, prosaische Behandlung der Mythologie beschränkte. Vorzüglich war es, neben der jeden direkten göttlichen Einfluß auf das Schick­

sal der Menschen leugnenden epikuräischen und der halbpantheistischen stoischen Lehre, der Skeptizismus der neueren Akademie und der platte, die Götter ver­

menschlichende Rationalismus desEuhemeros, welche Boden bei den gebildeten Römern gewannen. Die Vorsichtigeren unter ihnen, wie der Pontifex Muc. Scävola und der gelehrte Varro, suchten zwar zwischen Wissen und Glauben zll vermitteln und die Bolksreligion als ein Postulat der praktischell Verrmnft ■ui retten, indem sie zwischen der Theologie der Dichter, Philosophen und

Idioten Unterschiede machten, und den Grundsatz aufstellten, daß das Volk

nicht Alles zu wissen brauche;

diese künstlichen Dämme hielten aber nicht

Stand, und die unteren Schichten der Bevölkerung, denen alles eigene Urtheil

abging, nahmen, wie zu allen Zeiten, begierig die von rückhaltloseren Autoren

ausgeplauderten negativen Resultate der Aufklärung an.

Zu letzteren gehört

der von Epikur eingenommene Dichter Ennius, von dem Cicero sagt:

„Unter großem Beifall des zustimmenden Volkes spricht Ennius: Ich habe

296

Toleranz, Seftircrci und proselyten^nacherei.

es immer gesagt und werde es sagen, daß es ein Geschlecht hiinnilischer Götter

gebe; aber ich glaube nicht, daß es sie kümmert, was die Menschheit treibt." So spottete auch der Satiriker Lueilius, ein Freuild des jüngeren Seipio, über die Götter und über die, welche sich vor ihren Statuen gläubig nieder­ Konnte es doch Lukretius, ein Zeitgenosse Cieero's, wagen, sein

warfen.

Gedicht über die Natur der Dinge in der Absicht zu cdiren, die Welt von allen religiösen Bedenken und von der Furcht vor den Göttern zu befreien, in welcher

er

die

Ursache aller Uebel erblickte!

Wahrend so die Verschmelzung der

römischen und griechischen Religion den: religiösen Bedürfnisse nichts nützte, verschwand auch bald aus dem Konglomerate alles orginell Römische.

Die

oberen Priesterkollegien verweltlichten und sanken in die Kategorie bloßer

Magistrate herab, indem das Volk ihre Besetzung an sich riß; die priesterliche Tradition erlosch; die Lehre von der Vogelschau war zu Cieero's Zeit den Augurn bereits selbst unbekannt und hatte der Eingeweideschaukunst weichen

müssen, in Betreff deren aber schon Kato wieder die bekannte Aeußerung that:

er wundere sich, daß nicht ein Eingeweideschauer lache, wenn er den anderen erblicke! Viele Priesterthümer blieben unbesetzt, die Tempel standen ungereinigt

und verfielen.

Das Heiligthum der einst hochverehrten Juno Sospita

z. B. wurde im Jahre 90 v. Chr. als Latrine benutzt und unter dem Standbilde der Göttin hielt eine Hündin ihr Wochenbettt! Daß bei solcher Vernach­ lässigung des Heiligen auch räuberische Hand an das Inventar lind an den Grundbesitz gelegt wurde, läßt sich leicht deilken und wird durch viele Zeugnisse

bestätigt.

Dagegen fand man an dem laseiven

Mythologie großen Gefallen.

Beiwerke

der griechischen

Von der Malerei nebst den plastischen Künsten

verlangte man nur Sirmenkitzel und Beschäftiguilg der Phantasie durch üppige Stellungen und Gruppirnngen, und die Künstler wühlten, dem gesunkenen

Geschmacke gemäß, gern die skandalösen Extravaganzen der griechischen Götter zum Vorwurf.

Mit Recht konnte daher Properz singen: „Einstmals schmückte man nicht die Genrächer mit üppigen Gruppen, Damals ward Unzucht nicht an die Wände gemalt. Dafür haben mit Recht jetzt Spinnen die Tempel verschleiert, Wuchert entstellendes Gras um den verlassenen Gott."

Arn verderblichsten aber wirkte und nm tiefsten erniedrigte sich die Schauspiel­

kunst, indem sie die unsittlichsten Mythen in grob sinnlicher und schamloser

Manier mimisch darstellte.

Selbst Augustus, obgleich er Manches zur Auf­

rechthaltung der alten religiösen Gebräuche that, Parodirte bei seinen Gelagen die Abenteuer des Olymps mit seinen Buhlerinnen.

Was sind solcher Rohheit

gegenüber die gerügten, übennüthigen und doch poetisch genialen Keckheiten des

ungezogenen Lieblings der Grazien?

Wentl man auch für Athen

getrost

annehmcn darf, daß die 23ernünftigcii des Volkes nicht daran dachten, daß der komische Dichter sich die Gotter Dem seinen Zuschauern so vorgestellt wissen

wollte, wie er sie auf die Bühne brachte, so kann man für Rom diesen Trost nicht beibehalten und muß Ovid beistimmen,

der in seinen Tristien den

schlimmen Einfluß schildert, den die mythologischen Reminiscenzen auf die

Sittlichkeit der Besucher von Tempeln jeder Gottheit zu üben vermochten.

Wahreild nun von den Bürgerkriegen an die Toleranz des Volkes bis zier Indolenz herabsairk, fand fast jede Gestaltung des religiösen Kultus, wie fremd­

artig sie auch sein niochte, ihre Anhänger unter der ungeheuern Volksmasse der Harlptstadt.

Vorzüglich aber wandte sich der große Haufe den orientalischen

Diensten zu, welche durch feierlicherr Pomp, durch Wundersagen und Ver­

heißungen ben glaubensleeren Gemüthern imponirten und

durch ascetische

Uebungen und Sühnungen den zügellosen und blasirten Sünden: Heiligung und einstige Seligkeit zu bringen versprachen.

Auch die Machthaber suchten

sich in: Ganzen gut zu den fremde:: Göttern zu stellen und richteten ihre Ver­

bote nur gegen die Geheimkulte, aus denen Gefahr für die Regierung erwachsen konnte.

Zu den beliebtesten Religionen gehörte vor allen der Dienst der

ägyptischen Allnmtter Isis und

der n:it ihr zusanunenhängenden Götter

Serapis, Osiris, Anubis und Harpokrates.

Die vielfachen Verbote

dieses Kultus zeugen von den: Anklange, den derselbe bei der Menge fand. Bereits nach dem zweite:: punischcn Kriege beschloß der Senat, die Kapelle der

Isis niederreißen zu lassen, und da kein Handwerker Hand an dieselbe zu legen wagte, so warf der Konsul Aemilius Paulus seine Toga ab, ergriff eine Axt und that den ersten Hieb gegen die Thüre.

Im Jahre 58 v. Chr.

wurde Isis vom Kapitol verwiesen und ihre Altäre wurden umgestürzt, und fünf Jahre später verbot man sogar ihren Privatkultus — eine Verletzung der sonstigen Toleranz, die sich nur aus dem gegründeten Argwohn erklärt, den

man in politischer Hinsicht gegen die ägyptischen Brüderschaften hegte.

Allein

die Verwirrung des darauf folgenden Bürgerkrieges zwischen Cäsar und

Pompejus muß von den Jsisdienern trefflich benutzt worden sein.

Denn

schon 47 v. Chr. stand wieder ein Tempel auf dem Kapitol, den man abriß,

nachden: sich

ein Bienenschwarm

Herkules gehängt hatte.

an

die daneben stehende Bildsäule des

Endlich erlaubten die Triumvirn im Interesse der

eigenen Popularität die Erbauung eines Tempels in der dritten Region, und

räumten so dem Kultus öffentliche Geltung ein, was sogleich dem Aedilen Volusius zu Gute kam, der, in demselben Jahre geächtet, sich als bettelnder

Jsispriester unter der Maske des schakalköpfigen Anubis in das republikanische

Lager rettete.

So begannen nun ohne Hehl die mit Prüfungen und Schreck­

nissen aller Art verbundenen Weihen, die von der klingelnden Jsisklapper unter­

brochenen Litaneien und Gebete, die Kniebeugungen vor dem das geweihte

,

298

Toleranz, Sektirerei und Proselytenmacherei.

Nilwasser umschließenden Allerheiligsten, die Segensformeln, die Prozessionen

und Fasten. Wie in Griechenland nahmen auch hier die Frauen cm den orientalischen

Kulten den eifrigsten Antheil und waren von einer wahren Leidenschaft besessen, Entsündigung und Trost für ein verkehrtes Leben in diesen Religionsübungen zu finden.

Es gehörte zum guten Tone, daß eine Dame wenigstens zweimal

im Monat mit allem Anstand einer schönen Büßerin, in leinenem Gewand und

mit aufgelöstem Haar, zum Jseum wallfahrte: „Wenn es die Isis befiehlt," heißt es bei Juvenal, „wird sie bis nach Aegypten reisen und das von Meroe

geholte laue Wasser nach Rom tragen, um es im Tempel der Göttin auszu­ sprengen; denn sie hält sich dazu veranlaßt durch die Stimme der Isis selbst. Ja, dies ist eine Seele, ein Herz, mit dem des Nachts die Götter sprechen!

Daher verdient derjenige vorzügliche, ja die höchste Ehre, der, von seinem in Leinwand gekleideten, kahl geschorenen Haufen begleitet, einherlüuft, als Anubis das trauernde Volk verlachend.

Er betet zur Göttin um Vergebung, wenn die

Frau an heiligen Fasttagen sich des Liebesgenusses nicht enthält, und große

Strafe ist dafür verfallen.

Auch schien die silberne Schlange mit dem Kopfe

zu nicken: seine Thränen, seine eingelernten Gebete bürgen dafiir, daß Osiris Verzeihung der Schuld gewährt, bestochen natürlich durch eine fette Gans und

einen dünnen Opferfladen."

Die Keuschheitsgelöbnisse, die Nachtwachen im

Tempel, schon der von den beiden Geschlechtern besuchte Vespergottesdienst

leisteten dabei der Unsittlichkeit und Verführung großen Vorschilb; die Tempel­ dienerschaft war allgemein im Verdacht der Kuppelei und so entstand aus diesem

Kultus vielfaches Aergerniß.

Darum giebt Ovid den Liebhabern den Rath,

den Tempel der Isis (welche die Römer mit Jo indentifizirten) fleißig zu be­ suchen: „Viele macht jene dazu, was sie dem Jupiter war."

Auch Juvenal

nennt als die bekanntesten Orte zu Rendezvous die öffentlichen Gärten und die Jsisheiligthümer. Vor allem aber zeigt ein unter Tiberius vorgekommener Skandal, wie weit auf der einen Seite der Aberglaube, auf der anderen die schamlose Gelegenheitsmacherei ging.

Ein Ritter verführte nämlich eine edle

Frau, die er lange vergeblich mit seinen Anträgen verfolgt hatte, im Tempel der Isis unter der Maske des Gottes Anubis, dessen Erscheinung die durch 5000 Denare bestochenen Priester der Betrogenen vorherverkündigt hatten.

Der Kaiser ließ wol die Priester kreuzigen, den Tempel zerstören und das Bild der Isis in die Tiber werfen; aber schon unter seinen nächsten Nach­ folgern entstand wieder auf dem Marsfeld eiu ansehnlicher Tempelbezirk mit prächtigen Gebäuden.

Jsisdienstes.

Die späteren Kaiser wetteiferten in Begünstigung des

Die Familie der Flavier schrieb der Nilgöttin mehrere ihr zu

Gute gekommene Wunderzeichen zu; ja Kommodus wurde selbst Jsispriester,

nahm die Tonsur, trug die Anubismaske, schlug mit der Schakalschnauze wäh-

renb der Prozession die Priester auf die Köpfe und machte alle Stationen des Zuges mit. Bei der altgemeiuenen freien Konkurreliz, die in der Kaiserzeit zwischen den fremdelt Religionen stattfand, erhielten auch die früher mit Beschränkung eingeführten oder nur geduldetelr Killte eine freiere Entwickelung. So betheiligten sich nun auch am Dienste der Kybele die vorirehmsten Männer und Frauen, und traten mit beit Priestern in engere Verbnldung. Es kam ein neues mehrtägiges Fest auf, das sich auf die Feier des Frühlingsäquilroktiums bezog, wobei sich die ganze Wildheit des asiatischen Kultus in unmäßiger Trauer, aus­ gelassener Freude und feierlichem Ponlp entfaltete. Daß die Bettelpriester und Flagellallteii der Kybele auch in Italien später ihr Wesen trieben, sieht man aus dem Befehl des Kaisers Kommodus, daß sich dieselben ernstlich peitschen und ins Fleisch schneiden sollten. Auch hier unterhielten sie einen Schacher mit elltsündigenden Traktätchen, und daß sie ebenfalls bei dem weiblichen Geschlechte Gehör fanden, beweist Juvenal an der schon erwähnten Stelle, wenn er sagt: „Siehe, herein tritt der Chor der wüthenden Bellona, der Mutter der Götter, und ein riesiger Kastrat, dem die widerlich kreischende Schaar, die niedrigen Pau­ kenschläger, den Vorrang lassen uid) dessen Schläfe mit phrygischem Turban gekleidet sind. Gewaltig erhebt er die Stinime und warnt vor den: Septcnlber und dem Eintritt des Südwindes, wenn sie sich nicht durch hundert Eier loskaufe und ihm ein dilnkelfarbiges Kleid schenke. Sowie dann eine plötz­ liche und große Gefahr drohe, werde dieselbe in das Gewand fahren und auf einmal das ganze Jahr entsühnen." Auf das Fortleben des Sabaziusdienstes deuteten mehrere Jrrschriften hin. Auch Adonis hatte feine Verehrer in der Hauptstadt und Ovid weist auch auf das Adonisfest als eine passende Gelegen­ heit zu Liebesintriguen hin. Uebrigens wurde es noch dem Kaiser Julian ebenso als böses Omen gedeutet, daß er am Trauertage des Adouisfestes seinen Einzug in Antiochia hielt, wie beinahe 800 Jahre früher der athenischen Ex­ pedition nach Sieilien, daß sie währeild der Wehklage um den Gott auslief. Bekairntlich fand auch der jüdische Monotheismus viele Proselyten in Rom. Bei der großen Ausbreitung, den die Auswanderung der Juden schon vor der Zerstörung Jerusalems genommen hatte, wundert man sich nicht über ihre große Anzahl in Rom. Sagt doch schon Cicero von ihnen: „Du weißt, wie groß ihre Menge, wie groß ihre Einigkeit ist, wie viel sie bei Volksver­ sammlungen vermögen. So will ich denn leise sprechen, damit mich nur die Richter hören; denn es fehlt nicht an Leuten, die jene gegen mich und die red­ lichsten Männer auf Hetzen könnten." Cäsar begünstigte die Juden, die ihm dafür so zugethan waren, daß sie mehrere Nächte an seinem Grabe wehklagten. Auch Augustus war ihnen nicht abgeneigt, duldete ihre Bethäuser, und er­ laubte, daß denjenigen von ihnen, welche Getreidestipendiaten waren, wenn der

300

Toleranz, Scftirerci und Proselytenmacherei.

Tag der Austheilung auf einen Sabbat fiel, ihre Ration von den Beamten erst

Bald wuchs auch die Zahl der Römer,

am folgenden Tage verabreicht würde.

die sich dem Mosaismns zuneigten, und nicht wenig trug hierzu bei ihre uner­

schütterliche Ueberzeugung Don der Wahrheit ihres Glaubens, ihr Fleiß und

ihre Eintracht.

Schon Seneka sagt: „Die Gewohnheit dieses verruchten

Volkes hat so sehr überhand genommen, daß sie bereits in allen Ländern Auf­

nahme gefunden hat; die Besiegten haben den Siegern Gesetze gegeben;" auch tadelt er die Sitte, am Sabbat Licht anzubrennen, da die Götter des Lichts nicht bedürften.

Juden al schildert die Konvertiten genauer, indem er schreibt:

„Einige, denen der Zufall Väter gegeben hat, welche den Sabbat halten, ver­

ehren nichts als die Wolken und die Gottheit des Himmels; auch glauben sie, daß das Schweinefleisch vom menschlichen sich nicht unterscheide, und bald

nehmen sie auch die Beschneidung an.

Gewohnt, die römischen Gesetze zu miß­

achten, lernen und halten mit) fürchten sie das jüdische Gebot, das in einem ge­ heimen Buche Moses überliefert hat."

Der besondere Eifer, den die Juden,

namentlich die Pharisäer (Ev. Matth. 23, 15), im Proselytenmachen bewiesen, war für die Römer ein Gegenstand vielfachen Spottes.

Horaz läßt einen

Freund, der ihn von der Gesellschaft eines lästigen Schwätzers befreien sollte, die Entschuldigung brauchen: „Heute ist der dreißigste Sabbat (das Versöh­

nungsfest)!" und spricht anderswo scherzhaft im Namen der Versemacher­ korporation: „Wir sind unserer viele und werden Dich, wie die Juden, zwingen, in unsere Schaar überzutreten."

Sicher waren auch hier der Proselytinnen

mehr als der Proselyten.

Wie die schon genannten Feste, bezeichnet Ovid auch den Sabbat als gute Gelegenheit, eine Liaison anzukmipfen.

Zu der abergläubischen Frau, die

Juvenal schildert, kommt nach dem Jsispriester auch eine schüchtern bettelnde Jüdin, die ihr heilsame Vorschriften ins Ohr raunt und mit einiger Scheide­

münze belohnt wird.

Alle Bekenner des Judenthums zahlten seit Titus eine

Kopfsteuer von zwei Drachmen an den Fiskus.

Vorher hatten sie aber eine

Tempelsteuer nach Jerusalem entrichtet, was zur Zeit des Tiberius eine Katastrophe für die Juden herbeiführtc.

Wie Josephus berichtet, hatten

jüdische Rabbiner eine vornehme Dame, Fulvia, beredet, eine ansehnliche

Tempelsteuer nach Jerusalem zu senden, aber die ganze Summe für sich be­ halten. Darauf erfolgte im Jahre 19 die Verbannung aller Juden und Juden­

genossen, die innerhalb eines Termins die jüdischen Gebräuche nicht ablegten; 4000 waffenfähige Männer aber wurden nach Sardinien geschickt, um die dort

hausenden Räuberbanden zu bekämpfen.

Auch der junge Seneka, der damals

gerade aus Grundsatz sich der Fleischspeisen enthalten hatte, kehrte auf Bitten

seines Vaters zu denselben zurück, um nicht in Verdacht zu gerathen.

Daß der

Kaiser Klaudius die Juden aus Rom verbannt habe, wie Sueton erzählt,

Toleranz, Seftirerei und Proselytenmacherei.

301

ist wol darauf zu beschranken, daß er im Jahre 42 ein Edikt erließ, daß die

Juden in seinem ganzen Reiche ihre väterlicheri Gebräuche unbehindert aus­

üben, aber sich nicht einfallen lassen sollten, die Religionen anderer Volker zu verachten, sie sollten sich vielmehr mit der Beobachtung ihrer eigenen Gesetze

begnügen. In demselben Sinne, d. h. um die Proselytenmacherei zu beschränken, verbot Hadrian die Beschneidung von Nichtjudcn. Die Götter des Orients verdrängter: endlich das griechische Göttersysten:

eben so gründlich, wie dieses der: altrömischen Kultus vernichtet hatte.

Der

Versuch Hadrian's und der Antonine, besonders in Griechenland eine künst­

liche Orthodoxie ins Leber: zu rufen, wäre auch ohne die sarkastische Polemik des geistreicher: Lukiar: vergeblich gervesen.

Die erste Stelle aber ur:ter den

asiatischer: Götter:: nahm am Ende der Heider:zeit der persische Sonnengott

Mithras ein, der von seinen Ner:bekehrten ein fünfzigtägiges Fasten, zwei Tage Geißelung und achtundzwanzig Tage Büßungen anderer Art verlangte. Die Sehi:sucht nach Reinigung und Entsündigung führte endlich auch zu dem

rnit den: Kybeledienste in Verbindur:g stehender: Ritus der Bluttaufe, wobei der zu Reirngende in einer Grube das Blut eir:es über derselben auf einen:

durchlöcherten Gerüste geschlachteter: Stiers auf seinen Leib herabtröpfeln ließ. Die r:euer: Gottheiten urllerschieder: sich besonders ar:ch dadurch vor: den älteren,

daß sie alle monotheistische Verehrur:g forderte::.

Eine jede war aber auch be-

urüht, sich :::it möglichst vielen anderen göttlichen Wesen zu identifizireu, und dieser großartige Synkretismus arbeitete einerseits den: wahren christlichen

Monotheismus ::: die Hände, erzeugte aber dennoch andererseits eine allgemeine

gegenseitige Toleranz.

Einen Beleg dazu giebt folgende:nerkwürdige Stelle

aus einem Briefe des deu heiduischeu Kultus vertheidigender: Synur:achus an Theodosius: „Es ist billig, daß das, was Alle verehren, für ein Einziges gehalten werde. Wir schauen dieselben Sterne; gemeinschaftlich ist der Himmel;

dieselbe Welt urnhüllt uns.

Was ist für ein Unterschied, mit welcher Einsicht

Jeder die Wahrheit erforscht? Auf einem einziger: Wege kann rnan nicht zu einem so großer: Geheimnisse gelangen!"

Bei der lür:dlichen Bevölkerung aber

leistete der alte Götterglaube auch dem Christerllhurr: außerordentlich zähen

Widerstar:d, und nachdem im Abendlande anderthalb Jahrhw:derte lang die

Geistlichen und Mönche mit Feuer und Schwert gegen die Heiden Krieg geführt und die Kultstätten in Schutt und Asche verwandelt hatten, ordnete der Kaiser

Justinian im Jahre 528 eine allgemeine Verfolgung der sogenarmten Hellenen an und setzte auf die Götzerwpfer die Todesstrafe.

XXI.

Gespenstersxuk und Geisterzwang. ^^^bgleich die Verschiedenheit des Polytheismus und des Christenthums «1 gerade in den Vorstellungen über das Leben im Jenseits scharf an den

OBI

b Tag tritt, so stimmt doch das Bild, welches sich der heutige Volks­ glaube von dem Wesen und Aussehen eines seiner Körperhülle entledigten Geistes macht, beinahe in allen seinen Einzelheiten mit demjenigen überein, welches den alten Griechen und Römern vorschwebte; ja, es ließe sich unschwer der Beweis führen, daß unser Gespensterglaube seinen Hauptbestandtheilen nach geradezu ein Erbstück aus dem klassischen Heidenthum sei, besonders aus dessen sinkender Periode, wo so viele Elemente des riesig wuchernden Aberglaubens sich in die christliche Kirche einschlichen, deren Dogmen das direkte Eingreifen

der Geister und Dämonen in die Sinnenwelt ja selbst nicht in Abrede stellten.

Auf der anderen Seite könnte man freilich auch mit einigem Rechte meinen,

daß sich der Geist, wenn er von seiner Unsichtbarkeit absehen und mit der Ab­

sicht, erkannt zu werden, in den Bereich der menschlichen Sinne kommen will, überhaupt gar nicht anders manifestiren könne, als wie ihn jetzt die Spiegel

ohne Folie auf die Bühne zaubern: als Reflex des wirklichen Körpers, mit bloßer Scheinrealität begabt, „ein Mittelding zwischen Nichts und Etwas."

Diese Vorstellung findet sich schon bei Homer und hat sich in der späteren historischen Zeit fast um nichts geändert.

Nur beschränkte sich bei den Hellenen

und dann auch bei den Römern dieser Glaube nicht bloß auf das Sichtbar­

werden, die Erscheinung der körperlosen Seele, sondern erstreckte sich auch auf die Fortexistenz derselben nach dem diesseitigen Leben überhaupt.

Der Hellene

war eben noch nicht bis zum Bruche zwischen Geist und Natur vorgeschritten. Sein einziges Streben ging dahin, Mensch zu sein, sich^ wohl zn fühlen auf Erden und die schöne, harmonische Menschlichkeit in gleichmäßiger Ausbildung

des Geistes und Körpers zu entfalten. Was über das irdische Leben hirrauslag,

war ihm also nichts Erfreuliches;

er konnte bei dem Tausche nur verliereir.

Darum stehen die Todten viel tiefer als die Lebenden und man begreift, mit

welchem Rechte Homer den gestorbenen Achilleus in der Unterwelt zu Odysseus sagen läßt: „Preise mir nicht den Tod an! Lieber möchte ich Acker­

knecht bei einem unbegüterten Manne sein, deni kein reichlicher Lebensunterhalt

ist, als über alle entschwundenen Todten herrschen!" War nämlich die Psyche

aus dem Munde oder in der Schlacht aus der empfangenen Wunde entflohen, so enteilte sie nach dein Hades, um dort, so lange der Körper unbegraben blieb, ruhelos und einsam vor der Pforte herumzuirren oder rrach erfolgter Bestattung

sich zu den Abgeschiedenen zu gesellen und nun auf der dunkeln, einförmigen Asphodeloswiese auf und ab zu schweben, oder in düsteren Weiden- und Silber­

pappelhainen die Ewigkeit zu verträumen.

Der Dichter nennt die Seelen der Todten „Schatten", „unstäte Wesen",

„Bilder".

Die Muskelstärke und Spannkraft ist ihren Gliedern entschwunden;

„denn nicht mehr halten die Sehlien das Fleisch und die Knochen zusammeic";

sie sind luftig und konsistenzlos.

„Dreincal", erzählt Odysseus, „gedachte ich

die Seele meiner verstorbenen Mutter zu fassen; dreimal eilte ich auf sie zu; dreimal eittflog sie mir aus den Händen, einem Schatten ähnlich und einer Traumgestalt."

Auch dem Achilleus gelingt es nicht, die Erscheinung seines

geliebten Patroklos mit Händen zu greifen; sie versinkt.

Bewegung der Seelen ein Geräusch.

Dennoch erregt die

Denn nicht nur beim Verschwinden des

Patroklos erwähnt Homer desselben, sonderp, auch, als Hermes, der Geleiter

der Todten riach ihreni letzten Bestimmungsorte, die Seeleir der getödteten Freier aus dunkeln Wegen mit seinem goldenen Stabe hinter sich herzieht, da zirpen

und schwirren sie ihm nach, wie Nachtvögel, die, von der Felsendecke einer Höhle herabfallend, hin und her flattern, mit) das massenhafte Herandrängen der Schatten am Eingänge des Hades zu Odysseus verursacht „ein entsetzliches Getöse". Trotz ihrer Unfaßbarkeit besitzen sie ferner eine Scheu vor den Werk­ zeugen der Gewalt, lassen sich von Odysseus durch das gezückte Schwert vom Opierblut abhalten und verscheuchen, und haben Furcht vor dem Wache haltenden

Hund Kerberos.

Auch behalten sie ihre irdische Gestalt und ihre früheren

Gesichtszüge; denn Odysseus erkennt sofort alle seine Freunde und Bekannten wieder.

Dagegen sind sie ihrem geistigen Zustande nach ohne klare Besinnung,

gedankenlos, nur mit einer dunkeln Erinnerung ihres früheren Zustandes ver­

sehen.

Am deutlichsten kennzeichnet Homer dieses Verhältniß, indem er der

Zauberin Kirke, die dem Odysseus räth, den Seher Teiresias im Hades zu fragen, die Worte in den Mund legt: „Seine Geisteskraft ist ungeschwächt;

ihm hat auch im Tode das Erkenntnißvermögen verliehen Persephone. Anderen flattern als Schatten umher."

Die

304

Gespensterspuk und Geisterzwang. Naiver Weise glaubte man nun, daß den Seelen die volle Besinnung nebst

der Sprache wiederkehrte, werrn der fehlende körperliche Bestandtheil ihres

Wesens ihnen beigebracht werden könnte, uni) darum wurde das Blilt geschlach­ teter Opferthiere schon im heroischen Zeitalter als der untrüglichste Köder an­

gesehen, um die Schatten an die Oberwelt zu lockeu.

Odysseus verrichtete

übrigens seine bekannte Todtenbeschwörnng an dem im finstersten Westen der Erd­

scheibe jenseits des Weltstromes Okeanos im dunkeln Lande der Kimmerier

gelegenen Eingang zur Unterwelt, und schon daraus, daß er eine so weite Reise machen mußte, sieht man, daß in der Homerischen Welt die Geister noch nicht an jedem beliebigen Orte sich einer Zitation zu gehorchen bequemten.

Auch von

freiwilliger Wiederkehr der gespenstigen Schatten ist iwch keine Rede, und nur des Patroklos Geist erscheint dem Myrmidoueufürsten im Traume.

Aber

nachdem er den Freund um Beschleuuiguug seines Begräbnisses gebeten, setzt er das Versprechen hinzu:

„Ich werde später nicht wieder aus dem Hades

zurückkehren, wenn Ihr mich des Feuers theilhaftig habt werden lassen."

Die Homerischen Vorstellungen vom Geisterreich erweiterten sich später allmählich durch die Darstellungen der Dichter und Künstler und durch die Reflexionen der Philosophen und wurden gestaltenreicher, so wie auch die

Psyche selbst nach und nach dem Körper gegenüber zu höherer Geltung gelangte

rmd die Idee des Todtengerichts mit den darauf folgenden Strafen und Beloh­

nungen mehr in den Vordergrund trat.

Je phantastischer aber das Bild des

Todtenreiches in der Einbildungskraft des Volkes haften blieb, desto mehr Aber­ glaube drängte sich auch ein in die Vorstellung von dem Verhältniß der Ge­ storbenen zur Oberwelt und zu den Lebenden. Zunächst zeigt sich dies in der Leichtigkeit, mit welcher die Geister durch die Pforte der Unterwelt schreiten,

die ihnen früher so fest verschlossen gewesen war. Diesen Zusammenhang der beiden Welten dachte man sich besonders zu gewissen Zeiten recht stark. In

Athen glaubte man, daß im Frühling, wenn die Vegetation sich wieder zu regen begänne, auch die Geister der Vorstorbeuen sich uäher aus Licht drängten,

und feierte deshalb am Dionysosfest der Anthesterien eine Art Allerseelenfest,

wo ihnen in Töpfen allerhand gekochte Früchte als Opfer dargebracht wurden. In Rom beobachtete man am 9., 11. und 13. Mai die Zeremonie der Lemu-

ralien, um den Gespensterspuk fern zu halteu. Der Hausvater erhob sich danu

um Mitternacht und ging barfuß ins Freie, mit den Fingerir Schnippchen schlagend, um die Schatten zu verscheucheu.

Wenn er sich hieraus in reinem

Quellwasser die Hände gewaschen hatte, nahm er schwarze Bohnen in den

Mund, warf sie hinter sich imb sprach, ohne sich umzusehen: „Dieses sende ich

Euch; mit diesen Bohnen kaufe ich mich uud die Meirngeu los!" Nach neun­ maliger Wiederholung dieser Worte, während welcher, wie man aulrahm, die

Geister hinter ihm die Bohnen auflasen, wusch er sich abermals, schlug eherne

Becken zusammen und rief wieder neunmal: „Hinaus, Ihr Geister der Ahnen!" Dann endlich durfte er sich umschaueir; deun nun war der Bann fest und dauer­ haft.

Aehnlich waren die Gebräuche an dem in: Februar gefeierten Todtenfest;

denn auch von dieser Zeit sagt Ovid in den Fasten: „Jetzt schweifen herum

die luftigen Seelen und die Begrabenen.

Jetzt wird der Schatten bewirthet mit

Vorgesetzter Speise." Hatte an solcheir Terminen die Geisterwelt Maskenfreiheit auf Erden, so

bedurfte es außerdem besonderer Gründe, um sie zu veranlassen, einzelne Besuche

abzustatten oder gewisse Orte unsicher zu machen. Man nahm bereits allgemein an, daß nicht nur die eines ehrlichen Begräbnisses Beraubten, sondern auch die

Mörder, Selbstmörder und unschuldig Getödteteu „umgingen".

So erschien

nach Ovid der im Bruderzwiste erschlagene Remus seinen Verwandten und verlangte eine besondere Feier seines Todestages als Sühne.

In Temesa,

einer Stadt in Kalabrien, spukte der Geist des Politos, eines Gefährten von Odysseus, den die Einwohner wegen eiires an einer Jungfrau verübten Frevels gesteinigt hatten.

Derselbe erzwang sich durch seine Bösartigkeit einen

förmlichen Kultus, bis endlich der berühmte Faustkämpfer Euthymos aus

Lokri über ihn kam, furchtlos seinen Tempel betrat und ihn im Zweikampf

besiegte, worauf er sich

Meer stürzte.

Deu Argonauten erschien beim

Vorüberfahren an der paphlagonischen Küste der Geist des Sthenelos, eines Gefährten des Herakles auf dem Zuge gegeu die Amazonen.

Dem messe-

nischen Helden Aristomenes ließ sein Spartanerhaß keine' Ruhe im Grabe und man wollte ihn sogar in der Schlacht bei Leuktra auf Seite der Thebaner fechtend gesehen haben. Auch beim Grabmale des Miltiades wollten Viele in

der Nacht Pferdegewieher und Schlachtgetöse bemerken.

Plutarch erzählt aus

der Chronik seiner Vaterstadt Chäroneia in Böotien, daß zur Zeit des Lu­

kullus der Räuber Damon heimtückischer Weise im Bade erstochen worden sei.

„Hierauf soll man," schreibt er, „wie unsere Väter erzählen, an demselben

Orte eine Zeit lang Gespenster gesehen und ein jämmerliches Wehklagen gehört und deshalb das Bad verschlossen und die Thür zugemauert haben.

Einige,

die an demselben Orte wohnen, glauben noch heutigen Tages, daß sich dort Erscheinungen unter großem Wehklagen blicken lassen."

Auch der übermüthige

Pausanias spukte nicht nur nach seinem Tode in dem Tempel der Athene, wo er eingemauert worden war, sondern war auch selbst in der letzten Zeit seines

Lebens vom Geiste einer edeln Byzantinerin, Kleonike, die er geliebt, aber einst in der Dunkelheit für einen Meuchelniörder gehalten und niedergestoßen

hatte, arg geängstigt worden.

Den Kaiser Nero erschreckte der Schatten seiner

Mutter Agrippina, den König Philipp, den Dritten, von Makedonien der

seines unschuldig gemordeten Sohnes Demetrios. Sueton:

Von Kaligula erzählt

„Sein Leichnam wurde heimlich in die Lamischen Gärten geschafft

Göll, Kulturbilder. I.

20

306

Gespensterspuk und Geisterzwang.

und auf einem eilfertig errichteten Scheiterhaufen halb verbrannt und mit leichtem Rasen überschüttet. Später wurde er von seinen cm* der Verbannung zurückgekehrten Schwestern wieder ausgegrabeir, verbrannt und begraben. Es ist hinlänglich gewiß, daß die Wächter der Gärten Don Gespenstern beunruhigt wurden, bevor dies geschah, und daß auch in demselben Hause, in welchem er getödtet worden war, keine Nacht ohne irgend einen Schrecken vorüberging, bis es von einer Feuersbrunst verzehrt ward." Wie Virgil seine zürnende Dido dem scheidenden Aeneas drohen läßt, sie werde nach ihrem Tode ihm überall­ hin als Schatten folgen, so ruft bei Horaz der dem qualvollen Tode durch der Hexe Kanidia Hand verfallene Knabe: „Ja, wenn ich, zum Sterben gezwungen, das Leben verhaucht haben werde, will ich als nächtliche Grauengestalt Dir be­ gegnen, als Schatten Dein Antlitz mit krummen Klauen zerfleischen und, ans unruhvolle Herz gelagert, den Schlaf durch Furcht Dir rauben." Auch das Theater benutzte den Effekt, den die Erscheinungen der Todten aus die Phantasie zu machen im Stande sind, in vielfacher Weise und auf der Bühne befand sich die sogenannte „Charonische Stiege", um die unterweltlichen Gestalten emporsteigen zu lassen. In deil „Persern" des Aeschylos erscheint der König Dareios, ertheilt guten Rath und versinkt wieder mit den Worten: „Ich aber geh^ von hinnen in des Grabes Nacht. Lebt wohl, o Greise; ob in Leid auch, dennoch gönnet, so lang es Tag ist, Eurer Seele frohen Muth, weil doch den Todten stirbt die Lust an Gold und Gut." In den „Eumeniden" betritt die ermordete Klytämnestra die Oberwelt, um die im Tempel Apollo's schlafenden Eumeniden zur Verfolgung Orestes aufzustacheln, während sie von ihrem Ztlstande sagt: „Weil ich ja gemordet habe, verläßt mich die Schande nimntermehr; im Todtenreich irre ich schmachbedeckt umher." Auch die weit­ schweifende Jo läßt der Dichter vom Gespenste des von Hermes erschlagenen Argos gejagt werden, „den auch erschlagen nicht der Erde Gruft birgt." Ja, im Satyrdrama „Sisyphos" kam dieser schlaueste aller Betrüger mit Erlaubniß der unterweltlichen Regierung wieder herauf, angeblich, um sich selbst zu begraben wtd seine Frau zur Strafe für Vernachlässigung seines Begräbnisses mit in den Orkus zu nehmen, eigentlich aber, um deut „Allerseelenwirth" Hades ein Schnippchen zu schlagen. Allein der Todtenexekutor holte den Ausreißer wieder mitten vom herrlichen Gastmahle weg und führte ihn zu den finsteren Gesellen, „die keine Stimme, keine lebensfrohe Kraft, die keiner blutdurchströmten Ader Puls belebt". Auch in der „Hekabe" von Euripides tritt der vom treulosen Gastfreund gemordete Sohn Priam^s Polydoros als Geist auf und zeigt sich seiner Mutter im Traume. Dasselbe Süjet brachte in Rom Pakuvius auf die Bühne, unt) bei Aufführung des Stückes konnte einst der Geist die wirklich schlafende und berauschte Mutter zum großen Ergötzen des Pilblikmus nicht erwecken! Cicero schreibt in den „Tuskulanischen Untersuchungen" mißbilligend

über diese Vorführungen von Schattenbildern: „Die Dichter haben Die Irr­

thümer des Volksglaubens noch vermehrt. Denn das zahlreiche Theaterpublikum, unter welchem sich auch Frauen und Kinder befinden, wird gerührt beim Anhören

so großartiger Phrasen aus dem Munde der Geister: „ „Hier bin ich und komme vom Acheron kaum noch auf weitem und steilem Pfade, durch Klüfte, aus rauhen Felsen gewölbt, hoch herab den Einsturz drohend, wo starr gelagert steht die dichte Finsterniß der Unterirdischen;"" und so viel hat der Irrthum vermocht,

der mir wenigstens bereits gehoben zu sein scheint, daß man wol wußte, daß

die Körper verbrannt seien, aber dennoch sich einbildete, es geschahe in der Unterwelt irgend etwas, das ohne Körper weder gesehen noch gedacht werden komite." Recht genau beschreibt eine Spukgeschichte der jüngere Plinius in einem Briefe an seinen Freund Sura.

Sie mag hier folgen, als ein Beweis von der

merkwürdigeir Ueberenrstinrmuirg des mitifeit Gespensterglaubens mit dem mo­ dernen.

„Zu Athen war ein großes und geräumiges, aber verrufeues und

Unheil bringendes Haus.

In der Stille der Nacht hörte man Eiserr klirren,

mit) wenn man genauer horchte, Ketten rasseln, zuerst in der Ferne, dann in

der Nähe. Bald erschien eine abgehärmte, häßlich abgezehrte Greisengestalt mit langem Barte und struppigen Haaren, welche an Händen und Füßen Fesseln

und Ketten trug und schüttelte.

Die Bewohner durchwachten daher traurige

und schreckliche Nächte; auf das Wachen folgte Krankheit und bei zunehmender Angst der Tod.

Denn auch bei Tage, wenn das Gespenst verschwunden war,

schwebte die Gestalt in der Einbildungskraft vor den Augen, und die Furcht

dauerte länger als die Ursache derselben. Das Haus blieb endlich leer und ver­ ödet und ganz jenem Ungethüm überlassen. Doch wurde es ausgerufen, ob es Je­

mand kaufen oder miethen wollte, der von diesem großen Uebelstande nichts wüßte. Der Philosoph Athenodoros kommt nach Athen, liest den Anschlag, und da

er von dem Preise hört, der ihm durch seine Wohlfeilheit verdächtig wird, erkundigt er sich, erführt Alles und miethet sich nichts desto weniger ein, ja

sogar um so lieber.

Als es anfüngt Abend zu werden, läßt er sich in deni

vordersten Zimmer des Hauses fein Lager bereiten, fordert Schreibtafel, Griffel

und Licht, entläßt alle seine Leute in die inneren Gemächer; er selbst richtet Geist, Augen und Hand aufs Schreiben, damit nicht die Seele unbeschäftigt sich

die bekannte Gestalt und ein leeres Schattenbild schaffe.

Anfangs herrscht, wie

überall, Stille der Nacht; bald aber klingt es wie Eisen; Ketten rasseln. Jener schlügt die Augen nicht auf, legt deu Griffel nicht nieder, sondern ermuthigt seinen Geist und verwahrt ihn gegen die Eindrücke des Gehörs: jetzt wird das

Getöse stürker, es nühert sich, jetzt scheint es auf der Schwelle, jetzt im Zimmer

zu sein; er blickt auf, sieht und erkennt die beschriebene Gestalt. winkt mit dem Finger, als wollte sie ihn rufen.

Sie steht und

Auch er giebt ein Zeichen mit 20*

308

Gesxensterspuk und Geisterzwang.

der Hand, ein wenig zu warten, und fährt fort zu schreiben.

Da schüttelt sie

die Ketten über seinem Haupt, wahrend er schreibt: er blickt auf, und sie winkt wieder, wie vorher.

Jetzt zögert er nicht länger, nimmt die Lampe und folgt.

Jene schreitet langsam, wie von den Ketten belastet; nachdem sie in den Hofraum des Hauses abgelenkt, verschwindet sie plötzlich und läßt den Begleiter zurück.

Dieser, allein geblieben, bricht Gras und Blätter ab und bezeichnet damit die

Stelle.

Den folgenden Tag geht er zu den Behörden und verlangt, sie sollen

den Ort aufgraben lassen.

Man findet Gebeine, welche in Ketten geschlagen

und damit umschlungen und von den: durch die Zeit und in der Erde verwesten Körper nackt und entblößt in den Fesseln geblieben waren; sie werden gesammelt und öffentlich begraben.

Von der Zeit an war das Haus von den gebührend

zur Erde bestatteten Manen befreit."

Wie allgemein übrigens ber Glaube an solche Häuser war, in denen sich eine unglückliche, ruhelose Seele eingenistet haben sollte, sieht man auch aus der

Komödie „das Hausgespenst" von Plautus, wo der von einer längeren Reise zurückkehrende Theuropides vom Betreten des unterdessen von seinem ver­

schwenderischen Sohne durchgebrachten Hauses durch die Vorspiegelung abge­ halten wird, als sei in seiner Abwesenheit demselben ein Geist erschienen, der zu ihm sprach: „Ich bin der über das Meer gekommene Fremde Diapontios;

ich wohne hier; diese Wohnung ist mir angewiesen worden; denn Pluto wollte mich nicht in die Unterwelt aufnehmen, weil ich zu frühzeitig ums Leben gekommen

bin.

Durch Mißbrauch des Vertrauens täuschte man mich.

Mein Gastfreund

tödtete mich hier und vergrub mich heimlich und unbestattet in diesem Hause

verruchter Weise, des Geldes wegen.

Du aber ziehe aus von hier; dieses Haus

ist verflucht, eine verwünschte Wohnung!" Die Furchtsamkeit, die darauf der

Alte an den Tag legt, ist höchst ergötzlich; er läßt sich gänzlich vom Eintritte abschrecken und ruft zu seinem Schutze wider die Todten den Herkules an.

Da man das Leben in der Unterwelt als eine Fortsetzung des diesseitigen

und zwar in der letzten Gestalt desselben betrachtete, so kam nian auch auf die

absonderliche Annahme, daß der Todte keine Ruhe haben könnte, wenn nicht alle Kleidungsstücke mit ihm verbrannt worden wären.

So ist es erklärlich,

was Herodot von Melissa, der Gemahlin des Tyrannen von Korinth, Periander, berichtet.

Sie beklagte sich nach ihrem durch Periander's Schuld

erfolgten Tode über Nacktheit und Frost, indem ihr die ins Grab mitgegebenen

Kleider nichts nützten, da sie nicht mit ihr zugleich verbrannt worden seien. Der gewaltthätige Fürst ließ hierauf alle korinthischen Damen auf eine bestimmte

Stunde in den Heratempel laden, und als dieselben in: festlichen Putze erschienen, sie ohne Ausnahme durch seine Schergen der Kleider berauben, worauf er seiner

Gattin die versäumte Pflicht durch Verbrennen sämmtlicher Gewänder erfüllte!

Etwas Aehnliches läßt der Spötter Lukian in seinem „Lügenfreunde" den

Philosophen EukraLes erzählen: „Wie sehr ich meine selige Frau geliebt habe, weiß Jedermann; ich habe dies bewiesen nicht nur bei Lebzeiten dllrch mein

Benehmen gegen sie, sondern auch nach ihrem Tode dadurch, daß ich ihren ganzen Schmuck mit ihr verbrannte und das Kleid, welches ihr im Leben am

meisten gefallen hatte.

Am siebenten Tage nach ihrem Ende lag ich hier auf

dem Sopha, wie jetzt, rnich in meinem Schmerze tröstend, indein ich das Buch Platon's über die Seele las.

Inzwischen tritt Demänete (so hieß die Ge­

storbene) herein und setzt sich nahe zu mir.

sie und weinte laut.

Als ich sie erblickte, umarmte ich

Sie ließ mich aber nicht schreien, sondern beschwerte sich

darüber, daß ich eine von ihren goldenen Sandalen nicht mit verbrannt hätte,

während ich ihr im Uebrigen alle Ehre angethan.

Die Sandale sei aber unter

einen Schrank gefallen gewesen und deshalb von uns nicht gefunden und

verbrannt worden.

Als wir noch so mit einander sprachen, bellte mein ver­

wünschtes Malteserhündcheir unter dem Sopha; sie aber verschwand bei denr Gebelle."

Ueber die Art der Erscheinung waren die Gespenstergläubigen später ver­ schiedener Ansicht.

stenz.

Der Demänete Schatten läßt sich umarmen, hat also Konsi­

Ebenso kehrt in der „das bezauberte Grabmal" betitelten Deklamations­

rede Quintilian's der verstorbene Sohn, schön und lebendig, zur geliebteil Mutter in jeder Nacht und erwiedert ihre Küsse und Umarmungen.

Und lver

denkt nicht an Goethe's „Braut von Korinth", deren Stoff den Wunder­

geschichten des im zweiten Jahrhundert n. Ehr. lebenden Phlegon von Tralles entnommen ist? Andere dachten sich die wiederkommenden Todten bereits, wie man jetzt Freulrd Hein abbildet, als Klapperbeine.

Besonders in den Todten­

gesprüchen Lukiau's wird öfter die große Aehnlichkeit unter den Gestorbene!:

hervorgehoben, verursacht durch den nackten Schädel und die bloßen Knochen. Auch Seneka scheint an Gesellen zu denken, wie sie im Goetheschen „Todtentanz" auftreten, wenn er sagt: „Niemand ist so kindisch, daß er den Cerberus

fürchtet und die Finsterniß und das gespenstige Aeußere aus zusammenhängende:: Knochen gebildeter Gestalten," und beim Petronischen Gastmahl Trimalchio's bringt ein Sklave ein silbernes Skelett mit beweglichen Gliedern und Wirbeln, bei dessen Anblick der Hausherr ausruft: „Ach wir Unglückliche! Wie ist doch

das ganze Menschlein nichts! So werden wir alle sein, nachdem uns der Tod hinweggerafft hat."

Aber gewöhnlichsten aber war, wie bereits erwähnt, die

spätere Vorstellung der Homerischen gleich, und Virgil und Ovid lassen ihre Geister in die Luft zerfließen. Die Zeit ferner, in welcher die Geister ihre freiwilligen Besuche machten,

war stets die Nacht.

„In der Nacht schweifen wir umher,"

sagt die dem

Properz erscheinende Geliebte, „die Nacht befreit die eingeschlossenen Schatten,

und Cerberus selbst geht um, wann der Riegel fällt."

Meist als Traumbilder

310

Gespensterspuk und Geisterzwana.

nähern sie sich dem Lager der Lebendigen, sowie überhaupt das Traumleben

den Glauben an das Erscheinen der Todten zu allen Zeiten befördert haben

mag;

ja, bisweilen scheint der Glaube über das Vorkommen von Geister­

erscheinungen im Schlafe nicht hinausgegangen zu sein.

So antwortet im

Plautinischeir „Hausgespenst" Tranio dem Alten, der immer ängstlich fragt, ob sich der Geist seinem Sohne im Schlafe oder im wachen Zustande gezeigt habe: „Freilich konnte er es dem Wachenden nicht sagen, er, der vor so und

so viel Jahren getödtet worden ist!" Das Morgengrauen erst, noch nicht das Ende der Mitternachtsstunde, verscheucht die Nachtgespenster.

Ausdrücklich

heißt es bei Quintilian: „Nur erst mit Anbruch des Tages und nachdem die

Sterne erblichen waren, entschwand der Jüngling ungern aus den Augen, oft noch stehen bleibend, oft zurückblickend und für die nächste Nacht seine Wieder­

Auch bei P.roperz sagt der Geist: „Am Morgen befehlen

kunft versprechend."

uns die Gesetze zum Lethefluß zurückzukehren.

Bei der Ueberfahrt mustert der

Ferge die herübergebrachte Fracht." Auf einem römischen Grabsteine bittet eine Wittwe die Götter der Unterwelt, dem Geiste ihres Gemahles zu gestatten, ihr

während der Nachtstunden zu erscheinen. Hinsichtlich der Oertlichkeiten, an denen sich am liebsten der Gespensterspuk

zeigt, stimmt das Heidenthum jener Zeit mit dem heutigen Aberglauben ebenfalls überein.

Es waren die Grabstätten der Verstorbenen, weil man annahm, daß

da die Seelen ans Licht stiegen und am liebsten verweilten, wo ihre irdischen Ueberreste ruhten.

Appulejus wünscht in seiner Vertheidigungsrede gegen

den Vorwurf der Zauberei seinem Ankläger Aemilianus „alle Erscheinungen der Todten, Gespenster und bösen Geister" auf den Hals, „alle Begegnisse der Nacht, alle Schrecknisse der Gräber, alle Phantonre der Grüfte." Der berühmte

Philosoph Demokritos aus Abdera, einer der am vielseitigsten gebildeten Hellenen, bezeugte seinen Unglauben und feine Furchtlosigkeit der Gespenster­

welt gegenüber dadurch, daß er sich selbst in ein außerhalb der Stadt gelegenes

Grabmal einschloß und dort studirte und schrieb.

Einige junge Leute wollten

ihn necken und furchtsam machen, kleideten sich in schwarze Gewänder, nahmen

Todtenmasken vor und tanzteir so um ihn herum. Er aber blickte kaum zu ihnerr von seinem Buche auf und sagte nur fortschreibend: „Hört doch auf mit Eurer Kinderei!" Dagegen fand der Gespensterglaube eine Stütze an der Seelenlehre

der Platonischen und Pythagoräischen Philosophie.

Platon nämlich nahm je

nach der Beschaffenheit des irdischen Lebens verschiedene Arten der Unsterblich­ keit für die Seele an.

Diejenigen Geister, die sich reiner erhalten hatten von

der Befleckung durch körperliche Schwächen und Fehler, ließ er in himmlische Regionen eingehen und frei von Irrthümern, Leidenschaften und Lastern ein

seliges Leben führen.

Dagegen konnte sich nach ihm diejenige Seele, welche

während des Lebens eine Sklavin des Leibes gewesen war, auch nach dem Tode

desselben von dem sinnlichen Elemente, durch das sie getrübt wurde, nicht ganz trennen." „Eine solche Seele," sagt er „im Phädon", „die etwas Gewichtiges, Schweres, Erdiges und Sichtbares an sich hat, fühlt sich wieder zur sichtbaren

Welt hingedrängt und gezogen, indem sie aus Furcht vor dem Dunkeln und

den: Hades, wie incui sagt, um die Gräber und Grüfte sich herumtreibt.

Dort

hat iiimi schou mauchmal dunkle Erscheiimngen von Seelen erblickt, und solche

Schattenbilder erzeuget: eben solche Seelen, welche sich nicht rein losgerissen haben, sorrdern noch Theil am Sichtbaren besitzen, weshalb sie auch gesehenr

werde::."

So wäre:: also nach seiner Ueberzeugung die Menschen von mittel­

mäßig schlechter Qualität zum Gespensterlebeu verdammt und diese konnten auch wieder eiue neue körperliche Verbindung eingehen.

Die ganz Schlechten, be­

sonders die Teinpelräuber und Mörder, versetzt er in den Tartarus, an den Ort der Qual.

Auch uach der Pythagoräische:: Seeleuwanderuugstheorie war

die Erde voll Dümoueu uud Gespenster. Pythagoras selbst soll einst in einem Hunde einen verstorbenen Freund wiedererkannt haben!

Nach Aelian und

Plutarch glaubten die Anhänger dieser Schule, daß das Erdbebeu bewirkt werde, lveun die Todten Generalversammlung hielten, und daß die Seelen der Gestorbenen weder Schatten würfen noch mit den Augen zwinkerten.

Eine andere Frage, die bei der Berücksichtigung, welche die Neuzeit wieder

einmal der Naturgeschichte der Gespeuster scheukt, uicht umgaugeu werden kann, ist ferner, in welchem Grade willfährig sich bei Griechen und Römern die

Geister gezeigt haben, dem Willen der Lebendigen zu gehorchen und auf be­ liebiges Verlaugen zu erscheine::? Und hierauf kanu man dreist antworten, daß

bei den Alten ein viel regerer Verkehr zwischen Ober- und Unterwelt herrschte als später, und daß die heutige Nekromautie nur Stümperei ist gegen das, was

in dieser Kunst die damaligen Hexenmeister leisteten.

Da man einmal durch

deu Kultus in unmittelbare Beziehung zu den Todten geko:::n:en war, so benutzte mau diese:: Verkehr sehr bald, um theils durch Zitatiou der Verstorbene:: Offen­

barungen iiber unbekannte Dinge zu erhalte::, theils durch Anweuduug gewisser Mittel lästige Geistererscheinungen zu bannen und zu sühnen.

Erstlich gab es

hierzu bestimmte Orakelstätteu mit Priester::, welche die Zeremonie:: verrichteten

und den Tempeln Vorständen.

Gewöhnlich befanden sich dieselben in Gegenden,

die schon an sich auf einen Zusammenhang mit der Unterwelt hinzudeuten schienen, wie tiefe, ins Innere der Erde führende Schluchten und Höhlen oder Spalten, aus denen betäubende Dünste aufstiegen.

Eine solche Stelle befand

sich in Thesproüen, einer Landschaft von Epirus, iu der Nähe der Stadt Ephyra; dort durchflösse:: die mit den unterweltlichen gleichnamigen Flüsse

Acheron und Kokytos eine sumpfige Ebene voll mephitischer Dünste, und schon Orpheus sollte dort hinabgestiegen sein, um Eurydike zu holen.

Hierher

sendete auch Periander, um seine verstorbene Frau über den Ort befragen zu

312

Gespensterspuk und Geisterzwang.

lassen, wohin sie einen von einem Gastfreund anvertrauten Schatz gelegt hatte, und nachdem der anfangs unwillige Schatten durch die erwähnte Kleiderhekatombe besänftigt worden war, gab er bereitwillig richtige Auskunft.

Auch auf dem

lakonischen Kap Tänaron zeigte man eine Höhle, durch welche, wie die Sage

ging, Herakles den Höllenhund auf die Oberwelt gebracht hatte. Dort befand sichebenfalls ein Todtenorakel und es gelang daselbst einem gewissen Kallondas, die Seele des berühmten Jambendichters Archilochos, den er im Kriege er­

schlagen hatte, zu versöhnen.

Ferner rühmte sich eines ähnlichen Thores zur

Schattenwelt die acherusische Halbinsel bei Heraklea, an der bithynischen

Küste des Pontus.

Hierher begab sich, wie Plutarch erzählt, Pausanias,

um die immer wiederkehrende Erscheinung Kleonike's los zu werden.

„Er

beschwor die Seele der Kleonike und bat flehentlich, daß sie sich besänftigen und

ihren Zorn fahren lassen möchte.

Kleonike erschien ihm auch und sagte: Du

wirst bald nach Sparta kommen und von aller Plage befreit werden! Und

eben damit scheint sie ihm seinen bald darauf in Sparta erfolgten Tod ange­ deutet zu haben."

Zu Trözene und Hermione im Peloponnes gab es

ebenfalls Einfahrten zum Hades.

Endlich hatten auch die italischen Griechen

einen solchen privilegirten Verbindungsweg in der Nähe der uralten Stadt Kumä in Kampanien.

Ein tiefer, einen vulkanischen Krater ausfüllender

See, umgeben von steilen Höhen und beschattet von dichtenl Gehölz, und unter­ irdische, mit Schwefeldunst erfüllte Höhlen brachten die Einbildungskraft leicht dazu, diese Stelle zum Mittelpunkte fast aller Sagen vom Todtenreiche zu machen.

Hier sollte Odysseus seine Todtenbeschwörung vorgenommen haben,

hier fuhr der fromme Aeneas an der Hand der kumanischen Sibylle in das

Schattenreich hinab.

Noch Hannibal brachte am See Avernus den Unter­

irdischen ein Opfer dar und ließ sich vielleicht von den Priestern die dunkeln Gänge der Kimmerier zeigen. Auch Cicero gedenkt des dortigen Todtenorakels,

„wo", wie er aus einem Dichter zitirt, „die Seelen aus dunkelm Schatten heraufgerufen werden, aus der offenen Pforte des tiefen Acheron, gefälschten Blutes, Bilder der Todten." Doch hatte wol zu seiner Zeit das Orakel schon auf­ gehört; dennStrabosprichtvonderEinrichtungalseiner „ehemaligen". Denletz-

ten Rest der Romantik raubte aber Agrippa der Gegend, indem er den düstern Forst abtreiben, an seiner Stelle Häuser und Felder anlegeir und durch den In­

genieur Koccejus einen Tunnel durch den Berg bis nach Kumä hin graben ließ. Der Geisterzwang wurde aber auch ohne die Autorität anerkanrrter Heilig­

thümer vielfach als freie Kunst von Zauberern getrieben, die an jedem beliebigen

Orte die Seelen Verstorbener zitiren zu können vorgaben.

Schon zu Platon's

Zeit trieben die Bettelpriester verschiedener Gottheiten, welche die Thüren der Reichen belagerten, alle dieses Geschäft.

Hatte doch, wie Plinius der Aeltere

erwähnt, der berühmte Magier Osthanes schon zu Xerxes' Zeit Schriften

über die Zauberkunst und Nekromantie verabfaßt.

In besonderer Blüthe stand

der Aberglaube und die Zauberei in Thessalien, und so erklärt es sich, warum die

thessalischen Geisterbeschwörer und Hexerr von jeher in Griechenland

großes Ansehen genossen.

Als das Gespenst des Pausanias im Tempel, wo

er gestorben war, umging und die Besucher erschreckte, ließen die Spartaner, wie Plutarch berichtet, Geisterbanner aus Thessalien kommen, die auch den

Geist zur Ruhe brachten.

Auch in der „Alkestis" des Euripides antwortet

Herakles dem thessalischen König Admetos, welchem er die geliebte Gattin aus dem Hades wieder zuführte, auf den Ausruf: „O wär's ein Luftgebilde

nicht aus Hades Reich!" mit den Worten: „Nicht einen Zauberer nlachtest Du

zum Freunde Dir!"

Bei der Beschwörung wurden hauptsächlich die Mond-

und Zaubergöttin Hekate, die Patronin alles geisterhaften Spuks, und der Seelenhirt Hermes neben Pluton und Persephone um Beistand angerufen. In den „Persern" des Aeschylos singt der Chor: „Ihr heiligen Grabgott­

heiten zumal, Hermes, Güa, Du der Unteren Fürst, o sendet den Geist nun empor an das Licht! Er allein sagt es aus, wo ein Ziel ist."

Das Graben

der Grube und das Hineinlaufenlassen des Blutes war auch später eine Haupt­ bedingung des Gelingens.

Lukian beschreibt so die Anstalten des Babyloniers

Mithrobarzaues, der daun die Straf- und Rachegöttinnen, die nächtliche

Hekate, die schreckliche Persephone anfleht, zugleich einige barbarische, vielsilbige und unverständliche Worte ausstoßend; und ebenso heißt es in den Satiren des

Horaz:

„Ich sah in schwarzes Gewand gehüllt unter Geheul sich nahen

Kanidia nebst der älteren Saga na, mit bloßen Füßen und gelöstem Haar (auch dies war ein Haupterfordcrniß); die Blässe verlieh beider: ein entsetzliches

Aussehen.

Sie fingen an, die Erde mit den Nägeln aufzuscharren und ein

schwarzes Lamm mit den Zähnen zu zerreißen. Das Blut ließen sie irr die Grube fließen, um von dort die Manen hervorzulocken, die Seelen, welche ihnen Antwort geben sollten." Aehnlich ist die Prozedur in der „Pharsalia" Lu­ kan's, nur daß hier die Thessalierin Erich t h o einem eben gefallenen Krieger Blut

einflößt, und als der zurückkehrende Schatten sich nicht sogleich lvieder in feinen Körper begeben will, den Leichnam mit Schlangen geißelt und fürchterliche

Drohungen gegen die chthonischerr Götter ausstößt.

Man glaubte rrärnlich, daß

die noch nicht über den acherusischen See gefahrene Seele eines kaum Verstorbenen leichter zu befragen wäre, und so liest man auch in Heliodor's „äthiopischen Geschichten", wie eine ägypüsche Zauberin eins dem Schlachtfelde die Leiche ihres

eigenen Sohnes zur Beschwörung mißbrauchte. Zuerst nickte der sich wieder­

belebende Körper nur auf die an ihn gestellten Fragen; als aber die Alte mit

neuen Gaukeleien ihn drängte, „fing er cm, wie aus einem fernen Winkel oder aus einer Felsenschlucht in einem Hefen und widrigen Tone zu zischen", und

verwünschte seine Mutter.

Unter dem Kaiser Valens war der Kriegsoberst

314

Gespensterspuk und Geisterzwang.

Pollentianus geständig, mit Hilfe eines aus dem Leibe einer lebendigen Frau geschnittenen Embryo die Unterirdischen über die Zukunft der Dynastie befragt zu haben.

Nach dem Lexikographen Suidas wurden die schwarzen Böcke dazu

gebraucht, um die Gräber der zu beschwörenden Todten zu finden. Man führte sie an den Vordersüßen oder den Hörnern hinaus und wo sie still standen,

begann man die Zitation! Recht oft ließ man alte Helden und Sänger erscheinen, wie Orpheus, Phoroneus, Kekrops.

Apollonios von Tyana beschwor den Schatten

Achilles; der prahlerische Grammatiker Apion, ein Zeitgenosse von Pli­ nius, rühmte sich, den Schatten Homer's zitirt und über sein Vaterland und seine Aeltern befragt zu haben.

„Er wagte es aber nicht," setzt Plinius

hinzu, „zu gestehen, was dieser ihm geantwortet hätte!" Zu Cieero^s Zeit

trieb dessen Freund Appius Klaudius die Nekromantie.

Auch dem schänd­

lichen Günstling Cäsar's, Vatinius, wirft der Redner vor, daß er dem ab­

scheulichsten Aberglauben gefröhnt, die Seelen der Gemordeten zitirt und die­

selben durch die Eingeweide von Kindern zu versöhnen versucht habe.

Der

unvorsichtige Libo Drusus wurde nach dem Tode Augustes wegen Geisterbe­ schwörung denunzirt, in einen Hochverrathsprozeß verwickelt und von Tiberius zum Selbstmord gezwungen. Nero trieb die Magie eben so leidenschaftlich, wie

die Musik und Schauspielkunst, und als nach dem Tode Agrippina's sein Ge­

wissen keine Ruhe fand, versuchte er, die Seele der Gemordeten zu zitiren und zu besänftigen. „Wenn er doch lieber", sagt der ältere Plinius, „die Schatten

und jeden beliebigen Gott über seinen Argwohn gegen die Leute um Rath gefragt Hütte,

anstatt dergleichen Nachforschungen liederlicheir Dirnen und

Prostituirterr aufzutragen: jeder barbarische mit) noch so wilde Ritus wäre gelinder gewesen, als seine Gedanken!"

Auch sein Freund Otho, den nach

seiner Thronbesteigung die Erscheinung Galba's beunruhigte, nahm seine Zu­ flucht zum magischen Banne.

Von Karakalla erzählt Herodian: „Da er

mißtrauisch gegen Jedermann war, da er überall Nachstellungen befürchtete, so befragte er alle Orakel und berief allenthalben her Magier, Sternkundige

und Opferschauer. Weil er sie aber im Verdacht hatte, daß sie ihm zu Gefallen

redeterr und keine echten Orakelsprüche ihrn verkündigten, schrieb er einem

gewissen Maternianus, dem er damals die Oberaufsicht über Rom anver­

traut hatte und den er allein zum Vertrauten seiner Gehennnisse machte.

Ihm

gab er den Auftrag, durch die geschicktesten Magier Todte beschwören und nach seinem Lebensziele forschen zu lassen mit) ob Niemand nach der Oberherrschaft

trachte."

Dio Kassius aber erzählt außerdem, er habe, um sich von den

Erscheinungen seines Vaters und seines Bruders zu befreien, den Geist des ersteren und den des Kommodus zitirt; zu seinem Schrecken sei mit Severus auch der ermordete Geta emporgeftiegen.

Eine innerlich ganz unwahrscheinliche Erdichtung enthält die erwähnte Deklamation Quintilian's; dennoch läßt sich aus ihr auf den Glauben der Zeit schließen.

Jene Mutter, die durch die nächtliche Wiederkehr ihres Sohnes

getröstet wurde, macht endlich ihrem Manne davor: Mittheilung und dieser glaubt zwar nicht an die Erscheinung der Geister, ja nicht einmal an die Fort­

existenz derselben nach dem Tode, wendet sich aber dennoch, um Ruhe inr

Hause zu haben,

an einen berühmten Magier,

der

den widerstrebenden

Schatten durch seine in den Aschenkrug hineingemurmelten Sprüche bannt und der Mutter dadurch wieder raubt. Auch bei Luki an findet sich die Austreibung

eines Hausgespenstes beschrieberr.

Wie in der von Plinius überlieferten Spuk­

geschichte wagt sich hier der Pythagoräer Arignotos, mit einer ägyptischen

Zauberagende bewaffnet, in ein wegen Gespensterspuk verrufenes und deshalb verfallenes Haus.

Als der Dämon vor dem brennenden Lichte in schwarzer,

schmutziger, haariger Gestalt erschien, wühlte dann der Beschwörer den schauer­ lichsten Baimspruch und trieb den Geist, der sich bald in einen Hund, einen

Stier oder einen Löwen verwandelte, in einen finstern Winkel des Hauses, wo

er verschwand und wo man am andern Tage beim Nachgraben ein Gerippe fand. Als ein probates Mittel gegen Beunruhigung durch Gespenster empfiehlt

Eukrates im Lukian'schen „Lügensreund'' aus eisernen Galge::- und Kreuz-

nägeln gefertigte Ringe.

Ueber das Ueberhandnehmen des Seelenzwmiges in

der späteren Zeit schreibt auch Tertullian: „Es giebt bereits ein öffentliches

Unterrichtsfach, welches verspricht, auch in reifem Alter abgeschiedene, durch einen

redlichen Tod erlöste,

brachte Seelen

aus

durch

der Wohnung

ordentliches Begräbniß

der Unterirdischer:

zur Ruhe

ge­

wieder heraufzube­

schwören." Die christliche Kirche leugnete die Möglichkeit der Nekromantie nicht,

schrieb aber die erzielten Erfolge auf Beistand der bösen Geister ur:d ver­ dammte deshalb die Kunst, wie alle Zauberei, als arge Sünde.

Bald kam

dann freilich die Zeit, wo die Theologie Hand in Hand ging mit der Rocken­ philosophie, wo Weihkessel und christliche Bannformeln gegen die Gesperrter

angewandt wurden, wo endlich der Unglaube in dieser Hinsicht für unchristlich galt.

Die römische Regierung vertrieb die Geisterbanner, wie alle Wahrsager,

besonders die Astrologen, oft aus der Stadt und schreckte durch Deportationen und Hinrichtungen von dem Gewerbe ab.

Am strengsten war es untersagt,

nach der Zukunft des Regentenhauses zu forschen, und am härtesten verfuhr

hierin der Kaiser Konstantins, der auch in seinen Verordnungen speziell der Nekromantie gedenkt. Ein Gesetz vom Jahre 357 lautet: „Viele, die es gewagt haben, die Elemente in Verwirrung zu bringen und kein Bedenken tragen, das Leben Unschuldiger zu erschüttern und durch Zitiren der Verstorbenen zu beun­

ruhigen, so daß Jeder seine Feinde durch böse Künste verderben könnte: diese,

316

Gespensterspuk und Geisterzwang.

weil sie der Natur zuwider sind, mag das Verderbeir des Todes treffen." Von

jener Zeit schreibt auch Ammian: „WennJemand gegen das Wechselfieber oder

eine andere Krankheit ein (sympathetisches) Mittel am Halse trug oder durch die Angaben Böswilliger

beschuldigt wurde,

bei Nacht durch eine Gruft

geschritten zu sein, so wurde er für einen Giftmischer und für einen Menschen erklärt, der die Schrecknisse der Gräber und den leeren Spuk der daselbst

herumirrenden Seelen beobachtet, und kam, zum Tode verurtheilt, um." Außer den Geistern der Verstorbenen gab es aber auch noch so manche andere Gespenster, Kobolde und Poltergeister, vor denen große und kleine

Kinder zitterten.

Gewissermaßen schon mit der Muttermilch eingesogen wurde

z. B. in Griechenland der Glaube an einige Spukgestalten, die Wärterinnen und Mütter benutzten, um die Kinder zum Gehorsam zu bringen.

Die

Namen solcher Popanze waren Mormo, Akko, Alphito. Plutarch vergleicht bereits diese Anwendung des Gespensterglaubens in der Pädagogik mit dem

Abschrecken vom Bösen durch Vorhaltung der göttlichen Strafen überhaupt! Eine ähnliche Stelle nahmen in Rom die S tri gen, Manien und Lamien ein, von denen man zum Theil glaubte, daß sie vampyrartig den Kindern das

Blut aussaugten, ihnen Kopf und Arme abrissen, oder sie ganz auffräßen.

Lieblingsgestalten des griechischen Aberglaubens waren die in Verbindung mit der Heraklessage auftretenden Kerkopen: kleine, häßliche Kobolde, welche an

den Kreuzwegen lauernd, die Wanderer neckten, überfielen und beraubten.

Im

attischen Drama spielten sie später die begleitenden Harlekine der Helden;

ferner die Empusen: weibliche Wesen, die sich durch ihre ungemeine Verwand­

lungsfertigkeit auszeichnen sollten.

Als Dionysos und sein Sancho Xan-

thias in der Unterwelt ankommen (in den „Fröschen" des Aristophanes),

schreckt sie sogleich die Empuse, zuerst als großes Thier, dann als Stier, Maulesel, reizendes Weib, mit einem ehernen und einem Eselsfuß, das Antlitz

in rothem Feuer strahlend.

Die Mutter des Redners Aeschines erhielt den

Spitznamen Empusa, weil sie der Hexerei verdächtig war und des Abends Weiber und Kinder sich vor ihr fürchteten.

Nach Philostrat entlarvte der

berühmte Apollonios von Tyana die Braut eines seiner Schüler am Hoch­

zeitstag als Empuse, worauf sie mit dem ganzen Festapparat verschwand. Von

anderen Trugbildern der Phantasie, die am häufigsten mit dem nahe bevor­ stehenden Tode in Verbindung stehen sollten, seien hier nur ein paar Beispiele erwähnt.

Der Regent von Syrakus Dion, sah, wie Plutarch erzählt,

vor dem Ende seines Lebens einst am Tage in seinem Hause eine weibliche

Gestalt, aber mit dem Aeußeren einer Eumenide, mit dem Besen den Boden fegen und erschrack darüber so, daß er seine Freunde bat, in der 9!acht bei ihm zu bleiben.

Dem Germanensieger Drusus erschien an der Elbe ein

Weib von übermenschlicher Größe und sprach: „Wohin eilst Du in aller Welt,

unersättlicher Drusus? Alles dies zu schauen, ist Dir nicht vom Schicksal

bestimmt.

Eile von hinnen, Deiner Thaten und Tage Ziel ist nahe!" Der

abergläubische Berichterstatter Dio Kassius setzt hinzu:

„Zwar mag eine

solche Weisung der Gottheit an einen Sterblichen wunderbar erscheinen; ich sehe

aber keinen Grund, ihr den Glauben zu verweigern, da sie alsbald in Er­

füllung ging."

Der jüngerer Plinius endlich erzählt von Kurtius Rufus,

daß demselben, als er noch mittellos und unbekannt im Gefolge des afrika­ nischen Statthalters sich befand, bei einem abendlichen Spaziergang eine weib­

liche Gestalt von großer Schönheit entgegen getreten sei und erklärt habe, sie sei Afrika und weissage ihm, er werde in Rom zu hohen Ehren gelangen und

endlich als Oberbefehlshaber in Afrika sterben. — Sogar die Gestorbenen

selbst dachte man sich noch von Gespenstern gequält. Als daher zu Oktavian's Zeit Asinius Pollio gegen den charakterlosen Munatius erst nach dessen

Tode Reden herausgeben wollte, bemerkte dieser treffend: „Mit den Todten

ringen nur die Gespenster." — Endlich bildete man sich zuweilen auch von Bildsäulen ein, daß sie bei nächtlicher Weile von ihrem Piedestal Herabstiegen und umgingeil. Im Lukianischen „Lügenfrerlnd" wird erzählt, daß das Stand­

bild eines berühmten Arztes in einem Hause während der ganzen Nacht her­ umspazierte und einst einen Sklaven, der die ihm an jedem Neumond geweihter:

Obolerr gestohlen hatte, nicht bloß so verwirrte, daß er den Ausweg nicht farrd, sondern auch vor: da an jede Nacht weidlich ausbläute! Natürlicher als diese Geschichte klingt noch, was der Redner Dion Chrysostomos von der Rache

eine Statue berichtet. Nachdem nämlich Von zwei Todfeinden der eine ge­ storben war, ließ der andere feinen Haß noch an dem steinernen Bilde des Todten aus, das mitten auf dem Markte stand, indem er es Nachts geiselte.

Da fiel das Monument einst unter den Peitschenschlägen um urrd erschlug den

kindischen Frevler! Um allen Spuk von sich fern zu halten, pflegte man in Athen der Ge­

spensterkönigin Hekate vor den Häusern Kapellchen und Bilder zu stiften. Wie allgemein dieser Gebrauch war, sieht mau aus den „Wespen" des Aristo-

phanes, wo Philokleon sagt: „Nun sieh, wie sich der alte Seherspruch

erfüllt, der mir verkündet hatte, daß die athenischen Bürger alle einst richten würden im eigenen Hmlse.

Vor seiner Hausthür würde sich jeder ein kleines

Gerichtchen bauen, so klein wie Hekate's Kapellchen, die aller Orten stehen

vor jeder Thür."

Die Ansichtell der Gebildeten über die Geisterwelt standen auch im

Alterthume zu jeder Zeit in größerenl oder geringerem Widersprüche zu dem Glauben des Volkes.

Vielen Einfluß hatten in dieser Hinsicht die Lustspiel­

dichter.

Aristophanes karikirt in den „Fröschen" das ganze unterweltliche

Leben.

Von einem unbekannterl Komiker lautet ein Fragment: „Wenn wirk-

318

Gespensterspuk und Geisterzwang.

lich Todte, wie von Manchen geglaubt wird, Empfindungerr hatten, würd' ich

längst mich aufgehängt haben, mir anzusehen nur einmal den Euripides." Ein anderer parodirte die Anfangsworte des Geistes der „Hekabe" von

Euripides: „Aus Todesklüften komm' ich und des Dunkels Thor herschreitend, wo von Göttern fern wohnt Erebos," in folgender Weise: „Vom Bäcker­ laden komm' ich des Thearion herschreitend,

Sammelplatz."

wo

der Näpf' und Kacheln

Die Zweifler und Bekümpfer des Volksglaubens mehrten sich

noch bei den Römern und zwar besonders vom epikuräischen und stoischen

Standpunkte aus.

gedeutet worden.

Cieero's und Seneka's Ueberzeugung ist bereits ange-

Roch stärker spricht sich jener in der Schrift über das Wesen

der Götter aus, wo er nicht einmal einer „einfältigen alten Frau" den Glau­

ben an die Wunder der Unterwelt ansinnen will! Der Dichter Lukrez widmet

der Bestreitung der im Volke kursirenden psychologischen Meinungen zwei Bücher seines Lehrgedichts und schreibt unter Anderem: „Wir wollen ja nicht

glauben, daß die Seelen aus dem Acheron entfliehen oder als Schatten unter

den Lebendigen herumflattern, noch daß ein Theil von uns nach dem Tode übrig bleiben könne, nachdem der Körper und die zerstörte Natur des Geistes

Und während sich bei

sich in ihre Elemente (die Atome) aufgelöst haben."

Ovid Anklänge an die Pythagoräische Umkörperungstheorie finden, heißt es bei Juvenal geradezu: „Daß kein Märchen die Manen und unterirdischen

Reiche seien und der Fährmann und im stygischen Pfuhle die schwärzlicheil

Frösche, daß Ein Kahn mit so vielen Tausenden über die Fluth steuert, das glaubt nur der Knabe, der noch nicht im Bade bezahlt hat seinen Dreier."

Horaz fragt den Jünger der wahren Weisheit:

„Verlachst Du Träume,

magische Schrecknisse, Wunder, Hexen, nächtliche Gespenster und thessalischen

Zanber?" Plutarch läßt Brutus über die bekannte Erscheinung seines bösen Genius bei Philippi von Kassius getröstet und auf das Trügliche der sinn­ lichen Eindrücke hingewiesen werden. Doch er selbst schreibt im Leben Dion's:

„Da Dion und Brutus, die beide ernste Männer und Philosophen waren,

über ein Gespenst, das ihnen erschien, so sehr erschrocken sind, daß sie diese Erscheinung Anderen erzählt haben, so sehe ich nicht, warum wir nicht der

Meinung der Alten, so ungereimt sie miet) immer scheinen mag, beitreten

sollten, daß nämlich böse Geister rechtschaffenen Leuten, denen sie abhold sind und

deren

Unternehmungen sie widerstreben,

Furcht und Schrecken

einjagen und sie zu bethören suchen, damit solche Männer im Guten nicht

fest und standhaft bleiben und nach ihren: Tode nicht ein besseres Leben erlangen, als sie selbst."

Auch der jüngere Plinius schwankt und holt

bei Mittheilung seiner Gespenstergeschichten von Sura zugleich achten über die Existenz der Gespenster ein.

ein Gut­

Am Schlüsse seines Briefes

schreibt er: „Laß mich nicht in Zweifel und Ungewißheit; denn ich habe Dein

Gespensterspuk und Geisterzwang.

319

Urtheil in der Absicht verlangt, um selbst nicht länger zweifelhaft zu sein." Viel sicherer dagegen spricht sein Oheim über die Schattenwelt, indem er die gewöhnlichen Vorstellungen „Erfindungen kindischen Unsinns und der auf ihre Fortexistenz erpichten Sterblichkeit" nennt und am Schluffe des Kapitels über den Scheintod spöttisch sagt: „Es giebt auch Beispiele von Menschen, die nach ihrem Begräbnisse wieder gesehen worden sind, nur schade, daß wir hier natürlichen Erscheinungen, nicht Wundern nachgehen!"

XXII.

Die dramatischen Dichter und Künstler. I

ekanntlich fußte die vollkommenste Gattung der Poesie, das Drama, welches sich bei den Hellenen in so rascher Entwickelung von den ersten

spielenden Anfängen des Thespiskarrens

bis

zu einer Höhe der

Vollendung emporschwang, die bis heute unübertroffen in der Geschichte der Völker dasteht, auf religiösem Grund, und es konnte nicht anders kommen, als

daß dadurch dort Dichter und Schauspieler in ein eigenthümliches Verhältniß zum Staat und zum Kultus gesetzt wurden.

Da nämlich das Drama aus den

zu Ehren des Gottes Dionysos veranstalteten Aufzügen und mit Gesang ver­

bundenen Tänzen entstanden war, so fanden bis zur Zeit Alexanders des Großen, nur an den Dionysien, den Festen desselben Gottes, theatralische Vor­

stellungen statt.

Und zwar waren es zuerst die in unsern Dezember fallenden,

nach Beendigung der Weinlese gefeierten ländlichen Dionysien, an denen wenig­ stens in den größeren attischen Ortschaften, dramatische Werke zur Aufführung

kamen.

Beinahe unmittelbar darauf folgten dann das in der Hauptstadt be­

gangene Keltersest der Lenäen und endlich im März die den Sieg des Gottes über die winterliche Erstarrung der Erde verherrlichenden großen städtischen Dionysien, und beide Male gingen tragische und komische Stücke, am letzten

Feste sogar später an vier aufeinander folgenden Tagen, über die Bühne. Hierbei führte nun aber der Staat, wie überhaupt über die ganze Festfeier, die Aufsicht, und Oberintendanten des Schauspielwesens waren sogar die ersten

Beamten der Republik, die beiden obersten Archonten, von denen einer an den Lenäen, der andere an den großen Dionysien die Inspektion hatte.

Ihnen

mußten die Dichter ihre Werke vorlegen und um die Erlaubniß zur Aufführung

nachsuchen, was um so nothwendiger war, als die dramatischen Vorstellungen zugleich zu Wettkämpfen der Verfasser wurden und jedesmal eine größere

Die dramatischen Dichter und Künstler. Anzahl von Stücken zur Aufführung gelangte.

321

Neben drei konkurrirenden

Lustspieleir rangen nämlich immer drei tragische Kompositionen um den Preis,

von denen aber wieder jede aus nicht weniger als vier Dramen bestand, unter

welchen die drei ersten unter sich in innerem Zusammenhang befindliche Tragö­ dien waren, das letzte, ein kurzes, munteres Satyrspiel, den tragischen Ernst

wieder aufhob und an den burlesken Ursprung des ganzen Dramas erinnerte.

Für die tragischen Dichter war die Jugend kein Hinderniß des Erfolges. Die drei Heroen der Tragödie, Aeschylos,

Sophokles und Euripides,

sollen alle nach kaum zurückgelegtem zwanzigsten Lebensjahre in die Schränker: Platon, der in seiner Jugend ebenfalls Trauerspiele schrieb,

getreten sein;

rühmt an seinem Freunde Agathon, daß derselbe trotz seiner Jugend über die Mitbewerber um den tragischen Preis gesiegt habe.

Ob der Archon Sachverständige zur Prüfung der eingereichten Stücke zu­ zog, oder selbständig entschied, wissen wir nicht.

Die Bitte der Dichter vor

dem Archonten beschränkte sich übrigens auf die Verleihung eines Chores. Dieser rrämlich, zu welchem ein tragischer Dichter für seine vier Stücke fünfzig, der komische nur vieruudzwanzig Personen beanspruchte, verursachte die meisten

Kosten, da er nicht nur eingeübt, sondern auch besoldet, ernährt und mit Kleidern und Schmuck versehen werden mußte. Dieser Aufwand fiel aber als Staatsleistung den Wohlhabenden zur Last, von denen inimer je nach den zehn Phylen Einer

eine Chorausrüstung zu übernehmen hatte, und da die Choregen (so hießen die dazu Verpflichteten) sich zu übertreffen suchten und selbst wieder im Wettstreit

untereinander nach dem Siegespreis des Kranzes und Dreifußes trachteten,

so kam mancher dadurch an den Bettelstab. Nach einer bei dem Redner Lysias sich findenden Rechnung betrugen die Unkosten für einen tragischen Chor ungefähr 2250, für einen komischen 1200 Mark.

Den Verfassern der

Stücke konnte natürlich die Einübung des Chores nicht gleichgiltig sein, und sie übernahmen deshalb wol häufig das Geschäft des Chorlehrers selbst.

Von

Aeschylos wenigstens erzählt Athenäos, daß er als Dramaturg sehr thätig

gewesen sei.

„Aeschylos," sagt er, „erfand selbst viele Tanzfiguren und lehrte

sie die Choristen.

Es wird uns wenigstens berichtet, daß er zuerst den Chören

künstliche Weisen und Verschlingungerr beigebracht habe, indem er keinen Chor­ lehrer zur Seite hatte, sondern selbst den Chören die Tanzstellungen vorschrieb und beinahe die ganze Einrichtung der Tragödie auf sich nahm."

Auch Sopho­

kles spielte wenigstens beim Einstudiren seines „Thamyris" die Zither.

betheiligte sich

Doch

auch der Choreg selbst an der Einübung der Choristen,

wenn er etwas davon verstand.

Später aber nahm man gewöhnlich Ballet­

meister von Profession dazu in Sold.

Deutlich beweist dies Demosthenes in

seiner Rede gegen Meidias, indem er unter den Machinaüonen seines Feindes, der ihm selbst als Choregen öffentlichen Schimpf hatte zuziehen wollen, auch Göll, Kullurbilder. I.

21

322

Die dramatischen Dichter und Künstler.

folgendes erwähnt: „Aber damit begnügte er sich nicht, sondern bestach auch meinen Chorlehrer, und wenn der Flötenspieler Telephones sich nicht so rühmlich um mich verdient gemacht und, sobald er die Sache merkte, den

Menschen fortgeschickt und selbst den Chor zu versammelt: und zu unterrichten sich entschlossen hätte, so würde es gar nicht möglich geworden sein, den Wett­

kampf einzugehen, und der Chor wäre zu meiner Scharrde ilneingeübt aufge­ treten."

Noch ist ein Bildwerk vorhanden, auf dem eine Vorbereitung zur

Theaterprobe nicht zu verkennen ist.

In der Mitte sitzt der bejahrte Dichter

oder Chorlehrer und instruirt zwei im Satyrkostüm vor ihm stehende Choristen über den Gebrauch der drei vor ihm liegenden Masken. Darreben übt sich ein

bereits kostümirter Flötist auf der Doppelflöte, und int Hintergrund fährt ein Schauspieler, von einem Diener unterstützt, mit hochemporgehobeneu Armen in

ein langärmeliges Gewand, während die Maske bereits neben ihm liegt.

Die Jnstruirung und Einübung der Schauspieler selbst blieb immer Sache des Poeten allein.

Vor der Zeit des Aeschylos war dies nicht einmal

nöthig, da nur ein einziger Schauspieler außer dem Chore aufzutreten hatte

(der jedoch Rollen und Kostüm wechseln konnte) und die damaligen Dichter

stets diese Personen selbst agirten. Auch Aeschylos, der bekanntlich den zweiten Schauspieler hinzufügte, pflegte immer eine Rolle mit zu übernehmen.

Endlich

trat Sophokles, der dann die von da an feststehende Zahl der zugleich auf der Bühne erscheinenden Schauspieler auf drei brachte, noch mehrmals in seinen

Stücken auf und erntete besonders in der Rolle der Nausikaa durch seine Fertig­ keit im orchestischen Ballspiel großen Beifall.

Da er aber eine zu schwache

Sümme besaß, gab er das Mitspielen auf, zumal sich damals auch schon Leute

genug fanden, welche die Bretter zu betreten trachteten.

Aber noch Aristo-

phanes spielte in seinen „Rittern" die Rolle des Kleon, weil kein Schauspieler sich erkühnte, den mächtigen Demagogen zu persifliren, und schminkte sich dazu sein Gesicht selbst zurecht, weil kein Maskenmacher eine dem Gefürchteter: ähn­

liche Maske liefern wollte! Bei der Annahme der Schauspieler herrschte ebenfalls ein eigenthümliches Verfahren. Man kann es wenigstens aus folgender Erzählung schließen, die sich

bei dem Grammatiker Pollux findet: „Hermon war komischer Schauspieler,

und als ihn nach vielen Anderen das Loos getroffen hatte, so war er gar nicht im Theater, sondern hinausgegangen und versuchte seine Stimme. Alle vor ihm durchgefallen waren,

Da aber

rief der Herold den Hermon, ::ud da

dieser nicht hörte, bekam er Schläge und es wurde angeordnet, daß künftig mit

der Trompete ein Zeichen gegeben würde, wenn ein neuer Schauspieler auf­

treten sollte."

Der Schauspieler,

welcher die Probe nicht

nur

bestand,

sondern auch dem Publikum gefiel, war später von den: Loosen und Geprüft­ werden befreit und wurde von den Dichtern ohne weiteres gern angenornmen;

323

Die dramatischen Dichter und Künstler.

so kam es denn, daß die draniatischen Dichter von Ruf sich ihre Hauptschau­ spieler heranbildeten und dieselben dann beibehielten.

auf Kleander und Myniskos.

Aeschylös verließ sich

Sophokles hatte eine dauernde Verbindung

mit Tlepolemos, Kleidemides und besonders Kallipides; auch nahm er,

wie sein Biograph erzählt, viel Rücksicht auf die Anlagen seiner Schauspieler

bei Abfassung der Tragödien.

Als Haupttragöde des Euripides wird Ke-

phisophon genannt, von dem das Stadtgeklatsche sogar behauptete, daß er

dem Dichter mit geholfen habe,

weshalb auch Aristop Hanes in seinen

„Fröschen" den Aeschylos von Euripides sagen läßt: „Nicht länger streit' ich Vers um Vers, er steige selbst hinein mit Weib und Kindern und Kephisophon; auch seine Bücher leg' ich in die Wage noch."

Der Vorschrift des Dichters ge­

mäß mußten ferner auch die Dekorationen und der übrige Bühnenapparat ein­ gerichtet werden, wiewol das Kostüm der Schauspieler und die Masken int

Allgemeinen eine charakteristisch typische Form und Farbe hatten.

Brach nun endlich der Tag der Aufführung an, so hing der Erfolg des Dramas ebensowol von der Haltung und Stimmung des Pitblikums, als von der Entscheidung der Kampfrichter ab.

Wie reizbar die Leidenschaft, wie fein

das ästhetische Gefühl der Athener im Theater war, zeigte sich am deutlichstett

den Schauspielern selbst gegenüber.

Aber auch der Dichter konnte es zu fühlen

bekommen; wenigstens erzählt Athenäos vom komischen Dichter Diphilos, daß derselbe einer ungehörigen Stelle in einer seiner Dichütugen wegen mit

Gewalt aus den: Theater gebracht worden sei.

Als er darauf seine Freundin

Gnathäna besuchte und die. Bitte um ein Fußbad aussprach, erwiederte diese: „Aber ich glaubte ja, Du wärest hergeflogen!" Auch Von seinem Kollegen Krates läßt Aristophanes den Chor in den „Rittern" sagen: „Und Krates so­

dann, wie mußt' er von Euch nicht Hohn und Launen erdulden!"

Nach einigen übereinstimmenden Nachrichten wurden fünf Richter für die

Lustspieldichter, zehn für die Tragiker vom Archon ernannt.

Das Verfahret:

dabei läßt sich am klarsten aus Plutarch's Kimon erkennen, wo es heißt:

„Die Athener stellten auch zum Andenken an Kimou's That den berühmt ge­ wordenen Wettstreit unter ben Trauerspieldichtern an. Denn der junge Sopho­

kles setzte damals seine erste Tetralogie (so hieß der ans vier Dramen bestehende

Komplex) in Scene, und da unter den Zuschauern großer Streit entstand und sich Parteien bildeten, so looste der Archon Aphesion keine Kampfrichter aus, sondern als Kimon nebst fernen Mitfeldherren im Theater vortrat, um dem

Gotte das vorgeschriebene Trmrkopfer darzubrmgen, nöthigte er diese nach

geleistetem Eide, sich als Richter Hinzufetzen, indem ihrer gerade auch zehn waren und jeder aus einer andern Phyle."

Als Demosthenes die Choregie

hatte, drängte sich Meidias neben die schwörenden Schiedsrichter und rief, während sie die Worte der Eidesformel aussprachen, daß sie dem besten Chore

21*

324

Die dramatischen Dichter und Künstler.

den Preis

geben wollten,

ihnen zu:

„Mit Ausnahme des Chores von

Demosthenes!" Die Richter wurden nun zwar bestraft, wenn sie der Parteilich keit überführt werden konnten, allein aus derselben Rede des Demosthenes ersieht

man, daß sie nicht selten ihre Stimmen erkaufen ließen.

Dies brauchte nicht

allemal mit Geld zu geschehen. Die Dichter brachten auch allerlei Mittel in den

Stücken selbst an, um sich den Sieg zu verschaffen.

Besonders gern huldigten

sie dem Zeitgeist und dem Modegeschmack, um durch den Beifallssturm der Zu­

schauermenge die Richter zu bestimmen und einzuschüchtern, die überhaupt als durchs Loos getroffene Kunstkenner oft in heilloser Verlegenheit gewesen sein mögen.

Mit Rücksicht hierauf schreibt Platon in seinen Gesetzen: „In Bezug

auf das Theater darf weder der wahre Richter richten, indem er noch lernt und verschüchtert wird durch das Loben der Menge und seine eigene Unerfahrenheit,

noch, wenn er Sachverständiger ist, aus Unmündigkeit und Feigheit mit dem­

selben Munde, der bei Uebernahme des Richteramtes die Götter anrief, ein

lügnerisches und leichtsinniges Urtheil abgeben.

Denn nicht als Schüler, son­

dern als Lehrer der Zuschauer soll der Richter dasitzen, und um solchen zu

widerstreben, die den Zuschauern auf ungeziemende und unrechte Weise Ver­ gnügen bereiten.

Denn es war dies zu thun erlaubt nach einem alten griechi­

schen Gesetze, welches, wie jetzt das sicilische und italische, der Zuschauermenge

das Urtheil überließ und den Sieger durch allgemeine Abstimmung wählte, aber andererseits die Dichter selbst verdarb (denn sie dichten nach dem verdorbenen Geschmack des Publikums, so daß eigentlich die Zuschauer die Unterweisung

geben); es verdarb aber auch die Vergnügungen des Theaters, denn während

die Leute früher stets Besseres zu hören bekamen als ihre Sitten, inußten sie ein desto größeres Vergnügen empfinden; jetzt passirt ihnen aber durch ihre Schuld gerade das Gegentheil."

Vorzüglich bemchten aber die Lustspieldichter die Pa­

rabasen (Chorgesänge, mit denen sie sich direkt an das Publikum wendeten), um ihre Nebenbuhler zu verkleinern und ihre eigene Person zu heben und zu ver­

klären.

Wie naiv kommt es uns z. B. vor, wenn wir in den „Wolken" des

Aristophanes den Dichter selbst sagen hören: „So gewiß ich wünsche den Sieg und den Ruhm der Meisterschaft, So gewiß verehr' ich in Euch feine Kenner meiner Kunst; Aber auch dies kom'sche Stück acht' ich als mein bestes Werk, Setzt' es Euch darum zuerst wiederum zu kosten vor, Weil mir's gar viel Mühe gemacht. Doch ich trat gleichwol zurück, Unverdient von Tölpeln verdrängt. Deshalb klag' ich nun vor Euch Feinen Kennern, denen zu lieb ich mir all' die Mühe gab."

Die drei Preisbewerber im tragischen und im komischen Fache erhielten von den Richtern auch drei Zensuren, von denen die erste den Sieg brachte, die

zweite keine Schande nach sich zog, die dritte aber als Zeichen des Durchfalls

galt.

Die letzte erhielt Sophokles nie; wol aber wiederfuhr es dem Euri­

pides mit der „Medeia" und dem Aristop Haues mit den „Wolken".

Der

Name des Siegers wurde vom Herold ausgerufen imb der Dichter selbst bcinii wahrscheinlich vom Archon öffentlich mit dem Siegespreise, einem Epheukranze,

gekrönt.

Wie bei den gymnischen Spielen überstieg die Freude rind der Stolz

der Empfänger über den Erfolg die Geringfügigkeit dieses Zeichens der Aner­ kennung bei weitem, und die Ehre, von allen ihren Mitbürgern bewundert und gepriesen zu werden, ging ihnen über Alles.

Aus Freude über den errungenen

Kranz beschenkte der Tragiker Jon aus Chios jeden Athener mit einem Fäß­ chen Wein aus seiner Heimat.

Von Alexis, Philemon und auch Sopho­

kles sagte man, daß sie sogar dem Uebermaße des Glückes erlegen seien.

In

alter Zeit soll dem Sieger im Trauerspiel ein Stier verabreicht worden sein,

während auf dem zweiten Preise ein Korb mit Feiger:, auf dem dritten ein Bock stand.

Ebenfalls der bei den gymnischen Spieler: beobachteten Sitte entsprach

es, daß der gekrönte Dichter ein Siegesopfer, verbunden mit einem Schmause, seinen Freunden und den Schauspielern anstellte, wozu er n:it edelm Moste und mit Eßwaaren beschenkt zu werden pflegte.

Im „Frieden" des Aristophanes

heißt es: „Denn wird mir der Sieg, dann rufen sie wol Beim festlichen Mahl, beim Zechergelag: Für den Kahlkopf dies, für den Kahlkopf das Bon dem Backwerk hier, ihm schmälere nichts, Dem gewichtigen Mann mit der glänzenden Stirn, Dem erhabensten unter den Dichtern!"

Auch in Platon's Gastmahl wird des Tragikers Agathor: Sieges­

schmaus erwähnt, den Sokrates aus Scheu vor der Menge der Gäste nicht hatte besuchen Woller:. Uebrigens werden wol alle Dichter, die zurr: Preiskampf .zugelassen wurden, vom Staate ar:ßerden: eine bestimmte Summe für ihre Stücke erhalten haben.

Wenigstens wird es dem Demagogen Agyrrhios

machgesagt, er habe das Honorar der dem großen Haufen verhaßten Komiker -urch Volksbeschluß herabgesetzt, und darauf bezieht sich auch in den „Fröschen"

.die Stelle: „Voll Andacht schweig' und halte sich fern von unseren heiligen Reigen Auch wer als Redner im Volke benagt den gebührenden Lohn der Poeten, Nachdem der Komödie Salz ihn gebeizt an den heimischen Festen des Bacchos!"

Zuweilen wurden den Dichterr: auch besondere Auszeichnungen gewährt. Aristophanes ward wegen eines Chores in den „Fröschen" mit einem Zweige

vom heiligen Oelbaun: bekränzt, der einem goldenen Kranze an Werth gleichkam.

Sophokles wählte man nach der Aufführung der „ Antigone", wie früher P h r y -

326

Die dramatischen Dichter und Künstler.

nichos, zum Feldherrn im samischen Kriege;

doch scheint sein militärischer

Ruhm dem poetischen nicht gleichgekommen zu sein. Ihm sowol als Aeschylos und Euripides errichtete Athen nach ihrem Tode Bildsäuleir im Theater.

Aber auch Verurtheilung und Strafe konnte sich der Dichter zuziehen. Als z. B. Phrynichos seine „Eroberung von Milet" zur Aufführung gebracht

hatte und dabei alle Zuschauer in Thränen ausgebrochen wareri, wurde er um 1000 Drachmen (750 Mark) gestraft und dieses Trauerspiel für immer ver­

boten. Auch Aeschylos wurde wegen einer Stelle, in der man eine Entweihung der eleusinischen Mysterien finden wollte, angeklagt und nur durch seinen Bruder

Ameinias gerettet, der seine in der Schlacht bei Salamis bewiesene Tapfer­

keit in die Wagschale legte. Euripides mußte sich wegen des einen Verses im „Hippolyt"

verantworten:

„Die Zunge schwor,

die Seele weiß vom Eide

nichts", und an Aristophanes rächte sich der von ihm verhöhnte Kleon end­

lich durch einen lästigen Prozeß, von dem der Dichter selbst sagt: „Auch bleibt mir unvergessen, wie Kleon mir selbst Des Stückes wegen mitgespielt im letzten Jahr. Er schleppte mich zum hohen Rath, verleumdete, Belangte mich mit Lug und Trug, ein strudelnder Waldstrom den Kopf mir waschend, daß ich fast versank In seines Gerberloches unflatreichem Sumpf."

Die Tradition über des Komikers Eupolis Tod durch Alkibiades, der aus Rache für einen ihm auf der Bühne angethaneil Schimpf jenem auf den:

Seezug nach Sicilien ein unfreiwilliges Bad in den Wellen bereitet haben soll, ist dagegen schoil im Alterthum widerlegt worden.

Aeschylos ehrten die Athener noch dadurch, daß sie nach seinem Tode an den Dionysosfesten seine Tragödien aufzuführen gestatteten, und gleiche Ehre

widerfuhr auch Sophokles und Euripides. Nach den Biographien der drei großen Tragiker zehrten besonders die Söhne mrd Enkel derselben vom Ruhme der Vorfahreil, indem sie die Stücke derselben wieder auf die Bühne brachten. Da sich aber nach und nach Aerrderungen und Fehler in die Meisterwerke ein­

schlichen, so wurden auf Antrag des Redners Lykurg im vierten Jahrhundert v. Chr. Abschriften von den in den Händen der Familienarrgehörigen befind­

lichen Originalen genommen, welche dann im Staatsarchive aufbewahrt und

vorn Staatssekretär mit den Exemplaren der Schauspieler jedesmal verglichen werden mußten. Die Athener achteten diese Abschriften sehr hoch; denn als der König von Aegypten, Ptolemäos Euergetes, dieselben zum Abschreiben leihen wollte, verlangten sie dafür ein Unterpfand von 60,000 Mark, das

aber der König im Stiche ließ und nur ein neu angefertigtes Exemplar zurücksendete!

Die Stellung der griechischen Schauspieler richtete sich, wie bei uus, uach

deu Leistungen und nach dem Orte des Auftretens.

Diejenigen, welche in

Athen Erfolg hatten, machten auch aridere Ansprüche, als die an den länd­

lichen Dionysien auf deu Provinzialbühnen von Salamis, Kollytos, Phlye

oder int Vorstadt-Theater des Piräeussich produzirendeu. Auch auf die Nollen kam sehr viel an.

Die Darsteller der Heldenrolle, welche die meiste Kunst und

Anstrengung erforderte, mußten die vorzüglichsten Schauspieler sein; die Denteragornsten, welche Personen abhängiger Stellung zu agiren hatteu, stauderr

ihnerr an Rang nach; die Inhaber der drittelt Rollen bedurften der wenigstell Kunstgeschicklichkeit und genossen die geringste Achtung, obgleich ihrren gewöhnlich

oblag, königliche Masken zu spielen.

Zu ihnell gehörte auch der bekannte Red­

ner Aeschines, und sein Gegner Demosthenes benutzte diese Periode eines verfehltell Berufes öfter, um ihm vorzuwerferr, daß er trotz Szepter und Diadern nur Verhöhnung geeriltet habe, mrd als Dritter im Solde der elenden Schau­

spieler Sokrates uud Simylos auf dem Laude herumziehelld die Rolle des elischeu Köuigs Oeuomaos im gleichnamigeu Drama des Sophokles gegebeu

mit) beiläufig vou fremden Feigen, Trauben und Oliven genascht habe.

Denn

in jener Zeit, wo die älteren klassischen Werke immer wieder auf die Bühne ge­ bracht wurden, bildete sich ein besonderer Schauspielerstand aus, indem die

Schauspieler nun unabhängig von den Dichtern sich zusammenthaten und die Protagonisten oder Heldenrollenspieler als Direktoren an die Spitze der Truppen

traten.

Diese Gesellschaften kämpften nun auch bei den Spielen gegen einander,

wobei sich dann die Direktoren an Stelle der Dichter bekränzen ließen.

Als

Alexander der Große nach seiner Rückkehr aus Aegypten in Phönikien prachtvolle Feste gab, wetteiferten mit einander die Schauspielertruppen der Tragiker Thessalos und Athenodoros.

Die Könige von Kypern hatten

die Kosten der Chorausrichtung übernommen, die vornehmsten ihrer Feldherren das Preisrichteramt erhalten.

Athenodoros siegte zum Aerger des Königs,

welcher rief: „Lieber wollte ich doch einen Theil meines Königreichs missen,

als den Thessalos besiegt sehen!" Bei derselben Gelegenheit spielte auch Lykon aus Skarphe mit feinen Leuten vor Alexander, und als derselbe einen Vers

improvisirte, worin er den König um zehu Talente anging, gewährte ihm dieser

lachend seine Bitte.

Eine

von Messenien aus durch Arkadien wandernde

Schauspielergesellschaft ließ nach Plutarch auch der spartanische König Kleo­ menes auf einem schnell improvisirten Theater spielen, nachdem er einen Preis

von 40 Minen (3150 Mark) ausgesetzt hatte.

Ja, allmählich bildeten sich,

aber nicht vor Philipps und Alexanders Zeit, größere Vereine von Musikern, Dichtern und Schauspielern, die sich

„Künstler des Dionysos" nannten,

keine Sklaven und Freigelassenen unter sich aufnahmen, und ihren Vorort hatten, wo sie ihrem Schutzpatron Dionysos Opferfeste feierten.

Am bekanntesten ist

328

Die dramatischen Dichter und Künstler.

der dramatische Verein in Ionien, dessen Hauptsitze nach einander Teos, Ephesos, Myonnesos, Priene, Lebedos und endlich wieder Teos waren. Diese Korporationen waren genau organisirt, besaßen ihre Beamten, ihre Regierungsausschüsse, ihre Kassen; ja diejenigen, welche zur Feier der Spiele von auswärts bestellt waren, wurden durch Stimmenmehrheit dazu designirt und durften sich bei Geldstrafe nicht weigern. Noch sind Dekrete der Anrphiktyonen in Delphi vorhanden, durch welche denr athenischen Vereine Befreiung vom Kriegsdienste und Unverletzlichkeit zugesichert werden. Wie weit noch in der römischen Zeit die kleinasiatischen Schauspielertruppen ihre Wanderung ausdehnten, ergiebt sich aus zwei Erwähnungen Plutarch's. Als Lukullus die großarmenische Hauptstadt Tigranokerta eingenommen hatte, fand er eine Menge griechischer Schauspieler vor, welche Tigranes zur Einweihung seines großen neuen Theaters hatte kommen lassen. Der Sieger verwendete sie zur Verherrlichung seiner eigenen Feste. Einige Jahre später richtete der parthische König Orodes die Hochzeit seines Sohnes Pakoros aus und nach aufgehobener Tafel fand eben im Theater die Aufführung der „Baechen" des Euripides statt, als die Nachricht vom Siege über die Römer bei Karr hä eintraf und der Bote' das blutige Haupt des alten Krassus in die Orchestra warf. Da hatte der Schauspieler Jason aus Tralles in Karien,

welcher die Rolle der Agave spielte, den Einfall, das Haupt des in bacchan­ tischer Wuth zerrissenen Pentheus mit dem des Römerfeldherrn zu vertauschen und den blutigen Thyrsos schwingend zu singen: „Wir bringen vom Berge nach Hause getragen Die herrliche Beute, das blutende Wild."

Stürmischer Beifall belohnte die Improvisation und der König schenkte Jason ein Talent. Die Bezahlung der Schauspieler in Athen richtete sich nach der Dauer der Feste und der Zahl der Rollen. Nach der angeblich von Plutarch herrührenden Biographie des Demosthenes erhielt der tragische Künstler Polos für ein zweitägiges Spiel ein Talent, nach Gellius aber der Schauspieler Aristodemos ebensoviel für eine Tragödie. Dagegen spricht Lukian von armen Schluckern in demselben Fache, die für sieben Drachmen (damals 6 Mark) auftraten! Ein solcher war wol auch der von Aristo ph an es er­ wähnte Sthenelos, welcher aus Armuth seine Garderobe vertrödelte. Da es nirgend eine länger anhaltende Theatersaison gab, so waren die dramatischen Künstler, wie die gymnischen und musikalischen Virtuosen, fast immer auf Reiseir begriffen und gaben eigentlich nur überall Gastrollen. Sie waren deshalb auch in Kriegszeiten vor feindlicher Behandlung sicher und konnten frei passiven, und die beiden attischen Künstler Aristodemos und Neoptolemos z. B. reisten

während des Kriegs von Attika zu Philipp von Makedonien. Wol aber gingen sie mit den Behörden der Städte Korrtrakte ein, durch die sie sich verpflich­ teten, zu bestimmten Festtagen einzutreffen oder eine Konventionalstrafe zu erlegen. So versäumte der berühmte Athenodoros das Dionysosfest in Athen und sollte nun eine große Summe zahlen. Er bat deshalb den Köllig Alexander, ein Entschuldigungsschreiben für ihn an die Athener zu richten; dieser aber bezahlte lieber die ganze Strafe. Renomnnrte Künstler pflegten auch mit bedeutenden Ansprüchen die Magistrate und besonders die Choregen zu be­ helligen. So erzählt Plutarch im Leben des Phokion: „Als einst die Athener ein neues Trarrerspiel schaueir wollten, verlangte der Schauspieler, der die Rolle der Königin spielell sollte, vom Choregen viele reich geputzte Begleiterinnen, und da er sie nicht erhielt, wurde er ärgerlich, ließ das Publikum warten und wollte nicht Auftreten. Da zog ihn der Choreg Melanthios mit Gewalt hervor und rief: „Siehst Dil nicht, daß Phokion's Frau immer nur mit einer Dienerin ausgeht? Du aber bist üppig und verdirbst uns die Frauenzimmer!" Diese Worte waren laut genug gesprocheil worden, um gehört werden zu können, und das Theater nahm sie mit lautem Beifall auf. Ueberhaupt war der Schau­ spielerstand im Ganzen keineswegs verachtet. Ausdrücklich kann mall dies bei Kornelius Nepos lesen, der in seiner Vorrede gerade unter den Kontrasten zwischen Rom und Hellas folgendes hervorhebt: „Zu großem Ruhm gereicht es in ganz Griechenland, als Sieger zu Olympia verkündet zu werden; die Bühne aber zll betreten und dem Volk als Augenweide zu dienen, hat Niemandenl unter jenen Volksstämmen Schande gebracht, während dies Alles bei uns theils für schimpflich, theils für gemein llnd unanständig erachtet wird." Schon ihre Benennullg „Küllstler des Divllysos" trennte sie voll dem Handwerkerpöbel, und durch die Nothwendigkeit ihrer Betheiliguilg bei religiösen Festen von Wichtigkeit stieg die Achtllng des ganzell Standes. Sie wurden sogar wegen ihrer neutralen Stellung gern zn diplomatischen Missionen benutzt. Aristei­ des und Neoptolemos machten die Friedensvermittler zwischen Athen und Makedonien. Thessalos war von Alexander, als Kronprinzen, einst einer Heiratsverbindung wegen an einen karischen Fürstell als Gesandter geschickt worden, hätte aber beinahe deshalb von den Korinthern dem erzürnten Philipp ausgeliefert werden müssen! Dem tragischen Künstler Theodoros errichteten die Athener am Kephissos ein Denkmal. Kraton, ein Mitglied der Dionysoskünstler von Ionien verwaltete nicht allein die höchsten Ehrenämter in diesem Vereine und würde deshalb mit dem Kranze und drei Bildsäulen geehrt, sondern gelangte auch später am Hofe von Pergamos zu hohen Ehren und fuhr von dort aus fort, seinen ehemaligen Kollegen Gutes zu erweisen. Freilich könnte man an der besseren Geltung der Schauspieler leicht irre werden, wenn man hört, daß die Festordner die Fehler derselben durch Ruthen-

330

Die dramatischen Dichter und Künstler.

schlage bestrafen konnten; denn zu dem bereits erwähnten Beispiel Hermon's, der gegeißelt wurde, weil er zu spät kam, paßt vollkommen, was Lukian über die Sitte im Allgemeinen sagt:

„Auch die Kampfrichter Pflegen geißeln zu

lassen, wenn ein Schauspieler, der die Athena oder den Poseidon oder Zeus

vorstellt, recht schlecht spielt und nicht der Gottheiten würdig; mit) jene zürnen ihnen keineswegs, daß sie diejenigen, welche ihre Masken Vorhaben und ihr

Kostüm tragen, von ihren Polizeidienern schlagen lassen, sondern sie freuen sich wol sogar über die Geißelschlage.

Denn einen Sklaven oder Boten nicht ge­

schickt zu agiren, ist ein geringes Versehen; den Zeus aber oder Herakles nicht

würdig den Zuschauern vorführen, ist abscheulich und schändlich."

Aber eines-

theils konnten die Ruthen dieser Liktoren auch gegen das Publikum selbst in Anwendung gebracht werden, andrerseits ist es bekannt, daß die Hellanodiken

oder Kampfrichter über die Nationalfeste zu Olympia, Nemea, Korinth und Delphi jeden freien Hellenen, der sich gegen die Kampfgesetze verging, ohne

Schonung öffentlich mit Ruthen streichen ließen, daß also Schläge bei solchen

Gelegenheiten überhaupt nicht etwas geradezu Entehrendes hatten.

Doch war

die Lage der Schauspieler dem souveränen Volke im Theater gegenüber eine

keineswegs beneidenswerthe.

Sowol Beifall als Tadel äußerte sich in der lau­

testen und ausgelassensten Weise;

Beifallklatschen und Dacaporufen wechselte

mit Pfeifen und Schreien, und neben dem Blunienwerfen kam auch zuweilen Steinhagel vor.

Demosthenes sagt, daß Aeschines als Schauspieler stets im offenen Krieg mit deni Publikum gelebt und viele Wunden erhalten habe, und der

Komödiendichter Hegemon setzte einst die Zuschauer dadurch in einige Verlegen­

heit, daß er bei Anfang eines seiner Stücke sein Gelvand voll Steine mit ins Theater brachte, im Orchester ausschüttete und dann trocken ausrief: „Hier sind

Steine! Es kann nun werfen, wer da will!" Als desEuripides „Bellerophon"

zur Aufführung kam, erhob sich bei einer Stelle, lvo der Mammon allen edleren Gütern vorgezogen wurde, zornig das ganze Haus und hätte die Schauspieler

von der Bühne getrieben, wenn nicht der Dichter vorgetreten wäre und das

Publikum gebeten hätte, doch den Ausgang des Stückes und das endliche Schicksal

des Geldbrozen abzuwarten. Dabei besaßen die Athener ein so unglücklich feines Gehör, daß ihnen die falsche Aussprache und Betonung keines Wortes entging,

und die Künstler eine Sorgfalt und Vorsicht in dieser Beziehung entwickeln mußten, von der unsere Zeit noch viel lernen könnte.

Als z. B. der Tragöde

Hegelochos im Orestes desEuripides durch Vernachlässigung eines Apo­

strophs dem Verse: „Gerettet aus den Fluthen seh' ich, Ruhe, dich," den Siun gab: „Gerettet aus den Fluthen, seh' ich, Wiesel, dich," mußte er sich sogar ge­

fallen lassen, seinen Fehler von verschiedenen Komikern, auch vonAristophaues,

lächerlich gemacht zu sehen!

Besonders waren die Darsteller der zweiten und

331

Die dramatischen Dichter und Künstler.

dritten Rollen der Verspottung ausgesetzt, uud weun sie endlich gar, sich in

ihre langen Schleppgewänder verwickelnd, hinfielen, wie Aeschines bei Ver­

folgung des Pelops, erscholl ein unauslöschliches Gelächter.

Lukian berührt

auch dies, indem er schreibt: „Wenn, wie es oft geschieht, einer von den drama­

tischen Künstlern mitten auf der Bührie einen Fehltritt thut und hinfällt, erregt dies natürlich bei den Zuschauern Gelächter, iudem die Maske zerbricht zugleich

mit dem Diadem, der wirkliche Kopf aber des Schauspielers blutet und sich die Schenkel weit herauf entblöße:!, so daß sich die unteren Kleider als elende

Lumpen erweisen uud die untergebundenen Stelzschuhe ungestaltet und den:

Maß der Füße nicht entsprechend."

Freilich scheint Lukian überhaupt kein

Freund der dramatischen Kunst gewesen zu sein, vielleicht deshalb, lveil zu feiner Zeit die griechische Bühne schon im Verfall war und selbst Sklaven sich unter den Komödianten befanden. Was endlich die Sitten der Schauspieler betrifft, so mag wol im Gauzeu,

durch unstete Lebensart und wechselnde Glücksumstände bedingt, bereits damals der Makel der Leichtfertigkeit dein ganzen Stande angeklebt haben, wenn auch

vielleicht der Tadel des ernsten Aristoteles zu streng uud zu allgemein ist, der

sich in seinen Problemen findet: „Warum taugen die dramatischen Künstler

meistentheils nichts?

Etwa, weil sie anr wenigsten Antheil an der Philo­

sophie und Redekunst nehmen? — Weil sie den größten Theil ihres Lebens nothgedrungen mit ihrer Kunst beschäftigt sind, und weil sie viele Zeit in Schwel­ gerei zubringen, zuweilen auch in Dürftigkeit leben.

Beides aber führt zur

Immoralität." Auch in Rom gab es kein ständiges Theater, sondern das Schauspiel diente bloß zur Verherrlichung von feststehenden und außerordentlichen Festen,

ohne hier etwas mit dem engeren Dionysische:! Festkreise zu schaffen zu hsben. Nachdem vielleicht seit uralter Zeit iu Latium sich ein nationales, den heutigen Harlekinaden ähnliches Possenspiel mit stehenden Charakterfiguren eingebürgert

hatte, entstand eine öffentliche Bühne erst im Jahre 364 v. Chr., indem auf Anlaß einer Seuche, zur Versöhnung der Götter, das römische Hauptfest, die Ludi Romani, verlängert und im Cirkus ein Brettergerüst aufgeschlagen wurde,

auf welchem etruskische Ballettüuzer uuter Flöteubegleitung auftraten, aber auch Possenreißer und Spielleute jeder Art ihre Künste zeigten.

Kunstmäßige

Bühnenstücke bekam man aber erst seit 240 zu sehen, wo der Tarentiner Andronikus, als Dichter und Schauspieler in einer Person, das erste wirk­ liche Drama, die plumpe Uebersetzung eines griechischen Stückes, den Römern

vorführte.

Seine Neuerung muß Anklang gefunden haben; denn der Senat

begann bald für die Sitten zu fürchten und gab es bis 55 v. Chr. nicht zu,

daß ein steinernes Theater errichtet wurde, ja, er erlaubte sogar lange Zeit nicht, Sitze in dem zu jedem Feste neu aufgeschlagenen Brettergerüste anzubringen, so

332

Die dramatischen Dichter und Künstler.

daß das Publikmn sich seine Stühle nütbringen oder hockend, liegend und stehend dem Schauspiel beiwohnen mußte.

Zu den großen römischen Spielen gesellten

sich aber bald die Plebejischen, Megaleusischen, Apollinar- und Floralspiele als

regelmäßige Veranlassungen zu Theatervorstellungen, und zwar gruppirten sich diese Feste so, daß in der Kaiserzeit die Bühne vom November bis zum April

leer stand.

Außerdem Pflegten aber auch bei der Einweihung von Theatern

selbst dramatische Vorstellungen stattzufinden, wie ausdrücklich von den Theatern

des Pompejus, Balbus und Marcellus erwähnt wird. Auch bei Tempel­ weihen kamen scenische Festspiele vor, wie z. B. im Jahre 179, als Aemilius

Lepidus die Tempel der Juno und Diana vollendet hatte, und 172, als

Fulvius der Fortuna ein Heiligthum widmete.

Ebenso unterließen es die

triumphirenden Feldherrn nie, dem Schaugepränge des Triumphzugs eine thea­

tralische Feier hinzuzufügen, und als in der Kaiserzeit der beim Amtsantritte

der höheren Magistrate entfaltete Flitterstaat für das Schwinden der Amtsgewalt Ersatz bieten sollte, fehlte es auch hier nicht an dramatischen Aufführungen. Endlich lvurden auch häufig beim Tode berühmter Männer scenische Spiele an­

gestellt.

Es geschah dies von T. Fl.amininus zu Ehren seines Vaters (174),

rind die „Brüder" von Terenz wurden zur Feier des verstorbenen Aemilius

Paullus im Jahre 160 v. Chr. gegeben. Schorr aus dieser Aufzählung ergiebt sich, daß hinsichtlich der Bestreitung der Kosten diese Bühnenfeste verschieden sein mußten.

Die von Söhnen und

Verwandten der gefeierten Todten angestellten, sowie die zum Amtsantritte er­ forderlichen Spiele fielen rein den Festgebern zur Last. Die zur Triumphal­ feier nöthigen Summen entnahmen die Feldherrn der in den Staatsschatz abzuführerrderr Kriegsbeute. Die Unkosterr der Tempelweihfeste wurden wol

gewöhnlich vom Senate bewilligt. Aemilius wenigstens erhielt zu dem feurigen

20,000 Aß.

Was aber die jährlich wiederkehrenden Aufführungen anlangt, so

haftete die Verpflichtung dazu auf zwei öffentlichen Aemtern, der städtischen

Prätur und vorzüglich der Aedilität (in der späteren Zeit auf der Quästur und

dem Konsulat).

Der Staat gewährte wol zu den Spielen bestimmte Summen,

dieselben waren aber von alter Zeit her nornrirt (zu den „römischen" gab die

Staatskasse im Ganzen 200,000 Aß oder 43,000 Mark), wo die Ansprüche

noch sehr bescheiden waren, und bald gehörte es bei den Festgebern zum guten Ton und zu den Mitteln der Spekulation, sich so freigebig als möglich zu zeigen, so daß nun die Privatzuschüsse auch zu den scenischen Darstellungen die Höhe

der Dotationssummen weit überstiegen und eben so drückend für die betreffenden Beamten wurden, wie die Choregie in Athen für die Klasse der Reichen.

Die

Aedilen übten zugleich, wie die Archonten, die Theaterpolizei. Nahte die Festfeier heran und sollte ein neues Stück auf die Biihne ge­

bracht werden, so kaufte der Magistrat es dem Dichter ab, wobei aber freilich

in älterer Zeit die fatale Bedingung im Kaufkontrakt stand, daß das Honorar nur gezahlt wurde, wenn das Drama gefiel! Später ist davon keine Rede mehr; im Gegentheil schreibt Horaz in einer Satire vom dramaüschen Dichter: „Er trachtet nur darnach, das Geld in den Beutel zu schieben, unbekümmert hinterdrein, ob das Stück durchfällt oder sich behauptet." Bevor aber der Kauf geschlossen ward, ließ sich der Festgeber das Werk vorlesen oder veranlaßte einen sachverständigen Freund, dasselbe zu prüfen. Als daher Terenz sein erstes Lustspiel, „das Mädchen von Andros", den Aedilen anbot, mußte er es dem damals schon hochbejahrten komischen Dichter Cäeilius vorlesen. Dieser saß gerade bei Tische, als der ärmlich gekleidete Freigelassene eintrat, und hieß ihn seinen Vortrag, auf einem Bänkchen neben seinem Speisesopha sitzend, beginnen. Nach wenigen Versen aber lud er Terenz ein, mit ihm zu speisen, und hörte nach der Mahlzeit das Lustspiel mit steigender Bewunderung zu Ende. Ein ähnlicher, von den Poeten viel gefürchteter ästhetischer Cerrsor war später Mäcius Tarpa, den Pompejus mit Prüfung der im Jahre 55 aufzufüh­ renden Dramen betraute und der auch unter Augustus den offiziellen Ge­ schmacksrichter in Bühnensachen spielte. Ueber die Höhe der Honorare ist wenig bekannt. Terenz bekam für seinen „Eunuch" 8000 Sesterzen (1400 Mark), und dies wird als das höchste bis dahin erzielte Honorar bezeichnet. Jedenfalls wird später das Dichterhoirorar mit den steigerrden Fordermlgen der Schauspieler nicht gleichen Schritt gehalten haben. Doch sagt Ovid: „Je weniger die Bühne nützt, sie ist doch einträglich für den Dichter, und so große Schandthaten (bezüglich des Inhalts der Lustspiele) kauft der Prätor um keine geringe Summe." Varius, der Freund Virgil's, bekam für sein Trauerspiel „Thyestes" vom Kaiser Augustus ein Gnadengeschenk von einer Million Sesterzen (217,500 Mark). War das Stück einmal gegeben, so konnte der Dichter bei späteren Aufführurrgen, wie es scheint, keine Tantieme fordern. Am häufigsten wurde dieses Repetiren alter, besonders Plautinischer Stücke int letzten Jahrhundert v. Chr., wo Tragödie und Komödie bereits innerlich abzu­ sterben begannen. „Die neuen Lustspiele", beginnt ein damals gefertigter Prolog der „Kasina", „sind viel schlechter als die neue Scheidemünze." Auch die Trauerspiele des Attius (150 v. Chr.) und Pakuvius (200) wurde damals so häufig gegeben, daß Cicero behaupten konnte, er kenne Leute, die bei den ersten Tönen des Flötenspielers sofort anzugeben im Stande wären, welcher Tragödie das Rezitativ angehörte. Sagt doch noch Horaz von seiner Zeit, daß die alten Stücke längst todter Dichter von seinen Zeitgenossen auswendig gelernt und bei vollem Hause gespielt würden. Natürlich hatte sich hinsichtlich solcher Dramen der Magistrat nur mit ben Schauspielern in Verbindung zu setzen. Livius Andronikus aber sah sich bei seinem Versuch, die griechische Form des Dramas auf römischen Boden zu verpflanzen, aus Mangel gebildeter

334

Die dramatischen Dichter und Künstler.

Schauspieler genöthigt, selbst die ersten Rollen zu übernehmen, und soll dabei

eine Neuerung eingeführt haben, die von ihm an stets das römische Drama charakterisirte.

Die Größe und Offenheit der antiken Theater verlangten künstliche Mittel Zur'Verstärkung der menschlichen Stimme, und da in Rom die Schallgefäße

und Schallmasken fehlten und die Resonanz des Holzbaues der des steinernen

Theaters nicht gleichkam, so glaubt nmii es gern, daß er sich bei seinem häufigen

Auftreten heiser schrie.

verfiel.

Sonderbar dünkt uns freilich der Ausweg, auf den er

Er ließ die lyrischen Monologe von einem Sänger mit Flötenbeglei­

tung absingen und beschränkte sich darauf, den Text mit stummer Gestikulation zu begleiten!

Außerdem griff er und seine Nachfolger bei Uebertragung und

Verschmelzung griechischer Lustspiele nach den beliebtesten Dichtern der neueren attischen Komödie, die aus Mangel poetischer Freiheit und auch wegen der

steigenden Verarmung Griechenlands der Chorgesünge entbehrten, und so scheint denn nur die überhaupt viel weniger angebaute Tragödie in Rom mit Chören

ausgestattet worderr zu sein.

Von einem Wettstreit mehrerer Dichter konnte

anfangs nicht die Rede sein; aber auch für die spätere Zeit stimmt die römische

Weise zu konkurriren nicht mit der hellenischen, da es scheint, als sei jeden Tag nur ein Drama aufgeführt worden.

Das Volk kam nach einer Andeutung bei

Plautus nach dem zweiten Frühstück ins Theater und wird fast regelmäßig am Ende der Stücke aufgefordert, sich zu erheben und nach Hause zu begeben. Am Schlüsse des Plautinischen „Lügennranls" werden die Zuschauer sogar auf

derl rlächsten Tag wieder eingeladen.

Denn gewöhnlich füllten die scenischen

Spiele drei bis vier Tage hintereinander (zum ersten Male vier schon im

Jahre 213 v. Chr.), in der Kaiserzeit zuweilen mehrere Tage und Nächte nm

unterbrochen!

Die Zuerkennung eines Preises für die Dichter käme mein schwerlich be­

zweifeln. Nicht nur heißt es bei Horaz in Bezug auf den dramatischen Dichter: „Fahre wohl, Bühnenspiel, wenn die verweigerte Palme mich harmvollen, die verliehene fröhlichen Gesichts nach Hause führt;" sondern auch Ovid sagt:

„Wenn der Liebhaber den Ehegemahl durch eine neue List hintergangen hat,

klatscht man und giebt die Palme mit großem Applause," und endlich äußert sich Cicero hinsichtlich der nach Cäsar's Tod von Brutus veranstalteten

Spiele gegen Antonius:

„Ihr müßtet denn etwa glauben, das damalige

Beifallklatschen habe dem Attius gegolten, und es sei demselben 60 Jahre

nach seinem Tode die Palme gereicht worden!"

Auch in späteren Inschriften

kommen Hinweisungen auf wirkliche Bekränzungen der Dichter vor.

Die ent­

scheidenden Richter über den Vorzug der Dichter und der Schauspieler waren

aber in Rom keine vereidete Konimission, sondern das gesammte Publikum gab durch seinen Beifall in stärkerer oder schwächerer Weise dem Vorsitzen-

den Beamten den Maßstab an die Hand, nach welchem der Preis zu ertheilen war, oder ließ dilrch Tumult und Verlassen des Theaters das Stück durchfallen.

Es erhellt diese Sitte als eine italische nicht nur aus der oben zitirten Stelle aus Platon's Gesetzen, sondern auch Donat nennt das Klatschen geradezu

„des Volkes Votum", iiiit) darum verfehlten die Schauspieler auch nie, am Ende ihres Spiels das Publikum um seine Beifallsbezeigungerr ausdrücklich zu er­

suchen, und sie sowol als die Dichter bestrebten sich direkt und indirekt außerdenr auf das Volk einzuwirken.

Jrrteressant ist in dieser Beziehung der Prolog

zum „Amphitruo" des Plautus, wo die Schauspieler, um alten Verdacht der Parteiumtriebe von sich zu entferueu, selbst (ins Bestrafung der Claque an­ tragen: „Jetzt läßt mich Jupiter dies von Euch erbitten, daß Aufpasser insgeheinr durch alle Sitzreihen im ganzen Theater umhergehen; wenn sie angestellte

Gunstmacher erblicken, so möge ihnen sofort die Toga abgepfändet werden. Denn

wenn Jemand für die Schauspieler um die Palme wirbt, wenn er sie irgend

einem Künstler verschafft, entweder schriftlich oder in eigener Person, oder durch

Unterhändler, oder wenn sogar die Aedilen sie gewissenlos Jemandem geben,

so soll auf Jupiter's Befehl dasselbe Gesetz in Anwendung kommen, wie wenn einer für sich oder einen Andern Amtserschleichung übt."

Später wurde die

Claque ein förmliches Gewerbe, und Martial fragt einen ehrlichen armen Mann, wovon er denn in Rom leben wolle, wenn er es nicht über sich ge­

winnen könne, Kuppler oder Herold oder Frauetlverführer zu werden, oder Schauspielern und Musikern Beifall zu klatscheu! Auch die Dom kaiserlichen Bühnenhelden Nero organisirte Ltrme von Claqueurs — 5000 handfeste

Soldaten, die in der Klatschkunst besonderrr Unterricht erhielten — giebt einen Begriff von dem Umfange, den dieser Unsilg später gewann.

Außer den Kabalen, die den dranlatischen Dichtenr und Darstellern von Feinden und Konkurrenten gespielt wurderr, stand ihrem Erfolge aber auch die

eigenthümliche Launenhaftigkeit und Jildoletiz des römischen Volkes im Wege,

das in der früheren Periode den römisch zugestutzten, ausländischen Bühnen­

produkten zu wenig Sympathie und Kunstverstäirdniß entgegenbrachte und später sein steigendes Interesse lediglich durch den äußeren Prunk, die Pracht der Scenerie und den Reichthuni der Kostüme bestimmen ließ, während zugleich die nun als Zwischenspiele eingelegten nümischen Charakterpossen, flüchtig und bunt,

wie die neueren französischen Tagesstücke, und von Augustus' Zeit an das

pantomimische Ballet beinahe alle Theilnahme am eigentlichen Drama absorbirten.

Diese ungeduldige Schaulust mag manchem Dichter ähnliches Fiasko

bereitet haben, wie Terenz zweimal bei Aufführung seiner „Schwiegermutter"

erfuhr.

„Als ich sie zunr erstenmal in Scene setzte," sagt er, „erwartete das

Publikum mit Spannung berühnlte Faustkämpfer und einen Seiltänzer.

Das

Zuströmen des sich ihnen anschließenden Gefolges, der Lärm, das Geschrei der

336

Die dramatischen Dichter und Künstler.

Weiber, dies nöthigte mich, vor der Zeit die Vorstellung zu schließen.

Allein

meiner alten Gewohnheit treu bleibend, machte ich einen zweiten Versuch, das

Stück auf die Bühne zu bringen.

Der erste Akt gefällt; aber mif das Gerücht

hin, daß Gladiatoren auftreten sollten, entsteht ein Zusammenlauf des Volkes;

man tobt, man schreit, man streitet um die Plätze, so daß ich den meinigen nicht

behaupten konnte."

Die Mannigfaltigkeit und Ueberladung des scenischen

Apparats wirkte erdrückend und „benahm", wie Cicero sagt, „den Zuschauern

die Heiterkeit der Stimmung."

Bei den scenischen Spielen des Pompesus

erschienen in der „Klytämnestra" des Attius 6000 Maulesel, im „Trojanischen

Pferde" 3000 Mischkessel auf der Bühne.

Noch bezeichnender für den verdor­

benen Geschmack ist die Klage des Horaz: „Wenn die Ritter (als die Gebilde­

teren) anderen Sinnes sind, verlangt man mitten im Drama einen Bärenkampf

oder Athleten; denn hieran ergötzt sich der Janhagel.

Aber auch des Ritters

Vergnügen ist bereits vom Ohre gewandert zu den unsteten Augen und zu eiteln Freuden. Drei oder vier Stunden bleibt der Vorhang offen, während Reiterge­ schwader und Haufen Fußvolk vorbeieilen; dann schleppt man unglückliche Könige

mit gebundenen Händen; Streitwagen rasseln, Karossen, auf Wagen geladene Schiffe, erobertes Elfenbein, die Beute von ganz Korinth wird einhergetragen.

Demokrit würde lachen, wenn er noch auf Erden wäre, möchte nun eine Giraffe oder ein weißer Elephant die erstaunten Augen des Volkes auf sich ziehen; auf­ merksamer als dem Spiele würde er dem Volke zuschauen, weil es ihm mehr

Unterhaltung gewähren würde als das Schauspiel, von den Dichtern aber meinen, daß sie tauberr Ohren predigten."

Endlich hatten sich die Verfasser von dramatischen Werken in Rom vor allen verfänglichen Anspielungen auf politische Zeitverhältnisse und lebende Per?

fönen zu hüten, da der aristokratische Stolz des Röniers dem gewöhnlich aus niederem Stande entsprossenen Dichter, der sich in seinen Augen durch Lohn­

schreiberei zur Klasse der Handwerker erniedrigte, keine Aristophanische Licenz gestattete. Genug gewarnt vor derartigen Ausschreitungen waren die Dramaüker durch das Beispiel des Nävius, des ersten römischen Dichters von Geist und nationalem Bewußtsein.

Gleich nach Livius Andronikus hatte dieser

es gewagt, mit rücksichtslosem Freimuth die Aristokratie, besonders die Fannlien der Meteller und Scipionen, anzugreifen, bis ihn ein Konsul aus dem ersten Hause auf Grund des Zwölftafelgesetzes belangte, daß Niemand Hohnlieder

singen und Spottlieder auf Personen verfertigen sollte.

Er wurde mit Ge­

fängnißstrafe belegt (wodurch er Muße gewann, zwei

neue Lustspiele

zu

schreiben), durch Hilfe des Volkstribunen wieder befreit, aber bald darauf durch die Adelspartei verbannt, weil er in seinen früheren Ton zurückgesallen war. Wie einschüchternd diese Maßregel wirkte, verräth sein Zeitgenosse Plautus im „Prahlerischen Soldaten", wo es über die Stellung und die Gesten eines

Nachdenklichen heißt: „Sieh, jetzt baut er; sein Kinn hat er durch eine Säule gestützt. Bah! Wahrlich jene Bauerei gefällt mir nicht; denn ich habe erfahren, daß so der Mund einen: römischen Dichter gestützt worden ist, bei dem zu jeder Stunde zwei Wächter gelagert sind:" Wie bereits angedeutet, hatten es die Veranstalter dramatischer Vorstel­ lungen weniger mit den Dichtern, die durch das Honorar abgefunden wurden, als mit den Schauspielern selbst zu thun. Da sich die römische Schauspielkunst besonders auch dadurch von der griechischen unterschied, daß nicht bloß drei dramatische Künstler die Rollen der einzelnen Stücke besorgten, sondern, wie bei uns, so viel Personen auftraten, als jedes Stück verschiedene Rollen hatte, waren die Schauspielertruppen, die sich schon früh gebildet zu haben scheinen und den Nanien ihrer Direktoren führten, mit mehr Mitgliedern versehen, als die hellenischen. Den Vorsteher einer guten Truppe suchte natürlich der Ma­ gistrat zu gewinnen und über die Zeit des Spiels und die Besoldung ein Ueber­ einkommen zu treffen. L. Scipio Asiatikus brachte das Geld und die griechi­ schen Schauspieler zu seinen zehntägigen Spielen auf einer Gesandtschaftsreise in Asien zusammen. Brutus reiste, als er seine prätorischen Spiele geben wollte, selbst nach Neapel, um sich mit dortigen Künstlern zu besprechen, mit) schrieb, wie Plutarch erwähnt, an seine Freunde, sie möchten einen Schau­ spieler, Namens Kanubius, der großen Ruf hatte, bereden, sich bei seinen scenischen Spielen zu betheiligen, „weil er es für unerlaubt hielt, einen gebornen Griechen mit Gewalt dazu zu zwingen". Zur Zeit des Dichters Terenz scheint besonders Ambivius Turpio in Gemeinschaft mit Attilius aus Präneste den meisten Zulauf gehabt zu haben. Im „Selbstqnäler" rühmt er von sich, daß er nie zu habgierig auf hohes Honorar gewesen sei, und bittet das Publi­ kum auf sein hohes Alter Rücksicht zu nehmen: „Die Verfertiger neuer Stücke schonen den alten Mann nicht. Wenn das Stück mühevoll ist, läuft man zu mir; ist es leicht, so überträgt nian es einer andern Gesellschaft." Doch gab es während der Kaiserzeit in Rom auch eine ansässige Gesellschaft griechischer Künstler, wie aus verschiedenen Grabschriften hervorgeht; auch in Gallien sind griechische und kleinasiatische Künstler aufgetreten und für die bacchischen Feste muß man sich dieselben beinahe als nothwendiges Zubehör denken. Die Mitglieder der Schauspielergesellschaften waren keineswegs freige­ borene Leute wie in Athen, sondern Sklaven und Freigelassene. So findet sich bei Tacitus die freilich etwas übertriebene Behauptung, daß seit des Mummius Zeit (146 v. Chr.) kein Römer von anständiger Herkunft sich mit den Theaterkünsten verunehrt habe. Auch Seneka drückt den grellen Kontrast zwi­ schen der Rolle und der Lebensstellung eines Schauspielers in folgenden Worten aus: „Jener Mensch, der stolz über die Bretter einherschreitet und sich in die Brust werfend, spricht: „„Sieh, ich beherrsche Argos; Pelops hinterließ mir Göll, Kulturbilder. I. 22

338

Die dramatischen Dichter und Künstler.

das Reich, bis wo der Jsthmos vom ionischen Meere und Hellas' Runde ge­ engt wird,"" ist ein Sklave; er erhält fünf Scheffel Weizen (die moiratliche

Sklavenration) und fünf Denare (4 Mark 30 Pf., wahrscheinlich Spielgeld). Jener, welcher aufgeblasen und übermüthig und voll Selbstvertrauen ruft:

„„Wenn Du nicht ruhig bist, Menelaos, wirst Du durch meine Rechte hin­ gestreckt werden!"" steht auf Tageskost und schläft in Lumpen." Cicero schreibt

es seinem Freund Attikus als eine große Seltenheit, daß Antiphon vor seinem Debüt freigelassen worden sei.

Der Kaiser Tiberius besuchte in der

spätern Zeit besonders deshalb ungern das Theater, weil ihn einst das Publikum

genöthigt hatte, dem Schauspieler Attikus die Freiheit zu schenken. Hadrian

wich einem ähnlichen Verlangen mit der Erklärung aus, es zieme sich nicht, daß er den Sklaven eines fremden Herrn freilasse.

Die Sklaven gehörten nämlich

meist nicht den Direktoren der dramatischen Gesellschaften, sondern anderen Privatpersonen, welche dieselben bei sichtbaren Talenten für das Theater unter­

richten ließen und dann an die Direktionen vermietheten oder auch in ihrem eigenen Hause auftreten ließen.

das Bruchstück Roscius.

Recht deutlich wird das Verhältniß durch

der Ciceronianischen

Rede

für

den

berühmten

Komiker

Dieser hatte Panurgos, den Sklaven eines gewissen Fannius

Chärea, unter der Bedingung in die Lehre genommen, daß der zu hoffende Gewinn zu

werden sollte.

gleichen Raten zwischen ihm und

dem Eigenthümer getheilt

Der Prozeß war nun dadurch entstanden, das Panurgos nach

glänzenden Erfolgen von Flavius aus Tarquinii getödtet worden war, der

den Roscius mit einem Landgut, das 100,000 Sesterzen werth war, ent­ schädigte, worauf Fannius von dieser Summe die Hälfte beanspruchte, obgleich

er angeblich bereits eine nicht geringere erhalten hatte.

Zugleich erkerurt man

hieraus den hohen Werth solcher dramatisch gebildeter Sklaven. Zeit unterhielt auch

Zu derselben

ein gewisser Statilius eine Schauspielerschule.

Sie

scheint jedoch an Ruf der des Roscius nachgestanden zu haben. Die Vorsteher der Truppen übernahmen gewöhnlich, wie in Griechenland, die ersten Rollen und trafen ihre Auswahl natürlich nach Maßgabe ihrer In­ dividualität.

Daher schreibt Cicero: „Man muß zusehen, daß die Bühnen­

künstler nicht mehr Klugheit, als wir, zu entwickeln scheinen. Denn diese suchen nicht die schönsten, sondern die angemessensten Stücke aus: die „Klytämnestra"

und „Melanippe", wer sich auf seine Gestikulation verläßt, die „Epigonen",

und den „Meder", wer seiner Stimme traut.

Immer nahm sich Rutilius,

dessen ich mich noch erinnere, die „Antiope", nicht oft Aesop den „Ajax".

Waren die Stücke nicht mehr neu, so

Stelle der Dichter in Wettkampf.

traten

die Schauspieler selbst an

Deutlich ergiebt sich dies nicht nur aus dem

bereits erwähnten Prolog zum „Amphitruo", sondern auch aus dem zum „Jungen Punier", wo es von den Veranstaltern des Festes heißt: „Möge nicht

339

Die dramatischen Dichter und Künstler.

Anrechtmäßig einem Künstler die Palme gegeben und nicht die Guten aus Par­

teilichkeit Hinausgetrieben werden, um die Schlechten ihnen vorzuziehen."

Daß

dem Sieger wirklich ein Palmzweig gereicht wurde, beweist wol außer vielen

Stellen bei den Schriftstellern, nach denen man aber freilich die Erwähnung der Palme auch tropisch fassen kann, schon Livius in der Geschichte des Jahres

293, indem er erzählt, daß damals zuerst nach griechischer Sitte den Siegern

in den großen römischen Spielen Palmzweige gegeben worden seien. Der später

hinzutretende scenische Theil der Spiele wird wol schwerlich eine Ausnahme von dieser Sitte gemacht haben.

Außer diesem Symbol winkten den streitenden

Künstlern auch reellere Preise. Namentlich bestanden diese aus vergoldeten und goldenen Kränzen.

Als der jüngere Kato statt derselben Olivenkränze verab­

reichte, wußte das Publikum schon nicht, ob es lachen oder unwillig werden Freilich pflegten die goldenen Blätter wol oft recht leicht zu sein und

sollte.

Martial vergleicht sie mit Spinngeweben, Seifenschaum und der Haut des

Eies! Vespasian schenkte bei den dramatischen Aufführungen zur Einweihung des restaurirten Marcellus-Theaters dem Tragöden Apollinaris 400,000 Sesterzen (87,000 Mark) und anderen Künstlern nicht unter 40,000, und ver­

theilte außerdem viele goldene Kränze.

Nach einer Andeutung Cicero^s

scheinen diese goldenen Ehrengeschenke aber gewöhnlich denselben Weg gewandert

zu sein, wie heutzutage die mit Diamanten besetzten Uhren und Ringe! Später bestand der Preis gewöhnlich in Geld, und zwar durften die Festgeber nach einer Verordnung des Kaisers M. Antoninus ihre Freigebigkeit nicht über

zehn Goldstücke (damals — 10 Friedrichd'or) steigern, während das geringste

Geschenk aus der Hälfte bestehen sollte.

Elagabal und Karinus pflegten

auch prächtige seidene Kleider den Schauspielern zu geben; Alexander Seve­

rus, kein Freund der dramatischen Kunst, „gab niemals Gold, niemals Silber, kaum Geld."

Ueber die Gage der Schauspieler läßt sich nichts Bestimmtes sagen.

Sie

wechselte, wie in Athen, je nach Verdienst und Glück von wenigen Mark bis

zu hohen Summen, war aber im Ganzen geringer als in Hellas, besonders bei Vergleichung mit der makedonischen Zeit, was sich freilich durch das viel öftere Vorkommen scenischer Aufführungen in Rom reichlich ansglich. höchste Spielgeld, das erwähnt wird, erhielt Roscius.

Das

Es betrug 1000 De­

nare oder 700 Mark, wobei seine Truppe noch besonders honorirt wurde.

Dadurch und durch seine Unterrichtsstmrden stand er sich auf jährlich 105,000

Mark, so daß er in den letzten Jahren für seine Person auf Bezahlung ver­

zichtete.

Auch der Tragiker Aesop hinterließ trotz seiner beispiellosen Ver-

schwendung seinem nichtsnutzigen Sohne zwanzig Millionen Sesterzen oder beinahe

4Millionen Mark! Die gleichzeitige Ballettänzerin Dionysia berechnete ihre jährliche Einnahme auf 35,000 Mark. Jedoch dies sind Größen ersten 22*

340

Die dramatischen Dichter und Künstler.

Ranges und von ihnen hinab bis zil dem armen Sklaven, der die wenigen

Denare, welche er verdiente, seinem Herrn abliefern mußte, welche lange Stufen­ leiter! Unter Tiberius wurde übrigens das Honorar der Schauspieler, unter

denen von da an die Pantonümen die gesuchtesten waren, beschnitten und durch Senatsbeschluß normirt.

Das Verhältniß der Schauspieler zum Publikum war in Rom noch kitzlicher und peinlicher als in Athen, da, wie aus dem früher Erwähnten hervor­

geht, über ihre Leistungen die Zuschauer selbst zu Gericht saßen, da deren Hang

zu dem die Sinne Bestechenden so überwog und da die Schauspielerzunft über­ haupt eine viel tiefere Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft einnahm, als in Griechenland.

Gefiel der Akteur an irgend einer Stelle durch seine Gestikulation

oder Rezitation besonders, so verlangte auch das römische Publikum stürmisch

die Wiederholung.

Oft erwarben sich auch die Schauspieler die Gunst der An­

wesenden durch kecke Impromptus. Aesop wurde beklatscht und zur Wiederholung

aufgefordert, als er im „Brutus" des Attius den Namen Brutus mit Tullius vertauschte und so auf den verbannten Cicero, als den Retter des Vaterlandes, anspielte.

Diphilos sagte einst mit Beziehung auf Pompejus

den Großen: „Durch unser Elend bist Du groß!" und fand rauschenden Bei­ fall.

Dagegen reichte auch der geringste Fehler hin, um den Unwillen des viel­

köpfigen Richters wach zu rufen.

„Wenn der Schauspieler", sagt Cicero in

seinen Paradoxen „nur ein wenig sich falsch bewegt, oder einen Vers um eine

Silbe zu lang oder zu kurz ausspricht, wird er ausgepfiffen und ausgepocht." Davor waren selbst die Lieblinge des Publikums nicht sicher.

Sogar Ros-

cius wurde durch Schreien und Lärm unterbrochen und Aesop ausgezischt, wenn

er ein wenig heiser lvurde; nur als er int hohen Alter bei den Spielen des Pompejus noch einmal in der „ Klytämnestra" auftrat und gerade an der

pathetischsten Stelle die Stimme verlor, „fand er das Volk nachsichtig", wie

Cicero schreibt.

Sehr oft gesellten sich zu dem Pfeifen auch Schimpfwörter mit) das Volk tobte dann so lange, bis der Unglückliche abtrat. Gewöhnlich wartete aber hier­

aus seiner noch die auf Befehl des Vorsitzenden Magistrates vollzogene Geiße­ lung. Am Ende der Plauünischen „Cistellaria" sprechen dies die Schauspieler offen aus: „Wartet nicht, Ihr Zuschauer, bis die ins Haus Gegangenen wieder zu Euch kommen; Geschäft beendigen.

Niemand wird herauskommen.

Alle werden drinnen ihr

Wenn dies geschehen ist, werden sie den Schmuck ablegen,

sodann wird auf der Stelle seine Schläge erhalten, wer ein Versehen begangen;

wer nicht gefehlt hat, wird zechen."

Auch im Prolog zum „Amphitruo" ist

die Rede davon, daß jedem Schauspieler „das Fell gegerbt werden soll", der sich Claqueurs anstellte.

Wirklich sieht man auch auf einem pompejanischen Wand­

gemälde, das eine Szene aus dem „Bramarbas" des Plautus darstellt, zu

341

Die dramatischen Dichter und Künstler.

beiden Seiten der Bühne je einen bejahrten Mann mit dem ominösen Knotenstock sitzen! Wahrscheinlich wird diesem Schicksal auch der Schauspieler Fufius nicht entgangen sein, der einst in dem Trauerspiele des Pakuvius „Jlione^ die Titelrolle spielte und, als der Schatten des ermordeten Deiphilos aus der

Uickerwelt emporstieg und ihn (als seine schlafende Mutter) in kläglicher Weise

um das Begräbrüß bat, nicht zu erweckell war, — weil er einen tüchtigen Rausch ausschnarchte! Vor August hatten die Behörden sogar das Recht, die Komö­

dianten außer der Bühne geißeln zu lassen. Der Kaiser beschränkte dies auf ihren

Beruf, und als unter Tiberius ärgerliche Theaterexzesse den Antrag auf Wieder­ herstellung des früheren Berhältnisses hervorricfen,wurde derselbe durch das

Veto eines Volkstribunen beseitigt.

Die Rechtlosigkeit des Standes gegenüber

der Polizeigewalt hing übrigens in Rom damit zusammen, daß auf ihm der

Bann der Bescholtenheit mit) Ehrlosigkeit lastete.

In den Pandekten figurirerr

die Schauspieler als infames gleich neben den Kupplern, desertirten Soldaten, Gaunern und Dieben, mit) die Censoren unterließen es nie, alle solche Subjekte

für unfähig zu erklären, int Heere zu dienen und das Stimmrecht auszuüben.

Als der Mimendichter Laberius, ein römischer Ritter, von Cäsar genöthigt, in einem seiner Stücke selbst ausgetreten war, wollten ihn seine Stairdesgenossen

Cieero hebt als Unterschied

nicht mehr im Theater unter sich sitzen lassen.

von römischer Sitte hervor, daß die griechischen Städte Unteritalicns oft schon

Schauspielern das Bürgerrecht verliehen Hütten, und nennt dabei deren Kunst eine „niedrige".

Ebenso sagt er von Roseius, derselbe sei seiner vortreff­

lichen Eigenschaften wegen werth, kein Schauspieler zu sein, und auch Valerius

Maximus meint, nicht die Kunst habe den Roseius, sondern dieser

die

Kllnst empfohlell. Nur diejenigen jungen Leute, die von Alters her als Dilettarrten die

improvisirten Charakterpossen der Atellanen aufführterr, waren frei von dem Schimpfe der Zunft, so lange cs nicht Schauspieler von Profession waren; „denn," wie Livius sagt, „die römische Jugend behielt bei dem Aufkommen des lvirklichen Dramas ihre einheimischen Atellanen für sich und duldete nicht,

daß sie von den Komödianten befleckt würden." der dramatischen Künstler blieben dieselben,

Die rechtlicher: Verhältnisse

auch als ihre

gesellschaftliche

Stellung sich bei dem steigenden Interesse am Bühnenwesen hob und die Optimalen anfingen,

sich von den früheren Vorurtheilen zu emanzipiren.

Natürlich war dies besonders der Fall den Meistern ersten Ranges gegenüber,

wenn sie noch dazu, wie Roseius, mit ihrer Kunstfertigkeit edle menschliche Eigenschaften vereinigten.

Dann schenkten ihnen sogar Staatsmänner ihre

Freundschaft und ihr Vertrauen, wie denn zum Beispiel der Konsul Lutatius sich herabließ, dem hochgefeierten Roseius ein Epigramm zu widmen, worin er denselben mit

dem

„aufgehenden Sonnengott"

verglich.

Sulla

und

342

Die dramatischen Dichter und Künstler.

Antonius gaben hierin, freilich auf anstößige Weise, den Ton an. war am liebsten in Gesellschaft von Bühnenkünstlern,

Jener

machte ihnen, wie

Plutarch erzählt, in lustigen Einfällen und Spöttereien den Rang streitig

und ließ sich von ihnen in vielen Dingen lenken und leiten. Auch in Griechenland, besonders im Seebade zu Aedepsos auf Euböa, bildeten Schauspieler seine ausschließliche Gesellschaft.

Auch Pflegte er solche Lieblinge mit goldenen

Ringen und Ländereien zu beschenken.

Noch schlimmer sah es im Hause des

Antonius aus: „Ganze Weinlager", sagt Cicero, „wurden den liederlichsten

Menschen geschenkt; Vieles rafften Mimen weg, Vieles Tänzerinnen; das

Haus war mit Spielern angefüllt, voll von Trunkenen."

Selbst während der

Kriegsrüstungen gegen Oktavian ließ er an alle „Künstler des Dionysos" das

Gebot ergehen, sich auf der Insel Samos einzufinden, und „während die Länder ringsum seufzten und weinten, ertönte diese eine Insel von Flöten-

und Harfenspiel, waren die Theater gefüllt, wetteiferten die Chöre."

Am

skandalösesten war sein Verhältniß zur schönen Tänzerin Kytheris. Wie wenig

aber auch später der frühere konventionelle Zwang in: Benehmen gegen die

Schauspieler beobachtet wurde, zeigt der Senatsbeschluß vom Jahre 15 n. Chr., wodurch den Senatoren verboten werden mußte, die Häuser der Pantomimen zu betreten, den Rittern, dieselben auf der Straße zu begleiten.

hatte Apelles von

Askalon,

den

Kaligula seiner Zeit,

berühmtesten Tragöden

Hadrian den Komiker Aristomenes aus Athen immer um sich. Daß endlich auch in Rom an dem ganzen Stande der Geruch der Leicht­

fertigkeit haftete, geht aus unzähligen Aeußerungen der Schriftsteller hervor,

zum Theil auch schon aus den hier angezogenen. Hatte Aristoteles das Leben

der griechischen Schauspieler getadelt, so empfahl der Philosoph Tauros, ein Zeitgenosse Antonin, des Frommen, einem Jüngling, den er vom Umgänge

mit derselben Klasse von Leuten heilen wollte, die betreffende Stelle in den Aristotelischen Problemen zum Lesen. Noch Philostratos sagt vom Sophisten Erodianos aus Smyrna:

„Als

ihm die Aufsicht über die Schauspieler

übertragen wurde, eine Klasse von Menschen, die anmaßend und schwer zu

regieren ist, zeigte er sich seinem Amte vollkommen gewachsen."

Es war eben

ein lustiges Völkchen, das gern und ohne Gewissensbisse dem Schlemmer und Verschwender sein Hab und Gut verprassen half, wenn das Glück nicht so

lächelte, daß es, wie der reiche Aesop, offene Tafel für Andere zu halten im

Stande war.

Plinius, der Aeltere, erzählt aus älterer Zeit vom Komiker

M Ofilius: „Als derselbe an seinem Geburtstage dem Volke sehr gefallen hatte

und seinen Freunden einen Schmaus gab, forderte er nach der Mahlzeit einen Trunk warmen Weines und nahm zugleich den Kranz vom Haupte um ihn der Maske, in der er am Tage gefallen hatte, aufzusetzen.

In dieser Stellung

wurde er eine Leiche, ohne daß es Jemand merkte, bis ihn endlich sein Tisch-

Die dramatischen Dichter und Künstler.

343

nachbar emittierte, seinen Becher nicht kalt werden zu lassen!" So machte also Ofilius seinem Beinamen „der Heitere" (Hilarus) noch im Sterben Ehre. Am

meisten verrufen in sittlicher Beziehung war das Personal der Mimen, unter denen sich Frauen und Mädchen befanden.

Den Ruf feiler Courtisanen er­

hielten auch die Schauspielerinnen, welche in der späteren Kaiserzeit die weib­

lichen Rollen im wirklichen Drama übernahmen.

Daß dies bereits in der

Mitte des vierten Jahrhunderts geschah, ist aus einer Bemerkung ersichtlich,

die der Grammatiker Donat zur „Andria" desTerenzgemacht hat. „Merket," schreibt er,

„daß eine Hauptrolle in dieser Komödie der Mysis zugetheilt

wird, das heißt einer weiblichen Person, es sei, daß sie von verkleideten Männern, wie bei den Alten, oder von Frauenzimmern, wie wir heut zu Tage sehen, ge­ spielt wird."

XXIII.

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten. staatlichen Verhältnisse nicht bloß, sondern auch die Art der GerichtsPflege waren in Athen der Bildung eines Juristenstandes höchst E Bläsi ungünstig. Nachdem die Ausübung der Jurisdiktion völlig in die

Hände des Volkes übergegangen war, sanken die Staatsbeamten beinahe selbst zu bloßen Instrumenten, Präsidenten und Exekutoren der Volksgerichte herab,

und bei dem jährlichen Wechsel derselben wird wol oft, wie es auch in Rom vorzukommen Pflegte, mehr Kenntniß des Rechtes und der Gesetze bei

den Schreibern und Dienern der Kanzleien als bei der Magistraten zu finden gewesen sein.

Zwar sollte man meinen, daß besonders bei den Athenern, die

so prozeßsüchtig waren, daß Aristophanes von ihnen bezeichnend sagte: „Die Grille schwirrt nur einen Monat oder zwei in Baumes Aesten, während Euch

das Volk Athens in Rechtshündeln schwirrt sein Leben lang", ein ausschließ­

liches Studium des Rechtes für die Praxis goldene Früchte hätte bringen müssen. Aber seitdem Solon den gemeinen Bürger von dem Patronat des Adels befreit hatte, war ans dem anfänglichen Rechte eines Jeden, seine Sache vor Gericht selbständig führen zu können,

allmählich eine beschränkende Verpflichtung

erwachsen, so daß schließlich die Uebernahme fremder Prozesse von Seiten

juristisch und rhetorisch gebildeter Sachverwalter ein Ding der Unmöglichkeit

war.

Nur in Krankheitsfällen gestattete man eine Ausnahme von dieser Regel,

wie z. B. für den an seinen Wunden darniederliegenden, des Hochverraths an­ angeklagten Miltiades

dessen Bruder Tisagoras, und für den kranken

Jsokrates dessen Sohn Aphareus plaidirte; natürlich galt es auch als

Entschuldigung, wenn man, wie Jsokrates^ Freund Nikias, notorisch unfähig war, im Zusammenhänge zu sprechen.

Wiewol sich nun voraussetzen läßt, daß

bei einem Volke, das in aller: Stücken an die Oeffentlichkeit und an das mündliche Verfahren so gewöhnt war, wie das athenische, die Redefertigkeit nicht so dünn

gesäet gewesen sein wird, wie bei uns, so mag doch manches Herzklopfen und Kopfzerbrechen den ersten Redeversuchen vorausgeganger: sein.

Darauf deutet

auch Aristophanes hin, wenn er in seinen „Rittern" Kleon zum Wurst­

händler sagen läßt: „Doch weißt Du, wie es Dir erging? Wie so Manchem, denke ich.

Wenn Du einmal ein Prozeßchen wol führtest gegen einen Frernden,

indeß Du die Nacht durch schlvatztest, im Gehen mit Dir Selbstgespräche hieltst,

viel Wasser trankst, Probe anstelltest mit) Deine Freunde quältest: sogleich dünktest Du Dir ein Held zu sein im Reden, o Du Gimpel!" Doch half man

sich bei eigener Ungeübtheit dadurch, daß man selbst nur einen kurzen Vortrag an die Richter hielt und dann mit Erlaubniß derselben die Beistände aus der Zahl seiner Freunde, welche man mitbringen durfte, die eigentliche Anklage­

oder Vertheidigungsrede halten ließ. Ferner lag es auch sehr nahe, sich dadurch aus der Verlegenheit zu retten,

daß man sich von einem sachkundigen Manne eine Rede ausarbeiten ließ und wenn auch der streng gesetzliche Sokrates darin eine Umgehung des Gesetzes erblicken wollte, die ihm von Lysias angebotene Vertheidigungsrede deshalb

zurückwies und seinem treuen Schüler Ae sch in es, der aus Armuth für Andere gerichtliche Reden verfertigte, rieth, doch lieber dadurch von sich selbst zu borgen,

daß er sich im Genusse der Speisen beschränkte, so war man doch damals längst

über derartige Skrupel hinweg.

Der erste Meister in der kunstmüßigen poli­

tischen Rede, Antiphon, soll zuerst solche Reden für Geld ausgcarbeitet haben und da seine Geschicklichkeit und die Unwiderstehlichkeit seiner Worte bekannt

waren, so erhielt er auch die hohen Preise, die er stellte.

Und trotzdem, daß

die komischen Dichter den neuen Erwerbszweig mit ihrem Spotte geißelten,

fand Antiphon viele Nachfolger.

So sah sich auch Jsokrates durch schwäch­

liche Konstitution und angeborene Schüchternheit genöthigt, auf die politische Laufbahn zu verzichten, gründete eine berühmte Schule und fertigte gerichtliche Reden für Andere.

In der einzigen Rede, die er, und zwar für sich selbst

gehalten hat, erwähnt er geradezu, daß es eine große Menge Leute gäbe, die sich mit solcher Schriftstellerei befaßten.

Auch von Lysias ist bekannt, daß er

durch den unter der Herrschaft der dreißig Tyrannen erlittenen Verlust seines Vermögens gezwungen war, sein Talent den gerichtlichen Parteien zu widmen,

und sein Schüler Jsäos that dasselbe.

Ferner machte auch Demosthenes

keine Ausnahme von der herrschenden Gewohnheit, sondern, da er von seinen

umreuen Vormündern um sein Erbtheil betrogen worden und von allen Mitteln entblößt war, wucherte er mit seinen herrlichen Gaben und trieb das Geschäft

der „Logographie."

Sein Feind Aeschines nennt ihn einen treulosen Reden­

macher, der für und gegen befreundete Personen geschrieben und die für die

346

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten.

eine Partei gefertigte Rede an die andere verrathen habe: eine Beschuldigung,

die freilich bei dem Charakter des Aeschines wenig Glauben verdient.

Fast

gleichzeitig erwarb sich ein beträchtliches Vermögen der Korinther Dinarch, von dem der Pseudoplutarch schreibt: „Ein Freund Kassander's geworden, erwarb er sich Vermögen, indem er Geld für die Reden einnahm, welche er

für Prozessirende schrieb, und ohne öffentlich aufzutreten (denn er war es nicht

im Stande), wurde er deshalb den berühmtesten Rednern gleichgestellt." Daß es übrigens auch außerhalb Attika's vorkam, daß man sich auswendig gelernter fremder Reden bediente, zeigt Lysander's Beispiel, der, von Er­

bitterung gegen Agesilaos getrieben, mit dem Plane umging, das erbliche Königthum in Sparta zu stürzen und sich zu einem darauf bezüglichen Anträge Nach seinem Tode

eine Rede von Kleon aus Halikarnaß ausarbeiten ließ. wurde dieselbe bei einer Nachsuchung im Hause gefunden.

Agesilaos wollte

sie auch veröffentlichen, wurde aber davon abgehalten, weil man sich vor der Kraft und Eindringlichkeit derselben fürchtete. Zuweilen konnte es sogar beredten Männern Geld einbringen, wenn sie schwiegen, anstatt zu reden; darauf scheint sich wenigstens zu beziehen, was Aristophanes den Blepsidemos zu

dem plötzlich reich gewordenen Chremylos sagen läßt: „O Freund, den Handel will ich schon mit Wenigem Dir völlig abthun, ehe davon die Stadt hört: das Maul den Rednern nur verstopft mit Silber!" Uebrigens mußten sich natürlich die Logographen befleißigen, ihre Reden so zu schreiben, daß sie

nach Alter und Bildungsgrad ihrer Klienten den richtigen Ton trafen und in

dieser Beziehung wurden die Reden als Charakterbilder der Sprechenden zu

Kunstwerken, die mit den heutigen Advokatenschriften nicht zu vergleichen sind. So bilden z. B. die Reden des Lysias, dem bereits die Alten den Vorzug in der Gabe der Charakterzeichnung zusprachen, eine Reihe Genrebilder aus allen Ständen.

Bei Abfassung der Reden mußte aber auch je nach der Beschaffenheit des

Falles ein gewisses Maß der Länge beobachtet werden, da die Redner in den

Gerichtshöfen ihre bestimmte Zeit zugemessen bekamen.

Es geschah dies ver­

mittelst der Klepsydra, einer sehr einfach konstruirten Maschine, in welcher

das in ein oberes Gefäß gegossene Wasser durch den siebähnlichen Boden desselben in ein darunter befindliches zweites herabsickerte.

Während der Vor­

lesung von Gesetzesstellen und Dokumenten und während des Abhörung der Zeugen ließ sich der Redende durch einen bei der Klepsydra stehenden Subaltern­

beamten den Abfluß des Wassers hemmen.

Von der verschiedenen Quantität

des Wassersmbekommt man eine Vorstellung, wenn man findet, daß in dem

Prozesse wegen Gesandtschaftsverrath,

der

zwischen Demosthenes

Aeschines spielte, jede Partei elf Amphoren

schaftsprozesse,

in

dem Demosthenes

und

(433 Liter), bei dem Erb­

gegen Makatartos diente,

dem

Ankläger und Vertheidiger je eine Amphora (39 Liter), jedem der folgenden

Sprecher aber gar nur 94/5 Liter zuertheilt wurden.

Am Schluffe der Rede

pflegte man wol auch, wie Demosthenes in den beiden Reden gegen Phormion und Nausimachos gethan hat, dem Diener zuzurufen, daß er nun das Wasser

der Klepsydra ausgießen könne.

Uebrigens durfte der Redner, so lange er sprach, von seinem Gegner, nur

wenn er denselben dazu aufforderte, von dem Richter, nur wenn er ungehörige Dinge vorbrachte, unterbrochen werden.

Es gab in Athen auch eine Art von

Staatsanwälten. Sie wurden gewählt, wenn ein Antrag auf Abschaffung irgend

eines bestehenden Gesetzes gestellt worden war. Dem alten Gesetze wurde dann förmlich der Prozeß gemacht und die Staatsanwälte hatten dasselbe gegen den

Antragsteller, als den Kläger, vor der Behörde der N.omothetenzu vertheidigen. Sie traten aber auch ein, um int Ramen des Volkes Klage vor Gericht zu

führen, wie z. B. gegen Beamte, deren Rechnungen am Ende ihres Amtsjahres

nicht sümmten, und erhielten dann als Honorar eine Drachme oder 79 Pf.! Obgleich es nun aber an Leuten nicht mangelte, deren Hilfe man beim Prozessiren gegen Bezahlung in Anspruch nehmen konnte, und obgleich die Rhetorik durch den Einfluß der Sophisten, der Meister in der Kunst der Trugschlüsse, Schein­

gründe und Spitzfindigkeiten, geradezu eine Anweisung wurde, wie man einer schlechten Sache vor Gericht zum Siege verhelfen könnte, so fehlte doch immer sowol den sophistischen Schwätzern selbst, als ihren sich mit den fremden Federn schmückenden Kunden die erforderliche Kenntniß des positiven Rechtes, und auch

die Koryphäen der Redekmtst sahen sich deshalb veranlaßt, sich das einschlagende

Rechtsmaterial, die betreffenden Gesetzesstellen und Urkunden für Geld von besonderen juristischen Handlangern herbeischaffen zu lassen, die „Pragmatiker"

genannt wurden. Daß deren Stellung sehr untergeordnet war, ergiebt sich aus Cicero, der von ihnen sagt: „Bei den Griechen lassen sich Menschen von dem niedrigsten Stande, um einen elenden Lohn gedungen, als Helfershelfer in deir Prozessen von den Rednern brauchen."

Diese merkwürdige Trennung des

juristischen Wesens von der Kunst, dasselbe durch die Macht der Rede geltend zu machen und zu verwerthen, findet man in ähnlicher Weise bei den Römern wieder. Der gerichtliche Redner suchte hier wie dort nicht bloß auf den Verstand durch rechtliche Gründe überzeugend zu wirken, sondern auch, wie in den Volks­ versammlungen, demagogische Künste zu entfalten, die Leidenschaft zu erregen

und den Launen des Volkes zu huldigen. In Rom war während der alten Zeit die Kenntniß und Pflege des

Rechtes ein Vorrecht der patrizischen Kaste.

Da es keine geschriebenen Gesetze

gab, so pflanzte sich die Rechtskunde als mündliche Tradition in den aristo­

kratischen, vorzüglich den priesterlichen Familien fort, und selbst nach Aufstellung

der Zwölftafelgesetze blieb das Räthselhafte und Geheimnißvolle an den Rechts-

normen haften, da sowol die von den Priestern fortgeführte Sammliulg von Rechtsfüllen, worauf sich das Gewohnheitsrecht gründete, als auch der Termin­ kalender oder das Verzeichniß der jährlichen Gerichtstage nnb die Kenntniß der solennen Formeln, in welcher jeder Rechtsanspruch peilllich genau geltend gemacht werden mußte, wenn die Klage Erfolg habeil sollte, in den Händen der Patrizier war. Deshalb sagt auch Cicero von jener Zeit: „Ob man ein Rechtsgeschäft vornehmen konnte oder nicht, wußten früher Wenige; denn die Fasten (den Gerichtskalender) hatte man nicht für gewöhnlich, ©ne große Macht besaßen diejenigetl, welche man konsultirte; von ihnen ließ man sich, wie von chaldäischen Sterndeutern, auch die Tage sagen." Für manchen Plebejer mag in diesem Uebelstarrde ein Beweggrund gelegen haben, seine Selbständigkeit aufzugeben und derselben die halb unmündige Stellung eines Klienten vor­ zuziehen. Hatte er doch wenigstens danll gerechten Anspruch auf rechtskräftige Vertretung vor Gericht durch seinen Patroir! Es läßt sich denken, welchen Verdruß es der Aristokratie bereitete, als im Jahre 304 v. Chr. der Plebejer Knejus Flavius, der frühere Schreiber des durch seinen im Kriege gegen Pyrrhos bewiesenen Heroismus berühmten Appius Klaudius, den Gerichtskalender veröffentlichte und zugleich eine Schrift herausgab, in welcher die Klagformeln und das gairze Prozeßverfahren zusammengestellt waren. Roch mehr als dieser Verrath bewirkte aber die gleichzeitige Umgestaltung der Ständeverhältnisse, daß das Recht ails einem Besitzthume Privilegirter sich allmählich in ein Gemeingut Aller verwandelte. Während nun früher die Belehrurrgeir über rechtliche Verhältnisse von den patrizischen Patronen allsgingen, bildete sich jetzt eine besondere Klasse von Männern, die sich vorzugsweise mit der Rechtswissenschaft befaßten und aus der Ertheilung juristischer Auskunft eine besonderes Geschäft machten. Jedoch waren es nicht, wie bei den Griechen, Leute verachteten Standes, sorrdern gerade die vornehmsten und angesehensten; auch übten sie diesen Beruf nicht um Geld zu verdienen, sondern um sich die Gunst des Volkes zu erwerben und so zu den höchsten Ehrenstellen zu gelangen. Dieseil Gegensatz zu grie­ chischer Sitte hebt Cicero in seiner Schrift über den Redner scharf hervor, indem er schreibt: „Aber in unserem Staate haben auf galrz entgegengesetzte Weise die angesehensten und berühmtesten Männer sich zwar durch ihre Redner­ gabe zu hohen Würden emporgeschwungeu, aber gleichwol es soweit gebracht, daß sie sich durch ihre Rechtsbescheide noch mehr Ansehen erwarben, als durch ihr Rednertalent. Giebt es, um sich ein vielbesuchtes und ruhmvolles Alter zu bereiten, irgend eine ehrenvollere Zuflucht, als die Auslegilng des Rechtes? Ich wenigstens habe mir dieses Hilfsmittel schon von Jugend nnf erstrebt, nicht nur zum Gebrauche bei den gerichtlichen Verhandlungen, sonderll auch zur Zierde und Ehre des Alters, damit, wenn einmal die Kräfte mich zu ver-

lassen anfangen, mein Haus der Vereinsamung entrissen werde."

Wie sehr

mein aber aus dieser Beschäftigung Hoffmlng auf ein weiteres Vorrücken in der Staatscarriöre zu schöpfen Pflegte, beweist die von Valerius Maximus über

K. Figulus erzählte Anekdote.

Als dieser bei seiner Bewerbung um das

Konsulat den Repuls erhalten hatte und am Tage nach den Wahlkomitien wieder Viele gekommen waren, um sich bei ihm Rath zu holen, hieß er sie Alle fortgehen, indem er ihnen ärgerlich rrachrief: „Zu konsultiren versteht ihr Alle,

aber nicht einen Konsul zu machen!" Meistens geschah, wie zugleich aus dieser

Stelle erhellt, das Bescheidertheilen im Hause.

Daher hofft auch Cicero für

seine alten Tage auf zahlreichen Besuch und sagt vom berühmten Juristen

Mucins Scävola: „Ohne Zweifel ist das Haus des Rechtsgelehrten das Orakel der ganzen Stadt. Zum Beweise dient hier unseres Mucius Thür und Vorhof, wo man ungeachtet seines kränklichen Alters und seiner schwäch­

lichen Gestrndheit Tag für Tag eine große Menge von Bürgern und oft die vornehmste:r und

geachtetsten Mmmer versammelt sieht."

Dem Scipio

Rasika wurde vom Staate ein Haus auf der heiligen Straße, dem Forum zunächst, angewiesen, damit er leichter konsultirt werden könnte.

Die Besucher

erschienen schon am frühesten Morgen und bei der allgemeinen Sitte des Früh­ aufstehens lange vor Aufgange der Sonne. Darum sagt Cicero von Servius

Sulpicius in der Rede sür Murena, er wache in der Nacht und lasse sich vom erster: Hahnschrei wecken, um seinen Klienten Antwort z:: ertheilen, und bei Horaz heißt es: „Ferner der: Landmann preist ein Rechts- und Gesetzesgelehrter, Wann beim Hahnengeschrei der Klient um Gehör an die Thür klopft."

Den Bescheidertheiler trennt er auch vom Anwalt, wenn er an Florus schreibt: „Magst Du zu Anwaltsredei: das Mundwerk schärfen und magst Du Auskunft geben in Frager: des Rechts, oder liebliche LiederDichten — sie bleibt Dir immer, die Gpheukrone des Sieges."

Man befragte auch diese Vertraueusmünner in der alten patriarchalischen Zeit über gar Manches, was nicht in die Rechtsverhältnisse einschlug. „Ich erinnere

mich", schreibt Cicero im „Redner", den Manius Manilius quer über das Foruu: spazieren gesehen zu haben, und wenn Jemand dies that, so war

es ein Zeichen, daß er allen Mitbürgern seinen guten Rath mittheilen wollte.

Wenn sie nun in jener alten Zeit so umherwandelten oder zu Hause auf ihre:: Sesseln saßen, so ging man zu ihnen, um nicht bloß von Rechtssachen, sondern

auch von der Verheiratung einer Tochter, von dem Ankauf ei::es Grundstückes, von Geschäften des Ackerbaues, kurz, vou alleu Pflichteu und Arbeiten ihnen

Bericht abzustatten." Die Rechtsgutachten dieser Jllristen wurden ebensowol von den Parteien

als von den Richtern als Beweisstücke angeführt, hatten aber für letztere vor

350

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten.

dem Kaiser Augustus keine bindende Kraft. Waren die Gutachten verschieden,

so fanden wol auch zwischen den gegenwärtigen Konsulenten Diskussionen vor dem Richter statt.

Außer dem mündlichen Rathe, den sie ertheilten, erstreckte

sich ihre Thätigkeit auch auf das schriftliche Abfassen von Rechtsurkunden, Testamenten, Verträgen, Klagen und Kautionsformeln zur Sicherung der Parteien vor Schaden.

So spricht Cicero zu Mucius Scävola: „Wenn

kein Testament rechtsgiltig sein soll, was Du nicht abgefaßt hast, so werden alle Bürger mit ihren Schreibtafeln zu Dir kommen und Aller Testamente wirst Du

allein abfassen müssen;" und noch Nero droht alle Rechtsgelehrten zu strafen, welche Testamente für seine Freigelassenen aufsetzen oder diktiren würden, die seiner in ihrem letzten Willen uneingedenk und also undankbar sein wollten.

Die Erwerbung der nöthigen Geschäftskenntnisse schildert Cicero als leicht. „Es liegt ja Alles in dieser Wissenschaft klar vor Augen", sagt er, „und beruht auf dem täglichen Umgänge und dem Zusammenleben der Menschen und der gerichtlichen Erfahrung; es bedarf dazu nicht weitläufiger Studien und bände-

reicher Werke. Einmal nämlich ist derselbe Gegenstand von Mehreren behandelt

worden und dann mit Veränderung weniger Worte auch von denselben Schrift­

stellern öfter wiederholt.

Hierzu kommt noch, um die Auffassung und Er­

lernung des bürgerlichen Rechtes zu erleichtern (obwol Viele nicht daran glauben

wollen), eine außerordentliche Anmuth und Ergötzlichkeit dieses Studiums." Wenn freilich derselbe Autor an einem andern Orte meint, er wolle in drei

Tagen ein guter Jurist werden, so ist das nicht im Ernste gemeint und nur

gesagt, weil es sich dort darum handelte, den Werth des praktischen Staats­ mannes der bloßen juristischen Gelehrsamkeit gegenüber in helleres Licht zu setzen. Die jungen Leute, welche sich der Jurisprudenz befleißigten, begaben sich nach Anlegung der männlichen Toga zu einem berühmten Rechtsgelehrten

als „Zuhörer" oder „Schüler", besuchten mit demselben die Volksversamm­

lungen, hörten die gerichtlichen Reden an, waren beim Ertheilen der Gutachten zugegen und ließen sich gelegentlich Äber die Abfassung der Formulare belehren.

Cicero erzählt von sich selbst, daß er von seinem Vater dem Augur Mucius Scävola zugeführt worden sei, um diesem Greise, so lange es der Anstand

erlaubte, nie von der Seite zu weichen, und daß er nach dessen Tode bei einem Verwandten des Verstorbenen, dem gleichnamigen Oberpriester, in die Lehre getreten sei.

Seinen jungen Freund Trebatius, der sich zum Juristen aus­

gebildet hatte und dann Julius Cäsar nach Gallien und Britannien begleitete, traktirt er in seinen Briefen mit allerhand witzigen Ausfällen als Jünger der Jurisprudenz, z. B. er, der Andern Kaution vorschreibe, sollte sich selbst vor

dem britannischen Streitwagen hüten; oder, es stehe fest, daß Trebatius in

Samarobriva (Amiens) der gescheiteste Jurist sei u. s. f.

Man niuß über­

haupt zugeben, daß die Rechtsgelehrsamkeit weniger galt, wenn nicht die

351

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten. Beredsamkeit hinzukam, die zum Sachwaltergeschäft befähigte

und

welche

die vornehme Jugend vorzüglich wählte, um sich auszuzeichnen und Gunst bei der Menge zu gewinnen.

„Wer hat je daran gezweifelt", schreibt Cicero im

„Redner", „daß in unserem Staate immer den ersten Rang in den städtischen, friedlichen Verhältnissen die Beredsamkeit eingenommen hat, den zweiten die

Kenntniß des Rechtes? Während die Jurisprudenz oft Hilfe bei jener suchte, konnte sie bei Angriffen derselben kaum ihr eigenes Gebiet und ihre Grenzen

vertheidigen."

Noch klarer zeigen dieses Verhältniß folgende Worte von ihm

in der Schrift über den Redner: „Du gestehst zu, daß ein Rechtsgelehrter auch

ohne die Beredsamkeit bestehen könne, und behauptest dagegen, ein Redner könne Niemand sein, wenn er nicht im Besitze jener Hilfswissenschaften sei.

Also ist hier der Rechtsgelehrte an und für sich nichts als ein schlauer und scharfsinniger Gesetzkrämer, ein gerichtlicher Marktschreier, ein Formelnleierer, ein Silbenstecher; aber weil der Redner oft der Hilfe des Rechtes in seinen

Verhandlungen bedürftig ist, darum hast Du die Rechtswissenschaft der Be­

redsamkeit, wie eine geringe Magd und Nachtreterin, beigegeben." Die Einrichtung des römischen Gerichtswesens gestattete der Beredsamkeit

und der Sachwalterei einen viel weiteren Spielraum als das griechische, da

jede Stellvertretung bei der Anklage und Vertheidigung erlaubt war.

Wer

einen Prozeß hatte, wendete sich für die mündlichen Aufträge und Verhand­ lungen an einen berühmten oder ihnr durch Freundschaft nahestehenden Redner oder Patronus, nachdem er sich über das Juristische von einem Rechtsgelehrten

hatte unterrichten lassen. Die Anfänger im Redneramte, denen es natürlich an Ruf und Klienten fehlen mrlßte, traten zuerst als öffentliche Ankläger auf.

Gründe inib Gelegenheiten fanden sich ja genug bei dem sich mehrenden Unfuge der durch Bestechung erwirkten Anrtserschleicherei mld bei den Erpressungen und Räubereien der Provinzialbeamten!

Als Beispiele von jungen Leuten, die so ihre Laufbahn begannen, nennt Cicero: Krassus, Antonius, Sulpicius, Fufius, sich selbst und einen

jungen Brutus, der wegen seiner Maßlosigkeit im Eifer den Spottnamen „Ankläger" bekam.

Kato, der Censor, ein Freund der Optimaten, klagte

wenigstens fünfzigmal in seinem Leben an, bekam dafür aber eben so viele

Prozesse auf den Hals.

Quintilian und Plutarch äußern sich am offensten

über die Wohlthätigkeit dieser Sitte.

Jener schreibt:

„Man glaubte, daß

junge Leute von gutem Rufe in der Anklage schlechter Mitbürger dem Staate

eine Sicherheit stellten, weil man meinte, daß sie nur im Vertrauen auf ihre eigene gute Gesinnung die Bösen hassen und sich Feindschaften zuziehen könnten." Plutarch aber sagt über Lukullus: „Das Erste, was er that, war, daß er

in seiner Jugend und ehe er sich um ein öffentliches Amt bewarb, den Augur Servilius, den Ankläger seines Vaters, wegen eines offenbaren Verbrechens

352

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten.

vor Gericht belangte.

Die Römer hielten dies für eine sehr rühmliche That;

denn sie sahen es auch sonst für nicht unedel an, ohne Privatvorwand Andere zu verklagen, und wünschten zu sehen, daß die jungen Leute den Uebelthäteru,

wie muthige Hunde dem Wilde, stets zu Leibe gehen möchten." Die Grundsätze, die im Allgemeinen ein Anwalt zu befolgen habe, stellt

Cicero in seiner Pflichtenlehre auf.

Wie er vom Nützlichkeitsprinzipe aus vor

allzu häufigen Anklagen warnt, so empfiehlt er das Vertheidigen, als den Weg zu Ruhm und Gunst, besonders, wenn es gelte, einem Schwachen gegen einen

Mächtigen zum Rechte zu helfen, und die Anklage eines Unschuldigen auf Leben

und Tod nennt er geradezu ein Verbrechen.

Dagegen dürfe man es nicht ver­

meiden oder sich Skrupel dabei machen, zuweilen auch einen Schuldigen zu

vertheidigen, wenn er nur kein Bösewicht sei.

„Die Menge will es", sagt er,

„dieGewohnheit duldet es, die Menschenfreundlichkeit erheischt es. Des Richters

Sache ist es, immer die Wahrheit zu erforschen; der Patron muß zuweilen auch das Wahrscheinliche, auch wenn es weniger mit der Wahrheit harmonirt,

in Schutz nehmen."

Daß der berühmte Redner ost genug diesem letzten Satze

gemäß gehandelt hat, zu dem Quintilian gerade das Gegentheil behauptet,

und daß es ihm nicht selten weniger um die Wahrheit als um den Schein der Wahrheit zu thun war, ist bekannt.

Vertheidigte er doch sogar denselben

Vatinius, den er als dem Gegenstand des allgenreinen Abscheues als Ankläger Haß und Verachtung bezeigt hatte, zwei Jahre später, nur uni dem mächtigen

Cäsar eine Gefälligkeit zu erweisen!

Mit welcher Genugthuung wird jener

erbärmliche Mensch später, als sich Cicero bei ihm, dem Prokonsul von Illyrien, für den gefangenen Seeräuber Katilius verwendete, geantwortet

haben: „Also solche Klienten, solche Sachen nehmt Ihr an? den allergrausamsten Menschen, der so viele römische Bürger und Bürgerinnen getödtet, geraubt, zu Grunde gerichtet, so viele Gegenden verwüstet hat? Was kann ich denen ant­ worten, die für ihre geplünderten Güter, ihre gekaperten Schiffe, ihre ermordeten Brüder, Kinder und Aeltern Genugthuung fordern?" Und doch war Cicero

in jener schon sehr verdorbenen Zeit gewiß einer der redlichsten Sachwalter,

und so beweist sein Beispiel recht deutlich, welche Fortschritte die Abstumpfung des sittlichen Gefühles unter seinen Fachgenossen bereits gemacht hatte.

Schon

im zweiten Jahrhundert v. Chr. hatte der berühmte Redner M. Antonius

offen bekannt, daß er seine Reden darum nicht aufzeichnete, damit er leugnen könnte, wenn man ihn auf eine frühere, unbequeme Aeußerung hinzuweisen

versuchte! Für den Fall des alten Patronats, als Ehrenamtes, für das Uebergehen desselben in einen geschäftsmäßigen Betrieb spricht besonders auch der

Umstand, daß man sich die Bemühungen bezahlen ließ. Im Jahre 204 v. Chr. suchte der Volkstribun Cincius Alimentus die alte Sitte noch aufrecht zu erhalten, indem er eine Bill durchbrachte, nach welcher Niemand für gerichtliche

Reden Geld oder Geschenke annehmen durfte, und setzte überhaupt für alle

Schenkungen eine bestimmte Werthhöhe fest. Von Cicero behauptet Plutarch, daß er weder Lohn nod) Geschenke verlangt habe; ob er freilich zurückwies,

was man ihm freiwillig ins Haus brachte, wird nicht ausdrücklich gesagt, und

wenn er das viele Getreide, daß ihm die Sicilianer zum Danke für die Anklage des räuberischen Berres schickten, unter das Volk als Aedil vertheilte, so benutzte er es doch auch nebenbei zu einem egoistischen Zwecke.

Es ist gewiß, daß er

reich wurde und sein Vermögen bis auf zwanzig Millionen Sesterzen brachte,

und wenn man auch den Vorwurf seiner Feinde, daß er sich zum Reden verdingt habe, zurückweist, so erklärt sich die Zunahme seiner Habe nicht anders als

durch die vielen Erbschaften, die ihm, der damaligen Sitte gemäß, seine Freunde

und ganz besonders seine früheren Klienten hinterließen.

Sein Nebenbuhler

Hortensius wußte sich noch viel weniger über die Sitten der Zeit zu erheben, bestach und lies; sich bestechen und zeichnete sich nur dadurch vor Andern aus,

daß er erfinderischer war, um Betrug von Seiten der Bestochenen zu verhindern. Außer anderen Kunstwerken unter der sicilischen Beute des voll ihm vertheidigten

Verres wanderte auch, wie ihm Cicero ziemlich unverhüllt vorwarf, eine elfenbeinerne Sphinx in sein Haus, und als das falsche Testament eines reichen

Mannes, der in Griechenland gestorben war, nach Rom gebracht wurde, in

welchem die Fälscher listiger Weise für Hortensius und Krassus reiche Legate ausgeworfen hatten, entblödeten sich die beideir vornehmen Herren incht,

sich am Raube zu betheiligen.

Benahmen sich die Häupter des Staates als Sachwalter in dieser Weise,

so kann man sich denken, wie die tief unter ihnen stehenden Kollegeil verfuhren, auf die sie mit Verachtung herabschauten.

Dem: wie es Rechtsgelehrte gab,

die ohne alle Bildung sich äußere Kenntiriß von prozessualischen Formeln ver­

schafft hatten mit) so, ihre Dienste besonders den Landleuten anbietend, einen

Scüvola karrikirten, so gab es auch Sachwalter, die, wie Cicero sagt, sich nicht beredt vorkamen, wenn nicht Alles von ihrem Lärm und Geschrei erdröhnte, und die sonst aller feineren Bildung bar waren.

Ueber diese heißt es auch in

seinem Buche über die Redekunst: „Wir wollen nicht den gemeinen Sachwalter,

nicht den Schreier oder Zungendrescher hier darstellen, sondern einen Mann,

welcher wahrhaft Meister der Kunst ist;" und auch Quintilian verwahrt sich

gegen solche Leute in folgenden Worten: „Wir geben keinen Unterricht im Gerichtsdienste, noch geben wir ihn einer gedungenen Zunge, noch, um mich nicht härterer Ausdrücke zu bedienen, einem, wenn auch sonst nicht unnützen Prozeßadvokaten."

Schon Plautus charakterisirt diese Leute, die Cicero

irgendwo „Geier" titulirt, in seinen „Zwillingsbrüdern" so: „Alle wollen viele Klienten haben; ob diese gut oder schlecht seien, darnach fragen sie nicht, das

Vermögen kommt mehr in Betracht, als, wie es mit der Ehrlichkeit bestellt ist. Göll, Kulturbilder. I.

354

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten.

Wer arm und nicht böse ist, den halten sie für einen Schuft, wer reich und schlecht ist, der gilt ihnen für einen rechtschaffenen Klienten." Die Unwissenheit solcher Rabulisten kam natürlich ihren Kunden oft theuer zu stehen. Allein, da in Rom auch die Wirksamkeit des Rechtsgelehrten von der des Patrons oder Sachwalters geschieden war, so mangelte es überhaupt oft bei der glänzendsten Beredsamkeit an der Gediegenheit des juristischen Materials und auch berühmte Redner gaben sich in dieser Hinsicht mancherlei Blößen. „Auf dem Forum sich herumtreiben", sagt Cicero, „vor Gericht zu liegen und die Stühle der Prä­

toren zu umlagern, Privatstreitigkeiten über wichtige Angelegenheiten zu über­ nehmen, wobei oft nicht um eine Thatsache, sondern um Billigkeit und Recht gestritten wird, sich breit zu machen bei den Verhandlungen der Centumvirn, wo die Rechte erörtert werden in Beziehung auf Verjährung, Vormundschaften, Verwandtschaften, Anspülungen, Ueberschwemmungen, Schuldner, Sklaven, Wände, Fenster, Dachrinnen, Testamente und unzählige andere Gegenstände, wenn man selbst nicht weiß, was Eigenthum und fremdes Gut, warum Jemand ein Fremder oder ein Bürger, ein Sklave oder ein Freier sei: das ist eine außerordentliche Unverschämtheit." Dann führt er eine Menge von Fällen an, wo gute Redner aus Rechtsunkenntniß irrten. Wir heberr nur einen der ekla­ tantesten heraus. Während ein Gesetz der zwölf Tafeln verordnete, daß vor­ mundschaftliche Veruntreuung höchstens mit doppeltem Schadenersatz gebüßt und jede, eine größere Strafe beanspruchende Klage zurückgewiesen werden sollte, verlangte im Jahre 106 v. Chr. Hypsäus, als Anwalt eines klagenden Mündels mehr als den doppelten Schadenersatz, und der gewesene Konsul Oktavius, als Vertheidiger des Vormunds, bat den Prätor, nur auf den erlaubten Schadenersatz (anstatt auf Abweisuug der Klage) zu erkennen. Kein Wunder, daß der gelehrte Scävola bald lächelnd, bald zürnend den beiden Ignoranten zuhörte, obgleich ihn wichtige Geschäfte auf das Marsfeld riefen! Auch in Rom kam es vor, daß man sich von Anderen Reden verfertigen ließ, und nicht nur Cicero lieh dem Pomp ejus seine Feder, sondern auch Sextus Klodius übernahm die Abfassung der Rogationen für den berüchtigten P. Klodius. Die gerichtlichen Formen waren den griechischen ähnlich. Die Parteien erschienen vor dem Tribunale des Richters, begleitet von ihren Patronen und sonstigen Beiständen, die manchmal nur zugegen waren, um durch ihre Anwesenheit ihre Autorität in die Wagschale der einen Partei zu legen, und die in der republikanischen Zeit ausschließlich advocati genannt wurden. Sachwalter oder Sprecher konnte man mehrere haben. Aemilius Skaurus hatte sechs, und für Balbus sprach Cicero nach Pompejus und Krassus an dritter Stelle. Mehr als vier scheinen jedoch für gewöhnlich nicht gesprochen zu haben. Die Sitte der Athener, durch die Klepsydra die Länge der Reden zu bestimmen, ahmten die Römer auch nach. Sie war von Scipio Rasika

nach Rom gebracht worden; doch scheint es, als ob erst durch Pompejus ihr Gebrauch bei den Gerichten gesetzlich geworden sei.

Die Sprecher baten um

eine gewisse Anzahl von Klepsydren und im Belieben der Richter stand es, sie zu gewähren oder nicht. Zuweilen wurde auch später noch etwas Wasser hinzu­

gefügt, überhaupt zu verschiedenen Zeiten das Maß vergrößert und verkleinert, wie z. B. Dio Kassius von Antoninus, dem Philosophen, und Alexander

Severus erwähnt, daß sie als Richter den Rednern sehr viel Wasser zuge­ standen hätten.

Der süngere Plinirls gab den Advokaten jedes Mal so viel,

als sie verlangten.

Interessant ist cs, aus einer Angabe desselben das Zeitmaß

mit dem Wasserverbrauch vergleichen zu können. Als Ankläger des afrikanischen

Prokonsuls Marius Priskus sprach er im Senat beinahe fünf Stllnden lang;

da er nun zwölf „sehr umfangreiche" Klepsydren erhalten hatte, denen noch vier hinzugesügt wurden, so kommt auf eine wenig mehr als eine Viertelstunde.

Zu bemerken ist aber im Allgemeiner:, daß die Plaidoyers der früheren Zeit viel länger dauerten als unter den Kaisern, und daß oft die Vertheidiger bis

zum Abend fortsprachen, so daß das Urtheil verschoben werden mußte.

Den

Reden folgte die Beweisfiihrung durch Zeugen, Urkunden und Eidesleistungen, und dann ein kurzer Dispill der Anwälte unter einander, um noch einmal die

Hauptpunkte geltend zu machen, wobei die Geistesgegenwart und Gewandtheit sich im glänzendsten Lichte zeigen konnte, aber auch gewöhnlich ein recht arges

Zankgeschrei die Ohren des Richters umschwirrte. Das monarchische Zeitalter veränderte Vieles in den Verhältnissen der Juristen und Anwälte.

Zuerst verstummte schon unter Augustus mit der

Freiheit selbst die freie Rede, inden: ihr alle Trunmelplätze und Uebungsfelder

genommen wurden.

Die Civilprozesse der Ccntumviralgerichte bildeten fortan

beinahe die einzige Gelegenheit, sich als Redner zi: zeigen, sich praktisch durch

Zuhören zu bilden.

Aber die Kleinlichkeit des hier behandelten Stoffes wirkte

lähmend auf die Entfaltung der Talente, und so verkiirnmerte die Beredsamkeit, das eigenthünllichste und beste Erzengniß des freien römischen Geistes.

In den

Rhetorenschulen wurde zwar die Kunst nach den besten Methoden gelehrt und

an erdichteten Rechtsfällen geübt, allein, indem sie die Sucht, glänzende Uebungs­

reden vor geladene:: Zuhöhrern zu hatten, beförderten, um mit ihren Resultaten prahlen zu können, wurden sie mehr zu Pflanzstätten der Eitelkeit, als der oratorischen Bildung und Sicherheit, und schon Cicero hatte Recht, wenn er

sagte: „Darum rathe ich Euch: verachtet und verlacht Alle, welche durch die Regeln der heutigen sogenannten Rhetoren das Ideal eines Redners erreicht zu haben wähnen und noch nicht eininal begreifen konnten, welche Rolle sie

spielen oder welcher Kunst sie sich rühmen."

Die meisten benahmen sich, wenn

sie aus dem Dunkel der Schule an das Licht der Oesfentlichkeit traten, als täppische und ungeschickte Sachwalter, die, wie Plinius von seinen Zeitgenossen

23*

356

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten.

sagt, wenn sie sprechen sollten, lieber wünschten, gesprochen zu haben, und so wenig als möglich Wasser vom Richter forderten, wahrend doch die Zuhörenden

das Ende ihrer Reden nicht erwarten konnten.

Der witzige Martial hat

mehrere solche traurige Gesellen an den Pranger gestellt. Ueber den Advokaten

Nävolus heißt es: „Während Alle schreien, sprichst Du uur und hältst Dich

für einen Anwalt und Rechtsgelehrten.

Auf diese Weise kann Jedermann

beredt sein: Siehe, es schweigen Alle;

Nävolus, sage doch etwas!"

Von

Ein na sagt er: „Heißt das Prozesse führen, heißt das eine Rede halten, beredter

Cinna, wenn man in zehn Stunden neun Worte spricht? Und doch hast Du eben mit gewaltiger Stimme vier Klepsydren verlangt! O wie sehr verstehst

Du — zu schweigen!" Einen Anfänger, dem der Schulstaub noch anklebte, schildert er in Postumus: „Nicht Mord, nicht Gewaltthat, noch Vergiftung, nur drei Ziegen betrifft der ganze Hader, die mein Nachbar mir entfremdet hat.

Du lässest ertönen Kannä, den Krieg des Mithridates, die Meineide panischer Treulosigkeit, dann Marius, Mueius und Sulla, keck mit schallendem Ruf,

mit Wuthgeberden.

— Nunmehr, Postumus, sprich von meinen Ziegen!"

Nicht besser kommt der schwatzende Cäeilianus weg: „Sieben Klepsydren hat Dir auf Deine Bitte ungern der Richter gegeben.

Aber Du sprichst viel und

lange und trinkst halb zurückgebeugt laues Wasser, um Stimme und Durst

endlich zu sättigen. — Wir bitten Dich, trinke doch aus der Klepsydra, Cäcilianus!" Einen Feigling und Achselträger endlich charakterisirt er in Pontikus, an den er schreibt:

nicht beleidigen.

„Ich habe Streit mit Balbus;

den Balbus willst Du

Mit Lieinus ; auch dieser ist ein großer Mann.

Es schädigt

der Nachbar Patrobas mein Grundstück; Du' fürchtest Dich, gegen Cäsar's

Freigelassenen vorzugehen. Laronia hält mir einen Sklaven zurück und leugnet ihn ab; sie ist kinderlos, antwortest Du, reich, alt, eine Wittwe.

Nicht gut,

glaube mir, dient sich einem Diener; frei sei, wer mein Schutzherr sein will!" Die Habsucht und Bestechlichkeit der Advokaten wuchs in dieser Periode mit der allgemeinen Sittenverderbniß und dem Streben, um jeden Preis ein

reicher Mann zu werden.

Unter Augustus wurde das Cineische Gesetz noch

einmal durch Senatsbeschluß eingeschärft und auf die Ucbertretung desselben das Vierfache des empfangenen Lohnes gesetzt, obgleich schon Quintilian

die Honorirung der Sachwalter für gerecht und nothwendig erklärt. Aber man sah sich bald genöthigt, gelindere Saiten anznschlagen und nur dem Honorare

Grenzen zu setzen.

Unter dem Kaiser Klaudius nämlich, der übrigens in

seinem verkehrten Richtereifer von den Advokaten förmlich gemißhandelt, auf

dem Tribunale mit Gewalt an den Beinen oder der Toga festgehalten und einmal sogar von einem griechischen Anwälte ein alter Narr geschimpft wurde,

war bereits, wie Tacitus sich ausdrückt, „keine öffentliche Waare so käuflich,

als die Perfidie der Advokaten", und als ein römischer Ritter, nachdem er

400,000 Sesterzen einem Sachwalter und Ankläger gezahlt und doch erfahren

mußte, daß er verratheu worderi lvar, sich selbst entleibt hatte, verlangten die

Senatoren die Erneuerung des Cineischen Gesetzes.

Da jedoch die Advokaten

dagegen einwendeten, daß ihnen auch ihre Wissenschaft Geld kostete, daß sie ihre

eigenen Angelegenheiten vernachlässigen müßten, um sich fremder: Geschäften zu widnien und daß, wenn man die Belohnungen der Studien abschaffte, die­ selben selbst zu Grunde gehe:: würden, bestimmte Klaudius als Maximum des Horrorars die Summe von 10,000 Sesterzen (2175 Mark). Noch einmal

setzte der Senat bei Nero's Regierungsantritte die alte Bestimnmng wieder

in Kraft.

Während Tacitus dies berichtet, liest man aber bei Sueton, daß

Nero verordnet habe, es sollten die Prozessirenden ihren Anwälten einen

bestimmten und gerechten Sold zahlen, dafür aber die Sporteln für die Bänke und Sitze vor Gericht wegfallen.

Wahrscheinlich änderte also eine spätere

Kabinetsordre jenen ersten Beschluß.

Unter Trajan wurde die Summe

bestätigt, aber festgesetzt, daß das Houorar nicht vor dem Prozesse ausgezahlt

und daß nicht etwa ein höheres Horrorar oder statt desselben ein Theil des Streitobjektes selbst ausbedungen würde. Daß es aber auch damals noch Sachwalter gab, die umsonst dienten, sieht man aus dem Beispiele des Plinius selbst, der vou sich seinem Freunde

Valerian schreiben konnte: „Wie freue ich mich, daß ich mich bei Führung von Prozessen nicht nur der Stipulationen, der Geschenke und Spenden, sondern selbst der Angebinde enthalten habe.

Freilich muß mau das Unsittliche nicht,

weil es nicht erlaubt, sondern weil es schändlich ist, meiden; es ist aber doch

angenehm, wenn mair öffmttlich etwas verbieten sieht, was man sich selbst niemals

erlaubt hat."

Auch Alexander Severus besoldete diejeuigen Advokaten, von

denen seststand, daß sie umsonst Prozesse führten. Dagegen bekommen wir eine

Vorstellung von der Unverschämtheit imi) Schändlichkeit anderer Anwälte zu Plinius' Zeit,

wenn wir seine Klagen über Regulus lesen, der bei sehr

geringen Gaben aus Armuth und Niedrigkeit zu Reichthum und Macht gelangte

und der von einen: Freunde des Plinius „der nichtswürdigste aller Zweifüßler" genannt wurde. Vellejus Bläsus, ein reicher Konsular, rang mit dem Tode und wollte sein Testament ändern. Regulus., der auf das neue Testament hoffte, bat

nun die Aerzte, dem Manne auf jede Weise das Leben zu fristen. Als aber das Testament, wie er glaubte, mit einen: Legate zu seinen Gunsten, unterzeichnet war,

wechselte er die Rolle, änderte die Sprache und sagte zu denselben Aerzten: „Wie lange quält Ihr deu Armen? Was mißgönnt Ihr ihn: einen sanften Tod, da Ihr ihm doch nicht das Leben geben könnt?" Bläsus starb, und als ob er Alles

gehört hätte, vermachte er dem Regulus nichts.

Aurelia, eine vornehme

Frau, hatte, um ihr Testameut zu mache::, ihr schönstes Kleid angezogen.

Als

Regulus zum Unterzeichnen kam, sagte er: „Vermache mir dieses, ich bitte

358

Die Sachwalter und» Rechtsgelehrten.

Dich." Aurelia glaubte, der Mann scherze; Jener besteht im Ernst darauf. Kurz, er zwingt die Frau, das Testament zu öffnen und ihn: die Kleider, die

sie trug, zu vermacheu; er gab auf sie Acht, als sie schrieb, und sah hinein, ob sie es auch geschrieben!

„Und so erhalt dieser Mensch", sagt Plinius zum

Schluß, „Erbschaften, Vermächtnisse, als ob er sie wirklich verdiente."

Uebrigens werden die finanziellen Verhältnisse der Advokaten im All­ gemeinen nicht als glänzend geschildert.

Die Sterne vierter mit) fünfter Größe

unter ihnen verfielen in dieser Beziehung ebenfalls dem Spotte der Satiriker. Einengewissen Sextus fragt Martial: „Welcher Grund oder welche Hoffnung

zieht Dich nach Rom? Prozesse, sagst Du, werde ich führen, beredter als Cicero selbst, und auf keinem der drei Fora wird mir Jemand gewachsen sein! Auch Atestinus hat Prozesse geführt und Kajus, beide kanntest Du; aber keinem von beiden brachte es den Miethzins ein." An Sextus schreibt er als fingirter Advokat: „ Ich habe Deinen Prozeß geführt nach Ausmachung von 2000 Sesterzen.

Wie viel schickst Du mir? Tausend.

Warum? Du hast nichts gesprochen, sagst

Du, und die Sache vernachlässigt. Um so mehr bist Du mir schuldig, weil ich schamroth geworden bin." Die Sitte, d>em Advokaten in Naturalien Geschenke

zu machen, berührte er in folgendem Epigramme: „Den Sabellus haben die

Saturnalien reich gemacht.

Mit Recht bläst sich Sabellus auf und hält

Niemanden unter den Sachwaltern für glücklicher.

Diesen Stolz und Muth

verleiht ihm ein halber Scheffel Mehl und Bohnenschrot, und von Weihrauch und Pfeffer drei halbe Pfunde, und eine Wurst nebst einem Falisker Saumagen, und eine Flasche eingedickten Mostes, und lybische Feigen in bereifter Schale mit Knoblauch, Schnecken und Käse. Auch kommt von einem picenischen Klienten ein wenig geräumiges Kistchen voll kärglicher Oliven und, mit dicken Göttern

geziert, der aus sieben Geschirren bestehende Aufsatz eines spanischen Töpfers und eine mit breitem Purpur besetzte Serviette. Einträglichere Saturnalien

hat Sabellus in zehn Jahren nicht gehabt." In ähnlicher Weise läßt sich Juden al über die Einkünfte der Anwälte

hören:

„Sag' an, was den Sachwaltern ihre Rechtsgeschäfte und die sie

begleitenden großen Aktenbündel eintragen? Sie selbst nehmen den Mund voll,

aber dann, wenn ein Gläubiger zuhört oder wenn noch dringender Einer ihnen zu Leibe rückt, der zum zweifelhaften Schuldner mit seinem großen Hausbuche kommt; dann hauchen ihre Lungenbälg^e unendliche Lügen aus und die Brust

wird bespuckt*).

Will man den wahren Ertrag schätzen, so muß man auf die

eine Seite der Wage die Vermögen von hundert Advokaten legen, auf die andere

nur das einzige eines Wettfahrers im Cirkus."

Dann zählt er auch als Be-

*) Dies that man, und zwar dreimal hiintereinander, um eine drohende Gefahr abzuwenden.

Löhnung auf: trockne Schinken, Thunfische, Zwiebeln, einige Flaschen schlechten

Erhalte man ja einmal ein Goldstück f ür mehrere Gänge, so müsse mail

Wein.

Glück und Erfolg habe nur der,

kontraktlich mit den Rechtsgelehrten theilen.

welcher glänzenden Aufwand mache und mit berühmten Ahnen prahlen kömre.

„Dem Cicero würde heute Niemand 200 Sesterzen zahlen, wenn an seiner Hand nicht ein ungeheurer Ring glänzte.

Wer einen Prozeß hat, sieht jetzt

zuerst darauf, ob Du acht Sklaven hast und z.ehn Begleiter, ob hinter Dir ein

Sessel getragen wird, Dir voraus Klienten geherr.

Deshalb plaidirte Paulus

mit einem geliehenen Sardonyxringe und machte bessere Geschäfte als Andere.

Selten wohnt ja Beredsamkeit in einem schäbigen Gewände.

Nach Gallien

mußt Du reisen oder lieber nach Afrika, der Säugamme der Advokaten, wenn

Du Lohn von Deiner Zunge errrten lvillst."

Uebrigens scheillen die genannten

200 Sesterzen (42 Mark) das geringste Honorar gewesen zu sein; denn auch Martial sagt über einen Winkeladvokaten:

„Der Du lange Bäcker warst,

führst jetzt Prozesse und verlangst 200 Sesterzen; aber Du brauchst es und

borgst wieder.

So weichst Du vom Bäcker nicht.ab: denn Du machst Brod

uild machst Mehl" (d. h. verthust es wieder). In der spätern Kaiserzeit war bei jedem Gerichte eine bestimmte Anzahl

von Advokaten angestellt, z. B. bei dem Gouverneur von Rom 80, bei dem

Präfekten des Prütoriums 150; und diese bildeten Korporationen und genossen mannigfache Privilegien, waren aber auch hinsichtlich ihrer Amtspflichten einer

besonderen Disziplin unterlvorfen, waren absetzbar und mußten sich über ihre Studienzeit und ihre Kenntnisse durch Examina ausweisen. Ueberzählige mußten

warten.

Aber die früheren Mißbräuche dauerten in vergrößertem Maßstabe

fort und die Maßregeln rechtlicher Kaiser wie H ad ri an's, des ersten Antoninus,

Alexander Severus und Juli an' s wurden immer wieder unter schlechten Regenten vergessen.

Eine höchst ungünstige Schilderung des Advokatenstandes,

besonders in den östlichen Provinzen des Reichs, im vierten Jahrhundert n. Chr. liefert aus eigener Anschauung der Geschichtschreiber Ammianus Marcellinus.

Er theilt die Sachwalter, „die wie spartanische oder kretische

Hunde auf die reichen Häuser Jagd machen", in vier Klassen.

In die erste

stellt er diejenigen, welche geldgierig und in Folge dessen äußerst geschäftig wären, Zwietracht zu säen und Familien zu entzweien.

Sie benutzten ihr Talent

dazu, um die Richter zu verwirren und von einem Raub zum andern zu eilen.

Die zweite Gattung enthält nach ihm solche, die eine tiefe Rechtsgelehrsamkeit und Gesetzkenntniß zur Schau trugen und mit ernster Miene ihre Orakelsprüche ertheilten.

„Und wenn Du vorgiebst, mit Willen Deine Mutter getödtet zu

haben, so versprechen sie Dir, daß viele verborgene Gesetzstellen Dir Frei­

sprechung verheißen,

wenn sie merken,

daß Du

Geld

hast."

Unter

die

dritte Klasse rechnet er die Ehrgeizigen, die auf jede Weise berühmt werden

360

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten.

wollten, „die, wenn sie auf dem rechten Wege vorwärts fomnien, Heiligthümer der Gerechtigkeit sind, wenn sie aber verdorben werden, betrügliche Fallgruben,

aus welchen Einer erstnrach vielen Jahren und bis aufs Mark ausgesogen wieder herauskommt."

Die vierte Klasse endlich sollte die ungebildeten Rabu­

listen umfassen, „die zu bald der Schule entlaufen sind und hinter Unver­ schämtheit und Schimpfen ihre Unwissenheit verbergen.

Unter ihnen sind

Einige so unwissend, daß sie sich nicht erinnern können, je Bücher besessen zu haben.

Und wenn in einer Gesellschaft von Gebildeten der Name eines alten

Schriftstellers ausgesprochen wird,

so halten sie ihn für die ausländische

Bezeichnuug eines Fisches oder einer Eßwaare."

Kam es endlich dazu, daß

nach vielen verschobenen und versäumten Terminen die Sache vor Gericht

verhandelt werden sollte, dann erklärten sich diese Leute für zu unvollkomnien instruirt und die Geldschneiderei hatte noch lange nicht ihr Ziel erreicht. Freilich giebt Ammian auch zu, daß das Leben der Advokaten durch vielerlei Aerger

getrübt werde, und dazu zählt er den gegenseitigen Brodneid, die Zuziehung vieler Feindschaften und die Sitte der Klienten, den ungünstigen Ausgang jedes Prozesses niemals dem Übeln Stande der Angelegenheit, sondern der Ungeschicklichkeit des Anwaltes zuzuschreiben.

Dieses Sinken des Sachwalterstandes, sein im Ganzen geringes Ansehen, sein Mangel an wissenschaftlichem Sinne ist nun um so auffälliger, als zu

gleicher Zeit die Jurisprudenz ihre höchste Blüthe erreichte, als das zweite Jahrhundert die klassische Literaturperiode des römischen Civilrechts genannt werden muß, als die tüchtigsten Kräfte sich damals dem Juristenstande zuwen­ deten, da die größere Komplizirtheit der Verfassung, die weitere Ausdehnung

der Verwaltung in allen Zweigen der öffentlichen Geschäfte Rechtsgelehrte

oder wenigstens juristisch Gebildete unentbehrlich nrachte.

Dieser Widerspruch

löst sich jedoch dadurch, daß sich in der Kaiserzeit die angesehenen Juristen gar nicht mehr zum Prozeßführen und zum Betstaudleisten vor Gericht Her­ gaben, sondern nur noch durch Gutachten und Konsultationen thätig waren.

Die erhöhte Bedeutung der früheren juristischen Konsulenten schreibt sich bereits

von Augustus her, der aus der Befugniß, auf Befragen Gutachten zu ertheilen, ein Privilegium machte, welches er einer Anzahl von Juristen selbst

.verlieh.

Ihre Antworten sollten Gesetzen gleich gelten und auch wenn sie

die Entscheidungsgründe nicht beigefügt hatten, waren die Richter an dieselben gebunden. Der Kaiser Tiberius führte es ein, daß sie ihre Antwort schriftlich

und versiegelt abgeben sollten.

Kaligula, dem in seinem Allmachtsschwindel

ihre patentirte Stellung ein Dorn im Auge war, drohte, dieselbe aufzuheben

und es dahin zu bringen, daß die Juristen nur antworten sollten, was ihm gefällig wäre! Hadrian traf noch die Bestimmung, daß der Richter für den Fall, daß die Ansichten der Respondenten getheilt waren, seiner eigenen Ansicht

Die Sachwalter und Rechtsgelehrten. folgen durfte.

361

Noch unter Konstantin wurde das Recht des Gutachten-

ertheilens verliehen; später aber trat der todte Buchstabe des Gesetzes an die Stelle der lebendig fortbildenden Wifsenschaft.

Schon unter Augustus ging

auch der Name advocatus von dem Rechtsbeistand auf den Sachwalter über.

Wenn die gewöhnlichen Advokaten spater zu ihrem Geschäfte juristische Beihilfe brauchten, scheinen sie sich, wie man aus der oben angeführten Stelle Juvenal^s schließen kann, an Leute gewendet zu haben, die mit den griechischen Prag­

matikern auf einer Stufe standen und sich mit dem Bruchtheile eines Goldstückes bezahlen ließen.

XXIV.

Die römischen Militärverhältnisse. n den ältesten Zeiten Roms bestand der Heerbann nach den Angaben

der Schriftsteller aus 3000 Mann Fußvolk und 300 Reitern.

Diese

ursprüngliche Legion wurde nach Romulus mehrmals vermehrt, und Livius spricht schon unter dem dritten König, Tullns Hostilins, von

alten und neuen Legionen.

Es läßt sich nicht leicht mehr erkennen, ob die

Infanterie der damaligen Zeit aus den Hörigen der Patrizier bestand oder ebenfalls von dem Adel allein gestellt wurde; Servius Tullius ausschließlich patrizisch.

die Reiterei war bis auf

Sie war wahrscheinlich schwer

gerüstet und bildete den Kern des Heeres, indem sie gewohnt war, zu Fuß eben so gut wie zu Pferde zu kämpfen.

Roch später, als sich ihre Bedeutung

längst gemindert hatte, gaben die abgesessenen Ritter durch ihre persönliche

Tapferkeit öfter den Ausschlag, z. B. in der Schlacht am See Regillus, in den volskischen und samnitischen Kriegen.

Allein bei dem raschen Zunehmen des

Plebejerstandes, welcher, von dem Reiterdienste ausgeschlossen, seiner Bürger­

pflicht lediglich zu Fuße Genüge leisten konnte, kehrte sich das Verhältniß

der Waffengattungen bald um und die überwiegende Bedeutung des Fußvolkes erhielt endlich durch die Verfassung des Servius ihre Sanktion.

Bekanntlich

stellte diese Konstitution ihrem timokratischen Prinzipe gemäß die Rechte der

Bürger in Verhältniß zu ihren durch das Vermögen bedingten Leistungen und

Verpflichtungen gegen den Staat, und da, wie in Athen, sich alle Bürger zum Kriegsdienste selbst ausrüsten mußten, so nimmt es nicht Wunder, daß die besser Gerüsteten bevorzugt, diejenigen, welche ihrer Armuth wegen nicht ein­

mal zur fünften Klasse des Census gehörten, vom Kriegsdienste ganz ausge­

schlossen und nur in Fällen dringender Roth herangezogen wurden, wo sie

dann vom Staate die Rüstung erhielten. Im ersten Gliede der alten römischen Phalanx standen also die Bürger der ersten Censusklasse, mit Helm, Panzer,

Beinschienen uitb rundem, ehernem Schilde gerüstet, hinter ihllen die der zweiten Klasse, ohne Panzer uiib mit einem vier Fuß langen, cylinbrisch ge­ wölbten, viereckigeil Schilde, der aus Brettern bestand und mit Leder und Eisen beschlagen war; der dritten Klasse fehlten schon die Beinschienen, die vierte begnügte sich mit dem Schilde, als einziger Defensivwasfe. Die fünfte, nur mit dein Wurfspieße versehen, bildete ein leichtes Plänklerkorps, das sich bei ernstlicherem Zusammenstoß der beiden Heere hinter die Phalanx zurückzog. Dem Alter nach waren die Römer vom 17. bis zürn 60. Jahre verpflichtet zn dienen; zum Felddienst wurderr aber bloß die Jüngeren bis zum 45. Jahre verwendet, während die Aelteren, als eine Art Laildwehr, llur die Besatzung der Stadt Rom bildeten. So wurden z. B. zu Kamillus' Zeit drei Heere zugleich ausgehoben. Das eine zog als Operationsarmee gegen die Antiaten, das zweite blieb als Observationsarrnee im Lande, das dritte, aus den Aelteren und Invaliden bestehend, war zur Deckung der Stadt bestimmt. In späterer Zeit wurde das Aufgebot der Landwehr immer seltener, und schon 296 v. Chr. spricht Livius davon, als von einer außerordentlichen Maßregel. Uebrigens berechnete man trotz der Altersjahre die Dienstzeit nach einer gewissen Zahl von Feldzügen, von denen sechszehil, höchstens zwanzig auf beii Infanteristen, zehn auf den Reiter kamen. Gewöhnlich wurden in früherer Zeit zwei konsularische Heere oder vier Legionen ausgehoben, die natürlich nach Bedürfniß entweder nach Beendigung eines Feldzuges wieder aufgelöst oder unter den Fahnen behalten wurden, so daß während des zweiten punischen Krieges die Stärke des Heeres schon bis zweiundzwanzig Legionen wuchs, eine Zahl, die sich freilich in den Bürgerkriegen noch verdoppelte. Da die ältere Normalstärke der republikanischen Legion sich auf 4200 Fuß­ soldaten und 300 Reiter belief, so ergiebt sich ein gewöhnlicher Bedarf von 18,000 Mann und bei Rekrutirung derselben verfuhr man auf folgende Weise. Bor der Aushebung pflegte man die Oberoffiziere der Legionen, die Tribunen, zu bestimmen, da dieselben bei der Konskription selbst thätig sein mußten, und zwar gehörten zu jeder Legion sechs Tribunen, von denen jeder zwei Monate lang das Oberkommando führte. Diese vierundzwanzig Obersten ernannte früher der König, später bis zum Jahre 359 v. Chr. die Konsuln. Von da an beanspruchte das souveräne Volk einen Antheil an der Anstellung und er­ wählte zuerst sechs, 120 Jahre später sechzehn, endlich vom Jahre 169 ab alle vierundzwauzig Tribunen, so daß die Konsuln nur bei einer außeretatmäßigen Zahl von Legionen vom Senate die Ermächtigung zur Ernennung der noch erforderlichen Tribunen erhielten. Ueberhaupt hatten ja alle Offiziere nur für die Dauer des Feldzuges ihren Rang und ihre Stellung im Heere, und rief später wieder das Vaterland zu den Waffen, so verschmähte es selbst der frühere General nicht, als Tribun oder selbst als Hauptmann in die Armee einzutreten.

364

Die römischen Militärverhältnisse.

Es liegt auf der Hand, daß bei so echt republilanischer Gleichheit nicht einmal der Keim militärischen Kastengeistes gedeihen konnte.

Wenn es auch vorkam,

daß das Volk bei seiner Wahl weniger auf Erfahrung im Kriegswesen sah, als auf besondere Beweise von Charakterstärke, sowie es z. B. den durch seine

ausgezeichneten Sohn des

kindliche Liebe

Manlius

Jmperiosus zum

Legionsobersten machte, der sonst noch gar keine Verdienste besaß, so kam es doch noch weit öfter vor, daß die Feldherren selbst nach Gunst und Protektion diese

Stellen vergaben, ohne auf die persönliche Befähigung viel zu achten. Daß der Dichter Horaz ohne vorhergeheilde Kriegsdienste bei den Freischaaren des

Brutus als Oberst fungirte, ist weniger auffallend; wir wissen ja auch nicht, ob er unter den Ersten oder Letzten seinen Schild bei Philippi wegwarf! Deutlicher zeigte sich die Nutzlosigkeit solcher schnell avancirter Schützlinge, als Cäsar zum erstenmal gegen die Germanen zog.

„Da bemächtigte sich plötz­

lich," schreibt er selbst, „eine so große Furcht des ganzen Heeres, daß die Ge­

müther Aller heftig aufgeregt wurden.

Sie begann zuerst bei den Tribunen,

den Präfekten und den Uebrigen, die der Freundschaft wegen aus der Haupt­ stadt Cäsar gefolgt waren und nun die große Gefahr bejammerten, weil sie keine genügende Erfahrung im Kriegswesen hatten. Da schützte denn der eine diesen, der andere jenen nothwendigen Grund zur Abreise vor und bat, sich mit

Cäsar's Bewilligung entfernen zu dürfen.

Einige schämten sich doch und

blieben, um den Verdacht der Furchtsamkeit zu vermeiden.

Diese vermochten

aber weder eine ruhige Miene zu erheucheln, noch bisweilen sich der Thränen zu enthalten; in den Zelten sich verbergend, beklagten sie ihr Schicksal oder jammerten mit ihren Vertrauten über die gemeinsame Gefahr!"

Waren die

Tribunen ernannt, so versammelten sich an einem von beii Konsuln vorher

festgesetzten Tage die waffenfähigen Männer auf dem Kapitol oder später ge­

wöhnlich auf dem Marsfeld.

Die Konsuln präsidirten auf ihren elfenbeineren,

geschweiften Amtsstühlen ruld die Namen sämmtlicher fünfunddreißig Tribus

wurden dann in eilte Urne geworfen und nach dem Loos hinter einander auf­

gerufen.

Doch nahm man nicht sofort die erforderlichen 480 Mann aus jeder

derselben, sondern wählte aus jeder Tribus nur je vier, also einen Mann für jede Legion, das

bei der ersten Tribus ein

wobei

Vorrecht

zweiten u. s. w.

der

Auswahl

hatte,

bei

der

Tribun der ersten Legion

zweiten

ein

Tribun

der

Da der römische Aberglaube in allem Zufälligen etwas Be­

deutungsvolles suchte, so sah man natürlich auch bei dem Namensausrufe

darauf, daß Namen guten Klanges, wie Salvius, Valerius, Statorius,

den Anfang bildeten.

Erschwert wurde diese peinlich sorgfältige Art der

Rekrutirung noch dadurch, daß man nach dem Census und nach dem Alter

sogleich die Soldaten in ihre verschiedenen Klasser: und Kompagnien zusammen­ stellte.

Schon seit

den Zeiten des Kamillus nämlich hatte man die alte

Phalanxstellung aufgegcben und bei der vielgliedrigen, loseren Aufstellung der Legion nach Manipelir (die Legion zahlte dreißig Manipel zu zwei Centirrien)

herrschte die Rücksicht auf das Alter vor, indem sich die drei Hauptwaffen­

gattungen, die hastati, principes mib triarii, als die jüngsten, mittleren und älteren unterschieden.

Bei plötzlich einbrechendem Kriegslärm hatte mein aber

nicht Zeit, alle Vorschriftelt der regelmäßigelr Aushebung zu beobachten, sondern

man raffte so eilig als nröglich die Mannschaft zusammen, indem man wol auch, wie ein paarmal ausdrücklich bezeugt ist, die Rainen der Soldateir, wie früher bei uns, durchs Loos ziehen ließ. —

Im Jahre 308 v. Chr., vor der Schlacht am See Vadimo, hatte man ein großes Heer auf die Weise zusammengebracht daß jeder Soldat sich einen

beliebigen Fluch

Mann

verpönt

aussuchen

war.

Oft

durfte,

meldeten

wobei sich

jede Weigerung

auch

aus

durch

Vertrauen

zu

einen

den

Führen: Freiwillige und Livius erzählt z. B., daß nach dem Sturze der

Decemvirn, als ein Krieg mit den Volskerr: drohte, iiidjt nur alle jüngeren, sondern auch alte, ausgediente Soldaten sich freiwillig stellten und daß sich im Jahre 295

ebenfalls

Waffenfähiger anbot.

dem Konsul Q. Fabius eine überschüssige Anzahl

Erschienen dagegen die Militärpflichtigen beim Namens­

aufruf absichtlich nicht, so traten die härteste:: Strafen ein.

Eine Geldbuße (in

alter Zeit aus einem Schafe bestehend) zahlte wahrscheinlich bloß ein im Ver­ sonst erfolgte Entziehung des Bürgerrechtes durch die Censoren und Konfiskation des Vermögens. Dies that

hinderungsfall nicht gehörig Entschuldigter;

bereits Kurius Dentatus und noch Augustus sah sich nach des Varus Niederlage in Deutschland genöthigt, aus der Unmasse der den Dienst Ver­ weigernden der: je fünften Mann unter den jüngeren und den je zehnten unter

den älteren mit Vermögensverlust zu bestrafen, ja einige sogar hinrichten zu

lassen. Wahrscheinlich zu derselben Zeit geschah es, daß ein Ritter seinen beiden Söhnen die Daumen abhackte, um sie den Rächerannei: der Germanen zu ent­

reißen.

Augustus ließ ihn selbst und seine Güter verkaufen, und da es zu

befürchten stand, daß bei der Auktion die Standesgenossen des allzu zärtlichen

Vaters denselben erstehen würde::, u:n ihm sogleich wieder die Freiheit zu

schenken, so überließ er ihn einen: seiner Freigelassenen unter der Bedingung, ihn auf dem Lande leben zu lassen, ohne ihn mit Sklavenarbeit zu belasten.

Valerius Maximus erzählt, daß bereits in: Bundesgenossenkrieg ein gewisser Vatienus sich die Finger der linken Hand vor der Rekrutirung abgeschnitten

habe und deshalb vom Senate zu Verlust des Vermögens und Gefängniß auf

Lebenszeit verdammt worden sei.

Auch Cicero sagt in einer Rede: „Wenn

das Volk denjenigen verkauft, der nicht Soldat geworden ist, so nimmt es ihm

nicht die Freiheit, sondern erklärt nur, daß derjenige nicht frei sei, welcher keine Gefahr bestehen wollte, um frei zu sein." Aber es kan:en auch Fälle von körper-

366

Die römischen Militärverhältnisse.

licher Züchtigung vor.

Publilius Volero z. B., der später die Wahl der

plebejischen Magistrate durch die Plebs durchgesetzt haben soll, weigerte sich als

gewesener Centurio wieder zu dienen, und schon waren die Liktoren auf Befehl der Konsuln im Begriff ihm die Kleider abzureißen und die Rirthen aus ihren

Fascen zu nehmen, als der Delinquent in den dichtesten Volkshaufen entsprang. Eben so berichtet Livius von Manlius Jmperiosus, daß er die Kon­

skriptionsflüchtigen mit Gefängniß und körperlicher Züchügung strafte.

Hilfe

gegen Anwendung entehrender Strafen gewährten in diesem Falle bisweilen die Volkstribunen, die sogar int Jahre 459 die ganze Aushebung dadurch hinter­

trieben, daß sie Jeden, den der konsularische Liktor ergreifen wollte, freizulassen befahlen.

Während des zweiten punischen Krieges wurde wegen Mangel an

jungen Leutell eine aus vier Mann bestehende Rekrutirungskommission einge­

setzt, die außerhalb des städtischen Weichbildes Inspektion halten sollte. Befreiung vom Dienste gewährte das Alter, die Zahl der Feldzüge, die Verwaltung eines

städtischen, besonders priesterlichen Amtes und ein gebrechlicher Körper. Die Aushebung der rönnschen Reiterei war durch die Einteilung der

Ritter in Centurien erleichtert und fand unabhängig von der des Fußvolkes

statt. Zu den vorhandenen sechs Rittereenturien zu 200 Mann hatte Servius 12 ebenso starke, neue, aber plebejischen Standes aus den Bürgern der höchsten

Censusklasse hinzugefügt, und da diese 3600 Reiter bei jedem Census gemustert rind ergänzt wurden und fortwährend ihre auf Staatskosten erkauften und

unterhaltenen Pferde zur Hand hatten, so bedurfte es bei einer Armeeformirung nur der Bestimmung der zu jeder Legion gehörigen Anzahl. Zu diesen achtzehn Centurien kam aber seit der Belagerung Veji^s noch ein neues Reiterkorps,

das mit eigenen Pferden diente, aber in Friedenszeiten der dem älteren Institute

gebührenden Vorrechte entbehrte. Rach Beendigung der Aushebung leisteten die

Legaten oder Generaladjutanten des Feldherrn und die Tribunen den Eid der Treue, den dann letztere den Legionerr in der Art abnahmen, daß ein Soldat

jeder Legion die Eidesformel vorsprach, die das Versprechen enthielt, den Kon­ suln folgen zu wollen, gegen welchen Feind das Heer auch geführt würde, uiemals die Feldzeichen zu verlassen und überhaupt keine gesetzwidrige Hand­

lung zu üben; worauf die übrigen Soldaten, namentlich aufgerufen, nur aus­ riefen: „Dasselbe für mich!" Später kam bisweilen noch ein Lagereid hinzu,

durch den sich die Truppen noch zu gewissen Kriegsartikeln verpflichteten, wie

z. B. nicht zu stehlen, Alles, was sie fänden, abzuliefern, und nach Be­ urlaubungen sich am bestimnlten Tage wieder einzufinden, insofern sie nicht

durch ein Familienbegräbniß, durch religiöse Abhaltungen, durch gefährliche

Krankheit oder durch äußere Gewalt verhindert wären.

Bei tumultuarischen

Konskriptionen holte der Feldherr aus dem Kapitol zwei Feldzeichen und ließ die Mannschaft gleich zusammen schwören.

Manchmal wurde auch in Augen-

So schwur z. B. bei

blicken drohender Gefahr der Fahneneid wiederholt.

Dyrrhachium, als Cäsar sich näherte, das ganze Heer des Pompejus,

die Offiziere voran, den Führer nicht verlassen und sein Schicksal theilen zu wollen, und dasselbe wiederholte sich beim Pompejanischen Heere in Spanien.

Der neue rönrische Soldat nahm sich in seiner Uniform stattlich genug aus, lvenn er auch des wunderbaren Reizes, den doppelfarbiges Tuch verleiht, entbehren mußte.

Sein Haupt bedeckte ein eherner Helm ohne Visir, mit drei

rothen oder schwarzen, anderthalb Fuß hohen Federn geziert; über der wollenen, kaum das Knie erreichenden Tunika trug er spater nicht mehr den massiv eisernen

Küraß der alten Zeit, sondern einen erzbeschlagenen Gurtpanzer, der aus

mehreren, etwa drei Finger breiteil Streifen von Eisen oder Bronzeblech bestand, die auf lederne Riemen aufgeheftet wareir und vom Nabel aufwärts bis unter die Achseln mit Haken um den Körper gegürtet wurden, während

ähnliche Streifen über die Schultern hinwegliefen und sich mit ihren Enden an die Horizolltalstreifeir anschlossell.

Die reicheren Leute trugen

einen aus

metallenen Ringen oder Ketten zusammengesetzten Ketten-, oder, wenn die

Ringe noch mit Schuppen gedeckt waren, Schuppenpanzer.

Gewöhnlich an der

rechten Hüfte hing an einen: Wehrgehenk in früherer Zeit das zllm Hieb taug­ liche lange gallische Schwert, seit dem zweiten punischeil Kriege der kurze, doppelschneidige hispanische Degen.

Die Arme waren stets entblößt; auch hin­

sichtlich der Beine glichen die römischen Krieger den Hochschotten neuerer Zeit.

Das rechte Schienbein aber der schwereil Infanterie (denn das linke schützte der Schild) deckte eine Beinschiene aus feiner Bronze, den Fuß ein schwerer, mit

einem bis zur Wade aufsteigendell Riemellgeflecht versehener Schuh, dessen Sohle mit so starken Nägeln beschlagen war, daß es Juvenal unter die ärgsten

Unannehmlichkeiten des römischen Straßeilgetülnmels zählt, seine Zehell Be­

kanntschaft mit dem Schuhwerk eilles Soldateu machen lassen zll müssen. Ueber der Rüstimg trug der Soldat das sagum, einen aus dichter Wolle gewebten kurzeil Waffenrock ohne Aernlel und von dunkler Farbe, der über der

Brust mittelst einer metallenen Agraffe befestigt wurde.

Der Schild in feiner

Linken trug inwendig feinen Namen und die Nilmmer der Centurie und Legion, äußerlich irgend ein genialtes Abzeichen,

einen geflügelten Donnerkeil, eine

Raute, einen Adler, einen Halbmond, einen Kranz.

Die Rechte war bewehrt

bei deil in erster uild zlveiter Linie stehenden Hastati ulld Principes mit einem

im Ganzeil etwas über sechs Fuß langell, sowol zum Wurf als zum Stoß geeigneten Speer, bestell lange Eisellspitze nur oben gestählt war, damit sie sich leicht umbiegell und deshalb vom Feilld nicht wieder zurückgeworfen werden

sollte.

Mariils ließ die Lallzenspitzell nur auf einer Seite des Schaftes durch

einen eisernen Nagel befestigen, auf der andereil aber einen hölzernen einschlagen,

damit das Eisen um so sicherer abbrechen müßte.

Die dritte Linie der Legioll,

Die römischen Militärverhältnisse.

368

die aus gedienten Leuten bestehenden Triarier dagegen hatten noch bis auf

Marius die aus der früheren Phalanxstellung herrührende etruskische, vier­ zehn Fuß lange Stoßlanze. Der den untersten Vermögensklassen entnommene

Truppenkörper der leicht bewaffneten Veliten trug nur eine Kappe von Leder,' einen leichten runden Schild, das gewöhnliche Schwert und mehrere leichte

Die Offiziere, unterschieden

Wurfspieße.

sich .wol äußerlich durch

Stoffe der Kleider und künstlicher gearbeitete Rüststücke.

feinere

Am kenntlichsten

war der Feldherr durch seinen purpurrothen, auch goldgestickten Ueberwurf.

Die Tribunen trugen als Abzeichen den goldenen Ring, einen kurzen dolch­ artigen Degen und in der Kaiserzeit nach den verschiedenen Abstufungen des Ranges breitere oder schmälere Purpurstreifen am Waffenrocke.

Die sechzig

Centurionen führten die Weinrebe, die Mutter des späteren Korporalftockes, in

der Rechten, und machten sich durch die besondere Stellung des Helmbusches ihren Untergebenen bemerkbar.

später mit

der

über

den

Kopf

Die Spielleute und Fahnenträger waren

gezogenen deutschen Wildschur bekleidet.

Uebrigens ertönte die Trompete als Signal zum Angriff oder .Rückzug; das

Horn gab das Zeichen zum Aufbruch, während durch ein kleineres schnecken­

förmig

gewundenes Blechinstrument die Zeit der Wachablösung

wurde.

bezeichnet

Von einer auf diesen Instrumenten gespielten Marschmelodie findet

man keine Spur, auch nicht von. Pauken und Trommeln, den unerläßlichen

Beigaben unserer Armeen.

Rach Plutarch wurden die Römer durch den

noch nie gehörten Klang der parthischen Trommeln, „der dem Gebrülle der

wilden Thiere und dem Rollen des Donners gleich kommt", in der Schlacht

bei Karrhä nicht wenig in Schrecken gesetzt. Auf die Einkleidung der Rekruten folgt bei uns die Drillzeit des Ein-

exerzirens, die natürlich um so anstrengender für Lehrer und Schüler ist, je

häufiger bei der Vernachlässigung der körperlichen Ausbildung alle Vorbe­ dingungen eines guten Soldaten fehlen. Der junge Römer dagegen trat, durch anhaltende Körperiibung, die früher seine einzige Erziehung und Bildung aus­

machte, vorbereitet, in den Dienst, und was Vegetius in seiner Anleitung zur

Kriegswissenschaft unter demKaiserGratian als nothwendige Uebungen der Re­ kruten angiebt, bezieht sich zur Hälfte auf ein bereits verweichlichtes und erschlafftes

Zeitalter.

Dermoch gab es auch früher noch so Manches, was beim Eintritt

ins Militär zu lernen war.

„Der Anfang aller Uebungen", sagt Vegetius,

„wird mit dem Kriegsschritt gemacht.

Auf dem Marsch sowol als in der

Schlacht selbst ist nichts nothwendiger, als daß jeder Soldat in Reihe und Glied bleibt.

Das ist aber nicht möglich, wenn er nicht durch lviederholte

Uebungen zu einem raschen und sich immer gleichbleibenden Schritte gewöhnt

ist.

Ein Heer, das unordentlich aufrnarschirt und Lücken macht, hat allemal

sehr viel vom Feind zu besorgen. Es muß daher der Rekrut, wenn er gewöhn-

lich ausschreitet, wenigstens 20,000 Schritte (vier deutsche Meilen) in fünf Stunden im Sommer zurücklegen, und wenn er ganz austritt, wodurch die Bewegung beschleunigt wird, wenigstens 24,000 Schritte in derselben Zeit." Livius erwähnt es von T. Sempronius und von Seipio Afrikanus, dem Aelteren, daß sie ihre Truppen auf diese Weise fleißig einübten. Nach Vegetius war es eine von Augustus angeordnete, von Hadrian wieder in Erinnerung gebrachte Gewohnheit, daß monatlich dreimal Fußvolk mit) Reiterei in voller Rüstung zehn römische Meilen in verschiedenen Marsch­ tempi aus dem Lager intb wieder zurück marschierten. Zuweilen führte man wirkliche Scheingefechte oder Manöver aus, nachdem man das Heer in zwei Theile geschiedeir hatte. Ueberhaupt wurden in der Kaiserzeit die militärischen Aufzüge und Paraden ziemlich häufig, da bei Leichenbegängnissen der Kaiser und Prinzeir die Garnison ausrückte und mit umgekehrten Standarten um den Scheiterhaufen defilirte, was, wie bei Drusus, dem Stiefbruder des Tiberius, jährlich am Grabmal wiederholt wurde. Ob freilich dabei das römische Militär die exakte Glorie des modernen Parademarsches erreicht habe, dürfte wol im Interesse der modernen Kultur bezweifelt werden müssen. Der eigentliche Marsch im Felde wurde dadurch erschwert, daß der Soldat eine ziemliche Last von Gepäck bei sich zu tragen hatte, welche oft in der republi­ kanischen Zeit die bei der früheren preußischen Infanterie gewöhnlichen sechszig Pfund überstiegerr zu haben scheillt. Nur die ledernen Zelte, deren jedes eine Kameradschaft von zehn Mamr zu fassen pflegte, die Handmühlen, Reservelvaffen und das Lagergeräthe wurde auf Karren oder Maulthiererr fortgeschafft (in der Kaiserzeit führte auch jede Legion 55 Horizontalgeschütze und 10 Wurf­ geschütze größeren Kalibers mit sich); was der einzelne Mamr aber selbst be­ durfte, fiel auch nur ihn: zur Last. Dahill gehörte außer der vollen Waffen­ rüstung, „die", wie Cicero sagt, „unsere Soldaten eben so wenig in Anschlag bringen als ihre Schulterrr, Arme und Hände," Getreide und später Brod auf einen halben, zuweilen, wie unter Scipio in Spanien und M. Philippus in Makedonien, auf einen ganzen Monat. In alter Zeit, wo die Kriege ganz in der Nähe der Stadt geführt wurden, genügte, was Cincinnatus im Kriege gegen die Aequer befahl, llämlich gekochte Speisen auf einige Tage mitzunehmen. Vor Cäsar mußten die Soldaten aber auch mehrere Schanzpfähle mit sich schleppen, und Cincinnatus ließ deren sogar zwölf, Scipio sieben den ein­ zelnen aufladen. Dazu kamen auch noch Säge, Spaten, Beil, Sichel, Stricke, Kochgeschirr, und da man im Alterthume den Gebrauch der Tornister nicht kannte, so mag eine den Soldaten zur Erleichterung dienende Einrichtung des Marius dankbar angenommen worden sein. Er ließ nämlich das Gepäck bündelförmig über ein Brettchen schnüren und dann an einer oben gabel­ förmigen Stange aus der Schulter tragen. Man nannte diese Tragmaschinen, Göll, Kulturbilder. 1.

24

370

Die römischen Militärverhältnisse.

die sich noch auf der Trajanssäule abgebildet finden, (zuweilen auch die Soldaten selbst) scherzhaft „Marianische Maulesel". Zu den Marschexerzitien kamen ferner Uebungen im Schwimmen und Springen und vor Allem im "Fechten, von welchem Vegetius Folgendes schreibt: „Die Alten ließen ihren Rekruten Schilde von Weidenholz nach Art der Faschinen flechten, die aber doppelt so schwer sein mußten als der wirkliche Schild. Dazu gaben sie ihnen statt des Schwertes hölzerne, ebenfalls doppelt schwere Keulen. Damit mußten sie nicht nur Vormittags, sondern auch Nach­ mittags vor dem Pfahle sich üben. Ein jeder Rekrut mußte nämlich einen Pfahl unbeweglich so in die Erde stecken, daß er sechs Fuß hoch hervorragte. Dann betrachtete er ihn als seinen Gegner und bediente sich wider ihn seines geflochtenen Schildes und seiner Keule, so daß er bald den Kopf und das Ge­ sicht zu treffen suchte, bald den Angriff auf die Seite that, zuweilen Hiebe auf das Knie und die Beine anbrachte, bald vorsprang, bald zurückwich. Dabei wurde besonders darauf gesehen, daß der Rekrut, wenn er zu einem Angriffe vorsprang, nie selbst eine Blöße gab." Schon Rutilius Rufus, ein Zeit­ genosse des jüngeren Scipio, hatte das Fechten der Soldaten als Kunst be­ handelt und Gladiatorenfechtmeister im Heere angestellt. Die hölzernen Nappiere erwähnt auch Strabo, indem er von dem räuberischen Alpenvolke der Salasser erzählt, noch Messala habe ihnen das Brennholz, die eschenen Lanzenschäfte und die Uebungswaffen baar bezahlen müssen. Die Schleuderer und Bogenschützen hatten natürlich ihre besonderen Uebungsstunden und schossen auf 600 Fuß nach dem Ziele. Die Reiter lernten an hölzernen Pferden das Auf- und Absitzen und mußten es so weit bringen, sich in voller Armatur aufs Pferd zu schwingen, da ihnen die Steigbügel fehlteil. Der Konsul Manlius fand 299 v. Chr. bei einer solchen Uebung den Tod. Alle diese Exerziüen wurden für die Rekruten zweimal täglich, für die älteren Sol­ daten einmal angestellt und Vegetius sagt, daß man in früherer Zeit (wahr­ scheinlich aber doch nicht vor den Kaisern) bei schlechtem Wetter die Infanterie in großen Hütten, die Kavallerie in bedeckten Reitschulen turnen ließ. Zur Anlei­ tung und Aufsicht waren besondere Exerziermeister angestellt, die man früher aus wohlgedienten Veteranen nahm. Plinius, der Jüngere, sagt aber in der Lobrede auf Trajan über seine Zeit: „Nachdem die Waffenübungen, anstatt für die Hände, nur für die Augen besümmt und aus einer Arbeit ein Ver­ gnügen geworden sind, nachdem unsere Exerzitien nicht irgend ein Veteran, den die Mauer- oder die Bürgerkrone schmückt, leitet, sondern ein windiger griechischer Fechtmeister, wie hoch ist es da zu schätzen, daß ein Einziger noch seine Freude an vaterländischer Sitte hat" u. s. f. Sowie Trajan sich persönlich an den Uebungen der Rekruten betheiligte und sie beim Fechten aufmunterte, kräfüger auf ihn loszuschlagen, kämpfte auch Hadrian nicht selten

um den Preis persönlicher Gewandtheit und Stärke, und noch der Jude Josephus sagt, daß das Blutvergießen der einzige Umstand sei, wodrwch sich das Schlachtfeld von dem Exerzierplätze unterscheide. Allein alle diese regel­ mäßigen Uebungen schienen den römischen Generalen nicht auszureichen. Man suchte die Quelle der Verweichlichung und zugleich der Unzufriedenheit lediglich im Müßiggang und bestrebte sich, dieselbe durch unausgesetzte Thätigkeit und Arbeit zu verstopfm, ohne zu glauben, daß durch Verwendung der Arbeitskraft für gemeinnützige Zwecke die Ehre des Soldatenstandes irgendwie gekränkt werde. So ließ der Konsul Flamiuius im Jahre 187 durch seine Soldaten die Straße von Bologna nach Arezzo anlegen, und P. Kornelius Nasika beschäftigte sein Heer sogar mit Schiffsbau, „danut es nicht durch Unthätigkeit verdorben würde oder bei müßiger Ungebundenheit den Bundesgenossen Schaden zufügte". Krassus schloß den Sklavenführer Spartakus durch eine 300 Stadien lange, sehr hohe Mauer wrd einen 15 Fuß tiefen und breiten Graben auf die südlichste Spitze Italiens ein, Cäsar zog mit einer Legion eine Befestigungs­ mauer vom Genfer See bis zum Jura, Augustus reinigte die Nilkanale Aegyptens, Drusus legte einen Rheindamm an durch Soldaten; das Militär in Syrien pflegte nach Plinius zum Vertilgen der Heuschreckeil kommandirt zu werdeir. Am meisten aber zeichllete sich in dieser Hinsicht der Kaiser Probus aus, der es offen aussprach, der Soldat dürfe nicht umsonst sein Brod essen, und mit dem Plane umging, das stehende Heer gänzlich ab­ zuschaffen. Was ferner den eigentlichen Lagerdienst betrifft, so war derselbe auch anstrengend genug. Anstatt auf beut Marsche Quartier in Städten und Dörfern zu nehmen, wurde jeden Abend ein Lager in freiem Felde aufge­ schlagen, und wenn man dasselbe auch zum Behufe des Ueberuachteus weniger fest baute, so mußte doch ein Graben gezogen, ein Wall aufgethürmt und der Palissadenverharl geflochten werden, bevor man die Zelte ablud und aufspannte und sich gemüthlicher einrichtete. Aber auch die Zahl der Wachposten war nicht unbedeutend und der Wachdienst selbst beschwerlich. Vor dem Feldherrn­ zelt zog täglich ein ganzer Manipel (— 2 Centurien oder 120 Mann) auf die Wache, vor jedem Legatenzelt standen zwei Posten, bei jedem Tribunen acht, bei der Quästur drei bis vier, bei jeder Zeltreihe ein Mann. Dazu kam die Thorwache, welche von leichten Truppen und der Reiterei versehen wurde. In alter Zeit standen die Soldaten mit den Schilden Wache; Aemilius Paulus schasste dies aber im makedonischen Kriege ab, weil er bemerkt hatte, daß die Posten den Schild vor sich hinstellten und damit das Knie stützend und sich zugleich auf die Lanze lehnend zu schlafen pflegten. Wie kann man sich aber auch über Ermüdung wunderrr, wenn man bei Livius liest, daß die römischen

372

Die römischen Militärverhältnisse.

Infanteristen und Kavalleristen den ganzen Tag hindurch, also über zwölf Stunden, gerade während der Hitze des südlichen Sommers Wache standen, bis endlich derselbe Feldherr 168 v. Chr. den Wachdienst in Vormittag und Nach­ mittag theilte! Ueber die Nachtwachen schreibt Vegetius: „Von jeder Cen­ turie besetzen vier Reiter und vier Infanteristen des Nachts die Posten. Und weil es unmöglich ist, daß derselbe Mann die ganze Nacht hindurch Schild­ wache stehen und wachsam sein kann, so hat man die 9^acht nach der Wasseruhr in vier Vigilien eingetheilt, so daß ein Mann nur drei Stunden zu stehen braucht. Der Trompeter giebt allen Wachen das Zeichen, auf ihre Posten abzumarschieren, und der Hornist ruft sie, wenn die Stunden um sind, wieder ab." Die Wachen wurden öfter visitirt, und zwar von den Rittern, den Tribunen und Centurionen, zuweilen auch von den Legaten und den: Feldherrn. selbst. Jeder Soldat erhielt außer dem Losungsworte ein Täfelchen mit Be­ zeichnung der Nachtwache und des Truppentheiles, dem er angehörte. Dieses nahm der die Runde machende Offizier an sich, und der Legionsoberst, der am Morgen die Marken nachzählte, konnte auf diese Weise sowol die Nachtposten als auch deren Inspizienten kontroliren. Zu dem Wachdienst kam noch die Be­ dienung der Offiziere, die Reinhaltung der Zelte und des ganzen Lagerplatzes, das Herbeischaffen von Holz und Futter. Befreiung von all dieser Arbeit genossen die römischen Ritter, das theils aus Veteranen, theils aus Leuten vornehmer Herkunft zusammengesetzte Elitekorps des Feldherrn und alle, die sonst mit militärischen Auszeichnungen bedacht wurden. Die Ueberreste der römischen Armee, welche sich bei Kannü so unglücklich geschlagen hatte, bekamen auf Senatsbeschluß, so lange der Feind in Italien stand, weder irgend eine Belohtmng noch Befreiung vom unteren Dienste. Arbeitsurlaub auf kürzere Zeit scheinen die Centurionen ihren Leuten ertheilt zu haben; denn in der Kaiserzeit machten diese Herren sich nach und nach ein einträgliches Geschäft daraus, die gemeinen Soldaten gegen Bezahlung auf einige Zeit von der Last des Dienstes zu eximiren. Wer Geld hatte, wurde so lange gequält und geplagt, bis er seinen Tribut für den Urlaub erlegte, der Aermere suchte sich durch Raub oder niedrige Dienste das Geld dazu zu erschwingen. Der Kaiser Otho ersetzte endlich den Centurionen diesen Theil ihrer Einnahmen jährlich aus dem Fiskus und andere gute Regenten ahmten ihm nach. Es fragt sich nun ferner, in welchem Verhältniß der Sold und die Ver­ pflegung des römischen Kriegers zu den Strapazen dieses Lebens stand, eine Frage, die freilich für die gute Zeit der Republik, wo der Waffendienst Ehren­ vorrecht des freien Bürgers war, von geringerer Berechtigung ist, als für die spätere, wo eigentlich das Proletariat dem Staate seine Dienste um des Lohnes imi) Unterhaltes willen verkaufte. Schon in der ältesten Zeit wurde den Rittern, die für ihre Person umsonst dienten, eine bestimmte Summe zum

Ankauf eines Pferdes vom Staate gewährt und außerdem ein Verpflegllngsgeld für dasselbe, das durch Besteuerung der sonst von Abgaben freien Wittwen und Waisen aufgebracht wurde. Wenn aber Livius 10,000 As als Preis des Pferdes und 2000 As als Unterhaltungssumme nennt, so scheint er dabei das spätere leichtere As und nicht das einem römischen Pfunde gleichkonnnende der alten Zeit zu meinen, da wenigstens das Futter in Italien unglaublich billig war. Der Staat leistete aber auch wahrscheinlich für gefallene Pferde keinen Ersatz, und da einer Nachricht zufolge noch ein Reservepserd und ein Stallknecht gehalten werden mußten, so kommt uns doch auch die Unkaufs­ summe nicht übermäßig vor. Aber auch das Fußvolk bekam schon in der könig­ lichen Zeit ein Verpflegungsgeld, wenn auch nicht aus der Staatskasse, so von den einzelnen Tribus, zu denen es gehörte. Nachdem aber bereits zwei An­ träge auf Soldzahlung aus dem Pachtgeld für Gemeindeland int fünften Jahrhundert gescheitert waren, beschloß endlich der Senat im Jahre 406, um eine regelmäßige Belagerung der Stadt Veji zu ermöglichen, wirkliche Kriegs­ steuern auszuschreiben, die Zahlungen der Tribus auf die Staatskasse zu über­ nehmen und den Soldaten durch einen bestimmten Sold ihren Unterhalt zu erleichtern. Der Sold wurde nicht inonatlich, sondern halbjährlich oder jährlich voraus- oder nachbezahlt, und betrug nach wahrscheinlicher Berechnung anfangs 200 Pfundas jährlich für den Gemenien, das Doppelte für den Centurionen, das Dreifache für die mit eigenen Pferden dienende Reiterei. Als Polybios schrieb, also im zweiten Jahrhundert, betrug der Sold des Legionärs täglich zwei Obolen (27 Pf.), also jährlich 120 Denare. Der Sold des griechischen Soldaten betrug stets vier Obolen, wovon die Hälfte ans das Verpflegungsgeld gerechnet wurde. Der römische stand sich also schlechter; denn was er an Lebensmitteln, Kleidern und Waffen von: Staate erhielt, das wurde ihm vom Quästor am Solde abgezogen, wie Polyb io s ausdrücklich berichtet, und da auf den Mann monatlich vier römische Scheffel Weizen gerechnet wurden, so beträgt der Abzug dafür jährlich schon wenigstens 26 Denare. In der Kaiserzeit wurde die Naturalverpflegung umsonst geliefert; aber obgleich nach Plutarch C. Gracchus ein Gesetz durchgebracht hatte, daß wenigstens die Kleidung dem Soldaten umsonst geliefert würde, so scheint doch noch viel später die alte Sitte bestanden zu haben, da noch Tacitus den aufrührerischen pannonischen Soldaten nach August's Tode die Klage in den Mund legt, auf 10 As (ungefähr 70 Pf.) täglich werde ihr Leib und Leben geschätzt, und dafür müsse noch der Aufwand für Kleider, Diensturlaub, Waffen und Zelte bestritten werden. Der Weizen wurde monatlich ausgetheilt, und nach Sallust waren die Soldaten, welche vor des Metellus Ankunft gegen Jugurtha im Felde standen, so faul, daß sie ihr Getreide verkauften

Die römischen Militärverhältnisse.

374

und sich dafür das Brod einhandelten.

Zuweilen ist es vorgekommen, daß

ganzen Truppentheilen, die sich schlecht benommen hatten, Gerste anstatt des

Weizens verabreicht wurde, und nach Vegetius wendete man dieses Mittel auch

bei ungelehrigen Rekruten an.

In den Zeiten der Republik war die Kost der

militärischen Tischgesellschaften, die aus acht bis zehn Mann zu bestehen Pflegten, sehr einfach.

Zu den selbst bereiteten Graupen oder dem nationalen Brei

konnte man sich Speck oder gedörrtes Fleisch von den Marketendern kaufen. Doch blieb das Getreide immer das Hauptnahrungsmittel, und sowol Cäsar

als auch Tacitus schildern es in ein paar Fällen als eine große Noth, daß die Soldaten mehrere Tage ohne Mehl waren und von frischem Fleische leben mußten.

Das gewöhnliche Getränk war Wasser mit Essig vermischt;

Wein war streng verboten.

Kluge Feldherren gingen in dieser Einfachheit

ihren Untergebenen voran, und Plutarch sagt im Leben des Marius: „Wie überhaupt Jeder bei seinem Elend darin einigen Trost findet, toeim er sieht, daß

Andere freiwillig daran theilnehmen, so ist einem römischen Soldaten nichts süßer

und angenehmer, als wenn er seinen General gemeines Soldatenbrod öffentlich

essen, oder auf einer schlechten Matratze schlafen, oder bei einem Graben oder Verhaue mitschanzen und arbeiten sieht."

Noch der Kaiser Karus aß nach

diesen Vorbildern Erbsenbrei mit Speck vor seinem Zelt! Rechnet man nun zu dem geringen Lohne des republikanischen Soldaten

noch den Nachtheil hinzu, welchen er als Grundbesitzerund Ackerbauer (denn

die verachtete Handwerkerklasse wurde nur sehr selten aufgeboten) durch die Feldzüge erleiden mußte, so ergiebt sich, daß seine Lage eben keine beneidens-

werthe war. Doch wurde sie dadurch etwas gebessert, daß ihm fast allemal ein Beuteantheil zufiel.

Die Soldaten mußten nach der Schlacht oder der Er­

stürmung einer Stadt Alles abliefern, damit diejenigen Truppen nicht verkürzt würden, die während der Plünderung unter den Waffen gestanden hatten. Der

Feldherr bestimmte dann ganz nach Gutdünken, wieviel in den Staatsschatz fließen, wieviel unter die Soldaten vertheilt werden sollte, und die Praxis war daher sehr verschieden.

Der Konsul Marcius überließ 357 die ganze reiche

Beute des privernatischen Gebietes dem Heere, und schon früher war die Beute von Veji, mit Ausnahme der Gefangenen, die gewöhnlich zum Besten der öffentlichen Kasse versteigert wurden, und von der volskischen Stadt Anxur

den Legionen

anheim gefallen.

Auch

bei

der Plünderung

von Syrakus

eximirte Marcellus bloß den königlichen Schatz und die Kunstwerke.

Der

Diktator Cincinnatus schenkte 458 seinem Heere Alles, was den besiegten

Aequern abgenommen worden war; dagegen ließ er die Legionen des Konsuls, die nicht ihre Schuldigkeit

gethan hatten,

leer ausgehen.

Manche,

wie

Papirius Kursor, suchten einen Ruhm darin, soviel als möglich Geld in

den Schatz zu führen, und ließen aus diesem Grunde den Soldaten nichts.

Im Jahre 407 gaben die Konsuln nichts von der Beute her, weil sich das Volk bei der Aushebung widerspenstig gezeigt hatte; zuweilen geschah dies auch von Seiten aristokratischer Führer aus Haß gegen die Plebejer überhaupt. Der Konsulartribun Postumius wurde sogar von seinen Leuten ermordet,

weil er ihnen die Beute der Stadt Bola versprochen, aber hinterher sein

Wort nicht gehalten hatte.

Daß endlich auch Unterschleife mancher Art das

Heer beeinträchtigten, erfeiuit man, abgesehen von einzelnen Fällen, aus dem

Bruchstücke einer Rede, welche der ältere Kato gerade über die Vertheilung der Beute an die Soldaten gehalten hat, und worin es einem bekannten deutschen

Sprichworte gemäß heißt:

„Diebe, die sich an Privateigenthum vergangen

haben, bringen ihr Leben im Gefängniß und in Ketten zu; Diebe aber, welche den Staat bestehlen, in Gold und Purpur." Der Beuteantheil wurde gewöhrr-

lich beim Triumphe ausgezahlt und Aemilius Paulus schenkte trotz der reichen makedonischen Beute dem Manne nur 100 As, weil man gerade bei

seiner Bewerbung um diese Ehre feindselige Gesinnungen gegen ihn an den

Tag gelegt hatte.

Als die geringste Summe wurden im Jahre 179 v. Chr.

nach einem Feldzuge im armen Ligurien 15 As an den Legionär vertheilt. Gewöhnlich waren es über 200 As.

Pompejus zahlte nach dem Mithrida-

tischen Kriege 1500 und Cäsar im Jahre 46:5000 Denare.

Die Centu­

rionen bekamen auch bei diesen Zahlungen das Doppelte, die Reiter das Drei­ fache, die Tribunen das Vierfache.

Die durch den Kriegssold nothwendig gewordene Ariegssteuer wurde in der Art nach dem Vermögen der Bürger vertheilt

daß man 1, in seltenen

Fällen auch 2 oder 3 pro Mille des Steuerkapitals erhob.

Livius erzählt,

daß es bei der ersten Steilerzahümg Aufsehen erregte, als einige Senatoren

ihre pfündigen Kupferasse auf Wagen in die Schatzkammer fahren ließen.

Doch lag in der Steuer selbst keineswegs eine drückende Last für die Staats­

angehörigen, sondern sie war gewissermaßen nur eine vom Staate geübte Zwangsanleihe, die nach gliicklich beendigtem Kriege durch die den Besiegten auferlegte Kriegskontribution wieder zurückbezahlt wurde. So wurde z. B. im Jahre 187 bei dem Triumphe des C. Manlius Vulso über die Galater

25x/2 Pro Mille des Tributum auf einmal den Bürgern wiedererstattet. Auch verringerte man während der Kriege die Summen der Beisteuer dadurch, daß man sich Lieferungen an Geld, Kleidern und Getreide ausbedang, so oft der Feind

Waffenstillstand

oder

andere Vergünstigungen wünschte.

Die

Vejenter verstanden sich 474 zu Weizen auf zwei Monate und Sold auf ein Jahr, die Aequer 476 zu Getreide auf zwei Monate, zwei Gewänder für jeden

Soldaten und Sold auf sechs Monate, und 306 erkauften die Samniter einen

Waffenstillstand auf 30 Tage um einen zweimonatlichen Sold, Mehl und je eine Tunika für den Mann.

Die Plünderungen und Brandschatzungen der

376

Die römischen MilitärverhälLnisse.

östlich von Italien gelegenen Länder füllten aber allmählich das römische Aerar so, daß nach der Eroberung Makedoniens im Jahre 167 die Kriegs­ steuer ganz abgeschafft werden konnte mit) die römischen Bürger dadurch ohne alle direkte Steuer blieben. Bald nach dieser Zeit erfolgte aber ein tief ein­ greifender Umschwung der militärischen Verhältnisse, dessen Folgen freilich erst in späterer Zeit an den Tag kamen. Nachdem man nämlich schon vor dem letzten punischen Kriege den Census der untersten Klasse von 11,000 As auf 4000 herabgesetzt hatte, weil die Be­ güterten sich immer mehr dem Kriegsdienste, wenigstens als gemeine Soldaten, entzogen, und auf diese Weise der ärmere Theil der Bevölkerung dienstfähig gemacht worden war, hob endlich Marius die Rekrutirung nach dem timokratischen Prinzipe ganz auf und konskribirte seine Legionen, die er überdies auf je 6000 Mann brachte und deren 30 Manipel ex behufs einer gedrängteren Aufstellung in 10 Kohorten verwandelte, größtenteils aus dem Proletariat. Deshalb schreibt auch Valerius Maximus: .„Lobenswerth ist auch das anständige Benehmen des Volkes, welches sich rastlos den Mühsalen und Gefahren des Kriegsdienstes unterzogen hat, damit nur die Feldherren nicht nöthig hätten, die ärmste Klasse zur Fahne schwören zu lassen, deren allzugroße Armuth verdächtig war, weshalb ihr auch nicht W affen vom Staate anvertraut wurden. Aber diese durch längjährigen Gebrauch befestigte Gewohnheit durch­ brach C. Marius, indem er seine Soldaten aus d»en Vermögenslosen wählte." Seitdem ferner im Jahre 89 allen Italikern das römische Bürgerrecht ver­ liehen worden war, erstreckte sich die Aushebung nur noch auf die früher einen besonderen Theil der Armee ausmachenden Bundesgenossen, und traf auch hier größtentheils verarmte Leute. Nach Art der Werbeoffiziere durchstreiften nun Rekruürungskommissäre die Halbinsel und suchten die wehrhafte Mannschaft auf, die zwar gesetzlich noch ihnen zu folgen hatte (Lie ursprüngliche Todesstrafe für Konskriptionsflüchtigkeit milderte sich allmählich zur Verweisung in die geringsten Truppentheile, z. B. die Flotte), aber sich bereit finden ließen, auch gegen Geld die Kriegsunlustigen zu entlassen. So» legte z. B. der Cäsarianer Kassius Longinus allen Römern in Spanien, tnic seinen Feldzug nach Afrika nicht mitmachen wollten, eine bedeutende Geldbuße auf. In der Zeit der Bürgerkriege kamen endlich allerhand willkürliche Ausschreitungen bei Bildung der Armeen vor. Die Freigelassenen, denen man vorher nur den Dienst auf der Flotte verstattet hatte, wurden massenweise dem Landheere einverleibt; aus Provinzialen bildete zuerst Cäsar, dann auch Pompejus Legionen, denen später bei passender Gelegenheit das Bürgerrecht verliehen wurde;-ja, was in Rom nur einmal vorher und zwar nach der unheülvollen Schlacht von Kannä gesehen worden war, daß sogar Sklaven zu Krieg ern genommen wurden, das that nicht nur Marius, der aus ihnen ein besonderes Korps bildete,

sondern auch Pompejus und Brutus. Eine weitere große Aenderung bestand endlich darin, daß seit Marius der Soldat nicht nach jedem Feldzuge wieder an den Pflug zurückkehrte, sondern 20 Jahre lang bei der Fahne blieb und sich hierzu auch durch den Eid verpflichtete. Natürlich erwuchs aus solchen Truppen, die eigentlich nur aus Söldnern bestanden, welche eine ihnen sonst vom Leben versagte Erwerbsquelle im Dienste suchten, eine große Gefahr für den Staat. .Der Patriotismus wurzelt im Bewußtsein des eigenen Interesses am Gedeihen des Vaterlandes; jene gemietheten Proletarier und Abenteurer aber verkauften sich nicht dem gemeinschaftlichen Vaterlande, sondern dem zahlenden Feldherrn, am liebsten natürlich dem, der das Meiste an Lohn und Beute ver­ sprach. Cäsar verdoppelte darum den Sold, so daß er sich nun auf 225 De­ nare belief. Oktavian erkaufte dann die Legionen mit 500 Denaren und eben so viel erhielten sie Mann für Mann von Antonius. Natürlich mußte nun die den Soldaten der Republik angeborene Nüchternheit, Gesetzlichkeit und Tapferkeit diesen beutelustigen Landsknechten erst anerzogen werden und es war nicht leicht, zwischen allzu starker Strenge und allzu großer Nachsicht die richtige Mitte zu treffen. Als Meister nr dieser Swift zeigten sich besonders Marius, Lukullus, Sulla und Cäsar. Um die Beschlüsse des Volkes und Senates kümmerten sich jene Parteigänger nicht mehr; sie wählten ihre Führer, steinigten mißliebige Offiziere und waren überhaupt die besten Mittel, um end­ lich das Reich dem Absolutismus in die Hände zu liefern. Die zuverlässigsten Soldaten, aber auch die unersättlichsten, waren in dieser Zeit die Veteranen, welche man nach Vollendung ihrer Dienstzeit gegen das Versprechen besonderer Bevorzugung im Dienst, Sold und Avancement zu neuer Kapitulation zu be­ wegen suchte und welche ein besonderes Korps bildeten. Außer Erhöhung des Soldes und anderen Begünstigungen sahen sich nun aber auch die Machthaber genöthigt den ihrer Heimat und ihrem Beruf entfiihrten Werkzeugen des Ehr­ geizes am Ende der militärischen Laufbahn eine Versorgung auf ihre noch übrige Lebenszeit zu Theil werden zu lassen oder sie auch auf diese Weise un­ schädlich zu machen, sobald sie ihrer nicht mehr bedurften. Dies führte zu dem unseligen System der Militärkolonien, dem Italien vorzüglich den Verfall seiner Landwirthschaft verdankte. Sulla belohnte 23 Legionen, indem er sie in die Munizipien einmarschieren und die Eigenthümer der schönsten und fruchtbarsten Ländereien vertreiben ließ. Schonender wollte Cäsar zu Werke gehen; aber sein Tod führte zu ähnlicher Härte der Ansiedelungen. Die letzten Triumvirn endlich versprachen vor dem Kriege mit der republikanischen Partei ihren Soldaten 18 der besten Städte Italiens als Kolonien, und die Erfüllung ging noch über das Versprechen hinaus; denn nicht 27 Legionen, welche wirklich gekämpft hatten, sondern 34 wurden so untergebracht. Die wenigsten

378

Die römischen Militärverhältnisse.

Soldaten aber verstanden es, sich nach einem bewegten, im schroffsten Wechsel

der Anstrengung und Lust verbrachten Leben an die ruhige Thätigkeit des Land­ mannes zu gewöhnen, und die meisten entäußerten sich bald wieder ihrer Acker­ loose an reiche Spekulanten. Da die auf die Periode der Verwirrung folgende Monarchie selbst durch Waffengewalt errungen wurde, so konnte der Usurpator das siegreiche Heer

als Stütze nicht entbehren.

Dieses mußte nun dem Kaiser allein den Eid der

Treue leisten und trat, vollständig in ein stehendes umgeschaffen, durch seinen ausschließlichen Beruf in Gegensatz zu dem friedlichen Bürger und dünkte sich über denselben erhaben. Recht charakteristisch ist in dieser Beziehung der angeb­

liche Rath des Mäcenas bei Dio Kassius, wo es unter anderem heißt:

„Wenn wir allen Bürgern, die das Alter haben, die Waffen in die Hand geben

und sie sich im Kriegswesen einüben lassen, so nehmen Empörungen und Bür­ gerkriege bei uns kein Ende.

Wenn wir es ihnen aber wehren und dann im

Falle der Noth ihre Hilfe in Anspruch nehmen, so werden wir nie erfahrene

und geübte Soldaten bekommen.

Deshalb ist mein Vorschlag: Wir nehmen

nur starke. Leute, die am meisten fremden Unterhaltes bedürfen, um sie in den Waffen zu üben.

Der kräftigste und stärkste Schlag von Menschen, der sonst

vom Raube zu leben gewohnt war, gewinnt so auf unschädliche Weise Brot und die anderen leben ohne Sorgen und Gefahr."

Person

in

der Hauptstadt zu sichern,

den

Um aber seine eigene

Senat einzuschüchtern,

jede

Empörung im Keime ersticken zu können, verwandelte der erste Kaiser das frühere Elitekorps des kommandirenden Feldherrn in eine stehende Leibgarde und legte so den Grund zu jener verhätschelten, frechen Soldateska, die bald

genug aus Schergen des Despoten Tyrannen und Peiniger des Volkes wurden.

Das Korps

bestand

nach August's Einrichtung

aus neun Kohorten zu

1000 Mann, von denen aber nur drei Kohorten in Rom lagen und die Wache

am kaiserlichen Palast versahen, während die sechs übrigen üt verschiedene italische Städte vertheilt

waren,

wo der Kaiser sich aufzuhalten pflegte.

Allein schon Tiberius vereinigte die ganze Garde in Rom und wies ihr eine befestigte Kaserne an einen: strategisch wichtigen Punkte der Stadt an.

Unter

Vitellius zählte sie ausnahmsweise 16,000 Mann; doch wurde sie schon von Vespasian wieder auf 10,000 Mann reduzirt.

Die Prätorianer wurdeir

ursprünglich aus Italien rekrutirt und Kaiser Otho schmeichelte ihnen deshalb mit dem Titel: „Zöglinge Italiens, wirkliche Blüthe der römischen Jugend!"

Aber seit Septimius Severus ergänzte man sie aus den Legionen oder der aus vier Kohorten zu 1500 Mann bestehenden eigentlichen Garnison von Rom, indem man auf dem Wege des Avancements erprobte Soldaten unter diese Truppen versetzte, die außer einer glänzenderen Rüstung doppelten Sold (jähr­

lich 720 Denare), von welchen sie freilich bis Nero's Zeit sich selbst verpflegen

mußten, die kürzere Dienstzeit von sechzehn Jahren und eine bessere Alters­ versorgung vor den Legionssoldaten voraus hatten. Was das Linienmilitär der Kaiserzeit betrifft, so wurde von nun an jährlich, wie bei uns, nur die nöthige Ersatzmannschaft ausgehoben, und dieses Kontingent lieferten die Provinzen. Großentheils reichten die sich meldenden Freiwilligen hin und bei größerem Bedarf, wo die zum Kriegsdienste gesetzlich Verpflichteten aufgerufen wurden, war es bereits erlaubt, Stellvertreter zu erkaufen. Letzteres erhellt vorzüglich aus einem Briefe Trajan's an Plinius über die Bestrafung von einigen Sklaven, die sich unter die Rekruten einge­ schlichen hatten. „Es kommt darauf an," schreibt der Kaiser, „ob sie sich als Freiwillige angeboten haben, oder gewählt worden sind, oder als Stellvertreter dienen. Hat sie die Wahl getroffen, so hat der Rekrutirungskommissür (inquisitor) gefehlt; sind sie als Stellvertreter abgegeben worden, so haftet'die Schuld an denen, die sie gestellt haben; sind sie aber selbst gekommen, so müssen sie bestraft werden, weil sie ihre Stellung kannten." In der Zeit der ärgsten Zerrüttung des Reiches reichten kaum große Geldversprechungen hin, um Leute zu finderr, die ihre Dienste der Vertheidigmrg des Vaterlandes widmeten. Unter Stilicho wurden jedem Freigeborenen, der sich anwerben ließ, zehn Goldstücke geboten. Ein Gesetz des Kaisers Valentinian III. ver­ ordnet, daß jeder Graf und jede andere durch Titel und Railg ausgezeichnete Person entweder einen Soldaten stellen oder dreißig Goldstücke erlegen sollten. Unter Valens stieg die Summe auf 36 Solidi (ä 12 Mark), wovon sechs dem Soldaten sofort ausgezahlt wurden. Die Rekruten wurden körperlich geprüft und namentlich gemessen, wobei die erforderliche Höhe durchschnittlich 5 Fuß 10 Zoll römisch (1,72 Meter) betrug. Unter Hadrian nahm man auch Leute

von 5 Fuß; dagegen hatte Nero's Alexanderphalanx 6 Fuß. Die neu eintretenden Soldaten wurden übrigens an der Hand oder am Arme mit einem Brandmale gezeichnet. Das Soldverhältniß der Linie blieb unverändert bis Domitian, der den Gehalt des Gemeinen von 225 Denaren auf 300 erhöhte, was freilich bei der gleichzeitigen Verschlechterung und Entwerthung der Silbermünze (es be­ trug dies auf den Denar bereits 10 Pfennige) nicht viel sagen will. Zu der Löhnung kamen noch «außerordentliche Geldgeschenke, welche die Kaiser beim Regierungsantritt, an ihren Geburtstagen oder bei der Geburt des Thron­ folgers dem Militär spendeten und welche aus sehr verschiedenen Summen bestanden; 75 Denare waren beinahe das Geringste, was gegeben wurde; später erhielte:: die Prätorianer die meisten dieser Donative, die sich mehreremal bis auf 5000 Denare beliefen. Uebrigens mußte der Soldat von solchen außerordentlichen Zulagen die Hälfte in eine besondere Sparkasse seiner Kohorte abliefern und das sich hier sammelnde Kapital wurde ihm erst bei

Die römischen Militärverhältnisse.

380

seiner Entlassung ausgehändigt; auch für den Legionsbegräbnißfiskus wurde

ihm eine kleine Summe in Abzug gebracht.

Am Schlüsse der Dienstzeit

erwartete den Legionär seit Augustus ein Entlassungsgeschenk vom 3000, den Prätorianer von 5000 Denaren, welche Summen Kaligula auf die

Hälfte herabsetzte.

Rechnet man zu den 225 Denaren, die der gemeine Mann bekam, für die Verpflegung und Geschenke jährlich noch 75 hinzu, so ergiebt sich für seine Unterhaltung (den Denar nach dem damaligen Münzwerth zu 87 Pfennige

gerechnet) ein Aufwand von ungefähr 260 Mark.

Die Legion bestand normal

aus 6000 Mann, die 60 Centurionen mit eingerechnet, zu denen wir noch

40 Mann rechnen wollen, die ebenfalls doppelten Sold erhielten.

Zu den

hierdurch entstehenden 1,586,000 Mark käme dann noch der Gehalt der sechs Kriegstribunen, der vielleicht in der früheren Zeit nur das Vierfache des

Legionarsoldes betrug, da Cäsar bei seinem Triumphaldonativ nach diesem Verhältnisse verfahren ist.

Die Gesammtsumme von 1,592,240 Mark auf die

von Augustus unterhaltenen 25 Legionen angewendet, läßt also auf einen Etat

von beinahe 40 Millionen Mark für 150,000 Mann Linienmilitär schließen.

Die Prätorianerkohorten erforderten beinahe 6 Millionen, die übrige städtische Garnison über anderthalb.

Wie hoch freilich die Stärke und Besoldung der

Hilfstruppen, zu denen auch fast die ganze Kavallerie zu zählen ist, und der

Marine anzuschlagelr sei, darüber fehlen alle Unterlagen.

Aber wenn man

selbst mit Gibbon die ganze römische Armee auf 375,000 schätzt, das Militär­

budget demgemäß auf etwa 90 Millionen Mark erhöht und dann noch die nöthige Rücksicht auf die Kultur- und Bevölkerungsunterschiede zwischen heute

und ehedem nimmt, so steht doch der Aufwand, welchen Rom für das Heer machte, in keinem Verhältnisse zu den Kostendimensionen der Neuzeit und die einzige Provinz Gallien besitzt ein dreimal stärkeres Heer im Frieden, als jenes ungeheure Reich des Alterthumes!

Natürlich konnte das stehende Heer der Monarchie nicht mehr auf dieselbe Weise unterhalten werden, wie in der republikanischen Zeit, wo die Kriegs­ kontribution der erobertenen Länder den Staatssäckel füllten.

Bereits die

Triumvirn hatten sich genöthigt gesehen, willkürliche und früher unerhörte

Steuern zu erheben. Augustüs gründete gleich nach Beendigung der Bürger­ kriege ein besonderes Kriegsärar, das er mit einem Kapital von ungefähr

36 Millionen Mark dotirte.

Dieser Kasse, welche vielleicht ursprünglich bloß

Pensionsfond für die Veteranen sein sollte, wurden ferner als regelmäßige Einnahmen zugewiesen eine einprozentige Abgabe von allen in öffentlicher Auktion verkauften Gegenständen, eine zweite, spätere vierprozentige Steuer

vom Verkaufe der Sklaven und eine alle Erbschaften über 100,000 Sesterzen treffende Kollateralerbschaftssteuer,

die sehr viel

eintragen mußte bei

der

herrschenden Scheu vor dem Heiraten und der Mode, alle guten Freunde und Bekannten im Testamente mit Legaten zu bedenken. In den meisten Provinzen wurde wol der Truppensold aus den Einkünften an Grund und Kopfsteuer gedeckt und die Steuertermine scheinen deshalb nicht ohne Grurrd mit den Löhnungstagen zusamlnenzufallen. Aber auch die Naturallieferungen, welche den Soldaten und Offizieren gebührten, lasteten als ein Zuschlag zur Grund­ steuer auf den Provinzialen und mußten an die Staatsmagazine abgeliefert werden. Sie fcefkinfceu in Getreide, ja sogar in gebackenem Brot und Zwie­ back, Essig, Oel, gesalzenem Schweinefleisch, Viehfutter, Holz, Kleidern und Wein. Strenge Feldherren, wie Pescenn ins Niger und Avi diu s Kassius, duldeten zwar den Wein im Lager nicht, aber seit Konstantius scheint Wein und frisches Fleisch regelmäßig vertheilt worden zu sein. Endlich verlangten die Soldaten sogar stets alten Wein und es erschienerr mehrere Verordnungen, in welchen ihnen eingeschärft wurde, daß sie vom November an mit „Heurigem" zufrieden sein müßten! Eine schlimme Unsitte, die endlich mit Todesstrafe verboten werden mußte, bestand auch darin, daß die Oberoffiziere sich nach und nach das Recht anmaßten, für jeden Soldateir jährlich eine Woche lang das Naturaldeputat zu bezieheu. Natürlich konnte dies nur durch Urlaubsertheilung bewerkstelligt werden, und die Beurlaubten, welche gewöhnlich sehr fern von ihrer Heimat standen, fouragirten sich nun wieder selbst und thaten viel mehr Schaden, als die papiernen Soldaterr, die in manchen Staaten jetzt ihre Stelle versehen! Jilteressant ist es, die Dotirilng der Offiziere aus einigen auf uns gekommenen Quellen übersehell 311 können. Noch existirt das Patent des Kaisers Valeri an, durch welches der nachmalige Kaiser Klaudius als Kriegstribun, aber mit Generalsgehalt, angestellt wurde. Außer 250 Goldstücken (= 4026 Mark) baar erhielt der­ selbe jährlich 262 Hektoliter Weizen, 524 Hektoliter Gerste, 2000 Pfund Pökel­ fleisch, 19 Hektoliter alten Wein, 81 Liter Oel erster, 328 Liter zweiter Sorte, 125 Liter Salz, 150 Pfund Wachs, Heu, Stroh, Essig und Gras nach Bedarf, 30 Felle zu Zelten, 6 Maulesel, 9 Pferde, 10 Kameele, 9 Mauleselinnen, 1500 Pfund Holz täglich. Dazu kam noch die vollständige Rüstung bis auf Halskette und Ring, Silbergeschirr und zahlreiche Dienerschaft, darunter sogar zwei schöne Weiber aus den Gefangenen! Dagegen erhielt der Kaiser Probus durch Reskript Valerian^s als wirklicher Tribun nur ungefähr 2100 Mark, zwei rothe Gewänder, zwei bordirte Untergewänder, zwei mit Agraffen ver­ sehene gallische Mäntel, eine zehnpfündige silberne Schale, dann täglich 6 Pfund Rind- und Schweinefleisch, 10 Pfund Ziegenfleisch, alle zwei Tage ein Huhn und 1I2 Liter Oel, täglich 5 Liter Wein, Salz, Holz, Gemüse u. s. w. nach Bedarf.

382

Die römischen Militärverhältnisse.

Bald wurde auch die Soldateska zu bequem, auf den Durchrnärschen ihre

Nachtquarüere wie ehedem im Lager zu nehmen, und die Einquartierung trat

als neue Last zu den Naturallieferungen hinzu, so daß endlich die Provinzen eigentlich mehr dem Heere dienten als den Kaisern, von denen freilich manche, wie Septimius Severus und Gratian, durch Nachgiebigkeit den größten Theil der Schuld trugen.

Hatte Septimius Severus den Soldaten gestattet,

mit ihren Frauen im Müßiggang der Standquartiere zu leben, so erlaubte

ihnen Gratian sogar den Panzer abzulegen und statt des Helmes den ledernen

pannonischen Hut zu tragen.

Die Beinschienen waren schon längst durch den

wärmenden Wadenstrumpf ersetzt;

dafür waren auch die Degengefäße mit

Elfenbein ausgelegt und die Wehrgehänge klirrten von silbernen Kettchen und Plättchen.

Daß solche Leute brutal und übermüthig in den Provinzen auf­

traten, läßt sich leicht denken; hatten sie doch außerdem mancherlei Privilegien vor dem Civilstande voraus, die besonders ihre rechtliche Verfolgung lähmten! Schon in der guten Zeit Trajan's schreibt ja der Satiriker Juvenal:

„Nicht der kleinste Vortheil ist, daß den Soldaten ein Bürger zu schlagen sich fürchtet, sogar stillschweigt, wenn er der Geschlagene ist, und niemals dem

Prätor die ausgeschlagenen Zähne zu zeigen wagt ober die blutrünstigen Beulen des Gesichtes, oder das Auge, vor welchem dem Wundarzt die Achseln zuckt."

Wer klagen wollte, fährt er fort, der müßte es vor dem Militärgerichte thun, gemäß dem alten Brauche,

„daß nie werd' außer dem Walle gerichtet ein

Kriegsmann und von den Fahnen entfernt."

Es helfe nichts, daß die Klage

gerecht sei, deml „die ganze Kohorte ist gegen mich, und die Manipeln treiben

alle einträchtig es so weit, daß die Vergeltung sorgenbringend ist und ärger,

als die Unbill. — Weit eher vermagst Du einen falschen Zeugen zu stellen gegen einen Bürger, als einen wahrhaftigen gegen das Glück und die Ehre eines Soldaten." Die Bemühungen einzelner Kaiser, die alte Mannszucht wiederherzustellen

und auf den militärischen Kodex August's und die Verordnungen Hadrian's zurückzugehen, wurden theils als Grausamkeit ausgeschrieen und brachten den

tüchtigsten Regenten, wie Alexander und Pe^tinax, Verderben, theils wurden sie durch die Inkonsequenz der Nachfolger neutralisirt.

Pescennius

Niger ließ den Dieb enies Huhnes nebst den neun Zeltkameraden, die davon gegessen hatten, zum Tode verurtheilen und begnadigte zuletzt die Delinquerrten

nur unter der Bedingung, daß jeder den zehnfachen Preis des Huhnes den: Besitzer erstattete.

Aber schon zu Plinius, des Aelteren, Zeit hatterr die

Kommandeure der Hilfstruppen, die an der deutschen Grerlze standen, ihre

Soldaten kohortenweise auf eine Art von wilden (Gänsen Jagd machen lassen, weil das Pfund Flaumfedern zu Rom fünf Denave kostete! Uebrigens enthielt der Strafkodex des Militärs der Strafmittel mancherlei.

Es kommen Abzüge

vom Sold vor oder Abrechnung des betreffenden Feldzuges; dann lvird es

öfter erwähnt, daß Versetzung zu einem schlechteren Truppentheile stattfand, so daß der Reiter zum Fußvolk, der Legionär unter die Hilfstruppen geschickt

wurde.

Die Gefreiten mußten zur Strafe wieder Dieirste thun.

Offiziere ver­

setzte man an die äußersten Grenzen des Reiches, und dies passirte z. B. wegen Insubordination dem Kriegstribun M. Fulvius im Jahre 180, oder man

entließ sie mit Schimpf, wie Cäsar mit Avienus und Fonte jus that.

Sie

konnten sogar mit Ruthen gepeitscht und zu Gemeinen degradirt werden, wie ein gewisser Kotta, dessen Valerius Maximus erwähnt. Eine beschämende

Strafe war ferner, auf dem Versammlungsplatze des Lagers vor dem Zelte des Feldherrn in bloßem Hemde mit nackten Füßen, das Schwert oder die Meß­

stange in der Hand zu stehen, was im Kriege gegen die aufständischen Sklaven Siciliens sogar dem Reiterbefehlshaber Titius diktirt wurde, der vor dem verachteten Feinde die Waffen gestreckt hatte.

Zuweilen mußten auch ganze

Truppentheile außerhalb des Lagers kampiren, ohrre Weizen zu bekommen und

ohne zu den Zelten Leder nehmen zu dürfen, oder sie mußten auch schwören, daß sie nie anders als stehend Speise und Trank zu sich irehmen wollten.

Ferner führte der Centurio die Weinrebe nicht umsonst in der Rechten und die Schläge damit scheinen reichlich genug ausgetheilt worden zu sein.

Juvenal sagt von dem Soldatendienste unter Marius: „Aber darauf zer­ brach ihm die knotige Reb^ auf dem Scheitel, wenn er mit träger Axt langsanl

umschanzte das Lager."

Ja, es war schon eine alte Bestimmung, daß der

Soldat, welcher den Stock des Hauptmannes hielt, um das Schlagen zu ver­

hindern, degradirt, der, welcher die Rebe zerbrach oder Hand an den Schlagen­ den legte, mit dem Tode bestraft wurde.

Die Centurionen waren deshalb, als

Stockmeister, am wenigsten bei den Soldaten beliebt und wenn irgendwo eine

Meuterei ausbrach, kehrte sich die Wuth der Gemeinen zuerst gegen diese Offiziere.

Die bereits erwähnten Pannonischen und deutschen Legionäre be­

klagten sich bitter über das Uebermaß der Prügel, deren Spuren sie den Feld­

herren öffentlich zeigten.

Die deutscheil Regimenter fielen sogar über ihre

Quäler her und prügelten sie zu Tode oder warfen sie in den Rhein.

Das

erste Schicksal traf auch bei dell pannonischen Truppen einen gewissen Lucilius,

dem die Soldaten den Spitznamen „Eine andere her!" gegeben hatten, weil er, wenn seine Weinrebe auf dem Rücken eines Jnkulpaten zersprungen war, eine andere, und immer wieder eine andere zu fordern pflegte! Im Falle grober

Insubordination oder Desertion wurde eine Art Spießruthenlaufen als Strafe

verhängt, iildem der Delinquent zuerst von denl Tribml mit dem Stocke berührt und dann von den anderen Soldaten mit Stockschlägen oder Steinwürfen

traktirt wurde, so daß er meistens den Geist aufgab.

Sonst wurde die Todes­

strafe von den Liktoren oder Gladiatoren des Feldherrn in der Art vollzogen,

Die römischen Militärverhältnisse.

384

daß der Verurtheilte an einen Pfahl gebunden, mit Ruthen gestrichen und endlich mit dem Beile hingerichtet wurde. Ganze Truppentheile, die gemeutert oder sich feig benommen hatten, büßten mit der Dezimation, wobei immer der zehnte Mann nach dem Loose hingerichtet wurde.

Das erste Beispiel dieser

Strafe wird von Livius im Jahre 469 v. Chr. erwähnt; sie wurde aber öfter wiederholt, z. B. von Kassius, Cäsar, Antonius, Augustus.

Auf der anderen Seite fehlte es im römischen Heere auch nicht an vielen

Aufmunterungen imb Belohnungen der Tapferkeit. Als Anerkeilnung des Ver­ dienstes erfolgte ein Weiterrücken der Rangstellung, das im stehenden Heere dex Kaiserzeit mehr an Bedeutung erhielt als früher, wo bei der Bildung der

Armeen die frühere Charge des Einzelnen oft gar nicht berücksichtigt wurde.

Der gemeine Soldat hatte in späterer Zeit acht bis neun Stufen im Avance­ ment zu durchlaufen, bevor er das Centurionat erreichte, und diese bestanden

fast alle in Ordonnanzdiensten bei höheren Offizieren.

War endlich der Cen­

turionenrang erworben, so gab es wieder in der Legion ein vielfaches Vor­ rücken unter den Hauptleuten. Man hatte Ober- und Untercenturionen und jede

der zehn Kohorten war außerdem an Rang der andern übergeordnet, so daß nun

das Avanciren vom untersten Centurionen der zehnten Kohorte an durch alle Kohorten fortgesetzt werden konnte.

Zur Zeit des Vegetius bestand die Ein­

richtung, daß der letzte Centurio der zehnten Kohorte zunl letzten der neunten, dann der achten u. s. w. vorrückte, um dann wieder in der zehnten Kohorte mit

dem vorletzten Posten anzufangen — ein höchst langweiliges Avancement, das aber nach Vegetius mit fortschreitender Solderhöhung verbunden war und

Leute aus niederem Stande wol befriedigen mußte, da dieselben gewöhnlich mit dem Centurionat ihre militärische Laufbahn beschlossen und nur höchst selten

die Stelle eines Tribuns erhielten.

Aber auch bcimi würben sie nur Unter­

tribunen; bas Obertribunat war schon von August an eine Prärogative ber

Aristokratie geworben unb nach unb nach würben bie Sprößlinge ber senato­ rischen unb ritterlichen Familien so früh zu biesem Posten befördert, baß enb-

lich der Kaiser Hadrian befahl, nur ein voller Bart solle zum Tribunat befähigen! Das.Kommando der Legion war freilich schon längst den Tribunen

abgenommen und einem Legaten übertragen worden, rmd dem Tribun blieb

nichts übrig als die Führung der Listen, die Ertheilung des Urlaubs, die Sorge für die Verpflegung, die Inspektion der Exerzitien, der Wachen und des Lazareths, die Jurisdiktion und der Vorschlag zum Avancement.

Außer dem Vorrücken im Range fehlte es aber auch nicht an Dekoratiorren

mannigfacher Art, die bei feierlichen Gelegenheiten getragen wurden.

Irr

älterer Zeit schenkte man den Tapferen Lanzenschäfte ohne Eisenspitze, zrrweilen aus edlem Metall, purpurne oder buntfarbige, auch gestickte Fähnchen mit

silbernem Schaft,

silberne

oder goldene Armbänder, urrd Halsketten und

Die römischen Militärverhältnisse.

385

kleine Kettchen mit Heftnadeln zum Anstecken, endlich kleine Rundschilde oder Medaillons, welche auf gitterförmig die Brust bedeckendeu Riemenstücken auf-

geheftet, seit dem Kaiser Karakalla ganz wie unsere Orden an Bändern ge­

tragen wurden und oft von großem Kunstwerth und mit Edelsteinen besetzt

waren.

Noch viel höher in Werth als diese gewöhnlichen Auszeichnungen

standen die verschiedenen Kronen und Kränze, welche das Haupt schmückten.

Den grünen, später goldenen Lorbeerkranz, sowie den Myrtenkranz trug beim

großen und kleinen Triumph der Feldherr selbst.

Die aus Gras geflochtene

Belagerungskrone wurde einem Offizier wegen Befreiung des Heeres aus sehr gefährlicher Lage von den Soldaten selbst zuerkannt und Plinius, der Aeltere, zählt die wenigen Glücklichen auf, deneu diese Ehre zu Theil wurde.

Für

Rettung eines Bürgers in der Schlacht wurde ein ans Eichenlaub gewundener

Kranz verliehen, dessen Inhaber auch die Ehre genoß, von allen Leistungen frei zu sein, im Theater und Cirkus durch Aufstehen des Volkes, selbst der Sena­ toren, begrüßt zu werden und dem Senat zunächst seinen Sitz zu haben.

Eine

goldene Mauerkrone mit zinnenartigen Verzierungen wurde demjenigen ge­ schenkt, der zuerst seinen Fuß auf die Mauer einer bestürmten Stadt gesetzt

hatte, eine aus goldenen Schiffsschnäbeln zusammengesetzte Schiffskrone dem­ jenigen, der zuerst auf ein feindliches Schiff hinübergesprungen war.

Kein

Veteran aber unserer Zeit könnte wol so viele Kreuzchen und Medaillen auf­

weisen, daß er mit dem im fünften Jahrhundert v. Chr. lebenden C. Siccius Dentatus in die Schranken zu treten vermöchte, der in 120 Gefechten sich 22 Lanzenschäfte, 25 Medaillons, 83 Halsketten, 160 Armbänder, 26 Kronen

(14 Eichenlaubkränze, 8 goldene, 3 Mauerkronen, 1 Belagerungskrone) ver­

dient hatte.

Welches Schmuckkästchen brauchte dieser Held, den die Römer

ihren Achilles nannten, zur Aufbewahrung seiner Kleinodien, die ihm außerdem

nicht, wie die heutigen Orden, bloß geliehen, sondern geschenkt waren! Endlich gereichte die hohe Ehre des Triumphes, welche dem siegreichen

Feldherrn vom Senat dekretirt wurde, auch seinen Soldaten zu besonderer Auszeichnung.

Geschmückt mit ihren Ehrenzeichen,

bekränzt mit Lorbeer,

folgten sie dem hohen Wagen des Triumphators durch die mit Blumen be­

streuten, von Räucherwolken erfüllten, vom Freudengeschrei des Volkes wieder­

hallenden Straßen der Hauptstadt, indem sie scherzhafte, oft aber auch sehr beißende Stegreiflieder auf ihren Führer sangen und freilich so die zeitweilige,

göttliche Majestät seiner Erscheinung wenig respektirten.

In älterer Zeit

waren zuweilen vor allen Häusern offene Speisetafeln für sie hergerichtet; aber

wenn dies auch später in Wegfall kam, fo blieb ihnen doch die Freude, ihren Beuteantheil oder das Donativ an diesem Tage ansgezahlt zu erhalten.

Göll, Kulturbilder. I.

25

XXV. Die Kriegsmarine. et auf das Mittelmeer, als den Hauptschauplatz der alten Schifffahrt feinen Blick richtet, könnte leicht glauben, daß die Entwicklung des Seewesens in dem ältesten Kulturstaate, der einst im Südosten des großen Bassins blühte, mit den übrigen Fortschritten desselben in Einklang gestanden habe. Allein, wenn auch die hellenischen Sagen von der Ein­ wanderung des Danaos und Kekrops auf eine Beschiffung des mittel­ ländischen Meeres durch die Aegypter Hinweisen, zog sich doch den historischeil Nachrichten zufolge das Volk so sehr vom Verkehre mit allen Ausländern zurück, daß es sich nicht nur mit der allerdings sehr lebendigen Flußschifffahrt auf dem Nil begnügte, sondern auch bis in das siebente Jahrhundert v. Chr. den aus­ ländischen Schiffen den Zugang verwehrte oder mindestens sehr erschwerte. Auch die von Herodot und Diodor erwähnte Armada des halb mythischen Eroberers Sesostris oder Ramses fuhr vom arabischeu Meere aus nach Osten; doch zeigen noch die Ruinen von Theben Bilder von Kriegsschiffen jener Zeit, die fchon einen langgestreckten Kiel, Ruder und Segel, mit Löwen­ oder Widderköpfen versehene Vordertheile, wie Lotoskelche gestaltete Mastkörbe haben. Unter Necho, dem Sohne Psammetich^s, sah das Mittelmeer wahr­ scheinlich die erste ägyptische Kriegsflotte. Aber zu dieser Zeit hatte schon längst unter anderen Küstenvölkern das Prinzipat zur See gewechselt. In frühester Zeit scheint dort allerdings ein Krieg Aller gegen Alle geherrscht zu haben, wobei der Tauschhandel bloß der Seeräuberei Vorwand verschaffte und Vorschub leistete. Die Karer, Phönikier und Inselbewohner beunruhigten die Küsten­ länder am meisten und raubten besonders gern Mädchen und Knaben, um damit die asiatischen Sklavenmärkte zu versorgen. So wurde nach Herodot von den persischen Historikern angenommen, daß die argivische Königstochter Jo

M

von kühnen phönikischen Piraten entsiihrt worden sei, wahrend die hellenische

Sage den Raub der Phönikierin Europa hellenischen Räubern zuschrieb.

Auf

kurze Zeit vielleicht wurde dann dieser Unordnung durch die Herrschaft des

Kreterkönigs Minos gesteuert, der die Seeräuber von den Inseln verjagte und den

beutelustigen Sinn

seiner

eigenen Unterthanen zu

bändigen verstand.

Diodor hebt besonders die große Zahl seiner Kriegsschiffe hervor, die er, wie Herodot bemerkt, mit Karern zu bemannen pflegte, und Plinius der Aeltere

schreibt ihn: den Ruhm zu, das erste Seetreffen geliefert zu haben.

Ueber die

Zahl und Bauart seiner Schiffe aber sind wir im Dunkeln; doch möchte man

mit Recht die Angabe des Plinius bezweifeln, der die Argo, das Fahrzeug der gleichzeitigeu Argonauten, als das erste „Langschiff" bezeichnet, wie man

die alten Kriegsschiffe im Verhältniß zu den runderen Kauffahrern zu nennen pflegte. Denn da auch Herodot den Jason auf einem langen Schiffe nach Kolchis fahren läßt, so wäre es wunderbar, wenn die Kreter nicht schon längst

solche Kriegsfahrzeuge gehabt hätten.

Während übrigens die Argo (von der

man noch zu Martial's Zeit im reliquicnsüchtigen Rom ein Brettchen besitzen

wollte!) mit fünfzig Rudenr versehen gewesen sein soll, hatte das Schiff, auf dem Theseus nach Kreta fuhr und glücklich zurückkam, deren nur dreißig.

Diese

alte Galeere wurde in Athen bis

zu

den Zeiterr

des Demetrios

Phalereus aufbewahrt und immer wieder reparirt, da man sie dazu bermtzte,

die heilige Festgesmrdtschaft nach Delos zu führeu.

Rach Plutarch stritten

später die Sophisten darüber, ob es nun noch dasselbe Schiff wäre oder ein anderes.

Die kretische Seemacht ging mit Minos selbst zu Ende. Das abenteuernde Piratenleben begann nrehr als je zu blühen, und besonders die Phörnkier

scheinen darin mit den Kretern gewetteifert zu haben. Und diese unsichererr Verhältnisse dauerten bis in die Zeiten, welche wir in den Homerischen Gedichten geschildert finden; ja, es erregte auch damals keinen ^lnstoß, unbefreundete Fremde zu fragen, ob sie nicht vielleicht Seeräuber wären, „die da umherschweifeu, das Leben aufs Spiel setzend, den Fremden Unheil bringend."

Die

Schicksale, welche Odysseus dem Eumäos gegenüber sich andichtet, mochten

auf manchen Freibeuter jener Zeit passen.

Nachdem er sich für einen Kretenser

ausgegeben wld seinen kriegerischen Muth und seine Tapferkeit geschildert, fährt er fort: „So war ich im Kriege; Arbeit aber stand mir nicht an, noch Häuslichkeitssinn, welcher herrliche Kinder heranzieht, sondern immer waren mir beruderte Schiffe lieb und Kriege und glatte Wurfspieße und Pfeile: traurige

Dinge, die andern Leuten ein Gräuel sind."

Und weiter erzählt er, daß er

vor dem trojanischer: Kriege mehrere Male mit Männern und Schiffe:: gegen Auswärtige mit Glück zu Felde gezogen sei und.den Jdomeneus auf des

Volkes Geheiß nach Troja geführt habe.

Nach der Heimkehr von diesem

25*

388

Die Kriegsmarine.

langwierigen Strauße duldet es ihn nur eineu Monat zu Hause; er fahrt nach Aegypten, wo seine Marurschaft plündert und erschlagen wird, während ihn

selbst die Huld des Königs rettet. Auf der anderen Seite erhellt zur Genüge aus Homer, daß das hellenische

Seewesen bis dahin nicht unwesentliche Fortschritte gemacht hatte.

Es werden

eigene Schisssbaumeister genannt; die Phüaken besitzen eine Schiffswerste und

Odysseus ist im Stande, sich selbst ein Schiff zu zimmeru.

Was die Form

der Fahrzeuge anlangt, so unterscheidet der Dichter nicht undeutlich die von den

Helden benutzten Kampfschiffe oder Kriegskutter von den Lastschiffen der Kailffahrer.

Von Odysseus heißt es: „Wie groß ein Manu sich abzirkelt den

Boden eines breiten Lastschiffes, wohl kundig der Baukunst, so breit machte er sein Fahrzeug", und den Stainm, mit welchem dem Kyklopen das Auge geraubt wird, vergleicht Homer dem Mastbaum eures schwarzen Schiffes, eines breiten

Lastschiffes.

Jedenfalls war also diese Art von Schiffen bauchiger und rund­

licher und ihr Vordertheil der hinteren Hälfte sehr ähnlich, sowie ja auch später die Länge des Kriegsschiffes das Sechs- oder Achtfache, die des Kauffahrers

nur das Vierfache der Breite betrug.

In der Art ihrer Fortbewegung scheint

jedoch kein Unterschied obgewältet zu haberr.

Man kannte schon längst den

Gebrallch des Segels und jedes Schiff führte ein einziges viereckiges Segel aus

Leinwand auf der Raae, mit Brassen zum Drehen, mit Topnarrs 511111 Aufziehen und Herablasseu und mit Schoten zum Umreffen.

und wurde im Hafen herausgenommen.

Der Mastbauni war beweglich

Er wurde im nnttleren Quergebälke

des Schiffes eingelassen und durch zwei Stagtaue am Vordertheile, durch ein Pardun anr Hintertheile befestigt.

Allein nur vor dem Winde begnügte man

sich mit Segeln; sonst betrachtete man dieselben im Allgemeinen als eine Bei­

hilfe zu der Bewegungskraft der Ruder, die deshalb auch die „Flügel des

Schiffes" genannt werden.

Sie hingen bereits, wie auf unseren Schaluppen,

in ledernen Schlingen an besonderen Pflöcken oder Düllen, und hintereinander an den beiden Seiten des Schiffes saßen die flinken Ruderer, jedenfalls schon,

wie in der ganzen späteren Zeit, das Gesicht dem Steuermanne zukehrend und taktmäßig den Rudergriff zuerst nach dem Rücken des Vormannes zu bewegend

und dann, wenn die Pinne sich ins Meer getaucht, mit aller Wucht des gehobenen Körpers das Ruder an sich ziehend. nach der Größe des Schiffes.

Die Zahl der Ruder richtet sich natürlich

Zwanzig Ruder hat nicht nur das erwähnte

Lastschiff, sondern auch dasjenige, in welchem Telemach die Reise nach dem Peloponnes antritt, und der Freier Antinoos verlangt von seinen Geführten

ein gleich großes Fahrzeug, um dem Zurückkehrenden aufzulauern.

Dagegen

bekam das Schiff, welches den Odysseus von Scheria nach Ithaka führte,

zweiundfünfzig Jünglinge als Bemannung, die auch alle dem Rudergeschäfte oblagen, und so viel führten wol auch die kleinsten der gen Troja ziehenden

1186 griechischen Fahrzeuge. Wenigstens liest man von den Schiffen der Myrmidonen: „Fünfzig schnelle Schiffe waren es, mit denen Achilleus, des Zeus Liebling, nach Troja zog, mrd in jedem waren fünfzig Männer an den Ruderpflöcken", und von Philoktet^s sieben Schiffen: „Ruderer aber hatten jedes bestiegen fünfzig, wohl kundig des Bogens, um gewaltig zu kämpfen." Die höchste Zahl der Mannschaft findet sich bei den böotischen Schiffen, deren jedes 120 Mann trug. Daß aus dem Wortlaute der angeführten Stellen hervorgeht, daß zwischen Matrosen und Soldaten hier kein Unterschied stattfand und daß außer der aufgestellten Zahl der Ruderer sich keine besonderen Passa­ giere noch vorfanden, hat schon Thukydides gesehen, indem er schreibt: „Homer zählt 1200 Schiffe und auf den böotischen 120, auf denen des Philoktet 50 Mann Besatzung, um, wie mir scheint, die größte und kleinste Zahl anzudeuten, da er die Stärke der Besatzung bei Aufzählung der übrigen Schiffe nicht angiebt. Daß auf den Schiffen des Philoktet Alle Streiter waren, die zugleich das Ruder führten, hat er deutlich erklärt; denn er sagt, daß sämmtliche Ruderer Bogenschützen gewesen. Solcher, die nicht mit ruderten, waren außer den Königen und obersten Befehlshabern wol nicht viele, zumal sie mit aller Ausrüstung über das Meer setzen wollten und keine geschlossenen, sondern nach alter Art und mehr nach Weise der Piratenschiffe gebaute Fahr­ zeuge hatten." Schwerlich besaßen die Kriegsschiffe des heroischen Zeitalters vollständige Verdecke. Wahrscheinlich war wol das Hintertheil mit Brettern verschlagen, da der Steuermann seinen Sitz dort haben mußte und da dem Odysseus voil den Phäaken dort eine Schlafstätte auf den Querbalken bereitet wurde. Aber der mittlere, große Raum war sicher offen, weshalb auch Alkinoos, der Phäakenkönig, die ehernen Dreifüße und Mischkessel des Odysseus unter die Ruderbänke steckt, „damit sie Niemanden unter den Ge­ fährten beschädigen auf tter Fahrt, wenn sie mit den Rudern eilen." Auch stürzt der Mastbaum bei dem Schiffbruche vor Kalypso's Insel nicht über das Verdeck hin, sondern mit dem Takellverk sogleich in den unteren Schiffsraum hinab. Das jetzige Steuer, eine Erfindung des Mittelalters, wurde durch zwei Schaufelruder vertreten, die zu beiden Seiten des Hintertheiles hinaus­ ragten und vom Steuermann vermittelst der nach ihm zu gekrümmten Hand­ griffe regiert wurden. Die ganze Gestalt der Fahrzeuge, welche an den Seiten mit Mennig roth gefärbt zu werden pflegten, war eine sehr geschweifte, indem besonders das Hintertheil sich nach dem Innern zu krümmte, weshalb auch Homer von „hochgehörnten, krummschnäbligen" Schiffen spricht. Der Anker war noch nicht erfunden; anstatt desselben führten die Schiffe große „Ruhe­ steine" mit sich, die zugleich als Ballast dienten und am Landungsplätze vom Vordertheil an Tauen ins Meer geworfen wurden, während nran das Hinter­ theil durch Kabeltaue an Bäume oder Felszacken am Lande festband. Sehr oft

390

Die Kriegsmarine.

ließ man auch bei niedrigem Gestade die Schiffe mit voller Ruderkraft aufs Land anlaufen, so daß sie, wie das Fahrzeug der Phäaken bei der Landung auf Ithaka, mit der ganzen Vorderhälfte aufzusitzen kamen.

Marr that dies

schon deshalb, weil es allgemein Sitte war, die Schiffe auf das Ufer zu ziehen und auf Steine oder Gebälk zu stellen, um sie vor dem zerstörenden Einfluß

der Feuchtigkeit zu bewahren. Man sieht aber daraus zugleich, daß diese Schiffe

sehr flach und leicht gewesen sein müssen, wenn sie auch nicht so fabelhaft wenig

ins Gewicht fielen, wie die Argo, die von den Argonauten zwölf Tage lang

auf den Schultern getragen wurde! Uebrigens erscheinen auch noch in der

Homerischen Zeit die Kreter und Phönikier den Hellenen an Kühnheit über­ legen.

Letztere wagten es fast nie, dem Sturme zu trotzen, und harrten oft

monatelang in sicherem Hafen auf günstigen Fahrwind.

Auch scheuten sie sich

vor dem hohen Meere und hielten sich am liebsten in der Nähe des Landes. So berathschlagten sie auch auf der Heimkehr in Lesbos, ob sie unter Chios

hin nach Psyra zu die Fahrt lenken sollten, oder beim stürmischen Kap Mimas

vorbei, bis sie den göttlichen Befehl erhielten, gerade übers Meer nach Euböa zu steuern. Als besondere Waffe zum Seegefechte nennt Homer zweiundzwanzig

Ellen lange, durch Klammern und Nägel verbundene Stangen mit ehernen Spitzen.

Noch lange nach dem trojanischen Kriege blieben die langen Fünfzig­

ruderer die gewöhnlichsten Kriegsfahrzeuge.

Wie Herodot erzählt, bestaild

die hundert Schiffe zählende Flotte des samischen Polykrates noch aus solchen

Fahrzeugen, und von den kleinasiatischen Phoküern, die fast um dieselbe Zeit

vor den Persern nach Korsika auswanderten, schreibt er: „Ihre Schifffahrt trieben sie nicht auf runden Kauffarteischiffen, sondern auf langen Fahrzeugen." Auch die Lakedämonier sandten damals einen Fünfzigruderer nach Ionien.

Wenn aber Herodot sagt, daß sich die Phokäer zuerst unter den Hellenen der langen Schiffe bedient Hütten, so meint er dies wahrscheinlich nur in Bezug auf die Anwendung derselben im Handelsverkehr, welcher sich bei den Phokäern bis nach Gallien und Spanien erstreckte und bei welchem sie vor Phönikiern

und Karthagern auf der Hut sein mußten. Thukydides wenigstens identifizirt die damaligen Schiffe vollständig mit denen des heroischen Zeitalters, indem er

schreibt: „Das waren vor Allen die mächtigsten Flotten (Korinther, Ionier, Sanner, Phokäer).

Aber auch diese, obgleich sie so viele Menschenalter nach

dem trojanischen Kriege erbaut wurden, zählten noch wenige Trieren und bestanden meist gleich denen der früheren Zeit aus Fünfzigruderern und langen

Fahrzeugen."

Der Uebergang von den einfach beruderten langen zu Zwei­

und Dreireihenschiffell dauerte überhaupt bis zu den persischen Kriegen. Derjenige Staat, welcher zuerst eine Verbesserung seiner Marine einführte, war der korinthische.

Thukydides und Diodor berichten, daß in Korinth

die ersten Dreireihenschiffe gebaut worden wäreir und daß beinahe 700 v. Chr. der korinthische Schiffsbaumeister Ameinokles den Samiern vier solche Schiffe

geliefert habe.

Auch fand zwischen Korinthern rmd Korkyräern die erste histo­

rische Seeschlacht statt, wahrend das erste namhafte Seegefecht zwischen Hellenen

und Barbaren in der zweiter: Hälfte des sechsten Jahrhmrderts die Phoküer

gegen die vereinigte tuskisch- karthagische Flotte bei Korsika zu bestehen hatten. Die letzte Schlacht ist auch deshalb interessant, weil dabei zum ersten Male des metallenen Schiffsschnabels als einer Angriffswaffe Erwähnung geschieht, die man zu Homer's Zeit noch nicht gekannt zu haben scheint.

Herodot erzählt

nämlich, daß die Phoküer mit ihren sechzig Schiffen zwar die doppelt so starken Gegner besiegten, aber doch ihre Kolonie auf Korsika nicht behaupten konnten, da ihnen vierzig Schiffe zu Gnllrde gegangen mit) die übrigen dadurch unbrauch­

bar geworden waren, daß sich die Schiffsschnäbel umgebogen hätten.

Die

Erfindung der Zweireihenschiffe, die jedenfalls der der dreireihigen vorher­ ging, wird von Plinius den kleinasiatischen Erythrüern zugeschrieben.

Sie

waren aber in Griechenland nie besonders beliebt, und auch die Zahl der drei­ reihigen (Trieren) nahm langsam zu. „Erst kurz vor dem medischen Kriege", sagt

Thukydides, „hatten die Tyrannen von Sieilien und die Korkyrüer Trieren in

bedeutender.Zahl; denn dies waren die letzten erwühnenswerthen Seemächte, welche vor dem Heereszuge des Xerxes bestanden. Die Athener, Aeginetenund vielleicht noch einige Andere besaßen nur wenige Schiffe und meist nur Fünfzigruderer.

Weit später beredete Themistokles erst die Athener in ihrem Kriege mit den Aegineten, da man auch einem Angriffe der Barbaren entgegensah, die Schiffe

zu bauen, mit denen sie sich in der Folge schlugen, und selbst diese waren noch

nicht mit einem vollständigen Verdecke versehen."

Sogar in der Schlacht bei

Salamis fochten die Melier, Siphnier und Seriphier noch mit Fünfzigruderern. Auch Herodot erzählt, daß sich unmittelbar vor den Perserkriegen nur fünfzig

kriegstüchtige Schiffe in Athen befanden, wozu sie sich zum Kriege gegen Aegina noch zwanzig korinthische mietheten (wenn auch nur das Stück zu fünf

Drachmen, da den Korinthern ein Gesetz das Verborgen ohne Entgelt verbot). Bekanntlich war es Themistokles, dem der Ruhm gebührt, die Athener aus ihrer Apathie in Bezug auf die Marine aufgerüttelt und den Grund zu

der späteren Seeherrschaft Athens gelegt zu haben.

Er bewerkstelligte dies,

indem er die aus dem Ertrage der lauriotischen Silberbergwerke fließende

Staatseinnahnie, die vorher von Zeit zu Zeit durch Volksbeschluß unter die

Bürger vertheilt worden war, zum Neubau von jährlich zwanzig Schiffen und

zur allgemeinen Verniehrung der Kriegsmarine verwenden Ließ.

So kani es,

daß unter den 271 hellenischen Kriegsschiffen bei Artemisium 127, unter den 378 Galeeren in der Schlacht bei Salamis 200 athenische Trieren waren.

Wie

unterschieden

sich

nun

aber

diese

Schiffe

von

den

älteren,

auf

392

Die Kriegsmarine.

denen die Ruderer, oben auf dem Verdecke der beiden Längenseiten gereiht, arbeiteten? Wir haben von Zwei- und Dreireihenschiffen gesprochen, weil wir den Ausdruck „Zwei-" und „Dreiruderer" nicht neben „Fünfzigruderer" anwenden

wollten.

Eben so wenig wollten wir „Dreidecker" sagen, da sich nicht zwei

oder drei Verdecke über einander befunden haben. Die im Namen liegende Zahl

bezieht sich bloß auf die Reihen von Ruderern, die übereinander den Bauch des Schiffes ausfüllten und gerade durch die Art ihrer Anordnung eine Theilung

des Innern durch Verdecke unmöglich machten.

Die Ruderer bildeten zusammen

ein Parallelepipedum, ihre Seiten also vertikale Flächen.

Die Gleichheit der

Hebelkraft unter den Rudern, die natürlich nach oben zu der größer werdenden

Länge wegen abnehmen mußte, wurde dadurch hergestellt, daß die Wände des Schiffes sich nach oben zu ausbmlchten und so auch die obersten Ruderer oder

die Thraniten (die mittleren hießen Zygiten, die untersten Thalamiten) immer noch ein Drittheil des überhaupt am Griffe schwereren Ruders innerhalb des Schiffes hatten.

Den für den einzelnen Mann nöthigen Raum berechnet man

neuerdings — von der Seite aus gesehen — auf 8 Quadratsuß Fläche und wenn man denselben auf eine der Gestalt eines sitzenden Mannes nach Art eines Omnibuskutschereoupe's folgende Figur vertheilt, so ergiebt sich sowol

genug Platz zum Handhaben des Ruders, als auch die durch die schräge, vom Vordertheil nach hinten zu abfallende Stellung der Ruderlöcher bedingte schiefe

Richtung der Sitze zu einander, der zu Folge immer die Köpfe der weiter unten sitzenden Ruderer unmittelbar hinter den Gesäßen der oberen Vormänner sich

befinden mußten.

Die Ruder der Thraniten waren 13^ — 14^ Fuß lang,

die der Zygiten lO1^, die der Thalamiten 7^. Zur Zeit des Thukydides und Aristophanes scheint aus irgend welchem Grunde, der später beseitigt wurde, die Arbeit der obersten Ruderer doch die schwerste gewesen zu sein;

denn sie bekamen bei der Expedition nach Sicilien besondere Gehaltszulage.

Schwer waren übrigeirs die Ruderstangen nicht.

Denn wie hätten sonst im

dritten Winter des peloponnesischen Krieges die spartanischen Feldherren von Korinth aus die Matrosen ihrer Flotte, jeden mit seinem Ruder, Sitzkissen und Ruderriemen versehen, im Eilmärsche nach

dem Hafen von Megara

beordern können, um dort vierzig Trieren in die See zu ziehen und den Piräeus zu überrumpeln? In früherer Zeit und auch später bei den römischen Liburnern ragten die obersten Ruderer mit halbem Leibe über den Rand des

Schiffes empor und waren noch den feindlichen Geschossen ausgesetzt; sonst aber — nach Plinius waren die Thasier die Erfinder — befanden sich sämmt­

liche Ruderer unterhalb des Verdeckes, um welches an der Außenseite und etwas niedriger eine schmale Galerie für die Hilfsruderer und Seesoldaten herumlief.

Im Gefecht waren natürlich die untersten Ruderer eines solchen

„geschlossenen" Schiffes am meisten gefährdet und Appian erzählt auch einen

Fall aus der Schlacht bei Mylä, wo nach erhaltenem Leck die Thalamiten

ertranken-und die Anderir sich durch Aufsprengen des Verdeckes retteten.

Was

die Menge der Ruderer auf einer Triere anlangt, so betrug die Zahl der Thalamiten 54, die der Zygiten 58, die der Thranilen 62, im Ganzen also 174;

das Vierreihenschiff hatte dann 240, das fünfreihige 310.

Da 7

8 Ruderer

einer Pferdekraft gleichkonlmen, besaß die Triere an ihrem Ruderwerk die Kraft

von 24, das Vierreihenschiff von 32, das Fünfreihenschiff von 42 Pferden. Die gewöhnliche Schnelligkeit der Galeeren betrug 6—7 Knoten in der Stunde.

Jede Reihe der Ruderer scheint einen besonderen Vorgesetzten gehabt zu haben.

Da aber natürlich Alles darauf ankam, daß die Ruder in gleichmäßigem

Takte bewegt wurden, so gab es auf jeden! Schiffe einen besonderen Ruder­ meister, der neben dem Steuermanne sitzend das Tempo angab.

Zu diesem

Behufe diente wol eine Art von Hammer oder Taktirstock in der Hand desselben,

und im „Eselsverkauf" des Plautus sagt deshalb Kleäreta zu ihrer gesprä­ chigen Tochter: „Ich soll Dir wol meinen und Deinen Antheil am Sprechen lassen, und Du willst zum Reden und Schweigen den Taktstock führen?" worauf

die Andere erwidert: „Ja wahrlich, wenn ich nicht Ruder in die Ruderkammer niedergelegt haben werde und nichts mehr thue, dann wird die ganze Sorge ums Hauswesen auf Dir lasten."

Es scheint aber doch, als ob es viel häufiger

vorgekommen sei, daß der Ruderschlag durch die Stimme des Ruderdirigenten geregelt wurde. Xenophon erzählt, daß im Jahre 388 v. Chr. der spartanische

Admiral G orgopas von Aegina aus einer athenischen Flotte nach dem Piräeus in der Nacht folgte und den Rudermeistern befahl, anstatt der Stimme durch das Anschlägen von Steinen den Takt anzugeben, während die Matrosen durch eine eigenthümliche Drehung der Ruder ebenfalls lautes Geräusch vermieden.

Auch Seneka erwähnt nur der Stimme des Ruderdirektors, indem er vom lärmvollen Bajä aus schreibt: „Ich habe mich so an alles Geräusch gewöhnt,

daß ich selbst den Rudermeister anhören kann, der mit seiner schrillen Stimme den Ruderern den Takt vorschreibt." Zuweilen stimmten wol auch die Matrosen

in die Weise des Meisters ein. So läßt Aristophanes in den „Fröschen" den Charon auf die Frage des zum Rudern gepreßten Dionysos: „Wie soll

ich Unkundiger rudern?" antworten: „Das macht sich leicht: pack' einmal an, so hörst Du bald die schönsten Lieder!" worauf der Froschchor dem rudernden Gotte zu aecompagniren beginnt. des Lexikographen Pollux:

Am deutlichsten aber beweisen es die Worte

„Ein Rudermeister sang ihnen Schifferweisen;

die Uebrigen aber schrieen einstimmig, wie ein Chor, nach dem Zeitmaß seiner

Stimme." Auf den Kriegsschiffen aber wurde der Rudermeister noch durch

einen Flötenspieler unterstützt.

Als Alkibiades im Triumphe nach Athen

zurückkehrte, blies Chrysogonos, ein Sieger in den pythischen Spielen, das Schifferlied im langen pythischen Prachtgewande der Musiker.

Diogenes

394

Die Kriegsmarine.

Laertius erwähnt, daß der Flötenspieler Dionysodoros sich stolz gerühmt habe, daß seine Kompositionen nie auf Kriegsschiffen gehört worden wären. Und so heißt es auch in den „Acharnern" des Aristophanes bei Schilderung der Seerüstung: „Die Werst erdröhnte von des Ruderholzes Schlag, von Nügelhümmern, eingeriemtem Ruderwerk, Schalmeien und Flöten, Rudertaktruf, Pfeifenklang" und in der „taurischen Iphigenie" des Euripides singt der Chor: „Doch Dich, erhabene Herrin, trägt ein argivisches Schiff zur Heimat. Laut ertönt das mit Wachs gefügte Rohr des bergeliebenden Pan und treibt mit seinem Schalle die Ruder." Das Einexerzieren der Ruderer erforderte so nicht wenig Zeit und wenn eine Flotte in großer Eile gebaut wurde, hinderte immer die Untüchügkeit der Bemannung geraume Zeit das Auslaufen. Daher liest man bei Polyän über den Feldherrn Chabrias: „Als der Perserkönig mit einer Land- und See­ macht vorrückte, hatte der König von Aegypten zwar viele Schiffe, aber keine geübten Seeleute, Chabrias hob die rüstigsten jungen Männer von den Aegyptern in hinreichender Anzahl aus, mm 200 Schiffe zu bemannen, nahm die Ruder aus den Galeeren, legte langes Gebälk dem Strande entlang, so daß sie in einer Reihe hiltter einander darauf saßen, gab ihnen die Ruder, stellte von denen, die des Griechischen und Aegyptischen kundig waren, Leute zum Angeben des Rudertaktes an, brachte jenen so das Rudern bei und besetzte endlich die Schiffe mit eingeübten Matrosen." Dasselbe thaten die Römer während des ersten punischen Krieges, als sie in sechzig Tagen eine Flotte von 130 Schiffen bauten. „Während die Einen mit dem Schiffsbau beschäftigt waren", sagt Polybios, „suchten die Andern Matrosem auf und lehrten sie auf den Lande rudern. Sie setzten sie in derselben Ordirung, wie aus dem Meere an das Ufer mit Rudern in den Händen. Mitten unter ihnen war ein Aufseher, und man gewöhnte sie, sich rückwärts und vorwärts 311 beugen und auf den Befehl des Steuermannes anzufangen oder aufzuhören." Zuweilen kam es übrigerrs auch vor, daß bei zu schwacher Bemannung nur eine oder zwei Ruderreihen der Trieren besetzt werden konnten. Daß alber im Ganzeil, besonders bei der Kriegsmarine die Haupttriebkraft des Schiffes in die Ruder gelegt wurde, zeigt sich aus der nur beiläufigen Benutzung des Windes und Anwendung der Segel, wodurch die griechisch-römische Sitte Aehnlichkeit mit der modernen Dampf­ schifffahrt bekommt. Gewöhnlich hatten die Trieren zwei, größere Fahrzeuge auch drei Mastbäume, deren jeder gewöhnlich nur aus einem Baumstamme bestand. Der Hauptmast stand in der Mitte, der Fockmast dem Vordertheile näher. Die Segel hatten wol meist viereckige Form und waren der Dailerhaftigkeit wegerr gitterartig mit Stricken durchnäht. Das dreieckige, sogenannte lateinische Segel, scheürt viel späteren Ursprunges zu sein und ist vielleicht nur als Obersegel früher in Anwendung gekommen, wie es allerdings schon die

Griechen über den großen Segeln führten.

Stand aber eine Schlacht in Aus­

sicht, so wurden im ganzen Alterthume die großen Segel des Hauptmastes als

Hindernisse herabgenommeu, ja, zuweilen irgendwo auf dem Lande zurückgelassen. Es wird z. B. von Lenophon erwähnt, daß dies Alkibiades that, bevor er­ den Admiral Mindaros verfolgte.

Der Athener Konon nahm sogar nach

der Niederlage seiner Landsleute die großen Segel von Lysanders Flotte bei Lampsakos weg, und auch Jphikrates ließ vor seiner Fahrt nach Korfu die Hauptsegel in Athen zurück urrd benutzte die Focksegel selbst bei günstigem

Winde nicht, weil es ihm darum zu thurr war, seine Matrosen im Rudern zu

üben und zu kräftigeil. Auch der Hauptmast blieb in der Schlacht niedergelassen, denn Lenophon erzählt ferner, daß Jphikrates, wenn er unterwegs landete, die dNasten wieder aufrichten und von den Mastkörben Ausschau halten ließ.

Das kleine Segel des Vordermastes dagegen zog man im Gefechte auf, um 511

fliehen oder zu verfolgen.

Livius veranschaulicht dies am besten in der See­

schlacht bei Korykos im Jahre 191 v. Chr.

„Als der römische Feldherr die Schiffe des Antiochus nahen sah", schreibt er, „ließ er die Segel eiriziehen, die Masten herablassen, das Takelwerk

zusammenrefferi mib erwartete die folgenden Schiffe.

Schon lvaren ringeführ

dreißig im Ansegeln, mit welchen er, um dem linken feindlichen Flügel zu begegnen, mit aufgezogenem Focksegel die hohe See zu gemimten beschloß."

Der feindliche Feldherr Polyxenides versucht dann mit Hilfe derselben Segel zu entkommen.

Auch Appian erzählt Don dem Ansgange einer See­

schlacht zwischen Pompejus und Oktavian:

„Cäsar's Schiffe wurden

genommen oder verbrannt; ein Theil zog die kleinen Segel auf und fuhr davou

nach Italien."

Eine interessante Stelle Seneka's über die Handhabung der

Segel überhaupt lautet: „Nttr dett alexandrinischen Postschiffen ist es erlaubt

(in der Nähe des Landes) das Obersegel (Bramsegel) ansznspannen, lvelches

auf hohem Meere alle Schiffe haben.

Denn nichts nnterstützt so die Fahrt als

der oberste Theil der Segel; vott dort her wird das Schiff am meisten an­

getrieben. So oft deshalb der Wind zunimmt und stärker wird, als er von Nutzen ist, wird die Raae weiter herabgelassen. Weniger Gewalt hat das

Wehen des Windes bei niedriger Lage.

Wenn sie Capri gegenüber kommen,

müssen die übrigen Schiffe mit dem großen Segel zufrieden fein, das Obersegel ist das Kennzeichen der Alexandriner." . Der Rumpf der gewöhnlichen Kriegsschiffe war auf dem schmal gezimmerten Kielbalken aufgeführt, den gewöhnlich noch Don außen Bohlen gegen Beschädi­ gung schützten.

Der Rumpf selbst erhob sich am Hintertheil ant weitesten über

die Wellen und endigte sich in einen Knauf, dem ein den Federn eines Vogelflügels ähnelnder, hölzertter Zierrath beigegeben war.

Nach Dorn zu fielen die

Seiten wieder spitzer ab, nnd hier befand sich der Balken, welcher die gefährliche

396

Die Kriegsmarine.

Angriffswaffe des Schiffes, einen eisernen Dorn oder dreizackigen Schnabel trug, der in alter Zeit die Form eines Thierkopfes' hatte.

Diese Erfindung des

Tyrrheners Piseus bezweckte, den feindlichen Schiffen gefährliche Lecke unter

dem Wasser beizubringen, und man suchte deshalb die Schiffe durch zwei ober­

halb der Schnäbel zu beiden Seiten angebrachte Krahnbalken, recht bezeichnend „Ohren" genannt, vor dem Anpralle zu schützen. Ueber den Schnäbeln und Ohren

endete dann das Vordertheil gewöhnlich in den „Gänsehals", den nicht selten vergoldeten, sanft geschwungenen Hals und Kopf eines Schwanes, der sich

zuweilen umgekehrt auch am Hintertheile befand.

Mit dem Steuerruder blieb

es bei der Homerischen Sitte; doch wird außer dem Steuermann nun auch ein

Vorderdeckssteuermann erwähnt, der besonders Ausschau halten und auf die Segel Acht zu geben hatte.

Die Schiffe mancher Staaten waren auch an ihren

besonders gestalteten Vordertheilen leicht zu erkennen, wie die der Samier an der Schweinsrüsselform.

Außerdem hatte auch jeder Staat sein besonderes

Unterscheidungsmerkmal, unseren Flaggen entsprechend, das aber aus Figuren bestand.

So führten die Phönikier die Pygmäengestalt des Gottes Ptah am

Vordertheile. Das Erkennungszeichen der athenischen Schiffe war die vergoldete Pallas, und deshalb sagt Aristophanes in den „Acharnern", die Stadt sei

voll von Kriegslärm, „von Soldeszahlung, Pallasbildervergoldungen."

Das-

s elbe ergiebt sich aus folgender Anekdote P o l y ä n s: „Bei Naxos gab C Habrias,

als er im Begriffe war, dem Pollis eine Seeschlacht zu liefern, den Kapitänen den Befehl, falls sie der feindlichen Macht im Kampfe gewachsen wären, die Wahrzeichen ihrer Schiffe heimlich zu entfernen.

Infolge dessen wußten die

Steuermänner des Pollis nicht, woran sie waren, weil die Athener nicht das athenische Zeichen führten.

Die Flotte der Athener aber überraschte sie und

machte auf die mit Abzeichen versehenen lakedämonischen Schiffe einen doppelten

Angriff."

Euripides dichtet selbst den nach Troja fahrenden Schiffen solche

Abzeichen an und sagt von den myrmidonischen: „In goldenen Bildern thronten hoch, als Achilleus^ Heeresmal, Nereus' Töchter auf dem Hinterschiff"; von den pylischen:

„Auch Nestor's Geschwader

sah ich,

das

am Steuer

Alpheus, den nachbarlichen Gott mit des Stieres Füßen trug"; von den attischen: „Pallas, hoch stehend auf geflügeltem Wagen, ist der Schiffe Bild", und von

den thebanischen: „Kadmos, Thebens Ahnherr, stand mit goldener Schlange

dort an der Schiffe Knäufen".

Außer diesem Zeichen der Nationalität, das

wenigstens die Kriegsschiffe alle führten, hatten die Schiffe noch besondere geschnitzte Zierrathen, auch gemalte Bilder und bloße Inschriften, die in Bezug

zu ihrem Namen standen. Aber es herrscht Unklarheit über den Ort, den jene Symbole einnahmen, da das Zeichen des Staates sich bald an dem Hinter-, bald an dem Vorder­

theile befand. Doch kann man wol, abgesehen von der Verschiedenheit der Sitte,

annehmen, daß in den: häufigen Falle, wo das Schiff den Namen seiner Schutz­ göttin trug, deren Bild auch nur einmal und zwar am Vordertheil angebracht war. So hatte z. B. das große alexandrinische Handelsschiff, welches Lukian beschreibt, den Namen Isis und führte das vergoldete Bild dieser Göttin zu beiden Seiten des Sch^rabels. In der späteren römischen Zeit klärt sich das Verhältniß vollständig, insofern hier stets die Schutzgottheit des Schiffes am Backbord angebracht ist, während das Symbol sich am Vordertheil befindet. In der Bemalung der Schiffe scheint man übrigens zuerst durch die Noth ge­ trieben auf die mit einem Wachsfirniß überzogene enkaustische Malerei verfallen zu sein. Die Namen der griechischen Schiffe sind alle weiblich, und es finden sich zum Theil darunter dieselben Abstrakta, wie sie die neuere Zeit anwendet, z. B. „Rettung, gute Fahrt, Hoffnung, Vorsicht" u. ci.; unter den römischen Namen kommen vor die Namen von Göttern; von Tugenden, z. B. „Fides, Justitia, Clemeutia"; von Flüssen, z. B. „Donau, Euphrat", und von Personen, wie „Augustus", „Antonius". Die innere Einrichtung der Schiffe bleibt für uns in noch größeres Dunkel gehüllt, da uns kein Bildwerk eine Einsicht gewährt und sich kein Schriftsteller die Mühe nimmt genauer darauf einzugehen. Daß auch die phönikischen Schiffe schon während der persischeil Kriege Verdecke hatten, ersieht man ans der Er­ zählung Herodot's über des Lerxes Flucht. Als nämlich der König vom Strymonflusse aus nach dem Hellespont fuhr, wäre das Verdeck des phönikischen Schiffes voll Perser gelvesen, die sich, um bei dem ausgebrochenen Sturme den König zu retten, insgesammt ins Meer gestürzt hätten. Hero do t meint zu dieser Sage, Xerxes hätte doch besser gethan, seine Perser in den Bauch des Schiffes hinabzuschicken und von den phönikischen Ruderlenten ungefähr die­ selbe Zahl ins Meer werfen zu lassen, bedenkt aber freilich nicht, wie sehr diese Maßregel ihm hätte schaden müssen! Mit dem Aufenthalt in einem unverdeckten Schiffe mag es mißlich genug ausgesehen haben und es kommt uns fast komisch vor, beim Redner Antiphon die Stelle zu lesen: „Das Schiff, in welchem wir fuhren, war unbedeckt; dasjenige, in welches wir übersiedelten, mit Verdeck ver­ sehen; es hatte aber des Regens wegen ein Verdeck." Von der Einrichtung des Innen:, von einer Eintheilung in Kajüten, hören wir in früherer Zeit nichts. Nur von Alkibiades erwähnt es beiläufig Plutarch unter dem Fehlerregister als ein Zeichen der Verweichlichung, daß derselbe, um zur See sanfter zu schlafen, das Verdeck in seinem Schiffe habe ausschneiden lassen, damit sein Bett nicht auf den harten Brettern läge, sondern in Riemen hinge! Da Plutarch dies tadelt, bekommt man keinen hohen Begriff von dem Schiffskomfort seiner Zeit, wenn auch sein Zeitgenosse Lukian bei Beschreibung des alexandrinischen Kauf­ fahrers Wohnzimmer im Hintertheile erwähnt und sich bereits vierhundert Jahre

398

Die Kriegsmarine.

früher auf dem wirklichen Dreidecker des Königs Hieran Wohnungen für die

Matrosen und Schiffssoldaten, Pferdeställe, Küchen und sogar eine Bibliothek

im Mitteldecke befrurden hatten.

Aber die mit Kajüten versehenen Schiffe hielt

man in Griechenland und Rom für übertriebenen Luxus, siir Spielwerke. Anr deutlichsten erhellt diese Ansicht ans Seneka^s Schrift über die Wohlthaten,,

wo es heißt: „Einem Menschen, dem ich keine dreireihigen und erzbeschlagene Schiffe senden würde, werde ich Jachten und mit Zimmern ausgestattete Fahr­

zeuge schicken und anderes Spielzeug von Königen, die ihren Muthwillen anr Meere auslassen."

Der einzige Ort auf dem Verdecke, der einigen Schutz ge­

währte und dem Steuermann und Schiffsherrn zum Aufenthalt diente, ist eine öfter auf Bilderwerken vorkommende, oben runde, vorn offene Cabine auf dem Hinterdeck.

Von dem eigentlichen Schiffsgeräthe sei noch des Ankers gedacht, nach

Plinius einer Erfindung des Tyrrheners Eupalamns.

Er soll früher bloß

einarmig gewesen sein, aber schon der Skythe Anacharsis den andern Arm hinzugefügt haben.

Verschiedene Münzen Italiens zeigen der: Anker bereits

vollständig, mit Querholz und spitzen Schaufeln. Die Ankertaue liefen übrigens

durch die für die beiden Steuerruder am Hintertheil befindlichen Löcher.

Auch

das Senkblei war den Alten nicht unbekannt, und der Schiffsleitern wird oft

gedacht.

Endlich werden die Schiffe äußerlich durch starke Taue umgürtet, um

ihre Flanken gegen allzuheftigen Wogenschlag zu sichern: ein Verfahren, auf

welches man in neuerer Zeit bei stark mitgenommenen Fahrzeugen mit Erfolg zurückgekommen ist.

Die Trieren hatten sicher drei bis vier solcher Schnürtaue,

der Vierzigreiher des Ptolemäos Philadelphos zwölf. Die Trieren der Athener zerfielen übrigens in Schnellsegler, die nicht mehr Marinesoldaten an

Bord hatten, als zur Vertheidigung des Schiffes erforderlich waren, und in

Soldatentransportschiffe, die zur Versendung von Truppen dienten.

Letztere

zeigten sich wol im Kampfe unbehilflicher und so kam es wahrscheinlich, daß vor dem peloponnesischen Kriege die Athener mit 44 Schiffen über 70 samische siegten, von denen 20 Landsoldaten führten.

Die Schiffssoldaten werden von

den Matrosen streng geschieden und nur fetten kam es vor, daß sie, wie in der früheren Zeit, zugleich die Ruder handhabten.

Thukydides vergißt nicht zu

erwähnen, daß die tausend Schwerbewaffneten, die während des peloponnesischen Krieges unter Paches gegen Mitylene entsendet waren, zugleich den Dienst als Ruderer versahen, und später läßt er auch den Lakedämornern von Alki-

biades einen darauf bezüglichen Rath ertheilen.

Da nun die Bemannung

einer schnell fahrenden Triere auf zweihundert Mamr geschätzt wird, so können

kaum dreißig Mann die militärische Besatzung gebildet haben. In der Schlacht

bei Salamis führte nach Plutarch jedes attische Schiff 18 Berdeckstreiter, von denen vier Schützen, die andern Hopliten waren.

Demosthenes rechnet

in der ersten Philippika zwanzig Minen (zu hundert Drachmen, zu sechs Obolen) monatlichen Sold (ohne Verpflegungsgeld) auf ein Schiff, woraus sich für Matrosen und Soldaten gleichmäßig zwei Obolen auf den Tag ergeben, oder ebensoviel, als die Landsoldaten ohne das Kostgeld erhielten. Bei der sicilischen Expedition bekamen die Matrosen im Ganzen täglich sechs Obolen. Ebensoviel hat Lysander später von Kyros, dem Jüngern, vertragsmäßig verlangt. Dieser aber wollte anfangs nur dreißig Minen für jedes Schiff monatlich oder drei Obolen für den Mann täglich zahlen (was wieder auf eine Bernannung von zweihundert Mamr deutet) und verstand sich errdlich zu vier Obolen. Da­ gegen erhielten die Matrosen der athenischen Flotten, welche im pelopaiuresischen Kriege nach Potidäa und Sieilien gesendet wurden, täglich eine Drachme und im ersten Falle gewährten die Kapitäne sogar noch Zulagen aus eigenen

Mitteln. Pferdetransportschiffe wurden zuerst unter Peri kl es aus alten Kriegs­ schiffen gebaut, nachdem sie von den Persern bereits früher angewandt worden waren. Außerdem hatte jede Flotte kleinere Kriegsschaluppen und Avisoschiffe, die wegen ihrer Schnelligkeit „Renner" gebrannt wurden. Das Schiff des milesischen Seeräubers Theopompos, das Lysander nach der Schlacht am Ziegenflusse irach Lakedämon schickte, kam von Lampsakos aus am dritten Tage an der spartanischer: Küste an. Z::r Beförderung von Festgesandtschaften, Depeschen, öffentlichen Geldern und Beamten hatte die athenische Regierung noch zwei besondere Staatsschiffe, die fortwährend segelfertig lagen, Paralos und Salaminia. An die Stelle der letzteren trat zu Alexanders Zeit die Ammonias und später kamen die Antigonis und Demetrias noch hinzu. Auf diesen Schiffen bestand die Mannschaft a::s lauter freien Bürgern, die täglich vier Obolen Sold erhielten. Die Größenverhältnisse einer Triere bei einer Länge von 149', einer Breite von 18—21' und einer Höhe von 19^' (S1/^' Tiefgang) berechnet sich auf 232 Tonnen (zu 20 Centnern); eh: Vierreihenschiff wird bei 158' Länge 365, ein fünfreihiges bei 168' Länge 534 Tonnen gehalten haben. Der Trierengröße entsprechen ungefähr unsere Schoner oder Schraubenkanonenboote 2. Klasse. Es zeugt dennoch von der praktischen Einrichtung der den Alten bekannten Bewegungsmaschinen, daß man solche Schiffe nicht nur leicht ans Land zog, sondern, daß man oft ganze Flotten über Landengen hinweg schob. Mehrmals geschah dies über den Isthmus von Korinth, der an der schmälsten Stelle eine deutsche Meile breit ist, und die Maschinen, deren man sich bediente, bestanden aus Walzen und Rollen. Thukydides erwähnt es zuerst von den Lakedämoniern, daß sie die Absicht gehabt hätten, eine Flotte über den Isthmus zu schaffen, aber von den im saronischen Busen kreuzenden Athenern daran ver­ hindert worden wären. Aber im Jahre 414 wurden wirklich einundzwanzig

400

Die Kriegsmarine.

peloponnesische Schiffe hinüber befördert. Später ließ auch Oktavian nach der Schlacht bei Aktium seine Liburner über die Landenge ziehen. Doch fand diese Beförderung nur von dem korinthischen Busen aus statt, weil das int Westen schroffer ansteigende Ufer nach Osten sanft abfiel. Ueber die aller­ dings nur 120 Schritte breite Landzunge von Leukadien (jeht die Insel Santa Maura) wurden sogar in der ersten Hälfte des peloponnesischen Krieges einmal dreiundsünfzig, ein anderes Mal sechzig peloponnesische Schiffe geschafft. Die Marinesoldaten hatten stets ihren besonderen Anführer. Die eigerttlichen Befehlshaber der Kriegsschiffe aber waren die Trierarchen, reiche athe­ nische Bürger, die freilich bei aller Lust zum Seewesen nur, wenn sie hoher Patriotismus beseelte, gern diese Stelle übernommen haben werden, da sie stets einen bedeutenden Theil der Ausrüstung mit zu tragen hatten. Anfangs gab nämlich der Staat außer Sold und Verpflegung der Maitnschaft nur Rumpf und Mast, und der Trierarch hatte das ganze Schiffsgeräth zu beschaffen, die Mannschaft anzuwerben und das Schiff in gutem Stande zu erhalten, was durchschnittlich einen Aufwand von 50 Minen oder 3930 Mark verursachte. Später lieferte der Staat wol auch das Gerüth und die Bemannung, aber die Kosten der Trierarchie blieben immer noch drückend genug, und wenn auch Einzelne, um sich patriotisch zu zeigen, immer noch aus eigenen Mitteln die Ausrüstung bestritten, so verfuhr die Mehrzahl der Verpflichteten doch nach und tlach so gewissenlos und nachlässig, daß sie ihre Leistungen um die Hälfte der erforderlichen Summe an Andere verdingten, worauf dann natürlich die Pächter den Staat betrogen, wie sie konnten, ja, zuweilen auf eigene Faust freibeuterten. Auch die im Jahre 358 v. Chr. vorgenommene Eintheilung des Volkes in Steuervereine, wobei die dreihundert reichsten Bürger Vorschuß leisteten und sich dann von den übrigen Mitgliedern wieder erstatten ließen, half wenig und führte nur zu Uebervortheilung der minder Begüterten, und erst, nachdem Demosthenes es durchgesetzt hatte, daß die Trierarchie sich ganz genau nach dem Vermögen zu richten hatte, wobei je zehn Talente Steuer­ kapital zur Ausrüstung eines Schiffes verpflichteten, fand eine billigere Vertheilung der Last statt. Der Trierarch trat ab, sobald die Flotte wieder in den Piräeus eingelaufen war oder der Admiral keinen Sold zahlte; blieb er aber über das volle Jahr in See, so berechnete er sich mit seinem Nachfolger. Die Flotte befehligten entweder einer oder mehrere der ordentlichen Stra­ tegen, oder außerordentlich gewählte Feldherren. Das Admiralschiff, welches sich der Admiral nach Belieben aus der Flotte wählte, führte am Tage sein be­ sonderes Zeichen und schon aus der Schlacht bei Salamis erzählt Herodot: „Als aber der Aeginete Polykritos des attischen Schiffes ansichtig ward, er-

kannte er es am Wahrzeichen für das Feldherrnschiff, rief den Themistokles

beim Namen und spottete seiner mit Schelten auf die medische Gesinnung der Aegineten."

Es bestand dieses Zeichen schon aus einer Flagge, die an einem

am Spiegel befindlicherr Flaggenstab aufgehißt war.

Bei Nacht zeigte ein auf

dem Admiralschiff aufgestecktes Licht den übrigen die Straße.

Im Jahre 204,

als die römische Flotte unter Seipio nach Afrika übersetzte, führte Nachts das Kriegsschiff eine, das Lastschiff zwei, das Admiralschiff drei Laternen.

De­

metrios Poliorketes, der den Ort seiner Landung in Europa geheim halten

wollte, gab, wie Poly an berichtet, jedem Kapitän eine versiegelte Depesche mit dem Befehle: „Sollten wir zusammenschiffen, so laßt die Siegel unversehrt;

sollten wir aber von einander getrennt werden, so öffnet das Schreiben und fahret nach dem bezeichneten Ort".

Die Seetaktik war noch ziemlich einfach,

und gewöhnlich suchte sich bald nach Beginn der Schlacht jedes Schiff seinen

Gegner und es kam zum Einzelkampfe.

Nur zwei Manöver waren es, die

man allgemein zur Anwendung zu bringen und gegen die man sich zu schützen suchte.

Das erste bestand darin, daß ein Schiff zwischen zwei feindlichen mit voller Ruderkraft hindurchfuhr, selbst rechtzeitig sein Ruder beilegend und die

Gegner

durch Abstreisen

der Ruder

kampfunfähig

machend.

Zuerst von

Herodot beim jonischen Aufstand erwähnt, wurde dieser Versuch in allen

späteren Seeschlachten gemacht. So schreibt derselbe Schriftsteller über die Schlacht bei Artemision: „Die Hellenen fuhren auf die Barbaren los, um sich mit ihnen zu versuchen in ihrer Kampfweise und der Zwischendurchfahrt",

und als die Griechen überflügelt wurden, „standen sie auf das erste Signal den Barbaren mit den Schnäbeln entgegen und schlossen sich in der Mitte mit den Kielen an einander, und beinr zweiten griffen sie an." Dieses Zusammen­

schließen der Schiffe, verbunden mit kreisförmiger Aufstellung wendete:: auch die Peloponnesier in der Schlacht bei Naupaktos an, „um zum Durchbrechen der Linie keinen Raum zu geben". Man Pflegte aber auch, um den Durchbruch

zu hindern, die Schiffe in zwei Linien hinter einander zu stelle::. Das zweite Manöver hatte den Zweck, dem Feind in die Flanke zu fallen, wobei die metallenen Schiffsschnäbel ihre Hauptdienste leisteten, indem sie in die Seitenwände der Schiffe hineindrangen. Einen Vortheil aber hatte die Galeere

der Alten mit den: Dampfer der Neuzeit vor dem Segelschiffe voraus, daß sie nämlich sofort, wenn es nöthig war, ohne zu wenden, rückwärts bewegt werden

konnte.

Herodot erzählt, daß beim Beginne der Schlacht von Salamis die

Hellenen sich anfangs so zurückgezogen hätten, und nach Polyän pflegte der Admiral Timotheos immer so zurückzuweichen, daß er seine Schiffe einen

Halbmond bilden ließ, dessen äußere Seite den Feinden derselben die Schnäbel

wies, während die beschädigten und eroberten Schiffe sich im Innern befanden. Göll, KuUurbilder. I.

26

Die Kriegsmarine.

402

Auch die Syrakusaner Derbcuiften den Seesieg in ihren: Hafen entern derartigen:

verstellten Rückzug.

Die Seesoldaten standen wahrend des Gefechtes auf den: Verdecke oder,' der das Schiff umgebenden Plattform, die mit einer Balustrade versehen war,,

auf welcher vorgespannte Decken gegen Wellen und Geschosse Schutz gewährten. Plutarch erzählt von Kimon, er habe nicht nur die Schiffe breiter bauew lassen, sondern den Verdecken auch noch Brücken beigefügt, um auf denselben eine größere Zahl von Schwerbewaffneten postiren zu können. Speerschleuderer-

und Bogenschützen pflegten damals, wo die Hauptsache noch nicht im Entern bestand, den Kern der Seesoldaten zu bilden. Die trefflichste Schilderung einer Seeschlacht aus älterer Zeit besitzen wir'

in dem Berichte des Boten aus der Schlacht bei Salamis iu den „Persern" des Aeschylos: „Da schlug mit Krachen Schiff in Schiff den bohrenden Erzschnabel; uns hi g ein hellenisch Schiff den Sturm, Riß einem Tyrier allen Schmuck vom Steuerbord. Aus andre trieben andre wieder ihren Kiel. Fest hielt des Perserheeres Strom noch gegen an; Doch als die Anzahl unsrer Segel in des Meers Engfahrt sie trieb, war keiner keinem mehr zu Schutz, Und wechselseitig mit der eisernen Schnäbel Stoß Zerschlugen, zerschmetterten sie sich der Ruder Doppelreihn. Der Griechen Schiffe drängten wohlberechnet nun Rings her umzingelnd gegen uns: jäh stürzten um Der Schiffe Bäuche, nicht zu sehn mehr war die See; Mit Wrak und Scheitern und mit Leichen überdeckt, Bedeckt mit Leichen Klippen und Gestad' umher. In ivilder Angst fortrudernd eilte sich jedes Schiff Soviel noch übrig waren von dem Perserheer. Doch wie beim Thunfischjagen oder Treibefang Von ziehenden Fischen, schlugen, stießen, warfen sie Mit Ruderwrak, Schiffstrümmern uns; dazu erfüllt Die weite See Wehklagen rings und Angstgeschrei, Bis daß dahin sie nahm der dunkle Blick der Nacht."

Bei allen Völker:: des Mittelmeeres war es Sitte, einigen der genommenen Schiffe die Vordertheile sammt den Zierrathen und Schiffsschnäbeln abzuhauen und irgend einer Gottheit zu weihen. Schon aus dem sechsten Jahrhunderte be­

richtet Herodot, daß die Aegineten die Vordertheile der samischen eberförmigen Schiffe abgebrochen und im Tempel ihrer Athene als Weihgeschenk nieder­ gelegt hätten. Auch des ersten in der Schlacht bei Salamis genommenen

persischen Schiffes Wahrzeichen wurde dem Apollon dargebracht, und lange nach der Schlacht bei Aktium standen die demselben Gotte geweihten ehernen Schiffs­ schnäbel am Gestade, wilden Bienen zu friedlicher Wohnung dienend.

Die Kriegsmarine.

403

Was die Zahl der athenischen Schiffe betrifft, so war die Werft im Peiräeus auf vierhundert Schiffe berechnetundzu Anfänge des peloponnesischen Krieges mag nicht viel Don dieser Summe gefehlt haben. Auf das Unternehnren nach Sicilien wurden sechzig Schrreltfahrer und vierzig Soldatentrieren ver­ wendet; mit den Verstärkungeil mag aber wol der endliche Verlust der Athener von Jsokrates richtig auf 240 Trieren angegeben werden. Gegen das Ende des Krieges rüsteten sie 110 Schiffe binnen 30 Tagen aus und in der Schlacht am Ziegenflusse fochten 180 athenische Schiffe. Auch nach dem unglücklichen Ende des Krieges erholte sich die Marine sehr schnell und wenn Demosthenes im Jahre 350 noch 300 Kriegsschiffe als aufstellbar annirnmt, so brachte der berühmte Staatsnrann und Finanznreister Lykurg durch Ausbesserung und Neubau die Flotte auf 400 Kriegsschiffe, was durch die in neuerer Zeit im Peiräeus gefundenen Inschriften bestätigt wird. Die Spartaner sind bisher absichtlich kaum erwähnt worden, weil ihr Seelvesen nie zu einem gedeihlich eu Aufschwung gelangt ist. Zwar wird von Herodot ein lakedämonischer Seezug gegen Polykrates erwähnt und bei Salamis standen sechzehn ihrer Schiffe im Gefecht; aber was sie im pelopon­ nesischen Kriege leisteten, geschah größtentheils nur mit Hilfe der peloponne­ sischen Bundesgenossen, besonders der Korinther, und ihre Seeniacht sank durch die einzige Schlacht bei Knidos (494) wieder in nichts zusammen. Die Phönikier bildeten immer noch den Harlptkern der persischen Marine. Sie hatten allein mit den Syrern dreihundert Schiffe gestellt uni) trugen auch bei der von Xerxe^s auf dem Hcllespout veranstalteteu riesigen Wettfahrt den Sieg davon. Auch Alexander, der Große, vermochte anfangs mit seinen 180 Galeeren nichts gegen die dreimal stärkere persische Flotte, bis er Phönikien und Aegypten tu seine Gewalt bekam. Allein die Phönikier wurden bald von den Bewohnern ihrer Tochterstadt Karthago überflügelt und die Karthager waren es, die dem Schiffsbau dadurch eine Umgestaltung bereiteten, daß sie zuerst Kriegsschiffe von mehr als drei Ruderreihen, vierreihige, fünfreihige und sechsreihige auf­ stellten, deren Größe und Schwere im Verhältniß zu der vermehrten Ruder­ kraft zunahm. Die sicilischen Tyrannen Dionys, der Erste und Zweite, ahmten nothgedrungen ihr»Beispiel nach und schon zu Alexanders Zeit hatte auch Athen nach den Peiräeusinschriften neben 360 Trieren 50 vierreihige und 5 fünfreihige Schiffe. Von diesen Fahrzeugen, die sich nun wie die Linienschiffe zu den Fregatten verhielten, giebt es keine Abbildung mehr. Aber man be­ gnügte sich nicht dabei, und schon in der Diadochenzeit überbot man einander in Kolossalität der Kriegsgaleeren. Unter den 50 Schiffen des Demetrios Poliorketes gab es Fahrzeuge von fünfzehn bis sechzehn Reihen Ruderbänken. Dennoch wurden dieselben, wie Plutarch erwähnt, nicht bloß ihrer Größe, . 26*

404

Die Kriegsmarine.

sondern auch ihrer Gewandtheit und Schnelligkeit wegen bewundert! Beson­ ders die ägyptischen Könige zeichneten sich durch Zahl und Größe ihrer Schiffe aus. Ptolemäos Philadelphos besaß, wenn Athenaos recht unterrichtet ist, 2 dreißigreihige, 2 zwölfreihige, 14 elfreihige, 30 neunreihige, 37 sieben­ reihige, 5 sechsreihige, 17 fünfreihige und doppelt soviel als die Gesammtsumme vierreihige und leichtere Fahrzeuge. Ptolemäos der Vierte, Philopator, hatte den für sein Volk kostspieligen Ruhm, den Leviathan der alten Welt zu besitzen. Dieses Riesenschiff maß 420 Fuß in die Länge (der Great Castern mißt be­

kanntlich 680 Fuß), 76—79 Fuß in die Breite und war vom Kiel bis zum Knauf des Hintertheils 64 Fuß hoch. Es brauchte nicht weniger als 4054 Ru­ derer und außerdem 400 Matrosen; seine Ruderkraft kam 540 Pferden nahe und sein Verdeck faßte 3000 Soldaten. Die längsten Ruder seiner vierzig Ruderbankreihen giebt Athenäos auf 57 Fuß an. Da nun im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert ein Galeerenruder des Mittelmeeres bei einer ungefähr gleichen Länge sechs Ruderknechte erforderte, so begriffe man nicht, wie von der viel bedeutenderen Höhe jener ägyptischen Galeere aus die obersten Ruder regiert werden konnten, wenn man nicht wüßte, daß auch hier das Gleichgewicht zwischen den innern und äußeren Theilen der großerr Ruder genau berechnet war, und berücksichtigte, daß Athenäos sagt, die Rudergriffe seien mit Blei gefüttert gewesen. Uebrigens verfehlte das Schiff ganz seinen Zweck; denn Plutarch schreibt: „Es war zu nichts nütze als zum Ansehen, unterschied sich kaum von feststehenden Gebäuden und bewegte sich unsicher und nicht ohne große Mühe." Viel interessanter als dieser vierzigreihige Riese war ein nnt Bei­ hilfe des genialen Archimedes vom König Hieron in Syrakus erbautes Schiff, das zwar als Getreidetransportschiff nur 20 Ruderer führte, aber zu­ gleich als Kriegsschiff armirt war und sich, außer der Prachtverschwendung durch höchst sinnreiche Einrichtungen auszeichnete, die gleichnräßig auf Bequem­ lichkeit und Vertheidigung abzielten und wol würdig geweseir wären, bei der Mit- und Nachwelt mehr Nachahmung zu finden. Das Holz zu seinem Runrpfe kam dem zu sechzig Trieren nöthigen Materiale gleich und dreihundert Zimmer­ leute vollendeten es in sechs Monaten. Sehr bemerkenswerth ist dabei, daß das ganze Holzwerk außen mit bleiernen Platten beschlagen wurde. Die „Syrakosia" hatte drei völlig von einander geschiedene, durch Treppen ver­ bundene Verdecke, deren unterstes für die Frachtladung (sie betrug die Kleinigkeit von 60,000 Scheffeln Getreide, 20,000 Talenten Wolle zu 52 Pfund, 10,000 Faß sicilisches Pökelfleisch), das Mitteldeck für die Kajüten (darunter waren dreißig Matrosenkajüten mit je vier Bettstellen), das oberste für die Marine­ soldaten bestimmt war. Denn an bloße Galerieen zu denken ist hier unmöglich, da dann weder Platz für die Wohnungen, ein Gymnasiuni, eine Bibliothek, für

die Pferdeställe, den Fischteich, die Küchen, Lauben und Spaziergänge vorhanden gewesen wäre, noch mitten auf dem Verdecke vier Thürme hätten stehen können (auf dem Vorder- und Hintertheile befanden sich ebenfalls je zwei). Das Innere

der Thürme war mit Steinen und Geschossen gefüllt und jeder trug sechs Bewaffnete,

darunter zwei Bogenschützen.

Dann

auf einem

befand sich

Gerüste eine von Archimedes konstruirte Wurfmaschine, welche zwölfellige

Pfeile und drei Zentner schwere Steine bis auf sechshundert Fuß schleu­

An den Raaen der drei

derte.

Mosten waren sogenannte Delphine ange­

bracht, große Steine und Bleimassen, durch welche man nahe Schiffe zum

Sinken brachte und welche schon im peloponnesischen Kriege erwähnt wer­

den. Das Schiff war außerdem rings mit eisernen Spitzen besetzt, um das

Entern

zu

Fahrzeuge

erschweren, und

festzuhalten.

An

mit beweglichen Haken, beiden Breitseiten

um

standen

die feindlichen

Gewapp­

sechzig

nete und ebensoviele an den Masten und an beit Geschützen.

Der eherne

Mastkorb des Hauptmastes trug drei Mann, der des zweiterr zwei, der des dritten einen, und diesen wurde in Körben die Munition hinaufgehaspelt. Vier

hölzerne und acht eiserne Anker befanden sich an Bord und außer vielen kleinen

Booten ein Kutter, der dreitausend Zentner Last tragen konnte.

Es existirte

auch darauf ein besonderes Schiffsgericht, das aus dem Kapitain, dem Oberund dem Untersteuermann bestand und nach dem syrakusischen Rechte entschied.

Athenäos, der die Beschreibung einem gewissen Moschion entliehen hat,

fügt noch das Epigramm hinzu, womit der attische Dichter Archimelos dieses

Schiff, das Hieron dem Könige von Aegypten schenkte, verherrlichte, und wofür er ein Honorar von baaren tausend Scheffeln Weizen tax- und sportelfrei bis

in den Peiräeus geliefert bekam! Mit solchen Fortschritten stand die gleichzeitige römische Marine freilich

in grellem Kontraste, wenn es auch sicher unwahr ist, daß die Römer vor dem ersten punischen Kriege gar nicht an eine Kriegsflotte gedacht hätten.

Die weit

ausgebreitete etruskische Piraterrwirthschaft, die das tyrrhenische und adriatische

Meer beunruhigte, ging sie zu nahe an, als daß sie nichts zum Schutze ihrer schon von Ankus Martius gegründeten Hafenstadt Ostia und des damit

zusammenhängenden Handels gethan, nichts von solchen Nachbarn gelernt haben

sollten.

Bereits im Jahre 509 v. Chr. schloß ja Rom einen Seefahrtsvertrag

mit Karthago und in dem zweiten vom Jahre 348 ist nicht bloß von fried­

lichen Kauffahrern die Rede, sondern auch von Seeraub und Anlegung über­ seeischer Kolonien und Festungen.

Im Jahre 334 wurden die Langschiffe

der etruskischen Stadt Antium von den Römern theils verbrannt, theils in die Schiffswerfte nach Rom gebracht, wo man außerdem mit den Schnäbeln der zerstörten Schiffe die Rednerbühne dekorirte. Fünfundzwanzig Jahre später

erwähnt Livius einer Bill, nach welcher zwei besondere Seepräfekten zur Aus-

Die Kriegsmarine.

406

rüstung und' Ausbesserung der Flotte ernannt werden sollten, und gleich im nächsten Jahre (308) landet eine römische Kriegsflotte bei Pompeji; das Schiffsvolk plündert die Umgegend und wird von den Bauern endlich mit großem Verluste wieder auf die Schiffe zurückgejagt.

Noch klarer beweist das

frühere Vorhandensein römischer Kriegsschiffe die 284 von den Tarentinern verübte Brutalität, zehn geschlossene römische Schiffe, die unter Valerius auf

der Fahrt ins adriatische Meer sich der tarentinischen Rhede näherten, nach Seeräuberart zu überfallen.

Seneka, Varro und Poly bi os tragen die

Schuld von jener falschen Meinung über die römische Kriegsmarine.

Seneka

nämlich schreibt in der Schrift über die Kürze des Lebens: „Wer hat die Römer zuerst bewogen, zu Schiffe zu steigen? Klaudius'ist es gewesen, der

darunl den Namen Caudex erhielt, weil die Zusammenfügung mehrerer Planken bei den Alten caudex genannt wurde."

Auch Polybios sagt freilich über den

großartigen Flottenbau, wodurch sich Rom in einem Jahr aus einer Kontinen­ talmacht in eine Seemacht verwandelte: „Denn nicht einmal ohne die gehörigen, sondern ohne die geringsten Mittel und ohne jemals nii das Meer gedacht zu

haben, faßten sie deir Plan dazu und führten ihn mit großer Kühnheit aus, so

daß sie ohne vorhergängigen Versuch sich urtterfingen, mit den Karthagern zur See zu fechten, denen seit langer Zeit Niemand die Oberherrschaft auf dein

Meere streitig gemacht hatte."

Allein, wenn er auch hierbei den Mund etwas

voll nimmt, so theilt er doch keineswegs die kindische Ansicht, daß Appius Klaudius auf Fahrzeugen, die eher Flößen als Schiffen glichen, in Gegenwart einer karthagischerr Flotte den Uebergang über die Meerenge gewagt, an den

später Spartakus unter günstigeren Umständen auf solche Weise nicht gedacht hat, sondern sagt kurz darauf: „Was aber zum Zeugniß für die ailßerordentüche

Kühnheit der Rörner bei großen Unternehmungen dient, ist, daß, als sie sich entschlossen, ihre Truppen nach Messina überz^lführen, sie weder geschlossene noch Transportschiffe, sondern nur Fünfzigruderer und dreireihige Schiffe

besaßen, die sie von den Tarentinern, Lokrern, Eleaten und Neapolitanern geliehen hatten,

auf welchen sie sich verwegenerweise unterstanden, über­

zusetzen." Jedenfalls ist also die Sage aus dem rein zufülligeil Beinamen des

römischen Feldhern entstanden und gehört zu den vielen ätiologischen Erfindungen des gelehrten Varro. Wol aber ergiebt sich aus dieser Erzählung, so wie aus dem während des Krieges mit Pyrrhos entstandenen, letzten karthagischen Ver­

trage, nach welchem sich Rom durch 26 punische Kriegsschiffe unterstützen ließ,

daß die römische Seemacht damals sehr unbedeutend war und daß vielleicht die karthagischen Diplomaten nicht zu arg übertrieberr, als sie die Römer vor einem Kriege warnten, weil ja doch ohne ihren Willer: keirr Römer seine Hände im

Meere waschen dürfte! Doch es war damals leichter, als jetzt, Flotten zu bauen,

und das Recht, unter den Seemächten einen Rang einzunehmen, war nach nicht, wie heute, beinahe ein erbliches Privilegium einzelner Nationen, wenn auch großartige Kühnheit und Energie dazu gehörte, mit der ersten Seemacht des Mittclmeeres in die Schrankeil zu treten, und wenn es auch ben Römern Ueber­ windung kostete, den Widerwillen ihres eigenen nicht seemännischen Charakters zu besiegen, einen Widerwilleri, der sich schon dadurch an den Tag legte, daß sie spater mehrmals große Flotten zerstörten, anstatt dieselben selbst zu benutzen. Aber da Karthago nur mit gleichen Waffen überwunden werden konnte, so schustn sie nach dem Muster eines gestrarldeten karthagischen Fünsreiheilschisfes binnen zwei Monaten eine Flotte von 120 solchen Linienschiffen. Trotzdem aber, daß man gewiß die Matrosen Hern den Bundesgenossen und der Handels­ marine entnahm, war sowol das arifangs nur nothdürftig eingeübte Rudervolk als auch das spätere den wohl eingeschulten punischen Staatssklaveil nicht gewachsen und die römischen Galeereir konnten sich daher im Manövriren, worin bis dahin der Schwerpunkt der nautischen Taktik lag, nicht mit dem Feinde messen. Da fiel man aus den genialen Gedanken (die Römer schrieben ihn bekannt­ lich dem Duilius zu) den entscheidenden Stoß des Schiffsschnabels zur Neben­ sache zu machen und dem Seegefecht eine für die Römer günstigere Seite abzugewinnen, indenr man durch Entern der feindlicheil Schiffe die Hailptsache den Soldaten zuwies, von denen nun auch die Quinqueremen 120 Mann neben 300 Ruderern zu führen pflegten. Fliegende Brücken, welche rrach beiden Seiten hin niedergelassen werdeir sonnten, zu beiden Flanken mit Brustwehren versehen waren und Raum für zwei Mann neben einarrder darboten, fielen auf die heraufahrende!l feiudlicheir Schiffe nieder und hakten sich vermittelst schloerer eiserner Bolzen in deren Verdecken fest, so daß der Kampf wie zil Laude geführt werden konnte rmd zrrgleich der Stoß der Schnäbel beseitigt wurde. In der großen Schlacht bei Eknomos standerr 330 römische Schiffe mit 140,000 Mann gegen 350 karthagische mit 150,000 Mann Besatzung. Doch zahlten die Römer, im Ganzen mehr durch die Ungunst der Elemente als durch eigene Schuld, in den vierundzwanzig Jahren des Krieges ein bedeutendes Lehrgeld: sie verloren 700 Galeeren, während die Karthager nur 500 einbüßten. Nach den punischen Kriegen brachten kaum die Kriege mit Mithridates einige Anstrengungen der Römer zu Stande, die aber größtentheils auf Sofien der Bundesgenossen gemacht wurden. Unter dieser: herrschten besonders die Rhodier im Osten des Mittelmeeres; sie besaßen seit Korinths und Karthagos Falle die respektabelste Marine, klugen politischen Instinkt und kriegerischen Sinn. So unterstützten sie die Römer im Kriege gegen Philipp von Make­ donien mit zwanzig geschlossenen Schissen, gegen Antiochos von Syrien mit zweiunddreißig vierreihigen und vier dreireihigen und wehrten sich selbst tapfer

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Die Kriegsmarine.

gegen den pontischen König.

Nach Livius' Zeugniß waren ihre Galeeren die'

schnellste:: Schiffe der römischen Flotte. Auch in den Seeschlachten der damaligen Zeit machten die Römer von ihren Enternraschinen (die bereits im zweiten punischen Kriege von den Karthagern angewendet worden waren und die später

Agrippa dadurch verbesserte, daß er die an Taue befestigten sünselligen Enter­

haken aus Wurfgeschützen schießen ließ) Gebrauch und schreckten die Feinde durch Brandpfeile.

Nach den Mithridatischen Kriegen trug wieder die römische

Gleichgiltigkeit gegen die Kriegsmarine das Meiste dazu bei, daß die seitdem iu Schwung gekommene Piraterie der Jsaurier und Kilikier nach und nach solche Dimensionen annehmen komrte, daß endlich Italiens Küsten geplündert, seine

Heerstraßen gefährdet, die römische Flotte in Ostia verbrannt, die Hauptstadt

selbst beinahe in'Hungersnoth versetzt wurden, und daß die Freibeuter, die ihr Handwerk mit kleinen Kapern begonnen hatten, zuletzt die Seeherrschaft mit tausend Fahrzeugen behaupteten, worunter sich viele Galeeren befanden, deren

Hintertheile, wie Plutarch erzählt, ganz vergoldet waren und die purpurne

Segel und mit Silber beschlagene Ruder führten. Die Flotte des Pompejus, welche endlich dem Barbareskenunfug ein Ende machte, bestand zwar aus

einigen Hunderten von Kriegsschiffen, die aber zum größeren Theile von den tributpflichtigen Provinzialen, besonders wieder von den getreuen Rhodien:

gestellt worden waren. Von der geringen Neigung der Römer zum Seewesenzeugt auch die schlechtere

Stellung ihrer Matrosen und Seesoldaten.

Zwar waren auch in Athen die

Bürger für gewöhnlich nicht zum Flottendienst verpflichtet; aber Matrosen und

Marinesoldaten standen doch im Solde der Landarmee gleich. Dagegen bekam die Mannschaft der römischen Schiffe geringeren Sold und die Schiffssoldatenstarben oft so arm, daß man zu ihrem Begräbnisse Kollekten anstellen mußte.

Nur

die am niedrigsten geschätzten Bürger, die unter 4000 As besaßen und des

Legionsdienstes darum für unwürdig gehalten wurden, zog man zur Flotten­ mannschaft, noch gewöhnlicher aber freigelassene Sklaven.

Als währeird des

zweiten punischen Krieges einmal in der Staatskasse das Geld zur Anwerbung

von Matrosen fehlte, mußten die Bürger selbst, je nach dem Ceirsus, die Mann­ schaft stellen, und zwar kam auf ein Vermögen von 50 —100,000 As ein

Matrose nebst sechsmonatlichem Solde, auf 100 — 300,000 As drei Mauu

nebst Sold auf's ganze Jahr, auf 300,000 bis zu einer Million fünf, auf noch ein größeres Kapital sieben Mann und aus deu Senator acht. Daß die gestellten

Leute aus den freigelassenen Sklaven der Betreffende:: bestanden, beweisen die von Livius hinzugefügten Worte: „Die diesem Befehle gemäß von ihren Herren gestellten, bewaffneten und ausgerüsteten Matrosen bestiegen die Schiffe

mit gekochten Speisen aus dreißig Tage."

Als aber vier Jahre später diese

Maßregel wiederholt werden sollte, entschloß sich Vornehm und Gering, lieber

der Staatskasse das entbehrliche edle Metall aufzuopfern. Später kam es noch einmal im Kriege zwischen Octavian und dem kühnen Sextus Pompejus vor, daß die Senatoren, die Ritter und die Reichen halb freiwillig, halb gezwungen sich einer Zahl von 20,000 Sklaven durch Freilassung entäußerten, umOktavian^s Rudermannschaft zu vervollständigen. Außer den Libertinen gab es aber auch, besonders in den außeritalischen Flottenstationen, viele Ausländer unter dem Schiffsvolke, die nach den vorhandenen Militärdiplomen sich durch sechsundzwanzigjährige Dienstzeit das Bürgerrecht zu erwerben pflegten. Im Kriege mit Philipp liefen viele Marinesoldaten zum Feinde über „in der Hoffnung auf einen ehrenvolleren Dienst." Auch in der Kaiserzeit war der Legionardienst das Ziel ihres Ehrgeizes. Nero hatte in den letzten Tagen seiner Herrschaft aus Schiffssoldaten eine Legion gebildet, und als Galba dieselbe wieder austösen und auf die Flotte zurückschicken wollte, weigerten sie sich, forderten ihren Legionsadler und mußten endlich durch Reiterei zersprengt werden. Auch Vespasian nahm einen Theil der Marinesoldaten von Ravenna unter die Linie auf. Später bildeten die Schiffssoldaten von den Staüonen Ravenna und Misenum einen Theil der römischen Garnison, wurden aber zu allerhand unbedeutenden Diensten verwendet, wie z. B. um im Amphitheater die Segeltücher zum Schutze gegen die Sonne auszuspannen. Im Einklänge mit der Geringschätzung des Standes ist es, daß die Flotten­ präfekten weder gewesene Konsuln noch Senatoren waren, sondern meist Ritteroder sogar Freigelassene, und daß die Navarchen oder Kapitaine unter den Legionscenturionen standen! Die Schlacht bei Aktium ist insofern epochemachend in der Geschichte der Kriegsmarine, als sie dem länger als drei Jahrhunderte herrschenden Gebrauche der schweren Linienschiffe ein Ende bereitete und man von nun an wieder zu dreireihigen und leichteren Fahrzeugen zurückkehrte. Die Flotte des Antonius nämlich bestand größtentheils aus Acht- bis Zehnreihenschiffen, deren Ruderer aber viel zu schwach waren und theilweise aus gepreßten Reisenden, Viehtreibern und Ackerknechten bestanden, während C äs ar's Schiffe leicht und beweglich (nach Florus waren seine größten Schiffe drei- bis sechsreihige), seine Matrosen trefflich geschult waren. Beide Flotten führten die von Livius auch bereits im Kriege gegen Antiochos erwähnten, von Agrippa verbesserten hölzernen Thürme auf den Verdecken, deren verschiedene Farben, wie aus Appian's Beschreibung der Seeschlacht bei Mylä erhellt, Unterscheidungszeichen der Parteien bildeten und die man bei beginnender Flucht über Bord zu werfen pflegte. Als es nun zum Kampfe kam, fuhren die Octavianer mit fliegenden Rudern heran, beschädigten schnell die Kolosse und fuhren eilends wieder fort, ohne sich in Handgemenge einzulassen, wie Dio Kassius sagt: „Reitern gleich, die bald heransprengen, bald sich zurückziehen, da Angriff und Abwehr von

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Die Kriegsmarine.

ihrem Willen abhing." Später, als der Kampf hitziger wurde und Kleopatra bereits ihre purpurnen Segel zur Flucht gespannt hatte, gestaltete sich das Gefecht in anderer Weise. „Die Einen suchten ringsum die unteren Theile der Schiffe zu beschädigen, brachen die Ruder ab, stiegen auf das Verdeck, faßten die Feinde und zogen sie herab, stießen sie und kämpften mit ihnen. Dagegen trieben die Gegner die Nahenden mit Stangen ab, hieben mit Aexten um sich, warfen Steine und andere Lasten, die zu diesem Zweck bereit lagen, hinab, und erwehrten sich der Hinansteigenden oder rangen mit ihnen, wenn sie schon über Bord gekommen waren. Man konnte sagen, es sei gewesen, wie wenn Mauern oder auch viele dicht neben einander gelegene Inseln erstürmt werden sollten." Die Entscheidung wurde endlich dadurch herbeigeführt, daß Oktavians Leute mit feurigen Pfeilen die feindlichen Schiffe zu beschießen und aus Wurfmaschinen Töpfe voll glühender Kohlen und brennenden Pechs zu schleudern begannen, worauf nach dem letzten Verzweiflungsversuche der Antonianer, die Feinde wenigstens mit in ihr Verderben zu ziehen, der größte Theil ihrer Flotte ein Raub der Flammen ward. Den meisten Nutzen bei dieser Schlacht hatten Oktavian die Schiffe der Liburner gewährt, einer den westlichen Theil von Kroatien und den nördlichen von Dalmatien bewohnenden illyrischen Völker­ schaft, die seit alten Zeiten die berüchtigsten Seeräuber des adriatischen Meeres geliefert hatte. Diese Fahrzeuge hatten nach Appian's und Lukan^s überein­ stimmender Angabe nur zwei Reihen von Ruderern. Für die frühere Zeit galten sie natürlich gar nicht als Linienschiffe, und wenn Plutarch bei Auf­ zählung der Seemacht des Sextus Pompejus sagt: „Es waren nicht weniger als 500 Kampfschiffe, liburnische aber und Wachtschiffe und Fahrzeuge ohne Verdeck noch eine große Menge", so kann das nicht auffallen. Im Anfänge der Kaiserzeit wurden diese Liburner neben den noch beibehaltenen Triremen fast allein zu Kriegszwecken gebraucht, wenn auch Kaligula noch zehnreihige Schiffe bauen und den Kanal vom Avernersee nach Ostia breit genug für zwei sich begegnende fünfreihige graben ließ. Der Byzantiner Zosimos setzt die Schnelligkeit der Liburner unter die der Dreireihenschiffe und ungefähr jener der alten Fünfzigruderer gleich. Es erhielt sich diese Art auch unter den östlichen Kaisern, wo noch zur Zeit Leo, des Sechsten, die Felucken zwei Reihen von Ruderern auf je fünfundzwanzig Bänken hatten. Das Personal anlangend, befanden sich auf dem römischen Schiffe außer dem Navarchen die Centurionen der Marinesoldaten und deren Feldwebel, der Steuermann, der Untersteuermann, der Rudermeister und dessen Musikus; dann ein Waffenrevisor, ein Fähnrich, ein Hornbläser, ein Opferdiener, ein Arzt, ein Schreiber und Kassenführer. Außer den Flottenstationen zu Misenum, wo bekanntlich der ältere Plinius kommandirte, und zu Ravenna, dessen 240 Schiffe fassender Hafen aber bereits in der Mitte des sechsten Jahrhunderts

Die Kriegsmarine.

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versumpft war, lagen noch Flottendivisionen zu Frejus, im Schwarzen Meere (zu Vespasian^s Zeit aus 40 Kriegsschiffen mit 3000 Mann Besatzung bestehend), zu Seleucia in Syrien, in Alexandria und an der britannischen Küste. Außerdem unterhielten die Römer auf größeren Flüssen und Seen Flotillen. So entstand in Augustus^ Zeit die Rheinflotte, welche von Germanikus auf 1000 Fahrzeuge gebracht wurde, über deren eigenthümlichen Bau Taeitus schreibt: „Einige waren kurz, mit schmalem Hinter- und Vordertheile und breitem Bauch, damit sie leichter die Fluthen abhielten; Andere hatten ganz flache Kiele, um ohne Schaden aufsttzen zu können, mehreren hatte man auf beiden Seiten Steuerruder gegeben, damit man plötzlich die Ruder umkehren und an einer beliebigen anderen Stelle landen konnte. Viele waren mit Brücken gedeckt, um Geschütze darauf fortzuschaffen und zugleich für den Transport von

Pferden und Proviant eingerichtet, zum Segeln geschickt und mit schnellem Ruderwerk versehen, und die Hurtigkeit der Soldaten vermehrte noch das Jmponirende und Fürchterliche ihrer Erscheinung." Im Jahre 280 n. Chr. verbrannten die Deutschen einen Theil der Rheinflotte, und dies war der Grund, warum Bonosus, der Kommandirende in jener Gegend, aus Furcht vor Be­ strafung, den Jmperatortitel annahm. Unter Konstantin war aber wieder der ganze Rhein mit bewaffneten Schiffen versehen. Auch auf der Donau gab es verschiedene Flottenstationen in Pannonien und Mösien, dann auf dem Comer- und Neuenburger-See, auf der Rhone, Saone, Seine und Oise.

Leipzig, Druck von Giesecke & Devrient.