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German Pages 249 Year 2006
KATHLEEN
ERNST
Standortsteuerung durch Landesplanung und kommunale Bauleitplanung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1047
Standortsteuerung durch Landesplanung und kommunale Bauleitplanung Hoheitliche Einflussnahme auf die Standortwahl Privater, dargestellt am Beispiel der Factory Outlet Center
Von Kathleen Ernst
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten (C) 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-12268-2 978-3-428-12268-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005/2006 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München als Dissertation angenommen. Später erschienene Rechtsprechung und Literatur wurden nur noch vereinzelt berücksichtigt. Ganz besonderen Dank möchte ich meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Peter Badura, für die Betreuung und Förderung dieser Arbeit aussprechen. Er hatte stets ein offenes Ohr für meine Fragen und gewährte mir einen großzügigen Freiraum bei der Auswahl und Bearbeitung des Themas. Ich danke ihm auch für die wertvollen Erfahrungen, die ich als Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl sammeln konnte. Für die Bereitschaft zur Übernahme der Zweitkorrektur sei Herrn Prof. Dr. Peter M. Huber gedankt. Sehr herzlich möchte ich mich bei Herrn Prof. Rudolf Streinz. für die äußerst zügige Anberaumung des Termins der mündlichen Prüfung bedanken. Dank gilt auch meinen Freunden und Kollegen, die mich gerade in der Endphase der Arbeit geduldig, unterstützend und humorvoll begleitet haben und für fachliche Diskussionen stets zur Verfügung standen. Ohne die liebevolle Unterstützung und die große Zuversicht von Herrn Prof. Dr. Maximilian Haedicke, L L . M wäre das Entstehen dieser Arbeit - wie so vieles in den vergangenen Jahren - weitaus mühevoller gewesen, dafür danke ich ihm von ganzen Herzen. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern Karin und Joachim Ernst und meiner Großmutter Marianne Lindner - ihrer Unterstützung konnte ich mir stets sicher sein. München, im Juli 2006
Kathleen Ernst
Inhaltsverzeichnis Einleitung
19
Α. Problemstellung
19
Β. Gang der Arbeit
21 Erstes Kapitel
Der Strukturwandel im Einzelhandel - dargestellt am Beispiel der Factory Outlet Center Α. Der Strukturwandel im Einzelhandel I. Verbraucherverhalten und Strukturwandel im Einzelhandel II. Suburbanisierung des großflächigen Einzelhandels als Folge des Strukturwandels B. Factory Outlet Center als Beispiel des Strukturwandels im Einzelhandel I. Die wesentlichen Merkmale des Betriebstypus Factory Outlet Center II. Die Ansiedlungsvoraussetzungen von Factory Outlet Centern
22 22 22
23 25 25 32
1. Die allgemeinen Standortfaktoren zur Ansiedlung privater Unternehmen ...
32
2. Die Standortfaktoren von Factory Outlet Centern
34
III. Die Auswirkungen von Factory Outlet Centern auf den Wettbewerb, die Raumordnung und den Städtebau
37
1. Einzelbetriebliche Auswirkungen
37
2. Raumordnerische Auswirkungen
38
3. Städtebauliche Auswirkungen
39
nsverzeichnis
8
Zweites Kapitel Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern durch raumordnerische Rahmenbedingungen A. Auftrag und Eignung der Raumordnung und Landesplanung zur Standortsteuerung .. I. Die Regelungskompetenz der Raumordnung nach dem ROG II. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse als Aufgabe der Raumordnung III. Die Aufgabe der Raumordnung als Regelungsgrenze
42 42 42
44 45
1. Abgrenzung zur kommunalen Bauleitplanung und zu Fachplanungen
46
2. Die Wettbewerbsneutralität der Raumordnung als Regelungsgrenze
48
B. Die raumordnerische Regelung von Factory Outlet Centern I. Planungs- und wirtschaftspolitische Aussagen als Grundlage landesplanerischer Festsetzungen II. Einzelhandelserlasse als Handlungshinweise für die Planungspraxis
51
51 52
1. Keine rechtliche Bindung der Träger der kommunalen Bauleitplanung
53
2. Keine rechtliche Bindung privater Unternehmen
56
III. Landesplanerische Festsetzungen zu Factory Outlet Centern
56
1. Bestehende Regelungen in Plänen und Programmen
56
2. Die Zulässigkeit landesplanerischer Festsetzungen als Soll- und In-derRegel-Ziele
59
a) Die Frage der Zulässigkeit von Sollzielen in Rechtsprechung und Literatur
60
b) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Regel-AusnahmeTatbeständen - Urteil vom 18. September 2003, Az: 4 CN 20/02
62
c) Stellungnahme
64
d) Aufrechterhaltung „fehlerhafter" Sollziele
69
3. Zielfestlegungen und das Verbot der Negativplanung
70
4. Die Reichweite der Bindungswirkung der landesplanerischen Zielfestlegungen zur Ansiedlung Privater
72
IV. Factory Outlet Center als Gegenstand der Regionalplanung
75
nsverzeichnis
9
C. Das zentralörtliche Gliederungssystem als raumordnerisches Mittel zur Steuerung von Factory Outlet Centern I. Funktion und Vorgaben des zentralörtlichen Gliederungssystems II. Charakter des zentralörtlichen Gliederungssystems
77 77 80
1. Das Kongruenzgebot
80
2. Das Beeinträchtigungsverbot
82
3. Das Integrationsgebot
83
D. Die Steuerung von Factory Outlet Centern durch das landesplanerische Kongruenzgebot
84
I. Ansiedlungsansprüche zentraler Orte als Basis eines Kongruenzgebots?
84
1. Ziele der Raumordnung als subjektive Rechte von zentralen Orten
84
2. Keine Vermittlung subjektiver Rechte in landesplanerischen Zielfestlegungen durch § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB
87
II. Die kommunale (Bau-)Planungshoheit als verfassungsrechtliche Grenze des Kongruenzgebots
90
1. Die Ausweisung von Flächen zur Ansiedlung von Factory Outlet Centern als „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft" im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG
90
2. Kein Eingriff in den Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts
92
3. Maßstab der Rechtmäßigkeitsprüfung
94
4. Unzulässigkeit eines Kongruenzgebotes als Ansiedlungsbeschränkung privater Vorhaben
96
III. Die Unternehmerfreiheit als verfassungsrechtliche Schranke des Kongruenzgebots
101
1. Das Kongruenzgebot als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG 101 a) Abgrenzung zu anderen Wirtschaftsgrundrechten
101
aa) Die Gewährleistung des Eigentums nach Art. 14 GG
102
bb) Die Wettbewerbsfreiheit als Teil der Berufsfreiheit
103
b) Mittelbare Eingriffe als Verletzung der Berufsfreiheit 2. Die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips a) Die Vorgaben der Drei-Stufen-Lehre
104 106 106
b) Das Kongruenzgebot als Berufsausübungs- oder Berufswahlregelung? .. 107
nsverzeichnis c) Die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung als eingriffsrechtfertigendes Gemeinwohlinteresse
109
d) Das Übermaßverbot als Schranke des Kongruenzgebots
111
aa) Verstoß gegen das Übermaßverbot durch strikte Standortbindungen
112
bb) Sollziele und Übermaßverbot
113
IV Ergebnis E. Die Steuerung von Factory Outlet Centern durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot
115
117
I. Anforderungen an die landesplanerischen Festsetzungen einer „wesentlichen Beeinträchtigung" unter Beachtung des Bestimmtheitsgebots 117 1. Anforderungen des Bestimmtheitsgebots
118
2. Hinreichende Bestimmtheit der „wesentlichen Beeinträchtigung"
118
II. Kaufkraftabzugsgrenzen als Maßstab des Beeinträchtigungsverbots
122
1. Die Geeignetheit des Kaufkraftabzugs als Indikator zur Bestimmung einer raumordnerisch relevanten Beeinträchtigung 122 2. Die Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung
125
3. Der Einbezug von Fremdfaktoren
129
III. Der Betriebstyp Factory Outlet Center und die Geltung des Beeinträchtigungsverbots
130
IV Ergebnis
131
F. Die Steuerung von Factory Outlet Centern durch das landesplanerische Integrationsgebot
133
G. Kooperative Handlungsinstrumente zur Steuerung von Factory Outlet Centern
137
I. Regionale Einzelhandelskonzepte als Handlungsinstrument zur Steuerung von Factory Outlet Centern 137 1. Einzelhandelskonzepte als Teil regionalplanerischer Festlegungen
138
2. Regionale Einzelhandelskonzepte als raumordnerische Verträge
140
3. Schranken raumordnerischer Verträge
141
a) Planungsrechtliche Schranken
141
aa) Die Gesamtsystematik des Planungsrechts als Grenze vertraglichen Handelns
142
nsverzeichnis
11
bb) Das planerische Vorwegbindungsverbot als Grenze vertraglichen Handelns 143 b) Verfassungsrechtliche Schranken II. Kooperationen auf der europäischen Ebene zur planerischen Konfliktbewältigung bei der Ansiedlung von Factory Outlet Centern
144
146
1. Initiativen einer europäischen Planungspolitik
147
2. Zwischenstaatliche Kooperationen zur planerischen Konfliktbewältigung bei der Ansiedlung von Factory Outlet Centern
150
Η. Schlussfolgerungen
153 Drittes Kapitel
Die Steuerung der Ansiedlung von Factory Outlet Centern durch städtebauliche Planung A. Die Ansiedlungssteuerung als Teil der städtebaulichen Planung I. Die Kompetenz der kommunalen Bauleitplanung zur Steuerung der Ansiedlung privater Vorhaben
155 155
156
1. Aufgabe und Ziel der städtebaulichen Planung
156
2. Die „Belange der Wirtschaft" als Planungsauftrag
158
II. Grenzen bauleitplanerischer Ansiedlungssteuerung
160
1. Die Wettbewerbsneutralität der Bauleitplanung
161
a) Die Wettbewerbsfreiheit und bauleitplanerische Ansiedlungssteuerung ...
161
b) Die Unzulässigkeit einer Bedürfnisprüfung im Bauplanungsrecht
164
c) Zulässige Beeinflussung der Wirtschaft und des privaten Wettbewerbs aus städtebaulichen Gründen
164
2. Die städtebauliche Erforderlichkeit der Planung und die Ansiedlungssteuerung von Factory Outlet Centern 166 a) Das Prinzip der städtebaulichen Erforderlichkeit der Planung und Positivplanung
167
b) Das Prinzip der städtebaulichen Erforderlichkeit der Planung und das Verbot der Negativplanung 168 III. Die bauplanungsrechtliche Pflicht zur planerischen Steuerung privater Großvorhaben
170
1. Planungspflichten als Einschränkung der kommunalen Planungshoheit
170
nsverzeichnis 2. Die Planungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB und Ziele der Raumordnung .. 172 3. Das interkommunale Abstimmungsgebot gem. § 2 Abs. 2 BauGB als Planungspflicht bei der Ansiedlung von Factory Outlet Centern 175 a) Das interkommunale Abstimmungsgebot als Planungspflicht im unbeplanten Außenbereich
176
aa) Planungspflichten als öffentlicher Belang
176
bb) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Errichtung des Designer Outlet Zweibrücken (DOZ)
177
cc) Stellungnahme
178
b) Das interkommunale Abstimmungsgebot als Planungspflicht im unbeplanten Innenbereich
182
aa) Planungserfordernisse sind keine entgegenstehenden Belange im Sinne des § 34 BauGB 182 bb) Das interkommunale Abstimmungsgebot als Planungspflicht - die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gewerbepark Mühlheim-Kärlich 184 cc) Stellungnahme
185
IV. Die Ansiedlung von Factory Outlet Centern als besonderes Problem des interkommunalen Abstimmungsgebots
188
1. Umfang der Erweiterung der nachbargemeindlichen Rechtsposition durch § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB
189
2. Der Schutz der Nachbargemeinde durch das interkommunale Abstimmungsgebot
191
B. Sondergebietsausweisungen nach § 11 Abs. 2 und 3 BauNVO als Instrument zur Steuerung der Ansiedlung von Factory Outlet Centern 195 I. § 11 Abs. 3 BauNVO als zentrale Norm zur bauplanungsrechtlichen Steuerung von Factory Outlet Centern 195 II. Factory Outlet Center als Einkaufszentren gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO
196
1. Magnetwirkung des Vorhabens
197
2. Erforderlichkeit einer Mindestgröße
198
III. Sondergebietsfestsetzungen zur Ansiedlung von Factory Outlet Centern
201
1. Die Gestaltungsfreiheit der planenden Gemeinde bei der Darstellung von Sondergebieten 201 2. Sondergebietsfestsetzung „Factory Outlet Center"
202
nsverzeichnis
13
3. Die Festsetzung betriebstypischer Sortimente zur Konkretisierung der Zweckbestimmung 204 4. Die Zulässigkeit bauleitplanerischer Festsetzungen zur Sicherung einer hochwertigen Markenqualität 205 IV. Die Vereinbarung von Markenqualität in städtebaulichen Verträgen
207
C. Die Anpassung bestehender Bauleitpläne und Ansiedlungsbeschränkungen nach § 1 Abs. 5 und Abs. 9 BauNVO 209 I. Die Anpassung bestehender Sondergebietsfestsetzungen für den großflächigen Einzelhandel 209 II. Änderungen bei anderen durch Bebauungspläne festgesetzten Baugebieten 1. Betroffene Baugebiete
211 211
2. Ansiedlungsbeschränkungen nach § 1 Abs. 5 und Abs. 9 BauNVO
212
a) Der Ausschluss von Factory Outlet Centern nach § 1 Abs. 5 BauNVO .. 213 b) Der Ausschluss von Factory Outlet Centern nach § 1 Abs. 9 BauNVO .. 215 3. Der Ausschluss von Factory Outlet Centern in Kerngebieten nach § 7 BauNVO 217 D. Bebauungsplanänderung und Entschädigungspflichten
218
I. Entschädigungspflichten nach dem BauGB
218
II. Schadensersatzansprüche bei Scheitern städtebaulicher Verträge
219
Viertes Kapitel Zusammenfassung und Thesen
221
Literaturverzeichnis
227
Sachwortregister
247
Abkürzungsverzeichnis a. Α.
andere(r) Auffassung
a. a. Ο.
am angegebenen Ort
abgedr.
abgedruckt
ABl.
Amtsblatt
ABl. EG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
ABl. Schl.-H.
Amtsblatt für Schleswig-Holstein
Abs.
Absatz
ÄndVO
Änderungsverordnung
a.F.
alte Fassung
AfK
Archiv für Kommunalwissenschaften
A11MB1.
Allgemeines Ministerialblatt (Freistaat Bayern)
AöR
Archiv für öffentliches Recht
Art.
Artikel
Az.
Aktenzeichen
BauR
Baurecht
bayGemO
bayerische Gemeindeordnung
BayVBl.
Bayerische Verwaltungsblätter
BBauBl
Bundesbaublatt
BGBl
Bundesgesetzblatt
BR-Drs.
Verhandlungen des Deutschen Bundesrates, Drucksachen
BReg
Bundesregierung
BRS
Baurechtssammlung Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der Oberverwaltungsgerichte der Länder und anderer Gerichte zum Bau- und Bodenrecht
BT-Drs.
Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Drucksachen
Buchholz
Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
BWGZ
Die Gemeinde, Zeitschrift für die Städte und Gemeinden, Organ des Gemeindetags Baden-Württembergs
bzw.
beziehungsweise
ders.
derselbe
Abkürzungsverzeichnis dies.
dieselbe(n)
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DOZ
Designer Outlet Zweibrücken
Drs.
Drucksache
15
DSSW
Deutsches Seminar für Städtebau und Wirtschaft
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
EAG Bau
Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau)
ebd.
ebenda
EG
Europäische Gemeinschaft
EU
Europäische Union
EUREK
Europäisches Raumentwicklungskonzept
f.
folgende
ff.
fortfolgende
Fn.
Fußnote
FOC
Factory Outlet Center
FS
Festschrift
gem.
gemäß
GemO
Gemeindeordnung
GemO BW
Gemeindeordnung des Landes Baden-Württemberg
GewArch
Gewerbearchiv
ggf.
gegebenenfalls
GMA
Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung mbH
GMBl.
Gemeinsames Ministerialblatt des Bundesministers des Innern
GRUR-RR
Gewerblicher Rechtsschutz - Rechtsprechungsreport
GVBl.
Gesetz- und Verordnungsblatt
HbdStR
Handbuch des Staatsrechts
HbdVerfR
Handbuch des Verfassungsrechts
HessStuGZ
Hessische Städte- und Gemeindezeitung
Hrsg.
Herausgeber
IBR
Immobilien- und Baurecht
IHK
Industrie- und Handelskammer
ILS
Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen
i.V.m.
in Verbindung mit
IzR
Informationen zur Raumentwicklung
JuS
Juristische Schulung
krit.
kritisch
Abkürzungsverzeichnis
16
LEP
Landesentwicklungsplan / Landesentwicklungsprogramm
LKV
Landes- und Kommunalverwaltung Verwaltungsrechts-Zeitschrift für die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
LP1G
Landesplanungsgesetz
LT-Drs.
Landtagsdrucksache
Μ ABl.
Ministerialamtsblatt der bayerischen inneren Verwaltung
MB1.
Ministerialblatt
MKRO
Ministerkonferenz für Raumordnung
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
NdsVBl.
Niedersächsische Verwaltungsblätter
n.F.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer
NuR
Natur + Recht
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NVwZ-RR
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport
NWVB1.
Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter
ÖffBauR
Monatsinformation zum Öffentlichen Baurecht
ÖGL
Österreich in Geschichte und Literatur
Rn.
Randnummer
RuL
Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder
RuR
Raumforschung und Raumordnung
S.
Seite, Satz, siehe
s. a.
siehe auch
s. o.
siehe oben
StAnz.
Staatsanzeiger
ThürVBl.
Thüringer Verwaltungsblätter
u. a.
und andere, unter anderem
UPR
Umwelt- und Planungsrecht
VB1.
Verordnungsblatt
VB1BW
Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg
VerwArch
Verwaltungsarchiv
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
WiVerw
Wirtschaft und Verwaltung
Abkürzungsverzeichnis WRP
Wettbewerb in Recht und Praxis
z. B.
zum Beispiel
ZfBR
Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht
Ziff.
Ziffer
17
Einleitung Α. Problemstellung Wettbewerb ist die Grundlage eines jeden marktwirtschaftlichen Auswahlprozesses.1 Er sorgt dafür, dass sich das Angebot an den Wünschen der Nachfrager ausrichtet. Er zwingt die Anbieter zu einer Anpassung an die sich ständig ändernden Marktdaten. Konkurrenzfähig bleibt nur, wer die Bedürfnisse seiner Kunden frühzeitig erkennt, aufnimmt und umsetzt. Tatsächlich passt sich der Wirtschaftssektor des Einzelhandels wie kein anderer den sich wandelnden Bedürfnissen seiner Kunden an. Die größere Mobilität und Flexibilität des Verbrauchers, verbunden mit dem Bedürfnis, Waren aller Art möglichst in einem Geschäft in großer Auswahl zu verschiedensten Qualitäten und zu günstigen Preisen zu erwerben, führte in den letzten Jahrzehnten zu einem Strukturwandel i m Einzelhandel. War am Anfang vor allem der Lebensmittelsektor betroffen, so hat sich diese Entwicklung mittlerweile auf alle Einzelhandelsbranchen ausgeweitet. Der herkömmliche Einzelhandel konkurriert dabei nicht nur mit stetig wachsenden großflächigen Vollsortimentsbetrieben oder neuen Betriebstypen wie Factory Outlet Centern und Urban Entertainment Centern. 2 In den letzten Jahren hat der Warenverkehr über elektronische Medien (Internet- und Teleshopping) einen wahren Boom erlebt. Nicht nur die Marktteilnehmer selbst, sondern auch die Gemeinden und Regionen sind von der Entwicklung i m Einzelhandel betroffen. Auch sie stehen in einem verschärften Wettbewerb zueinander und konkurrieren nicht selten mit einer großzügigen Genehmigungspraxis um die Ansiedlung finanzkräftiger und imageträchtiger Vorhaben. Die Veränderungen i m Einzelhandel führen nicht nur zu Veränderungen i m Wettbewerb, sondern haben auch städtebauliche und raumordnerische Auswirkungen. Preisdruck, Konzentrations- und Rationalisierungstendenzen bedingen einen steigenden Bedarf an Flächen zu geringen Kosten, den der innerstädtische Bereich nicht mehr erfüllen kann. Großflächige Einzelhandelsansiedlungen „vor den Toren der Stadt" und auf der „grünen Wiese" sind Folgen dieser Entwicklung. Insbesondere i m Lebensmittelsektor führen Konzentration und die verstärkte Ansiedlung von Discountern außerhalb innerstädtischer Zentren vor allem i m ländlichen Bereich zu Lücken in der flächendeckenden Nah Versorgung. Die Verlagerung des 1 2
2*
v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 41. Zu den Begriffen s. Erstes Kapitel Β I.
20
Einleitung
Einzelhandels aus dem innerstädtischen Bereich an die Randlagen der Standortgemeinde lässt eine Hauptfunktion der Innenstadt entfallen. „Verödung der Innenstadt" wurde zu einem Schlagwort der Städteplaner. Die mit der Ansiedlung des großflächigen Einzelhandels verbundene Diskussion, wie der Entwicklung i m Einzelhandel durch die Instrumente der Raum- und Bauplanung steuernd begegnet werden kann, wird seit geraumer Zeit am Thema der Factory Outlet Center zum Teil sehr emotional geführt. 3 Geplante Ansiedlungen werden in zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Prozessen von Nachbargemeinden bekämpft. Es wird offen gefordert, Gemeinden, die die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers auf ihrem Gebiet planen, von der Städtebauförderung auszunehmen. 4 Ausgehend von wirtschaftspolitischen Aussagen und Maßnahmen wird sich insbesondere im Bereich der Raumordnung und Landesplanung bemüht, die Ansiedlung von Factory Outlet Centern restriktiv zu handhaben. Neben ausdrücklichen Ansiedlungsverboten wird versucht, die Ansiedlung derartiger Vorhaben mit Hilfe des zentralörtlichen Gliederungssystems an Gemeinden bestimmter Zentralitätsstufen zu binden. Der Städtebaugesetzgeber reagiert auf den Strukturwandel mit zahlreichen Änderungen der baurechtlichen Rechtsgrundlagen, um die städtebaulichen Ansiedlungsvoraussetzungen zu verschärfen. Modifiziert wird das Raumordnungs- und Städtebaurecht durch europarechtliche Anforderungen. Neben Richtlinien i m Umwelt- und Naturschutzrecht, die Einfluss auf die nationale Gesetzgebung haben, bildet insbesondere das Europäische Raumkonzept (EURER) zur Gestaltung von Städten und Regionen einen Orientierungsrahmen für die Mitgliedsstaaten und Gemeinschaftspolitiken. Bei der nachfolgenden Untersuchung stehen die landesplanerischen und bauplanungsrechtlichen Vorgaben, die für die Standortentscheidung von Unternehmensansiedlungen, insbesondere für die Ansiedlung von Factory Outlet Centern, relevant sind oder das Standortangebot beeinflussen, im Vordergrund. Es soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Staat und Kommunen private Investitionen durch 3 So wurde das Factory Outlet Center in Ingolstadt in einer Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Technologie vom 25. 11. 1997 als „äußerst bedenklich eingestuft". In einem Informationsbrief des Bayerischen Städtetages sprach sich dieser gegen Factory Outlet Center aus. „Kampfansage an die Totengräber der City", Textilwirtschaft vom 9. 10. 1997. „FOCs vor Durchbruch", Lebensmittelzeitung vom 28. 11. 1997. „Fabrikverkauf gefährdet Städte", Die Welt ν om 18. 12. 1997. „Drohender Länderkrieg um Factory Center", Die Welt vom 17. 9. 1998. „Der Handel trotzt den Nobel-Preisbrechern", Impulse 12/1998. „Der Streit zwischen Ingolstadt und der Staatsregierung um Fabrikverkaufszentrum eskaliert", Süddeutsche Zeitung vom 28. 4. 2001. In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 1. 6. 2001 ist von heftiger Kritik an der „Lex Ingolstadt" die Rede. „100-Tage-Bilanz: „Factory Outlet Center: Viel Lärm um Nichts", Die Welt vom 20. 3. 2003. 4
Beschluss des Bayerischen Ministerrates vom 5. 5. 1998, zitiert in einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern (Oberste Baubehörde) an die Regierungen vom 26. 1. 1999; Beschluss des Bayerischen Landtags vom 8. Juni 1998, LT-Drs. 13/11992; Kiepe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 99, 104.
Β. Gang der Arbeit
21
die Mittel der Raum- und Bauplanung zulässigerweise steuern können. Genügen die bestehenden Instrumente oder bedarf es deren Weiterentwicklung oder zusätzlicher Mittel?
B. Gang der Arbeit I m ersten Kapitel der Arbeit wird zunächst der bereits kurz angesprochene Strukturwandel im Einzelhandel, seine Ursachen und Folgen näher beleuchtet. Als Beispiel des Strukturwandels wird der Betriebstyp Factory Outlet Center und seine wesentlichen Merkmale vorgestellt. Sodann wird auf die Standortfaktoren dieser Vorhaben unter einem ersten kurzen Vergleich zu den landespl aneri sehen Vorgaben eingegangen. Ebenso werden die wirtschaftlichen, raumordnerischen und städtebaulichen Auswirkungen von Factory Outlet Centern dargestellt. Das zweite Kapitel behandelt die Ansiedlungssteuerung von Factory Outlet Centern durch raumordnungsrechtliche Rahmenbedingungen. Neben planungs- und wirtschaftspolitischen Aussagen werden dabei insbesondere die landesplanerischen Regelungen zu Einzelhandelsgroßprojekten bzw. - soweit explizit geregelt - zu Factory Outlet Centern einer rechtlichen Prüfung unterzogen. Dabei wird auch auf die Steuerungsmöglichkeiten durch die Regionalplanung eingegangen. Ebenfalls werden mögliche Alternativen durch kooperative Modelle auf der regionalen und europäischen Ebene behandelt. Im Anschluss daran behandelt das dritte Kapitel die bauleitplanerisehen Fragen der Ansiedlungssteuerung unter Einbezug der Problematik des interkommunalen Abstimmungsgebots. Thesenartig wird im vierten Kapitel nochmals der Frage nachgegangen, inwieweit insbesondere durch raumordnerische Vorgaben die Ansiedlung privater Großvorhaben gesteuert werden soll oder ob nicht gerade hier ein Raum für kooperative Modelle auf der zwischengemeindlichen oder regionalen Ebene besteht und statt hoheitlicher Planungsvorgaben genutzt werden sollte. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass in der vorliegenden Arbeit der englische Begriff Factory Outlet Center beibehalten wird. Die deutsche Übersetzung „Hersteller-Direkt-Verkaufszentrum" wird sowohl umgangssprachlich als auch in der Fachliteratur und Rechtsprechung kaum verwendet. Zudem wurde der Begriff mittlerweile in die deutsche Sprache übernommen und wird auch dementsprechend dekliniert. 5
5
Vgl. Duden, Die deutsche Rechtschreibung, Band 1, 23. Auflage 2004.
Erstes Kapitel
Der Strukturwandel im Einzelhandel dargestellt am Beispiel der Factory Outlet Center Α. Der Strukturwandel im Einzelhandel I. Verbraucherverhalten und Strukturwandel im Einzelhandel Einkaufskultur und Einzelhandel unterliegen einem stetigen Wandel und sind wie kein anderer Bereich des wirtschaftlichen Lebens den wechselnden Bedürfnissen und Umständen des Marktes unterworfen. Die Entwicklung des Einzelhandels wird bestimmt von den Veränderungen des Verbraucherverhaltens. Er unterliegt dem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage, welche wiederum von gesellschaftlichen Entwicklungen, wie Produktions- und Lieferverfahren, Erreichbarkeit, Mobilität von Händler und Verbraucher, Preis und Qualität, Marketing und Image der Händler und Produkte beeinflusst werden. Die gegenwärtige Struktur und das Erscheinungsbild des Einzelhandels sind Ergebnis eines tiefgreifenden Strukturwandels, der bereits in den 1960er Jahren in den alten Bundesländern begann. 1 Nach einem Anstieg der Zahl der Einzelhandelsbetriebe nach dem 2. Weltkrieg setzte in der Folgezeit ein Rückgang der selbständigen Betriebe und eine Zunahme an Filialbetrieben ein. Begleitet wurde dieser Prozess von einer Ausdehnung der Verkaufsfläche und des Kundenkreises. Von wesentlichen Einfluss auf den Strukturwandel i m Einzelhandel war und ist die starke Zunahme des motorisierten Individualverkehrs. Große Teile der Bevölkerungsschichten sind nicht mehr darauf angewiesen, ihre Bedarfsdeckung an Gütern zu Fuß oder mittels öffentlicher Verkehrsmittel zu erledigen. Dem Verbraucher ist damit auch die Wahlmöglichkeit zwischen den ihm gebotenen Einkaufsmöglichkeiten eröffnet. Das heutige Kundenverhalten zeigt sich neben einer größeren Mobilität in der Erwartung, alle Waren in einem Geschäft einkaufen zu können (sogenanntes One-Stop-Shopping), aus einem großen Angebot auswählen zu können, die Geschäfte möglichst gut und mit dem eigenen Pkw zu erreichen, das gewünschte Produkt in ausreichender Menge zur Verfügung zu haben, lange Ladenöffnungszeiten nutzen zu können, gute Qualität zu günstigen Preisen erwerben und 1
Ausführlich S. 2 ff.
Vogels/Holl/Birk,
Auswirkungen großflächiger
Einzelhandelbetriebe,
Α. Der Strukturwandel im Einzelhandel
23
in einer angenehmen Atmosphäre einkaufen zu können. 2 Zusammenfassend ist i m Bereich des Einzelhandels eine Entwicklung zur Einkaufskonzentration und zum Kauf als Erlebnis zu beobachten. 3 Neben den bereits seit den 1970er und 1980er Jahren als Betriebsform bestehenden großflächigen Warenhausfilialen und Fachmärkten treten auch Tankstellen und neue Betriebstypen wie Factory Outlet Center oder Shopping-Malis in Konkurrenz zum herkömmlichen Einzelhandel. Daneben bestehen der Versandhandel und der zunehmende Warenverkehr über elektronische Medien (Internet- und Teleshopping). Der Verbraucher wählt sich die Einkaufsmöglichkeit, die seinen Vorstellungen und Wünschen am ehesten gerecht wird. Der Einzelhandel hat sich dem anzupassen, wenn er konkurrenzfähig bleiben will. Dazu kommt eine Zunahme an grenzüberschreitenden Ansiedlungsprozessen. Viele Einzelhandelsunternehmen sind international ausgerichtet und versuchen, über neue Filialen ihre Angebots- und Nachfragemacht zu stabilisieren bzw. auszubauen. 4 Der durch den Konzentrationsprozess verstärkte Wettbewerbsdruck - insbesondere im Lebensmittelbereich - beeinflusst ebenfalls die Standortstrukturen i m Einzelhandel; bestehende Standorte werden ständig auf ihre Rentabilität überprüft und ggf. aufgegeben.
II. Suburbanisierung des großflächigen Einzelhandels als Folge des Strukturwandels Veränderungen der Angebots- und Nachfragesituation i m Einzelhandel sind maßgebliche Bestimmungsfaktoren für die Stadtentwicklung. 5 Die Notwendigkeit einer erhöhten Inanspruchnahme von Flächen, welche aufgrund knapper Räume und hoher Mieten i m innerstädtischen Bereich nicht mehr i m erforderlichen Umfang möglich ist, führt zu einer Verlagerung des Einzelhandels aus dem einzelhandeltypischen Innenstadtbereich heraus an Stadtperipherien und auf die „grüne Wiese' 4 . 6 Viele großflächige Betriebe wie Möbelhäuser und -märkte, Bau- und Gartencenter, Heimtextilienfachmärkte und Autohandel haben aufgrund des in zentralen Lagen auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen oftmals nicht mehr zu befriedigenden Flächenbedarfs die Innenstädte verlassen. Bundesweit ist ein Trend zu beobachten, dass sich insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel, Einrichtungs2 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 1; GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 8 f. 3 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 1. 4 GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 8 f. 5 BBE/Econ-Consult, Regionales Einzelhandelskonzept OWL, S. 9. 6 Runkel, UPR 1998, 241; Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 2. Vgl. auch die Zahlen bei Franz/Richert/Weilepp, AfK 1/ 1997, 48, 52, 54. Zum gleichgelagerten Problem großflächiger Freizeit- und Vergnügungseinrichtungen Hatzfeld. AfK II /1997, 282, 284 f.
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
häuser und Baumärkte am Stadtrand ansiedeln, während die innerstädtischen Einzelhandelslagen in der Regel Bekleidung, Schuhe, Haushaltswaren, Uhren, Schmuck u. a. hochwertige Waren anbieten. 7 Auch bei diesen Waren verstärkt sich allerdings seit Beginn der 1990er Jahre eine Ansiedlung an nichtintegrierten Standorten. Insbesondere in den neuen Bundesländern werden auf der „grünen Wiese" an Autobahnausfahrten Shoppingcenter errichtet, in denen neben Lebensmitteln auch Bekleidung, Schuhe, Sportartikel, Drogeriewaren angeboten werden. 8 Erweitert durch Gastronomie- und Unterhaltungsbetriebe vereinen viele dieser Einrichtungen als sogenannte Urban Entertainment Center 9 maßgebliche Funktionen des innerstädtischen Bereichs unter einem Dach. War die in den 1960er und 1970er Jahren einsetzende „Stadtflucht" i m Wohnungsbau und im Dienstleistungsbereich 10 raumordnungs- und städtebaupolitisch gewollt, um die Agglomerationskerne zu entlasten, führt die gegenwärtige Suburbanisierung von Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben vielerorts zu einer Befürchtung der „Verödung" der Innenstädte. 11 Die urbane Innenstadt, in der sich alle wichtigen zentralen Einrichtungen einer Stadt konzentrieren, konkurriert mit einem Sekundärnetz großer Einkaufszentren, die sich unabhängig von gewachsenen Innenstädten und Zentren entwickelt haben. 1 2 Den Ansiedlungen an der Peripherie und auf der „grünen Wiese" kommen scheinbar Wettbewerbs vorteile durch größerer Flächen, geringere Mieten und einen besseren Anschluss durch den Individual verkehr zugute. 1 3 Besonders betroffen von der Suburbanisierung des Einzelhandels sind die Innenstädte in den neuen Bundesländern. Aufgrund der Vernachlässigung des Aufbaus eines attraktiven innerstädtischen Einzelhandels in der ehemaligen D D R sehen sich diese Städte einer verstärkten Konkurrenz zu den Ansiedlungen an nichtintegrierten Standorten ausgesetzt. 14 Dort kommt noch folgende Problematik hinzu: Während bei der „herkömmlichen" Suburbanisierung die Ansiedlung von Handel und Gewerbe der Wohnansiedlung i m Umland folgt, fand in den 1990er Jahren eine vorauslaufende Suburbanisierung von Handel und Gewerbe statt. 15 Die Suburbanisierung des Wohnens folgte langsamer oder fiel ganz 7
Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 2 f. Vgl. die empirische Erhebung von Franz/Richert/Weilepp, AfK 1/ 1997, 48 ff. 9 Ein Urban Entertainment Center stellt eine Kombination aus Einzelhandel, Unterhaltung (Kinosäle, Bühnen), Wellness (Fitnesscenter u. a.), Gastronomie und Kommunikation dar. Die Freizeitangebote fungieren dabei meist als Frequenzbringer für die Einzelhandelsgeschäfte im Center. Dazu auch Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 130; Hatzfeld, AfK II/1997, 282, 300; Röck, IzR 1998, 123, 128. 10 s. dazu die Forschungsarbeit von Berndt/Rieke, Verlagerung von Dienstleistungsbetrieben in städtische Randzonen. 11 Krautzberger, Der Städtetag 1997, 437 f. 12 BBE/Econ-Consult, Regionales Einzelhandelskonzept OWL, S. 9. 13 Sojedenfalls Wolf, HessStuGZ 1998, 2, 5. 14 Franz/Richert/Weilepp, AfK 1997, 48, 49, 53; Nuissl, AfK II / 1999, 237, 248. is Nuissl, Afk II/1999, 237, 248. 8
Β. Factory Outlet Center
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aus. Dies führte zu „Gewerbeinseln" ohne flächendeckende ökonomische Entwicklungsdynamik.
B. Factory Outlet Center als Beispiel des Strukturwandels im Einzelhandel I. Die wesentlichen Merkmale des Betriebstypus Factory Outlet Center Factory Outlet Center stellen ein typisches Beispiel der Reaktion von Hersteller und Handel auf das veränderte Verbraucherverhalten dar. Unter diesem besonderen Betriebstyp des Einzelhandels versteht man eine in der Regel bauliche Zusammenfassung einer Mehrzahl von Ladengeschäften in einem einheitlichen Gebäudekomplex, in denen Hersteller vor allem namenhafter und exklusiver Artikel als Mieter der einzelnen Ladeneinheiten ihre Waren direkt an den Endverbraucher veräußern. 16 A n dieser Begriffsdefinition orientiert sich auch die vorliegende Arbeit. Die Ursprünge der Factory Outlet Center liegen in den USA, wo die ersten Center in den 1970er Jahren eröffnet wurden. 1 7 Es gibt dort derzeit ca. 300 Factory Outlet Center 1 8 , wobei diese Zahl rückläufig ist und eine Tendenz zur Vertriebsform der sogenannten Value Center erkennbar w i r d . 1 9 Darunter sind solche Einkaufszentren zu verstehen, die hauptsächlich Waren mittlerer oder minderer Qualität anbieten und teilweise vom regulären Einzelhandel betrieben werden. 2 0 Factory Outlet Cen'6 Entschließung der Ministerkonferenz für Raumordnung „Factory-Outlet-Center" vom 3. Juni 1997, abgedruckt in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, S. 85, Stand 1999; Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 18.9; Mayer, Factory Outlet Center in Deutschland, S. 9; Falk, Europäischer Factory Outlet Center Report, S. 6; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 40 f.; Runkel, UPR 1998, 241, 242. 17 Erstmals 1915 verkaufte der Glashersteller Flemington Cut Glass seine Produkte ab Fabrik. Erste Erscheinungsformen des Fabrikverkaufs war der Verkauf an die Arbeitnehmer des eigenen Unternehmens („employee stores")· Später wurden „company stores" für breite die Öffentlichkeit eröffnet. Der erste Zusammenschluss mehrerer Anbieter unter einem Dach erfolgte 1974 in Reading / Pennsylvania. 1979 wurde das erste neukonstruierte, ausschließlich auf Outlet-Retailing gerichtete Center, die Belzer-Outlet-Mall, in Lakeland / Tennessee eröffnet. - Ausführlich dazu Falk, Europäischer Factory Outlet Center Report, S. 6. Der Begriff des Factory Outlet Center ist mittlerweile auch in Deutschland anerkannt; vgl. nur die Entschließung der Ministerkonferenz für Raumordnung „Factory-Outlet-Center" vom 3. Juni 1997, abgedruckt in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, S. 85, Stand 1999; Gablers Wirtschaftslexikon, Stichwort: „Factory Outlet Center". 18 Hahn/Pudemat, AfK 11/1998, 336; Kopf Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 32 m. w. N. 19 Bericht einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Wirtschafts-, Raumordnungs- und Bauministerkonferenzen für die Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder zu Hersteller-Direktverkaufszentren, BBauBl 1998, S. 76. 20 Maier, Factory Outlet Center, S. 24 f.
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
ter in den USA sind aus der dortigen Einzelhandelsstruktur entstanden. Anders als in Europa erwirbt der Einzelhandel die Ware grundsätzlich nicht, sondern nimmt diese nur in Kommission. 2 1 Nicht abgesetzte Produkte muss der Hersteller wieder zurücknehmen. Factory Outlet Center dienen in ihrer ursprünglichen Form daher dazu, diese Ware doch noch, und zwar durch den Hersteller selbst, veräußern zu können. In Deutschland dagegen erwirbt der Einzelhandel die Ware vom Hersteller und muss sich selbst um deren Veräußerung bemühen. Factory Outlet Center stehen hier neben dem herkömmlichen Einzelhandel und somit in direkten Wettbewerb zu diesem. Trotz aller Gegenwehr verschiedener Seiten haben sich Factory Outlet Center mittlerweile auch in Europa, vor allem in Großbritannien und Frankreich, sowie Österreich, Spanien und in der Schweiz etabliert. 2 2 In Deutschland wurde am 25. Mai 2000 das erste Factory Outlet Center in Wustermark bei Berlin mit einer derzeitigen Gesamtverkaufsfläche von 10.300 qm eröffnet. Danach erfolgte die Eröffnung des Designer Outlet Centers in Zweibrücken / Rheinland-Pfalz mit derzeit 14.500 qm Gesamt Verkaufsfläche. Eine Erweiterung auf 21.000 qm ist geplant, das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch mit Urteil vom 1. August 2002 die erteilte Baugenehmigung für rechtswidrig erklärt. 2 3 I m November 2003 wurde in Wertheim/Baden-Württemberg ein Factory Outlet Center mit einer Gesamtverkaufsfläche von 9.800 qm eröffnet. Das Factory Outlet Center in Ingolstadt/Bayern wurde i m Herbst 2005 eröffnet. Der Begriff Factory Outlet Center ist rechtlich nicht geschützt. 24 Praktisch kann jeder Einzelhändler sein Geschäft so bezeichnen und Waren gleich welcher Art veräußern. Nach § 5 U W G kann es allerdings irreführend sein, einen Einzelhandel oder eine Dienstleistung als „Factory Outlet" zu bezeichnen, da der Begriff aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers einen kostengünstigen Einkauf beim Hersteller signalisiert und daher von erheblicher Relevanz für die Kaufentscheidung ist. 2 5 Demnach ist eine Bezeichnung als „Designer Outlet" oder „Factory Outlet" als irreführend zu untersagen, wenn die angebotene Ware nicht unmittelbar vom Hersteller angeboten wird, sondern von einem Restposten anbie21 Vgl. nur den Bericht einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Wirtschafts-, Raumordnungs- und Bauministerkonferenzen für die Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder zu Hersteller-Direktverkaufszentren, BBauBl. 1998, S. 76 22 Falk, in: ders. (Hrsg.), Das große Buch der Shoppingcenter, S. 329, 334 ff.; Will, Factory Outlet Center, Vortrag beim Workshop „Einzelhandel im Saarland 2015 - Quo vadis?" am 16. Mai 2003, Manuskript S. 5 f. 23 BVerwG, Urteil vom 1. 8. 2002-4 C 5/01 - BVerwGE 117, 25 ff.; dazu auch die Ausführungen im Dritten Kapitel unter A III 2 a) bb). 24 Will, Factory Outlet Center, Vortrag beim Workshop „Einzelhandel im Saarland 2015 Quo vadis?" am 16. Mai 2003, Manuskript S. 15. 25 Bornkamm, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Auflage, § 5 UWG, Rn. 5.14; zur Problematik der irreführenden Werbung mit den Begriffen „HerstellerdirektverkaufFabrikverkauf', „Factory Outlet" Lindemann /Bauer, WRP 2004, 45 ff. m. w. N. (allerdings zur Rechtslage vor Änderung des UWG durch das Änderungsgesetz 2004, BGBl 2004 IS. 1414).
Β. Factory Outlet Center
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tenden Handelsunternehmen. 26 Trotzdem gibt es in Deutschland bereits seit 1994 kleinere Einzelhandelseinrichtungen, die unter dem Begriff des Factory Outlet Center firmieren und in denen überwiegend sogenannte No-Name-Ware, Retouren und Restposten aus insolventen Fachgeschäften durch Einzelhändler verkauft werden. 2 7 Dabei handelt es sich um Off-Price-Geschäfte 28 , die ein Absatzventil für nicht verkäufliche Ware des Einzelhandels darstellen. 29 Aufgrund der Produktidentität weisen sie eine große Nähe zum klassischen Einzelhandel auf und sind geeignet, in Konkurrenz zum innerstädtischen Fachhandel mit städtebaulichen Auswirkungen zu treten. 3 0 Bei der Ansiedlung eines als „Factory Outlet Center" firmierenden Einzelhandelsgroßprojekts ist daher darauf zu achten, dass es sich dabei tatsächlich um ein Projekt nach der genannten Definition handelt. 3 1 Factory Outlet Center sind dem Fabrikverkauf 3 2 dahingehend sehr ähnlich, dass bei beiden Betriebsformen eine direkte Veräußerung von Waren an den Endverbraucher unter Umgehung des Groß- und Einzelhandels erfolgt. Merkmal eines Fabrikverkaufs ist aber, dass sich die Ladeneinheiten in räumlicher Nähe zur Produktionsstätte, meist auf dem Stammsitzgelände, befinden. Bei einem Factory Outlet Center dagegen sind eine Vielzahl von Ladengeschäften in einem einheitlichen Gebäudekomplex untergebracht und weisen diese keinen räumlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Produktionsstandort auf. 3 3 In einem Factory Outlet Center treten die Hersteller von Waren als Mieter der einzelnen Ladeneinheiten auf. Errichtung, Koordination, Organisation und Marketing eines Factory Outlet Centers erfolgt meist durch eine Betreibergesellschaft. 34 Diese Betreibergesellschaften setzten sich zum einen aus den Herstellern, die ihre Waren in dem Factory Outlet Center vertreiben, zusammen, können zum anderen aber auch unabhängige Gesellschaften sein. In Europa sind vor allem die Betreiberunternehmen B A A McArthur Glen, Value Retail und Freeport Leisure bekannt. 3 5 In der Regel übernimmt die 26 OLG Hamburg, Urteil vom 22. Juni 2000-3 U 276/99 - GRUR-RR 2001, 42. 27 Vgl. Übersicht bei Hahn/Pudemat, AfK 11/1998, 336, 340; Güttier/Krautzberger, BBauBl 1997, 707, 708. 28 Zum Begriff s. Falk, Europäischer Factory Outlet Center Report, S. 6 f. 29 Hahn/Pudemat, AfK I I / 1998, 336, 340 f. 30 Schmitz, BWGZ 2001, 536. 31 s. dazu Birk, VB1BW 1988, 281; Schmitz, BWGZ 2001, 536 ff.; ders., ZfBR 2001, 85, 90 ff. Gleiches gilt auch für die schleichende Umwandelung eines echten Factory Outlet Center in ein herkömmliches Einkaufszentrum, Hahn/Pudemat, AfK II /1998, 336, 351. 32 Zum Begriff des Fabrikverkaufs s. Katalogkommission für die Handels- und Absatzforschung, Katalog E, Begriffsdefinitionen. S. 45 Nr. 12. Zur Entwicklung des Fabrikverkaufs s. Hahn/Pudemat, AfK II/1998, 336, 338 f. 33 Mayer, Factory Outlet Center in Deutschland, S. 11; Jahn, Stärkung der Innenstadt oder des ländlichen Raumes ?, S. 13. 34 Mayer, Factory Outlet Center in Deutschland, S. 9. 35 Vgl. die Angaben unter www.gma.biz, Factory Outlet Center in Europa, Stand September 2004.
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
Betreibergesellschaft auch die Planung und Errichtung oder hat maßgeblich Einfluss darauf. Anders als bei herkömmlichen Einkaufszentren fehlen bei einem Factory Outlet Center sogenannte Ankerbetriebe, also solche großflächigen Einzelhandelsbetriebe, die aufgrund ihrer Größe und Bekanntheit als Kundenmagnet bezüglich des gesamten Einkaufszentrums wirken (z. B. großflächige Verbraucher- oder Bekleidungsmärkte). 36 Zudem fehlen in einem Factory Outlet Center in der Regel konsumnahe Dienstleistungseinrichtungen, wie sie für klassische Einkaufszentren typisch sind, also Änderungsschneidereien, Schlüssel- und Schuhreparaturdienste. Ähnlich den Einkaufszentren werden die Verkaufseinheiten in Factory Outlet Centern durch gastronomische Einrichtungen, Spielplätze oder Kinderbetreuung ergänzt, um den Erlebniswert des Einkaufens und somit die Attraktivität des Centers zu steigern. 37 Factory Outlet Center nähern sich den klassischen Einkaufszentren auch insoweit an, als der Kundenservice ausgebaut und verstärkt worden ist. 3 8 Unterschiede zum klassischen Einkaufszentrum bestehen neben der Ausschaltung des Einzelhandels in erster Linie in der angebotenen Ware selbst. In Factory Outlet Centern werden vor allem Bekleidung (ca. 70% des Gesamtangebotes), Schuhe, Lederwaren, Sportartikel, Accessoires, aber auch Glaswaren, Porzellan, Hausrat, Wäsche, Spielzeug und Bücher angeboten. 39 Waren des kurzfristigen Bedarfs, wie Genuss- oder Lebensmittel, werden mit Ausnahme von Drogeriewaren und Delikatessen nicht angeboten. Dabei handelt es sich in der Regel um hochwertige Produkte namenhafter und exklusiver Hersteller, welche i m regulären Verkauf sehr teuer sind (sogenannte Α-Ware). 4 0 Damit ist bereits hier festzuhalten, dass Factory Outlet Centern nicht die Aufgabe der Versorgung der Bevölkerung zukommt, da es sich bei den angebotenen Waren um Luxusware handelt, welche auch in Deutschland kaum zur Grundversorgung der Bevölkerung gezählt werden kann. Je höher der Anteil der Hersteller sogenannter Premiummarken ist, desto weiträumiger ist die Streu Wirkung eines Factory Outlet Centers 4 1 Je größer ein 36 Hahn/Pudemat, IzR 1998, 99, 102. 37 Falk, in: ders. (Hrsg.), Das große Handbuch Shopping Center, S. 329, 346; Jahn, GewArch 1997, 456, 457; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 338; Kaune, BBauBl 1998, 10. 38 Maier, Factory Outlet Center, S. 24; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 33. 39 Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 18.9; Kaune, BBauBl 1998, 10; Maier, Factory Outlet Center, S. 22; Runkel, UPR 1998, 241, 242. 40 So führt das Bicester Outlet Shopping Village in Großbritannien u. a. Artikel von Benetton, Cerutti 1881 Femme, Christian Lacroix, Donna Karan, Helly Hanson, Polo Ralph Lauren, Versace und Villeroy & Boch; im Designer Outlet Center Zweibrücken / Deutschland haben sich u. a. Versace, Burberry, Bogner, Aigner, Benetton, Mango angesiedelt; das Β 5 Designer Outlet Center Wustermark / Deutschland führt u. a. Aigner, Armani, Dolce Gabbana, Gianfranco Ferré, Valentino, Versace, Tommy Hilfiger, Nike. 41 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 136.
Β. Factory Outlet Center
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Factory Outlet Center konzipiert ist, desto höher ist jedoch auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich nicht nur Hersteller exklusiver Waren ansiedeln, sondern auch Anbieter mittlerer und geringerer Qualitätsware (B- oder C-Marken). Damit nähert sich das Factory Outlet Center bezüglich der Warenzusammensetzung an den herkömmlichen Einzelhandel an, dies erhöht die unmittelbare Konkurrenz zum innerstädtischen Einzelhandel in der näheren Umgebung des Vorhabens. 42 Kennzeichen eines Factory Outlet Centers ist, dass es sich bei der angebotenen Ware nicht um reguläre Ware des klassischen Einzelhandels handelt, sondern um Fabrikware. Ähnlich wie in Fabrikverkaufsläden werden in den Ladeneinheiten der Factory Outlet Center 2. Wahl-Produkte mit kleineren und größeren Fehlern, Restposten und Auslaufmodelle, Modelle des Vorjahres oder der Vorsaison, Artikel aus Überschussprodukten oder Musterkollektionen angeboten 4 3 Diese Waren werden zwischen 25 bis 50% unter dem regulären Verkaufspreis des klassischen Einzelhandels veräußert. Aufgrund der Beschränkung des Warenangebotes auf die Fabrikware ist das Warensortiment hinsichtlich Größe, Qualität, Farben, Modellen etc. beschränkt. Der Kunde weiß aufgrund des ständig wechselnden Angebotes nicht, ob er die gesuchte Ware finden wird. Zielkäufe, also der Erwerb bestimmter Kaufgegenstände, sind nicht oder nur eingeschränkt möglich 4 4 Trotz des enormen Preisnachlasses ist die in Factory Outlet Centern angebotene Ware i m Vergleich zu No-Name-Produkten oder Billigimporten immer noch teuer 4 5 Aufgrund der Warenstruktur sind Factory Outlet Center auf eine bestimmte Kundengruppe ausgerichtet. Angesprochen werden besserverdienende und markenbewusste Kunden mit „Schnäppcheninteresse", also Personen, die exklusive Marken zu vergleichsweise günstigen Preisen erwerben wollen. I m Vordergrund steht dabei nicht die Bedarfsdeckung (welche auch mit herkömmlicher günstiger Ware bedient werden kann), sondern das Erlebnis, „günstig und hochwertig" eingekauft zu haben. 4 6 Der Kauf imageträchtiger, jedoch i m Vergleich zum herkömmlichen Einzelhandel erschwinglicher Markenware in einer angenehmen Atmosphäre steht i m Vordergrund. Die Ausgestaltung der Factory Outlet Center als ein Freizeit- und Einkaufserlebnis (smart shopping) ist daher eher auf Bedürfnis42 OVG Koblenz, Beschluss vom 8. 1. 1999-8 Β 12650/98 - NVwZ 1999, 435, 438. 43 Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 121; Runkel, UPR 1998, 241, 242, Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 18. 44 Dies zeigt auch eine Umfrage unter Kunden der Factory Outlet Center Hornsea, Street und Hartlpool (alle Großbritannien), aufgeführt in Vogels /Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 31. Die Möglichkeit von Zielkäufen wächst jedoch mit steigender Verkaufsfläche, weil im gesamten Center dann ähnliche Artikel, wenn auch unterschiedlicher Marke, in verschiedenen Ladeneinheiten angeboten werden; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 36. 45 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 44. 46 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 23, sprechen insoweit auch von „Preiserotik" und „Schnäppchenjagd"; S. 42: „Dieser „clevere" Verbraucher sucht keine billigen Marken, sondern Marken möglichst billig."; s. a. Mayer, Factory Outlet Center in Deutschland^. 18.
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
weckung als auf Bedarfsdeckung ausgerichtet. Aus diesem Grund kann den Factory Outlet Centern keine echte Grund- oder Dauerversorgung innewohnen. 47 Dass Factory Outlet Center eher auf Erlebniskauf als auf Bedarfsdeckung ausgerichtet sind, zeigt sich auch in der Ausgestaltung der Anlagen. Während die ersten Factory Outlet Center in den USA noch sehr primitiv ausgestattet waren, wird den potentiellen Kunden heutiger Factory Outlet Center ein „Rundumprogramm" geboten. Neben einem erhöhten Kundenservice laden vor allem Nebeneinrichtungen wie Gastronomie, Freizeiteinrichtungen, Kinderbetreuung zu einem längeren Verweilen neben dem „Shoppen" ein. Das Einkaufen i m Factory Outlet Center (wie auch verstärkt in herkömmlichen Einkaufszentren) wird als Freizeitgestaltung, als „Spaß- und Erlebnistag im Center" verstanden. Die Gesamtgröße eines Factory Outlet Centers hängt vom individuellen Betreiberkonzept ab. Neben der Anzahl der Ladeneinheiten und ihrer Verkaufsflächen sind dabei auch die Flächen für Gastronomie und Frei Zeiteinrichtungen zu beachten. Die Bestimmung einer konstitutiven Mindestverkaufsfläche gestaltet sich daher als schwierig. Sie ist jedoch - wie noch zu zeigen ist - gerade für die bauplanungsrechtliche Einstufung dieses Betriebstyps in die maßgebliche Vorschrift des § 11 Abs. 3 BauNVO und ihrer Vermutungsregeln hinsichtlich raumordnerischer und städtebaulicher Auswirkungen erforderlich. 48 Nach den Erfahrungen in den USA und Europa ist von einer durchschnittlichen Verkaufsfläche 49 der einzelnen Ladeneinheiten von ca. 200 qm auszugehen, selten beträgt diese 400 bis 500 q m . 5 0 Vogels/Will gehen in der GMA-Grundlagenuntersuchung von einer 47 Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 338. 48 Dazu Drittes Kapitel Β II 2. 49 Als Verkaufsfläche wird dabei der Teil der Gesamtfläche bezeichnet, auf dem üblicherweise der Verkauf abgewickelt wird, hierzu zählen alle Flächen, die zum Kundenverkehr bestimmt sind; BVerwG, Urteil vom 27. 4. 1990-4 C 36.87 - NVwZ 1990, 1071; VGH Mannheim, Urteil vom 19. 9. 1984-3 S 1613/83 - VB1BW 1985, 288; Urteil vom 20. 3. 1985-3 S 309/84-VB1BW 1985, 297, 298; Urteil vom 20. 3. 1985-3 S 2075/84-UPR 1986, 313, 314; Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, Bekanntmachung vom 5.September 1975, MAB1. S. 980, Schenke, UPR 1986, 281, 283. Die Verkaufsfläche ist wesentlich geringer als die Geschossfläche. Das BVerwG ging in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Verkaufsfläche in der Regel 2 / 3 der Geschossfläche ausmacht; BVerwG, Urteil vom 3. 2. 1984-4 C 54.80 - BVerwGE 68, S. 342, 345; Beschluss vom 28. 7. 1989-4 Β 18/89 - NVwZ-RR 1990, 230; auch OVG Bautzen, Urteil vom 29. 6. 1993-1 Κ 6/92 - LKV 1994, 220, 222. Aufgrund der Praxis des Einzelhandels, die Lagerflächen zu verringern, ist das Verhältnis von 2:3 wohl nicht mehr als angemessen anzusehen. Es ist daher davon auszugehen, dass die heutigen Einzelhandelsprojekte ein Flächenverhältnis von 3:4 aufweisen; vgl. OVG Münster, Urteil vom 5. 9. 997-7 A 2902/93 - BauR 1998, 309, 312; offengelassen BVerwG, Urteil vom 27. 4. 1990-4 C 36.87 - NVwZ 1990, 1071, 1072. Auch die Bundesregierung ging in ihrem Entwurf zur Änderungsverordnung 1977 davon aus, dass die Verkaufsfläche ca. 75% der Geschossfläche ausmacht, BR-Drs. 261/77, S. 37. 50 Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 338; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 36; ähnlich auch Kaune, BBauBl 1998, 10, 11, der von einer Fläche von 120- 150 qm ausgeht.
Β. Factory Outlet Center
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Gesamtverkaufsfläche von über 3.000 qm aus 5 1 . In der Literatur werden Größenordnungen von 5.000 qm 5 2 bis 10.000 qm 5 3 genannt. Sinnvoll erscheint es, von den Größenordnungen bereits bestehender Factory Outlet Center als Erfahrungswerte auszugehen. In den USA liegt die durchschnittliche Verkaufsflächenzahl eines Factory Outlet Centers bei ca. 15.000 q m 5 4 und die Mindestverkaufsfläche bei ca. 5.000 q m 5 5 . Die in Europa bereits angesiedelten Factory Outlet Center weisen eine Verkaufsfläche von 3.700 qm bis 25.500 qm auf. 5 6 Daher ist, ähnlich wie in den USA, auch in Deutschland von einer Mindestverkaufsfläche eines Factory Outlet Centers von ca. 5.000 qm auszugehen. 57 Aufgrund der hohen Attraktivität werden für den Besuch eines Factory Outlet Centers Anfahrtszeiten von 90 bis 120 Pkw-Fahrminuten seitens der Kunden in Kauf genommen. 5 8 Daher kann von einem Einzugsbereich von bis zu 200 k m ausgegangen werden. 5 9 Ein Factory Outlet Center von einer Verkaufsfläche von 10.000 bis 20.000 qm benötigt bei einer Fahrdistanz von ca. 60 Pkw-Fahrminuten ein Bevölkerungspotential von ca. 3 M i l l i o nen Einwohnern. 6 0 Factory Outlet Center besitzen daher ein räumlich weit gefasstes Einzugsgebiet, welches die Einzugsgebiete herkömmlicher Einzelhandelsbetriebstypen weit übersteigt. Planungsrechtlich sind Factory Outlet Center aufgrund ihrer Struktur und Größe als Einkaufszentren einzustufen. 61
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Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 12. Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 121 \Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 338. 53 Kniep, VB1BW 1998, 294; Schmitz, BauR 1999, 1100, 1121. 54 Hahn/Pudemat, IzR 1998, 99, 102. 55 Falk, in: ders. (Hrsg.), Das große Handbuch Shopping Center, S. 329, 331; Schmude, in: ders: (Hrsg.) Factory Outlet Center, S. 1, 2. 56 Maier, Factory Outlet Center, S. 29 m .w. N. 57 Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 37. 58 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 25 f.; Schmude, in: ders. (Hrsg.), Factory Outlet Center, S. 1, 7; Güttier/Krautzberger, BBauBl 1997, 706, 708; Moench/ Sandner, NVwZ 1999, 337, 338. 59 VG Potsdam, Beschluss vom 7. 5. 1999-5 L 950/98 - BauR 1999, 1146, 1148, 377; BayVGH, Beschluss vom 25. 6. 1998-1 NE 98.1023 - UPR 1998, 467; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 39; Jahn, GewArch 1997, 456, 457; zum FOC Villingen-Schwenningen s. Thalacker, BWGZ 2001, 91, 94. 60 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 27; Runkel, UPR 1998, 241, 243. 52
61 Dazu im Folgenden, zur bauplanungsrechtlichen Einordnung in § 11 Abs. 3 BauNVO insbesondere im Dritten Kapitel Β II.
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
II. Die Ansiedlungsvoraussetzungen von Factory Outlet Centern 1. Die allgemeinen Standortfaktoren zur Ansiedlung privater Unternehmen Der Standort eines Unternehmens charakterisiert sich zum einen durch seine geographische Lage und zum anderen durch eine Vielzahl von Standortfaktoren, welche die Art und Güte des jeweiligen Standortes für das jeweilige Unternehmen ausmachen. Die in Betracht zu ziehenden Standortfaktoren divergieren zwischen den verschiedenen Branchen und der Größe des Unternehmens. 62 Der Wandel vom landwirtschaftlichen und industriellen Sektor hin zum Dienstleistungssektor sowie Änderungen in der Gesellschaftsstruktur führen zu einem Wandel der Standortfaktoren und zu Verschiebungen der Standortpräferenzen. Trotz branchentypischer Unterschiede ist die Nachfrage nach gewerblichen und industriellen Flächen unverändert hoch. 6 3 Dabei ist ein stetiges, von der Entwicklung der Einwohner- und Arbeitsplatzzahlen unabhängiges Wachstum von Siedlungsflächen zu verzeichnen. 64 I m Bereich des Einzelhandelsgewerbes ist der erhöhte Verbrauch von Flächen verbunden mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel der Agglomeration von Einkaufsmöglichkeiten. Da in einem marktwirtschaftlichen System der Kostenfaktor eine große Rolle spielt, sind die Kosten für den Erwerb der Baugrundstücke eine wesentliche Anforderung an den möglichen Standort. 65 Die Erschließung neuer Gewerbe- und Industrieflächen findet daher vor allem durch großflächige Neuausweisungen statt, die oft räumlich getrennt von vorhanden Siedlungsbereichen in den Peripherien der Städte oder i m ländlichen Umland erfolgen. 6 6 Neben der dort verfügbaren Flächengröße und der Nähe zu Hauptverkehrsachsen ist diese Entwicklung bedingt durch Bodenpreise. Letztere sind i m Umland niedriger als in den städtischen Innenlagen bzw. in deren unmittelbarer Nähe. Dies gilt selbst dann, wenn die Gebiete als Gewerbe- oder Industriefläche ausgewiesen wurden. Mangels zusätzlicher finanzieller oder gesetzlicher Belastungen der Vorhabensträger bei der Ansiedlung auf der „grünen Wiese" wird ein großer Wettbewerbsvorteil zugunsten solcher Standorte gegenüber innerstädtischen 62 Grabow, AfK II/1996, 173, 181. 63 Bericht des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, in: Raumordnungsbericht 2000, S. 35 ff. 64 Bericht des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, in: Raumordnungsbericht 2000, S. 39; Spannow sky /Hofmeister, Standortbezogene Steuerung von Unternehmensgründungen, S. 10. 65 Stember, Kommunale Wirtschaftsförderung, S. 21 f. 66 Kahnert, IzR 1993, 55, 57 ff.; Grabow, AfK I I / 1996, 173, 176; im Hinblick auf Factory Outlet Center Falk, Europäischer Factory Outlet Center Report, S. 9. Zur Problematik der Suburbanisierung von Handel und Dienstleistungen und deren Folgen s. Franz/Richert/Weilepp, AfK 1/ 1997, S. 48 ff., insbes. S. 54 f.
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Lagen gesehen. 67 Ebenfalls ein nicht unbeachtlicher Standortfaktor sind die Kosten, die zur geplanten baulichen Nutzung des in Betracht kommenden Grundstücks erforderlich sind. Private Unternehmen werden in der Regel nur solche Standorte wählen, die ihnen eine optimale wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks ermöglichen. Konflikte mit angrenzenden Nutzungen und Umweltschutzauflagen können die Baufreiheit privater Unternehmen einschränken und einen zusätzlichen finanziellen Aufwand bedeuten. Weiterhin werden regelmäßig solche Standorte bevorzugt, welche den Unternehmen räumliche und bauliche Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Da die aufgezeigte Kostenfrage in einem erheblichen Maße durch das kommunale Bauplanungsrecht bestimmt wird, ist eine oft auch falsch verstandene unternehmensfreundliche Haltung der Standortgemeinde von großem Einfluss auf die unternehmerische Standortentscheidung. Da Unternehmensansiedlungen mit der Inanspruchnahme von Grund und Boden zwangsläufig verbunden sind, bedarf es in erster Linie der Bereitstellung von Flächen. Da nicht an jeglichen in Betracht kommenden Standorten die konkret zu verwirklichende Nutzung planungsrechtlich erlaubt sein wird, kommt eine Ansiedlung nur an den Standorten in Betracht, an denen die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens gewährleistet wird. Die zügige und ausreichende Bereitstellung geeigneter Gewerbe- und Industrieflächen ist daher eine der Hauptaufgaben der Gemeinden. Neben der Bereitstellung von Bauflächen und günstigen Erschließungskosten spielt als finanzielle Rahmenbedingung auch die kommunale Finanz-, Steuer- und Abgabenpolitik eine große Roll e . 6 8 Durch die Senkung der Kostenbelastung wird zugleich eine unternehmerfreundliche Haltung der Kommune signalisiert, wobei sich diese dann häufig mit dem Vorwurf des „Ausverkaufs der Gemeinde" 6 9 konfrontiert sieht. Neben diesen finanziellen Faktoren zeigt sich die Unternehmerfreundlichkeit einer Gemeinde auch durch ihre Verwaltung. Aus der betriebswirtschaftlichen Sicht der Unternehmen heißt dies: je flexibler, aktiver, kompetenter sich die kommunale Verwaltung darstellt und je unkomplizierter sich die Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren zeigen, desto größer ist die Ansiedlungsbereitschaft eines privaten Vorhabenträgers. 70 Die Dauer der Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren ist gerade im Hinblick auf Globalisierung der Wirtschaft und die stärker werdende Standortkon67
Blatt/v. Raczeck, Wirtschaftsstandort Innenstadt und „grüne Wiese", S. 52 ff. Arbeitsmarkt- und bildungspolitische und kulturelle Komponenten sowie private Präferenzen sind zwar ebenfalls wichtige Standortfaktoren, bleiben jedoch in der vorliegenden Untersuchung außer Betracht. Vgl. dazu Grabow/Henckel/Hollbach-Grömig, Weiche Standortfaktoren, S. 63 ff. 69 In diese Richtung Knemeyer/Rost-Haigis, DVB1. 1981, 421, 243. 68
70 Stember, Kommunale Wirtschaftsförderung, S. 14; Spannowsky/Hofmeister, Standortbezogene Steuerung von Unternehmensgründungen, S. 13 f., die ihre Aussagen auf eine von ihnen durchgeführte Umfrage verschiedener Unternehmen stützen. A.A. hinsichtlich der Bedeutung der Dauer von Genehmigungsverfahren der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Umweltgutachten von 1996, BT-Drs. 13/4108, S. 69 Nr. 81 und Schlichter, DVB1. 1995, 173, 175 ff. 3 Ernst
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
kurrenz ein wesentlicher Beachtenspunkt in der Ansiedlungsentscheidung privater Unternehmen. Je kürzer und einfacher Verwaltungsverfahren sind, desto schneller kann die Ansiedlung und die Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit erfolgen. I m Gegensatz dazu steht die Pflicht der Verwaltung, das präventive Prüfungsprogramm eines Genehmigungs- bzw. Planungsverfahrens ernst zu nehmen und im Wege eines gegebenenfalls zeitintensiven Nachdenkens in Kooperation mit den Vorhabensträgern und den Trägern öffentlicher und privater Belange die zu berücksichtigenden Interessen abzuwägen und in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Unter Berücksichtigung des verstärkten Wettbewerbs zwischen den Kommunen um die Ansiedlung privater Unternehmen sind die Gemeinden gehalten, einen Mittelweg zwischen einer ansiedlungsfreundlichen Standortpolitik und den gesetzlichen Vorgaben zu finden. Hinzu treten gestiegene qualitative Ansprüche an den Boden. Gerade i m Bereich des Handels- und Dienstleistungsgewerbes spielt die Qualität des räumlichen Umfeldes eine große Rolle, da diese Branchen von Kunden aufgesucht werden. 7 1 Die Außendarstellung eines Unternehmens und seine Attraktivität für den Kundenkreis sind an repräsentative Standorte, insbesondere an das Image der Ansiedlungsgemeinde gebunden. Ebenso wichtig ist die Absatzkonkurrenz i m Einzugsbereich des jeweiligen Unternehmens, sowie die Qualität der Absatzmärkte, sprich der Kundenstruktur. Insbesondere für haushalts- und personenorientierte Unternehmen, wie z. B. Einzelhandelsunternehmen, gehört zu den entscheidenden Ansiedlungskriterien die Markt- bzw. Kundennähe. Neben den Kundenstrukturen i m Einzugsbereich kommt es dabei auf eine gute überörtliche Verkehrsanbindung des Standortes an. Besteht hauptsächlich Individual verkehr, bedarf es einer guten verkehrlichen Verbindung wie Autobahn oder Bundesstraße. 72
2. Die Standortfaktoren von Factory Outlet Centern Eine Analyse bestehender europäischer Factory Outlet Center zeigt, dass auf eine „unique selling proposition" gesetzt und ausschließlich an Topdesignerlabels vermietet wird, welche Markenware zu verhältnismäßig günstigen Preisen veräußern. Bei der Standortwahl ist daher zu berücksichtigen, dass die Konzeption solcher Einrichtungen auf große Flächen mit hohen Umsatzerwartungen gerichtet ist. 7 3 Dazu kommt, dass ein Großteil der Kunden mit dem Pkw anreist. Somit kommen vor allem Standorte an Autobahnabfahrten, Bundesstraßen oder auf gut 71
Falk, Europäischer Factory Outlet Center Report, S. 7; Spannow sky /Hofmeister, Standortbezogene Steuerung von Unternehmensgründungen, S. 11; Grabow, AfK 11/1996, 173, 177, 188. Auf die für produzierende Unternehmen wichtigen Standortbedingungen wie Bodenqualität und Bodenschätze wird vorliegend nicht eingegangen. 72 Franz/Richert /Weilepp, AfK 1/1997, 48, 61 f.; Falk, Europäischer Factory Outlet Center Report, S. 9. 73 Jahn, GewArch 1997, 456, 457; Kniep, VB1BW 1998, 294.
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erreichbaren Konversionsflächen in Betracht. 7 4 . Dieser Umstand und die wirtschaftliche Notwendigkeit, große Baulandflächen zu verhältnismäßig günstigen Preisen zu erwerben bzw. zu mieten, führen dazu, dass Standorte außerhalb städtebaulicher Siedlungen, also Flächen auf der „grünen Wiese 4 ', bevorzugt werden. 7 5 Die Anbieter in Factory Outlet Centern legen Wert darauf, dass die Konkurrenz zum etablierten Einzelhandel vermieden wird. Die Vermietung von Ladenflächen an Markenhersteller wird umso schwieriger, als der geplante Standort i m Einzugsbereich solcher Städte liegt, deren Facheinzelhandel ebenfalls diese Marken führt. Factory Outlet Center bevorzugen daher regelmäßig Standorte in einer angemessenen Entfernung zu bestehenden Einzelhandelsagglomerationen, um die eigenen Absatzpotentiale i m traditionellen Einzelhandel nicht zu gefährden. Bereits heute zeigt die Erfahrung, dass der Fachhandel Waren eines Herstellers, der am gleichen Ort einen Fabrikverkauf unterhält, häufig nicht mehr ordert. 7 6 Attraktiv sind daher in erster Linie Orte in der Nähe von Unter- oder Mittelzentren bzw. Orte zwischen zwei Oberzentren oder in Verdichtungsräumen (sogenannte „Middle of nowhere"-Standorte). 77 Da Factory Outlet Center zu ihrer Rentabilität ein großes Kundenpotential benötigen, werden Orte i m Einzugsbereich von 1 bis 2 Pkw-Fahrstunden zu Großstädten und Verdichtungsräumen bevorzugt. 7 8 Qualität und Image der Standortgemeinde sind eher von untergeordneter Bedeutung, da die Vorhaben selbst eine hohe Magnetwirkung haben. Die Betreiber von Factory Outlet Centern tendieren allerdings verstärkt zu Standorten, die in der Nähe zu Touristenattraktionen und Freizeiteinrichtungen liegen, um zum einen die Touristen- und Besucherströme der Region zu nutzen und zum anderen durch die Nähe zu solchen Einrichtungen die eigene Attraktivität zu steigern. 79 Die Ansiedlungspräferenz an den „Middle of nowhere"-Standorten steht i m Gegensatz zu raumordnungspolitischen Vorstellungen sowie den landesplanerischen und raumordnerischen Vorgaben. 80 In Anlehnung an das zentralörtliche Glie74 Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 338; Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 122; Maier, Factory Outlet Center, S. 30; Güttier /Krautzberger, BBauBl 1997, 706, 708. 75 Falk, Europäischer Factory Outlet Center Report, S. 9. 76 Der Verband deutscher Sportfachhandel hatte Einzelhändler erfolgreich zum Boykott der Ware des Unternehmens Reebok als Reaktion auf die Errichtung eines Fabrikverkaufsgeschäfts in Greding bei Nürnberg aufgerufen, Hamburger Abendblatt vom 19. 2. 1998. S.a. Hahn/Pudemat, AfK 11/1998, 336, 350. 77 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 23, 97, 137; Runkel, UPR 1998, 241, 243; Hahn/Pudemat, AfK II/1998, 336, 350; Thalacker, BWGZ 2001, 91. 78 Jahn, GewArch 1997, 456, 457; Runkel, UPR 1998, 241 242. 79 So plant der Factory Outlet-Betreiber BAA McArthur Glen die Errichtung von Factory Outlet Centern in der Nähe des Heidepark Soltau und nahe Disneyland/Paris, Falk, Europäischer Factory Outlet Center Report, S. 7. BAA McArthur Glen hat sich mittlerweile vom Projekt in Soltau zurückgezogen, zum Verfahrensstand GMA, Factory Outlet Center in Europa, abrufbar unter http: //www.gma.biz, Stand September 2004. 80
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Eine Ausnahme stellt das Factory Outlet Center in Ingolstadt dar.
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
derungssystem, das der Raumordnung als normatives Planungsmodell dient (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG) und in den landesplanerischen Programmen und Plänen verankert i s t 8 1 , sollen Factory Outlet Center nur in Orten bestimmter Zentralitätsstufe an integrierten Standorten und in stadtverträglichen Größenordnungen zulässig sein und das zentralörtliche Gefüge nicht beeinträchtigen. Teilweise wird die Ansiedlung durch landesplanerische Vorgaben auf Orte, die als Oberzentren ausgewiesen sind, beschränkt. 82 Factory Outlet Center sind aus Rentabilitätsgründen von großen Verkaufsflächen abhängig. Eine Ansiedlung an städtebaulich integrierten Standorten ist zudem mangels Flächenvorkommen meist nicht möglich. Der auftretende Individualverkehr wäre an integrierten Standorten nicht zu koordinieren und ist auch nicht erwünscht. 83 Gerade die Ansiedlung in bzw. an Oberzentren würde zu einer direkten Konkurrenz zum innerstädtischen Einzelhandel führen, da gerade dort - im Gegensatz zu Mittel- oder Unterzentren - hochwertige Markenprodukte angeboten werden. Der Abzug einer derartigen Kaufkraft wäre nicht nur städtebaulich nicht verträglich, sondern ist auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten undenkbar. Die Hersteller, welche in einem Factory Outlet Center vertreten sind, wollen nicht die Kaufkraft ihrer eigenen Kunden aus den Innenstädten abziehen. Bereits hier kann festgehalten werden, dass landesplanerische Festsetzungen, welche eine ausschließliche Ansiedlung von Factory Outlet Centern in oder an Oberzentren beinhalten, die tatsächlichen Ansiedlungsvoraussetzungen eines Factory Outlet Centers nicht berücksichtigen. Da eine Ansiedlung an den begehrten Standorten oft aufgrund entgegenstehender landesplanerischer Festsetzungen ausgeschlossen ist, wäre der Betriebstypus Factory Outlet Center somit in Deutschland weitestgehend ausgeschlossen. In der Praxis kommt dies einem Verbot der Ansiedlung von Factory Outlet Centern gleich. 8 4
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Dazu ausführlich im Zweiten Kapitel unter C. s. bspw. Ziff. 3.3.7. ff. des baden-württembergischen Landesentwicklungsprogramms, VB1. 2003, S. 385; Ziff. 3.2.1 ff. des thüringischen Landesentwicklungsplans 2004, Anhang zur Verordnung über den Landesentwicklungsplan vom 6. 10. 2004, GVBl. 2004, S. 754: „Hersteller-Direktverkaufszentren als eine Sonderform der großflächigen Einzelhandelseinrichtungen sind nur in städtebaulich integrierter Lage in Oberzentren zulässig" - ausführlich behandelt im Zweiten Kapitel; Entschließung der Ministerkonferenz für Raumordnung vom 3. 6. 1997, wonach Factory Outlet Center „entsprechend der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung nur in Großstädten / Oberzentren an integrierten Standorten und in stadtverträglichen Größenordnungen zulässig" sein sollen, abgedruckt in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 30, Stand 1999. 82
83 Will, Factory Outlet Center - Auswirkungen auf Einzelhandel, Städtebau und Raumordnung, Vortrag bei dem EUREGIO / TRADE-Fachgespräch am 19. 4. 1999 in Eupen / Belgien, Manuskript S. 5; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 338. 8 4 Hahn/Pudemat, AfK II /1998, 336, 350; hinsichtlich des Eingriffs in die Berufsfreiheit der Betreiber und Anbieter nach Art. 12 GG durch die landesplanerischen Regelungen s. Zweites Kapitel D III.
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III. Die Auswirkungen von Factory Outlet Centern auf den Wettbewerb, die Raumordnung und den Städtebau Factory Outlet Center weisen im Vergleich zu herkömmlichen Einzelhandelsgroßprojekten eine gewisse Atypik insbesondere i m vergleichsweise großen Einzugsbereich und i m Sortiment auf. Aussagen über die Auswirkungen herkömmlicher Einzelhandelsgroßprojekte können daher nur bedingt auf Factory Outlet Center angewandt werden, vielmehr bedarf es der Erstellung eigener Analysen. Modellrechnungen hinsichtlich der Auswirkungen von Factory Outlet Centern können dabei keine generell verbindlichen Aussagen treffen und sind u. a. von der Größe und dem Standort des Projekts abhängig. 85
1. Einzelbetriebliche Auswirkungen Auswirkungen hat die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers zunächst auf die bestehenden Betriebe in dessen Einzugsbereich. Die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers kann unter gewissen Voraussetzungen, nämlich bei einer bereits bestehenden Attraktivität der innerstädtischen Einkaufslagen und bei Schaffung geeigneter Wegebeziehung zwischen dem Factory Outlet Center und der jeweiligen Innenstadt, in der Standortgemeinde zu Kundenzuführungseffekte auch für bereits bestehende Betriebe führen, so dass diese von der Ansiedlung des Factory Outlet Centers profitieren. 8 6 Dies kann jedenfalls für Betriebe angenommen werden, welche aufgrund andersartiger Sortimente nicht in Konkurrenz mit dem anzusiedelnden Factory Outlet Center treten. I m Regelfall kommt es jedoch zu Umsatzverteilungen von bestehenden Einzelhandelsbetrieben hin zum Factory Outlet Center. Nicht pauschal zu beantworten ist die Frage, bei welchem prozentualen Umsatzrückgang ein Ausscheiden eines Einzelhandelsbetriebs anzunehmen ist. 8 7 Neben der konkreten Kapitalausstattung und den konkret bestehenden Kosten kommt es dabei in erster Linie auf die im Einzelfall bestehenden Handlungsmöglichkeiten an. 8 8
85
s. dabei die Untersuchungen von Vogels /Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 71-133. Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 54; auch Thalacker, BWGZ 2001, 91, 92. 87 Pauschal und ohne Nachweise zur Gefahr des „Untergangs der Innenstädte" aber Kaune, BBauBl. 1998, Heft 9, S. 10, 11; Wolf, HessStuGZ 1998, 2, 4 f.; Krautzberger, Der Städtetag 1997, 473. 88 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 79; zu den einzelnen Möglichkeiten GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 12 f.
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
2. Raumordnerische Auswirkungen Unabhängig von einer stets notwendigen Betrachtung i m Einzelfall hat die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers Auswirkungen auf die Kaufkraftbewegungen. Nach dem bereits angesprochenen zentralörtlichen Gliederungssystem 89 werden die Orte eines Landes oder einer Region nach ihrer Größe und Leistungsfähigkeit in Kategorien bestimmter Zentralitätsstufen eingeteilt. Dabei handelt es sich um Gemeinden, die nach den Vorstellungen des Landesplanungsträgers aufgrund ihrer Einwohnerzahl und / oder ihrer Lage i m Raum, ihrer Funktion und ihrer zentralörtlichen Ausstattung Schwerpunkte des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens bilden. Sie sollen entsprechend ihrer Funktion und Einstufung im zentralörtlichen System Aufgaben für die Gemeinden ihres jeweiligen Versorgungsbereiches übernehmen. 90 Aus diesem System einer dezentralen Siedlungsstruktur sollen sich die Kaufkraftströme von den Orten niederer bzw. ohne Zentralitätsstufe zu den Orten höherer Zentralitätsstufe bewegen. Während die Richtung der Kaufkraftströme bei der Ansiedlung eines Factory Outlet Centers in einem Oberzentrum bzw. einer Großstadt im Vergleich zur Situation vor der Ansiedlung gleich bleibt, kann es bei der Ansiedlung eines Factory Outlet Centers an einem „Middle of nowhere"-Standort zu Richtungsverschiebungen weg vom Oberzentrum hin zur Standortgemeinde kommen. 9 1 Kaufkraftbewegungen, die der zentralörtlichen Einteilung der Gemeinden widersprechen, sind allerdings irrelevant, soweit sie keine raumordnerischen Auswirkungen aufweisen. Aus der Beachtung der Wettbewerbsneutralität der Raumordnung folgt, dass eine bloße Wettbewerbsverschärfung oder das Ausscheiden einzelner Marktteilnehmer in dem vom Wettbewerb betroffenen Einzelhandelsegment soweit und solange aus raumordnerischen Gesichtspunkten ohne Folge ist, als das nach der jeweiligen zentralörtlichen Gliederung aufgestellte Versorgungssystem aufrechterhalten bleibt. 9 2 Raumordnerische Auswirkungen sind nur anzunehmen, wenn die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers Auswirkungen auf die Infrastruktur i m Einzugsgebiet des Vorhabens dergestalt hat, dass eine ausgewogene und leistungsfähige Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und somit der Versorgungsstandort gefährdet ist. Ob und welche Folgen Wettbewerbsveränderungen aufgrund der Ansiedlung von Factory Outlet Centern für das zentralörtliche Gliederungssystem haben, kann nicht pauschal beantwortet werden. 9 3 Vor allem ist zu beachten, dass es sich bei dem Warenangebot in einem Factory Outlet Center in 89 s. unten Zweites Kapitel D I. 90 Vgl. Ziff. 2.1.1 thür. LEP 2004.
91 Vgl. die Abb. Nr. 10 und 11 bei Vogels /Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 82. 92 Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 126; s. a. Zweites Kapitel Β III 2; Drittes Kapitel A II 1. 93 Wann dies anzunehmen ist s. Zweites Kapitel E II und III; Vogels /Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 86; Sandner, Der Gemeinderat 1999, abrufbar unter www.gemeinderat, de.
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der Regel nicht um Waren des kurzfristigen Bedarfs handelt, sondern dass Waren des mittelfristigen bis langfristigen Bedarfs angeboten werden, welche keine derartig unmittelbare räumliche Nähe zur Bevölkerung i m Verflechtungsbereich aufweisen müssen. Die Gefahr des Rückzugs des Einzelhandels aus Wohngebieten und Streulagen mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Nahversorgung bezieht sich eher auf den Einzelhandel zur Deckung des kurzfristigen Bedarfs, insbesondere Lebensmittel. 9 4 Eine Parallele zum Sortiment in Factory Outlet Centern kann daher nicht ohne weiteres gezogen werden. Auch nach einer Untersuchung der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung mbH ( G M A ) über die tatsächlichen Auswirkungen des großflächigen Einzelhandels aus dem Jahr 1999 konnten insgesamt keine Lücken in der Nahversorgung festgestellt werden. 9 5 Da die Umkehrung bestehender Kaufkraftströme Auswirkungen haben kann, ist jedenfalls festzustellen, dass aus landesplanerischer Sicht eine Ansiedlung von Factory Outlet Centern in der Nähe von Oberzentren oder Großstädten als raumverträglicher angesehen werden muss. Ob eine solche Anbindung der Ansiedlung von Factory Outlet Centern an Orten bestimmter Zentralitätsstufe und ein Verbot der Ansiedlung solcher Betriebe an Orten niedriger Zentralitätsstufe erforderlich und zulässig ist, ist allerdings fraglich. 9 6
3. Städtebauliche Auswirkungen Die Errichtung großflächigen Einzelhandels kann städtebauliche Auswirkungen haben, wenn sie bestehende Betriebe durch Wettbewerbswirkungen aus dem Markt drängt und dies zu einer Schwächung der Branchenmischung und zu Leerständen führt. Eine solche Entwicklung kann Auswirkungen auf Investitionsmaßnahmen der öffentlichen Hand und privater Investoren haben. Inwieweit die durch die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers auftretende Wettbewerbssituation städtebauliche Auswirkungen hat, kann nur i m jeweiligen Einzelfall beantwortet werden. M i t dem Sortimentsschwerpunkt auf Bekleidung und Schuhe enthält das Angebot in Factory Outlet Centern in erster Linie Leitsortimente, welche für die Attraktivität und die Branchenvielfalt innerstädtischer Einkaufslagen von wesentlicher Bedeutung sind. Eine Verschärfung der Wettbewerbssituation oder das Ausscheiden einzelner Anbieter genügt zur Annahme städtebaulicher Auswirkungen noch nicht. Eine städtebauliche Relevanz einer auftretenden Wettbewerbssituation kann jedoch dann gegeben sein, wenn diese auf die Nahversorgung der Bevölkerung und somit auf die auch aus städtebaulichen Maßnahmen resultierende Einzelhandelsfunktion der Innenstadt Auswirkungen hat. Städtebaulich relevante Folgen einer Wett94 s. a. GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 7. 95 GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 17. 96 s. dazu unten Zweites Kapitel D.
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1. Kap.: Der Strukturwandel im Einzelhandel - Factory Outlet Center
bewerbssituation zwischen einem Factory Outlet Center und dem bereits bestehenden innerstädtischen Handel können dabei sowohl in der Standortgemeinde als auch in den i m Einzugsbereich des Factory Outlet Centers liegenden Gemeinden auftreten. Nach Angaben der G M A können städtebaulich relevante Folgen durchschnittlich angenommen werden, wenn bezüglich innenstadtrelevanter Sortimente eine Kaufkraftumverteilung von über 10% gegeben ist. 9 7 Nach der GMA-Grundlagenuntersuchung zu Factory Outlet Centern von Vogels / W i l l bestehen hinsichtlich der Gefahr städtebaulicher Auswirkungen in der Standortgemeinde Unterschiede zwischen der Ansiedlung eines Factory Outlet Centers an einem Oberzentrum bzw. einer Großstadt und einem Unterzentrum. 9 8 Es ist davon auszugehen, dass bei einer Ansiedlung in bzw. an einem Oberzentrum oder einer Großstadt trotz einer vergleichsweise hohen Umsatzumverteilung in absoluten Zahlen grundsätzlich keine städtebaulichen Auswirkungen zu erwarten sind. Zwar kann es zum Ausscheiden einzelner Betriebe kommen. Versorgungsgefahren werden jedoch nicht erwartet, da die Haupteinkaufslagen aufgrund ihrer Attraktivität erhalten bleiben. Nach der Untersuchung ist eine Umsatzumverteilung von ca. 3,2% bis 4,2% je nach Größe des Factory Outlet Centers wahrscheinlich. Diese würde zwar zu spürbaren Wettbewerbswirkungen in der Standortgemeinde führen, jedoch i m Regelfall keine städtebaulichen Auswirkungen hervorrufen. Aus landesplanerischer Sicht kann sogar teilweise ein Zentralitätszuwachs für die Standortgemeinde in Betracht kommen. 9 9 Richtigerweise wird aber bei der Ansiedlung von Factory Outlet Centern in Oberzentren auch von Vogels/Will erkannt, dass eine derartige Modellrechnung nicht der Praxis entsprechen wird. Die Ansiedlung eines echten Factory Outlet Centers, also die Vermietung der Ladeneinheiten großteils an Herstellern von Α-Marken, ist in Oberzentren wegen möglicher Konflikte mit bestehenden Vertriebslinien unwahrscheinlich. A n einem solchen Standort würden vermehrt B- und C-Marken aufgenommen werden. Somit ähnelt das Factory Outlet Center einem klassischen Einkaufszentrum, was zu verstärkten Wettbewerbswirkungen führen k a n n . 1 0 0 Die Standortpräferenzen der Betreiber von Factory Outlet Centern beziehen sich auf Mittel- und Unterzentren. Gerade in Mittelzentren kommt es bei einem nicht hinreichend attraktiven innerstädtischen Einzelhandelsangebot zu einer Gefährdung für die innerstädtischen Einkaufslagen, wobei die Wettbewerbssituation i m Einzelfall städtebauliche Auswirkungen haben k a n n . 1 0 1
97 Nach OVG Münster, Urteil vom 5. 9. 1997-7 A 2902/93 - BauR 1998, 309 sind bei einer Kaufkraftverteilung unter 10% keine städtebaulichen Auswirkungen anzunehmen; GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 19; Moench!Sandner, NVwZ 1999, 337, 344; Otting, DVBl. 1999, 595, 597; ähnlich Uechtritz, BauR 1999, 572, 579. 98
Vogels/Will, 99 Vogels/Will,
GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 86 ff. GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 87.
100 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 88. 101 GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 14.
Β. Factory Outlet Center
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Die i m Einzugsbereich eines Factory Outlet Centers gelegenen Unterzentren werden dagegen wegen der bereits bestehenden Kaufkraftabflüsse in Gemeinden höherer Zentralitätsstufe von der Ansiedlung eines Factory Outlet Centers weniger stark betroffen s e i n . 1 0 2
102 Thalacker, BWGZ 2001, 91, 92; Vogels/Will,
GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 98.
Zweites Kapitel
Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern durch raumordnerische Rahmenbedingungen Die planerische Steuerung des großflächigen Einzelhandels ist zwar vorrangig eine Aufgabe der örtlichen Bauleitplanung und der Stadtentwicklungspolitik. 1 Normative Regelungen der überörtlichen Raumordnung und Landesplanung sowie der Regionalplanung setzen jedoch in einem verstärkten Maße Makrostandortbedingungen für den großflächigen Einzelhandel und Factory Outlet Center. Neben rein wirtschafts- und raumordnungspolitischen Aussagen und Verwaltungs vorgaben sind dabei insbesondere die in den landesplanerischen Programmen und Plänen festgesetzten Ziele der Raumordnung, welche über § 1 Abs. 4 BauGB Einfluss auf den kommunalen Planungsprozess nehmen, von besonderer Bedeutung. Anhand ausgewählter landesplanerischer Festlegungen zu Einzelhandelsgroßprojekten bzw. Factory Outlet Centern sollen i m Folgenden die Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung derartiger Vorhaben durch die Landesplanung aufgezeigt werden.
A. Auftrag und Eignung der Raumordnung und Landesplanung zur Standortsteuerung I. Die Regelungskompetenz nach dem ROG Verfassungsrechtlich ist die Kompetenz zur Wahrnehmung von Aufgaben der Raumordnung in Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 2. Alt. GG geregelt. Die Norm besagt jedoch nur, dass der Bundesgesetzgeber unter Wahrung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG Rahmenvorschriften erlassen kann, dem Landesgesetzgeber aber ausreichend Spielraum für eigene Regelungen verbleiben muss. 2 Darüber hinaus ist die zulässige Regelungsintensität nach Maßgabe des Art. 75 Abs. 2 GG begrenzt. 3 Der Inhalt raumordnerischer Planung ergibt sich aus dem Begriff der 1
Rojahn, in: Spannowsky / Krämer (Hrsg.), Großflächiger Einzelhandel, S. 13. 2 Zu diesem Spielraum BVerfG, Urteil vom 1. 12. 1954-2 BvG - BVerfGE 4, 115, 117; Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 75 Rn. 75; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 3, Art. 75 Rn. 8. 3 BVerfG, Urteil vom 27. 7. 2004-2 BvF 2/02 - BVerfGE 111, 226, 251 f.
Α. Eignung der Raumordnung zur Standtortsteuerung
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Raumordnung und ihrer einfachgesetzlichen Ausgestaltung durch das ROG und die Landesplanungsgesetze. Die Raumordnung des Bundes und der Länder hat als überfachliche und überörtliche Gesamtplanung zum Ziel, die Gesamtentwicklung eines Gebietes vorausschauend zu entwerfen und staatlich beeinflussbares privates Handeln sowie das Handeln des Staates selbst zu koordinieren. 4 Der Raumordnung liegt ein umfassender, wenn auch raumbezogener Koordinierungsauftrag zugrunde. Ihr Zweck ist die Schaffung der Voraussetzungen zur optimalen Nutzung des vorhandenen Raumes unter Einbezug aller vorliegenden raumbedeutsamen Faktoren. Wesentliches Ziel ist gem. § 1 Abs. 1 und § 4 ROG die Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen einschließlich raumwirksamer Investitionen. Wirtschaftlichen Ansprüchen an den Raum hat die Raumordnung, wie sich aus dem Teilaspekt des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ROG ergibt, durch die Schaffung von Standortvoraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung Rechnung zu tragen. Hierzu zählen insbesondere die Schaffung, Sicherung, Ordnung und Entwicklung der räumlichen Voraussetzungen für Infrastruktureinrichtungen, für die Rohstoffgewinnung und die Landwirtschaft. Der Teilaspekt der Schaffung von Standortvoraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung weist der Raumordnung einen aktiv planerischen Gestaltungsauftrag zu. Die Raumplanung stellt sich insoweit als Entwicklungsplanung dar. Verdeutlicht wird dies durch den Grundsatz des § 2 Abs. 2 Nr. 9 S. 2 ROG, wonach zur Verbesserung der Standortbedingungen für die Wirtschaft in erforderlichem Umfang Flächen vorzuhalten, die wirtschaftsnahe Infrastruktur auszubauen sowie die Attraktivität bestehender Standorte zu erhöhen sind. Die aktive Schaffung von Standortvoraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung soll die Realisierung der wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum gewährleisten und ist somit zugleich Teil der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung selbst. Sie umfasst dabei nicht nur die Schaffung sämtlicher raumbezogener Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung, wie ζ. B. die Schaffung einer umfassenden Infrastruktur. Raumordnerische Pläne können auch Festlegungen bestimmter Standorte treffen, soweit dies aus kompetenzrechtlichen Gründen zulässig ist. Beispielsweise können in den Fällen des § 7 Abs. 3 ROG Landesentwicklungsprogramme bzw. -pläne i m Wege einer Angebotsplanung hinsichtlich raumbedeutsamer Nutzungen Festlegungen geeigneter Flächen enthalten, wenn diese Nutzungen eine überörtliche Koordination erfordern. Die Raumordnung beschränkt sich daher nicht auf eine indirekte Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern kann durch konkrete Standortfestlegungen unmittelbaren Einfluss auf die unternehmerische Entscheidung der Standortwahl nehmen. 5 Aufgrund ihrer raumordnerischen Auswirkungen bedürfen gerade Großvorhaben der raumordnerischen Steuerung. Die Lenkungs- und Steuerungsfunktion der Raumordnung in der Umsetzung mittels landesplanerischer 4 5
Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 300. Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, S. 212.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
Pläne und Programme wird somit zu einem wichtigen Faktor zur Verwirklichung einer nachhaltigen Raumentwicklung. 6 Da Factory Outlet Center aufgrund ihres Einzugsbereiches zu einem erheblichen Verkehrsaufkommen bzw. zu einer Umleitung der Verkehrsströme und auch zu einer den landesplanerischen Festlegungen widersprechenden Umleitung von Kaufkraftströmen führen können, besteht ein Erfordernis einer Koordinierung durch Standortvorgaben auf der Ebene der überörtlichen Planung.
II. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse als Aufgabe der Raumordnung Die Verpflichtung und umfassende Kompetenz des Staates zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist i m Sozialstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG niedergelegt. 7 Darüber hinaus wird der Staat in weiteren Vorschriften des Grundgesetzes zur Schaffung und Erhaltung gleichwertiger Lebensverhältnisse verpflichtet. 8 Dieses konkludente Staatsziel führt nicht nur zu einer Verpflichtung des Gesetzgebers, sondern belässt ihm zugleich einen sachlich und zeitlich weiten Spielraum. 9 Obwohl sich die genannten Vorschriften insbesondere auf das Verhältnis von Bund und Ländern beziehen, hat die Frage der gleichwertigen Lebensbedingungen auch innerhalb der einzelnen Bundesländer Bedeutung. I m Bereich der Raumordnung findet sich in § 1 Abs. 2 Nr. 6 ROG eine Konkretisierung dieser grundgesetzlichen Verpflichtung, wonach gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen herzustellen sind. Leitziel und Sozialgestaltungsauftrag der Raumordnung ist daher die gerechte Verteilung der Wachstums-, stabilitäts- und beschäftigungspolitischen Impulse. 1 0 Der Begriff der „gleichwertigen Lebensverhältnisse" 6
Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, S. 214. Zur Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 ROG s. Frenz, Sustainable Development durch Raumplanung, S. 148 ff.; kritisch Beaucamp, Das Konzept der zukunftsfähigen Entwicklung im Recht, S. 410 ff. 7 Schwark, Wirtschaftsordnung und Sozialstaatsprinzip, S. 16; Kirchhof, VVDStRl 52 (1993), 71, 83, geht dabei sogar von einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse aus. Zum Streit um ein Verfassungsgebot „gleichwertiger Lebensverhältnisse" vgl. Selmer, in: VVDStRl 52 (1993), 10, 24 f.; Schwark, Wirtschaftsordnung und Sozialstaatsprinzip, S. 16 f.; Arndt, JuS 1993, 360 ff. 8 s. Art. 109 Abs. 2 bis 4 GG und Art. 104 a Abs. 4 Satz 1 1. Alt. GG zum gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht; Art. 104 a Abs. 4 Satz 1 2. und 3 Alt. GG zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und die Förderung wirtschaftlichen Wachstums; Art. 91 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 GG weist wesentliche Teile der Strukturpolitik ausdrücklich Bund und Ländern als Gemeinschaftsaufgabe zu; nach Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund ausdrücklich die Gesetzgebungskompetenz, wenn die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" dies erfordert. 9 Badura, in: Stödter/Thieme (Hrsg.), FS für Hans Peter Ipsen, S. 367, 369: „Vollmacht zur Globalsteuerung", auch Spannowsky, DÖV 1977, 757, 762. •o Spannowsky, NdsVBl. 2001, 1, 2.
Α. Eignung der Raumordnung zur Standtortsteuerung
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ist umfassend zu verstehen und schließt alle Lebensbereiche von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Bildung, Freizeit, Erholung, soziale Leistungen ein. 1 1 Gegen die Ansiedlung von Factory Outlet Centern und anderen großflächigen Einzelhandelsbetrieben wird vorgetragen, dass sie aufgrund ihrer Größe und ihrer nichtintegrierten Lage die Nahversorgungsstrukturen in ihrem Einzugsgebiet beeinträchtigen würden. Die Aufgabe der Raumordnung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse gebiete es daher, diese Vorhaben einzuschränken. 12 Bei der Anwendung der verfassungsrechtlichen Vorgabe der gleichwertigen Lebensverhältnisse ist jedoch zu beachten, dass aufgrund der unterschiedlichen natürlichen Gegebenheiten der einzelnen Teilräume kein objektiver Maßstab dafür existiert, wann gleichwertige Lebensverhältnisse vorliegen. 1 3 Die Lebensverhältnisse in einem verdichteten Raum sind regelmäßig andere als in einem ländlichen Raum. Unterschiede sind einem föderativen Staatsaufbau immanent und müssen zur Erhaltung innerstaatlicher Vielfalt auch erhalten bleiben. Daher kann durch staatliches Handeln auch keine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse erzeugt werden. Aus diesem Grund kann der Begriff der „gleichwertigen Lebensverhältnisse" nicht dahingehend verstanden werden, dass i m gesamten Landes- bzw. Bundesgebiet einheitliche Lebensverhältnisse bestehen sollen. 1 4 Der Staat ist vielmehr im Sinne eines Harmonisierungsgebots gehalten, durch seine Investitions- und Planungspolitik gewisse Mindeststandards zur Angleichung der Lebensverhältnisse i m Gesamtraum zu schaffen. 15
III. Die Aufgabe der Raumordnung als Regelungsgrenze Die Aufgabe der Raumordnung, die Gesamtentwicklung eines Gebietes vorausschauend zu entwerfen und optimalen Nutzung des vorhandenen Raumes unter Einbezug aller vorliegenden raumbedeutsamen Faktoren zu gewährleisten, bildet zugleich die Grenze ihrer Steuerungstätigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals i m Jahr 1954 i m sogenannten Baurechtsgutachten eine Abgrenzung der Raumordnung zur Bauleitplanung und raumbezogenen Fachplanungen vorgenommen. 1 6 Diese dort erfolgte Abgrenzung nach Spezialität und Sachzusammenhang •ι Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 1 Rn. 85, Stand 2001. 12 Spannowsky, Nds.VBl. 2001, 1,2. 13 Vgl. Umbach/Clemens, in: dies. (Hrsg.), GG Bd. 2, Art. 72 Rn. 36; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein (Hrsg.), GG, Art. 72 Rn. 3. 14 BVerfG, Entscheidung vom 29. 11. 1961 - 1 BvR 758/57 - BVerfGE 13, 230 ff.; Wimmer, DVB1. 1982, 62, 63; Arndt, JuS 1993, 360, 362; Selmer, VVdStRl 52 (1993), 10, 27; ähnlich Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 GG, VIII Rn. 36, Stand 18. Lieferung; kritisch Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 72 Rn. 23, Stand 23. Lieferung. 15 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 1 Rn. 86, Stand 2001; Hohmann, DÖV 1991, 191, 196.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
hat zur Folge, dass die Raumordnung eine Einschränkung erfahren hat. 1 7 Auch das Bodenrecht ist von anderen Kompetenztiteln abzugrenzen. 18 Dies bedeutet zum einen, dass es innerhalb der eben genannten Zuständigkeiten keine inhaltlichen Überschneidungen geben darf; also mittels der Raumordnung keine Festsetzungen getroffen werden dürfen, die der Bauleitplanung vorbehalten sind. 1 9 Z u m anderen ist eine kompetentielle Abgrenzung raumplanerischer Zuständigkeiten von anderen Fachbereichen vorzunehmen. Wirtschaftslenkende Standortbestimmungen in Raumordnungs- oder Landesplänen sowie Bauleitplänen dürfen daher nicht so ausgestaltet sein, dass sie in andere Kompetenzbereiche übergreifen. Der Charakter der Raumordnung als überörtlich und überfachliche Gesamtkoordination darf daher nicht als eine Art „Überkompetenz" gesehen werden, deren Sachbereich auch andere Bereiche mitumfasst, soweit in diesen (auch) raumbedeutsame Maßnahmen erfolgen, aber anderen Kompetenzbereichen zugeordnet sind. 2 0 Dies bedeutet nicht, dass keine gegenseitige Beeinflussung verschiedener hoheitlicher Maßnahmen erfolgen darf. Unzulässig sind nur zielgerichtete Übergriffe auf andere Kompetenzen, um diese an die eigene Maßnahme zu binden. 2 1
1. Abgrenzung zur kommunalen Bauleitplanung und zu Fachplanungen Ein grundsätzliches Konfliktfeld betrifft das Verhältnis der staatlichen Landesplanung zur kommunalen Bauleitplanung. Obwohl oder gerade weil i m Bereich des Planungsrechts räumliche Überschneidungen verschiedener Planungen unver16 Gutachten vom 16. 6. 1954- 1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, 414: „Alle Materien, die Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 aufführt, sind völlig gleichgewichtig nebeneinander gestellt. Mithin können alle nur als selbständige Sondermaterien gemeint sein. Noch weniger können die in Art. 75 Nr. 4 GG genannten Materien „Bodenverteilung" und „Raumordnung" Bestandteile des Bodenrechts im Sinne der Gesetzgebung sein; denn sie sind in einem anderen Verfassungsartikel aufgeführt, und überdies ist die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für diese Materien auf Rahmenvorschriften beschränkt...". 17 Halama, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), FS für Schlichter, S. 201, 17 ff.; Ernst, in: Kaiser (Hrsg.), Planung Bd. III, S. 129, 130; Pestalozzi in: v. Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz Bd. 8, Art. 74 Rn. 1281 ff. is BVerfG, Gutachten vom 16. 6. 1954-1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, 424: „Der Begriff „Bodenrecht" kann, [ . . . J, nicht diejenigen Materien mitumfassen, die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 8 GG selbständig neben dem Bodenrecht aufgeführt sind."; Gierke, DVBl. 1984, 149, 150 f. 19 Durner, in: Bauschke/Becker u. a. (Hrsg.), Pluralität des Rechts, S. 225; 243 f.; ders., Konflikte räumlicher Planungen, S. 204 f. 20 Breuer, Die hoheitliche raumgestaltende Planung, S. 213. Grundlegend zum Verhältnis Bauleitplanung und Fachplanung BVerfG, Urteil vom 10. 3. 1981-1 BvR 92/71, 1 BvR 96/71 - BVerfGE 56, 249 ff. (Bad Dürkheimer Gondelbahn). 21 Für das Verhältnis der Raumplanung zur Fachplanung Durner, Konflikte räumlicher Planung, S. 205 f.
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meidbar sind, ist es erforderlich, Zuständigkeitskonflikte unter Berücksichtigung der vorgegebenen verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung zu beurteilen. 22 I m Bereich der Gesamtplanung weist das Grundgesetz zunächst dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Bodenrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG sowie die Rahmengesetzgebungskompetenz für die Raumordnung gem. Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 2. Alt. GG zu. Das Grundgesetz trennt diese Bereiche der Gesamtplanung, sagt allerdings nichts Ausdrückliches darüber aus, wie die Abgrenzung beider Materien zu erfolgen hat. Nach dem bereits erwähnten Baurechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei der Raumordnung bzw. Landesplanung und der Bauleitplanung um verschiedene Stufen der räumlichen Planung. Nach der dort getroffenen maßgeblichen - wenn auch umstrittenen 2 3 - Unterscheidung ist Gegenstand des Bodenrechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG das Recht der städtebaulichen Planung, also die „ Vorbereitung und Leitung der gesamten Bebauung in Stadt und Land, der zu ihr gehörigen baulichen Anlagen und Einrichtungen sowie mit der Bebauung in Verbindung stehenden Nutzung des Bodens". 24 Inhalt des Bodenrechts und somit Aufgabe der kommunalen Bauleitplanung ist danach die Bestimmung der rechtlichen Qualität und der konkreten baulichen Nutzung des Bodens. Die Raumordnung nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 2. Alt. GG erfasst dagegen die überörtliche Planung i m Sinne einer zusammenfassenden, übergeordneten Planung und Ordnung des Raumes. 25 Sie ist übergeordnet, weil sie überörtliche Planung ist und vielfältige Fachplanungen zusammenfasst und aufeinander abstimmt. Die Schaffung parzellenscharfer Festsetzungen und die unmittelbare Vorbereitung der Bodennutzung ist demnach der kommunalen Bauleitplanung bzw. - i m Hinblick auf das jeweilige Vorhaben - den Fachplanungen vorbehalten. 26 Gegenüber diesen Planungen muss sich die Raumordnung auf ihren spezifischen Aufgabenbereich beschränken und darf daher beispielsweise keine spezifischen städtebaulichen Vorgaben entwickeln. 2 7 22
Breuer, Die hoheitliche raumgestaltende Planung, S. 96 ff.; Kim, Gemeindliche Planungshoheit und überörtliche Planungen, S. 155 ff.; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, S. 194 ff.; Brohm, DÖV 1989, 429, 438. 2 3 Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, J 610 Rn. 53 ff., 58 ff., Stand 1986; Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 1 ROG Rn. 14 ff., Stand 2001; Peine, Öffentliches Baurecht, Rn. 19 ff. 2 4 BVerfG, Gutachten vom 16. 6. 1954-1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, 423 [Kursivdruck durch Verf.] 25 BVerfG, Gutachten vom 16. 6. 1954-1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, 425 ff., wobei auch auf den historischen Begriff und die historische Funktion der Raumordnung rekurriert wird. Zur Abgrenzungsfunktion des überörtlichen Charakters der Raumordnung s. a. Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, Bd. 1 S. 122; Spannowsky, DÖV 1997, 757, 760 ff. 2 6 BVerfG, Gutachten vom 16. 6. 1954- 1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, 423 ff.; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, S. 220 m. w. N. 27 Hendler, Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht, S. 45; Papier, Freihaltung von Leitungstrassen, S. 30 ff.; Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), BauGB, § 1 Rn. 56, Stand November 1999.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
Die kompetenzrechtliche Beschränkung auf räumlich grobmaschige Festlegungen ist durch die Möglichkeit der Festlegungen von Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungsgebieten in Raumordnungsplänen gem. § 7 Abs. 4 Satz 1 ROG aufgeweicht worden und erlaubt i m Einzelfall auch parzellenscharfe Festsetzungen. Überörtliche Planungen müssen sich bei ihren Festlegungen nach Art und Konkretisierung allerdings stets darauf beschränken, was zur Verwirklichung des überörtlichen Interesses erforderlich ist. Konflikte, die i m kleinräumigen Bereich aufgeworfen werden, beispielsweise naturschutzrechtliche oder städtebauliche Fragen, sind grundsätzlich auf der Ebene der Bauleitplanung und der Fachplanung zu regeln. 2 8
2. Die Wettbewerbsneutralität der Raumordnung als Regelungsgrenze Raumordnerische Ansiedlungsbeschränkungen und Standortbestimmungen sind geeignet, den Wettbewerb zwischen bereits bestehenden und neu anzusiedelnden Vorhaben zu beeinflussen. 29 Dies gilt vorliegend umso mehr, als landesplanerische Zielfestlegungen explizit die Ansiedlung von Factory Outlet Centern auch deshalb beschränken, um den innerstädtischen Handel - wenn auch aus raumordnerischen Gründen der flächendeckenden Versorgung - zu schützen. 30 Damit greifen die landesplanerischen Ziele jedenfalls mittelbar in den Wettbewerb der privaten Einzelhandelsunternehmen ein. 3 1 Der freie Wettbewerb von Unternehmen wird maßgebend durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) bestimmt. 3 2 Die wettbewerbliche Besonderheit des Betriebstypus Factory Outlet Center, die Umgehung des Groß- und Zwischenhandels durch den Direktverkauf an den Letztverbraucher, ist für das Wettbewerbsrecht kein Novum. Der abstrakten Gefährdungstatbestand des § 6 a U W G a.F. regelte explizit die Unlauterkeit des Direktverkaufs des Herstellers an den Letztverbraucher. 33 Direktverkäufe waren danach nur zulässig, wenn bestimmte Verkaufs- oder Preismodalitäten nach § 6 a Abs. 1 Nr. 1 - 3 U W G a.F. 28 29
Durner, Konflikte räumlicher Planungen, S. 220. Berg, WiVerw 1990, 209, 217.
30 Vgl. beispielsweise Begründung Β II zu Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP, S. 190; Begründung zu Grundsatz 1.0.7 und Ziel 1.0.8 LEP Berlin-Brandenburg, wo von der „romantischen" Vorstellung ausgegangen wird, dass die Versorgung in vielen Orten des engeren Verflechtungsbereichs Berlin-Brandenburg noch durch kleine Dorfläden erfüllt werde. 31 Vgl. Bönker, BauR 1999, 328, 333; anders wohl Berg, WiVerw 1990, 209, 218 f., der aufgrund der unterschiedlichen Standortvoraussetzungen von großflächigen Einzelhandelsbetrieben auf der „Grünen Wiese" und innerstädtischen Einzelhandel und den damit verbundenen Standortvorteilen für erstere keine gleichen Wettbewerbsbedingungen im Sinne eines freien Wettbewerbs sieht. 32 Köhler, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Auflage, Einl. UWG Rn. 1.33, zur Konzeption der Wettbewerbsfreiheit Rn. 1.15 m. w. N. und Rn. 1.26 ff. 33 Eingefügt durch das Gesetz vom 26. 6. 1969, BGBl. 1969 I, S. 633.
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eingehalten wurden. Die aus ordnungspolitischen Bedenken gegen den HerstellerDirektverkauf eingeführte Norm gründete sich auf der angenommenen abstrakten Gefahr der magischen Anziehung des Verbrauchers durch die Werbung, dass der Anbieter Hersteller oder Großhändler sei. 3 4 Durch das Änderungsgesetz 2004 wurde § 6 a U W G ersatzlos gestrichen. 35 Der Gesetzgeber sah die Norm als überholt an - sie gehe von einem unzeitgemäßen Verbraucherleitbild aus; über die in § § 3 und 5 U W G n.F. geregelte konkrete Irreführung des Verbrauchers bedürfe es keiner weitergehenden Regelung i m Sinne eines abstrakten Gefährdungstatbestands. 36 Das Raumplanungsrecht darf aus sich heraus weder wettbewerbsregelnd tätig werden, noch darf es von anderer Seite dazu verwendet werden, wettbewerbsregulierende Vorschriften aufzunehmen, um so die Normgebungskompetenz entgegen der verfassungsrechtlichen Kompetenzregelungen und dem Grundrechtsschutz zu erweitern. 3 7 Unzulässig sind daher solche landesplanerischen Aussagen, die allein aus handels- und mittelstandspolitischen Gründen zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des innerstädtischen Einzelhandels getroffen werden. Andererseits muss der verfassungsrechtliche Auftrag der Raumordnung und Landesplanung als ressortübergreifende Querschnittsplanung beachtet werden. 3 8 Das Merkmal der Überfachlichkeit ist kennzeichnend für die Koordinierungsfunktion der Raumplanung, die in der umfassenden planerischen Abwägung aller fachlicher und überörtlicher Ansprüche an den Raum besteht. 39 Die Charakterisierung der Raumordnung und Landesplanung als überfachliche Querschnittsplanung erfordert eine Befassung mit fachlichen Aspekten, solange sie auf eine raumordnerisch und landesplanerisch gesamtkonzeptionelle Sicht ausgerichtet s i n d 4 0 Die Wettbewerbsneutralität der Raumordnung darf nicht dahingehend verstanden werden, dass grundsätzlich jede Beeinflussung des Wettbewerbs zwischen Privaten durch die Raumordnung untersagt ist. Gerade Raumplanungsrecht und der Wettbewerb im Einzelhandel lassen sich aufgrund der Raumbedeutsamkeit des großflächigen Einzelhandels und der 34 Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Auflage, § 1 UWG Rn. 891. 35 BGBl 2004 I, S. 1414. 36 Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 15/ 1487, S. 15. 37 Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 126. Vgl. zur Bauleitplanung BVerwG, Urteil vom 3. 2. 1984-4 C 54.80 - BVerwGE 80, 342 ff.; Beschluss vom 16. 1. 1990-4 NB 1 /90 - NVwZ 1990, 555; VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002-13 Κ 1257/02 - GewArch 2002, 436, 437; Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 14; Sößer, in: Ernst /Zinkahn/ Bielenberg / Krautzberger (Hrsg.), BauGB, § 11 BauNVO Rn. 57, Stand Oktober 2003. 38 BVerfG, Rechtsgutachten vom 16. 6. 1964-1 PBvV 2.52 - BVerfGE 3, 407, 425; Dietrichs, Konzeption und Instrumente der Raumplanung, S. 4, 9, 16. 39 Paßlick, Ziele der Raumordnung, S. 97; Erbguth/Schoeneberg, Raumordnung und Landesplanungsrecht, Rn. 56; Erbguth, VerwArch 87 (1996), 258, 281 f.; Spiecker, Raumordnung und Private, S. 30. 40 Erbguth, VerwArch 87 (1996), 258, 281; Erbguth/Schoeneberg, Raumordnungs- und Landeplanungsrecht, Rn. 52. 4 Ernst
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung als raumordnerische Aufgabe nicht strikt voneinander trennen. Der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität besagt vielmehr nur, dass wirtschaftliche Belange betroffener Unternehmen, also hier des Einzelhandels, von vornherein nicht in die planerische Abwägung einzustellen sind. 4 1 Die Begründung, Wahrung oder Veränderung eines Wettbewerbsverhältnisses ist keine Aufgabe der Raumordnung und daher kein schützenswürdiger Belang der planerischen Abwägung 4 2 Wirtschaftliche Auswirkungen sind erst dann zu berücksichtigen, wenn sie raumordnerische Ausmaße annehmen. Wirtschaftslenkende Beeinflussung der Raumordnung kommt dann und solange in Betracht, als sie dazu dient, eine nachhaltige Raumentwicklung zu schaffen und zu sichern. Solange Handlungszweck der planenden Maßnahme Strukturplanung und Raumentwicklung ist, können damit auch wirtschaftslenkende Maßnahmen verbunden sein. Nur gezielt wettbewerbsbeeinflussende Aussagen in Raumordnungsplänen sind unzulässig 4 3 Eine solche gezielte Beeinflussung des Wettbewerbs kann den landesplanerischen Normen allerdings nicht entnommen werden. Trotz aller politischen Äußerungen zu den Factory Outlet Centern und des politischen Versuchs, die Ansiedlung dieses Betriebstyps möglichst restriktiv zu handhaben, geht es in den landesplanerischen Regelungen nicht darum, dem bestehenden (innerstädtischen) Einzelhandel Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Normzweck der landesplanerischen Standortbeschränkungen ist es, durch den Erhalt des innerstädtischen Einzelhandels seine raumordnerische Funktion der Sicherstellung einer möglichst nahen Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten 4 4 Durch die Ansiedlungsbeschränkungen sollen befürchtete Kaufkraftabzüge gemildert und so flächendeckende Geschäftsaufgaben in den Innenstädten verhindert werden. 4 5 Dies kann zwar mittelbar Wettbewerbsvorteile für den bestehenden Einzelhandel hervorrufen. Eine mittelbare Einflussnahme auf die Wettbewerbssituation durch Standortbegrenzungen ist letztlich unvermeidliche Folge jeder Planung. 4 6
41 BVerwG, Beschluss vom 16. 1. 1990-4 NB 1/90 - NVwZ 1990, 555; VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002-13 Κ 1257/02 - GewArch 2002, 436, 437. 42 BVerwG, Beschluss vom 26. 2. 1997-4 NB 5.97 - DÖV 1997, 509; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 471 m. w. N.; vgl. auch Begründung Β II zu Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP, S. 187. 43 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. 5. 1987-4 Ν 4.86 - BVerwGE 77, 308, 312, zur Frage, inwieweit mittels Bauleitplanung andere als städtebauliche Zielsetzungen verfolgt werden dürfen. 44 So ausdrücklich Begründung Β II zu Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP, S. 186 ff.; Begründung zu Ziff. 3.3.7 baden-württembergisches LEP, S. Β 37. 45 Vgl. Begründung Β II zu Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP, S. 190. 46 BVerwG, Beschluss vom 9. 11. 1979-4 Ν 1.78, 4 Ν 2-4-79 - BVerwGE 59, 87, 103; VGH Mannheim, Urteil vom 21. 5. 2001-5 S 901 /99 - vollst, zit. in JURIS.
Β. Die raumordnerische Regelung von Factory Outlet Centern
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Β. Die raumordnerische Regelung von Factory Outlet Centern I. Planungs- und wirtschaftspolitische Aussagen als Grundlage landesplanerischer Festsetzungen Die Ansiedlung von Factory Outlet Centern und die damit verbundenen wirtschaftlichen und räumlichen Auswirkungen finden seit Anfang der 1990er Jahre verstärkt Beachtung durch die Raumordnungspolitik. Die Ministerkonferenz für Raumordnung ( M K R O ) und die Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Bundesländer legten i m Jahr 1996 in einer gemeinsamen Entschließung „Innenstädte als Einzelhandelsstandorte erhalten" 4 7 fest, dass in den Raumordnungsplänen der Länder entsprechend den regionalen Siedlungsstrukturen der Länder möglichst konkret festgelegt werden sollte, welche zentrale Orte geeignete Standorte für Einzelhandelsgroßprojekte wären. Konkrete Aussagen folgten in der Entschließung der M K R O vom 3. Juni 1997 4 8 , wonach entsprechend der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung die Ansiedlung von Factory Outlet Centern auf der „grünen Wiese" und außerhalb der Großstädte bzw. Oberzentren auszuschließen sei. Dezentral gelegene Factory Outlet Center würden vor allem in den Bereichen Stadtentwicklung, Verkehr und Umwelt Probleme verursachen und mit ihrem überwiegend hochwertigen Sortiment den traditionellen innerstädtischen Einzelhandel bedrohen. Folge dieser Entwicklung wären die Verödung der Innenstädte und Vernichtung von Arbeitsplätzen. Eine gemeinsame Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Wirtschaftsministerkonferenz, der M K R O und der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Bundesländer legte am 20. Mai 1998 einen Bericht zur Ansiedlung von Factory Outlet Centern für die Besprechung des Bundeskanzlers und den Regierungschefs der Länder vor. A u f Grundlage dieses Berichts wurde eine Doppelstrategie beschlossen 49 : Danach soll die Ansiedlung von Factory Outlet Centern unter Ausschöpfung der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten restriktiv gehandhabt werden. 5 0 Die Innenstädte sollten als Standorte des mittelständischen Einzelhandels aufgeweitet und attraktiver gemacht werden. Gemeinden, die ein Factory Outlet Center ansiedeln und dadurch ihre Innenstädte gefährden, sollten zukünftig 47 GMBl. 1996, S. 668; abgedruckt auch in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 29, Stand 1997. 48 Abgedruckt in: Bielenberg /Runkel /Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 30, Stand 1999. Lediglich das Bundesland Rheinland-Pfalz hat diese Entschließung im Hinblick auf die geplante und mittlerweile vollzogene Ansiedlung des Designer Outlet Centers Zweibrücken nicht mitgetragen.
49 s. Kaune, BBauBl 1998, Heft 9, S. 10 f. 50
Ähnlich die Entschließung der MKRO vom 4. 6. 1998, abgedruckt in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 33, Stand 1999. 4*
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
keine Städtebaufördermittel mehr erhalten bzw. sollten bereits gezahlte Mittel zurückzahlen. 51 Trotz des fehlenden bindenden Charakters dieser Entschließungen als Empfehlungen und politische Absichtserklärungen 52 sind sie insoweit relevant, dass sie Hinweise für eine Ausgestaltung von Rechtsnormen den Betriebstyp Factory Outlet Center betreffend bieten. So wurden sie in der Praxis bereits teilweise in den landesplanerischen Programmen und Plänen umgesetzt. Dies ist allerdings insoweit kritisch zu sehen, als diese Aussagen auch auf handels- und mittelstandspolitische Gründe und auf die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des innerstädtischen Einzelhandels rekurrieren. 53 Mag dies auf der politischen Ebene noch zulässig sein, so hat jedenfalls ihre normative Umsetzung in der Landesplanung den verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen und insbesondere die Verteilung der Fachkompetenzen zu beachten. Demnach ist die landesplanungsrechtliche Beschränkung der Ansiedlung bestimmter Wirtschaftsunternehmen insbesondere dann ausgeschlossen, wenn sie nur aus Gründen des Wettbewerbs erfolgt, ohne dass raumordnerische Belange dies erfordern. 54
II. Einzelhandelserlasse als Handlungshinweise für die Planungspraxis Die meisten Bundesländer haben neben den landesplanerischen Programmen und Plänen Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsrichtlinien hinsichtlich der Errichtung oder Gestaltung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben und Einkaufszentren (sogenannte Einzelhandelserlasse) erlassen. 55 Sie enthalten Empfeh51 Vgl. dazu auch Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern an die Regierungen vom 26. Ol. 1999 über den Beschluss des Bayerischen Ministerrates vom 5. 5. 1998 und den Beschluss des Bayerischen Landtags vom 8. 7. 1998, LT-Drs. 13/11992, zur Rückforderung von Städtebaufördermitteln bei der Ansiedlung von Factory Outlet Center. 52 OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. 12. 1998-3 Β 116/98 - NVwZ 1999, 434; Jahn, BayVBl. 2000, 267, 271; ders., GewArch. 1997, 456, 459, 461; Hoppe, in Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 120; Battis, LKV 1999, 347, 349; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 270; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 466 Fn. 39; Maier, Factory Outlet Center, S. 77.
53 So soll beispielsweise nach einem Beschluss der Wirtschaftsministerkonferenz vom 14./15. Mai 1998 die Ansiedlung von Factory Outlet Center aus handels- und mittelstandspolitischen Gründen und zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des innerstädtischen Einzelhandels soweit als möglich restriktiv gehandhabt werden, zit. in Berichtigte Drs. des Bayerischen Landtags, 14/4335, S. 3. 54 Vgl. oben A III 2. 55 Bayern: Gemeinsame Bekanntmachung der Staatsministerien für Landesentwicklung und Umweltfragen, für Wirtschaft und Verkehr und des Inneren vom 6. 6. 1992, A11MB1. 1992, S. 645; Baden-Württemberg: Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums und des Wirtschaftsministeriums zu Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandels-
Β. Die raumordnerische Regelung von Factory Outlet Centern
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lungen und Handlungshinweise für die Planungspraxis zur Ansiedlung großflächigen Einzelhandels und erläutern die Festlegungen in den Plänen und Programmen der Landesplanung. Insbesondere enthalten sie Definitionen und Begriffsbestimmungen der Arten des großflächigen Einzelhandels im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO, wobei Factory Outlet Center explizit als eine Form des großflächigen Einzelhandels bzw. der Einkaufszentren definiert werden, Erläuterungen zu den Auswirkungen nach § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, Kaufkraftobergrenzen zur Feststellung der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des zentralörtlichen Versorgungskerns i m Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO und Sortimentsbeschreibungen. Sie sind von ihrer Rechtsnatur her als Verwaltungsvorschriften einzustufen. Dies sind solche Regelungen, die abstrakt-generell innerhalb einer Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen an nachgeordnete Behörden ergehen und dazu dienen, die Organisation und das Handeln der Verwaltung näher zu bestimmen. 5 6
1. Keine rechtliche Bindung der Träger der kommunalen Bauleitplanung Durch die Einzelhandelserlasse wird in einem erheblichen Maße auf die Entscheidungen der kommunalen Träger der Bauleitplanung bei der Aufstellung von Bauleitplänen und Ausweisung von Baugebieten zur Ansiedlung des großflächigen Einzelhandels Einfluss genommen. Eine rechtliche Bindungswirkung für die kombetrieben und sonstigen Handelsbetrieben vom 21. 2. 2001, Az: 6-2500.4/7; MecklenburgVorpommern: Erlass des Ministeriums für Bau, Landesentwicklung und Umwelt vom 4. 7. 1995, ABl. 1995, S. 607; Thüringen: Gemeinsame Richtlinie des Thüringischen Ministeriums für Umwelt und Landesplanung, des Thüringischen Innenministeriums und des Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr vom 1. 7. 1992, StAnz 1992, S. 1401; RheinlandPfalz: Verwaltungsvorschrift der Staatskanzlei sowie des Finanz- und Wirtschaftsministeriums zur „Errichtung und Erweiterung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben" vom 9. 7. 1996, MB1. 1996, S. 367; Hessen: Erlass des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 20. 1. 2003, Neufassung Mai 2005, StAnz. Nr. 5/2003, S. 453 mit Ergänzung im StAnz. Nr. 18/2003, S. 1596; Schleswig-Holstein: Gemeinsamer Beratungserlass des Innenministeriums, der Ministerpräsidentin und der Landesplanungsbehörde vom 1. 8. 1994, ABl. 1994, S. 410; Sachsen-Anhalt: Richtlinie zur Burteilung von geplanten Einzelhandel sgroßprojekten im Land Sachsen-Anhalt, Gemeinsamer Runderlass des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt, des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit und des Ministeriums für Bau und Verkehr vom 22. 10. 1998, MB1. 1998, S. 2217. 56 BVerfG, Beschluss vom 31. 5. 1988- 1 BvR 520/83 - BVerfGE 78, 214, 227; Lange in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Reform der Allgemeinen Verwaltungsrechts, 5. 307 ff.; Rogmann, Die Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, S. 53; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 1; Wolff 7Bachof7Stober, Allgemeines Verwaltungsrecht I, § 24 Rn. 24; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 1 Rn. 192; Stern, Staatsrecht II, S. 654; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 31; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 84 Rn. 97, Stand 24. Lieferung.
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munalen Träger der Bauleitplanung besteht trotz des Wortlauts einiger Erlasse 57 jedoch nicht. 5 8 Der Erlass von Verwaltungsvorschriften beruht auf der Weisungskompetenz der vorgesetzten Instanz und begründet eine Verbindlichkeit gegenüber den nachgeordneten Behörden. 5 9 Die Bindungswirkung besteht daher grundsätzlich nur innerhalb eines Behördenträgers. 60 Eine darüber hinausgehende Bindung anderer Behördenträger kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn dies beispielsweise durch eine Rechtsnorm vorgegeben ist oder ein Aufgabenkreis i m Rahmen der Fachaufsicht gegeben ist. So ermöglichen beispielsweise Art. 84 Abs. 2 und 85 Abs. 2 GG eine Bindung von Landesbehörden an Verwaltungs Vorschriften der Bundesregierung, obwohl diese der Bundesregierung oder den Bundesbehörden nicht nachgeordnet sind. 6 1 Des Weiteren wird eine Bindung der Gemeinden durch staatliche Verwaltungsvorschriften angenommen, wenn diese als „verlängerter A r m des Staates'4 Aufgaben i m übertragenen Wirkungskreis wahrnehmen. 62 Die Rechtsprechung dehnt die Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften vor allem i m Bereich des technischen Sicherheitsrechts und im Umweltrecht weiter aus. Den im Immissionsschutzrecht maßgeblichen TA Luft und TA Lärm komme als „normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften" Bindungswirkung für die Rechtsanwender und Anlagenbetreiber z u . 6 3 Dies gelte jedenfalls solange, als die in den Verwaltungsvorschriften getroffenen Wertungen mit den neueren Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik noch übereinstimmen. Die erhöhte Beachtlichkeit, 57 Vgl. Ziff. 1.2 des Einzelhandelserlasses des Landes Bayern; Ziff. 1.1 des Einzelhandelserlasses des Landes Mecklenburg-Vorpommern; Ziff. 2 des Einzelhandelserlasses des Landes Thüringen. Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Centern, S. 108; Kniep, GewArch. 1985, 89, 90; a.A. ohne Begründung Leder, Ansiedlung von Einkaufszentren, S. 78. 59 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 1; Rogmann, Die Bindungswirkung von Verwaltungs Vorschriften, S. 54. 60 Zur Problematik der Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften s. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 42 ff.; Wolff /Bachof/Stober, Allgemeines Verwaltungsrecht I, § 24 Rn. 27 ff. 61
Zu den formellen Voraussetzungen BVerfG, Beschluss vom 2. 3. 1999-2 BvF 1/94 BVerfGE 100, 249, 258 ff.; vgl. auch Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 84 Rn. 22 ff. und Art. 85 Rn. 11 ff. 62 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 18. « BVerwG, Urteil vom 19. 12. 1985-7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300, 320 f.: atomrechtliche Genehmigung („Wyhl"); Beschluss vom 15. 12. 1988-4 Β 219/87 - NVwZ 1988, 824, 825: TA Luft; Urteil vom 28. 10. 1998-8 C 16.96 - BVerwGE 107, 338, 340 ff.: RahmenAbwasser-VwV; Urteil vom 20. 12. 1999-7 C 15.98 - BVerwGE 110, 216 218: TA Luft; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. 2. 1985-7 Β 64/84 - NVwZ 1985, 357; OVG Münster, Urteil vom 7. 6. 1990-20 AK 25/87 -NVwZ 1991, 1200; VGH Mannheim, Beschluss vom 29. 6. 1994-10 S 2510/93 -NVwZ 1995, 292, 294; BayVGH, Urteil vom 20. 7. 1994-20 A 92.40087 u. a. - NVwZ 1996, 284, 294: jeweils zu TA Luft. Zur Problematik auch Müller, Die TA-Lärm als Rechtsproblem, S. 52 ff.; Hill, NVwZ 1989, 401 ff.; Di Fabio, DVB1. 1992, 1338 ff.
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die den Technischen Anleitungen zukommt, rechtfertigt sich daraus, dass es sich dabei nicht nur um Sachverständigenaussagen handelt, sondern dass sie darüber hinaus Elemente politischer Bewertungen enthalten, die über eine bloß empirische Betrachtung von Ursache-Wirkung-Beziehung hinausgehen. Der Exekutive wird demnach ein Beurteilungsspielraum bei der Standardisierung eingeräumt, der zu einer gewissen Bindungswirkung sowohl des Normunterworfenen als auch der Gerichte führt. 6 4 Da die Einzelhandelserlasse größtenteils von Landesministerien als Teil der unmittelbaren Staatsverwaltung erlassen werden, können sie Behörden nur insoweit binden, als diese selbst Teil der unmittelbaren Staatsverwaltung sind. Die Gemeinden als eigenständige öffentlich-rechtliche Körperschaften sind nicht Teil der unmittelbaren Staatsverwaltung, als Träger der kommunalen Bauleitplanung handeln sie im Rahmen ihres in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts. 65 Etwas anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn die Gemeinden Aufgaben i m übertragenen Wirkungskreis wahrnehmen, die einer staatlichen Fachaufsicht unterliegen oder eine Rechtsnorm den Erlass weitergehender Verwaltungsvorschriften vorsieht, was jedoch vorliegend nicht der Fall ist. Letzteres wäre zudem wegen des vertikalen Gewaltenteilungsprinzips fraglich und am Inhalt des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu messen. Die Rechtsprechung zur ΒindungsWirkung der Technischen Anleitungen ist nicht auf diese Fallgestaltungen anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen diese eine Ausnahme zu den sonst geltenden Grundsätzen zur Frage der Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften dar. 6 6 Ein besonderer (wissenschaftlich-technischer) Sachverstand, wie er den Technischen Anleitungen und ähnlichen Verwaltungsvorschriften eigen ist, ist vorliegend weder erforderlich noch gegeben. Zwar finden sich auch in den Einzelhandelserlassen politische Wertungen gerade i m Hinblick auf den großflächigen Einzelhandel. 67 Ein behördlicher Beurteilungsspielraum der erlassenden Behörden, wie ihn die Ermächtigung des § 48 BImSchG der Exekutive einräumt, ist hier nicht gegeben. Die Einzelhandelserlasse haben trotz dieser fehlenden Β indungs Wirkung eine große praktische Bedeutung für die kommunale Bauleitplanung. Als Verwaltungsinnenrecht können sie je nach Ausgestaltung für die jeweiligen Landes- und Regio64 OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. 2. 1985-7 Β 64/84 - DVBl. 1985, 1322, 1323; Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 181 65 Aus diesem Grund eine Bindungswirkung zu Recht ablehnend Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 258; a.A. Bönker, BauR 1999, 328, 332, der aus der Rechtsnatur der Einzelhandelserlasse als Verwaltungsinnenrecht eine Bindungswirkung annimmt. 66 BVerwG, Urteil vom 28. 10. 1998-8 C 16.96- BVerwGE 107, 338, 340. 67 Vgl. Ziff. 1.1 des Einzelhandelserlasses des Landes Bayern; Ziff. 1 des Einzelhandelserlasses des Landes Thüringen; Ziff. 1 des Einzelhandelserlasses des Landes Baden-Württemberg.
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nalplanungsbehörden eine rechtliche Bindung entfalten. Hält eine planende Gemeinde die Aussagen eines Einzelhandelserlasses nicht ein, fordert sie planerische Aufsichtsmaßnahmen der gebundenen Planungsbehörden heraus. 68
2. Keine rechtliche Bindung privater Unternehmen Als reines Verwaltungsinnenrecht haben die Einzelhandelserlasse grundsätzlich auch keine rechtliche ΒindungsWirkung nach außen im Verhältnis zum Bürger. 6 9 Private Unternehmen sind auch nicht Adressat der Einzelhandelserlasse. Die in den Einzelhandelserlassen enthaltenen Handlungshinweise an die Planungspraxis für die Ausweisung und Genehmigung von Einzelhandelsgroßprojekten regeln gerade aber auch das außengerichtete Verhalten der Verwaltung. Berücksichtigen die Adressaten der Einzelhandelserlasse, insbesondere die Baugenehmigungsbehörden und die Träger der Bauleitplanung hinsichtlich der Ausweisung entsprechender Baugebiete die darin enthaltenen Feststellungen, so werden die Verwaltungs Vorschriften auch privaten Unternehmen gegenüber relevant. Sie können daher faktische Außenwirkung erlangen, wenn und soweit die Behörden von den Festlegungen in den Einzelhandelserlassen Gebrauch machen. Eine rechtliche Wirkung im Verhältnis zu privaten Unternehmen kann daraus jedoch nicht gefolgert werden. 7 0 Eine rechtliche Betroffenheit entsteht erst durch deren Anwendung, gegen die sich das betroffene Unternehmen wenden kann.
I I I . Landesplanerische Festsetzungen zu Factory Outlet Centern 1. Bestehende Regelungen in Plänen und Programmen Die meisten Pläne und Programme der Landesplanung enthalten - fast identische - Aussagen über die Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben. 71 Die Festsetzungen sind nahezu in allen Plänen und Programmen als „Ziele der Raumordung" i m Sinne von § 3 Nr. 2 ROG bezeichnet, wobei regelmäßig auf die Figur der Soll- bzw. In-der-Regel-Ziele 72 zurückgegriffen wird. Factory Outlet 68
Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Centern, S. 108. Zu einer möglichen Außenwirkung, ggf. über Art. 3 GG Ossenbiihl, in: Erichsen/Ehlers, § 6 Rn. 42 ff.; Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 24 Rn. 27 ff. 7 0 Zum Verhältnis von Verwaltungsvorschriften mit Außenwirkung und den Freiheitsgrundrechten Hill, NVwZ 1989, 401, 407 f. 71 Vgl. beispielsweise Ziff. 1.2.1.5 des bayerischen Landesentwicklungsprogramms vom 1. 4. 2003, GVB1. 7/2003, S. 173; Ziff. 4.1.2 des hessischen Landesentwicklungsplans 2000 i.d.F.v. 12. 1. 2003, GVB1. 2003 I, S. 62; Ziff. 7.5 des schleswig-holsteinischen Landesraumordnungsplans, ABl. Schl.-H. 1998, S. 493. 69
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Center werden nur vereinzelt explizit geregelt. 73 Soweit ausdrückliche Regelungen zu Factory Outlet Centern fehlen, werden die Vorgaben für Einzelhandelsgroßprojekte darauf übertragen. 74 Maßstab für die Ausweisung ist nach den landesplanerischen Festlegungen das zentralörtliche Gliederungssystem. Sie folgen insoweit dem Grundsatz in § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG bzw. den einschlägigen Normen in den Landesplanungsgesetzen der Länder (z. B. Art. 2 Nr. 3 bayLPIG), wonach sich die raumordnerische Entwicklung auf ein System zentraler Orte auszurichten habe. Einzelhandelsgroßprojekte sollen sich in das zentralörtliche Versorgungssystem einordnen (Kongruenzgebot). Das Vorhaben soll nach Umfang und Zweckbestimmung der räumlich-funktionell zugeordneten Versorgungsaufgabe der jeweiligen Zentralitätsstufe des Ansiedlungsstandortes entsprechen. Einzelhandelsgroßprojekte dürfen daher, auch wenn sie in zentralen Orten angesiedelt werden, nicht von beliebiger Größe sein. Nach dem baden-württembergischen LEP und dem thüringischen LEP sind Factory Outlet Center sogar nur in Oberzentren anzusiedeln. 75 Die Beschränkung der Ausweisung durch Anbindung an Orte bestimmter Zentralitätsstufen hat zur Folge, dass Einzelhandelsgroßprojekte und Factory Outlet Center nur noch an wenigen Standorten angesiedelt werden können und somit die freie Standortbestimmung durch die privaten Unternehmen erheblich eingeschränkt wird. Ferner darf das Vorhaben das städtebauliche Gefüge und die Funktionsfähigkeit des zentralörtlichen Versorgungskerns und die verbrauchernahe Versorgung in seinem Einzugsbereich nicht beeinträchtigen (Beeinträchtigungsverbot). So bestimmt beispielsweise Ziff. 1.2.1.2 des bayerischen LEP, dass die Funktionsfähigkeit der zentralen Orte i m Einzugsbereich von Einzelhandelsgroßprojekten nicht wesentlich beeinträchtigt werden soll. Ähnlich ist Ziff. 7.5 des schleswig-holsteinischen Landesraumordnungsplans formuliert, wonach großflächige Einzelhandelsvorhaben „ wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Zentralität nur in zentralen Orten vorgesehen oder diesen so zugeordnet werden, dass eine wesentliche Beein72
Zur Figur der Soll- und In-der-Regel-Ziele im Folgenden. 3 Ziff. 3.3.7 ff. des baden-württembergischen Landesentwicklungsprogramms, VB1. 2003, S. 385; Ziff. 3.2.1 ff. des thüringischen Landesentwicklungsplans 2004, Anhang zur Verordnung über den Landesentwicklungsplan vom 6. 10. 2004, GVBl. 2004, 754; Ziff. 4.3.2 des Entwurfs des Raumentwicklungsprogramms Mecklenburg-Vorpommern, zum Aufstellungsverfahren vgl. die Dokumentation unter www.am.mv-regierung.de, Stand 6. 6. 2005. 7
74 Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Center, S. 105; Jahn, GewArch 1997,456, 459. 75 Begründet wird diese Ausweisungsbeschränkung damit, dass die zumeist periphere Standortwahl, die überdimensionale Größe, das hochwertige, überwiegend innenstadtrelevante Sortimentsangebot sowie der über den Versorgungsbereich der Mittelzentren hinausgehende Einzugsbereich eines Factory Outlet Centers erhebliche raumordnerische Auswirkungen bezüglich weiterer Bodenversiegelung, Zersiedelung und Verkehrsbelastung in den Außenbereichen der zentralen Orte erwarten lasse, Begründung zu Ziel 3.2.1 thüringischer LEP; Begründung zu Ziel 3.3.7 baden-württembergisches LEP.
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trächtigung der Funktionsfähigkeit bestehender oder geplanter Versorgungszentren vermieden wird". 76 Auch dies ist Ausprägung der Aus Weisungsbeschränkung auf Orte bestimmter Zentralitätsstufen. Das Beeinträchtigungsverbot wird flankiert vom Integrationsgebot (vgl. dazu beispielsweise Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP, Ziff. 3.3.7.2 baden-württembergisches LEP). Das Integrationsgebot ist Ausprägung des raumplanerischen Gedankens der klassischen „europäischen Stadt", nach dem die Innenstadt trotz Tendenzen der Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben in peripheren Lagen oder auf der „grünen Wiese" der zentrale Versorgungsstandort darstelle. 7 7 Die Vitalität der Innenstadt trage wesentlich zur Funktionsfähigkeit des gesamten zentralen Ortes bei. Einzelhandelsgroßprojekte könnten durch ihre Größe, ihr Angebot und durch ihre Anziehungskraft auf andere Betriebe und den Wohnungsbau selbst eine zentrumsbildende Funktion einnehmen. Dies könnte die innerstädtischen Zentren schwächen und zu einer Beeinträchtigung der Versorgungsfunktion der Innenstadt der Standortgemeinde und der umliegenden zentralen Orte führen. Nicht auszuschließen sei die Gefahr, dass großflächiger Einzelhandel - je nach seiner Ausgestaltung - die Magnetfunktion der Innenstadt übernimmt und es so zu einer städtebaulich oder landesplanerisch nicht erwünschten Zentrenverschiebung kommt. Als zentraler Prüfungsmaßstab zur landesplanerischen Einordnung eines Einzelhandelsgroßbetriebes dient in einer Mehrzahl der landesplanerischen Pläne und Programme der zu erwartende Kaufkraftabfluss, den das Vorhaben auf den bereits bestehenden innerstädtischen Einzelhandel ausübt. Begründet wird dies damit, dass die Ansiedlung neuer attraktiver Einzelhandelbetriebe nur im geringen Umfang neue Kaufkraft erzeuge, sondern vielmehr zu Kaufkraftumverteilungen führe. Dieser Effekt könne zu Geschäftsaufgaben führen und so die verbrauchernahe Versorgung beeinträchtigen und die Funktionsfähigkeit der zentralen Orte i m Einzugsbereich des Vorhabens gefährden. 78 Konkrete Zielaussagen zum Kaufkraftabzug enthält dabei das bayerische LEP. Dieses unterscheidet in Ziel 1.2.1.5 zwischen Warensortimenten und Ansiedlungsstandorten und legt differenzierte Kaufkraftobergrenzen fest. Danach gilt für die in Factory Outlet Centern maßgeblich angebotenen Waren (innenstadtrelevantes Sortiment von Waren des sonstigen Bedarfs) eine Kaufkraftobergrenze von 30 v.H. für die ersten 100.000 Einwohner und von 15 v.H. für die 100.000 übersteigenden Einwohner, in den Oberzentren München, Nürnberg, Augsburg und Würzburg von höchstens 10.v.H. Nach Ziff. 3.2.2.3 des 76
Vgl. auch die Zielvorgaben im hessischen LEP; Ziff. 3.2.4 thüringischer LEP. Vgl. Beschluss der MKRO „Zu Hersteller-Direktverkaufszentren" vom 4. 6. 1998, abgedruckt in Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 33, Ziff. IV 16, Stand 1999; Entschließung der MKRO „Leitlinien zur Anwendung des Zentralen-Orte-Konzepts als Instrument einer nachhaltigen Raumentwicklung" vom 3. 12. 2001, Ziff 1; BBE/EconConsult, Regionales Einzelhandelskonzept OWL, S. 9. 78 Begründung zu den Zielen 3.3.7.1 bis 3.3.7.3 baden-württembergisches LEP; Begründung zu Ziel 1.0.8 LEP des engeren Verflechtungsraums Berlin-Brandenburg; Ziel 1.2.1.5 Abs. 2 bayerisches LEP; Begründung zu Ziel LEP II 1. 4. 12.5 sächsisches LEP; ähnlich auch Ziff. 2.3.2 Buchst, c des Einzelhandelserlasses Hessen. 77
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Einzelhandelserlasses des Landes Baden-Württemberg gilt als Anhaltswert ein Umsatzverlust von ca. 10 v.H. bei Zentren- oder nahversorgungsrelevanten Sortimenten. Dies gilt auch für die Ansiedlung von Factory Outlet Centern, obwohl diese nach dem baden-württembergischen LEP generell nur an Oberzentren auszuweisen sind. Die Kaufkraftobergrenze kann insoweit Auswirkungen auf die Größe des Vorhabens haben.
2. Die Zulässigkeit landesplanerischer Feststetzungen als Soll- und In-der-Regel-Ziele Die Besonderheit von landesplanerischen Festlegungen im Hinblick auf Factory Outlet Center oder Einzelhandelsgroßprojekte besteht vielfach darin, dass diese, wie z. B. in Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP, als Sollziele bzw. In-der-Regel-Ziele formuliert sind. Die Intention des jeweiligen Plangebers ist darauf gerichtet, diese Vorgaben als Ziele der Raumordnung gem. § 3 Nr. 2 ROG gelten zu lassen. 79 Ob eine raumordnerische Vorgabe die Qualität eines Ziels hat, hängt nicht nur von der Bezeichnung durch den Planungsträger ab, sondern richtet sich nach dem materiellen Gehalt der Planaussage selbst. 80 Die Bezeichnung durch den Planungsträger stellt lediglich ein Indiz dar. Nur wenn eine planerische Regelung die begrifflichen Voraussetzungen, die in § 3 Nr. 2 ROG umschrieben sind, erfüllt, entsteht kraft der materiellen Aussage ein Ziel der Raumordnung. Ist der Tatbestand des § 3 Nr. 2 ROG nicht erfüllt, so ist die Planaussage nicht geeignet, die Wirkungen eines Ziels der Raumordnung zu entfalten. Ob landesplanerische Festsetzungen als Ziele der Raumordnung oder „nur" als Grundsätze oder sonstige Erfordernisse der Raumordnung i m Sinne von § 3 Nr. 3 und 4 ROG einzuordnen sind, ist maßgeblich für die sich daraus ergebene Bindungswirkung. Ziele der Raumordnung sind nach der Legaldefinition in § 3 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten und bestimmbaren, abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in den Raumordnungsplänen. Der Gesetzgeber grenzt mit dieser Definition die Ziele von den Grundsätzen der Raumordnung ab, die nach § 3 Nr. 3 ROG als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen zu dienen bestimmt sind. Soweit er in diesem Zusammenhang maßgeblich auf das Unterscheidungsmerkmal der abschließenden Abwägung abhebt, bringt er zum Ausdruck, dass die Ziele als landesplanerische Letztentscheidungen anders als die Grundsätze der Raumordnung nicht i m Wege der Abwägung überwindbar sind. 8 1 Sie können auf den nachfolgenden Planungs- bzw. Genehmigungsebenen nicht mehr mit anderen Erfordernissen der Raumordnung bzw. kollidierenden öffentli79 Goppel, BayVBl. 1998, 289, 291 f. so BVerwG, Beschluss vom 15. 4. 2003-4 BN 25/03 - BauR 2004, 285; Hoppe, DVBl. 2001, 81, 86; Goppel, BayVBl. 1999, 322. 8i BVerwG, Beschluss vom 20.8. 1992-4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329.
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chen und privaten Interessen abgewogen werden. Sie sind insoweit abwägungsfest. Die Grundsätze und sonstige Erfordernisse sind dagegen nach § 4 Abs. 2 ROG von ihren Adressaten in der Abwägung oder bei der Ermessensausübung lediglich „zu berücksichtigen". Sie können von den nachfolgenden Planungs- und Genehmigungsträgern aufgrund auf diesen Ebenen gewichtigeren Belangen „weggewogen werden". 8 2
a) Die Frage der Zulässigkeit von Sollzielen in Rechtsprechung und Literatur Die Zulässigkeit von Soll- und In-der-Regel-Zielen ist vor allem in der Literatur umstritten. Ein Teil lehnt solche Formulierungen als zulässige raumordnerische Zielaussage ab. 8 3 Sie seien grundsätzlich nicht als bindende Ziele der Raumordnung, sondern lediglich als Abwägungsdirektiven zu qualifizieren. Die Annahme einer ΒindungsWirkung von Sollbestimmungen widerspreche der Wertung des Gesetzgebers, der unter Zielen der Raumordnung gesetzliche Anpassungspflichten begründende Handlungsanweisungen mit Letztentscheidungscharakter verstehe. 84 Dies zeige sich auch i m Wortlaut des § 3 Nr. 2 ROG. Danach stellen die Ziele der Raumordnung eine landesplanerische Letztentscheidung mit der in § 4 ROG genannten Β indungs Wirkung für die Adressaten dar. Anders als bei den abwägungserheblichen Grundsätzen, die Abwägungsdirektiven sind, müssten bei den Raumordnungszielen eventuell bestehende Konflikte - überörtlich und überfachlich ausgetragen und bereinigt sein. Als landesplanerische Letztentscheidung seien die Raumordnungsziele ihrer Natur nach so beschaffen, dass sie nicht mehr mit anderen Zielen in Konflikt stehen würden und stehen könnten und keinen Raum für Ermessenserwägungen belassen würden. 8 5 Von Plänen sei zudem ein höherer Grad an detaillierten Festlegungen zu erwarten als von Rechtsnormen, da letztere in weit größerem Maße abstrakte und generalisierende Bestimmungen treffen müssen. 86 Zwar könnten Ziele insoweit offen gestaltet sein, dass sie einer Ausdifferenzierung und Verfeinerung auf den nachgeordneten Planungsebenen zugänglich seien, eine 82 Spannowsky, UPR 1999, 241, 244; Hoppe, DVB1. 1999, 1457, 1458. 83 Hoppe, DVB1. 2001, 81, 88 f.; ders., NWVB1. 1998, 461; ders., BayVBl. 2002, 129, 131 ff.; ders., BayVBl. 2002, 754 f.; ders., DVB1. 2004, 478 ff.; Erbguth, LKV 1994, 89, 92; Jahn, BayVBl. 1989, 294, 296; ders., Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 87 ff.; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 342 Fn. 54; Schroeder, UPR 2000, 52, 54; Spoerr, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 343, 351; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 261 ff.; Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Centern, S. 111; kritisch auch Runkel, in: Bielenberg /Runkel /Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 26 f., Stand 1998 84 Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 262. 85 Hoppe, BayVBl. 2002, 129; ders. DVB1. 2001, 81, 82 unter Berufung auf BVerwG, Urteil vom 20. 8. 1992-4 NB 20.91 - , BVerwGE 90, 329 ff. 86 Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 26 f., Stand 1998, der jedoch im Ergebnis Sollziele wohl für zulässig hält.
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Abwägungsermächtigung ergebe sich jedoch nicht. 8 7 Das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit erfordere zudem, dass die Ziele so bestimmt seien, dass für den Adressaten erkennbar sei, was i m Einzelnen Gegenstand der sie betreffenden Beachtens- bzw. Anpassungspflicht sei. 8 8 Dies sei bei Soll- bzw. In-der-Regel-Bestimmungen nicht in hinreichenden Maße gegeben. 89 Die Formulierung eines Ziels mit Abweichungsvorbehalt könne nicht diese Verbindlichkeit vermitteln, die in § 3 Nr. 2 ROG als wesentliches Begriffsmerkmal aufgeführt und als Zielvoraussetzung gefordert werde. 9 0 Die zielinterne Zulassung einer Abweichung vom Ziel führe zudem zu einer Verlagerung der landesplanerischen Abwägungsentscheidung auf die untergeordneten Planungsebenen, insbesondere auf die Ebene der Bauleitplanung. Die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung und der Charakter als landesplanerische Letztentscheidung stünden einer solchen Entscheidungsverlagerung entgegen. 91 Auch die gesetzliche Ausgestaltung des Zielabweichungsverfahrens in § 11 ROG spreche gegen die Annahme von Sollzielen. Dieses setze ein besonderes Verfahren einer für Raumordnung zuständigen Stelle voraus und ist an gesetzlich bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen gebunden. Die Zulassung von Sollzielen würde dem zuwiderlaufen. 9 2 Sollformulierungen wären daher als Grundsätze der Raumordnung zu qualifizieren. Nach anderer Auffassung in Literatur, Rechtsprechung und mittlerweile auch nach einzelnen Landesgesetzgebern wird der Verbindlichkeitsausspruch einer Zielaussage durch die Formulierung einer Sollbestimmung nicht in Frage gestellt. 9 3 Sollvorschriften sollen demnach ebenso verbindlich sein wie Mussvorschriften, solange nicht atypische Umstände vorliegen, die i m Einzelfall ein Abweichen von 8v Hoppe, DVBl. 2001, 81, 82; ders., NWVB1. 1998, 461, 464. 88 Hoppe, BayVBl. 2002, 129. 89 Hoppe, BayVBl. 2002, 129, 132. 90 Hoppe, DVBl. 2001, 81, 88; ders., NWVB1. 1998, 464 f.; Runkel, in: Bielenberg/Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 26, Stand 1998. 91 Hoppe, NWVB1. 1998, 461, 465; zustimmend Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 262. 92 In diese Richtung auch Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 26, Stand 1998. 93 Grundsätzlich BVerwG, Urteil vom 18. 9. 2003-4 CN 20.02 - BVerwGE 119, 54 ff.; OVG Münster, Urteil vom 11. 1. 1999-7 A 2377/96 - BauR 2000, 62, 70; OVG Bautzen, Urteil vom 26. 5. 1993-1 S 68/93 - LKV 1994, 116, 117; OVG Lüneburg, Urteil vom 16. 6. 1982-1 A 194/80 - NJW 1984, 1776; BayVGH, Urteil vom 25. 11. 1991-14 Β 89.3207 - BayVBl. 1992, 529; VG Ansbach, Urteil vom 2. 11. 1983-9 Κ 83 A.114 BayVBl 1984, 602, 603; Goppel, BayVBl. 1998, 289, 291; ders., BayVBl. 2002, 449 ff.; Hendler, UPR 2003, 256 ff.; ders, in: Koch/Hendler, Raumordnungsrecht, § 3 Rn. 54; von der Heide, in: Cholewa u. a. (Hrsg.), ROG, § 3 Rn. 24 d; Heibig, BayVBl. 1982, 713, 714 f.; Bönker, BauR 1999, 328, 332; Paßlick, Ziele der Raumordnung, S. 111; Folkerts, Raumordnungsziele im Ländervergleich, S. 63; Spannowsky, UPR 2003, 248, 249 f.; ders., in: Spannowsky / Krämer (Hrsg.), Großflächiger Einzelhandel, S. 35, 39, 46 f.; Spiecker, Raumordnung und Private, S. 91; offengelassen BVerwG, Beschluss vom 15. 4. 2003-4 BN 25/03 BauR 2004, 285.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
der Regel ausnahmsweise rechtfertigen. 94 Die Zulässigkeit von Sollzielen wird damit begründet, dass ansonsten der Gestaltungsspielraum des landesplanerischen Normgebers auf Muss Vorschriften ohne jegliche Abweichungsmöglichkeit und auf Grundsätzen der Raumordnung beschränkt wäre. Dies würde Differenzierungsmöglichkeiten und Kompromisslösungen i m politischen Zielfindungsprozess erheblich einschränken. 95 Es würde viel häufiger die Notwendigkeit eines Zielabweichungsverfahrens entstehen, da der Wandel der Rahmenbedingungen angesichts der Langwierigkeit der Planaufstellungsverfahren auf der Ebene der Landesplanung ein erhöhtes Anpassungsbedürfnis bei strikter Fassung der Zielfestlegung zur Folge habe. 9 6 Sollziele würden daher eine Art „Ventil" für unvorhergesehene, atypische Fälle darstellen. 97 Eine Abweichung von einem konkreten Ziel komme dabei nicht stets in Betracht, sondern sei lediglich in atypischen Einzelfällen zuzulassen, die vom Normgeber nicht vorhergesehen werden konnten und daher nicht von der Ratio des Ziels erfasst seien. 98 Dem stehe auch nicht die gesetzliche Festlegung eines Zielabweichungsverfahrens nach § 11 ROG entgegen. Vielmehr sei es eine Frage der „Planungsphilosophie", Ziele der Raumordnung ganz stringent zu fassen und somit i m Einzelfall eines Korrektivs der (Ziel)abweichung zu bedürfen oder Ziele weniger streng zu formulieren und den atypischen Fall durch eine entsprechende Fassung des Ziels bereits mitzuerfassen. 99 Der bayerische Gesetzgeber hat ausdrücklich in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 bayLPIG festgelegt, dass textliche Ziele grundsätzlich als Soll-Vorschriften formuliert werden sollen. 1 0 0 Damit soll bei der Anwendung von raumordnerischen Zielen gewährleistete werden, erforderlichenfalls auch dem atypischen Einzelfall gerecht werden zu können. 1 0 1
b) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Re gel-Ausnahme-Tatbeständen Urteil vom 18. September 2003, Az: 4 CN 20/02 In seiner Entscheidung vom 18. September 2003 hat das Bundesverwaltungsgericht zur Zielqualität von Regel-Ausnahme-Tatbeständen Stellung genom94 BVerwG, Urteil vom 8. 9. 1972 - IV C 17.71 - DVB1. 1973, 35, 37 m. w. N. 95 Spannowsky, UPR 2003, 248, 249. 96 Spannowsky, UPR 2003, 248, 250, ähnlich auch Goppel, BayVBl. 1998, 289, 292. 97 Goppel, BayVBl. 1998, 289, 292; krit. dazu Manssen, BayVBl. 2005, 485, 487. 98 Spiecker, Raumordnung und Private, S. 91; Goppel, BayVBl. 1998, 289, 292. 99 Goppel, BayVBl. 1998, 289, 292; ähnlich auch Hendler, UPR 2003, 256, 260, der zwischen „harten" Zielen, von denen nur mittels Zielabweichungsverfahren abgewichen werden kann, und „weichen" Zielen unterscheidet. 100 GVB1. 2004, S. 521 ff. Das neue Bayerische Landesplanungsgesetz trat mit Ausnahme von Art. 7 Abs. 4 Satz 1 am 1. 1. 2005 in Kraft (Art. 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 bayLPIG). Kritisch zu dieser Neuregelung Hoppe, BayVBl. 2005, 356, 359 f. 101
Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung, LT-Drs. 15/1667 vom 22. 9. 2004, C zu Art. 3 (Ziele der Raumordnung), S. 16.
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m e n . 1 0 2 Danach können landesplanerische Aussagen, die eine Regel-AusnahmeStruktur aufweisen, die Merkmale eines Ziels der Raumordnung erfüllen, wenn der Planungsträger neben den Regel- auch die Ausnahmevoraussetzungen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit selbst festlegt. In der Entscheidung hatte das Bundesverwaltungsgericht u. a. über einen Plansatz in einem regionalen Raumordnungsplan, welcher mittels Zielfestlegung Vorranggebiete für die Landwirtschaft festlegte, zu befinden. Ziff. 5.1.3 des Regionalplans enthielt eine Ausnahmeregelung, dass die Vorranggebiete nur in unabweisbaren Fällen anderweitig in Anspruch genommen werden. Zu dieser Ausnahme enthielt der Regionalplan folgende Maßgabe: „Bei allen raumbedeutsamen Maßnahmen ist darauf zu achten, dass sowohl die natürliche Eignungsgrundlage dieser Gebiete als auch deren wirtschaftliche Nutzbarkeit erhalten bleibe bzw. nach Möglichkeit verbessert wird. Die Siedlungstätigkeit hat sich den Erfordernissen der Land- und Forstwirtschaft anzupassen." Nach Auffassung der Vorinstanz spreche die Konzeption als Regel-Ausnahme-Tatbestand gegen die Annahme einer Zielfestlegung. 1 0 3 Dem trat das Bundesverwaltungsgericht entgegen. Einer Regel-Ausnahme-Bestimmung könne nicht ohne weiteres Zielcharakter abgesprochen werden. Vielmehr wären die Merkmale des § 3 Nr. 2 ROG auch in einem solchen Fall erfüllt, wenn der Plangeber neben den Regel- auch die Ausnahmevoraussetzungen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit oder doch wenigstens Bestimmbarkeit selbst festlegt. In einem solchen Fall handele es sich um verbindliche Aussagen, die nach Maßgabe ihrer - beschränkten - Reichweite der planerischen Disposition nachgeordneter Planungsträger entzogen sei. Eine etwaige Zielqualität werde nicht dadurch notwendig in Frage gestellt, dass der Plangeber der in der Zielfestlegung bestimmten Nutzung durch die Formulierung eines Regel-Ausnahme-Tatbestandes selbst keinen absoluten Vorrang einräumt. Dem für eine Zielfestlegung charakteristischen Erfordernis abschließender Abwägung sei genügt, wenn die Planaussage auf der landesplanerischen Ebene keiner Ergänzung mehr bedarf. Dies sei nicht gleichbedeutend mit einem Höchstmaß an Stringenz. Der Plangeber könne es, je nach den planerischen Bedürfnissen, damit bewenden lassen, bei der Formulierung des Planungsziels Zurückhaltung zu üben und damit den planerischen Spielraum der nachfolgenden Planungsebene zu schonen. Von einer Zielfestlegung könne nur dann keine Rede mehr sein, wenn die Planaussage eine so geringe Dichte aufweist, dass sie die abschließende Abwägung noch nicht vorwegnimmt, sondern der Adressat die Möglichkeit einer eigenen Abwägungsentscheidung erhält. Macht der Plangeber dagegen von der Möglichkeit Gebrauch, den Verbindlichkeitsanspruch seiner Planungsaussage dadurch zu relativieren, dass er selbst Ausnahmen formuliert, werde damit nicht ohne weiteres die abschließende Abwägung auf eine andere Stelle verlagert.
102 BVerwGE 119, 54 ff.; vorgehend OVG Koblenz, Urteil vom 17. April 2002-8 C 10908/01 - z i t . in JURIS. 103 OVG Koblenz, Urteil vom 17. April 2002-8 C 10908/01 - zit. in JURIS.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern c) Stellungnahme
Der Formulierung von Sollzielen kann jedenfalls nicht entgegengehalten werden, dass diese dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit entgegenstehen würde. Ziele der Raumordnung sind wie jede andere Rechtsnorm dem Bestimmtheitsgebot unterworfen. 1 0 4 Danach muss für die anpassungs- und beachtenspflichtigen Adressaten erkennbar sein, welche ihrer Maßnahmen in welchem Bereich zulässig sind. Mangelnde Bestimmtheit kann jedoch nicht schon wegen der Sollformulierung angenommen werden. In der Begriffsbestimmungsnorm des § 3 Nr. 2 ROG wird dem Bestimmtheitsgebot dadurch Rechnung getragen, dass die Raumordnungsziele als verbindliche Vorgaben in Form von „räumlich und sachlich bestimmten und bestimmbaren" Festlegungen definiert werden. 1 0 5 Dem steht eine gewisse Offenheit oder Konkretisierungsfähigkeit von Sollzielen nicht entgegen. Solange der Regelfall der Zielvorgabe vorliegt, sind die Adressaten trotz Sollformulierung an die planerische Aussage gebunden. Liegt der Regelfall nicht vor, so kommt eine Abweichung vom Ziel in Betracht. Der Adressat der Planaussage weiß daher, welche seiner Maßnahmen zulässig sind und welche nicht. Unbestimmt sind lediglich die Voraussetzung des atypischen Sachverhalts. Die Frage, ob die Voraussetzungen einer Abweichung in der Zielformulierung durch den Planungsträger selbst formuliert wird oder dem Adressaten überlassen bleibt, berührt jedoch die Frage der Entscheidungsverlagerung in Bezug auf Ziele der Raumordnung. Ob eine solche Entscheidungsverlagerung zulässig ist, ist keine Frage des Bestimmtheitsgebots, sondern eine Frage des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Nr. 2 ROG. Der Gesetzgeber hat in § 3 Nr. 2 bis 4 ROG die Erfordernisse der Raumordnung abschließend formuliert, so dass jedenfalls die Formulierung neuer Kategorien durch die Landesplanung nicht zulässig i s t . 1 0 6 Soll- oder In-der-Regel-Ziele lassen sich in § 3 Nr. 2 ROG einordnen. Der Formulierung des § 3 Nr. 2 ROG kann nicht entnommen werden, dass den Trägern der Raumordnung nur die Wahl zwischen Grundsätzen als Abwägungsdirektiven und strikt formulierten Zielvorgaben verbleibt und daher Sollziele grundsätzlich als unzulässig anzusehen seien. 1 0 7 Nach 104 BVerwG, Urteil vom 20. 5. 1958 - I C 193.57 - BVerwGE 6, 342, 346; VGH Mannheim, Urteil vom 18. 5. 1999-10 S 1443/97 - ZfBR 2000, 63, 64 f.; Spoerr, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 343, 347; Kilian/Müllers, VerwArch 89 (1998), 25, 57 f.; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973; vgl. auch die Ausführungen in E I 1 in diesem Kapitel. Allgemein zum Bestimmtheitsgebot BVerfG, Beschluss vom 26. 9. 1978-1 BvR 525/77 - BVerfGE 49, 168, 181; Beschluss vom 24. 11. 1981-2 BvL 4 / 8 0 - 5 9 , 104, 114; Beschluss vom 28. 6. 1986-2 BvR 539, 612/80-64, 261, 280; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. VII Rn. 63, Stand 18. Lieferung; Schmidt-Aßmann, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HbdStR Bd. I, § 24 Rn. 60, 85. 105 Hendler, UPR 2003, 256, 258. 106 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 6, Stand 1998. 107 In diese Richtung auch Hendler, UPR 2003, 256, 260; Goppel, BayVBl. 1998, 289, 292.
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einer Empfehlung des Beirates für Raumordnung zur Novellierung des ROG 1998 sollte zwar klar unterschieden werden zwischen Aussagen, die als Abwägungsdirektiven dienen, und Aussagen, die nach abschließender Abwägung strikt normative Vorgaben für andere Planungsträger darstellen. 1 0 8 Die Gesetzesbegründung bestimmt Ziele der Raumordnung als Festlegungen, die „räumlich vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogen sind und als verbindliche Vorgabe [ . . . ] d i e n e n " . 1 0 9 Die von den Kritikern von Soll-Zielen herangezogene Gesetzesbegründung, die sich an einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 1 9 9 2 1 1 0 orientiert, kann dieser Konstruktion nicht entgegengehalten werden. Der Gesetzgeber orientierte sich bei Novellierung des ROG 1998 explizit an dieser Entscheidung, wonach die Ziele der Raumordnung nicht mit städtebaulichen Zielen in den Optimierungsgeboten des § 1 Abs. 5 Satz 1 und 3 BauGB verglichen werden könnten, sondern eine gesetzliche Anpassungspflicht begründende Handlungsanweisung mit Letztentscheidungscharakter darstellen würden. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts befasste sich aber lediglich mit der Frage der Nichtigkeit eines Bebauungsplans, durch den mittels Abwägung die Ziele eines Regionalen Raumordnungsprogramms überwunden wurden, sowie mit der Frage der Β indungs Wirkung von Zielen der Raumordnung gegenüber den Trägern der kommunalen Bauleitplanung im Gegensatz zu den sonstigen Geboten des BauGB. Für die Frage der Formulierung der Ziele der Raumordnung und die darauf beruhende Frage der Zulässigkeit von Sollformulierungen gibt die Entscheidung indes keine Anhaltspunkte. Hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit von Sollzielen kann auf die o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit von Regel-AusnahmeTatbeständen zurückgegriffen werden. 1 1 1 Das Merkmal der abschließenden Abwägung stellt nach § 3 Nr. 2 ROG ein wesentliches Kriterium für die Unterscheidung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung dar. Daran knüpft der Begriff der landesplanerischen Letztentscheidung a n . 1 1 2 Zweck der Formulierung eines Soll-
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Empfehlung des Beirates für Raumordnung „Zur Novellierung des Raumordnungsgesetzes" vom 9. 2. 1996, abgedruckt in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, J 653, Stand 1998. 109 Gesetzesentwurf der BReg zum BauROG 1998 vom 4. 12. 1996, BT-Drs. 13/6392, S. 81. no BVerwG, Beschluss vom 20. 8. 1992-4 NB 20/91 - BVerwG 90, 329 ff. in So auch OVG Münster, Urteil vom 6. 6. 2005-10 D 145/04.NE - BauR 2005, 1577, 1581; BayVGH, Urteil vom 19. 4. 2004-15 Β 99.2605 - BayVBl. 2005, 80, 81; zustimmend Goppel, BayVBl. 2005, 83. Die Gleichbehandlung von Soll- und In-der-Regel-Zielen ablehnend Reither, BayVBl. 2005, 83, 84. S.a. Hoppe, DVBl. 2004, 478 ff., der die Entscheidung des BayVGH als Einschränkung der Zulässigkeit von Sollzielen interpretiert; ders., NVwZ 2005, 1141 ff. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragstellerin gegen das Urteil des OVG Münster hat das BVerwG mit Beschluss vom 28. 12. 2005-4 BN 40/05 - BauR 2006, 575 (Leitsatz), ausführlich in JURIS, zurückgewiesen. 112 BVerwG, Beschluss vom 20. 8. 1992-4 NB 20/91 - BVerwGE 90, 329, 333 f.; Hendler, UPR 2003, 256, 257. 5 Ernst
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
ziels ist es, bei Vorliegen atypischer Umstände i m Einzelfall ein Abweichen von der Regel ausnahmsweise zu ermöglichen. Die Entscheidung darüber, ob ein solcher Ausnahmefall i m konkreten Fall vorliegt, trifft der Adressat des Ziels. M i t § 3 Nr. 2 ROG ist dies nur dann vereinbar, wenn dem Adressaten dadurch kein eigener Abwägungsspielraum zufällt, der dem Begriff der landesplanerischen Letztentscheidung widerspricht. Der Charakter der landesplanerischen Letztentscheidung erfordert keine abschließende Vollabwägung. Schon aus kompetentiellen Gründen muss sich die Landesplanung auf eine Rahmensetzung beschränken und den Adressaten der Landespläne - insbesondere den Gemeinden im Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 GG - einen Konkretisierungsspielraum belassen. 113 Ziele der Raumordnung sind daher tendenziell auf eine weitere Konkretisierung ausgerichtet. 114 Es handelt sich um landesplanerische Lösungen, die auf dieser Ebene keiner Ergänzung mehr bedürfen, auf den nachfolgenden Planungsebenen einer weiteren Differenzierung und Konkretisierung weiter zugänglich sind. Die abschließende Abwägung des Trägers der Landesplanung besteht bei der Formulierung von Sollzielen darin, dass das durch die Zielfestlegung verankerte raumplanerische Interesse grundsätzlich uneingeschränkt umzusetzen ist, soweit ein Regelfall vorl i e g t . 1 1 5 I m Hinblick darauf kann der Plangeber selbst bestimmen, wie weit die Steuerungswirkung seiner Zielfestlegungen reicht. Dabei sind nach Maßgabe des Bundesverwaltungsgerichts zur Beachtung der landesplanerischen Letztentscheidung die Ausnahmevoraussetzungen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit durch den Plangeber selbst festzulegen. 116 Die Formulierung von Sollzielen ohne bestimmte oder bestimmbare Ausnahmevoraussetzungen verlagert die Entscheidung über das Vorliegen eines atypischen Einzelfalls und dessen Voraussetzungen auf die nachgeordneten Planungsebenen. Eine solche Regelung unterscheidet sich von den klassischen verwaltungsrechtlichen Mussregelungen. 117 Anders als bei Mussregelungen bezieht sich der Entscheidungsspielraum des Zieladressaten bei einer solchen Formulierung nicht nur darauf, ob eine raumbedeutsame Maßnahme zieladäquat ist oder nicht. Vielmehr bestimmt der Zieladressat auch, ob eine raumbedeutsame Maßnahme, die möglicherweise gegen die Zielaussage verstoßen würde, aufgrund eines von ihm zu bestimmenden atypischen Einzelfalls nicht von der Zielaussage erfasst werde. Zwar hat es der Träger der Landesplanung durch die Formulierung 113 BVerwG, Beschluss vom 20. 8. 1992-4 NB 20/91 - BVerwGE 90, 329, 334 . •η BVerwG, Beschluss vom 20. 8. 1992-4 NB 20/91 - BVerwGE 90, 329, 333 f. 115 Hendler, UPR 2003, 256, 260. 116 Dem BVerwG folgend BayVGH, Urteil vom 19. 4. 2004-15 Β 99.2605 - BayVBl. 2005, 80, 81; OVG Münster, Urteil vom 6. 6. 2005-10 D 145/04.NE - BauR 2005, 1577, 1581; vorher bereits Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Center, S. I l l ; ähnlich auch Hoppe, DVB1. 2001, 81, 90. 117 Anders Hendler, UPR 2003, 256, 260 mit dem Hinweis darauf, dass beide im Regelfall strikte Einhaltung verlangen. Zu Soll- und Mussvorschriften im Verwaltungsrecht Hendler, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 177.
Β. Die raumordnerische Regelung von Factory Outlet Centern
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von Sollzielen selbst in der Hand, inwieweit er die rechtliche Prüfung eines Ausnahmefalls den Zieladressaten überlässt. 118 Dies kann jedoch nicht so verstanden werden, dass den nachgeordneten Planungsträgern sämtlicher Entscheidungsspielraum eingeräumt werden soll. Ein solches liefe auf eine autonome Zielabweichungsentscheidung der nachgeordneten Planungsträger hinaus, was nicht mehr dem Wortlaut des § 3 Nr. 2 ROG und auch nicht der Regelung des § 11 ROG entspricht. 1 1 9 Wenn also der Träger der Landesplanung durch die Gestaltung einer „integrierten Abweichungsmöglichkeit" die Zieladressaten freier stellen möchte, so muss zur Wahrung der Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 2 ROG der Abweichungstatbestand ebenfalls in die Zielfestlegung integriert werden. Sollziele müssen daher den Rahmen der Abweichungsmöglichkeiten bestimmen oder bestimmbar gestalten; die vorhersehbaren Abweichungslagen mithin vom Normgeber erkannt und mitgeregelt werden. Unter diesen Gesichtspunkten sind daher beispielsweise die Zielaussagen in Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP als zulässig zu erachten. 1 2 0 Nach dem in der Vorschrift aufgeführten Ausnahmetatbestand und der Begründung zu dieser Zielformulierung als Teil des bayerischen Landesentwicklungsprogramms können nur in besonders gelagerten Fällen, soweit es sich nicht um kurzfristige, tägliche Bedarfsgüter handelt, auch andere Gemeinden Standorte für Einzelhandelsgroßprojekte sein, etwa wenn geeignete zentrale Orte keine geeigneten Flächen aufweisen und daher auf Flächen benachbarter Gemeinden angewiesen sind (Flächenspenderfunkt i o n ) . 1 2 1 Der Ausnahmetatbestand setzt zwingend voraus, dass es sich um Waren des mittel- oder längerfristigen Bedarfs handelt. Die Notwendigkeit der Einschränkung des Ausnahmetatbestandes beruht auf der planerischen Annahme, dass Einzelhandelsgroßprojekte selbst zentrenbildende Wirkung haben und daher u. a. die Gefahr bestehe, dass die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung gefährdet werde. 1 2 2 Die „etwa-wenn"-Formulierung gibt den Zieladressaten Leitlinien zur 118 Hendler, UPR 2003, 256, 260. 119 Ähnlich Hoppe, DVBl. 2004 478, 479; Manssen, BayVBl. 2005, 485, 487. 120 Dort ist u. a. geregelt: „Flächen für Einzelhandelsgroßprojekte sollen in der Regel nur in Unterzentren und in zentralen Orten höherer Stufe sowie in Siedlungsschwerpunkten (geeignete zentrale Orte) ausgewiesen werden. Die Ausweisung soll in städtebaulich integrierter Lage mit einer den örtlichen Gegebenheiten entsprechenden Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr erfolgen. Vom Erfordernis der städtebaulich integrierten Lage kann in städtebaulichen Randlagen bei Einzelhandelsgroßprojekten, die nicht dem Verkauf von Waren des kurzfristigen, täglichen Bedarfs dienen, ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn die Gemeinde den Nachweis des Fehlens geeigneter städtebaulich integrierter Standorte erbringt und bei Einzelhandelprojekten mit überwiegend innenstadtrelevanten Sortimenten das Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen als oberste Landeplanungsbehörde im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern im Rahmen der landesplanerischen Überprüfung dem jeweiligen Vorhaben aufgrund übergeordneter Gesichtspunkte der räumlichen Ordnung und Entwicklung zustimmt." 121 Einzelbegründung zu Ziff. 1.2.1.5 des bayerischen LEP, S. 188 . 122 Allgemeine Begründung zu Ziff. 1.2.1.5 des bayerischen LEP, S. 187. 5*
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
Annahme eines Ausnahmetatbestandes. Eine Ausnahme kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der zentrale Ort keine geeigneten Flächen aufweist und sich die in Betracht kommende Gemeinde in der Nachbarschaft des zentralen Ortes befindet. Die Annahme weiterer Ausnahmesituationen muss sich an diesem Beispiel orientieren und mit diesem vergleichbar sein. Ein Abweichen von der Zielaussage ist mithin nur zulässig, wenn aus städtebaulichen oder raumordnerischen Gründen eine Ansiedlung an einem Unterzentrum bzw. an einem Ort höherer Zentralitätsstufe nicht möglich ist und es durch die Ansiedlung nicht zu einer Zentrenverschiebung kommt. Den Zieladressaten verbleibt kein Abwägungsspielraum. Bevor eine Ansiedlung eines Factory Outlet Centers in einer Gemeinde mit einem Status unterhalb dem eines Unterzentrums in Betracht zu ziehen ist, muss diese prüfen, ob die o.g. Voraussetzungen vorliegen. Ist dies nicht der Fall, so scheidet eine Ansiedlung an diesem Ort zwingend aus. Unklar ist dagegen der Ausnahmetatbestand in Ziff. 4.1.2 des hessischen LEP. Nach der Regelung kommen großflächigen Einzelhandelsprojekte „nur in Oberzentren und Mittelzentren in Betracht". „ I n begründeten Ausnahmefällen, z. B. zur örtlichen Grundversorgung, und unter Einhaltung der übrigen landesplanerischen Zielsetzungen ist eine Ausweisung auch in den zentralen Ortsteilen von Grundzentren (Unter- und Kleinzentren) zulässig" (Wortlaut der Norm). Die Vorschrift ist als Regel-Ausnahme-Aussage konzipiert. Zwar ist Satz 1 des Ziels zur Ansiedlung großflächigen Einzelhandels dem Wortlaut ähnlich einer Mussvorschrift formuliert. Die Zielaussage wird durch Satz 2 der Vorschrift, wonach in begründeten Ausnahmefällen unter Einhaltung der übrigen landes- und regionalplanerischen Zielsetzungen andere Standorte in Betracht kommen können, selbst wieder eingeschränkt. Als Beispiel für einen Ausnahmefall nennt die Vorschrift die Ansiedlung zur örtlichen Grundversorgung. Nicht näher ausgeführt sind die Voraussetzungen eines „begründeten Ausnahmefalls". Das aufgeführte Beispiel der örtlichen Grundversorgung kann nur bedingt zur Konkretisierung herangezogen werden. I m Hinblick auf die Funktion des zentralörtlichen Gliederungssystems, die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, kann diese Aussage daher nur so verstanden werden, dass eine Ausnahme von der Zielvorschrift dann in Betracht kommt, wenn die Ansiedlung in Grundzentren zu einer Verbesserung der Versorgung führt. Allerdings ist es auch nach dem hessischen LEP Aufgabe eines Grundzentrums, die überörtliche Grundversorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs zu sichern. 1 2 3 Die Zulässigkeit solcher Vorhaben ergibt sich daher schon aus der Funktion eines solchen zentralen Ortes und nicht erst aus dem Ausnahmetatbestand. Dem für eine Zielfestlegung charakteristischen Erfordernis einer abschließenden Abwägung ist nicht genügt. Die Festlegung, in „begründeten Ausnahmefällen" ein Abweichen von der Zielaussage zu ermöglichen, nimmt die notwendige Abwägung der auf landesplanerischer Ebene zu berücksichtigenden Belange nicht vor. Die Zieladressaten haben die Möglichkeit, sich durch eine eigene Abweichungsentscheidung ohne landesplanerische Beteiligung über eine landes•23 Ziff. 4.2.3 hessisches LEP.
Β. Die raumordnerische Regelung von Factory Outlet Centern
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planerische Abwägungsentscheidung hinwegzusetzen. Die Verlagerung dieser landesplanerischen Abwägungsentscheidung ergibt sich auch aus Satz 3 des oben genannten Ziels. Danach soll bei der Entscheidung über eine Abweichung von der Zielvorgabe dem interkommunalen Abstimmungsgebot eine besondere Bedeutung beigemessen werden. Dieses beinhaltet aber gerade eine eigene Abwägungsentscheidung der Gemeinde als Zieladressat. Eine solche Verlagerung der Abwägungsentscheidung ist jedoch nach der hier vertretenen Auffassung unzulässig. Die Regelung in Ziff. 4.1.2 des hessischen LEP entspricht nicht den Vorgaben des § 3 Nr. 2 ROG und kann nicht als Ziel der Raumordnung angesehen werden.
d) Aufrechterhaltung
,Kfehlerhafter
" Sollziele
Entspricht eine Sollformulierung nicht den oben genannten Anforderungen und kann sie daher kein Ziel der Raumordnung i m Sinne des § 3 Nr. 2 ROG sein, so ist in einem zweiten Schritt zu fragen, ob und wie die fehlerhafte landesplanerische Vorgabe aufrecht erhalten werden kann. Scheitert die Einordnung einer landesplanerischen Regelung allein daran, dass sie keinen Letztentscheidungscharakter im Sinne des § 3 Nr. 2 ROG aufweist und somit nach den Begriffsbestimmungen des ROG objektiv einen Grundsatz oder sonstiges Erfordernis der Raumordnung darstellt, so wäre daran zu denken, das fehlerhafte Ziel seinem objektiven Charakter als Grundsatz der Raumordnung entsprechend einzuordnen. Diese „Umwandlung" lässt allerdings den subjektiven Willen des Planungsträgers außer Acht. Zudem sind nach der in der Staats- und Verwaltungsrechtslehre geltenden Nichtigkeitslehre fehlerhafte Normen als nichtig zu erachten. 1 2 4 Davon ausgehend wären fehlerhafte Zielvorgaben, die aufgrund ihrer abstrakt-generellen Bindungswirkung Rechtsnormcharakter haben, als nichtig zu behandeln. I m Falle fehlerhafter Sollziele ist jedoch zu beachten, das ihre Fehlerhaftigkeit in der fehlenden Zielbindungswirkung l i e g t . 1 2 5 Gerade der ihnen i m Gegensatz zu den Grundsätzen der Raumordnung innewohnende Letztentscheidungscharakter fehlt. Möglich ist daher, die Nichtigkeitsfolge auf die Bindungswirkung zu beschränken, mit der Folge, dass die Zielfestlegung zwar ihre Steuerungsfunktion als Ziel der Raumordnung verliert, allerdings als Abwägungssteuerung aufrechterhalten bleibt (Grundsatz der Planerhaltung). 1 2 6 Dafür spricht nicht nur der Grundsatz der Planerhaltung, da die fehlerhaften Ziele sonst jede raumordnerische Bedeutung verlieren würden, sondern auch der Umstand, dass Ziele, denen 124 Vgl. nur Ossenbühl, NJW 1986, 2805. 125 Hoppe, DVB1. 2001,81,87. 126 Ausdrücklich OVG Münster, Urteil vom 6. 6. 2005-10 D 145/04.NE - BauR 2005, 1577, 1582; Hoppe, DVB1. 2001, 81, 87; ders., BayVBl. 2002, 129, 135; ähnlich auch Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 19 f., 42, Stand 1998; zum Grundsatz der Planerhaltung, Hoppe, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), Abwägung im Recht, S. 125 ff., 143 ff.; Sendler, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS für Hoppe, S. 1011 ff.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
allein der Letztentscheidungscharakter fehlt, objektiv Grundsätze der Raumordnung darstellen.
3. Zielfestlegungen und das Verbot der Negativplanung Unter dem Begriff Negativplanung sind solche Festsetzungen zu verstehen, die nicht positiv festlegen, wie ein Raum genutzt werden soll oder darf, sondern lediglich festlegen, wie er nicht genutzt werden d a r f . 1 2 7 Grundsätzlich ist es auch zulässig, dass der Planungsträger bestimmte raumordnerisch oder städtebaulich relevante Maßnahmen und Vorhaben durch planungsrechtliche Vorgaben ausschließt. 1 2 8 Die Unzulässigkeit reiner Negativfestlegungen lässt sich aus der positiv-konzeptionellen Aufgabe der Raumordnung als Entwicklungsplanung und unter dem Aspekt der Erforderlichkeit einer Planung aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herleiten. 1 2 9 I m Recht der Bauleitplanung wird das Verbot der Negativplanung dem Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit der Bauleitplanung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB) entnommen. 1 3 0 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Zusammenhang mit der Bindung der Gemeinden an die Ziele der Raumordnung- und Landesplanung gemäß § 1 Abs. 4 BauGB ausgeführt, dass sich in den Zielen der Raumordnung eine Abwägung zwischen den durch die Grundsätze verkörperten unterschiedlichen raumordnerischen Belangen widerspiegele. 1 3 1 Sie seien anders als die Grundzüge nicht bloß Maßstab, sondern als räumliche und sachliche Konkretisierung der Entwicklung des Planungsraums das Ergebnis landesplanerischer Abwägung. Zielförmige Standortfestlegungen der Landesplanung, die für andere Standorte eine Ausschlusswirkung entfalten können, müssen daher - wie alle landesplanerischen Zielfestlegungen - auf einer ordnungsgemäßen Abwägung beruhen. 1 3 2 Zur Bestimmung der Reichweite des Verbots der Negativplanung kann auf diese Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Negativaussagen sind nicht schon dann unzulässig, wenn ihr Hauptzweck in der Verhinderung bestimmter raumordnerisch relevanter Nutzungen besteht, sondern nur dann, wenn sie nicht dem planerischen Willen des Planungsträgers entsprechen, sondern lediglich vorgeschoben sind, um eine andere Nutzung zu verhindern. 1 3 3
127 Schulte, Raumplanung und Genehmigung, S. 91. 128 BVerwG, Beschluss vom 18. 12. 1990-4 NB 8/90 - DVBl. 1991, 445; Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 39. •29 Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 39; vgl. auch Bönker, in: Hoppe/Bönker/Grotefels (Hrsg.), Öffentliches Baurecht, § 3 Rn. 68, 97 bzgl. Bauleitplanung. 130 Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 18. 12. 1990-4 NB 8/90 - DVBl. 1991, 445, 446; Drittes Kapitel A II 2 b).
131 Beschluss vom 20. 8. 1992-4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329, 333. 132 BVerwG, Beschluss vom 7. 11. 1996-4 Β 170/96 - DVBl. 1997, 434 f.; OVG Koblenz, Urteil vom 28. 2. 2002- I A 11625/01 - UPR 2002, 196; OVG Greifswald, Urteil vom 13. 1.2001-4 Κ 9 / 9 9 - N V w Z 2001, 1063, 1064 ff.
Β. Die raumordnerische Regelung von Factory Outlet Centern
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Zielförmige positive Standortausweisungen können eine negative Aussage dergestalt mitenthalten, dass für bestimmte Vorhaben an einem anderen Standort i m Planungsraum kein Raum sei. Eine derartige Zielfestlegung ist ein zulässiges planerisches Mittel, wenn die mit der positiven Standortzuweisung verbundene Ausschlusswirkung durch landesplanerische Gründe legitimiert ist. Eine Negativplanung liegt nur dann vor, wenn sich Planaussagen - unabhängig davon, ob sie als Positiv- oder Negativaussage formuliert sind - in einer bloßen Abwehrfunktion erschöpfen. Wo die Grenze zur unzulässigen Negativplanung verläuft, lässt sich dabei nicht abstrakt bestimmen und kann nur angesichts der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Planungsraum entschieden werden. 1 3 4 Dabei ist entscheidend, ob die getroffene Festsetzung in ihrer eigentlichen Zielsetzung gewollt und erforderlich ist und nicht nur das vorgeschobene Mittel ist, um ein bestimmtes Vorhaben zu verhindern. 1 3 5 Dabei kann auch die negative Zielrichtung i m Vordergrund stehen, da auch eine zunächst nur auf die Verhinderung einer - aus der Sicht des Planungsträgers - Fehlentwicklung gerichtete Planung einen Inhalt haben kann, der rechtlich nicht zu beanstanden ist. Dem Planungsträger ist es verwehrt, die Landesplanung als Mittel zu benutzen, das lediglich dazu dient, unter dem Deckmantel der Steuerung Factory Outlet Center und anderen großflächigen Einzelhandel in Wahrheit zu verhindern, ohne dass dies aus raumplanerischen Gründen erfolgt. Dies ergibt sich auch aus dem Regelungszusammenhang des ROG, insbesondere der §§ 1 und 2 ROG. Die Leitvorstellung der nachhaltigen Raumentwicklung gem. § 1 Abs. 2 ROG sowie die Grundsätze der Raumordnung in § 2 ROG und den Landesplanungsgesetzen geben Auskunft darüber, welche Gesichtspunkte aus raumordnerischer Sicht eine Beschränkung rechtfertigen. Der Landesplanungsträger darf daher nicht im Gewand der Landesplanung eine Wirtschafts- und Gewerbepolitik betreiben, die den Wertungen des ROG und der Landesplanungsgesetze der Länder zuwiderläuft und darauf abzielt, die Ansiedlung von Factory Outlet Centern aus anderweitigen Erwägungen zu reglementieren oder zu unterbinden. Danach sind die Zielfestlegungen daraufhin zu prüfen, ob mit ihnen eine positive planerische Gesamtkonzeption verfolgt wird. Allein der Umstand, dass die Landesplanung durch die Anbindung von Factory Outlet Centern an Orte bestimmter Zentralitätsstufe andere Orte zur einer Art „Ausschlussfläche" erklärt hat, ist allerdings noch kein Indiz für eine Verhin«33 Zur Bauleitplanung BVerwG, Urteil vom 14. 7. 1972-4 C 8.70 - BVerwGE 40, 258; Beschluss vom 18. 12. 1990-4 NB 8/90 - DVB1. 1991, 445, 446; Urteil vom 14. 4. 1989-4 C 52.87 - ZfBR 1989, 225, 227; Beschluss vom 7. 9. 1984-4 Ν 3.84 - Z1BR 1985, 44; Grooterhorst, DVB1. 1985, 703, 707; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger (Hrsg.), BauGB, § 1 Rn. 36, Stand September 2000, mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 134 Anschaulich BVerwG,Urteil vom 14. 7. 1972 - IV C 8.70 - BVerwGE 40, 258, 262, Urteil vom 13. 3. 2003-4 C 4/02 - BVerwGE 118, 33, 37 f. 135 Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. 5. 1971 - IV C 76.68 - BauR 1971, 182, 185; Urteil vom 14. 7. 1972 - IV C 8.70 - BVerwGE 40, 258, 262; Urteil vom 16. 12. 1988-4 C 48.86 DVB1. 1989, 458, 462 hinsichtlich der Negativplanung im Bauplanungsrecht.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
derungsplanung. 136 Aus Sicht der Landesplanungsträger ist eine Beschränkung der Ansiedlung von Factory Outlet Centern auf Orte bestimmter Zentralitätsstufen erforderlich, um die Leistungsfähigkeit zentraler Orte zur Aufrechterhaltung und Verbesserung funktionsfähiger Versorgungsstrukturen zu sichern und zu gewährleisten. 1 3 7 Bedarfprüfungen und Konkurrenzschutz für bestehende Betriebe würden nicht verfolgt werden. 1 3 8 Den Planungsträgern ist es auch nicht verwehrt, den Stellenwert der Einzelhandelsgroßprojekte und insbesondere der Factory Outlet Center in der Konkurrenz mit anderen Belangen als einen Abwägungsposten zu behandeln und diesen gegebenenfalls wegen höherstehender Belange restriktiv zu handhaben, ohne dass ein solches Vorgehen als Negativplanung zu werten ist. Auch der Umstand, dass es andere Standorte gibt, die sich von ihren Standortbedingungen her für die Errichtung solcher Vorhaben ebenso gut oder noch besser eignen, deutet nicht schon als solcher auf eine beanstandenswerte restriktive Tendenz h i n . 1 3 9 Die Festlegung, dass sich im Rahmen des zentralörtlichen Gliederungssystems Orte bestimmter Zentralitätsstufen zur Ansiedlung von Factory Outlet Centern eignen, ist ein Gesichtspunkt, der bei der planerischen Abwägung gebührend zu berücksichtigen ist, bei der Standortwahl aber nicht zwangsläufig den Ausschlag geben muss. In diesem Zusammenhang ist die Eignungsfrage nur einer der für die Abwägungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte. Dem Normgeber steht insoweit ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum z u . 1 4 0
4. Die Reichweite der Bindungswirkung der landesplanerischen Zielfestlegungen zur Ansiedlung Privater Von ihrem Charakter als landesplanerische Letztentscheidung ist die Frage nach der rechtlichen Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung zu unterscheiden. Die wesentlichen Bindungswirkungen der Ziele der Raumordnung sind i m ROG und den Landesplanungsgesetzen geregelt. Das ROG differenziert hinsichtlich der Bindungswirkung nach dem Träger der jeweiligen Planung oder Maßnahme. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 ROG gilt die Zielbeachtenspflicht in erster Linie gegenüber raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen öffentlicher Stellen i m Sinne des § 3 Nr. 5 ROG sowie bei Planfeststellungen und behördlichen Zulassungsentscheidungen über die Zulässigkeit solcher raumbedeutsamen Maßnahmen. 136 Ähnlich OVG Koblenz, Urteil vom 20. 2. 2003-1 A 11406/01 - UPR 2002, 169, ausführlich in JURIS. '37 Vgl. beispielsweise die Allgemeine Begründung zu Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP, S. 186; Begründung zu Ziff. 3.3.7 baden-württembergisches LEP; Begründung zu den Festlegungen zum großflächigen Einzelhandel im hessischen LEP, S. 19. 138
Allgemeine Begründung zu Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP, S. 186. 139 OVG Koblenz, Urteil vom 20. 2. 2003-1 A 11406/01 - UPR 2002, 169, ausführlich in JURIS. 140 Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 39.
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Nach § 4 Abs. 3 ROG gilt entsprechendes bei juristischen Personen des Privatrechts, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, wenn öffentliche Stellen auf diese einen beherrschenden Einfluss ausüben oder die raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ROG dehnt die Zielbeachtenspflicht auf Planfeststellungen und Genehmigungen mit der Rechtswirkung der Planfeststellung über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Maßnahmen von Personen des Privatrechts aus. Demnach haben vor allem die öffentlichen Planungsträger bei der Aufstellung von Landesplänen und Regionalplänen die Ziele der Raumordnung zu beachten. Personen des Privatrechts sind der Zielbeachtenspflicht der öffentlichen Hand nur insoweit unterworfen, als sie nach dem allgemeinen Verwaltungsrecht dem Begriff der Behörde zuzuordnen s i n d . 1 4 1 Es besteht in raumplanerischer Hinsicht kein Grund, diese nicht den gleichen Bindungswirkungen wie Hoheitsträger zu unterwerfen. 1 4 2 Ähnliche Erwägungen liegen auch der Regelung in § 4 Abs. 3 ROG zugrunde. Ist auch nach der Privatisierung öffentlicher Aufgaben ein erheblicher gesellschaftsrechtlicher oder finanzieller Einfluss der öffentlichen Hand gegeben, so besteht faktisch kein Unterschied zur Durchführung der Planung oder Maßnahme durch den Hoheitsträger selbst. 1 4 3 Da es sich bei den Betreibern von Factory Outlet Centern meist um juristische Personen des Privatrechts handelt, scheidet eine Zielbeachtenspflicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG aus und liegt i m Regelfall auch nicht nach § 4 Abs. 3 ROG vor. Mangels des Erfordernisses eines Planfeststellungsverfahrens scheidet auch § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ROG aus. Personen des Privatrechts unterliegen hinsichtlich ihrer raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen nach dem ROG grundsätzlich keiner unmittelbaren rechtlichen Bindungswirkung. Zur Ausgestaltung einer solchen Bindungswirkung fehlt es der Raumordnung an der bodenrechtlichen Durchgriffskompetenz, diese ist dem Bodenrecht i m Sinne des Art 74 Nr. 18 GG vorbehalten. 1 4 4 Aus der kompetenzrechtlichen Beschränkung ergibt sich zugleich auch eine Beschränkung hinsichtlich des zulässigen Inhalts von Zielen der Raumordnung. Diese dürfen keine Aussagen enthalten, die sich unmittelbar auf raumbedeutsame Vorhaben Privater beziehen. 1 4 5 Kompetenzrechtlich zulässig sind nur 141 Darunter fallen u. a. Beliehene, vgl. dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 56. 142 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 2, § 5 Rn. 70, Stand 1998. '43 Spiecker, Raumordnung und Private, S. 114 ff. hält insbesondere § 4 Abs. 3 Nr. 2 ROG aus kompetenzrechtlichen Gründen für verfassungswidrig. 144 BVerwG, Urteil vom 11. 2. 1993-4 C 15.92 - ZfBR 1993, 191, 192; Urteil vom 20. 1. 1984-4 C 43.81 - BVerwGE 68, 311, 313 f.; BayVGH, Urteil vom 26.4. 1990-22 Β 88.3351 - NVwZ 1990, 983, 984; Urteil vom 9. 1. 1986-20 Β 85 Α. 1552 - BayVBl. 1986, 752, 753; Runkel in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 126, Stand 1998.
145 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 127, Stand 1998.
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Festlegungen, die sich an die Zieladressaten der Bindungswirkungen nach § 4 ROG richten. Zwar scheinen einzelne Zielaussagen, wie beispielsweise in Ziff. 3.3.7 des baden-württembergischen LEP und in Ziff. 3.2.1 des thüringischen LEP, dem Wortlaut nach an die Unternehmen selbst gerichtet zu s e i n . 1 4 6 Angesichts der klaren Aussagen hinsichtlich der Adressaten der Ziele der Raumordnung in § 4 ROG sind sie jedoch so zu verstehen, dass sie sich an die Gemeinden richten. 1 4 7 Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 4 Abs. 1 und 2 ROG sind die Ziele der Raumordnung nach § 4 Abs. 4 ROG nur nach Maßgabe der einschlägigen fachrechtlichen Vorschriften zu berücksichtigen, es sei denn, dass der Fachgesetzgeber von der ihm durch § 4 Abs. 5 ROG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, weitergehende Bindungswirkungen durch sogenannte Raumordnungsklauseln anzuordnen. In Betracht kommt dabei auch die Formulierung von sogenannten Gemeinwohlklauseln, die auf die „öffentlichen Belange" verweisen und bei denen durch Auslegung zu ermitteln ist, ob und inwieweit die Ziele der Raumordnung Bindungswirkung erzeugen. Vorliegend von Relevanz ist die zur Anpassungspflicht verstärkte Zielbeachtenspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB für die Träger der kommunalen Bauleitplanung. Bezüglich der Ausweisung von Gewerbeflächen in den Bauleitplänen ist i m Hinblick auf Factory Outlet Center § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO zu beachten, wonach großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, nur in Kern- oder Sondergebieten zulässig s i n d . 1 4 8 Durch die Bezugnahme auf die Ziele der Raumordnung wird daher zum einen sichergestellt, dass diese neben § 1 Abs. 4 BauGB von der gemeindlichen Bauleitplanung eingehalten werden. Zum anderen erlangen die Ziele der Raumordnung für den Vorhabensträger mittelbar rechtliche Relevanz, da hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Einordnung des konkreten Bauvorhabens sich dieses an den Zielen der Raumordnung messen lassen m u s s . 1 4 9 Ist die Annahme berechtigt, dass als Folge einer beabsichtigten Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes raumordnerische Vorgaben durch die gemeindliche Planung nicht ausgenutzt werden, wirkt sich das Vorhaben auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung negativ a u s . 1 5 0 Nach der Raumordnungsklausel des § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB dürfen raumbedeutsame Vorhaben i m Außenbereich nicht den Zielen der Raumordnung widersprechen. Durch diese fachgesetzliche Raumordnungsklausel nehmen die Ziele der Raumordnung unmittelbar Einfluss auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit privater Vorhaben. I m Bereich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Factory Outlet Centern wird § 35 BauGB jedoch kaum eine Rolle spielen. Es ist keine Privilegierung i m Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB gegeben, so dass die Projekte als 146 Kritisch daher Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 152. 147 Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 127, Stand 1998. 148 Dazu Drittes Kapitel Β I und II. 149 Schenke, UPR 1986, 281, 286. 150 Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 22.
Β. Die raumordnerische Regelung von Factory Outlet Centern
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sonstige Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB zu qualifizieren sind. Durch derartige Vorhaben werden in der Regel zahlreiche öffentliche Belange beeinträchtigt. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. August 2002 zum Designer Outlet Zweibrücken (DOZ) scheitert die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers im Außenbereich bereits daran, dass ein derartiges Vorhaben einer Bauleitplanung bedürfe, um dem interkommunalen Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB und der Zulassungsbegrenzung des § 11 Abs. 3 BauNVO gerecht zu werden. 1 5 1 Hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Vorhaben i m Innenbereich findet sich - von § 34 Abs. 3 BauGB abgesehen 152 - keine fachgesetzliche Regelung hinsichtlich der Bindungswirkung von Zielen. Zielfestlegungen in landesplanerischen Programmen und Plänen können auch nicht mit einer über § 4 ROG hinausgehenden Bindungswirkung ausgestattet werden. § 4 ROG ist insoweit abschließend. 1 5 3
IV. Factory Outlet Center als Gegenstand der Regionalplanung Die landesplanerische Regelung des großflächigen Einzelhandels findet ihre Fortsetzung in den Regionalplänen. Diese bilden die „Nahtstelle" zwischen staatlicher und kommunaler Raumverantwortung. 1 5 4 Sie können ebenso wie die Landesentwicklungspläne und -programme raumordnerische Aussagen in Form von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung enthalten. Unabhängig davon, ob Regionalpläne durch förmliche Rechtsnorm für verbindlich erklärt worden sind, sind zumindest ihre Zielvorgaben mittels Normenkontrolle nach § 47 V w G O anfechtb a r . 1 5 5 Schon aufgrund des raumordnerischen Entwicklungsgebots in § 9 Abs. 2 Satz 1 ROG enthalten Regionalpläne ähnliche Festsetzungen zu großflächigen Einzelhandelsvorhaben wie die Landesentwicklungspläne und Landesentwicklungsprogramme. 1 5 6 Dies gilt insbesondere für das Kongruenz- und Integrationsgebot 151 BVerwG, Urteil vom 1. 8. 2002-4 C 5/01 - BVerwGE 117, 25 ff.; dazu auch Drittes Kapitel A III 2 a) aa). 152 Dazu Drittes Kapitel A III 2 b) cc). 153 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 1 Rn. 1, Stand 2001. 154 Weidemann, DVBl. 1984, 767. 155 BVerwG, Urteil vom 20. 11. 2003-4 CN 6/03 - UPR 2004, 179; Urteil vom 20. 11. 2003-4 CN 5/03 - zit. in JURIS; BayVGH, Beschluss vom 14. 12. 1983-4 Ν 81 A.436 - BayVBl. 1984, 240 ff. anders Hessischer VGH, Urteil vom 16. 8. 2002-4 Ν 336/02 Urteil - zit. in JURIS; Spannowsky, UPR 2003, 248, 249. Zur Anfechtbarkeit von regionalplanerischen Ziel vorgaben und zur Antragsbefugnis von Bürgern im Rahmen des § 47 VwGO s. Böttger/Broosch, UPR 2002, 420 ff. 156 Vgl. beispielsweise die Festlegungen Z. 2.4.3.2, Z. 2.4.3.3, Z. 2.4.3.4 des Regionalplans der Region München /Bayern, Bekanntmachung über die Verbindlicherklärung vom 20. 1. 1987, GVBl. 1987, S. 27, zul. Bekanntmachung der Verbindlicherklärung der 15. Änderung vom 6. 5. 2002, GVBl. 2002, S. 215; Festlegung Pkt. 2.5.3. Z. (3) des Regionalplans
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sowie für das Beeinträchtigungsverbot. Die i m Rahmen dieser Arbeit dargestellten Problemstellungen und Lösungsvorschläge gelten daher ebenso für regionalplanerische Festsetzungen. Obwohl das raumordnerische Entwicklungsgebot zunächst eine Beschränkung des planerischen Gestaltungsspielraums der regionalen Planungsträger darstellt, ist die Bedeutung der Regionalpläne insbesondere i m Bereich der Standortsteuerung nicht zu unterschätzen. Gerade auf dieser Ebene kommt beispielsweise die Ausweisung konkreter Gebiete in Betracht, in denen bestimmte Nutzungen oder raumbedeutsame Vorhaben ausgeschlossen sein sollen bzw. ihnen vorbehalten sein sollen (§ 7 Abs. 4 Satz 1 bis 3 R O G ) . 1 5 7 Die Raumgestaltungsfunktion der Regionalplanung verstärkt sich durch die Festlegung flächenbezogener Aussagen überörtlich bedeutsamer Schwerpunkte für Industrie und Dienstleistungen. Da Einzelhandelsgroßvorhaben anders als beispielsweise rohstoffabbauende Betriebe oder Windparks nicht von natürlichen Standortbedingungen abhängig sind, kommt für sie die Festsetzung bestimmter Gebiete weniger in Betracht. Es können aber Städte und Gemeinden bestimmt werden, in denen die Ansiedlung von Einzelhandelsvorhaben zulässig ist und regionalplanerisch gefördert w i r d . 1 5 8 Solche planerische Aussagen auf der höheren Ebene der Landesplanung sind nicht ausgeschlossen. Es ist gerade Aufgabe der Regionalplanung auf die Besonderheiten der jeweiligen Region einzugehen. Eine derartig konkrete Festsetzung bedarf jedoch auf dieser großräumigen Ebene i m Rahmen der planerischen Abwägung einer erhöhten Rechtfertigung. 1 5 9 Obwohl sich die Landes- und Regionalplanung jeder nutzungsregelnden Bestimmung zu enthalten hat und grundsätzlich der Umsetzung durch die kommunale Bauleitplanung bedarf, hat die regionalplanerische Festlegung bestimmter Standorte nutzungssteuernde Relevanz. 1 6 0 Voraussetzung ist daher auch hier, dass mit dem Gesamtkonzept der Regionalplanung nur raumbedeutsame Vorhaben i m Sinne von § 3 Nr. 6 ROG gesteuert werden und dass sich die Planungsgründe unmittelbar aus der Aufgabe der Raumordnung erschlieMittlerer Oberrhein /Baden-Württemberg vom 13. 3. 2002, StAnz Baden-Württemberg vom 7. 4. 2003 (Beilage zu Nr. 13). 157 Dies gilt insbesondere für die Gewinnung von standortgebundenen Rohstoffen und für die Nutzung von Windenergie durch sog. Windparks, dazu Spannowsky/ Weich/Gouverneur, UPR 2004, 161, 163 ff.; Spannowsky/Hofmeister, Standortbezogene Steuerung von Unternehmensgründungen, S. 151 f. Zur Zulässigkeit gebietsscharfer Zielfestsetzungen in Regionalplänen insbesondere im Hinblick auf das kommunale Selbstverwaltung BVerwG, Urteil vom 15. 3. 2003-4 CN 9.01 - BVerwGE 118, 181 ff. 158 So z. B. in der Begründung zu den Festsetzungen in Ziff. 3.1 bis 3.3 des Regionalplans der Region Ingolstadt/Bayern, Bekanntmachung über die Verbindlicherklärung vom 4. 12. 1989, GVB1. 1989, S. 736, zul. Bekanntmachung der Verbindlicherklärung der 9. Änderung vom 27. 4. 2004, GVB1. 2004, S. 169. 159 Zur Voraussetzung eines schlüssigen planerischen Gesamtkonzepts BVerwG, Urteil vom 13. 3. 2003-4 C 3/02 - UPR 2003, 335. •60 Spannowsky, DÖV 1997, 757, 765.
C. Das zentralörtliche Gliederungssystem
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ßen. 1 6 1 Einen Bedeutungszuwachs hat die Regionalplanung in den letzten Jahren dadurch gewonnen, dass sich diese Ebene insbesondere für eine kooperative Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Einzelhandels anbietet, dazu in diesem Kapitel unter G I.
C. Das zentralörtliche Gliederungssystem als raumordnerisches Mittel zur Steuerung von Factory Outlet Centern I. Funktion und Vorgaben des zentralörtlichen Gliederungssystems Zu den Aufgaben der Raumordnung zählt nach § 1 Abs. 1 ROG, den Gesamtraum und seine Teilräume zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern. Die auf der jeweiligen Planungsebene auftretenden Konflikte sollen ausgeglichen und es soll Vorsorge für die einzelnen Raumfunktionen und Raumnutzungen getroffen werden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ROG). Tragendes Gerüst ist dabei das zentralörtliche Gliederungssystem. Danach sind die Gemeinden eines Teilraums in Orte verschiedener Zentralitätsstufen und in Orte ohne zentrale Bedeutung zu gliedern. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG ist die dezentrale Siedlungsstruktur auf ein System leistungsfähiger zentraler Orte auszurichten. Die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Infrastruktur ist vorrangig in zentralen Orten zu bündeln, die zentralen Orte des ländlichen Raums sind als Impulsgeber für die Regionalentwicklung zu unterstützen (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2, Nr. 6 Satz 2 ROG). Das Prinzip des zentralörtlichen Gliederungssystems beruht nach der maßgeblichen Untersuchung des Wirtschaftsgeographen Walter Christaller „Die zentralen Orte in Süddeutschland" auf der Erkenntnis, dass sich eine bestimmte Anordnung, Verteilung und die unterschiedliche Größe der Städte aus der ökonomisch-technischen Notwendigkeit, zentrale Versorgungseinrichtungen an ausgewählten Punkten eines Gebiets (zentrale Orte) zu lokalisieren, ergibt. 1 6 2 Hauptmerkmal eines zentralen Ortes sei es, „Mittelpunkt eines Gebietes zu sein". Dies ergibt sich aus dem dortigen Angebot an zentralen Gütern und Dienstleistungen, das nicht nur von der Bevölkerung des Ortes, sondern auch von der des Verflechtungsgebietes wahrgenommen wird. Die Existenz und notwendige Ausbildung zentraler Orte folge daraus, dass bestimmte kapitalintensive und spezialisierte (öffentliche wie private) Einrichtungen zu ihrer Wirtschaftlichkeit einer gewissen Auslastung bedürfen und sich somit nur an wenigen Orten in konzentrierter Form ansiedeln. Durch die An161
Spannowsky/Weick/Gouverneur, UPR 2004, 161. Christaller, Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen, S. 23, 30. 162
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Siedlung spezialisierter oder auf die Versorgung des einfachen Bedarfs gerichteter Einrichtungen an bestimmten Orten entsteht zugleich eine Hierarchie zentraler Orte mit unterschiedlichen Einzugsbereichen. Das zentralörtliche Gliederungssystem des ROG ist ein normatives Planungsmodell, dessen Hauptfunktion - trotz erheblicher Kritik in der rechts-, wirtschaftsund räum wissenschaftlichen Literatur 1 6 3 - in der gleichmäßigen Mindestversorgung der Bevölkerung in zumutbarer Entfernung l i e g t . 1 6 4 Als raumordnerisches Zielkonzept bedarf es der planerischen Umsetzung und Maßnahmen der Umsetzung, welche über rein räum- bzw. bauleitplanerische Maßnahmen hinausgehen können und müssen. 1 6 5 Es handelt sich um ein Ordnungssystem der Siedlungsentwicklung, das insbesondere kostenaufwendige Einrichtungen der sozialen Infrastruktur aber auch sonstiger öffentlicher und privater Einrichtungen so steuern soll, dass eine möglichst gleichmäßige Versorgung dadurch sichergestellt wird, dass diese Einrichtungen gebündelt und zentral vorgehalten werden. 1 6 6 Weiterhin ist dem zentralörtlichen Gliederungssystem die Erkenntnis einer Verbindung aller Daseinsfunktionen innerhalb eines Verflechtungsbereichs und eine bestehende wechselseitige Abhängigkeit von zentralem Ort und Einzugsbereich zu entnehmen. Zentrale Orte stellen somit zugleich Entwicklungszentren eines Gebiets dar. Bestätigt wird dies durch den Grundsatz der dezentralen Siedlungsstruktur in § 2 Abs. 1 Nr. 2 ROG, wonach die Siedlungsentwicklung durch die Ausbildung einer Vielzahl von leistungsfähigen Zentren und Stadtregionen i m Gegensatz zu einer einseitigen räumlichen Konzentration erfolgen s o l l . 1 6 7 Die Notwendigkeit einer dezentralen Siedlungsstruktur verbunden mit dem Erhalt bzw. der Schaffung zentraler Orte verdeutlicht sich aktuell an dem Wanderungsverhalten von Bevölkerung und Wirtschaftsunternehmen in den neuen Bundesländern. Mangels ausreichender Arbeitsplätze ist eine anhaltende Abwanderungsbewegung der Bevölkerung festzustellen, was dazu führt, dass sich weniger Unternehmen ansiedeln und sich so die Abwanderungstendenzen in der Bevölkerung verstärken. Dem ist nach dem Grundsatz 163 Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, Bd. II S. 32 ff.; Mensing, in: Priebs (Hrsg.) Zentrale Orte, S. 53; Hoppe, DVB1. 2000, 293, 297; Hoppe, NVwZ 2004, 282, 285; Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 161 ff. •64 OVG Magdeburg, Urteil vom 29. 6. 1993-1 Κ 6/92 - LKV 1994, 220, 223; Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 82; Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, Bd. II S. 11 ff.; Seimetz, in: Priebs (Hrsg.), Zentrale Orte, S. 11 ff.; Erbguth/Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, S. 10; Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 154; Jahn, BayVBl. 1989, 294, 295. Vgl. auch thüringischer LEP, Ziff. 2.2.
•65 Ζ. B. Städtebauförderungs- oder Infrastrukturmaßnahmen. 166 Runkel, in: Bielenberg /Runkel /Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 2, Rn. 34, Stand 2002; vgl. auch Entschließung der MKRO „Leitlinien zur Anwendung des Zentralen-Orte-Konzepts als Instrument einer nachhaltigen Raumentwicklung" vom 3. 12. 2001, abgedruckt in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 39, Stand 2002. 167 Vgl. auch Karte A „Siedlungsstrukturelle Ausgangssituation" des Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmens, abgedruckt in: Bielenberg /Runkel /Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 420, Stand 1994.
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einer dezentralen Siedlungsstruktur entgegenzusteuern, indem z. B. gerade unter Einbindung des zentralörtlichen Gliederungssystems eine differenzierte Förderung nach räumlichen Schwerpunkten vorgenommen wird, i m Gegensatz zu einer undifferenzierten Verteilung von Fördermitteln über den Gesamtraum. 1 6 8 Die Einordnung des zentralörtlichen Gliederungsprinzips in die Raumordnung als Mittel staatlicher Strukturpolitik zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in den Teilräumen stellt sich als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips gem. Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG d a r . 1 6 9 Für die Raumordnung von besonderer Bedeutung ist dabei die Schaffung einer den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechenden Siedlungs-, Freiraum- und Infrastruktur (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 ROG). Ein ausgereiftes zentralörtliches Gliederungssystem ist ökonomisch sinnvoll, da es in der Lage ist, die vorhandene Infrastruktur bestmöglich auszulasten und Synergieeffekte zu schaffen. In einem zweiten Schritt wirkt sich eine konzentrierte Nutzung der Infrastrukturen ressourcensparend und umweltschonend aus, da unnötiger Verkehr vermieden werden kann und Flächen geschont werden können. Insoweit ergibt sich ein Zusammenhang zur Leitvorstellung der nachhaltigen Raumentwicklung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 ROG). Das sozialstaatliche Postulat der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse darf allerdings nicht dahingehend verstanden werden, dass i m gesamten Landesbzw. Bundesgebiet einheitliche Lebensverhältnisse bestehen sollen. 1 7 0 Es genügt auch i m Rahmen des zentralörtlichen Gliederungsprinzips, in allen Teilräumen ein quantitativ und qualitativ angemessenes Angebot in zumutbarer Entfernung zur Verfügung zu stellen. 1 7 1 Ob staatliches Handeln erforderlich ist, bestimmt sich i m Bereich der Raumplanung danach, wie die jeweils bestehende räumliche Entwicklung unter Beachtung wirtschaftspolitischer und gesellschaftspolitischer Vorstellungen zu bewerten i s t . 1 7 2 Wirtschaftspolitisch ist dabei davon auszugehen, dass gewisse strukturelle Unterschiede stets vorhanden sein werden und auch nicht künstlich geebnet werden können. Eine staatliche Veränderung der strukturellen Verhältnisse ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn vorhandene Strukturen sich nicht selbst optimieren können oder eine bestimmte vorhandene Siedlungsstruktur - sei es eine zu geringe Besiedlungsdichte oder eine zu starke Agglomeration aus gesellschaftspolitischen Gründen geändert werden muss. Kulturelle und soziale Aspekte räumlicher Entwicklung, wie z. B. das Verbraucherverhalten, können da•68 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 2, Rn. 32, Stand 2002. 169 Erbguth, Probleme des geltenden Landesplanungsrechts, S. 134 ff.; Beus, Rechtsprobleme bei der Ausgestaltung der Raumordnung und Landesplanung als Entwicklungsplanung, S. 19 ff.; Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 155; Spannowsky, NdsVBl. 2001, 1, 2; vgl. auch Art. 2 Nr. 3 bayLPIG; § 2 Nr. 6 rh.-p. LP1G. 170
Vgl. in diesem Kapitel A II; insbesondere BVerfG, Entscheidung vom 29.11. 1961 - 1 BvR 758/57-BVerfGE 13, 230 ff.; 171 Raumordnungsprogramm für die großflächige Entwicklung des Bundesgebietes (Bundesraumordnungsprogramm), BT-Drs. 7/3584, S. 1, 3. >72 Ernst, in: Kaiser (Hrsg.), Planung Bd. III, S. 129, 146.
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gegen kaum durch staatliches Handeln beeinflusst werden. Entspricht z. B. die tatsächliche Angebotsstruktur nicht den Vorstellungen des Verbrauchers, so ist dieser bestrebt, Alternativen aufzutun, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. So zeigt sich eine Tendenz, dass die Verbraucher immer mehr ihre Ware über Internet-Shops und den Versandhandel beziehen, um nicht mehr an die dortigen Ladenöffnungszeiten u.ä. gebunden zu sein. Ebenso ist trotz zahlreicher raumordnerischer und städtebaulicher Beschränkungen von großflächigen Einkaufszentren auf der „grünen Wiese" das Interesse des Verbrauchers am sogenannten „Erlebniskauf' und „smart shopping" ungebrochen. Das Marktverhalten des Verbrauchers führt zu Strukturwandlungen und zu unternehmerischen Anpassungsmaßnahmen. Eine zu strikte Handhabung des zentralörtlichen Gliederungsprinzips, welches überkommene Marktstrukturen künstlich zu konservieren versucht, stellt eine reine Strukturerhaltungspolitik dar und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, an den Bedürfnissen der Bevölkerung und den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen rentabler Unternehmen „vorbeizuplanen". 1 7 3 Soll das zentralörtliche Gliederungssystem auch die Funktion einer indirekten Investitionslenkung übernehmen, so ist es erforderlich, dieses flexibel zu gestalten, um - unter Einbindung der übrigen raumordnerischen Vorstellungen - auf natürliche Strukturänderungen Einfluss nehmen und sich diesen gegebenenfalls auch anpassen zu können.
II. Charakter des zentralörtlichen Gliederungssystems 1. Das Kongruenzgebot Trotz der Verwendung des Gliederungssystems als raumordnerisches Ordnungsmodell kann ihm kein System schematischer Zuordnung von Einrichtungen bestimmter Größen- oder Qualitätsordnung zu entsprechenden Zentralitätsstufen im Sinne eines Kongruenzgebots entnommen werden. 1 7 4 Das zentralörtliche Gliederungssystem hat aus sich heraus keine bindende Wirkung dahingehend, dass sich bestimmte Vorhaben nur noch an Orten bestimmter Zentralitätsstufen ansiedeln dürfen und somit eine Ansiedlung an anderen Orten zwingend ausgeschlossen i s t . 1 7 5 Maßgebliche Funktion des zentralörtlichen Gliederungsprinzips ist es, eine 173 Kritisch zur Planung insgesamt Wimmer, DVB1. 1982, 62; allgemein zur Strukturerhaltungspolitik Eickhof, Strukturpolitik, S. 1. 174 So auch Moench, DVB1. 2005, 676, 685. 175 OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. 4. 1976 - 1 OVG D 22/ 76 - zit. bei Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376; Wahl, Rechtsfragen der Landesentwicklung und Landesplanung Bd. II, S. 30; Grae, Einkaufszentrum und Verbrauchermarkt, S. 73; Leder, Ansiedlung von Einkaufszentren, S. 94 f.; Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 88; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 257 f.; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 467; Erbguth/Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, S. 14; Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 155; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376; Hoppe, DVB1. 2000, 293, 295; ders., NWVB1. 1998, 461, 467; ders.,
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gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung in zumutbarer Entfernung zu gewährleisten. Dies wird nach seinem Grundgedanken dadurch sichergestellt, dass Versorgungseinrichtungen gebündelt und zentral vorgehalten werden. 1 7 6 Zwingend notwendig ist diese Bündelung jedoch nicht. Dem zentralörtlichen Gliederungsprinzip ist vielmehr nur das Gebot zu entnehmen, den zentralen Orten eine Mindestausstattung zu gewährleisten, um eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung und die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu sichern. 1 7 7 Dem steht nicht entgegen, dass sich private Unternehmen auch an Orten ohne oder niedrigerer Zentralität ansiedeln, soweit dadurch die Versorgerfunktion des zentralen Ortes und somit die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung nicht beeinträchtigt wird. Können durch die Ansiedlung von Einzelhandelgroßprojekten in Orten ohne bzw. niederer Zentralitätsstufe Versorgungslücken geschlossen werden und dadurch die verbrauchernahe Versorgung verbessert werden, so ist die Funktion des zentralörtlichen Gliederungsprinzips erfüllt. Eine darüber hinausgehende Verbotswirkung liegt dem zentralörtlichen Gliederungssystems nicht zugrunde. Die Annahme eines strikten Kongruenzgebots würde auch der Funktion des zentralörtlichen Gliederungssystems zuwiderlaufen. 1 7 8 Gerade i m Hinblick auf die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs besteht bei der Annahme eines strikten Kongruenzgebots die Gefahr der Unterversorgung in Orten ohne bzw. niederer Zentralitätsstufe. Der hier vertretenen Auffassung wird in der Literatur entgegengehalten, dass sich aus den § § 2 Abs. 2 Nr. 2 und 12 ROG ergebe, dass der Gesetzgeber selbst eine Beschränkung und Konzentrierung der Wahrnehmung von Versorgungsfunktionen auf zentrale Orte verlange. 1 7 9 Das zentralörtliche Gliederungsprinzip dürfe daher nicht auf eine Mindestausstattungsgarantie beschränkt werden. Dem ist jedoch zu widersprechen. Die Forderung der Ausrichtung einer konzentrierten Siedlungstätigkeit auf ein System leistungsfähiger zentraler Orte in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 HS. 2 ROG lässt gerade den Umkehrschluss zu, dass auch außerhalb zentraNVwZ 2004, 282, 286; Jahn, BayVBl. 1989, 294, 296; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 341; a.A. Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 34 f., der zwar auch eine Verbotswirkung grundsätzlich ablehnt, allerdings mit der Einschränkung, dass dem zentralörtlichen Gliederungssystem das Kongruenzgebot, Beeinträchtigungsverbot und das Integrationsgebot als zu konkretisierende Planungsgrundsätze zugrunde liegen (S. 33); ders., UPR 2003, 248, 251; Schmitz, ZfBR 2001, 85, 87. 176 Runkel, in: Bielenberg /Runkel /Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 2, Rn. 34, Stand 2002; vgl. auch Entschließung der MKRO „Leitlinien zur Anwendung des Zentralen-Orte-Konzepts als Instrument einer nachhaltigen Raumentwicklung" vom 3. 12. 2001, abgedruckt in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 39, Stand 2002. 177 Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376; in diese Richtung auch Entschließung der MKRO „Leitlinien zur Anwendung des Zentrale-Orte-Konzepts als Instrument einer nachhaltigen Raumentwicklung" vom 3. 12. 2001, abgedruckt in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 39, Stand 2002 178 Jahn, BayVBl. 1989, 294, 296; Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 155, 157.
i™ Schmitz, ZfBR 2001, 85, 87. 6 Ernst
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
ler Orte eine nennenswerte Siedlungsentwicklung erfolgen s o l l . 1 8 0 Dies ergibt sich auch aus § 2 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 ROG, wonach das Gesetz jedenfalls in Bezug auf die Wohnraumsiedlungstätigkeit ausdrücklich regelt, dass die Eigenentwicklung der Gemeinden zu gewährleisten ist. Diese Aussage kann dahingehend verallgemeinert werden, dass die zentralen Orte ein siedlungsstrukturelles Grundgerüst bilden. Bestätigt wird dies durch § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b ROG, wonach lediglich rahmenrechtlich vorgegeben wird, dass die anzustrebende Siedlungsstruktur durch die Bestimmung zentraler Orte festgelegt werden kann. Damit obliegt es der Landesplanung, ein System der zentralen Orte festzulegen und dieses auszugestalten und diesem so möglicherweise durch die Bestimmung von Zielvorgaben eine Anbindung i m Sinne einer Verbotswirkung zu verleihen. 1 8 1
2. Das Beeinträchtigungsverbot Aus der Hauptfunktion des zentralörtlichen Gliederungssystems, die Mindestversorgung der Bevölkerung in einer zumutbaren Entfernung in allen Gebieten sicherzustellen, ergibt sich, dass das Beeinträchtigungsverbot, anders als das Kongruenzgebot, unmittelbar i m zentralörtlichen Gliederungssystem verankert i s t . 1 8 2 Gemeinden niederer bzw. ohne Zentralitätsstufe dürfen durch ihre Planung Gemeinden höherer Zentralität nicht in der Erfüllung ihrer landesplanerischen Aufgaben beeinträchtigen. U m die erforderliche Mindestausstattung der zentralen Orte gewährleisten zu können, weisen die landesplanerischen Programme und Pläne den zentralen Orten einen Verflechtungsbereich zu, für den sie die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sicherstellen sollen. 1 8 3 Die Aufgaben eines Ortes ergeben sich zwar erst durch die landesplanerische Festschreibung seiner Zentralitätsstufe. Die damit verbundene Versorgungsfunktion (gleich welcher Bedarfsstufe) folgt aber bereits aus dem zentralörtlichen Gliederungsprinzip selbst. Factory Outlet Center unterliegen daher dem zentralörtlichen Verbot der wesentlichen Beeinträchtigung ausgeglichener Versorgungsstrukturen, um so der Gefahr einer Unterversorgung in anderen Versorgungsbereichen durch einen übermäßigen Kaufkraftabzug entgegenzutreten. Ob durch die planungswidrige Ansiedlung eines Factory Outlet Centers eine solche Gefahr droht, wird noch zu prüfen sein.
>80 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 2 Rn. 33, Stand 2002. 181
Zur Zulässigkeit eines landesplanerisch verankerten Kongruenzgebots s. Ausführungen unter Abschnitt D. 182 Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 161; Hoppe, DVB1. 2000, 293, 300; wohl auch Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 257; anders wohl Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 34;. 183 BayVGH, Urteil vom 23. 5. 1985-2N 83 A. 1490-BayVBl. 1986, 114, 115; Fickert/ Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 22.1; Hoppe, in: Hoppe/Menke (Hrsg.), Raumordnung und Landesplanung, § 6 Rn. 91; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 256; Jahn, BayVBl. 1989, 294, 295.
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3. Das Integrationsgebot Das Integrationsgebot kann wie das Kongruenzgebot nicht als Bestandteil des zentralörtlichen Gliederungssystems gesehen werden, sondern bedarf erst einer Festlegung durch landesplanerische Pläne und Programme. Dies ergibt sich aus der Herkunft des zentralörtlichen Gliederungsprinzips einerseits und dem Zweck des Integrationsgebots andererseits. Als Integrationsgebot werden solche Festlegungen bezeichnet, wonach bestimmte Vorhaben vorrangig an Standorten angesiedelt werden sollen, die räumlich und funktional Siedlungsschwerpunkten zugeordnet sind, um so der Innenentwicklung Vorrang einzuräumen. 1 8 4 Das Integrationsgebot hat somit tendenziell städtebaulichen Charakter. 1 8 5 Nach dem zentralörtlichen Gliederungssystem werden grundsätzlich die (politischen) Gemeinden eines Teilraums in Orte verschiedener Zentralitätsstufen und in Orte ohne zentrale Bedeutung gegliedert. 1 8 6 Die Gemeinde hat als zentraler Ort die zu ihrer Zentralitätsstufe gehörenden Funktionen wahrzunehmen. Es kommt demnach nicht darauf an, wo konkret innerhalb der Gemeinde diese Funktion wahrgenommen wird. Dies kann i m gemeindlichen Bereich aber auch in Nebenzentren oder außerhalb von Zentren erfolgen. Das Argument einer verbrauchernahen Versorgung steht dem nicht entgegen. Dieses kann im Rahmen der Raumordnung nicht gemeindebezogen-städtebaulich, sondern muss auf den überplanten Raum bezogen betrachtet werden. Ein konkreter Standort ist demnach nur dann nicht raumordnerisch vertretbar, wenn die verbrauchernahe Versorgung i m Gesamtraum des Planes gefährdet ist. Eine Festlegung auf den inner städtischen Bereich ist damit nicht verbunden.
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Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 266; Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 123. 185 Ausdrücklich sogar Ziff. 3.4.1.3 des LEP III des Landes Rheinland-Pfalz vom 13. 6. 1995, GVBl. RP Nr. 15 vom 4. 8. 1995, S. 225, 255, welches vom städtebaulichen Integrationsgebot spricht. 186 Grundsätzlich wird in den Landes- und Regionalplänen das gesamte Gemeindegebiet als zentraler Ort ausgewiesen. Eine solche Gliederung berücksichtigt allerdings nicht, dass gerade in Großstädten Stadtteile sehr unterschiedlich ausgestaltet sind und nicht im gesamten Gemeindegebiet die zugewiesene zentralörtliche Stufe tatsächlich besteht. Verstärkt wird daher dazu übergegangen, nicht mehr die gesamte Gemeinde als zentralen Ort auszuweisen, sondern diese Ausweisung standortbezogen als zentralörtliche Standortbereiche vorzunehmen, vgl. Landes-Raumordnungsprogramm des Landes Niedersachsen von 1994, Nds. GVBl. Nr. 5 und Nr. 16, zuletzt geändert am 23. 10. 2002, Nds. GVBl. Nr. 33, 2002, in Kraft getreten am 10. 12. 2002. 6*
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
D. Die Steuerung von Factory Outlet Centern durch das landesplanerische Kongruenzgebot I. Ansiedlungsansprüche zentraler Orte als Basis eines Kongruenzgebots? 1. Ziele der Raumordnung als subjektive Rechte von zentralen Orten Da das Kongruenzgebot nicht unmittelbar Bestandteil des zentralörtlichen Gliederungssystems ist, bedarf es der ausdrücklichen Festlegung in den landesplanerischen Programmen und Plänen. Die Zuordnung einer bestimmten Zentralitätsstufe zu einer Gemeinde führt ebenfalls nicht zur Festlegung des Kongruenzgebot, da damit nur das zentralörtliche Gliederungssystem in seiner Ordnungsfunktion umgesetzt wird. Etwas anderes ist möglicherweise dann anzunehmen, wenn die Zuordnung einer Zentralitätsstufe zu einer Gemeinde dieser ein subjektives Ausschließlichkeitsrecht auf Ansiedlung bestimmter Vorhaben unter Ausschluss anderer Gemeinden niederer bzw. ohne Zentralitätsstufe vermitteln würde. Wäre dies der Fall, so könnte eine zentralörtliche Gemeinde i m Klagewege ihre Funktion gegen bestimmte Vorhaben in einer Nachbargemeinde niederer oder ohne Zentralitätsstufe geltend machen. Daraus ergäbe sich im Umkehrschluss ein landesplanerisches Kongruenzgebot ohne dass es seiner ausdrücklichen landesplanerischen Festsetzung bedarf. Ob eine Rechtsnorm individualschützenden Charakter aufweist, richtet sich danach, ob die in Frage stehende Norm dazu bestimmt und geeignet ist, nicht nur den rechtlichen Interessen der Allgemeinheit sondern auch den rechtlichen Interessen Einzelner zu dienen (Schutznormtheorie). 187 Unbeachtlich für die Vermittlung subjektiver Rechte ist, dass es sich bei den zentralen Orten um Hoheitsträger handelt. Aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich, dass den Gemeinden eine besondere Rechtsstellung zusteht, welche diesen im Verhältnis zu anderen Hoheitsträgern selbständige Rechtspositionen vermitteln k a n n . 1 8 8 Damit ist nicht generell ausgeschlossen, dass Ziele der Raumordnung subjektive Rechte beinhalten können. Ob ein Plansatz Drittschutz vermittelt,
187 BVerwG, Urteil vom 4. 6. 1986-7 C 76/84 - DVB1. 1987, 373; Urteil vom 19. 9. 1986-4 C 8/84 - DÖV 1987, 296, 297; Wolff/ Bachoff/Stober, Verwaltungsrecht I, § 43, Rn. 12, 23 ff.; Erichsen, in: Erichsen /Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 31 ff. m.w.N; Eyermann, VwGO, § 42 Rn. 16; Jarass, DVB1. 1976, 733, 740; Breuer, NJW 1979, 1862, 1871; Gassner, DÖV 1981, 615, 617, 619. Nach a.A. bestimmt sich die Frage der subjektiven Rechte nach der sog. Rechtsverhältnistheorie - Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 367 ff.; Kremm, Ziele der Raumordnung, S. 109 ff. Grundlegend Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte. 188 Jarass, DVB1. 1976, 732, 736.
. Steuerung durch das landesplanerische
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ist durch Auslegung der Regelung zu ermitteln. Es obliegt dem Träger der Landesplanung, zu entscheiden, ob er durch Zielaussagen vermittelte Interessenpositionen zu subjektiven Rechten ausformt. 1 8 9 Insbesondere Zielfestlegungen, in denen die planerische Vorstellung einer Gemeinde oder der Gesichtspunkt der Situationsgebundenheit sichtbaren Niederschlag gefunden hat, könnten den Schluss rechtfertigen, dass mit ihnen ein Interessenschutz verbunden i s t . 1 9 0 Ein solcher Interessenschutz ist den landesplanerischen Zuweisungen bestimmter Zentralitätsstufen nicht zu entnehmen. 1 9 1 Sie sind weder bestimmt noch geeignet, den erfassten zentralen Orten eine subjektive Rechtsposition in dem Sinn zu vermitteln, eine Ausweisung privater Vorhaben an einem anderen Ort ohne oder geringerer Zentralitätsstufe mit dem Argument anzugreifen, dass eine Ansiedlung nur am zentralen Ort in Betracht zu ziehen sei. Dem steht der überörtliche Charakter der Festlegung zentraler Orte als strategisches Element für die raumstrukturelle Entwicklung entgegen. Aufgabe der Landesplanung ist die übergeordnete, überörtliche und zusammenfassende Planung für die räumliche Ordnung und Entwicklung des gemeinsamen Planungsraumes. Dem dient die Aufstellung landesplanerischer Pläne und Programme. Dadurch soll ein landesplanerisches Gesamtkonzept für die räumliche Entwicklung und Ordnung geschaffen werden, um so gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilräumen des Landes zu erreichen. Aufgabe zentraler Orte ist es, je nach dem Grad der Zentralität, eine angemessene Infrastruktur und die Bedarfsdeckung im Einzugsbereich zu gewährleisten. 1 9 2 Damit verbunden ist in der Regel die Vorhaltung kostenintensiver Einrichtungen zur Aufgabenerfüllung. Dies berechtigt jedoch nicht zur Annahme subjektiver Rechte. Der Vorrang 189 OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. 4. 1976- 1 OVG D 22/76 - EPlaR III, OVG Lüneburg 4.76; OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 26. 3. 2001-3 Β 113/00.Z - DVBl. 2001, 1298, vollst, zit. in JURIS; Halama, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), FS für Schlichter, S. 201, 226. •90 Halama, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), FS für Schlichter, S. 201, 226 •91 BVerwG, Beschluss vom 30. 8. 1995-4 Β 86/95 - UPR 1995, 448 ff.: kein wehrfähiges Recht, wenn öffentliche Belange gefährdet werden, deren Wahrnehmung nicht der Gemeinde als Teil ihrer zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben obliegt; OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. 4. 1976- 1 OVG D 22/76 - EPlaR III, OVG Lüneburg 4.76; BayVGH, Beschluss vom 25. 10. 1999-26 C 99.2222 - BauR 2000, 365, 366; VGH Mannheim, Urteil vom 21. 12. 1976 - III 415/76 - BauR 1977, 184, 185; VGH Mannheim, Urteil vom 27. 2. 1987-5 S 2472/86 - NVwZ 1987, 1088; OVG Weimar, Beschluss vom 23. 4. 1997-1 EO 2 4 1 / 9 7 - D Ö V 1997, 791 f.; OVG Koblenz, Beschluss vom 8. 1. 1999-8 Β 12650/98.0VG - GewArch 1999, 213; OVG Lüneburg, Urteil vom 30. März 2000-1 Κ 2491 /98 - UPR 2000, 396 ff.; OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 26. März 2001 - 3 Β 113/00.Z - DVBl. 2001, 1298 ff.; Hoppe/ Β unse, WiVerw. 1984, 151, 161 f.; Hoppe, NVwZ 2004, 282, 285; Jahn, BayVBl. 2000, 267, 270; ders., GewArch 2002, 412, 414; Uechtritz, BauR 1999, 572, 578; Otting, DVBl. 1999, 595. Α. A. OVG Münster, Beschluss vom 9.2. 1988 -11 Β 2505/87 - DÖV 1988, 843, OVG Bautzen, Urteil vom 26. 5 1993-1 S 68/93 - LKV 1994, 117; Janning, in: Jarass (Hrsg.), Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz, S. 109, 125; Schmitz, ZfBR 2001, 85, 87; Voß, ZfBR 1994, 111, 112; kritisch Kremm, Ziele der Raumordnung, S. 298 f. •92 Voß, ZfBR 1994, 111, 112.
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eines zentralen Ortes erschöpft sich darin, dass er die Einrichtungen erhält, die zu seiner Funktionserfüllung notwendig s i n d . 1 9 3 Gewahrt werden soll eine Mindestausstattung des zentralen Ortes, die seiner Zentralitätsstufe entspricht. 1 9 4 Den Festlegungen lässt sich nur entnehmen, dass zentrale Orte allenfalls davor geschützt werden, dass ihnen durch die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsprojekte in niederrangigen Zentren die Erfüllung der oben beschriebenen Aufgabe („Mindeststandard 4') erschwert wird, wenn ausgeglichene Versorgungsstrukturen auf ihrem Gebiet wesentlich beeinträchtigt werden. Daraus ergibt sich lediglich ein Beeinträchtigungsverbot, nicht die Annahme eines Konkurrenzschutzes i m Rahmen eines Kongruenzgebots. Die Festlegung zentraler Orte dient übergeordneten Planungsinteressen und ist nicht darauf ausgerichtet, bestimmten Interessen der erfassten Gemeinden zu dienen. 1 9 5 Gleiches gilt für die landesplanerische Zuordnung von Factory Outlet Centern und großflächigem Einzelhandel zu Orten bestimmter Zentralitätsstufe. Derartige Zielfestlegungen räumen zentralen Orten keinen Konkurrenzschutz absoluter Art e i n . 1 9 6 Trotz der Zuordnung fehlt es am örtlichen Charakter der planerischen Aussagen. Die explizite Zuordnung bestimmter Einrichtungen und Vorhaben zu Orten bestimmter Zentralitätsstufen stellt eine Konkretisierung und Umsetzung des zentralörtlichen Gliederungssystems als eines der Landesplanung eigenen überörtlichen Belangs dar. Wie bei der Festlegung zentraler Orte dienen die Zielfestlegungen übergeordneten und überörtlichen Planungsinteressen. Anlass der Zielfestlegungen sind überörtliche Gesichtspunkte, wie die flächendeckende Sicherung der Versorgung der Bevölkerung, Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, Verkehrsvermeidung, der Grundsatz der Innen- vor Außenentwicklung, der Erhalt eines Freiraumsystems oder der Ressourcenschutz. 197 Die Vorhaben werden nicht namentlich erfassten zentralen Orten, sondern lediglich bestimmten Gattungen zentraler Orte, z. B. Oberzentren, zugewiesen. Es lässt sich den Zielformulierungen keine konkrete Berücksichtigung einer gesonderten Situationsbezogenheit entnehmen. Ein Kongruenzgebot ergibt sich auch nicht aus dem beispielsweise in Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP und in der Begründung zu Ziff. 3.3.7.1 bis 3.3.7.3 baden193 OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. 4. 1976- 1 OVG D 22/76 - EPlaR III OVG Lüneburg 4.76; Beschluss vom 27. 1. 1977 - I OVG Β 58/76 - EPlaR III OVG Lüneburg 1.77; Urteil vom 30. 3. 2000- 1 Κ 2491/98 - UPR 2000, 396, 398; VGH Mannheim, Beschluss vom 21. 12. 1976 - III 415/76 - BauR 1977, 184, 186; zustimmend Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 158; ablehnend Voß, ZfBR 1994, 111, 112. 194 OVG Lüneburg, Urteil vom 30. 3. 2000-1 Κ 2491/98 - UPR 2000, 396, 398; vgl. auch Begründung zu Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP, S. 185, 187. 195 Bielenberg, in: Ernst /Zinkahn/ Bielenberg / Krautzberger (Hrsg.), BauGB, § 2 Rn. 66, Stand März 1998: Drittwirkung nur hinsichtlich Rücksichtnahmegebot; Uechtritz, BauR 1999, 572, 578; Jahn, BayVBl. 2000, 267, 270; ders, GewArch 2002, 412, 414. 196 OVG Lüneburg, Urteil vom 30. 3. 2000-1 Κ 2491 /98 - UPR 2000, 396, 398; anders wohl BayVGH, Beschluss vom 21.1. 2002- 14 ZB 00.2155 - zit. in JURIS. 197 Ziff. 1.2.4 Abs. 1 und 3 thüringischer LEP; Erläuterung zu Ziff. 7.5 Abs. 1 und 2 schleswig-holsteinischer LROP1; Begründung zu Ziff. 1.2.1.3 bayerisches LEP, S. 188.
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württembergischen LEP angesprochenen Zusammenhang zwischen Kaufkraftabzug und Schwächung der Zentrumsfunktion der Städte. Die dort genannten nachteiligen Auswirkungen für die Nahversorgung aufgrund von Veränderungen in der Einzelhandelsstruktur durch die Ansiedlung von Factory Outlet Centern weisen keinen (zentral-)örtlichen Bezug auf. Von der Ansiedlung solcher Vorhaben kann nicht nur die Versorgung in den Zentren, sondern auch die in den kleineren Städten und Gemeinden i m engeren Verflechtungsraum betroffen sein. Dort kann angesichts der geringeren Anzahl von Geschäften die Schließung auch nur eines einzelnen Ladenlokals oder eines geringen Teils der vorhandenen Ladenlokale eher zu einer ernsthaften Beeinträchtigung der Versorgung führen. 1 9 8 Von Belang ist nur die Wahrung der Funktion der zentralen Orte in ihrer raumordnerischen bzw. zentralörtlichen Qualität zur Erhaltung des gesamtörtlichen Gliederungsprinzips. 199 Aus der Zuordnung von Zentralitätsstufen zu bestimmten Gemeinden folgt daher kein subjektives Ausschließlichkeitsrecht, welches ein Kongruenzgebot begründen könnte.
2. Keine Vermittlung subjektiver Rechte in landesplanerischen Zielfestlegungen durch § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB Die Umsetzung der Richtlinie 2 0 0 1 / 4 2 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Programme und Pläne (Plan-UP-Richtlinie) 2 0 0 wurde vom Bundesgesetzgeber zum Anlass genommen, das BauGB hinsichtlich des Schutzes raumordnerischer Funktionszuweisungen zu modifizieren. 2 0 1 Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB können sich Nachbargemeinden i m Rahmen des interkommunalen Abstimmungsgebotes „auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen". Ähnlich ist der neugefasste § 34 Abs. 3 BauGB formuliert, wonach von Vorhaben nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein dürfen. Die Einführung insbesondere des § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist vor dem Hintergrund verständlich, dass im Rahmen des bisher geltenden interkommunalen Abstimmungsgebotes die Verletzung raumordnerischer Festlegungen nach herrschender Auffassung nicht zur Begründung einer Klagebefugnis bei Normenkontrollklagen gegen kommunale Bauleitpläne herangezogen werden konnte. 2 0 2 Der raumordnerische Status der 198 OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 26. 3. 2001-3 Β 113/00.Z - DVB1. 2001, 1298, vollst, zit. in JURIS. 199 Begründung zu Ziff. 1.2.1.3 Abs. 2 bayerisches LEP, S. 189. 200 ABl. EG Nr. L 197 S. 30. 20
1 Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau) vom 24. 6. 2004, BGBl. 2004 I, 1359 ff.
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Nachbargemeinden wurde bisher nur insoweit berücksichtigt, als dass die Verwirklichung der zentral örtlichen Funktion nicht in schwerwiegender Weise beeinträchtigt werden durfte. 2 0 3 Die Neufassung beruht auf Überlegungen der Unabhängigen Expertenkommission zur Novellierung des BauGB.204 Nach Auffassung der Expertenkommission weisen zentralörtliche Zielfestlegungen der Gemeinde eine bestimmte sie i m Standort Wettbewerb mit anderen Gemeinden begünstigende Funktion zu, daher müsse diese Funktion der gemeindlichen Planungshoheit zugerechnet werden und verteidigungsfähig sein. 2 0 5 Ziele der Raumordnung hätten einen verpflichtenden und berechtigenden Charakter, auch i m Verhältnis der Gemeinden zueinander. Dies lege die Schlussfolgerung nahe, dass das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB nicht nur eine verpflichtende, sondern auch berechtigende Seite hätte. Ist die Gemeinde nach § 1 Abs. 4 BauGB gebunden, ihre Bauleitplanung an dem zentralörtlichen Ziel der Raumordnung auszurichten, dann sei es nur folgerichtig, ihre so auszurichtende und ausgerichtete Planung gegen eine die zentralörtliche Funktion störende raumordnungswidrige Planung einer anderen Gemeinde zu verteidigen. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung sei daher vorzusehen, die gemeindenachbarliche Abstimmungsverpflichtung dahin zu ergänzen, dass sich Gemeinden auch auf die ihnen zugewiesenen Funktionen berufen können. Dies solle auch die Klagebefugnis der Nachbargemeinden stärk e n . 2 0 6 Könnte eine zentralörtliche Gemeinde nun gegen Vorhaben in der Nachbargemeinde niederer oder ohne Zentralitätsfunktion klagen, ohne dass es auf eine Beeinträchtigung ihres zentralörtlichen Status ankäme, würde dies mittelbar zu einer Begründung eines Kongruenzgebots führen. Nach der Intention des Gesetzgebers führt § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB dazu, dass über diese Norm Drittschutz grundsätzlich nicht drittschützender Rechtsvorschriften vermittelt wird. Konsequenz wäre, dass i m Rahmen des baurechtlichen interkommunalen Abstimmungsgebots nicht mehr der Landesnormgeber über die Drittschutzqualität von Funktionszuweisungen in landesplanerischen Zielfestlegungen, sondern der Bundesgesetzgeber entscheidet. Die Novellierung des interkommunalen Abstimmungsgebots führt allerdings nicht dazu, dass den landesplanerischen Zielvorgaben, welche die Zentralörtlichkeit von Gemeinden betreffen, aufgrund 202 OVG Lüneburg, Urteil vom 17. 11. 1970 - I A 97.69 - DVBl. 1971, 322; Beschluss vom 23. 4. 1976 - I Β 22.76 - EPlaR III OVG Lüneburg 4.76; BayVGH, Urteil vom 24. 5. 1984 - Nr. 2 Β 83 Α. 850 - BayVBl. 1984, 659; Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 161; Otting, DVBl. 1999, 595, 596; üechtritz, BauR 1999, 572, 578; Jahn, BayVBl. 2000, 267, 270; ders., GewArch 2002, 412, 414; zur neuen Gesetzeslage Hoppe, NVwZ 2004, 282 ff.; a.A. OVG Münster, Beschluss vom 9. 2. 1988-11 Β 2505/87 - NVwZ-RR 1988, 11; Schmitz, ZfBR 2001, 85, 88. 203
Bielenberg, in: Erbguth/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), BauGB, § 2 Rn. 66, Stand März 1998. 204 Bericht der Unabhängigen Expertenkommission, Rn. 207 ff. 205 Bericht der Unabhängigen Expertenkommission, Rn. 215. 206 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum EAG-Bau vom 17. 10. 2003, BR-Drs 756/03, S. 91.
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des § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB stets Drittschutzcharakter zukäme. Entgegen der Auffassung der Expertenkommission 2 0 7 ist die landesplanerische Funktionszuweisung nicht Teil der kommunalen Planungshoheit nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 G G . 2 0 8 Sie ist lediglich i m Rahmen des interkommunalen Abstimmungsgebots nach § 2 Abs. 2 BauGB wehrfähig gestellt. 2 0 9 Die Zuweisung eines zentralörtlichen Status erfolgt durch Rechtsnormen des Landesplanungsträgers. So ermächtigt beispielsweise Art. 2 Nr. 3 i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 und 17 bayLPIG die Exekutive zur Einstufung von Gemeinden, die sich als Mittelpunkt des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens eines bestimmten Eignungsbereichs eignen, als zentrale Orte, um so möglichst gleichwertige Lebensbedingungen zu erreichen. Damit wird dem Träger der Landesplanung ein Spielraum an organisatorischer und planerischer Gestaltungsfreiheit, ein Planungsermessen, eingeräumt. 2 1 0 Er bestimmt, ob und in welcher Form einer Gemeinde ein zentralörtlicher Status zugewiesen wird und kann diesen auch wieder entziehen. Dementsprechend gibt es keinen Rechtsanspruch von Gemeinden auf Ausweisung als zentraler O r t . 2 1 1 Zwar wurde von der Expertenkommission angeführt, dass die landesplanerische Zuweisung von zentralörtlichen Funktionen auch begünstigende Wirkung habe. 2 1 2 Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Ausweisung zentraler Orte und die Zuweisung zentralörtlicher Funktionen nicht um der zentralörtlichen Gemeinde selbst, sondern zur Sicherung einer bestimmten Infrastruktur erfolgt. Die Berechtigung einer zentralörtlichen Gemeinde, ihren Status nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB einer planenden Nachbargemeinde im Rahmen des kommunalen Abstimmungsgebots entgegen zu halten, besteht daher lediglich darin, ihre Rechte gegen eine die zentralörtliche Funktion beeinträchtigende Planung zu verteidigen. 2 1 3 Die Novellierung des interkommunalen Abstimmungsgebotes kann daher nicht als Basis eines landesplanerischen Kongruenzgebots herangezogen werden. Es bedarf daher weiterhin seiner ausdrücklichen landesplanerischen Festlegung.
207
Bericht der Unabhängigen Expertenkommission, Rn. 215. 08 Hoppe, NVwZ 2004, 282, 287 ff. 2 °9 Dazu Drittes Kapitel A IV 1 und 2. 2
210 Zum Planungsermessen Badura, in: Bayerischer Verfassungsgerichtshof (Hrsg.), Festschrift BayVerfGH, S. 157, 160 f. 2 " BayVGH, Beschluss vom 18. 11. 1974- 156 VII 73, 175 VII 73 - BayVBl. 1975, 168, 169 f. Vgl. die Formulierung im bayerischem LEP, Begründung A III zu Ziff. 2.1.3.1, S. 137: „Für die Auswahl der zentralen Orte unterschiedlicher Stufen sind ihre überörtlichen Funktionen entscheidend. [ . . . J Das Messen von Aufstufungswünschen einzelner zentraler Orte an neuen, strengeren Kriterien ist gerechtfertigt, da bereits ein weitgehend flächendeckendes Netz zentraler Orte existiert, das die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung garantiert. Aufgrund der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung, die die Funktionsfähigkeit einzelner zentraler Orte in Frage stellen kann und eine Gefährdung der Auslastung zentralörtlicher Einrichtungen befürchten lässt, wäre es kontraproduktiv, noch eine größere Anzahl neuer zentraler Orte auszuweisen." 212 2
Bericht der Unabhängigen Expertenkommission, Rn. 215. '3 Hoppe/Otting, DVB1. 2004, 1125; 1130.
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II. Die kommunale (Bau-)Planungshoheit als verfassungsrechtliche Grenze des Kongruenzgebots 1. Die Ausweisung von Flächen zur Ansiedlung von Factory Outlet Centern als „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft" im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG Die gemeindliche (Bau-)Planungshoheit ist die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als Bestandteil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts verfassungsrechtlich gewährleistete Befugnis der Gemeinden, die Bodennutzung in ihrem Gebiet umfassend und ohne durchgängige und strikte Bindung an staatliche Vorgaben aufgrund eines eigenen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums zu planen und zu regeln. 2 1 4 Von zentraler Bedeutung ist dabei die Befugnis, Bauleitpläne in eigener Verantwortung aufzustellen, welche einfachgesetzlich durch § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB zuerkannt wird. Der durch die grundgesetzliche Regelung eröffnete Planungsspielraum wird im Hinblick auf raumordnerische Vorgaben auf vielfache Weise eingeschränkt. So sind die Gemeinden gem. § 1 Abs. 4 BauGB verpflichtet, ihre planerischen Vorstellungen an die Ziele der Raumordnung anzupassen. Darin liegt ein zwingendes Gebot begründet, die Ziele bei der Aufstellung von gemeindlichen Bauleitplänen zu beachten. Ein Überwinden der Zielvorgaben mittels planerischer Abwägung ist ausgeschlossen. Die Beachtenspflicht ist unproblematisch, soweit raumordnerische Zielvorgaben und gemeindliche Planungsvorstellungen übereinstimmen bzw. die gemeindliche Planung durch die Beachtenspflicht nicht beschränkt wird. Zwischen der Raumordnung und der kommunalen Bauleitplanung entsteht allerdings ein Spannungsverhältnis, wenn eine Gemeinde eigene Vorstellungen wegen entgegenstehender raumordnerischer Zielvorgaben nicht umsetzen kann. So führt die Annahme eines Kongruenzgebotes dazu, dass beispielsweise nach Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP Kleinzentren oder Gemeinden ohne Zentralitätsstufe in der Regel keine Kern- oder Sondergebiete gem. § 7 bzw. § 11 Abs. 3 BauNVO zur Ansiedlung von Factory Outlet Centern ausweisen dürfen. Wesentlich krasser verhält es sich nach Ziff. 3.3.7 baden-württembergisches LEP bzw. nach Ziff. 4.1.2 hessisches LEP, wonach Factory Outlet Center nur noch in Oberzentren bzw. Ober- und Mittelzentren ausgewiesen werden dürfen. Dadurch wird einem Großteil der Gemeinden die Ausweisung von Flächen zur Ansiedlung von Factory Outlet Centern verwehrt. Nach Spannowsky stellt die Ansiedlung von Factory Outlet Centern keine Ausprägung der kommunalen Planungshoheit dar 2 1 5 Eine Verletzung des kommunalen 214 BVerwG, Urteil vom 12. 12. 1969 - IV C 105.66 - BVerwGE 34, 301, 304; Urteil vom 11. 4. 1986-4 C 51.83 - BVerwGE 74, 124, 132; Paßlick, Ziele der Raumordnung, S. 70 f.; Widern, Gemeindliche Planungshoheit, S. 80; Scherer, Großvorhaben im Außenbereich, S. 208; Oebbecke, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS für Hoppe, S. 239; Just, in: Hoppe/Bönker/ Grotefels (Hrsg.), Öffentliches Baurecht, § 2 Rn. 27. 215 Spannowsky, UPR 2003, 248.
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Selbstverwaltungsrechts durch die Einzelhandelsentwicklung steuernden Ziele der Raumordnung scheide aus, da es sich dabei nicht ausschließlich um eine örtliche Angelegenheit der Standortgemeinde handele. I m Bereich der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten bestünden parallele Aufgabenfelder der Landes- und Regionalplanung sowie der kommunalen Bauleitplanung. Nimmt die Raumordnung ihre überörtliche Ordnungs- und Steuerungsaufgabe wahr, so verenge sich der Entscheidungsspielraum der Standortgemeinde. 216 Die Frage, in welcher Entscheidung skompetenz die Ansiedlung eines Einzelhandelsgroßprojekts liegt, bestimme sich danach, ob die Auswirkungen des Vorhabens allein die Standortgemeinde betreffen und von dieser allein zu bewältigen seien. Da Factory Outlet Center aufgrund ihrer von den Betreibern angedachten Lage und Größe und dem damit verbundenen Einzugsbereich in ihren Auswirkungen über die Standortgemeinde hinausgehen, liege der Schwerpunkt der landesplanerischen Regelung zur Ansiedlung dieser Vorhaben i m überörtlichen Bereich. Dem ist zu widersprechen. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft i m Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, ohne dass es auf ihre Verwaltungskraft a n k o m m t . 2 1 7 Die Bauleitplanung ist normativ und kompetentiell auf die räumliche Ordnung und Gestaltung des Gemeindegebietes durch Planung der baulichen Nutzung der dort belegenen Grundstücke bezogen. Sie wird daher i m Gegensatz zur Raumordnung und Landesplanung, deren Merkmal die zusammenfassende überörtliche und überfachliche Planung raumrelevanter Vorhaben und Maßnahmen mit dem Ziel der Koordinierung der Ordnung und Entwicklung des Gesamtstaates ist, und i m Unterschied zu Fachplanungen entscheidend durch die Berücksichtigung lokaler Belange geprägt. 2 1 8 Dass sie dennoch faktische Auswirkungen über das Gemeindegebiet hinaus haben kann, ergibt sich bereits aus dem interkommunalen Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB, ohne dass die Bauleitplanung dadurch überörtlichen Charakter annimmt. Das Recht der Gemeinden zur Regelung ihrer Angelegenheiten kann daher nicht auf die Wahrnehmung solcher Aufgaben beschränkt sein, die von ausschließlicher örtlicher Relevanz s i n d . 2 1 9 Die Einordnung der kommunalen Bauleitplanung in das System des Raumplanungsrecht bedingt notwendigerweise eine Überschneidung der örtlichen und überörtlichen Verantwortungsbereiche, da sich diese auf den gleichen Raum beziehen. 2 2 0 Die Normie216 In diese Richtung auch Hohberg, Das Recht der Landesplanung, S. 34, Löwer, JuS 1975, 779, 782; ähnlich für das Verhältnis von Fachplanung zur kommunalen Bauleitplanung Brohm, DVB1. 1980, 653, 657. ™ BVerfG, Urteil vom 23. 11. 1988-2 BvR 1619/83 - BVerfGE 79, 127, 143 f. (Rastede-Entscheidung). 2,8 Widera, Gemeindliche Planungshoheit, S. 85 f. 219 Widera, Gemeindliche Planungshoheit, S. 83; Scherer, Großvorhaben im Außenbereich, S. 211. 220 Paßlick, Ziele der Raumordnung, S. 71; Scherer, Großvorhaben im Außenbereich, S. 211; Stern/Burmeister, Landesrechtliches Planungsgebot, S. 31; Badura, in: Schneider/
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rung von Standortbestimmungen mittels landesplanerischer Ziele beschränkt die Gemeinden in der Durchsetzbarkeit ihrer planerischen Vorstellungen und berührt somit die kommunale Planungshoheit. 221 Dies gilt unabhängig davon, ob das konkrete Bauvorhaben über die Grenzen der Standortgemeinde hinauswirkt oder nicht.
2. Kein Eingriff in den Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts Ein Eingriff in den - grundsätzlich unentziehbaren 222 - Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts durch die hier in Frage stehenden Zielvorgaben liegt nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob die Bauplanungshoheit zum Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrecht zu zählen i s t . 2 2 3 Darunter sind solche Aufgaben zu verstehen, die den Wesensgehalt des kommunalen Selbsterwaltungsrechts ausmachen. 2 2 4 Selbst bei Zurechnung der Bauplanungshoheit Götz (Hrsg.), FS für W. Weber, S. 911, 916; Brohm, DVBl. 1980, 653, 654; ders., DÖV 1989, 429, 439; allgemein zu Planungskonflikten Durner, Konflikte räumlicher Planungen, S. 2 ff., S. 75 ff. 221 BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1987-2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107, 117 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG Band II, Art. 28 Rn. 131; Halama, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), FS für Schlichter, S. 201, 218 ff.; Hoppe/Bunse, WiVerwR 1984, 151, 164; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 377; Jahn, BayVBl. 1989, 294, 297. 222 BVerfG, Urteil vom 20. 3. 1952-1 BvR 267/51 - BVerfGE, 1, 167, 174 f.; Urteil vom 10. 12. 1974-2 BvK 1/73 und 2 BvR 902/73 - BVerfGE, 38, 258, 278 f. 223 Als Bestandteil des Kernbereichs bejahend Widera, Gemeindliche Planungshoheit, S. 88 ff., insbes. S. 106 ff.; Scherer, Großvorhaben im Außenbereich, S. 303; Stern/Burmeister, Landesrechtliches Planungsgebot, S. 30 ff., die einschränkend in der kommunalen Planungshoheit keine unbegrenzte Planungsfreiheit sehen, sondern zwischen einem eingriffsfesten Kernbereich der Planungshoheit und einem disponiblen Randbereich der Planungshoheit unterscheiden; differenzierend auch Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 2, Art. 28 Rn. 75; v. Damm, Selbsteintrittsrecht der Bauaufsichtsbehörde, S. 146 hinsichtlich der Aufstellung von Bebauungsplänen; ähnlich Brohm, DÖV 1989, 429, 431. Ablehnend Clemens, NVwZ 1990, 834, 838; Moench, DVBl. 2005, 676, 677. Kritisch Durner, Konflikte räumlicher Planung, S. 487 f. Offengelassen BVerfG, Beschluss vom 7. 10. 1980-2 BvR 584, 598, 599, 604/76 - BVerfGE 56, 298, 312 f.; Beschluss vom 23. 6. 1987-2 BvR 826/83 BVerfGE 76, 107, 118 f. Zur Methodik der Abgrenzung von Kern- und Randbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und den damit verbundenen Schwierigkeiten s. Blümel, in: v. Mutius (Hrsg.), FS für v. Unruh, S. 265, 269 ff., Scherer, Großvorhaben im Außenbereich, S. 220 ff.; Widera, Gemeindliche Planungshoheit, S. 88 ff.; Stern/Burmeister, Landesrechtliches Planungsgebot, S. 30 ff. Praktisch hat die Diskussion um die Zugehörigkeit der Planungshoheit zum Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach der RastedeEntscheidung des BVerfG an Bedeutung verloren, da sich danach der durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vermittelte Schutz nicht nur auf den Kernbereich beschränkt; vgl. dazu Durner, Konflikte räumlicher Planung, S. 488. 224 BVerfG, Urteil vom 20. 3. 1952-1 BvR 267/51 - BVerfGE 1, 167, 174 f.; Urteil vom 10. 12. 1974-2 BvK 1/73 und 2 BvR 902/73 - BVerfGE 38, 258, 278 f.; Beschluss vom 23. 6. 1987-2 BvR 826/83 - NVwZ 1988, 47, 48.
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zum Kernbereich bleibt durch die landesplanerische Festsetzung eines Kongruenzgebotes die institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gewahrt. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als eine Garantie der Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung gewährt diese in erster Linie nur institutionell i m Sinne einer verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für eine dezentrale Verwaltungsorganisation sowie als eine objektive Garantie der Rechtsinstitution der kommunalen Selbstverwaltung. 225 Daher ist ein Eingriff in den Kernbereich nur anzunehmen, wenn durch die Festsetzung eines Kongruenzgebots die Planungshoheit als Institution allgemein eingeschränkt oder beseitigt w i r d . 2 2 6 Davon zu unterscheiden sind Eingriffe, die einzelne Aufgaben, die zum Kernbereich des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts zu rechnen sind, i m Einzelfall einer Gemeinde entziehen, die entzogenen Aufgaben aber generell bei den Gemeinden belassen. Die institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung bleibt in einem solchen Fall gewahrt. Der Kernbereich ist daher nicht betroffen, wenn lediglich die Planungshoheit einzelner Gemeinden in räumlich klar abgrenzbaren Gebieten eingeschränkt wird. Bei der Zuordnung von Factory Outlet Centern zu Orten bestimmter Zentralitätsstufen mit Ausschlusswirkung gegenüber anderen Gemeinden durch landesplanerische Zielvorgaben handelt es sich um einen konkreten Eingriff in die Planungshoheit nur einzelner Gemeinden. Die landesplanerischen Pläne und Programme sehen einen Ausschluss nur einzelner Gemeinden vor. Dabei ist unerheblich, dass der jeweilige Landesnormgeber die betroffenen Gemeinden nicht namentlich bezeichnet. Die Unterscheidung mittels Klassifizierung durch Zentralitätsstufen und Zuordnung von Factory Outlet Centern oder Einzelhandelsgroßprojekten zu bestimmten Zentralitätsstufen stellt eine „gemeindescharfe" Bestimmung d a r . 2 2 7 Aus der Gesamtdarstellung der jeweiligen landesplanerischen Pläne und Programme ergibt sich, dass nicht die gemeindliche Planungshoheit als solche, sondern nur die einzelner Gemeinden betroffen ist. Darüber hinaus bleibt auch den betroffenen Gemeinden ihre Planungshoheit erhalten, da nur ein Teil der planerischen Vorstellung - die Ansiedlung von Factory Outlet Centern bzw. anderen großflächigen Einzelhandelsvorhaben durch Ausweisung entsprechender Flächen nicht mehr realisiert werden kann.
225 BVerfG, Beschluss vom 23. 6. 1987-2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107, 119; Hoppe, in: v. Mutius (Hrsg.), FS für v. Unruh, S. 555; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG Bd. II, Art. 28 Rn. 81; Widera, Gemeindliche Planungshoheit, S. 24 ff.; Stern/Burmeister, Landesrechtliches Planungsgebot, S. 26; Clemens, NVwZ 1990, 834, 835. 226 BVerfG, Beschluss vom 7. 10. 1980-2 BvR 584, 598, 599, 604/76 - BVerfGE 56, 298, 313; Beschluss vom 23. 6. 1987-2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107, 119; Scherer, Großvorhaben im Außenbereich, S. 218; v. Damm, Selbsteintrittsrecht der Bauaufsichtsbehörde, S. 146; Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 2, Art. 28 Rn. 75. 227 Brohm, DÖV 1989, 429, 433.
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3. Maßstab der Rechtmäßigkeitsprüfung Die Gewährleistung der Planungshoheit steht unter dem Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Danach wird das kommunale Selbstverwaltungsrecht „ i m Rahmen der Gesetze" gewährt. Dies erlaubt dem Gesetzgeber die Ausgestaltung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Die Regelungsbefugnis bezieht sich dabei auf den gesamten Tatbestand des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, so dass der Gesetzgeber nicht nur die Art und Weise der Erledigung der Aufgaben der „örtlichen Angelegenheiten", sondern auch die gemeindliche Zuständigkeit für diese Angelegenheiten regeln k a n n . 2 2 8 Der Aufbau des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als Gewährung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts „ i m Rahmen der Gesetze" zeigt neben der Ausgestaltungsbefugnis des Normgebers die Ausgestaltungsbedürftigkeit dieses Rechts. Von ihrer Grundstruktur her ist die Verfassungsbestimmung kein Grundrecht. Dies ergibt sich zum einen aus der systematischen Stellung des Art. 28 Abs. 2 GG i m organisationsrechtlichen Abschnitt des Grundgesetzes und zum anderen durch die entstehungsgeschichtliche Festlegung des Wortlauts der Vorschrift in klarer Abgrenzung zur Regelung in Art. 127 WRV, die den Gemeinden und Gemeindeverbänden ausdrücklich subjektive Rechte gewährte. 2 2 9 Eine Individualisierung ist nur insofern gegeben, als sich Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht - ähnlich der Grundrechtsdogmatik - am Verhältnismäßigkeitsprinzip und Willkürverbot zu messen haben und die Kommunen Beeinträchtigungen ihres Selbstverwaltungsrechts gerichtlich abwehren können. 2 3 0 Institutionelle Garantien sind von ihrem Wesen und ihrer Funktion her darauf angelegt, in ihrer Tragweite und Schutzintensität vom Gesetzgeber näher konkretisiert zu werden. 2 3 1 Diese Ausgestaltungsbedürftigkeit schlägt sich auch in der Bestimmung der Zulässigkeitsgrenzen von Eingriffen in das kommunale Selbstverwaltungsrecht nieder. Trotz des Gesetzesvorbehalts in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind der Ausgestaltung und Beschränkung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts Schranken gesetzt. Aus der dem Gesetzgeber gegebenen Ausgestaltungsbefugnis kann nicht der Schluss gezogen werden, dass dem Gesetzgeber die Zuordnung einer Aufgabe zum Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG übertragen worden sei. Die zugestandene Ausgestaltungsbefugnis stellt sich nicht als konstitutiver A k t dar, mit dem den Gemeinden bestimmte Aufgaben als „örtliche Angelegenheit" einfachgesetzlich zugewiesen werden, sondern lediglich als eine Rechtfertigung, den 228 BVerfG, Beschluss vom 23. 11. 1988-2 BvR 1619 1628/83 - BVerfGE 79, 127; Brohm, DÖV 1989, 429, 431; Clemens, NVwZ 1990, 834, 836. 229 Clemens, NVwZ 1990, 834 f. 230 Widera, Gemeindliche Planungshoheit, S. 25 f.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG Bd. II, Art. 28 Rn. 96 ff.; Langer, VerwArch 80 (1988), 352, 353, 356; Steinberg, DVBl. 1982, 13, 17 ff.; Frenz, Die Verwaltung 1995 (28), 33, 38. 231 s. dazu Badura, Staatsrecht, Abschnitt D Rn. 92; Scholz, Wesen und Entwicklung der gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen, S. 43 f.
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Gemeinden eine ihnen von Verfassungs wegen gegebene Aufgabe ausnahmsweise zu entziehen. 2 3 2 Die kraft Verfassung originäre Aufgabenzuteilung gewährleistet den Gemeinden in allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft das Selbstverwaltungsrecht. Der Vorbehalt „ i m Rahmen der Gesetze" wird als echter Gesetzesvorbehalt verstanden, dem seinerseits durch Gegenschranken Grenzen gesetzt s i n d . 2 3 3 Regelungen, die den Inhalt und Umfang des kommunalen Selbstverwaltungsrechts bestimmen, müssen sich daher unter Heranziehung der Grundrechtsdogmatik an den Erfordernissen des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie an den Maßstäben des Gemeinwohlerfordernisses (Vorliegen schutzwürdiger überörtlicher Interessen) und des Übermaßverbotes 234 orientieren. Die landesplanerische Festlegung eines Kongruenzgebotes ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn das Vorliegen schutzwürdiger überörtlicher Interessen von höherem Gewicht dies erfordert und die Zielfestlegungen verhältnismäßig sind. Je konkreter die Zielvorgabe ist, desto gravierender ist der planerische Eingriff und desto schwerwiegender müssen die Gründe sein, die aus landesplanerischer Sicht den Eingriff rechtfertigen. 2 3 5 I m ROG findet sich keine abschließende Regelung, in welchem Umfang die Träger der Landesplanung Zielfestlegungen treffen dürfen. Bei der Frage der Zulässigkeit raumordnerischer Eingriffe in die Bauplanungshoheit ist zunächst zu beachten, dass die kommunale Bauleitplanung mit der örtlichen und überörtlichen Gesamtplanung sowie Fachplanungen eng verflochten und von daher auf Koordination und Kooperation ausgerichtet ist 2 3 6 Die Festlegung von Zielen muss allerdings dem Gegenstromprinzip des § 1 Abs. 3 ROG genügen. Danach soll sich die Entwicklung, Ordnung und Sicherung der Teilräume in die Gegebenheiten und Erfordernisse des Gesamtraumes einfügen und die Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraumes die Gegebenheiten und Erfordernisse der Teilräume berücksichtigen. Zu den zu berücksichtigenden Belangen zählen dabei auch städtebauliche Belange und andere Interessen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. 237 Formal ist die Berücksichtigung kommunaler Belange 232 Anders Frers, DVB1. 1989, 449, 450; Schock, VerwArch 81 (1990), S. 18, 37; dagegen Scherer, Großvorhaben im Außenbereich, S. 235 f. mit ausführlicher Argumentation. 233 Blümel, in: v. Mutius (Hrsg.), FS für v. Unruh, S. 265, 299. 234 BVerfG, Beschluss vom 24. 6. 1969-2 BvR 446/64 - BVerfGE 26, 228, 241; Beschluss vom 23. 6. 1987-2 BvR 829/83 - BVerfGE 76, 107, 119 f.; Widera, Gemeindliche Planungshoheit, S. 51; Blümel, in: v. Mutius (Hrsg.), FS für v. Unruh, S. 265, 287; Scherer, Großvorhaben im Außenbereich, S. 229; Frenz, Die Verwaltung 1995 (28), 33, 38; das BVerwG, Urteil vom 27. 1. 1984-8 C 128.81 - DVB1. 1984, 679, 681 verwendet nicht den Begriff der Verhältnismäßigkeit, sondern setzt als Maßstab des zulässigen Eingriffs „zureichende Gründe des Gemeinwohls" an; ebenso BayVerfGH, Entscheidung vom 15. 12. 1988 Vf. 70-IV/86 - NVwZ 1989, 551, 552. 235 Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, S. 60; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378. 236 Vgl. dazu Badura, in: Schneider / Götz (Hrsg.), FS für W. Weber, S. 911, 916. 237 Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, S. 60.
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an eine abschließende Abwägung in der Landes- und Regionalplanung geknüpft. Dies ergibt sich aus § 3 Nr. 2 ROG, wonach Ziele der Raumordnung nur dann Β indungs Wirkung entfalten, soweit sie abschließend abgewogen sind. Dies setzt eine Ermittlung, Bewertung und Einstellung der auf der jeweiligen Planungsebene maßgeblichen Belange sowie ein Ausgleich dieser Belange voraus. 2 3 8 Eine Zielfestlegung ist daher nur verfassungsgemäß, wenn sie sich i m Hinblick auch auf gemeindliche Interessen unter Beachtung des Gegenstromprinzips und des Abwägungsgebots als sachgerecht erweist.
4. Unzulässigkeit eines Kongruenzgebotes als Ansiedlungsbeschränkung privater Vorhaben Zwischen den Gemeinden ist ein intensiver Standortwettbewerb zu beobachten. Als Ausfluss des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ist es die Aufgabe der Kommunen, die erforderlichen Standortvoraussetzungen zur Ansiedlung privater Vorhaben zu schaffen. 2 3 9 Staatliche Eingriffsmöglichkeiten sind dementsprechend begrenzt. Wirtschafts- oder wettbewerbspolitische Motivationen zur ausschließlichen Zuweisung privater Vorhaben zu zentralen Orten scheiden als Rechtfertigungsgrund für die Annahme eines landesplanerischen Kongruenzgebots aus kompetenzrechtlichen Gründen a u s . 2 4 0 Das Landesplanungsrecht darf weder als „Schutzwallrecht" des mittelständischen innerstädtischen Einzelhandels gegen die Zulassung von Konkurrenz in der Nachbarschaft verstanden werden, noch zu einer Steuerung des interkommunalen Wettbewerbs um die Ansiedlung von Gewerbebetrieben führen. 2 4 1 Da kein Anspruch zentraler Orte auf Zuweisung bestimmter Vorhaben besteht, kann die Festlegung eines Kongruenzgebots auch nicht um derer selbst erfolgen. 2 4 2 Ein solches ist nur in Betracht zu ziehen, wenn es der Stärkung eines zentralen Ortes aus landesplanerischen Gründen i m Einzelfall bedarf. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs kann daher nur darin bestehen, das landesplanerisch festgelegte zentralörtliche Gliederungssystem und die damit verbundene Gewährleistung einer gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung zu sichern. 2 4 3 Neben der Versorgung durch den öffentlichen Sektor werden wichtige Versorgungsfunktionen durch private Dienstleistungsbetriebe erbracht. Ihre Erfüllung hängt in erster Linie von privaten Investitions- und Standortent238 Vgl. zu den Anforderungen des Abwägungsgebots BVerwG, Urteil vom 12. 12. 1969 IV C 105.66 - BVerwGE 34, 301, 309; Urteil vom 14. 2. 1975 - IV C 21.74 - BVerwGE 48, 56, 63 f.; Just, Planerische Abwägung, S. 54 ff., insbes. S. S. 62 ff. 239 Vgl. dazu Jahn, Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte, S. 46 ff. 2 40 In diesem Kapitel A III 2. 2
41 Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378; Jahn, Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte, S. 39 in Bezug auf die kommunale Bauleitplanung. 242 Vgl. die Ausführungen unter I 1 und 2 in diesem Abschnitt. 243 Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378.
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Scheidungen ab, die von den öffentlichen Planungsträgern nur in einem geringen Umfang beeinflusst werden können. Dabei richtet sich bei realistischer Betrachtung die Planungstätigkeit der Gemeinden nach den Standortvorstellungen von Großvorhaben, welche oft nicht dem zentralörtlichen Gliederungssystem entsprechen. Ausgehend von der Natur und dem Ursprung des zentralörtlichen Gliederungssystems bezieht sich die Zuordnung von Vorhaben zu Orten bestimmter Zentralitätsstufe lediglich auf das öffentliche Infrastruktursystem. Die Vorhaltung von öffentlichen Infrastruktureinrichtungen, deren Ansiedlung i m Einzugsgebiet eines zentralen Ortes aus Auslastungsgründen nur einmal möglich ist, kann dahin wirksam werden, dass entsprechende Planungen in anderen Gemeinden ausscheid e n . 2 4 4 Ein solches ergibt sich daraus, dass es Aufgabe eines zentralen Ortes ist, bestimmte öffentliche Infrastruktureinrichtungen wie z. B. Schulen und Krankenhäuser vorzuhalten, und dass diese Vorhaltung in der Regel kostenintensiv ist. Die Vorhaltung solcher Einrichtungen bedarf einer gewissen Auslastung, welche gefährdet ist, wenn im Einzugsbereich weitere derartige Einrichtungen angesiedelt werden. Von daher können zwingende Gründe von überörtlichem Interesse, z. B. die Gewährleistung einer ausreichenden schulischen oder medizinischen Versorgung der Bevölkerung i m Einzugsbereich, eine Einschränkung der Planungshoheit anderer Orte i m Einzugsbereich des zentralen Ortes rechtfertigen. Diese Grundsätze sind auf die Ansiedlung privater Vorhaben nicht übertragbar. Eine zwingende Zuordnung privater Vorhaben mit Verbotscharakter greift in nicht gerechtfertigter Weise in die (Bau)-Planungshoheit von Gemeinden niederer bzw. ohne Zentralitätsstufe e i n . 2 4 5 Zwar mag das schützenswerte überörtliche Interesse am Erhalt des zentralörtlichen Gefüges zur Versorgung der Bevölkerung in zumutbarer Entfernung Eingriffe in die kommunale Planungshoheit grundsätzlich sachlich legitimieren. 2 4 6 Das Bestehen dieses sachlichen Legitimationsgrundes muss bei dem Betriebstyp Factory Outlet Center bereits angezweifelt werden. Factory Outlet Center haben typischerweise, anders als herkömmliche Warenhäuser oder Verbrauchermärkte, ein spezialisiertes Sortiment sowie einen weiten Einzugsbereich und dienen nicht der Bedarfsdeckung. 247 Ein solcher Bedarfsdeckungscha244 OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. 4. 1976 - I OVG D 22/76 - EPlaR III, OVG Lüneburg 4.76.; kritisch zur Verbotswirkung auch bei öffentlichen Infrastruktureinrichtungen Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 163. 245 Erbguth/Schoeneberg, Raumordnung- und Landesplanungsrecht, S. 14 f.; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 974; Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 89; ders., BayVBl. 1989, 294, 296; Dude, Der Landkreis 1984, 157 f.; Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 164 ff.; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378; Hoppe, DVB1. 2000, 293, 295; Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 18.12. A.A. Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 37 f., der aus diesem Grund ein Kongruenzgebot als zwingend notwendig ansieht, um das zentralörtliche Gliederungsprinzip zu schützen, ders., UPR 2003, 248, 251; Wolf, Der Landkreis 1984, 162, 164; Bünermann, Der Landkreis 1984, 165, 166; wohl auch Frank, NVwZ 1987, 369, 372, der eine erhöhte Darlegungs- und Beweispflicht der planenden Gemeinde dafür, dass keine nachteiligen Auswirkungen für die räumliche Versorgungsstruktur eintreten, annimmt. 246 So auch Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 165. 7 Emst
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rakter kann zwar entstehen, wenn sich ein Factory Outlet Center durch Sortimentsänderungen in ein herkömmliches Warenhaus umwandelt. Dies zu überwachen und gegebenenfalls zu verhindern, ist Aufgabe der Bauleitplanung und kann nicht i m Wege eines landesplanerischen Verbots erfolgen. 2 4 8 Die Erforderlichkeit eines Kongruenzgebots hinsichtlich der Ansiedlung privater Unternehmen kann auch nicht damit begründet werden, dass das in § 2 Abs. 2 BauGB geregelte interkommunale Abstimmungsgebot nicht ausreiche, die Versorgungsstruktur hinreichend zu schützen, da von der Ansiedlung eines Factory Outlet Centers nicht nur die Nachbargemeinden betroffen seien, sondern eine ganze Regio n . 2 4 9 Das über § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB i m Rahmen des interkommunalen Abstimmungsgebotes geltend zu machende zentralörtliche Beeinträchtigungsverbot greift nicht nur hinsichtlich des zentralen Nachbarortes ein, sondern ist auch dann verletzt, wenn durch die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers die Versorgung im Verflechtungsbereich des zentralen Ortes beeinträchtigt w i r d . 2 5 0 Das Kongruenzgebot geht diesbezüglich nicht weiter. Es bezieht sich lediglich auf den Verflechtungsbereich eines zentralen Ortes und erfasst nicht regionale Auswirkungen außerhalb des Verflechtungsbereichs. Wenn Orten bestimmter Zentralitätsstufen gewisse infrastrukturelle Versorgungseinrichtungen zugeordnet werden, soll damit lediglich eine Mindestausstattung gewährleistet sein, die vor dem - sozialstaatlich motivierten - Hintergrund der Herstellung bzw. Erhalt gleichwertiger Lebensverhältnisse und der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung in dem jeweiligen vom Raumordnungsplan erfassten Gebiet zu sehen ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 6 ROG). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass private Versorgungseinrichtungen nicht zusätzlich außerhalb zentraler Orte (bestimmter Stufe) angesiedelt werden dürfen, solange dadurch dem zentralen Ort die Erfüllung seiner Versorgungsaufgabe nicht erschwert oder unmöglich gemacht w i r d . 2 5 1 Die zentralörtliche Funktionsfähigkeit zentraler Orte kann auch durch ebenso effektive, die kommunale Planungshoheit weniger beeinträchtigende Mittel geschützt werden als durch eine über § 1 Abs. 4 BauGB vermittelte strikte Bindung privater Standortentscheidungen an das hierarchische zentralörtliche Gliederungssystem. Die Funktionsfähigkeit der zentralen Orte ist in einem ausreichenden Maße gewährleistet, wenn eine Ansiedlung eines Factory Outlet Centers an einem anderen Ort i m Sinne eines Beeinträchtigungsverbots dann zwingend ausgeschlossen ist, wenn diese zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit f ü h r t . 2 5 2 Die planende Gemeinde ist über das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 247 Vgl. dazu Erstes Kapitel Β I. 248 Zu den bauplanerischen Möglichkeiten s. die Ausführungen im Dritten Kapitel Β und C. 249 So aber Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 38. 250 Dazu Drittes Kapitel A IV. 251 Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 341. 252 Dazu im Folgenden unter E.
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BauGB und das interkommunale Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB gehalten, die städtebaulichen Planungsinteressen und raumordnerischen Funktionszuweisungen betroffener Nachbargemeinden zu berücksichtigen. Der den betroffenen Nachbargemeinden zustehende Anspruch auf Abstimmung ihrer planerischen Belange mit der sie beeinträchtigenden kommunalen Planung setzt bereits dann ein, wenn unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf ihrem Gebiet zu besorgen s i n d . 2 5 3 Korrespondierend zum Pflichtenkreis eines zentralen Ortes folgt aus dem sich aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, und mittlerweile in § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB auch einfachgesetzlich verankert, ergebenden Gebot der Rücksichtnahme die Pflicht der planenden Gemeinde, ihre Eigenentwicklung auf die Interessen des zentralen Ortes auszurichten und auf diese Rücksicht zu nehmen. 2 5 4 Einer darüber hinausgehende Steuerung kommunaler Planungstätigkeit bedarf es n i c h t . 2 5 5 Im Hinblick auf den Einzugsbereich von Factory Outlet Centern von bis zu 200 k m und ein rentabilitätsbedingtes Bevölkerungspotential von ca. 3 Millionen Einwohnern ist die zwingende Zuordnung zu Orten bestimmter Zentralitätsstufen zudem verfehlt, da diese Vorhaben sogar den Einzugsbereich mancher Oberzentren sprengen und daher selbst dort in einer betriebswirtschaftlich rentablen Größe nicht ansiedlungsfähig wären. Zu beachten ist, dass sich die Gemeinden im gerichtlichen Verfahren nicht ohne weiteres auf eine Verletzung ihrer Planungshoheit berufen können. Da nach der Rechtsprechung jedenfalls die wichtigen Ziele der Raumordnung unabhängig von ihrer Rechtsnatur i m materiell-rechtlichen Sinn als landesrechtliche untergesetzliche Rechtsvorschriften anzusehen s i n d 2 5 6 , ist - soweit nach Landesrecht möglich 253 St. Rspr. BVerwG, Beschluss vom 9. 4. 1994-4 NB 18/94 - Β RS 56 Nr. 36; OVG Münster, Beschluss vom 3. 5. 1994- 10a D 170/93.NE - NWVB1. 1995, 99, 102; OVG Saarland, Urteil vom 21. 3. 1995-2 Ν 3/93 - Β RS 57 Nr. 47; OVG Weimar, Beschluss vom 23. 4. 1997-1 EO 241/97 - DÖV 1997, 791, 792 f.; Otting, DVB1. 1999, 595; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378; Drittes Kapitel A IV 2. 254 Zum Rücksichtnahmegebot aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG Erbguth/Schoenberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, S. 15. 255 Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378, Schroeder, UPR 2000, 52, 58; ausführlich auch Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Center, S. 118 ff. 256 BVerwG, Urteil vom 20. 11. 2003-4 CN 6/03 - DVB1. 2004, 629 ff.; Urteil vom 20. 11. 2003-4 CN 5/03 - zit. in JURIS; zur Rechtsnatur von Zielen im Regionalplan BayVGH, Beschluss vom 12. 9. 1990-4 Ν 88.1300 - VGHE BY 43, 177-183; Sauer, VB1BW 1995, 465 ff.; Weidemann, DVB1. 1984, 767 ff. Die Anfechtbarkeit von Zielen der Raumordnung nach § 47 VwGO wird auch dann bejaht, wenn die Raumordnungspläne nicht als Rechtsverordnungen oder Satzungen im Sinne des § 47 Abs. 1 VwGO erlassen worden sind - dazu BVerfG, Beschluss vom 23. 6. 1987-2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 102, 114 f.; BVerwG, Urteil vom 20. 11. 2003-4 CN 5/03 - zit. in JURIS; Urteil vom 20. 11. 2003-4 CN 6/03 - DVB1. 2004, 629; BayVGH, Beschluss vom 14. 12. 1983-4 Ν 81 A.436, BayVBl. 1984, 240; Paßlick, Ziele der Raumordnung, S. 43 ff.; Halama, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), FS für Schlichter, S. 201, 207; Blümel, VerwArch 84 (1993), 123 ff.; Erbguth, DVB1. 1981, 557 ff.; W. Schrödter, in: Schrödter (Begr.), BauGB, § 1 Rn. 66; Runkel, in: Ernst/Zinkahn /Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), BauGB, § 1 Rn. 61, 92 m. w. N. Stand November 1999. 7*
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die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 V w G O zur gerichtlichen Überprüfung von Zielvorgaben eröffnet. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist die Gemeinde, die gem. § 1 Abs. 4 BauGB die Ziele der Raumordnung bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu beachten hat, zudem als „Behörde" i m Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 2. HS V w G O auch ohne Geltendmachung einer Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts antragsberechtigt. 257 Beruft sich die Gemeinde auf die Verletzung ihrer kommunalen Planungshoheit, so bedarf es des Nachweises einer konkreten Rechtsverletzung. 258 Eine Normenkontrollklage ist nur dann erfolgreich, wenn die Zielvorgaben hinreichend konkrete gemeindliche Planungen nachhaltig beeinträchtigen oder wesentliche Teile der Gemeinde einer durchsetzbaren Planung entziehen. 2 5 9 Den Gemeinden ist es somit verwehrt, rein präventiv Klage gegen die landesplanerische Zuordnung von Factory Outlet Centern zu Orten bestimmter Zentralitätsstufe zu erheben, wenn sich ihre Planung nicht hinreichend konkret auf die Ausweisung von Flächen zur Ansiedlung solcher Vorhaben bezieht. Eine Verletzung der kommunalen Planungshoheit scheidet in solchen Fällen aus. Gleiches gilt für die Kommunalverfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8 a, 91 BVerfGG bzw., soweit geregelt, gem. den Landesverfassungen. 260
257 BVerwG, Beschluss vom 15. 3. 1989-4 NB 10.88 - BVerwGE 81, 307, 310 f.; VGH Mannheim, Urteil vom 12. 6. 1984-5 S 2397/83 - NuR 1984, 274, 275; Geiger, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, § 47 Rn. 57. Unter Beachtung des Kriteriums des Rechtsschutzbedürfnis bedarf es allerdings insoweit einer Einschränkung, als die antragstellenden Behörde mit der Ausführung der Norm befasst sein muss oder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beachten hat, dazu Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 97 m. w. N. 258 Zur Anfechtung von überörtlichen Nutzungsregelungen BVerwG, Urteil vom 24. 9. 1998-4 CN 2/98 - BVerwGE 107, 215, 217. 259 Dabei handelt es nach neuester Rechtsprechung des BVerwG um eine Frage der Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollklage, während für die Bejahung der Klagebefugnis die abstrakte Möglichkeit eines gemeindlichen Abwehrrechts für ausreichend erachtet wird - im Hinblick auf Planfeststellung für den Neubau einer Bahnsteigunterführung BVerwG, Urteil vom 20. 5. 1998-11 C 3/97 - NVwZ 1999, 67, 68 f.; Urteil vom 27. 10. 1998-11 A 10/98 - UPR 1999, 146 f.; im Hinblick auf eine naturschutzrechtliche Verordnung Urteil vom 7. 6. 2001 - 4 CN 1 / Ol - NVwZ 2001, 1280, 1281; im Hinblick auf die Fachplanung zum Ausbau einer Bundesstraße Beschluss vom 5. 11. 2002-9 VR 14/02 DVBl. 2003 211; kritisch VGH Mannheim, Urteil vom 30. 4. 2001-5 S 273/00 - zit. in JURIS; OVG Koblenz, Beschluss vom 16. 8. 2001-1 Β 10286/01 - NuR 2002, 234 f.; Durner, Konflikte räumlicher Planung, S. 496 f. m. w. N. Die Rechtsprechung des BVerwG, welche die Prüfung konkreter Planungsabsichten der klagenden Gemeinde von der Zulässigkeits- auf die Begründetheitsebene verschiebt, wird im Ergebnis auch auf die Klage gegen überörtliche Gesamtpläne zur Anwendung kommen; Durner, Konflikte räumlicher Planung, S. 498. 260 Dazu Kment, DVBl. 2004, 214 ff.
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III. Die Unternehmerfreiheit als verfassungsrechtliche Schranke des Kongruenzgebots Landesplanerische Vorschriften haben weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft. Zwar zielt das Landesplanungsrecht nicht unmittelbar auf eine Wirtschaftslenkung. Raumordnerische Zielfestlegungen stellen aber für die auf die Inanspruchnahme von Grund und Boden angewiesene gewerbliche Wirtschaft einen bedeutsamen Rahmen dar, an dem sich diese bei der Standortwahl zu orientieren hat. Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes stellen die Schranken dar, innerhalb derer sich die Wirtschaftspolitik und wirtschaftslenkende Maßnahmen zu bewegen haben. 2 6 1 Die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung findet dabei insbesondere in Art. 2, 12, 14 GG ihren Ausdruck; nach Art. 9 Abs. 1 GG besteht die Freiheit, sich unternehmerisch in den Formen der Handelsgesellschaften zu betätigen; Art. 9 Abs. 3 GG gewährt das Recht, durch Tarifvertragsparteien Interessen kollektiv wahrzunehmen.
1. Das Kongruenzgebot als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG a) Abgrenzung zu anderen Wirtschaftsgrundrechten Standortsteuernde staatliche Maßnahmen haben stets Einfluss auf Art, Ort, Zeitpunkt und Umfang unternehmerischer Investitionen und setzen somit unmittelbar bei den unternehmerischen Führungs- und Dispositionsfunktionen an. Sie sind daher an der durch Art. 12 GG geschützten Gewerbe- und Unternehmensfreiheit zu messen. 2 6 2 Obwohl Art. 11 GG (Freizügigkeit) tatbestandlich auch das Recht auf beruflich bedingte Niederlassung und damit auch das Recht zur freien Wahl des Unternehmensstandorts schützt, enthält Art. 12 Abs. 1 GG wegen des spezifischen Bezugs zur Berufsfreiheit eine Spezialregelung. 263
261 BVerfG, Urteil vom 20. 7. 1954-1 BvR 459/52 u. a. - BVertGE 4, 7, 15 ff.; Badura, JuS 1976, 205, 209; zum grundrechtlichen Schutz der Wirtschaftsfreiheit Badura, in: Stödter/Thieme (Hrsg.), FS für Hans Peter Ipsen, S. 367, 380 ff. 262 Der Schutzbereich der in Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit erfasst auch die sog. Unternehmerfreiheit im Sinne eines Rechts zur freien Gründung und Führung von Unternehmen. Dies beschränkt sich nicht nur auf kleine oder mittelständische Unternehmen, bei denen der persönliche Einsatz der Inhaber im Vordergrund steht, sondern auch auf die Tätigkeit von Großunternehmen und Konzernen - BVerfG, Urteil vom 1. März 1979-1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21 /78 - BVerfGE 50, 290, 363; Papier, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR Bd. 1, § 18 Rn. 48 ff.; Gubelt, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 18. 263 Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 36; a.A. wohl Ossenbühl, AöR 115 (1990), S. 1, 3.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern aa) Die Gewährleistung des Eigentums nach Art. 14 GG
Die Bindung privater Vorhaben an zentralörtliche Funktionen des zentralen Orts i m Sinne eines Kongruenzgebots stellt nicht zugleich einen Eingriff in das von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG erfasste Recht der Betreiber von Factory Outlet Centern am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb d a r . 2 6 4 Die Entscheidung der jeweiligen Investoren eines Factory Outlet Centers, ein solches Vorhaben an einem bestimmten Ort anzusiedeln, also zu expandieren, unterfällt nicht dem Schutz des Art. 14 GG. Der verfassungsrechtliche Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbetriebs setzt voraus, dass dieser bereits eingerichtet ist und ausgeübt wird. Er bezieht sich nur auf vorhandene Werte (Bestandsschutz). Nicht erfasst sind die Errichtung eines Gewerbebetriebes sowie der Schutz der gewerbliche Tätigkeit selbst. 2 6 5 Die Abgrenzung kann zwar insofern problematisch werden, als dass die Ausübung der Eigentumsposition, also die Befugnis, über die funktionale Verwendung dieser Rechtsposition zu entscheiden, Ausdruck des Eigentums ist und als solches ebenfalls dem Schutz des Art. 14 GG unterf ä l l t . 2 6 6 Da Art. 12 GG und Art. 14 GG gleichzeitig die Freiheit der unternehmerischen Betätigung gewährleisten, kann es insoweit zu Überschneidungen der Schutzbereiche k o m m e n . 2 6 7 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind die Schutzbereiche beider Grundrechte zu trennen und Eingriffe in die Schutzbereiche von Eigentumsrecht und Berufsfreiheit zu unterscheiden. 268 Art. 14 GG schützt demnach nur den vorhandenen Bestand an Vermögenswerten Gütern, nicht
264 Vgl, z u m Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb BVerfG, Entscheidung vom 30. 4. 1952-1 BvR 14/52, 1 BvR 25/52, 1 BvR 167/52 - BVerfGE 1, 264, 276 ff.; Beschluss vom 8. 6. 1977-2 BvR 499/74, 2 BvR 1042/75 - BVerfGE 45, 142, 173; BVerwG, Urteil vom 27. 5. 1981 - VII C 34.77 - BVerwGE 62, 224, 226; BGH, Urteil vom 28. 1. 1957-III ZR 141/55 - BGHZ 23, 157, 162 f.; Urteil vom 30. 9.1976-III ZR 149/75 - BGHZ 67, 190, 192; Badura, AöR 98 (1973), S: 153 ff.; ders., in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR Bd. 1, § 10 Rn. 94 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 95 ff., Stand Juni 2002, 40. Lieferung. 265 Wiegel, Staatliche Investitionslenkung, S. 37; Bryde, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 1, Art. 14 Rn. 21 jew. m. w. N. 266 Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 41. 267 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 123 ff., Stand 19. Lieferung; Badura, ZschweizR 100, 265, 269 ff.; Ossenbühl, AöR 115 (1990), S. 1, 25; Papier, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HbdVerfR Bd. 1, § 18 Rn. 59 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 222, Stand Juni 2002, 40. Lieferung. 268 BVerfG, Entscheidung vom 16.3. 1971-1 BvR 52/66, 1 BvR 665/66, 1 BvR 667/66, 1 BvR 754/66 - BVerfGE 30, 292, 334 f.; Beschluss vom 17. 7. 1974-1 BvR 51/69, 1 BvR 160/69, 1 BvR 285/69, 1 BvL 16/72, 1 BvL 18/72, 1 BvL 26/72 - BVerfGE 38, 61, 102; Beschluss vom 8. 11. 1983-1 BvL 8/81 - BVerfGE 65, 237, 248; Beschluss vom 6. 10. 1987-1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1 BvR 1623/82, 1 BvR 1086, 1468, 1623/82 - BVerfGE 77, 84, 117; Beschluss vom 14. 11. 1989-1 BvL 14/85, 1 BvR 1276/84 BVerfGE 81, 70, 96; Wiegel, Staatliche Investitionslenkung, S. 37; Bryde, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), GG Bd. 1, Art. 14 Rn. 21 jew. m. w. N.; kritisch dazu Eschenbach, Schutz des Eigentums, S. 217 ff.
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jedoch die mit der gewerblichen Tätigkeit verbundenen Erwerbsmöglichkeiten. Kurz: Die Berufsfreiheit schützt den Erwerb, die Eigentumsgarantie das Erworbene. 2 6 9 Ob ein Eingriff in die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie vorliegt, ist somit danach abzugrenzen, ob dieser in die Erwerbs- und Leistungstätigkeit des Unternehmens erfolgt oder die Innehabung, Nutzung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter beschränkt. 2 7 0 Das Kongruenzgebot beschränkt die Standortauswahl von Factory Outlet Centern. Damit wird jedoch nicht in eine bestehende Rechtsposition eingegriffen. Die Ansiedlung von Vorhaben dient der Ausweitung der unternehmerischen Tätigkeit. Dies mag auch Ausdruck einer bestehenden Eigentumsposition sein. Die Ansiedlung selbst ist aber auf Ausweitung der bestehenden Rechtsposition gerichtet. Soweit jedoch die Nutzung des Eigentums zu einer Veränderung oder Erweiterung der Eigentumsposition führt, geht es nicht mehr um die Wahrung des Bestands des Eigentums, sondern um Erwerb. Dies ist Ausdruck der gewerblichen Tätigkeit und als solches vom Schutzbereich der Berufsfreiheit erfasst.
bb) Die Wettbewerbsfreiheit als Teil der Berufsfreiheit Durch die Ansiedlungsbestimmungen des Kongruenzgebots wird mittelbar auch auf den Wettbewerb zwischen dem bestehenden Einzelhandel und neu hinzutretenden Betriebsformen Einfluss genommen. Das Kongruenzgebot ist daher geeignet, in die Wettbewerbsfreiheit der Unternehmen einzugreifen. Nach der hier vertretenen Auffassung wird die Wettbewerbsfreiheit als Teil der Berufsfreiheit von Art. 12 GG erfasst. 271 Dies ergibt sich aus der bundesverfassungsgerichtlichen Definition der Berufsfreiheit als Konkretisierung der freien Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzsicherung. 272 Wettbewerb als freie Leistungskonkurrenz auf dem Markt ist Bestandteil dieser Freiheit und damit zugleich Ausprägung des Persönlichkeitsrechts i m wirtschaftlichen Bereich. Eines Rückgriffs auf den subsidiären Auffangtatbestand der allgemeinen Handlungsfreiheit bedarf es nicht. Art. 2 Abs. 1 GG wird insoweit durch das Spezialgrundrecht des Art. 12 GG verdrängt. 269 BVerfG, Entscheidung vom 16.3. 1971-1 BvR 52/66, 1 BvR 665/66, 1 BvR 667/66, 1 BvR 754/66 - BVerfGE 30, 292, 334 f. 270 Papier, in: Benda /Maihofer/ Vogel (Hrsg.), HbdVerfR Bd. 1, § 18 Rn. 59; Scholz» in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 122 ff., Stand 19. Lieferung. 271 BVerfG, Beschluss vom 8. 2. 1972-1 BvR 170/71 - BVerfGE 32, 311, 317; Beschluss vom 12. 10. 1977- 1 BvR 216/75, 1 BvR 217/75 - BVerfGE 46, 120, 137 f.; Badura, in: Baur u. a. (Hrsg.), FS Steindorff, S. 835, 839; Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, S. 197 m. w. N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 15; Tettinger, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 57; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 115, Stand 19. Lieferung; Sodan, DÖV 1987, 858, 860; a.A. Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 1, Art. 12 Rn. 29; Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 36; Berg, WiVerw 1990, 209, 217. 272 Vgl. nur BVerfG, Entscheidung vom 16.3. 1971 - 1 BvR 52/66, 1 BvR 665/66, 1 BvR 667/66, 1 BvR 754/66 - BVerfGE 30, 292, 334.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern b) Mittelbare Eingriffe
als Verletzung der Berufsfreiheit
Aus der beschränkten Β indungs Wirkung von Zielen gegenüber privaten Vorhaben nach § 4 ROG ergibt sich, dass ihre Verbotswirkung die Betreiber der Factory Outlet Center nicht unmittelbar trifft. Sie sind nicht Adressaten der raumordnerischen Zielfestlegungen. Eine Betroffenheit kommt nur dadurch in Betracht, dass die Träger der Bauleitplanung und zum Teil auch die Baugenehmigungsbehörden an die Ziele der Raumordnung gebunden sind und in ihren Entscheidungen umzusetzen haben. Die Beeinträchtigung von grundrechtlich geschützten Positionen erschöpft sich hier nicht in der Pflicht zur Befolgung des geforderten Verhaltens durch die Adressaten der Ziele, sondern wirkt darüber hinaus, indem bei Dritten - insbesondere bei den Betreibern von Factory Outlet Centern, aber auch beim Verbraucher - zusätzliche Beeinträchtigungen ausgelöst werden. Man kann daher von einer mittelbaren Verbotswirkung der Zielfestlegungen sprechen. 273 Nicht jede faktische Auswirkung auf die Berufsfreiheit stellt sich aber auch als Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 GG dar. Diese Einschränkung ergibt sich daraus, dass nahezu sämtliches staatliches Handeln, sei es als Rechtsnorm, Verwaltungshandeln, faktisches Tätigwerden oder durch eigene wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, geeignet ist, zumindest mittelbar in die berufliche Tätigkeit Privater einzugreifen. Faktische Beeinträchtigungen des Schutzbereiches von Art. 12 Abs. 1 GG liegen vielmehr nur dann vor, wenn ein enger Zusammenhang zwischen dem staatlichen Handeln und der Ausübung der Berufsfreiheit besteht. Dies ist dann der Fall, wenn die staatliche Maßnahme eine objektiv berufsregelnde Tendenz innehat 2 7 4 oder eine als nicht bezweckte, aber doch vorhersehbare und letztlich auch in Kauf genommene Nebenfolge eine nennenswerte Beeinträchtigung der beruflichen Betätigungsfreiheit b e w i r k t 2 7 5 . Staatli273 Leder, Ansiedlung von Einkaufszentren, S. 93; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378; Hendler, DVBl. 2001, 1233, 1235. Zu mittelbaren Eingriffen durch die Bauleitplanung Schenke, WiVerw 1990, 226, 229. 274 BVerfG, Entscheidung vom 30. 10. 1961-1 BvR 833/59 - BVerfGE 13, 181, 186; Beschluss vom 17. 7. 1974- 1 BvR 51/69, 1 BvR 160/69, 1 BvR 285/69, 1 BvL 16/72, 1 BvL 18/72, 1 BvL 26/72 - BVerfGE 38, 61, 79; Beschluss vom 1. 8. 1978-2 BvR 1013/77, 2 BvR 1019/77, 2 BvR 1034/77 - BVerfGE 49, 24, 47; Beschluss vom 19. 6. 1985-1 BvL 57/79 - BVerfGE 70, 191, 214; Beschluss vom 12. 6. 1990-1 BvR 355/86 - BVerfGE 82, 209, 223 f.; Urteil vom 8. 4. 1997-1 BvR 48/94 - BVerfGE 95, 267, 302; Urteil vom 14. 7. 1998-1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218, 258 f.; BVerwG, Urteil vom 18.4. 1985-3 C 34.84 - BVerwGE 71, 283, 191; Kammerbeschluss vom 4. 12. 1997-1 BvR 1859/97 - NJW 1998, 891 Kammerbeschluss vom 25. 2. 1999-1 BvR 1472/91, 1 BvR 1510/91 - NJW 1999, 3404 f.; Tettinger, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 73 m. w. N.; Jarass, in: Jarass / Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 12.
275 BVerwG, Urteil vom 18. 10. 1990-3 C 2/88 - BVerwGE 87, 37, 43; Urteil vom 7. 12. 1995-3 C 23/94 - NJW 1996, 3161; Manssen, in: v. Magoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 70. Grundsätzlich zu faktischen Grundrechtseingriffen Gallwas, Faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen.
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che Maßnahmen mit berufsneutraler Zwecksetzung oder vom Staat ausgehende Veränderungen von Marktdaten oder Rahmenbedingungen genügen als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG n i c h t . 2 7 6 Die Anbindung von Factory Outlet Centern an Orte bestimmter Zentralitätsstufen stellt bei näherer Betrachtung eine Negativwirkung dar. Im Umkehrschluss ist aus den landesplanerischen Festlegungen zu lesen, dass Factory Outlet Center nicht an Orten niedriger als der festgelegten Zentralitätsstufe angesiedelt werden dürfen. Die Negativwirkung von Raumordnungszielen betrifft deren verhindernde Wirkung i m Hinblick auf zielwidrige raumbedeutsame Planungen und Maßnahm e n . 2 7 7 Die strenge Bindungsintensität der Beachtenspflichten bei Raumordnungszielen verlangt eine strikte Befolgung und verbietet die Abwägung auf den nachfolgenden Planungsebenen. Daraus ergibt sich, dass zielwidrige raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen verboten s i n d . 2 7 8 Die in den Raumordnungszielen getroffene Planungsentscheidung gegen eine bestimmte zielwidrige raumbedeutsame Planung oder Maßnahme ist eine raumordnerische Letztentscheidung, gegen die sich Belange zugunsten des „verbotenen" Vorhabens nicht mehr durchsetzen können. Aus den politischen Stellungnahmen zu den Factory Outlet Centern zeigt sich, dass die strengen landesplanerischen Feststetzungen in erster Linie dazu dienen sollen, diesen Betriebstypus soweit wie möglich einzuschränken. 279 Bei den raumordnerischen Ansiedlungsbeschränkungen handelt es sich daher um zwangsläufige faktische Beeinträchtigungen insbesondere der Rechte von Investoren und Betreibern solcher Vorhaben. Regelung und Beeinträchtigung sind untrennbar miteinander verbunden. Aufgrund der politischen Aussagen ist sogar davon auszugehen, dass diese Beeinträchtigungen aus (kritisch zu hinterfragenden) Gründen der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung beabsichtigt sind. Die landesplanerische Standortlenkung kommt einer Verweigerung der Berufsausübung an einem bestimmten Ort gleich. Die landesplanerischen Zielfestlegungen i m Sinne eines Kongruenzgebots haben daher eine objektiv berufsregelnde Tendenz. 2 8 0 276 Tettinger, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 73 ff. m. w. N.; a.A. Breuer, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HbdStR, § 148, Rn. 31 f. m. w. N.; Sodan, DÖV 1987, 858, 864, die grundsätzlich jede Betroffenheit des Bürgers bei seiner beruflichen Betätigung als relevante Grundrechtsbeeinträchtigung ansehen. 277 Schulte, Raumplanung und Genehmigung, S. 71; Spiecker, Raumordnung und Private, S. 117. 278 Schmidt, Wirkung von Raumordungszielen, S. 15. 279 Gemeinsame Entschließung der MKRO und der Konferenz der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Bundesländer von 1996, GMB1. 1996, 668; Entschließung der MKRO vom 3. 6. 1997, abgedruckt in: Bielenberg/ Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 30, Stand 1999; Entschließung der MKRO vom 4. 6. 1998, abgedruckt in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Β 320, Nr. 33, Stand 1999. 2 «o Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 89; ders., BayVBl. 1989, 294, 296; Maier, Factory Outlet Center, S. 82; Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Centern, S. 121; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 468; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 276, 378; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 341; Span-
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
2. Die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen zunächst nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen. Zwar enthält Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG seinem Wortlaut nach nur für die Berufsausübung einen Regelungsvorbehalt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind aber Berufswahl und Berufsausübung zu einem einheitlichen Grundrecht zusammenzufassen und mit einem einheitlichen, wenn auch nach Ausübung und Wahl abgestuften Schrankenvorbehalt versehen. 281 Neben diesem Gesetzes vorbehält und dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz ist die wichtigste und deshalb hier näher zu betrachtende „Schranken-Schranke" die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzip.
a) Die Vorgaben der Drei-Stufen-Lehre Die als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzip i m Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts entwickelte Drei-Stufen-Lehre beurteilt die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Eingriffs in die Berufsfreiheit danach, ob in die Berufsausübungsfreiheit oder Berufswahlfreiheit eingegriffen wird, wobei bei letzterer noch zwischen subjektiven und objektiven Berufswahlregelungen zu unterscheiden i s t . 2 8 2 Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist dabei umso größer, j e mehr es sich um eine Berufsausübungsregelung handelt und umso beschränkter, j e mehr die Berufs wahlfreiheit betroffen i s t . 2 8 3 Danach kann die Freiheit der Berufsausübung zugunsten vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls eingeschränkt werden. Der Gesetzgeber ist hier i m wesentlichen nur durch das allgemeine Über-
nowsky, NdsVBl. 2001, 32, 37. Zur Diskussion zum Rechtsschutz Privater gegen Festsetzungen in Raumordnungsplänen Blümel, VerwArch 84 (1993), 123, 134 ff. 281 BVerfG, Entscheidung vom 11. 6. 1958-1 BvR 596/56 - BVerfGE 7, 377, 401 (Apothekenurteil); folgend Beschluss vom 10. 7. 1958-1 BvF 1/58 - BVerfGE 8, 71, 81; Entscheidung vom 16. 6. 1959- 1 BvR 71/57-BVerfGE 9, 338, 344; Urteil vom 23. 3. 1960- 1 BvR 216/51 - BVerfGE 11, 30, 43 ff.; Beschluss vom 8. 2. 1961-1 BvL 10/60, 1 BvR 289/60-BVerfGE 12, 144, 148; Beschluss vom 21. 3. 1961-1 BvL 3/58, 1 BvL 18/58, 1 BvL 99/58 - BVerfGE 12, 281, 294; Entscheidung vom 30. 10. 1961-1 BvR 833/59 BVerfGE 13, 181, 186 ff.; Urteil vom 10. 5. 1962-1 BvL 31/58 - BVerfGE 14, 76, 101; Entscheidung vom 16. 3. 1971-1 BvR 52/66, 1 BvR 665/66, 1 BvR 667/66, 1 BvR 754/66-BVerfGE 30, 292, 333; Beschluss vom 17.7. 1974-1 BvR 51/69, 1 BvR 160/69, 1 BvR 285/69, 1 BvL 16/72, 1 BvL 18/72, 1 BvL 26/72 - BVerfGE 38, 61, 85 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12, Rn. 15 f., Stand 19. Lieferung; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 11 ff.; Papier, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HbdVerfR Bd. 1, § 18 Rn. 52 ff.; kritisch Lücke, Die Berufsfreiheit, S. 1 ff., 5 f.; Hufen, NJW 1994, 2913, 2917 f. 282 BVerfG, Entscheidung vom 11. 6. 1958-1 BvR 596/56 - BVerfGE 7, 377, 401. 283 Ausführlich Papier, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HbdVerfR Bd. 1, § 18 Rn. 52 ff.
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maßverbot in seiner Regelungsbefugnis begrenzt. 2 8 4 In die Berufswahlfreiheit darf mit subjektiven Berufswahlregelungen nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter eingegriffen werden. 2 8 5 Aufgrund objektiver Berufswahlregelungen darf lediglich eingegriffen werden, wenn dies zum Schutz vor nachweisbaren oder höchstwahrscheinlich schwerwiegenden Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter zwingend geboten i s t . 2 8 6 In jedem Fall ist die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu prüfen. 2 8 7
b) Das Kongruenzgebot als Berufsausübungs- oder Berufswahlregelung? Bei standortsteuernden landesplanerischen Regelungen handelt sich grundsätzlich um Berufsausübungsregelungen, da nicht die Wahl des Berufs, sondern nur der Ort, an dem der Beruf ausgeübt werden kann, betroffen i s t . 2 8 8 Die konzeptionellen Besonderheiten von Factory Outlet Centern zeigen, dass die betriebswirtschaftlichen Standortüberlegungen privater Investoren mit den Vorstellungen eines zentralörtlichen Kongruenzgebots oft nicht übereinstimmen. 2 8 9 Die funktionelle Anbindung des Standortangebots für Factory Outlet Center an Zentren bestimmter Zentralitätsstufe, insbesondere die Anbindung lediglich an Oberzentren in den Zielfestlegungen in Ziff. 3.3.7 baden-württembergisches LEP, Ziff. 4.1.2 hessisches LEP und Ziff. 3.2.1 thüringisches LEP, führt so zu einer erheblichen Einschränkung der Standortauswahl für die Investoren. Es wird daher vertreten, dass 284 BVerfG, Entscheidung vom 11. 6. 1958-1 BvR 596/56 - BVerfGE 7, 377 ff., 405 ff.; kritisch Hufen, NJW 1994, 2913, 2917 f. 285 BVerfG, Entscheidung vom 14..12.1965-1 BvL 14/60 - BVerfGE 19, 330, 337; Entscheidung vom 25. 2. 1969-1 BvR 224/67 - BVerfGE 25, 236, 247 - allerdings verwendet das Gericht mitunter auch den Begriff der „überragenden Gemeinschaftsgütern, vgl. Beschluss vom 12. 3. 1985-1 BvL 25/83, 1 BvL 45/83, 1 BvL 52/83 - BVerfGE 69, 209, 218; Beschluss vom 1. 7. 1986-1 BvL 26/83 - BVerfGE 73, 301, 316 ff. oder der „besonders wichtigen Gemeinschaftsgüter, Beschluss vom 9. 8. 1995-1 BvR 2263/94, 1 BvR 229/95, 1 BvR 534/95 - BVerfGE 93, 213, 235 - in der Sache soll dies jedoch keine andersartige Qualifizierung des Gemeinschaftsguts auf dieser „Stufe" sein. 286 BVerfG, Entscheidung vom 11.6. 1958- 1 BvR 596/56 - BVerfGE 7, 377, 408; Entscheidung vom 8. 6. 1960-1 BvL 53/55 - BVerfGE 11, 168, 183; Entscheidung vom 18. 12. 1968-1 BvL 5/64, 1 BvL 14/64, 1 BvL 5/65, 1 BvL 11/65, 1 BvL 12/65 BVerfGE 25, 1, 11; Beschluss vom 14.10. 1975-1 BvL 35/70, 1 BvR 307/71, 1 BvR 61/73, 1 BvR 255/73, 1 BvR 195/75 - BVerfGE 40, 196,218; Urteil vom 24. 4. 1991-1 BvR 1341/90 - BVerfGE 84, 133, 151; Beschluss vom 19. 7. 2000-1 BvR 539/96 BVerfGE 102, 197, 214; Beschluss vom 20. 3. 2001-1 BvR 491/96 - BVerfGE 103, 172, 183. 287 BVerfG, Entscheidung vom 18. 12. 1968- 1 BvL 5/64, 1 BvL 14/64, 1 BvL 5/65, 1 BvL 11/65, 1 BvL 12/65 - BVerfGE 25, 1, 12; Entscheidung vom 16. 3. 1971-1 BvR 52/66, 1 BvR 665/66, 1 BvR 667/66, 1 BvR 754/66 - BVerfGE 30, 292, 316; Beschluss vom 31. 10. 2002-1 BvR 819/02-BVerfGE 106,216,219. 288 Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 37; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378 f. 289 Erstes Kapitel Β II 2.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
Factory Outlet Center somit in Deutschland weitestgehend ausgeschlossen wären, was einem faktischen Verbot dieses Betriebstyps gleichkäme. 2 9 0 Konsequenz dieser Auffassung wäre, dass Ansiedlungsbeschränkungen dieser Art als echte Marktzutrittssperren zu qualifizieren seien. 2 9 1 Sie verwehren potentiellen Marktteilnehmern den Zutritt zum Markt aus Gründen, die nichts mit ihrem Marktverhalten zu tun haben und stellen so die schärfste Form marktzutrittsregelnder Einflussnahme dar. Aus den wirtschafts- und raumordnungspolitischen Aussagen zur Ansiedlung von Factory Outlet Centern geht ganz deutlich der politische Wille hervor, diese Betriebsform - soweit möglich - zu verhindern. Daraus kann zwar nicht der Schluss gezogen werden, dass das Kongruenzgebot einzig und allein zur Verhinderung dieser Betriebsform dient. Unstreitig kann die Raumordnung steuernd auf das marktstrategische Verhalten privater Unternehmen Einfluss nehmen, wenn dies raumordnerisch erforderlich i s t . 2 9 2 Die These aufgreifend, dass es sich bei dem Kongruenzgebot um ein faktisches Ansiedlungsverbot handele, stellt sich dies zumindest als eine faktische Marktzutrittssperre für Factory Outlet Center dar. Marktzutrittsregelungen können in ihrer faktischen Wirkung derart eingriffsintensiv sein, dass sie sich als Berufswahlregelung darstellen. 2 9 3 Dies ist dann der Fall, wenn die Nichtzulassung zum Markt dazu führt, dass sich der Unternehmer ganz vom Markt zurückziehen und sein Unternehmen aufgeben muss. Eine solche Auswirkung ist vorliegend weder bei den Herstellern, deren Waren in einem Factory Outlet Center vertrieben werden, noch bei den Betreibern oder Investoren eines Factory Outlet Centers gegeben. Die Hersteller produzieren nicht ausschließlich für den Direktverkauf, sondern für den herkömmlichen Einzelhandel. Bei Annahme eines faktischen Verbots würden den Herstellern lediglich Vertriebskanäle, die nur einen Teil des Umsatzes ausmachen, abgeschnitten. Die Standortbeschränkungen zwingen nicht zur Aufgabe des ganzen Unternehmens. Auch ein Übergreifen in die Berufswahlfreiheit der Betreiber von Factory Outlet Centern scheidet aus. Zwar schützt die Freiheit der Berufswahl auch die Wahl untypischer Berufe. Darunter fallen jedoch nicht Entscheidungen über die Ausgestaltung von Unternehmungen, die zwar ihr Gepräge vom einzelnen Unternehmen empfangen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung entsprechend einer natürlichen Betrachtung als Ausübung eines Berufs erscheinen. 2 9 4 So liegt es hier. Den Beruf des „ A l -
290 Hahn/Pudemat, AfK 11/1998, 336, 350, Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 278 f.; a.A. Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 39. 291 Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 89; ders., BayVBl. 1989, 294, 296; a.A. wohl Spannowsky, Nds.VBl. 2001, 32, 39. Zum Begriff der Marktzutrittssperren Doepner, WRP 2003, 1292, 1297; Köhler, GRUR 2004, 381 ff., Berringer, Regulierung, S. 95; zur Dogmatik der Marktzutrittsregelungen Jicke Ii, Marktzutrittschranken, S. 4 ff. 292 Vgl. die Ausführungen unter Β III 2 in diesem Kapitel. 293 Berringer, Regulierung, S. 173; zum Umschlagen von Berufsausübungsregelungen in Berufswahlregelungen Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 28; Gubelt, in: v. Münch/ Kunig, GG Bd. 1, Art. 12 Rn. 50. 294 BVerfG, Urteil vom 22. 5. 1963-1 BvR 78/56 - BVerfGE 16, 147, 163 f.
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lein-ein-Factory-Outlet-Center-Betreibers" gibt es nicht. Unter Betrachtung der auf dem Markt vorhandenen Betreiberfirmen zeigt sich, dass es sich dabei nicht um Betreiber handelt, deren Tätigkeit ausschließlich i m Betreiben von Factory Outlet Centern besteht. 2 9 5 Vielmehr sind dies entweder Warenhersteller (wenn auch i m Zusammenschluss als eigenständiges Unternehmen oder Tochterfirmen) oder Baubzw. Betreiberkonsortien. Beispielsweise besteht nach eigenen Angaben eines der führenden Entwickler und Betreiber von Factory Outlet Centern B A A McArthur Glen das Hauptgeschäft i m Errichten und Betreiben von Factory Outlet Center. Des weiteren wird aber auch durch Joint Ventures und Investmentgeschäfte in andere Bauvorhaben weltweit investiert. 2 9 6 Das Errichten und Betreiben eines Factory Outlet Centers ist daher nur eine Modalität, in der der „eigentliche" Beruf (eines Bekleidungs- oder Möbelherstellers, einer Investmentfirma usw.) ausgeübt wird. Das Kongruenzgebot ist trotz seiner i m Einzelfall erheblichen faktischen Auswirkungen eine Berufsausübungsregelung.
c) Die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung als eingriffsrechtfertigendes Gemeinwohlinteresse Grundsätzlich verfügen die Träger der Landesplanung als Normgeber über einen Gestaltungs- und Prognosespielraum dahingehend zu bestimmen, welches Ziel zur Rechtfertigung des Eingriffs herangezogen wird und ob es eine „vernünftige Erwägung des Gemeinwohls", ein „wichtiges Gemeinschaftsgut" oder ein „überragendes Gemeinschaftsgut" darstellt, je nachdem, auf welcher Stufe der Berufsfreiheit nach Auffassung des Normgebers eingegriffen w i r d . 2 9 7 Der Normgeber ist befugt, über die Wertigkeit der von ihm verfolgten Ziele selbst zu entscheiden. „Gemeinwohlinteressen" oder „Gemeinschaftsgüter" sind daher nicht nur „absolute", d. h. allgemein anerkannte Gemeinschaftswerte, sondern auch „relative" Gemeinschaftsgüter, deren Wertigkeit sich erst aus den wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Zielen des Normgebers ergibt. 2 9 8 Vorliegend kann sich aus kompetenzrechtlichen Gründen eine Gemeinwohlrechtfertigung nur daraus ergeben, dass aus spezifisch raumordnerischen Gründen der Ausschluss von Factory Outlet Centern an bestimmten Standorten erforderlich i s t . 2 9 9 Die Landesplanungsträger begründen das Erfordernis eines landesplanerischen Kongruenzgebots damit, dass die Standortbeschränkungen aus Gründen der Ge295 Vgl. bspw. die Angaben unter www.factory-outlet-center.biz , Stand 14. 12. 2004. 296 s. a. die Angaben beim FOC-Investor Chameleon Retail Consultancy Ltd., www.crcretail.com, Stand 12. 12. 2004. 297 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. 10. 1987-1 BvR 1086, 1468, 1623/82 - BVerfGE 77, 84, 106 („Einschätzungs- und Prognose vorrang"). 298 BVerfG, Beschluss vom 17. 7. 1961 - 1 BvL 44/55 - BVerfGE 13, 97, 107; Berringer, Regulierung, S. 174 m. w. N. 299 Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
währleistung der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung zwingend erforderlich seien. 3 0 0 Die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten und Factory Outlet Centern führe zu einem Kaufkraftabzug vom innerstädtisehen Handel und so zu einer Verödung der Innenstädte durch Leerstände von Ladenlokalen. Letzteres gefährde die Versorgungsfunktion der Städte. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung ist Teil der Leitvorstellung der Raumordnung und soll durch das zentralörtliche Gliederungssystem gewährleistet werden (§§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG). Aus diesen Gründen sieht auch Spannowsky diese Art von Standortbeschränkungen als zulässig a n . 3 0 1 Die Anbindung von Factory Outlet Centern und anderen Arten des großflächigen Einzelhandels an Orte bestimmter Zentralitätsstufen wird durch die landesplanerischen Pläne und Programme mit dem Verflechtungsbereich der zentralen Orte verknüpft. Dabei wird auf die Kongruenz des Verflechtungsbereichs des zentralen Ortes in seiner Versorgerfunktion mit dem Einzugsbereich eines solchen Vorhabens abgestellt. Diese Gleichsetzung ist gerade i m Hinblick auf Factory Outlet Center in dieser Allgemeinheit verfehlt. Die Einzugsbereiche von Einzelhandelbetrieben folgen anderen Kriterien als die normative Festlegung von Verflechtungsräumen für die multifunktionalen Aufgaben der Kommunen und sind zudem auch je nach Branche verschieden. 3 0 2 Factory Outlet Center haben in der Regel einen Einzugsbereich von bis zu 200 k m . 3 0 3 Vom Verflechtungsbereich von Metropolen und Ballungsgebieten abgesehen, werden auch die Verflechtungsbereiche von Oberzentren überschritten. Die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers an einem Oberzentrum würde selbst die Versorgerfunktion des Oberzentrums „übererfüllen". 3 0 4 Die Beschränkung der Ansiedlung von Factory Outlet Centern auf Oberzentren ist sogar kontraproduktiv zum hier genannten Gemeinwohl. Wie bereits ausgeführt, wird in einem Factory Outlet Center hochwertige Markenware vertrieben. Dabei handelt es sich um den gleichen Segmentbereich des Einzelhandels in Ober- oder Mittelzentren. Eine zwingende Anbindung dieses Betriebstypus an Orte höherer Zentralitätsstufe führt dazu, dass Factory Outlet Center in direkte Konkurrenz zum innerstädtischen Einzelhandel treten, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht gerade 300 Begründung zu den Zielaussagen zur Ansiedlung des großflächigen Einzelhandels im hessischen LEP, S. 19; Begründung zu Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP, S. 186 f.; Begründung zu Ziff. 3.3.7 baden-württembergisches LEP, S. Β 36 f. 301 NdsVBl. 2001, 32, 37; UPR 2003, 248, 251 302 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 467. 303 VG Potsdam, Beschluss vom 7. 5. 1999-5 L 950/98 - BauR 1999, 1146, 1148; BayVGH, Beschluss vom 25. 6. 1998-1 NE 98.1023 - UPR 1998, 467; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 39; Jahn, GewArch 1997, 456, 457; zum FOC Villingen-Schwenningen s. Thalacker, BWGZ 2001, 91, 94. 304 Ähnlich Begründung zu Ziff. 4.3.2 REP-Entwurf des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
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vermieden werden soll. So stellte die Bezirksregierung Rheinhessen-Pfalz in ihrem Abschlussentscheid zum Raumordnungsverfahren zur Errichtung des Designer Outlet Zweibrücken fest, dass der spezialisierte Facheinzelhandel bei Anbindung an ein Oberzentrum in erheblichem Maße stärker betroffen wäre als bei der Ansiedlung eines Factory Outlet Centers in einem ländlich bzw. kleinstädtisch geprägten Standortumfeld. 3 0 5 Die Gefahr der Umwandlung eines Factory Outlet Centers in ein herkömmliches Einkaufszentrum sei i m Bereich eines Oberzentrums sogar höher einzuschätzen und die auftretenden Verkehrsströme schwerer zu bewältigen. Das Argument der Sicherstellung der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung passt zudem nicht bei der Ansiedlung von Factory Outlet Centern. Factory Outlet Center haben aufgrund ihres Warenangebots keine echte Versorgerfunktion inne und sind daher nicht ohne weiteres geeignet, derartig viel Kaufkraft aus den innenstädtischen Bereichen höherzentraler Orte abzuziehen, dass dort die Versorgung der Bevölkerung gefährdet w ä r e . 3 0 6 Eine Gefahr für die Versorgerfunktion zentraler Orte und eine daraus möglicherweise resultierende Gefährdung der Versorgung kann sich allerdings daraus ergeben, dass ein Factory Outlet Center durch die verstärkte Ansiedlung von Anbietern mittlerer und geringerer Qualitätsware in ein herkömmliches Einkaufszentrum „umkippt" und bei Ansiedlung in Unterzentren oder Orten ohne Zentralitätsstufe tatsächlich in Konkurrenz zu zentralen Orten höherer Stufe tritt. Die Verhinderung eines solchen Umkippens kann jedoch auch auf bauplanungsrechtlicher Ebene durch Sortimentsfestsetzungen gewährleistet werden. 3 0 7
d) Das Übermaßverbot als Schranke des Kongruenzgebots Grundsätzlich obliegt es dem Gestaltungsspielraum des Landesplanungsgebers, wie streng er die Ziele der Raumordnung ausgestaltet. 308 Dies gilt auch hinsichtlich der landesplanerischen Festlegung eines Kongruenzgebots i m Hinblick auf private Vorhaben, soweit das Übermaßverbot gewahrt wird.
305 Abschlussentscheid des Raumordnungsverfahrens über die Errichtung des DOZ der Bezirksregierung Rheinhessen-Pfalz, Neustadt a.d. Weinstraße, Juni 1997, S. 32.; vgl. auch Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 138. 306 Vgl. die Ausführungen im Zweiten Kapitel Β I; Moench / Sandner, NVwZ 1999, 337, 338. 307 s. dazu Drittes Kapitel Β III und IV. 308 Untere).
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern aa) Verstoß gegen das Übermaßverbot durch strikte Standortbindungen
Die Festlegung eines Kongruenzgebots in Form einer strikten Bindung an Zentralitätskategorien mit Verbotscharakter stellt dabei eines der schärfsten Mittel landesplanerischer Koordinierung d a r . 3 0 9 Eine solche Beschränkung der freien Standortwahl Privater bedarf der Rechtfertigung, dass sie funktionell geboten ist, um das vorbezeichnete Ziel zu erreichen. Ergibt sich, dass eine Ausschließlichkeitsklausel nicht nötig ist, um landesplanerische Vorgaben zu wahren, ist sie verfassungsrechtlich unzulässig. 3 1 0 A u f landesplanerischer Ebene steht dabei das zentralörtliche Beeinträchtigungsverbot zur Verfügung. 3 1 1 Hinsichtlich Ansiedlungsfragen stellt es sich ähnlich der verwaltungsrechtlichen Figur einer „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt" 3 1 2 dar. Die Ansiedlung bestimmter Vorhaben wird aus landesplanerischer Sicht nicht von vornherein untersagt. Soweit die Versorgungsfunktion zentraler Orte nicht beeinträchtigt wird, ist eine Ansiedlung möglich. Die Auswirkungen eines Factory Outlet Centers auf seine Umgebung können mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln bereits vor Ansiedlung und Inbetriebnahme genau bestimmt werden. Derartige Verträglichkeitsprüfungen sind Bestandteil jeder Planung eines solchen Vorhabens. Dies genügt, um bereits im Vorfeld festzustellen, ob die zentralörtliche Funktion im Einzugsbereich gelegener Orte beeinträchtigt wird. Es hat damit den gleichen präventiven Charakter wie das Kongruenzgebot, greift aber in geringerer Intensität in die Berufsfreiheit der Betreiber ein. Das Beeinträchtigungsverbot ist somit als gleich geeignetes, aber milderes Mittel der landesplanerischen StandortSteuerung von Factory Outlet Centern dem Kongruenzgebot verfassungsrechtlich vorzuziehen. 3 1 3 Ebenso stehen auf der Ebene der Bauleitplanung genügend Mittel zur Verfügung, die Ansiedlung von Factory Outlet Centern auch aus landesplanerischen Gesichtspunkten sachgerecht zu behandeln. Die Ansiedlung von Factory Outlet Centern bedarf in der Regel der Bereitstellung von Flächen mittels eines Bebauungsplans. Dabei wird bereits nach § 1 Abs. 7 BauGB eine sachgerechte Abwägung gewährleistet, die auch die Gefährdung der Versorgungsstrukturen in der Standortgemeinde und in den Gemeinden des Einzugsbereichs als Belang des zen309 Hoppe/Bunse, WiVerw, 1984, 151, 166. 310 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 468; Erbguth/Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, S. 14 f. 311 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 468. 312 Die verwaltungsrechtliche Figur der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt besagt, dass erlaubnisfreie Betätigungen unter gewissen Voraussetzungen verboten werden können; näher Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 219; Brandt, in: Schweickhardt (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 393. 313 Hoppe/Otting, 38 f.
Der Landkreis 2000, 376, 379; a.A. Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32,
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tralörtlichen Gliederungsprinzips zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung zu erfassen h a t . 3 1 4 Flankiert wird dieses bauplanungsrechtliche Erfordernis durch die Erweiterung des interkommunalen Abstimmungsgebots in § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB. Danach können sich Gemeinden bei der interkommunalen Abstimmung auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen. Orte höherer Zentralitätsstufe sind daher berechtigt, ihre Planung gegen eine die zentralörtliche (Versorgungs)-funktion störende Planung einer anderen Gemeinde zu verteidigen. 3 1 5 Zwar besteht nach der Regelung des § 11 ROG die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens. Dadurch würde die strikte Geltung von Zielen der Raumordnung abgeschwächt werden. Allerdings ist das in § 11 ROG vorgesehene Zielabweichungsverfahren lediglich rahmenrechtlich geregelt und bedarf der Umsetzung in den Landesplanungsgesetzen. Dies ist zum Teil noch nicht geschehen. Wie sich i m Umkehrschluss aus § 11 Satz 2 ROG ergibt, muss privaten Vorhabensträgern kein Antragsrecht zur Durchführung eines Raumordnungsverfahrens eingeräumt werden. Für die Betreiber von Factory Outlet Centern besteht daher nach bisherigem Recht keine Möglichkeit, einem Kongruenzgebot entgegentreten zu können. Strikte Standortbeschränkungen i m Sinne eines zentralörtlichen Kongruenzgebots verstoßen daher gegen das Übermaßverbot und greifen in nicht zu rechtfertigender Weise in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Unternehmerfreiheit der Betreiber von Factory Outlet Centern e i n . 3 1 6
bb) Sollziele und Übermaßverbot Anders kann dies bei der Festlegung des Kongruenzgebots durch Sollziele sein. Diese können - je nach Ausgestaltung - mit dem Übermaßverbot vereinbar sein. Nach der hier vertretenen Auffassung sind Sollziele als landesplanerisches Regelungsmittel i m Sinne des § 3 Nr. 2 ROG zulässig, wenn der Plangeber neben den Regeltatbeständen auch die Ausnahmevoraussetzungen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit regelt. Das Kongruenzgebot im Rahmen von Sollzielen kommt einem „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" 3 1 7 am 314 Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 159, 166. 315 s. dazu Drittes Kapitel A IV 1. 316 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 468; Maier, Factory Outlet Center, S. 83; Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Centern, S. 122 f.; Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, 151, 166 ff.; Hoppe/Otting, Der Landkreis 2000, 376, 379; Jahn, BayVBl. 1989, 294, 296; ders. Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 89; krit. auch Leder, Ansiedlung von Einkaufszentren, S. 94 f. 317 Zum Begriff des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 217 ff. m. w. N. 8 Ernst
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
nächsten. Je nach Ausgestaltung der Regel- und Ausnahmetatbestände kann das Kongruenzgebot eine verfassungsgemäße Einschränkung der Berufsfreiheit darstellen. Als Ausnahmetatbestand wird dabei herkömmlicherweise angenommen, dass die Ansiedlung großflächigen Einzelhandels dann als Zielabweichung zulässig sei, wenn dadurch die verbrauchernahe Versorgung verbessert bzw. gesichert werde. 3 1 8 Aufgrund der spezifischen Sortimentsstruktur von Factory Outlet Centern kann diese Betriebsform diese Ausnahmevoraussetzungen in der Regel nicht erfüllen und wäre daher zwangsläufig an die jeweils durch die Landesplanung bestimmten Orte gewisser Zentralitätsstufen gebunden. 3 1 9 Wegen der Besonderheiten von Factory Outlet Centern - insbesondere der große Flächenbedarf und die baulichen, räumlichen und verkehrsmäßigen Schwierigkeiten, solche Vorhaben i m innerstädtischen Bereich anzusiedeln - kann die Einzelbegründung zu Ziel 1.2.1.5 Abs. 1 bayerisches LEP hohe praktische Relevanz erlangen. Danach können in besonders gelagerten Fällen auch andere Gemeinden als Flächenspender Standorte für Einzelhandelsgroßprojekte sein, wenn zentrale Orte keine geeigneten Flächen aufweisen und daher auf Flächen benachbarter Gemeinden angewiesen sind. Diese „flächenlosen" zentralen Orte können ein Vorhaben in einer kleineren Nachbargemeinde nicht mit dem Argument blockieren, dass nach dem bayerischen LEP aufgrund des Kongruenzgebots nur sie als Standortgemeinden in Betracht kämen. Nicht im bayerischen LEP geregelt ist allerdings die Umsetzung der Ausnahme, also das Verfahren und der Vollzug einer solchen „Flächenspende". Unklar ist, ob sich die Betreiber eines Factory Outlet Centers beispielsweise erst an die i m Landesentwicklungsprogramm vorgesehenen Orte bestimmter Zentralitätsstufen wenden müssen oder ob das Fehlen geeigneter Flächen inzident bei der Ansiedlung festgestellt werden kann. Das Angewiesensein auf Flächen in Nachbargemeinden darf jedenfalls nicht so verstanden werden, dass der zentrale Ort im Wege einer Bedürfnisprüfung feststellt, ob zur Versorgung i m Verflechtungsbereich die Ansiedlung von Factory Outlet Centern erforderlich ist. Aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG ergibt sich, dass landesplanerische Normen grundsätzlich keine Grundlage bieten, ein Vorhaben deshalb auszuschließen, weil kein wirtschaftspolitisches Bedürfnis hierfür bestehe. 3 2 0 Ein Vorhaben kann demnach nicht mit dem Argument ausgeschlossen werden, dass schon eine genügende Zahl anderer Betriebe zur Versorgung der Bevölkerung i m Verflechtungsbereich vorhanden seien. Als zulässig können jedenfalls solche Sollziele angesehen werden, die ähnlich dem zentralörtlichen Beeinträchtigungsverbot eine Ansiedlung von Factory Outlet 318 3,
Vgl. ζ. Β. Ziel 3.3.7 LEP BW zu sonstigen Einzelhandelsgroßprojekten. 9 Maier, Factory Outlet Center, S. 81
320
Für den Bereich des Bauplanungsrechts Stober, WiVerw 1984, 129, 134; Schenke, WiVerw 1990, 226, 231 f.; Berg, WiVerw 1990, 209, 215 ff.
D. Steuerung durch das landesplanerische Kongruenzgebot
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Centern als Ausnahmeregelung zulassen, wenn die Versorgerfunktion des übergeordneten zentralen Ortes durch die Ansiedlung nicht beeinträchtigt wird.
IV. Ergebnis Da dem zentralörtlichen Gliederungsprinzip kein mit Verbotswirkung ausgestattetes Kongruenzgebot innewohnt, bedarf es der Festlegung und Ausgestaltung einer solchen raumordnerischen Aussage durch die Landesplanung. Die Zulässigkeit eines landesplanerisch festgelegten Kongruenzgebots kann nicht durch die Annahme subjektiver Rechte von zentralen Orten auf ausschließliche Ansiedlung bestimmter privater Vorhaben begründet werden. Die landesplanerische Festsetzung bestimmter zentraler Orte begründet auch keine subjektiven Rechte der Gemeinden auf ausschließliche Ansiedlung privater Vorhaben und kann daher nicht als Basis eines zentralörtlichen Kongruenzgebots herangezogen werden. Landesplanerische Zielfestlegungen begründen regelmäßig keine individualschützende Wirkung zugunsten der zentralen Orte. Sie sind weder bestimmt noch geeignet, den erfassten zentralen Orten eine subjektive Rechtsposition demgemäß zu vermitteln, die Ansiedlung bestimmter privater Vorhaben mit Ausschließlichkeitswirkung gegenüber anderen Gemeinden an sich zu binden. Dem steht der überörtliche Charakter der Festlegung zentraler Orte als strategisches Element einer gesamtraumstrukturellen Entwicklung entgegen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Erweiterung des interkommunalen Abstimmungsgebots durch raumordnerische Aspekte in § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB. Nach der Intention des Gesetzgebers soll die Neufassung des § 2 Abs. 2 BauGB zwar zu einer Vermittlung von Drittschutz grundsätzlich nicht drittschützender landesplanerischer Festlegungen führen. Ein Konkurrenzschutz i m Sinne eines zentralörtlichen Kongruenzgebots kann allerdings auch dadurch nicht begründet werden. Das mit dem interkommunalen Abstimmungsgebot verbundene Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verlangt lediglich, dass die planerischen Interessen der Nachbargemeinden bei der gemeindlichen Planung berücksichtigt werden und die eigene Planungshoheit nicht rücksichtslos zu Lasten Anderer gebraucht wird. Durch den Einbezug raumordnerisch zugewiesener Funktionen durch § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB soll die Rechtsposition der Nachbargemeinden nur demgemäß erweitert werden, dass die planende Gemeinde auch diese zu beachten hat und nicht beeinträchtigen darf. Solange eine Beeinträchtigung der zentralörtlichen Funktionen einer Gemeinde nicht anzunehmen ist, kann die Ansiedlung eines Vorhabens an einem anderen Standort von den zentralen Orten nicht verhindert werden. Die strikte Bindung privater Vorhaben wie Factory Outlet Center an Orte bestimmter Zentralitätsstufen i m Sinne eines zentralörtlichen Kongruenzgebots durch landesplanerische Zielfestlegungen greift in unzulässiger Weise in die Planungshoheit ansiedlungsbereiter Gemeinden ein. Die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Planungshoheit als Bestandteil des kommunalen Selbstverwaltungs*
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
rechts gewährt den Gemeinden die Befugnis, die Bodennutzung auf ihrem Gebiet umfassend und ohne durchgängige und strikte Bindung an staatliche Vorgaben aufgrund eines eigenen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums zu regeln. Dies erfasst auch die Aufgabe der Kommunen, die erforderlichen Standortvoraussetzungen zur Ansiedlung privater Vorhaben zu schaffen und sich dem interkommunalen Wettbewerb zu stellen. Zwar besteht aufgrund des verfassungsimmanenten Gesetzesvorbehalts eine Ausgestaltung- und Beschränkungsbefugnis des Gesetzgebers. Diese ist allerdings nicht schrankenlos, sondern muss sich an den Erfordernissen des im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots messen. Wenn Orten bestimmter Zentralitätsstufen gewisse infrastrukturelle Versorgungseinrichtungen zugeordnet werden, soll damit lediglich eine Mindestausstattung demgemäß gewährleistet werden, dass zumindest dort die Ansiedlung erfolgen soll. Dies mag aus Gründen kostenintensiver Vorhaltemaßnahmen für öffentliche Einrichtungen zutreffen, kann allerdings nicht auf private Vorhaben übertragen werden. Zur Wahrung der Mindestausstattungsgarantie ist vielmehr erforderlich und ausreichend, zu gewährleisten, dass den zentralen Orten die Erfüllung ihrer Aufgaben durch die Ansiedlung an anderen Standorten nicht erschwert oder unmöglich gemacht wird. Der oft gebrachte Vortrag der Sicherung der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung kann zudem ein landesplanerisch verankertes Kongruenzgebot bezüglich der Ansiedlung von Factory Outlet Centern nicht stützen. Diese haben aufgrund ihrer spezifischen Sortimentsstruktur keinen bedarfsdeckenden Charakter. Des weiteren stellt die landesplanerische Festlegung eines zentralörtlichen Kongruenzgebots durch Ziele der Raumordnung einen unzulässigen Eingriff in die Unternehmerfreiheit der Vorhabensträger dar. Standortsteuernde staatliche Maßnahmen haben stets Einfluss auf Art, Ort, Zeitpunkt und Umfang unternehmerischer Investitionen. Sie sind daher an der durch Art. 12 GG geschützten Gewerbe- und Unternehmensfreiheit zu messen. Die positive Zielaussage, derartige Vorhaben seien nur an bestimmten Orten anzusiedeln, bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Ansiedlung an anderen Orten nicht in Betracht kommt. Aus dem mit der Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung nach § 4 ROG bzw. § 1 Abs. 4 BauGB folgenden Ansiedlungsverbot zielwidriger raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen ergibt sich im konkreten Fall zwangsläufig eine faktische Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit von Betreibern, Herstellern und Investoren im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG. Das nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Drei-Stufen-Theorie vorauszusetzende eingriffsrechtfertigende Gemeinwohlinteresse, welches die Begrenzung der Ansiedlung von Factory Outlet Centern erforderlich macht, ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht gegeben. Die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung als Leitziel des zentralörtlichen Gliederungssystems kann aufgrund der Spezifikationen dieses Betriebstyps nicht herangezogen werden. Die Festlegung eines zentralörtlichen Kongruenzgebots durch strikte Ziele verstößt gegen das rechtsstaatliche Übermaßverbot. Vielmehr würde es genügen, mit dem zentralörtlichen Beeinträchtigungsverbot und mit bauplaneri-
E. Steuerung durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot
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sehen Maßnahmen die Ansiedlung von Factory Outlet Centern zu steuern. Anders kann dies - je nach Ausgestaltung - bei Sollzielen sein.
E. Die Steuerung von Factory Outlet Centern durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot I. Anforderungen an die landesplanerischen Festsetzungen einer „wesentlichen Beeinträchtigung" unter Beachtung des Bestimmtheitsgebots Das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot 321 wird in den landesplanerischen Plänen und Programmen i m Allgemeinen dadurch ausgedrückt, dass eine wesentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit zentraler Orte und der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich eines Einzelhandelsgroßprojekts bzw. Factory Outlet Centers durch dessen Ansiedlung verhindert werden soll. Wann eine solche Beeinträchtigung anzunehmen ist, wird dabei höchst unterschiedlich konkretisiert. Die Formulierungen reichen von der bloßen Festlegung, dass eine solche wesentliche Beeinträchtigung zu verhindern s e i 3 2 2 bis hin zu detaillierten Festsetzungen hinsichtlich nach Warensortimenten und Orten differenzierter Kaufkraftabzugsgrenzen 323 . Unter erheblicher Abweichung von den sonstigen Festsetzungen des bayerischen Landesentwicklungsprogramms ist das Beeinträchtigungsverbot in Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP geregelt. Wann eine wesentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit zentraler Orte und der verbrauchernahen Versorgung im Einzugsbereich gegeben ist, wird nach prozentualen Kaufkraftabschöpfungsquoten bestimmt, die sich wiederum danach richten, welches Sortiment betroffen ist. Hinsichtlich Waren des sonstigen Bedarfs des innenstadtrelevanten Sortiments werden die Kaufkraftabschöpfungsquoten noch danach unterschieden, ob die Oberzentren München, Augsburg, Nürnberg und Würzburg betroffen sind. Im baden-württembergischen LEP ergibt sich eine wesentliche Beeinträchtigung unter Heranziehung der Begründung zu Ziel 3.3.7.1 3 2 4 und des Einzelhandelserlasses des Landes Baden-Württemberg 3 2 5 , wonach die Funktionsfähigkeit der Stadt- und Ortskerne der Standortgemeinde oder anderer zentraler Orte in der Regel bei einem Kaufkraftabfluss von 10% bei Zentren- oder nahversorgungsrelevanten Sortimenten und von 20% bei nicht zentrenrelevanten und nicht nahversorgungsrelevanten Sortimenten als wesentlich beeinträchtigt anzusehen ist. 321 Zur Definition oben C II 2. 322 Beispielsweise Ziff. 3.2.4 des thüringischen LEP (als Grundsatz der Raumordnung); hessischer LEP, 2. Zielvorgabe auf S. 19. 323 Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP 324 s. Β 37. 325 Abgedruckt in: Bielenberg /Runkel /Spannowsky (Hrsg.), RuL, D 131, S. 35 ff., Stand 2003.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
1. Anforderungen des Bestimmtheitsgebots Trotz ihres lediglich rahmensetzenden Charakters für die Bauleitplanung und Fachplanungen 3 2 6 sind Raumordnungspläne wie andere Rechtsnormen am rechtsstaatlichen Gebot der Bestimmtheit gem. Art. 20 Abs. 3 GG zu messen. 3 2 7 Dies gilt wegen ihrer Bindungswirkung nach § 4 ROG umso mehr, soweit es sich um Ziele der Raumordnung handelt. Einfachgesetzlich ist in § 3 Nr. 2 ROG normiert, dass Ziele der Raumordnung räumlich und sachlich bestimmte oder bestimmbare Festlegungen sind. Die Bestimmtheit einer Zielfestlegung setzt dabei ein höheres Maß an Konkretheit voraus, als die Bestimmbarkeit, welche umgekehrt die Grenze an Offenheit 3 2 8 einer Zielfestlegung markiert. Hinreichende Bestimmtheit bedeutet demnach, dass es einer Rechtsklarheit hinsichtlich des Aussagegehalts der raumordnerischen Festsetzungen bedarf, sich also Inhalt, Umfang und Reichweite der einzelnen Festsetzungen aus dem Plan eindeutig feststellen und erkennen lassen. 3 2 9 Nicht erforderlich ist, dass die Normtatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben umschrieben sind. Generalklauseln, ausfüllungs- und auslegungsbedürftige Begriffe sind zulässig. Der Normgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich i s t . 3 3 0
2. Hinreichende Bestimmtheit der „wesentlichen Beeinträchtigung" Die Frage nach dem erforderlichen Grad der Bestimmtheit landesplanerischer Regelungen ist unter der Berücksichtigung des besonderen Charakters rahmenrechtlicher Vorschriften zu sehen. Rahmenvorschriften sind darauf ausgerichtet, sowohl konkrete Festlegungen zu treffen als auch offen und ausfüllungsbedürftig zu sein. 3 3 1 Landesplanerische Regelungen stehen hier in einem ausgleichsbedürftigen Spannungsverhältnis zwischen dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot und dem verfassungsrechtlich aus Art. 28 Abs. 2 GG bzw. aus den Kompetenzregelungen des Grundgesetzes rührenden Gebot, nur i m erforderlichen Umfang in die Entscheidungen der Orts- und Fachplanungsträger einzugreifen. 3 3 2
326 Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 20. 8. 1992-4 NB 20/91 - BVerwGE 90, 329, 334; Hoppe/Scheipers, in: Burmeister (Hrsg.), FS Stern, S. 1117, 1121; Spoerr, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 343, 348; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973. 327 Vgl. die Angaben in Fn. 104 in diesem Kapitel. 328 Runkel, in: Bielenberg /Runkel /Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 28; Stand 1998. 329 VGH Mannheim, Urteil vom 21. 5. 2001 - 5 S 901 /99 - zit. in JURIS (zur Bauleitplanung); Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973. 330 BVerfG, Beschluss vom 26. 9. 1978-1 BvR 525/77 - BVerfGE 49, 168, 181; Beschluss vom 24. 11. 1981-2 BvL 4/80-BVerfGE 59, 104, 114. 331 Spoerr, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 344, 348; Wahl, DÖV 1981, 597, 603; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973.
E. Steuerung durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot
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Als unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit von Normen zulässig und ausreichend sind daher solche landesplanerischen Zielaussagen, die in der Festsetzung bzw. in der Begründung explizit Anknüpfungspunkte dafür geben, wann abstrakt oder im konkreten Einzelfall eine wesentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit zentraler Orte sowie der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung i m Einzugsbereich der Einzelhandelseinrichtung gegeben ist. Als derartig hinreichend bestimmt ist die Zielfestlegung in Ziff. 1.2.1.5 Abs. 2 bayerisches LEP anzusehen, welche zur Bestimmung einer wesentlichen Beeinträchtigung nach Sortimenten differenzierende Kaufkraftabschöpfungsquoten beinhaltet. 3 3 3 Als Teil der Zielvorgabe sind diese Quotenfestsetzungen für die Zieladressaten bindend, § 4 ROG. Wird beispielweise ein Bebauungsplan mit der Sondergebietsfestsetzung für großflächigen Einzelhandel und / oder Factory Outlet Center nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO aufgestellt, so muss die planende Gemeinde Festsetzungen treffen, die eine Beeinträchtigung i m Sinne des landesplanerischen Zielvorgabe ausschließen. Dies setzt im Allgemeinen voraus, dass die Gemeinde mittels einzuholender Marktgutachten zunächst ermittelt, welche Kaufkraftabschöpfungen zu erwarten seien. Dann muss sie beispielsweise mittels Geschoss- oder Verkaufsflächenfestsetzungen sowie Sortimentsbestimmungen die Einhaltung der landesplanerischen Kaufkraftgrenzen sichern. Umstritten sind solche Zielfestlegungen, die wie beispielsweise i m hessischen LEP (dort S. 19) oder in Ziff. 3.3.7.1 baden-württembergischen LEP ohne weitere Konkretisierung auf ausfüllungsbedürftige Voraussetzungen wie eine wesentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit anderer zentraler Orte und der Versorgung der Bevölkerung abstellen. So wird vertreten, dass solche Festlegungen dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht entsprechen, da sich daraus nicht ergäbe, wann eine solche wesentliche Beeinträchtigung anzunehmen sei und dies nur unter Rückgriff auf außerhalb des Raumordnungsplans formulierte Maßstäbe und durch eine Abwägung der i m Einzelfall betroffenen Belange erfolgen k ö n n e . 3 3 4 Dem ist in dieser Allgemeinheit zu widersprechen. 335 In der juristischen Metho332
Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 44 m.w.N, Stand
1998. 333
In eine ähnliche Richtung geht der Landesentwicklungsplan des Landes SchleswigHolstein: In der Begründung zu Ziel 7.5 werden Planungsgrundsätze aufgestellt, die hinsichtlich der Frage der Beeinträchtigung nach der Verkaufsflächengröße unterscheiden. Demnach sind für Ober- und Mittelzentren keine Obergrenzen für die Ansiedlung von Einkaufseinrichtungen vorgegeben. Für Unterzentren sind Einkaufseinrichtungen mit einer Verkaufsfläche mit bis zu 3000 qm geeignet. Gemeinden geringerer bzw. ohne Zentralitätsstufe sind für Ansiedlungen über 800 qm in der Regel nicht geeignet. Factory Outlet Center können nur in Oberzentren / Großstädten angesiedelt werden. Hinsichtlich der Frage der wesentlichen Beeinträchtigung sei im Einzelfall auf die Größe und das Sortiment des Vorhabens abzustellen. 334 Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 342; in diese Richtung auch Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 124, der das Beeinträchtigungsverbot wohl nur als Grundsatz der Raumordnung ansieht. 335 Vgl. Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 265 f.; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
denlehre ist anerkannt, dass Rechtsnormen offen und in diesem Sinn unvollständig gestaltet sein können. 3 3 6 Derartige Rechtssätze erlangen erst in Verbindung mit anderen Rechtssätzen praktische Bedeutung, ohne dass dies ein Problem mangelnder Bestimmtheit darstellt. Es ist daher i m Wege der Auslegung zu ermitteln, ob und inwieweit einem Plansatz ein räumlich und sachlich hinreichend konkreter Aussagegehalt zu entnehmen i s t . 3 3 7 Neben dem Wortsinn, der systematischen Stellung und Zweck der fraglichen Norm sowie der Regelungsabsicht des Normgebers ist dabei die besondere Funktion landesplanerischer Regelungen als Rahmenregelungen für weitere Planungsebenen zu beachten. Da es sich bei den Adressaten landesplanerischer Zielfestsetzungen überwiegend um öffentliche Stellen oder juristische Personen des Privatrechts handelt, kann hinsichtlich der an sie zu stellenden Anforderungen von denen eines ausgebildeten und mit öffentlichen Planwerken vertrauten Beobachters ausgegangen werden. Der an die Bestimmbarkeit von Raumordnungsplänen anzulegende Maßstab ist daher nicht in der Laiensphäre des Bürgers anzusiedeln, sondern in der Fachkunde ausgebildeter Fachleute. 3 3 8 Des Weiteren genügt für die Bestimmbarkeit des Ziels, wenn die Festlegung im Zusammenhang mit anderen Festlegungen, naturräumlichen Gegebenheiten etc. so konkretisiert werden kann, dass sie einen bestimmten räumlichen und sachlichen Inhalt haben, den der Zieladressat beachten s o l l . 3 3 9 Die Bestimmung einer „wesentliche Beeinträchtigung" kann sich vorliegend nur aus der großräumigeren Sicht der Landesplanung ergeben. Es muss sich um Auswirkungen handeln, die bei weitem intensiver sind als Auswirkungen rein städtebaulicher Art, wie sie im Rahmen kommunaler Nachbarklagen geltend gemacht werden können. Das Vorhaben muss sich raumordnerisch auswirken. Eine solche raumordnerische Auswirkung ist dann gegeben, wenn zentrale Orte i m Einzugsbereich des Vorhabens ihre Versorgerfunktion nicht mehr wahrnehmen können. Wann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, richtet sich dabei nicht nur nach dem jeweiligen Vorhaben, sondern auch nach der Stärke und Struktur der i m Einzugsbereich des Vorhabens liegenden zentralen Orte. Eine Gemeinde mit einem gefestigten Einzelhandel und attraktiven Einzelhandelsumfeld wird in ihrer Versor336
Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 78 ff. Hoppe, DVB1. 1999, 1457, 1458; Schroeder, UPR 2000, 52, 53; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973. - Einschränkend Spoerr, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 343, 350, der aufgrund der Konkretisierungsbedürftigkeit von Raumordnungszielen von einem Gebot zurückhaltender Auslegung ausgeht. Demnach würden Zweifel hinsichtlich der Bestimmbarkeit einer raumordnerischen Festlegung zu Lasten der Zielqualität der Festlegung gehen. Was mit planerischen Mitteln nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht worden sei, sei nicht auslegungsoffen, sondern konkretisierungsoffen. Gegen diese Einschränkung spricht allerdings, dass die Auslegung der Konkretisierung auch bei Raumordnungszielen vorgeht. Steht der Wille des Normgebers, wenn auch mittels Auslegung bereits fest, bedarf es keiner Konkretisierung durch die Träger nachgelagerter Planungsebenen. 337
338
Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 40, Stand 1998. Runkel, in: Bielenberg /Runkel /Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 28, Stand 1998; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973. 339
E. Steuerung durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot
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gerfunktion weit weniger beeinträchtigt werden als eine Gemeinde mit einem unattraktiven Einzelhandel. Dies lässt sich schwerlich allgemein bestimmen, sondern ergibt sich regelmäßig erst i m Einzelfall. 3 4 0 Die eingeschränkte Möglichkeit landesplanerischer Angaben zum Vorliegen einer wesentlichen Beeinträchtigung ergibt sich mithin aus der Natur der Sache. Im Zeitpunkt der landesplanerischen Entscheidung steht nicht fest, in welcher Gemeinde es zur Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel k o m m t . 3 4 1 Hinsichtlich der Ansiedlung von Einzelhandel sgroßprojekten ist anerkannt, dass sich die Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung anderer Versorgungsbereiche über das wirtschaftsgeographische Kriterium des Kaufkraftabzugs bestimmen lassen k a n n . 3 4 2 Dass bei der Ausweisung von Flächen zur Ansiedlung eines Factory Outlet Centers und anderer Einzelhandel sgroßprojekte ein Interesse der planenden Gemeinde dahingehend besteht, dass geklärt werden muss, ob das Vorhaben den landesplanerischen Voraussetzungen entspricht, steht weniger konkreten landesplanerischen Festlegungen nicht entgegen. Unschädlich für die Annahme hinreichender Bestimmtheit ist, dass zur Konkretisierung weitere Untersuchungen und Erhebungen erforderlich s i n d . 3 4 3 Eine landesplanerische genaue Beschreibung der Voraussetzungen würde diese Notwendigkeit auch nicht entbehrlich machen. Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot setzt demnach nicht voraus, dass die Kriterien zur Bestimmung der Verletzung des Beeinträchtigungs Verbots in den landesplanerischen Ziel vorgaben geregelt sind. I m Übrigen entspricht eine solche Regelungsabstinenz auch der gebotenen Zurückhaltung von Rahmenvorschriften. 344
340 Erbguth, NVwZ 2000, 969, 974. 341 Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973. 342 OVG Münster, Urteil vom 5. 9. 1997-7 A 2902/93 - BauR 1998, 309; OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. 12. 1998-3 Β 116/98 - GewArch. 1999, 437, 438; VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 29. 9. 1998-2 L 2138/98.NW - GewArch. 1999, 84, 86; BayVGH, Urteil vom 7. 6. 2000-26 Ν 99.2961/26 Ν 99.3207 und 26 Ν 99.3265 NVwZ-RR 2001, 88; GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels Langzeitstudie, S. 19; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 265; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 475; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 344; Otting, DVBl. 1999, 595, 597; üechtritz, BauR 1999, 572, 579; kritisch Schmitz, BauR 1999, 1100, 1106. Umfassend dazu die empirische Untersuchung mehrerer Einzelhandelsprojekte in Baden-Württemberg von Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, insbes. S. 38 ff. 343 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 3 Rn. 28, Stand 1998. 344 Erbguth, NVwZ 2000, 969, 974.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
I I . Kaufkraftabzugsgrenzen als Maßstab des Beeinträchtigungsverbots 1. Die Geeignetheit des Kaufkraftabzugs als Indikator zur Bestimmung einer raumordnerisch relevanten Beeinträchtigung Die landesplanerische Einbindung von Einzelhandelsgroßprojekten in das zentralörtliche Gliederungssystem hat zwingend zur Folge, dass die Träger der kommunalen Bauleitplanung bei der Ausweisung von Factory Outlet Centern bereits i m Vorfeld abzuklären haben, ob das Vorhaben negative raumordnerische Auswirkungen haben wird. Eine solche Prognose gerade i m Hinblick auf die Sicherung raumordnerischer Funktionen der i m Einzugsgebiet des Vorhabens gelegenen zentralen Orte sowie der verbrauchernahen Versorgung ist bisweilen schwierig. Diesen Schwierigkeiten wird in der Praxis dadurch entgegengetreten, dass regelmäßig darauf abgestellt wird, ob und in welcher Höhe das Vorhaben die Kaufkraft von den bestehenden Einzelhandelsbetrieben i m Einzugsbereich abzieht und auf sich umleitet. 3 4 5 Überschreitet die Kaufkraftabschöpfung eine bestimmte Grenze, so stelle dies ein Indiz für eine raumordnerisch relevante Beeinträchtigung d a r . 3 4 6 Die Kaufkraft ist dabei die Geldmenge, die von den Einwohnern innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen i m Einzelhandel ausgegeben wird. Das Abstellen auf den Kaufkraftabzug ergibt sich daraus, dass die Neuansiedlung von Einzelhandelsbetrieben in der Regel nicht oder nur kurzfristig zu einer Steigerung der Kaufkraft i m Einzugsbereich führt, sondern es vielmehr zu einer Kaufkraftumverteilung durch Veränderungen der Einkaufsorientierung von Kunden kommt. Die Kunden sehen neu angesiedelte Vorhaben überwiegend als Ergänzung zur bestehenden Angebotsstruktur, kaufen in mehreren Vorgängen, verfügen jedoch nicht über ein größeres Budget, so dass eine Umsatzverlagerung eintritt. 3 4 7 Die Umsatzverlagerung kann dabei grundsätzlich raumordnerisch irrelevante Wettbewerbsverschiebungen und die Schließung vorhandener Einzelhandelsbetriebe auslösen. Beides ist geeignet, raumordnerische 345 Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP; OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. 12. 1998-3 Β 116/98 - GewArch 1999, 437, 438 f.; BayVGH, Urteil vom 7. 6. 2000-26 Ν 99.2961, 26 Ν 99.3207, 26 Ν 99.3265 - BayVBl 2001, 175, 176; VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002-13 Κ 1257/02 - GewArch 2002, 436, 438; Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 275; Kopf, Rechtsfragen der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 216; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 475; Otting, DVB1. 1999, 595, 597; Uechtritz, BauR 1999, 572, 579; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 342. Einschränkend VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 29. 9. 1998-2 L 2138/98.NW - GewArch 1999, 84, 86; kritisch auch Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 32.1; Schmitz, BauR 1999, 1100, 1106 ff. 346 Vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002-13 Κ 1257/02 - GewArch. 2002, 436, 437. 347 Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 271.
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Ausmaße anzunehmen, die dazu führen, dass (höher-)zentrale Orte nicht mehr in der Lage sind, ihre (Versorger-)funktion wahrzunehmen. Die Heranziehung des Kaufkraftabzugs zur Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung ist nicht unumstritten. Die Diskussion findet dabei in erster Linie i m Rahmen des interkommunalen Abstimmungsgebots nach § 2 Abs. 2 BauGB und von nachbargemeindlichen Normenkontrollklagen gegen Bebauungspläne statt. 3 4 8 Sie kann aufgrund der Gleichgelagertheit beider Komplexe auf die vorliegende Problematik übertragen werden. In der Rechtsprechung wurde die Aussagekraft eines prognostizierten Kaufkraftabzugs zunächst zurückhaltend beurteilt. 3 4 9 Dieser war allenfalls ein weiteres Kriterium und ausnahmsweise insoweit bedeutsam, als ein besonders gravierender Kaufkraftabzug indizielle Bedeutung für unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art haben könnte. In den Folgeentscheidungen nahm die Bedeutung fachgutachterlich prognostizierter Kaufkraftabzugsquoten z u . 3 5 0 Nach Auffassung des B a y V G H könne zur Frage der wesentlichen Gefährdung der Funktionsfähigkeit zentraler Orte sowie der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung grundsätzlich auf (in diesem Fall vom Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen festgelegten) Kaufkraftabzugsquoten als sachgerechte Orientierungswerte abgestellt werden. 3 5 1 Es liege in der Natur der Sache, dass sich die Auswirkungen von Einzelhandelsgroßprojekten nicht exakt messen und quantifizieren lassen. Insoweit sei lediglich eine auf Erfahrungswerte gestützte Voraussage möglich, dass unter bestimmten betriebs- und volkswirtschaftlichen Umständen mittel- bis langfristig wahrscheinlich gewisse Folgewirkungen eintreten werden. Gegen die Heranziehung des Kaufkraftabzugs werden neben dogmatischen Gesichtspunkten in erster Linie praktische Bedenken vorgetragen. Mangels eigener Ermittlungsmöglichkeiten wären Planungsträger und Gerichte bei der Beurteilung des Kaufkraftabzugs auf fachgutachterliche Stellungnahmen angewiesen. 3 5 2 Dem Kaufkraftabfluss käme so eine letztentscheidende Bedeutung zu, welche eine differenzierte Einzelfallbetrachtung ausschließen w ü r d e . 3 5 3 Letztere sei jedoch ins348 Vgl. nur Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 468 ff.; Schmitz, BauR 1999, 1100, 1103 ff. 349 BayVGH, Urteil vom 14. 1. 1991 - 2 Β 89.785 - GewArch. 1991, 314, 316; OVG Weimar, Beschluss vom 23. 4. 1997-1 EO 241191 - LKV 1997, 372, 373. 350 Vgl. nur OVG Münster, BauR 1998, 309 ff.; OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. 12. 1998-3 Β 116/98 - GewArch. 1999, 437, 438; BayVGH, Urteil vom 7. 6. 2000-26 Ν 99.2961, 26 Ν 99.3207, 26 Ν 99.3265 - BayVBl 2001, 175, 176 f.; VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002-13 Κ 1257/02 - GewArch 2002, 436, 438. Kritisch gegen die „letztentscheidende Bedeutung" Schmitz, BauR 1999, 1100, 1104; Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 23.2. 351 BayVGH, Urteil vom 7. 6. 2000-26 Ν 99.2961, 26 Ν 99.3207, 26 Ν 99.3265 BayVBl 2001, 175, 176 f. 352 Schmitz, BauR 1999, 1100, 1107 f. 353 Schmitz, BauR 1999, 1100, 1108 f.; kritisch auch Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 23.2.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
besondere hinsichtlich der Ansiedlung von Factory Outlet Centern erforderlich. Es sei zudem nicht nur umstritten, welcher Grenzwert zur Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung anzusetzen sei, sondern auch, aus welchen Faktoren er sich zusammensetzt. 354 Auch würden durch die Heranziehung des Kaufkraftabflusses im Sinne regionaler „Umsatzpotentialgrenzen" wettbewerbliche Fragen in das Planungsrecht hineingezogen, was der Wettbewerbsneutralität der Raumordnung und Bauleitplanung widerspräche. 355 Dies alles führe zu Unwägbarkeiten, welche ein Abstellen auf den Kaufkraftabzug nicht rechtfertigen würden. Die grundsätzlichen Bedenken gegen die Heranziehung des Kaufkraftabflusses können nicht geteilt werden. Das Kriterium des Kaufkraftabzugs ist als Indiz zur Bestimmung einer wesentlichen Beeinträchtigung geeignet. 3 5 6 Die Auswirkung auf die Kaufkraft und Abschöpfungsquoten stellen objektive Parameter dar, die erkennen lassen, wann jenseits planerischer Subjektivität und Beliebigkeit mit tatsächlichen gewichtigen, nach den Gesetzen der Marktlogik nachvollziehbaren Auswirkungen zu rechnen i s t . 3 5 7 Nach der die Heranziehung des Kaufkraftabzugs ablehnenden Auffassung bleibt zudem offen, welche Kriterien anstelle des Kaufkraftabzugs herangezogen werden sollen. Zwar ist Kritik insoweit berechtigt, als dass Marktgutachten durchaus von unterschiedlicher Qualität sein können und daher im Einzelfall nur eine unzureichende oder gar subjektive Darstellung von Kaufkraftabzugsprognosen erfolgt. 3 5 8 Dies rechtfertigt jedoch keine grundsätzliche Ablehnung. Der Kaufkraftabzug ist lediglich ein Indiz und soll den Einstieg in eine (weiterhin notwendige) Einzelfallprüfung erleichtern. Von einer letztentscheidenden Bedeutung kann dabei keine Rede sein, da es grundsätzlich einer Einzelfallprüfung vorbehalten bleibt, ob eine wesentliche Beeinträchtigung gegeben i s t . 3 5 9
354 Schmitz, BauR 1999, 1100, 1109. 355 So VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 29. 9. 1998-2 L 2138/98.NW GewArch. 1999, 84, 86; Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 23.2. 356 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 470 ff.; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 216; Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 271, 275; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 344; Uechtritz, BauR 1999, 572, 579; wohl auch Hoppe/Otting, DVB1. 2004, 1125, 1131; Otting, DVB1. 1999, 595, 597, der zugleich einschränkend davon ausgeht, dass Factory Outlet Center aufgrund ihrer betrieblichen Besonderheiten die städtebaulich relevanten Kaufkraftabzugsgrenzen nicht überschreiten würden. 357 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 475 Fn. 87; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 216. 358 So Schmitz, BauR 1999, 1100, 1108. 359 VG Neustadt a.d. Weinstraße, Urteil vom 6. 4. 2000-2 Κ 3571 / 98 - GewArch. 2000, 261, 264; Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 204, 275.
E. Steuerung durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot
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2. Die Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung Von landesplanerischen Auswirkungen eines großflächigen Einzelhandelsvorhabens kann erst dann gesprochen werden, wenn aufgrund der durch das Vorhaben verursachten Umsatzumverteilungseffekte die zentralörtliche Funktionsfähigkeit i m Einzugsbereich gefährdet wird. Derartige Auswirkungen können nur in Betracht kommen, wenn den betroffenen Gemeinden i m Einzugsbereich eines Factory Outlet Centers überhaupt ein zentralörtlicher Status verliehen worden ist. Gemeinden ohne zentralörtlichen Status können von vornherein nicht in landesplanerischen Belangen betroffen werden, da sie über keine landesplanerische Funktion verfügen, die durch das Vorhaben gefährdet werden k ö n n t e . 3 6 0 Nach den Angaben verschiedener Marktforschungsgutachten liegen die Grenzen zur Annahme einer raumordnerischen Relevanz des Kaufkraftabflusses bei einer Abschöpfungsquote von 20% hinsichtlich des innenstadtrelevanten Sortiments bzw. von 30% hinsichtlich des nicht innenstadtrelevanten Sortiments. 3 6 1 Die Einzelhandelserlasse der Länder regeln vereinzelt ebenfalls Kaufkraftobergrenzen zur Bestimmung einer wesentlichen Beeinträchtigung. 3 6 2 Weiter geht der bayerische Landesplanungsgeber, indem er den Kaufkraftabzug dadurch normiert, dass er in Ziel 1.2.1.5 Abs. 2 bayerisches LEP als Teil der Zielvorgabe feste Kaufkraftabzugsquoten festschreibt, welche nicht überschritten werden dürfen. Der Kaufkraftabzug und die Bestimmung raumordnerisch relevanter Kaufkraftabzugsquoten können lediglich als Indiz und nicht als feste Grenzwerte herangezogen werden. 3 6 3 Es ist stets i m Einzelfall zu prüfen, ob die ermittelten Kaufkraftabzugsquoten eine raumordnerische Relevanz aufweisen. Factory Outlet Center weisen zudem aufgrund ihrer Struktur eine gewisse Atypik auf, die eine direkte Übertragung von Erfahrungswerten zu den Auswirkungen anderer großflächiger Einzelhandelsbetriebe nur eingeschränkt zulässt. 3 6 4 Der Grundsatz der Wett360 Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 344. 361 GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 19; vgl. auch die Richtlinie des bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 25. 10. 1995 zur landesplanerischen Überprüfung von Einzelhandelsgroßprojekten (Az.: 5635-4/42-51605), die bei nicht innenstadtrelevanten Sortimenten eine Unverträglichkeit erst bei einer Kaufkraftabzugsquote von 40% annimmt. 362 Ziff. 3.2.2.3 des Einzelhandelserlasses des Landes Baden-Württemberg setzt als Anhaltswerte für die Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung einen Umsatzverlust bei Zentren- oder nah versorgungsrelevanten Sortimenten von ca. 10% und bei nicht zentrenrelevanten und nicht versorgungsrelevanten Sortimenten von ca. 20% im vorhabenspezifischen Sortiment an. 363 OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. 12. 1998-3 Β 116/98 - GewArch. 1999, 437, 438; VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002-13 Κ 1257/02 - GewArch 2002, 436, 437; VG Potsdam, Beschluss vom 7. 5. 1999-5 L 950/98 - BauR 1999, 1146, 1148 ff.; Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 204; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 475; Schmitz, ZfBR 2001, 85, 89; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. September 2003-4 C 14/01 - BVerwGE 119, 25, 33. 364 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 46.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
bewerbsneutralität der Raumplanung verbietet eine statische Anwendung demgemäß, dass eine Unterschreitung der Quoten stets keine wesentliche Beeinträchtigung darstellen und bei Überschreiten stets eine solche vorliegen w ü r d e . 3 6 5 So kann die Schließung vorhandener Einzelhandelsbetriebe erheblich und die Kaufkraftabschöpfung hoch sein, sie rechtfertigen allerdings kein raumordnerisches Eingreifen, wenn keine wesentliche Beeinträchtigung der landesplanerischen Funktionsfähigkeit zentraler Orte oder der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung zu prognostizieren i s t . 3 6 6 Die Frage nach der Existenzfähigkeit eines Einzelhandelsbetriebs ist ebenfalls einzelfallabhängig. Nach den Ergebnissen der Langzeitstudie der G M A , welche i m Jahr 1999 abgeschlossen wurde, besteht bei einer überwiegenden Anzahl von Betrieben bei einem realen Umsatzrückgang von 10% Handlungsbedarf. Die Konkurrenzfähigkeit hängt dabei neben dem Erfordernis einer zeitgemäßen Führung von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie beispielsweise die Attraktivität des Standorts und sein Entwicklungspotential sowie die verkehrliche Erreichbarkeit und die Entwicklung der Nutzungsqualität i m unmittelbaren U m f e l d . 3 6 7 Ebenso kommt es auf die Anpassungsfähigkeit der betroffenen Kommune a n . 3 6 8 Führt die Neuansiedlung zu einer Wettbewerbsintensivierung, kann dies zur Folge haben, dass eine Reihe von Anbietern aus dem Markt ausscheidet, ohne dass gravierende Folgen für das zentralörtliche System eintreten. Gerade bei Orten höherer Zentralitätsstufe führen gravierende Wettbewerbswirkungen in einer Branche zu nur geringen Einbußen hinsichtlich der Gesamtbedeutung des zentralen Ortes, da weder die wesentlichen Geschäftslagen noch die markanten Angebotsbereiche negativ betroffen sind. Eine verschärfte Wettbewerbssituation geht vielmehr zu Lasten kleinerer Kommunen ohne zentralörtliche Bedeutung oder von städtischen Streulagen. 3 6 9 Bei der Planung zur Ansiedlung eines Factory Outlet Centers ist daher zunächst mittels Fachgutachten festzustellen, wie groß das Umsatzpotential des Vorhabens ist, woher die Kaufkraft kommt und zu Lasten welcher Gemeinden sie abgeschöpft w i r d . 3 7 0 Ob i m Einzelfall eine wesentliche Beeinträchtigung anzunehmen ist, rich365 Vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002-13 Κ 1257/02 - GewArch 2002, 436, 437; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 471. 366 Vgl. bei Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 38, 235: das dort untersuchte Vorhaben in Schwanau-Allmannsweiler zieht aus dem Ortsteil Ottenheim, dem nach dem Regionalplan zentralörtliche Funktion zukommt, eine erhebliche Kaufkraft ab. Da sich jedoch in Ottenheim entgegen der zugewiesenen Funktion kein zur Versorgung ausreichender Einzelhandel entwickelt hatte, führte die Ansiedlung in SchwanauAllmannsweiler insgesamt zu einer Verbesserung der Versorgungssituation im Nahbereich. 367 GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 15. 368 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 472. 369 GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 20. 370 Zur Berechnung s. Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 35, 200.
E. Steuerung durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot
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tet sich neben der Größe und Lage des Vorhabens auch nach dem angebotenen Sortiment und der Versorgungslage i m Einzugsbereich vor der Ansiedlung. Ein wichtiges Kriterium ist die Innenstadtrelevanz des Vorhabens, welche sich nach dem Sortiment des anzusiedelnden Vorhabens richtet.371 Zur Einschätzung der möglichen Auswirkungen der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe ist der Einzugsbereich des Vorhabens ausreichend abzugrenzen. Hinweise ergeben sich aus dem betriebstypenbezogenen Vergleich der geplanten Verkaufsfläche und der voraussichtlichen Umsatzleistung mit den entsprechenden Werten der Standortgemeinde und des Einzugsbereichs. Hierzu ist eine Detailbetrachtung der Sortiments- und angebotsbezogenen Wirkungen unter Abgrenzung des Einzugsgebiets und Bestimmung der Marktanteile des Vorhabens unter Zugrundelegung der möglichen Umsatzleistung vorzunehmen. 3 7 2 Daneben sind die konzeptionellen Besonderheiten dieses Betriebstypus zu beachten. Aufgrund der Größe und der Warenzusammensetzung eines Factory Outlet Centers werden sich Einzugsbereich des Vorhabens und Verflechtungsbereich nicht decken; vielmehr geht der Einzugsbereich von in der Regel bis zu 200 k m 3 7 3 auch über den Verflechtungsbereich zentraler Orte höherer Stufe hinaus. Die Ermittlungen müssen mit hinreichender Genauigkeit erfolgen und einer Plausibilitätskontrolle standhalten. 374 Ein Vorhaben scheidet jedoch nicht deshalb aus, weil die Auswirkungen nicht exakt beweisbar sind. Das Gebot der Sachverhaltsermittlung reicht nur soweit, wie eine Ermittlung tatsächlich möglich ist. Eine Beweislastumkehr zu Lasten der planenden Gemeinde besteht nicht, sofern plausibel dargelegt worden ist, dass unzumutbare landesplanerische Auswirkungen fehlen. 3 7 5 Angesichts dessen, dass stets eine einzelfallabhängige Prüfung durchgeführt werden muss, ist die Zulässigkeit der in Ziel 1.2.1.5 Abs. 2 bayerisches LEP festgelegten Kaufkraftabzugsobergrenzen fraglich. Sie lösen als Ziel der Raumordnung Bindungswirkung nach § 4 ROG und § 1 Abs. 4 BauGB aus mit der Folge, dass die Planungsträger daran gebunden sind, ohne dass es auf raumordnerische Auswirkungen im Einzelfall ankommt. Die Normierung von Kaufkraftabzugsobergrenzen mit Β indungs Wirkung wird damit begründet, dass sich diese Werte in der Vergangenheit bewährt haben. 3 7 6 Ein solches mag zwar stimmen, rechtfertigt jedoch nicht die Festschreibung fester Kaufkraftabzugsobergrenzen. Zwar wird hinsichtlich der Höhe der Kaufkraftabzugsquoten nach dem Sortiment und teilweise 371 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS für Hoppe, S. 459, 475. 372 GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 14; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 471 ff. Zur Berechnung des Kaufkraftabzugs s. Vogels/Holl/Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 35,
200.
373 s.o. Erstes Kapitel Β I. 374 Vgl. dazu VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002- 13 Κ 1257/02 - GewArch 2002, 436, 438. 375 Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, S. 459, 473 Fn. 76. 376 Begründung zu Ziff. 1.2.1.5 Abs. 2 bayerisches LEP, S. 191.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
auch nach Standorten differenziert. Eine zwingend erforderliche Einzelfallbetrachtung scheidet jedoch wegen der Bindungswirkung aus. Durch die Zielfestlegung werden landesplanerische „Umsatzpotentialgrenzen' 4 aufgestellt, die von den einzelnen Vorhaben mittelbar eingehalten werden müssen. Dies ist insoweit bedenklich, als dass die Zielfestlegung wettbewerbsregelnden und marktzugangsperrenden Charakter h a t . 3 7 7 Zwar können wirtschaftliche Folgen in landesplanerische bzw. städtebauliche Folgen umschlagen. Für ein solches qualitatives Umschlagen reichen bloße Vermutungen ohne konkrete Einzelfallprüfung nicht aus. 3 7 8 Die Begründung zu Ziel 1.2.1.5 Abs. 2 bayerisches LEP geht dabei noch weiter. Wenn nämlich zwei oder mehrere Einzelhandelsgroßprojekte mit gleichem Sortiment zeitgleich beantragt werden, müssten diese auch in ihrer Summenwirkung mit den Erfordernissen der Raumordnung in Einklang stehen, also hinsichtlich ihres Kaufkraftabzugs addiert werden. 3 7 9 Eine einfache Addition wird jedoch nicht erfolgen können, da die geplanten Vorhaben auch untereinander Kaufkraft abziehen werden. Die Zurechnung der planerischen Auswirkungen anderer Betriebe ist höchst umstritten 3 8 0 und stößt auch auf praktische Schwierigkeiten. Nicht geregelt ist, ob davon lediglich Vorhaben in einer planenden Gemeinde erfasst sein sollen oder gegebenenfalls auch Vorhaben in mehreren Gemeinden eines Verflechtungsbereichs zusammengefasst werden sollen. Offen bleibt auch die Frage, wann eine zeitgleiche Beantragung vorliegt. Für die Gemeinden und die Vorhabenträger erhöht sich zudem der Ermittlungs- und Entscheidungsaufwand. Die Vorhabenträger müssen in den einzuholenden Marktgutachten nicht nur die eigenen Auswirkungen ermitteln, sondern auch die der (möglicherweise) konkurrierenden Vorhaben. Der Kritik kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es sich bei der Festlegung des Beeinträchtigungsverbots in Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP um eine Soll-Vorschrift handelt und daher Ausnahmen zulässig sein In Anlehnung an die neuere Rechtsprechung 381 setzt dies voraus, dass die Ausnahmetatbestände selbst in der Zielvorschrift zumindest ansatzweise geregelt sind. Dies ist vorliegend gerade i m Hinblick auf die Festschreibung der Kaufkraftobergrenzen nicht der Fall. Die Zielfestlegung des bayerischen LEP ist daher unzulässig und n i c h t i g . 3 8 2
377 378 379 380
Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 23.2. VGH Mannheim, Urteil vom 9. 12. 1981 - 5 S 1290/81 - BauR 1982, 149. Bayerisches LEP S. 192. Vgl. Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 18.6.; Jahn, UPR 1989, 371, 375.
381 Vgl. oben BVerwG, Urteil vom 18. 3. 2003-4 CN 20/02 - BVerwGE 119, 54 ff.; BayVGH, Urteil vom 19. 4. 2004- 15 Β 99.2605 - zit. in JURIS. 382 Ob hier der bereits diskutierte Grundsatz der Planerhaltung (B III 2 d) greifen kann und die Zielfestlegungen als Grundsätze der Raumordnung aufrechterhalten werden können, ist fraglich. Die oben genannte These bezieht sich darauf, das den dort genannten „fehlerhaften" Sollzielen die nach § 3 Nr. 2 ROG erforderliche Konkretisierung fehlt und sie daher ihrem Inhalt nach einem Grundsatz der Raumordnung gleichen. Hier gehen die rechtlichen Bedenken jedoch weiter.
E. Steuerung durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot
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3. Der Einbezug von Fremdfaktoren Kaufkraftabzug und Beeinträchtigung der zentralörtlichen Funktionsfähigkeit müssen auf die Ansiedlung des Factory Outlet Centers zurückzuführen sein. 3 8 3 Es stellt sich daher die Frage, inwieweit bei der Ermittlung des Kaufkraftabflusses außerhalb der konkreten Ansiedlung liegende Fremdfaktoren als Ursachen heranzuziehen s i n d . 3 8 4 So geht das O V G Frankfurt (Oder) in einer Entscheidung zum Factory Outlet Center Wustermark davon aus, dass aufgrund der räumlichen Lage der klagenden Gemeinde im engeren Verflechtungsbereich Berlin-Brandenburg per se ein gewisser Kaufkraftabzug bestehe, so dass der prognostizierte Kaufkraftabfluss nicht dem geplanten Vorhaben allein entgegengehalten werden k ö n n e . 3 8 5 Nach der Auffassung von Otting könne von der ein Factory Outlet Center planenden Gemeinde nicht verlangt werden, die Steigerung ihrer Attraktivität im Interesse der Nachbargemeinden zurückzustellen, wenn drohende Geschäftsaufgaben und Kaufkraftumverteilung ihre Ursachen auch in weiteren Problemen der Nachbargemeinden haben. 3 8 6 Danach wäre eine hypothetische „ungestörte" Einzelhandelslandschaft zugrunde zu legen, auf deren Grundlage der Kaufkraftabzug unter der Annahme einer erstmaligen Störung durch das anzusiedelnde Vorhaben zu bemessen w ä r e . 3 8 7 Die Beeinflussung durch Fremdfaktoren ist bei der Frage nach der landesplanerischen Zulässigkeit eines Factory Outlet Centers nicht außer Acht zu lassen, muss jedoch zu sachgerechten Ergebnissen führen. So ist gerade die Situation des Verflechtungsbereichs von erheblicher Bedeutung für die dort gelegenen Gemeinden. Weit schwieriger ist die Frage nach der Beurteilung eines „Eigenverschuldens" der Nachbargemeinden zu beantworten. Marktstudien haben ergeben, dass Standorte mit einer abwechslungsreichen und attraktiven Einzelhandelsstruktur von Neuansiedlungen kaum negativ betroffen werden. 3 8 8 I m Gegensatz dazu sind wenig verdichtete Einzelhandelslagen und Solitärstandorte eher gefährdet. Von einer Verschärfung des Standortwettbewerbs sind insbesondere Betriebe in nachrangigen Standortlagen betroffen. Die Praxis zeigt zudem, dass sich Ansiedlungen von Einzelhandelsgroßprojekten auf der „Grünen Wiese" in den neuen Bundesländern auf Städte und Gemeinden aufgrund der schlechteren innerstädtischen Einzelhandelsstruktur erheblich belastender auswirken, als dies in den alten Bundesländern der Fall i s t . 3 8 9 Zusammengefasst würde dies bedeuten, dass dem 383 Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 344. 384 Vgl. dazu OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. 12. 1998-3 Β 116/98 GewArch. 1999, 437, 438; Moench, in: Erbguth u. a. (Hrsg.), FS Hoppe, 459, 472. 385 OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. 12. 1998-3 Β 116/98 - GewArch. 1999, 437, 438. 386 Otting, DVBl. 1999, 595, 597; auch Jahn, Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte, S. 40. 387 Kritisch Schmitz, BauR 1999, 1100, 1109. 388 GMA, Die tatsächlichen Auswirkungen großflächigen Einzelhandels - Langzeitstudie, S. 17 ff. 389 Franz/Richert/Weilepp, AfK 1/1997, 48 ff.; Nuissl, AfK 11/1999, 237 ff.; Kilian/ Müllers, VerwArch. 89 (1998), 25 f.; Schmitz, BauR 1999, 1100, 1109. 9 Ernst
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
nachbargemeindlichen Vorbringen stets entgegengehalten werden könnte, der Kaufkraftabzug beruhe lediglich auf der schlechten Einzelhandelssituation in der Nachbargemeinde. Zwar ist es grundsätzlich Aufgabe der Gemeinden, die Voraussetzungen zur Ansiedlung einer attraktiven Einzelhandelslandschaft zu schaffen. 3 9 0 Dies gilt umso mehr, wenn ihnen zentralörtliche Versorgungsfunktionen zugewiesen sind. Ebenso ist aus Sicht des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs von jedem Marktteilnehmer zu erwarten, sich auf neue Wettbewerbssituationen einzustellen, wenn er sich am Markt behaupten möchte. 3 9 1 In der Praxis wird allerdings schwer zu bestimmen sein, ob und inwieweit solche „hausgemachten" Probleme vorliegen, zumal die mangelnde Wahrnehmung zentralörtlicher Funktionen auch regionale Ursachen haben kann. Zwar kann ein gemeindliches „Versagen" i m Einzelfall zum Tragen kommen, eine pauschale Bewertung hinsichtlich landesplanerischer Auswirkungen ist dagegen nicht möglich.
III. Der Betriebstyp Factory Outlet Center und die Geltung des Beeinträchtigungsverbots Aufgrund der Besonderheiten des Betriebstypus Factory Outlet Center wird ein wesentlicher Eingriff in die Zentralität der im Einzugsbereich des Vorhabens gelegenen Gemeinden vielfach abgelehnt. 3 9 2 Factory Outlet Center würden nicht auf eine Konkurrenz zum örtlichen Facheinzelhandel zielen, da dessen Vertriebsweg von den Herstellern von Markenartikeln weiterhin dauerhaft benötigt werde, sondern auf die Schaffung einer Einrichtung für sonst saisonal oder über den Einzelhandel nicht mehr absetzbare Ware. 3 9 3 Einzelhandelsbetriebe zur Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs würden in der Regel überhaupt nicht beeinträchtigt. Aus dem weiten Einzugsbereich und der hohen Streuwirkung ergebe sich, dass die Einwirkungsintensität auf die Nachbargemeinden in unmittelbarer Umgebung des Vorhabens entsprechend abgeschwächt werde, da sich diese auf einen größeren Raum verteile. 3 9 4 Factory Outlet Center würden daher nicht zu einem landesplanerisch bedeutsamen Kaufkraftabzug führen - das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot würde daher leer laufen.
390
Vgl. Jahn, Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte, S. 5. ' Thalacker, BWGZ 2001, 91, 93 f. 3 92 Otting, DVB1. 1999, 595, 597; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 341; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 975; ähnlich Jahn, Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte, S. 41; wohl auch Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 125. 393 VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 29. 9. 1998-2 L 2138.98.NW GewArch. 1999, 84, 86; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 975; Uechtritz, BauR 1999, 572, 582. 39
394
Jahn, Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte, S. 41; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 228; Moench/Sandner, NVwZ 1999, 337, 343; Uechtritz, BauR 1999, 572, 582; Otting, NVwZ 1999, 595, 598; kritisch Schmitz, BauR 1999,
1100, 1108.
E. Steuerung durch das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot
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Pauschale Aussagen zur landesplanerischen Verträglichkeit von Factory Outlet Centern können weder eine Beeinträchtigung zentralörtlicher Funktionen begründen noch ablehnen. 3 9 5 Da es in Deutschland bisher nur wenige echte Factory Outlet Center g i b t 3 9 6 , fehlt es an Studien über raumordnerische Auswirkungen dieser Vorhaben in Deutschland. Aus i m europäischen Ausland durchgeführten Studien ergibt sich zwar, dass Gemeinden i m Einzugsbereich der Vorhaben in ihrer Einzelhandelszentralität nicht beeinträchtigt werden. 3 9 7 Darüber hinaus konnte festgehalten werden, dass geeignete Wegebeziehungen zwischen einem Factory Outlet Center und innerstädtischen Einkaufslagen sowie ein gemeinsames Standortmarketing und Abstimmungen i m Sortiment wesentliche Kriterien zur Schaffung von Kopplungseffekten und zur Vermeidung von direkten Wettbewerbswirkungen darstell e n . 3 9 8 Solche Studien sind jedoch nur mit Einschränkungen auf den deutschen Markt übertragbar. 399 Geboten ist ein sorgfältiger Nachweis der Kausalität der Auswirkungen von Factory Outlet Centern. 4 0 0 Trotz ihres begrenzten Sortiments haben Factory Outlet Center einen innenstadtrelevanten Charakter und sind daher geeignet, auf den innenstädtischen Einzelhandel in einem landesplanerisch relevanten Ausmaß Einfluss nehmen zu können. Hierbei ist die Betrachtung des Gesamtstandortes von den Folgen hinsichtlich der Ausstattung mit einer Angebotsform zu trennen. So können bei einer Verschärfung des Wettbewerbs in einem Sortimentsbereich Anbieter ausscheiden, ohne dass gravierende Folgen für das zentralörtliche Gliederungssystem entstehen. Kann i m konkreten Einzelfall nachgewiesen werden, dass ein landesplanerisch bedeutsamer Kaufkraftabfluss eintritt, weil das Factory Outlet Center aufgrund seines Standortes eine besondere Ausstrahlungswirkung besitzt, muss das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot greifen und dem Vorhaben entgegengehalten werden können 4 0 1
IV. Ergebnis Normzweck des landesplanerischen Beeinträchtigungsverbots ist die Schaffung und Sicherung ausgeglichener Versorgungsstrukturen in allen Zentralitätsstufen 395 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 80; Schmitz, ZfBR 2001, 85, 88. 396 Designer Outlet Zweibrücken (Rheinland-Pfalz), Β 5 Designer Outlet Center Wustermark (Brandenburg), Wertheim (Baden-Württemberg), Ingolstadt Village (Bayern) vgl. GMA, Factory Outlet Center in Europa, Stand Dezember 2005, abrufbar unter http: //www. gma.biz. 397 Vgl. di e Studien über Auswirkungen von Factory Outlet Centern speziell in Großbritannien bei Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 46 ff. 398 Vogels/Will, GMA-Grundlagenuntersuchung, S. 56. 399 VG Stuttgart, Beschluss vom 26. 7. 2002- 13 Κ 1257/02 - GewArch 2002, 436, 438. 400 OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. 12. 1998-3 Β 116/98 - GewArch. 1999, 437, 438; Battis, LKV 1999, 347, 349; Schmitz, ZfBR 2001, 85, 89; ähnlich Uechtritz, BauR 1999, 572, 583. 401 Uechtritz, BauR 1999, 572, 583. 9!
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
unter Berücksichtigung aller Zentralitätsstufen. 402 Es verlangt eine konkrete räumlich-vorhabenbezogene Beurteilung von Auswirkungen des konkreten Vorhabens auf das zentralörtliche Gesamtgefüge in allen zentralörtlichen Stufen des Einzugsbereichs des Vorhabens. Geschützt sind demnach nicht nur die ausgeglichenen Versorgungsstrukturen durch den Einzelhandel in Oberzentren, sondern in sämtlichen zentralen Orten. Das Beeinträchtigungsverbot ist zugleich dem zentralörtlichen Gliederungssystem immanent, ohne dass es einer Festlegung in raumordnerischen Plänen bedarf. 4 0 3 Dies rechtfertigt auch die Ausgestaltung als Ziel der Raumordnung gem. § 3 Nr. 2 ROG. Die Sicherung ausgeglichener Versorgungsstrukturen leistet das Wesentliche der zentralörtlichen Zielsetzung demgemäß, dass in allen Teilen des Landes die zentralen Einrichtungen entsprechend dem Bedarf in zumutbarer Entfernung unbeeinträchtigt angeboten werden können. 4 0 4 Da das Beeinträchtigungsverbot lediglich darauf abzielt, dass Gemeinden in der Wahrnehmung ihrer zentralörtlichen Aufgaben nicht durch Ansiedlungen in anderen Gemeinden niederer bzw. ohne Zentralitätsstufe beeinträchtigt werden, räumt es - anders als das Kongruenzgebot - Orten höherer Zentralitätsstufe keinen Konkurrenzschutz absoluter Art gegen die Ansiedlung von Vorhaben außerhalb ihres Gebietes e i n . 4 0 5 Das Beeinträchtigungsverbot beschreibt eine Mindestausstattung zentraler Orte, die bei Neuansiedlungen bzw. der Erweiterung von Einzelhandelsgroßprojekten gewahrt werden muss. Die Konkretisierung des Beeinträchtigungsverbots durch Ziele der Raumordnung ist auch aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig. 4 0 6 Die Bindung an das landesplanerische Beeinträchtigungsverbot ist ebenso geeignet wie das verfassungsrechtlich unzulässige Kongruenzgebot 4 0 7 Die Sicherung der zentralörtlichen Funktionsfähigkeit durch die planerische Pflicht, diese nicht zu beeinträchtigen, genügt zur Wahrung des zentralörtlichen Gliederungssystems und seiner Zielvorgaben. 4 0 8 Das Beeinträchtigungsverbot ist der verwaltungsrechtlichen Figur einer „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt" ähnlich 4 0 9 Die Ansiedlung wird aus landesplanerischer Sicht nicht von vornherein untersagt. Nur wenn die Auswirkungen 402 Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 124; ders., DVB1. 2000, 293, 299. 403 s. unter D II 2; Erbguth/Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, S. 14 f.; Hoppe, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 124; ders., DVB1. 2000, 293, 299. 404 Hoppe, DVB1. 2000, 293, 300, der allerdings ohne Begründung davon ausgeht, dass es sich bei dem Beeinträchtigungsverbot um einen Grundsatz der Raumordnung im Sinn des § 3 Nr. 3 ROG handelt (S. 299). 4 05 Schmitz, ZfBR 2001, 85, 88. 406 Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 266; Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Center, S. 126; Hoppe, DVB1. 2000, 293, 300. 4 07 Hoppe, DVB1. 2000, 293, 300. 4 08 Anders wohl Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 38 f. 4 09 s. oben E IV 4 a).
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eines Factory Outlet Centers geeignet sind, die zentralörtliche Funktionsfähigkeit von Gemeinden zu beeinträchtigen, greift das landesplanerische Ansiedlungsverbot. Das Beeinträchtigungsverbot greift damit weder in unzulässiger Weise in die Unternehmerfreiheit von Betreibern nach Art. 12 GG ein, noch liegt ein unzulässiger Eingriff in die kommunale Planungshoheit nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vor. Die kommunale Bauleitplanung ist mit der örtlichen und überörtlichen Gesamtplanung sowie Fachplanungen eng verflochten und von daher auf Koordination und Kooperation ausgerichtet. 410 Die planende Gemeinde ist über das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB und das interkommunale Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB gehalten, die raumordnerischen Funktionszuweisungen betroffener Nachbargemeinden zu berücksichtigen. Korrespondierend zum Pflichtenkreis eines zentralen Ortes folgt aus dem sich aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden und in § 2 Abs. 2 BauGB einfachgesetzlich verankerten Gebot der Rücksichtnahme die Pflicht der planenden Gemeinde, ihre Eigenentwicklung auf die Interessen des zentralen Ortes auszurichten und auf diese Rücksicht zu nehmen. 4 1 1 Durch das Abstellen auf eine landesplanerisch relevante Beeinträchtigung werden die Besonderheiten des Betriebstypus Factory Outlet Center gewahrt. Ergibt sich i m konkreten Einzelfall keine Beeinträchtigung der zentralörtlichen Funktionen der im Einzugsbereich gelegenen zentralen Orte, kann - soweit keine anderen raumordnerischen Gründe entgegenstehenden - das Vorhaben aus landesplanerischer Sicht nicht verhindert werden. Wie bereits ausgeführt wurde, sind allerdings solche Zielfestsetzungen als unzulässig zu erachten, die ohne Beachtung der Besonderheiten des konkreten Einzelfalls auf fixierte Grenzwerte, wie beispielsweise Kaufkraftabzugsobergrenzen, abstellen 4 1 2 Dabei handelt es sich um aus der Praxis gewonnene Erfahrungswerte, die lediglich als Indiz zur Frage einer wesentlichen Beeinträchtigung herangezogen werden können. 4 1 3
F. Die Steuerung von Factory Outlet Centern durch das landesplanerische Integrationsgebot Nach dem in den landesplanerischen Plänen und Programmen aufgeführten landesplanerischen Integrationsgebot sind großflächige Einzelhandelsbetriebe in en410 Vgl. dazu Badura, in: Schneider/Götz (Hrsg.), FS für W. Weber, S. 911, 916. 411 Zum Rücksichtnahmegebot aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG Erbguth / Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, S. 15. 412 Vgl. beispielsweise Ziel 1.2.1.5 Abs. 2 bayerisches LEP; s. o. F II 2; dazu auch Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Centern, S. 136 f. 413 Vgl. dazu BayVGH, Urteil vom 7. 6. 2000-26 Ν 99.9161, 26 Ν 99.3207, 26 Ν 99.3265-BayVBl 2001, 175, 176 f.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
gem räumlichen und funktionalen Zusammenhang mit den Siedlungsschwerpunkten der Standortgemeinde zu errichten. 4 1 4 Die Vorhaben müssen städtebaulich und stadtfunktional in der Weise integriert sein, dass sie in enger baulicher und funktionaler Weise mit bestehenden Siedlungsgebieten errichtet werden und eine Ansiedlung auf der „grünen Wiese" oder an der Peripherie ausscheide. Die Zielvorgaben sind größtenteils ebenfalls als Soll Vorschriften formuliert. 4 1 5 Nach Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP kann vom Erfordernis der städtebaulich integrierten Lage in städtebaulichen Randlagen bei Vorhaben, die nicht dem Verkauf von Waren des kurzfristigen Bedarfs dienen, ausnahmsweise abgesehen werden, wenn die Gemeinde den Nachweis des Fehlens geeigneter städtebaulich integrierter Standorte erbringt und bei Vorhaben mit überwiegend innenstädtischen Sortiments das Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen i m Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern aufgrund übergeordneter Gesichtspunkte der räumlichen Ordnung und Entwicklung zustimmt. Diese Ausnahmevorschrift ist für Factory Outlet Center bedeutsam, da eine von den Zielvorgaben abweichende Ansiedlung nur auf diese Weise ermöglicht werden kann. Des weiteren ergibt sich (auch hinsichtlich strikter Zielformulierungen) aus den jeweiligen Einzelhandelserlassen der Länder, dass bei Sortimenten mit geringer Innenstadtrelevanz oder bei fehlender Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Innenstadt eine Ansiedlung an nichtintegrierten Standorten in Betracht k o m m t 4 1 6 M i t der Bindung ari das Integrationsgebot soll aus landesplanerischer Sicht der Innenentwicklung Vorrang vor einer Flächenerweiterung oder Suburbanisierung eingeräumt werden. Der Bezug des Integrationsgebots auf die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten auf der „grünen Wiese" beschreibt zudem die damit einhergehenden Belastungen für den Raum, wie beispielsweise Flächenversiegelung und erhöhtes Verkehrsaufkomm e n 4 1 7 Das Zielerfordernis der städtebaulichen Integration von Einzelhandelsgroßprojekten soll in erster Linie die Verbrauchernähe des Vorhabens gewährleisten und so der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung dienen 4 1 8 Dies zeigt sich auch darin, dass die landesplanerischen Zielvorgaben (vgl. Ziff. 1.2.1.5 bayerisches LEP) bzw. Ländererlasse hinsichtlich des Integrationserfordernisses nach der Innenstadtrelevanz des angebotenen Sortiments differenzieren. Ein Zusammenhang zwischen dem Integrationsgebot und der landesplanerischen Vorgabe der Sicherstellung der überörtlichen Versorgung ist allerdings auf 414 Vgl. bspw. Ziel 1.2.1.5 Abs. 1 bayerisches LEP; Ziel 3.3.7.2 baden-württembergisches LEP; Ziel 4.3.2 (4) Entwurf des Raumentwicklungsprogramms Mecklenburg-Vorpommern. Hoppe sieht u. a. aus diesen Gründen das städtebauliche Integrationsgebot als landesplanerische Abwägungsdirektive an, DVB1. 2001, 81, 87; ders. in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, S. 119, 124. 415
Ziel 1.2.1.5 Abs. 1 bayerisches LEP; Ziel 3.3.7.2 baden-württembergisches LEP. Ziff. 3.3.1 d) Einzelhandelserlass Sachsen; Ziff. 3.1.2 Einzelhandelserlass Mecklenburg-Vorpommern. 4 iv OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 26. 3. 2001 - 3 Β 113 / 00.Z - zit. in JURIS. 4 i8 Vgl. Einzelbegründung zu Ziel 1.2.1.5 Abs. 1 bayerisches LEP, S. 188. 416
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den ersten Blick nicht ersichtlich. 4 1 9 Aufgabe eines zentralen Ortes ist die überörtliche Versorgung der Bevölkerung i m Verflechtungsbereich. A u f den konkreten Standort des Einzelhandelsgroßprojekts in der Ansiedlungsgemeinde kommt es aus landesplanerischer Sicht dabei nicht an, da sich die Kaufkraftströme in Richtung der Ansiedlungsgemeinde bewegen. D. h. für die (motorisierte) Bevölkerung der umliegenden Gemeinden ergibt sich in der Regel kein Unterschied, ob die Innenstadt der Ansiedlungsgemeinde oder deren Außenbereiche angefahren werden müssen. Darüber hinaus stellt sich die Geltung des Integrationsgebots als Ziel der Raumordnung im Hinblick Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als fraglich dar. Grundsätzlich ist es Teil der gemeindliche Bauplanungshoheit durch Aufstellung von Bauleitplänen und Ausweisung von Bauflächen die baurechtliche Nutzung der i m Gemeindegebiet belegenen Grundstücke selbst zu bestimmen. 4 2 0 Landesplanerische Zielvorgaben dieser Art greifen über § 1 Abs. 4 BauGB in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ein, da sie dieses Ansiedlungsrecht beschränken. Flächen zur Ansiedlung großflächigen Einzelhandels können nach dem städtebaulichen Integrationsgebot nicht überall i m Gemeindegebiet ausgewiesen werden, sondern nur noch i m Innenbereich. Allerdings ist es städtebaulich betrachtet die Kehrseite der gemeindlichen Bauplanungshoheit, durch die Ansiedlung von Vorhaben außerhalb dieses Bereiches den eigenen innerstädtischen Handel zu schwächen und so die Innenstadt durch Ladenschließungen und Leerstände „veröden" zu lassen oder einer anderen Nutzung zuzuführen. Solange die Gemeinde, an welchem innergemeindlichen Standort auch immer, ihre Versorgerfunktion erfüllt, könnte ihr der konkrete Ansiedlungsstandort aus landesplanerischer Sicht nicht entgegengehalten werden 4 2 1 Ebenso lässt sich der landesplanerische Versorgungsgedanke einer Ansiedlung an einem städtebaulich nichtintegrierten Standort nicht entgegenhalten, wenn die Gemeinde eine sinnvolle Funktionsverteilung zwischen Innenstadt und Peripherie anstrebt, um so den geänderten Wünschen der Verbraucher und dem Ansiedlungsbedarf des Einzelhandels Rechnung tragen zu können. 4 2 2 Die Raumordnung geht vom Leitbild der „europäischen Stadt" aus, wonach die Innenstadt wichtigster Standort der örtlichen und überörtlichen Versorgerfunktion ist. Die funktionale Vielfalt und Mischung sowie das ökonomische Gewicht einer Innenstadt bestimmt i m wesentlichen die Attraktivität, regionale Ausstrahlung und Bedeutung einer Gemeinde. Dem innerstädtischen Handel muss nach diesem Leitbild eine Magnetfunktion zukommen. Einzelhandelsgroßprojekte wie Factory Outlet Center haben aufgrund ihrer Größe und Ausstattung selbst zentrumsbildende 4,9 Kritisch daher auch Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Center, S. 127. 4 20 BVerwG, Urteil vom 12. 12. 1969 - IV C 105.66 - BVerwGE 34, 301, 304; Urteil vom 11.4. 1986-4C 51.83-BVerwGE 74, 124, 132. 421 Anders kann dies allerdings dann sein, wenn die zentralen Orte nicht mehr gemeindeweise, sondern standortbezogen definiert werden, so im Landes-Raumordnungsprogramm des Landes Niedersachsen, vgl. Fn. 186. 422 Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 95.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
Funktion und als solches die Eigenschaft, dass sich andere innenstadttypische Funktionen wie Dienstleistungen, Gewerbe und Wohnen daran angliedern. Vorhaben dieser Art sind bei Ansiedlung an der Peripherie geeignet, einen städtebaulich und landesplanerisch unerwünschten Suburbanisierungsprozess herbeizuführ e n . 4 2 3 Der Normzweck des Integrationsgebots erschöpft sich nicht in der Sicherstellung der örtlichen und überörtlichen Versorgung, sondern ist im Zusammenhang mit der Aufgabe, Leitvorstellung und den anderen Zielen und Grundsätzen der Raumordnung zu sehen. Aus der Gesamtschau der in § 1 ROG und den Landesplanungsgesetzen aufgeführten Aufgaben und Leitvorstellung der Raumordnung und Landesplanung ergibt sich, dass die räumliche Struktur i m jeweiligen Bereich, d. h. die Gesamtheit der räumlich bedingten Lebens- und Arbeitsbedingungen, so zu beeinflussen ist, dass gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen entstehen. Ziel des Integrationsgebots ist auch die zielgerichtete Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit der Siedlungsstruktur 4 2 4 Bebaute Flächen sind zu konzentrieren, um den Flächenverbrauch i m Sinne einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung zu steuern, zusätzlichen Verkehr zu vermeiden und die Umwelt zu schonen. 4 2 5 Der sich auf die kommunale Planungshoheit berufenden Gemeinde kann somit entgegengehalten werden, dass sie, wenn sie die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers plant, die landesplanerischen Leitideen zu beachten hat. Ist die Gemeinde gewillt, ein solches Vorhaben anzusiedeln, kann von ihr erwartet werden, dass sie im städtebaulich integrierten Bereich die notwendigen Ansiedlungsvoraussetzungen schafft. A u f der anderen Seite sind die öffentlichen Planungsträger gehalten, durch geeignete Maßnahmen die Voraussetzungen für eine anforderungsgerechte Entwicklung des Handels zu schaffen, insbesondere durch Ausweisung ausreichender Bauflächen sowie durch Bereitstellung der notwendigen Infrastruktureinrichtungen 4 2 6 Daraus ergibt sich auch eine Pflicht der Planungsträger, auf die gewandelten Bedürfnisse der Bevölkerung und der Wirtschaft einzugehen. Planung hat insoweit auch stets realitätsbezogen zu erfolgen 4 2 7 Eine sinnvolle Funktionsverteilung zwischen Innenstadtbereich und peripheren Standorten kann dem geänderten Einkaufsbedarf der Verbraucher, nach diesem sich auch der Einzelhandel zu richten hat, besser Rechnung tragen als ein Festhalten an überkommenen Einzelhandelsstrukturen. Diese Funktionsteilung muss auch nicht zwangsläufig zu einer „Verödung" der Innenstädte und einem Verlust an Urbanität führen 4 2 8 Durch eine Veränderung und Anpassung des innerstädtischen Warensortiments, Branchenmix, 423 Franz/Richert/Weilepp, AfK 1/ 1997, 48 ff.; Nuissl, AfK I I / 1999, 237, 248. 424 OVG Koblenz, Beschluss vom 8. 1. 1999-8 Β 12650/98 - zit. in JURIS. 425 OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 26. 3. 2001-3 Β 113/00.Z - zit. in JURIS; Abschnitt A I LEP Nordrhein-Westfalen; Zielfestlegung zu großflächigen Einzelhandelsvorhaben im hessischen LEP, S. 19. 426 Begründung zu Ziff. 1.2.1.2 bayerisches LEP, S. 185. 427 Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 95. 428 Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 95 f.
G. Kooperative Handlungsinstrumente zur Steuerung
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aber auch durch städtebauliche Maßnahmen, wie die Schaffung von Parkraum, Fußgängerzonen und einer attraktiven Bausubstanz, lässt sich ein befürchteter Bedeutungsverlust der Innenstadt vermeiden. 4 2 9 Die Ausgestaltung des Integrationsgebots in Form zwingender Zielfestlegungen erscheint daher i m Hinblick auf die kommunale Planungshoheit gem. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als zu w e i t . 4 3 0 Dies gilt auch insoweit, als durch Zielfestlegungen oder Einzelhandelserlasse eine Unterscheidung nach der Innenstadtrelevanz des angebotenen Warensortiments vorgenommen werden soll und daher i m Einzelfall eine Abweichung vom Integrationsgebot in Betracht k o m m t . 4 3 1 Neben der Problematik, ob eine Einteilung in nahversorgungs-, Zentren- und nicht-zentrenrelevante Waren allgemeingültig möglich ist, würde es i m Ermessen der Landes- und Regionalplanungsbehören liegen, über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines konkreten Vorhabens zu entscheiden. 4 3 2 Welche Ware zu welcher Sortimentgruppe zu zählen ist, ergibt sich zudem nicht aus den Zielvorgaben selbst. Ob die Heranziehung außerhalb der landesplanerischen Vorgaben liegender Anhaltspunkte wie z. B. die Einzelhandelserlasse der Länder oder veröffentlichter Sortimentslisten 4 3 3 zur Bestimmung der Geltung des Integrationsgebots möglich ist, muss i m Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des B a y V G H zur Frage von Regel-Ausnahme-Tatbeständen bezweifelt werden. Zwar steht eine gewisse Offenheit oder Konkretisierungsfähigkeit von Zielen ihrer Rechtmäßigkeit nicht entgegen. Erforderlich ist allerdings, dass der Planungsträger neben den Regel- auch die Ausnahmevoraussetzungen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit selbst festlegt 4 3 4 Dies ist bei den vorliegenden Plänen und Programmen allerdings nicht der Fall.
G. Kooperative Handlungsinstrumente zur Steuerung von Factory Outlet Centern I. Regionale Einzelhandelskonzepte als Handlungsinstrument zur Steuerung von Factory Outlet Centern Hinsichtlich der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten stehen kommunale Entscheidungsträger oftmals vor einem Konflikt. Einerseits besteht vielfach unter 429 Thalacker, BWGZ 2001, 91, 93. 430 Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 23.1. 431 Ziel 1.2.1.5 bayerisches LEP; Ziff. 3.1.2 Einzelhandelserlass des Landes MecklenburgVorpommern; Ziff. 3.2.2.3 Einzelhandelserlass des Landes Baden-Württemberg. 432 Fickert/Fieseier, BauNVO, § 11 Rn. 23.1. 433 „Kölner Liste4' der IHK Köln. 434 BVerwG, Urteil vom 18. 9. 2003-4 CN 20/02 - BVerwGE 119, 54 ff.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
dem Druck der Schaffung von Ansiedlungsanreizen ein Anliegen zur Bereitstellung von Flächen in verkehrsorientierter Lage. Andererseits verhindern oder behindern Konflikte zwischen Nachbargemeinden und strenge raumordnerische Zielfestlegungen eine solche Ansiedlung, auch wenn sie i m Einzelfall sinnvoll wäre. U m ein „Wettrüsten" von kommunalen Gewerbeflächen einzudämmen und einen Ausgleich mit den raumordnerischen Vorgaben zu schaffen, finden sich seit längerem Ansätze, die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten i m Rahmen von regionalen Einzelhandelskonzepten kooperativ zu steuern. Die hiermit verbundenen Fragestellungen erlangen in zunehmenden Maße auch grenzübergreifende Bedeutung, wenn es beispielsweise um die Steuerung der Ansiedlung eines Factory Outlet Centers i m Grenzgebiet g e h t . 4 3 5 Bei der Erarbeitung regionaler Einzelhandelskonzepte setzen sich in der Regel Kommunen, Landkreise, je nach Größe auch Regierungen, die zuständigen Industrie- und Handelskammern und Interessenvertreter wie Einzelhandelsverbände zusammen und versuchen ein Konzept zu entwickeln, durch das die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsvorhaben raumverträglich und für alle Bereiche zufriedenstellend erfolgen kann 4 3 6 Regelungsinhalt der Einzelhandelskonzepte ist es, die landesplanerischen Vorgaben zum großflächigen Einzelhandel kooperativ umzusetzen, zu konkretisieren und raumverträgliche Ausnahmen festzulegen 4 3 7 Bezüglich der Ausgestaltung und Verbindlichkeit derartiger regionaler Einzelhandelskonzepte stehen den Beteiligten verschiedene Handlungsinstrumentarien zur Verfügung. Zwei dieser Wege sollen i m Folgenden dargestellt werden.
1. Einzelhandelskonzepte als Teil regionalplanerischer Festlegungen Vielfach wird von den Beteiligten der Weg gewählt, die i m Rahmen interkommunaler Vereinbarungen entworfenen Konzepte in die Regionalpläne einzuarbeiten und so rechtlich verbindlich auszugestalten. Eine derartige Integration bietet gegenüber rein freiwilligen Selbstverpflichtungen oder vertraglichen Vereinbarungen aufgrund der Publizität der Regionalpläne (vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 bayLPIG) verstärkte Rechtssicherheit. Der Regionalplan selbst enthält konkrete Beurteilungsgrundlagen für eine Ansiedlung, die Investoren von Einzelhandelsgroßprojekten können die Erfolgsaussichten einer Neuansiedlung an einem bestimmten Standort in der Region vorab besser einschätzen 4 3 8
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Dazu im Folgenden unter II 2. Vgl. beispielsweise das Regionale Einzelhandelskonzept für das Östliche Ruhrgebiet und die angrenzenden Bereiche. 437 So das regionale Einzelhandelskonzept für den Großraum Hannover, dazu Priebs, Raumplanung 113, 78, 79; GesaGmbH/ConventGmbH/v. Rohr, Regionales Einzelhandelskonzept für den Großraum Hannover, S. 59 ff. 43 8 Priebs, Raumplanung 113, 78, 82, wonach in der Praxis Anfragen bezüglich neuer Vorhaben an nicht zielkonformen Standortorten deutlich zurückgegangen sei. 436
G. Kooperative Handlungsinstrumente zur Steuerung
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I m Einzelhandelskonzept der Region Hannover wurde von den beteiligten Kommunen und dem Kommunalverband des Großraums Hannover sowie der Regionalplanung und Bezirksregierung Hannover textlich und zeichnerisch eine Abgrenzung der in den Gemeinden gelegenen verschiedenstufigen zentralörtlichen Standortbereiche und Versorgungskerne als Träger des Einzelhandels vorgenommen. 4 3 9 Für den großflächigen Einzelhandel außerhalb der zentralörtlichen Versorgungsbereiche - insbesondere Fachmarktzentren - wurden vorhandene und geplante Standorte räumlich konkret festgelegt. Die wesentliche Steuerungsfunktion dieser Festlegungen besteht darin, dass außerhalb dieser „Positivbereiche' 4 großflächige Einzelhandelsansiedlungen stets unzulässig sind. Dabei handelt es sich rechtlich um eine Art Flächenkonzentration mit Ausschlusswirkung ähnlich der Festlegung von Vorrangflächen nach § 7 Abs. 4 Nr. 1 R O G . 4 4 0 Das Konzept wurde in das Regionale Raumordnungsprogramm integriert. 4 4 1 Ähnlich ist das Handelskonzept der Region Stuttgart ausgestaltet: durch eine Änderung des Regionalplans wurden durch den Verband Region Stuttgart und die zentralen Orte dieser Region innerstädtische Bereiche räumlich festgelegt, in denen der zentrenrelevante überörtlich wirkende Einzelhandel angesiedelt werden s o l l . 4 4 2 Die Region Franken hat durch Teilfortschreibung des Regionalplans i m Dezember 2001 ebenfalls ein regionales Märktekonzept aufgenommen. 4 4 3 Da regionale Einzelhandelskonzepte durch die Integration in Regionalpläne selbst regionalplanerische Festlegungen sind, gelten die für Regionalpläne maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben und Grenzen auch für sie. Insbesondere sind die formalen Wirksamkeitsvoraussetzungen wie beispielsweise die Beteiligung öffentlicher Träger, Auslegung und Verkündung des Plans nach den Vorschriften der jeweiligen Landesplanungsgesetze einzuhalten. Als Bestandteil der Regionalpläne dürfen die Einzelhandelskonzepte zudem nur solche Festlegungen enthalten, die in einem Regionalplan festgesetzt werden dürfen. Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG. Durch die Fixierung als regionalplanerische Festsetzungen geht der Kreis der unmittelbar Betroffenen durch die Berücksichtigungs- bzw. Beachtenspflicht regionalplanerischer Festsetzungen gem. § 4 ROG über den der Beteiligten des regionalen Einzelhandelskonzepts hinaus. Diese dürfen aber durch eine vorhergehende kooperative Verein439 Vgl. die Ausführungen bei Priebs, Raumplanung 113, 78, 79; ders., DÖV 2002, 144 ff. zur Region Hannover; s. a. das vorbereitende Gutachten von GesaGmbH/ ConventGmbH/ v. Rohr, Regionales Einzelhandelskonzept für den Großraum Hannover, S. 59 ff. 440 Priebs, Raumplanung 113, 78, 81. 441 4. Änderung zum Regionalen Raumordnungsprogramm 1996 für den Großraum Hannover, abrufbar unter www.region-hannover.de, Stand 17. 6. 2005. 442 Der Verband Region Stuttgart verfolgt auf der Grundlage dieser regionalplanerisehen Festsetzung eine restriktive Ansiedlungspolitik, die zu einem erheblichen Dissens mit den beteiligten Kommunen führt, GMA, Einzelhandel-Standortatlas für die Region Donau-Iller, S. 86. 443 Auszüge bei GMA, Einzelhandel-Standortatlas für die Region Donau-Iller, S. 86 ff.
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
barung Dritter nicht stärker in ihren Rechten berührt werden als dies durch „herkömmliche" Festlegungen i m Regionalplan zulässig wäre.
2. Regionale Einzelhandelskonzepte als raumordnerische Verträge Die Einfügung des raumordnerischen Vertrags in § 13 Satz 5 ROG, wonach zur Vorbereitung und Verwirklichung von Raumordnungsplänen vertragliche Vereinbarungen getroffen werden können, verdeutlicht, dass auch i m Raumordnungsrecht der Gedanke der Kooperation in den Vordergrund gerückt i s t . 4 4 4 Zur Konkretisierung und Umsetzung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und zur Steuerung der Ansiedlung von Factory Outlet Centern bieten sich somit auch vertraglich geregelte Konzepte an 4 4 5 Raumordnerische Verträge dienen der Konfliktvermeidung i m Vorfeld einer Projektrealisierung und der Lösung von konkreten Konflikten i m Einzelfall. Neben der Festlegung von Standorten zur Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten und Abstimmungen im Warensortiment können hier vor allem auch Finanzierungsmodelle zum Ausgleich der Interessen zwischen Standort- und Nachbargemeinden getroffen werden. 4 4 6 Des weiteren sind kooperative Modelle wie interkommunale Gewerbeparks denkbar. A n der Aufstellung eines vertraglichen Einzelhandelskonzepts können zudem private Investoren beteiligt und so einer vertraglichen Bindung unterworfen werden. Allerdings beschränkt sich die Β indungs Wirkung raumordnerischer Verträge auf die Vertragspartner und bleibt somit hinter der Beachtenspflicht landes- oder regionalplanerischer Zielfestlegungen zurück 4 4 7 Die gesetzlichen Vorgaben zum Inhalt eines raumordnerischen Vertrags beschränken sich i m Wesentlichen auf § 13 Satz 5 ROG. Aus dem Wortlaut ergibt sich zunächst, dass raumordnerische Verträge zur Vorbereitung und Verwirklichung aller Raumordnungspläne eingesetzt werden können. Trotz des Wortlauts ist eine Beschränkung darauf nicht anzunehmen 4 4 8 Bereits vor der Einführung des 444 Runkel, in: Krämer, UPR 1998, S. 336 f.; Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328. 445 Vgl. zu den einzelnen Möglichkeiten Goppel, in: ILS (Hrsg.), Kolloquium landesplanerischer Vertrag, S. 12 f. 446 Spannowsky, UPR 1999, 241, 245; der allerdings in NdsVBl. 2001, 1,4 die Steuerungsmöglichkeit mittels raumordnerischer Verträge wegen des Erfordernisses der Kooperationsbereitschaft der Beteiligten als begrenzt ansieht. 447 Zur Problematik der Zulässigkeit planersetzender Verträge s. Spannowsky, Verwirklichung von Raumordungsplänen durch vertragliche Vereinbarungen, S. 11 f., der allerdings kein Vertragsform verbot annimmt; a.A. Goppel, in: ILS (Hrsg.), Kolloquium landesplanerischer Vertrag, S. 12; Stüer, in: ILS (Hrsg.), Kolloquium landesplanerischer Vertrag, S. 15; Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328, 331. 448 So sind beispielsweise zivilrechtliche Werkverträge, wie Gutachtertätigkeiten zur Vorbereitung eines Raumordnungsplans denkbar, nach Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328, 329 sind auch solche Verträge als raumordnerische Verträge zu qualifizieren.
G. Kooperative Handlungsinstrumente zur Steuerung
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§ 13 Satz 5 ROG wurden raumordnerische Verträge als zulässig angesehen; der Gesetzgeber wollte diese Rechtslage ersichtlich nicht ändern. Aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung des § 13 ROG ergibt sich weiterhin, dass sämtliche Verträge im Rahmen der Raumordnungsplanung als raumordnerische Verträge zu qualifizieren sind, wenn sie i m Zusammenhang mit Raumordnungsplänen stehen. Aus diesem Grund muss die Rechtsnatur eines solchen raumordnerischen Vertrags nicht zwingend öffentlich-rechtlich sein, sondern können derartige Verträge auch privatrechtlich ausgestaltet s e i n . 4 4 9 Ob ein Vertrag als öffentlich-rechtlich oder als privatrechtlich zu qualifizieren ist, richtet sich nach dem Vertragsgegenstand. Dieser ist dann als öffentlich-rechtlich zu beurteilen, wenn ein enger inhaltlicher Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Rechten und Pflichten besteht. 4 5 0 Aufgrund ihres oben genannten Inhalts werden vertragliche Einzelhandelskonzepte daher in der Regel öffentlich-rechtlicher Natur sein. Zivilrechtliche Verträge kommen vor allem i m Vorfeld zur Erarbeitung regionaler Einzelhandelskonzepte in Betracht, beispielsweise Verträge mit Privaten zur Erstellung von Gutachten. 4 5 1 Soweit raumordnerische Verträge zur Steuerung der Ansiedlung großflächigen Einzelhandels öffentlich-rechtlicher Natur sind, gelten die A r t . / § § 54 ff. ( L ) V w V f G . Ob es sich im Einzelfall um einen koordinationsrechtlichen oder subordinationsrechtlichen Vertrag handelt, hängt von den Vertragsparteien und dem Regelungsgegenstand ab 4 5 2 Diese Unterscheidung ist stets i m Hinblick auf die differenzierenden Voraussetzungen in A r t . / § § 55 ff. ( L ) V w V f G vorzunehmen. Dienen die vertraglichen Regelungen - wie bei den meisten regionalen Einzelhandelskonzepten - der kooperativen Umsetzung landesplanerischer Vorstellungen, so ist trotz der sich durch § 4 ROG und § 1 Abs. 4 BauGB ergebenden Bindungswirkung ein koordinationsrechtlicher Vertrag anzunehmen. 4 5 3
3. Schranken raumordnerischer Verträge a) Planungsrechtliche
Schranken
Neben den in A r t . / § § 54 ff. ( L ) V w V f G bzw. zivilrechtlichen Vorschriften enthaltenen Wirksamkeitsvoraussetzungen ergeben sich die rechtlichen Grenzen 449 Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328, 329. 450 Vgl. nur Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 54 Rn. 66 ff. 451 Vgl. dazu bspw. die Gutachten von BBE GmbH/ECON-CONSULT GmbH & Co KG zum Regionalen Einzelhandelskonzept für die Region Ostwestfalen-Lippe; der GMA zur Erstellung eines regionalen Einzelhandelskonzepts für das Saarland. 452 Tiedemann, in: Obermeyer, VwVfG, § 54 Rn. 45 ff. 453 Zu Beispielen eines subordinationsrechtlichen Vertrags, Spannowsky, Verwirklichung von Raumordungsplänen durch vertragliche Vereinbarungen, S. 49 ff.; Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328, 329 (Untersagungsverfügung oder Zielabweichungsentscheidung).
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2. Kap.: Die standortbezogene Steuerung von Factory Outlet Centern
raumordnerischer Verträge aus planungsrechtlichen Vorschriften. Aufgrund ihrer Akzessorietät zu Raumordnungsplänen dürfen in raumordnerischen Verträgen nur planungsrechtliche Sachverhalte geregelt s e i n . 4 5 4 Dies bedeutet allerdings nicht, dass nur geregelt werden darf, was auch Bestandteil formeller RaumordnungsVerträge sein könnte. Vielmehr dienen raumordnerische (wie auch städtebauliche) Verträge dazu, Inhalte zum Gegenstand zu haben, die in einem formellen Plan nicht festsetzungsfähig wären 4 5 5
aa) Die Gesamtsystematik des Planungsrechts als Grenze vertraglichen Handelns Die Vertragsfreiheit der Parteien erfährt eine Einschränkung dahingehend, dass vertragliche Vereinbarungen der Gesamtsystematik des Planungsrechts nicht widersprechen dürfen. Insbesondere darf mittels raumordnerischer Verträge nicht auf einen bauplanungsrechtlichen Zulassungstatbestand Einfluss genommen werden, der einer Steuerung durch die Raumordnung nicht zugänglich ist 4 5 6 So konnten beispielsweise bei Bauvorhaben i m Innenbereich nach der bis zur Änderung des BauGB durch Art. 1 E A G Bau geltenden Fassung des § 34 BauGB raumordnerische „Fernwirkungen" bei der bauplanungsrechtlichen Genehmigung nicht beachtet werden. 4 5 7 Der gesetzgeberische Wille, bei § 34 BauGB a.F. auf eine Raumordnungsklausel zu verzichten, durfte - unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift des § 246 Abs. 7 BauGB - durch vertragliche Regelungen nicht unterlaufen werden. 4 5 8 Anders ist dies nach der Einfügung des § 34 Abs. 3 BauGB durch Art. 1 E A G Bau. Danach dürfen Vorhaben im Innenbereich keine städtebaulich nachhaltigen Auswirkungen auf die zentralen Versorgungsbereiche der Ansiedlungs- und der Nachbargemeinden haben. Somit ist großflächigen Einzelhandelsprojekten die Baugenehmigung zu versagen, wenn sie derartige Fernwirkungen auslösen 4 5 9 Dabei geht die Entwurfsbegründung der Bundesregierung explizit davon aus, dass sich die zentralen Versorgungsbereiche neben planerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen auch aus vertraglichen Vereinbarungen ergeben können 4 6 0 M i t h i n können nun auch städtebauliche Auswirkungen, die über die nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgebliche Umgebung hinausgehen, in raumordnerischen Verträgen Berücksichtigung finden und geregelt werden. Unzulässig sind weiterhin solche
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Moench, in: ILS (Hrsg.), Kolloquium raumordnerischer Vertrag, S. 17, 19. 55 BVerwG, Urteil vom 11. 2. 1993-4 C 18.91 - UPR 1993, 260 (Weilheimer-Einheimischen-Modell); Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328, 330. 4 56 Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328, 330. 4 57 Statt aller Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Hrsg.), RuL, Κ § 4 Rn. 249, Stand 1999. 4 58 Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328, 330. 4 59 Vgl. dazu Gesetzentwurf der BReg. zum EAG- Bau, BR-Drs. 756/03, S. 150. 4 *o BR-Drs. 756/03, S. 151. 4
G. Kooperative Handlungsinstrumente zur Steuerung
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vertraglichen Vereinbarungen, mittels der Bauleitplanung auf die Untersagung von Einzelhandels vorhaben über (der in § 11 Abs. 3 Satz 4 genannten Vermutungsregel von derzeit) 1200 qm hinzuwirken. Derartige Vereinbarungen laufen praktisch darauf hinaus, die vom Verordnungsgeber bewusst flexibel ausgestaltete Norm des § 11 Abs. 3 BauNVO so umzugestalten, dass diese zu einer absoluten Höchstgeschossflächenregelung w i r d . 4 6 1
bb) Das planerische Vorwegbindungsverbot als Grenze vertraglichen Handelns Eine weitere Schranke ergibt sich aus dem planerischen Vorwegbindungsverb o t 4 6 2 Das für die Bauleitplanung explizit in § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB geregelte Verbot, sich i m Vorhinein rechtlich verbindlich auf eine bestimmte Planung festzulegen, weil eine dahingehende vertragliche Verpflichtung mit vorbestimmten Inhalt sowohl das formelle Erfordernis der Auslegung und Anhörung als auch die materielle Abwägungsentscheidung unterlaufen würde, gilt über das Abwägungsgebot auch für die Landes- und Regionalplanung. 4 6 3 I m Hinblick auf den Zweck raumordnerischer Verträge, die Verwirklichung von Raumordnungsplänen, ist das Vorwegbindungsverbot allerdings nicht dahingehend zu verstehen, dass eine Einflussnahme auf künftige Pläne generell unzulässig sei 4 6 4 Aus der nach § 4 ROG und § 1 Abs. 4 BauGB insbesondere für die kommunale Bauleitplanung bestehenden Β indungs Wirkung landesplanerischer Zielfestlegungen ergibt sich vielmehr, dass jedenfalls die Konkretisierung von Zielen der Raumordnung durch raumordnerische Verträge zulässig ist. Des weiteren können die Beteiligten das von ihnen zu berücksichtigende Abwägungsmaterial durch Vereinbarung konkretisieren, ohne dass eine Vorwegbindung hinsichtlich einer bestimmten Planung besteht. Zulässig sind demnach auch raumordnerische Verträge bezüglich Ansiedlungsbeschränkungen bei großflächigem Einzelhandel, wie Bestimmungen von Ansiedlungsstandorten, Beschränkungen der Verkaufsflächen oder Sortimentsfestlegungen. Zwar handelt es sich bei solchen Festlegungen um Beschränkungen der Art 461 Schenke, in: Dichtl / Schenke (Hrsg.), Einzelhandel und Baunutzungsverordnung, S. 13, 51; Dichtl, in: Dichtl/ Schenke (Hrsg.), Einzelhandel und Baunutzungsverordnung, S. 117, 118. 462 Spannowsky, Verwirklichung von Raumordnungsplänen durch vertragliche Vereinbarungen, S. 59 ff.; Goppel, in: ILS (Hrsg.), Kolloquium raumordnerischer Vertrag, S. 12, 13; Grotefels/Lorenz, UPR 2001, 328, 329. 463 Zum früheren § 2 Abs. 3 BauGB Spannowsky, Verwirklichung von Raumordnungsplänen durch vertragliche Vereinbarungen, S. 60; Stiier, in: ILS (Hrsg.), Kolloquium raumordnerischer Vertrag, S. 15; Moench, in: ILS (Hrsg.), Kolloquium raumordnerischer Vertrag, S. 17, 19. Zum bauplanungsrechtlichen Vorwegbindungsverbot BVerwG, Urteil vom 1. 2. 1980-4 C 40.77 - DVBl. 1980, 686; Urteil vom 29. 5. 1981-4 C 72.78 - DÖV 1981, 878; Beschluss vom 3. 8. 1982-4 Β 145.82 - NVwZ 1983, 92. S. allgemein zum Problem der Vorwegbindung im Verwaltungsrecht Würfel, Informelle Absprachen in der Abfall Wirtschaft, S. 60 f. 4